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DER CICERONE
VON
JACOB BURCKHARDT
NEUDRUCK DER ERSTEN AUFLAGE
ZWEITER TEIL
SCULPTUR
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SCULPTUR.
Nur schwer und allmälig öffnet sich dem Laien das Verständniss
für die Sculptur. Die Gesetze und Bedingungen, unter welchen sie
das Schöne hervorbringt, sind so vielfältig und liegen zum Theil so
versteckt, dass sehr viel Zeit, Übung und Verkehr mit Bildhauern
dazu gehört, um sich auch nur in den Vorhallen dieser Kunst zurecht-
zufinden. Viele unter den antiken Werken sprechen freilich so laut
und von selbst, dass auch der gleichgültigste Beschauer auf irgend
eine Art davon angeregt wird; daneben bleibt aber vielleicht das
Allertrefflichste unbemerkt, wenn Auge und Sinn nicht eine gewisse
Vorschule durchgemacht und nach bestimmten Vorsätzen suchen und
forschen gelernt haben.
Es giebt einen Weg zum Genuss an der Hand der antiken Kunst-
geschichte. Sie lehrt epochenweise, wie das Schöne geworden, welchen
Zeiten, Schulen und Künstlern die Schöpfung und Ausbildung der
wichtigsten Elemente desselben angehört; sie weist in den wenigen
vorhandenen Urbildern und in den zahlreichern Wiederholungen diese
ihre Resultate oft mit völliger Sicherheit nach. Allein diese setzt be-
trächtliche Studien und einen bereits sehr geschärften Blick voraus.
Wer unvorbereitet aus dem Norden in die Galerien Italiens tritt, wird
sich die Schätze derselben auf eine andere Art aneignen müssen.
Die Griechen verlangten von ihren Künstlern nicht Originalität
im heutigen Sinne, d. h. nicht ewig abwechselnde Aufgaben und Dar-,
stellungsweisen; wenn für irgend einen Gegenstand der höchste Aus-
Urcicerone. 27
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410
Antike Scalptar. Die Masse and ihr Inhalt.
druck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch,
diesen frei zu reproduciren oder auch ohne Weiteres zu wiederholen.
Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was
momentane Stellung oder Bev/egung anbetrifft) stehende Motive.
An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche
abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit
von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exemplaren
derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere
und das Spätere mit einander vergleichen gelernt hat.
Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der un-
geheure Vorrath der Museen Italiens nicht aus Originalwerken alt-
griechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom
letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Theil sind es Ori-
ginalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnissstatuen und
Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehren-
säulen u. s. w.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die
Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechi-
scher Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämmt-
lich unbekannt, doch giebt man sich gerne der Vermuthung hin, dass
bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Colonie griechischer
Sculptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir
uns darein fügen, aus der Blüthezeit der griechischen Cultur eine
Menge blosser Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten
Zeiten des Alterthums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern
fast ohne Künstlernamen zu kennen. — Der Unterschied zwischen
griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten er-
hellt, zwar im Ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal
aber nicht immer leicht nachzuweisen sein.
Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war
eine sehr verschiedene und entsprach wohl im Ganzen ihrem Werthe
oder ihrer äussern Beschaffenheit. Die Colossalstatue gehörte ins
Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten gel-
tend machen konnte. Selten kommen eigentliche Cultusbilder vor,
während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese,
Herkunft aud Bestimmong.
4"
die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übrig geblieben sind.
Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vor-
nehmen, zum Theil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze
Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch ausserdem reiche
Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen
Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarcophagen ergiebt sich
die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Candelaber und
Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur
Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien,
namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das
Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den
Laocoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen
von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffent-
lichen Vergnügens, welche auch Theater, Cirken und öffentliche Hallen
verherrlichte. — Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicher
Weise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es
ist ein grosser Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk
eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und
der Statue, welche für das hohe Dach eines Porticus oder die ent-
fernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu
gleicher Zeit meisselten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach
demselben Vorbilde, und der Eine brachte ein Werk voll des edelsten
Lebensgefühles, der Andere eine auf die Ferne berechnete Decora-
tionsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so
roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Ge-
nius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verläugnen können.
Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den
Genuss antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muss hier vor-
läufig aufmerksam gemacht werden. Nur äusserst wenige Statuen
nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben
sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das
ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht, als man denken sollte,
das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Theile,
Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat
27*
L^^g^^-j^^^^^g^^g
äi^llMiiäMilBii
412
Antike Scnlptur. — Restaurationen.
lange nicht immer das Richtige getroffen; er giebt z. B. einer ehe-
mahgen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die
Hand; er restaurirt einen Mars als Mercur und umgekehrt. Der Laie
darf daher die bessern literarischen Hülfsmittel, welche dergleichen
Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kennt-
niss dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen musste nach einem ver-
hältnissmässig geringen, aber an Kunstwerth ausgezeichneten Rest das
Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende er-
gänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche
Restaurationen an mehreren von den äginetischen Figuren so wie am
barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek; auch der rechte
Arm des Laocoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den grössten
Aufgaben in diesem Fache.
Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht
ursprünglich dazu gehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe an-
träfe? Diese Ergänzungsweise ist z, B. gerade in den römischen Mu-
seen sehr häufig und lässt sich insgemein schwer, ja in einzelnen
Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor
dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen
a hat (Vatican, Sala della Biga), wird Niemand von selbst auf einen
solchen Gedanken gerathen.
So weit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren;
man kann ihre Thätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie
so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon
im Alterthum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei
politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von
Bildnissstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bild-
hauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen
im Vorrath gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung
ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Diess stimmte trefflich zu der seit
Alexander aufgekommenen Sitte vieler Grossen, sich in Gestalt einer
Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Ge-
wohnheit, die Statuen aus mehreren Steinarten zusammenzusetzen. Es
war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne
oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde.
Werth derselben.
413
Diess Alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es
ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter
Beobachtung zu einem ausgebildeten Urtheil zu gelangen. Wer an
irgend einer Restauration Anstoss nimmt, bemühe sich, eine bessere
auszudenken; gewiss eine der edelsten Tätigkeiten, zu welchen der
Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann.
Den Restauratoren wird begreiflicher Weise ihr Geschäft häufig
sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare
desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem
Beinamen des ,, Berühmten" (periboetos), der sich in allen Sammlungen,
oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für Manches
aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die ReUefs
beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt, die sie
unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzelbildung
und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich Jeder
auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen.
Marmorne und andere steinerne Zierrathen, wie Candelaber und
Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Drittheilen nach irgend
einem Fragment restaurirt; von den Vasen ist namentlich der Fuss
nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Massgabe
der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen
von Füssen, Geräthen, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren
vermehrt worden.
Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto
gewissenhafter (im Allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe be-
handelt finden. Die grossen Fortschritte der Alterthumswissenschaft
und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den
heilsamsten Einfluss ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler,
z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung, waren oft
nicht bloss an sich stylwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch
mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden,
welches man mit den neuen Zuthaten in Harmonie bringen wollte.
Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen,
sondern als Zierrath in den Palästen der Grossen aufgestellt wurden.
4T4
Antike Scalptur. Typen. Tempelstyl.
so verlangte man durchaus den Eindruck eines unversehrten Ganzen.
Eine Menge Torsi, die man jetzt als Fragmente aufstellen würde, sind
in jener Zeit zu vollständigen Statuen restaurirt worden. Die medi-
ceische Sammlung enthält deren besonders viele.
Die Typen oder Darstellungsweisen der Gestalten der alten Kunst,
namentlich der Götter und Heroen, erhielten ihre bleibende Ausbildung
in der höchsten Blüthezeit des Griechenthums, im V. und IV. Jahr-
hundert V. Chr., von Phidias bis Lysippus. Auch später zwar kam
noch manche einzelne neue Gestalt, manche mehr auf das Zierliche
gerichtete Auffassungsweise hinzu, und selbst die Zeit Hadrians schuf
noch aus dem Bilde eines Menschen das Antinous-Ideal; doch über-
wiegen bei weitem die aus jener frühern grossen Epoche überkomme-
nen, mehr oder weniger frei wiederholten Typen.
Daneben erhielt sich aus den Zeiten vor Phidias, ja zum Theil
aus hohem Alterthum ein früherer, feierlich-befangener Styl, der sog.
hieratische oder Tempelstyl. Werke aus der alten Zeit der
wirklichen Herrschaft desselben sind in Italien äusserst selten; ausser
den Metopen des Tempels von Selinunt u. a. sicilischen Bruchstücken
a wird man etwa noch das Relief eines verwundeten Kriegers im Mu-
seum von Neapel (Nebenraum des dritten Ganges) und dasjenige der
b Leucothea in der Villa Albani zu Rom (Zimmer der Reliefs) namhaft
machen können. Sehr häufig sind dagegen die später und absichtlich
in diesem Styl gearbeiteten Sculpturen, namentlich die Reliefs an Al-
tären; auch Statuen dieser Art kommen nicht selten vor, und für ge-
wisse Typen, wie z. B. für den bärtigen Bacchus, blieb die hieratische
Darstellungsart sogar die allein herrschende. s>
Was konnte die Griechen und später die Römer bewegen, neben
ihrer freien und grossen Kunst diese befangenere Gattung mit Willen
festzuhalten? Zuerst war es gewiss die Ehrfurcht voi den Cerernonien,
welche sich seit unvordenklichen Zeiten an Götter, Weihgeschenke
und Altäre dieses Styles geknüpft hatten. Später erhielt derselbe den
Reiz des Alterthümlichen und Einfachen und die Kunst bemühte sich.
Tempelstyl.
415
hier innerhalb absichtHcher Schranken eine eigenthümliche Aufgabe
in Umriss und ModelUrung zu lösen. Zuletzt wurde daraus eine Sache
ästhetischer Feinschmeckerei, ja vielleicht einer bewussten Reaction
gegenüber dem überladenen unruhigen römischen Relief, Vielleicht
sind die meisten erhaltenen Werke im Tempelstyl nicht älter als das
Kaiserreich, und man hat namentlich die Zeit Hadrians dafür im Ver-
dacht, schon weil sie sich ausserdem der Nachahmung des ägypti-
schen Styles mit so vielem Eifer hingab.
Die Kennzeichen des Tempelstyles prägen sich leicht ein. Das
Gesetz des Contrastes der Gliedmassen, welches erst der Stellung des
Leibes Freiheit und Anmuth giebt, wird hier geflissentlich bei Seite
gesetzt und statt dessen die möglichste Symmetrie der beiden Schul-
tern, Arme, Lenden etc. erstrebt. Die Bewegungen sind steif und
entweder gewaltsam oder überzierlich, so dass die Götter auf den
Fussspitzen gehen, Fackeln und Stäbe nur mit zwei Fingern anfassen
u. dgl. Das Haar ist in unzählige symmetrische Löckchen geordnet;
die Gewandung besteht in vielen höchst regelmässigen Fältchen, welche
an jedem Saum oder Aufschlag als Zickzack von genau eben so vie-
len Ecken auslaufen. Der Ausdruck der Köpfe, wo sie gross genug
gebildet sind, besteht in einem kalten, maskenhaften Lächeln; die
Stirn ist flach, die Nase spitz, die Ohren hoch oben, die Mundwinkel
aufwärts gezogen, das Kinn auffallend stark. (Man vergleiche die
Abgüsse der echten altgriechischen Giebelgruppen des Tempels von
Ägina in der lateranischen Sammlung mit den spätem Nachahmungen a
dieses Styles: die schreitende Pallas i) in Villa Albani (Zimmer derb
Reliefs, wo noch mehreres der Art) ; mehrere Köpfe in der Galeria c
geografica des Vaticans; — der schreitende Apoll mit dem Reh
auf der Hand im Museo Chiaramonti ebenda; — die schreitende her- d
culanensische Pallas im Museum von Neapel (zweiter Gang) mit moder-
nem Kopf; — eine Bronzestatuette ebenda (kleine Bronzen, drittes
Zimmer) ; — die halb-ägyptische, halb-hieratische Isisstatuette ebenda
(ägyptische Halle); — die schreitende Artemis mit rothbesäumtem
Kleide ebenda (in einem verschlossenen Zimmer hinter der Halle des
Tiberius) .
*) Wenn diese nicht doch uralt ist.
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4x6
Antike Sculptor. Tempelstyl.
Im Relief verlangte der Tempelstyl die möglichste Symmetrie
selbst in der Bewegung und eine gleiche Entfernung gleichbedeuten-
der Figuren von einander. — Unter den schönern Arbeiten dieser Art
a sind zu nennen: ein Altar mit bacchischen Figuren und ein (vielleicht
doch uraltes?) Relief der drei Grazien im Museo Chiaramonti (Vati-
b can) ; — ein viereckiger Zwölfgötteraltar im sog. Kaffeehaus der Villa
Albani; — eine Platte mit vier Göttern im Zimmer der Reliefs ebenda;
Apolls Erscheinung beim Tempel zu Delphi, über der Thür des Haupt-
c Saales ebenda; — ein runder Zwölf götteraltar in der obern Galerie
des capitolinischen Museums; u, A. m.
Wie will man aber beweisen, dass diese Arbeiten nicht wirklich
uralt, sondern blosse Nachbildungen in einem veralteten Style sind?
Es dauerte in der That lange, bis die Archäologie in dieser Sache
klar sah. Jetzt kann sich jedes fähige Auge überzeugen, dass die
betreffenden Bildhauer eben doch nicht allen Reizmitteln der Kunst
ihrer Zeit entsagen mochten, dass sie die Härte der alten Musculatur,
den sonderbaren Ausdruck der Köpfe wesentlich milderten und dass
auf diese Weise ein sehr merklicher Widerspruch zwischen der alter-
thümlichen Auffassung und der weichen Ausführung in das Werk
hineinkam. Bisweilen wird es dem Beschauer noch leichter gemacht,
d wenn z. B. eines der erwähnten Reliefs (im Hauptsaal der Villa Albani
und anderswo), welches Apolls Trankopfer nach dem Siege im Kithar-
spiel darstellt, einen korinthischen Tempel zum Hintergrunde hat.
Hier springt der Anachronismus in die Augen, weil Jedermann weiss,
dass diese Säulenordnung ungleich spätem Ursprunges ist, als dieser
Sculpturstyl zu sein vorgiebt.
In den Typen der Götter herrscht nun hier, wie sich von selber
versteht, eine ältere Art. Die männlichen Gestalten erscheinen in der
Regel bejahrt, selbst Hermes und Dionysos bärtig, die Bekleidung ist
im Ganzen vollständiger und anders anschliessend; mancher einzelne
Schmuck macht sich geltend, dessen die vollendete Kunst entbehren
konnte. Das Nähere muss hier übergangen werden.
Lange Zeit nannte man diesen Styl mit Unrecht den e t r u s k i -
sehen. Allerdings kam er in den Fundorten Etruriens, das über-
Etraskische Kunst.
417
haupt eine früh überlieferte griechische Kunstübung merkwürdig fest-
hielt, ebenfalls und zwar nicht selten zum Vorschein; allein diess
beweist nicht gegen seinen allgemeinen griechischen Ursprung. Wir
werden bei Anlass der Vasen auf eine ähnliche Erscheinung stossen.
' Die etruskische Kunst selber übergehen wir, da sie mehr
nur lehrreiche Seitenbilder zur Geschichte des Schönen als einen un-
mittelbaren Genuss desselben gewährt. Nur mittelst einer langen,
zweifelreichen Forschung könnten wir uns und dem Leser klar machen,
was und wie vieles hier der alten religiösen Gebundenheit, dem eigen-
thümlichen Volksgenius, den uralten griechischen Cultureinflüssen, der
spätem Einfuhr griechischer Kunstwerke und Einwanderung griechi-
scher Künstler, endlich der Mitleidenschaft unter den Schicksalen und
dem Zerfall der römischen Kunst angehört. Die meist kleinen und
sehr zahlreichen Gegenstände, um welche es sich handelt, sind z. B.
im Vatican zu einem besondern Museo etrusco vereinigt; Mehreres
vom Wichtigsten findet sich in den Uffizien zu Florenz (verschlossener a
Gang gegen Ponte vecchio hin; und zweites Zimmer der Bronzen);
auch im Collegio Romano zu Rom, in den Sammlungen von Volterra b
und Cortona, sowie im Museum von Neapel (letztes Zimmer der c
kleinen Bronzen) steht viel Etruskisches beisammen.
Wer die Hauptfundorte, jene alten Nekropolen von Toscanella,
Cervetri, Vulci, Chiusi etc. bereist, wird wohl noch Manches an Ort
und Stelle in Privatbesitz antreffen und sich ausserdem einen Begriff
von dem prachtvollen Begräbnisswesen jenes räthselhaften Volkes
machen können i). — Was diese u. a. Sammelpunkte dem Forscher
des Schönen immer sehr werth macht, sind die vielen einzelnen Reste
und Elemente griechischer Kunst, welche er zwischen und an den
etruskischen Reliquien wahrnehmen wird. Mit dem Museo etrusco
des Vaticans ist z. B. eine herrliche Sammlung von gemalten Vasen
verbunden, welche vielleicht kaum zur Hälfte etruskischen Fundorten
') Wenn Jemand im Museo etrusco beim Anblick der Terracottenköpfe mit der langen
Oberlippe und dem eigenthümlich starren Kinn an die Nationalphysiognomie vieler Eng-
länder erinnert wird, so wollen wir bekennen, dass es uns und Andern auch so ge-
gangen ist.
4i8
Antike Scülptur. AnordniiDg nach Typen.
und nur geringsten Theiles eigentlich etruskischer Kunst, vielmehr
a fast durchgängig griechischen Thonmalern angehören; der grosse Saal
des Museo aber enthält u. a. Schätzen eine ovale eherne Lade mit
Amazonenkämpfen in Relief i) und eine Auswahl von Spiegeln mit
eingegrabenen Linearzeichnungen schönen griechischen Styles. Vollends
b möchte die runde Lade (oder Cista) des Collegio romano, mit der
Landung der Argonauten, alle Linearzeichnungen des griechischen
c Alterthums übertreffen. In Florenz enthält der genannte Seitengang
der Uffizien unter der grössten vorhandenen Sammlung etruskischer
Aschenkisten einige (z. B. die erste links) mit Reliefs von griechischer
Schönheit.
Die Anordnung der antiken Sculpturen nach Typen, welche nun-
mehr folgt, soll keineswegs als die einzig mögliche oder als besonders
methodisch gelten, sondern nur als derjenige Leitfaden, welcher am
leichtesten in die Sache hineinführt. Der Werth der plastischen Aus-
führung, welchen der Nichtkünstler doch erst nach längern Studien
richtig beurtheilen lernt, ist nicht unser Hauptmassstab bei der folgen-
den Aufzählung; der Gedanke, das Motiv müssen hier wichtigere
Rücksichten bleiben. Wir werden uns nicht scheuen, selbst sehr
geringe und späte Arbeiten zu nennen, sobald sie zufällig die einzigen
bekannten oder zugänglichen Exemplare vorzüglicher alter Kunst-
gedanken sind. Mit diesen, selbst in ihrer dürftigsten Aeusserung, wo
keine bessere vorhanden ist, suche man um jeden Preis das Gedächt-
niss zu bereichern, ohne desshalb den Blick auf die Ausführung
hintanzusetzen.
Wir beginnen unsere Andeutungen billig mit dem Vater der Götter
und der Menschen, in dessen Gestalt ja der Hellene gewiss das Höchste
1) Bei diesem wunderschönen Toilettengeräth, welches einer vornehmen Etruskerin in das
Grab mitgegeben wurde, erinnert man sich gerne an die berühmte Lade des Kypselos,
deren vermuthliche Gestalt (nach der Beschreibung bei Pausanias) so viel zu denken
giebt.
Zens.
419
an Macht und Herrlichkeit ausgedrückt haben wird. Von demjenigen
Gesammtbilde allerdings, dessen Anblick die Griechen zur Bedingung
jedes glücklichen Lebens machten, von dem olympischen Zeus des
Phidias, sind uns nur kümmerliche Reminiscenzen erhalten. Eine solche
erkennt man z. B. in dem colossalen Jupiter aus dem Hause Verospi
(Vatican, am Ende der Büstenzimmer), welcher mit nacktem Ober- a
leib, den Donnerkeil in der Rechten (statt der Siegesgöttin bei Phi-
dias) und den Scepter in der linken thront. Von dem Haupte des
Zeus aber, wie es der Meister gebildet, ist glücklicher Weise ein
ziemlich nahes Abbild auf unsere Zeit gerettet in der berühmten
Büste von Otricoli (Vatican, Sala rotonda). Hier erkennt man b
jenen Ausdruck wieder: ,, friedlich und ganz mild", das erhabene Haupt
in Gnade und Erhörung geneigt mit leisem Lächeln. Von den Locken
war genug vorhanden, um das Fehlende (auch das ganze Hinter-
haupt) trefflich zu restauriren. Die Züge sind in der That keines
Menschen Züge; vielmehr erscheinen diejenigen Elemente des Ant-
litzes, welche zu bestimmten Zwecken des Ausdruckes dienen, nach
höhern Gesetzen verändert und hervorgehoben. So dient die Ver-
dichtung in der Mitte des Stirnknochens (oder der Stirnhaut) dazu,
das gewaltigste Wollen und die zugleich höchste Weisheit anzudeuten.
Die Augen, von ganz wunderbarem Bau, liegen tief und treten doch
hervor; die Nase (etwas restaurirt) bildet mit der Stirn nicht einen
einwärts, sondern einen leise auswärts tretenden Winkel, worin die
Leidenschaftslosigkeit ausgedrückt liegt. (Dieses anscheinende Para-
doxon kann hier nicht entwickelt werden; ich verweise nur auf den
griechischen Kunstgebrauch des Gegentheils, der Stülpnase, z. B. bei
den Barbaren und den Satyrn, wozu beim Silen noch die aufwärts her-
vortretende Stirn kömmt.) Die Lippen endlich (leider auch nicht ganz
alt) vereinigen Süssigkeit und Majestät in einem Grade, wie kein ir-
discher Mund. — An diesem Haupt sind nun Locken und Bart von
höherer Bedeutung als an irgend einem andern. In ihnen wallt und
strömt gleichsam eine überschüssige göttliche Kraft aufwärts und ab-
wärts. Die Stirnlocken namentlich sind bei mehrern göttlichen Ge-
stalten wie ein Sinnbild geistiger Flammen. Dieser Zeus wäre mit
glatten oder kurzen Haaren nicht mehr Zeus, wie Apoll ohne seinen
Krobylos (Lockenbund über der Stirn) nicht mehr Apoll wäre.
llfaliiiiiMrilli
420
Antike Scalptar. Zeus. Serapis.
Was sonst von Zeusköpfen vorkömmt, steht tief unter diesem
a Werke. So z. B. selbst der schöne im Museum von Neapel (Halle
des Tiberius), wo sich auch (Halle des Jupiter) die colossale, etwas
decorationsmässig behandelte Halbfigur des Zeus aus dem Tempel von
Cumä befindet. (Die Nase schlecht restaurirt; Haar und Bart ge-
b waltig und meist alt.) Noch ein schöner Kopf in der Villa Albani
c (Vorhalle des Kaffeehauses) ; ein anderer, sehr colossaler, in den Uffi-
d zien zu Florenz (Halle der Niobe) ; ein tüchtiger römischer in der
Galerie von Parma.
Von den Brüdern des Zeus gleicht ihm am meisten Hades oder
Pluto, der Herr der Unterwelt, in seiner spätem (doch immer noch
griechischen) Personification als S e r a p i s, mit dem Scheffel (modius)
e auf dem Haupt i). Eine schöne Büste (in der Sala rotonda des Vaticans)
lässt uns das Zeusideal, aber mit einem düstern Zuge der Trauer er-
kennen. Unter den dichten Locken treten die sanft blickenden Augen
tief einwärts. Kein Entsetzen, nur ein leiser Schatten der ewigen
Nacht sollte über den Beschauer kommen. Überdiess war ja Serapis
in seiner spätem Bedeutung auch ein Genesungsgott und vertrat sogar
die Stelle des Asklepios. (Eine geringere Büste, von Basalt, im Zim-
f mer der Büsten; ungleich besser diejenige der Villa Albani im sog.
g Kaffeehause.) (Eine fleissige, kleine Bronze in den Uffizien, H. Zim-
h mer d. Br., Eckschrank rechts.) Noch ein schöner, sanfttrauriger Kopf
in der Galerie zu Parma.
Mit Serapis wurde in späterer Zeit, wie gesagt, der Heilgott As-
klepios identificirt, der auf diese Weise zu ganz Zeus-ähnlicher
Bildung gelangte — abgesehen natürlich von seinem besondern Attri-
but, dem Schlangenstab, auf den er sich mit der einen Schulter stützt.
! - Die Statuen sind meist von geringer Arbeit; so die schwarz-mar-
morne im grossen Saal des capitolinischen Museums. Vielleicht die
k beste von allen im Museum von Neapel, zweiter Gang. Der schöne
1) Als eigentlicher Pluto: z. B. in einer rohen Statue der Villa Borghese (Fauns zimmer).
Asklepios. Poseidon. Wassergötter.
421
Asklepios im Braccio nuovo des Vaticans trägt die sehr feinen, be- a
sonnenen Bildnisszüge irgend eines berühmten Arztes, vielleicht eines
Leibarztes des Augustus. — Von den beiden im zweiten Gang der b
Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere
ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeuten
und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht.
Das Übrige hat der Restaurator gethan. — Auch in dem Asklepios
im Palast Pitti (inneres Vestibül oberhalb der Haupttreppe) könnte c
man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem
Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken
Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die
ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens
vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig.
Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst ideale
Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschieden
zu verschmelzen wusste, vergleiche den Kopf des Poseidon
(Vatican, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die an- d
gebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck
des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn,
das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr
unbedeutende Statue im Vatican, Galeria delle statue; eine andere im e
Museum des Laterans.)
Auch die übrigen Götter der grössern Wasser, also
mit Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind grossentheils
von Zeus Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann
bald in das wohlig Geniessende, bald ins Schreckliche oder ins Be-
kümmerte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend,
sondern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn,
aber niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern nass und oft
mit Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine grossartigen
Lippen, aber mit bornirtem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht blosse
Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt
sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders
majestätisch.
Tsr».^
422
Antike Scnlptnr. Wassergötter.
a Die schönste dieser Gestalten ist der N i 1 (im Braccii nuovo des
Vaticans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, velcher be-
kanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerthe S;mbolik der
Alten, welche die i6 Ellen, um die der Nil alljährlich ;u wachsen
pflegt, durch i6 der niedlichsten Genien personificiren dufte! Heiter
klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und
Ichneumon; eine guckt sogar oben aus seinem Füllhorn leraus; ihre
Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck ür die stille
Seligkeit des gewaltigen Stromgottes.
b Die treffliche vaticanische Statue des Tigris (Sala a roce greca)
erhält durch den von Michel Angelo oder einem seiner Schüler re-
staurirten Kopf ein besonderes Interesse des Contrastes
Im Hof des capitolinischen Museums liegt als Brumengott der
c colossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der ZeitDomitians.)
Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornirte umgetaltet; Leib
und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewatigen Ober-
d körper. — Die beiden VVassergötter an der Treppe de: Senatoren-
palastes auf dem Capitol und die beiden in der untern Vorhalle des
e Museums von Neapel sind theils gute, theils leidliche Decorations-
arbeiten.
Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärf und deutet
f auf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Ufizien, Halle
der Niobe) ; er geht über in das Erschrockene, ich möchte agen Ausge-
g scholtene, in der höchst colossalen Maske eines Wassergotes im Museo
h Chiaramonti im Vatican; eine ähnliche in Villa Albani iNebenräume
i rechts). Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda les Vaticans,
mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen ar Brauen und
Wangen) ist sichtbar nicht ganz wohl zu Muthe. Sihon ruhiger
k ist der Ausdruck der zwei colossalen Masken in Villa xlbani hinter
dem Kaffeehaus.
Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühtre, aber von
der Kunst fortwährend und zwai dniiähernd oder ganz im Tempel-
styl festgehaltene Darstellung des bärtigenDionysos. Neben
Zeus, dem Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich her ein König
und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem
Bärtiger Dionysos. Herakles.
423
wir freilich im Leben bei Männern reifern Alters kaum je begegnen,
der aber doch seine volle innere Wahrheit hat. Die breiten, wohl-
gerundeten (doch keineswegs plumpen) Formen und der stilljoviale
Ausdruck des Kopfes, der heitre Blick, die charakteristischen gleich-
massigen Hauptlocken m.it der Binde, sowie der ebenfalls gelockte
Bart — diess Alles ist schon in den Hermen oder Büsten zu erkennen,
deren viele Tausende in den Gärten und Häusern der Alten gestanden
haben müssen. (Eine ganze Anzahl im Garten etc. der Villa Albani; a
— vier im Palast Giustiniani zu Rom, unten; — mehrere, darunter b
auch wohl Büsten des bärtigen Hermes, in der Galeria geografica c
des Vaticans. (Vieles davon ist sehr rohe Arbeit.) Ein Priester dieses
Bacchus, wie üblich mit den Zügen und dem Costüm des Gottes selber
dargestellt, findet sich in Villa Albani (rechts vom Palast am Ende d
der Nebengalerie).
Auf eine geheimnissvolle Höhe gehoben, treffen wir diesen Typus
wieder in einer berühmten vaticanischen Statue (Sala della biga) mit e
dem Namen des (wahrscheinlich Künstlers): Sardanapallos. In
ein herrliches weites Gewand gehüllt, mit der rechten auf ein Scepter
gestützt (diess unvollständig restaurirt), schaut der bejahrte Dionysos
voll hoher, innerer Wonne in die von ihm beherrschte Welt. (Nahe
mit diesem V/erk verwandt, aber ungleich geringer: Kopf und Brust t
eines bärtigen Bacchus im Museum von Neapel, Halle des Tiberius.)
Von den Söhnen des Zeus, abgerechnet die eigentlichen Götter,
ist der mächtigste Herakles. In seinem Antlitz ist auch noch etwas
übrig geblieben von den Zügen seines Vaters, namentlich in der Stirn
(sehr auffallend in einem Kopfe des verklärten Herakles; Vatican, g
Büstenzimmer); sonst herrscht darin eine jeder Mühe gewachsene
Kraft und Leidenschaft vor. (Letztere in der Adlernase bisweilen ange-
deutet.) Seine höchste und bleibende Kunstform erhielt Herakles
durch den grossen Lysippos, zu Alexanders Zeit. Wir lernen sie
kennen vor Allem in dem weltberühmten Torso des Atheners Apol- h
lonios (am Eingang des Belvedere im Vatican). Nach dem Hymnus
Winckelmanns und den bekannten Streitfragen über die vermuthliche
424
Antike Scalptar. Herakles.
Urgestalt des Werkes i) wage ich nur, den Beschauer auf die unge-
meine Leichtigkeit und Elasticität dieser Bildung, auf den Ausdruck
der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen.
Liegt hierin eine Andeutung, dass Herakles verklärt, etwa in seiner
Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so spricht
a der farnesische Herakles (Colossalstatue des Atheners
Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen
ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wan-
derungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit
den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese sammt der rechten Hand
restaurirt, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Musculatur, in
dem Ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt
noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Aus-
druck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die
Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Hauptes
und die reine Horizontale der Schultern charakterisirt, während
Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit
eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso aller-
dings nicht zu vergleichen. Am Kopfe sehr starke Restaurationen.
Unzählige, meist spätere Arbeiten stellen den Heros und seine
b Mythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig
vor. (Uffizien, H. Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli
c Animali des Vaticans allein sind vier Thaten des Heros in nicht ganz
d lebensgrossen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein
ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als
Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen
e Gewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das
von irgend einer guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte
Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr
artiges römisches Werk.
f Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt
im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute,
aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des
Herakles mit Antäus giebt den Helden mehr fleischig als musculös
1) Man denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende Hebe.
Die Dioskaren.
425
und entfernt sich wieder um eine Stufe v/eiter von dem verklärten
Herakles als die meisten übrigen Bildungen. (Hof des Pal. Pitti.) a
Endlich blieb ein wesentlich genrehafter Moment, der den Zeus-
sohn in rein physischer Gewaltigkeit darstellt, der kleinern Bildung
in Erz vorbehalten. Ich meine die köstliche Bronze des ,,trunkenenb
H e r a k 1 e s" im Museo zu Parma. An dieser rückwärts taumelnden
von allen Seiten glücklich gedachten Figur erkennt man das ganze
Muskelwesen des farnesischen Herakles, nur im Dienste einer ganz
andern Macht, als bei den zwölf Arbeiten. Gefunden in Veleja, und
doch vielleicht griechischen Ursprunges.
Es war nicht mehr als billig, dass auch die vorzugsweise so ge-
nannten ,, Zeussöhne" (Dioskuren) Kastor und Polydeukes in ihrem
Typus an den Vater erinnerten. Diess ist in der That der Fall mit
den beiden weltberühmten C o 1 o s s e n auf dem Platze des Q u i - '
r i n a 1 s in Rom; die Bildung von Stirn, Lockenansatz, Nase und Lip-
pen ist deutlich dem Zeusideal entnommen, wovon man bei Betrach-
tung der Abgüsse sich am Besten überzeugen kann; nur erscheint Alles
in den jugendlichen und heroischen Charakter übertragen. ^ Bekannt-
lich galten diese Rossebändiger einst als Arbeiten des Phidias und
Praxiteles; gegenwärtig betrachtet man sie aus überzeugenden Grün-
den als römische Nachahmung nach einer Gruppe vielleicht aus der
Schule des Lysippos, und giebt starke Willkürlichkeiten in der Ein-
zelbehandlung zu, z. B. im Ansatz der Hälse. — Ihre Bildung im Ganzen
vereinigt mit unbeschreiblicher Wirkung das Schlanke und das Ge-
waltige; ihre momentane Bewegung spricht wunderbar schön aus,
wie es für sie eine leichte Mühe sei, die bäumenden Pferde zu lenken;
Stallknechte mögen das Thier zerren und sich aufstemmen, Dios-
kuren bedürfen dessen nicht. Die Pferde sind auch verhältnissmässig
kleiner gebildet, wie sich überhaupt in der alten Kunst der Massstab
mehr nach der relativen Bedeutung der Figuren als nach ihrem phy-
sischen Grössenverhältniss richtet. — Ehemals standen sie parallel, ohne
Zweifel mit Recht; ihre jetzige Gruppirung mit der Brunnenschale
und dem Obelisken passt vielleicht besser zum Platze.
Urcicerone.
28
426
Antike Scnlptnr. Hera.
Die beiden Dioskuren der Capitolstreppe, sonderbar bedingte
Werke i) aus noch ziemlich guter Zeit, scheinen ganz geschaffen, um
den Werth der quirinalischen ins hellste Licht zu stellen.
Hera, die Schwester und Gemahlin des Zeus, bedurfte einer
entsprechend grossartigen Persönlichkeit, in welcher die Königin der
Götter zu erkennen sein sollte. Die reife Schönheit eines mächtigen
Weibes ist denn auch nie bedeutender dargestellt worden, als in die-
sem Typus, der doch zugleich eine unbegreifliche Jugendlichkeit aus-
spricht. Die Statuen sind meist spät, verrathen aber ein herrliches
b Vorbild, wie z. B. die colossale in der Sala rotonda des Vaticans.
c (Kleineres Ex. in der Villa Borghese, Zimmer der Juno; ein anderes
d in der Galeria delle Statue des Vaticans; noch ein anderes, mit mo-
e dernem Kopf, im Museum von Neapel, Halle der Flora.) Das nasse
Anliegen des feinen Untergewandes ist bisweilen allzu absichtlich dazu
benützt, die bedeutenden Formen des Oberleibes hervortreten zu lassen;
sonst aber wird die milde Majestät des bediademten Hauptes und die
imposante Stellung, womit der Körper sich nach der Rechten ausladet,
immer die Herrscherin auf das Deutlichste erkennen lassen.
Eine eigene Aufgabe gewährte dem römischen Bildhauer die Juno
i Lanuvina. (Colossalstatue ebenfalle in der Sala rotonda des Vaticans.)
Als Schützerin der Heerden hat sie Haupt und Leib mit einem Thier-
fell bedeckt; mit dem (restaurirten) Speer in der Hand schreitet sie
zu gewaltiger Abwehr aus. Ohne Zweifel hat der Bildner ein uraltes
Tempelbild von Lanuvium in dem Styl griechisch-römischer Zeit re-
produciren müssen; die Züge aber sind junonisch.
Diese göttlichen Züge lernt man nun weit besser als aus irgend
einer Statue aus zwei berühmten Colossalköpfen kennen. Der eine
g die Juno im Hauptsaal der Villa Ludovisi in Rom, erschien einst
Goethe ,,wie ein Gesang Homers", und in der That wird die Seele
griechisches Mass und griechische Schönheit selten so vernehmlich zu
^) Wahrscheinlich für einen ganz bestimmten Standort berechnet. — Es wäre sehr wünschens-
werth, über das perspectivische Gesetz, welches solchen Anomalbildungen zu Grunde
liegt, eine zusammenhängende Belehrung zu erhalten, und zwar von einem Bildhauer.
Vgl. S. 422, c.
Hera.
427
sich reden hören. Der andere, im Museum von Neapel (Halle des a
Tiberius), giebt in schöner frühgriechischer Arbeit einen altern, stren-
gern Typus wieder, dem zur vollen Majestät noch die Anmuth fehlt,
aus einer Zeit, da die griechische Kunst noch nicht ihre volle har-
monische Grösse erreicht hatte; es ist noch die homerische, er-
barmungslose Herai), während aus der Ludovisischen eine königliche
Milde hervorblickt. Verweilen wir noch bei diesem Haupte, so oft
und so lange die Strenge des Besitzers die Thür offen lässt! Die
göttliche Anmuth liegt wesentlich in der Linie des Mundes und in
den nächstliegenden Theilen der Wangen, auch in den nur massig
grossen, mild umrandeten Augen (wie hart und scharf sind die Augen-
Uder der neapolitanischen!). Das einzige Leiden ist die Restauration
der Nasenspitze, welche man sich auf irgend eine Art verdecken
möge.
Von diesem hohen Typus führen verschiedene Pfade abwärts in
das Kluge und Schlaue, in das bloss Liebliche, selbst in das Buhle-
rische. Eine beträchtliche Anzahl von Büsten geben die Belege hiezu.
Wir nennen bloss diejenigen, welche sich zugleich noch merklich an
die hohe Grundgestalt anschliessen.
In demselben Hauptsaal der Villa Ludovisi: eine tüchtige römische b
Juno mit Schleier, Diadem und gewirktem Unterkleid. Im Vorsaal:
eine geringere aus römischer Zeit, und ein uralter, sehr colossaler
Kopf. — Ein schöner und milder römischer Kopf im Braccio nuovo c
des Vaticans. — Ein anderer in der obern Galerie des Museo capi- d
tolino. — Eine freundlich-galante Juno im Museum von Neapel (Halle e
des Tiberius, in der Nähe der berühmtem). — Eine der strengern,
aus römischer Zeit, in den Uffizien zu Florenz (Halle d. Hermaphr.). f
— Eine sehr schöne, vielleicht griechische Büste, flüchtig gearbeitet,
sehr abgerieben und durch eine moderne Nase abscheulich entstellt,
findet sich im Dogenpalast zu Venedig (Sala de' Busti). Am Diadem g
Palmetten und zwei Greifen.
') Wovon ein gemilderter Nachklang auch in der oben erwähnten borghesischen Statue zu er-
kennen ist.
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428
Antike Scolptnr. Demeter.
Die eigentliche Matrone unter den Göttinnen, die mütterliche in
vorzugsweisem Sinne war einst Demeter. Die frühere Kunst gab
ihr daher, neben dem Jugendlichen, was allen Göttinnen eigen ist,
zwar nicht die königliche Würde der Hera, aber doch eine hohe Gra-
vität, einen gewaltigen Gliederbau und eine völlige Bekleidung (selbst
bisweilen einen Schleier). So finden wir sie in der grandiosen (in
a den Attributen ergänzten) Colossalstatue des Vaticans (Sala rotonda)
dargestellt; ihre Stellung ist die so mancher Statuen des altern Typus:
mächtiges Vortreten des einen Fusses (auf welchem der Körper ruht),
Nachziehen des andern, also beinahe ein Vorschreiten, wie sie ins-
besondere der wandernden Göttin geziemt, die ihre verlorene Tochter
sucht.
Ein späterer Typus zeigt die Göttin ohne das Matronenhafte,
vielmehr mit dem süssesten Reiz eines schlank zu nennenden jungen
Weibes angethan. Nur die Ähren in der Hand deuten an, um wen
b es sich handelt. Dieser Art ist die Statue der Villa Borghese
(Zimmer der Juno). Ganz ungesucht und mühelos scheint hier der
Bildhauer das herrlichste denkbare Gewandmotiv als Ausdruck des
edelsten Leibes, und die stille, sinnende Schönheit eines Kopfes
erreicht zu haben , der zwischen Aphrodite und den Musen die
Mitte hält.
c An diese Statue erinnert eine schöne, als Flora restaurirte Ge-
wandfigur im Vatican (Galeria delle Statue), die ihr jedoch nicht
gleich kömmt. Dagegen könnte die als Hygiea restaurirte Statue im
d Dogenpalast zu Venedig (Sala de' Busti) eher eine Demeter jenes altern
Typus gewesen sein.
Zu den reichen, vollen, mütterlichen Bildungen gehört auch Isis,
die schon zur griechischen Zeit aus dem ägyptischen Götterkreis in
die classische Kunst hereinkam. Fast junonisch herrlich erscheint sie
e uns in dem prächtigen Colossalkopf der Villa Borghese (Hauptsaal);
i mehr jungfräulich in einem reizenden Köpfchen des Vaticans (Büsten-
zimmer; statt des Lotos ein Lockenbund über der Stirn). Die voll-
ständigen Statuen werden bald für die Göttin selbst, bald für eine
blosse Priesterin ausgegeben; ein Zweifel, welcher desshalb unlösbar
Isis. Ares.
bleibt, weil überhaupt Priester und Priesterin beim feierlichen Opfer
das Costüm ihrer Gottheit trugen. Isis ist in dieser Beziehung sehr
leicht zu erkennen an dem Sistrum (wo es nicht restaurirt ist), einem
birnförmig gebogenen, mit einigen Drähten oder Stäbchen durch-
zogenen Lärminstrument von Erz, und an dem vor der Brust zusam-
mengeknüpften Fransengewand. Eine späte, aber noch sehr schöne
Statue im Museo Capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) ; zwei a
geringere im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore). b
Von dem Gott des Kampfes, den die römische Kunst überdiess
als Vater des Romulus zu verherrlichen hatte, besitzt man auffallender
Weise keine völlig sichere Statue von guter Arbeit. Im untern Gang c
des capitolinischen Museums steht ein prächtig geharnischtes und be-
helmtes Colossalbild, dessen Züge wohl den Sohn des Zeus zu ver-
rathen scheinen, das aber eben seiner pomphaften Bekleidung wegen
doch wohl eher ein Porträt heissen mag. (Es galt früher für Pyrrhus.)
Die gute nackte Statue eines reifen, fast stämmigen Mannes mit Helm d
und kurzem Mantel, im grossen Saale desselben Museums, ist wohl
unstreitig ein Mars, aber mit dem Angesicht Hadrians. Die mehrfach
(z. B. gerade hier) vorkommende Gruppe von Mars und Venus ist
durchgängig von später Arbeit und stark restaurirt. Selbst die herr-
liche Statue der Villa Ludovisi wird von Manchen als Achill e
in Anspruch genommen, mag aber einstweilen als ein ruhender, zur
Milde gestimmter Kriegsgott gelten; mit dem Schwert in der Hand,
den Schild zur Rechten, sitzt er auf einem Fels, den linken Fuss auf
einen Helm gestützt; vor ihm ein Amorin; sein Typus ist im Ganzen
dem des Hermes ähnlich, nur mit männlich strengern, härtern Zügen,
zumal im untern Theile des Gesichtes. Die Stellung wunderbar leicht,
von allen Seiten die schönsten Linien darbietend. Man glaubt auf ein
Original des Skopas schliessen zu dürfen. — In der Nähe die Statue i
eines ebenfalls nackten, auf dem Boden sitzenden Helden, welche eine
belehrende Vergleichung des bloss Heroischen mit dem Göttlichen des
Ares gewährt.
In vollständiger Rüstung, ausschreitend und mit einer Waffe aus-
holend, ist Mars hauptsächlich in den etruskischen Erzfiguren dar-
430
Antike Scnlptar. Hermes.
a gestellt. (Museo etrusco des Vaticans: der bekannte Mars von Todi;
b Uffizien in Florenz, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank:
mehrere kleine Figuren dieser Art; doch auch ein ganz kleiner ver-
stümmelter Mars des schönen Typus.)
Die antike Mythologie gewährte der Kunst oft an einer und der-
selben Gottheit viele Seiten und Charakterzüge, die sich darstellen
Hessen, je nachdem die verschiedenen Entwicklungsperioden des Grie-
chenthums, auch wohl die localen Mythen, eine göttliche Gestalt ver-
schieden hatten bilden helfen. Endlich aber pflegt sich die Kunst
einer jener Seiten entschieden zu bemächtigen und die andern zu
vergessen oder nur als Anklänge leise anzudeuten.
Reichlichen Beleg hiefür liefert Hermes. Ursprünglich ein
unterirdischer Gott des Gedeihens und des Segens ward er später der
Herr der Gewinns und Verkehrs, ein Bote der Götter, wandelnd vom
Olymp bis zur Unterwelt, nach welcher er auch die Menschenseelen
geleitet. Kaum eine Gottheit wurde häufiger gebildet; an allen
Strassen begegnete man einem Pfeiler mit seinem bärtigen Haupt, so-
dass der gleichen Pfeiler mit Köpfen überhaupt den Namen ,, Hermen"
erhielten, gleich viel wen sie darstellten.
Da er aber als Gott des Gedeihens auch der Schützer der Gym-
nasien war, so wurde später aus dem raschen, rüstigen Götterboten
das Ideal eines nur mit dem kurzen Mantel (Chlamys) bekleideten
Jünglings der Ringschule, und bei diesem Typus hielt die Kunst stille.
Von seiner Botenschaft her blieb ihm bisweilen ein Ansatz von Flügeln
an den Fussknöcheln, auch wohl am Haupt, so wie der Reisehut;
von seinem Heroldsamte bisweilen der Schlangenstab; von seiner
Eigenschaft als Kaufmann der Geldbeutel in der Linken; — allein auch
ohne diess Alles ist und bleibt er Hermes und zwar gerade in den
besten Beispielen.
Weit die erste Stelle nimmt unter diesen der vaticanische
Hermes (ßelvedere) ein; derselbe, welcher früher unbegreiflicher
Weise als ,,vaticanischer Antinous" bezeichnet wurde. Es ist ein
ewig junges Urbild der durch Gymnastik veredelten Leiblichkeit, wie
die breite, herrliche Brust, die kräftigen und doch feinknochigen Glie-
Hermes.
431
der, die leichte, ruhige Stellung diess vernehmlich ausdrücken. Allein
in der ganzen Gestalt waltet ein wahrhaft göttlicher Sinn, der sie
über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte
sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten,
in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung
der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein
wunderbares Haupt! es ist nicht bloss der freundlich sanfte, feine
Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher ,,den obern und den untern
Göttern werth" ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf
diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterb-
lichen Todtenführer zukömmt, der so viel Leben untergehen sieht.
Die süsse, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig
gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt.
Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft re-
staurirt. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viel a
geringere Wiederholung im grossen Saal des Pal. Farnese.)
Noch mancher treffliche Hermes steht in den römischen Galerien,
allein keiner, der diesem irgend nahe käme. Zur Vergleichung diene
z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatican, Galeria delle b
statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten, c
Im letztgenannten Theile des Vaticans stehen (hinten) auch zwei be-
mäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. — Im
grossen Saal des capitolinischen Museums glaubt man in der Statue d
eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration)
den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken
Fuss auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein
stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. — Ein
römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönen e
Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi.
Im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, bieten £
zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, alter-
thümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt
uns den kalten conventioneilen Ausdruck des frühern griechischen
Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vati-
canischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichliche g
Statue des angelnden Hermes. Er hat schon lange gesessen
432
Antike Scalptar. Hermes.
und ist darob etwas eingesunken; allein sein Blick sagt, dass er noch
lauert, und seine ganze leichte Stellung und der Bau seiner Glieder
lässt ahnen, mit welcher Elasticität er aufspringen wird. Die Kunst
wird keine sitzende nackte Jünglingsfigur mehr schaffen, ohne dieses
Erzbild wenigstens mit einem Blick zu Rathe zu ziehen. Ist es aber
wirklich Hermes? Was er an den Füssen angeschnallt hat, sind keine
Sandalen, sondern Flügel, die ihm also nicht von Hause aus angehören;
sodann hat sein Kopf wohl den Hermestypus, aber auf einer niedrigem
Stufe, und vollends geben ihm die abstehenden Ohren etwas Genre-
haftes. Vielleicht haben wir irgend einen unbekannten M5rthus oder
auch nur einen unergründlichen Scherz vor uns.
a In den Uffizien zu Florenz kann eine ausgezeichnet wohlerhaltene
römische Statue (im ersten Gang) gerade zum Beleg des Gesagten
dienen, insofern hier die Flügel unmittelbar über dem Knöchel aus
dem Fuss herauswachsen. Von viel grösserer Bedeutung ist der leider
b sehr stark und zwar als Apoll restaurirte sitzende Hermes im zweiten
Gange. Der Gott ist sehr jugendlich, etwa fünfzehnjährig gedacht,
aber in grösserm Verhältniss ausgeführt, sodass man ihn in seinem
verstümmelten Zustande leicht verkennen konnte, indem seine spätere
gymnastische Bildung hier nur leise angedeutet ist. Ein Blick auf den
ebenso jugendlichen Apoll, etwa den Sauroktonos, zeigt freilich den
gründlichen Unterschied; hier wollen alle Formen nur das leichteste
Dasein ausdrücken, während im Hermes die Rüstigkeit und Elasticität
ein wesentlicher Zug ist, selbst wo er ruht wie hier. (Schöne römische
Arbeit; in der Nähe eine ähnliche, viel geringere Statue mit dem echten
Hermeskopfe; die Lyra, deren Erfinder Hermes war, ist hier antik.)
c — Noch knabenhafter und fast genreartig ist Hermes dargestellt in
einer Statue der Inschriftenhalle ebenda, einem guten römischen Werke.
Er steht auf einen Stamm gelehnt; im ursprünglichen Zustande hielt
er etwas mit der rechten Hand, auf die seine Blicke gerichtet sind.
d — Ob der gute römische Torso von Basalt (in der Halle des Her-
maphr. ebenda) einen Hermes oder einen Satyr vorstellte, ist schwer
zu entscheiden.
Vom Geschlecht des Hermes als Schützers der Ringschulen sind alle
Athleten griechischer Erfindung. Man erwarte hier nicht den zum
Athleten. Discobolen.
433
Gladiator abgerichteten römischen Sklaven, Der griechische JüngUng
übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die
gleichmässige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war.
Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, ela-
stisch ohne alles Tänzerliche, mit irgend einer äussern Andeutung des
eigentlich Gymnastischen; der ganze Leib aber ist in allen Theilen
durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen, ohne doch in der
reichen Musculatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere
Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf
mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck
ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an.
Im Braccio nuovo des Vaticans bereiten die Athleten der Halb- a
rotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen
,,Apoxyomenos" am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in
demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und
im Einzelnen Manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine
der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende
Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers
sind hier Wunder der Kunst.
Sehr reizende Motive gewähren sodann die Discobolen oder
Scheibenwerfer; sei es dass sie gebückt im Augenblick des Werfens,
oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer
geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten
Ausdruck des Momentes. Der Vatican enthält (in der Sala della biga) b
sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Geberde
sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach My-
ron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimi c
zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich
guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vaticans. Eine geringere Wieder- d
holung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang. e
Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbil-
der, ohne Andeutung einer besondern Thätigkeit, Bei ihrer oft stark
restaurirten Beschaffenheit und dem meist geringen Werth ihrer Aus-
führung (als Decorationsfiguren) ist es nöthig sich zu erinnern, dass
man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen hunderten der schön-
sten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. — Zu diesen
:k^'-^SläMik^.:L
434
Antike Scolptnr. Athleten. Ringer.
ruhig stehenden Athleten gehört vielleicht, wie wir sehen werden, der
a sog. capitolinische Antinous. Andere Arbeiten von Werth: der Athlet
mit Salbgefäss in der Galeria delle Statue des Vaticans; der schlanke,
b kurzhalsige, einem alterthümlich strengen Original nachgebildete, im
grossen Saale des capitolinischen Museums; der das Stirnband Um-
c legende (Diadumenos) im grossen Saal des Palastes Farnese, nach
einem berühmten Motiv, — Vier Athleten im ersten Gang der Uffi-
d zien zu Florenz, zum Theil willkürlich restaurirt und von jeher nicht
viel mehr als Decorationsarbeit, aber vielleicht nach Originalen der
grossen alten Zeit, worauf der breite, gev/altigc Typuc und beson-
ders die Bildung des Kopfes und Halses hinweist. Ein ähnlicher im
e Pal. Pitti (inneres Vestibül oberhalb der Haupttreppe) .
f Von den Bronzen des Museums von Neapel (Abtheilung der
grossen Bronzen) gehören ausser mehrern schönen Köpfen hieher die
beiden trefflichen Statuen der gebückt laufenden Jünglinge. Bei Wer-
ken von so lebensvoller, wenn auch einfacher Arbeit hat der geringste
Zug seine Bedeutung. Es wird also eine sehr aufmerksame Betrach-
tung wohl dahin gelangen, zu entscheiden, ob eigentliche Wettläufer,
ob Discuswerfer, die ihrer entrollenden Scheibe nachblicken, ob end-
lich Ringer gemeint sind, welche sich den Punkt des Angriffs er-
sehen. Kenner des jetzigen Ringkampfes versichern das Letztere.
g Ein sehr tüchtiger bronzener Athlet, der sog. Idolino, steht in
den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen) auf einer prächtigen
Basis aus der Renaissancezeit, von Verocchio oder Settignano. —
h Ebendaselbst (sechster Schrank) die Statuette eines Ringers in voller
Bewegung; am aufgehobenen rechten Ellbogen ist noch die Hand
seines fehlenden Mitringers erhalten.
Diese v/ahrscheinlich erst aus römischer Zeit stammenden Exem-
plare lassen auf die Verehrung schliessen, welche jenen ebenfalls
ehernen Athletenbildern der griechischen Kampfstätten noch immer
gewidmet wurde. Die spätere Sculptur muss nach den Siegerstatuen
von Olympia wie nach einer Sammlung von Urkunden der Kraft und
Anmuth emporgeblickt haben.
Die beiden Ringer in der Tribuna der Uffizien zu Florenz werden
bei Anlass der Gruppen behandelt werden.
Bekanntlich nahmen, wenigstens in Sparta, auch die Mädchen an
Gladiatoren. Krieger.
435
gewissen Wettkämpfen Theil, und es ist zu glauben, dass sich die
Sculptur die darstellbaren Motive nicht entgehen Hess, welche dabei
zum Vorschein kamen. Erhalten ist, wenigstens in guter alter Copie,
eine zum Auslauf bereite Wettläuferin (im obern Gang des Vaticans) ; a
eine graziöse, nichts weniger als amazonenhafte Gestalt, in welcher
das Jungfräuliche vortrefflich ausgedrückt ist. Die kurzgeschnittenen
Stirnhaare gehörten zur Sache; auch die Büste ist so ausgeweitet, wie
der Wettlauf es erfordert, die Beine von einer fast scharfen Aus-
bildung.
Überaus traurig ist der endliche Ausgang des Athletenbildens.
Das kaiserliche Rom begeisterte sich nämlich so sehr für die Wagen-
führer seiner Cirken und die Gladiatoren seiner Amphitheater, dass
deren leibhafte Abbildungen mit Namensbeischrift Mode wurden. Die-
ser Art sind schon die Mosaikfiguren aus den Caracallathermen in b
einem obern Saale des Laterans und vollends die aus dem IV. Jahr- c
hundert stammenden im Hauptsaal der Villa Borghese. Selbst an
Sarcophagen (z. B. einem im ersten Gang der Uffizien) kommen Wa- d
genführer mit Namen vor. Auch die alten Griechen waren von der
persönlichen Darstellung bestimmter Athleten ausgegangen, allein sie
hatten dieselbe auf eine allgemeine Höhe des Schönen gehoben und
sie bald nur als vielgestaltige Äusserungen des Schönen dargestellt.
Es kann nicht befremden, dass die Statuen von hellenischen
Kriegern bisweilen schwer von den Athletengestalten zu trennen
sind. Über eine der berühmtesten Statuen des Alterthums, den bor-
ghesischen Fechter (im Louvre), hat man sich lange Zeit nicht ganz
einigen können, ob darin ein Ringkämpfer oder ein Krieger zu er-
kennen sei; die Stellung spricht für das letztere, die Formen des
Körpers aber sind die der vollendetsten Athletik, wie sie kaum an
einer andern Statue vorkommen. (Von einem römischen Gladiator
kann gar nicht die Rede sein.)
Eine Anzahl von Statuen aber stellen ohne Zweifel wirkliche
Krieger dar, mögen sie nun besonders gearbeitet sein oder irgend
U^..^ ,S *. .Äi,. ^ m-^. äJk .
436
Antike Scalptar. Krieger. Heroen.
einer Schlacbtgruppe angehört haben. Ersteres gilt wohl von dem
a schönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa L u d o -
visi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, der wir schon bei
Anlass des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von
b Neapel (erster Gang, leider wie so Manches aus der alten farnesischen
Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Theile einer Gruppe
und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschliessliche Be-
rechnung auf die Vordersicht andeutet i). Einer dieser Kämpfer sinkt
tödtlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem
Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter,
sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits
verwundet, zu vertheidigen. Die Motive sind sämmtlich von höherni
Werthe als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne
griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfscenen, die das be-
deutendste Factum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam
verdichtet und concentrirt darstellen mussten. Dass das Urbild ein
sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten,
dessen regelmässige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar
an die Ägineten erinnern. — In demselben Gang finden sich noch
mehrere Kriegerstatuen theils von geringerm Werth, theils von über-
c wiegend modernen Besttandheilen. — In der Halle des farnesischen
Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojani-
schen Heldenkreise (colossal, schon in antiker Zeit (?) restaurirt und
mit einem Bildnisskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen
todten Knaben, den er an dem einen Fusse hält und über die Schulter
hängen lässt, eilig aus dem Kampf gewühl; es ist wahrscheinlich
Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die
Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern
Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen lässt;
die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verrathen ein vor-
treffliches Urbild. — Noch viel berühmter aber muss eine oft wieder-
holte Gruppe: Aiax (u. a. Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus
gewesen" sein, welche bei Anlass der Gruppen zu besprechen sein wird.
• ') Einer Gruppe gehörte auch wohl d:r schlecht restaurirte knieende Krieger in den Uffizien zu
Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes Werk.
Heroen. Jäger. Meleager.
437
Der trefflichste Achill ist mit der altern borghesischen Sammlung
in den Louvre übergegangen. Vielleicht ist mit einer tüchtigen He- a
roenstatue der Villa Albani (Vorhalle des Kaffeehauses) Achill gemeint.
— Einen wunderschönen Kopf des Achill, von griechischer Arbeit, b
findet man im Camposanto zu Pisa (N. 78).
Von Odysseus haben wir nichts Sicheres, als die kleine Statue
des Museo Chiaramonti (Vatican), welche ihn darstellt, wie er dem c
Kyklopen die Schale reicht. Eine stramme, kräftige Figur; in den
Zügen mehr der Energische, Vielduldende als der Schlaue.
Als Bildnissstatue eines Kriegers aus der historischen Zeit ist
jedenfalls der Alcibiades in der Salla della biga des Vaticans zu d
betrachten, auch wenn die Benennung sehr zweifelhaft bleiben sollte.
Es ist ein sehr schöner Akt der Vertheidigung; der Beschauer er-
wartet, dass sie erfolgreich sein werde, weil in der ganzen Gestalt
nicht nur physische Macht, sondern hohe geistige Entschiedenheit
waltet.
Auf die Krieger folgen die Jäger und zwar zunächst ihr mythi-
sches Urbild, Meleager. Die berühmte vaticanische Statue e
(Belvedere), ein vorzügliches Werk der Kaiserzeit, wenn auch nicht in
allen Theilen gleichmässig belebt, giebt uns diesen Typus in seiner
vollkommenen Ausbildung, sehr dem Hermes genähert, selbst in Ge-
stalt und Zügen des jugendlichen Kopfes, und doch wieder wesent-
lich von ihm verschieden. Die Jagd verlangt und bildet einen Körper
anders und einseitiger als die Athletik; ihr genügt das Schlanke und
Rasche; eine für jede Probe durchgearbeitete Musculatur wäre über-
flüssig. So schön und leicht nun diese Gestalt dasteht, so unbeholfen
und zweideutig ist die Stützung unter dem linken Arm (Eberkopf und
Tronco). Vielleicht hatte der Künstler ein ehernes Urbild vor sich
und musste sich in Marmor helfen, wie er konnte. Eine kleine Wieder-
holung von rosso antico im Museum von Neapel (Halle der farbigen f
Marmore). Eine stark überarbeitete lebensgrosse Statue im Haupt- g
saal der Villa Borghese.
Weit von dieser Auffassung entfernt und durch den Contrast be-
lehrend: die Statue eines Jägers im grossen Saal des Museo capitolino. h
438
Antike Scalptar. Pallas.
Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur
um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagd-
sclaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künst-
lers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob ,,Polyti-
mus der Freigelassene", wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger,
Bildhauer oder Eigenthümer geht, wollen wir nicht entscheiden.
Wenn sich in jeder Gottheit irgend eine Seite des griechischen
Wesens ideal ausdrückt, so ist P a 1 1 a s Athene eine der höchsten
Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämo-
nischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der
Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder
verständigen und kräftigen Thätigkeit, die Begleiterin, der Genius des
,, Griechen als solchen" geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus
wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem
Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Jonien hätten sie herr-
lich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren
Typus durch die grössten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phi-
dias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu
sprechen.
Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor;
erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit
ihren fast männlichen Formen und Geberden einher. So die schon
a erwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). -
Eine späte Nachahmung eines ruhigem Tempelbildes, im Hauptsaal
b der Villa Ludovisi, interessirt hauptsächlich durch den Künstlernamen:
Antiochos von Athen.
Einen viel entwickeitern Typus, in welchem indess noch immer
die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue
c des Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von
mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, desser reicher
Schmuck sammt der umständlich behandelten Aegis der ganzen Gestalt
noch etwas Buntes giebt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der In-
d tention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr
vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes
Pallas.
439
hat; die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Thierfelles, wie eine
Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen, a
n. Zimmer, i. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigenthümUch
als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten,
aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang), b
das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte fest-
gehaltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens
alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas senti-
mental aufwärts.
Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in
demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr von einander ab-
weichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccio c
nuovo des Vaticans, und der Pallas von Velletri i) in der obern Ga- d
lerie des capitolinischen Museums. In langem einfach gefaltetem Ge-
wand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letzt-
genannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer.
Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei
hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe;
das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indess doch nicht wie
Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt.
Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung lässt diesen
Ausdruck so überwältigend hervortreten. — Ob wir hier einen der
Typen des Phidias oder einen etwas spätem vor uns haben, mag un-
entschieden bleiben — jedenfalls wird man den Künstler glücklich
preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst s o empfand. (Die
Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider
stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit,
mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibül ober- e
halb der Haupttreppe).
Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im Ganzen diesen
spätem, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vati- f
cans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich
als modern erkennen; der Kopf ist aber in der That einem antiken
1) Eine andere Pallas von Velletii im Louvre; es ist die colossale mit erhobenem rechten
a._.
Arm.
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ET
440
Antike Scnlptar. Roma. Tycbe.
a Bruchstück zu Liebe hinzugearbeitet. — Im Museo Chiaramonti eine
Colossalbüste mit eingesetzten Augen und Drahtwimpern, etwas leere
römische Prachtarbeit. Ebendort ein kleines gutes Köpfchen. In den
b Büstenzimmern eine vortreffliche grosse Büste, Im Museum von Nea-
c pel (Halle des Jupiter) zwei gute Büsten.
Von der kriegerisch gerüsteten Pallas geradezu entlehnt wäre der
Typus der Göttin Roma, wenn wir die einzige vorhandene Statue
d über dem Brunnen auf dem Capitol wirklich als solche in Anspruch
nehmen dürfen. — Ganz sicher ist dagegen das Relief an der Palast-
e Treppe der Villa Albani; die schlanke, amazonenhafte Roma, in kur-
zem Gewand bis an die Knie, das Haupt behelmt, thront hier auf
Trophäen. Bei nicht eben geistvoller Ausführung ist sie als die
stets rüstige, sprungfertige Siegerin doch glücklich charakterisirt. —
f Die sitzende Colossalstatue im Gatten der Villa Medici soll ebenfalls
eine Roma sein.
Bei diesem Anlass sind noch einige andere locale Personificationen
zu nennen.
Auch die Provinzen wurden bisweilen an Siegesdenkmalen
charakterisirt. Von grössern Bildwerken dieser Gattung sind uns nur
g eine Anzahl Hochrelieffiguren erhalten (eine im untern Gang des Museo
Capitolino, eine im Hof des Conservatorenpalastes, mehrere im Museum
von Neapel, Halle des Jupiter), leblose römische Decorationsarbeiten.
h An einem berühmten Altar aus Puteoli (Museum von Neapel, Halle
des Tiberius) sind vierzehn asiatische Städte als allegorische weibliche
Figuren dargestellt, wobei die Kunst sich begreiflicherweise sehr auf
die Attribute stützen musste; überdiess ist der Marmor sehr verwittert.
— Diess Alles kommt kaum in Betracht neben einer kleinen, wunder-
i schönen Figur des Vaticans (oberer Gang), welche die T y c h e oder
Stadtgöttin vonAntiochien vorstellt. Ganz bekleidet sitzt sie mit
aufgestütztem Arm und übereinandergeschlagenen Füssen auf einem
Fels, unter ihr die nackte Halbfigur des Flussgottes Orontes. (Nach-
ahmung eines Werkes aus der Diadochenzeit.) Hier endlich ist vor
Allem ein schönes lebendes Wesen dargestellt und die geographische
Symbolik untergeordnet. In Antiochien, wo das Urbild stand, wusste
Amazonen.
441
ja doch Jedermann, welche Göttin gemeint war. (Zwei kleine Bronze- a
Wiederholungen in den Uffizien, II. Zimmer d. Br., 4. Schrank.)
In eigenthümlicher Seitenverwandtschaft zu Pallas Athene stehen,
dem Typus nach, die Amazonen, deren höchste Ausbildung ja
vielleicht wesentlich demselben grossen Bildner angehört, welchem das
höchste Ideal der Stadtgöttin von Athen seine Züge verdankt, Phidias.
Der herrliche Gedanke, männliche Kraft in weiblichem Leib darzu-
stellen, gehört ganz der Zeit der hohen Kunst an, sowie die zierlich
und buhlerisch gewordene Kunst sich charakterisirt durch die Schö-
pfung des Hermaphroditen, welcher durch die Vermengung des sinn-
lich Reizenden der beiden Geschlechter ein vermeintlich Höheres re-
präsentiren soll. — Die Sage von dem kriegerischen asiatischen Frauen-
volk und von seinen Kämpfen mit den griechischen Helden gab nur
den Anlass zu dem hohen künstlerischen Problem, welches Polyklet,
Phidias, Ktesilaos, Dositheus u. A. jeder auf seine Weise löste. Aus-
geschlossen blieb v/ie bei Pallas in dem strengen ovalen Kopf jeder
Ausdruck des Liebreizes; bei aller Entfaltung der Kraft gehen aber
doch die Formen nie über das Weiche und Weibliche hinaus. Das
leichte aufgeschürzte Gewand deckt nur einen Theil der Brust und
die Hüften bis zum Knie; es fliesst so um die Gestalt, dass jede
Nuance der Bewegung sich darin klar ausdrückt. Diess war sehr
wesentlich, denn das Heroische Hess sich im Weibe, wenn es schön
bleiben sollte, überhaupt nur als Rüstigkeit, Bewegungsfähigkeit dar-
stellen. — Bei den einzelnen auf uns gekommenen Motiven ist nie zu
vergessen, dass die Künstler diese Heroinnen als Gattung, als Volk
dachten, und dass wir lauter Episoden eines grössern Ganzen vor
uns sehen. Das schönste Motiv, die den Speer zum Sprung auf-
stützende Amazone des Phidias, kann man leider nirgends rein ge-
niessen, indem sie (Exemplare im Braccio nuovo und in der Galeria b
delle Statue des Vaticans, sowie im Museo Capitolino, Zimmer des c
sterbenden Fechters) statt des Speeres mit einem Bogen restaurirt zu
werden pflegt, doch bleibt der Ausdruck und die imposante Haltung
des Kopfes, und in dem Körper das so kräftige und zugleich so an-
muthige sich Anschicken zum Sprunge. — Die verwundete Amazone
Urcicerone. 29
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442
Antike Scnlptnr. Apoll.
a des Ktesilaos, in einer Wiederholung des Sosikles, im grossen Saale
des Museo capitolino.
b Eine interessante kleine Bronzewiederholung der Amazone des Phi-
dias findet sich in den Uffizien (Bronzen, II. Zimmer, 2. Schrank; mit
restaurirtem Arm.)
c An der bekannten Statuette des Museums von Neapel (grosse
Bronzen), welche eine behelmte kämpfende Amazone zu Pferd dar-
stellt, ist der Typus nur wenig zu erkennen.
Die Gestalt Apolls, wie wir sie aus den Statuen der Blüthezeit
und deren Nachahmungen kennen lernen, ist das gemeinsame Resultat
sehr verschiedener mythischer Grundanschauungen und einer bestimm-
ten künstlerischen Absicht auf eine Darstellung des Höchsten. Apoll
ist ein kämpfender Gott, welcher Ungeheuer und trotzige Menschen
zernichtet, er ist zugleich der Gott alles heilvollen, harmonischen Da-
seins, dessen Sinnbild und Beihülfe Musik und Dichtung sind; als
Theilhaber an der höchsten Weisheit gehört ihm auch -vorzugsweise
die Weissagung und deren Ausdruck, die Orakel. Die ausgebildete
Kunst aber konnte diese Charakterzüge nicht alle einzeln darstellen;
sie gab als gemeinsames Symbol aller Ordnung und alles Heiles ein
Bild der höchsten, man könnte sagen, centralen Jugendschönheit, wie
diess dem Geiste des Griechen gemäss war. Kithara, Lyra, Bogen und
Köcher bleiben nur als Attribute; das wahre Kennzeichen des Apoll
ist eine Idealform, welche von jeder Spur einer Befangenheit, eines
Bedürfnisses vollkommen rein ist, und nicht bloss zwischen dem gymna-
stischen Hermes und dem weichen Dionysos, sondern zwischen allen
Göttergestalten die höchste Mitte hält. Schlanke Körperformen, mit so
viel Andeutung von Kraft, als die jedesmalige Bewegung verlangt; ein
ovales Haupt, durch den mächtigen Lockenbund über der Stirn noch
verlängert erscheinend; Züge von erhabener Schönheit und Klarheit.
Von den in Italien vorhandenen Statuen gewähren allerdings nur
wenige eine volle Anschauung dieses Ideals; die meisten sind römi-
sche, sogar nur decorative Arbeiten. Doch befindet sich darunter der
dvaticanische Apoll (in einem besondern Gemach des Belvedere) ,
als Sieger über den Drachen Python, vielleicht über die Niobiden, ja
Apoll. Äpollino.
443
als Vertreiber der Erinnyen gedacht — je nachdem man einer Er-
klärung beipflichtet — wendet er sich, nachdem sein Pfeil getroffen,
mit hohem Stolz, selbst mit einem Rest von Unwillen hinweg. (Die
deklamatorisch restaurirte rechte Hand möge man sich wegdenken.)
Wahrscheinlich Nachahmung eines Erzbildes, wie der Mantel andeutet,
zeigt diese Statue eine Behandlung des Einzelnen, die man am ehe-
sten der ersten Kaiserzeit zutrauen will und die gegenwärtig nicht
mehr so mustergültig erscheint, wie zur Zeit Winkelmanns. Einer
unvergänglichen Bewunderung bleibt aber der Gedanke des Ganzen
würdig, das Göttlich-Leichte in Schritt und Haltung, sowie in der
Wendung des Hauptes. (Welches übrigens, der Wirkung zu Liebe,
weit nach der rechten Schulter sitzt.)
Noch im Kampfe begriffen, die Sehne des Bogens anziehend *), a
finden wir Apoll in einer Bronzestatue des Museums von Neapel
(grosse Bronzen). Hier ist er ungleich jugendlicher, schlank, als
Knabe, doch mit einem ähnlichen unwilligen Ausdrucke des Köpf-
chens gebildet. Die schöne Bewegung seines Laufes wird durch das
über den Rücken und dann vorn über die Arme geschwungene Stück-
chen Gewand gleichsam noch beschleunigt.
Am häufigsten repräsentirt ist der Typus des angelehnt ausruhenden
Apoll, welcher den rechten Arm über das Haupt schlägt und mit der
Linken meist die Kithara hält. Dieses Motiv mit seinem fast genre-
haften Reiz kam, wie wir denken möchten, ursprünglich nur einem
sehr jugendlichen Apoll zu, und so stellt auch die berühmte floren-
tinische Statue (Uffizien, Tribuna), welche mit Recht der ,,Apol-b
1 i n o" genannt wird, den Gott auf der Grenze des Knaben- und Jüng-
lingsalters dar. Leider musste dieses Werk in neuerer Zeit, schwerer
Verletzungen wegen, einen Kittüberzug annehmen, welcher die echte
Epidermis völlig verhüllt; allein die praxitelische Schönheit schimmert
noch deutlich durch. Der Ausdruck des leichtesten Wohlseins ist
hier mit einem hohen Ernste verbunden, welcher die Gestalt auf den
ersten Blick von bloss halbgöttlichen Wesen unterscheidet.
Die lebensgrossen, ja colossalen Statuen desselben Motives sind
') So schlie;st man aus der Haltung der Hände, denn der Bogen ist nicht mehr erhalten.
29*
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.i»-;iV«(<n*iAts»u*o'jAiii,n, j^Nj.». «^ <j^
■***v*«» ^4» s
444
Antike Scalptar. Apoll. Saaroktonos.
wohl nur spätere und an sich keinesweges glückliche i) Vergrösse-
rungen, welches auch ihre Umbildung ins Erwachsene und Volle sein
a möge. So die zum pythischen Apoll mit Schlange und Dreifuss um-
geschaffene^ colossale halbbekleidete Figur von dieser Haltung, im
b grossen Saal des Museo capitolino, und die ähnliche grosse Basalt-
statue im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore); besser
c und ganz nackt die grosse Statue im Zimmer des sterbenden Fechters
(Museo capitolino); — ehemals hatte dieselbe Stellung der jetzt mit
d ausgestrecktem Arm restaurirte Apoll am Ende des ersten Ganges der
Uffizien, vielleicht eine Arbeit hadrianischer Zeit; auch derjenige im
e Dogenpalast zu Venedig, Corridojo, leidHch römisch.
Eine vom Apollino ganz verschiedene und doch wieder unendlich
schöne Bildung des jugendlichen ApoUon verdanken wir sicher dein
grossen Umbildner des Erhabenen in das Lieblich-Reizende, Praxi-
teles. Es ist derjenige Apoll, welcher, mit der Linken leicht an einen
Baumstamm gelehnt, einer an diesem emporkriechenden Eidechse auf-
lauert. (In der Rechten, wo sie richtig restaurirt ist, hält er den Pfeil,
womit er das Thier zu tödten gedenkt, sobald es hoch genug gekrochen
sein wird; daher sein Nam.e Sauroktonos, Eidechsentödter.)
Die noch beinahe knabenhaften, überaus schlanken Formen, die fast
weiblich schönen Züge des Kopfes und die leichte ruhende Stellung,
welche an den Satyr periboetos desselben Meisters erinnert, geben
diesem genrehaften Motiv einen hohen Reiz. So musste das Far
niente eines jungen Gottes gebildet werden. Ein sehr schönes, stark
1) Einer der vielen Belege dafür, wie wenig der Massstab Sache der Willkür ist. Je feier-
licher, symmetrischer ein Motiv ist, desto eher wird es Vergrösserungen und Verkleine-
rungen ertragen; je momentaner und genrehafter, desto weniger; sodann dürfen Unaus-
gewachsene, für welche die Kinder und Knabengrösse ein Theil des Charakters ist, nicht
bedeutend vergrössert werden — anderer und gewichtiger Seitenursachen nicht zu ge-
* denken. Lehrreich sind in dieser Beziehung die vergrösserten Marmorcopien berühmter
Antiken in der Villa reale zu Neapel. Wenn vielerlei Ungleichartiges, noch dazu in
freiem Räume, gleichmässig wirken soll, so wird man allerdings dem Massstab Gewalt
anthun müssen; das Auge wird aber den einzelnen Fall auch leicht errathen, wo diess
geschehen ist. Das riesenhafte Herakleskind im grossen Saale des Museo capitolino ge-
hört ebenfalls hieher — um von den Weihbeckenengeln in S. Peter zu schweigen.
Apoll. Sogenannter Adonis.
445
restaurirtes Exemplar im Vatican, Galeria delle statue. Ungleich ge- a
ringer das kleine bronzene in der Villa Albani (Zimmer des Aesop). b
Eine ähnliche Statue, aber mit Lyra, Dreifuss u. s. w. aus Marmor c
verschiedener Farben ergänzt, in den Uffizien zu Florenz (zweiter
Gang).
Diesem berühmten Motiv glauben wir den sog. Adonis des d
Museums von Neapel (in der danach benannten Halle) an die Seite
stellen zu dürfen. Abgesehen von den restaurirten Armen und Beinen
bleibt ein jugendlicher Torso übrig, minder weich als Dionysos, min-
der athletisch als Hermes, mit einem reichlockigen Haupt, dessen
Züge am ehesten sich den apollinischen nähern. Eine Ahnung sagt
uns, dass auch dieses schöne, geniessende Wesen in die Reihe praxi-
telischer Bildungen zu setzen sein möchte; über seine besondere Be-
nennung darf man im Zweifel bleiben. Die vorzügliche Arbeit könnte
wohl griechisch sein^). — Vielleicht der trefflichste Apoll Roms, nach
dem belvederischen und dem Sauroktonos, ist derjenige im Musen- e
zimmer der Villa Borghese. (Von parischem Marmor; bis an die
Knie das Meiste alt.) An demjenigen im grossen Saal des Palazzo f
Farnese sind die alten Theile ebenfalls sehr schön.
Als Führer der Musen nimmt der Gott eine Gestalt und Haltung
an, welche nur im Zusammenhang mit den Musen selbst ihren vollen
Sinn offenbart. (S. unten.)
Von den einfachen, stehenden Apollobildern ohne besondere Be-
ziehung ist dasjenige im Palast Chigi zu Rom nennenswerth, welches g
noch mehr dem kräftigen als dem reichschönen Typus nahe steht. Noch
alterthümlicher, vielleicht nach einem frühgriechischen Werke, ein h
zweiter Apoll im grossen Saal des Museo capitolino. Eine kleine flo-
rentinische Bronze (Uffizien, H. Zimmer d. Br., i. Schrank) stellt den i
Apoll ebenfalls in früherer Art, mit der Rechten über die Schulter in
den Köcher greifend, dar.
Ein bis jetzt nicht erklärter Moment der Ruhe ist ausgedrückt in
dem nackt mit gekreuzten Beinen stehenden, scheinbar mit dem linken
Oberarm auf sein lang herabfallendes Gewand gelehnten Apoll; am
1) Eine sehr schöne kleine Bronze, welche mich in der Auffassung an diese Statue erinnerte, findet
sich im Museo zu Parma. Ebendort nqch ein guter ganz Jtleiner Apoll. *
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446
Antike Scnlptur. Artemis.
untern Ende des Gewandes der Schwan. (Ich kenne davon fünf Exem-
plare: Museum von Neapel, zweiter Gang; — Museo capitolino, grosser
Saal; — Uffizien in Florenz, erster — und zweiter Gang, das letztere
vielleicht am besten gearbeitet; — grosser Saal des Palazzo vecchio
in Florenz.) Ob das Gewand irgend eine Stütze verhüllend gedacht
ist, von der doch wenigstens in den vorhandenen Wiederholungen gar
keine Andeutung erscheint? Ob ein ehernes Original vorlag, dessen
Stütze dem Copisten in Marmor nicht genügen konnte? Jedenfalls muss
das Urbild von hohem VVerthe gewesen sein, wie schon die öftere
Wiederholung und die höchst anmuthige Stellung zeigt. Das zweite
florentinische Exemplar hat einen fast weiblichen und doch echten
Kopf.
Die Schwester Apolls hat wie in den Grundbedeutungen (als
Kämpferin gegen Thiere und Frevler und als Lichtspenderin) so auch
in der Gestalt Ähnlichkeit mit ihm. Die Kunst der Blüthezeit bildete
sie indess nicht zu einem so allseitigen Ideal aus wie den Bruder; der
Aphrodite blieb es vorbehalten, die ,, Wonne der Götter und der Men-
schen" zu werden, während in Artemis Bewegung und Thätigkeit
zu sehr vorherrschten. Ihre sehr zahlreichen, aber fast durchgängig
stark restaurirten Statuen lassen sich auf zwei merkbar verschiedene
Typen zurückführen.
Der eine ist der einer reifen Jungfrau von reicher, voller Bildung,
welche sich bisweilen in der Rundung und den Zügen des Hauptes
der siegreichen Aphrodite nähert. Die Gestalt ist wohl die der Jägerin,
allein ohne alles Amazonenhafte, von milden Formen. So sehen wir
b sie, ganz bekleidet, in der liebenswürdigen Statue des Braccio nuovo
(Vatican) ; es ist Diana, die den schlafenden E n d y m i o n be-
schleicht, ängstlich und behutsam, in denkbar schönster Bewegung.
— Die meisten Statuen stellen sie jedoch bloss in dem bis über die
Kniee aufgeschürzten Untergewand, hurtig schreitend, begleitet von
einer Hirschkuh, auch wohl von einem Hunde, dar. So das mittel-
c massige, aber des Kopfes wegen charakteristische Werk im Museum
von Neapel (zweiter Gang), Bisweilen sind ihre Locken über der
Stirn zu einem Bunde (Krobylos) geknüpft, wie es der Jägerin und
auch dem streitbaren Apoll zukömmt, (der schönen Wirkung halber
Artemis.
447
indess auch bei den Aphroditenbildern von der knidischen abwärts
zur Regel wurde).
Der andere Typus, der sich viel enger an den des Apoll anschliesst,
musste da entstehen, wo die Geschwister als zusammengehörig
dargestellt oder gedacht wurden, also bei ihrem gemeinsamen Kampf,
z. B. gegen die Niobiden. So ist das getreue Gegenstück zum Apoll
von Belvedere, die Diana von Versailles (im Louvre), dem Bruder
dermassen entsprechend gebildet, dass man an einer Zusammen-
gehörigkeit beider kaum zweifeln mag. Ausser den sehr schlanken
Verhältnissen hat die Göttin mit ihm hier auch den Ausdruck des
Unwillens gemein, der in dem schmalen weiblichen Kopfe sich fast
zu scharf und höhnisch ausspricht; ihre nicht menschlich ungestüme,
sondern übermenschlich unaufhaltsame Bewegung zeigt, dass sie erst
zum Kampf oder zur Jagd eilt, während Apoll seinen siegreichen Pfeil
schon entsandt hat. Von den italienischen Sammlungen enthält das
Museum von Neapel (grosse Bronzen) den Oberleib einer Diana, welche a
zu dem ebendort aufgestellten laufenden Apoll (S. 443, a) gehörte und
zugleich stark an die Statue des Louvre erinnert.
Als Lichtbringende (lucifera), als Luna (Selene) erscheint Diana
in der Regel ganz bekleidet i) mit (meist restaurirten) Fackeln in den
Händen. (In der körperlichen Bildung bald mehr dem erstgenannten,
bald mehr dem letzgenannten Typus entsprechend.) Die Kunst bemühte
sich hier, das Eilige und Leichte des Schrittes in einem reichen, rau-
schend bewegten Gewände auszudrücken. Wir besitzen von zwei ge-
wiss sehr vorzüglichen Originalen, einem stark ausschreitenden und
einem in kleinen Schritten gleichsam schwebenden, nur Nachbildungen
von bedingtem Werthe. Statuen im Museo Chiaramonti und im Ga- b
binetto delle Maschere des Vaticans; die letztere mit einem ähnlichen c
fast bittern Ausdruck, wie die Tödterin der Niobiden; die reichen
Haare nicht aufwärts gebunden, sondern offen zurückwallend. — Eine
wirklich schwebende (auf einem zurücktretenden Tronco ruhend) im d
Kaffeehaus der Villa Albani; ihr Kopf vom ernst-lieblichen Typus.
Eine schlecht restaurirte Schreitende im Pal. Riccardi zu Florenz (Vor- e
zimmer der Acad. della Crusca).
1) So schon in der ihres Wertes halber zuerst genannten Diana des Braccio nuovo, welche ja ah
Selene gedacht ist.
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BEL
448
Antike Sculptnr. Aphrodite. Die Siegreiche.
Bei einem Vergleich mit den flatternden Gewändern der Bernini-
schen Schule wird man selbst den manierirtesten Dianenbildern dieser
Art im Verhältniss das schöne und edle Masshalten zugestehen, das
die antike Kunst nie ganz verlässt.
Schliesslich ist eine schöne kleine Bronze der Uffizien (II. Zimmer
d. Br., 4. Schrank) nicht zu übersehen.
So wie Apoll unter den Göttern, so bezeichnet Aphrodite
unter den Göttinnen die Sonnenhöhe griechischer Idealbildung, nicht
in ihrem altern, königlich matronenhaften Typus, sondern in der-
jenigen Gestalt, die sie erst in der Zeit nach Phidias empfing. Und
zwar scheint sich zunächst diejenige Darstellung ausgebildet zu haben,
welche wir aus der Venus von Melos (im Louvre) kennen lernen;
vielleicht aus Scheu, zu frühe in den gewöhnlichen Liebreiz zu ver-
fallen, gestaltete die Kunst sie als Herrin selbst über göttliches Ge-
schick, als Venus victrix, wahrscheinlich mit den Waffen des
Ares in den Händen, vielleicht auch eine Palme umfassend i), und von
den Hüften an bekleidet. Ihr Bau ist nicht bloss schön, sondern ge-
waltig, mit einem Anklang an das Amazonenhafte; ihr Haupt trägt
göttlich freie und stolze Züge, die wir im Leben nicht wohl ertragen
würden. — Eine nur sehr bedingte Reproduction hievon ist die V e -
bnus von Capua im Museum von Neapel (zweiter Gang) , aus spä-
terer, versüssender Kunstepoche. Die widerliche Restauration der
Arme und den ganz willkürlich neben sie gestellten Amor denke man
sich hinweg, — denn von letzterm sind auch die Füsse nicht alt,
wie man behaupten will, sondern nur die untere Platte der Basis,
welche indess ganz etwas anderes, etwa eine Trophäe getragen haben
wird, oder irgend einen Gegenstand, den die Göttin mit der Hand be-
rührte. In der Behandlung der Formen steht diese Aphrodite mehrern
der unten zu nennenden lange nicht gleich. (In spielender Umdeutung
c braucht die spätere Kunst den Gedanken in der guten römischen Statue
einer nackten sehr jugendlichen Venus, welche sich das Schwert des
Mars umhängt; Uffizien Verbindunpspane^.^
1) Bekanntlich fehlen der Venus von Melos die Arme, und auch die Fortsetzung der Basis
bleibt zweifelhaft.
fm-m^
Aphrodite. Die Enidische.
449
Es kann nicht befremden, dass die römische Kunst sich dieses
Motives geradezu bediente, um die Victoria, den weiblichen Genius
des Sieges darzustellen. Dieser Art ist die herrliche eherne Victoriaa
im Museo patrio zu B r e s c i a ; schon im Typus des Kopfes der Göttin
genähert, vergegenwärtigt sie uns vielleicht ziemlich genau die Haltung
und Bewegung der siegreichen Aphroditen, nur dass sie auf den
Schild schreibt und auch am Oberleibe mit einem (vorzüglich schön
behandelten) leichten Gewände bekleidet ist. Sie steht mit dem
linken Fuss auf -einem (restaurirten) Helm und stützt den (restau-
rirten) Schild auf die vom Überschlag des Mantels bedeckte linke
Hüfte. Auf Münzen des I. Jahrh. n. Chr. sind Victorien dieses Typus
nicht selten.
Einen andern Sinn zeigt der von Praxiteles und seiner ,,k n i d i -
sehen Aphrodite" abgeleitete Typus. Das Göttliche geht hier
rein in den wunderbarsten weiblichen Liebreiz auf, der sich in gross-
artigen Formen unverhüllt, aber ohne alle Lüsternheit offenbart. Die
Herrin ist hier zuerst mit einem bloss menschlichen Motiv, nämlich
als baden V/ollende oder Gebadete dargestellt; darauf deutet das
Salbengefäss, auf welches sie bisweilen mit der einen Hand das Ge-
wand legt; mit der andern, auch wohl mit einem Theile des Gewandes
deckt sie den Schoosr, nicht ängstlich, auch nicht buhlerisch, sondern
wie es der Göttin geziemt. Oft hat sie beide Hände frei, die eine
vor der Brust, die andere vor dem Schooss. Die Leichtigkeit und
zugleich die Ruhe ihrer Stellung ist nicht mit Worten auszudrücken;
sie scheint herbeigeschwebt zu sein. Das Schmachtende ist in den
noch immer grandiosen Zügen des hier schon etwas schmälern Hauptes
nur eben angedeutet.
Die verschiedenen Einzelmotive, welche wir so eben bezeichneten,
sind meist in mehrern Beispielen nachweisbar, von welchen sich manche
bis in die späteste Römerzeit hinein verlieren. Wir nennen nur die
wichtigern Exemplare:
Die vaticanische (Sala a croce greca) mit modernem b
blechernem Gewände; der herrliche Kopf noch sehr an die Venus
victrix erinnernd.
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450
Antike Sculptnr. Aphrodite.
a Diejenige im Palast Chigi zu Rom, Copie von Menophantos nach
einer berühmten Statue in Troas; mit der Linken das Gewand vor den
Schooss ziehend, die Rechte vor der Brust.
b Diejenige im Herakleszimmer der Villa Borghese.
c Die capitolinische (in einem verschlossenen Zimmer des
Museo capitolino); beide Hände frei; ziemHch stark vorwärts gebeugt,
sodass die obern Theile des Hauptes dem Licht zu Gefallen etwas
flach zurückliegend gebildet werden mussten; die Rückseite von un-
vergleichlicher naturalistisch-schöner Bildung. Fast unverletzt er-
halten.
d Diejenige im Kauptsaal der Villa Ludovisi,. sehr durch Politur
verdorben und wohl nie von besonders guter, eher von schwülstiger
Arbeit, verräth in der grossartigen Auffassung des Kopfes ein treff-
liches Urbild. Die Haltung kommt der Venus Chigi am nächsten.
e Diejenige im Palast Pitti zu Florenz (inneres Vestibül oberhalb
der Haupttreppe); der linke (richtig restaurirte) Arm nach dem Salb-
gefäss gewandt, der rechte vor dem Schooss. Gute römische Arbeit.
i Diejenige im Dogenpalast zu Venedig (Corridojo), der capitoli-
nischen nahe verwandt, von mittlerer römischer Arbeit; der Kopf
noch mehr alterthümlich.
Von diesen Aphroditenbildern unterscheidet sich eine dritte Gattung,
an deren Spitze die mediceische Venus steht. Hier erreicht der Lieb-
reiz seine höchste Stufe durch das Mädchenhafte, welches sich in
den noch nicht vollständig ausgebildeten Formen und in dem feinen
Köpfchen ausspricht. Der kleinere Massstab gehört wesentlich dazu,
um diesen Charakter zu vervollständigen. Von der Göttin sind wir
hier allerdings wieder um eine Stufe weiter entfernt, und ein ernster
Blick mag sich wohl gerne zurückwenden von dem Mädchen zu jenen
reifen göttlichen Weibern, zur siegreichen und zur knidischen Aphro-
dite. Allein auch hier hat die Kunst ein Höchstes gegeben,
g Die mediceische Venus, in der Tribuna der Uffizien zu
Florenz, ist ein Werk des Atheners Kleomenes, Sohnes des ApoUodorus
(die jetzige Inschrift neu, aber Copie einer gleichlautenden echten),
vielleicht aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. — Hier ist kein Gewand
Aphrodite. Die Mediceische. Spätere Motive,
451
und kein Salbgefäss mehr beigegeben; die Kunst wagt es, die Göttin
nackt zu bilden um ihrer blossen Schönheit willen, ohne Bezug auf
das Bad. Der unumgängliche Tronco ist hier als Delphin gebildet,
weniger um auf die Geburt der Venus aus dem Meere anzuspielen,
als um den weichen Linien dieses Körpers etwas Analoges zur Be-
gleitung anzufügen. Ob nun die Statue selbst das höchste denkbare
Ideal weiblicher Schönheit darstelle — diess v/ird je nach dem Ge-
schmack bejaht oder bestritten werden. Sehr verglättet und mit
affektirt hergestellten Armen und Händen, gestattet sie überhaupt kein
unbedingtes Urtheil mehr; selbst am Kopf möchte das Kinngrübchen
von moderner Hand verstärkt sein; zudem fehlt die ehemalige Ver-
goldung der Haare und das Ohrgehänge, nebst der farbigen Füllung
der Augen. Für all Das, was übrig bleibt, wollen wir den Beschauer
nicht weiter in einem der grössten Genüsse stören, die Italien bieten
kann.
(Die Attitüde, bald in mehr mädchenhaften, bald in frauenhaften
Formen ausgedrückt, wurde eine der beliebtesten. Eine grosse Menge
von Wiederholungen, in der Regel nicht mehr als Decorationsfiguren,
finden sich überall. Zwei überlebensgrosse z. B., die eine mit dem a
zur Stütze dienenden Gewand hinten herum, stehen im ersten Gang
der Uffizien und gewähren mit ihren leeren Formen einen interessanten
Vergleich, wenn man sich von der Vortrefflichkeit der mediceischen
überzeugen will.)
Dieser Typus erst eignete sich zur Verarbeitung in eine Anzahl
herrlicher Stellungen; die Göttin musste sich von dem Cultusbild
möglichst weit entfernen und ganz zum schönen Mädchen werden, da-
mit die Kunst völlig frei damit walten konnte. In den bessern Fällen
aber bleibt sie Aphrodite und über alles Genrehafte weit erhaben.
Wir nennen hier zuerst die kauernde Venus (Venus accrou- b
pie), deren schönstes Exemplar (Vatican, gabinetto delle maschere)
den Namen Bupalos trägt. (Nicht derjenige des VI. Jahrhunderts v.
Chr., sondern jedenfalls ein weit späterer dieses Namens.) Es ist nicht
eine aus dem Meer aufsteigende, sondern eine im Bad sich waschende;
die Basis trägt noch in ihren alten Theilen die Andeutung der Wellen,
auf welchen die Göttin ruht — denn nie hätte die griechische Kunst
einer gemein-wirklichen Illusion zu Liebe irgend einen Theil der Körper
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452
Antike Scnlptur. Aphrodite.
unter dem (marmornen) Wasser versteckt. Bei sehr bedeutenden
Restaurationen bleibt doch die Art, wie die Glieder sich decken und
ihre Linien sich schneiden, unerreichbar schön. Der Körper ist, bei
einer scheinbar leichten Behandlung, voll des edelsten Lebens. (Die
a Epidermis leider stark verletzt, der Kopf überarbeitet?) — Ein viel
geringeres, stark restaurirtes Exemplar in den Uffizien zu Florenz.
(Verbindungsgang.)
b Es folgt Aphrodite Kallipygos, im Museum von Neapel i). Der
Kopf und mehrere andere Theile sind modern und schlecht, das Übrige
aber von merkwürdiger Vollendung und raffinirtem Reize. Die Ab-
sichtlichkeit der ganzen Darstellung rückt dieses Bild in das Gebiet
des Buhlerischen, wenn man es auch nicht obscön nennen kann.
Ähnlich verhält es sich mit zwei charmanten ehernen Figürchen
c derselben Sammlung (kleine Bronzen, drittes Zimmer, auch in Florenz,
d Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter Schrank) : einer die
Sandalen ausziehenden und einer im Abtrocknen begriffenen Venus.
Das Stehen auf einem Beine, hier mit der anmuthigsten Wendung des
Körpers verbunden, hat mehr genrehaft Wahres als Ideales und ver-
mag uns die Göttin nicht als solche näher zu bringen.
e Reiner empfunden ist eine andere Statuette (bei den grossen
Bronzen), welche Aphrodite, von den Hüften an bekleidet, mit ihrem
Haarputz, etwa mit dem Trocknen der Haare nach dem Bade be-
schäftigt darstellt. Ein höchst zierliches Figürchen, von bester Arbeit.
{ Ähnlich eine Marmorfigur (freilich mit restaurirten Armen und Locken)
im Braccio nuovo des Vaticans; aus guter römischer Zeit. Bei andern
sehr zierlichen kleinen Bronzen, welche die Göttin in ähnlicher Hand-
lung, aber ganz nackt darstellen, bleibt es zweifelhaft, ob sie nicht
g erst die Haare auflöst. (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, zweiter
Schrank.) — Eine zum Bade sich vorbereitende Aphrodite des jugend-
h liehen Typus ist wohl auch dargestellt in der florentinischen sog. Venus
Urania (Uffizien, Halle der Inschriften). Abgesehen von den Restau-
rationen möchte ihre Geberde am ehesten darin bestanden haben, dass
sie das um die Hüften leicht geschürzte Gewand mit der Linken und
1) Gegenwärtig eingeschlossen und, wie man hört, selbst den Begünstigten unsichtbar. Abgüsse
Überall, u. a. im Palazzo Camuccini zu Rom, auf der Treppe.
Aphrodite. Venus genitrix.
453
die Haare mit der Rechten aufzulösen im Begriffe war. Die Aus-
führung ist vorzüglich schön, doch schwerlich mehr griechisch, die
erhaltenen Theile des Köpfchens von einem Reiz, der an die Psyche
von Capua erinnert. (Nach neuerer Annahme ein praxitelisches Motiv,
die sog, coische Venus.)
Die spätere Zeit hat noch einige Motive mehr hinzugefügt, die
weder im Gedanken noch in der Ausführung zu den glücklichen ge-
hören. Vielleicht strebte z. B. derjenige Bildhauer originell zu sein,
welcher die Venus der Villa Borghese (Zimmer der Juno) bildete, a
die sich mit dem Schwämme wäscht, während ein Amorin zusieht;
oder der Erfinder derjenigen kauernden Venus, welche den Delphin b
am Schweif hält, im Vorsaal der Villa Ludovisi. — Häufig ist das
Gewand über dem Schoos zusammengeknüpft, lässt vorn die Beine
frei und dient hinten als Stütze (S. 451, a); — oder die Göttin ist im
Begriff, es mit beiden Händen um sich zu nehmen. (Beispiele von die- c
sen beiden Motiven im Museo Chiaramonti des Vaticans.)
Das Mütterliche tritt in den bisher genannten Bildungen der Aphro-
dite nirgends hervor. Mit ihrem Sohne Eros wurde die Göttin kaum
je zu einer Gruppe verbunden (wenigstens haben wir keine solche).
Die geflügelten Kinder, welche ihr beigegeben werden, sind Eroten,
Amorine, nicht Darstellungen des eigentlichen Eros.
Ein ganz besonderer Typus aber blieb der mütterlichen Seite der
Göttin vorbehalten, vielleicht aus alter Zeit stammend, jedenfalls aber
erst unter den Kaisern häufig wiederholt. In vielen Sammlungen
(z. B. ganz gut im Junozimmer der Villa Borghese, auf der Treppe d
des Museums von Neapel, als Statuette auch im zweiten Gang des-
selben, in der Inschriftenhalle der Uffizien zu Florenz u. a. a. O.) e
findet man das Bild einer ganz bekleideten Frau von reifer Schönheit,
deren Formen durch das dünne, eng anliegende Untergewand deut-
lich erscheinen; das Obergewand zieht sie eben mit dem einen Arm
vom Rücken herüber, als wolle sie sich verhüllen i). Es ist V e n u s
die Erzeugerin (genitrix), die Schützerin des gesetzlichen Fort-
lebens der Familie, und zugleich durch Anchises die Ahnfrau des
') „Aphrodite den Mantel lüftend." [Br.l
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454
Antike Sculptnr. Danaide.
julischen Geschlechtes; ihr gelobte Cäsar bei Pharsalus jenen Tempel,
von welchem noch inTorre de' Conti unterhalb desEsquilins die kümmer-
lichen Reste vorhanden sind. — An den Statuen dieser Gattung ist
der Kopf natürlich meist das Porträt irgend einer Kaiserin; wo die
Göttin selber gemeint ist, trägt sie matronale, aber noch jugendlich
schöne Züge, wie z. B. die wohlerhaltene und als Decorationsfigur
gut gearbeitete florentinische Statue beweist.
An den spätem Typus der Aphrodite, wie er sich in der medi-
ceischen, in der Venus accrcupie u. s. w. zeigt; schliessen sich eine
Anzahl halbgöttlicher Wesen verschiedener mythologischer Bedeutung
an. Sie sind sämmtlich halb oder ganz bekleidet, denn die Nacktheit
ist nur der Göttin und der Buhlerin eigen. Ihre Züge haben bei
grossem Reiz und vieler Ähnlichkeit doch nicht das Göttliche der Aphro-
dite, lassen vielmehr eine Umbildung derselben in das Niedliche und
Graziöse erkennen. (Der Kopf schmal und länglich, doch bisweilen
auch jugendlich rund mit kurzem Naschen; der untere Theil des
Gesichtes ins Enge gezogen.) Das Wesentliche aber ist das Motiv
der Stellung und Bewegung.
a So wird man z. B. zugestehen, dass die vaticanische Da-
na i d e (Galeria delle Statue), welche das Schöpf gefäss vor sich hält,
sich schöner neigt, als die Kunst diess Motiv sonst dargestellt hat.
Die sanfte Bewegung, welche Hals, Rücken, Leib und Hüften beseelt
und sich in der Gewandung fortsetzt, hat nicht mehr ihres Gleichen;
die Anne sind restaurirt, allerdings trefflich. In den halbgeschlossenen
Augen ist der Schmerz über die vergebliche Arbeit leise angedeutet.
b (Ein ungleich geringeres und stark restaurirtes Exemplar im Tyrtäus-
zimmer der Villa Borghese.)
Diesen nämlichen Typus, welchen man etwa als den der Nym-
phen bezeichnen könnte, spricht eine niedrig sitzende bekleidete
c Figur 1) aus, welche den einen Arm aufstützt und vor sich abwärts
schaut. (Vatican, Galeria delle statue; ein zweites Exemplar im obern
Stockwerk des Palastes Barberini zu Rom.) Man glaubt in ihr die
trauernde Dido zu erkennen, allein es ist wohl eher eine liebliche.
') Der Kopf ist eine Restauration, aber wahrscheinlich eine antike.
Nymphen. Brnnnenfigaren.
455
träumerisch auf das Wasser schauende Nymphe, vielleicht ein weib-
liches Gegenstück zu dem sich im Quell spiegelnden Narciss. Das
zerstreute Dämmern nicht nur im Ausdruck des Gesichtes, sondern
auch der ungesucht nachlässigen Stellung wird dem Beschauer recht
klar durch den Vergleich mit einer gegenübersitzenden, alterthümlich a
gearbeiteten Penelope; dieses ist die Sinnende, Rechnende und War-
tende; als Matrone ist sie mit verschleiertem Haupt gebildet.
Hier glauben wir auch die sog. ,,P s y c h e" aus dem Amphi- b
theater von Capua (jetzt im Museum von Neapel, Halle des Jupiter)
unterbringen zu dürfen. Es ist nur ein Oberleib mit der einen Hüfte,
durch neuere Politur verdorben und jetzt in einer unrichtigen Axe
aufgestellt, aber von einer Süssigkeit der Bildung, die alle Blicke
fesseln muss. Für Aphrodite ist namentlich der untere Theil des
Kopfes zu mädchenhaft, auch liegen die Augen wohl zu tief im Schatten.
Wir wollen nicht die Handlung und Stellung errathen, dürfen aber
eine Nymphengestalt ahnen, welche der Danaide und der Dido in der
Erfindung ebenbürtig war.
Einzelne Köpfe sind oft sehr schwer mit Bestimmtheit auf diesen
Typus zurückzuführen. Ich glaube z. B. in einem Kopf des Museums c
von Neapel (grosse Bronzen) eine Gefährtin der Jägerin Artemis zu
erkennen, ohne doch dieser Benennung sicher zu sein. Es ist der
schöne strenge Mädchenkopf mit aufwärts zu einem Kranz gebundenen
Haaren, welcher jetzt Berenice heisst.
Als Quellgottheiten eigneten sich die Nymphen vorzüglich zu
Brunnenfiguren. In mehrern Sammlungen sieht man dergleichen,
meist von kleinerm Massstab, Muschelbecken vor sich hinhaltend
oder auf Urnen gelehnt, immer halb bekleidet; fast lauter Decorations-
arbeiten, mittelmässig in der Ausführung und selbst oft im Gedanken.
Man wird indess wohl eine Nymphe des Museums von Neapel (Halle d
des Adonis) ausnehmen müssen, welche wenigstens hübsch gedacht
ist, als eine zum Baden sich Vorbereitende; sie lehnt mit dem linken
Arm auf die Urne und greift mit der Rechten nach der Sandale des
linken Fusses, den sie über das rechte Knie gelegt hat. (Diese Ex-
tremitäten sind nebst dem Kopf neu, aber ohne Zweifel richtig re-
staurirt. Die Arbeit an sich gering römisch.) Ein besseres Exemplar e
in den Uffizien (Verbindungsgang). — Auch eine sehr schlecht gear-
K -■ *j|.
.V, «^ >.i ^«^ V'«^-v . *»■«*■«,' •*"'«*.>^v liii: ♦ -*.'.^eW - j; «it W- -^ W J»
456
Antike Scnlptnr. Nymphen. Cleopatra.
a beitete schlummernde Nymphe im Vatican (Belvedere, zwischen dem
Apoli und den Canova's) weist auf ein reizendes Original hin. — Noch
ein ganz einfach schönes Motiv ist die halbnackte stehende Nymphe,
welche mit der Linken auf die Urne lehnt und die Rechte auf die
ausgeladene Hüfte stützt. Ich weiss mich keines andern einiger-
massen erhaltenen Exemplares zu erinnern, als desjenigen im Pal.
b Pitti (Nebenhof links, beim Ajax), welches freilich eine geringe rö-
mische Arbeit ist. An der ähnlichen ehemals schönen Statue der
c Galerie von Parma ist gar zu Vieles modern.
Ins Matronale geht der Nymphentypus über in der Amme des
Dionysos, Leukothea;sie wird völlig bekleidet und mit Binden um
das Haar dargestellt. Ich kenne von vollständigen Darstellungen nur die
d schöne, ungemein noble Bronzefigur in den Uffizien (Bronzen,
zweites Zimmer, Eckschrank rechts). Eine treffliche Marmorstatue in
e der untern Halle des Pal. Ceperello zu Florenz (Corso N. 814) möchte ich
ebenfalls für eine Götteramme halten, schon der starken Brüste wegen.
Der Kopf neu aufgesetzt, aber dazu gehörend. Die sog. Sapphoköpfe
zeigen dieselbe Art, das Haar zu binden.
Den bekleideten Nymphengestalten des gewaltigem Typus müssen
f wir eine in ihrer Art einzige Statue beigesellen: die vaticanische
Cleopatra, richtiger die schlummernde Ariadne (Vatican, Galeria
delle Statue). Schon das Alterthum hat, wie die nebenan aufgestellten
kleinen Wiederholungen beweisen, dieses Motiv in beiderlei Sinn ge-
braucht, doch ist Ariadne das Ursprüngliche, und der erste Blick las st
eine Schlafende, nicht eine Sterbende erkennen. (Sie ist etwas zu sehr
nach vorn gesenkt, was namentlich dem über das Haupt gelegten
rechten Arm ein zu schweres Ansehen giebt und den ganzen Anblick
etwas verfälscht.)
Als Motiv der Ruhe wird diess Werk auf ewig die Sculptur be-
herrschen. Es ist nicht möglich, ein lieblich-grandioses Weib auf
majestätischere Weise schlummernd hinzustrecken. Die Art, wie der
Kopf durch die Lage der Arme die höchste Bedeutung erhält, die
ungemeine Würde in der Kreuzung der Beine, endlich die unerreich-
bare Pracht und die weise Aufeinanderfolge der Gewandmotive wer-
den nie genug zu bewundern sein. — Der noch streng-schöne Ge-
sichtstypus lässt uns eine Ariadne erkennen, die noch nicht in den
FarnesisGhe Flora. Victorien.
457
Kreis ihres Retters Dionysos aufgenommen ist; ihre spätere, bacchische
Gestalt wird uns weiter beschäftigen.
Hier müssen wir eines der ruhmwürdigsten Werke des Alter-
thums einschalten, die sog. farnesische Flora (Museum von a
Neapel, in der danach benannten Halle). Man deutet sie gegenwärtig
als eine Höre; da Kopf, Arme, Attribute und Füsse modern sind, so
bleibt nur so viel mit Sicherheit anzunehmen, dass ein halbgöttliches
Mittelwesen gemeint sei. Colossal und für einen decorativen Zweck
berechnet, zeigt diess herrliche Bild doch durchaus lebendige Arbeit,
sowohl in dem von zwei Schulterspangen und einem Gürtel gehaltenen
Unterkleid, als in dem leicht herumgelegten Obergewande und in
den nackten Theilen. Bei einer sehr reichen Körperbildung giebt die
ganze Gestalt im höchsten Grade den Eindruck des leichten Einher-
wallens, eine wahre Göttin des innigsten Wohlseins.
Eine andere colossale Statue derselben Sammlung (untere Vor- b
halle) ist wohl wirklich eine Flora, allein römisch-decorativ behandelt,
als schwere Gesimsfigur; doch ist hier der grandiose Kopf alt. (Ob
der als Gegenstück aufgestellte ,, Genius des römischen Volkes", eben-
falls seltsam schwer gebildet, von Alters her zu einer Reihe solcher
Figuren gehörte, ist mir nicht bekannt. Vgl. S. 426, a, und Anm.)
Von Pomonen wüsste ich kein irgend ausgezeichnetes Exemplar
anzuführen. Dasjenige in den Uffizien (erster Gang), auf welches c
beispielshalber verwiesen werden mag, ist eine unbedeutende römische
Gartenfigur mit modernem Kopf.
Leider ist auch keine recht gute Victorienstatue zu nennen i), ob-
wohl es deren einst vortreffliche (freilich von Erz oder edeln Metallen)
gegeben haben muss, und zwar sowohl schwebende (d. h. scheinbar
auf den Zehen stehende mit wehendem Gewände in der Art der Diana
lucifera), als stehende. Eine geringe der letztern Art, welche doch
auf ein gutes Urbild schliessen lässt, in den Uffizien (erster Gang); d
eine der erstem Art im Pal. Riccardi (Vorzimmer der Acad. della
') Wie es sich mit der Victoria des Museo patrio zu Brescia verhält, wurde bei Anlass der siegreichen
Aphrodite (S. 449, a) erörtert.
Urcicerone. 30
V-< ... 1V/ .bJ O^'Il»? ), ul *Ä( Ai, ij, i*( '.i^r^i^, ij»i,y^ '^»^-JVi^i^ ^..'^
458
Antike Scülptar. Leda. Musen.
Crusca). — Um so reichlicher sind die Victorien im Relief und in
a der Malerei vertreten; die schönsten am Titusbogen. — Einige kleine
Bronzefiguren geben wohl am ehesten einen Begriff von den schwe-
b benden Victorien; eine treffliche im Museum von Neapel (bei den
c grossen Bronzen) ; eine andere in den Uffizien (zweites Zimmer der
Bronzen, vierter Schrank); diese letztere hat wie diejenigen am Titus-
bogen nackte Schenkel, zur Andeutung ihrer raschen Botenschaft.
Geringere Exemplare ziemlich häufig.
Bei diesem Anlass mag noch eines mythisch berühmten Weibes
gedacht werden, das nur zu oft plastisch dargestellt worden ist, näm-
lich der Leda mit dem Schwan. Ich brauche die betreffenden Sta-
tuen nicht näher zu bezeichnen; sie sind nicht einmal recht gewaltig
sinnlich, sondern meist so flau und langv/eilig, dass ihre Aufstellung
in den meisten Sammlungen gar kein Hinderniss gefunden hat, wess-
halb man ihnen denn auch überall begegnet. Der Schwan sieht bis-
weilen eher einer Gans ähnlich und man hat desshalb andere Deu-
tungen zu Hülfe gezogen; wer aber beachtet, in welchen Fällen das
Thier klein gebildet ist, wird vielleicht mit uns der Ansicht sein, dass
diess aus demselben ästhetischen Grund geschah, um dessentwillen
die Panther des Bacchus in kleinerm Verhältniss gebildet wurden,
d (Die gemeinste aller Leden, im Dogenpalast zu Venedig, Camera a
letto, ist ein Werk des XVI. Jahrhunderts.)
Wenn die eben aufgezählten weiblichen Bildungen ein mytholo-
gisch Gegebenes verherrlichten, so zeigt uns eine andere Reihe, die
der Musen, wie die Griechen das Symbolische lebendig zu machen
wussten, wie frei sie sich dabei bewegten und welche Grenzen sie inne-
hielten. Statt sich ängstlich zu bemühen, jede Muse einzeln von Kopf
bis zu Fusse ihrem Fache gemäss zu charakterisiren, begnügten
sie sich mit Attributen und drückten in den Gestalten selbst fast nur
das Allgemeine einer schön vergeistigten Weiblichkeit aus. (Ver-
stümmelte Musenstatuen sind desshalb kaum mit völliger Sicherheit
zu restauriren, wenn man nicht ein Vorbild mit erhaltenen antiken
Attributen vor sich hat.) Es ist das persönlich gewordene Sinnen, nicht
das Phantasiren oder das Grübeln (wie in Albrecht Dürers Melan-
Musen. Apollo Masagetes.
459
cholia), sondern ein ruhiges Schweben in geistigem Glück. Diese meist
feierlich bekleideten Gestalten sind theils beschäftigt, theils ruhend
und hinausbUckend (doch nicht in die Höhe!) gebildet; wir finden sie
sitzend, aufgelehnt, frei stehend, auch feierlich vortretend, meist aber
wird Stellung und Draperie so sehr den Ausdruck erhöhen helfen,
dass man auch ohne den Kopf die Statue für nichts anderes als für
eine Muse oder doch für ein ursprüngliches Musenmotiv erkennen würde.
Einzelne Sarcophage, welche die Musen sämmtlich darstellen (einer a
im Museo capitolino, Zimmer der Kaiser), geben uns eine Idee von
den (unter sich verschiedenen) Statuengruppen, welche das Alterthum
hervorbrachte und dann wiederholte. — Unter den erhaltenen Statuen
finden wir zwar vielleicht in Italien keine, welche der Polymnia des
Berliner Museums oder der Melpomene des Louvre vöUig gleichkäme,
allein doch manche achtungswerthe Exemplare. In der vollständigsten
Gruppe, aus derVilla desCassius (Vatican, S a 1 a d e 1 1 e b
Muse) wird man, was die Arbeit betrifft. Vieles vermissen, allein die
schöne Abstufung des Sinnens, ohne alle gewaltsam auffahrende Inspi-
ration, mit Genuss verfolgen können. Die in der Erfindung lieblichste
dieser Figuren, die sitzend sich aufstützende Euterpe, ist allerdings
nebst der Urania erst später anderswoher hinzugekommen. (Euterpe
wird sonst, z. B. in den beiden Exemplaren zu Neapel, stehend mit
über einander geschlagenen Füssen gebildet.)
Dagegen gehört ursprünglich zu dieser Gruppe, und zwar als
deren bestgearbeitete Figur, der im langen Gewand und wehenden
Mantel mit der Lyra einherschreitende, lorbeerbekrönte Apollo Mu-c
s a g e t e s. (Copie nach Skopas.) Nirgends tritt Apoll so als Schützer
und Anführer aller hohen Begeisterung auf wie hier; der allgemeine
inusische Ausdruck concentrirt sich in dieser höchst jugendlichen, fast
weiblichen Gestalt ganz wunderbar. Er allein ist innerlich und äusser-
lich bewegt; bald werden die Musen dem Festreigen folgen müssen, den
er eben antritt. — Ganz in der Nähe steht wie zur Vergleichung ein
anderer Musagetes, in welchem Schritt und Gewandung affectirt er-
scheinen und der einen ihm nicht gehörenden weiblich bacchischen
Kopf trägt.
In demselben Saal findet man noch eine Muse in kleinerm Mass- d
Stab, mit der Bezeichnung als Mnemosyne. Leider hat diese reizend
30*
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460
Antike Scalptnr. Müsen.
gedachte verhüllte Figur einen restaurirten Kopf. — Von den vier be-
a treffenden Statuen des Musenzimmers in der Villa Borghese ist nur
etwa die Melpomene besser gearbeitet als das entsprechende vaticani-
sche Exemplar; gerade so viel, um das Verlangen zu steigern nach
dem gewiss wunderbaren Original dieser Jungfrau mit dem Weinlaub
im Haar und mit den auf dem Fels gestützten linken Fuss. —
b In der Villa Ludovisi mehrere gering ausgeführte Musenstatuen
c von gutem Motiv. — An der Treppe des Conservatorenpalastes auf
dem Capitol eine vorgebliche Urania, jedenfalls sehr schön als
Gewandstatue.
Eine anregende Vergleichung mit den Musen gewähren, am Ein-
d gang der Sala rotonda des Vaticans, die zwei grossen Büsten, in wel-
chen die (sonst als Musen personificirten) Comödie und Tragödie be-
sonders dargestellt sind; Köpfe von reifer Anmuth und mildem Ernst,
aber ohne Liebreiz.
e Im Museum von Neapel empfängt uns, und zwar gleich in der
untern Vorhalle, eine jener colossalen Musen, wie sie wohl
öfter zum Schmuck von grossen Theatern gearbeitet worden sind. Die
flüchtige Arbeit und die Berechnung au.f eine Nische deuten klar auf
eine derartige decorative Bestimmung hin. (Sie ist nur für die Vorder-
ansicht gedacht, wie das Zurücktreten des Oberleibes gegen Hüften
und Schenkel und selbst die Profilansicht des Kopfes beweist.) Man
nennt sie Urania, und die linke Hand mit dem Globus, welche diesen
Namen veranlasst, ist wohl wirklich alt; dem Typus nach ist sie eine,
zwar nicht ganz ebenbürtige, Schwester der Pariser Melpomene. Alles
ist gross und einfach gegeben, das lange Kleid mit der geraden vor-
dem Falte, der auf den Schultern mit Spangen befestigte Mantel, das
Vortreten des linken, die Beugung des rechten Fusses. Der Kopf ist
mehr den göttlichen Bildungen genähert und scheint zwischen Hera
und Aphrodite in der Mitte zu stehen. — Diess war an sich nicht noth-
wendig, denn dass auch das Mädchenhaft-Liebliche des eigentlichen
Musentypus sich in höchst colossalem Massstab darstellen lässt, zeigt
f der schöne Kopf der Villa Borghese (Hauptsaal), welcher wohl mit
Unrecht als Juno gegolten hat. — (Von ähnlicher Art, aber geringer,
g die colossale Muse im Hof des Pal. Borghese zu Rom, die auch wohl
als Apollo Musagetes bezeichnet wird.)
Musen.
461
Weiter enthält im Museum von Neapel die Halle der farbigen a
Marmore einen sitzenden Apollo Musagetes mit porphyrnem Gewand
und weissmarmornen Extremitäten, Die spätere römische Kunst liebte
solche Zusammensetzungen, schon weil die harten Stoffe und ihre
Bearbeitung viel Geld kosteten. Wenn das Auge die aus dem Far-
bencontrast und der Politur entstehende Blendung überwunden hat,
so entdeckt es in den meisten derartigen Bildwerken, und so auch in
diesem, eine geistige Leerheit, welche da ganz am Platze ist, wo der
Stoff mehr anerkannt wird als die Form, Diese Buntheit ist eine der
begleitenden Ursachen des Unterganges der antiken Sculptur gewesen.
In der darauf folgenden ,, Halle der Musen" steht Mehreres b
unter dieser Kategorie beisammen, was erst durch Restauration und
willkürliche Deutung den betreffenden Sinn erhalten hat. So vielleicht
selbst die treffliche Gewandstatue, welche hier und anderwärts Poly-
hymnia heisst u. s. w. Die unzweifelhaften Musen, z. B. Melpomene
und die eine Euterpe, sind von ganz geringer Arbeit, mit Ausnahme
der sog. Terpsichore, in welcher man mit leichter Mühe eine verklei-
nerte Reduction nach einer jener grandiosen Colossalstatuen erkennt,
dergleichen die Urania in der Vorhalle eine ist. Das hochgegürtete
Untergewand und der langwallende Mantel sind von ganz ähnlicher
Anordnung wie bei dieser.
In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: eine mit Recht oder c
Unrecht als U r a n i a restaurirte Statue, mit dem majestätischen Motiv
des vorn über die Brust, dann über die Schulter geschlagenen, end-
lich von hinten hervor unter den Ellbogen geklemmten Obergewandes
(wie die angebliche Euterpe im Vatican, Galeria delle Statue). Der
Kopf schön und echt. — Ebenda, aus derselben Reihe, Kalliope,
Im Dogenpalast zu Venedig: Corridojo: zwei Musen vom Theater d
von Pola, decorative römische Copien nach einem alten griechischen
Typus, als Karyatiden mit fast geschlossenen Füssen, symmetrischer
Haltung, strenger und gewaltiger Bildung, Das ehemalige Motiv der
Arme zweifelhaft.
Bei Anlass der Musen sind am besten diejenigen zahlreichen weib-
lichen Statuen zu besprechen, welche unter dem sehr allgemeinen Na-
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462
Antike Scolptnr. Weibliche Gewandstataen.
men von Gewandstatuen zusammengefasst werden. Für eine
kritische Aufzählung (worauf hier kein Anspruch gemacht wird) wäre
es unerlässlich, zu ermitteln, welchen göttlichen oder menschlichen
Gestalten die verschiedenen Gewandungstypen zukamen. Die Schwie-
rigkeit einer solchen Forschung leuchtet ein, wenn man erwägt, dass
weit die meisten dieser Statuen gefunden wurden ohne Hände und
Attribute, auch kopflos oder mit solchen Köpfen, die ihnen schon
im Alterthum willkürlich gegeben worden waren; dass endlich schon
das Alterthum häufig vorhandene Göttertypen zu Porträtbildungen
benützte. So viel ist immerhin gewiss, dass eine Anzahl von Motiven
der Stellung und Gewandung, hauptsächlich aus der spätem Zeit der
griechischen Kunst, ein canonisches Ansehen genossen und um ihrer
Schönheit willen beständig wiederholt wurden. Hauptsächlich ge-
währte der Chor der Musen, in den verschiedenen Auffassungen, die
wir nachweisen können, einen Vorrath der schönsten Vorbilder für
die Drapirung von Bildnissfiguren, sodass beim einzelnen Torso schwer
zu entscheiden sein wird, ob er für eine Musenstatue oder für ein
als Muse stylisirtes Bildniss gearbeitet worden. Ausserdem sind unter
der Masse der ,, Gewandstatuen" Stellungs- und Drapirungsmotive
von Göttinnen, symbolischen Personificationen, Priesterinnen, Theil-
nehmerinnen an Festzügen, selbst eigentlichen Genrefiguren begriffen;
manche Motive gehören auch ganz ursprünglich der porträtirenden
Kunst an und geben ideal aufgefasste griechische und römische Trach-
ten wieder. — Wenn aus dem ganzen Alterthum keine andern Kunst-
werke erhalten wären, so würden schon diese Gewandtorsen (selbst
die gering ausgeführten nach guten Motiven) uns den höchsten Be-
griff von der alten Kunst geben. Es ist keine ruhig-grossartige und
keine einfach-liebliche Stellung des beseelten Weibes, welche hier nicht
in und mit einer theils prächtigen, theils schlichten Gewandung aus-
gesprochen wäre. Haltung und Gewandung wären beide für sich
schön, aber es ist der hohe Vorzug der antiken Kunst, dass sie ganz
untrennbar zusammengedacht sind und nur mit einander existiren.
Zu den reichsten Motiven gehört das schon bei den Musen vor-
kommende, auf verschiedene Attitüden angcv/andte: theilv/eise Auf-
hebung des Gegensatzes zwischen Ober- und Untergewand, vermöge
Durchscheinens des letztern durch das erstere. Weit entfernt von der
Weibliche Gewandstatuen.
463
Künstelei, welche z. B. im vorigen Jahrhundert bei mehreren Bild-
hauern zum peinlichsten Streben nach Illusion führte, ist hier der
Contrast des Feinern und des Derbern und das Übereinander der Fal-
tung zwar mit der höchsten Kunst, aber ohne alle falsche Bravour
behandelt; man sieht (wenigstens bei den bessern Exemplaren) immer,
dass es dem Künstler vor Allem um die Hauptsache, um das schöne
und sprechende Hervortreten der Gestalt im Gewände zu thun war
und dass er jene Zierlichkeiten nur als Mittel zum Zwecke brauchte.
Eine wunderbare und räthselhafte (römische?) Figur, die sog.
P u d i c i t i a , mag hier zuerst genannt werden. Sie fasst mit der rech- a
ten Hand in der Nähe des Halses den Schleier, dessen Ende über den
nach rechts hinübergelegten linken Arm herabfällt. Will sie sich ver-
schleiern oder hat sie sich eben entschleiert? — Das Auge bleibt in
einer angenehmen Ungewissheit. Das Zurücktreten der rechten Schul-
ter i), die Stellung der Füsse tragen mit zu diesem reizvollen Eindruck
bei. (Das schönste Exemplar im Braccio nuovo des Vaticans, ein
geringeres im Hof des Belvedere; andere überall.) b
Unter den übrigen zahlreichen Motiven, wovon immer eines rei-
zender und sprechender ist als das andere, nennen wir beispielshalber
dasjenige, wobei der Überschlag des Obergewandes erst über die Brust,
dann über die Schulter geschwungen und von hinten hervor unter den
Arm geklemmt wird (Seite 461, c). Von vielen Beispielen eines der
schönsten: die als Euterpe restaurirte Gestalt in der Galeria delle c
statue des Vaticans.
Wieder eine besondere Aufgabe ist in der verhülltenGefäss-
t r ä g e r i n (Museo capitolino, Zimmer des sterbenden Fechters) gelöst, d
die man für Pandora oder Psyche mit der Büchse, für Tuccia mit dem
Sieb u. s. w., mit dem meisten Recht aber als Trägerin eines Heilig-
thums in einem Festzuge erklärt hat. Für uns ist diese nur flüchtig
gearbeitete Statue ein jedenfalls sehr schöner Versuch mehr, ein neues
Motiv von Haltung und Geberde in feierlicher Gewandung auszudrücken.
Allerdings zieht in demselben Raum die sog. Flora am schnellsten e
die Blicke auf sich, eine schöne Römerin, mit einem Kranz um das
1) Welches ja nicht etwa als Nachbildung eines zufällig schmalschultrigen weiblichen Indivi-
duums aufzufassen ist.
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464
Antike Scalptar. Weibliche Gewandstataen.
Haupt; über dem feinen Unterkleid ein eigenthümliches Obergewand,
welches wahrscheinlich dem äussern Effect zu Liebe so gebildet ist:
mit sehr weiter oberer Öffnung, sodass es bei jeder Bewegung auf beide
Arme herabfallen müsste; von einem schweren Stoffe, welcher so tiefe,
schattige ,, Augen" bildet, v/ie sie sonst kaum an einem antiken Ge-
wände vorkommen; im Ganzen macht sich der Eindruck wie von
einem schön drapirten Modell geltend.
Den männlichen Togafiguren stehen am meisten parallel eine An-
zahl mächtiger Gestalten von betenden oder opfernden Frauen (0 r a n -
t i n n e n) . Weniger wegen der Ausführung als wegen der voUstän-
a digen Erhaltung nennen wir hier die eherne sog. Pietas des Museums
von Neapel (grosse Bronzen). Das Untergewand tritt sehr beschei-
den zurück; weit die Hauptsache ist der gewaltige Mantel, welcher
die ganze Figur sammt dem Haupte umwallt. Von den ausgestreck-
ten Armen klemmt der linke mit dem Ellbogen die beiden Hauptenden
zusammen, welche hierauf in zwei Zipfeln unterhalb des linken Knies
auslaufen; ein drittes Ende, dessen innerer Umschlag schön über die
Brust hinläuft, fliesst dann über den linken Arm hinunter. — An Mar-
morexemplaren ist bisweilen die Arbeit besser, das Motiv aber der
Verstümmelungen wegen unverständlicher, — Gut erhalten, bis auf die
b Hände (deren jetzigen Restauration allerdings die Orantin nicht mehr
erkennen lässt) und die Gewandenden rechts vom Beschauer, erscheint
eine Marmorfigur dieser Art in derselben Sammlung (Halle desTi-
berius), welche man unbedingt den herrlichsten römischen Gewand-
statuen beizählen darf. Die bronzene Pietas würde daneben ins tiefe
Dunkel zurücktreten.
Sehr häufig kommt dasjenige Motiv vor, welches unter den Musen
vorzüglich der Polyhymnia eigen ist: das Obergewand ver-
hüllt bereits die linke Seite und den linken Arm, so dass von der
Hand nichts oder nur Fingerspitzen sichtbar sind; hinten herumge-
schlagen, soll es mit der erhobenen Rechten eben noch einmal über
die linke Schulter gelegt werden. (Schön an zwei Statuen junder Rö-
c merinnen, vielleicht von der Familie des Baibus, im Museum von
ü Neapel, erster Gang, und an
Kaiserin, dritter Gang.) — Auch
e an der sog. Iphigenia, welche in der Kirche S. Corona zu Vicenza
neben dem 5. Altar links sich befindet. — Die florentinische Priesterin
Weibliche Gewandstataen.
46s
(Uffizien, Halle der Inschriften) ist wiederum eigenthümlich reizend a
verhüllt; aus dem weiten Obergewande, welches die ganze Gestalt
umgiebt, sieht nur die Linke (mit der restaurirten Schale) heraus;
die Brüste und der untergeschlagene rechte Arm sind im Gewände
vorzüglich edel ausgedrückt. — Eine köstliche Priesterin findet sich
auch unter den halblebensgrossen Statuen in einem der hintern Säle b
der Galerie des Pal. Pitti. (Mit den Wandfresken des Pietro da
Cortona.)
Das Untergewand wird als Hauptausdruck der Stellung behan-
delt in drei sitzenden Statuen aus der früheren Kaiserzeit, welche man
für Bildnissetheils der altern, theils der jungem Agrippina erklärt.
(Museo capitolino, Zimmer der Kaiser; Villa Albani, untere Halle des c
Palastes; wozu als Ergänzung die bejahrte Sitzende mit verschlungenen
Händen gehört, Museum von Neapel, dritter Gang.) Wenn es nun d
misslich bleibt, physiognomisch Partei zu nehmen für Bilder, welche
entweder eine der tugendhaftesten oder eine der lasterhaftesten Rö-
merinnen darstellen — und beide Taufen sind unsicher! — so haben
wir doch jedenfalls denjenigen allgemeinen Typus vor uns, in welchem
sich die grossen Damen des Tacitus und Juvenal mit Vorliebe ab-
bilden Hessen. Das bequeme Auflehnen auf den Sessel, die schöne
Entwicklung der schönen Glieder, die sich dabei ergiebt, mussten
dieses Motiv sehr in Gunst setzen i). Freilich scheinen diese Statuen
nur gut, bis man die sitzenden Frauen der parthenonischen Giebel
(Abgüsse im Lateran und anderswo) damit vergleicht. Mit welch an-
derm Lebensgefühl fliessen hier die leichten Gewänder über die gött-
lichen Gestalten!
Eine sehr eigenthümlich und gut gedachte sitzende Spätrömerin
müssen wir indess hier noch erwähnen. Man sieht in der obern Ga- e
lerie des capitolinischen Museums eine ganz eingehüllte Gestalt, mit
der verhüllten Rechten das Gewand an das Kinn ziehend, die offene
Linke unterschlagend. Die Statue soll Julia Mäsa vorstellen, die
Grossmutter der ungleichen Vettern Elagabal und Alexander Severus.
1) Diesen Agrippinenstatuen gleichen im Motiv zwei unbekannte Römerinnen der Uffizien zu •
Florenz (Anfang des ersten Ganges), beide von untergeordneter Arbeit.
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466
Antike Scolpturen. Weibliche Gewandstataen.
Über dem Ausdruck tiefen Sinnens in Haupt und Stellung vergisst
der Beschauer gerne die nur mittelmässige Ausführung.
a Ebenfalls Kaiserinnen scheinen dargestellt in den sog. Vesta-
linnen der Loggia de' Lanzi in Florenz. Vier derselben (von
der offenen Seite des Gebäudes an gerechnet 2, 4, 5 und 6) zeigen das
grandiose Motiv eines Obermantels, der von der rechten Schulter
schief herab gegen das linke Knie, und mit seinem aufgenommenen
Ende über den linken Arm geht; darunter das ärmellose Brustkleid
und das an den Hüften aufgenommene Unterkleid, dessen Bauschen
wieder auf die Schenkel herabfallen. Die Stellung ist in jeder dieser
colossalen Figuren besonders nuancirt, die Behandlung für die wahr-
scheinlich späte Zeit vorzüglich.
Auch die einfache griechische Idealgewandung wurde um ihrer
Schönheit willen noch lange, und nicht bloss bei Göttinnen, reprodu-
cirt. Es ist ein schlichtes langes Kleid, über den Hüften meist so
gegürtet, dass etwas herabhängende Bauschen über dem Gürtel ent-
stehen; dann ein Oberkleid, auf den Schultern geheftet und zu beiden
Seiten offen oder nur wenig geschlossen, vorn herabhängend bis in
b die Nähe des Gürtels, auf den Seiten etwas länger. Fünf eherne Sta-
tuen im Museum von Neapel (grosse Bronzen), nicht sehr alt, aber
alterthümlich, stellen diesen Typus mit verschiedenen Attitüden ver-
bunden dar; man glaubt sie als Schauspielerinnen erklären zu dürfen.
Die Arbeit erhebt sich nicht über die rohe Decoration (Spuren von
c Bemalung.) Eine ähnliche Marmorfigur z. B. im Vorsaal der Villa
Ludovisi zu Rom.
Die gänzliche Einhüllung der Gestalt in e i n Gewand wurde eben-
d falls nicht selten dargestellt; alterthümlich streng z. B. in zwei Sta-
tuen mit Bildnisköpfen, im untern Gang des Museo capitolino.
e In der Galerie zu Parma sind von den Gewandfiguren weit die
besten N. 10, mit dem Motiv der sog. Polyhymnia, sehr verstümmelt,
und N. 7, sog. ältere Agrippina, mit der Linken das Gewand auf-
nehmend.
Eine grosse Anzahl schöner Motive müssen wir übergehen um
der Kürze willen. (Von den weniger bekannten Sammlungen muss
f hier, wegen mehrerer guter Gewandstatuen, das Casino der Villa Pam-
fili bei Rom genannt werden; sonst verweisen wir noch auf den zwei-
Eanephoren und Earyatiden.
467
ten Gang des Museums von Neapel und auf den Braccio nuovo des a
Vaticans.)
Wer im Süden der Gestalt und den Bewegungen des Volkes
auch nur einen Blick gönnt, wird z. B. an jedem Brunnen überrascht
werden durch die ungemeine Anmuth des Hebens und Tragens der
Wassergefässe, der Waschkörbe u. dgl. Auch hat die Kunst von jeher
derartige Motive von Schönheit und Kraft sich zu eigen gemacht;
Raphael gab ihnen die Unvergänglichkeit in einer tragenden Figur
seines Incendio del borgo (Vatican) ; Michel Angelo in der unerreich-
baren Gruppe der Judith und ihrer Magd (Cap. Sistina). — Die Alten
aber hatten das Glück, diesen Motiven in einer feierlichen, erhabenen
Sphäre zu begegnen: bei den Processionen nämlich, wenn die Jung-
frauen der Stadt und die Tempeldienerinnen, auf dem Haupt die
Körbe mit den Heiligthümern oder Opfergeräthen, einherwandelten.
Daraus entstand der Typus der Korbträgerinnen (Kanephoren).
Die eine Hand leicht an den Korb erhoben, die andere eingestützt oder
im Gewand verhüllt, mit langsamem, bloss angedeutetem Schritte, frei
vorwärtsblickend kommen sie uns entgegen. So die herrliche bacchische b
Kanephore der Athener Kriton und Nikolaos in der untern Halle der
Villa Albani; neben ihr treten vier andere (ebendort) als fluch- c
tige römische Arbeiten weit in den Hintergrund.
Noch viel ernster und feierlicher aber gestaltet sich dieser
Typus in der Karyatide ; die festlichen Jungfrauen tragen über
ihrem zum Capital gewordenen Korb das Gesimse eines Tempels.
Ausser den auf der athenischen Akropolis (am Erechtheion) erhaltenen
Karyatiden besitzt Rom (Vatican, Braccio nuovo) ein stark restaurir- d
tes Exemplar, welches der Sage nach einst im Pantheon soll ange-
bracht gewesen sein; an Grösse und Ernst offenbar eher ein griechi-
sches als ein römisches Werk. Von nicht viel geringerm Werthe ist e
die Karyatide im Hof des Palazzo Cepperello in Florenz. — Auf merk-
würdige Weise ist in der Jungfrau zugleich die architektonische Stütze,
die Stellvertreterin der Säule charakterisirt; man hätte sie, soweit es
sich um die Tragkraft handelte, viel leichter bilden können; allein
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468
Antike Sculptar. Eros.
wenn das mechanische Bewusstsein sich dabei beruhigt hätte, so hätten
Auge und innerer Sinn sich nicht zufrieden gegeben.
Unter den Knabengestalten nimmt Eros die erste Stelle ein.
Wir kennen ihn als Statue nur unter demjenigen Typus, welchen ihm
die vollendete griechische Kunst des IV. Jahrhunderts verlieh und
welchen die Folgezeit wiederholte.
Eine der anmuthigsten Darstellungen, vielleicht nach Lysippos,
welche den jugendlichen Körper in leichter Anstrengung zeigt, der
sog. bogenspannende Eros, ist leider nur in entweder sehr zer-
stückten oder bloss mittelgut gearbeiteten Exemplaren auf unsere Zeit
a gelangt. Die beste Arbeit zeigt in seinen alten Fragmenten der va-
b ticanische (Museo Chiaramonti) ; dann folgt derjenige im runden Saal
c der Villa Albani und derjenige in der obern Galerie des Museo ca-
d pitolino. Der besterhaltene im Dogenpalast zu Venedig, Camera a
letto; der Kopf eine antike Restauration. Trotz dieser Mehrzahl vor-
handener Copien kann man über das usrprüngliche Motiv einige
Zweifel hegen. (Neuerlich als ,,bogenprüf ender Amor" bezeichnet.)
Diesem kindlich schalkhaften Schützen steht ein jugendlicher Gott
der Liebe gegenüber. Ungleich ernster und in den Formen entwickelter
erscheint nämlich Eros, offenbar nach Praxiteles, in dem vaticani-
e sehen Torso (Galeria delle statue, früher als ,,v a t i c a n i s c h e r
Genius" benannt). Das schmale Haupt, mit den zusammengewun-
denen Locken über der Stirn, drückt eine Sehnsucht aus, die sich
weder in das Schmachtende noch in die Trauer verliert, sondern eben
in ihrer ruhigen Mitte das Wesen dieses Gottes ausmacht. Die Formen
des Körpers sind von einer jugendüchen Schönheit, die für die Sculptur
massgebend geworden ist. (Am Rücken die Ansätze für die Flügel,
f Ein geringeres, aber bis an die Kniee erhaltenes Exemplar im Museum
von Neapel, Halle des Adonis.)
g Die schöne Statue, welche in den Uffizien zu Florenz (Halle des
Hermaphr.) ,,d e r T o d e s g e n i u s" heisst, aber als Eros restaurirt
ist, vereinigt die frühe Jugend des bogenspannenden Eros mit einem
Ausdruck des Ernstes ohne Sehnsucht. Er blickt nicht ,, hinaus", son-
dern links abwärts und hält die rechte Hand auf die linke Schulter
Amor und Psyche. Paris. Ganymed.
469
(Ungleiche Arbeit, von der Hälfte der Schenkel abwärts restaurirt.)
Ob Schlaf, Tod, oder der Sohn Aphroditens gemeint ist, wollen wir
nicht entscheiden.
Die erste spät (II. Jahrhundert n. Chr.) vorkommende Gruppe
Amors, der die Psyche liebkost, ist bei einem schönen Ausdruck
doch in den Linien der beiden Körper sowohl als in ihrer Durchbil-
dung nur von mittlerem Werth. Selbst das vorzügliche capitolinische a
Exemplar (im verschlossenen Zimmer der Venus) macht hievon
nur eine bedingte Ausnahme; das florentinische (Uffizien, Halle des b
Hermaphr.) ist ziemlich gering. Noch später, an zahllosen Sarcopha-
gen, werden die beiden Kinder immer jünger, endlich blosse sog.
Putten, und in der Arbeit immer roher. Der neuern Kunst blieb hier
ein Feld offen, auf welchem Canova und Thorwaldsen neu sein
konnten.
Dem Eros-Typus nahe verwandt, doch fast nur in geringen Exempla-
ren vorhanden, erscheinen zwei andere Knabengestalten, die schön-
heitberühmten Söhne des Königshauses von Ilion, die Hirten vom Ida.
Zunächst der jugendliche Paris, in einer späten römischen Statue c
des Museums von Neapel (zweiter Gang); er ruht aufgelehnt, die
Füsse übereinander, den Apfel in der Rechten hinter sich haltend;
zwei Wurfspiesse lassen ihn zugleich als Jäger erkennen; neben ihm
ein Hund. Es liegt in dieser Figur etwas von dem schönen Müssig-
gang ruhender Götter und Satyrn, aber die Ausführung ist sehr be-
fangen. (Über den erwachsenen Paris in der Galeria delle statue des
Vaticans s. unten.) — Sodann Ganymed. Die alte Kunst muss zunächst
in einem sehr ausgezeichneten Werke (wahrscheinlich von Leochares)
das Aufwärtsschweben eines schlanken jugendlichen Körpers verbun-
den mit dem Ausdruck der Hingebung dargestellt haben, als Gany-
med, der vom Adler behutsam emporgetragen wird (natürlich an einen
Tronco angelehnt und jedenfalls für die Sculptur ein zweifelhafter Ge-
genstand). Ein kleines römisches Exemplar im obern Gang des Va- d
ticans. (Der einst viel genannte venezianische Ganymed, im Dogen- e
palast, Camera a letto, ohne Tronco und jetzt schwebend aufgehängt,
ist eine mittelmässige römische Arbeit.) — Neben dieser mehr idealen
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470
Antike Scnlptnr. Ganymed.
a Darstellung heben andere Statuen mehr den Hirtenknaben oder den
Mundschenken hervor; so diejenige des Museums von Neapel (z-veiter
Gang): Ganymed auf den Adler gelehnt und mit ihm sprechend, eine
b gute Arbeit mit schlecht restaurirter Handbewegung. (In der Nähe
ein weit schlechterer Ganymed.) Ein anderes, ebenfalls schlecht restau-
rirtes Exemplar in den Uffizien, erster Gang. — Auch Gar.ymed
den Adler tränkend kommt wenigstens in Reliefs vor. — Eine s:höne
c kleine Brunnenstatue mit restaurirten Armen, auf den (nicht vcrhan-
denen) Adler herabschauend gedacht, im Braccio nuovo des Vaticans,
d am Stamm der Name des Künstlers Phaidimos; — eine unbedeutende
im Gabinetto delle Maschere ebenda; — ein sehr schöner Gedanke in
e einer mittelguten Statue des obern Ganges ebenda: Ganymed die
Schale emporreichend; er und der Adler, welcher hier nicht als Hülle,
sondern als Attribut des Zeus neben ihm steht, schauen aufwärts wie
zu dem Gott empor. Es ist kein irdisches Aufwarten, sondern ein
feierliches Kredenzen bezeichnet. (Der Arm mit der Schale nei;, aber
dem alten Ansatz nach wohl richtig ergänzt.) Raphael hat diess
ähnlich empfunden, im Hochzeitsmahl der Farnesina, wo Ganymed
sich auf ein Knie niederlässt.
{ Die schöne lebendige Statue kleinern Massstabes in den Uffizien
(Halle des Hermaphr.) hat einen Kopf und einen Adler von Benv.
Cellini, stellte aber wohl ursprünglich Ganymed dar. Bildung und
Stellung sind von gleicher Anmuth.
(Kinderstatuen ziehen das Verhältniss zum Adler ins DroUig-
g Kindliche; so die sehr meisterhaft gedachte des kleinen Ganymed,
welcher den Adler nach hinten umfasst, im obern Gang des Vati-
cans.)
Der Bilderkreis der Götter wird glorreich ergänzt durch Dio-
nysos, den Gott der hohen Naturwonne. Nachdem ihn die Kunst
lange als bärtigen Herrscher gebildet (S, 422), erhielt er zur Zeit des
Skopas und Praxiteles die süsseste Jugend und sein bisher bloss bur-
leskes Gefolge (man vgl. die Satyrn auf den altern Vasen) eine reiche
charakteristische Abstufung bis ins Schöne hinein. Ihm, dem reinsten
Grundton und Mittelpunkt dieses gestaltenreichen Schwarmes (Thia-
Dionysos.
471
sos), wurde eine Schönheit zugedacht, zu deren vollem Ausdruck
männliche und weibliche Formen gemischt werden mussten. So ent-
stand der wunderbare Typus unbestimmter, zielloser Seligkeit, dessen
tiefster Zug (wie bei der Aphrodite) eine leise Sehnsucht ist. Einem
solchen Dasein kam vor Allem eine leichtruhende Stellung zu, welche
die Entwicklung eines reichen Körpermotives begünstigte, so das Auf-
lehnen auf einen Rebenstamm, der später zu einer jungen Satyrgestalt
belebt wurde; auch wohl eine leichtgewendete sitzende Haltung. Der
Thyrsus, wo er vorkömmt, dient der Gestalt zur Zier mehr als zur Stütze.
Das Haupt, meist etwas geneigt, ist von einem Kranz von Weinlaub
oder Epheu beschattet und von herrlichen Locken umgeben, die eine
Stirnbinde zusammenhält. Mit Ausnahme eines Thierfelles ist Dionysos
in der Regel nackt, doch auch nicht selten von den Lenden an mit
einem Gewände bekleidet.
In den italienischen Sammlungen wird wohl dem sitzenden T o r s o a
des Museums von Neapel (Halle des Jupiter) der unbestrittene Vor-
rang bleiben, indem hier die milden und reichen Formen des Gottes
schöner und einfacher behandelt sind als sonst irgendwo. Ein anderer b
schöner sitzender Torso im Vatican (Galeria delle Statue). Der Torso
eines stehenden Bacchus von sehr guter römischer Arbeit, als Apoll c
restaurirt, in der Innern Vorhalle der Uffizien zu Florenz.
Die volle dionysische Schönheit aber konnte nicht ergreifender
hervorgehoben werden, als durch den Contrast mit einem bestimmten
Begleiter aus dem Gefolge des Gottes. Die Kunst personificirte den
Weinstock (Ampelos), auf welchen der Gott sich lehnte, zu einem
Satyr, mit welchem er in verschieden charakterisirte Beziehungen (des
Sprechens, des Aufstützens) gesetzt wird; bisweilen mischt sich ganz
deutlich ein Zug des Humors ein: Ampelos kann die Stimmung seines
Herrn nicht recht fassen und macht sich seine Gedanken darüber. Die
vielleicht ehemals beste Gruppe dieser Art, ein sehr schönes aber übel d
zugerichtetes Werk in der Villa Borghese (Hauptsaal), zeigt den voll-
ständigem Typus des Gottes in seiner edelsten Gestalt; Ampelos
jedoch ist grossentheils zerstört. Gut erhalten oder restaurirt, aber
viel weniger hoch aufgefasst: Dionysos mit dem ausschreitenden e
Ampelos in der Sala rotonda des Vaticans; — ähnlich, aber kleiner
und geringer im Dogenpalast zu Venedig, Corridojo; — grossartig und £
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472
Antike Sculptar. Dionysos.
a schwülstig mit einem frechen Ampelos, im Hauptsaal der Villa Lu-
b dovisi; — kleiner und von guter römischer Arbeit in den Uffizien
(Halle der Inschriften), durch die Restauration, welche auch die Basis
umfasst, vielleicht zu viel nach links (vom Beschauer) geneigt; — roh
c decorativ und für einen baulich bedingten Gesichtspunkt berechnet,
in der Galerie zu Parma i); — endlich als Seitenstück: Dionysos mit
d dem geflügelten Eros, im zv/eiten Gange des Museums von Neapel.
e — Bei den grossen Bronzen derselben Sammlung: eine treffliche Sta-
tuette des Bacchus mit dem Thyrsusstab.
Die überwiegende Menge der Bacchusfiguren sind unbedeutende
römische Arbeiten; bisweilen von gutem Motiv, aber schwerer Aus-
führung, indem die Kunst den Ausdruck der reichen und weichen
dionysischen Natur im Breiten und Üppigen suchte. So die Statuen
f von Tor Marancio im obern Gang des Vaticans; diejenigen im zweiten
g Gange des Museums von Neapel (worunter eine stark ergänzte bes-
h sere). Mehrere, auch von den bessern, in der Villa Borghese. Als
Herr der Unterwelt thront Dionysos, neben sich die gerettete Seele
eines Mädchens, in einer sehr späten, nur sachlich merkwürdigen
i Gruppe der Villa Borghese (Faunszimmer). — Wo der Gott einen
seiner Panther bei sich hat, wird man das Thier verhältnissmässig
immer sehr klein gebildet finden. Man hat es desshalb auch schon
als Luchs u. s. w. classificiren wollen. Die griechische Kunst aber,
welche selbst die Söhne Laocoons in einem kleinern Verhältniss bildete
als den Vater, erlaubte sich auch die Freiheit, die bis über sechs Fuss
langen Tiger und Panther auf ein Mass zu reduciren, woneben der
Gott bestehen konnte.
Schliesslich müssen wir die zwei köstlichen florentinischen
kBronzefiguren (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, dritter
Schrank) erwähnen, welche den Bacchus als einen schlanken Knaben
darstellen; das einemal hebt er mit beiden Händen Trauben empor;
das andermal schlägt er beide Arme über das nach links abwärts-
1) Dieses sehr colossale Exemplar wurde nebst dem gegenüber aufgecteüten KeraHe«: in
den farnesischen Gärten auf dem Palatin gefunden. Herakles ist ebenso für eine bestimmte
Untensicht gearbeitet. (Vgl. S. 427, Anm.) — Bei diesem Anlass ist ein ebenda be-
* findUcher guter Torso eines Jägers oder Kriegers nachzuholen.
Ariadne.
473
blickende Haupt, mit einem Ausdruck süssester Melancholie, den
wohl kein Marmorbild des Gottes so wiedergiebt.
In den Reliefs, auch an Sarcophagen, wo man den Gott in den
verschiedensten Stellungen und Handlungen kennen lernt, erscheint er
nicht selten mit der von ihm geretteten Ariadne, welche, einmal in
seinen Kreis aufgenommen, nur ihm ähnlich gebildet werden konnte.
Selbständige Statuen dieser dionysischen Ariadne kommen wohl
nicht vor, doch hat man einen der schönsten Köpfe des Alterthums
(im Museo capitolino, Zimmer des sterbenden Fechters) lange a
Zeit so benannt, bis neuere Forscher darin einen ganz jugendlichen
Dionysos zu erkennen glaubten. Wie dem auch sei, Augen, Wangen
und Mund dieses Werkes geben gerade das Schönste und Süsseste
der bacchischen Bildung, die Verlorenheit in sanfter Wonne, mit einer
unbeschreiblichen Leichtigkeit wieder. Im anstossenden Faunszimmer b
findet sich ein geringerer, doch noch immer schöner Kopf, bei welchem
man ebenfalls über die Benennung im Zweifel bleiben kann. (Die
Augen zur Ausfüllung mit irgend einer andern Steinart bestimmt, wie
an vielen Köpfen.)
Die schöne Statue, welche in den Uffizien zu Florenz (erster c
Gang) Ariadne heisst, hat einen antiken bacchischen, ihr aber nicht
angehörenden Kopf; der Leib möchte vielleicht der einer Muse gewesen
sein. Ihre fast verticale linke Seite zeigt zwei Ansätze; sie muss sich
auf Etwas gelehnt haben. (Beide Arme sind wegzudenken.)
Von derjenigen Stimmung, welche in Dionysos rein und göttlich
waltet, gehen die einzelnen Äusserungen wie Radien in die Personen
seines Gefolges aus. Es ist die Naturfreude auf allen ihren Stufen,
je nach der edlern oder gemeinern Art des Einzelnen. Man muss sich
diesen ,,Thiasos" immer als Ganzes, als Zug oder Scene denken, wie
er in mehrern ganz trefflichen Reliefs und sehr vielen meist mittel-
guten oder geringen Sarcophagbildern, auch auf vielen Vasen sich
stückweise darstellt. Allein schon die Kunst der besten Zeit, schon
Meister wie Praxiteles haben die einzelnen Gestalten dieses Ganzen
Urcicerone. 31
♦»■ "S*'''''*t--t.l»>«(.^l^i^As»-*»iv*»,4>*-.W .^„K .„«*^^-, k,ii,^^^^^>^«,_.
474
Antike Sculptar. Satyrn.
als Episoden einzeln gedacht und behandelt, und von den Nachahmun-
gen gerade dieser Werke sind die Galerien voll.
Diese sämmtlichen Gestalten haben leisere oder derbere Anklänge
an das Thierische, ja Bestandtheile von Thieren an sich. Nur so
wurden sie geschickt zu dem vollkommen wohligen Genuss und zu
dem endlosen Muthwillen, in welchem sie sich ergehen.
Die Hauptschaar besteht aus Satyrn. (Der römische und italie-
nische Name „Faun" kann nur verwirren und wird am besten ganz
beseitigt.) Ihre Abzeichen sind die mehr oder weniger bemerkliche
Stülpnase, die etwas gespitzten Ohren, oft auch ein Schwänzchen und
zwei Halsdrüsen; als Kleidung etwa ein Thierfell. Allein schon inner-
halb dieser Gattung ist die reichste Abstufung zu bemerken.
Der edelste, dem Dionysos am nächsten stehende, ist der vom
Flötenspiel ausruhende, an einen Baumstamm gelehnte (bisweilen be-
kränzt); eines der anmuthigsten und beliebtesten Motive der alten
Kunst, wahrscheinlich Nachbildung des praxitelischen Satyros pe-
ariboetos. Das beste römische Exemplar im Museo capitolino (Zim-
b mer des sterbenden Fechters); andere gute: im Braccio nuovo des
c Vaticans und in der Villa Borghese (Zimmer des Fauns). — Zwei
d geringe römische Wiederholungen im Pal. Pitti zu Florenz (inneres
Vestibül über der Haupttreppe) geben dem Periboetos einen kleinen
Plan bei, durch welche Zuthat die Einsamkeit verloren geht, die für
den geistigen Ausdruck der Figur so wesentlich ist. — Das Über-
wiegen des Genusslebens zeigt sich beim Periboetos nur in dem vollen
Rund der Züge und in dem etwas vortretenden Bauch, die Malice
nur in einem kaum bemerklichen Zuge des Gesichtes.
Sein jüngerer Bruder ist der Satyrknabe, welcher die Flöte
eben ansetzen oder weglegen will (was der Restaurationen wegen
selten zu entscheiden ist), angelehnt mit gekreuzten Beinen. Gute
e Exemplare im Braccio nuovo des Vaticans, in der obern Galerie des
f Museo capitolino und anderswo; ein geringeres im runden Saal der
g Villa Albani; keines wohl der Anmuth des Originals entsprechend.
h Ein Fragment in der Galerie zu Parma. (Auch der sog. Amorstorso
daselbst ist wohl eher von satyresker Bildung.) Die Satyrknaben und
Kinder, von welchen einzelne treffliche Köpfe vorkommen, sind theils
von harmlosem, theils auch schon von nichtsnutzigem, spöttischem
Satyrn.
475
Ausdruck; ein noch fast unschuldiges, heiter lachendes Köpfchen in
der obern Galerie des Museo capitoliiio; eine ganze Anzahl, von ver- a
schiedenem Ausdruck, im Museo Chiaramonti (Vatican). b
Zu den edlern Satyrn gehört insgemein auch noch derjenige,
welcher den jungen Dionysos auf der Schulter tragen darf. Sein
leichtes Ausschreiten und Lachen, und der schlank-elastische, wie von
Innern Federkräften bewegte Körperbau unterscheiden ihn indess we-
sentlich vom Periboetos und nähern ihn schon den übrigen Satyrn.
Meist stark restaurirt, lässt er Zweifel übrig in Betreff der Haltung
seiner Arme und der Gestalt des Bacchuskindes. Treffliches, aber sehr
überarbeitetes Exemplar im Museum von Neapel (zweiter Gang) ; an- c
dere im Braccio nuovo des Vaticans und in der Villa Albani (Neben- d
galerie rechts). Das Kind ist wohl bisweilen als blosser junger Bacchant
gedacht. — In der Stellung sehr ähnlich der hie und da vorkommende
Satyr, welcher ein Zicklein trägt.
Wie das Flötenspiel dem idyllischen, einsam ausruhenden Satyr
zukömmt, so die Klingplatten und das Tamburin der bereits
in Bewegung gerathenen bacchischen Schaar. Aus den hier zu nennen-
den Gestalten spricht bald ein heitrer, bald ein wilder Taumel, der als
zweites, dämonisches Leben den oft meisterhaft gebildeten Körper
durchbebt. Der heftigste denkbare Eifer des Musicirens spricht sich
in der berühmten florentinischen Statue aus (Uffizien, Tri- e
buna) ; die Bewegung zeigt freilich, dass in dieser Musik die Melodie dem
in wildem Taktiren vortrefflich ausgesprochenen Rhythmus untergeord-
net ist. Der Kopf und die Arme sammt Klingplatten von Michelangelo
restaurirt; das Übrige trotz der verletzten Oberfläche einer der besten
Satyrstypen. Ganz anders und wiederum in seiner Art unvergleich-
lich der Klingplattenspieler der Villa B o r g h e s e (in der Mitte des t
Faunszimmers); ein ältlicher Virtuose des Spieles und des Tanzes
zugleich, dreht er sich mit wirbelnder Schnelligkeit auf beiden Füssen
herum; seine sehnig ausgetanzten Glieder und seine originell hässlichen
Gesichtszüge sind auf das Geistvollste behandelt.
Wüster und wilder ist die Geberde des colossalen Tänzers der-
selben Sammlung (Hauptsaal), welchem der Hersteller einen Hirten- g
stab in die Hände gegeben hat. Die Arbeit, so weit sie alt ist, kann
noch immer für trefflich gelten, doch wirkt gewisses Detail, wie z. B.
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476
ÄDtike Scnlptar. Satyrn.
die schwellenden Bauchadern u, dgl., in dem grossen Massstab schon
a nicht mehr angenehm. (Ein dritter grosser Satyr, im Faunszimmer,
b ist mehr als zur Hälfte neu.) — Zwei fast identische Statuetten, sprin-
gende Satyrn mit Klingplatten, sich stark zurückbeugend, im obern
Gang des Vaticans; vielleicht Nachbildungen eines berühmten Origi-
c nals. Ein eifriger Bläser der Doppelflöte, kleine Bronze in den Uffizien,
zweites Zimmer der Bronzen, dritter Schrank.
Bisweilen ist es mehr ein blosses fröhliches Aufspringen als ein
eigentlicher Tanz, was der Bildner geben wollte. So vielleicht in der
(1 herrlichen Statuette des Museums von Neapel (grosse Bronzen);
aufwärts blickend, mit den Fingern der einen Hand in der Luft schnal-
zend schwebt der nicht mehr junge Gesell mit, ich möchte sagen, hör-
barem Jubelruf dahin,
Sehr wesentlich ist endlich das Verhältniss der Satyrn zum Wein,
dessen Werth, Bereitung und Wirkung an und mit ihnen hauptsäch-
lich dargestellt wird. (Weinbereitende Genien und Eroten sind in
der Regel eine spätere, schwächere Schöpfung.) Die Reliefs geben
den betreffenden Bilderkreis vollständig; wir müssen uns auf die Sta-
tuen beschränken.
Schon an der Traube hat der Satyr seine lüsterne Wonne; er
hält sie empor und besieht sie mit einem Gemisch von Lachen und
Begier, das die Kunst gerne raffinirt behandelte. Ein Meisterwerk der
e sog. Fauno di rosso antico,in dem Faunszimmer des Museo
capitolino, spät und zur Hälfte neu, aber in den erhaltenen Theilen
classisch für die Behandlung des Satyrleibes. Eine Wiederholung in
f Marmor, im grossen Saal desselben Museums; ein gutes Exemplar
g wiederum in rosso antico, im Gabinetto delle Maschere des Vaticans.
Andere a. a. O.
Wenn in diesem Typus die Frechheit des ausgewachsenen Satyrs
kenntlich vorherrscht, so verknüpfen andere Statuen dieselbe Handlung
mit einer jugendlichern und edlern Körperbildung und einem harm-
losem Ausdruck; es sind schlanke, ausschreitende Gestalten in der
Art des Satyrs mit dem Bacchuskind; leider fast sämmtlich stark re-
staurirt, doch so beschaffen, dass man ein ausgezeichnetes Urbild ver-
muthen darf, in welchem ein eigenthümliches Problem elastisch-
jugendlicher Form und Bewegung schön muss gelöst gewesen sein.
Satyrn.
477
Drei Exemplare von ungleichem Werthe im zweiten Gang des Mu- a
seums von Neapel; eines von parischem Marmor, mit echtem, edlem
Kopf, aber sonst von schwankender Behandlung, in den Uffizien zu b
Florenz (erster Gang.) — Hieher gehören auch noch folgende Werke.
Auffallend ideal, und desshalb vereinzelt stehend: der schöne Satyr c
mit dem Füllhorn, im Hauptsaal der Villa Ludovisi. — An dem vor-
geblichen ,, Bacchus mit Faun" im zweiten Gang der Uffizien zu Flo- d
renz ist nichts als der Torso der erstem Figur alt; von guter Arbeit,
vermuthlich einer der edlern jungen Satyrn. Der daneben kauernde
kleine ,,Faun" sammt allem Übrigen ist neu. — Ein sehr schöner Sa-
tyrstorso desselben Ranges, doch mehr ausgewachsen, nach rechts e
lehnend, ebenda (Halle des Hermaphr.; nicht restaurirt, aber geglättet).
— Im Palast Pitti (äusseres Vestibül über der Haupttreppe) zwei Sa- f
tyrn, welche ihre Panther mit emporgehaltenen Trauben necken,
ein öfter vorkommendes, aber bisweilen nur vom Restaurator herrüh-
rendes Motiv.
Einzelne Satyrsköpfe, ganz in Weinlaub eingehüllt, drücken
das lüsterne Lauern vortrefflich aus; die Behandlung der Augen und
das Zähnefletschen nähern sie der Maske. Ein Beispiel im Museo g
Chiaramonti des Vaticans; Haar, Bart und Schnurrbart bestehen aus
lauter Trauben und Weinlaub.
Die Frechheit, welche der genossene Wein erregt, giebt sich in
zwei nur einfach als Brunnenfiguren ausgeführten, aber gut gedachten
sitzenden Satyrn mit Schläuchen kund. (Im Braccio nuovo h
des Vaticans.) Schon das Ausstrecken ihrer (theils alten, theils richtig
restaurirten) Beine ist so sprechend, dass diese Theile allein nur zu -
weinfrechen Satyrn passen konnten. — Zu den frechen und boshaften
Satyrn gehört, beiläufig gesagt, auch der kleine Torso im Museum von «
Neapel (Halle des Jupiter), welcher einst aus spitzem Munde Wasser
spritzte.
Eine andere, vorzüglich gut repräsentirte Schattirung ist die Wein-
seligkeit. Nirgends wird dieser Seelenzustand köstlicher dargestellt, als
in dem auf dem Schlauch liegenden bärtigen Satyr, k
welcher mit der aufgehobenen Rechten der ganzen Welt ein Schnipp-
chen schlägt. (Museum von Neapel, grosse Bronzen.) Das eigen-
thümliche elastische Leben des Satyrleibes ist in der bewegten Linie,
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478
Antike Sculptnr. Satyrn. Marsyas.
die von der aufgestützten linken Schulter nach dem rechten Schenkel
a geht, sehr energisch ausgesprochen. — Womit ein guter, aber stark
überarbeiteter Satyr im Vatican (Galeria delle Statue) zu verglei-
chen ist.
Arme, alte, verstossene Satyrn mit mürrischem Ausdruck müssen
inzwischen Schläuche halten und schleppen. (Meist Brunnenfiguren.)
b Ein solcher im runden Saal der Villa Albani. Als Träger eines "Vas-
c serbeckens ihrer drei dieser Art, im obern Gang des Vaticans. Auch
d ein jugendlicher, brutal-fröhlicher Schlauchträger kommt vor.
Endlich überwältigt der Schlaf den trunkenen Satyr. Ein Werk,
das dem berühmten ,,barberinischen Faun" in der Münchner Gl/pto-
thek gleich käme, besitzt Italien in dieser Gattung nicht. Der bror.zene
des Museums von Neapel (grosse Bronzen) ist bei seinen stf.rken
Restaurationen und der etwas Conventionellen Behandlung des Ur-
sprünglichen nur durch das Motiv interessant. Er schläft sitzend auf
einem Felsstück, den rechten Arm über das Haupt gelegt, den liiken
hängen lassend, als wäre ihm eben das Trinkgefäss entglitten.
Ein bestimmter Satyr, Marsyas, hat durch sein bekanntes Schick-
sal der antiken Kunst Anlass gegeben zu einem der wenigen Motive
körperlicher Qual, welche sie behandelt hat. Vielleicht wäre auch
dieses unterblieben, wenn nicht gerade der Satyrsleib mit seiner elasti-
schen Musculatur in der Stellung eines an den Armen Aufgehäigten
eine besonders interessante Aufgabe dargeboten hätte. Es gat eine
namhafte Gruppe im Alterthum, welche Apoll, einen oder zwei Skla-
ven und den unglücklichen Satyr dargestellt haben muss; davor, sind
e die jetzt vorhandenen Marsyasfiguren, u. a. eine in der Villa Albani
t (im Kaffeehaus), zwei in den Uffizien zu Florenz (Anfang des zv/eiten
Ganges) Einzelwiederholungen, die freilich mit ihrer geringen Aus-
führung keinen Begriff geben von dem grossen Raffinement, welches
wir im Urbilde voraussetzen dürfen. — Den bereits Geschundenen
darzustellen war erst die Sache der neuern Kunst, die in ihrem S.
Bartholomäus durch das höchstmögliche Leiden Eindruck machen
g wollte. (Statue des Marco Agrato im Chorumgang des Domes von
Mailand.) Bei Michelangelo (im jüngsten Gericht der Sistina) zeigt
der Heilige seine abgezogene Haut zwar auch vor, allein er hat zu-
gleich eine andere am Leibe.
,?SJ^tKtes:
Leidender Satyr. Silen.
479
Einen andern leidenden Satyr glauben wir in dem vorzüglichen
Colossaltorso der U f f i z i e n (Halle des Hermaphr.) zu erken- a
nen. Nach einem Ansatz des linken Schenkels zu urtheilen, muss er ge-
sessen oder gelehnt haben, während doch die Formen des Leibes die
grösste Erregung zeigen. Welcher Art sein Leiden war, ob ihm ein
Dorn ausgezogen wurde u. dgl., ist schwer zu errathen. Als derber
und wilder Satyr giebt er sich durch die herculische Bildung von
Brust und Rücken, durch den auswärts geschobenen Bauch mit kräf-
tigen Adern zu erkennen.
Einer der alten Satyrn (ja eine ganze Gattung derselben) führt
den Namen Silen. Er könnte der wohlmeinende Vater der ganzen
Schaar sein, allein sein unverbesserlicher Weindurst macht ihm zu oft
die stützende Hülfe der Jüngern nöthig und bringt ihn um alle Ach-
tung. Der alte, fette, kahle Buffone kann sich nicht einmal immer
auf seinem Eselchen halten, sondern muss auf einem Karren mit-
gefahren werden; dafür wird er geneckt ohne Erbarmen. Diese seine
Privatleiden erfährt man jedoch fast nur aus Vasen und Reliefs; in
den Statuen macht er etwas bessere Figur. Die Haarlöckchen, die
über seinen ganzen Leib verbreitet sind, die Behandlung der Extre-
mitäten, ja die fast angenehme Hässlichkeit seines Kopfes selbst geben
ihm bisweilen etwas sehr Distinguirtes. So wird man z. B. dem Silen b
der Villa Albani (im sog. Kaffeehaus) schon seiner niedlich gestellten
Füsse wegen zugestehen, dass er eigentlich zum Geschlecht der feinern
Schwelger gehöre. (Ein anderes, sehr gutes, aber weniger erhaltenes c
Exemplar in der Sala delle Muse des Vaticans.) — Im Ganzen aber
sind Silen und sein Schlauch gar zu unzertrennlich, als dass dem
Alten gründlich zu helfen wäre. Er reitet darauf und hält das weiche
Gefäss an zwei Zipfeln (Statuette im Museum von Neapel, grosse d
Bronzen), während dessen Mündung, wie in der Regel, als Brunnen-
öffnung dienen muss; er liebkost den theuren Behälter (Statuette
ebenda), gerade wie er es sonst mit dem kleinen Panther des Bacchus
macht (Statuette ebenda). Eine kleine Marmorfigur im obern Gang e
des Vaticans stellt den komischen Moment dar, in welchem er den
Schlauch und das Trinkhorn beim besten Willen nicht mehr in Ver-
bindung bringen kann.
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480
Antike Scolptar. Silen. Fan.
a Die Folgen zeigen sich in einer kleinen Statue des Museums von
Neapel (zweiter Gang); Silen, wahrscheinlich schrecklich gefoppt,
bittet knieend und mit gefalteten Händen um Gnade. (Dasselbe Motiv
nicht selten auf Vasen.) — Als Brunnenfigur drückt er auch wohl
i> sitzend mit aller Kraft auf einen Traubenbüschel, in welchem die
Mündung angebracht ist. (Uffizien, Halle der Inschriften.)
Bisweilen aber offenbart Silen eine höhere Natur; er ist der E r -
zieher undHüter desBacchus während der bedrohten Ju-
gend desselben gewesen. Mit dem göttlichen Kinde auf den Armen,
freundlich ihm zulachend, erscheint er wieder als schlanker bärtiger
Satyr in beginnendem Greisenalter, von gemässigter herakleischer
Bildung. Von seinen Zügen sind alle wesentlichen Elemente, aber sehr
c veredelt beibehalten. Eine gute Statue im Braccio nuovo des Vaticans;
d Köpfe im Museum von Neapel (erster Gang) und in der obern Galerie
e des Museo capitolino; — bei weitem die beste Statue dieses Typus, in
der Detaildurchführung als classisch geltend, ist mit der alten borghe-
sischen Sammlung in den Louvre übergegangen.
Eine bedeutende Stufe tiefer nach der Thierwelt zu finden wir
die P a n e. Das einsame halbgöttliche, halbthierische Waldwesen hat
sich, den vorhandenen Kunstwerken nach, längst in den Kreis der
dionysischen Genossen begeben und sich dort zu einem ganzen Ge-
schlecht vervielfacht. Als einzelne Figur ist er fast nur in unter-
geordneten Werken decorativer Art auf unsere Zeit gekommen, an
welchen man immerhin den meisterhaft gedachten Übergang aus den
Ziegenfüssen in den satyrhaften Menschenleib vmd die geistvolle Ver-
mischung menschlicher und thierischer Züge im Gesicht studiren kann.
i (Ein seitwärts ins Affenmässige gehender Ausdruck in einem gut gear-
beiteten Köpfchen des Vaticans, Büstenzimmer.) — Zwei grosse Pane als
g Gesimsträger, im Hof des Museo capitolino; eine sehr chargirte Pans-
h maske als Brunnenöffnung ebenda, im Zimmer des Fauns. — Häufig
ein kleiner Pan im Mantel mit der vielröhrigen Hirtenflöte in der Hand,
i von drolligem Ausdruck des Wartens und Zusehens. (In dem ge-
k nannten Hof; auch im Garten der Villa Albani; derjenige im Garten
i der Villa Ludovisi ist ein Vv'eik des XVI. Jahrhunderts, aber nicht
von Michel Angelo, sondern von einem affectirten Nachahmer des-
selben.)
Fan. Gentanren.
481
Von Gruppen ist die des P a n und O 1 y m p o s in leidlichen
Nachahmungen eines ausgezeichneten Werkes vorhanden. Der Con-
trast in Stellung und Bildung zwischen dem Waldgott und dem ganz
jungen Satyr, welcher bei ihm die Musik lernt, hatte für die Kunst
denselben ungemeinen Reiz, welchen sie auf einer andern Stufe in
der Zusammenstellung von Centauren als Lehrern mit jungen Helden
wiederfand. (Die besten Exemplare besitzt Florenz: eines, unsichtbar, a
in dem Magazin der Uffizien; eines im ersten Gang der Uffizien, mit
dem echten Kopf des Olympos von angenehm leichtfertigem Aus-
druck; ein Olympos ohne den Pan, im zweiten Gang der Uffizien, b
roh, aber gut erhalten; — ein anderes gutes Exemplar im geheimen c
Cabinet des Museums von Neapel; — geringere in der Villa Ludovisi d
zu Rom, Vorsaal; — und, zur Hälfte neu, in der Villa Albani, unter- e
halb des Kaffehauses, Andere a. a. O.)
Von einem sehr artigen Motiv: Pan, der einem Satyr einen Dorn f
aus dem Fusse zieht, ist u. a. ein kleines und bedeutend ergänztes
Exemplar im obern Gange des Vaticans erhalten.
Pan in anderer Gesellschaft ist bisweilen von derjenigen Art,
welche in den italienischen Sammlungen nicht leicht aufgestellt wird.
Ein Hermaphrodit, den zudringlichen Pan abwehrend, kleine Gruppe, g
in den Uffizien (Halle des Hermaphroditen); hier ist der ganze Pan
neu, angeblich von Benv. Cellini.
Nicht dem Ursprung, wohl aber der spätem kunstüblichen Form
zu Liebe müssen wir noch die Centauren hierher rechnen. Auch
sie, ehemalige Jäger und wilde Entführer, gerathen in den dionysi-
schen Kreis hinein, dem sie durch ihre Weinlust von jeher nahe ge-
standen. Bisweilen ziehen sie auf den Reliefs den Wagen des Gottes
an der Stelle der Panther; auf ihrem Rücken etwa ein kleiner bacchi-
scher Genius, der sie zügelt oder mit ihnen spricht. Dieser bacchi-
schen Natur gemäss tragen auch die beiden (nächst einem Werk des
Louvre) ausgezeichnetsten Centaurenstatuen (von Aristeas und Papias h
aus Aphrodisias, im grossen Saale des Museo capitolino) auf ihrem
Pferdeleib den Oberkörper eines altern und eines Jüngern Satyrs^).
' ) Der borghesische Centaur im Louvre, auch derjenige im Thiersaal des Vaticans hat einen *
Amorin auf dem Rücken, der ihm beide Hände gefesselt hat. Nach vorhandenen Spuren
war diess Motiv auch an beiden capitolinischen wiederholt. [Br.]
M> if, «i^-v-L^i w^^^ ^*j*v.#<t> J-. ^ ty M^.»,
. .»-.j»i^>.. ,i,.
Hl
482
Antike Scnlptur. Bacchantinnen etc.
Die Arbeit, obwohl erst aus hadrianischer Zeit, ist vorzüglich, und
die Übergänge aus den menschlichen in die thierischen Formen sind
mit einem Lebensgefühl gegeben, welches an die Wirklichkeit solcher
Wesen glauben macht. (Die Ähnlichkeit des altern mit den Gesichts-
zügen des Laocoon bleibt immer auffallend; jedenfalls sollte ein Ge-
gensatz des Alters und der Jugend, der Heiterkeit und des Trübsinns
dargestellt werden.)
Es versteht sich übrigens, dass die Marmorstatue nicht die geeig-
nete Form war, um den Centauren in voller bacchantischer Bewegung
zu zeigen. Eine Anzahl wunderbarer kleiner pompe janischer Gemälde
geben uns erst einen vollen Begriff von Dem, was man Satyrn und
Centauren zutraute.
Von den weiblichen Gestalten des dionysischen Kreises sind viele
in Gemälden und Reliefs, aber nur wenige in Statuen nachweisbar.
Schon die Bildung der Ariadne als Statue ist, wie wir sahen, zweifel-
a haft; ob sie oder eine blosse bacchische Tänzerin in einer
wunderschön bewegten und bekleideten vaticanischen Figur
(Gabinetto delle Maschere) dargestellt sei, lassen wir dahingestellt; das
mit Epheu bekränzte Haupt, von dionysischer Süssigkeit, ist alt und
b echt. — Eine junge Satyrin in der Villa Albani (Nebengalerie rechts)
zeigt in ihrem zwar aufgesetzten, aber doch wohl echten Köpfchen
die Merkmale ihrer Gattung, auch das Stumpfnäschen, in das Mäd-
chenhafte übersetzt; ihr schwebender Tanzschritt veranlasste, vielleicht
mit Recht, eine Restauration der Hände mit Klingplatten. — Eine ruhig
c stehende, mit einem Thierfell über dem Gewände, in der untern Halle
des Conservatorenpalastes auf dem Capitol ; leider ist an dieser schön ge-
d dachten Statue der Kopf zweifelhaft. — Eine hochausschreitende
schlanke Bacchantin mit einem Luchs, unter Lebensgrösse, an Kopf
und Armen kläglich restaurirt, zeigt noch ein schönes Motiv in geringer
e römischer Ausführung. (Uffizien, Verbindungsgang.) — Eine hübsche
nackte Bacchantin mit Thierfell, im Dogenpalast zu Venedig (Corri-
dojo), trägt jetzt einen Dianenkopf. — Endlich giebt es Sileninnen.
Ägaöi.ii»,:
Der Thiasos. Meergottheiten.
483
Eine in ihrer Art vortreffliche auf der Erde sitzende Alte (in der obern a
Galerie des Museo capitolino) offenbart ein Verhältnis zur Amphora,
welches wenigstens eben so innig ist, als das des Silenus zum Schlauch;
ihr mageres Haupt ist vergnüglich aufwärts gerichtet; ihr offener
Mund und ihr Hals sind lauter Schluck und Druck. — In der Villa
Albani sogar eine Panisca; Centaur innen kommen wenigstens in den
pompejanischen Gemälden vor.
Alle diese Gestalten sind nun immer nur Bruchstücke eines grossen
Ganzen, welches die Phantasie aus ihnen und aus den Reliefs und Ge-
mälden, auch wohl aus den Schilderungen der Dichter mühsam wieder
zusammensetzen muss. Allerdings so wie Skopas und Praxiteles den
bacchischen Zug im Geiste an sich vorbeigehen sahen, so wird ihn
weder die Combination des Künstlers, noch die des Forschers je wieder
herstellen.
Noch die spätere griechische Kunst wurde nicht müde, diesen
Gestaltenkreis mit neuen Scenen und Motiven zu bereichern. Als die
Griechen den Orient erobert hatten, symbolisirten sie ihre eigene That,
indem sie Dionysos als den Eroberer von Indien und seinen Zug als
einen Triumphzug darstellten, in welchem gefangene Könige des
Ostens, Wagen voller Schätze und asiatische Zugthiere mit abgebildet
wurden. Unermüdlich wurden bacchische Opfer, Gastmähler, Feste,
Tänze u. s. w. von Neuem variirt, und die ganze Decoration von
Häusern und Geräthen vollkommen mit bacchischen Gegenständen und
Sinnbildern durchdrungen.
Nun die merkwürdige Parallele zum bacchischen Gestaltenkreis.
Schon bei Anlass des Poseidon wurde angedeutet, wie die alte
Kunst das Element der Fluth von seiner trüben, zornigen Seite aus
symbolisirte. Allerdings bildet sich später der Zug der Meergott-
heiten nach dem Vorbilde des Bacchuszuges zu einem rauschenden,
selbst theilweise fröhlichen Ganzen um (v/ahrscheinlich in Folge einer
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484
Antike Sculptur. Tritonen.
berühmten Arbeit des Skopas), und die Tritonen entlehnen von den
Satyrn die Ohren, von den Centauren die pferdeartigen Vorderfüsse,
welche ihrem Oberleib erst die rechte Basis im Verhältniss zum Fisch-
schwanze geben. Allein der Triton, selbst der ganz jugendliche, be-
hält doch meist einen trüb-leidenschaftlichen Ausdruck, der sich in
den tiefliegenden Augen, den eigenthümlich geschärften und geboge-
nen Augenbrauen, dem schönen aber gewaltsam zuckenden Mund und
a in der gefurchten Stirn offenbart. So der grossartige vaticanische
bTritonstorso (Galeria delle Statue). Ganz in der Nähe (Saal der
Thiere) steht die wohlerhaltene Gruppe eines Tritons, welcher eine
Nereide entführt, mit Amorinen auf dem Schweif, vortrefflich erfun-
den, aber von sehr ungleicher Ausführung, Hier ist das Profil des
Halses zu einer Art von Halsflosse geschärft, welche den Ausdruck
von Leidenschaft und Anstrengung sichtbar steigert. (Wahrscheinlich
eine Brunnengruppe.)
Die schön belebte Jünglingsgestalt auf dem Delphin reitend, im
c ägyptischen Zimmer der Villa Borghese, zeigt allerdings in Kopf und
Geberde den Ausdruck der Fröhlichkeit und Elasticität. Allein es ist
in dieser durchaus menschlichen Figur kein Triton dargestellt, sondern
wahrscheinlich P a 1 ä m o n , und zudem ist der Kopf (vom Satyrs-
typus) der Statue fremd. Als eine der erfreulichsten Brunnenstatuen
— das Wasser kam aus dem Mund des Delphins — verdient sie noch
eine besondere Beachtung.
Nicht immer aber wird in den Tritonen das Jugendliche mit dem
schönen und herben Trübsinn dargestellt; es giebt auch alte, bärtige,
mit lachendem oder komisch-grämlichem Ausdruck, Silene der Fluth,
d wenn man will. Solche sind verewigt in dem Mosaik der Sala ro-
tonda des Vaticans (aus den Thermen von Otricoli). Die von allem
Wetter gebräunten Seeleute, meist mit hübschen jungen Nereidenweib-
chen hinter sich auf dem geschwungenen Schweif, haben es hier mit
allerlei Meerungeheuern zu thun, als da sind Seepferde, Seegreifen,
Seeböcke, Seestiere, Seedrachen u.dgl.; diese Meerwunder werden
geneckt, gefüttert und gezäumt. Es sind Scenen aus dem Stillleben
der persönlich gewordenen Seewelt, hier von drolliger Art.
An den Sarcophagen haben dagegen auch die alten Tritonen in
der Regel den ernsten und trüben Ausdruck.
Nereiden. Der Hermaphrodit.
485
Bei den nackten oder beinahe nackten Nereiden versteht es
sich von selbst, dass die Kunst sie nur heiter mädchenhaft bilden
durfte. Bedeutende Statuen sind kaum vorhanden, wohl aber reizend
gedachte (meist gering ausgeführte) Statuetten, welche diese zierlichen
Wesen auf Seewiddern reitend darstellen (Beispiele a. m. Orten). Das
einzige bedeutendere Marmorwerk, die florentinische Nereide a
auf dem Seepferd (zweiter Gang der Uffizien) lässt trotz Verstümmlung
und Restauration ein so reizendes Motiv erkennen, dass man in dieser
römischen Brunnenfigur die Nachahmung einer Gestalt des Skopas zu
finden glaubt.
Als die antike Kunst, wahrscheinlich in der praxitelischen Zeit,
nach immer wirksamem Ausdrucksweisen des Schönen suchte, gerieth
sie auf die Schöpfung des Hermaphroditen, wobei ihr ein schon
vorhandener Mythus entgegen kam. Es war aber bei dieser Aufgabe
kein rechtes Gedeihen. Man konnte den Dionysos der weichen Weib-
lichkeit, die Amazone der männlichen Heldengestalt sehr nähern und
dabei den strengsten Gesetzen der Schönheit in vollstem Mass genügen;
es fand dabei eine echte Durchdringung dessen statt, was am Manne
und was am Weibe schön dargestellt werden kann. Hier dagegen wer-
den auch die äusserlichen Kennzeichen der Geschlechter in Einer
Gestalt vereinigt, als ob die Schönheit in diesen läge und sich nun
doppelt mächtig aussprechen müsste. Man vergass dabei, dass alles
Monströse schon a priori die geniessende Stimmung zerstört, indem es
wenn auch nicht den Abscheu, so doch Unruhe und Neugier an deren
Stelle setzt; dass ferner das Schöne nur an bestimmten Charakteren
und nur im Verhältniss zu denselben vorhanden und denkbar ist und
bei willkürlichen Mischungen zerfliesst^). Es geschah nun zwar das
Mögliche, um über die Formen dieses Wesens den grössten sinnlichen
') Centauren, Tritonen, Seepferde etc. sind nicht monströs, nicht nur weil der mythische
Glaube die Evidenz ersetzt und die Spannung beseitigt — was sich auch beim Herm-
aphroditen behaupten liesse — sondern weil sie keinen Anspruch darauf machen, streng
organische Wesen zu sein. Sie sind symbolisch kühn gemischt, aber nicht aus wider-
sprechenden Charakteren in Eins geschmolzen.
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486
Antike Scolptar. Antinoas.
Reiz auszugiessen ; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her-
maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten
aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein
Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich-
nende Action von ihm wusste, so Hess die Kunst ihn am liebsten
schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes
einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta-
a tue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in
b den Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind;
die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso
c im Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr-
scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.)
Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der
vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, A n t i n o u s. Es handelte
sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr
130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und
zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten
sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche
Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und
Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund
zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses
und fast Grausames.
Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein
d in der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda
des Vaticans), giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent-
weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem
Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt
e ist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und
f als grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als
g Osiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht-
h volle Antinous als Bacchus im Museum des Laterans (ehemals im
Pal. B r a s c h i), eine der eieganlesten Colossalstatucn der spätem
i Zeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums
von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten.
Fremde Göttertypen.
487
Die schöne capitolinische Statue (Zimmer des sterbenden *
Fechters) führt wohl mit Unrecht den Namen des Antinous. Kopf und
Körper sind am ehesten die des Hermes oder eines Athleten, nur nicht
von so schlanker, eher gedrungener Form als gewöhnlich; von der
prachtvollen Üppigkeit des Antinous ist dieses Werk jedenfalls weit
entfernt 1). Der sog. Antinous des Vaticans (Belvedere) ist, wie oben
bemerkt, ein Hermes.
In den spätem Kaiserzeiten, als ein düsterer Aberglaube die Rö-
mer auf den Cultus des Fremden als solchen hintrieb, büssten meh-
rere Gottheiten ihre frühere schöne Kunstform ein. So zunächst Isis.
In einer colossalen Büste des Vaticans (Museo Chiaramonti) finden b
wir sie fast unkenntlich wieder, mit öden starren Zügen unter einem
schweren Schleier, der wieder an ihre altägyptische Kopftracht er-
innert, mit plumpem Schmuckbehäng auf der Brust.
Gespenstisch, maskenhaft und dabei ganz roh ist auch der Kopf
der ,, grossen Mutter" (Cybele) im untern Gang des Museo ca- c
pitolino gearbeitet. Der Cultus des III. Jahrhunderts bedurfte der
schönen Kunstform nicht mehr, mit welcher es übrigens auch an den
bessern Darstellungen der Cybele (eine auf dem Löwen reitende, in
Villa Pamfili bei Rom; eine kleine sitzende im Museum von Neapel, d
zweiter Gang) nie war genau genommen worden. (An dem schönen
Kopf gegenüber ist die Mauerkrone ganz willkürlich aufgesetzt; eine
Replik desselben, ohne allen Ansatz, im Musenzimmer der Villa Borg- e
hese.)
Nur um die Leidensgeschichte der spätem römischen Kunst zu
bezeichnen, mögen hier noch ein paar Missbildungen dieser Art ge-
nannt sein, wie z. B. der hundsköpfige Anubis in römischem Ober- f
kleid (Museum von Neapel, ägyptische Halle) ; die Äonen (vaticanische g
Bibliothek) ; die vielbrüstige ephesinische Diana (oberer Gang h
des Vaticans, und — gelb mit schwarzem Kopf und Extremitäten — im
') Eher hat es etwas von dem Ausdruck der Trauer, die sonst im Antinous, aber auch im Hermes
vorkömmt [Br.: Antinous als Adonis.]
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488
Antike Sculptur. Barbaren. Phryger. Sklaven.
a Museum von Neapel, Halle der farbigen Marmore, sowie — weissmar-
b morn mit schwarzen Zuthaten — im Kaffehaus der Villa Albani) etc.
In dreierlei Typen hat die antike Kunst den Fremden, den Bar-
baren personificirt und als stehendes Element der Darstellung ge-
braucht.
Der edelste dieser Typen ist der des Asiaten, speciel! des P h r y -
g e r s. Er unterscheidet sich in den altern Werken, wie z. B. den tro-
janischen Figuren der Äginetengruppen, nur durch die charakteristische
Tracht — Ärmelkleid, Hosen und phrygische Mütze — von den Ge-
stalten der classischen Welt. Später, als man mit allem Asiatischen
durchgehends den Begriff der Weichlichkeit verband, wurden die Är-
mel und Hosen weit und faltig und ein reichwallender Mantel kam
c hinzu. Dieser Art ist der sitzende Paris des V a t i c a n s (Galeria
delle statue), ein sehr glücklich gedachtes Werk, aber von unbedeu-
tender Ausführung. (Paris als Knabe, s. oben.) Auch für die asiati-
schen Gottheiten, die in den Kreis römischer Verehrung aufgenommen
wurden, nahm später die Kunst diesen längst fertigen Typus in An-
spruch, wie die häufigen Gruppen des Mithras auf dem Stier knieend
d (die beste freistehende im Vatican, Saal der Thiere, viele Reliefs überall)
e und einzelne Gestalten des Attys beweisen. (Diejenige der Offizien,
erster Gang, ist stark restaurirt und überarbeitet.)
Ganz anders verfuhr die Kunst mit (scythischen?) Sklaven,
welche meist in komisch-charakterisirender Absicht gebildet wurden,
als alte, stotternde, schlotterbeinige, dummpfiffige Individuen, wie sie
hie und da dem griechischen Hause zur Erheiterung dienen mochten.
Eine solche Figur ist z. B. der sog. Seneca im Louvre, ebenso der Sklave
i mit dem Badegefäss, im obern Gang des Vaticans. Auch einzelne gute
Köpfe kommen vor; man glaubt das Stammeln des fremden Knechtes
aus dem offenen Munde zu hören. — Possierliche Sklaven waren auch
g als kleine Bronzen ein beliebter Gegenstand; mehrere der Art z. B.
in den Uffizien (II. Zimmer d. Br., 6. Schrank),
Endlich bildeten Griechen und Römer ihre Feinde ab^ als Käm-
pfende und als Überwundene. Der Typus, von welchem die griechische
Kunst hiebei ausging, war nicht der des Persers, sondern der des
Barbaren. Kelten.
489
Kelten, dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und
Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man
über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen
von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die-
sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren-
typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier,
Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchen.
Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht
die Unfreiheit, also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer
Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie
weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich
geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen
Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung
des Kopfes und des nackten Körpers zeigen.
An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke: der
„sterbende Fechter" (im Museo capitolino, in dem nach ihm a
benannten Zimmer, und ,,der Barbar und sein Weib" im b
Hauptsaal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator
und nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.)
Beidemale sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen
aus berühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die
vollste Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen
den Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen,
und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un-
möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst-
ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung
durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden
zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr-
haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste
z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der
Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein-
druck — und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit
übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit widerfährt. —
Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt
einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich
ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und
Urcicerone.
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490
Antike Scolptur. Barbären. Kelten.
Überarbeitungen haben den keltischen Charakter doch keineswegs ver-
wischt. (Den rechten Arm wird man leichter tadeln als besser restau-
riren können; kläglich vermeisselt ist nur die Frau, zumal an der
Vorderseite, welche gegen die unberührten Theile, z. B. die Füsse, stark
absticht; leider geht uns dabei der einzige ganz sichere Typus einer
Barbarin theilweise verloren.) Von wunderbar ergreifender Art ist in
dieser Gruppe das Momentane, in der verzweifelten und gewaltigen
Geberde des Mannes und seiner Verbindung mit der bereits todt zu-
sammengesunkenen Frau; dem Geist der alten Kunst gemäss, sind
die Schrecken des Todes bei ihr nur angedeutet in den gebrochenen
Augen, in einem leisen Zuge des Mundes und in der unvergleichlich
sprechenden Stellung der Füsse.
Diese nämlichen Kelten sind dann auch in ihren Kämpfen mit
Griechen und Römern an einigen Sarcophagen abgebildet. Nicht
des eigenen Kunstwerthes halber, sondern weil sich darin vielleicht
ein Nachklang jener grossen Schlachtgruppen zu erkennen giebt, mögen
a hier die betreffenden Sarcophage in den untern Zimmern des capi-
b tolinischen Museums und der Vorhalle der Villa Borghese (andere
a. a. 0.) vorläufig genannt werden.
Als unmittelbare Reste einer guten römischen Nachahmung einer
c jener Gruppen darf man vier halblebensgrosse Statuen von Sinkenden
und Liegenden im Museum von Neapel (erster Gang) in Anspruch
nehmen: ein todter Barbar in Mütze und Hosen, mit Schild und krum-
mem Säbel; ein todter, nackter, griechischer Kämpfer; eine todte Bar-
barin als Amazone gebildet; und ein sterbend Sinkender, fast in der Stel-
lung des Fechters, nur umgekehrt; sämmtlich von trefflichster Erfin-
dung und befangener Ausführung. Wenn man noch die gegenüber-
stehenden Reiterstatuen desselben Massstabes (einen griechischen
Anführer und eine sterbend vom Pferde sinkende Barbarin oder Ama-
zone) hinzurechnen will, so ist auf die starken Restaurationen dieser
Beiden billige Rücksicht zu nehmen. Eher noch gehört zu jenen vieren
d ein halbknieender Kämpfer im obern Gang des Vaticans, trotz des
kleinern Massstabes.
Ausserdem lieferten die römischen Triumphbogen u. a. Siegcs-
denkmale eine Anzahl von Reliefs, Statuen und Köpfen gefangener
Barbaren. Wo sie bekleidet gebildet sind, tragen sie Mützen, Ärmel,
Barbaren. Kelten.
491
Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst
von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph-
bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par-
ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent
gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con- a
servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance
der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt
bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten
kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo im b
Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange,
schräg herabreichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der
halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns
sind hier höchst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige
Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase,
der Bart einem schmalen Knebelbart.
Als Besiegte Hessen sich die Barbaren trefflich zu tragenden
und stützenden Figuren brauchen, wie einst schon im grossen Tempel
von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen-
baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa
in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidarium c
der BädervonPompeji den Sims stützen. Dagegen sind in zwei
knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto) d
im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer
schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom
kunstüblichen Keltentypus dargestellt.
Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf
der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einer e
der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt
Achills begleiteten.
Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom-
menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren-
statuen, der Schleifer (l'arrotino) in der Tribuna der Uffizien zu f
Florenz, ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern-
der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden
Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für
einen scythischen Sklaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe-
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492
Antike Scalptur. Barbarinnen.
reitung zum Schinden des Marsyas. Die Gründe für die Modernität
lassen sich natürlich nur an Ort und Stelle vollständig entwickeln;
ich glaube aber behaupten zu dürfen, dass eine solche Behandlung
des Haares, ein solcher Kopfbau, ein solches Auge, endlich eine solche
Draperie in der alten Kunst schwer mit Parallelen zu belegen sein
werden. Das Linien-Motiv und im Ganzen auch die Behandlung ist
von einer Vortrefflichkeit, die man allerdings am liebsten den Alten
zutraut, wenn auch ersteres zur dargestellten Thätigkeit nicht voll-
kommen passt. Jedenfalls würde, höchstens Michelangelo ausgenom-
men, sich wohl kein Neuerer dazu melden dürfen i).
In Betreff der Barbaren fr au en wurde schon angedeutet, dass
ihre Darstellung im Ganzen dem Amazonentypus folgt. Diess gilt in
» beschränktem Sinne auch von der colossalen Statue in der Loggia
de' Lanzi zu Florenz, in welcher man neuerlich Thusnelda, die Ge^
mahlin des Arminius, zu erkennen glaubt; sie hat das Schlank-Gewal-
tige, auch die Bildung des Kopfes mit den Amazonen gemein, nur das
lange Untergewand unterscheidet sie. Herrlich ist der Ausdruck des
tiefen, aber gefassten Schmerzes in der plastisch unübertrefflichen
Stellung und in dem ruhigen Antlitz mit den aufgelösten Haaren und
den klagenden Augen niedergelegt; auch das vorzüglich schöne Ge-
wand zeigt, dass wir eine Statue der besten Zeit, wahrscheinlich von
dem Triumphbogen eines Fürsten des augusteischen Hauses vor uns
haben.
In allen italienischen Sammlungen wird man die Kinder statuen
in einem sehr starken Verhältniss vertreten finden; es sind ihrer im
Ganzen wohl mehrere Hunderte. In den antiken Häusern und Gärten
müssen sie eine der beliebtesten Zierden gewesen sein und man darf
sich Nischen, Brunnen, Lauben oft vorzugsweise durch sie belebt und
motivirt denken. Von den neuern Kinderstatuen unterscheiden sie
sich sämmtlich durch die Abwesenheit alles Träumerischen und Sen-
>) Der gelehrte Gori sah vor mehr als einem Jahrhundert im Besitz eines Bildhauers zu
Florenz ein kleines Thonexemplar des Arrotino, von Michelangelo, „der darin die
Fehler des Originals glücklich verbessert hatte". Mus. florent. III, p. 95.
Kinderstatnen.
493
timentalen, was die jetzige Sculptur so gerne in das kindliche Wesen
hineinträgt; sie geben durchweg das DrolHge, Schalkische, Lustige,
auch wohl das Zänkische und Diebische, vor Allem aber diejenige
derbe Gesundheit und Kraft, welche ein Hauptattribut des Kindes
sein sollte. Oft und mit Vorliebe ist z. B. Herrschaft und Sieg des
Knäbchens über kleinere Thiere dargestellt. — Die Arbeit erhebt sich
nur ausnahmsweise über das Decorative, den Gedanken aber wird
man meistens frisch und trefflich nennen dürfen. Die grösste Menge
von Kinderfiguren findet sich zu Rom beisammen im Museo Chiara-
monti und im obern Gange des Vaticans; mehrere treffliche im Mu-
seo capitolino und in der Villa Borghese; eine Anzahl geringer im
Palazzo Spada u. a. a. O.; ausserdem ergiebt das Museum von Neapel
einzelnes Wichtige, die Uffizien in Florenz fast nur Geringes. (Einige
gute kleine Bronzen daselbst, H. Zimmer der Bronzen, 2. und 6. *
Schrank.) Zwei gute Köpfchen im Museo zu Parma. b
Zunächst sind es einige göttliche Wesen, welche sich die
Phantasie gerne in ihrer frühen Jugend vorstellte. Die Kunst hütete
sich wohl, etwa durch absichtliche Vergeistigung den künftigen Gott
anzudeuten; sie gab nur ein Kind, mit äussern Andeutungen in Tracht
und Attributen. So der öfter vorkommende kleine Hermes (Vatican, c
Mus. Chiar. und oberer Gang); auch wohl der kleine Bacchus, wenn
man von den vielen Kindern mit Trauben (ebenda) eins oder das an-
dere auf ihn deuten darf. Sehr häufig sind die Heraklisken, von
zweierlei Art: entweder wirkliche Momente aus der Jugend des He-
rakles, wie das Schlangenwürgen (in einem zweifelhaften Marmorwerk d
der Uffizien, Halle des Hermaphroditen, nach welchem das eherne
Exemplar im Museum von Neapel, Abtheilung der grossen Bronzen, e
jedenfalls nur moderne Copie ist); oder komische Übertragungen des
ausgewachsenen Heros mit Keule und Löwenhaut in die kindliche
Gestalt — bisweilen schwer zu unterscheiden von blossen Kindern,
die mit den genannten Attributen ihr Spiel treiben. In der Villa Borg- i
hese (Zimmer des Herakles) zwei dergleichen, einer ruhend, der an-
dere mit der Keule drohend; ein dritter sogar als Herme; mehrere in
den genannten Räumen des Vaticans; einer, zwar als Kind, aber co- g
lossal vergrössert, im grossen Saal des Museo capitolino, ein höchst h
widerlich-komisches Werk von Basalt. — Sodann werden mehrere gött-
494
Antike Scnlptar. Kinderstatnen.
liehe Wesen überhaupt nur in Knabengestalt gedacht, wie der kleine
Genesungsgott Telesphorus, der aus seinem Mäntelchen mit Ka-
a puze oft so schalkhaft vergnüglich herausschaut. (Vatican, in den
b genannten Räumen; Villa Borghese, Zimmer der Musen); — ferner
Harpocrates, aus dem am Finger lullenden Isiskind zum schön
jugendlichen Gott des Schweigens umgedeutet (in der vielleicht nur
c sieben bis achtjährig gedachten, aber in grösserm Massstab ausge-
führten Statue des Museo capitolino, grosser Saal; ein für die hadria-
nische Kunstepoche bezeichnendes Werk, effectreich, aber schon mit
d etwas leeren Formen). — Sehr artig ist der kleine Phrygier mit Tam-
burin und Hirtenstab, den man als Atys oder als Paris im Kindes-
alter erklären kann. (Mus, Chiaram.) — An Kunstwerth übertrifft wohl
e sämmtliche vorhandene Kinderstatuen der Torso der Villa Borghese
(Zimmer des Hermaphroditen), welchen man des Gefässes wegen als
wasserholenden H y 1 a s erklärt, ein überaus schön und lebendig ge-
arbeitetes Körperchen.
Unter dem grossen Vorrath der Übrigen geben sich manche, und
zwar meist die spätem und schlechtem, durch ihre Flügel als Genien
und Eroten zu erkennen. Für die Sculptur macht dieser Unterschied
von den blossen Genrefiguren nicht viel aus; wohl aber für die Malerei,
welche ihre Genien darf schweben lassen und von dieser Befugniss
in Pompeji den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hat. Zum Theil
noch aus guter Zeit stammen eine Anzahl Reliefs, welche die Be-
schäftigungen Erwachsener auf geflügelte Kinder übertragen; Jagden,
Circusspiele, Weinlesen, Wettrennen dieser Art kommen häufig vor;
f im Museo Chiaramonti trifft man z. B. einen Fries, welcher eine Jagd
von Genien gegen Panther und Böcke darstellt. (Eines schönen Re-
g liefs im Chor von S. Vitale in Ravenna kann ich mich nicht mehr
genau erinnern.)
Die bessern Kinder sind fast durchgängig die nichtgeflügelten.
Es liegt ein Schatz von harmloser und drolliger Naivität in diesen
zum Theil oft wiederholten Motiven. Kinder mit Früchten sind theils
im ruhigen Bewusstsein des bevorstehenden Genusses, theils als eilige
h Diebe dargestellt (Mus. Chiar. und oberer Gang des Vaticans) ; als
Brunnenstatuen dienten vorzugsweise kleine Amphorenträger (oberer
Gang ebenda), Knaben mit Delphinen, auch Satyrkinder mit Schlau-
Kinderstatnen.
495
chen, Krügen u. s. \v. (Museum von Neapel, grosse Bronzen.) Anderes a
ist Travestie des Treibens der Erwachsenen, so die kleinen Ringkämpfer,
Fackelläufer, Trophäenträger (Mus. Chiar. und oberer Gang des b
Vaticans); vorzüglich lustig ist das Spiel der Kinder mit tragischen
Masken dargestellt, z. B. in dem kleinen Jungen, welcher den Arm
durch den Mund der Maske steckt (Villa Albani, Kaffehaus), und c
vollendet trefflich in einem Knaben des Museo capitolino (Zim- d
mer des Fauns), welcher das unbequeme Ding anprobiren will und es
einstweilen quer über den Kopf sitzen hat. Das Verhältniss zu den
Thieren ist theils das des frohen Besitzes (der Knabe mit den Vögeln e
im Schürzchen, Mus. Chiaram.; die Knaben mit Enten, Hähnen, Haus- f
schlangen u. s. w., oberer Gang des Vaticans, obere Galerie des Museo g
capitoHno; Villa Borghese, Zimmer der Musen und des Hermaphro- h
diten; Uffizien, Halle des Hermaphroditen), theils das des Schutzes, i
wie z. B. in dem zierlichen Mädchen des Museo capitolino (Zimmer k
des sterbenden Fechters), welches ihr Vögelchen vor einem Thier
schützt (der rechte Arm und die Schlange restaurirt) ; theils aber das der
siegreichen Bändigung, wie z. B. in dem bewundernswerthen Knaben!
mit der Gans (Museo capitolino, Zimmer des Fauns) ; auch wohl
das der muthwilligen Quälerei, wie z. B. in dem Knaben, der einer m
Gans die Hände vor den Hals hält und ihr auf den Rücken knieet
(Museum von Neapel, Halle des Adonis, stark restaurirt). Sonst
wurden auch wohl weinende und lachende Kinder als Gegenstücke
gefertigt; in den genannten Sammlungen dergleichen von geringer Ar-
beit. Einzig in seiner Art und mit drollig absichtlicher Hervorhebung
eines bestimmten Typus: der (weissmarmorne) Mohrenknabe als Bade- n
diener, oberer Gang des Vaticans. — Es versteht sich, dass auch
Kinderporträts vorkommen, niedlich in kleiner Toga drapirt, oft mit
dem runden Amulet, der Bulla, auf der Brust. Eine artige Basalt- o
figur dieser Gattung in den Uffizien (Halle der Inschriften).
Das vorausgesetzte Alter der Kinderstatuen ist in der Regel das
dritte bis fünfte Jahr und überschreitet nur selten das siebente oder
achte Jahr. Von altern bekleideten Mädchen ist die graziöse Knö-
chelspielerin ein Beispiel, von der ich in den italienischen Samm-
lungen kein Exemplar kenne. Die Darstellung des Nackten wich dem
Zeitraum zwischen dem Kindesalter und dem ausgebildeten Knabenalter
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496
Antike Scalptor. Rinder. Statuetten.
gerne aus; sie scheute die harten, magern, unreifen Formen und die
unsichere Haltung; den Wiederbeginn ihres Gestaltenkreises bezeich-
net sie glorreich durch den praxitelischen Eros.
Vielleicht gehört aber doch eine der berühmtesten Statuen in diese
a Zwischenzeit: der Dornauszieher. (Bronzenes Hauptexemplar
im Pal. de' Conservatori auf dem Capitol, Eckzimmer; Wiederholungen
b in den Uffizien zu Florenz, Verbindungsgang, u. a. a. 0.) Hier stehen
allerdings die knabenhaften Arme und Beine in einem Widerspruch
mit dem ausgebildeten Rücken, so dass man versucht ist eine indi-
viduelle Bildung anzunehmen, welche diese Contraste wirklich ver-
einigte. Wie dem auch sei, die Einfachheit des Motives, das span-
nende Interesse, welche es doch zugleich erregt, und die Schönheit
der Hauptlinien, von welcher Seite man das Werk betrachte, geben
dem Ganzen einen Werth, der über die Einzelausführung weit hinaus-
geht.
c In demselben Lebensalter ist etwa auch der bronzene Opfer-
k n a b e dargestellt, welcher sich im capitolinischen Museum (Zimmer
der Vase) befindet; ein edler Typus, leicht und anständig in der Stel-
lung, die Arbeit eher flüchtig als genau.
Die Begeisterung für die Sculptur war im Alterthum so allge-
mein verbreitet, dass wer es irgend vermochte, wenigstens kleine Sta-
tuetten von Erz, Thon oder Marmor erwarb. Manches dieser Art
diente wohl als Hausgottheit, und in mehr als einem Gebäude zu
Pompeji sieht man noch die kleinen Nischen von Mosaik oder Stucco,
welche zur Aufnahme solcher Figuren dienten; das Meiste aber war
d gewiss nur als Gegenstand des künstlerischen Genusses im Hause auf-
gestellt. Wie harmlos mögen sich in dem kleinen Hof der Casa della
Ballerina zu Pompeji die marmornen Thierchen und Statuetten aus-
genommen haben, als der Brunnen noch floss und die Laube darüber
noch grünte!
Weit die erste Stelle nehmen eine Anzahl Bronzefigürchen
griechischer Kunst ein, die nur leidei gar zu selten ihren V/eg in die
öffentlichen Sammlungen finden, vielmehr insgeheim nach dem Aus-
c lande gehen. Die einzige grosse Sammlung, im Museum von Neapel
Stataetten.
497
(kleine Bronzen, besonders das dritte Zimmer) enthält doch nur We- a
niges von erstem Werthe, wie die Pallas, den behelmten Jüngling,
mehrere tanzende Satyrn, das verhüllte Weibchen etc., zwischen zahl-
reichen römischen Arbeiten. Auch bei den Terracotten desselben b
Museums (fünftes Zimmer der Terracotten) scheint das Beste zu fehlen.
(Die Krugträgerin und die verhüllte Tänzerin — beide von erstem
Range — wird man in Italien nur in Abgüssen vorfinden.) — Die flo-
rentinische Sammlung (Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen) enthält c
manches Vorzügliche, zugleich in etwas günstigerer Aufstellung. —
Es würde uns sehr weit führen, wenn wir näher auf den Styl dieser
kleinen Meisterwerke und seine Bedingungen eingehen wollten; viel-
leicht wendet sich ihnen die Vorliebe des Beschauers sehr rasch zu,
und in diesem Falle wird er erkennen, wie die Kunst auch in diesem
bisweilen winzigen Massstab kein einziges ihrer hohen, bleibenden
Gesetze aufgab. Die kleinsten Figürchen sind plastisch untadelhaft
gedacht; das Nette und Zierliche der Erscheinung diente nicht zum
Deckmantel für lahme Formen und Linien. Man fühlt es durch, dass
nicht ein Decorator den Künstler spielt, sondern dass eine Kunst, die
des Grössten fähig ist, sich zu ihrem eigenen Ergötzen im Kleinen
ergeht. (Es ist natürlich von den bessern und altern die Rede, denn
die römischen sind zum Theil allerdings lahme Fabrikarbeit.)
In den römischen Sammlungen findet sich eine bedeutende An-
zahl marmorner Statuetten, welche trotz der meist nur mittel-
guten Arbeit doch ein eigenthümliches Interesse haben. Sie sind näm-
lich wohl fast durchgängig (und selbst wo man es nicht direct beweisen
kann) kleine Wiederholungen grosser Statuen und dienen somit zum
unfehlbaren Beleg für die Werthschätzung, in welcher die grossen Ori-
ginale standen. Ausserdem beachte man die Einfachheit der Arbeit,
welche mit dem Geleckten und Auspolirten moderner Alabastercopien
in offenem Gegensatze steht. Offenbar verlangte man im Alterthum von
dem Copisten nur, dass er das Motiv des Ganzen mit massigen Mit-
teln wiedergebe; das Übrige ergänzte die Phantasie und das Gedächt- d
niss. (Hauptstellen: das Museo Chiaramonti und der obere Gang e
des Vaticans, sowie die hintern Räume der Villa Borghese. Manches i
auch im Dogenpalast zu Venedig, Camera a letto.)
49«
Antike Scnlptor. Gruppen.
Für die höchste und schwierigste Aufgabe der Sculptui, für die
Bildung freistehender Gruppen, hat das Alterthum uns wenigstens
eine Anzahl von mehr oder weniger erhaltenen Beispielen hin:erlassen,
in welchen die ewigen Gesetze dieser Gattung abgeschlosser. vor uns
liegen, obwohl es nur arme, einzelne Reste von einem Gruppenreich-
thum sind, von welchem sich die jetzige Welt keinen Begriff macht.
Unter jenen Gesetzen sind einige, die auf den ersten Blick einleuch-
ten: der schöne Contrast der vereinigten Gestalten in Stellung, Kör-
peraxe, Handlung u. s. w.; die wohlthuenden Schneidur.gen und
Deckungen; die Deutlichkeit der Action für die Ansicht vor. mehrern
oder allen Seiten etc. etc. Schwer aber (und nur dem Bildhauer selbst
möglich) ist das Nachfühlen und Nachweisen des Gesetzmässigen in
allem Einzelnen, Wir begnügen uns daher, nur flüchtig auf dtn Kunst-
gehalt der in Italien vorhandenen antiken Gruppen hinzudeuten, und
beginnen mit dem Einfachsten (obwohl die Kunst vielleicht tmgekehrt
mit dem quantitativ Reichsten, den Giebelgruppen der Ternpel, mag
begonnen haben).
Zum Einfachschönsten gehören einige Werke, welche zwei Ge-
stalten in ganz ruhiger geistiger Gemeinschaft darstellen. Das Ausge-
zeichnetste in dieser Art, die sog. Gruppe von San Ildefonso
(die Genien des Schlafes und des Todes, nach der üblichsten Erklä-
rung, traulich aneinander gelehnt), befindet sich jetzt in Madrid; ein
a Abguss u. a. in der Academie de France zu Rom.
b Ein ähnlicher schöner Sinn lebt in einer nur mittelmässig gear-
beiteten Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang), welche
Orest und Elektra darstellt; sie stützt den linken Arm in die Hüfte
und legt ihm den rechten über die Schulter; er lässt den rechten Arm
hängen und gesticulirt mit dem linken. Contrast und Verbindung des
nackten und des bekleideten Körpers sind hier von schönster Erfin-
dung, der Ausdruck des trauten Verkehres vortrefflich mit wenigen
Mitteln wiedergegeben.
Wie hier Bruder und Schwester, so sind in einem berühmten
c Werke der Villa Ludovisi zu Rom (Hauptsaal) Mutter und Sohn, in
einem erregtem Moment, vielleicht des Abschiedes oder des Wieder-
Gruppen des schlichten Verkehrs; der Liehe.
499
Sehens, dargestellt. Die gewöhnliche Bezeichnung, ebenfalls auf Orcst
und Elektra lautend, ist der ungleichen Grösse wegen jedenfalls un-
statthaft, während den Namen Penelope und Telemach nichts
ernstlich widersprechen würde i). Die Mutter ist die ungleich bessere
Figur, nicht bloss durch den reinem Ausdruck gemüthlicher Hin-
gebung, sondern auch in Beziehung auf die Arbeit; ihr Gewand er-
scheint in der Erfindung wie ein Prachtstück der spätem griechischen
Kunst. Der Name des Bildhauers, am Unterkleid, lautet: Menelaos,
Schüler des Stephanos.
Ein höheres und ein untergeordnetes göttliches Wesen, das eine
träumerisch versunken, das andere stützend und mit schalkhaftem
Ausdruck zur Bewegung auffordernd, sind in den Gruppen des Bac-
chus und Ampelos zusammengestellt (S. 471, 472). Nur weicht
gerade das beste Exemplar beträchtlich von der Anordnung der übrigen
ab und lässt doch zugleich bei seinem trümmerhaften Zustande kein ge-
naueres Urtheil zu.
(M!*t Lehrer und Zögling, allerdings von eigener Art, finden sich ver-
bunden in den schon (S. 481) genannten Gruppen des Fan und des
jungen Satyrs 0 1 y m p o s , welcher Unterricht im Spiel der Syrinx
erhält. — Die ebenfalls erwähnte kleine vaticanische Gruppe des Fan,
welcher einem Satyr einen Dorn aus dem Fusse zieht, lässt wie diese
ein gutos, nicht mehr vorhandenes Urbild bedauern.
Von Liebespaaren sind fast nur Amor und Psyche (S, 469)
mit der Absicht auf vollen Ausdruck tieferer Innigkeit gearbeitet worden,
oder anderes der Art ist uns verloren gegangen. Gegenstände dieser
Art lagen der antiken Kunst bei weitem nicht so nahe als der jetzi-
gen; auch sind ,,Amor und Psyche" eine ihrer späteren Schöpfungen.
Mit grosser Meisterschaft bildete sie dagegen Vereinigungen von
mehr sinnlicher Art, dergleichen in italienischen Sammlungen nicht
leicht ans Tageslicht gestellt werden. Den Triton, welcher eine Ne-
reide entführt, haben wir bereits an seiner Stelle erwähnt (S. 484, b).
In der Gruppe „M ars und Venus" wozu meist noch ein
') Die frühere Deutung „Papirius und seine Mutter, die ihm das Senatsgeheimniss abfragen
will" — ging wohl gar nicht so weit am rechten Ziel vorbei. Nur wäre die Verewigung
solch eines historischen römischen Einzelfactums ohne Beispiel in der alten Kunst.
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500
Antike Sculptar, Gruppen. Die Grazien.
kleiner Amorin kömmt (grosses Exemplar im grossen Saal des Musco
a capitolino, S. 429, d, kleine im Museo Chiaramonti des Vaticans und im
b Tyrtäuszimmer der Villa Borghese), ist das Verhältniss der Liebenden
ein ungleiches; die Göttin sucht den Schmollenden oder zum Gang in
die Schlacht Gerüsteten bei sich festzuhalten. Die Gruppe scheint nicht
selten zu Porträtbildungen degradirt worden zu sein und ist überhaupt
nur in geringer Ausführung vorhanden. — Herakles und Omphale,
offenbar ein später Einfall, sind in der schon erwähnten (S. 424, e)
Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang) diesem an sich guten
Motiv nachgebildet,
c Hermes mit der Nymphe H e r s e , im grossen Saal des Pal.
Farnese zu Rom, bis ins Unkenntliche restaurirt. — Diess gilt noch
von einer Anzahl durchschnittlich sehr gering gearbeiteter Liebespaare
in verschiedenen Sammlungen. Bisweilen haben die Restauratoren
sogar Figuren zu Gruppen vereinigt, welche gar nicht zusammen-
gehörten.
d In der Libreria des Domes von Siena steht die stark verstüm-
melte, vielleicht ziemlich späte Gruppe der drei sich leicht umarmt
haltenden Grazien, offenbar nach einem herrlichen Original; in den
Contrasten und in der Schneidung der Linien ist noch das Nachbild
von grossem Reize i). Rafael wurde durch dieses Werk zu einem
bekannten Bilde angeregt, welches sich jetzt in England befindet; mit
grossem Rechte wandte er als Maler die mittlere Figur, die in der
Gruppe vom Rücken gesehen wird, um und zeigte alle drei von vorn;
mit grossem Unrecht folgte ihm Canova als Bildhauer hierin nach
und brachte eine gegensatzlose Gruppe hervor, welche einz:ig auf
die Vorderansicht berechnet ist. (Galerie Leuchtenberg.)
Von Gruppen desKampfes ist in den italienischen Samm-
e lungen eine der bedeutendsten vorhanden: die beiden Ringkämpfer
in der Tribuna der Uffizien zu F 1 o r e n z. Stark überarbeitet und von
verschiedenen Händen restaurirt, wie wir das Werk jetzt vor uns
sehen, lässt es nur noch ahnen, dass der Moment mit höchster künst-
lerischer Berechnung aus der grossen Zahl möglicher Momente ge-
wählt war von einem Bildhauer, dei alle Geheimnisse der Rin,gschulc
1) Der Gegenstand kommt auch als Relief und als pompejanisches Gemälde vor.
Gruppen des Kampfes. Ajax und Patroclas.
501
kennen musste. Noch ist der Unterliegende nicht hoffnungslos; der
Beschauer wartet gespannt auf den Ausgang. Die beiden verschlunge-
nen Körper sind für die Ansicht von allen Seiten deutlich ent-
wickelt.
Von der Gruppe „H erakles und der Centaur Nessu s", a
im ersten Gange ebenda, ist die ganze erstere Figur neu und auch
von der letzteren einTheil. — Von einer viel wichtigern florentinischen
Gruppe, Herakles und Antäus (im Hofe des Palazzo Pitti) ist b
fast die Hälfte von Michelangelo (?) restaurirt und die alten Theile
zeigen eine stark verwitterte Oberfläche; in seinem Urzustand war
das Werk vorzüglich, wenn die (immerhin nur römische) Ausführung
einigermassen der Composition entsprach; Herakles hat seinen Gegner
von der Erde aufgehoben und erdrückt ihn in der Luft, während An-
täus vergebens die Hände des Helden von seinem Leibe wegzureissen
strebt; ein Gestus, welcher vielleicht in der Ringschule nicht selten
vorkam und in verschiedenen Gestalten dargestellt wurde (z. B. in
zwei Amorinen, Uffizien, Verbindungsgang), hier aber in ausgezeich- c
net schöner und energischer Weise durchgeführt war. Die einseitige
Bewunderung dieser Gruppe hat im XVI. Jahrhundert auf Bandinelli,
Giov. di Bologna und ihre Mitstrebenden einen grossen Einfluss ge-
habt. (Eine kleine Bronze, Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen, d
dritter Schrank, stellt dieselbe Gruppe mit einer zuschauenden Pallas
vermehrt dar.) Vgl. S. 425, a.
Scenen nachdem Kampfe, vielleicht als Episoden grösserer
Giebelgruppen zu betrachten, sind die beiden berühmten Werke: der
Barbar und sein Weib, in der Villa Ludovisi zu Rom (wovon S. 489, b
die Rede war) und die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam
des Patroclus. Letztere muss ein hochbewundertes Werk aus der
Zeit des Phidias zum Original gehabt haben, welches vielfach nach-
gebildet wurde. Vier Exemplare davon sind stückweise erhalten:
i) der sog. Pasquino, an einer Ecke von Pal. Braschi zu Rom, bei e
aller Verstümmelung von so einfach grandioser Arbeit, dass neuere
Kenner ihn in die Zeit des Phidias selbst versetzen, nachdem schon
Bernini ihn für die bestgearbeitete Antike in Rom erklärt hatte.
2) Der gewaltig leidenschaftliche Kopf des Ajax und die Schulter
sowie die (vorzüglich gearbeiteten) nachschleppenden Beine des Pa- i
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502
Antike Scalptnr. Gruppen. Laocoon.
a troclus, im Vatican (Büstenzimmer). 3) Die vollständigste Gruppe in
einem Hof des Pal. Pitti in Florenz (links von dem grossen Hofe),
vielleicht noch griechische Arbeit; am Kopf des Ajax nur der Helm
zum Theil neu, am Patroclus der Oberleib beinahe mit den ganzen
Armen, ausserdem die sämmtlichen untern Thcile nebst Basis und
b Tronco. 4) Das Exemplar in der Loggia de' Lanzi zu Florenz, ge-
ringer und eben so stark restaurirt^). — Die Aufgabe war eine der
erhabensten: der vorzugsweis stürmisch gedachte unter den Heer-
führern vor Ilion, mitten im Kampf, und doch der Gegenwehr ent-
sagend, um einen Sterbenden zu retten; ein Motiv gewaltiger leiblicher
Anstrengung und grosser geistiger Spannung zugleich; — als pyra-
midale Gruppe eng beisammen und doch auf das Klarste auseinander-
gehalten und durch die schönsten Contraste belebt.
Doch es sollten noch höhere Aufgaben gestellt und gelöst werden.
c Die Gruppe des Laocoon im Belvedere des Vaticans ist
durch die grössten Geister unserer Nation beschrieben und mit einer
Tiefe gedeutet worden wie vielleicht kein anderes Kunstwerk der
Welt. Der Gegenstand ist allbekannt, ebenso die Namen der Künst-
ler, Agesander, Polydorus und Athenodorus von Rhodus; dagegen
schwankt die Zeitbestimmung noch immer zwischen dem lll. Jahr-
hundert V. Chr. und der Zeit des Titus, in dessen Thermen (1506)
das Werk gefunden wurde. Restaurirt ist der rechte Arm des Lao-
coon, die rechte Hand und das rechte Bein des altern Sohnes, der
rechte Arm des Jüngern Sohnes, das Meiste an der einen (obern)
Schlange, nebst mehrern Enden der sonst erhaltenen Extremitäten.
Manche Stellen zeugen von der Wirksamkeit moderner Schabeisen.
Wir haben das Werk nicht zu erklären, sondern nur davon zu
reden, wie der Einzelne es sich am ehesten geistig zu eigen machen
könne. Das Erste, worüber man genau ins Klare kommen muss, ist
der Moment, dessen Wahl und Bezeichnung an sich schon ihres Gleichen
nicht mehr hat. Man wird finden, dass derselbe aus einem unver-
gleichlichen Zusammenwirken einer Anzahl Momente verschiedenen
Grades besteht. In und mit diesen entwickeln sich die Charaktere
zu einem Ausdruck, welcher in dem Kopfe des Vaters seinen höchsten
• ') Ajax allein, fast in derselben Haltung, in einer Bronze des Museo zu Parma.
Laocoon. Toro Farnese.
503
Gipfelpunkt erreicht. Bei weiterer Betrachtung wird man inne wer-
den, wie die dramatischen Gegensätze zugleich die schönsten plasti-
schen Gegensätze sind, und wie die Ungleichheit der beiden Söhne
an Alter, Grösse und Vertheidigungskraft ausgeglichen wird durch
jene furchtbare Diagonale, welche in der Gestalt Laocoons sich aus-
drückt; die Gruppe erscheint schon als Gruppe absolut vollkommen,
obschon sie nur für die Vorderansicht bestimmt ist. Das Einzelne
der Durchführung ist dann noch der Gegenstand langen Forschens
und stets neuer Bewunderung. Sobald man sich Rechenschaft zu
geben anfängt über das Warum? aller einzelnen Motive, über den
Mischungsgrad des leiblichen und des geistigen Leidens, so eröffnen
sich, ich möchte sagen, Abgründe künstlerischer Weisheit. Das Höchste
aber ist das Ankämpfen gegen den Schmerz, welches Winckelmann
zuerst erkannt und zur Anerkennung gebracht hat. Die Mässigung im
Jammer hat keinen bloss ästhetischen, sondern einen sittlichen Grund.
Die figurenreichste Freigruppe der alten Kunst ist endlich die
des farnesischen Stieres in der danach benannten Halle des
Museums von Neapel; ein Werk des ApoUonius und Tauriscus von
Tralles, welche vielleicht der rhodischen Schule des JH. oder H. Jahr-
hunderts V. Chr. angehörten. So wie sie jetzt vor uns steht, ist sie
dergestalt mit antiken und modernen Restaurationen versehen, dass
man nicht einmal für die wesentlichsten Umrisse eine sichere Bürg-
schaft hat. Der Moment wäre nach dem jetzigen Zustande der, dass
das vom Haar der Dirce ausgehende Seil dem wilden Stier schon um
das rechte Hörn geschlungen ist und ihm erst um das linke ge-
schlungen werden soll, wesshalb die beiden Jünglinge (Zethus und
Amphion) das Thier an der Stirn und an der Schnauze festhalten;
die von hinten zuschauende Antiope soll (wenn man aus dem Schwei-
gen des Plinius urtheilen darf) eine spätere, römische Zuthat sein, in
welchem Fall die ganze Basis umgearbeitet sein müsste.
Von dem ursprünglichen Detail sind die erhaltenen Stücke der
beiden Brüder von sehr tüchtiger lebensvoller Arbeit; die untere Hälfte
der Dirce mit der herabgesunkenen, grossartig geworfenen Gewandung
würde den besten griechischen Resten ähnlicher Art kaum nachstehen.
Auch beim jetzigen Zustande wird man die Sonderung der Figuren,
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5Ö4
Antike Scalptor. Gruppen.
die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens,
die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Hihe min-
destens geschickt und glücklich nennen müssen.
Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn.
Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der höien Dirce
rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus den Kunst-
werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Dese wird
uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichihum von
Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen
hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour-
arbeit missbrauchen konnte.
Den Beschluss würde die weltberühmte Gruppe der Niobe
machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vonandenen
Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre.
Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apo.lo Sosia-
nus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang
der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der
Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern
dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahre 1583 fand man in der Villa
Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Laterar wirklich
eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche
a später nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen
im Niobe- Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht
nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche
man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern
auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte
und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe
einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be-
b merkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd
c in der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden
wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe
und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils
mit vVahischeiiilichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind:
d Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und
Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht
Niobe.
505
auch hieher; — Galeria delle Statue: eine niedersinkende Tochter, a
nebst dem Knie eines Bruders, auf das sie sich stützt (auch als Ce-
phalus und Procris bezeichnet); — oberer Gang: ein fliehender Sohn, b
Mu.seo capitolino: obere Galerie: ein fallender und ein knieender c
Sohn, auch zwei Töchter, wovon die eine als Psyche i) umgebildet
ist; ein colossaler Kopf der Mutter, nebst einem oder zwei andern
Köpfea dieses Typus; — grosser Saal: die Statue eines alten Weibes, d
welche man für die Amme der Töchter ausgiebt,
Museum von Neapel: Halle des Tiberius: vielleicht ist eine stehende, e
ganz bekleidete Statue eine Niobide.
Ausserhalb Italiens ist der sog. Ilioneus in der Münchner Glypto-
thek nach allgemeiner Ansicht ein Niobide und zwar gemäss der Vor-
trefflichkeit der Arbeit (die alle florentinischen etc. Figuren weit über-
trifft) vielleicht ein echter Bestandtheil der Originalgruppe.
Andere Statuen, welche theils Niobiden gewesen sind, theils durch
die Restauratoren dazu gemacht wurden, könnten wir nicht ohne
Weitschweifigkeit und Unsicherheit besprechen.
Wie man sich nun diesen Vorrath als Ganzes zu denken habe,
darüber gehen die Ansichten dergestalt auseinander, dass nicht einmal
durchgängig die Giebelgruppe eines Tempels darin anerkannt wixd,
während Manche aus nicht zu verachtenden Gründen den Vorrath in
zwei Giebelgruppen vertheilen. In diesem Fall bestände der Mittel-
punkt in der einen aus der Mutter, in der andern aus dem Pädagogen ;
jene würde die Töchter, diese die Söhne enthalten haben.
Das echte alte griechische Meisterwerk wird man sich nie mehr
genau vergegenwärtigen können. Schon die alten römischen Wieder-
holer sind zu willkürlich damit umgegangen und haben daneben auch
einzelne Motive z. B. als Musen, als Psychen benützt. Eine Wieder-
holung des Ganzen war so kostspielig, dass mehr als ein Besteller sich
vielleicht mit einer Art von Excerpt begnügte; wer ein paar Statuen
hatte, Hess sich vielleicht die fehlenden hinzuarbeiten, so gut er sie
um billigen Preis haben konnte. Gewiss sind auch einzelne Figuren
und Köpfe um der Schönheit des Motives willen besonders ausgeführt
worden.
1) Eine gegeisselte Psyche. [Br.J
Urcicerone.
33
5o6
Antike Scnlptar. Gnippen.
Solange man genöthigt ist, die florentinischen Exemplare zu Grunde
zu legen, wird man das Ganze nie in e i n e r Giebelgruppe vereinigen
können. Das Dasein und der grosse Massstab des Pädagogen macht
diess unmöglich. Ich glaube, dass er für dieses oder ein ähnliches
Exemplar von einem römischen Wiederholer, der swei Gruppen aus
dem Ganzen machte, geschaffen worden ist, man brauchte eine grosse
Figur als Mittelpunkt für die Söhne, und in dieser zweiten Redaction
wurde dann das Werk weiter wiederholt. Das abscheuliche alte Weib
in der capitoHnischen Sammlung, das man als Amme mit den Niobiden
in Verbindung bringt, kommt allerdings an den Sarcophagen, z, B.
a demjenigen im Dogenpalast zu Venedig, wieder vor, und mag in der
That an irgend einem andern, wieder anders angeordneten Exemplar
der Gruppe als Gegenstück des Pädagogen gedient haben. In dem
florentinischen Exemplar fände sie schon des kleinen Massstabes we-
gen kaum eine Stelle. Ob die beiden fraglichen Gruppen als Giebel-
gruppen eines Tempels dienten, bleibt höchst ungewiss; sie konnten
auf irgend eine Weise im Freien arrangirt sein, und für diesen Fall
erinnere man sich wieder an das dabei gefundene Pferd i) und an die
beiden Ringer. Letztere (s. oben) sind wohl sicher keine Niobiden
gewesen, allein man wusste im Alterthum, dass auch zwei Söhne der
Niobe im Act des Ringens abgebildet worden waren, und der Er-
werber oder Besitzer des (jetzt florentinischen) Vorrathes stellte zu
seinen Niobesöhnen auch die beste Ringergruppe, die er besass oder
bekommen konnte. Wer den Pädagogen hinzuthat, der war auch
weitern Ergänzungen gewiss nicht abgeneigt.
Daran aber wird man kaum zweifeln dürfen, dass das alte Ori-
ginal die Giebelgruppe eines Tempels bildete, und zwar eine einzige.
Man beachte die ausschliessliche Berechnung der meisten Statuen auf
den Anblick von vorn.
Unter den florentinischen Figuren mögen den Urbildern am näch-
sten stehen: die grösste Tochter; die Mutter mit der jüngsten Tochter;
der jüngste Sohn; der bergan flüchtende Sohn (mit dem Fusse vor
dem Felsstück); der rettende Sohn mit dem Gewand über dem Haupt
1) An dem venezianischen Sarcophag sind drei Söhne re.tend und einer vom Pferde stürzen<i gebildet.
Dem Pädagogen entspricht ein Mann im Hirtenkleid.
Antike Scülptnr. Gruppen.
507
(irr dem Exemplar, welchem das vaticiansche Fragment angehört, eine
an seinem Knie niedergesunkene Schwester schützend); — von den
Töchtern ist mit Ausnahme der genannten keine in der Arbeit mit der
verstümmelten laufenden Statue des Museo Chiaramonti (S, 305, d) zu
vergleichen und zwei oder drei sind ganz gering, was auch von der
Ausführung in mehrern Söhnen gilt. Der Pädagog ist eine nicht zu
verachtende römische Arbeit, nur unangenehm restaurirt. Der sog.
Narciss ist mit Recht in neuerer Zeit der Sammlung als verwundeter
Niobide beigesellt worden. Vom todten Sohn ist in München ein noch
besseres Exemplar.
Wenn nun vielleicht an keiner der florentinischen Statuen ein
griechischer Meissel gearbeitet hat, so sind sie doch von grossem und
bleibendem Werthe. Das überaus grandiose Motiv der Mutter ver-
einigt die höchste Gewalt des Momentanen mit der grössten Schön-
heit der Darstellung; sie flieht, schützt und fleht; das Heraufziehen
des Gewandes mit der Linken, so erfolglos es gegen Göttergeschosse
sein mag, ist gerade als unwillkürliche Bewegung so sprechend.
(Diese Theile ergänzt, aber richtig.) Die ganze Gewandung, noch in
der Nachbildung vorzüglich, muss im Urbild von einer Herrlichkeit
gewesen sein, die vielleicht keine Antike unter den vorhandenen wie-
dergiebt; hier ist Alles Bewegung und doch kein Flattern; der herr-
lichste Körper drückt sich darin aus. Den Kopf geniesst man besser
in Einzelabgüssen. (Vielleicht wird bisweilen mehr hineinphantasirt,
als in diesem Exemplar wirklich ist.) — Nach der Mutter wird man
wohl dem Sohne mit dem Gewand über dem Haupt den Preis geben.
Einer genauen Beachtung ist der Typus werth, welcher in diesen
Gestalten durchgeführt ist. Mutter und Töchter, soweit ihre Köpfe
echt sind, haben diejenige grossartige, reife Schönheit, welche sich
der siegreichen, auch wohl der knidischen Aphrodite nähert; selbst
die jugendlichsten zeigen einen matronalen Anflug, wovon man sich
durch Vergleichung mit der mediceischen Venus leicht überzeugen
kann: es ist das frühere Schönheitsideal der griechischen Kunst über-
haupt, welches sich zu erkennen giebt. — Die Söhne sind gemässigt
athletisch gebildet, und ihr Gesichtstypus steht zu demjenigen des
Hermes in einem ähnlichen Verhältniss wie der mehrerer jugendlicher
Athleten, abgesehen von dem zum Theil meisterhaft mit wenigen
33*
5o8
Antike Sctilptar. Bildnisse.
Zügen gegebenen Ausdruck des Momentes. Zwei davon sind in dop-
pelten Exemplaren aufgestellt.
Die vorgeschlagene Zusammenstellung der Niobiden mit dem Apoll
vom Belvedere und der Diana von Versailles kann nur beföngenen
Gemüthern zusagen. Beide sind ihrem Typus nach viel spätem Ur-
sprunges als das Original der Niobiden. Und der Grieche verstand
das Schicksal der letztern auch ohne eine solche erklärende Zuthat,
welche nur zerstreuen konnte.
Eine an so vielen Idealbildungen grossgewachsene Kunst wie die
griechische war, konnte auch Bildnisse schaffen wie keine andere.
Sie gab dieselben im höchsten Sinne historisch, indem sie die zu-
fälligen Züge den wesentlichen unterordnete oder wegliess, indem sie
den Charakter des ganzen Menschen ergründete und von diesem aus
den ganzen Menschen wieder belebte, nicht wie er wirklich war, son-
dern wie er nach dem geistigen Kern seines Wesens hätte sein müssen.
Allerdings gehörten hiezu auch griechische Aufgaben: ausgezeich-
nete Männer und Helden, welchen von Staatswegen oder von bewun-
dernden Privatleuten Statuen gesetzt wurden. Aus solchen Einzel-
gestalten konnten wahre Typen für jede erhöhte Menschendarstellung
werden, und in der That hat die Kunst sich noch lange an diese Motive
höchsten Ranges gehalten und sie bisweilen auf viel spätere Menschen
übergetragen.
Wir betrachten zunächst die ganzen Statuen, deren in Italien
eine bedeutende Anzahl erhalten ist. Der Streit über die Namen-
gebung berührt uns nicht, sobald v/ir im einzelnen Falle sicher sind,
das Standbild eines berühmten Griechen vor uns zu haben. Einigen
der betreffenden Werke liegen überdiess erweislich gar keine bei Leb-
zeiten gemachten Bildnisse zu Grunde, sodass die Kunst den ganzen
Charakter aus eigenen Mitteln schaffen musste; bei noch mehrern
lässt sich diess wenigstens vermuthen.
Statacn berühmter Griechen.
509
Für die werthvoUste Statue dieser Art galt lange Zeit der sog.
Aristides, jetzt Aeschines des Museums von N e a p e U) (Halle der a
Flora), bis in Terracina der sog. Sophokles gefunden wurde (im
Museum des Laterans, wo ein Abguss des Aeschines, wie in Neapel b
einer des Sophokles, zur Vergleichung in der Nähe steht). Von diesen
beiden ruhig stehenden, ganz ähnlich in Ein Gewand drapirten Gestal-
ten wird der Sophokles schon wegen der edlern Züge einen Vorzug
behalten; ausserdem hat das Gewand des Aristides einige gesuchte
Zierlichkeiten, namentlich in der Gegend beider Hände, einige über-
flüssige Augen und Falten, zumal über dem Bauch, während dasjenige
des Sophokles einfach nur das Nöthige, dieses aber schön und leicht
glebt; endlich laufen beim Aristides die Falten von der linken Hüfte
auf das vortretende rechte Knie zu und nehmen der Figur auf diese
Weise das Gleichgewicht; beim Sophokles, wo sie denselben Gang
nehmen, wird dies harmonisch aufgehoben durch das Vortreten des
linken Knies. Die Büchse mit den Schriftrollen steht bei jenem
neben dem linken, bei Sophokles neben dem rechten Fusse.
Beide sind unzweifelhaft von griechischem Meissel geschaffen,
Diess gilt auch noch von einigen unter den Folgenden, doch nicht von
allen, indem auch die Römer aus geschichtlicher und literarischer Pie-
tät solche Statuen nach griechischen Originalen arbeiten Hessen, haupt-
sächlich zum Schmuck ihrer Bibliotheken.
Zunächst mögen einige mehr oder weniger zweifelhafte genannt
werden; so der Alcibiades (S. 436, d) und der P h o c i o n^) im Vatican c
(Sala della Biga), letzterer eine einfach schöne bärtige Heldenfigur in
Helm und derber Chlamys, nach ihrer Wiederholung als Statuette (im
obern Gang des Vaticans) zu urtheilen ein beliebtes und bekanntes
Motiv; — der nackte, stehende, enthusiastische Tyrtäus (in dem hier d
danach benannten Eckzimmer der Villa Borghese), von flüchtiger aber
guter Arbeit, mit zweifelhaften Restaurationen^) ; — der halbnackte e
Lykurg im Vatican (Sala delle Muse) u. s. w. — Mehrere sehr be-
rühmte, aber auch wohl nicht ganz sichere Philosophen im sog, Kaffe- f
') Eine Wiederholung des Motivs, aus römischer Zeit, im Ho{ dei Dogenpalastes zu Venedig, *
unterhall) der Uhr.
-) Aristomenes der Mcssenier. [Br. J
») Alcaeus. (Br.)
-4-'
510
Antike Scnlptur. Statuen berühmter Griechen.
haus der Villa Albani, — Um so sicherer ist mit einer verstümmelten
a Statue, in einem obern Zimmer des Palastes dieser Villa, A e s o p ge-
meint; ein concentrirter Idealtypus des geistvollen Buckligen, nackt
und in seiner Art meisterhaft gebildet.
Sehr ausgezeichnet durch den Innern Ausdruck mühsam errunge-
b ner rednerischer Grösse: der Demosthenesim Braccio nuovo des
Vaticans i) ; — von dem ebendort befindlichen E u r i p i d e s gehört
der Kopf wirklich diesem Dichter und der Rumpf jedenfalls einem be-
rühmten Griechen, beides aber hing nicht ursprünglich zusammen. —
Ebendort noch ein namenloser Philosoph.
c Z e n o der Stoiker, im Museo capitolino (Zimmer des sterbenden
Fechters); kurzer Hals, strammer Schritt, starke Brust, angezogener
Mantel, heftige Züge — ein wahres Specimen griechischer Charakte-
ristik, die den ganzen Mann in lauter Charakter zu verwandeln wusste
(die Benennung sehr unsicher). — Bei diesem und den zunächst vor-
her Genannten kann man sich, beiläufig gesagt, überzeugen, dass
schon die Griechen, und sie gerade am Bewusstesten, an gewissen
Bildnissstatuen eine Idealtracht darstellten. Man würde sehr irren,
wenn man glaubte, Euripides und Demosthenes seien wirklich halb-
nackt in den Gassen von Athen herumgegangen. Allein diese Ideal-
tracht ist eine vereinfachte wirkliche, es ist der Mantel, ohne das
Unterkleid. Und nicht jede Tracht lässt sich so vereinfachen! Mit der
unsrigen wollen wir nicht einmal zum Versuche rathen.
Unter den sitzenden, meist ganz bekleideten Statuen nehmen
rt die beiden Komödiendichter im Vatican (Galeria delle Statue) : M e -
n a n d e r und Posidippus eine bedeutende Stelle ein; zumal der
Erstere, der in Stellung und Miene so fein philiströs, so ernst und
gemüthlich erscheint; je nach den Umständen wird er als Buffone
oder als hohe geistige Macht auftreten.
e Im Palast Spada zu Rom (erster unterer Saal) : Aristoteles,
horchend, nachdenkend, mit scharfen, grämlichen, ehemals schönen
Zügen (die Augen ungleich); Stellung und Gewand ganz anspruchlos.
Die Benennung gilt für sicher.
') Statt der Rolle in den Händen richtiger mit verschränkten Fingern zu restauriren. |Br, J
Stataen and Köpfe berühmter Griechen.
5"
Im Vorsaal der Villa Ludovisi zu Rom: eine unbekannte, vor- a
trefflich drapirte Statue (mit römischem Kopf?), bezeichnet als das
Werk des Zenon, Sohnes des Attinos, von Aphrodisias.
Unter mehrern Statuetten dieser Art (Einiges im obern Gang des b
Vaticans, u. a. a. O.) müssen zwei im Museum von Neapel (Halle der
Musen), die eine mit der Inschrift: M o s c h i o n , besonders hervor- c
gehoben werden; köstliche, lebensvolle Figuren, Geberden und Ge-
wandungen; nicht in feierlichem Reden, sondern etwa in ruhigem
Dociren gedacht, bequem rückwärts gelehnt, in beiden Händen Schrift-
rollen. Endlich der zweifelhafte Anakreon im Musenzimmer der Villa d
Borghese, und ,,Aristides der Smyrnäer" im Museo cristiano des Va- e
ticans, beide in ihrer Art bedeutend.
In den Uffizien zu Florenz könnte der ,, Jupiter" (im zweiten f
Gang) vor der Restauration ein griechischer Philosoph gewesen sein,
allerdings nur in römischer Ausführung. (Stehend, mit nackter Brust,
die in den Mantel gehüllte Linke auf die Hüfte stützend.)
Viel zahlreicher als die ganzen Statuen sind natürlich die er-
haltenen Köpfe berühmter Griechen, dergleichen noch in römischer
Zeit ganze Reihen müssen nachgearbeitet worden sein. Die echte
griechische Form für Bildnisse, welchen man keine ganze Statue
widmen wollte, war die H e r m e , d, h. ein beinah oder völlig manns-
hoher Pfeiler (und zwar ein senkrecht geschnittener), dessen oberes
Ende der Kopf sammt einem sehr genau bemessenen Theil der Brust
und des Schulteransatzes bildete. Allein unter den ,, berühmten Grie-
chen" stehen in den Galerien blosse Kopfe mit Hals, Köpfe mit rö-
mischer oder moderner Gewandbüste, eigentliche Hermen, Fragmente
von Statuen u. s. w. beisammen, ein Gemisch, das wir um so weniger
auseinander scheiden können, da nur das Bedeutendste hier mit
Namen erwähnt werden darf.
An der Spitze der griechischen Porträtbildungen steht billig der
Typus Homers. Von einem wirklich überlieferten Bildniss kann
natürlich keine Rede sein; die Kunst hat diesen Kopf allein geschaffen.
(Schönstes Exemplar im Museum von Neapel, Halle des Ti- g
berius; ein gutes nebst geringern im Philosophenzimmer des Museo h
512
Antike Scnlptur. Köpfe berühmter Griechen.
a capitolino; ein guter Bronzekopf in übelm Zustande: Uffizien in Flo-
renz, Bronzen, zweites Zimmer.) Ich gestehe, dass mir gar nichts
eine höhere Idee von der griechischen Sculptui giebt, als dass sie
diese Züge errathen und dargestellt hat. Ein blinder Dichter und
Sänger, mehr war nicht gegeben. Und die Kunst legte in Stirn und
V/angen des Greises dieses göttliche geistige Ringen, diese Anstrengung
voll Ahnung und dabei den vollen Ausdruck des Friedens, welchen
die Blinden geniessen! An der Büste von Neapel ist jeder Meisselschlag
Geist und wunderbares Leben.
Auf Homer muss zunächst folgen die berühmte eherneBüste
b des Museums von Neapel (grosse Bronzen), welche man für das
Bildniss P 1 a t o 's hält. Beim ersten Blick wird der Beschauer eher
an einen bärtigen Bacchus denken, allein Manches deutet darauf hin,
dass eine historische Person dargestellt sei, und zwar am ehesten
ein Weiser oder Gesetzgeber, Nicht ideal, sondern individuell ist
z. B. schon die Linie des Profils, die Furchung der Stirn, die Partien
der Wangen zunächst der Nase; menschlich jedenfalls die Bildung
der Schlüsselbeine, Das Vorhandene als Fragment einer Statue ge-
dacht, wird man auf eine sitzende Stellung, einen aufgestützten linken,
einen herabhängenden rechten Arm. schliessen dürfen. In den per-
sönlichen Formen aber lebt ein übermenschlicher Ausdruck der Ruhe
und Geisteshoheit, wie der eines milden Herrschers, Der ungeheure
Nacken, welcher göttlichen Bildungen entnommen scheint, fügt das
Gefühl unv/iderstehlicher Kraft hinzu. Das sehr schön alterthümlich
gebildete Haupt- und Barthaar dagegen zeigt die Tracht einer be-
stimmten Zeit in möglichster Veredelung, sowie die Sculpturen von
Ninive eine Haartracht in feierlicher Erstarrung erkennen lassen.
Die grosse Masse der übrigen steht hauptsächlich an folgenden
c Orten beisammen: Im Vatican: Sala delle Muse, Büstenzim.mer und
d Galeria geografica; — Museo capitolino: das schon genannte Philo-
e sophenzimmer; — Villa Albani: untere Halle des Palastes, und Ne-
f bengalerie rechts; — Museum von Neapel: Grosse Bronzen, erster
g Gang der Marmore, Halle der berühmten Männer, und Halle des Ti-
li berius; — Uffizien in Florenz; Halle der Inschriften; — u. ai, a. O.
Das Interesse, welches der Beschauer diesen Köpfen widmen
wird, hängt natürlich meist von der historischen Theilnahme für die
^^^^iLS.-il---!f:'i.y.^L^i^^^
Köpfe berühmter Griechen.
513
Menschen ab. Nun sind leider auch hier bei weitem die meisten Be-
nennungen (selbst manche der in griechischen Buchstaben eingegra-
benen) streitig oder höchstens nur wahrscheinlich; man errieth z. B.
bestimmte Philosophen aus dem physiognomischen Einklang ihrer
Lehre mit bestimmten Köpfen, eine Methode, welche doch immer sehr
fragliche Resultate abwerfen wird. Aus Gemmen und aus Münzen
der Heimathstädte berühmter Griechen mit deren flüchtigem Profilkopf
wurden die Namen für eine Anzahl von Büsten ermittelt. Der capi-
tolinische Äschylus soll seinen Namen bloss dem kahlen Haupt ver- a
danken, welches allerdings für den grossen Tragiker schon seiner
Todesart wegen ein wahres Abzeichen sein musste. Wir wollen einige
der sicher benannten und zugleich berühmtem bezeichnen.
Einige der sieben WeisenG riechenlands, ideale Cha- b
rakterhermen, im Musensaal des Vaticans, flüchtige Nachahmungen
(wie man annimmt) nach Lysippos. Ebendaselbst: Perikles und Aspa-
sia. Anderswo auch Miltiades und Themistokles. Sokrates in reicher
Abstufung, vom feinsten Ausdruck bis zur rohen Brunnenmaske, in
allen Sammlungen. Von den T r a g i k e r n ist in Büsten nur Euripides
(in vielen Exemplaren) ganz sicher, von den übrigen Dichtern vielleicht
nicht einmal der capitolinische Pindar; der sehr schöne Bronzekopf c
sammt Schultern, welcher im Museum von Neapel (grosse Bronzen) d
Sappho heisst, kann auf diesen Namen so viel oder wenig Anspruch
machen, als die übrigen Büsten, die man so benennt. Von den Typen
der Philosophenköpfe werden etwa zwölf unbedingt aner-
kannt, von den namhaftem Rednern Isokrates, Lysias und Demo-
sthenes, sammt der zweifelhaften Statue des Äschines. (Hübsche und
sichere Köpfchen von Epikur, Zeno, Demosthenes u. A. bei den klei- e
nen Bronzen des Museums von Neapel; dagegen die Büsten des He-
raklit und Demokrit bei den grossen Bronzen bezweifelt werden; der i
schöne sog. Archytas ebenda ist vollends willkürlich so benannt.) Zu-
verlässig und bedeutend: die marmorne Doppelherme der beiden Ge-
schichtschreiber H e r o d o t und Thucydides in demselben Mu- g
seum (Halle des Tiberius).
In den Uffizien zu Florenz enthält die Halle der Inschriften u. a.
einen schönen Hippokrates, einen geringem Demosthenes, eine namen- h
lose griechische Herme, einen bezeichneten Solon, einen Aristophanes
.»«.in, .^. ^ ^;
SI4
Antike ScQlptar. Diadochenköpfe.
a (flüchtig und sehr verdorben, trotz der griechischen Inschrft eine
späte Arbeit), einen Alcibiades, welcher der vaticanischen Statve (Sala
della biga) gleicht, einen jener Köpfe, welche Sappho zu heissen
pflegen, u. A. m.
Von den bessern Büsten dieser Art, d. h. von denjenigen, welche
nicht späte Dutzendnachbildungen sind, gilt durchgängig, was schon bei
Anlass der ganzen Statuen gesagt wurde: sie stellen den Menschen so
umgegossen dar, wie er nach seinem tiefsten Wesen hätte sen müs-
sen, und verdienen desshalb den Namen — nicht von ,,idealsirten",
sondern von Idealbildnissen im besten Sinne. Es wird nicht etwas
conventioneil für schön Geltendes von aussen in den Kopf hineinge-
bracht, sondern das persönliche Ideal, was innen in Jedem verborgen
lag, wird entwickelt.
Vielleicht hatte die griechische Kunst schon einen bedeutend
schwerern Stand, als sie seit Alexander die Fürsten der neuen grie-
chischen Reiche, seine Nachfolger (D i a d o c h e n) verherrlichen
musste. Hier galt es nun allerdings lebende Zeitgenossen, und zwar
zum Theil Menschen von abscheulichem oder verächtlichem Charakter;
und diese wollten überdiess in einer ganz besondern Weise :dealisirt
sein, indem sie sich oft als bestimmte Götter abbilden Hessen. Die
griechische Sculptur that nun das mehr als Mögliche. Ohne von den
bezeichnenden Zügen des Betreffenden wesentlich abzugehen, gab sie
dieselben mit einer eigenthümlichen Grösse und Offenheit wieder, wie
sie etwa in einzelnen guten Stunden konnten ausgesehen haben. Das
Verschmitzte, Kleinlich-Bösartige, das wir z. B. bei den spätem Ptole-
mäern vermuthen, wird hier gar nicht dargestellt, weil der Ausdruck
eines göttlich waltenden Herrschers das wesentliche Ziel war. Viel-
leicht die nächste Analogie in der ganzen Kunstgeschichte gewähren
eine Anzahl von Bildnissen Tizians, in welchen die Menschen des
XVI. Jahrhunderts auch so gross und so frei von allem Momentanen
und kleinlich Charakteristischen vor uns erscheinen, wie sie vielleicht
selten oder nie sich wirklich ausnahmen.
Die höchst prunkhaften und zum Theil colossalen Statuen, welche
in Antiöchien, Alexandricn, Pergamus u. a. damaligen Residenzen er-
richtet wurden, sind freilich alle verloren, und unser obiges Urtheil
ist auf eine Anzahl von Köpfen im Museum von Neapel beschränkt,
Bildnisse Alexanders des Grossen.
515
welche vielleicht nur spätere Copien gleichzeitiger Bildnisse sind. (Der
marmorne Ptolemäus Soter im ersten Gang; die übrigen fünf Ptole- a
mäer nebst der zweifelhaften Berenice (Seite 455, c) bei den grossen b
Bronzen.) Es erscheint ewig lehrreich, wie hier die Unregelmässig-
keiten der Gesichtszüge ganz unverhohlen zugestanden und doch mit
einem hohen Ausdruck durchdrungen werden konnten. (Ob der wun-
derlich gelockte Frauenkopf wirklich den weibischen Ptolemäus Apion
darstellt, wollen wir nicht entscheiden; von der berühmten Kleopatra
ist unseres Wissens nur das sehr zweifelhafte Köpfchen im Philoso- c
phenzimmer des Museo capitolino vorhanden.)
Ein Räthsel ist und bleibt aber das Bild des Gründers aller Dia-
clochenherrlichkeit, Alexandersdes Grossen selbst. Man weiss,
wie sehr er dafür besorgt war, dass seine Züge nur in hoher Auf-
fassung und meisterlicher Ausführung auf die Nachwelt kommen möch-
ten und v/ie Lysippos gleichsam ein Privilegium hiefür besass. Und
in der That zeigen die beiden berühmten Colossalköpfe des M u s e o d
capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) und der Uffizien in
Florenz (Halle des Hermaphroditen) einen vergöttlichten Alexander,
und zwar, wie man bei dem erstem annimmt, als Sonnengott. (We-
nigstens war er in einem der Lysippischen Werke, wovon dieses eine
Nachahmung sein möchte, so gebildet.) Es ist ein mächtig schönes
Haupt mit aufwärts wallenden Stirnlocken, aber woher dieser Zug
der Wehmuth? wir denken uns Alexander vielleicht wohl gerne so,
mit einem Vorgefühl des nahen Todes mitten in den Herrlichkeiten
des eroberten Asiens, allein für die griechische Kunst wäre solch eine
sentimentale Andeutung etwas auffallend. Noch viel deutlicher findet
sich dieser Ausdruck in dem florentinischen Kopfe (Uffizien, Halle e
des Hermaphroditen). Hier ist der Schmerz ungemein stark in den
aufwärtsgezogenen Augbrauen, in der Stirn, im Munde ausgedrückt;
der Sohn Philipps wird zu einem jugendlichen Laocoon. Die einfach
grandiose Arbeit übertrifft bei weitem die des capitolinischen Kopfes.
(Man benennt dieses ausserordentliche Werk wohl mit Unrecht als
,, sterbenden Alexander"; der ,, leidende" möchte richtiger sein; eine
genügende Erklärung giebt es nicht.)
Von der Reiterstatue, welche in Alexandrien dem Gründer zu
Ehren errichtet war, wissen wir nichts mehr; dagegen ist von einem
5i6
Antike Sculptar. EaiserstatueQ im Harnisch.
im Kampfgewühl zu Pferde streitenden Alexander — wahrscheinlich
einer sehr ausgezeichneten Gruppe — wenigstens eine kleine Erinne-
a rung vorhanden in der sehr lebendig gedachten Bronzestatuette
des Museums von Neapel (grosse Bronzen; ein lediges Pferd, wel-
ches in der Nähe des Reiters aufgestellt ist, könnte der Arbeit nach
wohl dazu gehören und ebenfalls aus jener Gruppe v/iederhclt sein).
Ausser diesen Idealbildungen hat sich aber auch noch ein lebens-
treues Porträt erhalten, u. a. in einer (bezeichneten) Büste ces Lou-
vre. Der Gypsabguss z, B. in der Academie de France bietet eine
anregende Vergleichung zunächst mit dem capitolinischen Kopfe dar.
Die Bronze in Neapel gleicht ihm in den Zügen mehr als jenen beiden
Idealköpfen.
Unter allen römischen Bildnissen kommen natürlich die
der Kaiser und ihrer Angehörigen vorzüglich häufig vor. Die Ge-
legenheiten, Statuen und Büsten der Herrscher aufzustellen, waren der
verschiedensten Art; die Foren und Basiliken der Städte mussten von
Rechtswegen damit versehen sein, die Gebäude jedes Kaisers enthiel-
ten gewiss die Bildnisse seiner ganzen Familie, und auch mancher
Privatmann mochte es gerathen finden, seinem Herrn ein Denkmal zu
setzen. Im III. Jahrhundert wurden bereits die Bilder der frühern
guten Kaiser, zumal das des Marc-Aurel, aus historischer und reli
giöser Verehrung vervielfacht.
Unter den ganzen Statuen sind die geharnischten die häufig-
sten. Der Brustpanzer und die unten daran befestigten Schuppen sind,
oft überreich, mit getriebener Arbeit, Victorien, Löwenköpfen u. dgi.
geschmückt; von dem Kriegermantel (Paludamentum) erscheint ein
Bausch auf der linken Schulter; das Übrige zieht sich hinten abwärts
und kommt über dem linken, auch wohl über dem rechten Arm wie-
der zum Vorschein; die Rechte wird meist gesticulirend, auch etwa
mit einer Waffe restaurirt. Sehr oft, ja in der Regel, ist nur der
Rumpf alt oder ursprünglich; dem Kopfwechsel war gerade diese
b Gattung am meisten unterworfen. (Der prächtig geharnischte L. Ve-
ras, im Vatican, Galeria delle Statue; eine Anzahl von den besten in
c der untern Halle des Palastes der Villa Albani; andere im Museum
WWi^f^^^^^^^^^
Togati. Reiterstatuen.
517
von Neapel, dritter Gang. Aus sehr gesunkener Zeit: Constantin d. Gr. a
in der Vorhalle der Kirche des Laterans, und, sammt seinem gleich- b
namigen Sohn, auf der Balustrade der grossen Capitolstreppe.) c
Mit der Toga Hessen sich die Kaiser theils in gewöhnlicher Stel-
lung, theils als Opferer abbilden, wobei das Gewand über den Kopf
gezogen v/urde, (Gute Beispiele: der erstem Art: der Claudius und d
vorzüglich der Titus im Braccio nuovo des Vaticans; auch noch der
Nerva ebenda; der Augustus in der Innern Vorhalle der Uffizien zu e
Florenz, mit aufgesetztem Kopf; weniger gut der Hadrian ebenda; —
der letztern Art: der sog. Genius des Augustus, in der Sala rotonda f
des Vaticans; der Caligula im Hauptsaal der Villa Borghese. Ein g
junger Römer, welcher die Toga auf gewöhnliche Weise und auf der
Brust eine Bulla oder Amulet trägt, ist im Museum von Neapel, drit- h
ter Gang, vielleicht mit Unrecht unter die Kaiser und ihre Angehöri-
gen gerathen, da sein Kopf aufgesetzt ist.)
Zu den eigentlich historischen Darstellungen gehört auch noch die
einzige vollständig vorhandene Reiterstatue') dieser Art: die des
M a r c - A u r e 1 auf dem Platze zwischen den capitolinischen Palästen, i
vortrefflich gedacht und von sehr würdiger Gewandung und Geberde,
nur durch das unförmliche Pferd (vielleicht Abbildung des kaiserli-
chen Streitpferdes) in Nachtheil gesetzt. (Der Kopf zu vergleichen mit
dem ebenfalls guten colossalen Bronzekopf im Hauptsaal der Villa k
Ludovisi.) — Von der bei Statius besungenen Reiterstatue Domitians
giebt etwa der riesenhafte Marmorkopf im Hof des Conservatoren- 1
palastes eine Idee, der uns jetzt nur noch als Beispiel für die Be-
rechnung des Colossalen auf die Ferne interessiren kann, (Ein anderer
nicht minder riesenhafter Imperatorenkopf im Giardino della Pigna m
des Vaticans.)
Neben diesen Porträtbildungen im engern Sinn versuchte die
Kunst, so lange sie noch lebendig war, auch ein erhöhtes Dasein, ein
übermenschliches Walten in den Kaisern auszudrücken. Vielleicht
schloss sie sich dabei an diejenigen Motive an, welche von den Künst-
') Nebst dem zweifelhaften Caligula im grossen Saal des Pal. Farnese, und dem gering ge-
arbeiteten Fragment eines Nero bei den grossen Bronzen des Museums von Neapel.
5i8
Antike Scülptur. Ideale Kaiserstatuen.
lern der Diadochenhöfe ausgebildet worden waren; vielleicht schuf sie
das Ihrige aus eigenen Kräften.
Es entstanden thronende Gestalten mit nacktem, ideal gebilde-
tem Oberleib, dessen leise Einwärtsbeugung eine majestätische und
vöUig leichte Haltung des Hauptes vorbereiten hilft. Der eine Arm
wird durch ein hohes Scepter gestützt, das freilich selten richtig restau-
rirt ist. Das Gewand zeigt sich nur als Bausch über der linken Schul-
ter, zieht sich dann hinten herum und bedeckt, rechts wieder hervor-
kommend, als mächtige Draperie die Kniee. Ein Fragment im Mu-
a seum von Neapel (Hof vor der Halle des farnesischen Stieres) zeigt,
wie die Füsoe dieser meist sehr zertrümmerten Bilder i) für eine Auf-
stellung auf hoher Basis berechnet wurden; sie ruhen auf einem schma-
len, schräg vorgeschobenen Schemel.
Die schönsten Exemplare dieser Art sind noch in ihrem frag-
mentirten Zustande, die Fürsten des augusteischen Hauses, bekannt
b unter dem Namen der ,,K aiserstatuen von Cervetr i", im
Museum des Laterans. Namentlich zeigt die Gestalt des Claudius, dass
die römische Kunst auf diesem Gebiet grösserer Dinge fähig war, als
man ihr gewöhnlich zutraut. — Theilweise ebenfalls noch von hohem
c Werthe: die erste und besonders die zweite sitzende Statue des Ti-
d berius im Museo Chiaramonti; der Nerva (?) in der Sala rotonda
des Vaticans; letzterer sehr zusammengeflickt, aber von ganz beson-
ders mächtigem Gewandmotiv; — die beiden mit modernen (ganz wili-
c kürlich gebildeten) Köpfen im Museum von Neapel (dritter Gang) etc.
Manche einzelne Kaiserköpfe in den römischen u. a. Sammlungen
zeigen nicht sowohl durch ihre Grösse als durch das eigenthümlich
Hohe der Behandlung, dass sie solchen halbidealen Bildwerken an-
gehörten.
Endlich wurden die Kaiser als Heroen oder Götter fast oder ganz
nackt und stehend abgebildet; die Hände sind so selten alt, dass
wir keine völlige Gewissheit darüber haben, ob die vorherrschende
Haltung wirklich die der jetzigen Restaurationen war: nämlich die
1) Sie wurden, wie so vieles Colossalc, aus mehrern Stücken zusammengesetzt, die später
schon durch die blosse Vernachlässigung wieder auseinander fielen, selbst ohne absichtliche
Zerstörung.
Kaiser als Heroen. Kaiserinnen.
519
Rechte zum Sprechen erhoben oder einen Globus haltend, die Linke
das Schwert und einen Bausch des Gewandes fassend. Die werth-
vollste Statue dieser Art ist der berühmte colossale P o m p e j u s (im a
Palast Spadazu Rom), wahrscheinlich dasselbe Bild, zu dessen
Füssen der ermordete Cäsar niedersank. Wir rechnen ihn der heroi-
schen Auffassung nach hieher, obschon er kein Kaiser war^). Was
tolgt, ist grossentheils untergeordnet oder durch den Kopfwechsel weit
empfindlicher entstellt als die Geharnischten. Zum Besten gehören
ein paar Statuen des L. V e r u s (im Braccio nuovo des Vaticans, im b
dritten Gang des Museums von Neapel u. a. a. O.), abgesehen von
den unangenehmen Zügen. Von den grossen Bronzen dieser Art im
Museum von Neapel erhebt sich keine über das Mittelmässige, auch c
der Germanicus nicht; von den marmornen (im dritten Gange) sind d
ausser Verus noch mehrere von mittelguter Arbeit; der colossale Ale-
xander Severus aber (in der untern Vorhalle) schon äusserst leblos, e
Sehr ansprechend die Statue eines jungen Prinzen von ähnlichem T3rpus, i
im Museo Chiaramonti des Vaticans. — Geringere nackte Kaiserkin-
der: die Bronzestatue im hintern Saal der Villa Borghese; der Prinz g
im Verbindungsgang der Uffizien zu Florenz. — Im Allgemeinen wer- h
den die halbnackten Thronenden schon desshalb den Vorzug vor den
nackten Stehenden haben, weil das Auge bei jenen einen Porträtkopf
erwartet und erträgt, da sie wirklich nur erhöht aufgefasste Bildnisse
sein wollen, bei diesen dagegen sich auf einen heroischen Idealkopf
gefasst macht, statt dessen aber wohlbekannte Züge findet.
Die Kaiserinnen sind durch keinerlei besondern Schmuck von
den Statuen anderer römischer Damen unterschieden'^). Das Preis-
würdigste wurde bei Anlass der weiblichen Gewandstatuen beiläufig
erwähnt; die Kaiserinnen als Göttinnen, z. B. häufig als Venus, zeigen
' ) Ebenso ist hier der Colossalstatue des M. A g r i p p a zu gedenken, welche sich zu V e n e d i g
im Hof des Pal. Grimani (unweit S. Maria Formosa) befindet. Nur decorativ behandelt, *
aber ein grossartiges Beispiel heroisch -idealer und doch getreuer Bildnissauf fassung. Die
starken Restaurationen fallen in die Augen; doch scheinen alt und nur neu angesetzt:
Tronco, Basis, Cista und vielleicht der Delphin, welcher den Seehelden bezeichnet.
2) Selbst das Diadem möchte wohl auch andern Frauen zugekommen sein, ebenso der oft sehr ab-
sonderlich scheinende Haarputz. Vgl. S. 521, Anm. 2.
a.*^-
iM
520
Antike Sculptar. Eaiserköpfe.
denselben bedenklichen Contrast zwischen Wirklichem und Jdealem,
wie die nackten Kaiserstatuen.
Wahrhaft unzählbar sind die Köpfe und Büsten rcmischer
Kaiser und ihrer Angehörigen. Wir können uns hier um so weniger
auf Näheres einlassen, als der Beschauer gewöhnlich schon dirch ein
mitgebrachtes historisches Interesse auf das Bedeutende von se.bst hin-
geführt wird. Einige Bemerkungen mögen indess am Platze sein.
Eine eigene grosse Sammlung von Kaiserbüsten ist in der Stanza
a degli imperatori des capitolinischen Museums au:gestellt.
Aus den bessern Jahrhunderten finden sich dort meist geringere Exem-
plare, dafür ist die Kaiserreihe des III. Jahrhunderts dort repräsentirt
wie sonst nirgends, allerdings durch Beihülfe sehr gewagter Taufen.
b Die besten Colossalköpfe in der Sala rotonda des Vaticans. Auch die
c grosse florentinische Kaisersammlung (Uffizien, erster und
zweiter Gang) enthält viele geringe und unsichere Köpfe (selbst mo-
derne, wie Otho und Nerva). Man wird beständig die bessern. Büsten
der übrigen Galerien mit zu Rathe ziehen müssen.
Vergebens sucht man zunächst in den öffentlichen Sammlungen
von Rom und Neapel ein vollkommen würdiges Bildniss des grossen
Cäsar ; keines wiegt die Basaltbüste und den Kopf der Togafigur des
d Berliner Museums auf. Die Statue in der untern Halle des Conserva-
torenpalastes auf dem Capitol, auf welche man gewöhnlich verwiesen
wird, ist eine v/ahrhaft geringe Arbeit. Ein Kopf, der mich trotz
seiner sehr flüchtigen Ausführung immer von neuem anzog, steht im
e Museo Chiaramonti des Vaticans; es ist Cäsar als Pontifex maximus,
die Toga über das Haupt gezogen, mit den ernsten, leidenden Zügen
seiner letzten Jahre. Zu den bessern Köpfen gehört auch die floreti-
f tinische Marmorbüste (Uffizien, erster Gang, stark abgerieben und re-
staurirt); der in der Nähe befindHche Bronzekopf stellt eine andere
Person vor.
g Der schönste Kopf des Augustusist wohl unstreitig der bron-
zene in der vaticanischen Bibliothek. Büsten und Statuen von allen
h Altersstufen (von August als frühreifem Jüngling im Museo Chiara-
monti an) und allen Auffassungsweisen finden sich überall.
Kaiserköpfe.
521
Das augusteische Haus, lauter normale und charaktervolle
Köpfe, blutsverwandt erscheinend trotz der vorherrschenden Verbindung
durch Adoptionen, ist überall stark bedacht. Die Köpfe des Tiberius sind
fast alle gut; von Caligula der feinste in der obern Galerie des capi- a
tolinischen Museums; auch der basaltene im Kaiserzimmer trefflich; b
Claudius bei weitem am besten in der genannten Statue des Laterans;
Nero fast durchgängig zweifelhaft: als Knabe in einem schönen Köpf-
chen von bösartigem Ausdruck (Museum von Neapel, dritter Gang) ; c
als Sieger des Gesanges in zwei halbcolossalen Köpfen (Vatican, Zim- d
mer der Büsten, und — wenn ich richtig errathe — im Museum von e
Neapel, Halle des Tiber, mit dem Namen Alexanders des Grossen).
Von Vitellius in Italien vielleicht kein Kopf von dem Werthe desje-
nigen in Berlin; ein guter im Dogenpalast zu Venedig (Sala de' Busti) ^). t
Vespasian und T i t u s , wegen üblicher Verwechselung in den
Galerien hier nicht zu trennen: meisterlicher Colossalkopf im Mu- g
seum von Neapel (dritter Gang) ; gute Büste im Hauptsaal der Villa h
Borghese, T r a j a n , dessen sonderbare Kopfbildung nirgends verhehlt
wird: am ansprechendsten in der vaticanischen Büste (Belvedere, Raum i
des Meleager). H a d r i a n : am häufigsten vorhanden und sehr oft gut.
Plotina und die ältere Faustina, Colossalköpfe in der Sala rotonda, t
interessant für die Behandlung des Lieblichen in diesem Massstab'-).
AntoninusPius: trefflich in der Colossalbüste der Villa Borghese 1
(Hauptsaal), geringer in derjenigen des Museums von Neapel (dritter m
Gang) und in der sehr penibeln des Museo capitolino (grosser Saal), n
Eine auffallende Menge von Colossalköpfen u. A. der bisher Genannten
und Anderer im Garten der Villa Albani. Von Marc-Aurel und o
LuciusVerus eine bedeutende Anzahl Köpfe überall, wovon wir
das Beste nicht anzugeben im Stande sind. Von Commodus ein
wahrscheinlich echter, trefflichir, obwohl flüchtig behandelter Kopf im p
Museum von Neapel (dritter Gang). Pertinax, gute Colossalbüste q
in der Sala rotonda des Vaticans. Septimius Severus, häufig als
') Wo sonst manches Verdächtige und selbst Neue beisammensteht. Der schöne jugendliche Kopf
mit dem Eichenkranz entspricht unter den Kaisern am ehesten dem Augustus.
■^) An den Kaiserinnen stört oft der modemässige Haarputz, welcher sogar an einzelnen Basten
zum Abnehmen und Wech'ieln eingerichtet ist.
Urcicerone.
34
522
Antike Scnlptnr. Kaiserköpfe.
Statue, vielleicht nirgends von besonderm Werthe. Seine Gemahlin
Julia Domna,die letzte Römerin, von welcher uns die Kunst ein
a wahrhaft schönes und geistvolles Bild hinterlassen hat: Büste in der
b obern Galerie des Museo capitolino; auch eine gute Colossalbüste in
der Sala rotonda des Vaticans. C a r a c a 1 1 a , auffallend häufig und
gut, wahrscheinlich einem vorzüglichen Original zu Liebe wiederholt,
c vielleicht am feinsten durchgeführt in einem Kopf der Büstenzimmer
des Vaticans. Ein furchtbares Haupt, ein ,, Feind Gottes und der Men-
schen", bei dessen Verworfenheit und falscher Genialität der Gedanke
erwachsen muss: es ist Satan.
Bei diesem Kopfe steht die römische Kunst wie vor Entsetzen
still; sie hat von da an kaum mehr ein Bildniss von höherm Lebens-
gefühl geschaffen. Die Auffassung wird zusehends ärmlich und ein-
förmig, die Formen ledern und flau oder peinlich. Die Theilnahme
schwindet ausserdem durch die Unsicherheit der Benennung, für welche
man auf die schwankenden Gesichtszüge ungeschickter Münzen ange-
d wiesen ist. Von der capitolinischen Büste Diocletians und von
e der neapolitanischen des P r o b u s (Museum, 3. Gang) möchte man
wenigstens wünschen, dass sie echt wären. Die Köpfe des IV. Jahr-
hunderts sind zum Theil schon ganz puppenhaft, die drei capitolini-
f sehen des Julianus Apostata nur durch ein mittelalterliches
Zeugniss bewährt.
Neben diesem Vorrath von Herrscherbildnissen existirt noch ein
viel grösserer von ,,I n c 0 g n i t i", Männern und Frauen, welchen man
durch Beilegung interessanter Namen, zumal aus der letzten Zeit
der Republik, einen willkürlichen Werth beizulegen pflegt. Ohne hier-
auf weiter einzugehen, machen wir nur aufmerksam auf das Denkmal,
welches die Römer der Kaiserzeit hiemit ihren eigenen Personen und
ihrem Nationaltypus gesetzt haben. Die Büste, und vollends die Sta-
tue, hat für einen auf das Dauernde gerichteten Sinn den stärksten
Vorzug vor dem gemalten (oder daguerreotypirten!) Bilde, in welchem
die jetzige vielbeschäftigte Menschheit vor der Nachwelt aufzutreten
gedenkt. Freilich gehört Schädelbau und schwammloses Fleisch und
ein lebendiger Ausdruck dazu, der nur durch beständigen Verkehr mit
mm^^^sMSi.
Römische Porträtkanst.
523
Menschen, nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz
allmälig aufprägt.
Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den
Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Interes-
santmachen derer, welche sich abbilden Hessen. Es giebt eine grosse
Menge von Grabdenkmälern meist untergeordneten Werthes,
welche Mann, Weib und Kind in erhabenen Halbfiguren innerhalb einer
Nische darstellen. (Eine Auswahl im Vatican: Gal. lapidaria: ein sehr a
schönes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzo b
Mattei ; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu- c
ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen darstellend; ebendort zeiget
die liegende Statue einer Jungfrau, dass auch die späte Kunst wahrer
Schönheit ihr Recht anzuthun suchte; — eine Anzahl gerngerer
Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stie- d
res.) In diesen bescheidenen Denkmälern hat die Naivetät, womit
auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden
Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemüth-
liches. — Aber auch in den Büsten und Standbildern der besten
römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi-
schen Kunst schon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des
Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen
griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo-
sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst-
verstorbene grosse Männer, sondern den Ersten Besten porträtiren
musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend
Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn
wir die Statuen eines Virgil, eines Horaz aus der Kaiserzeit besässen,
so würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt fin-
den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als
Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden i). Ihre theil-
weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der
römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können.
') Die halbideale Statue einer römischen Dichterin (wenn wir eine unlängst gefundene Figur unter
Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so deuten) würde zu einer solchen Annahme *
einigermassen berechtigen.
34*
524
Antike Scnlptür. Togafignren.
Überdiess besass er bei ganzen Statuen, wenigstens angesehener
Personen, auch einen Vortheil. Die würdigste Tracht, die je eines
ernsten Mannes Leib bedeckte, ist immer die weite herrUche römi-
sche Toga mit ihrem doppelten Überschlag über die linke Schulter.
Der linke Arm kann frei darunter hervorsehen oder sich darin ver-
hüllen; der rechte bleibt nebst der rechten Schulter entweder ganz
frei zur edelsten Geberde, oder die Toga zieht sich noch oben längs
der Schulter hin, oder sie wird beim Opfer über das Haupt gezogen
und lässt dieses dann mit unbeschreiblicher Würde aus dem tiefen
Schatten heraustreten. Das linke Bein ist in der Regel das tragende,
das rechte das gebogene.
Als diese Gewandung in den Bereich der Kunst gezogen war,
Hess man sie nicht mehr los. Tausende von Statuen wurden nach
diesem Motiv bis in die spätesten Zeiten geschaffen. An denjenigen
aus den bessern Jahrhunderten wird der Beschauer mit stets wachsen-
der Bewunderung die freie Art und Weise innewerden, mit welcher
die einzelnen Künstler das Gegebene behandelten. Er wird vielleicht
dabei mancher unserer jetzigen Porträtstatuen und ihrer Cavallerie-
mäntel gedenken, welche letztern nebst dem blossen Kopf die Ver-
muthung erregen, dass der Betreffende sich während einer Standrede
im Winter habe abbilden lassen.
Von dem sehr bedeutenden Vorrath dieser selbst im schlechtesten
Fall betrachtenswerthen Gestalten brauchen wir bloss eine zu er-
a wähnen: den sitzenden sog. Marcellusim Philosophenzimmer des
capitolinischen Museums; jedenfalls das Bild eines aus-
gezeichneten Staatsmanns und Redners. Hier wirkt nicht bloss das
schöne und wunderbar behandelte Kleidungsstück, sondern der Cha-
rakter der Stellung, welche sich in jeder Falte ausspricht. So sass nur
Dieser und kein Anderer! möchte man sagen.
Andere Togafiguren werden noch bei Gelegenheit erwähnt wer-
den. (Diejenigen von Kaisern s. S. 516.) Für den ersten Anlauf
b empfehlen wir den Togatus (aus dem Grabe der Servilier) am Anfang
c des Museo Chiaramonti und den schönen greisen Opferer in der
Sala della Biga des Vaticans. (Vgl. S. 412, a.)
Römische Fortratköpfe.
525
Welches nun immer die Ausstattung und Gewandung sei, es
bleibt eine Thatsache, dass die bessern römischen Bildnisse ganz rück-
sichtslos den Charakter und die Züge der Betreffenden, aber mit einem
hohen Lebensgefühl aussprechen.
Allerdings ist der Genuss dieser Werke nicht für Jedermann leicht
zugänglich. In den grossen italienischen Sammlungen stehen die Büsten
meist entweder so dicht und bunt durcheinander oder so unscheinbar
zwischen Statuen zerstreut, dass nur selten ein Beschauer ihnen die
gebührende Aufmerksamkeit zu schenken wagt. Köpfe von Göttern
und Göttinnen, von griechischen Philosophen und Dichtern, von römi-
schen Kaisern und Privatleuten, zusammen wohl viele Tausende an
Zahl — welches Auge vermöchte diese ganze Heerschaar zu mustern
und durch Vergleichung das Beste und das Gute von dem Geringern
zu scheiden? welches Gedächtniss könnte sich diess Alles einprägen?
— Vom Streit über die Namengebung, welcher diess Gebiet (wie be-
merkt) unaufhörlich bedroht, muss vollends der Nicht-Archäologe auch
hier ganz absehen, wenn er nicht Zeit und Lust verlieren will.
Es bleibt ihm nichts übrig, als bei guter Stimmung und Müsse
diese Köpfe einzeln, wie sie ihm gefallen, nach ihrem geistigen Ausdruck
und nach der Kunst des Bildhauers zu durchforschen. Isolirt gesehen,
gewinnen wenigstens die bessern davon ausserordentlich. Im Thron-
saal des Palazzo Corsini zu Rom steht auf einem Pfeiler der Kopf a
eines Römers, den mitten im Vatican nur Wenige beachten würden,
der aber hier mit seiner edeln Individualität, seinem Ausdruck des
Kummers alle Blicke auf sich zieht. An solch einem Beispiel kann
man inne werden, wie viel Treffliches anderswo dem Auge ent-
geht, z. B. in dem langen Museo Chiaramonti, in den Büstenzimmern b
und in der Galeria geografica des Vaticans, im Zimmer der Vase des c
Museo capitolino, wo die ,,Incogmti" beisammen stehen, in den d
meisten Räumen der büstenreichen Villa Albani, in den verschiedenen e
Abtheilungen des Museums von Neapel, in der Inschriftenhalle und f
Hermaphroditenhalle der Uffizien zu Florenz, im Hof des Pal. Riccardi g
ebenda, u. a. a. 0.
Es ist nun unsere Sache, den Leser auf eine Auswahl des Merk-
würdigsten unter den meist anonymen oder Pseudonymen Römerköpfen
aufmerksam zu machen. Wir nehmen dabei nicht sowohl den Kunst-
526
Antike Scalptnr. Römische Porträtköpfe.
werth als das physiognomische Interesse zum Massstab, ungewiss ob
der Leser uns gerne auf diesen Pfaden folgen wird.
a Im V a t i c a n : Braccio nuovo: der sog. Kopf des Sulla; — Mus.
b Chiaramonti: der sog. Marius, treffendes Bild eines etwas galligen Al-
ten; — der (wahrscheinlich richtig benannte) Cicero, N. 422, nicht N.
697; -^ und der sog. Ahenobarbus mit dem feinen und klugen Aus-
c druck des fetten Angesichtes; — Büstenzimmer: einige interessante
d Frauenköpfe. — Im Museocapitolino: erstes unteres Zimmer:
ein Mann von Jahren (jetzt für Hadrian ausgegeben, aufgestellt auf
einem Hercules- Altar), wundervoll wahr in dem zweideutig Verbis-
c senen des Ausdruckes; — Zimmer des sterbenden Fechters: der beste
Kopf des Marcus Brutus, Mörders des Cäsar, von widerlichem, ob-
{ wohl nicht geistlosem Ausdruck; — Zimmer des Fauns: der sog. Ce-
thegus, ein noch junger, vornehm abgelebter Spätrömer; — Philo-
g sophenzimmer: hier muss man wohl von den meisten Taufen mit
Römernamen absehen und sich einzig mit dem geistigen Inhalt be-
gnügen; Virgil als idealer, wahrscheinlicher göttlicher Kopf gehört gar
nicht hieher; ein kahler, delicater sauertöpfischer Alter heisst Cato;
ein (auch sonst öfter vorkommender) trauernder, entbehrungsvoller
Kopf (squalidum), die Haare in der Stirn, wird überall Seneca ge-
tauft; der sog. Cicero ist ein ansehnlicher grosser Beamter mit klaren,
wohlwollenden Zügen; der sog. Pompejus ein leidenschaftlicher, sehr
vornehmer junger Herr, dessen Gleichen der Leser wohl schon öfter
begegnet sein wird, u. s. w. i). Mitten unter diese sehr bunte Schaar
hat sich ein ganz schöner jugendlicher Heldenkopf (N. 59) verirrt,
mit einem leisen Anflug des Barbarentypus; wenn Jemand in ihm
den Germanen Arminius erkennen will, so wird ein alterthumskundi-
ger Freund, den ich hier nicht nennen darf, nichts dagegen einzu-
h wenden haben. — Im Palast der Conservatoren (Eckzim-
mer) die vorgebliche Bronzebüste des alten L. Junius Brutus, ein höchst
charakteristischer Römerkopf.
i ImMuseumvonNeapel: Grosse Bronzen: schönes Exemplar
des schon bezeichneten Seneca; Lepidus (wenig sicher, allein voll in-
1) [Braun S. 170 £f. erkennt u. a. den Aeschylus (N. 82), den Marcus Agrippa (N. 16), den Terenz
(N. 76), den Corbulo (N. 48) als richtig benannt an, hält aber (nach Visconti) den Cicero (N. 75)
eher für einen Asinius Pollio.]
Römische Porträtköpfe und Statuen.
527
dividuellen Lebens); Scipio Africanus d. ä. (in allen Sammlungen, oft
mehrfach vorhanden; weit das beste Exemplar, von den übrigen be-
trächtlich abweichend, im Besitz des JesuitencoUegiums zu Neapel), a
das wahre Urbild eines alten Römers; — Marmorwerke erster Gang: b
der vorgebliche Sulla, von vorn gesehen auffallend durch seine Ähn-
lichkeit mit Napoleon, dessen Stirn jedoch weder eine so edle Form
noch eine so bedeutend durchgebildete Modellirung hatte; ebenda die
Statuen der Familie Baibus aus Herculanum, in der Gewandung ge-
ring, in den Köpfen sehr ausgezeichnet, besonders die Mutter, deren
kluge, ruhige, hochbedeutende Züge eine ehemalige Sinnlichkeit nicht
verläugnen; — zweiter Gang: die Reiterstatuen der Baibus Vater und c
Sohn, in den Köpfen wiederum sehr bedeutend, ausserdem als einzig
erhaltene Consularstatuen zu Pferde merkwürdig durch die ungemeine
typische Einfachheit der Composition, wobei auch einige Nüchternheit
mit unterläuft; — Halle der berühmten Männer: mehrere gute Ano- d
nyme und Falschbenannte; — Halle des Tiberius: ebenso; das Beste e
der sog. Aratus, geistreich seitwärts emporblickend; ein liebenswür-
diges Frauenköpfchen mit verhülltem Kinn, fälschlich als Vestalin
bezeichnet.
In den Uffizien zu Florenz: innere Vorhalle: ein gutes f
Exemplar des sog. Seneca; — erster Gang: Marcus Agrippa, classi- g
sehe Züge mit dem Ausdruck tiefer Verschlossenheit; — Halle der ii
Inschriften: ein feiner durchgebildetes Exemplar desjenigen Kopfes,
welcher in der capitolinischen Sammlung Cicero heisst; der ,,Triumvir
Antonius" eine flüchtige Arbeit, die aber etwas von derjenigen Art von
Grösse hat, welche wir jenem Manne zutrauen; ein anonymer Römer,
welcher mit Ausnahme des noch etwas behaarten Kopfes an jenen
grandiosen Scipiokopf der PP. Jesuiten in Neapel erinnert; — Halle
des Hermaphroditen: zwei tüchtige Köpfe von so zu sagen philiströ- i
sem Ausdruck; eine schöne Frau von demjenigen matronalen Typus,
welchen man insgemein der Livia zuschreibt, mit zahlreichen gerollten
Löckchen; — • zweites Zimmer der Bronzen, sechster Schrank: einige k
sehr gute kleine Bronzeköpfchen und Statuetten, worunter die winzige,
aber vortreffliche eines sitzenden Mannes in der Toga.
In der untern Halle des Palazzo Riccardi: ausser einer i
Anzahl von Idealköpfen (worunter ein schöner und ein geringerer
* Mr '^ .T- «.»I*- ■«• ^
^PjJJ^ffljy
528
Antike Scalptnr. Masken.
Apoll, zwei Athleten, eine sog. Sappho) ein guter römischer Porträt-
kopf, verschrumpft und sauer blickend, in einem Nebengang rechts.
Im Camposanto zu Pisa: (bei XL) Marcus Agrippa, weni-
ger erhalten, aber ebenso echt als der florentinische Kopf. (Ebenda
mehrere gute Götterköpfe.. Der angebliche Brutus, bei IV, ist offen-
bar modern.)
Vergebens sucht man Auskunft über den Ursprung und ersten
Gebrauch der so häufigen und zum Theil so trefflichen marmornen
Masken. Wenn die Archäologie nichts dagegen hat, so wollen wir
einige harmlose Vermuthungen aufstellen, die neben jedem erwiesenen
Thatbestand in ihr Nichts zurückzutreten bereit sind.
In den heitern Tagen des alten Athens muss mit der beginnenden
Blüthe der Tragödie und der Komödie auch die Kunst, tragische und
komische Masken für die Bühne zu machen, eine beträchtliche Höhe
erreicht haben. Der Grieche ertrug bekanntlich auf dem Theater
lieber ein künstliches Gesicht und eine künstliche Leibeslänge (mit-
telst der Kothurne) als die persönliche Physiognomie irgend eines
Schauspielers: diese hätte ihm selbst bei der grössten Schönheit nie
die typisch-idealen Züge geboten, welche einmal von den tragischen
und komischen Charakteren unzertrennlich schienen. Welches Schau-
spielers Antlitz hätte für den gefesselten Prometheus und für seine
Peiniger Kratos und Bia ausgereicht? — Die Masken aber, wo man
sie auch aufbewahrte, müssen, selbst nur einfach an der Wand auf-
gehängt, ein bedeutendes, monumentales Aussehen gehabt haben, das
man bleibend festzuhalten versucht sein musste; Keinem jedoch kann
dieser Gedanke früher und eher gekommen sein, als dem Masken-
macher selbst, der ja ein bedeutender und gewiss in hohen Ehren
gehaltener Künstler war, — vielleicht zugleich Bildhauer in einer Zeit,
die noch so wenig die Kunstgattungen trennte. Ausser dem Theater
wurden eine Menge Masken gebraucht bei Aufzügen, Processionen und
Festlichkeiten aller Art; v/ie konnte man dergleichen besser ansagen
als durch das Aushängen von Masken an Schnüren oder Laubgewin-
den? — An irgend einem Gebäude, das mit solchen Bestimmungen
Masken.
529
zusammenhing, am ehesten wohl an einem Theater möchte denn auch
die erste aus Stein gemeisselte Maske, zur Verewigung des festlichen
Eindruckes angebracht worden sein — wo und wie? können wir
schwer errathen; vielleicht als Akroterion (Eckzierde), bald vielleicht
auch in vielfacher Wiederholung innerhalb eines Frieses, als Metope
einer dorischen Halle. — Doch die Personen der Tragödie, Götter
und Menschen der heroischen Zeit, hatten schon eine so bedeutende,
rein ideale Stellung als Hauptgegenstände der Kunst, dass ihnen un-
ter dieser neuen Form nicht viel abzugewinnen war, und daher darf
man sich wohl das Vorherrschen der komischen Masken erklären.
Diese eigneten sich vollständig zur Dienstbarkeit unter der Architektur
und mussten sich denn auch im Verlauf der Zeit jeglichen Dienst ge-
fallen lassen.
Zu Wasserspeiern an Gebäuden und zu Brunnenmündungen
schickte sich zwar auch die barockste Bildung ihres Mundes nur
wenig; das erstere Amt blieb in der guten Zeit wenigstens den Lö-
wenköpfen vorbehalten; für das letztere schuf die Kunst eine beson-
dere Welt von Brunnenfiguren. Dagegen waren sie mit ihrer dä-
monischen Drolligkeit wie geschaffen zu Gluth- und Dampfspeiern in
warmen Bädern; in grossem Flachrelief ausgedehnt konnten sie auch
mit Augen, Nasenlöchern und Mund das ablaufende Wasser in Bädern
wie in Höfen unter freiem Himmel aufnehmen (als Impluvien). Viel-
leicht die meisten aber waren blosse freie Decoration an Gebäuden
verschiedener Art.
Man wird ihren Styl im Ganzen hochschätzen müssen. Sie sind
die einzigen Caricaturen, die der hohen Kunst angehören, die Gränz-
marken des Hässlichen im Gebiet des Schönen. Desshalb ist hier
selbst bei der stärksten Grimasse doch nichts Krankhaftes, Verküm-
mertes, Peinliches oder Verworfen-Bösartiges zu bemerken. Was dem
Ausdruck zu Grunde zu liegen scheint, ist die vielfach variirte An-
strengung des Schreiens, auf eine Reihe komischer Typen übertragen.
Meist auf die Ferne berechnet, ist ihre Arbeit flüchtig, derb, energisch;
in den neuern Sammlungen demgemäß hoch und fern, an Gesimsen
und Giebeln aufgestellt, entgehen sie dem Auge nur zu leicht.
Vielleicht die grösste Anzahl findet sich beisammen in der V i 1 1 a a
A 1 b a n i (untere Halle des Palastes, Vorhalle des Kaffehauses etc.) ;
530
Antike Sctilptar. Masken. Medusa.
in Massstab und Arbeit meist so gleichartig, dass sie von einmi und
a demselben Gebäude stammen könnten. — Andere im V a t i c c n (be-
b sonders im Hof des Belvedere, auch im Appartamento Borgii).
Diese möchten alle als blosse Decoration gedient haben Als
Dampfspeier sind zunächst vier fast vollständige Köpfe im Nuseum
c von Neapel (Marmorwerke, zweiter Gang) zu nennen, idea, nicht
carikirt, und noch von sehr guter Arbeit. Andere Dampfsptier da-
gegen zeigen den komischen Ausdruck des Herauspressens dir Luft
(i aus dem Munde; so die rothmarmornen an der Treppe der V.lla Al-
e bani und in der Villa Ludovisi (Vorraum), beide in Profil, Flach-
relief.
Als Impluvium oder Wasserablauf diente die grandiose, ater sehr
( verstümmelte Boccadellaveritä in der Vorhalle von S. Maria
in Cosmedin zu Rom; wahrscheinlich ein Oceanus. Ebenso eire treff-
g liehe Pansmaske der Villa Albani (Nebenräume rechts). — Ein gutes
h Hochrelief, drei tragische Masken zusammengruppirt, in den Iffizien,
zweiter Gang. (Auf der Rückseite eine Satyrmaske in Flacirelief.)
Endlich giebt es eine Gestalt des griechischen Mythus, welche
nur als Maske vorkömmt: das Tod und Entsetzen bringenle, ver-
steinernde Gorgonenhaupt, die M e d u s a. Die ältere Kunst bildete
sie als eine Grimasse, die höchstens denjenigen Widerwillen hervor-
bringen kann, welchen etwa die Kriegsdrachen der Chinesen erregen
mögen. Später aber (durch Praxiteles?) kam derjenige Typus auf,
i den wir z. B. in den colossalen vaticanischen Meduser.masken
(aus hadrianischer Zeit, im Braccio nuovo) bewundern. Unter den
schlangenähnlichen Locken treten gewaltige, breitgebildete Kopfe her-
vor, schön und erbarmungslos, zugleich aber selbst von geheimem
Entsetzen durchbebt; nur so konnte diese Empfindung auch in dem
Beschauer erregt werden. Für die Behandlung des Dämonisch-
Schrecklichen in der griechischen Kunst die wichtigste Urkunde. -
k Leider findet man an der Treppe des Pal. Colonna in Rom von dem
berühmten porphyrnen Colossalrelief eines Medusenhauptes nur noch
1 den bemalten Gypsabguss. — Medusa im Profil, Hauptsaal der Villa
Ludovisi.
Im Ganzen haben unter den Masken diejenigen der Komödie,
wie bemerkt, das grosse Übergewicht; sie herrschen auch wohl in
Komische Schauspieler. Trophäen. Thiere.
531
den pompejanischen Malereien vor. Einzelne Statuen komisch er
Schauspieler sind gleichsam als eine Weiterbildung der Masken
zu betrachten; sie stellen einen Moment einer bestimmten Rolle, z. B.
eines Davus, eines Maccus dar, und nicht den berühmten Komiker
N, N. in dieser und jener Rolle. (Die besten im obern Gang des Va- a
ticans, andere in der Villa Albani, Kaffehaus^); manche als kleineb
Bronzefiguren in den betreffenden Sammlungen.) — Für die Malerei
waren ganze Theaterscenen und Proben ein nicht ungewöhnlicher Ge-
genstand, wie mehrere antike Gemälde und Mosaiken des Museums
von Neapel beweisen (u. a. die beiden zierlichen Mosaiken des Dio- c
medes, erster unterer Saal links). In Rom geben die einfachem Mo-
saiken am Boden der Sala delle Muse im Vatican einen ziemlich ge- d
nauen Begriff von dem Auftreten tragischer Schauspieler.
Von andern leblosen Gegenständen hat die römische Kunst bis-
weilen die Trophäen mit ganz besonderer Schönheit gebildet, sowohl
im Relief (Basis der Trajanssäule) als in runder Arbeit (Balustrade e
des Capitols). Die plastische Gruppirung des Unbelebten hat vielleicht f
überhaupt keine höhren Muster aufzuweisen als diese.
Die Thierbildungen der alten Kunst zeigen eine reiche Scala
der Auffassung, vom Heroischen bis zum ganz Naturalistischen, In
den edlern und gewaltigeren Thiergattungen lebt eine ähnliche Hoheit
der Form wie in den Statuen von Göttern und Helden; in den ge-
ringern wird man mehr jene naivsten Züge des Lebens bewundern,
die das Thier in seinem Charakter zeigen. — Dieser ganze Kunstzweig
lauss eine grosse Ausdehnung gehabt haben: von noch vorhandenen
Resten ist z. B. die grosse Sala degli Animaliim Vatican er- g
füllt, und auch im Museo Chiaramonti findet sich Vieles, lauter römische h
Arbeiten, die zum Luxus des Hauses, zum Schmuck der Brunnen und
Gärten gedient haben mögen. Den Vorzug behaupten natürlich die
grossen, monumentalen Thiergestalten.
') Letztere zusammen, wenn sie richtig geordnet würden, eine komische Scene vorstellend.
(Ansicht Brauns.]
v-.^
532
Antike Scalptur. Thiere. Pferde.
Die Pferde der antiken Sculptur beweisen zunächst, dass die
damalige Pferdeschönheit eine andere war als die, welche die jetzigen
Kenner verlangen. Wo Mensch und Pferd beisammen sind, wie z. B.
auf den parthenonischen Reliefs, wird man das Thier schon im Ver-
hältniss kleiner gebildet finden, aus Gründen des Styles, nicht wegen
Kleinheit der Race, Sodann galt eine andere Bildung des Kopfes,
des Nackens, der Brust und der Croupe, namentlich aber ein gedrunge-
neres Verhältniss der Beine für schön, als jetzt. Aus Mangel an Spe-
cialkenntnissen kann der Verfasser hierauf nicht näher eingehen;
die Denkmäler selbst sind so bekannt, dass sie kaum der Aufzählung
bedürfen. Bei weitem das Schönste ist und bleibt wohl der eine par-
thenonische Pferdekopf, dessen überall verbreitete Abgüsse man ver-
gleichen möge; Alles was zum Ausdruck der Energie, ja des edelsten
Feuers dienen kann, ist scharf und wirksam hervorgehoben und in
die Hautfiäche ein Leben und eine Bedeutimg hineingezaubert, der-
gleichen bei einem sterblichen Thier wohl nicht vorkömmt. — Als
griechische Arbeit galten bekanntlich lange Zeit die vielgewanderten
a vier Bronzepferde über dem Portal von S. Marco in Venedig;
gegenwärtig hält man sie doch nur für römisch, etwa aus neronischer
Kunstepoche; jedenfalls gehören sie zu den besten und sind als ein-
ziges erhaltenes Viergespann (wahrscheinlich von einem Triumphbogen)
b unschätzbar zu nennen. — Die stark restaurirten Pferde der C o 1 o s s e
von Monte Cavalloin Rom sind ohne Zweifel Nachahmungen
griechischer Vorbilder wie die Statuen, in ihrem jetzigen Zustand aber
nicht massgebend. (Der Kopf des einen sehr ausgezeichnet.) — Rö-
mische Pferde erscheinen im Ganzen, neben denjenigen des Phidias
und seiner Schule, roh und im Detail wenig oder nur naturalistisch
c belebt, in der Bewegung aber bisweilen trefflich. — Im Museum von
Neapel verdienen die marmornen Pferde der beiden Balbi (nach mei-
nem Urtheil) unbedenklich den Vorzug vor dem (sehr zusammen-
d geflickten) ehernen herculanensischen Pferde sowohl als vor dem
colossalen ehernen Pferdekopf aus dem Palast Colobrano (Abtheilung
der grossen Bronzen); von den ebenda befindlichen bronzenen Sta-
tuetten übertrifft das Pferd Alexanders und das freisprengende das-
e jenige der Amazone. — In Rom ist das PferdMarcAurels auf
dem Capitol gut gearbeitet und lebendig bewegt, an sich aber ein
Löwen. Hunde.
533
widerliches Thier, ohne Zweifel einem Streitross des Kaisers getreu
nachgebildet. — In Florenz (Uffizien, innere Vorhalle) das bei der a
Niobidengruppe gefundene Pferd, mittelmässige Decorationsarbeit. —
Das 1849 im Trastevere gefundene eherne Pferd, welches vorläufig b
im Museo capitolino aufbewahrt wird, habe ich nicht gesehen.
Unter den Löwen hat der grösste von den vor dem Arsenale
zuVenedig aufgestellten den Altersvorzug (er stammt bekanntlich
aus dem Piräus). Der liegende Löwe, auf der andern Seite der Thür,
soll auf dem Wege vom Piräus nach Athen seine Stelle gehabt haben.
Er scheint wenig jünger und doch durchgebildeter als der sitzende,
hat aber einen modernen Kopf und starke Verletzungen. (Die beiden
kleinern gering.) — Als der schönste gilt der schreitende Löwe in Re- d
lief, an der grossen Treppe des Palazzo Barberini zu Rom. — Ein
schreitender Löwe in vollständiger Figur, von guter römischer Arbeit, e
aber durch plumpe moderne Beine entstellt, befindet sich an der
Treppe des Museums von Neapel. — Der eine vor der Loggia de' f
Lanzi in Florenz ist wohl besser. (Der andere modern, von Flami-
nio Vacca.) — Von einer sehr bedeutenden Gruppe, welche den Sieg
des Löwen über das Pferd darstellte, ist diejenige im Hof des Con- g
servatorenpalastes auf dem Capitol ein treffliches, nur zu sehr be-
schädigtes Exemplar, diejenige im Vatican (Sala degli Animali) ein h
schwacher Nachklang; auch die übrigen Löwen dieses Saales sind
nicht von Bedeutung. — An gewaltigem Ernst und an grandioser
Behandlung möchten die beiden grossen Granitlöwen des ä g y p t i - i
sehen Museums im Vatican wenigstens alle ruhenden Bildungen
dieser Gattung hinter sich lassen. Wo das momentane Leben des
Thieres Preis gegeben und seine Bedeutung als Symbol einer gött-
lichen Naturkraft hervorgehoben wird, wie im alten Ägypten, da
allein sind solche Charaktere möglich.
Von den Hunden wurde die grosse derbe Gattung der M o -
1 o s s e n mit Vorliebe dargestellt. Nachahmungen eines Werkes dieser
Art sind die beiden am Eingang der Sala degli Animali des Vaticans, k
und die beiden in der Innern Vorhalle der Uffizien, von ungleicher 1
Güte der Ausführung, aber sämmtlich von grandiosem Ausdruck. (Sie
sind nicht als Pendants gearbeitet, wie schon die fast identische Wen-
dung beweist.) Sonst genossen die Windhunde am häufigsten das
534
Antike Scnlptur. Wölfin. Eber. Rinder etc.
a Vorrecht einer plastischen Darstellung. Sehr schön und naiv (in der
Sala d. Anim.) die Gruppe zweier Windhunde, deren einer das Ohr
des andern spielend in den Mund nimmt. Anderswo (auch in Neapel)
einer, der sich am Ohre kratzt.
b Die bekannte capitolinische Wölfin (Eckzimmer des Conserva-
torenpalastes), vom Jahr d. St. 458, pflegt als etruskisches Werk
betrachtet zu werden. Die Haare heraldisch, der Leib noch ziemlich
leblos, die Beine kräftig und scharf. (Aus dem Mittelalter, in wel-
ches man sie aus nicht zu verachtenden Gründen hat verweisen wol-
len, kann sie doch nicht wohl sein; als die italienische Kunst des
XIII. oder XIV. Jahrhunderts ähnliche Beine zu bilden vermochte,
bildete sie das Haar nicht mehr heraldisch. Die wichtigsten Ver-
gleichungen für diese noch schwebende Frage: der Löwe vor dem
Dom von Braunschweig; die Löwen des Niccolö Pisano unter den
Kanzeln des Battistero zu Pisa und des Domes von Siena etc.) —
c Anspringend und sehr lebendig: die Chimära von Arezzo in den Uf-
fizien (Bronzen, zweites Zimmer), mit etruskischer Inschrift; das Haar
in symmetrisch gesträubten Büschen.
d Zum AUertrefflichsten gehört der florentinische Eber
(Offizien, innere Vorhalle); er richtet sich majestätisch auf; seine
Borsten kleben buschweise zusammen vom Schweiss und von der
Feuchtigkeit seines Lagers und bilden zumal an der Brust einen präch-
tigen Ausdruck innerer Kraft. — Das Mutterschwein von Alba (Sala
e d. Anim.) ist daneben ein sehr geringes Werk.
{ Von R i n d e r n ist in riesiger Grösse der farnesische Stier (s. d.),
doch nur mit starken Restaurationen erhalten. Ausserdem enthält das
g Museum von Neapel (grosse Bronzen) ein kleines bronzenes Rind, von
mittelguter Arbeit. Die Erinnerung an Myrons berühmte Kuh sucht
man, vielleicht vergebens, aus kleinen Bronzen verschiedener Galerien
zusammen.
h Die beiden niedlichen Rehe des Museums von Neapel (grosse
i Bronzen) stehen ziemlich vereinzelt. Der graumarmorne Hirsch im
lateranensischen Museum ist ebenfalls eine gute Arbeit.
Die V^ ö g e 1 sind für die Freisculptur in Marmor nur ausnahms-
weise ein geeigneter Gegenstand; indess ergab sich wenigstens für den
Adler mehr als eine Gelegenheit, die nicht zu umgehen war. Von
Adler etc. Fabelthiere.
535
den sämmtlichen Darstellungen des Ganymed zeigt allerdings vielleicht
keine einzige den Adler mit vollkommenem Lebensgefühl durchgebil-
det, wenn es auch an guten Motiven nicht fehlt (S. 468, u. f.). Als Sym-
bol an römischenDenkmalen wurde wieder aus andern Gründen der Adler
nur decorativ behandelt. Irgend einmal aber hatte sich die Kunst
ernstlich des Königs der Vögel angenommen und ihn auf immer so
stylisirt, wie er bis heute plastisch pflegt gebildet zu werden, nämlich
mit beträchtlicher Verstärkung der untern Theile (eine Art starkbefie-
derter Knie) und mit grossartig umgebildetem Kopf. Eines der besten a
Exemplare bleibt immer der Reliefadler in der Vorhalle von SS. Apo-
stoli zu Rom.
Für den Begriff der quantitativen Ausdehnung, welche diese
Thiersculptur erreicht hatte, sorgt, wie gesagt, die Sala degli Ani- b
iTiali. Hier findet sich der Elephant wenigstens in verkleinertem Re-
lief, der Minotaurus, von einem Kameel der riesige Kopf, auch das
Haupt eines Esels (ohne besondern Humor), mehrere Krokodile, Pan-
ther, Leoparden (mit eingelegten Flecken) ; dann Gruppen des Kampfes
und der Beute, wie die von Löwe und Pferd (s. oben), Hund und
Hirsch, Panther und Ziege, Bär und Rind etc.; kleine Amphibien und
Seethiere, oft von farbigem Marmor; von Vögeln namentlich Pfauen
u. a. m. Manches hat den Charakter blosser Spielerei.
Ausserdem wird man in den Sammlungen kleinerBronzen
(z. B. Museum von Neapel, drittes Zimmer, Uffizien in Florenz, zwei- c
tes Zimmer der betreffenden Abtheilung, sechster Schrank) eine grosse d
Anzahl und zwar gerade der schönsten und lebensvollsten Thier-
motive vorfinden; am letztgenannten Ort u. a. einen trefflichen Stier
mit menschlichem Angesicht, von griechisch scheinender Arbeit. Auch
hier giebt sich die antike Kleinsculptur nicht als Fabrikantin artiger
Nippsachen, sondern als eine des Grössten fähige Kunst zu erken-
nen (S. 496, 497).
Eine Anzahl von Thieren konnte ihrer Natur nach bloss in der
Malerei und höchstens im Relief zu ihrem Rechte kommen. Diess
sind ausser den Fischen die sämmtlichen fabelhaftenWasser-
w e s e n , Seestiere, Seepanther, Seeböcke, Seegreife u. s. w., welche
den Zug der Tritone und Nereiden begleiten; die Tritone selbst sind,
wie oben (S. 484) bemerkt, aus einem menschlichen Oberleib mit dem
536
Antike Scalptar. Delphine. Reliefs.
Untertheil eines Pferdes und einem geringelten Fischschwanz zusam-
mengesetzt. Es bleibt hier nur zu wiederholen, dass die Übergänge
aus dem einen Bestandtheil in den andern so meisterlich unbefangen
und die Verhältnisse der Bestandtheile zu einander so wohl abgewo-
gen sind, dass der Beschauer, weit entfernt etwas Monstruöses
darin zu finden, an das Dasein solcher Wesen zu glauben anfängt.
Der Delphin, sehr häufig als Brunnenthier, auch als Begleiter
der Venus dargestellt, ist unter den Händen der Kunst zum ,, Fisch
an sich", zum allgemeinen Sinnbild der feuchten, bewegten Tiefe ge-
worden und hat mit dem wirklichen Delphin nicht einmal eine flüch-
tige Ähnlichkeit!). Dieser gehört zu den formlosesten Fischen; wer
ihn im Mittelmeer nicht zu sehen bekommen hat, kann sich hievon
a z. B. in der Naturaliensammlung der Specola in Florenz überzeugen,
deren vortrefflich ausgestopfte Thiere für mehrere Punkte unseres
Capitels zur entscheidenden Vergleichung dienen mögen.
Wenn wir hier die wichtigern Reliefs in kurzer Zusammen-
stellung auf die Statuen folgen lassen, so geschieht dies nur des be-
schränkten Raumes wegen. Abgesehen von seinem unschätzbaren
m3rthologischen Werthe hat das antike Relief das Höchste, was die
Kunst je in diesem Zweige leisten kann, völlig erschöpft, sodass
alles Seitherige daneben nur eine bedingte Geltung hat. — Die höchste
Gattung, die Friese und Metopen griechischer Tempel, wie sie das
brittische Museum besitzt, darf man in Italien freilich nur in Gestalt
von Abgüssen suchen (zu Rom im Museum des Laterans, zu Florenz
in verschiedenen Räumen der Academie etc.), aber auch nicht über-
sehen; die römischen Friessculpturen sind daneben selbst im besten
Falle nur von untergeordnetem Werthe. Dagegen hat die Kunst-
liebhaberei der Römer eine beträchtliche Anzahl einzelner, meist klei-
nerer Werke aus Griechenland hergeschleppt oder von griechischen
') Der den Eros umschlingende Delphin im Museum von Neapel (Halle des Adonis) iaX eines der
wenigen Absurda der antiken Kunst.
Innere Gesetze des Reliefs.
537
Künstlern in Rom und Italien arbeiten, auch wohl copiren lassen. Es
sind Tafeln, runde und viereckige Altäre und Piedestale, runde Tem-
pelbrunnen (röm. Name: Puteal), Basen von Dreifüssen, Marmorvasen
u. s. v/. Von den im sog. Tempelstyl gearbeiteten, welche einen nicht
geringen Theil der Gesammtzahl ausmachen, haben wir oben des Bei-
spiels halber einige genannt; ungleich wichtiger sind immer die Werke
des entwickelten griechischen Styles.
Um die Entstehung dieser Darstellungsweise zu begreifen, wird
man sich einen architektonischen Rahmen hinzudenken müssen. Es
ist die Sculptur in ihrer Abhängigkeit von den
Bauwerken, die sie schmücken, aber nicht beherrschen soUi). An
den griechischen Tempeln nun rief der Aussenbau mit seinen starken,
scharf schattigen Formen das Hochrelief hervor, welches die mensch-
liche Gestalt bis zu drei Viertheilen heraustreten lässt; an der
Innenseite der Halle dagegen und an. der Cella fand das Basrelief
in dem gemeinsamen Halblicht seine Entstehung, Eine scharfe Schei-
dung zwischen beiden darf man natürlich bei spätem Werken, die ohne
specielle Rücksicht auf bauliche Aufstellung entstanden sind, nicht
verlangen.
Ein weiteres architektonisches Gesetz, welches im Relief lebt,
ist die Beschränkung des darzustellenden Momentes auf wenige,
möglichst sprechende Figuren, welche durch Entfernung oder deut-
liche Contraste auseinander gehalten werden. Die Vertiefung des
Raumes wird nur sehr beschränkt angenommen, die Verschiebung der
Gestalten hintereinander nur massig angewandt. Zur römischen Zeit
glaubte man das Relief durch masslose Aufschichtung von Figuren,
durch Annahme mehrerer Pläne hinter einander zu bereichern, wobei
jene Unzahl von Arbeiten entstand, die man nur betrachten mag,
so lange nichts Griechisches daneben steht.
Die Bezeichnung des Örtlichen ist entweder eine kurz andeu-
tende, welche durch einen Pfosten ein Haus, durch einen Vorhang
ein Zimmer markirt, oder eine symbolische, welche das Wasser durch
eine Quellgottheit, den Berg durch einen Berggott persönlich macht.
Ausgeführte Darstellungen von Landschaften und Gebäuden, perspecti-
1) Das Extrem des Missbrauches siehe S. 385.
Urcicerone.
35
538
Antike Sculptar. Reliefs:
visch geschoben, giebt das Relief (seltene Ausnahmen abgerechnet)
nicht vor dem XV. Jahrhundert. (Ghiberti's zweite Bronzethür am
Battisterio von Florenz; die Scuola di S. Marco in Venedig, mit den
Sculpturen der Lombardi etc.)
In der Darstellung der Figuren fand die griechische Kunst nach
längerm Suchen zwischen Profil und Vorderansicht
diejenige schöne Mitte, welche bei der lebendigsten Profilbe-
wegung doch den Körper in seiner Fülle zu zeigen und namentlich
den Oberleib auf das Wohlthuendste zu entwickeln wusste. Die frei-
stehende Giebelgruppe wird die Lehrerin des Reliefs; ihre Fortschritte
sind gemeinsam. Die schwierige Frage der Verkürzungen,
welche vielleicht nicht absolut lösbar ist, wurde auf sehr verschiedene
Weise gelöst, bald durch wirkliches Heraustreten der betreffenden
Theile, bald durch verstecktes Nachgeben. Starke Verstümmelungen
verhindern oft jedes unbedingt sichere Urtheil.
Das durchgehende Grundgesetz des Reliefs ist, wie man sieht,
die grösste Einfachheit. Die Mittel der Wirkung sind hier so be-
schränkt, dass das geringste Zuviel in Schmuck, Kleidung, Geräthe
u. s. w. den Blick verwirrt und das Ganze schwer und undeutlich
macht. — Wir wählen nun aus der Masse des Vorhandenen nur die-
jenigen Werke aus, welche diese höhern Bedingungen deutlich er-
füllt zeigen, nämlich die griechischen und die nahen und unverkenn-
baren, auch mehrfach vorkommenden Nachbildungen von griechischen.
Der Bequemlichkeit des Auffindens zu Liebe mögen sie nach den Ga-
lerien geordnet folgen; die Anordnung nach dem Styl oder nach den
Gegenständen würde in einer Kunstgeschichte den Vorzug verdienen.
a Im V a t i c a n : Museo Chiaramonti, am Anfang: ein sitzender
Apoll; gegen das Ende: wandelnde bacchische Frauen.
b Belvedere, im Raum des Apoll: die zwei Tempeldiene-
rinnen mit herrlich wallenden Gewändern, einen widerspenstigen
Opferstier führend.
c Galeria delle Statue: Mehreres Treffliche, u. a. zwei Reliefs von
griechischen Grabmälern. (Auch ein modernes Werk, vorgeblich von
Michel Angeiu.) Köstliche Fragmente in die Picdestale mehrerer Sta-
tuen eingemauert.
Reliefs.
539
Gabinetto delle Maschere: Der trunkene Bacchus; — ein O p f e r , a
letzteres von schöner griechischer Arbeit. (In der anstossenden Loggia b
scoperta, welche man sich kann öffnen lassen, einige Fragmente von
Werth und ein ganz origineller Bacchuszug mit Centauren, die sich
gegen das Aufsitzen von Satyrn wehren.)
Sala delle Muse: Der Tanz der Kureten; — die Pflege des jungen c
Bacchus. — (Aus später römischer Zeit: Fries mit Kämpfen der Cen-
tauren und Lapithen, ungeschickte Nachahmung griechischer Tempel-
metopen der Blüthezeit; statt der Triglyphen Bäume.)
Oberer Gang: Zwei schöne, grossentheils restaurirte bacchische d
Vasen; an der einen tanzende Kureten und ein Satyr; an der andern
weinkelternde Satyrn und ein aufspielender Silen. U. A, m.
Grosser und nächstfolgender Saal des Appartamento Borgia: Das e
runde Puteal aus der Sammlung Giustiniani, mit der umständlichen
Darstellung eines Bacchanals, römische, vielleicht moderne Arbeit nach
guten Motiven; — Nymphe, ein Satyrkind tränkend; — vorgeblicher
Hippolyt mit Phädra (ein Grabrelief von griechischer Erfindung),
u. A. m.
ImMuseocapitolino: Zimmer der Vase: Die Einnahme von £
Ilion, Miniaturrelief in feinem Stucco^), mit zarten griechischen In-
schriften; vielleicht als Geschenk für einen fleissigen Knaben oder zum
Memoriren für ein vornehmes Kind gearbeitet, ähnlich wie die Apo-
theose des Herakles in der Villa Albani (s. unten).
Obere Galerie: Treffliche Vase mit Bacchanten, in Form eines g
Eimers. — Runde Ära mit schreitenden Götterfiguren im Tempelstyl,
jetzt der grossen Vase (Seite 67, i) als Basis dienend.
Grosser Saal: Altar mit der Geschichte des Zeus (als Basis h
des riesigen Herakleskindes) ; die erhaltenen Theile vom besten Relief-
styl, obwohl kaum griechisch.
Philosophenzimmer: Mehreres Gute, u. a. die Bestattung der Leiche i
eines Helden. (Meleager? — dasselbe in grösserm Massstab im Hof k
des Palazzo Mattei, rechts, oben.)
Kaiserzimmer: Die Befreiung der Andromeda; — der schlafende i
Endymion (s. unten bei der Sammlung Spada).
1) [Br.]: Aus einem Stein, welcher zwischen dem Marmor und dem lithographischen Muschelkalk
in der Mitte steht.
35*
540
Antike Scülptnr. Reliefs.
a Erstes unteres Zimmer: Ära mit den Thaten des Hercules, je drei
auf einer Seite, römische Arbeit zum Theil nach alten griechischen
Motiven.
b In der VillaAlbani: Untere Halle des Palastes: der gestürzte
Kapaneus (?), spätrömisch nach einem trefflichen griechischer. Urbild;
eine sehr verwitterte runde Ära mit den einfach schönen Gestalten
der verhüllten Hören, die einander am Zipfel des Schleiers fassen.
c Treppe: Die schon (Seite 440, e) geschilderte Roma; — Artemis,
drei Niobiden verfolgend; — Philoktet (?).
d Runder Saal: Die schöne Marmorschale mit dem Gefolge des
Bacchus im Hochrelief, dem Raum gemäss lauter liegende und leh-
nende Figuren von unbeschreiblicher Frische der Erfindung.
e Zimmer des Äsop: Die Apotheose des Herakles, von feinem Stucco
mit Miniaturinschriften, wie das capitolinische Relief; — Satyr und
Bacchantin, öfter vorkommende Motive rasender bacchischer Be-
wegung, von grösster Schönheit.
i Zimmer der Reliefs: Die Kämpfer, ein vom Pferde gesprun-
gener tödtet einen auf der Erde liegenden. Von allen Reliefs italie-
nischer Sammlungen ist dieses in Rom selbst ausgegrabene Werk
vielleicht das einzige, welches unmittelbar an Phidias und seine Schule
erinnert; mit allen Verstümmelungen übertrifft es an grandiosem Styl
und Lebensfülle bei Weitem Alles, was sonst von dieser Gattung in
Italien vorhanden ist. — Aphrodite auf einem Seepferd; — zwei sprin-
gende Satyrn; u. A. m.
g Hauptsaal: Herakles bei den Hesperiden; — Dädalus und Icarus;
Ganymed den Adler tränkend, gute römische Arbeiten; u. A. m.
h Im anstossenden Zimmer: Zethus, Antiope und A m -
p h i o n , s. d. Museum von Neapel, S. 541, h.
i Nebenräume des Palastes zur Rechten: Artemis und eine weib-
liche Figur; — eine Familie, Mann, Frau und Sohn; — opfernde
Mutter mit drei Kindern; — Dädalus und Icarus (hier von
rothem Marmor) ; — eine grosse Schale mit den Arbeiten des Herakles,
welche wie die dürftige Nachahmung etwa eines Tempelfrieses aus-
sehen; — zwei einzelne Figürchen, vielieicht Palästriten.
k Im sog. Kaffehaus: Theseus, durch Ägeus als Sohn erkannt, spät-
römisch nach griechischer Erfindung,
Reliefs.
541
In der Villa Borghese: Hauptsaal: die beiden Reliefs mit a
Pan und Satyrn.
Zimmer der Juno: Cassandra, spätrömisch nach bester griechi- b
scher Erfindung. Mehreres Treffliche.
Zimmer des Herakles: Schöne Vase, mit der Relief darstellung c
eines Tanzes nackter Kureten und verhüllter Frauen; Pan musicirt.
In der Villa Ludovisi: Hauptsaal: das Urtheil des Paris, d
grosses Relief nach griechischen Motiven.
Im Palast Spada zu Rom, zweiter unterer Saal: Achte
grössere Reliefs, wozu noch die beiden im Kaiserzimmer des
Museo capitolino gehören; sämmtlich von bester römischer Arbeit und
den edelsten, lebendigsten Motiven, doch mehr malerisch als plastisch
empfunden und vielleicht Nachbildungen von Gemälden. Andeutungen
hievon: das starke Heraustreten einzelner Glieder, die Menge der Bei-
werke, auch die weit vertieft gedachten Hintergründe.
In der VillaMedici: eine Anzahl guter Relieffragmente nebst f
geringern, an der Hinterwand gegen den Garten.
Im Eingang zum Pal. Giustiniani : zwei gute Grabreliefs, sog. g
Todtenmahle.
Im Museum von Neapel: Nebenraum des dritten Ganges: h
Orpheus, Eurydice undHermes, schöne griechische Arbeit,
stark verletzt; nicht der Ausführung, aber dem Inhalt nach identisch
mit jenem etwas geringern Relief der Villa Albani, wo die Namen
Zcthus, Antiope und Amphion beigeschrieben sind, nach einem dritten
Exemplar im Louvre, welches sie in antiker, aber lateinischer Schrift
enthält. Durch den Zweifel über den eigentlichen Inhalt verlieren
wir einigermassen das Interesse an diesem für die Reliefbehandlung
c) assischen Werke; ist aber wirklich das kurze Wiedersehen und der
letzte Abschied Eurydicens dargestellt, so giebt die ungemeine Mässi-
gung und leise Abstufung des Pathos in den drei Gestalten viel zu
denken. — Eine Nymphe, die einen zudringlichen Satyr abwehrt,
leider fast zur Hälfte neu; — mehrere griechische Grabreliefs, nicht
von den besten, doch als Repräsentanten dieser in italienischen Samm-
lungen seltenen Gattung zu schätzen, so das des Protarchos etc.; —
verkleinerte, römische Nachahinung der Basis eines griechischen Sie-
gesdenkmals (Tropäons) mit zwei Karyatiden und einer sehr nied-
542
Antike Scnlptar. Reliefs.
a liehen, sitzenden Figur i); — Zeus auf einem Thron mit Sphinxen — ;
Orest in Delphi, römisch nach einem trefflichen Original; — eine An-
zahl von Marmorscheiben (disci) mit flüchtigen, aber zum Theil schön
gedachten flachen Reliefs; — Stück aus einem bacchischen Thiasos
mit den öfter vorkommenden Motiven der Bacchantin mit Tamburin
und eines Satyrs mit Flöten; der folgende Satyr meist ergänzt: —
sodann eines der herrlichsten bacchischen Reliefs, welche überhaupt
vorhanden sind: der bärtige Dionysos hält Einkehr bei eiiem
zechend auf dem Ruhebett gelagerten Liebespaar; ein Satyr stützt ihn,
ein anderer zieht ihm die Sandalen ab; draussen vor der Thür des
Hauses Silen und die übrigen Gefährten des Gottes; — endlich ein klei-
nes sehr liebenswürdiges Werk: der Ritt durch die Nacht
(Jüngling und Bacchantin mit Fackeln zu Pferde, ein Führer voran).
b Halle des Jupiter: Helena wird von Aphrodite unter dem Schutz
der Peitho (Göttin der Überredung) bewogen, dem Paris zu fo.gen,
welcher mit Eros sprechend gegenübersteht; sehr schöne, wenn auch
nicht frühe griechische Arbeit; — Bacchus mit einem Theil seine: Be-
gleiter, griechisches Motiv von unbedeutender Ausführung.
c Halle der Musen: Die berühmte VasevonGaeta, mit dem Na-
men des Künstlers: Salpion von Athen; fast lauter auch sonst bekannte
Motive (Hermes, welcher der Leukothea das Bacchuskind übergiebt —
an ein Relief der Sala delle Muse im Vatican erinnernd; die lehnende
halbnackte Bacchantin — aus einem Relief der Villa Albani; zwei
Satyrn und die tanzende Bacchantin — aus dem eben erwähnten Re-
lief des dritten Ganges im Museum von Neapel; ausserdem Silen und
eine Bacchantin mitThyrsus). Die Ausführung, obwohl trefflich, hat
doch etwas Conventionelles; die starken Verstümmelungen rühren aus
der Zeit her, da das Gefäss als Pflock für die Schiffseile diente. —
Herrliches bacchisches Hochrelief von kleinem Massstab;
— Flachrelief von sieben weiblichen Figuren.
') „Siegeszeichen zu Ehren von Hellas, nach Besiegung der Karyaten" — so lautet die
Inschrift. Die Frauen des besiegten Volkes, also die Karyatiden, wurden, wie an neuern
Denkmälern z, B, Sklaven und Überwundene, als StUtzfiguren für das Obergesimse der
Basis behandelt. Wahrscheinlich war das Criginäi - Trupäon ein sehr bekannte: und
berühmtes, so dass „Karyatide" der Gattungsname für die Stützfiguren überhaupt werden
konnte. Vgl. S. 467.
Reliefs.
543
Halle des Adonis: (Als Basis einer Venus) Puteal von tüchtiger a
römischer Arbeit, mit weinbereitenden Satyrn.
Abtheilung der Terracotten, viertes Zimmer: Kleine Reliefs in ge- b
brannter Erde, gefunden zu Velletri, einen alt-volskischen Styl re-
präsentirend.
In den UffizienzuFlorenz : Verbindungsgang: Runde Basis c
mit der Vorbereitung zu Iphigeniens Opfer, flüchtige, etwa spätgrie-
chische Arbeit (bez. Kleomenes); — kleine dreiseitige Basis (über
einem prächtigen Dreifuss aufgestellt, zu welchem sie nicht gehört)
mit drei Gewandfiguren schönen griechischen Styles.
Erster Saal der Malerbildnisse: Die berühmte mediceisched
Vase mit dem Relief von Iphigeniens Opfer; stark restaurirt, die Ar-
beit der unberührten Theile ungefähr wie an der Vase von Gaeta;
die Composition hochbedeutend in wenigen Figuren concentrirt.
Halle der Inschriften: Das grosse Relief der drei Elemente, noch e
von mittelguter römischer Arbeit.
Halle des Hermaphroditen: Relief darstellung eines Rundtempels, f
sachlich merkwürdig wegen des Gitterwerkes, welches die Säulen ver-
bindet; — drei Bacchantinnen mit Zicklein, Thyrsus etc., ein öfter
vorkommendes griechisches Motiv; — Dionysos in Delphi(?),
schöne, vielleicht griechische Arbeit; — kleinere Wiederholung des
vaticanischen Reliefs der beiden Tempeldienerinnen mit dem Stier (s.
Belvedere, Raum des Apoll); — Genius, den Donnerkeil Jupiters
schleppend, gut römisch; — römisches Opfer eines Feldherrn, haupt-
sächlich durch die unberührte Erhaltung interessant; — drei wan-
delnde bacchische Frauen, denjenigen im Museo Chiara-
monti entsprechend.
ImCamposanto zu Pisa: N. 56 lebensgrosses römisches g
Relief einer Wöchnerin und einer Amme mit dem Säugling, decorativ
gute Arbeit; — N. 52 verwitterte Marmorvase mit bacchischen Re-
liefs, von flüchtig conventioneller, aber noch spätgriechischer Aus-
führung und sehr schöner Erfindung.
Im Museo lapidario zu Verona: eine bedeutende An- h
zahl von Sculpturen, worunter mehrere gute Sepulcralreliefs.
Im Dogenpalast zu Venedig: Sala de' rilievi: mehrere i
kleine Sepulcralreliefs von geringer Ausführung, aber zum Theil grie-
544
Antike Sculptur. Reliefs römischer Denkmäler.
a chisch scheinender Erfindung; in demjenigen mit Attis und Cybele
z. B. eine sehr schöne Dienerin; — treffliches römisches Relief einer
Seeschlacht in reichfigurirten Schiffen; — Putten mit den Waffen des
Mars, römisch; — ausgezeichnete vierseitige Ära mit bacchischen
S c e n e n von nur flüchtiger römischer Arbeit, aber schön erfunden.
b — Camera a letto: drei Hören mit verschlungenen Händen eine Herme
umschreitend, vielleicht altgriechisch, in römischer Zeit als Fussgestell
für eine marmorne Cista benützt; — dreiseitiger Untersatz mit vor-
c trefflichen bacchischen Figuren. — Corridojo: zwei Dreifussbasen mit
dem bekannten römischen Motiv waffenschleppender Genien. (Zwei
andere mit Hierodulen scheinen verdächtig.)
Nach diesen Schätzen zum Theil ersten Ranges folgen eine An-
zahl Arbeiten, welche wenigstens einen Vorzug, nämlich das feste
Datum, vor ihnen voraus haben: dieSculpturender Kaiser-
bauten in Rom.
Schon überfüllt, doch noch von schöner und nobler Arbeit: die
d Bildwerke des Titusbogens, namentlich die beiden Reliefs mit dem
Triumphzug wegen Judäa's; in den Bogenfüllungen die schönsten
e schwebenden Victorien^). — Am Forum des Nerva (oder Domitian)
Hochreliefs von tüchtiger, energischer Zeichnung, auf die Ferne be-
rechnet. — Aus Trajans und Hadrians Zeit: die sehr ausgezeich-
f neten altern Bildwerke am Constantinsbogen, zumal die Kampf-
scenen, doch ebenfalls nicht mehr rein im Geiste des Reliefs gedacht;
(diejenigen des Bogens von Benevent sind dem Verfasser nur aus Ab-
g bildungen bekannt;) — die ungeheure Spirale der Trajanssäule,
durchweg trefflich gearbeitet und reich an einzelnen der besten Zeit
würdigen Motiven, doch als Gesammtaufgabe in hohem Grade geeig-
net, das nur an einer unvergleichlichen Mythologie grossgewachsene
Relief durch tödtlich trockene historische Erzählung gleichartiger Facta
h auf immer zu ermüden. — Vom Forum Trajans stammen ein paar herr-
liche Friesstücke (Genien in halber Figur mit Arabesken, sowie Greife
* -) Noch {lü'uer, iiöciisl walusclitinlich von eineni Triumphbogen des Claudius: die R»!i»f-
fragmente in der Vorlmlle der Villa Borghese; aus der Zerstörung leuchten no-ch Züge
der grössten Schönheit hervor.
) 'i^^i^-'fe' w'^.?'':.;v'ffj2»ffi
Reliefs römischer DeDkmäler.
545
und Gefässe) und ein gutes Relief fragrrient im grossen Saal des Appar- a
tamento Borgia (Vatican), Von einem Gebäude aus trajanischer Zeit:
vier Stücke einer Procession, in den Uf fizien zu F 1 o r e n z (äussere b
Vorhalle) ; abgesehen von der Überfüllung, welche sich in diesen Flach-
arbeiten besonders empfindlich macht, von ausserordentlicher Schön-
heit; vielleicht gehört das herrliche Hochrelief eines Stier opfers, wel-
ches dabei aufgestellt ist, in dieselbe Kunstepoche. — Aus der Zeit
Marc-Aurels: die schon beträchtlich geringern und überdiess c
schlechter erhaltenen Reliefs der Antoninssäule und die fleissi-
gen, aber etwas leblosen Sculpturen wahrscheinlich von einem
Triumphbogen, jetzt an der Treppe und in der obern Halle des d
Conservatorenpalastes auf dem Capitol eingemauert; weit das beste
darunter ist die Apotheose einer Kaiserin, entweder der altern oder der
Jüngern Faustina i). An der Basis des Denkmals des Antoninus Pius, e
jetzt im Giardino della Pigna des Vaticans, ist die Apotheose des Kaisers
(rituell nach altern Vorbildern) ebenfalls auffallend besser als die
Reiterschaaren zu beiden Seiten. — Am Bogen des SeptimiusSe-f
V e r u s : Alles von abschreckender Überfüllung und Ungeschicklich-
keit; die Heereszüge im Zickzack angeordnet; — der gleichzeitige g
Bogen der Goldschmiede blosse Steinmetzenarbeit. — Am Consta n-h
tinsbogen tritt in Allem, was nicht vom Bogen Trajans geraubt ist,
der offene Bankerott des Reliefs und der Sculptur überhaupt zu Tage;
puppenhafte Ungeschicklichkeit des Einzelnen und eine völlig leblose
Anordnung. Ebenso in den Porphyrsärgen der Helena»
und Constantia. (Vatican, Sala a croce greca.)
Überblickt man diesen traurigen Gang der Kunst im Ganzen, so
wird es recht klar, wie wenig Geschichtliches als solches dem Relief
darf zugemuthet werden. Man rechne einmal unter all den Thatsachen,
welche in diesen Siegesdenkmälern verherrlicht sind, diejenigen zu-
sammen, in welchen ein sinnlich wahrnehmbarer dramatischer Moment
durch die Hauptpersonen selbst dargestellt ist, und keine blosse Cere-
monie, kein blosses Obercommando; man zähle die Scenen, welche
') Dieses und das gegenüber angebrachte Relief, Marc Aurel als Redner, stammen von einem
ganz andern Denkmal, dem zerstörten Arco di Portogallo, her. (Br.)
546
Antike Scnlptar. Sarcophage.
sich einigermassen durch Abwechselung von Geschlecht, Alter und
Charakteren in dieser sonst auf so abgemessene Mittel beschränkten
Gattung annehmbar machen Hessen; — und es werden ihrer nur we-
nige sein. Man vergleiche diese Bilder dacischer und parthischer
Kriege mit den Kampfschilderungen der Ilias, und man wird inne
werden, wie schön hier der Dichter seine einzelnen Momente isolirt
und gleichsam in hoher Ahnung für eine künftige Kunst vorbereitet
hat. Der siegende Imperator dagegen verlangte seine und seines
Heeres Thaten in möglichster Wirklichkeit vor sich zu sehen, und
unter solch einer lastenden Masse des äusserlich Gegebenen mussten
sich auch die keineswegs sparsam angebrachten symbolischen Zutha-
ten und Beziehungen gänzHch verlieren i).
Eine besondere Gattung von erhobenen Arbeiten, diejenigen an
den wahrhaft unzähligen Sarcophagen, dürften wir ganz mit
Stillschweigen übergehen, wenn der absolute Kunstwerth einer Arbeit
allein entschiede. Diese Steinsärge sind nämlich fast ohne Ausnahme
Werke der Kaiserzeit, und zwar seit dem II. Jahrhundert n. Chr.,
indem erst damals die Leichenverbrennung ausser Gebrauch zu kom-
men anfing. Die Behandlung des Einzelnen ist nur an wenigen dieser
Denkmäler wirklich gut zu nennen, an vielen dagegen mittelmässig
und an der grossen Mehrzahl kümmerlich. Allein abgesehen von ihrer
doppelten religionsgeschichtlichen Bedeutung (indem sie erstens eine
Fülle griechischer Mythen und zweitens in diesen Mythen oft Be-
ziehungen auf die Unsterblichkeit enthalten), besitzen viele davon auch
einen hohen indirekten Kunstwerth. In diese engen Räume sind viel-
leicht Erinnerungen und Nachklänge aus griechischen Freigruppen,
Giebelgruppen und Tempelf riesen zusammengedrängt; ganz befremd-
lich blicken bisweilen die schönsten Gedanken griechischer Composi-
tion hinter der befangenen Ausführung hervor. Sodann gewinnen wir
fast nur hier (abgesehen von den griechischen Reliefs des brittischen
^) Die Abgüsse von einzelnen Theilen der Spiralsäulen und andern der genannten Monumente
* in der Academia di S. Luca (Treppe) und in der Acadimie de France sind dem Auge
viel erreichbarer ah die Originale.
Sarcophage.
547
Museums) einen Begriff von der fortlaufendenErzählungi),
welche dem ausgedehntem Relief eigen ist, von der höchst unbefange-
nen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er-
gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände
hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken
Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst
für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz-
ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort — nicht bloss auf einem und
demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordem Fläche —
keinen Anstoss zu nehmen.
Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den
angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf-
bewahrungsorten folgen.
Im V a t i c a n : Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumph a
des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar-
stellungen dieser Art (S. 483). — Zwischen dem Laocoon und dem
Apoll: einer der besten Nereidensarcophage. Im Hof und in b
allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche
die geläufigem Mythen vollständig umfassen mögen.
Im obern Gang: Niobidensarcophag, welcher ahnen lässt, c
wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta-
tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei
den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des
Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. — Bacchus, der
die Ariadne findet; — Luna besucht den schlafenden Endymion; —
beide von bester Erfindung.
ImMuseo capitolino: unterer Gang: ein (absichtlich sehr d
zerschundenes) Bacchanal mit schön bewegten Figuren; — die Ge-
schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh.
Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachten e
von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels
Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; — der colossale
Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des
1) Die eben bezeichneten Sculpturen der Kaiserbauten geben diesen Begriff auch, aber wir sahen, auf
wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt.
548
Antike Sculptar. Sarcophage.
Alex. Severus, dessen anderweitig bekannte Züge indess der einen
auf dem Deckel liegenden Gestalt nicht entsprechen.
a Zimmer der Vase: zwei Kindersärge, der eine mit dem schönsten
vorhandenen Relief der Endymionssage, der andere spät, aber
sachlich höchst merkwürdig durch die Darstellung der Schicksale der
Menschenseele. (Prometheus, Pallas, Nemesis etc.) — Ausserdem ein
guter Bacchuszug.
b Obere Galerie: Geburt und Erziehung des Diony-
sos, zum Theil von den allerbesten Motiven.
c Zimmer des Fauns: Kampf zwischen Griechen und Amazonen,
am Deckel die Gefangenen, spätes, aber sehr gut erhaltenes Exem-
plar; — guter und früher Nereidenzug; -- reicher und später Endy-
mionssarcophag.
(1 Kaiserzimmer: der schon erwähnte Musensarcophag, nach-
weisbar zum Theil nach einer Sammlung von Musenstatuen gearbeitet,
was von andern Sarcophagen dieses Inhalts nicht immer gilt.
e In der Villa A 1 b a n i eine grosse Anzahl. Wir nennen nur die
wichtigsten, am Ende der Nebengalerie rechts: die Götter bringen
P e 1 e u s und T h e t i s Hochzeitsgeschenke, gute Arbeit nach reinen
und einfachen Motiven der Blüthezeit. — Tod der AIceste; — ein M e -
leagersarcophag, vielleicht der beste.
f In der Villa Borghese: Vorhalle: eine der oben erwähnten
Schlachten zwischen Griechen oder Römern und Barbaren; — Abschied
und Tod eines Jägers.
g Junozimmer: ein sehr später Musensarcophag, welcher jedoch die
Musen nach dem alten, feierlich-schönen Typus darstellt.
h Herakleszimmer: grosser, in zwei Theile getrennter Sarcophag
mit den zwölf Arbeiten des Helden, in besondern, durch Säulchen
geschiedenen Abtheilungen.
i Im Palazzo Corsinizu Rom: erster Saal: einer der schönsten
Nereidensarcophage, im Einzelnen vielleicht nicht ohne le-
bendige Nachklänge aus einer berühmten Gruppe des Skopas, in welcher
die Meergottheiten dargestellt waren, die den vergöttlichten Achill
nach Leuke, der Insel der Seligen, führten. (Dieses Werk befand sich
zur Zeit des Plinius in Rom). Solche Züge von Tritonen und Ne-
reiden offenbaren trotz des ernsten, fast wilden Ausdruckes der mann-
^9iMim})9Vi
Sarcophage.
549
liehen Gestalten (8.484) in der Bewegung einen wahrhaft bacchischen
Charakter. An den vielleicht über hundert Sarcophagen dieses In-
haltes, und zwar selbst an den geringsten Exemplaren (mehrere in a
der Galeria lapidaria des Vaticans) wird man immer einzelne Motive
von ausserordentlicher Schönheit, namentlich in der Verbindung der
Gestalten finden.
ImPalazzo Farnese: grosser Saal: ein schöner Amazonen- b
kämpf; — ein besonders reicher bacchischer Sarcophag,
dessen Vorderseite dem verdorbenen im untern Gang des Museo capito-
lino ziemlich genau entspricht.
ImPalazzoMattei: in den Höfen und der offenen Loggia: c
unter einer grossen Anzahl von Sarcophagplatten einige gute. — Ebenso d
im Hof von Palazzo Giustiniani.
Im Museum von Neapel : Halle des Jupiter: guter Bacchus- e
zug, zum Theil von sehr burlesken Motiven; — eine Anzahl geringerer
Sarcophage. — Zweiter Gang: ein trefflicher, aber sehr zerstörter f
Amazonensarcophag, mit Reliefs auf allen vier Seiten;
vielleicht eines der frühesten Werke dieser Art.
Im Dom von Amalfi: ein Sarcophag mit dem Raub der Pro- g
serpina, als griechische Arbeit geltend.
In S. Chiara zu Neapel (links) : ein Sarcophag mit der Ge- ii
schichte der Alceste, aus guter römischer Zeit.
In S. Lorenzo fuori le mura bei Rom (rechts vom i
Portal) : Sarcophag mit einer römischen Vermählung, merkwürdig durch
Grösse und Vollständigkeit.
In S. Vitale zu Ravenna: der schöne Sarcophag mit der k
Apotheose des Augustus, am Eingang zur Sacristei.
Im Dom von Cortona (links) : ein schöner und früher Sar- 1
cophag mit Centaurenkämpfen.
In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: das Leben eines m
Römers, Horoscop, Erziehung, Vermählung, Opfer, Kinderzucht, Jagd-
und Kriegsleben, sachlich interessant; — Phaetons Fall; — die E n t -
führungderLeukippiden, römische Arbeit nach einem grie-
chischen Original, einfach und dabei prächtig belebt; — acht Arbeiten
des Herakles auf Einer Fläche (ein ähnlicher, roherer, folgt weiter in
550
Antike Scalptor. Sarcophage,
a demselben Gang, ein anderer steht im Garten Boboli) ; — eine grosse
Anzahl geringerer Sarcophage nach bekannten Motiven.
b Im Camposanto zu Pisa: eine sehr grosse Anzahl Sarco-
phage aller Style, von den Pisanern von nah und fern zusammen-
geholt, um als Särge für die Ihrigen zu dienen, deren Namen oft
dareingemeisselt zu lesen sind. Von erstem Werthe ist wohl nichts
darunter; das Beste geben: II. Sarcophag mit einer Schlacht; —
V. ein altchristlicher Sarcophag mit dem guten Hirten, aus dem drit-
ten, wenn nicht zweiten Jahrhundert; — VIII. gutes bacchisches
Fragment (mit Centauren); — XX. schöner starkverwitterter
Bacchuszug; — XXI. Geschichte von Phädra und Hippolyt,
gut spätrömisch, mit der Asche der Gräfin Beatrix von Toscana,
Mutter der berühmten Mathildis; — XXIX. bacchischer Sarcophag
mit der Grabinschrift Camurenus Myron; — XXXI. Sarcophag mit
grossem Schlachtrelief, etwa gleichzeitig mit der Basis der Antonins-
säule im Gardino della Pigna des Vaticans. — U. a. m. — Einige von
diesen Särgen, die schon vor der Erbauung des Camposanto in Pisa
gewesen sein müssen, dienten dem Niccolö Pisano zur Grundlage für
seine (kurze) Wiederbelebung des antiken Styles.
c ImDogenpalast zu Venedig: Saia de' Riiievi: einer der
besten und merkwürdigsten Niobidensarcophage(S. 506, *).
Die Sammlungen von Gemmen und Münzen, an welchen
Italien nach allen Plünderungen noch so reich ist, müssen wir trotz
ihres hohen künstlerischen Werthes gänzlich übergehen, weil ihre
Zugänglichkeit und die dadurch mit bedingte Theilnahme des Reisen-
den in einem allzu ungleichen Verhältniss zu diesem Werthe steht.
Doch muss wenigstens im Allgemeinen mit Nachdruck auf die best-
ausgestellte Gemmensammlung hingewiesen werden: die neapolita-
d nische (Museum, Zimmer der oggetti preziosi, bestentlieils aus der
farnesischen Erbschaft). Die köstlichsten Schätze finden sich unter
den sog. Cameen (Steinen mit erhabenen Figuren von anderer, meist
Gemmen und Münzen.
551
hellerer Farbenschicht als der Grund). Es sind Reliefmotive, allein nur
die ausgesuchtesten, und mit der höchsten Eleganz für den bedingten
Stoff und Raum durchgeführt. Hie und da finden sich auch beliebte
Statuen in diesem kleinen Massstab abgebildet; so verdankt man z. B.
die richtige Restauration des Apollon Sauroktonos einer Gemme. Die
antike Kunst, welche hier ins Kleine hineingeht, erscheint dabei in
ihrer Art so gross als bei irgend einer ihrer Hervorbringungen; sie
hat die Gesetze dieser Gattung auf immer festgestellt und — man
möchte fast sagen — sie hat auch deren möglichst schöne Gegenstände
erschöpft 1).
In den gewöhnlichen (concaven) Siegelgemmen wird man eine
Fülle anmuthiger kleinerer Motive, auch scherzhafter und genrehafter
Art finden. — Zum Ankauf feilgebotener Antiken dieser Gattung ist
nur unter Beihülfe eines geübten Kenners zu rathen.
Von leicht käuflichen Münzen wird der Reisende fast nur römische
zu Gesicht bekommen. Kann er unter diesen sich eine Auswahl von
Kaisern und Anverwandten des augusteischen Hauses, nicht nach der
Seltenheit, sondern nach der Schönheit und guten Erhaltung, ver-
schaffen, so ist dieses ein Besitz, der auf immer Vergnügen gewährt.
— Mit griechischen Münzen kann man in Unteritalien, und selbst an
kleinen, abgelegenen Orten, arg getäuscht werden; das Schöne und
Echte darunter gehört aber anerkannter Massen zum Trefflichsten,
was es giebt.
I) In Rom ist die vaticanische Bibliothek (nördliches Ende) der Aufbewahrungsort einzelner •
schöner Cameen, mit welchen zugleich Köpfchen und Statuetten aus kostbaren Steinen auf-
gestellt sind. Von den ebendort befindlichen Elfenbeinsachen ist Einzelnes (z. B. ein Apolls-
kopf, ein Reliefkopf des Serapis) von grossem Werthe, das Meiste aber spätrömisch. —
In Florenz befindet sich die grosse und berühmte mediceische Gcmmensammlung in den **
Uffizien. — In der Bibliothek von S. Marco zu Venedig die berühmte Gemme des Zeus f
Aigiochos,
552
Scniptur des Mittelalters.
Als das Christenthum die antike Sculptur in seine Dienste nahm,
war sie bereits in tiefen Verfall gerathen; schon seit dem Ende des
11. Jahrhunderts war die Reproduction der frühern Typen zur todten
Wiederholung geworden und die ganze Detailbehandlung bedenklich
ausgeartet. Die Vorliebe für das Colossale, für kostbare und ausser-
ordentlich harte Steinarten lenkte die Mittel und das technische Ge-
schick von den höchsten Zwecken ab; der Verfall und die Umbildung
der heidnischen Religion that das Übrige. Die Sculptur der constan-
tinischen Zeit konnte jedenfalls keine christlichen Typen mehr schaf-
fen, welche den Vergleich mit irgend einem Götterbild der bessern
Zeit ausgehalten hätten.
Vielleicht im stillen Bewusstsein dieser Ohnmacht, vielleicht auch
aus Scheu vor der dem Heidenthum so theuern statuarischen Kunst
und aus Rücksicht auf das mosaische Gesetz wurde der kirchlichen
Sculptur die Anfertigung von Statuen fortan fast gänzlich erlassen.
a Werke wie die beiden (sehr geringen) Statuen des guten Hirten in
der vaticanischen Bibliothek (Ausbau gegen den Garten), wie die
b eherne Statue des heil. Petrus aus dem V. Jahrhundert (in S. Peter)
gehören zu den grössten Seltenheiten; letztere ist offenbar mit aller
Anstrengung den sitzenden Togafiguren der heidnischen Zeit nach-
geahmt. — Von den noch bis ins V. Jahrhundert häufig vorkommen-
den weltlichen Ehrenstatuen hat sich fast nichts erhalten, und selbst
von den Regenten nach Constantin besitzt Italien nur noch die form-
lose eherne Culussalstatue des Kaisers Hcraklius zu Barletta.
Auf diese Weise war von einer Entwicklung heiliger Typen, wie
das Heidenthum sie seinen Göttern gegeben, wenigstens auf plasti-
Ihre nenen BedingnDgcn.
553
schem Gebiete keine Rede mehr. Überdiess würden sich die Gegen-
stände — zunächst Christus und die Apostel — lange nicht so zu
diesem Zwecke geeignet haben, wie die Heidengötter. Letztere waren
recht eigentlich mit der Kunst und durch sie zur vollen Gestalt er-
wachsen; ihre ganze Körperbildung sammt Gewand und Attributen
stand charakteristisch fest und umfasste den ganzen denkbaren Kreis
des Schönen, wie die Alten es verstanden. Die heiligen Personen des
Christenthums dagegen waren von vorn herein nicht mythologisch,
sondern geschichtlich und längst ohne alles Zuthun der Kunst Gegen-
stände des Glaubens, mit welchen sich nicht eben frei schalten und
walten Hess; sie waren ferner nicht erwachsen aus sittlichen und
Naturkräften und boten also bei weitem nicht denselben Reichthum
der Charakteristik dar; endlich war ihre Bedeutung eine übersinnliche
und geistige und konnte desshalb überhaupt nie in der schönen Kunst-
form so rein und ohne Bruchtheil aufgehen wie die Bedeutung der
heidnischen Typen.
Die Sculptur half sich wie sie konnte und wie der neue Glaube
es verlangte. Statt der Gestalten, die sie aus den oben ange-
gebenen Gründen weder genügend in Betreff des Styles, noch würdig
in Betreff des Gegenstandes zu beseelen im Stande war, schuf sie
Geschichten; das Relief verdrängte die Freisculptur und wurde
zugleich seinerseits ein Anhängsel der Malerei, die jetzt mit ihm den-
selben Zweck und zugleich viel reichere Mittel hatte. Bald entscheidet
das blosse Belieben des kirchlichen Luxus über die Anwendung des
erstem oder der letztern. Die Kirche verlangt von der Kunst das
Viele; in ganzen Cyclen geschichtlicher Darstellung oder wenig-
stens in ganzen zusammengehörenden Reihen heiliger Personen will
sie symbolisch ihr Höchstes verherrlichen; die beiden Künste, sammt
all ihren Nebengattungen, dienen ihr einstweilen bloss als Mittel zum
Zweck und müssen ihre innern Gesetze vollkommen Preis geben.
Der Styl, wie er sich unter solchen Umständen gestalten musste,
bietet dem Auge wenig dar. Allein das geschichtlich-poetische In-
teresse kann einen Ersatz schaffen. Höchst merkwürdig ist vor Allem
der Ernst und die Kraft, womit die Kirche ihre Bilderkreise vervoll-
ständigt und im Grossen wie im Kleinen wiederholt, sodass eine
Menge von Typen, nicht bloss für einzelne Personen, sondern für
Urcicerone.
36
554
Scalptnr des Mittelalters. Sarcophage.
ganze Geschichten entstehen. Von grosser poetischer Wirkung ist so-
dann neben dem geschichtlich BibHschen das SymboHsche, welches
sich in der Parallelisirung alttestamentlicher und neutestamentlicher
Vorgänge, in einer Anzahl eigenthümlicher Gestalten und namentlich
in Beziehungen aus der Offenbarung Johannis ausspricht. Man muss
nur immer das Ganze, wenigstens so weit es erhalten ist, ins Auge
fassen, denn nur als Ganzes will es sprechen und wirken. Allerdings
bezieht sich diess Alles mehr auf die Malerei, doch verlangen auch
die plastischen Überreste, dass man auf diesen Standpunkt eingehe.
Das Einzelne des Styles, wovon bei Anlass der Malerei umständ-
licher die Rede sein wird, ist hier mit zwei Worten zu schildern. Bis
in das VII. Jahrhundert dauert der antike plastische Styl in mehr
oder weniger deutlichen Nachklängen fort; dann erfolgt eine Thei-
lung; der eine Weg führt in barbarische Verwilderung der Form, der
andere in die byzantinische Regelmässigkeit. Diese schafft ein
bestimmtes System von Körperbildungen, Gewandungen, Bewegungen
und Ausdrucksweisen, lernt es auswendig und reproducirt es uner-
müdlich mit einer Sicherheit, welche fast an diejenige der alten ägyp-
tischen Kunst reicht. — Beide Wege berühren und kreuzen sich in
Italien bisweilen; hie und da wirken auch frühchristliche, bessere
Muster weit abwärts.
Von der antiken Kunst noch am nächsten berührt, ja als eine
wahre Fortsetzung derselben erscheinen die christlichen Sarcophage.
a Die bedeutendste Sammlung derselben befindet sich im Museo cristiano
b des Vaticans; andere (z. B. der wichtige des Bassus) in der Crypta von
c S, Peter (den sog. Grotte vaticane), im Camposanto zu Pisa (S. 550, b),
in sehr vielen italienischen Kirchen (meist als Altaruntersätze), haupt-
A sächlich zu Ravenna (Dom, S. ApoUinare in classe, S. Vitale etc.)
und ausserhalb Italiens besonders im Museum von Arles, einige wich-
e tige auch im Louvre. (Derjenige von S. Francesco de' Conventuali
zu Perugia, linkes Querschiff, enthält eines der besten Exemplare des im
IV. Jahrhundert kunstüblichen Christus im Knabenalter; dasselbe gilt
{ von dem ebenfalls trefflichen in S. Francesco zu Ravenna (Altar der
rechten Seitentribuna).
Sarcophage und andere Steinscnlptnr.
555
Die altern dieser Sarcophage zeigen ganz dieselbe fortlaufende
Erzählungsweise mit Vereinigung mehrerer dichtgedrängter und be-
wegter Scenen auf demselben Raum, wie die spätheidnischen Arbei-
ten. Der etwas stenographische Vortrag dieser Ereignisse wird selbst
dem bibelfesten Beschauer einigermassen zu schaffen machen; auch
die beständige Gegenüberstellung von Vorbildern aus dem alten und
Gegenbildern aus dem neuen Testament erleichtert das Erkennen nicht
immer, weil diese Bezüge zum Theil etwas gezwungen sind. Eine
beschreibende Aufzählung und Deutung würde hier sehr weit führen;
das Nothwendige in Betreff des Museo cristiano und der Grotten giebt
Platner in der ,, Beschreibung Roms".
Bei abnehmendem Kunstvermögen gab man bald auch das fort-
laufende Relief Preis und theilte die einzelnen Vorgänge durch Säul-
chen ab. In dieser Form übernahm das Mittelalter den Sarcophag
und bildete derselben auch seine Reliquienschreine im Grossen und
im Kleinen nach.
Mehr und mehr schrumpft die Sculptur zu einer Kleinkunst
zusammen und beschränkt sich allmählig auf die Stoffe, mit welchen
sie einst in uralten Zeiten begonnen, auf Gold, Silber, Erz und Elfen-
bein, Und dabei machen ihr fast in allen Gattungen, die sie noch ver-
tritt, das Email, die Malerei und die eingelegte Flacharbeit die Stelle
streitig. Steinern bleiben bloss die Sarcophage und die wenigen Re-
liefs, welche auch die Byzantiner innen und aussen an ihren Kirchen
anzubringen pflegten. (Einige in und an S, Marco in Venedig.) Auch
erhielten wohl die Altarschranken (cancelli) und die Kanzeln biswei-
len einen figürlichen Schmuck von Stein, (Sculpirte ehemalige Altar- a
schranken mit den Geschichten Simsons und Christi, aus dem XI. oder
XII. Jahrhundert, in S. Restituta am Dom zu Neapel, hinten links.)
Im Bewusstsein der eigenen Ungeschicklichkeit wandte man bisweilen
antike Sarcophage zu verschiedenem Kirchenschmuck an, trotz ihres
heidnischen Inhalts (S. 549, g bis 1). (Ein altchristl. Sarcophag als b
Träger der Kanzel in S. Ambrogio zu Mailand; an der Kanzel selbst
der bronzene Adler und der Evangelist, etwa X. Jahrhundert; die
übrigen Figuren ziemlich barbarisch, XII. Jahrhundert.)
Vom übrigen Vorrath plastischer Arbeiten wollen wir nur einige
bezeichnende Beispiele für jede Gattung anführen.
36*
556
Scnlptur des Mittelalters. Altäre, Throne.
Die kostbaren Altäre erhielten bis ins XII. Jahrhundert einen
Überzug auf allen vier Seiten oder doch auf der Vorderseite des Tisches,
womöglich von Goldblech, mit einer Reihe von Figuren oder von
ganzen Historien in getriebener Arbeit; die Einrahmungen wurden mit
Email, auch mit aufgenieteten antiken Gemmen verziert. Die einzige
vollständig erhaltene Bekleidung dieser Art, von einem Künstler Volf-
a vinus, aus der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, umgiebt den Hoch-
altar von S. Ambrogio in Mailand, welcher ausserdem durch die gleich-
zeitigen, bemalten, ziemlich sorgfältigen Steinsculpturen seines Giebels
merkwürdig ist. Als Bild des Kunstvermögens der carolingischen
Epoche ergiebt sich daraus eine sonderbare Mischung von classischen
Reminiscenzen, eigenthümlichem Ungeschick und byzantinischer Zier-
b lichkeit. — Der Altarvorsatz (pala d'oro) von S. Marco zu Venedig, ein
Werk des X. Jahrhunderts aus Constantinopel, enthält bloss äusserst
saubere Emailgemälde auf zahlreichen Goldplatten; sein bronzener und
vergoldeter Deckel dagegen, eine gute venezianische Arbeit des XIV.
Jahrhunderts, zeigt in den Hochrelieffiguren der Apostel den ent-
c wickelten germanischen Styl. — Ein Altarvorsatz von Elfenbein mit
vielen Historien (XII. Jahrhundert) in der Sacristei des Domes von
Salerno. — Bei spärlichen Mitteln vertrat auch wohl Stucco, Vergol-
dung und Malerei das ReUef und Email aus edlerm Stoffe, Ein Al-
d tarvorsatz dieser Art, datirt 1215, in der Acad. zu Siena, erster Raum.
— Über das Bauliche der Altäre vgl. S. 79, 97 u. f.
Kleine Hausaltärchen, meist mit schliessbaren Seitenflü-
e geln (als Triptychen), wurden vorzüglich aus Elfenbein verfertigt. Das
Museo cristiano des Vaticans enthält unter mehreren Beispielen aus
verschiedenen Jahrhunderten ein sehr ausgezeichnetes byzantinisches
Triptychon von der delicatesten Behandlung. Die Anwendung des Elfen-
beins zu kleinen Altären hat übrigens bekanntlich nie ganz aufgehört.
Bischöfliche Throne erhielten bisweilen eine ganze oder theil-
weise Bekleidung mit Elfenbeinplatten, auf welchen Figuren und ganze
i Geschichten eingeschnitten sind. Dieser Art ist der Thron des heil.
Maximian in der Sacristei des Domes von Ravenna, mit Reliefs von
verschiedenen Händen (wie es scheint) des IV. bis VI. Jahrhunderts;
das Beste die Einzelgestalten an der Vorderwand unten. Auch der
g Thron des heil. Petrus, welcher in Bernini's colossale Erzdecoration
l/^'^y^'^M^i^'tCii^tap^rapJ
pfefeÄLita.«*:.
Diptychen. Bücherdeckel. Reliquiarien.
557
über dem hintern Altar von S. Peter in Rom eingeschlossen ist, dürfte
nach den Abbildungen zu urtheilen mit Elfenbeinarbeiten aus ver-
schiedenen Zeiten geschmückt sein, (Unter andern die Thaten des
Hercules und die himmlischen Zeichen.) Oft nahm man mit antiken
Steinsesseln vorlieb; auch von dem steinernen Wagen in der Sala a
della Biga (Vatican) hat das erhaltene antike Stück (mit den schönen
Ornamenten) als bischöflicher Thron in S. Marco zu Rom dienen
müssen.
Von kleinerm kirchlichen Prachtgeräth sind die sog, Diptychen
vorzüglich bemerkenswerth : zwei Elfenbeindeckel, der eine oder beide
mit Reliefs versehen, dem jeweiligen Verzeichniss der Katechumenen
oder dem der Geistlichen zum Einband dienend. Einige sind für die
Kirchen eigens gefertigt und demgemäss sculpirt, andere sind herge-
schenkte sog, Consulardiptychen, welche den Consul oder den Kaiser
darstellen, indem er das Signal zum Beginn der öffentlichen Spiele
giebt. (Mehrere im Domschatz von Monza: das schöne mit Cicero b
und einer Muse etwa aus dem IV, Jahrhundert; das eines Kaisers,
angeblich Hadrian, mit einer weiblichen Figur nicht viel später; das
zweier geputzter Consuln, die nachträglich zu Heiligen gemacht wor-
den, etwa aus dem VI, Jahrhundert, — Ein Diptychon des letzten Con- c
suis Anicetus in den Uffizien zu Florenz, II. Zimmer der Bronzen,
II. Schrank.)
Den Diptychen schliessen sich die übrigen elfenbeinernen Bücher-
d e c k e 1 an, bei welchen man sich die Bücher als liegend, nicht als
in Reihen stehend denken muss. (Der untere Deckel wenig oder gar
nicht verziert.) Ein schöner und fi'üher im Museo cristiano; andere d
hauptsächlich in Bibliotheken, Häufiger kommen Bücherdeckel mit
getriebenen Figuren von vergoldeter Bronze und mit Emailzierra-
then vor.
Von Reliquienkasten wüsste ich kaum einen sculpirten zu
nennen, der mit den bessern nordischen Arbeiten dieser Art wetteifern
könnte. Das Email überwiegt vollständig zumal in den noch jetzt
sehr zahlreich vorkommenden kleinen Reliquienkästchen. — Ein Elfen-
beinkästchen mit den Halbfiguren der Apostel in zierlichstem byzantini- «
schem Flachrelief des X. bis XII. Jahrhunderts findet man in dem
genannten Räume der Uffizien, 14. Schrank. — Ebenda eine runde
558
Scttlptur des Mittelalters. Kirchengeräthe.
Hostienbüchse mit der Reliefdarstellung der Anbetung der Könige,
a vielleicht aus dem VI. Jahrhundert. — Mehrere Reliquiarien ver-
schiedener Zeiten im Tesoro von S. Marco.
Kreuze, Diademe u. dgl. sind im ersten Jahrtausend sehr
barbarisch und auf die blosse Kostbarkeit hin gebildet worden. (Bei-
b spiele im Domschatz von Monza; die eiserne Krone, VII. Jahrhun-
dert (?), macht kaum eine Ausnahme.)
Von den Kirchenschätzen Italiens sind die beiden genannten von
Monza 1) und von S. Marco in Venedig wohl die sehenswerthesten,
c In den Domschätzen von Mailand und Neapel überwiegt auf eine trau-
rige Weise der schlechteste Silberguss aus den beiden letzten Jahr-
hunderten, welcher kaum einen andern Zweck verräth, als das vor-
handene Metall zu möglichst massiven Blöcken und damit möglichst
d wenig transportabel zu machen. Der Schatz von S. Peter gehört über-
haupt nicht zu den reichsten und enthält wenig Altes (dafür aber
einige gute Renaissanceleuchter, welche man dem Michelangelo und
dem Benv. Cellini zuschreibt). — Einzelne kirchliche Antiquaglien
der verschiedensten Style und Gattungen findet man gesammelt in Flo-
e renz (Uffizien, II. Zimmer der Bronzen, 14. Schrank und Eckschrank
links, wo sich u. a. die berühmte Pax des Maso Finiguerra befindet);
f in Neapel (Museum, Abtheilung der Terracotten, II. Saal), in Mailand
g (Sammlungen der Ambrosiana), in Brescia (Museo patrio) und ander-
wärts.
Der plastische E r z g u s s ist im frühern Mittelalter für Italien
nicht von derselben Wichtigkeit, wie für Deutschland. Die einzige
Anwendung des Erzes im Grossen, nämlich diejenige für Kirchen-
pforten, wurde der Sculptur grossentheils entzogen, indem man die
* 1) Die eiserne Krone wird nicht in der Schatzkammer, sondern auf dem Altar einer Capelle
** rechts vom Chor aufbewahrt. — Im Schatz u. a. der Kamm und der Fächer der Königin
Theodelinde; das ihr von Gregor d. Gr. geschenkte Kreuz; ein anderes Kreuz mit den
an Kettchen daran hängenden Goldkugeln; ein goldenes Pultblatt (?) von ihr gestiftet,
mit dufijeaieteteii Gcnimer., ihre Krone, d. h. cir. Goldreif mit ••unden »rnaillirten Knöpf-
chen und Edelsteinen etc.; endlich das Kreuz von Italien, bedeckt mit Edelsteinen und
Email, gestiftet von Berengar I (IX. Jahrhundert). Das Meiste ziemlich roh und primitiv,
das Kreuz von Italien wie nach dem blossen Augenmass verfertigt.
im
Erzgttss. — Erwachen des romanischen Styles.
559
heil. Figuren und Geschichten durch eingelegte Fäden und (für das
Nackte) Flächen von Silber oder Gold darstellte. (Thüren von S. Marco a
in Venedig, an den Domen von Amalfi, Salerno etc., ehemals auch b
an S. Paul bei Rom.) Was daneben von Reliefs an gegossenen Thür-
flügeln vorkömmt (hintere Thür am Dom von Pisa, XII. Jahrhundert, c
von Bonannus etc.; Pforten von S. Zeno in Verona) lässt diese Ein- d
busse kavim bedauern i). — Der schöne baumförmige Bronze-Cande-
laber im linken Querschiff des Domes von Mailand ist sammt seinen e
zahlreichen Figürchen wohl erst aus dem XIII. Jahrhundert, dem
Zeitalter, da die Sculptur anderweitig wieder zu einem neuen Leben
erwacht war.
Die Hauptbedingung dieses Erwachens war offenbar die Rück-
kehr zur Steinsculptur, und diese konnte erst im Zusammenhang mit
einer neuen Entwicklung der kirchlichen Baukunst eintreten.
Der entscheidende Schritt geschah in Toscana und der Lombar-
dei, während des XI. und XII. Jahrhunderts, hauptsächlich mit der
Schöpfung eines neuen Fassaden- und Portalbaues, welcher die Sculp-
tur erst massig und dann im Grossen in Anspruch nahm. Auch das
Innere der Kirchen, aus der bisherigen engen Pracht von Gold und
Mosaiken in das Grossräumige und Einfache übergehend, verlangte
von der Sculptur jetzt wieder marmorne Altäre, Kanzeln und Grab-
mäler, während zugleich das Mosaik dem Fresco allgemach die Stelle
räumte.
Die Aufgabe der Bildhauer war und blieb aber geraume Zeit noch
dieselbe wie früher: Ausdruck der kirchlichen Ideen durch das Viele,
durch ganze Systeme und Kreise von Gestalten und Historien. Es
handelte sich nun darum, ob sie in dauernder Abhängigkeit von der
Malerei verharren oder innerhalb der unvermeidlichen Schranken ihre
eigenen Gesetze nach Kräften entwickeln würde.
' ) Und doch liegt überall ein Goldkorn, wo man sucht. Der alte Bonannus hat z. B. bei der
Transfiguration die drei Jünger mit der Geberde des tiefsten Sinnens, die Hand am Bart,
mit geschlossenen Augen dargestellt
K»:::;n:' ,.iia<
^60 Sculptar des Mittelalters. Romanischer Styl. Toscana.
Wie in der Architektur, so dürfen wir auch in der Bildnerei die
neuen Regungen als einen romanischen Styl bezeichnen, so-
wie man die auf dem Römischen ruhenden Sprachen des Abendlandes
nach ihrer (gerade auch zu jener Zeit vollendeten und literarisch be-
thätigten) Umbildung als romanische Sprachen benennt.
Die Anfänge dieses romanischen Styles der italienischen Sculptur
waren freilich äusserst roh und ungeschickt, sodass gleichzeitige deut-
sche Arbeiten in der Regel einen beträchtlichen Vorzug behaupten
werden. Dafür haben sich die italienischen Künstler oft mit Namens-
unterschrift genannt und dadurch der Kunstgeschichte einen fortlau-
fenden urkundlichen Faden an die Hand gegeben, den sie in Deutsch-
land vermisst. Diese Namensnennimg, bei der selbst materiellen Ge-
ringfügigkeit der meisten Werke doppelt auffallend, zeigt, dass die
Steinsculptur mit der ganzen Wichtigkeit einer Neuerung auftrat.
Das Wichtigere ist in Kürze folgendes:
a Taufbrunnen in S. Frediano zuLuccaii5i, mit unergründlichen
Darstellungen von fleissiger, aber noch sehr befangener Arbeit; von
Robertus. Ein Werk, welches besser als jede Beschreibung zeigt, wie
der romanische Styl einen gewissen ornamentalen, ja kalligraphischen
Schwung in seine Gestalten, namentlich in die Gewänder bringt.
Die Oberschwelien der Portale an S. Andrea und S. Bartolommeo
b in P i s t 0 j a , dort 11 66 von Gruamons, hier 11 67 von Rudolf inus;
elend und gering, nur als Präcedentien der pisanischen Schule be-
merkenswerth.
c Portalsculpturen an S. Salvatore zu Lucca, um 11 80 von Bi-
duinus, welcher auch diejenigen an der Kirche von Casciano unweit
d Pisa fertigte. Die eherne Pforte des Bonannus am Dom von Pisa
wurde schon erwähnt; sie fällt nebst den Sculpturen der Seitenpfosten
e des Ostportals am Baptisterium in dieselbe Zeit, welche schon viel
entwickelter sind.
i Schon einen Schritt weiter geht das Relief der Oberschwelle an
S. Giovanni zu Lucca.
Die oberitalischen Sculpturen sind durchgängig um einen
bedeutenden Grad besser und lebendiger, auch diejenigen, welche um
ein halbes Jahrhundert älter sind, als die genannten toscanischen. Die
Nähe des damals kunstreichern Nordens ist nicht zu verkennen.
Modena. Verona. Ferrara.
56r
Am Dom von Modena: Aussen an der Fassade die Geschichten a
der ersten Menschen, im rechten Querschiff die Passion, von Nicolaus
und Guilelmus, seit 1099. Diese Arbeiten sind nebst den Portalsculp-
turen bei aller Rohheit merkwürdig als frühste Denkmale wahrhaft
romanischen Styles in Italien.
An der Fassade von S. Zeno in Verona (seit 1139) Sculpturen b
derselben Künstler, Nicolaus und Guilelmus, schon mit höher ent-
wickeltem Sinn für Anordnung im Raum und für Reliefbehandlung
überhaupt. (Bes. die Erschaffung der Thiere.) Der belehrende Ver-
gleich mit den Bronzeplatten der Thür, welche noch ganz barbarisch
sind, zeigt, dass diese von der Thür des altern Baues entlehnt sein
m.üssen.
(Im Innern stehen an der Mauer des rechten Seitenschiffes die c
Statuen Christi und der zwölf Apostel, etwa vom Anfang des XIII.
Jahrhunderts, sorgfältige Arbeiten. Wie gebunden die Kunst sich da-
mals fühlte, wenn irgend ein höheres geistiges Verhältniss auszudrücken
war! um die ehrfürchtige Unterordnung der Apostel zu bezeichnen,
sind sie alle mit einsinkenden Knieen gebildet, am merklichsten die
beiden zunächst bei Christus. Es war ein weiter Weg von da bis zu
Rafaels Tapete: ,,pasce oves meas.")
Die Sculpturen am Portal des Domes sind befangener als die an d
S. Zeno, die Löwen ganz heraldisch. Im rechten Seitenschiff befindet
sich ein Weihbecken romanischen Styles, auf drei burlesken, nackten
Tragfiguren (die vierte fehlt). Das XV. Jahrhundert, welches diese
halbdämonischen Fratzen nicht mehr als solche verstand, glaubte sie
in Gestalt von Buckligen nachahmen zu müssen. Dieser Art ist der
ganz tüchtige Gobbo, welcher in S. Anastasia das Weihbecken links e
mit so aufrichtiger Anstrengung trägt. (Derjenige rechts ein geringes
viel späteres Gegenstück.)
Das Taufbecken in S. Giovanni in Fönte (XII. Jahrhundert) zeigt f
in seinen Reliefs den säubern und sogar schwungreichen romanischen
Styl mit noch ziemlich ungeschickten Motiven verbunden. (Die ein-
zelnen Theile von verschiedenem Werthe.)
Von den Sculpturen an der Fassade des Domes von Ferrarag
gehören diejenigen des Mittelportals selbst noch der Giündungszeit
502
Romanische Scnlptar. Parma.
(1135) und dem befangenem romanischen Styl an. (Die alten Origi-
nale der ziemlich täuschend erneuerten Tragfiguren auf Löwen findet
man in einem Hofe hinter dem Chor.) Schon freier regen sich die
a Gestalten der sechs Monatsbilder an einem Anbau der Fassade rechts.
Endlich sind die obern Sculpturen über dem Mittelportal ein wahr-
haft bedeutendes Werk des germanischen Styles, etwa um 1300. (Die
b untere Halle der Universität enthält einige Fragmente des altchrist-
lichen und der spätem Style.)
c Mit den Sculpturen am Baptisterium und im Dom von P a r m a ist
man in einiger Verlegenheit, weil zweierlei Style einem und demsel-
ben Künstler, Benedetto Antelami, zugeschrieben werden. —
Er nennt sich mit vollem Namen und mit dem Datum 1178 in dem Re-
lief einer Kreuzabnahme, welches sich jetzt in der dritten Capelle rechts
im Dom befindet; eine zierliche, aber noch sehr starre Arbeit, eher
byzantinisch als romanisch. Dann hat ein ,, Benedi ctus" im Jahr 11 96
d die Sculpturen am Südportal des Battistero gefertigt, und laut diesen
wohl auch die der beiden übrigen Portale, von welchen dasjenige ge-
gen Süden durch sein fast mithreisches Aussehen die Liebhaber der
damaligen Mystik glücklich machen wird. Diese, nebst den Engeln
in den Nischen des Innern und den Innern Thürreliefs können alle
noch wohl von der gleichen Hand sein und würden dann einen all-
mäligen Übergang des Antelami zur romanischen Art beweisen. —
Aber die schon ungleich lebendiger gebildeten Thiere am Sockel des
Gebäudes aussen und die zwölf Hochreliefs mit den Monatsbeschäfti-
gungen in einer obern Galerie des Innern zeigen einen so viel höhern
Grad künstlerischen Vermögens, dass sie einem Andern angehören müs-
sen und dieser wäre dann der bedeutendste Bildhauer Italiens vor oder
neben Nie. Pisano gewesen. Lebendig und selbst schön bewegt er-
innern diese Gestalten in ihrer plastisch trefflichen Behandlung des
Nackten unmittelbar an deutsche Arbeiten des beginnenden XIII. Jahr-
hunderts.
e Wie wenig aber eine Schwalbe einen Sommer macht, zeigen die
beiden ungeschlachten Löwen vor dem Dom, deren Datum 1281 über
dem Hauptportal nebst dem nicht nennenswerthen Namen des Bild-
hauers zu lesen ist. Sie sind wieder ganz heraldisch und leblos.
Scolptnr nm 1200. Niccolö Pisano.
563
In Rom sind aus dieser Zeit erhalten: Die geschnitzten hölzer-
nen Pforten von S. Sabina; Streben nach lebendigster Bewegung in
äusserst befangenen Formen. (Pforte gegen das Kloster.)
In all diesen Werken kämpft das Verlangen nach deutlicher und
energischer Bezeichnung des Lebens mit einer mehr oder weniger
grossen Ungeschicklichkeit; auch in der Formenbildung zeigt sich noch
nicht das geringste Bedenken darüber, ob zum Ausdruck des Heiligen
solche Gestalten und solche (oft skurrile) Geberden auch wirklich hin-
reichten. Um das Jahr 1200 stand die deutsche Kunst wie in allen
Beziehungen so auch hierin hoch über der italienischen i).
Auch die meisten Arbeiten von 1200 — 1250 gehen nicht weit
über dieses Niveau hinaus. Als Probe ist die Kanzel in S. Bartolommeo b
zu P i s t o j a zu nennen, von Guido da Como 1250, mit leblos zier-
lichen Reliefs. — Oder die meisten von den Sculpturen in der c
Vorhalle des Domes von L u c c a. — Ungleich besser (aber vielleicht
erst vom Ende des Jahrhunderts, obwohl noch vollkommen romanisch) :
die Reliefs mit dem Stammbaum und der Jugendgeschichte Christi, an d
den Pfosten des Hauptportals am Dom von Genua. Das Lunetten-
relief mit dem Salvator und der Marter des heil. Laurentius ist viel
geringer, und auch die steinerne Area Johannes des Täufers in dessen
Altar im Dom erreicht jene Thürpfosten an Schwung, Feinheit und
Leben des Reliefs nicht.
In dieser Zeit trat nun ein grosser Künstler auf, Niccolö Pi-
sano, dessen Wirksamkeit allein schon genügte, um der Sculptur
eine ganz neue Stellung zu geben. Sein Styl ist eine verfrühte und
desshalb bald wieder erloschene Renaissance; von antiken Reliefs,
hauptsächlich Sarcophagen begeistert, erweckt Niccolö die gestorbene
Formenschönheit wieder vom Tode. Aus jenen Vorbildern combinirt
er mit ungemeinem Takt seine heiligen Geschichten so zusammen,
dass sie ein lebendiges Ganzes zu bilden scheinen, und ergänzt und
1) Erst im XIV. Jahrhundert geht jene Herabstimmung durch die deutsche Geisterwelt, die
man in zahlreichen Äusserungen nachweisen kann, aber noch nicht in ihrem Wesen er-
gründet hat.
564
Sculptaren des Nict^olö Pisano in Lacca ond Pisa,
verschmilzt Alles durch einen Natursinn, der wahrscheinlich eben erst
durch den Anblick der Antike in ihm geweckt worden war. — Seine
Arbeiten erreichen wohl bei weitem das Bessere des Alterthums nicht
und können eher geschichtliche Curiosa von erstem Werthe als hohe
und eigenthümliche Schöpfungen heissen. Für die Folgezeit hatten
sie die grosse Bedeutung, dass durch sie die kindischen und abge-
storbenen Formen der Frühern beseitigt waren, und dass der Geist
des Jahrhunderts zwar nicht in antikem Gewände wie bei Niccolö
selbst, aber in einer durch diesen kurzen Übergang wesentlich geläu-
terten Gestalt weiter arbeiten konnte.
Niccolö's frühstes bekanntes Werk ist das Relief der Kreuzab-
a nähme über der linken Thür der Vorhalle des Domes von Lucca
(1233). Abgesehen von den reinen Formen, welche mit den Arbeiten
seiner Zeitgenossen an und zwischen den andern Portalen befremdlich
contrastiren, offenbart sich der grosse Künstler durch eine höchst edle
tuid geschickte Composition, welche die Momente der Anstrengung
und des Seelenausdruckes vortrefflich vertheilt und damit ein ganz
ausgebildetes Liniengefühl verbindet.
b Nach langer Zwischenzeit (1260) folgt die weltberühmte Kanzel
des Battistero zu Pisa. (Den Inhalt der Darstellungen s. in den
Reisehandbüchern.) Die Einwirkung der römischen Vorbilder beson-
ders kenntlich in einer Anzahl weiblicher Köpfe (Madonna als Juno
etc.), in der Behandlung der Haare, in der Darstellung des Nackten
(wobei sich doch schon ein wesentlich neuer naturalistischer Zug ein-
mischt, s. die Fortitudo); auch in der Darstellung der Thiere, z. B.
der Pferdeköpfe bei der Anbetung der Könige, und der vier Löwen,
auf welchen die Säulen ruhen. Dagegen ist die Gewandung mehr
scharf und brüchig als bei den Alten. Im Ausdruck und in der Wahl
der Motive zeigt sich viel Geist und Leben, aber das hohe Mass des
Reliefs von Lucca fehlt gerade der Composition des Christus am Kreuz
auf empfindliche Weise.
c An der berühmten Area, dem Sarg des heil. Dominicus in des-
sen Kirche zu Bologna, gelten die Reliefs und die dazwischen be-
findlichen Statuetten des Sarcophages selbst als Werke des Niccolö.
In Betreff der beiden vordem Reliefs (Belebung des Knaben und Ver-
brennung der Bücher) wird man diess wohl zugeben können; die
in Bologna und Siena.
565
Bildung des Einzelnen ist hier so vorzüglich und so sehr von antiken
Nachklängen beseelt, als an den Arbeiten in Toscana. Dagegen zeigen
die Reliefs der Schmalseiten und der Rückseite eine viel geringere
Arbeit; wenn sie auch unter Niccolö's Aufsicht entstanden sein mö-
gen, von seiner Hand sind sie nicht. Die Zwischenstatuetten endlich
erscheinen schon als Werke des entwickelten pisanischen Styles und
könnten bei ihrer Vortrefflichkeit wohl von Giovanni herrühren.
(Im Camposanto zu Pisa wird dem Niccolö noch das unvollendete a
Relief einer Geburt Christi, N. XVIII, zugeschrieben.)
Den Übergang aus der Weise des Niccolö Pisano in die seines
Sohnes Giovanni macht die Kanzel im Dom von Siena, an welcher b
sie in der That Beide gearbeitet haben (1266? oder eher später?).
Das Antikisirende ist hier schon ein halb erlöschender Nachklang und
selbst in den ruhigen allegorischen Figuren nur noch stellenweise
kenntlich; der jüngere Meister des dramatischen Ausdruckes behält
das Feld. Die Löwen und Löwinnen, auf welchen die Säulen hier
und an den Pisaner Kanzeln ruhen, sind vielleicht die ersten, und
zwar durch antike Anregung ganz lebendig gewordenen Thierbilder des
Mittelalters; die architektonische Anordnung des Ganzen vorzüglich.
Andern Nachfolgern scheint die Weise Niccolö's mehr imponirt
zu haben als dem eigenen Sohn desselben. So dem Verfertiger der
Kanzel von S. Giovanni fuoricivitas in P i s t o j a (1270), an welcher c
sich wieder einige direkte Nachahmungen antiker Sarcophagfiguren
finden'). Das Werk als Ganzes ist ziemlich geistlos, zum Beweis,
dass man ein N. Pisano sein musste, um damals mit der Antike ctv/as
Rechtes anzufangen.
Wo diese Zeit eigentlich hinauswollte, zeigt sich klar und voll-
ständig in den Malereien Giotto's und seiner Schule, auf deren Be-
sprechung (s. unten) wir hier der Kürze halb verweisen. Indess hat
die Sculptur hier nicht nur, wie gev/öhnlich, die zeitliche Priorität
vor der Malerei voraus, sondern sie offenbart auch ganz eigenthüm-
liche Züge, welche Erörterung verlangen.
') Laut Vasari von einem Deutschen.
566
Germanische Scalptar. Giovanni Pisano.
Es hatte sich seit der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts im
Norden derjenige Styl gebildet, welchen man gegenwärtig wegen sei-
nes innern Zusammenhanges und gleichzeitigen Entstehens mit der
germanischen oder gothischen Baukunst den germanischen
nennt. Im Wesentlichen ist er eine Umbildung des bisherigen romani-
schen nach strengern architektonischen Principien; die Sculptur wird
von der übermächtig gewordenen Baukunst in die Schule genommen
und auf ganz bestimmte Functionen, auf gegebene Räume angewiesen.
Eine germanische Statue ist so zu sagen unvollständig ohne die Ni-
sche, für welche sie gedacht ist. Sie hat mit ihrer geradlinigen Ein-
fassung zu contrastiren durch ausgeschwungene Stellung; sie hat mit
der Gliederung, der Schattenwirkung derselben zu wetteifern durch
kräftigen und selbst scharfen Faltenwurf, überhaupt durch bestimmte
Fassung ohne weiche Zerflossenheit. Was ihr von Schönheit und
Ausdruck gegeben werden kann, concentrirt sich im Angesicht. Eine
vollständige und allseitige Durchbildung war hiebei zwecklos, sogar
unmöglich; doch hinderte diess nicht das Entstehen einer Anzahl
Sculpturen vom höchsten relativen Werthe, wie z. B. diejenigen aus
dem XIII. Jahrhundert an der Liebfrauenkirche zu Trier, am Strass-
burger Münster, in der Vorhalle des Münsters zu Freiburg etc.
Von diesen Werken scheint nun der Sohn des Niccolö, Gio-
vanni Pisano, den wir schon nebst dem Vater als Architekten
kennen, angeregt worden zu sein, entweder durch einen Aufenthalt in
Deutschland oder durch herübergekommene deutsche Künstler i).
Allein die italienische Baukunst machte der nordischen im Ganzen
gerade diejenigen Zierformen nicht nach, welche im Norden die Um-
bildung in den germanischen Sculpturstyl motivirt hatten; und so war
auch die Aneignung des letztern selbst eine zwar kenntliche, aber doch
freie. Das Vorbild hätte auch lange nicht ausgereicht; Giovanni's
Hauptgattung war, wie wir sehen werden, das reiche und bewegte
Relief, das gerade im Norden nur ausnahmsweise zu einer solchen
Anwendung gelangte. Bald darauf ging es in der Malerei ähnlich;
') Deren (laut Vasari) eine Anzahl in seiner Nähe waren.
Giovanni Pisano
567
auch rite erhielt im Süden ungleich weitere Räume und freiere Auf-
gaben als im Norden.
Auf der Grenze des neuen Styles stehen die biblischen Reliefs,
mit welchen die untern Theile der Fassade von Orvieto (seit a
1290) bedeckt sind. Es ist noch die Schule Niccolö's, doch schon
vorwiegend unter dem Einfluss Giovanni's. Eine Anzahl ihm selbst
zugeschriebener Scenen zeigen zuerst in der italienischen Kunst eine
selbständige Composition im höhern Sinne mit kenntlichem Linien-
gefühl; diess wohl eher eine Frucht der Thätigkeit seines Vaters als
der nordischen Einwirkung. Aber schon zeigt sich auch der Cha-
rakteristiker und der Darsteller des dramatischen Ausdruckes um
jeden Preis, dem später auch das Heftige und Hastige zur Gewohn-
heit wird.
Schon etwas früher (um 1280) hatte er die untere Schale des b
grossen Brunnens in P e r u g i a i) mit jener Masse von biblischen, al-
legorischen und parabolischen Relieffiguren geschmückt. Vortrefflich
lebendige Bewegungsmotive und glückliche Anordnung im Raum geben
ihnen einen höhern Werth als die noch etwas schwankende plastische
Behandlung.
Nur wenige sichere Werke sind aus Giovanni's reifster Zeit vor-
handen. Als Architekt in ganz Italien beschäftigt, brachte er wohl
auch seine plastischen Grundsätze überall hin (was freilich eher zu
vermuthen als zu beweisen ist), behielt aber gewiss wenig Müsse für
eigene Arbeiten.
Der Hochaltar im Dom von Arezzo ist in decorativer Be- c
Ziehung ein merkwürdiges Denkmal der Ziellosigkeit, welche dem
Italienisch-Gothischen anhing, als es die Consequenzen seiner nordi-
schen Vorbilder verschmähte (S. 163); neben deutschen Altarwerken,
welche die Kirche selbst in leichter, idealer Durchsichtigkeit nach-
ahmen, könnte er auf keine Weise bestehen. In den Reliefs und
Statuetten aber, womit das Werk bekleidet ist, erscheint Giovanni
Pisano als Bildhauer auf seiner vollen Höhe. Es ist kaum möglich,
diese Geschichten der Ortsheiligen und der Maria, diese Halbfiguren
') Noch zwei Jahre vorher hatte auch der alte Niccolö an diesem Brunnen gearbeitet —
was? weiss man nicht.
568
Germanische Sculptür. Giov. Pisano.
von Propheten und Engeln, diese Apostelgestalten für die gege-
benen Räume geistvoller zu componiren.
a Keine andere Schöpfung bezeichnet aber die Sinnesweise Giovanni's
deutlicher als die Kanzel in S. Andrea zu Piste ja (1301), ein
kleines Werk, doch überquellend von geistigem Reichthum, der die
formale Überladung vergessen lässt. In den Reliefs ist die Klage der
Mütter von Bethlehem, die Gruppe der Frauen unter dem Kreuz in
ihrer Art unvergleichlich; von den Eckstatuetten geben die Sibyllen,
tief erregt von den Einflüsterungen der sie begleitenden Engel, das
Höhenmass des Ausdruckes, welcher dem grossen Meister zu Gebote
stand. Die anatomische Schärfe des Nackten zeigt allerdings u. A.,
dass sein Ziel ein einseitiges war. — Immerhin möchte diese Kanzel
sein reifstes Werk und z, B. derjenigen im. Dom von Siena, welche
ähnliche Motive unsicherer durchführt, weit vorzuziehen sein.
Es folgt das schon bei den Decorationsarbeiten erwähnte Grab-
b mal Benedicts XI. (f 1304) in S, Domenico zu Perugia, mit
der edeln liegenden Statue des Verstorbenen; auch die den Vorhang
ziehenden Engel in ihrem lebendigen Schreiten sind vortrefflich; die
obern Statuetten schon mehr conventioneil.
c Das letzte grössere Werk (131 1), die Kanzel im Dom von Pisa,
wurde später auseinandergenommen; die einzigen sichtbaren Stücke
findet man eingemauert theils noch an der Kanzel selbst (man beachte
auch die beiden Löwen), theils auf einer der obern Galerien des Do-
d mes, (Die sechs Reliefs über den Thronen im Chor, von welchen
man die beiden mittlem für Giovanni's Werk halten könnte, sind von
spätem Künstlern der Schule.) Ein Übergang in das Gesuchte und
Manierirte ist hier im Ganzen nicht zu verkennen; die Eckfiguren
haben schon etwas gewaltsam Interessantes, worin auch die kenntliche
Verwandtschaft Giovanni's mit Michelangelo liegt.
Noch in seiner Blüthezeit aber hat Giovanni in der Madonna war
e zwischen zwei Engeln (Lunette der zweiten Südthür am Dom von
Florenz) den Typus der Himmelskönigin so festgestellt, wie er von
der ganzen Sculptür des germanischen Styles reproducirt werden konnte.
Es ist eine schöne und reiche Bildung, eine Fürstin, grandios einfach
gehalten, aber ohne irgend einen besondern Zug schwärmerischer In-
nigkeit. Sonst geht Giovanni, auch wo er ruhig bleibt, nicht auf
in
'Wß^
Giovanni Pisano.
569
eigentliche Schönheit aus; im Nackten ist er Naturalist, in den Köpfen
mehr lebendig und (wo der Gegenstand es gestattet) jugendlich voll,
als holdselig. Immer aber sind die conventionellen byzantinischen, die
rohen romanischen Formen durch seinen Vater und durch ihn ent-
schieden beseitigt.
In Pisa selbst werden dem Giovanni noch mehrere Madonnen
zugeschrieben: diejenige auf dem Vordergiebel des Domes; die thro- a
nende Madonna mit Engeln in dem Baldachin über der einen Thür b
des Camposanto (für ihn zu leblos). (Vasari führt noch andere Ma-
donnen an.)
Einen nahen Anspruch auf seinen Namen möchten die Propheten-
figuren in den Füllungen zweier Beichtstühle zu S. Micchele in Borgo c
haben.
Wie weit die ihm beigelegten Arbeiten im Camposanto ihm d
angehören, ist schwer zu entscheiden. Am ehesten wohl die edle
Statuette des Petrus (bei II.), vielleicht auch die bedeutende Gruppe
(N. 47) einer Caritas, über den zusammengestellten Figuren der vier
Cardinaltugenden, so viel harte Manier auch darin sein mag; sie könnte
etwa für hohe, entfernte Aufstellung berechnet gewesen sein. (Die
Nackte von den untern Figuren verräth die Nachbildung eines Venus-
motives, in Giovanni's Formen.) Auch bei dem Heiligen mit der
Wage (N. 136) über einer Basis mit den sieben freien Wissenschaften
(nebst der Philosophie als Königin) wird man am ehesten an Giovanni
denken dürfen. Vollends kann der barocke Hercules (N. 2) kaum von
einem andern sein als von dem Sohne Niccolö Pisano's; Kopf und
Seitenprofil des Ganzen sind der Antike entnommen, die magere Bil-
dung durchaus naturalistisch.
Auch das Weihbecken mit den Statuen der vier Evangelisten im «
rechten Querschiff des Domes steht der Art Giovanni's noch sehr nahe.
In P a d u a findet sich noch ein bezeichnetes Werk Giovanni's:
,,Joh'is magistri Nicoli"; nämlich das Grabmal des Errico Scrovegno f
hinter dem Altar in Madonna dell' Arena (1321). Maria, im Gespräch
mit dem ganz bekleideten Kinde auf ihrem Arm, und die beiden Engel
sind nicht bloss in der Art, sondern recht sehr in der Manier des
Meisters; die Statue des Verstorbenen dagegen ist als eines der
frühesten Werke, welche seit Untergang der römischen Kunst den Na-
Uicicerone.
37
570
Germanische Sculptnr. Schale von Pisa.
men eines vollendeten Porträts verdienen, von grossem Interesse; im
Eifer des neugewonnenen Kunstvermögens hat Giovanni den Kopf und
die Hände so im Einzelnen charakterisirt, wie etwa Balth. Denner
zu thun pflegt.
Von seinen mit Namen genannten Schülern und Nachfolgern wird
das Sichere unten aufgezählt. Seine Schule als Ganzes aber giebt sich
in den zahlreichen Sculpturen des XIV. Jahrhunderts in und ausser-
a halb Pisa kund. In Florenz gehören z. B. die Statuetten mehrerer
Gräber zu S. Croce wahrscheinlich hieher; die grosse plastische Werkstatt
war eben damals überhaupt Pisa und nicht Florenz, sodass auch die
geborenen Florentiner dort Lehre und Anregung empfangen mochten.
In Pisa haben, wie es scheint, verschiedene Schüler noch bei
, Giovanni's Lebzeiten die vielen Statuetten an der Aussenseite der
b von ihm erbauten S. Maria della Spina verfertigt, die denn auch
von sehr verschiedener Güte sind. Ganz trefflich und rein einige der
zwölf gegen den Christus in der Mitte gewendeten Apostel, auch
einiges am vordem Giebel.
Noch unter Giovanni's Einfluss möchte auch die liegende Grab-
c statue Heinrichs VII. im Camposanto mit dem edel gewendeten
Haupt und dem ganz vorzüglich drapirten Kaisermantel gearbeitet
sein; die Apostel am Sarcophag zeigen unmittelbar den Styl seiner
Schule. (Die sitzende Statue desselben Kaisers am andern Ende des
Gebäudes ist nebst ihren Begleitern ein rohes Werk dieser Zeit.)
Die spätere Zeit der Schule giebt sich u. a. durch ein zierliches
Raffinement der Gewandung kund, wie diess z. B. an der schönen
d (verstümmelten) Madonna im Camposanto N. 179 zu bemerken ist,
auch an der Gruppe eines Apostels mit zwei Propheten N. 69 u. s. w.
Alles in Allem gerechnet, ist Giovanni der einflussreichste Künst-
ler seiner Zeit gewesen. Ohne ihn hätte es keinen Giotto gegeben
oder einen andern und befangenem. — Giotto verdankt ihm gewiss
mehr als seinem Lehrer Cimabue.
Von den Mitgenossen Giovanni's, die wir uns hauptsächlich beim
Dom von Orvieto um ihn versammelt denken dürfen, ist der als Bau-
Arnolfo. Sienesen. Cosmaten.
571
meister berühmte Florentiner ArnolfodelCambio mit grösserer
Befangenheit auf den germanischen Sculpturstyl eingegangen. Am
Brunnen von Perugia beweisen es die Statuetten der mittlem Schale; a
sie stehen, als fühlten sie Nischen um und über sich. Auch die Fi-
guren an den Tabernakeln von S. Paul und S. Cecilia in Rom haben b
bei würdiger Gemessenheit doch etwas Unfreies, das von Giovanni's
Art weit abweicht.
Agostino und Angelo von Siena.die Erbauer der hin-
tern Fronte des dortigen Domes (S. 135), haben ausser ihrer Mitarbeit in
Orvieto nur ein Hauptwerk hinterlassen, von nur zweifelhaftem Werthe.
Die Sculptur ist schon seit der Trajanssäule immer in Verlegenheit
gewesen, wenn sie eine Übermasse von Thatsachen an einem und dem-
selben Denkmal verewigen sollte. So haben sich auch die Beiden we-
nig zu helfen gewusst, als sie 1330 das Mausoleum des politisch und
kriegerisch berühmten Bischofs Guido Tarlati im Dom von Arezzo c
(Seitenschiff links) arbeiteten. Die übliche Form — eine Nische mit
Sarcophag und Giebel — behielten sie vergrössert bei und erzählten
dem Beschauer in vier Reihen von je vier Reliefs übereinander die
Thaten des Helden. Da Vasari's Aussage sich streng genommen nur
auf die Anordnung des Grabes im Ganzen bezieht, so möchte es wohl
zweifelhaft bleiben, dass Giotto zu diesen ziemlich ungeschickten Com-
positionen die einzelnen Zeichnungen geliefert habe. Viel besser sind
die zwischen den Reliefs angebrachten Statuetten.
Auch die letzten Cosmaten wurden sowohl decorativ als pla-
stisch vom Styl und vielleicht vom persönlichen Einfluss Giovanni's
berührt, und die oben erwähnten Prälatengräber in der Minerva und in d
S. Maria maggiore zu Rom (S. 166, b und c) möchten leicht zum Lie- e
benswürdigsten der ganzen Richtung gehören. Die stille Weihe, welche
über diesen nur aus wenigen aber schön geordneten Elementen be-
stehenden Denkmälern ruht, hat der ungleich vielseitigere Meister mit
seinem Reichthum nie erreicht, — (Die Statue Carls von Anjou, ehe- i
mals im untern Saal des Senatorenpalastes auf dem Capitol, wo sie
indess 1853 nicht mehr zu finden war, ist ein im Ganzen sehr un-
genügendes, aber als Porträt wichtiges Werk, von unbekannter Hand.)
37*
572
Germanische Scnlptar. Giotto.
Von Giotto selbst, und zwar aus den letzten Jahren seines Le-
a bens (1334 — 36) sind die sämmtlichen Reliefs an den beiden untern
Stockwerken des Campanile beim Dom von Florenz entworfen und
zum Theil selbst in Marmor ausgeführt (die übrigen von Andrea Pi-
sano und Spätem). Composition und plastischer Styl erregen hier
ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von Ency-
clopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben
sucht. Das Einzelne findet man u. a. in Försters Handbuch verzeich-
net. Bei Anlass der Malerei werden wir auf die Anschauungsweise
zurückkommen, welche dergleichen Aufzählungen in der damaligen
Kunst hervorrief (dergleichen auch der Brunnen von Perugia eine
liefert). Jede Kunstepoche braucht einen Gedankenkreis dieser Art,
an dem sich die Form entwickeln und äussern kann und der zugleich
an sich ein bedeutendes culturgeschichtliches Zeugniss ist. Manche
überschätzen ihn wohl auch und legen eine Tiefe hinein, die nicht
darin ist.
Bei diesem Anlass eine Bemerkung über den Unterschied der
christlichen und der antiken Symbolik überhaupt. Die christliche ist
nicht volksthümlichen Ursprunges, nicht mit der Religion und mit der
Kunst von selbst entstanden wie die antike, sondern durch Combina-
tion und Abstraction Gelehrter und Wissender aus den verschiedensten
Stellen der Bibel gewonnen. Schon desshalb hat sie nur eine bedingte
Gültigkeit in der Kunst erreicht. Nun kam aber noch aus der gelehrten
Theologie und Philosophie ein starkes Contingent abstracter allegori-
scher Begriffe hinzu, welche ebenfalls von der Kunst eine sinnliche
Belebung verlangten. Schon im Alterthum kömmt Ähnliches vor, aber
anspruchloser und weniger buchmässig. Wenn man aber inne wird,
welchen heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen
diesem Gedankenkreise widmeten, so bleibt kein Zweifel, dass sie
davon überzeugt und beglückt waren. Die Gegenstände sind zeitlich
bedingt, wenn nur das Gefühl, welches die Künstler daran knüpfen,
ein unendliches ist! —
Ihre plastischen Aufgaben waren allerdings viel einfacher als
diejenigen auf dem Gebiete der Malerei. Es ist die immer von Neuem
dargestellte Madonna zwischen anbetenden Engeln, meist in der Hal-
tung, die ihr Giovanni Pisano gegeben, ohne irgend ein Streben nach
Andrea Pisano. Nino.
573
besondcrm Pathos oder besonderer Verklärung, aber immer schön und
bedeutend, und in der Arbeit gewissenhaft; dieser Typus bildet die
feste Basis, ohne welche vielleicht die freisten, herrlichsten Madonnen
des XVI. Jahrhunderts nicht so vorhanden wären, wie sie sind. So-
dann wurden biblische und auch legendarische Scenen im Relief be-
handelt, und auf diesem Gebiet einzelne Aufgaben so vollendet geist-
voll gelöst, wie vielleicht seither nie wieder.
Gerade der nächste, den wir hier zu erwähnen haben, Andrea
P i s a n o , übertrug das Darstellungsprincip Giotto's, unter dessen
nächstem Einfluss er arbeitete, mit wahrhaft hohem Bewusstsein in
die bedingtem Formen der plastischen Kunst. Von ihm ist die eherne a
Südthür am Baptisterium zu Florenz (1330 oder wenig später) mit
den Geschichten Johannes des Täufers. Hier ist ein Fortschritt auch
über Giovanni hinaus; zwar wird dessen Detailbelebung schon des
kleinern Massstabes wegen nicht erreicht, allein die Grenzen des Re-
liefs sind hier viel richtiger erkannt und festgehalten. Es ist vielleicht
die reinste plastische Erzählung des ganzen germanischen Styles; An-
drea giebt das Seinige wunderbar in Wenigem, mit dem sichersten
Gefühl dessen, was in dieser Gattung überhaupt zu geben war, wäh-
rend Giovanni mit seinem Reichthum sich überstürzt hatte. Die Heim-
suchung, die Enthauptung, die Überreichung des Hauptes (bloss zwei
Figuren), die Grabtragung, die Grablegung des Johannes sind Motive
von einfachster Schönheit. Die acht theologischen und moralischen
Tugenden in den untern Feldern können ebenfalls in ihrer Art einzig
heissen, vor allem die Figur der ,, Hoffnung". — Die drei Propheten- b
Statuen am Campanile (Südseite) sind in ihrer Art viel weniger be-
deutend.
Andrea's Sohn, NinoPisano, erscheint eigenthümlich getheilt.
Im Styl der Gewandung möchte er wohl durch Adel, Gemessenheit
und schöne Durchführung den Höhepunkt der pisanischen Schule be-
zeichnen; auch in den Stellungen seiner ruhigen Figuren hat er nichts
von dem Gesuchten, was z. B. den spätem Arbeiten Giovanni's nach-
geht; dafür ist seine Bildung der Köpfe und Hände schon auffallend
realistisch. Auf dem Hauptaltar von S. Maria della Spina in Pisa ist c
nicht nur der Petrus mit starken Adern der Hände, mit gerunzelter
Stirn, sondern auch die Madonna mit allerlei Zügen einer nicht mehr
574
Germanische Scnlptnr. Pisa. Siena.
jungen Frau dargestellt; auf der andern Seite Johannes der Täufer.
a — Die gegenüberstehende Reliefmadonna des kleinern Altars (in der
Handlung des Säugens) zeigt eine etwas idealere Bildung. — In S.
b Caterina (Cap. rechts neben dem Chor) ein Engel Gabriel und eine
Madonna, ersterer eine der schönsten pisanischen Statuen, auch letz-
tere von trefflicher Arbeit, aber einem nichts weniger als hohen Typus
(1370). An dem dortigen Erzbischof sgrab (links neben der Thür),
vom Jahr 1342, möchten doch wohl nur die untern Reliefs von Nino
sein; die obern Figuren sind zu ungeschickt.
Weniger eigenthümlich als Nino ist sein Bruder Tommaso Pi-
c s a n o. Von ilim ist der Altar N. 33 im Camposanto und die kleine
Madonna N, 172, gute fleissige Arbeiten.
Den Ausgang der pisanischen Schule in die Art des XV. Jahr-
d hunderts, etwa in der Art des Quercia, bezeichnen ein paar Reliefs
in S. Sisto zu Pisa. (Sonstige pisanische Sculpturen s. S. 570,)
Die damaligen sienesischen Bildhauer, gleich Agostino und
Agnolo mehr von Giovanni Pisano's Geist als von dem der gleich-
zeitigen Maler ihrer Stadt berührt, haben einige nicht unbedeutende
e Werke hinterlassen. Die Sculpturen an der Fassade des Domes, theils
von dem frühern Bau entlehnt, theils modern, geben keinen Massstab.
f Im Dom von Pistoja (rechts) ist das Grabmal des Rechtsgelehrten
Cino (1337) eine naive Arbeit des Sienesen Cinello; der Verstorbene
g ist als Docent nebst Zuhörern dargestellt'). Im Dom von Florenz
sieht man gegen Ende des rechten Seitenschiffes oben auf einem Aus-
bau schwebend ein Bischofsgrab von dem Sienesen Lino di Camaino,
mit gutem Relief, sonst merkwürdig durch die für diese Höhe mit
Recht sitzend, aber als sitzende Leiche gebildeten Bischofsstatue. —
Von Lino ist auch das mehr decorativ wichtige Grabmal des Bischofs
1) Diese Art von Professorendenkmälern ist dann besonders häufig in Bologna wiederholt
* worden, wo man dergleichen sowohl vom Ctyl des XIV. als des XV. Jahrhimdi^rt«, ?. B.
** im Klosterhof von S. Domenico, im Chorumgang von S. Giacomo etc., mehrere findet.
Die bessern zeigen in den Zuliörern einen abwechselnden, bisweilen tief gemeinten Aus-
druck (Staunen, Sinnen, Federspitzen, Nachschreiben u. s. w.).
Slena. Spätere Florentiner. t)rcagna.
575
Aliotti im rechten Querschiff von S. Maria novella (die Reste seines a
Altars im rechten Querschiff des Domes von Pisa habe ich nicht finden
können). — Ein ganz später Sieneser, der sich Ego Jacobus magistri
Petri de senis 1422 unterzeichnet, und den man nach Vasari's (schwer-
lich richtiger) Annahme für Jacopo della Quercia (s. unten) hält,
schuf den Altar der Sacramentscapelle in S. Frediano zu Lucca, b
Madonna zwischen vier Heiligen in gothischen Baldachinen, deren
Spitzen in Halbfiguren von Propheten auslaufen, anmuthvolle germa-
nische Figuren, deren späte Entstehung sich nur durch das übermässige
Faltenwerk verräth. (Die Reliefs der Predella sind dann wieder für
Quercia zu frei und zu entwickelt; sie erinnern eher an die Arbeiten
eines Benedetto da Majano.)
Von Niccolö Aretino sind zwei unter den Statuen der Pa- c
triarchen am Campanile zu Florenz (Ostseite) und die Lunettengruppe
an der Misericordia zu Arezzo, mittelgute Arbeiten. Bei weitem d
origineller die sitzende Statue des Marcus im Dom zu Florenz (erste e
Chorcapelle links).
Im Innern des Bigallo zu Florenz (jetziger Archivraum) ist eine f
Madonna zwischen zwei manierirten Engeln, von Alberto di Ar-
noldo (um 1360), ein mehr fleissiges als geistvolles Werk. (Die
kleine Madonna aussen am Gebäude wird dem Nie. Pisano beigelegt,
was auf sich beruhen mag. Die Füllfiguren der Architektur, Prophe-
ten und Sibyllen, sind ziemlich roh gegebene Schulmotive.)
Weit der bedeutendste der Schule in der zweiten Hälfte des XIV.
Jahrhunderts ist hier wie für die Malerei Andrea (diCione, ge-
nannt) O r c a g n a (1329 — 89). Die Sculpturen seines berühmten und
überaus prächtigen Tabernakels in Orsanmicchele (1359) sind schon g
sachlich wichtig als Inbegriff dessen, was sich von kirchlicher Sym-
bolik an Einem Kunstwerk zusammenstellen Hess. Im plastischen
Styl ist Orcagna wie A. Pisano dem Giovanni Pisano durch Ruhe
und Gemessenheit überlegen; die Figuren stehen auch in einer höhern
Linienharmonie mit der Decoration; allein die Formenschönheit er-
scheint als eine etwas allgemeine und nicht ganz lebendige. (Das
Bedeutendste einige köstliche Füllfiguren an den Pfeilern und das
576 Germanische Scülptnr. Gold Schmiedearbeit.
Relief der Rückseite.) — Nach meinem Dafürhalten haben die Relief-
a medaillons der Loggia de' Lanzi (Tugenden i) und Madonna, nach
1375) einen höhern und reinem Schwung; schon die verwitterten
b Aussenstatuetten an den Fenstern von Orsanmicchele, wahrscheinlich
ebenfalls von Orcagna, sind denjenigen des Tabernakels zum Theil
mindestens gleich an Werthe. (Es stehen ähnliche auch innen am
Stabwerk der Fenster, allein so beleuchtet, dass man kaum ihr Da-
sein bemerkt.)
Von einem Nachahmer Orcagna's (nicht von Andrea Pisano, wie
c man schon gemeint hat) ist der Taufstein im Baptisterium, dessen
figurenreiche Reliefs, lauter Taufen darstellend, des Formates wegen
sehr langgestreckte Gestalten zeigen. Dabei eine fleissige und nicht
geistlose Arbeit.
Von einem späten Trecentisten, Simone da Fiesole, mag
d die thronende Madonna in Orsanmicchele (Wandnische links) wenig-
stens erwähnt werden, als Specimen dieser Art.
e Prachtarbeiten wie der silbervergoldete Altar im Dom von Pistoja
(hintere Capelle rechts, gewöhnlich verdeckt) bilden in den Zeiten
einer blühenden Steinsculptur nicht mehr eine die Kunst bestimmende
Gattung, sondern hängen von dem Bildungsgrad der Steinsculptur ab
und kommen den Werken derselben nicht einmal durchgängig gleich,
weil der enge Raum und der kostbare Stoff den Künstler bindet.
Eine streng chronologische Besichtigung ist indess bei einem Werke,
an welchem das ganze XIV. und XV. Jahrhundert hindurch ciselirt
wurde, immer sehr lehrreich. (Das Beste enthält wohl die untere
Tafel rechts, von Leonardo di Ser Giovanni, 1366.) Der ehemahge
decorative Zusammenhang des Ganzen, als der Altar noch frei stand,
f bleibt zweifelhaft. — Den Silberaltar im Baptisterium zu Florenz, von
ähnlichem Werth, hat der Verfasser nicht gesehen.
Von einem späten Florentiner dieser Richtung, AndreadaFie-
s o 1 e (der mit dem 100 Jahre jüngeren Andrea Ferrucci nicht zu vei-
^) Nach Andern zum Theil von Jacopo di Pietro.
Bologna nnd Ferrara.
577
wechseln ist), sind einige Denkmäler in Bologna zu beachten, meist
Professorengräber der oben (Seite 574, g) beschriebenen Gattung. So
eines des Juristen Saliceti (1403) im Klosterhof von S. Martino mag- a
giore; ein anderes des Bartolommeo Saliceti (1412) im Klosterhof von b
S. Domenico (die Eckstatuen und oben der zweite Apostel neben der
Madonna fehlen; das Relief der Zuhörer und die Putten an den Con-
solen unten sind gut und lebendig, die liegende Statue weniger).
Von ähnlichem Styl, doch schon mehr in der Art des XV. Jahr-
hunderts, das vortreffliche Grabmal des Juristen Antonio Bentivoglio c
im Chorumgang von S. Giacomo maggiore; von den Statuetten sind
zumal die der vier Tugenden lebendig und ausdrucksvoll.
Die sonstigen bolognesischen Sculpturen germanischen Styles sind
meist ebenfalls von Fremden gearbeitet. Unter den Urhebern der
ziemlich unbedeutenden Heiligenbrustbilder am Sockel von S. Petronio d
wird auch ein Deutscher, HansFerrabech, genannt, welchem der
S. Paulus angehört. Von dem Venezianer Jacopo Lanfraniist
das Denkmal des Taddeo Popoli in S. Domenico, Nebencapelle des «
linken Querschiffes, vom Jahr 1347, und dasjenige des Juristen Cal- f
derini, t 1348, im dortigen Klosterhof; beides befangene Arbeiten.
Sonst geben z. B. die Sculpturen am obern Theil des Dompor- g
tals zu Ferrara einen Massstab für dasjenige, was etwa um 1300
unabhängig von den Pisanern in diesen Gegenden erreicht wurde.
(Madonna; das Weltgericht als Fries; drüber im Giebel der Welt-
richter mit Heiligen und musicirenden Ältesten; weiter unten zu
beiden Seiten Abrahams Schooss und der Schlund der Hölle.) Bei
mancher Ungeschicklichkeit sind doch Köpfe und Gewandmotive fast
durchgängig energisch und in ihrer Weise schön, das Ganze völlig
aus einem Guss.
Nächst Pisa ist wohl Venedig derjenige Punkt Italiens, wo die
Sculptur des germanischen Styles ihre wichtigste Werkstätte hatte.
Alle venezianische Malerei des XIV. Jahrhunderts, sowohl die noch
byzantinische als die halb giotteske, steht an innerer Bedeutung hinter
der gleichzeitigen Sculptur zurück. Die mangelnde Grossräumigkeit der
578
Germanische Sculptor. Venedig. Calendario.
Gebäude führte bei sonst reiclien Mitteln von selbst auf einen Ersatz
durch plastischen Schmuck, und bei einem so durchgehenden Bedürf-
niss konnte sich auch eine Schule und eine Tradition entwickeln.
Eine gewisse Einwirkung von der pisanischen Schule her ist wohl
a nicht zu läugnen. Man sieht am vordem Portal von S. Maria de'
Frari eine treffliche Madonnenstatue, welche von Niccolö Pisano
sein soll, der bekanntlich durch den Bau dieser Kirche zuerst den
germanischen Baustyl nach Venedig brachte (S. 137, c). Aus der pi-
sanischen Schule ist sie jedenfalls, und vielleicht existirt noch Ande-
res mehr von dieser Art^). Ausserdem aber hat der Norden, wie auf
Giovanni Pisano, so auch auf die venezianischen Sculptoren einge-
wirkt, und zwar auf diese sehr unmittelbar. Man erkennt diesen Ein-
fluss in der eigenthümlichen Rundung der jugendlichen Köpfe, in der
grössern Strenge der Gewänder, in den ausgeschwungenen Stellungen
(vgl. Seite 566), welche bei den Pisanern ebenfalls, aber in einer an-
dern Nuance vorkommen. Das Wesentliche aber ist, dass dieser Styl
an einer ganzen Anzahl von Werken mit Geist und Leben gehand-
habt wurde.
Die geschichtlichen Anhaltspunkte sind nur spärlich vorhanden,
oder dem Verfasser nicht genügend bekannt. — Der erste notorische
Meister istFilippo Calendario, welcher um 1350 den Dogen-
palast erbaute und mit Sculpturen versah. Es sind diess grössere
b Relief figuren an den Ecken (Taufe Johannis, Sündenfall, Engel etc.),
und ganz besonders die figurirten Capitäle der untern Ordnung. Wenn
auch die geistvollsten und zierlichsten — unläugbar diejenigen zu-
nächst bei S. Marco — erst von spätem Meistern sein sollten, so ent-
halten doch auch die übrigen (gegen die Riva und die ersten gegen
die Piazzetta hin) eine Menge von originell gewendeten, ausdrucks-
vollen Figürchen (meist allegorischen Inhaltes). Die Hochrelief gruppe
,,Salomo's Urtheil", an der Ecke gegen S. Marco, ist als Ganzes un-
geschickt, im Einzelnen aber sehr würdig und wohl nicht viel später
als Calendario 2).
•) Vasari hatte eine dunkle Kunde, dass Andrea Pisano an S. Marco gearbeitet habe.
2) Von dem bei Anlass von Bologna erwähnten Venezianer Lanfrani ist in Venedig nichts
erhalten.
Venedig. Die Massegne.
579
In die letzten Jahrzehnte des XIV. Jahrhunderts fällt dann die
Thätigkeit der Brüder JacobelloundPierpaolodelleMas-
segne von Venedig. Von ihnen sind die vierzehn Statuen der Apostel a
mit Maria und S. Marcus, welche in S. Marco auf dem Geländer
stehen, das den Chor vom Querbau abschliesst; ebenso das Dogengrab
Antonio Venier im linken Querschiff von S. Giovanni e Paolo; ausser- b
dem möchte ich ihnen das schöne Lunettenrelief über dem Eingang c
zum Vorhof von S. Zaccaria (Madonna mit Johannes dem Täufer und
S. Marcus) und in der Taufcapelle von S. M. de' Frari (sog. Cap. S. d
Pietro, links) die fünf Statuen an der Wand über dem Taufbecken, so-
wie die fünf obern Halbfiguren des dortigen Altars zuschreiben. (Die
fünf untern ganzen Figuren sind etwa 60 Jahre neuer.) Vielleicht
dürfen wir auch die ehemalige Decke der Pala d'oro im Schatz von S. e
Marco hierherrechnen; sie enthält (in vergoldeter getriebener Arbeit)
die Gestalten der Apostel i). — Mit einer meist etwas gedrungenen
Bildung wird man in den genannten Werken eine ernste Anmuth, einen
gediegenen Ausdruck und jenen idealen Schwung der Gewandung
verbunden finden, den die Pisaner durch eine mehr zierliche Lebendig-
keit ersetzen.
Den Mastro Bartolommeo, welcher den Übergang in
den Styl des XV. Jahrhunderts bezeichnet, versparen wir auf die fol-
gende Periode. — Von der grossen Menge anonymer Arbeiten germani-
schen Styles, welche bis in die ersten Jahrzehnte des XV. Jahrhun-
derts herabreichen, sind hauptsächlich diejenigen an S. Marco hervor-
zuheben.
Und zwar wird es hier wohl gethan sein, den ganzen altern pla-
stischen Vorrath dieses wundersamen Gebäudes im Zusammenhang zu
') Mit diesen Arbeiten ist der grosse Marmoraltar von S. Francesco in Bologna, welcher *
ebenfalls dem Jacobelto und Pierpaolo von Venedig zugeschrieben wird, kaum zu ver-
einigen. In dieser ausgezeichneten Arbeit ist statt des eigenthümlichen Schwunges der
Massegne in Haltung und Gewandung eher eine Zerbröckelung in kleine Motive und
eine steife Stellung zu bemerken. Von den Charakterköpfen sind einige recht schön. —
Auch dem Agostino und Agnolo von Siena, welchen Vasari den Altar zuschreibt, gleicht
der Styl wenig.
58o
Germanische Scnlptar. Venedig.
besprechen. Ein grosses Stück der Geschichte der Sculptur lässt sich
hier mit Beispielen aus den verschiedensten Jahrhunderten belegen.
« Zunächst sollen antike Bildwerke daran vorkommen. Es ist mög-
lich, dass unter den Kleinigkeiten, die an der Nordseite eingemauert
sind, sich etwas der Art befindet; dagegen sind die beiden Reliefs mit
Thaten des Hercules an der vordem Fassade wohl nichts anderes, als
sehr merkwürdige Versuche eines wohl noch mittelalterlichen Bild-
hauers (XIV. Jahrhundert?), griechische Reliefs nachzuahmen.
b Altchristlich ist sodann der Architrav des äussersten untern Fas-
sadenfensters links; — er bezeichnet das äusserste plastische Unver-
mögen vielleicht des X. Jahrhunderts, das sich nur durch Zusammen-
setzung alter (und schlechter) Sarcophagbruchstücke zu helfen wusste,
um. ein Stück biblischer Geschichte zusammenzubringen. Desselben
Styles ist wohl auch die Reliefplatte in der Capelle Zeno (rechts), so
wie einiges an der Nordseite der Kirche; der zum Dogengrab (Mo-
rosini) benützte Sarcophag in der Vorhalle zeigt diesen Styl gänzlich
barbarisirt.
Inzwischen griff Byzanz dem plastisch verwahrlosten Venedig
unter die Arme, durch übersandte oder von griechischen Bildhauern
an Ort und Stelle gearbeitete Reliefs (Seite 555)^). Die Madonna in
c der Capelle Zeno (links) und die fast weggeküsste am ersten Pfeiler
des rechten Querschiffes gelten als Arbeiten aus Constantinopel; eine
Anzahl Reliefplatten mit Madonnen und einzelnen Heiligen in der
Kirche (an Pfeilern und Wänden vertheilt), dann die vier Reliefs zwi-
schen den fünf untern Hauptbogen der Fassade (Madonna, S. Deme-
trius, S. Georg und S. Michael) und diejenigen an den entsprechenden
Stellen der Nordseite sind eher venezianisch-byzantinisch, nur dass die
letztgenannten sich schon wieder mehr der abendländischen Weise
zuneigen.
') Die beiden Porphyrreliefs, jedes mit einem sich umarmenden Fürstenpaar, aussen bei
* der Porta della Caria, angeblich von Ptolemäus hergebracht und als ,,Harmodius und
Aristngitop" benannt, sinrt wob! nichts anderes als Denkmäler irgend einer byzantinischen
Doppelregterung, ,,concordi2e augustorum". Ähnliche Darstellungen, aus vielleicht frühe-
rer Zeit und eben so barbarisch, findet man an zwei Porphyrsäulen in der vaticanischen
** Bibliothek.
ScQlptureD der Marcaskirche.
581
Neben der Thätigkeit der Byzantiner nämlich hatte sich auch der
ganz verkommene altchristliche Styl wieder aufgerafft; wir haben bereits
erwähnt, wie aus den Elementen des römischen Styles ein neuer ro-
manischer entstand, und dieser scheint nun in Venedig geraume Zeit
neben dem byzantinischen einhergegangen zu sein. Sein erstes Lebens-
zeichen sind die peinlich mit Geschichten bedeckten Säulen, welche a
den Tabernakel des Hochaltares tragen; vielleicht eine Reminiscenz
der Trajanssäule, nur nicht in der Spiralfolge, die z. B. S. Bernward
seinen Reliefs an der Säule auf dem Domplatz zu Hildesheim glaubte
geben zu müssen. (Ungefähr gleichzeitig, im XI. Jahrhundert.) An-
deres dagegen ist von ausgebildetem, zum Theil sehr gutem romani-
schem Styl, wie denn diese merkwürdige Kirche auch im Bereich
der Mosaiken neben vorherrschenden byzantinischen Compositionen
auch ein ausgedehntes Denkmal romanischer Malerei — die Mosaiken
in der Vorhalle — aufweist.
Diese romanischen Sculpturen finden sich an der Bogeneinfassung h
der mittlem Hauptthür (Tugenden, Sibyllen, Verrichtungen der Monate)
und an derjenigen des Portals der Nordseite (Propheten, Engel, Hei-
lige, nebst einer noch halbbyzantinischen Geburt Christi in dem birn-
förmigen Felde über der Thür). Auch die vier vergoldeten Engel
unter der Mittelkuppel und derjenige an dem einen Pult gehören hie-
her. — Einen Übergang in den germanischen Styl zeigt dann die Bogen-
einfassung der Nische über der mittlem Hauptthür (sitzende und leh-
nende Propheten, eine Menge von Gewerken und Verrichtungen, die
hiemit in den Schutz des heil. Marcus befohlen werden); auch die
vier Statuetten in der Capelle Zeno, dem Altar gegenüber, gehören
diesem Übergangsstyl, d. h. etwa der ersten Hälfte des XHI. Jahrhun-
derts an. Zwar ist hier nichts, was mit der plastischen Sicherheit und
Fülle eines Bened. Antelami (Seite 562) wetteifern könnte, allein als
belebte und sorgfältige Arbeiten verdienen zumal die letztgenannten
Bogeneinfassungen alle Beachtung.
Für den vollendeten germanischen Styl Italiens ist sodann die
Marcuskirche eines der wichtigsten Gebäude ausserhalb Toscana's. Im
XIV. Jahrhundert erhielten die halbrunden obern Abschlüsse der c
Kirche ihre prächtige Bekleidung mit dem schwungreichen durchbro-
chenen Laubwerk, den Spitzthürmchen und einer Menge von Statuen
582
Germanische Scalptar. Venedig. S. Marco.
a und Halbstatuen. Von den Figuren auf den mittlem Blumen der Ab-
schlüsse sind diejenigen an der Vorderseite modern, mit Ausnahme
der m_ittlern, eines sehr würdigen segnenden Christus; an der Süd-
und Nordseite scheinen sie sämmtlich gut germanisch. Ebenso die
Statuen in den Spitzthürmchen, welche nur etwas zu weit zurück-
stehen; treffliche Arbeiten, die sich dem Styl der Massegne nähern.
Die aus dem Laubwerk hervorspriessenden Halbfiguren von Propheten
und Sibyllen haben in ihrer Beweglichkeit eher etwas mit den Figür-
chen an Calendario's Capitälen gemein; — ebenso auch die Bogen-
einfassung des obern Mittelfensters (Geschichten des alten Testamentes
und Heilige unter Baldachinen). Endlich gehen die trefflich belebten
Urnentfäger unter den Spitzthürmchen als freie Stellvertreter der
wasserspeienden Thiere schon beinahe über die geistigen Grenzen des
germanischen Styles hinaus, und wenn irgend eine Kunde der Vermu-
thung zu Hülfe käme, so wären sie erst etwa in die Zeit des Mastro
Bartolommeo zu setzen.
Im Innern sind die schon erwähnten Apostel der Massegne das
Bedeutendste. — Ausserdem enthalten zwei Sacramentschränke rechts
und links neben dem Chor (im Durchgang zur Nebencapelle) ein paar
artige Figürchen von Propheten und Engeln mit Leuchtern. — Die Sta-
b tuen über den Säulenstellungen am Eingang beider Nebencapellen des
Chores scheinen von einem ungeschicktem Zeitgenossen der Massegne
herzurühren. — Die Capeila S. Isidoro fand Verfasser dieses neuerlich
sammt dem daselbst befindlichen Altar unzugänglich. Der schöne Altar
c in der Capelle de' mascoli — Madonna mit zwei andächtigen in der
Arbeit höchst vollendeten Aposteln — ist wohl erst aus dem XV.
Jahrhundert, etwa von einem der alten Weise treugebliebenen Zeit-
genossen des Mastro Bartolommeo; die Madonna selbst kein pisanisches
Werk, wofür sie gehalten wird, sondern ebenfalls venezianisch.
Ausserhalb von S. Marco gebührt der Preis dem Relief einer Ma-
d donna mit zwei anbetenden Engeln, in der Lunette einer Thür am
linken Querschiff der Frari. Wendung und Gestalt, zumal des Kin-
des, sind von einer lebensvollen Schönheit, wie sie in diesem Styl
selten wieder so vorkömmt.
e Eine Anzahl Grabmäler vorzüglich in S. tiovanni e Paolo voll-
enden das Bild dieses Styles. Wir nennen dßs Dogengrab Morosini
Lombardei. Genua. Neapel.
583
(t 1382) im Chor rechts, mit tüchtiger Bildnissfigur und befangenem
Statuetten; — das Dogengrab Corner, im Chor rechts (von dem Ur-
heber der S. 582, b genannten Statuen?); — die Grabstatue des Do-
gen Michele Steno im linken Seitenschiff, mit dem höhnischen Aus-
druck u. a. m.
Über die Stylnuancen in den germanischen Sculpturen des alten
Herzogthums Mailand fehlte mir die eigene Forschung. Es wäre ein
verdienstliches Werk, unter den 4000 Statuen des Domes von Mailand a
die schönen und alten (deren nicht wenige sind) aufzusuchen und zu
bezeichnen. — Die berühmtesten Heiligengräber sind: das des S. Pe-
trus Martyr in S. Eustorgio zu Mailand, von Giovanni di Bal-b
d u c c i o 1339, — und die ausserordentlich reiche Area di S. Agostino c
im Dom von Pavia, begonnen 1362, vielleicht von demselben B o n i n o
da Campiglione, welcher (S. 167, c) bei den Gräbern der Scali-
ger erwähnt wurde.
Genua ist an dieser Stelle unglaublich arm im Verhältniss zu
seiner schon damaligen Bedeutung, Mit Ausnahme von drei Figuren
über dem rechten Seitenportal von Madonna delle Vigne habe ich nur d
ein Werk zu erwähnen: ein Bischof sgrab im Dom, zunächst beim zwei- «
ten Seitenportal rechts, in der Höhe, mit dem Datum 1336. Der auf
vier Löwen ruhende Sarcophag hat ein fast pisanisch schönes Relief:
der Auferstandene, welcher von den Jüngern erkannt und angebetet
wird. Auch die Grabstatue und die vorhangziehenden Engel sind gut.
Die neapolitanische Kunstgeschichte beruft sich hauptsäch-
lich auf zwei Namen, Masuccio den Altern im XHI. und Masuccio den
Jüngern im XIV. Jahrhundert, welche auch als Architekten thätig
waren. Die Handbücher theilen jedem von beiden das Seinige zu; wir
haben es hier nur mit dem Schulstyl im Allgemeinen zu thun.
Wenn der Anschein nicht trügt, so hat auch hier Giovanni Pi-
sano eingewirkt, ist aber nicht ganz durchgedrungen. So weit diese
neapolitanische Sculptur von den gemeinsamen Tugenden des germa-
nischen Styles, der Würde der Stellung, dem reinen Fluss der Dra-
perien, dem Ernst und der Schönheit der Gesichtszüge mit bedingt ist,
584
Germanische Sculptur. Neapel.
mag sie wohl Gefallen erregen; was ihr aber eigen, das ist eine ge-
wisse Plumpheit und Puppenhaftigkeit, eine monotone Wiederholung
derselben Motive, eine Gedankenlosigkeit, die neben den gleichzeitigen
toscanischen Sculpturen arg abstechen würde. Hievon machen weder
a die Gräber des Hauses Anjou in S. Chiara, noch die keck bemalten in
b der Capella Minutoli im Dom (hinten, rechts), noch diejenigen des
c Hauses Durazzo im Chorumgang von S. Lorenzo, noch die in S. Do-
d menico, eine Ausnahme. Es sind immer die gleichen allegorischen
Tugenden und Wissenschaften, die freistehend den Sarg tragen, immer
dieselben Relieffiguren am Sarg selber, die nämlichen vorhangziehen-
den Engel drüber u. s. w. Die Statuen der Verstorbenen selbst er-
scheinen meist etwas besser. — Eine Menge solcher Gräber in allen
altern Kirchen, hie und da mit Farbenschmuck und Mosaiken. Ein
e grosses erzbischöfliches Grab vom Jahr 1405 in der letzten Capelle
des rechten Seitenschiffes im Dom.
Das Beste dieses Styles sind wohl die neun allegorischen Figu-
f ren, welche je zu dreien gruppirt den Leuchter der Osterkerze in
S. Domenico maggiore tragen. Hier belebt sich Antlitz und Gestalt
bis zu freier Anmuth; die Behandlung ist derjenigen des Weihbeckens
in S. Giovanni Fuoricivitas zu Pistoja ähnlich, welches dem Giovanni
Pisano selbst zugeschrieben wird.
Aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts kömmt hinzu das grosse
g prachtvolle Grabmal des Ladislas und seiner Schwester Johanna H,
von Andrea Ciccione, in S. Giovanni a Carbonara. Auch hier ist
alles Einzelne viel lebendiger und bedeutender als bei den Masuccj,
die Charaktere zumal in den kleinern Statuetten schärfer und energi-
scher, so dass sich der Übergang in den eigenthümlichen realistischen
Styl des XV. Jahrhunderts nicht verkennen lässt.
h Die Portalsculpturen am Dom und an S. Giovanni Maggiore sind
bloss als decoratives Ganzes von Bedeutung,
i Die Grabstatue Innocenz IV., im linken Querschiff des Domes,
mit ihrem höchst ausdrucksvollen, imposanten und feinen Priester-
antlitz ist wohl erst lange nach seinem Tode (1254), etwa zu Anfang
des XV. Jahrhunderts gearbeitet.
ScQlptor des XV. Jahrhunderts.
585
Mit dem XV. Jahrhundert erwacht in der Sculptur derselbe Trieb
wie in der Malerei (bei welcher umständlicher davon gehandelt wer-
den wird), die äussere Erscheinung der Dinge allseitig darzustellen,
der Realismus. Auch die Sculptur glaubt in dem Einzelnen, Vie-
len, Wirklichen eine neue Welt von Aufgaben und Anregungen ge-
funden zu haben. Es zeigt sich, dass das Bewusstsein der höhern
plastischen Gesetze, wie es sich in den Werken des XIV. Jahrhun-
derts offenbart, doch nur eine glückliche Ahnung gewesen war; jetzt
taucht es fast für hundert Jahre wieder unter, oder verdunkelt sich
doch beträchtlich. Die Einfachheit alles Äusserlichen (besonders der
Gewandung), welche hier für die ungestörte Wirkung der Linien so
wesentlich ist, weicht einer bunten und oft verwirrenden Ausdrucks-
weise und einem mühsam reichen Faltenwurf; Stellung und Anord-
nung werden dem Ausdruck des Charakters und des Momentes in
einer bisher unerhörten Weise unterthan, oft weit über die Grenzen
aller Plastik hinaus. Aber Ernst und Ehrlichkeit und ein nur theil-
weise verirrter, aber stets von Neuem andringender Schönheitssinn
hüten die Sculptur vor dem wüst Naturalistischen; ihre Charakter-
darstellung versöhnt sich gegen den Schluss des Jahrhunderts hin
wieder mehr und mehr mit dem Schönen; es ebnen sich die Wege
für Sansovino und Michelangelo.
Das Relief aber musste dem Realismus bleibend zum Opfer
fallen. Sollte es in Darstellung der Breite des Lebens mit der Ma-
lerei concurriren, so war kein anderer Ausweg: es wurde zum Ge-
mälde in Stein oder Erz. Bei mehrern Künstlern, zumal bei den Rob-
bia, schimmert das richtige Bewusstsein von dem, was das Relief soll,
Urcicerone. 3^
586
Sculptar des XV. Jahrhanderts. Florenz.
deutlich durch; ja es fehlt durchgängig nicht an plastisch untadelhaften
Einzelmotiven; im Ganzen aber ist das Relief dieser Zeit eine Neben-
gattung der Malerei. Die Überfüllung spätrömischer Sarcophage mochte
wohl zur Entschuldigung dienen. Im Ganzen aber wird man erstau-
nen, in dieser Sculptur, deren decorative Einfassung lauter antikisi-
rende Renaissance ist, fast gar keinen plastischen Einfluss des
Alterthums zu entdecken. Mit Ausnahme etwa einzelner Puttenmo-
tive ist nur hie und da eine Figur von dort entlehnt; die Behandlung
aber, Zeichnung und Modellirung, ist kaum irgendwie vom Alterthum
berührt.
Die neuen und die in neuer Gestalt fortdauernden frühern Gat-
tungen der Denkmäler wurden sclion bei Anlass der Decoratioa
(Seite 227, ff.) aufgezählt.
Die zeitliche Priorität in Betreff des neuen Styles könnte zwischen
dem Sienesen Jacopodella Quercia (1344 — um 1424) und
dem Florentiner Lorenzo Ghiberti (1378 — 1455) streitig sein^).
Allein der letztere hat jedenfalls den ganzen Stylwechsel ebenso selbst-
ständig durchgemacht als Jener, und zwar als Führer der mächtigsten
Schule; er ist zugleich einer der grössten Bildhauer aller Zeiten.
Merkwürdig durchdringt sich in ihm der Geist des XIV. und der
des XV. Jahrh. mit einem schon darüber hinausgehenden Zug frei-
ster Schönheit, wie er im XVI. Jahrh. zur Blüthe kam. Die beiden
Idealismen, Giotto und Rafael, reichen sich über den Realismus hin-
weg die Hand, und dabei erscheint Ghiberti durchgängig voll des
höchsten Lebensgefühles, wie es selbst in Donatello nicht reichlicher
vorhanden ist. — Die Belege zu seinem Entwicklungsgang liegen haupt-
sächlich in den gegossenen Bronzereliefs, aus welchen seine meisten
Werke bestehen. Die Technik des Gusses gilt hier, beiläufig gesagt,
als eine vollendete.
Die frühern Arbeiten zeigen noch den Künstler des germanischen
Styles und zwar den geistvollen Erweiterer desjenigen Principes, wel-
chem Andrea Pisano nachlebte. Ausser dem Relief mit Isaaks Opfer,
') Jedenfalls ist sie auch hier auf Seiten der Sculptur, nicht auf Seiten der Malerei, wenn
es sich auch nur um etwa ein Jahrzehnt handelt.
Lorenz© Ghibertf. cg«
v/clrhes mit derselben Darstellung von Brunellesco concurrirte und a
dieser an Geschick der Anordnung und an Schönheit des Einzelnen
beträchtlich überlegen ist (beide in den Uffizien, I. Zimmer der Bron-
zen), sind die Pforten der nördlichen Thür des Baptisteriums (1403 b
bis 1427) aus dieser frühern Zeit. Sie stellen in vielen Feldern die
Geschichte Christi, unten die vier Evangelisten und die vier grossen
Kirchenlehrer (sitzend) dar. Als Reliefs, welche die höchsten Bedin-
gungen dieser Gattung nahezu erfüllen, stehen sie unstreitig höher als
die viel berühmtem Pforten der Ostthür; sie geben das Ausserordent-
liche mit viel Wenigerem; nirgends ist mit der blossen prägnanten
Andeutung, wie sie schon der kleine Massstab vorschrieb, Grösseres
geleistet; zugleich wird Andrea Pisano hier an Lebendigkeit der Form
und des Ausdruckes überholt. Die Räumlichkeit ist schon etwas um-
ständlicher als bei ihm, doch noch immer stenographisch. Der Blick
muss sich mit Liebe in diese meisterlichen kleinen Gruppen vertiefen,
um ihnen ihren ganzen Werth abzugewinnen; dann wird man viel-
leicht zugeben, dass Scenen wie hier die Erweckung des Lazarus, die
Taufe Christi, die Geburt, die Tempelreinigung, die Anbetung der
Könige, Christus als Knabe lehrend nicht mehr ihres Gleichen haben
und von den untern Figuren wenigstens der tiefsinnende Johannes
nicht.
Auch von den beiden von G. herrührenden ReUefs am Taufbrun- c
nen zu S. Giovanni in Siena (1417) ist Johannes vor Herodes, wie er
aus dem Verklagten zum Ankläger wird, eine dramatische Erzählung
ersten Werthes; die Taufe Christi entspricht im Ganzen der eben ge-
nannten. — An dem marmornen Sacramentschrank im Chor von S. d
Maria la nuova in Florenz ist das Bronzethürchen mit dem herrlich
gedachten Reliefbild des thronenden Christus ohne Zweifel ein frühes
Werk von Ghiberti.
Die östlichen Thüren des Baptisteriums, die sog. ,, Pf orten des Pa- e
radieses" (1428—42) enthalten in grössern Feldern die Geschichten
des alten Testamentes. Hier spricht das neue Jahrhundert; Ghiberti
glaubt, ihm sei dasselbe erlaubt wie (etwas später) Masaccio; er be-
freit das Relief wie dieser die Malerei von der bloss andeutenden,
durch Weniges das Ganze repräsentirenden Darstellungsweise und
übersieht dabei, dass diese Schranke in der Malerei eine freiwillige,
38*
588
Scolptar des XV. Jahrhunderts. Gbiberti.
■ im Relief eine nothwendige gewesen war. Eine figurenreiche Assi-
stenz umgiebt und reflectirt jedes Ereigniss und hilft es vollziehen;
reich abgestufte landschaftliche und bauliche Hintergründe suchen den
Blick in die Ferne zu leiten. Aber neben diesem Verkennen des
Zieles der Gattung taucht die neu geborene Schönheit der Einzelforrn
mit einem ganz überwältigenden Reiz empor. Die befangene germa-
nische Bildung macht hier nicht einem ebenfalls (in seinen eigenen
Netzen) befangenen Realismus Platz, sondern einem neuen Idealismus.
Einige antike Anklänge, zumal in der Gewandung, lassen sich nicht
verkennen, aber es sind wenige; das Lebendig- Schönste ist G. völlig
eigen. Es wäre überflüssig, Einzelnes besonders hervorzuheben; der
Reiz der Reliefs sowohl als der Statuetten in den Nischen spricht mäch-
tig genug zu jedem Auge.
a Der eherne Reliquienschrein des heil. Zenobius (1439) unter dem
hintersten Altar des Domes enthält auf der Rückseite einen von schwe-
benden Engeln umgebenen Kranz, auf den drei übrigen Seiten die Wun-
der des Heiligen, in einer ähnlichen Darstellungsweise wie die der
letztgenannten Pforten, (Man übersehe die beiden Schmalseiten nicht,
b welche vielleicht das Vorzüglichste sind.) — Die einfache und kleinere
Cassa di S. Giacinto in den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) zeigt
bloss an der Vorderseite schön bewegte Engel. — Auch die Grab-
c platte des Lionardo Dati mit dessen grosser Flachrelieffigur im Mittel-
schiff von S. Maria novella ist hier schliesslich als trefflichste Arbeit
in dieser Gattung zu erwähnen.
Nur zwei ganze Statuen sind von Ghiberti vorhanden, die aber
d genügen, um ihn in seiner Grösse zu zeigen; beide an Orsanmicchele.
Die frühere, welche dem Styl der ersten Thür entspricht, ist Johannes
der Täufer (1414), ein Werk voll ungesuchter innerer Gewalt und
ergreifendem Charakter der Züge, in herben Formen. (Sehr bezeich-
nend für Ghiberti's ideale Sinnesart ist die Bedeckung des bloss an-
gedeuteten Thierfelles mit einem Gewände.) Die jüngere ist S. Ste-
phanus, eine der zugleich reinsten und freisten Hervorbringungen der
ganzen christlichen Sculptur, streng in Behandlung und Linien und
doch von einer ganz unbefangenen Schönheit. Es giebt spätere Werke
von viel bedeutenderm Inhalt und geistigem Aufwand, aber wohl
keines mehr von diesem reinen Gleichgewicht. (Der Matthäus, früher
Michelozzo. Die Robbia.
589
ebenfalls dem Ghiberti zugeschrieben, gilt jetzt als Werk des Bau- a
meisters Michelozzo ; eine schöne, einfach resolute Arbeit, mit
würdigen Zügen, aber von rechts gesehen ungenügend und in der Dra-
perie zu allgemein. — Die drei christlichen Tugenden, unten an dem b
Denkmal Johanns XXIII im Baptisterium, sind wohl sämmtlich von
Michelozzo; vorzüglich edel belebt die ,, Hoffnung". In der innern
Sacristei daselbst befindet sich die silberne Johannesstatue desselben c
Künstlers. Über der Thür der gegenüber vom Baptisterium liegenden
Canonica ist der naive kleine Johannes von ihm. Als Bildhauer war d
er Gehülfe Donatellos',)
Ghiberti's Richtung behielt den unmittelbaren Sieg nicht; wir
werden sehen, wie der entschiedene Naturalismus Donatello's die
Meisten mit sich fortriss. Was aber später von Schönheit und echtem
Schwung der Form und des Gedankens zum Vorschein gekommen ist,
das deutet auf Ghiberti zurück und hat seinen Anhalt an den Robbia.
Denn neben ihm, dem Erzgiesser, war ein Bildner in Thon auf-
getreten, wie die Welt keinen grössern gekannt hat, L u c a d e 1 1 a
Robbia (1399 — nach 1480), welcher nebst seinem Neffen Andrea
(1435 — 1528), dessen Söhnen G i o v a n n i und G i r o 1 a m oundmeh-
rern Verwandten und Mitgenossen eine Schule von mehr als einem
Jahrhundert und doch von einem durchaus gemeinsamen Charakter
bildet. Bis in die iS30er Jahre hinein wechselt der Styl derselben
nur in leisen Übergängen; sie macht wenige Concessionen an den
inzwischen so oft und stark geänderten Geschmack; von selbst ist
sie dem Schönsten jedes Jahrzehnts seelenverwandt; sie erlischt auf
der gleichmässigen Höhe ihres Könnens durch Mangel an Bestellun-
gen, indem sie mit dem emporgekommenen sog. grossartigen Styl
weder Verhältniss noch Bündniss schliessen kann. Hier liegt eine
erbliche Gesinnung zu Grunde, die wie ein Schutzgeist unsichtbar
über der Werkstatt gewaltet haben muss.
Das erste grosse Werk L u c a 's gehört nicht dem Thon, sondern
der Marmorsculpturan; es ist der berühmte Fries, welcher ehe- <
mals die eine Orgelbalustrade im Dom schmückte und jetzt in zehn
Stücken in den Offizien (Gang der toscan. Sculpt.) aufgestellt ist:
590
Sculptar des XV. Jahrhanderts. Die Robbia.
singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie-
denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher
und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und
Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre.
Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und
Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig i) .
Im Erzguss lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom.
Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo-
nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher
Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine
Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die Züge
zu liegen kam — diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca's Weise,
und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti's un-
trügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto-
lommeo.)
Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculpturen
von gebranntem und glasirtem Thon, deren Florenz und
die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt;
meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend
weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer
merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit,
die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs
wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen
Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss
an vier Farben: gelb, grün, blau, violett 2); erst in der spätem Zeit
der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und führ-
ten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch
hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de-
corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben-
system beschränkt, und auch in den Hauptfiguren will die Färbung,
1) Noch eine Marmorarbeit Luca's wären drei von den Statuen an der Domseite des Cam-
* panile (zwei Propheten und zwei Sibyllen); die vierte soll von Nanni di Bartolo sein.
•* Ihre Aufstellung macht jede genauere Prülung unmöglich. — Die beiden haibtertigen
Reliefs mit der Geschichte des Petrus befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien.
2) Das schon früh vorkommende Braun scheint wie nur aufgemalt.
Die Robbia.
591
selbst des Nackten, noch keine Illusion hervorbringen, wie z. B.
Wachsbilder; die lebhaften Farben und reichen Details, welche den
plastischen Eindruck aufhöben, werden sorgfältig vermieden, sodass
der Sculptur und ihren hohen Gesetzen das vollste Vorrecht bleibt i).
Es sind allerdings keine höchsten Aufgaben und Ziele, welche
diese Schule verfolgt hat; sie konnte auch nicht die Hauptstätte des
Fortschrittes im Grossen sein. Allein was sie gab, so bedingt es sein
mochte — es war in seiner Art vollendet. Sie lehrt uns die Seele
des XV. Jahrh. von der schönsten Seite kennen; der Naturalismus
liegt wohl auch hier zu Grunde, aber er drückt sich mit einer Ein-
fachheit, Liebenswürdigkeit und Innigkeit aus, die ihn dem hohen
Styl nahe bringt und deren lange und gleichmässige Fortdauer gera-
dezu ein psychologisches Räthsel ist. Was als religiöser Ausdruck
berührt, ist nur der Ausdruck eines tief ruhigen einfachen Daseins,
ohne Sentimentalität oder Absicht auf Rührung. — Und, was man ja
nicht übersehen möge, jedes Werk ist ein neu geschaffenes Original-
werk, keines ein blosser Abguss. Hundertmal wurden die gleichen
Seelenkräfte in gleicher Weise angestrengt, ohne dabei zu erlahmen.
— Bei der folgenden Aufzählung ist es uns unmöglich zu scheiden,
was Luca und was den Nachfolgern angehört; schon die vorhandenen
Angaben reichen dazu bei Weitem nicht aus. Wir geben nur das
Wichtigste.
Fürs Erste hat diese Schule das Verhältniss ihrer Gattung
zur Bauweise der Renaissance mit Freuden anerkannt und im
Einklang mit den grössten Baumeistern ganze grosse Gebäude ver-
ziert. — Von Andrea d. R. sind jene unvergleichlichen Medaillons
mit Wickelkindern an den Innocenti bei der Annunziata. Man muss a
sie alle, wonöthig mit dem Glas, geprüft haben, um von diesem un-
erschöpflichen Schatz der heitersten Anmuth einen Begriff zu erlangen.
— Ebenso sind von Andrea die Medaillons mit Heiligenfiguren an der b
Halle auf Piazza S. Maria novella; die Thürlunette am Ende der Halle
selbst (Zusammenkunft von S. Dominicus und S. Franz) ist vom Herr-
') Wie roh die Technik noch bei den nächsten Vorgängern in dieser Gattung gewesen war,
zeigt z. B. die Krönung Maria in der Portalunette von S. Maria nuova, ein Werk des
D e 1 1 o um 1400; statt der Glasur kalte Vergoldung.
592
Scnlptar des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
liebsten der ganzen Schule. — Aus mehrern Klostergängen, u. a. aus
der Certosa sind ganze grosse Reihenfolgen von Heiligenköpfen in
a Medaillons nach der Academie gebracht und in deren Hof eingemauert
worden; sie sind von sehr verschiedener Güte, die bessern darunter
aber sehr würdig und zum Theil von himmlischer wie weltlicher Ju-
b gendschönheit. — (Zwei einzelne Köpfe, ein lachendes Weib und ein
Bacchus, im Hof von Pal. Magnani.) An Orsanmicchele hat Luca
c zwei von den Medaillons mit holdseligen Reliefs ausgefüllt (sitzende
Madonna und zwei Wappenengel). — In andern, hauptsächlich klei-
nern Bauten übernahm die Schule wenigstens die Cassettirung ein-
d zelner Wölbungen, kleiner Kuppeln (Cap. Pazzi bei S. Croce, wo
e auch Figürliches; Vorhalle des Domes von Pistoja etc.); auch die
f Verzierung des Frieses und der Pendentifs (Madonna delle Carceri in
Prato etc.); kleine Gewölbe wurden wohl ganz ihren Scuipturen ge-
g widmet (die vier Tugenden und der heil. Geist, Cap. des Cardinais
von Portugal in der Kirche S. Miniato etc.). — Ein höchst eigenthüm-
liches Denkmal der ganzen Schule gewährt endlich der grosse Fries
h des Hospitals del Ceppo zu Pistoja (seit 1525); die Werke der Barm-
herzigkeit, hier von Ordensleuten ausgeübt, in zum Theil vortrefflicher
dramatischer Erzählung durch figurenreiche Scenen. Hier vorzüglich
kann man die Mässigung in der Vielfarbigkeit, und zwar auf ver-
schiedenen Stufen erkennen; Consequenz der Färbung war ferner das
Verzichten auf allen landschaftlichen und sonstigen perspectivischen
Hintergrund, der ohne grosse Buntheit nicht wäre anzubringen ge-
wesen i). Überhaupt ist diese in ihrer Art einzige Arbeit fast ebenso
wichtig durch das, was die Künstler mit weisem Bedacht wegliessen
als durch das, was sie gaben. Das italienische Relief ist rein von
sich aus hier dem griechischen näher gekommen als irgendwo mit
Hülfe römischer Vorbilder 2). (Das äusserste Relief rechts im Styl
beträchtlich moderner.)
') Vielleicht hat einst auch im altgriechischen Relief die Farbigkeit einen grossen und zwin-
genden Einfluss auf die Vereinfachung des Styles geübt. — Das Verhältniss der Robbia
zur Uecoraiion inrer Zeit s. S. 237.
*) Man vergleiche z. B. die antikisirenden Thonreliefs eines oder mehrerer unbekannten Mei-
* ster (etwa 1530) im Hof des Pal. Gheradesca (Borgo a Pinti) in Florenz. Sie sind schon
Die Robbia.
593
Sehr zahlreich sind sodann die Lunetten über Kirchen- und
Klosterportalen, welche bisweilen den besten Schmuck des Gebäudes
ausmachen. Von ganz kleinem Massstab bis zur Lebensgrösse fort-
schreitend, geben sie wohl das Bedeutendste von Einzelbildung, dessen
die Schule fähig war. Es sind die halben oder ganzen Figuren der
Madonna mit zwei oder mehrern Seitenheiligen, oder mit zwei an-
betenden Engeln, auch einzelne Ortsheilige mit Engeln u. A. m. —
eine sich immer wiederholende und in diesen Formen nie ermüdende
Gattung. Die Madonna ist bisweilen von einer Hoheit, die Heiligen
von einem tiefinnigen Ernst, die Engel von einer reizenden Holdselig-
keit, welche die meisten übrigen Sculpturen der Zeit in Vergessenheit
bringen können. Im Detail ist die Gewandung durchgängig das Ge-
ringere; die Bildung des Nackten dagegen, zumal der Hände, oft sehr
vorzüglich, freilich durch eine Haltung und Bewegung beseelt, welche
viel nachlässigere Arbeiten unvergänglich machen würde. — Ausser
Stande, sie dem Styl nach zu ordnen, nennen wir nur die wichtigern
Lunetten:
Ognissanti in Florenz: Krönung Maria. a
S. Lucia de' Magnoli: die Heilige mit zwei Engeln. b
Badia, Cap. in der Kirche links vom Eingang: eine ehemal. Thür- c
lunette, Mad. mit zwei Heiligen, aus den allerletzten Zeiten der Schule
(von einem gew. Baglioni?) und so schön als das Frühere.
Certosa, dritter Hof: S. Lorenz mit zwei Engeln. d
Innocenti, Eingang vom Hof in die Kirche: Verkündigung, mit e
einem Halbkreis von Cherubim, eines der edelsten Hauptwerke.
Kirche Montalvo a Ripoli, Via della Scala: Mad. mit zwei Hei- i
ligen, ebenfalls von höchstem Werthe. (Im stets verschlossenen Innern
sollen noch zwei gute farbige Robbia sein,)
Dom: die Lunetten beider Sacristeithüren von Luca selbst, die g
Himmelfahrt (1446) und die (viel bessere) Auferstehung; beide zeigen
ihn von der schwächern, nämlich von der dramatischen Seite.
S. Pierino (beim Mercato vecchio) : Mad. mit zwei Engeln, sehr i»
früh und von reiner Schönheit.
an Liebe und Fleiss der Behandlung nicht mit den Robbia zu vergleichen, vielmehr als
gleichgültig decorirender Fries rings um den Hof gelegt, der übrigens sammt Umgang
immer ein sehenswerthes Prachtstück bleibt.
594
Sculptar des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
a Vorhalle der Academie: eine Auferstehung, trefflicher als die-
jenige im Dom; Maria Himmelfahrt (Luca).
b Dom von Prato: Madonna mit zwei Keiligen, einfacli und von
schönstem Ausdruck.
c Dom von Pistoja: Madonna mit Engeln.
d (S. Frediano zu Lucca: Lunette beim Taufbrunnen, mit einer
Verkündigung, Cherubsköpfen und Putten; ein räthselhaftes Werk,
mit der vollen Technik der Robbia, aber ohne Seele und Schönheit,
als hätten sie die Arbeit eines Andern ausführen müssen.)
Auch ganze Altäre lieferte die Schule; entweder grosse Altar-
reliefs mit irgend einem heiligen Vorgang, oder reichgeschmückte Um-
gebungen der Nische für das Sacrament; der Kürze wegen rechnen
wir diefigurirten Nischen hinzu, welche als sog. Tabernakel
an Strassen, auch wohl in Kiosterhöfen angebracht sind.
e Das Wichtigste möchten die drei Altäre in der Madonnencapelle
des Domes von Arezzo, und zwar unter diesen der Altar der Drei-
einigkeit geben; die Engel um den Gekreuzigten sind von überir-
discher Anmuth. (Von Andrea.)
f In Florenz: S. Croce, Cap. de' Medici am Ende des Ganges vor
der Sacristci: ausser mehrern kleinern Arbeiten der Altar, Mad. zwi-
schen mehrern Heiligen, die Stellungen befangen, der Ausdruck schön
und treuherzig,
g In der Kirche, vorletzte Cap. des Querschiffes links: Mad. mit
Magdalena, Johannes und Engeln, als späte Arbeit wie die meisten
folgenden farbenreich; noch sehr schön.
h An einem Hause Borgo S. Jacopo N. 1785: ein ehemal. Altar-
relief der Verkündigung, ebenfalls spät.
i In der Kirche S. Girolamo, Via delle poverine, soll sich ein vor-
züglicher Altar befinden.
k Misericordia (Domplatz): ein mittelguter Altar.
I S. Onofrio: links ein Altar mit Christus als Gärtner.
m Hinter dem Kloster rechts, auf der Strasse: ein grosser, durch
schmutzige Glasfenster kaum noch zu erkennender Prachttabernakel
vom ^, 1.K22 beides farbenreiche Werke.
In Florenz selbst wird der Vorzug vor diesen allen dem Taber-
n nakel im linken Seitenschiff von SS. Apostoli gebühren, welcher eine
Die Robbia.
595
ganze Hierarchie von verschiedenartig beschäftigten Engeln und Put-
ten, über die Massen liebliche Gestalten enthält. (Luca.) — Und ebenso
trefflich in seiner Art: der Sacristeibrunnen von S. Maria novella, mit a
den guirlandentragenden Putten und einer in die Lunette gemalten
Landschaft; ein Prachtwerk, haarscharf innerhalb der Bedingungen
des Stoffes gehalten.
Neben diesen grössern Arbeiten existiren noch eine Menge von
kleinern Reliefs für die Andacht; man benützte den unzerstörbaren
Stoff statt der Malerei besonders gerne, wenn an Häusern, an Strassen-
ecken oder sonst im Freien eine Madonna mit Kind, oder das Kind
anbetend, oder eine heilige Familie angebracht werden sollten. Dieses
Ursprunges sind wohl die meisten der jetzt im Hof der Academie b
eingemauerten Reliefs. Man glaubt, das Mögliche an vielartiger und
dabei stets frischer Auffassung dieses so eng begrenzten Gegenstandes
hier erschöpft zu sehen und besinnt sich, wie Andere auf einen solchen
Reichthum hin noch neu sein konnten.
Die ganzen Statuen waren für die späteren Robbia zwar tech-
nisch keine Sache der Unmöglichkeit, allein doch nichts Leichtes und
von Seiten des Styles keine starke Seite, da der Entwicklung der Körper-
formen im Grossen die Entschiedenheit fehlte. Die Robbia beschränk-
ten sich auch gerne auf Halbfiguren, deren man in Florenz noch eine
ziemliche Anzahl vorfindet. (Ganze fast lebensgrosse Statuen u. a. in
der Sacramentscapelle von S. Croce; eine sitzende Madonna in einem c
Nebenraum von S. Domenico, Via della Pergola.) Ihren schönen d
ganzen Sinn offenbaren solche Statuen nur, wenn sie noch in ihrer
echten alten Nische mit farbigen, von Putten getragenen Fruchtkrän-
zen stehen; so der S. Petrus martyr im Gang vor der Sacristei von e
S. Croce; der heil. Romulus (1521) über dem Portal im Dom zu f
Fiesole u. s. w. Hier erst hat man das Heilige im Gewände der
Lebensfreude, welches ja der durchgehende Gedanke der ganzen
Schule ist.
Wir knüpfen wieder da an, von wo die Robbia ausgegangen.
Zwischen Ghiberti und Donatello steht der Baumeister F i 1 i p p o
Brunellesco, der Erwecker der Renaissance (1375 - 1444). In
^g6 Scnlptar des XV. Jahrhunderts. Bronellesco. Donatello.
a dem Abrahamsrelief (Uffizien, erstes Zimmer d. Br.), welches er in
Concurrenz mit dem erstem schuf, ist die nackte Figur des Isaak durch
ihren strengen Naturalismus ein bedeutendes und frühes Denkmal
dieser Richtung. Viel gemässigter und edler spricht sich dieselbe in
b B.'s berühmtem Crucifix aus (S. Maria noveüa, nächste Cap. links
vom Chor); es ist eine zwar scharfe aber schöne Bildung, auch in
dem geistvollen Haupte. — Doch schon hatte der gewaltige Genosse
B.'s die Sculptur zu beherrschen angefangen.
Es kömmt in der Kunstgeschichte häufig vor, dass eine neue
Richtung ihre schärfsten Seiten, durch wekhe sie das Frühere am
Unerbittlichsten verneint, in einem Künstler concentrirt. So ganz nur
das Neue, nur das dem Bisherigen Widersprechende, ist aber selten
bei einem Stylumschwung mit derjenigen Einseitigkeit vertreten wor-
den, wie der Formengeist des XV. Jahrh. vertreten ist in D o n a t e 1 1 o
(1382 od. 87—1466).
Seine frühste grössere Arbeit, das grosse Relief der Verkündigung
c in S. Croce (nach dem fünften Altar rechts) zeigt noch eine flüchtige
Annäherung gegen die Antike hin; aber schon in den Engelkindern
auf dem Gesimse meldet sich die spätere Sinnesweise: sie halten sich
an einander, um nicht schwindlig zu werden — ein Zug, wie er bei
keinem Frühern vorgekommen. Auch später noch klingt das Studium
antiker Sarcophage u. a. Sculpturen aus seinen Arbeiten heraus;
solche Stellen stechen aber befremdlich ab neben dem Übrigen.
Donatello war ein hochbegabter Naturalist und kannte in seiner
Kunst keine Schranken. Was da ist, schien ihm plastisch darstellbar
und Vieles schien ihm darstellungswürdig bloss weil es eben ist, weil
es Charakter hat. Diesem in seiner herbsten Schärfe, bisweilen
aber auch, wo es der Gegenstand zuliess, in seiner grossartigen Kraft
rücksichtslos zum Leben zu verhelfen, war für ihn die höchste Auf-
gabe. Der Schönheitssinn fehlte ihm nicht, aber er musste sich be-
ständig zurückdrängen lassen, sobald es sich um den Charakter han-
delte. Man musste damals die Stylgesetze neu errathen, und diess
geschah überhaupt nur partiell und zaghaft; wer sich aber einer sol-
chen Einseitigkeit überliess, dem musste Manches verborgen bleiben,
Donatello. Stataen.
597
was andere vielleicht ungleich weniger begabte Zeitgenossen glücklich
zu Tage förderten. Als Gegengewicht legt Donatello beständig seine
Charakteristik in die Wagschale. Selbst die einfach normale Körper-
bildung muss daneben unaufhörlich zurücktreten, während er die Ein-
zelheiten der menschlichen Gestalt begierig aufgreift, um sie zur Be-
zeichnung des gewollten Ganzen zu verwenden.
Nur er war im Stande, die heil. M a g d a 1 e n a so darzustellen, a
wie sie im Baptisterium von Florenz dasteht; an der zum länglichen
Viereck abgemagerten Figur hängen die Haare wie ein zottiges Fell
herunter. Das Gegenstück dazu bilden die Statuen Johannes desb
Täufers; so die bronzene im Dom von Siena (Cap. S. Giovanni) ;
was das sehr umständlich behandelte Thierfell vom Körper übrig
lässt, besteht aus lauter Adern und Knochen; ungleich geringer die
marmorne in den Uffizien (Ende des 2. Ganges), welche vor lauter c
Charakter weder so stehen noch auch nur leben könnte. Ein dritter
mehr dem sienesischen entsprechender Johannes findet sich in den
Frari zu Venedig (2. Cap. links vom Chor) ; wenigstens ungesuchter d
in der Stellung. Zum Beweis, wie wenig ihm die Schönheit — aller-
dings unter den Bedingungen des XV. Jahrh. — fehlte, wenn er nur
wollte, dient der jugendliche bronzene David in den Uffizien (I. Zim- e
mer der Bronzen).
Eine etwas edlere Bildung zeigt der Crucifixus in S. Croce i
zu Florenz (Cap, Bardi, Ende d. 1. Querschiffes), ein kunstgeschicht-
lich (als Muster Späterer) wichtiges Werk, geschaffen in Concurrenz
mit Brunellesco (S. 596, b). — (Das bronzene Crucifix sammt den dazu
gehörenden Statuen hinten im Chor des Santo zu Padua fand der g
Verf. wegen der Fasten verhüllt.)
In der Gewandung arbeitete Donatello ganz offenbar nach Mo-
delldraperien in einem meist schweren Stoff und ohne die Motive des
Mannequin's sowohl als der Falten lange zu wählen. Wo er nicht
durch sonstige sehr bedeutende Züge entschädigt, erscheint er daher
in durchschnittlichem Nachtheil gegenüber den stylvollen Gewandfigu-
ren des XIV. Jahrh. und vollends Ghiberti's. So z. B. in dem bronze-
nen S. Ludwig von Toulouse über dem mittlem Portal von S. Croce, h
dessen Kopf er absichtlich bornirt gebildet haben soll. Sonst sind
seine Heiligen in der Regel Porträtköpfe guter Freunde, Die Stellun-
598
ScQlptnr des XV. Jahrhunderts. Donatello. Statnen.
gen, oft von auffallender Steifbeinigkeit, mögen wohl auch bisweilen
einer persönlichen Bildung oder dem Modeschritt jener Zeit angehören
(über welchen sich höher gesinnte Künstler zu erheben v/ussten), bis-
weilen offenbar dem Mannequin. Zu den bessern und lebensvollem
a Gewandstatuen gehören vor Allen die beiden an Orsanmicchele: Mar-
cus und Petrus; — viel manierirter, doch für die hohe Aufstellung wirk-
b sam drapirt: die vier Evangelisten, worunter der sog. Zuccone, am
Campanile (Westseite); ebendort Abraham und ein anderer Erzvater
c (Ostseite). — Im Dom werden ihm Apostel- und Prophetenstatuen sehr
verschiedener Art mit mehr oder weniger Sicherheit zugeschrieben.
In der ersten Nische rechts eine manierirt lebendig gewendete mit
Porträtzügen; in derjenigen ünks eine andere mit den Zügen Pog-
gio's; in der zweiten rechts die des Ezechias, noch alterthümlich be-
fangen (schwerlich von ihm) ; in den Capellen des Chores die sitzenden
Statuen des Ev. Johannes und des Ev. Matthäus, beide wieder aus-
gezeichnet. Sie stammen zum Theil von der durch Giotto angefange-
nen, 1588 weggebrochenen Domfassade.
d Ein Unicum ist die bronzene Judith mit Holofernes in der Loggia
de' Lanzi. Das Lächerliche überwiegt hier dergestalt, dass man schwer
die nöthige Pietät findet, um die bedeutenden Schwierigkeiten einer der
frühsten profan-heroischen Freigruppen nach Verdienst zu würdigen.
e Die bronzene Grabstatue Papst Johanns XXIII. im Baptisterium
ist ein vortreffliches, ungeschmeicheltes Charakterbild; die marmorne
Madonna in der Lunette drüber kalt und unlieblich; die Putten am
Sarcophag naiver.
f Die vier Stuccofiguren an beiden Enden des Querschiffes von S.
Lorenzo (oben) erscheinen wie flüchtige Improvisationen für einen
Zweck des Augenblickes und dürften unbeschadet dem Ruhm Dona-
tello's verschwinden.
Seiner Sinnesweise nach mussten ihm energische, heroische Ge-
g stalten am besten gelingen. In der That hat auch sein S. G e o r g in
einer der Nischen von Orsanmicchele durch leichte Entschiedenheit
des Kopfes und der Stellung, durch treffliche Gesammtumrisse und
einfache Behandlung den Vorzug vor seinen meisten übrigen Werken.
h Der marmorne David in den Uffizien (Ende des zweiten Ganges) sieht
nur wie eine befangenere Replik davon aus.
Donatello. Reiterbild. Reliefs.
599
Die eherne Reiterstatue des vcnezian. Feldherrn Gattamelataa
vor dem Santo zu Padua, schon technisch ein grosses und neues
Wagestück für jene Zeit, war auch in der Darstellung eine Aufgabe,
auf welche Donatello gleichsam ein Vorrecht besass, weil ihr kein
Zeitgenosse so wäre gewachsen gewesen. In jenen Gegenden war man
von den Gräbern der Scaliger her (S. 167, b, c) an Reiterdenkmale
gewöhnt; aber erst D. belebt Ross und Mann vollständig und zwar
diessmal — wie man gestehen muss — ohne capriciöse Herbheit, in
einem beinahe grossartigen Sinne. (Für das Pferd dienten wohl eher
die Rosse von S. Marco als die Marc Aurelsstatue zum Muster? —
Im Pal. della Ragione steht ein grosses hölzernes Modell, welches b
zwar diesem Pferde nicht ganz entspricht, doch aber eine Vorarbeit
dazu gewesen sein möchte.)
Was D. im Relief für bedeutend und für möglich und erlaubt
hielt, zeigen am vollständigsten die beiden Kanzeln in S. Lorenzo, c
welche von ihm und seinem Schüler Bertoldo verfertigt sind. In ihren
einzelnen Theilen sehr ungleich, selbst was den Massstab der Figuren
betrifft, durchaus unplastisch, gedrängt, im Einzelnen oft energisch-
hässlich, sind diese Darstellungen doch dramatisch sehr bedeutend.
Das Gedränge und die Sehnsucht um den in der Vorhölle erscheinen-
den Christus, die Begeisterung des Pfingstfestes, der Jammer und die
Hingebung um das Kreuz u. a, m. ist auf ungemein lebendige und
geistreiche Weise zur Anschauung gebracht, freilich zum Theil auf
Kosten der Grundgesetze aller Plastik; edel und gemässigt ist nur
etwa die Grablegung. (Am Obergesimse hat D. ausser Putten u. dgl.
sogar die quirinalischen Pferdebändiger in classischem Eifer ange-
bracht.) — In der Sacristei ist mit Ausnahme von Verocchio's Sarco- d
phag alles Plastische von ihm, und zwar so glücklich zur Architektur
geordnet, dass man ein genaues persönliches Einverständniss mit Bru-
nellesco annehmen kann. In die Zwickel unter der Kuppel kamen
Rundbilder mit legendarischen Darstellungen, welche freilich mit ihrer
malerisch gedachten Räumlichkeit und ihrer zerstreuten Composition
ärmlich aussehen; hochbedeutend aber, ja auch plastisch vom Besten
sind die vier Rundbilder der Evangelisten in den Lunetten; sie sitzen
in tiefem Sinnen oder in Begeisterung vor Altären, auf welchen ihre
bücherhaltenden Thiere stehen. Über den beiden Pforten zu den
6oo Scalptnr des XV. Jahrhunderts. Donatello. Reliefs.
hintern Nebenräumen der Sacristei sind auf farbigem Grunde je zwei
fast lebensgrosse Heilige dargestellt. Diess Alles ist von Stucco und
so auch der ebenfalls D. zugeschriebene Kopf des heil. Laurentius
über der Thür zur Kirche; dazu kommen die beiden genannten Pforten
von Erz, welche in einzelnen Feldern je zwei Apostel oder Heilige
enthalten; flüchtige, aber sehr energische und bedeutend gebildete Fi-
gürchen, die schon weit in das XVI. Jahrh. hineinweisen. Der Mar-
morsarcophag unter dem Tisch der Sacristei mit den Putten ist wieder
nur von mittlerm Werth. — In nackten Kinderfiguren kommt über-
haupt D.'s ganze Einseitigkeit zum Vorschein; gerade das, was ihn
a gross macht, fand hier keine Stelle. Seine Kinder in der Sacristei
des Domes (an der Attica) sind in ihrer Hässlichkeit wenigstens naiv;
b dagegen hat der Kindertanz in den Uffizien (Gang der tose. Sculptur)
etwas gespreizt Übertriebenes, was sich auch in den musicirenden
c und tanzenden Kindern an der Aussenkanzel des Dom^s von Prato,
obwohl bei weitem weniger, bemerklich macht. Neben Robbia wird
D. hier immer nicht bloss befangen, sondern unförmlich erscheinen,
d trotz einzelner vortrefflicher Intentionen. (An dem Grabmal des
Bischofs Brancacci in S. Angelo a Nilo zu Neapel scheinen, beiläufig
gesagt, wenigstens die oben stehenden Putten von ihm.)
e Die Reliefmedaillons im Hof des Pal. Riccardi (Fries über dem
Erdgeschoss) erscheinen wie Übersetzungen antiker Cameen und Münz-
reverse in den herben Styl des Meisters. — Zu den spätem Werken,
f wie die Kanzeln in S. Lorenzo, gehören die ehernen Reliefs am Vorsatz
des Hochaltars und des 3. Altars rechts im Santo zu Padua, beide-
iTiale ein Pietä mit Vi^undern des heil. Antonius zu beiden Seiten;
reiche Improvisationen mit einzelnen wunderbaren Zügen des Lebens;
wie z. B. die Gruppe der Reuigen, welche den Heiligen umgeben; die
der Fliehenden bei der Scene, wo er die Brust des verstorbenen Geiz-
halses aufschneidet. Im Chorumgang, und zwar über der hintern Thür
in der Chorwand, ist dann noch das Relief einer Grablegung, eine
späte und sehr ausdrucksvolle Arbeit des Meisters. (Geringer: die
vier Symbole der Evangelisten, in Bronzereliefs, am Eingang des
Chores.)
Filarete. Nanni di Banco.
6oi
Donatello übte eine ungeheure und zum Theil gefährliche Wirkung
auf die ganze italienische Sculptur aus; er wurde in viel weitern Krei-
sen bekannt als Ghiberti, schon durch seinen wechselnden Aufenthalt.
Ohne den starken innern Zug nach dem Schönen, welcher die Kunst
immer von Neuem über den blossen Realismus und auch über das
oberflächliche Antikisiren emporhob, d. h. ohne den starken Geist des
XV. Jahrh. wäre Donatello's Princip eine tödtüche Mode geworden.
Aber schon in seiner unmittelbarsten Nähe gab es Künstler, die
durch ihn nicht gänzlich unfrei wurden. Von seinem Bruder Simone
(dem Verfertiger des Gitters im Dom von Prato, S. 233, f) und von
Antonio Filarete wurden 1439 — 47 die ehernen Hauptpforten von a
S. Peter in Rom gegossen; die Hauptfiguren der grossen Vierecke sind
flau, wie von einem etwas verkommenen Meister der altern Schule, und
wir dürfen darin speciell das Werk Filarete's erkennen, — wenngleich
die viel bessere eherne Grabplatte Martins V vor der Confession des b
Laterans auch von diesem ist. Die Reliefs und Ornamente der Ein-
rahmungen dagegen zeigen wohl Simone's Geist, und erstere sind bei
aller Flüchtigkeit trefflich naiv und von den Härten seines Bruders
ziemlich frei.
Noch auffallender ist diese (immer nur relative) Unabhängigkeit
bei Nanni di Banco i), von dem im florent. Dom (i. Chorcap. c
rechts) die sitzende Statue des Lucas, sowie an Orsanmicchele die d
Statuen der HH. Eligius, Jacobus, Philippus und die Gruppe der vier
Heiligen herrühren. (Die letztern sind keineswegs zum Behuf ihrer
Zusammenstellung in der Schulterbreite verkürzt-), stehen auch gar
nicht unglücklich bei einander.) Bei ungleicher und meist donatelli-
scher, auch wohl etwas kraftloser Bildung machen sich hier einzelne
sehr schöne und freie Motive geltend, welche der Künstler wahrschein-
lich der Anregung Ghiberti's verdankt. — Sonst aber überwiegt der
Einfluss Donatello's.
>) So dass Rumohr bezweifelt hat, dass derselbe wirklich Donatello's Schüler gewesen.
2) Laut Vasari hätte sich Donatello um ein Abendessen zu dieser Correctur verstanden,
Urcicerone,
39
6o2
Scalptar des XV. Jahrbmiderts. Verocchio.
Zu seinen eifrigsten Nachfolgern gehört Andrea Verocchio
(1432 — 88); die Wirklichkeit des Lebens ohne höhere Auffassung geht
a ihm bisweilen über den Kopf. In dem Grabrelief der Dame Torna-
buoni (Uffizien, Gang der toscanischen Sculptur) giebt er das ganz
reelle Elend eines Todes im Kindbett nebst dem Jammer der Um-
b gebung. Sein David (ebenda, I. Zimmer der Bronzen) ist gar nichts
als das Modell eines gewöhnlichen Knaben und steht sogar hinter dem
als Gegenstück aufgestellten bronzenen David des Donatello an Com-
position und Form weit zurück. (Merkwürdig ist im Kopf die Vor-
ahnung des bekannten lionardesken Ideals.) Ungleich besser und nai-
c ver, zumal trefflich bewegt ist der kleine bronzene Genius auf dem
Brunnen im Hof des Pal. vecchio. Stellenweise bricht sich immer der
ideale Zug Bahn, welchen Ghiberti aus der germanischen Zeit her-
übergerettet und nach Massgabe seines Jahrhunderts geläutert hatte.
Sobald man sich durch den bei Verocchio ganz besonders umständli-
chen, knittrigen Faltenwurf nicht stören lässt, treten bisweilen Motive
d von schönstem Gefühl hervor. So theilweise in der Bronzegruppe
des Christus mit S. Thomas am Orsanmicchele; die Bewegung des
Christus ist mächtig überzeugend, die beiden Köpfe fast grossartig
e frei und schön. — Die Madonna am Grab des Lionardo Aretino in
S. Croce zu Florenz ist beträchtlich lebloser; die übrigen Sculpturen
(Engel, Putten u. s. w.), welche mehr dem Styl Ghiberti's als dem
des Donatello folgen, sollen von dem Erbauer des Grabes, Bernardo
Rosellino, selbst herrühren, dessen als Bildhauer berühmtem Bruder
Antonio wir bald werden zu nennen haben i).
f Verocchio fertigte auch das Grabmal des Bischofs Forteguerra
(1474), wovon im Dom von Pistoja links vom Eingang noch die wich-
tigern Theile — grosse Relieffiguren von Engeln, die den Erlöser um-
schweben — erhalten sind. Dieselbe herbe Schönheit, derselbe viel-
1) In dieser Gegend wird wohl der Niccoiö Baroncelli aus Florenz einzuschalten
sein, welcher mit seinem Sohn Giovanni und seinem Eidam Domentco di Paris aus Padua
• die fünf lebensgrossen Bronzefiguren fertigte, die im rechten Querschiff des Domes von
Fcrrarc stehen. (Dci Gckrcurigtc, Maiia, Johannes, S. Georg und S. Müurclius.) Tlcis-
sige, aber harte und doch zugleich flaue Arbeiten, mit einem Anklang an Verocchio,
zumal im S. Georg.
Verocchio. PoUajaolo.
603
knittrige Faltenwurf wie in der Gruppe zu Florenz. (Vollendet von
dem damals noch jungen Lorenzetto, welchem die Figur der Caritas
angehört.)
Ausserhalb Toscana's ist von Verocchio nur ein namhaftes Werk
vorhanden: die eherne Reiterstatue des Feldherrn C o 1 1 e o n i a
vor S. Giovanni e Paolo zu Venedig. Sie wurde von Verocchio bloss
modellirt und von Aless, Leopardo gegossen, der auch das schöne
Piedestal entwarf (S. 252, k). In der Gestalt und Haltung des Reiters
ist Verocchio hier so herb individualistisch als irgend ein damaliger
florent. Porträtbildner; wir dürfen glauben, dassCoUeoni sich zu Pferde
vollkommen so stämmig gespreizt ausnahm; aber auch das Bedeutende
des Kopfes und der Geberde — mag sie auch keine glücklichen Linien
bilden — ist mit grosser Sicherheit wiedergegeben. Das Pferd ist
merkwürdig gemischt; der Kopf nach antikem Vorbild, die Bewegung
wahrscheinlich nach dem Pferde Marc Aureis, das übrige Detail nach
emsigstem Naturstudium.
(Von diesem Colleoni und von Donatello's Gattamelata sind dann
die hölzernen und vergoldeten Reiterstatuen in S. M. de Frari und b
S. Giovanni e Paolo zu Venedig abgeleitet. Es wurde mit der Zeit c
Sitte, dass die Republik ihre Generale auf diese Weise ehrte. Im Styl
ist keine davon besonders ausgezeichnet. Eine aus dem XVII. Jahrh,
— die späteste — offenbart schon das damals allverbreitete Streben nach
Affect durch heftigen Galopp über Kanonen und verwundete Feinde.)
Viel manierirter, aber in der Technik des Erzgusses eben so be-
deutend erscheint Antonio Pollajuolo (1431— 1498), dessen
Hauptarbeit das Grab Sixtus IV. in der Sacramentscapelle von S. d
Peter ist. Die liegende Statue ist als hart realistisches Bildniss von
grossem historischem Werthe, die sehr unglücklich an den schiefen
Flächen des Paradebettes angebrachten Tugenden und Wissenschaften
lassen mit ihrem Schwanken zwischen Relief und Statuette und mit
ihren jjesuchten Formen schon ahnen, auf welchen Pfaden die Sculptur
100 Jahre später wandeln würde. Das eherne Wanddenkmal Inno- e
cenz VIII. (an einem Pfeiler des linken Seitenschiffes von S. Peter)
ist in Anordnung und Ausführung viel befangener als so manches
Bessere aus derselben Zeit (1492). Die ehernen Schrankthüren (zu
6o4
Scalptar des XV. Jahrhunderts. Rosellino.
a den Ketten Petri) in der Sacristei von S. Pietro in Vincoli zu Rom
plastisch unbedeutend, decorativ artig. Ein Relief der Kreuzigung in
b den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) erinnert in den schwungvoll
manierirten Formen an die paduanische Schule. — Eines der Reliefs
c am Taufbrunnen von S. Giovanni in Siena (Gastmahl des Herodes)
von Pietro Pollajuolo möchte an Reinheit des Styles alle
Arbeiten seines Bruders übertreffen.
Mehr von Robbia als von Donatello inspirirt erscheint Antonio
Rosellino (geb. 1427), der ausserdem in der Delicatesse der Mar-
morbehandlung dem Mino da Fiesole (s. unten) verwandt erschemt.
Das Wenige, was von ihm vorhanden ist, verräth einen gemüthlichen
Florentiner, etwa von derjenigen Sinnesweise, welche unter den Ma-
lern dem Lorenzo di Credi eigen ist; die Madonna bildet er schön
mütterlich, florentinisch häuslich. Sein Hauptwerk, die von ihm er-
d baute Grabcapelle des Cardinais von Portugal (f 1459) in S. Miniato
(links) enthält dessen prächtiges Monument. Hier tritt das Decorative
merkwürdig neben dem Plastischen zurück; über dem Sarcophag mit
der sehr edeln Statue des Todten und zwei das Bahrtuch um sich
ziehenden Putten knieen auf einem Sims zwei schöne hütende Engel;
drüber von zwei in Relief gebildeten schwebenden Engeln getragen
das Rundrelief der Madonna; der Vorhang ist bloss als Einfassung
e der ganzen Nische behandelt. — Ganz ähnlich ist das Grabmal der Maria
d'Aragona in der Kirche Monte Oliveto zu Neapel angeordnet. (Cap.
Piccolomini, links vom Hauptportal; ebendaselbst das durchaus ma-
lerisch behandelte Altarrelief mit Christi Geburt und einem Engelreigen,
welches zwischen Antonio und Donatello streitig ist.) — Von ähnlichen
i Grabmälern stammen ohne Zweifel zwei herrliche Madonnenreliefs in
den Uffizien (Gang der tose. Sculpt., in dessen weiterer Fortsetzung
man wenigstens Eine trefflich naturalistische Büste A.'s findet, die des
Matteo Palmieri 1468). Ebenda ein kleiner laufender Johannes, in
Donatello's Art bis auf das holde Köpfchen i).
') Am ehesten bei Rosellino zu nennen, nur viel manierirter: die beiden Reliefs der Flucht
• nach Ägypten und der Anbetung der Könige, in der Galerie zu Parma.
Settignano. CiTitall.
605
Der als Decorator gerühmte Desiderio da Settignano
(S. 234) ist auch als Bildhauer in einzelnen Theilen seiner Werke so
trefflich, dass ihm das auffallend Geringere daran unmöglich zugeschrie-
ben werden kann. An dem Grabmal Marzuppini im linken a
Seitenschiff von S. Croce sind ausser der höchst edel gelegten und be-
handelten Statue wohl nur die beiden kräftigen Engelknaben als Guir-
landenträger von ihm; an dem Tabernakel von S. Lorenzo (rechtes b
Querschiff) gehören ihm nur die drei obersten Engelkinder sicher an^).
Ob der grosse Matteo Civitali von Lucca (1435 — 1501) ein
Schüler Desiderio's war, weiss ich nicht anzugeben, ganz gewiss aber
geht er parallel mit dessen zunächst zu erwähnendem Schüler Mino
da Fiesole, mit welchem er manche Äusserlichkeiten gemein hat. Nur
war in Matteo viel weniger Manier, ein viel grösserer Schönheitssinn,
eine Gabe des Bedeutenden, wie wir sie unter den Malern etwa bei
D. Ghirlandajo antreffen. Die Härten und Ecken Donatello's sind bei
ihm gänzlich überwunden; wie in der Decoration, so ist er in der
Sculptur einer der Einfachsten seiner Zeit.
In den Uffizien zu Florenz (Gang der tose. Sculptur) ist von ihm c
das Relief einer Fides, deren schöner und inniger Ausdruck wohl
auffordern mag zum Besuch der classischen Stätte von Matteo's Wirk-
samkeit: des Domes von Lucca. Hier findet man in den beiden d
anbetenden Engeln auf dem Altar der Sacramentscapelle (rechtes Quer-
schiff) Alles erfüllt, was jene Gestalt verhiess. Mit dem edelsten Styl,
den das XV. Jahrhundert seit Ghiberti aufweist, verbindet sich hier
der Ausdruck einer inbrünstigen Andacht und hohe jugendliche Schön-
heit. Das Grabmal des Petrus a Noceto (1472, ebenda), eine frühere
Arbeit, verräth in der Reliefmadonna und den Putten den Mitstreben-
den Mino's, aber schon auf einer ungleich höhern Stufe der Ausbil-
dung und des Ausdruckes; auch die liegende Statue ist der ähnlichen
') Bei diesem oder irgend einem andern Anlass mUsste auf den köstlichen Marmoraltar in
dem Carmeliterkirchlein S. Maria, eine Viertelstunde vor Arezzo aufmerksam gemacht •
werden. Ich kann aus der Erinnerung nur so viel sagen, dass er mir dem Styl nach zwischen den
Robbia und Mino da Fiesolc zu stehen scheint.
6o6
Scülptur des XV. Jahrhandeits. Civitali.
a Arbeit Desiderio's kaum nachzusetzen. An dem Grabmal Bertini (1479,
ebenda) zeigt die Büste einen geistvollem Naturalismus als der der
meisten Florentiner. Zunächst rechts vom Chor endlich steht der
prächtige S. Regulus Altar (1484), ein Hauptwerk des Jahrhunderts
(die Predella ausgenommen, welche wohl von Mino sein könnte). Die
drei untern Statuen entsprechen dem Imposantesten der damaligen
Historienmalerei; die Engel mit Candelabern und die thronende
Madonna oben haben schon etwas von der freien Lieblichkeit eines
Andrea Sansovino. — Dagegen genügt der S. Sebastian am
Tempietto (linkes Seitenschiff) nicht ganz; es ist keine so vollkommene
Bildung, wie sie der Meister in dem bevorzugten Lucca hätte schaffen
können.
Als Werk seines Alters dürfen wir die sechs Seitenstatuen der
b Johannescapelle imDomvonGenua betrachten: Jesajas, Elisabeth,
Eva, Habacuc, Zacharias, Adam. — Adam und Eva, leider mit Gyps-
draperien der berninischen Zeit verunziert, sind oder waren bedeu-
tende naturalistische Gestalten, Adam mit einem grandiosem Ausdrucke
flehenden Schmerzes; Eva absichtlich als ,, Mutter des Menschenge-
schlechtes" reich und stark gebildet. Die übrigen sind theils etwas
müde, theils gesuchte Motive; im Zacharias sollte das Anhören einer
Offenbarung ausgedrückt werden, was aber bei der ungenügenden
Körperlichkeit und wunderlichen Tracht vollkommen missglückte; im
Jesajas und in der Elisabeth sind zwar einzelne sehr schöne Gewand-
motive, allein die Seele des S. Regulus fehlt; Habacuc ist eine miss-
geschaffene Genrefigur. Möglicherweise sind die vier Reliefhalbfiguren
der Evangelisten an den Pendentifs der Kuppel, die wieder deutlich
an Ghirlandajo erinnern, ebenfalls Werke Civitali's.
Welches nun auch der absolute Werth dieser Sculpturen sei, in dem
von Antiken entblössten, vom florentinischen Kunstleben abgeschnit-
tenen Genua galten sie als das Höchste. Wenn auszumitteln wäre,
dass Matteo selber für längere Zeit hier wohnte, so möchte der halb
c runde untere Theil des Reliefs auf dem 5. Altar rechts im Dom eine
ehemaHge Lunette) von einem genuesischen Schüler herrühren. Es
stellt die Madonna mit zwei Engeln vor, deren einer den kleinen
knieenden Johannes präsentirt; eine sehr gute Arbeit. — Später hat
Taddeo Carlone und seine ganze Schule an Matteo's Statuen beständig
Mino da Fiesole.
607
gelernt und sie sogar schlechtweg wiederholt (Statuen in S. Pietro a
in Banchi, in S, Siro, S. Annunziata u. s. w.).
Einer der weniger begabten, aber zugleich wohl der fleissigste
aller dieser florentinischen Sculptoren nächst Donatello war Desiderio's
Schüler, der eben erwähnte Mino da Fiesole (geboren nach 1400,
hauptsächlich thätig im dritten Viertel des XV. Jahrhunderts). Der
einseitige Naturalismus und die bekannten äusserlichen Manieren
dieser Kunstepoche werden bei ihm, wie theilweise schon bei Dona-
tello selbst, etwas Unvermeidliches; dabei ist seine Ausführung äusserst
sauber und genau und bisweilen durch die schönsten Ornamente
(Seite 235) verherrlicht. In einzelnen Fällen erhebt er (oder einer
seiner Mitarbeiter) sich zu einer grossen Anmuth; meist aber ist seinen
Gestalten, abgesehen von der nicht eben geschickten Anordnung im
Raum, eine gespreizte Stellung und eine geringe körperliche Bildung
eigen; seine Reliefs gehören zu den überladensten, mit flachen und
dabei unterhöhlten Figuren.
Seine Thätigkeit vertheilte sich auf Florenz und Rom. In Rom
scheint er eine bedeutende Werkstatt gehabt zu haben, wenigstens ist
in den zahllosen Grabmälern, Marmoraltären und Sacramentschränken,
womit sich damals die römischen Kirchen füllten, sein Styl nicht sel-
ten zu erkennen; Einiges ist auch bezeichnet oder durch Nachrichten
gesichert. Weit das Wichtigste sind die Sculpturen vom G r a b m a 1 b
Pauls II (t 1471), jetzt an verschiedenen Stellen der Crypta von
S. Peter eingemauert; die allegorischen Frauen in Hochrelief sind
seine anmuthigsten Figuren, wenn auch von etwas gesuchtem Reich-
thum; die grosse Lunette mit dem Weltgericht merkwürdig als Zeugniss
des flandrischen Eiuflusses auch auf die Sculptur der Italiener; die Grab-
statue nur durch das reiche Costüm interessant. — An dem Grabmal
des Bischofs Jacopo Piccolomini (f 1479) im Klosterhof von S. Agostino c
ein ähnlich aufgefasstes kleineres Weltgericht. — Sicher von ihm:
das Grabmal des Jünglings Cecco Tornabuoni in der Minerva (links d
vom Eingang); und der Wandtabernakel für das heil. Öl in der Sa- e
cristei von S. Maria in Trastevere. Die Werke seiner römischen
Nachfolger sind unten zu erwähnen.
6o8 Scalptur des XV. Jahrhunderts. Mino. Andrea Ferrnccl.
a In Toscana sind von ihm: im Dom von Fiesole (Querschiff rechts)
ein zierHcher Altar und das prachtvoll decorirte und darin classische
b Grabmal des Bischofs Salutati (f 1466) mit guter Büste; — im Dom
c von Prato die Kanzel; — im Dom von Volterra der Hauptaltar; —
d in S. Ambrogio zu Florenz: der prächtige, aber im Einzelnen barocke
e Altar der Cap. del Miracolo; — in der Badia zu Florenz, dem
classischen Ort für Mino's heimische Wirksamkeit: ein Rundrelief der
Madonna aussen über der Thür; im rechten Kreuzarm das Grab des
Bernardo Giugni (f 1466), und im linken das noch prachtvollere des
Hugo von Andeburg vom Jahr 1481, endlich unweit von der Thür ein
Altarrelief mit drei Figuren; fast sämmtlich Arbeiten von bedeuten-
dem Rang in Beziehung auf Luxus und Zierlichkeit.
Von Freisculpturen sind einige Büsten das Beste: mehrere in den
f Uffizien (verschlossener Raum hinter den Sculpturen der toscanischen
g Schule) ; diejenige der Isotta von Rimini im Camposanto zu Pisa,
N. XIX. — Von den kleinen Statuen Johannes d. T. und S. Sebastians
hin S. Maria sopra Minerva zu Rom (3. Cap. links), welche ihm ohne
Sicherheit zugeschrieben worden, ist die letztere beinahe zu gut für
i ihn. — Wenn die Colossalstatuen des Petrus und Paulus, ehemals an
der Treppe vor S. Peter, jetzt im Gange nach der Sacristei, wirklich
von ihm (und nicht von einem gewissen Mino del Reame) sein sollten,
so würden sie eine ungemeine Befangenheit in der Freisculptur be-
weisen.
Von andern fiesolanischen Sculptoren, welche mit Mino in Ver-
bindung stehen mochten, ohne doch seine Schule zu bilden, ist An-
drea Ferrucci (f 1522) der wichtigste. Die von ihm sculpirte
k Nische über dem Taufstein des Domes von Pistoja zeigt in mehrern
Gestalten Anklänge an Mino's Styl, aber in das Schöne und Veredelte;
der Seelenausdruck in der gesundern Art der umbrischen Malerschule,
zumal in dem grossen Hochrelief mit der Taufe Christi; die vier klei-
nern Reliefs mit der Geschichte des Täufers wenigstens trefflich com-
1 ponirt und schön ausgeführt. — In Florenz ist von Andrea das Bild-
nissdenkmal des Marsilius Ficinus im rechten Seitenschiff des Domes;
m sodann das schöne Crucifix in S. Felicita (4. Cap. rechts), mit dem
n edeln reichgelockten Haupt; — der grosse S. Andreas im Dom (Ein-
gang zum linken Querschiff, rechts) hat schon etwas academisch Be-
Benedetto da Rlajano.
609
faiigenes. — Von A.'s Schülern Silvio und Maso Boscoli von
Fiesole ist u. a. das Grabmal des Antonio Strozzi, im linken Seiten- a
schiff von S. Maria novella.
Ein freierer florent. Nachfolger Mino's ist der Baumeister Bene-
detto da Majano (1444 — 98). Die wenigen erhaltenen Arbeiten
verrathen einen der grössten Bildhauer der Zeit. An Schönheitssinn
und Geschick ist er dem Mino weit überlegen und erscheint eher als
der Fortsetzer Ghiberti's. Die Reliefs der Kanzelin S. Croce zei- b
gen höchst lebendig entwickelte Scenen mit den herrlichsten Motiven
(zum Theil auf der Dreiviertelansicht beruhend); die Statuetten in
den Nischen unten sind bei winzigem Massstab vom Köstlichsten
dieser Zeit. — In der Capelle Strozzi in S. Maria novella (rechtes c
Querschiff) ist das Grabmal hinter dem Altar von ihm; über dem Sar-
cophag das Rundrelief der Madonna, von Engeln umschwebt, träume-
risch süss und holdselig, wie etwa ein frühes Werk des Andrea San-
sovino könnte ausgesehen haben. In seinen Freisculpturen ist Benedetto
allerdings noch etwas befangen. Sein Johannes der Täufer in den d
Uffizien (Ende des zweiten Ganges) ist aber in dieser Befangenheit
sehr liebenswürdig durch den naiven Ausdruck; ebenso die Sta-
tue des S. Sebastian in einem Nebenraum des Kirchleins der Mise- «
ricordia (auf dem Domplatz), Die in demselben Raum (auf dem Altar)
befindliche Madonna deutet schon entschieden auf die Weise des XVI.
Jahrhunderts, auf Lorenzetto und Jac. Sansovino hin. Seine anmuth-
reiche Phantasie erräth das, wozu seine formelle Bildung wohl nicht
hingereicht hätte. — Das Denkmal Giotto's (1490) im rechten Seiten- f
schiff des Domes, ein blosses Reliefmedaillon, ist wie andere Ehren-
denkmäler dieser Kirche ein Beweis dafür, wie wenig Prunk damals
von Staatswegen (,,cives posuere") mit dem Andenken verstorbener
grosser Männer getrieben wurde; es lebten ihrer noch welche i). Fast
1) Dagegen haben die im Auftrag des Staates (der ,, Gemeine") bloss grau in grau gemal-
ten Denkmäler im Dom von Florenz und anderswo allerdings das Ansehen , als ob man *
gern gemocht und nicht gekonnt hätte. Es sind gleichsam Anweisungen auf künftige
Marmordenkmäler Vgl. Vasari im Leben des Lor. di Bicci.
6io
Scalptar des XV. Jahrhunderts. Agostino dl Guccio.
a gegenüber ist, ebenfalls von B.'s Hand, die Büste des Musikers Squar-
cialupi, eines Zeitgenossen, welchem der Künstler so wenig als dem
b Pietro Meilini (Uffizien, Gang d. tose, Sculpt) die natürliche Hässlich-
keit erliess. Es wurden damals in Florenz fast so viele Büsten aus
Marmor, Thon und Kittmasse (und dann farbig) gebildet als Porträts
gemalt; in allen werden die unregelmässigen Züge nicht bloss frei
zugestanden, sondern als das Wesentliche und zwar bisweilen grandios
c behandelt. Der genannte Gang in den Uffizien und seine meist ver-
schlossene Fortsetzung enthalten eine Anzahl davon, sämmtlich
marmorn.
Mit Unrecht wurde früher zum Hause der Robbia derjenige be-
deutende Künstler gerechnet, welcher 1461 die Fassade der Brüder-
d Schaft von S. Bernardino in Perugia (neben S. Francesco) baute und
mit Sculpturen bedeckte, Agostino di Guccio aus Florenz i).
Diese reiche und prächtige Arbeit, aus Terracotta, Kalkstein, weissem,
röthlichem und schwarzem Marmor ist der Geschichte und der Glorie
des genannten Heiligen geweiht. Das Plastische ist ungleich; die vor-
züglichere Hand verräth sich hauptsächlich in den anmuthig schwe--
benden Engeln mit ihren feinfaltigen, rundgeschwungenen Gewändern,
sowie in einigen der kleinen erzählenden Reliefs. Offenbar stand der
Künstler zur Antike in einem viel nähern Verhältniss als die übrigen
Robbia, ja als die meisten Sculptoren seiner Zeit; man wird z. B. eine
Figur finden, die das bekannte Motiv einer bacchischen Tänzerin ge-
radezu wiederholt; auch ist seine Relief behandlung plastischer als die
der florentinischen Zeitgenossen insgemein, welche alle mehr von Do-
natello berührt erscheinen. An innerlichem Schönheitssinn und tieferm
Seelenausdruck ist Luca della Robbia auch ihm überlegen.
1) Wahrscheinlich ist der Augustinus de Florentia, welcher 1442 die Platte mit vier Reliefs
* aus der Geschichte des heil. Geminian am Dom von Modena (aussen auf der Südseite
nahe beim Chor) fertigte, dieselbe Person. Das von Donatello unabhängige Leben, die
leichte, geschickte und deutliche Bewegung, die feingefalteten, schwungreichen Draperien
geben eine Vorahnung des Werkes von Perugia.
Montelupo. Rovezzano. Hastici.
6ri
Um das Ende des XV. Jahrh. arbeitete BacciodaMontelupo
die Statue des Ev. Johannes an Orsanmicchele; ein gemässigter und a
geschickter Nachfolger Verocchio's, doch nicht ohne gezwungene Ma-
nier. An einem der Dogenmonumente in den Frari zu Venedig (des b
Pesaro, 1503) wird ihm die Statue des Mars zugeschrieben.
InBenedetto da Rovezzano kHngt noch einmal Ghiberti
nach. Seine Reliefs mit den Thaten des heil. Johann Gualbert in den c
Uffizien (Gang der tose. Sculpt.), vom Jahr 1515, deuten noch wesent-
lich in das vergangene Jahrh. zurück; viel delicates Einzelnes, meh-
rere treffliche dramatische Momente (der Transport der Besessenen,
die Bannung des Teufels von dem kranken Mönch), aber auch Vieles
matt und gedankenlos. — Die Statue des Ev. Johannes im Dom d
(Eingang zum Chor, rechts) ist eine fleissige, aber äusserst geringe
Arbeit.
Beide letztgenannten überragt bei Weitem G i o v. Franc. R u -
s t i c i , von welchem die Bronzegruppe der Predigt des Täufers über c
der Nordthür des Baptisteriums gearbeitet ist. Er war Schüler Ve-
rocchio's, und die Neider sagten dem Werke nach, dass ein anderer
berühmterer Schüler jenes, Lionardo da Vinci, daran geholfen
habe. Wie dem nun sei, es waltet in der Gruppe jener Geist des
Hochbedeutenden, welchen wir unter den Malern vorzüglich bei Luca
Signorelli wiederfinden. Die innere Aufregung ist in dem Täufer und
ganz besonders in den beiden zuhörenden Pharisäern mit ergrei-
fender Kraft, in letztern wie verhehlt, doch unwillkürlich hervorbre-
chend ausgedrückt. Die Gewandung gehört noch mehr dem XV.
Jahrhundert an, während das Nackte schon der grandiosen und
freien Behandlung der höchsten Blüthezeit würdig erscheint. — L i o -
n a r d o ' s eigene Sculpturwerke sind auf klägliche Weise zu Grunde
gegangen.
In Pisa spielt die Sculptur seit Anfang des XV. Jahrh. keine
Rolle mehr; ja man wird selten in der ganzen Kunstgeschichte ein
so völliges Aufhören einer blühenden und thätigen Schule so genau
mit dem politischen Sturz der betreffenden Stadt (1405) zusammen-
gehen sehen. Von einem guten Bildhauer, dessen Formen etwa an
612
Scolptnr des XV. Jahrhunderts. Siena. dnercia.
a die des Sandro Botticelli erinnern, sind die sieben Tugenden in Re-
lief neben dem Hauptaltar in S. Maria della Spina; möglicherweise
gehören die noch bessern drei Tugenden an dem Sarcophag des Erz-
b bischofs Ricci (f 1418, aber das Grab aus späterer Zeit) im Campo
Santo, bei N. 49, derselben Hand an, ebenso die Reliefstatuetten der
Caritas, Misericordia etc. ebenda, N. 90, 94 etc.
Den Ausgang ins XVI. Jahrh. belegen die ziemlich guten und
c freien Sculpturen des Altars in S. Ranieri.
Die Sculptur von Siena seit dem Anfang des XV. Jahrh. ist
der gleichzeitigen sienesischen Malerei im Ganzen überlegen, ja sie
kann in Betreff der neuen Auffassungsweise sogar gegenüber der flo-
rentinischen Sculptur eine zeitliche Priorität in Anspruch nehmen.
Ihr wichtigster Meister, Jacopo della Quercia, ist wohl über-
haupt der frühste unter Jenen, welche den ausgelebten Styl, der einst
von Giovanni Pisano ausgegangen, gegen eine derbere, mehr natura-
listische Auffassung vertauschten. Von ihm sind zu Siena: zwei von
d den sechs Bronzereliefs am Taufbrunnen in S. Giovanni (Geburt und
Predigt des Täufers), noch im Styl des XIV. Jahrh., und die Sculptu-
e ren der Fönte gaja auf dem grossen Platz (141 9), sein vollständigstes
und anmuthigstes Werk im neuen Styl. An dem Grabmal der Ilaria
£ del Carretto (f 1405) im Hnken Querschiff des Domes von Lucca ist
die liegende Statue noch mehr germanisch, der Sarcophag dagegen —
nackte Kinder (Putten), welche eine Fruchtschnur tragen — von einer
weichen und schönen Lebendigkeit, die den Vorgängern noch fremd
g ist. (Die eine Seite von diesem Sarcophag befindet sich in den Uf-
fizien zu Florenz, Gang der tose. Sculptur.) — Der Altar in der Sacra-
h mentscapelle zu S. Frediano in Lucca, datirt 1422, kann kaum von
Qu. sein, wenn dieser schon 1419 die Fönte gaja gearbeitet hatte;
freilich ist es schwer, neben ihm einen zweiten ,, Jacopo Sohn Pietro's"
aus blosser Vermuthung anzunehmen, da auch sein Vater Pietro hiess;
vielleicht könnte das Werk früher von ihm gearbeitet und erst 1422
aus der Werkstatt gegeben worden sein. (Vgl. S. 575, b.) An der zwei-
i ten Thür der Nordseite des Domes von Florenz ist von ihm (eher als
von Nanni di Banco) das Giebelrelief der Madonna della cintola, eine
Oaerda und Schfiler in Bologna.
613
grosse feierlich bewegte Composition, im Detail etwas flauer als die
Fönte gaja.
Während in Toscana die grossen Florentiner ihn allmälig in den
Schatten stellten, gewann er durch seinen Aufenthalt in Bologna
einen, wie es scheint, weitgreifenden Einfluss auf die oberitalische
Sculptur. Hier sind die Sculpturen am Hauptportal von S. Petro-a
n i o , begonnen 1429, vielleicht seine bedeutendste Arbeit überhaupt;
weniger die Statuen der Madonna und zweier Bischöfe in der Lunette,
als die Reliefhalbfiguren der Propheten und Sibyllen in der Schrägung
der Pforte und des Bogens. Die neue Kunstzeit spricht hier ver-
nehmlich aus den scharf individuellen Köpfen und aus dem Momen-
tanen der Bewegung. Die fünf Geschichten aus der Kindheit Christi
am Architrav passen nicht wohl zu Q.'s sonstigen Reliefs; die zehn
Reliefs mit den Geschichten der Genesis an den Pilastern der Thür
erregen ebenfalls einige Zweifel. Wenn sie aber von Quercia sind, so
würden sie eine so früh im XV. Jahrh, unerhörte Freiheit des Styles
bezeugen, während sie für das XVI. Jahrh. doch nur die Geltung von
manierirten und wenig durchgebildeten Arbeiten haben könnten.
Ein bolognesischer Schüler Quercia's Niccolö dell' Area (st.
1494), fertigte die grosse thönerne, ehemals vergoldete Relief madonna b
an der Fassade des Pal. Apostolico, die für die Zeit um 1460 kein
bedeutendes Werk ist. — Wichtiger war Niccolö's Theilnahme an der
Area in S. Domenico, von welcher er seinen Beinamen erhielt. Hier c
werden ihm mehrere der obern Statuetten und der knieende Engel
rechts vom Beschauer i) zugeschrieben; für die übrigen Statuetten
(Niemand sagt genau welche) nennt man einen wohl fünfzig Jahre
Jüngern Künstler, Girol. Cortellini. Genug dass es angenehme
und lebensvolle Figürchen sind, die vielleicht im Abguss eine weite
Verbreitung finden würden. (Der heil. Petronius und der Engel unten
links vom Beschauer sind anerkanntermassen von Michelangelo.) —Eine
sehr tüchtige Arbeit des Niccolö ist auch das bemalte Reiterrelief des d
Annibale Bentivoglio (1458) in der gleichnamigen Capelle zu S. Gia-
como maggiore (Chorumgang),
') Welchen ich glaube für ein Werk des XVI. Jahrhunderts halten zu mUssen.
6i4
Scalptor des XV. Jahrhunderts. Schüler duercia's.
Den Einfluss von Quercia's Styl wird man vielleicht ausserdem
erkennen an den Sculpturen der Fassade von Madonna di Galliera.
a Dagegen zeigt er sich da nicht deutlich, wo man ihn erwarten sollte,
nämlich in den Propheten und Sibyllen (unten) an den Seitenfenstern
b von S. Petronio, welche zum Theil gute Arbeiten verschiedener lom-
bardischer Meister des XV. Jahrh. sind').
Von Quercia's sienesischen Schülern führte Urban von Cor-
t o n a , wie man glaubt nach des Meisters Entwürfen, die Statuen der
c HH. Ansanus und Victorius an den mittlem Pfeilern des Casino de'
Nobili in Siena aus, lebendige und resolute Gestalten, die an das Beste
von Verocchio erinnern; Ähnliches gilt von dem etwas spätem N e -
d r o c c i o (Statuen in den beiden Seitennischen der runden Cap. S, Gio-
vanni im Dom). Vecchietta dagegen hat die naturalistische Härte
Donatello's ohne dessen innere Gewalt; seine Bronzestatue des Er-
e lösers, auf dem Hauptaltar der Hospitalkirche della Scala, ist wie ein
Andrea del Castagno in Erz; die Grabstatue des Soccino (f 1467) in
f den Uffizien (I. Zimmer d. Br.) sieht einem von der Leiche genomme-
nen Abguss ähnlich, wenn auch die Falten nicht ohne Geschick geordnet
sind. Auch die übrigen Sienesen sind nach den in den Gängen der
g Academie aufgestellten Fragmenten zu schliessen von keiner Bedeutung
(die Cozzarelli,u, A,), wenn nicht die mir unbekannten Sculptu-
ren in der Osservanza ihnen doch einen bessern Platz anweisen. —
Später folgt dann, ganz vereinzelt, der oben bei Anlass der Decoration
h (S. 239, e) erwähnte herrliche Altar in Fontegiusta.
Die römische Sculptur dieser Zeit ist eine fast ganz anonyme.
Doch steht wenigstens am Anfang des Jahrh. der Name des Paolo
Romano fest. In ihm regt sich, gleichzeitig mit Quercia, der be-
ginnende Realismus wenigstens in so weit, dass seine liegenden Grab-
statuen mit Geist und Freiheit individualisirt heissen können. (Grab-
^) Die älteni iiäch dem Campo Sctntu veiselzten Giabmäier verschiedener Kirchen hat der
Verfasser nur flüchtig gesehen. Es befindet sich darunter das Grabmal Papst Alexan-
ders V.
Scolptaren in Rom.
615
mäler des Card. Stefanschi, st. 1417, im linken Querschiff von S. Maria a
in Trastevere, — und des Comthurs Carafa im Priorato di Malta; — b
vielleicht schon dasjenige des Card. Adam, st. 1398, in S. Cecilia.) — c
Von zweien Schülern Paolo's, Niccolö della Guardia und
Pierpaolo daTodi, das aus einer Anzahl erzählender u. a. Reliefs
bestehende Denkmal Pius II (st. 1464), im Hauptschiff von S. Andrea d
della Valle; später als Gegenstück hinzugearbeitet das Denkmal
Pius III.; beide ungünstig aufgestellt. — Von den sichern Arbeiten
des Filarete, A. Pollajuoloi) und Mino da Fiesole
(s. oben) war schon die Rede; sodann ist hier der Abschnitt über das
Decorative (S. 242) zu vergleichen.
Ausser dem, was dort über den römischen Gräberluxus seit 1460
im Allgemeinen gesagt ist (vgl. auch S. 229), muss hier zugestanden
werden, dass der schönste Eindruck dieser römischen Sculpturen ein
coUectiver ist. Sie geben zusammen, in ihrer edeln Marmorpracht,
das Gefühl eines endlosen Reichthums an Stoff und Kunst; die Gleich-
artigkeit ihres Inhaltes, der doch hundertfach variirt wird, erregt das
tröstliche Bewusstsein einer dauernden Kunstsitte, bei welcher das
Gute und Schöne so viel sicherer gedeiht, als bei der Verpflichtung,
stets ,, originell" im neuern Sinne sein zu müssen. An den Grab-
mälern ist der Todte in einfache Beziehung gesetzt mit den höchsten
Tröstungen; ihn umstehen, in den Seitennischen, seine Schutzpatrone
und die symbolischen Gestalten der Tugenden; oben erscheint, zwi-
schen Engeln, die Gnadenmutter mit dem Kinde oder ein segnender
Gottvater — Elemente genug für die wahre Originalität, welche her-
gebrachte Typen gerne mit stets neuem Leben füllt, und dabei stets
neue künstlerische Gedanken zu Tage fördert, anstatt bei der
Poesie und andern ausserhalb der Kunst liegenden Grossmächten um
neue ,, Erfindungen" anzuklopfen.
Ein ganzes Museum von Sculpturen findet sich in S. M a r i a d e 1 e
p o p o 1 o ; hundert andere Denkmäler sind durch alle altern Kirchen
zerstreut. Wir nennen bloss das Bedeutendere.
') Ob die bronzene Grabstatue eines Bischofs in S.
ihm sein mag?
M. del popolo (3. Capelle rechts) von •
6i6
Scnlptur des XV. Jahrhunderts. Rom.
a Der Art Mino's stehen am nächsten: das Grabmal des Bartol.
Roverella (f 1476) in S. demente (rechts), mit werthvollen Reliefs
von verschiedenen Händen, die trauernden Putten vorzüglich schön,
b die Madonna vielleicht von Mino selbst; — das Grab des jungen Al-
bertoni (t 1485) in S. M. del popolo (4. Cap. rechts), nahe verwandt
c mit dem S. 607, d erwähnten ;^ — der Tabernakel der Nebencapelie links
d in S. Gregorio; — die Gräber Capranica und de Coca in S. M. sopra
Minerva (hinten rechts), mit ausgemalten Nischen; — die Gräber de
e Mella (t 1467) und Rod. Sanctius (f 1468) in der Halle hinter S. M.
di Monserrato. Geringerer Grabmäler, Tabernakel etc. zu geschweigen.
Parallel mit diesen Werken gehen diejenigen eines andern Mei-
sters oder einer andern Werkstatt, welcher wir das Beste verdanken.
Ohne den herrschenden Typus des decorativen Grabes und Altares zu
überschreiten, zeigen diese Arbeiten einen höhern Adel des Styles,
eine lebendigere Durchführung alles Äusserlichen und einen schönern,
oft ganz innigen Ausdruck, der doch nichts mit dem der umbrischen
f Maler gemein hat. Die frühsten: das Grabmal Lebretto (f 1465)
g nächst dem Hauptportal von Araceli; — das des Alanus von Sabina
in S. Prassede (eine der Cap. rechts); — dann folgt das prachtvolle
h Monument des Pietro Riario (f 1474) im Chor von SS. Apostoli, —
i mit welchem das ungleich spätere des Gio. Batt. Savelli (t 1498) im
Chor von Araceli eine bestimmte Stylähnlichkeit hat; — auch die Fi-
guren der beiden Johannes in einem Vorgemach der Sacristei des
k Laterans gehören hierher. — Den Höhepunkt dieses Styles bezeichnet
1 dann der AltarAlexanders VI. (1492, als er noch Cardinal Bor-
gia war) in der Sacristei von S. M. del popolo, mit den wunderschönen
m Engeln in den Bogenfüllungen; — und der kleine Altar des Guiler-
mus de Pereriis (1490) im Chorumgang von S. Lorenzo fuori le mura;
n — endlich eine einzelne Figur des heil. Jacobus d. ä. im Lateran (an
einem Wandpfeiler des rechten Seitenschiffes). — Es ist auffallend,
o dass beim Dasein solcher Kräfte das Grabmal Sixtus IV. in so (ver-
hältnissmässig) geringe Hände fallen konnte, wie die erhaltenen Reliefs
zeigen. (Crypta von S. Peter.)
Später findet sich auch der umbrische Gefühlsausdruck in einigen
pausgezeichneten Werken; so sind an der Hof treppe des Nebenbaues
links an S. Maria maggiore Fragmente eines Altares eingemauert,
ScalptureD in Rom.
617
welche köstliche Nischenfiguren und die besten, naivsten römischen
Putten des XV. Jahrh. enthalten; — etwas später (1510) entstand
das Grab eines Erzbischofs von Ragusa links vom Portal in S. Pietro a
in Montorio, von dem sonst wenig bekannten Bildhauer G i o. A n t.
D o s i o , mit einer sehr schönen, frei peruginesk empfundenen Madonna.
Unter den liegenden Bildnisstatuen der Gräber ist diejenige des b
Pietro Meilini (t 1483) in der gleichnamigen Capelle in S. M. del
popolo besonders bemerkenswerth durch die naturalistische Strenge,
womit Kopf und Hände individualisirt sind; — ähnlich die des Cor- c
dova (t i486) in der Halle hinter S. M, di Monserrato. Wen die
Grabstatue Alexanders VI. (f 1503) interessirt, findet dieses mittel- d
massige, doch in den Zügen wahrscheinlich sehr getreue Werk in der
Crypta von S. Peter. (Die Gebeine liegen im Chor von S. M. di Mon-
serrato.) Die lieblichsten Mädchenköpfe an dem einen Grabe der e
Familie Ponzetti (1505 und 1509) in S. M. della Pace (Hauptschiff
links) ; zwei gute Greisenbüsten an dem Grabmal Bonsi, Vorhalle von i
S. Gregorio. — Über der Treppe der Villa Albani die liebenswürdig- g
naturalistische Büste einer angehenden Matrone (der Teodorina Cybö).
Noch zu den bessern Arbeiten gehörend, doch ohne tiefere Eigen-
thümlichkeit: in S. M. del Popolo: das prächtige Grabmal Lonati h
(Querschiff links); — das Grab des Cristoforo Rovere (nach 1479,
I. Cap. rechts); — des Giorgio Costa (1508, 4. Cap. rechts); — des
Pallavicini (1507, i. Cap. links); —des Rocca (1482, in der Sacristei);
— die letztern vier vielleicht von demselben Künstler, welcher in der
Minerva die Grabmäler Sopranzi (1495, letzte Cap. des rechten Seiten- i
Schiffes) und Ferrix (1478, im ersten Klosterhof), ausserdem vielleicht
auch das Grab des Diego de Valdes (1506, in der Halle hinter S. M. k
di Monserrato) schuf. Alles Arbeiten von einer gewissen stereotypen
Eleganz, mit einzelnen trefflichen Bestandtheilen.
Die Masse der übrigen marmornen Grabmäler und Altäre lassen
sich meist einer der eben angegebenen Rubriken unterordnen; sie alle
zu nennen, fehlt uns der Raum. Es giebt darunter sehr kostbare,
welche nur wenig eigenthümliches Leben, und sehr einfache, welche
doch irgend einen ganz schönen Zug enthalten.
Urcicerone.
40
6i8
Sculptor des XV. Jahrhunderts. Genaa.
In Genua drang der realistische Sculpturstyl nur sehr langsam
a durch. Man sieht im Dom auf dem i. Altar rechts das Relief einer
Kreuzigung, von guter und fleissiger Arbeit, etwa aus der Mitte des
Jahrh., und doch kaum von einem fernen Echo der florentinischen
b Umwälzung berührt. Ebenso ist (in der i. Cap. links) das Grabmal
des 1461 verstorbenen Card. Giorgio Fiesco in der Anordnung sowohl
als in der recht schönen und ausdrucksvollen Behandlung fast noch
ein Werk des vorhergehenden Jahrhunderts. — Das Thürrelief mit der
c Anbetung der Könige, an dem Hause N. 1 1 1 Strada degli orefici ist
vielleicht kaum früher und doch noch fast germanisch; hier nennens-
werth als das beste unter sehr vielen.
Am frühsten meldet sich der Realismus des XV. Jahrh. — vielleicht
selbständig, vielleicht auf eine Anregung hin, die von Quercia herstam-
men könnte — in den Ehrenstatuen verdienter Bürger. Wohl
ein Dutzend derselben aus dieser Zeit stehen theils (nebst neuern) in den
d Gängen und im Hauptsaal des Pal. S. Giorgio am Hafen, theils in den
e fünf Aussennischen eines Palastes an Piazza Fontana amorose (N. 17,
er heisst Pal. Spinola), auch anderswo. Bei ungeschickter Gestalt und
Haltung, bei einer bisweilen rohen Draperie ist doch in den Köpfen,
auch wohl in den Händen der Ausdruck des individuellsten Lebens
hie und da vollkommen erreicht. (Auch für die Trachten von Werth.)
Ein kenntlicher florentinischer Einfluss ist vielleicht zuerst an den
i erzählenden Reliefs der Aussenseite und der grossen Innern Lunetten
der Johannescapelle im Dom sichtbar; ungeschickte, selbst rohe Ar-
beiten, die man nicht einmal Mino da Fiesole, geschweige denn Matteo
Civitali zutrauen möchte, als dessen Arbeit wenigstens die Lunette links
gilt. Mit den notorischen Arbeiten Matteo's (S. 606, b) schliesst dann
das Jahrhundert.
Woher für Venedig die Anregung zu dem neuen Styl kam, ist
schwer zu sagen. Derjenige bedeutende Künstler, welcher in den
ersten 4 Jahrzehnten des XV. Jahrh. die Reihe der Renaissancebild-
hauer eröffnet, Mastro Bäitolom m e o , wächst so allniälig in
den neuen Styl hinein, dass man annehmen darf, er sei selbständig
Venedig. Mastro Bartolommeo.
6 ig
durch den Zug der Zeit darauf gekommen, noch ehe die Antikensamm-
lung des (1394 geborenen) Malers Squarcione in Padua vorhanden war i).
Sein frühstes Hauptwerk, in der entlegenen Kirche der A b b a z i a a
(links vom Portal), ist eine grosse ehemalige Thürlunette; die ,, Mater
misericordiae", von jener reichen deutschen Lieblichkeit des Antlitzes,
die aus so manchem venezianischen Marmorkopf des XIV. Jahrh.
herausschaut, steht zwischen kleinern knieenden Mönchen, deren Ge-
berden und Bildnisszüge die tiefste Andacht ausdrücken; Engel halten
das Gewand der Jungfrau über ihnen ausgespannt; der übrige Raum
ist ausgefüllt durch Laubwerk mit den Halbfiguren von Propheten;
das Kind ist als Relief in die colossale Agraffe versetzt, welche den
Mantel der Maria zusammenhält — eine in diesem architektonischen
Styl und in dieser Zeit vollkommen glückliche Kühnheit'-). — Zu den
Seiten zwei Engelstatuen, decorativ und fast roh wie die Lunette auch,
aber von demselben tiefen Ausdruck. (An der Wand gegenüber drei
Statuen weiblicher Heiligen, schon dem spätem Styl B.'s näher.)
Wenn nun hier noch der germanische Styl, obwohl bereits ge-
mildert, vorherrscht, so zeigt die Portal-Lunette an der Scuola di b
S. Marco einen ganz ähnlichen Gegenstand entschieden in der neuen
Art gebildet. Wir sehen S. Marcus, eine würdige Gestalt, thronend
zwischen der knieenden Bruderschaft, deren Vorsteher ihm die linke
Hand küsst, während er mit der Rechten segnet. Der Styl der neuen
Zeit drückt sich ganz sprechend aus in einem jener neu gewonnenen
Reizmittel, die dem XIV. Jahrh. noch ganz fremd waren: S. Marcus
sitzt nach links und wendet sich nach rechts (vom Beschauer). — Die
Statuen neben und über der Lunette scheinen neuer und restaurirt.
Das wichtigste spätere Werk B.'s sind dann die Sculpturen an
der Porta della carta des Dogenpalastes (1439). Sowohl in den c
vier Tugenden als in den Engeln und Putten oben trifft er hier —
wahrscheinlich zufällig — ziemlich nahe mit Quercia zusammen. Mit
dem muthwilligen Herumklettern, ja schon mit der Darstellung dieser
nackten Kinder ist die Renaissance offen ausgesprochen; von den Tu-
') Vasari, im Leben des Scarpaccia, nennt wohl einen florent. Bildhauer Simone Bianco,
der sein Leben in Venedig zugebracht habe, giebt aber keine Werke desselben an.
^) Für welche überdiess byzantinische Vorbilder vorhanden waren.
40*
^Mۊgaimm
mmfMjMjjjj^
620
Scnlptar des XV. Jahrhunderts. Venedig. Rizzo.
genden giebt die Fortitudo ein herrliches Motiv, welches so ganz ver-
schieden von Ghiberti's Art und doch parallel mit derselben die Frei-
heit des neuen Styles mit der Würde des germanischen verbindet i).
a — (An dem Hauptfenster gegen die Riva hin, welches der Verf. Re-
paraturhalber verdeckt fand, will man in den Statuen ebenfalls B.'s
Styl erkennen. Ausserdem werden ihm die Apostel und der heil.
b Christoph an der Fassade von S. Maria dell' Orto zugeschrieben;
letzterer wohl am ehesten mit Recht; die Apostel scheinen von ver-
schiedenen Händen zu sein 2).
Dem wachsenden Kunstbedürfniss der Republik scheinen diese
und andere einheimische Kräfte bald nicht mehr genügt zu haben.
Donatello erschien in Padua (S. 597 ff); Verocchio wurde für ein grosses
Denkmal in Anspruch genommen (S. 603, a). Auch andere Toscaner ar-
beiteten früher und später in Venedig, wie z. B. die sonst nicht be-
kannten Piero di Niccolö aus Florenz und Giovanni di Martine aus
c Fiesole, welche das Dogengrab Mocenigo (f 1423) im linken Seiten-
schiff von S. Giovanni e Paolo fertigten, offenbar unter Donatello's
Einfluss (und kaum vor 1450); ein Werk, das sich durch die Schön-
heit der Köpfe an den zahlreichen Statuetten auszeichnet.
Die paduanische Malerschule mit ihrem scharfen, fleissigen Mo-
delliren, ihren plastischen und antiquarischen Studien musste ihrer-
seits ebenfalls auf die Sculptur wirken; keine Malereien des damaligen
Italiens haben einen so ausgesprochenen plastischen Gehalt wie die
ihrigen, Verocchio etwa ausgenommen. — Wahrscheinlich empfing von
ihr aus der veronesische Bildhauer Antonio Rizzo seine Anre-
d gung. Von ihm sind (um 147 1) die Statuen Adam und Eva im Dogen-
palast (unten gegenüber der Riesentreppe) gearbeitet; ersterer eine
>) Fast gleichzeitig mit der Porta della carta entstand das Heiligengrab des Beato Paci-
* fico (t 1437) im rechten Querschiff der Frari. Schlecht erhalten und ungünstig in dunk-
ler Höhe befestigt, scheint es der Art des B. ähnlich.
') Von zwei verschiedenen guten Zeit- und Stylgenossen sind in Madonna dell' orto vor-
** banden: auf dem 3. Altar rechts eine lebensgrosse stehende Madonna, von etwas deut-
schem Charakter; über der Sacristeithür die Halbfigur einer Madonna, milder und an-
muthiger.
Die Bregni, lombardi and Leopardo.
621
vorzüglich tüchtige Bildung, deren Naturalismus gemildert erscheint
durch die ergreifende Geberde und Miene des Schuldbewusstseins;
bei Eva ist derselbe schon störender.
Seit der Mitte des XV. Jahrh. erscheinen dann mehrere Bildhauer-
werkstätten neben einander und in wechselseitiger Einwirkung auf
einander. Die wichtigsten derselben sind die der Bregni, der
Lombardi und des Leopardo.
Die Gesammtheit ihrer Productionen ist schon der Masse nach
sehr bedeutend; an innerm Gehalt bilden dieselben das wichtigste
Gegenstück zu den Werken der gleichzeitigen Toscaner. Es ist der
Realismus des XV. Jahrh. ohne Donatello, ohne die extremen Härten,
aber auch ohne die entschiedene Kraft der Motive. Es mangelt nicht
an Bestimmtheit der Formen, zumal der Gewandung, wohl aber an
der unablässigen Beobachtung des bewegten Körpers; daher sind auch
der Attitüden wenige, die sich um so häufiger wiederholen; die Be-
handlung des Nackten ist beträchtlich conventioneller als gleichzeitig
bei den Vivarini und bei Mantegna. Den Ersatz bildet ein sehr ent-
wickelter Sinn für schöne und anmuthige Formen und für höhern
Gefühlsausdruck; noch verhüllt und befangen bei Pietro Lombarde,
der in den Köpfen mannigfach die Härten eines Bart. Vivarini theilt;
gesteigert bis zum tiefsten und süssesten Reiz bei Leopardo.
Die Antike wirkt nur stellenweise direkt ein, dann aber so stark
wie vielleicht bei den damaligen Florentinern nirgends. Im Ganzen
ist allerdings eher die Malerei der paduanischen Schule als Führerin
dieser Sculptur zu betrachten. Mit ihr ist der Ausdruck vieler Köpfe,
die Behandlung der Falten und Brüche des Gewandes, auch die Stel-
lung vieler Figuren am nächsten verwandt. Auch an Cima, Carpaccio
und Giovanni Bellini wird man vielfach erinnert.
Angewiesen auf die zum Theil zweifelhaften und unbestimmten
Namengebungen, welche bis jetzt im Gange sind, können wir unmög-
lich die einzelnen Künstlercharaktere scharf von einander abgrenzen.
Unsere Aufzählung macht desshalb keinerlei systematische Ansprüche.
Die altern Bregni, Antonio und Paolo, erscheinen noch wie
Schüler des Mastro Bartolommeo an dem Dogengrab Franc. Foscari
!«Pf*!f85äpä8«TW3WP^»S^f^^
622 Scalptar des XV. Jahrhunderts. Venedig. Die Bregni.
" (t 1457) irn Chor der Frari (rechts). Nicht nur ist die Decoration
noch gothisch wie bei Jenem, sondern sie gleichen ihm auch in der
tüchtigen, an Quercia erinnernden Lebensauffassung. — Gegenüber
steht das derselben Künstlerfamilie zugeschriebene Dogengrab Tron
(t 1472), in der Decoration schon vollkommene Renaissance, im Figür-
lichen sehr ungleich und jedenfalls von verschiedenen Händen; die
Dogenstatue insbesondere wird als Werk des Antonio namhaft ge-
macht. An den beiden Tugenden zu seinen Seiten haben wir die
ersten vollständigen Typen derjenigen fleissigen, zierlichen und an-
genehmen Gewandstatuen, welche sich in Venedig bis gegen das Jahr
1500 wiederholen; der Schildhalter links ist eine treffliche lebendig ge-
wendete Figur, wahrscheinlich von
Lorenzo Bregno, welcher die Hauptkraft der Schule wurde.
b Von ihm ist wahrscheinlich das Denkmal des Feldherrn Pesaro (f 1503)
im rechten Querschiff derselben Kirche (über der Sacristeithür) mit
den Statuen des Verstorbenen, des Neptun und des Mars — letztere
freilich von Baccio da Montelupo, dessen florentinische Lebens-
derbheit den Venezianern überlegen erscheint. — An dem Vorbau im
c Hof des Dogenpalastes möchte der Schildhalter neben Bandini's Statue
des Herzogs von Urbino ebenfalls eine Arbeit Lorenzo's sein. — In
d S. Giovanni e Paolo ist die Statue des Feldherrn Naldo (rechtes Quer-
schiff, über der Thür) vom Jahr 1510 ein ziemlich lebloses Werk.
Mit oder bald nach den Bregni traten die L o m b a r d i auf,
vielleicht nicht bloss eine Familie, sondern eine Colonie lombardischer
Bildhauer, deren Styl, wie wir sehen werden, mit den besten gleich-
zeitigen Werken des übrigen Oberitaliens eine nahe Verwandtschaft
zeigt. Als Baumeister und Decoratoren werden ihrer fünf oder sechs
genannt (S. 214, Anm.); in der Sculptur kommt hauptsächlich P i e t ro
mit seinen Söhnen Antonio und T u 1 1 i o in Betracht.
Was sie gemeinschaftlich hervorbrachten, wird sich jetzt kaum
mehr scheiden lassen. Pietro's Namen, aber von späterer Hand, habe
e ich nur an einer Statuette des heil. Hieronymus in S. Stefano (3. Altar
links) entdecken können; danach eine ganze grosse Anzahl von Wer-
ken näher bestimmen zu wollen, in welchen man die ,, Schule der
Die Lombardi.
623
Lombardi" oder die „Art der L." im Allgemeinen zu erkennen pflegt,
wäre ein gewagtes Unternehmen. Als allgemeines Schulgut sind der
Betrachtung besonders werth:
An der Scuola di S. Marco die obern Statuen zwischen und über a
den Rundgiebeln.
Im Dogenpalast an dem Vorbau gegenüber der Riesentreppe: die b
Figuren auf den Spitzthürmchen, zum Theil auf kugel-
förmigen von hübschen Putten gehaltenen Untersätzen; diese am besten
von der Sala del collegio aus sichtbaren Statuen sind zum Theil sehr
geistvoll und lebendig, besonders die Prudentia mit dem Spiegel.
An S. Maria de' miracoli: die sämmtlichen Aussensculpturen; c
der Gottvater und die anbetenden Engel über und neben der halb-
runden Obermauer nur Decorationsarbeit, aber vorzüglich schön ge-
dacht; die Halbfiguren der Propheten und Heiligen in den Bogen-
füllungen der obern Pilasterordnung, ebenfalls trefflich ausdrucksvoll
und von meisterhafter Arbeit.
In der Capeila Giustiniani zu S. Francesco della Vigna (links d
neben dem Chor) verrathen von den Reliefhalbfiguren an den Wänden
die vier Evangelisten einen besonders geistvollen Künstler
(Tu 11 i o L,?); die übrigen scheinen von demjenigen noch etwas be-
fangenem, aber ernsten und tüchtigen Meister, welcher die Halbfiguren e
der Propheten an den Chorschranken der Frari verfertigte. (Der Altar
nebst Predella und Vorsatz, sowie der Relieffries mit der Geschichte
Christi sind zierliche, aber geringe Arbeiten.)
In den Frari könnten die Statuen der Apostel und Heiligen über £
den Chorschranken am ehesten ein Werk dieser Schule sein. Ausser-
dem wird derselben dort das Grab des Jacopo Marcello (f 1484) ver-
muthungsweise zugeschrieben (im rechten Querschiff, rechts).
In S. Stefano enthält ausser der genannten Arbeit die Sacristei g
zwei halbe und zwei ganze Heiligenfiguren des Pietro; letztere für
ihn vorzüglich charakteristische Werke.
In S. Giovanni e Paolo ist das Dogengrab Mocenigo (f 1476), h
rechts vom Portal, eine gemeinschaftliche Arbeit des Pietro, An-
tonio und T u 1 1 i o ; ein Haupttypus der frühern Gräber dieser Art,
mit lauter Helden, die den Sarg tragen und in Seitennischen stehen,
524 Scnlptar d. XV. Jahrb. Venedig. Die Lombardi. Leopardo.
mit Putten, welche aus Engeln zu kriegerischen Pagen geworden sind,
mit Trophäen und Herculesthaten in Relief; das Christliche beschränkt
sich auf ein oberes Flachrelief, die Frauen am Grabe, und auf kleine
Giebelstatucn des Erlösers und zweier Engel — von schönem Aus-
druck, während das Übrige von mittlerm Werthe, der Doge nur durch
seinen Porträtkopf ausgezeichnet ist. — Ebendaselbst im linken,
a Seitenschiff das Dogengrab Marcello (f 1474), anonym, aber ohne
Zweifel ebenfalls aus dieser Werkstatt, am ehesten von P i e t r o
selbst, mit vier in seiner Art hübschen Tugenden,
b Die vergoldete Madonna an der Torre deU' Orologio, welche eben-
falls dieser Schule zugeschrieben wird, ist von gutem und mildem
Ausdruck, aber in der Anordnung nicht geschickt 1).
P i e t r o und Antonio arbeiteten endUch (1505— 1515) die Mo-
c delle der grossen Bronzearbeiten in der Capeila Zeno zu 5.
Marco gemeinschaftlich mit.
Alessandro Leopardo, der ebenfalls das Haupt einer be-
trächtlichen eigenen Werkstatt war. Ihm wird vor Allem das schönste
d der Dogengräber beigelegt, dasjenige des Andrea Vendramin
(t 1478) links im Chor von S. Giovanni e Paolo, Verglichen mit den
Gräbern des P. Lombardo ist schon die Eintheilung besser, ohne jene
allzugleichartigen Wiederholungen; die untern Figuren — drei Genien
mit Leuchtern am Sarcophag, zwei Helden in Seitennischen und zwei
später beigefügte Figuren — haben die nöthige freie Luft über sich;
oben folgen nur Reliefs verschiedenen Grades und eine leichte Giebel-
verzierung, Sirenen, welche einen Medaillon mit dem Christuskinde
halten; auch unten an dem herrlich verzierten Sockel sind die Engel
mit der Schrifttafel und die beiden Putten auf Meerwundern in Relief
gebildet. Dieser Sinn des Masses und der Abstufung bezeichnet hier
allein schon den grossen Künstler, ebenso die Behandlung des Ein-
zelnen, Zwar sind seine Motive zum Theil kaum entschiedener als
die der Lombardi; seine Helden stehen, seine Engel laufen nicht
freier und besser; nur in den Tugenden am Sarcophag fällt eine
1) In Ravenna werden dem Pietro Lombardo oder den Lombardi überhaupt beigelegt: eine
* Altareinfassung und ein Grabmal in S. Francesco, und ein S. Marcus (Hochrelief, da-
tirt 1491) im Dom, ein ausgezeichnetes Werk.
Leopardo. Die Gapella Zeno.
625
edlere und freier abwechselnde Stellung auf, welche auf einem sehr
unmittelbaren Studium der Antike beruhen muss. Das Beste aber
hat L. nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süssigkeit
und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit
geradezu nur bei Lionardo da Vinci ihres Gleichen finden. Und der
eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemuth über
die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die
Putten der Galatea es von Rafael sind.
Ausserdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggen-a
h a 1 1 e r auf dem Marcusplatz, deren Figürliches dieselbe Benützung
antiker Vorbilder mit grossem natürlichem Schönheitssinn verbunden
offenbart 1).
Nach Massgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche
Theile der Sculpturen in der Cap. Zeno zu S. Marco ihm gehören. Es b
handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des XVI. Jahr-
hunderts, diejenige des Cardinais Gio, Batt, Zeno. An dem Sarco-
phag selbst sind wohl die sechs zum Theil den Deckel haltenden
Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr
gemäss, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grab-
mal Vendramin. Die liegende Statue des Cardinais ist schwer zu
definiren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täu-
fers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi,
herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gut machen;
ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die be-
') Hier oder nirgends sind zwei Reliefs unterzubringen, welche zu den schönsten in Vene-
dig gehören. In einer Nebencapelle des rechten Querschiffes von S. Trovaso findet sich *
ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhlter Arbeit Engelkinder mit den Passions-
instrumenten (ähnlich denjenigen in dem muranesischen Altarbild der Krönung Maria
in der Academie) und seitwärts musicirende Engel darstellt, von der naivsten Anmuth^ in **
Köpfen und Geberden und mit grossem, raffinirtem Geschick der Verkürzungen. Man
glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behandlung in einem
Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wi der erkennt; zwei Heilige empfehlen f
den knieenden Dogen und den Patriarchen der thronenden Madonna ; es ist die Seele Gio-
vanni Bellini's in Marmor. Das Christuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern
freundlich entgegen. Ob diese köstlichen Werke von L. sind, mag zweifelhaft bleiben; aber
sie kommen seiner Art näher als der aller Übrigen.
626
Scalptar des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi.
rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol-
denen Zeit Giov. Bellini's, mag wiederum eher dem Leopardo ange-
hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende
Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt.
Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lom-
bard o ' s Söhne Antonio und T u 1 1 i o aufgewachsen zu sein.
Von Antonio w^erdcn meines V/issens nur zwei sichere Einzelarbeiten
namhaft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem
a Grabmal Trevisan i) im linken Seitenschiff der Frari, und in S. An-
tonio zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er
folgt oder geht voran (im Styl) seinem berühmtem Bruder
T u 1 1 i o. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu-
gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters
in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat
sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem-
selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze
Zierlichkeiten der Haare, conventioneile Stellungen etc.) An sicherer
Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti-
gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar-
tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind.
b Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de' mira-
coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind
die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe — worunter
Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen
wie Jugendwerke Rafaels — und die Relief Scheiben an den meisten
c Thürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel,
welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht,
mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte
d das grosse Relief in S. Giovanni Crisostomo(2. Altar links)
entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand
^) Von wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstorbenen Alvise
Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vornehmen Todten.
Antonio ond Tnllio Lombardo.
627
auf eine gekrönte Frau; wahrscheinlich eine etwas ungewöhnliche
Darstellung der Krönung Maria, womit auch die oben erscheinende
Glorie wohl stimmen würde. In den Köpfen, zumal der Hauptper-
sonen, ist eine eigenthümliche classische Idealität erstrebt, die in der
damaligen Sculptur sonst kaum vorkömmt. — Von den untern Sculp-
turen der Scuoladi S. Marco kommen die zwei ziemlich befange- a
nen Löwen weniger in Betracht als die zwei Thaten des heil. Marcus,
bei welchen dem Künstler nicht bloss römische, sondern griechische
Reliefs scheinen vorgelegen zu haben, wie besonders aus der Behand-
lung der hinten stehenden Personen erhellt. Womit dann die perspec-
tivisch gegebene Halle, die den Raum darstellt, wunderlich contrastirt.
— Ebenfalls noch früh: das Dogengrab Mocenigo (f 1485) in S. Gio- b
vanni e Paolo, links vom Portal; hier ist von den allegorischen Sei-
tenfiguren die eine nach einem bekannten antiken Musenmotiv unmit-
telbar copirt; in dem Sockelrelief sucht Tullio eher seine Manier mit
dem süssen Ausdruck Leopardo's zu verbinden.
Von den spätem Arbeiten der beiden Brüder enthält die Capelle
des h. Antonius im Santo zu Padua das Wichtigste. Wir lernen
hier (im neunten Relief, wo der Heilige ein kleines Kind zum Sprechen c
bringt) den Antonio Lombardi als bedeutenden Componisten kennen;
von der Schönheit der Antike erscheint er auf unbefangnere Weise
durchdrungen und geleitet als Tullio. Letzterem gehören das sechste d
und das siebente Relief (wie der Heilige die Leiche eines Geizhalses
öffnet und statt des Herzens einen Stein findet; wie er das gebrochene
Bein eines Jünglings heilt); das erstere, bez. 1525, muss ein Werk
seines hohen Alters sein, und es ist das freiere, weichere von beiden;
denn das siebente hat bei bedeutenden Schönheiten auch noch alle
Unarten der frühern Werke Tullio's.
Ein Zeitgenosse, vielleicht ebenfalls eher Lombarde als Venezianer,
Antonio Dentone, hält in den Bildnissfiguren an dem charakter-
vollen Naturalismus fest, während seine Idealfiguren theils eine mehr
allgemeine Formenbildung, theils ein Hinneigen zu dem übertriebenen
Ausdruck eines Mazzoni verrathen. So das Relief einer Pieta mit e
Heiligen, in der Salute (Vorraum der Sacristei), wenn ihm dasselbe
628
Scülptür des XV. Jahrhanderts. Venezianer.
a mit Recht beigelegt wird. An dem Grabmal des Feldherrn Melchior
Trevisan (f 1500) in den Frari (2. Cap., links vom Chor) ist die Por-
trätstatue eine der besten in jener herben Art, die beiden gepanzerten
Putten dagegen nur allgemeines Schuigut. Ebenso verhält es sich
b mit dem Denkmal des Vittor Capello (1480) im linken Querschiff von
S, Giovanni e Paolo; der knieende Ritter ist voll Wahrheit und In-
nigkeit, die heil. Helena, welche vor ihm steht, ziemlich unsicher in
c Haltung und Zügen. Die artige Halbfigur einer Heiligen in der Ab-
bazia (Capelle hinter der Sacristei) steht doch nur mit Pietro Lom-
bardo parallel.
Eine andere gute anonyme Arbeit, welche im Ausdruck an die
d Gemälde des Cima da Conegliano erinnert, ist das Bronzerelief einer
Madonna mit Heiligen im rechten Seitenschiff von S. Stefano (bei der
Sacristeithür).
Dagegen erscheinen die Apostel an beiden Wänden des Chores
e daselbst, von einem gew. Vittor Camelo, nur als zaghafte Ar-
beiten eines Schülers der Lombardi. — Von demselben Künstler aber
f enthält die Academie zwei kleine bronzene Hochreliefs mit Scenen
nackter Kämpfenden, etwa für ein Feldherrngrab bestimmt; überaus
lebendig und dabei für jene Zeit und Schule gar nicht überfüllt, sondern
plastisch componirt, im Ganzen von den besten damaligen Reliefs.
g Den Pyrgoteles, welcher die Madonna in der Thürlunette von
S. Maria de' miracoli gemacht hat, möchte man für einen begabten
Dilettanten halten, der glücklich einen schönen Kopf und ein interes-
sant scheinendes Motiv gefunden hat. (Das Kind fasst den Daumen
an der Hand der Mutter, auf welcher es sitzt.) Man glaubt, der Künst-
ler habe der bekannten griechischen Familie der Lascaris angehört.
In Padua hatte D o n a t e 1 1 o längere Zeit gearbeitet und sein
Einfluss überwiegt noch das ganze Jahrhundert hindurch, obwohl auch
die verschiedenen venezianischen Schulen daneben vertreten sind.
Einem seiner toscanischen Schüler, Giovanni von Pisa,
h gehört das thönerne Altarrelief der Cap. SS. Jacopo e Cristoforo
Paduanlsche Nachfolger Donatello's.
62g
(Eremitani), Madonna mit sechs Heiligen nebst Predella, Puttenfries
u. a. Zuthaten. Neben die Sculpturen der Lombardi etc. gehalten, zeugt
diess Werk bei allen Härten doch deutlich für die siegreiche toscanische
Leichtigkeit, alle Lebensäusserungen sich eigen zu machen und dar-
zustellen.
Auch der Paduaner V e 1 1 a n o war D.'s Schüler und seine Bronze-
reliefs an den Chorwänden des Santo (1488) zeigen deutlicher als irgend a
ein toscanisches Schulwerk, wohin man gelangen konnte, wenn man
Donatello's Freiheiten nachahmte, ohne seinen Verstand und seine all-
belebende Darstellungsgabe zu besitzen. Es sind ganz kindlich auf-
geschichtete Historien in zahllosen, sorgfältigen Figürchen.
Dagegen lebte in Andrea Briosco genannt R i c c i 0 (Crispus,
von seinen gelockten Haaren) der echte Geist der grossen Zeit. Das
Figürliche an seinem berühmten ehernen Candelaber im Chor des b
Santo (Seite 254, 1) ist zwar um so viel glücklicher, je mehr es sich
dem Decorativen nähert (Nereidenzüge, Centauren u. s. w.), aber auch
die überfüllten erzählenden Reliefs sind geistvoll und originell. In den
zwei Reliefs jener von Vellano begonnenen Reihe an den Chorwän- c
den, welche dem Riccio angehören, zeigt sich eine ungemeine Über-
legenheit. (David vor der Bundeslade; Judith und Holofernes, vom
Jahr 1507.) Der Styl des XV. Jahrh. ist, wie überall, so auch hier,
dann am reizendsten, wenn er sich dem idealen Styl zu nähern be-
ginnt.
In derselben Art sind noch eine Anzahl anderer Sculpturen gear-
beitet, deren Urheber dem Verfasser nicht bekannt sind. — In S. Fran-
cesco sieht man (linkes Querschiff) ein grosses Bronzerelief der thro- d
nenden Jungfrau zwischen zwei heil. Mönchen, und (rechtes Querschiff)
das ebenfalls bronzene Grabrelief eines Professors, der hinter seinem
Schreibtisch, Bücher nachschlagend, abgebildet ist; zu beiden Seiten
Putten als Schildhalter, angenehme Werke, wenn auch ohne höheres
Leben. — In den Eremitani (rechts und links von der Thür) gewal- e
tige Tabernakel von Terracotta, bemalt, mit grossen Statuen und zahl-
reichen, auch decorativ nicht werthlosen Zuthaten, der eine (mit dem
Gemälde in der Mitte) datirt 151 1. In beiden scheint der Styl Dona-
tello's und derjenige der Lombardi gemischt.
KmttiN^sßilit^
630
Sculptar des XV. Jahrhunderts. Padaa. Verona.
a In der Academie von Venedig sind einige bedeutende Bronze-
r e li e f s aus Riccio's Schule; das einzige, welches in der That so be-
zeichnet ist, eine Himmelfahrt Maria mit den Jüngern am Grabe, ist
in dem kleinen Massstab erhaben gedacht, irn Ausdruck tief und innig,
in Zeichnung und Composition Ghiberti vergleichbar, überhaupt eines
der Meisterwerke italienischer Sculptur; — vier andere, dem Riccio
selber zugeschrieben und von 15 13 datirt, enthalten die Geschichte
der Kreuzerfindung; im Detail sind sie dem erstgenannten wohl ver-
wandt, aber viel überfüllter und in manchen Motiven sogar flau und
unrein; — dagegen ist die Thür eines Sarramenthäuschens, welche
ohne allen Grund dem Donatello zugeschrieben wird, wohl des Mei-
sters der Himmelfahrt Maria würdig; unter einem Renaissanceportal
sieht man eine anmuthige Engelschaar; die mittlem halten ein Kreuz;
an der Basis zwei kleine Reliefs mit Passionsscenen. — Von dem
b etwas spätem Medailleur C a v i n o , der die sog. Pataviner-Münzen
machte, befindet sich ebenda ein peinlich fleissiges Relief, S. Martin
mit dem Bettler.
Wie im übrigen Oberitalien der realistische Styl des XV. Jahr-
hunderts eindrang, ist der Verfasser nicht im Stande näher anzugeben.
Reisende Florentiner, auch wohl die Einwirkung Quercia's von Bo-
logna her mögen Das vollendet haben, wozu der Antrieb schon in der
c Zeit lag. Man sieht z. B. in S. Fermo zu Verona (links vom Haupt-
portal) das Familiengrab Brenzoni, angeblich von einem Florentiner
G i o V. R u s s i , welches in einer schön realistisch, doch nicht in Do-
natello's Manier belebten Wandgruppe die Auferstehung darstellt; der
Sarcophag ist zum Grab Christi umgedeutet, vor welchem die schla-
fenden Wächter sehr gut und geschickt angebracht sind; ein Engel
hält den Grabstein, andere die Leuchter, Putten ziehen den Vorhang.
— Von diesem Geiste berührt mag dann ein Einheimischer das schon
d (S. 167, c) erwähnte Reiterdenkmal des Sarego (1432) im Chor von
S. Aiiastasia zu Verona geschaffen haben. Vor und hinter dem Feid-
herrn stehen — nicht mehr auf gothischen Consolen, sondern auf na-
turalistisch dargestellten Felsstufen — zwei geharnischte Knappen,
welche den Vorhang des Baldachins auf die Seite halten; der vor-
Verona. Bergamo.
631
dere zieht die Mütze vor dem Herrn; auf dem Gipfel des Baldachins
ein Schildhalter. Diess ganze, durchaus profane Werk ist umgeben
von einer barock-gothischen Einrahmung; erst über dieser folgen —
in Fresco — Engel, Heilige und Legendenscenen. Auch alles Plasti-
sche ist bemalt.
Was sonst im Westen von Venedig bis ins Herzogthum Mailand
hinein von Sculpturen seit etwa 1450 vorkömmt, hat fast durchgängig
eine nahe Verwandtschaft mit dem Styl der Lombardi, deren Na-
men wir desshalb (S. 622) unbedenklich als Landesnamen in Anspruch
genommen haben. Es sind dieselben conventioneilen Stellungen, Ge-
wandmotive, Kopfbildungen, nur nicht eben häufig mit der Präcision
eines Pietro Lombardo und noch seltener mit dem süssen Reiz eines
Leopardo durchgeführt.
In V e r o n a trifft man auf eine Menge Giebelstatuen, hauptsäch-
lich über den Renaissancealtären der altern Kirchen, welche diesen
allgemeinen Schultypus wiedergeben. So diejenigen im Dom, in S. Ana- a
stasia u. a. a. 0.; auch die über dem Portal des bischöflichen Palastes b
(dat. 1502); die fünf berühmten Veronesen auf der Dachbalustrade des c
Palazzo del consiglio u. s. w. Das Bedeutendste enthalten ein paar
Altäre in S, Anastasia: der 4. links mit vier Statuen über einander d
auf jeder Seite, von reinem und gutem Ausdruck; der S. Sebastian
keine geringe Bildung; — und der erste links, mit bemalten Sta-
tuen auf den Seiten und im Giebel, naturalistischer und befangener,
aber von bedeutendem Charakter und beseelt von Andacht; die drei
Hauptstatuen des Altares selbst wohl von anderer Hand.
Im Dom von B r e s c i a (3. Altar, rechts) ist der Marmorschrein e
des heil. Apollonius mit seinen Legendenreliefs und Statuetten ein
sehr sorgfältiges, doch nicht gleichmässig belebtes Werk der Zeit
um 1500.
In Bergamo enthält die Capelle Colleoni bei S. Maria f
maggiore ausser den reichen Fassadensculpturen das prächtige Grabmal
des Feldherrn Bartolommeo Colleoni selbst, theilweise von Antonio
A m a d e o. Vier auf Löwen ruhende Säulen tragen eine Basis mit
Passionsreliefs, ganz von der fleissigen und säubern aber, im Ausdruck
632
Sculptar des XV. Jahrhunderts. Bergamo.
bis zur gemeinen Grimasse übertriebenen Art, welche wir bei Maz-
zoni werden kennen lernen. Auf der Basis sitzen und stehen füni
Heldenstatuen, die zum Bedeutendsten der ganzen oberitalischen Sculp-
tur gehören; das Äusserliche der Behandlung ist in der Art der Lom-
bardi, die Motive (des Sinnens) aber geistvoller und origineller als die
meisten Werke derselben. Geringer sind wiederum die obern Theile:
die Reliefs am Sarcophag selbst und die Reiterstatue darüber, nebst
den Tugenden zu beiden Seiten, von verschiedenen Händen. — Ebenda
a das Denkmal der Medea, CoUeoni's Tochter, mit drei köstlichen alle-
gorischen Figuren. (Die beiden Engel, welche den Altartisch tragen,
bei leichter Anmuth doch ernst aufgefasst, mögen von einem treff-
lichen Lombarden zu Anfang des XVI. Jahrh. gefertigt sein.) — An
b der Aussenseite der Capelle sind ein paar Putten oben und die Sockel-
reliefs mit den Geschichten der Genesis und den Thaten des Hercu-
les des herben und tüchtigen Styles wegen bemerkenswerth, die Denk-
mäler Cäsars und Trajans aber, welche als Aufsätze der Fenster dienen,
sowie die in Medaillons angebrachten Köpfe des Augustus und Ha-
drian geben wenigstens einen Begriff von der damaligen Vergötterung
des Alterthums,
Im Dom von C o m o lernt man zunächst den Vollender des Baues
selbst, Tommaso Rodari, auch als Bildhauer und Decorator ken-
c nen; sein Antheil an der nördlichen Seitenpforte i) und der von ihm
d verfertigte erste Altar des rechten Seitenschiffes (datirt 1492, mit
Marmorreliefs) verrathen jedoch ein nur mittelmässiges Talent. Die
zahlreichen übrigen Sculpturen an und in diesem schönen Gebäude
sind zum Theil bedeutender. — Von mehr oder weniger befangenen lom-
bardischen Künstlern der Zeit um 1470 — 1500 rühren her: die meisten
e Bildwerke an der Fassade, also die Statuen in den Nischen der Pi-
laster, über dem Hauptportal, in den Fenstergewandungen und weiter
oben, sowie die Reliefs der drei Portallunetten; ferner im Innern: die
Apostel an den Pfeilern des Hauptschiffes, mittelgute Arbeiten ganz
') Wie dort über die römischen Kaiser, so darf man sich hier über Bacchanten, Centauren,
Hercules, Genius Imperatoris u. a. Heidenthum nicht verwundern. Die Lunettengruppe ent-
hält wenigstens Maria Heimsuchung.
Dom von Como.
633
in der Weise der Lombardi; die Gruppe einer Picta auf dem 4. Altar
links; der Tabernakel ohne Altar am Anfang des rechten Seitenschiffes,
datirt 1482 u. a. m. — Von den Lombardi und von der Richtung Do- a
natello's zugleich inspirirt erscheint dann der prächtige grosse Schnitz-
altar i) des heil. Abondio (der 2. im rechten Seitenschiff), Der Meister
desselben ist kein grosser Bildhauer, der die lombardische Sculptur
über die Schranken des XV. Jahrh. emporgehoben hätte; in seinen
Statuen und Reliefs sind Stellungen und Bildungen zum Theil ziem-
lich unfrei und unsicher; allein sein Naturalismus schwingt sich bis- >
weilen zu einer ganz unbefangenen Schönheit auf, so in der würdigen
Gestalt des heil. Bischofs und in dem lionardesken Haupt der Ma-
donna. — Vielleicht dieselbe Hand verräth sich auch in den Denkmä-
lern des altern und des Jüngern Plinius an der Fassade (das eine b
datirt 1498), deren sitzende Statuen manierirt und doch nicht ohne
freie Schönheit sind; mit grosser Naivetät stellen die Reliefs den al-
tern Plinius dar, wie er zum brennenden Vesuv geht, den Jüngern wie
er Briefe schreibt, vor Trajan plaidirt etc.; die Putten mit Frucht-
kränzen u. s. w. zeigen dieselbe Verwandtschaft mit denjenigen der
paduanischen Malerschule, wie die der meisten genannten Decorations-
werke Oberitaliens.
Das Beste aus dem XV. Jahrh. sind wohl an diesem Gebäude
die Urnenträger unter dem Kranzgesimse der Strebepfeiler; ei- c
nige, zumal an der Südseite, stehen an origineller Energie denjenigen von
S. Marco in Venedig gleich, während andere schon eine spätere und
allgemeinere Formenbildung zeigen. Auch die Prophetenstatuen an der
Südseite des Äussern sind besser als die der Nordseite. Von den Sta-
tuen im Innern ist noch ein guter S. Sebastian im linken Querschiff, d
etwa um 1530 gearbeitet, nachzuholen; ebenda eine S. Agnes, als
Nachahmung einer antiken Gewandfigur; die übrigen Statuen im
linken Querschiff sind ziemlich flau, die Apostel im Chor modern.
1) Ich nenne ihn so, ohne bei der durchgängigen Bemalung und Vergoldung gewiss zu sein,
dass er wirklich ganz aus Holz und nicht zum Theil aus Stucco u. s. w. bestehe. Vom Nor-
den her kamen damals mehrere Schnitzaltäre nach Oberitalien, wovon einer in S. Nazaro
zu Mailand, vordere Capelle links, im Styl durchaus dem St. Evergisilaltar in S. Peter *
zu Köln entspricht. Eine italienische Nachahmung derselben ist der in Rede stehende.
Uiciccrone.
4»
634
Sculptnr des XV. Jahrhunderts. Certosa von Pavla.
An der Fassade der Cathedrale von Lugano sind unten derbere
Reliefhalbfiguren von Propheten, in den Friesen dagegen Medaillons
mit Halbfiguren von Aposteln und Heiligen angebracht, letztere zum
Theil von demselben süssen und innigen Ausdruck, wie die entspre-
chenden Figuren an S. Maria de' miracoli in Venedig, nur freier in
den Formen.
b Über die Sculpturen endlich, welche die Fassade der berühmten
Certosa von Pavia bedecken und auch das Innere dieser unvergleich-
lichen Kirche verherrlichen, darf ich aus ziemlich alter Erinnerung
und aus wenig getreuen Abbildungen kein Urtheil wagen. Es wer-
den vom XV. bis zum XVH. Jahrh. gegen 30 Bildhauer und Deco-
ratoren bloss für die Fassade namhaft gemacht, worunter Antonio
A m a d e o und Andrea Fusina für das XV., G i a c o m o
della Porta und Agostino Busti, genannt B a m b a j a ,
für das XVI. Jahrh. die wichtigsten sind. (Am Prachtdenkmal des
Giangaleazzo Visconti arbeiteten besonders Amadeo und della Porta,)
Die ganze lombardische Sculptur hatte hier ihren Heerd und ihre
Schule; von hier könnten selbst die Lombardi ausgegangen sein. Der
Verfasser empfindet es als die grössten Mängel dieses Buches, dass
er diese Certosa und die Sculpturen von Loretto nicht so besprechen
kann, wie das Verhältniss zu allem Übrigen es verlangen würde i).
Neben all diesen zum Theil sehr realistisch gesinnten Bildhauern
Oberitaliens tritt wenigstens Einer auf, der sie in dieser Richtung so
weit überholt, dass sie neben ihm noch als Idealisten erscheinen. Seit
dem Untergang des architektonisch bedingten germanischen Styles von
jeder Rücksicht entbunden, schafft die Kunst hier eine Anzahl von
Gruppen, welche als solche weder einem plastischen, noch auch einem
^) Ein Ambrogio da Milano nennt sich auf dem Grabmal des Bischofs Roverella
* (147s) im Chor von S, Giorgio bei Ferrara (vor Porta romana). Nach der Madonna
mit Engeln in der Lunette möchte man einen Schüler der Florentiner aus Rosellino's
Zeit vermuthen; auch die sorgfältigen und glücklich beseelten fünf Statuetten, sowie
die trefflich wahre Grabstatue weisen auf einen solchen Einfluss hin.
Modena. Gaido Mazzonl.
^35
höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen.
Der Bildner stellt seine bemalten zum Theil lebensgrossen Thonfiguren
wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido
Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern
Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende
Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer
geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater;
nimmt man sie auseinander, um sie frei aufzustellen (wie diess mit
einer von ,,Modanino", d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten, a
jetzt bronzirten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Cap. neben dem
rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur
lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena, b
der Leichnam Christi auf dem Schoos seiner Mutter, von den An-
gehörigen beweint; theilweise eine wahre Caricatur des Schmerzes, in
unwürdigen spiessbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne
wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht
gemein. Eine andere Gruppe, in der Crypta des Domes (Altar rechts) c
stellt die von zwei knieenden Heiligen verehrte Madonna dar; daneben
steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der Schürze
und dem zerrissenen Ärmel zu urtheilen ein Dienstmädchen darstellen
könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schielend in
den heissen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio hinaus.
— Wenn man aber inne wird, wie volksthümlich solche Werke sind,
so möchte man beinahe wünschen, dass einmal die wahre Sculptur
noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte.
Schliesslich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria della d
Rosa zu Ferrara (neben der Thür, links, ihrer echten Nischenaufstel-
lung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um
den todten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu
Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassirende Schmerz
sowohl als der plastische Styl der übrigen Figuren ist ganz dersel-
ben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardi's (welchen man
dem Werk aus blosser Vermuthung beilegt) von diesen zwar energi-
schen, aber unleidlichen Missbildungen zu trennen. — (Eine etwas ge-
mässigtere Gruppe ähnlichen Styles im Carmine zu Brescia, Ende des «
Seitenschiffes.)
-'■M-»^*'«V^<«»V
t ^f^iC^i^ Uil.J^J V« J^.- irjMiT^T.-.VI^T^^- ^ JI»^JJjj^-^^)(^i^^yJ> ,. if ,
636
Scnlptur des XV. Jahrhanderts. Neapel.
In diesen lonibardischcn Formenkreis gehört auch wohl der Christus
a am Kreuz, welcher in S. Giorgio maggiore zu Venedig (2. Altar rechts)
dem Michelozzo zugeschrieben wird. Aber kein Florentiner, selbst
nicht Donatello, hätte eine solche Schmerzensgrimasse gebildet.
Auch in dem marmorarmen Bologna begegnen wir diesen bemal-
b ten Thongruppen als einem sehr alten Brauch. In S. Pietro (Gang
zur Unterkirche) ein frühromanischer Gekreuzigter mit Maria und
c Johannes; in einer der Nebenkirchen von S. Stefano (S. Trinitä, 3.
Cap. rechts) eine Anbetung der Weisen, etwa XIV. Jahrb., mehrerer
sog. heiliger Gräber nicht za erwähnen. — Mit Mazzoni verwandt, nur
weniger scharf und absurd: der etwas jüngere VincenzoOnofri;
d von ihm ein heil. Grab, rechts neben dem Chor von S. Petronio; und
e das farbige Relief im Chorumgang der Servi (1503), Madonna mit
S. Laurentius und S. Eustachius nebst zwei Engeln, eine bessere, gar
nicht seelenlose Arbeit; wie denn auch die Grabbüste des berühmten
f Philologen Beroaldus in S. Martino maggiore (hinten, links) lebendig
und schön behandelt ist. Ausserdem gehört ihm das Grabmal des
g Bischofs Nacci in S. Petronio (am Pfeiler nach der 7. Capelle links).
Abgesehen von den florentinischen Arbeiten (der Altar mit Engel-
reliefs und das Grabmal von Rosellino in der Cap. Piccolomini in
Montoliveto; der Triumphbogen Giul. da Majano's im Castell etc.)
geben die Sculpturen Neapels den Charakter der damaligen italieni-
schen Kunst nur beschränkt wieder. — Die ehernen Pforten des ge-
h nannten Triumphbogens, von Guglielmo Monaco aus Neapel —
überfüllte Schlachtreliefs mit einzelnen schönen Motiven — dürfen so
wenig als Filarete's Pforten von S. Peter mit dem etwa gleichzeitigen
Ghiberti verglichen werden. — Über Reliefs und Statuetten gehen die
neapol. Bildhauer dieses Jahrh. überhaupt kaum hinaus. Zu den Aus-
i nahmen gehört u. a. die naturalistisch gut gearbeitete knieende Statue
des Olivieri Carafa in der Crypta des Domes. Die paar tüchtigen
k Bronzebüsten im Museum (Abtheilung der Terracotten, I, Zimmer)
scheinen wiederum florentinische Arbeit zu sein. Über die Gruppe
der Grablegung in Montoliveto (Capelle rechts, hinten), von ,,Moda-
nino", vgl. was eben über Guido Mazzoni gesagt wurde (S. 635, a).
Sculptur des XVI. Jahrhunderts.
637
Wenn die grossen Bildhauer des XVI. Jahrh. bei weitem nicht
die grossen Maler dieser Zeit aufwiegen, wenn sie nicht zu halten schei-
nen, was das XIV. und XV. Jahrh, in der Sculptur versprach, so
lag die Schuld lange nicht bloss an ihnen.
Die unsichtbaren Schranken, welche zunächst die kirchliche Sculp-
tur umgeben und ihr nie gestatten, das zu werden, was die griechi-
sche Tempelsculptur war, sind schon oben mehrfach angedeutet wor-
den. An ihre Seite trat jetzt allerdings eine profane und eine nur
halbkirchliche allegorische Sculptur, allein dieser fehlte die innere Noth-
wendigkeit, sie war und blieb ein ästhetisches Belieben der Gebildeten
jener Zeit, nicht eine noth wendige Äusserung eines all verbreiteten my-
thologischen Bewusstseins.
Dafür wird die Sculptur im XVI. Jahrh. eine freiere Kunst, als
sie je gewesen war. Nehmen wir z. B. die Grabmäler als Massstab
des Verhaltens der beiden Künste an, so herrscht in der gothischen
Zeit die Architektur völlig vor; das Bildwerk scheint um des Bauge-
rüstes willen da zu sein. Zur Zeit der frühern Renaissance ist es
statt der Architektur schon eher nur die Decoration, welche als Nische,
als Triumphbogen die Sculpturen einfasst; wohl ist sie um der
letztern willen vorhanden und dennoch gehört die Gesammtwirkung
noch wesentlich dem decorativen, nicht dem plastischen Gebiet an.
Dieser bisher immer noch mehr oder weniger bindende Zusammen-
hang mit der Architektur nimmt jetzt einen ganz andern Charakter
an; die beiden Künste brauchen einander fortwährend, allein die Sculp-
tur ist nicht mehr das Kind vom Hause, sondern sie scheint bei der
Architektur zur Miethe zu wohnen; man überlässt ihr Nischen und
Balustraden, damit mag sie anfangen, was sie will, wenn sie nur die
Baulinien nicht auffallend stört. Wo sie kann, richtet sie sogar das
itwfa^iiftiMjigte
638
Scalptar des XVI. Jahrhanderts.
Gebäude nach ihren Bedingungen ein. Ganz bisher mehr architek-
tonische Partien, Altäre, Grabmäler u. s. w. werden ihr jetzt oft aus-
schliessUch überlassen.
Sie ist ferner freier in ihren Mitteln ; die Lebensgrösse ihrer
Gestalten, im XV. Jahrh. eher Ausnahme als Regel, genügt jetzt nicht
mehr; das Halbcolossale wird das Normale und das ganz Riesenhafte
kömmt nicht selten vor.
Sie ist endlich freier im Typus. Die biblischen Personen wer-
den noch einmal nach plastischen Bedürfnissen umstylisirt, und auch
die mythologischen nichts weniger als genau den entsprechenden an-
tiken Bildungen nachgeahmt. Die Allegorie geht vollends geradezu
in das Unbedingte und Schrankenlose.
Diese viele Freiheit musste nun aufgewogen werden durch die
freiwillige Beschränkung, welche der hohe plastische Styl sich selber
auferlegt, durch Grösse innerhalb der Gesetzlichkeit. Der Geist des
XV. Jahrh. in der Sculptur war vor allem auf das Wirkliche und
Lebendige gerichtet gewesen, das er bald liebenswürdig, bald unge-
stüm, oft mit hoher Ahnung der obersten Stylgesetze, oft roh und
fessellos zur Darstellung brachte. Dieses Wirkliche und Lebendige
sollte nun in ein Hohes und Schönes verklärt werden.
Hier trat das Alterthum noch einmal begeisternd und befreiend
ein. Ganz anders als zur Zeit Donatello's und der alten Paduaner,
welche der Antike ihren decorativen Schein als Hülle für ihre eigenen
Gedanken abnahmen, erforschten jetzt einige Meister das Gesetzmäs-
sige der alten Plastik. Es war vielleicht ein kurzer Augenblick; nur
sehr wenige thaten es ernstlich; bald überwog äusserliche manierirte
Nachahmung nach den Werken dieser Meister selbst, wobei sowohl
das Alterthum, als das bisher eifrig gepflegte Studium des Nackten
halb vergessen wurden; — nichtsdestoweniger blieben von der
empfangenen Anregung einige kenntliche Züge zurück: die Absicht
auf grossartige Behandlung des Nackten und die Vereinfachung der
Zuthaten, hauptsächlich der Gewandung. (Innerhalb der einfachen
Draperie hielten sich freiiich die vielen und überflüssigen Faltenmo-
tive mit Hartnäckigkeit.) Sodann beginnt mit Andrea Sansovino, wie
wir sehen werden, die ebenfalls dem Alterthum entnommene bewusste
Handhabung des Gegensatzes der einzelnen Theile der Gestalt, das
Das Relief. Andrea Sansovino.
639
Hervortreten der linken gegen die rechten, der obern gegen die untern
und umgekehrt für die entgegengesetzten Seiten. Dieser sog. Contra-
posto wird allerdings bei Manchen nur zu bald der einzige Gehalt des
Werkes. Endlich bleiben zahlreiche vereinzelte Aneignungen aus an-
tiken Werken nicht aus. Was uns in den manierirten Werken an-
stössig erscheint, ist nicht das Antikisiren an sich, womit man noch
immer ein Thorwaldsen sein kann, sondern die unechte Verquickung
desselben mit fremden Intentionen.
Am übelsten ging es dabei dem Relief. Die grosse Masse der
vorliegenden antiken Reliefs, nämlich die spätrömischen Sarcophage,
schienen jede Überladung zu rechtfertigen; schon das XV. Jahrhun-
dert hatte die Sache so verstanden, war aber noch bedeutend weiter
gegangen als die spätesten Römer und hatte, wie wir sahen, Gemälde
mit reichem und tiefem Hintergrund in Marmor und Erz übersetzt.
Diesen ganzen Missbrauch behielt die Sculptur jetzt mit wenigen Aus-
nahmen bei, nur ohne die Naivetät des XV. Jahrb., in anspruchvoUern
und bald ganz öden Formen. W i e das Relief erzählen muss, welches
seine nothwendigen Schranken sind, davon hatte schon etwa von
1530 an Niemand mehr auch nur das leiseste Gefühl. Eine Masse von
Talent und von äussern Mitteln geht von da an für mehr als volle
200 Jahre an einer ganz falschen Richtung verloren.
Der erste und wohl der edelste der Bildhauer, welche das XVI. Jahr-
hundert vertreten, ist Andrea (Contucci da Monte) San-
sovino, geb. 1460 (?), st. 1529. Mit einer milden, schönen Empfin-
dungsweise begabt, die sich in ihrer Äusserung etwas an Lionardo da
Vinci anlehnt 1), wächst er halb unbewusst in die Freiheit des XVI.
Jahrh. hinein, sodass man zweifelhaft bleibt, ob die hohe Schönheit
der Form und der bei ihm zuerst streng durchgeführte Gegensatz der
Theile mehr seiner eigenen Innern Ausbildung oder mehr dem Studium
der Antiken angehören.
Die beiden Prälatengräber (Basso und Sforza Visconti) im Chor a
von S. Maria del popolo (1505 ff.) die herrlichsten, welche Rom
') Ausserdem ist auch der Einfluss des Matteo Civitali wahrscheinlich.
fil>i?iWiMi>i^iip^^
640
Scnlptnr des XVI. Jahrhunderts. Andrea Sansovino.
überhaupt enthält, folgen in der Anordnung noch dem Einrahmungs-
system des XV, Jahrh. (Das bald darauf verlassen wurde, um jenen
grossen Freigruppen Platz zu machen, mit welchen dann so Wenige
etwas anzufangen wussten.) Die allegorischen Figuren stehen noch
halblebensgross in ihren Nischen; ihre Schönheit ist aber der genau-
sten Betrachtung werth. (Die Gewänder nicht im Verhältniss zum
Massstab und desshalb scheinbar schwer drapirt.) Ganz wunderbar
edel sind dann die beiden schlummernd liegenden Prälaten gebildet;
das auf den Arm gestützte Haupt motivirt die köstlichste Belebung
der ganzen Gestalt; dieser Schlaf ist gegenüber den frühern symme-
trisch ausgestreckten Grabstatuen vielleicht Naturalismus gegenüber
dem strengen Styl; allein er ist so gegeben, dass das Urtheil verstummt.
Auch die Madonnenreliefs in den Lunetten und vorzüglich die Engel
mit Leuchtern oben sind bewundernswerth.
a In der Sacramentsnische von S. Spirito in Florenz (linkes Quer-
schiff) sind von Andrea wohl nur die Statuetten der beiden Apostel,
die Engel mit den Candelabern, das Christuskind oben im gebroche-
nen Giebel und möglicher Weise die Reliefs der Predella, Diese Fi-
guren sind in Schönheit und Styl den eben genannten verwandt.
Der Rest (die Lunette mit der Krönung Maria, die Rundreliefs mit der
Verkündigung, der Altarvorsatz mit einer Pietä) scheinen von irgend
einem Florentiner aus der Schule des Mino oder Rosellino zu sein^).
b In S. A g o s t i n o zu Rom (2. Cap. links) steht, leider im schlech-
testen Licht, die Gruppe der heil. Anna mit der Jungfrau Maria und
dem Kinde, Stiftung eines deutschen Protonotars, Johann Coricius,
vom Jahr 1512. Alles erwogen, ist es das anmuthigste Sculpturwerk
des Jahrhunderts, schön und frei in den Linien und Formen und vom
holdesten Ausdruck der Mütterlichkeit auf zweierlei Stufen.
c Das Höchste aber möchte Andrea erreicht haben in der Gruppe
der Taufe Christi über dem Ostportal des Baptisteriums von
Florenz. (Den Engel, von Spinazzi, möge man ja wegdenken.) Wel-
cher Adel in dieser Gestalt des Christus! und welche Weihe in Aus-
druck und Bewegung! In dem Täufer wird man das grandiose Motiv
>) Vasari behandelt das Ganze als ein durchaus von Andrea gearbeitetes Jugendwerbu Al-
lein wenn wirklich Alles daran von ihm ist, so müssen doch die erstgenannten voll-
kommeneren Theile aus einer spätem Epoche des Meisters herrühren.
Andrea Sansovino. Rafael. Lorenzetto.
641
der stärksten innern Erregung aus einem Relief von Ghiberti's Nord-
thür in erhöhter Darstellung wiederfinden. (Nach 1500 gearbeitet.)
Über den Marmorumbau des heiligen Hauses in der Kirche von a
L o r e 1 1 o kann der Verf. nicht aus Anschauung berichten. Bramante
gilt als Erfinder der baulichen Anordnung; Andrea Sansovino leitete
den plastischen Schmuck und arbeitete selbst einen Theil der Reliefs;
die übrigen sind ausgeführt von Tribolo, Bandinelli, Rafael da Mon-
telupo, Franc, da Sangallo, Lancia, Girol. Lombardo und Mosca. Nach
zuverlässigen Urtheilen sollen die Sculpturen dieser Künstler im Gan-
zen mehr ihrem anderweitig bekannten, zum Theil schon beträchtlich
manierirten Styl folgen als dem Vorbilde Andrea's.
In der Johannescapelle des Domes von Genua (links) sind die b
Statuen des Täufers und der Madonna (wahrscheinlich frühe) Ar-
beiten von ihm; erstere noch etwas herb, letztere aber ungemein schön
in Stellung und Motiv, das Kind naiv bewegt und wiederum mit einem
kenntlichen lionardesken Anklang. — Von kleinern Sachen möchte ich
dem Andrea einen Salvator zuschreiben, welcher in Araceli zu Rom c
auf der Spitze eines Grabmals (Lud. Gratus, f 1531) links vom Haupt-
portal angebracht worden ist^).
Diese an Zahl geringen Arbeiten repräsentiren uns in der Sculptur
fast einzig denjenigen Geist massvoller Schönheit, welchen in der
Malerei vorzüglich Rafael vertritt. Auch gleichen ihnen am meisten
diejenigen Sculpturwerke, welche Rafael selbst schuf oder unter
seiner Aufsicht hauptsächlich durch Lorenzetto ausführen Hess.
Als eigenhändige (und jetzt wohl einzig vorhandene) Arbeit R.'s gilt
gegenwärtig die nackte Statue des Jonas in S. Maria del Popolo d
(Cap. Chigi) zu Rom; eine keineswegs vollkommene körperliche
*) Das Grabmal des Petrus de Vincentia (1504), im Durchgang der Südthür an der Kirche
Araceli, ist mir immer wie eine Vorarbeit Andrea's zu den oben genannten Prälatengräbern
vorgekommen; die Grabstatue sowohl als das Rundrelief der Madonna und die Allegorien
zu dessen Seiten scheinen sehr schöne Versuche eines noch nicht ganz geläuterten Stre-
bens, welches erst in jenen Meisterwerken seine Erfüllung fand. Dagegen kann das Grab-
mal Armellini, 1524, im rechten Querschiff von S. M . in Trastevere, höchstens als tüch-
tiges Schulwerk gelten.
542 Sculptar des XVI. Jahrhunderts. Lorenzetto. Tribolo.
Bildung, aber in der Geberde von wunderbarem Ausdruck des wie-
dergewonnenen jugendlichen Lebens, das wie vom Schlaf erwacht.
(Der Fischrachen ist geschickt und bescheiden angegeben. Im Kopf
des Jonas eine Annäherung an die Züge des Antinous.) — Der Prophet
a Elias gegenüber zeigt Lorenzetto's stumpfere Ausführung; — ebenso
b die sehr schön gedachte Madonnenstatue auf demjenigen Altar im
Pantheon, welcher Rafaels Grab hinter sich birgt. — Lorenzetto's
c eigene Erfindung möchte der S. Petrus am Eingang der Engelsbrücke
sein. — (In der Art Lorenzetto's scheint auch die sitzende Madonna
d über dem Grabmal des Guidiccioni in S. Francesco zu Lucca gearbeitet,
deren Urheber ich nicht anzugeben weiss. Die schöne Intention in
dem Kopf der Madonna, in Bewegung und Gestalt des Kindes, das
sie am Schleier fasst, übertrifft die Ausführung.)
Der Zeit nach müsste schon hier Michelangelo genannt werden,
allein bei der historischen Stellung, die er gegenüber der ganzen
s p ä t e r n Sculptur einnimmt, ist es nothwendig, zuerst diejenige An-
zahl von Künstlern zu besprechen, welche, obwohl meist jünger als
er, noch nicht oder noch wenig von seinem Styl berührt wurden. Sie
haben theils die Richtungen des XV. Jahrb., dessen Realismus und
bunten Reichthum aufgebraucht, theils auch sich der freien und hohen
Schönheit stellenweise genähert, meist aber sich der von der römi-
schen Malerschule ausgehenden Entartung nicht entziehen können.
Zunächst ein paar Florentiner. (Den B a n d i n e 1 1 i versparen wir
auf die Michelangelisten, zu welchen er wider Willen gehört.) — Tri-
bolo (eigentlich Niccolö Pericoli, 1500 — 1565) war anfänglich Schüler
des unten zu nennenten Jacopo Sansovino, allein in einer Zeit, da
dieser noch seinem Lehrer Andrea im Styl näher stand als seiner
eigenen spätem Manier; zudem muss Tribolo von Anfang an auch
Andrea's Werke gekannt haben und später, durch die Mitarbeit an
der Santa casa von Loretto nach dessen Entwürfen, von dem Styl
Andrea's durchdrungen worden sein. Der Verf. hat es besonders an
dieser Stelle zu beklagen, dass ihm die Untersuchung der dortigen
Sculpturen nicht vergönnt war. Welch ein Meister Andrea Sansovino
auch im Relief gewesen sein muss und welchen Einfluss er auf die
Seinigen ausübte, lassen die Arbeiten dieses seines Schülers wenigstens
Tribolo in Bologna.
643
ahnen. Tribolo bekam noch in jungen Jahren (um 1525) die Seiten-
thüren der Fassade von S. Petronio in Bologna zu verzieren, a
Von ihm sind an beiden die Propheten, Sibyllen und Engel in der Schrä-
gung der Pforte und des Bogens, sodann die sämmtlichen Pilasterreliefs
an der Thür rechts (Geschichten Josephs), und von denjenigen der Thür
links das erste, dritte und vierte des linken Pilasters (Geschichten des
Moses). In dem kleinen Massstab dieser zahlreichen Gegenstände ist
ein reiner und massvoller Styl entwickelt, wie er sonst sehr wenigen
Reliefs der damaligen Zeit innewohnt. Die Propheten und Sibyllen
verhehlen zwar schon in der Tracht und Körperbildung den Einfluss
der Sistina nicht; auch im Motiv selber macht er sich hie und da
kenntlich; aber es sind von den reinsten und reizendsten Einzelfiguren
der goldenen Zeit. Die erzählenden Reliefs, zwar etwas überfüllt,
doch weniger als das meiste Gleichzeitige, geben fast allein einen Be-
griff von den Liniengesetzen dieser Gattung und sind reich an geist-
voll prägnanten einzelnen Zügen. (Joseph in den Brunnen gesenkt;
an den Midianiter verkauft; die Tödtung des Böckleins; das mit dessen
Blut gefärbte Kleid wird dem Jacob vorgewiesen etc.) An diesen in
Form und Gedanken trefflichen Arbeiten machte auch der etwas ältere
Genosse, Alfonso Lombardi, eine neue Schule durchs).
Aus Tribolo's späterer Zeit möchte das grosse Relief von Maria b
Himmelfahrt (S. Petronio, 11. Cap. rechts), wenigstens dessen untere
Hälfte herrühren. Es zeigt, dass er den falschen Ansprüchen und
Manieren der Nachahmer Michelangelo's auch später fern blieb.
Von einem trefflichen ungenannten Meister, der aber dem T.
offenbar sehr nahe stand, ist das 1526 errichtete Grab der Familie c
Cereoli in S. Petronio (innen links vom Hauptportal), und vielleicht
auch die Madonna in der 6. Cap. rechts (daselbst) gearbeitet. — Von d
Alf. Lombardi wird weiter die Rede sein.
Als Tribolo's Hauptwerk zu Rom gilt das Grabmal Papst Ha- e
drians VI (st. 1523) im Chor von S. Maria dell' anima (rechts), im
') Von den Lunettengruppe der Thür rechts gehört nur die Madonna dem T. an, der Chri- *
stusleichnam in den Armen des Nicodemus ist eine ungeschickte Arbeit des Malers Amico
Aspertini, und der Johannes von Seccadenari, dem die ganze Arbeit der beiden Seiten-
thüren im Grossen verdungen war. Die obern Pilaster neben den Giebeln sind von ge-
ringern lombardischen Meistern rcliefirt.
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644
Scalptar des VI. Jahrhunderts. Benvenuto Cellini.
Ganzen nicht von glücklicher Anordnung (diese von Peruzzi), und
auch im Einzelnen unplastisch überfüllt. Übrigens ist Tribolo's An-
theil vielleicht auf die allegorischen Figuren zu beschränken; die
liegende Statue ist bestimmt und das meiste übrige vielleicht von
Michelangelo Sanese.
Die spätere Thätigkeit T.'s betraf zum Theil Decorationen des
Augenblickes, für welche er ein besonderes Talent besass; auch wurde
er eines der bauHchen Factotum Cosimo's I (S. 401, b). Was von seinen
(auch plastischen) Arbeiten in der Villa Castello unweit Florenz noch
erhalten ist, weiss ich nicht anzugeben.
In diese Reihe gehört auch BenvenutoCellini (1500 — 1572),
der durch seine eigene Lebensbeschreibung eine grössere Bedeutung
gewonnen hat als durch seine Werke. Von seinem decorativen Ver-
dienst ist oben (S. 272) die Rede gewesen; hier handelt es sich um
seine Bildwerke. Von grösserm Umfang und selbständiger Bedeutung
a ist bloss der eherne P e r s e u s unter der Loggia de' Lanzi in Florenz.
Benvenuto erscheint hier noch wesentlich als der Naturalist des XV.
Jahrb., als der geistige Sohn Donatello's, allein das Motiv ist bei aller
Wunderlichkeit (man sehe die Verschränkung der Medusenleiche)
doch nicht nur energisch, sondern auch in den Linien bedeutend, so-
dass man die Mängel der an sich sehr fleissigen Einzelbehandlung,
z. B. die Dürftigkeit des Rumpfes im Verhältniss zu den Extremitäten,
darob übersehen mag. Die Statuetten an der Basis sind dagegen
idealistisch manierirt in der schlechtesten Art der römischen Schule,
das Relief ebenso und dabei möglichst unplastisch. — In den Uffizien
b (I. Zimmer der Br.) findet man ausser zwei unter sich verschiedenen
Modellen zum Perseus, von welchen das wächserne den Vorzug haben
möchte, die colossale Bronzebüste Cosimo's I, etwas gesucht in Schmuck
und Haltung, aber von vortrefflicher Arbeit. — Seine Restaurationen
c antiker Werke, wie z. B. an dem Ganymed in den Uffizien (Saal d.
Kermaphr.), sehen freilich sehr geziert aus^).
') Unter den Elfenbeinsachen im Pal. vecchio, Sala dell' Udienza, welche nebst den dort
* aufgestellten Gegenständen von Bernstein durchschnittlich von geringem Werthe sind,
könnte ein S. Sebastian wirklich von ihm herrühren, ein trefflicher Pokal mit mytholog.
Sangallo. Danti. Begarelll.
645
Als Werk eines Ungenannten schliessen wir am besten hier den
Bacchus an, welcher jenseits Ponte vecchio in Florenz in einer Brun-
nennische steht. Mit Schale und Traube in den Händen vorwärts
stürmend und überhaupt energisch belebt, ist er doch nur für den
Anblick von links berechnet und stösst ab durch vulgäre, gesucht
herculische Bildung. Man vergleiche ihn z. B. mit dem Bacchus Jac.
Sansovino's, der ein ähnliches Motiv viel schöner giebt.
Francescoda Sangallo (1498— 1570), Sohn des Architekten
Giuliano, ist einer der weniger bedeutenden Nachfolger A. Sansovino's.
Seine Altargruppe in Orsanmicchele zu Florenz, derselbe Gegenstand b
wie die seines Meisters in S. Agostino zu Rom, zeigt seine ganze
Inferiorität; die beiden sitzenden Frauen stossen das Kind auf ihren
Knieen hervor. — Porträtstatue des Paolo Giovio im Klosterhof von c
S. Lorenzo. — Grabmal des Prälaten Angelo Marzi-Medici in der d
Annunziata, am Eingang der Rotunde. — Theilnahme an den Sculptu-
ren in Loretto.
Vincenzo Danti (1530—1567) erscheint in der Bronzegruppe
der Enthauptung des Täufers über der Südthür des Baptisteriums e
stylistisch halbirt. Einer schönen Inspiration aus den Werken San-
sovino's gehört der knieende Johannes an; der Henker dagegen und
das zuschauende Weib sehen den Gedanken und Formen der römi-
schen Malerschule nur zu ähnlich. — Die Statue Papst Julius III. i
beim Dom von Perugia gehört ebenfalls der letztern Art an.
In Oberitalien hält Ein Künstler den meisten bisher genann-
ten, mit Ausnahme Andrea Sansovino's, das Gleichgewicht: Antonio
B e g a r e 1 1 i von M o d e n a (st. 1555). Sein Vorgänger ist jener
wunderliche Guido Mazzoni (S. 635), welcher durch seine grossen gri-
massirenden Thongruppen weniger eine neue Gattung geschaffen, als
eine missachtete Gattung gewissermassen zu Ehren gebracht hatte,
sodass sie für Modena eine anerkannte Specialität ausmachte. Den
Figuren dagegen, den man ihm zuschreibt, möchte eine deutsche Arbeit des XVII.
Jahrh. sein.
646
ScQlptar des XYI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
BegarelH hob nicht eine Bekanntschaft mit dem Alterthum, sondrrn
eine nahe und unverkennbare Kunstbeziehung zu Coreggio, wobei
man nicht einmal genau sagen kann, welcher Theil der gebende war;
sodann die allgemeine Kunsthöhe der Zeit. Seine Einzelformen sind
so schön, frei und reich, als diejenigen A. Sansovino's, denen sie nicht
gleichen. Allein diess ganze Vermögen steht im Dienste eines Geistes,
der gerade die höchsten Gesetze der Plastik so wenig anerkennt, als
Coreggio die der Malerei.
Allerdings muss man ihm sein Princip zugeben; er arbeitete seine
lebensgrossen Thongruppen nicht für freie Aufstellung, sondern für
ganz bestimmte Nischen und Capellen, d. h. als Bilde r. An die
Stelle des streng geschlossenen Baues der Gruppe tritt eine rein ma-
lerische Anordnung für Einen Gesichtspunkt. Allein innerhalb dieser
Schranken hätte er wenigstens so streng bleiben müssen, als die
strengere Malerei es muss; statt dessen überliess er sich bei einem
grossen Schönheitssinn doch sehr dem naturalistischen Schick und
Wurf, dem blossen Streben nach Lebendigkeit und Wirklichkeit. Sein
Gefühl selbst für bloss malerische Linien ist so wenig entwickelt als
dasjenige Coreggio's. Seine Körperbildungen sind meist gering, die
Haltvmg, sobald sie nicht in einem bestimmten Moment aufgeht, unent-
schieden und unsicher, sodass er in den zur freien isolirten Aufstel-
lung bestimmten Statuen weniger genügt als Manche, die sonst tief
unter ihm stehen.
Sein vielleicht frühstes Werk in Modena ist die Gruppe der um
a den todten Christus Weinenden inS. Mariapomposa (Piazza S.
Agostino, I. Altar rechts). Hier ist er noch am meisten von Mazzo-
ni's Gruppe in S. Giovanni (S. 635, b) abhängig, sowohl in der Anord-
nung als in dem grimassirenden Ausdruck. — Vielleicht folgt zunächst
b das grosse Hauptwerk in S. Francesco (Cap. links vom Chor) : die
Kreuzabnahme. Vier Personen, symmetrisch auf zwei Leitern geord-
net, senken den Leichnam nieder; unten die ohnmächtige Maria, von
drei Frauen gehalten und umgeben; ein knieender und ein stehender
Keiliger zu beiden Seiten. (Johannes d. T,, Hieronymus, Franciscus
und Antonius von Padua.) Dass gerade der Moment der physischen
Anstrengung symmetrisch dargestellt ist, wirkt nicht glücklich; dafür
ist die Gruppe der Frauen malerisch vortrefflich und im Ausdruck
Antonio Begarelli.
647
des Jammers edel und ergreifend zugleich, die Köpfe grandios, wie
sie nur in der Zeit der hohen Blüthe vorkommen. Die Frau zur
Linken der Madonna hat z. B. am ehesten in Rafaels Kreuztragung
ihres Gleichen. Der Künstler ist aber auch aller andern Mittel des
Ausdruckes völlig Herr; die Hände sind mit der grössten Leichtigkeit
schön und sprechend angeordnet i), das Liegen der Maria, das Knieen
des Franciscus, das Überbeugen der hinten stehenden Frau zeigen
eine vollendete Meisterschaft, In der Gewandung aber verräth sich
das selbst malerisch Ungenügende dieses Naturalismus, der nicht er-
kennt, dass die Gewandung in der Kunst etwas anderes ist als im
Leben, nämlich ein werthvolles Verdeutlichungsmittel der Gestalt und
Bewegung, das zudem in der Plastik sehr bestimmten Gesetzen unter-
liegt. So drängt sich an dieser Stelle viel Müssiges und Unnützes
vor; schon beginnen Mantelenden und Schleier zu flattern, als wehte
von Neapel her bereits der berninische Scirocco hinein.
Doch ein ganz reifes und herrliches Werk kann diese Schatten-
seiten vergessen machen. In S. P i e t r o (Cap. rechts vom Chor) ist a
wieder eine ,, Klage um den todten Christus" nur von vier Figuren.
Nicodemus hebt den liegenden Leichnam etwas empor, Johannes hält
die davor knieende Mutter. Als Bild vollkommen, in der Behandlung
des Details einfach und grossartig, erreicht diese Gruppe jene reine
Höhe der vollendeten Meisterwerke des XVI. Jahrhunderts. — In der-
selben Kirche ist die Altargruppe des rechten Querschiffes (vier Hei- b
lige, oben in Wolken Madonna mit Engeln) von B. angefangen, von
seinem Neffen Lodovico vollendet; Einzelnes wie die Ekstase des
Petrus, die Schönheit des Kopfes der Maria und des Kindes ist auch
hier von grossem Werthe. — Dagegen zeigen die sechs lebensgrossen c
Statuen, welche frei im Hauptschiff stehen, die ganze Unfähigkeit des
Künstlers, eine ruhige Gestalt plastisch zu stellen. — Ebenso verhält
es sich mit den vier Statuen im obern Klostergang zuS. Giovannid
i n P a r m a , welche im Detail diese sechs übertreffen und zu den Wer-
ken der besten Epoche gehören. Wie unentschieden ist Leib und
Haltung dieses Ev. Johannes, dieser Madonna! wie vergnüglich cha-
rakterisirt Begarelli die weiten hängenden Ärmel des heil. Benedict!
') Was bei Correggio durchaus nicht immer der Fall ist.
',»ijii..i<ir«ii"ji»« >:;a<,fryi;.MiiriT^iTii'Ti"ri ii jm[i^ ^ _ ^_^ , jji_
f'»W^itlii
648
Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitallener.
wie lässt er den Schleier der Madonna flattern! Aber auch welche
Schönheit in den Köpfen und in der Kindergestalt des Täufers Jo-
hannes, der seine Mutter begleitet!
Die späteste Zeit Begarelli's glaube ich (abgesehen von jenem
Altar des Querbaues in S. Pietro) zu erkennen in der grossen Gruppe
a von S. Domenico zu Modena (Durchgang aus der Kirche in die
untere Halle des Academiegebäudes). Es ist die Scene von Martha
und Maria, letztere vor Christus knieend, erstere sammt zwei Mägden
rechts, zwei Jünger links. Unverkennbar wirkt hier der Geist der
römischen Malerschule auf den Künstler ein, wie schon die Draperien
beweisen; auch macht sich (z. B. in der Martha, die auch als Ein-
zelstatue gut ist) der Gegensatz der entsprechenden Theile des Körpers
auf bewusstere Weise geltend. Die Köpfe sind noch meist von naiver
Schönheit.
b (Ein kleines Presepio B.'s im Dom, unter dem 4. Altar links, in
der Regel verschlossen, hat der Verf. nicht gesehen.)
Wahrscheinlich hat B. seine Gruppen nicht bemalt. Auch wo die
jetzige Beweissung abspringt, kömmt keine Farbe zum Vorschein i).
Die meisten oberitalienischen Sculptoren der Zeit suchen, im Ge-
gensatz zu diesem entschlossenen Realisten, ihre heimische Befangen-
heit durch den von Florenz und Rom ausgehenden Idealismus auf-
zubessern. Welche von ihnen die Werke A. Sansovino's und die
ebenfalls sehr einflussreichen Deckengemälde der sixtinischen Capelle
gekannt haben, ist im Einzelnen nicht immer leicht anzugeben; bei
mehreren sind diese Einwirkungen ganz deutlich nachweisbar; Michel-
angelo wirkte schon lange als Maler auf die Sculptur, ehe seine
plastischen Hauptwerke zu Stande kamen. — Von den 1520er Jahren
an muss dann namentlich die Anwesenheit des Tribolo in Bologna der
römisch-toscanischen Richtung den Sieg verschafft haben.
') Schon Vasari sagt, er habe ihnen bloss Marmorfarbe gegeben. Er spricht davon u. a.
bei Anlass eines Besuches des Michelangelo in Modena und berichtet dessen begeistertes
Wort: „Wenn dieser Thon Marmor würde, dann wehe den antiken Statuenl"
AlfoDso Lombardi.
649
Vielleicht der bedeutendste dieser Reihe nächst Begarelli war der
Ferrarese*) Alfonso Lombardi (1487 — 1536), der hauptsächlich
in Bologna arbeitete. Auch er beginnt realistisch, sogar mit ähnlichen
Aufgaben wie Begarelli. Ein frühes Werk, worin er demselben sehr
nahe steht, sind die bemalten (und jetzt neu bemalten) Halbfiguren a
Christi und der Apostel in den beiden Querarmen des Domes von
F e r r a r a. Der Künstler erscheint hier noch mehr naturalistisch ge-
bunden durch die Präcedentien seiner Schule; er verräth sich z. B.
als Schulgenossen eines Lorenzo Costa schon durch die grossen Hände,
und als tüchtigen Anfänger durch die zierliche und exacte Arbeit.
Allein die grosse lebendige Schönheit mehrerer Köpfe, wie z. B. des
Johannes, die bedeutende Geberde z. B. des Thomas, der sich in
seinen Mantel hüllt, zeigen, welches Aufschwunges Alfonso bereits
fähig war. — Ähnliches gilt von der bemalten Thongruppe des von b
seinen Angehörigen beweinten Christusleichnams, in der Crypta von
S. Pietro zu Bologna, mit vorzüglichen Köpfen 2). — Später, und zwar
zuletzt unter dem Einfluss Tribolo's, nähert er sich demjenigen Mass
idealer Bildung, welches Andrea Sansovino dieser ganzen Schule vor-
gezeichnet hatte. Er wagte sich an Aufgaben wie z. B. der colossalc c
sitzende Hercules (von Thon) im obern Vorsaal des Palazzo apostolico,
der in den Verhältnissen immer beträchtlich besser, in der Stellung
ungesuchter ist als Alles, was Bandinelli und Ammanati hinterlassen
haben. (Stark restaurirt.) — Die grösste Zahl seiner Arbeiten finden
sich anS. Petronio: anscheinend noch lombardisch befangen: die d
Statuen (englischer Gruss mit Gottvater, und Sündenfall) an der In-
nenseite des rechten und linken Seitenportals der Fassade; — freier
1) Er stammte eigentlich von Lucca und hiess Citadella. Als Künstler gehört er aber durch-
aus nach Oberitalien.
2) Aus derselben Zeit enthält der von Touristen wenig besuchte Wallfahrtsort Varallo (west-
lich vom Lago maggiore) in der Capella del sacro monte und (wie man annimmt) auch
in einigen der Stationscapellen lebensgrosse farbige Freigruppen, angegeben oder auch aus-
geführt von dem berühmten Maler Gaudenzio Ferrari; die darin dargestellten Vor-
gänge der Passion sind gleichsam fortgesetzt und erklärt durch Fresken an den Wänden,
Wie sie sich zum Styl des Mazzoni oder des Alfonso verhalten, weiss ich nicht anzugeben.
Urcicerone.
4»
ySi**»^*
650
ScDlptor des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
a und sehr tüchtig: die Lunettengruppe der Auferstehung Christi, aussen
am Unken Seitenportal (wenn Christus sich auf einen sitzenden Wäch-
ter zu stützen scheint, so hat der Künstler diess wohl nur gethan, um
sich in einem reichern Linienproblem zu versuchen) ; — ferner drei
von den Reliefs der Geschichte Mosis am rechten Pilaster desselben
Portals, in offenbarem und glücklichem Wetteifer mit Tribolo (S. 643)
entworfen sowohl als ausgeführt. — Mehr malerisch als plastisch, aber
köstlich wie die besten jener Miniaturgeschichten der ferraresischen
b Malerschule erscheinen die drei Reliefs am Untersatz der berühmten
Area inS, DomenicO; eine der geistvollsten und delicatesten Ar-
beiten dieser Gattung.
c Eine ungleiche, zum Thcil sehr tüchtige Arbeit sind die Medail-
d lonköpfe an Pal. Bolognini, N. 77. — Das Grabmal Ramazzotti in
S. Micchele in Bosco (rechts vom Hauptportal) ist eines der besten
jener oberitalischen Soldatengräber, welche den Geharnischten schlum-
mernd und über ihm die Madonna darstellen.
In Alfonso's spätester Zeit entstand dann wahrscheinlich die über
e lebensgrosse, figurenreiche Thongruppe im Oratorium bei S. Maria
d e 1 1 a Vita (zugänglich auf Nachfrage in den links an die Kirche
stossenden Bureaux, eine Treppe hoch). Nicht ohne Mühe erkennt
man darin eine Darstellung des Todes Maria; ringsum die Apostel,
vorn am Boden die nackte Figur eines Widersachers; ein eifriger
Apostel will eben ein schweres Buch auf ihn werfen, wird aber von
dem in der Mitte erscheinenden Christus zurückgehalten i). Mit die-
sem wunderlichen Zug, der uns sonst bei keiner Darstellung dieser
Scene vorgekommen ist, bezahlt Alfonso seinen Tribut an die alt-
oberitalische Manier des heftigen, grellen Ausdruckes. Sonst ist die
Gruppe merkwürdig durch ihren Gegensatz zu denjenigen des Be-
garelli; sie macht Anspruch auf plastische, nicht bloss malerische An-
1) Vasari sagt: „ein rühmliches Werk, worin u. a. ein Jude auffällt, der die Hände an die
Todtenbahie der Mddunua legt." — Vvo^eu der deutsche Herausgeber bemerkt: dieses
Ereigniss werde erzählt in der Schrift ,,de transitu virginis", welche dem Bischof Melito
(II. Jahrh.) zugeschrieben wurde, jetzt aber für beträchtlich neuer gilt. Ich will die
oben im Text gegebene Deutung nicht weiter vertheidigen, da meine Erinnerung an die
Gruppe nicht mehr frisch und die genannte Schrift mir nicht zur Hand ist.
Alfonso Lombardi. Da Grado.
65r
Ordnung, und ihre Einzelformcn sind durchaus mehr ideal und allgemein
(sowohl Köpfe als Gewandung).
Nun stehen aber noch 14 Büsten von Aposteln und Heiligen im a
Chor von S. Giovanni in Monte über dem Stuhlwerk; ungleich
schönere, innigere, lebensvollere Köpfe, die man der Vermuthung nach
ohne Anderes dem Begarelli zuschreiben würde, wenn nicht ,, Alfonso
und Niccolö (?) von Ferrara" als Urheber bezeugt wären. Nach der
momentanen Lebendigkeit zu schliessen, möchten sie zu einer Gruppe
(Maria Himmelfahrt? oder etwas Ähnlichem) aus Alfonso's bester mitt-
lerer Zeit gehört haben i).
Eine Mitstrebende des A. Lombardi, ohne Zweifel zuletzt eben-
falls unter Tribolo's Einfluss, war Properzia de' Rossi (st. 1530). b
Von ihr sind u. a. die beiden Engel neben Tribolo's Relief der Him-
melfahrt Maria in S. Petronio (11. Cap. rechts).
Unter den übrigen Bildhauern Oberitaliens ist der schon als De-
corator genannte Gio. Franc, da Grado wegen der einfach guten
Feldherrngräber in der Steccata zu Parma rühmlich anzuführen. (Eck- c
capellen: hinten rechts: Grab des Guido da Correggio; hinten links:
Grab des Sforzino Sforza 1526; vielleicht auch, vorn rechts, das des
Beltrando Rossi 1527.) Die Helden mögen auf ihren Sarcophagen
stehen, schlafen, oder wachend lehnen, immer sind sie schlicht und in
schöner Stellung gegeben; das Detail genügend, wenn auch nicht vor-
züglich belebt. Es ist die Art, in welcher auch wohl dem Giovanni
da Nola ein vorzüglicher Wurf gelangt), — Von sonstigen Parmesa-
nern nennen sich drei Brüder G o n z a t a mit der Jahrzahl 1508 an
den vier Bronzestatuen von Aposteln über der hintern Balustrade des d
') Die Gruppe in S. Maria della Rosa zu Ferrara, die man dem Alfonso zuschreibt, haben
wir oben S. 635, d dem Mazzoni zugewiesen. Sonst gilt in Ferrara die Reliefhalbfigur *
einer Madonna in S. Giov. Battista (die ich nicht kenne) als sein Werk , ebenso die Büste **
des heil. Hyacinth in S. Domenico, 5. Cap. links, ohne Zweifel das naturalistische Porträt
irgend eines ausdrucksvollen Mönchskopfes.
2) Von demselben da Grado könnte wohl auch die Statue des h. Agapitus über dem Altar t
rechts in der Crypta des Domes herrühren.
42»
652
Scnlptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino.
Domchors; magere, unsicher gestellte, aber im Detail sehr sorgfältige
a Figuren. (Der dahinter aufgestellte Marmortabernakel ist eine geringe
Arbeit des XV. Jahrh.) Mit Begarelli haben weder da Grado noch
die Gonzaten etwas gem.ein.
Ob der Marcus a Grate, welcher den geschundenen S. Bartholo-
b maus im Chorumgang des Domes von Mailand fertigte, ein Sohn des
Gio. Francesco war, lassen wir dahingestellt. Der Kunstgeist der
zweiten Hälfte des Jahrh. kehrt uns in dieser steifen Bravourarbeit
seine widerlichste Seite zu.
Von einem der trefflichsten Lombarden der goldenen Zeit, A g o -
stino Busti, genannt B a m b a j a , weiss ich nur soviel zu
sagen, dass Fragmente seiner Hauptarbeit, des Denkmals des Feldherrn
c Gaston de Foix, in der Ambrosiana und in der Brera zu Mailand auf-
bewahrt sein sollen.
Doch es ist Zeit, auf den bedeutendsten Schüler des Andrea San-
sovino zu kommen, auf JacopoTatti aus Florenz (1479 — 1570),
der von seiner nahen und vertrauten Beziehung zu dem grossen Mei-
ster insgemein Jacopo Sansovino genannt wird. Allerdings
lernen wir ihn fast nur durch Werke aus der zweiten Hälfte seines
langen Lebens kennen, da er als eine der ersten künstlerischen Gross-
mächte Venedigs (S. 324) eine grosse Anzahl baulicher und plastischer
Werke schuf und eine beträchtliche Schule um sich hatte. Doch ist aus
seiner frühern römischen Zeit die sitzende Statue der Madonna mit dem
d Kinde in S. AgostinozuRo m vorhanden (neben dem Hauptportal),
eine Arbeit, in welcher er sich dem Andrea etwa auf die Weise Lo-
renzetto's nähert, mit regem Schönheitsgefühl noch ohne volles Lebens-
gefühl, wie der Vergleich mit der nahen Gruppe Andrea's zeigen mag.
— Vollkommen lebendig und von sehr schöner Bildung, aber gesucht in
c der Stellung erscheint dann seine Statue des Apostels Jacobus d. ä.
im Dom von Florenz (Nische am Pfeiler links gegen die Kuppel). — Zu
i diesen frühern Werken mag auch der heil. Antonius von Padua in
Jacopo Sansovino.
653
S, Petronio zu Bologna (9. Cap. rechts) zu rechnen sein, — endlich der
köstliche Bacchus in den U f f i z i e n (Ende des 2. Ganges). Ju- a
belnd schreitet er aus, die Schale hoch aufhebend und anlachend, in
der andern Hand eine Traube, an welcher ein kleiner Panisk nascht.
Der Bacchus des Michelangelo steht zur Vergleichung in der Nähe;
an lebendiger Durchbildung der Einzelform ist er dem Jacopo's weit
überlegen; wer möchte aber nicht viel lieber die Arbeit Jacopo's er-
dacht haben als die Michelangelo's? — ich spreche von Unbethei-
ligten, denn die Künstler würden für letztern stimmen, weil sie mit
seinen Mitteln etwas Anderes anzufangen gedächten. (Der dritte
dortige Bacchus, eine kleinere Figur auf einem Fässchen stehend, ist b
aus derselben Zeit, aber von keinem der Sansovino.)
In seinen venezianischen Arbeiten erscheint Jacopo sehr un-
gleich; Einzelnes ist unbegreiflich schwach. Anderes dagegen verräth
eine tüchtige selbständige Weiterbildung des vom Lehrer Überkom-
menen. Zwar neigt sich Jacopo bisweilen ebenso in das Allgemeine,
wie die meisten Nachfolger Andrea's, der seine schöne subjective
Wärme auf Niemanden vererben konnte; allein Jacopo ist nur wenig
befangen von den Manieren der römischen Malerschule, auch nicht
wesentlich von der Einwirkung Michelangelo's, die erst bei seinen
Schülern hie und da hervortritt; er war desshalb im Stande, nebst
seiner Schule in Venedig eine Art Nachblüthe der grossen Kunstzeit
aufrecht zu halten, die mit der Nachblüthe der Malerei (durch Paolo
Veronese, Tintoretto etc.) parallel geht und Jahrzehnte über seinen
Tod hinaus dauert.
Bei ihm wie bei den Schülern sind nicht die Linien, überhaupt
nicht das Bewusstsein der höhern plastischen Gesetze die starke Seite;
ihre Grösse liegt, wie bei den Malern, in einer gewissen freien Lebens-
fülle, welche über den Naturalismus des Details hinaus ist; sie liegt
in der Darstellung einer ruhigen, in sich selbst (ohne erzwungen
interessante Motive) bedeutenden Existenz. Ihre Arbeiten können von
sehr unstatuarischer Anlage und doch im Styl ergreifend sein; von
allen Zeitgenossen sind diese Venezianer am wenigsten conventionell
in der Ausführung und am wenigsten affectirt in der Anlage. Hierin
liegt wenigstens ein grosses negatives Verdienst Sansovino's; er ist
der unbefangenste unter den Meistern der Zeit von 1530 — 70.
)A«««*{..-'<.''.'-''^<*<**>*-s?-' »-illh-#»ö.'«i**viMM*.>«»M'j*««ir*
654
Scalptar des XVI. Jahrhunderts. Jacopo SaDsovino.
Für sein schönstes Werk in Venedig glaube ich die Statue der
a Hoffnung am Dogengrab Venier (f 1556) zu S. Salvatore halten
zu müssen (nach dem 2. Altar rechts). Die plastisch vortreffliche,
leichte Haltung, die nicht ideale, aber venezianische Schönheit des
Kopfes, der ruhig gefasste Ausdruck lässt gewisse Spielereien in Haar-
putz und Gewandung wohl vergessen. (Thorwaldsen ist bei einer der
allegorischen Statuen am Grabmal Pius VII. auf ein ganz ähnliches
Motiv gerathen.) — Aber wie viel geringer ist das Gegenstück, die
Caritas, mit ihren hart manierirten Putten! (Das Lunettenrelief von
anderer Hand.)
b Von mythologischen Gegenständen enthält die Loggia am Fuss
des Campanile di S. Marco das Beste (um 1540). Die Bronzestatuen
des Friedens, des Apoll, Mercur und der Pallas sind zwar, die erst-
genannte ausgenommen, im Motiv etwas gesucht, aber von schöner
Bildung, namentlich was die Köpfe (zumal des Mercur und der Pax)
betrifft. Ganz vorzüglich sind dann einzelne der kleinen Reliefdar-
steilungen am Sockel, die zu den so seltenen wahrhaft naiven Kunst-
werken mythologischen Inhalts gehören. (Die obern Reliefs und die
Figuren in den Bogenfüllungen gelten als Schülerarbeit.)
Übrigens ist Jacopo auch sonst im Relief am glücklichsten, wenn
es sich um einzeln eingerahmte Figuren handelt. Man findet hinten
c im Chor von S. M a r c o die berühmte kleine Bronzethür, welche
in die Sacristei führt, und welche den Meister zwanzig Jahre lang
beschäftigt haben soll; ihre beiden grössern Reliefs (Christi Tod und
Auferstehung) können bei vielem Geist doch im Styl z. B. nicht neben
Tribolo aufkommen, während die Einzelfiguren der Propheten in den
horizontalen und senkrechten Einfassungen völlig genügen und zum
Theil von hoher Vortrefflichkeit sind. (Was von der Bildnissähnlich-
keit der vortretenden Köpfe in den Ecken mit Tizian, Pietro Aretino
und S. selber gesagt wird, ist nicht ganz zuverlässig.) — Ebenso fehlt
d es den sechs bronzenen Reliefs mit den Wundern des heil. Marcus
(rechts und links vom Eingang des Chores an der Brustwehr zweier
Balustraden) zwar nicht an geistvollem und energischem Ausdruck
der Thatsachen, wohl aber an dem wahren Mass, welches diese Gat-
e tung beherrschen muss. — An dem Altar im Hintergrunde des Chores
ist das kleine Sacramentsthürchen mit dem von Engeln umschwebten
Jacopo Sansovino.
655
Erlöser wiederum eine nicht alltägliche Composition; man wird aber
vielleicht die beiden einzelnen marmornen Engel auf den Seiten vor-
ziehen.
Derselbe Chor enthält auch noch die einzige Arbeit, in welcher a
S. dem übermächtigen Einfluss Michelangelo's einen kenntlichen Tribut
bezahlt hat, nämlich die sitzenden Bronzestatuetten der vier Evange-
listen auf dem Geländer zunächst vor dem Hochaltar. (Die vier Kir-
chenlehrer sind von einem Spätem hinzugearbeitet.) Man wird ohne
Schwierigkeit den ,, Moses" Michelangelo's als ihr Vorbild erkennen,
aber auch gestehen, dass sie von allen Nachahmungen die freiste
und eigenthümlichste sind.
Im Dogenpalast empfängt uns Sansovin mit den beiden Co- b
lossalstatuen des Mars und Neptun, von welchen die Riesentreppe
ihren Namen hat. Ihre unschöne Stellung, zumal beim Anblick von
vorn, fällt schneller in die Augen als ihre guten Eigenschaften, welche
erst demjenigen ganz klar werden, welcher sie in Gedanken mit den
gleichzeitigen Trivialitäten eines Bandinelli vergleicht. Sie sind vor
Allem noch anspruchlos und mit Überzeugung geschaffen, ohne ge-
waltsame Motive und erborgte Musculatur; es sind noch echte, un-
mittelbare Werke der Renaissance, eigene, wenn auch nicht voll-
kommene Idealtypen eines schöpfungsfähigen Künstlers, der selbst
mangelhafte Motive durch grossartige Behandlung zu heben wusste.
Ein anderes bedeutendes Werk ist die thönerne vergoldete Ma- c
donna im Innern der Loggia des Marcusthurmes; sie ermuthigt den
unten hingeschmiegten kleinen Johannes durch Streicheln seines Haa-
res, sich dem segnenden Christuskinde zu nähern. Verkleistert, be-
stäubt, verstümmelt und von jeher etwas manierirt in den Formen,
ist die Gruppe doch immer von einem liebenswürdigen Gedanken be-
lebt. — (Durchaus schlecht: die Madonna in der Capelle des Dogen- d
palastes.)
Als tüchtiges monumental aufgefasstes Porträt ist die eherne e
sitzende Statue des Gelehrten Thomas von Ravenna über dem Portal
von S. Giulian etwa mit Tintoretto in Parallele zu setzen.
In welche Periode endlich gehört der Johannes über dem Tauf- i
becken in den Frari (Cap. S. Pietro, links)? Unplastisch componirt,
i^-^iM^tiWi'fciiiif Hfimi*)
656
Scnlptnr des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
aber fleissig, naiv und vom zartesten Gemüthsausdruck sieht das Werk
aus, als hätte Sansovin es noch von Rom her mitgebracht.
Wen Sansovino von der altern venezian. Schule noch in Thätig-
keit antraf, wissen wir nicht; es scheint eher, dass seine Anstellung
mit dem Auslöschen jener zusammenhing. Es mögen um 1530 auch
andere Schüler des altern Andrea Sansovino in Venedig gelebt haben;
a von einem solchen sind wohl die drei Reliefs der Verkündigung, An-
betung der Hirten und Anbetung der Könige in der kleinen sechs-
eckigen Capelle bei S. M i c c h e 1 e. Bei einer nicht besonders ge-
schickten Anordnung (sodass man z. B. nicht an Tribolo denken kann)
sind sie vielleicht das Holdeste und Süsseste, was Venedig in Marmor
darbietet, von einem Reiz der Formen und einem Seelenausdruck in
Zügen und Geberden, der Entzücken erregt. — Gewiss war damals
auch Guglielmo Bergamasco noch in Thätigkeit, der 1530
eben diese Capelle baute. Sollte er etwa der Urheber der drei Reliefs
bsein? die einzige bekannte Statue von ihm, eine heil. Magdalena auf
dem Altar der ersten Capelle rechts vom Chor in S. Giovanni e Paolo,
würde mit ihrer reichen und süssen Schönheit, selbst mit ihrem bau-
schigen und doch nicht unplastischen Gewände zu diesen Arbeiten
wohl passen. (Die übrigen Sculpturen des betreffenden Altars eine
zum Theil gute Schularbeit der Lombardi.)
Jedenfalls gewann Jacopo S. einen Einfluss, der alle Übrigen in
Schatten stellte und fast ausschliesslich um ihn eine Schule versam-
melte. Bei einem Bau von so grossem plastischem Reichthum wie
c die B i b 1 i o t e c a ergab sich, scheint es, die Sache von selbst; aus-
drücklich werden T o m ma s 0 Lombardo (vielleicht ein Verwandter
der altern Lombardi), Girolamo Lombardo, Danese Cataneo
und Alessandro Vittoria als ausführende Schüler genannt.
Ich glaube, diejenigen Sculpturen, welche noch unter unmittelbarer
Aufsicht und Theilnahme des Meisters zu Stande kamen, finden sich
hauptsächlich an der Schmalseite gegen die Riva und etwa an dem
ersten Drittel der Seite gegen die Piazzetta. Hier haben die Reliefs
in den Bogen, die Flussgötter in den Füllungen des untern, die Göt-
tinnen in denjenigen des obern Geschosses die schönste und kräf-
tigste Bildung. (Bei den Flussgöttern ist anzuerkennen, dass sie von
Schüler Jacopo Sansovino's. Gampagna.
657
den entsprechenden bronzefarbenen Figuren in der Sistina fast ganz
unabhängig erscheinen.) Die beiden Karyatiden, welche die Thür tra- a
gen, sind von Vittoria. — Von den Reliefs in den Bogen sind auch
wieder die Felder mit einzelnen Figuren die glücklichsten.
Zwei frühe Schüler Sansovins scheinen Tiziano Minio von
Padua und D e s i d e r i o von Florenz gewesen zu sein, welche den
ehernen Deckel des Taufbeckens in S. Marco verfertigten. Die er- b
zählenden Reliefs sind in der Composition vom Besten der ganzen
Schule, den Meister selbst nicht ausgenommen. (Die Statue des Täu-
fers später, 1565, von Franc. S e g a 1 a.) — Minio's Statuen zweier c
heiligen Bischöfe hinter dem Hochaltar des Santo in Padua sind bei
ihrer jetzigen Aufstellung so viel als unsichtbar.
Unter allen Schülern aber istGirolamo Campagna der be-
deutendste und überhaupt einer von den sehr wenigen Bildhauern,
welche noch nach der Mitte des XVI. Jahrh. eine naive Liebens-
würdigkeit beibehielten. — In S. G i u 1 i a n o zu Venedig (Cap. links d
vom Chor) sieht man sein Kochrelief des todten Christus mit zwei
Engeln; die Linien sind nicht mustergültig, die Gewandung schon etwas
manierirt, aber Ausdruck und Bildung sehr edel und schön. — In S.
Giorgio maggioreist die bronzene Hochaltargruppe von ihm; e
die vier Evangelisten tragen halbknieend eine grosse Weltkugel, auf
welcher der Erlöser steht. Eher als Evangelisten hätten dämonische
Naturmächte, Engel u. dgl. für diese Stellung gepasst, auch kann die
lebendige Behandlung und die würdige Bildung der Köpfe nicht ganz
vergessen machen, dass es dem Künstler etwas zu sehr um plastisch
interessante Motive des Tragens zu thun war; aber der Salvator ist
einfach und ganz grossartig.
Seine einzeln stehenden Statuen muss man nie streng nach den
Linien, sondern nach dem Ausdruck und nach dem Lebensgefühl
beurtheilen, wie diess von den gleichzeitigen venez. Malern in noch
viel weiterm Sinne gilt. Seine Bronzestatuen des heil. Marcus und i
des heil. Franciscus, welche nach dem Gekreuzigten emporschauen
(auf dem Hochaltar des Redentore), sind innerhalb dieser Grenzen
vortrefflich, zumal der so schön und schmerzlich begeisterte Marcus;
in dem Gekreuzigten bemerkt man bei einer guten und gemässigten
658 Sculptar des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Campagna.
(weder allzumagern noch hässlichen) Bildung eine etwas zu starke
Andeutung des schon eingetretenen Todes durch das Vorhängen der
a linken Schulter i). — Neben dem Hochaltar von S. Tommaso: die
Statuen des Petrus und Thomas, mit würdigen Köpfen. — In S. Ma-
b ria de' miracoli, vor der Balustrade: S. Franz und S. Clara, ersterer
vielleicht ein frühes Jugendwerk.
Campagna's Madonnenstatuen genügen weniger; ihre Haltung und
Kopfbildung erinnert zu sehr an Paolo Veronese, um ein hohes Da-
c sein ausdrücken zu können. An derjenigen in S. Salvatore (2. Altar
rechts) sitzt das Kind hübsch leicht auf den Händen der Mutter, und
auch die beiden Putten, die sich unten an ihr Kleid halten, sind glück-
d lieh hinzugeordnet; dagegen erscheint die in S. Giorgio maggiore
(2, Altar links) durchaus wie ein spätes und schwaches Werk. Eine
e hübsche aber wenig bezeugte Madonna in der Abbazia, Cap. hinter
f der Sacristei. In C.'s Vaterstadt Verona steht eine Madonna von ihm
an der Ecke des Obergeschosses der Casa de' Mercanti.
Von dem Lieblingsgegenstand der venezian. Sculptur (wie der
Bacchus es bei den Florentinern war), dem heil. Sebastian, hat Cam-
g pagna am Hochaltar von S. Lorenzo wenigstens eine gute Darstellung
geliefert, mit dem Ausdruck des Schmerzes ohne Affeetation.
Wie schön und tüchtig er sonstige Aktfiguren zu behandeln wusste,
h zeigt der colossale Atlant oder Cyclop im untern Gang der Z e c c a.
Das höchst affectirte Gegenstück des Tiziano Aspetti spricht lauter
zu Campagna's Gunsten, als Worte es könnten. — Im Dogenpalast
i stehen auf dem Kamin der Sala del Collegio seine hübschen und le-
bendigen Statuetten des Mercur und Hercules. (Geringer die 3 Statuen
k über der einen Thür der Sala delle 4 porte.)
1 In der Scuola di S. Rocco ist bei der Statue des Heiligen (un-
tere Halle) das unerlässliche Vorzeigen der Schenkelwunde glücklich
als dasjenige Wendungsmotiv benützt, um welches die damalige Sculp-
tur so oft in Verlegenheit ist. Im obern Saal sind die Statuen neben
dem Altar — Johannes d. T. und wiederum ein S. Sebastian — von
geringerem Interesse a's die beiden (unvollendeten) sitzenden Prophe-
*') Die kleinen Statuetten dieses Altars sind späte, aber (ür den berninischen Styl recht glückliche
Schöpfungen des Bolognesen Mazza, vom Jahre 1679.
Campagna. Cataneo.
659
ten an den Ecken der Balustrade; hier wirkt Michelangelo ein, aber
noch nicht durch den Moses, sondern durch die Figuren der Sistina.
— Die beiden Bronzestatuen des Hochaltars in S. Stefano werden a
vielleicht mit Unrecht dem C. zugeschrieben; die beiden marmornen
Statuen in S. Giovanni e Paolo (hinten am Altartabernakel der Ca- b
pella del Rosario) sind offenbar im Missmuth über die ungünstige
Aufstellung geschaffen. Auch die heil. Justina über dem Thorgiebel c
des Arsenals scheint ein geringeres Werk zu sein.
An Porträtstatuen ist von C, ein Jugendwerk, der Doge Loredan d
auf dessen Grab im Chor von S. Giovanni e Paolo erhalten, und eine
treffliche Grabfigur seiner reifsten Zeit, der schlummernde Doge Ci- e
cogna (t 1595) in der Jesuitenkirche links vom Chor.
Von wem ist endlich der schöne Christuskopf inS. Pantaleonef
(2. Cap. rechts)? Ich glaube, dass von den Spätem nur Campagna
fähig war, die edelste Inspiration eines Giov. Bellini und Tizian so in
sich aufzunehmen. Und eine Arbeit der zweiten Hälfte des XVI. Jahr-
hunderts wird die Büste doch sein.
Endlich möchte wohl die Annunziata (in zwei aus der Wand vor- g
tretenden Bronzefiguren) am Pal. del Consiglio zu V e r o n a ein schö-
nes frühes Werk des Meisters sein, etwa aus der Zeit des Reliefs von
S. Giuliano; Gabriel gleicht den Engeln des letztern, und die Madonna,
obwohl zu Vermeidung der Profilsilhouette etwas sonderbar gewendet,
ist die schönste weibliche Figur, die C. gebildet haben mag.
Von Thomas von Lugano, bekannt unter dem Namen T o m -
maso Lombardo, sollen eine Anzahl von Statuen auf dem Dache h
der Biblioteca gearbeitet sein. Der S. Hieronymus in S. Salvatore i
(2. Alt. links) giebt vielleicht als schwaches und spätes Werk keinen
sichern Anhaltspunkt. (Nach Andern von Jacopo Colonna.)
Danese Cattaneo scheint ausser J. Sansovino auch an-
dere Florentiner gekannt zu haben; wenigstens sind die Statuen am k
Dogengrab Loredan (1572) bei einer gewissen äusserlichen Süssigkeit
von demselben unvenezianischen Geist der Lüge und Affeetation be-
seelt, der die unwahren Arbeiten eines Ammanali beherrscht. (Die
Porträtstatue, wie gesagt, von Campagna, und früher gearbeitet als der
4* '4l6i*M:.*--^<*^:«*!«4*<t»^^-»>
660 Scnlptor des XVI. Jahrhunderts. Venedig. Vittoria.
a Rest; der Doge starb schon 1525.) — Weniger manierirt die Statuen
des ersten Altars rechts in S. Anastasia zu Verona.
Ammanati selbst war übrigens eine Zeitlang J. Sansovino's Schü-
ler gewesen und hatte z. B. in Padua gearbeitet (wovon unten).
Am stärksten repräsentirt von allen Schülern ist Alessandro
Vittoria (t 1605). Im günstigen Falle dem Campagna beinahe ge-
wachsen, hat er doch nirgends die Seele desselben. Er producirte
leicht und machte sich mit den Hauptmotiven keine grosse Mühe, wäh-
rend Campagna wenigstens gerne plastisch rein gestaltet hätte. Sein an-
b genehmstes Werk ist wohl sein eigenes Grabmal in S. Zaccaria (Ende
des linken Seitenschiffes), eine vortreffliche Büste zwischen den Alle-
gorien der Scultura und Architettura, oben im Giebel eine Ruhmesgöt-
c tin, echt venezianische Figuren. Auch die Statue des Propheten über
der Hauptthür ist schön und würdig. — Sein bester bewegter Akt ist
d der S. Sebastian in S. Salvatore (3. Alt. links, als Gegenstück eines
e geringen S. Rochus), seine sorgfältigste Anatomiefigur der S. Hiero-
f nymus in den Frari (3. Alt. rechts). Auch S. Catharina und Daniel
auf dem Löwen, in S. Giulian, sind wenigstens resolut behandelt,
g Geringer und zum Theil sehr manierirt: die Arbeiten im Dogenpalast
h (Sala deir anticollegio, Thürgiebel), an der Biblioteca (die zwei Karya-
i tiden der Thür), in S. Giovanni e Paolo (Mehreres), in der Abbazia
k (zwei grosse Apostelstatuen), in S. Giorgio maggiore, in S. Francesco
della Vigna (2. Cap. links) u. a. a. 0. Auch an dem sehr überfüllten
1 Grabmal Contareno (f 1553) im Santo zu Padua (am ersten Pfeiler
links) sind mehrere Figuren von ihm.
Ein leidlicher Nachahmer des Vittoria, Franc. Terilli, hat
m die Statuetten des Christus und Johannes über den beiden Weihbecken
des Redentore mit vielem Fleiss gearbeitet.
T i z t a n o A s p e 1 1 i (t 1607) steht wieder um eine grosse Stufe
niedriger und nähert sich den schlimmsten Manieren der florenti-
n nischen Schule, Sein Moses und Paulus, grosse Erzbilder, verunzieren
Palladio's Fassade von S. Francesco della Vigna, seine beiden Engel
Aspetti. Dal Moro.
661
den Altar der ersten Cap. links. Sein schlechter Atlant in der Bib- a
lioteca wurde schon erwähnt; etwas besser sind die Tragfiguren des
Kamins in der Sala dell' Anticollegio des Dogenpalastes. Im Santo b
zu Padua ist mit Ausnahme des Christus auf dem Weihbecken lauter c
geringe Arbeit von A. in grosser Menge vorhanden.
Den Ausgang der Schule macht Giulio dal Moro, schwäch-
licher und gewissenhafter als Aspetti. Das Geniessbarste von ihm sind
wohl die Sculpturen der einen Thür der Sala delle quattro porte im d
Dogenpalast und die drei Altarstatuen in S. Stefano (Cap. rechts im e
Chor). Seine grossen Statuen des Laurentius und Hieronymus am f
Grabmal Priuli in S. Salvatore (nach dem ersten Altar links) sind
sehr manierirt, und ebenso die mehrfach vorkommenden Statuen des
Auferstandenen, wovon z. B. eine in derselben Kirche (nach dem er-
sten Altar rechts).
Es braucht kaum wiederholt zu werden, dass auch diese Schule,
wo ihr Ideales nicht genügt, den Blick durch eine Menge vortreff-
licher Porträtbüsten entschädigt; sie holt damit ein, was das XV. Jahrh.
in Venedig mehr als in Florenz versäumt hatte. Die Auffassung ist
bisweilen so grossartig frei wie in den tizianischen Bildnissen. Künst-
lernamen werden dabei seltener genannt als bei den Statuen heiligen
oder allegorischen Inhaltes.
Mit dem XVII. Jahrh. tritt in der venezian. Sculptur dieselbe
vollkommene Erschlaffung ein, wie in der Malerei nach dem Absterben
der Bassano und Tintoretto. Was von da bis zum Eindringen des
berninischen Styles geschaffen wurde, ist kaum des Ansehens werth-
und auch dieser letztere Styl hat von seinen achtbarem Schöpfungen
fast nichts in Venedig hinterlassen.
Zum Schluss muss hier im Zusammenhang von den neun grossen
Reliefs die Rede sein, welche die Wände der Antoniuscapelle im g
Santo zu Padua bedecken. Die Aufgabe war eine der ungünstigsten,
die sich denken Hessen: (mit Ausnahme des ersten Reliefs) lauter
Wunder, d. h. sinnliche Wirkungen aus einer plastisch unsichtbaren
J&W«VliVT -M
tV£-'^>Mfif-r^SilM<9Kmfifffill^ »VJWil|iliilBlM«jfa^i^WtPi'i#rfM»i>||>i;ww»i »af»-^» ^-1
662
Sculptar des XVI. Jahrhnnderts. Reliefs im Santo.
Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens
dem Gestus des HeiHgen. Für die andächtige Menge, welche diese
Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu
drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein
Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie
geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon-
gruppen in der Art Mazzoni's (S. 635) noch sprechender finden, als
den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren-
gung diese Historien veredelt haben.
Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher
Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem
Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief (die
a Aufnahme des Heiligen in den Orden), von Antonio Minelli,
in der That schon 151 2 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst
an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des
■ altern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge-
niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen — mit
Übergehung des Riccio und seiner localen Schule — die Brüder An-
tonio und Tullio Lombardi, wahrscheinlich als alte und an-
erkannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen
b worden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief
(vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter-
gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver-
muthen nach Tullio's Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem
sechsten steht die Jahrzahl 1525.
Darauf trat Jacopo Sansovino mit mehrern seiner Schüler
c ein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst-
mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür
verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea's
hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier
d mehrere vorkommen. Dagegen ist C a m p a g n a im dritten Relief (Er-
weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte
Kalbiigui höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen
harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. — Einen andern schon mehr
e manierirten Schüler Jacopo S.'s erkennt man dann im zweiten Relief
(Ermordung der Frau), welches einem gew. Paolo Stella oder
Reliefs )m Santo. Neapel.
663
Giov. Maria Padovano be'gelegt wird. — Das fünfte (Er- a
weckung des jungen Parrasio) und das achte (das Wunder rnit dem b
Glase) sind für Danese Cattaneo, dem sie von Einigen zuge-
schrieben werden, wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere
sonst wenig bekannte Namen (PaoloPeluca, Giov, Minio etc.)
eher etwas für sich haben möchten.
Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grössere
Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung ver-
bunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwarten
dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern
Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der besten
dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie in
wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das
übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf
vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine
ideale und ganz lebendige Behandlung.
Neapel, dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh.
sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge-
zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. — Den stärksten
Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem
bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. Domenico mag-c
g i o r e (zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über
dem Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstor-
benen, sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino's
würdig wären. — Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo's d
nähert sich eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im
Fegfeuer, in S. Giovanni a Carbonara.
Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit Giovanni da
N o 1 a zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich deco-
rativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes,
durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein
durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner
Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge-
664
Scülptur des XVI. Jahrhunderts. Neapel.
wohnliche, und die Versuche in stets neuen Motiven geben seinen Grab-
mälern zumal einen originellen Anschein.
a Als Denkmal der ganzen Schule kann die runde Cap. der Carac-
cioli di Vico in S. Giovanni a Carbon ara gelten, voll von Sta-
tuen und Reliefs; von dem Spanier P 1 a t a ist die (vielleicht beste)
Figur des Galeazzo Caracciolo. — Ein anderes grosses Werk der
b Schule ist das Grabmal des berühmten Pietro di Toledo, hinten im
Chor von S. Giacomo degli Spagnuoli; als Ganzes dem
Grabmal Franz I in S. Denis, und zwar nicht glücklich nachgebildet,
in der Ausführung reich und sorgfältig; der Statthalter und seine Ge-
mahlin knieen auf einem Ungeheuern Sarcophag hinter Betpulten; auf
den Ecken des noch grössern, peinlich decorirten Untersatzes stehen
c vier allegorische Figuren. — Von den Grabmälern Giovanni's in S. S e -
V e r i n o ist dasjenige eines sechsjährigen Knaben, Andrea Cicara, zu-
d nächst vor der Sacristei am schönsten gedacht; — die drei der vergif-
teten Brüder Sanseverino (15 16, eine der frühsten Arbeiten) in der
Cap. rechts vom Chor wunderlich einförmig, indem die Dreie fast in
gleicher Stellung auf ihren Sarcophagen sitzen. — Als das beste Re-
c lief des Meisters gilt eine Grablegung in S. Maria delle Grazie bei den
Incurabili (in einer Capelle links). — Schularbeiten in vielen Kirchen
f z. B. in S. Domenico magg., 3. Cap. links, das für die damalige Alle-
gorik bezeichnende Grab eines gewissen Rota, der in Rom und Flo-
renz Beamter gewesen, und dem desshalb Arno und Tiber Lorbeer-
g kränze reichen müssen. — Die Altäre des Giovanni und seines Rivalen
Girolamo Santa Croce zu beiden Seiten der Thür in Monteoliveto sind
im Styl kaum zu unterscheiden. (Derjenige des letztern ist kenntlich
am S. Petrus.)
Durchgängig das Beste sind, wie in so manchen Schulen, wo das
Ideale nicht rein und ohne Affeetation zu Tage dringen konnte, die
Bildnisse der Mausoleen, sowohl Büsten als Statuen. Neapel besitzt
daran einen reichen Schatz auch aus dieser Zeit; ein Marmorvolk
von Kriegern und Staatsmännern, wie vielleicht nur Venedig ein zwei-
tes aufv/eist.
Wir gelangen zu demjenigen grossen Genius, in dessen Hand Tod
und Leben der Scülptur gegeben v/ar, zu Michel Angelo Buo-
Michelangelo.
665
n a r r o t i (1474 — 1563). Er sagte von sich selbst, einmal er sei kein
Maler, ein anderes Mal die Baukunst sei nicht seine Sache, dagegen
bekannte er sich zu allen Zeiten als Bildhauer und nannte die Sculptur
(wenigstens im Vergleich mit der Malerei) die erste Kunst: ,,Es war
ihm nur dann wohl, wenn er den Meissel in den Händen hatte."
Seine Anstrengungen, dieses fest erkannten Berufes Herr zu werden,
waren ungeheuer. Es ist keine blosse Phrase, wenn behauptet wird,
er habe zwölf Jahre auf das Studium der Anatomie verwandt; seine
Werke zeigen ein Ringen und Streben wie die keines Andern nach
immer grösserer schöpferischer Freiheit.
Der erste Anlauf, welchen Michelangelo nahm, war über alle
Massen herrlich. In den Räumen des Palazzo Buonarrotizua
Florenz (Via Ghibellina N. 7588), welche von dem jungem, als Dich-
ter berühmten Michelangelo B. dem Andenken und den Reliquien des
grossen Oheims geweiht worden sind^), wird ein Relief aufbewahrt,
welches dieser in seinem siebzehnten Jahr verfertigte: ,, Hercules im
Kamf gegen die Centauren", d. h. ein Handgemenge nackter Figuren,
unter welchen auch Centauren vorkommen. Obwohl im Geiste des
überreichen römischen Reliefs gedacht, enthält es doch Motive von
griechischer Art und Lebendigkeit, Wendungen von Körpern, welche
den bedeutendsten momentanen Ausdruck mit der schönsten Form
verbinden; dass in dem Menschenknäul vor der mittlem Figur das
Mass überschritten wird, geschieht doch nicht auf Kosten der Deut-
lichkeit und lässt sich durch die Jugend des Künstlers entschuldigen.
Vielleicht noch früher ist das Flachrelief einer säugenden Madonna b
im Profil (ebendort) gearbeitet; eine der ersten Arbeiten, welche aus
dem Realismus des XV. Jahrh. ganz entschieden hinausgehen in den
rein idealen Styl.
Wie vollkommen liebenswürdig wusste Michelangelo damals zu
bilden! An der Arcadi S. Domenico in der Kirche dieses Hei- c
ligen zu Bologna ist von ihm der eine knieende Engel mit dem
Candelaber (derjenige links vom Beschauer); ein so hold jugendliches
Köpfchen, wie es damals nur Lionardo da Vinci zu bilden im Stande
gewesen wäre. Den schweren Gewandstoff, der zu einer lebensgrossen
') Sichtbar jeden Donnerstag.
Urcicerone.
43
rwi»^-*-'^- ■^.^A»4J<l-4^ji^.«»;t?fe>^*^^
666
Scnlptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
Figur richtig passen würde, und die unverhältnissmässigen Haar-
locken nimmt man hier dem Künstler so gerne als Unbesonnenheiten
a eines Anfängers hin. — (Auch die Statuette des heil. Bischofs Petro-
nius, eine von den vieren zunächst über dem Sarcophag, ist von ihm,
aber unmöglich aus derselben Zeit, wie schon das manierirte Gewand
zeigt.)
Das letzte Werk dieser frühen Periode (1499) des Meisters ist die
b Gruppe der Pietä in S. Peter zu Rom (erste Capelle rechts; die
Aufstellung im kläglichsten Licht macht die Vergleichung der Gyps-
abgüsse nothwendig, deren ich aber keinen öffentlich aufgestellten
kenne). Dieser Gegenstand war bisher unzählige Male gemeisselt und
gemalt worden, oft mit sehr tiefem und innigem Ausdruck, nur liegt
insgemein der Leichnam Christi so auf den Knieen der Madonna, dass
das Auge sich abwenden möchte. Hier zuerst in der ganzen neuern
Sculptur kann wieder von einer Gruppe im höchsten Sinne die Rede
sein; der Leichnam ist überaus edel gelegt und bildet mit Gestalt und
Bewegung der ganz bekleideten Madonna das wunderbarste Ganze.
Die Formen sind anatomisch noch nicht ganz durchgebildet, die Köpfe
aber von einer reinen Schönheit, welche Michelangelo später nie wie-
der erreicht hat^). — (Etwa aus derselben Zeit die Madonna in N o -
tre Dame zu Brügge.)
Wie verhielt sich nun Michelangelo's Geist, als er seiner reifen
Epoche und seiner grossen Stellung entgegenging, zu den Aufgaben,
welche seine Zeit ihm bot? Bei weitem die meisten waren kirchlicher
Art, oder mussten doch zu einer kirchlichen Umgebung passen. Die
freie Altargruppe begann eben erst als Gattung zu gelten; man er-
innere sich der Capelle Zeno in S. Marco zu Venedig (1505) und ähn-
licher Arbeiten. Die Nischen der Kirchenfassaden füllten sich nur
sparsam mit Statuen, die der Pfeiler im Innern etwas häufiger. Was
') Das Werk wurde ölter in Marmor und Erz copirt. Schon Luca Signorelli malte davon
jene freie Abbildung grau in grau, welche neuerlich im römischen Leihhause wieder
aufgetaucht ist; wahrscheinlich dachte er nicht daran, dass man dereinst Michelangelo's
Gruppe für eine Copie nach seinem Gemälde halten würde, wie schon geschehen ist.
Michelangelo.
667
sonst übrig blieb, waren Grabmäler, deren Allegorien das einzige
ganz freie Element der damaligen Suclptur heissen konnten. Denn
grosse Sculpturwerke mythologischen Inhalts waren noch ein seltener
Luxus, der ausserhalb Florenz einstweilen kaum vorkam.
Michelangelo aber war stärker als je ein Künstler von dem Drange
bewegt, alle irgend denkbaren und mit den höhern Stylgesetzen ver-
einbaren Momente der lebendigen, vorzüglich der nackten Menschenge-
stalt aus sich heraus zu schaffen. Er ist in dieser Beziehung das ge-
rade Gegentheil der Alten, welche ihre Motive langsam reiften und ein
halbes Jahrtausend hindurch nachbildeten; er sucht stets neue Möglich-
keiten zu erschöpfen und kann desshalb der moderne Künstler in
vorzugsweisem Sinne heissen. Seine Phantasie ist nicht gehütet und
eingeschränkt durch einen altehrwürdigen Mythus; seine wenigen bibli-
schen Figuren gestaltet er rein nach künstlicher Inspiration und seine
Allegorien erfindet er mit erstaunlicher Keckheit. Das Lebensmotiv,
das ihn beschäftigt, hat oft mit dem geschichtlichen Charakter, den
es beseelen soll, gar keine innere Berührung — selbst in den Pro-
pheten und Sibyllen der Sistina nicht immer.
Und welcher Art ist das Leben, das er darstellt? Es sind in ihm
zwei streitende Geister; der eine möchte durch rastlose anatomische
Studien alle Ursachen und Äusserungen der menschlichen Form und
Bewegung ergründen und der Statue die vollkommenste Wirklichkeit
verleihen; der andere aber sucht das Übermenschliche auf und findet
es — nicht mehr in einem reinen und erhabenen Ausdruck des Ko-
pfes und der Geberde, wie einzelne frühere Künstler — , sondern in
befremdlichen Stellungen und Bewegungen und in einer partiellen Aus-
bildung gewisser Körperformen in das Gewaltige. Manche seiner Ge-
stalten geben auf den ersten Eindruck nicht ein erhöhtes Menschliches,
sondern ein gedämpftes Ungeheures. Bei näherer Betrachtung sinkt
aber dieses Übernatürliche oft nur zum Unwahrscheinlichen und Bi-
zarren zusammen.
Sonach wird den Werken Michelangelo's durchgängig eine Vor-
bedingung jedes erquickenden Eindrucks fehlen: die Unabsichtlichkeit.
Überall präsentirt sich das Motiv als solches, nicht als passend-
ster Ausdruck eines gegebenen Inhaltes. Letzteres ist vorzugsweise
der Fall bei Rafael, der den Sinn mit dem höchsten Interesse an der
43*
'• j^>-»>'.K»><ie»JC.'<i»i"A'. ■iti.lVt *Mi'i»i^.<»»<»j*iji*»^Mir<jt»t>gMtft^^
668
ScQlptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
Sache und das Auge mit innigstem Wohlgefallen erfüllt, lange ehe
man nur an die Mittel denkt, durch welche er sein Ziel erreicht hat.
Aber die ungeheure Gestaltungskraft, welche in Michelangelo wal-
tete, giebt selbst seinen gesuchtesten und unwahrsten Schöpfungen
einen ewigen Werth. Seine Darstellungsmittel gehören alle dem höch-
sten Gebiet der Kunst an; da sucht man vergebens nach einzelnem
Niedlichem und Lieblichem, nach seelenruhiger Eleganz und buhleri-
schem Reiz; er giebt eine grandiose Flächenbehandlung als Detail und
grosse plastische Contraste, gewaltige Bewegungen als Motive. Seine
Gestalten kosten ihn einen viel zu heftigen innern Kampf, als dass er
damit gegen den Beschauer gefällig erscheinen möchte.
Damit hängt denn auch ihre unfertige Beschaffenheit eng zusam-
men. Er arbeitete gewiss selten ein Thonmodell von derjenigen Grösse
aus, welche das Marmorwerk haben sollte; der sog. Puntensetzer be-
kam bei ihm wenig zu thun; eigenhändig im ersten Eifer, hieb er
selbst das Werk aus dem Rohen. Mehrmals hat er sich dabei noto-
risch ,, verhauen", oder der Marmor zeigte Fehler, und er Hess desshalb
die Arbeit unfertig liegen. Oft aber blieb sie auch wohl unvollendet,
weil jener innere Kampf zu Ende war und das Werk kein Interesse
mehr für den Künstler hatte. (Ob etwa auch ein Trotz gegen
missliebige Besteller mit unterlief, ist im einzelnen Falle schwer zu
sagen.)
Wer nun von der Kunst vor Allem das sinnlich Schöne verlangt,
den wird dieser Prometheus mit seinen aus der Traumwelt der (oft
äussersten) Möglichkeiten gegriffenen Gestalten nie zufrieden stellen.
Eine holde Jugend, ein süsser Liebreiz konnte gar nicht das aus-
drücken helfen, was er ausdrücken wollte. Seine Ideale der Form
können nie die unsrigen werden; wer möchte z. B. bei seinen meisten
weiblichen Figuren wünschen, dass sie lebendig würden? (Die Aus-
nahmen, wie z. B. die Delphica in der sixtin. Capelle, gehören frei-
lich zum Herrlichsten.) Gewisse Theile und Verhältnisse bildet er
fast durchgängig nicht normal (die Länge des Oberleibes, der Hals,
die Stirn und die Augenknochen, das Kinn etc.),. andere fast durch-
gängig herculisch (Nacken und Schultern). Das Befremdliche liegt
also nicht bloss in der Stellung, sondern auch in der Bildung selbst.
Der Beschauer darf und soll es ausscheiden von dem echt Gewaltigen.
Der Bacchus. Der David.
669
Die Zeit des Künstlers freilich wurde von dem Guten und von
dem Bösen, das in ihm lag, ohne Unterschied ergriffen; er imponirte
ihr auf dämonische Weise. Über ihm vergass sie binnen 20 Jah-
ren Rafael vollständig. Die Künstler selber abstrahirten aus dem,
was bei Michelangelo die Äusserung eines Innern Kampfes war, die
Theorie der B r a v o u r und brauchten seine Mittel ohne seine Gedan-
ken, wovon unten ein Mehreres. Die Besteller, unter der Herrschaft
einer Bildung, welche ohnehin jede Allegorie guthiess, Hessen sich
von Michelangelo das Unerhörte auf diesem Gebiete gefallen und be-
merkten nicht, dass er bloss Anlass zur Schöpfung bewegter Gestal-
ten suchte.
Die Reihe dieser freien, rein künstlerischen Gedanken beginnt
schon frühe (vor der Pietä) mit dem Bacchus in den U f f i z i e n a
(Ende des 2. Ganges). Mit dem antiken Dionysos-Ideal, wie wir es
jetzt, nach den seither ausgegrabenen Resten und den tiefen Forschun-
gen der Archäologie kennen, darf man diesen Bacchus nicht vergleichen
ohne Ungerechtigkeit; er ist hervorgebracht unter der Voraussetzung,
einen trunkenen Jüngling darstellen zu müssen, daher mit einem bur-
lesken Anflug, mit starren Augen, lallendem Mund, vortretendem
Bauche. Vielleicht die erste Statue der neuern Kunst, welche mit der
Absicht auf vollkommene Durchbildung eines nackten Körpers geschaf-
fen worden ist! ohne Zweifel das Resultat der fleissigsten Naturstudien,
und doch, abgesehen vom Gegenstand, schon durch die bizarre Stellung
gründlich ungeniessbar, zumal von links her gesehen.
Auf den ersten Blick gefällt der colossale David vor dem Pa- b
lazzo vecchio in Florenz (1501 — 1503) vielleicht noch weniger. Allein
der Künstler war auf einen Marmorblock angewiesen, aus welchem
schori ein früherer Bildhauer irgend etwas zu meisseln begonnen hatte;
sodann beging er einen Fehler, den der Beschauer in Gedanken wieder
gut machen kann: er glaubte nämlich David ganz jung darstellen zu
nmssen und nahm einen Knaben zum Modell, dessen Formen er colos-
sal bildete. (Was hauptsächlich bei der Seitenansicht bemerklich wird.)
Nun lassen sich aber nur erwachsene Personen passend vergrössern
(S. 444, Anm.), wenigstens bei isoHrter Aufstellung, denn in Gesell-
schaft anderer Colosse kann auch das colossale Kind seine berech-
tigte Stelle finden. Durch ein Verkleinerungsglas gesehen gewinnt der
., . v>„»fc. 'ijxu^ ji*i^..,At*v-**'^ jBa^>>rf«<4».tfM ite^***
^#;#N
670
Sculptnr des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
David ungemein an Schönheit und Leben, allerdings mit Ausnahme
des Kopfes, der in einer ganz andern Stimmung hinzugearbeitet scheint.
Wenn in dieser Statue noch eine gewisse Modellbefangenheit nicht
zu verkennen ist, so finden wir Michelangelo einige Jahre später auf
der Höhe seines künstlerischen Könnens in dem nach 1504 entworfe-
nen, in der nächstfolgenden Zeit stückweise ausgeführten Grabdenk-
a mal Papst Julius II. für die Peterskirche. Die sehr flüchtige Ori-
ginalzeichnung, die von dem Werke doch vielleicht nicht das defini-
tiv angenommene Project wiedergiebt, ist in der florentinischen Samm-
lung der Handzetchnungen aufbev/ahrt. Ein hoher Bau in länglichem
Viereck sollte an seinen Wänden nackte gefesselte Gestalten (die von
Julius wiedererworbenen Provinzen und die durch seinen Tod in
Knechtschaft gedachten Künste) und auf seinen Vorsprüngen jeden-
falls die sitzenden Statuen des Moses und Paulus enthalten, anderer
Zuthaten nicht zu gedenken. Die Symbolik war eine willkürliche, ja
eine zweideutige; wer hätte z. B. Moses und Paulus für Allegorien
des thätigen und des beschaulichen Lebens genommen? und doch
waren sie so gemeint. Aber als plastisch-architektonisches Ganzes
gedacht wäre das Grabmal doch immer eines der ersten Werke der
Welt geworden.
Erst dreissig Jahre später, unter Paul III., kam dasjenige Denk-
b mal zu Stande, welches jetzt in S. Pietro in Vincoli steht. Es
ist kein Freibau, sondern nur noch ein barocker Wandbau daraus ge-
worden; die obern Figuren sind von den Schülern nach dem Entwurf
des Meisters hinzugearbeitet und zwar nicht glücklich; in dem armen
Papst, der sich zwischen zwei Pfeilern strecken muss, so gut es geht,
ist auch die Anordnung unverzeihlich. Unten aber stehen die für das
ursprüngliche Project in der frühern Zeit eigenhändig gearbeiteten
Statuen des Moses, nebst Rahel und Lea, letztere wiederum als Sym-
bole des beschaulichen und des thätigen Lebens, nach einer schon in
der Theologie des Mittelalters vorkommenden, an sich absurden Typik.
— Moses scheint in dem Moment dargestellt, da er die Verehrung
des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will. Es lebt in seiner
Gestalt die Vorbereitung zu einer gewaltigen Bewegung, wie man sie
von der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist, nur mit Zittern
erwarten mag. Seine Arme und Hände sind von einer insofern wirk-
KmiHfliiiiBaHeiw
Grabmal Julius II.
671
lieh übermenschlichen Bildung, als sie das charakteristische Leben
dieser Theile auf eine Weise gesteigert sehen lassen, die in der Wirk-
lichkeit nicht so vorkömmt. Alles bloss Künstlerische wird an dieser
Figur als vollkommen anerkannt, die plastischen Gegensätze der Theile,
die Behandlung alles Einzelnen. Aber der Kopf will weder nach der
Schädelform noch nach der Physiognomie genügen, und mit dem herr-
lich behandelten Bart, dem die alte Kunst nichts Ähnliches an die
Seite zu stellen hat, werden doch gar zu viele Umstände gemacht;
der berühmte linke Arm hat im Grunde nichts anderes zu thun, als
diesen Bart an den Leib zu drücken. — R a h e 1 , das beschauliche
Leben, ist im Motiv ganz sinnlos; sie hat so eben auf dem Schemel
nach rechts gebetet und wendet sich plötzlich, noch immer betend,
nach links; zudem scheint ihr linker Arm schon oben verhauen. Das
Detail sonst trefflich. — L e a , das thätige Leben, mit dem Spiegel
in der Hand, zeigt in der Draperie unnütze und bizarre Motive und
unschöne Verhältnisse der untern Theile. Die Köpfe haben wohl etwas
Grandios-Neutrales, Unpersönliches, welches die Seele wie ein Klang
aus der altern griechischen Kunst berührt, aber auch eine gewisse
Kälte.
Ausser diesen drei Statuen hat Michelangelo offenbar in sehr
verschiedenen Zeiten eine Anzahl von nackten Figuren gemeisselt,
welche theils zum Grabmal Julius IL wirklich gehören sollten, theils
wenigstens damit in Verbindung gebracht werden. Das Trefflichste
sind die beiden ,,Sclaven" im Louvre, die offenbar Stücke aus der
Reihe jener Gefesselten sind. Weniger lässt sich dies verbürgen bei
den vier (nur theilweise aus dem Rohen gearbeiteten und beträcht- a
lieh grössern) Statuen in einer Grotte des Gartens Bobolizu Flo-
renz (vom Eingang links); es sind höchst lebensvolle Acte des Leh-
nens und Tragens; die beiden vordem freilich kaum erst kenntlich.
Dann eine Gruppe, betitelt ,,der Sieg", im grossen Saale des P a 1 a z z o b
v e e c h i o ; ein Sieger auf einem (unvollendeten) Besiegten knieend,
und das während des Kampfes nach hinten gestreifte Gewand wieder
hervorziehend, mit einer Wendung und Bewegung, die freilich hie-
durch nur nothdürftig motivirt wird. (Spätere Zeit?)
Wir kehren wieder in seine frühere römische Epoche zurück und
nennen zunächst den Christus im Quersehiff von S. Maria soprac
672
Scnlptur des XVI. Jahrhanderts. Michelangelo.
M i n e r V a zu Rom (um 1527). Es ist eines seiner liebenswürdigsten
Werke; Kreuz und Rohr sind zu der nackten Gestalt und ihrer Be-
wegung edel und geschickt geordnet, der Oberleib eines der schönsten
Motive der neuern Kunst; der sanfte Ausdruck und die Bildung des
Kopfes mag so wenig dem Höchsten genügen als irgend ein Christus,
imd doch wird man diesen milden Blick des ,, Siegers über den Tod"
auf die Gemeinde der Gläubigen schön und tief gefühlt nennen müssen.
a Ebenfalls wohl aus dieser Zeit: die nur aus dem Rohen gehauene und
in diesem Zustand sehr viel versprechende Statue eines Jünglings, in
den Uffizien (zweiter Gang), wahrscheinlich Apoll, der mit der Linken
über die Schulter greift, um einen Pfeil aus dem Köcher zu holen. —
Dessgleichen, wenigstens aus der ersten Hälfte von Michelangelo's
b Leben: das runde Relief in den Uffizien (Gang der tose. Sculptur),
Madonna mit dem auf ihr Buch lehnenden Kinde, hinten der kleine
Johannes; wundervoll in diesen Raum componirt und, soweit die Ar-
beit vollendet ist, edel und leicht belebt.
Die Arbeiten des vorgerückten Alters möchten etwa mit dem
c t.odten A d o n i s der Uffizien (zweiter Gang) zu beginnen sein. Der
Künstler hat Alles gethan, um die Statue plastisch interessant zu ma-
chen; der Körper beginnt auf der rechten Seite liegend und wendet
sich nachher mehr nach links; unter den gekreuzten Füssen lagert der
Eber, dessen Zahn dem Jüngling die (sehr grelle) Schenkelwunde bei-
gebracht hat. Aber der Kopf gehört zu den manierirtesten und der
Leib ist von keiner schönen Bildung.
Um das Jahr 1529 soll dann die Arbeit an den Statuen der welt-
d berühmten mediceischen Capelle (oder Sagrestia nuova) bei
S. Lorenzo ihren Anfang genommen haben. Selten hat ein Künstler
freier über Ort und Aufstellung verfügen können (vgl. S. 329, c). Die
Denkmäler wirken desshalb in diesem Raum ganz vorzüglich, schon
wenn man sie nur als Ergänzung und Resultat der Architektur be-
trachtet. L^m die Figuren gross erscheinen zu lassen, hat der Künstler
sie in eine aus kleinen Gliedern gebildete bauliche Decoration einge-
rahmt, deren Detail freilich nicht zu rühmen ist. Die Aufgabe selbst
enthielt eine starke Aufforderung zu allgemeinen Allegorien; es han-
Die mediceischen Grabmäler.
673
delte sich um die Gräber zweier ziemlich nichtswürdigen mediceischen
Sprösslinge, für welche Michelangelo am allerwenigsten sich begei-
stern konnte. Unter den Nischen mit den sitzenden Statuen derselben
brachte er die Sarcophage an und auf deren rund abschüssigem Deckel
die weltberühmten Figuren des Tages und der Nacht (bei Giuliano
Medici-Nemours) , der Morgen- und der Abenddämmerung (bei Lorenzo
Medici, Herzog von Urbino). Kein Mensch hat je ergründen können,
was sie hier (abgesehen von ihrer künstlerischen Wirkung) bedeuten
sollen, wenn man sich nicht mit der ganz blassen Allegorie auf das
Hinschwinden der Zeit zufrieden geben will. Vielleicht hätte Cle-
mens Vn. als Besteller lieber ein paar trauernde Tugenden am Grab
seiner Verwandten Wache halten lassen — der Künstler aber suchte
geflissentlich das Allgemeinste und Neutralste auf. Wie dem sei, diese
Allegorien sind nicht einmal bezeichnend gebildet, was denn auch, mit
Ausnahme der Nacht, eine reine Unmöglichkeit gewesen wäre. Die
Nacht ist wenigstens ein nacktes, schlafendes Weib; man darf aber a
fragen: ob wohl jemals ein Mensch in dieser Stellung habe schlafen kön-
nen.? sie und ihr Gefährte, der Tag, lehnen nämlich mit dem rechten
Ellbogen über den linken Schenkel. Sie ist die ausgeführteste nackte
weibliche Idealfigur i) Michelangelo's; der Tag, mit unvollendetem
Kopf, kann vielleicht als sein vorzüglichstes Specimen herculischer
Bildung gelten. Als Motive aber sind gewiss die beiden Däm-b
merungen edler und glücklicher, namentlich der Mann sehr schön
und lebendig gewendet; das Weib (die sog. Aurora) ebenfalls mehr
ungesucht grossartig als die Nacht, wunderbar in den Linien, auch
mit einem viel schönern und lebendigem Kopf, der indess noch immer
etwas Maskenhaftes behält.
In diesen vier Statuen hat der Meister seine kühnsten Gedan-
ken über Grenzen und Zweck seiner Kunst geoffenbart; er hat frei
von allen sachlichen Beziehungen, nicht gebunden durch irgend eine
von aussen verlangte Charakteristik, den Gegenstand und seine Aus-
führung geschaffen. Das plastische Princip, das ihn leitete, ist der
bis auf das Äusserste durchgeführte Gegensatz der sich entsprechen-
') Der Kopf, welcher tief unter dem Übrigen steht, kann kaum von M. A. ausgeführt sein.
674
Sculptar des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
den Körpertheile, auf Kosten der Ruhe und selbst der Wahrschein-
lichkeit. Mit seiner Stylbestimmtheit gehandhabt, brachte dieses Prin-
cip das grossartige Unicum hervor, welches wir hier vor uns sehen.
Für die Nachfolger war es die gerade Bahn zum Verderben.
a Die Statue des J u 1 i a n ist nicht ganz ungezwungen; wohin wen-
det er seinen langen Hals und seine falschen Augen? Ganz vortreff-
lich ist aber die Partie der Hände, des Feldherrnstabes und der Kniee,
bLorenzo, bekannt unter dem Namen il pensiero, unvergleichlich ge-
heimnissvoll durch die Beschattung des Gesichtes mit Helm, Hand
und Tuch, hat doch in der Stellung seines rechten Armes etv/as Un-
freies. Die Arbeit ist von grösstem Werthe. — Auch mit diesen bei-
den Statuen that Michelangelo keinen Schritt in das Historisch-Cha-
rakteristische, das seiner Seele widerstrebt haben muss; sie sind
vielmehr in seinen Styl vollkommen eingetaucht und können als eben
so frei gewählte Motive gelten, wie alles Übrige.
c Der kaum aus dem Rohen gearbeiteten Madonna lag ursprüng-
lich wohl ein ausserordentlich schöner plastischer Gedanke zu Grunde;
es fehlte vielleicht nicht viel, so wäre sie die einzig treffliche ganz
frei sitzende Madonna geworden (indem fast alle andern nur auf
den Anblick von vorn berechnet sind). Allein durch einen Fehler
des Marmors oder ein ,, Verhauen" des Künstlers kam der rechte Arm
nicht so zu Stande, wie er beabsichtigt gewesen sein muss, und wurde
dann hinten so angegeben, wie man ihn jetzt sieht. Vermuthlich
hatte dann das Übrige mit zu leiden und wurde desshalb nur andeu-
tungsweise und dürftig vollendet. Ein unruhigeres Kind hat freilich
die ganze Kunst nicht gebildet, als dieser kleine Christus ist; auf dem
linken Knie der Mutter vorwärts sitzend, wendet er sich sehr künst-
lich rückwärts um, greift mit seinem linken Ärmchen an die linke
Schulter der Mutter und sucht mit dem rechten ihre Brust.
d (Die zwei HH. Cosmas und Damian sind Schülerarbeiten vielleicht
nach ganz kleinen Modellen des Meisters.)
Aus der spätem Zeit ist wohl auch die angefangene Apostelstatue
e im Hof der Academie in Florenz; sie zeigt auf das Merkwür-
digste, wie Michelangelo arbeitete; ungeduldig möchte er das (gequält
grossartige) Lebensmotiv, das für ihn fertig im Marmorblocke steckt,
Letzte Arbeiten.
675
daraus befreien; aber irgend ein Umstand kommt dazwischen und die
Arbeit bleibt liegen i).
Endlich sorgte Michelangelo eigenhändig für sein Grabmal; es a
sollte wieder eine Pietä sein. Damals begann er wahrscheinlich das-
jenige Werk, welches jetzt im Hofe des Palazzo Rondanini zu Rom
(am Corso) steht, und das am besten unbesichtigt bleibt. Wie konnte
er, nachdem der Block schon so verdorben war, wie man ihn sieht,
doch noch diese Gestalten herauszwingen wollen, auf Kosten der-
jenigen Körperverhältnisse, die Niemand besser kannte als Er? Leider
ist wohl jeder Meisselschlag von ihm.
Später arbeitete er — der Sage nach aus einem Capital des Frie- b
denstempels, das ihm Papst Paul III. geschenkt — diejenige Gruppe,
welche jetzt im Dom von Florenz, unter der Kuppel, aufgestellt
ist. Er hat den Werth einer monolithen Arbeit überschätzt und dem
Marmor, welcher nicht reichte, das Unmögliche zugemuthet, um Fi-
guren herauszubringen, die sich der Lebensgrösse wenigstens nähern.
Es ist ein höchst unerquickliches Werk, von der rechten Seite ge-
sehen unklar, durch die Gestalt des Nicodemus zusammengedrückt.
Die Stellung der Leiche dürfte mit jener ersten Pietä in S. Peter nicht
von ferne verglichen werden.
Eine ganz späte Arbeit soll auch die angefangene Büste desc
Brutus in den Uffizien (Halle d. Hermaphr.) sein, angeblich nach
einer antiken Gemme wahrscheinlich aber ein frei geschaffenes Cha-
rakterbild und ein Gegenstand, der dem trotzigen Sinne des Meisters
nahe lag. Physiognomisch abstossend und dabei grandios behandelt.
— Das eigene Bildniss Michelangelo's, ein schöner Bronzekopf, im d
Conservatorenpalast des Capitols (5. Zimmer) gilt als seine Arbeit.
Zahllose kleine Modelle seiner Hand sind zerstreut und zu Grunde
gegangen; was von der Art in italienischen Sammlungen vorkömmt,
verdient insgemein wenig Zutrauen. (Der Christuskopf in S. Agnese e
bei Rom, in einer Cap. rechts, ist jedenfalls nicht von ihm ausgeführt;
— das Relief einer Pietä in der Kirche des Albergo de' poveri zu f
1) Wenn auch Michelangelo schon 1503 für die Querbaucapellen des Domes in Florenz die
Statuen der 12 Apostel bestellt erhielt, so kann er doch den vorliegenden S. Matthäus wohl
viel später und für eine andere Bestimmung gearbeitet haben. Der Styl nöthigt zu einet
derartigen Annahme.
676
Scnlptnr des XVI. Jahrhonderts. Michelangelo.
a Genua zweifelhaft; — über eine Gruppe der Pieta in S. Rosalia zu
Palestrina ist mir nichts Näheres bekannt; — die Statue Gregors d.
b Gr. in einer der Capellen neben S. Gregorio in Rom, von Cordieri
vollendet, hat wohl am ehesten Anspruch auf Erfindung und Theil-
nähme des Meisters; — als Jugendarbeit wird ihm der kleine nackte
c Christus am Grabmal Bandini im linken Seitenschiff des Domes von
Siena beharrlich zugeschrieben etc. etc.)
Der Beschauer wird merkwürdig gestimmt gegen einen Künstler,
dessen Grösse ihm durchgängig imponirt und dessen Empfindungs-
weise doch so gänzlich von der seinigen abweicht. Die frucht-
bringendste Seite, von welcher aus man Michelangelo betrachten kann,
bleibt doch wohl die historische. Er war ein grossartiges Schick-
s a 1 für die Kunst; in seinen Werken und ihrem Erfolg liegen we-
sentliche Aufschlüsse über das Wesen des modernen Geistes offen
ausgesprochen. Die Signatur der drei letzten Jahrhunderte, die
Subjectivität, tritt hier in Gestalt eines absolut schrankenlosen
Schaffens auf. Und zwar nicht unfreiwillig und unbewusst wie sonst
in so vielen grossen Geistesregungen des XVI. Jahrh., sondern mit
gewaltiger Absicht. Es scheint, als ob Michelangelo von der die Welt
postulirenden und schaffenden Kunst beinahe so systematisch gedacht
habe, wie einzelne Philosophien von dem weltschaffenden Ich.
Er hinterliess die Sculptur erschüttert und umgestaltet. Keiner
seiner Kunstgenossen hatte so fest gestanden, dass er nicht durch
Michelangelo desorientirt worden wäre — in welcher Weise, haben
wir schon angedeutet. Aber die äußere Stellung der Sculptur hatte
sich durch ihn ungemein gehoben; man wollte jetzt wenigstens von
ihr das Grosse und Bedeutende und traute ihr Alles zu.
Die Gehülfen des Meisters haben, seit sie das waren, kaum mehr
einen eigentliümlichen Werth. Vvii uexuien zuerst Giov. Angelo
Montorsoli (1498 — 1563), der den Michelangelo schon von dessen
frühern Werken, zumal von der Sistina an begleitet und nachahmt,
dabei aber auch Einwirkungen von Andrea Sansovino und von den
Hontorsoli.
677
Lombarden her verräth, und diess Alles mit einer gewissen decora-
tiven Seelenruhe zu einem nicht unangenehmen Ganzen verschmelzt.
Von der Mitarbeit in der mediceischen Capelle an, wo er den heil, a
Cosmas ausarbeitete, wird er ausschliesslich Michelangelist.
Von Andrea Doria nach Genua berufen i), musste er als Archi-
tekt und Bildhauer das sein, was Perin del Vaga als Maler; die in
den Künsten durch politische Leiden arg zurückgekommene Stadt
bedurfte auswärtiger Kräfte. Die Kirche S. M a 1 1 e o , das Familien- b
heiligthum der Doria, ist ein ganzes Museum seiner Sculpturen^),
Manches davon zeigt, dass er sich half, wie er konnte; in den sitzen-
den Relieffiguren der beiden Kanzeln, in den vier Evangelisten der
Chorwände ist mehr als eine Reminiscenz aus der Sistina zu be-
merken; von den Freisculpturen hinten im Chor ist die Pietä, was
die Lage des Leichnams betrifft, nach derjenigen Michelangelo's in
S. Peter copirt, was zu der peruginesken Madonna nicht recht passt;
die vier übrigen Statuen (Propheten) haben beinahe die Art des
Guglielmo della Porta und der damaligen Lombarden. Die reiche
Stucchirung der Kuppel und des Chores (von Gehülfen ausgeführt),
die beiden Altäre des Querschiffes (mit den vielleicht von andern
Händen gefertigten Reliefs über den Altären), die Reliefs von Tritonen
und gefangenen Türken unter den Kanzeln und das Denkmal des
Andrea Doria in der Crypta (welches der Verf. nicht sah) vollenden
diesen in seiner Art einzigen plastischen Schmuck, dessen Gleichen
selten Einem Künstler anvertraut worden ist. Montorsoli hatte bei
seiner massigen Begabung ganz Recht, dass er sich nicht durch das
gleichzeitig glänzende Beispiel der mediceischen Capelle irre machen
Hess. Auf diese Weise hat die Nachwelt etwas Geniessbares erhalten.
Eine späte Arbeit M.'s ist dann der 1561 vollendete Hauptaltar c
in den Servi zu Bologna. Die drei Statuen der Nischen, der Auf-
erstandene mit Maria und Johannes zeigen noch eine schöne sanso-
') Laut der genuesischen Guida schon 1528, laut Vasari erst nach 1535 oder noch später, was zu
andern Daten nicht recht passt.
^) Im anstossenden Kreuzgang sind die Überreste der 1797 demolirten Statuen des Andrea
und Giov. Andrea Doria, von den Jahren 1528 (?) und 1577 aufgestellt. Die erstere ist
ein vortreffliches Werk von Montorsoli's Hand, die letztere eine schon manierirte
Nachahmung der erstem.
^>^j' <t-: •«./■»., -.-•■ <>n,v»v-»:.'*-«.«^MjiK<:*r»JV*.vw<.i
678
Scolptar des XVI. Jahrhunderts. Montorsoli.
vinische Inspiration; die (ungeschickter Weise viel grösser gebildeten)
Statuen über den beiden Seitenthüren und unten an den Seiten des
Altares, sowie die sämmtlichen Sculpturen der Rückseite mehr das
Öde und Allgemeine der römischen Schule. — Nicht sehr viel früher
a arbeitete M. die Statuen des Moses und Paulus in der Capella de'
Pittori bei der Annunziata in Florenz. (Die ebendort befindlichen
sitzenden Statuen sind von Verschiedenen nach den gemalten Pro-
pheten der sixtinischen Capelle in Thon modellirt; ein Zeugniss mehr
für den Einfluss der letztern auf die ganze Sculptur, welche noch
heute daraus Belehrung schöpfen kann.)
b Das Grabmal Sannazaro's in S. Maiia del Parto zu Neapel, woran
die sitzenden Statuen des Apoll und der Minerva (in David und Judith
travestirt) von M.'s Hand sind (der Rest von Santacroce), bekenne ich
nicht gesehen zu haben.
Ein anderer Schüler Michelangelo's, Rafaelle da Monte-
c 1 u p o , arbeitete nach des Meisters Modellen in der mediceischen Capelle
d den heil. Damian und oben am Grabmal Julius II die Statuen des
Propheten und der Sibylle (S. 670, b). Von seinen unabhängigen Wer-
e ken ist die tüchtige und einfache Grabstatue des Cardinais Rossi (in der
Vorhalle von S. Felicita in Florenz) zu nennen.
GuglielmodellaPorta(t I577) könnte nach seiner frühern
und spätem Thätigkeit auf zwei verschiedene Stellen dieser Übersicht
vertheilt werden, wenn nicht auf der spätem Zeit, da er den Michel-
angelo nachahmte, der beträchtlich stärkere Accent läge. Seine frühern
Sachen, die den lombardischen Styl am Anfang des XVI. Jahrh. re-
präsentiren, mit einem kleinen Anklang an A, Sansovino, sind be-
sonders zahlreich in Genua vorhanden. Sehr unerquicklich: die
f Propheten in Relief an den Säulenbasen des Tabernakels der Jo-
hannescapelle im Dom; — höchst fleissig, überladen und von gesuchter
g Belebung in Draperie und Fleisch: die sieben Statuen am Altar des
linken Querschiffes ebenda; nur die mittlere, ein sitzender Christus,
h mit höherer Weihe; — fast roh: die Gruppe Christi und des heil.
Thomas, an der Vorhalle von S. Tommaso. — Später, unter dem sehr
nahen Einfluss Michelangelo's, entstand das berühmte Grabmal
Della Porta. Clementi.
679
Pauls III. im Chor von S. Peter. Die gewonnene Stylfreiheit ist a
vortrefflich benützt in der sitzenden Bronzestatue des Papstes, welche
Guglielmo's volles Eigenthum ist; lebenswahr und doch heroisch er-
höht. Die beiden auf dem Sarcophag lehnenden Frauen, angeordnet
wie die vier Tageszeiten auf den Gräbern von S, Lorenzo, sind diesen
an Bedeutung der plastischen Linien nicht zu vergleichen, allein
Guglielmo übertraf den Meister wenigstens von der einen Seite, wo
ihm leicht beizukommen war, von Seiten der sinnlichen Schönheit.
Seine ,, Gerechtigkeit" ist zwar darob etv/as lüstern und absichtlich
ausgefallen; die betagte ,, Klugheit" hat mehr von Michelangelo. —
Im grossen Saal des Pal. Farnese findet man zwei ähnliche Statuen, b
welche wie erste, weniger gerathene Proben derselben Aufgabe aus-
sehen, jedoch zu demselben Grabmal gehörten und erst bei dessen
Versetzung an die jetzige Stelle davon weggenommen wurden. — Von
Guglielmo's Bruder G i a c o m o sind die Grabmäler der Gap. Aldo- c
brandini in der Minerva (die 6. rechts) wenigstens entworfen; in der
Ausführung erinnern sie an Guglielmo.
Unter den Lombarden, welche von Michelangelo die Richtung
ihres Styles empfingen, ist nächst Gugl. della Porta ein gewisser
Prospero Clementi nicht unbedeutend, welcher hauptsächlich in
seiner Vaterstadt Reggio um die Mitte des Jahrh. thätig war. Im
Dom daselbst (Cap. rechts vom Chor) ist das Grabmal des Bischofs d
Ugo Rangoni sein Hauptwerk; sowohl die sitzende Statue als die
beiden Putten am Sarcophag und die zwei kleinen Reliefs (Tugenden)
an der Basis verrathen den Einfluss Michelangelo's, ja schon den des
della Porta, allein es ist ein solider Rest von Naivetät übrig geblieben,
der weder arge Manier noch falsches Pathos aufkommen lässt. Dann
möchte ich dem Clementi an dem absurd (als colossales Stundenglas)
gebildeten Grabdenkmal des Ch. Sforziano, gleich links vom Eingang,
die drei vorzüglich schönen Statuetten des Auferstandenen und zweier
Tugenden zuschreiben. Sie verbinden die Art der römischen Schule
mit einer noch fast sansovinischen Milde und Mässigung. (Viel
geringer und wohl von anderer Hand das Grab Maleguzzi, 1583, gegen-
über.) — Am Palazzo Ducale zu Modena, beim Portal, die Statuen e
68o
ScQlptur des XVI. Jahrhanderts . Bandinelli.
des Lepidus und des Hercules, letztere ungeschlacht musculös.
a — In der Crypta des Domes von Parma ist von Clement! ein Grab
vom Jahr 1542 mit zwei sitzenden Tugenden (hinten, rechts).
b — In S. Domenico zu Bologna (Durchgang zur linken Seitenthür) am
Grabmal Volta die Statue des heil. Kriegers Proculus, einfach und
tüchtig.
c Das Grab des Meisters, vom Jahr 1588, im Dom von Reggio (i.
Gap. links) ist mit seiner schönen Büste geschmückt. — Den Auslauf
seiner Schule bezeichnen die Statuen im Querschiff und an der Fas-
sade daselbst.
Wenn man sich jedoch in Kürze überzeugen will, welche zwin-
gende Gewalt Michelangelo als Bildhauer über sein Jahrhundert und
das folgende ausübte, so genügt schon ein Blick auf die florentinische
Sculptur nach ihm. Sie ist besonders belehrend, weil die mediceischen
Grossherzoge auch die profane, mythologische und monumentale Seite
der Kunst mehr pflegten, als diess sonst irgendwo in Italien geschah,
ohne dass doch die kirchlichen Aufgaben desshalb aufgehört hätten.
Wir haben bis hieher einen florentinischen Künstler verspart, der
als Michelangelo's unedler Nebenbuhler auftrat und doch in seinen
meisten Werken ihn gerade von der bedenklichen Seite nachahmte:
Baccio Bandinelli (1487 — 1559). Er ist ein sonderbares Ge-
misch aus angeborenem Talent, Reminiscenzen der altern Schule und
einer falschen Genialität, die bis ins Gewissenlose und Rohe geht. —
d Das Beste, wo er ganz ausreichte, sind die Relieffiguren von Aposteln,
Propheten etc. an den achtseitigen Chorschranken unter der Kuppel
des Domes; hier sind einige Figuren sehr schön gedacht und stehen
trefflich im Raum; alle sind einfach behandelt. — Dagegen zeigt die be-
e kannte Gruppe des Hercules und Cacus auf Piazza del Granduca,
was er an Michelangelo bewundern musste und wie er ihn miss-
verstand. Er glaubte ihm die mächtigen Formen absehen zu können
und machte ihm auch die Contraste nach, so gut er konnte; aber
ohne alles Liniengefühl und ohne eine Spur dramatischen Gedankens,
wozu doch der Gegenstand genügsame Mittel an die Hand gab; es
Bandinelli und Schule.
68i
ist eines der gleichgültigsten Sculpturwerke auf der Welt, — Adam und a
Eva im grossen Saal des Pal. Vecchio, datirt 1551, sind wenigstens
einfache Akte, Adam sogar wieder mehr naturalistisch. Die Bildniss-
statuen ebendaselbst haben in den Köpfen etwas von der grandiosen
Fassung, welche auch den gemalten Porträts der sonst schon manie-
rirten Zeit eigen ist, sind aber im Körpermotiv meist gering. (Die
Gruppe der Krönung Carls V offenbar von zwei verschiedenen Künst-
lern.) — Die Basis auf dem Platze vor S. Lorenzo, mit einem für jene b
Zeit plastischen Relief, trägt jetzt die ihr längst bestimmte sitzende
Statue des Giovanni Medici, von welcher dasselbe Urtheil gilt. — Ein
Bacchus') im Pal. Pitti (Vestibül des ersten Stockes) ist im Gedanken c
die geringste unter den Bacchusstatuen der damaligen Künstler. — Die
beiden Gruppen des todten Christus mit Johannes (in S. Croce, Cap. d
Baroncelli) und mit Nicodemus (Annunziata, rechtes Querschiff") von e
ganz leeren Formen und von der schlechtesten Composition; der Haupt-
umriss ein rechtwinkliges Dreieck auf der längern Kathete liegend.
Ganz kümmerlich ist der sitzende Gottvater (im ersten Klosterhof von f
S. Croce) ausgefallen; als das Beste erscheint die nach Michelangelo
copirte Hand mit dem Buch. — Etwas besser der Petrus im Dom g
(Eingang zum Chor, links). — Ganz mittelmässig: die Nebenfiguren
an den Grabmälern Leo's X. und Clemens VII. im Chor der Minerva h
zu Rom; die ebenfalls unbedeutenden sitzenden Porträtstatuen sind
von Raf. da Montelupo und Nanni di Baccio Bigio, einem andern
kümmerlichen Rivalen Michelangelo's, ausgeführt.
Baccio's Schüler Giovanni dall' Opera hatte Antheil an
den Reliefs im Dom und fertigte die Altarreliefs in der Cap. Gaddi in i
S, Maria novella (Querschiff links, hinten), welche die darzustellende
Thatsache durch tüchtig präsentirte Nebenfiguren in Vergessenheit
bringen. — An dem von Vasari componirten Grabmal Michelangelo's in k
S, Croce ist die Figur der Baukunst von ihm; eine recht gute Arbeit.
(Die Sculptur von Cioli, die Malerei, mit der Statuette in der Hand,
von Lorenzi.) Das ganze Denkmal ist, beiläufig gesagt, eines der
wenigen, wo die Allegorie völlig in ihrem Rechte ist und deutlich von
selber spricht, indem sie ein notorisches Verhältniss ausdrückt. Die
') Laut Vasari aus einem missrathenen Adam zum Bacchus umgestaltet.
^) Letztere von seinem natürlichen Sohn demente angefangen, von ihm vollendet.
Urcicerone.
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682
Sculptnr des XVI. Jahrhonderts. Ammanati.
Allegorien z. B. gerade der meisten übrigen Monumente von S. Croce
sind entweder nur durch einen weiten Verstandesumweg zu erkennen
oder ganz müssig.
Weiter zehrt von Michelangelo der als Baumeister so bedeutende
Bartol. Ammanati (1511 — 92, anfangs Schüler des Jacopo
a Sansovino), von welchem der Brunnen auf Piazza del Granduca her-
rührt. Der grosse Neptun ist ein sehr unglücklicher Akt, ohne Sinn und
Handlung, die Tritonen, welche ihm als Tronco dienen, undeutlich; das
Postament würde man ohne die (für diese Last doch gar zu kleinen)
Seepferde nicht für ein Räderschiff halten. Von den unten herum
sitzenden Bronzefiguren sind die mit möglichster Absicht auf leichtes
Schweben gestalteten Satyrn und Pane allein erträglich, übrigens zum
Theil den Kranzträgern an der Decke der sixtin. Capelle nachgebildet;
b hier sind ihre Attitüden müssig. — (Ganz gering die Gypsstatuen im
c Baptisterium). — Im linken Querschiff von S. Pietro in Montorio zu
Rom sind die Grabmäler zweier Verwandten des Papstes Julius III
sammt den beiden Nischenfiguren der Religion und Gerechtigkeit von
Amm. ; zwischen der manierirten Nachahmung des Michelangelo schim-
mern doch einige schönere Züge durch. — Ebenso verhält es sich mit
d dem Mausoleum der Verwandten Gregors XIII im Campo santo zu
Pisa. — Einige frühere Arbeiten A.'s finden sich in Padua. So der
e Gigant im Hof des Pal. Aremberg. Das Grabmal des Juristen Man-
f tova Benavides in den Eremitani (links) ist im Styl der allegorischen
Figuren ganz der prahlerischen Absicht würdig, mit welcher es gesetzt
wurde. (Unten Wissenschaft und Ermüdung, zu beiden Seiten des
Professors Ehre und Ruhm, oben drei Genien, deren mittlere die Un-
sterblichkeit bedeutet. Alles bei Lebzeiten.)
Uniäugbar höher steht der in Florenz vollauf beschäftigte Flamän-
der Giovanni da Bologna (1524 — 1608). Das Gesetz des Con-
trastes, das bei Michelangelo oft so quälerisch durchgeführt wird, muss
sich bei ihm mit einer Formenschönheit vertragen, die allerdings keine
gar tiefe Wurzel hat und sich meist mit Allgemeinheiten begnügt.
Daneben aber hat Giovanni einen sehr entwickelten Sinn für bedeu-
Giovanni da Bologna.
683
tende, hochwirksame Gesammtumrisse; seine Statuen und vorzüglich
seine Gruppen stehen prächtig in der freien Luft und bleiben, so
kühn sie auch hinausgreifen, doch immer statisch möglich und wahr-
scheinlich; er will nicht, wie Bernini bisweilen, das Unglaubliche dar-
stellen. Der eigentliche, meist sehr energische Inhalt berührt uns trotz
aller Bravour der Linien und des Baues innerlich weniger, schon weil
die Formenbildung eine zu allgemeine ist und das Lebensgefühl sich
doch nur .auf das Motiv beschränkt.
An dem schön gedachten Brunnen auf dem grossen Platz zu B o - a
logna (1564) soll zwar der Entwurf des Ganzen von dem Maler
Tommaso Laureti und nur das Plastische von Giovanni herrühren.
Allein es scheint, als hätte letzterer schon beim Entwurf sein Wort
mitgeredet. Man bemerkt schon ganz seine Art, durch Einziehung
nach unten, durch kühne luftige Stellung der Figuren zu wirken; das
Verhältniss des Ornamentes zum Figürlichen verräth den vollendeten
Decorator. Vom Einzelnen sind die Putten mit den Delphinen aus-
gezeichnet gut bewegt, und der Neptun, bei ziemlich allgemeiner
herculischer Bildung, doch in den Linien effectreich.
Am vollkommensten befriedigt die colossale Gruppe des Oceanus b
und der drei grossen Stromgötter auf dem Brunnen der Insel im
Garten Boboli, eine möblirende Prachtdecoration ersten Ranges,
scheinbar leicht schwebend durch das Einziehen der die Urnen um-
schlingenden Beine der Flussgötter an den schlanken Pfeiler in der
Mitte der Schale. — Die weltberühmte Gruppe des Raubesder Sa-e
binerinnen (Loggia de' Lanzi), deutlich und interessant für alle
Gesichtspunkte, ebenfalls kühn und doch sicher auf dünner, mehrmals
eingezogener Unterpartie sich emporgipfelnd; die Einzelbildung aber
von störender Willkür. — Hercules und Nessus, ebenda, als Gruppe gut d
gebaut und dramatisch lebendig, aber in den Formen gleichgültig.
— Die nicht minder berühmte Gruppe ,,virtü e vizio" im grossen Saal e
des Pal. vecchio ist ein Gegenstück zu Michelangelo's ,,Sieg" und
eine zugestandene Allegorie, während bei letzterm die Allegorie nicht
mehr näher bekannt und jedenfalls nur ein Vorwand gewesen ist.
Ein merkwürdiger Beleg dafür, wie wenig diese Gattung von Ge-
genständen eine gesunde Mythologie ersetzen kann, zumal wenn der
Meister das Ziel seiner Kunst nur in äusserer That, nur in kühner
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684 Sculptnr des XVI. Jahrhunderts. Giovanni da Bologna.
Bewegung und starken Linien zu finden im Stande ist. Wie zu er-
warten stand, hat die Tugend das Laster durch irgend welche Mittel
gebändigt und kniet ihm nun auf dem Rücken. — Von der Colossal-
a Statue des Apennin in Pratolino kann der Verf. nicht aus eigener
Anschauung berichten. Der ,,Überfluss" (Copia), auf der höchsten
Terrasse des Gartens BoboH, ist ein höchst manierirtes Werk, übri-
gens von G. da Hol. nur begonnen.
b Die sechs kleinern Bronzestatuen von Göttern und Göttinnen in
den Uffizien (L Zimmer d. Br.) scheinen nur um des Balancirens, um
der künstlichen Wendung willen vorhanden zu sein; dagegen ist der
durch die Luft springend gedachte M e r c u r (mit dem einen Fuss auf
einem — ehernen — Windstoss ruhend) eine ganz vortreffliche Ar-
beit, die an schöner, lebensvoller Bildung alles Übrige von Gio. da
Bol. weit übertrifft und von allen Bronzen des XVL Jahrh. der Antike
am nächsten kömmt.
c Von kirchlichen Aufgaben sind die Statuen des Altares links vom
Chor des Domes zu Lucca ungefähr das Beste. — Der bronzene Lucas
d an Orsanmicchele steht dagegen hinter allen Statuen dieser Kirche
' durch falsche Bravour und Mangel an Ernst zurück.
Wie durchgängig in der zweiten Hälfte des XVL Jahrh. die Bild-
nisse das Geniessbarste sind (weil frei von dem falschen Ideal und
dem Pathos der historischen und symbolischen Aufgaben), so auch
e hier. Ar^ der Reiterstatue Cosimo'sL auf der Piazza del
Granduca wird man zwar das Pferd manierirt finden, aber ganz meister-
haft edel und leicht ist die Haltung des Fürsten, zumal die Wendung
des Kopfes; es war die Zeit des nobeln Reitens! Der Styl des Ein-
zelnen ist ernst und vortrefflich. — Die ungleich geringere Reiterfigur
i Ferdinands L auf Piazza, dell' Annunziata ist ein Werk aus dem Grei-
senalter des Künstlers. — Was nach seinen Entwürfen von Franca-
villa in dieser Art ausgeführt wurde, ist rohe Decoration, so die mar-
E morne Statue Cosimo's L auf Piazza de' Cavalieri in Pisa, und die
h Ferdinands L am Lungarno daselbst. Der Grossherzog hebt die ge-
sunkene Pisa mit ihren beiden Putten nicht empor, sondern hindert
sie nur an weiterm Sinken.
In der Behandlung des Reliefs theilte Giovanni die malerischen
Vorurtheile seiner Zeit, war aber innerhalb derselben sehr ungleich.
Giovanni da Bologna. Fratzen.
685
Auf derselben Piazza del Granduca ist beisammen sein Bestes, die in a
den Motiven für ihn vorzüglich reine, wenn auch unplastische Basis
des Sabinerinnenraubes, und vielleicht sein AUerschlechtestes, die Basis
des Cosimo I. — Als Bilder beurtheilt werden die Reliefs an der Haupt- b
thür des DomesvonPisa und diejenigen in der hintersten Capelle c
der Annunziata zu Florenz (der Gruftcapelle des Meisters) zum Theil
geistvoll und trefflich erzählt erscheinen, wenn auch in manierirten
Formen; als Reliefs sind sie styllos, so gemässigt sie neben spätem
Arbeiten sein mögen. Das schon im XV. Jahrh. vorkommende Aus-
wärtsbeugen des Oberkörpers der Figuren, der Unlensicht und der
Überfüllung zu Liebe, ist in der Annunziata besonders auffallend. Bei
den Pisanerthüren war das Vorbild Ghiberti's (auch in decorativer
Beziehung) noch zu übermächtig.
Giovanni ist besonders interessant in einzelnen decorativen Sculptur-
sachen. Seit dem Absterben der echten Renaissanceverzierung war ein
Ersatz des Vegetabilischen und Architektonischen durch Masken,
Fratzen, Monstra etc. eingetreten, und diese hat Keiner so treff-
lich gebildet als er. Die wasserspeienden Ungeheuer an dem Bassin d
um die Insel des Gartens Boboli, der kleine bronzene Teufel als Fackel- e
halter an einer Ecke zwischen Pal. Strozzi und dem Mercato vecchio
geben genügsames Zeugniss von seinem schwungvollen Humor in die-
sen zum Theil geflissentlich manierirten Formen. Sein Schüler P i e t r o
T a c c a , von welchem sonst auch die tüchtige bronzene Reiterstatue i
Ferdinands I. am Hafen von Livorno herrührt, schuf in jenem Fratzen-
styl die ebenfalls trefflichen bronzenen Brunnenfiguren auf Piazza dell' g
Annunziata zu Florenz. In diesem Geist sind auch die beiden sog.
Harpyien am Portal von Pal. Fenzi (Via S. Gallo, 5966) von C u r - ii
r a d i gearbeitet. Die römische Schule, Bernini nicht ausgenommen,
offenbart keine scherzhafte Seite dieser Art. Als sehr glückliche de-
corative Gesammtcomposition mag bei diesem Anlass auch die Fontaine
zunächst über dem Hof des Pal. Pitti, von S u s i n i , genannt werden. «
(Von welchem auch das eherne Crucifix im Chor von SS. Micchele e k
Gaetano herrührt; ein blosser Akt.) — Tüchtige Wappeneinfassungen
dieser Zeit sind wohl in Florenz häufiger als anderswo.
iittiiiMiliriMiiiiii
^.^jfr. .jf.^
686 Scnlptar des XVI. Jahrhunderts. Landini. Francavilla.
Von Taddeo Landini, einem florentinischen Zeitgenossen
a des Giov. da Bologna, rührt unter den Statuen der vier Jahreszeiten am
Ponte della Trinita ,,der Winter" her; eine tüchtige Arbeit, aber recht
bezeichnend für die müssige Güederschausteüung jener Schule; wenn
den Alten so friert, warum nimmt er seinen Mantel nicht besser um?
b — Allein derselbe Künstler schuf auch die Fontana delle Tar-
tarugheinRom (1585), welche ohne Frage das liebenswürdigste
plastische Werk dieser ganzen Richtung ist. Nirgends wohl ist das
Architektonische so glücklich in leichten lebenden Figuren ausge-
drückt, als hier in den vier sitzenden Jünglingen, welche die Schild-
kröten an den Rand der obern Schale (wie um sie zu tränken) em-
porheben und dabei eine ganz durchsichtige Gruppe bilden. Was
man von einer zu Grunde liegenden Zeichnung Rafaels sagt, ist nicht
erwiesen, eher könnte von einer Angabe des Baumeisters Giacomo
della Porta die Rede sein, wenn nicht gerade die florentinische, von
Giovanni da Bol. ausgehende Inspiration sich so deutlich kundgäbe.
c Als bescheidene Parallele vergl. man die Lampe im Dom von Pisa
mit den vier sitzenden Genien, welche echt florentinisch gedacht ist.
Ein anderer Nachfolger und Landsmann des Bologna, P i e t r o
Francavilla aus Cambray, fertigte u. a. die Statuen in der Cap.
d Niccolini in S. Croce (am Ende des linken Querschiffs), manierirt und
doch nicht ohne einen gewissen oberflächlichen Reiz. Mittelgut die
e sechs Statuen im Dom von Genua, Cap. rechts vom Chor. Was er
nach den Angaben des Meisters ausführte (Statuen in der erwähnten
f Grabcap. der Annunziata etc.), ist meist schlechte Arbeit und selbst
durch die Motive des Meisters nur selten interessant; eine Ausnahme
g zum Bessern machen einige der sechs Statuen in der Cap. S. Antonino
zu S. Marco. (Die Reliefs und die bronzenen Engel, alles höchst
manierirt, von Partigiani.) Vgl. S. 684, g und h.
Weiter gehört hieher Gio, Batt. Caccini, der seit 1600 die
h Balustrade und den Tabernakel unter der Kuppel von S. Spirito er-
baute und eigenhändig mit den Statuen der Engel und der vier Hei-
ligen versah; letztere, bctiächtlich besser, repräsentiren das kecke
Linienprincip des Gio. Bologna in nicht unedler Weise. Anderes im
i Chor der Annunziata u. a. a. O. Von ihm ist auch die schöne Christus-
k büste an der Ecke des jetzigen Hotel d'York (1588). Er war da-
Spätere Florentiner.
687
mals 28 Jahre alt und erhielt dafür 100 Ducati, wie ein Chronist
bemerkt.
Die Reliefs der Schule entsprechen insgemein dem Schlechtesten
des Giovanni; sie wären schon als Bilder gering und sind mit ihrer
zerstreuten Composition und ihren manierirten Formen als plastische
Arbeiten kaum anzusehen. (T a c c a ' s Relief am Altar von S. Stefano a
e Cecilia; N i g e 1 1 i ' s Silberrelief am Altar der Madonnencapelle in b
der Annunziata, u. dgl. m.) Man kann nichts Stylloseres finden, als
die Nischenreliefs an den beiden Enden des Querschiffes im Dom von c
Pisa; die Freigruppen drüber sind wieder beträchtlich besser, Werke
eines gewissen Francesco Mosca (ebenfalls eines Florentiners
um 1600), von dessen oben (S. 244, h) genanntem Vater Simone
sich Mehreres, u. a. eine Anbetung der Könige, in der Madonnencapelle d
des Domes von Orvieto befindet. — Von dem etwas altern V i n c e n z o
d e 1 R o s s i aus Fiesole sind die schwülstigen Sculpturen der ganzen e
zweiten Capelle rechts in S. Maria della Face zu Rom; Simone
Mosca arbeitete hier die Ornamente.
Die wahre Sinnesweise der Schule zeigt sich weniger in den kirch-
lichen als in den profanen Werken, an welchen Florenz für
diese Zeit ungleich reicher ist als irgend eine andere Stadt. Selbst
das höchst Colossale, für welches man hier von jeher Geschmack ge-
habt, ist nicht bloss durch den ,, Apennin", sondern auch durch den
(lächerlichen) Polyphem im Garten des Pal. Stiozzi-Ridolfi vertreten, f
Sonst sind es fast lauter Gruppen des Kampfes, zu welchen der an-
tike ,, Hercules mit Antäus" (S. 501, b) die stärktse Anregung mag ge-
geben haben. Der genannte Vincenzodel Rossi versah den gros-
sen Saal des Pal. Vecchio mit einer ganzen Reihe von Herculeskämpfen, g
welche hier nebeneinander trotz aller Bravour und Leidenschaft den
Eindruck der vollkommensten Langenweile hervorbringen. Desselben
Rossi Liebesgruppe ,, Paris und Helena", im Hintergrund jener Grotte h
des Gartens Boboli, wo sich die vier Atlanten Michelangelo's befin-
den, ist als Arbeit nicht verächtlich, aber im Motiv gemein i). Wie
') Von Rossi ist auch der Matthäus im Dom (rechts unter dem Eingang zum Kuppelraum), *
die manierirteste aller dort befindlichen Apostelstatuen. Der Thomas (Eingang zum linken
Querschiff, links) ist kaum besser.
688
Scnlptar des XVI. Jahrhunderts. Spätere Römer.
a weit man in der Allegorie ging, beweisen die Statuen des N o v e 1 1 i ,
P i e r a 1 1 i u. A. in der Grotte hinten am grossen Hofe des Pal. Pitti,
,,die Gesetzgebung, der Eifer, die Herrschaft, die Milde"; Moses,
dessen Eigenschaften diess sein sollen, steht (von Porphyr gemeisselt)
in der Mitte. — Wie weit man aber vom wirklichen Alterthum trotz
aller classischen Gegenstände entfernt war, zeigen die beiden lächer-
b liehen Statuen des Jupiter und Janus von Francavilla, welche in
der untern Halle des Pal. Brignole zu Genua stehen. (Derjenige Pal.
dieses Namens, welcher dem rothen gegenüber an der Str. nuova
steht.) Nach den grossen Köpfen, kümmerlichen Leibern, forcirten
Gewändern und prahlerisch micheiangelesken Händen zu urtheilen
glaubt man einen echten Bandinelli vor sich zu haben.
Neben diesen etwas hohlen und müssigen Schaustellungen, die
immerhin ihre Stelle in Nischen oder im Freien wirksam ausfüllen,
meldet sich — ausser jenen decorativen Fratzen — bald auch eine
eigentliche Genresculptur, von halb pastoralem, halb possenhaftem
c Charakter; Figuren von Jaques Callot als Statuen ausgeführt u. dgl.
(Garten Boboli etc.) Die künstlerische Nichtigkeit dieser Productionen
verbietet uns jede nähere Betrachtung. Sie haben übrigens eine Nach-
folge gefunden, welche noch jetzt nicht erloschen ist und in Mailand
ganze Ateliers beschäftigt. (Chargen, auch in moderner Tracht, auf
Gartenmauern etc.)
In Rom macht sich in den ersten Jahrzehnten nach Michelangelo's
Tode nicht eine schwülstige Ausbeutung seiner Ideen, sondern eher
eine tiefe Ermattung geltend. Ausser den paar Florentinern sind es
vereinzelte, wenig namhafte Meister, welche die Altargruppen und die
Grabstatuen dieser Zeit fertigen. SoGiov. Batt. dellaPorta,
d von welchem in S. Pudenziana (hinten links) die Gruppe der Schlüs-
selverleihung gearbeitet ist; — Giov. Batt. Cotignola, von
e welchem sich derselbe Gegenstand sehr ähnlich behandelt findet in S.
Agostino (4. Cap. rechts) ; — die beiden C a s i g n o 1 a , von welchen
f die thronende Statue Pauls IV. über dessen Sarcophag in der Minerva
(Cap. Caraffa) gearbeitet ist, mit tüchtig individuellem Kopfe, sonst
gesucht und ungeschickt. Die Papstgräber sind überhaupt um diese
Zeit ein interessanter Gradmesser für die kirchliche Intention sowohl
Spätere Römer und Genuesen.
689
als für das künstlerische Können. Mit dem Grabe Pauls III. hört die
grosse Freicomposition von einer Porträtstatue und zweien oder meh-
rern allegorischen Figuren für längere Zeit auf; die thatenreichen
Päpste der Gegenreformation müssen wieder in einer Detailerzählung
gefeiert werden, welche wie zur Zeit der Renaissance (S. 615, detc.) nur
durch eine Zusammenstellung vieler Reliefs zu erreichen ist; grosse
Architekturen geben den Rahmen dazu her; eine mittlere Nische ent-
hält das sitzende oder knieende Standbild des Papstes. Dieser Art
sind die riesigen Denkmäler Pius V. und Sixtus V., Clemens VIII. und a
Pauls V. in den beiden Prachtcapellen von S. M. maggiore; die Ten- b
denz, welche hier wieder über die Kunst die Oberhand hat, brachte
es bis zur säubern, sorgfältigen Darstellung des Vielen; in künstleri-
scher Beziehung sind diese kostbaren Werke so nichtig, dass wir die
Urheber gar nicht zu nennen brauchen. (Einiges Gute am Grabmal
Pius V.) Ein vorzugsweise erzählendes Grabmal von etwas besserer
Art ist dasjenige Gregors XI., 1574 von O 1 i v i e r i verfertigt, in c
S. Francesca romana, dagegen zeigt dasjenige eines Herzogs von
Cleve im Chor der Anima, von dem Niederländer Egidio di Ri-d
viere, wiederum nichts als eine gewisse Meisselgeschicklichkeit. —
Mit dem Denkmal Urbans VIII. von Bernini kehrt dann jene Frei-
composition wieder, aber in einem andern Sinne umgestaltet.
Die parallel stehende genuesische Sculptur der Zeit von etwa
1560 — 1630 hängt, wie oben (S. 606, c) bemerkt, noch theilweise von
den Vorbildern des Civitali, auch von altern Lombarden ab, doch unter
starker indirekter Einwirkung Michelangelo's, (Zwei Künstler-
familien, des Namens C a r 1 o n e ; ihre Sachen in S. Ambrogio, e
S. Annunziata, S. Siro, S. Pietro in Banchi und überall; zugleich die f
Thätigkeit Francavillas, S. 688, b.) Ob irgend etwas selbständig Bedeu-
tendes vorkömmt, weiss ich nicht zu entscheiden, bezweifle es aber.
Luca Cambiaso, der sich auch einmal in der Sculptur versuchte,
hat in seiner Fides (Dom, Cap. links vom Chor) das gerade nicht g
erreicht, was seine Bilder so anziehend macht, deren beste zur Ver-
gleichung daneben stehen.
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690
Barocksculptnr.
Bis gegen das Jahr 1630 hin hatte die Sculptur die Lebenskräfte
desjenigen Styles, der mit Andrea Sansovino begonnen, vollständig
aufgezehrt. Sie hatte versucht, in wahrhaft plastischem Sinne zu bil-
den; aus den todten Manieren der römischen Malerschule hatten sich
einzelne Bessere von Zeit zu Zeit immer zu einem reinem und wah-
rern Darstellungsprincip hindurchgekämpft; die eigentliche Grundlage
der Plastik, die abgeschlossene Darstellung der menschlichen Gestalt
nach bestimmten Gesetzen des Gleichgewichtes und der Gegensätze,
schien gesichert. Zu einem reinen und überzeugenden Eindruck
aber hatte diese Kunst es im letzten halben Jahrhundert (etwa 1580
bis 1630) doch nicht mehr gebracht. Theils ist des Trübenden zu
viel darin (die genannten römischen Manieren, die alten und neuen
naturalistischen Einwirkungen, die verlockenden Kühnheiten des Mi-
chelangelo, die Principlosigkeit der Gewandung), theils fehlt es an
durchgreifenden Künstlerindividualitäten, an wirklichen frischen Kräf-
ten, indem sich damals die Besten alle der Malerei zuwandten. Wess-
halb thaten sie diess? Weil der Kunstgeist der Zeit sich überhaupt
nur in der Malerei mit ganzer Fülle aussprechen konnte.
Einige Decennien hindurch hat nun die Malerei einen neuen, die
Sculptur noch den alten Styl. Endlich entschliesst sie sich, der Malerei
(deren Vorgängerin sie sonst ist) nachzufolgen, deren Auffassungsweise
ganz zu der ihrigen zu machen. Das ReUef ist schon seit dem XV, Jahrh.
ein Anhängsel der Malerei; die Freisculptur war durch die grössten
Anstrengungen der Meister der goldenen Zeit vor diesem Schicksal
einstweilen bewahrt worden; jetzt unterlag auch sie. — Welches der
Geist dieser Malerei war, der fortan auch in den Sculpturen lebt, wird
unten im Zusammenhang zu schildern sein. In der Malerei können
wir ihm seine Grösse und Berechtigung zugestehen; in der Sculptur
gehen die wichtigsten Grundgesetze der Gattung darob verloren und
es entsteht kein grösseres, namentlich kein ideales Werk mehr, das
nicht einen schweren Widersinn enthielte. Nicht ohne Schmerz sehen
wir ganz ungeheure Mittel und einzelne sehr grosse Talente auf d i e
Sculptur verwendet, welche die folgenden anderthalb Jahrhunderte
hindurch (1630 — 1780) über Italien und von da aus über die ganze Welt
herrschte. Ihr Sieg war schnell und unwiderstehlich, wie überall, wo in
der Kunstgeschichte etwas Entschiedenes das Unentschiedene beseitigt.
Die Meister derselben.
691
Übergehen dürften wir sie aber hier doch nicht. Ihre subjectiven
Kräfte waren — im Gegensatz zur vorhergehenden Periode — unge-
mein gross, ihre Thätigkeit von der Art, dass sie mehr Denkmäler
in ItaUen hinterlassen hat als die Gesammtsumme alles Frühern, das
Alterthum mitgerechnet, ausmacht. Sie hat ferner einen sehr bestimm-
ten decorativen Werth im Verhältniss zur Baukunst und zur Anord-
nung grosser Ensembles, und endlich giebt sie gewisse Sachen so
ganz vortrefflich, dass man ihr auch für den Rest einige Nachsicht
gönnt. (Vgl. den Abschnitt über die Barockarchitektur; S. 366 u. ff.)
Der Mann des Schicksals war bekanntlich Lorenzo Bernini
von Neapel (1598— 1680), der als Baumeister und Bildhauer, als Günst-
ling Urbans VIII. und vieler folgenden Päpste einer fürstlichen Stel-
lung genoss und in seinen spätem Jahren ohne Frage als der grösste
Künstler seiner Zeit galt. Er überschattet denn auch alle Folgenden
dergestalt, dass es überflüssig ist, ihren Stylnuancen näher nachzu-
gehen; wo sie bedeutend sind, da sind sie es innerhalb seines Styles. —
Nur ein paar Zeitgenossen, die noch Anklänge der frühern Schule
auf bedeutsame Weise mit der berninischen Richtung vereinigen, sind
hier vorläufig zu nennen: Alessandro Algardi (1598 — 1654)
und der Niederländer Franz Duquesnoy (1594 — 1644). Ferner
ist schon hier auf das starke französische Contingent in diesem Heer-
lager aufmerksam zu machen, auf die Legros, Monnot, Teudon, Hout-
ton u. s. w., vor Allem auf Pierre Puget (1622— 1694), von dem
man wohl sagen könnte, er sei berninischer als Bernini selbst gewesen.
Wie Ludwig XIV. in Person, ebenso waren auch die französischen
Künstler für den ,, erlauchten" Meister eingenommen; auffallend ist
trotzdem, dass sie in Italien selbst so stark beschäftigt wurden und
um 1700 in Rom beinahe das Übergewicht hatten. Wir wollen nun
versuchen, die Grundzüge der ganzen Darstellungsweise festzustellen.
Bei diesem Anlass können die besonders wichtigen oder belehrenden
Werke mit Namen angeführt werden.
Die zwingende Gewalt, welche die Sculptur mit sich fortriss, war
der seit etwa 1580 siegreich durchgedrungene Styl der Malerei, wel-
■:A^'
*£:- Ä^i>4!0i'Hä*r*!^^
6g2
BarockscQlptar. Porträtbildungen.
eher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Der-
selbe zeigt zwei Haupteigeuschaften, weiche sich durchdringen und
gegenseitig bedingen: i) den Naturalismus der Formen
und der Auffassung des Geschehenden, edler in
der bolognesischen, gemeiner in der neapolitanischen Schule ausge-
prägt; 2) die Anwendung des Af f ectes um jeden Preis. Die Maler ver-
fahren naturalistisch, um eindringlich zu sein, und am Affect erfreut sie
wiederum nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirk-
liche, weil es zugleich so w i r k s a m war, eignete sich jetzt auch die
Sculptur an. Ihr Verhältniss zur Antike war fortan kein innigeres
als z. B, dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die
Entlehnung einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand
den Werth der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem ver-
stümmelten Pasquino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein
als Künstler drängte er nach einer ganz andern Seite hin.
Es versteht sich nun von selbst, dass er und seine Schule die-
jenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus
im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hieher gehört das
Porträt. Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und
halbfalschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die
beste Leistung dieser Kunst gewesen, und diess Verhältniss dauerte
nun in glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz,
Venedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser
Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Pa-
rallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisirt, aber
in freier, grossartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den grössten
idealen Aufgaben vertraute Sculptur kann. Wir dürfen um dieses
Reichthums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungsgabe
a überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im La-
b teran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In
c der Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines
spanischen Juristen Petrus Montoya (f 1630), eine edle leidende Phy-
siognomie von trefflichster Behandlung.
Ausserdem genügt der Naturalismus noch am ehesten in der Dar-
stellung des Kindes (zumal des italienischen), in dessen Wesen alle
mögliche Schönheit nur unbewusst als Natur vorhanden ist, und dessen
Kinder. Idealköpfe. Charakterköpfe.
693
Affcclc so einfach sind, dass man sie nicht wohl durch Pathos ver-
derben kann (was einzelne Künstler dennoch versucht haben). A 1 -
g a r d i und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten
Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von
letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfei- a
1er in S. Maria dell' Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern lässt
sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so be-
sinnungsloser Masse decorativ verbraucht, dass die Kunst es damit
allmählig leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von
Stucco zu Tausenden improvisirten Figuren dieser Art sehr viele wahre
und schöne Motive finden, die nur unter der manierirten und sorglosen
Einzelbildung zu Grunde gehen.
Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Werth, der
sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt.
Das XVII. Jahrhundert hatte wohl im Ganzen einen andern Begriff
von Schönheit als wir und legte namentlich den Accent des Liebreizes
auf eine andere Stelle, wovon Mehreres bei Anlass der Malerei; allein
desshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen A 1 g a r d i * s (z. B.
im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue der b
Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nicht c
ganz abstreiten dürfen. Hie und da ist die Einwirkung der (damals
noch in Rom befindlichen und vielstudirten) Niobetöchter nicht zu ver-
kennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern
geistigen Adel, nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt
und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B, mehrere
Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im
Ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer.
Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen
Maler, und zwar nicht der bessern. B e r n i n i selber steht dem Pietro
da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Indi-
viduen sind von jenem gemein-heroischen Ausdruck, der in der Ma-
lerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herr-
schend wurde. An seinem Constantin (unten an der Scala regia im d
Vatican) hat man den mittlem Durchschnitt dessen, was er für einen
würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villa e
Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Excess der cortonistischen Richtung.
694
Barockscalptur. Behandlang des Nackten.
Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im
allgemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der
Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett,
das allen wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur
a vollends widerlich wird. Die Art, wie Pluto's Finger in das Fleisch
der Proserpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere
Wirkung berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit,
b Apoll und Daphne (Villa Borghese, oberer Saal), ist bei aller Charakter-
losigkeit doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben,
dem Geschmack ihrer Besteller zu Liebe, nach dieser Richtung hin
auf jede V/eise raffinirt.
Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahlerische
Musculatur, die sich mit derjenigen Michelangelo's zu wett-
eifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elasti-
scher Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht.
Diess kömmt zum Theil wieder von der unglücklichen Politur her
(Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst au,sgeführten Statuen
c der grossen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der
so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behand-
lung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe
(1 ihm wahrhaft gemäss war, wie z. B. der Triton der Piazza Bar-
berini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnediess weg-
fiel, da genügt Bernini völHg. Er hat vielleicht überhaupt nichts Bes-
seres geschaffen als diese halbburleske Decorationsfigur, welche mit
Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie
so oft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen
Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich,
welche im idealen Alles verderben.
Andere Bildhauer waren auch in der Musculatur wahrer und na-
turalistischer, in der Epidermis mürber, aber desshalb nicht viel erquick-
licher. Eine grosse Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B.
e P u g e t ' s S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der
Heilige muss sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Uner-
hörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die meisten
Berninesken waren zu sehr blosse Decoratoren, um sich auf eine so
ernstliche Virtuosität einzulassen.
Gewandung. Amtstrachten.
695
Die G e w a n d u n g ist vollends eine wahrhaft traurige Seite dieses
Styles. Es bleibt ein Räthsel, dass Bernini zu Rom, in der täglichen
Gegenwart der schönsten Gewandstatuen des Alterthums sich so ver-
irrte. Allerdings konnten ihm Togafiguren und Musen nicht unbe-
dingt zum Vorbilde dienen, weil er lauter bewegte, affectvolle Motive
bearbeitete, die im Alterthum fast nur durch nackte Figuren reprä-
sentirt sind; allein auch seine Aufgaben zugegeben, hätte er die Ge-
wandung anders stylisiren müssen. Er componirt diese nämlich ganz
nach malerischen Massen und giebt ihren hohen, plastischen Werth
als Verdeutlichung des Körpermotives völlig Preis.
In Porträtstatuen, wo der Affect wegfiel und die Amtstracht
eine bestimmte Charakteristik der Stoffe verlangte, hat dieser Styl
Treffliches aufzuweisen. Seit Bernini's Papststatuen (Denkmäler Ur- a
bans VIII. und Alexanders VII. in S. Peter) legte sich die Sculptur b
mit einem wahren Stolz darauf, den schwerbrüchigen Purpur des ge-
stickten Palliums, die feinfaltige Alba, die Glanzstoffe der Ärmel, der
Tunica etc. in ihren Contrasten darzustellen. Von den Statuen Papst
Urbans ist diejenige am Grabe (im Chor von S. Peter) durch beson-
ders niedliche Einzelpartien dieser Art, durchbrochene Manschetten und
Säume etc., diejenige im grossen Saal des Conservatorenpalastes da- c
gegen durch kecke Effectberechnung auf die Ferne merkvnirdig. Auch
die Cardinalstracht wurde bisweilen gut und würdig behandelt (La- d
teran, Cap. Corsini). Fürsten, Krieger und Staatsmänner sind wenig-
stens im Durchschnitt besser als Engel und Heiüge, wo sie nicht durch
antike (und dann schlecht ideale) Tracht und heftige Bewegungen in
Nachtheil gerathen wie z. B. die meisten Reiterstatuen. Von den letz-
tern, sowie sie dem berninischen Styl angehören, reicht keine an den
grossen Kurfürsten auf der langen Brücke in Berlin. (Von Schlüter.)
Francesco Mocchi (f 1646), der etwa die Grenzscheide zwischen dem e
bisherigen und dem berninischen Styl bezeichnet, hat in Ross und
Reiter die äusserste Affection hineinzulegen gewusst. (Bronzedenk-
mäler des Alessandro und des Ranuccio Farnese auf dem grossen
Platz in Piacenza.) — An Grabmälern in den Kirchen findet man zahl-
reiche Halbfiguren, in welchen das lange Haar, der Kragen, die Amts-
tracht bisweilen mit dem ausdrucksvollen Kopf ein schönes Ganzes
ausmachen.
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696
BarocksGQlptnr. Idealtracht. Köosteleien.
Die ideale Tracht aber verschlingt den Körper in ihren wei-
ten {liegenden Massen und flatternden Enden, von welchen das Auge
recht gut weiss, dass sie factisch centnerschwer sind. Die Politur,
womit Bernini und viele seiner Nachfolger das ideale Gewand, zumal
himmlischer Personen, glaubten auszeichnen zu müssen, verderbt das-
selbe vollends. Es gewinnt ein Ansehen, als wäre es — man erlaube
die Vergleichung — mit dem Löffel in Mandelgallert gegraben. Thon-
figuren sind desshalb oft leidlicher als marmorne.
Bisweilen wurde aber auch auf ganz besondere Art mit der Ge-
wandung gekünstelt. Eine der unvermeidlichen Sehenswürdigkeiten
Neapels sind die drei von allen Neapolitanern (und auch von vielen
a Fremden) auf das höchste bewunderten Statuen in der Capelle der
S a n g r i , Duchi di S. Severo; sämmtlich um die Mitte des vorigen
Jahrh. gearbeitet. Von SanMartinoist der ganz verhüllte todte
Christus, eine Gestalt, welche zwar kein höheres Interesse hat, als
das Durchscheinen möglichst vieler Körperformen durch ein feines Lin-
nen, doch wird der Beschauer weiter nicht gestört. Von Corradini
ist die ganz verhüllte sog. Pudicitia, mit welcher es schon viel miss-
licher aussieht; ein Weib von ziemlich gemeinen Formen, die sich
vermöge der künstlichen Durchsichtigkeit der Hülle weit widriger auf-
drängen, als wenn die Person wirklich nackt gebildet wäre*). Von
dem Genuesen Q u e i r o 1 o aber ist die Gruppe ,,il disinganno, die Ent-
täuschung"; ein Mann (Porträt des Raimondo di Sangro) macht sich
aus einem grossmächtigen Stricknetze frei mit Hülfe eines höchst ab-
geschmackt herbeischwebenden Genius. Welche Marter an diesen
Arbeiten auch die meisselgewandteste Virtuosenhand ausstehen musste,
weiss nur ein Bildhauer ganz zu würdigen. Und bei all der Illusion
ist der geistige Gehalt null, die Formengebung gering und selbst elend.
Die Capelle ist noch mit andern Arbeiten dieser Zeit angefüllt. Wer
von da unmittelbar zur Incoronata geht, kann mit doppeltem Erstaunen
sich überzeugen, mit wie Wenigem das Höchste sich zur Erscheinung
bringen lässt,
*i) Von demselben Corradini steht eine verhüllte „Wahrheit " in der Galerie Manfrin zu
Venedig.
Der Affect.
697
Übrigens sind dieses seltene Ausnahmen. Der Barockstyl liebt
viel zu sehr das Massenhafte und in seinem Sinn glänzende Improvi-
siren, um sich häufig eine solche Mühe zu machen.
Welches war nun der Affect, dem zu Liebe Bernini die ewi-
gen Gesetze der Drapirung so bereitwillig preisgab? Bei Anlass der •
Malerei wird davon umständlicher gehandelt werden; denn bei dieser
ging ja die Sculptur jetzt in die Schule, Genug, dass nunmehr ein
falsches dramatisches Leben in die Sculptur fährt, dass sie mit der
Darstellung des blossen Seins nicht mehr zufrieden ist und um jeden
Preis ein Thun darstellen will; nur so glaubt sie etwas zu bedeu-
ten. Die heftige Bewegung wird, je weniger tiefere, innere Nothwen-
digkeit sie hat, desto absichtlicher in dem Gewände explicirt. Ging
man aber so weit, so war auch die plastische Composition überhaupt
nicht mehr zu retten. Die so schwer errungene Einsicht in die for-
malen Bedingungen, unter welchen allein die Statue schön sein kann,
das Bewusstsein des architektonischen Gesetzes, welches diese stoff-
gebundene Gattung allein beschützt und beseelt — diess ging für an-
derthalb Jahrhunderte verloren.
Schon für alle Einzelstatuen (geschweige denn für Gruppen) wird
nun irgend ein Moment angenommen, der ihre Bewegung begründen
soll. Bisweilen gab es freie Themata, welche aus keinem andern
Grunde gewählt wurden. So Bernini's schleudernder David (Villa «
Borghese), welcher die grösste äussere Spannung einer gemeinen ju-
gendlichen Natur ausdrückt. Aber welcher Moment sollte in die zahl-
losen Kirchenstatuen, in all die Engel und Heiligen gelegt werden, die
auf Balustraden, in Fassadennischen, in Nebennischen der Altäre
u. a. a. 0. zu stehen kamen? Die Aufgabe war keine geringe! Ber-
nini hatte z. B. mittelbar oder unmittelbar für die 162 Heiligen zu b
sorgen, welche auf den Colonnaden vor S. Peter stehen, und ähnliche,
wenn auch minder ausgedehnte Reihenfolgen kamen bei der Aus-
zierung von Gebäuden nicht selten in Arbeit.
Die Sculptur ging nun auch hier der Malerei getreulich nach und
nahm ihr den ekstatisch gesteigerten, durch Geberden ver-
Urcicerone. 45
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6g8
Barockscnlptnr. Ekstasen.
sinnlichten Gefühlsausdruck ab. Derselbe ist an sich gar wohl
darstellbar und könnte mit grosser Schönheit und Reinheit gegeben
werden. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt
und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Sculptur gefährlicher als
der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr
Abwechselung und neue Motivirung hineinbringen und das Auge be-
ständig von Neuem täuschen kann.
Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Sculptur an
ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken;
sie giebt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Conversation
machen kann; sie lässt den Apostel heftig in seinem vorgestützten
a Buche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. A. in
b den Pfeilernischen des Laterans); Mocchi's S. Veronica (in S. Peter)
c läuft eilig mit ihrem Schweisstuch; Bernini's Engel auf Ponte S. An-
gelo cokettiren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der
Kreuzinschrift von B. eigenhändig ausgeführt) ; u. dgl. m. — Im Allge-
meinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich
besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein
d inspirirtes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Bernini's
e Statuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capeila del voto des
Domes von Siena etc.) ; ein eifriges Betheuern und Schwören (Bernini's
f Longin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen
g der Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von
Giuseppe Rusconi, durch tiefern Ausdruck und gediegenere
h Ausführung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beate
Alessandro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.).
Es ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als be-
geisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich
namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknieen, theils mit
gesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff
von S. Ignazio zu Rom), theils mit einem solchen Blick nach oben,
dass man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine
k Hauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im
linken Querschiff ai Gesü, ist nur noch durch eine kupferversilberte
l Nachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter,
welcher es beim blossen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewen-
Martyrien. Attribute.
699
den lässt, ist ohnediess auch durch Mässigung der Form ein besseres
Werk.
Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Aus-
druckes mit einem je nach Umständen grässlichen körperlichen
Leiden. Die grosse Lieblingsaufgabe, S, Sebastian, welcher nackt
und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carig- ;
nano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichts-
losen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler
und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder wegge-
lassen (indem sie den bloss Gebundenen, noch nicht Durchschossenen
abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Se-
bastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das Stärkste aber bietet
(ebenda) ein anderer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholo- i
maus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm
gebunden, halb knieend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener
Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut
an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden
des Heiligen aufmerksam.
Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder
Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt — diess ist der
Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes
Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzugrosseBil-
d u n g im Verhältniss zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Sta- <
tuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, son-
derbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momen-
tanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz consequent auch die
Bildung der Attribute in demselben Verhältniss zur wirklichen
Grösse wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Lau-
rentius nur ein kleines Röstlein, der heil. Catharina ein Rädlein in die
Hand gegeben; jetzt weiss man von einer solchen andeutenden, symboli-
schen Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation han-
delt, an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muss
Laurentius einen mannslangen Rost, Catharina ein Wagenrad mit-
bekommen; soviel gehört nothwendig mit zur Illusion.
Indess giebt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so
oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung
45*
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700
Barocksculptar. Werke von reinerm Änsdrack.
ausgedrückt ist. So in der vielleicht besten Statue des XVII. Jahrh.,
a der H. Susanna des DuquesnoyinS. M. Loretto zu Rom;
sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten hält,
und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie eben-
bürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle Zeit-
genossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houttons hei-
bliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Haupt-
schiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auf-
fahren jene demüthige, innige Carthäuser-Devotion ganz einfach dar-
gestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Suevir
c einen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Bernini's heil. Bibiana
(in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens
einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben.
Sodann giebt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos,
in welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des
Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen —
namentlich wenn sie plastisch, ohne irgend ein sachliches Gegengewicht
vorgetragen werden — denken möge, immerhin sind die hieher ge-
hörenden liegenden Statuen Bernini's zu seinen besten Werken zu
d zählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu
Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini aus-
e geführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia
f zu Rom (unter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens
rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Sta-
tuen in andern Kirchen.
Von der Bildung einzelner Gestalten gehen wir über zu den
Gruppen, deren mehrere bereits beiläufig genannt worden sind.
Eine Kunstepoche, welche so grossen Werth auf das Momentane und
Dramatische legte und in allen Künsten so sehr auf Pomp und Pracht
ausging, musste eine entschiedene Vorliebe für grosse Marmorgruppen
haben. Da ihr aber die höhern Liniengesetze gleichgültig waren neben
dem Ausdruck der Wirklichkeit und des Momentes, so mussten in
der Regel verfehlte Werke zum Vorschein kommen.
Profane Gruppen. Brnnnengrappen. Grabgruppen.
701
In den Profangruppen wird das Capitel der mythischen
Entführungsscenen umständlich behandelt; Bernini gab schon in
seiner frühern Gruppe ,, Apoll und Daphne" (S. 694, b) dasjenige Über-
mass des Momentanen, womit jene Zeit glücklich zu machen war; ausser- a
dem gehört sein Pluto (S. 694, a) hieher. Mit der Zeit geriethen solche
Sujets in die Hände von Garten- Steinmetzen, und fielen dann bisweilen
so lächerlich aus, dass man das Anstössige völlig vergisst. Irgend
etwas von dem plastischen Ernste des Sabinerinnenraubes von Giov.
Bologna wird man im XVII. und XVIII. Jahrh. vergebens suchen.
Von den Brunnengruppen ist zum Theil schon die Rede ge-
wesen (S. 396 u. f.). In derjenigen auf Piazza Navona (S. 694, c) strebt b
Bernini nach dem Ausdruck elementarischer Naturgewalten in Michel-
angelo's Sinne, allein statt eines blossen gewaltigen Seins kann er
auch hier sein Pathos nicht unterdrücken, ein Nachtheil, welchen die
einfach tüchtige Detailarbeit nicht wieder gut machen kann. Hier
lernt man Giov. Bologna's Brunnen im Garten Boboli (S.683, b) schätzen,
welcher einen streng architektonischen Sinn in plastischen Gestalten
ausdrückt und keines irrationellen Elementes bedarf, wie in Bernini's
Werk der mit unsäglicher Schlauheit arrangirte Naturfels ist.
Ebenso muss man die Prachtgräber dieser Zeit mit ihrer
Art von Gruppenbildung kennen, um Michelangelo's Gräber in der Sa-
cristei von S. Lorenzo ganz zu würdigen. Bernini selber begann die
neue Reihe mit dem Grabmal Urbans VIII. im Chor von S. Peter, c
und endete mit demjenigen Alexanders VII. (über einer Thür seitwärts
vom linken Querschiff); der Typus des erstgenannten herrscht dann
weiter in den Grabmälern Leo's XI. (von Algardi), Innocenz XI. (von
Monnot), Gregors XIII. (erst lange nach dessen Tode errichtet, 1723,
von Camillo Rusconi, das beste der Reihe), und Benedicts XIV. (von
Pietro Bracci), wozu noch dasjenige Benedicts XIII. in der Minerva d
(ebenfalls von Bracci) und dasjenige Clemens XII. im Lateran (Gap. e
Corsini) zu rechnen sind.
Durchgängig das Beste oder Leidlichste sind natürlich die über
den Särgen thronenden, stehenden oder knieenden Porträtstatuen
der Päpste, zumal bei Bernini selbst. Im Übrigen aber wird die
Nische, in welcher der Sarcophag steht, nur als eine Art Schaubühne
behandelt, auf welcher Etwas vorgehen muss. Noch Gugl. della Porta
-- . .A:*;\^r'!*ii-!»*<^«;-jW*iÄi.WÄ>i»»<Jy-Ä*»^.*^^^ '
702
Barockscnlptnr. Grabmäler.
hatte seine „Klugheit" und „Gerechtigkeit" ruhig auf dem Sarcophag
Pauls III. lagern lassen, allerdings nicht mehr so unbekümmert um
den Beschauer wie Michelangelo's Tag, Nacht und Dämmerungen i) .
Seit Bernini aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine dra-
matische Scene aufführen; ihre Stelle ist desshalb nicht mehr
auf dem Sarcophag, sondern zu beiden Seiten, wo sie stehend oder
sitzend (und dann auffahrend) ihrem Affect freien Lauf lassen können.
Der Inhalt dieses Affectes soll meist Trauer und Jammer, Bewunde-
rung, verehrende Ekstase um den Verstorbenen sein, was denn jeder
Bildhauer auf seine Weise zu variiren sucht. — Die kirchliche Decenz
verlangte jetzt eine vollständige Bekleidung, sodass an diesen Gräbern
von S. Peter die ausgesuchtesten damaligen Draperiemotive zu finden
sind. Die Bravour im Nackten entschädigte sich durch beigegebene
Putten. Daneben bringt schon Bernini — wenn ich nicht irre, zum
erstenmal seit dem Mittelalter — die scheussliche Allegorie des Todes
« in Gestalt eines Skelettes vor; am Grabmal Urbans VIII. schreibt
dasselbe auf einen marmornen Zettel die Grabschrift zu Ende; am
Monument Abxanders VII. hebt es die colossale Draperie von gelb
und braun geflecktem Marmor empor, unter welcher sich die Thür
befindet. Leider fand gerade diese „Idee" sehr eifrige Nachbeter.
Bei Anlass dieses Extremes ist von den Allegorien Einiges
zu sagen, weil sie gerade für die Sepulcralsculptur als wesentlichste
Gedanken quelle betrachtet wurden; auch an Altären spielen sie oft die
erste Rolle. Die Prachtgräber und Altäre Italiens sind eben so voll
von verzweifelten Versuchen, dieses Element interessant zu machen,
wie eine gewisse Gattung der damaligen Poesie. Über die Stelle der
Allegorie in der Kunst überhaupt haben wir hier nicht zu entschei-
den. Ihre Unentbehrlichkeit in allen nicht-polytheistischen Zeitaltern
und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung zugegeben,
fragt es sich nur, wesshalb sie uns bei den Berninesken so ganz be-
sonders ungeniessbar erscheint?
Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraktion, haben eben
ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos
*) Die Grabtypen der Zwischenzeit siehe S. 689.
Allegorien der Grabmäler and Altäre.
703
und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen dar-
stellen, welche dasjenige empfinden, was sie vorstellen, allein er muss
diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Gestalt hin-
durchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur sie unbe-
denklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein, der sich
durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern pflegt.
Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Idealfiguren
dieses Styles, wenn sie aber auffahren, springen, einander an den
Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt diess unfehlbar
lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche Handeln
ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss sich zu-
frieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein verleihen kann.
Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagramen-
tales, wo fast lauter allegorische Personen handeln und welche doch
den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der Leser
steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spanischen
Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie, welche
schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifellose
Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte und die uns für
den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berninesken das
ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen. Sodann sind
es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen, nicht einzelne
in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es der Phantasie
des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dichters mit der edel-
sten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem Beschauer auf-
dringt, was sie vorräthig hat. — Übrigens empfindet man bei Rubens
bisweilen eine ähnüche, zum Glauben zwingende Gewalt der Allegorie
wie bei Calderon.
Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen
sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legros a
und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesü zu Rom:
die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die Abgötterei;
die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen repräsentirt.
Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und breit als clas-
sisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders komischen
Übelstand unterliegen dabei die weiblichen Allegorien des
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704
Barockscalptar. Allegorien.
Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häss-
liche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst
versteht, in Affect und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen u. s. w.
a Auf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus
de Curt) sieht man neben der Madonna u. a. eine fliehende ,, Zwie-
tracht", von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das hässlichste
alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon
der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher
Gestalt dargestellt. — Und dann kann überhaupt nur ein reiner Styl
wahrhaft grossartige Allegorien des Bösen schaffen.
Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen
zunächst der manierirten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Bei-
b spielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi
in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind:
Montani's Religion und Unschuld, und Spinazzi's Reue und Glaube;
der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art
der oben (S. 696, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die
Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, errathen
lässt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tief sinn
dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im
Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkennt-
lich macht und sich damit zu brüsten scheint, dass eben nicht der
Erste Beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den
c acht lächerlich manierirten Statuen klug zu werden, mit welchen Mi-
chele Ongaro die kostbare Capelle Vendramin in S. Pietro di Castello
zu Venedig verziert hat! (Ende d. 1. Querschiffes.) Mit allen Attri-
buten wird man die Bezüge des XVIL Jahrh. erst recht nicht errathen.
— ■ Ein anderer Missbrauch, der alle Theilnahme für diese allegorischen
Gebilde von vorn herein stört, ist die oben (S. 385 u. f.) gerügte Ver-
schwendung derselben für decorative Zwecke, zumal in
einer ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Frei-
sculptur gleich kömmt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen
der Bogenfüllungstugenden empfindet, fiihlt man dann auch für die
eigentlichen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen,
oder vollends für jene Fides, Caritas u. s. w,, welche nebst Putten und
Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzo's
Grabmäler als WandscolptareD.
705
Geschmack (S. 390) höchst gefährlich balancirend sitzen. (Ein Bei-
spiel von vielen in S. Petronio zu Bologna, 2. Cap. links.) Was uns a
besorgt macht, ist der Naturalismus ihrer Darstellung und die seil-
tänzerische Prätension auf ein wirkliches Verhältniss zu dem Räume,
wo sie sich befinden, d. h. auf ein wirkliches Sitzen, Stehen, Lehnen
an einer halsbrechenden Stelle. Für eine Statue des XIV. Jahrh.,
mit ihrem einfachen idealen Styl, ist dem Auge niemals bange, so hoch
und dünn auch das Spitzthürmchen sein mag, auf welchem sie steht.
Doch wir müssen noch einmal zu den Grabmälern zurückkehren.
Die Nachtreter haben Bernini weit überboten sowohl in der plastischen
als in der poetischen Rücksichtslosigkeit. Als sie einmal, wie bei
Anlass der Altargruppen weiter zu erörtern ist, die Gattungen der
Freisculptur und des Hochreliefs zu einer Zwitterstufe, der W a n d -
s c u 1 p t u r (sit venia verbo) vermengt hatten, war schlechterdings
Alles möglich. Bei der totalen Verwilderung des Styles rivalisirte
man jetzt fast nur noch in ,, Ideen", d. h. in Einfällen und, wer
seine Geschicklichkeit zeigen wollte, in naturalistischem Detail. Hier
halten weinende Putten ein Bildnissmedaillon; dort beugt sich ein
Prälat über sein Betpult hervor; ein verhülltes Gerippe öffnet den
Sarg; abwärts purzelnde Laster werden von einer Inschrifttafel er-
drückt, über welcher oben ein fader Posaunenengel mit einem Me-
daillon schwebt; für alle Arten von Raumabstufung müssen marmorne
Wolken herhalten, die aus der Wand hervorquellen, oder es flattern
grosse marmorne Draperien rings herum, für deren Brüche und Bau-
schen die Motivirung erst zu errathen ist. Statt aller Denkmäler
dieser Art nennen wir nur das der Maria Sobieska im linken Seiten- b
schiff von S. Peter, als eines der prächtigsten und sorgfältigsten (von
Pietro Bracci). — In Florenz ist die unter Foggini's Leitung decorirte c
(1692 vollendete) Cap. Feroni in der Annunziata (die zweite links)
ein wahres Prachtstück berninesker Allegorie und Formenbildung.
Als Grabcapelle des (in Amsterdam als Kaufmann reich gewordenen,
später in Florenz als Senator festgehaltenen) Francesco Feroni hätte
sie nur Eines Sarcophages bedurft; der Symmetrie zu Liebe wurden
es zweie; auf dem einen sitzen die Treue (mit dem grossen bronzenen
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706
Barocksculptur. Dogengräber.
Bildnissmedaillon) und die Schifffahrt, auf dem andern die Abundantia
maritima und der „Gedanke", ein nackter Alter mit Büchern; über
den Särgen stehen dort S. Franciscus, hier S. Dominicus; unter dem
Kuppelrand schweben Engel, in der Kuppel Putten. Und über diess
Alles ist doch Ein Styl ausgegossen und der Beschauer lässt sich we-
nigstens einen Augenblick täuschen, als gehöre es zusammen. (Das
a Altarbild von Carlo Lotti.)
In Venedig behielten die Dogengräber von der vorhergehenden
Epoche her die Form grosser Wandarchitekturen von zwei Ordnungen
bei, nur dass dieselben in noch viel colossalerm Massstab ausgeführt
wurden. Das Figürliche concentrirt sich hier nicht zu emer allego-
rischen Sarcophaggruppe, sondern vertheilt sich in einzeln aufgestellte
Statuen vor und zwischen den Säulen, in Reliefs an den Postamenten
u. s. w. Ganze Kirchenwände (am liebsten die Frontwand) werden
von diesen zum Theil ganz abscheulichen Decorationen in Beschlag
genommen. Unverzeihlich bleibt es zumal, dass die Besteller, was sie
an der Architektur ausgaben, an den armen Schluckern sparten, welche
die Sculpturen in Verding nahmen, sodass die elendesten Arbeiten des
berninischen Styles sich gerade in den venezianischen Kirchen finden
b müssen. Eine Ausnahme macht etwa das Mausoleum Valier im rech-
ten Seitenschiff von S, Giovanni e Paolo, wofür man wenigstens einen
der bessern Berninesken, Baratta, nebst andern Geringern in Anspruch
nahm. (Unter den obern Statuen u. a. eine Dogaressa in vollem Co-
stüm um 1700.) — Wie weit das Verlangen geht, überall recht be-
greiflich und wirklich zu sein, zeigt auf erheiternde Weise das im
c linken Seitenschiff der Frari befindliche Grabmal eines Dogen Pesaro
(t 1669). Vier Mohren tragen als Atlanten das Hauptgesimse; ihre
Stellung schien nicht genügend, um sie als Besiegte und Galeotten
darzustellen; der Künstler, ein gewisser Barthel, gab ihnen zerrissene
Hosen von weissem Marmor, durch deren Lücken die schwarzmarmor-
nen Kniee hervorgucken; er hatte aber auch genug Mitleid für sie
und Nachsicht für den Beschauer, um zwischen ihren Nacken und den
Sims dicke Kissen zu schieben; das Tragen thäte ihnen sonst zu wehe.
Von den Altargruppen sind zuerst die frei stehenden
zu betrachten. Die beste, welche mir vorgekommen ist, befindet sich in
Freistehende Altargrnppen. Wolken.
707
der Crypta unter der Capeila Corsini im Lateran zu Rom; es a
ist eine P i e t a von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichniss seiner Werke
bei Dominici.) Die delicate Behandlung des Marmors macht sich in
einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe
nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Composition
zu tadeln; im Übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem,
innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedanken werth
den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der
Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen
Styl zu bändigen und zu veredeln wusste, zeigt auch der Christus- b
leichnam in der Crypta des Domes von Capua.
Allein diess waren Werke für geschlossene Räume mit beson-
derer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu
stehen kommen? Nicht Jeder war so naiv wie Algardi, der für den
Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis in c
zwei colossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man
vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der
Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Ge-
stalten hätte verleihen können, eine grossartige, echt ideale Bildung
mit reinem und erhabenem Ausdruck — diese zu schaffen war das
Jahrhundert nicht mehr angethan; der Inhalt des Altarwerkes musste
ein anderer sein. Vor Allem musste der pathetische und ekstatische
Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischen-
figuren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variirt
hatte, in der Altarsculptur consequenter Weise seinen Höhepunkt er-
reichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte.
Hier beginnt die Nothwendigkeit der Zuthaten; die betreffende Haupt-
figur, die man am liebsten ganz frei schweben Hesse, schmachtet sehn-
süchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von
Engeln und Putten benützt werden. Als aber einmal die Marmorwolke
als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war,
wurde Alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der da-
maligen Sculptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus
scheinen sie — allerdings irriger Weise — nach dem Qualm von bren-
nendem feuchtem Maisstroh u, dgl. modellirt zu haben. Die Altäre
italienischer Kirchen sind nun sehr reich an kostbaren Schwebegrup-
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708
Barockscnlptar. Freistehende Altargrnppen.
pen^) dieser Art. Es ist hauptsächlich die von Engeln gen Himmel
getragene Assunta, wie sie etwa Guido Reni aufgefasst hatte, mit ge-
kreuzten oder ausgestreckten Armen und im letztern Fall sogar oft
eher declamatorisch als ekstatisch. Oder der Kirchenheilige in einer
a Engelglorie. In Genua z. B. kam es so weit, dass fast kein Haupt-
altar mehr ohne eine solche Gruppe blieb. Man sieht dergleichen von
Puget auf dem Hauptaltar der Kirche des Albergo de' Poveri, von
Domenico und Filippo Parodi und Andern auf den Altären von S.
b Maria di Castello, S. Pancrazio, S. Carlo etc. Das Auge hält sie von
Weitem für Phantasieornamente und kann sie erst in der Nähe ent-
ziffern. Die halbe Illusion, welche sie erreichen, steht im widerlich-
sten Missverhältniss zu der ganzen Illusion, nach welcher die Decken-
fresken streben; oft bilden sie eine dunkle Silhouette gegen einen
lichten Chor; ausserdem steht ihre Proportion in gar keiner Beziehung
zu den Proportionen aller andern Bildwerke der Kirche; sie hätten
eigentlich höchst colossal gebildet werden müssen. Danken wir gleich-
wohl dem Himmel, dass diess nicht geschehen ist. — Eine unterste
c Stufe der Ausartung bezeichnet nach dieser Seite T i c c i a t i ' s Altar-
gruppe im Baptisterium von Florenz (1732). Von den für schwebend
geltenden Engeln trägt der eine die Wolke, auf welcher Johannes
d. T. kniet; der andere stützt sie mit dem Rücken; ein Stück Wolke
quillt bis über den Sockel herunter. Auf gemeinere Weise Hess sich
das Übersinnliche nicht versinnlichen, selbst abgesehen von der süss-
lich unwahren Formenbildung. -^ Auf dem Hochaltar der Jesuiten-
d kirche zu Venedig sieht man Christus und Gottvater sehr künstlich
balancirend auf der von Engeln mit sehr wirklicher Anstrengung ge-
tragenen Weltkugel sitzen; es wäre nun gar zu einfach gewesen, die
Engel auf dem Boden stehen zu lassen — sie schweben auf Marmor-
wolken.
Bei solchen Excessen mussten die Klügern auf den Gedanken
kommen, dass es besser wäre, die freistehende Gruppe ganz aufzu-
') Der berühmte jetztlebende amerilcanische Bildhauer Crawford, der seine Figuren auch
gerne schweben lässt, giebt dem Schweben eine Richtung seitwärts, vom Postament
weg. Solches geschieht heut zu Tage in Rom, doch glücklicher Weise noch nicht
für europäische Kunstfreunde.
AltargrappeD als Wandscalptaren.
709
geben, als ihre Gesetze noch länger mit Füssen zu treten. Und nun
wird endlich das rein malerische Princip zugestanden in vielen Altar-
gruppen, welche nicht mehr frei hinter dem Altar stehen, sondern in
einer Nische dergestalt angebracht sind, dass sie ohne dieselbe nicht
denkbar wären. Sie sind nämlich ganz als Gemälde componirt, selbst
ohne Zusammenhang der Figuren, mit Preisgebung aller plastischen
Gesetze. Von den Wänden der Nische aus schweben z. B. Wolken
in verschiedenen Distanzen her, auf welchen zerstreut Madonna, Engel, a
S. Augustin und S. Monica in Ekstase sitzen, kauern, knieen u. s. w.
(Altar des rechten Querschiffes in S. Maria della consolazione in Ge-
nua, von Schlaf fino um 1718.) Aus den hundert andern Gruppen
dieser Wandsculptur heben wir nur noch zwei in Rom befind-
liche besonders hervor: die Wohlthätigkeit des heil. Augustin (Altar b
des linken Querschiffes in S. Agostino), von dem Malteser Melchiorre
Gafa, wegen der fleissigen Arbeit und eines Restes von Naivetät — und
die berühmte Verzückung der heil. Teresa (im linken Quer- c
schiff von S.M. della Vittoria), von Bernini. In hysterischer Ohnmacht,
mit gebrochenem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend streckt die
Heilige ihre Glieder von sich, während ein lüsterner Engel mit dem
Pfeil (d. h. dem Sinnbild der göttlichen Liebe) auf sie zielt. Hier
vergisst man freilich alle blossen Stylfragen über der empörenden De-
gradation des Übernatürlichen.
Da überall die Absicht auf Illusion mitspielt, so scheut sich auch
die Sculptur so wenig als die decorirende Malerei (S. 389), ihre Ge-
stalten bei Gelegenheit weit aus dem Rahmen heraustreten zu lassen,
überhaupt keine architektonische Einfassung mehr anzuerkennen. Es
genügt, auf Bernini's ,,C a t e d r a" (hinten im Chor von S. Peter) zu d
verweisen, welche unten als Freigruppe der vier Kirchenlehrer an-
fängt, um oben als Wanddecoration um ein Ovalfenster (Engeischaaren
zwischen Wolken und Strahlen vertheilt) zu schliessen. Es ist das
rohste Werk des Meisters, eine blosse Decoration und Improvisation;
er hätte wenigstens nicht zum Vergleich mit der danebenstehenden so-
lidem Arbeit seiner eignen frühern Zeit, dem Denkmal Urbans VIII.,
so unvorsichtig auffordern sollen.
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710
Barokscalptar. Farbige Bemalung.
Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine
eigenen Consequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines
möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein
soll, so gebe er die letzten academischen Vorurtheile über Linien,
über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirk-
liche hin, d.h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter,
dann die realistischen florentinischen Bildner des XV. Jahrh., die
Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weit ge-
gangen; überdiess wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit
für sich haben und einer Popularität geniessen, um welche man es
zu wenig beneidet.
Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von
Holz, Stucco und Stein. Wer .sich von Bildhauern irgend etwas dünkte,
wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu thun haben; die
academische Kunst schloss kein Verhältniss mehr mit ihr; sie
mied die Verwandtschaft und Concurrenz mit jenen periodisch neu
drapirten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären
neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich
doch ein schönes Talent in die bemalte Sculptur und leistet darin
Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser
Art, Maragliano, dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als
die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überliess ihm meist eine
ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar,
in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische
Gruppe, vielmehr bloss malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er
auch dazu das Recht, während jene Sculptoren in Marmor, die ihre
Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervor-
brachten. — Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte
ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Ma-
terial ist, wie ich glaube, bloss Holz (bei grössern Figuren von zu-
sammengenieteten Blöcken), ohne Nachhülfe mit Stucco.
Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien,
welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages
in den Kirchen (im Kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt wer-
den; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeu-
tenden Talent, mit Fleiss und Liebe durchgeführt. Maragliano ist
IWaragliano. Das Relief.
711
bisweilen wahr, schön und ausdrucksvoll, wie ich mich nicht erinnere
irgend einen seiner Fachgenossen gefunden zu haben. Seine Gattung
passte hauptsächlich gut für Capuzinerkirchen, die den reichern
Schmuck schon durch die vorgeschriebenen hölzernen Rahmen, Git-
ter etc. ausschliessen. Seine besten Altargruppen zu Genua: S. An- a
nunziata, Querschiff links; — S. Stefano, im Anbau; — S. Maria della b
Pace: im Chor eine grosse Assunta mit S. Franz und S. Bernardin, c
in der 2. Cap. rechts S. Franz, der die Wundmale erhält, ausserdem
linkes Querschiff und 2. Cap. links (in der 3. Cap. rechts eine Gruppe
desselben Styles von Pas quäle Navone); — in Madonna delle Vigne, d
Cap. links neben dem Chor: ein Crucifix und die in ihrer Art vor-
trefflichen Statuen der Maria und des Johannes; — Capuzinerkirche, c
Querschiff rechts. — U. a. a. 0.
Nicht umsonst kam z. B. Legros in der Statue des heil. Stanislas f
Kostka (in einer Kapelle des Noviziates S. Andrea zu Rom) auf die
(allerdings fehlgegriffene) Zusammensetzung aus verschiedenen Mar-
morarten zurück. Wie, wenn man einmal zur Probe versuchte, ber-
ninische Sculpturen zu bemalen? ob sie nicht gewinnen würden?
Die Gattung starb auch später nie ganz aus; für kleine Genre-
figuren von Wachsmasse und von Thon wird sie vollends immer fort-
dauern. Es ist bekannt, welche trefflichen Arbeiten in diesem Fache
Mexico liefert (Costümbilder und heilige Gegenstände); aber auch
Sicilien hat bis auf unsere Zeit wahre Künstler dieser Art, wie Ma-
tera und B. Palermo gehabt.
Was kann das Relief in dieser Periode bedeuten? Schon seit
dem XV. Jahrh. seines einzig wahren Stylprincipes beraubt und zum
Gemälde in Marmor oder Erz herabgesetzt, muss es jetzt, mit der
manierirt-naturalistischen Auffassung und Formbehandlung der Ber-
ninesken, doppelt im Nachtheil sein. Überdiess kann man fragen,
was eigentlich noch Relief heissen dürfe, seitdem die Gruppensculptur
zu einer Wand- und Nischendecoration geworden? seitdem ganze
Capellenwände mit Scenen von stark ausgeladenen lebensgrossen
Stuccofiguren bedeckt werden? Man nennt z. B. Algardi's Attila (S. g
Peter, Cap. Leo's des Grossen) ,,das grösste Relief der neuern Kunst";
712
Barolscalptnr. Relief.
es sollte eher eine Wandgruppe heissen. Übrigens ist A 1 g a r d i ,
beiläufig gesagt, immer eines Blickes werth, weil er das Detail
gewissenhafter behandelt und einen Rest naiven Schönheitssinnes
übrig hat.
Nächst ihm ist der Bolognese Giuseppe Mazza insoweit einer
der Bessern im Relief, als die bolognesische Malerschule in der Com-
position die meisten übrigen Maler überragt. Ausser zahlreichen Ar-
a beiten in den Kirchen seiner Vaterstadt hat er in S. Giovanni e Paolo
zu Venedig (letzte Cap. des rechten Seitenschiffes) in sechs grossen
Bronzereliefs das Leben des heil. Dominicus geschildert; nimmt man
die obern zwei Drittheile mit den Glorien weg, so bleiben ganz tüch-
tige Compositionen übrig, zumal die mit dem Tode des Heiligen.
Dagegen giebt es von Mazza Arbeiten in mehrern Kirchen seiner
Vaterstadt, die nicht besser sind als Anderes aus dieser Zeit.
Für Florenz sind am ehesten zu nennen die drei grossen Altar-
b reliefs des Foggini in der Cap. Corsini im Carmine (Querschiff links).
Süssliche Engelchen schieben die Wolken, auf welchen der verhim-
melte Heilige kniet; in dem Schlachtrelief sprengen die Besiegten
links aus dem Rahmen heraus; überall bemerkt man Reminiscenzen
aus Gemälden. Und dabei sind es doch von den tüchtigsten Arbeiten
oder ganzen Richtung. — In Rom gewährt S. Peter (ausser dem ge-
nannten Relief Algardi's) noch in einer Anzahl kleinerer Sarcophag-
reliefs an den Grabmälern und in Bernini's Relief über dem Haupt-
portal eine Übersicht derjenigen Geschmacksvariationen, welche dann
für die übrige Welt massgebend wurden. — Die Reliefs über den
d Apostelstatuen im Lateran sind von Algardi und seinen Zeitgenossen
entworfen.
Um die Mitte des XVHL Jahrh. beginnt der Styl sich etwas zu
bessern; während die Auffassung im Ganzen noch dieselbe bleibt,
hören die schlimmsten Excesse des Naturalismus und der davon ab-
geleiteten Manier allmälig auf. Das Raffiniren auf Illusion, welches
noch kurz vorher (S. 696, a) seine Triumphe über die besiegte Schwie-
rigkeit gefeiert, macht einer ruhigem Eleganz Platz. Von diesen Zeit-
genossen eines Rafael Mengs sind natürlich nur wenige zu einigem
Ausgang des Barockstyls.
713
Namen gelangt, weil ihnen die wahre Originalität fehlte. (In Genua
sind mir mehrere Arbeiten des Niccolö Traversoz. B. im Chor «
des Angelo Custode aufgefallen.)
Das grosse Verdienst C a n o v a ' s lag darin, dass er nicht bloss
im Einzelnen anders stylisirte als die Vorgänger, sondern die ganze
Aufgabe neu im Sinne der ewigen Gesetze seiner Kunst aufzufassen
suchte. Sein Denkmal Clemens XIV. (im linken Seitenschiff von SS. b
Apostoli zu Rom) war eine Revolution nicht bloss für die Sculptur.
Wie man immer vom absoluten Werth seiner Arbeiten denken möge,
kunsthistorisch ist er der Markstein einer neuen Welt.
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