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Full text of "Riga und Reval"

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BERÜHMTE 
KUNSTSTÄTTEN 

BAND 42 . RIGA UND REVAL 



H 




I" 




RIGA UND 
REVAL 






VON WILHELM NEUMANN 






MIT 121 ABBILDUNGEN 












LEIPZIG 1908 






VhKLACj VOM h. A. IShhMAJN JN 




II 




11 



Druck von Ernst Hedridi Nadif., G. m. b. H., Leipzig 



1 




Abb. 1. Riga um 1650. 



RIGA 

RIGA dankt feinen Urfprung dem deutfdien Oftfeehandel und 
hat feine größte Machtfülle als Mitglied des Hanfebundes 
gefehen. Ein vortreffliches Bild von dem Ausfehen Rigas 
als deutfche Hanfeftadt bietet ein aus dem Jahre 1612 flammender, 
aus drei großen Folioblättern beftehender Kupferftich im Dom- 
mufeum zu Riga. Er wurde in der Offizin des erften Rigafchen 
Buchdruckers Nikolas Molyn hergeftellt und trägt die Überfdirift: 
„Vera delineatio celeberrimae civitatis Rigensis Livoniae metro- 
polis". Diefer mit großer Sorgfalt hergeftellte Stich, der urfprüng- 
lich aus vier Blättern beftand, ift heute ein Unikum. Wir fehen 
die Stadt von der Dünafeite, die hohe Umwallung und Pallifa- 
dierung längs des Fluffes, hinter diefer die alte Stadtmauer mit 
ihren Türmen, und über den Mauergürtel hinausragend die 
zackigen mittelalterlichen Giebel der Häufer, die fchlanken Türme 

Riga u. Reval 1 



2 



Riga 



der Kirchen und des Rathaufes. Vor dem Wall dehnt fidi der 
Kai, gewöhnlich „die Kaje" genannt, von Menfdien wimmelnd. 
Im Norden der Stadt, durch einen Graben von ihr getrennt, er- 
hebt (ich die turmbewehrte Burg des Deutfchen Ordens. In der 
Ferne, außerhalb der Umwallung breiten lieh die Vororte aus; 
hinter dem Häufermeer erkennt man die Windmühlen der Stadt 
und hinter St. Johann die gefürchtete Richtftätte mit Galgen und 
Rad. Im Vordergrunde die Düna, bedeckt mit kleinen und großen 
SegelfchifFen, mit Booten und Flöflen. Auch ein Rigafches Kriegs- 
fchiff ankert im Strom. Und damit nichts dem Bilde fehle, hat 
der biedere Stecher auch das diesfeitige Ufer dargeftellt mit feinen 
kleinen zerftreut liegenden Häuschen und feinen von Pallifaden 
umfchlolfenen Gehöften, den „Höfchen" im Volksmund, wo der be- 
güterte Bürger im Sommer feine Erholung fuchte. Auch den alten 
roten Wachtturm neben der Marienmühle hat er nicht vergeffen. 
Daneben zeigt er uns die modifche Tracht jener Tage in einer 
luftig daherfchreitenden Gefellfchaft von Damen und Herren aus 
den vornehmen Bürgerkreifen, die hier in üppiger fpanifcher Tracht 
prunkt. Ein Herr fchlägt die Laute. Weiter fleht man Gruppen 
von Bürgern und Kaufherren, auch den lettifchen Bauern neben 
der Bäuerin. — In den Wolken gruppiert fich eine große alle- 
gorifche Gefellfchaft um das Wappen des Königreichs Polen, dem 
Riga zu jener Zeit fchon dreißig Jahre unterworfen war. Zwei 
geflügelte Genien halten die Krone über dem Wappen, zu deflen 
Seiten bedeutfam links Neptun, rechts Merkur flehen. Neptun 
deutet auf eine von links mit ihren Waren nahende Gruppe 
fremder Völkerfchaften, Merkur hält einen ftraff gefüllten Geld- 
beutel den von rechts ihm mit ihren Waren entgegenkommenden 
Vertretern der heimifchen Völkerfchaften entgegen. Die Stärke 
zu Meer und zu Lande, weibliche Figuren auf Wolken thronend 
mit entfprechenden Attributen Abließen fich zu beiden Seiten der 
Mittelgruppe an; dann folgt rechts das von Fahnen fdiwenkenden 
Putten umgaukelte Wappen von Riga, dem links wahrfcheinlich 
das Wappen von Livland entfprochen hat, und fchließlich in einer 
fchwungvoll gezeichneten Umrahmung ein begeifterter lateinifcher 
Hymnus auf die alte prächtige Hanfeftadt, verfaßt von dem da- 
maligen Oberpaftor der Domkirche Mag. Hermann Samfon. Wahr- 
lich, ein ftolzes Städtebild! 

Die Stadt hatte trotj der langwierigen Kriege, die dem Unter- 



Gefdiiditlidies 



3 



gange der livländifdien 
Selbftändigkeit vorausgin- 
gen und mit der Zerftücke- 
lung des Landes ihr Ende 
fanden, wenn audi fdiwer 
gelitten, doch noch nicht 
ihre alte Bedeutung als 
reiche Handelsftadt und als 
einftiges wichtiges Mitglied 
im Kranze der Hanfaftädte 
verloren; fie hatte es fogar 
möglich gemacht, fleh zwan- 
zig Jahre lang gegen Polen, 
das fich faft ganz Livland 
unterworfen hatte, als deut- 
fche freie Reichsftadt zu be- 
haupten, hatte aber fdiließ- 
lidi doch, als auch die letjte 
Hoffnung auf deutfehe Hilfe 
dahing efchwunden war, nach 
langem Feilfchen um ihre 
Rechte und erworbenen 
Privilegien am 7. April 1581 
dem Polenkönige Stephan 
Batory huldigen muffen. 

Nach furchtbaren Kämp- 
fen gewann endlich Schwe- 
den, das feit 1562 fchon 
Eftland befaß, auch den 
Hauptteil Livlands, und am 
16. September 1621 hielt 
König Guftav Adolf feinen 
Einzug in Riga. Das an- 
fänglich milde fdiwedifche 
Regiment fchien lindern- 
den Balfam in die Wunden des zerfchlagenen Landes und der 
Stadt gießen zu wollen, aber die Kriege, die Guftav Adolf um die 
Großmaditftellung Schwedens führte, kofteten Geld, und Riga, das 
zur zweiten Hauptftadt des fchwedifchen Reichs erhoben worden 




1* 



4 



Riga 



war, mußte diefe Ehre mit Geld aufwägen, ebenfo wie Reval, 
das fich in noch fchlimmerer finanzieller Lage befand. 

Audi der öftlidie Nachbar, der fchon feit dem Beginn des 
16. Jahrhunderts die begehrlichen Blicke auf das wohlhabende 
Land gerichtet hielt, vorläufig aber noch in Schranken gehalten 
worden war, begann von neuem feine Beutezüge. Doch noch war 
feine Zeit nicht gekommen; noch konnten die Einfälle ruffifdier 
Heere zurückgewiefen werden. Aber der Drang nach Wellen, 
nach dem Befitj der Oftfeeküften blieb als eine der Hauptaufgaben 
in der Politik Rußlands beliehen. Erft Zar Peter, den die Ge- 
fchichte den Großen nennt, hat diefe Aufgabe gelöft, als er auf 
dem Schlachtfelde von Poltawa feinen gewaltigen Gegner, Karl XII. 
von Schweden, wiederwarf. Am 4. Juli 1710 kapitulierte Riga, das 
vom 14. bis 27. Juni ein furchtbares Bombardement ausgehalten 
und gegen 22 000 Menfchen durch den Tod verloren hatte. Am 
10. Juli empfing der fiegreiche ruffifche Feldherr Scheremejew die 
goldenen Sdilüffel der Stadt. (Abb. 3.) 

Von den glanzvollen Tagen aus der Hanfezeit zeugen nur noch 
die alten Kirchen, wenige alte Privatgebäude, fpärliche Refte der 
ehemaligen Stadtbefeftigung und die malerifch fich krümmenden 
Straßen der innern Stadt. Hier und da ein verträumter Winkel 
in der Nähe der vom Hauptverkehr unberührt gebliebenen Kirchen. 
An die Stelle der ehemaligen die Stadt umgürtenden Wälle find 
freundliche Gartenanlagen getreten und an Stelle der alten hoch- 
giebligen Kaufmannshäufer erheben fich mit jedem Jahre mehr 
dem modernen Bedürfnis und Gefchmack entfprechende Bauten. 



Deutfche Kauffahrer hatten in der zweiten Hälfte des 12. Jahr- 
hunderts den Weg in die Düna gefunden, hatten mit den 
an den Ufern des Stromes anfäffigen Liven Handelsbezie- 
hungen angeknüpft und diefe weiter gepflegt. Dem Handel 
folgte die Chriftianifierung. Den Kauffahrern hatte fich 1184 ein 
betagter Auguftinermönch aus dem holfteinifchen Klofter Seege- 
berg, Meinhard mit Namen, angefchloflen, um den heidnifchen 
Liven das Evangelium zu predigen. Seine befcheidenen Erfolge 
wurden ihm vom Erzbifchof Hartwig von Bremen mit der Er- 
hebung zum Bifchof von Livland vergolten, und vor allem wohl 
aus dem Grunde, um dem Erzbistum Bremen die Metropolitan- 



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Riga 



gewalt über das Livenland zu fiebern. Nach zwölfjähriger uner- 
müdlicher Tätigkeit ftarb Meinhard und fand fein Grab in der 
kleinen von ihm erbauten Kirche zu Ykeskola, dem heutigen 
Üxküll, 20 km ftromaufwärts von Riga. Sein Nachfolger, der ehe- 
malige Abt des Klofters Loccum, Berthold, gelangte nicht in den 
Befitj feines Bistums; er fiel im Kampf mit den dem Glauben 
abtrünnig gewordenen Liven und an feiner Stelle ernannte Erz- 
bifchof Hartwig IL von Bremen feinen Schwefterfohn, den Bremer 
Domherrn Albert, einen weltklugen Staatsmann, in dem Livland 
den Begründer feines Staatswefens und feiner Hauptftadt Riga 
verehrt*). 

Albert trat mit anderen Machtmitteln auf als feine Vorgänger, 
weil fein Augenmerk von vornherein auf die Errichtung eines 
f eftgefügten Staatswefens abzielte, in dem die bekehrten Liven 
erft in zweiter Linie zählten. Deshalb konnte ihm auch der kleine 
Bifchofsfitj in Ykeskola nicht genügen, ganz abgefehen von der 
Vorfchrift des kanonifchen Rechts, wonach Bifchöfe ihre Refidenz 
nur in volkreichen Ortfchaften haben follen. Die Gründung einer 
Stadt, die dem Kaufmanne einen guten Hafen und einen fidleren 
Stapelplatz für feine Waren bot, die ihm die Möglichkeit ge- 
währte, unter ihrem Schutj feinen Handel weiter ins Land aus- 
zudehnen, die als wohlbefeftigter Platj den Mittelpunkt kriegeri- 
fcher Unternehmungen zur Eroberung weiterer Landteile bilden 
konnte, fie gehörte zu Alberts erften Unternehmungen, nachdem 
neue Verträge mit den Liven gefchloflen worden waren. 

Etwa vier Kilometer von der Mündung der Düna ins Meer, auf 
einer Ebene am Fuße einer mäßigen, jetjt verfchwundenen An- 
höhe, da wo ein kleines, in die Düna fich ergießendes Flüßchen, 
der Rigebach, die Anlage eines Hafens verftattete, fand Albert 
den geeigneten Plat; zur Anlage feiner bifchöflichen Refidenz, der 
„stat tho der Ryge". 

Unter der Beihilfe der Kreuzfahrer und Pilgrimme, mit deren 
Hilfe Albert im Lande wieder feften Fuß gefaßt hatte, begann im 
Frühling 1201 der Bau der Stadt. Und während man am Düna- 
geftade fleißig mit der Aufführung der notwendigften Bauten be- 

*) Über das Leben diefes bedeutenden Mannes und feine umfaffende Tätigkeit 
find wir gut unterrichtet durch einen feiner Zeitgenoflen, den Priefter Heinrich, 
von Lettland zubenannt, deffen Chronik zugleich die vorzügliche Quelle für die 
livländifche Gefchichte bis zum Jahre 1227 ift. 



Der Stadtplan 



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fdiäftigt war, warb des Bifdiofs Bruder Engelbert, ein Ordens- 
geiftlicher aus Neumünfter in Holftein, die erften Bürger für die 
neue Stadt,- in den norddeutfdien Gebieten an. 

Im Frühling des nädiften Jahres landete er mit ihnen in Liv- 
land, und zufehends wuchs von nun ab der Strom der deutfchen 
Einwanderer, angezogen durch die gefchäftlichen Vorteile, die 
Albert durch die Gewährung verfchiedener Privilegien in bezug auf 
Zoll, Münze und Gerichtsbarkeit: den Handeltreibenden und Hand- 
werkern zu bieten wußte. Schon nach einem Jahrzehnt machte 
fleh das Bedürfnis nach Wohnplätjen außerhalb der Stadtmauern 
geltend, obgleich es an Angriffen feindlich gefinnter nachbarlicher 
Völkerfchaften auf die Stadt nicht gefehlt hatte. Im Jahre 1225 
erhob der deutfehe König Heinrich Albert zum deutfchen Reichs- 
fürften, und feit dem Frühling 1226 befaß Riga Bürgermeifter 
und Rat. 

Alberts Stadtplan nutjte die durch die Waflerflüfle gegebene 
Lage in glücklichfter Weife aus. Im Nordoften und Südoften bil- 
dete der Rigebach, im Südweften der mächtige Dünaftrom die 
natürliche Grenze und den Waflerfdiufj der Stadt. Im Nordweften 
wurde der Waflerfchut} durch die Aushebung eines Wallgrabens 
erreicht, der aus heute nicht mehr mit Sicherheit feftftellbaren 
Urfachen in gekrümmter Linie vom Rigebache, dem Zuge der 
heutigen Pferdeftraße, und der Rofenftraße folgend, dann etwa in 
der Mitte des Häuferblocks zwifchen der gr. Neuftraße und der 
gr. Jungfernftraße zur Düna hinlief. Ziemlich im Mittelpunkt 
diefes von Wafterläufen umzogenen verhältnismäßig kleinen 
Planes ordnete Albert den Bau der Pfarrkirche an, die er dem 
heil. Petrus weihte, und öftlidi daran, in der Nähe der Stadt- 
mauer, etwa auf dem Grunde der heutigen St. Johanniskirche, 
wurden der bifchöfliche Dom, die Wohnungen des Domkapitels 
und die bifchöfliche Pfalz erbaut, alle natürlich vorläufig aus Holz. 
Die Ausführung in Stein mußte kommenden Zeiten vorbehalten 
bleiben. Nur die Stadtmauer wurde, wie auch Alberts Gefchichts- 
fchreiber ausdrücklich hervorhebt, fogleich aus Stein gebaut, jedoch 
vorläufig nur zu mäßiger Höhe aufgeführt, um den notwendigften 
Schutj zu gewähren. In den Jahren 1207 und 1209 wird von Er- 
höhungen der Stadtmauer gefprochen. 

Es läßt fich mit ziemlicher Sicherheit aus dem alten Stadtplan 
ablefen, wie die erften Bewohner fich um die Pfarrkirche anfie- 



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Riga 



delten und wie allmählich drei einander nahezu parallel laufende 
Hauptftraßen entftanden, die als Verbindungen zwifchen der Düna 
und dem Bifchofshof die neue Anfiedlung durdifchnitten, die platea 
divitum oder Rikenftrate (Reichenftraße), jetjt bezeichnenderweife 
„Sünderftraße" genannt, die platea porcorum oder Swyneftrate, 
d. i. Schweineftraße, die fich in Schwimmftraße verfeinert hat, und 
die platea marschalci, die jetzige Marftallftraße. Nach Südoften 
ift die Befiedlung erft fpäter vorgedrungen, denn hier lag bei 
Gründung der Stadt noch ein Ellernbruch, in dem viele Biber ihr 
Wefen getrieben haben müflen. Das „Ellernbrok" wird in älteren 
Stadtbüchern mehrfach genannt, auch trug ein in der Nähe be- 
legener Turm der Stadtbefeftigung den Namen „Ellerbrokturm". 
Für den Aufenthalt von Bibern in diefem Bruch fpricht die heu- 
tige Weberftraße, die einft durch den Bruch führte und im Laufe 
der Zeit aus einer platea castorum oder Bewerftrate, d. i. Biber- 
ftraße zur Weberftraße geworden ift. 

Die weitere Ausdehnung der Befiedlung hat ziemlich kon- 
zentrifch um die Weftecke des St. Jürgenshofes, der Niederlafiung 
der Brüder des Schwertordens, des heutigen Konvents zum heil. 
Geift, ftattgefunden. Die kleine Münzftraße und die Kaufftraße, 
radial durdifchnitten von der zum Markt führenden platea ce- 
menti oder Kalkftraße, die auch nordwärts ins Land führte, und 
der platea sutorum oder Schohftrate, jetjt Scheunenftraße, die als 
Fortfetjung der platea marcellorum, der Scharrenftraße vom 
Bifchofs- und St. Jürgenshof her die Verbindung mit der nord- 
weftlidi von der Stadt allmählich entftehenden villa extra muros 
vermittelte, laflen fich als die nächften Straßenzüge erkennen. Erft 
zulegt fcheint das Weftviertel, wo heute das Rathaus und der 
Markt fich befinden, befiedelt zu fein. Das erfte Rathaus ftand 
noch in der Kaufftraße, und das erfte Gildenhaus der Kaufleute 
wurde in der Nordecke des Stadtgebiets erbaut. 

In der Faftenzeit des Jahres 1215 zerftörte ein in der Nacht 
ausgebrochener Brand einen Teil der Stadt und den Dom. Es 
brannte, wie der Chronift Heinrich von Lettland fdireibt, „der erfte 
Teil der Stadt, nämlich der zuerft erbaut und zuerft mit einer 
Mauer umfangen war, von der Kirche der heil. Maria, die mit 
ihren großen Glocken verbrannte, bis an den Hof des Bifchofs mit 
den anliegenden Häufern, bis zur Kirche der Brüder der Ritter- 
fchaft". Der etwas unklare Bericht läßt fich nur dahin deuten, 



Der Stadtplan 



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daß etwa der füdöftliche Teil 
der Stadt mit dem Dom dem 
Feuer zum Opfer gefallen fei. 

Die Feuersbrunft wurde 
Anlaß, die villa extra muros 
(auch als suburbium civitatis 
bezeichnet), die zum größten 
Teil von Liven bewohnt war, 
ebenfalls zu bef eftigen und 
als Neuftadt mit dem älteren 
Stadtteil zu vereinigen. Auch 
hier läßt fleh an den Straßen- 
zügen die Entwicklung des 
Stadtplanes leicht erkennen. 
Die über den Wallgraben 
verlängerte Schohftrate (jetjt 
Scheunenftraße) führte zum 
kleinen Kohlenmarkt, von 
dem drei Hauptftraßen ab- 
zweigten. DieReder-(Ritter-), 
jetjt Schloßftraße, führte zu 
dem im Nordweftwinkel der 
Stadtbefeftigung belegenen Heil. Geifthofpital, die nach Norden 
führende große Jakobsftraße wurde beftimmt durch die Lage der 
wahrfdieinlich fchon im erften Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts als 
zweite Pfarrkirche gegründete St. Jakobikirche , und die platea 
arene, die Sandftraße, verband das an der Nordweftecke der Be- 
feftigung belegene Sandtor mit dem Kohlenmarkt. Der Stadtteil 
zwifchen Sandftraße und Pferdeftraße war vermutlich die erfte An- 
fiedlung der Liven, derer fchon früh Erwähnung gefchieht. 

Den zur Düna gelegenen, nördlich von der Schloßftraße be- 
grenzten Pla^ außerhalb der erften Stadtmauer hatte Bifchof Albert 
für den Bau des Domes und für die bifchöfliche Refidenz auser- 
fehen. Bereits im Jahre 1211 war er feierlich dazu geweiht 
worden. An die Stelle des Hofpitals zum Heil. Geift trat im 
Jahre 1330 das Schloß des Deutfchen Ordens mit feinen Befefti- 
gungen und Gräben, wodurch ein großes Dreieck vom Stadtgebiet 
abgetrennt wurde. 

Wie das Straßenne^ fich in der erften Hälfte des 13. Jahr- 



Abb. 4. Anficht des Sandturmes von der 
Turmftraße her. (Nach einer Aufnahme des 
Architekten E. Kupffer.) 



10 



Riga 




hunderts entwickelte, befteht es im 
wefentlidien heute noch. Auf die 
reizvollen Straßenbilder, die durch 
die zwanglofen Krümmungen der 
Straßen hervorgerufen werden, denen 
da und dort ein ftattliches Gebäude, 
oder ein mächtig aufftrebender Kir- 
chenbau als malerifcher Abfchluß 
dient, ift fchon oft hingewiefen wor- 
den, doch immer noch nicht genug, 
denn die Regulierungswut bringt 
manchen malerifchen Teil zu Fall, 
um ihn in den meiften Fällen durch 
weniger Malerifches, aber angeblich 
vom Bedürfnis Geforderten zu er- 
fetjen. 

Von der ehemaligen Stadtmauer 

im . T c , „ ., Abb. 5. Der ehemaliqe Wachtturm. 

und ihren im Laufe der Zeit ent- 

ftandenen Türmen zeugen nur noch fpärliche Refte, die zum 
größten Teil auch noch in die Wohnhäufer, die fich an fie lehnen, 
verbaut find. Nur ein einziger Turm, der alte Sandturm, ge- 
wöhnlich der „Pulverturm" genannt, ift völlig erhalten. Aber keine 
Karthaunen ftrecken mehr die drohenden Schlünde aus feinen 
Stückpforten, dagegen hallen feine Mauern heute von fröhlichem 
Studentenleben wieder. Er ift zum Konventsquartier der Kor- 
poration Rubonia geworden, die das Innere namentlich durch 
künftlerifchen Schmuck in anziehender Weife bereichert hat. 

Wie der alte Befeftigungsgürtel einft ausfah, veranfchaulichen 
eine ftattliche Anzahl alter Pläne und Anflehten der Stadt, deren 
ältefte fleh in der 1550 zuerft erfchienenen Münfterfchen Kosmo- 
graphie erhalten hat. 

Vor die alte turmbewährte Mauer, die manchem Feinde ge- 
trost hatte, traten in der erften Hälfte des 16. Jahrhunderts die 
Wälle, Ravelins und Baftionen des neuen Befeftigungsfyftems, die 
nach mannigfachen Umgeftaltungen im Jahre 1857 abgetragen 
wurden, um die jüngfte Ära der Stadtentwicklung einzuleiten. 



Der Dom 



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Schon nadi dem Ablauf des erften Jahrzehnts hatten fich 
die Macht und das Anfehen des bifchöflichen Regiments fo ge- 
fertigt, daß Albert daran denken konnte, diefen Erfolgen 
durch den Bau einer prächtigen Kathedrale auch ein äußeres 
Zeichen zu verleihen. Die innere Stadt war damals fchon fo eng 
bebaut, daß ein außerhalb der Ringmauern belegener Platj für 
das Unternehmen erkoren werden mußte. Das Fehlen irgend 
welcher Anklänge an die Kirdienbauten Bremens am Rigaer Dom 
läßt vermuten, daß Albert keinen direkten Einfluß auf die Ge- 
ftaltung des Kirchenplanes ausgeübt hat, die Planung vielleicht 
feinem Freunde, dem Bifdiof Philipp von Ra^eburg, überließ, der 
mehrfach als Alberts Stellvertreter, während deflen diplomatifdien 
Reifen in Deutfchland — er hat deren dreizehn von Livland aus 
unternommen — tätig war. Der Dom zu Raijeburg, eine dem 
fädififch-romanifchen Kirchenbau angehörende Bafilika, die ihr 
Vorbild im Braunfdiweiger Dom gefunden hatte, fdieint wiederum 
das Vorbild für den Rigaer Dom abgegeben zu haben, und die 
mancherlei Eigentümlichkeiten in der Bildung des architektonifchen 
Details laflen den Einfluß eines aus der Kirchenbaufchule der 
Cifterzienfer hervorgegangenen Baumeifters vermuten. Im Jahre 
1205 hatte Bifdiof Albert Cifterzienfermönche ins Land gerufen 
und ihnen zu Dünamünde, nahe der Mündung der Düna ins Meer, 
ein Klofter erbaut. Daß von diefen „Pionieren der Wildnis" einer 
als Baumeifter am Dom tätig gewefen fei, ift hödift wahrfcheinlich. 

Der Dom war als Quaderbau geplant und die kalkfteinhaltigen 
Dünaufer, namentlich in der Gegend von Kokenhufen und Stock- 
mannshof lieferten das Baumaterial. Der Brand vom Jahre 1215 
aber, der den alten Dom in Afche legte, mag, um mit dem Dom- 
bau fchneller fortfchreiten zu können, Veranlaffung zu einer Än- 
derung der Bauweife gewefen fein, denn nur die untern Partien 
der Kirche, teils höher, teils niedriger, find aus Kalkftein aufge- 
führt und dann in ziemlich rückfichtslofer Weife als Ziegelbau 
fortgefetjt. So find beifpielsweife die Arkadenpfeiler zum Teil in 
halber Höhe aus Haufteinen aufgeführt, der obere Teil aber ift 
aus Ziegeln hergeftellt und wieder mit einem Haufteingefims ab- 
gefchloflen. Am auffälligften ift diefer plötdiche Umfchwung in 
einzelnen Räumen des anftoßenden Klofters, wo auf die aus Häu- 
flein hergeftellten Gewölbkonfolen mit ihren fein profilierten 
Bogenanfängen aus Ziegeln gemauerte und mit Kalkputj über- 



12 



Riga 



v 




Abb. 6. Der Dom von Nordoft. 



zogene einfach profilierte Gurt- und Rippenbogen auffegen. Die 
überall erfolgte Verputjung der innern Wandflädien hat diefe Zu- 
ftände meiftens verdeckt. Am Äußern half man fidi durch Ver- 



Der Dom 



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Abb. 7. Der öftlidie Kreuzgang des Domklofters. 

blendung und ließ nur den Sockel in feiner urfprünglidien Aus- 
führung beliehen, auch führte man einzelne Teile, wie Eckein- 
falfungen, kleine Kapitelle und Konfolen, fowie das prächtige 
Nordportal noch aus Hauftein aus. 

Doch nicht das Baumaterial allein wurde gewechfelt, auch der 
urfprüngliche Bauplan erlitt eine Abänderung und wahrfdieinlich 
infolge eines Wechfels in der Bauleitung. An die Stelle des fächfifch- 
romanifchen Kirchentypus, der im Chor und QuerfchifF vollftändig 
durchgeführt ift, trat beim Ausbau des Langhaufes das Syftem der 
weftfälifchen Hallenkirchen mit drei Schiffen von verfchiedener Breite. 

Ein Blick auf den Grundriß des an den Dom grenzenden 
Klofters läßt erkennen, daß deffen Oft- und Südflügel, fowie ein 
Teil vom Weftflügel fchon im Bau weit vorgefchritten waren, als 
die Änderung des Langhausplanes unternommen wurde. Der 
weftliche Kreuzgang mußte eine Einknickung nach Often erhalten, 
um ihn auf das weftliche Joch des Langhaufes münden zu laffen. 
Nach dem erften Projekt, das fich leicht ergänzen läßt, wäre diefe 
Einknickung nicht nötig gewefen. 



Riga 



Daß ein Meifter aus einer 
mitteldeutfchen Cifterzienfer- 
baufdiule anfänglich am Dom 
tätig war, erkennt man nicht 
nur an der dekorativen Behand- 
lung der Gewölbkonfolen und 
an den Kapitellformen — be- 
fonders im Kreuzgang des 
Klofters — fondern auch an den 
Reften der fteinernen Bogen- 
und Rippenprofilierungen, vor 
allem aber an der Geftaltung 
der Arkadenpfeiler des Lang- 
haufes. Diefe haben einen kreuz- 
förmigen Querfchnitt und find 
im obern Drittel der Kreuzes- 
ecken mit runden Dienften ver- 
fehen, die fich auf Konfolen 
fernen und mit zierlichen Kapi- ... D „ , . , , , „ 

J r Abb. 8. Von den Arkaden des Kreuz- 

teilen abfdüießen. Auf die gcmgs. 

Cifterzienferbauweife deuten fer- 
ner auch die paarweife angeordneten Fenfter, die fich im Quer- 
fchiff und auf der Nordfeite des weltlichen Langhausjochs er- 
halten haben. 

Offenbar aber hat feit der Änderung des Bauplanes ein in der 
Schule der norddeutfchen Ziegelbauweife erzogener Meifter den 
früheren abgelöft, wobei er manches aus dem Bauplan feines 
Vorgängers wohl oder übel herübergenommen haben wird. 

Das Äußere der älteften Teile zeichnet fich durch eine gute 
Ausführung, im allgemeinen aber durch Einfachheit der ardiitek- 
tonifchen Durchbildung aus. Nur an der Chorapfis treten zwifchen 
den Fenftern zierliche Dreiviertelfäulen zur Belebung der Mafien 
vor, die mit gut ftilifierten Kapitellen abfchließen. An einem 
diefer Kapitelle hat der Meifter Steinmetj das Bruftbild eines 
Liven gemeißelt. Friefe von Rundbogen, deren Enden auf kleine 
Konfolen geftellt find, oder das ebenfo beliebte Motiv der fich 
überfdineidenden Halbkreisbogen mit geputjtem Hintergrund ziehen 
fich unter den Traufgefimfen hin und am Nordgiebel des Quer- 
fchiffs fällt ein zierliches Stab- und Bogenwerk angenehm auf. 




Der Dom 15 




Abb. 9. Das Tonforium am Kreuzgong des Domklofters. 

Überhaupt ift dem Äußern troij aller Einfachheit ein impofantes 
würdevolles Ausfehen eigen. 

Befonders reizvoll erfcheinen die Kreuzgänge und der erhaltene 
Kapitelfaal des Klofters. Die Kreuzgänge find fehr weiträumig 
und öffnen fich mit durch Säulen in drei Felder geteilten Arkaden 
zum Klofterhof, der jetjt in einen fchmuckvollen Garten umge- 
wandelt ift. Intereflant find die Konfolen, von denen fich die 
Gurten und Rippen der Kreuzgewölbe erheben, durch die Mannig- 
faltigkeit und die vorzügliche Ausführung ihrer Ornamentation. 

Der zweifchiffige Kapitelfaal ift von fechs Kreuzgewölben über- 
fpannt, die fich in der Mitte des Gemachs auf zwei Bündelfäulen 
ftütjen. Seit dem Übergange der bifchöflichen Domkirche in den 
Befitj der Stadt — durch eine Schenkungsurkunde des Königs 
Stephan Batory vom Jahre 1582 — war ein Teil der Klofter- 
räumlichkeiten zu profanen Zwed^en benutzt, ein anderer Teil im 



16 



Riga 




Laufe der Zeit umgebaut wor- 
den. Der alte Kapitelfaal 
diente lange als Weinnieder- 
lage und zu feinem Glück, 
denn fo blieb er, geringe Be- 
fchädigungen abgeredinet, er- 
halten und unter der Tündie 
wurden fogar die ehemaligen 
mittelalterlichen Bemalungen 
wiedergefunden, die bei der 
Reftaurierung hergeftellt wer- 
den konnten. Auch an den 
Kreuzganggewölben wurde die 
aus den drei Farben: Weiß, 
Schwarz und rotem Ocker 
mannigfach geftimmte mittel- 
alterliche Bemalung wieder 
aufgefunden und erneuert. 

Einen vorläufigen Abfchluß 
fanden die Arbeiten am Dom- 
bau mit dem am 17. Januar 

1229 erfolgten Tode des Bifchofs Albert. Die Weftpartie mit den 
Türmen war unvollendet geblieben. Die um die Nachfolge Alberts 
entftandenen Streitfragen ließen den Dombau zunächft in den 
Hintergrund treten. Selbft für die Erhaltung des Vorhandenen 
gefchah wegen Mangels an Mitteln wenig, fo daß Alberts Nach- 
folger, Bifchof Nikolaus, lieh im Jahre 1251 genötigt fah, beim 
Papfte Innocenz IV. Klage über den baufälligen Zuftand feiner 
Kathedrale zu führen. Eine päpftliche Bulle, die den zum Dombau 
Steuernden einen vierzigtägigen Ablaß verhieß, machte die Bau- 
gelder wieder reichlicher fließen und die Aufführung des Weft- 
baues, der eine großartige Halle darftellte, mit einem über dem 
mittelften Raum, der dem heil. Georg geweihten Kapelle, fich 
erhebenden Turm, wurde nun in Angriff genommen. 

Die Vollendung hat aber auch Bifchof Nikolaus nicht erlebt; 
er ftarb zu Anfang des Jahres 1253. Erft unter feinem Nachfolger, 
der zugleich der erfte Erzbifchof von Riga war, Albert Suerbeer, 
wird der Bau vollendet worden fein. 

Gegen die großartigen gotifchen Kirchenbauten, wie fie all- 



Abb. 10. Die Bündelfäulen im Kapitelfaal 
des Domklofters. 



17 




Abb. 11. Der Dom von Südweft. 



Riga u. Reval 



2 



18 



Riga 



mählich, immer mehr in den Hanfeftädten an der Oftfee entftanden, 
vor allem gegen die mächtige Marienkirche in Lübeck, mußte die 
Kathedrale des Rigafchen Erzbistums nur als ein befcheidenes 
Bauwerk erfcheinen, und als die Rigafche Bürgerfchaft zu Anfang 
des 15. Jahrhunderts den Neubau ihrer Pfarrkirche nach jenen 
impofanten Vorbildern unternahm, wird fich auch in den erz- 
bifchöflichen Kreifen der Wunfeh nach einem entfprechenden Aus- 
bau der Domkirche geregt haben. — Die Zeit läßt fich nicht genau 
angeben, jedenfalls aber ift in der erften Hälfte des 15. Jahr- 
hunderts die Höherführung des Mittelfchiffs und die dadurch be- 
dingte Höherführung des Turmes um zwei Gefchofte unternommen 
worden. Auch ift fehr wahrfcheinlich, daß um diefe Zeit die 
Seitenkapellen am Langfchiff entftanden, mit Ausnahme von je 
einer auf der Süd- und Nordfeite, die eine ältere Anlage verraten. 

Wenn die Gefamtwirkung des Innern durch die Höherführung 
des Mittelfchiffs auch gewonnen haben mochte, fo läßt die künft- 
lerifche Ausbildung doch viel zu wünfehen übrig. Runde, mit den 
mächtigen Arkadenpfeilern außer- jeder organifchen Verbindung 
flehende Dienfte mit nadüäffig gebildeten Kapitellen als Gewölb- 
ftütjen, Radfenfter in den Schildbogen der Gewölbe deuten auf 
den Mangel eines künftlerifch gut gefchulten Baumeifters. 

Am fchwerften litt unter diefer Umgeftaltung die großartige 
Wefthalle, deren hohe Bogenöffnungen und Wandnifchen mit den 
fchönen Fenftern — nur zwei find in der urfprünglichen Anlage 
erhalten — vermauert werden mußten, um genügende Tragfähig- 
keit für die beiden neuen Turmgefchofle und den hohen Turmhelm 
zu bieten. Auch die Wendeltreppen in der Weftwand des Turmes 
und die Verbindungsgänge zwifchen ihnen und den Wendel- 
treppen in den Ecken des Langhaufes mußten zum Teil vermauert 
werden. 

Der dem Holzfchnitt in Sebaftian Münfters Kosmographie nach- 
gebildete Kupferftich (Abb. 2) zeigt den fchlanken achteckigen Turm- 
helm über vier Giebeln auffteigend. Der Ausbau der Kapellen auf 
den Langhausfeiten, die mit je zwei hohen Spitjbogenfenftern 
ausgeftattet find, verwifchte das alte fpätromanifche Fafladenfyftem 
vollftändig. Nur der Chor und das Querhaus blieben vom Umbau 
verfchont. 

Die ferneren Schickfale der Domkirche mögen hier noch in 
Kürze erwähnt werden. Im Jahre 1547 — man arbeitete noch an 



Der Dom 



19 



der Eindeckung der Dächer des Schiffs und des Turmes mit 
Kupfer — legte am Sonntag vor Pfingften eine Feuersbrunft, die 
in der Nähe des Ordensfchlofles zum Ausbruch kam und durch 
heftigen Nordweftwind angefacht die Häufer an der Schloßftraße 
und ihre Umgebung bis an die Düna vernichtete, auch den Dom 
in Afche. Faft ein halbes Jahrhundert verging, bevor die legten 
Spuren des Brandes wieder getilgt waren. Am 16. Oktober 1595 
wurden mit der Auflegung des Turmknopfes und des kupfernen 
Hahnes die Arbeiten abgefchloflen. An die Stelle der ehemaligen 
hohen Pyramide war dem geänderten Kunftgefchmack der Zeit 
entfprechend eine bauchige Kuppel getreten, aus der fich über 
einer luftigen Rotunde eine fdilanke Spitje herausfchob. Eintretende 
Baufälligkeit veranlaßte im legten Viertel des 18. Jahrhunderts 
den Rat die Spitze abtragen und durch die jetrige Haube erfetjen 
zu laflen. 

Und auf welche politifchen Wechfel hatte inzwifchen die alte 
Turmruine herabfehen mülfen! — Der kraftvollen Regierung 
Wolters von Plettenberg, des bedeutendften Ordensmeifters, den 
Livland gehabt hat, war es immer wieder gelungen, den örtlichen 
Nachbar, deflen Sinnen und Trachten auf den Befitj der Ordens- 
lande ging, in Schach zu halten und dem Lande durch kürzer oder 
länger terminierte Waffenftillftände den Frieden zu erhalten. 
Seine Nachfolger wurden zu immer größeren ZugeftändnüTen ge- 
zwungen. Der Handel Rigas litt und die Bedeutung der Hanfe 
fank, weil durch die Entdeckung neuer Weltteile andere Länder 
fich des Weltverkehrs bemächtigten. In blutigen Kämpfen 
rangen Rußland, Polen und Schweden um den Befitj des reichen 
Ordenslandes, bis im Jahre 1561 deflen Widerftandskraft gebrochen 
war. Am 5. März 1562 entfagte im Ordensfchlofle zu Riga der 
letjte Ordensmeifter Gotthard Kettler feiner Würde, um dafür aus 
der Hand Polens die Herzogskrone von Kurland als Lehn zu 
empfangen. Livland fiel an Polen, Eftland an Schweden, das Stift 
Dorpat, Narva und ein Teil von Wierland gerieten unter ruffifche 
Botmäßigkeit und die Infel Öfel wurde von Dänemark befetjt. 
Riga allein blieb deutfch, deutfche freie Reichsftadt, umwogt 
von den fortgefetjten Kämpfen zwifchen Polen und Ruflen, die 
1582 endlich mit dem Siege Polens endeten. Am 12. März 1582 
mußte auch Riga dem polnifchen Könige feine Tore öffnen. 

Und noch ein blutiges Drama follte fich in diefer Zeit zu den 

2" 



21 




22 



Riga 



Füßen des alten Turms abfpielen: der fogenannte Kalenderftreit. 
Auf Befehl des Königs follte an Stelle des bisher gebräuchlichen 
Julianifchen der Gregorianifche Kalender eingeführt werden. Der 
Rat erklärte fich zwar bereit dazu, die Stadtgemeinde jedoch fah 
darin eine weitere Vergewaltigung ihres evangelifchen Bekennt- 
nhTes, nachdem bereits die St. Jakobikirche den Jefuiten hatte 
eingeräumt werden muffen, und widerfe^te fich dem Befehl, auf- 
geftachelt durch einen Notarius Martin Giefe, der mit feinem An- 
hang unter dem Vorwande des Kalenderftreits Änderungen der 
ftädtifchen Verfaffung durchzufe^en beabfichtigte. Er wußte den 
Haß des Pöbels befonders gegen die Ratsherren Taftius und 
Welling zu richten, die der Abtretung der St. Jakobikirche an die 
Jesuiten und nun auch der Einführung des neuen Kalenders be- 
fchuldigt wurden. Ein überhaftetes Gerichtsverfahren verurteilte 
die peinlich Befragten zum Tode und ihre Hinrichtung erfolgte 
am 27. Juni und 1. Juli 1586 auf dem Markte. - Doch auch Giefe 
und feinen Genoffen Hans zum Brinken ereilte das Schickfal. Als 
das durch fie aufgereizte Volk fich der Huldigung des Königs 
Sigismund III. Wafa zu widerfe^en fuchte, wurden fie fchließlich 
ergriffen und von einer polnifchen Kommiffion zum Tode ver- 
urteilt. 

Von der mittelalterlichen Ausfchmückung des Domes mit Wand- 
malereien zeugen heute nur noch die bei den jüngften Reftau- 
rierungsarbeiten aufgedeckten Bilder an den drei Schildbögen 
der Halle vor dem Nordportal. Im mittelften Bogenfelde eine 
Krönung Mariä durch Chriftum; links davon ein Stammbaum 
Chrifti, der mit gefchickter Ausnu^ung des baulichen Zuftandes auf 
die Lifene der Außenmauer der Kirche gemalt ift; daneben die 
Figuren der Propheten Daniel und Jefaias, als altteftamentliche 
Vorverkündig er des Meffias (Abb. 12 u. 13). Auf dem Bogenfelde 
rechts vom Mittelbilde zeigten fich die Spuren einer Verkündigung 
Mariä und ein Wappen, wahrfcheinlich das des Stifters der Gemälde. 

Die Bilderftürmer der Reformationszeit hatten mit der da- 
maligen reichen Ausftattung des Domes an Altären, Heiligen- 
fchreinen, Bildern und anderen Kunftwerken gründlich aufgeräumt; 
den Reft fraß der verheerende Brand. Was der Dom an Kunft- 
fchä^en noch aufzuweifen hat, gehört, einige Grabfteine abge- 
rechnet, dem 17. und 18. Jahrhundert an. Unter den Grabfteinen 
find bemerkenswert der des erften Bifchofs von Livland Meinhard, 



Abb. 14. Die Kanzel im Dom. 



24 



Riga 



deflen Gebeine vermutlich im 15. Jahrhundert aus Üxküll in den 
Dom übergeführt und im Chor in einem Wandgrabe beigelegt 
wurden, und der des legten Erzbifchofs von Riga, des Markgrafen 
Wilhelm von Brandenburg, der am 4. Februar 1563 ftarb. Der 
Grabftein des Hohenzollern ift leider aus fehr poröfem Kalkftein 
hergeftellt worden und durdi die allmählich eingetretene Ver- 
witterung die Figur des Kirchenfürften nur nodi in den Umritten 
zu erkennen. Das Wandgrab Meinhards umgab eine in Stein 
gehauene Umrahmung in den Formen der Spätgotik, die während 
einer „Säuberung" der Kirche zu Ende des 18. Jahrhunderts als 
„ftörend" weggehauen wurde und nur in der Zeichnung eines für 
die alte Kunft in Riga begeifterten Mannes, des Gymnafiallehrers 
Joh. Chr. Bro^e, der Nachwelt überliefert ift. Nach diefer Zeich- 
nung ift fie 1898 wiederhergeftellt worden. Der „Säuberung" 
fielen auch die Gewölbmalereien zum Opfer, die 1689 von dem 
Rigafchen Maler Cordt Meyer (geftorben 1702) ausgeführt worden 
waren, darunter das Jüngfte Gericht an den Gewölben des Chors. 

Während des napoleonifchen Feldzuges in Rußland hatten der 
Dom und die St. Johanniskirche als Kornmagazine dienen müflen. 
Die darauf folgende Reparatur . hat dann das Le^te getan, um 
durch Einbauten von Emporen, Ausweißung und Verbeflerungen 
in moderner Gotik den alten Bifdiofsdom zu entftellen. Mit ge- 
radezu fanatifchem Eifer wurde gotifiert, wie beifpielsweife an der 
Kanzel, einem Meifterwerk der Holzfchni^erei, das 1641 von dem 
Rigafchen Ratsherrn Dr. jur. Ludwig Hintelmann geftiftet wurde, 
an der die mufchelförmig geftalteten Abfchlüffe der Nifchen am 
Kanzelrumpfe, in denen die Figuren der Evangeliften und Apoftel 
liehen, mühfam mit gotifchen Dreipäflen überkleiftert find (Abb. 14). 

Von älteren Steinepitaphen haben fich nur das durch feine 
kunftvolle Ausführung hervortretende des Rittmeifters Caspar 
v. Tiefenhaufen und feiner Gemahlin Maria v. Elfern vom Jahre 1611 
erhalten und eine Votivtafel in Form eines Epitaphs, die 1604 
von der kleinen Gilde (der Handwerkergilde) geftiftet wurde. 

Den Einfluß Danziger Kunft verraten die älteften Teile des 
fchön gefchni^ten Orgelprofpekts, der im Jahre 1601 von dem 
Orgelbaumeifter Jacob Raab hergeftellt wurde. Bei einem Umbau 
der Orgel im 18. Jahrhundert wurden die Seitenteile im Kunft- 
charakter diefer Zeit ergänzt. Die Domorgel gehört zu den groß- 
artigften Werken diefer Art. Sie ift in den Jahren 1883 und 1884 



Der Dom 



25 




Abb. 15. Innenanficht des Domes. 

von der Firma E. F. Walcker & Co. zu Ludwigsburg in Württem- 
berg neu gebaut und befitjt 125 klingende Stimmen. 

Bemerkenswert find ferner die gemalten Fenfter des Domes, 



26 



Riga 



die feit 1883 in die Kirdie geftiftet find. Auf der Südfeite Szenen 
aus der Paffion, ausgeführt nach Entwürfen des Hiftorienmalers 
Anton Dietrich in der Glasmalereianftalt von B. Urban in Dresden. 
Das lefyte Bild, die Auferftehung Chrifti, hat die Rigafche Glas- 
malereianftall von Ernft Tode geliefert. Die Fenfter der Chor- 
apfis entflammen der inzwifchen eingegangenen Anftalt von 
Kahlert & Weber in Riga. Die vier fchönen Fenfter auf der 
Nordfeite find Erzeugnifle der Kgl. Hof-Kunftanftalt in München, 
und die Grifaillen im nördlichen Querfchiff find wieder aus der 
Anftalt von E. Tode hervorgegangen. 

Das über dem Kreuzgang des Klofters gelegene Gefchoß diente 
nach der Säkularifierung des Klofters mancherlei Zwecken. Ein 
Teil des Oftflügels wurde 1775 durch den Stadtbaumeifter Chriftoph 
Haberland zur Stadtbibliothek umgebaut, mit einem wirkungs- 
vollen, durch zwei Gefchofle reichenden Hauptfaal, den eine auf 
korinthifchen Säulen ruhende Galerie umzieht. An der Decke be- 
findet fich in Stuck ausgeführt das weit über Lebensgröße aus- 
geführte Bruftbild der Kaiferin Katharina II. als Minerva nach 
einer von dem Medailleur Johann Georg Wächter (geb. 1724 in 
Heidelberg, geft. 1797 in Petersburg) auf die Krönung der Kaiferin 
ausgeführten Medaille. Am Südende des Saales in einer nifchen- 
artigen Wandvertiefung ift neben einer eingemauerten Bombe ein 
Porträt des Kaifers Peter I. gemalt, das ihn als Eroberer Rigas 
und Befchü^er von Kunft und Wiflenfchaft glorifiziert. Den Ent- 
wurf zu dem Bilde lieferte Woldemar v. Budberg, ein Schüler 
Oefers. 

Der Süd- und Weftflügel, fowie der Reft des Oftflügels wurden 
1888 und 1898 zu Mufeumszwecken ausgebaut und auch die Räume 
der Stadtbibliothek, die nach Auflöfung des Rats in das verwaifte 
Rathaus überfiedelte, zum Mufeum eingerichtet. So entftand das 
„Dommufeum", im engern Sinne das hiftorifche Mufeum der Ge- 
fellfchaft für Gefchichte und Altertumskunde der Oftfeeprovinzen 
Rußlands. Außer dem Mufeum find im ehemaligen Domklofter 
untergebracht die Bibliothek der vorgenannten Gefellfchaft, das 
natur hiftorifche Mufeum, die Bibliothek des ärztlichen Vereins und 
das Stadtarchiv. 

Von großer Bedeutung ift die prähiftorifche Sammlung des 
Dommufeums und fehr bemerkenswert find mehrere Funde aus 
der Frühzeit des Chriftentums in Livland, darunter außer ver- 



Dommufeum. Herderplatj 



27 



fdiiedenen Waffen ein fdiön erhaltenes Aquamanile und die foge- 
nannte Kaifer-Otto-Sdiale, eine patena dirismalis aus Bronzebledi. 
Die Innenfläche diefer Schale ift mit fchönen romanifchen Gravie- 
rungen bedeckt und außerdem durch ein Kreuz geziert, das aus 
vier aufgelöteten Bronzeftreifen mit Palmettendekor und fünf 
brakteatenartig geprägten Medaillons an der Überfchneidung der 
Kreuzesftäbe und an deren vier Enden befteht. Die Medaillons 
zeigen das Bruftbild eines Kaifers, wie es ähnlich die gleich- 
zeitigen Kaiferfiegel zeigen. Der zu beiden Seiten der Figur 
flehende Name Ot-to deutet auf Otto d. Gr. (936-973), der als 
Befchütjer der Kirchen und Klöfter den Ehrentitel pacificus führte. 
Jedes der fünf Kaiferbilder trägt außerdem die Infdirift: Hieru- 
salem visio pacis, die dem alten Kirchweihhymnus 

Urbs beata Jerufalem 
dicta pacis visio 

entlehnt ift. 

Von großem Wert ift ferner die Sammlung baltifcher Münzen 
und Medaillen, die in ihrer Vollftändigkeit, dank dem Eifer ihrer 
Begründer, der DDr. Auguft und Anton Buchholtj, Vater und Sohn, 
wohl unübertroffen dafteht. 

Treten wir aus dem Portal des Dommufeums, fo ftehen wir 
nach wenigen Schritten vor dem befcheidenen Denkmal Herders, 
der bekanntlich vom Herbft 1764 bis zum Juni 1769 in Riga lebte, 
zunächft als Kollaborator an der Domfchule wirkte, dann als Hilfs- 
prediger an der Jefus- und an der Gertrudkirche tätig war 
und außerdem das Amt eines Gehilfen des Stadtbibliothekars 
verfah. 

Das malerifche Gewimmel alter Häufer, das ehemals den 
kleinen Platj nach der Nordfeite hin abfdhloß, beftand noch bis 
zum Jahre 1886. Dann machten die gefteigerten Aufbrüche des 
Verkehrs von der Innenftadt zum Hafen, mehr vielleicht noch ein 
übel angebrachter Purifizierungseifer diefem fröhlichen Durch- 
einander ein Ende. Jetjt find der Herder- und der Domplatj, die 
ehemals durch den malerifchen Häuferblock voneinander getrennt 
waren, vereinigt. Um das kleine Herderdenkmal haben fidi hohe 
Steinpaläfte erhoben, die es fchier erdrücken, und die früher teil- 
weife verdeckte, im 15. Jahrhundert umgewandelte, künftlerifch 
wenig anziehende Weftfaflade des Domes liegt jeijt wieder zutage. 



28 



Riga 



Ihr gegenüber erhob fich einft die bifchöflidie Refidenz, 
deren Bau wahrfcheinlich gleichzeitig mit dem Dombau unter- 
nommen fein mochte und um 1234 vielleicht in den Hauptteilen 
vollendet war, denn in diefem Jahre fchenkte Bifchof Nikolaus 
feine fteinerne Pfalz den Dominikanern zur Einrichtung ihres 
Klofters, worunter nur das Haus des Bifchofs neben dem abge- 
brannten erften Dom verftanden werden kann. 

Vom Klofter der fchwarzen Mönche ift außer einem Reft 
des Kreuzgangs und der ehemaligen Klofterpforte nur die dem 
heil. Johannes geweihte Kirche erhalten, ein Bau aus dem 15. Jahr- 
hundert. 

Außer dem Bau der zweiten Pfarrkirche zu St. Jakob in 
der Neuftadt, die 1226 zum erftenmal urkundlich erwähnt wird, 
fehlt es an Nachrichten über Kirchenbauten im 13. und 14. Jahr- 
hundert fall völlig. Eine Kirche zu St. Paul wird genannt, die 
vermutlich in der Nähe des jetzigen Domes ftand. Belfer fließen 
die Quellen feit dem Beginn des 15. Jahrhunderts, zu welcher Zeit 
die Bautätigkeit auf kirchlichem Gebiet mit dem von der Bürger- 
fchaft unternommenen Neubau der Petrikirche kräftig einlegt. 
Die Stadt befand fich zu jener Zeit auf der Höhe ihrer Macht. 
Doch bald folgte ein Umfchwung, als in der verhängnisvollen 
Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410 der Deutfdie Orden 
gegen Polen unterlag. Die drückenden Bedingungen des Thorner 
Friedens wirkten auch auf Livland zurück. Dazu kamen erneute 
Zwiftigkeiten zwifchen dem livländifchen Orden und dem Erz- 
bifchofe, die immer wieder um die Hegemonie im Lande zum 
Ausbruch kamen und die Stadt Riga in den meiften Fällen auf 
die Seite des Erzbifchofs führten, fchon des Handels wegen, in 
dem der Orden vielfach als Konkurrent auftrat. 

Erft um die Mitte des 15. Jahrhunderts nimmt die Bautätigkeit 
auf kirchlichem Gebiet wieder an Umfang zu. Die Klofterkir che 
der Franziskaner und dieKlofterkirche der Cifterzienfer- 
nonnen entliehen. Die Klofterkirche der Dominikaner 
wird einem Neubau unterzogen; der lange unterbrochen gewefene 
Bau von St. Peter wird wieder aufgenommen. 

Den erhaltenen Kirchenrechnungen nach begann der Neubau 
der Petrikirche im Frühling 1408. Über den Bau der älteren 
Kirche, die 1209 zum erftenmal urkundlich erwähnt wird, fehlt 
es an Nachrichten. Daß fie wie die erfte Domkirche anfänglich 



St. Peter 



29 



ein hölzernes Proviforium war, dem dann ein Steinbau folgte, 
ift wohl unzweifelhaft. Vom Turm diefer Kirdie fpridit in feiner 
Chronik der lübedrifdie Kanzler Albrecht von Bardewik (1298—1301) 
gelegentlich des Kampfes der Bürgerfchaft mit dem Deutfchen 
Orden im Jahre 1297. - Die Bürgerfchaft, fo heißt es, befeftigte 
ihn, richtete Blieden auf und befdioß damit den benachbarten 
St. Jürgenshof. 

Auch der Grund des Neubaues ift nicht bekannt. Er wird wohl 
zunächft darin zu fuchen fein, daß die Kirche für die bedeutend 
angewachfene Gemeinde nicht mehr ausreichte, dann aber mochte 
die wohlhabende Bürgerfchaft felbft auf den Befi^ eines Gottes- 
haufes dringen, das künftlerifch hinter den monumentalen Kirchen- 
bauten in den übrigen Hanfeftädten an der Oftfee nicht zurück- 
zuftehen brauchte. Wie fehr man bemüht war, etwas Bedeutendes 
zu leiften, beweift fdion der Umftand, daß man fich an die großen 
befreundeten Hanfeftädte um Empfehlung eines erfahrenen Bau- 
meifters wandte. Auf die Empfehlung eines Johann Peterfen aus 
Roftock an den Rat in Riga wird der Roftocker Baumeifter Johann 
Rumefchottel (Rumescotel), ein Sohn des in Roftock verftorbenen 
Kerften Rumefchottel, gewählt. Im Frühling beginnt der Bau 
nach den Entwürfen Rumefchottels unter der Leitung feines Sohnes 
Kerften und eines Hinrich Hauerbeke. 

Meifter Rumefchottel hielt fich in feinem Bauentwurf in Grund- 
riß und Aufbau ftreng an die Marienkirche feiner Vaterftadt. 
Die geringen Abweichungen in der künftlerifdien Durchbildung 
entfprangen den Kunftanfchauungen feiner Zeit. Etwas völlig 
Neues gab er alfo nicht; die Architektur des Chors, den ein Kranz 
von fünf polygonalen Kapellen umgibt, fällt gegen die der etwa 
hundert Jahre älteren Roftocker Kirche fogar merklich ab. — 
Immerhin gehört der Chorbau der Petrikirche zu den vornehmften 
Werken nordifcher Backfteingotik und bei völliger Durchführung 
des Entwurfs hätte ein Bau von hoher Schönheit entliehen können. 
Doch, wie fchon erwähnt wurde, die politifche Lage geftaltete fich 
infolge des Kampfes zwifchen Polen und dem Deutfchen Orden 
auch für Riga in hohem Grade nachteilig. Die Arbeiten am 
Kirchenbau wurden eingeftellt, als er im Jahre 1409 bis zum Quer- 
fchiff vollendet war, und der fertige Teil konnte nicht einmal in 
Bemühung gezogen werden, weil der Erzbifchof Johann v. Wallen- 
rode feit 1403 außerhalb des Landes refidierte und fein Nachfolger, 



30 



Riga 



der ehemalige Bifchof von Chur in Graubünden, Johannes Ambundi, 
erft 1418 in Riga eintraf. 

In diefem Zuftand verblieb der Kirdienbau nahezu fünf Jahr- 
zehnte. Erft 1456 treten Nachrichten auf über den Bau des Lang- 
haufes, und eine Urkunde des Erzbifchofs Silvefter Stodewefdier 
vom 20. November desfelben Jahres verheißt allen zum Bau 
Steuernden einen vierzigtägigen Ablaß. Das Rumefchottelfche 
Projekt wurde aufgegeben; die geringen Baumittel ließen eine fo 
großartige Anlage nicht zu. Das QuerfchifF kam nicht zur Aus- 
führung; das Langhaus wurde dem beftehenden Chor ohne viel 
Rückficht auf feine Architektur angefchloflen in einer Art, die ebenfo 
den Mangel an Baugeldern, wie den eines künftlerifch gefchulten 
Baumeifters erkennen läßt. 

Wie fchwer es der Bürgerfchaft wurde, den Kirchenbau zu 
einem würdigen Abfchluß zu bringen, erfieht man daran, daß erft 
im Jahre 1491 der Turm feine Vollendung erfuhr. 

Ein Vierteljahrhundert fpäter fpielten fich im Chor der Petri- 
kirche die erften Vorfälle ab, die der Einführung der lutherifchen 
Lehre vorausgingen. Eine Disputation zwifchen Vertretern der 
katholifchen Partei und dem vom Rat nach Riga berufenen Mit- 
arbeiter Bugenhagens, Andreas Knopken, führte Rat und Bürger- 
fchaft überrafchend fchnell der neuen Lehre zu. Knopken wurde 
zum Archidiakonus der St. Petrikirche beftellt und hielt als folcher 
am 23. Oktober 1522 feine erfte Predigt. 

Außer einigen Nachrichten über Befchädigungen, die durch 
Stürme und ftarke Gewitter und durch die ruffifche Belagerung 
von 1656 verurfacht wurden, begegnet man bis zum Jahre 1666 
keinen wichtigen Mitteilungen. Dann aber trat ein Ereignis ein, 
das für lange Zeit die Gemüter in Aufregung hielt: am 11. März 
1666, an einem Sonntage, ftürzte der mächtige Turm ein, in 
feinem Falle ein Wohnhaus zerfchmetternd und acht Menfchen- 
leben vernichtend. 

Auch je^t wandte man fich wieder an befreundete Hanfeftädte, 
um einen tüchtigen Baumeifter zur Wiederherftellung der Kirche 
zu erhalten. Die Wahl fiel auf den Baumeifter Jürgen Teuffei 
aus Lübeck, der aber den Erwartungen nicht entfprochen zu haben 
fcheint, denn mit den Wiederherftellungsarbeiten wurde ein als 
„Kunft- und Strommeifter" (wie wir heute fagen würden als 
Waflerleitungsingenieur und Hafenbaumeifter) in ftädtifchen 



St. Peter 



31 



Dienften fliehender Holländer, 
namens Jacob Jooft betraut. 
TeufFel zog nach Narva, wo er 
nach dem großen Brande, der die 
Stadt im Jahre 1659 faft völlig in 
Afche gelegt hatte, zum Bau des 
Rathaufes berufen wurde. — Jooft 
verließ 1675 Riga, um einem Ruf 
nach Danzig zu folgen, und zu 
feinem Nachfolger im Amt und 
beim Kirchenbau wurde fein Ge- 
hilfe Rubbert Bindenfdiu, der 
aus Straßburg i. E. eingewandert 
war, vom Rat ernannt. Bindenfdiu 
ftand dem Bau als Leiter vor, bis 
am 21. Mai 1677 der fogenannte 
Francke - Andrefenfche Mordbrand 
neben 200 Häufern und Speichern 
auch die der Vollendung nahe 
Petrikirche wieder vernichtete. 

Die Wiederherftellungsarbeiten 
wurden fofort in Angriff genom- 
men, doch erft am 17. Juni 1686 
beftätigte der Rat ein Projekt 
des Stadtingenieurs Friedrich Statius v. Dahlen zum Turmbau. 
Diefes Projekt kam nur teilweife zur Ausführung. Es fand nicht 
den Beifall der Bürgerfchaft, die deshalb eine Veränderung des 
„fchlechten und unproportionirten turnleins" beantragte. Nun wurde 
Bindenfdiu mit der Abfaflung eines Projekts betraut. Am 24. Au- 
guft 1686 ftellte er drei verfdiiedene Entwürfe vor, von denen 
unter allgemeiner Zuftimmung von Rat und Bürgerfchaft das 
Projekt eines in fchlanken Verhältniflen , mit drei durch Säulen- 
rotunden gefchiedenen Kuppeln, auffteigenden und in eine fchlanke 
Spi^e auslaufenden Turmes zur Ausführung gewählt wurde. Als 
befonderen Schmuck trug die obere Spi^e eine Krone. 

Am 10. Mai 1690 zwifchen 8 und 9 Uhr morgens vollendete 
Bindenfdiu fein Werk durch die feierliche Auflegung des Turm- 
knopfes und des kupfernen Hahnes. 

Gleichzeitig war die Weftfaflade von Grund auf in Häuflein 




Abb. 16. Der Turm der St. Petrikirdie. 



32 



Riga 



neu aufgeführt und mit drei Portalen verfehen worden, zu deren 
reichen Säulen- und Figurenfchmuck ein Rigaer Bürger, Klaus 
Misfthäd mit Namen, im Jahre 1690 teftamentarifch die Mittel 
anwies. Die noch erhaltenen Entwürfe lieferte 1686 ein Steinmefj 
Hans Walter. Der Giebelabfchluß läuft in gefchwungener Linie 
an das untere Turmviereck. Diefes erhebt fich nur wenig über 
das Mittelfchiff, geht von dort in ein von jonifchen Pilaftern be- 
feitetes Achteck über, das unterhalb der erften Kuppel mit einem 
kräftigen Konfolengefims abfchließt. 

Die Bürgerfchaft hatte mit offenen Händen zu dem ftolzen 
Turmbau gefteuert. Der Bürgermeifter Hans Dreiling fchenkte 
1695 noch ein Glockenfpiel, das in Holland angefertigt worden 
war und 8000 Taler Älberts gekoftet hatte. Für die Aufftellung 
diefes Glockenfpiels und für die Aufftellung einer Turmuhr ver- 
ausgabte die Stadt noch 4128 Taler. Und den Baumeifter zeich- 
nete der Rat durch ein Ehrengefchenk aus, beftehend in einer 
filbernen vergoldeten Kanne, deren Deckel ein Hahn zierte. 

Doch auch diefem prächtigen Bauwerk war kein Beliehen ver- 
gönnt. Am 10. Mai 1721 fchlug der Bli$ in das Dach über dem 
Chor und zerftörte die Kirche famt dem Turme in wenigen Stunden. 
Der in Riga anwefende Kaifer Peter I. leitete perfönlich die 
Rettungsarbeiten. Am nächften Morgen ließ er fich von dem 
Oberburggrafen Benkendorff die noch erhaltenen Bindenfchufchen 
Baupläne vorlegen und befahl die Wiederherftellung des Turmes 
nach diefen. Doch dazu kam es bei der Verarmung der Stadt 
feit dem nordifchen Kriege erft im Jahre 1743. 

Am 10. Oktober 1746 erlebte diefes Wunderwerk deutfcher 
Zimmerkunft, der Stolz der Stadt Riga, feine zweite Vollendung 
durch den Zimmermeifter Johann Heinrich Wülbern. 

Im Dommufeum wird ein kleiner gläferner Römer aufbewahrt, 
aus dem Meifter Wülbern, auf dem neuen Hahn flehend, nachdem 
er nach altem Handwerksbrauch den Richtfpruch gefprochen, das 
Wohl der Stadt und feines Baues trank. Er warf das Glas von der 
Höhe herab, doch es erlitt nur geringe Befchädigungen und erhielt 
darauf auf feiner Kupa die folgende Infdirift: 

Weil mich der Fall nicht gar zerfprenkt 
hat man mir diefen Schmuck gefchenkt. 
Verzagter, diefes kann dich lehren 
unfchuldiger Fall bringt offt zu Ehren 



St. Peter 



33 



Daneben ift das Stadtwap- 
pen und eine Anficht der 
Petrikirdie eingegraben. Auf 
dem Fuß des Glafes lieft 
man ferner: Den 10. Octob. 
1746 ift DER HAN aufgefegt. 
DES TUHRMS HÖHE. 436 
Fuss Holl. MAss. 

Wie durch die Auffüh- 
rung des prächtigen Turmes 
Rat und Bürgerfchaft ihre 
Anhänglichkeit an die alte 
Pfarrkirche der Stadt be- 
zeugten, fo bezeugten fie 
fie weiter durch die Aus- 
fchmückung des Innern mit 
kunftvollen Epitaphien, wert- 
vollen Leuchterkronen und 
Wandarmen. Aus dem Jahre 
1596 ift ein 2 1 / 2 m hoher 
liebenarmiger Leuchter er- 
halten, eine Arbeit des Riga- 
Abi, 17. Hauptportal der St. Petrikirche. fdle " Glocken " " n <* Gefdlütj- 

gießers Gert Meyer. 

Die Kanzel mit ihrem fchönen Portal zur Kanzeltreppe ift eine 
Arbeit des klaffizierenden Barocks; fie wurde im Jahre 1791 nach 
einem Entwurf des Rigafchen Baumeifters Chriftoph Haberland 
(getauft den 6. Jan. 1750 in Riga; geft. daf. 7. April 1803) in Livorno 
aus weißem Marmor mit farbigen Marmorinkruftationen ausge- 
führt und 1793 aufgeftellt. Über dem Eingang zur Kanzeltreppe 
das von Putten gehaltene Wappen der Stifterin Gertrud von der 
Horft, geb. Gößler. Die Vorgängerin diefer Kanzel, von der man 
rühmte, „daß keine fchönere in allen Städten an der Oftfee zu 
finden gewefen", hatte im Jahre 1613 der Ältermann der Schwarzen- 
häupter Franz Werner geftiftet. 

Ein Werk moderner Gotik ift der Altar, entworfen von dem 
Kölner Baumeifter Vincenz Statj, in Eichenholz ausgeführt von 
dem Bildhauer Chriftoph Stephan in Köln. Das Altargemälde, Petrus 
in Jerufalem predigend, malte Eduard v. Steinle in Frankfurt a. M. 

Riga u. Reval 3 




34 



Riga 



Hinter dem Chor der Kirche erheben fich von einzelnen Bäumen 
befchattet niedrige Häuschen und bilden einen der malerifdi an- 
mutigften Winkel des alten Riga. Der Maßftab des Turmes aber 
wird durch die mäßig hohen Häufer zu feinen Füßen ins Riefen- 
hafte gefteigert. 

Über die Dächer der alten Häufer hinaus fleht man den formen- 
reichen Giebel der St. Johanniskirche, der ehemaligen Klofter- 
kirche der Dominikaner, ragen, deflen Architektur auf Einflüfle 
aus den preußifchen Ordenslanden hinweift. Die Kirche ift gegen 
den Ausgang des 15. Jahrhunderts an die Stelle eines älteren 
Bauwerks getreten. Rat und Bürgerfchaft hatten nach Kräften zu 
ihrem Bau gefteuert und auch der Deutfche Orden hatte fleh durch 
die Lieferung von Kalk und Steinen daran beteiligt. 

Wie feft do,s Straßennetj damals fdion lag, beweift die Knickung 
der Außenmauer der Kirche, die hier genau dem Zuge der fie 
füdweftlich begrenzenden Sdiarrenftraße folgt. Diefer Lage ent- 
fprechend find auch die Strebepfeiler, die den Druck des weit 
gefpannten Gewölbes des einfehiffigen KirchenfchifFs aufzunehmen 
haben, nach innen gezogen. Zwifchen ihnen haben auf der dem 
Klofterhof zugekehrten Seite kleine Kapellen Platj gefunden, die 
mit zierlichen Sterngewölben überfpannt find. Das Schiff decken 
reiche Netjgewölbe, die, wie dem Buche der Ältermänner der 
großen Gilde zu entnehmen ift, an den Überfchneidungsftellen der 
Rippen die Wappen und Marken derjenigen Bürgermeifter, Rat- 
mannen und Bürger trugen, durch deren Munifizenz der Kirchenbau 
ermöglicht wurde. Keines diefer Wappen ift mehr vorhanden; 
nur die eifernen Stifte, die fie einft hielten, find noch erkennbar. — 
Zurzeit macht das Innere durch die Wände und Gewölbe be- 
deckende fdimu^igweiße Tünche und die Staubablagerungen auf 
den rauhen Flächen einen etwas verkommenen Eindruck, der noch 
gefteigert wird durch einen häßlichen graubraunen Anftrich, der 
gleichmäßig Geftühl, Emporen, Altar und Kanzel bedeckt. Einft 
fchmückten farbenprächtige Malereien die Wände und Gewölbe. 
An der Rückwand einer Kapelle traten gelegentlich einer Unter- 
fuchung Gemälde legendarifchen Inhalts hervor; am Gewölbe 
zeigten fich zwifchen den rotbemalten Rippen grüne, fchwarzum- 
randete gotifche Blattornamente mit rötlichen Blumen auf hell- 
grauem Grunde. Sie find wieder unter einer neuen Tünche be- 
graben worden. 



St. Johann 



35 




Abb. 18. Die St. Petri-, St. Johannis- und Domkirche. 
Nach einer Aufnahme des Architekten W. Bockslaff. 

Der zierliche Bau hat mancherlei Schickfale gehabt. Nach der 
Vertreibung der Dominikaner im Jahre 1523 diente die Kirche 
lange profanen Zwecken. Dann wurde fie vermietet, und ein 
Mieter, der Ratsherr Rötger Schulte, benutjte den Chor als Kuh- 
und Pferdeftall. Darüber von der Geiftlichkeit beim deutfdien 
Kaifer erhobene Klagen trugen der Stadt eine Buße von 18000 Mark 

3* 



36 



Riga 



ein. Darauf diente fie der Stadt als Zeughaus bis zum Jahre 1582, 
wo fie der lettifchen Kirchengemeinde überwiefen wurde, weil 
König Stephan Batory die von diefer bisher benutzte St. Jakobi- 
kirche den Jefuiten einzuräumen befahl. 

Der jetjige dreifchiffige Chor ift eine fpätere Zutat und das 
erfte Werk livländifcher Kirchenbaukunft, das die Elemente der 
Renaiflance in konfequenter Weife zur Durchführung brachte. Er 
wurde, wie eine Gedächtnistafel meldet, am 8. Juli 1587 begonnen 
und mit dem Giebeltürmchen am 11. September 1589 vollendet. 
Die Arkadenftütjen bilden toskanifche auf Poftamenten fliehende 
gemauerte Säulen, die, nach dem Brande von 1677 in Holzkon- 
ftruktion erneuerte, Kreuzgewölbe tragen. Wie weit die damaligen 
Baumeifter fchon dem Verftändnis für gotifdie Formen entfremdet 
waren, läßt das gotifierende Maßwerk in den flachbogig gewölbten 
Fenftern erkennen. Das Giebeltürmchen ift um die Mitte des 
19. Jahrhunderts durch ein neues in gotifchen Formen erfetjt 
worden mit dem ganzen Zubehör von Kreuzblumen und Krabben, 
ohne welchen Schmuck ein gotifch fein füllender Turm damals 
fchlechterdings nicht gut zu denken war. Der mehrfach erwähnte 
Kupferftidi von 1612 zeigt ihn uns mit einer gefchwungenen Haube, 
die an den damaligen holländifchen Einfluß erinnert. 

Außer dem Dominikanerklofter und einem in der Nähe der 
Petrikirche gelegenen Konvent derBeginen, von dem keinerlei 
Spuren erhalten find, lag in der Scheunenftraße das Franzis- 
kanerklofter zu St. Katharinen, gegründet um 1250, von 
deflen Kirche, die etwa der Mündung der Kauf- in die Scheunen- 
ftraße gegenüberlag, fich Refte in einem Wohnhaufe erhalten 
haben. In der Nähe der St. Jakobikirche , auf dem Grunde des 
jetjigen erzbifchöflichen Hofes, befand fich das Klofter der 
Cifterzienfernonnen zu St. Marien, deflen Stiftung surkunde 
vom Jahre 1255 datiert. Bis zur Errichtung einer eignen Kirche 
war den Nonnen die Mitbenutzung der St. Jakobikirche geftattet 
worden. Nach der Einführung der Reformation wurde das Klofter 
aufgehoben und nach dem Tode der legten Nonne von den Jefuiten 
in ihm eine Erziehungsanftalt eingerichtet, die jedoch nur bis zum 
Beginn der fchwedifchen Herrfchaft beftand. Die Gebäude wech- 
felten fpäter vielfach den Befitjer und gelangten fchließlich 1710 
mit der während des 15. Jahrhunderts erbauten Klofterkirche in 
den Bellt} der griechifch-orthodoxen Geiftlichkeit, wodurch fie um- 



St. Jakob 



37 



faffenden Veränderungen 
unterworfen wurden. Die 
während der Belagerung 
Rigas im Jahre 1710 fehr 
befdiädigte Kirche ift feit 
jener Zeit völlig umge- 
baut und dem heil. Alexei 
geweiht worden. 

Öftlich vom ehemaligen 
Klofter erhebt fich die 
malerifche St. Jakobi- 
kirche, ein Backfteinbau 
mit mächtig aufftreben- 
dem fchlanken Turm. Der 
Bau ift nicht aus einem 
Guß entftanden. Auch bei 
ihm haben, wie bei den 
übrigen mittelalterlichen 

Kirchen nachweislich 
Wechfel in der Plange- 
ftaltung ftattgefunden. 
Abb. 19. Die St. JokobikirAe. Der Chor, als der ältefte 

Bauteil, zeigt fpätroma- 
nifche Formen, die denen der älteften Teile des Domes verwandt 
find. Seine Entftehung könnte darnach in das zweite Jahrzehnt 
des 13. Jahrhunderts gefetjt werden. Eine Urkunde vom Jahre 
1226 fpricht fchon von einem Streit um das Patronatsrecht an 
der Kirche zwifchen Bifchof und Orden. 

Der Chor fcheint längere Zeit allein beftanden und dem Gottes- 
dienfte für die anfänglich kleine Gemeinde außerhalb der Mauern 
der Altftadt gedient zu haben, denn fein urfprünglicher Fußboden 
liegt bedeutend tiefer als der des wahrfcheinlich einige Jahrzehnte 
fpäter erft angefügten Schiffs. Diefe merklichen Höhenunter- 
fchiede, die bei der Aufführung des Langhaufes durch teilweifes 
Verfchütten des Chorraumes ausgeglichen wurden, wird man auf 
die Erhöhung des umliegenden Straßenniveaus zu fetjen haben, 
die notwendig wurde, um gegen die Frühjahrsüberfchwemmungen 
der Düna gefichert zu fein. Beim Dom hatte man diefe Vorficht 
außer acht gelalfen; fein Fußboden liegt heute gegen 3 m unter 




38 



Riga 



dem Straßenniveau. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, 
wahrfcheinlich um 1475, erlitt die St. Jakobikirdie eine dritte 
bauliche Veränderung, die fie in die heutige Geftalt brachte. Das 
Mittelfchiff erhöhte man, dem Turm fügte man drei Gefchofle 
und einen über vier Giebeln aufsteigenden fchlanken Helm hinzu. 
Doch kaum waren die Bauarbeiten beendet, als während eines 
Kampfes des Ordens mit der Stadt der „neugebaute" Turm vom 
Schloß aus in Brand gefdioflen wurde. Das gefdiah am 6. Fe- 
bruar 1482. 

Die Jakobikirdie ift die kleinfte der mittelalterlichen Kirchen 
Rigas; das Mittelfchiff hat nur zwei Gewölbjoche, das dritte 
nimmt der Turm ein. Das Äußere intereffiert befonders durch 
die leicht aufftrebende Architektur des Turmes, der den ganzen 
Reiz der gotifchen Ziegelarchitektur mit ihren Spitjbogenblenden, 
Spitjbogenfriefen und dekorativen Putjflächen zur Schau trägt. Der 
jetrige Turmhelm gehört dem legten Viertel des 18. Jahrhunderts 
an. Reftaurierungsarbeiten der legten Jahre haben die mittel- 
alterliche Bemalung der Gewölbrippen wieder zutage treten laffen. 
Sie ift pietätvoll wiederhergeftellt worden. 

An der Südfeite der Kirche erheben fich die Refte der ehe- 
maligen Kapelle zum heil. Kreuz, die unter der Regierung Carls XI. 
von Schweden im Jahre 1675 als Schola Carolina zum Lyceum 
eingerichtet wurde und diefem Zwecke diente bis zur Errichtung 
des Gouvernementsgymnafiums gegenüber dem Schloß. 

Der Dom, St. Peter, St. Jakob und St. Johann mit ihren hoch- 
aufftrebenden Baumaffen, namentlich die drei Hauptkirchen mit 
ihren gewaltigen Türmen, geben dem Stadtbilde Rigas feinen 
eigenartigen, an die Zeit hanfeatifcher Bedeutung erinnernden 
Charakter, fo viel auch fonft Zeit und Menfchen an diefem Bilde 
gemodelt haben. Und diefer Charakter wird der Stadt bleiben, 
fo lange diefe Türme ihre Spitjen ins Blau ftrecken. 



Bifchof Albert hatte durch die Gründung der Stadt Riga am 
Dünageftade dem deutfchen Handel eine neue wichtige Poiltion 
an der Oftfee gefchaffen, die überrafchend fchnell emporblühte. 
Zur Kultivierung der umliegenden gewonnenen Landgebiete rief er 
die Cifterzienfer ins Land; zum Schutj feiner Gründung gegen 
feindliche Einfälle und zur weiteren Eroberung heidnifdier Gebiete 



Der Deutfdie Orden 



39 




Abb. 20. Siegel des Meifters des 
Schwertbrüderordens. 



fdiuf er fich im Jahre 1202 eine ftehende 
Kriegsmacht durch die Gründung des 
Ordens der Ritterfchaft Chrifti. 
Der Papft beftätigte diefen geiftlichen 
Ritterorden und erteilte ihm die Regel 
der Templer. Nach dem Abzeichen 
der Ordensmitglieder, einem roten 
Schwert auf dem weißen Mantel, hat 
man fie auch Schwertritter oder 
Schwertbrüder genannt. An ihrer 
Spi^e ftand ein Ordensmeifter. Ihre 
erfte Niederlaffung in Riga, der St. Jür- 
genshof, lag neb en dem Hofe des Bifchof s 
an der Stelle des heutigen Konvents 
zum heil. Geilt. Bald auftretende Spal- 
tungen innerhalb des Ordens und das 
Beftreben, von der Oberherrlichkeit 



des Bifchofs befreit zu fein, um die eigne Macht zu vergrößern, 
führten zu Verfuchen, Anfchluß an den Deutfchen Orden in Preußen 
zu gewinnen, die aber zunächft erfolglos blieben. Erft die furcht- 
bare Dezimierung des Ordens in der Schlacht gegen die Litauer 
bei Säule (Schaulen?) in Kurland führte 1237 zu feiner Auflöfung 
und zum Aufgehen feiner wenigen Refte in den Deutfchen Orden, 
der nun den St. Jürgenshof einnahm und fortan in Livland eine 
große Rolle fpielen follte. Auch diefer livländifche Zweig des 
Deutfchen Ordens wurde auf päpftliche Anordnung in einem Ab- 
hängigkeitsverhältnis vom Bifchof (fpäter Erzbifchof) von Riga 
erhalten, was zu einer Quelle zahllofer Streitigkeiten zwifchen 
den Madithabern im Lande wurde, aus denen der Orden jedoch 
faft immer — infolge feiner kriegerifchen Überlegenheit — als 
der obliegende Teil hervorging. Je mehr feine Macht wuchs, um 
fo eifriger trachtete er auch nach der Oberherrfchaft über die 
aufblühende Hanfeftadt, die jedoch energifch für ihre Selbftändig- 
keit eintrat. Ein im Grunde unwefentlicher Anlaß, ein Brückenbau 
über die Rige in der Nähe des St. Jürgenshofes, den die Stadt 
unternommen hatte, um Baumaterialien zur Herftellung eines 
Bollwerks herbeizufchaffen, das zur Regulierung des Eisganges 
in der Düna dienen follte, ließ fdiließlich im Jahre 1297 die Gegen- 
fä^e zwifchen Stadt und Orden zu offenem Kampf auflodern. 



40 



Riga 



Der Komtur hatte den Bau verhindern und fogar einen Teil der 
Brücke abbrechen lauen. In der Stadt gärte es, und eine am 
27. Juli ausbrechende Feuersbrunft, der faft die halbe Stadt zum 
Opfer fiel, fchürte den Haß der Bürger gegen die Ordensritter 
auf das äußerfte. Zwar gelang es dem Erzbifchof Johann III. die 
ftreitenden Parteien zu befchwichtigen ; der Brückenbau wurde 
fortgefe^t, doch die unausgefe^ten Verfuche des Ordens, fidi der 
Oberherrfchaft über die Stadt zu bemächtigen, führten endlich 
zum Kriege der Stadt wider den Orden. Die Bürger verbrannten 
die Marftälle des Ordens, befeftigten die benachbarte St. Petri- 
kirche, richteten dort Blieden auf, befchoflen den St. Jürgenshof, 
erftürmten und zerftörten ihn. Den Komtur und viele Ordens- 
brüder, die in ihre Hände gefallen waren, ließen fie hinrichten. 
Zwar wurden die Streitigkeiten auf einem Städtetage in Lübeck 
vorläufig verglichen, doch loderten fie, durch Übergriffe des Ordens 
veranlaßt und durch die fchwankende Politik des päpftlidien Stuhles 
angefacht, immer wieder von neuem auf, bis im Jahre 1330 der 
kraftvolle Ordensmeifter Eberhard v. Monheim die Unterwerfung 
der Stadt unter die Gewalt des Ordens erzwang. Vom 23. März 
1330 datiert die Unterwerfungsurkunde, der fog. nackende Brief 
der Stadt Riga. Die Bürgerfchaft mußte fich unter anderem dazu 
verpflichten, einen Teil ihrer Stadtmauern niederzulegen und am 
Nordrande der Stadt, am Ufer der Düna eine neue Ordensburg 
zu errichten, wozu am 13. Juni 1330, am Tage des heil. Vitus, der 
Ordensmeifter felbft den Grundftein legte. Das ftädtifche Hofpital 
zum heil. Geift, das an diefer Stelle beftand, wurde nun in den 
ehemaligen St. Jürgenshof verlegt und feiner einft dem heil. Georg 
geweihten Kapelle begegnet man fortan unter dem Namen der 
heil. Geiftkirdie. Im Jahre 1488 überließ der Rat fie den Mino- 
riten, die fie der heil. Katharina weihten, und in ihrem Befit} 
blieb fie bis zur Einführung der Reformation. Seit dem Übergang 
der Kirche in den Befitj der Minoriten mag fie in die heute noch 
erkennbare Form gebracht fein, indem man den ehemaligen zwei- 
fchiffigen Kapitelfaal der Burg als Schiff mit der Kapelle als Chor 
verband. Von 1699 ab diente fie als Speicher. In diefer Geftalt 
ift fie auf die heutige Zeit gekommen, umgeben von allerhand 
kleinen Anbauten um die romanifche Chorapfis, die, vom Hof aus 
gefehen, mit dem 'dahinter fichtbar werdenden Turmhelm von 
St. Peter einen überrafchend malerifchen Anblick gewähren. 



Das Ordensfchloß 



41 




Abb. 21. Das ehemalige Schloß des Deutfchen Ordens. (Rekonftruktion.) 

Bei der Erwähnung der Burgen des Deutfchen Ordens denkt 
man gewöhnlich zunächft an den Sit} des Hochmeifters, an die 
herrliche Marienburg am Ufer der Nogat. Nichts oder faft nichts 
von dem, was diefe Perle norddeutfcher Ziegelarchitektur und 
überhaupt die Burgen des Deutfchen Ordens in Preußen künft- 
lerifch fo anziehend macht, findet fich hier. Schon das Bau- 
material, das hier faft ausfchließlich roh gebrochene Kalkftein- 
quadern bilden, die fpäter mit einem Kalkputj überzogen wurden 
und das faft völlige Fehlen jeglichen architektonifchen äußeren 
Schmuckes, fcheiden die hiefigen Bauten von jenen. Auch das 
Innere, oft zwar durch fchöne Raumverhältnifle auffallend, bietet 



42 



Riga 



dodi künftlerifch Bedeutendes nur in feltenen Fällen. Und trotj 
diefes Mangels an höherer künftlerifcher Durchbildung ift diefen 
Bauten nicht feiten ein eigner malerifcher Reiz eigen, der durch 
die gewandte Gruppierung der Baumaffen und die gut abge- 
wogenen Verhältniffe der einzelnen Teile zueinander hervor- 
gerufen wird. 

Das Rigafche Ordensfchloß gehört bereits jenem Typus an, der 
fich feit dem Beginn des 14. Jahrhunderts für die Burgen diefer 
Rittermönche als feftftehend verfolgen läßt: die quadratifche, oder 
doch dem Quadrat fich nähernde Grundform, gebildet aus vier 
einen innern Hof umfchließende Flügel, deren äußere Ecken durch 
Türme bewehrt find. An der Nordecke des Rigafchen Ordens- 
fchloffes fleht noch der heil. Geiftturm, der vor 1330 die Stadt- 
befeftigung hier abfchloß; ihm gegenüber an der Südecke erhebt 
fich der Bleiturm, in deffen zweitem Gefdioß die mit einem Stern- 
gewölbe überdeckte ehemalige Sakriftei belegen ift. An den 
beiden andern Ecken find kleine viereckige Treppentürme ange- 
ordnet. Die der heil. Maria geweihte Ordenskapelle und Refte 
des an fie grenzenden zweifchiffigen Remters find im Südflügel 
noch erhalten, doch die Räume find der Höhe und der Länge 
nach derart in eine Anzahl kleiner Zimmer zerlegt, daß nur der 
Eingeweihte fich ein Bild des früheren Zuftandes machen kann. 

In einem zweiten heftigen Kampf der Rigafchen Bürgerfchaft 
gegen den Orden eroberte fie auch diefes Schloß am 18. Mai 1483, 
das fie im Jahre 1330 als Zwinguri vor ihren Toren hatte errichten 
müffen, und begann es abzubrechen. Als Zeichen ihres Sieges und 
Triumphes über den Orden fchickte fie fogar Ziegelfteine vom 
Schloß an die befreundeten Hanfeftädte. Doch die Freude dauerte 
nicht lange. Nach der Niederwerfung der Stadt in der Schlacht 
bei Neuermühlen, am 30. März 1491, wurde fie gezwungen, das 
Schloß wieder aufzubauen, und wenn fie fich damit auch nicht 
übermäßig beeilte — ihre finanzielle Erfchöpfung nach dem Kriege 
war zu groß — , im Jahre 1515 fcheinen die Wiederherftellungs- 
arbeiten doch ihren Abfchluß gefunden zu haben, und zwar mit 
der Aufftellung einer Madonnenftatue über dem von der Vorburg 
zum innern Burghof führenden Tor. Die Infchrifttafel zu den 
Füßen des konventionell g eftarteten Marienbildes läßt fchließen, 
daß es der Ordensmeifter Wolter von Plettenberg im Jahre 1515 
aufftellen ließ. 



Das Ordensfchloß 



43 




Abb. 22. Madonnenftatue und Standbild des Ordensmeifter Wolter v. Plettenberg. 

Neben der Madonna ift redits in einer Achtbar fpäter ausge- 
brochenen Nifche die Statue des Ordensmeifters felbft angebracht, 
wahrfcheinlich eine Stiftung der Bürgerfchaft zu Ehren des milden 
und gerechten Herrn, und vermutlich die liebevolle, wenn auch 
bis auf den p orträt ähnlichen Kopf, recht fchwache Arbeit eines 
Rigafchen Steinmetzen. Eine Tafel zu den Füßen der Statue trägt 
den Namen des Ordensmeifters und die Jahreszahl 1515 (Abb. 22). 

Von den Gebäuden der auf der Nordfeite des Schlofles ge- 
legenen Vorburg find nur die in einem Neubau vermauerten Refte 



44 



Riga 



eines Torturnies vorhanden. Am Wohn- 
haufe der Gouverneure hat fidi aus 
fdiwedifdier Zeit ein hübfdies Erker- 
türmdien erhalten mit fkulptierten 
Brüftungsfüllungen unter den Fenftern 
und der Jahreszahl 1649 (Abb. 23). An 
der Oftfeite des Schlofles war 1682 ein 
großes Zeughaus erbaut worden, das 
1783 fiel, um dem fog. Statthalter- 
fdiaftsbau Platj zu machen, einem lang- 
geftreckten Gebäude von kafernen- 
mäßigem Ausfehen. Seinen Urfprung 
verdankte diefer Bau der Einführung 
der Statthalterfchaftsregierung (1783 
bis 1796) unter Katharina IL, wo- 
durch die alte Landesverfaflung be- 
feitigt wurde. Das fchwerfällige und 
für das Land verhängnisvolle Regie- 
rungsfyftem löfte Kaifer Paul nach 
feinem Regierungsantritt auf und ftellte 
die frühere Verfaflung wieder her. 

Auf dem Pla^, der durch die Ver- 
fchüttung des ehemaligen Sdiloßgra- 
bens vor dem Statthalterfchaftsbau ent- 
ftanden ift, erhebt fich inmitten hüb- 
fcher Gartenanlagen eine von einer 
bronzenen Viktoria gekrönte granitne 
Gedenkfäule, die 1814 von der Riga- 
fchen Kaufmannfchaft zum Andenken 
an die Befreiungskriege unter Alexan- 
der I. errichtet wurde. 

Ein anderes Denkmal zu Ehren 
des beliebten Monarchen ift das Sie- 
gestor, durch das er am 28. Auguft 
1818 nach feiner Rückkehr von Paris 
feinen Einzug in Riga hielt. Als ver- 
kehrsftörend ift das Bauwerk — ge- 
wöhnlich die Alexanderpforte genannt 
— neuerdings vom Ende der Alexan- 




Abb. 23. Erker am ehemaligen 
Ordensfchloß. 



Die Gildenhäufer 



45 




derftraße auf die Petersbur- 
ger Chauflee hinaus an die 
Stadtgrenze verfetjt worden. 



Abb. 24. Die Häufer der „großen" und der 
„kleinen" Gilde. 



Riga war, an Stelle von 
Wisby auf Gotland, die Haupt- 
vermittlerin des Handelsver- 
kehrs zwifdien dem Weiten 
und dem Often geworden. 
Seit 1282 gehörte die Stadt 
dem Hanfebunde an und war 
bald eine feiner widitigften 
Mitglieder. Die Waren des 
Weftens wurden von hier 
dünaaufwärts ins Land und 
nach Litauen vertrieben, und 
nahmen über Land ihren Weg 
nach Rußland. Den erften 



fchweren Schlag gegen Livlands Handel führte der Großfürft 
Iwan III. durch die Schließung des Kaufhofes zu Nowgorod und 
die Gefangennehmung der dort anwefenden Rigafchen und Reval- 
fchen Kaufleute. Unter Iwan IV., dem Graufamen, wurde der 
deutfche Handel hier völlig unterbunden. Seit jener Zeit fuchte 
er neue Wege. 

Das Gemeinwefen Rigas hatte fich unter den glücklichen Han- 
delsverhältniflen troij mancher Angriffe von außen und Zwiftig- 
keiten im Innern fchnell entwickelt und mit ihm bildeten fich 
Rechtsverhältnifle aus, die in der Hauptfache dem örtlichen Leben 
entfprangen. Anfänglich ftand ein bifchöflicher Vogt an der Spitje 
des Stadtregiments, doch wußte die Bürgerfchaft fich fehr bald 
der bifchöflichen Bevormundung zu entziehen und befaß fchon 
1226 einen Rat, delfen Mitglieder fie aus ihrer Mitte wählte. 
Bifchof Albert hatte feiner Stadt das gotländifche Recht verliehen, 
das aber noch im 13. Jahrhundert durch das Hamburger Recht 
erfetjt wurde und aus dem fich fchließlich ein eignes Rigafches 
Recht entwickelte, das in einer Dreiftändeverfafliing feinen eigen- 
tümlichen Ausdruck fand. 

Diefe alte Dreiftändeverfaflung Rigas — Bürgermeifter und 



46 



Riga 




Abb. 25. Der alte Gildenfaal im Haufe der großen Gilde. 



Rat, die Bürgerfdiaft der großen (Kaufmanns-) Gilde und die der 
kleinen (Handwerker-) Gilde — wurde 1887 bei der gewaltldmen 
Ruffifizierung der Oftfeeprovinzen geftürzt. Sie hatte das Gute 
gehabt, daß Kämpfe zwifchen den Patriziern und den Zünften, 
wie fie deutfdie Städte im Reich in mehr oder minder heftiger 
Art erlebt hatten, in Riga nicht zum Ausbruch kamen. An ge- 
legentlichen Auflehnungen gegen den Rat, als die Exekutivgewalt, 
hat es allerdings auch hier nicht gefehlt. Bürgermeifter und Rat 
refidierten im Rathaufe, die Gilden in ihren Gildftuben. Rechts- 
kräftige Befchlüffe konnten nur unter Zuftimmung der gefamten 
Bürgerfdiaft oder ihrer Vertreter, der Älteften, an deren Spitje 
je ein Ältermann ftand, gefaßt werden. 

Der Rat ergänzte fleh aus der Älteftenbank der großen Gilde. 
Vorlagen des Rats in ftädtifchen Angelegenheiten wurden auf den 
Gildftuben diskutiert und um die Bürgerverfammlungen und die 
Zufammenkünfte ihrer „Älteften" zu ermöglichen, bedurfte man 
ausreichender Räumlichkeiten. 

Es war daher eine empfindliche Strafe für die Stadt, als nach 



Die Gildenhäufer 



47 




ihrer Eroberung im Jahre 1330 durch den 
Ordensmeifter Eberhard von Monheim diefer 
die beiden Gildftuben mit Befchlag belegte, 
wahrfcheinlich um fie als vorläufige Refidenz 
und Niederlaflung des Ordens an Stelle des 
von den Bürgern zerftörten St. Jürgenhofes 
und zugleich als Pfand bis zur Aufführung 
des OrdensfchlofTes vor den Toren der Stadt 
zu benutjen. Der Rat mußte, um das Gemein- 
wefen nicht zu gefährden, fchleunigft ein 
neues Gildenhaus aufführen und fo entftand 
„dat nye hus" am Markte, das jeijige 
Schwarzhäupterhaus, das 1334 zum erften- 
mal genannt wird. Erft am 2. Februar 1353, 
wahrfcheinlich nach der Vollendung des 
neuen OrdensfchlofTes, das nun bis 1470 die 
Refidenz der Ordensmeifter blieb*), gab der 
Ordensmeifter Goswin von Hericke den Gil- 
den ihre „Stuben" gegen eine vereinbarte 
Kauffumme zurück. 

Die beiden Gildftuben, heute gewöhn- 
lich als die große und die kleine unter- 
fchieden, werden auch als die Marien- 
und die St. Johannisgilde bezeichnet. Zur 
Zeit ihrer Gründung begegnete man ihnen 
unter dem Namen der „Stuben von Münfter und Soeft". Mög- 
lich, wie der Chronift Joh. Gottfr. Arndt fchreibt, daß die 
Rigafche Bürgerfchaft damit ihre erfte Heimat hat entdecken 
wollen. — Trot? der geänderten Rechtsverhältnifle haben die 
Gilden auch heute ihre Beftimmung noch nicht völlig eingebüßt, 
denn es gibt eine große Anzahl privater Wohltätigkeitsanftalten 
zu verwalten und dadurch hat der Zufammenfchluß der Bürger- 
fchaft, wenn diefe auch feit der Aufhebung der alten Verfaflung 
politifch entmündigt ift, doch nie aufgehört. In der „kleinen" 
Gilde find es ähnliche Zwecke und außerdem die Intereffen der 
noch fortbeftehenden Handwerksämter, die neben gefelligen Unter- 
nehmungen verfchiedener Art den Zufammenhalt ermöglichen. 

*) 1470 wurde die herrmeifterlidie Refidenz nadi der Burg Fellin verlegt und 1484 
die Burg Wenden von Wolter v. Plettenberg zum Sit? des Ordensmeifters gewählt. 



Abb. 26. Die „Docke" der 
großen Gilde. 



48 Riga 




Abb. 27. Reit eines Schni^altars im Saale der großen Gilde. 

Die jetzigen Gebäude der beiden Gilden gehören bereits der 
Neuzeit an. Man kann fie als die erften Zeugen der Entwicklung 
Rigas zur Großftadt anfehen, die mit der Niederlegung der alten 
Feftungswälle ihren Anfang nimmt. Die große Gildftube wurde 
nach den Plänen des Profeflbrs der Petersburger Kunftakademie 
Karl Beyne erbaut und 1854 im Rohbau vollendet. Durch den 
Krimkrieg, der fich durch die Blockierung des Hafens auch hier 
bemerkbar machte, mußte der Bau unterbrochen werden; 1857 
wurde er wieder aufgenommen und 1859 vollendet. Mit vielem 
Gefchick hat der Baumeifter den mittelalterlichen Gildenfaal mit 
dem Neubau vereinigt und dadurch der Stadt ein künftlerifch, 
mehr aber hiftorifch bedeutfames Werk erhalten. Der Saalbau 
gehört der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an. Er ift zwei- 
fchiffig; fechs Steinfäulen ftütjen die Kreuzgewölbe, von denen 
zehn über quadratifchem Grundriß errichtet find, wogegen die 
äußern vier eine oblonge Form haben. Diefe Abänderung ift 
eine Folge des legten Umbaues. Doch fcheint der Saal bereits 
im Mittelalter, im Laufe des 14. Jahrhunderts, einen Umbau, eine 
Vergrößerung, erfahren zu haben, denn vier Säulen zeigen an 
ihren Kapitellen die ältere Form der abwärts gekehrten abge- 



Die Gildenhäufer 



49 



ftumpften Pyramide, die beiden 
andern eine knaufförmige goti- 
fierende Ausbildung. Möglich, 
daß diefe Vergrößerung des 
Saales nach der Rückerwerbung 
der Gildftuben vorgenommen 
wurde. 

Die befcheidene Ausftattung 
des Saales, bis auf die moderne 
Bemalung der Wände und Ge- 
wölbe, gehört zum größten Teil 
dem 17. Jahrhundert an, fo die 
hübfche eichene Tribüne der 
Stadtpfeifer und die fchönen 
meffingnen Kronleuchter. Das 
aus Eichenholz gefchnitjte und 
bemalte Marienbild, die fog. 
Docke, unter der ftehend, gleich- 
fam unter ihrem Schule, der 
Dockmann, das ift der Sprecher 
der Gilde, vor der Bürgerfchaft 
feines Amtes zu walten hat, flammt aus dem erften Viertel des 
16. Jahrhunderts (Abb. 26). 

An die alte Gildftube grenzt die fog. Brautkammer, ein beim 
Neubau mit Benutmng älterer Kunftfragmente hergeftellter kleiner 
Saal. Bei den Hochzeitsfeften der Bürger, die während des 16. 
und 17. Jahrhunderts größtenteils auf der Gildftube abgehalten 
wurden, diente die Brautkammer den jungen Eheleuten zum 
Aufenthalt während der Brautnacht. Ein fchöner Kamin vom 
Jahre 1633 verleiht diefem Gemach eine befondere Zierde. 

Erwähnung verdient der über der vom Saal zur Brautkammer 
führenden Tür angebrachte Reft eines Schnitjaltars vom Ende des 
15. Jahrhunderts, den Tod Mariä darftellend (Abb. 27). 

Die äußere Architektur des Gildenhaufes zeigte vor dem Um- 
bau die Formen der nordifchen Renaiffance vom Ende des 17 Jahr- 
hunderts mit mächtigen Volutengiebeln. Die Architektur des Neu- 
baues lehnt fich an den fog. Tudorftil, doch hat ihn der Künftler 
in freier genialer Weife verwendet und fein Werk durch eine 
kräftige Formengebung zu monumentaler Wirkung gefteigert. — 

Riga u. Revol 4 




Abb. 28. Gotifcher Kronleuchter aus dem 
Haufe der kleinen Gilde; jetjt im Dom- 
mufeum. 



50 



Riga 




Ein in den legten Jahren unter- 
nommener Erweiterungsbau 
ift ebenfalls in gotifdien For- 
men ausgeführt, doch im Ge- 
genfatj zumHauptbauhatman 
Formen der franzöfifchen 
Spätgotik zum Vorbild ge- 
nommen. Diefe find zwar 
mit vielem Gefdiick ver- 
wertet, doch bringen fie 
ebenfowenig dasWefen eines 
norddeutfchen mittelalter- 
lichen Gildehaufes zum Aus- 
druck wie die englifierende 
Architektur des Hauptbaues. 
Dem deutfch - mittelalter- 
lichen Charakter des Gilden- 
wefens, der über diefem vom 
lauten Straßenverkehr nur 
wenig berührten Fleckchen 
Erde gewiflermaßen in derLuft 
liegt, entfprechen beide nicht. 

Auch der Neubau der benachbarten „kleinen" oder St. Johannis- 
gilde ift in gotifdien Formen durchgeführt, die zwar mehr deutfchen 
Charakters find, aber unter der Einwirkung der wuchtigen Archi- 
tektur des Haufes der großen Gilde faft erdrückt erfcheinen. Das 
Gebäude wurde in den Jahren 1864 bis 1866 nach den Plänen des 
Rigafchen Stadtbaumeifters Johann Daniel Felsko (1813—1902) 
aufgeführt. 

Das ehemalige ftädtifche Gildenhaus am Markt, das „neue 
Haus", befindet fich jetjt im Belize der Gefellfchaft der Schwarz- 
häupter. Die Gefellfchaft, eine Vereinigung der unverehelichten 
deutfchen Kaufleute, führt die Bezeichnung zurück auf den Mohren- 
kopf des heil. Mauritius in ihrem Wappen. Schutzpatron der 
Schwarzhäupter war auch der heil. Georg. 

Im Mittelalter waren es wohl hauptfächlich die Kaufgefellen, 
die noch nicht felbftändigen Kaufleute, die fich unter ihren Schuts- 
patronen St. Georg und St. Mauritius zufammenfanden. Solcher 
Gefellfchaften gab es im alten Livland faft in allen Städten; poli- 



Abb. 29. Das Schwarzhäupterhaus vor dem 
legten Umbau. 



Die Gildenhäufer 



51 




EISSs» 



m 






Abb. 30. Die Beifchlagfteine am Sdiworzhäupterhaufe. 



tifdie Bedeutung 
haben fie indeflen 
nie gehabt, obwohl 
fie gelegentlich, wie 
dieRevalerSchwarz- 
häupter in Helm 
und Harnifdi zur 
Abwehr feindlicher 
Angriffe auf die 
Stadt mit den Bür- 
gern gemeinfam 
ausritten. Die älte- 
fte der Schwarz- 
häupterg efellfchaf- 
ten ift die zu Reval, 
die bereits zu Ende 
des 14. Jahrhun- 
derts beftand und 
im Jahre 1407 vom 
Rat ihre offizielle 
Beftätigung erhielt. 
Die Rigafche Ge- 
fellfchaft erhielt 
1416 ihren Schrä- 
gen. 

In diefem ftädti- 
fchen Gildenhaufe 
hatten die Schwarz- 
häupter fchon feit 
den fiebzig er Jahren 
des 15. Jahrhun- 
derts das Haupt- 
gefchoß gegen eine 
jährliche Rente von 
40 Mark zu fieben 
Lot Silber inne ; im 
Jahre 1713 ging das 
Haus völlig in ihren 
Befitj über. Auch 

4* 



S2 



Riga 



an (liefern Gebäude ift die Zeit nicht 
fpurlos vorübergegangen. Anfäng- 
lich ein einfacher Ziegelbau, deffen 
Untergefchoß von kleinen „Buden" 
(Verkaufsläden) eingenommen war; 
darüber das Hauptgefchoß mit dem 
Gildenfaal und einigen Nebenräumen 
und über diefes fich erhebend das 
mächtige Dach mit den vier Speicher- 
böden, befeitet zum Marktplatj hin 
mit einem nifchengezierten Staffel- 
giebel, zur Rückfront mit einem der 
Dachneigung folgenden, ebenfalls mit 
Spi^bogennifchen verfehenen Giebel. 
Vor dem Eingange zum Gildenfaal 
eine Freitreppe in der Art der Dan- 
ziger Beifchläge. So läßt fich am 
Gebäude felbft und aus älteren Ab- 
bildungen der ehemalige Zuftand er- 
kennen. Im 17. Jahrhundert erhielt 
der Marktgiebel feine Verzierung 
durch ein kraufes Volutenwerk mit 
kleinen Spitjfäulen, Figürchen und 
drei eifernen vergoldeten Bekrönun- 
gen, deren mittlere in der Figur 
des aus Kupfer getriebenen und ver- 
goldeten Drachentöters St. Georg 
endigt. Ihn hatte der Ältermann der Rigafchen Goldfchmiede 
Eberhard Meyer (Meifter feit 1600, f 1643) angefertigt und das 
Amt der Goldfchmiede brachte ihn 1622 „der löblichen Kompagnie 
der Schwarzen Häupter" als Gefchenk dar. Der Ältermann Peter 
Öfking aus Lübeck ftiftete das fdiöne Portal, das leider nur noch 
in einer Zeichnung erhalten ift. 1622 wurde auch am Giebel das 
große Calendarium perpetuum angebracht. 

Die Neuzeit hat manches an dem alten Bau geändert, ohne 
ihn dadurch zu verfdiönern. Befonders ftörend und die Monumen- 
talität des Haufes fchädigend wirken die vorgebauten Läden durch 
ihre aufdringliche Architektur und das zwifchen ihnen eingeklemmte 
Portal, in deffen Seitenpfeiler zwei alte Skulpturen vom ehe- 




Abb. 31. Aus dem Silberfcha^ der 
Schwarzhäupter. 



Die Gildenhäufer 



53 




Abb. 32. Aus dem Silberfdiatj der Schwarzhäupter. 



maligen Beifdilag eingemauert find (Abb. 30). Sie flammen aus dem 
Jahre 1522, find künftlerifdi nicht gerade bedeutend, aber doch recht 
intereflant. Auf dem einen lieht man die Madonna mit dem Jefus- 
knaben in Flachrelief, darüber in einem achteckigen Felde das 
Stadtwappen; auf dem anderen einen Schwarzhäupterbruder in 
Turnierrüftung und über ihm das Wappen der Gefellfchaft: den 
Mohrenkopf des heil. Mauritius. Unter den Figuren find in den 



54 Riga 




Abb. 33. Aus dem Silberfchatj der Schwarzhäupter. 



Stein Verhaltungsmaßregeln für die das Schwarzhäupterhaus Be- 
fuchenden eingemeißelt. Unter der Figur des Gewappneten lieft 
man: de uppe dessen hoef gheyt dorch prys vnde vverdycheit, 
de sy hoevis yn synen reden, deyt he des nydit he wert ghe- 
meden. noch segge yck dy mer vves hoeves vnde betale dyn ber, 
lat dyn klappen, dat ber dat volget dem tappen. 

Die Ausftattung des großen Gildenfaales hat man fidi nach 
erhaltenen, aus dem Ende des 18. Jahrhunderts flammenden Skizzen 
einzelner Teile ähnlich der des Haufes der SchifFergefellfchaft in 
Lübeck zu denken, mit derben Tifdien und Bänken, die für einzelne 
Genoflenfchaften, zu denen die Schwarzhäupter in Beziehung ftanden, 
durch Schranken von den übrigen getrennt waren. Die legten 
Refte diefer Ausftattung verfchwanden zu Ende des 18. Jahr- 
hunderts, um modernen Einrichtungen Pla^ zu machen. 

Ein köftlicher Befitj der Schwarzhäupter aber ift ihr herrlicher 
Silberfchafj. Als älteftes Stück ift ein Reliquiar hervorzuheben, 
eine 5600 g fchwere, filberne Statue des heil. Georg, die die 



Die Gildenhäufer 



55 



Schwarzhäupter im Jahre 
1503 bei dem Goldfdimied 
Berndt Heyneman (von 
1491 — 1514 nachweisbar) in 
Lübeck beftellten (Abb. 31). 
Sie ift infchriftlich 1507 voll- 
endet worden. — Hervor- 
ragendeWerke Augsburger 
Goldfchmiede find ferner 
zwei filberne Tafelauffätje; 
der eine, von Sebaftian 
Mylius (t 1722), ftellt den 
König Guftav Adolf von 
Schweden zu Pferde dar, 
ein Gefchenk des fchwedi- 
fchen Generalgouverneurs 
von Livland, Grafen Guftav 
Horn, das er gelegentlich 
der Aufnahme feines Soh- 
nes in die Gefellfchaft der 
Sdiwarzenhäupter diefer 
verehrte; den anderen, den 
heil. Mauritius, auf einem 
Seepferd darftellend, fchuf 
Johann Sebaftian Mylius 
(f 1727) (Abb. 32). Augsburger Arbeit ift auch eine große ovale 
Prunkfchüflel mit dem Wappen der Stifter auf dem Rande und 
einem Relief, Phaeton im Sonnenwagen vom Bli^ des Zeus ge- 
troffen (Abb. 33). Unter den vielen vorzüglichen Arbeiten Rigafcher 
Goldfchmiede zeichnen fich vor allem die getriebenen Humpendeckel 
des Johann Georg Eben aus. Er fertigte fie im Auftrage der 
Schwarzhäupter zur Erinnerung an die glorreichen Schlachten 
Karls XII. So ftellt ein Deckel den fiegreichen Entfa^ von Narva 
vor, der zweite die Schlacht bei Riga am 9. Juli 1701, der dritte 
das fiegreiche Gefecht bei Gemaurthof am 17. Juli 1705 unter dem 
fchwedifchen Feldherrn Grafen Adam Ludwig Loewenhaupt. Der 
geniale Meifter, der auch die drei Pfund fchweren goldenen Schlüffel 
anfertigte, die der Rigafche Rat am 14. Juli 1710 dem ruffifchen 
Feldmarfchall Grafen Scheremetjew bei feinem Einzüge nach der 




Abb. 34. Aus dem Silberfcha^ der Sdrwarz- 
häupter. 



56 



Riga 




1 




Kapitulation der Stadt als Ehreng e- 
fdienk überreidite, erlag leider in 
demfelben Jahre der verheerenden 
Peft. Audi die Arbeiten anderer Riga- 
fdier Goldfdimiede des 17. und 18. Jahr- 
hunderts, wie Georg Dechant, Chri- 
ftopher Dey und Jürgen Linden ver- 
dienen Beachtung. 



Das erfte Rathaus hatte in der 
Kaufftraße geftanden. Die Vollendung 
des neuen am Markt wird um 1350 
erfolgt fein, denn in diefem Jahre 
wurde das ältere Gebäude vom Rat 
verkauft. Über das Ausfehen diefes 
zweiten Rathaufes kann man fleh nur 
nach vorhandenen fchriftlichen Auf- 
zeichnungen und nach dem Molynfchen 
Stich von 1612 ein ungefähres Bild 
machen. Lauben im Erdgefchoß, der 
große Bürgerfaal, die Ratsftube, die 
Schreiberei und die Kämmerei wer- 
den genannt. Der Turm wird er- 
wähnt, ein Marienbild an der Außen- 
wand, das um 1466 Johann von der 
Lynen malt, und vor dem Haufe 
die Rolandfäule. Den ganzen Apparat eines deutfchen mittel- 
alterlichen Rathaufes fleht man vertreten. 

Eintretende Baufälligkeit, mehr noch die Enge des Gebäudes 
forderte um die Mitte des 18. Jahrhunderts gebieterifdi einen 
Neubau, der tro$ der fchwierigen Finanzlage der Stadt, die fidi 
von den Schlägen des nordifdien Krieges nur langfam erholte, im 
Jahre 1750 nach den Plänen des Ingenieur- Oberftleutnants 
Friedrich v. Oettinger begonnen wurde. Die Baukoften 
mußten zum größten Teil aus freiwilligen Beiträgen der Bürger- 
fchaft gedeckt werden; zum Teil wurden fie von der Kaufmann- 
fchaft übernommen, für die die Hälfte des Untergefchofles zur 
Börfe eingerichtet wurde. Infolge diefer Finanznot verzögerte 



Abb. 35. Aus dem Silberfcha^ 
der Schwarzhäupter. 



58 



Riga 




Abb. 37. Das Rathaus nadi dem Umbau von 1850. 



fich die Vollendung bis zum Jahre 1765. Das Äußere ift diefen 
Zuftänden entfprediend einfach, doch nicht ohne Würde. Die 60 m 
lange Hauptfront gliedern wirkfam drei Rifalite, von denen das 
mittlere durch einen Dreiecksgiebel und einen auf toskanifchen 
Säulen ruhenden Altan kräftig betont ift. Über der Mitte des 
Daches erhebt fich ein zierliches Uhrtürmchen. Das Innere ift ohne 
höhere künftlerilche Bedeutung. 

Zur Feier der Vollendung des Rathaufes fdirieb Herder, der 
damals noch als Lehrer an der Domfchule wirkte, die den Tag der 
Rathauseinweihung ebenfalls feftlidi beging, als Programm: Haben 
wir noch jeijt das Publikum und das Vaterland der Alten. 

Im Jahre 1850 wurde dem Gebäude ein drittes Gefchoß hinzu- 
gefügt. 

Als Erinnerung an das alte Rolandsbild, das einft vor dem 
Rathaufe ftand, haben im Jahre 1896 die umwohnenden Bürger 
einen von einer Rolandsfigur gekrönten Brunnen errichten laflen. 



Öffentliche Gebäude 59 




Abb. 38. Die Börfe. 

Wie lebhaft und farbenprächtig das Marktplatjbild war, als 
noch das alte Rathaus und das 1597 ihm füdweftlich angebaute 
Kanzeleigebäude ftanden, als die „Stilifierung" der meiften Privat- 
bauten am Markt noch nicht gefchehen war, als noch die alte 
Wage auf dem Markt ftand und auch „Der Kak," die Schandfäule, 
noch als Zeichen ftrafender Gerechtigkeit vorhanden war, das läßt 
fleh nachempfinden bei einem Blick auf den Ziegelbau des Schwarz- 
häupterhaufes mit feinem glitzernden Schmuck von eifernen ver- 
goldeten Bekrönungen, auf den kraufen Wechfel der ragenden 
Giebel und Ziegeldächer und auf den über fie hinauswachfenden 
herrlichen, das ganze Bild machtvoll beherrfchenden Turm von 
St. Peter. Es ift zu beklagen, daß infolge des Eindringens der 
abfeheulichen marktfdireierifchen Firmenfdiilder und diefen ähn- 
lichen Faffadenbemalungen der intime Reiz folcher Straßenbilder 
immer mehr zerftört wird. 



Die anfängliche Befiederung des Stadtgebietes wird fich in 
nichts von dem unterfchieden haben, was wir in diefer Beziehung 



60 Riga 




Abb. 39. Das erfte Stadttheater. 



von deutfchen Städten wiflen. Das mit Stroh gedeckte, dem 
niederfädififdien oder weftfälifdien Bauernhaufe (je nach der 
Herkunft der Zuzügler) ähnliche, aus rohen Balken aufgefchichtete 
Haus mit einer großen Diele, worin fich der Herd befand, 
und einigen wenigen Nebenräumen, wird auch hier die Be- 
haufung der erften Bürger gebildet haben. Die allmählich eng 
aneinander gebauten, auf fchmalen tiefen Grundftücken errichteten 
Wohngebäude wurden wiederholt das Opfer großer Feuersbrünfte. 
In den Jahren 1215, 1264, 1272 und 1293 wurden ganze Stadtteile 
in Afche gelegt. Nach dem legten großen Brande erließ der Rat 
ein Gefetj, das den Holzbau in der Stadt fortan verbot. Nur der 
Steinbau und der Fachwerkbau wurden geftattet, befondere Regeln 
für die Länge, Höhe und Stärke der Mauern veröffentlicht; mit 
Steinen follten fortan die Häufer gedeckt werden und wenig Be- 
mittelten fagte der Rat Beihilfe zu durch freie Lieferung von 
Ziegeln aus den ftädtifchen Ziegeleien. Die Anzahl der zu liefernden 
Ziegel follte von der Größe des Bauwerks abhängig gemacht 
werden. Scheidemauern durften gemeinfchaftliche fein; Brand- 
mauern wurden verlangt und die „utluchte," die erkerartigen, auf 
die Straße vorfpring enden Ausbauten verboten, wie fie heute 



Bürgerhäufer 



61 




noch an vielen alten Häufern 
niederfädififcher Städte an- 
getroffen werden. 

Von Bürgerhäufern aus 
der gotifdien Bauperiode ift 
nichts Vollftändiges erhal- 
ten; hier der Reft eines mit 
Spiijbogenblenden gezierten 
Giebels, dort der Reft einer 
Diele, oder ein altes Keller- 
gewölbe. Wir würden uns 
kaum eine Vorftellung von 
dem Ausfehen eines Riga- 
fchen Bürgerhaufes aus goti- 
fcher Zeit machen können, 
wenn nicht erhaltene Zeich- 
nungen und Befchreibungen 
und ein Vergleich diefer mit 
den hier und da noch vor- 
kommenden Reften die Mög- 
lichkeit einer Rekonftruktion 
böten. In einem 1595 in 



Abb. 40. Porträt des Dr. Lib. v. Bergmann. Lei P z ^9 erfchienenen „En- 
Rötelzeidinung von W. v. Budberg. COmium inclitae civitatis 

Rigae", deffen Verfafler der 
Rigafdie Arzt und Dichter Basilius Plinius (f 1604) ift, wird 
dem Rigafchen Bürgerhaufe eine rühmende Befchreibung zuteil. 

Die verhältnismäßig kurze fchwedifche Herrfchaft hatte in 
künftlerifcher Beziehung nicht viel Neues und Bedeutendes zu leiften 
vermocht. Wir fehen die bauliche Tätigkeit im allgemeinen auf 
die Wiederherftellung und Umgeftaltung der während der Be- 
lagerung der Stadt zerftörten Wohnhäufer befchränkt; die der 
Straße zugekehrten Giebel werden im Gefdimack der Zeit um- 
geändert und ein von antiken Säulen oder Pilaftern befeitetes 
Portal mit dem beliebten Voluten- und Figurenfchmuck wird gern 
an die Stelle der alten gotifch gebildeten Eingänge gefegt. Neu- 
bauten entftehen im ganzen wenig und von diefen können nur 
einzelne auf höhere künftlerifche Bedeutung Anfpruch erheben. Zwei 
mögen genannt fein, die Häufer Nr. 2 und 21 in der Marftallftraße. 



62 



Riga 




Abb. 41. Das ftädtifche Kutiftmufeum. 



Das von einem aus Holland flammenden Großkaufmann Ernft 
Metfu, der 1699 als Metfue v. Dannenftern nobilitiert wurde, er- 
baute Haus Nr. 21 ift zweigefchoffig. Eine Koloflalordnung von 
korinthifdien Pilaftern, die ein wohlproportioniertes Gebälk tragen, 
faffen die Gefchofle zufammen. Zwei mit Dreiecksgiebeln abge- 
fchloflene Rifalite laflen die an ihnen angeordneten fdiönen Por- 
tale wirkungsvoll hervortreten und geben zugleich dem mit 
engerer Achfenteilung verfehenen Mittelbau eine kräftige Ein- 
faflung. Die Architektur trägt den Charakter der holländifchen 
Kunft jener Zeit und vermutlich ift das Haus nach dem Entwurf 
eines holländifchen Baumeifters errichtet worden, der fich die 
etwas trockene klaffiziftifche Richtung eines Jakob van Campen 
zum Vorbild nahm. 

Das andere Haus ließ der aus Lübeck flammende, fpätere 
Rigafdie Ratsherr Johann Reutern in den Jahren 1683 bis 1685 
errichten. Es hat zwei Hauptgefchofle und ein niedriges Ober- 
gefchoß, die ebenfalls eine Koloflalordnung — hier jonifche Pi- 
lafter — zufammenfaßt. Über den vier innern Pilaftern liegt ein 
Dreiecksgiebel, der den Namenszug des Erbauers, umgeben von 



Kunftzuftände von 1750-1850 



63 





Abb. 42. Lübecker Meifter von 1524. Altar mit den Porträts des Lübecker Rats- 
herrn Hinrich Kerkring und feiner Frau Katharina Joris. 

Palmenzweigen, trägt. Etwas unmotiviert legt fich um das Mittel- 
fenfter des Hauptgefchofles eine breite Fruditgirlande. Schwung- 
voll ift das von Säulen eingefaßte Portal komponiert. Man hat 
wegen der ardiitektonifdien Übereinftimmung diefes Portals mit 
denen an der Weftfront der Petrikirdie die Vermutung aus- 
gefprochen, der Kirdienbaumeifter Rubbert Bindenfdiu fei auch der 
Erbauer des Reuterfdien Haufes. Das ift jedoch fraglich; denn 
die noch erhaltenen Entwürfe zu den Portalen der Petrikirdie 
find, wie fchon berichtet wurde, 1686 von dem Steinmetjen Hans 
Walter angefertigt. 

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts trug die jenfeits der 
Grenze neu erwachende Literatur einen frifchen Lenzeshauch auch 
wieder durch Livland. Der durch die Kriege lange unterbrochen 
gewefene geiftige Verkehr wurde wieder rege. Deutfche Gelehrte, 
zu Lehrern und Predigern berufen, kamen wieder ins Land; der 
Zug der baltifchen Jugend auf die deutfchen Univerfitäten nahm 
wieder zu, und in Riga, wie in der benachbarten herzoglichen 
Refidenz Mitau, fehen wir neues geiftiges Leben erblühen, das 
auch die Kunft neue Schößlinge treiben läßt. — In Riga findet lieh 
in dem gaftlichen Haufe des feinfinnigen Ratsherrn Johann 
Chriftoph Berens ein Kreis bedeutender Männer zufammen, delfen 



64 



Riga 





Abb. 43. Chrift. von der Laenen: Der verlorene Sohn. 

Hauptzierden Joh. Gottfried Herder und Joh. Georg Hamann 
find, zu denen fidi als markante Perfönlidikeit nodi Joh. Friedrich 
Hartknoch, der Verleger der Werke Kants, Herders und Hamanns 
gefeilt. 

Neben der Literatur und den Wilfenfchaften, die vor allem die 
Geifter befchäftigten, werden die ihr zunächft flehenden Künfte, die 
Malerei (diefe namentlich als Porträtkunft) und die Kunft des 
Grabftichels gepflegt. Es entliehen Sammlungen von Gemälden 
und Werken der graphifdien Künfte, man legt naturwiflenfchaftliche 
Sammlungen und Büchereien an, man fammelt Altertümer und 
Kuriofitäten. Die Antike beherrfcht die gefellfchaftliche Stimmung. 
Mit fteigendem Interefle verfolgt man die Entwickelung der 
deutfchen Literatur, lieft man die kunftwiflenfchaftlichen Themata 
Johann Jakob Winckelmanns, Leffings, Hagedorns. Zu einer Pflege 
der Baukunft dagegen fehlt es immer noch an den nötigen 
Mitteln und die Skulptur bleibt auf geringe Sepulchralarbeiten 
befchränkt. — 

Während in dem benachbarten Kurland unter dem bauluftigen 
Herzog Ernft Johann Biron die herzoglichen Schlöfler zu Ruhen- 
thal und Mitau von dem Architekten des ruffifchen Hofes Grafen 
Bartolomeo Francesco Raftrelli der Vollendung entgegengeführt 
werden, Künftler, wie die Maler Graf Pietro Rotari und Fran- 



Kunftzuftände von 1750-1850 65 




Abb. 44. Wijbrandt de Geeft: Porträt. 



cesco Fontebasso Befdiäftigung finden, während des Herzogs 
Sohn und Nadifolger, Herzog Peter, tro^ des faft unausgefe^ten 
Haders mit feiner widerharigen Ritterfdiaft noch Luft und Mittel 
findet, feine Sommerrefidenzen künftlerifdi auszubauen und zu 

Riga u. Reval 5 



66 



Riga 




Abb. 45. G. Lunders: Kartenfpieler. 



fchmücken, ein Theater zu unterhalten, der Stadt Mitau in dem 
Gymnafium illuftre durdi feinen Hof baumeifter Severin Jenfen ein 
prächtiges Denkmal zu fdienken, tüchtige Maler wie Friedrich 
Hartmann Barifien, Leonhard Schorer, Gottlob Becker, den Kupfer- 
ftecher Samuel Kütner und andere zu befchäftigen, ift in Riga der 
Stadtwerkmeifter Chriftoph Haberland der einzige Künftler von 
Bedeutung. Wir haben von ihm die alte Stadtbibliothek im ehe- 
maligen Domklofter und die Kanzel der St. Petrikirche kennen 
gelernt. Eine Anzahl fchöner Wohngebäude, darunter fein eigenes 
und die Kirche des Stadtgutes Katlekaln, ein hübfcher Rundbau, 
find heute noch die Zeugen feiner künftlerifchen Wirkfamkeit. 

Die Kunft der Malerei, fpeziell die der Porträtmalerei, wurde 
am Ausgang des Jahrhunderts nur durch einige aus Deutfchland 
eingewanderte Künftler vertreten, unter denen Gerhard v. Kügelgen 
der bedeutendfte war. 

In Kurland brach das Kunftleben mit der Refignation des 
Herzogs Peter 1795 jäh ab. Das Herzogtum fank zur gouverne- 
mental regierten ruffifchen Provinz herab und was die herzog- 



Kunftzuftände von 1750-1850 



67 




Abb. 46. Qu. van Brekelenkam: Die kranke Frau. 

lidie Zeit an Kunftwerken im Lande hervorgebracht hatte, ließ 
die neue Regierung, um alte Erinnerungen abzufchwächen, ge- 
fliffentlich untergehen. 

Darunter litt auch das benachbarte Riga, das in künftlerifdier 
Beziehung immerhin an dem herzoglichen Hof lag er einen Halt 
gehabt hatte. Die Mehrzahl der wiffenfchaftlidi und künftlerifch 
begabten Männer fuchte jenfeits der Weftgrenze geeignetere 
Tätigkeitsfelder auf, wie Reinhold Lenz, der begabte unglückliche 
Dichter, Magnus v. Stackelberg der Maler und Archäolog, Karl 
Graß der Maler und Dichter u. a. — 

Die Eröffnung der Landesuniverfität Dorpat führte zwar im 
Jahre 1802 einen neuen kräftigen Strom von deutfdien Gelehrten 
ins Land, doch nun fchlug das geiftige Leben auch in der kleinen 
Univerfitätsftadt am Embach feinen Hauptfi^ auf, um allmählich 
von hier aus wieder ins Land auszuftrahlen. 

Unter diefem Einfluß und unter dem mit dem aufblühenden 
Handel fidi bildenden Wohlftande erwachte in Riga um die Mitte 
des 19. Jahrhunderts eine neue künftlerifche Tätigkeit, die ihren 

5* 



68 



Riga 




Abb. 47. L. de Jonge: Famiii enfzene. 

erften Ausdruck findet in den von uns fdion befprodaenen Bauten 
der Gilden, zu denen fidi dann noch der Prachtbau der Börfe — 
1853 nach den Plänen des Profeflbrs Harald Bolle (1812-1894) 
begonnen und im Stil der venezianifchen Renaiflance erbaut — ge- 
feilt, dann auf das Gebiet des Privatbaues übergreift und fdiließ- 
lich zur Sprengung des die Stadt einengenden und an Ausdehnung 
hemmenden Feftungsgürtels führte. 

Im Jahre 1857 begann man mit der Abtragung der Feftungs- 
wälle, an deren Stelle jene prachtvollen Gartenanlagen traten, 



Theater 



69 




Abb. 48. Jan Porcellis: Marine. 

die ebenfo der Stolz des Rigenfers wie die Bewunderung des 
Fremden find. 

Je weniger feit dem Ende des 18. Jahrhunderts das Verlangen 
nach einer Betätigung auf dem Gebiet der Malerei und der 
Skulptur hervortrat, je weniger Anlaß zu bedeutenden ardii- 
tektonifchen Schöpfungen gegeben war, um fo mehr wandte fich 
die Gefellfchaft unter der Vorherrfchaft der Literatur der dar- 
fteilenden Kunft und der Mufik zu. Die Erfolge der deutfchen 
Bühnen, dazu die Unternehmungen Augufts v. Kofjebue auf feinem 
Gute Schwarzen in Eftland und in Reval, fie blieben auch in Riga 
nicht ohne Nachahmung. Ein begeifterter Anhänger der dar- 
ftellenden Kunft, der Wirkliche Staatsrat Baron Otto Hermann v. 
Vietinghof, erbaute 1780 für eigene Rechnung ein kleines Theater 
in der Königsftraße, das unter feiner Leitung am 15. September 
1782 mit der Aufführung von Leffings Emilia Galotti eröffnet 
wurde. Diefes kleine Theater hat manche Größe auf feinen 
Brettern gefehen; manches Genie hat von hier feinen Aufftieg 
genommen. Es fei nur erinnert an Richard Wagner, der hier, 
während Karl v. Holtei als Direktor an der Spifje ftand, feine 



70 



Riga 




Abb. 49. Karl Spitjweg Der alte Kommandant. 



erfte bedeutende Oper „Rienzi" fchuf, und an Konradin Kreuzer, 
den unvergeffenen Liederkomponiften. 

Nadi der Niederlegung der Wälle wurde der Bau eines neuen 
ftädtifchen Theaters auf der ehemaligen Pfannkudienbaftion be- 
fchloflen und Profeflbr Ludwig Bohnftedt, der damals noch als 
Lehrer an der Kunftakademie in Petersburg wirkte, mit dem 
Entwurf betraut. Man fleht dem Gebäude, das von 1860—1863 
entftand, die Schinkelfchule und den Einfluß des Berliner Sdaau- 
fpielhaufes an. In feinem Äußern fehr maßvoll in der Verwen- 
dung dekorativen Schmuckes, ift die Hauptwirkung auf die fein 
abgewogenen Mafien gelegt. Die den Wallanlagen zugekehrte 
Anfahrtsfeite ift durch eine jonifche Tempelfaflade ausgezeichnet, 
die fleh zwifchen die pylonenartig gebildeten Eckpartien fchiebt 
und die Schmalwand des Logenhaufes zum Hintergrund hat. 

Während hier alles klaffifche Ruhe atmet, leidet das Äußere 
des von 1900 — 1902 entftandenen zweiten (ruffifchen) bedeutend 
kleineren Stadttheaters an einer Überladung mit Ornamenten. 
Die Stilblüten Rigafcher Architektur des 18. Jahrhunderts find hier 
zu einem prunkenden Strauß zufammengefucht worden. 

Den mit der zunehmenden Entwickelung der Stadt immer 
dringender werdenden baukünftlerifchen und technifchen An- 
forderungen wurde durch die Gründung einer polytechnifchen 



Schulen. Kirchen 71 




Abb. 50. A. Feuerbadi: Die Kreuzabnahme. 

Hochfchule entfprochen, ebenfo das gefteigerte Bedürfnis nach 
Mittel- und Elementarfchulen durch die Aufführung einer Anzahl 
lehenswerter Bauten befriedigt. Und obgleich durch die feit dem 
Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts unnachfichtlich 
und oft hart betriebene Ruffifizierung der bisher deutfchen Schulen 
das Band zerfchnitten wurde, das diefe Anftalten mit den vor- 
forglichen Ständen, denen fie ihr Dafein verdankten, verband, 
blieb dennoch das Beftreben beliehen, der heran wachfenden Jugend, 
wo fich die Möglichkeit dazu bot, in künftlerifch fchön ausge- 
ftatteten Schulhäufern das Wefen deutfcher Bildung durch die 
Anfchauung deutfcher Kunft zu erhalten. Zeugnis deffen ift der 
Prachtbau der Kommerzfchule, den in den Jahren 1902-1905 
das Rigafche Börfenkomitee von dem Architekten Wilhelm Bocks- 
laff errichten ließ. 

Auch der Kirchenbau blieb während diefer Zeit nicht zurück. 
Aus dem erften Viertel des 19. Jahrhunderts flammen noch zwei 
interefiante Holzkirchen: Die lutherifche Jefuskirche in der 
Moskauer Vorftadt und die ruffifche Alexander-Newski-Kirche 
in der Petersburger Vorftadt. Der Grundriß der erftgenannten 
bildet ein Achteck mit vier ins Kreuz geftellten Anbauten, von 
denen der größere als Turm mit einem vierfäuligen Portikus 
davor ausgebildet ift. Die ruffifche Kirche ift ein Rundbau mit 
Kuppel und drei vierfäuligen Portiken. Unter den Kirchen der 
Neuzeit find von höherer künftlerifcher Bedeutung: Die von 1876 
bis 1884 erbaute ruffifche Kathedrale, ein impofanter fünf- 




Abb. 52, Ludwig Riditer: Tiberufer bei Aqua Acetofo. 



Museen 



73 




Abb. 53. E. Landfeer: Die Raft. 



türmiger Ziegelbau in modern byzantinifchem Stil, im Detail 
vielfach an ravennatifdie Vorbilder erinnernd, die lutherifdie 
Gertrudkirche, ein gotifierender Ziegelbau, 1865—1869, die in 
frühgotifchen Formen erbaute Lutherkirche, 1888—1891 ent- 
ftanden, und die neue Gertrudkirche, die 1906 geweiht wurde. 

Malerei und Skulptur haben verhältnismäßig fpät einen be- 
fdieidenen Auffchwung erlebt. Nicht daß es an Künftlern gefehlt 
hätte, aber man brachte ihren Arbeiten nur ein geteiltes InterelTe 
entgegen, weil die Vorliebe für die darfteilende Kunft und die 
Mufik überwog. Zwar beftand feit 1816 ein Mufeum, das von 
einem kunftfinnigen Gelehrten, dem Oberpaftor Dr. Liborius v. 
Bergmann, gegründet, mit der Stadtbibliothek vereinigt war. 
Doch auch diefes war nicht imftande, ein tiefer gehendes 
Interefle in größeren Volksfchichten hervorzurufen. Es blieb 
der Tummelplatj weniger Gelehrten, deren kunftphilofophifche 
und äfthetifche Expektorationen in den „Rigafdien Stadtblättern", 
in den „Dörptfchen Beiträgen" und im „Inland" wohl ihren 



74 



Riga 




Abb. 54. Anton Graff: Porträt feines Töchterchens. 



Niederfchlag fanden, im großen Publikum aber doch meiftens un- 
verftanden blieben. Hier wurde nur noch das der Eigenliebe 
fchmeichelnde Porträt begehrt und allenfalls den oft recht mangel- 
haft gezeichneten Städte- und Landfchaftsbildern gehuldigt, die 
durch die Lithographie, fchwarz und farbig, maffenweife in die 
Welt gefetjt wurden. Erft in den fechziger Jahren erfolgte wieder 
ein Umfchwung zum Belferen. Es konnte jetjt fogar die Gründung 
einer ftädtifchen Gemäldegalerie ins Auge gefaßt werden, die 
durch Darbringungen einiger kunftbegeifterter Bürger fchnell an 
Umfang gewann und im Jahre 1904 aus bis dahin gemieteten 
Räumen in ein eigenes von der Stadt errichtetes Mufeums- 
gebäude übergeführt werden konnte, das inmitten prächtiger 
Gartenanlagen neben der Kommerzfchule feinen Platj gefunden 
hat. Den Hauptbeftandteil der Galerie bilden Werke holländifcher 
Künftler des 17. Jahrhunderts und deutfcher Meifter der erften 
Hälfte des 19. Jahrhunderts; vor allem aber foll es Werke von 
aus den baltifchen Provinzen flammenden Künftlern fammeln. Die 
neueften Erwerbungen nach diefer Richtung umfaffen Werke von 
Eduard v. Gebhardt, Eugen Dücker, Gerhard v. Rosen, Wilhelm 
Purvit, Jan Rosenthal, Karl v. Winkler, Hermann v. Engelhardt, 
Karl Bernewitj u. a. 

Die Liebe zur Kunft war wieder erwacht und die neuerliche 



Privatbau 



75 




Abb. 55. Jakob Asmuß Karftens: Allegorie auf Leffing. 



Eröffnung einer ftädtifchen Kunftfdiule entfprach nur einem in- 
zwifdien fühlbar gewordenen Bedürfnis. 

Der Privatbau hat mit dem Wachfen der Stadt infolge der 
fich immer mehr ausbreitenden Induftrie eine gewaltige Aus- 
dehnung gewonnen. Die alten befdieidenen Bauten des 17. und 
18. Jahrhunderts verfdiwinden mehr und mehr, um vielgefdioffigen 
Koloffen Platj zu machen. Die Zeit der hiftorifchen Stile hat auch 
hier vom Romanifchen und Gotifchen und durch alle Phafen der 
Renaiffance bis zum Empire ihre Zeugen hinterlaffen und dabei 
oft die auffälligften Gegenfätje zu ihrer Umgebung hervorgebracht, 
wie beifpielsweife am Palaft der livländifchen Ritterfchaft zu 
fehen ift, der mit feiner dem Palazzo Strozzi abgeborgten Faffade 
zu der nordifchen Ziegelarchitektur der ihm gegenübergelegenen 
Jakobikirche und zu den kleinen Bürgerhäufern der Klofterftraße 
auffallend kontraftiert. 

Einige Bauten der neueften Zeit zeigen dagegen das Beftreben, 
die fogenannte moderne Kunft in der abenteuerlichften Weife zum 
Ausdruck zu bringen. 

Rings um die Stadt dehnt fich heute ein gewaltiger Ring von 
Fabrikanlagen der mannigfachften Art. Immer weiter umzieht 
fie das Nei} der Eifenbahngeleife, um den fich raftlos fteigernden 



76 



Riga 



Forderungen der Induftrie und des Handels gerecht zu werden. 
Die Einwohnerzahl hat das dritte Hunderttaufend überfchritten, 
und aus des Bifchofs Albert befdieidener „stat tho der ryge" hat 
die Zeit eine der größten Induftrie- und Handelsftädte des ruffi- 
fdien Reichs erftehen laßen. 

Der alte hanfeatifche Charakter der Stadt, der uns noch aus 
dem großen Stich von 1612 entgegentritt, ift faft völlig verwifcht; 
nur in den alten Kirchen mit ihren ragenden Türmen, und in 
einigen laufchigen Winkeln und engen Gaffen, die abfeits vom 
großen Verkehr liegen, grüßt den Suchenden noch die alte Zeit. 




Stadtfiegel feit 1349. 



77 




Abb. 56. Reval von der Südfeite um 1830. 
Aquatinta von Th. Gehlhaar nadi Karl v. Kügelgen. 



REVAL 

VON welcher Seite man fidi auch dem alten Reval nähern 
möge, ob von Often her mit der Eifenbahn, die in großem 
Bogen nach Süden fich wendend, die Stadt umzieht und an 
ihrer Nordweftfeite mündet, oder von der See her, ftets wird man 
ein entzückendes Städtebild vor Augen haben, das Bild einer 
deutfchen altertümlichen Stadt, wie man es in Merians berühmter 
Topographie nicht fdiöner fehen kann. Malerifch ftrebt der Dom- 
berg auf mit dem alten Deutfchordensfchloß, der Domkirche und 
den bis an den Bergrand herantretenden Wohnhäufern; oftwärts, 
am Fuße des Domberges dehnt fidi die eigentliche Stadt mit den 
trutdg ragenden Türmen der alten Stadtmauer und der Kirchen, 
die fidi aus dem zackigen Gewimmel der Dächer und Giebel er- 
heben. Auffällig kontraftieren zu diefer deutfch-mittelalterlidien 
Umgebung die goldglänzenden byzantinifdien Kuppelbauten der 
ruffifchen Kathedrale auf dem Domberge. 

Die Eroberung des nördlichen Eftlands ging von Dänemark aus. 
Schon im legten Viertel des 12. Jahrhunderts waren von den 
Dänen wiederholt Verfuche gemacht worden das Eftenvolk zu 
diriftianifieren und noch 1206 hatte König Waldemar verfudit, fidi 



1 



78 



Reval 



auf der Infel öfel feftzufefjen. Doch auch hier hatte er fidi dauernd 
nicht behaupten können. Seinen auf die Unterwerfung Eftlands 
gerichteten und trofj der bisherigen Mißerfolge nicht aufgegebenen 
Plänen kam Bifchof Albert von Riga entgegen, allerdings ziem- 
lich wider Willen. Alberts Entgegenkommen entfprang aus feinem 
Verhältnis zum Erzbifchof von Bremen, deflen Streben nach der 
Metropolitangewalt über Livland er energifchen Widerftand ent- 
gegenfetjte, worauf jener mit einem Verbot des Zuzugs von 
Krieger- und Pilgerfcharen nach Livland geantwortet hatte. Die bis- 
her vom Orden der Schwertbrüder in das eftländifche Gebiet unter- 
nommenen Eroberungszüge waren ohne nennenswerten Erfolg 
geblieben, weil die benachbarten ruffifchen Fürften die Eften unter- 
ftütjten, und die Kriegsmacht des Ordens zu einem Vorftoß auch 
gegen diefe nicht ausreichte. Albert fah nicht nur feine Stellung 
als Oberherr der bereits dem Chriftentum unterworfenen Gebiete 
gefährdet, er fah fleh auch in der weiteren Ausbreitung feiner 
Herrfchaft gehindert. In der Herbeiziehung der dänifchen Hilfe 
aber glaubte er den größten Teil des Errungenen retten zu können 
und die geiftliche Oberhoheit auch über die eftländifchen Gebiete 
zu erhalten. 

Im Juni 1219 landete König Waldemar auf 1500 Schiffen ein 
großes Heer in der Revalfchen Bucht. Die auf dem Felfen am 
Meer, dem fpäteren Domberg, errichtete Eftenburg Lindanifle 
wurde fdinell erobert. Friedensverhandlungen begannen; die Eften 
nahmen vom König Gefchenke entgegen und verfprachen fidi taufen 
zu laflen, fandten aber inzwifchen Boten in die Landfchaften 
Harrien und Revele, um das Volk zum Kampf gegen die einge- 
drungenen Eroberer aufbieten zu laflen. Drei Tage fpäter, am Abend 
des 15. Juni, brachen die Eften an fünf Stellen zugleich in das 
Lager der keines Angriffs gewärtigen Dänen; ein heftiger Kampf 
entfpann fleh, der nur durch das rechtzeitige Eingreifen des Fürften 
Wizlaw von Rügen mit feinen kämpf gewohnten Scharen zugunften 
der Dänen entfehieden wurde. Die Sage fchreibt den Sieg aller- 
dings einem anderen Ereignis zu: dem inbrünftigen Gebet des 
Erzbifdiofs Andreas von Lund, der fleh im Gefolge Waldemars 
befand. Als Zeichen feiner Erhörung fiel vom Himmel eine rote 
Fahne mit weißem Kreuz, der Danebrog, das heutige dänifche 
Reichsbanner. — Das weiße Kreuz im roten Felde ift auch heute 
noch das Wappenzeidien Revals. 



■ 



Gefdiichtlidies 



79 



Die dänifdie Herrfchaft 
follte nicht von langer 
Dauer fein, weil Waldemar 
nach feinen erften Erfolgen 
nun auch nach dem Befitj 
der übrigen Landgebiete 
ftrebte und dabei natürlich 
auf Widerftand bei dem 
Orden und dem Bifchof 
fließ. Seine deutfchen Hän- 
del, die zufeiner Gefangen- 
fetjung auf Schloß Dannen- 
berg durch den Grafen 
Heinrich von Schwerin 
führten, gaben dem Orden 
Gelegenheit, die Dänen 
aus Eftland zu verdrängen. 
Das bisher von ihnen er- 
oberte Gebiet befetjte der 
Orden und ließ es lieh 
vom deutfchen Kaifer Hein- 
rich VII. zu ewigem Beflt? 
verleihen. Der Domberg 
wurde befeftigt und zu 
feinen Füßen begann fidi 
allmählich eine Nieder- 
laflung auszubreiten , die 
fleh rafch mit zum größten 
Teil über Wisby einwan- 
dernden Weftfalen und 
Niederfachfen bevölkerte. 

Doch auch die Ordens- 
herrfchaft war nur eine 
vorübergehende, tro^ der 
kaiferlichen Verleihungs- 
urkunde. Waldemar, aus 
der Haft des Schweriners 
befreit, verftand es, feine 
Anfprüdie auf Eftland beim 




80 



Reval 



päpftlidien Stuhl nachdrücklich geltend zu machen; die Nieder- 
lage des Ordens durch die Litauer bei Säule (f. S. 39) kam 
feinen Wünfchen entgegen, und in einem am 7. Juni 1238 zu 
Stenby gefchloflenen Vertrage wurden die Landfchaften Reval mit 
der Stadt, Harrien und Wierland der dänifdien Herrfdiaft, die 
Landfdiaft Jerwen aber dem inzwifchen an die Stelle des Schwert- 
brüderordens getretenen Deutfdien Orden zugefprochen. 

Nun begann "für Reval und die eftländifchen Landfchaften, die 
mit Dänemark als Herzogtum Eftland verbunden wurden, eine 
lange Zeit des Friedens und damit der Entwicklung. Ein könig- 
licher Statthalter, der Capitaneus, refidierte im Schloß auf dem 
„Dom"; er ftand dem Lande und auch der Stadt als oberfte In- 
ftanz vor. Trotjdem faßte das dänifche Element weder hier noch 
dort Wurzeln. Die neuen Zuzügler rekrutierten fich nach wie vor 
aus Niederfachfen und aus Weftfalen und als fich in dem jungen 
Gemeinwefen am Fuße des Domberges das Bedürfnis nach einer 
Gefetjesfammlung herausftellte , wählte man das Rigafche Recht, 
das gehandhabt wurde, bis König Erich Plogpenning der Stadt 
1248 das Lübifche Recht verlieh. Auch die Maditbefugnifle des 
dänifdien Statthalters wurden mit der Zeit befchränkt. Das An- 
fehen der Stadt wuchs fchnell durch die Verleihung einer Anzahl 
wichtiger Handelsprivilegien und fonftiger Vergünftigungen der 
dänifdien Herrfcher. Die Königin Margarethe befonders erwies 
der Stadt viele Gunftbezeugungen, unterftütjte fie nachdrücklich 
beim Bau der Stadtmauern, um fich in ihr eine kräftige Stü^e 
gegen die übermächtigen Vafallen zu fchaffen. 

Im Jahre 1285 finden wir Reval fdion im Hanfebunde. 

Die immerhin kraftlofe Stellung des dänifdien Königshaufes 
in Eftland, Zwiftigkeiten mit den Vafallen und andere unliebfame 
Ereigniffe hatten bei den dänifdien Herrfchern wiederholt den 
Wunfdi entliehen laflen, fich des eftländifchen Belizes möglidift 
vorteilhaft zu entäußern. Der unerwartet ausbrechende furchtbare 
Eftenaufftand in der Georgsnacht des Jahres 1343, dem eine große 
Anzahl von Deutfdien zum Opfer fiel, ließ diefen Wunfdi noch 
dringender erfdieinen. Das von einem 10000 Mann ftarken 
Eftenheer belagerte Reval wandte fich an den Vogt von Äbo in 
Finnland um Hilfe, mit dem Verfpredien fich Schweden zu unter- 
werfen. Bevor diefer jedoch eintreffen konnte, bot der Ordens- 
meifter Burdiard von Dreienlewen den Bedrängten die Hand. 



Gefdiiditliches 



81 



Er fiel ins dänifche Gebiet ein 
und fdilug die Eften in der Nähe 
Revals. Die fdiwedifche Hilfe er- 
fchien zu fpät; der Ordensmeifter 
befetjte die Hauptburgen des 
Landes und fchickte fidi zum Ent- 
fa^e von Hapfal an. 

Am 16. Auguft 1346 entband 
König Waldemar IV. die Stadt 
Reval ihres Treueides und am 
29. Auguft kam der Vertrag 
zwifdien ihm und dem Deutfdien 
Orden zuftande, wonadi die däni- 
fchen Befitjungen in Eftland und 
die Stadt Reval gegen eine Kauf- 
fumme von 19000 Mark Silber 
kölnifchen Gewichts dem Hodi- 
meifter des Deutfdien Ordens, 
Heinrich Tusmer, übergeben wer- 
den follten. Im Jahre darauf 
übertrug der Hochmeifter Land 
und Stadt dem livländifchen 
Zweige des Deutfdien Ordens. 

Bis zum Untergang der liv- 
ländifchen Ordensregierung im 
Jahre 1562 blieben Eftland und 
die Stadt Reval mit den übrigen 
Ordensgebieten verbunden. Der 
Auseinanderfall des Ordens trieb 
es dann, nachdem es vergeblich 
beim Deutfdien Reich um Hilfe 
nachgefucht hatte, in die Arme 
Schwedens, unter deflen Herr- 
fchaft es langfam aber ftetig von 
der ftolzen Höhe, die es als reiche 
Hanfeftadt erreicht hatte, herab- 
fank. Schon unter Erich XIV. be- 
gann eine Reihe von Erpreflungen 
und Plackereien, wie fie die Stadt 

Riga u. Reval 




bis dahin nicht gekannt hatte. 

6 



82 



Reval 



Von Polen, in deflen Befiij Livland übergegangen war, wurden 
wiederholt Veriüdie gemadit, die Stadt zum Abfall von Schweden 
zu bewegen, und obgleich fie fleh diefen Verfuchungen gegenüber 
entfdiieden ablehnend verhielt, war das Mißtrauen Erichs nur 
fchwer zu befeitigen. Auch unter König Johann geftaltete fich 
das Verhältnis nicht viel günftiger. Dazu verurfachte die Ab- 
wehr der ruffifchen Belagerungsheere unter dem Herzog Magnus 
von Holftein, der fich nach dem Wunfche feines Schwiegervaters, 
des Zaren, Livlands und Eftlands bemächtigen follte, um ein 
Königreich Livland, natürlich unter ruffifcher Oberhoheit, zu be- 
gründen, der Stadt fchwere Koften, die ihr von Schweden keines- 
wegs erfe^t wurden. — Die Unzuträglichkeiten der Perfonalunion 
zwifchen Polen und Schweden unter Sigismund wurden, wie im 
ganzen Reiche, fo auch in Reval fchwer empfunden, und obgleich 
immer wieder neue Verfuche gemacht wurden, die Stadt an Polen 
zu bringen, blieb diefe dennoch ihrem Eide treu. Noch galt Reval 
als ein politifcher Faktor, mit dem zu rechnen war, und in feinen 
Kriegen mit Rußland und Polen wußte König Karl IX. die Be- 
deutung Revals wohl zu fdiätjen. Doch fchon unter Guftav Adolf, 
der nach fiegreichen Kämpfen fich Livland, Ingermannland und 
Kardien unterworfen, und feine Waffen ruhmvoll bis in das Herz 
Deutfchlands getragen hatte, begann mit der wirtfehaftlichen auch 
die politifche Machtftellung Revals zu finken. Der Geift der alten 
Hanfeaten war den Revaler Bürgern des 17. Jahrhunderts fchon 
nicht mehr eigen. Guftav Adolf liebte die Stadt. Ein ganzes Jahr 
hatte er als Knabe auf dem Schloß gelebt und hat als König noch 
zweimal - hier geweilt. Er verfuchte verfchiedenes, um ihrem 
fchwindenden Wohlftand aufzuhelfen, aber feine Kriege kofteten 
Geld und die Stadt mußte hergeben, was fie noch hergeben konnte. 
Und fträubten fich einmal die Stadtväter, fo fuhr er fie drohend 
an : — — „ich will, fo wahr mir Gott helfe, die Hand von euch ab- 
ziehen und verbieten, daß auch keine Tonne Korns vom Lande 
zur Stadt geführt werde. Ich will euch den Brotkorb fo hoch 
hängen, daß ihr ihn nicht erreichen follt. Laßt fehen, wer einer 

dem andern am weheften tut ! Mit euren großen Mauern und 

Türmen ift mir wenig gedient, wenn ich keinen Nutjen davon habe! 
Wohnt da in euren großen Häufern, bis ihr zu Grunde feid! Ich 
wills euch fauer machen — — ich will lieber einen Flecken haben, 
davon ich Nutjen habe, als eine Stadt ohne Nutjen ". Das war 



Gefchiditliches 



83 



am 23. Januar 1626 gewefen; ein vorübergehender Zornesausbruch, 
der ohne große Folgen blieb. Fefter als diefe und ähnliche Szenen 
ftehen im Andenken der deutfchen Bevölkerung Guftav Adolfs 
Gründung der Univerfität Dorpat und vieler Schulen, darunter 
des Gymnafiums zu Reval. Als ihn in der Schlacht bei Lüfjen die 
tätliche Kugel niederwarf und die Kunde davon in Reval erfcholl, 
trauerte die Stadt aufrichtig um ihren großen König. 

Unter Guftav Adolfs Nachfolgern waren es meift kleinliche 
ftädtifche Intereflen, die zu Reibereien mit der Staatsregierung 
führten, die aber dennoch Anlaß genug gaben, den wirtfchaftlichen 
Niedergang zu befdileunigen. Die berüchtigte Güterreduktion unter 
Karl XI., dem Begründer der abfoluten Monarchie in Schweden, 
durch die in erfter Linie der Adel des Landes fchwer betroffen 
wurde, übte auch auf die Stadt ihren verderblichen Einfluß. 
Karls XII. wohlwollendes Verhalten fuchte durch die Reftituierung 
des Güterbefitjes das eingeriffene Mißverhältnis zwar wieder aus- 
zugleichen und die Siege über feine Feinde gewannen ihm im 
Sturm die Herzen aller. Ja, viele hofften noch auf ihn, als fchon 
auf dem Schlachtfelde von Pultawa die fchwedifche Macht nieder- 
geworfen worden war. Am 29. September 1710 mußte die Stadt 
nach verzweifelter Gegenwehr, im Innern durch die Peft furchtbar 
dezimiert, den Heeren des Kaifers Peter von Rußland die Tore 
öffnen. . . 

Der Waflerweg von Riga nach Reval ift dem Landwege vor- 
zuziehen. Vorüber an dem Eiland Runö mit feiner noch fchwedifchen 
Bevölkerung gelangt man nach dem freundlichen Arensburg auf 
der Infel Öfel. Am Meeresufer ftrebt wie ein riefiger Steinwürfel 
die mächtige Burg der einftigen Bifchöfe von Öfel-Wiek auf, die 
nach dem Eftenaufftand von 1343 zur Sicherung des Landes hier 
erbaut wurde. Den Moon-Sund paffierend erreicht man nach 
kurzer Fahrt das Städtchen Hapfal, wo uns die Ruinen der groß- 
artigen Hauptburg der Bifchöfe von Öfel-Wiek grüßen, überragt 
von der fchönen romanifchen Schloßkirche. — Nach kurzer Fahrt 
von hier wendet das Schiff oftwärts und bald darauf taucht in 
zarten blauen Tinten die Silhouette des turmreichen Reval aus 
dem Meer auf. 

Vom Hafen lenken wir die Schritte der „großen Strandpforte" 
zu, die den Zugang zur Langftraße, einer der Hauptftraßen der 

6* 



84 



Reval 




Abb. 59. Vor der großen Strandpforte. 



Stadt, beherrfdit. Ein prächtiges deutfches Städtebild fleht vor 
uns. Das alte Torhaus, eingeklemmt zwifchen einem riefigen 
Baftionsturm, die „Dicke Margarethe" genannt, und einem kleinen 
Rundturm, den ein wirkungsvolles Konfolengefims ziert, wird 
hinter dem Wall der fchwedifdien Befeftigung fichtbar; zur Linken 
hochgiebelige Häufer und der Mauerturm, der „Stolting" genannt 
rechts die von mächtigen Bäumen befchattete und parkartig aus- 
geftaltete „Baftion Schonen" und im Hintergrunde, alles beherr- 
fchend, der riefenhafte Turm der St. Olaikirche (Abb. 59). — In 
dem niedrigen, fich über die Straße wölbenden Torbogen fitjt noch 
das eifenbefdilagene alte Fallgatter und über dem Bogen prangt 
zwifchen fchlanken Fialen, die ein mit Kriechblumen befetjter Kiel- 
bogen verbindet, von Greifen gehalten und mit einem befiederten 
Stechhelm bedeckt, das alte Stadtwappen, eine Arbeit vom 
Jahre 1539. Der Blick durch den Torbogen gewährt ein neues 
entzückendes Straßenbild: hochgiebelige weißgraue Häufer, die 



Der Stadtplan 



85 




Abb. 60. Die Befeftigung an der Weftfeite. 



maffigen Wände von wenigen Öffnungen durchbrochen; im Unter- 
ftock das im Spitjbogen gewölbte gotifche Portal; der der Straße 
zugekehrte Giebel durch hohe Spitjbogenblenden belebt und von 
kleinen Bodenluken durchbrochen, über deren oberfter der wuchtige 
Aufzugbalken mit der Laufrolle für das Tau hinausragt; dunkel- 
braune bemoofte Ziegeldächer, unförmliche hochaufragende Rauch- 
fchlote und auf der Giebelfpitje die kreifchend im Winde fich 
drehende Wetterfahne. Ein Charakterbild aus dem alten Reval! 



Eine Gefdiichte der Gründung Revals, wie wir fie für Riga von 
dem Chroniften des Bifdiofs Albert, Heinrich von Lettland, befitjen, 
gibt es nicht. Wir find auf Vermutungen angewiefen. Aus dem 
kleinen Hakelwerk, das bald nach der Niederwerfung der Eften 
und nach der Befeftigung des „Domberges" zu feinen Füßen 
entftand, muß fich, angelockt durch die vorzüglichen Handelsaus- 
fichten, fehr fchnell ein größeres Gemeinwefen gebildet haben, das 
fich öftlich vom Schloßberg zunächft um die Nikolaikirche ent- 
wickelte, und dann allmählich vom alten Marktplatz als feinem 
gefchäftlichen Mittelpunkt aus, fich konzentrifch ausdehnte, wobei 
das Nelj radialer in malerifchen Krümmungen verlaufender Straßen 
entftand. Die vom „langen Domberg", der Fahrftraße von der 



86 



Reval 



Unter- zur Oberftadt, aus- 
gehende Langftraße und ihre 
öftliche Verlängerung, die heil. 
Geiftftraße, fdieinen hier zu- 
nädift die Grenze des Stadt- 
gebietes gebildet zu haben, 
in dem die verhältnismäßig 
breite Rußftraße (ruffifdie 
Straße, früher Mönchen- oder 
Mönkenftraße) die Verbindung 
zwifchen Markt und Hafen ver- 
mittelte. Dafür, daß die heil. 
Geiftftraße einft die Grenze des 
Stadtgebietes bildete, fpricht 
auch die Lage des heil. Geift- 
hofpitals, das wie alle Hofpi- 
täler in der Regel feinen Platj 
an der Peripherie der Stadt 
erhalten hat. Für die, wahr- 
fcheinlich erft am Ausgang des 
13. Jahrhunderts entftandene 
Anlage des nördlich von der heil. Geiftftraße lieh erftreckenden 
Stadtteiles, fprechen die beiden einander faft parallel laufenden 
Hauptftraßen, die Breit- und die Langftraße, die nicht direkt 
auf den Markt münden, fondern nur durch kleine Nebenftraßen 
mit ihm verbunden find, dagegen ihren Ausgang vom Tor des 
„langen Domberges" nehmen. Die ältere von beiden, die Breit- 
ftraße, urfprünglich Süfternftraße genannt, führte zum Klofter 
der Cifterzienfernonnen, der Süftern (Schweftern), und zur Olai- 
kirche, die wie die Nikolaikirche in dem älteren Stadtteil, in 
dem neueren die Pfarrkirche war. Die Langftraße, anfänglich als 
Strandftraße bezeichnet, kommt feit 1367 unter ihrem heutigen 
Namen vor. 

An die Stelle der erften proviforifchen Befeftigung, die aus 
einem pallifadierten Wall mit davorliegendem Graben beftanden 
haben wird, trat auf Drängen der Königin Margarethe ein fefter 
Mauergürtel, zu deflen Bau fie die Stadt wiederholt mit Geldern 
unterftütjte. Süd- und Oftfeite der Befeftigung, als die am meiften 
feindlichen Angriffen zugänglichen, wurden zuerft vollendet und 




Abb. 61. Die Befeftigung an der Weftfeite. 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



Die Stadtbefeftigung 



87 




feit 1310 ordnete ein Gefandter 
des Königs, ein Ritter Johann 
Kanne, eine weitere Befefti- 
gung an, die den nördlich, von 
der heil. Geiftftraße belegenen 
Stadtteil einfchloß und die Be- 
feftigung der Stadt unterhalb 
des Domberges ins Auge faßte. 
Von der an das Tor des 
„langenDomberges" flößenden 
Mauer auf der Weftfeite 
(Abb. 61) der Stadt wird aus- 
drücklich gefagt, daß fie um 
dasjungfrauenklofter gezogen 
werden follte. Die Mauer um- 
zieht das Klofter nahezu in 
einem Viertelkreife und wird 
von deflen Endpunkt als Pro- 
viforium wieder bis zur „klei- 
nen" Strandpforte gelaufen 
fein, bis als dritte Erweite- 
rung, vielleicht ein halbes Jahrhundert fpäter, das vom Endpunkt 
des Viertelkreifes beim Jungfrauenklofter nach Nordoft laufende 
gradlinige mit fünf mächtigen Türmen verfehene Mauerftück ent- 
ftand, das von feinem legten Turm in fcharfem Winkel zum 
„Stolting" hinüberlief und fich von dort wieder an die „kleine" 
Strandpforte anfchloß. In dem kurzen Mauerzuge zwifchen dem 
„Stolting" und dem „Rentenfchen Turm" lag die „große" Strand- 
pforte, die 1518 mit dem riefigen Baftionsturm, der „dicken 
Margarethe" verfehen wurde. Bis zum Jahre 1354 waren, abge- 
fehen von den Stadttoren mit ihren Türmen, fünf Mauertürme 
errichtet worden. Von 1354 bis 1360 kamen drei dazu. Von 1360 
bis 1410 wurden dreizehn erbaut und von 1410—1525 noch fünf. 
Im 16. Jahrhundert entftanden außerdem noch mehrere Baftions- 
türme, unter denen der mächtige „Kiek in de Kök", der 1533 
erbaut wurde, am bemerkenswerteften ift. 

Der alte Befeftigungsgürtel, einft der Stolz der Revaler Bürger, 
hat fich, feit Reval aufgehört hat Feftung zu fein, manche Durch- 
brechungen gefallen lafien müflen und von feinen ftattlichen Türmen 



Abb. 62. Der fog. kurze Domberg. 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



88 



Reval 




Abb. 63. Die ehemalige Süfternpforte. 
(Nadi einem Gemälde von Herrn. Sdiliditing im Revaler Provinzialmufeum.) 



und Toren find manche fdion dem Verkehrsbedürfhis zum Opfer 
gefallen. Von den Toren flehen nur noch die Hauptteile der 
großen Strandpforte, die auch ardiitektonifdi am wirkfamften find, 
die runden Treppentürme von den Ecken des Vortores der Lehm- 
pforte und die Tortürme am „langen" und am „kurzen" Domberg, 
einer Stufenftraße, dem kürzeften Wege zwifchen Unter- und 
Oberftadt (Abb. 62). Von den Mauertürmen find fiebzehn in mehr 
oder weniger gutem Zuftand erhalten; viele dachlos, einzelne mit 
einem notdürftigen Blechdach verfehen und nur noch wenige tragen 
das alte ziegelgedeckte Kegeldach. 

Außer der großen Strandpforte, deren Äußeres fdion eingangs 
befchrieben wurde, ift den alten Toren und Türmen keine architek- 
tonifche Ausftattung zuteil geworden. Schon das Baumaterial, 
der örtliche Kalkflies, der in Platten bis zu 20 mm Stärke an 
der Külte gebrochen wird, war dazu nicht angetan. Daß aber 
trofjdem hohe malerifdie Wirkungen erzielt werden konnten, be- 
weift die alte, wenigftens im Bilde erhaltene Süftern- (Schwestern)- 



Die Stadtbefeftigung 



89 



Pforte (Abb. 63.) Die Baftions- 
türme wirken befonders durdi 
Jl^mBfflffl&k. ihre ins Riesige gefteigerten 

^fSl Dimenfionen. Der „Kiek in de 

Kök" ift ein vorzügliches Bei- 
fpiel der früheften auf Artil- 
lerieverteidigung eingerichte- 
ten Befeftigungsbauten. Und 
die Revaler waren nicht wenig 
ftolz auf ihren Turm mit feinen 
fechs von Kuppelgewölben 
überdeckten Gefchoflen, der 
zu 36 m Höhe fich erhebend 
in ihre Küchen hineinguckte. 
Noch 1577, faft ein halbes 
Jahrhundert nach feiner Er- 
bauung, rühmt ein revali- 
fcher Chronift, der Paftor Bal- 
thafar Ruflbw von ihm, daß 
ein ähnlicher Turm an der 
Oftfee nicht gefunden werde 
(Abb. 64). 

Doch auch fie wurden mit dem Fortfehreiten der Vervoll- 
kommnung der Feuerwaffen verdrängt und vor die alte Stadt- 
mauer lagerten fich die widerftandsfähigeren Sandwälle und 
Baftionen. Ein großes nach Vaubanfchem Syftem um 1697 be- 
gonnenes Befeftigungswerk kam nicht mehr voll zur Ausführung. 
Die „Schonenbaftion" auf der Nordfeite, die Baftionen „Schweden" 
und „Ingermannland" auf der Südfeite mit dem Ravelin „Wismar" 
zwifchen ihnen waren nahezu vollendet, als die ruffifchen Heere 
unter General Bauer Reval eroberten. Die früheren Feftungs- 
wälle find abgetragen; an ihre Stelle find freundliche Baumwege 
getreten; die drei riefigen Baftionen aber find zu fchönen öffent- 
lichen Gärten umgeftaltet worden. 




Abb. 64. Der „Kiek in de Kök". 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



König Waldemar hatte nach der Beilegung der Eften deren 
Burg Lindanifle auf dem Bergkegel am Meer neu befeftigen 
laflen und gleichzeitig den Bau einer großen fteinernen Burg füdlich 



Die Burg 



91 



von der Eftenburg unternom- 
men. Was von den Dänen 
während der erften kurzen 
Zeit ihrer Herrfdiaft an Be- 
feftigungsarbeiten zur Aus- 
führung kam, kann nidit be- 
deutend gewefen fein, wurde 
aber unter der Herrfdiaft des 
Sdiwertbrüderordens eifrig 
vermehrt durch die Anlage 
von Türmen und Gräben. Diefe 
frühefte Befeftigung ift teil- 
weife nodi erhalten. Sie wurde 
durdi eine gegen 20 m hohe 
Wehrmauer mit 4 Ecktürmen 
gebildet, die auf drei Seiten 
zwifchen den Türmen gerad- 
linig verlief, auf der Weftfeite 
aber in geknickter Linie dem 
Abb. 66. Der „lange Hermann" am SAloß. Bergplateau folgte. Sie Um- 
(Nadi Aufnahme von van der Ley.) fchloß einen Flächenraum von 

etwa 150 m mittlerer Länge 
und 80 m mittlerer Breite. Innerhalb diefer Befeftigung lehnte fich 
an die Weftmauer der Pallas des dänifdien Statthalters, von dem 
nur geringe Spuren erhalten find; an feine Stelle traten unter der 
ruffifchen Regierung zum Gouvernementsgebäude gehörige Teile. 
Von den vier Türmen haben fich drei erhalten: der Hauptturm, der 
„lange Hermann" (Abb. 66), an defSüdweftecke, ein runder, fdilanker, 
mit einem wirkungsvollen Spitjbogenfries gezierter, auf viereckigem 
Unterbau flehender Turm von 45,6 m Höhe, deflenUntergefchoß 29,6 m 
tief in den Felfen hinabreicht; der „Pilfticker", ein runder Turm 
in Echaugetteform, an der Nordweftecke, und der Turm „Lands- 
krone" (fpätere fdiwedifche Bezeichnung) an der Nordoftecke. 
Der Turm „Stür den Kerl" an der Südoftecke ift beim Bau des 
Gouvernementspalaftes zum Teil zerftört. Nördlich vom Pallas 
erbaute der Deutfche Orden nach dem Ubergange Eftlands in 
feinen Befi^ die ftattliche Ordensburg, die in ihren Hauptzügen 
der Rigafchen ähnlich ift. Sie dient je^t als Staatsgefängnis. 
Bevor König Waldemar im Herbft 1219 nach Dänemark heim- 




92 



Reval 



kehrte, ernannte er feinen Kaplan Wescelinus zum Bifchof von 
Eftland. Diefer fiedelte fidi mit feinem Kapitel ebenfalls auf dem 
vor feindlichen Angriffen gefchüijten Burgplateau an und bald 
folgten königliche Vafallen und Edle, die ebenfalls im Burgbanne 
ihre Wohnftätten auffchlugen. So ift der „Domberg" bis in die 
jüngfte Zeit in ftaatlichem und ritterfchaftlichem Befiij geblieben 
und war fogar einer eigenen Gerichtsbarkeit unterworfen. 

Die Gründung einer Kirche auf dem Burgfelfen muß bald nach 
der Gründung des Bistums erfolgt fein, denn bereits 1233 wird 
fie urkundlich erwähnt und im Jahre 1240 von Waldemar als 
matrix ecclefiae zur bifchöflichen Kathedrale erhoben. Sie gab 
dem Burgberge feinen Namen: „Domberg". Der Bau hat im 
Laufe der Jahrhunderte mancherlei Veränderungen durch Um- 
und Anbauten erfahren; nur fein Kern, das Langhaus, ift auf die 
Zeit der erften Gründung zurückzuführen. Es ift dreifchiffig mit 
erhöhtem Mittelfchiff, nur vier Gewölbejoche lang, über deren 
weltlichem der Turm auffteigt. Die Architektur ift die denkbar 
befcheidenfte. Die Arkadenftü^en find einfache viereckige Pfeiler 
und die Gewölbe, ohne Rippenfchmuck, auf den fcharfen Grat 
zufammengewölbt. Der polygonale Chorabfchluß ift wahrfdieinlich 
nach dem großen Brande, der am 11. Mai 1433 den Dom und einen 
Teil der Stadt zerftörte, an die Stelle eines gradlinig gefchloflenen 
Chors getreten. Die Anbauten auf der Südfeite entflammen 
verfchiedenen Zeiten, die auf der Nordfeite gelegene Rofen- 
kranzkapelle (auch Rammefche Kapelle genannt) wird der 
Mitte des 15. Jahrhunderts angehören. An die Stelle der ehe- 
maligen Turmpyramide trat 1778 der bauchige Renaiffancehelm, 
deflen Spi^e auf acht vergoldeten Kugeln ruht. Auch das obere 
Turmgefchoß und der zierliche Abfchluß des Sanktustürmchens 
auf dem Oftgiebel des Langhaufes find zu derfelben Zeit in 
diefe Form gebracht (Abb. 67). 

Wie beim Bau der Stadtbefeftigung ift auch beim Dom, wie 
bei den übrigen aus gotifcher Zeit flammenden Revalfchen Kirchen 
und Profanbauten, das wenig bildfame Baumaterial, der Kalkflies, 
zur Anwendung gekommen und der zunächft auf das Nü^liche 
und Notwendige gerichtete praktifche Sinn der Erbauer begnügte 
fich mit einer diefem Baumaterial entfprechenden befcheidenen 
architektonifchen Ausbildung. Vom Material allein abhängig war 
diefe nicht, denn man hätte fich der, allerdings weniger leicht er- 



Der Dom 



93 




Abb. 67. Die Domkirche von Often. 



reichbaren kompakteren Steinmaterialien bedienen können, die 
ebenfalls zur Verfügung ftanden, wie des fandfteinartigen Rofen- 
thaler, des Lindenfdien, Merjamafchen, oder des marmorartigen 
Waffalemer Steins, der fogar vielfach ins Ausland verfchickt wurde. 
Er fand u. a. beim Bau der Marienburg in Preußen Verwendung. 
Doch diefe belferen Steinarten benu^te man in der Regel nur zu 
Fenfter- und Türgewänden oder zu architektonifchen Zieraten und 
verbarg die rauhe Außenfeite des Fliesmauerwerks unter Mörtel- 
pu$. Die gefliffentliche Vermeidung reicherer ardiitektonifcher 
Durchbildung, die einfache Anordnung des Kirchengrundrifles, dem 



94 



Reval 



nie das reizvolle Motiv eines 
Querfdiiffs eingefügt wird, 
und das fdilidite Betonen 
der Konftruktion geben den 
Revalfdien Kirdienbauten 
etwas Nüchtern -Verftändi- 
ges. Die Turmbauten ftei- 
gerte man gern zu anfehn- 
lidier Höhe, doch ebenfalls 
ohne jeden architektonifchen 
Aufwand. Sie follten ebenfo 
weithin erkennbare Merk- 
zeichen für den Kauffahrer 
fein, wie Repräfentanten der 
Macht eines freien Bürger- 
tums. 

Dem fdilichten Äußeren 
entfpricht die Innenarchitek- 
tur der Kirchen; fie zeichnen 
fleh aber alle durch eine ge- 
wiffe Großräumigkeit und 
durch gut abgewogene Ver- 
hältnilfe aus. Doch bei dem augenfeheinlichen Streben nach Ver- 
meidung jedes überflüffigen Prunkes fehlte dem Revaler Bürger 
dennoch der Sinn für Kunft und fdimuckvolle Ausftattung feiner 
Kirchen und öffentlichen Gebäude keineswegs. Zeugnis deffen ift 
die Zahl der erhaltenen Schni^altäre , Silbergeräte, Gemälde, 
Epitaphe. 

Die Domkirche hat infolge der öfteren Zerftörungen durch 
Brand in der Mehrzahl nur Kunftgegenftände bewahrt, die der 
Zeit nach dem Brande vom Jahre 1684 angehören. Befonders 
reich ift fie an Grabdenkmälern und gefchni^ten Epitaphen. 

Unter den Grabdenkmälern lieht obenan das des fchwedi- 
fchen Feldherrn Grafen Pontus de la Gardie und feiner Ge- 
mahlin Sophia Gyllenhelm, einer natürlichen Tochter des Königs 
Johann HL von Schweden. Es befindet fidi an der Südfeite des 
Chors und wurde hier 1589/90 im Auftrage des Königs durch den 
Bildhauer Arnold Paffer ausgeführt. Paffer erhielt für feine 
Arbeit nach dem erhaltenen mit ihm gefchloffenen Kontrakt, die 




Abb. 68. Die Domkirche von Nordoft. 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



Der Dom 



95 




Abb. 69. Grabmal des Grafen Pontus de la Gardie und feiner Gemahlin im Dom. 



Maler- und Maurerarbeit ausgenommen, „uf feine Selbftuncoft 
und Zehrung" 650 Reidistaler. Auf einem reidi verzierten 
Sarkophag find die beiden Verftorbenen in Hochrelief dargeftellt, 
der Feldherr in der Kriegsrüftung, zu feinen Füßen Helm und Eifen- 
handfchuhe; feine Gattin in vornehmer fpanifcher Tracht (Abb. 69). 
Die dem ßefchauer zugekehrte Langfeite des Sarkophags ziert in 
der Mitte in barocker Umrahmung das Relief eines Seegefechts. 
Pontus de la Gardie ertrank am 5. November 1585 in der 
Narowa, als er über den Fluß fe^te, um die Verlängerung eines 
Waffenftillftandes zwifdien den Ruflen und den Schweden zu ver- 
einbaren. Zu den Seiten des Reliefs ftehen trauernde Genien 
mit den Wappen der beiden Entfchlafenen. An den Stirnfeiten 
des Sarkophags find phrafenreidie, den Feldherrn verherrlichende 
Infchriften angebracht. Die fubtile Ausführung wird durch eine 
maßvolle Vergoldung einzelner Teile vorteilhaft gehoben. — Von 
vornehmer Wirkung ift auch das durch feinen Skulpturfchmuck 
bemerkenswerte fteinerne Epitaph an der Wand über dem Sar- 
kophag (Abb. 70). 





Abb. 70. Epitaph zum Grabmal des Grafen Pontius de la Gardie im Dom. 

Eine künftlerifch weniger geübte Hand hat das gegenüber- 
gelegene Wandgrab des fdiwedifdien Hofmarfdialls Oloff Ry- 
ning zu Torefio, das der gleichen Zeit angehört, gefdiaffen. 
Zwilchen Doppelpilallern, die auf Poftamenten flehen und ein 



Der Dom 



97 



Gebälk tragen, ift eine große Reliefplatte mit der Darfteilung 
des in feiner Rüftung, den Kopf in die rechte Hand geftütjt, 
Ruhenden eingefügt. Die Geftalt ift fchematifdi, unbehilflidi. Über 
dem Gefims erhebt fidi ein von Voluten geftü^ter Aufbau mit dem 
Wappen des Verftorbenen, deflen Ahnenwappen außerdem zwifchen 
den Doppelpilaftern und zu feinen Häupten Platj gefunden haben. 

Ein aus verfdiiedenfarbigem Marmor erriditeter Obelisk mit 
einem aus weißem Marmor hergeftellten Reliefporträt ift dem 
Andenken des in der Schlacht bei Aufterlitj gefallenen Flügel- 
adjutanten Grafen Ferdinand v. Tiefenhaufen errichtet. „Vom 
Vater dem Sohne" meldet die Infchrift. 

Im NordfchifF ließ Kaiferin Katharine II. dem Admiral 
Samuel Greigh (1735 — 1788), dem Sieger über Türken und 
Schweden, ein Grabdenkmal aus weißem Marmor fetsen: ein 
Sarkophag mit einer jonifchen vierfäuligen Tempelfaflade; in den 
äußeren Interkolumnien trauernde geflügelte Genien mit ge- 
fenkten Fackeln und Ruhmeskränzen, im mittleren Interkolum- 
nium eine mit einem Lorbeerkranze belegte Infdirifttafel ; im 
Tympanon des Giebels das von zwei auf dem Gebälk fixenden 
Putten gehaltene Wappen. Der Einfluß der Canova-Schule an 
diefem Grabmal ift unverkennbar. 

Einem anderen verdienftvollen Seehelden, dem Eftländer Adam 
Johann v. Krufenftern (1770-1846), dem erften ruffifchen Welt- 
umfegler, ift ein weniger künftlerifch geratenes Grabmonument zuteil 
geworden: eine Denkfäule in recht verunglückten gotifchen Formen. 

Aus dem Jahre 1664 datiert das ftattliche Marmorepitaph des 
fdiwedifchen Majors und des „Herzogtums Eftland hochverdienten 
Landrats" v. Haft f er, ein vonKonfolen getragener, von derBüfte des 
Entfchlafenen gekrönter Sarkophag, an den fich zwei Genien lehnen. 

Viele fchöne Denkmäler find während des Brandes der Kirche 
im Jahre 1684 zerftört und bei den Wiederherftellungsarbeiten 
achtlos befeitigt worden, wie das Grabmonument der Prinzeffin 
Margarethe von Schweden, der Schweiler Guftav Wafas, die die 
Gemahlin des Grafen v. Hoya, des General- Gouverneurs von 
Finnland war. Auch das Grabmal des durch feine Anteilnahme 
an dem Aufftand der Proteftanten in Böhmen (23. Mai 1618) be- 
kannten Grafen Heinrich Matthias v.Thurn ift verfchwunden. Er ver- 
brachte die legten Tage feines vielbewegten Lebens in Pernau; fein 
Leichnam wurde am 8. Mai 1641 in der Revaler Domkirche beigelegt. 



Riga u. Reval 



7 



98 



Reval 



Auch von dem Grabdenkmal des berühmten fdiwedifchen Feld- 
herrn Carl Heinrichfon von Horn (f 1601) haben fich nur 
einige Infdirifttafeln gut erhalten, die in der Südwand des Chors 
eingemauert find und von denen eine die zwar nicht fchön ge- 
reimten, aber ftolzen Worte trägt: 

Herr Carol Heinrichfon von Horn 

aus ritterlichem Stamm geborn 

Der feinem Vatterlandt ein Zier 

War ruht in Got dem Herrn hier 

Von fein löblichen Thaten eigen 

Kann Schweden Reus vnd Lifland zeugen 

Erft kürzlich vollendet ift das in einer Kapelle an der Südfeite 
des Domes befindliche Grabdenkmal des Feldmarfchalls und 
Gouverneurs Otto Wilhelm v. Ferfen, ein wappengefchmückter 
Sarkophag mit einem darauf ruhenden Löwen, der den Wappen- 
fchild in den Pranken hält. 

Reich find die Revalfchen Kirchen an Grabfteinen, von 
denen viele noch den Boden bedecken, andere aufgenommen und 
an den Wänden aufgeftellt find. Es läßt fich an ihnen die ganze 
Entwicklungsgefchichte diefes Teiles der Denkmalkunft verfolgen 
Die älteften Grabfteine haben eine trapezförmige Geftalt, wobei 
die fchmale Seite zu den Füßen der Beftatteten hin gerichtet ift. 
Im 14. Jahrhundert tritt fchon die oblonge Form auf und die 
Steine erhalten oft bedeutende Abmeflungen. Infchriften, Haus- 
merken und Figuren, diefe ftets in Umrißzeichnung, kommen bis 
zum Ausgang des 14. Jahrhunderts nur vertieft vor, die Schrift 
meift in gotifchen Minuskeln; fehr feiten ift die romanifche Kapi- 
tale. Von dann ab kommt die erhabene Schrift in Anwendung 
und auch die Figuren wurden anfangs noch flächenartig aus dem 
Stein herausgearbeitet, mit Linienzeichnung für die inneren 
Partien. An den Ecken werden in Kreifen gern die Evangeliften- 
zeichen angebracht. Allmählich entwickelt fich das Relief zu 
größerer Durchbildung und geht im 17. Jahrhundert zum Haut- 
relief über, bis auch diefes wieder verfchwindet und nur noch das 
Familienwappen mit einem darunter gefetjten gewöhnlich auf die 
Auferftehung Bezug nehmenden Bibelzitat als einziger Schmuck 
übrig bleibt. Zum Grabftein gehörte faft immer ein Epitaph, 
deflen Vorkommen allerdings hier erft feit der Mitte des 



Grabfteine, Epitaphe, Totenfdiilde 



99 



16. Jahrhunderts bezeugt werden kann. Es entlehnte feine 
Formen der Portalardiitektur. Säulen oder Pilafter bilden die 
feitlidie Einfaffung, darüber ein Gebälk mit giebelartigem Aufbau, 
oft reich mit figürlichem Schmuck und Infchrifttafeln ausgeftattet. 
Das Ganze ruhend auf einem Gefims, das entfprechend den ein- 
faflenden Säulen, Konfolen ftü^en und zwifchen diefen wieder In- 
fchrift- und Wappentafeln, deren Architektur fich nach unten in 
ähnlicher Weife in fpielende Formen auf löft, wie der Giebelaufbau. 
Die von Säulen oder Pilaltern umrahmte Mittelfläche füllt in der 
Regel ein bemaltes Relief aus, das die Kreuzigung oder die 
Himmelfahrt Chrifti zum Gegenftande hat mit dem Bilde des 
Geftorbenen in anbetender Stellung, oder auch der ganzen 
Familie, deren Mitglieder ja ebenfalls, foweit diefes möglich 
war, in der im Kirchenfußboden erworbenen Gruftftelle beigefe^t 
wurden. Starb die Familie aus, oder verzog fie vom Orte, ohne 
gefe^lich gültige Beftimmungen über ihre Grabftätte in der 
Kirche zu hinterlaflen, fo wurde diefe weiter verkauft, die vor- 
handenen Särge wurden „gefenkt", d. h. im Boden vergraben 
und der neue Eigentümer erwarb nun das Recht der Beftattung 
an diefer Stelle. Den abzuhebenden Grabftein aber erlebte man 
nicht immer durch einen neuen; wie fein Vorfahr ließ auch der 
neue Befi^er zu feinem und der Seinen Andenken Infchriften in 
den Stein meißeln, fo daß nicht feiten zwei, oft drei, felbft vier 
verfchiedene Infchriften zu finden find. In den meiften Fällen 
aber war man weniger pietätvoll, man fdilug die alten Infchriften 
weg und ließ nur das flehen, was dem neuen Eigentümer paßte. 
Die fteinernen Epitaphe fanden ihren Untergang zum größten 
Teil bei den „Renovationen" und wurden überhaupt im 17. Jahr- 
hundert von den hölzernen verdrängt, die ihren architektonifchen 
Aufbau völlig den fteinernen Vorgängern entlehnen, nun aber der 
Malerei ein neues Betätigungsgebiet gewähren. An die Stelle 
des Reliefs mit den Porträts des Stifters und feiner Angehörigen 
tritt nun das farbenreiche Gemälde der Kreuzigung oder der 
Himmelfahrt, das anfangs als die Hauptfache betont wird und 
in dem die Porträts nur eine fehr untergeordnete Rolle fpielen. 
Allmählich aber wird auch hier wieder ein Wandel bemerkbar 
und die Bildniffe werden zur Hauptfache. Im legten Viertel des 
16. Jahrhunderts entwickelt fich mit der fteigenden Vorliebe für 
das Wappen eine neue Mode, wie fie in der deutfchen Kunft in 

T 



100 



Reval 



diefem Umfange kaum irgendwo zutage getreten ift. Und nicht 
nur der Adel, auch die ihm in Prunk und Kleidung nacheifernden 
reichen bürgerlichen Kreife wurden von diefer Mode ergriffen. 
Das Wappen, bisher ein untergeordneter Teil des Epitaphs, 
wurde nun zur Hauptfache und verdrängte diefes völlig. Anfäng- 
lich noch in befcheidenen Abmeffungen hergeftellt, wurde es bei 
Beerdigungen feierlich dem Zuge vorausgetragen, um fpäter über 
der Grabftätte in der Kirche aufgehangen zu werden. Eine 
unterhalb des Wappens angebrachte, von den Helmdecken um- 
gebene Tafel, nannte den Namen, die Titel und Würden, Ge- 
burts- und Sterbedatum des Toten. Die gefteigerte Prunkfucht 
blieb aber auch dem Totenkult nicht fern; fie rief auch hier eine 
Konkurrenz hervor, aus der fchließlich der Adel doch als Sieger 
hervorging. Seine Wappen herrfchen fchließlich faft allein vor; aber 
fie werden immer größer und prunkvoller ausgeführt. Die Helm- 
decken löfen lieh völlig in wirres Laubwerk auf und kriegerifche 
Embleme, Fahnen, Gewehre, Kanonen, Trommeln und Trompeten 
verflechten fich darin, als Symbole des adeligen Haupthandwerks, 
des Krieg sdienftes. Doch auch das genügt bald nicht mehr; die 
Ahnenwappen treten hinzu, zunächft als kleine Wappenfchilder im 
Laub der Helmdecken angebracht, dann zu ganzen Stamm- 
bäumen fich entwickelnd, die naturaliftifch als Eichen oder 
Palmen gebildet, oft mehrere Meter hoch das Hauptwappen über- 
ragen. Die Entartung diefes Wappenkultus rief in der Bürger- 
fchaft und in der Geiftlichkeit lebhafte Protefte wach. Schon 1603 
fchreibt der Kirchenvorfteher zu St. Nikolaus Jobft Dunten: „Man 
foll keinen edelleuten vergunftigen ihre wapen in der Kirche 
aufzuhängen, es fey denn, das fie der Kirchen davor gerecht 
werden - - - - es ift ein fchlechter Zirart und ihnen eine 
große hoffardt". Viel energifcher zieht faft ein Jahrhundert 
fpäter der Paftor primarius der Domkirche Chriftoph Friedrich 
Mickwi^ in feinem Inventarverzeichnis gegen die Wappen zu 
Felde: „Diefe mag nicht Stückweife bemerken. Sie find nicht des 
Papiers, gefchweige meiner Mühe wehrt. Denn fie find Gotte ein 
Gräuel, weil fie vor der Welt was Hohes find. Wozu follen fie 
dienen? Koften fie nicht fein viel? Mehr als zu viel. Manche 
Armuth könnte dadurch erquicket worden fein. Ziehren fie nicht 
die Kirche? Die Kirche ift eine Verfammlung der Gläubigen. 
Darinnen find foldie Gö^en-Bilder der eignen Ehre nur Schand- 



Nikolaikirche 



101 



flecke. Ey ! die Verftorbenen haben hiermit ihre Ehre dem Herrn 
heiligen und aufopfern wollen? Das hätten fie follen im Leben 
und in der That thun, nicht in vergüldeten hölzernen Trompeten, 
Degen und Piftolen etc." ----- Die Entrüftung des ehr- 
famen Seelforgers gipfelt in dem Vorfdilag, die Wappen zu ver- 
brennen, doch ift diefer glücklicherweife nicht zur Ausführung ge- 
kommen. Dadurch ift manch kunftvolles Holzfchni^werk erhalten 
und dem Kulturhiftoriker ein wertvolles Material, aus dem fich 
allerhand intereflante Stimmungsbilder aus dem Leben der 
Deutfchen in der äußerften Oftmark gewinnen laffen. 

Der Altaraufbau ift auch ein Zeugnis für die Höhe der Revaler 
Holzfdini^kunft. Ihn fchuf 1684 der Bildhauer Ackermann, und 
feine Ausftattung mit zwei Gemälden, einem Abendmahl und einer 
Kreuzigung, wurde mittelft Kontrakt vom 17. Mai 1695 dem Maler 
der eftländifchen Ritterfchaft Ernft Wilhelm Londicer über- 
tragen, einem Sohne des ehemaligen Schloßkommandanten von 
Reval Georg Londicer 1 ). An die Stelle der Londicerfchen Gemälde 
(über deren Verbleib nichts bekannt ift) trat 1881 die von Eduard 
von Gebhardt gemalte Kreuzigung. 

Ein kurzer Weg führt vom Dom über die Stufenftraße, den 
„kurzen Domberg", zur Unterftadt und zu der dem heil. Nikolaus 
geweihten Pfarrkirche, deren hochragender Renaiflancehelm 
weit über die Dächer feiner Umgebung hinausftrebt (Abb. 71). Die 
Ornamentik des Nordportals verrät uns, daß ihr Bau noch in das 
le^te Viertel des 13. Jahrhunderts fällt; urkundliche Nachrichten 
fehlen. Sie ift eine dreifchiffige gewölbte Bafilika mit einem aus fünf 
Seiten eines Zwölfecks gebildeten Chorbau aus jüngerer Zeit. Die Ge- 
wölbe ruhen auf fchlichten viereckigen, doch verhältnismäßig fchlan- 

1) Die Familie flammte aus Schottland und war unter König Jakob V. nobilitiert 
worden. Georg Londicer hatte während des dreißigjährigen Krieges fchwedifche 
Kriegsdienfte genommen und war als Oberftleutenant zum Kommandanten der 
Sparenburg bei Bielefeld ernannt worden. Von dort wurde er in gleicher Eigen- 
fchaft nach Reval verfemt. Hier wurde 1655 Ernft Wilhelm geboren, der fich an- 
fänglich, wie er felbft gelegentlich angibt, dem „Studium literaturae" widmete, fich 
dann aber, und augenfcheinlich unter holländifchem Einflufle, der Malerei zu- 
wandte. Als Porträtmaler war er befonders beim Adel angefehen — einzelne 
feiner Arbeiten haben fich erhalten. Die Anerkennung feiner Leiftungen fand einen 
befonderen Ausdruck in feiner Ernennung zum Maler der eftländifchen Ritterfchaft. 
Er Harb im Herbft 1697 an der Peft. Sein Bildnis, das ihn in vornehmer Tracht 
darftellt, ift von Peter Schenck in Schabkunftmanier geftochen — ein fehr 
feltenes Blatt. 



102 



Reval 




ken Pfeilern. Dem Mittel- 
fchifF ift der riefige Turm 
vorgelagert, der, wie alte 
Anfiditen der Stadt erkennen 
laffen, ehemals eine hohe 
von vier Giebeln befeitete 
Pyramide trug. Die Giebel 
mußten fpäter vier Ecktürm - 
dien Platj madien und auch 
diefe fielen famt der hohen 
Spi^e zu Ende des 17. Jahr- 
hunderts infolge eingetre- 
tener Senkungen im Mauer- 
werk; an ihre Stelle trat die 
Renaifidncebedachung, de- 
ren Entwurf man dem Er- 
bauer des fchönen Turmes 
der Petrikirdie in Riga, Rub- 
bert Bindenfdiu, wird zu- 
fdireiben können. An ihn 
wandte fich der Revaler 
Rat, wie aus erhaltenen 
Briefen hervorgeht, als die 

Notwendigkeit der Erneuerung eintrat. Im Jahre 1695 wurde der 
neue Helm vollendet und hat 200 Jahre dem Treiben zu feinen 
Füßen zugefchaut. 1897,98 mußte die obere Spi^e wegen einge- 
tretener Baufälligkeit abgetragen werden, ift aber in den alten 
Formen wiederhergeftellt worden. 

Nicht fo fehr durch ihre Architektur, die zwar nicht ohne Würde, 
doch einfach und ftreng ift, mehr durch ihre reiche Ausftattung 
mit Altären, Epitaphen und Schni^arbeiten ift die Nikolaikirche 
in hohem Grade bemerkenswert. Vor allem intereffieren die hier 
erhaltenen Flügelaltäre aus dem 15. Jahrhundert, die in der an 
der Südfeite des Turmes errichteten, 1492 geweihten Antonius- 
kapelle aufgeftellt find. Da ift zunächft ein Triptychon von aus- 
nahmsweife großen Abmefiungen zu nennen, das bis zum Jahre 
1873 den Altar der Kirche fchmückte, um dann einer fehr flau und 
konventionell von dem aus Reval gebürtigen Profeflbr der Peters- 
burger Akademie Carl Wenig gemalten Kreuzigung Pla^ zu machen, 




Abb. 71. Die Nikolaikirdie von Süden. 



104 



Reval 



die zum Überfluß noch in 
einer geradezu ftümperhaft 
gezeichneten gotifchen Um- 
rahmung fteckt — ein fchla- 
gender Beweis, wie weit 
das Kunftgefühl in jener 
Zeit gefunken war. — Das 
Triptychon hat bei geöff- 
neten Flügeln die anfehn- 
liche Länge von 6,32 m und 
mit der Predella eine Höhe 
von 3,48 m. Bei geöffneten 
Flügeln lieht man auf gol- 
denem Grunde in zwei 
Reihen 28 zwifdien Fialen 
unter zierlich gefchni^ten 
und vergoldeten Baldachi- 
nen flehende männliche und 
weibliche Heiligenfiguren, 
um je zwei Mittelgruppen 
angeordnet; in der oberen 
Reihe um die thronenden 
Geftalten der Maria und 
Gottvaters, in der unteren 
um die Gruppe der heil. 
Anna und Maria mit dem 
Jefusknaben (Abb. 72). Die 




Abb. 73. Außengemälde vom Flügelaltar 
der Nikolaikirdie. 



Predella enthält unter flachen Kielbogen die Halbfiguren von alt- 
teftamentlichen Heiligen. Auch an den Fialen zwifchen den Figuren 
find unter zierlichen Baldachinen flehend kleine altteftamentlidie 
Figuren mit aus Bleiftreifen geformten Bändern in den Händen, 
worauf ihre Namen ftehen, angebracht. Bei gefchloffenen inneren 
Flügeln werden je acht fehr farbig auf Goldgrund gemalte Szenen aus 
dem Leben der heil. Nikolaus und Viktor fichtbar. Den Hintergrund 
des legten Bildes aus der Viktorlegende bildet eine Anficht von Lü- 
beck, wohl die ältefte bisher bekannt gewordene. Die Außenfeiten der 
Flügel find mit faft lebensgroßen Geftalten bemalt, die unter einer 
Spi^bogenarkade in duftiger Landfchaft ftehen, über die fich ein 
wolkenlofer blauer Himmel wölbt. Links St. Katharina, St. Maria 



Nikolaikirche. Altäre 



105 



und St. Barbara; rechts 
St. Viktor, St. Nikolaus und 
St. Georg. Das kleine Stadt- 
wappen links und rechts 
das Wappen der Schwarz- 
häupter — der Mohrenkopf 
des heil. Mauritius — kenn- 
zeichnen das Werk als eine 
Stiftung der Schwarzhäup- 
ter gefellfchaft (Abb. 73 u. 74). 
Der Altar ift, wie jetjt wohl 
mit Sicherheit feftfteht, eine 
Arbeit des Lübecker Malers 
und Bildfchnitjers Hermen 
Rode. Eine Notiz in einem 
erhaltenen Kirchenbuche 
der Nikolaikirche meldet: 
„Wi leten de tafele tom 
hogen altare maken unde 
van Lubecke holen, kostede 
to samen ume trent 1250 
mrk." 

Die Arbeit eines anderen 
berühmten Lübecker Bild- 
fchnitjers ift der frühere 
Altar der heil. Geiftkirche, 
der hier feit zwei Jahren 
Aufftellung gefunden hat, nachdem die eftnifche lutherifche Ge- 
meinde auf ein weiteres Verbleiben diefes feltenen Kunftwerkes 
in ihrer Kirche verzichtet hatte. Der Altar enthält im Mittel- 
bilde eine vortrefflich gefchnitjte Ausgießung des heil. Geiftes 
in einem kapellenartig ausgeftalteten Räume, in deffen Hinter- 
grund Maria auf erhöhtem Thron fiijt. Ein zierlich gefdilunge- 
nes Rebengeäft mit einer kleinen Chriftusfigur in der Mitte fchließt 
das Bild nach oben ab, nach unten eine gezinnte Brüftung, an 
deren Enden auf kurzen Säulchen mit weit ausladenden Laub- 
kapitellen zwei Engel mit den Stadtwappen knien. In den tiefen 
Hohlkehlen zur Seite des Bildes find auf fchlanken Säulen unter 
Baldachinen die Figuren der heil. Katharina und der heil. Barbara 




Abb. 74. 



Außengemälde vom Flügelaltar 
der Nikolaikirciie. 



Nikolaikirche. Altäre 



107 




Abb. 76. Außengemälde vom Flügelaltar der heil. Geiftkirdie. 



angebracht. In den durch teilende Fialen gebildeten Nifchen der 
Flügel flehen die äußerft lebensvoll behandelten Figuren des heil. 
Olaus und der heil. Anna links, rechts die der heil. Elifabeth und 
des heil. Viktor (Abb. 75). Die Außenfeiten der Flügel tragen 
vier Paffionsbilder und vier Szenen aus dem Leben der heil. 
Elifabeth von Thüringen (Abb. 76). Bei gefchloflenen Flügeln 
fleht man Chriftus mit den Wundenmalen, über ihm Gottvater 
in einer Glorie, und die heil. Elifabeth. Eine hübfch ftilifierte 
Blattbekrönung Abließt den Altar nach oben ab und über dem 



108 



Reval 




Abb. 77. Gemalter Flügelaltar der Nikolaikirche. 

Mittelbilde fleht man einen kleinen tabernakelförmigen kuppel- 
gekrönten Aufbau mit einer Krönung Maria durch Gottvater und 
Sohn in Halbfiguren. Der Schöpfer diefes fchönen Flügelaltars ift 
der Lübecker Bildfchni^er, Maler und Werkmeifter der Petrikirche 
Berent Notken, der ihn im Jahre 1483 auf Beftellung des Rats 
lieferte. Aus Stockholm bittet er in einem Brief vom 24. Mai 1484 
den Revaler Rat um die Auszahlung des Reftes feines Guthabens. 

Auch ein gemalter Flügelaltar ift hier erhalten, eine flandrifche 
Arbeit, die den Werken des Geraerd David nahefteht. Ebenfo 
wie mit Lübeck, als dem Hauptorte des hanfeatifchen Handels, 
eine rege Verbindung beftand, fo auch mit Brügge. Die Einfuhr 
von Kunftwerken von dort nach Livland ift wiederholt urkundlich 
bezeugt. Bei geöffneten Flügeln fleht man im Mittelbilde den 
Gekreuzigten mit Maria, Maria Magdalene und Johannes; im 
Hintergrunde das vieltürmige Jerufalem, deflen Toren Reiter und 
Fußgänger zueilen. Auf dem Flügel links die Kreuzfchleppung 
mit einem knienden Donator, rechts die Beweinung Chrifti mit der 



Nikolaikirche. Altäre. Totentanz 



109 



auf einem Felsplateau liegenden Schädelftätte im Hintergrunde 
und der Grablegung, die in einer Höhle unterhalb des Felfens 
ftattfindet (Abb. 77). Die Figur des Donators ift übermalt, aber von 
einer gefchickten Hand. Man fleht jetjt das Bildnis des 1657 ver- 
ftorbenen Älteften der großen Gilde Urban Dehn, der urkundlich 
im Jahre 1654 den Altar renovieren ließ und bei diefer Gelegen- 
heit zugleich fein Bildnis an die Stelle eines älteren hat fetjen 
laflen. Übrigens fcheint das Übermaltwerden ein befonderes Ge- 
fchick diefes Altars gewefen zu fein, das aber infofern nicht all- 
zufehr beklagt zu werden braucht, als die Übermalungen den 
Altar nicht entftellt haben. Die Hauptdarftellungen find unberührt 
geblieben und die Ubermalungen, wie fchon bemerkt wurde, 
von einer gefchickten Hand ausgeführt. Auf den Außenfeiten der 
Flügel fleht man links die Figuren des Apoftels Jakobus und der 
Maria mit dem Jefusknaben auf dem Arme, dem fie eine weiße 
Nelke reicht. Der Kopf der Maria ift porträtartig übermalt. Auf 
dem rechten Flügel ift an die Stelle des heil. Hieronymus, der 
neben der würdevollen Geftalt des heil. Antonius ftand, die Figur 
des heil. Adrian gefegt, eines Ritters in blanker Stahlrüftung, der 
in der Rechten das entblößte Schwert, in der Linken einen kleinen 
Ambos hält, als Zeichen feines Martyriums. Zu feinen Füßen 
kauert noch der Löwe des Kirchenvaters, der übrigens auch zu 
feinen Attributen gehört. Zu den Füßen des heil. Antonius er- 
blickt man ein kleines Schwein, das Zeichen feiner Fürforge für 
die Landwirtfchaft. Die Figuren flehen in grauen halbkreisförmig 
gefchloflenen Steinnifchen. Am Sockel befinden fich zwei Wappen 
und die Namen ihrer Träger, des Bürgermeifters Johann von 
Greft (f 1505) und des Ratsherrn Ewert van der Lippe (f 1482). 
Wahrfcheinlich waren fie die urfprünglidien Stifter des Altars, der 
vermutlich von ihnen in Brügge erworben wurde und dort die 
erfte Übermalung empfing. 

Zu den bemerkenswerten Kunftgegenftänden in der faft einem 
Mufeum gleichenden Antoniuskapelle der Nikolaikirche gehört 
ferner das Fragment eines Totentanzes aus dem Beginn des 
16. Jahrhunderts, eine verkleinerte Kopie des ehemaligen Toten- 
tanzes in der Marienkirche zu Lübeck. (Der je^ige Totentanz in 
der Lübecker Marienkirche wurde 1701 durch den Maler Anton 
Wortmann nach dem alten Gemälde auf Leinwand übertragen und 
mit hochdeutfchen Verfen von Nathanael Schlott verfehen.) Aller 



110 Reval 




Wahrfdieinlichkeit gehörte der Totentanz ehemals dem Revaler 
Dominikanerklofter, das von den Bilderftürmern fdiwer zu leiden 
hatte. Der Umficht des Kirchenvorftehers der Nikolaikirche 
Heinrich Büß (oder Bufdi) ift es zu danken, daß der Bilderfturm 
an der Nikolaikirche vorüberging und ihre Kunftfchätje der Nach- 
welt erhalten blieben. Vermutlich war er es auch, der den Reft 
des zerftörten Totentanzes in die Nikolaikirche rettete. Erhalten 
find der Prediger auf der Kanzel, an deren Fuße ein den Dudelfack 
blafendes Gerippe fi^t, der Tod und der Papft, der Kaifer, die 



Nikolaikirdie. Epitaphe 



111 



Kaiferin, der Kardinal und der König. Die Revaler Kopie verrät 
eine tüchtige Hand, doch wer unter den vielen Künftlern, die um 
die Wende des 16. Jahrhunderts in Lübeck die Kunft der Malerei 
betrieben, die Arbeit ausführte, ift leider nicht bekannt geworden 
(Abb. 78). 

Einen befonderen Schmuck bilden, wie in der Domkirche auch 
hier die Epitaphe und hölzernen farbenreichen Totenfchilde. 
Reichere Grabdenkmäler kommen dagegen hier nicht vor; find 
wohl auch nicht vorhanden gewefen. 

Unter den wenigen fteinernen Epitaphen ift das der Familien 
v. Wehren und Möller bemerkenswert mit einer Kreuzigung 
und anbetenden Familiengliedern im Mittelbilde. Es gehört dem 
Ende des 16. Jahrhunderts an. Obgleich fehr reich behandelt 
wird es dennoch in den Schatten geftellt durch das in Eichenholz 
gefchni^te und zum Teil vergoldete Prachtepitaph, das der ehe- 
malige Statthalter von Ingermannland und Kaporje, Bugislaus 
von Rofen, fich und feinen beiden Gemahlinnen Maria Molkenbur 
und Magdalene Stampehl im Jahre 1651 hat fe^en laflen. Es 
mißt in der Breite etwa 4,3 m und in der Höhe 7 m. Das Motiv 
des Triumphbogens bildet die Grundidee des Aufbaues. Im 
Mittelfeld eine gemalte Auferftehung mit den Porträts des knienden 
Stifters und feiner beiden Frauen, eine Arbeit, die man, nach er- 
haltenen Werken in Lübeck, dem von dort nach Reval über- 
gefiedelten Maler Hans Hembfen zufchreiben könnte. Zu den 
Seiten die gefchnifjten Figuren der Evangeliften. Uber dem 
Mittelbau, von Engeln geftü^t das Rofenfdie Wappen. Dahinter 
auffteigend ein dekorativer Aufbau, überreich und phantaftifch 
ornamentiert, mit einem Bilde der Himmelfahrt Chrifti im Fond 
und ausklingend in die Geftalt des fegnenden Chriftus (Abb. 79). 

Die Grabftätte des Statthalters v. Rofen befindet fich in der 
Vorhalle an der Nordfeite der Kirche; fie ift durch eine reich ge- 
fchni^te Holzwand von der Halle abgetrennt. Wie das Epitaph 
ift auch diefe Wand, die Rofen 1655 errichten ließ, ein Meifter- 
werk Revalfcher Holzfchni^kunft. Sie hat eine Länge von ca. 4 m 
und ift der Höhe nach durch eine doppelte Säulenftellung in zwei 
Teile gefchieden. In den Feldern zwifchen den unteren fünf Säulen 
fleht man in reich gefchnitjten Umrahmungen die gemalten 
Perfonifikationen der Liebe, des Glaubens, der Hoffnung und der 
Gerechtigkeit. Zwifchen den gewundenen Säulen des Oberteils 



112 



Revetl 




Abb. 79. Epitaph des Bugislaus v. Roien in der Nikoloikirche. 



Nikolaikirche. Kanzel 



113 




Abb. 80. Gef&ni^te Holzwand vor der Grabkapelle des Bugislaus v. Rofen 
in der Nikolaikirdie. 



zierlich gefchni^te dekorative Felder, in deren Mitte Engelfigürchen 
mit den Marterwerkzeugen flehen. Zu oberft das Rofenfche Wappen 
zwifchen zwei Engeln, die Kreuzesleiter und Schweißtuch halten; 
darunter die Infchrifttafel. Zu den Seiten am Gebälkfriefe die 
Wappen der Frauen und über den beiden Seitenfeldern zwifchen 
phantaftifchen, fialenähnlichen Gebilden giebelartige, völlig or- 
namental aufgelöfte Abfchlüfle. Das Epitaph und diefes Sdini^werk 
entflammen augenfcheinlich derfelben Werkftatt (Abb. 80). 

Auch die Kanzel ift eine Stiftung des reichen Statthalters von 
Ingermannland, doch ift fie bereits 27 Jahre vor dem Epitaph ent- 
ftanden und ihre Architektur weiß noch nichts von den raufchenden 



Riga u. Reval 



8 



114 



Reval 




Abb. 81. Inneres der Nikolaikirdie. 



Akkorden der Ornamentik, in denen das Epitaph und die Grab- 
wand fidi gefallen. Der eckige Kanzelrumpf hat die damals be- 
liebten Säulen an den Ecken, von Hermen geftü^te portalartige 
Architekturen in den Interkolumnien mit einem gemalten Bilde im 
Fond. Zwei luftige von Säulen getragene Stockwerke bauen fidi 
auf dem Schalldeckel auf und finden ihren Abfchluß in der Figur 



Nikolaikirche. Kanzel 



115 



eines Pelikans, der fich 
die Bruft öffnet (Abb. 81). 
Etwas ungelenk in der 
Zeichnung, augenfdiein- 
lich aber auf das Vorbild 
in der Marienkirche zu 
Lübeck zurückgehend ift 
die zur Kanzeltreppe füh- 
rende Tür ausgefallen. 
Von korinthifchen Säulen 
flankiert, über dem Ge- 
fims eine hohe Attika mit 
den Wappen der beiden 
Frauen, als oberer Ab- 
fchluß das Rofenfche 
Wappen, überragt von 
der Figur des fegnenden 
Chriftus, zu den Seiten 
die Apoftel Paulus und 
Petrus, zeigt fie in der 
Tat viel Verwandtfchaft- 
liches mit jener bis auf 
die hier beliebte Häu- 
fung der Wappen, die der 
Lübecker Tür zum Glück 
ganz fehlen. Die Male- 
reien am Kanzelrumpf 
und an der Tür find neu- 
teftamentlidien Inhalts 
und entflammen infchrift- 
lich der Hand des Revaler 
Malers Daniel Blome, 
der fie 1624 zur Ausfüh- 
rung brachte. Sie find 
handwerklicher Art und 
flehen den Arbeiten des 
Bildfchniijers und des Kunfttifchlers nach (Abb. 82). 

Für die Tüchtigkeit der Revaler Bildfchnitjer fprechen auch noch 
frühere Arbeiten, u. a. das Geftühl der Kirche, deflen ältefte Teile 




Abb. 82. Kanzeltür der Nikolaikirdie. 




Abb. 83. Dos Geftühl der Schwarzhäupter in der Nikolaikirche. 



Nikolaikirche. Geftühl 



117 




Abb. 84. Gefchni^te Rückwand am Geftühl der Schwarzhäupter in der Nikolaikirche. 



dem Jahre 1556 angehören und für diefe verhältnismäßig frühe 
Zeit fchon fehr durchgebildete Renaiflanceformen zeigen. Dem 
Anfang des 17. Jahrhunderts entflammt das Geftühl der Gefell- 
fchaft der Schwarzhäupter, das mit älteren Teilen aus dem 
Jahre 1556 verbunden ift (Abb. 83 u. 84). 

Bemerkenswert find ferner die fchönen meffingnen Kronen und 
Wandleuchter, deren Herftellung in Reval und Riga bis zum Ende 
des 18. Jahrhunderts in großem Umfang betrieben wurde. Die Mehr- 
zahl der in der Nikolaikirche vorhandenen Leuchterkronen gehört 
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Ein nicht unbedeutendes 
Erzeugnis der Kunft des Gelbgufles ift ein aus dem Jahre 1519 flam- 
mender fiebenarmiger Leuchter, das Gefchenk eines Hans Bouwer. 



118 



Reval 



Von dem einft fo bedeutenden 
Silberfchatj der Kirdie find nur noch 
einige ältere Kelche vorhanden; der 
ältefte vom Jahre 1435, andere aus 
dem 16. Jahrhundert. Ein großes 
filbernes vergoldetes Marienbild, das 
im Jahre 1508 aus den Spenden armer 
Frauen und Dienftmägde angefertigt 
worden war, die filberne 1V 2 bra- 
banter Ellen hohe Statue des heil. 
Nikolaus und ein filbernes Vortrags- 
kreuz wurden 1560 dem ftädtifchen 
Münzmeifter Paulus Gulden über- 
geben, um daraus Geld zur Beftrei- 
tung der Kriegskoften gegen den 
Moskowiter zu prägen. Sechzehn 
Jahre fpäter ging eine im Jahre 1503 
von den Kirchenvorftehern bei dem 
Lübecker Goldfchmied Andreas Söte- 
flefch beftellte Monftranz denfelben 
Weg; fie wog „21 Mark löthigen 
Silbers" und hatte 600 Mark Rigifch 
gekoftet. Nur eine herrliche filberne 
vergoldete 112 cm hohe Monftranz, 
die im Jahre 1474 der Revaler Gold- 
fchmied Hans Ryflenberch für die 
Nikolaikirche angefertigt hatte, ift 
erhalten; doch auch fie befindet fich 
nicht mehr in ihrem Befi^, fondern 
ift in den der Petersburger Eremi- 
tage übergegangen. Schweren Her- 
zens brachte fie im Jahre 1711 der 
Rat dem Fürften Menfchikoff als 
Gefchenk dar, in der Hoffnung, er 
werde beim Kaifer für die Beftäti- 
gung der Privilegien der Stadt ein- 
treten. Aus dem Belize Menfchi- 
koffs kam die Monftranz in den 
des Kaifers, der fie der Galerie 




Abb. 85. Silberne vergoldete Mon- 
ftranz der Nikolaikirche, jetjt in der 
Kaif. Eremitage zu St. Petersburg. 



Nikolaikirche 



119 



der Koftbarkeiten überwies 
(Abb. 85). 

Unter den der Kirche ge- 
bliebenen Silbergeräten mag 
auch des filbernen Epitaphs 
eines Gliedes der weitver- 
zweigten Familie v. Tiefen- 
haufen Erwähnung gefche- 
hen, das, um es gegen Dieb- 
ftahl zu fchütjen, hoch oben 
an der Nord wand des Mittel - 
fchifFs angebracht ift. 

Unfere Schilderung der 
Nikolaikirche wäre nicht 
vollftändig, würden wir nicht 
des unglücklichen Herzogs 
Karl Eugen de Croy Er- 
wähnung tun, dem Kaifer 
Peter, in der Vorausficht 
feiner Niederlage gegen den 
zum Entfatj von Narwa herranrückenden König Karl XII. von 
Schweden, das Kommando über die ruffifchen Truppen auf- 
gedrungen hatte, und der nun, nach feiner Gefangennahme in 
Reval interniert worden war, wo er als Grand -Seigneur lebte 
und Schulden machte. Er ftarb am 20. Januar 1702 im Alter 
von vierzig Jahren. Sein Leichnam wurde in der Clodtfdien 
Kapelle, gegenüber der Grabftätte des Bugislaus v. Rofen auf- 
gebahrt, konnte aber nicht beftattet werden, weil niemand die 
Kotten beftreiten wollte und die Kirchenvormünder fidi weigerten, 
den Kirchenfäckel zu beladen. So blieb denn der Leichnam un- 
beftattet flehen, und da die Gewölbe der Nikolaikirche die Eigen- 
fchaft befitjen, Leichen mumienartig auszudörren, fo wurde die 
Leiche des Herzogs bald eine Sehenswürdigkeit, deren Anblick 
fich kaum ein Fremder entgehen ließ. Erft am 15. Januar 1897 
wurde diefem Unfug ein Ende gemacht. 

Südwärts von der Kirche liegt der malerifche Pfarrhof mit dem 
von Bäumen überfchatteten mittelalterlichen Pfarrhaufe (Abb. 86). Zu 
den Füßen der großen Linde inmitten des Hofes ruht Chriftian 
Kelch, der Oberpaftor zu St. Nikolai und Herausgeber einer 




Abb. 86. Das Pfarrhaus zu St. Nikolai. 



120 



Reval 



Livländifchen Gefchichte, 
die im Jahre 1695 im Ver- 
lage des Buchhändlers 
Johann Mehner in Reval 
erfchien. Das Titelkupfer 
ftach Johann Jakob San- 
drart nach einer Zeich- 
nung des Malers Ernft 
Wilhelm Londicer. 

Wenige Schritte füd- 
wärts von der Nikolai- 
kirche liegt am Ende der 
Ritterftraße die fchwe- 
difche St. Michaelis- 
kirche, ein unfcheinba- 
rer zweifchiffigerBau aus 
dem Beginn des 16. Jahr- 
hunderts. Die Kirche ge- 
hörte urfprünglich zu 
einem dem heil. Johannes 
geweihten Siechenhaufe 
und in einem über ihr ge- 
legenen Stockwerk befand fich bis zum Jahre 1770 das ftädtifche 
Spinnhaus. Der fchwedifchen Gemeinde wurde fie nach der Eroberung 
Revals durch die Ruften überwiefen, die die bis dahin von der 
fchwedifchen Gemeinde befelfene St. Michaeliskirche des Cifter- 
zienfernonnenklofters für den orthodoxen Gottesdienft in Anfpruch 
nahmen und demgemäß umgeftalteten. Zwei ftattliche Holzfchnitj- 
werke zeichnen auch die je^ige fchwedifche Kirche aus: ein 
Baptifterium und der Altar vom Jahre 1703, eine Stiftung der 
Familien v. Thieren und Burchart. Das Gemälde, ein Abendmahl, 
ftiftete im Jahre 1794 der Bürgermeifter Johann Friedrich Pauly. 

Zwar auch einfach in ihrer äußeren Architektur, aber ungleich 
ftattlicher als die Michaelskirche und mit einem fchlanken Turm 
ausgezeichnet, dem das 17. Jahrhundert eine luftige „welfche 
Haube" aufgefegt hat, erfcheint die Kirche einer anderen ftädtifchen 
Wohltätigkeitsanftalt, des ehemaligen Siechenhaufes zum heil. 
Geift, in der Nähe des Markts (Abb. 87). Sie wird bereits im 
Jahre 1316 genannt und als capella domus S. Spiritus et pauperum 




Abb. 87. BliA. auf die heil. Geiftkirche. 



Heil. Geiftkirche. St. Johann 



121 



bezeichnet. Später diente fie auch als Ratskapelle, worin der Rat 
zu gewiffen Zeiten öffentliche Verfatnmlungen abhielt und jenen 
feierlichen Gottesdienften beiwohnte, die dem Beginn feiner 
richterlichen Tätigkeit vorausgingen. Sie ift ebenfalls zweifchiffig, 
doch mit einem Chorbau verfehen, der fich in der Verlängerung 
des Nordfchiffs fortfe^t und um einige Stufen über dem Fuß- 
boden des Schiffs erhöht ift. Zu den vielen vortrefflichen 
Schöpfungen des revalfchen Kunfthandwerks aus der Zeit der 
Spätrenaiflance, gehört auch die von dem Bürgermeifter Heinrich 
v. Lohn zu Anfang des 17. Jahrhunderts geftiftete Kanzel. Aus 
früherer Zeit flammen einige Holzfchni^ereien an Kirchenftühlen, 
darunter eine aus der Virgilfage, die wir im Zufammenhang mit 
anderen, im Rathaufe erhaltenen, betrachten wollen. Den fchönen 
Schni^altar des Berent Notken, der vor einigen Jahren noch an 
feinem urfprünglichen Pla^e ftand, haben wir in der Antonius- 
kapelle der Nikolaikirche wiedergefunden. Einen anderen Schni^- 
altar, der auch einft diefer Kirche angehörte, bewahrt je^t das 
Revalfdie Provinzialmufeum. Auch er läßt fich als das Werk 
eines Lübecker Meifters anfprechen, der zu Anfang des 16. Jahr- 
hunderts tätig war. Das gefdini^te Mittelbild, die heilige Sippe, 
ift in zwei hintereinander flehenden Gruppen, in einem kapellen- 
artigen Raum angeordnet, der durch eine Pfeilerftellung in drei 
Felder geteilt ift. Das mittlere Feld hat eine quadratifche Über- 
höhung erhalten mit einer fehr fein durchgeführten, leider nicht 
mehr ganz vollftändigen Kreuzigungsgruppe, die zu den groß- 
köpfigen Figuren, namentlich des Paulus und des Petrus im 
Hauptbilde und zu dem unruhigen Faltenwurf der Frauengewänder 
in auffälligen Gegenfa^ tritt. Von den Malereien aus dem Marien- 
leben auf den Flügeln find nur fpärliche Refte erhalten (Abb. 88). 

Im Anfchluß an die beiden Spitalkirchen mag auch an das 
ältefte Zeugnis des Wohltätigkeitsfinnes der mittelalterlichen 
Bürger Revals erinnert fein, an das außerhalb der Stadt ge- 
legene Spital zu St. Johann, das als domus leprosorum 
(Haus der Ausfä^igen), bereits 1237 urkundlich erwähnt 
wird. Die Gebäude und die zu ihnen gehörige kleine Kirche find 
während der Belagerungen der Stadt wiederholt zerftört worden. 
Die Kirche wird 1364 in einer Urkunde genannt, wonach ein 
Priefter Carolus de Montreal die ihm vom Rat verliehene capella 
hospitalis extra muros Revaliensis diefem wieder übergibt. 



Olcrikirche 



123 



Ein dem heil. Rochus ge- 
weihtes Kranken- und Ar- 
menhaus beftand noch im 
17. Jahrhundert in der Nähe 
der Schmiedepforte. 

In dem nordwärts von der 
heil. Geiftftraße fich erftrecken- 
den Stadtteil war bereits im 
Tahre 1249 von König Erich Plog- 
penning (1241 — 1250) das fchon 
mehrfach erwähnte Cifter- 
zienfer - Nonnenklofter zu 
St. Mich ael gegründet worden. 
Es lag alfo damals noch außer- 
halb der Stadt. In feiner Nähe 
entftand wenig fpäter oder 
gleichzeitig, und wahrfcheinlich 
auch von König Erich gegründet, 
die dem heil. Olaus geweihte 
Kirche. Sie findet fich 1267 in 
einer Urkunde erwähnt, worin 
die Königin Margarethe von 
Dänemark, als „domina Esto- 
niae", das bisher von den dä- 
nifihen Herrfchern befeflene jus 
parochiale dem Cifterzienfer- 
Nonnenklofter überträgt. Es ift 
unbekannt, was den König zur 
Gründung der Kirche an diefer 
Stelle bewog, doch wohl an- 
zunehmen, daß er damit auch hier die Befiedlung zu fördern 
fuchte. Der mächtige Bau zeigt fich von feiner fchönften Seite 
von der malerifchen Langftraße aus (Abb. 89). Seine Architektur 
deutet auf verfchiedene Entftehungszeiten. Das dreifchiffige Lang- 
haus mit den nahezu gleich breiten Schiffen, deflen Gewölbe auf 
mäßigen viereckigen Pfeilern ruhen, und ein gradlinig gefchloftener 
Chorbau mögen beftanden haben, als die Königin Margarethe dem 
Nonnenklofter das Parochialrecht an der Kirche verlieh. Der 
heutige, mit fünf Seiten eines Zwölfecks fchließende Chor er- 




Abb. 89. Die Olaikirche 
aus der Langftraße gefehen. 



124 



Reval 



innert mit feinen fchlanken achteckigen Pfeilern und feinen Stern- 
gewölben an die Remter der Marienburg in Preußen. Er wurde 
nach einem erhaltenen Gewölbefchlußftein (im Provinzialmufeum 
zu Reval) im Jahre 1330 vollendet. Die hohe Wefthalle, aus 
deren Mitte der riefige Turm auffteigt, der höchfte im ruffifchen 
Reich, wird wahrfcheinlich erft zu Ende des 14. Jahrhunderts 
ihre Vollendung erlebt haben. Reicher in der Geftaltung ihrer 
äußeren und inneren Architektur als die der Kirche, ift die an 
der Südfeite erbaute Bremerkapelle. Sie ift die Stiftung 
eines wohlhabenden Revaler Kaufmanns Hans Paulfen, der als 
junger Mann im Jahre 1492 von Lübeck nach Reval überfiedelte. 
Er ftand zu der Lübecker Familie Greverade in nahen Beziehungen. 

Zwilchen den Strebepfeilern an der Südfeite des Chors ließ 
Hans Paulfen zu feinem Gedächtnis im Jahre 1513 auch noch ein 
prächtiges Kenotaph errichten, das höchft wahrfcheinlich die Ar- 
beit eines aus der Nürnberger Schule hervorgegangenen Meifters 
ift (Abb. 90). Um eine jetjt leere Nifche, die einft wohl ein Kruzifix 
enthielt, find acht Paffionsfzenen gruppiert. Unter der Nifche be- 
findet fich eine zweite größere, von einem mit Kriechblumen befetjten 
Kielbogen überfpannt, auf deren Boden ein Skelett ausgeftreckt 
liegt. Im Hintergrunde der Nifche ift eine Infchrifttafel angebracht, 
die die Worte trägt: 

Dat | ick | vorgaf | is | mi | gebl(even) 
Wes | ick | behelt | heft | my j bo(geven) 
(H)irvme | sal | sik | nemant | to | h(och | er) 
heven | also | roek | vorgheyt | des | myn 
scen | leuen | hans | pawls | gedechtnisse | 1513.*) 

Die Olaikirche ift dreimal völlig eingeäfdiert worden. Im 
Jahre 1433 ging fie bei dem großen Brande der Stadt zugrunde; 
1625 legte fie in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni ein Bli^ftrahl 
in Afdie. Der Baumeifter „Hans geißefer von Koffenßacß im 
römifefien 'Bayern Tieicße", wie ihn die erhaltene Turmknopf- 
nachricht nennt, führte den mächtigen Turmhelm wieder auf und 

*) In hodideutfcher Überfetjung: 

Das ich vorgab (weggab), ift mir geblieben, 
Was ich behielt, hat mich begeben (verlaffen), 
Hierum (deshalb) foll fich niemand zu hoch erheben, 
Wie Rauch vergeht des Menfchen Leben. 

Hans Pauls Gedächtnis. 1513. 



Olcdkirche 



125 




Abb. 90. Kenotaph des Hans Paulfen am Chor der Olaikirdie. 

nach feiner Angabe zu einer Höhe von 444 rheinl. Fußen 
(139,32 m). — Das dritte Brandunglück traf die Kirche — ebenfalls 
durch Bliijfchlag — in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 1820 
(Abb. 91). Zu ihrer Wiederherftellung fpendete der kunftliebende 
Kaifer Nikolaus I. über 600000 Rubel Banco und übertrug die Lei- 
tung der Arbeiten dem Ingenieur-General Alexander v. Feldmann, 
unter dem als Gehilfen die Ingenieure Ernft v. Seydlitj und 



126 Reval 




Abb. 91. Der Brand der Olaikirche im Tuni 1820. 
Aquatinta von Th. Gehlhaar nach Joh. Hau. 



Friedrich Ernft Jordan arbeiteten. Feldmann hat lieh mit größter 
Strenge an die alten Formen gehalten, felbft die Renaiffance- 
bedachungen des Sanktustürmchens und des Türmchens der 
Bremerkapelle wurden nach den alten Muftern neu gefchaffen. 
Auch den Riefenhelm des Turmes mit den vier begleitenden Eck- 
türmchen, die der Baumeifter aus Kulmbach an die Stelle der 
ehemaligen Giebeldreiecke gefegt hatte, ließ Feldmann neu er- 
flehen. Ob man den ftiliftifch verunglückten marmornen Altar auf 
feine Rechnung oder auf die des Malers Ludwig v. Maydell 
zu fetjen hat, dem mit Sicherheit allerdings nur die Entwürfe zu 
den Bronzereliefs an der Menfa zugefchrieben werden können, ift 
zweifelhaft. Das Altarbild, Chriftus am Kreuz, fchuf 1830 der 
Maler Wilhelm v. Kügelgen. 

Bis zur Reformation, die im Jahre 1524, unterftütjt durch 
Luthers direkte Einwirkung, in Reval Eingang fand, beftanden 
hier drei Klöfter: das fchon erwähnte durch die dänifchen 
Herrfcher begünftigte, äußerft reiche Cifterzienfer-Nonnen- 
klofter zu St. Michael, das Dominikanerklofter zu St. 
Katharinen und ein der heil. Birgitte von Schweden ge- 
weihtes, außerhalb der Stadt am Meer belegenes Mönch- und 
Nonnenklofter. Audi ein Beginenkonvent hat beftanden. 



Klöfter 127 




Abb. 92. Die Strandpforte und die abgebrannte Olaikirdie um 1830. 



In den Stürmen, die auch hier die Einführung der Reformation 
begleiteten, fanden die in der Stadt belegenen ihren Untergang. 
Das Klofter der Cifterzienferinnen nahm den anfehnlidien Raum 
zwifdien der Klofterftraße, der Breit- und der Speicherftraße ein, 
der auch heute noch allgemein als „Das Klofter" bezeichnet wird. 
Es wurde nach Einführung der Reformation in eine weibliche Er- 
ziehungsanftalt umgewandelt und 1630 von König Guftav Adolf 
zu einem deutfchen Gymnafium für Stadt und Ritterfchaft beftimmt, 
als welches es bis zu feiner gewaltfamenRuffifizierung beftanden hat. 
Erhalten ift das Refektorium, das als Aula dient. Die ehemalige 
Klofterkirche diente als fdiwedifche Garnifonskirche und wurde 
1716 für den griechifch-orthodoxen Gottesdienft umgebaut. 

Aus Dänemark angekommene Dominikanermönche hatten lieh 
1229 auf dem Domberge angefiedelt. Während der Zwifchen- 
regierung des Schwertbrüderordens aber verließen fie das Land 
wieder und erft im Jahre 1246 kehrten zwölf Mönche unter ihrem 
Prior Daniel nach Reval zurück. Auch diefe fiedelten fich zu- 
nächft auf dem Domberge an, verließen diefe Niederlaflung aber 
bald, um in der Stadt ein großes Klofter zu bauen, deflen Ruinen 
fidi auf dem von der Rußftraße, der Münkenftraße und der 
Mauerftraße umfdiloflenen Grundpla^e, durchfe^t von allerhand 
An- und Zubauten aus den folgenden Zeiten befinden. Es find 




Abb. 93. Diele im Haufe der katholifdien Kirdie in der Rußftraße. 

Refte der großen Kirdie vorhanden, der Oftflügel mit dem zwei- 
gefdioffigen Kreuzgange und einem kleinen Refektorium, deflen 
kunftvoll gewölbte Decke vier Kreuzgewölbe ohne mittlere Unter- 
ftü^ung bilden; ferner ift der hohe weftlidie Kreuzgang er- 
halten und feine Fortfe^ung bis zum ehemaligen Kornhaufe, das 
nach der Aufhebung des Klofters als „Büdifen- und Artillerie- 
haus" diente, fpäter als Speicher in Privatbefi^ überging. Der 
Nordflügel des Klofters wurde 1840 abgebrochen, um dem Neubau 
der den Apofteln Petrus und Paulus geweihten katholifdien Kirche 
Pla^ zu machen. Das neben dem „Kornhaufe" an der Rußftraße 
belegene, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts flammende, der 
katholifdien Kirche gehörige Wohnhaus ift intereflant durch feine 
„Diele" (Abb. 93). 

Das Klofter zu St. Birgitten in Marienthal, am Meer 
gelegen, ift im Jahre 1405 von drei frommen Revaler Bürgern, 
namens Hinridi Swalbart, Hinrich Huxer und Gerlach Krufe erbaut 
worden. Swalbart oder Swalberdi war der Baumeifter; ipse 
Henricus Swalberdi architectus fuit dicti monasterii, heißt es vonj 
ihm. Das Klofter gehörte unter die monasteria mixta, d. h. es 
gab in ihm männliche und weibliche Infaflen, doch hatten die 
weiblichen vor den männlichen den Vorrang, und daher ftand auch 



Klöfter 



129 




Abb. 94. Das ehemalige Birgittenklofter. (Rekonftruktion.) 

eine Äbtiffin dem Klofter vor. Obgleich man von dem Leben der 
Klofterleute während der beginnenden Reformationsftürme viel 
Böfes zu erzählen wußte, überdauerte es dennoch die Ein- 
führung der neuen Lehre, und felbft die dem Rat dringend 
empfohlene Niederlegung der Kloftergebäude aus ftrategifchen 
Gründen vermochte an feinem Beliehen nicht zu rütteln. Erft 
mit den Ruffenkriegen brach das Unglück über das Klofter herein. 
Am 30. Januar 1575 wurde ein Teil der Klofterleute von den 
Ruften erfchlagen, der andere in die Gefangenfchaft geführt und 
am 1. Februar 1577 fanken unter dem ruffifchen Anfturm die Ge- 
bäude felbft in Trümmer. Von der riefigen Hallenkirche ftehen 
nur die Umfaflungsmauern und der mit reicher Nifchendekoration 
verfehene Weftgiebel; von den Kloftergebäuden find nur Refte 

Riga u. Reval 9 



Kapellen 



131 



der neben der Kirche her- 
laufenden Kreuzgänge er- 
halten (Abb. 94). - Völlig ver- 
fchwunden find die Barbara- 
kapelle auf dem ehemals 
vor der Schmiedepforte be- 
legenen Barbarakirchhof, die 
Gertrudenkapelle am Ha- 
fen vor der großen Strand- 
pforte — fie ging 1571 durch 
Brand zugrunde — , die An- 
toniuskapelle, wahrfchein- 
lich auch eine Begräbnis- 
kapelle in der Nähe der Karls- 
kirche, und die Laurentius- 
kapelle, deren Standort un- 
bekannt ift. 

Unter den neueren kirch- 
lichen Gebäuden verdient die 
von 1862 bis 1870 von dem Architekten Profeflbr Rud. Bernhard 
erbaute eftnifche Karlskirche, die an die Stelle eines aus dem 
17. Jahrhundert ftammenden Baues trat, Erwähnung, befonders 
wegen ihrer genialen Holzkonftruktion der Vierungsüberdeckung. 
An der Halbkugel der Chornifche ift von Profeflbr Joh. Köler 
(1826—1899) die Halbfigur eines zum Eintritt einladenden Chriftus 
in Fresko gemalt. Darunter in einem Friefe biblifche Szenen 
von Sally v. Kügelgen. 




Abb. 96. Schnitjerei vom Geftühl der 
Ratsftube. 



Wie in Riga bildeten auch in Reval der Rat und die Gilden 
das Stadtregiment; doch war ihre Zufammenfetjung im Einzelnen 
abweichend, was auf den Gebrauch des Lübeckifchen Rechts in 
Reval zurückzuführen fein dürfte. So gab es in Reval beifpw. 
zwei kleine Gilden, die erft im Jahre 1698 auf Befehl des Königs 
Karl XH. von Schweden zu einer verfdimolzen wurden. Die 
ältere von ihnen, noch heute beftehende, deren Schutzpatron der 
heil. Kanutus ift, umfaßte die vornehmeren Handwerke, die 
jüngere St. Olaigilde vereinigte in fidi die geringeren, wie Bier- 
träger, Fuhrleute u. a. An der Spi^e der Stadtverwaltung ftand 



9° 



132 



Reval 



der Rat, der fidi bis zum 
Beginn des 15Jahrhunderts 
nur aus ritterbürtigen, mei- 
ftens aus Weftfalen ftam- 
menden Gefdileditern zu- 
fammenfe^te und erft feit 
jener Zeit fidi aus Mit- 
gliedern der großen Gilde 
zu ergänzen begann, mit 
Ausnahme derjenigen fei- 
ner Glieder, die als Rechts- 
gelehrte aus einer befon- 
deren Wahl hervorgingen. 
Rat und Gilden übten eine 
fouveräne Gewalt im Stadt- 
gebiet und erkannten felbft 
die Oberhoheit des Ordens- 
meifters nur in feltenen 
Fällen an. Das Regiment 
des Bifdiofs von Reval er- 
ftreckte fidi nur auf die Abb. 97. Schni^erei vom Geftühl der Ratsftube. 

geiftliche Oberaufsicht. Die 

Gefellfchaft der Schwarzhäupter, die ältefte in den baltifdien 
Landen - ihr ältefter Schrägen datiert von 1407 - entwickelte 
fidi ebenfalls etwas anders als die Rigafche, die auch heute noch 
nur unverehelichte Kaufleute zu ihren Mitgliedern zählt, während 
in Reval die Ehe kein Hindernis mehr ift zur Gewinnung der 
Bruderfchaft. Obgleich die Revalfdien Schwarzhäupter am Stadt- 
regiment keinen Teil hatten, find fie dennoch an deren An- 
gelegenheiten, befonders den krieg erifchen, fehr häufig beteiligt 
gewefen und bildeten bis in die jüngfte Zeit hinein noch eine 
uniformierte berittene Stadtgarde unter dem Banner des heil. 
Mauritius. 

Das erfte Rathaus hat vermutlich am fog. alten Markt gelegen 
und ift beim Brande der Stadt im Jahre 1288 der Vernichtung 
anheimgefallen. Der je^ige große Marktpla^ entftand erft nach 
diefem Brande und an feiner Südfeite wurde das heute noch be- 
ftehende Rathaus in der erften Hälfte des 14. Jahrhunderts er- 
baut. Es ift das einzige erhaltene mittelalterliche Rathaus in den 




Das Rathaus 



133 



baltifchen Provinzen. Der 
turmgezierte ftattliche Bau 
kehrt feine Langfeite dem 
Marktplatje zu und fein 
Untergefchoß öffnet fich zu 
ihm mit einer fogenannten 
Laube, einem auf kräftigen 
Pfeilern ruhenden Spitj- 
bogengange, der allerdings 
feinen ganzen Reiz einge- 
büßt hat, feit man ihn zu- 
gunften des Stadtfäckels in 
kleine Verkaufsläden zer- 
teilte (Abb. 95). Das Erd- 
gefchoß enthält nur einige 
wenige gewölbte Räume, von denen der fall die Hälfte des Baues 
einnehmende, jetjt als Stadtarchiv dienende, einft die Stätte des 
peinlichen Gerichts war. Über ihm erhebt fidi im zweiten Gefchoß 
der zweifchiffige gewölbte Bürgerfaal, in den die jetjt noch vor- 
handene Treppe unmittelbar vom Marktplaij her mündete. Durch 
eine hölzerne Zwifchendecke und hölzerne Querwände ift er leider 
zu Anfang des 19. Jahrhunderts in viele kleine Gefchäftsräume 
zerlegt und damit die Stadt eines ihrer vornehmften Denkmäler 
beraubt worden. Wieviel Gefchichte haben diefe Wände und Ge- 
wölbe gefehen! Links an ihn ftößt die noch völlig erhaltene 
„Ratsftube", das Sitzungszimmer des Rats, ein ftattlicher von zwei 
Kreuzgewölben überfpannter Raum, der die ganze Gebäudetiefe 
einnimmt. Was fich im Rathaufe an Erzeugniflen des Kunftfleißes 
aus alten Zeiten erhalten hat, ift hier zufammengetragen. Die 
übrigen Räume neben dem zierlichen achteckigen Treppenturm 
dienten der Kämmerei, der ftädtifchen Finanzverwaltung. Eigen- 
artig wirkt der minaretartig fchlanke, aus der Oftwand fich ent- 
wickelnde Treppenturm mit feinem Spi^bogenabfchluß, über dem 
der gefchwungene, von einer luftigen Galerie durchbrochene Helm 
auffteigt, deflen Spi^e von einer Landsknechtfigur mit Hellebarde 
als Wetterfahne gekrönt wird. Ihn ließ der im Jahre 1639 ge- 
ftorbene Revalfche Ratsherr Johann Müller von Kunda auf feine 
Koften erbauen. Im Jahre 1667 wurde das Rathaus einer großen 
Renovierung unterzogen, deren Leitung den Kämmerern Heinrich 




134 



Reval 



Baade und Conftans Korbmacher übertragen worden war. In 
ihrem Auftrage führte der Maler Hans Aken die acht auf das 
Richteramt bezüglichen Lünettengemälde der Ratsftube aus, die 
diefer zum Teil unter mehr oder weniger unmittelbarer An- 
lehnung an Radierungen Rembrandts oder Stiche nach Rubens 
ausführte. Jedes der Bilder ift von einer dichterifch nicht grade 
hochftehenden moralifierenden Nutsanwendung begleitet. Man 
fleht Herodias mit dem Haupte Johannes des Täufers, Simfon 
und Delila, Sufanna vor dem Richter, Chriftus und die Ehe- 
brecherin, das Urteil Salomos, Chriftus vor Pilatus, die Königin 
von Saba vor Salomo und Chriftus mit dem Zinsgrofchen. — 

Demielben Ideenkreife gehören die Refte eines mittelalterlichen 
gefchnitjten Geftühls an, das zum Teil aus dem Ende des 15., zum 
Teil aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts ftammt. Zu den äl- 
teren Teilen gehören zwei Seitenlehnen einer Bank mit gefchnitjten 
Bekrönungen. Links fleht man Triftan und Holde am Brunnen unter 
dem Baum, in deflen Gezweig der Kopf des das Paar belaufchen- 
den Königs Marke erfcheint (Abb. 96); rechts in einem von akanthus- 
ähnlichem Laub gebildeten Kranze Simfons Kampf mit dem Löwen 
(Abb. 97). Wie in dem erften Bild die Schwäche des Mannes 
dem Weibe gegenüber gegeißelt werden foll, fo foll im zweiten 
die Mannestugend, der Mut, gepriefen werden. Dasfelbe Thema 
behandeln auch die Schnitzereien der fpäteren Banklehnen, doch 
hier noch durch einige fymbolifche Darftellungen erweitert. Ge- 
krönt find diefe Lehnen von den fymbolifchen Figuren des Schweigers 
und des Laufchers. Die erfte ift veranfchaulicht durch einen bärtigen 
männlichen Kopf, in deflen geöffnetem Munde die Zunge fehlt, 
die zweite durch eine kleine männliche Figur, die fleh mit weit 
vorgeftrecktem Oberkörper laufdiend über den Nimbus eines 
Chriftuskopfes erhebt — die felbft über das Heiligfte fleh hin- 
wegfegende Begierde des Laufchens. Auf den Innenfeiten der 
Lehnen mahnen zwei große gefchnitjte ftilifierte Rofen an die 
Verfchwiegenheit, wie man wohl bei den Römern es liebte, bei 
Gaftereien eine Rofe über der Tafel aufzuhängen als eine Mah- 
nung, das in der Heiterkeit des Mahles Gefprochene nicht weiter 
zu tragen. Auf der Außenfeite der einen Lehne fieht man Davids 
Kampf mit Goliath, darunter Bär und Löwe, die David als Hüter 
der Herden feines Vaters erlegte — die Symbole von Mut und 
Kraft (Abb. 99). Die andere Lehne trägt ebenfalls zwei Sehnige- 



Das Rathaus 




Abb. 99. Abb. 100. 

Schnitjereien vom Geftähl der Ratsftube. 



136 



Reval 



reien, die wiederum die 
verwerfliche Schwäche des 
Mannes dem Weibe gegen- 
über zum Gegenftand ha- 
ben: Simfon im Schöße der 
Delila und darunter dielllu- 
ftration zu einer mittel- 
alterlichen Schwankdich- 
tung von Ariftoteles und 
der Hetäre Phyllis, die den 
alternden liebeskranken 
Philofophen zum Reittier 
erniedrigte (Abb. 100). Auf 
diefes im Mittelalter oft 
variierte Thema nimmt auch 
jene gefchnitjte Banklehne 
in der Heil. Geiftkirche Be- 
zug, die den Zauberer Virgil 
darftellt, den eine fchlaue 
Königstochter, zu der er in 
Liebe entbrannt war, in 
einem Korbe am Turm ihrer 
Burg hängend, dem Gefpött 
des Volks ausfegte (Abb. 101). Befonders diefe Szenen aus der 
Ariftoteles- und der Virgilfage waren im Mittelalter fehr be- 
liebt und laflen fich fchon im 14. Jahrhundert nachweifen. Sie find 
zurückzuführen auf Petrarcas Trionfi in vita e morte, die all- 
mählich vulgarifiert und ausgefchmückt ins Volk drangen und aus 
Italien über Frankreich ihren Weg nach Deutfchland nahmen. Auch 
die Künftler bemächtigten fich des Stoffs. In Stichen von Lucas 
van Leyden, Urs Graf, Georg Pencz u. a. fand er weite Ver- 
breitung. Doch kaum irgendwo hat fich ein Skulpturenzyklus in 
diefer Vollftändigkeit, wie ihn Reval befi^t, erhalten. 

Ein prächtiges Holzfchnitjwerk ift ferner der unter den Lünetten- 
bildern fich hinziehende Fries vom Jahre 1697 mit zwölf fchwung- 
voll gefchnitjten Jagdfzenen. 

Einen wertvollen Befitj bilden ferner vier, infchriftlich aus dem 
Jahre 1547 flammende, flanderifche Wandteppiche, die offenbar auf 
befondere Beftellung in Brügge hergeftellt wurden, denn alle vier 




Das Rathaus 



137 



tragen das kleine Stadtwappen, 
und die Handelsverbindungen mit 
Brügge waren um jene Zeit be- 
fonders rege. Zwei diefer Tep- 
piche find mit biblifchen Szenen, 
zwei mit Pflanzenmotiven ge- 
fchmückt. Der längfte der Figuren- 
teppiche mißt 8,25 m, der kürzere 
6,10 m, die beiden anderen je 
3,75 m, bei durdifchnittlich 1 m 
Höhe. Auf dem längeren Figuren- 
teppich ift Salomos Einzug in 
Gihon und feine Salbung durch 
Zadok und den Propheten Nathan 
dargeftellt, auf dem kleineren 
Salomos Empfang feiner Braut 
und fein Urteil. 

Unter den Silbergeräten des 
Rathaufes find befonders bemer- 
kenswert die fog. Schoßkannen: 
drei hohe zylinderifche reich ver- 
zierte Deckelhumpen vom Jahre 
1639, die den mit der Erhebung 
des Schofles, einer Art Vermögens- 
fteuer, betrauten Schoßherren zur 
Stillung ihres Duriles dienten 
(Abb. 102), und zwei alte filberne 
Regimentsftäbe von zylinderifcher 
Form mit hölzernen Griffen. Der 
eine diefer Stäbe aus dem Jahre 
1610 (31 cm lang), gehörte dem 
Anführer der ftädtifchen Sold- 
knechte, dem Stadtoberften Joft 
Dunte, der andere etwas längere, 
vom Ende des 17. Jahrhunderts, dem Stadtoberften Hans Moeler. 
Für die militärifche Zucht jener Zeit ift die Infchrift auf diefem 
Regiment charakteriftifch : 

Wultu mith Kriges Folck wat befchaffen 
So moftu wol betalen vnd hart ftraffen. 




Abb. 102. Sog. Schoßkanne. 



138 



Reval 




Von Strafe geldt boefer 
Saken 

let Hans Moeler dith Re- 
giment maken. 

Es ift die Arbeit des Re- 
valer Goldfchmiedes From- 
hold Stein. 

Gleich dem Rathaus flammt 
auch das Haus der großen 
Gilde noch aus dem Mittel- 
alter. Die Zeit der Grün- 
dung der großen Gilde (fie 
wurde urfprünglich als „Kin- 
dergilde " bezeichnet; „Kin- 
der", im Sinne von Zufam- 
mengehörigkeit zu einer Ge- 
noffenfchaft, hier der Kauf- 
leute) ift mit Sicherheit nicht 
nachzuweifen, doch ift ihr Be- 
liehen zu Ende des 13. Jahr- 
hunderts außer allem Zweifel. 
Nach der Vollendung der Be- 

feftigung des jüngeren Stadtteils wird fie ihre Niederlaflung aus 
der engen Stadt dorthin verlegt haben; im Jahre 1370 findet fich das 
Gildenhaus auf der Ecke der Lang- und Heil. Geiftftraße, gegen- 
über der Heil. Geiftkirche erwähnt. Im Jahre 1407 wurde ein 
Neubau geplant und die Gilde erwarb von den Erben des 
verftorbenen Bürgermeifters Gottfchalk Schotelmund deflen dem 
alten Gildenhaufe gegenübergelegenes Wohnhaus. Es wurde ab- 
gebrochen und drei Jahre fpäter war das neue Gildenhaus voll- 
endet. Es ift, von einigen geringen Umgeftaltungen im Innern 
abgefehen, unverfehrt auf die heutige Zeit gekommen. Für die 
„Akzifekammer" wurde 1413 noch ein Anbau ausgeführt, durch 
die Überwölbung des vorderen Teils des fchmalen neben dem 
Gildehaufe fich hinziehenden „Gildenganges", einer Verbindung 
zwifchen der Lang- und Breitftraße (Abb. 103). 

Ein jetjt nicht mehr vorhandener Beifchlag mit feitlicher Frei- 
treppe führte zum gotifch gewölbten Portal, an deflen eifenbe- 
fchlagenen Türflügeln noch zwei fdiöne aus dem Jahre 1430 ftam- 



Abb. 103. Das Haus der großen Gilde. 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



Gildenhäufer 



139 




Abb. 104. Türklopfer vom Haufe der großen Gilde. 



mende Türklopfer erhalten find: ftilifierte Löwenköpfe, die einen 
Klopfring in Form eines gotifchen DreipalTes in den Zähnen halten, 
umgeben von kreisrunden Sdiriftftreifen (Abb. 104). Man tritt in 
eine hohe gewölbte Vorhalle, in der links eine kleine Treppe 
zur Akzifekammer führt; rechts liegt die fog. kleine Gildftube, der 
Sitjungsraum der Gildenälteften und dahinter erftreckt fidi der große 
zweifchiffige Gildenfaal, deflen acht Kreuzgewölbe von drei pro- 
filierten fechseckigen ftämmigen Pfeilern getragen werden. Das 
Ganze ift prunklos, fchlicht und dennoch nicht ohne vornehme Würde. 

Unter dem Haufe befinden fich große gewölbte Keller, von 
denen die zur Straße gelegenen im Jahre 1624 zu einem Wein- 
keller eingerichtet wurden, der unter dem Namen „Das füße Loch" 
einen weiten Ruf gewann. Er wurde nach feiner Einrichtung für 
eine jährliche Miete von 40 Herrentalern und 16 Stoof Rheinwein 
— 4 Stoof für jeden der Älterleute — verpachtet. In feiner alten 
Ausftattung glich er fehr Auerbachs Keller in Leipzig. Vor wenigen 
Jahren ift er gefchloflen worden. 

An eines der frohen Fefte, die neben anderen, vom Haufe der 
großen Gilde ihren Ausgang nahmen und in ihm ihren Befchluß 
fanden, erinnert ein Lünettenbild der kleinen Gildftube, gemalt 
von Leop. v. Pezold (geb. 1832 in Fellin, geft. 1907 in Karlsruhe). 
Es fchildert eine Szene aus dem mittelalterlichen Frühling sfeft, 
dem Maigrafenfeft, das auch in Reval fchon im 14. Jahrhundert 



140 



Reval 



und bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts hinein gefeiert wurde. 
Die diefem Feft zugrunde liegende Idee ift die Überwindung des 
Winters durch den jungen Lenz und feine Vermählung mit der 
Erde. Nach dem Ausritt der Gildenbrüder in den grünen Mai 
und nach ftattgefundenen WafFenfpielen wurde der Würdigfte 
unter ihnen zum Maigrafen erkoren, dem dann das Recht zu- 
ftand, fich unter den Schönen die Schönfte zur Maienkönigin zu 
wählen. Der Maler hat den Einzug des Maigrafen und feiner 
Maienkönigin mit feinem Gefolge durch die große Strandpforte 
dargeftellt. Dem Zuge voraus fchreiten Spielleute; Neugierige 
ftrömen von allen Seiten herbei und im Vordergrunde kniet, um- 
geben von Häfdiern, ein Verbrecher, der feine Befreiung aus der 
Haft von dem Maigrafen erfleht. Der Sage nach ftand es diefem 
zu, einen bei feinem Einzüge ihm begegnenden Verbrecher feiner 
Schuld ledig zu fprechen. 

Neben dem Maigrafenfeft fanden als andere Frühlingsfefte 
der wehrhaften Revaler Bürgerfchaft die „Papageienfchießen" 
fchon im 14. Jahrhundert ftatt. Sie wurden in dem vor der großen 
Strandpforte gelegenen „Papageiengarten" abgehalten, wo auf 
einer Stange ein Vogel gefleckt war, nach dem man mit der Ärm- 
bruft fchoß. Wer den Vogel herabfchoß, wurde als Feftkönig ge- 
feiert und erhielt ein Ehren gefdienk. Beim Einzug in die Stadt 
trug er einen filbernen Papagei an einer Stange, und feine Arm- 
bruft trug man ihm voraus. Die Gilden feierten aber das Feft 
nicht gemeinfam, das hätten die feftgefügten StandesverhältnifTe 
jener Zeit nicht geftattet. Als erfte feierte die große Gilde, dann 
die Schwarzhäupter und dann die kleinen Gilden. Im Silber- 
fcha^e der Schwarzhäupter hat fich der filberne, an einer kleinen 
Kette hängende Papagei, eine Arbeit der Frühzeit des 15. Jahr- 
hunderts erhalten. 

Das Haus der Gilde des heil.Kanutus an der Langftraße 
ift 1864 neu erbaut worden an derfelben Stelle, wo es im Jahre 
1329 urkundlich zum erften Male genannt wird. Es ift ein recht 
unfchöner Bau, der tro^ der Statuen des heil. Kanutus und Luthers 
nichts von jener Behäbigkeit und Würde befitjt, wodurch fich das 
alte Haus der großen Gilde auszeichnet. Im oberen Gefchoß ift 
das eftländifche Provinzialmufeum untergebracht. 

Vom Haufe der ehemaligen Olaigilde, ebenfalls an der 
Langftraße belegen, ift nur noch der alte zweifchiffige Gildenfaal 



Gildenhäufer 



141 




Abb. 105. Das Haus der Schwarzhäupter um 1850. 
Davor Schwarzhäupterbrüder in ihrer damaligen Uniform. (Nach Lithographie.) 



erhalten, einer der ftattlichften mittelalterlichen Saalbauten Revals, 
deffen fedis Sterngewölbe von zwei fdilanken achteckigen Pfeilern 
getragen werden. Er ift feiner Beftimmung leider entfremdet. 
Nach dem Eingehen der Olaigilde kam das Haus in Privatbefit; 
und heute ift der prächtige Saal zu einem Galanteriewarenladen 
geworden. 



142 



Reval 




Abb. 106. Partie aus dem Hofe des Sdiwarzhäupterhaufes. 
(Nach Aufnahme von Teterin.) 



An das Haus der ehemaligen Olaigilde grenzt das der 
Sdiwarzenhäupter (Abb. 105). Es ift feit 1495 mietweife im Bellt} 
der Gefellfdiaft gewefen und 1531 von ihnen den Erben des Bürger- 
meifters Johann Viant abgekauft worden. Ein innerer Umbau er- 
folgte; der große zweifdiiffige Saal, die „Dornfe", deflen Decke 
drei Säulen tragen, kam zur Ausführung. An der mittleren 
Säule fleht man die Jahreszahl 1532. Äußerft intereflante mittel- 
alterliche Anlagen enthält das Kellerg efchoß, und überaus malerifch 
ift der innere Hof (Abb. 106). Die Faffade zur Langftraße ift im 
Jahre 1597 in die jetzige Form gebracht; an die Stelle der ein- 
fachen gotifdien Giebelfchrägen hat man gefdvwungene Linien ge- 
fetjt und durch einige Reliefs den öffentlichen Charakter des 
Haufes zu betonen verflicht. Man fleht einen fegnenden Chriftus 
im oberen Giebelfeld, die Figuren einer Pax und einer Juftitia im 
untern, turnierende Schwarzhäupterbrüder zwifdien den Fenftern 
des Oberg efchofles und die Wappen der vier Hanfakontore zuj 



144 



Reval 



Brügge, Nowgorod, London und Bergen 
auf einem Friefe unter diefen Fenftern. 

Schöne Erinnerungen an die Vorzeit 
werden pietätvoll im Haufe aufbewahrt. 
Alte Schiffsmodelle aus dem 17. Jahr- 
hundert hängen von der Decke der Vor- 
halle herab und Trophäen mancherlei Art 
fchmücken die Wände. Den fchönften 
Schmuck des Haufes aber bewahrt der 
obere Saal, den Silberfchatj und den 
großen flanderifchen Flügelaltar, den die 
Schwarzhäupter einft in die Katharinen- 
kirche der Dominikaner geftiftet hatten. 
Sie nahmen ihn als wertvollftes Eigen- 
tum vor der Aufhebung des Klofters 
zurück. Eine erhaltene Aufzeichnung in 
einem alten Denkelbuch der Schwarz- 
häupter weiß von dem Altar nur zu 
melden, daß er im Jahre 1495 „über 
Lübeck aus Weften" gebracht fei. Es find 
zwei Hände an dem Werk zu erkennen, 
die beide der Memlingfchule angehören, 
oder doch unter ihrem Einfluß geftanden 
haben; namentlich nähern fich einige 
Köpfe in ihrem würdevollen Ausdruck 
dem Meifter des Greveradenaltars im 
Dom zu Lübeck, für den man bisher 
Memling felbft in Anfpruch nahm, was von 
neueren Forfchern aber beftritten wird. 
Die grau in grau gemalte Verkündigung 
auf den Außenflügeln des Schwarzhäupter- 
altars geht ebenfalls auf den Greveraden- 
altar zurück, ift aber von ungleich 
fchwächerer Hand. Am bedeutendften 
ift das bei geöffneten Flügeln erfchei- 
nende erfte Bild: Maria, Chriftus — diefer 
auf der Marterfäule kniend, hinter ihm 
zwei Engel mit den Marterwerkzeugen — 
und Johannes der Täufer Fürbitte ein- 



Äbb. 108. Sog. Rehfuß. Trink! 
gefäß im Bef. d. Schwarzhäuptefl 



S chwarzhäupterhaus 



145 



legend vor dem thronenden Gottvater für die zu beiden Seiten 
knienden dreißig Schwarzhäupterbrüder. Befonders die Figur 
Gottvaters, der in reicher priefterlicher Tracht, das Haupt von 
der Tiara bedeckt, auf mit Edelfteinen gefchmücktem Thron fi^t, 
ift von großartiger Schönheit. Das beim Öffnen der innern Flügel 
erfcheinende zweite Bild zeigt die thronende Gottesmutter mit 
dem Jefusknaben auf dem Schöße. Zu ihrer Linken St. Viktor 
und St. Franziskus; zu ihrer Rechten St. Georg und die heil. 
Äbtiffin Gertraud von Nivelle, mit der zu ihren Füßen vorüber- 
hufchenden Maus. 

Obgleich keine Meifterwerke enthaltend, ift doch die ebenfalls 
hier befindliche Sammlung von Bildniffen fürftlicher Perlbnen, 
namentlich der fchwedifchen Könige, nicht ohne Interefle. Zum 
größten Teil find diefe meift in Lebensgröße gemalten Bildnifle 
von Schwarzhäupterbrüdern während des 17. und 18. Jahrhunderts 
geftiftet worden. Mehrere von ihnen tragen Wappen und Namen 
der Stifter. Nur einmal begegnet man dem Namen eines Malers. 
Das Porträt des großen Kurfürften hat — wahrfcheinlich nach 
einem Stich — der fchon erwähnte Maler der eftländifchen Ritter- 
fchaft Ernft Wilhelm Londicer im Jahre 1683 gemalt. Es ift feine 
frühefte bekannte Arbeit. 

Der Silberfchatj der Schwarzhäupter ift zwar nicht fo bedeutend 
wie der der Rigafchen Schwarzhäupter, doch enthält auch er eine 
große Anzahl äußerft wertvoller Arbeiten Nürnberger, Augs- 
burger, Hamburger und einheimifcher Goldfchmiede (Abb. 107). Als 
eine, wohl nur hier vorkommende Trinkgefäß form mögen die fog. 
Rehfüße erwähnt fein: fehr hohe fdilanke Kelche, die unten in die 
Form eines Rehfußes auslaufen. Ein vorhandener hölzerner Reh- 
fuß flammt aus dem Ende des 16. Jahrhunderts; er hat eine Höhe 
von 1,045 m (Abb. 108). Je einen halben Meter hoch find zwei filberne 
diefer fonderbaren Trinkgefäße, beide Gefchenke ruffifcher Kaifer. 
Das ältere von Peter I. geftiftete Exemplar fertigte der Revaler 
Goldfchmied Peter Wilhelm Pollack, ein Schwager des Malers 
Londicer; das andere ift ein Gefchenk des Kaifers Alexander I. 
und wurde von dem Revaler Goldfchmied Jakob Johann Oehrmann 
angefertigt (Abb. 109). 



Riga u. Reval 



10 



146 



Reval 




Abb. 109. Aus dem Silberfdia^e der Sdiwarzhäupter. 



Das Schickfal, viel Sdiönes von dem Beftande feiner mittel- 
alterlichen Architekturen und von feinen ftimmungs vollen Straßen- 
bildern einzubüßen, ift auch Reval nicht erfpart geblieben. Die 
veränderten Lebensanfchauungen und Lebensbedürfniffe haben 
auch hier über das Alte ihren Weg genommen, haben zunächft 
das Innere, dann das Äußere der mittelalterlichen Bürgerhäufer 
umgeftaltet und fdiließlich nicht wenige von ihnen völlig von ihren 
Plänen verdrängt. Aber trotjdem ift noch manches erhalten und 
der malerifdie Charakter der alten Stadt hat nicht völlig ver- 
wifcht werden können; auch bleibt anzuerkennen, daß neuerdings 
wieder Beftrebungen wach werden, bei notwendig werdenden Neu- 



Bürgerhäufer 



147 




I 



Abb. 110. Der alte Markt um 1880. 

bauten dem Alten Rechnung zu tragen und diefe fo zu geftalten, 
daß fie bei aller Freiheit in der künftlerifchen Konzeption fich 
dennoch dem Rahmen des alten Stadtbildes wohlgefällig einfügen 
(Abb. 110 u. 111). 

10° 



148 



Reval 




Abb. 111. Der alte Markt feit 1905. 

Unfcheinbare Holzbauten, mit Stroh gedeckt, die in ihrer Ein- 1 
richtung den Bauernhäufern der weftfälifchen Heimat ihrer Er- 1 
bauer und Bewohner geähnelt haben mögen, verbreiteten fich in 1 
fchneller Zunahme über das kleine Stadtgebiet am Fuße des I 
Burgfelfens. Befonders während des Interregnums des Ordens I 
der Schwertbrüder, 1227—1238, hatte der Zuzug von Anfiedlern 1 
aus Weftfalen die Zahl der Niederlaflungen außerordentlich ver- 1 
mehrt. Die jener Zeit eigentümliche Zufammenfchließung einzelner 1 
Gruppen der Bevölkerung zu Genoflenfdiaften mit gemeinfamen 1 
Zielen und die Bildung des ftädtifchen Gemeinwefens erfolgte 
auch hier bald. Mit der Einführung des Lübeckifchen Rechts j 



Bürgerhäuier 



149 



wurden auch die erften Baugefe^e gegeben. In der Ergänzung 
zu diefem durdi den Revaler Kodex von 1282 finden lieh be- 
reits eingehende Vorfdiriften über den Hausbau und die Straßen- 
bereinigung, die durdi gelegentlich erlaflene Spezialvorfchriften 
in den „Burfpraken" noch vervollftändigt wurden und deren 
Befolgung den Einwohnern bei Androhung von Strafe zur Pflicht 
gemacht wurde. Dem großen Brande von 1288 folgte das Ver- 
bot des Holzbaues, was zur Folge hatte, daß bereits um die 
Mitte des 14. Jahrhunderts die Steinbauten überwiegen. Doch 
find es nicht die Wohnhäufer, fondern, wie man das in der 
Handelsftadt mit ihren großen Warenvorräten wohl auch nicht 
anders erwarten konnte, die Speicher, die man zunädift aus Stein 
erbaut. „Steinhaus", domus oder hereditas lapidea, auch „Korn- 
haus" ift ihre Bezeichnung in den alten Stadtbüchern. Und die 
Bezeichnung „Steinhaus" für Speicher hat fich bis in die jüngfte 
Zeit erhalten. Das fteinerne Wohnhaus führt in den alten Stadt- 
büchern die Bezeichnung hereditas lapidea in qua moratur, oder 
inhabilitalis. 

Ein verfchärftes Gefe^ forderte im Jahre 1428 bei zehn Mark 
Strafe den Abbruch der noch vorhandenen hölzernen Zäune, 
Stallungen und Wohnungen innerhalb der Zeit vom Montag nach 
Mariä Geburt, dem Tage des Erlaffes, bis zu Pfingften. Und tro^ 
aller verfdiärften Bauvorfchriften konnten dennoch am 11. Mai 1433 
faft die halbe Stadt und das Domgebiet einer Feuersbrunft zum 
Opfer fallen : „Und dat was en grot brant anno XHIICXXXIII, dat 
vür ghink zwarliken over all de Stad des Mandages na Cantate, 
dat was do de XI dagh imme Meie", meldet eine zeitgenöffifche 
Nachricht. Im Rathaufe erinnerte ein großes Gemälde an die 
Schreckensftunden des 11. Mai; es wurde 1667 bei den Reno- 
vierungsarbeiten befeitigt. Die Schuld an dem verheerenden 
Brande trug hauptfächlich das Dachdeckungsmaterial, das vielfach 
noch Stroh und Holzfchindeln bildeten. 

Auf fchmalen langgeftreckten, oft von einer Straße zur anderen 
reichenden Grundftücken, reihten fich die Wohn- und Speicher- 
gebäude aneinander, ihre Giebel der Straße zukehrend. Die 
Grundrißgeftaltung war typifch und fie blieb es, mochten auch die 
Kunftformen im Laufe der Jahre wechfeln, bis ins 17. Jahrhundert 
hinein. Vor dem im Spi^bogen gewölbten Portal, deffen nach 
außen abgefchrägte Laibungen ein Wechfel von Hohlkehlen und 



150 



Reval 



Rundftäben belebte, dehnte 
fidi, um einige Stufen über 
dem Straßenniveau erhöht, 
der „Beifchlag", ein Steinfi^ 
mit hohen Seitenwangen, die 
oft reich fkulptiert, oft Wap- 
pen oder Hausmerke des Be- 
nders trugen oder auch ein 
frommer Spruch zierte. Hier 
pflegte fich die Familie nach 
getaner Arbeit bei fchönem 
Wetter zur Erholung zu- 
fammenzufinden, wenn fie es 
nicht vorzog, fich in dem 
außerhalb der Stadt belege- 
nen Sdiütjengarten vor der 
Süfternpforte, oder dem Ro- 
fengarten, oder dem Papa- 
geiengarten vor der Strand- 
pforte zu ergehen. Die Bei- 
fchläge find bis auf fpärliche 
Refte verfchwunden. Auf Be- 
fehl des Generalgouverneurs 
der Oftfeeprovinzen Marquis 
Paulucci mußten fie im erften 
Viertel des 19. Jahrhunderts, 
als verkehrsftörend, abge- 
brochen werden. 

Das Portal öffnete fich 
auf die hohe, gewöhnlich 
durch zwei Gefchofle rei- 
chende „Diele" (deren fich 
noch einige aus der Frühzeit 
des 17. Jahrhunderts erhalten haben), in deren Hintergrunde einei 
breite Treppe mit fchwerem oft fchön gefchni^tem Holzgeländer.j 
zu einer Galerie und von dort weiter in den oberen Stock führte,] 
wo fich die zum Hof belegene Wohnung befand. Zuweilen trennte 
in geräumigen Dielen eine Wand noch ein Kontorftübchen zur] 
Straße hin ab, oder ein hinter der Treppe zum Hofe belegener] 




Abb. 112. 

Tür am Haufe Nr. 51 an der Langftraße. 



Bürgerhäufer 



151 




Abb. 113. Tür am Haufe Scheel am alten Markt. 

Raum diente diefem Zwedk. Bemerkenswert durch, feine Größe 
und die Reite der gotifchen Ausftattung ift ein folcher, der fidi in dem 
Haufe an der Ecke der Lang- und Bäckerftraße erhalten hat, das fidi 
zugleich durch eine noch dem 16. Jahrhundert angehörende Haustür 
auszeichnet (Abb. 112). Auch die Küche war im Erdgefchoß zum Hofe 



152 



Reval 



gelegen, vielfach nur ein 
dunkler Raum mit einem 
großen offenen Herde. Mit 
den Kellerräumen ftanden 
die Wohnungen durch inner- 
halb der Mauern befindliche 
fchmale Treppen in Verbin- 
dung. Die Wohnung felbft 
war befcheiden und beftand 
gewöhnlich nur aus einem 
heizbaren Wohnzimmer, dem 
„Äftuarium", und einigen kal- 
ten „Kammern". Das Be- 
dürfnis nach größerem Kom- 
fort entftand erft unter dem 
Einfluß der franzöfifchen Sit- 
ten zu Beginn des 18. Jahr- 
hunderts. Unter wie befchei- 
denen Verhältniffen felbft 
Leute aus den belferen Ge- 
fellfchaftskreifen damals in 
Reval wohnten, läßt ein im 
Jahre 1705 zum Zwecke der 
Militäreinquartierung auf- 
geftelltes Häuferverzeichnis 

erkennen. Darin wird Unter Abb. 114. Baugruppe in der Nähe der Strand^ 
anderem berichtet, daß die pforte. (Nodi Aufnahme von van der Ley.) 

von dem Herrn Oberland- 

gerichtsfekretärv.Phafian eingenommene Wohnung aus einer 4 Qua- 
dratfaden (18,2 m 2 ) großen warmen Stube und zwei ebenfogroßen 
kalten Kammern beftehe. Vom finnifchen Paftorat, das Herr Paftor 
Sandreus bewohnt, heißt es, es beftehe aus einer Wohnftube von 
3V 2 Quadratfaden (16 m 2 ) und zwei kalten Kammern, von denen 
er eine „zu feiner Studierftube gebrauchet". Der Paftor Zimmer- 
mann (an der Karlskirche) ift Befiijer einer warmen Wohnftube 
von vier Quadratfaden und einer kalten Kammer, worin Kranke 
untergebracht find. — Um die Mitte des 18. Jahrhunderts finden 
fich fchon andere Ausftattungen. Der innere Ausbau der Wohnungen 
wird mit mehr Aufwand betrieben, eine größere Anzahl von 




Bürgerhäuler 



153 



Fenftern durchbricht die Straßenfaffade, der Luxus von Decken- 
gemälden mit dem ganzen Beiwerk von allegorifdien Gruppen 
wird angetroffen und ein dem entfprediendes Mobiliar ziert die 
wohnlicher g eftalte ten Räume. 

Nur der riefige Dachraum, der an Höhe oft die Hauptmauern 
des Haufes überragte, blieb feiner Beftimmung als Warenfpeidier 
erhalten. Drei, vier und oft noch mehr Gefchoffe waren in dem 
fchweren Holzwerk des Daches eingebaut und erhielten ihr Licht 
durch eingefeijte Dadifenfter und kleine Schlitjfenfter in den Giebel- 
wänden. Durch Luken im Giebel wurden die Waren hinein- und 
hinausgefchafft, an Seilen, die über die an der Giebelfpitje weit 
vorragende Laufrolle liefen. 

Der zur Straße gekehrte Giebel ift neben dem Portal fo ziemlich 
der einzige Träger architektonifchen Schmuckes des alten Revaler 
Wohnhaufes. Große Spftjbogennifchen und Kreisblenden in den 
Zwickeln bilden vorzugsweife die Dekoration der Giebel, wozu die 
Lichtöffnungen und Luken als weitere Motive treten. Zur Ver- 
deckung der über die Giebelflächen hinausragenden Lattenenden 
der Dachdeckung fieht man zuweilen ein Zierbrett an diefen an- 
gebracht, woran Hopfenranken und Trauben ein gern wiederholtes 
Ornament find. Es mag das mit dem Privileg der Brauerei zu- 
fammengehangen haben, das der großen Gilde zuftand. Diefe 
konnte jedoch auch Mitglieder der Olai- und der Kanutigilde in 
die „Brauerkompagnie" aufnehmen, weshalb im Vorftand auch 
ftets ein diefen Gilden angehöriger Vertreter faß. Ein Über- 
bleibfel diefes alten Rechts, das aber keine ftaatliche Bedeutung 
mehr hat, ift noch erhalten. — Gelegentlich kommen auch Malereien 
an den Fafladen vor, doch haben fich folche von Bedeutung nur 
an einem Haufe am alten Markt erhalten. Man fieht dort die 
Dreieinigkeit und die vier Evangeliften in den Kreisblenden und 
Vierpäflen; eine, allerdings fchon mehrfach reftaurierte Arbeit aus 
der erften Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Giebelfpi^e krönte 
ftets eine aus Eifen gefchmiedete Zierftange mit Wetterfahne. 
Skulpturfchmuck an den Häufern aus gotifcher Zeit ift feiten; hier 
und da hat fich ein bärtiger Kopf als Träger eines Spitjbogens am 
Giebel erhalten. Daß der Schmuck einft reicher war, laffen alteNifchen 
über den Eingängen vermuten und nifchenförmige Abfchrägungen an 
Eckhäufern, die wahrfcheinlich einft zur Aufftellung kleiner Heiligen- 
figuren dienten. Auch fromme Sprüche, Hausfegen und andere 



154 



Reval 




Infchriften, die fich als Ab- 
fdiluß des Mauerwerks un- 
ter dem Giebelfuß hinzogen, 
oder auf befondere, an ge- 
eigneter Stelle eingemauerte 
Platten gemeißelt find, wer- 
den, meift bis zur Unkennt- 
lichkeit übertüncht, noch an- 
getroffen. Zuweilen auch an 
den Portalen, wo fie gewöhn- 
lich die Kämpferplatte zieren. 

Auf breiten Grundftücken 
gelegene Häufer erhielten 
ftets zwei Giebel, von denen 
der über dem Haupthaufe 
errichtete breiter und höher 
war, der des Nebenhaufes 
auch zuweilen als Halbgie- 
bel ausgebildet wurde. Das 
Hauptgebäude pflegte man 
„Großhaus", das Nebenge- 
bäude „Kleinhaus" zu nennen. Der Volksmund bezeichnete fie 
auch als „Vaters Haus" und „Sohnes Haus". (Vergl. Abb. 110.) 

Die Architektur der Renaiflance hat auf dem Gebiete des Wohn- 
baues kaum etwas Nennenswertes hinterlaflen. Das Bedürfnis 
nach Neubauten war infolge des politifchen und kommerziellen 
Tiefftandes der Stadt nicht vorhanden. Der Wohlftand Revals war 
in ftetem Sinken begriffen feit der Handel andere Wege nahm, wo- 
durch Reval als Hauptftapelpla^ ausgefchaltet wurde, und ferner die 
fchwedifchen Regenten ihre durch die Kriege ftark in Anfpruch ge- 
nommenen Finanzen aus dem Revalfchen Stadtfäckel und den 
Säckeln der Bürger aufzubefiern fuchten. Die bürgerliche Baukunft 
befchränkte fich auf das Notwendigfte. Hier und da entftand wohl 
ein von gefdrwungenen Linien befeiteter Giebel, wenn die Not- 
wendigkeit eine Änderung erforderte, oder die Giebelfpi^e erhielt 
einen kleinen Auflag im Stil der Zeit. Im Innern der Häufer 
unternommene Umbauten wirkten wohl auch auf die Fafldden zu- 
rück durch Veränderung der Fenfterformen oder durch die Ver- 
mehrung der Öffnungen. Auch die Haustüren mußten gelegentlich 



Abb. 115. Häufergruppe aus der Breitftraße. 



Bürg er häufer 



155 




Abb. 116. Der alte Markt und die Rußftraße um 1830. (Nadi Lithographie.) 



geändert oder erneuert werden; an die Stelle der quergeteilten 
traten dann der Länge nach geteilte Flügel und dann nicht feiten 
mit großem Kunftaufwand. Das Portal des Revaler Bürgerhaufes 
war ja von jeher der Hauptträger des künftlerifchen Schmudtes 
gewefen und die Holzfchnitjkunft ftand, wie an den reich ge- 
fchniijten Totenfchilden beobachtet werden konnte, während des 
17. Jahrhunderts in herrlichfter Blüte. Es haben fich aus diefer 
Zeit auch einige prächtig gefchnitjte Türen erhalten, die mit großem 
künftlerifchen Gefchick in die gotifchen PortalöfFnungen hinein- 
gefetjt find und in diefen ftiliftifchen Gegenfätjen überaus reizvoll 
wirken. Das fchönfte Exemplar diefer Türen befindet fich an dem 
Haufe der Scheelfchen Privatbank am alten Markt (Abb. 113). 

Wie an den Revaler Haustüren hat die Renaiflance des 
17. Jahrhunderts auch an den Kirchtürmen der Stadt herum- 
modelliert. Es fcheint faft, als hätte auch Reval, wie einft das 
alte Augsburg, einen Elias Holl als Baumeifter gehabt, der den 
Türmen ihre alten gotifchen Spitjhelme abnahm und ihnen dafür 
luftige Säulenrotunden und welfdie Hauben auffegte. Mit Aus- 
nahme des Turmes der Olaikirche haben fämtliche Türme der 
Revaler Kirchen und auch der des Rathaufes fdiwungvolle Re- 



156 



Reval 



naiflancehelme erhalten. Der 
Frömmigkeitsfinn jener Zeit 
fand auch tro^ der fdiwierigen 
Finanzlage noch die Mittel zu 
folchen Unternehmungen. 

Auch das 18. Jahrhundert 
hat das Ausfehen der Stadt 
nicht verändert. Erft im 19. 
Jahrhundert beginnt mit dem 
erwachenden Klaffizismus die 
Epoche des Einreißens und Be- 
feitigens. Es ift die Zeit, wo 
die Gotik hier die unange- 
nehme Nebenbedeutung von 
garftig, altväterlich gewinnt. 
Teile der alten Stadtbefefti- 
gung fallen, die Tore werden 
abgerufen, foweit es nicht mit 
allzu großen Koften verknüpft 
war, die malerifche Süftern- 
pforte wird auf Abbruch ver- 
kauft, hier und da fallen alte 
gotifche Giebel und werden 
durch ein zur Straße abfallen- 
desDach erfetjt, es fallen ganze 
Häufer und Häuferreihen, und 
in die Lücken fchieben fich mit wenigen Ausnahmen flache kafernen- 
artige Neubauten. Auf dem Dom entftanden um diefe Zeit einige 
durch eine vornehme Würde fich auszeichnende Privatbauten, die 
durch ihre malerifche Lage am Rande des Felfens befonders in 
die Augen fallen. 

Und mit dem Aufleben der Romantik zieht dann wieder eine 
Gotik ein, die an verfchiedenen Stellen der Stadt und mehrfach 
auch in den Kirchen die abfonderlichften Blüten getrieben hat. 

Trotj alledem ift von dem Alten noch ein gut Teil übrig ge- 
blieben. Das reiche Mittelalter der Stadt hatte ein Erbe hinter- 
laffen, das nicht fo leicht zu verfchleudern war und dank diefem 
Umftande hat Reval auch heute noch feinen alten kerndeutfchen 
Charakter bewahrt. Es gibt keine Stadt in den Oftfeeprovinzen 




Abb. 117. Die Mauerftraße mit dem 
„Kampferbeckturm" im Hintergrunde. 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



Katharinental 157 



und nur wenige in Deutfch- 
land, die in ihren malerifdi 
fich windenden, bald fich 
verengenden, bald fich er- 
weiternden Straßen, die 
hier den Blick auf eine alte 
gotifche Häufergruppe, dort 
auf die tru^igen grauen 
Türme der Stadtbefeftigung 
und die ragenden Kirchen- 
türme geftatten, fo viele 
köftliche Straßenbilder bö- 
ten (Abb. 114, 115, 116, 117, 
118, 119). 

Durch die Kapitulation 
Revals fah Kaifer Peter von 
Rußland fich im Befitj der 
viel umftrittenen Provinzen 
Liv- und Estland. Er war 
dem Lande wohlgefinnt und 
weilte gern hier. Befonders 
in Reval hat er fich gern und 
oft aufgehalten. Er war auch 

Abb. 118. Anficht aus der Mauerftraße nahe 9 ern * n ^9 a Und erbaute 
der ehem. Lehmpforte um 1840. fich dort ein Palais mit 

der Ausficht auf den herr- 
lichen Dünaftrom, legte auch einen fchönen Park in der Nähe der 
Düna außerhalb der Stadt an, den „Kaiferlichen Garten", doch 
erlahmte fein Interefle an diefen Schöpfungen mit der Zeit. Da- 
gegen feflelte ihn Reval. Er liebte das Meer und hier war er 
ihm nahe. Hier errichtete er fich am Meeresftrande ein einfaches 
Holzhaus, von wo aus fein Blick frei über die gitternde Fläche 
fchweifen konnte. Elfmal hat Peter Reval befucht. Am 13. De- 
zember 1711 hielt er unter Kanonendonner und Glockengeläut 
feinen feierlichen Einzug. In der Nähe des „Peterhäuschens" ließ 
er im Jahre 1718 durch feinen Architekten Michetti ein Schlößchen 
für feine Gemahlin Katharina erbauen und einen prächtigen Garten 
anlegen, der reich mit Figuren, Springbrunnen und Waflerkünften 
ausgeftattet wurde. Der Kaiferin zu Ehren nannte er die Anlage 




158 



Reval 




„Katharinental". Das Schlöß- 
chen ift ein zierlicher zwei- 
ftöckiger Bau, der fo in die 
Bodenerhebung eingefchnit- 
ten ift, daß die Anfahrfeite 
dreiftöckig gebildet werden 
konnte. Den Mittelbau nimmt 
ein durch zwei Gefchoffe rei- 
chender Saal ein, deffen reich 
fkulptierter Plafond mit 
einem großen Mittelbilde, 
Diana und Aktäon, und vier 
kleinen fymbolifchen Gemäl- 
den gefchmückt ift. Sehr 
hübfch find auch die beiden 
Kamine des Saales. Die Kai- 
ferin hat das Schlößchen nie 
bewohnt und ihre Nachfol- 
geiin auf dem Kaiferthron, 
Anna Iwanovna, ließ die 
Wafferkünfte abbrechen, um 
fie in Peterhof zu verwerten. 
Heute dient das kleine Schlößchen dem örtlichen Gouverneur ge- 
wöhnlich als Sommerrefidenz. 

Es hat lange gedauert bis die Erfchöpfung der Stadt und des 
Landes nach dem nordifdien Kriege verwunden war. Erft am 
Ausgang des 18. Jahrhunderts beginnen die ins Schwanken ge- 
ratenen Lebensverhältniffe wieder in feftere Bahnen einzulenken, 
die große Epoche des deutfchen literarifchen Auffchwunges trifft 
mit ihren leuchtenden Strahlen auch die baltifdien Lande wärmend 
und befruchtend. Groß ift der Einfluß, den Auguft v. Ko^ebue als 
Schriftfteller und Dichter hier ausübt. Er gründet in Reval das 
Theater und ruft die erften darftellenden Künftler ins Land. Auch 
der Kunft der Malerei bricht er eine Gaffe. Ihm danken die erften 
beiden bedeutenderen Maler aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, 
Otto Ignatius und Guftav Adolf Hippius, ihre erfte Förderung. Sein 
jüngfter Sohn Alexander, von dem auf Seite 5 ein Bild repro- 
duziert ift, entwickelte fich zu einem bedeutenden Schlachten- 
maler. Doch daß das Land, das fie gebar, fie auch genährt hätte, 



Abb. 119 



Der „Kiek in de Kök" aus der 
Ritterftraße gefehen. 
(Nach Aufnahme von van der Ley.) 



Katharinental 



160 



Reval 



dazu fehlten auf lange hinaus noch die Vorbedingungen. In der 
Heimat feilen Fuß zu fafTen nach Vollendung ihrer Studien, 
gelang keinem von ihnen; fie mußten fie mit der nordifchen 
Hauptftadt vertaufchen. Aber auch anderen, die nach ihnen kamen, 
ift es nicht bener ergangen. Auch ein Gebhardt, ein Dücker, ein 
Bodimann, Salemann, Wenig und manche andere, fie konnten nur 
in der Fremde den Flug zu den Höhen der Kunft nehmen. Erft 
in jüngfter Zeit regt fich unter dem allmählichen wirtfchaftlidien 
Erftarken, das während der legten verlebten Jahre der politifchen 
Umwälzungen wohl empfindlich unterbrochen, aber nicht gehemmt 
werden konnte, auch ein neuer frifcher Zug zur Kunft. Ob er 
ftark genug fein wird, um eine ähnliche glänzende Epoche der 
Kultur zu zeitigen, wie fie Reval fah als deütfche Hanfeftadt? 



REGISTER. 

Die Sternchen deuten auf eine Abbildung hin. 

Riga. 



Albert, Bifdiof 6, 9, 11, 38, 45, 76. 
Alexanderpforte 44. 
Ambundi, Johann, Erzbifchof 30. 
Baumeifter : 

Beyne, Kar] 38. 

Bindenfchu, Rubbert 31, 63. 

BockslafF, Wilhelm 35, 71. 

Bohnftedt, Ludwig 70. 

Boffe, Harald 68. 

Dahlen, Statius von 31. 

Felsko, Johann Daniel 50. 

Haberland, Chriftoph 26, 33, 66. 

Hauerbeke, Hinrich 28. 

Jensen, Severin 66. 

Joost, Jakob 31. 

Oettinger, Friedrich von 56. 

Raftrelli, Bartolomeo Francesco 64. 

Rumefchottel, Johann 28. 

Rumefchottel, Kerften 28. 

Sta^, Vincent 23. 

TeufFel, Jürgen 30, 31. 

Wülbern, Johann Heinrich 32. 
Bergmann, Dr. Liborius von 61*, 73. 
Bildhauer: 

Bernewitj, Karl 74. 

Stephan, Chriftoph 33. 

Walter, Hans 32; 63. 
Bifchofshof (bifchöfl. Refidenz) 8, 9, 28. 
Börfe 59*, 68. 
Brautkammer 49. 
Bro^e, Johann Chriftoph 24. 
Buchhol^, Anton 27. 
Buchhol^, Auguft 27. 
Bürgerhäufer 60, 61, 62, 75. 
Dommufeum 1, 26, 27, 32, 49*. 
Ellerbrokturm 8. 

Epitaph des Caspar v. Tiefenhaufen 24. 
Gedenkfäule 44. 



Georgskapelle 40. 

Gildenhäufer 45*, 46*, 47*, 48*; 49*, 68. 
Goldfchmiede : 

Dechant, Georg 56. 

Dey, ChriftofFer 56. 

Eben, Georg 55. 

Heynemann, Berndt 55. 

Linden, Jürgen 56. 

Meyer, Eberhard 52. 

Mylius, Johann Sebaftian 55. 

Mylius, Sebaftian 55. 
Herderdenkmal 27. 
Hofpital zum heil. Geift 9, 40. 
Johann III., Erzbifchof 40. 
Jürgenshof 8, 29, 39, 40, 47. 
Kanzel der Domkirche 23*. 
Kanzel der Petrikirche 33, 66. 
Kapelle zum heil. Kreuz 38. 
Kirchen: 

Alexander-Newski-Kirdie 71. 

des Cifterzienfer-Nonnenklofters 28. 

des Franziskanerklofters 28. 

Gertrudkirche 73. 

Gertrudkirche, die neue 73. 

Heil. Geiftkirche 40. 
Jefuskirche 71. 

Kathedrale, griech. orthod. 71, 73. 

Lutherkirdie 73. 

St. Jakob 20, 28, 36, 37*. 38. 

St. Johann 2 7, 24, 28, 34, 35*, 36, 38. 

St. Katharinen 40. 

St. Marien (Dom) 7, 8, 9, 11, 12*, 13*, 
14*, 15*, 16*, 17*, 18, 19, 20*, 21*, 
22, 23*, 24, 25*, 26, 27, 35*, 37. 38. 

St. Paul 28. 

St. Peter 7, 28, 29, 30, 31*, 32, 33*, 

34, 35*, 38, 40. 
Kirche zu Katlekaln. 



Riga u. Reval 



11 



162 



Regifter 



Klöfter: 

der Cifterzienfernonnen 36. 

der Dominikaner 28. 

das Domklofter, 13*. 14*, 15*, 16*, 66, 

der Franziskaner 36. 
Kommerzfchule 71. 
Konvent der Beginen 36. 
Konvent zum heil. Geift 8. 39. 
Lyceum ;38. 
Maler : 

Barifien, Friedrich Hartmann 66. 
Becker, Gottlob 66. 
Brekelenknm, Quirijn van 67*. 
Budberg, Woldemar von 26, 61*. 
Dietrich, Anton 26. 
Dücker, Eugen 74, 
Engelhardt, Hermann von 74. 
Feuerbach, Anfelm 71*. 
Fontebaffo, Francesco 65. 
Gebhardt, Eduard von 74. 
Geeft, Wijbrandt de 65*. 
Graff, Anton 74*. 
Graß, Karl Gotthard 67. 
Jongh, Leuff de 63*. 
Karftens, Jakob Asmus 75*. 
Ko^ebue, Alexander von 5*. 
Krüger, Franz 72*. 
Kügelgen, Gerhard von 66. 
Kütner, Samuel 66. 
Laenen, Chriftoffel van der 64*. 
Landfeer, Sir Edward 73*. 
Lübecker Meifter von 1524 63*. 
Lundens, Gerrit 60* 
Lynen, Johann von der 56. 
Meyer, Cordt 24. 
Porcellis, Jan 69*. 
Purvit, Wilhelm 74. 
Richter, Ludwig 72*. 
Rofen, Gerhard von 74. 
Rofenthal, Jan 74. 
Rotari, Pietro Graf 64. 
Schorer, Leonhard 66. 



Maler: 

Spi^weg, Karl 70*. 

Stackelberg, Otto Magnus von 67. 

Steinle, Eduard von 33. 

Tode, Ernft 26. 

Winkler, Karl von 74. 
Marienburg i. Pr. 41. 
Meinhard, Bifchof 4, 6, 20, 24. 
Meyer, Gert, Glocken- und Gefchü^gießer 

33. 

Molyn, Nikolas, Buchdrucker 1. 
Monheim, Eberhard von, Ordensmeifter 

40, 47. 
Mufeum 41*, 73, 74. 

Ordensfchloß (f. Schloß des Deutfchen 

Ordens). 
Orgel der Domkirche 24. 25". 
Pfalz, bifchöfliche 7, 38. 
Plettenberg, Wolter von 42, 43*, 47. 
Portale der Petrikirche 33*. 
Pulverturm 9*, 10. 
Rathaus 8, 46, 56, 57*, 58*, 59. 
Rolandfäule 56, 58. 
Sandturm (f. Pulverturm). 

Schloß des Deutfchen Ordens 2, 9, 19, 40, 
41*, 42, 43*. 44-47. 

Schwarzhäupterhaus 47, 50*, 51*, 52*, 53*. 
54*, 55*, 56*. 

Schwertbrüderorden 8, 39*. 

Stadtbibliothek 26, 66. 

Stadtmauern 1, 7, 9, 10, 40. 

Statthalterfchaftsbau 44. 

Theater 60*, 69, 70. 

Üxküll 6, 24. 

Wachtturm 2, 10*. 

Wächter, Johann Georg, Medailleur 26. 
Wallenrode, Johann von, Erzbifchof 29. 
Wandmalereien der Domkirche 21*, 22*. 
Wandmalereien in der St. Johannis- 
kirche 34. 

Wilhelm v. Brandenburg, Erzbifchof 24. 
Ykeskola 6. 



Regifter 



163 



Baumeifter: 

Bernhard, Rudolf 131. 

Bindenfchu, Rubbert 102. 

Feldmann, Alexander von 125, 126. 

Geißler, Hans 124. 

Jordan, Friedrich Ernft 126. 

Michetti, Giov. 157. 

Seydli^, Ernft von 125. 

Swalbart, Hinrich 128. 
Bildhauer: 

Ackermann 101. 

Paffer, Arnold 94. 
Bürgerhäufer 146, 147*, 148* 149, 150*, 

151*. 152*, 153*, 154*, 155*, 156*, 157*, 

158*. 
Burg (f. Schloß). 

De Croy, Karl Eugen, Herzog 119. 
Deutfdiordensfchloß (f.Schloß d.Deutfchen 

Ordens). 
Dicke Margarethe 84* 87. 
Dielen 128*. 
Dom (Domgebiet) 80. 
Domberg 77, 78, 79, 80, 85, 86, 87, 92, 127. 
Domberg, kurzer 87*, 88. 
Domberg, langer 85, 86, 87. 
Epitaphe (Totenfchilde) 95, 96* 98-101, 

111, 112*, 119. 
Gilde, große 138* 139*. 
Gilde des heil. Kanutus 140, 
Gilde St. Olai 140, 141, 142. 
Goldfchmiede: 

Oehrmann, Jakob Johann 145. 

Pollack, Peter Wilhelm 145. 

Ryffenberch, Hans 118. 

Stein, Frommhold 138. 
Gouvernementspalaft 91. 
Grabfteine 98. 
Gymnafium 127. 
Kampferbeckturm 156*. 
Kapellen: 

Antoniuskapelle 102. 

Antonius- (Begräbnis-) Kapelle 131. 

Barbarakapelle 131. 

Bremerkapelle 124. 

Gertrudenkapelle 131. 

Laurentiuskapelle 131. 

Ratskapelle (£ Heil. Geiftkirche) 



Kapellen t 

Rofenkranz- (Rammefche) Kapelle 
92. 

Katharinental (Kaiferl. Luftfchloß) 157, 
158, 159*. 

Kenotaph des Hans Paulfen 124, 125*. 
Kiek in de Kök (Turm) 87, 89*, 158*. 
Kirchen : 

Dom 77, 92, 93*, 94*— 98, 111. 
Altar 101. 
Epitaphe 95, 96*. 
Grabmäler: 

Ferfen, Otto Wilhelm von, Feldmar- 
fchall 98. 

Greigh, Samuel, Admiral 97. 

Haftfer, Johann von, Landrat 97. 

Horn, Carl Heinrichfon von, Feldherr 
und Gouverneur 98. 

Krufenftern, Adam Johann von, Ad- 
miral 97. 

Margarethe von Schweden, Prinzeffin 
97. 

Pontus de la Gardie, Graf, Feldherr 
94, 95*, 96*. 

Ryning, OlafF, Hofmarfchall 97. 

Tiefenhaufen, Ferdinand, Graf 97. 

Thum, Heinrich Matthias, Graf 97. 
Rofenkranzkapelle 92. 
Heil. Geiftkirche 86, 120* 121, 138. 

Altar 121, 122*. 

Geftühl 121, 136*. 

Kanzel 121. 
St. Johann, Spitalkirche 121. 
Karlskirche 131. 

Katholifche Kirche zu St. Peter und Paul 
128. 

Michaelskirche des Cifterzienfernonnen- 

klofters 120, 127. 
Michaelskirche, fchwedifche 120. 

Altar 120. 

Baptifterium 120. 
Nikolaikirche 86, 101, 102*— 120. 

Altäre: 102, 103*, 104* 105*. 106*, 107*, 
108*. 

Antoniuskapelle 102. 
Epitaphe 111, 112* 119. 
Geftühl 115, 116*, 117*. 



11° 



164 



Regifter 



Nikolaikirche: 

Grabmäler 111, 113*. 
Kanzel 113, 114*, 115*. ! 
Leuchterkronen 117. 
Silbergeröt 118*, 119. 
Totentanz 109, 110*. 
Olaikirche 84*, 86, 123*. 126*, 127*. 
Altar 127. 
Bremerkapelle 124. 
Kenotaph des Hans Paulfen 124, 125*. 
Klöfter: 

Beginenkonvent 126. 
Birgittenklofter 126, 128, 129*. 131. 
Cifterzienfernonnen- (Jung frauen-) 

klofter 86, 87, 123, 126, 127. 
Dominikanerklofter 126, 127, 128. 
Kornhaus 128. 
Landskrone (Turm) 91. 
Langer Hermann (Turm) 91*. 
Lehmpforte 88, 157*. 
Lindaniffe (Burg) 78, 89. 
Maler: 

Aken, Hans 134. 
Blome, Daniel 115. 
Bochmann, Gregor von 160. 
David, Geraerd 108. 
Dücker, Eugen 160. 
Gebhardt, Eduard von 101, 160. 
Gehlhaar, Theodor 77*. 
Graf, Urs 136. 
Hau, Johannes 90. 
Hembfen, Hans 111. 
Hippius, Guftav Adolf 158. 
Ignatius, Otto 158. 
Köler, Johann 131. 
Kügelgen, Karl von 77*. 
Kügelgen, Sally von 131. 



Maler: 

Kügelgen, Wilhelm von 126. 

Leyden, Lucas van 136. 

Londicer, Ernft Wilhelm 101, 120. 145. 

Maydell, Ludwig von 126. 

Memling, Hans 144. 

Notken, Berent 108. 

Pencz, Georg 136. 

Pezold, Leopold von 139. 

Rode, Hermen 105. 

Salemann, Robert 160. 

Sandrart, Johann Joachim 120. 

Wenig, Karl 102, 160. 

Wortmann, Anton 109. 
Marienburg i. Pr. 93. 
Markt, der alte 85, 147*, 148*, 155*. 
Marktpla^ 86, 130*. 
Pfarrhaus zu St. Nikolai 119*. 
Pilfticker (Turm) 91. 
Provinzialmufeum 121, 122*, 140. 
Rathaus 130*, 132*, 133*, 134, 135*, 136, 
137. 

Rentenfcher Turm 87. 
Rochushofpital 123. 
Schloß (dänifches) 80, 89, 91. 
Schloß des Deutfchen Ordens 77, 91. 
Schwarzhäupterhaus 141*, 142*, 143*, 144*, 
145, 146*. 

Siechenhaus zu St. Johann 120, 121. 
Spinnhaus 120. 

Stadtmauer (Stadtbefeftigung) 80, 85*, 

86*, 87, 88, 89, 92. 
Stolting (Turm) 84, 87. 
Strandpforte, große 83, 84*, 87, 88. 
Strandpforte, kleine 87. 
Stür den Kerl (Turm) 91. 
Süfternpforte 88*. 



LITERATURVERZEICHNIS. 



Amelung, F., Revaler Altertümer. Reval 1884. 

Arbufow, L., Grundriß der Gefchichte Liv-, Eft- und Kurlands. 3. Aufl. Riga 1908. 
Buchhol^, A., Goldfdimiedearbeiten in Liv-, Eft- und Kurland. Lübeck 1892. 
Hänfen, G. v., Die Kirchen und ehemaligen Klöfter Revals. 3. Aufl. Reval 1885. 
Löwis of Menar, K. v., Die ftädtifche Profanarchitektur der Gotik, der Re- 

naiflanee und des Baroko in Riga, Reval und Narva. Lübeck 1892. 
Neu mann, W., Das mittelalterliche Riga. Berlin 1892. 

Neumann, W., Werke mittelalterlicher Holzplaftik und Malerei in Liv- und Eft- 
land. Lübeck 1892. 

v. Nottbeck und Neumann, Gefchichte und Kunftdenkmäler der Stadt Reval. 
Reval 1904. 

Nottbeck, E. v., Der alte Immobilienbefrcj Revals. Revals 1884.