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Full text of "Geschichte der Renaissance in Frankreich;"

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er Renaissance 
in Frankreich 



von Wilhelm 



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GESCHICHTE 



DER 



RENAISSANCE IN FRANKREICH 



GESCHICHTE 

DER 



RENAISSANCE 

IN 

FRANKREICH 

VON 

WILHELM LÜBKE 



ZWEITE VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE 
MIT 163 ILLUSTRATIONEN IN HOLZSCHNITT 




CVM PRrVILEGIO REGIS ST£PHAJsP/ST 



STUTTGART 

VERLAG VON EBNER & SEUBERT 

(Paul Neff) 
1885 



Gedruckt bei Knorr & Hirth in München. 
Papier von der München-Dachauer Actien-Gesellschaft für Maschinenpapier-Fabrikation. 




VORWORT 

ZUR ERSTEN AUFLAGE. 

US naheliegenden Gründen mufste ich bei Bearbeitung' 
der franzöfifchen Renaiffance die fyftematifche Behand- 
kmg, welche Jacob Burckhardt der Renaiffance ItaHens 
hat angedeihen laffen, aufgeben und zur hiftorifchen 
Darftellung zurückkehren. Frankreich hat in feiner 
Renaiffance nicht wie Italien aus dem Volksgeifte heraus 
eine Gefammtkunft gefchafifen, in welcher das ganze 
Leben feinen verklärten Ausdruck findet, fondern auf 
äufseren Anftofs hin, veranlafst durch feine Fürften, inmitten einer noch 
mittelalterlich empfindenden Welt und vielfach durchkreuzt, ja beirrt von 
gothifchen Ueberlieferungen , eine Architektur hervorgebracht, die haupt- 
fächlich am Profanbau, und zwar in erfter Linie an den Schlöffern der 
Könige und des Adels zur Geltung kommt. Wird dadurch die Richtung 
der franzöfifchen Baukunft einfeitiger, ihre Ausprägung unendhch mannich- 
faltig, fo gewinnt fie zugleich für den Hiftoriker wie für den praktifchen 
Architekten einen befonderen Werth. Jener wird mit Intereffe der fcharf 
gezeichneten Bewegungslinie nachfpüren, in welcher fich aus einem Spiel 
fubjektiver Laune und Willkür allmählich Einfachheit, Klarheit und Anmuth 
eines neuen, durchaus eigenthümlichen Stiles entwickeln. Diefer-wird nicht 
ohne Belehrung beobachten, wie eine noch wahrhaft fchöpferifche Zeit 
durch den Genius ächter Künftler es verftanden hat, den antiken Formen- 
kanon und die Einwirkung der italienifchen Kunft zu einer bei alldem 
originellen, nationalen Architektur umzuprägen. National in dem einzigen 
bei der Baukunft zuläffigen Sinne, dafs fie den Gewohnheiten und An- 
fchauungen des einzelnen Volkes in einer beftimmten Epoche zu einem 
künftlerifch entfprechenden Gepräge verhilft. Denn die Einzelformen find 




X 



Vorwort zur erften Auflage. 



Über alle nationalen Schranken hinaus als Ausdruck ewig gültiger Gefetze- 
und Verhältniffe Allgemeingut der Menfchheit. Dafs aufserdem eine Zeit 
wie die unfere, deren eigentliche architektonifche Aufgaben auf dem Gebiete 
des Profanbaues liegen, aus den franzöfifchen RenaiffancebautenJ^e'lfur 
verwandte Bedürfniffe und unter ähnlichen klimatifchen Verhältniffen 'ge- 
schaffen wurden, Manches lernen kann, verfteht fich von felbft. 

In der Darfteilung habe ich, da das Befchreibende nothwendig dabei 
überwiegen mufste, mich bemüht, fo kurz und fo klar, fo genau und fo- 
anfchaulich wie irgend möglich zu verfahren. Gleichwohl fühle ich, dafs- 
ohne bildliche Darfteilung mein Zweck nur mangelhaft erreicht werden 
kann. Eine Reihe bezeichnender Illuftrationen , gröfstentheils von Herrn 
Architekt Profeffor Baldinger auf den Holzftock übertragen, ift defshalb 
hinzugefügt worden, Einiges darunter ganz neu nach Photographieen, Anderes, 
nach- gütig mir überlaffenen Reifefkizzen meines Freundes G. Lafius aus- 
geführt. Die Verlagshandlung hat meinen Wünfchen dabei wie immer 
in dankenswerther Liberalität Rechnung getragen. Im Uebrigen verweife 
ich auf die zahlreichen werthvollen Publicationen franzöfifcher Architekten 
und Stecher feit Du Cerceau bis auf die neuefte Zeit, befonders noch auf 
die neuerdings durch M. Deftailleur unternommene neue Ausgabe von 
Du Cerceaus bekanntem Hauptwerk. (Paris A. Levy.) 

Da meine Darfteilung der erfte Verfuch einer felbftändigen, erfchöpfenden 
Behandlung diefes Gegenftandes ift, fo wird eine billig abwägende Kritik 
diefs gewifs mit in Anfchlag bringen. Hoffentlich wird fie weder gewiffen- 
haftes Studium, noch das ernfte Streben nach objectiver Würdigung des 
Kunftwerthes der gefchilderten Werke vermiffen. Der heutigen Architekten- 
generation ift aber, fo dünkt mich, das gründliche Studium der Renaiffance 
vor Allem defshalb ans Herz zu legen, weil wir gerade aus den Schöpfungen 
jener Epoche lernen können, wie eine über den blofsen Eklekticismus hin- 
ausreichende Architektur mit hoher Freiheit die Summe claffifcher Form- 
überheferung nur dazu verwendet, um dem geiftigen Wefen und den prak- 
tifchen Bedürfniffen der eigenen Zeit und des eigenen Volkes das wohl- 
angepafste, ausdrucksvolle Kleid zu fchafifen. 



VORWORT 

ZUR ZWEITEN AUFLAGE. 

EiT dem Erfcheinen der erften Auflage diefes Buches 
ift unfre Kenntnifs von der franzöfifchen Renaiffance 
nicht unerhebhch bereichert worden. Zunächft verdanken 
wir dem allerdings noch lange nicht abgefchloffenen 
Werke von Paluftre einen bedeutenden Zuwachs neuer 
Anfchauungen. Diefe Ergebniffe, fowie die Refultate 
eigener von Ort und Stelle gemachter Studien für die 
neue Bearbeitung des feit geraumer Zeit ganz vergriffenen Buches zu ver- 
werthen, war mein vornehmftes Augenmerk. Der Bau, den ich aufgeführt, 
hat durch diefen Zuwachs keine innerliche Umgeftaltung, wohl aber eine 
anfehnliche äufserliche Bereicherung erfahren. Eine für mich erfreuliche 
Wahrnehmung, denn ich durfte daraus die Ueberzeugung fchöpfen, dafs ich 
alles Wefentliche richtig aufgefafst und zu bleibendem kunftgefchichtlichen 
Gefammtbilde fixirt hatte. Dafs die neue Auflage aufser diefer textlichen 
Bereicherung und ftofflichen Erweiterung auch eine bedeutende Vermehrung 
ihrer illuftrativen Zugaben durch wohlgelungene Darftellungen zum Theil 
noch nicht veröffentlichter Denkmäler erhalten konnte, wird den Werth des 
Buches erheblich fbeigern. Auch fonft find durch weitere Studien wefent- 
liche Bereicherungen gewonnen worden; ich mache auf die Abfchnitte 
über Jean Foucquet, über König Rene und über die wichtigen franzöfifchen 
Bücherilluftrationen aufmerkfam. 

Sodann aber war es das reiche und glänzende Gebiet des franzöfifchen 
Kunfbhandwerks, welches hier zum erften Male im Zufammenhange mit 
der Architektur der Zeit gefchildert worden ift. Indem hier eine Be- 
fchränkung auf das der franzöfifchen Kunft befonders Eigenthümliche und Her- 
vorragende geboten war, galt es die Tifchlerei und Holzfchnitzerei, das be- 




XII 



Vorwort zur zweiten Auflage. 



deutende Gebiet der franzöfifchen Keramik mit den Prachtarbeiten eines 
Paliffy und den glänzenden Schöpfungen der Oiron- Fayencen, aber auch 
das Limofiner Email, die Glasmalerei und endlich den Bucheinband hervor- 
zuheben. 

Alle diefe Richtungen und Leiflungen der franzöfifchen Renaiffance- 
kunft find um fo nachdrücklicher dem Studium unfrer Künftler, Architekten 
und Kunfthandwerker zu empfehlen, als durch die eine Zeit lang gar zu 
ausfchliefslich und wahllos betriebene Nachahmung unfrer deutfchen Re- 
naiffance vielfach ein derber und überladener Zug in die moderne Produc- 
tion gekommen ift , der felbft über die Grenze des in den alten Original- 
werken zu Tage Tretenden noch hinausgeht. Diefer Richtung gegenüber 
mufs immer wieder nicht blofs auf die italienifche Renaiffance, fondern 
auch auf die franzöfifche hingewiefen werden, deren Feinheit und künft- 
lerifche Harmonie uns in hohem Grade belehrend fein kann. Denn alles, 
was die Wiffenfchaft erforfcht, foll dem fchafifenden Leben zu Gute kommen, 
fich in frifch pulürende fchöpferifche Thätigkeit umfetzen. 

Juni 1885. 



W. LÜBKE. 



INHALTSVERZEICHNISS. 



ERSTES KAPITEL. 
UMWANDLUNG DES FRANZÖSISCHEN GEISTES. 



Seite 

§ I. Karls VIII und Ludwigs XII 

italienifche Feldzüge i 

§ 2. Einflufs der italienifchen Züge auf 

den Adel 4 

§ 3. Einwirkung der antiken Studien . 6 

§ 4. Jean Foucquet 9 

§ 5. Die Bücherilluftration . . ' . . 15 



§ 12. Nachblühen der kirchlichen Gothik 57 

§ 13. Spätgothifcher Profanbau ... 58 

§ 14. Das Schlofs zu Amboife ... 64 

§15. Das Schlofs zu Blois 65 

§16. Das Schlofs Gaillon 69 



§ 21. Das Schlofs zu Blois 83 

§ 22. Schlofs Chambord 88 

§23. Schlofs Madrid oder Boulogne . 96 
§ 24. Das Schlofs von Fontainebleau . 100 
§ 25. Die Bau-Urkunden von Fontaine- 
bleau III 



Seite 

§ 6. König Rene von Anjou ... 29 

§ 7. Geistesrichtung Franz' I ... 32 

§ 8. Umfchwung der Literatur ... 35 

§ 9. Rabelais und die Thelemitenabtei 37 

§ 10. Franz I und die Künftler ... 39 
§ II. Grundzüge der franzöfifchen Re- 

nailTance 43 



§ 17. Die Künftler von Gaillon ... 74 

§ 18. Denkmäler zu Ronen .... 77 

§ 19. Der herzogliche Palaft zu Nancy 79 

§ 20 Grabdenkmäler 81 



§ 26. Das Schlofs St. Germain-en-Laj'e 116 
§ 27. Das Schlofs La Muette . . . .120 

§ 28. Das Schlofs Chalvau 122 

§ 29. Das Schlofs von Villers-Coterets 125 
§ 30. Schlofs Folembray 127 



ZWEITES KAPITEL. 
DER UEBERGANGSSriL UNTER KARL VIII UND LUDWIG XU. 



DRITTES KAPITEL. 
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I. 

A. KÖNIGLICHE SCHLÖSSER. 



XIV 



Inhaltsverzeichnifs. 



VIERTES KAPITEL. 
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ L 

B. LANDSITZE DES ADELS. 



■§ 31. Das Schlofs Nantouillet 

■§ 32. Das Schlofs Chenonceau 

§ 33. Das Schlofs von Bury . 

§ 34. Das Schlofs Le Verger. 

■§ 35. Das Schlofs Varengeville 

§ 36. Das Schlofs von Chantilly 

■§ 37. Das Schlofs Chateaudun . 

■§ 38. Das Schlofs zu Azay-le-Rideau 



Seite 








Seite 


129 


§ 


39- 


Das Schlofs von Beauregard . . 


149 




§ 


40. 


Andere Schlöffer des Loirege- 
















§ 


41. 


Schlöffer der Normandie . . . 


153 


138 


§ 


42. 


Schlöffer in den öftlichen Pro- 




139 










144 


§ 


43- 




158 


148 


§ 


44. 


Das Schlofs von Bournazel . . 


164 



^ 45. 

§ 46. 

-§ 47- 

^ 48. 

•§ 49- 

§ 50. 

§ 51. 

§ 52. 



FÜNFTES KAPITEL. 
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I. 

C. STÄDTISCHE GEBÄUDE. 

53. Bauten in Backftein und Quadern 
zu Orleans 194 



Gattungen flädtifcher Gebäude . 168 
Der erzbifchöfliche Palaft zu Sens 172 
Hotel Ecoville zu Caen . . .174 
Andere Privatbauten der Nor- 
mandie 179 

Das Haus der Agnes Sorel zu 

Orleans 181 

Das Haus Franz' I zu Orleans . 185 
Holz- und Fachwerkbauten in 

Orleans 188 

Privatgebäude in Quadern zu 
Orleans 191 



54. Andere Privatbauten im mittleren 
Frankreich" 196 

55. Das Haus Franz' I zu Paris . 

56. Privatgebäude im Languedoc 

57. Das Stadthaus zu Orleans 

58. Das Stadthaus zu Beaugency 

59. Das Stadthaus zu Paris . . 

60. Oeffentliche Brunnen . . . 



202 
203 
205 
209 
210 
214 



SECHSTES KAPITEL. 
DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN V ALOIS. 

A. DIE HAUPTMEISTER UND IHRE WERKE. 



61. 

62. 

63. 

64. 
65. 



Veränderte Zeitverhältniffe . .218 
Umgeftaltung der Architektur . 222 
Pierre Lescot und Jean Goujon 225 
Der Palaft des Louvre .... 229 
Jacques Androuet du Cerceau . 235 



66. Philibert de l'Orme 



243 



246 



67. De rOrme's Schriften . . 

68. Das Schlofs Anet 250 

69. Die Tuilerien 257 

70. Das Schlofs von St. Maur . . 262 

71. Jean BuUant 264 

72. Das Schlofs Ecouen .... 267 



SIEBENTES KAPITEL. 
DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN VALOIS. 

B. DIE ÜBRIGEN PROFANBAUTEN. 



73- 
74- 

75- 
76. 



Das Schlofs Ancy-le-Franc . . 274 

Das Schlofs Vallery 277 

Das Schlofs Verneuil .... 278 
Das Schlofs Charleval .... 286 



77. Das Schlofs du Pailly .... 289 

78. Das Schlofs Sully 294 

79. Das Schlofs Angerville-Bailleul . 296 

80. Das Schlofs Maune .... 300 



Inhaltsverzeiclinifs. 



XV 



Seite 

% 81. Die Gärten der Renaiffance . . 501 
§ 82. Städtifche Gebäude in Orleans . 308 
-§ 83. Städtifche Gebäude in den nörd- 
lichen Provinzen 312 



Seite 

Das Stadthaus zu Arras . . .315 
Städtifche Gebäude in den füd- 
lichen Provinzen 3^7 



ACHTES KAPITEL. 
DER PROFANBAU UNTER HEINRICH IV UND LUDWIG XIII. 

Der Palaft des Luxembourg . 
Andere Werke von de Brosse 
Privatfchlöffer diefer Zeit . . 
Städtifche Privathäufer . . 
Oeffentliche Gebäude . '. . 



86. Weitere Umgeftaltung der Ar- 
chitektur 322 

87. Arbeiten am Louvre . . . .325 

88. Arbehen zu Fontainebleau . .329 
8q. Bauten zum öffentlichen Nutzen 332 



90. 
91. 
92. 
93. 
94. 



334 
336 

337 
341 
344 



NEUNTES KAPITEL. 
DER KIRCHENBAU DER RENAISSANCEZEIT. 

§ loi. Kirchen im übrigen Frankreich . 365 
§ 102. Thurmbauten . . . . ■ . ■ 

§ 105. Kapellenbauten 372 

§ 104. Kirchen in ftreng klaffifchem 

Stile -377 

§ 105. Dekorative Werke 379 

8 106. Grabmäler ........ 384 



95. Die Entwickelungsftufen des- 
felben 348 

96. Kirchen zu Caen 35° 

97. Andere Kirchen der Normandie 352 

98. Kirchen zu Paris 357 

99. Kirchen in Jsle de France . .361 



§ 100. Kirchen zu Troyes 363 



ZEHNTES KAPITEL. 
DAS KUNSTGEWERBE DER EPOCHE. 



% 107. Allgemeiner Charakter . . . . 
§ 108. Schreinerei und Schnitzerei . . 
§ 109. Töpferei, Terracotten und Stein- 
zeug 

§ 110. Bernard de Paliffy 



392 
394 



401 



§ 


III. 


Die Fayencen von 


Oiron . . 


. 406 




112, 


Die Fayencen von 


Nevers 


• 409 


§ 


113. 


Limofiner Email 




. 411 


§ 


114. 






418 


§ 


115. 









VERZEICHNISS 

DER 

ILLUSTRATIONEN 

Verehrung der Madonna. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nachPhot. ) 
Einfegnung der Apoftel. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.> 
Randleiften von G. Tory. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 
Zierbuchftaben von G. Tory. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 
Randleiften von Oronce Fine. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 
Initialen von Oronce Fine. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 
Cartouchenvignette. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 
Initialen mit maurifchen Ornamenten. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.') 
Aus Ovid's Metamorphofen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentik 
der Renaiffance.) 

Aus Ovid's Metamorphofen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentikc 
der Renaiffance.) 

Titelblatt aus Coufm's Perfpective. 

Initialen aus Jehan Coufm's Perfpective. 

Schlofs von Bury. (Du Cerceau und Viollet-le-Duc.) 

Vom Schlofs zu Blois. (Baldinger nach Phot.) 

Hotel Ecoville zu Caen. 

Sens. Erzbifchöflicher Palaft. Hofarkade. (Sauvageot.) 

Haus der Agnes Sorel. Decke im Obergefchofs. 

Galerie im Schlofs La Rochefoucauld. (Baldinger nach Phot.) 

Pilafter-Kapitäl von Fontainebleau. (Pfnor.) 

Kamin aus dem Schlofs Du Pailly. (Sauvageot.) 

Hotel de la Tr^mouille. Erdgefchofs. (Viollet-le-Duc.) 

Schlofs Chaumont. (Baldinger nach Phot.) 

Schlofs Martainville. Erdgefchofs. (Sauvageot.) 

Schlofs zu Amboife. Aeltere Theile. (Du Cerceau.) 

Schlofs zu Blois. Erdgefchofs. (Du Cerceau.) 

Schlofs Gaillon. Erdgefchofs. (Du Cerceau.) 

Schlofs Gaillon. (Du Cerceau und Deville.) 



Verzeichnifs der Illuftrationen. 



XVII 



Fig. 28. Portal von Gaillon. (Baldinger nach Phot.) 

» 29. Die Wendeltreppe im Schlofs zu Blois. 

» 30. Schiofs von Blois. Theil der nördlichen Fa^ade. (Baldinger nach Phot.) 

» 31. Schlofs Chambord. 

5> 32. Schlofs Chanibord. (Du C erceau.) 

» 33. Chambord. Laterne. (Baldinger.) 

» 34. Schlofs Madrid. (Du Cerceau und V.-le-Duc.) 

» 35. Schlofs Madrid. Mittelftück der Facade. (Du Cerceau und V.-le-Duc.) 

» 36. Gefammtplan des Schloffes Fontainebleau. (Pfnor.) 

» 37. Schlofs von Fontainebleau. Aus dem ovalen Hof. (Nach Pfnor.) 

» 38. Schlofs von Fontainebleau. Theil der Südfa^ade des ovalen Hofes. (Pfnor.) 

» 39. Fontainebleau. Theaterfagade. (Pfnor.) 

» 40. Ballfaal zu Fontainebleau. (Sadoux.) 

» 41. Fontainebleau. Grundrifs der älteren Theile. (Du Cerceau.) 

» 42. Schlofs S. Germain. (Sauvageot.) 

» 43. Aus dem Hofe des Schloffes von S. Germain. (Sauvageot.) 

» 44. Schlofs La Muette. (Nach Du Cerceau.) 

» 45. Schlofs Chalvau. Erdgefchofs. (Du Cerceau.) 

» 46. Schlofs Chalvau. Vordere Facade. (Du Cerceau.) 

5> 47. Schlofs Folembray. (Du Cerceau.) 

» 48. Schlofs Nantouillet. (Sauvageot.) 

» 49. Schlofs Chenonceau. (Du Cerceau.) 

» 50. Schlofs Chenonceau. (Baldinger nach Phot.) 

» 51. Schlofs Bury. (Du Cerceau und V.-le-Duc.) 

» 52. Schlofs Chantilly. (Du Cerceau.) 

» 53. Aus dem Hofe zu Chantilly. (Du Cerceau.) 

» 54. Schlofs Chantilly. Pavillon aus König Heinrichs II Zeit. (Du Cerceau.) 

» 55. Treppe zu Chateaudun. Grundrifs. 

» 56. Treppe zu Chateaudun. (Chapuy.) 

» S7. Schlofs von Azay-le-Rideau. (Baldinger nach Phot.) 

» 58. Das Schlofs von Beauregard. (Du Cerceau.) 

s> 59. Schlofs von Chanteloup. (Nach Sadoux-Paluftre.) 

» 60. Schlofs von Uffon. (Baldinger nach Phot.) 

f 61. Schlofs La Rochefoucauld. Oftfa^ade. (Baldinger nach Phot.) 

» 62. Schlofs von Affier. (Baldinger nach Phot.) 

» 63. Schlofs von Bournazel. 

» 64. Erzbifchöflicher Palast in Sens. 

3> 65. Caen. Hotel Ecoville. (Sauvageot.) 

s 66. Hotel Ecoville. Hoffeite. (Sauvageot.) 

» 67. Orleans. Haus der Agnes Sorel. (Mon. hift:.) 

> 68. Haus der Agnes Sorel. Decke im Erdgefchofs. 

i 69. Orleans. Haus Franz' L (Sauvageot.) ' 

5> 70. Orleans. Hof im Haufe Franz' l. (Sauvageot.) 

» 71. Orleans. Haus Franz' L (Sauvageot.) 

» 72. Haus in Orleans. 

» 73. Haus in Orleans. 

» 74. Orleans. Verkaufsladen. 

» 75. Orleans. Rue du Chätelet. 

» 76. Orleans. Marchs ä la volaille. 



XVIII 



Verzeichnifs der Illuftrationen. 



Fig- 77- 



79- 



82. 



87. 



90. 

91- 
92. 

93- 
94- 
95- 
96. 

97- 
98. 
99. 
100. 

lOI. 

102. 
103. 
104. 
105. 
106. 
107. 
108. 
109. 
1 10. 
III. 
112. 
115. 
114. 
115. 
116. 
117. 

[ir 
119. 
120. 

[21. 
[22. 
[23. 
[24. 
[25. 



Orleans. Rue du Tabourg. 
Orleans. Rue pierre percee. 
Wohnhaus in Dijon. (Sauvageot.) 

Sogenanntes Haus Franz' I in Paris. (Paluftre-Sadoux.) 

Vom Stadthaus zu Orleans. (Mon. hift.) 

Stadthaus zu Beaugency. 

Brunnen zu Mantes. (Sadoux.) 

Fontaine zu Clermont-Ferrand. (Chapuy.) 

Plan des Louvre und der Tuilerien. 

Paris. Louvre. HofFa^ade. (ßaldinger.) 

Entwurf für eine Hausfa^ade. (Du Cerceau.) 

Entwurf zu einem Schlöffe. (Du Cerceau.) 

De rOrme's »franzöfifche« Säule. Louvre. (Baldinger nach Phot.) 
Schlofs Anet. (Pfnor.) 

Aus dem Hof von Schlofs Anet. (ßaldinger nach Phot.) 
De l'Orme's Plan der Tuilerien. (Du Cerceau.) 

Tuilerien. Theil von de l'Orme's Gartenfagade. (Du Cerceau und V.-le-Duc. 
Schlofs St. Maur. (Du Cerceau.) 
Schlofs Ecouen. (Baltard.) 

Schlofs von Ecouen. (Baldinger nach du Cerceau.) 
Schlofs Ancy-le-Franc. Erdgefchofs. (Sauvageot.) 
Ancyle-Franc. Hoffa?ade. (Sauvageot.) 

Aus dem Hofe des Schloffes Vallery. (Baldinger nach du Cerceau.) 

Das Schlofs Verneuil. (Du Cerceau.) 

Das Schlofs Verneuil. (Baldinger nach du Cerceau.) 

Verneuil. Hofarkaden. (Baldinger nach du Cerceau.) 

Schlofs du Pailly. (Sauvageot.) 

Schlofs Sully. (Sauvageot.) 

Schlofs Angerville-Bailleul. (Sauvageot.) 

Schlofs Angerville. (Sauvageot.) 

Das Schlofs Manne. (Du Cerceau.) 

Gartenlaube zu Montargis. (Du Cerceau und Berty.) 

Gartenanlage zu Verneuil. (Du Cerceau und Berty.) 

Haus du Cerceau's zu Orleans. 

Haus du Cerceau's zu Orleans. (Sauvageot.) 

Vom Stadthaus zu Arras. (Berty.) 

Aus dem Hofe des Hotel d'Assezat, Touloufe. (Berty.) 

Louvre-Galerie Heinrich's IV. (Baldinger nach Phot.) 

Fontainebleau. Aus dem Hofe Heinrich's IV. (Pfnor.) 

Fontainebleau. Hirfchgalerie. (Baldinger nach Pfnor.) 

Schlofs von Beaumesnil. (Sauvageot.) 

Hotel Montescot zu Chartres. (Sauvageot.) 

Vom Stadthaus zu La Rochelle. (Baldinger nach Phot.) 

Caen. S. Pierre. (Baldinger nach Phot.) 

Argentan. Kirche St. Germain. (Sadoux.) 

Paris. S. Etienne du Mont. (Baldinger nach Phot.) 

Paris. St. Euftache. (Baldinger nach Phot.) 

Chambord. Dorfkirche. (Lafius.) 

Dijon. S. Michel. (Baldinger nach Chapuy.) 



Verzeichnifs der Illuftrationen. 



XIX 



Fig. 126. Kapelle in St. Jacques zu Rheims. (Lafius.) 

» 127. Rouen. Kapelle S. Romain. (Sadoux.) 

> 128. Kathedrale zu Toul. Ursula-Kapelle. (Lafius.) 

■f 129. Kapellengitter zu Fecamp. (Sadoux.) 

» 130. Kapellengitter in der Kathedrale zu Laon. (Sadoux.) 

T 131. Grabmal in der Kathedrale zu Narbonne. (Baldinger nach Phot.) 

» T32. Grabmal Ludwig's XII. 

y> 133. Hausthüre zu Blois. (Baldinger nach Phot.) 

» 134. Franzöfifcher Schrank nach Herdtie. 

» 135. Bleiglafirte Gourde. Louvre. 

» 136. Bodenplatten aus dem Mufeum zu Sevres. 

s 137. Kanne von F. Briot. Samml. A. v. Rothfchild. 

f 138. Steinzeug-Vafe. Louvre. 

» 139. Schüffei von Paliffy. Samml. des Marquis de St. Seine. 

» 140. Humpen von Paliffy. Louvre. 

» 141. Schüffei von Paliffy. Louvre. 

» 142. Schüffei von Paliffy. Louvre. 

» 143. Kanne von PaUffy. Sammlung G. v. Rothfchild. 

» 144. Fayencen von Oiron. 

^ 145. Salzfass in Oiron-Fayence. Sammlung Fountaine. 

» 146. Majolica-Vafe von Nevers. Mufeum zu Nevers. 

s. 147. Perfffche Vafe von Nevers. Sammlung E. Pascal. 

» 148. Bodenplatte aus dem Palafte der Herzoge von Nivernois. Mufeum zu 

» 149. Emailkanne von Limoges. Kenfmgton-Mufeum. 

» 150. Rand einer Email-Schale von Pierre Reymond. Louvre. 

> 151. Theil einer Schüffei von Pierre Reymond. Sammlung Bafilewsky. 
3> 152. Rückfeite einer Schale von Pierre Courtois. München. 

. 153. Glasgemälde in der Schlofskapelle zu Vincennes. (Sadoux-Paliiftre ) 

» 154. Bucheinband für Jean Grolier. (Sammlung Dutuit.) 

» 155. Bucheinband für den Grafen von Mannsfeld. (Sammlung Didot.) 

» 156. Bucheinband für J. Grolier. (Nach Techener.) 

> 157. Bucheinband aus der Bibliothek Franz' I. (Sammlung Dutuit.) 
» 158. Bucheinband für Heinrich II. (Nach Techener.) 

» 159. Bucheinband für Heinrich II. 

» 160. Bucheinband für Heinrich II. 

» 161. Bucheinband für A. de Montmorency. (Nach Techener.) 
» 162. Bucheinband von Le Gascon. (Sammlung Dutuit ) 

> 163. Einband aus der Bibliothek des Cardinais Mazarin. 



I. KAPITEL. 



UMWANDLUNG DES FRANZÖSISCHEN GEISTES. 



Karls VIII und Ludwigs XII italienische Feldzüge. 




[ARL VII hatte Frankreich von den Engländern befreit, 
Ludwig XI durch Niederwerfung der grofsen Vafallen 
und durch Begünftigung des Bürgerftandes die könig- 
liche Macht befeftigt und die Einheit des Reiches be- 
fördert. So waren die Bedingungen gewonnen, unter 
denen Frankreich in die neue Zeit eintreten konnte. 
Um aber völlig mit dem Mittelalter zu brechen, be- 
durfte es einer Einwirkung von aufsen, von dem Lande, 
welches fchon feit dem Beginn des 15. Jahrhunderts 
mit Entfchiedenheit den neuen Weg befchritten hatte und im glänzenden 
Wiederfchein des klaffifchen Alterthums Kunfl und Wiffen, ja das ganze 
Leben umzugeftalten ftrebte. Es waren königliche Erbanfprüche, welche 
Karl VIII und Ludwig XII fowie fpäter Franz I über die Alpen führten \ 
im tieferen Grunde aber war es die überfchüffige Kraft der frifch auf- 
blühenden franzöfifchen Nation, war es die durch das ganze Mittelalter die 
germanifchen Völker bewegende Sehnfucht nach dem Süden, welche diefe 
zahlreichen Kriegszüge veranlafsten. Die phantaftifche Fahrt des jugend- 
lichen Karl VIII, unbefonnen und ohne Vorbereitung unternommen, macht 
miehr den Eindruck einer übermüthigen Luftbarkeit als eines ernften Kriegs- 
zuges. Es ift eine ununterbrochene Kette von Feftlichkeiten , in denen 
Karl mit feinen gleich ihm jugendlichen Rittern fich beraufchte. In Turin 
beginnt die Prinzeffm von Piemont in einem fabelhaft reichen Aufzuge, 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. I 



2 



Kap. I. Umwandlung des franzöfiichen Geiftes. 



umgeben von einer Schaar junger Damen, ^) die Reihe diefer Lullbar- 
keiten; in Afti weifs der verfchlagene Lodovico Sforza durch fünfzig der 
feltenften und mindeft fpröden Schönheiten den thörichten und fchwachen^ 
leicht entzündbaren König zu feffehi ; in Fifa ifh es ein ganzer Chor 
flehender Damen, durch die man ihn für die Befreiung der Stadt vom 
florentinifchen Joch zu gewinnen fucht. Ueberall empfangen Triumphbögen, 
fcenifche Darftellungen, hiftorifche Bilder, prachtvolle Aufzüge das Heer der 
Franzofen. ^) Den Höhenpunkt erreicht dies Treiben in Neapel , deffen 
üppige Fefte dem König und den Seinen ein zweites Capua wurden. Be- 
fonders ift Karl hingeriffen von der Schönheit des Schloffes Poggio Reale^ 
diefer mit allem Zauber der Frührenaiffance gefchmückten Villa mit ihren 
luftigen Hallen, ihren Springbrunnen, ihrem Rofenparterre und den fchat- 
tigen Baummaffen ihres Parks. Serlio giebt im III. Buche feines Werkes 
eine Aufnahme und Schilderung diefes jetzt verfchwundenei\, von König 
Alfons erbauten Lufthaufes. In der Mitte, fagt er, war ein quadratifcher 
von Arkaden umgebener Hof mit einem vertieften Baffm, zu welchem rings 
Stufen hinabführten. Hier speifte der König an fchönen Tagen mit aus- 
erwählten Damen und CavaHeren, und wenn es ihm gefiel, fo füllte fich 
auf ein gegebenes Zeichen das Baffm mit Waffer, und Herren und Damen 
bheben gemeinfam in diefem improvifirten Bade. Auch fehlte es nicht an 
reichen Gewändern, um fich wieder anzukleiden, noch an köftlichen Betten 
für die, welche der Ruhe bedürftig waren. »O delitie Italiane,« fetzt der 
Berichterftatter in feiner Begeifterung hinzu: »come per la discordia noftra 
fiete eftinte !'< 

So that fich eine Welt voll ungeahnter Schönheit den Blicken der 
erregbaren Franzofen auf. Statt ihrer mittelalterlich gefchloffenen, mit Wall 
und Graben umgebenen, von finfter dräuenden Thürmen gefchützten, zinnen- 
gekrönten Schlöffer fehen fie die fürftlich glänzenden offenen Paläfte mit 
ihren Loggien und Arkaden, ihrem Schmuck von Marmor, Gemälden und 
Bildwerken, die Villen mit ihren weiten Hallen, ihren prächtigen Gärten. 
Daheim ift alles finfter, trotzig, kriegerifch; hier alles heiter, offen, lebens- 
froh. Wir wiffen, welcher Reichthum von Meifterwerken durch zwei Ge- 
nerationen von Architekten, Bildhauern und Malern feit Brunellesco, Ghiberti, 
Mafaccio in Florenz und' den übrigen Städten Italiens in Kirchen, Kapellen 
und Paläften entftanden war. Noch jetzt wirkt auf uns die Fülle diefer an- 



Der Chronift, der in Schilderung ihres koftbaren Anzuges fchwelgt , fügt hinzu : 
>et ainfi richement veftue eftoit montee für une hacquenee, laquelle eftoit conduicte par fix 
laquets bien accouftrez de fin drap d'or broch^, avec une bände de damoifelles.« Desrey 
in Monftrelet, chroniques. Vol. III. Paris 1603. fol. — ^) »C'eftoit chofe admirable ä voir 
que toutes les figures d'hiftoire, des myfteres, des arcs triomphaux deflines au paffage du 
roy et de l'armee de France.« 



§ I. Karls VIII und Ludwigs XII italienifche Feldzüge. 



3 



muthigen Werke bezaubernd; wie mufs fie damals den folcher Schönheit 
ungewohnten Nordländern im vollen Reiz der Neuheit überwältigend ent- 
gegengetreten fein. Die mafliven Quadermauern der florentiner Paläfte ^) 
finden felbft beim trockenen Chroniften Erwähnung, und der damals im 
Glänze der Neuheit fchimmernde Palazzo Medici (Riccardi), der dem König 
zur Wohnung angeboten wird, fcheint ihm ganz von Marmor erbaut.^) Mit 
Vorhebe aber werden die Reize der Villen gefchildert, die in ihrer freien 
Verbindung von Architektur, Garten- und Parkanlage ftets aufs Neue die 
Bewunderung wecken. Auf Karl macht alles dies einen tiefen Eindruck ; 
wir fehen ihn in Florenz und Rom 3) fleifsig umherwandern, namentlich um 
die Kirchen und ihre Merkwürdigkeiten zu betrachten ; wir fehen ihn Kunft- 
werke und Bücher kaufen und felbft eine Anzahl von Künftlern nach Frank- 
reich berufen, um dort Arbeiten für ihn auszuführen. 4) 

Noch ft^rker werden die Einflüffe Italiens unter Ludwigs XII weifer 
und glücklicher Regierung. Deutlicher laffen fich die Eindrücke italienifcher 
Kunft in den Aufzeichnungen der Chroniften erkennen. So fchildert Jean 
d'Auton die Schönheit des Parks von Pavia, feiner prächtigen Baumgruppen, 
der üppigen Wiefen, der Bäche und Springbrunnen, der Ziergärten und 
Lufthäufer, der ihm ein w*ahres Eden zu fein fcheint. 5] So giebt er eine 
genaue Befchreibung des Domes zu Genua mit feinem Portal, den Schiffen 
und ihren Porphyrfäulen, der Kapelle Johannes des Täufers ^) mit ihren Sta- 
tuen und dem marmornen Tabernakel fammt feinen Bildwerken. Alfo haben 
die fchönen Arbeiten Matteo Civitali's von Lucca fich den Augen des könig- 
lichen Hiftoriographen tief eingeprägt, obwohl er den Namen des Meifters 
nicht nennt. Aber auch den Finger des Heiligen vergifst er nicht, mit 
welchem diefer auf den Herrn gezeigt hat, und der »fupernaturellement fut 
exempt de la puiffance du feu«. Die Bewunderung Italiens fpiegelt fich 
auch fpäter noch in Rabelais' Pantagruel, wo Epistemon^) von einem Befuch 
erzählt, den er vor Jahren mit andern Lernbegierigen gemacht, um die 
»weifchen Gelahrten, Raritäten und Alterthümer« zu fehen. »Befchauten 
uns eben aufmerkfam die fchöne Lag und Pracht von Florenz, den Bau des 
Doms, die herrhchen Tempel und ftolzen Paläft« .... Dagegen fagt ein 
Mönch aus Amiens: »Ich weifs nit was für Spafs euchs macht, die Leun 



^) »De palais maffifs comme des citadelles.« — »Puis il fut accompagne au logis 
qui luy eftoit prepare, appartenant ä Pierre de Medici, dont les murs font tous baftis de 
marbre.« Lavigne, Journal, in Godefroy's Samml. zur Gefch. Karls VIII. Paris 1617. 4. — 
3) »II alloit par recreation voir les lieux les plus curieux et les chofes les plus rares.* Lavigne 
— 4) La renaiffance en Italie et en France ä l'epoque de Charles VIII par Eugene Müntz. 
Paris 1885. Eine fehr werthvolle Arbeit. — s) Chroniques de Jean d'Auton I, 51: »que 
mieux fembloit un Eden paradifique qu'une domaine terreftre.« — ^) Ibid. II, 230 sqq. — 
7) Ich citire die treffliche Ueberfetzung, beffer gefagt Nachdichtung von G. Regis, IV, 11. 



4 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



und Afrikanen (fo denk ich heifst ihr was man fonft Tiger nennt) dort bei 
dem Wartthurm anzufchauen, desgleichen die Straufsen und Stachelfchwein 
in dem Palaft Herrn Philipp Strozzi's. Mein Treu, lieber fäh ich einen guten 
feiften Ganfert am Spiefs. Die Porphyr und Marmel da fmd fchön, ich 
fchelt fie nicht: allein nach meinem Schmack weit beffer find doch die 
Butter-Striezel von Amiens. Diefe antikifchen Statuen find wohlgemacht, 
wills glauben: aber bei dem heiligen Ferreol von Abbeville, die jungen 
Dirnlein bei uns zu Haus find taufendmal zuthulicher. « — 

Auch Ludwig XII läfst Kunfl;werke und Künftler aus Italien kommen, 
unter letzteren vor allem Fra Giocondo, den berühmten veronefifchen Bau- 
meifi:er.') Doch werden wir uns vergeblich nach Spuren der Thätigkeit 
desfelben umfchauen. Dagegen befitzen wir das Gefchichtswerk von Claude 
Seyflel, den der König in feinen Dienft als Hifl;oriographen berufen hatte. 



EINFLUSS DER ITALIENISCHEN ZÜGE AUF DEN AdEL. 

DER franzöfifche Adel war noch ganz befangen in der Lebensweife und An- 
fchauung des Mittelalters. In den italienifchen Kriegszügen erkennt man 
das letzte Aufflammen des ritterlichen Geiftes und zugleich die erften Spuren 
vom Untergange desfelben, vom Aufkommen einer neuen Gefittung. Karl VIII 
zieht wie ein mittelalterlicher Degen aus auf romantifche Abenteuer, auf die 
Eroberung Neapels und die ganz phantaftifche Einnahme Konftantinopels ; 
Franz I ifl: der letzte Ritter und zugleich der Zerftörer des Ritterthums. 
Noch lebt der Adel auf feinen fefi:en Schlöffern, aber durch Ludwig XI 
war feine Macht gebrochen, die königliche Gewalt mehr und mehr zuneh- 
mend; fo wird aus der Ritterfchaft allmähUch ein Hof- und Kriegsadel im 
Dienfte der Krone. Zu Haufe fitzen die Edelfrauen noch in alter Sitte auf 
ihren einfamen Schlöffern, von Jungfrauen aus vornehmen Gefchlechtern 
umgeben, ihre Kinder erziehend, fbickend, lefend, auch wohl fchon fchrift- 
ftellernd. Eine anmuthige Schilderung folchen Lebens haben wir an Ga- 
briele von Bourbon, der erften Gemahhn des wackern Louis de la Tremouille, 
die felbft kleine Abhandlungen > zu Ehren Gottes, der Jungfrau Maria und 
zur Unterweifung junger Damen« verfafst."*) 

Die Ritter felbft find aber gröfserentheils den Wiffenfchaften und Künften 
nicht hold. Der Dichter Alain Chartier klagt: 3) »plus y a car ce fol langage 
court aujourd'hui que noble homme ne doit favoir les lettres, et tiennent 
ä reprouches de gentilleffe bien lire ou bien escrire.« Von feinen Kriegs- 
zügen heimkehrend verachtet der franzöfifche Ritter die Italiener wegen 



') Vafari, ed. Le Monnier IX, 1 59 und Note 2. — Mem. de Louis de la Tremouille, 
chap. 12. — 3) L'esperance, ed. de Duchesne, p. 316. 



§ 2. Einflufs der italienilchen Züge auf den Adel. 



5 



ihrer Weichlichkeit, die unzertrennlich von einer hohen Kulturblüthe zu fein 
pflegt ; dennoch wirken die dort gewonnenen Anfchauungen einer glänzenden 
Kunft umgeftaltend auf feinen Geifb, und unvermerkt ziehen Wiffenfchaften 
und Künfte aus Italien felbft bei ihm ein. Den ftärkften Stöfs empfing aber 
das feudale Leben durch die veränderte Kriegsweife der neuen Zeit, die 
Einführung des fchweren Gefchützes und die überwiegende Bedeutung des 
Fufsvolks. Der ritterliche Mann in fchwerer Rüftung auf feinem gleichfalls 
gepanzerten Rofs giebt nicht mehr wie früher den Ausfchlag; fein Panzer 
wird für ihn fortan mehr eine Laft als ein Schutz. Und ebenfo erging es 
den feudalen Schlöffern, deren Mauern dem fchweren Gefchütz eben fo wenig 
zu widerftehen vermochten wie der gefchloffenen Macht des Königthums. 
So trägt alles dazu bei, den Adel in feinem Wefen umzugeftalten. 

Dennoch find die alten Ueberlieferungen fo mächtig, das Gefühl und 
Bewufstfein kriegerifcher Tüchtigkeit fo herrfchend, dafs das Ritterthum nur 
langfam und fchwer feinen feudalen Charakter aufgiebt. Wie wenig zunächft 
felbft die italienifchen Züge wirkten, merkt man aus den Aufzeichnungen 
der Chroniften und Gefchichtfchreiber. Faft nichts bieten fie als Berichte 
von Kriegsthaten, allenfalls wechfelnd mit Schilderungen von Fefben, deren 
Glanzpunkt in mittelalterlicher Weife Turniere find. Erft unter Heinrich II 
kommt auch darin die neue Zeit zum Durchbruch, und Brantöme erzählt 
von einem Feft, welches der Kardinal von Ferrara diefem König zu Lyon 
gab, und wobei er nach antiker Weife Gladiatorenfpiele , eine Naumachie 
und endlich eine Tragödie zum Beften gab, die von italienifchen Schau- 
fpielern und Schaufpielerinnen aufgeführt wurde, lauter Genüffe, wie der 
Berichterftatter verfichert, die vordem in Frankreich noch nie erlebt worden 
waren.') 

Zu Ludwigs XII und felbft noch zu Franz I Zeit fpäht man vergeblich 
in der Maffe der Memoiren nach künftlerifchen oder literarifchen Aufzeich- 
nungen; felbft über italienifche Bauten oder Bildwerke findet man nur ver- 
einzelte Notizen. Und fo dringt auch ins franzöfifche Leben nur fpärlich 
erft der Einflufs Italiens. Wohl lefen wir fchon unter Ludwig XI bei einem 
Einzug, den diefer im Jahre 1461 zu Paris hielt, von Sirenen, durch drei 
fchöne nackte Mädchen dargeftellt, die den König empfingen, und die der 
Chronift naiv genug fchildert.^) Bisweilen wird uns wohl erzählt, dafs die 



') Brantöme, Mem. Henry II: »Cette entree donc fut accompagnee de plufieurs tres- 
belles fingularitez, l'une d'un combat ä outrance et ä l'antique, de douze gladiateurs veftus. 
de fatin blanc les fix, et les autres de fatin cramoifi fait ä l'antique Romaine« .... »La troi- 
fieme belle chofe auffi fut cette belle naumachie, ou combat de Galeres tout ä l'antique.« 
— 2) Les chroniques du Roy Louis XI, par Jean de Troyes, p. 16: »et fi y avoit encores 
trois belies fiUes faifans perfonnaiges de Seraines toutes nues, et leur veoit on le beau tetin 
droit fepare, rond et dur, qui eftoit chofe bien plaifante.« 



6 



Kap. L Umwandlung des franzöfilchen Geiftes. 



jungen Herren fich mit Ballfpielen ergötzen, die, wie ausdrücklich hinzu- 
gefügt wird, aus Italien eingeführt find.') 

Ein andres Mal läfst vor Ludwig XII eine florentinifche Tänzerin ihre 
Künfte fehen.^) Im Uebrigen bleibt der Sinn für das höhere Schöne in 
der Maffe felbft der gebildetften Kreife noch ftumpf, ja verfchloffen. Nur 
einzelne feinere Geifter wie Comines haben ein Auge dafür. Inmitten feiner 
diplomatifchen Verhandlungen findet diefer Staatsmann doch Zeit für Beob- 
achtungen anderer Art. Er fchilderts) die Häufer von Venedig mit ihrer 
Bekleidung von iftrifchem Marmor, Porphyr und Serpentin ; mit der pracht- 
vollen Ausftattung ihrer Zimmer, den vergoldeten und gemalten Decken, 
den marmornen mit Bildwerken gefchmückten Kaminen, den koftbaren Betten, 
Teppichen und anderem Mobiliar. Er erzählt uns, dafs die Quaderfteine 
am Dogenpalaft an den Fugen eines Zolles Breite vergoldet find, dafs drinnen 
die Säle in Gold und Farben fchimmern. Er bewundert'*) die Marmorpracht 
der Certofa von Pavia, die fchönfhe Kirche, die er je gefehen; er ift es 
auch, durch den wir Kunde von den künftlerifchen Unternehmungen Karls VIII 
erhalten s). Aufser diefem und feinem Nachfolger ift es aber der Minifter 
Ludwigs XII, der Kardinal Georg von Amboife, der als Förderer der Kunft, 
als Verbreiter eines neuen höheren Kulturlebens fich verdient macht. Von 
feiner Kunftliebe giebt Nichts eine fo hohe Vorftellung wie die glänzende 
Refidenz, die er fich zu Gaillon baute, und die er mit aller Pracht aus- 
fchmückte, obwohl das Schlofs nicht fein Befitzthum, fondern das feines 
Erzbisthums Ronen war. In demfelben Geifbe bauten auch ein Julius II und 
Leo X, nur dafs des Kardinals Kunftliebe noch uneigennütziger war, da er, 
durch Staatsgefchäfte ftets ferngehalten, während feiner ganzen Regierungs- 
zeit nur ein dutzend Mal auf wenig Tage feine LiebUngsfchöpfung befuchen 
konnte.^) 



CHON Ludwig XI hatte griechifche Gelehrte in fein Land berufen, die 



O BibHothek vermehrt, die Univerfität von Paris zu reorganifiren begonnen. 
Karl VIII, mehr noch Ludwig XII, fetzen diefe Beftrebungen fort und fuchen 
in aller Weife die klaffifchen Studien zu fördern. Zunächft bewirken die 
antiken Studien einen Umfchwung in der Literatur, der fich indefs nur 

') Mem. de Fleuranges in der Coli. univ. XVI, 6 u. 7: »Monfieur d'Angoulesme (nach- 
mals Franz I) et le jeune adventureux jouoient ä l'escaigne, qui eft un jeu venu d'Italiet . . . . 
»jouoient ä la groffe boule, qui eft un jeu d'Italie non accoutume de par decä.« — 2) Chro- 
niques de Jean d'Auton III, 9. — 3) Memoires de Phil, de Comines, 1. VII, chap. 15. — 
+) Ebend. 1. VII, chap. 7. — 5) Ebend. 1. VIII, chap. 18. — 6) A. Deville, comptes des de- 
penfes de la conftruction du chäteau de Gaillon. Paris 1850, p. XVII. 



§ 3- 

Einwirkung der antiken Studien. 




§ 3- Einwirkung der antiken Studien. 7 

» 

langfam vollzieht, anfangs vielfach gehemmt durch pedantifche Unbehülf- 
lichkeit. Noch verharrt die Mehrzahl der Chroniften im naiven Ton ihrer 
fchlichten, ungefchmückten Erzählung; aber Andre, die nach dem Ruhm 
des Hiftorikers ftreben, ringen nach kunftvollerer Darftellung, fchlagen zier- 
lichere Weifen an, beginnen die antiken Gefchichtsfchreiber nachzuahmen. 
Treffend bemerkt Ranke : ^) »Der italienifche Geift ward von den klaffifchen 
Muftern zur Nachbildung ihrer Formen angeregt, der deutfche durch das 
Studium der Sprache auf die Urkunden des Glaubens und ihre Aneignung 
im Geifte zurückgeführt; der franzöfifche fetzte fich mit der Mannigfaltig- 
keit des Inhalts der alten Autoren, namentlich des Gefchichtlichen in un- 
mittelbare Beziehung. Auf die Form der franzöfifchen Literatur hatten die 
Alten damals keinen befonderen Einflufs.« 

Das belle Beifpiel dafür bietet Jean d'Auton, Ludwigs XII Hiftorio- 
graph und Hofpoet. Gleich in der Vorrede feines Werkes fpricht er es 
aus,^) dafs wie bei den Griechen und Römern die Feder beredter Dichter 
und anmuthiger Redner nicht weniger zum Wohle des Staates beigetragen 
habe, als die Lanze der tapferften Krieger, fo habe er fich mit Tinte und 
Papier alle Mühe gegeben der öffentlichen Sache nach Kräften zu nützen. 
Sein Buch wimmelt von antiken Citaten, die manchmal mühfam genug 
herbeigeholt fmd und den naiven Ton der Erzählung oft feltfam unter- 
brechen. So wenn er einen Sturm des franzöfifchen Heeres mit einer 
Belagerung der Unterwelt, um Proferpina und Eurydice zu rauben,^) ver- 
gleicht; wenn er die Mäfsigkeit des Königs der Ueppigkeit eines Sarda- 
napal entgegenfetzt ;^) wenn er die vom Feinde in Brand gefetzten Felder 
mit der von Phaeton's Sturz angezündeten Erde vergleicht ; s) wenn er bei 
Erwähnung der Infel Mitylene feine Kentniffe der griechifchen Sage und 
Gefchichte auskramt;^) befonders aber wenn er feine Helden fchön ftyh- 
firte Reden im Geifte des Livius halten läfst.?) Zu kindifcher Spielerei 
mifsbraucht er die lateinifche Sprache oder vielmehr einen Schein derfelben 
bisweilen in Verfen wie folgende: 

»Ora per duces confors ter regens et poffes Syon : 
Or a perdu fes conforts, terres, gens et pojfejßon. 
Ludo vicia fui demi lana Germanie: 
Ludovic y a fui de Milan a Germanie. d. 
Uebrigens meint er naiv,^) es fei kein Wunder, wenn die Bücher der 
Griechen, Römer und »andrer barbarifcher Völker« reicher an fchönen 
Worten und löblichen Dingen feien als die »unferen«, fo rühre das von 

Franz. Geich. I, 124. — Chroniques de jean d'Auton, publ. par Paul L. Jacob, 
Paris 1834. I, 2. - 3) Ebend. I, 46. - 0 Ebend. I, 61. - 5) Ebend. I, 85. - 6) Ebend. 
11^ 55. _ 7) z. B. die Rede Lodovico Sforza's an feine Hauptleute I, 171. — Jean 
d'Auton III, 79. 



8 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



dem Mangel an guten Styliften. (Beiläufig: Diefe Anwendung des Wortes 
Barbar haben fich die Griechen wohl nicht träumen laffen.) Nicht minder 
pedantifch ift das endlofe Klagegedicht') auf den Tod der Tomaffina Spinola 
von Genua, die fo fchwärmerifch in Ludwig XII verliebt war, dafs fie auf 
die falfche Nachricht feines Ablebens wirklich ftarb. Die ganze griechi- 
fche Mythologie wird zu ihren Ehren geplündert, Neptun feierlich apoftro- 
phirt, die Todtenrichter, Parzen, Najaden, Dryaden und Oreaden, Nereiden 
und Satyrn werden angerufen und alle berühmten Liebenden des Alter- 
thums in Contribution gefetzt. Bei folch kraufen Gefchmacklofigkeiteii 
kann die Gefchichte jenes unglücklichen Skeptikers nicht Wunder nehmen,, 
dem die antike Mythologie fo zu Kopf geftiegen war, dafs er in der Ste. 
Chapelle dem celebrirenden Priefter die Hoftie entrifs mit den Worten: 
5>foll diefe Narrheit ewig dauern .\< Jean d'Auton erzählt mit Entrüftung, 
dafs derfelbe nur Jupiter und Hercules als Gottheiten anerkannt, alle Ge- 
fetze aufser den natürlichen geleugnet und fogar zu der Behauptung fich 
verftiegen habe, die Seeligen würden kein anderes Paradies finden als die 
Champs elyfees. Der arme Schelm wurde demnach rite verbrannt, wie der 
Chronift naiv hinzufetzt :^) »et lui brüle tout vif comme deffervi l'avoit.« 

Wie weit die Vorliebe ging antike Anfpielungen zu machen, beweift 
unter anderm das Tagebuch Louifens von Savoyen, 3) Franz' I Mutter, die 
bei aller Kürze diefer knappen Aufzeichnungen doch Gelegenheit findet 
auf Cäfar's Commentarien zu verweifen und zu bemerken, dafs bei dea 
Römern Ardres »Ardea« und Calais »Caletum« oder »portus Itius« genannt 
werden. Diefelbe Dame zeigt uns, wie mit diefen Studien merkwürdige 
Züee von Freidenkerei zufammenhängen, die indefs mit wunderhchen Aeufse- 
rungen mittelalterlichen Aberglaubens verquickt find. So meint fie, im 
Kriege feien lange Paternofter und Gebetmurmeln nicht am Platz, denn 
das fei eine befchwerliche Waare, die im Kampf höchfi:ens Leuten diene, 
die nicht wiffen was zu thun. Daneben freilich zahlreiche Züge eines kraffen 
Wunderglaubens. 

So finden wir überall in diefer Zeit diefelbe Mifchung : mittelalterliche 
Anfchauungen, vom Geift der neuen Zeit angehaucht, und in diefem Gäh- 
rungsprozefs die erfteren immer mehr von letzterem verdrängt: die finftere 
Scholaftik der Sorbonne von dem freien Aufleben der antiken Literatur, 
die ftrenge Zucht des altväterifchen Schlofslebens von der ungebundenen 
Gefelligkeit des Hofes, die ritterliche Kampfweife von der neuen Krieg- 
führung mit Fufsvolk und Gefchütz. Auf allen Punkten dringt ein neues 
Fluidum in die geiftige Atmofphäre; diefe ifb noch fchwer, nebelicht, trübe; 



■) Ebend. III, 125 ff. — Ebend. III, 33. — 3) Journal de Louife de Savoie (Coli, 
•de Michaud et Poujoulat, V.). 



4- Jean Foucquet. 



9 



aber fie fängt an fich zu bewegen, aufzurollen, zu zertheilen. Gerade fo 
äufserlich, werden wir finden, find die antiken Formen den gothifchen Con- 
ftruktionen und Anlagen der Gebäude aufgeheftet. Die Gefinnung ifl; und 
bleibt noch geraume Zeit mittelalterlich gebunden, nur hie und da im 
Einzelnen fchleicht fich ein neues Ausdrucksmittel ein. 



U den merkwürdigften Erfcheinungen der Uebergangszeit gehört der 



Maler Jean Foucquet von Tours. Wir befitzen über ihn zahlreiche 
eingehende Arbeiten, fo dafs es hier nicht Noth thut, auf das allgemein 
Bekannte zurückzukommen. Wir wiffen, dafs er als »der gute Maler und 
Illuminator (enlumineur) König Ludwigs XI« bezeichnet wird, und dafs er 
für diefen Fürften und für andere vornehme Perfonen eine Anzahl von Hand- 
fchriften mit Miniaturen gefchmückt hat. Dahin gehört die franzöfifche 
Ausgabe des Jofephus in der Nationalbibliothek zu Paris, wahrfcheinlich 
für den Herzog von Nemours um 1465 ausgeführt. Unter den 14 darin 
vorhandenen Bildern darf man 9 auf Foucquet's Hand zurückführen. Eben- 
dort ift ein franzöfifcher Livius gleichfalls mit Miniaturen Foucquet's ge- 
fchmückt. Ein anderer Livius mit Bildern des Meifters findet fich in der 
Bibliothek zu Tours, ein Virgil in der Bibliothek zu Dijon, mit Minia- 
turen, die vielleicht feiner Schule angehören. Bedeutender ift ein anderes 
Werk, ein für den Schatzmeiflier Karls VII und Ludwigs IX Etienne Chevalier 
ausgeführtes Gebetbuch, das leider nicht mehr als Ganzes vorhanden ift, 
von dem aber nicht weniger als 40 Miniaturen im Befitze des Herrn Ludwig 
Brentano la Roche zu Frankfurt a/M. fich befinden, während zwei andre 
Blätter an den Baron Feuillet de Conches nach Paris und an Lady Springle 
nach London gelangt find. 

Ein anderes Werk, von den uns erhaltenen vielleicht das frühefte , ift 
die franzöfifche Ueberfetzung von Boccaccio »de cafibus virorum et foeminarum 
illuftrium«, jetzt in der Hofbibliothek zu München. Das Buch ift nach 
einer infchriftlichen Notiz am 24. November 1458 durch den Schreiber 
vollendet worden, worauf fich die Arbeit des Malers unmittelbar ange- 
fchloffen haben wird. Foucquet fteht in diefen Schöpfungen nicht blos als 
einer der vorzüglichften Miniatoren aller Zeiten da, fondern er vereinigt in 
feiner Kunft die Vorzüge der damaligen flandrifchen Malerei mit den Er- 
rungenfchaften feiner italienifchen Zeitgenoffen. ^) Der flandrifche Realismus 



§ 4. 

Jean Foucquet. 




0 Mrs. Marc Pattifon, the renaiffance of art in France (London 1879) leugnet den 
flandrifchen Einflufs (I. p. 290) wie mir fcheint mit Unrecht. 



lO 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



in der genauen Schilderung der Wirklichkeit, der durchaus individuellen 
Geftalten, der reichen Zeitkoftüme, der perfpektivifch abgeftuften landfchaft- 
lichen und architektonifchen Gründe, verbindet fich mit jenem Sinn für 
rhythmifchen Aufbau der Compofitionen wie ihn die damalige italienifche 
Kunft, namentlich die florentiner Schule, entwickelt hatte. Manches erinnert 
an die milde Anmuth eines Fra Angelico, befonders der edle Stil der Ge- 
wandung, der Ausdruck der Köpfe und das meift in einer lichten Tonfcala 
durchgeführte Colorit. Am auffallendften aber ift, dafs Foucquet in feinen 
Werken neben den häufig vorkommenden gothifchen Gebäuden, wie feine 
Heimat fie ihm auf Schritt und Tritt darbot, die Formen der Renaiffance mit 
grofser Vorliebe anwendet, und zwar nicht blofs in jener naiven Vermifchung mit 
mittelalterlichen Elementen, wie fie dem ganzen Norden bis tief in's i6. Jahr- 
hundert geläufig war, fondern oft in völlig reiner und von auffallendem 
Verftändnifs zeugender Weife, fo dafs man fagen mufs, dafs Foucquet allen 
übrigen nordifchen Künftlern der gefammten Frührenaiffance in dieser Hin- 
ficht um mehr als ein Menfchenalter vorausgeeilt war. Erwägen wir, dafs 
um die Mitte des 15. Jahrhunderts mehrere namhafte fiandrifche Künftler 
fich längere Zeit in Italien aufhielten und gleichwohl in ihren Werken nicht 
den leifeften Einflufs der Kunft des Südens fpüren laffen , fo wird die 
Erfcheinung Foucquets nur noch merkwürdiger. Ohne Frage mufs der 
Künftler, der zwifchen 141 5 und 1420 in Tours geboren fein mag, fich 
längere Zeit in Italien aufgehalten haben. Vasari') erzählt in feinem Leben 
Filarete's, dafs diefer durch einen fehr ausgezeichneten Maler Giovanni 
Focchetta (in der zweiten Ausgabe in Foccora corrumpirt,) das Bildnifs 
Papfh Eugens IV für St. Maria fopra Minerva habe malen laffen. Filarete 
felbft berichtet ebenfalls diefe Thatfache, wobei er aber den Namen des 
Malers in Giachetto Francioso corrumpirt. Dies mufs im Jahre 1443 ge- 
fchehen fein, als Eugen IV nach feiner Vertreibung durch die Römer auf 
den päpftlichen Stuhl zurückkehrte. Auf dasfelbe Bild bezieht fich der 
italienifche Humanift Francesco Florio, der um 1477 von Tours aus in einem 
Briefe an feinen Freund Jacobo Tarlato den Johannes Fochettus über alle 
Maler der Welt, felbft über Polygnot und Apelles, erhebt, und befonders 
die Gemälde desfelben in der von Ludwig IX ausgeftatteten Kirche Notre 
dame la riche nicht genug zu rühmen weifs. Seit 1461 läfst fich dann 
Foucquet in den Urkunden als angefehener, für den franzöfifchen Hof viel 
befchäftigter Meifter in der Heimat nachweifen, wo er um 1480 geftorben 
fein mufs. 

Für iinfre Betrachtung ift es von Werth, feftzuftellen, in welchem Um- 
fange der Meifter fich die Formen der italienifchen Renaiffance zu eigen 



0 Valari ed. Sanfoni II, 461. 



4- Jean Foucquet. 



gemacht hat. Unterfuchen wir zunächft den Münchener Boccaccio, der 
durch die Pracht feiner Ausftattung und den Reichthum feiner Illufbrationen 
einen hohen Rang einnimmt. Unter den 91 Bildern ragt durch Gröfse und 




Fig. I. Verehrung der Madonna. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.) 



Schönheit das 28^/2 cm. breite und 34 V2 cm. hohe Titelblatt hervor, welches 
eine Gerichtsfitzung darftellt. Karl VII felbft thront in feinem Parlament, 
umgeben von den Grofswürdenträgern der Krone, während der General- 



12 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



prokurator die Anklage verlieft, und im Vordergründe bewaffnete Wächter 
das herandrängende Volk zurückzuhalten fuchen. Das Blatt mit feinen etwa 
300 Figuren fteht nicht blos an Gröfse und Reichthum, fondern auch an 
Feinheit der Ausführung, Schärfe der Charakteriftik und harmonifcher 
Farbenpracht einzig da. Aufser diefem Prachtftück ift noch eine Anzahl 
andrer Bilder auf Foucquet felbft zurückzuführen, namentlich die gröfseren 
Darftellungen, welche den einzelnen Kapiteln vorausgehen. Befonders 
anziehend ift die mehrmals in Variationen wiederkehrende Scene, wo 
Boccaccio am Schreibpulte fitzt und in dichtem Gedränge die berühmten 
Männer und Frauen fich ihm nahen, als wollten fie ihm felbft ihre Gefchichte 
erzählen. Der Seffel mit feinem Baldachin ift gothifch, ebenfo die Ein- 
faffung des Bogens, aber die Zwickelflächen find mit antiken Medaillonköpfen 
gefchmückt, und der Abfchlufs zeigt Renaiffanceformen mit Voluten und 
Akanthus. Zum letzten Male erfcheint die Hand des Meifters auf Blatt 122. 
Die grofse Mehrzahl namentlich der kleineren Abbildungen vertheilt fich 
auf zwei Gehülfen, von denen der eine dem Meifter nahe zu kommen fucht, 
während der andere durch matteres Colorit und fchwächere Zeichnung fich 
als beträchtlich geringer darfteilt. Was die angewandten architektonifchen 
Formen betrifft, fo treten zwifchen den gothifchen die Renaiffancemotive 
ziemHch häufig auf; es fehlt nicht an Rundtempeln mit Kuppeln, antiken 
Portalen und korinthifchen Pilaftern ; mehrmals kommen römifche Triumph- 
bögen vor mit allerlei kleinen Varianten, wobei die Kenntnifs römifcher 
Triumphthore unverkennbar ift. Wo der Einblick in ein Gemach gegeben 
wird, befteht die Umrahmung des Bildes in der Regel aus cannelirten 
korinthifchen oder römifchen Pilaftern, 

Steht hier indefs überall das architektonifche Beiwerk ziemlich befcheiden 
da, fo nimmt es eine ungleich höhere Bedeutung in Anfpruch bei den herr- 
lichen Blättern zu Frankfurt, die dem nach oft wiederholtem infchriftlichen 
Zeugnifs für »MaiftreEftienne Chevalier« ausgeführten Gebetbuch entftammen. 
Wie diefes Werk unbedingt die Höhe der künftlerifchen Leiftungen Foucquets 
bezeichnet, fo zeigt er fich auch im Verftändnifs und der Anwendung der 
architektonifchen Formenwelt als einen Mann, der die grofsen Neuerungen 
der italienifchen Kunft fich völlig zu eigen gemacht hat. Schon darum 
mufs diefes Werk als das reifere, alfo auch fpätere bezeichnet werden. 
Wohl weifs der Künftler die malerifchen mittelalterlichen Profpecte feiner 
Heimat mit vollem Verftändnifs vorzuführen; bisweilen wendet er auch die 
gothifchen Formen für den Gefammtaulbau feiner Compofitionen an, wie 
denn die Verkündigung in einem gothifchen Chor vor fich geht, wo die Ma- 
donna fich mit ihrem grofsen Gebetbuche auf einem Teppich häuslich 
eingerichtet hat. In andern Fällen mifcht er beide Bauweifen in naivfter 
Art, fo in der Verehrung der Madonna (Fig. i), wo diefe in einer reichen 



§ 4- Je^n Foucquet. 



13 



gothifchen Portalnifche thront, deren Füllung das Mufchelmotiv der Renaif- 
fance zeigt. Noch auffallender ift die an das Portal unmittelbar anftofsende 
Wandbekleidung im Hintergrunde mit ihren cannelirten korinthifchen Pila- 
flern und genau durchgeführtem antikem Gebälk. Auch die über diefem 




Fig. 2. Einregnung der Apoftel. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.) 



fich tummelnden nackten Genien , welche Medaillons halten und Fruchtge- 
winde auf den Schultern tragen, fmd Elemente der Renaiffance und con- 
traftiren eigenthümlich mit den auf andern Blättern mehrfach vorkommen- 
den bekleideten Engelknaben, die durch das Diakonengewand fich als Kinder 
des Mittelalters zu erkennen geben. 



14 



Kap. I. Umwandlung des franzöfilchen Geiftes. 



Wo der Künftler die feierlichfte Pracht entfalten will, wie auf dem 
herrlichen Eingangsblatt, wo der Stifter von feinem Schutzpatron St. Stephanus 
empfohlen und von mufizirenden Engeln begleitet vor der Madonna kniet, 
da ift durch cannelirte korinthifche Pilafter, prächtige Wandtäfelungen, reiche 
antike Gefimfe mit feftonhaltenden Genien die Renaiffance zum vollen 
Ausdruck gekommen. Aber bezeichnend genug thront die Madonna in 
einer gothifchen Nifche, fo dafs hier doch wohl für die Himmelskönigin 
eine Form von myftifcher Feierlichkeit gewählt wurde. Bei der Begegnung 
zwifchen Maria und Elifabeth fieht man feitwärts einen Altarbau unter 
einem von Compofitafäulen getragenen Baldachin, deffen Gebälk und Gefims 
der ionifchen Ordnung folgt. Bei der anmuthigen Scene, wo die Apoftel 
zum Antritt ihrer Wanderfchaft eingefegnet werden (Fig. 2), fchliefst wiederum 
eine Wand mit Marmorgetäfel, gegliedert durch cannelirte korinthifche Pi- 
lafter, und abgefchloffen durch ein prachtvolles antikes Gebälk und Gefims 
mit Stierfchädeln und Fruchtfchnüren den Hintergrund ab. Auf dem Gefims 
fieht man drollige nackte Flügelknäbchen paarweife Wappen haltend und 
Lorbeerzweige fchwingend. Der Brunnen aber, der die Mitte einnimmt und 
mit feinen W^afferftrahlen die Knieenden befprengt, zeigt gothifche Formen. 

Nochmals kommt dann die Antike ausfchliefslich und in höchfher Pracht 
bei der Darftellung der Vermählung Maria's und Jofeph's zur Geltung, denn 
ein dreithoriger Triumphbogen, der bis auf die. reichen Reliefs, die plaftifch 
gefchmückten Schlufsfteine, die fchwebenden Victorien in den Zwickeln und 
die Caffettirungen der gewölbten Thorwege den römifchen Vorbildern nach- 
geahmt ift, bildet den Abfchlufs. Merkwürdigerweife aber ifi: diefes Pracht- 
ftück der Architektur, das die Auffchrift templum Salomonis trägt, mit 
zwei Compofitafäulen decorirt, deren Schäfte gefchweift und in horizontalen. 
Streifen abwechselnd mit gewundenen Cannelirungen und allerlei Relief- 
fcenen bedeckt find. Woher der Künftler diefe Anfchauungen entlehnte, 
die hier zum erften Mal auftreten, dann bei Rafael in den Cartons für die 
Teppiche wiederkehren, um endlich bei dem coloffalen Tabernakel in St. 
Peter in das gröfste monumentale Mafs übertragen zu werden, wiffen wir 
nicht. Was aber die gefammten Renaiffanceformen Foucquets auszeichnet,, 
ift der Umftand, dafs fie nicht aus den dekorativ überfchwänglichen Schulen 
Oberitahens, woher die deutfchen Meifter von Nürnberg und Augsburg 
ihre Anfchauungen fchöpften, fondern aus der ftrengeren florentinifchen 
Auffaffung fich herfchreiben. Brunellesco, Mafaccio, Fra Angelico find 
die Vorbilder unferes Meifters; namentlich des letzteren Wandgemälde in 
S. Marco find mit Hintergründen ähnlicher Art ausgeftattet, bei denen der 
cannelirte korinthifche Pilafter eine grofse Rolle fpielt. Dafs Foucquet 
mit feiner Hinneigung zu den antiken Formen in feiner Nation über ein 
halbes Jahrhundert vereinzelt blieb, werden wir fpäter fehen. 



5- Die Bücherilluftration. 



15 



§ 5- 



Die Bücherillustration. 



PÄTER als die merkwürdigen Schöpfungen Foucquets, aber doch früher 



ti]^ als die monumentale Erfcheinung der Renaiffance in Frankreich, find die 
Leiftungen des Bücherdrucks, fofern fie fich auf die künftlerifche Ausftat- 
tung der Bücher beziehen. Wir haben hier nicht jene überftrömende Phan- 
tafiefülle, jene geiftreiche Kraft und Mannigfaltigkeit der Erfindungsgabe 
zu verzeichnen, wie fie Deutfchland in diefer Epoche darbietet. Bei uns 
war es der Sieg der Reformation, der eine volksthümliche Literatur von 
unglaubHchem Reichthum hervorrief und damit zugleich eine Freude an 
künftlerifcher Ausftattung, welche durch die Thätigkeit von Meiftern wie 
Dürer, Burgkmaier, Holbein, Kranach u. A. die mächtigfte Förderung er- 
fuhr. In Frankreich, wo die Reformation bald unterdrückt wurde, blieb 
die Literatur weit mehr ein Befitzthum der vornehmeren Kreife, und es 
war in erfter Linie der Hof, namentlich Franz I, der »Vater der Wiffen- 
fchaften«, (pere des lettres) , welcher diefe Richtung förderte. Nur fehr 
langfam brach fie fich Bahn und faft noch länger als in Deutfchland blieb 
beim Bücherdruck die gothifche Type in Kraft, da befonders in den bürger- 
lichen Kreifen man mit grofser Zähigkeit an dem nationalen Stil der Gothik 
fefthielt. Als dann doch, durch die Verbindungen mit Itahen, durch die 
Kriegszüge Karls VIII und Ludwigs XII, die Einflüffe der Kunft des Südens 
fich geltend machten, endlich aber Franz I fich der neuen Kunft der Re- 
naiffance mit Begeifterung zuwandte, mufste auch die Typographie die 
alten ausgetretenen Geleife verlafsen und in neue Bahnen einlenken.') 

Dies gefchah nun zunächft in der Weife, dafs die Buchdrucker für die 
Ausftattung ihrer Erzeugniffe die Ornamente, Randleiften, Vignetten, Zier- 
buchftaben u. dgl. aus italienifchen Büchern einfach copiren liefsen, fo dafs 
bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts gröfstentheils folch ent- 
lehntes Schmuckwerk in den franzöfifchen Büchern angetroffen wird. Daraus 
ergab fich auch für die folgende Zeit ein ziemHch enger Anfchlufs an 
italienifche Formgebung und an die mehr zeichnerifch plaftifche, als male- 
rifche Behandlung der italienifchen Illuftration. Franz I in feiner Be- 
geifterung für die Wiffenfchaften und Künfte war es, der durch fein Ein- 
greifen der franzöfifchen Typographie einen Auffchwung verlieh. Er be- 
ftätigte die von feinem Vorgänger den Buchdruckern und Buchhändlera 
verliehene Steuerfreiheit, fchuf die Hofbuchdruckerftellen und ertheilte Pri- 



I) Vergl. A. F. Butfch, die Büciierornamentik der Renaiffance. München 1880. FoL 
II. Bd. Das Folgende beruht auf Studien in den Bibliothelien zu Stuttgart und München^ 
von denen namentlich letztere reich an den fehenften Werken der damaligen franzöfifcherk 
Literatur ifl. 




FLetus longaeui rex regum mifer* 
rus,angelum mirrir gaudium pro 
Iudl^u:vt dicat Annx, Tempore fenili 
prolem habebis. 

Erenim vcrbi concipies marre Anna 
tu gaucle:quoniä nec tale eße nec cre» 
dasfuturam.hanc dicct omnes beatä. 
loachim magno gaudio replerur vo 
ce du audit angeli dicenris,Pariet tibi 
Anna matrem dei grande praf cö^is. 
Gloria patri genitaeque proli, fiamini 
(ando,virginiq; matri,qii?clei natum 
genuit hominem,fit lauspcrennis.1^- 
Necdum erant abyfli»?^ . Et ego iam 
concepra eram. Oratio. 

DEus ineffabilis mifericordia?, qui 
primae piacula.mulierts per vir? 
gine expianda (anxifti:da nobis qu^fii 
mus cöceptionis eins memoria digne 
vcnerari,quaf vnigenitu tnü virgo cos 



Fig. 5. Randleiften von G. Tory. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiflance). 



§ 5- Die Bücherilluftration. 



viligien gegen den Nachdruck, forgte für die Verbefferung der Typographie, 
indem er die Beftrebungen eines Geofroy Tory, Simon de CoHnes, Robert 
Etienne , Conrad Neobar und Anderer förderte. Allerdings liefs er fich 
durch die Furcht vor dem Ueberhandnehmen der Reformation 1534 zu 
einem Verbot des Bücherdrucks hinreifsen , und der gelehrte R. Etienne 
mufste 1550, weil er der neuen Lehre anhing, nach Genf flüchten ; aber 
dies konnte kaum vorübergehend die Entwicklung der Typographie hemmen, 
die bis gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts immer noch Beachtens- 
werthes leiftete. 

Bezeichnend für den Charakter der franzöfifchen Illuftration ifl und 
bleibt es, dafs fie wie die gefammte Kunft Frankreichs überwiegend unter 
dem Einflufs des Hofes fteht. Sie gewinnt dadurch die Richtung auf das 
Feine und Elegante und erinnert in diefer Hinficht an die Miniaturmalerei 
des Mittelalters, die aus denfelben Gründen in Frankreich vorzugsweife 
nach formalem Reiz ftrebte. Weiterhin ift es beachtenswerth , dafs nur 
die Officinen von Paris und Lyon in ihren typographifchen Leiftungen eine 
felbftändige Bedeutung gewinnen; aber fo Glänzendes fle auch hervor- 
bringen, fo unleugbar in diefen Arbeiten fleh der den Franzofen eigen- 
thiimliche feine Gefchmack offenbart, fo bietet doch Frankreich nicht das 
Bild jener unerfchöpflich reichen, wenngleich im ganzen Charakter viel 
derberen Mannigfaltigkeit wie Deutfchland, wo in zahlreichen gröfseren und 
kleineren Städten ein erflaunlich rühriger Wetteifer in der typographifchen 
Arbeit herrfcht. Auch hier alfo treffen wir diefelben Züge, welche in der 
gefammten übrigen Kunfl; und Kultur beide Länder unterfcheiden. 

Unter den franzöflfchen Drucken vom Ausgang des 15. Jahrhunderts 
fmd die zahlreichften , immer wieder aufs Neue reproduzirten , die unter 
dem Namen der »Heures« bekannten Gebetbücher , deren Maffenhaftigkeit 
allein von der Devotion und dem Fefthalten an den kirchlichen Ueber- 
lieferungen den deutlichften Beweis giebt. Die erften Drucke diefer Art, 
die von Simon Vofl:re aus dem Jahre i486 und die von Philippe Pigouchet 
und Antoine Verard aus den beiden folgenden Jahren tragen in ihren Typen, 
fovvie in der Ornamentik noch durchaus den gothifchen Charakter. Noch 
kein Hauch der neuen Kunftweife läfst fleh fpüren, und die in fpätmittel- 
alterlichen Formen behandelte Ornamentik ift durch Handmalerei ausgeführt, 
fo dafs diefe kleinen Bücher auf den erften Blick den Eindruck von Manu- 
fcripten mit Miniaturen machen. Im Wefentlichen herrfcht diefer Charakter 
felbft noch in den Heures, welche Jehan de Brie 15 10 herausgab. Auch 
hier ift faft durchgängig das Gepräge des Mittelalters, die Schrift gothifch, 
Initialen und Bilder gemalt , letztere zeigen fleh grobkörnig im Stil 
der Spätzeit des 15. Jahrhunderts. Aber fchon beginnt die Renaiffance, 
wenngleich noch fchüchtern, einzudringen, denn auf der Ausgiefsung des 

LUBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 



i8 



Kap. 1. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



heiligen Geiftes zeigt der Thron der Madonna gleich der umgebenden Halle 
die allerdings noch ziemlich derben, wenig verftandenen Formen des neuen 
Stils. In den ungefähr gleichzeitigen Heures von Germain Hardouyn 
herrfcht im Wefentlichen noch dasfelbe Verhältnifs : gothifche Schrift und 
reich ausgemalte fpätmittelalterliche Ornamentik. Aber fämmtliche gröfsere 
Bilder fmd mit, freilich übelverftandenen, Renaiffancerahmen eingefafst, wobei 
neben den Pilaftern vom Gebälk Blumengewinde herabhängen, dies Alles 
merkwürdig nüchtern und trocken gezeichnet. Aber auch fonft fchlägt das 
Architektonifche in Renaiffanceformen um, fo beim Tode der Maria, und 
bei der Ausgiefsung des heiligen Geiftes der Thron der Madonna; dagegen 
fmd die einzelnen Seiten überall mit mittelalterlichem Laubornament ein- 
gefafst. In einer andern Ausgabe der Heures , die den Namen desfelben 
Verlegers trägt, tritt nun plötzlich die Antiquafchrift auf und verändert mit 
einem Schlage die gefammte Phyfiognomie des Buches. Das Format ift 
viel kleiner als bei dem vorher befprochenen und auch die herzlich unbe- 






Fig. 4. Zierbuchftaben von G. Tory. (Aus Butlch, Bücherornamentik der RenailUince.) 

deutenden Bilder zeigen geringeren Maafsftab. Ihre Umrahmung aber ift 
genau diefelbe mit trocknen doriftrenden Pilaftern , Gebälken und Blumen- 
gehängen, Man erkennt alfo auch hier den Kampf der neuen mit der alten 
Zeit, die merkwürdige Gährung der beiden Weltanfchauungen, welche damals 
aufeinander ftiefsen. 

Ueberaus bemerkenswerth fmd die »Menüs propos, compofez par Pierre 
Gringoire. Paris, Philippe le Noir 1528.« Das kleine Buch trägt trotz der 
vorgefchrittenen Zeit überwiegend noch mittelalterlichen Charakter, ift 
namentlich mit gothifchen Lettern gedruckt. Die Initialen dagegen find 
antik, der Grund indefs mit gothifchem Laubwerk gefüllt. Die Bilder find 
derb mit einfacher aber kräftiger Schattirung, manche gut gezeichnet und 
lebendig bewegt, im Ganzen jedoch von fehr verfchiedenem Werth. Von 
irgend einer ornamentalen Einrahmung ift hier nirgends die Rede, Im fol- 
genden Jahr (1529) erfchien »Champfleury auquel eft contenu lart et fcience 
de la deue et vraye Proportion des Lettres attiques, quon autrement lettres 
Antiques et vulgairement Lettres Romaines proportionnees felon le Corps 




Fig. 5. Randleiften von Oronce Fine. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 



2* 



20 



Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



et Vifage humain. Paris par Maiftre Geofroy Tory de Bourges, Libraire 
et autheur du dict Livre et par Giles Gourmont auffi libraire >;. Hier tritt 
uns alfo jenes grofse Beftreben der Renaiffancezeit , überall zu den letzten 
Gründen vorzudringen, Alles auf wiffenfchaftliche Gefetze zurückzuführen, 
in einem bedeutenden Verfuch entgegen, für die Zeichnung der neu auf- 
gekommenen Antiquafchrift in den Verhältniffen der menfchlichen Geftalt und 
des Antlitzes fefte Grundlagen zu gewinnen. Das Buch ift vornehm aus- 
geftattet, namentlich mit einem reizenden Laubalphabet auf hellem Grund 
gefchmückt. Auffallend dürftig ift das Titelblatt, gering in Zeichnung und 
Schnitt, aber es trägt ein elegantes Buchdruckerzeichen, eine aus antiker 
Vafe hervorblühende Narciffe. Die Schlufsvignette zeigt dasfelbe Signet, 
aber von einer aufserordentlich fchönen, nur im Umrifs höchft elegant ge- 
zeichneten Fruchtguirlande eingefafst. In der Vorrede, wo auch der bekannte 
Bücherfreund Jean Grolier citirt wird, ergeht fich der Verfaffer in Bemer- 
kungen über die Veränderungen und den Verderb der franzöfifchen Sprache: 
»La langue Frangoife, pour la plus grande part, fera changee et peruertie. 
Le langage dauiourdhouy eft change en mille fagons du Langage qui eftoit 
il y a Cinquante ans ou enuiron. Lautheur du Liure des Efchecqtz difoit 
en fon temps Neantplus et nous difons Non plus. II difoit Bien eft voir 
et nous difons Bien eft vray.« etc. 

In diefem Werke begegnet uns zum erften Mal der grofse Reformator 
des franzöfifchen Bücherdrucks, Geofroy Tory, der als Freund des berühmten 
Druckers Simon de Colines, bald auch als felbftändiger Drucker nicht blofs in 
der Antiquafchrift, fondern auch in der gefammten ornamentalen Ausftattung 
den Geift der Renaiffance zur Herrfchaft brachte (f 1533). Seine geiftvollen 
Vignetten, die graziöfen Blumenalphabete (Fig. 4), die Kopfleiften und Titel- 
einfaffungen (Fig. 3) führen mit einem Schlage die ganze Anrnuth der Re- 
naiffance in den Bücherfchmuck ein und geben auf lange Zeit der fran- 
zöfifchen Illuftration das herrfchende Gepräge. Neben ihm ift hauptfächlich 
Oronce Fine zu nennen, der ebenfalls von der italienifchen Renaiffance aus- 
geht, in einzelnen Formen aber altheimifchen Traditionen folgt und zuerft einen 
etwas kräftigeren Ton anfchlägt. (Fig. 5.) Neben diefen Hauptmeiftern ift dann 
befonders noch Salonion Bernard (»le petit Bernard«) zu nennen, der feit 
Ausgang der vierziger Jahre für den Lyoner Bücherdruck eine Menge der 
graziöfeften Arbeiten, reich verzierte Alphabete, Randleiften, Vignetten u. dgl. 
lieferte, aufserdem aber auch jene köftlichen Bibelbilder zeichnete, die auf 
dem kleinften Raum, ähnlich den berühmten Holbein'fchen Arbeiten, die 
den Meifter wohl begeiftert haben, die gröfste Lebendigkeit entfalten. Die 
franzöfifche Illuftration erreicht in den Werken diefes vorzüglichen Künftlers 
ihren Höhenpunkt. In feinen Bahnen bewegen fich dann die Monogram- 
miften C. B., P. V. und G. L. Diefe Richtungen beftimmen auf lange Zeit 



5. Die Bücherilluftration. 



21 



den Charakter der franzöfifchen Buchilluftration, bis dann in der zweiten 
Hälfte des i6. Jahrhunderts das Cartouchenwerk mit feinen derberen Formen 
eindringt. Dazwifchen wirkt die Ornamentik der Schule von Fontainebleau 
mit ihren itahenifchen »Grotesken« ein, die überhaupt für die gefammte 
Dekoration der franzöfifchen Renaiffance mafsgebend wird. 

Zu den graziöfefben Schöpfungen der franzöfifchen Illuftration gehört 
die Hecatomgraphie'') von Gilles Corrozet, 1543 in Paris bei Denys 
Janot erfchienen. Das kleine Buch in Sedez ift in fchöner Antiquafchrift 
gedruckt, die Seiten zur Linken mit zierlichen kleinen Bildern gefchmückt,. 
die Einfaffungen durch Laubwerk, Masken und phantafhifche Figürchen im 
edelften Stil der Frührenaiffance gebildet, das Ganze in feiner feinen Raum- 
vertheilung von köftlichem Reiz. Das Titelblatt enthält ein Frontifpiz, deffen 




Fig. 6. Initialen von Oronce Fine. (Aus Butlch, Bücherornamentik der RenailTance.) 



Compofitapilafter Rahmen und Laubwerk zeigen und das durch einen kleinen 
hübfchen Giebel abgefchloffen wird. 

In demfelben Verlag war einige Jahre früher (1539) le theatre des 
bons eng in s^) von Guillaume de la Fernere erfchienen, ebenfalls in Sedez^ 
die Schrift antiqua, aber curfiv, das Ganze ebenfalls fehr elegant, wenn 
auch nicht fo zierhch wie das vorerwähnte Buch. Das Titelblatt ift hier 
reicher geftaltet, die Pilafter find dorifch, aber mit vorgelegten Balufter- 
fäulchen, deren Schaft mit Weinranken umwunden ift. Der obere Bogen- 

') Hecatomgraphie, c'eft ä dire les defcriptions de cent figures et hyftoires, contenans 
plufieurs appophthegmes prouerbes fentences et dictz tout des anciens que des modernest. 
Paris. Denys Janot. 1543. — Le theatre des bons engins, auquel font contenuz cen 
emblemes moraulx, compofe par Guillaume de la Perriere Tolofain. Paris. Denys Janot- 
(Der Margaretha von Navarra gewidmet.) 



22 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



abfchlufs ift mit Voluten und Laubwerk gefüllt, unten fieht man ein Liebes- 
paar im Garten. Die kleinen gefchichtlichen Bilder ftehen auf der linken 
Seite, die erklärenden Verfe rechts. Erftere haben Einrahmungen von vier 




verfchiedenen Randleiften, wie in dem vorerwähnten Buche, während Letztere 
einfachere Einfaffungen und zwar ebenfalls vier verfchiedene Mufter zeigen. 
In beiden Werken fmd nur einzelne Initialen zur Verwendung gekommen. 



§ 5- Die Bücherilluftration. 



23 



Zu den ftattlichften Erzeugniffen der Frühzeit gehört fodann die 
Protomathefis des Oronce Fine vom Jahre 1532.') Das Titelblatt zeigt 
ein prächtiges , etwas derb gezeichnetes und kräftig fchattirtes Frontifpiz, 
eingefafst von Frührenaiffance-Pilaftern mit Laubkapitälen, Sirenen, davor 
frei heraustretende Kandelaber , Säulchen mit lappigem Laubwerk und 
Delphinen, die Krönung phantafbifch mit Ranken, Genien und Salamandern, 
letztere auf Franz I bezüglich, dem das Werk gewidmet ift. Im Bogen- 
feld Herkules im Kampfe mit der Hydra. Auch das Dedikationsblatt ift 
durch reiche Ranken mit Sirenen, Salamandern und Balufterfäulen gefchmückt. 
Von ungewöhnlicher Pracht find die zu den Initialen vielfach verwendeten 
Alphabete (Fig. 6) theils ganz grofse mit herrlichem Laubwerk, fchwarz 
auf weifsem Grunde, andere mit reizenden kleinen Figuren. Im grofsen O 
das Portrait des Künftlers. Auch die Kopfleiften , welche geometrifche 
Inftrumente Zirkel, Winkelmafse, Quadranten in hübfchen Laubgewinden 
zeigen, find reizend. 




Fig. 8. Initialen mit maurifchen Ornamenten. (Aus Butlch, Bücherornanientik der Renailiance.) 



Um die Mitte des Jahrhunderts vollzieht fich eine Umwandlung des 
Stils. Diefelbe kündigt fich fchon in Jean le Maire's Illuftration de 
Gaule ^) an, 1549 in Lyon bei Jean de Tournes erfchienen. Das Titelblatt 
ift fchon vollftändig in dem trockenen und derben Cartouchenftil mit 
feinen gerollten Bändern und Schnörkeln behandelt und zeigt auch in den 
Figuren , den Karyatiden , gefeffelten bocksfüfsigen Atlanten , hockenden 
Satyrn und dgl., den völlig umgewandelten Gefchmack. Prachtvoll find die 
Initialen , einige ganz grofse und befonders fchöne mit Laubwerk auf ge- 
punztem Grunde, andere mit Laubornamenten und allerlei Figürlichem eben- 
falls auf gepunztem oder dunkel fchattirtem Grunde, dies alles noch im 
beften Stil der Frührenaiffance, fo dafs fich in demfelben Werke zwei Ver- 
zierungsweifen begegnen. Auch hübfche Kopfleiften und Vignetten fchmücken 

Orontii Finei Delphinatis liberalium disciplinarum profefforis Regii Protomathefis, 
opus uarium ac fcitu non minus utile quam iucundum nunc primum in lucem foeliciter 
emiffum. Parifiis anno 1532. — 2) Les illuftrations de Gaule et fmgularitez de Troye, pas 
Maiftre Jehan le Maire de Beiges. Auec la couronne Margaritique et pluffieurs autres 
Oeuvres de luy non iamais encore imprimees. Lyon. Jehan de Tounies MDXLIX. Fol. 



24 Ka.p. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 

das prächtig ausgeftattete Buch. Denfelben neuen Cartouchenftil finden wir 
in dem grofsen Fohobande des Commentars zu den Evangelien, der 
1552 in Paris erfchien.') Das Titelblatt zeigt ein üppiges Cartouchenwerk 




Fig. 9. Aus Ovids Metamorpholen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentik: der Renaiflance.) 

mit Masken und Fruchtgehängen und jenen phantaftifchen Satyrgeftalten 
mit geflochtenen Schlangenfchwänzen ftatt der Füfse , wie fie fortan in der 

') Clariffima et facillima in quatuor facra Jefu Chrifti evangelia nec non in actas 
Apoftolicos fcholia ex praecipuis tarn Graecorum quam Latinorum fententiis felecta, Joannis 
Benedicti theologi cura emendata. Authore Joanne Gagneio Parifis ap. Carolam Guillard 
viduam Claudii Chevallonii et Guilelmum Desboys, fub fole aureo, in via diuijacobi. 155^. Fol. 



§ 5- Die Bücherilluftration. 



franzöfifchen Renaiffance beliebt werden. Die zierlichen Initialen fmd meift 
auf lichtem Grund, der mit maurifchen Ornamenten durchwoben ift, wie fie 
fortan vielfach zur Verwendung kommen (Fig. 8). 




Fig. 10. Aus Ovids Metamorphofen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.) 



Im Gegenfatz dazu halten gewiffe Erzeugniffe der damaHgen Preffe 
noch einige Zeit an der befcheidenen und anmuthigen Ornamentik der früheren 
Epoche feft. So namentlich die zierlichen kleinen vom fogenannten Petit 
Bernard illuftrirten Bilderausgaben biblifcher Gefchichten, wie 
fie mit franzöfifchem , deutfchem, niederländifchem, italienifchem und felbfb 



26 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



fpanifchem Text ') feit den fünfziger Jahren durch mehrere Dezennien von 
Lyon aus in die ganze Welt gingen. Die reizenden kleinen Bilder ver- 
rathen zwar in den überlangen Figuren den Manierismus der Zeit, aber 
die Tittelblätter mit ihrem feinen Rankenwerk gehören noch der Früh- 
renaiffance. Die gröfste Mannigfaltigkeit und Schönheit finden wir in den 
1557 bei Jean de Tournes erfchienenen , ebenfalls von Bernard illuftrirten 
Metamorphofen des Ovid.^) Hier kommt auch das aus den Damas- 
cirungen der Waffen hervorgegangene maurifche Blattornament fchon beim 
Titel aufs reizendfte zur Verwendung, bald weife Ornamente auf fchwarzem 
Grund , bald umgekehrt. Aufserdem herrfcht in den reichen Randver- 
zierungen, welche jede Seite einfaffen, die bunte Welt der Hermen, Mas- 
carons u, dgl. im Stil der Schule von Fontainebleau. (Fig. 9 u. 10.) 

In prächtiger Weife kommt der durch die grofsen Architekten gegen 
die Mitte des Jahrhunderts ausgebildete Stil in dem Foliobande von 1 549 zur 
Geltung, der den Einzug Heinrichs II in Paris darfteilt. 3) Schon das 
Titelblatt ift im vollen Cartouchenftil gehalten; aber befonders geben die 
Triumphbögen und andere Prachtdekorationen den vollen Einblick in die 
nunmehr ganz von der Antike beherrfchten Anfchauungen der Zeit. Nicht 
weniger als fünf folcher Pforten, bald mit einem, bald mit drei Thoren, 
geben die verfchiedenen Schattirungen der antiken Architektur vom einfach 
dorifchen bis zum reicliften korinthifchen Stil. Befonders beachtenswerth 
ift die Brücke von Notre Dame mit ihrem als Laubgewölbe behandelten 
Oberbau, wo Sirenen die aus Blumengewinden beftehenden Gurte der Ge- 
wölbe tragen. Ueber • der letzten reichgefchmückten Triumphpforte, vor 
welcher auf Poftamenten vier heftig bewegte Reitergruppen aufgeftellt fnid, 
erhebt fich ein Saal »ä la mode Frangoife, garnie de croifees ä vitres«. 

An diefe Arbeiten fchliefsen fich die Werke der grofsen Kunfttheore- 
tiker der Zeit, unter welchen Jehan Coußn einen hervorragenden Rang ein- 
nimmt. In feiner 1560 zu Paris erfchienenen Perfpective '^j zeigt fchon das 
Titelblatt (Fig. 11) eine Compofition im eleganteften Cartouchenwerk, mit 
reizenden Figuren meift phantafhifcher Art, Faune, Sirenen u. dgi. Oben 
halten zwei liegende nackte Frauen die königliche Krone , welche von 



=') Quadernos ystoricos de la biblia. J. de Tournes. Lyon 1553. Dann 1558. 1559. 
Guillaume Roville 1564, 1565. Eftienne Michel 1582. Ich citire nur die Ausgaben, die mir 
vorgelegen haben. — La metamorphofe d'Ovide figuree. J. de Tournes. Lyon 1557. 
— 3) C'eft l'ordre qui a efte tenu a la nouvelle et joyeufe entree que tres hault tres 
excellent et tres puiffant Prince le Roy tres chreftien Henry deuzieme de ce nom a faicte 
en fa bonne ville et cite de Paris capitale de fon Royaume le fezieme iour dejuin MDXLIX. 
Paris. Jacques RofFet dit le Faulcheur. Fol. — Liure de Perfpective de Jehan Coufm 
Senonois, maiftre peinctre ä Paris. Paris de l'imprimerie de Jehan le Royer imprimeur du 
Roy es Mathematiques. 1560. Fol. 



28 



Kap. I. Umwandlung des franzöüfchen Geiftes. 



Genien mit Schmetterlingsflügeln bekränzt wird. Es ift eine der fchönften 
und eleganteften Schöpfungen der Zeit. Auf dem erfben Blatt von faft 
doppelter Gröfse, das daher eingefchlagen ift, fleht man in einem derb- 
gezeichneten Cartoucherahmen »les cinq corps regulairs de Geometrie« und 
»certains perfonnages racourciz felon ceft art«; die Figuren in kühnem 
Michelangeleskem Stil meifterlich verkürzt, Aufserdem fchmückt eins 
der fchönften und gröfsten Alphabete diefes Buch, weifse Buchftaben auf 
lichtem Grund, umgeben von zierlich gezeichneten fchwebenden, hockenden 
fliegenden, kopfüberftürzenden Figürchen, in welchen der Meifter ebenfalls 
feine Kunft der Verkürzung zur Geltung bringt; aufserdem Füllungen von 
herrlichem Laubwerk; andere Buchftaben mit Thierfigürchen und dem< 
fchönften Rankenornamente. Aehnlich flnd die Kopfleiften behandelt, mit 
phantaftifchen Figuren aller Art, mit Füllhörnern, Laub- und Rankenwerlc. 




Fig. 12. Initialen aus Jehan Coufins Perfpective. 



Dafs fodann die PubHkationen der grofsen Architekten der Zeit in 
ihrer Ausfl;attung denfelben künflilerifchen Charakter zeigen, bedarf kaum 
der Erwähnung. So die Reigle Generalle d'Architectur e von Jean 
BuUant, Paris 1564. Das Titelblatt zeigt einen reichen Cartouchenrahmen 
mit fl:arkbewegten Figuren, Atlanten und Karyatiden, Genien und Masken. 
Herrlich flnd die grofsen Liitialen, weifs auf lichtem Grunde mit Blumen 
und Laubranken, dazwifchen einzelnes Figürliche. Ebenfo flnd die Kopf- 
leiften mit trefflich gezeichneten Figuren und Blattornamenten; das Ganze 
von vornehmer Pracht. Etwas einfacher, aber ebenfalls gediegen ifl: der 
1559 in Paris erfchienene Folioband von Du Cerceaus Ar ch i tec tu r a. 
Die ftaatlichen Liitialen, weifs auf lichtem Grunde, reich mit Figürlichem, 
namentlich Phantaftifchem, gefchmückt, flnd etwas derb und ungelenk ge- 
zeichnet und ebenfo gefchnitten. Glänzender wieder ift das Werk Serlios 
ausgeftattet, welches 1560 in Lyon erfchien.') Das Titelblatt mit Frucht- 



0 Extraordinario libro di architettura di Sebaftiano Serlio. In Lione. Gugl. Rovillio 
1560. Fol. 



§ 6. König Rene von Anjou. 



fchnüren und Cartouchen, letztere jedoch fehr gemäfsigt, wird durch Satyrn, 
Masken und Genien im Gefchmack der Zeit belebt. Sehr reich ift die 
Ausftattung- mit gefchmückten Initialen, unter denen wir drei verfchiedene 
Alphabete antreffen. Das Erfte, fehr grofs, hat fchwarze Buchftaben auf 
hellem Grund, der mit Blumen und Vögeln durchwebt ift. Das Zweite 
zeigt weifse Buchftaben auf gepunztem Grund mit fehr fchönen Laubranken 
im Charakter der Frührenaiffance. Das Dritte, etwas kleinere, fetzt feine 
fchwarzen Buchftaben von einem Grunde ab, der mit maurifchem Blattwerk 
belebt ift. Man fieht, wie für die Ausfchmückung der Buchftaben alle Motive 
damaliger Ornamentik verwerthet find. 

Diefe wenigen Beifpiele werden genügen, den Charakter und die Ent- 
wicklung der franzöfifchen Bücherilluftration anzudeuten. 



dem »guten« König Rene ein Ehrenplatz. Die Perfönlichkeit diefes 
kunftliebenden und allem Anfcheine nach felbft in der Malerei dilettirenden 
Fürften ^) ift der lebendigfte Ausdruck der fich vielfach kreuzenden künftle- 
rifchen Strömungen jener Zeit. Denn in feinen Bauten noch durchaus dem 
Mittelalter angehörend, neigt er fich in der Malerei der flandrifchen Schule 
■der van Eyck zu, während feine plaftifchen Unternehmungen italienifchen 
Urfprung verrathen. Von dem durchaus noch gothifchen Charakter feiner 
Bauten giebt das kleine Tarascon eine Anfchauung. Der öde, armfelige 
•Ort, der dem Vorbeifahrenden nur durch die gigantifchen Maffen feines am 
Rhone-Ufer aufragenden alten Schloffes bemerkbar wird, war einft die 
Refidenz des »guten« Königs Rene. Aber von dem heiteren Leben an 
feinem mufenfreundlichen Hofe geben die finfteren Mauern und Thürme 
des durch ihn erbauten Schloffes keine Ahnung. Nirgends geftatten die 
fenfterlofen Flächen, die gleichfam blind in der heiterften Landfchaft liegen, 
einen Blick in die Herrlichkeit der umgebenden Natur, und die Zinnenkränze 
mit ihren drohenden Machicoulis vollenden den Eindruck einer Zeit, die 
noch tief im Feudalismus des Mittelalters mit feiner Gefetzlofigkeit und 
Fehdeluft vergraben war. Erft im engen Hofe des jetzt als Gefängnifs 
dienenden Baues fpricht fich in der weiten Rundbogenhalle und der zier- 
lichen Wendeltreppe die Stimmnng wohnlichen Behagens aus, und von der 
Plattform des Daches fchweift das Auge entzückt über die liebliche Land- 
fchaft, welche der ftolze Flufs weithin durchftrömt. 

^) Wenn auch die ihm zugefchriebenen Gemälde fchwerlich von feiner Hand find, wie 
-das Triptychon in der Kathedrale zu Aix und die Altartafel im Hofpital zu Villeneuve 
(bei Avignon. 



§ 6. 

König Ren^ von Anjou. 




Renaiffance in Frankreich gebührt 



30 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



Allerdings war fein Leben mit feinen wechfelnden Schickfalen für jene 
fcheinbar widerftreitenden Tendenzen beftimmend. Zu Angers i. J. 1409 
geboren, als zweiter Sohn des Herzogs Ludwig von Anjou und feiner Ge- 
mahlin Jolanthe, Tochter König Johanns I von Arragonien, erbte er von 
feinem Grofsvater die Anwartfchaft auf den Thron von Neapel, während er 
durch feine Gemahlin Ifabella, die Tochter Karls I von Lothringen, An- 
fprüche auf diefes Herzogthum befafs. Als er diefelben geltend zu machen 
fuchte, wurde er jedoch gefangen genommen und von 143 1 — 1437, 
kurzer Unterbrechung, in Dijon internirt. Dort ohne Zweifel am glänzenden 
burgundifchen Hofe lernte er die durch ihre erftaunliche Lebenswahrheit 
alle anderen gleichzeitigen Kunftleiftungen übertreffende flandrifche Malerei 
kennen und fchätzen. Als er dann 1438 — 1442 fich nach Neapel begab, 
um feine Anfprüche an den königlichen Thron mit Gewalt der Waffen 
durchzufetzen, vermochte er gegen Alfons von Arragonien nicht durchzu- 
dringen und kehrte nun nach der Provence zurück, um bis zu feinem Tode 
i. J. 1480 fich den ihm mehr zufagenden friedlichen Beftrebungen in Kunft 
und Poefie hinzugeben. 

In Italien, wo damals gerade die Frührenaiffance in ihrer erften Blüthe 
ftand, hat er Gefchmack an ihren feinen Schöpfungen gewonnen und auch 
mit den berühmteften Humaniften Verbindungen angeknüpft.') So mit 
Francesco Filelfo, mit Antonio Marcello, der ihm durch Guarino von Verona 
eine Ueberfetzung des Strabo vermittelte, mit Maggio und Lorenzo Valla. 
Von feiner Verbindung mit den italienifchen Künfblern zeugen zunächfb 
mehrere Medaillen, befonders jenes prächtige Stück, welches er 1462 durch 
Pietro da Milano (bezeichnet »Opus Petri de Mediolano«) fertigen liefs.^) 
Sie zeigt auf dem Avers die charaktervoll behandelten Bildniffe des guten 
Königs und feiner zweiten Gemahlin Johanna de Laval, auf dem Revers 
eine figurenreiche Ceremonie mit einem tempelartigen Gebäude im Hinter- 
grund, wo man in der Mitte den König, vielleicht in einer Gerichtsfitzung 
thronen fieht. Aufserdem finden wir Medaillen des Königs von Francesco 
Laurana, vielleicht einem Verwandten des bekannten Luciano Laurana, 
welcher 1468 den Bau des Palaftes von Urbino leitete. Laurana hat auch 
Ludwig XI von Frankreich dargeftellt und ebenfo finden wir von ihm eine 
Medaille des Herzogs Johannes von Calabrien, des Sohnes von König Rene. 3) 
Auf der Rückfeite derfelben fieht man einen antiken Rundtempel, von 
korinthifchen Säulen umgeben, auf deffen Kuppeldach der Erzengel Michael 
mit Schild und Lanze fteht. So find es auch hier die Werke der Klein- 



') Vgl. E. Müntz, la renaiffance, S. 481 ff. — ^) Vgl. Alois Heifs, les medailleurs de 
la renaiffance. Francesco Laurana. Pietro da Milano. Ebenfo Jul. Friedländer im Jahrbuch 
der k. preufs. Kunftfammlungen. III. Heft 3 u. 4. — s) Abgeb. bei Heifs u. bei Friedländer. 



§ 6. König Rene von Anjou. 



31 



kunft, in welchen zuerft der neue Stiel zum Ausdruck kommt, fo war es 
zu allen Zeiten, bei den Vorfahren der Griechen, die in den Goldfchmiede- 
arbeiten zuerft die orientalifche Kunft kennen lernten, fo im frühen Mittel- 
alter, als der byzantinifche Stil durch Elfenbeinfchnitzereien, miniirte Hand- 
fchriften und die Werke der Juweliere im Abendlande eindrang. Derfelbe 
Laurana, der mit feinem Kunftgenoffen Petrus von Mailand am Hofe des 
Königs Rene lebte, hat dann auch fogar den Hofnarren Triboulet mit feinem 
Narrenftab auf der Schulter auf einer Medaille darftellen müffen, auf der 
Rückfeite ein liegender Löwe, der aber eher einem Pudel ähnlich fieht.i) 
Wichtiger für uns ift eine Medaille desfelben Künftlers vom Jahre 1466,. 
welche den Senefchall der Provence, Johannes de Coffa, darfteilt. Diefer 
vornehme Beamte ift uns nämlich durch ein, wie es fcheint, felbft bei den 
franzöfifchen Forfchern unbeachtet gebliebenes Grabdenkmal bekannt, welches 
wir zu unferer höchften Ueberrafchung in der Kathedrale von Tarascon 
fanden. Wenige Schritte von dem oben gefchilderten königlichen Schlofs, 
welches noch ganz das Gepräge einer düfteren mittelalterlichen Burg trägt, 
erhebt fich als ein nicht gerade bedeutender Bau der romanifchen Epoche 
diefe von aufsen wenig verfprechende Kirche. Um fo lohnender ift das Innere. 
Am Weftende des Schiffes fteigt man zu einer Unterkirche herab, welche 
das Grab der dort hochverehrten heiligen Martha enthält. Am Eingang diefer 
Krypta erhebt fich rechts ein prachtvolles Marmorgrab der Renaiffance. Eine 
Infchrift in fchönen Uncialen belehrt uns, dafs im Jahre 1476 König Rene 
feinem werthgefchätzten treuen Diener Johannes de Coffa , der auf den Wunfeh 
des Königs fein Vaterland verlaffen habe, um ihm zu folgen, diefes Denkmal 
habe errichten laffen. Friedvoll ruht die edle Geftalt des Senefchalls im 
Gebet mit gefalteten Händen auf einer einfachen Tumba. Die Füfse fetzt 
er auf einen Hund, das Sinnbild der Treue, welches fonft auf mittelalterlichen 
Denkmälern weniger den Männern als den Frauen beigegeben wird. Feine 
korinthifche Pilafter, mit zierlichen Ornamenten bedeckt, umfchliefsen das 
Ganze, oben fchweben zwei Genien mit Blumengewinden, während zwei 
andere den Schild des Ritters halten, auf den fie fich wehmüthig ftützen. 
Das edle Denkmal ift völlig überhaucht vom feinen Geifte der Frührenaiffance, 
und da es wohl das frühefte Monument des neuen Stils auf franzöfifchem 
Boden ift und in eine Zeit hinaufreicht, wo fchwerlich fchon ein einheimifcher 
Künftler die klaffifche Formenwelt zu beherrfchen wufste, fo mufs man es 
unbedingt einem Italiener zufchreiben. Es ift wohl nicht zu gewagt, Laurana 
als den Urheber diefes fchönen Werkes zu bezeichnen. Wir fmd dazu um 
fo mehr berechtigt, als noch mehrere Denkmäler auf franzöfifchem Boden 
diefem Künftler zugefchrieben werden. So vor Allem in der Kathedrale 



') Abb. bei Heifs. 



32 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



von Le Mans das Grabmal Karls von Anjou, Grafen von Maine, Bruders 
des Königs Rene, der 1472 ftarb.') In fchwarzem und weifsem Marmor 
ausgeführt, zeigt es auf einem Sarkophag in den edlen Formen italienifcher 
Frührenaiffance von wahrhaft klaffifcher Behandlung die ausgeftreckt in der 
Rüftung daliegende Geftalt des Verftorbenen, voll ftillen Adels, mit kreuz- 
weis übereinander gelegten Händen, die Füfse gegen den Turnierhelm fetzend, 
das Bild tiefen Schlummers. Völlig im Geift der Renaiffance find die 
nackten, nur mit flatternden Schärpen bekleideten Genien, welche die In- 
fchrifttafel halten. Man lieft: HIC CAROLVS COMES CENOMANIAE 
'OBIIT DIE X AP. MCCCCLXXII. 

Ein anderes Werk, welches man demfelben Künftler zufchreibt, ift ein 
Altar in der Kirche St. Didier zu Avignon, mit einem grofsen Rehef 
der Kreuztragung Chrifti.=') Gehört diefes Werk wirklich demfelben Meifter 
.an, fo hat er in der fchrofifen Realiftik, der derben Ausdrucksweife, den 
Typen und Koftümen fleh dem Einflufs der damaligen nordifchen Kunft 
überlaffen. Bezeichnend aber für den Italiener find die Gebäude des Hinter- 
grunds mit ihren cannelirten dorifchen und korinthifchen Pilafterftellungen 
zwifchen denen Loggien fich öffnen, die mit Zufchauern befetzt find. Diefe 
Architektur hätte fchwerlich ein franzöfifcher Künftler damals zu Stande 
gebracht. 

Auch fonft finden wir Rene als Förderer der Künfte und Verehrer des 
klaffifchen Alterthums. In feiner Kunftfammlung fah man eine Anzahl 
antiker Cameen, die er fich aus Rom verfchafift hatte, daneben venezianifche 
Gläfer, und unter feinen Bildern fand fich eines, in welchem Paris, Venus, 
und »andre Dinge« dargeftellt waren. Genug Rechtstitel, um dem guten 
König Rene einen Platz unter den Förderern der Renaiffance anzuweifen. 

§ 7- 

Geistesrichtung Franz des Ersten. 

DIESE Mifchung, welche der ganzen Epoche befonderen Reiz verleiht, 
kommt zur höchften Entwicklung unter Franz' I langer und glänzender 
Regierung (15 15— 1547). Der König felbft ift der vollendete Ausdruck 
feiner Zeit. Auch er wurzelt mit feinen Empfindungen noch in der Welt 
.des Mittelalters; eine ftattliche Erfcheinung, ritterlich hochgemuth, perfön- 
ilich tapfer bis zur Tollkühnheit, ein gewaltiger Jäger, der überall in den 
-wildreichen Forften Jagdfchlöffer erbaut und auch auf der Jagd fein Leben 
in verwegener Weife auf's Spiel zu fetzen liebt; nicht minder allen ritter- 
lichen Uebungen, befonders der Luft des Turniers hingegeben. Selbft die 

') Vergl. darüber Heifs a. a. O. und Müntz, la renaiffance p. 489 mit Abbildung. — 
Abb. bei Müntz a. a. O. S. 487. 



§ 7- Geiftesrichtung Franz des Erften. 23 

Liebhaberei an Hofnarren dürfen wir auf diefe Rechnung fetzen/) Aber 
daneben ift in feiner reich angelegten Natur nicht minder ftark ausgeprägt 
der Geift der neuen Zeit. Vor allem hoch fteht fein Wiffensdurft, fein Sinn 
für Gelehrfamkeit und Literatur, fein Ankämpfen gegen das bornirte Pfaffen- 
thum der Sorbonne. Ausgezeichnete Gelehrte berief er in fein Land, felbft 
Erasmus fuchte er zu gewinnen, um der freien Wiffenfchaft, gegenüber der 
Scholaftik der Univerfität, eine Stätte zu bereiten. Sein heller Geiftesbhck 
liefs ihn Anfangs, ehe fanatifche Ausfchreitungen ihn ftutzig machten, felbft 
die Reformation mit Theilnahme betrachten, Luther's Schriften lefen, Louis 
de Berquin, den eifrigften der franzöfifchen Reformatoren, aus dem geift- 
lichen Gefängnifs befreien. Ein zweites Mal freilich vermochte des Königs 
Macht den kühnen Mann nicht zu fchützen, der von der Sorbonne ver- 
dammt, zum grofsen Genufs des bigotten Parifer Volkes auf dem Greve- 
platze verbrannt wurde. 

Lebendigen Antheil nahm der König an den klaffifchen Studien und 
der Entwicklung der Literatur. Alterthumsforfcher und Dichter, Gelehrte 
aller Art , namentlich Profefforen der alten Sprachen rief er an feinen Hof, 
gab ihnen anfehnhche Gehalte und nahm, was mehr war, perfönlichen 
Antheil an ihren Arbeiten. Da er felbft der alten Sprachen nicht mächtig 
war, veranlafste er Ueberfetzungen der Klaffiker, und förderte dadurch in 
durchgreifender Weife die Bildung feines Volkes. Zwar wirkte fein Beifpiel 
zunächft nur auf die unmittelbare Umgebung ein, während in der Maffe 
der Nation der mittelalterhche Gefchmack auch in hterarifchen Dingen 
noch lange die Alleinherrfchaft behauptete. Aber es war doch an einflufs- 
reichfter Stelle Bahn gebrochen, und die günftigen Folgen konnten auf die 
Dauer nicht ausbleiben. Der neue Geift verfcheuchte immer mehr den 
finfteren Aberglauben des Mittelalters. Der König felbft ift ein lebendiges 
Beifpiel diefer gemifchten Gefmnung. Unbedenklich nahm er das filberne 
Gitter vom Grabe des hl. Martin in Tours, das der bigotte Ludwig XI 
gefchenkt hatte, ^) und liefs trotz des Widerfpruchs der Geiftlichkeit es in 
Geld verwandeln. Ein andres Mal fieht man ihn in Paris ein von Frevler- 
händen zerftörtes Muttergottesbild von Stein in maffivem Silber erneuern 
und felbft an der Spitze feines Hofes unter dem Geleite der Geiftlichkeit 
in feierhcher Proceffion aufftellen.3) 

Neben jener ernfteren Geiftesrichtung macht fich fodann das fmnhch 
erregbare Naturell des Königs in feiner Vorliebe für heiteren Lebensgenufs 
p-eltend. Sein Hof war der Mittelpunkt von Allem^ was es Glänzendes, 
Geiftreiches, Hervorragendes gab. Früher war die Damenwelt am Hofe 



Contes de Bonav. des Perriers. Vgl. Brantöme, art. Frangois I. — 
de S. Martin, p. 330. — 3) Gaillard, hift. de Franc. I. T. V. p. 434. 

LÜBKE, Gefch. d. RenailTance in Frankreich. II. Aufl. 



2) Gervaile, vie 
3 



54 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes, 



kaum zugelaffen worden, und erft die Königin Anna von Bretagne hatte 
in bedingter Weife Damen an den Hof gezogen. Franz I gab, wie Brantome 
fagt, erft dem Hofe feinen wahren Schmuck, indem er die fchönften und 
hebenswürdigften Damen in grofser Schaar um fich verfammelte. Ein Hof 
ohne Frauen , fagte der galante König , ift ein Jahr ohne Frühhng , ein 
Frühling ohne Rofen, oder wie Brantome hinzufetzt, ein Garten ohne Blumen, 
und gleicht, nach dem naiven Ausdruck des Letzteren eher dem eines 
orientalifchen Satrapen oder Türken als dem eines chriftHchen Königs.') 
Indefs hielt mit der Damenwelt jede Art von Intriguen ihren Einzug, und 
wenn wir nur den zwanzigften Theil der Erzählungen für wahr nehmen, 
fo war der königliche Hof fchon zu Franz' I Zeiten, um den Ausdruck 
desfelben Berichterftatters zu gebrauchen, »affez gentiment corrompue.« 
Jedenfalls glauben wir in dem Grundrifs der könighchen Schlöffer mit den 
vielen Degagements, den zahlreichen verfteckten Treppen und feparirten 
Wohngemächern den Reflex diefes von Liebesintriguen durchzogenen Hof- 
lebens zu erkennen. Nicht minder geben die Erzählungen der Margarethe 
von Navarra, der Schwefter des Königs, ein Bild von dem leichtfertigen 
Ton, der dort herrfchte. 

Unter dem Einflufs folchen Damenregiments entfaltete die Prachthebe 
des Königs fich auf's Höchfte. Er felbft hielt auf reichen, koftbar ge- 
fchmückten Anzug, wie die Porträts der Zeit ihn uns zeigen; und es ift 
bezeichnend, dafs fogar in dem Nebenfächlichen äufserer Erfcheinung, in 
kurz gefchorenem Haupthaar und wohl gepflegtem Vollbart der König fich 
der neuen Zeit und der italienifchen Mode fügte, während das Bürgerthum 
und die Parlamente in alter Ehrbarkeit an der früheren Tracht, langem, 
felbft die halbe Stirn bedeckenden Haar und glattem Kinn, fefthielten,'') 
fo dafs auch darin das Volk fich fcharf vom Hofe unterfchied. Bezeichnend 
ift, wie Pierre Lescot als Canonicus von Notre Dame wegen feines Bartes 
vom Kapitel zurückgewiefen wird, und wie es einer ernften Berathung des 
ganzen Collegiums bedarf, um ihm den Zutritt mit Bart zu geftatten, da 
er nachweift, dafs er denfelben wegen feiner Stellung bei Hofe tragen müffe.^) 
Am edelften tritt uns die Prachtliebe des Königs in feinen künftle- 
rifchen Unternehmungen, den zahlreichen von ihm erbauten Schlöffern und 
ihrer koftbaren Ausftattung entgegen. Die fchönen Teppiche, die Brantome^) 
als Meifterftücke flandrifcher Arbeit rühmt, find mit fo vielem Andern ver- 
fchwunden, aber Manches ift erhalten und wird fpäter zu betrachten fein. 

Brantome, Capit. Francais, art. Montmorenci u. Francois I. Eine erbauliche Idee, 
von der mit Franz I einreifsenden Maitreffenwirthfchaft einen neuen Rechtstitel für die 
ChriftHchkeit des »allerchriftlichften« Königs abzuleiten. — ■ Gaillard, VII, 200. — 3) A. 
Berty, les grands architectes Francais de la renaiffance, p. 69. — ■*) Brantome, Capit. 
Francais, art. Francois I. 



§ 8. Umfchwung der Literatur. 



35 



Aus Benvenuto Cellini's Selbftbiographie erfehen wir, wie vielfeitig das 
Streben des Königs war, fich mit künfllerifch geadeltem Luxus zu umgeben. 
Nicht blofs die Aufträge für koftbare Geräthe und Gefchirre gehören hieher, 
das goldene Salzfafs, die filbernen Vafen und dergl. ; nicht blofs der koloffale 
für Fontainebleau beftimmte Brunnen, fondern felbft für die Münzftempel 
feines Reiches liefs der König durch Benvenuto neue Erfindungen machen. 
Am ftaunenswertheften find aber die zwölf koloffalen filbernen Statuen von 
Göttern und Göttinnen, die als Leuchter um die königliche Tafel aufgeftellt 
werden foUten. ^) Welche Freude der König an feinen künfiilerifchen Unter- 
nehmungen hatte, erfehen wir u. A. aus einem Berichte des enghfchen 
Gefandten Wallop vom 17. November 1540 an Heinrich den VIII.^) Er 
-erzählt, wie der König fich von den englifchen Refidenzfchlöffern Windfor, 
Hamptoncourt, Richmond berichten läfst und dabei die Bemerkung macht, 
<er habe gehört, dafs in diefen Gebäuden, namentlich an den Decken fehr 
viel Gold angewendet fei, während er bei feinen Plafonds koftbare Hölzer 
vorziehe und das Gold nur wenig anwenden laffe ; er halte dies fowohl für 
reicher als für dauerhafter. Der König führt den Gefandten dann durch 
fein Schlofs Fontainebleau, zeigt ihm die verfchiedenen Räume mit ihrer 
prächtigen Ausftattung, das Schlafzimmer mit feiner koftbaren Wand- 
bekleidung, deren Stoff der Gefandte, mit Hülfe des Königs auf eine Bank 
fteigend, mit der Hand prüfen mufs, vor Allem aber die grofse Galerie, 
wo die herrliche holzgefchnitzte Decke und die zwifchen den Fenftern auf- 
geftellten antiken Statuen höchlich bewundert werden. Fügen wir endlich 
noch hinzu , dafs der blühende Zuftand der Nation , gefördert durch die 
verftändige Verwaltung des Königs, der trotz allen Aufwandes feinem Nach- 
folger einen gefüllten Schatz und geordnete Finanzen hinterliefs , diefen 
frifchen Auffchwung begünftigte, der die ganze Epoche in liebenswürdigem 
Lichte erfcheinen läfst. 

§ 8. 

Umschwung der Literatur. 

DIE Einwirkung der klaffifchen Autoren auf die franzöfifche Literatur macht 
fich während der Regierung Franz' I in fteigendem Maafse bemerk- 
lich, nicht wenig gefördert durch die Theilnahme des Königs. Um diefen 
Werken gerecht zu werden, mufs man bedenken, in welch abgefchmackten 
Tändeleien mit Reimen und Worten die franzöfifche Poefie vorher, fich 
gefiel. Die künfthchen Reimereien einfacher, doppelter oder gar dreifacher 



Benvenuto's Biographie bei Goethe, an verfchiedenen Stellen. 
JCing Henry the Eighth. VIII. Vol., p. 479 ff. 



— =2) State papers. 
3" 



36 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geldes. 



leoninifcher Verfe, die Akroftichen, die als Echo wiederholten Schlufsreime, 
die Gedichte mit lauter Worten desfelben Anfangsbuchftabens , kurz alle 
diefe Spielereien mit Form und Inhalt verloren ihre Bedeutung. Dagegen 
erheben fich Dichter wie Marot, zwar wenig glücklich in der Nachahmung 
des Ovid und Properz, aber naiv und Hebenswürdig, heiter und witzig in 
feinen kleineren Gedichten, den Erzählungen, Madrigalen, Epigrammen. 
Auch von Franz I befitzen wir noch eine Anzahl Gedichte voll wahrer 
Empfindung und natürlichen Ausdrucks. Der fchriftftellerifchen Thätigkeit 
feiner Schweiler wurde fchon gedacht. Minder anziehend ift St. Gelais, 
:>der franzöfifche Ovid«, deffen gefpreizte Verfe fchon jenes froftige Wefen 
athmen, in welchem die Franzofen fpäter ihren klaffifchen Styl fanden. 
Bemerkens Werth, mit welchem Eifer die Dichter diefer Zeit felbft die antiken 
Versmaafse nachzubilden fuchen, indem fie dactyhfche und fpondäifche 
Verfe, alcäifche und fapphifche Oden machen. Unglückhche Verfuche, 
dem Geifte der franzöfifchen Sprache zuwider und doch von Einflufs auf 
eine gefchmeidigere Behandlung derfelben. Andere Poeten ahmen lateinifch 
die Alten nach wie Macrin, »der moderne Horaz«, doch ohne günftigen 
Erfolg. Auch auf dem Gebiet des Schaufpiels wendeten der Hof und die 
mit ihm zufammenhängenden Kreife fich von den derben mittelalterlichen 
Farcen und Myfterienfpielen ab, an denen das Volk noch immer mit Leiden- 
fchaft hing. Lazare de Baif überfetzte die Elektra des Sophokles und die 
Hekuba des Euripides, und begründete dadurch das franzöfifche Theater. 
Der gefeierte Dichter der Epoche ift aber der fteife, froftige Ronfard, von 
deffen nüchternen Hymnen und Oden, wäfferigen Sonetten und Madrigalen 
die Zeitgenoffen indefs auf's Höchfte entzückt waren. Brantöme, der ihm 
eine glänzende Lobrede hält,') rühmt die ernften und erhabenen Sentenzen 
feiner Werke, ein Beweis wie fchnell die Franzofen zu jenem hohlen rheto- 
rifchen Pathos übergingen, welches den Charakter ihrer klaffifchen Dichtung 
beherrfcht. 

In anderen Dichtern gewinnt die Poefie einen tieferen Gehalt. Der 
Hugenot Du Bartas, der Patriarch der proteftantifchen Poefie, wie ihn Ranke 
nennt, ^) gibt in feiner »Woche der Schöpfung« der Dichtung einen rehgiöfen 
Inhalt, den er mit folcher Wärme erfafst, dafs man ihn den Vorläufer 
Miltons nennen darf. Der geiftreich bewegliche Charakter der franzöfifchen 
Nation fpricht fich aber am fchärfften in Michel Montaigne aus, dem erften 
völlig freien Vertreter des modernen Geiftes. Daneben wirkt die tiefe 
Gelehrfamkeit eines Scaliger, Muret und Lambin, fowie der beiden Etienne, 
diefer gelehrteften aller Buchdrucker. Ebenfo werden Jurisprudenz und 
Medicin durch Zurückgreifen auf die Alten erneuert, und felbft die Sache 



') Brantöme, Caplt. Franc., art. Henri II. — Franz. Geich. I, 373 ff. 



§ 9- Rabelais und die Thelemitenabtei. 



37 



"der kirchlichen Reformation gewinnt trotz der fanatifchen Verfolgungen 
der Sorbonne überall Boden. Wie aber in der Nation neben allen diefen 
Neuerungen noch immer die Anhänglichkeit an das Alte ihre Wurzeln treibt, 
beweifen die fortwährend erneuten Ausgaben der mittelalterlichen Dichtungen, 
des Amadis de Gaule, Lanzelot du Lac, Triftan, Huon de Bourdeaux, 
Godefroy de Bouillon, Don Flores de Grece u. A., die noch bis in die fieb- 
ziger und achtziger Jahre des Jahrhunderts, wiederholt aufgelegt, aus den 
Druckereien von Paris und Lyon hervorgehen. Und gerade fo lange bei- 
nahe, werden wir finden, bleiben die Reminiscenzen der gothifchen Baukunft 
in Kraft. 

§ 9- 

Rabelais und die Thelemitenabtei. 

DER hervorragendfte Repräfentant jener Vermifchung zweier Weltanfchau- 
ungen, die diefe Epoche fo anziehend macht wie irgend eine Ueber- 
gangsepoche, ifb Meifter Franz Rabelais. In der Form kraus, phantafhifch- 
verworren, als ob er ganz von mittelalterlicher Romantik umfponnen wäre, 
in feinen grotesk übertriebenen Geftalten und Gefchichten die Abenteuer 
der Ritterromane in derber Perfiflage überbietend, gehört er durch feine 
ätzende Satire, feinen kühnen Humor ganz dem modernen Geifte. Wie 
geifselt er die Unwiffenheit , den Zelotismus des Pfaffenthums, die Lafter 
der Mönche, die dünkelhafte Anmafsung der Gelehrten, wie hält er allen 
Thorheiten der Zeit den Spiegel vor! Sein Buch ift wie ein mittelalter- 
licher Bau, gewunden und geheimnifsvoll, überladen mit burlesken Fratzen, 
ftarrend von allerlei Spitzen und Auswüchfen, aber gerade durch diefe 
malerifche Unregelmäfsigkeit anziehend, ja um fo feffelnder, da diefe ganze 
unendlich reiche Compofition ihre Ausführung dem fatirifchen Spott eines 
überlegenen Geiftes verdankt. 

Aber uns ift er von befonderer Wichtigkeit durch die Schilderung 
jener poetifchen Abtei der Thelemiten, in welcher das architektonifche 
Ideal der Epoche Franz' I vollftändig fich ausfpricht. Wir geben die Stelle 
nach der Ueberfetzung von Regis:^) »Des Gebäudes Figur war hexagonifch, 
dergeftalt, dafs auf jedes Eck ein dicker runder Thurn zu fbehen kam, 
6o Schritt im Durchfchnitt ihres Umfangs, und an Dick und Umrifs waren 
fie all' einander gleich. Auf der Seite gen Mitternacht Hef der Loireflufs, 
an deffen Ufer ftund einer von den Thürmen. 312 Schritt betrug von 
einem Thurn zum andern der Zwifchenraum : zu fechs Geftocken alles er- 
bauet, die Keller im Grund mit eingerechnet. Das zweite Stock war korb- 



') Gargantua I. 53 und 55. 



38 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



henkeiförmig gewölbt, die andern mit flandrifchem Gips in Lichtftock-Art^' 
bekleidet. Das Dach aus feinem Schiefer mit Blei-Rücken voller kleiner 
Thier- und Männerfigürlein wohlaffortiret und überguldet, wie auch die 
Regentraufen, die aus der Mauer zwifchen den Fenflerbögen fprangen,. 
diagonalifch mit Gold und Azur bemalt bis zu ebener Erden, da fie in weite- 
Röhren liefen, welche fämmtlich unter dem Haus in den Flufs ausgingen«.. 

»Selbiges Gebäude war taufendmal prächtiger als weder Bonnivet noch 
Chambourg (Chambord) oder auch Chantilly, denn es waren darin 9332 Ge- 
mächer, jedes mit Hinterkammer, Clofet, Kapell, Garderob und Austritt 
in einen grofsen Saal verfehen. Zwifchen jedem Thum in Mitten der 
Mauern jenes Haufes felbft war eine Schneckentreppe quer durch das Haus^ 
gebrochen, die Stufen derfelben theils Porphyr, theils numidifcher Stein,, 
theils Serpentin. In jeder Ruh (Treppenabfatz, Podeft) waren zwo fchöne 
antikifche Bögen, durch die der Tag einfiel, und kam man durch fie in ein 
durchbrochenes Gemach von gleichem Umfang mit der Treppen, flieg dann 
weiter bis über das Dach, da fie in einem Pavillon zu Tag ausging. Nach 
allen Seiten trat man von diefer Schneckentrepp in einen grofsen Saal, undi 

aus den Sälen in die Gemächer und Zimmer Zu mittelft war eine 

wunderbare Schneckentrepp, auf welche man von aufsen herein durch einen 
fechs Klafter breiten Bogen paffirt', und war von folchem Umfang und 
Ebenmaafs, dafs fechs Reifige die Speer in den Hüften bis auf das Dach 
des ganzen Haufes neben einander herauf reiten konnten. Zwifchen den 
Thürmen Anatole und Mefembrine waren fchöne geräumige Galerien mit 
lauter alten Heldenthaten, Hiftorien und Erdbefchreibungen bemalt«. 

»In Mitten des Hofes war ein herrhcher Brunnen von fchönem Alabafter- 
ftein: darauf ftanden die drey Grazien mit den Hörnern des Ueberfluffes 
und gaben das Waffer aus Brüften, Ohren, Mund, Augen und andern 
Oeffnungen des Leibes von fich. Der innere Bau des Haufes über dem 
Hofe ftund auf mächtigen Pfeilern von Chalzedon und Porphyr mit fchönen 
antikifchen Bögen, innerhalb welcher fchöne lange geräumige Galerien waren, 
verziert mit Schildereyen, mit Hörnern vom Hirfch, Rhinozeros, Einhorn, 

Flufspferd, mit Elephantenzähnen und andern Merkwürdigkeiten 

Auf der Flufs-Seit war der fchöne Luftgarten, und mitten darin das artige 
Labyrinth belegen. Zumittelft der beiden andern Thürn das Ballfpiel und 
der grofse Ballen. Dem Thum Kryere gegenüber war der Fruchtgarten 
voller Obftbäume all im Quincunx angepflanzet : hinter demfelben das grofse 

Gehäg, von allen Arten Gewildes wimmelnd Alle Zimmer, Säl 

und Gemächer waren nach den Jahreszeiten verfchiedentlich tapezirt, die 
Böden all mit grünem Tuch bedeckt, die Betten von Stickerey«. 



I) »a forme de culz de lampes«, d. h. alfo »mit fchwebenden Schlufsfteinen«. 



§ 10. Franz I und die Künftler. 



39 



Wer fieht nicht fogleich, dafs die Eigenthümlichkeiten der berühmteften 
Schlöffer jener Zeit dem Dichter vorfchweben. Die Wendeltreppen, die 
bis auf das Dach führen und mit grofsen Sälen in Verbindung ftehen, 
erinnern an Chambord; die Schneckentreppen, auf denen man hinaufreiten 
kann bis auf die Plattform, finden wir zu Amboife ; die mit hiftorifchen 
Bildern gefchmückten Galerien find Fontainebleau entlehnt. Die korbhenkel- 
förmigen Gewölbe mit den fchwebenden Schlufsfteinen , die antiken Bögen 
fammt den Arkaden und der Fontaine des Hofes, die runden Thürme und 
die Eintheilung der Wohnräume, die Bleiverzierung der Dachfirften und 
felbft die Wafferfpeier find Züge, die an allen franzöfifchen Schlöffern der 
Epoche wiederkehren. Dafs Porphyr, Marmor und andre koftbare Steine 
zu den fürftlichen Bauten aus Itahen herbeigeholt wurden, ift uns durch 
mehr als ein Beifpiel, ausdrücklich aber durch die Bauten Karl's VIII und 
Georg's von Amboife') bezeugt. Ein voUftändigeres Bild des damaligen 
franzöfifchen Herrenfchloffes konnte nicht gegeben werden.^) 

§ 10- 

Franz I und die Künstler. 

WIE überall im Leben, fo befonders in der Kunft ergreift der König die 
Initiative. Sein von den Ideen der neuen Zeit bewegter Geift, feine 
heitre Sinnlichkeit und Prachtliebe mufsten fich gerade in Förderung 
der bildenden Künfte am lebhafteften ausfprechen. War in ihm etwas 
Romantifches, fo hatte das keinen Einflufs auf feine künfi:lerifchen Neigungen. 
Er fchwärmte fo wenig für die Architektur des Mittelalters, dafs er den 
alten Louvre abreifsen hefs, um für einen Neubau Platz zu gewinnen, trotz 
der prachtvollen Galerie und Treppe aus der Zeit Karl's V, die dadurch 
dem Untergang geweiht wurden. Dagegen war der König ganz erfüllt von 
der Herrlichkeit der itahenifchen Kunft. Wie viele der berühmteften Meifter 
berief er in fein Land oder beftellte, wenn dies nicht möglich war, bei 
ihnen Kunftwerke. An der Spitze fteht Lionardo da Vinci, den er nicht 
blofs als grofsen Künftler, fondern auch als ausgezeichneten Menfchen 
und wegen feiner vielfeitigen und tiefen Kenntniffe fchätzte. Noch jetzt 
befitzt die Sammlung des Louvre einige der feltenen Bilder des grofsen 
Meifiiers, die aus der Sammlung Franz' I fiiammen, darunter das Portrait 
der Mona Lifa, welches der König mit der für jene Zeit aufserordent- 
lichen Summe von 12,000 Livres bezahlte. 3) Ebenfo berief er Andrea del 



I) Deville, comptes de Gaillon p. Gl und CHI u. Comines, ed. MUe. Dupont II, 585 
Note. — 2) Vgl. die Schrift von Gh. Lenormant, Rabelais et l'architecture de la renaiffance. 
Reftitution de l'abbaye de Theleme. Paris 1840. — 3) Pere Dan, trefor des merveilles de 
Fontainebleau. Paris 1642. 



40 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



Sarto, der aber feine glänzende Stellung verfcherzte, weil er das Ver- 
trauen des Königs mifsbrauchte. ^) Für die Ausfchmückung feines Schloffes 
zu Fontainebleau liefs er Roffo von Florenz^) und Primaticcios) kommen. 
Diefer, den er mit bedeutenden Summen nach Italien fchickte, brachte nicht 
weniger als 125 antike Marmorwerke fowie die Abgüffe der Säule Trajans, 
des Laokoon, der Venus, der Ariadne und anderer berühmten Antiken mit! 
die fämmtlich in Bronze gegoffen und in Fontainebleau aufgeftellt wurden.^) 
Er liefs auch das Pferd des Marc Aurel formen, deffen Gypsabgufs lange 
im Hofe des Schloffes von Fontainebleau ftand, wovon diefer den Namen 
»Hof des weifsen Pferdes« erhielt. Unter Primaticcio war eine Anzahl 
italienifcher Künftler in Fontainebleau befchäftigt, von denen nur Niccolo 
deir Abbate genannt werden möge, der den Ballfaal und die Galerie 
Franz' I mit Wandgemälden fchmückte.s) Von Rafael wufste der König 
fich mehrere vorzügliche Werke zu verfchaffen, darunter den grofsen 
h. Michael und die Madonna Franz' I,^) die, wie wir urkundhch wiffen, 7) 
1. J. 1518 als Gefchenk des Herzogs von Urbino an den König abgefandt 
wurden. Von Tizian liefs der König fich felbft malen, wahrfcheinlich nach 
einer Medaille; es ift das prächtige Profilportrait, welches man im Louvre 
fieht. Am anfchaulichften fchildert Benvenuto Cellini den Verkehr des 
Königs mit feinen Künfllern. Er giebt ihnen eigene Wohnungen und 
Werkftätten, nimmt durch wiederholte Befuche Augenfchein vom Fortfehritt 
ihrer Arbeiten, ermuntert fie durch Theilnahme und Lob und belohnt fie 
mit fürftlicher Freigebigkeit. So gab er Primaticcio die Abtei von S. Martin 
zu Troyes; auch Benvenuto hatte er eine Abtei zugedacht. 

Es ift bezeichnend, dafs unter diefer Schaar von Künftlern, denen fich 
noch andere anfchloffen, kein Architekt genannt wird. Wir werden bei 
der Mufterung der Bauten fehen, dafs es wahrfcheinlich meift franzöfifche 
Baumeifter waren, welche die Schlöffer des Königs aufführten. 9) Dagegen 
fanden fich in Frankreich keine Künftler vor, denen man die innere Aus- 
fchmückung der Gebäude im Sinn der neuen Zeit mit Stukkaturen, Bild- 
werken und Gemälden hätte anvertrauen können. Wohl fanden wir' fchon 
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den ausgezeichneten Miniatur- 
maler Jean Foucquet, in deffen Bildern bereits Anklänge der Renaiffance, 
architektonifche Hintergründe mit antiken Gebäuden auftauchen; wohl find 
im 16. Jahrhundert die beiden Clouet, Vater und Sohn, als Portraitmaler 

Vafari, ed Le Monn. V. di A. del Sarto VIII, 270 ff. — 2) Valari, V. del Roffo 
IX, 76 ff - 3) Vafari, V. d. Primaticcio XIII, 3 ff - Vafari, V. di Zucchero XII 132 
- s) Vafari, Vita di Primaticcio XIII, p. 6. - 6) Villot, Notices des tableaux du Louvre 
ec. d'Italie, Nr. 377. 382. - 7) Gaye, Carteggio II, 146. - 8) ß. Cellinis Selbftbiographie 
m Goetlie's ^'erken. - 9) Schon Felibien, entretiens II, 55 ff vindicirt den franzöfifclien 
Künftlern diefer Epoche ihr Verdienft. 



§ 10. Franz I und die Künftler. 



41 



am franzöfifchen Hofe hoch gefchätzt und vielfach verwendet;') auch lernen 
wir aus den Baurechnungen von Gaillon zahlreiche einheimifche Maler 
kennen, die mit Ausfchmückung der Gemächer betraut werden: aber jene 
bedeutenderen Meifter fmd offenbar nur in Arbeiten kleinen Maafsftabes 
und befonders im Portrait bewandert, und diefe letzterwähnten gehören 
ohne Zweifel einer mehr handwerklichen Praxis an, die fich nicht über 
das Niveau blos dekorativer Architekturmalerei und des Vergoldens und 
Bemalens von plaftifchen Werken ganz im Sinne des Mittelalters erhob. 
So finden wir denn auch in Gaillon zu den Malereien höheren Ranges 
einen Italiener, den Andrea de Solario,^) verwendet, und für denfelben 
Theil der Ausftattung mit Gemälden und Stuckaturen fehen wir überall, 
namentlich im Schlofs Madrid und zu Fontainebleau , italienifche Künftler 
herbeigezogen. Erfh im Jahre 1541 wurde, wie es heifst für den Neubau 
des Louvre, Serlio berufen, der dann zu St. Germain und längere Zeit zu 
Fontainebleau thätig war; 3) aber Spuren feines Schaffens vermögen wir 
nicht nachzuweifen. 

Von der Baulufh des Königs geben nach fo vielen Zerffcörungen immer 
noch manche der prächtigften Werke der franzöfifchen Renaiffance, mehr 
aber die Aufnahmen Du Cerceaus Kunde, der dem König das Zeugnifs 
ausftellt:'') »le Roy Frangois I eftoit merveilleufement addonne apres les 
baftimens«. Mit noch gröfserer Bewunderung fpricht Brantome^) von der 
Pracht feiner Bauten und ihrer reichen Ausftattung, die um fo gröfseren 
Eindruck macht, wenn man fie mit der Dürftigkeit der Ausftattung ver- 
gleicht, welche noch zu Karls VIII Zeiten bei den königlichen Schlöffern 
nicht ungewöhnlich war.^) Fügen wir endlich hinzu, dafs im Jahr 1536 
durch genuefifche Fabrikanten der Grund zur Lyoner Seideninduftrie gelegt 
wurde, und dafs zu gleicher Zeit die Buchdruckerkunft auch in Frankreich 
einen Auffchwung nahm, der wie in geiftiger fo auch in materieller Beziehung 
von grofser Bedeutung wurde, fo haben wir in kurzen Andeutungen die 
künftlerifchen Beftrebungen diefer regfamen Epoche berührt. 

Wie nun die Fürften es waren, von denen die Renaiffance in Frank- 
reich ausging, fo haben fie auch der Architektur dort das Gepräge ihres 
Wollens und ihres Geiftes aufgedrückt. Denn nicht blofs fchritten fie im 
Erfaffen der neuen Ideen überhaupt ihrem Volke voraus: es mufsten auch 



i) Vgl. das Werk des Grafen de Laborde, la renaiffance des arts ä la cour de France. 
Paris 1850. T. I und dazu die gediegene Recenfion Waagen's im Deutfchen Kunftblatt 185 1. 
Nr. 9 ff. — 2) A. Deville, comptes des depenfes de la conftruction du chäteau de Gaillon. 
Paris 1850. p. CXXXV. — 3) Felibien a. a. O. II, 57. — ■*) Les plus excellents baftimens de 
France. — s) Brantöme, Capit. Franc, art. Francois I. — 6) Man vgl. bei Brantörae, ibid. 
art. La Roche du Maine die Billets, welche die Königin Anna wegen Inftandfetzung des 
Schloffes Chinon an den Kaftellan desfelben richtet. 



42 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



im Einzelnen, in Anlage und Ausführung der Bauten ihre Anfchauungen 
und Lebensgewohnheiten beftimmend werden. Dies bedingt den eigen- 
thümlichen Charakter der franzöfifchen Renaiffance. In Italien ging die 
neue Kunft aus dem Volk hervor, wurde von grofsen Meiftern im begei- 
fterten Studium der Antike aus freiem Impulfe gefchafifen und dem ge- 
fammten Leben der Nation zum idealen Ausdruck hingefbellt. In Frank- 
reich wurde fie durch den fouverainen Willen der Fürften eingeführt. Aber 
fo viele italienifche Künftler fie ins Land riefen, doch ift die Renaiffance 
bis zur letzten Lebenszeit Franz' I ganz original franzöfifch. Kein Werk 
vermöchten wir nachzuweifen, das man italienifchen Architekten zufchreiben 
könnte, es fei denn dafs die Italiener fich der franzöfifchen Weife bis zur 
Verleugnung der eigenen anbequemt hätten. Dergleichen mag allerdings 
bisweilen vorgekommen fein. Benvenuto erzählt wenigftens wie er das 
Modell zu einem Portal des Schloffes Fontainebleau gemacht, wobei er fo 
wenig als möglich die Anlage des gegenwärtigen zu verändern dachte. »Es 
war, fagt er, nach ihrer franzöfifchen Manier, grofs und doch zwergen- 
mäfsig, feine Proportion wenig über ein Viereck und oben drüber ein halbes 
Rund, gedrückt nach Art eines Korbhenkels«. Ebenfo finden wir bei SerHo, 
namentlich im VII Buche, eine Anzahl von Kaminen, Schornfteinen , Ent- 
würfe zu Fagaden mit hohen Dächern und Dachgefchoffen, die, wie er felbft 
bemerkt, durch die Kreuzftäbe der Fenfter, die Wendeltreppen, die Man- 
farden und die Form der Kamine fich der franzöfifchen Weife fügen. ^) Jeden- 
falls war alfo die Einwirkung der nationalen Sitten, Anfchauungen und Be- 
dürfniffe fo ftark, dafs felbft die hochmüthigften itahenifchen Künftler fich 
ihnen fügen mufsten, ohne fie irgend im Wefentlichen umgeftalten zu können. 
Mit Ausnahme der Innern Dekorationen, von denen wir fchon gefprochen 
haben, und für die man vorzugsweife die Italiener berief, dürfen wir an- 
nehmen, dafs die Bauten diefer ganzen Epoche von franzöfifchen Meiftern 
entworfen und ausgeführt wurden. Auch fehlt es nicht an Beweifen, dafs 
die franzöfifchen Architekten fchon früh fich mit der neuen Bauweife ver- 
traut gemacht hatten. In den Rechnungen von Schlofs Gaillon 3) kommt 
ein Meifter Pierre Delorme vor, von dem es heifst, dafs er verftehe »faire 
ä l'entique et ä la mode frangoife«. FreiHch waren diefe tüchtigen Künftler 
noch ganz nach mittelalterlicher Weife befcheidene Werkmeifter, die nicht 
wie die verwöhnten Italiener fich als hochgeftellte Männer fühlten. Das 
beweift nicht blofs die Art, wie mit ihnen gefchäftlich verkehrt wird, fondern 



^) Benv. Cellini Buch III, C. 6. — Befonders Cap. 27, 29, 32 »delle fineftre nei tetti 
al coftume di Francia«. Cap. 33, 41, 71 »la quäle (cafa) per due conditioni larä alla Fran- 
cefe: cioe per le fineftre a cro.ce et per la limaca publica fuor die mano; perciocche non 
tengono conto della fcala piü in vn luogo, che nell' altro, pur che montino ad alto alle 
loro commoditä«. — 3) Deville, a. a. O. p. CI und 405. 



§11. Grundzüge der franzöfifchen Renaiffance. 



43 



auch der Umftand , dafs kein Gefchichtfchreiber ihre Namen aufbewahrt 
hat, und dafs erft der neueren Forfchung gelungen ift, fie aus vergilbten 
Akten der Archive zu ermitteln. Gleichwohl fehlt es unter den Zeitgenoffen 
nicht an einem kräftigen Bewufstfein künftlerifcher Tüchtigkeit, und Charles 
de Sainte Marthe ') fagt, in feinen Confeils aux poetes, allerdings nicht ohne 
dichterifche Uebertreibung : 

»Qu'a ritahe ou toute l'Allemaigne, 

La Grece, Escoffe, Angleterre ou Espaigne 

Plus que la France? Eft-ce point de tous biens? 

Eft-ce qu'ils ont aux arts plus de moyens? 

Tant Ten fauldra que leur veuillons ceder 

Que nous dirons plus toft les exceder.« 
Am heften aber zeugen für diefe alten fchlichten franzöfifchen Meifter ihre 
Werke, die wir nun betrachten wollen. 

Grundzüge der französischen Renaissance. 

TY/ENN die italienifche Renaiffance fich die Aufgabe geftellt hatte, dem 
Vv ganzen Leben nach allen feinen Beziehungen, privaten und öffentlichen, 
weltlichen und religiöfen, einen künftlerifch verklärten Ausdruck zu fchafifen, 
lo kann man von der franzöfifchen Baukunft diefer Epoche^) nicht ein 

I) Citirt von Viollet-le-Duc, Dict. de l'arch. fr. III, i86 Note. — Unfere Darftellung 
beruht faft überall auf eigener Anfchauung, fowie auf folgenden Publikationen. Hauptwerk : 
J. Androuet du Cerceau, les plus excellents baftimens de France. Fol. Yol. I. Paris 1576. 
Vol. II, 1579. — J. Fr. Blondel, architecture francoife. 4 Vols. Fol. Paris 1752 ff. — 
Neuere Aufnahmen: A. Berty, la renaiffance monumentale en France. Paris. 2 Vols. 4. — 
Gl. Sauvageot, choix de palais, chateaux, hotels et maifons de France. 4 Vols. Fol. Paris. 

— E. Rouyer et D. Darcel, l'art architectural en France. Fol. Paris 1863, ff. — H. Deftailleur, 
recueil d'etampes rt^latives ä l'ornementation des appartemens. Fol. Paris 1863 ff. — Verdier 
et Cattois, architecture civile et domeftique. 2 Vols. Paris 1855 u. 1857. — Archives de 
la commiffion des monuments hiftoriques. Fol. — Einiges in Gailhabaud. — Werthvolle 
Bemerkungen in Viollet-le-Duc, Entretiens für l'architecture. T. I. Paris 1863. gr. 8 u. 
Kupferatlas in fol. — Ebenfo in desfelben Verf. Dictionnaire de l'architecture, namentlich in 
den Artikeln chäteau, escalier, maifon, manoir, palais etc. — Malerifche Anflehten in Chapuy's 
Moyen äge monumental und desf Verf. Moyen äge pittoresque, fowie in Du Sommerard, 
les arts du moyen äge; ferner in den Voyages dans l'ancienne France, par Taylor, Nodier etc. 

— Cotman et Turner, antiquites de la Normandie. — Baron de Wismes, ^glifes et chateaux 
de la Vendee, du Maine et de l'Anjou. Fol. Paris. — Victor Petit, chateaux de la vallee 
de la Loire. Fol. Paris 1860. - G. Eyries et P. Perret, les chateaux hiftoriques de la 
France. Paris 1882 ff. Fol. — Ad. Michel, l'ancienne Auvergne et le Velay. Moulins 1843. 

— Neuerdings erfcheint das Prachtwerk von Leon Paluftre, la renaiffance en France. Paris 
1880 ff. Fol. Bis jetzt 10 Lieferungen. Gründhche hiftorifche Unterfuchungen mit treff- 
Hchen malerifchen Radirungen von E. Sadoux. — Dazu mein Auffatz «Zur franzöfifchen Re- 
naiffance*. Nord und Süd 1882. — Werthvoll auch die alten Stiche von Ifrael Silveftre 



44 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



Gleiches fagen. Sie dient faft ausfchliefslich weltlichen Intereffen, ift haupt- 
fächlich zum glänzenden Schmuck des vornehmen Lebens gefchaffen. Die 
Städte, das Bürgerthum und das Volk überhaupt, halten noch lange feft 
an den Traditionen der alten Kunft, und die neue Bauweife dringt bei ihnen 
erft zur Zeit Heinrichs II in merklicher Weife ein. Namentlich aber ver- 
harrt der ganze Kirchenbau bis in die Mitte des i6. Jahrhunderts beim 
gothifchen Stile, der zwar bald einige antike Details annimmt, aber nach 
Planform und Conftruction treu an der mittelalterlichen Ueberlieferung hält. 

Anders fteht es um den Schlofsbau. Zwar geht auch diefer in der 
Grundgeftalt von der feudalen Burg der gothifchen Epoche aus, behält in 
Anlage und Eintheilung wie im gefammten Aufbau die mittelalterliche Form 
bei, aber doch in wefentlich neuem Sinn. Jene Form wird fortan eine Maske, 
die einen völlig veränderten Inhalt birgt. Schon feit dem Anfang des 
15. Jahrhunderts hatte man die alten Schlöffer unbehaglich gefunden. Die 
engen Höfe, die maffigen Thürme, die geringen Lichtöfifnungen, der ganze 
blos auf Vertheidigung berechnete Charakter wurde drückend und läftig 
in einer lebensluftigen Zeit, deren Sinn auf heiteren Genufs gerichtet war. 
Ohnedies waren die Befeftigungen durch die Einführung des fchweren Ge- 
fchützes und durch das Uebergewicht der königlichen Macht unhaltbar ge- 
worden. Aber den Schein des Feudalfchloffes wollte man doch aufrecht 
halten, da traditionelle Vorurtheile zu feft daran hafteten. Aufserdem hatten 
manche Lebensgewohnheiten, die ihren Ausdruck in den Schlöffern ge- 
funden, fich fo in die neue Zeit vererbt, dafs man fie nicht aufgeben mochte. 
Daher die vielen verfteckten Gänge und Treppen, die hohen Dächer mit 
dem Wald von Kaminen, die Dachgefchofse mit giebelgefchmückten Fenftern, 
die felbftändige Bedachung der einzelnen Gebäudetheile, vor Allem die ge- 
waltigen runden Thürme und endlich die Waffergräben mit Wällen und 
Zugbrücken. In Chambord ift die mittelalterliche Tradition fo vorherrfchend, 
dafs felbft der Donjon in den Plan des Baues aufgenommen wird. In der 
Gefammtanlage bleibt es bei der Anordnung, wie fie fich im Mittelalter 
herausgebildet hatte : jedes vollftändige Schlofs hat zwei Höfe, einen äufseren 
(baffe cour), um welchen fich die Stallungen und Wirthfchaftsgebäude grup- 
piren, und einen inneren (cour d'honneur), den die herrfchaftlichen Wohn- 
räume fammt den Dienftlokalen umgeben. Ein Waffergraben, fowie Mauern 
mit Thürmen umfchliefsen die ganze Anlage völlig wie in der feudalen Zeit. 
Ein anfchauliches Beifpiel bietet der unter Figur 13 beigefügte Grundrifs 
des Schloffes von Bury. Ueber eine Zugbrücke A, die von zwei Thürmen 
eingefchloffen wird, gelangt man in den Haupthof F, den die Wohngebäude 

und Matth. Merian. — Wichtige hiftorifche Unterfuchungen giebt A. Berty, les grands archi- 
tectes Fran^ais de la renaiffance. 8. Paris 1860, fowie Graf de Laborde, la renaiffance des 
arts ä la cour de France. Tom. I. Paris 1850. 8. (p. 353—538.) 



§ II. Grundzüge der franzöfilchen Renaiffance. 



45 



umgeben. In H ift eine lange Galerie, das Prachtftück der franzöfifchen 
Schlöffer diefer Epoche. Eine doppelte Freitreppe führt hinab in den herr- 
fchaftlichen Garten E, der von einer Mauer mit Thürmen umfchloffen wird 
und bei G eine kleine Kapelle hat. Ein Gemüfegarten D mit Obftbäumen, 
Spaheren und einem Taubenhaufe in Form eines Thurmes K fchUefst fich 
daran. Vor diefem liegt der Wirthfchaftshof C mit feinem befonderen Ein- 
gang bei B, den ebenfalls in mittelalterlicher Weife eine Zugbrücke bildet. 




Fig. ij. Scblol's von Biiry. (Du Cerceau und VioUet-le-Duc.) 



Aber alle diefe Formen erhalten einen neuen Sinn. Die Thürme, ehe- 
mals nur zur Vertheidigung dienend, mit fpärlichen Oefifnungen, mit Zinnen- 
kranz und Machicoulis, werden zu Wohnräumen, erhalten grofse Fenfter 
zum Ausfehauen in die Landfchaft. Ueberhaupt wo man früher fich nach 
innen zurückzog, legt man jetzt die Flucht der Wohnräume gern nach aufsen, 
um des BHckes in die umgebende Natur froh zu werden. Denn nicht blofs 
der vorbeiziehende Strom, Wald und Wiefe und ein Hügelzug locken zur 
Ausficht: auch die Kunft trägt zur Verfchönerung der Umgebung bei. 
Gartenanlagen, Blumenparterres, mit Terraffen, Pergolen und Springbrunnen 
gefchmückt, umgeben fortan den Herrenfitz, und ein ftattlicher Park macht 
den Uebergang zu Wald und Feld. Während früher das Schlofs fich finfter 
gegen aufsen abfperrte, öffnet es fich jetzt feftlich einladend. 



46 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



So geftaltet fich nun auf mittelalterlicher Grundlage alles Einzelne in 
neuem Sinne. Der Eingang, früher aus einem grofsen Thorweg und einem 
Nebenpförtchen für Fufsgänger beftehend, wird jetzt zu einem prächtigen 
hohen Portal mit antiker Einfaffung. Statt des Zinnenkranzes fieht man 
wohl eine durchbrochene Galerie von mannigfaltiger Zeichnung, darunter 
einen Bogenfries mit Mufchelfüllungen, eine Reminiscenz romanifcher Kranz- 




Fig. 14. Vom Schlofs zu Blois. (Baldinger nach Phot.) 



gefimfe. (Fig. 14.) Die Fenfter der Dachgefchoffe (Lucarnen) bewahren 
ihren gothifchen Aufbau mit Pfeilern, Strebebögen und zierHcher Krönung, 
aber die Formen werden fpielend in antikifirende Elemente überfetzt. 
(Figur 14 und 15.) Von der geiftreichen Mannigfaltigkeit, welche gerade 
in diefen beliebten Bildungen herrfcht, geben die Abbildungen in § 21 
(Blois), § 32 (Chenonceaux) , § 33 (Bury), § 36 (Chantilly), § 38 (Azay- 



§ II. Grundzüge der franzöfifchen Renaiffance. 47 

le-rideau) weitere Anfchauung. Die Fenfher überhaupt behalten noch 
geraume Zeit die fteinernen Kreuzpfoften der gothifchen Epoche, und 
auch in ihrer Umrahmung macht fich das feine Kehlen- und Stabwerk 




Fig. 15. Hotel Ecoville zu Caen. 



des Mittelalters geltend. In der Gefammtanlage ift man häufig gebunden 
durch die Unregelmäfsigkeit der älteren Theile, die man wie in Blois, 
St. Germain, Gaillon, Fontainebleau und vielen andern Orten benutzte. 



48 



Kap. I. Umwandlung des Iranzölilchen Geiftes. 



Man ficht daraus, wie wenig diefe Zeit eine fymmetrifche Anlage als 
unerläfsliche Grundbedingung gelten liefs. Wo man aber frei verfügen 
konnte, ftrebte man möglichft nach regelmäfsiger Grundrifsbildung, die 
im Einzelnen jedoch nicht zu ftreng fymmetrifch gebunden war. Nament- 
Hch find es die Treppen, durch welche ein Element zwanglos male- 
rifcher Anlage von hohem Reiz in diefe Bauten eingeführt wird. Man 
zieht diefelben nicht wie in Italien in die Dispofition des Innern hinein, 
fondern legt fie in mittelalterlicher Weife in runde oder polygone Thürme, 
die in den Ecken des Haupthofes, oder auch aus der Mitte einer Hofifagade 
vorfpringen. Diefe Treppen find immer Wendelfi;iegen , bisweilen rampen- 
artig ohne Stufen auffteigend wie in Amboife. Die damalige franzöfifche 
Sprache kennt noch nicht den Ausdruck »escalier«, gebraucht vielmehr 
immer das Wort »vis«. Die Hauptftiege wird oft zu einem grofsartigen 
Prachtftück der Conftruction und Ornamentik, wie zu Chambord, wo fie 
mit doppeltem Lauf durchgeführt ift, fo dafs die Auf- und Abfteigenden 
fich nicht zu begegnen brauchten. Auch dies ift eine Tradition des Mittel- 
alters.^) Den oberen Abfchlufs bildet dann gewöhnlich ein Pavillon oder 
eine durchbrochene Laterne. In anderen Fällen, wie in Gaillon und Blois 
(vgl. die Fig. in § 21) befteht das Treppenhaus aus einem Syftem von Pfeilern 
und Bögen, in luftiger Durchbrechung von allen Seiten geöffnet. 

Mit diefem Streben nach heiterer Pracht hängt die breitere Anlage 
der Höfe zufammen, die aufserdem manchmal im untern (Fig. 16), auch 
wohl in den oberen Gefchoffen Arkaden erhalten, in der Regel jedoch nur 
an einer oder zwei, fafl; nie an allen Seiten durchgeführt. Die einzelnen 
Flügel des Gebäudes haben ftets nur die Tiefe eines Zimmers, und die 
Räume Hegen in einfacher Flucht neben einander. Dadurch wurde um fo 
mehr eine gröfsere Anzahl von Verbindungen und befonderen Treppen er- 
fordert, und in der That zeichnen fich die Gebäude diefer Epoche durch 
ihre zahlreichen Treppenanlagen aus. Die Schlöffer Franz' I zerfallen meift 
wie Chambord, Madrid, La Muette und andre in eine mehr oder minder 
grofse Anzahl felbftändiger Logis, jedes aus einem Wohnzimmer, Schlaf- 
kabinet, Garderobe und Retraite befi:ehend , aufserdem mit eigenem Ein- 
gang und befonderer Treppe verfehen. Für die gemeinfame Gefelligkeit 
ift dann in jedem Stockwerk ein gröfserer Saal, oder auch mehrere Säle 
mit möghchft centraler Anlage befliimmt. Das Prachtftück der bedeuten- 
deren Schlöffer ift die Galerie, ein Saal von fchmaler aber aufserordent- 
lich langer Anlage, in den Verhältniffen den Sälen der altaffyrifchen Pa- 
läfte auffallend ähnhch, wohl eine Reminiscenz des grofsen Verfammlungs- 



') Vgl. die Notiz über eine folche Treppe im Klofter der Bernardiner zu Paris, bei 
VioUet-le-Duc, Dict. de l'arch. fr. V. 306. 



§ II. Grundzüge der franzöfifcheu Renaiffance. 



49 




Fig. i6. Seus. Erzbifchöfl. Vahü. Hofarkade. (Saiivageot.) 



faales mittelalterlicher Schlöffer. Letztere indefs waren ftets mehrfchiffig 
und machten fchon dadurch, wie durch die vielen Wölbungen auf fchlanken 
Säulen und die hohen, breiten mit Glasgemälden gefchmückten Bogen- 
fenfter einen ganz andern Eindruck als diefe Galerieen mit ihren in Gold. 

LÜBKE, Gefell, d. RenailTance in Frankreich. II. Aufl. 4 



50 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



und Farben fchimmernden Plafonds, ihren Gemälden und überreichen Stuck- 
dekorationen. Die Bedeckung der Räume befteht meiftens aus einem reichen 
hölzernen Kaff ettenwerk (Fig. 17); indefs werden bald durch die italienifchen 
Künftler für die Prachträume glänzende Stuckdecken eingeführt. Doch 
hat die franzöfifche Renaiffance nicht die Abneigung der italienifchen gegen 
das Kreuzgewölbe; vielmehr wendet fie dasfelbe in Treppenhäufern, Sälen, 
Kapellen und wo es fonft erforderlich ift, gern an, und zwar mit mittel- 
alterUch profilirten Rippen, Confolen, Schlufsfteinen und felbft freifchwebenden 




Fig. 17. Haus der Agnes Sorel. Decke im Obergefchofs. 



Zapfen. Die Form des Bogens ift aber nicht mehr die gothifche, fondern 
meift die eines gedrückten Bogens, nach Art eines Korbhenkels, wie fie 
fchon die letzte gothifche Epoche hervorgebracht hatte. (Fig. 18.) Der 
regelmäfsige Rundbogen bricht fich erft allmählich Bahn. 

So ift alfo in der Gefammtanlage, den hohen Dächern mit ihren Fenftern 
und Kaminen, den Thürmen und den Wendeltreppen die ganze malerifche 
Anlage des Mittelalters erhalten. Der Antike gehört nur die leichte Be- 
kleidung mit gewiffen Detailformen, die Einfaffung von Fenftern und Por- 
talen, die Eintheilung der Wandflächen mit Pilaftern oder Halbfäulen, die 



Fig. i8. Galerie im Schlofs La Rochefoucauld. (Baldinger nach Phot.) 



52 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geirtes. 



Ausbildung der Gefimfe und anderer Gliederungen mit den Elementen der 
antiken Architektur. Aber während in Italien man das Gefetzmäfsige diefer 
Formenwelt zu ermitteln und in klaren Verhältniffen zu fixiren fuchte, gilt 
hier keine beftimmte Ordnung, und man wendet Pilafter des verfchieden- 
ften Maafses, endlos geftreckte und zwerghaft verkümmerte, harmlos neben 
einander an. Die Pilafter find in der Regel mit Rahmenwerk, in der Mitte 
und an den Enden mit den in Oberitalien beliebten Rautenmuftern, häufig 
auch mit feinem Laub- und Arabeskenornament gefchmückt. Ueberhaupt 
hat die fpielende, verzierungsluftige Frührenaiffance Oberitaliens weit mehr 
Einflufs aut die franzöfifche Architektur geübt als die ernftere, maafsvoUere 
Bauweife Toscanas. Das zeigt fich befonders in der verfchwenderifchen 
Fülle, mit welcher in den franzöfifchen Bauten der Epoche Ludwigs XII 
und Franz' I auch die übrigen Theile der Architektur, namentlich die Friefe 
mit Ornamenten bedeckt werden. Diefelben find oft von einer Feinheit 
der Zeichnung, einer Anmuth der Erfindung, einer Delicateffe der Aus- 
führung, dafs fie dem Schönften, was Venedig und Florenz in dekorativen 
Arbeiten hervorgebracht, ebenbürtig erfcheinen. Ein Gegenftand der Vor- 
liebe find für die Architekten diefer glänzenden Zeit die zahlreichen Ka- 
pitäle der Pilafter und Halbfäulen, welche fie an ihren Fagaden austheilen. 
Sie nehmen die freikorinthifirende Form des bekannten Kapitälfchemas der 
italienifchen Frührenaiffance auf, das aus einer Akanthusblattreihe befteht, 
aus welcher Voluten, Delphine oder andere figürliche Bildungen hervor- 
wachfen, um die Deckplatte zu ftützen. Aber die franzöfifche Kunft ift 
dabei noch phantafievoller, noch mannichfaltiger in ihren Erfindungen, theils 
weil ihr der mittelalterliche Gedanke unendlicher Varietät desfelben Grund- 
motives tiefer im Blute fteckt, theils weil fie fich weniger an die Mufter 
der Antike gebunden fühlt. Wir geben unter Figur ig als Probe ein 
Kapitäl von Fontainebleau, mit welchem man das Kapitäl in § 50 ver- 
gleichen möge. 

Das Innere diefer prächtigen Gebäude erhielt eine künftlerifche Aus- 
ftattung, in welche ebenfalls das Mittelalter Anfangs noch ftark hineinfpielt. 
Gewölbe und Holzdecken ftrahlten in Gold und Azur/) und es ift erftaun- 
lich, z. B. aus den Rechnungen von Gaillon zu fehen, welch umfaffende 
Verwendung namentlich vom Golde gemacht wurde. ^) Ebenfo wurden die 
Skulpturwerke, welche man nach italienifchem Vorbild nunmehr in Marmor 
ausführte, reichlich vergoldet. 3) Nicht minder leuchteten in den kleinen 
Fenfterfcheiben die Arbeiten der Glasmaler in Bildern , Wappen , Devifen 

A. Deville, comptes des depenfes de la conftruction du chätcau de Gaillon, p. 
CXXX: »paindre et dorer le demourant du plancher de la gallerie haulte, c'eft affavoir les 
courbes, les ogives et les rencos d'or et d'azur. — ^) Ebendafelbft p. CXLVI. — 3) Ebend. 
p. CXXXV. ' ♦ 



§ II. Grundzüge der franzöfifchen RenaifTance. 



53 



und Emblemen mannichfacher Art, und diefs finden wir nicht blofs in dem 
noch halb gothifchen Gaillon,') fondern felbft noch in dem die neue Rich- 
tung entfchieden vertretenden Fontainebleau.^) Was fodann die Form 
der Decken betrifft, fo zeigen diefelben in Treppenhäufern, Veftibuls, 
Corridoren und Kapellen noch lange die gothifchen Rippengewölbe, oft mit 
prachtvoll fculpirten, gemalten und vergoldeten fchwebenden Schlufsfteinen, 
wie im Treppenhaufe des Schloffes Nantouillet, 3) in der Kirche zu Tillieres'«) 
und in manchen andren Beifpielen (vgl. Fig. i8). Die Wohnräume, Zimmer, 
Säle und Galerien erhalten dagegen Holzdecken mit prächtigem Kaffetten- 
werk und eleganten Reliefs, wie man deren fehr fchöne in den Schlöffern 




von Chenonceau und Beauregard,^) vor Allem auch in Fontainebleau^) be- 
wundert. Proben folcher Decken von ausgezeichneter Feinheit des Ge- 
fchmacks und der Ausführung geben wir in Fig. 17 und in § 49. Auch 
an den Portalen, Kapellengittern, endlich an den Täfelungen der Wände 
kommt die vom Mittelalter her trefflich gefchulte Holzfchnitzerei zur An- 
wendung, aber der Stil diefer Werke zeigt durchweg ftatt des Naturalismus 



I) Ebend. p. CXXXVII. — Cte. de Laborde, la renaiffance des arts ä la cour de 
France, p. 281. 377. — 3) Sauvageot, choix de palais, chäteaus etc.. Vol. III. — +) Rouyer 
et Darcel, l'art architectural, Vol. II. — s) Ebend. Vol. I. eine Anzahl vorzüglicher Mufter. 
— 6) Pfnor, Monogr. du palais de Fontainebleau, Vol. II. 



54 



Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



der fpätgothifchen Zeit die edle harmonifche Kunftweife der Renaiffance. 
Endlich dringt von Italien aus auch die eingelegte Arbeit (Intarfia) ein, 
von welcher fich ebenfalls Beifpiele von unübertrefflicher Anmuth erhalten 
haben , wie im Schlofs Ancy-le-Franc , oder es finden fich prachtvolle 
Goldverzierungen in den fchönften Muftern wie Schlofs Anet deren befafs.s), 

An den Wänden herrfcht in der erften Epoche bis gegen Mitte des 
i6. Jahrhunderts die Holzfchnitzerei, daneben aber in ausgedehnter An- 
wendung die Dekoration mit aufgehängten Teppichen, wie fie das benach- 
barte Flandern, vorzüglich Arras in ausgezeichneten Arbeiten lieferte. 
Brantome erzählt mit Begeifterung von den herrlichen Tapeten, welche die 
Schlöffer Franz I fchmückten.^) In Gaillon waren nicht weniger als zwanzig 
Tapeziere und Sticker mit der Ausfbattung des Schloffes befchäftigt.^) 
Genua, Mailand, Florenz und Tours lieferten die Prachtftofife , die grünen, 
blauen, carmoifinrothen Velours, die weifsen Damafte, grünen Tafifetas, die 
mit Wappen , Namenszügen und Emblemen in Farben , Gold und Silber 
geftickt wurden. Die Wände nicht blofs , auch die Möbel, Seffel, Bethen, 
Baldachine, Vorhänge zeigten durchweg folche kofhbare Stoffe. Befondere 
Prachtftücke waren die Kamine, die man ganz im Sinne der Renaiffance 
aufbaute, mit Pilaftern oder Säulen eingefafst, die Friefe mit Arabesken, 
darüber ein Feld mit einem Gemälde, oder einem plaftifchen Werk, alles 
in Marmor ausgeführt (Fig. 20). Fügt man endlich hinzu, dafs die Fufs- 
böden in Sälen, Kapellen, Galerien und felbft im herrfchaftlichen Plofe mit 
emaillirten Platten bedeckt waren, für welche man wohl florentinifche Meifter 
kommen hefs , dafs die Schmiede kunflvolle , prächtig vergoldete Gitter 
und andre Arbeiten lieferten, dafs die Firften der Dächer und die Spitzen 
der zahlreichen Thürme von ebenfalls vergoldeten Bleiverzierungen, bisweilen 
auch, namentlich in der Normandie,^) von glänzenden Fayence-Auff ätzen 
ftrahlten, fo haben wir ein Bild von der alle Theile durchdringenden künft- 
lerifchen Ausfbattung diefer Bauten. 

Es ift wahr: diefe fröhliche Zeit kennt noch kein ftrenges Gefetz der 
Compofition, noch keine klaffifche Durchbildung der Form. Aber fo wenig 
muftergiltig die Einzelheiten find, fo felbftändigen Werth hat diefe Archi- 
tektur als treuer Spiegel der Sitten und Anfchauungen ihrer Zeit, als Aus- 
druck der Lebensgewohnheiten der Fürften und ihres Kreifes, deren Charakter 
wir oben gefchildert haben. Stilreinheit darf man hier nicht fuchen, ebenfo- 
wenig eine correcte Behandlung und Anwendung der Antike; aber eine 
originelle Anjnuth, malerifchen Reiz, den Ausdruck heiteren Lebensgenuffes 



Rouyer et Darcel, Vol. I. — Ebend. Vol. II. — 3) Capit. Francais, art. Fran^ois I. 
— 4) Deville, comptes p. CLVI Iq. — s) Girolanio della Robbia für das Schlofs Madrid, 
Vafari, V. di Luca della Robbia III, p. 72. — ^) Ein Beifpiel in Paluftre II, S. 313. 



§ II. Grundzüge der franzöllfchen Renaiffance. 



55 



än naiver Verfchmelzung und pikanter Verarbeitung heterogener Formen 
wird man diefen liebenswürdig zwanglofen Bauten in hohem Grade zu- 
geftehen. 




Fig. 20. Kamin aus dem Schlofs Du Pailly. (Sauvageot.) 



Gegen Ende der Regierung Franz' I, alfo gegen Mitte des Jahrhunderts, 
beginnt die Antike einen ftärkeren Einflufs zu üben. Man ftrebt nach 
gröfserer Regelmäfsigkeit der Anlage, wie fie fich z. B. im Schlofs von 



56 



Kap. 1. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes. 



Ancy-le-Franc (vgl. den Grundrifs in § 73) zu erkennen giebt. Die Refte 
mittelalterlicher Ueberlieferung fchwinden , die zahlreichen vorfpringenden 
Ausbauten, Eckthürme und Treppenthürme werden unterdrückt, die Treppen 
mehr in's Innere gezogen, aber immer noch einfach angelegt, nach Art 
derer in den florentinifchen Paläften, mit einfachem, durch ein Zeigendes 
Tonnengewölbe bedecktem Lauf, mit ziemlich fteilen Stufen. Jene Treppe 
im Louvre, auf welcher man zur Gemäldegalerie auffteigt, ift ein bezeich- 
nendes Beifpiel. Befonders werden aber die Details in antikem Sinn durch- 
gebildet, die klaffifchen Säulenordnungen ftrenger beobachtet, reiner nach- 
geahmt, übereinftimmender gehandhabt (vgl. Fig. 20), die Wandflächen 
erhalten durch Säulen- und Pilafterordnungen fammt reichem Gebälk und 
Gefims und durch Nifchenwerk eine regelmäfsige Gliederung. Auch dafür 
bietet der Louvre in feinen Hoffagaden das fchönfte Beifpiel. Aber trotz 
der antikifirenden Phyfiognomie werden die fteilen Dächer und die hohen 
Pavillons mit ihren gewaltigen Kaminen beibehalten, nur die Dachfenfl:er 
nicht mehr in gothiflrender Weife behandelt, fondern mit einem fbrengeren 
Pilafterfyftem eingerahmt und etwa durch antiken Giebel gefchloffen. 
Ueberau das Streben nach gröfserer Einfachheit und Ruhe, aber mit der 
fröhlichen Ungebundenheit der früheren Epoche geht viel von dem naiven 
Reiz diefer Bauweife verloren, und bei den Nachfolgern Heinrichs II fchon 
fchleicht fich froftige Nüchternheit ein. Zu gleicher Zeit aber kommen 
häfsliche, willkürliche, geradezu barocke Formen auf, fchwulfhige Glieder; 
gebrochene Gefimfe, Säulenfchäfte mit horizontalen Ringen und willkürlichen 
Ornamenten, endlich Verkröpfungen aller Art, fo dafs der Barockftil hier faft 
früher auftaucht als in Italien. Namentlich gilt dies von der Ausftattung 
des Innern, bei welcher die Holztäfelungen und Teppiche der Wände, fo- 
wie die kunftreichen holzgefchnitzten Decken mehr und mehr von der aus 
Italien eingeführten Stuckarbeit, verbunden mit Malerei, freilich zumeift 
fchon in übertriebenem Pomp und manierirten Formen zurückgedrängt 
werden. Im Ganzen aber, befonders am Aeufseren, bleibt immer noch eine 
gewiffe Tüchtigkeit, Kraft und Gröfse, vertreten durch bedeutende Meifter 
wie Lescot, BuUant, De l'Orme, und die franzöflfche Architektur bewahrt 
bis in die erften Decennien des 17. Jahrhunderts ein unverkennbares Ge- 
präge von Originalität. 



II. KAPITEL. 

DER UEBERGANGSSTIL UNTER KARL VIII UND LUDWIG XIL 

§ 12. 

Nachblühen der kirchlichen Gothik. 

'S ward fchon bemerkt, dafs die Volkskreife, die Ge- 
meinden und der Klerus bis in die Mitte des i6. Jahr- 
hunderts der Renaiffance Widerpart halten. Sie be- 
harren bei den Traditionen des Mittelalters und laffen 
ihre Kirchen, Rath- und Wohnhäufer in gothifchem 
Stil aufführen. Der Kirchenbau zunächft behält in 
Grundrifsanlage und Conftruction das alte Syftem bei, 
und nur in dem übermüthigen Dekorationstrieb des 

_ Flamboyantftiles verräth es fich, dafs die erwachte 

Weltluft, der profane Sinn der realiftifch gewordenen Zeit feinen ftarken 
Antheil auch am kirchlichen Leben fordert. Um einen Begriff von der 
Ueppigkeit zu geben, mit welcher diefer Nachfommer der Gothik in Frank- 
reich auftritt, genügt es, auf die Reihenfolge der in Kugler's Gefchichte 
der Baukunft an betreffendem Ort') aufgezählten Monumente hinzuweifen. 
Werke wie St. Maclou zu Ronen, und die Fagade der dortigen Kathedrale 
(1485 — 1507), wie die Parifer Kirchen^) St. Germain l'Auxerrois, St. Severin, 
St. Gervais, St. Medard, St. Merry, letztere erft feit 1520 erbaut, endlich 
der Thurm von St. Jacques de la Boucherie (1508 — 1522), ferner die feit 1506 
ausgeführte überfchwänglich reiche Fagade der Kathedrale von Troyes und die 
übrigen in demfelben Jahrhundert erbauten Kirchen diefer alterthümlichen 
Stadt, 3) vor allem aber das Prachtftück der Notre Dame zu Brou^) (i 506 — 1 536) 

^) Bd. III, S. 90 — 114. — ^) M. F. de Guilhermy, descript. archeol. des monum. de 
Paris. 2. edit. 8. Paris 1856, p. 140, 154, 178, 184, 171, 224. — 3) A. Aufauvre, Troyes et 
fes environs. 8. Troyes et Paris 1860. — 4) Dupasquier, Monogr. de Notre Dame de Brou. 
Fol. Paris. Vgl. dazu meinen Auffatz in Weftermann's Monatsheften. 1883. 




58 Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

geben nebfb vielen andern Kirchenbauten diefer Epoche ein glänzendes Bild 
von der Nachblüthe der Gothik. 

In diefer fpätmittelalterlichen Form erfchöpfte fich zunächfl jener phan- 
taftifche dekorative Trieb, der diefem Jahrhundert überall, am meiften im 
Norden eigenthümhch war. Man hat die Werke diefes Flamboyantfliles 
bisher in der Regel fchlechthin als »Verfallkunft«, als »gothifchen Zopf« 
wegwerfend behandelt. Mit Unrecht fürwahr, wenn man die Fülle fchöpfe- 
rifcher Kraft, das Ueberftrömen genialer Erfindungen ins Auge fafst, 
die fich darin ankündigen. Gewifs dürfen diefe Arbeiten nicht mit dem 
Maafsftabe des fbreng conftructiven frühgothifchen Stiles des 1 3. Jahrhunderts 
gemeffen werden. In der Conflruction find fie ungleich lockerer als jene, 
und vor allem hat ihre Ornamentik fich im kecken Uebermuth von der 
conftructiven Grundlage losgefagt und führt, unbeirrt von jener, auf eigene 
Fauft ihre bunten Verfchlingungen wie ein lofes Spiel darüber hin. Aber 
welch unverfiegliche Luft am mannigfaltigften Ausdruck dekorativen Lebens, 
welch unabfehbare Reihe von Variationen über dasfelbe Thema, und mit 
welcher Virtuofität des Meifsels vorgetragen, ja jedem Material abgetrotzt 
und abgefchmeichelt ! Ohne Zweifel ift diefe Virtuofität wie jede andere 
nicht das Höchfte in der Kunft ; aber es fteckt in ihr ein gutes Stück 
Steinmetzenpoefie, und der phantaftifche Sinn des Jahrhunderts fand in ihr 
feinen glänzendften Ausdruck. Vor Allem wird das Eine klar: diefer de- 
korationsluftigen Schule kam es zunächft darauf an, in der Ornamentik 
Alles zu übertreffen. Es liefs fich erwarten, dafs, nur erft mit den Formen 
der Renaiffance bekannt, fie keinen Augenblick Bedenken tragen werde, 
auch diefes Ausdrucksmittel dem fchon vorhandenen Vorrath von Zier- 
formen einzuverleiben. Wir werden fehen, dafs es fo kam. 

§ 13. 

Spätgothischer Profanbau. 

WICHTIGER aber für uns find die Privathäufer diefer Epoche, weil in 
ihnen, bei völligem Fefthalten an gothifchen Formen, an gewiffen 
mittelalterlichen Eigenheiten des Grundriffes, die Lebensfreude der Zeit in 
der ftattlicheren Anlage und der reicheren Ausführung charakteriftifch zur Er- 
fcheinung kommt. Eins der fchönften Beifpiele ift das wohlerhaltene Haus 
des Jacques Coeur zu Bourges') (1443 — 1453). Die Mitte haltend 
zwifchen einem feudalen Schlofs und einer Stadtwohnung, lehnt es fich 
an die Stadtmauer mit ihren Thürmen, die es in feinen Grundplan hinein- 
zieht. Ein unregelmäfsiger Hof trennt die Wohnräume von der Strafse. 

Aufnahmen bei Gailhabaud, Denkm. der Baukunft, Bd. III. Vgl. die treffenden Be- 
merkungen in ViolIet-le-Duc's Dictionn. de l'archit. unter dem Artikel »maifon«. T. VI, 
p. 277 ff. 



§ 13. Spätgothifcher Profanbau. 



59 



Drei in den Hof vortretende Treppenthürme gewähren den einzelnen Theilen 
bequemen Zugang und unterftützen die reichliche Anlage von Degagements, 
auf die man fchon im mittelalterlichen Burgenbau grofse Stücke hielt. 
Ueber dem breiten Thorweg mit feinem fchmalen Seiteneingang für Fufs- 
gänger liegt die Kapelle, die ihren eigenen Treppenzugang hat. Zu beiden 
Seiten fchliefsen fich weite Hallen an, gegen den Hof durch Arkaden ge- 
öffnet, für den äufseren Verkehr des Haufes beftimmt. 

Das vollfbändige Bild einer vornehmen Stadtwohnung diefer Zeit ge- 
währt das Hotel de Cluny in Paris, erbaut feit 1485-') Auch hier 
trennt ein Hof, von zinnengekrönter Mauer eingefchloffen, die Wohngebäude 



wird. Mehrere Treppen, hier jedoch nicht mehr in den Hof vorfpringend, 
die Hauptftiege mit einer Freitreppe und Rampe verbunden, bewirken die 
Verbindung mit dem Obergefchofs. Ueber dem Durchgang B, der vom 
Hofe in den Garten führt, tritt auf fchlanken Säulen eine Hauskapelle vor, 
eine im Mittelalter beliebte Anordnung, die uns noch mehrfach begegnen 



I) Vgl. V.-le-Duc, Dictionn. T. VI, p. 286 ff. — Aufnahme in Verdier et Cattois, 
architecture civile et domeftique, T. II, p. 19 ff. Vgl. V.-le-Duc, Dict. T. VI, p. 282 ff 




von der Strafse : eine Anordnung, welche 
bis in die neuefte Zeit bei vornehmen 
Stadtwohnungen in Frankreich geltend 
geblieben ift. Auch hier das grofse 
Portal von einem kleinen Eingang für 
Fufsgänger begleitet, gleich daneben zur 
Linken die Wohnung des Pförtners, die 
durch eine eigene Wendeltreppe und 
durch einen Arkadengang mit der Woh- 
nung in Verbindung fteht. Auch hier 
mehrere Wendeltreppen, welche den Auf- 
gang zu den verfchiedenen Räumen und 
die Verbindung mit dem Garten ver- 
mitteln. 



Fig. 21. Hotel de la Tremouille. Erdgefchofs. 
(Viollet-Ie-Duc.) 



Um diefelbe Zeit, gegen 1490, wurde 
in Paris das Hotel de la Tremouille^) 
erbaut (Fig. 21), welches in den vierziger 
Jahren abgeriffen worden ift. Von glän- 
zend reicher Ausftattung, hat es wieder 
den doppelten Eingang A in einen un- 
regelmäfsigen Hof, der die Wohnräume 
von der Strafse trennt, und auf zwei 
Seiten von offenen Arkaden umgeben 



6o Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

wird. Ein kleinerer Hof O mit einem Brunnen, durch Arkaden mit dem 
Garten zufammenhängend, trennt die Wohnräume von der Küche und ihrem 
Zubehör. Ein zweiter Ausgang, durch die Pförtnerwohnung bewacht, führt 
vom Garten aus in eine Seitenftrafse. 

In demfelben Stil find nun auch gegen Ende des 15. und zu Anfang 
des 16. Jahrhunderts mehrere adlige Land fitze aufgeführt worden, 
die deutlich das Streben nach glänzender Ausftattung verrathen, obwohl 
fich dasfelbe noch gänzlich in gothifchen Formen ausfpricht. Solcher Art 
ift das Schlofs Meillant im Departement du Cher,') erbaut um 1500 
durch den Kardinal Amboife, dem wir fpäter noch als hochherzigem För- 
derer der Kunft begegnen werden. Er errichtete dasfelbe für feinen Neffen 
Karl von Amboife, Herrn von Chaumont, während diefer als Gouverneur 
von Mailand abwefend war. Der Bau zeigt die unregelmäfsige Anlage \md 
die Einrichtung einer mittelalterlichen Burg. Er befteht nur aus einem 
langgeftreckten in ftumpfem Winkel gebrochenen Flügel. Nach aufsen ift 
derfelbe mit zahlreichen Thürmen von unregelmäfsiger Form flankirt und 
an den beiden Enden erheben fich viereckige Thürme mit Machicoulis 
und hohen Dächern. Der weftliche giebt durch feine bedeutende Mauer- 
maffe fich als der alte Donjon zu erkennen. 

Während dies Alles ganz in mittelalterlicher Weife nur den Zwecken 
der Befeftigung dient, fpricht fich der wohnliche, der modernen Zeit eigne 
Charakter an der Innern Seite nach dem ehemaligen Hofe durch die 
grofsen Fenfi:er mit Kreuzftäben, die reich durchbrochenen Galerien, die 
fammt den Fenfterbrüftungen Fifchblafenmufter zeigen, und die hohen reich- 
bekrönten Dachfenfter mit ihren Giebeln aus. Die Aufgänge zu den Wohn- 
zimmern find in drei polygonen Treppenthürmen angebracht, und aufser- 
dem ift an der wefllichen Ecke erkerartig ein achteckiger kleiner Thurm 
ausgebaut. Das Prachtftück der ganzen Anlage ift die Haupttreppe, deren 
Ecken mit kräftig gewundenen Säulen eingefafst und deren Flächen von 
unten bis oben mit Maafswerkmufbern und den Devifen des Befitzers be- 
deckt find. Ueber dem niedrigen Portal find Wappenhalter mit dem Schild 
und den Devifen Karls von Amboife unter drei etwas wunderlichen Balda- 
chinen angeordnet. Der Thurm endet mit einer Terraffe, die von einer 
durchbrochenen Fifchblafenbaluftrade eingefafst wird. Von hier fteigt eine 
mit Krabben befetzte Laterne als Krönung des kräftigen Ganzen auf. 
Unter der Baluftrade zieht fich ein gothifches Kranzgefims hin, das aufser- 
dem noch mit einem Rundbogenfries und Mufchelnifchen bereichert ift. 
Letztere find der einzige Anklang an Renaiffanceformen , der fich im ganzen 
Schlöffe findet. Er kommt aber noch einmal an dem kleinen, übrigens als 



Aufn. in Gailhabaud, Denkm. der Baukunft Bd. III. 



§ 13. Spätgothifcher Profanbau. 



6i 



gothifcher Spitzpfeiler behandelten Brunnen vor, der im, Hofe fich befindet. 
Eine kleine gothifche Kapelle, ebenfalls getrennt vom Schlöffe, vervoll- 
ftändigt die Anlage. 

Ein anderes Werk diefer Zeit ift das Schlofs Chaumont^) (Fig. 22). 
In prächtiger Lage hoch über der Loire, bewahrt es noch ganz fein mittel- 
alterliches Gepräge und die Embleme, welche auch Meillant zeigt, auf 
deffen Befitzer, Karl von Amboife, zum grofsen Theil auch diefer Bau 
zurückzuführen ift. Er befteht aus zwei Flügeln, die fich in unregelmäfsiger 




Form um den Hol gruppiren und an beiden Enden durch mächtige runde 
Thürme mit Machicoulis und hohen Dächern flankirt werden. Der Ein- 
gang, durch einen rundbogigen Thorweg gebildet, liegt in einem hohen 
Pavillon, der durch zwei gewaltige runde Thürme mit Machicoulis und 
fteilen Dächern eingefafst wird. Der Hof öffnet fich zwifchen den beiden 
Flügeln des Baues als freie Terraffe mit köftlicher Ausficht über die Loire. 

I) Vgl. die hiftorilchen Notizen in L. de la Sauflliye, Blois et les environs. 2. edit. 
Blois et Paris 1860. p. 289 ff. 



<52 Kap. II, Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

Das Innere zeigt in feinen Sälen, Zimmern und der grofsen Galerie 
eine prächtige Ausftattung im Stil der Renaiffance, fo dafs man hier in 
vollem Maafse den wohnhchen Eindruck der Schlöffer jener Zeit empfängt. 
Sehenswerth fmd befonders mehrere Tapeten des 15. Jahrhunderts, welche 
zur urfprünglichen Ausftattung des Schloffes gehörten. Auch die grofse 
kreuzförmig erbaute Kapelle, im reichen Flamboyantftil und mit Glas- 
gemälden gefchmückt, verdient Beachtung. Die Formen des ganzen Baues 
zeigen noch den gothifchen Stil. 

Aehnlicher Art ift das Schlofs von Fougeres,') erbaut durch Pierre 
de Refuge, Schatzmeifter Ludwigs XI. Auch hier ift der Eingang durch 
zwei Thürme flankirt, und an den Ecken des Gebäudes treten mächtip-e 

o 

runde Thürme und ein donjonartiger viereckiger Thurm hervor. Der Hof 
ift mit Arkaden eingefchloffen und die Hauptftiege liegt wie gewöhnlich 
in einem reichgefchmückten polygonen Treppenhaus. 

Auch das fchöne Schlofs Martainville,^)im Departement der unteren 
Seine gelegen, zeigt in verwandter Weife noch völlige Abhängigkeit von 
mittelalterlicher Formenwelt, aber in der Anordnung des Grundplans den 
modernen Gedanken behaglich freier WohnÜchkeit (Fig. 23.) In einem 
ausgedehnten von Wirthfchaftsgebäuden auf zwei Seiten eingefafsten, von 
Mauern mit kleinen runden Eckthürmen umfchloffenen Hofe erhebt fich 
■der Hauptbau in Geftalt eines Rechtecks von 70 Fufs Breite bei 48 Fufs 
Tiefe. Auf den vier Ecken fpringen Rundthürme vor, im Innern poly- 
gone Zimmer enthaltend, die als Kabinette mit den Haupträumen in Ver- 
bindung ftehen. Der Eingang liegt bei A in der Mitte der Fagade unter dem 
erkerartig ausgebauten Chor der im obern Gefchofs angebrachten Kapelle: 
eine in Frankreich fich oft wiederholende Anordnung, Ein mit Kreuz- 
gewölben bedeckter Gang trennt den grofsen Saal H von den beiden 
auf der anderen Seite liegenden Zimmern D, G. Am Ende des Korridors 
ift in einem polygonen Treppenhaus die Wendelftiege B angeordnet, die 
zu den beiden oberen Stockwerken führt. Im Hauptgefchofs ift ein Theil 
des Korridors durch eine Querwand als Kapelle abgegrenzt, und auf jeder 
Seite des Ganges fmd zwei mit einander verbundene Zimmer angebracht. 
Das Aeufsere zeigt fich als charaktervoller Backfteinbau, in den oberen 
Stockwerken mit Rautenfeldern und Lilienornamenten in dunkleren Steinen 
gefchmückt. Doch fmd die reichen gothifchen Giebelkrönungen der Dach- 
fenfter in Hauftein ausgeführt. Dies Alles und die lebendige Gefammt- 
gliederung, die vier Eckthürme mit ihren Kegeldächern, der hohe, mit 
Glockenftuhl gekrönte Treppenthurm und der zierliche Chor der Kapelle 
verleihen dem Bau ein hochmalerifches Gepräge. 

^) L. de la Sauffaye, a. a. O, p. 316 ff, — ') Sauvageot, choix de palais, chateaux etc 
Vol. IV, 



§ 13. Spätgothifcher Profanbau. 



63 



Hierher gehört endhch noch eine Reihe ftatüicher Rathhäufer, 
namenthch in den nordöfthchen Provinzen, welche an den prachtvollen 
Stadthäufern des benachbarten Flandern direkte Vorbilder fanden. Sie be- 
ftehen meift aus einer Bogenhalle im Erdgefchofs, über welcher die oberen 
Stockwerke, manchmal durch einen gewaltigen Beftroi gekrönt, in reichem 
Schmuck fpätgothifcher Zeit fich erheben. Aufser den bei Kugler^) fchon 
verzeichneten Rathhäufern von St. Quentin, Noyon und Saumur nennen 
wir die Hotels de ville zu Douay, Dreux und das befonders anziehende 




Fig. 23. Schlofs Martainville. Erdgefchofs. (Sauvageot.) 

ZU Compiegne,^) welches zwar keine Bogenhalle befitzt, aber durch 
baldachingekrönte Nifchen für Statuen, durch eine grofse Flachbogennifche 
mit dem Reiterbild Ludwigs XII und befonders durch den mächtigen Beffroi, 
der fich über der Mitte der Fagade erhebt, ausgezeichnet ift. Das Ge- 
bäude wurde 1499 begonnen und ift gleichwohl noch vollftändig im gothi- 
fchen Stil durchgeführt, abermals ein Beweis wie feft und wie lange die 
bürgerlichen Kreife damals im Gegenfatz zum Hofe an der einheimifchen 
Ueberlieferung fefthielten. 



I) Gefch. d. Baukunft, Bd. III, S. 113 fg. — Aufn. in Verdier et Cattois, arch. civ. 
et dorn. T. I, p. 172 IT. 



64 



Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 



§ > 



Das Schloss zu Amboise. 



LS Karl VIII von Italien heimkehrte, brannte er vor Eifer, ähnliche 



JL \ Herrlichkeiten ausführen zu laffen, wie er fie dort in den prächtigen 
Schlöffern und Villen gefehen hatte. Vom Kardinal Giuliano della Rovere, 
dem fpäteren Papft JuHus II, erhielt er das reich verzierte Modell zu einem 
Palaft gefchenkt, welches Giuliano da S. Gallo für diefen gearbeitet hatte. 
Der Künftler mufste es ihm felbft nach Lyon bringen, wo der König ihn 
mit Freuden begrüfste und reichlich befchenkte. ') Vor Allem liefs aber 
der König Künftler von Neapel kommen für die Arbeiten, mit welchen er 
das Schlofs zu, Amboife (1498) zu verfchönern gedachte. Er unternahm 
dort nach dem Zeugnifs Comines^) fo grofsartige Bauten »wie fie feit hundert 
Jahren kein König ausgeführt hatte« und zwar fowohl am Schlofs wie in 
der Stadt. Mit welchem Eifer der König diefe Angelegenheit betrieb, be- 
zeugt die Quittung eines Nicolas Fagot, welcher bekennt 398 Livres 
5 Sols Tourn. erhalten zu haben für den Transport mehrerer Tapeten, 
Bücher, Gemälde, Marmore und Porphyrfteine und anderer Gegenftände, 
fowie für den Unterhalt von 22 Werkleuten, die der König für feine Ar- 
beiten von Neapel nach Amboife hatte kommen laffen. 3) 

Das Schlofs von Amboife (Fig. 24)-*) ift noch immer ein anfehnlicher 
Bau, der fich mit feinen mächtigen Thürmen und feiner hochgelegenen 
Terraffe dominirend an dem hohen Ufer der Loire erhebt. Von den Bauten 
Karls VIII rühren nach Comines Zeugnifs die beiden gewaltigen Thürme 
C, D, von beinahe 40 Fufs Durchmeffer, in denen man auf einer 20 Fufs 
breiten Rampenfhiege bis auf die Höhe der Terraffe und des eben fo hoch 
gelegenen Schlofshofes zu Pferde gelangen konnte. Den innern Hof A 
umziehen auf zwei Seiten Arkaden, die bei der unregelmäfsigen Anlage in 
einem fpitzen Winkel zufammentreffen. Zahlreiche Wendeltreppen fpringen 
nach innen vor und bewirken die Verbindung in diefen älteren Theilen des 
Baues. Ein Saal von beträchtlicher Gröfse bildet noch heute den wich- 
tigften Theil der inneren Räumlichkeiten. Nach aufsen flankiren mehrere 

') Vafari, Vita di Giuliano da San Gallo, ed. Le Monn. T. VII, p. 219. — 2) Comines, 
1. VIII, cap. 18: »lequel (Charles VIII) eftoit en fon chafteau d'Amboife, oü il avoit entre- 
prins le plus grant edifice que commencea, cent ans a, Roy, tant au chafteau que ä la ville, 
et fe peut veoir par les tours, par oü l'on monte a cheval, et par ce qu'il avoit entreprins ä la ville 

et avoit amene de Naples plufieurs ouvriers excellens en plufieurs ouvraiges, comme 

Tailleurs et Painctres.« — 3) Fontanieu, portef. 149: »vingt deux hommes de meftiers, le- 
quels par fomme icelluy Seigneur a fait venir du dit Napples pour ouvrer de leur meftier a 
Ion devis et plaifir.« cf. Comines, ed. Mlle. Dupont, Paris 1843. T. II, p. 585 Note. — 
4) Aufn. bei Du Cerceau, T. II. Hiftor. Notizen in L. de la Sauflaye, Blois et fes environs,, 
p. 202 ff. Vgl. die fchöne Darfteilung in den Chateaux hiftoriques I, 65 ff. 




§ 14- Das Schlofs zu Amboife. § ij. Das Schlofs zu Blois. 



65 



runde Thürme die Ecken des Schloffes. Eine kleine kreuzförmige Ka- 
pelle B mit polygonem Chorfchlufs, noch völlig gothifch angelegt und aus- 
geführt, tritt ebenfalls aus der Umfaffungsmauer vor. Sie fcheint derfelben 
Zeit anzugehören, ift aber unter der Reftauration durch den Herzog von 
Orleans wieder hergeftellt worden. 




Fio-. 2^. Schlofs zu Amboife. Aeltere Theile. (Du Cerceau.) 

§ 15- 

Das Schloss zu Blois. 



EIN frühzeitiger Tod raffte Karl mitten in feinen Unternehmungen hin, 
und die in lo grofsem Stil begonnenen Bauten blieben unvollendet. 
Ludwig XII aber in feiner langen und glücklichen Regierung (1498 — 151 5) 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 5 



66 



Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 



nahm, erfüllt von der Herrlichkeit italienifcher Kunft, diefe Beftrebungen 
wieder auf und fuchte fich nicht blos Kunftwerke von dort zu verfchafifen, 
fondern auch Künftler für fich zu gewinnen. Er berief den Veronefer Fra 
Giocondo, von welchem Vafari') berichtet, er habe zwei fchöne Brücken 
über die Seine erbaut und fonft noch viele Werke in Frankreich für den 
König ausgeführt. In Wahrheit ift aber nur eine Brücke, die von Notre 
Dame, nachweislich von Fra Giocondo erbaut worden, nachdem die alte 
Brücke im November 1499 eingeftürzt war.^) Erft im Herbft 15 12 ward 
die neue fteinerne, mit Buden befetzte Brücke gänzlich vollendet. Im 
Uebrigen läfst fich weder aus Urkunden, noch aus dem Stil der Bauten 
Ludwigs XII irgendwie die von Vafari gerühmte Thätigkeit des kunft- 
verftändigen Frate beglaubigen. Auch von der alten »cour de comptes« 
imjuftizpalaft zu Paris läfst fich, nach den Stichen Israel Sylveftre's 
zu urtheilen, kein Schlufs auf die Betheiligung Fra Giocondo's ziehen. 

Aber das glänzendfte Denkmal fetzte der König feiner Kunftliebe im 
Neubau des Schloffes von Blois.^) Aus der Stadt Blois ragen zwei 
Hügel auf, von denen der fteilere durch die Kathedrale, der minder hoch 
aufragende durch die ausgedehnten Baulichkeiten des königlichen Schloffes 
bekrönt wird. Das Schlofs, deffen Gefchichte bis in die römifche Epoche 
hinauffteigt, wo es am Ende des 6. Jahrhunderts als Caftrum auftritt, war 
im Mittelalter eine feudale Feflung, zuerft unter den Grafen von Blois, 
dann unter den Herzogen von Orleans. Im Jahr 1433 wird von bedeu- 
tenden Arbeiten dafelbft berichtet, die jedoch ausfchliefslich den Befefhi- 
gungswerken galten. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts veränderte es 
wie fo viele Schlöffer des Mittelalters feinen Charakter und wurde aus der 
kriegerifchen Vefte der Feudalzeit ein glänzender fürftlicher Wohnfitz. 
Ludwig XII, der für feine Geburtsftätte eine lebhafte Vorliebe hatte und 
meiftens hier refidirte, brachte diefen Umbau mit aller Opulenz feiner Zeit 
zu Ende und erbaute das Schlofs, wie Jean d'Auton fagt, ganz neu und mit 
wahrhaft königlichem Aufwand.'') 

Der impofante Bau (Fig. 25) zeigt im Wefentlichen verfchiedene Bau- 
gruppen, Der ältefte Theil, zur Rechten des Eintretenden, bildet die 
nordöftliche Ecke des Ganzen. Er befteht aus dem grofsen Saal H der 



') V. di Fra Giocondo T. IX, p. 159 u. Note 2. — Humbert Vellay, chroniques, 
cap. 15 erzählt, dafs der König die eingeftürzte Brücke »fit rebatir de pierre avec beaucoup 
de curiofite, et le rendit plus beau et commode qu'il n'avoit ete auparavant.« — 3) Aufn. bei 
Du Cereeau, Tom. II und in den Monum. Hiftor. Vgl. dazu das Gefchichtliche in L. de la 
Sauffaye, hift. du chateau de Blois. 4. edit. Blois et Paris 1859. 8. — • »tout de neuf et 
tant fomptueux que bien fembloit oeuvre de Roy.« — s) Wir geben trotz einiger Un- 
genauigkeiten den Grundrifs nach Du Cereeau, der die Umgeftaltungen der Zeit Gaftons 
noch nicht kennt. Den heutigen Zuftand ftellt der Grundrifs in den Monum. Hift. dar. 



§ 15- Das Schlofs zu Blois. 



67 



tnittelalterlichen Notablenverfammlung und trägt das Gepräge des 13. Jahr- 
liunderts, der Zeit des hl. Ludwig. Steinfäulen mit frühgothifchen Kapitälen 
und Spitzbögen theilen den 50 Fufs breiten, 90 Fufs langen Saal in zwei 
:Schiffe, deren jedes eine fpitzbogige Holzbedeckung hat. Diefe oberen Theile 




Fig. 25. Schlofs zu Blois. Erdgefchofs. (Du Cerceau.) 



ftammen aus der Zeit Ludwigs XIL Dem Baue diefes Königs gehört fo- 
dann der öftliche Flügel B, der fich im rechten Winkel an der Südfeite E 
fortfetzt und dort die Kapelle J aufnimmt. Der Bau Franz' I, von welchem 
.{päter zu fprechen ifb, erftreckt fich in fchiefem Winkel an der gegenüber- 



68 Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

liegenden nördlichen Seite O und bildete ehemals mit einem weftlichen 
Flügel M den Abfchlufs. An die Stelle diefes letzteren trat .fpäter der 
nüchterne Bau Gaftons von Orleans. Wir haben es hier zunächft mit dem 
Werk Ludwigs XII zu thun. 

Die Hauptfagade B, nach Often gelegen, i6o Fufs lang, unregelmäfsig 
eingetheilt, ift wie der ganze Bau Ludwigs in feiner Maffe aus Ziegeln auf- 
geführt, nur der Sockel, die Einfaffungen der Fenfter und Thüren, das reiche 
Kranzgefims mit feiner aus Fifchblafen zufammengefetzten Baluftrade, die 
Fenftergiebel des Daches und endlich fämmtliche Ecken und Pilafter fmd 
aus Haufteinen gearbeitet. Die Fenfter des Erdgefchofses und des oberen 
Stockwerkes fowie die des Dachgefchofses fmd in ungleicher Axentheilung,. 
rein nach dem innern Bedürfnifs angelegt. Doch macht fich ein Streben 
nach möglichfler Gleichheit der Abftände bemerklich. Ihre fteinernen Kreuz- 
fläbe, die Säulchen und Einkehlungen der Umfaffung fowie die überfchnei- 
denden Rundftäbe, endlich die auf Confolen ruhenden Krönungen gehören 
durchaus noch dem gothifchen Stile. Dasfelbe gilt von den Baluftraden 
der beiden Altane am letzten und vorletzten Fenfter, von den phantaftifchen 
Maafswerken des Hauptgefimfes , von der Form der Lifenen und endlich 
von den Krönungen der Dachfenfter, deren gefchweifte Spitzbögen mit 
Krabben und Kreuzblumen ausgeftattet und mit Fialen eingefafst fmd. Nur 
einmal, an dem erften Dachfenfter (zur Rechten) kommt ein Renaiffance- 
motiv vor, da ftatt der Fialen Pilafter, von Delphinen bekrönt, angebracht 
fmd. In den Bogenfeldern der Dachfenfter fmd mehrmals das Wappen von 
Ludwigs erfter Gemahlin Anna von Bretagne und die Namenszüge des 
Königspaares angebracht. Das Portal, unfymmetrifch an der rechten Seite 
angebracht, befteht aus einem hohen halbkreisförmigen Bogen, neben welchem 
ein kleines Pförtchen in gedrücktem Rundbogen dem Fufsgänger fich öffnete 
Ueber beiden fieht man das Emblem Ludwigs XII, das Stachelfchwein mit 
der Krone, über dem Haupteingang aufserdem unter reichem Baldachin auf 
blauem Grunde mit goldenen Lilien in Hochrelief das Reiterbild des Königs. 
Dies gehört den Reftaurationen an, welche neuerdings unter der meifter- 
haften Leitung von Felix Duban das ganze Schlofs wieder hergeftellt haben. 

Die innere Fagade nach dem Hofe wird an der öftlichen und füdlichen 
Seite im Erdgefchofs durch Arkaden D, E gebildet, deren fehr gedrückte 
Bögen auf Pfeilern ruhen, die abwechfelnd rautenförmige Felder mit Lilien 
oder nach Art der italienifchen Renaiffance ein Rahmenwerk mit Arabesken- 
füllung zeigen. Dies find die einzigen entfchiedenen Anklänge an italieni- 
fchen Stil, während alles Andere, die Bogenprofile, Fenftereinfaffungen, Ge- 
fimfe und Baluftraden bis zu den Fialen und Giebeln der Dachfenfter noch 
gothifch ift. Die Verbindung mit dem oberen Gefchofs wird in den beiden 
Ecken rechts und links vom Eingange durch Wendeltreppen F^ G, von. 



i6. Schlofs Gaillon. 



69 



denen die zur Rechten fich durch gröfsere Anlage und reicheren Schmuck 
und ihr unmittelbares Ausmünden auf den grofsen Saal als Haupttreppe 
erweift, bewerkftelligt. Befonders fchön und reich gefchmückt mit acht 
Rippen ift ihr Gewölbefchlufs. Das obere Gefchofs befteht aus einer einfachen 
Reihe verbundener Räume von 26 Fufs Tiefe, der Hauptfaal 42 Fufs lang. 

In dem füdlichen Flügel hegt die einfchiffige, polygon gefchloffene 
Kapelle J mit reichen Sterngewölben und Fifchblafenfenftern, durchaus noch 
ein Werk des gothifchen Flamboyants, neuerdings wieder hergeftellt. Noch 
-ftammt aus Ludwigs XII Zeit, in feinen Grundlagen fogar noch aus dem 
früheren Mittelalter, der runde Thurm L in der nordwefthchen Ecke des 
Schloffes, der fpäter ganz in den Bau Franz' I hineingezogen wurde. 

Ueber den Architekten des Baues wiffen wir nichts. Der Stil fpricht 
jedenfalls eher gegen als für Fra Giocondo. Dagegen ift durch neuere Ent- 
deckungen feftgeftellt, dafs Coän Biart »maitre magon en la ville de Blois«, 
fowohl am Schlofs von Blois wie an dem von Amboife beschäftigt war. 
Allem Anfcheine nach, da er wie wir bald fehen werden auch durch den 
Kardinal Amboife nach Gaillon berufen wurde, müffen wir ihn als einen 
fehr tüchtigen, weit bekannten Meifter betrachten. 

§ 16. 
ScHLOSS Gaillon. 

DER gröfste Förderer der Renaiffance in Frankreich war Ludwigs XII 
Minifter Kardinal Georg von Amboife, Erzbifchof von Ronen, einer der 
erleuchtetften Staatsmänner feiner Zeit. Er wufste fich aus Italien Bücher 
und Kunftwerke zu verfchaffen und fchmückte damit fowohl den erzbifchöf- 
lichen Palaft zu Ronen als auch fein Schlofs Gaihon. Bedeutende Summen, 
die ihm grofsentheils aus den Strafgeldern der aufftändifchen itahenifchen 
Städte floffen, wendete er auf den Neubau diefer Schlöffer. Nicht weniger 
als 153,600 Livres, eine Summe, die jetzt das Zwanzigfache gelten würde, 
betragen laut den noch vorhandenen Rechnungen die Gefammtkoften des 
Baues von Gaillon, und doch übertrafen die Baukoften des erzbifchöfhchen 
Palaftes zu Ronen diefe noch um ein Drittel. =) Dort entftand u. A. eine 
prachtvolle Galerie im Garten mit einer marmornen Fontaine, fodann eine 
Kapelle und ein Oratorium. Von diefen Werken ift nichts erhalten, dagegen 
befitzen wir von Gaillon, das 1792 verkauft und fchmählich verwüftet wurde. 



I) Bulletin archeol. Jahrg. 1843 p. 469 »Colin Biart entr'aultres a efte a con- 

duire le commencement de pons Notre-Dame de Paris. Depuys fuft appelle au 

chafteau d'Amboyfe, et depuys au chafteau de Blois, qui font chofes fomptueufes et de 
grant entreprife.« — A. Deville, comptes des depenfes de la conftruction du chäteau de 
Gaillon. Paris 1850. Mit Atlas in fol. p. XX ff. 



70 Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

wenigftens einige Ueberrefte in der Ecole des beaux arts zu Paris, die Auf- 
nahmen bei Du Cerceau und die vollftändigen Baurechnungen, die uns einen 
umfaffenden Einblick in den künftlerifchen Betrieb der damaligen Zeit ver- 
ftatten. Obwohl das Schlofe nicht Privatbefitz Amboife's war, fondern dem' 
Erzbisthum Ronen gehörte, und obwohl er in feinem vielbefchäftigten Leben 
nur feiten und auf wenige Tage dort weilen konnte, betrieb der hochfmnige 
Prälat aus reiner Begeifterung für die Kunfh den Bau von 1502 bis zu 
feinem Tode 15 10 mit allem Eifer. Bisweilen erfcheint er, um nach den 
Bauten zu fehen, fich ihres Fortgangs zu freuen, dann aber mufs — fo 
wenig war dort für die nothdürftigften Einrichtungen geforgt — alles Er- 
forderliche bis auf die Lebensmittel von Rouen mitgenommen werden, und 
es kommt fogar vor, dafs man fich Betten leihen mufs. Dabei wird alles 
mit der höchften Pracht ausgeführt, für die Arkaden werden marmorne 
Pfeiler und Medaillons aus demfelben Material befchafift, und ein reich 
gefchmückter Marmorbrunnen wird fogar aus Italien herbeigeholt. 

Gaillon') liegt zehn Meilen von Rouen entfernt, eine Viertelmeile von 
der Seine auf hügeligem Terrain, welches eine reiche Ausficht gegen Often 
gewährt. Im Mittelalter unter Philipp Auguft war es eine ftarke Vefte^ 
die im 13. Jahrhundert in Befitz der Erzbifchöfe von Rouen kam und im 
15. Jahrhundert von den Engländern durch Schleifung der Mauern und des 
Donjons zerftört wurde. Bald darauf ftellte der Kardinal d'Eftouteville das- 
Schlofs wieder her, und in diefem Zuftande fand es Georg von Amboife, 
Diefer fchlofs bei feinem Neubau (Fig. 26) fich an das Beftehende an, be- 
wahrte die Hauptmauern mit den Thürmen und den Gräben und behielt 
fomit die unregelmäfsig dreieckige Geftalt des Ganzen bei. lieber den 
Graben L führte eine Zugbrücke, vertheidigt bei der Pforte a durch zwei. 
Thürme, zu dem Haupteingang b c. Diefer lag in einem viereckigen 
Pavillon H mit kleinen Thürmen auf den Ecken, an welchen fich zur 
Rechten und zur Linken G die Gebäude Eftouteville's anfchloffen. Von 
hier gelangte man zu dem äufseren Hofe A, und aus diefem durch die 
Galerie E zu dem Haupthofe B. Auch diefer ift unregelmäfsig angelegt 
und an zwei Seiten mit Arkaden D, E ausgeftattet , die im Erdgefchofs 
offen, im obern Stockwerk gefchloffen waren. Zwei vortretende polygone 
Thürme in den entgegengefetzten Ecken, f, m, enthalten die Wendelftiegert 
zum oberen Gefchofs. Sie ftehen zugleich mit den Galerieen in Verbindung- 
und vermitteln durch diefelben den Eintritt in die Gemächer. Die Haupt- 
treppe f ift nach aufsen auf Pfeilern mit offenen Bögen ftattlich aufgeführt. 
In der Mitte des Hofes ftand die berühmte Marmorfontaine g. In der 
nordweftlichen Ecke des Hofes erhob fich ein viereckiger Pavillon K, nach 



^) Aufser den Zeichnungen bei Deville vgl. die Aufnahmen bei Du Cerceau, T. I, 



§ i6. Schlofs Gaillon. 



71 



aufsen mit kleinen Thürmen auf Kragfteinen flankirt, durch welchen man 
über eine Zugbrücke nach einer grofsen Terraffe und von dort in die aus- 
gedehnten Gartenanlagen gelangte. 

Das Hauptgebäude C, »la grante maifon« genannt, befteht aus einer 
Reihe von Gemächern, vor welchen fich nach aufsen eine prachtvolle Galerie h 
auf Marmorpfeilern hinzog. An der einen Ecke wurde diefelbe durch einen 
grofsen runden Thurm I flankirt, an der entgegengefetzten Seite durch die 
Kapelle J. Die gegenüberliegende unregelmäfsige Partie des Gebäudes F G 
hiefs nach dem ausführenden Architekten das Haus Pierre de Lorme. Auch 




Fig. 26. Schlofs Gaillon. Erdgeichofs. (Du Cerceau.) 



der Pavillon K, welcher die Verbindung mit dem Garten herftellt, trug den 
Namen diefes Meifters. Der Garten felbft bildete ein Blumenparterre von 
gewaltiger Ausdehnung, 540 Fufs breit und doppelt fo lang, an der füd- 
öftlichen Langfeite in ganzer Länge von einer offenen Galerie eingefafst, die 
auf einen kleinen Pavillon mündete. Die Mitte des Gartens zeigte unter 
einer Voliere einen Springbrunnen. Vom Garten gelangte man in den Park 
mit feinen prachtvollen Baumgruppen, von wo eine lange Allee zu der Ere- 
mitage und dem »weifsen Haufe<* führte, einer Anlage, die der zweite Nach- 
folger Amboife's, Carl von Bourbon, in ziemlich barockem Stil, aber mit 
grofser Pracht hinzugefügt hatte. Der ganze Park umfafste einen Flächen- 
raum von 800 Morgen. 

Die Gefammterfcheinung des Schloffes (Fig. 27) mit feinen hohen Dächern, 
Kaminen und zierlich gekrönten Dachfenftern, mit den zahlreichen Thürmen, 



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Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 



Nebenthürmen und der gothifchen Kapelle Avar ein überaus malerifcher, 
noch ganz im Sinne des Mittelalters. Nur die Arkaden mit ihren gedrückten 
Rundbögen, die Medaillons und die Pilafter gehören der Renaiffance an. 
Aber diefe neuen Elemente mifchen fich viel ftärker als in Blois mit den 
gothifchen Formen, und der Uebergangsftil tritt in Gaillon zum erften Mal 
entfcheidend auf. Alle Theile des Gebäudes waren aufs Reichfte gefchmückt, 
befonders glänzend die nach aufsen liegende Galerie, deren Bögen auf neun 
Marmorpfeilern ruhten. Ueber den Archivolten waren Marmormedaillons 
mit antiken Bruftbildern angebracht. In dem grofsen runden Thurm diefer 
Seite lag das Kabinet des Kardinals, deffen gefchnitzte Holzdecke von Azur 
und Gold fchimmerte. Aufserdem werden in diefem Haupttheile der Woh- 
nung ein grofser Saal, ein Zimmer mit vergoldeter Ledertapete und ein 
anderes mit grünem Velourteppich erwähnt. Der Saal mafs über loo Fufs 
Länge bei 48 Fufs Tiefe, Er ftand gleich den übrigen Zimmern in un- 
mittelbarer Verbindung mit einer prächtigen Terraffe, die von der Marmor- 
galerie getragen wurde. 

Befonders glänzend war die Kapelle ausgeftattet, die nach aufsen durch 
ihren mit offener Laterne bekrönten Glockenthurm fich bemerklich machte. 
Mit vergoldetem Blei in zierHchen Ornamenten bedeckt, fchmückten ihn die 
Figuren von Sibyllen und einer Sirene. Der Altar der Kapelle war ganz 
aus Marmor gearbeitet, mit den Reliefbildern der zwölf Apoftel, die Chor- 
ftühle mit Ornamenten und Figuren in kunftvollem Schnitzwerk bedeckt,^; 
die achtzehn Fenfter mit Glasmalereien, welche noch im Anfang des 18. Jahr- 
hunderts die Bewunderung erregten.^) Selbft die Wände der Kapelle waren 
mit Gemälden gefchmückt, welche Andrea Solario von Mailand in zwei 
Jahren bis 1509 ausgeführt hatte. Von ihm war auch das Altargemälde 
der Kapelle, die Geburt Chrifti darfteilend. 3) Den oberen Theil des Altars 
bildete ein Marmorrehef von Michel Colomb, St. Georg den Drachen tödtend, 
gegenwärtig im Mufeum des Louvre aufbewahrt, 4) während die Bruchftücke 
der unübertrefflichen Chorftühle, die den höchften Luxus dekorativer Pracht 
in Verbindung gothifcher Elemente mit Renaiffanceformen zeigen, in die 
Kirche von St. Denis gekommen find. Unter den Treppen zeichnete fich 
durch ihre feinen Ornamente, den plafi;ifchen Schmuck, die durchbrochenen 
fchwebenden Schlufsfireine des Gewölbes und den kupfernen St. Georg, welcher 
das Dach krönte, die grofse zur Kapelle führende Hauptfliiege aus. 

Die Arkaden des Hofes, auf reich dekorirten Pfeilern ruhend, mit Ara- 
besken von delikatefiier Behandlung gefchmückt, die Fenfiier über ihnen mit 

^) Deville im Atlas Taf. 12 u. 13 giebt Zeichnungen derfelben. — 2) Felibien, entret. 
III, p. 83. — 3) »Ung beau tableau de la nativite de noftre Seigneur qua a faict maiftre 
Andr6 de Solario, peintre de Monfeigneur.« Deville, a. a. O. p. 540, cf. p. LXXI. — 4) Barbet 
de Jouy, Defcription des fculptures modernes du Mus. Imp. du Louvre, Nr. 84. 



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Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 



marmornen Medaillons römifcher Kaifer, endlich die Dachfenfter mit ihrer 
pyramidalen Krönungen gaben der Architektur des Hofes nicht geringerer 
Reiz. Ueber den Arkaden fah man fogar ein langes Marmorrelief, welche.' 
die Schlacht von Genua und den fiegreichen Einzug der Franzofen in diefe 
Stadt darftellte. Bemalte Hirfchköpfe von Holz auf einem Grunde von Laub 
werk fchmückten die untere Galerie, während die obere an ihren Gewölbei 
mit Azur und Gold bemalt war. Der ganze Hof war mit einem Pflaftei 
von fchwarzen, grauen und grünen Platten in teppichartigen Muftern bedeckt 
empfing aber feinen Hauptfchmuck durch den hohen mit plaftifchen Werker 
gezierten Springbrunnen, welchen die Republik von Venedig dem Kardina. 
pfefchenkt hatte. Von allen diefen Schönheiten ift nichts erhalten als das 
Portal des äufseren Hofes, das Werk Pierre Fain's von Ronen, welches gegen- 
wärtig den Hof der Ecole des beaux arts in Paris abtheilt. Es giebt mit 
feinen gedrückten Rundbögen und den arabeskengefchmückten Pilaftern einer 
annähernden Begriff von dem ehemaligen Glanz diefes Baues, den die Revo- 
lution bis auf einige nackte Mauern verwüftet hat (Fig. 28). 

§ 17- 

Die Künstler von Gaillon. 

DIE Baurechnungen von Gaillon,^) die einen vollftändigen Einblick in die 
gefammte Unternehmung gewähren, geben uns auch Auffchlufs über die 
dabei betheiligten Künftler. Gegenüber den fo oft wiederholten Behaup- 
tungen von der Heranziehung italienifcher Architekten, namentlich Fra 
Giocondo's. zu den franzöfifchen Bauten diefer Epoche ift es zunächft von 
Werth feftzuftellen, dafs kein hervorragender italienifcher Architekt in den 
Rechnungen genannt wird, dafs nur in untergeordneter Weife drei italienifche 
Künftler gegenüber von mehr als hundert franzöfifchen beim Bau vorkommen, 
dafs offenbar der Plan und die Ausführung des Ganzen von einheimifchen 
Künftlern ausgeht. Diefe waren freilich keine berühmten Architekten im 
modernen Sinne, fondern fchlichte Bau- und Maurermeifher nach Art des 
Mittelalters. Sie gingen aus zweien der angefehenften Künftlerfchulen des 
Landes, der von Ronen und der von Tours hervor, deren Tradition bis ins 
frühe Mittelalter hinaufreicht. Oft fmd mehrere gleichzeitig an verfchiedenen 
Theilen des Baues befchäftigt, jeder für fich felbfländig arbeitend; bisweilen 
löft der eine den andern in derfelben Arbeit ab. Was das Ganze dadurch 
an einheitlicher Strenge einbüfste, gewann es ganz im Geifte des Mittel- 
alters an bunter Mannigfaltigkeit und origineller Frifche. Wir erwähnen kurz 
die Hauptmeifber und ihre Thätigkeit am Baue. 



^) Das Folgende beruht auf der mufterhaften fchon erwähnten Arbeit A. Deville's 



§ ly. Die Künftler von Gaillon. 



75 



Als folche lernen wir unter den Baumeifbern in erfter Linie kennen 
Guillaume Senault von Ronen. ') Er entwirft die Pläne zum Hauptgebäude 
und arbeitet von 1502 bis 1507 an der Ausführung desfelben. Er wird 
mehrmals auch anderwärts zu wichtigen Unternehmungen als Sachverftän- 
diger berufen, fo beim Bau der neuen Thürme an den Kathedralen zu Reuen 
und zu Bourges. Auch an dem neuen erzbifchöf liehen Palaft zu Ronen war 
er betheihgt. — Pierre Fain, ebenfalls von Ronen, ^) errichtete für 18,000 
Livres die Kapelle und die zu derfelben führende Haupttreppe. Aufserdem 
ifl er der Schöpfer des jetzt in der Ecole des beaux arts aufgeftellten Por- 
tals (Fig. 28), für welches er 650 Livres empfing. Wir finden ihn ferner 




Fig. 28. Portal von Gaillon. (Baldinger nach Phot.) 



bei den Bauten des erzbifchöflichen Palaftes zu Ronen, welchen er in den 
Jahren 1501 und 1502 vorftand. Später vertraute ihm der Abt von St. Ouen, 
Antoine Boyer, genannt »le grand bätiffeur«, den Bau einer neuen Abt- 
wohnung. — Der dritte Meifler ift Pierre de Lonne, '^^ ebenfalls von Rouen, 
v/on dem ausdrücklich bemerkt wird, dafs er in antiker wie in franzöfifcher 
Weife zu arbeiten verftehe.'') Auch er war am erzbifchöflichen Palaft zu 

Deville, p. XCIII ff. — Ebend. p. XCVII ff. — 3) Ebend. p. XCIX ff. — 4) Ebend. 
p). 405: »Pierre de Lorme, macon, a fait marche de faire et tailler a l'entique et ä la mode 
Francoife les entrepiez qu'il fault ä affeoir les medailles soubz la taraffe baffe du grant corps 
dl'oftel.« 



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Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 



Rouen thätig gewefen. In Gaillon führte er den Umbau der alten vom 
Kardinal Eftouteville errichteten Theile , erbaute den nach ihm benannten 
Flügel des Schloffes, welcher der »grande maifon« gegenüber liegt, und den 
Pavillon, der die Verbindung mit der Terraffe und dem Garten herftellt. 

Neben diefen Meiftern von Rouen fmd noch zwei hervorragende Künftler 
aus der Touraine in Gaillon befchäftigt: Colin Biart von Blois,') der mehr- 
mals zur Berichtigung der Bauten berufen und als Architekt von Gaillon 
bezeichnet, aufserdem für den Bau der Thürme in Rouen und Bourges her- 
beigezogen wird, die Notre Dame-Brücke in Paris errichtet und an den 
Schlofsbauten von Amboife und Blois betheiligt ift.^) Sodann Piet're Valence 
von Tours, 3) ein ungemein vielfeitiger Künftler, der als Steinmetz und Maurer- 
meifter, Zimmermeifter, Schreiner, Maler und Hydrauliker verwendet wird. 
Er hat vorzüglich mit den Bauten im Garten, der grofsen Laube und Voliere, 
dem Pavillon und der Kapelle dafelbft zu thun. Namentlich arbeitet er die 
Holzverkleidung der grofsen Galerie im Garten und führt das Waffer aus 
dem Park in das Schlofs, leitet die Aufftellung des Springbrunnens und 
bringt ihn in Gang. In Rouen ift er beim erzbifchöf Uchen Palaft befchäftigt, 
wo er einen emaillirten Fufsboden legt. Bei der Berathung wegen des neuen 
Thurms der Kathedrale, ob derfelbe mit einer Spitze oder Terraffe enden 
folle, ftimmt er fammt den übrigen Baumeiftern für Erfteres, das Kapitel 
aber entfcheidet für Letzteres. Auch hierin erkennt man den Kampf der 
alten Zeit mit der neuen, der gothifchen Traditionen mit den antiken An- 
fchauungen. 

Neben dielen Hauptmeiftern fmd manche andere in mehr untergeord- 
neter Stellung thätig. Wir heben nur zwei Italiener'*) hervor: Bertrand de 
Meynal aus Genua, der den marmornen Brunnen brachte und aufrichtete 
und an den Dekorationen des Marmoraltars in der Kapelle arbeitete, und 
Geraulme Pacherot, ein zu Amboife anfäffiger Italiener, der ebenfalls am 
Brunnen und Altar arbeitet, auch am Portal befchäftigt ift und verhältnifs- 
mäfsig bedeutenden Lohn empfängt. 

Aufser diefen Baumeiftern fmd fieben Bildhauer (»ymaginiers«) mit der 
überaus reichen plaftifchen Ausftattung betraut, s) Hance oder Jean de Bony 
macht im Jahr 1 508 einen St. Johann für den Pavillon im Garten , wofür 
er 12 Livres empfängt; dann »ung monftre, une melufme, des anges de 
boiz« für 24 Livres, ferner 15 Hirfchköpfe von Holz für die untere Galerie, 
endlich das Modell zu einem kupfernen St. Georg, der das grofse Stiegen- 
haus krönen follte. — Michel Columb, oder Michauli Coulombe, ein treff- 
licher Meifter, arbeitet das obere Marmorrelief für den Altar der Kapelle, 



0 Deville, p. CV ff. — ^) Vgl. S. 44. § 12. — 3) Ebend. p. CVIII ff. — 4) Deville, 
p. cm. — 5) Ebend. p. CXIX ff. 



§ i8. Denkmäler zu Rouen. 



77 



St. Georg den Drachen tödtend, welches man jetzt im Mufeum des Louvre 
fieht. Diefer Meifter gehörte zur Schule von Tours und führte fein Werk 
nicht an Ort und Stelle aus, fondern in feiner heimifchen Werkftatt. Er 
erhielt dafür die für jene Zeit bedeutende Summe von 300 Livres. Mit den 
umfangreichften Aufträgen war aber Antoine Jiiße, der als Florentiner be- 
zeichnet wird, betraut. Er arbeitete die zwölf alabafternen Apoftel für die 
Kapelle, den grofsen Marmorfries mit der Schlacht von Genua, eine Büfte 
des Kardinals und mehrere andere Werke, für welche er im Ganzen die 
Summe von 447 Livres empfing, wenig im Verhältnifs zu Michel Columb. 
Endlich wurde ein Mailänder Künftler Lorenzo de Miigiano noch mit den 
drei Marmorftatuen des Königs, des Kardinals und feines Neffen, des Statt- 
halters von Mailand, beauftragt. Diefe Werke wurden von Italien nach 
Gaillon gefchafft. 

Unter den 40 Malern, die aufserdem erwähnt werden, ift nur Andrea 
de Solario^) von hervorragender Bedeutung. Alle übrigen haben blos mit 
dem Vergolden und Bemalen der architektonifchen und dekorativen Theile 
zu thun. Der Aufwand für diefe Arbeiten, die häufige Erwähnung von Gold, 
Azur und andern koftbaren Farben beweift aber den Umfang und die Be- 
deutung diefes malerifchen Schmucks. Für die Ausführung der Fenfter und 
ihrer Glasgemälde find fünf Glasmaler ^) angeftellt. Als Verfertiger der kofi:- 
baren gefchnitzten Chorftühle 3) werden Pierre Comedieu, Jehan Dubais und 
Richart Delaplace, fowie Richart Guerpe genannt. Aufserdem fehlt es nicht 
an Erzgiefsern, Kunftfchmieden, Bleiarbeitern, Goldfchmieden, und endlich 
werden fünf Miniaturmaler (»enlumineurs«) genannt, die für die Bibliothek 
von Gaillon thätig waren. 

§ i8- 

Denkmäler zu Rouen. 

VON den zu Gaillon befchäftigten Künftlern gehörte die Mehrzahl der 
alten bedeutenden Schule an, welche in der Hauptftadt der Normandie 
während des ganzen Mittelalters in Blüthe ftand. Dafs in diefem künft- 
lerifchen Mittelpunkt nicht minder erhebliche Arbeiten ausgeführt wurden, 
erfuhren wir fchon aus den Rechnungen von Gaillon; aber von dem erz- 
bifchöflichen Palaft fowie von dem Sitze der Aebte von St. Ouen ifl; nichts 
übrig geblieben. Die verfchwenderifche Prachtdekoration an der Fagade 
der Kathedrale und an St. Maclou, obwohl in diefer Epoche entfl;anden, 
haben wir hier zu übergehen, da fie durchaus noch die Sprache des gothi- 
fchen Stils redet. Dagegen ift Einiges von Profanbauten erhalten, das den 



0 Deville, p. CXXXV fg. — 2) Ebend. p. CXXXVII fg. — 3) Ebend. p. CXXXIX ff 



78 



Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 



Uebergangsftil diefer Zeit, in welchem die alte und die neue Kunft wett- 
eifern, zur vollen Erfcheinung bringt. Hierher gehört vor Allem der Juftiz- 
p a 1 a fb , von dem der linke Flügel und der gröfste Theil des Mittelbaues, 
feit 1493 aufgeführt, alt ift, während das Uebrige, befonders der fymme- 
trifche Abfchlufs durch einen rechten Flügel, der neuen trefflichen Reftau- 
ration angehört. Ungemein reich ift befonders der Mittelbau. Einftöckig 
über einem niedrigen Erdgefchofs mit flachbogigen Fenftern, erhebt er fich 
mit feinen gradlinig gefchloffenen Fenftern, die aber eine elegante flach- 
bogige Einfaffung haben. Reich entwickelte Strebepfeiler, mit hohen fchlanken 
Fialen bekrönt, theilen die Fläche; eine Dachgalerie baut fich mit luftigen 
Flachbögen empor und hat zur Verbindung mit den Strebepfeilern zierliche 
Fialen und Statuen als Bekrönung. Die hohen Dachfenfter fchliefsen mit 
fchlanken Giebeln, und vor ihnen zieht fich die ganz durchbrochene Galerie 
bin. Alles ift aufs Reichfte dekorirt in überaus graziöfen Formen. Der 
linke Flügel bildet einen einzigen grofsen Saal, an den Schmalfeiten mit 
Galerieen und Fenftern. Zwifchen den Fenftern find kleine Wandnifchen 
für Statuen, mit zierlichen Tabernakeln gekrönt, angebracht. Die Decke 
des grofsen Saales zeigt ein fpitzbogiges hölzernes Tonnengewölbe mit Oeff- 
nungen für die Dachfenfter. In der Mitte der Hauptfagade ift ein fchöner 
polygoner Erker ausgebaut, noch üppiger dekorirt als alles Uebrige. 

Ein Prachtftück des gleichzeitigen Privatbaues ift das Hotel Bourg- 
theroulde.^) Der Hauptbau, in der Intention noch gothifch, mit Strebe- 
pfeilerchen, hohen fialenbekrönten Dachfenftern und einem kleinen poly- 
gonen Treppenthurm in der Ecke. Aber in dem oberen Gefchofse kommen 
fchon Renaiffancepilafter mit feinen Reliefornamenten vor, und die Flächen 
imter und neben den Fenftern find mit lebendig behandelten bibhfchen 
Scenen in flachem Relief bedeckt, ohne architektonifchen Plan, rein malerifch. 
Der linke Flügel dagegen ift ein zierliches Werk der Frührenaiffance aus 
Franz' I Zeit, von hohem dekorativen Werth. Unter den Fenftern zieht 
fich ein Sockel hin mit aufserordentlich graziöfen Arabesken in zartem Relief. 
Dann folgt der naive zierlich ausgeführte Fries mit der Zufammenkunft 
Franz' I und Heinrichs VIII von England, in reicher malerifcher Anordnung, 
aber befcheidener Wirkung. Darüber kommen die Fenfter des Obergefchoffes 
zwifchen Pilaftern, die an ihren Flächen und Kapitälen mit reizenden Ara- 
besken bedeckt find. Die Fenfter zeigen die elegantefte Einfaffung, in ihren 
Wänden kandelaberartige Säulchen mit luftigen nackten Kindern und anderem 
figürlichen Beiwerk. Darüber endlich bildet eine Attica den Schlufs, auch 
fie mit fehr reichen Pilaftern und einem Friefe, der jedoch etwas zu ftarkes 



^) Taylor et Nodier, Voyages. Normandie, Vol. II, pl. 164, 165, 166. — Ebend. 
Vol. II, pl. 157 — 163. Vgl. auch Paluftre, II, 287 mit Abb. 



§ 19- Der herzogliche Palaft zu Nancy. 



79 



Relief hat. In diefem hat Paluftre Darftellungen der Triumphe Petrarca's 
nachgewiefen. Das Ganze gehört zum Luxuriöfeften und Eleganteften. 
was diefe fröhliche Zeit hervorgebracht; die Verhältniffe find klein und 
fpielend. 

Als eine der köfthchften Schöpfungen der Zeit mufs aber das Haus 
am Domplatz') bezeichnet werden, welches ehemals als Finanzbureau 
diente und feit 1 509 durch Roland le Roux für den General der Normandie 
Thomas Bohier aufgeführt wurde. Hier erfchhefst fich die volle Grazie 
der Frührenaiffance in einem wahrhaft bezaubernden ornamentalen Spiele, 
in einer Mannigfaltigkeit der Erfindung und Zartheit der Ausführung, die 
ihres Gleichen fuchen. Friefe mit Medaillons, Wappen und Emblemen, 
letztere gehalten von geflügelten Genien und von ebenfalls geflügelten Stieren, 
Arabesken des anmuthigften Linienzuges an jeder Fläche, welche die Lifenen 
und Pilafter bieten, feine Kapitäle mit Laubwerk und Delphinen, durch- 
brochene Blumenguirlanden an den Fenfterrahmen , endlich üppig reiche 
Candelaber vor den Fenfterpfeilern des Hauptgefchofses , das find die Ele- 
mente, aus welchen diefs liebenswürdige Werk fich zufammenfetzt. Dabei 
bemerkt man, wie im Erdgefchofs und der niedrigen Mezzanina über dem- 
felben in richtigem Takt alles Ornament im zarteften Relief gezeichnet ift, 
während in den oberen, dem Auge entfernteren Theilen eine vollere plaftifche 
Behandlung herrfcht. Das Stachelfchwein und das L deuten auf die Zeit 
Ludwigs XII hin ; gothifche Nifchen mit Fialen auf den Ecken, deren Sta- 
tuen die Revolution zerftört hat, find die einzige entfchieden mittelalterliche 
Reminiscenz. 

In diefe Zeit gehört auch der prächtige grofse Flachbogen, der von 
dem einfach derben fpät gothifchen Uhrthurm, dem Beffroi, über die 
Strafse gefpannt ift. Der malerifche Effekt des Ganzen wird durch die 
phantafievolle Ornamentik in graziöfen Renaiffanceformen noch gefteigert. 

§ 19- 

Der herzogliche Palast zu Nancy. 

Zu den glänzendften Beifpielen diefes Uebergangftiles zählt auch der alte 
Herzogspalaft zu Nancy,^) der ehemaligen Hauptftadt Lothringens. 
Ein einheimifcher Künftler, Manfiiy Gauvain,^) errichtete ihn im Anfang 
des 16. Jahrhunderts und arbeitete 1512 für das Hauptportal das Reiterbild 



I) Sauvageot, choix de palais, Vol. IV; vgl. Taylor et Kodier, Voyages. Normandie, 
Vol. II, pl. 172. Dazu Paluftre II, 284. — 2) Abb. des Portals in Chapuy, Moyen äge pitt. 
T. I, pl. 27. Einzelne Anflehten des Aeufsern und des Innern, der Treppe, des Hofes find 
in Nancy erfchienen. — 3) Promenade dans Nancy et fes environs. Nancy 1866, p. 50. 



8o Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

des Herzogs Anton, welches, 1792 zerftört, in jüngfter Zeit durch ein neue; 
erfetzt worden ift. Das einftöckige, in Quadern aufgeführte ftattHche Ge- 
bäude erftreckt fich in bedeutender Länge an der Südfeite der Grande Kut 
und erhält feinen Hauptfchmuck durch ein Prachtportal, das zu den reichfbei 
Schöpfungen diefer Zeit gehört. Aller Luxus des Flamboyant verbinde: 
fich mit den zierlichen Ornamenten der Renaiffance zu einem Ganzen, da> 
felbft in diefer Epoche feines Gleichen fucht. Das Portal befteht nach de: 
allgemeinen Sitte der Zeit aus einer breiten, im Flachbogen gelchloffenen 
Einfahrt und einer kleinen niedrigen Pforte für die Fufsgänger. Renaiffance- 
pilafter, mit Arabesken bedeckt, bilden die Einfaffung, aus welcher die 
gothifchen Bogenprofile , die gefchweiften Giebel mit Krabben und Kreuz- 
blumen, die ebenfo gefchmückten Fialen hervorwachfen. Ueber der fchmalea 
Pforte fleht man im Bogenfeld zwei gewappnete Reifige, im Tympanon des 
Hauptportales dagegen in einer Flachbogennifche , die mit kleinen Spitz- 
bögen garnirt ift, das Reiterbild des Herzogs. Ein hohes fpitzbogiges Giebel- 
feld, welches ein phantaftifch ausgezackter Bogen füllt, baut fich darüber 
auf, mit Krabben und Kreuzblumen reich befetzt, und darüber endlich fteig: 
ein hoher Auffatz empor, an welchem wieder die Renaiffance mit ihren 
Pilaftern und Arabesken und mufchelbefetzter Bogennifche das Wort er- 
greift, um endlich noch einmal mit hohem gefchweiftem gothifchem Bogen 
zu fchhefsen. Allein diefe oberen Krönungen, obwohl mittelalterlich ge- 
dacht, find in Renaiffanceformen überfetzt, namentlich die Fialen und andern 
Auffätze originell in Candelaber umgedeutet. So gehört diefs Werk zu den- 
jenigen, in welchen die Mifchung der beiden grundverfchiedenen Elemente 
zwar in all ihrer fpielenden Willkür, aber auch mit überwältigender dekora- 
tiver Pracht zur Erfcheinung kommt. 

Auf beiden Seiten neben dem Portal fieht man Fenfter im obern Gefchofs. 
mit polygon ausgebautem Altan, der in mittelalterlicher Weife auf Confolen 
ruht und deffen Baluftrade aus Fifchblafenmuftern zufammengefetzt ifb. Im 
Innern gelangt man unmittelbar in eine grofse Halle und von da in den 
Hof des Palafbes, der noch einen Theil feiner alten Säulenarkaden zeigt. 
Aus der Halle führt eine der bequemften und breiteften Wendelftiegen, mit 
zahlreichen Ruhebänken in den tiefen Fenfternifchen, zum oberen Gefchofs. 
Diefes befteht aus einem einzigen Saal von bedeutender Länge mit ge~ 
fchnitzter flacher Holzdecke und zwei prächtigen Kaminen. Diefer Saal, 
»Galerie des cerfs« genannt, diente urfprünglich den grofsen Verfammlungen 
der lothringifchen Stände. Gegenwärtig ift er fammt den unteren Räumen 
zu einem hiftorifchen Mufeum eingerichtet und bewahrt unter andern Denk- 
mälern einen prachtvollen Teppich, der am Tage der Schlacht von Nancys 
im Zelte Karls des Kühnen erbeutet wurde. 



§ 20. Grabdenkmäler. 



8i 



§ 20. 

Grabdenkmäler. 

EINEM Meifter von Gaillon begegnen wir in dem prächtigen Grab- 
denkmal, welches die Königin Anna dem letzten Herzog der Bretagne, 
Franz II, errichten liefs, und das man in der Kathedrale von Nantes 
fieht. Es ift infchriftlich als Werk des Michel Columb bezeichnet, der es 
im Jahr 1507 vollendete. Ganz aus Marmor von verfchiedenen Farben 
errichtet, trägt es die beiden liegenden Statuen des Herzogs Franz und 
feiner letzten Gemahlin Marguerite de Foix, im weiten herzoglichen Mantel, 
die Krone auf dem Haupt. Nach mittelalterlicher Weife unterftützen 
Engel die Kiffen, aui denen fie ruhen, und zu ihren Füfsen liegen ein 
Löwe und ein Windfpiel mit den Wappen der Verftorbenen. Auf den 
vier Ecken des Denkmals, das als Freigrab in Form einer mittelalterlichen 
Tumba errichtet ift, ftehen die Statuen der vier Kardinaltugenden. Die 
Flächen des Denkmals find mit Nifchen zwifchen eleganten Pilaftern ge- 
gliedert, welche die Statuetten der zwölf Apoftel enthalten. Unter ihnen 
finden fich Medaillons mit den Reliefbildern Trauernder. Auch hier waltet 
ein feiner dekorativer Gefchmack. 

Ein kleines, aber anmuthiges Grabmal diefer Zeit fieht man in der 
Kathedrale von Tours.') Es ift für zwei frühverftorbene Kinder 
Karls VIII errichtet, Charles d' Orleans, der 1495 im Alter von 3 Jahren 
und 3 Monaten, und Charles II, der im folgenden Jahre 25 Tage alt ftarb. 
Es befteht aus einem marmornen Sarkophag, der ganz mit feinen Arabesken 
bedeckt ift. Auf ihm ruhen die liebenswürdigften und unfchuldigften 
Kindergeftalten, denen zwei kleine allerliebfte Engel mit inniger Hingebung 
die Kiffen halten, während zu ihren Füfsen zwei ähnliche mit den Wappen 
der Verftorbenen angebracht find. Dies anmuthige Werk ift die Schöpfung 
des trefflichen Meifters Jean Juße von Tours. 

Endlich gehört hieher als eines der gröfsten Prachtftücke das Grab- 
denkmal, welches Georg von Amboife, der Neffe und Nachfolger des gleich- 
namigen Kardinals, für feinen Oheim und fich felbft im Chor der Kathe- 
drale von Ronen errichten liefs. Wir wiffen, dafs Pierre Valence von 
Tours, den wir aus den Rechnungen von Gaillon kennen, zuerft damit be- 
auftragt wurde als er ablehnte, erhielt Roullant le Roux die Ausführung 
des Werkes, das 1525 vollendet wurde. Roullant (d. i. Roland) war ein 
auch fonft vielbefchäftigter Meifter; er arbeitete am Jull;izpalaft, dem Haupt- 
portal der Kathedrale und dem neuen Thurme derfelben.3) Er gehört zu 

I) Aufn. in Berty, la renaifi. monum. T. II. — ^) Deville, p. CIX; vgl. desf. Verf. 
Tonibeaux de ia cathedr. de Rouen, p. 91. — 3) Deville, les tombeaux de la cathedrale de 
Rouen. 

LÜBKE, Gefch. d. RenaifTance in Frankreich. II. Aull. 6 



82 Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII. 

den Künftlern, welche die unerfchöpfliche Phantafie des Mittelalters mit 
den Formen des neuen Stiles zu verbinden wufsten. Das Denkmal') ift 
in einer Mauernifche an der einen Seitenwand des Chores aufgebaut. 
Sechs kleine Nifchen mit den fitzenden Statuen von Tugenden zwifchen 
Pilaftern , die auf's Ueppigfte gefchmückt find , bilden den Unterbau. 
Ueber der Platte desfelben find die beiden Prälaten hinter einander knieend 
lebensgrofs dargeftellt. Die Rückwand enthält in Nifchen zwifchen eleganten 
Pilaftern Statuetten von Heiligen, in der Mitte St. Georg den Drachen 
tödtend. Ueber den Knieenden wölbt fich ein Baldachin, deffen Bogen- 
fläche mit Rofetten und Laubwerk in Gold und Azur bedeckt ift. Drei 
durchbrochene freifchwebende Schlufsfteine begrenzen den Bogen. Seine 
Krönung befteht zunächft aus einem Fries mit Arabesken und allerliebften 
nackten Kindern, darüber aus pilaftergefchmückten Nifchen mit den Statuetten 
der Apoftel und anderer Heiligen. Endlich bilden fechs pyramidale Auf- 
fätze in gothifchem Sinn, aber mit Guirlanden, Kindern, Mufchelwerk und 
allerlei phantaftifchen Figuren, den Abfchlufs des unvergleichHch pracht- 
vollen Werkes. Wohl darf man keine ftrengere Kritik an die Compofition 
des Ganzen legen ; aber die unerfchöpfliche Fülle der Phantafie, die fpielende 
Leichtigkeit der Ausführung bewirken einen Zauber, dem der Befchauer 
fich gerne gefangen giebt. 



Aufn. in Gailhabaud, Denkm. der Bauk. Bd. IV. Vgl. dazu Paluftre II mit meifter- 
hafter Abbildung zu Sadoux. 



III. KAPITEL. 



DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I. 

A. KÖNIGLICHE SCHLÖSSER. 
§ 21. 

Das Schloss zu Blois. 

ATTE die neue Bauweife bis dahin nur in einzehien 
Verfuchen fich zeigen können, in welchen der gothifche 
Stil überall noch ftark fich geltend macht, fo gewinnt 
mit der Thronbefteigung Franz' 1(1515) die Renaiffance 
einen neuen Auffchwung, der die mittelalterlichen Tra- 
ditionen immer mehr zurückdrängt und dem neuen 
Stil endlich zum völligen Siege verhilft. Der König 
felbft, einer der kunftfmnigften Fürften, die je gelebt 
haben, fand in feiner langen Regierungszeit (bis 1 547) reichhche Gelegenheit 
feiner Bauluft zu genügen. Muftern wir die Reihe der von ihm errichteten 
oder vollendeten Schlöffer, deren Anzahl, Umfang und Pracht Bewunderung 
erregen. 

Zu den früheften diefer Bauten gehören die Vollendungsarbeiten des 
Schloff es zu Blois.") Sein Vorgänger (§ 15) hatte den öftHchen Flügel 
in den glänzenden Mifchformen des Uebergangftiles erneuert ; Franz I führte 
mit noch gröfserer Pracht und in den Formen einer edlen Renaiffance den 
nördlichen Flügel aus. Die Hoffagade (vgl. Fig. 29) ift ohne Frage das 
fchönfte und reichfte Werk, welches die Früh renaiffance in Frankreich auf- 
zuweifen hat. Sie befteht aus einem niederen Erdgefchofs mit viereckigen 




') Vgl. Du Cerceau, Vol. II und die Monum. hiftoriques. 



6* 



84 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



Fenftern, die von Pilaftern mit korinthifirenden Kapitalen eingefafst werden. 
Darüber erheben fich zwei obere Gefchoffe, von denen das erftere durch 
gröfsere Höhe ausgezeichnet ift, beide mit Fenftern, die durch fteinerne 
Kreuzftäbe in mittelalterlicher Weife getheilt werden. Sämmthche Fenfter 
find durch korinthifirende Pilafter eingefafst, und die Pilafter durch eine 
durchlaufende Verticalgliederung unter einander verbunden, fo dafs die hori- 
zontalen Gefimsbänder am ganzen Baue mit der Verticalgliederung ein voll- 
ftändiges Rahmenwerk bilden, das in der franzöfifchen Frührenaiffance fich 
überall wiederholt, und deffen Monotonie im vorliegenden Fall durch die 
reiche und feine Ornamentation aufgehoben wird. Denn die Pilafter haben 
nicht blofs in den Obergefchoffen eine Bordüre von Rofetten und elegante 
Kapitale von jener zierlichen Form, die auch in der italienifchen Früh- 
renaiffance üblich find, fondern die gröfseren Wandfelder zeigen reichen 
Schmuck durch die häufige Anwendung des bekannten Emblems Franz' I, 
eines von Flammen umgebenen gekrönten Salamanders. Den Abfchlufs bildet 
das prachtvolle Kranzgefimfe, welches feine Hauptformen aus antiken und 
mittelalterhchen Motiven zu höchfter Wirkung zufammenfetzt; denn es be- 
ginnt mit einem Zahnfchnittfries und reichem ConfolengefimxS, fügt aber zu 
der cannelirten Platte und dem Eierftab des letztern den romanifchen Rund- 
bogenfries hinzu, deffen Bogenöfifnungen mit kleinen Mufcheln gefchmückt 
find. EndHch erhebt fich über den kräftigen Profilen der Traufrinne, der 
die mittelalterhchen Wafferfpeier nicht fehlen, eine ganz durchbrochene Balu- 
ftrade (vgl. S. 46), zwifchen deren Pfeilern und candelaberartigen Säulchen 
die Namenszüge des Königs und feiner erften Gemahlin Claude, gefchmückt 
mit der Krone und umwunden von durchbrochenen Schnüren, fich zeigen. 
Ueber diefem Abfchlufs, einem wahren Triumph der Steinmetzenkunfl , er- 
heben fich, den Theilungen der Fagade entfprechend, die Dachfenfter mit 
ihrer feinen Arabeskeneinfaffung und der in gothifchem Sinn gedachten, 
aber in Renaiffanceformen durchgeführten Bekrönung. 

Das unübertroffene Prachtftück des ganzen Baues ift aber die berühmte 
Treppe (vgl. Fig. 29), welche in einem achteckigen Stiegenhaus angelegt, 
urfprüngHch genau in der Mitte der Fagade hervortrat. Dies Verhältnifs 
ift fpäter durch den Bau Gaftons, der einen Theil der fchönen Anlage 
Franz' I zerftörte, verdorben worden. Es ifl eine der prachtvollften Treppen 
der Renaiffance, in achteckigem Aufbau als Wendelftiege um eine noch 
ganz gothifch profilirte Spindel angelegt, mit einem Durchmeffer von acht- 
zehn Fufs im Lichten. Nach aufsen bilden kräftige Pfeiler und weitgesprengte 
Flachbögen ein frei durchbrochenes Gerüft, innerhalb deffen die fteigenden 
Podefte in drei Etagen als Altane mit reich verzierten Brüftungen aus- 
gebildet find. Der höchfte Luxus der Ausftattung concentrirt fich an 
diefen Theilen: die untern Partieen der Pfeiler find mit den feinften Ära- 



Fig. 29. Die Wendeltreppe im Schlofs zu Bloi 



86 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



besken, neben denen man Wappen, Embleme und Namenszüge des Königs 
und der Königin erblickt , bedeckt. Weiter treten auf reich fculpirten 
Confolen, unter Baldachinen von gothifchem Aufbau mit Renaiffancedetails,. 
Statuen allegorifcher Figuren hervor. Die Baluftraden endlich find im 
untern Gefchofs mit candelaberartigen Stützen, in den oberen mit Sala- 
mandern und dem Buchftaben F in prachtvollfter Ornamentik gefchmückt; 
den oberen Abfchlufs bildet das hier durchgeführte Hauptgefims mit feiner 
herrhchen Baluftrade. Dann folgt eine Terraffe, auf welche die Treppe 
mündet und hinter w^elcher fich ein krönendes Obergefchofs , achteckige 
aber von geringerem Durchmefser erhebt, das nochmals mit einem ver- 
fchwenderifch reichen, höchft originell componirten Dachgefims und durch- 
brochener Baluftrade fchliefst, in der Mitte aber als Krönung einen eleganten 
fchlanken Giebelauffatz , nach Analogie der Dachfenfter, aber wieder in 
neuer Variation, hervortreibt. Mit einem Wort: an diefem Wunderwerk 
der Architektur ift eine Originalität der Compofition, eine geiftreiche 
Frifche der Erfindung, eine künftlerifche Feinheit in der Ausführung, die 
nirgends wieder in diefer Art ihres Gleichen haben wird. 

Das Innere der Treppenanlage ift nicht minder von feltenfter Pracht 
und reichfter Ausführung. Die Wandpfeiler werden durch edle Pilafter 
gebildet, der fteigende Plafond ift mit gothifchen Rippen gegliedert, in 
deren Durchfchneidung fich Rofetten von elegantefter Arbeit zeigen. Der 
mittlere Pfeiler ift in den fchmalen Flächen zwifchen den gothifchen Dienften 
mit köfllichen Arabesken bedeckt, der obere Gewölbfchlufs der Treppe 
mit ausgefuchter Feinheit dekorirt. Vor allem find aber die Krönungen 
der Portale zu den einzelnen Stockwerken von feltener Ueppigkeit, mit 
Salamandern und edlen Arabesken in fpielender Anmuth gefchmückt. 

Die innere Dispofiiion der oberen Stockwerke befteht aus zwei Reihen 
gröfserer und kleinerer Gemächer, die weder durch befondere Gröfse noch 
durch ungewöhnliche Höhe — letztere beträgt nicht über fünfzehn Fufs — 
fich auszeichnen. Etwas Ungewöhnliches für diefe Zeit ift aber die Doppelreihe 
der Zimmer, die dadurch entftand, dafs eine neue Mauer an der Aufsen- 
feite in einem Abftand von fechzehn Fufs vor der alten Umfaffungsmauer 
aufgeführt wurde. Beide Mauern haben eine Dicke von über fünf Fufs; der 
mittlere Theil, der einen quadratifchen Thurm umfafste, fogar zwei Meter. 
Dadurch haben fich tiefe Fenfternifchen nach der Aufsenfeite gebildet, die 
diefen Gemächern befonderen Reiz verleihen. Vor mehreren diefer Zimmer 
öffnen fich polygone Altane nach aufsen , die ebenfalls den corridorartigen 
fchmaleren Räumen einen freieren Ausblick verfchäffen. Faft am Ende 
diefer Flucht ift eine kleine Kapelle mit polygonem erkerartig ausgebautem 
Chor angelegt. Endlich wurde um den vom älteren Bau herrührenden 
runden Thurm ein offener Umgang auf Arkaden, abermals mit altanartigem 



§ 21. Das Schlols zu Blois. 



87 



Ausbau angelegt. Durch die meifterhafte Reftauration Dubans ift Alles 
wieder dem urfprünglichen Zuftand nahe gebracht. Die reich gemalten 
Holzdecken mit ihren gefchnitzten Balken, die grofsen prächtigen Kamine, 
die glafirten Kacheln der Fufsböden fmd treu nach alten Muftern her- 
geftellt. 

Wir haben endHch noch einen Bhck auf die lange nach Norden 
gerichtete Aufsenfagade zu werfen. (Fig. 30.) Sie zeigt mit gutem Recht 
eine einfachere Behandlung, ein ftrengeres Anfchliefsen an italienifche Bau- 
weife. Die Fagade erhebt fich in ihrer ganzen Länge aus dem unregel- 
mäfsigen Felsboden und zwar fo, dafs ihre weftliche Hälfte ein Stockwerk 
weniger hat als die öfthche. Letztere beginnt mit einem Erdgefchofs von 
gekuppelten Bogenfenftern mit Kreuzftäben, an deren Stelle die weftHchen 
Theile nur fchwere Subftruktionen zeigen. Darauf folgen in der ganzen 
Länge des Baues zwei Stockwerke von gleicher Höhe , deren Fenfter 
fämmtlich in der Tiefe eines loggienartigen Bogenganges angebracht fmd. 
An den Bögen diefer Arkaden fowie an manchen andern Einzelheiten er- 
kennt man, dafs hier zwei verfchiedene Bauführungen fich berühren: die 
wefthche Hälfte hat gedrückte Korbbögen, die öfthche nur ein Segment 
des Rundbogens, letztere Form als die unorganifchere wohl ungefälliger 
als erftere, beide freiHch in der nordifchen Renaiffance durch die geringe 
Höhe der Stockwerke bedingt. Die Einfaffung der einzelnen Syfteme 
bilden unten und oben Pilafter, deren Kapitäle mit ächt florentinifcher 
Feinheit die korinthifche Form variiren. Wenn irgendwo, fo läfst fich an 
diefer Fagade der Einflufs eines itahenifchen Baumeifters vermuthen. Den 
Abfchlufs der Fagade bildet der Rundbogenfries mit Mufcheln, der einen 
Theil des prachtvollen Hauptgefimfes der Hof fagade ausmacht. Man mufs 
den feinen Takt bewundern, mit welchem diefe einfachere Form am Aufsen- 
baue über den leichten Arkadenwänden gewählt ift. Ueber dem Gefimfe 
erhebt fich noch ein Gefchofs mit kurzen ftämmigen ionifchen Säulen auf 
Stylobaten, die durch eine Baluftrade verbunden fmd, und deren Form an 
der öftlichen Hälfte ein kurzes korinthifches Pilafterchen bildet, während 
fie an der weftlichen Seite einfacher ift. 

Die lange Ausdehnung diefer Fagade erhält eine Unterbrechung durch 
die theils als offne Altane, theils zugleich als gefchloffne Erker durch- 
geführten polygonen Balkone. Sie entwickeln fich in mittelalterlicher Weife 
aus übereck geftellten Confolen mit tragenden Figürchen und reichgegliedertem 
Sockel. Sie haben an den Ecken Wafferfpeier von phantaftifcher Form, 
an den Baluftraden Relieffcenen aus der antiken Mythologie, an den Pfeilern 
graziöfe Ornamente, aus Emblemen und Arabesken beftehend. Aufserdem 
find die Pilafter des Hauptgefchoffes in dem weftlichen Bau ebenfalls reich 
ornamentirt, während fie in den übrigen Theilen glatt geblieben fmd. 



88 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



Ferner zeigen die Baluftraden des Hauptgefchoffes die Namenszüge des 
Königs und feiner Gemahlin, fowie die Embleme beider, den gekrönten 
Salamander in Flammen für den König, die Lilien und den von einem 
Pfeil durchbohrten Schwan für die Königin. Fügen wir hinzu, dafs die 
Nifchen der Loggien in glänzendem Farbenfchmuck mit Gold und Azur 
leuchten, fo haben wir von der Pracht auch diefer immerhin einfacheren 
Theile eine annähernde Andeutung gegeben. 

Was die Zeitftellung des Baues betrifft, fo erhellt aus den Emblemen, 
dafs feine verfchiedenen Theile vor dem Tode der Königin Claude (1525) 
ausgeführt worden find. Da von der Aufsenfeite die örtlichen Theile 
offenbar jünger find als die wefblichen, und da beide fpäter in Angriff ge- 
nommen wurden als die Hoffagade, fo werden wir wohl berechtigt fein, 
den Anfang des Baues in den Beginn der Regierungszeit des Königs 
hinaufzurücken. 

Im 17. Jahrhundert erfuhr das Schlofs von Blois die beklagenswerthe 
Umgeftaltung durch Gafton von Orleans, den Bruder Ludwigs XIII, welcher 
von 1635 — 1660 durch Manfart den wefhHchen Flügel abreifsen und mit 
dem pomipöfen, aber nüchternen Bau vertaufchen liefs, den man jetzt noch 
fieht. Die Revolution übte ihre Zerftörungsluft auch an diefem Prachtbau, 
und es fehlte nicht viel, dafs derfelbe im Jahr 1793 mit fo manchem 
andern bedeutenden Monument der Erde gleich gemacht worden wäre.') 
Später wurde das Schlofs zur Kaferne herabgewürdigt, und erft feit 1841 
erlebte es die treffliche Wiederherftellung durch F. Duban, in der man es 
jetzt bewundert. 

§ 22. 

ScHLoss Chambord. 

WENN man den Reichthum der Ideen, die Mannigfaltigkeit der Er- 
findungen diefer fchöpferifchen Zeit fchätzen will, fo mufs man die 
aufserordentliche Verfchiedenheit in Anlage und Ausführung der einzelnen 
Schlöfferbetrachten. Sprächen die . decorativen Formen nicht unzweideutig, 
fo würde man kaum glauben, dafs das phantaftifche Schlofs von Cham- 



0 Von dem Geift, in welchem man damals die hiftorifchen Denkmäler betrachtete, 
giebt die »Voyage dans les departements de la France par le citoyen la Vallee« Zeugnifs. 
Der gefmnungstüchtige citoyen fagt vom Schlofs zu Blois: »II fut l'ouvrage de vingt mains, 
et il femble'que les rois fe foient acharnes ä qui le defigureroit le mieux. Tour-ä-tour il 
epuisa le mauvais goüt de Louis XII, de Francois I, de Henry II, de Charles IX, de 
Henry III, de Henry IV; et tous ces meffieurs, de pere en fils, par la sötte vanite de vou- 
loir fe mieux loger qua leur pere font parvenus ä n'en faire qu'un amas de pierres, fans 
choix et fims grace, et que les fteriles admirateurs de fottifes royales trouvent fuperbe.« L. 
de la Sauffaye, hift. du chät. de Blois. p. 351. 



90 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



b o r d ^) zu derfelben Zeit und für denfelben Fürften errichtet wurde , wie 
der edle Bau von Blois. Chambord liegt einige Meilen von Blois und 
der Loire entfernt in einer öden fandigen Gegend , deren Eindruck um fo 
trübfeliger ift, wenn man kaum die lachenden Ufer der Loire verlaffen hat. 
Nur die Jagdluft Franz' I gab Veranlaffung, in diefer Einöde ein fo grofs- 
artiges Schlofs zu bauen. Das Schlofs erhebt fich wie eine Fata Morgana, 
in einem jetzt verwilderten , von einer Mauer umzogenen waldigen Gehege 
von bedeutender Ausdehnung. Schon im frühen Mittelalter lag hier ein 
kleines Jagdfchlofs der Grafen von Blois, in deffen Nähe fpäter die Mutter 
Franz' I das Schlofs Romorantain bewohnte. Der König, der eine innige 
Anhänglichkeit an die Stätten feiner Jugend bewahrte, begann um 1526 
den Bau diefes mächtigen Schloffes. Die Conftruction ift riefenhaft gewaltig, 
alles aus grofsen Quadern, der ganze Bau von Weften nach Often ohne 
die Thürme gegen 400 Fufs breit bei 275 Fufs Tiefe. Es ift, als ob die 
ganze Phantaftik des Mittelalters noch einmal gegen den eindringenden neuea 
Geift fich^ erhoben und der Renaiffance mit diefer koloffalen Schöpfung fich 
eigenwillig und capriziös entgegengeworfen hätte: ein Verfuch, der um 
fo intereffanter auftritt, als er fich mit den Detailformen der Renaiffance 
vollzieht. (Fig. 31.) 

Die Anlage des Ganzen (Fig. 32) geht fo genau auf die Dispofitionen 
mittelalterlicher Burgen ein, dafs fie fogar den koloffalen, von den übrigen 
Gebäuden ifolirten Hauptthurm, den Donjon aufnimmt; nur dafs fie ihn für 
die modernen Lebensgewohnheiten umgeftaltet und durch ftreng fymme- 
trifche, regelmäfsige Anlage des Ganzen dem neuen Geifte eine Conceffion 
macht. Das Gebäude bildet ein grofses Rechteck, welches von vier runden 
Thürmen von 40 Fufs Durchmeffer flankirt wird. Jeder diefer Thürme zeigt 
im Innern eine andre Eintheilung, indem er im Wefentlichen aus einem 
oder zwei grofsen Wohnzimmern mit Kabinet, Garderobe und befonderem 
Treppenaufgang befteht. Ebenfo ift der vordere Flügel, zu dem eine Zug- 
brücke über den Graben führte, gleich den beiden Seitenflügeln in eine 
Anzahl von Wohnzimmern getheilt, von denen jedes mit einer Garderobe 
verbunden, vom Nebengemach aber abgefchloffen und mit eigenem Zugang 
verfehen ift. Welchen Werth man in den Schlöffern jener Zeit auf diefe 
Anordnung des Innern legte, beweift bei Rabelais die Schilderung der Thele- 
miten-Abtei, bcftätigt aufserdem die Mehrzahl der damals entftandenen 
Schlöffer. Die drei oben betrachteten Flügel des Schloffes haben nur ein 
Erdgefchofs und fchHefsen über diefem mit einer Terraffe. Nur die nörd- 

.A.ufn. bei Du Cerceau, T. I, Berty, renaiff. T. II und Gailhabaud, Denkm. der 
Bauk. Bd. IV. Das Gefchichüiche bei L. de la Sauffaye, le chäteau de Chambord, Lyon 
1859 und deff. Verf. Blois et fes environs. p. 247 ff. Vergl. dazu die prächtige Darfteilung 
in den Chäteaux hiftoriques II, 197 ff. 



92 Kap. III. Die RenaiiTance unter Franz I. 

liehe, an den Hauptbau fich anfchliefsende Hälfte der beiden Seitenarme ift 
mit einem oberen Gefchofs verfehen. Die vierte Seite bildet in zwei Stock- 
werken über einem mit Arkaden verfehenen Erdgefchofs die Verbindung 
mit dem Hauptbau. In den beiden äufseren Ecken ziehen diefe Arkaden 
einen Halbkreis, der fich als offenes Gerüft um eine grofse Wendeltreppe 
emporbaut. Beide Wendeltreppen reichen bis zum Dachgefchofs, wo fie in 
einer Kuppel mit fchlanker Laterne fchliefsen. Ihr Aeufseres ift in den drei 
imteren Gefchoffen mit Pilafbern, im oberften Stockwerk mit fchlanken 
Hermen bekleidet, die jedoch nicht vollendet, nur roh vorgehauen find. 




Von diefen beiden Treppen ift nur die öftliche, die zu den Wohnzimmern 
Franz' I führte, aus der erften Bauepoche, während die weftliche aus der 
Zeit Heinrichs II flammt. An diefer, fowie an den Obergefchoffen des an- 
ftofsenden Flügels find auch die Details bei weitem nicht fo fein ausgeführt, 
vielmehr fchwer und plump, mit roh angewandten Lilien-Emblemen und 
vorgefchobenen Säulen. 

Der merkwürdigfte Theil des Ganzen ift der in Form eines Donjon 
angelegte Mittelbau, ein Quadrat von 140 Fufs, flankirt mit vier runden 
Thürmen von ca. 62 Fufs Durchmeffer. Im Centrum diefes Baues erhebt 



§ 22. Schlofs Chambord. 



95 



fich felbftändig auf acht mächtigen Strebepfeilern die berühmte doppelte 
Wendeltreppe (Fig. 33), fo angelegt, dafs die Hinauf- und die Hinabftei- 
genden einander nicht zu begegnen brauchen. Mit ihren durchbrochenen 
Strebebögen und der fchlanken Laterne, auf deren Spitze eine koloffale 




Fig. 53. Chambord. Laterne. (Baldiiigcr.) 



IviHe fich erhebt, ragt fie in bedeutender Höhe über den Dächern der um- 
gebenden Theile und der Thürme in die Luft, mit dem trefflichen weifsen 
Kalkflein fich fcharf vom blauen Himmel abfetzend. Um diefe Haupttreppe 
legt fich in Form eines griechifchen Kreuzes ein grofser Saal, oder vielmehr 



.^4 Käp. III. Die Renaiffance unter Franz I. 

vier Säle, in jedem Gefchofs fich wiederholend, jeder mit zwei Kaminen, 
die verftändiger Weile nicht einander gegenüber angebracht find, um die 
Communication zu erleichtern. Diefe Säle find mit gewaltigen Tonnen- 
gewölben in mächtiger Steinconftruction überdeckt, in deren Cafletten man 
in vielfachen Variationen den Salamander und den Namenszug des Königs 
fieht. Im Verhältnifs zur Breite der Säle find die im Korbbogen ausge- 
führten Gewölbe etwas gedrückt, doch mag grade dadurch für die Bewohner 
ein behaglicher Eindruck erzielt worden fein. 

Die vier zwifchen den Kreuzarmen liegenden Ecken des Mittelbaues 
fowie die anftofsenden Thürme find wieder zu einzelnen Wohnräumen, deren 
jeder aus einem gröfseren Hauptgemach, Kabinet und Garderobe befteht, 
eingetheilt. Der Hauptraum in dem füdweftlichen Thurm ift die Schlofs- 
kapelle. Alle diefe Wohnräume haben ihre eigenen Aufgänge in kleinen 
Wendeltreppen, ftehen aber unmittelbar mit dem grofsen gemeinfchaft- 
lichen Saal in Verbindung, der feinerfeits wieder durch die Haupttreppe 
allgemein zugänglich ift und durch Seitengalerien, die an den Thürmen 
hingeführt find, mit den beiden äufseren Flügelbauten zufammenhängt. 
Eine gröfsere Kapelle ift in dem äufseren Thurme der nordweftlichen Ecke 
angebracht. Dies in kurzen Zügen die Eintheilung des Schloffes, der man 
.das Zeugnifs nicht wird verfagen können, dafs fie den Lebensbedürfniffen 
ihrer Zeit trefflich entfprach, obwohl fie diefelben wunderhch genug in die 
Formen einer vergangenen Kulturepoche einzwängte. 

Was nun die künftlerifche Behandlung betrifft, fo befteht diefelbe faft 
noch ausfchHefslicher als zu Blois aus antikifirenden Elementen. Die Haupt- 
theile des Gebäudes zeigen drei Gefchoffe, belebt durch Fenfter mit ein- 
fachen oder doppelten Kreuzftäben. Sämmtliche Fenfter haben geraden 
Sturz, mit Ausnahme der drei Rundbogenfenfter, die den Mittelfaal im oberen 
Gefchofs erleuchten. Die GUederung der Wände wird in allen drei Ge- 
fchoffen durch ein Syftem vertical verbundener Pilafter und horizontaler 
Gefimsbänder gebildet. Obwohl nun an ihren Kapitälen fich die mannig- 
faltigfle Erfindung und die delikatefte Behandlung des Reliefs geltend macht, 
fo vermag doch alles diefes die ftarre Monotonie diefer Gliederung, die an 
dem ganzen Bau in ödem Einerlei fich hinzieht, nicht genügend zu beleben. 
.Selbft das reiche Kranzgefims, das die Hauptmotive des fchönen Gefimfes 
von Blois, Confolen und Rundbogenfries, nur freilich in nicht lo organifcher 
Verbindung, wiederholt und eine etwas zu zierliche Balustrade hinzufügt, 
ift nicht im Stande, jenen Eindruck aufzuheben. 

Aber die Monotonie wird noch viel empfindlicher durch den über- 
fchwänglichen Reichthum, mit welchem die hohen Dächer des Mittelbaues 
und der Thürme mit ihren Laternen, mit den in lauter Variationen fich 
£rfchöpfenden Dachfenftern und ihren hohen Giebelkrönungen, den koloffalen, 



§ 22. Schlofs Chambord. 



95 



ebenfalls in den verfchiedenften Formen durchgeführten Kaminen und end- 
lich der Haupttreppe mit ihrer phantaftifchen, alles überragenden Laterne 
überladen find. Das Ange wird wie bei den compHcirteften gothifchen 
Eauten durch diefe Ueberfchwänglichkeit voUftändig verwirrt, und der un- 
befangene Befchauer mufs fich geftehen, dafs eine Architektur, welche die 
Haupttheile der Conftruction öder Nüchternheit Preis giebt, um die unter- 
geordneten Partieen auf's UngebührHchfte hervorzuheben, der Schönheit 
-wie der Wahrheit den Rücken kehrt. Wunderlich genug ift noch ein 
anderes dekoratives Element ausfchliefslich an den Pilaftern und Gefimfen 
der Dacherker, fowie den Kaminen und dem Treppenthurm verwendet: 
die zahlreich in die Flächen eingelaffenen Trapeze, Kreife, Halbkreife und 
Dreiecke von dunklen Schieferplatten, die den Reichthum diefer Theile 
noch fchreiender machen. Bekanntlich ift dies eine Dekoration, der fich 
nur die venezianifche und die von ihr abhängige oberitalienifche Kunft 
bedient. 

Wir haben es offenbar mit dem Werk eines Architekten zu thun, der, 
aus der einheimifchen Schule hervorgegangen, den Beweis liefern wollte, 
•dafs er des neuen Stiles vollkommen Herr fei und zugleich im Stande, ihm 
den phantaftischen Reiz der mittelalterlichen Architektur abzuringen. Diefer 
Künftler war, wie neuere Unterfuchungen dargethan, Pierre Nepveu, genannt 
Trinqueau, der ausdrücklich als Meifter der Arbeiten am Schlofs Chambord 
bezeichnet wird.^) Chambord ift übrigens niemals ganz vollendet worden. 
Auf einige fpäter ausgeführte Theile wiefen wir bereits hin. Das Erd- 
geschofs zeigt überall die feinen Formen der Zeit Franz' I, ebenfo der 
ganze Hauptbau und der vom König felbft bewohnte nordöftliche Flügel. 
Die oberen Gefchoffe des nordweftlichen Flügels dagegen beweifen durch 
ihre plumperen Formen und die rohere Ausführung eine fpätere Zeit. Aufser 
Heinrich II hat namentlich Ludwig XIV durch Manfart den Bau weiter 
führen laffen. In der Revolution wurde das Schlofs mit fo vielen anderen 
vollftändig verwüftet. Nicht blofs das prachtvolle Mobiliar wurde zerftört 
oder vertrödelt , fondern die reichen Kamineinfaffungen herabgefchlagen 
und herausgebrochen, ja felbft die koftbaren Tapeten von Arras verbrannt, 
um die Gold- und Silberfädchen daraus zu gewinnen. Jetzt ift im Innern 
keine Spur mehr von der alten Pracht ; nur die Gewölbe des grofsen Saales 
und einzelner Zimmer, in gedrücktem Bogen, aber in folidefter Conftruction 
ausgeführt, zeigen in ihren Caffetten Reliefs von ausgezeichneter Feinheit. 
Die grofse Kapelle in dem äufseren Thurme ift ernft und einfach in zwei 
Gefchoffen mit Wandfäulen dekorirt. 



') L. de la Sauffaye, a. a. O. p. 260: »Pierre Nepveu dit Trinqueau, maiftre de l'oeiivre 
de maconnerie du bastiment du Chaftel de Chambord.« 



96 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



S 23. 

ScHLoss Madrid oder Boulogne. 

EINEN gröfseren Gegenfatz innerhalb derfelben Zeit wird man kaum 
finden als ihn das Schlofs Madrid im Vergleich mit Chambord bietet. 
Franz I liefs es in der Nähe von Paris mitten im Bois de Boulogne feit 
1528 etwa errichten.^) Es erhielt allgemein den Namen Madrid, nicht wie 
man wohl gemeint hat, in Erinnerung an die Gefangenfchaft des Königs 
oder gar in Nachahmung eines in der Hauptftadt Spaniens befindlichen 
Schloffes; mehr Wahrfcheinlichkeit hat die Anficht, dafs diefer Beiname 
durch den Spott der Hofleute entftanden fei, wenn der König fich mit 
wenigen intimen Gefährten dem Hofe entzog, um in dem Schlofs des 
Boulogner Gehölzes feiner Mufe zu leben. Von diefem Prachtbau, der mit 




K-H I I H I I I 1 1 i 1 

Fig. 34. Schlofs Madrid. (Du Cerceau und V.-le-Duc.) 

dem feinften Kunftfinn angelegt und ausgeftattet war, ift kein Stein auf 
dem andern geblieben. Die Revolutionszeit hat ihn dem Erdboden gleich 
gemacht. Nur den Aufnahmen Du Cerceau's verdanken wir eine genauere 
Kenntnifs desfelben. 

Das Schlofs Madrid^) war das, was die Franzofen ein Manoir (manerium) 
nennen, d. h. ein kleineres, ohne Thürme und Donjon errichtetes ländliches 
Wohnhaus, dem in der Regel auch der Hof fehlt. Ganz fo verhielt es 
fich mit diefem Schlofs (Fig. 34). Es bildete ein Rechteck von 250 Fufs 
Breite bei 95 Fufs Tiefe. Auf den vier Ecken erhoben fich vortretende 

0 In dem königlichen Erlafs vom 28. Juli 1528 wird aufser Fontainebleau auch das 
Schlofs von Boulogne unter den auszuführenden Bauten genannt. De Laborde, la renailT. 
T- I, p- 537- — ^) Aufn. bei Du Cerceau, T. I vgl. dazu Viollet-le-Duc, Entretiens I^ 
p. 353 ff. 



§ 23. Schlofs Madrid oder Boulogne. 



97 



quadratifche Pavillons; zwei viereckige Treppenthürme theilten die beiden 
langen Fagaden in drei gleiche Theile, während an den fchmalen Seiten 
fich in der Mitte ein runder Treppenthurm erhob. Zwifchen diefen Treppen- 
thürmen und den Pavillons find auf Pfeilern mit vorgelegten Halbfäulen in 
den beiden Hauptgefchoffen Arkaden herumgeführt, genügend geräumig, 
um eine leichte Communication zu geftatten, aber nicht fo tief, um den 
grofsen, mit doppelten Kreuzftäben verfehenen Fenftern das Licht zu ver- 
kümmern. Der mittlere Theil der beiden Hauptfagaden hat dagegen in 
ganzer Breite eine Treppe A, welche zu einem weit zurückfpringenden 
Bogengang von beträchthcher Tiefe (i2Fufs) führt. Diefe ftatthchen Hallen 
bilden den Zugang zu dem grofsen Saal, der mit feiner Länge von circa 
65 Fufs und feiner Breite von 28 Fufs den ganzen mittleren Theil der 
Anlage einnimmt. Diefer Saal wiederholt fich mit feinen Arkaden im oberen 
Hauptgefchofs. Es folgt dann ein kleineres Gefchofs, deffen Gemächer 
durch die auf den untern Arkaden ruhende Terraffe mit einander verbunden 
fmd; endhch ein viertes Stockwerk, welches gleich dem vorigen von mäfsiger 
Höhe ift und, wie jenes, Gaftzimmer enthielt. Aufserdem war ein niedriges 
Erdgefchofs , halb unterirdifch , mit mächtigen Gewölben angebracht, das 
die Küchen und fonftige Haushaltungs- und Dienflräume umfchlofs. Mit 
richtigem Verftändnifs hatte der Architekt das Gebäude fo orientirt, dafs 
die Hauptfronten nicht genau nach Norden und Süden gerichtet waren; 
der Saal und die meiften andern Räume hatten dadurch im Sommer er- 
frifchende Kühle und in der kälteren Jahreszeit möglichft viel Sonne. 

Die Anordnung des Innern war, den Sitten der Zeit entfprechend, von 
ausgefuchter Zweckmäfsigkeit. Der grofse Saal B, von zwei prächtigen 
Kaminen erwärmt, hatte an der einen Schmalfeite einen kleineren Saal B', 
der dem König diente, wenn er fich von der Gefellfchaft zurückziehen 
wollte. Im diefem Saal erhob fich bei C ein mächtiger Kamin, hinter 
welchem ein Gang D und in der Mauer eine Treppe E angebracht war, 
auf welcher man ungefehen zu einem über diefem Theil liegenden kapellen- 
artigen Raum gelangen konnte. Diefe beiden Räume zufammengenommen 
hatten die Höhe des Hauptfaales, die gegen 22 Fufs betrug. Aufserdem 
ftand diefer Nebenfaal durch befondere Eingänge mit den äufseren Arkaden 
in Verbindung. Die übrigen Theile der beiden Hauptgefchoffe waren zu 
gefonderten Wohnungen beftimmt. Man findet in jedem Flügel vier grofse 
Zimmer F mit Kaminen, jedes mit einer Garderobe H verbunden, die zum 
Theil in den Eckpavillons angebracht und in finnreicher Weife untereinander 
und mit den Portiken verbunden fmd. Jedes diefer Wohngemächer konnte 
von dem andern abgefondert werden; jedes ftand in unmittelbarer Ver- 
bindung mit den Portiken G und den Treppenthürmen I, fowie mit dem 
Hauptfaal, fo dafs die Bewohner, ohne beobachtet zu werden, aus- und ein- 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 7 



98 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



gehen konnten. Die Verbindung der Räume war alfo fo angenehm und 
bequem wie möglich; der Architekt hielt dabei zwar für den Mittelbau die 
Axen der Fenfter und Arkaden übereinftimmend, band fich aber für die 
Flügel nicht ftreng an folche Vorfchrift. Dagegen legte er die Thüren 
der Gemächer überall dicht bei den Fenftern an, fo dafs er möglichft viel 
ununterbrochene Wandflächen erhielt. Endlich ift noch zu bemerken, dafs 
auch in den offenen Portiken durch die vorfpringenden Treppenthürme und 
Pavillons die Zugluft möglichft abgefchnitten war. Man darf diefes Schlofs 
alfo wohl als Mufter eines fürftlichen Landfitzes jener Zeit bezeichnen. 

Der Aufbau des Ganzen, von dem wir in Fig. 35 den mittleren Theil 
geben, zeigte eine Verbindung zwifchen italienifcher und franzöfifcher Auf- 
faffung, die hier ebenfo gelungen, wie in Chambord mifsglückt war. Die 
hohen Dächer, die jeden Haupttheil bedeckten, die kuppelartigen Krönungen 
der Wendeltreppen, die Manfardenfenfler und die gewaltigen Kamine ge- 
hörten der nationalen Ueberlieferung an, aber fie waren auf das Maafs des 
Noth wendigen zurückgeführt, nicht Gegenftand einer phantaftifchen Lieb- 
haberei geworden. Auch die Fenfter mit ihren fteinernen Kreuzftäben 
und die Conftruction der Wölbungen gehörten der heimifchen Bauweife an : 
alles Uebrige dagegen war der italienischen Renaiffance mit freiem Ver- 
ftändnifs nachgebildet. Dies gilt von den Arkaden mit ihren eleganten 
Pfeilern und Säulen, ihren reich profilirten und caffettirten Bögen und ihren 
Medaillonfüllungen, von den elegant decorirten Friefen und der mannig- 
faltigen Umrahmung der Fenfter, durch welche jedes Stockwerk feinen 
befonderen Charakter erhält, endlich von der Krönung der Thüren, die 
mehrfach einen Giebel mit ruhenden Figuren zeigen. Den glänzendften 
Schmuck empfing der Bau durch die reiche Anwendung farbig glafirter 
Terrakotten , für welche Girolamo della Robbia ausdrücklich von Florenz 
berufen wurde.') An den Friefen der Hauptgefchoffe und den Medaillons 
der Arkaden, ebenfo an den Deckencaffetten der Portiken, fowie an den 
Fufsböden war diefer glänzende Schmuck verwendet. Du Cerceau gibt 
einige Beifpiele der Caffettenplatten , die durch Schönheit der Zeichnung 
und Reichthum der Erfindung bewundernswürdig find. Wenn indess der 
gelehrte Viollet-le-Duc^) die Behauptung ausfpricht, dafs diefe Anwendung 
glafirter Terrakotten am Aeufsern von Gebäuden eine neue, Franz I zu 
verdankende Erfindung fei, fo vergifst er unter anderem die Fagaden der 
Innocenti zu Florenz, des Hofpitals zu Piftoja, vor Allem des Oratoriums 
S. Bernardino zu Perugia. 

Vafari, V. di Luca della Robbia T. III, p. 72: s Girolamo fu condotto in 

Francia; dove fece molte opere per lo re Francesco a Madri, luogo non molto lontano da 
Pärigi; e particolarmente un palazzo, con molte figure ed altri ornamenti« etc. — 2) Entre- 
tiens T. I, p. 354. 



100 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



Es ift auch bei diefem Bau lebhaft darüber geftritten worden, ob er 
von einem itahenifchen oder einem einheimifchen Baumeifter herrühre. Dank 
neueren Unterfuchungen wiffen wir, dafs es ein Franzofe war, Piej-re Gadier, 
welcher den Bau entworfen und ausgeführt hat. Mit Unrecht will der 
Graf de Laborde den wackeren »maitre magon« zu einem blofsen technifchen 
Bauführer herabfetzen, indem er fagt: »Gerome de la Robbia etait l'artifte 
createur, l'homme de genie et de goüt, Pierre Gadier, ouvrier foumis, mais 
en reaUte le veritable conftructeur. « Diefe Hypothefe fchwebt vollftändig 
in der Luft; felbft Vafari weifs nur von Terrakotten und Stuckaturen, mit 
welchen della Robbia das Gebäude gefchmückt habe. Von diefen Arbeiten, 
die gröfstentheils das Innere angingen, giebt Du Cerceau reichliche Bei- 
fpiele. Er hat die beiden Kamine des Hauptfaales mit der zwifchen ihnen 
liegenden Thür, den grofsen Prachtkamin des Nebenfaales und aufserdem 
noch mehrere Kamine der verfchiedenen Zimmer dargeftellt. An diefen 
fällt nicht blos der Reichthum der Dekoration, die verfchwenderifche 
Anwendung von Sculptur und Malerei, die Mannigfaltigkeit der Anord- 
nungen auf, fondern mehr noch eine bedenklich hervortretende Vorliebe für 
fchwülftige, ja geradezu barocke Formen. Namentlich find hermenartige 
Karyatiden in zum Theil höchft unfchönen Formen zur Anwendung gekommen. 
Da indefs die innere Ausftattung erft nach Franz' I Tode durch Philibert 
de rOrme und fpäter durch Primaticcio zur Vollendung kam, fo müffen 
wir einen Theil diefer Werke diefer fpätern Zeit zurechnen. Wir wollen 
nur noch anmerken, dafs die reicheren Kamine eine grofse Nifche mit einem 
Poftament, das für eine Statue beftimmt war, über fich haben, andere 
dagegen ein offenbar für Malerei beftimmtes Bildfeld. An einem Kamine 
ift dasfelbe mit einem Gemälde der Entführung der Europa gefchmückt. 

Pierre Gadier ftarb 1531; ihm folgte Gratien Frangois und fein Sohn 
Jean, fämmtlich alfo Franzofen. Auch de l'Orme verwendete einen ein- 
heimifchen Fayencekünftler aus den berühmten Werkftätten von Limoges, 
Pierre Courtois. Erft Primaticcio hefs wieder della Robbia kommen. Jeden- 
falls hat kein anderes Gebäude in fo hohem Grade eine Anfchauung von dem 
intimen Leben feines kunftfinnigen fürftHchen Erbauers gegeben wie diefes. 

§ 24. 

Das Schloss von Fontainebleau. 

AM fühlbarften tritt der Einflufs und die Mitwirkung italienifcher Künftler 
bei dem Schlofs hervor, welches man als eins der bedeutendften 
Hauptwerke diefer Epoche, als die Lieblingsfchöpfung Franz' I betrachten 
kann. Fontainebleau') war fchon im 12. Jahrhundert ein königliches 

I) Aufn. bei Du Cerceau, Tom. II und in Pfnor, Monogr. de Fontainebleau. Fol. 2 
Vols. Prachtwerk mit Text von ChampoUion-Figeac. Vergl. dazu Paluftre I, 173 — 230 
mit trefflichen Abbildungen. 



§ 24- Das Schlofs von Fontainebleau. 



lOI 



Schlofs, welches den Jagden in dem benachbarten grofsen Walde, noch 
jetzt einem der fchönflen Frankreichs, feine Entfbehung verdankte. Ludwig VII 
liefs II 60 eine Kapelle zu Ehren der Maria und des heiligen Saturnin dort 
erbauen. Ludwig der Heilige gründete eine zweite Kapelle der heihgen 
Dreifaltigkeit und ein Spital dicht bei feinem Palaft, zu deffen Dienft er 
im Jahre 1259 Mathuriner-Mönche berief. Frühzeitig wurde zugleich Fon- 
tainebleau der Sitz der königlichen Bibliothek, welche fpäter der Grundftock 
der grofsen Bibliothek von Paris wurde. Aber erft Franz I fchuf das mittel- 
alterliche Schlofs zu einem königlichen Palafte um, der an Ausdehnung 
wie an Pracht der Ausftattung feines Gleichen fuchte. Wenn man die 
Anlage diefes ungeheuren Baues, dessen Längenausdehnung gegen 450 Meter 
mifst, prüft (Fig. 36), fo fieht man aus feiner Unregelmäfsigkeit, dafs der 
fogenannte ovale Hof A die älteften Theile umfafst. Diefer Hof ift links 
mit einer Doppelreihe von Zimmern umgeben, während die rechte Seite 
hauptfächlich durch eine Doppelkapelle D mit polygonem Schlufs (St. Saturnin) 
und einem galerieartigen Saale C, der fogenannten »Galerie Heinrichs II« 
eingefafst wird. Den Abfchlufs bildete zu Du Cerceaus Zeit gleich neben 
der Kapelle ein ovaler Saal (J in Fig. 41), von welchem man mittelft einer 
Zugbrücke über den damals noch vorhandenen Waffergraben in diejenigen 
Gebäude, PI, gelangte, welche fpäter unter Heinrich IV auf drei einen faft 
quadratifchen Hof von 85 zu 77 Meter umgebende Flügel erweitert wurden. 
Heinrich IV verlängerte auch den ovalen Hof, indem er neben der Kapelle 
und ebenfo an der gegenüberliegenden Seite ihn nach Often weiter führte. 
Eine andere Vergröfserung , die ebenfalls diefer fpäteren Zeit angehört, 
befteht aus der Gebäudegruppe J, welche links von dem ovalen Hof fich 
um die »Cour des Princes« herumzieht und deren vorderer Flügel die 90 Meter 
lange »Galerie der Diana«, K, enthält. Kehren wir zum ovalen Hof als 
dem Centrum der Anlage zurück, fo finden wir dort in der Mitte der vorderen 
Schmalfeite einen viereckigen Thurm E, den alten Donjon, deffen Mauern 
wie die der anstofsenden Theile von der früheren mittelalterlichen Anlage 
beibehalten wurden. Vor diefe älteren Theile des Hofes legt fich im Erd- 
gefchofs eine offne Arkade auf Säulen, die durch Architrave verbunden 
werden. Ueber ihnen bildet fich im oberen Gefchofs eine Terraffe zur 
Verbindung der Räume. An dem ehemaligen Eingang in die nördlichen 
Gemächer wird diefe Arkade durch einen auf Pfeilern mit Halbfäulen 
ruhenden loggienartigen Vorbau F in zwei Gefchoffen unterbrochen. Seine 
Bögen (Fig. 37), zum Theil halbrund, zum Theil in gedrückter Korbhenkel- 
form, zeigen wie die übrigen Theile ein ziemliches Verftändnifs und dabei 
doch eine freie Nachbildung der antiken Bauweife. 

War in diefen Theilen durch Beibehaltung der alten Anlage die Unregel- 
mäfsigkeit des Grundriffes bedingt, fo beweift die Regelmäfsigkeit aller 



§ 24. Das Schlofs von Fontainebleau. 



103 



übrigen Theile, dafs fie von Grund aus neu erbaut wurden. Zunächft wurde 
an die älteren Theile, namentlich jenen viereckigen Thurm des Mittelalters, 
der Längenaxe des Ganzen entfprechend, ein weiterer Flügel N gelegt, 
der nach Norden eine Reihe von Zimmern, nach Süden die 58 Meter lange 
■> Galerie Franz' I« enthält. Am Ende derfelben legt im rechten Winkel 
ein Querbau aus zwei Flügeln fich vor, der Hnks die ganz neu erbaute 




Fig. 37. Schloss von Fointaiiiebleau. Aus dem ovalen Hof. (Nach Pfuor.) 

Dreifaltigkeitskapelle O, daran anftofsend mehrere Wohngemächer und einen 
Saal zum Ballfpiel T enthält, rechts ftattlich angelegte Wohnräume P, die 
Pius VII bei feiner Gefangenfchaft als Quartier angewiefen waren. Vor die 
Mitte diefes 132 Meter langen Querbaues legt fich die berühmte hufeifen- 
förmige Rampentreppe R. 

Diefem weftlichen Flügel entfprechend wurde am entgegengefetzten 
Ende der Galerie Franz' I ein dritter Flügel L mit doppelter Freitreppe 



104 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



/ 



aufgeführt, der das Theater enthielt. Der füdHche Seitenhof M, der auf 
diefe Weife entftanden war, wird »Cour des Fontaines« genannt, weil am 
Schlufs feiner Längenaxe als prächtiger Augenpunkt für die Galerie Franz' I 
fich eine Fontaine und das Baffin eines grofsen Weihers befindet. Aber mit 
diefer gewaltigen Ausdehnung, die bereits vier Höfe umfafst, war der Bau 
noch nicht abgefchloffen. Schon Franz I fügte einen fünften Hof S hinzu,, 
den »Hof des weifsen Pferdes« , fo genannt, weil feine Mitte lange Zeit 
durch das Gypsmodell des Pferdes von der Reiterfbatue Marc Aurels ein- 
genommen wurde. Er ifb der gröfste von allen, 165 Meter tief und iio- 
Meter breit, rings umgeben von niedrigen Flügeln, die aus einem Parterre 
und einem Dachgefchofs beftehen, zu welchem jedoch an der Südfeite noch 
ein oberes Stockwerk kommt. In der Mitte und auf den Ecken diefer Flügel 
erheben fich, die Einförmigkeit zu unterbrechen, Pavillons mit hohen Dächern. 
Fügen wir hinzu, dafs ausgedehnte Blumenparterres, Parkanlagen mit präch- 
tigen Baumalleen, Teichen und Springbrunnen das Ganze fchon damals um- 
gaben, fo ift eine annähernde Vorftellung von der Ausdehnung diefer grofs- 
artigen Refidenz gegeben. Karl IX zog einen tiefen Waffergraben aus 
Anlafs der Bügerkriege um die Haupttheile des Schloffes, der den äufsern 
Hof von dem Hauptbau trennte, fo dafs man mittelft einer Zugbrücke ehe- 
mals zu der Haupttreppe gelangte. Du Cerceau zeichnet diefen Graben, 
der indefs fpäter ausgefüllt worden ift. 

Vergleicht man nun unbefangen diefen berühmten Bau mit den anderen 
Schlöffern Franz' I, fo wird man geftehen müffen, dafs er dem Rufe, deffen. 
er feit alter Zeit geniefst, keineswegs entfpricht. Mehr in die Länge und 
Breite fich ausdehend, als nach der Höhe entv/ickelt, bietet er dem Auge 
nirgends einen mächtigen Totaleindruck. Er ift nicht fo phantaftifch wie 
Chambord, fondern grenzt eher an eine gewiffe Nüchternheit; er hat nicht 
den graziöfen Reiz der plaftifchen Details von Blois, noch der malerifchen 
von Madrid, vielmehr neigt feine Formbehandlung zur Trockenheit. Alle 
Theile des Baues mit Ausnahme weniger Pavillons haben über dem Erd- 
gefchofs nur ein Stockwerk, und felbft die in Frankreich fo beliebten Dach- 
gefchofse find hier nicht durchgängig zur Anwendung gebracht; wo fie 
aber vorkommen, zeigen ihre Fenfter eine ftrengere mehr antikifirende Um- 
rahmung mit Pilaftern und graden oder gebogenen Giebeln, weit entfernt 
von der phantafievollen Mannigfaltigkeit zu Blois und Chambord. Mit einem 
Wort : das üppige Spiel der Frührenaiffance ift zu Ende, mit Fontainebleau 
beginnt das Ueberwiegen des itahenifchen Einfluffes. Damit hängt es zu- 
fammen, dafs die Treppen hier meift nicht mehr als Wendelftiegen in vor- 
fpringenden Thürmen, fondern im Innern des Baues angebracht find. 

Am meiften von der frifchen Anmuth der früheren Zeit hat fich in 
den Säulengängen des ovalen Hofes eingefunden. Befonders die Käpitäle 



§ 24- Das Schlofs von Fontainebleau. 



105 



variiren in reizenden Erfindungen ; hockende Kinder bilden die Ecken, 
während die Flächen vom Namenszug Franz' I, von gekrönten Salamandern, 
Fruchtfchnüren oder elegantem Akanthusblatt gefüllt werden. (Vgl. die 
Abbildung auf S. 53). Auch die Kapitale der Pilafter am grofsen Thurm 
und an den Dachfenftern zeigen mannigfaltige Erfindung. Diefelbe Behand- 
lung wiederholt fich am fogenannten »Pavillon der Maintenon« B, bei welchem 
übrigens zum erften Mal je zwei Stockwerke äufserlich durch grofse Pilafter- 
ftellungen als eines dargeftellt find. Unfchön genug fchneiden dabei die 
Giebelkrönungen des untern Fenfters in die Brüftungen des oberen hinein.. 
Die fogenannte »porte doree« diefes Pavillons, zu Franz' I Zeit das Haupt- 
portal des Schloffes, öffnet fich nach aufsen mit einem korbförmigen Bogen 
und hat in ihrem Tympanon ein Relief, den Salamander in einem Medaillon, 
umfafst von Fruchtfchnüren , auf beiden Seiten von weiblichen Genien 
begleitet. Zu den tüchtigften Partieen gehört die füdliche Fagade des 
ovalen Hofes, welche zwifchen der Kapelle St. Saturnin und einer in der 
Fagade maskirten Wendelftiege in beiden Stockwerken eine Galerie, unten 
für die Garden, oben als Ballfaal beftimmt, enthält, die fich mit koloffalen 
Fenftern von zwölf Fufs Breite zwifchen Pilaftern nach aufsen öffnet (Fig. 38). 
Im oberen Gefchofs ift der Zwifchenraum der Bögen in etwas lockerer 
Compofition durch Medaillons mit Emblemen Franz' I ausgefüllt. Zu der 
Treppe, die in einem Pavillon angebracht ift, führt ein doppeltes Portal, 
niedrig mit Pilaftern eingefafst und — eines der früheften Beifpiele diefer 
Art — mit einem antiken Giebel bekrönt, deffen Wirkung gleichwohl durch 
den wunderlichen mittleren Auffatz und die grofsen Figuren auf den Ecken 
in Frage geftellt wird. Dafs diefe Fagade von keinem klaffifch gefchulten 
italienifchen Architekten, fondern von einem franzöfifchen Maurermeifter, 
der die Antike nur von Hörenfagen kannte, herrührt, ift unzweifelhaft. 

Diefer Stil vereinfacht fich noch um ein Wefentliches an den Fagaden 
des Hofes der Fontaine. Die Hauptfagade desfelben, welche die Galerie 
Franz' I enthält, hat ein Erdgefchofs von kräftigen Rufticapfeilern, je zwei 
enger geftellt und durch eine nifchenartige Oeflnung verbunden, die einzelnen 
Syfteme aber unter einander durch einfache Arkaden verknüpft, wodurch 
eine lebendige Abwechselung erzielt wird. Diefe Halle wurde indefs erft 
unter Heinrich IV dem Baue aus Franz' I Zeit vorgelegt. Originell ift 
nun, dafs über den Arkaden die obere Wand eine gefchloffene Fläche zeigt, 
während über den Nifchen grofse rechtwinklige Fenfter die durch Pilafter 
gegliederte Mauer durchbrechen. Die öftHche Fagade desfelben Hofes, vor 
welcher fich die Doppeltreppen zum Theater hinaufziehen, zeigt eine Archi- 
tektur von einer ähnhchen fchlichten Derbheit, im Erdgefchofs Ruftica, im 
oberen Stockwerk dorifche Pilafter zwifchen einfachen Fenftern, an deren 
Stelle am Mittelbau Nifchen treten. Auch die Dachfenfter, in der Mitte 



io6 



Kap. III. Die Renaiflance unter Franz I. 



zu einem dominirenden Giebelbau ausgebildet, beweifen eine bezeichnende 
Vereinfachung des Stils. (Fig. 39.) Eine andere Galerie, von ihren berühmten 
durch Primaticcio ausgeführten Gemälden die »Galerie des Ulyffes« genannt, 
wurde fpäter unter Ludwig XV zerftört. 




Fig. 38. Schlofs zu Fontainebleau. Theil der Südfafade des ovalen Hofes. (Pfnor ) 



Konnte demnach das Aeufsere von Fontainebleau fich an Feinheit und 
Reichthum der Durchbildung mit den übrigen Schlöffern Franz' I nicht 
meffen, fo war dagegen aller Nachdruck auf die Ausfchmückung des Innern 



§ 24. Das Schlofs von Fontainebleau. 107 

gelegt. Für folche Dekorationen hatte fich in Italien ein Stil gebildet, der 
befonders durch Giulio Romano zur üppigften Entfaltung gekommen war. Er 
verband die reichfte Anwendung von Gemälden an Decken und Wänden 
mit Stuckaturen, welche jede Art plaftifcher Schöpfungen vom Relief bis 
zur Freifculptur häufte, damit aufserdem Holzbekleidungen in reichem 




Fig. 39. Fontainebleau. Theaterfajade. (Pfnor.) 

Schnitzwerk und glänzenden Schmuck von Farben und Vergoldung verband. 
(Fig. 40.) Aber diefe Dekoration artete bald zu einem Schwulft und einer 
Ueberladung aus, von welcher die Galerie Franz' I ein auffallendes Beifpiel 
bietet. In diefem Gewirr von Einzelheiten, die einander zu überfchreien 
fuchen, diefen Bildern, die nicht blofs von reichgefchnitzten Rahmen, fondern 



Io8 Kap. III. Die Renaiffance unter Franz 1. 

auch von Fruchtfchnüren, von wunderlichem Cartouchenwerk mit fpielenden 
Genien, athletifchen Männergeftalten und üppigen Frauen, von Hermen und 
Karyatiden, Panisken, Engelköpfen, Masken, kurz allen Ausgeburten der 
antiken und chriftlichen Mythologie umfpielt werden, verliert das Auge 
jeden Halt und irrt rathlos, ohne einen Ruhepunkt zu finden, vom einen 
zum andern. Nur die holzgefchnitzten Plafonds zeichnen fich durch gute 
Eintheilung und edlen Stil der Ornamente vortheilhaft aus. Gewifs ift nie 
ein Palaft mit gröfserem Aufwand von künftlerifchen Mitteln errichtet worden, 
und die Gefammterfcheinung diefer ausgedehnten, aber ziemlich niedrigen 
und fchmalen Galerieen, die unter Louis Philipp und dem neuen Kaiferreich 
mit allem Aufwand wieder hergeftellt find, ift von unvergleichlichem Effekt ; 
wenn aber Franz I die heften Kräfte feiner Zeit heranzuziehen fuchte, fo 
war es nur fein Unglück, nicht feine Schuld, dafs diefe bereits den vollen 
Verfall der italienifchen Kunft mit fich brachten. 

Man hat viel darüber geftritten, ob die von diefem König errichteten 
Theile des Schloffes von franzöfifchen oder italienifchen Architekten her- 
rühren. Das ausführhche Decret vom 28. April 1528, in welchem der 
König die neu zu errichtenden Bauten anordnet, nennt keinen Künftler- 
namen ; doch wiffen wir, dafs in demfelben Jahre Serlio berufen wurde, 
und ihm hat man daher ohne Weiteres die Bauten des ovalen Hofes zu- 
fchreiben wollen. Allein die dort angewandten Kunftformen, befonders die 
Säulen der Arkaden zeigen foviel Originalität in der Behandlung, dafs wir 
fie nur als Erfindung franzöfifcher Künftler anfehen können. Die gleich- 
zeitigen ItaHener hätten die fchulmäfsig feftgeftellten antiken Ordnungen 
verwendet. Ebenfo find in der Bildung der Gefimfe und anderer Baugheder 
zwar die antiken Formen im Einzelnen mit Verftändnifs gehandhabt, aber 
in fo willkürlicher Weife zufammengefetzt, namentlich die Pilafter fo fyftemlos 
angeordnet, dafs man einen Architekten erkennt, der zwar die neue Bau- 
weife ftudirt hat, aber nicht zum vollen Verftändnils durchgedrungen ift. 
Die überftrömende Frifche und Phantafiefülle der Frührenaiffance fteht ihm 
nicht mehr zu Gebote ; und zu der ftreng klafficiftifchen Behandlung, welche 
in Italien durchgedrungen war, reicht feine architektonifche Bildung nicht 
aus. Gegen Serlio's Urheberfchaft fpricht ohnediefs der Umftand, dafs 
man in feinem bekannten Werk keine Andeutung diefer Art findet, dafs er 
vielmehr den ohne fein Zuthun erbauten Ballfaal, für welchen er einen 
eigenen Entwurf beibringt, einer fcharfen Kritik unterwirft. WahrfcheinHch 
dagegen darf man ihn als den Erbauer der Fagaden des Fontainenhofes 
betrachten, da dort jene mehr fchulmäfsige , einfach ftrenge Architektur 
herrfcht, welche um jene Zeit mit ihrem würdevollen, aber etwas trocknen 
Ernft durch ihn und die anderen italienifchen Theoretiker zum Gefetz erhoben 
wurde. Er kommt als »paintre et architecteur du Roy« mit anfehnlichen 



I lO 



§ 24. Die Renaillance unter Franz I. 



Summen bis zum Jahre 1550 in den Rechnungen von Fontainebleau vor, 
wo er bis an fein Lebensende (1568) thätig bUeb. 

Diejenigen Künftler aber, welche den wefenüichften Theil der Aus- 
ftattung, die Dekoration des Innern, namenüich der Galerieen leiteten, waren 
zuerft der Florentiner Roffo (»maitre Roux«), der um 1530 berufen wurde 
und bis zu feinem Tode 1541 die Malereien und Stuckaturen, befonders 
der Galerie Franz' I ausführte.^) Aber fchon 1531 wurde auch Primaticcio^) 
berufen, der indefs mit Roffo fich fo heftig verfeindete, dafs der König ihn 
mit Aufträgen nach Italien fchicken mufste. Eine Zeit lang freilich fehen 
wir beide, jeden für fich gefondert, mit zahlreichen Gehülfen neben einander 
befchäftigt. Nach dem Tode Roffo's erhielt jedoch Primaticcio die aus- 
fchliefsliche Leitung der Arbeiten, die er gleich damit begann, dafs er eine 
Anzahl der Werke feines Vorgängers zerftören liefs. Noch unter den beiden 
Nachfolgern Franz' I blieb er in Thätigkeit bis zu feinem Tode im Jahre 
1570. Ihn unterftützte namentlich Niccolb deW Abbate der die fpäter 
zerftörte Galerie des Ulyffes und den Ballfaal ausmalte. Zunächft waren 
es überhaupt itahenifche Künftler, welche bei diefen Arbeiten mitwirkten. 
Neben ihnen und einigen flandrifchen Meiftern finden wir aber in den 
Rechnungen eine anfehnliche Zahl einheimifcher Künftler, die als Maler, 
Stuckatoren und Bildhauer bezeichnet werden. Diefs ift die »Schule von 
Fontainebleau«, von welcher dann der italienifche Gefchmack in Frankreich 
zur ausfchliefslichen Herrfchaft erhoben wurde. 

Leider brachten diefe Italiener den Manierismus mit all' feinen Aus- 
fchweifungen mit herüber, welchem feit Rafaels Tode die meiften Schulen 
Italiens unaufhaltfam fich hingaben, und hier im fremden Lande, wo ihre 
Schöpfungen als höchfte Offenbarungen bewundert wurden, fielen fie einer 
um fo gröfseren Verwilderung anheim, als kein maafshaltender Einflufs ihnen 
zügelnd zur Seite ftand. Gefällt fich Roffo in Nachahmungen Michelangelo's, 
in bravourmäfsigen Verkürzungen und übertriebenen Stellungen und Bewe- 
gungen, fo wird Primaticcio noch widerwärtiger durch die affektirte Grazie 
feiner überfchlanken Geftalten, in denen die Franzofen noch immer gern 
»griechifche Anmuth« fehen. 4) Angefichts diefer mit fo hoher fürftlicher 
Liberalität und fo bedeutenden Mitteln in's Leben gerufenen Werke voll 
Unnatur und Uebertreibung kann man fich des Gedankens kaum erwehren, 
wie viel günftigere Refultate die Kunftliebe des Königs gehabt haben müfste, 
wenn Andrea del Sarto, anftatt das Vertrauen des Monarchen durch feinen 
Leichtfinn zu täufchen, die Leitung diefer grofsen Arbeiten erhalten hätte. 

^) Vafari, V. del Roffo, T. IX, p. 77 ff. — ^) Vafori, V. di Primanccio, T. XIII, p. 3 ff. 
— 3) Vafari, V. di Primaüccio, T. XIII, p. 5 fg. — 4) So Champollion-Figeac im Text 
zum Pfnor'fchen Werke: »Les raccourcis nombreux du Roffo dans fes figures ne feront 
jamais oublier l'elegance toute Grecque de fon contemporain.« Tom. II, p. 2. 



§ 2$. Die Bau-Urkunden von Fontainebleau. 



III 



§ 25. 

Die Bau-Urkunden von Fontainebleau. 

FÜR die Baugefchichte von Fontainebleau ift eine Reihe von Doku- 
menten von Bedeutung , welche veröftentlicht zu haben das Verdienft 
des Grafen De Laborde ift.^) Wir finden einen Erlafs des Königs vom 
28. Juli 1528, in welchem Franz I die Abficht ausfp rieht, in Fontainebleau 
und dem Walde von Boulogne mehrere Gebäude ausführen zu laffen.s) Ein 
anderer könighcher Willensakt vom i . Auguft desfelben Jahres, gleich dem 
vorigen aus Fontainebleau datirt, wiederholt den Inhalt des erften und dehnt 
ihn auf »deux autres lieux de Livry« aus.t) Am wichtigften aber ifh das 
umfangreichfte und zugleich frühefte diefer Aktenftücke, welches am 
28. April 1528 erlaffen wurde. 5) Es enthält die genaueften Anweifungen 
über Gröfse, Form und Ausführung des neuen Baues und geht in der 
Sorgfalt für die Feftfetzung der einzelnen Punkte fo fehr in's Detail, dafs 
nicht blofs das Maafs der einzelnen Räume und die Art der zu verwendenden 
MateriaHen, wie fich von felbft verficht, genau feftgefetzt wird, fondern dafs 
fogar die Dicke der Mauern und der Grad ihres Abnehmens in den oberen 
Gefchoffen , die Form der einzelnen architektonifchen GHeder , ja felbfb 
die Anlage der Aborte mit ihren Sitzen und Zuglöchern^) vorgefchrieben 
wird. Man erkennt mit fteigendem Intereffe aus den detailHrten Angaben, 
wie der Bau dem König eine befonders am Herzen liegende Sache war, 
und kann aus der Aufzählung der einzelnen Theile die Entftehung und den 
Fortgang der Arbeit Schritt für Schritt verfolgen. Bisweilen wird in all- 
gemeinen Ausdrücken gefagt , dafs diefer oder jener in Rede ftehende 
Theil »aufs Befte« oder »nach dem heften Ermeffen des Meifters« oder 
:>wie fich's gehört« ausgeführt werden folle. In der Regel aber werden die 
Wünfche des Bauherrn umftändlich und genau präcifirt. So wird z. B. von 
den äufseren Pfeilern gefagt, fie follen fein »garnies de chapiteaux de fagon 
honnefte«.7) Von den Wandpfeilern (»piedroicts«) heifst es: »lesquels feront 
garnis de contrepilliers portans baffe et chapiteau, arquitrave, frize, corniche 
et frontepie, ainfi qu'il appartient«.^) 

Der Bau beginnt (Fig. 41) an der Südfeite des ovalen Hofes A mit 
Abbruch des alten Portals, ftatt deffen ein neues (die jetzige »porte doree«) 
in einem viereckigen Pavillon B, deffen Maafse genau angegeben werden, 
zu errichten ift. Die Anzahl der verlangten Zimmer, die Mauerftärke wird 
feftgefetzt, die Höhe der Räume dagegen und die Weite der Portalhalle 

') Das luxuriöfe Werk von Pfnor leiftet für die Gefchichte des Baues nicht Er- 
fchöpfendes. Wir verfuchen diefs fchwierige Kapitel fo weit zu löfen, als die uns zu Gebote 
ftelienden Hülfsmittel reichen. — 2) La renaiffance des arts a la cour de France. Tom. I, 
P'ig- 337 ff- — ^) Ebenda p. 337. — '^) Ebenda p. 338. — s) Ebenda p. 342—370. — 
6) Ebenda p. 361. — ?) Ebenda p. 344. — ^) Ebenda p. 346. 



112 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



dem Ermeffen des Architekten frei gegeben: »que fera adoife pour le 
mieulx.« Auch die beiden kleineren Pavillons, welche den gröfseren ein- 
fchliefsen, werden fammt den Dachfenftern genau bezeichnet. Die Anficht, 
welche Du Cerceau von diefer Seite giebt, ftimmt pünktlich mit der Be- 
fchreibung überein. Nur die Vorhalle von vier Säulen, die in drei Ge- 
fchofsen, in den beiden erften mit gradem Gebälk, in dem oberften mit 
korbhenkelförmigem Bogen, fich vor dem Pavillon erheben foUte,') ift nicht 
zur Ausführung gekommen. Nach der Hoffeite foll fodann eine Wendel- 
treppe, rund, zehn Fufs im Durchmeffer, in der Ecke zwifchen dem Pavillon 
und dem öftlich anzubauenden Theile aufgeführt werden. Auch das Portal 
zu diefer Treppe wird genau vorgefchrieben ; es ift das noch vorhandene 
in Fig. 38 abgebildete. Neben der grofsen Stiege foll eine kleinere für die 
Retraiten angelegt werden. Beide fieht man auf unfrem Grundrifs. Sodann 
ünd die fchadhaften Theile der alten Mauern abzubrechen und neu aufzu- 
führen. Zwifchen dem Portalpavillon und dem Donjon C des alten Schloffes 
(»la groffe vielle tour«) follen zwei »corps d'hoftel« erbaut werden mit zwei 
Kammern, Garderoben und einem Saal in jedem Gefchofs. Sodann find 
neu aufzuführen die drei Corps d'hötel D, E, F jenfeits des alten Thurmes, 
•die zur Wohnung der königlichen Kinder beftimmt find, mit Sälen, Zimmern 
und Garderoben in drei Gefchoffen.^) Die Umfaffungsmauern feien beizu- 
behalten, aber auszubeffern. Am Ende diefer Wohnung fei ein Pavillon 
H zu errichten, wie der erfte beim Portal und wie der alte Thurm, unge- 
fähr 24 Fufs im Quadrat. Aufserdem werden noch vier Wendeltreppen 
im Hofe verlangt, 3) die indefs nicht alle ausgeführt fein können, oder bald 
darauf durch Neubauten zum Theil verdrängt worden find, da Du Cerceau 
nicht fo viel Treppenanlagen aufweift. 

Weiter foll beim alten Thurm ein Halbrund aus Kragfteinen ausgebaut 
werden (vgl. den Grundrifs) und eine Wendeltreppe, die nach aufsen zum 
Garten herunter führt. Wir erfahren, dafs in diefem Theile die Wohn- 
zimmer der Königin lagen. Auch aus den Zimmern des Königs foll eine 
Rampentreppe in den Garten führen. Sodann wird eine Terraffe auf vier 
Säulen mit Bögen verlangt, um den Eingang in den Saal der Garden und 
die Wohnung der Prinzen zu maskiren. Dies ift ohne Frage jene ftatt- 
liche Vorhalle H in zwei Gefchofsen, von der wir einen Theil in Figur 37 
gegeben haben. 

Der intereffantefte Theil der Anlage ift jedoch die als »grant corps 
d'hoftel« bezeichnete Partie, welche einen grofsen Saal, unten für die 
Wachen, oben für Bälle enthalten foll. Die für ihn beftimmte Gröfse, 
84 Fufs zu 40 Fufs, ftimmt wirklich mit den Dimenfionen des jetzt als 



') De Laborde p. 346. — Ebend. p. 350. — 3) Ebend. p. 355. 



114 



Kap. III. Die Renaiflance unter Franz I. 



»Galerie Heinrichs II« bekannten Saales L überein (vgl. Fig. 38). Von 
diefem Saal foU eine Wendeltreppe nach dem Garten herabführen, und neben 
ihm foll 36 Fufs breit Raum gelaffen werden für Anlage einer Kapelle K. 
Wenn nun zwifchen diefem Kapellenplatz und dem Portalpavillon ein »corps 
d'hoftel« mit vier Dienftzimmern, zwei Küchen und einem Ankleideraum 
für die Sacriftei verlangt wird, fo können wir das nur fo verftehen, dafs 
urfprüngHch für den Saal und die Kapelle eine andere Dispofition beab- 
fichtigt gewefen fei, als der Grundrifs fie jetzt zeigt. Jedenfalls wurde die 
Kapelle St. Saturnin fpäter in Angrift genommen, denn der bei Pfnor') 
abgebildete Schlufsftein ihres Chorgewölbes meldet in gleichzeitiger In- 
fchrift, dafs die Kapelle 1545 unter Franz I vollendet worden fei. 

Ueber den Ballfaal fpricht fich Serho^) ausführlich und zwar in mifs- 
billigender Weife aus. Er fagt, im zweiten Hofe des Palaftes, auf welchen 
die königlichen Zimmer gingen, fei eine Loggia angeordnet worden, die 
einerfeits auf den Hof, andrerfeits auf einen grofsen Garten blicke. Auf 
der einen Seite derfelben feien die fürftlichen Wohnräume, nach der andern 
eine Kapelle. »Diefe Loggia« , fährt er fort, »ift fo angeordnet, dafs fie 
fünf Arkaden hat, von zwölf Fufs Weite, und die Pfeiler von fechs Fufs 
Stärke; aber ich wüfste nicht zu fagen, welcher Ordnung diefe Architektur 
angehöre «.3) Er erzählt ferner, man habe bei 30 Fufs Breite des Gemaches 
und 16 Fufs Höhe den Raum wölben wollen, und fchon fei mit den Krag- 
fteinen begonnen gewefen, als ein Mann von Einflufs und von mehr Urtheil 
als der Maurer-*) dazu gekommen fei, der befohlen habe, die Kragfteine zu 
entfernen und eine hölzerne Decke anzuordnen. »Aber ich,« fetzt er hin- 
zu, »der dort damals fortwährend anwefend war, im Sold des hochherzigen 
Königs Franz, habe, obwohl man mich nicht im Mindeften um Rath ge- 
fragt, einen Entwurf gemacht, wie ich die Loggia ausgeführt hätte.« Und 
nun fügt er feinen Plan in Grundrifs, Aufrifs und Durchfchnitt bei, und 
ein Blick auf diefe ftreng und edel durchgebildeten dorifchen Pfeilerhallen 
mit grofsen Bogenfenftern beweift fofort den grofsen Unterfchied zwifchen 
der Behandlung eines itahenifchen Architekten und der in Fontainebleau 
damals zur Ausführung gekommenen Werke. Es ift damit, wie fchon 
bemerkt wurde, wohl unwiderleglich dargethan, dafs nur ein franzöfifcher 
Baumeifter, und zwar ein folcher, der die antiken Formen nur oberfläch- 
lich fich zu eigen gemacht hatte, ohne ihre fyftematifche Anwendung, wie 

0 Monogr. du chät. de Fontainebleau. T. I, p. 5. — Architettura, lib. VII, cap. 40. — 
3) »Ma non faprei giä dire di clie ordine fia fatta quefta architettura.« ibid. — 4) »Sopra- 
giungendo un huomo d'autoritä, di piü giudicio del muratore, che haueua ordinato tal cofa.« 
ibid. Dafs dies kein anderer als Philibert de l'Orme gewefen fei, wie zuerft Caftellan 
(Fontainebleau 1840) vermuthet, ift durch L. Charvet (Sebaftien Serlio p. 24) feftgeftellt 
worden. 



§ 25- Die Bau-Urkunden von Fontainebleau. 



■diefelbe feit 1500 in Italien allgemein geworden war, zu kennen, die in 
Rede ftehenden Bauten entworfen haben kann. Wer die Entwürfe gemacht 
hat, erfahren wir immer noch nicht; als ausführenden Meifter lernen wir 
Gilles le Breton^ »magon, tailleur de pierre, demeurant ä Paris« kennen.') 
Er braucht freilich darum nicht der Urheber des Planes gewefen zu fein. 
Seit dem i. Auguft 1527 ift diefer Gilles fchon in der alten Abtei der 
Mathuriner, die Franz gekauft hatte, um fie in feinen Bau hineinzuziehen, 
fowie an den Dienftwohnungen des äufseren Hofes (»baffe court«) und der 
■Conciergerie befchäftigt.^) Noch am 18. Februar 1534 erhält er Summen 
für Bauausführungen in denfelben Theilen. Mit ihm ausfchliefslich wird auf 
Grund des ausführlichen Bauprogrammes von 1528 unterhandelt. Wir haben 
nur noch hinzuzufügen, dafs auch die grofse Galerie Franz' I, M, in diefem 
Programm erwähnt ift. 3) Für fie wird eine Länge von 192 Fufs bei 
18 Fufs Breite verlangt. Sie ift beftimmt, vom Saal des alten Thurmes 
:zur Abtei zu führen und foll an ihrem Ende eine Kapelle erhalten. Dies 
ift ohne Zweifel die Chapelle St. Trinite, N. In den Jahren 1537 bis 1540 
arbeitet Gilles Breton am »corps d'hoftel et pavillon« , fodann »entre la 
baffe court et le cloiftre de l'Abbaye.« SerHo kommt als »paintre et 
architecteur du Roy« zuerft am 27. Dezember 1541 vor und erhält 
,400 Livres Jahresbefoldung."*) 

Die übrigen Notizen in den reichhaltigen Auszügen der Baurechnungen 
betreffen gröfstentheils die innere Ausfchmückung, deren Pracht wie gefagt 
■damals in Europa ihres Gleichen fuchte. Das Meifte bezieht fich auf die 
Decorationen der grofsen Galerieen und Säle, fowie der Zimmer des Königs 
und der Königin. Um nur einige der wichtigften Daten hervorzuheben, 
fo werden feit 1533 »termes et ouvrages de stucq« erwähnt. Bartolommeo 
da Miniato ift 1534 mit Stuckarbeiten befchäftigt, ebenfo feit 1533 Prima- 
ticcio und Nicolas Bellin, »dit Modesne«, die im Zimmer des alten Thurmes 
arbeiten, Ueberhaupt handelt es fich dabei hauptfächhch um die Gemächer 
des Königs und der Königin, fowie die porte doree. Um diefelbe Zeit 
arbeitet Roffo in der Galerie Franz' I. Zugleich ift man mit der Meublirung 
des Schloffes befchäftigt und Girolamo della Robbia macht in Email ein 
Medaillon mit Fruchtfchnüren für das Portal des Schloffes.^) Neben all 
der Pracht fehlte es aber auch nicht an dem damals noch immer unerläfs- 
lichen Schmuck von Glasgemälden. Schon am 17. Auguft 1527 war ein 
Vertrag mit Jean Chaftellan , vitrier , gemacht worden , alle Fenftergläfer 
für das Schlofs zu hefern , fowohl weifses wie »des escuffons, armoiries, 
devifes et autres verrieres peintes«. Für jedes Wappen und jede Devife 



I) De Laborde, p. 370. — ^) Ebend. p. 371. — 3) Ebend. p. 370. — Ebend. 
p. 204. — 5) Ebend. p. 388. — Ebend. p. 395. 

8* 



ii6 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



erhielt er 40 Fr. , für jede kleinere oder gröfsere figürliche Darftellung. 
»hiftoires et autres enrichiffements« in Kapellen und Kirchen dafelbft 
20 Fr.') Zu der glänzenden Ausftattung gehören dann auch koftbare 
Teppiche und Ledertapeten, darunter »peaux de cuire de Levant«. 

Endlich find noch zu erwähnen die zahlreichen Werke felbftändiger 
Flaftik und Malerei, die zur Ausfchmückung herangezogen wurden. Franz I 
liefs nicht blofs die antiken Marmorfachen und die treft'lichen Gemälde der 
erften itahenifchen Meifter , die er erworben hatte , in den Galerieen von 
Fontainebleau aufftellen, fondern er gab auch den Auftrag, von andern 
antiken Meifterwerken , deren Modelle Primaticcio hatte beforgen müffen, 
Abgüffe in Bronze herzuftellen. So ift mehrmals vom Guffe des Laokoon 
die Rede, der dabei in den Rechnungen fich gefallen laffen mufs, bald als 
»Lacon«, bald als »Vulcan«, einmal gar als »Cleon« aufzutreten.^) Ebenfo 
wird die Figur des Tiber in Bronze ausgeführt, und Benvenuto Cellini giefst 
feine elegante Nymphe für das Bogenfeld des Portales. Aufserdem machte 
Primaticcio ein Modell zu einer weiblichen Figur in Bronze, die ebenfalls 
für ein Portal beftimmt war. Aber auch ein kupferner Vulcan kommt vor, 
der an der grofsen Schlofsuhr die Stunde zu fchlagen hat. Dafs Benvenuto 
beiläufig einen neuen Entwurf zum Hauptportal und das Modell zu einem 
koloffalen Brunnen für den Schlofshof machte, wiffen wir aus feinem Leben. 
Endlich möge noch der Oelgemälde für die Schrankthüren im Kabinet 
des Königs gedacht werden, mit welchen Bagnacavallo beauftragt wurde, 
fowie der Aquarellfkizzen zu zwölf Apofteln , die als Vorlagen für den 
Emailleur von Limoges dienen follten.s) Der aufserordentliche Reichthum 
und die Vielfeitigkeit der Arbeiten, fowie die grofse Anzahl von fremden 
und einheimifchen Künfhlern aller Art, die fich dabei mehrere Decennien 
hindurch zufammenfinden, geben ein erftaunliches Bild von einer Thätigkeit, 
wie fie damals fo umfangreich und planvoll ineinander greifend felbft in 
Italien kaum mehr angetroffen wird. Nur fchade, dafs der Charakter diefer 
Kunft fchon wefentlich der des Manierismus ift. 

§ 26. 

Das Schloss S. Germain-en-Laye. 

WIEDER von einer andern Seite lernen wir die Architektur Franz' I in 
einem Schlöffe kennen , welches der König gleichzeitig neben fo 
vielen in Ausführung begriffenen Werken in Angriff nahm. Es ift das 
Schlofs von S. Germain-en-Laye, 4) wenige Meilen von Paris in einer 

^) De Laborde, p. 280. 377. — Ebend. p. 416. 417. 426. — 3) Ebend, p. 431. — 
+) Neben Du Cerceau, T. I, besonders zu vergl. die vollftändige Aufnahme in Sauvageot, 
T. II. Sodann Paluftre II, 37. 



20. Das Schlofs St. Gerniain-en-Lave. 



117 



prächtig dominirenden Lage fich hoch über den Ufern der Seine erhebend. 
Schon in den früheften Zeiten des Mittelalters war es wegen feiner Lage 
eine wichtige Feftung, welche den Lauf der Seine beherrfchte. Mehrere 
Könige refidirten dort, und Ludwig der Heilige erbaute eine Schlofskapelle, 
welche noch jetzt vorhanden ift. Später bemächtigten fich die Engländer 
des Platzes, der von ihnen vor der Schlacht von Crecy eingeäfchert wurde. 
Karl V ftellte das Schlofs wieder her, und noch jetzt fieht man auf der 
äufseren Ecke links einen viereckigen Thurm, der aus feiner Zeit datirt. 
Später gerieth das Schlofs etwas in Verfall, bis Franz I, der im Jahre 15 14 
dort feine Vermählung mit der Königin Claude gefeiert hatte, es einem 
umfaffenden Neubau unterwarf.') Er behielt jedoch die alten Fundamente, 
die Kapelle des 13. Jahrhunderts (Fig. 42 bei C) und den Eckthurm der 
vorderen Seite bei , und gab dem Schlofs im Wefentlichen die Geftalt, 
Avclche es noch jetzt zeigt, mit Ausnahme der Thürme, die durch Lud- 
Avicf XIV in Pavillons umgewandelt wurden. Als Architekten lernen wir den 
älteren Pierre Chambiges kennen, der als Baumeifter der Stadt Paris 
bezeichnet wird; nach ihm trat Guillaunie Guil/am ein, der auch in dem 
üädtifchen Amt fein Nachfolger war und mit dem Mauermeifter jfehan 
Langlois fich verpflichten mufste, nach den Plänen des erften Meifters zu 
verfahren. 

Unter allen Schlöffern diefer Zeit ift St. Germain (Fig. 42) dasjenige, 
welches am meifben den Charakter des Maffenhaften, Kriegerifchen an fich 
trägt, und ohne die grofsen Fenfter der beiden oberen Gefchoffe würde es 
einen düftern, feftungsartigen Eindruck machen. Von Gräben, B, urhgeben, 
erhebt es fich als unregelmäfsiges Fünfeck, deffen Seiten fämmtlich in einem 
fpitzen oder ftumpfen Winkel aneinander ftofsen, um einen nach derfelben 
1-^orm angelegten Hof D. Das Aeufsere fteigt zunächft in zwei unter- 
licordneten, mit kleinen Fenftern durchbrochenen Gefchoffen aus den um- 
gebenden Gräben empor. Diefe Theile gehören noch dem Mittelalter. Der 
Haupteingang liegt an der Weftfeite und wurde durch eine Zugbrücke A 
vermittelt. Eine andre Brücke führte an der nordöftlichen Ecke in die 
ausgedehnten Garten- und Parkanlagen. Vor dem Haupteingang dehnte 
fich ein auf drei Seiten mit Wirthfchaftsgebäuden umgebener äufserer Hof 
aus. An den äufseren Ecken des weftlichen Flügels find runde Treppen- 
thürme angebracht. Drei andere Wendelftiegen liegen im Hofe, zwei davon 
in den Ecken des Weftflügels als Zugänge zu dem dort befindlichen grofsen 
Saal von 125 Fufs Länge und 35 Fufs Breite, eine dritte in der nord- 

') Der Bau wird erwähnt in der Urkunde vom 18. Juni 1532. De Laborde, p. 339: 
:»)avons voulu et ordonne autres baftimens et edifices eftre faits en nos chafteaux de Saint 

Gcrmain en Laye et pour faire venir une fontaine en chacun de ces dits chafteaux 

de Saint Germain, Villiers Cotterets.« 



ii8 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



örtlichen Ecke. Aufserdem find mehrere kleinere Wendelftiegen in dem 
füdlichen Flügel angebracht, während ungefähr in der Mitte des Nordflügels 
eine bequeme Haupttreppe, E, mit gradem Lauf emporführt. 

Der Bau ift in vier Gefchoffen durchgeführt, von denen die beiden 
unteren geringe Höhe haben, die beiden oberen aber als Hauptgefchoffe 
ftattlicher angelegt fmd. Die unter Franz I errichteten Theile (Fig. 43) 




Fig. 42 Schlofs S. Germain. (Sauvageot.) 



zeigen eine originelle Behandlung, in welcher das decorative Element vor 
dem ftrengen Ernft der Conftruction auffallend zurücktritt. Kräftige Strebe- 
pfeiler erheben fich bis zum Dach, wo fie mit vafengekrönten Poftamenten, 
die durch eine offne Baluftrade verbunden werden, fchliefsen. In dem 
zweiten und dem vierten Gefchofs fmd diefe Streben durch Rundbögen 
verbunden, fo dafs zwei gewaltige tiefe Mauernifchen entftehen, innerhalb 
deren die beiden Fenfterreihen der entfprechenden Stockwerke angeordnet 



§ 27. Das Schlofs St. Germain-en-Laye. 



119 



find. Die Fenfter zeigen fämmtlich den Rundbogen, find bisweilen zu 
zweien gekuppelt und haben einen Rahmen von dorifchen Pilaftern, zu 
welchem in dem Hauptgefchofs noch ein einfacher antiker Giebel kommt. 





Fig. 4;. Aus dem Hofe des Schloires von S. Germain. (Sauvageot.) 

Das Hauptgefchofs ift auiserdem mit einer durchbrochenen Baluftrade, die 
fich vor den Fenftern als Brüftung hinzieht , verfehen. Diefelbe ftrenge 
Pilafter-Architektur ift auch zur Gliederung der Treppenthürme verwendet, 



120 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



und noch einfacher find die mit kleinen Bögen verbundenen Pilafter, welche 
die Flächen der Strebepfeiler gliedern. Der Ernft diefer Architektur wird da- 
durch noch erhöht, dafs die Hauptglieder aus Quadern, die Bogenfüllungen und 
felbft die Strebepfeiler in den oberen Gefchoffen aus Ziegeln aufgeführt find. 

So fehr diefer Bau durch feine faft düftere Strenge fich von der feft- 
lichen Heiterkeit, dem dekorativen Reiz der übrigen Schlöffer diefer Zeit 
unterfcheidet, fo hohe Bedeutung hat er gleichwohl in constructiver Hin- 
ficht. Er wendet in nachdrücklicher Weife den Gewölbebau an, der in den 
untern Gefchoffen, in dem grofsen Saal, den Treppenhäufern und den damit 
verbundenen Corridoren und Veftibüls noch ganz in mittelalterlicher Weife 
m.it ftarken Rippen und eleganten Schlufsfteinen durchgeführt ifb ; am 
■originellfi;en aber in dem ganz gewölbten oberften Stockwerk, deffen Wöl- 
bung, wohl das frühefte Beifpiel diefer Art im Norden, unmittelbar die 
fleinerne Decke des Gebäudes trägt. Man hat alfo ausnahmsweife auf jede 
Art von hölzernem Dach verzichtet, und durch reihenweis übereinander- 
gelegte Steinplatten eine flach anfteigende Terraffe gebildet, die auf beiden 
Seiten von Baluftraden eingefafst wird. Um fo feltfamer wirken die zahl- 
reichen, in ihrer Höhe freilich gemäfsigten Kamine, die über der Terraffe 
aufragen. Da du Cerceau verfichert, der König habe fich fo fehr des 
Baues angenommen, dafs er geradezu als Baumeifter desfelben bezeichnet 
werden müffe , fo darf man ihm vielleicht diefe den fonftigen Sitten feines 
Landes entgegenftehende Anlage perfönlich zufchreiben. 

Oefhlich von dem Schlöffe begann fpäter Heinrich II die noch jetzt 
■durch ihre herrliche Ausficht über die Seine berühmte Terraffe; aufserdem 
ein eigenthümliches Gebäude »en maniere de theatre« wie du Cerceau fagt, 
deffen Plan ein an den Ecken abgeftumpftes Quadrat mir vier Halbkreifen 
an den einzelnen Seiten zeigt, das Ganze ein offner zu theatralifchen Auf- 
führungen oder Spielen beftimmter Raum, der durch eine Anzahl von 
bedeckten Nebenräumen rechtwinklig abgefchloffen wird. 



jr\ den Baufinn Franz' I verkünden, führte der König eine Anzahl anderer 
meiftens kleinerer Schlöffer aus, die ebenfalls für die Kunft und die Sitte 
der Zeit charakteriftifch find. Wir befprechen nur die bedeutenderen unter 
ihnen und beginnen mit La Muette.') Der König liefs dies kleine Jagdfchlofs 
mitten im Walde von St. Germain, zwei Meilen von diefem Schlöffe erbauen, 
und nannte es La Muette, wie Du Cerceau fagt, »weil es ftill, abgelegen 

0 Aufn. bei Du Cerceau, T. I. Vgl. Paluftre II, 43. 





§ 28. Das Schlofs La Muette. 



121 



und rings vom Walde umgeben ift.« Als Architekt wird, wie bei St. Germain, 
der ältere Pierre Chambiges^ genannt; der Contract datirt vom 22. März 
1541. Es wurde alfo erbaut, um dem Könige mit einigen feiner intimen 
Gefährten eine ftille Zuflucht und einen Punkt der Ruhe nach den Freuden 
der Jagd zu bieten. Das Gebäude ift in kleinem Maafsftab nach einem 
ähnhchen Programm ausgeführt wie das Schlofs Madrid (Fig. 44). Ohne 
Hofanlage, bietet es einen faft quadratifchen Mittelbau, auf deffen vier 
Ecken thurmartige Pavillons vorfpringen, während fich vor der Mitte der 
Rückfeite eine Kapelle mit polygonem Abfchlufs, an der Vorderfeite ein 
Treppenhaus mit ähnlichem Polygonfchlufs ausbaut. Der Mittelbau, der 
Länge nach getheilt, enthält einerfeits einen Saal mit zwei Kaminen und 



, , 

Fig. 44, Schlofs La Muettc. (Nacli Du Cerceau.) 

zwei Fenftern, andererfeits zwei geräumige, von einander getrennte, aber 
mit dem Saal verbundene Wohnzimmer; in den Eckpavillons liegt jedes 
Mal noch ein Wohnzimmer mit befonderer Garderobe und Retraite. 

Eine etwas genauere Analyfe des Plans wird zeigen, mit welcher Sorg- 
falt der Architekt, ähnlich wie im Schlofs Madrid, die gleichen Bedürfniffe 
befriedigt hat. Ueber einem Souterrain, welches die Dienfträume und 
Küchen enthielt, erhob fich das Gebäude in drei Hauptgefchoffen. Der 
Eingang, zu dem man mittelft einer kleinen Brücke über den auch hier 
vorhandenen Graben gelangte, war im Treppenhaufe. Von hier gelangte 
man durch einen mäfsig breiten Gang in einen kleinen Vorraum und, 
mittelft eines fchrägen Eingangs, in den grofsen Saal. Der Saal hat directe 
Verbindung mit den beiden anftofsenden Wohnzimmern, mit der Kapelle 



122 



Kap. III. Die Renairfance unter Franz I. 



und mit den kleinen in den fchrägen Mauermaffen der äufsern Ecken an- 
gebrachten Kabineten und Retraiten. Aufserdem fteht er mit zwei balkon- 
artigen Galerien in Verbindung. Letztere führen auf kleine Wendeltreppen, 
die wieder mit den Eckzimmern in Zufammenhang ftehen. Diefe wieder- 
holen fich auch in den beiden andern Eckpavillons und find wie im Schlofs 
Madrid fo angeordnet, dafs jedes feine eigne Garderobe, Kabinet und 
Stiege hat. Sämmtliche Zimmer und Garderoben find mit Kaminen ver- 
fehen und hinreichend beleuchtet. So find alfo die Wohnräume in felbft- 
ftändiger Verbindung mit den Treppen und Galerieen, mit dem Saal und 
ebenfo unter einander, können aber nach Bedürfnifs auch von einander 
getrennt werden. Nur das rechtwinkhge Einfehneiden der Garderoben und 
Kabinete in den Raum der Eckzimmer wird man nicht als gelungene Löfung 
betrachten können. Die kleinen Galerieen mit ihren Wendeltreppen hatten 
um fo mehr Bedeutung für die Communication , als der Mittelbau nur aus 
drei Gefchoffen beftand, während die Pavillons deren fechs enthielten, die 
nun durch die Wendeltreppen unter einander und durch die Galerieen mit 
dem mittleren Saal in Verbindung ftanden. Eine ähnhche Verbindung 
findet fich auch am Mittelbau von Chambord, wo immer zwei kleine Etagen 
auf eine Hauptetage kommen. Aber auch durch die in doppelten Läufen 
emporführende Haupttreppe hingen die einzelnen Stockwerke des Haupt- 
baues wie der Pavillons mit einander zufammen. 

Was die Conflruction und den äufseren Aufbau betrifft, fo zeigen die- 
felben grofse Aehnlichkeit mit denen des Schloffes St. Germain, und Du 
Cerceau fagt daher mit Recht: »touchant l'edifice il eft fait fuyuant et 
tout ainfi que iceluy de St. Germain, a fgavoir tous les ornements de bric- 
que par le dehors.« Das Schlofs war nämlich in feiner Maffe aus Back- 
fteinen ausgeführt, mit ftarken Mauern und kräftig vorfpringenden Strebe- 
pfeilern, die durch Bögen wie in St. Germain verbunden wurden. In der 
Tiefe diefer Bogenumfaffungen lagen die Fenfter, und auf den Bögen ruhten 
auch die Galerieen. Diefe äufserfh mafsige Conftruction wurde dadurch 
bedingt, dafs wie zu St. Germain auch hier das obere Gefchofs gewölbt 
war und ein flaches mit Steinplatten belegtes Terraffendach trug, von wo 
man einen reizenden BHck rings über die Wälder genofs. Später führte 
ftatt deffen Philibert de l'Orme ein halbrundes Dach auf, welches mit einer 
Plattform fchlofs. 

§ 28. 

Das Schloss Chalvau. 

GANZ diefelbe einfach flrenge Architektur wie St. Germain und La 
Muette zeigt auch das erft in unferem Jahrhundert (1840) zerftörte 
Schlofs Chalvau: Backfteinbau mit kräftig vorfpringenden Pfeilern, die 



§ 28. Das Schlofs Chalvau. 



123 



Fenfter in den Bogenöffnungen zwifchen den Pfeilern vertieft, die Oeffnungen 
etwas monoton mit einem dürftigen Pilafterfyftem eingefafst. Wie jene 
beiden Schlöffer ift es das Werk des älteren Pierre Chambiges. 

Chalvau ') liegt zwifchen Fontainebleau , Montereau und Nemours. 
Franz I liefs das Schlofs bauen , wie Du Cerceau fagt , weil es in dem 
benachbarten Walde viele Hirfche gab. Später fchenkte er es der Herzogin 
von Etampes. Aus ähnlichem Anlafs hervorgegangen, wie La Muette, zeigt 
es verwandte Anlage (Fig. 45). Es befteht aus einem rechtwinkligen 
Mittelbau ohne Hof, der auf den vier Ecken von Pavillons flankirt wird. 
Zu dem Eingang führt eine polygone Freitreppe, über welcher fich auf 




Fig. 45. Schlofs Chalvau. Erdgclchofs. (Du Cerce.-iii.) 

Pfeilern die Apfis der im oberen Gefchofs liegenden Kapelle erhebt. Dies 
ift ein mittelalterlicher Gedanke, den wir in ähnlicher Weife mehrfach, z. B. 
beim Schlofs Martainville (S. 63) fanden. Durch ein breites Portal gelangt 
man zu einem Veftibül , von wo in der Mitte die Haupttreppe zum oberen 
Gefchofs auffteigt, neben welcher fich auf beiden Seiten fchmalere Corri- 
dore bilden, die zu den Gemächern des unteren Stockwerks führen. Sie 
münden in der Tiefe des Baues auf einen Quergang, der von beiden Enden 
fein Licht empfängt und den vorderen Theil des Gebäudes von dem rück- 
wärts gelegenen trennt. Vorn fmd auf jeder Seite des Treppenhaufes zwei 



^) Aufn. bei Du Cerceau, T. II. Dazu Paluftre I, 164 ff. 



124 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



ftattliche, ungefähr quadratifche Zimmer angebracht. Jedes derfelben hat 
feinen Zugang vom Corridor, feinen Kamin, eine Verbindungsthür in de- 
Zwifchenwand, und ein nach der Seitenfront auf eine Galerie hinausgehende? 
Fenfter, zu welchem für die nach vorn hegenden Zimmer ein Fenfter an 
der Fagade hinzukommt. Der nach hinten liegende Theil des Mittelbaues 
dagegen zerfällt in einen gröfseren Saal und ein mit ihm verbundene? 
Zimmer, das nur vom Saale aus feinen Zugang hat, alfo wie ein befonden 
refervirtes Kabinet zu betrachten ift. Der Saal hat feinen Zutritt vom 
Quergange aus, wird durch zwei Kamine erwärmt und empfängt fein Licht 
durch drei Fenfter an der Rückfeite und ein feithches, auf die Galerie 
hinausgehendes. 




Fig. 46. Schlols Ch;ilvau. Vordere Fafade. (Du Cerceau.) 



Diefe Seitengalerieen , auf Bögen mit fchlicht behandelten Pfeilern 
ruhend , dienten , um die in den Eckpavillons liegenden Wohnungen mit 
dem Mittelbau, namentlich dem Saal, in Verbindung zu fetzen. Jede diefer 
Wohnungen hat ein Haupt- und ein Nebenzimmer , beide mit Kaminen, 
fodann Garderobe , Retraite und befonderen Zugang durch eine Wendel- 
treppe. Es war alfo dasfelbe Programm ausgeführt , welches wir in allen 
von Franz I neuerrichteten Gebäuden, in Chambord, Madrid und La Muette 
als gemeinfam zu Grunde liegendes erkannten : ein Mittelfaal für die 
Gefelligkeit ; um ihn gruppirt und mit ihm verbunden eine gröfsere oder 
geringere Anzahl felbftändiger Logis , jedes durch eigene Wendelftiege fo 
unabhängig gemacht, dafs fein Bewohner ungefehen aus- und eingehen konnte. 



§ 29. Das Schlofs von Villers-Coterets. 



125 



Die Haupttreppe, welche das hochliegende Erdgefchofs mit den beiden 
oberen Stockwerken verband, führte in einem Zuge ohne Abfatz und Ruhe- 
punkt, in der ganzen etwa 22 Fufs betragenden Höhe des Erdgefchoffes 
zu dem oberen Stockwerk. Diefe Treppe mufs ziemlich mühfam zu fteigen 
gewefen fein, ähnlich der noch etwas fpäter entftandenen Haupttreppe des 
Louvre, welche den Befuchern der Gemäldegalerie wohl bekannt ift. 

Ueber die Architektur des Aeufseren (Fig. 46) ift nur zu fagen, dafs 
fie, in der Maffe aus Ziegeln, in den conftructiven GHedern aus Quadern 
beftehend, einen überaus fchlichten Eindruck machte. Bezeichnend waren 
die in tiefen Bogennifchen liegenden Fenfter. Das Obergefchofs war wie 
in St. Germain und La Muette gewölbt und trug , ähnlich wie dort , ein 
Terraffendach, das mit Steinplatten eingedeckt war. Nur über der Kapelle^ 
die fich fchon durch ihre grofsen mit Maafswerk gegliederten Bogenfenfter 
charakterifirte, erhob fich ein hohes Dach, das von einer Laterne bekrönt 
wurde. Für die Seitenfagaden beftimmten die in zwei Stockwerken wieder- 
holten offenen Bogenhallen der Galerieen den Eindruck. 



W Compacten, eng Gefchloffenen der Anlage mit St. Germain ver- 
gleichen liefsen, fo bietet das Schlofs von Villers-Coterets in feiner 
weiten, geftreckten, um mehrere grofse Höfe fich ausdehnenden Gruppirung 
einige Verwandtfchaft mit Fontainebleau. ^) Nur dafs hier, wo wenig Altes 
beizubehalten war , der Architekt freier , planmäfsiger verfahren , fym- 
metrifcher, normaler componiren konnte. 

Aus dem Erlafs Franz' I von 18. Juni 1532 wiffen wir, dafs damals,, 
neben den Bauten zu Fontainebleau, Boulogne, fowie zu St. Germain und 
am Louvre auch in Villers-Coterets gearbeitet wurde. Ausdrücklich wird 
fogar hervorgehoben, dafs dort wie zu St. Germain eine Fontainenleitung 
bewerkftelligt werden foUe.^) Auch diefes wie die meiften Schlöffer des 
jagdliebenden Königs verdankte feinen Urfprung einem benachbarten Walde; 
es lag an der Strafse von Paris nach Soiffons , fünf Meilen von letzt- 
genannter Stadt, dicht beim Walde von Rets. Als Architekten werden bis 
1550 Jacques und Guillmime le Breton bezeichnet, deren Bruder Gilles wir 
in Fontainebleau kennen lernten. Später, als unter Heinrich II der Bau 
vollendet und namentlich an der weftHchen Seite ein grofser Pavillon hinzu- 
gefügt wurde, finden wir Robert Vmiltier und Gilles Ägaffe genannt. Um 



S 29. 

Das Schloss von Villers-Coterets. 




La Muette und Chalvau fich in der Conftruction und felbft dem 



\) Aufn. bei Du Cerceau, T. IL Dazu Paluftre i, 122 ff. mit Abb. — ^) De Laborde 
P- 339- 



126 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



die Mitte des i8. Jahrhunderts wurde das Schlofs durch den Herzog von 
Orleans ftark geändert und in der Revolution arg verwüftet. Jetzt dient 
€s als «depot de mendicite». 

Das Gebäude gehört zu denen, an welchen die moderne Form des 
fürftlichen Landfitzes, ohne Graben und Zugbrücke, ohne Thürme und die 
anderen mittelalterlichen Elemente, kurz ohne die traditionellen Zuthaten 
fich darftellt. Selbft die Treppen liegen nicht mehr als Wendelftiegen in 
vorfpringenden Thürmen, fondern fmd gerade anfteigend, nach dem Mufter 
der florentinifchen , noch in befcheidener Weife in den Ecken der Höfe 
angebracht. Letztere haben auf drei Seiten vorgelegte Säulenarkaden zur 
Verbindung der Räume. 

Man tritt durch ein fchlichtes Rundbogenportal, über welchem fich 
ein Altan auf Confolen erhebt, in den äufseren Hof (baffe cour), der auf 
drei Seiten v'on einftöckigen Dienftwohnungen umgeben ift. Säulenportiken, 
zu deren erhöhtem Fufsboden in gewiffen Zwifchenräumen einige Treppen- 
ftufen führen, umgeben diefen lang geftreckten Hof, der 120 Fufs Breite 
bei 300 Fufs Länge mifst. In der Hauptaxe gelangt man dann an ein 
zweites Thor, in dem Querbau, der den äufseren von dem inneren Hofe 
trennt. Diefer Bau enthält die älteren Theile des Schloffes, welche Franz I 
erneuerte und ausbaute. Die Formen find hier felbftverftändlich reicher, 
und der Bau zeigt über dem Erdgefchofs, das er mit den Gebäuden des 
äufseren Hofes gemein hat, ein oberes Stockwerk, das am ganzen herr- 
fchaftlichen Theile durchgeführt ift. Pilafter, die unteren dorifch, die oberen 
l^orinthifirend , gliedern die Wandflächen. In der Mitte öffnet fich mit 
gedrücktem Bogen das Portal , das in den zweiten Hof führt ; über dem- 
felben eine Loggia mit Balkon; darüber am Fries die Lilien und der könig- 
liche Namenszug. Das hohe Dach hat fein befonderes Stockwerk und auf 
feinem Giebel erhebt fich ein Glockenthurm mit fchlanker Spitze. 

Nach diefem Vorgange ift die Architektur der herrfchaftlichen Wohn- 
räume, welche den inneren Schlofshof umgeben , nur in etwas einfacherer 
Ausführung behandelt. Vor das Erdgefchofs legen fich an den beiden 
Schmalfeiten und der rechts vom Eintretenden befindlichen Langfeite Säulen- 
hallen, gleich denen des äufseren Hofes durch Architrave verbunden und 
unmittelbar wie dort das Pultdach aufnehmend. Diefer innere Hof, 56 Fufs 
2U 120 meffend, diente zum Ballfpiel. 

An der inneren Eintheilung ift nichts weiter bemerkenswerth, als dafs 
•eine Reihe von gröfseren und kleineren Gemächern, in einfacher Flucht 
aneinandergereiht, zum Theil durch fchmale Corridore degagirt werden und 
mit den Treppen in Verbindung ftehen, deren Anlage fchon berührt wurde. 
Aufser den Hauptreppen find indefs noch einige Wendelftiegen in runden 
Eckthürmchen zu Hilfe genommen, auch fonft nach aufsen mehrere kleine 



§ 30. Schlofs Folembray, genannt der Pavillon. 



127 



runde Thürme angebracht, um rings den BHck über die Gärten und den 
Park zu gewähren. Das Schlofs war nämlich nach allen Seiten von aus- 
gedehnten Blumenparterres, Gärten mit Alleen und Gebüfch, endHch von 
einem ebenfalls weithin mit Alleen durchfchnittenen Park umgeben. Treppen 
führten unmittelbar aus den Zimmern auf mehreren Seiten in die Gärten. 
So kann man das Ganze als Mufter eines einfachen, aber behaglichen und 
gefchmackvollen vornehmen Landfitzes jener Zeit betrachten. 




Big. 47. Schlofs Folembra}'. (Du Cerceau.) 



§ 

ScHLOSS Folembray, genannt der Pavillon. 

GLEICH dem letzterwähnten Bau trägt auch das Schlofs von Folembray 
das Gepräge einer einfach klaren modernen Anlage (Fig. 47) ohne 
mittelalterliche Reminiscenzen. ') Höchftens dafs die fünf Wendeltreppen 
mit ihren polygonen Thürmen, die im Hofe vertheilt find, an die alte ein- 
heimifche Sitte erinnern. Der Eingang, ein in antiker Weife mit Pilaftern 
eingefafster Rundbogen, lag in einem Pavillon A, der von vier runden 
Thürmen flankirt wurde. Von hier trat man in einen äufseren unregel- 
mäfsig angelegten Hof, welcher einen Saal zum Ballfpiel aufser anderen 
Bauhchkeiten enthielt. Von hier gelangte man, nicht wie gewöhnhch in 
der Längenaxe fortfchreitend, fondern nach der Linken fich wendend, bei 
B in den grofsen inneren Hof C, der die bedeutende Länge von 240 zu 



') Du Cerceau, Vol. I. 



128 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



140 Fufs Breite mafs. Ohne Arkaden war derfelbe auf allen Seiten von 
ftattlich angelegten und wohl verbundenen Wohnräumen in zwei Stock- 
werken und einem Dachgefchofs umgeben. Die Fenfter, hoch mit doppelten 
Kreuzftäben, zeigten einfache Umrahmung, die Dachfenfter aufserdem anti- 
kifirende Giebel. Es ift derfelbe Geift vornehmer Einfachheit und fchlichter 
Klarheit, der diefen anziehenden ländlichen Aufenthalt, ähnlich wie das 
Schlofs von Villers-Coterets auszeichnet. Mit befonderer Vorliebe war die 
nach dem Garten liegende Langfeite" behandelt. In ganzer Ausdehnung 
von einer breiten Terraffe begleitet, von welcher Treppen in den Garten 
hinabführten, enthielt fie eine Flucht von unmittelbar zufammenhängenden, 
aufserdem durch drei Wendeltreppen in Verbindung mit den anderen Stock- 
werken gefetzten Sälen und kleineren Zimmern, nicht weniger als zehn im 
Ganzen. Den gröfsten Reiz gewann aber die Anlage durch die fchönen 
Gärten und Parks, die in bedeutender Ausdehnung das Schlofs umgaben. 

Auch diefes Schlofs verdankte feine Entftehung Franz I. Eine halbe 
Meile nördlich von Coucy in einer Ebene gelegen, diente es dem König 
zum abwechfelnden Aufenthalt, wenn ihm die Mauern in diefer grandiofen 
Vefte des Mittelalters zu drückend wurden. In den Bürgerkriegen des 
XVI. Jahrhunderts wurde es 1 544 theilweife eingeäfchert, und Du Cerceau 
gibt uns in der perfpektivifchen Anficht des Gebäudes das Bild eines halb 
in Ruinen Hegenden, dem völligen Untergang entgegenfehenden Baues. 



IV. KAPITEL. 



DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I. 




B. LANDSITZE DES ADELS. 
§ 31. 

Das Schloss Nantouillet. 

AS Beifpiel eines fo kunftliebenden Königs wirkte 
fchnell beftimmend auf Alles ein , was vornehm war 
und fich zum Hofe hielt. Noch gegen Ende des 
15. Jahrhunderts baute der Adel feine Wohnungen 
durchaus nur im gothifchen Stil, und felbft ein Mann 
wie Louis de la Tremouille , der Italien genugfam 
kannte, fand für feine prächtige Wohnung in Paris 
die alte einheimifche Bauweife hinreichend. Sogar 
am erften Decennium des 16. Jahrhunderts fahen wir einen Kenner und 
Freund der Kunft wie den Kardinal Amboife im Schlofs Gaillon einen Bau 
errichten, in welchem die gothifchen Tendenzen noch ftark vorherrfchen. 
Aber feit dem Regierungsantritt Franz' I dringt die Renaiffance auch bei 
den Landfitzen des Adels mehr und mehr ein, und wir können in einer 
Reihe anziehender Werke auch hier den Entwicklungsgang der Architektur 
deutlich verfolgen. Bezeichnend aber ift, dafs bei diefen Bauten mehr als 
bei den meiften könighchen Schlöffern die Grundzüge der feudalen Burg 
beibehalten werden. Je weniger Bedeutung, gegenüber der Macht der 
Krone , der Adel fortan als felbftän'diges Element im Staatsleben hatte, 
■defto mehr, fo fcheint es, mochten feine Mitglieder in ihren Landfitzen den 
Schein des feften Schloffes durch den ringsum angelegten Waffergraben 
und die mächtigen Eckthürme behaupten. Es war freilich nur eine Maske, 
iinter welcher die Rückficht auf Bequemlichkeit, heitren Schmuck und behag- 
lichen Lebensgenufs fich um nichts weniger geltend machte. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. ^ 



Kap. III. Die Renaiflance unter Franz I. 



Wir beginnen mit einem trotz feiner Nähe von Paris bis jetzt wenig- 
bekannten Schlofs, deffen treffliche Publikation wir Sauvageot verdanken.') 
Es ift das unfern Meaux gelegene Schlofs Nantouillet, der glänzende 
Landfitz des Kardinals Du Prat, der aus niedrem Stande fich zu der Würde 
eines Kanzlers Franz' I und fpäter felbft eines päpftlichen Legaten auf- 
gefchwungen hatte. Der Bau wurde wie es fcheint um 15 19 begonnen; at 
einem Fenfter des Erdgefchoffes heft man die Jahrzahl 1521. Das Schlofs, 
heute in verwahrloftem Zuftande zu einem Pachthofe herabgewürdigt, trägt 
nicht blofs in der Gefammtanlage das Gepräge eines feudalen Herrenhaufes^ 
fondern zeigt auch in feinen Einzelformen eine ftarke Mifchung gothifcher 
Elemente mit den dekorativen Formen der Renaiffance. 

Ein Waffergraben, jetzt ausgefüllt und mit Gebüfch bepflanzt, umgiebt 
die hohe Umfaffungsmauer, die ein Rechteck von ca. 260 Fufs Breite bei 
230 Fufs Tiefe bildet. Auf den vier Ecken find ganz nach mittelalterlicher 
Weife runde Thürme von 32 Fufs Durchmeffer angeordnet. An der Rück- 
feite fchliefst fich ein Gartenparterre an , welches der ehemalige Graben 
mit umzieht. Auch an feinen beiden nach aufsen gelegenen Ecken find 
zwei kleinere runde Thürme pavillonartig errichtet. Der Eingang in den 
Schlofshof liegt nicht , wie man erwarten follte , in der Axe , fondern an 
der rechten Ecke der vorderen Seite, dicht flankirt von dem dort befind- 
lichen Thurme, ganz nach den Regeln alter Vertheidigungskunft die rechte 
unbefchützte Seite des Heranziehenden bedrohend , als hätten bei den 
Anlagen diefer Zeit noch Rückfichten auf ernfbliche Abwehr von An- 
griffen gegolten. Das Portal befteht aus einem grofsen rundbogigen 
Thorweg, neben welchem eine fchmale Pforte für Fufsgänger in her- 
kömmhcher Weife angeordnet ift. Hier fällt fofort die wunderliche Ver- 
mifchung der beiden Bauftile ins Auge : das untere Gefchofs zeigt ausfchliefs- 
lich die Formen der Renaiffance, Rahmenpilafher von fchweren Verhältniffen, 
mit eleganten Kapitälen und fonftiger zierlicher Dekoration; das obere 
Gefchofs, an welchem man die grofsen Mauerfalze für die Ketten der Zug- 
brücke bemerkt, hat drei elegante baldachingekrönte Nifchen für Statuen,, 
zwifchen welchen über der Einfahrt eine viel höhere und reichere Nifche 
mit der Statue eines fitzenden Juppiter — ein paffender Schutzheiliger für 
einen Kirchenfürften der damaligen Zeit — angeordnet ift. Diefe Nifchen 
mit ihren hohen durchbrochenen Baldachinen find gothifch gedacht, aber 
der mittelalterliche Gedanke ift mit den zierlichften Renaiffanceformen aus- 
gedrückt. 

Tritt man in den Hof, fo gelangt man zwifchen den neueren Oekonomie- 
gebäuden hindurch zu dem Kern der alten Anlage. Das Schlofs befteht 

0 Sauvageot, Palais, Tom. III, p. 25 ff. mit 13 Tafeln. Vgl. dazu Paluftre I, 154 ff. 
mit trefflichen Abbildungen. 



§ 3I- Das Schlofs Nantouillet. 



aus einem Hauptflügel, der den Eingang und die Treppe enthält und fich 
an die Umfaffungsmauer der Rückfeite anfchliefst; aufserdem aus zwei 




Fig. 48. Schlofs Nantouillet. (Sauvageot.) 



Seitenflügeln, von denen der links gelegene eine fchön ausgebildete Treppe 
für die Dienerfchaft enthält. Auf den beiden äufseren Ecken flnd wieder 



132 



Kap. IV. Die Renaiflance unter Franz I. 



runde Thürme angebracht , die indefs nur 9 Fufs im Lichten meffen. Sie 
gewähren als Erker für die Eckzimmer den AusbHck in den Garten. Der 
rechts gelegene enthält aufserdem in einem niedrigen Parterregefchofs das 
Badekabinet des Kardinals, welches die heutigen Bewohner als »Gefängnifs« 
bezeichnen. Eine von aufsen fichtbare Wendeltreppe führt aus den Wohn- 
zimmern zu ihm hinab. 

Der intereffantefte Theil des Baues ift die Treppe. In der Axe des Haupt- 
flügels angelegt, bietet fie für Frankreich eins der früheften, vielleicht geradezu 
das erfte Beifpiel einer Treppe mit geradem Lauf, die ins Innere des Baues 
hineingezogen ift, während die meiften Treppen der damaligen franzöfifchen 
Schlöffer, wie wir fahen, in vorfpringenden Thürmen angelegte Wendel- 
ftiegen find. Den Eingang vom Hofe bildet ein niedriges Portal , mit 
abgerundetem Sturz, von gothifchen Dienften und Hohlkehlen eingefafst, 
aber mit delikat ausgeführten Renaiffance-Arabesken gefchmückt. Zugleich 
führt aber auch an der entgegengefetzten Gartenfeite eine doppelte 
Rampentreppe zu einem zweiten Portal, das von einer Vorhalle auf 
fchlanken, im Sinne des Mittelalters componirten Säulen überdacht wird. 
Diefe Säulen (Fig. 48) tragen die kleine polygone Kapelle des Schloffes, 
die alfo hier wie fo oft damals in Frankreich über dem Portal auf Säulen 
hinausgebaut ift. Ein Corridor, unter dem zweiten Stiegenlauf liegend, 
führt von diefem Gartenportal zu der Treppe. Diefe ift ein Meifterftück 
eleganter Architektur; mit verfchieden componirten gothifchen Stern- und 
Netzgewölben bedeckt , zeigt fie an den frei fchwebenden , durchbrochen 
gearbeiteten Schlufsfteinen , an dem reichen Maafswerke , das die Rippen 
umfpielt, endlich an den Confolen und eleganten Renaiffance-Nifchen der 
Wandpfeiler die ganze dekorative Pracht diefer Epoche. Hier fieht man 
auch die kecke Devife des ehrgeizigen Kardinals: » HE VRT ANT A POINT.« 
Die Kapelle mit ihren Netzgewölben und Fifchblafenfenftern ift klein, fteht 
aber durch eine gefchmackvolle hölzerne Gitterthür fo mit dem Treppen- 
haus in Verbindung, dafs diefes nöthigen Falls den Begleitern des Schlofs- 
herrn zur Anhörung der Meffe dienen konnte. Der prächtig gefchnitzte 
Stuhl des Kardinals ift noch vorhanden. 

Von der Innern Ausftattung fieht man Nichts mehr als den reichen 
Kamin in dem Saale des Erdgefchoffes, der links vom Hofeingange neben 
der Treppe liegt. Der Salamander Franz' I, den man an mehreren Stellen 
antrifft, ift ein weiteres Beglaubigungszeichen für die Entftehungszeit des 
anziehenden Baues. Noch fei der eleganten teppichartigen Mufter gedacht, 
welche in der Form von Sternen, Lilien und dergleichen mit mannigfaltiger 
Zeichnung die Mauerflächen beleben. Sie find in flacher Vertiefung aus 
dem Stein herausgemeifselt. Beachtenswerth ift endlich auch, dafs der 
ganze Bau kein ausgefprochenes Dachgefchofs befitzt. 



§32. Das Schlofs Chenonceau. 




1 Chenonceau das Bild eines noch völHg erhaltenen Denkmals diefer 
bauluftigen Zeit. Wenige Meilen von Blois , auf einer Brücke über dem 
Flufs eher errichtet, wurde es feit 151 5 durch Thomas Bovier, Finanz.- 
intendanten der Normandie, bis zu feinem Tode 1523 in den Haupttheilen 
vollendet.^) Aber fchon fein Sohn verkaufte das Schlofs an Franz I, der 
ebenfalls Arbeiten daran ausführen hefs.^) Noch jetzt fieht man an dem Bau 
mehrfach gemalt und gemeifselt die Wappen des erften Befitzers und feiner 
Gemahlin und den Spruch: »SIL VIENT A POINT ME SAUWIENDRA.« 
Heinrich II fchenkte es der Diana von Poitiers, welche um 1555 die fchon 
vom erften Erbauer beabfichtigte Brücke über den Cher ausführen liefs. 
Nach dem Tode des Königs zwang Katharina von Medicis die verhafste 



Maitreffe, es ihr gegen das Schlofs Chaumont abzutreten. Es wurde ein 
Liebhngsfitz der Königin , die dem alten Bau grofsartige Zufätze hinzu- 
zufügen begann. 3) Zwei rechteckige Flügel, die das Schlofs von der Rück- 
feite einfafsten, follten fammt der zwifchen ihnen gelegenen Brücke die Ver- 
bindung mit einem grofsartigen Hofe vermitteln. Nach den Zeichnungen 
bei Du Cerceau follte der Hof auf beiden Seiten zu einem Halbrund, ganz 
mit Arkaden eingefafst, fich erweitern und mit einer zweiten Brücke auf 
einen weiten trapezförmig angelegten äufsern Hof münden, der auf drei 

^) L. de la Sauffaye, Blois et ses environs, p. 297. — ^) De Laborde, la ren. des arts 
I, p. 340 in dem Erlafs vom 22. Januar 1535. — ■3) Aufnahmen bei Du Cerceau, Vol. II. 
Einzelheiten in Berty, ren. monum. Vol. I und Rouyer et Darcel, l'art. archit. V. I, pl. 4. 
Vgl. auch Victor Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. Paris 1860. Fol. (Sammlung litho- 
graphirter malerifcher Anflehten.) 




Fig. 49. Schlofs Chenonceau. (Du Cerceau.) 



134 



Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I. 



Seiten von Gebäuden umfchloffen war und in der Mitte der Hauptaxe ein 
grofsartiges Portal mit dreifchiffiger Eingangshalle zeigt. 

Wir fehen von diefen Entwürfen ab und befchränken uns auf die in 
Franz' I Zeit ausgeführten Theile. Das Gebäude (Fig. 49) bildet ungefähr 
eine quadratifche Maffe, ähnlich den Schlöffern La Muette und Chalvau, 
nur mit ftärkeren Anklängen an das Mittelalter, da auf den vier Ecken 
runde Erkerthürme auf Kragfteinen vorfpringen und an der öftHchen Seite 
eine polygen gefchloffene Kapelle und ein viereckiger Pavillon mit einem 




Fig. 50. Schlofs Chenonceau. (Baldinger nach Phot.) 



ebenfalls polygonen kleineren Raum, der Bibliothek, herausgebaut fmd.^) 
Den Zugang gewinnt man über eine lange Brücke, deren Eingang in mittel- 
alterlicher Weife durch runde Thürme vertheidigt wird. Das Gebäude 
felbft hat in der Mitte der Länge nach einen breiten Corridor. Von ihm 
gelangt man links in einen Saal und ein geräumiges Nebenzimmer^ beide 
auf den Ecken durch einen runden Erker erweitert. Mit dem Saal fteht 
die Kapelle, mit dem Nebenzimmer der fchon erwähnte Pavillon fammt der 
Bibliothek in Verbindung. Zwifchen beiden Räumen ift aufserdem eine 



Die Decke der Bibliothek in Rouyer und Darcel, a. a. O. 



§ 3S- Das Schlofs von Bury. 



135 



Communication durch einen Gang und eine Wendeltreppe. Auf der andern 
Seite gelangt man vom mittleren Corridor in zwei quadratifche Wohnräume, 
zwifchen welchen die Haupttreppe in geradem Lauf bis zu einem Podeft 
»und von dort in umgekehrter Richtung bis ins obere Gefchofs führt. 
Kleinere Nebentreppen find an beiden Endpunkten des mittleren Corridors 
angebracht. Die Anordnung des Erdgefchoffes wiederholt fich im oberen 
Stockwerk. 

Die Architektur des Aeufsern (Fig. 50) zeigt die hoben Dächer mit 
ihren noch mittelalterlich entworfenen, aber in Renaiffanceformen durchge- 
führten Fenftergiebeln und den maffenhaften Kaminen , die gedrückten 
Korbbögen des Portals und der über demfelben angebrachten Loggia, die 
durch vorgekragte Altane fich nach aufsen öfinet, endlich die fpät- 
gothifchen Formen der Kapelle: alles Elemente aus der Frühzeit der fran- 
zöfifchen Renaiffance. Die Fenfter mit ihrem abgerundeten Sturz werden 
von Pilaftern eingefchloffen und paarweife durch derb behandelte Hermen 
verbunden. Der Reiz der Lage mitten auf dem ftrömenden Waffer, um- 
geben von prächtigen Baumgruppen und Gärten, ift von feltener Anmuth. 
Das Innere erhält aber noch höheren Werth durch die faft voUftändige 
Erhaltung der alten Ausftattung mit ihrem reichen plaftifchen und male- 
rifchen Schmuck. 

§ 33. 

Das Schloss von Bury. 

Zu den grofsartigften Schlofsanlagen aus der Frühzeit Franz' I gehörte 
Bury. Zwei Meilen von Blois in dem anmuthigen Waldthale der 
Ciffe gelegen, dicht am Rande des Waldes von Blois, erregt es noch jetzt 
durch feine mächtigen Ruinen die Bewunderung. An der Stelle einer in 
den Kriegen unter Karl VI und Karl VII zerftörten Burg wurde es feit 
151 5 durch Florimond Robertet, Minifter und Staatsfekretair des Königs, 
neu erbaut.') Im Anfang des 17. Jahrhunderts beim Ausfterben der 
Familie in andere Hände gelangt, gerieth es unter den neuen Befitzern 
bald in Verfall und wurde von denfelben fogar feiner Ausftattung beraubt 
und theilweife zerftört, um das ihnen ebenfalls gehörende Schlofs von On- 
zain herzuftellen und zu fchmücken. Einmal preisgegeben, fank es immer 
tiefer, wurde von den Bewohnern der Umgegend als Steinbruch benützt, 
und ift jetzt nur noch als gewaltige Ruine der Schauplatz für die Phantafie- 
gebilde der Volksfage, die feine Trümmer zum Sitz des wilden Jägers und 
der weifsen Dame gemacht hat. 



^) L. de la Sauffaye, Blois et fes environs, p. 237. 



136 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



Von der Anlage des Ganzen haben wir nach Du Cerceau') in § i r 
mit Hinzufügung des Grundriffes ein Bild entworfen. Wir geben nach der- 
felben Quelle eine perfpectivifche Anficht unter Figur 51, aus welcher die 
Verbindung mittelalterhcher Anlage und moderner Ausftattung erfichtlich 
wird. Der Waffergraben mit feiner von Thürmen vertheidigten Zugbrücke, 
die vier runden Eckthürme, zu denen noch zwei am Ende des Gartens hin- 
zukommen, gehören der feudalen Burg des Mittelalters; aber die Einthei- 




Fig. 51. Schlofs Biir}'. (Du Cerceau und V.-le-Duc.) 



lung der inneren Räume zeigt uns die Gewohnheiten einer neuen Zeit. Die 
Thürme, anflatt der Vertheidigung zu dienen, enthalten in jedem Stock- 
werk ein geräumiges Zimmer nebft Garderobe, nach aufsen durch grofse 
Fenfter mit Kreuzftäben fich öffnend. Auch die Treppen fmd nicht mehr 
als Wendelftiegen in vorfpringenden Treppenhäufern angelegt, fondern in 
den Bau hineingezogen, Ebenfo gehören die ftattlichen Arkaden auf der 
Eingangsfeite, die regelmäfsige Anlage des Hofes, der ein Quadrat von 



') Les plus excellens baftim. V. II. 



§35- Das Schlofs Le Verger. 



150 Fufs bildete, und die 140 Fufs lange, 24 Fufs breite prachtvolle Galerie, 
welche den rechten Flügel einnahm, der neuen Zeit an. Der Renaiffance 
entftammt auch die ganze Dekoration mit regelmäfsigen Pilafterfyfbemen in 
zwei Gefchoffen und den reich bekrönten Dachfenftern , welche an die 
fpielenden Formen von Blois und Chenonceau erinnern. 

Unter dem reichen Schmuck, der das Schlofs auszeichnete, werden 
noch im 17. Jahrhundert prächtige Marmorbüften hervorgehoben. Bei Du 
Cerceau und danach in unferer Abbildung ficht man in der Mitte des Hofes 
auf einer Säule eine fchlanke jugendliche Geftalt. Es unterliegt keinem 
Zweifel, dafs diefe Figur der gänzlich verfchollene bronzene David Michel- 
angelo's war, welchen diefer im Auftrage der Signoria von Florenz urfprüng- 
lich für Pierre de Rohan, Marfchall von Gie, giefsen foUte,') und die der 
Nachfolger desfelben in der Gunft des Königs, Florimond Robertet, erhielt 
und im Hof feines Schloffes Bury aufftellen liefs. In Reifebefchreibungen 
des 17. Jahrhunderts wird ausdrücklich ein »Erzbild des Königs David« im 
Schlofshofe von Bury erwähnt, welches von Rom hergebracht fei und von 
den Kennern fehr hoch gefchätzt werde. ^) Aber fchon in den Stichen von 
Ifrael Sylveftre fieht man an Stelle des David einen Springbrunnen. Wahr- 
fcheinlich war der David ebenfalls nach dem Schlöffe Onzain gebracht, wo 
er dann fpurlos verfchollen ift. 

§ 34. 

Das Schloss Le Verger. 

IN ähnlicher Weife wie zu Bury beherrfchen die Ueberlieferungen des 
Mittelalters, verbunden mit den Bauideen der neuen Zeit , die Anlage 
des nicht minder grofsartigen Schloffes Le Verger im Anjou, der ehe- 
mahgen Wohnung des Prinzen von Rohan-Guemene.^) Auch hier flankiren 
gewaltige runde Thürme mit Zinnenkranz und Machicoulis den Bau, einer 
auf den Ecken der Flügel, welche den grofsen äufseren Hof umgeben ; zwei 
andre aufserdem an den Ecken der herrfchaftlichen Wohnung, die den eben- 
falls rechtwinkligen innern Hof einfchliefst. Ein Waffergraben umzog nicht 
blofs die ganze Anlage, fondern trennte auch den äufseren Hof von dem 
eigentlichen Schlöffe. Aber in der rechtwinkeligen und fymmetrifchen An- 
ordnung des Planes fprach fich auch hier die Tendenz auf klare Regel- 
mäfsigkeit aus , welche mit der Renaiffance eindrang. Eine Zugbrücke 
führte zu dem von zwei runden Thürmen flankirten Haupteingang, der mit 

Vgl. M. de Reifet im Athenäum vom Jahr 1853. — So in Jodocus Sincerus, 
Itinerarium Galliae 1649: «In medio areae, columnae impofita eft imago regis Davidis 
aenea, magni pretii aeftimata : quae Roma jam fere ante faeculum eo translata traditur.» (Die 
Verwechfekmg von Florenz und Rom kann nicht befremden.) Citat bei L. de la Sauffaye, 
a. a. O. — 3) Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionn. III 180 ff. 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



grofsem Rundbogen und Giebelfeld die Geftalt eines antiken Triumphbogens 
nachahmt. Dagegen ift der zweite Eingang, der, gleich dem erften in der 
Hauptaxe liegend, den Zutritt zum inneren Hofe gewährt, nach franzöfifcher 
Sitte aus einer im gedrückten Bogen gewölbten Einfahrt und daneben 
liegenden engen Pforte für Fufsgänger gebildet. Auch fehlt über derfelben 
die beliebte Bogennifche mit dem Reiterbilde nicht, und die Krönung besteht 
aus einem fteilen, von ausgekragten Thürmcheri eingefafsten und mit hohen 
Dachfenftern verfehenen Pavillon. Die Dachfenfter zeigen am ganzen Bau 
noch überwiegend mittelalterhche Form. So kreuzen fich auch hier die 
nationalen Ueberlieferungen mit fremden Einflüffen. 

§ 35- 

Das Schloss Varengeville. 

DENSELBEN frifchen Charakter diefer Uebergangsepoche zeigen die Ueber- 
refte des Schloffes Varengeville bei Dieppe, das zu den inter- 
effanteften Denkmälern jener Zeit gehört.') Ein durch feinen Reichthum 
und feine weiten Seefahrten, nicht minder durch feine Kunftliebe berühmter 
Rheder jener Stadt, Jean Ango, liefs fich diefen prächtigen Landfitz erbauen, 
nachdem er vorher in Dieppe felbft fein Wohnhaus mit reich gefchnitzter 
Holzfagade neu aufgeführt hatte. Um 1532 konnte er Franz I mit fürft- 
licher Opulenz in feinem Schlofs aufnehmen und bewirthen. Gleich Nan- 
touillet ift auch diefes Prachtftück der Frührenaiffance jetzt halb verwüftet 
und zu einem Pachthof herabgefunken. Aber noch zeigen die Hofifagaden 
den Glanz und die Zierlichkeit des urfprünglichen Werkes. In der Ecke, 
wo beide Flügel zufammenftofsen, erhebt fich ein polygoner Treppenthurm, 
wie meift an diefen Schlöffern; aber originell und fonft kaum irgendwo in 
diefer Epoche nachzuweifen ift die grofse. Freitreppe des Hofes, die mit 
doppelten Rampen zu einer grofsen Halle im Erdgefchofs emporführt, 
welche über einer hohen Brüftungsmauer fich mit mächtigen , auf vier 
ftämmigen Säulen ruhenden Bögen einladend gegen den Hof öfifnet. Auch 
der andere Flügel zeigt eine folche Halle, gleich jener nicht fowohl als 
Arkade, fondern mehr als ofifne Loggia aufzufaffen. Die Säulen erinnern 
durch ihre derben Verhältniffe und die Kapitäle an gothifche Bauweife; 
dagegen zeigen die Bögen antike Profilirungen und rautenförmige Caffetten, 
vermifcht mit gothifchem Stabwerk. 

Im Erdgefchofs fieht man kleine Rundbogenfenfter, mit Pilaftern, Ge- 
bälk und Giebeln nach Art der Renaiffance eingefafst. Dagegen haben 
die Fenfter des Hauptgefchoffes geraden Sturz, Kreuzftäbe und eine Um- 
rahmung mit römifchen Pilaftern. Ein Fries mit Medaillonköpfen, ab- 



^) Taylor et Kodier, Voyages dans l'ancienne France. Normandie T. II, pl. 96—98. 



§36. Das Schlofs von Chantilly. 



139 



•wechfelnd in Rautenfelder oder in runde Lorbeerkränze eingefafst, zieht fich 
zwifchen beiden Stockwerken hin. Ganz wie in Nantouillet ift auch hier auf 
Anlage eines Dachgefchoffes verzichtet. Die gröfste Pracht der Dekoration 
-entfaltet fich an der Rampentreppe, deren Stirnwand von köftlichen Ara- 
besken , Pilaftern mit graziöfen Ornamenten und Reliefmedaillons ganz 
bekleidet ift. 

§ 36. 

Das Schloss von Chantilly. 

IN feiner Schilderung der Thelemiten-Abtei nennt Rabelais diefe Phantafie- 
fchöpfung »prächtiger als Bonnivet, Chambord oder auch Chantilly.« 
Zu feiner Zeit gehörte alfo das letzgenannte Schlofs unter die anfehnlichften, 
die man in Frankreich kannte. Wir fuchen aus Du Cerceau's Aufnahmen 
eine Anfchauung der Anlage zu gewinnen. 

Die Lage des Schloffes (Fig. 52), nahe bei Senlis , an einem Neben- 
flufs der Oife, hatte Veranlaffung zu ausgedehnten Wafferbaffnis gegeben, 
welche nicht blofs mit den herkömmlichen Gräben, fondern aufserdem 
mit grofsen Teichen die umfangreiche Gebäudegruppe umfchloffen. Von 
der Landftrafse gelangte man mittelft einer langen Brücke A über einen 
diefer breiten Wafferarme , der das Ganze umgab , in den rechtwinklig 
angelegten, von Dienftlokalen eingefafsten äufseren Hof B, der durch den 
Saal C mit einem Gartenparterre D verbunden war. Wie eine lang ge- 
ftreckte Infel liegen diefe beiden zufammengehörenden Theile da. Als 
zweite Infd, rings in gleicher Weife von Waffergräben umfchloffen, erhebt 
fich daneben die herrfchaftliche Wohnung, die fich in Form eines Dreiecks 
um einen dreifeitigen Hof gruppirt. Wir finden alfo hier, ohne Frage 
bedingt durch die Befchaffenheit des Ortes, eine völlig unregelmäfsige 
Anlage, nach Art des Mittelalters. Der feudale Eindruck wird aber noch 
verftärkt dadurch, dafs nicht blofs auf den Ecken fich drei runde Thürme 
mit Zinnenkranz, Machicoulis und hohen Dächern erheben, fondern dafs 
ungefähr in der Mitte zweier Seiten des Dreiecks ein baftionartiger halb- 
runder Thurm vorfpringt, und zwei ähnliche Bollwerke an der dritten Seite 
den Zugang über die äufsere Zugbrücke M vertheidigen. Hier ift alfo der 
feudale Charakter nachdrücklicher als an irgend einem anderen Schlöffe 
der Zeit betont. Das ganze innere Schlofs fteht auf einem Felsboden, 
deffen Plateau fich gegen 10 Fufs über den Boden des äufseren Hofes 
erhebt. Man mufste daher aus diefem mittelft einer Treppe E auf die 
Brücke hinauffteigen, die zum herrfchaftlichen Wohngebäude führt. Ebenfo 
gelangte man von diefem durch eine zweite Treppe in den gleichfalls 



») Du Cerceau, T. II. Vgl. dazu Paluftre I, 77 mit Abb. 



I40 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



niedriger gelegenen Garten. Endlich find unter dem ganzen herrfchaft- 
lichen Bau gewölbte Keller in gewaltiger Ausdehnung und in zwei Stock- 
werken über einander aus dem Felsgrund gehauen, eine Anlage, die nach 
du Cerceau »eher einem Labyrinth als einem Keller zu vergleichen.« 




Fig. 52. Schlofs Chantilly. (Du Cerceau) 

Damit war aber die grofsartige Anlage nicht abgefchloffen. Sie dehnte 
fich vielmehr nach zwei Seiten noch bedeutend aus; denn von der Haupt- 
fagade über die mit Thürmen flankirte Brücke J gelangt man bei M zu 
einer grofsen, ebenfalls erhöht liegenden Terraffe, die in einem Rechteck 
von circa 300 zu 200 Fufs, von Mauern umfchloffen, fich vor der Haupt- 



36. Das Schlofs zu Chantilly. 



141 



front des Schloffes in ganzer Länge ausdehnt. Von ihr kommt man 
fodann in die weiten Parkanlagen mit ihren prächtigen Alleen und Baum- 
gruppen. An der entgegengefetzten Seite aber, wenn man von dem Garten- 
parterre D mittelft einer Brücke über den äufseren Waffergraben ging, kam 
man an einen noch viel ausgedehnteren Garten, der ein Quadrat von circa 
350 Fufs bildete und an der einen Seite von einer erhöhten offenen Loggia 
eingefchloffen war. Neben diefem Garten war der unregelmäfsige geräumige 
Wirthfchaftshof mit feinen ausgedehnten Baulichkeiten angebracht, fo dafs 
•das Schlofs nicht weniger als drei Höfe befafs. 




Fig. 53. Aus dem Hofe zu Chantilly. (Du Cerceau.) 



Kehren wir nun zu dem inneren Schlofs zurück, um feine Anlage zu 
prüfen. Die Hauptfront bildet die längere Kathete des Dreiecks. Hier 
gelangt man durch den die Mitte einnehmenden, von Thürmen vertheidig- 
ten Eingang J in die herrfchaftlichen Wohnräume, die nach der Sitte der 
Zeit aus einer Reihe gröfserer und kleinerer Zimmer beftehen. Vom Hofe 
G führt eine ftattHche Freitreppe K mit zwei Rampen zu dem hochliegen- 
den Erdgefchofs und von da zu einer Treppe, die in geradem Lauf, aber 
nach dem erften Podeft mit rechtwinkliger Wendung, das obere Stockwerk 



142 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



erreicht. Trotz der Harken mittelalterlichen Reminiscenzen ift die Treppen- 
anlage alfo völlig modern, und in dem ganzen Schlofsbau kommt keine 
bedeutendere Wendelftiege vor. Die andre rechtwinklige Seite des Baues 
fchliefst fich an den Hauptbau mit einem grofsen Saal L, zu welchem eine- 
befondere Freitreppe vom Hofe führt. An ihn lehnen fich, die ftumpfe 
unregelmäfsige Ecke des Dreiecks füllend, untergeordnete Räumlichkeiten, 
Die dritte Seite, die Hypotenufe, wird nur zum Theil von Gebäuden, zum' 
Theil von einer Befeftigungsmauer umfchloffen, aus welcher ein Thurm zur 
Vertheidigung der zweiten Brücke vorfpringt. Hier liegt als felbftändiger 
kleiner Bau die gothifche Kapelle H mit polygonem Chor. 

Diefs die Anlage des mächtigen Baues, die zum Theil aus dem Mittel- 
alter ftammt, aber im i6. Jahrhundert mit aufserordentlicher Pracht erneuert 
und umgeftaltet wurde. Indefs laffen fich nach Du Cerceaus Zeichnungen, 
abgefehen von den mittelalterlichen Reften , zwei Epochen deutlich unter- 
fcheiden. Die erfte, welche den gröfsten Theil des eigentlichen Schloffes,. 
der herrfchaftlichen Wohnung umfafst, weift unverkennbar auf die Frühzeit 
Franz' I; die zweite, welcher die regelmäfsige Anlage des äufseren Hofes, 
und der dort befindlichen Dienfträume zuzufchreiben ift, fteht entfchieden, 
am Ausgange diefer Epoche oder vielmehr fchon in der Zeit Heinrichs II. 
Die gröfste Pracht entfaltet fich an den Bauten der Frühzeit, namentlich 
an der Hoffeite der herrfchaftlichen Wohnung, die zu den eleganteften und 
reichften Werken diefer Zeit gehört (Fig. 53). Die grofsen Fenfter mit 
ihren Steinkreuzen, in beiden Gefchoffen von korinthifchen Pilaftern ein- 
gefafst, die reich gekrönten Dachfenfler, die mit den zierlichften ihrer Art 
wetteifern, der glänzende, als offene Halle angelegte Vorbau der Freitreppe,,, 
deffen Dach mit Statuen gefchmückt und mit einer fchlanken Spitze gekrönt 
ift, die prachtvolle offene Halle, mit welcher der galerieartige Saal fich 
gegen den Hof öffnet, und deffen Wände wie der eben erwähnte Vorbau 
mit korinthifchen Halbfäulen gegliedert find, endlich der kleine Pavillon in 
der einfpringenden Ecke, der ebenfalls eine Treppe enthält und mit einem 
achteckigen Oberbau und runder Laterne abfchhefst, das Alles bietet ein 
Ganzes von höchfter Opulenz. Dazu kommen die Medaillons mit Bruft- 
bildern, die wappenhaltenden fchwebenden Genien an den Fenfterbrüftungen,. 
die Vafen und Statuen, die überall zur Krönung felbftändiger Theile ver- 
wendet find, kurz alle Elemente der Dekoration, welche jene prachtHebende 
Zeit zur Verwendung brachte. Selbft die Kapelle, im Wefentlichen wohl 
noch ein frühgothifcher Bau, zeigt ein Portal, in welchem die Elemente 
des Flamboyant mit denen der Renaiffance fich üppig mifchen. Dem 
Mittelalter dagegen gehören offenbar die ihr benachbarten Baulichkeiten an.. 

Mit Recht fagt daher Du Cerceau von dem herrfchaftlichen Wohn- 
gebäude: »II ne tient parfaictement de l'art antique ne moderne, mais des. 



§ 37- Das Schlofs zu Chantilly. I43, 

deux meslez enfemble.« Dagegen heifst es von den Gebäuden des vorderen 
Hofes: »Les faces des baftiments eftans en icelle tant dans la court que: 
dehors, fuivent l'art antique, bien conduicts et accouftrez.« In der That: 
tritt bei diefen Theilen jene Vereinfachung der Formen ein , welche der 




Fig. 54. Schlofs Chantilly. Pavillon aus Heinrichs II Zeit. (Du Cerceaii.) 



ftrengeren Beobachtung der Antike zuzufchreiben ift. Die Gebäude befteher*' 
faft ohne Ausnahme aus einem Erdgefchofs , deffen grofse Fenfter mit 
Bogengiebehi dekorirt find. Darüber erhebt fich ein oberes Stockwerk, 
deffen Fenfter zum Theil rechtwinklig, zum Theil rundbogig gefchloffen,. 



144 



Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I. 



aber fämmtlich mit antikifirenden Giebeln gekrönt werden. Sie ragen aber 
nach einer damals beginnenden Sitte in das Dach hinein. Intereffant ift 
nun, dafs an hervorragenden Stellen, befonders bei den Eckpavillons, eine 
einzige koloffale korinthifche Pilafterordnung die Wände bekleidet (Fig. 54), 
■ein Gebrauch, der dem Streben entfprang, aus den gehäuften kleinlichen 
. Pilafterftellungen der früheren Epoche zu grofsartigeren, einfacheren Formen 
zu gelangen. Ein Uebelftand war freilich im vorhegenden Falle, dafs die 
•oberen Fenfter rückfichtslos das Gebälk fammt Fries und Dachgehmfe 
durchfchneiden. Vielleicht das frühefte Beifpiel diefer bedenklichen An- 
ordnung. An dem grofsen galerieartigen Saale, der diefen Hof von dem 
kleinen Gartenparterre trennt, tritt ftatt der unteren Fenfterreihe eine offne 
Arkade auf Pfeilern ein, die mit korinthifchen Pilaftern dekorirt find. 

§ 37. 

Das Schloss von Chateaudun. 

DIE Touraine hat unter allen Provinzen Frankreichs den gröfsten Reich- 
thum an Denkmälern diefer Zeit aufzuweifen, und das Flufsgebiet der 
Loire, diefer lachende Garten mitten im Herzen des Landes, von Angers 
bis hinauf nach Orleans, ift für Frankreich beinahe das, was Toscana für 
Itahen, ebenfo wie fich die Normandie in der überfchwänglichen dekorativen 
Phantaftik ihrer Werke mit Oberitalien vergleichen läfst. Die Touraine 
war damals der bevorzugte Sitz des Hofes; kein Wunder daher, dafs fich 
neben den drei grofsen königlichen Schlöffern Amboife, Blois und Chambord 
•eine Reihe von Landfitzen des hohen Adels erhoben, die an künftlerifchem 
Glanz der Ausführung miteinander wetteiferten. Chenonceau, Bury, Le 
Verger, die wir fchon kennen, gehören in diefe Zahl. Andere ftehen ihnen 
würdig zur Seite. Wir beginnen mit dem Schlofs der alten Grafen von 
Dunois zu Chateaudun, kürzlich noch Wohnfitz des durch feine hohe 
Kunfl;liebe berühmten Herzogs von Luynes. In dem freundlichen Thal 
•des Loir, eines Nebenfluffes der Loire, fechs Meilen von Orleans gelegen, 
■erfuhr das Schlofs zu Anfang des 16. Jahrhunderts (1502 — 32) eine glänzende 
Erneuerung, ohne indefs vollendet zu werden. ^) Das Aeufsere diefer Theile 
gehört noch faft ausfchhefslich dem gothifchen Stile, namenthch die pracht- 
volle Maafswerkgarnitur, welche in luftiger Durchbrechung das Hauptgefimfe 
begleitet. Doch zeigen die Confolen des letztern, die Pilafter und Giebel- 
krönungen der Fenfber den Einflufs der Renaiffance. Was aber dem Schlofs 
feinen claffifchen Werth unter fo vielen gleichzeitigen Monumenten verleiht, 
ift das Stiegenhaus, welches an Grofsartigkeit und Reichthum feines 



Victor Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. Dazu die treffliche Darftellung in 
■den Chateaux hiftoriques III, i ff. 



§37- Das Schlofs von Chateaudun. 



145 



Gleichen fucht. Nicht wie die Haupttreppe von Blois aus der Baulinie 
vorfpringend, nicht wie die mittlere Treppe von Chambord zu einem felb- 
iftändig ifolirten Baukörper entwickelt, ift die Treppe von Chateaudun in 
■den Bau hineingezogen , innerhalb desfelben aber zu einem unabhängigen 
Prachtftück ausgebildet. 

Vom Hofe aus tritt man in einen doppelten hohen Portalbogen , der 
noch ganz in mittelalterlicher Weife zwifchen fchlanke Strebepfeiler ein- 
gefafst ift , die mit Nifchen und reichen Baldachinen für Statuen belebt 
fmd und in fchlanke Fialen auslaufen. Die Compofition gemahnt faft an 
die eines gothifchen Kirchenportals, denn diefer ganze Theil bildet mit 
feinem fteilen Dach einen felbftändigen Pavillon, der von zwei vorgekragten 





Fig. 55. Treppe zu Chateaudun. Grimdrifs. 



Rundthürmen eingefchloffen wird. Sämmtliche Abtheilungen fmd mit 
gothifchen Flachbögen gefchloffen , die mit durchbrochnen Maafswerken 
wie mit Spitzen gefäumt fmd. Auch das Dachgefims ift in ähnlicher Weife 
eingefafst. 

Man gelangt nun unmittelbar in eine hohe Eingangshalle und befindet 
fich am Aufgang der Treppe. Diefe ift dem allgemeinen Gebrauch der 
Zeit folgend eine Wendelftiege , die fich um einen runden Mittelpfeiler 
fpiralförmig hinaufzieht (Fig. 55). Auf drei Seiten ift fie von der Mauer 
eingefchloffen, auf der vierten dagegen öffnet fie fich mit einem ganz 



^) Abbildungen in Chapuy, Moyen äge monumental III, pl. 208. 298. 321. 369. 376. 
382. 387. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. jq 



146 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



flachen Bogen auf einer mittleren Rundfäule, welcher an den Mauerecken 
Halbfäulen entfprechen. Um aber die Stufen aufzunehmen, ift bei jedem 
Umlauf durch vortretende Träger ein Uebergang ins Achteck gemacht 




Fig. 56. Treppe zu Chateaudun. (Chapuy.) 



und dadurch ein Platz für acht auf fchwebenden Conlblen verkröpfte Säulen 
oder Kragfteine gewonnen. Diefe ihrerfeits ftützen, durch Flachbögen ver- 
bunden, das kreisrunde Gefimfe, auf welchem die Stufen mit ihren End- 
punkten aufruhen. (Fig. 56.) 




Fig. 57. Schlofs von Azay-le-Rideau. (Baldinger nach Phot.) 



10* 



148 



Kap. 1. Die Renaiffance unter Franz I. 



Ist diefe Conftruction für fich fcbon beachtenswerth , fo fteigert fich 
das Intereffe durch die Pracht der Ausftattung-, deren Schönheit von keinem 
andern Werke der franzöfifchen Renaiffance übertrofifen wird. War am 
Aeufsern Alles noch gothifch, fo tritt hier der mittelalterliche Stil nur in 
der Form und dem Profil der Bögen und in der Maafswerkgliederung des 
Mittelpfeilers befcheiden auf. Allein die Felder der Spindel felbft find mit 
Renaiffance-Arabesken des reinften Gefchmacks und der delikateften Aus- 
führung gefüllt. Und die Kapitale der Säulen, die Baluftrade, die Gefimfe 
und Friefe, fowie die Leibung der Bögen, endlich die zahlreichen Krag- 
fteine, Confolen und Kapitale der Wandfäulen zeigen eine Mannigfaltigkeit 
und Schönheit, wie kaum ein zweites Bauwerk diefer Epoche. 

§ 38. 

Das Schloss zu Azay-le-Rideau. 

IN andrer Hinficht bemerkenswerth ift das Schlofs von Azay-le-Rideau.') 
Es zieht weniger durch ein einzelnes Prachtftück, als durch die klare 
und harmonifche Gefammtanlage die Aufmerkfamkeit an. Auf einer kleinen 
Infel des Indre, etwa eine Meile von feiner Mündung in die Loire, gelegen, 
ift es im Wefentlichen feinem Aeufsern nach jetzt noch fo erhalten , wie 
es um 1520 von Gilles Berthelot, dem damaligen Befitzer des Ortes, erbaut 
wurde. Es befteht aus zwei in rechtem Winkel zufammenftofsenden Flügeln, 
ift nach mittelalterlicher Weife mit einem Waffergraben umzogen und nach 
aufsen durch Zinnenkranz und Machicoulis , fowie durch mächtige runde 
Thürme mit runden Dächern als trotzige Vefte charakterifirt, während die 
grofsen von Kreuzftäben getheilten und mit Pilaftern eingefafsten Fenfter 
diefem Anfchein widerfprechen. 

Nach der Innern Hoffeite find denn auch diefe feudalen Elemente auf- 
gegeben, und das Schlofs zeigt dort drei Gefchoffe mit grofsen Fenftern, 
die im obern Stockwerk eigenthümlicher Weife zum Theil in das Dach 
hineinreichen und mit phantaftifchen, nicht gerade fchönen Giebeln gekrönt 
find. (Fig. 57.) Während die durchlaufenden Pilafterfyfteme und die zahl- 
reichen horizontalen Gefimfe dem Eindruck eine gewiffe Monotonie geben, 
ift aller Luxus der Dekoration auch hier auf das Treppenhaus verwendet, 
das in der längeren Hoffagade als befonderer hochaufragender Giebelbau 
mit doppelten Bogenöftnungen in vier Gefchoffen hervortritt. (Vgl. Fig. 57.) 
Auch hier ift , ähnlich wie in Chateaudun , die Treppe im Innern des 
Gebäudes angelegt, aber ihre dekorative Ausftattung zeigt fchon am Aeufsern 
die ganze Formenfprache der Renaiffance, ihre Pilafter und Bögen, ihre 
Arabeskenfriefe und Gefimfe, nur dafs in den beiden mittleren Gefchoffen 



^) Aufn. Gailhabaud, Denkm. der Baukunft; vgl. V. Petit, chäteaux etc. 



§39- Schlofs von Beauregard. 



149 



ftatt des Halbkreifes der gedrückte Korbbogen angewandt ift. Am Mittel- 
pfeiler, fowie zu beiden Seiten find Nifchen für Statuen mit reichen Bal- 
dachinen angeordnet, gleich dem krönenden Giebel mittelalterlich gedacht,, 
aber mit der ganzen Fülle der Renaiffanceformen ausgedrückt. Unter den. 
Sculpturen begegnen wir mehrfach dem Salamander Franz' I. Aufserdem 
findet fich der Namenszug des Erbauers und der Spruch : »UNG SEUL 
DESIR«, ohne Zweifel die Devife des Befitzers. 

§ 39- 

Das Schloss von Beauregard. 

UNGEFÄHR eine Meile von Blois, am Saume des Waldes von Ruffy^ 
am Abhänge einer Hügelreihe, welche das anmuthige Thal des 
Beuvron einfcWiefst , liegt das Schlofs Beauregard, das mit Recht feinen 
Namen trägt. Um 1520 wurde es für Rene, Baftard von Savoyen, natür- 
lichen Bruder der Mutter Franz 1', erbaut.') In der Schlacht von Pavia 
gefangen und bald darauf an den dort erhaltenen Wunden geftorben, hatte 
er fich nur kurze Zeit feines Befitzes erfreut und hinterliefs denfelben feiner 
Wittwe Anna von Laskaris. Im Jahr 1543 wurde es von diefer verkauft 
und kam bald darauf in den Befitz des Jean du Thier, der Staatsfecretär 
unter Heinrich II war und durch feine Pflege von Wiffenfchaft und Kunfh 
fich einen Namen machte. Er vergröfserte das Schlofs und gründete darin 
eine Biblothek, von welcher Ronfard fingt : 

»Tu recompenfas avec beaucoup d'escus 

Ces livres qui avoient tant de fiecles vaincus, 
Et qui portoient au front de la marge, pour guide, 
Ce grand nom de Pindare et du grand Simonide, 
Desquels tu as orne le fomptueux chafteau 
De Beauregard, ton oeuvre, et tu l'as fait plus beau.« 
Im Jahre 16 17 kam Beauregard durch Kauf in den Befitz des Schatz- 
meifters Ludwig's XIII, Paul Ardier, der die grofse Galerie mit den Por- 
traits von fünfzehn franzöfifchen Königen fchmückte. Sein Sohn fügte noch 
eine Reihe von Bildniffen hinzu und baute die Fagade, die nach dem Fluffe 
liegt. Im Anfang unferes Jahrhunderts wurde durch einen neuen Befitzer 
leider die alte Kapelle, welche Fresken von Niccolo dell' Abbate enthielt, 
zerftört. In neuerer Zeit dagegen ift das Schlofs durch den gegenwärtigen 
Befitzer trefflich reftaurirt und im Stil der Renaiffance neu ausgeftattet 
worden. 

Der gröfsere Theil des Baues^) gehört fo wie er jetzt befbeht dem 17. Jahr- 
hundert an ; wir haben es hier in erfter Linie mit der Anlage aus Franz' I Zeit 

L. de la Saufifaye, Blois et fes environs,. p. 225 ff. — 2) Aufn. bei du Cerceau, Vol. II. 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



zu thun. Du Cerceau fagt von ihm; »L'edifice n'en eft pas grand, mais il eft 
mignard, et autant bien accommode qu'il eft poffible pour ce qu'il contient.« 
Es beftand damals, wie die Pläne ausweifen (Fig. 58), aus einem füdlichen und 
nördlichen Pavillon E, F, welche durch die grofse Galerie D und eine vor 
ihr liegende nach dem Hofe auf Pfeilern und Bögen fich öffnende Arkade 
C verbunden wurden. Ueber einem Obergefchofs , deffen grofse Fenfter 
durch Kreuzftäbe getheilt und mit Pilaftern eingefafst find, erhebt fich ein 
Dachgefchofs, deffen Fenfter an dem Verbindungsbau und dem einen Pavillon 
die zierlich fpielende Bekrönung der Frührenaiffance zeigen , während fie 
an den übrigen Theilen einfach mit antikem Giebel abgefchloffen find. 
Zwei rechtwinklig anftofsende Flügel A, G umfaffen, der eine jedoch nur 
zur Hälfte, die beiden Seiten des inneren Hofes B. Ein grofser unregel- 




I ^ 




Fig. 58. Das Schlols von Beauregartl. (Du Cerceau.) 



mäfsiger äufserer Hof mit Wirthfchaftsgebäuden legte fich, ähnlich wie bei 
Bury, vor die eine Langfeite des Gebäudes. 

Die moderne Tendenz der ganzen Anlage wird durch die vollftändige 
Abwefenheit mittelalterlicher Elemente bezeugt. Keine Spur eines Grabens 
mit feinen Zugbrücken oder der beliebten Eckthürme ift zu erblicken. Die 
ganze Eintheilung ift klar , regelmäfsig , rechtwinklig. Auch die Haupt- 
treppen find im Innern des Baues angelegt, und zwar beide mit geradem 
Lauf, die eine neben der Galerie , die andre am Hauptpavillon. Zu dem 
hohen Erdgefchofs des letztern führt aufserdem eine breite Freitreppe mit 
doppelter Rampe. Nur die Dienftwohnungen, die vom Hauptbau getrennt 
den untern Theil des Hofes umfchliefsen, haben in einem vorfpringenden 
achteckigen Thurm ihre Wendelftiege. Die Anzahl der herrfchaftlichen 



40. Andere Schlöffer des Loiregebietes. 



Wohnräume war zu Du Cerceaus Zeit gering; fie befchränkte fich aufser 
der gegen 70 Fufs langen, 18 Fufs breiten Galerie, im Hauptflügel auf 
einen Saal von 40 zu 24 Fufs, der mit Nebenzimmer und Garderobe, fo- 
wie einem gröfseren und einem kleineren Gemach verbunden war, in dem 
andern Pavillon auf ein gröfseres Zimmer mit Garderobe und zwei kleineren, 
mit der Nebentreppe und der Galerie zufammenhängenden Räumen. Ein 
grofses wohlgepflegtes Gartenparterre, von zwei langen offhen Laubengängen 
mit Eckpavillons eingefafst, fowie ein weiter Park mit prachtvollen Bäumen 
und Alleen umgeben den Bau. 

§ 40. 

Andere Schlösser des Loiregebietes. 

DIE bisher betrachteten Bauten enthalten die Grundzüge franzöfifcher 
Schlofsanlagen der Frührenaiffance in fo reicher Mannigfaltigkeit, dafs 
Avir die grofse Anzahl der kleineren Schlöffer diefer Zeit in kürzerem Ueber- 
bHck zufammenfaffen dürfen. Der gemeinfame Grundzug bleibt auch hier 
noch während der ganzen Epoche die Mifchung gothifcher Formen mit 
■denen der Renaiffance, die nationale Vorhebe für Thürme, erkerartige Aus- 
bauten, vorfpringende Treppenhäufer mit Wendelftiegen , für fteile Dächer 
mit reich bekrönten Giebeln. Mit diefen Elementen verbinden fich die 
einzelnen antiken Formen, die man aus Italien empfing, in derfelben naiven 
und zwanglofen Weife, die wir fchon kennen gelernt haben. Der malerifche 
Reiz diefer kleinen graziöfen Werke hängt innig mit dem Charakter ihrer 
landfchaftlichen Umgebung zufammen. In den engen Strafsen, an den 
regelmäfsigen Plätzen der Städte würde ihre Architektur nicht Stich halten, 
am wenigften wenn man fie unmittelbar neben irgend einen der ftreng 
componirten, in machtvollen Formen und fymmetrifcher Anlage entwickelten 
fiorentinifchen Paläfte ftellen wollte. Aber umgekehrt würde ein Palazzo 
Strozzi oder Ruccellai fich ebenfo übel ausnehmen, wenn man ihn an das 
Ufer der Loire oder des Cher in die unmittelbare Umgebung von Wald 
und Wiefe verpflanzen würde. Die franzöfifchen Schlöffer haben eben ein 
Gepräge ländlicher Zwanglofigkeit , das nur in freier Naturumgebung fich 
entfalten konnte. 

Die Bauten des Loiregebiets zeigen diefen Charakter in befonders 
liebenswürdiger Weife. Nahe bei Azay-le-Rideau hegt das Schlofs von 
Uffe,') noch im Mittelalter um 1440 begonnen, dann 1485 fortgefetzt und 
erft im 16. Jahrhundert vollendet, ein gothifcher Bau mit fpäteren Um- 
geftaltungen im Renaiffanceftil, überfchwänglich reich, dazu mit Thürmen und 



I) V. Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. Vergl. die Chäteaux hiftoriques III, 
103 ff. 



152 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



hohen Dächern überladen, die wie die Pilze emporfchiefsen. Von unvergleich- 
licher Pracht ift die Fagade der Schlofskapelle mit Portal und hohem Spitz- 
bogenfenfter, noch gothifch in Anlage und Conftruction, aber mit einer 
üppig fpielenden Renaiffancedekoration, die wie ein Gewebe Brüffeler Spitzen 
das Ganze überfluthet und befonders dem Fenfter eine Bekrönung giebt^ 
die an Grazie und übermüthiger Luft kaum ihres Gleichen findet.') 

Elegante Frührenaiffance zeigt auch das kleine Schlofs von Sanfac^) 
bei Loches, vom Jahr 1529, die Fenfter in übHcher Weife mit Pilafter- 
fyftemen eingerahmt, die Dachfenfter mit zierlichen Giebeln. Aehnlich das 
Schlofs von Landifer^) mit vier runden Eckthürmen, Kreuzfenftern, feinen 
Pilaftern und reichem Dachgefchofs , um 1558 indefs durch Heinrich II 
umgebaut und zum Theil erneuert. Ferner das Schlofs zu Lude,'») um 
1535 vollendet, mit mächtigen runden Eckthürmen, zierlichen Pilaftern,. 
Medaillons mit Bruftbildern in den Wandfeldern und mit Dachfenftern, die 
mit mufchelartigen Bekrönungen fchhefsen. Das Schlofs von Benehart,5) 
um 1530 erbaut, an deffen Dachfenftern gothifche Elemente fich mit 
Renaiffanceformen mifchen. Das Schlofs zu Rocher de Mefanger^) in 
der Provinz Maine, ebenfalls mit Pilaftern, die ein Rahmenwerk haben, 
mit Flachbögen an den Arkaden des Hofes und reich gekrönten Dach- 
fenftern, Hieher gehört auch das durch feine Fayencen (vgl. § in) fo 
berühmt gewordene Schlofs Oiron^) (Deux Sevres), deffen frühere Theile 
aus der Zeit Franz' I ftammen und durch die kunftfmnige Herrin, welcher 
man auch die Herftellung jener prächtigen Töpferwaaren verdankt, aus- 
geführt wurden. Der Hauptbau mit feinen beiden Flügeln, die mit Pavillons 
und Rundthürmen flankirt find, gehört erft dem 17. Jahrhundert an. Im 
Innern ftammt die fchöne Wendeltreppe aus der Zeit Heinrich's II, wäh- 
rend ein reich fculpirter Kamin noch in die Epoche Franz' I hinaufreicht. 
Endlich fcheint die Galerie im Hofe mit ihren gewundenen gothifchen 
Säulen, mit welchen die Renaiffancemedaillons unter den Fenftern eigen- 
thümlich contraftiren , noch aus der Uebergangsepoche Ludwig's XII zu 
ftammen. 

Ferner das Schlofs zu Moulins^) im Bourbonnais, um 1530 entftanden^ 
mit prächtigen Hofarkaden, die jetzt verbaut find, korinthifchen Pilaftern 
und reich fculpirten Archivolten und Zwickeln. In derfelben Provinz das 
Schlofs von Ch areil, 9) das im Innern einen Kamin von glänzender Arbeit 
mit zierlichem Arabeskenfries und mit ionifchen Säulenfchäften befitzt, die 

0 Vgl. die fchöne Abbildung in den Chateaux hiftoriques a. a. O. — V. Petit, 
chateaux de la vall^e de la Loire. — 3) Ebend. und bei Baron de Wismes , le Maine et 
l'Anjou, (lithogr. Anflehten). — 4) V. Petit, a. a. O. — 5) Ebend. — 6) Baron de Wismes, 
a. a. O. — 7) Les chateaux hiftoriques II, 151 ff. — 8) L'ancien Bourbonnais, par Achille 
Allier, continue par A. Michel et L. Battifier. Moulins 1838. — 9) Ebend. 



§ 41- Schlöffer der Normandie. 



ganz aus Blätterreihen beftehen. Bedeutend fodann das herzogliche Schlofs 
zu Nevers,') um 1475 begonnen, ein mächtiger fpätgothifcher Bau mit 
einem durchbrochenen polygonen Treppenhaus an der Mitte der Fagade, 
im 16. Jahrhundert erneuert und namentlich mit einem reichen Dachgefchofs 
ausgeftattet, deffen Fenfter mit Karyatiden und Voluten gefchmückt find. 
Das alte Schlofs der Herzöge von Anjou zu Angers, thurmartig in 
mittelalterlicher Anlage aufgebaut, in reicher und edler Renaiffance gefchmückt, 
dabei klar und nicht überladen. Das Schlofs von Valengay, 3) um 1540 
entftanden, mit grofsen runden Eckthürmen, in der Mitte ein mächtiger 
Pavillon, mit reichen Dachfenftern und hohen Kaminen überladen, die 
Fenfter wie gewöhnhch mit Pilaftern eingefafst. Das Schlofs von Saint- 
Amand,4) das um diefelbe Zeit fein prächtiges Dachgefchofs und andere 
dekorative Zufätze erhielt. Das Schlofs von Serrant unfern Angers, s) 
um 1545 erbaut, im 17. Jahrhundert vollendet, ohne Dachgefchofs in etwas 
ftrengerer Renaiffance durchgeführt , gleichwohl mit Kreuzfenftern und 
Pilafterwerk verfehen. Die Maffen find in Bruchfteinen aufgeführt, aber in 
drei Gefchoffen durch ionifche, korinthifche und Compofita-Pilafl;er in folidem 
Quaderwerk gegliedert. Auch hier folgen die derben Rundthürme auf den 
Ecken noch mittelalterhcher Anlage. Das Schlofs von S edleres (Cor- 
reze), ein Bau des 15. Jahrhunderts, quadratifch um einen ebenfalls qua- 
dratifchen Hof angelegt, mit einem quadratifchen Thurm an der einen Ecke 
und mit ausgekragten Rundthürmen, die das Portal und zwei Seiten des 
Wohngebäudes flankiren, im 16. Jahrhundert durch grofse Fenfter mit 
Pilafterumfaffungen zu einem Renaiffancefchlofs umgefchafifen. Noch manche 
Bauten wären zu nennen, welche ähnliche Umgeftaltung erfahren haben. 



ÄCHST der Touraine ift die Normandie reich an Bauten der Früh- 



IN renaiffance. Auch fie zeigen die gemeinfamen mehrfach befprochenen 
Merkmale, nur fteigern fie diefelben durch noch üppigere Pracht der Orna- 
mentik, die, wie wir fahen, ein Erbtheil der fpätgothifchen Architekturfchule 
des Landes war. Wir nennen das Schlofs von Mesni eres im Departement 
der untern Seine, nach quadratifchem Plan angelegt, auf den Ecken mit 
Thürmen, deren einer die Kapelle enthält. Es ift eins der grofsartigften 
und impofanteften Werke der Zeit, um 1540 — 1546 erbaut, aufsen nach 
alter Sitte feftungsartig ernft, im Innern mit einem reizenden Hof, der von 



V. Petit, a. a. O. — Baron de Wismes, a. a. O. — 3) V. Petit, a. a. O. — 
4) Ebend. — 5) Ebend. Vgl. dazu die Chateaux hiftoriques I, 135 ff- — ^) Viollet-le-Duc, 
Dictionn. VI, p. 314 fg. 



§ 41. 



Schlösser der Normandie. 




154 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



Arkaden umgeben ift. ^) Die Schlöffer von Conde am Yton und Boiffey- 
le-Chätel, aus Quadern und Backfteinen malerifch aufgeführt mit eleganten 
Dachfenftern. 

Im Departement Calvados gehört hieher das Schlofs vonLaffon und 
das von F'ontaine- Henry, beide urfprünglich aus dem 15. Jahrhundert, 
aber im 16. erneuert und im Stil der Renaiffance ausgebaut. Laffon mit 
feiner überaus zierlichen Dekoration wird neuerdings als Werk Hector Sohiers 




Fig. 59. Schlofs von Chaiiteloup. (Nach Sadoux-Paliiftre.) 



bezeichnet, den wir als den ausgezeichneten Meifter des Chors an St. Pierre 
in Caen im § 96 werden kennen lernen;^) Fontaine-Henry erhielt 1537 an 
feinen mittelalterlichen Kern einen Anbau , der durch fein koloffales , an 
Höhe den übrigen Bau weit überfteigendes Dach und deffen riefig auf- 
gethürmten Kamin alles in diefer Art in Frankreich Vorhandene hinter 
fich läfst.3) Gleiches gilt von dem fogenannten Manoir des Gendarmes, 
eigentlich Manoir de Nollent, unweit Caen, einem Bau von mittelalterlicher 



Paluftre VI, 278 mit Abb. — 2) Ebenda II, 234 mit Abb. — 3) Ebenda II, 280 
mit Abb. 



§ 42- Schlöffer in den öftlichen Provinzen. 



Anlage mit gewaltigen Rundthürmen, der mit eleganten Renaiffancefenftern 
und mit zahlreichen über die Flächen regelmäfsig vertheilten Medaillon- 
bruftbildern felbft an den Zinnen gefchmückt ift. ^) Sodann das Schlofs 
von Fontaine-Etoupefour bei Caen, deffen elegantes Portal von zwei 
runden Thürmen flankirt wird. Das Manoir von Bello, auf fleinernem 
Unterbau in hölzernem Fachwerk mit Ziegeln ausgeführt, ein anziehendes 
Beifpiel diefer in der Normandie beliebten Conftructionsweife. Sodann das 
Schlofs von Saint Germain de Livet bei Lifieux, in Quadern und Back- 
fteinen erbaut. 

Durch eine prachtvolle Polychromie zeichnet fich das Schlofs von 
Auffay^) aus, ein einfaches Manoir mit runden Eckthürmen, von äufserft 
malerifcher Erfcheinung. Von ähnlich fchlichter Anlage ift das Schlofs 
von Bai n vi liier s,3) ein Backfteinbau mit Pilaftern in Haufteinen, das Ganze 
in den zierHchen Formen von St. Pierre in Caen von 1527 — 1536 aus- 
geführt. Im Innern ein Kamin von 4 Meter Höhe, mit Kandelaberfäulchen 
eingefafst. Von hohem Reiz ift das Schlofs von C haute loup-*) (Manche), 
das in feiner üppigen Ornamentik und feiner reichen Gliederung an die 
frühen Bauten von Caen erinnert und wohl als ein Werk des Hector Sohier 
angefprochen werden darf. (Fig. 59.) Sodann das Schlofs von Ivry-la- 
Bataille,5) 1537 erbaut, aber bis auf die Mauern eingeftürzt und unter 
Heinrich II in fhrengem dorifchen Stil wieder aufgebaut. Ein einfacher 
aber zierlicher Bau ift das kleine Schlofs von Tourlaville^) bei Cher- 
bourg, Fenfter und Portale mit korinthifchen kannelirten Pilaftern ein- 
gefafst, die an dem runden Thurm durch ionifche erfetzt find. 

§ 42. 

Schlösser in den östlichen Provinzen. 

AUCH in Isle de France und den benachbarten Gebieten ift manches 
zierliche Werk aus diefer liebenswürdigen Früh-Epoche anzumerken. 
Minder üppig als die Bauten der Normandie, nehmen diefe Schlöffer an 
der anmuthigen Geftaltung Theil , welche durch die epochemachenden 
Prachtwerke Franz' I allgemeingültig geworden war. 

So zeigt das erft unter der Regierung Louis Philippe's zerftörte Schlofs 
zu Sarcus in den einzelnen erhaltenen Theilen prachtvoll ornamentirte 
breite Bögen , zwifchen welchen die Pfeiler noch mit gothifchen Fialen 
enden, aufserdem ein reich umrahmtes Fenfter. Man lieft die Jahrzahl 1523.7) 
Um diefelbe Zeit, bald nach 1527, entftand das Schlofs Anizy,^) von dem 



Chapuy, Moyen äge monum. Vol. I, pl. 140. — ^) Paluftre II, 276 mit Abb. — 
3) Ebenda II, 276. — 4) Ebenda II, 235 mit Abb. — s) Ebenda II, 216. — ^) Ebenda II, 
282 mit Abb. — 7) Paluftre a. a. O. I, 70 ff. — 8) Ebenda I, 108 ff. 



156 



Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I. 



nur noch ein Flügel vorhanden ift, in der Maffe ein Backfteinbau mit 
geometrifchen Muftern, ähnlich dem erzbifchöflichen Palaft zu Sens (vgl. 
Fig. 16.) Die Behandlung ift einfach, aber von vollendeter Grazie, die 
Fenfter haben die übliche Einfaffung durch korinthifche Pilafter, das Portal 
ift ähnlich behandelt mit Pilaftern und Giebelabfchlufs , die Ornamentik 
fcheint von grofser Feinheit. Es war urfprünglich ein fehr anfehnlicher 
Bau mit Pavillons und zwei Flügeln, von denen, wie gefagt, nur einer noch 
befteht. Nach dem Vorbilde von Anizy ift fodann das Schlofs von 
Marchais ^) behandelt, doch etwas bewegter in den Formen^ mit kleinen 
Pavillons ausgeftattet; 1546 vollendet. 

Eine der bedeutendften Anlagen war das feit 1528 für Anne de Mont- 
morency begonnene Schlofs Fe re-en-Tar de nois,^) angeblich durch ^ean 
Bullant erbaut. Aber nur wenige Bruchftücke find davon übrig geblieben, 
allerdings hinreichend, um von der ehemaligen Grofsartigkeit des Werkes 
zu zeugen. Dahin gehört namentlich der grandiofe Viaduct von 61 Meter 
Länge, 3,30 Meter Breite, bei 20 Meter Höhe, machtvoll wie ein Römer- 
werk, die Bögen in fchlichter, aber ausdrucksvoller Weife mit facettirten 
Quadern gefäumt. Auch das prachtvolle Hauptportal ift erhalten, mit 
dorifchen Säulen eingefafst, dabei das Fenfter des oberen Gefchoffes nach 
Bullant's Art über das Gefimfe in's Dach hinaufragend und mit Bogen- 
giebel gefchloffen. Diefe Theile find nicht vor 1566 vollendet, wie denn 
das Ganze fchon mehr den Charakter der Zeit Heinrichs II athmet. End- 
Hch wäre noch das Manoir von Huleux^) zu nennen, das mit feinen 
fchlichten Pilaftern in den drei Ordnungen den Anfang der Regierung: 
Heinrichs II anzeigt. Im Innern ein hübfcher Kamin. Aus Burgund 
fchliefsen wir hier das Schlofs von Buffy-Rabutin (Cöte d'or) an, 4) deffen 
Hof mit feinen Arkaden noch der Zeit von Franz I angehört, während 
die Hauptfagade den Stil der erften Hälfte des 17. Jahrhunderts, aber noch 
in fehr gemäfsigter, ja ftrenger Behandlung zeigt. Kraftvoll ift die Gliede- 
rung der Flächen durch korinthifche Pilafter, welche die Fenfter einrahmen ; 
dazwifchen belebt allerlei Nifchenwerk die Maffen. Die aus der Epoche 
Franz' I ftammenden Theile bieten an den Arkaden des Erdgefchoffes , 
fowie der kleinen Fenftergalerie des oberen Stockwerkes noch den Korb- 
bogen der früheften Zeit. Auf den Ecken erheben fich fchlichte Rund- 
thürme. 



') Paluftre I, iio fg. — Ebenda I, 114 ff. mit Abb. — 3) Ebenda I, 89. — 4) Les 
chateaux hiftoriques II, 75 ff. 



158 



Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I. 



§ 43- 

Schlösser im Süden. 

BESCHRÄNKTER an Zahl find die Bauwerke, welche die füdlichen Pro- 
vinzen in die Reihe der Schöpfungen diefer Zeit zu ftellen haben. Sie 
zeigen aufserdem ein geringeres Verftändnifs der antiken Formenwelt. Aber 
fie entfchädigen dafür in gewiffem Sinn oft durch ihre dekorative Pracht, 
die fich im Prinzip wefentlich unterfcheidet von der Dekorationsluft der 
nördlichen und mittleren Provinzen. In der Touraine und auch in der 
Normandie werden die architektonifchen Glieder zart und befcheiden gebildet, 
und die Arabesken und figürlichen Ornamente an den heften Werken in 
graziöfer Feinheit behandelt, fo dafs nur durch den oft überfchwänglichen 
Reichthum ihrer Anwendung der überaus prachtvolle Eindruck entfteht. 
In den füdlichen Denkmalen dagegen werden die architektonifchen Glieder 
felbft mit jener üppigen lebenftrotzenden Energie gebildet, die fchon an 
den antiken Denkmälern des füdlichen Frankreichs fo auffallend zur Er- 
fcheinung kommt. Wenn fich damit ein kräftiger plaftifcher Schmuck ver- 
bindet, fo ift auch dies ein Zug, den fchon die römifchen Denkmäler des 
Landes aufweifen. 

Eins der glänzendften Beifpiele diefer Richtung ift das Schlofs von 
Uffon (Dep. Puy de Dome, Arr. Iffoire), Fig. 60, an Ueppigkeit und 
Pracht wohl eins der reichften in ganz Frankreich. An den vielfach vor- 
handenen Infchrifttafeln , welche in klaffifchen Schriftzügen Stellen aus 
antiken Autoren enthalten, macht fich fchon das Cartouchenwerk bemerk- 
lich, das auf die Zeit um die Mitte des 16. Jahrhundert hindeutet. Im 
Uebrigen aber ift die ziemlich lockere Compofition, die fpielende Pracht 
der Einzelformen, der ganze dekorative Apparat noch völlig im Charakter 
der Frühzeit. Befonders gilt dies von den im Erdgefchofs und dem oberen 
Stock über einander angebrachten Nifchen mit ihren phantaftifch dekorirten 
Confolen und der bunten Mannigfaltigkeit, ihrer Candeiaberfäulchen. Die 
in denfelben angebrachten weiblichen Figuren von Tugenden verrathen eine 
ziemlich plumpe Unbehülflichkeit der ausführenden Künftler. Direkte antike 
Studien nach den Römerwerken des füdlichen Frankreich erkennt man in 
den prunkvollen Akanthusranken mit eingeftreuten Genien und andrem 
Figürlichen, welche überall reichUch vertheilt find, ebenfo in den Medaillon- 
köpfen des Erdgefchoffes, dem kräftigen Confolengefims des Hauptgefchoffes 
und den Genien fammt Fruchtkränzen, welche als durchbrochener Fries die 
Attika bekrönen. Das Erdgefchofs übrigens hat bedeutend gelitten, und 
namentHch gehört die Einfaffung des Portals mit den fteifen kannelirten 
Säulen und den magern Fruchtfchnüren einer Erneuerung wie es fcheint 
des 18. Jahrhunderts an. Das ganze Werk, fo wenig man es als eine hohe. 



Schlöffer im Süden. 



künftlerifche Leiftung hinfichtlich der Compofition auffaffen kann, feffelt 
doch durch die überftrömende Ueppigkeit der Einzelbehandlung. 

Hieher gehört dann auch , obwohl in einem ganz andern Charakter 
angelegt und durchgeführt, das mächtige Schlofs von La Rochefoucauld 
bei Angouleme/) Als Stammfitz des berühmten gleichnamigen Gefchlechtes 
reicht feine Entftehung noch in's Mittelalter hinauf, wie namentlich der 
gewaltige viereckige Donjon mit feinen Machicoulis beweift. Auch die 




Anlage des mächtigen aus zwei Flügeln, einem öftlichen und einem füd- 
lichen, beftehenden Hauptbaues mit den dräuenden runden Eckthürmen, 
von denen der eine wie gewöhnlich die Kapelle enthält, die fich fchon 
nach aufsen durch die hohen gothifchen Fenfter markirt, ifh noch ein 
mittelalterlicher Gedanke. Aber in der Frühzeit der Regierung Franz' I 
(um 1528) vollzog fich ein durchgreifender Umbau, der unter Frangois II 
La Rochefoucauld und feiner Gemahlin Anna von Polignac ausgeführt wurde. 



Vgl. die fchöne reich illuftrirte Darftellung in den Chäteaux hiftoriques I, 33 ff. 



i6o 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



Diefer Zeit gehört namentlich die in Figur 6i dargeftellte Fagade, fowie 
die hnks im rechten Winkel anftofsende, die mit ihren Pilafterfyftemen, 
welche die Fenfter einfchliefsen , noch mehr aber mit dem prachtvollen 
Kranzgefims und der über demfelben fich hinziehenden Galerie fowie den 
in zierlich fpielendem Aufbau durchgeführten Lucarnen das Vorbild des 
Schloffes von Blois deutlich verräth. Von der prachtvollen Galerie des 
Innern mit ihren reich entwickelten Rippengewölben gaben wir in Fig. i8 
S. 51 eine Anfchauung. Diefe Galerie zieht fich, äufserlich mit Pilafter- 
fyftemen eingefafst, in drei Stockwerken an der Hoffeite öftUch und füdlich 
hin und hat an Grofsartigkeit und Pracht in Frankreich nicht ihres Gleichen. 
Nach oben ift fie durch eine phantaftifch reiche Bekrönung abgefchloffen, 
in welcher gothifche Wimperge und Fialen in die Sprache der Renaiffance 
überfetzt fmd. Freilich fehlt auch nicht eine ftattliche Wendelftiege, wenn 
diefelbe auch hinter denen von Chanibord und Blois zurückftehen mufs. 
Befonders reich und edel ausgebildet find die Portale, welche aus der Galerie 
die Verbindung mit den anfbofsenden Räumen bewirken. (Vgl. Fig. 18.) 

Im Languedoc ift das Hauptwerk das ftattliche Schlofs von A f f i e r. 
An Stelle einer älteren Burg, von welcher ein Thurm beibehalten wurde, 
erbaute es Galliot de Genouilhac, der fchon unter Karl VIII mit in Italien 
war, unter Franz I in der Schlacht von Pavia die Artillerie commandirte 
und fpäter eine Zeit lang Finanzminifter wurde. Im 18. Jahrhundert, 40 
Jahre vor der Revolution zerftört, fteht es als immerhin noch bedeutende 
Ruine da. Das Ganze ift malerifch reich entwickelt und zeigt auf einer 
Abbildung vom Jahre 1680 einen grofsen viereckigen Hof, an der einen 
Seite mit rechtwinklig einfpringendem Flügelbau. Das Schlofs bildete ein 
Quadrat von 168 Fufs; die inneren Hofifagaden gehörten der Zeit Franz' I, 
■ebenfo ein Theil des Aeufseren, an welches der alte mächtige runde Eck- 
thurm ftöfst. Im Uebrigen fcheint der Ausbau der äufseren Front in das 
Ende diefer Epoche, wenn nicht fchon in die Zeit Heinrichs II zu fallen. 

Das Hauptportal ift in der Weife eines antiken Triumphbogens gebildet 
und mit korinthifchen Säulen eingerahmt. Darüber öffnet fich eine grofse 
Nifche, von zwei Ordnungen ionifcher Säulen eingefafst, die einen antiken 
■Giebel tragen. In der Nifche fah man das Reiterbild Franz' I. Die Fenfter 
find zum Theil noch nach alter Weife mit Kreuzftäben verfehen, zum Theil 
in ftreng claffifcher Form durchgebildet. Merkwürdig ift der hohe cannelirte 
Fries unter dem Dachgefims, das mit fchweren Confolen in römifcher Art 
rgefchmückt ift. In all diefen Formen zeigt fich jene pompöfe, etwas 
maffive Pracht, die wir als bezeichnendes Merkmal diefer füdlichen Bauten 
hervorgehoben haben. Dies prunkvolle Gefims hat fo gefallen, dafs man 



') Taylor et Nodier, Voyages. Languedoc. T. I, Vol. 2. 



§45- Schlöffer im Süden. jgj 



es fammt dem Friefe auch dem alten runden Eckthurm hinzugefügt hat. 
Die Dachfenfter find mit ionifchen Pilaftern eingefafst und zeigen eine 
Volutenkrönung. 




Fig. 62. Schlofs von AlTier. (Baldinger nach Phot.) 



Ungleich eleganter, zierlicher, reicher, ohne Frage auch früher find die 
Hoffagaden. (Fig. 62). Die Fenfter haben im unteren und oberen Ge- 
fchofs den geraden, aber nach mittelalterlicher Weife an den Enden abge- 

LÜBKE, Gefch. d. RenaifTance in Frankreich. II. Aufl. t t 



l62 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I. 



rundeten Sturz, dazu die Theilung durch Kreuzftäbe. Gleichwohl werden 
fie von Pilaftern eingerahmt, die reich decorativ behandelt und unter 
einander nach beliebter Sitte zu einem durchgehenden Verticalfyflem ver- 
bunden fmd. Ueberaus reich ift die plaftifche Belebung aller Flächen. In 
den Wandfeldern zwifchen den Fenftern fieht man zwölf römifche Kaifer- 
büften in bekränzten Medaillons ; aufserdem Salamander , Embleme und 
Wappen in reicher Ausführung. Unter den Fenftern des Obergefchoffes 
zahlreiche mythologifche Scenen in Reliefs. Den Abfchlufs bildet ein hoher 
attikenartiger Fries mit Pilaftern, darin Embleme und die Namenszüge des 
Erbauers. Ein elegantes Zahnfchnittgefims krönt das Ganze. Das Hof- 
portal öffnet fich in einem grofsen Bogen, der jederfeits mit drei korin- 
thifchen Säulen eingefafst ift, offenbar einer der fpäteren Zufätze. Die 
Wölbung zeigt prächtige Caffetten. Ueber dem Portal ift eine Loggia 
angebracht, die von vorfpringenden ionifchen Säulen umrahmt wird. Das 
Ganze trägt ein ungemein phantafievolles Gepräge. Unter den Devifen 
des Erbauers lieft man wiederholt den Spruch: »J'AIME FORT UNE«, 
wobei der Doppelfmn beabfichtigt ift, der durch Zufammenziehen der beiden 
letzten Worte entfteht. Daneben findet man als humoriftifche Bekräfti- 
gung: »OUI JE L'AIME SICUT ERAT IN PRINCIPIO.« Das Innere 
des Baues weifl fchöne Treppen und prachtvolle Kamine auf. 

Eine etwas ungefchickte , aber ebenfalls reiche Frührenaiffance zeigt 
fodann das Schlofs Montal bei St. Cere (Lot), in anmuthiger Lage auf 
einem Hügel noch vor 1534 erbaut.') Es befteht aus zwei von Thürmen 
flankirten Flügeln, ift aber nie ganz vollendet worden. Befonders reich find 
auch hier die Fagaden des Hofes ausgeführt, namentlich durch einen pracht- 
vollen Relieffries zwifchen Erdgefchofs und oberem Stockwerk, fowie 
Nifchen mit Bruftbildern zwifchen den Fenftern bemerkenswerth. Dabei 
folgen die Giebelkrönungen mit ihren Krabben nach gothifcher Form. 
Fenfter und Thüren zeigen den an den Ecken abgerundeten geraden Sturz, 
erftere aufserdem eine Theilung durch Kreuzftäbe. Die einfaffenden Pilafter 
haben zum Theil elegante Ornamente. Die Fenflerbrüftung zwifchen dem 
unteren und oberen Stockwerk ift mit einem breiten Fries von Arabesken, 
Sirenen, Namenszügen und Emblemen gefchmückt. Im oberen Gefchofs 
fieht man zwifchen den Fenftern Bruftbilder in Medaillons, die von Pilaftern 
und häfsHchen fteilen Giebeln eingefafst find. Dies verleiht im Einklang 
mit den keineswegs glücklichen Verhältniffen dem Eindruck des Ganzen 
etwas Befangenes, Ungefchicktes. 

Im Innern fällt eine prächtige Wendelftiege auf, deren Plafond ganz 
mit eleganten Ornamenten bedeckt ift. Sodann zeigt der grofse Saal des 



^) Taylor et Kodier, a. a. O. Vgl. die Chateaux hift. I, 167 fF. 



§ 44- Das Schlofs von Bournazel. 



163 



Schloffes, der ein gothifches Rippengewölbe auf Confolen hat, einen 
reichen Kamin mit Arabeskenfries, in etwas wunderlicher Weife mit zwei 
Attiken über einander bekrönt, beide reichlich mit Wappen und eleganten 
Ornamenten gefchmückt. Man fieht: es ift eine Provinzialkunft , der die 
Quellen des Formenverfländniffes etwas fern liegen. 

Hieher gehört auch das Schlofs von Bourdeilles') (Dordogne), im 
Wefentlichen ein mittelalterlicher Bau von kriegerifch-trotzigem Charakter, 
an welchen indefs im 16. Jahrhundert Jacquette de Montbrun, die Wittwe 
des Schlofsherrn und Schwägerin Brantomes, einen Neubau fügte, der jedoch 
nicht vollendet wurde. Es ift eine faft quadratifche Anlage, im Innern 
durch eine ftattliche Treppe und einen noch wohl erhaltenen »goldenen 
Saal« bemerkenswerth. Die fchönen Wandtäfelungen und die reichgemalten 
Holzplafonds werden höchlich gepriefen. Endlich mufs das alte Schloss 
zu Pau^), jetzt im Befitz des Staates, wegen feiner im üppigflen Stil 
Franz' I ausgeführten Theile hier genannt werden. In feiner Maffe ift es 
ein gewaltiger düfterer gothifcher Bau aus verfchiedenen Zeiten des Mittel- 
alters, dem Hauptbeftande nach aus dem 14. Jahrhundert, wo ein Architekt 
Sicard de Lordas genannt wird. Zu dem coloffalen aus Backfteinen er- 
richteten Donjon und den übrigen drei mittelalterhchen Thürmen, die 
abweichender Weife nicht rund, fondern fämmtlich viereckig find, wurden 
neuerdings unter Louis Philippe (feit 1838) und Napoleon III je ein neuer 
hinzugefügt, fo dafs das Schlofs jetzt nicht weniger als fechs Thürme zeigt. 
Die uns hier angehenden Theile wurden unter Henri d'Albret und feiner 
Gemahlin, der hochgebildeten Margarethe von Navarra, Franz' I berühmter 
Schwefter, feit 1527 ausgeführt. Dahin gehören die prächtigen Lucarnen 
des Hofes fowie einige Portale und Fenfter, die zu den graziöfeften Arbeiten 
der Zeit zählen. Nicht blofs find alle Einzelheiten von jener fpielenden 
Anmuth und Phantafiefülle, welche jene Zeit befeelt, fondern der plaftifche 
Reichthum ift nach der Gewohnheit diefer fiidlichen Schule fo grofs, dafs 
felbft die Kreuzftäbe der Fenfter völlig in Sculptur aufgelöft find. Im 
Innern ift ein fchöner Kamin beachtenswerth. Im vorigen Jahrhundert 
verfallen und herabgekommen, wurde das Schlofs in der Revolution als 
Gefängnifs und Kaferne benutzt und erfuhr erft in neuerer Zeit eine voll- 
ftändige Wiederherftellung. Zu feinen höchften Reizen gehört die wunder- 
volle Lage. 



') Les chäteaux hiftoriques III, 31 ff. — Ebenda III, 45 ff. 



104 



Kap. IV. Die Renaiflance unter Franz I. 



§ 44- 

Das Schloss von Bournazel. 

DER fchönen Veröffentlichung A. Bertys 3) verdanken wir die Bekannt- 
fchaft mit einem bis dahin nirgends genannten Schlöffe der Renaiffance, 
in welchem man eine der vollendeten , muftergiltigen Schöpfungen anzu- 
erkennen hat, deren Zahl äufserft befchränkt ift. Wir meinen das Schlofs 
von Bournazel, welches unfern der Station Cranfac an der Eifenbahn- 
linie Rodez-Villefranche in hochromantifcher Gebirgsumgebung gelegen ift. 
Einer der Kriegshauptleute Franz' I, Jean de Buiffon, der in der Schlacht 
von CerifoUes verwundet worden war, liefs es errichten, um darin von feinen 
Strapazen auszuruhen. Man lieft an dem Gebäude die Jahrzahl 1545. In 
der That trägt feine Architektur den Charakter jener edlen Schönheit, 
welche die Anmuth und Phantafiefülle der Frührenaiffance zum Ausdruck 
einer harmonifchen Ruhe mäfsigt. Als Schöpfer des Baues nennt man einen 
fonft unbekannten Künftler Guillaume Lysforgues , dem man auch die Er- 
bauung des Schloffes von Graves zufchreibt. Aber felbft wenn diefer ver- 
fchoUene befcheidene Meifter einer entlegenen Provinz nichts Andres ge- 
fchaffen hat, als nur das Schlofs von Bournazel, fo gebührt ihm mit vollem 
Recht ein Ehrenplatz neben Lescot, de l'Orme und Bullant. Sein Bau 
trägt das Gepräge einer machtvollen Majeftät und vornehmen Gröfse, darin 
man deutlich die tiefen Eindrücke Roms und feiner antiken Herrlichkeit 
nachfühlt. 

Das Schlofs war ohne Zweifel auf vier um einen Hof zu gruppirende 
Flügel berechnet. Von diefen ift nur der längere nördliche und der kürzere 
öftliche, fowie ein Anfatz des füdlichen zur Ausführung gekommen. Der 
letztere enthält ein grofses Treppenhaus mit der in vier rechtwinklig 
gebrochenen Läufen geführten Hauptftiege; im öftlichen liegen die Haupt- 
räume, namentlich ein Saal von 45 Fufs Länge zu 25 Fufs Breite; den 
nördlichen nimmt eine Reihe von Wohngemächern ein, die am weftlichen 
Ende des Baues auf eine zweite ftattliche Treppe mündet. Auch diefe ift 
im Sinne der neuen Zeit mit geradem Laufe angelegt. An's Mittelalter 
dagegen erinnern die beiden maffigen Rundthürme, welche die äufseren 
Ecken des Baues flankiren. 

Der Architekt hat den äufseren Fagaden das Gepräge eines ftrengen,. 
faft herben Ernftes gegeben. Ihre Mauern fmd in Bruchfteinen ausgeführt,, 
und nur die Fenfter mit ihren Umfaffungen zeigen eleganten Quaderbau 
und Pilafterftellungen , im Erdgefchofs ionifche , im oberen Stockwerk 
korinthifche, im Dachgefchofs dorifche. Unter einander find diefe Syfteme 



La renaiff. monum. Tom. I. Neun Tafeln. 



i66 



Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz 1. 



vertikal verbunden durch ftelenartig verjüngte Pilafter , die im oberen 
Gefchofs fich als ziemlich manierirte Hermen entwickeln. Diefe ganze 
Compofition ift weder durch die Verhältniffe noch durch ihre innere Ver- 
bindung eine glückliche zu nennen. Um fo überrafchender wirken die Fa- 
gaden des Hofes. 

Die nördliche, längere zeigt fünf breite Theilungen, die im Erdgefchofs 
durch dorifche, im oberen durch ionifche Halbfäulen bewirkt werden. Jede 
derfelben fchliefst unten und oben ein bald zweitheiliges, bald fchmaleres 
eintheiliges Fenfter ein. Darüber ein Dachgefchofs , deffen Fenfter mit 
korinthifchen Pilaftern bekleidet und mit luftigen Giebelauffätzen im Sinn 
der Gothik bekrönt find. Diefs ift der einzige Anklang ans Mittelalter, und 
auch hier gehört das Einzelne dem neuen Stil. Die Fenfter der anderen 
Stockwerke find im Erdgefchofs mit dorifchen, im oberen mit ionifchen 
Pilaftern eingerahmt und durch kräftige antikifirende Giebel bekrönt, denen 
fogar kleine Akroterien beigegeben find. Alle diefe Formen zeigen un- 
gemein feine und elegante Durchbildung-, wirken aber noch bedeutender 
durch die fchönen Verhältniffe und vor Allem durch die ungewöhnlich 
breiten Mauerflächen, welche die Fenfter einfchliefsen. Diefs hauptfächlich 
erzeugt den wahrhaft vornehmen Eindruck des Baues. Dazu kommt dann 
noch die Opulenz der Decoration, eine Fülle plaftifcher Ausftattung , die 
fich gleichwohl der ruhigen Gefammthaltung fo glücklich unterordnet, wie 
an fehr wenigen franzöfifchen Bauten und nur an den claffifch durchgebildeten 
der Fall ift. Schon die Gebälke der Fenfter im Erdgefchofs haben Tri- 
glyphenfriefe mit Stierfchädeln und Schilden in den Metopen. Jeder Fenfter- 
giebel umfchliefst aufserdem eine der Antike nachgebildete Büfte. Dann 
kommt der grofse dorifche Fries des Erdgefchoffes, in deffen Metopen eine 
unerfchöpfliche Mannigfaltigkeit von Reliefdarftellungen , verzierte Schilde, 
Masken, Stierfchädel, Cartouchen, elegant ornamentirte Rüftungen und Waffen, 
felbft freie plaftifche Scenen fich zeigen. Noch prachtvoller ift das Haupt- 
gefims mit feiner nach den eleganteften antiken Muftern durchgebildeten 
Confolenreihe, die merkwürdiger Weife unter dem Architrav fich hinzieht, 
während ein kleineres Confolengefims den oberen Abfchlufs bildet. Da- 
zwifchen läuft ein hoher Fries, in ganzer Länge mit prachtvollen Akanthus- 
ranken gefchmückt, in welchen Genien neben reich ornamentirten Masken 
fpielen. Die Ausführung diefes verfchwenderifchen plaftifchen Schm.uckes 
foll zum Theil von unübertroffener Meifterfchaft zeugen. 

Aber noch bedeutender geftaltet fich die öftliche Fagade. Sie befolgt 
die Ordonnanz der nördlichen mit ihren elegant cannelirten dorifchen und 
ionifchen Halbfäulen und ihren prachtvollen Gefimfen. Was ihr aber den 
Eindruck einer in der gefammten Hochrenaiffance nirgends übertrofifenen 
Majeftät verleiht, ift die unvergleichlich fchöne Verwendung der Säulen- 



§ 44- Das Schlofs von Bournazel. 



167 



ftellungen. Diefelben trennen paarweife, aber in weiten, durch Nifchen 
belebten Abftänden die einzelnen Fenfter. Diefe felbft liegen bedeutend 
rückwärts in tiefen Bogennifchen , welche durch die bedeutende Dicke der 
Mauern gebildet find. Im oberen Gefchofs, wo diefer Vorfprung ca. 6 Fufs 
beträgt, bildet fich dadurch ein Verbindungsgang, der fich vor den Fenftern 
hinzieht. Auch hier trägt Alles den Stempel der Claffizität, namentlich die 
herrlichen Rofetten , welche in fchön ftylifirten Umrahmungen den Bogen- 
leibungen den Ausdruck leichter Anmuth und edler Pracht verleihen. Wir 
haben es wie gefagt mit der Schöpfung eines Meifters erften Ranges zu 
thun, der voll von den Eindrücken Roms mit frifcher Begeifterung fein 
künftlerifches Gefühl in diefem Prachtbau eines abgelegenen Gebirgsthales 
ausgefprochen hat. Leider haben die Verwüftungen der Revolutionszeit auch 
diefes Denkmal fchwer getroffen. 




V. KAPITEL. 



DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I 

C. STÄDTISCHE GEBÄUDE. 
§ 45- 

Gattungen Städtischer Gebäude. 

EN verfchiedenen Claffeii der Bevölkerung, welche fchon 
feit dem frühen Mittelalter fich innerhalb der Ring- 
mauern der Städte angefiedelt hatten, entfpricht die 
Mannigfaltigkeit der baulichen Anlagen. Zunächft hatte 
der zahlreiche Adel des Landes, hatten ebenfo die 
bedeutenderen Klöfter, fowohl in den gröfseren Städten 
der Provinzen als befonders in Paris, ihre fbändigen 
Abfteigequartiere. Diefe Wohnungen, für welche der 
Franzofe das Wort »Hotel« befitzt, gaben eine Nachbildung der Burg 
oder des Schloffes, jedoch in verjüngtem Maafsflab und mit Befeitigung der 
Elemente, welche auf die Vertheidigung berechnet fmd, alfo der Thürme und 
der Waffergräben mit ihren Zugbrücken. Allein eine fefte Abfchliefsung, 
eine vornehme Trennung und Zurückziehung vom lauten Treiben der Strafsen 
lag gleichwohl in der Tendenz der ariftokratifchen Bewohner; deshalb um- 
gibt nach aufsen eine oft mit Zinnen gekrönte hohe Mauer das Ganze, und 
aus demfelben Grunde wird das Wohngebäude möglichft feitab von der 
Strafse angelegt, von diefer nach vorn durch einen Hof gefchieden. Nur 
die Pförtnerwohnung, allenfalls auch folche Räume, die mehr dem öffentlichen 
Verkehr des Haufes dienen, werden an die äufsere Umfaffungsmauer ange- 
lehnt. An der Rückfeite liebt man, um auch dort vom Geräufch der 




45- Gattungen ftädtifcher Gebäude. 



169 



Strafse getrennt zu fein, einen Garten anzuordnen, der mit feinem Grün, 
feinen Blumen und Bäumen zugleich eine freundliche Erinnerung bot an 
Gärten und Parks, Wald, Feld und Wiefe, welche draufsen das Schlofs 
umgaben. 

Wir haben in der vorigen Epoche (vgl. § 13) einige Mufterbeifpiele 
folcher ftädtifchen Hotels kennen gelernt: im Hotel de la Tremouille die 
Stadtwohnung eines vornehmen Herrn vom Hofe, im Hotel de Cluny das 
Abfteigequartier einer der mächtigften Abteien des Landes. Aber fchon 
damals ahmte das reich gewordene Bürgerthum in feinen hervorragenden 
Vertretern jene ariftokratifche Sitte nach, und Jacques Coeur ftellte in feinem 
Haufe zu Bourges fich eine Wohnung her, die in ftattlicher Anlage und 
reicher Ausfchmückung mit den Hotels der vornehmen Herren wetteifert. 
In der Eintheilung der Räume zeigten diefe Gebäude in verjüngtem Maafs- 
flab alle jene Eigenheiten, welche den Baronen der Feudalzeit von ihren 
Schlöffern her lieb und vertraut geworden waren : einfach verbundene Räume 
verfchiedener Art, einen gröfseren Saal, oft galerieartig ausgedehnt, vor 
allem zahlreiche Verbindungen, hauptfächlich in vorfpringenden Thürmen 
durch Wendeltreppen vermittelt. Auch eine Hauskapelle pflegte diefen 
herrfchaftlichen Wohnfitzen nicht zu fehlen. 

Diefe Grundzüge der Anlage bleiben auch während der Zeit Franz' I 
in Kraft. Sie waren offenbar viel zu innig mit dem Leben und den Gewohn- 
heiten der Nation verwachfen, um leicht aufgegeben zu werden. Die einzige 
durchgreifende Umgeftaltung vollzog fich auf dem Gebiet der Decoration, 
die allmählich fich von den mittelalterlichen Ueberlieferungen löfte und die 
Formen der Renaiffance, ähnlich wie beim Schlofsbau und oft in überaus 
zierlicher Behandlung, aufnahm. Nur die Hofanlagen werden manchmal 
durchgreifender umgeftaltet und erhalten durch ein ausgebildetes Syftem 
von Arkaden auf Pfeilern oder Säulen ein höheres monumentales Gepräge 
und ein neues Motiv für die wohnliche Verbindung der Räume. 

Aus dem Hotel wächft in nothwendiger Confequenz das Palais hervor, 
das die Elemente jener Gebäude, nur in gefteigerter Anlage, weiter bildet. 
Es erhebt fich in ähnlicher Weife über die Anlage des Hotels, wie fein 
Befitzer fich über die gefellfchaftliche und politifche Stellung jener arifto- 
kratifchen Claffe erhebt. Das Palais ifb nach franzöfifchem Begriff in erfter 
Linie die Wohnung des Souverains. Man fpricht daher vom Palais des 
Louvre, der Tuilerieen. Aber auch die Häufer jener hohen Würdenträger 
des Staates oder der Kirche, welche in ihrem Kreife die Rechte der Sou- 
verainetät ausübten, werden als Palais bezeichnet. Dahin gehören nament- 
lich die bifchöflichen oder erzbifchöflichen Refidenzen. Wie fchon bemerkt, 
weichen diefelben im Wefentlichen von der Anlage der Hotels nicht ab, 
nur dafs fie diefelbe, den Bedürfniffen eines gröfseren Hofhalts entfprechend. 



j^O Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 

umfangreicher anlegen und grofsartiger entwickeln. Ein Punkt jedoch mufs 
befonders als charakteriftifch hervorgehoben werden: die Anlage eines grofsen, 
auf eine bedeutendere Menge berechneten Saales, der zu feierlichen Hand- 
lungen verfchiedener Art gebraucht wurde, und in welchem fich der Begriff 
der Souveränetät gleichfam verkörperte. Diefer Saal hatte dann bald auch 
die geräumigere Anlage der zugehörigen Räumlichkeiten, Nebenzimmer, 
Vorfäle, Veftibuls zur Folge ; befonders aber führte er bald zur grofsartigeren 
Ausbildung des Treppenhaufes , das als »Escalier d'honneur« feine felb- 
fländige Bedeutung erhielt. Die Renaiffance fand im Verlaufe ihrer Ent- 
wicklung vorzüglichen Anlafs zur mannigfaltigen und grofsartigen Löfung 
gerade diefes Bauprogramms. 

Diefen ariftokratifchen Wohnungen fleht das einfache bürgerliche 
Wohnhaus als Vertreter der zahlreichen Claffe gegenüber, die überwiegend 
dem kaufmännifchen und gewerblichen Betriebe angehört. Schon das Bürger- 
haus des Mittelalters zeichnete fich durch die Mannigfaltigkeit der Plan- 
formen und des Aufbaues aus. Der individualiftifche Charakter jener Epoche 
trieb jeden Einzelnen, feine Wohnung nur nach eigenem Bedürfniffe zu ge- 
halten und die Anordnung des Innern nach aufsen energifch auszufprechen. 
In den grofsen Handels- und Fabrikftädten der nördlichen Gegenden drückt 
die Rückficht auf den öffentlichen Verkehr dem Haufe ihr Gepräge auf. 
Das Erdgefchofs öffnet fich mit weiten Fenftern oder Kaufläden, bisweilen 
mit Bogenhallen auf die Strafse. Der Eingang liegt zu ebener Erde und 
führt unmittelbar in einen grofsen Flur, der dem gefchäftlichen Verkehr 
gewidmet, erforderlichen Falles als Verkaufslokal eingerichtet war. Von 
ihm führte ein fchmaler Gang nach dem hinter dem Haus liegenden Hofe, 
der oft von Speichern und andern Vorrathsräumen begrenzt wurde. Auf 
ihn gehen ein oder mehrere Hinterzimmer hinaus, die zu Comtoirs beftimmt 
waren. Aus dem grofsen Flur , der im Bürgerhaufe gleichfam die Stelle 
des Saales im Ritterfchlofs vertritt, führt eine freiliegende gerade Treppe, 
oder auch eine Wendelftiege in das obere Gefchofs, welches als Wohnung 
für die Familie vorbehalten ift und über dem Flur ein entfprechendes nach 
der Strafse gehendes Hauptzimmer befitzt. Küche und Schlafkammern 
liegen nach dem Hofe, für letztere ift aufserdem in einem zweiten Gefchofs 
meiftens noch geforgt. Diefe Häufer zeichnen fich im Aufbau der Fagade 
durch die zahlreichen grofsen Fenfter aus, welche oft, von fchmalen Pfeilern 
getheilt, die ganze Breite einnehmen. Sie wollen fich fo weit wie möglich 
gegen die Strafse öffnen, mit dem Verkehre draufsen in Verbindung ftehen. 
Unterftützt wird diefe Tendenz in den nördlichen und mittleren Provinzen 
durch den Fachwerkbau, der bis in die Renaiffancezeit hinein herrfchend 
bleibt. Die zahlreichen kleineren Abtheilungen, welche diefe Conftruction 
mit fich bringt, leifteten der Vielfenftrigkeit Vorfchub. 



45 • Gattungen ftädtifcher Gebäude. 



171 



Anders geftalten fich Plan und Aufbau des Haufes in den ruhigen 
Ackerftädten oder in Fällen, wo ein begüterter Bürger fich zu behaglichem 
Lebensgenufs die Wohnung errichtet. Hier fällt die Rückficht auf den 
öffentlichen Verkehr fort, vielmehr tritt das Streben ein, fich mit dem Leben 
der Familie möglichft zurückzuziehen und nach aufsen abzufchliefsen. In 
der Regel fteigt man von der Strafse auf einer Freitreppe zu der gefchloffenen 
Thür des Erdgefchoffes empor, das fich vornehm über das Niveau der 
Strafse erhebt. Die innere Eintheilung bleibt indefs der oben erwähnten 
verwandt, wie denn gewöhnlich die Häufer auf fchmalem aber tiefem 
Grundftück dicht an einander gerückt werden, fo dafs eine Beleuchtung 
nur von der Strafse und vom Hinterhofe zu erzielen ift. Das Erdgefchofs 
in diefen Häufern wird für Dienftzwecke , für Küche und Vorrathskammern 
beftimmt. Im Flur liegt auch hier die Treppe zu den oberen Stockwerken, 
welche der Familie als Wohnräume dienen. Die Form des Grundriffes 
veranlafst auch bei diefer Gattung von Gebäuden zahlreiche grofse Fenfter 
anzubringen. Nur in den füdlichen Provinzen zwingt die Rückficht auf die 
grofse Sonnengluth die Fenfter fpärlicher und kleiner anzuorden. 

Diefe Grundzüge der Anlage bleiben für die verfchiedenen Gattungen 
des Bürgerhaufes auch während der Renaiffancezeit in Kraft , wie ja das 
Bürgerthum am längften mit Zähigkeit an den Ueberlieferungen, auch an 
den Formen des Mittelalters fefthielt. Die gothifche Epoche hatte die ver- 
fchiedenften Materialien zur Anwendung gebracht: in den nördlichen und 
mittleren Provinzen erhoben fich die oberen Stockwerke über dem in 
Quadern aufgeführten Erdgefchofs in reichgefchnitztem Fachwerkbau, eins 
über das andre auf vorfpringenden Balkenköpfen weit vorkragend; in 
anderen Gegenden, namentlich der oberen Champagne , dem Loiregebiet 
und den füdöfblichen Provinzen war ein ausgebildeter Quaderbau zu Haufe, 
während in den Gegenden des füdweftlichen Frankreichs, fowie in der Nor- 
mandie der Backfteinbau herrfchte. Letzteren hat, wie es fcheint , die 
Renaiffance fallen laffen, ohne ihn, fo viel wir wiffen, in Frankreich künfl- 
lerifch auszubilden. Der Quaderbau dagegen wurde mit Vorliebe behandelt 
und erfuhr nicht blofs eine reiche und elegante Durchbildung , fondern 
erlangte auch eine gröfsere geographifche Verbreitung. Endlich wurden 
die Formen des neuen Stiles in den nördlichen Provinzen, namentlich der 
Normandie, auch auf den Fachwerkbau übertragen, ohne jedoch dem Material 
felbft angepafst zu werden. 

Endlich haben wir noch diejenigen Gebäude zu erwähnen, in welchen 
das Gefammtgefühl der Bürgerfchaft zu einem monumentalen Ausdruck kam : 
die Stadt- oder Rathhäufe r. Sie waren, was bei der Anhänglichkeit 
der Städte an die Ueberheferungen des Mittelalters begreiflich ift, in den 
erften Decennien des 16. Jahrhunderts, wie wir gefehen haben, noch aus- 



172 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



fchliefslich in gothifchem Stil erbaut. Erft gegen Mitte des Jahrhunderts 
kommen die Formen der Renaiffance allgemeiner in Aufnahme und werden 
mit grofser Pracht verwendet. Damit fchwindet der mittelalterliche Charakter 
diefer Gebäude. Statt der früher beliebten offenen Hallen wird eine 
gefchloffene Fagade mit Pilafterwerk und den andern decorativen Formen 
des neuen Stils durchgeführt. Der Beffroi verfchwindet entweder ganz oder 
macht einem kleineren Uhr- und Glockenthurme Platz. Im Innern bleibt es 
indefs wefentlich bei der Eintheilung der früheren Zeit, nur dafs allmähhch 
Veftibül und Treppenhaus opulentere Anlage und Ausfchmückung erfahren. 



NTER den zahlreichen intereffanten Gebäuden, welche die alterthümliche 



Stadt Sens trotz mancher Zerftörungen noch jetzt aufzuweifen hat, ift 
der erzbifchöfliche Palaft als bedeutendes Werk der Frührenaiffance hervor- 
zuheben. Um 1520 wurde der ältere, mit der Kathedrale parallel laufende 
Theil durch Erzbifchof Etienne Poncher errichtet; 1535 fügte Kardinal 
Ludwig von Bourbon den rechtwinklig daran ftofsenden Flügel hinzu, welcher 
im Jahr 1557 vollendet wurde und als »Flügel Heinrichs II« bezeichnet 
wird. Der Architekt diefes Baues fcheint Godinet von Troyes gewefen zu 
fein, der 1534 auch einen prachtvollen, jetzt zerftörten Brunnen in der Mitte 
des Hofes errichtete. 

Der ältere Theil des Baues befteht aus einem unregelmäfsig angelegten, 
der Krümmung der Strafse folgenden Flügel von etwa 160 Fufs Länge. 
Neuerdings leider grofsentheils zerftört, ift er uns durch die Aufnahmen 
Sauvageots') erhalten. Er befteht aus einem ganz fchmucklofen Erdgefchofs, 
welches, in Quadern mit lifenenartigen Pilaftern aufgeführt, von zwei Reihen 
untergeordneter Fenfter durchbrochen wird. Defto reicher und eleganter 
ift das obere Stockwerk. Ueber einem Zahnfchnittgefims beginnt es mit 
einem breiten Fries, den die Fortfetzungen der Pilafter theilen und deffen 
Flächen unter den Fenftern mit fchön gearbeiteten Mufcheln an flatternden 
Bändern und mit Harfen gefchmückt find (Fig. 64). Dann folgen Pilafter 
mit reich gegliederten Poftamenten und mannigfaltig korinthifirenden 
Kapitälen. Die Pilafter, Ecken und Fenfterumfaffungen beftehen aus Quadern, 
die Flächen aus Ziegelmauerwerk, in welches fchwarzglafirte Backfteine 
rautenförmige Mufter zeichnen. Ueberaus reich ift die Umrahmung der 
Fenfter. Sie befteht aus gothifchen Dienften und Hohlkehlen , letztere 
mit Laub und Blumen gefchmückt. Die Fenfter find nach dem innern 
Bedürfnifs der Räume in den verfchiedenen Abtheilungen entweder einzeln 



§ 46. 

Der erzbischöfliche Palast zu Sens. 




') Sauvageot, choix de palais etc. Vol. II. 



§ 46. Der erzbifchöfliche Palaft zu Sens. 




3^5 eA^. 



Fig. 64. Erzbifchöflicher Palaft in Sens. 



oder gekuppelt angeordnet, fämmtlich aber wegen ihrer bedeutenden 
Höhe (gegen 13 Fufs im Lichten) mit zwei fleinernen Querftäben getheilt. 
Den Abfchlufs bildet ein im Wefentlichen noch gothifch profilirtes Gefims, 



174 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



deffen Traufrinne mit Löwenköpfen und Blattwerk gefchmückt ift. Die 
glücklich vertheilten Ornamente und die grofsen Verhältniffe — das obere 
Stockwerk mifst i8 Fufs Höhe — geben dem Gebäude ein wahrhaft vor- 
nehmes, palaftartiges Gepräge. Ein Dachgefchofs ift nicht vorhanden. 

Durch einen gewölbten Thorweg am weftlichen Ende der Fagade 
gelangt man in einen äufseren Hof, der rechts durch eine Quermauer von 
dem innern Hof abgefchnitten wird. Eine fchmale Pforte neben einem 
gröfseren Portal führt in letztern hinein. Auf der einen Seite von der 
Kathedrale, auf den beiden andern von dem Palaft gefchloffen, zeigt er 
ein unregelmäfsiges Rechteck, deffen gröfste Breite iio Fufs bei 85 Fufs 
Tiefe beträgt. In dem altern Flügel find zwei Wendeltreppen angebracht, 
die eine nach aufsen polygon vortretend, die andre viereckig in den Bau 
hineingezogen. Ihre Portale find in reichen spätgothifchen Formen durch- 
geführt, nur die Füllungen der kleinen flankirenden Strebepfeiler und Fialen 
zeigen feine Renaiffance-Arabesken. Auch der kleine Ziehbrunnen, der fo 
angebracht ift, dafs man von aufsen und von innen fchöpfen kann, ift mit 
krabbenbefetztem gothifchem Dach bekrönt, aber an feinen Gefimfen mit 
Renaiffancedetails gefchmückt. Die innere Fagade diefer ältern Theile zeigt 
im Wefentlichen den Stil der äufsern, nur dafs die ornamentale Pracht eine 
noch viel gröfsere und mannigfaltigere ift. Ihre Arabesken gehören zu den 
feinften und geiftreichften der franzöfifchen Renaiffance. 

Diefer Stil modificirt fich etwas ins Strengere und Einfachere an dem 
fogenannten Flügel Heinrich's II, deffen Conception indefs noch der Zeit 
Franz' I angehört. Er zeigt (Fig. 16) neun ehemals offene, jetzt ver- 
mauerte Arkaden im Erdgefchofs, deren Rundbögen auf Pfeilern mit vor- 
gelegten korinthifchen Rahmenpilaftern ruhen. Confolen mit Akanthus- 
blättern leiten von den untern Pfeilern zu den etwas lang geftreckten des 
oberen Gefchoffes hinüber. Die Fenfter des letztern bieten durch ihr reich 
profilirtes Rahmenwerk noch gothifche Reminiscenzen. Die Fagade nach 
dem an der entgegengefetzten Seite liegenden Garten ift ähnlich, nur hat 
fie im Erdgefchofs Fenfter ftatt der Arkaden. Die innere Eintheilung diefes 
Flügels zeigt grofse regelmäfsige Räume und die Haupttreppe, die in geraden, 
dreimal gebrochenen Läufen ins obere Gefchofs führt. 



AEN ift noch immer eine der anziehendften und alterthümlichften Städte 



Frankreichs. Noch hat die moderne Nachahmungsfucht die alten 
gewundenen Strafsen mit ihren malerifchen Häufern nicht rafirt, um breite, 
monotone »Boulevards de l'Imperatrice« durchzubrechen. Noch fieht man 
in der Rue St. Pierre und in andern Strafsen ganze Reihen jener originellen. 



§ 47- 

Hotel Ecoville zu Caen. 




§ 47- Hotel Ecoville zu Caen. 



fpät mittelalterlichen Fachwerkhäufer, die in reichem Schnitzwerk mit den 
Formen des Steinbaues wetteifern; überall fteigen Prachtftücke der hohen 
fteinernen Thurmhelme gothifcher Zeit empor, und die Abteien Wilhelms 
des Eroberers erheben fich mit ihren ernften Maffen, von einfam ftillen 
Plätzen umgeben. In der Mitte der Stadt aber, vom lebendigen Treiben 
des Marktes umdrängt, liegt die Kirche St. Pierre, deren Chor das reichfte 
und originellfte Werk der ganzen Kirchenbaukunft franzöfifcher Früh- 
renaiffance ift. An dem Platze, der diefe Kirche umgiebt, hat fich ein 
Privatbau jener prächtigen Epoche erhalten, der ein muftergiltiges Beifpiel 
der vornehmen Stadtwohnungen jener Zeit bietet. Das Hotel Ecoville,') 
jetzt als Börfe dienend, wurde um 1530 durch Nicolas de Valois, damaligen 
Herrn von Ecoville, errichtet. An einem Fenfter lieft man die Jahrzahl 
1535, als Architekten hat Herr Trebutien, Bibliothekar der Stadt, Blaife 
le Preßre ermittelt. 

Die Fagade nach dem Platze erhebt fich über einem Erdgefchofs mit 
einem oberen Stockwerk und einem Dachgefchofs , deffen Fenfter reiche 
Krönungen zeigen. Die Verhältniffe fmd von vorzüglicher Schönheit, das 
Erdgefchofs beträchtlich höher als das obere, die Fenfter breit und grofs 
mit markig profihrten fteinernen Kreuzpfoften, die einzelnen Syfteme getrennt 
durch vortretende Halbfäulen, unten und oben mit frei behandelten korin- 
thifchen Kapitälen, die Bafen auf gut durchgebildeten Stylobaten ruhend. 
Ein volles Verftändnifs der antiken Formen fpricht fich überall aus, ohne 
jedoch fchon conventioneller Nüchternheit zu verfallen. Durchweg vielmehr 
weht noch der frifche Hauch, die freie Phantafie der Frührenaiffance. Am 
kräftigften kommt diefe zu Tage in den Krönungen der Dachfenfter, vor 
Allem in dem prächtigen hochaufragenden Dachgiebel mit korinthifchen 
Säulen und reichen Volutenkrönungen, der fich über dem Hauptportal erhebt. 
Ehemals zeigte die grofse Flachnifche deffelben ein in der Revolution zer- 
ftörtes Relief mit einem Reiterbild, aber nicht wie gewöhnlich in diefer 
Zeit ein Portrait, fondern die Darfteilung des myftifchen Ritters der Apo- 
kalypfe. Auch das Bogenfeld des Portales war mit einem Relief gefchmückt. 
Das Portal ift in der Mitte der Fagade angeordnet, wenn man den rechts 
vom Befchauer liegenden Flügel abrechnet, welcher mit felbftändigem fteilem 
Dach als befonderer Pavillon charakterifirt ift. Eine kleine Pforte, gefchickt 
an der Grenze der Fagade und des Pavillons eingefchaltet, führt von der 
Strafse aus zu einer Wendeltreppe, die, auch vom Hofe zugänglich, zu 
Dienftzwecken beftimmt war. 

Treten wir durch den gewölbten Thorweg des Hauptportals, fo gelangen 
Avir in einen der reizvollften Höfe, welche die franzöfifche Renaiffance ge- 



I) Sauvageot, choix de palais etc. Vol. IV. Dazu Paluftre II, 308 ft". mit Abbild. 



176 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



fchaffen (Fig. 65). Beinahe quadratifch angelegt, wird er an der Seite des 
Eingangs und zur Rechten durch Wohngebäude eingefafst, während zur 
Linken fich Arkaden mit ofifnen Bogenftellungen auf Pfeilern hinziehen und 
die vierte Seite zwifchen Arkaden in der Mitte einen dominirenden Pavillon 
zeigt, der einen quadratifchen Saal enthält. Jede Seite diefes bezaubernden 
Hofes ift felbfländig, abweichend von den andern behandelt und doch die 
Harmonie der durchgehenden Hauptformen glücklich gewahrt. Erdgefchofs 
und oberes Stockwerk erhalten eine fefte Gliederung durch edle korinthifche 
Rahmenpilafter, die fich an ausgezeichneten Stellen mit vorgelegten Säulen 
verbinden. Wo im Erdgefchofs Arkaden vorkommen, fmd diefelben theils 
auf Pilafter, theils auf Halbfäulen geftützt, und ihre Archivolten mit feinen 




Fig. 6j. Caen. Hotel Ecoville. (Sauvageot.) 



Profilirungen eingerahmt. Die Fenfter, entweder einfach oder mit Kreuz- 
pfoften, haben eine ähnliche reichprofihrte Umfaffung, und ihr Mittelftab 
wird durch Säulchen und Kandelaber aufs Zierlichfle gegliedert. Aufserdem 
fehlt es bei den Baluftraden, den Krönungen kleinerer Fenfter und befonders 
endlich bei den Dachfenftern nicht an zierlichen Ornamenten, Volutenwerk 
mit Vafen, Delphinen mit Medaillons, Bändern und Feftons aller Art. Mit 
der Anmuth der Erfindung hält die Feinheit der Ausführung gleichen Schritt. 

Die in Abbildung beigefügte Fagade der Eingangsfeite (Fig, 66) ifl 
von allen die fchlichtefte. Die höchfle Pracht entfaltet fich an der rechts 
vom Eingang liegenden Seite, jetzt einen einzigen zu den Börfenverfamin- 
lungen beftimmten Saal umfchliefsend, ehemals in mehrere Räume abgetheilt. 



§ 47- Hotel Ecoville zu Caen. 



177 



Die drei breiten doppelt getheilten Fenfter find hier fo weit getrennt, 
dafs eine reiche Nifchenarchitektur , mit korinthifchen Säulen eingefafst, 
zwifchen ihnen Platz behält. Im Erdgefchofs fieht man in den Nifchen auf 
eleganten Poftamenten die Figuren Davids mit dem Haupte des Goliath, 




Fig. 66. Hotel Ecoville. Hoffeite. (Sauvageot.) 

Judiths mit dem des Holofernes. Im oberen Gefchofs wird das eingerahmte 
Feld durch Genien, welche ein Wappen «fammt feiner Helmzier halten, und 
durch flatternde Bänder ausgefüllt. Die Baluftrade, welche beide Stock- 
werke trennt, zeigt hiftorifche Reliefs, Perfeus die Andromeda befreiend und 
ein anderes von unverftändlichem Inhalt. Ueber diefer prachtvollen Nifchen- 

, LÜBKE, Gefch. d. Renaiflance in Frankreich. II. Aufl. 



j^g Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 

architektur läfst der geniale Architekt die Fenfter des Dachgefchoffes auf- 
fteigen, welche durch gröfsere Anlage und reichere Krönung denen der 
andern Fagaden überlegen find. 

An der hinteren Ecke diefes Flügels ift nun eine breite freie Rampen- 
treppe angeordnet, welche zuerft in ein reichgefchmücktes Veftibül führt, 
deffen Decke elegante Caffetten und Arabesken zeigt. Diefer Vorraum 
vermittelt die Verbindung zwifchen dem Saal des rechten Flügels und dem 
grofsen Pavillon der Rückieite und gewährt den Zutritt zu einer bequem 
angelegten Wendelftiege, welche die Ecke beider Flügel ausfüllt. Diefe hat 
der Architekt in zwei luftig durchbrochenen Gefchoffen mit einer fechs- 
eckigen Laterne bekrönt, die fammt der kleineren auf Säulen ruhenden 
Nebenlaterne unftreitig die fchönfte derartige Schöpfung der gefammten 
franzöfifchen Renaiffance ift. Mit eleganten korinthifchen Rahmenpilaftern 
als Strebepfeilern flankirt, auf den Deckplatten der Gefimfe mit fchönen 
Vafen und dazwifchen mit hockenden Kindern gefchmückt, giebt fie diefem 
zierlichen Hofe einen unvergleichhch heiteren Abfchlufs und verkündet von 
Weitem fchon die ftolz über die niedrigen Bürgerwohnungen emporragende 
Behaufung des vornehmen Mannes. Auf der Spitze der Laterne fieht man 
die Statue eines Apollo, auf der kleineren wie es fcheint einen Mofes und 
unter dem Säulenbau der letztern wunderhcher Weife einen Priap. Die 
feltfame Art wie in der reichen Ornamentik des Baues antike und biblifche 
Stoffe fich harmlos mifchen, ift ein bezeichnendes Beifpiel von der Sinnes- 
weife der Renaiffance. 

Diefer eleganten Compofition völlig ebenbürtig ift ein anderes Pracht- 
ftück, welches dem kleinen Hofe zu nicht geringerer Zierde gereicht: die 
Lucarne, die den mittleren Pavillon abfchliefst (Fig. 15 auf S. 47). Wir 
kennen in der franzöfifchen Renaiffance kein ähnliches Werk, das fich in 
Schönheit der Verhältniffe , luftig fchlankem Aufbau und Anmuth der 
Dekoration mit diefem meffen könnte. Ein grofses Bogenfenfter wird von 
korinthifchen Säulen eingerahmt, auf beiden Seiten von Strebebögen gehalten, 
deren Pfeiler mit Rahmenpilaftern derfelben Ordnung bekleidet und mit 
Candelabern auf Poftamenten ftatt der gothifchen Fialen bekrönt find. 
Den Uebergang zum höheren Mittelbau bildet volutenartiges Blattwerk, 
in bärtige Köpfe auslaufend. Der Abfchlufs des Mittelbaues gipfelt, von 
ähnlichen Voluten eingefafst, in einem kleineren Fenfter mit Pilaftern, über- 
ragt von einem Medaillon mit dem Bruftbild der heiligen Cäcilia, umrahmt 
von Arabesken mit Delphinen. Flankirt wird die Basis des Oberbaues durch 
zwei Figuren, welche Marfyas und Apollo darfteilen, denen in der Mitte 
der Brüftung ein bärtiger Mann zu laufchen fcheint. Unterhalb an dem 
Fries lieft man dielnfchrift: >.MARSYAS VICTUS OBMUTESCIT.« Eine 
andere finnige Lifchrift an der Thür der Dienfttreppe lautet: »LABOR 



§ 48- Andere Privatbauten der Normandie. 



179 



IMPROBUS OMNIA VINCIT«. So viel über diefes Juwel der Renaiffance, 
in deffen Meifter wir einen der ausgezeichnetften Architekten jener Epoche 
anzuerkennen haben. 

§ 48. 

Andere Privatbauten der Normandie. 

BEI einer Umfchau über das, was aufserdem noch an ftädtifchen Wohn- 
gebäuden im Gebiete der Normandie diefem Zeitraum angehört, finden 
wir nur eine fpärliche Ausbeute. Dies hat hauptfächlich darin feinen Grund, 
dafs gerade in diefer Provinz die Anhänglichkeit an den althergebrachten 
Fachwerkbau ungemein lange in Kraft blieb. Mochten auch die Stände 
in Blois im Jahr 1520 ein Gefetz gegen diefe Bauweife erlaffen, die durch 
das Vorkragen der oberen Stockwerke die Strafsen verengte und ihnen 
Luft und Licht entzog, es kann kein Zweifel fein, dafs noch eine geraume 
Zeit diefe Verordnung in Wirklichkeit umgangen wurde. So enftanden 
jene malerifchen Häufer, deren man noch immer eine Anzahl in den Städten 
der Normandie, vorzügHch in Caen und in Rouen antrifft. In trefflicher 
Darfteilung wie immer gibt Viollet-le-Duc Beifpiele von diefen originellen 
Schöpfungen des fpätmittelalterlichen Baugeiftes. Denn das find fie bis 
tief ins 16. Jahrhundert hinein, und fo ausfchhefslich herrfchen an ihnen 
die dekorativen Formen des gothifchen Stiles, dafs man meift vergeblich 
nach einem Hauch von Renaiffancekunft in ihnen forfcht. Begreiflich 
genug; denn gerade die Werkmeifter der Zimmerkunfb, aufgewachfen in 
den Traditionen der gothifchen Architektur, hielten um fo zäher feft an 
ihrer überlieferten Formenwelt, als die Umgeftaltung der Baukunft fich auf 
einem ganz andern Felde, dem der Steinconftruction, vollzog. So war und 
blieb noch geraume Zeit die Kunft des Zimmermanns inmitten der Gäh- 
irungen und Strömungen eines neuen Baufmnes wie auf ruhiger Infel abge- 
fchloffen, unberührt von den Umwälzungen, welche damals an der vor- 
nehmen Steinarchitektur fich vollzogen. 

Dennoch fehlt es nicht an Beifpielen, dafs zuletzt auch in dies ftille 
Gebiet der Geift der neuen Zeit eindrang und mit unwiderftehlicher Kraft 
auch die gothifch gefchulten Zimmermeift;er zu Conceffionen zwang. . In 
der Rue de la Groffe Horloge zu Rouen ficht man zwei folcher Häufer, 
die mit der mittelalterHchen Formenwelt völlig gebrochen haben und, ob- 
wohl in Fachwerk durchgeführt, den ganzen Reichthum der Renaiffance- 
Ornamentik in verfchwenderifcher Ueppigkeit und graziöfefl;er Ausführung 
zur Anwendung bringen.^) Korinthifche Pilafter, mit köfl;lichen Arabesken 



Dictionn. de l'arch. Franc., T. VI, Artikel maifon. — Viollet-le-Duc, Dict. VI, 
p. 271 giebt die Fa^ade eines folchen Haufes. Vgl. auch Gailhabaud, Denkmäler. 



i8o 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



bedeckt, in den unteren beiden Gefchoffen noch mit Candelaberfäulchen 
bekleidet, gliedern fämmtliche drei Stockwerke. Das Erdgefchofs ift mit 
zwei breiten flachbogig gefchloffenen Fenftern weit geöffnet ; dagegen ahmen 
die Fenfter der oberen Stockwerke die Kreuzpfofben der rechtwinkhgen 
Fenfter des Steinbaues nach. Friefe mit Arabesken, Brüftungen mit nach- 
geahmten Baluftraden und prächtig gefchnitzten Reliefs trennen die Ge- 
fchoffe, und den oberen Abfchlufs des Ganzen bildet eine Attika mit 
Zwergpilaftern , in deren Feldern man zwifchen Rankenwerk Genien mit 
Portraitmedaillons fieht. So verführerifch der Eindruck diefer köftlichen 
Fagaden ift, fo darf man doch nicht vergeffen, dafs er auf Kofben jeder 
rationellen Gefetze der Architektur erkauft ift. 

An einem andern Bau derfelben Stadt, der Abtei von St. Am and, 
wird dagegen deutlich, wie man um diefelbe Zeit vom gothifchen Fach- 
werkbau zum Steinbau der Renaiffance überging. Hier wurde der ältere 
Theil des Baues wohl noch im Ausgang des 15. Jahrhunderts in jener Art 
der Holzconftruction durchgeführt, welche fich mit den Details der gothi- 
fchen Steinarchitektur fchmückt; die Fagade gehört fogar zu den reichften 
ihrer Art.') Aber unmittelbar an dies luxuriöfe Werk ftöfst im rechten 
Winkel ein in der Epoche Franz' I hinzugefügter Theil, welcher in ent- 
wickelten Renaiffanceformen und in Quaderbau durchgeführt ift. Man hat 
dabei die Abficht gehabt, hinter den älteren Theilen an Reichthum nicht 
zurückzubleiben, an gediegener Pracht fie womöglich zu überbieten. Daher 
im unteren und oberen Gefchofs die energifche Wandgliederung durch 
elegante korinthifche Säulen, welche auf Poftamenten vorgefchoben find. 
Der in der Ecke angebrachte polygone Treppenthurm mit feinen Pilaftern und 
reich gekrönten Fenftern, oben mit Candelaberfäulchen auf den Ecken, fcheint 
einer mittleren Periode anzugehören. Im Innern bewahrt das fogenannte 
Zimmer der Guillemette d'Affy einen der prachtvollften K a m i n e der Früh- 
renaiffance. Eine Attika, mit ornamentirten Pilaftern, dazwifchen Mufchel- 
nifchen mit vier Statuetten (die heilige Margarethe und eine andere Heilige, 
Maria und der Engel der Verkündigung), darüber ein fchöner Akanthus- 
fries, Alles mit eleganten Arabesken bedeckt, bildet den oberen Haupt- 
theil. An folchen kleineren Werken befriedigt die überfchwängHche Deko- 
rationsluft der Zeit mehr als an den Fagaden der Gebäude, von welchen 
man gröfseren Ernft, ruhigere [architektonifche Haltung verlangen darf. 
Ein anderer Kamin, noch prachtvoller, weil zu den Pilaftern, den Arabesken, 
den gefchmückten Nifchen mit Statuetten noch vier figürHche Reliefs 
kommen, ift in einem Haufe der Rue de la Croix de fer erhalten.^) 

1) Abbild, bei VioUet-le-Duc, a. a. O. p. 270. Vgl. Taylor et Nodier, Voyages. 
Normandie, Vol. II, pl. 153. 154. 156. — ^) Abgeb. in den Voyages, Normandie, Vol. II, 
pl. 174. 175. 



§ 49- Das Haus der Agnes Sorel zu Orleans. 



Von dem unübertroffenen Prachtftück, welches die Schule von Ronen 
in diefer Epoche hervorgebracht, dem Hotel de Bourgtheroulde, war 
in § i8 fchon die Rede. Diefer Bau ift freilich der glänzendfte Beweis, 
wie die im Ornament fchwelgerifche Phantafie der Frührenaiffance alles 
architektonifche Gefetz in ein allerdings das Auge durch feine Anmuth 
berückendes dekoratives Spiel auflöft. 

Von dem Hotel de Than') ifl; nur noch eine Lucarne erhalten, 
jedoch mit ihren phantaftifch gefchweiften Krönungen, dem könighchen 
Salamander im Bogenfeld, den Medaillonköpfen im Fries und den fein 
ornamentirten korinthifchen Rahmenpilaftern der Einfaffung, neben welchen 
Delphine den äufseren Rahmen bilden, von unübertroffener Anmuth. 

Noch ift in Andelys die fogenannte Grand' Maifon^) als anfehnHcher 
Bau der Frührenaiffance zu erwähnen, indeffen nur in den Zeichnunsren 
der Voyages erhalten. Die Renaiffance ringt hier noch ftark mit der 
Gothik, wefshalb das Haus dem Anfang der Epoche, wenn nicht noch dem 
Ausgang der Zeit Ludwigs XII zugefchrieben werden mufs. Am Aeufseren 
war ein polygoner Ecker von befonders reicher nnd zierlicher Durchbildung. 
Im Innern geftaltete fich derfelbe als Kapelle des grofsen, prächtigen Saales, 
in den üppigften Formen des Flamboyants durchgeführt, aber mit Re- 
naiffancemotiven gemifcht. 

§ 49- 

Das Haus der Agnes Sorel zu Orleans. 

KEINE andere Stadt hat für die Renaiffance in Frankreich eine bedeu- 
tendere Rolle gefpielt als Orleans. Was Ronen in der erften Epoche 
unter Ludwig XII für den Norden war, wurde diefe damals mächtige Stadt 
für die mittleren Provinzen. Im Herzen des Landes an dem grofsen 
belebten Strome gelegen , für Handel und Verkehr wie in politifcher Be- 
ziehung der Schlüffel des Südens, Hauptfbadt der Provinz, in welcher damals 
•der Hof feine Lieblingsfitze hatte, zeigt die Stadt noch jetzt nach mancher 
Zerftörung eine Anzahl intereffanter Beifpiele der Profanarchitektur aus 
jenen glänzenden Tagen. Zu den früheften derfelben gehört das in der 
Rue du Tabourg gelegene fogenannte Haus der Agnes Sorel. 3) Die Fran- 
zofen, in ihrem charakteriftifchen Eifer, den fchönften Privatbauten jener 
Zeit den Namen irgend einer königlichen Maitreffe beizulegen, haben im 
vorhegenden Fall , den augenfcheinlichen Anachronismus überfehend, 



0 Paluftre II, 312 mit prächtiger Abb. — 2) Abgeb. in den Voyages, Normandie, 
Vol. II, pl. 190 — 192. — 3) Archives des monum. hift. und Verdier et Cattois, archit. civ. 
et domeft. T. I, letztere Aufnahrae in mehreren Punkten von erfterer abweichend. Wir 
folgen den mon. hift. 



Kap. V. Die RenailTance unter Franz I. 



wenigftens die Fagade nach der Strafse und die vordere Hälfte des Gebäudes 
der Zeit Karls VII vindiciren wollen, ohne zu bemerken, dafs die innere 
Hoffagade kaum wenige Decennien fpäter ausgeführt fein kann , als die 
vordere. 

Offenbar war das Haus (Fig. 67) von einem reichen Kaufmann der 
Stadt erbaut, denn nur einem folchen und nicht der Geliebten des Königs 
konnten die beiden grofsen, den engen Hausflur einfchliefsenden Verkaufs- 
läden dienen, deren jeder durch zwei weite rundbogige Oefifnungen ein 
volles Licht erhält. An den links liegenden ftöfst ein Gemach , welches 
fein Licht von einem kleinen Hofe A empfängt, hinter welchem das Treppen- 
haus mit feiner Wendelftiege liegt. Von dem rechts vom Hausflur befind- 
hchen Kaufladen ift ein geräumiges Zimmer mit Kamin abgetrennt, welches 
nach dem Innern Hofe B ein grofses Fenfter und eine Thür befitzt und 
zugleich mit dem Flur und dem vordem Räume in Verbindung fleht. Die 
ungleiche Tiefe beider Haushälften macht es höchft unwahrfcheinlich, dafs 



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Fig. 67. Orleans. Haus der Agnes Sorel. (Mon. hift.) 

der nun folgende Theil des Gebäudes, wie behauptet wird , viel fpäter 
hinzugefügt fei. Wenn an der Fagade gewiffe mittelalterliche Formen 
ftärker zur Geltung kommen, fo darf man nicht vergeffen, dafs in jener 
Zeit oft wenige Jahre den völligen Umfchwung zur Renaiffance bewirkten. 
Aufserdem aber werden wir finden, dafs auch die Hoffagade nicht ganz 
frei von gothifchen Reminiscenzen ift. 

Der innere Theil des Haufes zeigt uns eine beträchtliche Verlängerung 
des Flures, der indefs in der Mitte auf drei Säulen mit Rundbögen fich 
gegen den Hof B öffnet und dadurch nicht blofs für fich in feiner ganzen 
Länge, fondern auch für das Treppenhaus genügendes Licht gewinnt. Dem 
Hofe gegenüber führt eine Thür in einen Saal von bedeutender Ausdehnung, 
der auf drei Seiten mit Fenftern verfehen ift. Ihm gegenüber, den Hof 
abfchliefsend, ift ein geräumiges Gemach mit Kamin angeordnet. Andere 
geringfügigere Theile fchhefsen fich der Tiefe nach um einen dritten Hof C. 



') So Verdier und Cattois I, p. 165 f. 



§ 49- Das Haus der Agnes Sorel zu Orleans. 



183 



An der Strafsenfagade fällt uns zunächft auf, dafs die beiden oberen 
Gefchoffe mit ihren Fenftern ziemlich fymmetrifch eingetheilt find , während 
die grofsen Bogenöffnungen des Erdgefchoffes keine Rückficht auf die obere 
Anordnung nehmen, eine in gut mittelalterhchem Sinne benutzte Freiheit. 
Aufserdem zeigen die Profile der Bögen fammt ihren Pfeilern fowie die 
Fenfliereinfaffungen gothifche Kehlen und Stabwerke. Auch die Pfoften 
der Fenfter nehmen an diefer Bildung Theil, und felbft die Krönung der 
letzteren durch ein verkröpftes auf Kragfteinen mit Figürchen ruhendes 




Fig. 68. Haus der Agnes Sorel. Decke im Erdgefchofs, 



Gefimfe ift gothifcher Abkunft. Aber die delikaten Ornamente der Fenfter- 
rahmen an Laubwerken und Blätterfriefen find im ächten Geift der Re- 
naiffance ausgeführt, und die graziöfen korinthifchen Pilafter der Dachfenfter 
mit ihren feinen Arabesken athmen diefelbe Richtung. Unmotivirt und 
unorganifch find nur die Giebel der letztern, ein Uebelftand, der indefs 
urfprünglich wohl durch ornamentale Zufätze gemildert wurde. Noch ift 
der prachtvollen Steinbalken zu gedenken, die im Erdgefchofs fowohl die 
grofsen Bogenöffnungen in der Kämpferlinie theilen, als auch das horizontale 



i84 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



Portal abfchliefsen. ') Sie waren fämmtlich mit allerliebften Relieffriefen 
gefchmückt. Ueber dem Thürbalken ift noch ein eleganter arabesken- 
gezierter Fries mit krönendem Gefims durchgeführt, der das Portal von 
dem flachbogigen Fenfter trennt, welches dem Flur fein Licht giebt. In 
den oberen Gefchoffen wiederholen fich zu demfelben Zweck kleine vier- 
eckige Fenfter, auch fie mit reich dekorirter Laibung. Um das Bild diefer 
originellen und malerifchen Fagade zu vollenden, fei noch der Thürflügel 
gedacht, welche das Portal und die grofsen Bogenöffnungen fchloffen. Sie 
zeigen in rechtwinklig umfchloffenen Rautenfeldern kräftig gefchnitzte 
Ro fetten. 

Die Hofifagade ruht auf Säulen, welche fammt ihren Bögen mittelalter- 
liche Verhältniffe und Profile zeigen, obwohl die Kapitale mit graziöfen 
Renaiffancemotiven , Arabesken , Sirenen und anderen Phantafiegebilden 
dekorirt find. Auch die Fenfter und Thüren des Erdgefchoffes haben 
gothifche Profile, an erfiieren aber verbinden fich damit elegante Blumen 
und verfchlungene Bänder, die der Renaiffance angehören. Die beiden 
oberen Stockwerke — ein Dachgefchofs giebt es nicht — find wie an der 
Hauptfagade unabhängig vom Erdgefchofs in drei Syftemc von Kreuz- 
fenftern eingetheilt. Auch ihre Fenfter haben an den Pfoften und dem 
Rahmenwerk gothifche Rundftäbe und Hohlkehlen, wenn auch ohne Laub- 
Ichmuck; aber fie fügen dazu ein ausgebildetes Pilafterfyftem , das nach 
franzöfifcher Sitte lifenenartig in vertikalen Zufammenhang gebracht ift und 
hart über den Arkaden in Confolen von feinftem Gefchmack endigt. Die 
Pilafter und ihre Fortfetzungen haben rautenartige Füllungen, und erftere 
find mit eleganten Frührenaiffance-Kapitälen von grofser Mannigfaltigkeit 
bekrönt. Unter jedem Fenfter aber ficht man, von Laubkränzen umgeben 
und von flatternden Bändern umfpielt, ein Wappen. Diefe Fagade, die in 
ihrer ftrengeren Regelmäfsigkeit die frifche Anmuth der Frühzeit noch 
bewahrt hat, mufs um 1530 entftanden fein. 

Von unübertroffenem Reiz endlich find die holzgefchnitzten Decken 
des Erdgefchoffes und des erften Stocks. Erftere (Fig. 68) zeigen von 
kräftigen Rundftäben mit Rofetten eingefafste viereckige Felder, jedes mit 
einer andern Arabeske vom zarteften Relief und der glücklichften Erfindung 
ausgefüllt. Im oberen Gefchofs (Fig. 17) ift die Auffaffung eine andere. 
Breite Flachbänder, von fchildartigen Knöpfen gehalten und mit köftlichen 
Arabesken gefchmückt, trennen Caffetten von flacherem Profil, welche in 
einem Rautenfeld jedes Mal eine Rofette umfchliefsen. Verdier und Cattois 
geben Proben von beiden Syftemen. 



') Die beiden uns vorliegenden Aufnahmen weichen in der Reftauration diefer Theile 
merkHch von einander ab. 



§ 50. Das Haus Franz I zu Orleans. 



185 



§ 50. 

Das Haus Franz' I zu Orleans. 

Zu den ausgezeichneteren unter den zahlreichen Renaiffancehäufern von 
Orleans gehört das an einer Ecke der Rue de Recouvrance gelegene 
fogenannte Haus Franz I. Nach den Unterfuchungen der Lokalforfcher') wurde 
es 1536 durch den königlichen Kammerdiener Guillaume Tutain erbaut, durch 

Franz I aber im Innern ausgeftattet und 
reich gefchmückt. Man hat daraus gefolgert, 
dafs der König das Haus für feine bekannte 
Geliebte Anne de Piffeleu, Herzogin von 
Etampes, habe einrichten laffen. So viel ift 
gewifs, dafs jene Dame im Jahr 1540 auf 
Einladung ihres Oheims, des Bifchofs von 
Orleans, fich dort zum Befuch aufhielt, aber 
nicht in der bifchöflichen Refidenz^ fondern 
im Quartier St. Eufroy wohnte, in welchem 
das bezeichnete Haus gelegen ift. 

Das Aeufsere diefes Baues zeigt einfach 
edle Formen und jene immer noch lebendige, 
aber mafsvolle Behandlung, in welche feit 
den dreifsiger Jahren der fprühende Ueber- 
muth der Frührenaiffance umfchlug. An der 
Fagade fieht man zwifchen korinthifchen 
Pilaftern gekuppelte Fenfter mit Kreuzftäben, 
aber mit rundbogigen Abfchlüffen, eine in 
der franzöfifchen Renaiffance fonft fehr feiten 
vorkommende, in Orleans aber beliebte Form. Ein rechtwinkliger Rahmen 
von einfachem Profil, bekrönt von antikifirendem Giebel, in deffen Tympanon 
ein Medaillonkopf, bildet die Umfaffung. Der Grundrifs^) (Fig. 69) zeigt 
in der Mitte des fchiefwinkligen Planes den Hausflur, an welchen rechts 
ein gröfseres, links zwei kleinere Zimmer ftofsen. Man fieht an der geringen 
Tiefe derfelben, die der gröfseren Ausdehnung des Hofes zu Gute kommt, 
dafs man es nicht mit einem jener in Orleans fo zahlreichen Häufer zu 
thun hat, deren Erdgefchofs kaufmännifchen Zwecken diente — wie z. B. 
das im vorigen § befchriebene, — fondern mit der gefchloffenen Wohnung 
eines Privatmannes. 




Fig. 69. Orleans. Haus Franz I. (Sauvageot.) 



Vergnaud-Romanefij hiftoire d'Orleans, und M. de Buzonniere, hift. architecturale 
de la ville d'Orleans ; vgl. Sauvageot, choix de palais etc. Vol. III und die Monum. 
Hiftor. — 2) Der Grundrifs in den Mon. Hift. weicht in wefentlichen Punkten von dem bei 
Sauvageot ab. Letzterer zeigt z. B. die Seitenmauer in gebrochener, erfterer in gerader Linie 
geführt. Uns will die Aufnahme bei Sauvageot genauer bedünken. 



i86 



Kap. V. Die RenailTance unter Franz I. 



Der unregelmäfsige Hof ift auf drei Seiten von dem Wohngebäude,, 
auf der vierten von einer hohen Mauer umgeben. An der einen Langfeite 
begrenzen ihn Bogenhallen, die untern auf fchlanken korinthifchen, die obern 
auf kurzen ionifchen Säulen (Fig. 70). Diefe entfchiedene Betonung und 
Gegenüberftellung einer fchlanken und einer ftämmigen Ordnung ift wie 
alles Beftimmte von glücklicher Wirkung. Die Ausführung diefer Theile 




Fig. 70. Orleans. Hof im Haiile Franz' I. (Sauvageot.) 



zeugt von grofser Sorgfalt. Die reich variirten Kapitäle der unteren Säulen 
gehören zu den eleganteften der Zeit (Fig. 71), die ionifchen Kapitäle der 
oberen Reihe find mit Feinheit durchgebildet. Die Medaillons in den 
Zwickeln, unten mit Wappen, oben mit Reliefköpfen römifcher Kaifer 
gefchmückt, die wirkfam profilirten Archivolten mit ihren confolenartige:n 
Schlufsfteinen und das reiche Confolengefims im oberen Gefchofs verleihen 



§ 50. Das Haus Franz I zu Orleans. 



187 



diefer Fagade den Ausdruck lebensvoller und doch befcheidener Anmuth. 
Die Arkaden dienen als Verbindung für die beiden Wendelftiegen, die an 
beiden Endpunkten in viereckigen Treppenthürmen angelegt find. 

Wie diefe Zeit überhaupt nach mafsvoller Anlage ftrebt, erkennt man 
an den einfachen Giebelabfchlüffen der Lucarnen und der übrigen Fenfter^ 
befonders aber an den Treppenthüren mit ihrem dorifchen Triglyphenfries 
fammt den Stierfchädeln der Metopen und dem antiken Giebel, deffen 
Tympanon den Salamander zeigt. Den Abfchlufs des Hofes bildet in ganzer 




Fig. 71. Orleans. Haus Franz' I. (Sauvagcot.) 



Breite ein grofser Saal, durch eine kleinere Thür mit dem anftofsenden 
Treppenhaufe verbunden, durch grofse Bogenportale vom Hofe und von 
der Seitenftrafse zugänglich. Hier erheben fich über dem Erdgefchofs 
zwei obere Stockwerke. In der Ecke, welche diefer Theil des Haufes 
mit der Grenzmauer des Hofes bildet, ift im Hauptgefchofs erkerartig ein 
zierliches Thürmchen ausgebaut, das einen Viertelkreis bildet. Es ruht auf 
einer mufchelförmigen Wölbung (Trompengewölbe), deren Caffetten gefchmack- 
volle Arabesken, figürHche Darftellungen , darunter den Salamander und 
die Jahrzahl 1540 zeigen. Obwohl das Haus in traurig verwahrloftem Zu- 



i88 



Kap. V. Die RenailTance unter Franz I. 



ftande fich befindet, befitzt es doch im Innern noch Spuren feiner ehemals 
prächtigen Ausftattung. An den lebendig profilirten Deckbalken fieht man 
Wappen, darunter das königliche, Lilien, gekrönte Delphine und andere 
Schnitzwerke. Das Hauptftück ift aber der prachtvolle Kamin, von dem 
Sauvageot eine Abbildung giebt. 

§ 51- 

Holz- und Fachwerkbauten in Orleans. 

Es ift bezeichnend für die handelsmächtige Stadt, dafs weitaus die Mehr- 
zahl ihrer alten Häufer in ihrer Anlage die Rückficht auf den leb- 
haften Handelsverkehr verräth. Die meiften gehörten offenbar Kaufleuten 
oder waren von ihren Befitzern, wenn diefe nicht felbft Handel trieben, im 
Erdgefchofs doch durch Anordnung von Verkaufsläden möghchft einträg- 




hch gemacht. Der Grundrifs diefer Häufer (vgl. die Fig. 72 und 73) ift 
in der Regel nach mittelalterlicher Weife aufserordentlich fchmal, aber von 
bedeutender Tiefe. Das Erdgefchofs läfst kaum an der einen Seite dem 
langen engen Corridor Platz, da der ganze Raum durch einen Verkaufs- 
laden eingenommen wird. Diefer öffnet fich mit grofsen Bögen auf Pfeilern 
gegen die Strafse, fteht aber aufserdem mit einem Zimmer in Verbindung, 
welches fein Licht vom Hofe empfängt. Eine faft an allen diefen Häufern 
wiederkehrende Befonderheit ift, dafs der fchmale Hausflur da, wo er auf 
den Hof mündet, fich zum Treppenhaus erweitert, welches mit einer Wendel- 
fliege zu den oberen Stockwerken führt, eine ebenfo compendiöfe als 
zweckmäfsige Anordnung. Der Hofraum ifh in diefen Häufern fehr eng 
und wird oft durch die oberen Gefchoffe, die wohl auf fchräg anftrebenden 
Stützen (Knaggen) vorgekragt flnd, noch mehr eingefchränkt. 



§ 51. Holz- und Fachwerkbauten in Orleans. 



189 



Befonders orginell und darum beachtenswerth ift an diefen Gebäuden 
die noch vielfach erhaltene Einrichtung der Verkaufsftellen. In der go- 
thifchen Epoche , deren Formen jedoch bis tief in die Zeit Franz' I hinein- 
reichen, befteht der immer in Holz ausgeführte Einbau der grofsen Bogen- 
öffnungen aus einer Architektur, die in der Regel, wie es dem Schematismus 
jenes Stiles entfprach , eine zu fclavifche Abhängigkeit von den Formen 
der Steinconftruction zeigt. Wir geben in Figur 74 ein Beifpiel diefer Art. 
Anders verhält es fich mit den Bauten, die den Stil der Renaiffance auf- 
nehmen. Sie tragen durchweg in der Ausbildung der Holzconftruction dem 
Material gebührend Rechnung. Zunächft jedoch fo, dafs gewiffe, wenn auch 
phantaftifche , fo doch lebensvolle Motive der mittelalterlichen Kunft fich 
einmifchen (Figur 75). Während der untere Theil der grofsen Oefifnung 




Flg. 74. Orleans. Verkaufsladen. Fig. 75. Orleans. Rne du Chätelet. 



eine Brüftung aus Pfoften mit Bretterfüllung erhält und ein höher auf- 
fbeigender Ständer den Eingang in den Laden abgrenzt, wird der obere 
Theil des Bogens durch einen kräftigen hölzernen Tragbalken, der zugleich 
dem Thürpfoften Halt giebt, abgegrenzt. Die Endpunkte diefes Trägers 
werden gern in mittelalterlicher Weife und in wirkfamer tektonifcher Sym- 
bolik als Drachenköpfe gebildet. Auf diefem Balken ruht die hölzerne 
Vergitterung, welche das obere Bogenfegment ausfüllt und felbft dann noch 
dem Räume Licht gewährt, wenn die ganze untere Oefifnung durch ihre 
Holzläden gefchloffen ift. Die dritte und letzte Stufe der Ausbildung diefes 
Motivs vergegenwärtigt unfere Figur 76. Hier haben fich die Pfoften in 
zierliche Rahmenpilafter, die Balken in Architrave und Gefimfe mit eleganten 
antiken Details umgeformt, während die Vergitterung der oberen Partieen 
aus Eifenftäben befteht. 



190 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz 1. 



Hat in diefen Einbauten die Holzconffcruction das Wort, so fpielt die- 
felbe bei allen älteren Bauten bis in die erften Decennien des 16. Jahrhunderts 
hinein auch in der Gefammtarchitektur der Häufer die erfte Rolle. Es ift 
der Fachwerkbau, der, die oberen Stockwerke auf vorgefchobenen Balken- 
köpfen vorkragend, diefen Fagaden ihre charakteriftifche Erfcheinung giebt. 
Die wichtigften Elemente diefer Conftruction, die Köpfe der vorfpringenden 
Querbalken, empfangen durch das gewandte Schnitzmeffer der mittelalter- 
lichen Werkleute einen lebendigen Schmuck, in welchem Figürliches und 
Phantaftifches anziehend fich mifcht. Auch die verbindenden Balken erhalten 
durch wirkfame Profilirung, tief eingefchnittene Kehlen und fcharf vor- 
fpringende Stäbe ihr künftlerifches Gepräge. Aber von der originellen 




Fig. 76. Orleans. Marche a la volaille. 



Frifche, mit welcher die norddeutfchen Meifter von Braunfchweig , Halber- 
ftadt, Goslar, Hildesheim, Quedlinburg, Wernigerode diefen Conftructionen 
eine aus dem Wefen des Materials mit tektonifcher Nothwendigkeit fich 
entwickelnde Charakteriftik fchufen, ift in den franzöfifchen Bauten nur 
feiten und bedingt die Rede. Gewöhnlich verfallen fie, wie fchon bemerkt, 
einer gebundenen Nachbildung des Steinbaues. Auch Orleans befitzt manche 
Beifpiele diefer Art, die felbft noch der Zeit Franz' I angehören. Im 
Ganzen kann man fagen, dafs die Renaiffance durch den aufkommenden 
Luxus des gediegenen Quaderbaues, unterfhützt durch ftaatliche Verord- 
nungen, diefem Stil ein Ende machte. Doch fieht man in der Rue des 
Hoteleries Nr. 48 ein Haus, welches den Fachwerkbau in die Formen einer 



§52. Privatgebäude in Q.uadern zu Orleans. 



191 



theils nüchternen, theils fchon barocken klaffifchen Architektur überfetzt. 
Es trägt die Jahreszahl 1599 und mag hier vorgreifend Erwähnung finden. 
Eine fo grofse Verirrung weifen felbft die fpätgothifchen Bauten nicht auf. 
Denn wenn jene die Steinformen nachahmten, fo Hefsen fie doch dadurch 
das Wefen ihrer Conftruction nicht gefährden; hier aber ift von einem 
rationellen Holzverband nicht mehr die Rede und damit die Berechtigung 
zu folcher Behandlung völlig erlofchen. 

Nicht feiten dagegen treffen wir in den Höfen der Häufer zu Orleans 
hölzerne Galerieen, die zum Theil auf fteinernen Knaggen, zum Theil auf 
hölzernen Stützen ruhen. Diefe zeigen manchmal eine charaktervolle Aus- 
bildung. Ein Beifpiel dagegen von barocker Phantaftik ficht man in einem 
Haufe der Rue de Coulon Nr. 10. 



USSER den in den §§ 49 und 50 vorausgenommenen gröfseren und 



r\ vornehmeren Häufern begegnen wir in Orleans einer Anzahl von 
Privatbauten, an welchen die Renaiffance in opulenter Steincojiftruction fich 
heiter und lebensvoll zur Geltung bringt. Um an ihnen in chronologifcher 
Reihe die Entwicklung der Formen zur Anfchauung zu bringen, beginnen 
wir mit einem kleinen Haufe der Rue de l'Impoffible Nr. 20, das in der 
üppigften, coquetteften Frührenaiffance prangt und an Luxus der Dekoration 
fämmtliche andere Privatgebäude der Stadt übertrifft. Es befteht im Erd- 
gefchofs feiner ganzen Breite nach nur aus der fchmalen Hausthür und der 
im flachen Korbbogen abgefchloffenen Ladenöffnung; über der Hausthür 
find zwei durch ein Pilafterchen verbundene Fenfter zur Erhellung des Flures 
angeordnet. Diefe Gliederung des unteren Gefchoffes wird aufs Elegantefte 
■eingerahmt durch Zwergpilafter, auf Confolen mit Laubwerk verkröpft, mit 
feinen Arabesken an ihren Schäften und zierHchen korinthifchen Kapitälen, 
verbunden durch ein Zahnfchnittgefims. Das Bogenprofil ift aufserdem 
mit einem geflochtenen Bande, die Laibung mit Rofettenfeldern, die Bogen- 
zwickel endhch mit Medaillonköpfen gefchmückt. Das einzige Fenfter im 
•obern Gefchofs, rechtwinklig und mit Kreuzftäben, ift wieder mit gefchmack- 
vollem Bandgeflecht umrahmt und von zwei korinthifirenden Halbfäulen 
eingefafst, deren Schäfte, mehr im Geifte romanifcher als Renaiffancekunft, 
Rautenfelder mit Rofetten zeigen. Ueber dem Fenfter zieht fich ein Fries 
mit köftlichen Akanthusranken hin, und kurze Lifenen, wieder mit Arabesken 
bedeckt, leiten zu dem Fenfter des oberften Stockwerks, das mit feinem 
antiken medaillongefchmückten Giebel in das Dach hineinreicht und in 

I) Aufn. in den Monum. hiftor. und in Sauvageot, Vol. III. 



9 52. 

Privatgebäude in Quadern zu Orleans. 




192 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



ähnlich üppiger Verfchwendung mit arabeskenbedeckten Pilaftern und einem 
Akanthusfriefe umfafst wird. Die vollendete Feinheit der Ausführung ent- 
fpricht dem ausgefuchten Gefchmack diefes kleinen Prachtgebäudes. 

Diefe Ueppigkeit mäfsigt fich in den nachfolgenden Bauten zu ruhiger 
Harmonie, die bei fparfamerem Detail nur durch fchöne Verhältniffe und 
wohlgeordnete Gliederung wirken will. Wir nennen zunächft das edle Haus 
der Rue du Tabourg , deffen fchmale Fagade im Erdgefchofs neben der 
rundbogigen Hausthür einen Kaufladen hat und in den beiden oberen 
Stockwerken je zwei Doppelfenfter, die durch Pilafter zu einem Syftem 
zufammengefchloffen werden. An keinem der vielen Gebäude der Stadt ifh 




Fig. 77. Orleans, Rue da Tabourg. 



eine Gliederung nachzuweifen , die mit fo ausgefuchter Feinheit bis ins 
Kleinfte confequent und doch in lebensvoller Anmuth durchgeführt wäre 
(Fig. 77). Jedes der beiden Rundbogenfenfter , die nach mittelalterlicher 
Weife durch ein Säulchen getheilt werden, wird durch einen Blendbogen, 
der die beiden Oefifnungen umfafst, zu einem Ganzen verbunden. Die 
Bögen ruhen auf cannelirten Pilafbern, deren Gefimfe nicht blofs mit dem 
Kapitälgefims der Säulchen correfpondiren , fondern fogar an den gröfsern 
Pilaftern, welche beide Fenfler zu einem Syftem abfchHefsen, durchgeführt 
find. Ein Akanthusblatt giebt dem Gefimfe hier einen confolenartigen Halt, 
und der obere Theil des Pilafterfchaftes ift mit feinen Arabeskenreliefs 
gefchmückt. Die Confequenz des ausgezeichneten Künftlers, dem wir diefe 
Fagade verdanken, geht fogar fo weit, auch dem Theilungsfäulchen der 



§ 52. Privatgebäude in Quadern zu Orleans. 



Fenfter dort wo die Brüftung abfchliefst , einen Ring zu geben und den 
oberen Theil des Säulenfchaftes zu canneliren. Das Bogenfeld endlich zeigt 
im erften Gefchofs Feftons mit zierlichen Bändern und ein kleines Medaillon, 
im oberen Gefchofs ein gröfseres Medaillon mit figürlichem Relief. 

Ebenfalls noch aus der eleganteften Zeit Franz' I, etwa um 153O) 
flammt das fchöne Haus der Rue Pierre percee. Im Erdgefchofs hat es 
zwei grofse Ladenöfifnungen, die aber bei ihrer bedeutenden Breite und 
dem fchlanken Verhältnifs der Pfeiler den gedrückten Korbbogen zeigen. 
Die Oekonomie des Raumes hat hier dahin geführt, dafs felbft die Haus- 
thür in die eine der grofsen Bogenöffnungen mit hineingezogen wurde. Die 





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Fig. 78. Orleans. Ruc pierre percee. 



Lage des Hausflurs verräth fich aber in den oberen Gefchoffen durch die 
kleinen Fenfter, welche die oberen Gänge erhellen. Diefe Anordnung, 
welche dem ftreng fymmetrifchen Gefühl unferer Tage widerfpricht (Fig. 78), 
ifl aus dem gefunden Baufmn jener Zeit hervorgegangen, der die innere 
Raumtheilung unbekümmert an der Fagade zum Ausdruck bringt, nicht 
umgekehrt dem Prokuftesbett der Symmetrie die innere Eintheilung über- 
liefert. Die Gliederung der Wandflächen befteht aus einem Syfbem fchlanker, 
etwas magerer Rahmenpilafter, mit den bekannten Rautenfüllungen und 
reizend variirten korinthifchen Kapitälen. Die Fenfter, wie an allen diefen 
Bauten zu einer Gruppe zufammengefchloffen , find breit und hoch, mit 
geradem Sturz und Kreuzpfoften. Am Grundrifs des Haufes (Fig. 72) der 

LÜBKE, Gefch. d. RenaiflTance in Frankreich. II. Aufl. I ^ 



194 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



die fchon befprochene Anlage der meiften Häufer von Orleans zeigt, ift 
nur hervorzuheben, dafs die Verbindung der vorderen Räume mit dem 
Hinterhaus im oberen Stockwerk durch eine hölzerne Galerie mit Säulchen 
bewirkt ift, die in der punktirten Linie des Grundriffes von fteinernen 
Knaggen geftützt wird. 

In ähnlicher, jedoch einfacherer Weife ift das fchmale, nur aus einem 
Syftem beftehende Haus der Rue de la vieille poterie ausgeführt, das eben- 
falls die Hausthür in den einzigen grofsen Bogen des Erdgefchoffes einfafst 
und ebenfalls rechtwinklige Fenfter mit Kreuzftäben fowie fchlanke korin- 
thifche Rahmenpilafter in zwei Gefchoffen zeigt. 

Eine andre Gattung von Privathäufern tritt uns in dem ftattlichen Eck- 
haus der Rue de la Clouterie Nr. i entgegen. Hier durchbricht kein Kauf- 
laden das Erdgefchofs: recht im ausdrücklichen Gegenfatz zu jenen dem 
Verkehr weit geöffneten Handelshäufern fchliefst fich das Erdgefchofs vor- 
nehm ab und zeigt in feinen kleinen, theils einfachen, theils gekuppelten 
Rundbogenfenftern , welche die breiten Mauermaffen fpärlich unterbrechen, 
dafs das Erdgefchofs hier nur untergeordneten Dienftzwecken beftimmt ift, 
während die herrfchaftliche Wohnung in dem einzigen, aber durch feine 
hohen Verhältniffe imponirenden oberen Stockwerk fich befindet. Das 
Syftem der Fenfter und der einfaffenden Pilafter ift dem in Fig. 77 dar- 
geftellten des fchönen Haufes der Rue du Tabourg nachgebildet, nur etwas 
einfacher und ftrenger, die Rahmenpilafter ohne Füllungen, die Kapitäle 
claffiziftifch in korinthifcher Form, das Ganze mehr durch edle plaftifche 
Ausbildung der Glieder als (wie oben) durch ornamentale Grazie anziehend. 
An einem Dachfenfter zeigen fich als Einfaffung der gekuppelten Rund- 
bogenfenfter Hermen als Träger ionifcher Kapitäle. 



Bauten in Backstein und Quadern zu Orleans. 
EBEN dem reinen Quaderbau hat fich nun auch in einzelnen Beifpielen 



JLN zu Orleans') diejenige Art von Bauwerken eingeführt, welche den 
Backftein in mehr oder minder grofser Ausdehnung aufnimmt. Eine Zwifchen- 
ftellung bezeichnet zunächft das Haus der Rue de l'Ormerie, welches die 
Ecke der Rue Roche aux Juifs bildet. Es gehört zu den gröfseren und 
vornehmeren diefer Privathäufer , theilt aber mit den meiften die aufser- 
ordentlich fchmale Geftalt des Grundplanes, die neben dem fehr engen 
Flur nur einem Zimmer Raum gibt. Das Erdgefchofs ift von kleinen 
rundbogigen, hoch über der Strafse liegenden gekuppelten Fenftern durch- 
brochen; im Hauptgefchofs find zwei ebenfalls gekuppelte, durch antiken 
Giebel bekrönte hohe Fenfter angeordnet, und im oberen Stockwerk zeigen 



§ 53. 




') Aufnahmen in den Monuments hiftor. und in Sauvageot, III. 



§ 53- Bauten in Backfteinen und Quadern zu Orleans. 



die Fenfter einen geraden Sturz und, gleich den unteren, Kreuzpfoften. 
Wie bei den meiften diefer Häufer wird das Kranzgefims durch das weit 
vorfpringende Dach verdeckt. Korinthifche Pilafter mit regelrecht gebil- 
deten Kapitalen, die Schäfte zu drei Vierteln cannelirt, gliedern in beiden 
Stockwerken die Maffen, und man hat, um einen ftattlichen Eindruck zu 
erzielen, dafür geforgt, neben den Fenftern, ftatt fie dicht zufammenzu- 
rücken, angemeffene Mauerflächen flehen zu laffen. Die fchlichte Klarheit 
diefer Fagade ift eine weitere ins Einfache gehende Umbildung der oben 
befprochenen Fagade des Eckhaufes in der Rue de la Clouterie und deutet 
offenbar auf die Schlufszeit diefer Epoche. Noch eins ift bemerkenswerth : 
das früher nicht gekannte Streben nach Symmetrie, welches den kleinen 
für den Hausflur beftimmten Fenftern ein Pendant gefchafifen hat, das aus 
der Anordnung des Grundriffes keine Erklärung findet. 

Merkwürdig ift die langgeftreckte Seitenfagade in der Nebenflrafse, 
die in der malerifchen Weife des Mittelalters aus einer Gruppe fehr ver- 
fchiedener Theile von wechfelnder Höhe und felbftändiger» Bedachung fich 
zufammenfetzt. An das hohe Vorderhaus fchliefst fich der Treppenthurm 
mit feinem Ziegelmauerwerk, feiner Quadereinfaffung und fpitzem Dach; 
an diefen ein niedriger den Hof abfchliefsender Verbindungsbau, der zum 
Hinterhaufe führt, welches wieder aus zwei felbfländigen, und zwar einem 
einflöckigen und einem zweiftöckigen Theile befteht. In den Hof führt 
ein breiter Thorweg, und auch das Hinterhaus hat feinen eigenen Eingang, 
beide rundbogig gefchloffen. Die Fenfter fmd fämmtlich rundbogig, theils 
einfach, theils gekuppelt, meiftens mit rechtwinkligen Rahmen umfafst. Im 
erften Stock des Vorderhaufes ift ein hübfcher Erker auf kräftigen Con- 
folen angebracht, mit korinthifchen Pilaflern dekorirt und mit einem Bogen- 
giebel abgefchloffen. Er hat nur an den Seiten ein kleines Fenfter, welches 
den Verkehr der Hauptftrafse fowie den der Nebenflrafse zu überfchauen 
geftattet. 

So weit ift faft Alles gediegener Quaderbau, namentlich an der Haupt- 
fagade. Dagegen hat man fich für den Hof die Anwendung des Back- 
fteins vorbehalten. Wie überhaupt in den anfehnlicheren Häufern, bildet 
eine Säulenhalle mit einem Verbindungsbau an der einen Langfeite die 
Vermittlung zwifchen der Treppe des Vorderhaufes und den Hintergebäuden. 
Die Säulen, mit ihren frei korinthifirenden Kapitälen, die Archivolten der 
Bögen, die Einfaffung der rundbogigen Fenfter und der Mauerecken, end- 
lich die eleganten cannelirten korinthifchen Pilafler des oberen Stockwerks 
fmd aus Quadern gebildet, die Mauerflächen ganz in Backflein ausgeführt. 
Doch zeigt fich auch dabei das Streben nach künftlerifcher Gliederung, da 
die Flächen mit rautenförmigen Muftern in dunkleren Ziegeln netzförmig 
überzogen ffnd. 

15* 



196 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



Ift hier der Backfteinbau den inneren Theilen vorbehalten, fo tritt der- 
felbe bei einem anfehnlichen Haufe der Rue du battoir vert endlich an der 
Hauptfagade in fein Recht. Es ift ebenfalls ein Eckhaus, an die Rue de 
Semoi anftofsend, aber von bedeutend breiterem Grundrifs, der Vorderbau 
mit zwei geräumigen Zimmern neben dem an der einen Seite angelegten 
fchmalen Hausflur, der auch hier direkt auf die Wendeltreppe führt. Das 
Vorderhaus enthält, von der dortigen Sitte abweichend, nur eine Zimmer- 
reihe, wodurch der Hof, der übrigens ohne alle künftlerifche Bedeutung ifl,. 
an Ausdehnung beträchtlich gewonnen hat. Noch mehr Licht und Luft ifh 
für ihn gefchaflen worden dadurch, dafs man den Verbindungsflügel zwifchen 
Vorder- und Hinterhaus nicht nach der Seite der Nebenftrafse aufgeführt,, 
fondern an die Rückwand des anftofsenden Nebenhaufes gelehnt hat. Nach 
der Seitenftrafse bildet eine Mauer mit Thorweg den Abfchlufs. 

Für uns das Intereffantefle ift an dem ganzen Baue die Hauptfagade. 
Sie folgt bis zum Extrem dem mittelalterlichen Princip einer möglichfh 
ungebundenen Eintheilung, denn ohne Grund treibt fie förmlich Luxus mit 
Unfymmetrie, indem Tie ohne durch die innere Eintheilung gezwungen zu 
fein, einfache und gekuppelte Rundbogenfenfter mit einander wechfeln läfst. 
lieber einem hohen ariftokratifch gefchloffenen Erdgefchofs mit kleinen 
Rundbogenfenftern, die einen zierlichen rechtwinkligen Rahmen mit Zahn- 
fchnittfries haben, erheben fleh zwei obere Stockwerke, deren hohe Fenfter 
vorzügHch elegant durchgebildet find. Es ift in beiden Stockwerken die- 
felbe Form: einfaches oder gekuppeltes Rundbogenfenfter mit fteinernem 
Querftab, umfafst von reichem Rahmen mit Zahnfchnittgeflms, gekrönt durch 
einen mit Masken gefchmückten fchmalen Fries. Die Profile der Fenfter- 
ftäbe haben noch mittelalterlichen Schnitt, die kleinen Bogenzwickel find 
mit elegantem Laubwerk gefüllt, das Ganze macht eine energifche und 
dabei feine Wirkung. Alle diefe Formen find aber in Hauftein durch- 
geführt, ebenfo die Mauerecken mit Quadern eingefafst, die ganze Fagade 
aber in Ziegelwerk mit dunklem Rautenmufter wie ein einziger grofser 
Teppich behandelt. Diefer mehr malerifchen Wirkung zu Liebe ift denn 
auch auf jede plaftifche Gliederung der grofsen Flächen verzichtet, wodurch 
freilich der architektonifche Werth des Ganzen hinter den fchönen Quader- 
fagaden, an denen die Stadt fo reich ift, zurückftehen mufs. 

§ 54. 

Andere Privatbauten im mittleren Frankreich. 

WENN auch in den übrigen Städten diefer gefegneten Provinz nicht ent- 
fernt der architektonifche Reichthum von Orleans anzutreffen ift, fo 
haben wir doch hier eine kleine Nachlefe zu halten. Wir beginnen mit 
Blois, wo trotz vieler Zerftörungen neuerer und neuefter Zeiten eine Anzahl 



§54- Andere Privatbauten im mittleren Frankreich. 



197 



von Wohnhäufern nicht blofs aus den Tagen Franz' I, fondern felbft noch 
aus der Zeit Ludwigs XII vorhanden find.') An diefen Privatgebäuden, fo 
fchwer die Hand der Zeit und die fchlimmere der Menfchen fie gefchädigt 
hat, läfst fich der Unterfchied einer Stadt wie Blois von einer Stadt wie 
Orleans deutlich erkennen. Während dort Alles auf den regen Verkehr 
eines Handelsemporiums hinweift, die fchmale, knappe Geftalt der Grund- 
riffe, die fparfame Benützung des Raumes, die häufige Anlage von Ver- 
kaufsläden , hat man es in Blois mit den ftattlichen , meift breit um einen 
Hof gelagerten Häufern vornehmer Herren, die zum Hofe gehörten, zu 
thun. So ftammt noch aus der Zeit Ludwigs. XII das Hotel Hurault, auch 
>le Petit-Louvre« genannt^ erbaut vom Kanzler Hurault de Cheverny. Man 
tritt durch einen langen, im gedrückten Bogen gewölbten Thorweg ein, 
deffen prächtige Bildwerke ftarke Befchädigungen zeigen. In einer Ecke 
des Hofes fieht man ein ausgekragtes Thürmchen, und am Thürfturz der 
Treppe, wo ehemals das Stachelfchwein dargeftellt war, lieft man als Er- 
klärung diefes Emblems Ludwigs XII das Diftichon: 

»Spicula funt humili pax haec, fed bella fuperbo 
Et vita ex noftro vulnere nexque venit«. 

Der Brunnen bewahrt fein hübfches, mit Blei gefchmücktes Kuppel- 
dach, das von der Figur eines lanzentragenden Kriegers gekrönt wird. Im 
Innern zeigt ein kleines Kabinet noch feine ganze reich gefchnitzte Holz- 
täfelung. 

Aus derfelben Zeit ftammt das an der Ecke der Rue neuve und der 
Grande Rue gelegene Hotel de la Chane ellerie.^) Seine Fagade ift 
mit fehr verftümmelten Sculpturen elegant gefchmückt, und am Portal fah 
man noch vor Kurzem den Hermelin der Anna von Bretagne, zum Beweis, 
dafs ein Herr vom Hofe der Gemahlin Ludwigs XII fich dies Haus errichtet 
hatte. Den Eingang bildet auch hier ein gewölbter Thorweg. 

Trotz moderner Umgeftaltungen und Verwüftungen tragen auch das 
Hotel d' Au male an der Ecke der Rue de la Fontaine-des-Elus und der 
Rue Vauvert , fowie das Hotel d'Amboife an der Place du chäteau, 
welches von dem berühmten Minifter Ludwigs XII, Georg von Amboife, 
den Namen führt, noch Spuren des glänzenden Stiles jener Zeit. Dasfelbe 
gilt vom Hotel Sardini in der Rue du Puits-Chatel , bemerkenswerth 
nicht blofs durch Sculpturen an feiner Fagade, fondern durch eine kleine 
mit einem Freskobild der Zeit gefchmückte Kapelle. Dasfelbe ftellt den 
Gekreuzigten und am Fufse des Kreuzes vier HeiHge dar. 

Vgl. über diefelben die forgfältigen hiftorifchen Nachweifungen in L. de la Sauffaye, 
Blois et fes environs. Blois 1860. — ') Nicht zu verwechfeln mit dem grofsen Haus der 
Rue du Lion-Ferr^, welches diefelbe Bezeichnung trägt. 



198 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



Aus Franz' I Zeit flammt das Hotel d'Alluye, von Florimond 
Robertet, Herrn von Alluye, Minifter und Finanzfekretär unter Ludwig XII 
und Franz I, erbaut. Noch eine andere hiftorifche Erinnerung heftet fich 
an diefen Bau; im Jahr 1588 wurde er vom Herzog von Guife bewohnt, 
der von hier aus feinen Todesgang nach dem Schlöffe antrat. Das Ge- 
bäude war eines der ftattHchften und prächtigften ; es beftand aus vier um 
einen Hof gruppirten Flügeln, von welchen zwei erft in unferem Jahrhundert 
abgebrochen wurden. Es ift aus Backftein und Quadern aufgeführt und 
im Hofe mit Arkaden verfehen, über welchen eine Galerie fich hinzieht. 
Medaillons mit den Büften von zwölf römifchen Kaifern in gebranntem 
Thon, ein zur Renaiffancezeit beHebter Schmuck, dekoriren die Galerie. 
In der Ecke des Hofes ift auch hier, wie bei den meifben der damahgen 
Privathäufer, eine elegante Wendeltreppe in einem vorfpringenden Thurme 
angebracht. Im Innern verdienen ein prachtvoller Kamin und die zierHche 
Kapelle Beachtung. Der Kamin, bei Rouyer und Darcel abgebildet,') 
gehört nicht, wie dort angegeben, der Zeit Ludwigs XII, fondern der 
Epoche Franz' I, und zwar dem Ausgang derfelben an, wie der ftrengere 
claffiziftifche Charakter der Formen, namentHch der cannelirten Pilafter und 
der Volutenconfolen beweift. Er trägt die Infchrift: »ME^^^NHSO. THS. 
KOINHS TrXHS«. 

Das befterhaltene unter den Gebäuden diefer Epoche zu Blois ift das 
Hotel Denys du Pont, welches noch jetzt den Namen feines Erbauers, 
eines gelehrten Rechtskundigen, trägt. In der Rue Chartraine gelegen, 
zeichnet es fich durch die feine Pilafterarchitektur feines Hofes und die 
elegante, durchbrochene, mit Salamandern und andern Bildwerken ge- 
fchmückte Wendeltreppe aus, welche, wie gewöhnlich, in einer Ecke des 
Hofes angeordnet ift. Die inneren Fagaden beftehen aus drei mit korin- 
thifchen Pilaftern auf Stylobaten gegliederten Gefchoffen, über welchen das 
prächtige Rundbogengefims, das wir am Schlöffe Franz' I kennen lernten, 
den Abfchlufs bildet. An dem prächtigen Treppenhaufe fieht man die 
Wappen und Devifen des Erbauers und feiner Gemahhn. Sein Spruch 
lautet: »VIRTVS SINE FORTVNA MANCA«, der ihrige: »CHAVFET- 
TES D'ARDENT DESIR«, dazu eine flammende Räucherpfanne. 

Ein Haus der zierlichften Frührenaiffance, um 1525 entftanden, fieht 
man zu Paray-le-Moni al.^') Mit feinen kleinen Thürmen und den 
krabbengefchmückten Dachgiebeln zahlt es dem Mittelalter noch Tribut, 
aber mit den eleganten Fenftern fammt den feinen Pilaftern, welche die- 
felben einfaffen, huldigt es dem neuen Stil. Nach der fo oft wiederkehren- 



^) L'art architektural, Vol. I, pl. i. — V. Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. 



§54- Andere Privatbauten im mittleren Frankreich. 



den Weife diefer Zeit find die Pilafter in vertikaler Richtung durch Zwerg- 
hfenen fortgefetzt, alle diefe Glieder aber erhalten durch delikate Arabesken 
und zierhches Mufchelwerk das Gepräge lebensvoller Anmuth. 

Den Stempel derfelben Frühzeit trägt ein reich behandeltes Haus in 
Rheims, in der Rue du Marc gelegen.^) Es befteht aus zwei rechtwinkhg 
an einander ftofsenden Flügeln. Das Portal zeigt den Flachbogen, die 
Fenfter fmd im unteren und oberen Stockwerk gekuppelt, breit, rechtwinkhg 
und durch Kreuzpfoften getheilt. Ueber den Fenftern des Erdgefchoffes 
fieht man Medaillons mit Bruftbildern, über denen des oberen Stockwerkes 
einen Relieffries mit Kampffcenen. Magere Pilafter, durch kürzere Zwifchen- 
glieder verbunden, theils mit römifchen, theils mit korinthifchen Kapitalen, 
geben der Fläche jene fpielende, dekorative GHederung, die fo oft an 
Tifchlerarbeiten erinnert. Anziehend dagegen ift auch hier wieder die 
phantafievoll und fein behandelte Ornamentik, welche in Fülle über die 
Pilafterflächen ausgegoffen ift: menfchliche Figürchen, Vögel, Lilien, Vafen, 
fammt anderen Emblemen verfchlingen fich mit reizenden Laubranken. 
Im Innern ein Pavillon mit einer Holzdecke, welche durch elegante gefchnitzte 
Ornamente, vegetabihfche und figürliche, fich auszeichnet. 

Zu Le Mans, dicht neben der Weftfagade der gewaltigen Kathedrale, 
erhebt fich ein kleines Privathaus, das ebenfalls diefer Zeit angehört und 
durch einen hübfchen polygonen Erker und elegant ausgebildete Dach- 
giebel fich bemerklich macht. 

Zu Angers ift das Hotel d'Anjou oder De Figuier^) ebenfalls ein 
eleganter Bau der Frührenaiffance, beachtenswerth wegen der hoch hinauf- 
gezogenen, wie immer durch Zwifchenhfenen verbundenen Pilafter, die in 
ihren Füllungen graziöfe Arabesken zeigen. 

Ein elegantes Haus aus der letzten Zeit Franz' I hat fich in der Rue 
des Forges zu Dijon erhalten. 3) Urfprünghch ein anfehnhches Hotel ift 
es durch die Revolution und andere Zerftörungen nur noch der Reft eines 
ehemals durch Adel und Reichthum feiner Ausftattung bedeutenden Baues 
und befindet fich in einem traurigen Zuftand von Verwahrlofung. Von 
fchlechten neueren Gebäuden eingefchloffen , erhebt fich feine Fagade in 
zwei Stockwerken über einem Erdgefchofs, von vortretenden Säulen auf's 
Glücklichfte geghedert (Fig. 79). Die Antike ift hier bereits mit vollem 
Verftändnifs gehandhabt, und den Säulenordnungen fehlen weder die durch- 
gebildeten Stylobate, noch die mit Verftändnifs geghederten Gebälke und 
Gefimfe. Im Erdgefchofs find es fchlanke, cannelirte, römifche Säulen, im 



Taylor et Nodier, Voyages, Cliampagne I. — 
la Loire. — 3) Aufn. bei Sauvageot, Tom. II. 



V. Petit, chäteaux de la vall^e de 



200 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



erften Stockwerk korinthifche mit glatt gelaffenem unteren Theil des Schaftes, 
im zweiten leichtere korinthifche, ebenfalls gröfstentheils cannelirt, aber am 
untern Ende mit freiem Ornament gefchmückt. Trotz diefer ftrengeren 
Claffizität hat fich aber die dekorative Luft der Frührenaiffance ihr Recht 
nicht nehmen laffen und dasfelbe fowohl in den Arabesken der Fenfter- 
laibungen als in dem plaflifchen Schmuck der oberen Säulenfockel und der 
Brüftungen zur Geltung gebracht. Unter den Fenftern des Hauptgefchoffes 
fieht man in kräftigem Relief bewegte Reiterkämpfe, im oberen Gefchofs 
halten Genien ein mit der Grafenkrone gefchmücktes, von einem Ordens- 
band umfchloffenes Wappen. Die Fenfter fmd grofs, rechtwinklig mit 
Kreuzpfoften ; vor den Mittelpfoften der oberen ift ein fchlankes Säulclien 
geftellt, in Uebereinftimmung mit dem zierhcheren Charakter, der diefem 
Stockwerk überhaupt verliehen ift. An der einen Ecke diefer anmuthigen 
Fagade liegt in einem runden Thurme eine Wendelftiege, die fich gegen 
den Hof mit Flachbögen öffnet. An ihrem Geländer ift eine Bahiftrade 
in kräftigem Relief angedeutet. Das Haus mufs um 1 547 vollendet worden 
fein, denn diefe Jahreszahl Heft man an einem der oberen Fenfter. 

Das alterthümliche Troyes, an kirchhchen Denkmälern der Gothik 
und der Renaiffance fo reich, befitzt in der Nähe von St. Madelaine an 
der Ecke der Rue des quinze vingt und der Rue du Palais de Juflice ein 
intereffantes Privathaus von reicherer Anlage, mit reizend entwickeltem, in 
den feinften Renaiffanceformen durchgeführten polygonen Erker an der 
Ecke und mit prächtig ftylifirten Eifengittern an den Fenftern des Erd- 
gefchoffes. Die Fagade des Hofes, in den man unmittelbar von der Strafse 
gelangt, gehört zu den eleganteften der Zeit. Vortrefflich dekorirte Pilafter 
mit reizenden Kapitälen von grofser Mannigfaltigkeit, aufserdem Reliefs 
von delikatefter Arbeit, namentlich wappenhaltende Genien geben dem 
feinen Baue befonderen Reiz. Als Datum der Erbauung Heft man die 
Jahreszahl 1531. 

In B e f a n g o n ift das Palais Granvella ein grofser von dem berühmten 
Cardinal als Privatwohnung für fich erbauter Palaft, von fchwerfälligen 
Verhältniffen, wie die burgundifche Architektur fie liebt. Die Ausführung 
in forgfältigem Quaderbau ift gediegen, die Wirkung im Ganzen aber düfter 
und laftend. Dasfelbe gilt von dem grofsen, faft quadratifchen Hof, deffen 
gedrückte Arkaden von dorifchen Halbfäulen eingefafst werden und durch- 
gehends im Innern Balkendecken zeigen. Dem immerhin ftattlichen Bau 
fehlt jede Anmuth der Renaiffance. 

Von den zahlreichen faft überall noch vorhandenen Privathäufern 
diefer Epoche wollen wir nur noch die von Tours, Joinville (Haute 
Marne) und Luxeuil (Haute Saöne) erwähnen. 



laus m Dijoii. (Sauvageot 



202 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



§ 55- 

Das Haus Franz' I zu Paris. 

UNTER die edelften Leiftungen des Privatbaues diefer Epoche gehört 
die allbekannte »Maifon de Frangois I«, welche aus dem Dorfe Moret 
bei Fontainebleau nach Paris in die Champs Elyfees verpflanzt worden ift. 
Die Fagade diefes kleinen Baues, ja die Anlage des Ganzen ift allerdings 
bei diefer Uebertragung den modernen Wohnbedürfniffen angepafst und in 
fehr wefentlichen Punkten umgeftaltet worden. Dahin gehört die fymme- 
trifche Hinzufügung des rechts an die Mittelarkade ftofsenden Theiles fowie 
die fchwere den Bau krönende Attika; ebenfo die Ausfüllung der Laub- 
kränze des Friefes mit Bruftbildern der Margaretha von Navarra, der Diana 
von Poitiers, Franz' I, u. f. w.^) 

Den drei grofsen Bogenfenftern des Erdgefchoffes entfprechen im oberen 
Stockwerk je drei durch Kreuzpfoften getheilte Fenfter mit geradem Sturz. 
Jedes diefer Syfteme wird unten und oben durch prachtvolle korinthifche 
Pilafter eingerahmt, deren Fläche im oberen Gefchofs Arabesken von deli- 
katefter Erfindung und Ausführung zeigt, während fich vor die unteren 
Pilafter üppige candelaberartige Säulchen legen. Auch die Ecken der 
Fagade (die zur Rechten ein moderner Zufatz) zeigen Pilafter mit herrlichen 
Arabesken, und ebenfo find die vertikalen Fortfetzungen fämmtlicher Pilafter 
zwifchen beiden Gefchoffen ausgeftattet. Ihren höchften Triumph feiert 
aber die Dekoration an dem überfchwänglich prachtvollen Friefe, welcher 
beide Stockwerke verbindet. Er zeigt in kraftvollem ReHef in der Mitte 
(moderne) Bruftbilder, von Kränzen umwunden, Wappen, die von Genien 
gehalten werden, in den Seitenfeldern heitere Kinderfcenen mit bacchifcher 
Bedeutung: thyrfusfchwingende und traubenlefende Genien. Der einzige 
Nachklang mittelalterlicher Kunftweife giebt fich in den bunten Krönungen 
der kleinen Seitenfenfter zu erkennen. 

Die Kehrfeite diefes prächtigen kleinen Gebäudes hat in der Mitte eine 
Vortreppe mit zwei Aufgängen, welche zu einer mit reichem Arabesken- 
fchmuck verfehenen Rundbogenthür führt, die ehemals in einem Seiten- 
flügel lag, wie Fig. 80 zeigt. Ueber derfelben, von zwei Baldachinen mit 



I) Ueber den urfprünglichen Zuftand vgl. C. Daly, Revue generale d'architecture 1870. 
Dazu Paluftre, I, 150 ff. mit Abb. — ^) Dafs diefe Bruftbilder, wenigftens gröfstentheils, 
moderne Zufätze feien, habe ich fchon in der erften Auflage diefes Buches (S. 165) aus- 
gefprochen. Herr Paluftre, der mir S. 150 feines fchönen Werkes vorwirft, ich habe die 
modernen Zufätze von den urfprünglichen Theilen nicht zu unterfcheiden vermocht, und 
deffen wohlfeile Ausfälle auf den »celebre critique allemand« von gewiffen liebenswürdigen 
deutfchen Tagesfchriftftellern mit Wonne aufgenommen und verbreitet worden fmd, hat 
es offenbar nicht für nöthig erachtet, meine Darftellung genau durchzufehen. 



§ 56. Privatgebäude im Languedoc. 2C>5 

kleinen Kuppeln eingefafst, der Salamander, der an derfelben Fagade im 
Giebelfeld eines fchönen Kreuzfenfters wiederkehrt, an welchem aufserdem 
zwei allerliebfte, auf Delphinen reitende Genien angebracht find. Die beiden 
andern Fagaden find modernifirt, und auch an den Bildwerken der Haupt- 
front bemerkt man, wie gefagt, moderne Zufätze. 

Die innere Eintheilung ift modern; nur die Treppe, die in der Mitte 
mit geradem Lauf auffteigt, gehört der urfprünglichen Anlage. 




Fig. 80. Sogenanntes Haus Franz' I. (Paluftre-Sadoux.) 



Privatgebäude im Languedoc. 

IM Süden , wo die prachtvollen Ueberrefte der Römerzeit niemals ganz 
ohne Einflufs auf die fpätere Entwicklung der Baukunft geblieben find, 
nimmt befonders die Provinz Languedoc an der Bewegung der Renaiffance 
lebendigen Antheil. In mehreren Schlöffern der Zeit (§ 43) trat uns eine 



204 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



gewiffe überftrömende Ueppigkeit der Formbildung als Merkmal der Bauten 
diefer Provinz entgegen. Auch in den Städten beginnt nun die Architektur 
wetteifernd der allgemeinen Bewegung zu folgen. 

In Cahors fieht man ein Renaiffancehaus ^) aus der früheren Zeit 
Franz' I, an welchem mittelalterliche Reminifcenzen fich mit der vollen 
ornamentalen Pracht des neuen Stiles verbinden. Das Portal, niedrig, gothifch 
profilirt, mit horizontalem an den Ecken abgerundetem Sturz, ift von korin- 
thifchen Pilaflern eingefafst. Darüber fteigt im erften Gefchofs ein gekup- 
peltes Fenfber, ähnlich profilirt und umrahmt, durch kräftigen Querpfoften 
getheilt, empor. Diefs Ganze ift der fonft einfachen Fagade als Prunkftück 
■erften Ranges zugetheilt, Sämmtliche Glieder, die Pilafter und Fenfterftäbe, 
•die Gefimfe und Friefe, find mit den eleganteften Arabesken überfluthet. 
Aehnliche Dekoration füllt auch, das reich behandelte Wappen umgebend, 
die Fläche zwifchen Thür und Fenfter, fo dafs nicht der kleinfte Raum 
unverziert gebheben ift. 

Derfelben Frühzeit gehört der Hof des Jefuitencollegiums in der Rue 
•des Balances zu Touloufe.^) Ein hohes Erdgefchofs ift mit eleganten 
Candelaberfäulchen dekorirt. In den Zwickeln der Arkadenbögen fieht man 
•die in diefer Zeit fo beliebten Medaillons mit Bruftbildern. Das Gewölbe 
•des Thorweges zeigt prächtige Caffetten in Rautenform. Ein grofser Flach- 
bogen, ebenfalls caffettirt, öffnet fich darüber als Nifche. Das obere Gefchofs 
ift beträchtHch niedriger gehalten, als Attika gleichfam , mit vortretenden 
korinthifchen , zur Hälfte cannelirten Säulen dekorirt. Die Sockel, auf 
welchen fich diefelben erheben, find durch eine Baluftrade verbunden. Der 
Fries zeigt kleine Rundfenfter und reiches Zahnfchnittgefims, das über den 
Säulen fich ftark verkröpft. An der einen Hofifagade enthält das Ober- 
gefchofs Fenfter mit Kreuzpfoften, die andere Seite zeigt eine glänzend 
heitere Loggia, deren gedrückte Rundbögen caffettirt und von prächtigen 
Pilaftern eingerahmt find. 

Zu den ftattlicheren Bauten der Epoche gehört ebendort das Hotel 
Meynier,3) deffen Fenfter theils die Frühzeit Franz' I mit elegant fculpirten 
Pilaftern und meift mit Kreuzpfoften, theils die Spätzeit des Jahrhunderts 
verrathen, mit baroken Hermen und Atlanten, mit Faunen, deren Bocks- 
beine fpiralförmig Verfehlungen find. Auch der Hof mit feinem Treppen- 
thurm gehört der Frühepoche an, wie die reichen Ornamentfriefe, die ge- 
fchmückten Pilafter und Bogenfüllungen, die Medaillons mit Bruftbildern und 
der glänzende auf Confolen ruhende Bogenfries beweifen. Von der Innern 
Ausftattung ift ein prachtvoller Kamin zu nennen, mit feinen Arabesken- 



i) Taylor et Kodier, Voyages. Languedoc. Abth. I, Bd. 2. — Ebend. Abth. I, Bd. i. 
— 3) Ebenda. 



§ 57- Stadthaus zu Orleans. 



205. 



pilaftern, Genien, Laubgewinden, Bruftbildern und anderen Reliefs zu den. 
reichften der Frührenaiffance gehörend. ^ 

In Albi fleht man in der Rue Timbal ein befcheidenes Backfteinhaus- 
mit charaktervoller Ruftica an den Einfaffungen der Fenfher und Thüren^ 
offenbar etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts angehörend: die Kreuz- 
ftäbe der Fenfter mit derben Atlanten, Engelköpfen und anderem Figür- 
lichen decorirt, wie es diefer Stil Hebt. Ueberaus malerifch wirkt der kleine 
Hof, der freilich jetzt fehr vernachläfsigt ift. Links eine halbvermauerte 
Arcade von zwei fehr flach gefpannten Bögen auf einer toskanifchen Mittel- 
fäule, darüber im obern Gefchofs eine noch gedrücktere Arcade, in der 
Ecke ein runder Treppenthurm mit einfacher Wendelftiege , am rechten 
Flügel zwifchen den ziemlich derb behandelten Fenfhern in einer Nifche 
die fehr lebendig gearbeiteten Büften Franz' I und feiner Gemahlin. Das- 
Ganze, trotz unbedeutender Verhältniffe, charaktervoll und originell. In der- 
felben Strafse fleht man noch ein kleines Fachwerkhaus aus derfelben Epoche,, 
die Fenfter in ein Syftem von ionifchen Pilaftern gefafst, an welchem jene 
unmittelbare Uebertragung des Steinftils in den Holzbau ftattflndet, die wir 
überall in der Renaiffance wahrnehmen, und die ftets den Untergang der 
felbftändigen Holzarchitektur bezeichnet. 

Hier möge noch aus der benachbarten Dauphine, an der Grenze des 
Languedoc, ein köftliches, in aller Ueppigkeit der Frührenaiffance prangendes 
Haus angefügt werden, welches fleh in Valence erhalten hat. Ein Pracht- 
portal , mit geradem, an den Ecken abgerundetem Sturz , von einer ver- 
fchwenderifchen Fülle von Ornamenten umgeben, von decorirten Pilaftern 
eingefchloffen, an deren Sockeln fogar Medaillonköpfe (ähnlich wie an der 
Certofa zu Pavia), bildet das Hauptftück der Fagade. Eine Mufchelnifche 
mit wappenhaltenden Engeln, daneben Genien, welche eine Guirlande aus- 
breiten, und darüber ein nicht minder luxuriös gefchmücktes Fenfter mit 
Kreuzftäben verbindet fleh damit zu einem Ganzen von höchftem Reich- 
thum. ^) 



ATTE fleh in den Privatbauten, zuerft wohl durch den Adel, dann aber 



1 1 auch durch den wetteifernden reichen Bürgerftand die Renaiffance 
mit zahlreichen Prachtwerken in den Städten eingeführt, fo follte fle nun 
auch in den für das Gemeinwefen errichteten Monumenten zur Anerkennung 
gelangen. Die Rathhäufer, bis ins 16. Jahrhundert hinein durch ihre 
gothifchen Formen ein Beweis des zähen Fefthaltens der Städte an den 



§ 57- 



Das Stadthaus zu Orleans. 




Chapuy, Moyen dge monum. Vol. I, pl. 124. 



206 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



Traditionen des Mittelalters (vergl. § 13), werden jetzt zu Zeugniffen, in 
welchen fich die veränderte Geiftesrichtung des Bürgerthums zu glänzendem 
Ausdruck zufammenfafst. Eines der früheften, vielleicht überhaupt das erfte 
unter diefen Gebäuden, errichtete die Stadt Orleans. So früh allerdings, 
wie Dr. Cattois') dasfelbe entftehen läfst, um die Mitte nämlich des 15. 
Jahrhunderts, ift der Bau nimmermehr ausgeführt worden, und wenn der 
Meifter Viart, welchem man dasfelbe, fowie das Stadthaus zu Beaugency 
zufchreibt, wirklich um 1442 gelebt hat, fo kann von feiner Urheberfchaft 
nicht die Rede fein. 

Der Bau ift, wie der Augenfchein lehrt (Fig. 81), in der Frühzeit der 
Regierung Franz' I, etwa um 1520 entftanden. Er befteht aus einem ziem- 
lich regelmäfsigen Rechteck, deffen nach der engen Strafse fchauende 
Fagade glänzend entwickelt ift.=) In beinahe fymmetrifcher Durchführung 
wird fie in vier Fenfterfyfteme eingetheilt, jedes von Pilaftern eingefchloffen, 
die vom Sockel auffteigend bis zum Dachgefims eine confequente Vertical- 
gliederung bewirken. Zwifchen ihnen ift fo viel Fläche gelaffen, um neben 
■den Fenftern des Hauptgefchoffes Baldachine mit Statuen anbringen zu 
können und zugleich den Durchbrechungen ein Gegengewicht durch ge- 
fchloffene Mauerflächen zu geben. Die Verhältniffe der Fagade haben 
-dadurch eine überaus glückliche Wirkung gewonnen. Zu den wunderlichen 
Spielereien diefer Frühepoche gehört es dagegen, dafs der Architekt den 
Pilaftern des Erdgefchoffes ihre Kapitäle ohne alle Motivirung etwa in der 
Mitte der Höhe, anftatt unmittelbar unter dem Gefimfe gegeben hat: ein 
unbegreifliches Verkennen der Formen und Verhältniffe. Anftatt wohl- 
abgewogener Glieder hat er dadurch häfsliche Zwergpilafter und als Fort- 
fetzung derfelben nüchterne Lifenen bekommen. Alles ift übrigens mit 
Reichthum und im Einzelnen mit Feinheit durchgeführt, wie denn die 
ganzen Flächen des Erdgefchoffes einfchliefslich der Lifenen mit einem 
teppichartigen Mufter von Lilien in zartem Relief bedeckt find. Ein befonderes 
Prachtftück bildet das Portal, das unter dem zweiten Fenfter von rechts 
angebracht ift. Im Rundbogen gefchloffen und mit Ornamenten und reichen 
Gliederungen gefchmückt, wird es von Pilaftern eingefafst, die auf Halb- 
fäulen ruhen. Die Schäfte der letzteren find in der Weife des romanifchen 
Uebergangftiles mit gewundenen Canneluren und Ornamenten bedeckt. 
Ueber dem Portal zieht fich ein Fries mit Wappen und Ornamenten hin, 
diefs luxuriöfe kleine Prachtftück würdig abfchliefsend. Die Fenfter des 
Erdgefchoffes find einfach viereckig, mit fchUchtem Rahmen eingefafst, 
•oben durch ein verkröpftes Gefimfe nach gothifcher Art gekrönt. 



') Verdier et Cattois, archit. civ. et dorn. — Aufn. in den Monum. hiftor. und in 
"Verdier et Cattois, archit. civ. et dorn. 



§57- Das Stadthaus zu Orleans. 



207 



Von grofsartiger Wirkung gegenüber den gedrückten Verhältniffen des 
Erdgefchoffes, ift das hoch auffteigende obere Stockwerk mit feinen gewal- 
tigen durch doppelte Kreuzftäbe getheilten Fenftern, den reichen Baldachin- 
nifchen und dem überaus prachtvollen Kranzgefims (Fig. 81). Die Ver- 
hältniffe fmd hier von feltnem Adel, das Ganze von harmonifcher Wirkung. 
Das Rahmen- und Pfoftenwerk der Fenfter ift noch durchaus in gothifchem 
Sinne aus mageren Säulchen und tiefen Hohlkehlen zufammengefetzt. Auch 




Fig. 81. Vom Stadthaus zu Orleans. (Mon. hift.) 



das ift ein mittelalterHcher Gedanke: die Einfaffung durchbrochener Rund- 
bögen, welche in graziöfem Spiel den oberen Abfchlufs bildet. Ebenfo 
fmd die Nifchen der Statuen mit ihren Baldachinen völlig in gothifchen 
Formen durchgeführt, doch hat der Architekt mit Verftändnifs ihnen einen 
flachen Abfchlufs gegeben, um fein Hauptgefims nicht zu durchfchneiden. 
Er hat damit die Herrfchaft der Horizontale, die Berechtigung des neuen 
Stiles befiegelt und durch die weife Unterordnung der zur Anwendung 
gebrachten mittelalterlichen Formen diefen ein Bürgerrecht in der neuen 



208 



Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I. 



Bauweife gefiebert. Im Uebrigen fpricbt die Renaiffance in den fcblanken 
Pilaftern, den wappenbaltenden Engeln an der Fenfterbrüftung, den Profilen 
und Ornamenten der Gefimfe fich vernehmlich aus. Nur in dem Kranz- 
gefmis kommt noch einmal ein Compromifs zwifchen beiden Stilen in glück- 
licher Weife zur Geltung. 

Die Hauptform desfelben , der Rundbogenfries, ift , ähnlich wie die 
Säulen des Portals , der romanifchen Bauweife entlehnt , und es verdient 
Beachtung, dafs die Frührenaiffance öfters fich der Formen diefes ihr inner- 
lich verwandten Stiles bedient hat. Aber fie weifs ihn in ihrem Sinn 
umzubilden, neu zu beleben, ja zu bereichern , und giebt uns darin einen 
bemerkenswerthen Fingerzeig, in welchem Geift eine fchöpferifche Archi- 
tekturepoche auch die Formen der Vergangenheit wieder flüffig zu machen 
verfteht. Die Mufcheln der Bogenfüllungen, die Ornamente der Glieder und 
der kleinen Zwickel bezeugen diefs. Nur zwifchen den Pilaftern und dem 
Fries ift keinerlei organifche Verbindung gewonnen, wie denn überhaupt 
die lockere Compofition davon Zeugnifs ablegt, dafs die Meifter jener Zeit 
meift noch unficher zwifchen den beiden Bauftilen umhertafteten. Unmittelbar 
über dem Gefims liegt die Traufrinne mit ihren prächtigen Rofetten und 
ihren Wafferfpeiern , dann folgt die durchbrochene Baluftrade der Galerie,, 
welche fich vor den Fenftern des Dachgefchoffes hinzieht : diefe wieder mit 
ihren Fifchblafenmuftern ein letzter Nachhall des Flamboyant. Die ganze 
Compofition diefer reichen Krönung bildet offenbar die Vorftufe für jenes 
noch grofsartigere, noch entwickeltere Kranzgefims, das wir in Blois an der 
inneren Fagade kennen lernten. Auch die beiden kleinen pfefiferbüchfen- 
artigen Thürmchen auf den Ecken find eine mittelalterliche Conception, 
auch fie jedoch mehr dem romanifchen als dem gothifchen Stil verwandt. 

Die Dachfenfter endhch mit ihren Kreuzpfoften werden von korin- 
thifirenden Pilaftern eingefafst, die horizontal durch ein Gefims ver- 
bunden find. Sehr unorganifch fteigen über diefen krönende Spitzgiebel 
auf, die durch ihre Steile und die abfchliefsende Kreuzblume der gothifchen 
Auffaffung angehören. Uebrigens ift zu bemerken, dafs die Fagade mancherlei 
Befchädigungen erfahren hat, weniger wohl durch die Hugenotten, »die 
undankbaren Söhne unferer chriftlichen Civilifation« , wie Dr. Cattois fie 
fchmeichelhaft bezeichnet, fondern durch die Revolution, welche namentlich 
die fünf Statuen franzöfifcher Könige aus ihren Nifchen herabwarf und zer- 
trümmerte. Gegenwärtig ift das Gebäude in würdiger Weife gefchützt und 
zum Mufeum der Stadt umgeftaltet. 

Der Grundrifs ift einfach. Ein mit Kreuzgewölben gedeckter Flur, 
neben welchem auf beiden Seiten anfehnliche Räume mit grofsen Kreuz- 
gewölben auf achteckigen Pfeilern liegen, führt zu einer Treppe, auf welcher 
man den höher gelegenen Hof erreicht. Hier erhebt fich rechts der 



§ 58. Das Stadthaus zu Beaugency. 



209 



gewaltige Beffroi , rechtwinklig , aber nicht quadratifch , mit einem runden 
Treppenthurme zu anfehnlicher Höhe auffteigend und mit fchlankem Spitz- 
helm in einer Höhe von ca. 180 Fufs gefchloffen. Das obere Gefchofs 
öffnet fich auf allen Seiten mit hohen gothifchen Fenftern als Glockenftube. 
Die Krönungen der Fenfter im gefchweiften Spitzbogen , fowie die Fialen 
und die Fifchblafengalerie am Anfang des Daches bezeugen deuthch die 
fpätgothifche Entftehung. Damit ftimmt die Nachricht wohl überein, dafs 
Robin Galier um 1442 den Thurm errichtet und 1453 das Werk vollendet 
habe. 

Das obere Gefchofs des Vorderbaues befteht in feiner ganzen Aus- 
dehnung aus einem Saal von 60 Fufs Lange bei 2 5 Fufs Breite. An feinen 
Schmalfeiten find zwei Kamine angebracht und zwei Thüren führen aus 
einer Vorhalle hinein. Letztere, in narthexartiger Form, ift fammt der 
Wendeltreppe in ganzer Länge vor dem Saal hingeführt. 



ER erfte Ort, welcher dem mächtigen Orleans in Aufführung eines 



Ly Rathhaufes in der neuen Bauweife folgte, war die kleine Stadt Beau- 
gency, zwifchen Blois und Orleans an der Loire gelegen.') Der Stil des- 
felben ift dem des Stadthaufes von Orleans fo nahe verwandt, dafs man 
mit Wahrfcheinhchkeit auf denfelben Meifter fchhefsen darf. Als Erbauungs- 
zeit wird das Jahr 1526 angegeben. Jedenfalls wurde der kleine Bau erft 
nach dem Vorbilde , das Orleans gegeben hatte , errichtet , nicht wie 
Dr. Cattois annimmt, vor jenem. Abgefehen davon , dafs in der Regel die 
grofsen, mächtigen Gemeinwefen es find, die in der Architekturentwicklung 
die Entfcheidung geben und durch bedeutende Werke einer neuen Richtung 
zuerft Bahn brechen^ find auch gewiffe Formen am Rathhaufe zu Beaugency 
offenbar erft die weitere Entfaltung, zum Theil felbft die höhere Vollendung 
des in Orleans Begonnenen. Ausdrücklich gilt dies von dem herrhchen 
Kranzgefims , das an Reichthum und Adel dem von Orleans überlegen ift 
und fich dem prachtvollen des Schloffes von Blois an die Seite ftellt. (Vgl. 



Der kleine Bau befteht aus einem unregelmäfsigen Rechteck, das im 
Erdgefchofs eine nach der Strafse geöffnete Halle, im oberen Stockwerk 
den grofsen Rathsfaal enthält. Der Aufgang liegt an der Rückfeite in 
einem polygonen Treppenhaufe mit breiter Wendelftiege. Die Fagade gehört 
zu den reichften und zierhchften der Zeit (Fig. 82). Die grofsen halb- 
gefchloffenen Arkaden mit flachem Korbbogen, mit welchen das Erd- 



Aufn. in den Mon. hiftor. und bei Verdier et Cattois, archit. civ. et domeft. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 



§ 

Das Stadthaus zu Beaugency. 




Fig. 82.) 



210 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



gefchofs fich gegen die Strafse öffnet, find offenbar aus der im benach- 
barten Orleans gebräuchlichen Kaufladenanordnung herübergenommen. 
Zierlich und elegant ift das Portal mit den kleinen gekuppelten Fenftern 
darüber. 

In unbekümmerter Weife verfolgt das obere Gefchofs fein eigenes Gefetz 
der Anordnung und Eintheilung, ohne Rückficht auf die Axentheilung des 
Erdgefchoffes. Defshalb find feine Pilafter auf Kragfteinen mit Voluten 
verkröpft. Unter den Wappen und Emblemen, welche die Fenfberbrüftungen 
ausfüllen, bemerkt man den Salamander Franz' I. Sehr fchön find die 
Verhältniffe, Eintheilung und Dekoration der drei grofsen Fenfter mit ihren 
von köfthchen Arabesken belebten Kreuzftäben, nicht minder gefchmack- 
voll die Ornamente an den Kapitälen der Pilafter und in den Füllungen 
ihrer Schäfte. Die höchfte Pracht aber entfaltet fich in dem Kranzgefims, 
das nur am Schlofs zu Blois feines Gleichen findet. Die Flächen des oberen 
Stockwerkes find endlich mit einem LiHenmufter bedeckt, zum Beweis für 
die unerfättliche Dekorationsluft diefer Zeit. 

§ 59- 

Das Stadthaus zu Paris. 

DIE Stadt Paris befafs im Mittelalter für die Berathungen ihrer Vorfteher 
ein Haus am Greveplatz , die fogenannte Maifon aux Piliers , welche 
1357 um die Summe von 2880 Livres von einem Privatmann erworben 
wurde.') Nach den Befchreibungen von Zeitgenoffen und nach einem 
Miniaturbild des 15. Jahrhunderts war es ein anfehnlicher Bau mit einer 
Bogenhalle im Erdgefchofs, zwei Höfen, einer Kapelle und einem grofsen 
Saal. Bei der ftarken Zunahme der Bevölkerung in der Refidenz, die damals 
fchon eine Weltftadt zu werden anfing, hatte fich der Bau längft unzureichend 
erwiefen, als die Schöffen am 13. Dezember 1529 den Befchlufs fafsten, 
den König um Erlaubnifs zum Ankauf mehrerer benachbarter Häufer und 
zum Neubau eines gröfseren Stadthaufes anzugehen. Gern ertheilte Franz I 
die erbetene Ermächtigung, und am 15. Juli 1533 wurde unter grofser 
Feierlichkeit der Grundftein gelegt. Als Erfinder des Planes und oberfter 
Leiter der Ausführung wird Doinenico Boccador aus Cortona genannt, der 
dafür einen Jahrgehalt von 250 Livres empfing. Unter ihm war als 
Maurermeifter Piert'e Sambiches mit 2 5 Sous Taglohn und für die Zimmer- 
arbeit Jehan Affelin mit 75 Livres Jahrgehalt angeftellt. Man ficht fchon 
aus dem Verhältnifs diefer Zahlen, dafs der Italiener in hervorragender 



') Die hiftorifchen Notizen in dem fchönen Werke von Victor Calliat, l'hötel de ville 
de Paris. Avec une hiftoire de ce monum. par le Roux de Lincy. Paris 1844. 2 Vols. Fol. 
— Ein Mitglied der Architektenfainilie Chambiges, die bis ins 17. Jahrhundert vorkommt. 



212 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I. 



Stellung als erfindender und leitender Architekt jenen blofs ausführenden 
Meiftern gegenübertritt. 

Der Bau wurde anfangs energifch gefördert, fo dafs bis 1 541 die drei 
Flügel, welche vorn, rückwärts und an der rechten Seite gegen die Seine 
den Hof umfchliefsen, im Wefentlichen vollendet waren. Namentlich ftand 
der Hof an den drei bezeichneten Seiten damals gröfstentheils fertig da, 
fo wie er noch jetzt fich zeigt. Als aber am 2. Juli 1541 bei Annäherung 
der feindlichen Truppen die Stadt Paris für Befeftigungswerke die Summe 
von 34.000 Livres zahlen mufste, wurde die Hälfte der Arbeiter entlaffen 
und der Bau bis 1548 mit alfo verringerten Kräften langfamer fortgeführt. 
Eine Federzeichnung vom Jahre 1583^) zeigt nur das Erdgefchofs im Rohen 
angelegt, darüber ragen drei ungleiche Giebel auf ; vollendet ift blofs der 
Pavillon rechts nach der Seine hin. Im Jahre 1589 droht plötzlich der 
letzte fehr verfallene Reft der Maifon aux Piliers, die Pförtnerwohnung, den 
Einfturz und mufs fchnell abgetragen werden. Man begreift leicht, dafs in 
der langen Zeit der rehgiöfen Wirren und der Bürgerkriege die Stadt weder 
Luft noch Mittel zur Förderung des Baues fand. Als mit Heinrich IV 
Friede und Vertrauen dem Reiche wiederkehrten, wurde der Bau feit 1600 
mit neuem Eifer in Angriff genommen und 1607 die Fagade »avec les 
pilaftres , moulures, enrichiffement , corniche, attique et fronton« in ihren 
Haupttheilen vollendet. Es blieb noch der Uhrthurm des Mittelbaues zu 
errichten , der die Form einer offenen Laterne erhalten foUte. Die aus- 
führenden Meifter wurden angewiefen, »fuivant le deffm en parchemin« — 
worunter wohl nur die Pläne Boccadors zu verftehen find — den Uhrthurm 
mit zwei Gefchoffen in Form einer Laterne zu erbauen, »qui doivent fur- 
monter le cadran et au dernier desquels fera mis ung timbre ou cloche 
pour fervir d'horloge.« Die Baumeifter fprachen fich dahin aus, dafs das 
Dach »la forme, ftructure et fagon du comble de la grande falle du Louvre«; 
erhalten foUe.^) Seit 1608 wurden nun die Vollendungsarbeiten mit Eifer 
in Angriff genommen, die proviforifchen Säulen des Erdgefchoffes durch 
cannelirte korinthifche erfetzt, das Gefims mit einer Baluftrade gekrönt, 
welche der Plan Boccador's nicht vorfchrieb, und über dem mittleren Portal 
im Bogenfeld auf fchwarzem Marmorgrunde das Reiterbild Heinrichs IV in 
Hochrelief ausgeführt. Es war das Werk des trefflichen Bildhauers Pierre 
Biard, der als »Architecte fculpteur du Roy« bezeichnet wird. Die Aus- 
führung des Baues leitete zu diefer Zeit Meifter Pierre Guillairi. Seit 1609 
wird der Pavillon des linken Eckflügels, feinem Pendant genau entfprechend, 
errichtet, bis 161 2 der Glockenthurm fammt Uhr und Glocke hinzugefügt 
und fchliefslich in auffallend langfamer Bauführung von 16 18 bis 1628 der 



^) Als Vignette bei Calliat, Tom. II, pl. i wiedergegeben. — Calliat II, p. 7. 



§ 59- Das Stadthaus zu Paris. 



213 



linke Flügel des Hofes und damit der ganze Bau vollendet. Seit der Mitte 
des vorigen Jahrhunderts, als die Räumlichkeiten immer unzureichender 
fich erwiefen, trug man fich mit Erweiterungsplänen, die indefs erft in 
neuerer Zeit von 1837 bis 1846 nach den Plänen Godde's und Lefueur's 
in ausgezeichneter Weife zur Verwirklichung kamen. Durch die Com- 
munards 1871 eingeäfchert, wurde der Bau feitdem durch Bally und 
De Perthes wieder hergeftellt. 

Um ein Bild von der Anlage des alten Baues zu gewinnen, müffen wir 
die ausgedehnten Flügelbauten mit den beiden Seitenhöfen, das Treppen- 
haus mit feiner grandiofen Doppeltreppe und den grofsen Feftfaal im hin- 
teren Flügel hinwegdenken. Wir erhalten dann die trapezförmige, nach 
der Tiefe fich erweiternde Grundform des alten Stadthaufes , welches fich 
mit vier Flügeln um einen ähnlich angelegten Hof gruppirte. Der Bau 
wurde an der Rückfeite durch eine kleine Quergaffe von der gothifchen 
Pfarrkirche St. Jean en Greve, an welche fich die grofse viereckige Kapelle 
St. Jean anfchlofs, getrennt. An der linken Seite ftiefs die Heiligg^ift- 
Kapelle mit dem neben ihr fich ausdehnenden Hofpital an; an der rechten 
dagegen begrenzte ihn die Rue du Martroi, deren Eingang indefs gefchickt 
durch den grofsen Thorweg des dort errichteten Eckpavillons in den Bau 
hineingezogen war. Die Fagade ift völlig fymmetrifch entwickelt: in der 
Mitte der Haupteingang, jederfeits von drei Theilungen mit Fenftern ein- 
gefafst; dann als Abfchlüffe die mächtigen Eckpavillons mit ihren Durch- 
fahrten. 

Auf einer polygonen Rampentreppe gelangt man zum Eingang in den 
Flur, der in der Axe des Baues mit einer Anzahl Stufen, ganz wie am 
Stadthaus zu Orleans , den 1 2 Fufs über dem Strafsenniveau liegenden 
trapezförmigen Hof gewinnt. Urfprünglich hypäthral, erft neuerdings mit 
einem Glasdach eingedeckt, wird derfelbe von Arkaden auf Pfeilern um- 
zogen , hinter welchen die Bureaux in einfacher Flucht fich hinziehen. 
Mehrere zweckmäfsig angelegte Treppen, fämmtlich in geradem Lauf auf- 
fteigend und über dem erften Podeft ebenfo umwendend, bieten überall 
genügende Verbindungen. Die Haupttreppe, noch immer anfehnlich genug, 
liegt rechts am Eingang. Sie hat auf den Podeften gedrückte Rundbogen- 
gewölbe, die mit Kreuzrippen und Schlufsfteinen in gothifcher Weife aus- 
gebildet find. Dagegen ift ihr fteigendes Tonnengewölbe in glänzender 
Weife mit Caffetten in mannichfaltiger Ornamentation gegliedert. Diefe 
Theile gehören in ihrer charaktervollen Architektur zu denen, welche das 
urfprüngliche Gepräge am treueften bewahrt haben. Dasfelbe gilt von den 
inneren Fagaden des Hofes. Sie zeigen im Erdgefchofs ionifche, im oberen 
Stockwerk korinthifche Halbfäulen, fämmtlich uncannelirt, im Uebrigen mit 
ihren Stylobaten, Gebälken und Gefimfen aus dem vollen Verftändnifs der 



214 



Kap. V. Die RenailTance unter Franz I. 



antiken Formen gefchaffen. In den Bogenzwickeln der unteren Arkaden 
find Medaillons, offenbar für Bruftbilder, eingelaffen. Die Plafonds der 
Galerieen zeigen grofse Mannichfaltigkeit der Eintheilung und Dekoration, 
alles im Sinn der Antike. Die Frührenaiffance mit ihren übermüthigen 
Formenfpielen und ihren mittelalterlichen Anklängen fpuckt nur noch 
einmal, luftig genug, in den üppig dekorirten Umrahmungen der Dach- 
fenfter. 

Treten wir fchliefslich noch einmal vor die Fagade, um den künft- 
lerifchen Eindruck derfelben zu prüfen. Ueber einem niedrigen, als Sockel 
des Oberbaues behandelten Erdgefchofs erhebt fich ein hohes Parterre, 
und über diefem ein noch bedeutenderes Obergefchofs. Dann fchHefst der 
Mittelbau mit Gefims und Baluftrade ab, während die Eckpavillons noch ein 
zweites mit korinthifchen Pilaftern dekorirtes Stockwerk zeigen, über welchem 
fich die fteilen Dächer erheben. Diefen mächtig abfchliefsenden Maffen 
hält der fchlanke Glockenthurm des Mittelbaues mit feiner prachtvoll deko- 
rirten Uhr und den beiden achteckigen Laternen ein wirkfames Gegen- 
gewicht. Die Gliederung und Dekoration der Fagade ift von grofsem 
Reichthum. Im Erdgefchofs faffen tiefe Bogennifchen die Fenfter ein, 
welche rechtwinklig, durch Kreuzftäbe getheilt und mit antikem Giebel 
gefchloffen find. Kräftig vortretende korinthifche Säulen, cannelirt, auf 
hohen Stylobaten, ftark verkröpfte Gefimfe ftützend, geben eine ungemein 
wirkfame Gliederung. Das obere Gefchofs hat enorme Fenfter von 20 Fufs 
Höhe im Lichten und deshalb mit doppelten Kreuzftäben getheilt. Je ein- 
facher aber ihre Umrahmung ift, defto reicher die Decoration der Zwifchen- 
wände. Ueber den Säulen des Erdgefchoffes fteigen kurze Pilafter auf, 
mit vorgelegten Voluten reich gefchmückt. Auf ihren üppigen ftark aus- 
ladenden Kapitälen erheben fich fchlanke Tabernakel, mit Rundgiebeln 
bekrönt, eleganten Bogennifchen als Einfaffung dienend , welche Statuen 
enthalten. In diefer originellen Decoration fordert die Plaftik der Früh- 
renaiffance noch einmal ihr Recht. Dasfelbe gilt in verftärktem Maafse, 
felbft noch mit gothifirender Tendenz von den Baldachinen der Nifchen, 
die im Erdgefchofs der beiden Pavillons angebracht find. In diefen Deco- 
rationen, fowie in den hohen Dächern mit ihren Fenftern und Kaminen 
hat der italienifche Architekt dem franzöfifchen Nationalgeift feine Con- 
ceffionen gemacht. 

§ 60. 

Oeffentliche Brunnen. 

HAND in Hand mit dem Streben nach reicherem Schmuck de's öffent- 
lichen Lebens geht die Errichtung von ftattlichen Brunnen, die fortan 
im Sinne der Renaiffance zu monumentalen Werken ausgeprägt werden. 



§ 6o. Oeffentliche Brunnen. 



215 



Schon das Mittelalter hatte diefen Denkmälern eine befondere Vorliebe 
zugewandt; aber in der gothifchen Epoche hatte die kirchliche Architektur 
einen zu einfeitigen Einflufs auf ihre Form und Ausbildung gewonnen, und 
es konnte nicht als eine in tektonifchem Sinne angemeffene und wahrhaft 
künftlerifche Löfung betrachtet werden, wenn die Form eines gothifchen 
Thurmes im verkleinerten Nachbild eines Spitzpfeilers als Motiv zum 
Wafferfpenden zur Verwendung kam. Denn die metallenen Röhren, welche 
in folchem Fall das Waffer zu vertheilen haben, werden in ihrem rein 




Fig. 83. Brunnen zu Mantes. (Sadoux.) 



äufserlichen Anfatz an den Körper des Denkmals keineswegs zu künftle- 
rifchen Trägern ihrer Funktion. 

Die Renaiffance greift zur Form eines weiten Beckens zurück, aus 
deffen Mitte fich in der Regel ein reich gefchmückter kegelförmiger Pfeiler- 
bau erhebt. Eines der zierhchften Denkmäler . diefer Art, noch aus der 
Epoche Ludwigs XII, befitzt die Stadt Tours. Jacques de Beaune, Seig- 
neur de Semblangay und Gouverneur der Touraine , liefs dasfelbe aus 
carrarifchem Marmor durch den berühmten Bildhauer Michel Columb ent- 
werfen, deffen Neffen Baßien und Martin Francois es im Jahre 15 10 aus- 



2l6 



Kap. V. Die Renaiffance unter Franz 1. 



führten. Das kleine Monument') befteht aus einem achteckigen Becken, 
aus welchem fich ein 15 Fufs hoher pyramidaler Auffatz erhebt. Das 
Baffm hat auf den Ecken originelle ionifche Zwergpilafter mit cannehrten 
Schäften und in den zierlich umrahmten Feldern Ornamente von Ranken, 




Fig. 84. Fointaine zu Clermont-Ferrand. (Chapuy.) 



Kränzen und flatternden Bändern. Die Pyramide entwickelt fich in einer 
Anzahl horizontaler Abfchnitte, bei deren Gliederung und Profilirung die 
Kunft der Renaiffance den ganzen Reichthum ihrer Phantafie aufgeboten 
hat. Geflügelte Wafferfpeier , deren urfprünglicher Charakter nicht genau 



') Vgl. die Aufnahme bei Berty, ren. mon., Tom. II. 



§ 6o. Oeffentliche Brunnen. 



217 



mehr zu erkennen ift, fpenden das belebende Element. Unter den zahl- 
reichen Wappen und Emblemen, die an den Flächen fich finden, fieht man 
die Namenszüge Ludwigs XII und feiner Gemahlin Anna, von gefchmack- 
vollen Ornamenten umgeben. Auffallend genug find am oberen Theile, 
wo fich aus eleganten Voluten die Spitze in Form einer gefchweiften 
Geländerfäule entwickelt, die Werkzeuge der Paffion angebracht. So fpielt 
der fchwache Anklang eines religiöfen Elements in dies rein weltliche Denk- 
mal hinein. 

Ein anderes anmuthiges Denkmal diefer Art ift der in Fig. 83 dar- 
geftellte, von 1519 bis 1521 ausgeführte Brunnen zu Mantes. Auf einem 
achteckigen Becken erhebt fich ein polygoner Pfeiler, auf welchem die 
runde, mit einem zierlichen Relieffries gefchmückte Schale ruht. Ueber 
diefer fteigt ein ganz in Plaftik aufgelöfler Pfeiler empor, der eine kleinere, 
noch reicher dekorirte Schale trägt. An beiden Schalen find Masken ange- 
bracht, aus welchen fich die Wafferftrahlen in das Becken ergiefsen. Der 
Charakter des Ganzen ift der einer fpielenden zierlichen Frührenaiffance. 

Ein Werk von bedeutenderem Umfang ift die Fontaine Delille zu 
Clermont-Ferrand, von der wir unter Fig. 84 eine Abbildung beifügen.^) 
Sie wurde im Jahr 1 5 1 5 von Jacques d' Amboife bei der Kathedrale errichtet, 
neuerdings aber auf die Place Champeix übertragen, wobei das achteckige 
Becken ungefchickter Weife durch ein rundes erfetzt wurde. In ihrem 
fpielend dekorirten Autbau und felbft zum Theil in den Einzelheiten der 
Ornamentik enthält fie noch gewiffe gothifche Nachklänge , die jedoch in 
zierlicher Weife fich mit den Details der Renaiffance, mit arabesken- 
gefchmückten Pilaftern, fowie mit mancherlei figürlichem Beiwerk verbinden. 
Das Ganze macht einen originellen, phantaftifch heiteren Eindruck. 

Von der Fontaine des Innocents zu Paris, dem edlen Werke Jean 
Goujons, ist in § 63 ausführlicher die Rede. 



Vgl. Chapuy, Moyen äge pitt. III, pl. 88. 



VI. KAPITEL. 



DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN VALOIS. 
A. DIE HAUPTMEISTER UND IHRE WERKE. 

§ 6i. 

Veränderte Zeitverhältnisse. 

LS Franz I ftarb, hinterliefs er feinem Sohn und Nach- 
folger, wenn man Brantome Glauben fchenken darf, 
einen Staatsfehatz von drei bis vier Millionen, ohne 
die jährhchen Einkünfte zu rechnen. Heinrich II 
trat die Herrfchaft an, erfüllt von dem Wunfche, in 
die Fufsftapfen feines Vaters zu treten, an Pracht, 
Glanz und Ruhm ihn wo möglich zu übertreffen. 
Ein fchöner Mann, wohlgewachfen und ftattlich, dem 
die dunkle Gefichtsfarbe einen befonders männlichen Ausdruck verlieh, 
abgehärtet und in allen Leibesübungen erfahren, ahmte er nicht ohne Erfolg 
das ritterliche Wefen feines Vaters nach. Dem Krieg und Soldatenwefen 
leidenfchaftlich ergeben, fetzte er fich Entbehrungen und Gefahren aus wie 
der gemeine Soldat; es war etwas von jenem Geifte perfönlicher Tapferkeit, 
der feinen Vater auszeichnete. Ein trefflicher Reiter und leidenfchaftlicher 
Pferdeliebhaber, wurde er bewundert wegen feiner ritterlichen Haltung; 
nicht minder hing er wie Franz I an dem Vergnügen der Jagd, namenthch 
der Hirfchjagd, deren Anftrengungen und Gefahren er fich, jeder Witterung 
trotzend, ausfetzte. Ein Meifter in den verfchiedenen Arten des Ballfpiels, 
nahm er auch darin für fich den fchwierigften und gefährUchften Poften in 
Anfpruch, und zwar nicht aus Gewinnfucht, denn damals fei die Partie nur 




§ 6i. Veränderte Zeitverhältniffc. 



219 



um zwei, drei bis fünf Hundert Thaler, nicht wie fpäter um vier, fechs 
Taufend, ja um das Doppelte gegangen, und der König habe den Gewinn 
ftets an feine Umgebung vertheilt.') Ebenfo war er neben dem Herrn von 
Bonnivet der befte Springer am Hofe , und über einen Waffergraben von 
fünfundzwanzig Fufs Breite zu fetzen, war ihm ein Leichtes. Bei folchen 
Gelegenheiten liebte er es, feine Gefchicklichkeit und Kraft vor den Damen 
des Hofes leuchten zu laffen, und die kluge Katharina von Medici wufste 
dafür zu forgen, dafs es an einem glänzenden Flor fchöner Damen nie fehlte. 

Das Verhältnifs zu diefer merkwürdigen Frau war ein eigenthümliches. 
Egoiftifch und kalt berechnend, mufste fie ihre Herrfchfucht , die einzige 
Leidenfchaft ihres Lebens, zurückdrängen und die Allmacht der Diana von 
Poitiers, die Heinrich zur Herzogin von Valentinois erhob, ruhig ertragen. 
Die ränkevolle Florentinerin, in der feften Ueberzeugung , dals ihre Zeit 
kommen werde, begünftigte fogar den Verkehr mit diefer Hauptmaitreffe, 
wie fie denn keinen Augenblick Bedenken trug, durch die fchönen Damen 
ihrer Umgebung ihren Gemahl und alle einflufsreichen Männer am Hofe in 
Liebesnetze zu verftricken und nach Kräften zu verderben. Auch in diefer 
Hinficht waren die Sitten am Hofe Heinrichs II nicht blofs die Fortfetzung 
derer feines Vaters, deffen Hof Brantome fchon »affez gentiment corrompu« 
nennt, fondern der Sohn wufste fein Vorbild noch zu übertreffen. Eine 
monumentale Beftätigung diefer Thatfachen wird man darin finden, dafs, 
während Franz I an feinen Bauten aufser dem eigenen Namen nur den feiner 
Gemahhn anbringen liefs , Heinrich II fich nicht fcheute, Namenszug und 
Symbol feiner Concubine überall verfchwenderifch auszutheilen. Aus diefen 
Verhältniffen ging die womögHch noch gefteigerte Neigung zu Feften und 
Luftbarkeiten aller Art, zu Turnieren, Maskeraden, Schauftellungen, Balleten 
und Tänzen hervor, welche in der Lebensbefchreibung diefes Königs bei 
Brantome fich fo aufserordentlich breit machen. Es fei nur an die Feft- 
lichkeiten beim Einzug des Königs in Lyon erinnert, wo mit Gladiatoren- 
fpielen und Galeerenkämpfen, Naumachieen nach antiker Weife, die damals 
in Frankreich faft noch unerhörte Aufführung einer Tragödie abwechfelte 
und die Illumination der ganzen Stadt den Befchlufs machte. Hand in 
Hand damit ging die noch gefteigerte Pracht der äufseren Erfcheinung des 
gefammten Lebens, Wir wollen nur an die herrlichen Rüftungen mit ein- 
gelegten Goldornamenten oder getriebenen Reliefs, an die glänzenden 
Teppiche, an die berühmten Fayencen, die man als »Faience Henry II« 
bezeichnet, erinnern. 

Sieht man aber genauer zu, fo gewahrt man bald, dafs der Sohn den 
Vater doch nur äufserUch nachahmte, und diefs gilt befonders für das 



I) Vgl. die Schilderung bei Brantome, Capit. Francais, Art. Henry II. 



220 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Gebiet idealer Strebungen. Wohl fchützte und pflegte Heinrich, auch darin 
den Spuren feines Vaters folgend, Wiffenfchaft und Kunft. Einer Anzahl 
tüchtiger Gelehrter gab er Penfionen und Unterftützungen , der Dichter 
Jodelle erhielt von ihm für feine Tragödie Cleopatra fünfhundert Thaler, 
den froftigen Ronfard, der das Entzücken der Zeit war, nannte der König 
»feine Nahrung,« für feine Maitreffe liefs er ein prachtvolles Schlofs erbauen, 
. und die angefangenen Unternehmungen feines Vaters, namentlich den Louvre 
und das Schlofs von Fontainebleau, fowie manche andere wurden mit nicht 
geringerem Glänze weiter geführt. Aber jenes perfönliche Verhältnifs zu 
Gelehrten , Dichtern und Künftlern , welches bei Franz I in menfchlich 
liebenswürdiger Weife hervortritt und auf einer tieferen Schätzung alles 
geiftigen Schaffens, vorzüglich der Kunft, beruht, jenen warmen perfön- 
lichen Antheil, der allen Schöpfungen Franz' I den Zauber einer indivi- 
duellen Frifche und Anmuth verleiht, fuchen wir vergebens bei Heinrich IL 
Ihm ift es mehr um äufseren Glanz zu thun , feine Kunftförderung quillt 
nicht aus der Liebe zur Sache, fondern aus Prunkfucht und Ruhmbegier. 
Gleichwohl fmd die während feiner Regierung (1547 — 1559) entftandenen 
Schöpfungen, obwohl häufig bereits ein kühlerer Hauch, ein ftärkeres 
Walten der Reflexion fleh zu erkennen giebt, diejenigen Denkmale der 
franzöfifchen Renaiffance, in welchen, was die Epoche Franz' I in ver- 
fchwenderifchem Keimen und Blühen begonnen hatte, zur vollen Entfaltung 
gelangt, in welchen der nationale Baugeift, tiefer erfüllt und gefättigt von 
der Antike, feine edelften Offenbarungen erlebt. — 

Eine allmähliche Umwandlung, langfam aber ficher vorfchreitend, voll- 
zieht fleh während der Regierung der drei Söhne Heinrichs, die einander 
den Preis der Erbärmlichkeit flreitig machen. Die fchhmme Saat, die ihr 
Vorgänger durch fein fchwankendes, haltungslofes Wefen , durch das auf- 
wuchernde Parteigetriebe und die fchmachvollen Verfolgungen der Huge- 
notten, endlich durch feine finnlofe Verfchwendung ausgeftreut hatte, ging 
nunmehr wuchernd auf. Schon Franz I hatte nur durch drückende Auf- 
lagen die Korten, welche feine Kriege und fein glänzender Hofhalt heifchten, 
zu beftreiten vermocht; aber feine geregelte Finanzwirthfchaft hatte 
fchlimmere Folgen verhütet. Unter Heinrich II, deffen finnlofes Gebahren 
durch beftändige Kriege, üppigen Hof halt und verfchwenderifche Ausftattung 
der Maitreffen die Grundfeften des nationalen Wohlftands erfchütterte, ftieg 
das jährliche Deficit auf drittehalb Millionen und die Staatsfchuld auf die 
für jene Zeit ungeheure Summe von fechsunddreifsig Millionen. Mit diefer 
Schuldenlaft hinterliefs er feinen Söhnen die immer übermüthiger werdenden 
Faktionen der Grofsen, vor Allen die Herrfchfucht der Guifen, die ungelöfle 
religiöfe Frage und den beginnenden Bürgerkrieg. Die drei elenden Söhne 
Heinrichs, Franz II, der in dem einen Jahre feiner Regierung (i 559— 1 560) 



§ 6i. Veränderte Zeitverhältniffe. 



221 



die Schuldenlaft auf dreiundvierzig Millionen brachte, Karl IX (1560 bis 
1574), der ächte Sohn feiner Mutter, und der tückifche Heinrich III (1574 
bis 1583) häuften auf das unglückliche Land alle Gräuel und Schrecken 
des religiöfen Bürgerkrieges. Alle drei, fyfkematifch durch die verruchten 
Anfchläge ihrer Mutter verderbt, durch Ausfchweifungen vorfätzlich ent- 
nervt, waren willenlofe Werkzeuge in der Hand diefes weiblichen Macchiavell. 
Ohne Gemüth und Gewiffen, ohne Treu' und Glauben, verrätherifch zwifchen 
den Parteien fchwankend, ift fie die Incarnation der ruchlofen itahenifchen 
Politik jener Zeit. Kein Wunder, dafs die Blätter der franzöfifchen Ge- 
fchichte in diefer Epoche mit Blut befudelt find, dafs unter Franz II bei 
Entdeckung der Conde'fchen Verfchwörung gegen die Guifen zwölfhundert 
Edle hingerichtet werden, dafs unter Karl IX über die arglofen Proteftanten 
die Gräuel der Bartholomäusnacht ausbrechen, dafs Heinrich III mit der- 
felben feigen Verrätherei fich von den Guifen befreit. 

Wenn in folchen Zeiten, wo die Sittlichkeit vergiftet, der nationale 
Wohlftand zerrüttet, die Gewiffensfreiheit mit Füfsen getreten, das Land 
durch Mord und Brand verwüftet ift, von glänzenden Werken der Kunft 
geredet werden foll, fo vermag der Gefchichtsfchreiber nicht ohne Beklommen- 
heit ans Werk zu gehen. Vollends wenn es fich dabei um Monumente 
handelt, in denen die Prachtliebe und Ruhmfucht der Grofsen fich auf 
Koften des ganzen Volkes verewigt hat, in denen man beim erften BHck 
nur Offenbarungen der Eigenliebe und Eitelkeit wird anerkennen wollen. 
Und doch verhält es fich anders bei tieferem Nachdenken. Gerade in 
Zeiten, wo die menfchliche Natur ihre Nachtfeite herausgekehrt zu haben 
fcheint, wo ein widriges Gemifch von Frivolität und Bigotterie, von brutaler 
Gewalt und tückifchem Verrath die Luft verpeftet , thut es doppelt Noth, 
auch die Lichtpunkte aufzufuchen, um die tröflUche Gewifsheit aufrecht zu 
halten, dafs das Edle nur zurückgedrängt, nicht ganz vernichtet ift. Selbft 
bei Katharina von Medici dürfen wir nicht vergeffen, dafs fie aufser der 
ränkevollen itahenifchen Politik doch auch die Kunftliebe ihres Haufes mit 
nach Frankreich brachte, und während der Scheinregierung ihrer Söhne 
als thätige Befchützerin der Künfte, vor Allem der Architektur, einen wohl- 
thuenden Einflufs übte. Befonders aber, wenn wir den Glaubensmuth der 
Proteftanten, das feurige Auflehnen gegen ftaatlichen und kirchUchen Ter- 
rorismus, den Auffchwung des wiffenfchaftUchen Lebens, der trotz der 
Bürgerkriege doch auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unge- 
hemmt feinen Fortgang nimmt, ins Auge faffen , wie hoch fteht da jenes 
frifche Jahrhundert der Geifter über jenen fpäteren Epochen, wo die Blei- 
decke des Defpotismus fich über ganz Europa immer weiter ausbreitet und 
felbft in Deutfchland alle jene Länder, die damals freudig der religiöfen 
Wiedergeburt anhingen, jetzt längft durch den Habsburger Jefuitismus und 



222 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



blutige Dragonaden zum alleinfeligmachenden Glauben zurückgezwängt, im 
dumpfen Geiftesdruck der Pfaffenherrfchaft begraben fmd. 

So richten wir uns denn gern an dem kraftvollen Geiftesleben jener 
Zeit auf ; fo erquickt uns in diefer Epoche, gegenüber dem öden Unglauben, 
der, mit barockem Aberglauben gemifcht, uns die Erfcheinung der Katharina 
von Medici und ihrer Sippfchaft fo widerwärtig macht, jeder Geiftesftrahl, 
der aus den Werken eines einfamen Denkers, wie Michel de Montaigne, 
bricht, und fo fmd auch die Kunftfchöpfungen der Zeit als Zeugniffe des 
geiftigen Lebens und des Schönheitsfmnes uns hochwillkommen. Dafs in 
ihnen aber fortan ein andrer Ausdruck herrfcht, wird die nähere Betrachtung 
ergeben. 

§ 62. 

Umgestaltung der Architektur. 

IN der fpäteren Zeit Franz' I hatte die franzöfifche Baukunft die letzten 
Spuren des Mittelalters abgeftreift und fich aus der fpielenden Ver- 
wendung antiker Elemente zu einem klareren Verftändnifs und einer fyfbema- 
tifchen Behandlung erhoben. Wie Heinrich II in allen Punkten feinem 
Vater nachzueifern fuchte, fo ift auch die Architektur zunächft die unmittel- 
bare Fortfetzung der Richtung-, in welche die vorige Epoche ausmündete. 
Schon der Umftand, dafs eine Reihe bedeutender Bauten, wie der Louvre 
und das Schlofs von Fontainebleau , von Franz I begonnen, zu vollenden 
waren, brachte ein AnfchHefsen an die bisher geübten Formen mit fich. 
Die edle Anmuth der Schlufsepoche Franz' I fetzt fich daher unmittelbar 
eine Zeit lang fort. Inzwifchen machten fich jedoch daneben neue Ver- 
hältniffe geltend, aus welchen fich allmählich eine ftarke Umgeftaltung der 
Architektur ergab. 

Das Entfcheidende ift, dafs kurz vor der Mitte des Jahrhunderts eine 
Reihe einheimifcher Architekten auftreten, die nicht mehi-, wie die früheren, 
fchHchte mittelalterliche Werkmeifter find, fondern fich als freie Künftler 
fühlen, an der humaniftifchen Bildung der Zeit vollen Antheil nehmen und 
ihre Studien in Rom an den Denkmälern antiker Kunft vollenden. Hatten 
bis dahin nur die in's Land gerufenen italienifchen Künftler eine folche 
Stellung eingenommen, fo wetteiferten die einheimifchen Architekten fortan 
mit den ItaHenern, nicht ohne in einen beftimmten Gegenfatz zu ihnen 
zu treten. Durch diefe vöHig veränderten äufseren Bedingungen kam ein 
neues Element in die Architektur, das der eigentlich modernen Subjectivität. 
Die Perfönlichkeit der einzelnen Künftler bringt in den verfchiedenen Werken 
fich mit Bewufstfein zum Ausdruck und die Gefchichte der Architektur 
wird nunmehr, wie fie es in ItaHen fchon lange war, zur Gefchichte der 
Architekten. Gleichwohl bleibt bei allem individuellen Gepräge den Werken 



62. Umgeftaltung der Architektur. 



223 



ein nationaler Grundzug gemeinfam, der fie von den italienifchen deutlich 
unterfcheidet. Diefs nationale Element läfst fich in den Grundriffen, im 
Aufbau wie in der Dekoration, erkennen. Was die Planform betrifft, fo 
gewinnt diefelbe jetzt die völlig durchgebildete Regelmäfsigkeit und Sym- 
metrie, welche überall im Programm der modernen Baukunft liegt. Die 
vielen selbftändigen Ausbauten, die runden Eckthürme, die vorfpringenden 
polygonen Treppenhäufer, in welchen fich die vorige Epoche noch gefiel, 
fallen fort, und die Fagaden zeichnen fich in klar überfichtlichem recht- 
winkligem Zuge der Linie. Die Treppen werden in's Innere hineingenommen, 
mit gerade auffteigendem und dann rückwärts gewendetem Lauf, wie fchon 
die Römer fie in ihren Theatern, Amphitheatern, Thermen und ähnHchen 
Bauten zur Anwendung gebracht. Bisweilen finden fich auch wohl opulentere 
Treppenanlagen mit doppelten Läufen; doch find das noch Ausnahmen. 
Bei alledem bleibt als ächt franzöfifche Eigenthümhchkeit die Anordnung 
von Pavillons auf den Ecken, auch wohl in der Mitte der Fagade, welche 
durch ihre Maafse, meift auch durch gröfsere Höhe einen wirkfamen Rhyth- 
mus der Linien ergeben. Diefs ift der letzte Anklang der mittelalterlichen 
Thürme, freiHch in ganz moderne Form überfetzt. 

Im Aufbau machen fich als nationale Elemente nach wie vor die 
grofsen rechtwinkligen Fenfter mit ihren Kreuzpfoften, vor allen aber die 
Dachgefchoffe und die fiieilen Dächer mit den zahlreichen hohen Kaminen 
und den Lucarnen auf allen Theilen des Baues, befonders auf den Pavillons, 
geltend. Letztere namentlich find auch jetzt mit Vorliebe ausgebildet, und 
wenn in ihren Bekrönungen die gothifchen Traditionen den antiken Giebeln, 
geradlinigen, runden und felbft fchon gebrochenen v/eichen, fo wird in der 
ornamentalen Ausbildung bis auf die Verwendung von Hermen und Karya- 
tiden nichts gefpart. 

Diefs führt uns auf das gefammte Detail der künftlerifchen Ghederung 
und Dekoration, in welchem fich der individuelle Charakter der einzelnen 
Künftler am fchlagendften zu erkennen giebt. Man unterfcheidet bald bei 
Künftlern wie Pierre Lescot die vollere Anwendung der Plaftik, die reichere 
Fülle des Ornaments von der herberen und knapperen Ausdrucksweife, wie 
fie Philibert de l'Orme z. B. am Schlofs St. Maur anwendet. Im Ganzen 
macht fich zunächft doch ein Streben nach einfach ftrengen Ausdrucks- 
mitteln, nach einem gewiffen ruhigen Ernft der Flächendekoration geltend, 
wie es die gleichzeitigen ItaUener, ein Vignola und Palladio, zur Herrfchaft 
bringen. Man erkennt darin das genauere Studium der antiken Refte und 
des Vitruv, das Vorwalten einer theoretifchen Richtung, die zugleich in 
den literarifchen Arbeiten eines Bullant, du Cerceau, de l'Orme fich aus- 
fpricht. In der Ghederung der Flächen gewinnt der dorifche Pilafl;er die 
Oberhand, und ein Syftem von Nifchen gefeilt fich dazu, wie z. B. beim 



224 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Louvrehof und beim Schlofs von Ancy-le-Franc. Bald aber empfand man, 
dafs die zahlreichen Pilafterordnungen den Fagaden etwas Monotones und 
Kleinliches gäben, was bei der im Ganzen geringeren Stockwerkshöhe der 
franzöfifchen Bauten — einem natürlichen Ergebnifs der klimatifchen 
Bedingungen — um fo unverkennbarer hervortritt. Daher jene Verfuche, 
durch Einordnung zweier Stockwerke in eine mächtige Pilaflerflellung den 
Fagaden einen Ausdruck von Würde und Gröfse zu geben, von denen wir 
fchon in § 36 an den jüngeren Bauten von Chantilly ein Beifpiel gehabt 
haben. In diefen Löfungen fmd die franzöfifchen Architekten ganz originell^ 
wie fpäter auch die Betrachtung von Charleval (§ 76) beweifen wird. 

Im Ganzen entgehen nun freilich diefe fr-anzöfifchen Werke ebenfo 
wenig wie die verwandten italienifchen einer gewiffen Kühle, ja felbft 
Nüchternheit des Eindrucks, und bisweilen empfindet man den Hauch diefer 
Kälte etwa wie den einer Ronfard'fchen Ode, manchmal aber auch wie die 
edle verftändige Klarheit eines Effais von Montaigne. Nicht feiten fcheint es 
fogar, als wolle die Architektur in Sack und Afche eines freudlofen fchema- 
tifchen Dorismus und einer »mürrifchen« Ruftica Bufse thun für die fröh- 
lichen Thorheiten ihrer harmlos fpielenden Jugendjahre unter Franz 1. 
Aber neben diefer ftrengeren Aufifaffung gewinnt bald eine andere Platz, 
die man den geraden Gegenfatz, das Durchbrechen eines übermüthigen 
phantaftifchen Sinnes nennen kann , der aber nicht mehr in der freien 
Hebenswürdigen Naivetät der Frühepoche, fondern in bedenklicher Wendung 
zum Barocken zur Erfcheinung kommt. So ift das »weifse Haus«, welches 
Karl von Bourbon dem Schlofs Gaillon hinzufügte (§ 16), durch feine 
dorifchen Rufticafäulen, durch die häfslichen Hermen mit Schmetterlings- 
flügeln und mit Voluten ftatt der Arme, durch die grotesken Panisken mit 
kreuzweis verfchlungenen Bocksbeinen ein tolles Prachtftück diefer Mifs- 
architektur. Malerifch, ja theatralifch bewegte Atlanten, hockende Panisken 
mit doppelten Schmetterlingsflügeln, Fenfber mit gebrochenen und auf- 
gerollten Giebeln, Ueberhäufung mit wild in's Kraut gefchoffenem Laub- 
werk fleht man am Terraffenbau des Schloffes Vallery (§ 74). Diefe 
Phantaftik wirkt um fo empflndlicher, als fle mit einer bewufsten und 
korrekten Gliederbildung Hand in Hand geht, das Walten der Reflexion 
überall durchfchimmern, die Abwefenheit der Naivetät alfo deutlich erkennen 
läfst. Solche Bauten fchwanken oft in ihren einzelnen Theilen zwifchen 
Nüchternheit und Ueberladung, wie die Zeit felbft zwifchen den Extremen 
fanatifcher Bigotterie und fchamlofer Ausfchweifung hin und her trieb. 
Verwunderlich aber ift, gegenüber der Strenge, die damals noch in Italien 
herrfchte, das Losbrechen diefes tollen Fafchings, in welchem wir wieder 
eine ächt nationale Eigenheit anzuerkennen haben. Denn es fpiegelt fleh 
darin jener Hang zu forcirter Uebertreibung, welchem der Franzofe, deffen 



§ 6j. Pierre Lescot und Jean Goujon. 



225 



Bewegungslinie fich ftets in Extremen hinzieht, auf allen Gebieten geiftigen 
Lebens von je her fich überlaffen hat. Bauten, wie die oben gefchilderten 
zu Gaillon und Vallery kann man als Grimaffen der Architektur bezeichnen, 
und folche Grimaffen fchneidet die franzöfifche Kunft auch fonft noch zur 
Genüge. Indefs dürfen wir nicht vergeffen, dafs durch keinen Geringeren 
als Michelangelo bereits ein bedenklicher Vorgang für die Entfeffelung 
fubjektiver Willkür gegeben war. Immer aber fteht die ausgeartete Renaif- 
fance Italiens noch ernft und ftreng da gegenüber den Uebertreibungen 
franzöfifcher Kunft. Namentlich unterfcheidet fich von dem pompöfen 
Pathos des fpäteren italienifchen Barockftils diefe Architektur durch das 
bezeichnende Streben nach einer falfchen Grazie, welches indefs feines 
Zieles fo weit verfehlt, dafs es eher in's Poffenhafte, Burleske umfchlägt. 



die liebenswürdige Geftalt Pierre Lescots^ in welchem die phantafie- 
volle Kunft der Frühzeit ihren durch das Studium der Antike geläuterten, 
geradezu klaffifchen Ausdruck findet.^) Er wurde, wie es fcheint, um 15 10 
zu Paris geboren als Sohn des Seigneur de Clagny, feines gleichnamigen 
Vaters, der in angefehenen Hofämtern zu den Rathen Franz' I gehörte. 
Als Sohn eines edlen Haufes in angenehmen Verhältniffen aufgewachfen, 
fühlte der junge Pierre fich früh fchon zu den Wiffenfchaften und Künften 
hingezogen , wie uns fein Freund Ronfard in einem längeren Gedicht 



»Toy, L'Escot, dont le nom jusques aux aftres vole, 
As pareil naturel: car, eftant ä l'escole, 
On ne peut le deftin de ton esprit forcer, 
Que tousjours avec l'encre on ne te vift tracer 
Quelque belle peinture, et ja, fait geometre, 
Angles, lignes et poincts für une carte mettre. 
Puis, arrivant ton age, au terme de vingt ans, 
Tes esprits courageux ne furent pas contans 
Sans doctement conjoindre avecques la peinture 
L'art de mathematique et de l'architecture, 
Oü tu es tellement avec honneur monte 
Que le fiecle ancien eft par toy furmonte.« 



Dafs er fodann zeitig nach Rom gegangen und dort die antiken Denk- 
mäler ftudirt hat, kann keinem Zweifel unterliegen, wenn es auch nicht 

*) Für die Lebensgefchichte diefes und der anderen franzöfifchen Meifter diefer Epoche 
vgl. die ausgezeichnete Schrift von A. Berty, les grands architectes Frangais de la renaif- 
fance. Paris 1860. 8. — 2) Oeuvres de Ronfard, ed. Blanchemain (Paris 1866) VI, p. 188. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. . \ j 





erzählt : 



226 



Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



durch fchriftliches Zeugnifs beftätigt wird. Seine Werke beweifen es zur 
Genüge, denn damals gab es in Frankreich kein anderes Mittel, fich eine 
gründliche Kenntnifs der antiken Architektur zu verfchaffen. Nach feiner 
Rückkehr mufs er bald die Aufmerkfamkeit Franz' I auf fich gezogen 
haben, wie uns wieder Ronfard erzählt: 

»Jadis le Roy Francois, des lettres amateur, 

De ton divin esprit premier admirateur, 

T'aima pardelTus tout: ce ne fut, en ton äge, 

Peu d'honneur d'eftre ayme d'un fi grand perfonnage« .... 

Gewifs ift, dafs er feit 1 546 den Neubau des Louvre leitete, dem er bis zu 
feinem Tode im Jahr 1578 ununterbrochen vorftand. Wie fehr Heinrich II 
ihn fchätzte, erfahren wir abermals durch Ronfard's Erzählung: 

»Henry, qui apres lui tint le fceptre de France, 

Ayant de ta valeur parfaite cognoiffance, 

Honora ton f^avoir, fi bien que ce grand roy, 

Ne vouloit escouter un autre homme que toy« .... 

Der König ernannte ihn zu feinem Rath und Almofenier, aufserdem zum 
Abt von Clermont und endHch im Jahr 1554 zum Canonicus bei der Kirche 
Notre Dame zu Paris. Er mufs alfo die niederen Weihen empfangen 
haben, was bei feiner forgfältigen und felbft gelehrten Erziehung um fo weniger 
Anftand fand. Bezeichnend für die Zeit ift, dafs das Kapitel von Notre 
Dame ihn zurückwies wegen feines Bartes, den er nach der Hoffitte trug. 
Erft auf feine motivirte Vorftellung dispenfirte ihn das Kapitel von der 
Verpflichtung der Canoniker, mindeftens einmal alle drei Wochen fich 
rafiren zu laffen, und nahm ihn, mit Bart, in feine Reihen auf. 

Lescot fcheint nicht zu den vielbefchäftigten Architekten der Zeit gehört 
zu haben. Seine Vermögenslage wies ihn nicht auf Erwerb hin und die 
Stellung bei Hofe mag ihn ganz ausgefüllt haben. Wir wiffen nur, dafs er 
in St. Germain l'Auxerrois in den Jahren 1541 bis 44 den Lettner errichtet 
hat, deffen Skulpturen Jean Goujon arbeitete. Sodann führte er 1550 die 
Fontaine des Innocents oder des Nymphes aus, bei welcher derfelbe Bild- 
hauer ihn unterftützte. Von dem Lettner, der 1745 niedergeriffen wurde, 
fmd nur noch einige Reliefs im Louvre erhalten. Er beftand aus drei 
Arkaden, deren mittlere den Haupteingang in den Chor bildete, während 
die feitlichen einen mit einer Baluftrade eingefchloffenen Altar enthielten. 
Jede der Arkaden war mit zwei korinthifchen Säulen bekleidet und in den 
Zwickeln fah man Engel mit den Marterwerkzeugen. Ueber den Säulen 
erhoben fich die vier Evangeliften, und an der Mitte der Attika breitete 
fich ein grofses Relief der Grablegung Chrifti aus. 

Die Fontaine lehnte fich an die Kirche des Innocents und öffnete fich 
mit einem Bogen auf die Rue aux fers und mit zweien auf die von St. 



63. Pierre Lescot und Jean Goujon. 



227 



Denis/) Um 1783 bei der Zerftörung der Kirche trug man die Fontaine 
forgfältig ab, die fodann mit Hinzufügung eines vierten Bogens in ziemlich 
widerfmniger Weife als viereckiger Pavillon wieder aufgebaut worden ift. 

Am 3. Auguft 1546 ernannte Franz I Lescot zum Architekten des 
Louvre, und feit dem Jahre 1550 bezog er in diefer Stellung einen Monats- 
gehalt von 100 Livres, anfehnlich für jene Zeit, wenn wir z. B. damit ver- 
gleichen, dafs Domenico Boccador für die Ausführung des Hotel de ville 
ungefähr zur felben Zeit nur 250 Livres Jahrgehalt empfing. 

Ehe wir von dem Hauptbau Lescot's fprechen , ift des Künftlers zu 
gedenken, den wir zweimal fchon mit ihm verbunden fanden, und dem 
man auch die reiche plaftifche Ausftattung des Louvre verdankt. Aber 
nicht blos als Bildhauer, und zwar als der vorzüglichfte unter fämmtlichen 
gleichzeitigen Meiftern Frankreichs, fondern auch als Architekt wird Jean 
Goujon mehrfach bezeugt. Jean Martin in der Widmung feiner Ueberfetzung 
des Vitruv nennt Goujon, der ihm die Figuren zu feinem Buche gezeichnet 
hat, »nagueres architecte de Monfeigneur le Conneftable et maintenant Tun 
des votres«, d. h. Heinrichs IL Ebenfo wird er in den Rechnungen der 
Kathedrale von Rouen^) »tailleur de pierre et maffon« genannt und in dem 
Auszug des Vitruv, welchen 1556 Jean Gardet und Dominique Bertin ver- 
öffentlichten, heifst er »sculpteur et architecte de grand bruit«. Allerdings 
vermag man keine Bauten von ihm nachzuweifen , und es ift fogar wenig 
wahrfcheinlich , dafs er folche ausgeführt habe; allein feine Zeichnungen 
zu Martins Vitruv und die Epiftel an die Lefer, welche er felbft am Ende 
des Buches veröffentlicht, bezeugen zur Genüge, dafs er die Baukunft 
theorethifch aus dem Grunde verftand. Er empfiehlt den Baubefliffenen 
eindringlich, unter Berufung auf die Beifpiele Rafael's, Mantegna's (den er 
»non inferieur en fon temps« nennt), Michelangelo's, Sangallo's, Bramante's, 
das Studium der Geometrie und Perfpective. »Ce que fentans avoir acquis 
par travail et exercitation continuele, ilz fe font tout curieufement delectez 
ä pourfuyvre ce noble fubject, que leur immortele renommee eft espandue 
parmy toute la circumferance de la terre«. Auch Serlio, Lescot, Philibert 
de rOrme führt er als treffliche Architekten auf und fagt dann, er habe 
diefe Zeichnungen gemacht, weil ».par le paffe il y a eu quelzques faultes 
en l'intelligence du texte d'icelluy Vitruve, par efpecial en la formation 
d'aucuns membres de maffonnerie, chofe qui eft procedee par la mauvaife 
congnoiffance qu'en ont eu noz maiftres modernes, laquelle eft manifefte- 
ment approuuee par les oeuures qu'ilz ont cy devant faictes, d'autant quelles 
font desmesurees, et hors de toute fymmetrie«. 



') Eine Abb. der urfprünglichen Anlage in Blondel, archit. Fran^oife, Tom. III. — 
A. Deville, tombeaux de la cathedrale de Ronen (Ronen 1833. 8.), p. 126. 

IS* 



228 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Nicht blofs die Zeichnungen , fondern mehr noch die Erklärungen, 
welche er zu denfelben giebt, erweifen Goujon als durchgebildeten Archi- 
tekten. Man lefe, was er über die Bedeutung der Perfpective für die 
Geftaltung und die Verhältniffe der einzelnen Glieder fagt ; wie er die Lage 
der Gebäude, je nachdem fie in engen Gaffen oder auf freien Plätzen liegen, 
für die Modification der Profile in Anfchlag bringt; wie er die Perfpective 
namentlich auch für die Bildung der Portale (S. 8i) mafsgebend hinftellt; 
wie er auf gefetzmäfsige Begründung der Architektur durch mathematifche 
Verhältniffe dringt; man vergleiche die Beifpiele von verfchiedenen Kapitälen, 
Bafen, Friefen und Gefimfen, die er beibringt; die feinen Unterfchiede, die 
er z. B. beim Entwurf eines korinthifchen Kapitäles (S. 98, 99, 100), eines 
römifchen (S. 93), oder eines dorifchen (S. 105, 106, 107, 108) macht; 
man erwäge, was er über die verfchiedene Zeichnung der ionifchen Volute 
fagt (S. 72, 73), von der er behauptet, dafs Niemand, mit Ausnahme 
von Albrecht Dürer, fie völlig richtig nach der Vorfchrift Vitruv's 
entworfen habe;') und vieles Andre diefer Art. Kurz, wir fehen Goujon 
in alle Tiefen und Feinheiten der Architektur und ihrer Wiffenfchaft ein- 
geweiht und erhalten von feinen Beftrebungen auf diefem Gebiet denfelben 
Eindruck der Gründlichkeit und faft möchte man fagen, gelehrten Schärfe 
der Beobachtung und Unterfuchung , welche allen grofsen Meiftern der 
Renaiffance eigen find und ihren Werken den Stempel vollendeter Klarheit, 
Harmonie und Eurhythmie aufprägen. 

Genug alfo, um dem trefflichen Meifter der Sculpturen des Louvre, 
der Schlöffer Anet und Ecouen, der Fontaine des Innocents und fo mancher 
anderen Werke unter den Architekten einen ehrenvollen Platz anzuweifen. 
Gehörte ja ohne Frage eine tüchtige Kenntnifs der Bauformen dazu , um 
jenen Denkmalen einen im Geifle der Architektur durchgeführten plaftifchen 
Schmuck zu verleihen. 

Jean Goujon fcheint 1562 geftorben zu fein, wenigftens verfchwindet 
er mit diefem Jahr aus den Rechnungen des Louvre. Geboren wurde er 
gewifs vor 15 10, da er fchon 1540 in S. Maclou zu Ronen arbeitete, wo 
er u. a. die Entwürfe zu den Säulen machte, welche die Orgeln tragen. 
Er war gleich den du Cerceau's , Jean Coufin, Bernard de Paliffy und 
andern berühmten Künftlern der Zeit Hugenott^) und es ift inmitten der 
Gräuel der Religionskriege ein tröflliches Bild, wenn wir ihn, nahe ver- 
bunden mit Pierre Lescot, dem Abt und Canonicus von Notre Dame, feine 
fchönften Werke fchafien fehen. 



') «Afin de ne frauder perfonne de fa deue louenge, ie confeffe qu'homme ne l'a point 
faicte felon l'entente de Vitruue fors Albert Durer paintre qui l'a tournee perfectement 
bien« p. 349. — ^) Seine Ermordung in der Bartholomäusnacht ift ein blofses Märchen. 



§ 64. Der Palaft des Louvre. 



229 



§ 64. . 

Der Palast des Louvre. 

UM zu einem Verftändnifs der ausgedehnten Anlage des Louvre zu 
gelangen, haben wir die Gefchichte diefes Baues in rafchem Zuge 
uns klar zu machen (vergl. den Grundrifs Fig. 85). Im 14. Jahrhundert 
hatte Karl V den alten kaftellartigen Bau Philipp Auguft's, der aus einem 
Donjon (i) und vier mit Thürmen flankirten Flügeln (2) beftand, durch ein 
prachtvolles Treppenhaus und andere Zufätze zu einem der glänzendften 
Schlöffer der Zeit umgefchaffen. Der faft quadratifche Hof, welchen die 
Bauten einfchloffen, und der ungefähr den vierten Theil des jetzigen Louvre- 
hofes betrug, mafs 366 zu 361 Fufs. Der Bau war von Gräben umzogen, 
beherrfchte mit feinen gewaltigen Thürmen den Lauf der Seine und war 



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da Louvre 



I I I ! I 1 I I I I I 



Fig. 85. Plan des Louvre und der Tuillerien. 

zugleich ein Bollwerk gegen die ftromaufwärts fich anfchliefsende Stadt. 
Franz I in feiner unermüdlichen Bauluft befchlofs kurz vor feinem Tode 
die Errichtung eines neuen Palaftes, liefs zunächfb den Donjon fammt dem 
füdlichen und weftlichen Flügel niederwerfen, die Gräben ausfüllen, und 
betraute, wie wir gefehen haben, Pierre Lescot mit der Ausführung des 
Neubaues. Diefer begann mit dem Weftflügel, und zwar der füdhchen 
Hälfte des heutigen (3), dem fich fodann im rechten Winkel der füdliche 
Flügel (3) parallel mit dem Strome anfchlofs. Der letztere beftand urfprüng- 
lich nach der allgemeinen Sitte der Zeit aus einer einzigen Reihe von 
Gemächern, und wo er mit dem Weftflügel zufammenftiefs, erhob fich zu 



') Zu den Aufnahmen bei du Cerceau, Vol. I, kommen die neueren trefflichen bei 
Blondel, arch. Franc. Vol. IV und in Baltard's Prachtwerk, Paris et fes monuments. Die 
Galerie des Louvre in Berty's Renaiffance Vol. I, mit baugefchichtlich-kritifcher Notiz. 



230 



Kap. VI. Die Renaifiance unter den letzten Valois. 



bedeutender Höhe ein Pavillon. Alle diefe Bauten kamen, da Franz I bald 
nach dem Beginn der Arbeiten ftarb, erft unter Heinrich II zur Ausführung. 
Urfprünglich war der Hof des Louvre auf ungefähr diefelbe Gröfse wie der 
des alten angelegt und bei der Ausführung der neuen Mauern find offenbar 
die alten Grundmauern benutzt worden. Nach dem Tode ihres Gemahls 
fetzte Katharina von Medici unter Franz II und Karl IX den begonnenen 
Bau des füdHchen Flügels fort , und hefs aufserdem , um die Verbindung 
mit dem von ihr angefangenen Palaft der Tuilerieen (8 und 9) zu gewinnen, 
neue Bauten in entgegengefetzter Richtung anfügen. Von dem Eckpavillon 
wurde alfo ein fchmaler kurzer Verbindungsbau weftwärts gefchlagen, der 
zu einer langen, im rechten Winkel füdwärts fich gegen die Seine hin- 
ziehenden Galerie (4) führte. Diefe »kleine« Galerie, 210 Fufs lang und 
30 Fufs breit, hatte damals nur ein Erdgefchofs und fchliefst noch in den 
Zeichnungen von du Cerceau mit einer Terraffe ab. Später errichtete 
man im oberen Stockwerk über ihr die prachtvolle »Galerie d'ApoUon.« 
Erbauer diefer unteren »kleinen« Galerie, die gegen 1566 begonnen wurde, 
foll Pierre Chambiges, aus einer in mehreren Generationen vorkommenden 
Architektenfamilie,') gewefen fein. Lescot, fo fagt man, fei zur Unthätig- 
keit verurtheilt worden, und die Königin habe willkürlich in den Bau ein- 
gegriffen.^) Die fchriftlichen Documente bei Laborde fchweigen aber davon 
nicht blofs, fondern fie bezeugen eher das Gegentheil. Denn fowohl Franz II 
als Karl IX beftätigen Lescot als Baumeifter des Louvre, und felbft als 
Franz II die Aufficht über die könighchen Schlöffer dem in Ungnade 
gefallenen Philibert de l'Orme entzieht und auf Primaticcio überträgt, wird der 
Louvrebau als unter Lescot's Leitung ftehend ausdrücklich ausgenommen. 3) 
Wie hätte alfo ein anderer Architekt zu gleicher Zeit an demfelben Bau 
befchäftigt werden follen ! Da wir vielmehr wiffen, dafs Lescot bis zu feinem 
Tode im Jahr 1578 dem Louvrebau vorftand, und da die befprochene 
»kleine« Galerie im erften, 1576 erfchienenen Bande du Cerceau's dargeftellt 
ift, fo werden wir fie keinem Andren als Lescot zufchreiben dürfen. 

Vom Ende diefer Galerie aus nahm man nun wieder die weftliche 
Richtung parallel dem Fluffe, führte zunächft einen Pavillon (5) auf, der 
im oberen Gefchofs den berühmten Salon quarre enthält und fchlofs daran 
die grofse Galerie (6 und 7), die bis zum Pavillon Lesdiguieres (*) eine 
Länge von 550 Fufs mifst, in der Folge aber noch Um 720 Fufs verlängert 
vmrde. Auch diefe Bauten fcheint Lescot begonnen zu haben, denn du 

') Einen älteren Meifter desfelben Namens, vielleicht den Vater des hier genannten, 
haben wir oben bei S. Germain, la Muette und Chalvau kennen gelernt. — So urtheilt 
nicht blofs Vitet in feiner Baugefchichte des Louvre, fondern felbft Berty, a. a. O., p. 146, 
obwohl er fich als gewiffenhafter Forfcher fehr vorfichtig ausdrückt. — 3) De Laborde, a 
renaiffance, Tom. I, p. 456. 475. 481. Für Karl IX fodann p. 485. 501. 509. 515. 



§ 64- Der Palaft des Louvre. 



231 



Cerceau fpricht von »quelques accroiffemens de galleries et terraces, du 
cofte du Pauillon, pour aller de lä au Palais qu'elle (nämlich Katharina) a 
faite conftruire et edifier au lieu appele les Tuilleries«, ein Ausdruck, der 
nur auf die grofse Galerie, nicht auf die kleine pafst. Da aber bei feinem 
Tode diefe Theile nicht weit vorgerückt fein konnten, und Thibault Metezeau 
in demfelben Jahre (1578) fein Nachfolger wurde,') fo darf man diefen als 
wahrfcheinhchen Erbauer der erften Hälfte diefer Galerie bezeichnen. Das 
obere Gefchofs derfelben fcheint dann fein Sohn Louis Metezeau, der dem 
Vater bei deffen Tode 1596 als Nachfolger gefetzt wurde, ^) ausgeführt zu 
haben. Doch dürfen wir nicht verfchweigen, dafs noch ein andrer Archi- 
tekt, Pierre Chambiges, an diefen Bauten betheiligt zu fein fcheint. 

Kehren wir nun zum Bau Pierre Lescot's zurück, fo ift für ihn 
bezeichnend, dafs die dem Flufs zugekehrte äufsere Fagade eine ftrenge 
Einfachheit zeigt, die nur durch bedeutende Verhältniffe und kräftige 
Gliederungen zu wirken fucht. Ueber einem Unterbau, der mit hoher 
Böfchung anhebt, fteigen zwei Gefchoffe von anfehnlicher Höhe auf, die 
Fenfter durch doppelte Kreuzpfoften getheilt, mit antiken Rahmenprofilen, 
im Erdgefchofs mit flachem Bogen, im oberen mit geradem Sturz gefchloffen 
und von einem Giebel mit reichen Confolen gekrönt. Die Mauerecken 
find in kräftiger Ruftica hervorgehoben, die Stockwerke in fein abgewogener 
Weife durch reich gefchmückte Gefimsbänder getrennt und endlich ift ein 
niedriges Obergefchofs, kaum halb fo hoch wie jedes der beiden andern, 
hinzugefügt, deffen kleine Fenfter ein Rahmenprofil und den Flachbogen 
zeigen. Den Abfchlufs bildet ein kräftiges Confolengefims über einem 
Fries mit Laubwerk. Der Pavillon fügt noch ein oberes Gefchofs von der 
Höhe des Hauptftockwerks hinzu, welches durch hohe Rundbogenfenfter 
fein Licht empfängt. Zwifchen ihnen find die Wände mit Trophäen in 
Relief gefchmückt, und die antiken Giebel, welche fich über ihnen, jede 
Fenftergruppe zu einem Ganzen zufammenfaffend, erheben, zeigen ähnliche 
Dekoration. Die Höhe der Dächer hat der Künftler gemäfsigt, die Kamine 
befcheiden ausgebildet, nur der Pavillon zeichnet fich durch ein gewaltiges 
fteiles Dach mit riefigen Kaminen aus, und endlich zieht fich eine elegante 
vergoldete Bleiverzierung als Krönung auf dem Firft des Daches in ganzer 
Länge hin. Der Eindruck diefer Fagade bei du Cerceau fpricht von einer 
überlegenen künftlerifchen Kraft, die ihre Mittel weife zu Rathe zu halten 
verfteht. Wie der Pavillon als Mufter anerkannt wurde, fahen wir fchon 
beim Parifer Stadthaufe und werden noch andren Beifpielen direkter Nach- 
ahmung desfelben begegnen. 



') A. Berty, a. a. O. p. 123. 124. — Ebenda p. 125. 



232 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Dafs Lescot aber auch alle Elemente der Architektur zu einer Com- 
pofition von höchfter Pracht zu vereinigen wufste, zeigte er bei den inneren 
Fagaden des Hofes (Fig. 86). Da das Erdgefchofs Gewölbe erhielt, fo 
ergaben fich als Widerlager mächtige Pfeilermaffen , die der Architekt 
durch Rundbögen verband und mit einem Syftem canneHrter korinthifcher 
Pilafler dekorirte. An den Portalen verwandte er zur Steigerung des Ein- 
drucks doppelte Halbfäulen, zwifchen denen jedesmal eine kleine Nifche 
die Wandfläche durchbricht. In der Tiefe der grofsen Pfeilerbögen liegen 
die hohen Fenfter mit doppelten Kreuzpfoften, im Stichbogen gefchloffen. 
Dasfelbe Syftem von Pilaftern und Halbfäulen, ebenfalls cannelirt aber mit 
Compofitakapitälen, wiederholt fich am oberen Gefchofs, doch fallen hier 
die Fenfternifchen fort und die reichumrahmten Fenfter find abwechfelnd 
mit geraden oder gebogenen Giebeln bekrönt. Nur die über den Portalen 
liegenden Fenfter haben eine freie plaftifche Krönung von ruhenden Wind- 
fpielen oder Löwen. Den Abfchlufs macht ein reich mit Guirlanden und 
den Emblemen Heinrichs II gefchmückter Fries und ein Confolengefims. 
Dazu kommen noch Tafeln verfchiedenfarbigen Marmors, rechtwinklige im 
Erdgefchofs, ovale im oberen Stockwerk, die in edler plaftifcher Umrahmung 
zwifchen den Halbfäulen über den Nifchen angebracht find. Kurz, der ganze 
Reichthum der Frührenaiffance wird entfaltet, aber er ift einem höheren 
architektonifchen Gefetz, einer ftrengeren plaftifchen Gliederung unterworfen. 

Sind alle Glieder hier mit edler Pracht gefchmückt, fo hat der Archi- 
tekt noch reichere Fülle von Dekoration über das attikenartige oberfte 
Stockwerk ausgegoffen. Mit Recht hat er es als leichte Krönung des 
Ganzen aufgefafst und ihm defshalb feine Rahmenpilafter und einen prächtig 
gefchmückten Fries fammt Gefimfe ohne Confolen gegeben, über dem fich 
als Abfchlufs eine luftig durchbrochene Krönung in den zierlichften Formen 
erhebt. Die Fenfter find von Trophäen und Emblemen eingefafst, noch 
reicher aber geftaltet fich die Dekoration der über den Portalen liegenden 
Theile, Plier find Relieffiguren in den Seitenfeldern und Victorien mit 
Wappen oder Emblemen über breiten Guirlanden in den Bogengiebeln, 
welche diefe Theile abfchliefsen, angebracht. Es ift eine Architektur des 
höchften Luxus, die im Bunde mit der Plaftik hier ein Werk gefchaffen 
hat, das als ein vollendeter und zugleich edelfter Ausdruck jener pracht- 
liebenden Zeit feines Gleichen fucht. Und da diefer Reichthum, durch ein 
feines künftlerifches Gefühl vertheilt, in wohlberechneter Steigerung ange- 
wendet , durch den klaren Zug der Hauptlinien und die vornehmen Ver- 
hältniffe beherrfcht wird, fo hat er feine volle Berechtigung. Denkt man 
fich in diefe Umgebung jene glänzende Welt vom Hofe Heinrichs II, jene 
in Sammet und Seide, in Federn und Stickereien prunkenden Geftalten, fo 
wird man diefe Architektur erft verftehen. 



234 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Die innere Anlage der Räume ift folgende. Der weftliche Flügel, 
foWeit Lescot ihn errichtet hat , befteht im Erdgefchofs aus einem Saale 
von I20 Fufs Länge bei 42 Fufs Breite. Diefs ift die jetzt als Antiken- 
faal dienende »Salle des Caryatides«. Ein gewaltiges Tonnengewölbe aus 
grofsen Quadern bedeckt ihn und findet an den 10 Fufs dicken Mauern 
genügende Widerlager. Vom Hofe erhält der Saal durch 6 Fenfter reich- 
Hches Licht, und zwifchen ihnen liegt die Thür, welche ehemals den Haupt- 
eingang bildete. Eine andere Thür, in der Schmalfeite rechts gelegen, 
ftellt die Verbindung mit dem anftofsenden Treppenhaufe her, in welches 
ein direkter Eingang vom Hofe führt. Die Treppe erreicht in geradem 
Lauf, der fich über dem Podeft wendet, das obere Gefchofs. Sie ift fteil 
und mühfam, wie damals noch alle Treppen waren. Ihr fteigendes Tonnen- 
gewölbe und die Decken der Podefte find mit prachtvollen Sculpturen von 
trefflicher Ausführung bedekt. Den höchften Glanz erreicht aber die 
plaftifche Ausfchmückung in dem Saale felbft. An der Schmalfeite des 
Eingangs vom Treppenhaufe hat Jean Goujon vier zierlich drapirte Karya- 
tiden, leider mit abgefchnittenen Armen, hingeftellt. Sie tragen mittelft 
dorifcher Kapitäle ein überreich gefchmücktes Gebälk, darüber einen ganz 
mit Eichenlaub bedeckten ausgebauchten Fries und ionifches Kranzgefims. 
Ueber diefem erhebt fich eine durchbrochene Baluftrade, an deren Pfeilern 
Genien mit Fruchtgewinden angebracht find. 

An die entgegengefetzte Seite des Saales ftöfst ein um fünf Stufen 
erhöhtes, dem Treppenhaufe in der Form entfprechendes Tribunal, von 
vier Syftemen gekuppelter dorifcher Säulen eingefafst, welche, an den Seiten 
durch Gebälk und Giebel verbunden , in der Mitte triumphbogenartig mit 
einem reichgefchmückten Bogen fich öffnen. Die Schlufswand zeigt in der 
Mitte, der Längenaxe des Saales entfprechend, einen Kamin von auffallend 
einfacher Form. Vom Hofe führt ein felbftändiger Eingang in diefs Tri- 
bunal, und ihm gegenüber fchliefst es mit einer grofsen Apfis von 27 Fufs 
Weite. An diefen Saal ftofsen die gröfseren und kleineren Gemächer, die 
im Eckpavillon und dem hier angrenzenden füdlichen Flügel liegen. 
Bemerkenswerth ift die bequeme Verbindung der Räume und die gefchickte 
Anordnung der Degagements mit Hilfe verfchiedener Seitentreppen. Jedes 
Gemach, felbft die kleinften nicht ausgefchloffen, hat feinen Kamin. Die 
Eintheilung im Hauptgefchofs, welches zur königlichen Wohnung beftimmt 
war, ift diefelbe wie oben , nur dafs der grofse Saal mit zwei Kaminen in 
den Schmalfeiten verfehen und ftatt des Tribunals zwei Nebenzimmer hat. 
Die Verbindungsthüren zwifchen den einzelnen Zimmern liegen immer dicht 
an der Fenfterwand, um möglichft gefchloffene Mauerflächen zu erhalten. 
Das zweite Stockwerk, in eine Anzahl Wohnräume eingetheilt, diente zur 
Aufnahme der Herren vom Hofe. 



§ 6s- Jacques Androuet du Cerceau. 



Alles in Allem ift und bleibt Lescots Hoffagade des Louvre das unüber- 
trofifene Meifterftück der franzöfifchen Renaiffance. Mit Recht fagt du 
Cerceau: »Cefte face de magonnerie eft tellement enrichie de colonnes, 
frifes, architraues, et toute forte d'architecture, auec fymmetrie et beaute 
fi excellente, qu'ä peine en toute l'Europe ne fe trouuera la feconde.« 

§ 65. 

Jacques Androuet du Cerceau. 

IN die Reihe der bedeutenden Architekten diefer Zeit gehört auch Jacques 
Androuet du Cerceau, obwohl fich kaum ein von ihm aufgeführtes Gebäude 
nachweifen läfst. In der That fcheint er als praktifcher Architekt nicht 
aufgetreten zu fein, denn es ift eine Ausnahme, wenn die Kirche von 
Montargis, übrigens ein ziemlich troftlofes Gebäude, auf ihn zurückgeführt 
wird. Aber als gefchickter und fleifsiger Stecher hat er durch feine zahl- 
reichen Publikationen eine folche Bedeutung für die Architektur erlangt, 
dafs ihm an diefer Stelle ein hervorragender Platz gebührt. Denn nicht 
blofs durch Aufnahme und Darfteilung der berühmteften Schlöffer Frank- 
reichs, wie in feinem bekannteften und verbreitetften Werke, fondern durch 
eine grofse Anzahl eigener Erfindungen, fowohl m Gefammtplänen als auch 
in Details, bewährt er sich als tüchtiger Bauverftändiger. Als folcher ift 
er denn auch früh anerkannt worden, und Jan Vredeman nennt in 
feiner 1577 zu Antwerpen erfchienenen Architectura unter den berühmten 
Architekten »den weitberühmten Vitruvius , Sebaftian Serlio und den 
erfahrenen Jacobus Androuetius Cerceau«. 

Du Cerceau wurde wie es fcheint um 15 10, doch eher etwas früher 
als fpäter,') zu Paris geboren. Schon im Jahre 1539 gab er eine von ihm 
geftochene Karte heraus , und diefer Publikation folgten im Laufe eines 
langen und thätigen Lebens zahlreiche gröfsere Werke. Von feinem Leben 
ift uns nicht viel bekannt, doch wiffen wir, dafs er Proteftant war, treu 
an feinem Glauben hing, gleichwohl jedoch fein Hauptwerk der Königin 
Katharina widmen durfte. Den erften Band feines theoretifchen Werkes 
über die Architektur, welcher 1559 erfchien, widmete er Heinrich II und 
in der Dedication dankt er demfelben für manche empfangene Gunftbeweife. 
Sein Lehrbuch der Perfpektive ift dagegen wieder der Königin zugeeignet. 
In feinen alten Tagen finden wir ihn als Bürger von Montargis mit Heraus- 
gabe feines Werkes über die franzöfifchen Schlöffer befchäftigt. Montargis 
war damals ein Zufluchtsort der Reformirten, »la retraite de ceux de la 
religion«. Im Jahre 1579 klagt er, dafs das Alter ihm nicht geftatte fo 



I) Wenn er fchon 1539 mit einer Publikation auftritt, 1579 aber über fein vorgerücktes 
Alter klagt, fo mufs man jedenfalls eher ein früheres Geburtsjahr annehmen. 



236 



Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



viel Fleifs aufzuwenden wie früher; in feinem letzten Werke, dem livre des 
edifices antiques vom Jahre 1584, welche dem Herzog von Nemours gewidmet 
find, zählt er fich zu den Angehörigen des herzoglichen Hofhaltes. Da 
der Herzog 1585 zu Annecy bei Genf ftarb , wo er feit mehreren Jahren 
in ftiller Zurückgezogenheit gelebt hatte, fo liegt die Vermuthung nahe, 
dafs du Cerceau fich ebenfalls dorthin oder nach Genf gewendet habe, um 
Verfolgungen zu entgehen, und dafs er um diefelbe Zeit dort in der Fremde 
geftorben ift. 

Aufser einer grofsen Anzahl einzelner Blätter verfchiedenfter Gattung 
hat er eine Reihe zufammenhängender Werke veröffentlicht, die zu den 
wichtigften architektonifchen Publikationen der Zeit gehören. Einige von 
diefen , wie die Baftiments de France und verfchiedene Bücher , welche 
antike Denkmäler enthalten, beftehen ausfchliefslich in Aufnahmen v^or- 
handener Denkmäler. In andern verbindet er damit eigene Compofitionen ; 
in einer dritten Gruppe endlich bietet er nur felbftändige Erfindungen. Zu 
der erften Gattung gehören aufser den beiden Bänden der »plus excellents 
baftiments de France«, welche 1576 und 1579 erfchienen: »RECEUIL DE 
FRAGMENTS ANTIQUES d'apres Leonard Thierry, recemment mort a 
Anvers. Aureliae 1550«. Es enthält zwölf Abbildungen antiker Bauwerke 
und ift eines feiner früheften Werke. Sein fpäteftes vom Jahre 1584 mit 
einer Widmung an den Herzog von Nemours, und dem Titel: »LIVRE 
DES EDIFICES ANTIQUES ROMAINS«, bringt auf 63 Tafeln Dar- 
ftellungen derfelben Art. 

Der zweiten aus Eignem und Fremdem gemifchten Gattung gehört 
feine erfte Arbeit an, die 1549 gleich feinen übrigen früheren Werken in 
Orleans erfchienen ift. Auf dem Titelblatt bezeichnet er den Inhalt in 
einer Vv^idmungsfchrift als : » QUINQUE ET VIGINTI EXEMPLA ARCUUM 
partim a me inventa partim ex veterum fumpta monumentis«. Auf fünf- 
undzwanzig mit vorzüglicher Feinheit geftochenen Blättern giebt er in 
grofsem Maafsftabe perfpektivifch gehaltene Aufriffe und Grundpläne der 
Denkmäler. Das Werk gehört in Schönheit der Darftellung zu feinen vor- 
züglichften Arbeiten. Von antiken Bögen enthält es die zu Verona, Bene- 
vent, Ancona, Sufa, Aleffandria, den doppelthorigen zu Ravenna, endlich 
die Bögen des Titus, Septimius Severus und Conftantin. Diefe bilden ihm 
gleichfam die Bafis, auf welcher er fechzehn Bogen von eigener Erfindung 
ausführt. Der Ideenreichthum, den er darin entfaltet, und die Freiheit, 
mit der er fich in den antiken Formen bewegt, find anerkennenswerth. Im 
Ganzen hält er ein edles Maafs und klaffifche Reinheit der Formen feft; 
in einzelnen Fällen aber kommt eine wunderliche Phantaftik in völHg barocker 
Weife zum Vorfchein. Es fehlt nicht an muftergiltigen Beifpielen, wie denn 
mehrere der auf den erften Blättern dargeftellten Bögen korinthifcher Ordnung 



§ 65. Jacques Androuet du Cerceau. 



237 




Fig. 87. Entwurf für eine Hausfajade. (Du Cerceau.) 



dahin gehören. Bezeichnend ift ein dorifcher Bogen, mit frei vortretenden 
römifch-dorifchen Säulen flankirt. Nach der Auffaffung feiner Zeit bedarf 
es zur Charakteriftik diefes Stiles kriegerifcher Embleme. Daher an den 



238 Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 

Säulenfchäften Löwenköpfe, auf den vorfpringenden Pfeilern der Attika 
vier auf fchweren Schlachtroffen einherfprengende Kämpfer. In verwandtem 
Sinne benutzt er das lonifche zum Ausdruck der Ueppigkeit; fpiralförmig 
cannelirte Säulen, der Bogen auf männlichen und weiblichen Hermenfiguren 
mit verfchlungenen Armen ruhend, auf der Attika weibliche Geftalten mit 
flatternden Gewändern, mit Blumen, Füllhörnern und Kränzen. Karyatiden 
und Atlanten, die malerifch genug, aber fehr unarchitektonifch einander 
umarmen und ftatt der Kapitäle Fruchtkörbe auf den Köpfen tragen, fieht 
man auf einem andern Bogen korinthifcher Ordnung. Ins Naturaliftifche 
fpielen bisweilen felbft die Hauptformen der Architektur hinein, fo auf dem 
fechften Blatt die korinthifchen Säulen, deren Schaft mit Palmblättern und 
Mohnkapfeln bekleidet ift. Grofse Mannigfaltigkeit, zum Theil mit glück- 
lichem Erfolg, erreicht er auch in dem fehr verfchiedenen oberen Abfchlufs 
und der Krönung feiner Bögen. Dagegen gehören zwei Beifpiele zu den 
wunderhchften unter den barocken Auswüchfen der Zeit. Er bezeichnet 
fie als Bögen der »Salomonifchen Ordnung«. Das Wefen diefes etwas 
myftifchen Stiles fcheint er in jenen gewundenen Säulen zu erkennen, die 
zuerft in den römifchen Cosmatenarbeiten des 13. Jahrhunderts auftauchen, 
dann von Rafael in dem Karton zu einer feiner Tapeten verwendet find und 
fpäter durch Bernini am Altartabernakel von St. Peter in koloffaler Ueber- 
treibung verwirklicht wurden. Aufserdem fcheint zur falomonifchen Ordnung 
zu gehören, den Bogen auf Hermen mit fpiralförmig verfchlungenen fchlangen- 
artigen Beinen, oder das Gebälk auf hockenden Satyrn ruhen zu laffen. 

Im Jahre 1550 erfchien in etwas kleinerem Formate, ebenfalls in zier- 
lich ausgeführten Stichen zu Orleans eine Reihe von 35 Blättern, die er 
auf dem Dedikationstitel als: »EXEMPLA TEMPLORUM ANTIQUO 
MORE CONSTRUCTORUM« bezeichnet. Er fetzt aber hinzu: »quibus 
accefferunt etiam alia libero Marte nuUoque exemplo descripta«. In der 
That find von ausgeführten Bauten mit Sicherheit nur Sta. Coftanza 
(»templum Bacchi«), der Tempietto von S. Pietro in Montorio, der römifche 
Veftatempel und das Pantheon, endHch etwa noch die Vorhalle vom Tempel 
des Antoninus und der Fauftina zu erkennen. Die übrigen Gebäude fcheinen 
meiftens freie Phantafien nach der Antike, unter denen eine Anzahl g6ift- 
voller, in edlen Formen durchgeführter Compofitionen hervorragen. Be- 
mericenswerth für die Zeit ift wieder der Eifer, mit welchem der Kuppel- 
bau und der Centraigedanke in einer grofsen Anzahl von Beifpielen variirt 
wird. Auch der Thurmbau ift mehrfach zu einer glänzenden Löfung ge- 
bracht, bisweilen in der mehr fpielenden Weife der Frührenaiffance , dann 
aber auch im edelften Geift des klaffifchen Alterthums. 

Diefem liebenswürdigen Werke fteht ein andres fehr nahe , das 1 5 5 1 
erfchienen, das letzte der in Orleans von ihm edirten , auf dem Titel als 



§ 65. Jacques Androuet du Cerceau. 



»VENUSTISSIMAE OPTICES, QUAM PERSPECTIVAM NOMIN ANT, 
viginti figurae« bezeichnet ift. Man darf es aber nicht etwa für ein Lehr- 
buch der Perfpective halten; vielmehr find es zwanzig auf runde Platten 
mit grofser Feinheit geftochene ideale Anflehten antiker Gebäude, die 
unbedingt in ihrer Mannigfaltigkeit und Anmuth zum Schönften gehören, 
was von folchen Reftaurationen in antikem Geifte gefchafifen worden ift. 
Der Künftler benutzt diefe Darftellungen zu dem Zweck, die Gefetze der 
Perfpective, die er mit Meifterfchaft beherrfcht, nach allen Seiten zur An- 




Fig. 88. Entwurf zu einem Schlöffe. (Du Cerceau.) 



fchauung zu bringen, aber unter der Hand wird ihm daraus eine Schilderung 
römifcher Baukunft, die uns in die Plätze und Märkte der alten Welt mit 
ihren Hallen, Bafiliken und Tempeln, mit den reichen Durchbhcken durch 
Säulenfbellungen und Bogengänge, in die Höfe der Paläfte mit ihren Arkaden, 
in die mannigfaltigften Formen öffentlicher Gebäude fchauen läfst. Befon- 
ders erfindungsreich weifs er die öfifentHchen Plätze durch Treppenanlagen 
zu gliedern und die Vorftellung eines bewegten Terrains zu erzeugen, das für 
die Darlegung der perfpectivifchen Gefetze überaus dankbar ift. Nicht 
minder find die verfchiedenen Formen römifcher Wölbung, ihre mannigfaltige 



240 



Kap. VI. Die RenaiÜ'ance unter den letzten Valois. 



Verbindung für reich gegliederte Raumanlagen und ihre Bekleidung mit den 
edlen Formen des griechifchen Säulenbaues unerfchöpflich reich variirt, 
und dabei ift nirgends die Linie des Wirklichen und Möglichen über- 
fchritten. Der Befchauer denkt fich fo gern in diefe weiten Hallen und 
fchönen Umgebungen hinein, und es wird ihm darin fo leicht und frei zu 
Muthe, wie vor den heften Werken der Renaiffance und des claffifchen 
Alterthums. Diefe Reihenfolge allein würde ihrem Urheber das Anrecht auf 
einen ausgezeichneten Platz unter den erften Architekten der Zeit verfchaffen. 

Nicht minder frifch und originell ftrömt feine Erfindungsgabe in dem 
ein Jahr vorher erfchienenen Quartband: »LIBER DE EO PICTURAE 
GENERE QUOD GROTTESCHE VOCANT ITALI. Aureliae 1550«. 
Neue Auflage Paris 1566, unter dem Titel: »Livre de grotesques«. Es ift 
eine köftliche Sammlung geiftreich entworfener und mit vollendeter Freiheit 
gezeichneter Arabesken auf 35 Blättern. Hierher gehört noch ein Werk 
vom Jahre 1 560 : »JACOBI ANDROVETII DE CERCEAU LIBER NOVUS, 
amplectens multas et varias omnis ordinis, tam antiquorum quam moder- 
norum, fabricas«. Man kann es als eine Fortfetzung der 1549 und 1550 
erfchienenen Werke betrachten ; es enthält auf 26 Folioblättern einige Ent- 
würfe und Aufnahmen antiker Gebäude , darunter den Triumphbogen von 
Befangon. 

In der Sammlung der Tempel vom J. 1550 bringt die Dedication das 
Verfprechen in einer Reihe folgender Bücher die Tempel, die Grabmäler, 
die Springbrunnen, die Kamine und endlich die Schlöffer und Paläfte 
gefondert behandeln zu wollen. Der fleifsige Künftler hat nicht blofs diefes 
Programm ausgeführt, fondern in noch umfaffenderer Weife feine praktifchen 
Anleitungen zum Bauen gegeben. Diefs zunächft in einem Foliobande, der 
1559 zu Paris unter dem Titel erfchien: »DE ARCHITECTURA , Jacobi 
Androvetii du Cerceau, opus«. Diefes Werk verfolgt den rein praktifchen 
Zweck, den Bauluftigen eine Anzahl von Plänen von der einfachften bis 
zur reichften Entwicklung in Grundriffen , Durchfchnitten , Aufriffen und 
Perfpectiven vorzulegen, um für die mannigfaltigften Wünfche und Bedürf- 
niffe einen Anhalt zu bieten. 

Es beginnt mit einer Widmung an Heinrich II : der König habe an 
feinen früheren leichteren Arbeiten Gefallen gefunden, defshalb biete er ihm 
hier fünfzig Entwürfe zu Wohnhäufern, gefchaffen »non modo in principum 
et potentiorum fed etiam mediocrium et tenuiorium gratiam«, damit Frank- 
reich, fchon durch prächtige Bauten gefchmückt, noch weniger Anlafs habe, 
bei Auswärtigen und Fremden die fchöne Baukunft zu fuchen. Seinen 
Text beginnt er dann mit einer Erklärung des franzöfifchen Klafters, fowie 
der Haupttheile der Gebäude. Daran fchhefst fich eine Erläuterung der 
auf einer grofsen Anzahl von Tafeln mitgetheilten Pläne. Sie begreifen 



§ 6$. Jacques Androuet du Cerceau. 



241 



die ganze Stufenleiter vom Einfachen, felbft Nüchternen bis zum Reichen 
und Prachtvollen. Die Grundriffe zeugen von grofser Gewandtheit, find 
praktifch angeordnet und mannigfaltig entwickelt, wobei überall den Bedürf- 
niffen feiner Zeit und feines Landes Rechnung getragen wird. Die Einzel- 
gliederung und die Formbehandlung trägt häufig das Gepräge einer gewiffen 
Trockenheit, obwohl es auch an reicheren Entwürfen nicht fehlt; ftets ruht 
aber mit vollem Recht wie bei jeder gefunden Architektur der Hauptaccent 
auf der Gefammtgliederung der Maffen, auf dem lebendig bewegten Umrifs, 
und darin bewährt du Cerceau wieder feine Meifterfchaft (vgl. Fig. 87). 

Neben einer grofsen Zahl normal angelegter Bauten fehlt es dann frei- 
lich nicht an mancherlei abftracten Combinationen, in denen die architek- 
tonifche Phantafie der damaligen Künftler fo gern fchwelgte. So Nr. XVI : 
griechifches Kreuz, Vorderarm Eingangshalle, rechts Küche fammt Zubehör, 
links Pferdeftall, an der Rücksfeite Wohnräume, in der Mitte mächtiger 
Rundbau mit dem runden Treppenhaus, oben terraffenförmig abgeftuft und 
mit Laterne gefchloffen. Nr. XXVII : Sechseck, im Innern Hof drei Wendel- 
treppen in den Ecken, an drei Seiten des Polygons quadratifche Pavillons 
mit den Wohnräumen vorgelegt. Nr. XXXV : kreisrunder Grundplan, von 
Waffergraben umgeben, im Innern zu einem griechifchen Kreuz eingetheilt, 
in der Mitte kreuzförmiger Hof, in deffen Ecken vier Wendeltreppen. 
Nr. XXXVII : vier quadratifche Treppenhäufer , in gemeffenem Abftand 
durch offene Arkaden zu einem grofsen Quadrat verbunden, an den Aufsen- 
feiten mit Pavillons für die Wohnungen, Wirthfchaftsräume und Stallungen ; 
die Treppen wieder terraffenförmig abgeftuft und mit Laternen gefchloffen. 
Man ficht, wie die alte Liebhaberei für Treppenanlagen gelegentlich noch 
fpukt. Nr. XLIII : griechifches Kreuz , auf den Endpunkten und in der 
Mitte quadratifche Pavillons, verbunden durch Arkaden, im mittleren vier 
Treppen. Noch wunderlicher Nr. XLIV: um einen quadratifchen, an den 
Ecken abgefchrägten Hofraum mit Pfeilerhallen find in einer Flucht die 
Wohnräume angeordnet, auf den abgefchrägten Ecken treten quadratifche 
Pavillons in diagonaler Stellung vor. Eine Variation diefes Grundriffes in 
Nr. XLVIII, nur dafs hier die Hauptfeiten diagonal und die Pavillons dem- 
nach normal geftellt find ; der Hof ohne Arkaden. Die Krone der Wunder- 
hchkeit gebührt Nr. XLIX: die Mitte bildet ein zehneckiger Hof mit Ar- 
kaden, an fünf Seiten des Zehnecks legen fich grofse rechtwinklige Pavillons, 
zwifchen die beiden vorderen fchiebt fich ein quadratifcher zweiter Hof mit 
den Wirthfchaftsgebäuden (vgl. auch Fig. 88). 

An diefes Werk fchliefst fich gleichfam als zweiter Band das 1561 
zu Paris in Folio erfchienene: »LIVRE D'ARCHITECTURE contenant 
plufieurs et diverfes ordonnances de cheminees, lucarnes, portes, fontaines, 
puis et pavillons.« Es handelt alfo von der Innern und äufsern Ausfliattung 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiflance in Frankreich. II. Aufl. l6 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 

der Gebäude und zeugt trotz mancher zum Barocken neigender Elemente 
aufs Neue in günftiger Weife von der reichen Erfindungsgabe des Künftlers. 
Zehn verfchiedene Entwürfe zu Grabmälern find hinzugefügt. In der Wid- 
mung an den König fpricht er bereits von feiner durch die früheren Herrfcher 
beftätigten Abficht, die königlichen Schlöffer und andere merkwürdige 
Gebäude des Landes herauszugeben. Als dritter Band diefer Reihenfolge 
erfchien 1582 in Paris als eins feiner letzten Werke, wieder mit einer Wid- 
mung an den König, ein neues »LIVRE D'ARCHITECTURE« , welches 
den Plan des erflien Bandes weiterführt und auf 38 Folioblättern Entwürfe 
zu Landhäufern von der einfachfiien Art bis zum prächtigfben Schlofs 
zufammenfliellt. Die Einleitung enthält Erläuterungen über die Maafse, die 
Materialien, die Berechnung der Preife, um ähnlich wie in jenem früheren 
Bande den Baulufi:igen eine Norm für Auffliellung von Koftenanfchlägen zu 
geben. Hier zeigt fich die Erfindungsgabe du Cerceau's wieder mit 
unerfchöpflicher Mannigfaltigkeit in liebenswürdiger, aber auch in barocker 
Weife. Die Mehrzahl der Entwürfe ift praktifch, klar und einfach, fo dafs 
man fie jeden Augenblick als Mufi:er für Landfitze verwerthen könnte. 
Befonders anmuthig die kleineren Gebäude in Nr. V, VII, VIII, IX, XII, 
XIII, fi:attlicher Nr. XI mit Prachtportal und runden Eckthürmen, reizend 
mit feiner Gartenanlage Nr. XIX, originell in Form und Dekoration Nr. XXV, 
dagegen abfl;rakt und wunderlich Nr. XX, mit rundem Arkadenhof in der 
Mitte, vier Pavillons in den Axen und quadratifchem Umfaffungsbau , das 
Ganze von Waffergräben umzogen. Faft eben fo feltfam Nr. XXX. mit 
ovalem Hof in der Mitte, um welchen fich die Gebäude zu einem Rechteck 
mit Pavillons und vorfpringenden Erkerthürmen gruppiren. Ausgerundete 
Fagaden zeigen Nr. VI und XVIII, und gefchweifte Dächer kommen mehr- 
fach mit andern Barockformen, namentlich in Nr. XXVII und XXXVII vor. 

Aufser einem theoretifchen Werk »LEgONS DE PERSPECTIVE 
POSITIVE«, welches 1576 zu Paris in 60 Blättern Kleinfolio erfchien, ift 
noch des grofsen zweibändigen Werkes der »plus excellents baftimens de 
France« zu gedenken, welches mit zahlreichen Abbildungen dreifsig der 
bedeutendften Schlöffer Frankreichs darftellt. Schon der Umftand, dafs die 
Mehrzahl diefer Gebäude den Stürmen der Zeit erlegen ift, verleiht diefer 
Arbeit einen hohen Werth. Zwar fehlt es in den Aufnahmen nicht an Flüchtig- 
keiten und Irrthümern, und die Darfteilung leidet häufig an einer gewiffen 
Trockenheit ; aber neben dem liebevollen Fleifs und der treuen Ausdauer, die 
du Cerceau hier wie in allen Arbeiten bewiefen hat, erfreut es durch die 
künftlerifche Frifche, die anfchauliche Lebendigkeit der Aufiaffung. 

Jacques Androuet hatte zwei Söhne, welche beide den Beruf des 
Architekten praktifch ausübten: Baptiste, um 1555 geboren, 1602 fchon 
als abgefchieden bezeichnet. Er war Architekt Heinrichs III und Heinrichs IV, 



§ 66. Philibert de l'Orme. 



243 



wurde 1578 an den Bau des Louvre berufen und in demfelben Jahre mit 
dem Neubau des Pont Neuf betraut. Bei der Errichtung der Kapelle der 
Valois in der Kirche zu St. Denis trat er als Nachfolger Bullant's ein. 
Wie fein Vater war er Proteftant und hielt fo treu an feiner Ueberzeugung, 
dafs er, auf Antrieb der Fanatiker zum Uebertritt aufgefordert, vorzog, 
feine Stelle aufzugeben und felbft das fchöne Haus im Stich zu laffen, 
welches er fich eben 1584 in Paris erbaut hatte. — Sein Bruder Jacques 
findet fich feit 1576 erwähnt und ftarb 16 14. Er war Architekt Heinrichs IV 
und Ludwigs XIII. Wahrfcheinlich erbaute er die zweite Hälfte der grofsen 
Louvregalerie. Endlich ift noch der Sohn Baptift's, Jean, zu erwähnen, 
der 16 17 zum Architekten Ludwigs XIII ernannt wurde. Er wird zum 
letzten Male im Jahre 1649 genannt. 

§ 66. 

Philibert de l'Orme. 

UNTER den durch ihre ausgeführten Werke hervorragenden Meiftern 
ift neben Lescot vor Allen Philibert de V Orme zu nennen, nicht minder 
bedeutend als Jener, wenn fchon von wefentlich verfchiedener Anlage. 
Ging Jener völlig im künftlerifchen Schäften auf, fo ifl; in Diefem die 
Phantafie von einer ftärkeren Zugabe der Reflexion begleitet, die ihn 
antreibt, aufser den Schöpfungen des praktifchen Architekten auch den 
Beruf des Theoretikers mit Eifer zu erfaffen. Man kann ihn den franzö- 
fifchen L. B. Alberti nennen, wenn er auch an Tiefe und Umfang des Wiffens 
dem berühmten Florentiner nicht gleichkommt. Er gehört zu jenen 
denkenden, grübelnden Künftlern, welche ftets auf neue Erfindungen finnen, 
und die Architektur verdankt ihm wichtige Neuerungen auf dem Felde der 
Conftruction. Grofsen Einflufs gewann er fodann durch feine literarifchen 
Arbeiten, da er zu den Erften gehörte, welche in Frankreich die Lehre 
von der Baukunft fyftematifch darzuftellen unternahmen. 

De rOrme fcheint um 151 5 geboren zu fein und gehört vielleicht 
einer Familie von Architekten an, aus der wir einem Mitgliede fchon beim 
Bau von Gaillon begegneten. Diefs würde erklären, warum er in ungewöhn- 
lich jungen Jahren fchon zur Kunft und in die Praxis gelangte, denn wie 
er felbfb erzählt, hatte er als Fünfzehnjähriger bereits dreihundert Arbeiter 
unter feinem Befehl. Kurze Zeit darauf begab er fich, immer noch fehr 
jung, nach Rom, wo er mit bedeutendem Aufwand von Mühe und Koften 
die antiken Denkmale aufnahm.') Als er eines Tages mit feinen Leuten 
bei diefer Arbeit befchäftigt war, kam der Cardinal von Santa Croce, 



') Von diefen Studien berichtet er im Livre d'architecture fol. 131. 

i6' 



244 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



damals noch einfacher Bifchof, fpäter Papft Marcellus II, mit anderen 
Cardinälen und vornehmen Herren vorbei, redete ihn an, lud ihn zu wieder- 
holten Befuchen ein und nahm ihn in feine Dienfte. Diefs mufs um den 
Anfang des Jahres 1535 gewefen fein, als de l'Orme vermuthlich kaum 
zwanzig Jahre zählte. Dafs er fchon 1533 in Rom fich befand, erzählt er 
felbft in feinem Hauptwerke.') Bald jedoch gelang es feinen einflufsreichen 
Landsleuten, Guillaume du Beilay und deffen Bruder Jean, dem Cardinal, 
den vielverfprechenden jungen Künftler zur Rückkehr in die Heimat zu 
bewegen; 1536 finden wir ihn in feiner Vaterftadt Lyon mit der Aus- 
führung verfchiedener Bauten befchäftigt, und um 1542 begann er das 
Portal an St. Nizier, als der Cardinal du Beilay ihn nach Paris zog und 
ihn mit dem Bau feines Schloffes betraute. 

Aber es blieb nicht bei diefen künftlerifchen Unternehmungen. Im 
Jahr 1 546 lernen wir de l'Orme als Ingenieur und Feftungsbaumeifter kennen, 
in welcher Eigenfchaft er beauftragt wurde, alljährlich zweimal die ganze 
Küfte der Bretagne mit ihren Feftungen zu infpiciren. Er hat die Schiffs- 
bauten in Havre de Gräce zu beauffichtigen , die in den Häfen der Nor- 
mandie vorhandenen Fahrzeuge zu unterfuchen, das Lager von Boulogne 
mit Proviant zu verfehen, die Feftungen in Stand zu fetzen und hat dabei 
Gelegenheit, die Stadt Breft vor einem drohenden Angriff der Engländer 
zu fchützen. Er war alfo, ähnlich wie Lionardo da Vinci und andre grofse 
italienifche Künftler, auch in der Kriegswiffenfchaft und Befeftigungskunft 
feiner Zeit wohl erfahren. Nahm er diefe Stellung fchon unter Franz I 
ein, fo wurde er im Beginn der Regierung Heinrichs II durch einen Erlafs 
vom 3. April 1548 zum Oberauffeher der königlichen Bauten von Fontaine- 
bleau, St. Germain, Villers Coterets u. A. ernannt. Seit diefer Zeit bleibt 
er in der Gunft Heinrichs II und der Diana von Poitiers, für welche er 
bedeutende Bauten ausführte. Es fehlte auch nicht an Belohnungen und 
Gunftbeweifen. Schon 1548 ift er Rath und Almofenier des Königs, 
erhält mehrere Abteien, namenthch die von Ivry und wird neben Pierre 
Lescot zum Canonicus von Notre Dame ernannt. Wie früh fein Ruf fich 
verbreitet haben mufs, fleht man aus einer ehrenvollen Erwähnung bei 
Rabelais, wo von den Belagerungsmafchinen der Alten die Rede ift und 
de l'Orme als Autorität angerufen wird. 3) 

Das Wohlwollen Heinrichs II und mehr noch der Diana von Poitiers 
verwandelte fich gleich nach dem Tode des Königs in fein Gegentheil, als 
Katharina endlich zur vollen Herrfchaft gelangte. Kabalen und Ver- 



I) Livre d'architecture fol. 197. — ") De Laborde, la renaiff. I, p. 410. De l'Orme 
heifst in diefem Erlafs : »noftre amd et feal confeiller et aumosnier ordinaire, maiftre Philbert 
de Lorme, noftre architecte ordinaire.« — 3) Pantagruel, IV, ch. 61. 



§ 66. Philibert de l'Orme. 



245 



leumdungen brachten es dahin, dafs Franz II fchon am dritten Tage nach 
dem Tode feines Vaters de l'Orme aus feiner Stellung entfernte und Pri- 
maticcio zum Oberauffeher der königlichen Bauten ernannte.') Wie man 
dem trefflichen Künftler mitgefpielt, erfahren wir aus einer Denkfchrift von 
feiner Hand , deren Veröffentlichung wir Berty verdanken,^) Sie ift ein 
koftbares Dokument, welches uns Einblicke in die Gefchichte feines Lebens 
und Schaßens geftattet. Er vertheidigt fich gegen ungerechte Befchuldi- 
gungen, gegen die Verleumdung, dafs er fich im könighchen Dienfl bereichert 
habe, während in Wahrheit kaum feine Auslagen ihm erfetzt worden feien. 
Denn er habe für feine vielen Reifen im königlichen Dienft immer zehn bis 
zwölf Pferde halten und auf feine Rechnung eine grofse Anzahl von Werkleuten 
und untergebenen Beamten beköftigen müffen. Aufserdem habe er fünf 
Neffen ftudiren laffen, auch Gelehrte habe er fich gehalten und befoldet, 
um mit ihnen wiffenfchaftliche Arbeiten zu betreiben. Theure Modelle, 
die manchmal zwei- bis dreihundert Thaler gekoftet, habe er für die Bauten 
des Königs anfertigen laffen, und für alles diefs nicht, wie man ihm nach- 
fage, zwanzig, fondern nur fechstaufend Livres Jahrgehalt »und etwa noch 
feinen grauen Bart« bekommen. In gerechtem Selbftgefühl zählt er dagegen 
feine Leiftungen auf : nicht blofs die wichtigen Dienfte, die er bei Beauf- 
fichtigung der Häfen und Befeftigungen dem Lande erwiefen habe, fondern 
auch die zahlreichen königlichen Bauten, die von ihm geleitet worden feien. 
Er habe »die gute Baukunfl in Frankreich eingeführt« und die barbarifchen 
Formen befeitigt.3) Wichtige Erfindungen zum Vortheil des Königs und 
des Landes habe er in der Confbruction der Dächer gemacht, wodurch es 
möglich geworden, mit kürzeren Balken und viel geringeren Korten die 
Gebäude einzudecken. 

Seine Rechtfertigung mufs fchliefslich durchgedrungen fein, denn 1564 
erhält er von Katharina von Medici den Auftrag zum Bau eines neuen 
Palaftes, der Tuilerien, die fein Hauptwerk fein würden, wenn fie nach 
feinen Plänen zur Vollendung gekommen wären. Er war daran befchäftigt 
bis zu feinem Tod, der am 8. Januar 1570 (1571), wie neuerdings 4) ermittelt 
worden, erfolgte. Aus feiner früheren Zeit (feit 1552) ftammt das Schlofs 
Anet, die glänzende Wohnung der Diana von Poitiers, in der Revolution 
gröfstentheils zerfbört. Noch früher fällt fein erfter bedeutenderer Bau, das 
Schlofs von St. Maur, welches ebenfalls nicht mehr vorhanden ift. Rechnen 
wir dazu das Portal der Kirche St. Nizier zu Lyon, die Kapelle im Park 

I) De Laborde, a. a. O. p. 458. — =2) Les grands architectes, p. 49 ff. — 3) Ebenda p. 54: 
>Et oultre tout cecy, n'ay-je pas faict tant d'aultres fervices, quant ce ne feroyt qua d'avoir 
port^ en France la fa?on de bien baftir, oftt5 les fa^ons barbares et grandes commiffures, 

monftre ä tous comme l'on doibt obferver les mefures de architecture.« — 

+) Ebend. p. 44. 



246 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



von Villers Coterets, bei welcher er zum erftenmal eine von ihm erfundene 
und als »franzöfifche Ordnung« bezeichnete Säulenftellung zur Anwendung 
brachte, ferner die Bauten an den Schlöffern von St. Germain, La Muette, 
Monceaux, Madrid, St. Leger, wo er eine grofse Galerie, die Kapelle und 
die Pavillons erbaute, Limours, Vincennes, de Couci und Folembray, wozu 
endlich noch feine Betheiligung am Grabmal Franz' I zu St. Denis und 
ein Entwurf zum Refectorium der Abtei von Montmartre, fowie Privatbauten 
in Lyon und Paris kommen, fo haben wir das Bild einer überaus umfang- 
reichen Thätigkeit. Dazu gehören endlich noch feine Schriften , die eine 
gefonderte Betrachtung verdienen. 

§ 67. 

DE l'Orme's Schriften. 

DE l'Orme's Neigung zur theoretifchen Betrachtung, zur wiffenfchaft- 
lichen Begründung feiner Kunft führte ihn auch zu fchriftftellerifcher 
Thätigkeit, und das erfte literarifche Werk, welches wir von ihm befitzen, 
bezieht fich auf feine Erfindung einer neuen Dachconftruction, die er zuerfb 
im Schlofs von Monceaux bei Bedeckung eines Saales zum Ballfpiel für 
Katharina von Medici in Anwendung brachte. Die Königin und ihr 
Gemahl nahmen lebhaften Antheil an diefer Arbeit, und letzterer forderte 
den Künftler auf, feine Erfindung in einem Buche der Welt mitzutheilen. 
Diefs Werk erfchien indefs erft nach dem Tode Heinrichs II unter dem 
Titel : »NOVVELLES INVENTIONS POVR BIEN BASTIR et ä petit 
fraiz, trouvees n'agueres par Philibert de l'Orme^ Lyonnois. Paris MDLXI«. 

Wichtiger als Zeugnifs feiner gefammten künftlerifchen Anfchauung 
ift jedoch das zweite, gröfsere Werk, auf welches er in dem Text des 
erfteren bereits hindeutet. Es follte in zwei Foliobänden eine vollftändige 
Lehre der Architektur enthalten , nach dem Vorgang Vitruv's und 
L. B. Alberti's. Der erfte Band, zu deffen Ausarbeitung de l'Orme die 
unfreiwillige Mufse, während er bei Hof in Ungnade gefallen war, benutzte, 
erfchien 1567 in Paris unter dem Titel: »LE PREMIER TOME DE 
L'ARCHITECTVRE DE PHILIBERT DE L'ORME confeiller et avmofnier 
ordinaire du Roy«. Es beginnt mit einer Widmung an die Königin Mutter 
und einer Epiftel an die Lefer, in welcher er darüber klagt, dafs es fo wenig 
tüchtige Architekten gebe, weil die meiften nur eine einfeitig theoretifche 
oder ausfchliefslich praktifche Bildung befäfsen. Indem er die Würde und 
Herrlichkeit der Architektur begeiftert rühmt, leitet er die richtigen Maafse 
und Verhältniffe derfelben direkt von Gott, dem erhabenen Weltenbaumeifter, 
ab, und bekennt befcheiden, dafs die Werke, die er felbft gefchaffen und 
mit denen er allgemeine Anerkennung gefunden habe , ihm fo wenig 
genügten, dafs er fie von Neuem beffer und fchöner aufzuführen wünfche. 



§ 67. De rOrme's Schriften. 



247 



Intereffant ift, was er dann in der Vorrede zum erften Buche von den 
architektonifchen Zuftänden feiner Zeit berichtet, wie Mauer- oder Zimmer- 
meifter, oder gar »irgend ein Maler oder Notar« fich als Architekten auf- 
werfen') und durch Gefchwätz und Schmeicheleien die Bauherren zu bethören 
wiffen. Wie fehr ihm befonders die Anmafsung der Maler, der zahlreichen 
»donneurs de portraicts et faifeurs de deffings, dont la pluspart n'en 
fgauroit bien traffer ou descrir aucun« zuwider ift, zeigt er nochmals im 
zehnten Kapitel des erften Buches, und man wird ihm diefe fcharfen Worte 
gegen den Dilettantismus um fo weniger verargen, wenn man bedenkt, dafs 
jahrelang der intriguante Primaticcio ihn zu verdrängen wufste. Die an- 
mafsende Oberflächlichkeit architektonifcher Pfufcher mufste einem Manne 
doppelt zuwider fein, der in gerechtem Selbftgefühl von fich fagt, dafs er 
fünfunddreifsig Jahre und darüber fich mit dem Studium der Architektur 
befchäftigt habe, und deffen Werk auf jeder Seite den Beweis feiner gründ- 
lichen wiffenfchaftlichen Bildung, feiner umfaffenden künftlerifchen Studien 
und feiner grofsen praktifchen Erfahrung liefert. Er dringt deshalb überall 
auf Verbindung der Theorie mit der Praxis, will von denen, die durch 
fchön ausgeführte Zeichnungen den Bauherrn beftechen, nichts wiffen und 
empfiehlt nachdrückhch , bei wichtigen Bauten nicht blofs ein, fondern 
mehrere Modelle zu machen, um fich über die Wirkung klar zu werden.') Dafs 
er felbft ein trefflicher Zeichner ift, geht aus den in ganz grofsem Maafsftab 
ausgeführten Holzfchnitten feines Buches hervor, die er nach feiner Angabes) 
eigenhändig gezeichnet hat. Nach den fchönften antiken Ueberreflien in 
Rom felbft entworfen und genau vermeffen, geben fie einen neuen Beleg 
für die gründUchen und mühevollen Studien, welche die grofsen Meifter 
der Renaiffance ohne Ausnahme gemacht haben, und wodurch fie die 
Bequemhchkeit der heutigen Architektengeneration befchämen. De l'Orme's 
Darftellungen der antiken Säulenordnungen gehören zum Vorzüglichften, 
was wir aus jener Zeit an folchen Arbeiten befitzen. Mit welcher Auf- 
merkfamkeit er die Monumente erforfcht hat, beweift unter anderm die 
von ihm gemachte Entdeckung eines nur angefangenen antik-ionifchen 
Säulenkapitäls der Kirche Sta. Maria in Traftevere, wo er den Punkt zum 
Einfetzen des Zirkels und zur Befchreibung der Volutenkreife angegeben 
fand.-^) 

Sein Werk zerfällt in neun Bücher. In dem erften fpricht er von den 
Materialien, der Prüfung und Wahl des Bauplatzes und Orientirung der 
Gebäude. Das zweite handelt von der Fundamentirung und den Werk- 
zeugen, deren der Architekt fich bedient; das dritte und vierte befchäftigt 



i) Livre d'architecture, fol. 6. — 2) Ebenda fol. 21. — 3) Ebenda fol. 5. — ♦) Ebenda 
fol. 162. 



248 



Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



fich in gründlicher Weife mit dem Steinfchnitt ; die drei folgenden behandeln 
die vier Säulenordnungen, denen er aus eigener Erfindung noch eine fünfte 
hinzufügt; das achte giebt Anweifung über die Verhältniffe und Formen 
von Triumphbögen und Portalen, fowie der Fenfter; das neunte endlich 
über Anlage und Ausfchmückung der Kamine in den Zimmern und Sälen, 
fowie der Schornfheine auf den Dächern. Der wichtigfte Theil befteht aus 
den beiden Büchern , welche vom Steinfchnitt handeln. Das Mittelalter 
hatte in feinen Bauhütten diefe Wiffenfchaft als eine geheime behandelt, 
und die neue Baukunft mufste die Wiffenfchaft der Stereotomie auf neuer 
Bafis aufbauen und begründen. Es ift das grofse Verdienft de l'Orme's, 
diefe Aufgabe für die Architektur feines Landes und für feine Zeit in ebenfo 
wiffenfchaftlicher als klarverftändlicher Weife gelöft und damit der Baukunft 
eine allgemeine fefte Grundlage gegeben zu haben. Die Stellung , welche 
er in diefer Arbeit gegenüber der alten nationalen Kunft einnimmt, verdient 
bemerkt zu werden. Er fagt, er wolle jene Gewölbe »a la mode Frangaife« 
nicht verachten, da manche gute und fchwierige Conftruction in ihr aus- 
geführt fei; allein die, welche die wahre Architektur kännten, befolgten 
nicht mehr diefe Bauweife.') Trotzdem bezeugt er in feinem Werke zur 
Genüge, dafs er die gothifche Conftruction gründlich verfteht, denn er giebt 
vollftändige geometrifche Schemata für die Ausführung gothifcher Rippen- 
gewölbe complizirtefter Art, wobei er felbft die fchwebenden Schlufsfteine nicht 
vergifst.^) Er zieht aber die nach antiker Weife im Halbkreis geführten 
Wölbungen als stärker, beffer und dauerhafter vor, und fetzt ihre Vortheile 
auseinander, die er nicht blofs in ftatifch conftructiver Leichtigkeit, fondern 
auch in der reicheren und gefchmackvolleren Dekoration, deren fie fähig 
feien, findet. 3) In demfelben Sinne fpricht er fich gegen die gedrückten 
und die korbhenkelförmigen Bögen aus."*) Dafs aber noch genug vom 
Geift mittelalterHcher Meifter in ihm ift, um Freude an den complizirteften 
Conflructionen zu finden , beweift er namentlich durch die Angabe ver- 
fchiedenartiger Wendeltreppen und befonders der fchwierigen zur Unter- 
ftützung vorfpringender Bautheile der oberen Stockwerke dienenden Mufchel- 
oder Zwickelgewölbe (Trompen).^) 

Was den künftlerifchen Charakter de l'Orme's betrifft, fo läfst derfelbe 
den Adel und die Feinheit Lescot's vermiffen. Seine Formenwelt, wie fie 
fowohl in den mitgetheilten Proben von Portalen und Kaminen, als in feinen 
ausgeführten Bauwerken hervortritt , ift nicht blofs eine derbere , fondern 
auch fchon mehrfach zu barocken Formen, zu allerlei Verkröpfungen und 
Auflöfungen der Glieder neigende. Geradezu wunderlich erfcheint eine 



0 Livre d'architecture fol. 107. — ') Ebend. fol. iii. — 3) Ebend. a. a. O. — 
4) Ebend. fol. 112. - 5) Ebend. fol. 88. 



§ 67. De rOrme's Schriften. 



249 



Säule in Form eines rohen Baumftammes mit kraufem Laubkapitäl, die er 
für gewiffe Fälle, wo es fich um hölzerne Stützen handelt, empfehlen zu 
dürfen meint. Empfehlenswerther dagegen ift eine andere Säulenart, die 
er zuerfl für die Kapelle von Villers Coterets erfunden und fpäter bei den 
Tuilerien und anderwärts angewendet hat, und welche von manchen fran- 
zöfifchen Architekten nachgeahmt worden ift. (Fig. 89.) Wenn den Griechen 
und Römern geftattet war, Säulenordnungen zu erfinden, fo argumentirt er, 
warum foUte dann uns nicht erlaubt fein, ebenfalls neue Säulenformen zu 
erfinden, und diefelben »franzöfifche« zu nennen Er wenigftens habe fich 
folches erlaubt, und da er für die Säulen zu Villers Coterets keine mono- 
lithe Schäfte zu erhalten gewufst, fo fei 
er auf den Einfall gekommen, die Fugen 
der einzelnen Trommeln durch vortretende 
Bänder mit Ornamenten zu verdecken, fo 
dafs fie fehr fchön und anmuthig anzu- 
fehen feien. Gewifs ift diefe in der fran- 
zöfifchen Spätrenaiffance fo beliebte Form 
eine der rationellften und annehmbarften 
Erfindungen des beginnenden Barockftils, 
und fie mufs diejenigen vollftändig be- 
friedigen, welche überall die Ornamentik 
nur als Symbol für die Conftruction gelten 
laffen wollen. Aber ebenfo gewifs ift, 
dafs die Griechen, wenn fie die einzelnen 
Trommeln fo eng mit einander verbanden, 
dafs die Säule als Monolith erfchien und 
durch die aufftrahlenden Cannelirungen 
fo kräftig wie möglich die Continuität 
Fig. 89. De i'Orme's »franzöfifche« Säule. Louvre. ^^g^Q^te, das höhere uud feinere Kunft- 

(Baldinger nach Photogr.) 

gefühl bewiefen haben. 
Als heiteren Schlufs feines Werkes bietet de l'Orme in zwei grofsen 
Zeichnungen das Bild des wahren und des falfchen Architekten. Den 
erfteren fieht man in einer Landfchaft voll prächtiger Gebäude, durch die 
ein Quell riefelt, der üppige von Weinftöcken umrankte Bäume tränkt. In 
würdiger Ruhe unterweift er einen lernbegierigen Jüngling. Um feine 
Gefchicklichkeit anzudeuten, hat der Künftler ihn mit drei Augen und vier 
Händen, an den Füfsen aufserdem mit Flügelfchuhen ausgeftattet. Der 
falfche Architekt dagegen irrt durch eine unkultivirte Landfchaft, in der 
man nur mifsgeformte Gebäude fieht. Er ift ohne Augen, Ohren und Nafe, 
aber mit einem grofsen Munde dargeftellt »pour bien babiller et mesdire« ; 
mit dem langen Talar und der Mütze eines Gelehrten »pour contrefaire un 




250 



Kap. IV. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



grand docteur et tenir bonne mine ä fin que l'on penfe que c'eft quelque 
grande chofe de lui«. Aufserdem hat er keine Hände »pour monftrer que 
ceux qu'il reprefente ne fgauroient den faire«. In feinem Wege liegen 
Stierfchädel »qui fignifient gros et lourd efprit« , und Steine, an denen 
er fich flöfst, während verkrüppeltes Gebülch feinen wehenden Mantel aufhält. 



NTER den von de l'Orme aufgeführten Gebäuden mufs das Schlofs 



Anet als fein Hauptwerk bezeichnet werden. Im Auftrage Heinrichs II 
feit 1552 für Diana von Poitiers erbaut, war es eine Schöpfung aus einem 
Guffe, in voller Freiheit, ohne Befchränkung der Mittel aufgeführt, wie de 
rOrme felbft bekennt, und defshalb der befte Prüfftein für den künftle- 
rifchen Geift feines Erbauers. In der Revolution theils zerftört, theils feines 
künftlerifchen Schmuckes entkleidet, wird es uns in feiner urfprünglichen 
Geftalt nur aus den Zeichnungen du Cerceau's erkennbar.^) Anet hegt in 
der Nähe von Dreux in einer Ebene , welche von der Eure durchftrömt 
wird. Es war im Mittelalter eine königliche Domaine, welche Karl VII an 
Pierre de Breze verlieh. Der Enkel desfelben heiratete in zweiter Hochzeit 
15 14 Diana von Poitiers, die nachmals einen fo grofsen Einflufs auf den 
faft zwanzig Jahre jüngeren Heinrich II gewann. Der König liefs das alte 
Schlofs gröfstentheils abbrechen und durch de l'Orme ein neues, prachtvolles 
aufführen, wobei indefs der Architekt, wie aus feinen Schriften hervorgeht, 
und wie die Pläne erweifen, gewiffe Partieen des alten Baues beibehalten 
mufste. 

Dafs er diefs mit grofsem Gefchick vollführt, ohne der Klarheit und 
Symmetrie des neuen Baues Abbruch zu thun , beweift der Grundrifs. 
(Fig. 90.) Die ausgedehnte Anlage wird rings von einem Waffergraben 
und von Mauern mit vorfpringenden Baftionen auf den Ecken umfchloffen. 
Ueber eine Zugbrücke gelangte man zu dem Haupteingang, der als befonderer 
Thorbau impofant und faft feftungsartig geftaltet ift. Mit ausgebogener 
Mauer vortretend zeigt er zwifchen vier weit geftellten dorifchen Säulen 
zwei kleinere Seitenpforten und ein grofses Mittelportal, letzteres durch eine 
weite Bogennifche gekrönt, in welcher Benvenuto Cellini 's berühmte Bronze- 
figur der Nymphe von Fontainebleau angebracht war. 3) Zu beiden Seiten 

Les plus excellents baftimens, Vol. II; vgl. Rouyer et Darcel, l'art architectural, 
Vol. I, pl. 17 — 27 und Pfnor, Monogr. du chäteau d'Anet. Endlich die reiche Darfteilung 
in den Chäteaux hiftoriques de France II, i ff. — Livre d'architecture, fol. 88. — 
3) Sie befand fich urfprünglich über dem Hauptportal zu Fontainebleau (vgl. S. 115), kam 
von Anet in den Karyatidenfaal des Louvre und befindet fich jetzt dort im Muleum der 
neueren Bildwerke. 



§ 68. 



Das Schloss Anet. 




4 



^ § 68. Das Schlofs Anet. 25 1 

dagegen find die dorifchen Säulen durch Gebälk und Gefimfe verbunden 
und von einer gefchloffenen Bruftwehr gekrönt. 

In der gleichen Höhe fchliefsen die anftofsenden feftungsartig behandelten 
Theile ab, die jedoch mit durchbrochenen Baluftraden enden. Die Form 
der letzteren, aus gewundenen Tauen zufammengefetzt, ift bezeichnend für 




20 Metra 



Fig. 90. Schlofs Anet. (Pfnor.) 

den Charakter diefer Epoche: das Motiv erfcheint nüchtern und dabei zu- 
gleich willkürlich. Geradezu häfslich find die auf den Ecken fich erhebenden 
grofsen Schornfteine mit ihren plumpen Krönungen in Form gefchweifter 
Sarkophage, deren Flächen mit nüchternen Cannelirungen und fchwerem 
Blattwerk zwifchen übermäfsig derben Profilen bedeckt find. Auch ihre 
Krönung durch volutenartig aufgerollte abgefchnittene Giebel ift barock 



252 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



genug. Die Sarkophage, die auf allen Schornfteinen des Schloffes und 
felbft auf dem prachtvollen Brunnen wiederkehren, find wohl ein architek- 
tonifcher Ausdruck der Wittwentrauer^ mit welcher diefe keufche Diana 
ihr Leben lang kokettirte. 

Im obern Gefchofs nimmt der Mittelbau die Form einer auf beiden 
Seiten abgerundeten flachen Terraffe an, aus welcher ein höheres Mittel- 
ftück attikenartig auffteigt. Diefes ifl mit cannehrten langgezogenen Voluten 
ftatt der Pilafter bekleidet, zeigt im Mittelfeld das Zifferblatt einer Uhr, 
in den Seitenfeldern Nifchen und trägt auf feinen Volutenkrönungen die 
Figuren zweier Jagdhunde, die zu einem in der Mitte fbehenden Hirfch 
hinaufblicken. Die Hunde gaben, wie de l'Orme felbft erzählt,') durch 
Bellen, der Hirfch durch Scharren mit dem Fufs die Stunden an. So 
fchwer und nüchtern , im Einzelnen auch felbfb fchon barock, die Glieder 
hier durchweg find, fo mufs doch zugeftanden werden, dafs der Architekt 
in origineller und wirkfamer Compofition den Ausdruck des kaftellartig 
Abgefchloffenen, wie er einem folchen Aufsenthor zufteht, glückHch getroffen 
hat. Aufserdem verleiht er, während er fich für diefe Aufsenfagade den 
feineren plaftifchen Schmuck verfagt, den Flächen durch paffend angebrachte 
Platten von Porphyr, Serpentin und Marmor, fowie von Bronze über den 
Portalen, an den Friefen, Attiken und Sockeln des Oberbaues feinem Werke 
doch den Charakter gediegener Pracht in Anwendung einer wirkfamen 
Polychromie.^) 

Das Innere des Thorbaues gliedert fleh als ftattliche dreifchiffige Ein- 
gangshalle, mit hohem in Bogen geöffnetem Mittelgang und niedrigen Seiten- 
fchiffen, die durch Arkaden auf Pfeilern vom mittleren Gange getrennt 
werden. In den Nebenräumen war einerfeits die Wohnung des Pförtners, 
andererfeits ein Dienftlokal. Die Anordnung und Eintheilung, fowie der 
innere Bau diefer Propyläen verräth die flchere Hand eines Meifters. 

In der Hauptaxe weiterfchreitend , gelangt man nun in den grofsen, 
ungefähr quadratifchen Herrfchaftshof, der auf drei Seiten von den Wohn- 
gebäuden umfchloffen wurde. Rechts und in der Tiefe der dem Eingang 
gegenüber liegenden Seite zog fleh im Erdgefchofs ein Arkadengang hin, 
auf paarweife verbundenen Pfeilern mit geradem Gebälk ruhend. Die Haupt- 
treppe lag rechts in der Ecke der beiden zufammenftofsenden Flügel ; eine 
andere Treppe ftand mit dem in der Mitte liegenden Eingang in Verbin- 
dung. Die Architektur diefer Theile war einfach und von guter Wirkung. 
Das obere Stockwerk erhielt fein Licht abwechfelnd durch breitere und 
fchmalere Fenfter, fämmtlich durch zwei Querftäbe getheilt, erftere aufser- 
dem mit einem auffteigenden Mittelpfoften und antikem Giebel verfehen. 



') Livre d'architecture, I. VIII, ch. 12. — Ebend. über diefe Dekoration Genaueres. 



; 



§ 68. Das Schlofs Anet. 



253 




Fig. 91. 



Aus dem Hof von Schlofs Anet. 
(Baldinger nach Phot.) 



Die fpärlich angebrachten Dachfenfter 
find mit Bogengiebeln bekrönt, die in 
barocker Weife auf verkröpften Ge- 
bälken ruhen. 

Mit ächt künftlerifchem Sinn hat 
der Architekt verftanden, feinem Bau 
einen Alles beherrfchenden Mittelpunkt 
zu geben. Dem Haupteingang gegen- 
über in der Axe des Gebäudes hat 
er ein triumphbogenartiges Portal auf- 
geführt, welches mit feinen beiden 
unteren Gefchoffen den beiden Etagen 
des Hofes entfpricht, dann aber mit 
einem dritten Stockwerk hoch über 
das Dach hinaufreicht. Es ift das 
jetzt zu Paris in der Ecole des beaux 
arts aufgeftellte Bruchftück. (Fig. 91.) 
Unten mit dorifchen, dann mit ioni- 
fchen, darüber mit korinthifchen ge- 
kuppelten Säulen bekleidet, die ein 
entfprechendes verkröpftes Gebälk tra- 
gen, erhält es durch Nifchen mit Sta- 
tuen und durch Reliefs reichen Schmuck. 
Die grofse Hauptnifche des oberften 
Stockwerks umfchlofs ftatt des in un- 
ferer Abbildung dargeftellten bogen- 
fpannenden Amors eine Statue von 
Dianens verftorbenem Gemahl Louis 
de Breze, mit der für diefe treue 
Wittwe bezeichnenden Infchrift: 

>Braefe haec ftatuit pergrata Diana marito, 
Uf diuturno fui fint monumenta viri.« 
Auf der mittleren Attika, die das 
Ganze bekrönt, fah man ein grofses 
Wappen, von fchreitenden Löwen ge- 
halten. Die feine Ausbildung der 
architektonifchen Formen, die elegan- 
ten Kapitäle, die edlen Gliederungen 
der Gefimfe, die zarten Lorbeerzweige, 
welche den unteren Theil der korin- 
thifchen Säulenfchäfte umziehen, geben 



254 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



den Beweis, dafs de l'Orme an geeignetem Ort auch eine feinete claffifche 
Architektur zu entfalten wufste. Wir dürfen nicht vergeffen, dafs damals 
bei den tonangebenden Meiftern der Renaiffance eine gewiffe trockene 
Derbheit der Formen, befonders die Ruftika und der nüchterne römifch- 
dorifche Stil als bezeichnender Ausdruck des Ländlichen galten, wie denn 
Giulio Romano den Palazzo del Te in diefem Sinne am Aeufsern fo trüb- 
felig charakterifirt hat. Ob wir übrigens de l'Orme als Erfinder diefes 
prächtig wirkenden Triumphbogens gelten laffen können, mufs dahin geftellt 
bleiben. Wir werden fehen , dafs Jean BuUant diefe Compofition vielleicht 
fchon einige Jahre vorher am Schlofs Ecouen zur Anwendung gebracht hatte. 

Zwei noch ausgedehntere Nebenhöfe erftreckten fich links und rechts 
vom herrfchaftlichen Hauptbau : der zur Linken als regelmäfsiges Rechteck 
angelegt mit einer prachtvoll barocken Fontaine in der Mitte, auf welcher 
Jean Goujon's Bronzegruppe der Diana mit einem Hirfch und zwei Jagd- 
hunden fich erhob ; der zur Rechten mit einem kleineren Brunnen, unregel- 
mäfsig und von den Ueberreften des ältern Baues begränzt. In den letzteren 
führte von der Seite ein felbftändiger, ebenfalls ftattlich, aber noch mehr 
kaftellartig behandelter Portalbau , aus deffen Schiefsfcharten du Cerceau 
Kanonen hervorfchauen läfst. 

Aus dem angrenzenden Flügel des Herrenhaufes tritt eine Kapelle in 
Form eines griechifchen Kreuzes mit abgerundeten Schenkeln vor, der 
Mittelbau mit einer kreisrunden Kuppel und Laterne bekrönt, die Ecken 
nach der Innenfeite von zwei Thürmen mit fchlichtem Pyramidendach aus- 
gefüllt, welche die Treppen zu der Empore enthalten, nach der Hoffeite 
mit zwei zu Sakrifteien beflimmten Räumen. Eine hübfche Vorhalle auf 
gekuppelten Säulen legt fich in ganzer Breite vor den Bau. Das Innere 
zeigt eine edle und reiche Gliederung in claffifch durchgebildeten Formen, 
korinthifche Pilafter mit originellen Schilfblatt-Kapitälen, dazwifchen Wand- 
nifchen, die Bögen und Tonnengewölbe elegant ftucchirt mit Ornament- 
bändern, welche Bildfelder einfchliefsen, in den Zwickeln fchwebende Engel, 
den antiken Victorien nachgebildet, die Kuppel mit rautenförmiger Caffet- 
tirung. Die Sculpturen, von der Hand Jean Goujon's, gehören wie die 
Kapelle felbft zu den wenigen noch ziemlich gut erhaltenen Theilen des 
Baues. Aufserdem ift nur noch das Hauptportal und der Hnks fich an- 
fchliefsende Flügel vorhanden. 

An die Rückfeite der Schlofsanlage fchliefst fich ihrer ganzen Breite 
nach ein enormes Gartenparterre, 400 Fufs breit bei etwa 250 Fufs Tiefe, 
auf drei Seiten von Arkaden in derber Ruftika umgeben, »qui donne, fagt 



Diefs treffliche Werk ift jetzt im Mufeum des Louvre , Abtheilung der neueren 
Bildwerke, Nr. 100, aufgeftellt. Vgl. H. Barbet de Jouy, defcript. des fculpt. modernes. 



§ 68. Das Schlofs Anet. 



255 



du Cerceau, au jardin un merveilleux esclat ä la veue«. Die Verbindung 
mit dem Herrenhaufe wurde durch eine breite Terraffe zwifchen vor- 
fpringenden Pavillons bewirkt, von welcher man den Garten und die beiden 
grofsen Parks mit ihren Alleen und Rafenflächen überfchaute. Zwei Spring- 
brunnen waren, in der Axe der beiden Pavillons, mitten im Garten ange- 
bracht. In den Gartenarkaden und den Terraffen waren die Fufsböden mit 
reich gemufterten emaillirten Platten bedeckt. Ein Bruchftück derfelben 
wurde in den vierziger Jahren ans Licht gezogen,') Man fieht, dafs die 
ganze Anlage von fürftlicher Opulenz zeugte und völlig im Sinne der 
modernen Zeit geftaltet war. Als Nachklänge feudaler Schlofsbauten fmd 
nur die Waffergräben und feftungartigen Mauern, fowie die kleinen erker- 
artig ausgekragten Thürmchen am vorderen Ende der beiden Schlofsflügel 
zu bezeichnen. Auch ein runder Erker auf mufchelartigem Gewölbe aus- 
gekragt, zum Cabinet des Königs gehörend, deffen Conftruction de l'Orme 
im vierten Buch feiner Architektur mit befonderer Vorliebe behandelt, 
gehört hierher. 

Zu den intereffanteren Theilen des Schloffes rechnen wir endlich die 
Grabkapelle, welche Diana fich links vom Schlöffe hatte erbauen laffen, 
und deren Zeichnung du Cerceau mittheilt. Es war ein kleiner Bau, aus 
einem länglichen Rechteck mit vorgelegter halbkreisförmiger Apfis beftehend, 
einfchiffig , mit einem Tonnengewölbe bedeckt , von ftrengen fchlichten 
Formen. Eine Bruftwehr trennte das Vorderfchiff vom Presbyterium, 
welches auf jeder Seite zwei Reihen von Chorftühlen zeigte. Neben dem 
Chor traten, den Bau nach aufsen kreuzförmig geftaltend, zwei Querarme, 
die im oberen Gefchofs eine Empore enthielten, mit ihren Treppenhäufern 
vor. Diefe kleinen Seitenräume fmd im Innern rund, mit vier Nifchen 
erweitert und mit kleinen Kuppeln gefchloffen. Die Fagade der Kapelle 
zeigt ftreng klaffifche Formen, korinthifche Pilafter, dazwifchen Nifchen mit 
Statuen, in der Mitte das Portal mit einer Attika und einem Rundfenfter 
darüber. Dann über dem Gebälk mit ausgebauchtem Fries und Confolen- 
gefims eine hohe Attika mit dorifchen Pilaftern, der Mittelbau bekrönt von 
einem Auffatz mit einem Sarkophag, vor welchem Engel mit Palmen 
Wache halten, und über dem fich eine Figur mit dem unvermeidlichen 
Wappen erhebt. 

Ehe wir von dem Meifterwerk de l'Orme's fcheiden, haben wir noch 
der prachtvollen Ausftattung des Schloffes zu gedenken. Diefelbe erftreckte 
fich, von demfelben künftlerifchen Geift entworfen und geleitet, über alle 
Theile des Baues, und gab diefem den Charakter unvergleichlicher Har- 
monie , den wir aus den begeifterten Schilderungen der Zeitgenoffen er- 



Abgeb. bei Rouyer et Darcel, l'art architectural, T. I, pl. 17.. 



256 Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 

kennen. ') Von den prachtvollen Decken, den holzgefchnitzten und gemalten 
Wandbekleidungen find nur dürftige Spuren erhalten.^) Ebenfowenig ift 
von den emaillirten Fufsböden übrig geblieben, zu welchen man die aus- 
gezeichnetften Künftler heranzog. 3) Von den Bildwerken Jean Goujons zeugt 
wenigftens noch die Kapelle, fowie die Brunnengruppe im Mufeum des 
Louvre. Zu den zahlreichen Thüren, fowie zu den Vertäfelungen der Wände 
hatte man die koftbarften und feltenften Holzforten verwendet. Was davon 
übrig ift, trägt theils den Charakter einer kräftigen plaflifchen Behand- 
lung in den derberen Gliederungen und reichen emblematifchen Füllungen, 
welche diefe Epoche liebte, theils zeigt fie mäfsiges Relief und mehr 
malerifche Behandlung durch Intarfia mit Anwendung verfchiedenfarbiger 
Holzforten. Die künftlerifche Vollendung des Ganzen erftreckt fich mit 
ftets gleich bleibender Sorgfalt bis in die kleinften Einzelheiten. 

Uns, die wir an der feinen Anmuth griechifcher Formen unfre Schön- 
heitsbegriffe gebildet haben, wird es nicht leicht, den Schöpfungen jener Zeit 
gerecht zu werden. Schnell ftöfst uns die fchwere und zum Theil fchon 
barocke Ausdrucksweife zurück und wir find geneigt, von diefen Werken 
uns verletzt abzuwenden. Aber wir begehen damit ein fchweres Unrecht 
gegen den Genius jener grofsen Meifter, die fo ernft und hoch von ihrer 
Kunft dachten, fo Herrliches in ihr gefchafifen haben. De l'Orme fpricht 
fich an zahlreichen Stellen feines Buches deutlich genug über das Wefent- 
hche in der Architektur aus. An einer Hauptftelle s) fagt er: »J'ay tou- 
fiours efte d'avis qu'il vaudroit mieux ä l'architecte, ne fgavoir faire orne- 
ments ne enrichiffements de murailles ou autres, et entendre bien ce 
qu'il fault pour la fante et confervation des perfonnes et de leur biens. 

Ce qu'auiourd'huy eft pratique tout au contraire Je ne dy pas 

qu'il ne foit convenable et fort bon de faire tresbeaux ornements et faffades 
enrichies pour les Roys, Princes, et Seigneurs, quand ils le veulent ainfi. 
Car cela donne un grand contentement et plaifir ä la veue: principalement 
quand telles faffades font faictes par fymmetrie et vraye proportion, et les 
ornements apphquez en un chacun lieu, ainfi qu'il eft neceffaire et raifon- 

') Brantome, Capit. Fran^., art. Henry. II (ed. Leyde 1699), T. II, p. 10): »Encore 
de ces deniers cette Dame n'en abufa point, car eile fit baftir et conftruire cette belle maifon 
d'Anet, qui fervira pour jamais d'une belle decoration ä la France, qu'on ne peut dire une 
pareille, j'entens ü par aucunes mains violentes eile n'eft ruin^e, ainfi qu'elle en fut ä la 
veille dernierement, lorsque le procez de Monfieur d'Aumale fut fait, ä qui eile appartient 
par. fucceffion de fa mere, que tout ainfi que luy fut condamne ä mourir, fut eile ainfi con- 
damn^e ä eftre raz^e et demolide de fond en comble, dont c'eufl: ete un grand dommage, 
et qu'en pouvoient mais les marbres et les pierres qui n'ont aucun fen- 
timent?» — Einige Beifpiele in Pfnor's Monographie. — Eine fchöne Probe giebt 
Pfnor. — 4) Vgl. Rouyer et Darcel, l'art architectural, Vol. I, pl. 27 und mehrere Tafeln 
bei Pfnor. — s) Le premier tome de l'architecture, liv. I, chap. VIII, im Anfang. 



§ 69. Die Tuilerien. 



257 



nable Pour-ce ie confeille ä l'Architecte , et ä tous qui font 

profeffion de baftir, qu'ils s'eftudient pluftoft ä cognoifbre la nature des 
lieux, que ä faire de tant beaux ornements, qui le plus fouvent ne fervent 
que de filets ä prendre les hommes, ou ce qui eft dans leurs bourfes .... 
Auffi ie ne voudrois point que les dicts ornements des faces empefchaffent, 
qu'on ne peuft donner les vrayes mefures qu'il fault ä une falle ou chambre, 
et auffi qu'on ne peuft mettre les portes, feneftres et cheminees aux lieux 
plus commodes et neceffaires, fans y rien faire par contrainte, ains pluftoft 
par les moiens de l'art et de nature«. 

Diefe Grundfätze hat der Meifter an feinen Bauten entfchieden zur 
Geltung gebracht, und wer zweckmäfsige Anlage und Eintheilung, wohl- 
abgewogenen Gegenfatz der Maffen, wirkungsvolle Bewegung des Gefammt- 
umriffes, edle Verhältniffe und rhythmifche Gliederung zu würdigen weifs, 
wird überall den grofsen Architekten erkennen. Wem aber ein unhellenifch 
profilirter »Eierftab« alle diefe Vorzüge verdecken kann, dem ift überhaupt 
nicht zu helfen. 

§ 69. 
Die Tuilerien. 

DIE grofsartigfte Aufgabe feines Lebens wurde de l'Orme zu Theil, als 
Katharina von Medici ihn mit dem Bau eines neuen Schloffes bei 
Paris betraute. Bei diefer Aufgabe hatte der Meifter fichtlich fein ganzes 
Können und Wiffen zur Geltung zu bringen gefucht , aber fein gewaltiger 
Plan, den du Cerceau ') mittheilt, und der etwa das höchfte Ideal des da- 
maligen Palaftbaues verwirklicht haben würde, blieb nicht blofs unaus- 
geführt, fondern felbft das, was ihm zu verwirklichen geftattet war, wurde 
fpäter faft bis zur Unkenntlichkeit entftellt. Wir fmd auf die leider un- 
genügenden Zeichnungen du Cerceau's angewiefen, wenn wir uns ein Bild 
von den Abfichten des Künftlers machen wollen. 

Um 1 564 befchlofs die Königin, in der Nähe des Louvre, weftlich vor 
den Thoren und Wällen der Stadt , fich einen neuen Palaft erbauen zu 
laffen, der von den Ziegeleien, welche damals dort lagen, den Namen der 
Tuilerien erhielt. Die Ausführung des Baues übertrug fie Philibert de l'Orme, 
der bis zu feinem Tode das Werk fortführte und dann feit 1570 durch 
Jean Bullant erfetzt wurde. Aber fchon 1572 gab die Königin den Plan 
auf, weil ihr Aftrolog ihr verkündet hatte, fie müffe fich vor St. Germain 
hüten, wenn fie nicht von einem Gebäude erfchlagen werden wollte. Da 
nun die Tuilerien zur Pfarre St. Germain l'Auxerrois gehörten, fo gab die 
abergläubifche Katharina das Unternehmen auf. Was von de l'Orme 



') Les plus excellents baftimens, Vol. II. Vgl. damit Blondel, arch. Fran^., Vol. IV. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. \>j 



258 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



ausgeführt worden ift, wird auf unferem kleinen Plan (S. 229) mit (8) 
bezeichnet. Es ifl der jetzige Mittelpavillon mit den anftofsenden Flügeln. 
Die Eckpavillons dagegen (9) darf man wohl Jean Bullant zufchreiben. 

Vergleichen wir nun mit diefen ärmhchen, dazu noch fchlimm verball- 
hornten Bruchftücken den impofanten Plan, welchen de l'Orme feinem Bau 
zu Grunde legte (Fig. 92). Der Palaft follte danach ein Rechteck von 
816 zu 504 Fufs umfaffen. Der Haupteingang lag an der Stadtfeite bei D, 
ungefähr wo heute der Triumphbogen fteht. Aus dem grofsen dreifchiffigen 
äufsern Veftibül gelangte man durch ein kleineres inneres in den Haupthof 
A, der auf beiden Seiten mit Arkaden eingefchloffen war. Vier kleinere 
Höfe, dazwifchen zwei Amphitheater, wohl für Spiele und Feftlichkeiten 
beflimmt, trennten die beiden mittleren Querflügel von den beiden äufseren 
Galerien, unter denen C gegen die heutige Rue de Rivoh, B gegen den Flufs 
liegt. Von der Gartenfeite führte der Eingang E in die jetzt vermauerten 
Arkaden H und dann in die ebenfalls nicht mehr vorhandene prachtvolle 
Haupttreppe, die in doppeltem Lauf kreisförmig emporftieg. Die Wohn- 
gemächer vertheilten fich auf die beiden langen Hauptflügel der weftlichen 
Gartenfeite und der öftlichen Stadtfeite, zwifchen denen die vier Querflügel 
als Galerien und Arkaden die Verbindung herftellten. Gewaltige Pavillons 
auf den Ecken, zu denen auf den Langfeiten in wohl gemeffenem Abftand 
drei andere, auf den Schmalfeiten je einer kam, follten dem Bau nicht blofs 
eine wirkfame Abwechfelung der Maffen, fondern im Innern die wünfchens- 
werthe Vermehrung der Räume geben. 

Wenn Viollet-le-Duc^) den Plan als unpraktifch verwirft, weil die innere 
Eintheilung fleh von der bis dahin in Frankreich gültigen entfernt, fo fcheint 
er uns im Unrecht. Man darf nicht vergeffen, dafs es fleh hier zum erflen 
Mal um einen Palaft handelt, in welchem das Königthum felbft, offiziell 
gleichfam, mit feinem ganzen Hofftaat refldiren und repräfentiren will, 
während alle Schlöffer Franz' I einen privaten Charakter tragen und mehr 
auf die perfönlichen Neigungen und intimeren Umgebungen des Fürften 
berechnet find. Der Plan der Tuilerien bietet in zwei Gruppen eine für 
einen grofsen und glänzenden Hofhalt reichlich genügende Anzahl gröfserer 
und kleinerer Gemächer, zu denen noch der fchön disponirte Feftfaal F 
kommt. Die Räume flnd aufserdem durch genügende Degagements und 
Nebentreppen verbunden, und bei dem ungemein rationellen Geift de l'Orme's 
und dem eingehenden Intereffe, welches die Königin an künftlerifchen 
Unternehmungen hatte, läfst fleh vorausfetzen, dafs das Programm wohl 
durchdacht war. Ausdrücklich wird uns diefs fogar von de l'Orme felbft 



') Bekanntlich find die Tuilerien durch die Communards 1871 eingeäfchert und feitdem 
nicht wieder aufgebaut worden. — Entretiens, V. I, p. 361. 



§ 69. Die Tuilerien. 




Fig. 92. De rOrmes Plan der Tuilerien. (Du Cerceau.) 



bezeugt:') »Ainfi qu'on voit auiourd'hui eftre faict au palais de la maiefte 

de la Royne mere, ä Paris, laquelle a voulu prendre la peine, 

avec un fingulier plaifir, d'ordonner le departiment de fondit palais, pour 
les logis et lieux des falles, antichambres, chambres, cabinets et galleries, 

') Architecture, liv. I, chap. VIII, f. 20. 

17* 



26o 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois 



et me donner les mefures des longueurs et largeurs«. Wenn wir alfo feinen 
Plan nicht vollftändig mehr erklären können, fo liegt die Schuld davon 
nur an den ungenügenden Ueberlieferungen. 

Diefelbe Stelle feines Buches giebt Rechenfchaft über die architek- 
tonifchen Formen des Baues. Offenbar verlangte die Königin') möglichfte 
Pracht der Ausführung, und der Architekt bewies, dafs er diefer Forderung 
zu genügen vermöge (Fig. 93). Er begann mit der Gartenfagade. Der 
mittlere Pavillon, für den Eingang beftimmt, wurde mit den beiden doppelt 
fo breiten Seitenpavillons im Erdgefchofs durch offene Arkaden verbunden, 
dreizehn an jeder Seite. Sie beftehen auf dem von du Cerceau mitge- 
theilten Grundrifs aus Bogenhallen auf Pfeilern mit vortretenden Säulen. 
Der Aufrifs der Fagade, den du Cerceau giebt, zeigt aber eine Abweichung, 
die einer lebendigeren, rhythmifcheren Gliederung förderlich war. Es 
wechfeln nämlich ftets ein paar Säulen mit einem Pilafterpaar, und da über 
den Säulen auch die Gebälke mit dem Gefimfe vorfpringen, fo ergab fich 
fchon daraus eine fein abgewogene Wechfelwirkung. Die Arkaden fchloffen 
im oberen Gefchofs mit einer flachen Terraffe, die durch ein kräftiges 
durchbrochenes Geländer eingefafst wurde. Das obere Stockwerk ift, viel- 
leicht im Hinblick auf die ländliche Lage und Umgebung, als Dachgefchofs 
in Form einer hohen Attika behandelt. Hier hat der Architekt dasfelbe 
Gefetz rhythmifchen Wechfels zur Geltung gebracht, wie am Erdgefchofs. 
lieber den Arkadenftellungen des letztern ift jedesmal ein Fenfter mit 
bogenförmiger Giebelkrönung angebracht, daneben folgt ein gefchloffenes 
niedrigeres Wandfeld mit geradem Giebel, auf welchem Statuen ruhen 
und in deffen Mitte ein Wappen prangt. Die Pavillons erhielten noch ein 
zweites Stockwerk, im Erdgefchofs Säulen, in den oberen Pilafterftellungen ; 
doch theilt du Cerceau nur den mittleren Pavillon, und auch von diefem 
nur das Erdgefchofs mit. 

Zu den edlen und grofsartigen Verhältniffen, der trefflich durchdachten 
rhythmifchen Bewegung der Maffen, der lebendig betonten Gliederung fügt 
de rOrme im Einzelnen eine Feinheit der Durchbildung, mit der er fich 
auch als Meifter eleganter Dekoration bewährt. Bei der Pilafter- und Säulen- 
ftellung des Erdgefchoffes wendet er den ionifchen Stil, aber in jener Um- 
wandlung an, die er als »franzöfifche Ordnung« erfunden und zuerft bei 
der Kapelle von Villers Cotterets angewendet hatte. Er fetzt feine Säulen- 
fchäfte aus einzelnen Stücken zufammen, und die cannelirten Trommeln 
verbindet er durch breite Marmorbänder. Auf letzteren bringt er fymbo- 

I) De rOrme, ibid.: »d'abundant eile a voulu auffi me Commander faire plufieurs in- 
cruftations de diverfes fortes de marbre, de bronze dor^, et pierres minerales , comme 
marchafites incruftees fus les pierres de ce pais, tant au faces du palais et par le dedans que 
par le dehors.« 



§ 69. Die Tuilerien. 



lifche Ornamente an, Lorbeerblätter und Keulen als Embleme der Stärke 
von verknoteten Schnüren, Zeichen des Wittwenftandes, umfchlungen. Diefe 
Ornamente, gefchmackvoll entworfen und aus dem feinen Material in zartem 
Relief gearbeitet, bilden einen wohl überlegten Gegenfatz mit den tief 
ausgearbeiteten Canneluren der Säulentrommeln. Aehnlicher Reichthum 




Fig. 93. Tuilerien. Theil von de l'Ormes Gartenfafade. (Du Cerceau und V..-le-Duc.) 



der Dekoration, noch gefteigert durch figürliche Bildwerke, herrfcht am 
oberen Gefchofs. Unter den Emblemen bemerkt man den häufig wieder- 
kehrenden Namenszug Heinrichs und feiner Gemahlin. 

Die Hoßagade, welche du Cerceau ebenfalls giebt, zeigt ähnliche Ein- 
theilung und Behandlung, die nur im Erdgefchofs dadurch vereinfacht ift, 



262 



Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



dafs die Arkaden fortfallen und ausfchliefslich Pilafter angewandt find. Eine 
originelle Anordnung bemerkt man an dem erften Fenfterpaar zu beiden 
Seiten des Mittelbaues. Hier find im oberen Gefchofs die ausnahmsweife 
dicht neben einander angebrachten beiden Fenfter durch gemeinfamen 
Giebel, auf welchem Statuen ruhen, bekrönt: eine Anordnung, die in Ver- 
bindung mit dem mittleren Pavillon von trefflicher Wirkung fein mufste. 
Die fpäteren taktlofen Umgeftaltungen haben von der edlen Architektur 
de rOrme's kaum einen Schatten übrig gelaffen. Wäre der Palaft nach 
feinen Plänen vollendet worden, fo dürfte kein anderes Königsfchlofs an 
Grofsartigkeit und Schönheit mit ihm fich meffen. 

Die Pavillons, welche Jean Bullant den beiden Flügeln des de l'Orme- 
fchen Baues hinzufügte, fchliefsen fich in Anlage, Eintheilung und Behand- 
lung dem Mittelbau an; doch find auch fie von fpäteren Umgeftaltungen 
fo übel betroffen worden, dafs über den Werth der Arbeiten BuUant's ein 
Urtheil nicht mehr möglich ifb. Nur fo viel erkennt man noch, dafs er als 
verftändiger Künftler eine harmonifche Gefammthaltung erftrebte und fern 
von der Rohheit derjenigen war, welche fpäter durch Aufführung der 
Koloffalordnung auf den Ecken und an der Flufsfeite die urfprüngliche 
Architektur fowohl der Tuilerien als der Louvregalerie auf's Empfindlichfte 
beeinträchtigten . 

§ 70. 

Das Schloss von St. Maur. 

WENN wir die Reihe der Werke de l'Orme's mit St. Maur abfchUefsen, 
fo müffen wir daran erinnern, dafs wir es mit einer Schöpfung feiner 
jungen Jahre zu thun haben. Kurz vor dem Tode Franz' I begann er 
für feinen Gönner, den Cardinal du Bellai, den Bau des Schloffes, welches 
nachher in die Hände der Katharina von Medici kam und unter feiner 
Leitung bedeutend vergröfsert wurde. Heute ift nichts mehr von dem Bau 
vorhanden. 

St. Maur^) liegt zwei Meilen von Paris bei Vincennes an der Marne. 
Das Schlofs (Fig. 94) bildete beinahe ein Quadrat, auf den vier Ecken 
durch gewaltige Pavillons flankirt, die auf drei Seiten durch Bogenhallen 
auf Pfeilern im Erdgefchofs wie in den oberen beiden Stockwerken ver- 
bunden wurden. An der Seite des Eingangs fehlte diefe Verbindung, und 
ftatt der Arkaden war ein mittlerer Pavillon angelegt, der die impofante 
dreifchiffige Thorhalle enthielt. Gegen den Hof öffnete fich diefelbe auf 
eine Arkade, welche beiderfeits auf eine Treppenanlage mündete. Niedrige 
Pfeilerhallen mit geradem Gebälk zogen fich um die drei anderen Seiten 



Du Cerceau, Vol. II. Vgl. Paluftre II, 68. 



§ 70. Das Schlofs von St. Maur. 



263 



des Hofes und trugen im erften Gefchofs eine Terraffe, welche zur Ver- 
bindung der Zimmer diente. In der Mitte jedes diefer drei Flügel war eine 
Haupttreppe mit gerade anfteigendem Lauf angebracht. Jede der dadurch 
gebildeten vier Gebäudemaffen war in wahrhaft vornehmer Weife aus 
grofsen Sälen und mehreren geräumigen Zimmern mit den nöthigen Neben- 
gemächern zufammengefetzt. Nach der vorderen Seite lag ein ausgedehnter 
äufserer Hof, auf vier Seiten von Dienftwohnungen umfchloffen. Links 
neben dem Hauptbau dehnte fich, an den Flufs ftofsend, ein Fruchtgarten 
aus; an die Rückfeite aber fchlofs fich ein ungeheures Gartenparterre, aus 
zweiundvierzig verfchieden verzierten Feldern beftehend. Wie wir durch 
du Cerceau erfahren, hatte der Cardinal nur einen Flügel des Gebäudes 




, , , 6 . P, 
Fig. 94. Schlofs St. Maur. (Du Cerceau.) 



ganz vollendet; die Königin aber befchlofs, den Bau weiter zu führen und 
zu vergröfsern und de l'Orme hatte ein Modell des Ganzen ausgearbeitet.') 
Die Hoffagaden zeigten anfangs nur ein Stockwerk, mit doppelten korin- 
thifchen Pilaftern, in den Ecken mit Säulen derfelben Ordnung belebt; 
darüber eine fchhchte Attika mit dem abfchliefsenden Gefimfe. Die Königin 
liefs fpäter ein zweites Gefchofs auffetzen. 

Trägt diefe Architektur das Gepräge einer ftreng klaffifchen Einfach- 
heit, fo nimmt das Aeufsere den Charakter des Derben, felbft Trockenen 
an. Sämmtliche Ecken und Fenflereinfaffungen, fowie die Arkadenbögen 

') De l'Orme in feinem Livre d'architecture, VIII, ch. 17, fol. 251 fagt felbft von 
diefem Bau: >lequel auiourd'huy fe continue et acheue par la maieft^ de la Royne mfere, 
dune fa?on bien autre et beaucoup plus riche et logeable, qu'il n'auoit efte encommen?^ et 
ordonne.« 



264 



Kap. VI. Die RenailTance unter den letzten Valois. 



find in Ruftika ausgeführt und felbft die korinthifchen Säulen, mit denen 
im unteren Gefchofs die Ecken etwas feltfam umrahmt werden, müffen fich 
diefer Behandlung fügen. Sogar die Schlote der hohen Schornfteine find 
in Rufi;ika durchgeführt. Wir erinnerten fchon daran, dafs damals die 
Architekten in diefer Bauweife den ländlichen Charakter ausgefprochen 
glaubten. Reichere Formen, aber in barock fpielender Weife, find an den 
Dachfenftern zur Verwendung gekommen. Das Hauptftück aber ift der 
breite und hohe antike Tempelgiebel mit figürlichem Schmuck, aber zugleich 
von zwei Bogenfenftern durchbrochen, der fich über die ganze Arkadenreihe 
des Mittelbaues ausfpannt; eine Neuerung, die man der noch frifchen Be- 
geifterung für die in Italien gewonnenen antiken Anfchauungen zu Gute 
halten mufs. Du Cerceau fagt: »für lequel eft affis un Frontispice, qui 
eft bien un ordre et maniere Antique, et esclatant ä nous, qui n'en avons 
point faict en noftre France de fi grand«. Wir Heutigen finden es freilich 
unpaffend und unfchön, um fo mehr, da es mit den fteilen Dächern der 
Pavillons — de l'Orme hat jede Ecke durch zwei gefonderte Dächer als 
einen Zwillingspavillon geftaltet — einen Widerfpruch bildet. 

Steht indefs der Künftler in diefem Jugendwerk minder bedeutend da, 
fo haben die Schöpfungen feiner reiferen Jahre ihn uns in voller Meifter- 
fchaft gezeigt. 



INE in mancher Hinficht an de l'Orme erinnernde Erfcheinung ift Jean 



Bullant, von deffen Leben wir freilich nur fpärliche Kunde haben. Sein 
Geburtsort fcheint Ecouen, das er mit dem Hauptwerk feiner künftlerifchen 
Thätigkeit zu fchmücken beftimmt war. Auch bei ihm dürfen wir annehmen, 
dafs feine Geburt um 151 5 fällt. Wie de l'Orme war er in feiner Jugend 
in Italien, um dort die Werke der alten und neuen Meifber zu fi;udiren. 
In feiner Schrift über die Architektur erzählt er felbfi;, dafs er in Rom die 
mitgetheilten Zeichnungen nach der Antike aufgenommen habe.') Es findet 
fich darunter eines jener prachtvollen korinthifchen Kapitäle vom fogenannten 
Tempel des Jupiter Stator^) (Dioskurentempel im Forum), welches er im 
grofsen Porticus des Hofes zu Ecouen genau nachgebildet hat. Ein Beweis, 
dafs die Erbauung des Schloffes nach feiner italienifchen Reife fällt. 

Es fleht zu vermuthen, dafs fein Gönner, der Connetable von Mont- 
morency, welchem Ecouen gehörte, früh auf fein Talent aufmerkfam gemacht, 



Reigle generalle d'architecture, in der Dedication und der Vorrede; ...... que 

i'ai mefurees ä l'antique dedans Rome« ; » que moy mesmes les mefurez et 

practiquez. — 2) ibid. Fol. E. VIII. 



§ 71. 

Jean Bullant. 




71. Jean BuUant. 



265 



ihn nach Italien gefchickt habe. Gewifs ift, dafs der Connetable, als er 
während der Zeit feiner Ungnade von 1541 bis 1547 in Ecouen wohnte, 
den Entfchlufs fafste, das alte Schlofs umzubauen und durch BuUant ein 
neues aufführen zu laffen. Mit diefer grofsen Unternehmung begründete 
der Architekt feinen Ruf und gewann, als mit dem Regierungsantritt 
Heinrichs II Montmorency wieder zur Macht gelangte, bald die Gunft des 
Königs, der ihn durch einen Erlafs vom 25. Oktober 1557 zum General- 
infpektor fämmtlicher Bauten der Krone ernannte.'') Sofort nach dem Tode 
Heinrichs II fiel er gleich de l'Orme in Ungnade und mufste einer Kreatur 
der Katharina Namens Frangois Gannat weichen. 3) Von 1559 bis 1570 
blieb er, wie es fcheint, ohne weitere Aufträge, wie er denn felbft fagt, 
der Connetable habe ihn immer beim Bau feines Schloffes verwendet, weil 
er fonft meiftens ohne andere Befchäftigung gewefen.'*) Er nahm feinen 
Wohnort in dem ftillen Ecouen und befchäftigte fich, ähnlich wie de l'Orme, 
mit theoretifchen Unterfuchungen und literarifchen Arbeiten. 

Das erfte Werk, welches man diefer Mufse verdankt, erfchien unter 
dem Titel: »RECVEIL D'HORLOGIOGRAPHIE, contenant la description, 
fabrication et ufage des horloges folaires, Paris 1561«. Er nennt fich darin 
Architekt des Connetable von Montmorency, dem er diefes und das folgende 
Buch gewidmet hat. Im nächften Jahre 1562 erfchien fein »PETIT 
TRAICTE DE GEOMETRIE«, mit welchem das frühere Werk dann zu 
einem Ganzen verbunden wurde. Mit zahlreichen Holzfchnitten ausgeftattet, 
geben diefe Schriften den Beweis der wiffenfchaftlichen Studien und der 
ernflen Neigung zur Theorie, welche ihn ähnlich wie de l'Orme auszeichnete. 
Seine Hauptarbeit auf diefem Gebiet ift aber die i 564 herausgegebene, dem 
Sohne des Connetable gewidmete, 1568 und fpäter noch öfter neu aufgelegte: 
»REIGLE GENERALLE D'ARCHITECTURE des cinq manieres de 
colonnes, a fgavoir Tuscane, Dorique, lonique, Corinthe et Compofite a 
l'exemple de l'antique fuiuant les reigles et doctrine de Vitruue«. 

Diefe Arbeiten freilich find weder fo umfaffend, noch von der felbft- 
ftändigen Bedeutung, wie jene de rOrme's,^) welchem er auch in allgemein 
wiffenfchaftHcher Bildung nachfteht. Aber die Befcheidenheit , mit der 



Nach Paluftre II, 49 freilich hätte der Umbau fchon 1532 unter- einem Meifter 
Charles Baillard (oder Billard) begonnen und BuUant wäre diefem erft 1550 gefolgt. — 
2) De Laborde, la renaiff. des arts, V. I, p. 453. — 3) Ibid. p. 458. — 4) Reigle generalle, 
in der Dedication: »d'autant que la pluspart du temps me reftoit fans autre occupation«. 
Diefe Ausfage fleht denn auch im Gegenfatz zu all den meift kirchlichen Bauten, welche 
Paluftre II, 3 ff. dem Meifter zufchreiben will. Wir können darin nur Werke erkennen, in 
denen fich der Einflufs feiner Formenwelt ankündigt. — s) Schon dem äufsern Umfange 
nach nicht, da Bullant's Schrift in der erften Auflage 24 Folioblätter, de l'Ormes Werk 
deren 283 enthält. 



266 



Kap. VI, Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



Bullant fich überall ausfpricht, beweift, dafs er zugleich weit von jeder 
Ueberhebung entfernt war. Ueberhaupt ift feine Stellung eine befcheidnere, 
und er war niemals wie de l'Orme Abt, Canonicus, königlicher Rath und 
Almofenier. Die gelehrte Bildung, die wir bei jenem angetroffen, vermiffen 
wir bei Bullant, und er fagt felbft in der Widmung feiner Schrift über die 
Geometrie: »Monfeigneur, je vous prie que fi vous trouvez quelque faute 
ä la lettre et langage vouloir excufer la rudeffe et malaornement de mondit 
langage, parce que je ne fuis latin«. Und in feiner Architektur, »quelque 
fimple et mechanique qu'il foit«, entfchuldigt er fich wegen feines »petit 
entendement ä comprendre es livres de Vitruue«. Bullant befchränkt fich 
denn auch, — da er fein Buch nur gefchrieben, »pour les ouvriers, car les 
hommes doctes en ceft art n'ont befoing de mes efcripts« — , auf Dar- 
fteilung der verfchiedenen Säulenordnungen, die er aber mit aufserordent- 
licher Genauigkeit nach geometrifchen Formeln und Gefetzen entwerfen 
lehrt, fo dafs fein Buch in der That für die Praxis damals von erheblichem 
Werth gewefen fein mufs. Wir fehen auch aus diefem Beifpiel, welch ernfte 
Mühe zu jener Zeit jeder Architekt fich mit dem gründhchen Studium 
feiner Kunft, namentlich mit der Erforfchung der Verhältniffe gegeben hat. 
Auf der letzten Seite entläfst er den Lefer mit einem Quatrain und einem 
Sonett, in welchem es u. a. heifst: 

»Si qu'or' auant on voye en-my la France 
Maints beaux Pallais d'orgueilleufe apparence 
Ne ceder point aux Babyloniens«. 

Mit dem Jahre 1 570 hörte die königliche Ungnade auch für Bullant 
auf. Er wurde zum Architekten Katharinas und zum Auffeher ihrer Bauten 
ernannt, und da de l'Orme eben geftorben war, trat er als deffen Nach- 
folger bei den Tuilerien ein.') Aufserdem mufste er für die Königin, 
als diefe aus Aberglauben den Bau des Palaftes liegen liefs, ein neues 
Stadtfchlofs, das Palais de la Reine, fpäter Hotel de Soiffons genannt, auf- 
führen. Es wurde fpäter durch die Kornhallen verdrängt, in deren Mauer- 
werk fich noch eine koloffale korinthifche Säule davon erhalten hat. Da 
in demfelben Jahre mJt de l'Orme auch Primaticcio ftarb, fo wurde er an 
deffen Stelle zum Auffeher der königlichen Bauten ernannt und leitete als 
folcher nicht blofs die Arbeiten von Fontainebleau,^) fondern auch die 
Ausführung der Königsgräber in St. Denis. Er wird in den Rechnungen 
als »ordonnateur de ladicte fepulture« bezeichnet. 3) Auch am Schlöffe 

Ueber feine Betheiligung bei diefem Bau vgl. oben § 65. — De Laborde, la 
renaiff. Vol. I, p. 462: »A maiftre Jean Bullant, controleur desdicts baftimens, la fomme de 
200 liv., pour une demie annee de fes gages«. — 3) Ibid. p. 535: »A mre. Jehan Bullant, 
architecte du Roy, pour fes gaiges et appointements d'ordonnateur de ladicte fepulture 
durant dix mois quinze jours, 523 liv.« 




§ 72. Das Schlofs Ecouen. 



267 



St. Maur, welches die Königin anfehnlich vergröfsern liefs, finden wir ihn 
befchäftigt.') 

Bullant machte im Oktober 1578, krank und fchwach, in Ecouen fein 
Teftament und ftarb dort am 10. desfelben Monats.^) Er hinterliefs eine 
Frau mit neun Kindern. Einen Monat vorher war Pierre Lescot verfchieden, 
und fo bheb von den grofsen Meiftern, welche die Bewegung der Renaiffance 
in Frankreich zu ihrer Vollendung geführt, nur du Cerceau übrig, auch 
diefer bald auf fremder Erde fein Leben endend. 



COUEN liegt fünf Meilen nördlich von Paris, in einem von Hügeln ein- 



C gefchloffenen Thale, umgeben von prachtvollen Baumgruppen. Als der 
Connetable von Montmorency die feudale Burg abbrechen und ein neues 
Schlofs errichten liefs, war es offenbar feine Abficht, an Grofsartigkeit und 
Pracht der Anlage mit den glänzendften königlichen Bauten zu wetteifern. 
In Bullant fand er den geeigneten Meifter, der noch voll von den Ein- 
drücken ItaHens ein Werk fchuf, das zu den erften feiner Zeit gerechnet 
werden mufs. Glücklich durch die Stürme der Revolution bis auf unfere 
Tage gerettet, gehört es zu den wenigen faft voUftändig erhaltenen Schlöffern 
jener Epoche. Nur das Hauptportal mit feinem Triumphbogen wurde durch 
einen fpäteren Befitzer abgeriffen, um einige taufend Franken zu feiner Aus- 
befferung zu erfparen. Napoleon I gab dem Schlöffe die Beftimmung einer 
Erziehungsanftalt für die Töchter der Ehrenlegionaire, und noch jetzt dient 
es nach kurzer Unterbrechung diefem Zweck. 

Das Schlofs 3) bildet ein mächtiges Viereck, welches fich um einen 
beinahe quadratifchen Hof von 70 zu 60 Fufs gruppirt (Fig. 95). Auf den 
Ecken fpringen hohe Pavillons als gewaltige Einfaffung vor, in den äufseren 
Winkeln mit kleinen runden Treppenthürmen , den letzten Reminiscenzen 
mittelalterlicher Aufifaffung, flankirt. Auf drei Seiten, vorn, links und an 

I) A. Berty, les grands architectes, p. 160. — Ein gelehrter Forfcher der Picardie, 
H. Dufevel, in feinen »Recherches hiftoriques für les ouvrages executes dans la ville 
d' Amiens par des maitres d'oeuvre pendant les XIV, XV et XVI fiecles« (Amiens, 1858) 
hat aus den Archiven ermittelt, dafs ein Meifter Jehan Bullant, der mehrmals in den Rech- 
nungen vorkommt, 1574 Architekt der Stadt Amiens war, in diefer Stellung aber den 
Behörden Anlafs zu Klagen gab, weil er die Arbeiter dadurch, dafs er ihnen oft aus einem 
Buche vorlas, zum Müfsigfitzen verleitete. Da an eine Identität mit unferem Jean Bullant 
nicht , zu denken, haben wir es in diefer anziehenden Notiz offenbar mit einem Namensvetter 
und Kunftverwandten des Meifters von Ecouen zu thun. Vgl. A. Berty a. a. O. p. 160 tt. 
— 3) Aufnahmen bei Du Cerceau, Vol. II, bei Baltard, Paris et fes environs (14 Tafeln) 
und bei Rouyer et Darcel, l'art architect. Vol. I, pl. 43—47 (Einzelheiten der Ausftattung.) 
Vgl. dazu Paluftre II, 49 ff. 



§ 



Das Schloss Ecouen. 




268 



Kap. VI. Die RenailTance unter den letzten Valois. 



der Rückfeite , umgeben Waffergräben den Bau ; an der rechten Seite 
fchliefst ihn eine grofse Terraffe ein. Kleinere Terraffen, innerhalb der 
Gräben den Bau unmittelbar umgebend, beherrfchen den Blick über Gärten, 
Park und Waldung. Ein Garten, rings von Mauern umfchloffen, die an 
zwei Seiten eine Nifchenarchitektur zeigen, lehnt fich an die vordere rechte 
Seite der Hauptfagade, die Terraffen und den Graben bis hart an den 
Haupteingang durchfchneidend. Vorn und an der Rückfeite führen Zug- 
brücken zu fefbungsartigen Eingängen, welche durch kurze in Ruftika aus- 
geführte Thürme gefchützt werden. Von den vier Flügeln, aus denen der 
Bau befteht, enthält der vordere nur eine lange Galerie, die fich mit Pfeiler- 
arkaden gegen den Hof öffnet. Die beiden Seitenflügel fmd in gröfsere 
Zimmer und Säle abgetheilt und haben jeder in der Mitte eine Haupt- 
treppe mit geradem Lauf. Kleinere Treppen liegen in den vier Ecken. 
Der Flügel der Rückfeite ift in eine Reihe von Wohngemächern getheilt, 
von denen das gröfste 24 zu 18 Fufs mifst. Von den , Pavillons enthält der 
an der Hnken Ecke der Vorderfeite gelegene die Kapelle , die ihre eigene 
Treppe und Sakriftei hat. Die drei andern fmd zu gröfseren und kleineren 
Wohnräumen eingerichtet. Die Anlage fpricht fich überall klar und über- 
fichtlich aus ; die Verbindung der Räume ift zweckmäfsig und durch die 
zahlreichen Treppen überall leicht zugänglich. Wie in den meiften Schlöffern 
der Zeit ift auch hier Bedacht darauf genommen, eine Anzahl felbftändiger 
Wohnungen , zum minderten aus zwei zufammenhängenden Zimmern 
beftehend und mit eigenem Ausgang verfehen, zu gewinnen. 

Für die architektonifche Charakteriflik hat der Künftler manche Elemente 
der früheren franzöfifchen Architektur aufgenommen , fie aber dem Gefetz 
der Symmetrie und den Formen der Renaiffance unterworfen (Fig. 96). 
Die runden Eckthürmchen mit ihren Laternen , die fteilen Dächer mit den 
zierlichen Bleikrönungen, die hohen Schornfteine mit der ftrengen Pilafter- 
und Bogengliederung, namentlich aber die Dachfenfter mit ihrer Einfaffung 
von Pilaftern, bekrönt von einem mehr oder minder reichen Aufbau, gehören 
hieher. An den verfchiedenen Theilen des Gebäudes fmd die Abfchlüffe 
diefer Lucarnen mit gutem Bedacht variirt: an der leichten einflöckigen 
Galerie des vorderen Flügels haben fie eine fpielend dekorative Form , an 
dem rechten Seitenflügel, der auf die grofse Terraffe hinausgeht und durch 
einen loggienartigen mit antikem Giebel bekrönten Mittelbau ein mehr 
claffifches Gepräge gewinnt, fmd fie mit einfachen Bogengiebeln gefchloffen. 
An den hohen Pavillons und den Hoffagaden haben fie kleine Nifchen mit 
Statuen, Pilaftereinfaffungen und in der Mitte antikifirende Giebel. Vollends 
dem gothifchen Stil huldigte Bullant bei der Kapelle, ein Beweis, wie lange 
für religiöfe Bauten felbft diefe Zeit noch an der traditionellen Form feft- 
hielt. Im Ganzen erkennen wir aus all diefen Zügen, dafs Bullant in feinem 



§ 72. Das Schlofs Ecouen. 



269 



Erftlingswerk eine zwifchen der alten und der neuen Zeit vermittelnde 
Stellung einnimmt, während de l'Orme in dem feinigen (Anet) ausnahmslos 
der claffifchen Richtung huldigt, die grofsen Eckpavillons befeitigt, die Ein- 
heit der Horizontalen auch bei den Dächern betont, die Kapelle in ftreng 
claffifcher Weife durchführt und nur geringe Spuren einer Conceffion an 
die mittelalterliche Auffaffung erkennen läfst. Eben dadurch gewinnt aber 




Fig. 95. Schlofs Ecouen. (Baltard.) 



Bullants Bau ein mehr nationales Gepräge und berührt uns wie mit einem 
Hauch wärmerer Empfindung. 

Die claffifche Formenwelt hat er fich für die Haupttheile feiner Com- 
pofition aufgefpart, und man mufs geftehen, dafs er. fie mit künftlerifchem 
Bewufstfein und mit Freiheit handhabt. Am fchönften ohne Zweifel an 
dem prachtvollen Triumphbogen des Haupteinganges, deffen Motiv de l'Orme 
in Anet aufgenommen und freilich durch Verlegung in den Schlufspunkt 



270 Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 

des Hofes zu ganz neuer Wirkung verwerthet hat. In drei Gefchoffen baut 
fich diefes Triumphthor als ftark vorfpringende Halle auf, im Erdgefchofs 
mit dorifchen, darüber mit ionifchen Säulen, zuletzt mit Telamonenhermen 
dekorirt, in den fchmalen Seitenfeldern mit Nifchen gefchmückt. Das Portal 
öffnet fich breit mit geradem Sturz ; darüber im Hauptgefchofs eine Loggia 
mit grofser Bogenöffnung, im oberften Gefchofs endlich eine Nifche mit dem 
Reiterbild des Connetable. Neben dem Bogen derfelben find auf Attiken 
ruhende Sphinxfiguren angebracht. Die ganze Compofition ift ohne Frage 
eine der geiftreichften Verwendungen und Umbildungen antiker Motive, 
die wir aus jener Zeit befitzen. Das runde Dach hat der Künftler auch 
bei der Galerie des vorderen Flügels angebracht. 

Während fodann am Aeufsern wie am Innern die Fagaden durchgängig 
nur mit fchhchten dorifchen Pilafterfyftemen geghedert find, hat der Archi- 
tekt fich weislich darauf befchränkt, die Axenlinien, befonders an den drei 
Hoffagaden glanzvoll hervor zu heben. Am einfachfi:en noch ift der dem 
Haupteingang gegenüber liegende breite Thorweg als einfchiffiger Triumph- 
bogen mit vortretenden dorifchen Säulen und reichem Gebälk derfelben 
Ordnung eingefafst. Kapitäle, Gefimfe und Archivolte find fein geghe- 
dert, in den Metopen lorbeerbekränzte Schilde abwechfelnd mit Trophäen, 
in den Bogenzwickeln fchwebende Victorien mit Lorbeerzweigen angebracht. 
Auch der Bogengang ift am Gewölbe reich caffettirt. Stattlicher ift die 
Mitte des rechten Hofflügels ausgebildet. Es galt hier, zwei durch breite 
Mauerflächen getrennte Portale kräftig hervorzuheben. Bullant hat das 
obere Gefchofs mit den grofsen Fenftern in feine Compofition hineingezogen, 
Nifchen mit Statuen in der Zwifchenwand angebracht und das Ganze durch 
gekuppelte Säulen eingerahmt, zwifchen denen noch Platz für kleinere 
Nifchen gebheben ift. Die untere Ordnung ift dorifch , die obere korin- 
thifch, die ganze Compofition in ihrem ftrengen Clafficismus von edler 
Wirkung; nur Schade, dafs unter den Fenftern das dorifche Gebälk durch- 
fchnitten wird, um Tafeln mit Emblemen Platz zu machen. Eine Attika, 
mit lorbeerumwundenen Halbmonden gefchmückt, bildet den Abfchlufs. 

Noch grofsartiger aber ift die gegenüber liegende Mitte des linken 
Flügels ausgebildet. Hier hat der Künftler, vielleicht das frühefte Beifpiel 
in Frankreich, eine koloffale, beide Gefchoffe umfaffende Säulenordnung 
angebracht, deren prachtvolle Details dem Dioskurentempel des Forums 
nachgebildet find. Zwifchen den mittleren Säulen öffnen fich zwei Eingänge 
zu dem Treppenhaus und den angrenzenden Sälen, * darüber im Erdgefchofs 
zwei kleinere, im oberen Stockwerk zwei grofse Fenfter; in den beiden 



') Eine Abbildung desfelben bei Baltard, PI. 7 und in meiner Architekturgefchichte, 
IV. Aufl., S. 731. 



2/2 



Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



feitlichen Intercolumnien find Nifchen angeordnet, in welchen der Connetable 
die beiden Marmorftatuen Gefangener von Michelangelo hatte aufftellen 
laffen, die urfprüngHch für das Grabmal Julius' II gearbeitet, fpäter ins 
Mufeum des Louvre gelangt find.') Die Architektur diefes hervorragenden 
Theiles zeigt in allen Gliedern bis auf die Fenfterprofile, die Gefimfe und 
das Rahmenwerk den gröfsten Reichthum. Die Dekoration des Architravs 
ift der des Dioskurentempels getreu nachgeahmt, am Fries fieht man 
Trophäen mit Lorbeerzweigen und Lorbeerkränzen über gekreuzten 
Schwertern; nur am Kranzgefims hat der Architekt die grofsen Confolen 
fich verfagen müffen. 

Endlich haben wir noch der fchon kurz erwähnten Loggia zu gedenken, 
weche an der rechten Aufsenfeite zum freien UeberbHck über die dort 
befindliche grofse Terraffe vorgebaut ift. Auch hier hat der Künftler ein 
antikes Motiv, das des Triumphbogens, frei verwerthet, und in beiden 
Hauptgefchoffen eine grofse Bogenöffnung zwifchen zwei kleineren ange- 
ordnet, das Ganze von antikem Giebel gekrönt. Die Einfaffung befteht 
unten aus cannelirten dorifchen Pilaftern, mit Gebälk und Triglyphenfries, 
oben aus ebenfalls cannelirten ionifchen Pilaftern, mit einem Gebälk, an 
deften Fries prächtige Laubgewinde gemeifselt fmd. Schade, dafs der 
Architekt das Gefimfe in der Mitte unterbrochen hat, um für feinen Bogen 
und für zwei Victorien, die das Giebelfeld bis zur Archivolte füllen, Platz 
zu gewinnen. Zur Genüge geht aus unferer Darftellung hervor, wie frei 
Bullant, ganz im Sinn feiner Zeit, die antiken Formen verwendet, und wie 
er fie einem durchaus franzöfifch nationalen Bau nur als glänzende Pracht- 
dekoration aufgeheftet hat. 

Die gefammte Ausftattung des Schloffes athmete denfelben künftlerifchen 
Geift. Alles war von folcher Vollendung, dafs du Cerceau fogar die reichen 
Fufsbodenfliefen der Terraffen und des Hofes, die von Rouen bezogen 
waren, hervorhebt, und von letzterem fagt: »la court eft fi richement pavee 
qu'il ne f'en trouve point qui la feconde«. Von der reichen Ausftattung 
des Innern find kaum einzelne Spuren erhalten. Roffo hatte das Schlofs mit 
■Gemälden, Jean Goujon und Poncio es mit Bildwerken gefchmückt. Antike 
Statuen ftanden felbft auf den Gängen und Treppen, Meifterwerke italie- 
nifcher Maler fchmückten die Säle, Glasgemälde nach Compofitionen Rafaels 
die Fenfter. Befonders glänzend war die Kapelle ausgeftattet. An den 
Wänden fah man ein Täfelwerk mit koftbaren eingelegten Hölzern, die 
Emporen zeigten fchön gefchnitzte Brüftungen, die gothifchen Rippengewölbe 



0 Du Cerceau fagt von ihnen : »Deux figures de captifs de marbre blanc, de la main 
de feu Michel Ange, eftimees de meilleures befongnes de France pour le regard de l'oeuvre 
et non fans caufe«. 



§ 7^. Das Schlofs Ecouen. 



273 



waren mit Fresken von Jean Coufin bedeckt, die Fenfter mit Glasgemälden von 
Nicolas le Pot gefüllt, und der Fufsboden beftand aus emaillirten Platten der 
beften franzöfifchen Meifter'). Von alledem ift nichts erhalten als der Altar, der 
zur Revolutionszeit ins Mufeum der franzöfifchen Denkmäler gebracht, fpäter 
in die Kapelle des Schloffes Chantilly übergeführt wurde. Im Gegenfatz 
zum gothifchen Stil der Kapelle ift diefs Werk, deffen Abbildung Baltard 
giebt, ftreng in antikem Geift entworfen. Die Seiten des Altartifches hatte 
Jean Goujon mit den Reliefs der Kardinaltugenden und Evangeliften ge- 
fchmückt; darüber erhebt fich ein prachtvoll eingerahmtes Relief, das 
Opfer Ifaaks darftellend, umfchloffen jederfeits von zwei eleganten dorifchen 
Marmorfäulen mit einem Gebälk desfelben Stiles. Auch hier hat alfo Bullant 
feiner Begeifterung für die Antike in einem einzelnen Prachtflück Ausdruck 
gegeben. 

Einige Bruchftücke und ein üppig dekorirter Kamin bei Baltard, Anderes bei Rouyer 
et Darcel, a. a. O. 




LÜBKE, Gefch. d. RenailTance in Frankreich. II. Aufl. 



18 



VII. KAPITEL. 



DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN VALOIS. 

B. DIE UEBRIGEN PROFANBAUTEN. 
§ 73- 

Das Schloss Ancy-le-Franc. 
US der Reihe anfehnlicher Privatbauten, deren Archi- 
tekten nicht bekannt find, die aber im Stil den von 
den tonangebenden Künftlern der Zeit aufgeftellten 
Grundzügen fich anfchliefsen, heben wir zunächft das 
Schlofs von Ancy-le-Franc hervor.^) Es liegt im 
alten Burgund in einer anmuthigen auf einer Seite von 
Hügeln begränzten Ebene, und wurde gegen 1545 durch 
den Grafen Antoine de Clermont, Generalforftmeifter 
von Frankreich, angeblich nach den Plänen von Primaticcio^) begonnen. Das 
Gebäude, welches eines der befterhaltenen der Zeit ift, zeigt die regelmäfsige 
Anlage von vier Flügeln, die einen quadratifchen Hof umgeben und auf den 
Ecken mit vorfpringenden Pavillons eingefafst find. Ein breiter Graben, der 
fein Waffer von dem kleinen Flufs Armangon erhielt, umgiebt den Bau auf 
allen Seiten. Der Grundrifs (Fig. 97) bietet das Mufl;er einer klaren, regel- 
mäfsigen Anlage. Rings um den Waffergraben zieht fich eine hohe Terraffe, 
die nach allen Seiten freien Ausblick gewährt. Ueber eine Zugbrücke 
gelangte man zu dem Haupteingang A und an der Rückfeite zu dem 
Thore N, das die Verbindung mit den ausgedehnten Gärten vermittelt. Eine 
breite Halle D, der eine ähnliche im oberen Gefchofs entfpricht, führt 
dann von beiden Seiten in den Hof, der ein Quadrat von 84 Fufs bildet. 
In den Ecken find vier Wendeltreppen angebracht, und bei der Eintheilung 
der Räume fällt es auf, dafs mehrfach kleinere Gemächer in zwei Reihen 

^) Vgl. du Cerceau, Vol. I, die ausführliche neuere Aufnahme bei Sauvageot, Vol. IV, 
Einzelnes in Rouyer et Darcel, Vol. I, pl. 38—42. — =) Diefe Angabe dünkt uns zweifel- 
haft, da wir Primaticcio eine fo einfach klare Architektur nicht zutrauen. 




§73- Das Schlofs Ancy-le-Franc. 



neben einander gelegt find. Die Wohnräume liegen indefs im obern Stock- 
werk. Sie beliehen aus einer Anzahl gröfserer Säle und Gemächer, befonders 
über dem Raum C liegt ein anfehnlicher Saal von 62 Fufs Länge bei 26 
Fufs Breite, in dem Pavillon L die Kapelle, in dem links an diefen ftofsenden 
Flügel eine prächtige Galerie, welche die ganze Länge zwifchen den beiden 
Pavillons einnimmt und den Blick über den Garten gewährt. Die Mauern 

' ■ ^ eil 




Fig. 97. Schlofs Ancy-le-Franc. Erdgefchofs. (Sauvageot.) 



find durchweg 6 Fufs dick, fo dafs man, wie du Cerceau fagt, nirgends 
ein folider gebautes Schlofs fieht und auf dunkle Räume fchliefst. Aber, 
fährt er fort, »Ton cognoift tout le contraire: et n'y a chofe neceffaire pour 
fervir ä un baftiment, foit d'elevation des eftages, et embrafemens des 
feneftres, foit en beaute et clarte, qui y defaille. Et de ma part, ie trouue 
ce logis bien mignard et ä mon gre«. 

18* 



2/6 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Die Architektur des Schloffes ift von grofser Einfachheit und Klarheit 
Die äufseren Fagaden zeigen eine fcMichte Gliederung durch Pilafterfyfteme 
dorifchen Stiles, gleichmäfsig in beiden Gefchoffen fowie im oberften Stock- 
werk der höher emporgeführten Pavillons. Die fteilen Dächer, auf den 
Pavillons pyramidenförmig und mit Laternen abgefchloffen, die hohen Schorn- 
fteine und die fchlicht mit antikem Giebel bekrönten kleinen Dachfenfter 
wahren die nationale Eigenthümlichkeit des Baues. Ein kräftiges Confolen- 
gefims fchliefst alle Theile ab. Etwas reicher find die Hoffagaden (Fig. 98), 
doch auch hier herrfcht Einfachheit und Klarheit. Gekuppelte Pilafter, 




Fig. 98. Ancy-Ie-Franc. Hoffafade. (Sauvageot.) 



unten korinthifch, oben compofit, zwifchen welchen die Wandflächen durch 
Nifchen gegliedert fmd, rahmen im unteren und oberen Gefchofs die Arkaden 
und die Fenfter ein. Das obere Stockwerk erhält nur dadurch etwas 
Gedrücktes, dafs das Confolengefims unmittelbar auf den Architrav gefetzt 
ifl. Im Uebrigen zeugen die cannelirten Pilafter, mit ihren fein gearbeiteten 
Kapitälen, die eleganten Profilirungen, die Gefimfe, befonders die mit Akanthus 
gefchmückten Confolen des Kranzgefimfes von echt künftlerifcher Durch- 
führung. Man kann diefe ganze edle Architektur als eine Vereinfachung 
der prächtigen Hoffagaden des Louvre bezeichnen. 



§ 74- Das Schlols Vallery. 



277 



Von hohem Werth ift die grofsentheils noch erhaltene Ausftattung 
des Innern. Köftliche Holztäfelungen an den Wänden und ebenfalls getäfelte 
Decken mit graziöfen aufgemalten Arabesken, zum Theil in Gold, geben 
einen Beweis von dem feinen künftlerifchen Sinn, der hier gewaltet. Rouyer 
und Darcel bringen in ihrem Werke ^) Beifpiele diefer Dekorationen, nament- 
Hch der Decken , die zum Edelfben und Schönften ihrer Art gehören. 
Anderes findet fich bei Sauvageot. Namentlich das fogenannte Zimmer 
des Cardinais, die Kapelle und das Zimmer des »paftor fido« zeichnen fich 
aus. Letzteres hat feinen Namen von den Gemälden an feinen Wänden, 
welche Scenen jener bekannten Dichtung darfteilen. Der Bau fammt feiner 
Ausftattung wird kaum fpäter als 1 569 , welches das Todesjahr feines 
Erbauers ift, vollendet worden fein. 



OCH etwas ftrenger, felbft nicht frei von Nüchternheit ift der architek- 



1\| tonifche Stil in dem fünf Meilen von Fontainebleau und faft eben fo 
weit von Sens gelegenen Schlöffe von Vallery.^) Es ftand hier aus dem 
Mittelalter eine anfehnliche Burg, welche der Marfchall von St. Andre um 
die Mitte des 16. Jahrhunderts zum Theil niederreifsen und durch ein 
Gebäude im neueren Stil vergröfsern liefs. An die alten Theile, die fich 
um zwei äufsere Höfe gruppiren und durch eine mit zahlreichen Thürmen 
bewehrte Mauer umfchloffen wurden, fügte er einen grofsen quadratifchen 
Hof, auf zwei Seiten von dem Neubau umgeben, deffen beide Flügel durch 
einen hohen Pavillon verbunden wurden. Die Architektur diefer Theile ift 
ein neuer Beweis von dem Einflufs , welchen der gerade im Entftehen 
begriffene Bau des Louvre auf die gleichzeitige Architektur ausübte. 
Namentlich gilt diefs von den äufseren Theilen, die in der Behandlung eine 
unverkennbare Aehnlichkeit mit der nach dem Flufs liegenden Lescot'fchen 
Fagade des Louvre verrathen. Nur dafs die Mauermaffen hier aus Ziegeln 
beftehen, während der hohe Sockel bis zur Fenfterbank im Erdgefchofs, 
die derbe Ruftikaeinfaffung der Ecken und der Fenfter, fowie die Gefimfe 
in Hauftein ausgeführt find. Die Fenfter im Erdgefchofs find mit Bogen- 
giebeln, die im oberen Stockwerk am Pavillon mit geraden Giebeln , im 
Uebrigen mit einem kräftigen Gefims auf Confolen abgefchloffen. Ebenfo 
zeigen die Dachfenfter mit ihren Bogengiebeln und den langgeftreckten 
Voluten an den Seiten diefelbe ftreng antike Behandlung, und das Ganze 
würde nicht frei fein von einer gewiffen Nüchternheit, wenn nicht die 
kräftige ProfiHrung der Formen, die bedeutenden Verhältniffe und die 



§ 74. 



Das Schloss Vallery. 




I) L'art architectural, Vol. I, Tafel 38—42. — ^) Aufn. bei du Cerceau, Vol. I. 



278 Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 

lebendige Bewegung der Maffen ihm das Gepräge einer frifchen Energie 
verliehen. 

Drei Zugbrücken führten über den breiten Graben, die eine zum Neben- 
hof, die beiden andern in den herrfchaftlichen Hof. Von diefen gehörte 
die am Ende des rechten Flügels angebrachte noch dem mittelalterlichen 
Bau an , wie fchon aus den fie flankirenden runden Thürmen erfichtlich 
wird. Offenbar foUte der Bau hier weiter geführt werden und allmählich 
die ganze mittelalterliche Anlage verdrängen. Denn wie im Louvre, in 
Ancy-le-Franc und Ecouen war es auf ein Viereck mit hohen Pavillons auf 
den Ecken abgefehen. Der andere Eingang mit antikifirendem Portal liegt 
in der Mitte des linken Flügels, und man gelangte von ihm in eine grofse mit 
Wandnifchen dekorirte Halle, die fich mit fünf auf Pfeilern ruhenden Bögen 
gegen den Hof öffnete (vgl. Fig. 99). Jedes diefer Arkadenfyfteme ift an 
der inneren Fagade durch einen krönenden Giebel ausgefprochen. Die 
Architektur der Hoffeiten befolgt diefelbe ftreng claffifche Auffaffung wie 
die Fagaden, nur dafs die Ruftika hier unterdrückt ift und an paffender 
Stelle, namenthch in den Nifchen des oberen Stockwerkes und den ein- 
gerahmten Wandfeldern des untern, feines Ornament einen edlen Schmuck 
hinzufügt. Schon du Cerceau ift die Verwandtfchaft mit dem Louvre nicht 
entgangen und er fagt: »Ce pavillon a efte fuivy en partie für celuy du 
Louvre, non pas que ce foit la mesme ordonnance, ny aux enrichiffements, 
ny aux commoditez: mais pour ce que il n'y a rien que beau et bon«. 

Aufserordentlich umfangreich waren die Parks, Gärten und Weinberge, 
welche in weitem Umkreis nach allen Seiten die fchöne Befitzung umgaben. 
Befonders prächtig ift der grofse Ziergarten in der Nähe des Haufes, mit 
reichem Blumenparterre, in der Mitte in ganzer Länge ein Wafferbaffin. 
Breite fchön gepflafterte Terraffen umgaben ihn von allen Seiten, abge- 
fchloffen durch eine Mauer mit Blendarkaden in Backftein. Dem Eingang 
gegenüber an der Mittagsfeite war eine bedeckte Halle zwifchen zwei 
hohen Pavillons angebracht, die fich mit neunundzwanzig Arkaden gegen 
den Garten öffnete, zur Sommerzeit ein fchattiger Spaziergang. Die Archi- 
tektur der Arkaden und der Pavillons ift in demfelben einfach claffifchen 
Sinn durchgeführt, wie die des Schloffes. 

§ 75- 

Das Schloss Verneuil. 

EINE der grofsartigften Schöpfungen der gefammten franzöfifchen Re- 
naiffance ift das Schlofs Verneuil, deffen Bekanntfchaft wir du Cerceau 
verdanken.') Mit dem vollen Verftändnifs der antiken Formenwelt aus- 



I Les plus excellents baftiments. Vol. I. Vgl. dazu Paluftre I, 83 ff. 



§75- Das Schlofs Verneuil. 



279 



geführt, zeigt es diefelben in einer Freiheit der Behandlung, die auf einen 
bedeutenden Architekten der Zeit fchliefsen läfst. Als folcher wird uns 




Fig. 99. Aus dem Hofe des Schloffes Vallery. (Baldinger nach du Cerceau.) 



Jean Broffe genannt; der grofse Neubau war 1585 noch nicht vollendet. 
Wenn Bullant beim Schlofs zu Ecouen die antiken Elemente nur gleichfam 
als glänzende Zuthat, um feine Studien zu documentiren , verwendet hatte. 



28o 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



wenn de l'Orme in Anet der Antike manche Eigenheiten der franzöfifchen 
Auffaffung zum Opfer brachte, fo hat der Meifter von Verneuil jene hohe 
Freiheit der Behandlung erreicht, die fich zwar innerhalb des antiken 
Formenkreifes bewegt, aber das nationale Gepräge zum vollkommenen Aus- 
druck bringt. Freilich müffen wir in einzelnen Theilen uns gewiffe barocke 
Elemente gefallen laffen; aber wir dürfen nicht vergeffen, dafs auch in 
ItaHen durch Michelangelo damals fchon mancherlei Willkür in die Archi- 
tektur eingedrungen war. 

In einem anmuthigen Thale der Picardie, zwei Meilen von Senlis lag 
das alte Schlofs Verneuil, ein ftattlicher, gröfstentheils aus dem Mittelalter 
flammender Bau, den um die Mitte des i6. Jahrhunderts Philipp de Bou- 
lainvillier befafs. Diefer Herr, den du Cerceau als »homme fort amateur 
de l'architecture« bezeichnet, befchlofs mit Beibehaltung der alten Theile 
einen neuen Prachtbau hinzuzufügen, für welchen er den neben dem alten 
Schlofs befindlichen Hügel auserfah. Gleichwohl wurden die unerläfslichen 
Gräben, welche den neuen Bau von allen Seiten umgeben foUten , aus- 
geftochen, wobei fich der Vortheil ergab, dafs man treffliche, leicht zu 
bearbeitende Steine für den Bau in Fülle vorfand. Wir geben nach du 
Cerceau den urfprünglichen Plan des Baues, der das Programm des dama- 
ligen franzöfifchen Schloffes in grofsartiger Weife verwirklicht (Fig. loo). 
Ueber die Zugbrücke gelangt man zu einer prachtvollen Eingangshalle, die 
als Rotunde mit nifchenförmigen Ausbauten und hohem Kuppelgewölbe 
charakterifirt ifl; , wohl das frühefte Beifpiel diefer Art in Frankreich. 
Offene Arkaden auf gekuppelten Säulen verbinden diefelbe mit den Seiten- 
flügeln des Schloffes. Man tritt nun in einen quadratifchen Hofraum von 
bedeutender Ausdehnung, io8 Fufs im Geviert. Um ihn gruppiren fich 
die einzelnen Flügel, auf den Ecken nicht wie gewöhnlich durch einen, 
fondern durch zwei Pavillons flankirt. Diefe vorgefchobenen Maffen, mit 
runden Dächern bedeckt (Fig. loi) — eines der erften Beifpiele vielleicht — 
geben dem Bau eine überaus lebendige Wirkung. Als fpäter der Herzog 
von Nemours das Schlofs erwarb, änderte er diefe Anordnung dahin, dafs 
flatt der zwei Pavillons nur einer, aber von gröfserem Umfang fich auf jeder 
Ecke erhob. Die Pavillons find übrigens nach der Sitte der Zeit zu 
befonderen Wohngemächern mit Kabineten und meiftens mit eigenem Auf- 
gang verwendet. Die übrigen Wohnräume liegen in dem Flügel rechts 
vom Eingang, während der linke Flügel in ganzer Ausdehnung unten eine 
offene Halle, oben eine Galerie, das Lieblingsftück der damaligen franzö- 
fifchen Schlofsanlage, enthält. Die Haupttreppe liegt in der Axe des 
Gebäudes dem Eingang gegenüber. Sie fi;eigt von einem breiten Veftibul 
in zwei gewundenen Armen doppelläufig empor, neben der Haupttreppe 
der Tuilerien eines der früheften Beifpiele in Frankreich. 



§ 75- Das Schlofs Verneuil. 



281 




O i i I l I -I SO'PaT. 
Fig. 100. Das Schlofs Verneuil. (Du Cerceau.) 



Mit diefer bedeutenden Compofition war aber das Ganze noch nicht 
zum Abfchlufs gelangt. Der Herzog von Nemours Hefs nicht blofs manche 
Aenderungen und Bereicherungen am Hauptbau ausführen, fondern befchlofs 
gegen den Garten hin noch einen vorgefchobenen Baukörper anzufügen, 
der in der Mitte eine koloffale Nifche als Abfchlufs der Gartenanlagen 



282 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



bildete, und auf beiden Ecken von vorfpringenden Pavillons, ebenfalls mit 
runden Dächern, flankirt wurde. Auf dem Grundrifs bei du Cerceau fteht 
diefer Bau durch einen grofsen Saal mit der Rückfeite des Schloffes in 
Verbindung, auf der perfpektivifchen Darfteilung liegt ein freier Raum 
dazwifchen, als Fortfetzung der Terraffen, die das ganze Schlofs umgaben. 
Eine doppelte Freitreppe führte von hier in das tiefer gelegene Garten- 
parterre hinab. Zur Linken hatte man den Hof und die Gebäude des alten 
Schloffes; vor fich aber fah man einen prächtigen Ziergarten mit einem 
Springbrunnen in der Mitte; am Ende desfelben, immer in der Hauptaxe, 
führte abermals eine doppelte Freitreppe in ein wiederum beträchtlich tiefer 
liegendes zweites Gartenparterre, das in der Mitte aus Blumenbeeten beftand, 
auf beiden Seiten von höher gelegenen Baumpflanzungen eingefafst. Ein 
Wafferkanal umgiebt diefen zweiten Garten und ift aufserdem in zwei 
parallelen Armen wiederholt , fo dafs fich in ganzer Länge zwei vom 
Waffer eingefchloffene Queralleen bilden, in der Hauptaxe des Schloffes 
durch Brücken mit Triumphthoren verbunden und am Ende durch einen 
Pavillon abgefchloffen. Der Blick von hier rückwärts über die Kanäle, die 
Laubengänge, die beiden über einander fich erhebenden Blumengärten bis 
zu der koloffalen Halbkreisnifche mit ihren Pavillons, das Ganze noch über- 
ragt von den reichgegliederten Maffen des Schloffes, mufs feines Gleichen 
nicht gehabt haben. Jedenfalls war es eine der früheften, in hochidealem 
Sinn die Formation des Terrains felbft mit in Rechnung ziehenden Anlagen. 

Kehren wir zum Schlofs zurück, um fchliefslich einen Blick auf 
die Architektur desfelben zu werfen. In feiner erften Geftalt wurde das 
Aeufsere in feiner Wirkung hauptfächlich durch die acht Eckpavillons 
bedingt (vgl. Fig. loi). Sie hatten über dem hohen Erdgefchofs ein oberes 
Stockwerk , über welchem fie mit einem kräftigen Confolengefims und 
baluftradengefchmückter Terraffe fchloffen. Von hier ftieg ein oberes 
Gefchofs in bedeutender Verjüngung auf, mit runden Dächern bekrönt. 
Die Architektur ift zugleich derb und reich: erfteres durch die kräftige 
Ruftika am Sockel und an fämmtlichen Ecken, letzteres durch die mit 
Ornamenten, Laubwerk, Masken und Helmen bedeckten Wandfelder, welche 
die Flächen neben den Fenftern ausfüllen, fowie durch die reich compo- 
nirten Trophäen, die über den Bogengiebeln der Fenfter des oberften 
Stockwerks angebracht find. Bemerkenswerth ift, dafs wir hier eines der 
erften Beifpiele vereinzelter Ruftikaquadern finden, welche den Rahmen 
des Fenfters durchfchneiden. Die runde Portalhalle der Vorderfeite ift 
gleich dem einftöckigen Verbindungsbau durch gekuppelte korinthifche 
Säulen und reich dekorirte Friefe zu einem Prachtftück herausgehoben. 
Ueber einer Baluftrade ift der Mittelbau mit einem in Halbkreis durch- 
geführten und durch eine Laterne bekrönten Auffatz abgefchloffen. So 



§75- Das Schlofs Verneuil. 



283 



gewifs Manches in den Formen den unfchönen Stempel der Willkür trägt, 
fo ift doch das Ganze in wahrhaft künftlerifchem Geifte fo aus dem Vollen 
gefchaffen, dafs es einen bedeutenden Eindruck macht. 

Die inneren Hoffagaden (Fig. 102) find auch hier durch feinere , zier- 
Hchere Behandlung angemeffen ausgezeichnet. Im untern Gefchofs erheben 
fich auf hohen Sockeln elegant cannelirte gekuppelte dorifche Pilafter, die 
im oberen Stockwerk als breite Lifenen, durch Nifchen mit Statuen durch- 
brochen, fortgeführt find. Den Abfchlufs bildet eine Attika mit glänzend 
dekorirtem Geländer, über den Pilaftern mit Trophäen bekrönt. In beiden 




Fig. lOi. Das Schlofs Verneuil. (Baldinger nach du Cerceau.) 



Stockwerken find hohe Fenfter mit Kreuzfl:äben angeordnet, die mäfsig 
hohen Dächer dagegen haben keine Fenfter. Befonders reich und edel ift 
der linke Flügel, der im Erdgefchofs ftatt der Fenfter mit Arkaden durch- 
brochen ift (Fig. 102). Die Lorbeerzweige in den Bogenzwickeln, die 
Masken der Schlufsfteine, die Trophäen auf dem vorgekröpften Fries , die 
Arabesken auf dem Pilafterfries des oberen Gefchoffes, die feine Ausbildung 
aller Gheder, namentlich das Blattwerk an den Gefimfen und Rahmenprofilen, 
das alles giebt diefer Fagade eine dekorative Fülle, die mit der Behand- 
lung der inneren Louvrefagaden wetteifert. In der Mitte der drei Hoffeiten 
find aufserdem Portale angebracht , im Erdgefchofs von gekuppelten 



284 



Kap. VII. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



dorifchen Säulen, im oberen Stockwerk auf jeder Seite von zwei Karyatiden 
eingerahmt. Ueber dem Hauptgefims erhebt fich als Abfchlufs ein Bogen- 
giebel, reich ornamentirt und mit zwei fitzenden weiblichen Figuren bekrönt. 
Du Cerceau hat nicht Unrecht, wenn er fagt: ...... fi que je puis dire 

avec ceux qui fe connoiffent en tel befongne qu'icelle court ne trouuera 
gueres fa feconde«. 

Die Umgeftaltungen, welche der Herzog von Nemours mit dem Baue 
vornahm, betrafen hauptfächlich die Vereinfachung des Grundriffes und der 
äufseren Fagaden. Da auf den Ecken die beiden Pavillons in einen zufammen- 
gezogen wurden, fo mufste der laternenartige oberfte Auffatz befeitigt und 
in ein volles oberes Stockwerk verwandelt werden. Dadurch erhielten die 
Verhältniffe mehr Schlankheit, die Umriffe mehr Ruhe und Harmonie. 
Uebereinftimmend damit wurden auch die Fenfter in fchHchterer Weife 
ausgebildet und der Schmuck überhaupt auf wenige Punkte, auf die origi- 
nelle Bekrönung der Fagade und des mittleren Eingangs befchränkt. Auch 
der letztere verlor feine Attika und wurde mit einer einzigen aber ziemhch 
coloffalen Säulenftellung als Unterbau der Kuppel bekleidet. Während 
fomit Alles vereinfacht und im Sinn einer grofsartigeren Wirkung umge- 
bildet wurde, entfaltete fich an dem neu hinzugefügten Vorbau gegen den 
Garten eine phantaftifch tolle Pracht , die nur am Weifsen Haufe des 
Schloffes Gaillon ihres Gleichen findet. Das grofse Halbrund und die Eck- 
pavillons find mit mächtigen korinthifchen Säulen dekorirt, die auf hohen 
Sockeln vortreten und üppig ornamentirte Friefe tragen. Der Mittelbau 
fchliefst darüber mit einer Baluftrade, die Pavillons haben aber ein nie- 
drigeres Obergefchofs , deffen Gliederung durch breite Pilafl:er über den 
Säulen bewirkt wird. An diefen Pilaftern find wunderhche hockende Satyr- 
geftalten mit ägyptifchem Kopfputz und doppelten Schmetterlingsflügeln, 
mit gefpreizten thierifchen Beinen, zwifchen denen die Arme auf den Boden 
herabgreifen, angebracht. Aus ihrem Kopfputz wachfen zum Ueberflufs 
riefige Blätterkronen bis zum Gefimfe empor. Verbindet man damit die 
überfchwängliche Ornamentik aller übrigen Theile, die ruhenden Figuren 
über den Fenftergiebeln des Erdgefchoffes, die in wilde Arabesken aus- 
laufenden Rahmen der oberen Fenfter, die mit gebrochenen Volutengiebeln 
bekrönt find, die überreiche Verfchwendung von Laubwerk an Friefen und 
fonfhigen Flächen, endlich die vier coloffalen Atlanten, die vier grofsen 
Monarchieen vorftellend, welche das Portal einfaffen, fo mufs man geftehen, 
dafs hier ein förmlicher Fafching der Dekoration entfeffelt ift, der bei alle- 
dem indefs die Hand eines bedeutenden Künftlers verräth. 

Wer war diefer Meifter, der am Vorderbau fo mafsvoll ftreng, an der 
Gartenfagade fo ausgelaffen üppig fich geberdet? Wir glauben Jacques 
Androuet du Cerceau felbft als den Urheber diefer Theile zu erkennen. 



§.75- Das Schlofs Verneuil. 



285 



Wer die Erfindungen in feinen verfchiedenen Werken, namentlich im Livre 
d'architecture von 1582 vergleicht, wird grofse Verwandtfchaft der künft- 
lerifchen Richtung entdecken. Der Entwurf XXXVII hat nicht blofs im 
Grundrifs, fondern auch im Aufbau, in den runden Dächern der Eckpavil- 
lons, dem Halbkreisgiebel über dem Mittelbau entfchiedene Aehnlichkeit 




Fig. 102. Verneuil. Hofarkaden. (Baldinger nach du Cerceau.) 



mit Verneuil. Die gefchweiften Dächer fpielen überhaupt in diefen Arbeiten 
du Cerceau's eine bedeutende Rolle. Der ernfte, ftrenge Stil der Archi- 
tektur am Aeufseren zu Verneuil findet in der Mehrzahl der Entwürfe feine 
Parallele. Aber felbft für die phantaftifch-baroken Auswüchfe des Garten- 
pavillons läfst fich in der »falomonifchen Ordnung« der Triumphbögen (vgl. 
S. 238) ein Analogon finden. Dafs er fich nicht als Urheber des Baues 



286 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



nennt, kann nicht als Gegenbeweis gelten, denn faft niemals fpricht er von 
den Architekten der von ihm aufgenommenen Schlöffer, theils weil er diefs 
als allgemein bekannt vorausfetzen durfte, theils weil jene Zeit noch vom 
Mittelalter her die Gewohnheit haben mochte, den Künftler hinter fein 
Werk zurücktreten zu laffen. Werfen wir dagegen in die Wagfchale, dafs 
du Cerceau dem Herzog von Nemours nahe ftand, wie aus der Widmung 
feines letzten Werkes hervorgeht, fo wird unfere Vermuthung bis zur 
Wahrfcheinlichkeit erhoben. 

§ 76. 

Das Schloss Charleval. 

NOCH grofsartiger als das im vorigen § befprochene Werk war die An- 
lage des Schloffes Charleval, welches Karl IX fich in der Nor- 
mandie nahe bei Andelys errichten laffen wollte, das aber noch weniger 
als das Schlofs von Verneuil zur Vollendung kam. Brantome fagt : »En 
cette foreft il avoit fait jetter les premiers fondemens de la plus fuperbe 
maifon, qui fut jamais en France, et la nomma Charleval, ä cause de la 
fituation qui efl une vallee, et de fon nom«. Und du Cerceau berichtet: 
»Le Roi feift compofer un plan digne d'un Monarque et feift befongner 
apres et commencer un corps ä la baffe court; et le fondement faict, 

esleverent le premier eftage, y etabliffant les offices Si ce lieu 

euft efte parfaict, ie croy que c'euft efte le premier des baftimens de 
France, pour la maffe dont il euft efte fourny«. 

Dies Wort ift nicht zu ftark, wenn wir einen Blick auf den Plan bei 
du Cerceau werfen. Derfelbe zeigt eine zu bebauende Fläche, hinter deren 
Umfang felbft die urfprüngHchen Pläne der Tuilerien weit zurückbleiben. 
Es wäre ein Palaft geworden von einer Ausdehnung, wie fie fonft nur bei 
orientahfchen Herrfcherfitzen gefunden wird, in hohem Grade geeignet, das 
Königthum glanzvoll zu repräfentiren, und doch feiner gefammten Anord- 
nung und einfamen Lage nach nur als Privatwohnung des Fürften zu 
betrachten. Das Ganze follte ein faft quadratifches Rechteck von 1080 
Fufs Breite bei 1060 Fufs Tiefe bilden. Ein Waffergraben, über den an 
der Vorderfeite eine Zugbrücke führte, follte den Bau umfchliefsen. An 
der Rückfeite vermittelte eine zweite Brücke, die Verbindung mit einem 
ungeheuren Gartenparterre von beinahe gleichem Umfang, das ebenfalls rings 
von .Kanälen umzogen, in der Mitte der Quere nach durch ein breites Waffer- 
baffm getheilt, am Ende in ein mit luftigen Arkaden umgebenes, etwas 
elliptifches Rondell auslief. Den Garten liefs Karl, wie du Cerceau bezeugt, 



') Mem. Capit. Fran?., Art. Charles IX. — Les plus excellents baftimens, Vol. II. 



§ 76. Das Schlofs Charleval. 



287 



noch vollenden; vom Schlöffe felbft, deffen Bau durch des Königs Tod 
unterbrochen wurde, kamen nur einzelne Theile zur Ausführung. 

Die Grundzüge der Anlage find folgende. Aus der Portalhalle des 
vorderen Einganges gelangt man in den ungeheuren äufseren Hof (baffe 
cour), der ein Quadrat von 480 Fufs bildet, von Arkaden und den Dienft- 
wohnungen umfchloffen wird. Zu beiden Seiten find neben diefem Hofe 
in durchaus fymmetrifcher Anlage zwei kleinere Höfe angebracht, ebenfalls 
auf mehreren Seiten mit Arkaden umzogen. Von diefen beiden Höfen 
bildet der äufsere den Vorhof und die Vorbereitung auf den Innern, und 
man gelangt durch eine Doppelcolonnade und einen breiten Thorweg in 
den kleineren zweiten Hof, deffen Mitte jederfeits eine Kapelle einnimmt. 
Der Hauptbau des Schloffes ifi; in der Breite des grofsen Mittelhofes um 
einen quadratifchen Hof als vierflügliger Bau mit prächtigen Pavillons auf 
den Ecken angelegt. Neben ihm dehnen fich zu beiden Seiten, von Terraffen 
mit Arkaden umfchloffen, Blumengärten mit Laubengängen aus. Das Schlofs 
zeigt in feiner Anlage diefelbe ftrenge Symmetrie wie alles Uebrige. 
Durch einen impofanten Thorweg gelangt man in ein breites Vefliibül, von 
wo in doppeltem geradem Lauf eine ftattliche Treppe, wohl das frühefte 
Beifpiel diefer Art in Frankreich, auffteigt. In den Axen der beiden 
Seitenflügel find ebenfalls Doppeltreppen, aber mit gewundenen Läufen, 
ähnlich der Haupttreppe der Tuilerien angebracht. Das Prachtftück des 
Baues ift der gewaltige Feftfaal, der die Mitte des gegen den Garten 
gelegenen Flügels einnimmt, dreifchiffig mit doppelten Säulenfbellungen, 
180 Fufs lang bei 72 Fufs Breite. Neben ihm jederfeits ein Treppen- 
haus in Verbindung mit den übrigen Räumen. Eine doppelte Freitreppe 
in Hufeifenform führt von dem Saal in den Garten hinab. Die Form des 
Saales, der die bis dahin üblichen Galerien durch feine gröfsere Breite in 
Schatten ftellt, die impofante Entwicklung der Treppen, die ftreng durch- 
geführte Symmetrie des Ganzen laffen in diefem Bau den erften energifchen 
Verfuch erkennen, an die Stelle der bisherigen Tradition eine neue Auf- 
faffung, die Richtung auf das Gigantifche zu fetzen. Der Verfuch war ver- 
früht und wurde vereitelt. Erft unter Ludwig XIV follte diefe Tendenz zur 
Verwirklichung gelangen. 

Was du Cerceau uns von der Architektur des riefigen Werkes auf- 
bewahrt hat, entfpricht, obwohl es "nur die Gebäude des äufseren Hofes 
find, diefem Streben in einer Weife, der man die Genialität nicht abftreiten 
kann, obgleich in den Formen und der Compofition genug Willkür mit- 
unterläuft. Der Architekt hat vor Allem, da er hier mit kleinen Formen 
nicht ausreichte , fein Streben darauf gerichtet , die grofsen Verhältniffe 
durch entfprechend grofse Formen auszuprägen. Zur Verwirklichung 
wendet er das Mittel an, welches gleichzeitig in Italien, namentlich durch 



288 



Kap, VII. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



Palladio, zur Herrfchaft gelangte und von dem wir auch in Frankreich 
fchon ein Beifpiel gefunden haben: an den jüngeren Theilen cjes Schloffes 
von Chantilly (§ 36). Es ift die Anwendung koloffaler Säulen- oder Pilafter- 
ordnungen, welche zwei Stockwerke einfchliefsen. An den Fagaden des 
Hofes ift diefs Syftem fo geftaltet worden , dafs mächtige cannelirte 
dorifche Pilafter bis zum Dachgefims auffteigen, zwifchen welchen im untern 
Gefchofs abwechfelnd einmal eine hohe Arkade, darüber das ebenfalls fehr 
hohe Fenfter des oberen Stockwerks, daneben im folgenden Syftem eine 
niedrige, mit einer Baluftrade theilweis verfchloffene rechtwinklige Thür- 
öffnung, darüber eine fchlanke Nifche mit Statue angebracht ift. Diefs 
ganze Syftem beruht auf einer Täufchung, auf der Vorfpiegelung, dafs man 
es nur mit einem Stockwerk zu thun habe, wefshalb fogar die Nifchen 
mit feiner Berechnung das Auge über die Linie hinwegführen, wo man 
den Fufsboden des oberen Stockwerks zu fuchen hat. Aber das Prinzip 
einmal zugegeben, ift die Compofition von eminenter Wirkung und verräth 
die Hand eines Meifters vom erften Range. ^) 

Mufste der Architekt indefs im Hofe ein geiftreiches Verftecken mit 
den Haupthnien der Innern Conftruction fpielen, fo erhebt er fich bei der 
Aufsenfagade zu einer Behandlung, gegen welche die architektonifche Logik 
nichts einzuwenden hat. 3) Er gliedert feine Mauerflächen durch ungeheuere 
in derber Ruftika aufgeführte, über einem hohen fockelartigen Untergefchofs 
auffteigende dorifche Pilafter. Zwifchen diefen ordnet er jedes Mal zwei 
Fenfterfyfteme an und zwar im untern wie im obern Gefchofs , doch fo 
dafs er die Krönungen der unteren in die Brüftungen der oberen hinein- 
greifen läfst und auch hier die grofsen Verticallinien durchführt. Die Fenfter 
find ebenfalls mit Ruftika eingefafst, während die Füllmauern aus Back- 
ftein beftehen. Diefe Compofition ift defshalb fo rationell, weil die 
gewaltigen Pilafter nicht blofs im Eindruck , fondern in der Funk- 
tion als Strebepfeiler aufzufaffen find , die demnach mit Recht ohne 
Rückficht auf die innere Stockwerktheilung vom Sockel bis zum Dach eine 
Einheit bilden, innerhalb deren die Fenfter die innere Dispofition vertreten 
und deutlich genug ausfprechen. Auch die Formen im Einzelnen find 
kraftvoll und noch ziemlich ftreng behandelt, wenn auch in den gebrochenen 
Giebeln und verkröpften Gefimfen der Fenfter fich die Willkür des Zeit- 
gefchmackes ankündigt. Auch die reicher gehaltene Dekoration der Hof- 
fagaden athmet denfelben Geift energifcher Klarheit, denfelben grofsen Sinn 
für Verhältniffe , rhythmifchen Wechfel und harmonifche Wirkung. Mit 
einem Wort, das Ganze ift eine Compofition erften Ranges. 

Vgl. die fchöne Darfteilung bei Viollet-le-Duc , Entretiens I, p. 376, Fig. 7. — 
^) Auch in Chantilly hat man (vgl. Fig. 54 auf S. 143) eine ähnliche Anwendung von den 
Nifchen gemacht. — 3) Abb. bei Viollet-le-Duc, a. a. O. p. 376, Fig. 6. 



§77- Das Schlofs du Pailly. 



289 



Auch hier wiffen wir nichts über die Perfon des Architekten , wenn 
wir nicht einige Anzeichen wieder auf du Cerceau deuten dürfen. Den 
Reichthum der Phantafie, die Grofsartigkeit der Compofition, den leben- 
digen Sinn für die Wirkung der Maffen, für feines Abwägen der Contrafle 
finden wir in feinen zahlreichen Entwürfen wieder. Die Anwendung ko- 
loffaler Pilafter dorifchen Stils auf zwei Gefchoffe treffen wir in feinem 
Livre d'architecture von 1582 in dem Entwurf XXIII; ähnliche Ruftika- 
pilafter wie zu Charleval wendet er in Nr. XX an. Gewichtiger vielleicht 
ift der Umftand , dafs er bei der Befprechung von Charleval ein grofses 
Blatt mit lauter Varianten für die Ausbildung der äufsern Fagaden beifügt, 
zwifchen denen der entwerfende Architekt dem Bauherrn offenbar die Wahl 
gelaffen hatte. Doch geben wir zu, dafs wir es in diefem Falle blofs mit 
Vermuthungen zu thun haben. Nur das möchten wir betonen , dafs man 
ihm nach feinen übrigen Arbeiten einen folchen Entwurf wohl zutrauen darf. 

§ 77- 

Das Schloss du Pailly. 

WIR gehen nunmehr zur Betrachtung von zwei Schlöffern über, welche 
weniger durch ihren Umfang als durch ihre claffifch edle Architektur 
Aufmerkfamkeit verdienen. In beiden glaubt man die Hand desfelben 
Architekten zu erkennen, wie denn beide auf das Geheifs desfelben Be- 
fitzers, des Marfchall von Tavannes, aufgeführt worden find. Gaspard de 
Saulx, Marquis von Tavannes, fpielt in der Gefchichte Frankreichs in der 
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine hervorragende Rolle. Kühn und 
tapfer, wagte er es am Hofe Heinrichs II als gefchworner Feind der Diana 
von Poitiers aufzutreten und wufste dennoch durch feine kriegerifchen Ver- 
dienfte den Marfchallftab zu erlangen. In den Bürgerkriegen fodann ragte 
er als heftiger Verfolger der Hugenotten hervor, und fein Fanatismus ging 
fo weit, dafs er zu dem Mordplan der Bartholomäusnacht feine Zuftimmung 
gab, und nach Brantome's Zeugnifs ^) bei jener grauenhaften Kataftrophe 
die Strafsen durcheilte mit dem Ruf: »Saignez, faignez! La faignee eft 
auffi bonne en tout ce mois d'Aout qu'en Mai!« Im Jahre 1563 erlitt er 
den Verluft feines älteften Sohnes und »croyant la paix de duree, il fe met 
a baftir le chafteau de Pailly a quoy il emploie fon bon menage f excercit 
ä la chaffe«.^) 

Das Schlofs 3), in dem kleinen Flecken Du Pailly, zwei Stunden von 
Langres gelegen , zeigt eine unregelmäfsige Geftalt , die offenbar durch 
Benützung der Grundmauern eines mittelalterlichen Baues, vielleicht auch 

Brantome, Memoires, Capit. Franc., Art. Tavannes. — Mem. de Tavannes. — 
3) Aufn. bei Sauvageot, choix de palais. T. II; vgl. Rouyer et Darcel, art. architect. I, 
pl. 36. 37. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 



290 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



durch den Felsgrund, auf dem es errichtet ift, feine Erklärung findet. Drei 
Seiten, von denen die eine jetzt zerfbört ift, find rechtwinklig angelegt, die 
vierte bildet einen fchiefen Winkel. Wo fie auf die Fagade ftöfst, ift ein 
grofser viereckiger Pavillon vorgebaut, welcher den Haupteingang enthält. 
An den übrigen drei Ecken find runde Thürme angebracht, deren Anlage 
vielleicht ebenfalls noch vom Mittelalter fich herfchreibt. Die Aufsenfeiten 
des Schloffes find völlig einfach, ohne architektonifche Bedeutung. Ein 
Waffergraben, über welchen zwei Zugbrücken und eine breite fteinerne 
Brücke für den Haupteingang führen, umgiebt das Ganze. Im Gegenfatz 
zu der völligen Schmucklofigkeit der übrigen Theile ift der Pavillon des 
Einganges an der füdweftlichen Ecke des Baues mit aufserordentlichem 
Reichthum durchgeführt. Ueber einem hohen Erdgefchofs, deffen punktirte 
Ruftikaquadern den Uebergang zu den fchlichten Maffen der anflofsenden 
Theile vermitteln, erheben fich zwei Stockwerke von ftattlichen Verhält- 
niffen, mit vortretenden gekuppelten Säulen dekorirt. Im erften Gefchofs 
find es ionifche , im zweiten korinthifche, fämmtlich mit fehr fchlanken 
cannelirten Schäften , nur auf einfachen Plinthen ruhend. In der Mitte 
umfchliefsen fie ein hohes Fenfter mit doppeltem Kreuzftab, während die 
Mauerflächen zu beiden Seiten durch reich eingerahmte Marmorplatten 
gefchmückt find. Der Fries im Hauptgefchofs ift mit eleganten Blumen 
geziert und über den Säulen vorgekröpft, an den Intercolumnien aber unter- 
brochen. Das zweite Stockwerk dagegen fchliefst ein Kranzgefims mit 
grofsen Confolen, das die Stelle des Friefes vertritt. Den oberften Abfchlufs 
bildete ehemals eine von Pilaftern eingefafste Nifche mit der Reiterftatue 
des Marfchalls. Alle Theile diefer prächtigen Compofition find durch ele- 
gante GHederung und feine Ornamentik zu einem harmonifchen Ganzen 
zufammengeftimmt. Die aus Laubwerk, Voluten und Masken beftehenden 
Einfaffungen der Marmorplatten, diefe felbfl; in ihrer edlen, malerifchen 
Wirkung, die Friefe in beiden Stockwerken, endlich die Fenfterrahmen mit 
ihren Ornamentbändern zeugen von einer Nachwirkung jener Dekorations- 
weife, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts noch einmal prächtig aufblüht. 

Im Innern umfchHefst das Gebäude einen regelmäfsigen quadratifchen 
Hof von 70 Fufs im Geviert. Der öftliche Flügel ifi; verfchwunden ; der 
anftofsende nördhche befteht gröfstentheils aus einem koloffalen Donjon des 
Mittelalters, der mit feinen fchweren Maffen die übrigen Theile in ihrer 
Wirkung erdrückt, und felbft das neben ihm angeordnete Hauptportal bei 
allem Reichthum kaum zur Geltung kommen läfst. Die gegenüberliegende 
füdhche Seite enthält an der öftlichen Ecke ein rundes, gegen den Hof mit 
Arkaden geöffnetes Stiegenhaus mit Wendeltreppe, in der andern Ecke 
eine ins Innere hineingezogene zweite Treppe , die mit dem Pavillon des 
Eingangs in Verbindung fteht, und zwifchen beiden Treppen eine Arkade 



292 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



auf Rundbögen, darüber im oberen Stockwerk eine fchmale Galerie. Die 
Wohnräume fmd hauptfächlich im weftlichen Flügel und der anftofsenden 
Ecke des nördlichen vertheilt. Im oberen Gefchofs ift hier ein auf koloffalen 
Confolen über drei Fufs vortretender Gang zur Verbindung des nördlichen 
und füdlichen Flügels angeordnet. Die ganze Conftruction ift in mächtiger 
Solidität aus einem granitartig harten Gefhein gebildet. 

Die Architektur der einzelnen Hoffagaden zeigt bei einer gewiffen 
Mannigfaltigkeit vollkommene Harmonie in edlen claffifchen Formen von 
mafsvoller Behandlung, und nur vereinzelte Cartouchen find als mehr will- 
kürliche Elemente eingemifcht. Einfachheit und Gediegenheit herrfchen vor 
und haben auch die Anwendung uncannelirter dorifcher Pilafler im Erd- 
gefchofs, ionifcher im obern Stockwerk beftimmt. Damit verbindet fich in 
gutem Einklang die Ruftika des Mauerwerks, die durch ihre regelmäfsige 
Punktirung fich fein und elegant ausnimmt. Bis zum Kämpfergefims der 
Bögen ift felbft an den Pilaftern des Erdgefchoffes diefe Ruftika durch- 
geführt. Vorzüglich fchön ift das Verhältnifs der Oefifnungen zur Mauer- 
maffe abgewogen. Zwifchen den einzelnen Arkaden find die breiten Wand- 
flächen durch je zwei Pilafter gegliedert, zwifchen welchen noch Raum für 
kleine hübfch eingerahmte Tafeln geblieben ift. Im Uebrigen beruht die 
Wirkung diefer edlen Fagade auf dem Contrafte der punktirten Ruftika mit * 
den glatten Flächen an Pilaftern, Gebälken, Sockeln und Fenfterbrüftungen, 
Den Abfchlufs macht über einem kräftigen Confolengefims eine Attika, die 
über den einzelnen Arkadenfyftemen mit Giebeln gekrönt ift, deren Tym- 
panon eine Füllung von Cartouchen zeigt. Das offene Treppenhaus, das im 
oberften Stockwerk mit korinthifchen Pilaftern dekorirt ift und mit einer 
runden Kuppel abfchliefst, verleiht diefer Fagade noch einen befonderen 
malerifchen Reiz. 

Verwandte Behandlung macht fich an der weftlichen Fagade geltend 
(Fig. 103), nur dafs hier ftatt der Arkaden auch das Erdgefchofs grofse 
Fenfter mit Kreuzpfoften zeigt, und dafs zwifchen denfelben paarweife jene 
mächtigen Confolen vorfpringen, auf welchen der Verbindungsgang ruht. 
Diefe Confolen fteigen vom Sockel auf, find in halber Höhe durch energifche 
Masken und von dort aus über einem Gefims durch Cannelirungen wirkfam 
dekorirt. 

Mit gutem Grund hat der ausgezeichnete Meifter diefes Baues die 
höchfte Pracht für das fchmale Stück der nördlichen Fagade aufgefpart, 
welches neben dem alten Donjon den Eingang zur Haupttreppe enthält. 
Drei Portale, zwei kleinere zu beiden Seiten, von denen das eine auf eine 
runde Nebentreppe führt, dazwifchen der grofse Portalbogen des Haupt- 
einganges, von doppelten dorifchen Pilaftern umrahmt, durchbrechen das 
Erdgefchofs. Im oberen Stockwerk find es vortretende Compofita-Säulen, 



§ 77- Das Schlofs du Pailly. 



293 



cannelirt und von übermäfsiger Länge, welche in der Mitte ein Fenfter, zu 
beiden Seiten Nifchen für Statuen einfchliefsen. Darüber folgt die Attika 
und dann eine grofse Lucarne, deren gekuppeltes Bogenfenfter von Com- 
pofitapilaftern und aufserdem von Säulen derfelben Ordnung eingefafst wird. 
Die Giebelkrönung und die Seitenabfchlüffe diefes Aufbaues mit ihren 
Voluten, Schnörkeln und Vafen, ihren Genien und wappenhaltenden Löwen 
ift nicht frei von barocken Elementen, gleichwohl aber von gefchickter und 
wirkfamer Gruppirung. Diefes Prachtftück von Architektur ift in allen 
Theilen verfchwenderifch dekorirt; die dorifchen Pilafter des Erdgefchoffes 
haben Füllungen von Lorbeerblättern, die Portalbögen und die Fenfter- 
rahmen hnd aufs Schönfte gegliedert, die Friefe endlich in beiden Gefchoffen 
mit Laubwerk ganz bedeckt. Schade, dafs die korinthifchen Säulen des 
oberen Stockwerks auf zu niedrigen Sockeln ruhen und dadurch eine über- 
mäfsige Länge erhalten haben, welche durch die drei gewundenen Bänder 
an der oberen Hälfte ihres Schaftes noch fühlbarer wird. An der Fenfter- 
brüftung fieht man das Wahrzeichen des Marfchalls, einen Pegafus, darunter 
feine Devife: »quo fata trahunt«. 

Von der ehemals reichen Ausftattung des Innern haben die Stürme 
der Revolution wenig übrig gelaffen. Zu den befterhaltenen Theilen gehört 
die Haupttreppe, die in Anlage und Ausfchmückung einen vornehmen Ein- 
druck macht. Sie fteigt von dem Veftibül in geradem Lauf, mit einem 
Tonnengewölbe bedeckt und mit elegant eingerahmten Marmorplatten an 
den Wänden dekorirt, zu dem erften Podeft empor, von wo fie in zwei 
Armen zum oberen Gefchofs weiter führt. Ein ftattliches Veftibül mündet 
hier auf die fogenannte »Salle doree« , die den ganzen Raum des Donjon 
einnimmt. Der Saal hatte im Mittelalter ein Tonnengewölbe, welches die 
Renaiffance durch eine hölzerne Balkendecke verkleidete. Die Balken zeigen 
noch jetzt Spuren von Malerei, ebenfo fmd die tiefen Fenfternifchen mit 
mythologifchen Fresken, freilich von geringem Werth, bedeckt. Ein pracht- 
voller Kamin (vgl. Fig. 20, S. 55), auf akanthusgefchmückten Confolen mit 
dorifchem Fries, darüber ein Auffatz, der von gekuppelten fein cannelirten 
korinthifchen Pilaftern eingefafst wird und von üppigem Cartouchenwerk 
mit P'ruchtgehängen bedeckt, zeigt das von zwei geflügelten Greifen gehaltene 
Wappen des Erbauers. Farben und reiche Vergoldung, zu denen ein- 
gelaffene Marmorplatten fich gefeilen, fteigern den Eindruck diefes präch- 
tigen Werkes. Zwei Galerieen führten ehemals von diefem Saale zu der 
kleinen Kapelle, welche im nordweftlichen Thurme liegt. Sie war mit 
einer Kuppel bedeckt, die auf noch vorhandenen cannelirten Säulen ruhte, 
zwifchen denen die Reliefgeftalten von fechs Tugenden angebracht fmd. 
Gegenwärtig dient die Kapelle bedauerlicherweife als Taubenfchlag. 



294 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



§ 78. 

Das Schloss Sully. 

DER zweite Bau, welchen der kriegerifche Marfchall ausführen Hefs, ift 
das in Burgund zwei Meilen von Autun gelegene Schlofs Sully.^) 
Es wurde 1567 begonnen, doch wird in den Jahren 1596, 1609 und felbft 
1630 noch von weiteren Arbeiten berichtet. Der Marfchall ftarb hier im 
Jahre 1573. Mit den beiden glänzenden Bauten, die er hinterlaffen hat, 
fteht eine Aeufserung feiner Memoiren in feltfamem Widerfpruch. Er fagt : 
»Les baftiments font un honorable appauvriffement et une efpece de maladie ; 
a peine ceux qui ont commence fen peuvent tirer. Si c'eft pour laiffer 
memoire de nous, eile tourne plus ä l'architecte ; cela eft hors de nous, 
ainfi que fi ceux qui ont des chevaux, des pierreries et de l'argent, devaient 
acquerir reputation pour les poffeder. Et le pis eft qu'il ne fe bätit den 
au gre de la pofberite qui fait fouvent les portes lä oü ont ete les fenetres, 
et peu de gens verront ces baftiments fans y trouver ä redire. Que fi nous 
cherchons la beaute, la fymmetrie, quelle voüte plus belle que le ciel ? 
Quel jardinage, quelle allee plus belle que la campagne?« Verftändlicher 
freilich werden uns diefe Klagen, wenn wir fie nicht als Aeufserungen des 
Erbauers, fondern feines Sohnes und Erben, der die Memoiren redigirt hat, 
auffaffen. 

Das Schlofs Sully bildet ein ziemlich regelmäfsiges Viereck, deffen 
Flügel fich um einen faft quadratifchen Hof von 125 zu 115 Fufs gruppiren. 
Das Aeufsere ift ohne architektonifche Bedeutung. Auf den Ecken erheben 
fich diagonal geftellte Pavillons, vielleicht ein fpäterer Zufatz; in der Mitte 
der nördlichen Fagade hat man neuerdings eine gothifche Kapelle vorgebaut. 
Der Eingang, zu dem man über einen Graben gelangt, liegt in der Mitte 
der Oftfeite. 

Alles architektonifche Intereffe concentrirt fich auf die vier Fagaden 
des Hofes. Sie gehören neben denen des Schlofses du Pailly zu den reinften 
Schöpfungen diefer Epoche. In ähnlich ftrengem Geift der Clafficität ent- 
worfen, fchliefsen fie fich noch enger als jene der italienifchen Auffaffung 
an. Daher das ftarke Betonen der horizontalen Linie, das Zurückdrängen 
der Dachgefchoffe, die zwar noch beibehalten, aber untergeordnet und felbft 
nicht einmal glückhch behandelt find. Vor Allem bezeichnend ift die mafs- 
voU ernfte Gliederung und Dekoration in den fchlichteften Formen der 
Antike. Die einzelnen Fagaden find auch hier, bei durchgehender einheit- 
licher Grundftimmung, verfchieden behandelt ; nur die füdliche und nördliche 
entfprechen einander. In der Axe der Weftfagade, dem Eingang gegen- 

I) Nicht zu verwechfeln mit Sully-fur-Loire, einem mächtigen mittelalterlichen Bau. — 
Aufn. bei Sauvageot, choix de palais, Vol. I. Vgl. dazu les chäteaux hiftoriques I, i ff. 



78. Das Schlofs Sully. 



295 



über, tritt ein Pavillon vor, der das Hauptportal und Treppenhaus enthält. 
Während aber im Schlofs du Pailly diefer Theil der Anlage fich um ein 
Stockwerk über die anderen Gebäudemaffen erhebt, herrfcht hier auch für 
den Pavillon die ftreng durchgeführte Horizontale des gemeinfamen Haupt- 
eefimfes. 




Fig. 104. Schlofs Sully. (Sauvageot.) 



Die Anordnung diefer Fagade beruht auf einem Syftem doppelter 
Pilafter, die aber näher zufammentreten, als im Schlofs du Pailly. (Fig. 104.) 
Wie dort ifb auch hier im Erdgefchofs die dorifche, im oberen, die ionifche 
Ordnung angewendet, erftere gleich dem Stockwerk, zu welchem fie gehört, 
in ungefchmückter Ruftika behandelt. Tiefe Bogennifchen, innerhalb deren 
die grofsen Fenfter liegen, öffnen fich zwifchen den Pilaftern. Im oberen 
Gefchofs fmd mächtige Rundbogenfenfler mit doppelten Kreuzftäben 



296 



Kap. VII. Die RenailTance unter den letzten Valois. 



angebracht. An ihren Brüftungen fieht man m ReHef eine Baluftrade nach- 
gebildet. Ein Kranzgefims mit paarweife verbundenen Akanthusconfolen 
macht einen ebenfo kräftigen wie eleganten Abfchlufs. Der Mittelbau hat 
zu beiden Seiten des Bogenportals kleinere viereckige Fenfter, über welchen 
Medaillonköpfe in reichen Barockrahmen angebracht find. Aehnlich ift hier 
auch das obere Gefchofs behandelt. 

Zeichnet fich diefe Fagide durch fchöne Verhältniffe, glücklichen Gegen- 
fatz der Oeffnungen zu den Mauerflächen und lebendigen Rhythmus aus, fo 
gilt diefs in noch höherem Maafse von der füdlichen und nördlichen Fagade. 
Auch hier fmd im Erdgefchofs Arkaden, im oberen Stockwerk Rundbögen 
zur Einfaffung der Fenfter angeordnet; allein die Oeffnungen fmd paarweife 
durch einen Pilafter verbunden, von der folgenden Gruppe aber durch zwei 
Pilafter und eine breite Mauermaffe getrennt, fo dafs ein ungemein lebens- 
voller Rhythmus, noch glücklichere Contrafte, noch edlere Verhältniffe ent- 
ftehen. Unbedenklich ift diefe Fagade wohl eine der edelften, welche die 
franzöfifche Renaiffance jener Epoche hervorgebracht hat. Die breiten 
Mauerflächen flnd im Erdgefchofs mit Büften in Medaillons, im oberen 
Stockwerk mit viereckigen Flachnifchen gefchmückt, über welchen Relief- 
köpfe in ovalen Medaillons mit eleganten Cartoucherahmen angebracht fmd. 
In der Axe der füdlichen Fagade führen die beiden mittleren Arkaden zur 
Haupttreppe. 

Das Innere des Schloffes hat zahlreiche Umgeftaltungen erfahren. Nur 
ein Zimmer zeigt noch unverfehrt feine alte Ausftattung, die gemalten Balken 
der Decke, den ftattlichen Kamin und fogar die prächtigen Teppiche jener 
Zeit. Aufserdem ift in einem Saal ein grofser Kamin mit luxuriöfer plaftifcher 
Dekoration erhalten. Sein ftark vorfpringender Mantel ruht auf Säulen von 
höchft phantaftifcher Form und Dekoration. Endlich fleht man in der 
Apfis der Kapelle eine köftliche Decke, die in bemaltem Schnitzwerk Ara- 
besken, Masken und Figuren, untermifcht mit Cartouchen von eleganter 
Zeichnung, enthält. 

§ 79- 

Das Schloss Angerville-Bailleul. 

WIE allgemein das einmal für die Schlofsanlagen gewonnene Grundmotiv 
aufgenommen und in verfchiedenen Umgeftaltungen durchgeführt 
wurde, beweift eine Anzahl von Gebäuden der Epoche. Als eines der 
intereffanteren gedenken wir hier des kleinen durch Sauvageot bekannt 
gemachten Schloffes Angerville. In der Normandie, nahe bei Fecamp 
belegen, gehört es zu den kleineren, aber auch zu den eleganteren Schö- 



') Choix de palais etc. Vol. III. 



§ 79- Das Schloss Angerville-Bailleul. 



297 



pfungen diefer Epoche. Ueber feine Entftehung ift nichts ermittelt worden, 
aber der Charakter feiner Formen zeugt für die letzten Decennien des 
16. Jahrhunderts. Denn die antiken Ordnungen find zwar mit gutem Ver- 
ftändnifs und in aller Reinheit behandelt, aber in der häufigen Anwendung 
eines theils trockenen, theils bizarren Cartouchenwerks und in manchen 
andern fchon barocken Elementen fpricht fich der Uebergang zur Kunftweife 
des 17. Jahrhunderts unverkennbar aus. 




Fig. 105. Schlols Angerville-Bailleul. (Sauvageot.) 

Der Grundrifs des kleinen Gebäudes (Fig. 105) zeigt ein Rechteck ohne 
Hof, flankirt von vier Pavillons. Es ift die fchon früher für folche Anlagen 
feftgeftellte Form, wie wir fie z. B. in Martäinville fanden, nur dafs aus 
den früheren runden Eckthürmen jetzt Pavillons geworden find und dafs 
möglichfte Regelmäfsigkeit der Anlage erftrebt ift. Der Eingang, von Säulen 
flankirt, liegt in der Mitte der Fagade und führt in ein Veftibül, das mit 
Kreuzgewölben bedeckt und an den Wänden mit Nifchen gefchmückt ift. 
In der Verlängerung desfelben gelangt man zu der bequem angelegten 
Treppe, die in geradem Lauf zu einem mit Nifchen ausgeftatteten und mit 



298 



Kap. VII. Die RenailTance unter den letzten Valois. 



Kreuzgewölben bedeckten Podeft und von da in rückwärtiger Wendung zum 
oberen Gefchofs fuhrt Die Eintheilung der Räume ift im unteren wie im 
oberen Stockwerk diefelbe, nur dafs im Erdgefchofs der ausfpringende Theil 
der Pavillons als kleines Kabinet abgetrennt ift. Vier Zimmer im Haupt- 
bau, fämmtlich von gleicher Gröfse bis auf das eine, welches durch die 
Treppenanlage befchränkt wird, und vier damit verbundene Nebenzimmer 
in den Pavillons bilden das Ganze. Die Zimmer im Hauptbau erhalten 
durch breite gekuppelte Fenfter, die Räume in den Pavillons durch fchmale 
einfache Fenfter ihr Licht. 

Befondere Sorgfalt ift auf die künftlerifche Durchführung der Fagade 
verwendet. (Fig. 106.) Und zwar concentrirt fich der reichere Schmuck 
derfelben auf den mittleren Theil, der das Portal enthält. Im Erdgefchofs 
find es elegant cannelirte dorifche Säulen, die frei vortretend mit kräftigem 
Gebälk das Portal einrahmen. Ueber dem letzteren fieht man ein von 
Greifen gehaltenes Wappen in mehr reicher als gefchmackvoller Compofition 
von einem abenteuerlichen Gemifch widerfprechender Formen in willkür- 
licher Zufammenftellung. Hässliche firenenartige Fabelwefen, Genien mit 
Fruchtfchnüren, Trophäen und Schilde in wunderlicher Art zufammengeftellt, 
erhalten durch die Schnörkel der Cartouchen vollends das Gepräge der 
Barockzeit. Dazu kommen die einzelnen Quader, die ebenfo roh als 
unmotivirt das Rahmenprofil des Portals und der Fenfter durchfchneiden. 
Im erften Stockwerk folgen ionifche und im zweiten korinthifche Säulen, 
fämmtlich cannelirt und zierlich gearbeitet. Darüber fteigt ein eleganter 
fchlanker Glockenthurm mit einer Laterne bekrönt empor, eingefafst von 
korinthifchen Säulen, die auf lang gezogenen Confolen ruhen. Das Einzelne 
ift auch hier fchon fehr barock, doch läfst fich nicht leugnen, dafs die 
Compofition diefer Mittelpartie im Ganzen einen originellen und lebensvollen 
Eindruck macht. Verftärkt wurde derfelbe durch die urfprüngliche Anord- 
nung der Dächer. Nicht blofs die Eckpavillons haben fteile Pyramiden- 
dächer , fondern auch das Dach des Hauptbaues war in zwei felbftändige 
hohe Dächer zerlegt, fo dafs der Glockenthurm mit feiner zierlichen Laterne 
fich um fo wirkfamer gegen den Himmel abfetzte. Dazu kommt endlich 
der ungemein reiche figürliche und ornamentale Schmuck in getriebenen 
Bleiverzierungen, welche die Dächer krönen und die zwar ebenfalls fchon 
willkürlichen aber originellen' und keck componirten Dachfenfter. 

Von der inneren Ausftattung find nur Bruchftücke der elegant gearbei- 
teten, aber in der Compofition barocken und in der Zeichnung mageren 
Holzvertäfelung der Wände erhalten. 



300 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



§ 80. 

Das Schloss Maune. 

DIE lebhafte Befchäftigung mit geometrifchen Formen und Conftructionen, 
der fich die Architekten der Renaiffance mit Vorliebe hingaben, führte 
Tie gelegentlich dazu, ftatt der naturgemäfsen rechtwinkligen Anlage einzelne 
Verfuche mit complicirteren Grundriffen zu machen. Der Kreis und die 
verfchiedenen Arten von Polygonen in mannigfacher Anwendung und Ver- 
bindung fpielen dabei eine Hauptrolle, und es ift, als ob in folchen Com- 
pofitionen ein Stück Phantaftik aus früheren Epochen nachfpuke, um fich 
auf Korten des fonft fo rationellen Baugeiftes diefer Zeit geltend zu machen. 
In Italien ift das Schlofs Caprarola ein merkwürdiges Beifpiel diefer Rich- 
tung. Für Frankreich liefert du Cerceau wenigftens auf dem Papier in 
einer Anzahl von Entwürfen feines Livre d'architecture Vorbilder zur Genüge. 
Freilich bemerkt er dabei gelegentlich, wenn er gar zu feltfame Erfindungen 
darbietet, er theile fie mit »plus pour plaifir et diverfite que pour autre 
chofe«.') In Wirklichkeit hat fich ein Bauwerk diefer Gattung bis auf 
unfere Tage erhalten zum Beweife, dafs bisweilen auch hier aus folchen 
Spielen der Einbildungskraft monumentaler Ernft wurde. 

Es ift das kleine Schlofs Maune (Mosne), bei der Eifenbahnftation 
Tanlay, an der Linie von Paris nach Lyon, im alten Burgund, Departement 
der Yonne gelegen. Der Herzog von Uzes liefs es in Form eines regel- 
mäfsigen Fünfecks erbauen, auf deffen Ecken nach aufsen thurmartige Vor- 
fprünge, theils als Erker, theils als Treppen dienend, fich erheben (Fig. 107). 
In der Mitte des Gebäudes, fagt du Cerceau, ift unten ein Springbrunnen 
angebracht, um den fich in einem Fünfeck eine doppelte Wendeltreppe hinauf- 
zieht, zur Verbindung der wenigen grofsen Gemächer, in welche die einzelnen 
Stockwerke getheilt find. Die Treppe ift ganz durchbrochen, fo dafs man 
beim Auf- und Abfteigen immer den Brunnen ficht. Derfelbe Gewährsmann 
rühmt die Zweckmäfsigkeit der Anlage: »En ce baftiment y a poelle, eftuves, 
baignoires, fort bien pratiquez, ä caufe de la fontaine: enfemble falles, 
chambres, garderobbes et toutes commoditez neceffaires ä un logis, chasqu'un 
eftage accommode de ce qui y eft befoin«. Das Dach des Fünfecks 
bildet eine Pyramide, aus deren Mitte fich eine kleine Laterne erhebt. Eine 
ausführliche Befchreibung widmet du Cerceau der Conftruction der Balken- 
decke mit ihrem reichen Schmuck. 

Eine Umfaffungsmauer mit Arkaden umgiebt in Hufeifenform den Bau 
und öffnet fich gegen ein Gartenparterre mit Weiher und Springbrunnen, 

I) Livre d'architecture von 1582 Nr. XXXVIII. — =) Aufn. bei du Cerceau Vol. I, 
wo im Text durch einen leicht erklärlichen Druckfehler Manne zu lefen ift, während die 
Tafeln nach damaliger Schreibweife richtig Maune geben. 



§ 8i. Die Gärten der Renaiffance. 



301 



das an der entgegengefetzten Seite wieder mit einem Halbkreis abfchliefst. 
Auf der andern Seite führt vom Schlofs ein Verbindungsgang, der aus 
offenen Arkaden und einem Dachgefchofs befbeht, nach dem äufseren Wirth- 
fchaftshofe, der eine ovale Form zeigt, eigentlich zwei Halbkreife, welche 
durch vorfpringende rechtwinklige Bauten verbunden werden. Der dem 
Schlofs zugewendete Halbkreis enthält im Erdgefchofs offene Arkaden, im 
Dachgefchofs Dienft Wohnungen. Der andere Halbkreis befteht nur aus einer 
Umfaffungsmauer, die in der Mitte durch das Eingangsthor unterbrochen ift. 
Feftungsartige Mauern, im Rechteck angelegt und von breiten Gräben um- 
fchloffen, ziehen fich um die ganze Schlofsgruppe fammt dem Garten herum. 
Die Architektur des Aeufsern ifh von abfoluter Nüchternheit , ohne eine 
Spur von künftlerifcher Form. Wir erwähnen das wunderliche Gebäude 
nur, weil es für eine Richtung des Baugeifbes jener Zeit bezeichnend ifb, im 
Uebrigen, um mit du Cerceau zu reden, »plus pour plaifir et diverfite que 
pour autre chofe«. 

§ 81. 

Die Gärten der Renaissance. 

WIR würden nur ein unvollftändiges Bild der franzöfifchen Renaiffance- 
fchlöffer befitzen, wenn wir nicht einen Blick auf die Gartenanlagen 
werfen wollten. Schon die mittelalterliche Burg befafs, wo irgend der Platz 
es geftattete, einen Garten, in welchem man aufser den Küchenkräutern und 
den Fruchtbäumen ein Blumenparterre, namentlich von Rofen und Lilien, 
Rebengänge, Rafenplätze mit fchattenden Bäumen, bisweilen auch Weiher 
und, wo der Ort es gab, Springbrunnen hatte. In den Gärten ftolzirten 
Pfauen und in den Weihern fpiegelten fich Schwäne. Unter Karl V erwähnen 
die Rechnungen des Louvre einen »lehan Baril, faifeur de treilles, pour 
avoir faict un grand preau esdicts iardins et faict de merrien (de bois) un 
lozengie tout autour, ä fleur de liz et ä creneaux«.') Doch war immer- 
hin der Raum für folche Anlagen befchränkt, das Leben felbft zu unruhig 
und kriegerifch bewegt, die Rückficht auf Befeftigung und Vertheidigung 
zu ausfchliefslich, um jenen Gärten eine gröfsere Bedeutung zu geben. Als 
aber im 15. Jahrhundert das Naturgefühl immer mächtiger erwachte und 
in der Kunft einen lebhaften Widerhall fand, als die flandrifchen Meifter 
zuerft ihre heiligen Geftalten vom Goldgrund erlöften und mitten in das 
blühende Leben des Lenzes hineinftellten, wurde alsbald auch die Garten- 
anlage ein Gegenftand künftlerifchen Studiums, äfthetifcher Ausbildung. Es 
ift bezeichnend für das gefteigerte Naturgefühl der Zeit, dafs wir fo oft 
in den anziehendften Bildern der Meifter des 1 5. Jahrhunderts die Madonna* 



') Comptes du Louvre, citirt von A. Berty, la renaiff. monum. Vol. I. 



302 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



im Rofenhag dargeftellt fehen, und dafs auf allen Bildern ein Teppich von 
natürlichem Rafen, mit Blumen durchwirkt, fich den Geftalten unterbreitet. 

Den entfcheidenden Anftofs gab aber auch hier Italien. Schon bei dem 
Kriegszuge Karls VIII nach Neapel fmd die Berichterftatter von nichts fo 
entzückt, wie von den bezaubernden Gärten der italienifchen Villen. Die 
Herrlichkeit des Gartens von Poggio reale feffelt den König und feine 
Cavaliere mehr als alle andern Schöpfungen der Kunft, und ebenfo ent- 
zückt fpricht fich Jean d'Auton über die Schönheit des Parks von Pavia 
aus. (Vgl. § I.) Kein Wunder, dafs fortan bei allen Schlofsbauten die 
Anlage der Gärten mit befonderem Nachdruck gepflegt wurde. Ueberein- 
ftimmend kann man bei aller Abwechslung folgende Grundzüge beobachten.') 
Die unmittelbare Nähe des Schloffes, d. h. der herrfchaftlichen Wohn- 
räume, wird für die Anlage eines Parterre von Blumen vorbehalten, fo dafs 
man nicht blofs aus den Zimmern den Blick über dasfelbe genofs, fondern 
auch durch Treppen fchnell dahin gelangen konnte. Die Anordnung folcher 
Treppen zur Verbindung mit dem Garten wird z. B. in den Urkunden von 
Fontainebleau ausdrücklich vorgefchrieben. Bezeichnend für die künftlerifche 
Gefmnung der Zeit ift die ftreng fymmetrifch-regelmäfsige Behandlung diefer 
Blumenparterres , die felbft da feftgehalten wird , wo ' man im Schlofsbau, 
durch ältere Theile gehemmt, fich die Regelmäfsigkeit und Symmetrie ver- 
fagen mufste. Gaillon bietet ein merkwürdiges Beifpiel. Die einzelnen 
Blumenbeete erhalten mannigfaltige Zeichnungen, nicht blofs in rhythmifch 
bewegten Ornamenten, fondern auch in allerlei Spielereien mit Namenszügen, 
Emblemen und Devifen. In dem bunten Schmuck diefer unendlich abwech- 
felnden Formenwelt, die einerfeits an die Mufter der emaillirten Fufsböden, 
andrerfeits an die Ornamentik der Decken erinnert, hat die dekorative Luft 
der Renaiffance wieder ihre Unerfchöpflichkeit bewährt. Häufig findet man 
«ins oder auch zwei diefer Blumenfelder als Labyrinthe, oder wie es damals 
hiefs, als Dädalus ausgebildet, eine Form, welche auf die Irrgänge in den 
Fufsböden der mittelalterlichen Kirchen zurückführt. Was dort dem ablafs- 
bedürftigen Beter als Penfum für feine fromme Kafteiung vorgezeichnet 
wurde, gewann hier den Charakter eines neckifchen Spiels. Solche Laby- 
rinthe zeigt bei du Cerceau der Garten der Tuilerien, und in doppelter 
Anlage kommen fie in Gaillon und Montargis vor. 

Zur befferen Ueberficht des heiteren Ganzen liefs man rings um das 
Blumenparterre, mit diefem durch Treppen verbunden, erhöhte Terraffen 
fich hinziehen, breit genug, um einer feftlichen Gefellfchaft zum Luftwandeln 
zu dienen. Von der Sorgfalt, mit welcher man auch diefe Theile ausftattete. 



0 Rabelais in feiner Schilderung der Thelemitenabtei (vgl. § 7) giebt auch von den 
Gartenanlagen das jener Zeit vorfchwebende Idealbild. 



§ 8i. Die Gärten der Renaiffance. 



303 



geben die Baurechnungen von Gaillon zahlreiche Beweife. Namentlich 
erhalten die Fufsböden reiche Mufter durch verfchiedenfarbige glafirte Steine. 
Ein Bruchftück folcher Fufsböden hat man in neuerer Zeit zu Anet gefunden. 
In der Regel werden die Terraffen nach aufsen durch Mauern abgefchloffen, 
aber früh fchon umgiebt man fie auf einer oder mehreren Seiten mit 
bedeckten Arkaden, um je nach Belieben fchattige oder gefchützte fonnige 
Wandelbahnen zu erhalten. Schon in Gaillon ßnd zwei Seiten des Gartens 
mit bedeckten Galerieen umzogen, die an den Enden auf Pavillons münden. 
So gewann man mitten im Garten in der fchönften Umgebung Räume für 
ftille Zurückgezogenheit und ruhige Meditation. Aehnlich fieht man es an 
einer Seite der Gärten zu Vallery und zu Chantilly, in noch vollftändigerer 




Fig. 107. Das Schlofs Maune. (Du Cerceau.) 



Weife zu Dampierre. Das fchönfte Beifpiel bot aber Anet, wo auf drei 
Seiten das grofse Gartenparterre von Galerieen mit Arkaden in Ruftika 
umzogen wurde, was, wie du Cerceau fagt, »donne au iardin vn merueilleux 
eclat ä la vue«. Bisweilen verbindet man damit kleine Bethäufer, wie die 
noch gothifchen Kapellen im Garten zu Bury und zu Gaillon. Aehnlich zu 
Blois , wo ein langer gedeckter Laubengang vom Schlofs um drei Seiten 
des Gartens fich hinzieht und fchliefslich auf die Kapelle mündet. Dagegen 
fehen wir fpäter de l'Orme im Park von Villers-Coterets eine Kapelle in 
ftreng antiken Formen aufführen. Ein Hauch von ftiller Naturandacht 
mochte in folcher Umgebung diefe kleinen Oratorien umfpielen und den 
Einfamen zur Sammlung des Gemüthes ftimmen. 



304 Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 

Aber auch fonft wird für fchattige Gänge geforgt. Leichte Holz- 
galerieen mit Epheu oder Reben umrankt, find in wohlabgemeffener Anord- 
nung zwifchen die Bkimenbeete vertheilt, fei es, dafs fie in der Mitte das 
Parterre durchfchneiden oder an den Seiten fich hinziehen. Und zwar find 
es nicht blofs die anfpruchslofen Conftructionen leichter Laubengänge mit 
gebogenen Lattendecken, nach Art von Tonnengewölben, fondern die Kunft 
des Zimmermanns erhebt diefe Conftructionen bald zu höherer Bedeutung, 
bildet an ihnen die Formen des Steinbaues mit angemeffener Umgeftaltung 
nach, giebt der Compofition höheren architektonifchen Werth dadurch, dafs 
die langen Galerieen an den Endpunkten und etwa noch in der Mitte durch 
erhöhte Pavillons unterbrochen werden. Das fchönfte Beifpiel diefer Art 
war zu Montargis (Fig. 108); andere fah man zu Verneuil, zu Charleval, 
Beauregard, hier in ftreng antiker Behandlung mit durchweg geradem Ge- 
bälk und Giebeln an den Pavillons, freier dagegen in charakteriftifch aus- 
geprägter Holzconftruction zu Bury. 

Herrfchte in diefem Kernpunkt der Gartenanlagen das ftreng-architek- 
toriifche Gefetz, fo trat in wirkfamen Contraft dazu der weite Ring aus- 
gedehnter Parkanlagen, in welchen man dem Walten der Natur und der 
Vegetation gröfsere Freiheit liefs. Zwar die Obftgärten mit ihren Rafen- 
flächen und regelmäfsig ausgetheilten Fruchtbäumen halten das Gefetz der 
Symmetrie feft, bilden aber doch einen Uebergang zu der freieren Bewegung 
der grofsen Laubmaffen des anftofsenden Parks. Diefer felbft, von breiten 
Baumalleen in allen Richtungen durchzogen, mit feinen Rafenflächen und 
Laubmaffen, vermittelt endhch den Uebergang in die freie Natur, mit der 
er die Schöpfung des menfchlichen Geiftes verknüpft. 

Zu diefen beiden Elementen, der Vegetation und der Architektur, 
gefeilt fich als dritter nicht minder wichtiger Faktor das Waffer. Im Mittel- 
alter hatte man fich bei den Gärten in diefem Punkte mit dem behelfen 
müffen, was die Natur freiwillig und zufällig bot. Die Architekten der 
Renaiffance in ihrer wiffenfchaftlichen Durchbildung waren aber zugleich 
tüchtige Hydrauliker und wufsten den Gärten den belebenden Schmuck 
fpringender Waffer zu geben. In Gaillon finden wir Pierre Valence von 
Tours mit der Leitung und Anlage des Springbrunnens für den Garten und 
Schlofshof befchäftigt. In den Baurechnungen Franz' I wird ausdrücklich 
der Fontainen gedacht, welche in St. Germain und Villers-Coterets angelegt 
werden follen. Das Wenigfte, was gefordert wird, ift ein Springbrunnen 
inmitten des Gartenparterres, der dann manchmal wie in Gaillon und Blois 
durch einen leichten in Holz conftruirten Pavillon, der ihn umfchliefst, zu 
einem behaglich kühlen, halb gefchloffenen Platze umgewandelt wird. Wo 
die ungewöhnliche Breite des Gartens es erheifcht, wie in An et und Charleval, 
bringt man zwei Fontainen in gleichmäfsigem Abftand an. Reichere 



§ 8i. Die Gärten der Renaiffance. 



Wafferkünfte mit Grotten und Cascaden kommen in diefer Zeit kaum fchon 
vor. Nur zu Chenonceau und zu Gaillon finden fich Beifpiele, beide jedoch 
erft aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts als Zufätze fpäterer Zeit. 

Eine viel eingreifendere Rolle kam diefem Elemente zu, wo die Nähe 
eines Fluffes Waffer in reicher Fülle gewährte. Da wird nicht blofs rings 
um den Garten ein Kanal gezogen, fondern bisweilen in öfterer Wieder- 
holung durchfchneidet das belebende Element mit parallelen Armen den 
Garten, wie in der prächtigen Anlage von Verneuil, oder es wird in ganzer 
Breite als fchön eingefafstes Baffin in die Gartenanlage eingeführt, wie in 
Charleval, Vallery und beim weifsen Haufe zu Gaillon. Wo in diefer Weife 
das Waffer von allen Seiten die Gärten umzieht, da fucht man dasfelbe 
auch dem Auge des Befchauers unmittelbar nahe zu rücken. Daher fallen 




Fig. loS. Gartenlaube zu Montargis. (Du Cerceau und Berty.). 



hier die umgebenden abfchliefsenden Mauern fort und ftatt gefchloffener 
Galerieen werden leichte Laubengänge angeordnet, durch deren zahlreiche 
OefFnungen der Waffer fpiegel fichtbar wird und frifchen Luftzug, angenehme 
Kühlung in diefe fonft leicht dumpfigen Galerieen bringt. So ficht man es 
zu Dampierre und zu Chantilly, namentlich aber zu Verneuil, wo überall 
das Waffer in vielverzweigten Kanälen , Baffins und grofsen Weihern eine 
Hauptrolle fpielt. Seltener dagegen wird die Plafbik zu Hülfe genommen, 
die in Italien bei den Gärten fo hervorragende Bedeutung gewinnt. Nur 
in der Klausnerei zu Gaillon wird eine Ausnahme gemacht , und in Fon- 
tainebleau nimmt bei du Cerceau die Diana von Verfailles die Mitte des 
kleineren an der Südfeite des Schloffes gelegenen Gartens ein. 

Wohl das Vollendetfte, was die Gartenkunft diefer Epoche in Frank- 
reich hervorgebracht, ift der Garten von Verneuil, den wir in § 75 bei 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 20 



3o6 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Befchreibung des Schloffes gefchildert haben. Die Figur 109 überhebt uns 
einer ausführlicheren Erklärung. Hier ift aufserdem die Benützung des an- 
fteigenden Terrains zu bedeutenden Wirkungen gelangt. 

Merkwürdig dadurch , dafs er fich ausnahmsweife nach den unregel- 
mäfsigen Formen des (im Wefentlichen aus dem Mittelalter flammenden) 
Schloffes richtet, ift der Garten von Montargis. Im weiten Halbrund, 
zwei concentrifche Ringe bildend, der innere mit Mauern umzogen und mit 
dem äufseren durch flattliche Portale verbunden, umfchliefst er in grofsem 
Bogen den Bau. Von den beiden Labyrinthen des inneren Parterres war 
fchon oben die Rede und die prächtige Doppelgalerie, deren Holzwerk eine 
Bekleidung von Epheu hatte, ift in Figur 108 theilweife dargeftellt. Mit 
den reichen Blumenbeeten wechfeln Rebengänge, Rafenflächen mit Obft- 
bäumen aller Art und Wiefen, die weithin von Alleen durchfchnitten werden. 
Rene de France, Tochter Ludwigs XII und Gemahlin des Herzogs Hercules 
von Ferrara , liefs diefen Garten anlegen , als ihr 1 560 Montargis zum 
Wittwenfitz überwiefen wurde. 

Von aufserordentlichem Umfang waren die Gärten zu Blois, zu denen 
man vom Schlofs aus durch einen verdeckten Gang über die Strafse hin 
gelangte. Der Haupttheil beftand aus einem Parterre von 600 Fufs Länge 
bei 250 Fufs Breite, rings auf drei Seiten mit einer hölzernen Galerie 
umzogen, die auf einen Pavillon und eine kleine Kapelle mündete. In der 
Mitte des Gartens erhob fich über einem Springbrunnen ein Kuppelbau. 
Daneben auf beiden Seiten zwei andere Gärten , der eine mit zierlichen 
Blumenbeeten, die einen Springbrunnen umgaben, der andere mit Baum- 
alleen und von zwei in der Mitte fich kreuzenden fchattigen Galerieen 
durchfchnitten. Du Cerceau fagt: »II y a de beaux et grands iardins, 
differans les vns des autres, aucuns ayans larges allees ä lentour , aucuns 
couvertes de charpenterie, les autres de coudres, autres appliquez ä vignes«. 

Durch grofsen Wafferreichthum zeichnet fich die Anlage des Schloffes 
Dampierre aus , wo drei Gärten , fämmtlich von Kanälen und breiten 
Baffins umzogen, durch Brücken miteinander in Verbindung ftehen. Das 
mittlere Parterre in der Axe des Schloffes und mit diefem auf einer Infel 
errichtet , läuft in eine dreieckige Spitze aus , die durch drei Pavillons 
bezeichnet wird. Bedeckte Galerieen mit offenen Arkaden verbinden die 
Pavillons und umziehen den ganzen Garten. An den Canälen find breite 
fchattige Gänge mit doppelten Baumreihen nach allen Seiten hingeführt. 

Auch der Garten von A n e t, grofs und regelmäfsig mit zwei Spring- 
brunnen und, wie wir gefehen, auf drei Seiten von Galerieen mit Arkaden 
umzogen, war rings von Waffer eingefchloffen, das am äufserften Ende einen 
grofsen halbrunden Weiher bildete. Hier war ein Badhaus angelegt, von 
deffen Gemächern Stufen zum Baffin hinabführten. Im Uebrigen fah man 



§ 8i. Die Gärten der Renaiffance. 307 

Rafenplätze mit Fruchtbäumen, Blumenparterres, Fifchteiche und Kaninchen- 
gehäge, fämmtlich durch Kanäle, die mit Alleen eingefafst waren, getrennt. 
Auch an Volieren und Orangerieen fehlte es nicht. 

Auch Chenonceaux zeichnete fich durch reiche Gartenanlage aus, 
bei welcher ein ausgebildetes Syftem von Wafferkünften zur Anwendung 
gekommen war. Rechts vom Eingang fah man im Park eine Felsgrotte 
mit Caskaden, umgeben von einem Wafferbaffm. Eine Terraffe mit Blumen 
umgab dasfelbe und weiter oberhalb war eine andre Terraffe angebracht, 
die mit Laubgängen bedeckt war, und deren Umfaffungsmauer mit Nifchen, 




Fig. 109. Gartenanlage zu Verneuil. (Du Cerceau und Berty.) 



Säulen und Statuen, fowie mit Sitzbänken gefchmückt war. Auch zum 
Vexirfpiel war das Waffer hier fchon verwendet, denn in der Mitte des 
kleineren Gartens war eine Oeffnung angebracht, die ein hölzerner Zapfen 
fchlofs. Wenn man diefen unverfehens herauszog, flieg ein Strahl 18 Fufs 
hoch empor, »qui eft une belle et plaifante invention«, fagt du Cerceau. 

Die gröfste Mannigfaltigkeit zeigten aber die Gärten zu Gaillon nach 
den Verfchönerungen , welche der Kardinal von Bourbon der urfprünglich 
fchon reichen Anlage hinzugefügt hatte. Hier war in der Verbindung der 
verfchiedenen Gärten das hügelige Terrain zur Geltung gebracht und dafür 

20* 



3g8 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



geforgt, dafs der Blick immer das liebliche Thal und den Flufs mit um- 
fafste. In ziemlicher Entfernung vom Schlofs und deffen Gärten hatte der 
Kardinal eine Karthaufe errichten laffen, wohin man durch den Park auf 
Terraffen und durch anfteigende bedeckte Baumgänge gelangte. Man kam 
zuerft zu einer Kapelle, die mit einem kleinen Wohngebäude und einer auf 
einem Felfen angelegten Einfiedelei in Verbindung ftand, rings von einem 
viereckigen Wafferbaffm eingefafst. Daneben lag auf der einen Seite ein 
kleiner gefchloffener Blurnengarten , mit Lauben und gedeckten Gängen. 
Um das Parterre erhoben fich auf einer Anzahl von Poftamenten Statuen 
von drei bis vier Fufs Höhe. Auf der andern Seite der Einfiedlergrotte 
gelangte man an einem ausgedehnten Baffm , das von breiten Terraffen 
umfchloffen war, zu dem fogenannten weifsen Haufe, einem rings von Waffer 
umgebenen Luftgebäude der üppigflen Anlage. Es enthielt im Erdgefchofs 
einen grofsen mit Arkaden geöffneten Saal, an den gefchloffenen Wänden 
mit Nifchen und Karyatiden, fowie mit Statuen gefchmückt, aufserdem durch 
drei Baffuis mit Fontainen belebt. Eine Treppe an der Rückfeite führte 
zum oberen Gefchofs, welches in mehrere Gemächer eingetheilt war. Eine 
Plattform mit durchbrochenem Geländer gewährte den freien Ueberblick 
über das Ganze. 

Nirgends wird uns das heitere Leben der Renaiffancezeit fo gegen- 
wärtig, als wenn wir uns diefe prächtigen Gartenanlagen aus den Zeich- 
nungen und ; Befchreibungen du Cerceau's wieder herzuftellen verfuchen und 
ihr die glänzende, geiftreiche und übermüthige Gefellfchaft jener Tage zur 
Staffage geben. 

§ 82. 

Städtische Wohngebäude in Orleans. 

DER Bau der bürgerhchen Wohnhäufer in den Städten beharrt in diefer 
Epoche auf der in der vorigen eingefchlagenen Bahn, und nicht blofs 
für die Grundrifsbildung , fondern auch für die Behandlung der Fagaden 
bleiben die früher entwickelten Grundzüge geltend, nur dafs der Charakter 
der Formen im Einzelnen dem in diefer Zeit gültigen Gepräge folgt. Aus 
dem Anfang der Epoche begegnen wir einer Anzahl fbädtifcher Wohn- 
häufer , deren Architektur den Stempel einer edlen Ruhe und claffifchen 
Reinheit der Formen trägt. Allmählich führt dann auch hier das Streben 
nach Einfachheit und Gröfse zur Strenge und felbft zur Trockenheit, in 
welche fich gleichwohl bald gewiffe Elemente einer willkürlichen, barocken 
Detailbildung mifchen. 

Orleans ift auch jetzt reich an intereffanten Privatgebäuden. Wir be- 
ginnen mit dem fogenannten Haufe der Diana von Poitiers,^) welches. 

•) Aufn. in den Monum. hift. 



§ 82. Städtifche Wohngebäude in Orleans. 



309 



diefen Namen mit ebenfowenig Recht trägt, wie die früher erwähnten 
Häufer der Agnes Sorel und Franz' I oder vielmehr der Herzogin von 
Etampes. Es zeigt jene vornehmere Anlage, die im Erdgefchofs ftatt der 
Kaufläden gefchloffene Mauermaffen, durchbrochen von wenigen kleinen 
Fenftern, enthält. Auch die oberen Stockwerke haben neben den grofsen 
Fenftern ausgedehnte Wandflächen und dadurch einen Charakter von Ernft 
und Ruhe, von vornehmer Zurückhaltung. Im Hauptgefchofs fmd die 
Fenflier mit feinen Rahmen und einem flachen Bogengiebel eingefafst. Der 
letztere enthält eine kleine weibliche Büfte. Schlanke korinthifche Säulen, 
zu zwei Dritteln cannehrt, ghedern diefes Stockwerk, während im oberen 
auf den Ecken kurze Rahmenpilafl;er derfelben Ordnung angebracht find. 
Das mittlere Fenfher des oberen Gefchoffes ift kreisrund und von ver- 

fchlungenen Cartouchen eingerahmt. Der Grund- 
rifs des Haufes befolgt die in Orleans her- 
kömmhche Anlage: der Eingang liegt, wie 
immer bei diefen fchmalen Gebäuden, an der 
einen Seite, -der Flur mündet auf die Treppe 
und auf den Hof, der hier geräumiger angelegt 
und ftattlicher architektonifch ausgebildet ift, 
als es die Regel zu fein pflegt. 

Zu den anziehendften Gebäuden gehört 
fodann ein fchmales, am Marchee ä la volaille 
gelegenes Haus, welches man als »Maifon de 
Jean d'AHbert« bezeichnet.') Diefer hervor- 
ragende Führer der proteftantifchen Partei von 
Orleans foll es erbaut und darin die erfte Ver- 
fammlung feiner Glaubensgenoffen abgehalten 
haben. Die Fagade ift fchmal, im Erdgefchofs durchbrochen von der grofsen 
Bogenöflhung eines Kaufladens, daneben das zierlich eingefafste Rundbogen- 
portal, darüber ein reizendes kleines auf Säulchen gekuppeltes Fenfter zur 
Erleuchtung des Hausflurs, eingefafst von Hermen, an den Ecken auf eleganten 
Masken ruhend. Die beiden oberen Stockwerke zeigen feine korinthifche 
Rahmenpilafter und grofse rechtwinklige Fenfter mit Kreuzftäben. Der Cor- 
ridor fpricht fich in beiden Gefchoffen durch kleine Bogenfenfter mit 
eleganter Umrahmung aus. Die Anwendung von Masken und Laubfchnüren, 
die Rahmen von verfchlungenen Cartouchen, die prächtigen Löwenköpfe, 
auf welchen die Pilafter des erften Gefchoffes ruhen, deuten auf die 
Epoche von 1550 bis 1560. 




Fig. HO. Haus du Cerceaus zu Orleans. 



I) Aufn. bei Sauvageot, Vol. III, und in den Monuments hiftoriques. 



310 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Weiter ift hier anzufchliefsen der fogenannte »Pavillon der Jeanne 
d'Arc«, der den Uebergang- von der Schlufszeit Franz' I zur Epoche Hein- 
richs II bezeichnet.') Es ift ein thurmartiger Pavillon, der fich als vor- 
fpringender Theil an ein älteres Gebäude anfchliefst. Auf einem Sockel 
von punktirter Ruftika erhebt es fich in zwei Gefchoffen von bedeutender 
Höhe mit mäfsig grofsen Rundbogenfenftern, über welchen die hohen Stirn- 
mauern darauf deuten, dafs beide Stockwerke gewölbt fmd. Tafeln wie 
für Infchriften angebracht und mit Feftons und Masken gefchmückt, beleben 
diefe grofsen Flächen. Schlichte ionifche Pilafter bewirken im unteren, 
cannelirte korinthifche im oberen Gefchofs die GHederung der Maffen. Im 
Innern fmd die Tonnengewölbe jedes Gefchoffes mit jener Gattung von 
Arabesken in ReHefdarftellung bedeckt, in welchen das edle vegetabilifche 
Leben der früheren Arabeske durch Ueberwuchern tendenziöfer Figuren 
und zugleich durch Ueberladung mit phantaftifchen Elementen erftickt 
wird. Das ift immer der Tod des ächt künftlerifchen Arabeskenftyles. 

In claffifchem Geifte ftreng und edel durchgeführt ift das fogenannte 
»Haus du Cerceaus«.^) An einer Ecke der Rue des Hötelleries gelegen, 
zeigt es einen gedrängten faft quadratifchen Grundrifs (Fig. i lo), der durch 
feine compendiöfe Anlage Intereffe erregt. Im Erdgefchofs ift ein grofser 
Eckladen angebracht, neben welchem nur für einen fchmalen Flur Raum 
bleibt. Diefer mündet wie gewöhnlich auf die Wendeltreppe. Ein Wohn- 
zimmer mit Kamin liegt hinter dem Laden, und felbft für einen allerdings 
winzigen Hof mit einem Brunnen in der Ecke ift noch Raum geblieben. 
Von der edlen Pilafterarchitektur, welche die ganze Fagade gliedert, giebt 
unfre Abbildung Figur in eine Anfchauung. Wir brauchen nur hinzu- 
zufügen, dafs alle Formen mit vollem Verftändnifs und in höchfter Feinheit 
durchgebildet fmd. 

Als Mufter einer ganz fchlichten , aber monumentalen Behandlung 
erwähnen wir zwei Häufer, die im Erdgefchofs an Ecken, Gefimfen und 
Fenftereinfaffungen den Quaderbau, im Uebrigen den Backftein zeigen. 3) 
Das eine, mit intereffanter Ausbildung des Kaufladens im Erdgefchofs, mit 
hohen, rechtwinkligen Kreuzfenftern in den oberen Stockwerken und mit 
kräftig einfachem Confolengefims Hegt in der Rue du Chätelet Nr. 3; das 
andere, ebenfalls mit Kaufläden, etwas ftattlicher, von fchlankeren Verhält- 
niffen und in reicherer Ausführung, deren Formen auf die fpätere Zeit des 
Jahrhunderts weifen, ift die Nr. 17 in der Rue des Hötelleries. 



Aufn. in den Monum. hiftor. — ') Treffliche Aufnahme in Sauvageot, Vol. III. — 
3) Vgl. Sauvageot a. a. O. 




Fig. III. Haus du Cerceaus zu Orleans. (Sauvageot.) 



312 



Kap. VII. Die Renaiflance unter den letzten Valois. 



§ 83. 

Städtische Wohngebäude in den nördlichen Provinzen, 

DIE Normandie hat auch in diefer Epoche ihren Antheil an der archi- 
tektonifchen Bewegung und obfchon die Energie und der Reichthum 
der früheren Epoche hier merklich nachlaffen, fo fehlt es doch nicht an 
einzelnen ausgezeichneten Beifpielen auch des bürgerlichen Privatbaues. Wir 
beginnen mit dem prächtigen Haufe des Etienne Duval in Caen, das 
einen Uebergang von der Epoche Franz' I zu der Heinrichs II bildet.^) 
Etienne Duval war einer jener grofsen Kaufleute des 16. Jahrhunderts, die 
durch den Welthandel zu Macht und Reichthum gelangten und von dem 
künftlerifchen Wefen der Zeit lebendig genug berührt waren, um ihrer 
Lebensftellung einen monumentalen Ausdruck zu geben. Durch Heinrich II 
im Jahre 1 549 geadelt, errichtete er in Caen fich eine prächtige Wohnung, 
in welcher er 1578 ftarb. 

Nur ein Theil feines Haufes ift erhalten, genug indeffen, um für die 
Bedeutung des Ganzen zu zeugen. Im Erdgefchofs befteht das Vor- 
handene aus einer Galerie von 15 Fufs Breite bei 34 Fufs Länge, an den 
Schmalfeiten durch grofse Bogenportale, an der einen Langfeite durch drei 
mächtige Arkaden, die mittlere höher und breiter als die feitlichen, geöffnet. 
Alles ift hier bis ins Kleinfte in claffifcher Weife durchgebildet. Die Bögen 
ruhen auf gut profilirten Pfeilern, die über einem hohen gemeinfamen Sockel 
aufzeigen. Kräftige korinthifche Säulen mit verkröpftem Gebälk treten 
davor, und ein elegantes Confolengefims fchliefst das Erdgefchofs ab. 

Das obere Stockwerk enthält in ganzer Ausdehnung einen Saal, der 
an zwei Seiten gefchloffen und mit zwei Kaminen verfehen, an den beiden 
andern, und zwar einer fchmalen und einer langen, mit Bogenfenftern 
durchbrochen ift. Diefe find über den kleineren Arkaden zu zweien, über 
der mittleren und an der Schmalfeite zu dreien gekuppelt ; bei letzteren ift 
das Mittelfenfter höher und durch Pilafter eingefafst , während die Fläche 
über den Seitenfenftern in ziemlich widerfmniger Spielerei mit einem nach- 
geahmten Geländer dekorirt ift. Die Doppelfenfter haben dagegen eine 
angemeffene Umrahmung und gemeinfamen antiken Giebel, in welchem 
wunderlich genug eine Erinnerung an gothifche Krabben nachfpukt. Auch 
das Dachfenfter beweift in Aufbau und Ornamentik, dafs der Architekt 
diefes Baues fich der inzwifchen etwas dunkel und confus gewordenen 
Traditionen der Gothik noch nicht ganz zu entfchlagen vermochte. Ein 
am Ende des Gebäudes rechtwinklig vorfpringender , mit offener Laterne 
bekrönter Thurm enthält die Wendeltreppe zum oberen Gefchofs, zu 
welchem man indefs nur mittelft eines auf Confolen vorfpringenden Balkons 

') Aufn. in Rouyer et Darcel, Vol. I, pl. 13 — 16. 



§ 83- Städtifche Wohngebäude in den nördlichen Provinzen. 313 

gelangen kann. Korinthifche Rahmenpilafter, im Einklang mit den Säulen 
des unteren und oberen Gefchoffes, faffen die Ecken ein. 

Den entwickelteren Stil der Zeit finden wir an einem Haufe der Rue 
Perciere zu Ronen/) welches dem Ende der Epoche angehört und die 
Jahrzahl 1581 trägt. Es ift. wie die meiften Häufer der mittelalterlichen 
Städte, klein und fchmal, aber hoch. Das Erdgefchofs öffnet fich völlig 
als Kaufladen in fchmucklofer Holzconftruction. Auch die beiden oberen 
Stockwerke find ganz mit Fenftern durchbrochen , von denen die beiden 
äufseren , obwohl gerade gefchloffen , mit einem Rahmen in Flachbogen 
umgeben find, während die beiden Innern keinerlei Einfaffung haben, aber 
durch einen ganz mit Ornamenten bedeckten Pilafter getrennt werden. 
Auch fonft ift in allen Flächen über und unter den Fenftern in Masken, 
Cartouchen und fonftigem Ausputz der fchon fehr willkürhch barocke Geift 
vom Ende diefer Epoche zum Ausdruck gelangt. 

Aus der Mitte des 16. Jahrhunderts ftammt ein Haus in der Rue du 
grand cerf in Chartres. Es wurde laut einer Infchrift an der Fagade 
von dem Arzt Claude Huve erbaut, der feinen Mitbürgern in lateinifcher 
Sprache untermifcht mit einer kleinen Dofis von Griechifch erzählt, dafs 
er es mit Rückficht auf den Schmuck der Stadt und die Nachwelt erbaut 
habe.^) Das Gebäude ift klein und macht dabei den Eindruck wohnlichen 
Behagens. Ueber einen breit angelegten Flur mit Kreuzgewölben, der fich 
in der Tiefe verengt, um der Treppenanlage Raum zu laffen, gelangt man 
in einen Hof, der an der Hinterfeite ebenfalls von Gebäuden eingefchloffen 
wird. Zu dem hoch liegenden Erdgefchofs führt eine Rampentreppe. Das 
Vorderhaus befitzt im Erdgefchofs und den beiden oberen Stockwerken 
ein gröfseres Vorderzimmer, daneben ein nach dem Hof liegendes Gemach, 
an welches ein kleines Kabinet ftöfst. Dazu kommt in den oberen Gefchoffen 
noch ein über dem breiteren Theil des Flurs liegendes Zimmer. Die Fagade 
des kleinen Baues ift unvollendet geblieben. Sie beginnt in prächtiger Weife 
mit dem grofsen Bogenportal, das triumphbogenartig mit cannelirten korin- 
thifchen Säulen und kräftig vorfpringendem Gebälk fammt Confolengefims 
eingerahmt wird. Ueber diefem erhebt fich, durch eine reiche Brüftung 
mit der Infchrifttafel vorbereitet, das grofse Fenfter des erften Stockwerks, 
wieder von korinthifchen Säulen eingefafst, die ein Gebälk fammt antikem 
Giebel tragen. Im oberen Stockwerk find es Karyatiden-Hermen, auf deren 
Köpfen das Gebälk und ein kräftig profiHrter Bogengiebel ruhen. Die 
Mauerflächen zeigen eine Mifchung von Ziegeln und Quadern. Die übrigen 



') Aufn. bei Berty, la renaiffance monumentale, Vol. II. — 2) Die Infchrift lautet: 
SIC COSTRVXIT. CLAVDI'. HW. lATPOZ DECORI. VRBIS. AC. POSTERITATI. 
CONSVLES. Woraus der Name »Haus der Confuln» entftanden. 



314 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



Theile der Fagade find, wie die fpielenden Formen der Zwergpilafter und 
die viel kleineren Fenfter beweifen — es kommen hier auf die beiden 
oberen Gefchoffe des neuen Theiles drei volle Stockwerke — aus der 
früheren Zeit Franz' I, Refte eines älteren Baues, welchen vollftändig 
umzugeftalten wohl die Mittel gefehlt haben. Erwähnt wird der Bau als 
fchon beftehend im Jahr 1559. 

An der äufserften Grenze diefer Epoche fteht ein Haus in der Rue 
des vergeaux zu Amiens,') welches von einer Figur an feiner Fagade 
den Namen »Maifon du fagittaire« führt. Es wurde im Jahre 1593 vom 
Herzog von Mayenne, dem General der Ligue erbaut, deffen Wappen es 
trägt. Die Fagade ift fo reich mit Ornamenten bedeckt, dafs fie mit den 
üppigften Schöpfungen der Frührenaiffance wetteifert, und obwohl der 
Maafsftab der einzelnen Formen nicht im Verhältnifs zu den befcheidenen 
Dimenfionen des Ganzen fteht, macht diefer Reichthum doch einen 
beftechenden Eindruck. Dazu kommt, dafs der Meifter diefes Werkes zwar 
Willkürliches, auch Naturaliftifches in den Ornamenten nicht vermieden, 
aber eigentlich Barockes, z. B. das Schnörkelwerk der Cartouchen ver- 
fchmäht hat. Er fcheint feine Infpirationen an den Werken der früheren 
Epochen zu fchöpfen. Das gilt, felbft wenn wir, wie es wahrfcheinlich ift, 
die grofsen Spitzbögen, in welchen das Erdgefchofs mit feinen Kaufläden 
fich öffnet , für Refte einer früheren Anlage halten. Gefchmückt find 
indefs die Rahmen diefer Bögen durch elegante Canneluren im feinften 
Renaiffancegefchmack. Sitzende Reliefgeftalten weiblicher Tugenden, von 
Emblemen und Laubwerk ganz umfchloffen, füllen die grofsen Zwickel- 
flächen, und auf den Ecken bilden canneHrte dorifche Pilafter die Einfaffung. 
Noch ganz in gothifchem Sinn, wenn auch in antiken Formen, find die 
Baldachine der kleinen Statuennifchen zwifchen den Bögen behandelt. Die 
oberen beiden Gefchoffe zeigen gedrückte Verhältniffe und breite, niedrige, 
im Flachbogen gefchloffene Fenfter, im erften Stock ionifche, im zweiten 
korinthifche Pilafter, fämmtlich cannelirt, dazu prachtvolles Ranken- und 
Blattornament an den Friefen und in breiten Maffen über den Fenftern, 
letztere aufserdem mit äufserft elegant fculpirten Gliedern eingerahmt und 
die oberften Fenfter mit durchbrochenen Giebeln bekrönt: das Ganze von 
einer mehr verfchwenderifchen als edlen Ueppigkeit. 

Ebendort mufs die Porte Montre-Ecu vom Jahre 1531 als ein 
allerdings verftümmelter , aber reizvoller Bau der Frühzeit hervorgehoben 
werden, der in zwei Gefchoffen mit elegant dekorirten Rahmenpilaftern und 
mit zahlreichen Salamandern als Zeugen der Entftehungszeit gefchmückt ift. 



') Aufn. bei Berty, la renaiffance monumentale, Vol. I, Vgl, Paluftre I, 33 mit 
Abbildung. — ') Paluftre I, 30. 



§ 84. Städtifche Gebäude in den nordöftlichen Provinzen. 315 

Kräftig und lebendig, voll Originalität ift die kleine Fagade des Hotel 
de Vauluifant zu Troyes, welches 1564 ein reicher Bürger Antoine Hen- 
nequin fich erbauen Hefs. Zwei Rundthürme, zwifchen denen eine ftatt- 
liche doppelte Freitreppe zum hochgelegenen Erdgefchofs emporführt, 
flankiren diefelbe. Pilafter gliedern die Flächen, und eine Baluftradengalerie 
fchliefst den Bau ab. In den Dachfenftern mit ihren Krönungen bemerkt 
man noch gothifche Reminiscenzen , freiHch in ftarker Verzopfung. Im 
Erdgefchofs liegt ein grofser Saal mit prächtigem , durch korinthifche 
Pilafter dekorirten Kamin und gemalter Holzvertäfelung. 

Ein ftattliches Gebäude aus dem Anfang diefer Epoche ift fodann das 
Haus der Familie Feret de Montlaurent zu Rheims, erbaut unter der 
Regierung Heinrichs II von Hubert Feret. Es hat einen prächtigen Hof 
mit Arkaden auf gekuppelten Säulen , zwifchen den Bögen Nifchen mit 
Statuen. Die Fenfter fmd rechtwinklig und durch Kreuzpfoften getheilt. 

§ 84. 

Städtische Gebäude in den nordöstlichen Provinzen. 

IN den nordöfthchen Theilen Frankreichs, welche gröfstentheils urfprüng- 
lich zu Flandern gehörten und erft fpät zu Frankreich kamen, herrfcht 
eine Behandlung der Renaiffanceformen , die in ihrer derben Freiheit das 
flandrifche Gepräge nicht verkennen läfst. Solcher Art ift die Balley zu 
Aire, ein anziehender kleiner Bau, auf zwei Seiten mit einer Vorhalle 
auf fchlanken Säulen umgeben, darüber ein flandrifch hohes Obergefchofs 
in Backftein und Hauftein, über den Fenftern trotz des Datums 1595 
gefchweifte Spitzbogenblenden, als Abfchlufs der Fagade eine reiche Balu- 
ftrade mit üppigen Rehefs. Ein polygoner Erkerbalkon verleiht dem Bau 
befonderen Reiz. 

Befonders gehört hieher der neue Flügel, welchen die Stadt Arras 
feit 1573 ihrem Stadthaufe hinzufügte. Die Stadt, durch Handel und 
Gewerbe blühend, berühmt namentHch durch ihre kunftvollen Webereien, 
hatte feit Anfang des Jahrhunderts (i 501 — 1554) ihr Rathhaus in gothifchem 
Stil erneuert. Nach kurzer Zeit ftellte fich das Bedürfnifs einer Erweiterung 
heraus, und Meifter Mathias Teffon wurde mit der Ausführung eines neuen 
Flügels beauftragt. Der Architekt dachte nicht daran, fein Werk mit dem 
älteren in Einklang zu bringen, wohl aber mit demfelben an Glanz und 
Pracht zu wetteifern. 

Der neue Flügel ==) befteht aus einer Fagade von drei breiten Fenfter- 
fyftemen, die durch gekuppelte Säulen von einander getrennt werden. 



') Paluftre I, 21 mit Abbildung. — ») Vgl. die Aufn. bei Berty, la renaiflance monu- 
mentale, Vol. I. Dazu Paluftre I, 19 mit Abbildung. 



3i6 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 





Fig. 112. Vom Stadthaus zu Anas. (Berty.) 

Ranken und Blätter als leichte Krönung hin. 



(Fig. 1 1 2). Im Erdgefchofs 
find es dorifche von jener 
häfslichen Form, welche 
den Schaft abwechfelnd 
aus glatten Trommeln und 
aus Boffagen zufammen- 
fetzt. Ebenfo find die 
breiten dreitheiligen mit 
Kreuzpfofl:en verfehenen 
Fenfter des Erdgefchoffes 
rings durch vereinzelte 
Ruftikaquadern eingefafst. 
Diefe Behandlung gehört 
mehr der flandrifch-deut- 
fchen als der franzöfifchen 
Schule an. Die Säulen 
treten auf vorfpringenden 
Sockeln kräftig heraus und 
tragen ein verkröpftes Ge- 
bälk mit Zahnfchnittfries. 

In glänzendem Reich- 
thum erhebt fich darüber 
das erfte Stockwerk, mit 
gekuppelten korinthifchen 
Säulen gegliedert, deren 
unterer Theil mit Masken, 
Hermen , Blumen und 
Rankenwerk dekorirt ift, 
während der obere Theil 
feine Canneluren zeigt. 
Ueberaus prachtvoll ift 
der Fries mit Rofetten, 
Masken und Löwenköpfen 
in zierlichen Medaillons 
gefchmückt ; ebenfo find 
am Sockel und der ganzen 
Brüftung Menfchen- und 
Thierköpfe verwendet, und 
über den breiten dreithei- 
ligen Fenfbern ziehen fich 



§ 85. Städtifche Wohngebäude in den füdlichen Provinzen. 317 

Das oberfte Stockwerk ift in demfelben Geifte, nur etwas befcheidener 
dekorirt, hat aber feinen urfprünghchen Charakter dadurch eingebüfst, dafs 
man die fpiralförmig canneUrten Säulen, welche es bekleideten, befeitigt 
hat. Eine Attika mit Masken in kräftig profilirten Medaillons bildet den 
Abfchlufs. Trotz der ftark barocken Elemente zeichnet fich das Werk durch 
die faft überftrömende Energie der Behandlung vortheilhaft aus. 

Ein fpäter Nachzügler, mit ftark barocker Färbung, ift die Börfe zu 
Lille,^) 165 1 durch Meifter Julien Deflre erbaut. Die derben Ruftikapilafter, 
mit Hermen wechfelnd, geben den beiden oberen Stockwerken ein kraft- 
volles Gepräge, während das hohe Dach mit feinen Manfarden, allerdings 
gleich dem Erdgefchofs nicht mehr in urfprünghcher Verfaffung, wirkfam 
das Ganze abfchhefst. Der Hof hat im Erdgefchofs eine ftattliche dorifche 
Colonnade, darüber ein einziges durch hohe Fenfter charakterifirtes Stock- 
werk. 

§ 85- 

Städtische Wohngebäude in den südlichen Provinzen. 

IM Languedoc, wo wir fchon in der vorigen Epoche eine wenn gleich 
nicht ausgedehnte, aber doch im Einzelnen glänzende Bauthätigkeit 
fanden, treten auch jetzt mehrere anfehnhche Bauten hervor. 

Wir nennen zunächft das ftattliche Hotel d'Affezat zu Touloufe, 
welches noch auf der Grenze der vorigen Epoche fteht und die Jahrzahl 
1555 trägt. Es ift ein Backfteinbau mit reich in Hauftein durchgeführten 
Ghederungen. Angeblich foll es durch Primaticcio für die Königin Mar- 
garethe erbaut worden fein, was indefs als völlig unbegründete Sage zu- 
rückzuweifen ift.^) Drei Gefchoffe mit gekuppelten Säulen, unten dorifch, 
in den beiden oberen korinthifch, gliedern in der pompöfen Weife der 
Hochrenaiffance die Fagade. (Fig. 113.) Die Fenfter der beiden unteren 
Gefchoffe haben Kreuzpfoften, letztere fmd aber durch vorgelegte Voluten 
mit prachtvollem Akanthus verftärkt und mit Rundbogenfriefen eingefafst, 
ein wahres Fortiffimo der Dekoration, welches, mit dem Uebrigen in befter 
Harmonie, einen förmlich beraufchenden Eindruck macht. Das oberfte 
Stockwerk hat jene dreitheiligen , an den Seiten geradlinig, in der Mitte 
rundbogig gefchloffenen Fenfter, welche in der Renaiffance Oberitahens 
eine Rolle fpielen. Das Hotel befteht aus einem Hauptbau mit zwei 
Flügeln, in deren einfpringendem Winkel fich rechts ein viereckiger Treppen- 
thurm erhebt. Der linke Flügel hat nur ein Gefchofs mit ftattlicher Frei- 
treppe. An der rechten Seite in der Tiefe des Hofes ift, vielleicht als 



0 Paluftre I, 5 ff. mit Abbildung. — ^) Taylor et Nodier, Voyages. Languedoc, Vol. I 
P. L Vgl. damit die Ichöne Aufnahme bei Berty, ren. mon. Vol. I, auf elf Tafeln. 



3i8 



Kap. III. Die Renaiflänce unter Franz I. 



Reft eines früheren Baues, ein viereckiger Thurm mit rundem Treppen- 
thürmchen angeordnet. Erwähnen wir endlich noch, dafs die Fenfter des 
Erdgefchoffes in ihren Krönungen bereits zu barocken Formen neigen und 
dafs das Portal durch fpiralförmig 
gewundene Säulen mehr reich als 
rein eingefafst wird. 

Hierin gehört ferner das Pa- 
lais du Capitol derfelben Stadt, 
prächtig, aber auch fchon etwas 
barock, obwohl immer noch maafs- 
voll und ernft.^) Ein überreiches 
Portal mit Victorien über den 
Bögen, verfchwenderifch eingefafst 
von doppelten Pilaflern und Halb- 
fäulen ionifchen Stiles, trägt einen 
ausgebauchten Fries, darüber Auf- 
fätze mit den Figuren ruhender 
Sphinxen und gefeffelter Sclaven, 
darüber ein ähnliches Pilafterfyftem 
korinthifcher Ordnung. Zwifchen 
diefem öffnet fich eine Nifche 
mit dem Standbild Heinrichs IV. 
Wahrfcheinlich wurde der Bau, der 
wohl fchon unter Heinrich II be- 
gonnen war, erft unter diefem 
Fürften vollendet. Die Architektur 
des Hofes gehört jedenfalls früherer 
Zeit an als die der Fagade und 
deutet auf einen Architekten, der 
die antiken Formen nur fehr ober- 
flächlich , gleichfam vom Hören- 
fagen, kannte. Wunderlich genug 
durchfchneiden fich eine kürzere 
dorifche Pilafterftellung mit fchlan- 
ken korinthifchen Säulen. Ebenfo 
feltfam find die drei niedrigen, 
mit Cherubimköpfen und Laub- 
gewinden dekorirten Attiken, mit welchen mühfam genug die ganze Ober- 
wand gegliedert ift. Das Portal, welches in den Hof führt, zeigt elegante 




Aus dem Hofe des Hotel d'Assezat. 
Toulouse. (Berty.) 



') Abb. in Taylor et Nodier, Voyages pitt. Languedoc, Vol. I, S^r. i. 



§ 85. Städtifche Wohngebäude in den füdlichen Provinzen. 319 

Formen, noch nicht fo coriventionell behandelt wie das Aufsenportal. Im 
Innern zeichnet fich der fogenannte Saal des kleinen Confiftoriums durch ein 
zierliches Netzgewölbe auf Renaiffanceconfolen und durch gemalte Arabesken 
an den Wänden aus. Er enthält aufserdem einen prachtvollen Kamin, 
unten eingefafst mit gekuppelten ionifchen Säulen, oben mit doppelten 
weiblichen Hermen, in der Mitte ein Relief mit einem Reiterbild, darüber 
als Abfchlufs ein durchbrochener Bogengiebel mit Genien und helmbekröntem 
Wappen. 

Noch üppiger entfaltet fich diefer füdliche Stil am Hotel Catelan 
in derfelben Stadt.') Das Portal ift mit gekuppelten korinthifchen Säulen, 
deren Schäfte cannelirt find, eingefafst ; darüber Karyatiden und phanta- 
ftifch gefchweifte Auffätze, wozu allerlei barocke Elemente kommen, nament- 
lich Prismen und andere geometrifche Figuren von bunten Marmorplatten, 
in Gebälk, Attika und andere Flächen eingelaffen. 

Der Eindruck ift im Ganzen fchon fehr überladen. Das Innere bietet 
nicht viel, da zu einer flatthcheren Hofanlage entweder der Raum oder 
die Mittel fehlten. Man tritt zuerft in einen engen Durchgangshof, der 
eine befcheidene Pilafterarchitektur zeigt. Dem zweiten gröfseren Hofe 
fehlt jede höhere architektonifche Ausbildung; hübfch ift nur ein kleiner, 
rund heraustretender Treppenthurm, auf elegantem Tragftein mit Confolen 
und Feftons ruhend, von Putten gehalten, 

Das gröfste Prachtftück diefes Stiles ift aber die fogenannte »Maifon 
de pierre« in derfelben Strafse unweit der Dalbade-Kirche gelegen. Hier 
ift fchon die Fagade ein Werk von bedeutendem, ja man darf fagen faft 
unerhörtem Aufwand, prunkvoll und überladen, aber als Compofition fchwer- 
fällig und faft unerfreulich. Hier tritt das prahlerifche Syftem der fpäteren 
Renaiffance auf, durch eine einzige koloffale Säulen- oder Pilafterftellung 

hier find es riefige korintifche Pilafter mit cannehrten Schäften — der 

Fagade eine gewiffe Gröfse des Eindrucks zu verleihen. Während aber 
über den Capitälen durch das verkröpfte Gebälk und einen mächtigen Con- 
folenfries Raum für ein oberes Gefchofs gewonnen wird, vermifst man um 
fo empfindhcher einen genügenden Unterbau, und wenn es auch kein 
Geringerer als ein Palladio gewefen ift, der das Beifpiel für diefe Anord- 
nung gegeben hat, fo bleibt fie darum nicht minder verwerflich. Eine 
Folge davon war dann die unorganifche Anordnung des grofsen Doppel- 
portals, das mit feinen vorgefetzten Säulen und weit herausfpringendem 
verkröpften Gefims unfchön die grofse Pilafterordnung durchfchneidet. 
Uebrigens ift Alles an diefer pompöfen Fagade gethan, was das Urtheil 
befl:echen könnte, denn alle Flächen find in verfchwenderifcher Ueppigkeit 



I) Abb. in Taylor et Nodier, Voyages pitt. Languedoc. Vol. I, Ser. i. 



320 



Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois. 



mit einer ftark in's Kraut gefchoffenen Ornamentik überladen und felblT; 
die grofsen Pilafter haben in der Höhe des Erdgefchoffes eine Bekleidung 
von Blumen und Fruchtfeftons, Trophäen, Emblemen und Masken erhalten, 
die im ftärkften Fortiffimo diefes Stils componirt ift. Selbft die fteinernen 
Fenfterpfoften, im Hauptgefchofs kreuzförmig angeordnet, find in Orna- 
mente aufgelöfh. Befonders prachtvoll find die Wappen über den beiden 
Portalen, welche paarweife von eleganten weiblichen Figuren gehalten wer- 
den : dies Alles gleich der ganzen Ornamentik mit grofser Virtuofität aus- 
geführt. Dafs aber der Architekt diefer Fagade mehr ein blendender 
Dekorateur als ftrenger Componift war, beweift auch die fchwerfälHge Art, 
wie er über dem weit vorfpringenden Hauptgefims das Ganze durch eine 
Reihe gerader und gebogener Giebel abfchliefst. Endlich noch eine Be- 
merkung über die Form der Portale: anftatt mit einem Bogen fchhefsen 
fie mit einer polygon gebrochenen Oefifnung, ein Beweis, wie fehr man 
damals auf Neues, Ungewöhnliches erpicht war. 

Im Innern geftaltet fich der ungefähr quadratifche Hof mit breiten 
Arkaden vorn und zur Linken ungemein fi:attlich ; aber die Verhältniffe leiden 
unter einer gewiffen Schwere und die Formen der ionifchen Pilaflier, fowie 
der reichen Ornamentik an barocker Ueberfchwänglichkeit. Die Flächen 
find auch hier in Backfhein ausgeführt. In dem rückwärts liegenden Flügel 
öffnet fich in der Mitte ein prachtvolles Barockportal, von mächtigen Hermen 
eingefafst, deren Beine bis auf die Füfse in jenen wunderhchen Karten 
ftecken, welche in der damaligen franzöfifchen Architektur behebt waren. 
Als Erbauungszeit des immerhin impofanten Palaftes wird das Jahr 1612 
angegeben. 

Befonders phantaftifch geftaltet fich diefe Bauweife an der Maifon des 
nourrices zu Narbonne.') Die Fagade darf man als eines der feltenen 
Beifpiele bezeichnen, wo die Architektur in's Witzige und Komifche fällt. 
Ein gekuppeltes Fenfter ifl: mit weibHchen Hermen eingefafst, die in 
unglaubhcher Fülle wahre Prachtbeifpiele von Mutterbrüften hoch hinauf- 
fchwellend zur Schau tragen und unterwärts in bauchige, fehler indifche 
Formen, reich mit Akanthusblättern gefchmückt, auslaufen. Diefelben 
Geftalten wiederholen fich in noch gröfserem Mafsfiiabe auf Confolen als 
zweite Einrahmung der Fenfter, mit reich gefchmücktem Confolenfries ver- 
bunden, deffen Zwifchenräume Löwenköpfe zeigen mit Ringen, an denen 
Blumengewinde hangen. Den oberen Abfchlufs bildet ein eleganter Archi- 
trav, ein Fries mit Akanthusblättern und ein reich gefchmücktes Gefimfe 
mit Zahnfchnitten. 



') Abb. in Taylor et Nodier, Voyages pitt. Langue^oc. Vol. II, i. 



§ 85. Städtifche Wohngebäude in den füdlichen Provinzen. 



321 



Dasfelbe unvergleichlich prachtvolle Confolengefims und ähnliche glanz- 
volle Ausbildung der Fenfter, nur ohne die Mutterkaryatiden findet man 
an der Maifon des Chevaliers zu Viviers.^) Ueber einem ganz kahlen 
Erdgefchofs erheben fich zwei obere Stockwerke und als Abfchlufs ein 
kleineres Halbgefchofs. Die mit Kreuzftäben getheilten Fenfter werden 
von vortretenden ionifchen und korinthifchen Säulen umfafst, über welchen 
ein akanthusgefchmückter Confolenfries ähnlich wie in Narbonne den Ab- 
fchlufs bildet. Die Vorliebe für diefe prachtvolle Form ift hier fo grofs 
gewefen, dafs man auch unter den Fenftern des erften Stockes gewaltige 
ähnlich verzierte Confolen und in den Zwifchenräumen Medaillons mit Bruft- 
bildern in Hochrelief, in der Mitte ein helmgekröntes Wappen angeordnet 
hat. Zwifchen den beiden Hauptgefchoffen zieht fich ein Relieffries mit 
Reiterkämpfen, über dem oberen Gefchofs zierHches Blätter- und Ranken- 
werk hin. Selbft die kleinen Fenfter des oberften Stockes haben ihren 
Confolenfries und korinthifche Säulen, wozu noch Karyatiden und Hermen 
und, um alle Formen zu erfchöpfen, fpiralförmig gewundene Säulen kommen. 
Das Kranzgefimfe wird durch drei überkragende Reihen von Rundbögen 
in etwas trockener Weife gebildet. Das Gebäude wurde um 1550 durch 
Noel de St. Albans erbaut, der als Führer der Hugenotten in den Bürger- 
kriegen hervortrat und den Tod durch Henkershand fand. 

I) Abb. in Taylor et Kodier, Vogages pitt. Languedoc. Vol. II, Ser. 2. 




LÜBKE, Gefch. d. Renaiffatice in Frankreich. II. Aufl. 



VIIL KAPITEL. 



DER PROFANBAU UNTER HEINRICH IV UND LUDWIG XIII 




§ 86. 

Weitere Umgestaltung der Architektur. 

O gänzlich waren die letzten Decennien des i6. Jahr- 
hunderts in Frankreich von Parteiung und Bürger- 
krieg erfüllt, dafs die Kunft fich nicht frei zu ent- 
wickeln vermochte. Auch mit der Thronbefteigung 
Heinrichs IV (1589) war der Zuftand der Unruhe 
lange noch nicht befeitigt , und erft 1 598 mit dem 
Frieden von Vervins und dem Edikt von Nantes 
athmete das Land nach fo langen Stürmen wieder 
auf. Aber der öffentliche Zuftand war fo tief zerrüttet, die Finanznoth fo 
drückend, Handel und Verkehr fo gelähmt, dafs es ftrenger Nüchternheit 
und ausdauernder Energie bedurfte, um fo fchwere Schäden zu heilen. 
Solche Zeiten fmd nicht dazu angethan, jene freie Stimmung zu fchafifen, 
aus welcher die edle Blüthe der Kunft hervorkeimt. Vergleicht man daher 
die Regierung Heinrichs IV mit den Zeiten Franz' I und felbft noch Hein- 
richs II, fo bekommt man den Eindruck ernfter Mannesjahre voll Arbeit 
und Mühen, die auf fröhliche Jugendtage mit ihrer Luft an den bunten 
Spielen der Phantafie gefolgt fmd. Der Verftand, die Befonnenheit haben 
jetzt die Herrfchaft, und während Sully die Finanzen wieder herftellt, 
während der König mit allem Eifer den Bürgerftand zu heben, Handel und 
Gewerbe zu fördern bemüht ift, mufs das Schöne hinter dem Nützlichen 
zurücktreten. Wohl hat die Architektur auch jetzt wichtige Aufgaben zu 



§ 86. Weitere Umgestaltung der Architektur. 



323 



löfen, aber diefelben gehören mehr dem letzteren als dem erfteren Gebiete 
an. Es ift hauptfächlich der Bau von Strafsen und Kanälen, der den König 
befchäftigt; es gilt durch Correctionen ganzer Plätze Stadtviertel den Be- 
wohnern der Refidenz Luft und Licht zu geben, für die Wohlfahrt und 
•Gefundheit des Volkes zu forgen. Das flnd die Ziele, welche in erfter 
Linie jetzt der Architektur geftellt werden. Wohl haben wir darin für 
die Kulturgefchichte einen Fortfehritt anzuerkennen, wenn auch die höhere 
äfthetifche Löfung diefen Aufgaben noch fern bleibt.') 

Bei folchem auf das Gemeinwohl zielenden Streben tritt der Schlofsbau 
als der künftlerifch geadelte Ausdruck egoiftifcher Tendenzen mehr in den 
Hintergrund. Umfangreichere Unternehmungen diefer Art werden unter 
Heinrich IV nur auf den Fortbau des Louvre und des Schloffes zu Fontaine^ 
bleau, fowie auf die neuen Anlagen zu St. Germain verwendet. Bei diefen 
Werken bemerkt man zum Theil ein Anfchhefsen an die Richtung der 
vorigen Epoche, zum Theil entwickeln fich aber aus den fchon früher vor- 
handenen Keimen die Anfätze zu einer neuen Behandlungsweife. Der 
Grundzug derfelben beruht auf einer gewiffen Strenge und Nüchternheit, einer 
kühlen Reflexion, wie fie folcher verftändig praktifchen Epoche natürlich ift. 
Am meiften bezeichnend für diefe Richtung wird die maffenhafte Aufnahme 
des Ziegelbaues, der in den vorigen Epochen doch nur die Ausnahme von 
der Regel bildete. Nunmehr aber drängt er fich felbft bei den bedeutendlten 
Bauten ein, ohne jedoch auch jetzt zu einer künftlerifchen Durchbildung, 
etwa analog den norddeutfchen oder den oberitalienifchen Backfteinbauten 
zu gelangen. Vielmehr wird auch jetzt an der Verbindung mit Haufteinen 
feftgehalten, und jede charakteriftifche Form, die Ecken, Fenftereinfaffungen 
und Gefimfe in Quadern durchgeführt. Diefe Gebäude mit ihren fchweren 
Gliedern und dunklen Maffen machen wohl einen tüchtig gediegenen, aber 
oft auch trübfehg mürrifchen Eindruck. Der Quaderbau felbft aber nimmt 
überwiegend den Charakter der Ruftica an, die noch allgemeiner als in 
der vorigen Epoche fich Bahn bricht und auch die Pilafter- und Säulen- 
ordnungen mit in ihr Bereich zieht. Im Zufammenhange damit werden 
alle Formen derber gebildet, die Arabesken und leichteren Ornamente 
durch fchwere Cartouchen verdrängt, namenthch aber die feineren und 
reicheren Ordnungen des ionifchen und noch mehr des korinthifchen Stils 
zu Gunften eines nüchternen Dorismus befeitigt. Es ift bemerkenswerth, 
dafs die Renaiffance überall, in Italien wie in den andern Ländern, den- 
felben Weg vom Reichen und Zierhchen zum Nüchternen und Trockenen 
zurücklegt, während die antikrömifche Kunft, fowie die griechifche vor 

') Diefe Seite der baulichen Thätigkeit Heinrichs IV bietet bemerkenswerthe Analogieen 
mit jenen ftädtifchen Wohnh ausbauten, welchen Friedrich der Grofse in Berlin und Potsdam 
.in ganz ähnlicher Abficht fo viel Eifer zuwendete. 

21* 



324 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



ihr in entgegengefetzter Linie fich entwickelt haben. Ebenfo bezeichnend 
erfcheint es, dafs während die Frührenaiffance fo fehr dem Kleinen und 
Zierlichen ergeben war, dafs fie diefer Richtung felbft im Grofsen oft zu 
weit nachgab, jetzt umgekehrt die Tendenz auf das Grofse, Bedeutende, 
Mächtige fo überhand nimmt, dafs felbft da, wo das Kleine und Zierliche 
am Platze wäre, dasfelbe ins Schwere und Plumpe umgewandelt wird. 

Wo man trotzdem den Ausdruck von Reichthum und Pracht erftrebt, 
gefchieht das durch derbe Häufung und barocke Umgeftaltung der Glieder, 
wobei verkröpfte Gefimfe, durchbrochene und gebogene Giebel, kraufes 
Cartouchenwerk eine Hauptrolle fpielen, Befonders ausgedehnten Gebrauch 
macht man aber von allerlei gekünftelten Verzierungen , mit welchen man 
die Ruftica ausftattet. Sie wird oft in ganzer Ausdehnung mit jenen wie 
Gewürm verfchlungenen Linienfpielen bedeckt, zu welchen verfchiedenes 
reichere Ornament, Laubwerk, befonders Lorbeerzweige, und felbft Embleme 
aller Art fich gefellen. An Stelle einer klaren und wirkfamen plaftifchen 
Ghederung tritt in folchen Fällen alfo eine rein malerifche, freilich mit den 
Mitteln der Plaftik hergeftellte Dekoration. 

Soll dagegen eine durchgreifende architektonifche Gliederung gewonnen 
werden, fo geht man auf dasfelbe Streben nach Gröfse und »Majeftät« aus, 
welches fchon in der vorigen Epoche die Koloffal-Ordnungen hervorgerufen 
hatte. In der Regel wird alfo eine riefige Pilafterftellung zur Charakteriftik 
für zwei Stockwerke verwendet. 

Für die Gefammtanlage der Gebäude hält man auch jetzt an den Grund- 
zügen feft, welche aus den nationalen Sitten und Anfchauungen fich heraus- 
gebildet hatten, nur dafs bisweilen dem italienifchen Einflufs mehr Spiel- 
raum geftattet wird. Indeffen vermag derfelbe die hohen Dächer mit ihren 
Giebeln und Schornfteinen , fowie die Pavillons und die durch diefelben 
bedingte malerifche Gruppirung der Gebäude doch nicht zu befeitigen. 

Der hier in kurzen Zügen gefchilderte Stil bleibt auch während der 
Regierung Ludwigs XIII in Kraft, nimmt aber allmählich die Elemente 
eines ftrengen und zugleich feineren Clafficismus auf. Namentlich gilt dies 
von der inneren Dekoration der Räume, bei welcher die wilde Ueberladung, 
die aus der Schule von Fontainebleau fich feit 1550 verbreitet hatte, einer 
mafsvoUeren Behandlung und eleganteren Gliederung weicht. Eingelaffene 
Gemälde in plaftifch durchgebildeten Rahmen, auch wohl in elegant can- 
nelirte Pilafterftellungen gefügt, kommen dabei häufig zur Anwendung und 
werden von den noch immer mit Virtuofität behandelten reichgefchnitzten 
Holzdecken, deren Felder häufig ebenfalls Gemälde zeigen, unterftützt. 
Diefe Dekoration enthält die Keime, aus welchen in confequenter Fort- 
bildung fich der Stil der Zeit Ludwigs XIV entwickeln follte. Entfchei- 
dend für diefe Behandlungsweife wird der Umftand, dafs inzwifchen eine 



87. Arbeiten am Louvre. 



325 



nationale Schule von bedeutenden Malern fich herangebildet hat, deren 
berühmtefte Vertreter, wie Simon Vouet, Nicolas Pouffin, Philippe Cham- 
paigne, Euftache le Sueur, Charles le Brun in der Ausfchmückung diefer 
Prachtgemächer wetteifern. 

Unter diefer ftarken Strömung verfch winden jetzt die letzten Spuren 
romantifcher Ritterlichkeit und feudaler Selbflherrlichkeit. Die gewaltige 
Hand Richelieus wirft die Grofsen des Landes nieder und befeitigt damit 
die fpärHchen Anklänge, welche noch an das Mittelalter erinnerten. Die 
vornehmen franzöfifchen Kreife bilden jetzt erfb ihren modernen Charakter 
aus und werden zu einer geiftreichen Gefellfchaft der Salons. Damit ver- 
fchwindet denn auch in den Anlagen der Schlöffer der letzte Reft feudaler 
Reminiscenzen : die Thürme und häufig felbft die Pavillons, die Waffer- 
gräben mit ihren Zugbrücken, die vorgebauten Treppenhäufer mit ihren 
Wendelftiegen, ftatt deren die Treppen mit geradem Lauf angelegt und 
ins Innere hineingezogen werden. Auch die Anordnung und Verbindung 
der Zimmer gewinnt überwiegend den Charakter des Privaten und Wohn- 
lichen und deutet auf eine Gefellfchaft, die mehr den Intereffen des Frie- 
dens , der Kunft und Literatur als dem der rauheren Beftrebungen , der 
Jagd und des Krieges zugethan ift. Selbft ein anfcheinend fo geringfügiger 
Umftand wie der, dafs nunmehr die Fenfter die fo lange behaupteten ftei- 
nernen Pfoften des Mittelalters gegen ein hölzernes Rahmenwerk vertau- 
fchen , ift bezeichnend für den neuen Geift , der in die Architektur ein- 
dringt. 



U den erften Unternehmungen Heinrichs IV , nachdem er in Befitz von 



Paris gelangt war, gehört der weitere Ausbau des Louvre. Der König 
wünfchte dadurch nicht blofs den Künftlern und Handwerkern dauernde 
Befchäftigung zu bieten, fondern auch, was in jenen noch immer unruhigen 
Zeiten nahe genug lag, für feine Sicherheit zu forgen. Defshalb liefs er 
die fchon begonnene Galerie zur Verbindung von Louvre und Tuilerien 
energifch aufs Neue in Angriff nehmen und vollenden ; denn da die Tui- 
lerien damals noch aufserhalb der Stadt, durch Wall und Graben von diefer 
getrennt waren, fo durfte er hoffen , durch eine gedeckte Verbindung mit 
denfelben fich eine fiebere Rückzugslinie für äufserfte Nothfälle herzu- 
ftellen. 

Unter diefen Gefichtspunkten mufste man fich den unter Katharina von 
Medici ausgeführten Bauten zunächft anzufchliefsen fuchen. Die kleinere 
Galerie (4 auf dem Grundrifs S. 229), welche bis dahin nur aus einem 
Erdgefchofs, mit einer Terraffe beftanden hatte, wurde um ein Stockwerk 



§ 87- 



Arbeiten am Louvre. 




326 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 

erhöht. Die lange Galerie (7) , welche gleichfalls blofs ein Erdgefchofs 
gebildet hatte, erhielt ein oberes Stockwerk und, zur Ausgleichung der 
Höhe, ein Mezzaningefchofs. Zugleich aber wurden in Uebereinftimmung 
mit den oberen Theilen auch die unteren mit der Dekoration ausgeftattet, 
welche fie jetzt noch zeigen. (Fig. 1 14.) 

Bei diefen Arbeiten hat offenbar die Abficht vorgewaltet, fich den 
inneren Fagaden Lescots im Charakter möglichft zu nähern und in gewiffen 
Hauptformen zugleich an die Tuilerien de l'Ormes zu erinnern. Letzteres 
gilt befonders von den Pilafterfyftemen des Erdgefchoffes , die an hervor- 
ragenden Theilen fich mit frei vortretenden Säulen verbinden. Es ift die 
»franzöfifche Ordnung« de l'Ormes in der vollen ornamentalen Pracht und 
dem Reiz der Behandlung, wie fie fchon am Hauptbau der Tuilerien fich 
findet. Die reich gefchmückte Ruftica, welche damit in Verbindung gefetzt 
ift, entfpricht dem künfllerifchen Streben der in Rede ftehenden Epoche. 
Ein üppiger Fries mit Laubwerk, Emblemen und Genien (vgl. Fig. 87 auf 
S. 249) bildet den Abfchlufs des Erdgefchoffes. 

Noch reicher, noch eleganter find die beiden oberen Stockwerke durch- 
geführt. Die Fenfter der Mezzanina haben feine Pilafter, die Wandfelder 
zwifchen ihnen graziös ausgebildete Rahmen. Ein Fries mit üppigem Laub- 
gewinde fchliefst unter kräftiger Gefimsplatte auch diefs Halbgefchofs als 
ein felbftändiges ab. Dann folgt das Hauptgefchofs mit feinen grofsen 
Fenftern, die fo weit auseinander liegen, dafs nicht blofs für doppelte 
Pilafterftellungen, fondern abwechfelnd mit den Fenftern noch für Nifchen 
mit Statuen genügender Raum bleibt. Dadurch fowie durch die abwechfelnd 
geraden oder runden Giebel , welche jedes Fenfterfyftem krönen , ift dem 
langgeftreckten Bau der Eindruck rhythmifcher Bewegung und fchöner 
Mannigfaltigkeit gewahrt und jede Monotonie aufs Glücklichfte vermieden. 
Uns fcheint diefe Fagade mit ihren fein cannelirten korinthifchen Pilaftern, 
den Trophäengruppen zwifchen ihnen, den reichen laubgefchmückten Friefen 
und den Bildwerken in den Giebeln eine der gelungenften Compofitionen 
der franzöfifchen Renaiffance. 

Diefe Anordnung findet noch einen Anklang bei der Behandlung des 
anftofsenden Pavillons (6) und dem daneben liegenden Portal Lesdiguieres. 
Von da an beginnt die in unfrem Plan Fig. 85 mit (11) bezeichnete weft- 
liche Hälfte der Galerie, welche fammt dem an die Tuilerien ftofsenden 
Theil (10) die Verbindung mit den letzteren herftellt. Vergleicht man diefe 
Partieen mit der oben befprochenen , fo würde man kaum glauben, dafs 
beide derfelben Zeit angehören. Und doch find letztere gleich den erfteren 
unter Heinrich IV ausgeführt worden. Wüfsten wir etwas Genaueres von 
den Künftlern, welche dabei betheiligt waren, fo hätten wir vielleicht einen 
Anhaltspunkt zur Erklärung diefes auffallenden Gegenfatzes. Der Architekt 



§ 87. Arbeiten am Louvre. 327 

der weftlichen Galerie hat nämlich fich von der Anordnung, welche die 
übrigen Theile des Louvre wie der Tuilerien beherrfcht, frei gemacht und 
an Stelle der kleineren , für jedes Stockwerk felbftändigen Ordnungen eine 
einzige koloffale Pilafterftellung zur Dekoration feiner Fagaden gewählt. Je 
zwei cannelirte korinthifche Pilafber erheben fich auf hohem Stylobat und 
fteigen bis zum Gefimfe auf, wo fie durch ein fchweres Gebälk verbunden 
fmd. Plumpe Giebel, abwechfelnd gerad oder gebogen, von Trophäen aus- 
gefüllt, bilden die Bekrönung. Diefs ift das einzige Motiv, welches von 




Fig. 114. Louvre-Galerie Heinrichs IV. (Baldinger nach Phot.) 



dem öftlichen Theil entlehnt, aber durch die Schwerfälligkeit der Verhält- 
niffe ins Häfsliche entftellt ift. Ebenfo unfchön mufs man es nennen, dafs 
die grofsen Fenfter des oberen Gefchoffes, in rückfichtslofer Weife das Ge- 
bälk durchfchneidend, unmittelbar hart an das Kranzgefims ftofsen. Das 
Streben nach Grofsartigkeit hat den Architekten alfo nicht blofs zu einer 
innerlich unwahren Dekoration, fondern auch zu unfchönen Verhältniffen 
und einer ebenfo nüchternen als fchwerfälligen Behandlung verführt, die 
aufserdem noch das Gepräge einer öden Monotonie trägt. Wollte er diefe 



mm 



328 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 

vermeiden, fo hätte er vor Allem durch wh-kfame Gruppirung den Maffen 
einen belebten Rhythmus fchafifen müffen.') 

Die Frage nach dem Urheber diefer Theile läfst fich mit Sicherheit 
nicht beantworten, Dafs Baptiße du Cerceau Architekt Heinrichs IV war, 
ift feftgeftellt. Ihm folgte, da er 1602 fchon nicht mehr lebte, fein Bruder 
Jacques, der bis 16 14, alfo noch einige Jahre unter Ludwig XIII thätig 
war. Es ift wahrfcheinlich, dafs Beide an den Louvregalerieen gearbeitet 
haben ; welche Theile man aber dem Einen, welche dem Andern zufchreiben 
darf, wird fich kaum ermitteln laffen. Aufserdem find aber auch zwei 
Glieder der Familie Metezeau^) als Architekten des Königs in derfelben 
Epoche bezeichnet, und alte Nachrichten wollen ihnen ebenfalls Antheil 
an der Louvregalerie vindiciren. Es ift Thibault Metezeau, der jedoch 1596 
nicht mehr am Leben war und als Nachfolger beim Louvrebau feinen Sohn 
Louis hatte, welcher 161 5 ftarb. Aber auch von diefen Künftlern wiffen 
wir nichts Genaueres über ihren Antheil an dem Werke. Wahrfcheinlich 
jedoch haben wir die eine Hälfte den beiden Metezeau, die andere den 
beiden du Cerceau zuzufchreiben. Welche aber, das ift zweifelhaft. 

Unter Ludwig XIII blieb längere Zeit der Bau ruhen, bis Richelieu 
ihn wieder aufnahm. Man wandte fich aber jetzt dem unvollendet geblie- 
benen Lescot'fchen Baue zu, und der gefchickte Architekt Lemercier wurde 
1624 mit der Ausführung betraut. Um aber das Werk den inzwifchen 
gefteigerten Anfprüchen gemäfs umzugeftalten , vergröfserte man den Plan 
Lescot's um das Vierfache, machte den nördlichen Eckpavillon (pavillon 
de l'horloge) zur Mitte der doppelt fo langen Weftfagade und führte die 
auf unferem Plan mit (12) bezeichneten Theile des weftlichen und nördlichen 
Flügels aus. Das Verdienft Lemerciers ift es, dabei die Anordnung und 
Dekoration des LeScot'fchen Baues feftgehalten und dem Louvrehofe für 
die Folge feine künftlerifche Harmonie gewahrt zu haben. Der obere Ab- 
fclilufs des Pavillons mit den Karyatiden, welche drei Frontons über einander 
tragen, und mit dem hohen Kuppeldach ift nicht tadellos, aber doch im 
Verhältnifs zu der Willkür des damaligen Kunftgefchmacks immer noch 
anzuerkennen. Namentlich ift nicht zu leugnen, dafs die Karyatiden, das 
gepriefene Werk des talentvollen Bildhauers Sarazin, zwar etwas zu nlalerifch 
gedacht, aber im Vergleich zu fo manchen phantaftifch barocken Schöpfungen 
der Epoche, immer noch als mafsvoll, edel und anmuthig zu bezeichnen find. 



') Um nicht ungerecht zu fein, müffen wir indefs daran erinnern, dafs die Disharmonie 
zwifchen der öfllichen und weftlichen Hälfte der Galerie urfprüngHch weniger bemerkbar 
war, weil beide Theile damals noch durch einen mächtig vorfpringenden alten Befeftigungs- 
thurra, fowie durch den Wall und Graben, welche dort die Stadt abfchloffen, getrennt, 
wurden. — ^) A. Berty les grands architectes, p. 121 flf. 



§ 88. Arbeiten in Fontainebleau. 329 

An Stelle Lemercier's trat unter Ludwig XIV feit 1660 Levau, der 
die übrigen Fagaden des Hofes (13) in Angriff nahm und die durch Brand 
zerftörte Apollogalerie wieder herftellte. Zugleich vollendete er den 
Pavillon Marfan und damit den nördlichen Flügel der Tuilerien (14). Sodann 
wurde feit 1665 nach Perraults Plänen die Oftfeite (15) mit der koloffalen 
Säulenhalle errichtet, die unharmonifch dem Uebrigen fich anfügt, aber der 
Vorliebe Ludwigs XIV für das Majeftätifche fchmeichelte. Nach diefen 
Arbeiten gerieth der Louvre, der noch immer unvollendet war, in Verfall, 
das Schickfal des Königthums theilend, und als letzteres geftürzt war, fall 
der gewaltige Bau einer verfallenen Ruine gleich. Erft Napoleon liefs durch 
Per der und Fontaine den Palaft wieder herftellen und weiter ausführen. 
Die weftliche Hälfte der Nordgalerie, die an die Tuilerien grenzt (16), und 
die auf derfelben Seite an den Louvre ftofsenden zu einer Kapelle beftimmten 
Theile (16) entftanden in diefer Zeit. Den Abfchlufs haben dann neuer- 
dings die unter dem zweiten Kaiferreich ausgeführten Theile (18) gemacht. 
Die Pläne Visconti' s haben dabei leider ftarke Umgeftaltungen erfahren, 
und Alles ift in jenem aufgebaufchten marktfchreierifchen Stile durchgeführt, 
welcher der entfprechende Ausdruck für die jetzt (1868) in Frankreich herr- 
fchenden Gefellfchaftskreife zu fein fcheint. 

§ 88. 

Arbeiten in Fontainebleau. 

MEHR als am Louvre, wo die Rückficht auf frühere Theile die neueren 
Ausführungen bedingte, läfst fich der Charakter der Epoche Hein- 
richs IV an den Bauten erkennen , welche er dem Schlöffe Fontainebleau 
hinzufügte. Dahin gehören zunächft die auf dem Gefammtplan S. loi mit 
H bezeichneten Theile. In drei Flügeln einen grofsen Hof umgebend, fuid 
diefe Gebäude untergeordneten Dienftzwecken beftimmt und tragen demnach 
das Gepräge ftrenger Einfachheit, die im Geifte der Zeit fich nicht ohne 
Nüchternheit ausfpricht. Die Verbindung von Ziegelbau mit Quadern, die 
fchmucklofe ja plumpe Einfaffung der Fenfter und Thüren, die Abwefenheit 
jeder feineren oder lebensvolleren Form giebt diefen Gebäuden einen trockenen 
Ausdruck, obwohl das Ganze durch die tüchtigen Verhältniffe und die 
glückliche Maffengliederung, unterftützt namentlich durch Pavillons auf den 
Hauptpunkten, eine würdig folide Wirkung macht. Die grofsen Halbkreis- 
nifchen, welche die Hauptfagade in der Mitte durchbrechen, tragen dazu 
das Ihrige bei (Fig. 115). Jedenfalls gehören diefe Theile zu den Muftern 
deffen, was man damals unter ländlichem Charakter in der Baukunft verftand. 

Gröfsere Pracht dagegen entfaltete fich an dem Portal, welches unter 
der Bezeichnung »Baptifterium Ludwigs XIII« den ovalen Hof des Schloffes 
an der öftlichen Seite abfchliefst. Seinen Namen erhielt es dadurch, dafs 



330 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 

in feinem kuppelartigen Oberbau die Taufe des Dauphins ftattfand. Der 
Bau hat die imponirende Form eines Triumphbogens, doch in ganz freier, 
origineller Compofition. Ein weiter Bogen öffnet fich in der Mitte, auf den 
Seiten flankirt durch Nifchen, welche von kurzen Pilaftern mit korinthifchen 




" «'1 f 30 //O iO'Par. 

Fig. 115. Fontainebleau. Aus dem Hofe Heinrichs IV. (Pfnor.) 



Phantafiekapitälen eingefafst werden. Ueber den Nifchen find Medaillons mit 
Büften, umkränzt von fchweren Blattgewinden, angebracht. Die Formen fuchen 
fich den mannichfach variirten Beifpielen derFrührenaiffanceanzufchliefsen, aber 
die derben Glieder und das üppig kraufe Blattwerk bezeugen deutlich genug 
die fpäte Zeit. Ueber dem Mittelbau erhebt sich nun ein nach vier Seiten 
geöffneter und mit gefchweiftem Kuppeldach gefchloffener Bogen. Diefe 
Form ifl: nicht frei von barocker Willkür, aber das Ganze macht doch einen 
prächtigen Eindruck und giebt dem Hofe einen impofanten Abfchlufs. 



§ 88. Arbeiten in Fontainebleau. 



Aufserdem wurden unter Heinrich IV die Hi r fchgaleri e und die 
über derfelben liegende Galerie der Diana hinzugefügt, von denen die erftere 
unter Ludwig XV zu Wohngemächern umgeftaltet wurde. Auch diefe 
Theile (vgl. Fig. 116) tragen fehr entfchieden das Gepräge diefer Epoche 
durch die derben Formen und die Mifchung von Ziegelbau mit Quadern. 
Doch zeugt auch hier die Behandlung vom Walten eines energifchen und 




10 . 20'Par. 

1 ! 



Fig. 116. Fontainebleau. Hirschgalerie. (Baldinger nach Pfnor.) 

bewufsten Künftlergeiftes. Zu den barocken Wunderlichkeiten gehören die 
ftellenartig verjüngten Pilafter des oberen Gefchoffes mit ihrer Voluten- 
krönung, von welcher ein Laubkranz herabhängt; befonders aber die durch- 
brochenen Gefimfe der Fenftergiebel und die phantaftifchen Voluten, welche 
das mittlere Fenfter einfchliefsen. Als Architekt diefer neuen Theile wird 
Etienne Duperac von Bordeaux genannt, der feine Studien in Italien gemacht 



332 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



hatte und wie du Cerceau felbft den Grabftichel führte. Wir befitzen aufser 
einer Anzahl einzehier Blätter von ihm ein Werk über die Alterthümer 
Roms und malerifche Anflehten der Gärten von Tivoli , fowie Abbildungen 
der Peterskirche und des römifchen Capitols. Er war zugleich Maler und 
hatte nicht blofs Gemälde für das Badezimmer von Fontainebleau, fondern 
wahrfcheinlich auch die Dekoration der erwähnten Galerieen ausgeführt. 
Aufserdem rührte von ihm die Rehgalerie, die fich mit einem Bogengang 
von ca. 1 20 Fufs Länge der Dianengalerie gegenüber öffnete und mit Land- 
fchaften und Jagdfcenen bemalt war. Diefe Galerie ift fpäter völlig zer- 
ftört worden. Endlich gehört zu den Ausführungen diefer Zeit der Umbau 
und die glänzende Ausfchmückung der Dreifaltigkeitskapelle, deren Dekora- 
tion in prachtvoller W^eife und in Formen von ziemlich reinem Clafficismus 
durchgeführt ift. An ihren Gemälden war hauptfächHch Freminet, ein 
damals gefchätzter Maler, betheiligt. 

Unter Ludwig XIII wurde endlich durch Lemercier die berühmte huf- 
eifenförmige Treppe erbaut, welche den Haupteingang aus dem grofsen 
äufseren Hofe in den Mittelbau bildet. Die heutige Anfchauung fchätzt 
diefe malerifchen Treppenanlagen der Barockzeit gering. Indefs entfalten 
fie in ihrer grandiofen Wirkung perfpektivifche Reize, von denen fich unfere 
Aefthetik nichts träumen läfst. 

§ 89. 

Bauten zum öffentlichen Nutzen. 

UNTER Heinrich IV äufsert fich zum erften Mal in Frankreich das 
Streben der Renaiffance, in gröfserem Umfange das Gefetz der Sym- 
metrie und der Regelmäfsigkeit bei der Anlage von Strafsen und Plätzen, 
ja von ganzen Stadtvierteln zu entfalten. In bedeutendem Umfange führte 
Heinrich IV diefe Idee bei der Place Roy ale ins Leben. ^) Der Bau 
begann 1605 und wurde erft zwei Jahre nach des Königs Tode 161 2 
vollendet. Ehemals ftand auf diefem Platze das Hotel des Tournelles, 
welches Katharina von Medici nach dem Tode ihres Gemahls hatte zer- 
ftören laffen. Der Platz bildet ein weites Viereck, rings von regelmäfsigen 
Gebäuden umzogen, die im Erdgefchofs fich mit 144 Arkaden öffnen. Ein 
umgitterter Rafenplatz mit Baumgruppen, zwei Springbrunnen und das 
Reiterbild Ludwigs XIII an Stelle der in der Revolution zerftörten alten 
Statue in neuerer Zeit errichtet, nimmt die Mitte des Platzes ein. Die 
Architektur, aus Backftein und Quadern gemifcht, macht einen ftrengen 
und düfteren Eindruck, der durch die 35 hohen Pavillons, in welche die 
Maffe der Dächer aufgelöft ift, noch gefteigert wird. Die Schönheit tritt 



') Aufn. in Blondel, Archit. Francoife, Vol. II. 



§ 89. Bauten zum öffentlichen Nutzen. 333 

hier hinter die Herrfchaft blofser Zweckmäfsigkeit zurück, letztere aber ift 
in nachdrücklicher Weife betont, fo dafs das Ganze in feiner Art bei aller 
Strenge doch das Gepräge klarer Gefetzmäfsigkeit und Tüchtigkeit gewinnt. 

Die zweite Schöpfung diefer Art ift die Place Dauphine, 1608 
auf zwei ehemaligen Infein der Cite angelegt. Die Gebäude tragen den- 
felben Charakter, der aus der Verbindung von Ziegelbau und Quadern fich 
ergiebt. Nur ift hier der Ausdruck noch etwas ftrenger und nüchterner 
und die Anwendung der Ruftica noch hervortretender als auf der Place 
royale. Der Platz, der die wefentliche Spitze der Infel bildet, hat drei- 
eckige Grundform. 

Grofsartiger wäre ein dritter Platz geworden, welcher als Place de 
France an der Stelle des Marais fich ausdehnen und diefe Unternehmungen 
zur Verfchönerung und Verbefferung der Stadt abfchliefsen follte. Diefer 
Platz hätte in grofsem Umkreis einen Halbmond befchrieben, deffen Durch- 
meffer von der Baftille bis zur Rue du Temple fich erftrecken würde. Acht 
Hauptftrafsen follten ftrahlenförmig von hier ausgehen und die Namen der 
Hauptprovinzen Frankreichs tragen, während den Verbindungsftrafsen die 
Namen der untergeordneten franzöfifchen Provinzen zugedacht waren. Zwi- 
fchen den Hauptftrafsen follte jede der fieben Gebäudemaffen über einem 
Erdcrefchofs mit Arkaden fich in zwei Stockwerken von Backftein und 
Quadern erheben, jede als befonderer Pavillon mit hohem Dach gefchloffen. 
Der Plan zu diefer grofsartigen Anlage ftand bereits feft, als durch die 
Ermordung des Königs diefem gleich fo vielen andern Entwürfen ein Ziel 
gefetzt wurde. 

Von den zahlreichen übrigen Bauten zum öffentlichen Nutzen heben 
wir die Vollendung des Pont Neuf^) hervor, deffen Bau der König von 
1602 bis 1607 zur Ausführung brachte. Damit hing die Verlängerung der 
Infel der Cite nach der Weftfeite zufammen, die durch Verbindung zweier 
kleiner Infein bewerkftelligt wurde. Die Brücke trat dadurch in Berührung 
mit der Cite und wurde in zwei felbftändige Theile gefchieden. Ferner 
liefs der König die Wafferleitungen von Belleville und der Pres-St. Gervais 
wieder herftellen, welche den nördlichen Theil von Paris mit Waffer ver- 
fahen; ebenfo liefs er die Brunnen, welche von ihnen gefpeift wurden, wieder 
herftellen und eine Anzahl neu errichten. Auch verfchiedene Quais wurden 
neu gefafst und die Mauern und Thore der Stadt ausgebeffert. 

Es ift bezeichnend, dafs diefser Freund des Bürgers und des Volkes 
der erfte unter den Herrfchern Frankreichs war, weicher Bauten für den 
öffentlichen Nutzen und nicht blofs Prachtwerke zum eigenen Vergnügen 



0 Aufn. bei A. Berty, la renaiffance monum. Vol. I. — Blondel, Archit. Fran^oife, 
Vol. II. 



334 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



ausführen liefs. Im Verhältnifs zu der kurzen Regierungszeit, die ihm 
befchieden war, mufs man die Zahl und die Bedeutung der von ihm errich- 
teten Bauten anfehnhch nennen. 



i\| der Künfte auf, und diefe Kunftliebe, ein Erbtheil ihres väterlichen 
Haufes, würde vielleicht die widerwärtigen Eigenfchaften diefer ränkevollen 
und herrfchfüchtigen Florentinerin vergeffen machen, wenn nicht auch durch 
ihre Beziehungen zur Kunft ein erkältend froftiger Hauch hindurchginge. 
Froftig in hohem Grade ift denn auch das Hauptwerk, welches die Archi- 
tektur auf ihre Veranlaffung hervorgebracht hat. Im Jahre 1612 kaufte fie 
das Hotel und die Gärten des Herzogs von Luxembourg, fowie mehrere 
benachbarte Grundftücke, und liefs von 161 5 durch Salomon de Brojjfe,^) 
einen Neffen des jüngeren Jacques Androuet du Cerceau, fich das pracht- 
volle Palais errichten, welches noch jetzt vorhanden ift,^) In der auffallend 
kurzen Zeit von fünf Jahren war der ganze Bau vollendet, und 1620 konnte 
Rubens berufen werden, um feine berühmten Gemälde für die Galerie aus- 
zuführen. 

Von dem Meifter des Baues wiffen wir nur, dafs er zu Verneuil geboren 
war, ohne indefs das Jahr feiner Geburt zu kennen. Vermuthen läfst fich, 
dafs er nach der Sitte der Zeit feine Studien in Italien gemacht hat, Wenig- 
ftens deutet fein Werk felbft darauf hin, denn die Architektur desfelben 
«rinnert an Ammanati's Hof des Palazzo Pitti zu Florenz, nur dafs dort 
einfache, hier gekuppelte Pilafterftellungen die Flächen gliedern. Im Uebrigen 
ift die oft behauptete Aehnlichkeit des Luxembourg mit dem Palazzo Pitti 
ein Märchen. Die Anlage zeigt vielmehr einen durchaus franzöfifchen 
Grundrifs, und ebenfo im Aufbau die hohen Dächer und die dominirenden 
Pavillons. 

Schon das ift in der Anordnung des Grundplans durchaus der fran- 
zöfifchen Sitte entfprechend, dafs ein ungefähr quadratifcher Hof, auf drei 
Seiten von Galerieen eingefafst, den Hauptbau von der Strafse trennt. In 
der Mitte des äufseren Flügels, der nur aus einem Erdgefchofs mit einer 
Terraffe befteht, erhebt fich ein zweiftöckiger mit einer Kuppel gekrönter 
Portalbau von ftattlicher Wirkung. Auf beiden Ecken wird diefer Vorder- 
bau flankirt durch Pavillons mit fteilen Dächern, über dem Erdgefchofs mit 



§ 90. 

Der Palast des Luxembourg. 




dem Tode Heinrichs IV trat Maria von Medici als Befchützerin 



So, nicht Jacques, wie bisher allgemein angenommen, ift der Taufname des Künft- 
lers. Vgl. Berty, les grands architectes, p. in, der fich auf neuere Entdeckungen des Herrn 
Charles Read bezieht. — 2) Aufn. bei Blondel, archit. Fran?. Vol. II. 



§ 90. Der Palaft des Luxembourg. 



335 



zwei oberen Stockwerken emporgeführt. Die beiden Seitenflügel des Hofes, 
die fich den Pavillons anfchliefsen , beftehen aus einem Erdgefchofs und 
einem oberen Stockwerk , welches eine Galerie von i8 Fufs Breite bei 
i8o Fufs Länge enthält. Die zur Rechten liegende Galerie war mit den 
grofsen Bildern von Rubens gefchmückt, welche fpäter in das Mufeum des 
Louvre übertragen wurden. Der Hauptbau fchliefst zweiftöckig über einem 
Erdgefchofs den Hof ab, fchiebt aber an beiden Endpunkten fowohl gegen 
den Hof wie gegen den Garten zwei mächtige Pavillons vor , die nur da- 
durch über den Hauptbau fich etwas erheben, dafs das obere Stockwerk, 
an den übrigen Bautheilen etwas niedrig, bei ihnen um 6 Fufs höher geführt 
ift. Gegen den Hof wurde der Vorfprung der Pavillons ehemals durch eine 
fchöne mit einer Baluftrade gefchloffene Terraffe verbunden, zu welcher in 
der Mitte eine halbrunde Freitreppe emporführte. Die Mitte des Haupt- 
baues nimmt ein kleinerer Pavillon ein, der die grofsartige mit doppeltem 
Lauf anfteigende Treppe enthält. Nach der Rückfeite gegen den Garten 
ift ein halbkreisförmiges Veftibül vorgelegt, im Hauptgefchofs die Kapelle 
enthaltend und mit einem Kuppelbau bekrönt. Zu beiden Seiten fchliefst 
fich eine Galerie zur Verbindung mit den Eckpavillons an. 

Ift diefe Anordnung in ihrer Klarheit und vornehmen Würde als Mufter 
eines Palaftbaues zu bezeichnen, fo hat der Architekt eine faft feierliche 
Ruhe im künftlerifchen Aufbau walten laffen, fo dafs an allen Seiten und 
in jedem Theile des Baues diefelbe Ordonnanz die Maffen gliedert. Gekup- 
pelte Pilafter, im Erdgefchofs toskanifche, im erften Stockwerk dorifche 
mit Triglyphenfries, im zweiten ionifche, find am ganzen Bau mit ftrenger 
Confequenz durchgeführt. Dabei find die Pilafter wie die Wandflächen in 
Ruftica behandelt, aber nicht in jener dekorativ fpielenden der Louvregalerie 
und der Tuilerien, fondern in einer herben Schlichtheit, die allen Schmuck 
verfchmäht. Nur an den Mittelbauten, welche die Eingänge enthalten^ 
kommen Säulenftellungen vor; vegetabilifcher Schmuck ift nirgends, ftatua- 
rifcher mit höchfter Sparfamkeit, hauptfächlich an den Giebelfeldern der 
Eckpavillons angebracht. Auffallend namentlich ift, dafs der Architekt die 
Gartenfeite ganz in demfelben ernften Stile durchführt wie die Stadtfeite, 
und dafs fein Streben offenbar auf völlige Einheit, ja Einförmigkeit ge- 
richtet ift. 

Ohne Frage macht diefe nüchterne Aufifaffung einen etwas erkältenden 
Eindruck; es ift eine Architektur, welche fleh nur an den Verftand, gar 
nicht an die Phantafle wendet. Unterftützt wurde folche Aufifaffung freilich 
dadurch, dafs wie wir wiffen die Renaiffancezeit in der Ruftica und dem 
dorifchen Stile den Ausdruck des Ländlichen zu finden glaubte. Aber diefe 
Grenzen der Aufifaffung und der mehr reflektirenden als phantaflevollen Be- 
gabung einmal zugegeben, wird man geftehen müffen, dafs es ein bedeu- 



336 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



tender und ächter Künftler ift, der diefes Werk gefchaffen, und der in einer 
Zeit, welche der Willkür in barocken Ausfchreitungen huldigte, folche Rein- 
heit und Strenge des Stiles feftzuhalten wufste. 

Den Reiz der Anlage vermag man indefs erft zu würdigen, wenn man 
fich an den unvergleichlich fchönen Garten erinnert, der leider feit einigen 
Jahren durch die nimmerfatte Veränderungsluft der Franzofen fo gut wie 
zerftört worden ift. Das Blumenparterre mit feinem Baffm und Spring- 
brunnen und feinen Statuen, eingefafst von mächtigen Baumgruppen; die 
fchöne Verbindung, welche zwifchen dem Garten und der Architektur 
beftand und eine lebensvolle Wechfelwirkung erzeugte, das Alles gab dem 
Ganzen erft die Vollendung. Die Grottenanlage an der linken Seite des 
Parks ift ein charakteriftifches Beifpiel jener ins Naturwüchfige übergehen- 
den Ruftica, welche die Renaiffance für folche Zwecke anzuwenden liebte. 

§ 91- 

Andre Werke von de Brosse. 

EINIGE Jahre vor der Ausführung feines Hauptbaues errichtete de Broffe, 
der felbft Hugenott war, zu Charenton das Bethaus der Prote- 
ftanten, zu deffen Aufführung Heinrich IV die Erlaubnifs gegeben hatte. 
Es wurde 1606 begonnen, aber 1685 nach Zurücknahme des Edikts von 
Nantes zerftört. Der Bau mufs ein befonderes Intereffe dargeboten haben, 
denn der Architekt hatte dabei das Vorbild der antiken Bafiliken im Auge 
und errichtete das Gebäude als koloffales Rechteck, welches rings auf allen 
Seiten von drei Galerieen umzogen war. Die untere Säulenftellung befolgte 
die toskanifche, die zweite die dorifche, die oberfte die ionifche Ordnung. 
Drei Portale vermittelten den Zugang und einundachtzig Fenfter gaben dem 
Räume reichliches Licht. Das Innere wie das Aeufsere enthielt fich in pro- 
teftantifcher Einfachheit jeden Schmuckes und zeigte diefelbe nüchterne 
Strenge, welche einen allgemeinen Charakterzug der damaligen Bauten aus- 
macht. Eben defshalb fand diefe fchlichte Behandlung bei den Zeitgenoffen 
keinen Anftofs, und de Broffe erntete für feine grofsartige und zweckmäfsige 
Conftruction allgemeine Bewunderung. 

Dafs er indefs auch reichere Compofitionen auszuführen verftand, bewies 
er an der P'agade von St. Gervais, zu welcher Ludwig XIII am 24. Juli 
16 16 den Grundftein legte. ^) Ohne Rückficht auf den gothifchen Charakter 
des Baues fetzte er die Fagade als felbftändiges Dekorationsftück dem Baue 
vor und fchmückte fie mit den drei antiken Säulenordnungen. Es war das 
erfte Beifpiel diefer Anwendung der claffifchen Architektur in Frankreich,, 
wefshalb diefe Fagade lange Zeit in hohem Anfehen ftand. 



') F. de Guilhermy, Delcription archeologique de Paris, p. 178. 



§ 92. Privatfchlösser diefer Zeit. 237 

Einige Jahre vorher, 1613, hatte de Broffe Gelegenheit, eine der grofs- 
artigften NützHchkeitsbauten auszuführen. Die ganze füdhche Hälfte der 
Hauptftadt entbehrte fchon lange hinreichenden guten Trinkwaffers , und 
Heinrich IV hatte defshalb den Plan gefafst, den noch von den Römern 
herrührenden Aquädukt von Arcueil wieder herzuftellen. Der Dolch 
Ravaillac's hatte auch diefen Plan nicht zur Ausführung kommen laffen, 
und das Volk von Paris würde noch lange auf die Wohlthat frifchen Trink- 
waffers haben verzichten müffen, wenn nicht der Palaft des Luxembourg 
für feine Wafferwerke dasfelbe Bedürfnifs getheilt hätte. Die Königin liefs 
defshalb 16 13 durch de Broffe den Plan wieder aufnehmen und den grofs- 
artigen Bau der Römer herftellen. Die römifche Wafferleitung, welche 
hauptfächlich die Thermen zu verforgen hatte, brachte in einer Länge von 
16 Kilometer das Waffer von Rungis nach Paris, Durch die Normannen 
zerftört und feit Jahrhunderten dem Verfall preisgegeben, ftand fie nur noch 
als Ruine in einzelnen Ueberreften da, fo dafs man das Werk de Broffe's 
als eine ganz neue Schöpfung bezeichnen kann. Er prägte ihm jenen Cha- 
rakter gediegener Gröfse auf, welcher die Römerbauten derfelben Art aus- 
zeichnet. Der Aquädukt überfchreitet das Thal von Arcueil auf 25 Bogen 
in einer Höhe von 83 Metres, gehört alfo zu den kühnften Conftructionen 
diefer Art. Der Bau wurde 1624 vollendet und gab Veranlaffung zur Er- 
richtung zahlreicher Brunnen in den füdlichen Theilen der Stadt. 

Endlich hatte de Broffe den im März 161 8 durch Brand zerftörten 
grofsen Saal des Palais de Juftice zu Paris wieder herzuftellen. Mit 
Beibehaltung der alten Grundmauern fchlofs er fich der zweifchiffigen Anlage 
des früheren Saales an , ohne jedoch im Mindeften Rückficht auf den Stil 
der übrigen Theile zu nehmen. Er gab dem Saal, der früher hölzerne 
Bedeckung in Form gothifcher Tonnengewölbe gehabt hatte, fteinerne rund- 
bogige Wölbungen, die in der Mitte auf einer Reihe von Pfeilern ruhen. 
Letztere erhielten eine Dekoration von dorifchen Pilaftern. Zwei breite 
Halbkreisfenfter und darüber zwei Rundfenfter in den fchmalen Schlufsfeiten 
geben dem Raum reichliches Licht. Die Architektur ifh nicht ohne Würde, 
aber doch von einer erkältenden Nüchternheit. Sie beweift gleich den 
übrigen Schöpfungen, dafs de Broffe zu jenen Architekten gehört, die mehr 
durch Reflexion und rationelle Aufifaffung als durch Phantafie hervorragen. 

§ 92. 

Privatschlösser dieser Zeit. 

Aus der ziemlich anfehnlichen Reihe von Schlöffern, welche während der 
erften Decennien des 17. Jahrhunderts errichtet wurden, heben wir 
einige befonders charakteriftifche hervor, um an ihnen die weitere Entwick- 
lung des franzöfifchen Schlofsbaues darzulegen, 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiflance in Frankreich. II. Aufl. 22 



338 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



Als gemeinfamer Grundzug ift feftzuhalten, dafs noch immer die natio- 
nalen Sitten, anknüpfend an die Traditionen der früheren Epoche, das Mafs- 
gebende bei diefen Anlagen find, dafs die Vertheilung der Räume, die An- 
ordnung der Treppen, die regelmäfsige Gruppirung um einen viereckigen 
Hof die fefte Norm bilden, Befonders ift es für die Gefammterfcheinung 
diefer Bauten bezeichnend, dafs fie zwar in italienifcher Weife mehr nach 
Ruhe und Einfachheit der Linien ftreben, aber im Anfang der Epoche die 
Eckpavillons und damit die malerifche Maffengliederung auch jetzt mit Vor- 
liebe fefthalten, ja dafs felbft Rundthürme und Waffergräben mit Zugbrücken 
keineswegs völlig aus dem Bauprogramm fchwinden. Dagegen kommen 
die grofsen Galerieen, der Stolz des i6. Jahrhunderts, jetzt in Abnahme, 
und das Leben der Schlofsbewohner zieht fich als ein mehr intimes in 
behaglichere Zimmer und Säle zurück. 

Für die künftlerifche Charakteriftik laffen fich zwei ganz verfchiedene, 
ja entgegengefetzte Typen unterfcheiden. Der eine beruht auf einer faft 
abfichtlich zur Schau getragenen, oft bis zum äufserften Grade getriebenen 
Einfachheit, die nichts kennt als die fchlichtefte Verbindung von Backftein- 
bau und Rufticaquadern, und eine Derbheit der Profile, die nicht feiten zur 
plumpen Schwerfälligkeit wird. Der andere nimmt zwar diefelben Grund- 
elemente auf, weifs aber aus ihnen eine reichere dekorative Wirkung zu 
gewinnen, die freilich in der Regel zu barocken Formen und zu üppiger 
Ueberladung neigt. In beiden Fällen mufs für den Mangel an feiner künft- 
lerifcher Durchbildung das ächt nationale, oft wahrhaft originelle Gepräge 
entfchädigen. 

Von beiden Typen liefert das Schlofs Tanlay in Burgund in feinen 
verfchiedenen Gebäuden bezeichnende Beifpiele.') Der Hauptbau wurde 1559 
durch Frangois de Coligny, Bruder des berühmten Admirals, begonnen, 
aber nur ein runder Eckthurm mit den anftofsenden Theilen der beiden 
Flügel vollendet. Ein neuer Befitzer, Jacques Chabot, Marquis de Mirebeau, 
fügte 1610 das fogenannte »kleine Schlofs« hinzu, einen vor dem Haupt 
bau felbftändig fich erhebenden Pavillon. Diefer zeigt im Erdgefchofs die 
üppigfle Ruftica mit einer wahrhaft phantaftifch überfchwänglichen Dekora- 
tion, in welcher alle Arten von Linienfpielen mit vegetabilifchen Muftern 
wechfeln. Darüber erhebt fich ein oberes Gefchofs mit eleganten korin- 
thifchen Pilaftern, reichen Fenflergiebeln und einem prachtvollen, ganz mit 
Laubwerk dekorirten Fries. Diefer üppige Bau, völlig aus Quadern auf 
geführt, war auf den Contrafb mit dem Waffer des umgebenden Grabens 
berechnet. 



') Sauvageot, choix de palais, Vol. I. 




22* 



340 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



Von höchfler Nüchternheit ift dagegen der weitere Ausbau des Haupt- 
fchloffes, welcher durch den Finanzintendanten d'Hemery in den erften 
Jahren der Regierung Ludwig's XIV feit 1643 ausgeführt wurde. Da der- 
felbe nicht mehr diefer Epoche angehört, fo gehen wir darüber hinweg, 
zumal uns ein anderes Schlofs der Zeit Ludwigs XIII ein Beifpiel ähnlicher 
Nüchternheit bietet. 

Es ift das kleine Schlofs WideviUe') unweit Verfailles. Es wurde 
von Claude de Bullion, der unter Heinrich IV und Ludwig XIII hohe 
Staatsämter bekleidete, erbaut. Die Anlage bildet ein Rechteck von geringer 
Tiefe, 30 Fufs bei 125 Fufs Breite. Auf beiden Seiten fpringen kleine 
Pavillons mit runden Dächern vor, die Mitte bildet ein gröfserer ebenfalls 
vortretender Pavillon, der die übrigen einftöckigen Gebäude um ein Gefchofs 
überragt und das Veflibül fammt einem quadratifchen Saal enthält. Rechts 
neben demfelben ift die in geradem Lauf anfteigende Treppe angeordnet, 
während links eine kleinere Seitentreppe liegt. Die ganze Eintheilung ift 
bequem und anfprechend. Der Bau erhebt fich, rings von Gräben umzogen, 
auf einer Infel mit hohem Unterbau, der auf den Ecken durch kleine 
feftungsartige Thürme flankirt wird. Die aufserordentlich hohen Fenfter, 
die Ecken , fowie die Gefimfe beftehen aus Quadern , alles Uebrige ift in 
Ziegeln ausgeführt, und der ganze Bau zeigt die höchfte Einfachheit und 
Nüchternheit. Von der inneren Ausftattung fmd befonders die fchönen 
glafirten Fufsböden hervorzuheben. Im Park fieht man eine Grottenanlage 
in einer Ruftica mit dorifchen Säulen, welche eine Nachahmung von Tropf- 
fteinbildungen zeigen. 

In der Normandie, wo der Backfteinbau fchon im Mittelalter eine 
künftlerifche Ausbildung erlangt hatte, finden wir auch jetzt Beifpiele einer 
reicheren Anwendung desfelben. Befonders prächtig am Schlofs von 
BeaumesniP) im Departement der Eure. (Fig. 117.) Auf einer Infel, 
rings vom Waffer umfchloffen, erhebt fich der prächtige Bau, deffen Fenfter 
upd Thüren, fowie die Ecken eine ungemein derbe Ruftica zeigen, während 
die Wandflächen in Backftein mit rautenförmigen Muftern durchgeführt find. 
Diefes, fowie die originellen barockphantaftifchen Krönungen der Portale, 
der Fenfter und der Lucarnen, die überall in den Formen die gröfste 
Mannigfaltigkeit zeigen, endlich die gewaltigen ebenfo reich durchgeführten 
Kamine und der pompöfe Abfchlufs des mittleren Pavillons mit feinem 
runden Dache, verleihen dem Bau bei aller fchweren Ueberladung ein 
ungemein malerifches Gepräge. Die Wirkung diefer reich gegliederten 
Maffen wird durch den Wafferfpiegel und die prächtigen Laubgruppen der 
unmittelbaren Umgebung aufs Glücklichfte gefteigert. Der Bau befteht 



i) Sauvageot, choix de palais, Vol, III. — ^) Ebend. Vol. IV. 



§ 93- Städtifche Privathäufer. 34 1 

übrigens wie in Wideville aus einem langgeftreckten Rechteck von 30 Fufs 
Tiefe bei 120 Fufs Breite. Die Mitte bildet ein vorfpringender Pavillon, 
der das Veftibül fammt dem Treppenhaufe enthält. 

Denfelben Charakter, die gleiche Verbindung eines gemufterten Back- 
fteinbaues mit derben Rufticaquadern findet man an den alten Theilen des 
Chateau des Ifs') bei Fecamp, nur dafs die Anlage kleiner und die 
Dekoration, obgleich ebenfalls derb ufid barock, nicht ganz fo fchwer und 
überladen ift wie in Beaumesnil. Der Bau befteht ebenfalls nur aus einem 
Rechteck von 25 Fufs zu 65 Fufs. Die Mitte enthält das Veftibül fammt 
dem Treppenhaufe , neben welchem jederfeits ein grofses quadratifches 
Zimmer den übrigen Raum einnimmt. Auf den Ecken der Vorderfagade 
find kleine runde Thürme mit gefchweiften Dächern angebracht, die als 
Kabinete mit den anftofsenden Zimmern in Verbindung ftehen. Auch hier 
ift alfo die malerifche Bewegung der Maffen hauptfächlich betont. Ein 
prächtiger Park bildet mit feinen Laubgruppen einen wirkfamen Hinter- 
grund. 

§ 93- 

Städtische Privathäuser. 

UNTER den vornehmen Wohnhäufern , welche aus diefer Zeit in den 
Hauptftädten des Landes überall noch vorhanden find, darf als eins 
der bedeutendften das Hotel Montescot zu Chartres^) bezeichnet werden. 
Es wurde im Anfang des 17. Jahrhunderts durch Claude de Montescot, 
Sekretair Heinrichs IV, erbaut, diente nachmals als Klofter und ift gegen- 
wärtig als Hotel de ville benutzt. Der Bau, deffen Grundrifs wir in Fig. 118 
beifügen, zeigt die regelmäfsige Anlage, welche den vornehmen Stadtwoh- 
nungen in Frankreich feit längerer Zeit eigen war, in befonders klarer 
Anordnung. Um einen quadratifchen Hof E gruppiren fich auf drei Seiten 
die Wohnräume, während auf der vierten Seite gegen die Strafse eine 
Mauer mit dem Eingangsthor den Abfchlufs bildet. Die Haupttreppe A 
liegt in der Mitte des Flügels an der Rückfeite, eine zweite Treppe B ift 
im linken Flügel angebracht. Die Architektur, aus Ziegeln und Quadern 
beftehend, zeigt das äufserfte Maafs von Nüchternheit, nirgends das geringfte 
Ornament, und felbft die Gefimfe und fonftigen Glieder find von einer ans 
Rohe grenzenden Plumpheit. Nur die grofsen Verhältniffe und die glück- 
liche Bewegung der Maffen geben dem Bau ein ftattliches Gepräge. Be- 
merkenswerth ift, dafs die Einfaffungen der Fenfter und die Pilafter, welche 
die Wände gliedern, aus Backftein gebildet find, während die übrigen 
Theile meiftens den Quaderbau zeigen. Beim Hauptportal, das eine reichere 
Anlage erhalten hat, wechfeln Quader mit Backfteinen. Die drei Portale 



Sauvageot, Vol. II. — Ebend. 



342 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



der Hoffagaden find reicher ausgeführt und felbft mit plaftifchem Schmuck 
verfehen. 

Ungleich eleganter und prächtiger ift das Hotel de Vogüe zu Dijon, 
welches um diefelbe Zeit von Etienne Bouhier, der als Rath im Parlament 
von Burgund eine einflufsreiche Stelle bekleidete, erbaut wurde.') Man 
darf das Jahr 1614 als Datum der Vollendung des Baues annehmen, 
denn diefe Jahrzahl lieft man am Kamin des grofsen Saales. Bouhier war 
ein begeifterter Kunftfreund, machte Reifen in Italien und trieb feine Stu- 
dien fo weit, dafs im Jahre 1630 das Hofpital der Stadt nach feinen Plänen 




0 5 10 /ij- aoTO 

1 I I I ! I I I I I I I I 1 I 1 I I I I I 

• Fig. 118. Hötel Moutescot zu Chartres. (Sauvageot.) 



erbaut wurde. Wahrfcheinlich hat er auch die Entwürfe zu der prächtigen 
Wohnung gemacht, die er früher für fich ausführen liefs. Gewiffe Eigen- 
heiten fowohl in der Anordnung des Grundriffes wie in der originellen, 
dabei jedoch willkürlichen und fogar feltfamen Behandlung der Architektur 
fcheinen dafür zu fprechen, dafs man es hier mit dem Werke eines geift- 
reichen Dilettanten zu thun hat. 



') Vrgl. die ausführliche Aufnahme bei Sauvageot, Vol I. Einzelnes bei Rouyer et 
Darcel, I, pl. 48 — 50 und in Berty's ren. mon. II, pl. 47 — 49. 



§ 93- Städtifche Privathäufer. 



343 



Der Bau gruppirt fich mit drei Flügeln um einen kleinen Hof, der 
nach der Strafse durch eine Mauer mit barockprächtigem Eingang abge- 
fchloffen wird. An diefe Mauer legt fich nach innen eine Arkade, die in 
der höchften Pracht der Ausführung ein elegantes Beifpiel antiker Studien 
enthält und in ihrem graziöfen Clafficismus von dem derberen Charakter 
der übrigen Theile auffallend abweicht. Der Bau ift im Uebrigen weder 
durch glückliche Verhältniffe , noch durch Confequenz der Durchbildung 
hervorragend. Die Fenfter z. B. haben auffallend dürftige Rahmen, mit 
denen die fchweren auf Confolen ruhenden Giebelkrönungen, die theils rund, 
theils gerade, theils in Voluten aufgerollt find, wunderlich contraftiren. Im 
Einzelnen herrfcht freilich an diefen Theilen grofser Reichthum der Dekora- 
tion, die in feiner Ausführung vegetabilifche und figürliche Elemente ver- 
bindet. Es ift eine Ueppigkeit der Conception, die immer neue Motive 
bringt und durch den Reichthum der Variationen, der fich felbft auf die 
Umrahmungen der Dachfenfter erftreckt, die Harmonie der Wirkung preis- 
giebt. Aber die Gediegenheit der Ausführung, die confequente Anwendung 
eines reinen Quaderbaues, der fich über alle Theile gleichmäfsig erftreckt, 
geben dem Gebäude den Werth einer höchft originellen Schöpfung. Dazu 
kommt die ausgezeichnete Erhaltung, die fich bis auf die bunt glafirten 
Dächer mit ihren eleganten Bleifpitzen, die prächtige Laterne im Treppen- 
haus, die charaktervolle Eifenarbeit des Brunnens im Wirthfchaftshofe, end- 
lich auf die Holzvertäfelung und die gefammte innere Ausftattung der 
Zimmer erftreckt. 

Kleinere Privathäufer diefer Epoche fieht man in manchen andern 
Städten. Wir nennen in Ronen das ftattliche Haus der Rue de la groffe 
Horloge, welches die Ecke der Rue des heiles femmes bildet. Es trägt 
die Jahrzahl i6oi und gehört zu den reichften diefer Epoche.') In Paris 
zählt hierher das Hotel Sully^) in der Rue St. Antoine, erbaut feit 1624, 
eine der gröfsten und vollftändigften unter den vornehmen ftädtifchen Privat- 
wohnungen diefer Zeit , ungewöhnlich reich an plaftifcher Dekoration. 
Ferner in Ar ras 3) ein Haus in der Rue des Balances, das in derben 
kraftvollen Formen durchgeführt ift. Diefe Beifpiele mögen ftatt vieler 
anderer genügen. 

Zu palaftartiger Gröfse und Bedeutung erhob fich die fürftliche Woh- 
nung, welche Richelieu feit 1624 durch Jacques Lemercier fich gegen- 
über der Nordfeite des Louvre erbauen hefs und der er den Namen »Palais 
Cardinal« gab. Kaum war der ftolze Bau vollendet (1639), fo fchenkte 
der Befitzer ihn dem Könige. Seit 1643 wurde das nun als Palais 



i) Aufn. in Berty, la renaiffance monumentale, Vol. II. — ^) Blondel, archit. Fran^oife, 
Vol. II. — 3) Berty, a. a. O. Vol. I. 



344 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 

Royal bezeichnete Gebäude Sitz der Regentin Anna von Oefterreich , und 
Ludwig XIV überliefs es an Philipp von Orleans, der jene bedeutenden 
Umgeftaltungen damit vornehmen liefs , unter welchen wir es kennen. 
Urfprünglich befland der grofsartige Palaft aus einer Anzahl im Rechteck 
gruppirter Flügel, die fich um zwei grofse Höfe lagerten. Der Haupthof 
war auf drei Seiten von Gebäuden umgeben; an der vierten grenzte ein 
Erdgefchofs mit Arkaden, über welchen fich eine Terraffe hinzog, ihn gegen 
den grofsen prächtigen Garten ab. Im Innern herrfchte fürftlicher Luxus 
in Anordnung und Ausftattung der Räume. Aufser den grofsen Feftfälen 
und Galerien mit Marmorwerken und Gemälden von der Hand der erfben 
damaligen Meifter enthielt der Palaft zwei Säle fürs Schaufpiel, einen kleinen 
für ausgewählte Kreife und einen gröfseren für dreitaufend Zufchauer. 
Diefs war die claffifche Bühne, welche bald darauf durch die Meifterwerke 
eines Corneille, Racine und Moliere ihre Weihe erhalten follte. 

§ 94. 

Öffentliche Gebäude. 

WIE fehr die Zeit der Bürgerkriege und des Religionsftreits hemmend 
auf die Entwicklung der Städte gewirkt, fahen wir fchon bei Be- 
trachtung des Stadthaufes von Paris (§ 59), deffen Bau längere Zeit ruhte 
und erft unter Heinrich IV zur Vollendung kam. Die Regierung diefes 
volksfreundlichen Königs ift es denn überhaupt, welche dem Bürgerthum 
Schutz und Freiheit der Entwicklung gewährt. Zum Zeugnifs deffen erheben 
fich feit dem Anfang des 17. Jahrhunderts in mehreren der wichtigften 
Städte des Landes Rathhäufer in den kräftigen, felbft derben Formen der 
Zeit, aber zugleich in der energifchen Ueppigkeit der Dekoration, deren 
diefer Stil fähig ift. Man glaubt in der Frifche und Opulenz diefer Gebäude 
einen Wiederfchein des neuen Lebensgefühls zu erkennen, welches unter 
dem Scepter Heinrichs IV nach fo langen Leiden dem Bürgerthum wieder- 
kehrte. 

Eins der bedeutendften unter diefen Denkmalen ift das Stadthaus von 
La Rochelle, diefem berühmten Wafifenplatz der Hugenotten.') Das 
Gebäude ift in verfchiedenen Zeiten errichtet, und ein Theil desfelben 
ftammt aus dem 15. Jahrhundert. Im Jahr 1605 legte man den Grund- 
ftein zu der Galerie (Fig. 119) und dem grofsen Saale, welche noch jetzt 
das Prachtftück des ganzen Baues bilden. Im Erdgefchofs zieht fich eine 
Arkade auf ungemein kurzen, derben dorifchen Säulen vor der Fagade hin. 
Die Schäfte der Säulen beftehen aus cannelirten Trommeln, die mit fchweren 
Boffagen wechfeln. Um die Galerie nicht gar zu eng und zu düfter zu 



') Aufn. in Rouyer et Darcel, Art. architectural. Vol. II, pl. 13. 



§ 94- Oeffentliche Gebäude. 345 

machen, hat der Architekt unter den grofsen Fenftern des oberen Stock- 
werks, wo die Durchbrechung der Mauermaffe es geftattete, die dort zu 




Fig. 119. Vom Stadthaus zu La Rochelle. (Baldinger nach Phot.) 



erwartende Säule fortgelaffen und die beiden Bögen mit einem fchwebenden 
Schlufsftein verbunden. Dadurch entfteht eine ebenfo phantafievolle wie 
rationelle Rhythmik, die in den oberen Theilen durch fchlanke korinthifche 



346 



Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII. 



Pilafter ihre Fortfetzung findet. In den weiteren Intervallen derfelben find 
grofse Fenfter mit geradem Sturz angebracht, in den engeren dagegen 
Nifchen mit Statuen auf eleganten Sockeln. Ein Dachgefchofs mit barock 
aber höchft originell componirten Fenftern und Giebeln bildet den energifch 
wirkfamen Abfchlufs. Alle Theile des Baues zeigen eine für diefe Zeit 
ungewöhnlich reiche Dekoration : in den Bogenzwickeln der Arkaden Tro- 
phäen und Laubgewinde, an den fchwebenden Schlufsfteinen Masken , im 
Triglyphenfries Embleme fammt dem Namenszug des Königs, am Fries des 
Hauptgefchoffes elegante Akanthusranken , an den Krönungen der Dach- 
giebel Masken und Voluten , hermenartige Karyatiden und Genieen mit 
Füllhörnern. So ift der prächtige Bau noch jetzt ein Zeugnifs von der 
Macht und Blüthe der Stadt, die bald darauf (1628) ihren Todesftofs erhielt. 
Ehemals befand fich an diefer Fagade eine doppelte Freitreppe mit dem 
Reiterbild Heinrichs IV. 

Im Jahr 1627 begann die alte Krönungsftadt der franzöfifchen Könige, 
Rheims, ebenfalls den Bau eines neuen Rathhaufes, welches feiner Anlage 
und Ausführung nach fich dem Vorbild des Parifer Stadthaufes anfchHefst. 
Die Fagade wird wie dort von zwei Pavillons mit hohen Dächern flankirt. 
Ein mittlerer Pavillon enthält den Haupteingang und wird von einem Uhr- 
thurme bekrönt. Die Verhältniffe find tüchtig, die Eintheilung und Gliederung 
der Fagade klar und in kräftigen noch ziemlich reinen Formen durch- 
geführt. Das Erdgefchofs hat dorifche Halbfäulen und Ruftica, die auch 
für die Fenftereinfaffungen verwendet ift. Im oberen Gefchofs find korin- 
thifche Halbfäulen angeordnet, während das zweite Stockwerk, mit welchem 
die Pavillons über die anderen Theile hervorragen, ionifche Halbfäulen 
zeigt. Ein Dachgefchofs mit abwechfelnd gröfseren und kleineren Lucarnen 
bildet den Abfchlufs. Ueber dem Portal ficht man in einem Relief von 
Kalkftein das Reiterbild Ludwigs XIII, welches an die Stelle eines im Jahr 
1792 zerftörten Holzreliefs getreten ift. Die dabei befindliche Infchrift 
nennt als Datum der Vollendung des Baues das Jahr 1636. 

Von grofsartiger Anlage, prachtvoll wenn auch in etwas fchwulftigen 
Formen ausgeführt, ift das Stadthaus von Lyon, 1646 begonnen, aber 
feiner ganzen künftlerifchen Haltung nach in diefe Epoche gehörend.^) In 
neuerer Zeit fchön reftaurirt, ausgebaut und vergröfsert, ift das Gebäude 
ein pompöfer Ausdruck der Lebensfülle diefer reichen und mächtigen Stadt. 
Hauptfächlich trägt dazu die reiche plaftifche Ausftattung bei, die in ihrer 
Fülle und Kraft an die römifchen Monumente des füdlichen Frankreich 
erinnert. Dazu kommt, dafs die architektonifchen Formen ziemlich rein 



Vgl. das Prachtwerk von T. Desjardins, monogr. de l'hötel de ville de Lyon. fol. 
Paris 1867. 



§ 94- Oetfentliche Gebäude. 



347 



und edel behandelt find mit wenig barocker Willkür ; ferner dafs der ganze 
Bau in Quadern ausgeführt ift, ein Vorzug , den er mit den Stadthäufern 
von Paris, La Rochelle und Rheims theilt. 

Die Fagade folgt wieder der durch das Parifer Stadthaus gegebenen 
Anordnung; auf beiden Seiten kräftige Pavillons, mit runden Dächern 
gefchloffen, in der Mitte der Haupteingang, darüber im oberften Gefchof? 
eine Flachnifche mit dem Reiterbild Ludwigs XIII, dahinter aufragend der 
ftattliche Glockenthurm mit der Uhr, der mit einer reichen Laterne originell 
abgefchloffen wird. Grofse Opulenz erhält die Fagade durch den plaftifchen 
Schmuck: im Erdgefchofs Masken an den Schlufsfteinen der Fenfterbögen 
und Portraitmedaillons in den Bogenfeldern , im Hauptgefchofs ruhende 
Löwen auf den Giebeln der Fenfter; im oberen Stockwerk Fruchtfchnüre 
an den Fenftern, Trophäen in den Frontons der Pavillons, aufweichen 
die allegorifchen Figuren der vier Kardinaltugenden ruhen, endlich ähnliche 
Figuren als Krönung der mittleren Nifche und des Glockenthurmes. 

Für das Innere ift die Anordnung von grofsem Reiz, dafs der prächtige 
Haupthof bedeutend höher liegt als das Niveau der Strafse, eine Anordnung, 
die übrigens in verwandter Weife fchon an den Stadthäufern zu Orleans 
und zu Paris angetroffen wird. Die innere Dekoration gehört gröfstentheils 
der jüngften mit bedeutenden Mitteln ausgeführten Herftellung an. 



IX. KAPITEL. 



DER KIRCHENBAU DER RENAISSANCEZEIT. 




§ 95. 

Die Entwicklungsstufen desselben. 

N Italien hatte die Renaiffance kraft der Univerfalität 
ihres Strebens die kirchliche Architektur gleich der 
profanen in ihr Programm aufgenommen und auch in 
Gebäuden des religiöfen Bedürfniffes ihr künfllerifches 
Ideal zu verwirklichen gefucht. In gröfster Mannig- 
faltigkeit tritt uns diefe Tendenz dort entgegen: die 
Bafilika, das einfchiffige Langhaus mit flacher Decke 
oder mit Gewölben, Syfteme von Kuppeln und Tonnen, 
oder ausfchliefslich Tonnengewölbe, nicht minder das Kreuzgewölbe kommen 
zur Anwendung. Vor allem wird der Centraibau in Verbindung mit der 
Kuppel gepflegt und in vielfacher Umgeftaltung als Rundbau, Polygon, 
Quadrat oder griechifches Kreuz ausgebildet. Damit geht von Anbeginn 
das Streben Hand in Hand, diefen Werken durch eine Gliederung, Con- 
ftruktion und Dekoration im Geifte des claffifchen Alterthums das Gepräge 
von antiken Tempelbauten zu geben. 

Nichts von alledem treffen wir in Frankreich. Seit dem Beginn des 
13. Jahrhunderts hatte der Kirchenbau mit fo beifpiellofer Energie die 
materiellen und künftlerifchen Kräfte der Nation in Anfpruch genommen, 
mit einer folchen Fülle kirchlicher Bauten jeden Ranges von der Kathedrale 
bis zur kleinften Kapelle und Dorfkirche das Land bedeckt, dafs nach 
diefer Richtung kaum noch Etwas zu thun übrig blieb. Wo in einzelnen 
Fällen Bauten der früheren Zeit zu vollenden, oder wo neue zu errichten 



§95- Die Entwicklungsltufen desfelben. 



349 



waren, da gefchah es durchaus in mittelalterlicher Weife, in jenem fpät- 
gothifchen Flamboyantftil, der gerade in Frankreich eine feltene Opulenz 
und dekorative Fülle entfaltet. Wir haben in § 1 2 Beifpiele diefer gothifchen 
Nachzügler gegeben und dabei gefunden, dafs bis tief ins 16. Jahrhundert 
diefe nationale Bauweife in Kraft bheb. Ein noch erftaunhcheres Beifpiel 
von dem zähen Fefthalten am gothifchen Stil und von deffen unverwüft- 
licher Lebenskraft ift die Kathedrale von Orleans, welche nach ihrer Zer- 
ftörung durch die Hugenotten auf Anordnung Heinrichs IV feit 1601 ganz 
nach mittelalterlicher Anlage und in gothifchem Stil erneuert wurde. Man 
fieht aus diefen Thatfachen, dafs die alten Bauhütten noch lange in Kraft 
blieben, und dafs die Meifter der gothifchen Kunft, geftützt auf die An- 
hänglichkeit des Bürgerthums und der kirchlichen Corporationen an den 
Stil des Mittelalters, denfelben gegen die eindringende Renaiffance zu 
behaupten wufsten. 

Als aber die Fürften und der hohe Adel in allen Theilen des Landes 
Schlöffer zu errichten begannen, die den neuen Stil glänzend zur Geltung 
brachten, konnte es nicht ausbleiben, dafs der dekorative Reiz diefer Bauten 
in einer Zeit der höchft gefteigerten Dekorationsluft bald auf alle Kreife 
einen tiefen Eindruck machte. Unter den alten Werkmeiftern fogar erwachte 
der Drang, mit den Künftlern des modernen Stils zu wetteifern und Proben 
ihrer Bekanntfchaft mit der Antike abzulegen. Etwa feit 1520 laffen fich 
Zeugniffe davon in den Kirchenbauten nachweifen. Doch tritt das antiki- 
firende Element zunächft nur befcheiden, meift in dekorativen Einzelheiten 
auf, denn die Tradition war fo mächtig, dafs nicht blofs der mittelalterliche 
Grundplan, die drei- oder fünffchiffige Anlage, der polygone Chor mit 
Umgang und Kapellenkranz, fondern auch das ganze Syftem der gothifchen 
Conftruction , die Rippengewölbe und die grofsen Spitzbogenfenfter , die 
Strebepfeiler und Strebebögen feftgehalten wurden. Aber im Einzelnen 
fängt man an, diefe Conftructionen durch eine neue Formenfprache aus- 
zuprägen. Am wenigften bemerkt man davon im Innern; doch kommen 
fchon Pfeiler vor, die mit antiken Pilaftern dekorirt find, und die in diefer 
Epoche fo behebten fchwebenden Schlufsfteine der Gewölbe werden mit 
antiken Formen, mit Arabesken und figürlichem Schmuck ausgeftattet. 

Viel umfaffender ift die Anwendung der Renaiffancedetails am Aeufseren. 
Hier werden die Strebepfeiler mit antiken Pilafl;ern bekleidet und felbft die 
Gefimfe mit antiken Architraven und Friefen verbunden ; die Fialen nehmen 
die Geftalt von Kandelabern an, und die Strebebögen erhalten ebenfo eine 
Dekoration mit Renaiffanceformen. Am eingreifendften vollzieht fich diefs 
Compromifs zwifchen mittelalterHcher Anlage und antiker Ausprägung an 
den Portalen und überhaupt am ganzen Fagadenbau. Zunächfi; find es 
antike Einzelheiten, Säulenfi;ellungen , Nifchen, Caffettengewölbe , fowie die 



350 



Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit. 



mannichfaltigen Ornamente, welche ziemlich willkürlich fich der mittelalter- 
lichen Anlage hinzufügen und folchen Fagaden den Charakter einer harmlos 
fpielenden Pracht verleihen. Um 1540 aber gewinnt eine ftrengere, mehr 
fchulmäfsige Behandlung der antiken Formen die Ueberhand, und bald 
fetzt man antike Säulenftellungen mit Gebälk und Giebel, manchmal in 
mehreren Gefchoffen, dem gothifchen Baue vor, ohne die inneren Wider- 
fprüche folcher Anordnung zu empfinden. 

Auffallend ift bei alledem, wie lange Frankreichs Kirchenbau fich gegen 
diefe Neuerungen fträubt. Selbft in den Renaiffancefchlöffern bleiben die 
Kapellen noch lange Zeit völlig gothifch, fo nicht blofs in Gaillon (§ 16) 
und in Chenonceaux (§ 32), fondern fogar noch in Ecouen, wo Jean Bullant 
die Kapelle im gothifchen Stil ausführte (§ 72). Dagegen find es auch 
wieder zuerft die Schlofskapellen, welche den ftreng antiken Stil aufnehmen, 
und Philibert de l'Orme ift es, der in den Kapellen zu Villers-Coterets 
(§ 29) und zu Anet (§ 68) die claffifche Architektur zur Geltung bringt. 
Bei gröfseren Kirchenbauten wird diefs Beifpiel aber erft im 17. Jahrhundert 
befolgt, und nachdem Salomon de Broffe 16 16 die Fagade von St. Ger- 
vais begonnen hat, wird bald darauf bei den Kirchen der Carmeliter und 
der Sorbonne (1635) der italienifche Kuppelbau in Frankreich eingeführt. 



IE Normandie, deren glänzende Leiftungen auf dem Gebiet des Profan- 



baues wir unter den bedeutendften Schöpfungen der Frührenaiffance 
kennen gelernt haben, bringt auch im Kirchenbau eine Reihe von Werken 
hervor, in welchen diefer gemifchte Uebergangsftil fich zur höchften deko- 
rativen Pracht entfaltet. Das Meifterfi;ück diefer Epoche, welches nirgends 
feines Gleichen findet, ift der Chor von St. Pierre zu Caen, 1521 durch 
Hector Sohier begonnen.^) Der Grundrifs zeigt nach gothifcher Weife 
polygonen Abfchlufs mit niedrigem Umgang und Kapellenkranz. Die 
Conftruction und die Form der Pfeiler und Gewölbe find noch durchaus 
mittelalterlich, aber die Dekoration befteht aus einer Mifchung fpätgothifcher 
Formen mit Details der Frührenaiffance, in welcher die phantafie volle 
Ueppigkeit beider Stile fich zu einer Wirkung von unvergleichlichem Zauber 
verbindet. 

Im Innern^) beftehen die Sterngewölbe aus den reichften Verfchling- 
ungen, und die kräftig profilirten Rippen, in ihrer ganzen Ausdehnung mit 
frei durchbrochenem Ranken-Ornament befetzt, treffen in Schlufsfl;einen 



0 Vgl. Guide de Caen, 1857. p. 12. Dazu Paluftre II, 228 ff. — =") Eine Abbild, bei 
Chapuy, Moyen äge mon. II, pl. 284. 



§ 96. 



Kirchen zu Caen. 




352 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renailfancezeit. 



zufammen, die in Form von Zapfen frei niederfchweben und in brillanter 
Weife mit Renaiffanceformen dekorirt find. Noch gröfsere Pracht entfaltet 
fich an den phantaftifchen Baldachinen der Statuennifchen, welche in den 
Ecken des Chorumgangs und der Kapellen überall angebracht fmd. Bei 
ihnen entwickelt fich aus einem gothifchen Unterbau die fchlanke Krönung 
in den mannichfach bewegten Formen einer fpielenden Frührenaiffance. 

Ihren Gipfel erreicht aber diefe überfchwänglich üppige Architektur 
am Aeufseren (Fig. 120). Wie hier die gothifche Conftruction völlig in 
Renaiffanceformen überfetzt ift, wie korinthifche Pilafter mit vorgelegten 
Candelabern oder graziöfe baldachingekrönte Nifchen die Strebepfeiler 
bekleiden, wie die originellften Phantafiefpiele an Stelle der gothifchen 
Fialen die krönenden Abfchlüffe bilden, wie übermüthige Arabesken die 
Baluftraden der Dachgalerieen füllen, und ähnliche Compofitionen jede frei 
bleibende Fläche, die Zwickel über den Fenftern, die Friefe und die Ein- 
faffungen der oberen Rundfenfter bedecken, das gehört zum Geiftreichften 
und Graziöfeften der gefammten Frührenaiffance. Die Compofition, frei 
von pedantifcher Strenge, ergeht fich hier in dem genialen Uebermuth, 
der allein folchen Schöpfungen ihre Berechtigung giebt, und die Erfindung 
ift fo lebenfprühend, die Ausführung fo elegant, dafs das Ganze als ein 
wahres Meifterwerk unübertroffen in feiner Art dafteht. 

Eine zweite Schöpfung verwandter Art fieht man in Caen an der 
kleinen Kirche St. Sauveur. Es ifh ein unregelmäfsiger fpätgothifcher Bau, 
aus zwei Schiffen beflehend, die mit zwei polygonen Chören neben einander 
fchliefsen. Der eine ift ein glänzendes Werk fpätgothifchen Flamboyant- 
ftils, der andre wetteifert mit ihm in den dekorativen Formen der Früh- 
renaiffance. Auch hier find elegante Pilafler zur Bekleidung verwendet, 
auch hier ift das ganze gothifche Syftem der Streben und Fialen in an- 
muthiger Weife aus Renaiffanceformen zufammengefetzt , wie eine luftig 
übermüthige Parodie der gothifchen Dekoration. Diefe prächtigen Werke 
erinnern an die in ihrer Art nicht minder ausgezeichnete Architektur des 
Hotel d'Ecoville (§ 47). 

§ 97- 

Andre Kirchen der Normandie. 

Zu den früheften Werken diefes Uebergangsftils gehört die Kirche von 
Treport, deren Portal ein Werk eleganter Frührenaiffance ift.^) Es 
öffnet fich mit zwei ganz flachen Bögen unter einem grofsen Halbkreis- 
bogen , deffen gothifch profilirte Laibung theils mit dem naturaliftifchen 
Blattwerk des fpätmittelalterlichen Stiles, theils mit Mufcheln und auf- 



0 Abb. in den Voyages pittor. Normandie,. Vol. II, pl. 93. 



§ 97- Andre Kirchen der Normandie. 



353 



gerollten Bändern in zierlichem Renaiffancegefchmack dekorirt ift. Zwifchen 
beiden Oeffnungen hat eine Nifche Platz gefunden , mit antikem Giebel 
bekrönt und mit korinthifchen Pilaftern eingefafst. Der übrige Theil des 
Bogenfeldes zeigt eine willkürliche Ausfüllung mit fpätgothifchen Baldachinen 
und Maafswerken. 

Wie unklar die Meifter dieier Epoche gerade im Kirchenbau zwifchen 
beiden Stilen hin- und hertappen und dabei felbft in der Gothik aus dem 
Sattel geworfen werden, ohne doch in dem neuen Stil feften Fufs zu faffen, 
beweifb die Fagade der Kirche von Gifors.^) Es ift ein Bau von höchft 
unregelmäfsiger mittelalterlicher Anlage, aus einem Hauptportal und zwei 
Seitenpforten beflehend, die durch gewaltige Strebepfeiler getrennt werden. 
An der nördlichen Ecke flankirt ein quadratifcher aus dem Mittelalter 
flammender Thurm die Fagade, während füdlich in ganz fchiefer Stellung, 
wunderlich genug, ein koloffaler Thurm in den Formen der fpätern Renaiffance 
fich erhebt, der jedoch unvollendet geblieben ift. Mit Ausnahme defselben 
zeigt die ganze übrige Fagade eine feltfame und mifsverftandene Mifchung 
fpätgothifcher Formen mit Renaiffancemotiven. Das Hauptportal mit feinem 
koloffalen Rundbogen hat eine Füllung von Nifchen zwifchen korinthifchen 
Pilaftern und im Tympanon ein Relief vom Traume Jacobs. In der Aus- 
fchmückung der Bögenlaibung und der Seitenwände herrfcht das wunder- 
Hchfte Stilgemifch. Ganz ungefchickt find die oberen Theile des Mittel- 
baues dekorirt. Ueber dem Portalbogen baut fich ein Flachbogengiebel 
auf, mit plumpen Sculpturen gefüllt, und darüber fteigt ein Tabernakelbau 
empor, wie eine offene Loggia zwifchen korinthifchen Pilaftern geftaltet, 
in feiner Art das befte und zierlichfte Stück am ganzen Bau. Sieht man 
aber wie es blofs aufgepflanzt ift, um das dahinter liegende prachtvolle 
Spitzbogenfenfter des Mittelfchiffs zu maskiren , fo erkennt man die ganze 
Kopflofigkeit des Baumeifters, der mit den alten Formen nichts mehr, und 
mit den neuen noch nichts anzufangen wufste. Dasfelbe Durcheinander 
zeigt fich an allen übrigen Theilen diefer grotesken Fagade, namentlich an 
dem oberen Gefchofs und der achteckigen Krönung des nördlichen Thurmes. 
Dergleichen fieht wohl toll und übermüthig genug aus, gehört aber doch 
bei aller dekorativen Pracht zum Wunderlichften feiner Art. Als Archi- 
tekten wurden Robert Grappin und fein Sohn Jean genannt. 

Etwas mehr Haltung zeigt die Fagade der Kirche vom Vetheuil.^) 
Chor und Thurmbau gehören dem Mittelalter an, während die Sakriftei, 
das Schiff und die Portale von 1533— 1550 vollendet worden find. Wenn 



Aufn. in Gailhabaud IV. Vgl. Voyages, Normandie II, pl. 200—204. Dazu Pa- 

luftre II. 204. — =") Aufn. bei Gailhabaud IV. Vgl. A. Durand in den Monuments hiftoriques 
und Paluftre II, 15 mit Abbildung. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 23 



354 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit. 



die Einweihung, wie berichtet wird, erft 1588 ftattfand, fo hatte das feinen 
guten Grund, denn die oberen Theile der Fagade find offenbar nicht früher 
vollendet worden. Man erkennt das leicht aus der ftrengeren Obfervanz, 
in welcher hier die antiken Elemente zur Verwendung gebracht find, und 
fchon der Triglyphenfries der fammt Confolengefims den Hauptbau abfchliefst 
und von einem claffifchen Giebel gekrönt wird, kann nicht vor der Epoche 
Heinrichs II ausgeführt worden fein. Im Uebrigen ift fowohl am Haupt- 
portal wie an der grofsen Pforte des Querfchiffs, die auf eine elegante Vor- 
halle mündet, die Mitwirkung gothifcher Formen vereinfacht, und das 
Streben offenbar auf Gröfse und Klarheit gerichtet. Doch hat auch hier 
die Rathlofigkeit des Architekten, namentlich in der Nifchenbekrönung des 
Hauptportals, fich wunderlich genug ausgefprochen. 

Wahrhaft wohlthuend berührt dagegen die grofsartige Fagade der 
Kirche Ste. Clotilde zu Andelys.') Hier ift die mittelalterliche Anord- 
nung ebenfalls beibehalten, aber mit den wohlverftandenen Elementen der 
antiken Bauweife fo glücklich und in fo eminentem künftlerifchem Geifte 
in Verbindung gefetzt, dafs eine grofsartige und harmonifche , wenngleich 
felbftverftändlich blofs dekorative Wirkung fich ergibt. Zwei Hauptgefchoffe 
find durch mächtige gekuppelte Säulenftellungen , unten ionifche, oben 
korinthifche eingerahmt. Zwifchen den Säulen bleibt noch Raum für ele- 
gante Nifchen und anderes füllende Beiwerk. Im Erdgefchofs öffnet fich 
in gewaltigem, von ionifchen Säulen eingefafstem Bogen das Portal, in zwei 
kleinere Bogenöfifnungen getheilt, die auf eleganten Karyatiden ruhen. Das 
grofse Tympanon hat man auch hier nur durch Nifchen zwifchen Säulen 
auszufüllen verfbanden. Ueber alle Theile verbreitet fich eine luxuriöfe 
Ornamentik theils figürlicher, theils vegetabilifcher Art, und den Abfchlufs 
bildet ein prachtvolles korinthifches Confolengefims. Das obere Gefchofs 
füllt ein glänzendes Radfenfter und darunter eine fehr elegante Galerie, 
deren Fenfteröfifnungen von korinthifchen Säulen eingerahmt werden. Das 
Ganze ift eine Schöpfung von hohem künftlerifchem Werthe. 

In demfelben Stil ift auch die Umwandlung des Innern vollzogen. 
Man fieht die gothifchen Arkaden auf Pfeilern ruhen , die mit korinthifchen 
Pilaftern bekleidet find; man fieht das Obergefchofs über einem antiken 
Gefims mit cannelirten korinthifirenden Pilaftern auffteigen und felbft die 
Triforien mit antiken Säulen und Gebälken dekorirt, obfchon die Fenfter 
darüber die fpätgothifchen Flamboyantmufter zeigen. Für die Zeit des 
Baues ift nicht blofs die Jahreszahl 1540, die man auf einem Glasfenfter 
bemerkt, mafsgebend, fondern der gefammte künftlerifche Charakter fpricht 
für die glänzende Epoche Heinrichs II. 

') Treffliche Aufn. in Rouycr et Darcel, art archit. i, 28 — 33. Vgl. Voyages, Nor- 
mandie II, 189. 



§ 97- Andre Kirchen der Normandie. 355 

Denfelben durchgebildet claffifchen Gefchmack zeigt endlich auch das 
Portal der Kirche von Aumale.^) Es ift eine Compofition völlig im Cha- 
rakter des Titusbogens : ein grofser Halbkreis , auf korinthifchen Säulen 




Fig. 121. Argentan. Kirche St. Germain. (Sadoux.) 



ruhend, zwifchen welchen Nifchen mit Engelftatuen angebracht fmd. In 
den Zwickeln dagegen fchweben victorienartige Engel, während der Fries 

0 Abb. in den Voyages, Normandie II, 100 und 10 1. 

25* 



356 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



mit Lorbeerzweigen und Stierfchädeln dekorirt ift. Den oberen Abfchlufs 
bildet eine Aedicula, von korinthifchen Säulen und claffifchem Giebel ein- 
gefafst, darin eine Madonnenftatue, zu beiden Seite knieende Engel. Auf 
den Ecken kleinere Nifchen mit Heiligenbildern, noch ganz in gothifchem 
Sinn, aber in Renaiffanceformen mit Baldachinen gekrönt. Diefes noch- 
malige Auftauchen eines mittelalterlichen Motivs ift um fo bemerkens- 
werther, da das Portal die Jahrzahl 1608 trägt. 

Ungleich feltener find die Beifpiele einer durchgreifenden Ausbildung 
des Innern in den Formen diefes Mifchftiles. Eins der merkwürdigften ift 
aber die kleine Kirche von Tillieres, die zwifchen 1543 und 1546 (denn 
beide Daten findet man an dem Monument) ausgeführt wurde.') Es han- 
delt fich um das intereffante Gewölbe des Chores, der polygon gefchloffen 
und mit gothifchen Spitzbogengewölben bedeckt ift. Die Rippen zeigen 
an den breiten Flächen elegante Renaiffanceornamente , und die frei- 
fchwebenden Schlufsfteine find in höchfter Pracht mit Pilafterchen und 
Nifchen , Masken und Arabesken, kleinen Figuren , bunt gemifcht mit Vo- 
luten, Akanthusblättern und felbft noch einzelnem gothifchem Laubwerk, 
gefchmückt. Den vollen Charakter einer fchon üppig ausfchweifenden 
Renaiffance tragen die luxuriöfen Steinreliefs, mit welchen fämmtliche Ge- 
wölbkappen in ganzer Ausdehnung bedeckt find. Nackte Figuren in allen 
Verkürzungen und Bewegungen fpielen dabei eine Hauptrolle. Bald find es 
Genien, bald Fabelwefen mit weiblichem Oberleib, bald grofse Masken oder 
Flügelwefen verfchiedener Art, die mit einem fchweren, vielfach aufgerollten 
Cartouchenwerk, fowie mit Blumenranken und Emblemen verfchiedener Art 
ein buntes QuodHbet bilden. Diefer Stil ift nicht blofs unkirchlich im 
höchften Grade, fondern — was fchlimmer — unkünftlerifch. Es ift die 
widerlich ins Kraut gefchoffene Dekoration der Schule von Fontainebleau, 
die hier ihre Früchte trägt, und die nicht mehr in feinem finnigem Spiel 
die Flächen gliedern, fondern in breitfpuriger Selbftverherrlichung Aller 
Augen auf fich lenken will. 

Aufserordentlich zahlreich find auch fonft noch die kirchlichen Bauten, 
welche damals in der Normandie entftanden. So finden wir an der Kathe- 
drale von Evreux^) die Nordfagade um 1531 durch Jean Coffart in dem 
bezeichnenden Stil diefer Frühzeit ausgeführt. Später, unter Heinrich II, 
wurde dann die Hauptfagade in entwickeltem Renaiffanceftil vollendet. Sehr 
merkwürdig find fodann an der in Trümmern liegenden Abteikirche Val- 
mont3) die überhöhten rundbogigen Arkaden auf dorifchen Säulen, die 
Triforien mit ihren ionifchen Säulenftellungen und darüber der abfchliefsende, 



') Aufn. bei Rouyer et Darcel II, 1—6. Dazu Paluftre II, 210. — ^) Paluftre II, 208. — - 
3) Paluftre II, 200. 



§ 98. Kirchen zu Paris. 



357 



antike Confolenfries. Dagegen find die Triforien der Kirche zu Pont- 
Audemer') gothifch ; im Uebrigen aber die mittelalterliche Conftruction 
durch üppige Renaiffanceornamente belebt. Wie feltfam oft in diefer Zeit 
diefe Stilmifchung fich ausnimmt, bezeugt vor Allem das Innere der Kirche 
St. Germain zu Argentan,^) in deren Chorumgang die in zwei Gefchoffen 
mit dorifchen und ionifchen Säulenftellungen bekleideten Pfeiler feltfam mit 
den mittelalterlich profilirten Rippen der Netzgewölbe und ihren üppigen 
freifchwebenden Schlufsfteinen contraftiren. (Figur 121). Eine äufserft 
elegante Dekoration von höchfter Feinheit zeigt die Kirche Notre Dame 
de Pitie in Longni,3) 1545— 1549 ausgeführt, Befonders reich fmd die 
Strebepfeiler mit ihren Doppelnifchen und zierlichen Krönungen, fowie das 
reizend durchgeführte Hauptportal, Dagegen ift das Innere einfach, 
namentlich fehlen die fonft fo beliebten Schlufsfteine. Wiederum zeigt die 
Kirche von Almeneches'*) bei Argentan, welche 1550 vollendet wurde, 
diefe Eigenthümlichkeit in reicher Anwendung. Wie noch damals oft 
Mittelalter und Renaiffance aneinanderftiefsen, beweift die Kirche von M o r- 
tagne,5) welche 1535 in gothifchem Stil vollendet wurde, fieben Jahre 
fpäter aber einen Renaiffancethurm erhielt. Eine ausgebildete Fagade des 
neuen Stils finden wir an Ste. Marie zu Caudebec,^) während St. Remy 
zu Dieppe,'') von 1522 — 1531 ausgeführt, den Spitzbogen mit Renaiffance- 
details verbindet. St. Jacques in derfelben Stadt vom Jahr 1535 zeigt 
im Aeufsern die Strebepfeiler mit zierlichen Tabernakeln dekorirt, im Innern 
dagegen die Gewölbe mit reichen hängenden Schlufsfteinen. Bisweilen 
werden die in der Normandie fchon feit der romanifchen Epoche allgemein 
gebräuchlichen hohen Vierungsthürme im Innern völlig in die Botmäfsig- 
keit des neuen Stils gebracht; eins der merkwürdigften Beifpiele ift 
St. Pierre von Contances,^) deffen Centraithurm mit den Ordnungen der 
antiken Architektur elegant geghedert ift. Das oberfte Gefchofs diefer 
prächtigen Laterne erhielt erft unter Heinrich III feine Vollendung. 



IE Stadt Paris hat im Bündnifs mit der Sorbonne während des 16. 



Jahrhunderts in allen Geifteskämpfen , namenthch in denen des reli- 
giöfen Gebiets eine energifche Rückfchrittsrolle gefpielt, die fich auch in 
ihren künftlerifchen Unternehmungen ausdrückt. Von den zahlreichen und 
anfehnhchen, noch völlig dem gothifchen Stil angehörenden Kirchen, welche 
fie in diefer Epoche ausführte, war fchon im § 12 die Rede. Indeffen hatte 



i) Paluftre II, 215. — Ebenda II, 223. — 3) Ebenda II, 220. — Ebenda II, 220. — •, 
5) Ebenda II, 220. — ^) Paluftre II, 199. — 7) Ebenda II, 199. — ^) Ebenda II, 240. 



§ 98. 



Kirchen zu Paris. 




358 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



die Bauluft Franz' I doch fo viel Einflufs, dafs auch hier unter feiner Re- 
gierung einige Kirchen entftanden, die den Stempel der neuen Zeit in her- 
vorragender Weife an fich tragen. Zu diefen gehört zunächft St. Etienne 
du M o n t. Neben der alten Abtei von St. Genevieve hatte fich feit dem 
13. Jahrhundert eine Pfarrkirche erhoben, die am Ende des 15. Jahrhun- 
derts bei der ftark angewachfenen Volkszahl einen Erweiterungsbau drin- 
gend bedurfte. Aber erft 15 17 kam man dazu, den Bau zu beginnen, und 
1537 war nur der Chor vollendet. Im folgenden Jahr kam das füdhche 
Seitenfchiff mit den Kapellen zum Abfchlufs , 1541 konnten die Altäre 
geweiht werden, aber noch 1 563 blieb die Bauunternehmung im Gang, und 
die Fagade wurde erft 16 10 begonnen. 

Die Kirche bietet im Innern ein wunderliches Compromifs zwifchen 
der Gothik und der Renaiffance, doch fo dafs letztere nur an den Brüftungen 
der Galerieen, den Eierftäben der Pfeilerkapitäle und ähnlichen untergeord- 
neten Details zur Erfcheinung kommt. In Anlage und Conftruction noch 
völlig gothifch zeigt fie einen polygonen Chor mit Umgang und Kapellen- 
kranz, ein hohes Mittelfchiff mit übermäfsig hohen Seitenfchiffen und nie- 
drigen Kapellen. Der Eindruck ift nichts weniger als erfreuhch, da das 
Mifsverhältnifs der Höhenentwicklung unbefriedigend wirkt. Die Rund- 
pfeiler werden im Chor durch fpitzbogige gothifch gegliederte Arkaden 
verbunden, die gleich den breiten Gewölbrippen ohne Kapitäl fich aus dem 
Schaft entwickeln. Im Schiff kommt die fortgefchrittene Renaiffance in 
architravirten Rundbögen zum Ausdruck, die aber dem Höhencharakter 
des Baues noch unangenehmer widerfprechen. Eine merkwürdige Anord- 
nung ift die Anlage eines Umgangs, der als Galerie in der halben Höhe 
des Mittelfchiffs die Pfeiler verbindet und fich an der Rückfeite um die- 
felben hinzieht, eine Communication um den ganzen Bau gewährend. Die 
gothifchen Sterngewölbe find fämmthch mit herabhängenden Schlufsfteinen 
verfehen, die höchft elegant in durchbrochener Arbeit wieder das behebte 
Prachtftück der ganzen Anlage bilden. Schwerfälhg und breit dagegen 
find die Fenfter, mit unfchönem Maafswerk , die oberen fpitzbogig , die 
unteren rundbogig gefchloffen. HäfsUch ift auch der Lettner mit feinen 
flachen Bögen und der durchbrochenen Wendeltreppe. Ein elegantes Deko- 
rationsftück dagegen die Portale zu den Chorumgängen im Renaiffance- 
gefchmack. Mit einem Wort : es ift die handwerksmäfsig gewordene Gothik, 
die fich ungefchickt genug mit einzelnen antiken Schmucktheilen heraus- 
zuputzen fucht. 

Anders verhält es fich mit der feit 16 10 hinzugefügten Fagade (Fig. 122). 
Sie fchliefst fich in ihrer fteil aufragenden Gefammtform dem Bau des 



Aufn. in Gailhabaud, IV. 



36o 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit. 



Schiffes an, fucht aber die Elemente der Antike zur Gliederung und Deko- 
ration zu verwenden. Diefs ift hier noch nicht zu einer völlig fchulmäfsigen 
Durchführung vorgedrungen, doch kann man das intereffante Werk als 
bahnbrechenden Vorläufer für die bald nachher auftretenden ftreng antiki- 
firenden Fagaden betrachten. Bezeichnend ift, dafs die langen Fenfter nach 
mittelalterlicher Sitte beibehalten fmd, ja dafs felbft das Radfenfter noch 
Aufnahme gefunden hat. Der Mittelbau mit feinen eleganten korinthifchen 
Säulen nach der »franzöfifchen Ordnung« de l'Orme's, und dem reich 

gefchmückten Giebel, darüber als oberer 
Abfchlufs der zweite gebogene Giebel, in 
allen Theilen mit gefchmackvoller Orna- 
mentik ausgeftattet, ift ein Beweis, mit 
welcher Anftrengpng man die antiken 
Syfteme den Kirchenfagaden anzupaffen 
fuchte. 

Von ungleich höherem Werth ift die 
fchöne imd grofse Kirche St. Euftache, 
die reichfte und gröfste Pfarrkirche auf 
dem rechten Seineufer. ') Sie wurde feit 
1532 unter Leitung eines Meifters David 
völlig neu erbaut, und zwar begann man 
mit dem Schiff zuerft. Die Bauführung 
fchritt langfam vor, und der Chor wurde 
erft 1624, das Ganze noch etwas fpäter 
vollendet. 

Auch hier begegnen wir einer ftreng 
mittelalterlichen Anlage, die mit feltner Con- 
fequenz in fo fpäter Zeit feftgehalten und zu 




(Baldinger 



noch einmal mächtig ausbricht. 



fchöner Harmonie durchgeführt worden ift. 
Das Innere zeigt bedeutende Verhältniffe 
und jene Neigung zum Ueberfchlanken, die 
in der fpätgothifchen Kunft Frankreichs 
Das Mittelfchiff erhebt fich wenig über 
die vier hohen Seitenfchiffe, hat aber doch unter feinen Fenftern ein voll- 
ftändiges Triforium. Niedrige Kapellen umgeben die Abfeiten und fetzen 
fich mit diefen als Umgänge um den hohen Chor fort. Der Eindruck des 
Innern ift ein überaus lichter, freier und wohlthuender. Alle Formenaus- 
bildung vollzieht fich im Rundbogen und im feinften Renaiffanceftil , alle 
conftructiven Gedanken gehören fammt der Anlage und Eintheilung des 



') Vgl. V. Calliat, l'eglile St. Euftache ä Paris. Fol. Paris. 



§ 99- Kirchen in Isle de France. 



361 



Planes dem gothifchen Syftem. So zeigen namentlich die Pfeiler mittel- 
alterliche, aber fehr breit gezogene Profilirungen, die mit reichen Renaiffance- 
formen dekorirt find. 

Am Aeufseren (Fig. 123) find die Strebepfeiler und Bögen, die Gefimfe 
und die Fenfter, die Giebel der Kreuzfchiffe mit ihren Portalen völlig in 
Renaiffanceformen überfetzt; aber es fehlt jene geiftreich freie Behandlung 
von St. Pierre zu Caen, und ftatt ihrer tritt ein etwas barocker Clafficismus 
ein, der am entfchiedenften an der) Strebebögen und den Fenftern Schifi"- 
bruch leidet. Eine fchöne und wirkungsvolle Compofition in reich dekora- 
tiver Frührenaiffance war dagegen die Hauptfagade mit ihren drei Portalen, 
die fpäter, noch unvollendet, abgeriffen und durch die Architekten Manfard 
de Jouy und Moreau mit dem ftümperhaften, zum übrigen Bau gar nicht 
paffenden Werk vertaufcht wurde, welches man jetzt ficht. 

§ 99- 

Kirchen in Isle de France. 

VON jener anziehenden Vermifchung mittelalterlicher Conftruction und 
Anlage mit Renaiffance-Ornamentik bietet auch eine Anzahl von 
Kirchen in der damals wieder fo bauthätigen Provinz Isle de France mannig- 
faltige Beifpiele. Wir nennen die Kirche zu M ontj avoult ') mit einem 
Portal in prächtiger Frührenaiffance, deffen etwas fchwerer breiter caffettirter 
Bogen auf einer Wand mit zierlichen Nifchen ruht , die durch cannelirte 
korinthifche Pilafter eingerahmt find. Das Ganze , von frei vortretenden 
korinthifchen Säulen triumphbogenartig umrahmt, bietet eine höchft origi- 
nelle Compofition. Die kraufefte Stilmifchung zeigt der Chor der Notre- 
Dame zu La-Ferte-Milon,^) deffen gothifche Fenfter fehr fpäte Fifch- 
blafen-Maafswerke zeigen, während die Gliederung der Mauern durch dorifche 
Pilafter und Triglyphenfries bewirkt wird. Die Jahreszahl 1 563 beweift, bis 
in wie fpäte Zeit fich diefe Mifcharchitektur erhielt. Dagegen gehört 
St. Aspais zu Melun, 3) feit 1 506 erbaut, zu denjenigen Kirchen, welche 
noch völlig der mittelalterlichen Weife folgen, in Einzelheiten aber das 
erfte Auftauchen von Renaiffanceformen verrathen. Aehnliches gilt von 
der Kirche zu Montereau -Fault-Yonne, welche noch 1534 diefelbe 
Stilmifchung, aber mit etwas ftärkerem Zufatz von Renaiffanceformen zeigt. 
Eine höchft elegante Fagade des neuen Stils, üppig und reich durchgeführt, 
finden wir an der Kirche zu Othis,^) deren Portal mit dorifchen Säulen 
und prachtvollem Triglyphenfries dekorirt ift. Die Strebepfeiler, mit can- 
nehrten ionifchen Pilaftern eingefafst, find nicht minder elegant und prächtig. 



') Paluftre I, 69, — Ebenda I, 105. — 3) Ebenda I, 142. — 4) Paluftre I, 144. — 
s) Ebenda I, 146. 



362 



Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit. 



Der Bau wurde erft 1573 vollendet. Aehnliche Behandlung zeigt die Kirche 
zu Brie-Comte-Robert,') nur dafs hier die korinthifche Ordnung herrfcht, 
die ftets auf eine um etwas frühere Zeit deutet. Ganz im Stil der Re- 
naiffance ift dann die Kirche zu Etrepilly^) durchgeführt. Eins der 
fchönften Beifpiele diefer Art ift die Kiixdie zu Beiloy, 3) deren Fagade um 
1 540 entftanden ift, und die man neuerdings Jean Bullant zufchreibt. Dahin 
gehört auch die Kirche von Sarcelles,"*) etwas jünger, etwas einfacher, 
aber in demfelben Geift behandelt. Ungefähr dasfelbe gilt von der Kirche 
zu Villiers-le-Bel5) mit ihren antikifirenden Strebepfeilern, die gleichfalls 
als ein Werk Bullanfs bezeichnet wird. Sie trägt die Daten 1545 und 
1550. Noch eine ganze Anzahl kirchlicher Gebäude,^) wie die von 
Luzarches [St. Damian], die zu Gouffain ville von 1559, die zu Isle- 
Adame, 1567 vollendet, ferner die von Maffliers und Mesnil- Aubry 
(um 1582) tragen fämmtlich den Charakter der Bullant'fchen Kunftweife, 
fo dafs man wenigftens feinen Einflufs oder feine Schule darin erkennen 
kann. An ihn felbft dagegen ift fchwerlich zu denken. Der letztgenannte 
Bau zeigt trotz der fpäten Entftehungszeit immer noch fpitzbogige Arkaden 
auf dorifchen Säulen mit Gebälk und Triglyphenfries. 

Ein anziehender Bau ift fodann St. Maclou in Pontoife, an welcher 
feit etwa 1525 die nördlichen Seitenfchifife ausgeführt wurden, die man 
demfelben Pierre Lemercier zufchreibt, welcher 1552 den Auftrag erhielt, 
den Thurm zu vollenden. Von 1566 — 1578 wurden dann die füdlichen 
Seitenfchifife in einem ftrengeren Stil hinzugefügt. Etwas früher, von 1 548 
bis 1561, wurde an der Notre-Dame zu Magny^j das füdliche Seiten- 
fchifif und das Kreuzfchifif ausgebaut, erfteres am Aeufsern mit ionifchen 
Pilaftern, letzteres mit Halbfäulen derfelben Ordnung auf Pilaftern ftatt der 
Strebepfeiler. Die Fenfter find zwar im Rundbogen gefchloffen, aber noch 
mit gothifchem Maafswerk , freilich von fehr häfslicher Form , gegliedert. 
Auf dem Kreuzfchifif erheben fich zwei zierliche Giebelauffätze mit Nifchen, 
die von korinthifchen Pilaftern eingefafst find. Man fchreibt diefe Theile 
Jean Grappin, dem Architekten der Kirche von Gifors zu. Auf denfelben 
Meifter glaubt man die Kirche von St. Gervais^) zurückführen zu dürfen, 
deren Portal vom Jahr 1550 in fehr eleganter Weife antikifirend durch- 
geführt ift. 

Eine ftrengere Fagade vom Jahr 1549 finden wir an der Kirche 
St. Georges zu Villeneuve,^) namentlich find die beiden dorifchen Seiten- 
portale bemerkens Werth. 



0 Paluflre I, 144. — =>) Ebenda I, 148. — 3) Ebenda II, 3. — '>) Ebenda II, 5. — 
5) Ebenda II, 5. — 6) Ebenda II, 7. ~ ?) Ebenda I, 70. — 8) Ebenda II, 14. — 9) Ebenda 
II, 19. 



§ 100. Kirchen zu Troyes. 363 
§ 100. 

Kirchen zu Troyes. 

EIN verheerender Brand, welcher im Jahr 1524 die Stadt Troyes betraf 
und ganze Stadtviertel fammt fieben Kirchen zerftörte, gab Veran- 
laffung zu Neubauten aller Art, die in umfaffender Weife auch den kirch- 
lichen Monumenten zu Gute kamen. Troyes noch immer eine der an- 
ziehendften und alterthümhchften Städte Frankreichs, bietet daher eine 
Reihe von kirchlichen Denkmalen, in welchen die Mifchung des gothifchen 
Stils mit der Renaiffance mannigfach zum Ausdruck kommt. Meift in engen 
winkligen Strafsen der dicht bevölkerten Stadt gelegen, find diefe Gebäude 
von mäfsigem Umfang und zeigen in ihrem Grundrifs intereffante Verfuche, 
dem kirchlichen Bedürfnifs gerecht zu werden , im Kampf mit äufserfh be- 
fchränkenden Raumbedingungen. So find z. B. mehrfach die Chöre gerad- 
linig gefchloffen, um die ganze von den anftofsenden Strafsen geftattete 
Breite auszunutzen, aber im Innern fchliefst gleichwohl das Mittelfchifif 
polygon, und die Seitenfchifife fammt ihren Kapellen, wo letztere vorhanden, 
fuchen durch künftliche Gewölbeanlagen den rechtwinkhgen Abfchlufs mit 
dem Innern Polygon zu vermitteln. 

Solcher Art ift die Kirche St. Nicolas, die von 1526— 1600 völlig 
erneuert wurde. Sie befteht aus einem hohen Mittelfchifif und zwei niedrigen 
fchmalen Seitenfchififen, fämmtlich mit reichen Sterngewölben verfehen, die 
in den Chorabtheilungen mit üppig durchbrochenen Ornamenten an den 
Rippen dekorirt find. In den Arkaden des Chores herrfcht noch der Spitz- 
bogen, während das Schifif den Rundbogen zeigt. Am meiften Mühe haben 
auch hier die Fenfter verurfacht, denn ihre grofsen rundbogigen Oeffnungen 
find mit einem Maafswerk gefüllt, welches theils aus häfslichen fpätgothifchen 
Formen, theils aus trockenen Renaiffancemotiven befteht. Am weftlichen 
Ende des Schiffes führt eine grofse Treppe an der Südfeite zu einer präch- 
tigen Empore, deren Anlage in ihrer Grofsartigkeit wahrhaft überrafchend 
ift. Auch am Aeufsern kreuzen fich die beiden Stile, und von den beiden 
Hauptportalen an der Nord- und Südfeite gehört das erftere noch ganz 
der Spätgothik, während das andere fich in ziemlich freien phantafievoUen 
Formen der Renaiffance bewegt. 

Noch ftärker greift die Renaiffance mit ihren reichen Dekorationsformen 
in die gothifche Conftruction und Anlage hinein bei St. Pantaleon, wo 
das Innere gerade durch den bunten Wechfel der Formen zu höchft male- 
rifcher Wirkung kommt. Die Kirche befteht aus einem hohen Mittelfchifif 
mit fchmalen niedrigen Seitenfchififen und Kapellen. Der Chorfchlufs ift, 
ähnlich wie bei St. Nicolas, im Aeufsern rechtwinklig, doch im Innern mit 
polygonem oder vielmehr halbkreisförmigem Abfchlufs des Mittelraumes. 



364 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



In den Arkaden, den Gewölben und den Fenflern der SeitenfchifFe gehört 
alles noch der Gothik und dem Spitzbogen; dagegen find die Pfeiler des 
Mittelfchiffs als coloffale korinthifche Säulen behandelt, die mit ihrem vor- 
gekröpften Gebälk fich disharmonifch genug eindrängen. Ebenfo häfslich 
ift das hölzerne Tonnengewölbe, mit welchem das Mittelfchiff abfchliefst. 
Auch die rundbogigen Oberfenfter mit trocknem Füllwerk in Renaiffance- 
form wirken ungünftig. Das Aeufsere zeichnet fich durch den reichen 
Schmuck des Chores in fpätgothifchen Formen aus. Von den Portalen 
ift das füdliche noch ein Werk der Gothik, während das nördHche der 
entwickelten Renaiffance angehört. 

An der kleinen Kirche St. Jean ift das Schiff vom Brande im We- 
fentlichen verfchont geblieben; der Chor dagegen ebenfalls nach 1524 
erbaut und zwar in fo gefteigerten Dimenfionen, dafs die Seitenfchiffe des- 
felben an Höhe faft das alte Mittelfchiff erreichen. Die Gewölbe der Chor- 
umgänge und Kapellen zeigen die üppigften Verfchlingungen eines mit 
durchbrochenen phantaftifchen Ornamenten bekleideten Rippenwerks. Inter- 
effant ift namentlich die Vermittlung des achteckigen Schluffes mit der 
rechtwinkligen Form des Aeufsern. Das Letztere zeigt gleich dem um 
1555 errichteten Glockenthurm diefelbe Stilmifchung. Zahlreiche tüchtige 
Glasgemälde diefer Epoche fchmücken die Kirche, und auch in den übrigen 
Denkmälern von Troyes fieht man noch genug ähnliche. 

Einen andern Grundplan zeigt die kleine Kirche St. N i z i e r, die eben- 
falls nach dem Brande in den Jahren 1535 bis 1578 erneuert wurde. Die 
Seitenfchiffe fetzen fich als Umgänge mit drei polygonen Halbkapellen um 
den aus dem Achteck gefchloffenen Chor fort: eine Anordnung die fchon 
in St. Madeleine auftritt, im Uebrigen in Frankreich zu den Ausnahmen 
gehört.') Die Arkaden, Gewölbe und Fenfter zeigen noch den Spitzbogen, 
doch mifchen fich in das Maafswerk der letzteren die Formen der Renaiffance. 
Auffallend find die breiten gedrückten Verhältniffe des Baues, welche der 
fonft in Troyes herrfchenden ungemein fchlanken Entwicklung entgegen- 
gefetzt find. Von den Portalen zeigt das füdliche noch gothifche Reminis- 
cenzen, das nördliche mit Säulen und Gebälk die Formen der Renaiffance, 
und das weftliche Hauptportal den letzteren Stil in einer eleganten triumph- 
bogenartigen Compofition, die in zwei Gefchoffen mit ionifchen und korin- 
thifchen Säulen fammt eleganten Details fich ausfpricht. 

Diefelbe Grundrifsbildung zeigt die kleine Kirche St. Remy, deren 
Schiff noch dem Mittelalter angehört, während der Chor mit feinen Um- 

') Es ift diefs jene äufserfte Reduktion des franzöfifchen Chorfchema's mit Umgang 
und Kapellenkranz, welche an den norddeutfchen Backfteinbauten von Lübeck, Doberan, 
Schwerin, Roftock, Wismar etc. vorkommt, und die wir in Frankreich aufserdem noch an 
St. Jean zu Caen, in Belgien an der Kathedrale von Tournay nachweifen können. — 



loi. Kirchen im übrigen Frankreich. 



gängen und Kapellen, feinen Gewölben und Fenftern den gemifchten Stil 
des 16. Jahrhunderts verräth. 

§ loi. 

Kirchen im übrigen Frankreich. 

Es genügt in einigen Beifpielen die weitere Verbreitung diefer wunder- 
lichen Mifchformen, die künftlerifch keine erhebliche Bedeutung haben, 
nachzuweifen, um die allgemeine Herrfchaft diefer phantaftifchen Dekorations- 
weife hervorzuheben. 

Noch unklar zwifchen beiden Stilen fchwankend zeigt fich die Fagade 
der Kirche von Tilloloy') in der Picardie, Departement der Somme. Es 
ift ein hoher, breiter, ungegliederter Giebelbau, von zwei Rundthürmen 
mit fpitzen Kegeldächern flankirt: eine Compofition, die mehr an nord- 
deutfche als an franzöfifche Bauten erinnert. Die Maffe des Mauerwerks 
befteht aus Backftein, alle charakteriftifchen Formen aber, das Portal, die 
Fenfter, Gefimfe und Nifchen aus Quadern. Wunderlich fpielen hier die 
Elemente der Renaiffance mit zierHchem Arabeskenwerk der Pilafter , mit 
zahlreichen dekorativen Nifchen, mit der Umfaffung, Krönung und Gliede- 
rung des Portals in die gothifche Detailbildung hinein. Letztere findet 
ihren Ausdruck hauptfächlich in dem grofsen Radfenfter und in gewiffen 
Maafswerkornamenten , die ebenfo feltfam als gefchmacklos den hohen 
Giebel zu fchmücken fich anftrengen. Das Ganze zeigt uns eine bizarre 
Compofition, die das volle Verftändnifs der Antike auch nicht annähernd 
erreicht, zugleich aber den richtigen Gebrauch der gothifchen Formen ver- 
loren hat. Im Innern findet fich die Jahrzahl 1534, wie Palufl:re I, 38 
angiebt; nicht wie Berty a. a. O. mittheilt, 1554. 

Wie an andern Orten um diefelbe Zeit componirt wurde, bezeugt ein 
kleiner Kirchenbau der Champagne. In der Nähe von Troyes unfern 
Rozieres hegt der kleine Ort St. Andre, ehemals durch eine in der Revo- 
lution zerftörte Abtei ausgezeichnet. Die Pfarrkirche, ein an fich unanfehn- 
licher Bau, erhält durch ein ungewöhnlich grofsartiges und prachtvolles 
Hauptportal vom Jahre 1549 Bedeutung. Es ifi; eine der reichften Com- 
pofitionen diefer Art, welche die Epoche Heinrichs II hervorgebracht hat, 
und dürfte nicht leicht durch ein ähnHches übertroffen werden. Die Antike 
herrfcht ausfchliefslich, in vollem Verftändnifs der Formen, aber auch ohne 
alle fchulmäfsige Trockenheit, vielmehr fpricht fie fich mit der Kraft einer 
üppig überftrömenden Phantafie aus. Das Ganze befteht triumphbogen- 
artig aus zwei Ordnungen von vier korinthifchen Säulen, die im Erdgefchofs 
zwei gleich hohe und weite Eingänge, im oberen Stockwerk zwei grofse 



I) Aufn. in A. Berty, ren. mon. Vol. I. Vgl. dazu L. Paluftre, a. a. O. I. Bd. 



366 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



Rundbogenfenfter umfchliefsen. Ein prachtvoller Fries fammt Zahnfchnitt- 
gefims trennt die beiden Stockwerke, ein Confolenfries mit antikem Tempel- 
Giebel krönt das Ganze. Die Portale und Fenfter, die Nifchen und das 
Rahmenwerk der Seitenabtheilungen, die Stilobate, ja alle irgend fich dar- 
bietenden Flächen find mit verfchwenderifcher Dekoration bedekt, und felbft, 
über die Schäfte der Säulen find Blumen- und Fruchtgehänge in feftlicher 
Pracht ausgebreitet. Zwifchen den beiden Fenfbern ift die Statue des 
h. Andreas angebracht, und zwei andre Heiligenfiguren füllen die Nifchen 
des oberen Gefchoffes. 

Von ähnlicher Auffaffung zeugt das Martinsportal der Kirche Notre 
Dame zu Epernay. Ein reich caffettirter Bogen wird von zwei Ord- 
nungen gekuppelter korinthifcher Säulen eingerahmt, und ein Confolengefims 
mit antikem Giebel macht auch hier den Abfchlufs. Doch erhebt fich 
darüber ein fchmalerer Auffatz, deffen Triglyphenfries von zwei Karyatiden 
getragen wird. Auf beiden Seiten vermitteln Voluten, in Pflanzengewinde 
auslaufend, den Uebergang zum breiteren Unterbau. Das Portal felbft 
befteht aus einer doppelten Oefifnung, deren Bögen auf Confolen ruhen. 
Ein reiches Gefims trennt diefen Theil von dem grofsen triumphbogen- 
artigen Rundbogen, der beide Oefifnungen umfafst. Sein Tympanon ift 
nach Art eines fünftheiligen Radfenfters ausgefüllt, eine letzte Reminiscenz 
des Mittelalters. Alle Gliederungen und Flächen diefes prächtigen Werkes 
find mit verfchwenderifchem plaflifchem Schmuck bedeckt. 

Auch im Süden finden wir ein ähnhches Prunkftück am Portal der 
Kirche Dalbade zu Touloufe. Es zeigt ebenfalls zwei Oefifnungen, die 
mit korinthifchen Pilaftern und cannelirten Halbfäulen eingefafst werden. 
Darüber bildet den Abfchlufs ein Gebälk fammt Fries mit eleganten Ara- 
besken. In der Mitte fieht man auf reichgefchmückter Säule die Statue 
der Madonna, während auf beiden Seiten zierhche Nifchen für ähnhchen 
Schmuck beftimmt waren. Das Tympanon ift von zwei Fenftern durch- 
brochen, der Bogen reich eingefafst , und der obere Abfchlufs durch eine 
Nifche mit antikem Giebel bekrönt. Die Compofition des Ganzen hat noch 
etwas Unficheres, die Dekoration etwas willkürlich Spielendes, was auf die 
Zeit Franz' I hinweift. 

An der Kirche St. Sern in ebendort hat die Frührenaiffance, ähnhch 
wie an der Dalbade, ein befonderes Prachtftück in dem eleganten Portal 
hingeftellt, welches in einigem Abftande dem älteren Portal des füdlichen 
Seitenfchififs vorgefetzt ift. In marmorartigem Kalkftein ausgeführt, ift es 
eine der zierlichften Compofitionen aus der Zeit Franz' I. Eine hohe Bogen- 
pforte ruht auf fein gegliederten Rahmenpilaftern und wird von einem 



') Taylor et Kodier, Voyages, Champagne. 



§ loi. Kirchen im übrigen Frankreich. 



Syftem vorfpringeiider Pfeiler mit vortretenden fchlanken Säulchen eingefafst, 
deren Schaft gegürtet und in den oberen Theilen mit den fubtilften Orna- 
menten gleichfam überhaucht ift. In den Bogenzwickeln fieht man Medail- 
lons mit Zerftörten Füllungen, in dem Friefe und dem hohen Bogenfelde, 
welches unter einem einfachen Giebel das Ganze abfchliefst, breiten fich 
die zarteften Laubranken aus. Diefes fchöne Portal wird gleich allen übrigen 
dortigen Arbeiten aus jener Epoche einem trefflichen einheimifchen Künftler 
Nicolas Bachelier zugefchrieben. Auch das Portal der Dal bade wird auf 
ihn zurückgeführt. 

Dagegen gehört dem Anfang des 17. Jahrhunderts (infchriftlich 161 1 
bis 1632 ausgeführt) die Kirche von St. Florentin in Burgund, Depar- 




Fig. 124. Chambord. Dorfkirche. (Lafius.) 



tement der Yonne,') ein Bau, der durch die elegante Fagade des nörd- 
lichen Querfchiffs bemerkenswerth ift. Der hohe, fchmale Giebelbau wird 
durch polygone Thürme flankirt und zeigt in drei Gefchoffen eine Dekora- 
tion mit korinthifchen , ionifchen und dann wieder korinthifchen Pilaftern, 
prächtige Confolengefimfe, ein elegantes Portal und fein gegHederte Nifchen, 
Alles in edler und flüffiger Behandlung mit gutem künftlerifchem Gefühl 
durchgeführt. Es ift eins jener Beifpiele, wo die Formen der Antike fich 
als blofse Dekoration, aber mit Gefchmack und Feinheit, einem ganz fremd- 
artigen Baukörper anfchmiegen. 



I) Aufn. in Berty, ren. monum. T. I. 



368 



Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit. 



Diefen vereinzelten Beifpielen, denen fich noch manche anfügen liefsen, 
genügt es uns das Mufter einer kleinen Dorfkirche diefer Zeit hinzuzu- 
geben. Es ift die Kirche zu Chambord (Fig. 90). Der fonft unbedeu- 
tende Bau zeichnet fich durch eine Fagade aus, welche in der leichten 
graziöfen Weife der Zeit Franz' I ausgeführt ift. Obwohl nur eine Dekora- 
tion, hat fie doch durch die gefälligen Verhältniffe , den ungemein glück- 
lichen Aufbau und die zierliche Durchführung Anfpruch auf Beachtung. 

§ 102. 
Thurmbauten. 

JE weniger die Renaiffance in Frankreich mit dem Innern der Kirchen 
anzufangen wufste, je unverbrüchlicher fich dort die Anlagen und Con- 
ftructionen der Gothik gegen die neuen Formen behaupteten, um fo eifriger 
tritt das Bemühen hervor, dem Aeufseren der Kirchen einen Antheil vom 
Gepräge des neuen Stiles zu fichern. War das, wie wir gefehen haben, 
an Portalen, Fagaden und andern Einzelnheiten fchon der Fall, fo erreichte 
diefs Streben feinen Höhepunkt bei den Thurmbauten. Selbftändige Werke 
wie fie find, wenigftens in ihrem oberen Aufbau, hefsen fie fich leichter 
nach einem beftimmten Syftem behandeln und geftatteten die dekorative 
Anwendung antiker Glieder in ziemlich freier, ja oft in fehr gelungener 
Weife. Die Anlage und Confl:ruction bleibt dabei mittelalterlich, infofern 
ein Syftem von kräftigen Strebepfeilern und leichteren Füllmauern, letztere 
durch Schallöfifnungen unterbrochen, die Grundlage bildeten. Aber indem 
man den einzelnen Stockwerken die antiken Säulenordnungen als Dekora- 
tion vorfetzte, erhielt man durch die kräftig vorfpringenden Gefimfe fcharf 
markirte Horizontalabfchnitte, und an die Stelle des raftlofen Aufwachfens 
und Verjüngens gothifcher Thürme trat jene gemeffenere, durch rhythmifche 
Abtheilungen gebundene Bewegung, welche das Grundgefetz antiken Auf- 
baues ausmacht. Oft ifi: die Löfung der Aufgabe eine ungemein glückliche, 
echt künftlerifche, und in folchen Fällen wird man an die fchönen Thurm- 
bauten romanifcher Zeit erinnert, die ja dasfelbe Gefetz horizontaler Thei- 
lung befolgen. 

Der fchwierigfiie Punkt der Aufgabe fl:ellte fich aber beim Abfchlufs 
folcher Thurmbauten dar. Gegen die fchlanken Thurmhelme der gothifchen 
Zeit hat die Renaiffance eine leicht begreifliche Abneigung, die wir auch 
bei den Berathungen über die Vollendung des Thurms der Kathedrale zu 
Ronen hervortreten fahen. (S. 76). Wie in jenem Falle entfchied man fich 
bisweilen für ein flaches Terraffendach , fo dafs der Abfchlufs in antikem 
Sinn durch die Horizontale gebildet wurde. Doch wirkte die alte Sitte 
noch kräftig genug nach, um in den meiften Fällen eine fchlankere Krö- 
nung wünfchenswerth zu machen, in der die auffteigende Tendenz aus- 



§ 102. Thurmbauten. 



369 



klingen und zur künftlerifchen Löfung gelangen konnte. So weit jedoch 
machte auch hier die antike Ueberzeugung fich geltend, dafs nicht ein 
fpitzes Giebeldach, fondern die weich gefchwungene Linie einer Kuppel 
dabei zur Verwendung kam.^) 

Wohl das fchönfte Beifpiel folchen Thurmbaues bieten die Thürme 
der Kathedrale zu Tours, ^) deren nördlicher laut einer Infchrift im 
Schlufsftein der Laterne fchon 1 507 vollendet wurde, während der füdliche 
erft 1547 zur Vollendung kam. In den unteren Theilen noch romanifch, 
zeigen fie oberhalb des Schiffs einen Aufbau in den glänzenden Formen 
der Renaiffance und zwar in der reizvollften und pikanteften Weife. 
Originell ift der Uebergang ins Achteck vermittelt, indem auf den vier 
Ecken elegant gegliederte Pfeiler ftehen bleiben, von denen fich Strebebögen 
nach dem Mittelbau hinüber fchlagen. Eine durchbrochene Galerie zieht 
fich um den Fufs diefes Stockwerks herum , eine zweite bezeichnet den 
Anfang des folgenden. Von hier verjüngt fich der Bau, indem er mit 
fechzehn Rippen fich kuppelartig zufammenzieht, dann nochmals in zierlich 
durchbrochener Laterne lothrecht emporftrebt, um endlich mit einer kleinen 
Kuppel zu fchliefsen. Die Dekoration ift von unerfchöpflicher Mannig- 
faltigkeit und voll graziöfer Erfindung. Die antiken Formen, die canne- 
lirten, die mit Rauten oder mit Arabesken gefchmückten Pilafter, die 
Gefimfe mit ihren Zahnfchnitten und Confolen, die Friefe mit ihren Ara- 
besken, die vafenartigen Auffätze, das Alles ift in freier Genialität zur 
Verwendung gebracht, und ebenfo zwanglos verbinden fich damit die mittel- 
alterlichen Elemente, die caffettirten Strebebogen, die üppigen Krabben, 
welche ihnen fowie den beiden Kuppeln beigegeben find, die Schallöffnungen 
mit ihren Theilungsfäulchen , endlich die Wafferfpeier der Gefimfe. Dazu 
kommen frei fpielende Motive, wie die acht Säulchen mit vafenartigen Auf- 
fätzen, welche die untere Kuppel umgeben. Mit einem Wort, es ift wieder 
eine jener phantafievollen hochoriginalen Schöpfungen, an welchen die 
Schule der Touraine zur Zeit der Frührenaiffance fo reich war. Aufserdem 
gehört der nördliche Thurm kraft feiner ungewöhnlich frühen Datirung 
zu der kleinen Zahl von Bauwerken, bei welchen die Renaiffance zum erften 
Mal in Frankreich zur Anwendung kam. 

In nicht minder bedeutender Weife wird eine mehr ftreng antikifirende 
Auffaffung durch ein anderes Beifpiel vertreten: die Thürme von St. Michel 
zu Dijon.3) Hier ift die ganze grofsartige Fagade dem Renaiffanceftil 



') Dafs auch das gothifche Mittelalter gelegenüich folche Kuppellinien den geraden 
Pyramiden vorzog, beweifen u. a. der Dom zu Frankfurt und die Kirche Maria Stiegen zu 
Wien. — 2) Vgl. die fchöne Aufn. bei Berty, ren. monum. Vol. II. — 3) Abb. bei Chapuy, 
Moyen äge mon. II, 240. III, 355. 

LÜBKE, Gefch. d. RenaifHince in Frankreich, II. Aufl. 24 



370 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



unterworfen, obwohl Anlage und Eintheilung völlig dem Mittelalter ange- 
hören. Drei gewaltige faft gleich hohe und weite Portale öffnen fich in 
zackenbefetzten Rundbögen zu eben fo vielen tiefen Vorhallen. Die Wände 
derfelben find in Nifchen mit Statuen aufgelöft, die Wölbungen aber als 
Tonnen mit frei behandelten Caffetten und reichem plaftifchem Schmuck 
ausgebildet. Höchft originell ift der Gedanke, die mittlere Wölbung 
kuppelartig zu durchbrechen, fodafs die Laternenkrönung derfelben über 
dem horizontalen Abfchlufs diefes unteren Gefchoffes wunderlich genug 
hervortritt. Zur Gliederung der Thürme (Figur 125) find die vier antiken 
Säulenordnungen mit grofsem Gefchick verwendet, fo dafs man in diefer 
Hinficht den Bau als muftergiltig bezeichnen kann. Den Abfchlufs bildet 
eine kleine achteckige Laterne, die freiUch unvermittelt aus dem oberen 
Gefchofs auffteigt. Der zwifchen den beiden Thürmen befindliche Theil 
der Fagade zeigt zwei grofse blinde Halbkreisfenfter mit Maafswerk , als 
Abfchlufs aber eine offene Galerie zwifchen korinthifchen Säulen, um den 
Giebel des Mittelfchiffs zu maskiren. 

Auch in andern Gebieten Frankreichs fehlt es nicht an folchen Re- 
naiffancethürmen. Ein intereffantes Beifpiel zeigt die Kirche von Ar gen tan 
im Departement der Orme.') Hier erhebt fich auf dem Querfchiff nach 
normanifcher Weife ein fpätgothifcher Thurm; an der Fagade aber fteigt 
nördhch ein mächtiger viereckiger Thurm empor, mit zwei achteckigen 
Obergefchoffen , die in eine Kuppel endigen. Sie find mit Pilaftern und 
darüber mit korinthifchen Säulen bekleidet, und der Uebergang aus dem 
Viereck wird durch Pfeiler mit Strebebögen nach mittelalterlicher Weife, 
aber in Renaiffanceformen bewirkt. 

Den Uebergang vom Mittelalter zum neuen Stile erkennen wir an der 
Pfarrkirche von Bourg, einem flattlichen Werke der Frühepoche. Als mit 
dem Neubau der Kirche von Brou die Pfarrverwefung nach Bourg verlegt 
wurde, begann man den Bau einer anfehnlichen Pfarrkirche. Louis van 
Boghem wird im Dezember 15 14 als Hauptmeifter genannt, unter welchem 
mehrere Maurermeifter der Stadt das Werk ausführten. Anordnung und 
Behandlung erinnern deutlich an die Kirche von Brou, nur ift alles ein- 
facher gehalten, aus dem FürftUchen ins Bürgerliche überfetzt. Das hohe 
Mittelfchiff ifi: wie dort jederfeits von zwei niedrigeren Seitenfchiffen 
begleitet, alles wieder mit Sterngewölben bedeckt, nur find die Verhältniffe 
durchweg fchlanker als dort. Der Chor, fünffeitig aus dem Achteck 
gefchloffen, hat frei fchwebende, keck durchbrochen gearbeitete Schlufs- 
fteine in den Gewölben, von phantaftifcher Wirkung. Tüchtig gearbeitete 



') Abb. bei Chapuy, Möyen äge mon. III, 309. Dazu Paluftre II, 221 ff. mit Ab- 
bildungen. 



§ 102. Thurmbauten. 



Chorftühle mit grofsen Heiligenfiguren in Flachreliefs auf den Rückfeiten 
zeugen von gediegener Behandlung, und im Ornament wieder Einflüffe der 
Renaiffance. 

Sehen wir hier ein Schwanken zwifchen Gothik und Renaiffance, fo 
hat letztere endlich an der fehr ftattlich mit einem kuppelgekrönten Thurm 




Fig. 125. Dijon. S. Michel. (Baldinger nach Chapiiy.) 



ausgebildeten Fagade den Sieg davon getragen. Zwar fpielen in die Form 
der Portale mittelalterhche Gedanken noch hinein, namentlich in der an 
romanifche Portale erinnernden Gliederung; aber die drei Syfteme gekup- 
pelter Pilafter und Halbfäulen, welche die Strebepfeiler beleben, fowie die 
achteckige Kuppel, welche den Thurm abfchhefst, gehören gänzlich der 
Renaiffance. Am füdlichen Portal Heft man die Jahreszahl I545- 

24* 



372 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



Eine völlig in claffifchem Sinn durchgeführte Compofition von origi- 
nellem Gepräge zeigt fodann der Thurm an der Fagade von St. Patrice zu 
Bayeux.') Der Unterbau ift mit Strebepfeilern flankirt, welche in dorifche 
Säulen endigen. Ein Confolengefims bildet den Abfchlufs. Dann folgt ein 
oberes Gefchofs mit ionifchen Säulen, welche klar gegliederte Schallöffnungen 
umfchliefsen. Von nun an verjüngt fich . der Thurm zuerft mit einem von 
korinthifchen Pilaftern bekleideten Stockwerk, über welchem zwei runde 
auf Pfeilern mit Bogenftellungen durchbrochene Gefchoffe auffteigen , die 
mit einer Kuppel und kleinen Laterne gekrönt find. Es ift ein v/ohl- 
gelungener Verfuch, mit den Verjüngungen im Aufbau gothifcher Thürme 
zu wetteifern. 

Zu den originellften diefer Bauten gehört fodann der Glockenthurm 
der Kirche von St. Amand (Nord). In mächtiger Maffe erhebt fich die 
Fagade in fünf Stockwerken , durch üppig dekorirte Pilafter- und Säulen- 
fyfteme gegliedert, aufserdem durch ftark barocke Nifchen der verfchie- 
denften Form belebt. Kräftige Vorfprünge zu beiden Seiten werden durch 
achteckige Aufiätze mit kuppelartigen Abfchlüffen bekrönt, während auf 
dem weiter zurücktretenden Mittelbau ein achteckiger Auffatz in drei Ge- 
fchoffen als machtvoller Hauptthurm emporfteigt , zuerft in eine Kuppel, 
dann in eine obere Spitze mit Laterne auslaufend. Der ganze Bau, einer 
der impofanteften feiner Art, echt flandrifch derb und üppig, erft 1633 
vollendet. 

Endlich verzeichnen wir noch ein Beifpiel jener mächtigen normannifchen 
Vierungsthürme, die dem Norden Frankreichs eigen find. Es ift der Thurm 
der Kirche St. Marie du Mont zu Charentan.3) Ueber einem 
gothifchen Hauptgefchofs erhebt fich ein achteckiger Oberbau in zwei 
Stockwerken, mit einer durchbrochenen Laterne abgefchloffen und von 
einer Kuppel bekrönt. Die Formen haben das Gepräge einer fpielenden 
Renaiffance. 



EN Uebergang zu einer mehr claffifchen, felbft fchulmäfsigen Behand- 



l_y lung der Renaiffance bilden einige kleinere Werke, namentlich Ka- 
pellen, bei welchen es mögHch war, in felbftändiger Weife von der Anlage 
und Conftruction des Mittelalters abzuweichen und zu neuen Geftaltungen 
durchzudringen. Doch fehlt es auch unter diefen oft fehr anmuthigen 
Werken nicht an Beifpielen des fchon mehrfach charakterifirten gemifchten 
Uebergangsftiles. 



S 103- 

Kapellenbauten . 




i) Abb. in Chäpüy, Moyen äge rtlon. II, 160. — 2) Paluftre 1, 8 ff. — 3) Abb. in 
Chapuy, Moyen äge mon. Vol. II, 256. 



§ 103. Kapellenbauten. 



373 




Flg. 126. Kapelle in St. Jacques zu Rheims. (Lafius.) 



Zu den intereffanteften Vertretern diefer gemifchten Gattung gehört 
eine kleine Kapelle in St. Jacques zu Rheims, von welcher unfere Fig. 126 
eine Anfchauung giebt. Wie der Augenfchein lehrt, find hier für den Grund- 



374 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit. 



rifs, die Conftruction der Gewölbe und die Form der Fenfter noch mittel- 
alterliche Motive mafsgebend ; aber der Rundbogen ift überall durchgeführt, 
die gothifch profilirten Gewölbrippen ruhen auf antiken Deckplatten, Ge- 




Fig. 127. Rouen. Kapelle S. Romain. (Sadoux.) 



fimfen und Gebälken, die von gekuppelten korinthifchen Säulen getragen 
werden. Was in grofsen Dimenfionen wahrfcheinlich unerträglich fein 
würde, das wird hier bei den kleinen Verhältniffen zu einem eben fo an- 
muthigen als pikanten Contraft und zum Ausdruck einer freien Grazie. 



376 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



Eine Compofition von höchft originellem Gepräge ift fodann die kleine 
Kapelle St. Romain zu Ronen (Fig. 127), welche 1542 an Stelle einer 
alten verfallenen aufgeführt wurde. ') Es ift ein triumphbogenartiger kleiner 
Bau, im Erdgefchofs aus einem blofsen Thorweg beftehend, darüber wie- 
derum als Rechteck nach allen Seiten mit einem Bogen auf Pfeilern fich 
öffnend das Hauptgefchofs. Gekuppelte korinthifche Halbfäulen gliedern 
unten und oben die Pfeiler, den Abfchlufs bildet nach jeder Seite ein an- 
tiker Giebel, über deffen gekreuzten Dächern fich eine zierliche Laterne in 
zwei durchbrochenen Auffätzen erhebt. Es ift wohl eins der früheften 
datirten unter diefen kleineren Gebäuden, an welchen die claffifche Formen- 
welt rein und vollftändig zum Ausdruck kommt. 

Noch entwickelter und dabei reicher ausgeführt ift die prachtvolle 
Kapelle der h. Urfula in der Kathedrale zu Toul, von der wir unter 
Figur 128 eine Anficht beifügen. Da urkundlich feftfteht, dafs Bifchof 
Hector d'Ailly, welcher 1532 ftarb, diefelbe gegründet und bei feinem 
Tode unvollendet hinterlaffen hat,^) fo befitzen wir hier vielleicht das frühefte 
Beifpiel einer ftreng antikifirenden Kuppelanlage auf franzöfifchem Boden. 
Die Kapelle, am öfthchen Ende des füdlichen Seitenfchiffes erbaut, hat 
quadratifchen Grundplan, im Erdgefchofs eine Ordonnanz von dorifchen 
Pilaftern und Säulen und darüber ein ionifches Obergefchofs, welches in den 
Ecken durch vorgefchobene Säulen in fehr finnreicher Weife den Ueber- 
gang zum Octogon und zur caffettirten achteckigen Kuppel vermittelt. 
Die Verhältniffe find fchön, die Formbehandlung ift einfach und edel, die 
Gefammtwirkung des Raumes ungemein anziehend. Derfelbe Stifter erbaute 
am nördlichen Seitenfchiff ein anderes ähnliches Prachtftück, die fogenannte 
Kapelle der Bifchöfe, ebenfalls in elegantem Renaiffanceftil. 

In dem grofsartigen antiken Gräberfelde der Aliscamps bei Arles 
liegt eine halbzerftörte mittelalterliche Klofterkirche aus romanifcher Epoche. 
Am füdlichen Kreuzarm hat fich eine Kapelle erhalten, die ein elegantes 
Werk der heften Renaiffancezeit ift. Ein quadratifcher Raum, in den Ecken 
durch elegante korinthifche Säulen mit prachtvoll dekorirten Schäften geglie- 
dert, wird durch einen ebenfalls reich gefchmückten, mit herrlicher Akanthus- 
ranke bekleideten Fries und prächtiges Confolengefims abgefchloffen. Darüber 
entwickelt fich ein hohes Gewölbe aus vier auffteigenden Kappen, die noch 
in mittelalterlicher Weife durch Gurte verbunden werden. Sie vereinigen 
fich zu einem quadratifchen Oberlicht, das von einer kleinen Kuppel 
gekrönt wird. Das Ganze, etwa um 1550 entftanden, fehr elegant und fein. 

Eine andere ähnlicn behandelte Kapelle neben jener erften ift nicht 
viel fpäter. Sie unterfcheidet fich nur dadurch von jener, dafs fie eine 

') Aufnahme bei Berty, ren. mon., Vol. II. — =') Notice für la cathedrale de Toul, 
par l'Abbe Guillaume (Nancy 1863) p. 54. 



§ 104' Kirchen in ftreng claffifchem Stile 



377 



achteckige Grundform, achteckiges Gewölbe und Oberlicht hat, dies Alles 
von verwandter Ausführung, aber mit einem dorifchen Triglyphenfries aus- 
geftattet. Die acht Eckfäulen, die wahrfcheinlich derfelben antiken Ordnung 
angehörten, find bis auf die Poftamente verfchwunden. 

Ungefähr zu gleicher Zeit macht fich auch an den Schlofskap eilen, 
die bis dahin, wie wir fahen, gothifch gewefen waren, die claffifche Rich- 
tung geltend. Zu den früheften Beifpielen gehört die von Philibert de l'Orme 
im Park von Villers-Coterets erbaute Kapelle (vergl. § 29), fowie die 
beiden Kapellen, welche er zu An et (§ 68) ausführte. Von den letzteren 
ift die im Schlöffe felbft gelegene wohl das erfte kirchliche Gebäude Frank- 
reichs, welches die runde römifche Kuppel vollftändig in antiker Weife zur 
Ausbildung bringt. 



IE gröfseren ftädtifchen Pfarr- und Klofterkirchen nehmen den con- 



1 J fequent durchgebildeten Renaiffanceftil erft fpät auf, und vorzüglich 
da zuerft, wo die Gründung oder doch ein nachhaltiges Intereffe für Er- 
richtung derfelben von den Hofkreifen ausgeht. Eins der früheften Bei- 
fpiele folcher in antikem Sinne ftreng durchgebildeten Kirchenfagade gab 
Phihbert de l'Orme an St. Nizier zu Lyon (§ 66). Eine allgemeinere Nach- 
folge follte aber erft das beginnende 17. Jahrhundert bringen, und wir 
können die fchon betrachtete Fagade von St. Etienne du Mont (§ 98 und 
Fig. 122) als den Uebergang zu diefer neuen Auffaffung bezeichnen. 

Salomon de Broffe war es fodann, der beim Neubau der Fagade von 
St. Gervais zu Paris ^) den entfcheidenden Schritt that. Im Jahr 1616 
legte Ludwig XIII den Grundftein zu derfelben , und rafch ftieg der Bau 
empor. 162 1 war er vollendet. Die Fagade ift ein Hochbau, mit den 
drei antiken Säulenordnungen bekleidet. Die Säulen find gekuppelt, um 
einen kräftigeren Eindruck zu erzielen. In den beiden erften Gefchoffen 
treten fie fogar zu vieren verbunden auf. Ein gebogenes Giebelfeld bildet 
den Abfchlufs des Ganzen. Das Hauptportal, im Halbkreis gefchloffen, 
wird von einem Giebel gekrönt. Das Obergefchofs enthält in der Mitte 
zwei Rundbogenfenfter , in den Seitenabtheilungen grofse Nifchen mit den 
Statuen der Stiftsheiligen Gervafius und Protafius. Um den höheren Mittel- 
bau mit der Attika des breiten Untergefchoffes zu verbinden, find einwärts 
gefchweifte Bogenftücke angebracht, an deren Fufs die Evangeliften in 
Gruppen fich erheben. Auch der Schlufsgiebel der Fagade ift mit Hegenden 
Statuen gefchmückt. Ueber das Aeufserliche, rein Dekorative im Charakter 



§ I04- 



Kirchen in streng classischem Stile. 




') Aufn. in Gailhabaud, IV. 



378 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



einer folchen Fagade ift kein Wort weiter zu verlieren; ebenfo wenig über 
die Diffonanz, in welcher diefelbe zu dem Innern des ganz gothifchen 
Baues fleht. Wie aber die Dinge einmal lagen, da die ftets moderner 
werdende Kultur fich mit Gewalt vom Mittelalter abwendete, mufste eine 
folche Compofition, von der Hand eines bedeutenden Künftlers ins Leben 
gerufen, der neuen Auffaffung zum Siege verhelfen. 

Diefs fehen wir dann wenige Jahre darauf an der Jefuitenkirche 
St. Louis-St. Paul, welche 1627 begonnen und auf RicheUeu's Koften 
1634 vollendet wurde.') Es ift einer der vielen Künftler des Jefuitenordens 
Frangois Derrand, nach deffen Plänen fie erbaut wurde. An der Fagade 
treten wieder drei Säulenftellungen auf, aber es find ausfchliefsHch korin- 
thifche Formen, die im Verein mit einer üppigen Ornamentik, namentlich 
an den Friefen, jenen koketten Stil einführen, der für die Jefuiten bezeich- 
nend ift. Ihre Prunkluft war bekanntlich eine wohlberechnete, denn fie 
fuchten durch alle Mittel die Sinne des Volks zu beftechen und für fich 
zu gewinnen. In anderer Beziehung ift diefe Kirche epochemachend ge- 
worden: fie war die erfte in Frankreich, welche ihrem Langhaus den 
Kuppelbau hinzufügte, wenngleich noch in wenig hervortretender Weife. 

Bald folgte darin die kleine Karmeliterkirche in der Rue de Vau- 
girard, die indefs ebenfalls noch in fehr mäfsigen Dimenfionen ausgeführt 
ift. Damit war dem wahrhaft grofsen und zündenden Gedanken, welchen 
die Renaiffance für den Kirchenbau gefchafifen hatte , auch in Frankreich Bahn 
gebrochen. In der unerbittHch ftrengen Confequenz des gothifchen Stils, 
in dem grofsen Dreiklang feiner Höhenbewegung findet die Kuppel ein für 
allemal keinen Platz. Der romanifche Stil konnte fie aufnehmen und zu 
fchönen Wirkungen verwenden; wo fie jedoch in der Gothik auftritt, leidet 
immer der Organismus und die harmonifche Wirkung des ftreng in ein- 
ander gefügten Ganzen. Wo fie aber zur vollen Berechtigung, ja zur 
höchften künftlerifchen Verklärung kommt, das ift der Kirchenbau der 
Renaiffance. Ueber die Wirkung von Gebäuden entfcheidet freihch nicht blofs 
der Verftand, fondern weit mehr noch die Phantafie, die mit vollem Recht 
von jedem künftlerifch gegliederten Raum einen beftimmten Eindruck ver- 
langt. Wer möchte die wunderbare Wirkung des Innern einer gothifchen 
Kathedrale wie Amiens, Rheims, Tours und fo viele andre leugnen. Aber 
wer möchte den Eindruck von St. Peter in Rom , den Eindruck jener 
kleineren und befcheideneren Kuppelkirchen der Renaiffance in ItaHen 
darum geringer anfchlagen. Wo diefe Werke in der fpäteren Epoche 
etwas Erkältendes haben , da kommt es faft nie auf Rechnung der Ver- 
hältniffe, der Planform , des Aufbaues im Ganzen , fondern nur der meift 
fchon nüchternen oder überladenen Einzelformen. 

I) Aufn. in Gailhabaud, IV. 



§ 104- Kirchen in ftreng clalTilchem Stile. 



379 



So war mit der Kuppel alfo die höchfte Monumentalform des modernen 
Kirchenbaues eingeführt, und die erfte bedeutendere Conftruction diefer 
Art erhob fich auf Geheifs Richelieu's feit 1635 auf der Kirche der 
Sorbonne (1653 vollendet). Lemercier war es, der dielen Bau ausführte. 
Die Kuppel erhebt fich, von vier kleinen Campaniles begleitet, über dem 
Kreuz und wird in ihrem Cylinder durch acht grofse Fenfter reichhch 
erhellt. Die Fagade der Kirche zeigt eine korinthifche Säulenordnung, 
über welcher fich eine ebenfalls korinthifche Pilafterflellung erhebt. Ein 
einfaches Giebelfeld bildet den Abfchlufs. 

In bedeutenderen Dimenfionen kam dann die Kuppel am Klofter von 
Val de Gräce") zur Ausführung. Anna von Oefterreich hatte in langer 
kinderlofer Ehe das Gelübde eines prächtigen Gotteshaufes gethan, falls fie 
einen Thronerben erhalten würde. Nachdem fie Ludwig XIV geboren 
hatte, führte fie diefs Gelübde aus und legte 1645 den Grundftein zum 
Val de Gräce, deffen Kirche nach den Plänen von Frangots Mansard aus- 
geführt wurde. Indefs war es Lemercier, welcher den gröfseren Theil des 
Baues errichtete, und erft feit 1654 wurde unter Pierre Lemuet und Gabriel 
Lediic die Kuppel vollendet. Letzterer hatte in Rom feine Studien an 
St. Peter gemacht, die er in glücklicher Weife an feiner Schöpfung ver- 
werthete. Die Wirkung im Innern ift Ucht und frei, und der Aufbau, der 
fchöne Contour , die angemeffene Dekoration geben auch dem Aeufseren 
Harmonie und Anmuth. 

§ 105. 
Dekorative Werke. 

EINE Epoche, welche wie die Renaiffance in hohem Grade dekorative Ten- 
denzen verfolgt, wird auch in folchen Werken, die recht eigentlich die 
Aufgabe der Dekorationskunft bilden , Vorzügliches leiften. Für unfere 
Epoche kommt als fördernder Umftand hinzu, dafs aus dem Mittelalter fich 
eine gefunde Praxis in Beherrfchung der verfchiedenen technifchen Ver- 
fahrungsweifen vererbt hatte. Diefe Gediegenheit des künftlerifchen Hand- 
werks entwickelte fich nun unter dem Hauch der claffifchen Studien und 
der Einwirkung Italiens zu lauterer Schönheit und zu hoher Pracht. Nur 
Schade, dafs auch hier zu früh jene üppige Entartung hereinbrach, welche 
den Barockftil zur Herrfchaft bringen follte. Wir können aus der grofsen 
Fülle der vorhandenen Werke nur einige bezeichnende Beifpiele hervor- 
heben. 

Für die Dekoration in Stein find hauptlächhch einige Chor- 
fchranken und Kapellengitter bezeichnend, von denen wir zunächft die in 



') Blondel, archit. Frangoife, Vol. II — 2) Ebend. 



38o 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit. 



Notre Dame zu Rodez als Werke des fein ften ornamentalen Gefchmacks 
zu nennen haben. Die durchbrochenen Gitter find durch Pilafter und 
Bögen geghedert, die Flächen fämmtlich mit köftlichen Arabesken, die 
Zwickel mit Medaillonköpfen gefüllt, und am abfchliefsenden Fries fieht 
man Genien mit eleganten Rankengewinden. Diefe Arbeiten gehören zu 
den Unternehmungen des Bifchofs Frangois d'Eftaing, welcher von 1501 
bis 1529 die weftlichen Theile der Kathedrale ausbaute und den Chor 
fammt den Kapellen mit einem Lettner, Chorftühlen, Gittern und einer Co- 
lonnade in vergoldetem Kupfer ausftattete. Ein ausgezeichneter einhei- 




Fig. 129. Kapellengitter zu Fecamp. (Sadoux.) 



mifcher Künftler Nicolas Bachelier leitete die Ausführung. Dazu gehört 
auch die prachtvolle Orgelempore. 

Auch in der Normandie fehlt es nicht an ausgezeichneten Arbeiten 
diefer Art. Wir nennen die Kapellengitter der Kirche zu Fecamp, 

') Taylor et Nodier, Voyages, Languedoc, I, 2. Vergl. Berty, la ren. mon. I. — 
Ueber Bachelier, dem man fo ziemlich alle bedeutenden Renaiffancebauten im Languedoc 
zufchreibt, fehlen bis jetzt kritifche, auf urkundlichen Unterfuchungen fufsende Mittheilungen. 
Die blofsen Muthmafsungen und rein willkürlichen Angaben über ihn weiter zu verbreiten, 
fehen wir uns nicht veranlafst. 



§ 105. Dekorative Werke. 



381 



(Figur 129) in prachtvoller Frührenaiffance durchgeführt,') die ähnlichen 
Gitter in St. Remy zu Diep pe,^) namentlich aber die aufserordentUch edlen 
und feinen Kapellengitter der Kathedrale von Evreux^), die wohl das 
Anmuthigfte find, was von diefer Art die Frührenaiffance in Frankreich 
gefchaffen hat. Sie nehmen noch vereinzelte gothifche Elemente auf, ver- 
fchmelzen damit aber allen Reichthum der Renaiffanceornamentik in fchönfter 
Erfindung und fauberfter Ausführung. 

Merkwürdig find durch den reichen plaftifchen Schmuck die Chor- 
fchranken der Kathedrale von Chartres.^) Sie ftammen zum Theil 
aus der letzten Epoche des Mittelalters, und Partieen tragen das Gepräge 
des fpätgothifchen Stils. Aber im Anfang des 17. Jahrhunderts (man lieft 




Fig. 130. Kapellengitter in der Kathedrale zu Laon. (Sadoux.) 



die Jahrzahlen 161 1 und 161 2) ift durch einen tüchtigen Künftler, T. Boudin, 
das Werk fortgefetzt und vollendet worden, wobei er in feltener Pietät fich 
dem Stile der ältern Theile nach Kräften anzufchliefsen fuchte.s) Die 
architektonifche Dekoration ift demnach in der Gefammtfaffung gothifirend, 
in den Details aber, namentlich an den unteren Flächen, eine überaus feine 
und anmuthige Renaiffance, die noch den Charakter der Frühzeit trägt. 

Den heften Renaiffanceftil zeigen fodann die prachtvollen Marmor- 
fchranken des Chores von St. Remy zu Rheims, welche das Grabmal 



I) Paluftre II 258. — ^) Ebend. II, 199. — 3) Gailhabaud IV, giebt auf mehreren Tafeln 
treffliche Darftellungen derfelben. — 4) Chapuy, Moyen äge mon. I, 10. — 5) Ueber das 
Bildnerifche vgl. Lübke, Gefch. der Plaftik, S. 687. 



332 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit. 



des heil. Remigius umgeben. Sie wurden 1537 vom Kardinal Robert de 
Senoncourt errichtet und 1847 vollftändig wiederhergeftellt. 

Eins der umfangreichften Prachtwerke fmd die Gitter, welche fämmt- 
liche Kapellen der Kathedrale von Laon^) fchUefsen, achtundzwanzig 
im Ganzen. (Fig. 1 30). Mit Ausnahme von drei etwas früheren, an denen 
das Datum 1522 vorkommt, flammen fie aus den Jahren i574 und 1575. 
Sie zeigen grofse Mannigfaltigkeit, namentlich in den Dekorationen der 
unteren Felder und der oberen Theile , wobei das barocke Cartouchen- 
werk diefer Epoche ftark mitfpricht. Die Eintheilung wird durch zierHche 
cannelirte dorifche Säulen bewirkt, zwifchen welchen kleinere Säulen der- 
felben Ordnung die Felder durchbrechen. Den Abfchlufs bildet ein Gebälk 
mit etwas trocknem Triglyphenfriefe. Diefe intereffanten Arbeiten fmd zum 
Theil bemalt und vergoldet. 

Von Orgelemporen ift befonders noch die plaftifch reich dekorirte der 
Kathedrale von Gifors^) zu nennen, und als ein weiteres Zeugnifs des 
dekorativen Reichthums der normannifchen Schule heben wir endlich die 
prächtige Treppe in St. Maclou zu Ronen 3) hervor. 

Ein prächtiger Altar von 1549 findet fich in der Kirche von Raven el 
(Isle de France) , reich aber etwas fchwer behandelt. Ein anderer 
Altar in der Kirche zu Pleffis-Placys) ift mit der Legende des heiligen 
Viktor und der heiligen Magdalena von einem Meifter Theodor gefchmückt. 
Zu Cambrai in St. Gery^) ficht man einen trefflich gearbeiteten Lettner 
von 1545, der fich durch feine feine Ornamentik auszeichnet. Ein präch- 
tiger Taufbrunnen mit reizvoller plaftifcher Dekoration findet fich in der 
Kirche zu Magny, 

Noch viel üppiger ergeht fich die Dekorationsluft diefer Zeit in den 
Holzarbeiten, in welchen fich eine aus dem Mittelalter ererbte Schnitz- 
kunft mit dem ganzen Reichthum der ornamentalen Formen der Renaiffance 
verbindet. Wir nennen zunächft mehrere Chorftühle, unter denen die 
der Kathedrale von Auch 7) noch überwiegend dem fpätgothifchen Stil 
angehören, aber in den Details der Confolen und Mifericordien wie in den 
Ornamenten der Gefimfe die Formen der Renaiffance aufnehmen. Vom 
Jahre 1535 datiren die Chorftühle in St. Bertrand de Comminges,^) 
in der luftigften, zierlichften Frührenaiffance, dabei von höchfter Pracht der 
Ausführung. Der herkömmliche gothifche Aufbau mit feinen Baldachinen 
und Tabernakeln, feinen Fialen, Strebebögen und hängenden Schlufsfteinen 
ift mit geiftreicher Freiheit in die Formen der Renaiffance übertragen. 

') Berty, ren. monum. Vol. II. — 2) Aufn. in Gailhabaud, IV. Vgl. Voyages, Nor- 

mandie II, 205. — 3) Taylor et Kodier, Voyages, Normandie II, 151. — 4) Paluftre I, 

66. — 5) Ebenda I, 148. — ^) Ebenda I, 13. — 7) Chapuy, Moyen äge mon. II, 263. — 
^) Voyages, Languedoc II. 



§ 105- Dekorative Werke. 



383 



Von befonderer Pracht find die beiden bifchöflichen Sitze. Reicher bild- 
nerifcher Schmuck kommt hinzu, an den Lehnen hockende phantaftifche 
Figuren, an den Rückwänden Sibyllen, Propheten und Apoftel. Ein noch 
üppigeres Prunkftück ift der Hochaltar, mit Sirenen und andern Phantafie- 
gebilden gefchmückt und von fünf hohen Tabernakeln bekrönt. In diefen 
Werken herrfcht etwas von der Ueberfchwänglichkeit der gleichzeitigen 
fpanifchen Dekoration. Auch die Anordnung des hohen Chores in der 
Mitte des Schiffes erinnert an die Sitte jenes Lahdes. Diefe Arbeiten, zu 
denen noch die ebenfo glänzend behandelte Orgel kommt, find eine Stif- 
tung des Bifchofs Jean de Mauleon. 

Dafs gelegentlich noch in fpäter Zeit elegante Arbeiten diefer Art 
ausgeführt wurden , beweifen fodann die Chorftühle der Kathedrale von 
Bayeux') vom Jahr 1589 und diejenigen in St. Pierre zu Touloufe,=) 
welche in die Zeit Ludwigs XIII fallen. Bei einem ftrengeren Clafficismus 
zeichnen fich die erfteren durch den edlen Aufbau, die graziöfen korin- 
thifchen Säulchen und die reiche Ornamentik ihrer Glieder aus, während 
in den Füllungen der Rückwände und den ungebührlich phantaftifchen 
Bekrönungen der Barockftil mit feinen Maafslofigkeiten alles überwuchert. 
Die Chorftühle von St. Pierre dagegen haben in ihren Rückwänden ein 
nüchternes Rahmenwerk, wofür indefs die prachtvoll durchbrochenen Laub- 
gewinde der Seitenwangen entfchädigen. 

Unter den gefchnitzten Kirchenthüren gebührt dem herrlichen Nord- 
portal von St. Maclou zu Rouen3) der Preis. Es enthält in fchön 
ftilifirter Umrahmung eine Anzahl biblifcher Scenen. Ein anderes Pracht- 
ftück ift das füdhche Portal der Kathedrale von Beauvais,4) in jener 
fpielenden Frührenaiffance , die gerade in dekorativen Werken den köft- 
lichften Reiz entfaltet. Die gekrönten Salamander in den Arabesken der 
unteren Felder deuten auf die Zeit Franz' I. 

Eine treffliche Arbeit ift fodann das Portal von St. Wulfram zu 
Abbevilles) vom Jahre IS50, durch feine Statuetten von Heiligen in 
Renaiffancenifchen , durch Scenen aus dem Leben der Madonna mit zier- 
lich fpielenden Bekrönungen und einen Fries mit einer Darfteilung von 
Kämpfen gefchmückt. Ueberaus reich gefchnitzt im Stil der Frührenaiffance 
find auch die Portale der Kirchen St. Antoine und St. Jacques in Com- 
piegne.^) Treffliche Chorftühle fieht man unter anderm in der Kirche zu 
Goupillieres7) in der Normandie vom Jahre 1532, fodann in der Kirche 
von Chanpeaux,^) für welche ein Meifter Falaize aus Paris berufen wurde. 

') Aufn. in Rouyer et Darcel, art. archit. II, 14. — Ebenda II, 15—17- — ^) Voyages, 
Normandie II, 152. Dazu Paluftre II, 264 mit trefflicher Abbildung. — t) Chapuy, Moyen 
äge monum. II, 232. Dazu Paluftre I, 56 ff. mit trefflichen Abbildungen. — s) Paluftre I, 
57. — 6) Ebenda I, 67. — ^) Ebenda II, 216. — 8) Ebenda I, 148. 



334 



Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit. 



Elegante Arbeiten diefer Art fieht man auch in St. Crepin zu Chateau- 
Thierry,') zwanzig Nifchen mit Statuetten von Sibyllen und Tugenden, 
eingefafst von zierlichen Arabeskenpilaftern. 

Endlich ift hier noch der fchönen Kanzel in St. Nicolas zu Troyes 
zu gedenken , die in Aufbau , Compofition und Behandlung aufifallend an 
die herrliche Marmorkanzel des Benedetto da Majano in Sta. Croce zu 
Florenz erinnert. Zierliche korinthifche Säulen, an den Schäften Engel- 
köpfe, die im Munde kleine Guirlanden halten, faffen die Ecken ein. Das 
Ornamentale ift durchweg von grofsem Reiz, dabei in einer gewiffen 
keufchen Einfachheit behandelt. Auch der Schalldeckel ift trefflich ange- 
ordnet und edel ornamentirt. 

Von Werken der Erzdekoration wiffen wir nichts Namhaftes anzu- 
führen. 



U den glänzendften Leiftungen der Renaiffancekunft gehören die Denk- 



/ ^ mäler für die Verftorbenen, in welchen fich das religiöfe Gefühl und 
die weltliche Ruhmfucht , glänzende Prachtliebe und hoher Kunftfmn 
wunderfam durchdringen. Was die Uebergangszeit auf diefem Gebiet 
gefchafifen, ift in § 20 erörtert worden. Dafs gelegentlich auch hierbei die 
gothifchen Traditionen eine grofse Rolle fpielen, beweift das unvergleich- 
liche Maufoleum der Kirche zu Brou mit feinen prachtvollen Gräbern. 
Doch gelangt feit dem Regierungsantritt Franz' I auch in den Grabmälern 
die Renaiffance bald zu ihrem Recht, und es erheben fich überall im Wett- 
eifer Monumente, in denen die neue Kunft ihre volle Entfaltung erreicht. 
Die beiden aus dem Mittelalter überkomm.enen Hauptformen ^) find das 
Wandgrab, von welchem das Denkmal des Kardinals Amboife fchon 
ein glänzendes Beifpiel gab, und das Frei grab, welches aus einem mehr 
oder minder reichgefchmückten Sarkophag (Tumba) befteht. Aus dem 
letzteren entwickelt aber die Renaiffance die denkbar reichfte und höchfte 
Form, indem fie über dem Sarkophag eine Art Aedicula als Baldachin auf 
Säulen emporführt. 3) Auf die Geftaltung und Ausfchmückung diefer Werke 
übte die italienifche Kunft beftimmenden Einflufs. 

Ein ftattliches Wandgrab der Frührenaiffance ift das Denkmal Herzog 
Rene's II von Lothringen, des Siegers über Karl den Kühnen, in der 
Franziskanerkirche zu Nancy.'f) Es zeigt eine fehr kindliche und unbehülf- 

') Paluftre I, 120. — 2) Wenn wir von den ganz einfachen Grabplatten abfehen. — 
3) Auch dafür liefert das Mittelalter einzelne Vorbilder, z. B. in den prachtvollen Königs- 
gräbern der Kathedrale von Palermo und in verfchiedenen Grabmälern befonders verehrter 
Heiliger. — 4) Chapuy, Moyen äge monum. III, 299. 



§ 106. 

Grabmäler. 




§ io6. Grabdenkmäler. 



liehe Anwendung des neuen Stiles, hält fich aber von gothifirenden Ten- 
denzen völlig frei. Man fieht in einer rechtwinklig gefchloffenen Flachnifche 
den Verftorbenen im Herzogsmantel an feinem Betpult vor der Madonna 
knieend, die auf einem Poftament fleht und ihm ihr Kind entgegenhält. 
Arabesken, Mufcheln und andere Renaiffanceornamente zieren den Rahmen, 
der von zwei kurzen Pilaftern mit frei korinthifirenden Kapitälen eingefafst 
wird. Am oberen Fries zeigen fich Kleeblattbögen als letzter vereinzelter 
Anklang ans Mittelalter. Darüber eine Attika mit fechs kleinen Heiligen- 
figuren in Mufchelnifchen zwifchen feinen Pilaftern. Eine unbegreiflich rohe 
und häfsliche Hohlkehle mit wappenhaltenden Engeln und wunderlich 
gefchweiften Akroterien bildet den Abfchlufs. Dazwifchen Gott Vater von 
zwei Engeln angebetet. 

Ein etwas einfacheres Grabmal derfelben Gattung ift das des Bifchofs 
Hugues des Hazard in der Kirche zu Blemod-les -Toul, Departement 
der Meurthe. Doch liegt hier nach der Weife des Mittelalters der Ver- 
ftorbene ausgeftreckt auf feinem Kiffen, und über ihm fieht man, ein 
feltenes Vorkommen an folcher Stätte, die Figuren der fieben freien Künfte, 
während am Sockel in hergebrachter Weife Figuren von Trauernden dar- 
geftellt find, welche ein Spruchband mit der Infchrift : »NASCI. LABORARE. 
MORL« halten. Die architektonifche Einfaffung bewegt fich in den Formen 
der Frührenaiffance , in welche jedoch die mittelalterliche Auffaffung noch 
hineinfpielt. 

Ein fchönes Beifpiel diefer Wandgräber ift das Denkmal des Kardinals 
Hemard vom Jahre 1543 in der Kathedrale zu Amiens^), unten mit Pilafter- 
ftellungen, darüber mit Statuetten von Tugenden in der weit geöffneten, 
ebenfalls von Pilaftern eingerahmten Nifche, in welcher der Verftorbene 
vor dem Betpult knieend dargeftellt ift. Originell und reich ausgeführt 
in der Kathedrale von St. Omer das Grab Sidrachs de Lalaing vom Jahre 
1534,3) von George Monoier gearbeitet. Es ift zwifchen zwei Pfeilern des 
Chorumgangs angebracht und wird von einer prächtigen Confole getragen, 
die auf einer Säule ruht. Das fehr elegante Denkmal trägt durchaus noch 
den Charakter der Frühzeit. Ebendort das prächtige Grabmal des Bifchofs 
Euftache de Croy vom Jahre 1538, die Arbeit eines Meifters Jacques du 
Broeucq, Eins der zierlichften derartigen Denkmäler ift das Wandgrab in 
der Kirche von Mai gnelay,-*) das fich auf zwei eleganten Confolen über 
einer ionifchen Säule erhebt, nicht unähnlich dem von St. Omer. In echt 
franzöfifcher Auffaffung zeigen fich über den Infchrifttafeln zwei grinfende 
Gerippe als Bruftbilder. Ein Freigrab im edlen Stil der feinften Früh- 



I) Chapuy, Moyen äge monum. III, 511. — 
4) Edenda I, 66. 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 



2) Paluftre I, 43, 



— 3) Ebenda I, 24. — 



386 



Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit. 



renaiffance ift das Denkmal von Charles de Lalaing im Mufeum zu Douai,') 
ehemals in der Abbaye des Pres, vom Jahre 1558. Auf einem Sarkophag 
von fchwarzem und weifsem Marmor, der mit korinthifchen Pilafterchen 
und dazwifchen mit Medaillons gefchmückt ift, fleht man die ausdrucks- 
volle ritterliche Geftalt liegend ausgeftreckt. In den Medaillons fmd Bruft- 
bilder allegorifcher Figuren von Tugenden dargeftellt. Ein andres Denk- 
mal ift im Chorumgang der Kathedrale zu Narbonne erhalten, das zu 
den eleganteften Werken diefer Art gehört. Zwifchen den nördlichen Chor- 
pfeiler ift ein kleines bifchöfliches Grabmal der Frührenaiffance eingebaut, 
das in feiner befcheidenen Zierlichkeit fehr anziehend fich darfteilt. (Fig. 131). 
Als Wandgrab angelegt, lehnt es fich mit der Rückfeite an die Umfaffungs- 
mauer des Chores. Zwei fchlanke , gegürtete Säulen mit korinthifchen 
Kapitälen, zwifchen ihnen in der Mitte ein dekorirter Pfeiler mit ähnlichem 
Kapitäl, erheben fich auf einem reich gefchmückten Unterbau und tragen 
ein Gebälk, deffen Fries zwifchen kleinen Säulenftellungen abwechfelnd mit 
geflügelten Engelköpfen und Todtenfchädeln dekorirt ift. Als hätte der 
Gegenfatz diefer wunderlichen Ornamentik noch fchärfer betont werden 
follen, flnd die Engelköpfe möglichft pausbäckig dargeftellt. Auch am 
Poftament des Unterbaues ift mit Todtenfchädeln, Handfceletten und ähn- 
lichem Knochenwerk eine unliebfame Ornamentik in Scene gefetzt. Gefälliger 
ift der Sarkophag dekorirt, der zwifchen graziöfen Balufterfäulchen Statuetten 
von Klagenden enthält, wie fle unter der Bezeichnung »Ii plourans« fo oft 
an franzöfifchen Monumenten vorkommen. Die Figur des Verftorbenen, 
welche der Sarkophag ohne Zweifel trug , ift wahrfcheinlich in der Revo- 
lution zerftört worden. 

Zur vollen Höhe entfaltet fleh das Grabmal der Renaiffance zuerft 
(vgl. Fig. 132) in dem Denkmal Ludwigs XII und deffen Gemahlin Anna 
von Bretagne in der Kirche von St. Denis, welches gegen 15 18 vollendet 
wurde. ^) Wahrfcheinlich war es Jean Juße von Tours, der diefs fchöne 
Werk entwarf und ausführte. Es befteht aus einem baldachinartigen Bau, 
der fleh über einem hohen Sockel erhebt, an den Schmalfeiten mit zwei, 
an den Langfeiten mit vier Arkaden auf Pfeilern fleh öffnend. Das ganze 
Werk ift in weifsem Marmor ausgeführt. Am Unterbau fleht man in 
malerifch behandelten Reliefs Scenen des italienifchen Feldzuges , nament- 
lich die Schlacht von Agnadel und den Einzug des Königs in Genua. In 
den Oefifnungen der Arkaden flnd die Marmorftatuen der zwölf Apoftel 
fltzend angebracht. Auf der Plattform des Baldachins knieen vor ihren 
Betpulten die lebensgrofsen Figuren des königlichen Paares. Sodann liegen 



') Paluftre I, 9. — Gailhabaud IV, und E. F. Imbard, tombeaux de Louis XII et de' 
Fran^ois I. Fol. Paris. Ueber die Bildwerke vergl. Lübke, Gefch. der Plaftik, S. 624. 



§ io6. Grabdenkmäler. 



387 



diefelben in abfchreckender Lebenswahrheit als nackte Leichen ausgeftreckt 
auf dem Sarkophag, den die Arkaden umfchHefsen. Die architektonifchen 




Formen des Denkmals find von vollendeter Anmuth, die Pilafter mit reizend 
variirten freikorinthifirenden Kapitälen, ihre Schäfte mit eleganten Arabesken, 

25* 



388 



Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit. 



die Bogenzwickel mit Genien und Emblemen, die Bogenleibungen mit 
Caffetten gefchmückt. Prachtvolle Caffettirungen mit fchönen Rofetten 
gliedern auch die innere Decke des köftlichen kleinen Gebäudes. 

Auch das Wandgrab erhält bald darauf feine grofsartigfte Ausbildung 
an dem Denkmal, welches Diana von Poitiers von 1535 bis 1544 ihrem 
verftorbenen Gemahl Louis de Breze in der Kathedrale von Rouen 
errichten liefs. ') Es befindet fich in der mittleren Chorkapelle, dem Grab- 
mal Amboife gegenüber. Der Stil desfelben ftreift die feine Ornamentation 
der Frührenaiffance ab, um an ihrer Stelle durch bedeutendere Ausprägung 
und ftrengere Anwendung der antiken Formen zu wirken. Die Compofi- 
tion des Ganzen ift nicht ohne Gröfse, dabei elegant und prachtvoll. Sie 
befteht aus einer flachen Wandnifche, welche unten von gekuppelten korin- 
thifchen Säulen auf hohen Stilobaten eingefafst wird, Diefe tragen ein 
mit Masken, Fruchtfchnüren und Adlern gefchmücktes Gebälk. Ueber dem 
Gefimfe desfelben erhebt fich eine zweite Ordnung, von paarweis verbun- 
denen, malerifch bewegten Karyatiden gebildet, die eine grofse Bogennifche 
mit dem Reiterbild des Verftorbenen einfchhefsen. An den Zwickeln find 
Victorien mit Palmen und Lorbeerkränzen ausgemeifselt , und der Fries 
befteht aus einer Compofition von kränzefpendenden Victorien, geflügelten 
Löwen und Vafen. Ueber dem Gefims baut fich als Abfchlufs des Ganzen 
eine von Compofitafäulen umfchloffene Aedicula auf, in deren Nifche die 
allegorifche Geftalt der Tugend fitzt. Auf den Ecken bilden Akroterien 
mit Wappen die Bekrönung, durch einwärts gefchweifte Voluten mit dem 
mittleren Tabernakel verbunden. Nach der Sitte der Zeit und des Landes 
ficht man auch hier auf dem Sarkophag, der den unteren Theil der Nifche 
ausfüllt, die nackt ausgeftreckte, nur zum Theil mit dem Leichentuch ver- 
hüllte Gefl;alt des Todten. Die Fläche über ihm wird durch zwei Infchrift- 
tafeln mit Barockrahmen von Cartouchenwerk und Fruchtfchnüren belebt. 
Zu Häupten des Todten kniet hinter den Säulen der Einfaffung im Wittwen- 
fchleier betend feine GemahUn; ihr gegenüber an der andern Seite fteht 
die Madonna, ihr Kind auf den Armen troftreich darreichend. Das ganze 
Werk ift aus Alabafter und fchwarzem Marmor unter Anwendung reicher 
Vergoldung ausgeführt. Ueber feinen Urheber ift nichts Beftimmtes bekannt, 
doch fpricht Manches für Jean Goujon. 

Beffer unterrichtet find wir über die Entftehung des grofsartigen Denk- 
mals, welches Heinrich II für Franz I und deffen Gemahlin Claude feit 
1555 in der Kirche zu St. Denis errichten Hefs.') Es ifl: eins der vor- 
züglichften Werke von Philibert de tOrme, der es nicht blofs entworfen, 

Aufn. in Rouyer et Darcel, art archit. I, pl. 9—12. Ueber die Bildwerke vergl. 
Lübke, Gefch. der Plaftik, III. Aufl. S. 864. — 2) Aufn. in dem oben genannten Werk von 
Imbard. Ueber die Bildwerke vgl. Lübke, Gefch. der Plaftik, S. 625. 685. 




Fig. 132. Grabmal Ludwigs XII. 



390 



Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit. 



fondern auch feine Ausführung geleitet hat.') Ganz aus weifsem Marmor 
erbaut, überbietet es an Grofsartigkeit alle früheren Werke, namentlich 
auch das benachbarte Denkmal Ludwigs XII. Zudem ift es bezeichnend 
für den feit circa 1540 eingetretenen Umfchwung der Anfchauungen , denn 
anftatt wie in der Frührenaiffance fämmtliche Flächen mit zierlichen Ara- 
besken zu bedecken, bildet es die architektonifchen Formen und Linien 
in ftrenger Reinheit durch und verweift die Mitwirkung der Plaftik auf das 
Gebiet des felbftändig figürlichen Schmuckes. Dadurch wird bei allem 
Reichthum der Eindruck ein mehr architektonifcher , und die Gefammt- 
wirkung gewinnt eine Würde und Gröfse, die der monumentalen Bedeutung 
eines Grabdenkmals am heften entfpricht. 

Die Grundform ift ähnlich der am Denkmal Ludwigs XII : zwei Sarko- 
phage mit den ausgeftreckten Leichen des Königspaares, umfafst und über- 
ragt von einem baldachinartigen Arkadenbau. Da die Decke desfelben 
jedoch nicht flach ift , fondern aus einem Tonnengewölbe befteht , fo 
bedurfte es kräftigerer Widerlager, die in Form von maffenhaften Pfeilern 
mit vorgelegten Säulen angeordnet find. Vier Hauptpfeiler in quadratifcher 
Anordnung , durch grofse Rundbögen verbunden , bilden den mittleren 
Theil. In kleinerem Abftande entfprechen denfelben in der Längen- und 
der Queraxe des Monuments Eckpfeiler, an den Querfeiten durch Baluftraden 
verbunden, mit den Mittelpfeilern durch kleinere, niedrigere Bögen zufammen- 
hängend , fo dafs das Denkmal einen kreuzförmigen Grundrifs und von 
allen Seiten die Geftalt eines Triumphbogens zeigt. Die Säulen fammt dem 
Gebälk und den Gefimfen find im reichften ionifchen Stil durchgeführt, die 
fchlanken Schäfte cannelirt, fämmtliche Glieder in feiner und lebensvoller 
Weife mit den entfprechenden antiken Ornamenten gefchmiickt. Den 
Hauptantheil an der reicheren Wirkung nimmt aber die figürliche Plaftik. 
Der Sockel des ganzen Denkmals fammt den Stilobaten der Säulen ift mit 
miniaturartig fein, aber in völlig malerifchem Stil durchgeführten Dar- 
ftellungen der Schlachten Franz' I , namentlich der von Marignano und 
Cerifolles bedeckt. An den Zwickeln der grofsen Bögen find fchwebende 
Genien gemeifselt, namentlich aber ift das grofse Tonnengewölbe mit den 
Flachreliefs der Evangeliften fowie allegorifcher Tugenden und fchwebender 
Genien gefchmückt, und die einzelnen Felder erhalten durch breite Flecht- 
bänder mit Rofetten in den Oefihungen ein Rahmenwerk vom edelften Stil. 
Diefe Reliefs find von Germain Pilon , die liegenden Geftalten des könig- 
lichen Paares von Pierre Bontemps ausgeführt. Auf der Plattform des 
Denkmals knieen im Gebet die lebensgrofsen Figuren des Königs und der 
Königin und ihrer beiden Söhne. 

') Ueber das Hiftorifche vergl. des Grafen Delaborde Renaiff. des arts , p. 445. 446. 
454. 460. 462. 470. 479. 484. 




§ io6. Grabdenkmäler. 



Nach dem Mufter diefes grofsartigen Werkes liefs Katharina von 
Medici, ebenfalls zu St. Denis, für fich und ihren verftorbenen Gemahl 
Heinrich II ein ähnliches Denkmal errichten. Es ift gleich jenem ganz 
aus Marmor ausgeführt, und der Entwurf dazu wird bald de l'Orme, bald 
Bullant oder felbft Primaticcio zugefchrieben. Die Anordnung ift diefelbe: 
auf einem Sarkophag fieht man die ausgeftreckten Leichen des königlichen 
Paares. Zwölf Säulen von dunklem Marmor mit Compofitakapitälen tragen 
den Arkadenbau, auf deffen Plattform Heinrich II und Katharina in lebens- 
grofsen Erzfiguren knieend angebracht fmd. Die Architektur im Ganzen 
ift derber, kühler, von fchwereren Formen, das Gebälk über den Säulen 
vorgekröpft; zwifchen den letzteren durchbrechen fenfterartige Oeffnungen 
die einzelnen Felder. Am Sockel fmd Marmorreliefs von Germai?i Pilon 
ano-ebracht, und auf den Ecken des Gebäudes erheben fich auf vorgefcho- 
benen Poftamenten die Erzgeftalten der vier Kardinaltugenden. 

Diefs ift das letzte grofse Grabdenkmal der franzöfifchen Renaiffance. 
Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts dringt jene malerifche Auffaffung 
auch hier ein, welche aus den Grabmälern nichts anderes als theatralifche 
Scenen, im heften Fall lebende Bilder zu machen wufste. Solcher Art ift 
das Grabmal Richelieu's in der Kirche der Sorbonne, wo der Kar- 
dinal, auf dem Sarkophag ausgeftreckt, durch die Figur des Glaubens halb 
aufrecht gehalten wird, während das untröftHche Frankreich zu feinen 
Füfsen jammert. Solcher Art ift im Mufeum zu Verfailles das Denk- 
mal des Herzogs von Roh an , um welchen fich zwei Genien bemühen, von 
denen der eine ihm den Kopf ftützt, während der andere wehklagend den 
Herzogsmantel um ihn fchlägt. Bei folchen »geiftreichen« Erfindungen, die 
grofsentheils von den Malern der Zeit herrühren, hat die Architektur zu 
verftummen. 




X. KAPITEL. 



DAS KUNSTGEWERBE DER EPOCHE. 




§ 107. 

Allgemeiner Charakter. 

läfst fich leicht denken, dafs mit einer fo reichen 
Blüthe wie die franzöfifche Renaiffance fie entfaltet 
hat, eine nicht minder glänzende Ausbildung der ver- 
fchiedenen Kunftgewerbe Hand in Hand geht. Die 
Prachtliebe des Hofes und der Grofsen fbeht auch 
hier als bewegendes Motiv in erfter Linie, Franz I 
gab für die gefammte Umgebung den Ton an, und 
Heinrich II, fowie die folgenden Herrfcher traten 
in feine Fufsftapfen. Niemals vielleicht ifb in den 
modernen Zeiten die äufsere Erfcheinung der Menfchen in Kleidung und 
Schmuck und in der Geftaltung der Wohnräume fo edel und ftilvoll behandelt 
worden wie damals. Wie fehr auch hiefür die Einflüffe Italiens beftimmend 
waren, wie die dort empfangenen Eindrücke fchon unter Karl VIII und Lud- 
wig XII zu einer Umwandlung der franzöfifchen Anfchauungen führten, die dann 
alsbald die Berufung italienifcher Künftler zur Folge hatte, ift oben im erften 
Kapitel gezeigt worden. Während nun für die Entwicklung der Architektur 
jene fremden Einflüffe kaum irgendwie von Bedeutung waren, da die natio- 
nalen Anfchauungen, Sitten und Gewohnheiten zu mächtig gegen die fremde 
Form reagirten, läfst fich in den begleitenden Künften, und fpeziell in den 
Kunftgewerben ein ftarker itaHenifcher Einflufs nicht verkennen. Für die 
Goldfchmiedearbeit war die Berufung eines Meifters wie Benvenuto Cellini 
ohne Frage von epochemachender Bedeutung. Die Majolika erhielt einen 
erften Impuls durch die Berufung des Girolamo della Robbia, der mit 
feinen farbig glafirten Terracotten die Fufsböden, die Friefe und Medaillons 
der Arkaden, fowie die Caffetten^ der Hallendecken am Schlofs Madrid und 



§ loy. Allgemeiner Charakter. 



393 



fpäter auch zu Fontainebleau zu fchmücken beauftragt wurde. Für die 
prachtvollen Rüftungen wurden die berühmten Mailänder Waffenfchmiede 
in Anfpruch genommen; aber wir wiffen auch, dafs die deutfchen Harnifch- 
macher vielfach für den franzöfifchen Hof verwendet wurden, dafs nament- 
lich Jörg Seufenhofer von Innsbruck durch Franz I berufen wurde und dafs 
vielleicht auch Hans Muelich Entwürfe für Franz I und Heinrich II lieferte. 

Ift alfo für manche Techniken auswärtiger Einflufs und fremde Thätig- 
keit bezeugt, fo läfst fich gleichwohl vielfache Mitwirkung einheimifcher 
Künftler und Werkleute vorausfetzen und auch nachweifen. Im Ganzen 
aber wird man in manchen Zweigen der Kunftgewerbe eine fpezififch fran- 
zöfifche Behandlung nicht gerade behaupten können ; franzöfifche Schmuck- 
fachen werden im Wefentlichen in derfelben Weife componirt und aus- 
geführt, und namentlich mit dem ganzen Reiz farbiger Schmelzwerke, dem 
Schimmer der Perlen, dem Glanz der Edelfteine ausgeftattet , wie die 
deutfchen Werke; Wappen und Rüftungen erhalten ebenfo wie in Deutfch- 
land durch Aetzung , Niellirung und Taufchirung das unvergleichliche Ge- 
präge höchfter Kunftvollendung und ornamentaler Pracht. Nur das Eine 
etwa läfst fich bemerken, dafs unter dem Einflufs der Befteller, eines kunft- 
fmnigen Hofes und prachtiiebender Fürften unter Mitwirkung des den Fran- 
zofen befonders eigenen Sinnes für formale Vollendung, Grazie und Fein- 
heit diefe Werke einen befonders vornehmen und zugleich graziöfen Cha- 
rakter gewinnen, und dafs befonders auch das Figürliche voll Schwung und 
Anmuth ift. Für die Ornamentalcompofition auf den verfchiedenften 
Gebieten wurde aber die italiehifche Kunft am meiften einflufsreich durch 
die Schule von Fontainebleau, welche zuerft die fogenannten Grottesken 
der italienifchen Hochrenaiffance im Norden einbürgerte, die dann mit ihren 
feltfamen, oft kunterbunten und überladenen Zufammenftellungen von Blumen- 
gewinden, Fruchtfchnüren, Masken, phantaftifchen Fabelwefen, Emblemen, 
Inftrumenten und dgl. bald ihren Weg auch nach Deutfchland fanden. In 
Frankreich wird alfo die harmonifche und edle Ornamentik der Früh- 
renaiffance , die im Wefentlichen auf fchön gezeichnetem Laubwerk mit 
fparfam eingeftreuten Figuren beruht, früher von jener bunten Mifchgattung 
verdrängt als irgendanderswo im Norden. Beifpiele diefer Richtungen und 
des Kampfes derfelben unter einander haben wir fchon oben bei der Be- 
trachtung der Bücherilluftration § 7 zur Genüge kennen gelernt. 

Wo nun die franzöfifchen Kunftgewerbe in ihren Schöpfungen denen 
der übrigen Länder, namentlich Deutfchlands nahe verwandt find, da be- 
darf es hier keiner eingehenden Schilderung, fondern nur einer Verweifung 
auf das in der Gefchichte der deutfchen Renaiffance Kapitel III Gefagte; 
ich befchränke mich hier auf diejenigen Zweige kunftgewerblicher Thätig- 
keit, in welchen Frankreich zu eigenartigen Leiftungen durchgedrungen ift. 



394 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



§ 108. 

Schreinerei und Schnitzerei. 

DEN Anfang möge eine Betrachtung der künftlerifchen Holzarbeit machen, 
die in Frankreich ganz bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten aufweift. 
Allerdings ift von der betreffenden Ausftattung der Schlöffer , von den 
Wandvertäfelungen, gefchnitzten Decken, kunftreichen Thüren u. dgl., durch 
die Bilderftürmerei der Revolutionszeit unendlich Vieles zerftört worden ; 
dennoch ift in öffentlichen Sammlungen, namentlich im Hotel de Cluny 
manches Werthvolle erhalten und dasfelbe gilt von den Möbeln der Zeit. 
Ich erinnere an die reichgefchnitzte mit den Wappen Heinrichs IV und 
der Maria von Medici gefchmückte Holztreppe aus dem Palais de Juftice, 
jetzt im Hotel de Cluny, an die Prunkbettftatt aus der Zeit Franz' I, 
an den gefchnitzten Schrank aus dem Schlofs von Fontainebleau und an 
den fchönen, der Zeit Heinrichs II angehörenden Schrank aus Nufsbaum- 
holz, fämmtlich in derfelben Sammlung. Die eigenthümlichen Vorzüge der 
franzöfifchen Arbeiten diefer Art beruhen auf der Klarheit der Compofi- 
tion und dem echten Holzftil, der niemals in die bei den deutfchen Werken 
überwiegende Nachahmung der Steinconftruction verfällt. Es ift alfo den 
franzöfifchen Arbeiten diefer Art ein gefunderes Prinzip und ein tieferes 
Verftändnifs des der Holzarbeit zukommenden Formgepräges eigenthümlich. 
Als Erläuterung geben wir die Darftellung einer Hausthür aus Blois 
(Fig. 133), welche diefe Vorzüge auf's Anziehendfte zur Erfcheinung bringt. 
Man möchte fagen, dafs hier der tief in den Geift der Nation eingedrungene 
Geift mittelalterlicher Conftruction noch nachwirke und in den Formen des 
neuen Stiles feine Auferftehung feiere. Denn wie klar, wie conftructiv ver- 
ftändig ift die Anlage des Ganzen, die Eintheilung und Gliederung durch 
ein befcheidenes und doch wirkfames Rahmenwerk, wie glücklich die Aus- 
füllung der Flächen, der kleineren Felder, Friefe, Zwickel und des Bogen- 
feldes durch Ornamente , deren Grundaccord ein weich gezeichnetes und 
plaftifch fein bewegtes Laubwerk ift, während Figürliches an paffender Stelle 
als Blüthe des Ganzen heraus tritt. So wirkt das Ganze reich und doch 
ohne Ueberladung, lebensvoll und vornehm zugleich. Das Cartouchenwerk 
der beginnenden Hochrenaiffance ift in weifer Zurückhaltung nur den oberen 
Thürfeldern zugedacht. 

Aehnliche Vorzüge find durchweg den Möbelcompofitionen der fran- 
zöfifchen Renaiffance eigen. Klarheit der Conftruction und des Aufbaues, 



') Vergl. die trefflichen Aufnahmen von H. Herdtie , Möbclformen der franzöfifchen 
Renaiffance. Wien 1881. Fol. Einiges auch in A. Lambert, Parchitecture Suiffe, fowie in 
der Publikation der Sammlung Bafilewsky. 



396 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



angemeffene Gliederung, gefchmackvolle Vertheilung der Ornamente, die 
nach Zeichnung und plaftifcher Entwicklung für die Technik des Holz- 
fchnitzens berechnet find , bilden die Vorzüge des franzöfifchen Möbels. 
An die Stelle des trockenen Formalismus der Spätgothik tritt das lebens- 
volle Ornament der Renaiffance, befonders in feinen feinen Laubverfchhn- 
gungen. Zuerft herrfcht noch eine derbere Behandlung, die fich mit dem 
anfänglich zur Verwendung kommenden Eichenholz aus dem Mittelalter 
herfchreibt. Bald aber tritt an die Stelle diefes derberen Materials das 
gefchmeidigere, dem Schnitzmeffer die höchften Feinheiten geftattende Nufs- 
baumholz. Nach und nach bürgern fich auch die antiken Säulenordnungen 
mit ihren Gefimfen und Friefen, ihren Giebeln, Hermen und Karyatiden 
ein, werden jedoch in einer dem Holzftil entfprechenden Weife umgeftaltet. 
Zuerft Hebt man wohl unterfetzte korinthifirende Rahmenpilafter mit Laub- 
ornamenten an dem kurzen Schaft. Befonders in den nordifchen Schulen, 
in der Normandie, Picardie und Flandern herrfchen diefe ftämmigen Formen 
vor. In der Isle de France dagegen macht fich der Einflufs der Schule 
von Fontainebleau geltend, die Möbel erhalten einen fchlanken Aufbau, 
elegante Gliederungen , feine mäfsig ausladende Profile. Das Möbel geht 
immer mehr aus den Händen des Zimmermanns in die des Architekten 
und Bildfchnitzers über. Meifter wie Goujon und Du Cerceau machen ihren 
Einflufs geltend. Dazu kommt reicher malerifcher und plaftifcher Schmuck 
mit eingelegter Arbeit, mit Intarfien, Marmorplatten, Emailgemälden und 
anderem farbigem Zufatz, wodurch oft eine überaus elegante Gefammt- 
wirkung hervorgerufen wird. Als bezeichnendes Beifpiel diefer Gattung 
diene der in Fig. 134 dargeftellte Schrank. 

Wefentlich anders geftalten fich die Möbel der burgundifchen Schule, 
in deren Gefammtform und Einzelbehandlung etwas von füdlicher Ueppig- 
keit eindringt. Der Aufbau ift breiter, maffiger, die Gliederung heraus- 
fordernder, die feinen Säulchen werden durch fchwungvoll bewegte Hermen 
und Karyatiden verdrängt, ja bisweilen treten folche Figuren in drei Stock- 
werken auf, worin man eine befondere burgundifche Eigenart erkennt. Alle 
Formen und Ausladungen find kräftiger, befonders das Laubornament ift 
von quellender Ueppigkeit , und in den Füllungen fieht man Reliefs von 
keck bewegten Reiter- und Kriegergeftalten. Von verwandter Art find die 
Möbel im Süden und befonders in Lyon, ähnlich maffenhaft aufgebaut, 
breit angelegt und mit glänzendem Reichthum dekorirt, doch in der guten 
Zeit ftets mit feinem Verftändnifs eingetheilt und abgeftuft. 

Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts behalten die franzöfifchen Möbel 
im Wefentlichen ihren fchönen ftilvollen Charakter und bleiben den barocken 
Ausfchreitungen fern, welchen die Möbel in Deutfchland fchon früh ver- 
fallen. Erft unter Ludwig XIII kommt fchwerfällige Derbheit in den Auf- 



§ io8. Schreinerei und Schnitzerei. 397 

bau und Ueberladung in die Gliederung, namentlich überwuchert das Car- 
touchenwerk die Dekoration, die fchlanken Säulen werden zu gewundenen 




Fig. 134. Franzöfifcher Schrank nach Herdtie. 



und das vegetative wie figürliche Ornament verfällt feelenlofer Stumpfheit. 
Damit hat diefe Epoche ihren Abfchlufs erreicht. 



398 Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 

§ 109. 

TÖPFEREI: TERRACOTTEN UND STEINZEUG. 

AUCH auf dem Gebiet der Töpferei blieb Frankreich noch ziemlich 
lange der mittelalterlichen Ueberlieferung treu, und als dann die 
neuen Formen von Italien her allmählich Eingang fanden , hielt man doch 
noch eine Weile an der hergebrachten mittelalterlichen Technik feft, fo 
dafs die grüne Kupferglafur und die Bleiglafur fich gegen die Zinnglafur 
der Fayence eine Zeit lang behaupteten. Auf diefen Werken wie z. B. den 
Gefäfsen von Beauvais und der Normandie bilden grün, braun und weifs 
einen harmonifchen Farbenakkord. Wie lange diefe Technik fich erhalten 




Fig. 135. Bleiglafirte Gourde. Louvre. 



hat, beweift unter vielen andern Beifpielen eine grüne bleiglafirte Jagdgourde 
des Louvre, welche mit Masken, Löwenköpfen und dem Wappen der 
Montmorency verziert ift (Fig. 135). Ein Hauptort der Fabrikation diefer 
Werke war fchon feit dem 14. Jahrhundert die Stadt Beauvais, deren Töpfer- 
waare fich durch einen blafsgrünen Ton auszeichnet und bis zur Zeit 
Ludwigs des XIII vorkommt. Sogar Rabelais erwähnt im Pantagruel diefe 
Gefäfse, und im Panurg die blauen Gefäfse von Savignies. Neben diefen 
Orten machen fich Saintes, Reimes, La Chapelle des Pots, dann aber im 



^) Hiftoire de la Ceramique par Albert Jacquemart. Paris 1873. — Grundrifs der 
Keramik von Friedr. Jaenniclte. Stuttgart 1879. 



§ 109- Töpferei, Terracotten und Steinzeug. 



399 



füdweftlichen Frankreich Sadirac bei Bordeaux als Fabrikationsorte folchen 
Gefchirrs bemerklich. 

Die Einführung der Renaiffance gefchah zuerft durch italienifche 
Künftler, welche fich in Frankreich niederliefsen und die italienifche Majo- 
lika zur Geltung brachten. So wiffen wir ja, dafs Franz I für die Aus- 
fchmückung feines Schloffes Madrid den Girolamo della Roblia kommen 
liefs. Trotzdem blieb noch lange Zeit neben diefen fremden Arbeiten die 
franzöfifche Töpferei bei ihrer frühern Technik und machte dem Zeit- 
gefchmack nur in der Aufnahme der neuen Formen ein Zugeftändnifs. Wie 




Fig. 136. Bodenplatten aus dem Museum zu Sevres. 



fehr diefelben bisweilen den italienifchen fich näherten, geht aus den fchönen 
emaillirten Bodenplatten hervor, mit welchen das Schlofs zu Ecouen 
gefchmückt war und von denen wir jetzt wiffen , dafs fie durch einen 
einheimifchen aus der Normandie flammenden Künftler Maffeot Abaquesne 
ausgeführt waren. Man weifs , dafs diefer Meifter aber auch emaillirte 
Gefäfse gefertigt hat. Reiche Auswahl franzöfifcher Boden- und Wand- 
bekleidungsplatten findet man im Mufeum zu Sevres, aber auch im Louvre 
und im Hotel de Cluny (Fig. 1 36). In der Eintheilung und der Ornamentik 
diefer Platten, die aus Laubranken, Kränzen und Medaillons befteht, zeigt 
fich die ganze Anmuth der Frührenaiffance. Hierher gehören auch die 



400 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



glafirten Bodenplatten aus der Schlofskapelle zu Oiron, welche in grünlich 
fchwarzer Zeichnung Linearornamente auf blafsröthlichem Grunde enthalten, 
wozu noch die lebhaft colorirten Familienwappen kommen. Eine befonders 
für Frankreich bezeichnende Eigenheit find die Giebelfpitzen, Windfahnen, 
Firftziegel und andere Dachverzierungen, welche den damaligen franzöfifchen 
Bauten namentlich in der Normandie grofsen malerifchen Reiz verliehen. 

Zu den Hauptorten der Fabrikation der franzöfifchen Fayence gehört 
ferner Avignon, deffen dunkelbraune Gefäfse, Kannen und Vafen, Schalen, 




Fig. 137. Kanne von F. Briot. Samml. A. v. Rothfchild. Fig. 138. Steinzeug- Vafe. Louvre. 



Schüffein , Tafelauffätze u. f. w. , eine reichere Ornamentik mit durch- 
brochenen Rehefs in gelbem Ton, namenthch Masken u. dergl. zeigen. 
Aehnlich find die Gefäfse von Clermont Ferrand, jedoch ift die Farbe der- 
felben noch dunkler und die Ornamente find netzartig. Ueberaus reich 
und mit glänzendem plaftifchen Schmuck in reicher Farbengebung durch- 
geführt find die Arbeiten des Francois Briot, der um die Mitte des i6. 
Jahrhunderts in Paris lebte und von dem man einige Prachtflücke kennt. 
(Fig- 13 7-) 



§ HO. Bernard de Paliff}-, 



401 



Das franzöfifche Steinzeug ift gröfstentheils, ähnlich dem deutfchen, 
in grauer Farbe mit blauen Ornamenten durchgeführt. Als Hauptorte werden 
wiederum Beauvais und Savignies bezeichnet. In der Ornamentik bleibt 
das franzöfifche Steinzeug an Reichthum und Phantafiefülle weit hinter 
dem deutfchen zurück und kennt namentlich kaum den dort fo beliebten 
Schmuck von Figuren und Sinnfprüchen. Meiftens findet man auf diefen 
Gefäfsen nur Blumenornamente, befonders die Lilie, aufserdem Rofetten, 
Guirlanden und Wappen. (Fig. 138.) 




Flg. 139. Schuffel von PaliUy. Samml. des Marquis de St. Seme. 

§ HO. 

Bernard de Palissy. 

DER berühmtefte unter den Meiftern der franzöfifchen Töpferei, Bernard 
de PaliJJy,^) wurde um 15 10 zu La-Chapelle-Biron im Perigord ge- 
boren. Er machte dort feine Lehrzeit bei einem Glafer durch. Diefes 
Gewerbe, damals fchon durch die Glasmalerei von hoher künftlerifcher 
Bedeutung, genügte jedoch dem eifrigen jungen Mann nicht, der fich in 
feinen Mufseftunden mit dem Studium der Geometrie und Perfpektive, mit 



0 Vgl. die Literatur bei § 109. Dazu Mrs. M. Pattifon, the renaiffance of art in France. 
Vol. II. p. 246 ff. 

LÜBKE, Gefell, d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 26 



402 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Zeichnen, Malen und Modelliren weiter zu bilden fuchte. Nach feinen 
Lehrjahren durchwanderte er Frankreich, Flandern und die Rheinlande und 
wufste fich durch das Studium der Naturwiffenfchaften , befonders der 
Chemie immer umfaffendere Kenntniffe zu erwerben. So erwarb er als 
echter Künftler der Renaiffance den Grund zu jener umfaffenden wiffen- 
fchaftlichen Bildung, welche er fpäter in feinen Schriften niedergelegt hat. 
Als er 1539 von der Wanderfchaft heimkehrte und fich in Saintes nieder- 
Hefs, wo er fich einen Hausftand gründete, wurde er durch eine ihm zu 
Geficht kommende Fayencetaffe aufs lebhaftefte angeregt und zu eigenen 
Verfuchen veranlafst, die befonders auf Darftellung weifsen Emails hinaus- 




Fig. 140. Humpen von Paliffy. Louvre. 



gingen. Rührend ift die Erzählung von den fchweren Sorgen, den bitteren 
Enttäufchungen, welche ihm durch alle diefe Verfuche bereitet wurden. Trotz 
der Noth, in die er gerieth, trotz der Vorwürfe feiner Frau und der War- 
nungen feiner Freunde fetzte er mit eiferner Beharrlichkeit und ungebrochenem 
Muthe feine Experimente fort. Nach den fchwerfben Opfern und Ent- 
sagungen gelang ihm endlich die Darftellung des Emails und damit begann 
für ihn die Epoche feines Glanzes. Nachmals fchrieb der treffliche Künftler 
an Antoine des Fonts: »J'ay trouve grace devant Dieu qui m'a fait con- 
noiftre des fecrets qui ont efte jusques ä prefent inconnuz aux hommes.« 
Seine erften Arbeiten waren die fogenannten Pieces ruftiques figulines, 
(Fig. 139), welche durch ihre ganz neue Eigenartigkeit fchnell allgemeine 



§ 110. Beraard Paliffy. 



403 



Bewunderung erregten und ihm bei Heinrich II und Catharina von Medici 
fowie andern vornehmen Perfonen alsbald glänzende Aufträge verfchafften. 
Da Paliffy gleich mehreren der bedeutendften Künftler der Zeit Proteftant 
war, fo erlitt er, als die fanatifchen Verfolgungen begannen, die fchwerften 
Bedrängniffe, die in der Zerftörung feines Haufes und feiner Werkftatt 
gipfelten und ihn felbft dem Tode nahe brachten. Erft durch feine Berufung 
nach Paris in den Dienft des Königs wurde er den Verfolgungen enthoben 
und durfte im Auftrage der Königin Mutter auf dem Platze, wo fpäter die 
Tuillerien erbaut wurden, fich eine Werkftatt errichten, in welcher er oft 
von Catharina von Medici befucht wurde. Aufserdem eröffnete er Vor- 




Fig. 141. Schüffel von Paliff}'. Louvre. 



lefungen über Phyfik und allgemeine Naturwiflenichaften , durch welche er 
die gelehrten Kreife der Hauptftadt zu feffeln wufste. Aber trotz des 
Schutzes Seitens der höchften Perfönlichkeiten wurde der treue Proteftant 
im Jahre 1588 im hohen Alter in die Baftille geworfen, wo Heinrich III 
ihn wiederholt felbft befuchte, um ihn zu bekehren, welche Bemühungen 
der ftandhafte Künftler mit Hohn zurückwies. Wohl wurde er dem Schaffot 
entzogen, aber der fchwache König liefs ihn langfam im Gefängnifs ver- 
fchmachten. Er ftarb 1589. 

Unter feinen Arbeiten fmd die oben bereits erwähnten diejenigen, 
welche als die eigenthümlichften ihm den höchften Ruhm eingetragen haben. 
Es fmd die heutzutage wieder ftark nachgeahmten runden und ovalen 

26* 



404 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Schüffein (Fig. 139), welche als Schauftücke mit äufserft naturwahr imitirten 
Reliefgeftalten von Schlangen , Eidechfen , Fifchen , Krebfen , Fröfchen, 
Schmetterlingen, Mufcheln u. dgl. bedeckt find, auf einem Grunde, welcher 
mit Blättern aller Art gefchmückt und zum Theil bisweilen ein fliefsendes 
Gewäffer darftellt. Es ift keine Frage, dafs diefer Naturalismus ftrengeren 
Stilgefetzen widerflreitet, doch verdient die technifche Ausführung in der 
aufserordentlichen Treue nicht blofs der Formen, fondern namentlich auch 
der Farben und der ebenfo glänzende als milde und harmonifche Gefammt- 
ton hohe Bewunderung. In verwandter naturaliftifcher Behandlung find 




Fig. 142. Schierel von Paliffy. Louvre. 



dann auch Humpen ausgeführt, die ganz mit Mufcheln oder Blättern, auch 
wohl einzelnen Thieren wie Eidechfen, Fröfchen, Krebfen bedeckt werden. 
(Fig. 140.) 

Allein Paliffy blieb bei diefer rufiiiken Dekorationsweife nicht fhehen. 
Weit ftilvoller z. B. find diejenigen Schüffein, welche einen mit den fchönften 
Renaiffanceornamenten gefchmückten Rand zeigen und in dem Mittelfelde 
nur etwa eine zierliche Eidechfe enthalten, die fich von dem braun, blau 
und weifs marmorirten Grunde abhebt. (Fig. 141.) Ueberhaupt war der 
Aufenthalt in Paris und die Anfchauung der dortigen zahlreichen Kunft- 



ÄlIisilililM» 



§ HO. Bernard Paliffy. 405 

werke für den Gefchmack diefes geiftvoUen und denkenden Künfllers in 
hohem Grade förderlich, fo dafs er nunmehr feine Werke mit glänzenden 
farbigen Rehefs mythologifcher, allegorifcher und hiftorifcher Darftellungen 
fchmückte, in denen er fich unter dem Einflufs der grofsen italienifchen 
Kunft zeigt. (Fig. 142.) Auch hier ift die farbige Wirkung durch die 
von ihm hauptfächlich angewandten blauen, gelben und grauen Töne, zu 
welchen in zweiter Linie noch grün , violett und braun kommen , ebenfo 
glänzend wie harmonifch und die Ausführung bis ins Kleinfte von höchfter 




Fig. 145. Kanne von PalilTy. Sammlung G. v. Rothfcliild. 



Vollendung. (Fig. 143.) EndUch giebt es auch von ihm rein ornamental 
behandelte Schüffein, die in durchbrochener Arbeit mit verfchlungenen 
Bändern, Laubwerk und Masken dekorirt fmd, und deren Rand meiftens 
durch zierliche Blumenkränze gebildet wird. Die hohe künftlerifche Sorg- 
falt, mit welcher der ausgezeichnete Meifter verfuhr, hefs ihn jedes irgend 
mangelhafte Stück, namentHch auch feine erften unvollkommenen Verfuche, 
vernichten. Daher fmd die echten Arbeiten von ihm fchon an der hohen 
Vollendung der technifchen Ausführung zu erkennen. 



liwiiip 



406 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



§ III- 

Die Fayencen von Oiron. 

EINE ganz befondere Stellung unter den franzöfifchen Töpferarbeiten 
nehmen die Fayencen von Oiron ein,') früher allgemein als »Faience 
Henri II« bezeichnet. Es find jene köftlichen, meiftens kleineren Gefäfse 
aus feinem Thon, mit Bleiglafur überzogen, durch die zarte, meift ockergelbe 
oder braune Inkruftation und die reiche Dekoration mit verfchlungenen 
Bändern, Blumen und Laubgewinden, aber auch mit Wappen, Masken, 
Eidechfen und phantaftifchen Figuren unvergleichlich reich und elegant 
gefchmückt. Ueber die Entftehung diefer prachtvollen und koftbaren 
Werke ift erfl in neuerer Zeit durch B. Fillon der Schleier gelüftet worden. 
Wir wiffen nunmehr, dafs im Poitou auf dem Schlofs Oiron Helene de 
Hangeß, feit 15 19 Wittwe Arthur Gouffiers, diefe reizenden Werke unter 
Mitwirkung ihres Töpfers Frangois Charperitier und ihres Sekretärs Jehan 
Bernart felbft ausgeführt hat. Wir haben es alfo mit einer Dilettantin zu 
thun, die freilich ein ungewöhnlich hohes künftlerifches Gefühl bekundet. 
Ihr Gemahl, ebenfalls ein hochgebildeter Mann, war mit Ludwig XII nach 
Itahen gezogen und nachmals vom Könige zum Hofmeifber des Dauphin, 
des nachmaligen Franz' I beftellt worden. Seine Wittwe erhielt von Franz I 
den Auftrag zur Erziehung feines Sohnes, des fpäteren Heinrich II. Wenn 
fie fich nicht bei Hofe aufhielt, bewohnte fie feit 1524 ihr Schlofs Oiron, 
wo fie 1537 ftarb. Nach ihrem Tode wurde unter ihrem Sohne Claude die 
Fabrikation der Fayencen fortgefetzt, wie denn 1538 in den Rechnungen 
des Haufes Jehan Bernart mit zwei Malern und einem Knecht noch vor- 
kommt. 

Man kann drei Epochen in der Fabrikation diefer Fayencen unter- 
fcheiden. Die erfte und zugleich vorzüglichfte befchränkt fich auf die 
Lebenszeit der Helene Gouffier, und der geläuterte Gefchmack, der in den 
damals entftandenen Schöpfungen herrfcht, legt genugfam Zeugnifs von 
dem feinen Kunftgefühl der Dame ab, die offenbar nur aus Liebhaberei 
fich mit der Kunfttöpferei befafste. Ohne Zweifel find diefe fein ftilifirten 
Gefäfse durch Erinnerungen an die in Fontainebleau vorhandenen Pracht- 
gefäfse entftanden. Ihre Dekoration zeigt einige Verwandtfchaft mit Metall- 
ornamenten, und die verfchlungenen Bänder gemahnen an die Bucheinbände 
der damahgen Zeit. (Fig. 144.) Die Gefäfse zeichnen fich durch das milde 
Gelb des Grundes aus, von welchem die Ornamente in dunkelbraunem Ton 
fich kräftig abheben. Die fpärlich noch fonft auftretenden Farben wie 
hchtbraun, braunroth und fchwarz gehören derfelben Scala an und ver- 
leihen diefen Werken den Charakter ernfter Vornehmheit. In diefer 



') Zu der Literatur in § 109 vgl. Mrs. M. Pattifon a. a. O. p. 239 ff. 



§ III. Die Fayencen von Oiron. 



407 



Hinficht überragen die heften diefer Fayencen wohl Alles, was auf dem- 
felben Gebiet zur Zeit der Renaiffance irgendwo entstanden ift; hierauf 
eben beruht ihre ganz ausgezeichnete Stellung. Die Ornamente, neben 
jenen verfchlungenen Bändern und Knoten aus fein ftilifirten Blumen von 
Laubranken und aus durchbohrten Herzen beftehend, fmd zum Theil in 
zierhchfter Weife nur aus einzelnen Punkten zufammengefetzt. Figürhches 




Louvre. Sammlung Hope. Louvre, 

Fig. 144. Fayencen von Oiron. 



ift nur vereinzelt durch Masken oder auch wohl eine Eidechfe vertreten. 
Aufserdem finden fich die Wappen der Gouffiers und der mit ihnen be- 
freundeten Familien, woraus fchon hervorgeht, dafs die Gefäfse wohl aus- 
fchliefslich zu Gefchenken beftimmt waren. Der Aufbau diefer köfthchen 
Werke zeugt vom feinften Gefchmack, indem die gröfsern ruhigen Flächen 
durch gut motivirte Gliederungen zufammengefafst werden , fo dafs das 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Ganze meiftens einen fchön bewegten Umrifs bietet. Dabei ift Alles dem 
angewendeten Material entfprechend behandelt, namentlich zeigen die 
Henkel und Ausgufsröhren den breiten und kräftigen Charakter, welchen 
die Töpferei verlangt. 

Mit dem Tode der Helene Gouffier beginnt die zweite Epoche der 
Fabrikation, die bis gegen die Mitte des i6. Jahrhunderts dauert. Der feine 
Charakter, das klaffifche Gepräge der erften Periode macht einer derberen, 
in der Gefammtform mehr architektonifchen, in der Ornamentik mehr über- 
ladenen Behandlung Platz. Man erkennt darin die Prunkliebe diefer fpätern 
Zeit und befonders den Einflufs Claude Gouffiers , der die fchlichte har- 
monifche Schönheit der frühern Arbeiten zu überbieten fucht. Auch kommt 
Jehan Bernart fortan in den Rechnungen nicht mehr vor, was ebenfalls 




Fig. 145. Salzfals 111 Oiron-Fayence. Sammlung Fountaine. 



auf eine veränderte künftlerifche Leitung hindeutet. Der Aufbau der Ge- 
fäfse neigt unter dem Einflufs der Architektur der Zeit zum Barocken ; 
wunderlich namentlich find die Pilafter und Strebepfeiler , mit denen man 
die Gefäfse nicht feiten einfafst, namentlich gilt diefs von den Salzfäffern, 
die förmlich wie kleine Gebäude entwickelt find (Fig. 145). Die Ornamentik 
bewegt fich ebenfalls in andern Tönen, indem die Formen theils fchwarz 
auf weifsem, theils weifs auf fchwarzem Grunde abwechfeln, die Guirlanden 
dagegen grün emaillirt find. Auf diefen Gefäfsen findet man öfter die 
Wappen von Frankreich und der Montmorency, aufserdem verfchiedene 
königliche Abzeichen , namentlich den Salamander Franz' I und befon- 
ders die Halbmonde und das Monogramm Heinrichs II, welch Letzteres 
früher zu der Bezeichnung »Faience Henri deux« Anlafs gab. Zuweilen 
findet fich auch die Gans als Wahrzeichen von Oiron. Von den emaillirten 



§ 112. Die Fayencen von Nevers. 



409 



Platten des Fufsbodens aus der Kapelle von Oiron, welche ebenfalls diefer 
Epoche angehören, war fchon oben die Rede. 

Die dritte Periode beginnt etwa 1562, als Claude Gouffier, um den 
Verfolgungen der Hugenotten zu entgehen, Oiron verliefs, welches dann 
1568 gänzlich zerftört wurde. In diefe kurze Zeit fallen die letzten Ar- 
beiten, welche fichtlich ein plötzHches Sinken der Technik erkennen laffen. 
Diefe Arbeiten wurden wahrfcheinlich zum Verkauf von Leuten angefertigt, 
welche fich das Material der Werkftätte zu verfchaffen gewufst hatten. 
Diefe letzten Arbeiten find ziemhch flüchtig und roh ausgeführt, die Kannen, 
Krüge, Schüffein, Tafelauffätze und Salzfäffer ohne feinere Rhythmik auf- 
gebaut, die Ornamente ungefchickt vertheilt und ohne Feinheit behandelt, 
die Farben vielfach disharmonifch und unrein. 

Im Ganzen kennt man gegen 50 Stücke von Oiron-Fayence , deren 
Werth neuerdings fo hoch geftiegen ift, dafs vor nicht langer Zeit ein 
Biberon um 27,500 Frcs. für das Kenfington-Mufeum erworben wurde. 
Diefes befitzt überhaupt fechs Exemplare, der Louvre und die Sammlung 
Anthony von Rothfchild je fieben, die übrigen finden fich meift in Privat- 
fammlungen Englands und Frankreichs. 

§ 112. 

Die Fayencen von Nevers. 

DER Kunftliebe eines vornehmen Herrn, des Louis de Gonzaga, eines 
Verwandten der Catharina von Medici, der vom Könige zum Herzog 
von Nivernois ernannt wurde, verdankt die Majolika-Fabrikation von Nevers 
ihren glänzenden Auffchwung. Zwar find die angeblichen Begründer der 
Werkftatt, als welche man die drei Brüder Conrade betrachtete, diefer her- 
vorragenden Stellung neuerdings mit Recht entkleidet worden; dennoch ift 
nicht zu bezweifeln , dafs der Herzog als grofser Kunftfreund bald nach 
1565, dem Jahre feiner Vermählung mit Henriette de Cleves, einer der 
drei Grazien am Hofe Karls IX , italienifche Künftler herbeizog , denen 
man auch die Einführung der Majolika-Technik verdankt. Diefe Italiener 
hielten den Stil ihres Landes feft, und befonders find es die Majoliken von 
Urbino , deren Technik nachgeahmt wurde. Wie dort findet man hier 
in den frühern Arbeiten von Nevers jene beliebten mythologifchen Schil- 
derungen, Tritonen und Nereiden, Amoretten u. f. w., bald aber, wie erft 
franzöfifche Arbeiter herangezogen wurden, erfuhr diefer Stil eine wefent- 
liche Umgeftaltung. Bezeichnend ift befonders die Farbengebung, nament- 
lich das bläuHche Grün, welches diefe Arbeiten von Nevers auszeichnet. 
Sodann ift zu bemerken , dafs die gelben Töne matter find als bei den 

') Vgl. die Literatur zu § 109. 



9 



4IO 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



italienifchen Majoliken, und namentlich der gelbe Ocker nicht fo häufig 
zur Anwendung kommt. Aufserdem ift zu beachten, dafs die Figuren 
meiftens gelb auf blauem Grunde gemalt find und dafs roth nicht vor- 
kommt. Im Uebrigen ift das Colorit bisweilen dem italienifchen überlegen, 
die Zeichnung dagegen bleibt weit hinter der italienifchen zurück. In der 
Dekoration fpielen die Schwäne als Symbole der Familie de Cleves eine 
grofse Rolle ; bisweilen fieht man Amoretten, die auf Schwänen reiten, dann 
wieder ift der blaue Grund mit Schwänen durchzogen. Von dem Reiz der 
Dekorationen und der Anmuth diefer Gefäfse giebt eine Vafe aus dem Mufeum 
von Nevers (Fig. 146) eine Vorftellung. Aufserdem findet man Gefäfse 
diefer Art befonders im Hotel de Cluny und in der Sammlung Fountaine. 



Eine befondere Gattung find die prächtigen Nachbildungen perfifcher 
Gefäfse, die an Schönheit und technifcher Vollendung zu den vorzüglichften 
Leiftungen ihrer Art gehören. Anftatt der figürhchen Darfteilung find 
hier ausfchliefslich die mit dem feinften Naturgefühl behandelten und doch 
zugleich ftilvoll aufgefafsten Blumen der perfifchen Ornamentik in Ver- 
wendung gekommen, die fich von einem tiefen lafurblauen, bisweilen auch 
gelben Grunde weifs oder gelb abheben. (Fig. 147.) Am fchönften wirken 
mit ihrem herrlichen Emailglanz die weifs auf blauem Grunde verzierten 
Vafen. Denfelben Charakter, aber in freier und edler an die italienifche 
Renaiffance gemahnender Formgebung , tragen die glafirten Bodenplatten 
aus dem herzoglichen Palafte, die man im Mufeum zu Nevers fieht, mit 




Fig. 146. Majolica-Vafe von Nevers. 
Mufeum zu Nevers. 



Fig. 147. Perfifche Vafe von Nevers. 
Sammlung E. Pascal. 



§ 1 1 3 ■ Limoliner Email. 



411 



grofsartig gezeichneten, von Vögeln belebten weifsen Ranken auf blauem 
Grunde. (Fig. 148.) 

Neben diefen Richtungen erhält fich ein befonderer Stil , der italie- 
nifche Motive, namenthch mythologifche Darftellungen mit orientalifchen 
Ornamenten vermifcht. Bald darauf dringt der hoUändifche Gefchmack 
und der chinefifch-japanifche Stil in die Dekoration ein und führt zu Ent- 
wickelungen, welche aufserhalb des Rahmens unferer Betrachtung liegen. 

§ 113. 
LiMOSiNER Email. 

Zu den koftbarften Prachtwerken, welche die Gefchicklichkeit des fran- 
zöfifchen Kunftgewerbes gefchaffen hat, gehören nun auch in erfter 
Linie die Schöpfungen der Limofmer Emailmaler.') Das Email macht in 
der Renaiffancezeit ähnliche Entwickelungen durch wie die Glasmalerei. 




Fig. 148. Bodenplatte aus dem Palafte der Herzoge von Nivernois. Mufeum zu Nevers. 

Beide find von Haus aus mufivifche Techniken, die mit kleinen aneinander 
gefetzten farbigen Stücken in mühfamem Zufammenreihen ihre malerifchen 
Wirkungen erzielen. Mit dem Beginn der neuen Zeit dringt auch in diefe 
Kunftgattungen eine neue Bewegung, das Streben nach freierer Behandlung, 
nach höheren rein künftlerifchen Wirkungen. Jede diefer Techniken geht 
darauf aus, freie Kunft zu werden. Bei dem Email gefchieht dies dadurch, 
dafs mit Schmelzfarben auf Schmelzgrund gemalt wird, wodurch das Metall, 
völlig verdeckt, nur noch wie das Holz oder die Leinwand bei der Tafel- 
malerei als Grund zur Verwendung kommt. Keine Frage, dafs diefer Um- 
wandlungsprozefs fich in Uebereinftimmung und wahrfcheinlich fogar unter 
dem Vorgange der Glasmalerei vollzieht. Limoges, welches fchon im 
Mittelalter durch feine Emails fich ausgezeichnet hatte, ift auch jetzt der 

') Vgl. Ardant, Emailleurs Limoufms. Limoges 1858 fF. — M. de Laborde, Notice des 
emaux etc. du muiie du Louvre. Paris 1857 2 Vols. — Darcel, notice des emaux. Paris 
1867. — Mrs. Marc Pattifon, the renaiflance of art in France II p. 171 ff. 



412 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Sitz diefer Kunft, die bald fo weit berühmt wurde, dafs z. B. die reichen 
Nürnberger Familien fich dort ihre koftbaren Tafelgefchirre beftellten, wie 
denn in der Familie Tucher noch jetzt ein folches aus jener Zeit vor- 
handen ift. 

Der Entwickelungsgang nimmt auch hier denfelben Lauf wie bei allen 
übrigen Künflen in der Renaiffancezeit ; er beginnt mit kirchlichen Auf- 
gaben, um bald faft allgemein in den Dienft des profanen Lebens überzu- 
gehen. Im 15, Jahrhundert, in deffen zweiter Hälfte das Limofmer Email 
diefen Umfchwung erfährt, beftehen die Hauptaufgaben in jenen kleinen 
Flügelaltären (Triptychen) , welche in den vornehmen Kreifen als Reife- 
altärchen dienten. Diefe Werke wetteifern an Glanz , Leuchtkraft und 
Farbenpracht mit den berühmten Schöpfungen der flandrifchen Maler- 
fchule; aber es ift hier fogleich zu betonen, dafs die Arbeiten in diefer 
Technik kaum jemals , was nur zu fehr verkannt wird , den hohen Rang 
völlig freier Kunftfchöpfungen behaupten können, dafs vielmehr die Schranken 
des Kunfthandwerklichen fie meiftens gefeffelt halten. Was die Technik 
diefer Arbeiten betrifft, fo grub der Künftler die Umriffe feiner Figuren 
mit der Nadel in die Metallplatte, welche darauf mit einer dünnen Lage 
durchfcheinenden Schmelzes überzogen wurde. Sodann hob man die Um- 
riffe durch eine dunkle Schmelzfarbe hervor, ähnlich wie bei der Glas- 
malerei die Zeichnung durch kräftige Umriffe markirt wurde. Im Charakter 
der ältern Malerei wurden nun die Einzelheiten des Bildes einfach mit 
kräftigen Farben ausgefüllt, ohne Schattengebung, indem die Lichter nur 
durch aufgefetztes Gold zur Wirkung gelangten. Die nackten Theile er- 
hielten einen violetten Ton mit weifs aufgefetzten Lichtern, endlich wurden 
durch kleine Schmelztröpfchen im Geifte der ältern Kunft Edelfteine und 
Perlen auf Gewändern und fonftigen Koftümtheilen angebracht. Diefe 
archaifche Kunftweife, welche hauptfächlich durch die Arbeiten des ältern 
Jean Penicaud, aber auch noch durch diejenigen des jüngern Meifters diefes 
Namens wenigftens im Anfang feiner Laufbahn vertreten werden, laffen 
noch in keiner Weife den Einflufs der italienifchen Kunft ahnen, ftehen 
vielmehr auch im Figürlichen unter der Botmäfsigkeit der nordifchen, 
namentlich der flandrifchen Kunft. Höchftens tritt bei den Einrahmungen 
das Renaiffanceornament der Frühzeit auf. Ein fchönes Beifpiel diefer 
Kunftrichtung ift auf Tafel 40 der Collection Bafilewsky farbig dargeftellt. 

Sobald der neue Stil auch in diefe Werke eindringt, vollzieht fich eine 
Umwandlung nicht blos in der Form, fondern auch in der Technik. Man 
bedeckte nun das Kupfer mit einer dicken Lage von fchwarzem oder doch 
dunklem Schmelzflufs, auf welche man nun mit dick aufgetragener weifser 
Farbe malte, indem man die Uebergänge in den Schattenpartien theils 
durch zarter aufgetragenes Weifs, theils durch Schraffirungen erreichte. 



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Ililili!l;!üi;ililliii;ililill)ilili 



§ 113. Limofiner Email. 



Nur die nackten Theile wurden mit einem Fleifchton angelegt, nicht feiten 
auch goldene Lichter aufgefetzt. Diefe grau in grau gemalten fogenannten 
Grifaillen, die mit den ähnlich behandelten Grifaillen der Glasgemälde in 
nächfter Verwandtfchaft ftehen, find künftlerifch ohne Frage das Reizendfte 
und Vollkommenfte was diefe Technik hervorgebracht hat. Die Wirkung 
wird noch dadurch erhöht, dafs Ornamentbänder mit goldenen Ranken auf 
fchwarzem Grunde, die öfter wieder durch fchmalere weifse Bänder mit 
Goldornamenten begrenzt werden , die Flächen abfchliefsen und gliedern. 

Doch fehlt es auch in diefer Zeit nicht 
an Emails mit voller polychromer Wir- 
kung, welche durch die reiche Abftufung 
der Farben, durch Schatten und Licht 
und die ganze Scala prachtvoller Töne, 
zu denen als höchfter Effekt aufgefetzte 
Goldlichter kommen, einerfeits mit der 
vollentwickelten Glasmalerei der Zeit, 
andrerfeits mit der Oelmalerei der flan- 
drifchen Schule wetteifern. Eins der 
gröfsten Prachtftücke diefer Art ift der 
ovale Schild vom Jahr 1555 in der Apollo- 
galerie des Louvre, bezeichnet mit dem 
Monogramm A. C. In der Mitte die 
Geftalt der Minerva mit Fahne und 
Medufenfchild , ziemhch fteif in ebenfo 
fteif gezeichneter Landfchaft, umgeben 
von einem derben goldenen Cartouchen- 
rahmen mit Edelfbeinen, der durch eine 
abfcheulich häfsliche Maske und männ- 
liche und weibliche Hermen belebt wird, 
aufserdem prachtvoll gemalte Blumen- 
und Fruchtgewinde zeigt. Die tech- 
nilche Behandlung ift freilich von gröfster 
Meifterfchaft. 

Mit diefer technifchen Umgeftaltung geht eine Umwandlung nach Form 
und Inhalt Hand in Hand. Das Email tritt faft ausfchliefslich in den Dienft 
des profanen Lebens, indem es hauptfächHch dazu beftimmt wird, deffen 
Gefäfse und Geräthe mit dem Zauber feiner Farben und Formen zu 
fchmücken. Schilde, Schüffein, Schalen, Kannen, Leuchter und dergl. find 
fortan die Hauptaufgaben diefer glänzenden Kunft, die bei manchem diefer 
Gefäfse, wie Schüffein, Tellern u. f w., die äufsere und innere Seite völlig 
zu dekoriren hat. Aufserdem werden Platten mit Emailgemälden zur Aus- 




Fig. 149. Emailkanne von Limoges. 
Kensington-Muleum. 



414 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



fchmückung von kleinen Käftchen, Koffern, Tifchen u. f. w. verwendet. 
Mit richtigem Stilgefühl bildet man die Gefäfse in grofsen ruhigen Flächen 
mit geringer plaflifcher Gliederung, um der Malerei möglichft viel Spiel- 
raum zu geftatten. (Fig. 149.) Es tritt hier alfo dasfelbe Gefetz in Kraft, 
welches auch bei den antiken gemalten Vafen beobachtet wird. Dafs fodann 
der Metallftil eine feine Ausarbeitung und Zufpitzung gewiffer Einzelheiten 
mit fich führt, wie der Henkel und der Ausgüffe, ift felbftverftändlich. Auf 
die fo gewonnenen Flächen breitet nun der Emailmaler feine Gemälde aus, 
indem er die Hauptcompofitionen mit ornamentalen Einfaffungen abwechfeln 
läfst. Was die figürlichen Darftellungen betrifft, fo verbreiten fie fich über 
das gefammte Gebiet der claffifchen Mythologie und Gefchichte, aber auch 
der biblifchen Scenen des alten und neuen Teftaments. Als Anhaltspunkte 
dienten zuerft die Compofitionen Dürers und der deutfchen Kleinmeifter ; 
bald aber werden diefe durch die Italiener verdrängt und nicht blofs 




Fig. 150. Rand einer Email-Schale von Pierre Reymond. 1569. Louvre. 



Raphaels Schöpfungen kommen zur Verwendung, fondern auch die Meifter 
von Fontainebleau, Roffo und Primaticcio, liefern Entwürfe für die Email- 
maler. Weiterhin kamen auch die Compofitionen von Du Cerceau, de Bry, 
Virgil Solis u. f w. zur Verwendung. In einzelnen Fällen arbeiten aber 
auch Künftler wie Leonard Limofin nach eigenen Entwürfen. 

Alle Schriftfteller, welche über diefe Werke gehandelt haben, bewegen 
fich ausfchliefslich in Schilderungen der figürlichen Compofitionen , als ob 
diefen Arbeiten die Bedeutung felbftändiger Kunftwerke gebühre. Wir 
haben fchon hervorgehoben, dafs davon nur ausnahmsweife die Rede fein 
kann; dagegen wird die Hauptfache, der dekorative Charakter, von allen 
jenen Autoren so gut wie mit Stillfchweigen übergangen. Und doch beruht 
gerade auf diefem Punkte der eigentliche Reiz und Werth folcher Werke. 
Die Mannigfaltigkeit in der Verwendung der dekorativen Elemente ift aufser- 
-ordenthch grofs. Bei den Kannen z. B. find es Laubkränze , zierliche 



§ L i^. Limöfiaser Emaü, 



Blumengewinde, Blätterreihen, antike Eierftäbe oder Flechtbänder, welche 
die einzelnen Glieder, den Fufs und den Hals, fowie die trennenden Bänder 
fchmücken. Aehnliche Ornamentik weifen die Salzfaffer, Leuchter u. dgl. 
auf. Den höchften Reiz aber zeigen die Schüffein, Schalen und Schilde. 
Hier wird die Hauptfiäche im Innern einer figürlichen Compofition vor- 




Fig. 151. Theil einer SchüU'el von Pierre Reyraond. Sammlung Bafilewsky. 



behalten. Den Rand aber umzieht ein Fries, der auf fchwarzem Grunde 
die mannigfaltigften Erfindungen der fröhlichen Renaiffancekunft vereinigt: 
Rankengewinde, die einerfeits in Akanthusblätter , andrerfeits in Genien, 
Thierfiguren und Masken auslaufen. (Fig. 150.) Das Cartouchenwerk ift 
bei den früheften und fchönfben diefer Arbeiten nur fparfam angewendet, 
etwa für die Infchrifttafeln. Den Uebergang von diefem Rande zur ver- 



4i6 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



tieften innern Fläche bildet ftets ein fchmaler Fries mit herrlichen Ranken- 
ornamenten in Gold auf fchwarzem Grunde. In vielen Fällen wird bei den 
runden Tellern oder Schüffein die Mitte für ein Portrait ausgefpart, mit 
fchmalem weifsem goldverziertem Rahmen , um welchen fich wieder ein 
breiterer fchwarzer Fries mit Goldornamenten legt, feinerfeits von der übrigen 
Fläche durch einen fchmalern weifsen Rahmen mit Goldfchmuck getrennt. So 
auf einer herrlichen Schüffei von Pierre Reymond vom Jahre 155^ 
Sammlung Bafilewsky zu Paris (Fig. 151). Damit ift indefs das Gebiet diefer 
Ornamentik bei weitem noch nicht erfchöpft, vielmehr wird alles was die 
Renaiffance erfunden hat herbeigezogen, um diefen Werken den höchften 
dekorativen Reichthum zu verfchafifen. Dahin gehören namentlich jene 
feltfamen Fabelwefen, in denen manchmal fchon die Phantafie eines HöUen- 
brueghel zu fpuken fcheint. So mit ungewöhnlichem Reiz lebenfprühender 
Phantafie auf einer ovalen Schüffei von Jean Courtois im Befitz des Fürften 
Liechtenflein zu Wien, fo ferner auf einer trefflichen runden Schale von 
Pierre Reymond aus dem Jahre 1558 und auf einem prächtigen Teller des- 
felben Künftlers in der Apollogalerie des Louvre. In allen diefen Fällen, 
mag die Darfteilung der Hauptbilder polychrom oder Grifaille fein, wirkt 
der Wechfel mit den Goldornamenten auf fchwarzem Grund und den zier- 
lichen Ornamenten auf weifsem Grund aufserordentlich reizvoll und beweift 
wie diefe Künftler mit hoher Sicherheit die Totalwirkung zu beherrfchen 
wufsten. Als letztes aber keineswegs fchönftes diefer dekorativen Elemente 
ift das Cartouchenwerk zu bezeichnen, das um die Mitte des Jahrhunderts 
aufkommt. Wo es indefs fich mit Figürlichem, mit Masken, Hermen u. dgl., 
mit Laubfchnüren und Fruchtgewinden glücklich zu verbinden weifs, da 
wird oft ein hoher dekorativer Reiz erzielt. So auf der Rückfeite einer 
ovalen Schüffei von Pierre. Courtoys vom Jahre 1558 im National-Mufeum 
zu München, welche Herkules im Kampf mit dem nemeifchen Löwen in 
reichem Cartouchenrahmen darftellt (Figur 152), während auf der innern 
Seite Sufanne im Bade zu fehen ift. Ueberhaupt wird das Cartouchenwerk 
in richtigem Stilgefühl mehr für die Aufsenfeite verwendet; fo auf der 
oben erwähnten Schüffei von Jean Courtoys beim Fürften Liechtenftein, 
wo die Innenfeite eine figurenreiche Darfteilung des Mofes mit der ehernen 
Schlange enthält. Dasfelbe ift der Fall mit einer prachtvollen runden 
Schüffei von Piei^re Reymond in der Apollogalerie des Louvre, aus dem 
Jahre 1569, deren innere Seite Scenen aus dem alten Teftament enthält. 

Es kann hier nicht unfere Abficht fein, mehr als eine blofse Skizze 
zu geben, doch mögen die Hauptmeifter Erwähnung finden. Neben den 
fchon genannten Künftlern aus der Familie Penicaud, von denen der ältere 
zum Theil noch dem 15. Jahrhundert angehört, ift als einer der bedeu- 
tendften der fchon mehrfach erwähnte Pierre Reymond anzuführen, der von 



§ II 5. Limofiner Email. 



417 



1534 bis 1582 ununterbrochen thätig war. Man hat von ihm Werke fehr 
verfchiedenen Werthes, und zwar aus den verfchiedenen Epochen feines 
Lebens, woraus deutlich hervorgeht, dafs er mit Hilfe einer zahlreichen 
Werkfbatt arbeitete, deren Leiftungen felbftverftändlich von verfchiedenem 
Werthe waren. Sein Name war fo berühmt, dafs er felbft aus Deutfchland, 
namentlich aus Nürnberg Aufträge erhielt, wie denn das oben erwähnte 
Service der Familie Tucher noch jetzt am urfprünglichen Ort fich erhalten 
hat. Dafs er auch in feiner Heimath hochgefchätzt war, fehen wir aus dem 
Umflande, dafs er 1567 zum Rathsherrn erwählt wurde. 




Fig. 152. Rückfeite einer Schale von Pierre Courtois. München. 



Noch gröfsere Bedeutung und im Ganzen vielleicht höheren künfllerifchen 
Werth hat Leonard Limo/in^ der allgemein als der vorzüglichfle unter diefen 
Meiftern gilt, obwohl wir auch bei feinen bezeichneten Arbeiten die Mit- 
wirkung geringerer Gehilfen wahrnehmen. Sein frühefhes bezeichnetes 
Werk, Scenen aus der Paffion nach Dürer, datirt von 1532. Im Jahre 
1535 malte er auf einer Platte grau in grau eine Compofition nach Rafaels 
Pfyche-Bildern, die fich wie die heften feiner Werke durch den köftlichen 
Schmelz der Töne , namentlich des Weifs auszeichnet. Auch von den 
Goldornamenten weifs er den zarteften Gebrauch zu machen. Gelegentlich 
finden wir auch Tafeln von ihm mit Bildniffen berühmter Zeitgenoffen , fo 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 27 



4i8 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



das Portrait des Anne von Montmorency vom Jahre 1536 in der Apollo- 
galerie des Louvre, von aufserordentlicher Zartheit eines kühlen Colorits, 
das durch den tiefblauen Schmelzgrund noch wirkfamer wird. Die Um- 
rahmung befteht aus einem Volutenwerk mit Akanthusblättern , dies Alles 
in Gold, während die Füllungen auf fchwarzem Grund grau in grau gemalte 
Masken, fowie zwei prächtig gezeichnete männliche und weibliche Satyrn 
mit fpielenden Genien enthalten. Diefe Figuren verrathen durch ihre effekt- 
volle Muskulatur und ihre kühnen Bewegungen einen fehr frühen Einflufs 
der Kunft Michelangelos. Ueberhaupt fehen wir den Meifter bald von 
deutfchen Vorbildern zu italienifchen übergehen. Auch Leonard Limofm 
zeichnet fich durch eine aufserordentliche Fruchtbarkeit aus, wie denn fein 
Ruhm immer höher ftieg und er fich 1551 als »varlet de chambre« des 
Königs bezeichnen konnte. Heinrich II und Catharina von Medici be- 
trauten ihn daher auch mit zahlreichen Aufträgen. In feiner Vaterftadt 
wurde er 1571 zum Rathsherrn ernannt. Im Jahre 1574 vollendete er 
die Portraits Heinrichs III als Jupiter und der Catharina von Medici als 
Venus. Diefs fmd die letzten Werke, welche feinen Namen tragen; 1577 
wird er als verftorben bezeichnet. Von feinen wichtigften Werken nennen 
wir noch eine Schale mit dem Kampf der Kentauren und Lapithen vom 
Jahre 1536 in der Sammlung James Rothfchild, ein Triptychon mit der 
Anbetung der Könige vom Jahre 1544 in der Sammlung Alphons Roth- 
fchild, dann die ungewöhnlich grofsen zwölf Tafeln mit den Bildern der 
Apoftel in der Peterskirche zu Chartres, faft 2 Fufs hoch, von 1545 bis 
1 547 im Auftrage Franz' I nach den Entwürfen des Malers Michel Rochetel 
ausgeführt. Vom Jahre 1553 datiren die im Auftrage Heinrichs II für die 
Ste. Chapelle ausgeführten Bilder der Kreuzigung und der Auferftehung 
Chrifti, jetzt im Louvre. 

Von den übrigen Meiftern, die um diefelbe Zeit wirkten, nennen wir 
Jean Court, ferner Jean Courtois, fowie die jüngeren Mitglieder der Familie 
Limofm, Leonard II, Jean und Jofeph^ ebenfo die jüngeren Mitglieder der 
Familie Courtois, Martial, Antoine und Pierre. Auch eine Künftlerin Sufanne 
de Court ift zu erwähnen. Tüchtige Arbeiten lieferte auch ein Meifter, der 
fich M, D. Pape bezeichnet, und endlich verdient Nicolaus Nouailher (oder 
Noylier) Erwähnung. 

§ 114. 
Glasmalerei. 

AN der glänzenden Entwicklung der Kunftgewerbe nimmt nun auch in 
einer für Frankreich höchft bezeichnenden Weife die Glasmalerei Theil. 
Hatte diefe prächtige Kunft dort im 13. Jahrhundert bereits den höchften 
Auffchwung genommen und fich an der reichen Entfaltung der gefammten 



§ 114. Glasmalerei. 



419 



kirchlichen Kunft betheiligt, fo follte fie jetzt eine neue Blüthe erleben, in 
welcher fich ein abermaliger Auffchwung des kirchlichen Lebens zu erkennen 
giebt. Es lag in den allgemeinen Kulturverhältniffen des Landes, dafs die 
Renaiffance, obgleich in erfter Linie wie überall Profankunft, in Frankreich 
dennoch auch den kirchlichen Bedürfniffen reiche Anregung verdankte. 
Wir erkennen daraus wieder die orthodoxe Devotion des Landes, das fich 
den mächtigen Strömungen der Reformation verfperrte und diefelben fchliefs- 
lich in Blut erftickte. So erlebt der Kirchenbau noch einmal eine Nach- 
blüthe, die wir oben kennen gelernt haben, und fämmthche dekorirende 
Künfte, darunter vor allem die Glasmalerei, nehmen an diefem Auffchwunge 
Theil. Hier tritt nun der fchärffte Gegenfatz gegen die Schweiz zu Tage, 
wo ebenfalls damals die Glasmalerei fich zur höchften Blüthe auffchwang, 
denn dort ging diefe fchöne Kunft als Cabinetmalerei in den Dienft des 
Privatlebens über, während fie in Frankreich dem kirchlichen Charakter 
treu blieb. Allein obwohl im Dienfte der Kirche ftehend, vermochte fie 
fich der künftlerifchen Strömung der Zeit nicht zu entziehen, und fo 
gewinnt fie nicht blofs als freie Malerei die höchfte künftlerifche Wirkung, 
fondern giebt fich in formeller Hinficht gänzHch in die Botmäfsigkeit der 
italienifchen Kunft, wie fie zugleich in den architektonifchen Einfaffungen 
die eleganten Formen der Renaiffance verwendet. Trotz fo vieler Zer- 
jftörung^n find noch jetzt überall im Lande fo zahlreiche Werke erhalten, 
dafs Frankreich fich an Fülle der Denkmäler mit der Schweiz meffen kann. 
Eine eingehende Gefchichte diefer fpätern Glasmalerei, welche von den 
Archäologen der ftrengen Obfervanz natürlich verachtet wird, ift noch zu 
fchreiben. Wir haben hier uns auf kurze Andeutungen zu befchränken. 

Unter den berühmteften Glasmalern diefer Epoche eröffnet Robert 
Pinaigrier den Reigen. Er fcheint gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts 
geboren zu fein, malte 1527 und 1530 mehrere Fenfter in St. Hilaire zu 
•Chartres, die ihm wie es fcheint folchen Ruf verfchafften, dafs er eine ganze 
Reihe ähnlicher Aufträge für die Kirchen zu Paris erhielt. In der fpätern 
Zeit feines Lebens finden wir ihn in Tours , wo auch feine Söhne Nicolas, 
Louis und jfean lebten. Nicolas malte noch im Anfang des ly. Jahr- 
hunderts in St. Etienne du Mont zu Paris ein Fenfler mit der Darftellung 
der myftifchen Weinkelter. Von Robert ftammen namentlich die Chorfenfter 
in St. Gervais mit dem Leben der Maria, von grofsem dekorativen und 
coloriftifchen Reiz. 

Zu den frühern Meiftern gehört fodann Nicolas le Pol, den wir in den 
Glasgemälden der Schlofskapelle von Ecouen kennen lernen. Auch fein 
Bruder jfean le Pol war nicht blofs Bildhauer, fondern ebenfalls Glasmaler. 
Sodann ift als ein vorzüglicher Meifter Enguerrand le Prince hervorzuheben, 
^ier 1530 ftarb und deffen Söhne Jean und Nicolas gleichfalls als tüchtige 

27* 



420 



Kap. X, Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Meifter gelten. Von Jean befitzt die Kirche zu Triel (Dep. Seine et Oife, 
Arr. Verfailles) fieben prachtvolle Glasgemälde von 1554 und 1557. 

Eine ganz hervorragende Stellung endlich gebührt Jemi Coufin, einem 
der bedeutendften franzöfifchen Künftler der Zeit. Um 1501 in Soucy bei 
Sens geboren, 1589 geftorben — er felbft nennt fich Semonenfis — war 
er einer jener Künftler der Renaiffance, welche in univerfellfter Weife das 
gefammte Kunftgebiet umfafsten und zugleich die Kunftlehre mit wiffen- 
fchaftlicher Vertiefung zu fördern fuchten. Wie Michelangelo und Lionardo 
war er als Maler und Bildhauer thätig; zugleich aber zeichnete er fich als 
Glasmaler und Kupferftecher aus, und wenn er auch fchwerlich felbft Form- 
fchneider war, fo hat er doch zahlreiche Zeichnungen für den Holzfchnitt 
angefertigt. Von feinen wiffenfchaftlichen Beftrebungen zeugt fein Livre de 
perfpective, fowie fein Livre de pourtraicture von 1571. Ohne Zweifel hat 
Coufm feine Studien in Italien und zwar in Rom gemacht, denn die Typen 
feiner Geftalten find die der römifchen Schule, und im bewegten Charakter 
feiner Compofitionen und der Vorliebe für kühne Verkürzungen erkennt 
man den Nachahmer Michelangelos. Das Gemälde des jüngften Gerichts 
im Louvre, ehemals in der Minoritenkirche bei Vincennes , zeigt eine 
miniaturartig ausgeführte Maffe von kleinen Figuren in bewegten Gruppen, 
warm und klar im Ton und goldig in der Carnation, im Ganzen jedoch 
von keiner hervortretenden Originalität. Als Bildhauer ift er durch die 
edle Grabftatue des Admirals Chabot fehr beachtenswerth. Allein feinen 
Hauptruhm verdankt er doch den von ihm ausgeführten Glasgemälden. In 
diefer Kunft fcheinen die beiden Meifter Jacques Hympe und Taffin Graffoty 
von welchen die füdlichen Portalfenfter der Cathedrale von Sens herrühren, 
ihn unterrichtet zu haben. Er felbft arbeitete dann ebendort um 1530 die 
Fenfter mit der Legende des heiligen Eutropius, fodann 1 5 5 1 in St. Gervais 
zu Paris das Martyrium des heiligen Lorenz, die Königin von Saba, den 
Gichtbrüchigen und die Samariterin am Brunnen. Um 1542 hatte er im 
Wetteifer mit Nicolas le Pot die Fenfter in der Schlofskapelle zu Ecouen 
ausgeführt. Zu feinen Hauptwerken endlich gehören die fünf Fenfter in 
der Schlofskapelle zu Vincennes, (vgl. Fig. 153), in welchen der Glanz 
der Renaiffancedekoration befonders klar zur Geltung kommt. Die Vifionen 
der Apocalypfe find hier mit aufserordentlicher Lebendigkeit dargeftellt. 

Sehr fchön im heften Geifte der Renaiffance find die Einfaffungen der 
Bilder, die meift in zwei Abtheilungen übereinander angeordnet find, unten 
mit einfacheren Bögen auf dorifchen Pilaftern, oben mit reicheren in ionifcher 
Ordnung durchgeführt, in den Bogenzwickeln, den prachtvoll gefchmückten 
Friefen und dem reichen Confolengefims des Gebälks und des Giebels, den 
das gothifche Maafswerk feltfam genug durchfchneidet, die üppige Fülle 
der entwickelten Renaiffancekunft darbietend. 



Kap. X. Glasmüerei. 



421 




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Glasgeniälde in der Schlofskapelle zu Vinceiines. 
(Sadoux-Paluftre.) 



Von den trotz aller Zerftörung 
immer noch zahlreich erhaltenen 
Glasgemälden diefer Epoche nennen 
wir in Paris diejenigen in St. 
Severin, St. Germain l'Auxerroi, 
St. Merry, St. Gervais, St. Medard, 
St. Euftache, St. Etienne du Mont. 
In St. Martin zu Montmorency 
fieht man zwei Glasgemälde von 
1524, in St. Michel für Orge fmd 
vier Glasfenfter wahrfcheinlich von 
Robert Pinaigrier erhalten. Zu 
den bedeutendften Cyklen gehören 
die fieben prächtigen Fenfter in 
der Kirche zu T r i e 1 (Seine et Oife), 
1554 bis 1557 von Jean le Pri7ice 
ausgeführt, Chrifti Einzug in Jeru- 
falem, feine Fufswafchung durch 
Magdalena, der Tod der hl. Jung- 
frau, legendarifche Scenen, S. Se- 
baftians Martyrium, die hl. Rochus, 
Martinus u. A., fowie die Wurzel 
Jeffe, lebensvoll bewegte, meifl 
figurenreiche Scenen. 

Namentlich aber die grofs- 
artige Reihenfolge von 37 Fenftern 
in der Kirche von Monfort 
l'Amaury (Seine et Oife) aus 
den Jahren 1544 bis 1578: — 
Darftellungen aus dem Leben und 
Leiden Chrifti, dem Leben Mariä, 
Legenden, Apoftelgefchichte, grofs- 
entheils von hohem Werth, zugleich 
mehrfach mit prächtigen architek- 
tonifchen Gründen und reichen Re- 
nal ffancehallen, die bisweilen noch 
die frühen, meiftens aber die aus- 
gebildeten Formen des Stils ver- 
rathen. Treffliche Glasgemälde fo- 
dann in S. Etienne zu Beauvais, 



vorzüglich darunter die Apokalypfe und die Wurzel Jeffe. 



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422 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Auch die Normandie ift, namentlich in ihren öfthchen Theilen, noch 
immer reich an Werken diefer Art. Wir nennen in Ronen die Cathedrale, 
St. Vincent, St. Patrice, St. Godard, fodann in Elboeuf St. Etienne und 
St. Jean, endhch in der Kirche zu Gifors die fchönen, ganz unter dem 
Einflufs rafaehfcher Kunft flehenden Glasgemälde, befonders das herrliche 
Fenfter mit Scenen aus dem Leben der Maria. 

Unter diefen fpäten Meifterwerken der Glasmalerei nehmen nun auch 
diejenigen in der Kirche von Brou einen hohen Rang ein.') Vollendete 
Meifterfchaft in Compofition, Zeichnung und malerifcher Durchführung ver- 
bindet fich mit einem überaus feinen dekorativen Sinn für Anordnung, 
Farbenvertheilung und ornamentale Durchbildung. In letzterer Hinficht 
ftellt fich fofort heraus, dafs die entv^erfenden Künftler der Gothik faft 
völlig entwachfen find und diefelbe nur hier und da in zierHchen Krabben 
und durchbrochenen Zackenbögen zu Worte kommen laffen, während die 
Hauptformen, namentlich die Baldachinarchitektur, die den Geftalten als 
Einfaffung dient, die Formen einer eleganten Frührenaiffance verrathen. 
Die Schönheit und Frifche der Farben, der Reichthum der Stoße, nament- 
lich der prächtigen Koftüme mit ihrem Schmuck , fteigern den wahrhaft 
bezaubernden Eindruck diefer köftlichen Werke. Im Chor find die fünf 
prachtvollen, 1 3 Meter hohen zweitheiHgen Fenfter noch völlig erhalten. Ihre 
bedeutende Höhe wird durch eine Galerie getheilt. Das mittlere Fenfter 
zeigt in der unteren Abtheilung den Heiland, der nach feiner Auferftehung 
feiner Mutter erfcheint. In der oberen Hälfte fieht man abermals den Auf- 
erftandenen als Gärtner der Magdalena erfcheinend, die ihm zu Füfsen 
finkt, während ihre beiden Begleiterinnen den Hintergrund füllen. In dem 
Fenfter zur Linken (nördlich) kniet unten Philibert der Schöne vor einem 
Betpult, von feinem hinter ihm ftehenden Patron empfohlen, während zur 
Rechten (füdHch) feine Gemahhn in derfelben Stellung von ihrer Befchützerin, 
der heiligen Margaretha, begleitet ift. Diefe Darftellungen, die an die her- 
gebrachte Form der Altarbilder anknüpfen, zeichnen fich durch befondere 
Farbenpracht aus. Ueber ihnen erheben fich auf himmelblauem Grunde 
prächtige hellfchimmernde Baldachine in Renaiffanceform , mit Goldorna- 
menten reich gefchmückt. Die knieenden Genien mit Guirlanden, fowie 
die unter den fürftlichen Figuren als Abfchlufs angebrachten wappen- 
haltenden Engel gehören ebenfalls dem neuen Stile. Von diefen Engeln 
halten zwei eine Tafel, von denen die eine das Todesdatum Philiberts zeigt, 
während die andere leer geblieben ift: ein Beweis, dafs diefe Theile vor 
dem Tode der Erzherzogin bereits vollendet waren. 

Noch prachtvoller wird die Gefammtwirkung diefer glänzenden Fenfter 
dadurch, dafs die obere Hälfte ganz mit den Wappen des fürftlichen Paares, 
Abbildungen in Dupasquier's Monographie über die Kirche von Brou. 



§ 114- Glasmalerei. 



423 



mit denen feiner Vorfahren und der ihnen zugehörigen Länder, Herrfchaften 
und Städte ausgefüllt ift. Diefe durch die reichen Farbentöne, durch Gold 
und Silber ftrahlenden Darftellungen haben allerdings mehr ein hiftorifches 
als künftlerifches Intereffe; aber fie dürfen doch als Mufber für derartige 
heraldifche Aufgaben bezeichnet werden. Da die beiden anderen Seiten- 
fenfter in ähnlicher Weife gefchmückt find, fo ficht man, wie fehr bereits, 
als Ausdruck der neuen Zeit, das Religiöfe hinter dem Perfönlichen zurück- 
tritt, und wie trotz aller Frömmigkeit doch weltliche Ruhmbegier immer 
mehr Einflufs auf die Geftaltung auch der kirchlichen Aufgaben gewinnt. 

Ungleich höhere Bedeutung hat daher das Hauptfenfter der Marien- 
kapelle. Fünftheilig, in einer Gefammtbreite von etwa zehn Fufs, ift es 
durch eine grofsartige Darfteilung der Himmelfahrt der Jungfrau ausgefüllt. 
In der Mitte fchwebt die weihevolle Geftalt der Verklärten empor, demuth- 
voll das Haupt fenkend und die Arme über die Bruft kreuzend, während 
Gottvater und Chriftus , zu beiden Seiten thronend , ihr gemeinfam die 
Himmelskrone aufs Haupt fetzen. Die ganze Darftellung athmet die fchUchte 
Würde der älteren flandrifchen Kunft. Unten umgeben theils knieend, 
theils ftehend die Apoftel mit Zeichen des Staunens und der Andacht das 
offene Grab. Ganz vorn dagegen kniet in allem Glanz fürftlicher Erfcheinung 
das Stifterpaar, von den hinter ihm ftehenden Schutzpatronen empfohlen. 
Die Kunft hat auf diefe Gruppe wieder ihren vollen ornamentalen Zauber 
verwendet. Eine elegante Architektur von Renaiffancefäulen bildet die 
Einfaffung. 

Ueber diefer reichen Scene ift nun merkwürdiger Weife ein Fries 
angeordnet, der in kleinen, trefflich durchgeführten Figürchen den Triumph- 
zug Chrifti darfteilt. In der Mitte ficht man den Welterlöfer auf einem 
von den vier Evangeliftenzeichen gezogenen und von den vier Kirchen- 
vätern geleiteten Wagen triumphirend einherziehen; vor dem Wagen das 
Alte, hinter ihm das Neue Teftament in feinen Haupt Vertretern. Bei erfterem 
beginnen Adam und Eva den Zug, gefolgt von Patriarchen und Propheten 
und der Mutter der Makkabäer mit ihren fieben Söhnen ; bei letzterem find 
es die Apoftel, Märtyrer und andere Heilige, unter welchen die Riefen- 
geftalt des Chriftophorus mit dem Jefuskind auf der Schulter hervorragt. 
Die Bekrönung des Fenfters bilden, ganz im Sinne der Renaiffance, Blumen- 
vafen, Laubgewinde und Delphine; fodann find die Oeffnungen der Maafs- 
werke ganz mit anbetenden, mufizirenden und jubilirenden Engeln angefüllt, 
wobei die gefchickte Benutzung des Raumes Bewunderung verdient. 

In der benachbarten Gorrevod-Kapelle finden wir ebenfalls ein wohl- 
erhaltenes Fenfler, das durch eine Darfteilung Chrifti, der nach der Auf- 
erftehung dem zweifelnden Thomas erfcheint, gefchmückt ift. Daneben 
knieen Lorenz von Gorrevod und feine zweite Gemahlin, Claudine de Rivoire, 



424 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



von ihren Schutzheiligen empfohlen. Darunter fieht man beider Wappen- 
fchild, oben aber, in der Krönung des Fenfters, die Wappen Philiberts und 
Margarethens. Alle diefe Wappen find wie diejenigen im Chor in grüne 
Laubkränze eingefafst, deren Wiederkehr den Farbenaccord zu feiner Har- 
monie zufammenftimmt. Die ungemein reiche Architektur, welche in Nifchen 
und Baldachinen diefe Darflellungen einrahmt, ift ein üppiges Gemifch 
gothifcher und Renaiffanceformen, übermüthiger und fpielender als an den 
übrigen Fenftern. In den Oefifnungen der Mafswerke fieht man wieder 
zahlreiche anbetende Engel in anmuthiger Mannigfaltigkeit der Geberden 
und Stellungen. 

Noch zwei fchöne und im ganzen wohlerhaltene gemalte Fenfter finden 
wir an der Südfeite der Kirche. Das erfte gehört der Kapelle der fieben 
Schmerzen an, welche der Abt de Montecut, Almofenier der Prinzeffin, mit 
ihrer Genehmigung 1516 für fich ftiftete. Man fieht Chriftus beim Nacht- 
mahl zu Emaus mit den beiden Jüngern fitzen und das Brod brechen. 
Unten kniet der fromme Stifter im Gebet, vom heiligen Antonius empfohlen. 
Der obere Theil des Fenfters ift mit Scenen aus der Gefchichte Jofephs 
gefchmückt; man fieht in kleinen Darftellungen, wie er von feinen Brüdern 
verrathen wird , dann Pharao feine Träume auslegt und von diefem mit 
Ehren überhäuft und von feinen Brüdern erkannt wird. Die Mafswerk- 
öfifnungen find auch hier mit fingenden und mufizirenden Engeln gefüllt. 

Das letzte Fenfter endlich im füdlichen Kreuzarme ift der Gefchichte 
der keufchen Sufanna gewidmet. In der oberen Abtheilung erfcheint fie 
als Angeklagte vor dem Richter; in der unteren bringt der weife Daniel 
ihre Unfchuld an den Tag und fällt über die beiden verbrecherifchen 
Alten das Verdammungsurtheil. Kompofition und Ausführung find hier 
einfacher, aber in demfelben Geifte und Stilgefühl wie die übrigen Fenfter 
behandelt. 

Das entfprechende Glasgemälde im nördlichen Querarm ift durch einen 
Hagelfchlag zu Grunde gegangen; ebenfo ift das öfl;liche Halbfenfter der 
Marienkapelle feines ehemaligen Schmuckes beraubt. Immerhin bieten aber 
die noch vorhandenen und wohlerhaltenen Theile diefer reichen Dekoration 
vorzügHche Beifpiele jener hochentwickelten Art der Glasmalerei. 

§ IIS- 

Bucheinbände. 

WIE wir in den Bücherilluftrationen die erften Spuren der beginnenden 
Renaiffance in Frankreich gefunden haben (§ 5) , fo mögen einige 
Bemerkungen über die äufsere Ausftattung der Bücher, den Bucheinband, 
den Kreis unferer Betrachtungen fchliefsen. Ift doch auf diefem Gebiet 
Frankreich von ganz hervorragender Bedeutung, fo dafs feine vorzüglichen 



426 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



Arbeiten des i6. Jahrhunderts grade heut bei der ftillofen Verwilderung 
des Büchereinbands als muftergiltig bezeichnet werden müffen.^) 

Bekanntlich war fchon im frühen Mittelalter für die prachtvollen mit 
Miniaturen reich gefchmückten gefchriebenen Bücher, wie die Kirche fie 
als Evangeliarien, Antiphonarien u. dgl. gebrauchte, ein kofbbarer Einband 
unerläfsHch. Gefchnitzte Elfenbeintafeln, in Silber oder Gold gefafst, oder 
auch getriebene Platten von vergoldetem Silber mit Perlen und Edelfteinen 
gefchmückt, bildeten die Deckel diefer meift im Folioformat angelegten 
Pergamenthandfchriften. In der Epoche der Gothik tritt bereits der Leder- 
einband auf Holzplatten an die Stelle jener Prachtftoffe und erhält häufig 
durch eingefchnittene Ornamente, durch gepunzte Mufter und eingeprefste 
Figuren künftlerifche Belebung. Ein Hauptmittel der Ornamentik waren 
die durch metallene Rollen ausgeführten dekorativen Friefe, Leiften und 
Streifen. Metallene Eckbefchläge und Krampen vollendeten den kraftvollen 
Eindruck diefer monumentalen Werke. 

Zur höchften künftlerifchen Entwicklung gelangt der Bucheinband aber 
erft in der Zeit der Renaiffance. Neben Bauten und Bildern waren Bücher 
der Ehrgeiz jener grofsen geiftig regfamen Epoche; koftbare Ausgaben in 
künftlerifch vollendeten Einbänden zu befitzen, war das wetteifernde Streben 
in allen gebildeten Kreifen. Die Bibliotheken der Medicäer und der Päpfte, 
namentlich Nicolaus V, fowie der hervorragenden Herrfcher, wie des Herzogs 
von Urbino, fodann auch die berühmte Sammlung des Königs Mathias 
Corvinus von Ungarn, zeichneten fich nicht blofs durch den Inhalt, fondern 
auch durch die äufsere Erfcheinung aus. Der bedeutende venetianifche 
Buchdrucker Aldus liefs, wahrfcheinlich durch orientalifche Arbeiter, die 
von jeher in der Behandlung des Leders ausgezeichnet gewefen waren, die 
Einbände feiner Bücher herftellen, und fo entftand der eigenartige maurifche 
Charakter der Ornamentik, welcher fortan das Gepräge der Renaiffance- 
einbände beftimmt. Denn von Italien verpflanzt fich diefe Behandlung als- 
bald nach Frankreich, wo fie eine befonders feine Ausbildung erfährt. 

Bezeichnend ifl zunächft, dafs die Literatur bewegHcher wird, und dafs 
im Ganzen die grofsen und fchweren mittelalterlichen Formate, abgefehen 
von mancherlei Ausnahmen für kirchliche oder wiffenfchaftliche Bücher, 



») Vgl. d. Catalogue illuftre v. Firmin Didot. Paris 1878. J. et L. Techener, hiftoire 
de la bibliophilie Paris 1861 flF. Fol. Libri, raonuments in^dits, faifant partie du Cabinet 
de G. Libri. Londres 1862. Fol. Les arts du bois, des üffus et du papier. Paris 1883. 
Zaehnsdorf, the art of bookbinding London 1880. M. Michel, la reliure Francaife Paris 1880. 
Stockbauer, Muftereinbände aus der Blüthezeit der Buchbindekunft. Leipzig. Sodann die 
gehaltvolle Schrift von R. Steche, Zur Gefchichte des Bucheinbandes, Leipzig 1878, und 
F. Luthmer, Bucheinbände der Renaiffance im Kunftgewerbeblatt der Zeitfchrift für bildende 
Kunft 1885. 



5 



§ 115. Bucheinbände. 



427 




Fig. 155. Bucheinhand für den Grafen von Mannsfeld. (Sammhiug Didot.) 



aufhören. An ihre Stellen treten die kleineren und leichteren Formate, 
durch welche eine allgemeinere Zugänglichkeit und Handlichkeit der Bücher 
bedingt wird. So fchwindet denn auch die fchwere Holzdecke des Mittel- 



■428 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



alters mit ihren metallenen Eckbefchlägen, Krampen und Spangen, und an 
ihre Stelle tritt ein aus Pergamentblättern zufammengeleimter Deckel, deffen 
Feinheit und Glätte für die Ausführung der in Gold geprefsten Verzierungen 
von Wichtigkeit ift. Den Ueberzug bildet, wo nicht etwa in einzelnen 




Fig. 156. Buclieiiiband für J. Grolier. (Nach Techeuer.) 



Fällen Sammet- oder Goldfchmiedearbeit angewendet wird, hauptfächlich 
das Leder, in jener vollkommenen Bearbeitung, welche man von den Orien- 
talen erlernte und als Corduan oder Maroquin (von Cordova und Marocco) 
bezeichnet. Charakteriftifch ift ferner, dafs diefe Bücher auf Heftfchnüren 



§ 115. Bucheinbände. 



429 



(Nerfs oder Nervures) ausgeführt werden, die am Rücken fich als kräftig 
vortretende Rippen (;^Bünde«) markiren und bei den früheften diefer Bücher 
fo zahlreich find, dafs kein Raum für einen Rückentitel bleibt, vielmehr 
für den Titel ein mittleres Feld auf dem Deckel ausgefpart wird. (Fig. 1 54.) 




Fig. 157. Bucheinband aus der Bibliothek Franz' I. (Sammlung Dutuit.) 



Anfangs wendete man vorwiegend ein dunkles naturfarbenes Leder an, dem 
aber feit ca. 1 5 30 ein gebleichtes pergamentartiges, oder auch ein mannich- 
fach gefärbtes zur Seite tritt, welches im Zufammenhang mit den Gold- 
ornamenten diefen Werken oft einen prächtigen polychromen Eindruck ver- 



430 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



leiht. Für die Ausführung der Ornamente erfindet fodann Pierre Gaillard 
an Stelle der früheren metallenen Rollen die fogenannten Fileten, halbmond- 
förmige Eifen, bei deren Gebrauch das Feingefühl der künftlerifchen Hand 
zur Geltung kommt. 

Was die Ornamentik felbft betrifft , fo wird die Tiefprägung der 
gothifchen Epoche, die in Deutfchland noch lange Zeit mit Hartnäckigkeit 
feftgehalten wird, immer mehr durch eine eigentliche Flächendekoration 
verdrängt. Die Motive derfelben gehören durchaus dem Orient an, und 
zwar ift es die maurifche Ranke mit ihrem eigenthümlichen Blattwerk, 
welche den Charakter diefer Ornamentik vollftändig beherrfcht. Doch gibt 
es auch einzelne Beifpiele, wo die etwas mehr naturaliftifche Blumenranke 
der perfifchen Kunft aufgenommen wird, wie in jenem prachtvollen vene- 
tianifchen Buchdeckel der Bibhothek Firmin Didot, welche auf dem ovalen 
Mittelfelde mit einem köftlichen Gemälde von Pyramus und Thisbe ge- 
fchmückt ift. Doch dies find Ausnahmen, da im Allgemeinen die maurifch- 
arabifche Dekoration vorwiegt. Es ift jenes aus der maurifchen Architektur 
bekannte Spiel mit geflochtenen und verfchlungenen Bändern, fowie mit 
reich entwickelten Ranken , die in jene fpezififch maurifchen Blätter und 
Blumen auslaufen, für welche in der Natur keine Vorbilder zu finden find. 
Es ift alfo diefelbe Ornamentik, welche von den Bucheinbänden fich fodann 
auf die berühmten Oironfayencen (§ iii) verpflanzt hat. Diefe Ornamentik, 
welche den Flächencharakter in vollkommenfter Weife zur Geltung bringt, 
und deren hohe ftiliftifche Vollendung darauf beruht, dafs fie demfelben 
niemals untreu wird, und nur ein harmlofes, das Auge ergötzendes Formen- 
fpiel, niemals aber etwas felbftändig Bedeutfames fein will, überzieht die 
Flächen, indem ihre frei und oft grofsartig gefchwungenen Linien fich dem 
gegebenen Räume aufs GlückHchfte anpaffen. (Fig. 155.) In der Regel 
wird ein mittleres Feld für das Wappen des Befitzers oder den Titel des 
Buches ausgefpart, und mit einem fchön ftilifirten Rahmen von ver- 
fchlungenen Bändern eingefafst. Aufserdem zieht fich häufig ein breiter, 
mit Rankenwerk dekorirter Rahmen rings um den Deckel hin. Die übrig 
bleibenden Flächen werden dann entweder leer gelaffen, oder mit einem 
Ornament gefüllt, deffen zierlicher Charakter fich von dem der übrigen 
Theile wirkfam unterfcheidet. Manchmal wird die ganze Fläche durch 
Bandverfchlingungen , welche von dem mittleren Felde ausgehen, in eine 
Anzahl fchön gezeichneter Felder eingetheilt, deren Ornamentik dann wieder 
mit der in den übrigen Flächen angewandten contraftirt. Diefe Contrafte, 
auf denen die bewundernswürdige Wirkung diefer fchönen Werke beruht, 
werden durch die Anwendung verfchiedenfarbigen Leders, alfo recht eigent- 
licher Ledermofaik noch gefteigert, indem man die Bänder und Streifen 
durch aufgeklebtes buntes Leder von gröfster Zartheit fich vom dunkleren 



§ 115. Bucheinbände. 



Grunde abheben läfst. Den höchften Glanz erhalten dann diefe Decken 
durch Vergoldung der Ornamente, wobei die Blätter und Blumen meift 
fchraffirt werden. (Fig. 156.) Neben diefen reicheren Beifpielen giebt es 
aber auch einfachere, bei welchen mannichfach verfchlungene Bänder und 




Fig. 158. Bucheinband für Heinrich II. (Nach Techener.) 



Streifen das einzige Motiv der Dekoration bilden (vgl. Fig. 154). Auch 
diefe zeichnen fich bei hoher Schlichtheit durch die edle ftilvolle Be- 
handlung aus. Fig. 154 giebt ein Beifpiel aus der Sammlung des Herrn 
Dutuit. 



432 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 




Fig. 159. Bucheinband für Heinrich If. 



Diefs ift der Charakter des Bucheinbandes , welchen der berühmte 
Bücherfreund Jean Grolier zuerft in Frankreich eingeführt hat. Bis 1535 
als Schatzmeifter zu Mailand lebend und dann für diefelbe Stellung nach 



§ 115- Bucheinbände. 



433 




Fig. i6o. ßucheiuband für Heinrich II. 



Frankreich berufen, hatte er in Italien die fchönen Bucheinbände der Re- 
naiffance kennen gelernt und führte diefelben in Frankreich ein, wo er bis 
zu feinem Tode 1565 vier Königen nach einander diente. -Nach Ausfage 

LÜBKE, Gefch. d. Renaiffaiice in Frankreich. II. Aufl. _o 



434 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



feiner Zeitgenoffen Hefs er die Bücher in feinem Palais unter feiner eignen 
Aufficht binden und foll felbft mit Hand angelegt haben. Die GroHer'fchen 
Bände find von vornehmfter Eleganz, an Harmonie der fein zufammen- 
geftimmten gedämpften Töne, an technifcher Vollendung, prächtigem Farben- 
glanz und Anmuth der Zeichnung unübertroffen. Die Decken find meift 
aus Maroquin oder braunem Kalbleder hergefbellt, die Ornamente in Gold 
und Olivengrün, auch wohl in Gold und Schwarz auf braunem Grunde 
ausgeführt. Diefe herrlichen Werke mit der Auffchrift: »GROLIERII 
ET AMICORVM« werden jetzt mit Taufenden bezahlt. 

Auch der uns fchon bekannte Geofroy Tory (S. 20 ff.) hat dem Buch- 
einbande feine Sorgfalt zugewendet. Die durch ihn hergeftellten Bände, 
meifb aus Schafleder gearbeitet, find in der Regel nur mit goldgeprefsten 
Ornamenten gefchmückt, nur ausnahmsweife mit farbiger Zuthat verfehen. 
Seine Arabeske zeigt das feine Rankenwerk, welches wir fchon aus feinen 
Randleiften kennen. In der Regel weifs er damit fein Zeichen, einen zer- 
brochenen Krug, aufs Gefchicktefte zu verbinden. Auch den Schnitt der 
Bücher Hebte man nicht unverziert zu laffen, und gab ihm gern auf Gold- 
grund farbige Ornamente, welche vermittelft der Punzen eingefchlagen 
wurden. Eigenthümlich ift , dafs die für Franz I ausgeführten Bände 
fich durch eine gröfsere Einfachheit auszeichnen ; meift in fchwarzem Leder 
oder Sammet von derfelben Farbe ausgeführt, find fie in der Regel mit 
fchlichten, breit behandelten Bändern gefchmückt, in deren Verfchlingungen 
bereits die beginnende Cartouche fich zeigt. Wir geben in Figur 157 ein 
Beifpiel aus der Sammlung des Herrn Dutuit. In dem Mittelfelde ficht 
man fodann auf punktirtem Grunde das königliche Wappen fammt dem 
Salamander, Alles in Gold. Diefe Bände machen einen befonders vor- 
nehmen Eindruck. 

Prächtiger und eleganter zeigen fich die Bände, welche Heinrich II für 
fich oder für Diana von Poitiers ausführen liefs. (Fig. 158.) Im Schlofs 
Anet fanden fich gegen 800 jener prachtvollen Bände aus Ziegen- oder 
Schaf leder. Ihre Ornamentik befteht meift aus Cartouchenwerk ; doch 
kommen auch die einfachen und feineren Arabesken der früheren Zeit vor, 
untermifcht mit Köcher und Pfeil und den verfchränkten Halbmonden der 
Diana. Ein fchönes Beifpiel der für diefen König ausgeführten Bände geben 
wir in Figur 159, ausgezeichnet durch die vornehme Sparfamkeit der Or- 
namente. In dem Mittelfelde das reich umrahmte königliche Wappen 
fammt dem Namenszuge Heinrichs. Auf einem andren ungemein pracht- 
vollen Bande im Befitz des Herrn Dutuit ift in der Mitte und auf den vier 
Ecken das Portrait des Königs in Form eines antiken lorbeergekrönten 
Kaifermedaillons angebracht. (Fig. 160.) Weiter gehört zu den fchönften 
derartigen Erzeugniffen diefer Zeit ein bei Techener mitgetheilter, für Anne 



§ 115. Bucheinbände. 4^5 

de Montmorency ausgeführter Einband, den wir unter Figur 161 mittheilen. 
Die breiten verfchlungenen Bänder bilden in ihrer fchönen Zeichnung einen 
lebendigen Contraft mit den feinen Ornamenten des Randes und den 
fchwungvoll behandelten gröfseren der inneren Flächen. 




Fig. 161. Bucheinband für A. de Montmorency. (Nach Techener.) 



Gegen Ende des 16. Jahrhunderts tritt in dem bekannten franzöfifchen 
Staatsmann und Vorftand der königlichen Sammlungen und Bibliothek 
Ch. A, de Thou ein neuer Bücherfreund auf, der dem Einband wieder 
feine befondere Sorgfalt zuwendet, nachdem unter Heinrich III unheim- 



436 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



liehen Andenkens eine Behandlung eingetreten war, die durch ihre geome- 
trifch vertheilten Schilder mit den Leidenswerkzeugen in Blinddruck oder 
Silberpreffung eine feltfam morofe, dem Charakter des Königs entfprechende 
Stimmung hervorrufen. Die Einbände de Thou's erheben fich, anknüpfend 




an den Vorgang Groliers, wieder zu glänzender Pracht. Meift aus rothem 
Maroquin hergeftellt und in der Mitte mit dem Namenszug und dem Wappen 
des Befitzers gefchmückt, find fie durch breite verfchlungene Bänder in 
einzelne Felder getheilt, von denen nur die kleineren mit dem arabifchen 



§ 115. Bucheinbände. 437 

Rankenwerk gefchmückt find, während die gröfseren Flächen durch fchön 
ftilifirtes Lorbeer-, Oliven- und Eichenlaub gefchmückt werden. Die technifche 
Ausführung ift von höchfter Vollendung. 

Im 17, Jahrhundert ift es der Buchbinder der Anna von Oefterreich, 
Le Gascon (bis 1655 thätig), welcher die grofsen Traditionen Frankreichs 




Fig. 163. Einband aus der Bibliothek des Cardinais Mazarin. 



auf diefem Gebiet aufrecht erhält. (Fig. 162.) Anknüpfend an die frühere 
Behandlungsweife wendet er vielfach verfchlungene Bänder als Hauptmotiv 
für die Eintheilung der Flächen an. Die dadurch entftehenden mannichfach 
geftalteten Felder füllt er fodann mit einem Linienfpiel, welches nichts 
mehr mit maurifchen Elementen zu fchaffen hat, obwohl es auf einem ver- 
wandten Prinzip der Flächendekoration beruht. Aber der letzte Anklang 



438 



Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche. 



an natürliches Laubwerki ft abgeftreift, und die nur aus aneinander gereihten 
Punkten (au pointille) beftehenden , durch Fileten hergeftellten Spiralen 
erhalten djurch einzelne kräftigere Punkte neues Leben. Namentlich war 
es Le Gascon, der die Bücher für die berühmte Bibliothek des Cardinais 
Mazarin auszuführen hatte. Die vornehme Pracht diefer Einbände beruht 
zunächft auf dem einfarbigen Ton des Leders und der ebenfo reichen als 
edlen Zeichnung der Ornamente und glücklichen Eintheilung der Flächen 
(Figur 163). Verfchlungene Bänder bilden in feftem Zufammenhang ein 
Syftem mannigfach gezeichneter Felder, von denen das mittlere mit dem 
Wappen des Kardinals, die übrigen mit zierlichem Rankenwerk gefchmückt 
find. Alle übrigen Flächen bedeckt eine Arabeske von originellfter Erfindung 
und Feinheit der Linienführung, deren Zwifchenräume er durch unzählige 
kleine Punkte zu beleben weifs. Die technifche Meifterfchaft der Aus- 
führung diefer in glänzender Vergoldung auf einfarbigem Grunde hingefetzten 
Ornamente ift von unübertrefflichem Reiz. 

Diefs find die letzten ftilvollen Leifl;ungen des franzöfifchen Buchein- 
bandes. Bald tritt ein unruhiges Spiel mit allerlei neuen Farbenwirkungen 
an die Stelle edler Ornamentik, und da man felbft fo weit geht, Marmor 
und Granit nachzuahmen (»Veau granit«) und fogar dem Leder den An- 
fchein von gewäffertem Doppeltaffetftofif zu geben , in der Ornamentik 
Spitzen und fächerartige Formen nachzuahmen, fo find damit die Grund- 
gefetze ftilvollen Schafifens verlaffen. Mit diefen Verirrungen hat unfre 
Betrachtung nichts mehr zu fchafifen. 



ORTS-VER 



ZEICHNISS. 



A. 

Abbeville. 

St. Wulfram : Portal 383. 
Aire. 

Balley 315. 
Albi. 

Privathaus 205. 
Almeneches. 

Kirche 357. 
St. Amand (Loir et Cher). 

Schlofs 153. 
St. Amand (Nord). 

Glockenthurm 372. 
Amboife. 

Schlofs 64. 
Amiens. 

Maifon du fagittaire 314. 

Porte Montre-Ecu 414. 

Kathedrale : Denkmal des Kardinals Hemard 
385. 

Ancy-le-franc. 

Schlofs 56. 274; Intarfien 54. 
Andelys. 

Ste. Clotilde, Fagade 354. 

Grande maifon 181. 
St. Andre. 

Kirche 365. 
Anet. 

Schlofs 228. 245. 250; Intarsien 54; Garten 
303. 306; Kapellen 377. 
Angers. 
Schlofs 153. 
H6tel d'Anjou 199. 



Angerville-Bailleul. 

Schlofs 296. 
Anizy. 

Schlofs 155. 
Arcueil. 

Aquäduct 337. 
Argentan. 

St. Germain 357. 

Kirchthürme 370. 
Arras. 

Stadthaus 315. 

Privathaus 343. 
Affier. 

Schlofs 160. 
Auch. 

Kathedrale: Chorftühle 382. 
Auffay. 

Schlofs 155. 
Aumale. 

Kirche: Portal 355. 
Avignon. 

Kirche St. Didier 32. 

Fayencen 400. 
Azay-le-Rideau. 

Schlofs 147. 148. 

B. 

Bainvilliers. 

Schlofs 155. 
Bayeux. 

Kathedrale: Chorftühle 383. 

St. Patrice: Thurm 372. 
Beaugency. 

Stadthaus 209. 211. 



440 



Ortsverzeichnifs. 



Beaumesnil, 

Schlofs 340. 
Beauregard. 

Schlofs 149; Decke 53; Garten 304. 
Beauvais. 

St. Etienne: Glasgemälde 421. 

Kathedrale: Portal 385. 

Töpferwaaren 398; Steinzeug 401. 

Bello. 

Manoir 135. 
Beiloy. 

Kirche 362. 
Benehart. 

Schlofs 152. 
St. Bertrand de Comminges. 

Kirche: Chorftühle 382. 
Befangen. 

Palais Granvella aoo. 

Blemod-les-Toul. 

Kirche: Grabmal des Bifchofs Hugues des 
Hazard 385. 

Blois. 

Schlofs 46. 65. 83. 85. 89; Garten 303. 306. 

Hötel d'Alluye 198. 

Hotel d'Amboise 197. 

Hötel d'Aumale 197. 

Hötel de la chancellerie 197. 

Hotel Denys du Pont 198. 

Hötel Hurault 197. 

Hötel Sardini 197. 

Privathäufer 196. 

Hausthür 395. 

Boiffey-le-Chatel. 

Schlofs 1 54. 
Boulogne. 

Schlofs 96. 
Bourdeilles (Dordogne). 

Schlofs 163. 
Bourg. 

Pfarrkirche 370. 
Bourges. 

Kathedrale 75. 

Haus des Jacques Coeur 58. 
Bournazel. 

Schlofs 164. 



Brie-Comte-Robert. 

Kirche 362. 
Brou. 

Kirche: Notre-Dame 57; Maufoleum 384; 
Glasgemälde 422. 
Bury. 

Schlofs 44. 135; Garten 303. 
Buffy-Rabutin. 
Schlofs 156. 

c. 

Caen. 

St. Pierre 175. 350. 

St. Sauveur 352. 

Haus des Etienne Duval 312. 

Hötel Ecoville 47. 174. 

Manoir des Gendarmes 154. 

Privathäuser 17g. 
Cahors. 

Privathaus 204. 
Cambrai. 

St. Gery 382. 
Caudebec. 

Ste. Marie 357. 
Chalveau. 

Schlofs 122. 124. 
Chambord. 

Schlofs 88. 91. 

Kirche 368. 
Chanpeaux. 

Kirche: Choriföhle 383. 
Chanteloup (Manche). 

Schlofs 155. 
Chantilly. 

Schlofs 139; Kapelle 273; Garten 303. 505. 
Chareil. 

Schlofs 152. 
Charentan. 

Ste. Marie du Mont: Thurm 372. 
Charenton. 

Bethaus der Proteftanten 336. 
Charleval. 

Schlofs 286; Garten 304. 
Chartres. 

Kathedrale: Chorfchranken 381. 

Hötel Montescot (Hötel de ville) 341. 



Ortsverzeichnifs. 



441 



Privathaus 313. 

Peterskirche: 12 Emailtafeln mit Bildern 
der Apoftel 418. 

St. Hilaire: Glasmalerei 419. 
Chateaudun. 

Schlofs 144. 
Chäteau des Ifs. 

Schlofs 341. 
Chäteau-Thierry. 

St. Crepin: Chorftühle 384. 
Chaumont 

Schlofs 61. 
Chenonceau. 

Schlofs 133; Decke 53; Garten 305. 307. 
Clermont-Ferrand. 

Fontaine Delille 217. 

Fayencen 400. 
Compiegne. 

St. Antoine: Portal 383. 

St. Jacques: Portal 383. 

Hotel de ville 63. 
Conde. 

Schlofs 154. 
Contances. 

St. Pierre 357. 
Couci. 

Schlofs 246. 

D. 

Dampierre. 

Schlofsgarten 303. 305 306. 
St. Denis. 
Kirche : Chorftühle von Gaillon 72 ; Denkmal 
Ludwigs XII 386; Denkmal Franz' I 246. 
388; Denkmal der Katharina von Medici 391. 
Dieppe. 

St. Remy 357. 381. 
St. Jacques 357. 
Dijon. 

Bibliothek: Vergil-Ausgabe. Miniaturen 9. 
St. Michel: Thürme 369. 
Hotel de Vogü6 342. 
Privathaus 199. 
Douai. 
Hotel de ville 63. 

Mufeum: Denkmal von Charles de Lalaing 
386. 



Dreux. 

Hotel de ville 63. 
Du Pailly. 
Schlofs 289. 

E. 

Ecouen. 

Schlofs 228. 254. 267. 399. Glasmalerei 
419. 420. 
Elboeuf. 

St. Etienne: Glasgemälde 422. 

St. Jean: Glasgemälde 422. 
Epernay. 

Notre-Dame: Portal 366. 
Etrepilly. 

Kirche 362. 
Evreux. 

Kathedrale : Fa?ade 356; Kapellengitter 381. 

F. 

Fecamp. 

Kirche: Kapellengitter 380. 

Chateau des Ifs 341. 
Fere-en-Tardenois. 

Schlofs 1 56. 
St. Florentin (Burgund). 

Kirche 367. 
Folembray. 

Schlofs 127. 246. 
Fontainebleau. 

Schlofs 100. 102. 103. 106. 107. 113. 329; 
Decke 53; Kapitäl 53; Ballsaal 109; 
Hirfchgalerie 331. 
Fontaine-Etoupefour. 

Schlofs 155. 
Fontaine-Henri. 

Schlofs 154. 
Fougeres. 

Schlofs 62. 
Frankfurt a. M. 

Miniaturen bei Herrn Ludw. Brentano la 
Roche 9. 1 1. 12. 13. 

G. 

Gaillon. 

Schlofs 69. 72. 75. 224; Garten 302. 303. 
305. 307. 



442 



Ortsverzeichnifs. 



St. Germain-en-Laye, 

Schlofs ii6. ii8. 119. 
St. Germain de Livet. 

Schlofs 155. 
St. Gervais. 

Kirche 362. 
Gifors. 

Kathedrale: Orgelempore 382; Fagade 353; 
Glasgemälde 422. 
Goupillieres, 

Kirche: ChorlKihle 383. 
Gouffainville. 

Kirche 362. 

H. 

Huleux. 

Manoir 156. 

I. 

Ivry-la-Bataille. 

Schlofs 155. 
Isle-Adame. 

Kirche 362. 

J. 

Joinville. 

Privathäufer 200. 

L. 

La Ferte-Milon. 

Notre-Dame 361. 
La Muette. 

Schlofs 120. 121. 246. 
Landifer. 

Schlofs 152. 
Laon. 

Kathedrale: Kapellengitter 382. 
La Rochefoucauld. 

Schlofs 51. 159. 
La Rochelle. 

Stadthaus 344. 
Laffon. 

Schlofs 154. 
St. Leger. 

Schlofs 246. 



Le Maus. 

Kathedrale 32. 

Privathaus 199. 
Le Verger. 

Schlofs 137. 
Lille. 

Börfe 317. 
Limoges. 

Limofmer Email 411. 413. 
Limour. 

Schlofs 246. 
London. 

Miniaturen bei Lady Springle 9. 

Kenfmgton-Mufeum : Emailkanne 413. 
Longni. 

Kirche Notre-Dame de Pitie 357. 
Lude. 

Schlofs 152. 
Luxeuil. 

Privathäuser 200. 
Luzarches. 

St. Damian 362. 
Lyon. 

Stadthaus 346. 

St. Nizier, Portal 244. 245. 377. 

M. 

Maffliers. 

Kirche 362. 
Magny. 

Notre-Dame 362. 

Taufbrunnen 382. 
Maignelay. 

Kirche 385. 
Mantes. 

Brunnen 215. 217. 
Marchais. 

Schlofs 156. 
Martainville. 

Schlofs 62. 
Maune. 

Schlofs 300. 
St. Maur. 

Schlofs 245. 262. 
Meillant. 

Schlofs 60. 



Ortsverzeichnifs. 



443 



Melun. 

St. Aspais 361. 
Mesnieres. 

Schlofs 153. 
Mesnil-Aubry. 

Kirche 362. 
Monfort l'Amaury (Seine et Oife). 

Kirclie: Glasgemälde 421. 
Montal. 

Schlofs 162. 
Montargis. 

Kirche 235. 

Schlofsgarten 302. 304. 306. 
Montereau-Fault-Yonne. 

Kirche 361. 
Montjavoult. 

Kirche 361. 
Montmorency. 

St. Martin: Glasgemälde 421. 

St. Michel für Orge: Glasgemälde 421. 
Mortagne. 

Kirche 357. 
Mosne, f. Maune. 
Moulins. 

Schlofs 152. 
München. 

HofbibHothek: Boccaccio-Ausgabe, Minia- 
turen 9. II. 

N. 

Nancy. 

Franciskanerkirche: Denkmal Herzog Re- 
ne's II. 384. 

Herzogl. Palaft 79. 
Nantes. 

Kathedrale: Grabmal Franz II. 81. 
Nantouillet. 

Schlofs 129. 131; Treppe 53. 132. 
Narbonne. 

Maifons des nourrices 320. 

Kathedrale: Grabmal 386. 
Nevers. 

Herzogl. Schlofs 153. 

Fayencen 409. 410. 

Mufeum: Vafen 410. 



Noyon. 

Hotel de ville 63. 
Nürnberg. 

Service von Pierre Reymond bei der Fa- 
milie Tucher 417. 

o. 

Oiron. 

Schlofs 152. 

Schlofskapelle: Bodenplatten 400. 

Fayencen 406. 
St. Omer. 

Kathedrale: Grab Sidrachs de Lalaing 385. 

Grabmal des Bifchofs Euftache de Croy 385. 
Orleans. 

Stadthaus 205. 

Pavillon der Jeanne d'Arc 310. 
Haus der Agnes Sorel 181. 
Haus Franz' I. 185. 
Haus der Diana von Poitiers 308. 
Haus des Jean d'Alibert 309. 
Haus des Du Cerceau 310. 
Privathäufer 308. 310. 
Privathäufer in Holz 188. 
Privathäufer in duadern 191. 
Priathäufer in duadern und Backftein 194. 
Othis. 

Kirche 361. 

P. 

Paray-le-Monial. 

Privathaus 198. 
Paris. 

Nationalbibliothek : Jofephus- Ausgabe, Mi 

niaturen 9 ; Livius-Ausgabe, Miniaturen 9 
Miniaturen bei Baron Feuillet de Conches 9 
St. Etienne du Mont 358; Facade 360. 377 

Glasmalerei 419. 421. 
St. Euftache 360; Glasgemälde 421. 
St. Germain l'Auxerrois 57. 226; Glas 

maierei 421. 
St. Gervais 57. 577; Facade 337; Glasge 

mälde 419. 420. 421. 
St. Jacques de la boucherie: Thurm 57. 
St. Louis - St. Paul 378. 
St. Medard 57; Glasgemälde 421. 
St. Merry 57; Glasgemälde 421. 
St. Severin 57; Glasgemälde 421. 
Karmeliterkirche 378. 



444 



Ortsverzeichnifs. 



Kirche der Sorbonne: Kuppel 379; Grab- 
mal Richelieu's 391. 
Klofter Val de gräce: Kuppel 379. 

Louvre 229. 325 ; Treppe zur Gemälde- 
galerie 56; Mufeum: Marmorrelief von 
Gaillon 72. 77; Relief von St. Germain 
l'Auxerrois 226; Emailbilder von Limo- 
fm 418; Bodenplatten 390; Jagdgourde 
398; Glasgemälde von Coufm 420. 

Apollogalerie: Schild von 1 555 41 3 ; Schüf- 
fei von Pierre Reymond 416; Portrait 
des A. von Montmorency 418. 

Tuilerien 245. 257. 325. 

Ecole des beaux arts: Portal von Gaillon 
75; Bruchftück von Anet 253. 

Sammlung Bafilewski : Limofmer Email 416. 

Sammlung James Rothfchild: Email-Schale 
418. 

Sammlung Alphons Rothfchild: Email- 
Triptychon 418. 

Aquäduct von Arcueil 337. 

Fontaine des Innocents 217. 226. 228. 

Haus Franz' I. 202. 

Hötel de Cluny 59. 394. 399. 

Hotel Sully 343. 

Hötel de la Tremouille 59. 

Palais de Juftice: Saal 66. 337. 

Palais Luxembourg 334. 

Palais Royal 344. 

Place Dauphine 333. 

Place de France 333. 

Place Royale 332. 

Pont Neuf 333. 

Pont Notre-Dame 66. 

Schlofs Madrid 96. 246. 

Stadthaus 210. 
Pleffis-Placy. 

Kirche 382. 
Pont-Audemer. 

Kirche 3 57. 
Pontoife. 

St. Maclou 362. 

Q. 

St. Quentin. 

Hötel de ville 63. 



R. 

Ravenel (Ifle de France). 

Kirche 392. 
Rheims. 

St. Jacques: Kapelle 373. 

St. Remy: Chorfchranken 381. 

Rathhaus 346. 

Haus Feret de Montlaurent 315. 

Privathaus 199. 
Rocher de Mefanger. 

Schlofs 152. 
Rodez. 

Notre Dame: Kapellengitter 380. 
Rouen. 

Kathedrale 57. 75. 227; Grabmal Amboife 
81; Denkmal Louis de Breze 388; Glas- 
gemälde 422. 

St. Maclou 57. 288; Treppe 382; Thüre 
383. 

St. Romain 376. 
St. Vincent: Glasgemälde 422. 
St. Patrice: Glasgemälde 422. 
St. Godard: Glasgemälde 422. 
Abtei St. Amand 180. 
Erzbifchöfl. Palaft 75. 
Juftizpalaft 78. 

Hötel Bourgtheroulde 78. 181. 
Haus am Domplatz 79. 
Privathäufer 179. 180. 313. 343. 
Hötel de Than 181. 

s. 

Sanfac. 

Schlofs 152. 
Sarcelles. 

Kirche 362. 
Sarcus. 

Schlofs 155. 
Saumur. 

Hötel de ville 63. 
Savignies. 

Töpferwaaren 398. Steinzeug 401. 
Sedieres. 

Schlofs 153. 
Sens. 

Kathedrale: Glasgemälde 420; Erzbifchöfl. 
Palaft 49. 172. 



Ortsverzeichnifs. 



445 



Serrant. 

Schlofs 153. 
Sevres. 

Mufeum: Bodenplatten 399. 
Sully. 

Schlofs 294. 

T. 

Tanlay. 

Schlofs 338. 
Tarascon. 
Schlofs 29. 

Kathedrale, Grabdenkmal 31. 
Tillieres. 

Kirche 356; Treppe 53. 
Tilloloy. 

Kirche: Facade 365. 
Toul. 

Kathedrale: Urfula-Kapelle 376. 
Touloufe. 

Kirche Dalbade: Portal 366. 

St. Sernin 366. 

St. Pierre: Chorftühle 383. 

Jefuitencollegium 204. 

Hotel d'Affezat 317. 

Hotel Catelan 319. 

Hotel Meynier 204. 

Maifon de pierre 319. 

Palais du Capitol 318. 
Tourlaville. 

Schlofs 155. 
Tours. 

Bibliothek: Livius-Ausgabe. Miniaturen 9. 

Kathedrale: Grabmal 81; Thürme 369. 

Privathäufer 200. 

Brunnen 215. 
Treport, 

Kirche: Portal 352. 
Triel (Dep. Seine et Oife. Arr. Ver- 

failles.) 

Kirche: Glasgemälde 420. 421. 
Troyes. 

Kathedrale 57. 
St. Jean 364. 

St. Nicolas 363; Kanzel 384. 
St. Nizier 364. 



St. Pantaleon 363. 
St. Remy 364. 
Hotel de Vauluifant 315. 
Privathaus 200. 

u. 

Uffe. 

Schlofs 151. 
Uffon. 

Schlofs 157. 1^8. 

V. 

Valengay. 

Schlofs 153. 
Valence. 

Privathaus 205. 
Vallery. 

Schlofs 224. 277; Garten 303. 
Valmont. 

Abteikirche 356. 
Varengeville. 

Schlofs 138. 
Verneuil, 

Schlofs 278; Garten 304. 30$. 
Verfailles. 

Mufeum: Denkmal des Herzogs von Rohan 
391. 
Vetheuil. 

Kirche: Facade 353. 
Villeneuve. 

St. Georges 362. 
Villers-Cotterets. 

Schlofs 125. 249; Garten 303 ; Kapelle 246. 
377- 

Villiers-le-Bel. 

Kirche 362. 
Vincenties. 

Schlofs 246. 

Schlofskapelle : Glasgemälde 420. 
Viviers. 

Maifon des Chevaliers 321. 

w. 

Wideville. 

Schlofs 340; 341. 
Wien. 

Email-SchülTel beim Fürften von Liechten- 
ftein 416. 



VERZEICHNISS 

DER 

KÜNSTLERNAMEN. 



A. 

Abaquesne, Maffeot 399. 
Abbate, Nicolo dell' 40. iio. 
Agaffe, Gilles .125. 
AlTelin, Jehan 210. 

B. 

Bachelier, Nicolas 367. 380. 
Bagnacavallo, 116. 
Baril, Jehan 301. 
Bartolommeo da Miniato 115. 
Bellin, Nicolas 115. 
Bernard, Salomon 20. 24. 25. 
Bernart, Jehan 406. 
Biard, Pierre 212. 
Biart, Colin 69. 76. 
Boccador, Donienico 210. 227. 
Bogheni, Louis van 370. 
Bontemps, Pierre 390. 
Bony, Jean de 76. 
BoLidin, T. 381. 
Breton, Gilles le 115. 
Briot, Fran^ois 400. 
Broeucq, Jacques du 385. 
Broffe, Jean 279. 

Brofle, Salomon de 334. 336. 377. 
Bullant,Jean 56. 156. 254. 257. 262. 264. 362. 



C. 

Cellini, Benvenuto 40. 116. 250. 

Chambiges, Pierre, der ältere 117. 121. 123. 

Chambiges, Pierre, d. j. 230. 231. 

Champaigne, Philippe 325. 

Charpentier, Francois 406. 

Chaftellan, Jean 115. 

Clouet, Vater und Sohn, 40. 

Columb, Michel 72. 76. 81. 215. 

Conrade, Brüder 409. 

Cornedieu, Pierre 77. 

Coffart, Jean 356. 

Coulombe, Michault 72. 76. 81. 215. 

Court, Jean 418. 

Court, Sufanne de 418. 

Courtois, Pierre 100. 416. 418. 

Courtois, Jean 416. 418. 

Courtois, Martial 418. 

Courtois, Antoine 418. 

Coufin, Jehan 26. 27. 28. 228. 273. 420. 

D. 

David 360. 

Delaplace, Richard 77. 

Delorme, Philibert 100. 227. 230. 243. 257. 388. 

, Delorme, Pierre 42.. 56. 71. 7.5. 

Derrand, Francois 378. 



Verzeichnifs der Künftlernamen. 



447 



Deftr^, Julien 517. 

Duban, Felix 68. 88. 

Dubois, Jehan 77. 

Du Cerceau, Baptifte 242. 328. 

Du Cerceau, Jaques Androuet 41. 96. 112. 

228. 230. 231. 235. 257. 272. 278. 284. 286. 
Du Cerceau, Jacques d. j. 243. 328. 
Du Cerceau, Jean 243. 
Duperac, Etienne 331. 

F. 

Fain, Pierre 74. 75. 
Falaize 383. 

Fine, Oronce 19. 20. 21. 23. 
Fontaine 329. 
Fouquet, Jean 9. 40. 
Fran^ois, Baftien 215. 
Frangois, Gratien 100. 
Frankels, Jean 100. 
Frangois, Martin 215. 
Freminet 332. 

G. 

Gadier, Pierre 100. 

Galier, Robin 209. 

Gaillard, Pierre 430. 

S. Gallo, Giuliano da 64. 

Gannat, Frangois 265. 

Gauvain, Manfuy 79. 

Giocondo, Fra 4. 66. 74. 

Godinet 172. 

Gouffier, Helene 406. 

Gouffier, Claude 408. 409. 

Goujon, Jean 225. 226. 227. 254. 272. 388. 

Grappin, Jean 353. 362. 

Grappin, Robert 353. 

Graffot, Taffin 420. 

Guerpe, Richart 77. 

Guillain, Pierre 212. 

Guillain, Guillaume 117. 

H. 

Hangeft, Helene de 406. 
Hympe, Jacques 420. 

J. 

Jouy, Manfard de 361. 
Jufte, Antoine 77. 
Jufte, Jean 81. 386. 



L. 

Langlois, Jehan 117. 
Laurana, Francesco 30. 
Le Breton, Gilles 115. 
Le Breton, Jacques 125. 
Le Breton, Guillaume 125. 
Le Brun, Charles 325. 
Leduc, Gabriel 379. 

Lemercier, Jacques, 328. 332, 343. 379. 

Lemercier, Pierre 362. 

Le Gascon 437, 

Lemuet, Pierre 379. 

Le Pot, Nicolas 273. 419. 

Le Pot, Jean 419. 

Le Preftre, Blaife 175. 

Le Prince, Enguerrand 419. 

Le Prince, Jeau 419. 

Le Prince, Nicolas 419. 

Le Roux, Roullant 79. 81. 

Lescot, Pierre 34. 56. 225. 227. 228. 229. 

230. 231. 232. 267. 
Le Sueur, Euftache 325. 
Levau 329. 

Limolin, Leonard der ältere 414. 417. 418. 
Limofm, Leonard der jüngere 418. 
Liniofm, Jean 418. 
Limofin, Jofeph 418. 
Lionardo da Vinci 39. 377. 
Lordas, Sicard de 163. 

L'Orme, Philibert de 100. 227. 230. 243- 

257. 388. 
L'Orme, Pierre de 42. 56. 71. 75. 
Lyfforgues, Guillaume 164. 

M. 

Manfard, Francois 379. 
Manfard de Jouy 361. 
Manfart 88. 95. 
Manfuy, Gauvain 79. 
Metezeau, Louis 231. 328. 
Metezeau, Thibault 231. 328. 
Meynal, Bertrand de 76. 
Miniato, Bartolommeo da 115. 
Monoier, George 385. 
Moreau 361. 

Mugiano, Lorenzo de 77. 

N. 

Nepveu, Pierre 95. 

Nouailher (Noylier), Nicolaus 418. 



448 



Verzeichnifs der Künftlernamen. 



Pacherot, Geraulme 76. 
Paliffy, Bernard de 228. 401. 
Pape, M. D. 418. 
Penicaud, Jean 412. 
Percier 329. 
Perrault 329. 
Pietro da Milano 30. 
Pilon, Gcrmain 390. 391. 
Pinaigrier, Robert 419. 
Pinaigrier, Nicolas 419. 
Pinaigrier, Louis 419. 
Pinaigrier, Jean 419, 
Pouffin, Nicolas 325. 

Primaticcio 40. 100. iio. 115. 116. 230. 245. 
266. 274. 

R. 

Rafael 40. 

Reymond, Pierre 416. 

Robbia, Girolamo della 98. 100. 115. 

Rochetel, Michel 418. 

Roffo 40. HO. 115. 272. 

Roullant le Roux 79. 81. 

Roux (maitre) iio. 

Rubens 334. 



s. 

Sambiches, Pierre 210. 
Sangallo, Giuliano da 64. 
Sarazin 328. 
Sarto, Andrea del 40. 
Senault, Guillaume 75. 
Serlio 41. 108. 114. 227. 
Sohier, Hector 154. 155, 



350. 



Solario, Andrea de 41. 72. 77. 



Teflon, Mathias 315. 
Theodor 382. 
Tizian 40. 

Tory, Geofroy 16. 18. 20. 
Trinqueau 95. 

V. 

Valence, Pierre 76. 
Vaultier, Robert 125. 
Viart 206. 

Vinci, Lionardo da 39. 
Viollet-le-Duc 98. 
Visconti 329. 
Vouet, Simon 325.