er Renaissance
in Frankreich
von Wilhelm
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GESCHICHTE
DER
RENAISSANCE IN FRANKREICH
GESCHICHTE
DER
RENAISSANCE
IN
FRANKREICH
VON
WILHELM LÜBKE
ZWEITE VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE
MIT 163 ILLUSTRATIONEN IN HOLZSCHNITT
CVM PRrVILEGIO REGIS ST£PHAJsP/ST
STUTTGART
VERLAG VON EBNER & SEUBERT
(Paul Neff)
1885
Gedruckt bei Knorr & Hirth in München.
Papier von der München-Dachauer Actien-Gesellschaft für Maschinenpapier-Fabrikation.
VORWORT
ZUR ERSTEN AUFLAGE.
US naheliegenden Gründen mufste ich bei Bearbeitung'
der franzöfifchen Renaiffance die fyftematifche Behand-
kmg, welche Jacob Burckhardt der Renaiffance ItaHens
hat angedeihen laffen, aufgeben und zur hiftorifchen
Darftellung zurückkehren. Frankreich hat in feiner
Renaiffance nicht wie Italien aus dem Volksgeifte heraus
eine Gefammtkunft gefchafifen, in welcher das ganze
Leben feinen verklärten Ausdruck findet, fondern auf
äufseren Anftofs hin, veranlafst durch feine Fürften, inmitten einer noch
mittelalterlich empfindenden Welt und vielfach durchkreuzt, ja beirrt von
gothifchen Ueberlieferungen , eine Architektur hervorgebracht, die haupt-
fächlich am Profanbau, und zwar in erfter Linie an den Schlöffern der
Könige und des Adels zur Geltung kommt. Wird dadurch die Richtung
der franzöfifchen Baukunft einfeitiger, ihre Ausprägung unendhch mannich-
faltig, fo gewinnt fie zugleich für den Hiftoriker wie für den praktifchen
Architekten einen befonderen Werth. Jener wird mit Intereffe der fcharf
gezeichneten Bewegungslinie nachfpüren, in welcher fich aus einem Spiel
fubjektiver Laune und Willkür allmählich Einfachheit, Klarheit und Anmuth
eines neuen, durchaus eigenthümlichen Stiles entwickeln. Diefer-wird nicht
ohne Belehrung beobachten, wie eine noch wahrhaft fchöpferifche Zeit
durch den Genius ächter Künftler es verftanden hat, den antiken Formen-
kanon und die Einwirkung der italienifchen Kunft zu einer bei alldem
originellen, nationalen Architektur umzuprägen. National in dem einzigen
bei der Baukunft zuläffigen Sinne, dafs fie den Gewohnheiten und An-
fchauungen des einzelnen Volkes in einer beftimmten Epoche zu einem
künftlerifch entfprechenden Gepräge verhilft. Denn die Einzelformen find
X
Vorwort zur erften Auflage.
Über alle nationalen Schranken hinaus als Ausdruck ewig gültiger Gefetze-
und Verhältniffe Allgemeingut der Menfchheit. Dafs aufserdem eine Zeit
wie die unfere, deren eigentliche architektonifche Aufgaben auf dem Gebiete
des Profanbaues liegen, aus den franzöfifchen RenaiffancebautenJ^e'lfur
verwandte Bedürfniffe und unter ähnlichen klimatifchen Verhältniffen 'ge-
schaffen wurden, Manches lernen kann, verfteht fich von felbft.
In der Darfteilung habe ich, da das Befchreibende nothwendig dabei
überwiegen mufste, mich bemüht, fo kurz und fo klar, fo genau und fo-
anfchaulich wie irgend möglich zu verfahren. Gleichwohl fühle ich, dafs-
ohne bildliche Darfteilung mein Zweck nur mangelhaft erreicht werden
kann. Eine Reihe bezeichnender Illuftrationen , gröfstentheils von Herrn
Architekt Profeffor Baldinger auf den Holzftock übertragen, ift defshalb
hinzugefügt worden, Einiges darunter ganz neu nach Photographieen, Anderes,
nach- gütig mir überlaffenen Reifefkizzen meines Freundes G. Lafius aus-
geführt. Die Verlagshandlung hat meinen Wünfchen dabei wie immer
in dankenswerther Liberalität Rechnung getragen. Im Uebrigen verweife
ich auf die zahlreichen werthvollen Publicationen franzöfifcher Architekten
und Stecher feit Du Cerceau bis auf die neuefte Zeit, befonders noch auf
die neuerdings durch M. Deftailleur unternommene neue Ausgabe von
Du Cerceaus bekanntem Hauptwerk. (Paris A. Levy.)
Da meine Darfteilung der erfte Verfuch einer felbftändigen, erfchöpfenden
Behandlung diefes Gegenftandes ift, fo wird eine billig abwägende Kritik
diefs gewifs mit in Anfchlag bringen. Hoffentlich wird fie weder gewiffen-
haftes Studium, noch das ernfte Streben nach objectiver Würdigung des
Kunftwerthes der gefchilderten Werke vermiffen. Der heutigen Architekten-
generation ift aber, fo dünkt mich, das gründliche Studium der Renaiffance
vor Allem defshalb ans Herz zu legen, weil wir gerade aus den Schöpfungen
jener Epoche lernen können, wie eine über den blofsen Eklekticismus hin-
ausreichende Architektur mit hoher Freiheit die Summe claffifcher Form-
überheferung nur dazu verwendet, um dem geiftigen Wefen und den prak-
tifchen Bedürfniffen der eigenen Zeit und des eigenen Volkes das wohl-
angepafste, ausdrucksvolle Kleid zu fchafifen.
VORWORT
ZUR ZWEITEN AUFLAGE.
EiT dem Erfcheinen der erften Auflage diefes Buches
ift unfre Kenntnifs von der franzöfifchen Renaiffance
nicht unerhebhch bereichert worden. Zunächft verdanken
wir dem allerdings noch lange nicht abgefchloffenen
Werke von Paluftre einen bedeutenden Zuwachs neuer
Anfchauungen. Diefe Ergebniffe, fowie die Refultate
eigener von Ort und Stelle gemachter Studien für die
neue Bearbeitung des feit geraumer Zeit ganz vergriffenen Buches zu ver-
werthen, war mein vornehmftes Augenmerk. Der Bau, den ich aufgeführt,
hat durch diefen Zuwachs keine innerliche Umgeftaltung, wohl aber eine
anfehnliche äufserliche Bereicherung erfahren. Eine für mich erfreuliche
Wahrnehmung, denn ich durfte daraus die Ueberzeugung fchöpfen, dafs ich
alles Wefentliche richtig aufgefafst und zu bleibendem kunftgefchichtlichen
Gefammtbilde fixirt hatte. Dafs die neue Auflage aufser diefer textlichen
Bereicherung und ftofflichen Erweiterung auch eine bedeutende Vermehrung
ihrer illuftrativen Zugaben durch wohlgelungene Darftellungen zum Theil
noch nicht veröffentlichter Denkmäler erhalten konnte, wird den Werth des
Buches erheblich fbeigern. Auch fonft find durch weitere Studien wefent-
liche Bereicherungen gewonnen worden; ich mache auf die Abfchnitte
über Jean Foucquet, über König Rene und über die wichtigen franzöfifchen
Bücherilluftrationen aufmerkfam.
Sodann aber war es das reiche und glänzende Gebiet des franzöfifchen
Kunfbhandwerks, welches hier zum erften Male im Zufammenhange mit
der Architektur der Zeit gefchildert worden ift. Indem hier eine Be-
fchränkung auf das der franzöfifchen Kunft befonders Eigenthümliche und Her-
vorragende geboten war, galt es die Tifchlerei und Holzfchnitzerei, das be-
XII
Vorwort zur zweiten Auflage.
deutende Gebiet der franzöfifchen Keramik mit den Prachtarbeiten eines
Paliffy und den glänzenden Schöpfungen der Oiron- Fayencen, aber auch
das Limofiner Email, die Glasmalerei und endlich den Bucheinband hervor-
zuheben.
Alle diefe Richtungen und Leiflungen der franzöfifchen Renaiffance-
kunft find um fo nachdrücklicher dem Studium unfrer Künftler, Architekten
und Kunfthandwerker zu empfehlen, als durch die eine Zeit lang gar zu
ausfchliefslich und wahllos betriebene Nachahmung unfrer deutfchen Re-
naiffance vielfach ein derber und überladener Zug in die moderne Produc-
tion gekommen ift , der felbft über die Grenze des in den alten Original-
werken zu Tage Tretenden noch hinausgeht. Diefer Richtung gegenüber
mufs immer wieder nicht blofs auf die italienifche Renaiffance, fondern
auch auf die franzöfifche hingewiefen werden, deren Feinheit und künft-
lerifche Harmonie uns in hohem Grade belehrend fein kann. Denn alles,
was die Wiffenfchaft erforfcht, foll dem fchafifenden Leben zu Gute kommen,
fich in frifch pulürende fchöpferifche Thätigkeit umfetzen.
Juni 1885.
W. LÜBKE.
INHALTSVERZEICHNISS.
ERSTES KAPITEL.
UMWANDLUNG DES FRANZÖSISCHEN GEISTES.
Seite
§ I. Karls VIII und Ludwigs XII
italienifche Feldzüge i
§ 2. Einflufs der italienifchen Züge auf
den Adel 4
§ 3. Einwirkung der antiken Studien . 6
§ 4. Jean Foucquet 9
§ 5. Die Bücherilluftration . . ' . . 15
§ 12. Nachblühen der kirchlichen Gothik 57
§ 13. Spätgothifcher Profanbau ... 58
§ 14. Das Schlofs zu Amboife ... 64
§15. Das Schlofs zu Blois 65
§16. Das Schlofs Gaillon 69
§ 21. Das Schlofs zu Blois 83
§ 22. Schlofs Chambord 88
§23. Schlofs Madrid oder Boulogne . 96
§ 24. Das Schlofs von Fontainebleau . 100
§ 25. Die Bau-Urkunden von Fontaine-
bleau III
Seite
§ 6. König Rene von Anjou ... 29
§ 7. Geistesrichtung Franz' I ... 32
§ 8. Umfchwung der Literatur ... 35
§ 9. Rabelais und die Thelemitenabtei 37
§ 10. Franz I und die Künftler ... 39
§ II. Grundzüge der franzöfifchen Re-
nailTance 43
§ 17. Die Künftler von Gaillon ... 74
§ 18. Denkmäler zu Ronen .... 77
§ 19. Der herzogliche Palaft zu Nancy 79
§ 20 Grabdenkmäler 81
§ 26. Das Schlofs St. Germain-en-Laj'e 116
§ 27. Das Schlofs La Muette . . . .120
§ 28. Das Schlofs Chalvau 122
§ 29. Das Schlofs von Villers-Coterets 125
§ 30. Schlofs Folembray 127
ZWEITES KAPITEL.
DER UEBERGANGSSriL UNTER KARL VIII UND LUDWIG XU.
DRITTES KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I.
A. KÖNIGLICHE SCHLÖSSER.
XIV
Inhaltsverzeichnifs.
VIERTES KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ L
B. LANDSITZE DES ADELS.
■§ 31. Das Schlofs Nantouillet
■§ 32. Das Schlofs Chenonceau
§ 33. Das Schlofs von Bury .
§ 34. Das Schlofs Le Verger.
■§ 35. Das Schlofs Varengeville
§ 36. Das Schlofs von Chantilly
■§ 37. Das Schlofs Chateaudun .
■§ 38. Das Schlofs zu Azay-le-Rideau
Seite
Seite
129
§
39-
Das Schlofs von Beauregard . .
149
§
40.
Andere Schlöffer des Loirege-
§
41.
Schlöffer der Normandie . . .
153
138
§
42.
Schlöffer in den öftlichen Pro-
139
144
§
43-
158
148
§
44.
Das Schlofs von Bournazel . .
164
^ 45.
§ 46.
-§ 47-
^ 48.
•§ 49-
§ 50.
§ 51.
§ 52.
FÜNFTES KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I.
C. STÄDTISCHE GEBÄUDE.
53. Bauten in Backftein und Quadern
zu Orleans 194
Gattungen flädtifcher Gebäude . 168
Der erzbifchöfliche Palaft zu Sens 172
Hotel Ecoville zu Caen . . .174
Andere Privatbauten der Nor-
mandie 179
Das Haus der Agnes Sorel zu
Orleans 181
Das Haus Franz' I zu Orleans . 185
Holz- und Fachwerkbauten in
Orleans 188
Privatgebäude in Quadern zu
Orleans 191
54. Andere Privatbauten im mittleren
Frankreich" 196
55. Das Haus Franz' I zu Paris .
56. Privatgebäude im Languedoc
57. Das Stadthaus zu Orleans
58. Das Stadthaus zu Beaugency
59. Das Stadthaus zu Paris . .
60. Oeffentliche Brunnen . . .
202
203
205
209
210
214
SECHSTES KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN V ALOIS.
A. DIE HAUPTMEISTER UND IHRE WERKE.
61.
62.
63.
64.
65.
Veränderte Zeitverhältniffe . .218
Umgeftaltung der Architektur . 222
Pierre Lescot und Jean Goujon 225
Der Palaft des Louvre .... 229
Jacques Androuet du Cerceau . 235
66. Philibert de l'Orme
243
246
67. De rOrme's Schriften . .
68. Das Schlofs Anet 250
69. Die Tuilerien 257
70. Das Schlofs von St. Maur . . 262
71. Jean BuUant 264
72. Das Schlofs Ecouen .... 267
SIEBENTES KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN VALOIS.
B. DIE ÜBRIGEN PROFANBAUTEN.
73-
74-
75-
76.
Das Schlofs Ancy-le-Franc . . 274
Das Schlofs Vallery 277
Das Schlofs Verneuil .... 278
Das Schlofs Charleval .... 286
77. Das Schlofs du Pailly .... 289
78. Das Schlofs Sully 294
79. Das Schlofs Angerville-Bailleul . 296
80. Das Schlofs Maune .... 300
Inhaltsverzeiclinifs.
XV
Seite
% 81. Die Gärten der Renaiffance . . 501
§ 82. Städtifche Gebäude in Orleans . 308
-§ 83. Städtifche Gebäude in den nörd-
lichen Provinzen 312
Seite
Das Stadthaus zu Arras . . .315
Städtifche Gebäude in den füd-
lichen Provinzen 3^7
ACHTES KAPITEL.
DER PROFANBAU UNTER HEINRICH IV UND LUDWIG XIII.
Der Palaft des Luxembourg .
Andere Werke von de Brosse
Privatfchlöffer diefer Zeit . .
Städtifche Privathäufer . .
Oeffentliche Gebäude . '. .
86. Weitere Umgeftaltung der Ar-
chitektur 322
87. Arbeiten am Louvre . . . .325
88. Arbehen zu Fontainebleau . .329
8q. Bauten zum öffentlichen Nutzen 332
90.
91.
92.
93.
94.
334
336
337
341
344
NEUNTES KAPITEL.
DER KIRCHENBAU DER RENAISSANCEZEIT.
§ loi. Kirchen im übrigen Frankreich . 365
§ 102. Thurmbauten . . . . ■ . ■
§ 105. Kapellenbauten 372
§ 104. Kirchen in ftreng klaffifchem
Stile -377
§ 105. Dekorative Werke 379
8 106. Grabmäler ........ 384
95. Die Entwickelungsftufen des-
felben 348
96. Kirchen zu Caen 35°
97. Andere Kirchen der Normandie 352
98. Kirchen zu Paris 357
99. Kirchen in Jsle de France . .361
§ 100. Kirchen zu Troyes 363
ZEHNTES KAPITEL.
DAS KUNSTGEWERBE DER EPOCHE.
% 107. Allgemeiner Charakter . . . .
§ 108. Schreinerei und Schnitzerei . .
§ 109. Töpferei, Terracotten und Stein-
zeug
§ 110. Bernard de Paliffy
392
394
401
§
III.
Die Fayencen von
Oiron . .
. 406
112,
Die Fayencen von
Nevers
• 409
§
113.
Limofiner Email
. 411
§
114.
418
§
115.
VERZEICHNISS
DER
ILLUSTRATIONEN
Verehrung der Madonna. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nachPhot. )
Einfegnung der Apoftel. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.>
Randleiften von G. Tory. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
Zierbuchftaben von G. Tory. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
Randleiften von Oronce Fine. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
Initialen von Oronce Fine. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
Cartouchenvignette. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
Initialen mit maurifchen Ornamenten. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.')
Aus Ovid's Metamorphofen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentik
der Renaiffance.)
Aus Ovid's Metamorphofen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentikc
der Renaiffance.)
Titelblatt aus Coufm's Perfpective.
Initialen aus Jehan Coufm's Perfpective.
Schlofs von Bury. (Du Cerceau und Viollet-le-Duc.)
Vom Schlofs zu Blois. (Baldinger nach Phot.)
Hotel Ecoville zu Caen.
Sens. Erzbifchöflicher Palaft. Hofarkade. (Sauvageot.)
Haus der Agnes Sorel. Decke im Obergefchofs.
Galerie im Schlofs La Rochefoucauld. (Baldinger nach Phot.)
Pilafter-Kapitäl von Fontainebleau. (Pfnor.)
Kamin aus dem Schlofs Du Pailly. (Sauvageot.)
Hotel de la Tr^mouille. Erdgefchofs. (Viollet-le-Duc.)
Schlofs Chaumont. (Baldinger nach Phot.)
Schlofs Martainville. Erdgefchofs. (Sauvageot.)
Schlofs zu Amboife. Aeltere Theile. (Du Cerceau.)
Schlofs zu Blois. Erdgefchofs. (Du Cerceau.)
Schlofs Gaillon. Erdgefchofs. (Du Cerceau.)
Schlofs Gaillon. (Du Cerceau und Deville.)
Verzeichnifs der Illuftrationen.
XVII
Fig. 28. Portal von Gaillon. (Baldinger nach Phot.)
» 29. Die Wendeltreppe im Schlofs zu Blois.
» 30. Schiofs von Blois. Theil der nördlichen Fa^ade. (Baldinger nach Phot.)
» 31. Schlofs Chambord.
5> 32. Schlofs Chanibord. (Du C erceau.)
» 33. Chambord. Laterne. (Baldinger.)
» 34. Schlofs Madrid. (Du Cerceau und V.-le-Duc.)
» 35. Schlofs Madrid. Mittelftück der Facade. (Du Cerceau und V.-le-Duc.)
» 36. Gefammtplan des Schloffes Fontainebleau. (Pfnor.)
» 37. Schlofs von Fontainebleau. Aus dem ovalen Hof. (Nach Pfnor.)
» 38. Schlofs von Fontainebleau. Theil der Südfa^ade des ovalen Hofes. (Pfnor.)
» 39. Fontainebleau. Theaterfagade. (Pfnor.)
» 40. Ballfaal zu Fontainebleau. (Sadoux.)
» 41. Fontainebleau. Grundrifs der älteren Theile. (Du Cerceau.)
» 42. Schlofs S. Germain. (Sauvageot.)
» 43. Aus dem Hofe des Schloffes von S. Germain. (Sauvageot.)
» 44. Schlofs La Muette. (Nach Du Cerceau.)
» 45. Schlofs Chalvau. Erdgefchofs. (Du Cerceau.)
» 46. Schlofs Chalvau. Vordere Facade. (Du Cerceau.)
5> 47. Schlofs Folembray. (Du Cerceau.)
» 48. Schlofs Nantouillet. (Sauvageot.)
» 49. Schlofs Chenonceau. (Du Cerceau.)
» 50. Schlofs Chenonceau. (Baldinger nach Phot.)
» 51. Schlofs Bury. (Du Cerceau und V.-le-Duc.)
» 52. Schlofs Chantilly. (Du Cerceau.)
» 53. Aus dem Hofe zu Chantilly. (Du Cerceau.)
» 54. Schlofs Chantilly. Pavillon aus König Heinrichs II Zeit. (Du Cerceau.)
» 55. Treppe zu Chateaudun. Grundrifs.
» 56. Treppe zu Chateaudun. (Chapuy.)
» S7. Schlofs von Azay-le-Rideau. (Baldinger nach Phot.)
» 58. Das Schlofs von Beauregard. (Du Cerceau.)
s> 59. Schlofs von Chanteloup. (Nach Sadoux-Paluftre.)
» 60. Schlofs von Uffon. (Baldinger nach Phot.)
f 61. Schlofs La Rochefoucauld. Oftfa^ade. (Baldinger nach Phot.)
» 62. Schlofs von Affier. (Baldinger nach Phot.)
» 63. Schlofs von Bournazel.
» 64. Erzbifchöflicher Palast in Sens.
3> 65. Caen. Hotel Ecoville. (Sauvageot.)
s 66. Hotel Ecoville. Hoffeite. (Sauvageot.)
» 67. Orleans. Haus der Agnes Sorel. (Mon. hift:.)
> 68. Haus der Agnes Sorel. Decke im Erdgefchofs.
i 69. Orleans. Haus Franz' L (Sauvageot.) '
5> 70. Orleans. Hof im Haufe Franz' l. (Sauvageot.)
» 71. Orleans. Haus Franz' L (Sauvageot.)
» 72. Haus in Orleans.
» 73. Haus in Orleans.
» 74. Orleans. Verkaufsladen.
» 75. Orleans. Rue du Chätelet.
» 76. Orleans. Marchs ä la volaille.
XVIII
Verzeichnifs der Illuftrationen.
Fig- 77-
79-
82.
87.
90.
91-
92.
93-
94-
95-
96.
97-
98.
99.
100.
lOI.
102.
103.
104.
105.
106.
107.
108.
109.
1 10.
III.
112.
115.
114.
115.
116.
117.
[ir
119.
120.
[21.
[22.
[23.
[24.
[25.
Orleans. Rue du Tabourg.
Orleans. Rue pierre percee.
Wohnhaus in Dijon. (Sauvageot.)
Sogenanntes Haus Franz' I in Paris. (Paluftre-Sadoux.)
Vom Stadthaus zu Orleans. (Mon. hift.)
Stadthaus zu Beaugency.
Brunnen zu Mantes. (Sadoux.)
Fontaine zu Clermont-Ferrand. (Chapuy.)
Plan des Louvre und der Tuilerien.
Paris. Louvre. HofFa^ade. (ßaldinger.)
Entwurf für eine Hausfa^ade. (Du Cerceau.)
Entwurf zu einem Schlöffe. (Du Cerceau.)
De rOrme's »franzöfifche« Säule. Louvre. (Baldinger nach Phot.)
Schlofs Anet. (Pfnor.)
Aus dem Hof von Schlofs Anet. (ßaldinger nach Phot.)
De l'Orme's Plan der Tuilerien. (Du Cerceau.)
Tuilerien. Theil von de l'Orme's Gartenfagade. (Du Cerceau und V.-le-Duc.
Schlofs St. Maur. (Du Cerceau.)
Schlofs Ecouen. (Baltard.)
Schlofs von Ecouen. (Baldinger nach du Cerceau.)
Schlofs Ancy-le-Franc. Erdgefchofs. (Sauvageot.)
Ancyle-Franc. Hoffa?ade. (Sauvageot.)
Aus dem Hofe des Schloffes Vallery. (Baldinger nach du Cerceau.)
Das Schlofs Verneuil. (Du Cerceau.)
Das Schlofs Verneuil. (Baldinger nach du Cerceau.)
Verneuil. Hofarkaden. (Baldinger nach du Cerceau.)
Schlofs du Pailly. (Sauvageot.)
Schlofs Sully. (Sauvageot.)
Schlofs Angerville-Bailleul. (Sauvageot.)
Schlofs Angerville. (Sauvageot.)
Das Schlofs Manne. (Du Cerceau.)
Gartenlaube zu Montargis. (Du Cerceau und Berty.)
Gartenanlage zu Verneuil. (Du Cerceau und Berty.)
Haus du Cerceau's zu Orleans.
Haus du Cerceau's zu Orleans. (Sauvageot.)
Vom Stadthaus zu Arras. (Berty.)
Aus dem Hofe des Hotel d'Assezat, Touloufe. (Berty.)
Louvre-Galerie Heinrich's IV. (Baldinger nach Phot.)
Fontainebleau. Aus dem Hofe Heinrich's IV. (Pfnor.)
Fontainebleau. Hirfchgalerie. (Baldinger nach Pfnor.)
Schlofs von Beaumesnil. (Sauvageot.)
Hotel Montescot zu Chartres. (Sauvageot.)
Vom Stadthaus zu La Rochelle. (Baldinger nach Phot.)
Caen. S. Pierre. (Baldinger nach Phot.)
Argentan. Kirche St. Germain. (Sadoux.)
Paris. S. Etienne du Mont. (Baldinger nach Phot.)
Paris. St. Euftache. (Baldinger nach Phot.)
Chambord. Dorfkirche. (Lafius.)
Dijon. S. Michel. (Baldinger nach Chapuy.)
Verzeichnifs der Illuftrationen.
XIX
Fig. 126. Kapelle in St. Jacques zu Rheims. (Lafius.)
» 127. Rouen. Kapelle S. Romain. (Sadoux.)
> 128. Kathedrale zu Toul. Ursula-Kapelle. (Lafius.)
■f 129. Kapellengitter zu Fecamp. (Sadoux.)
» 130. Kapellengitter in der Kathedrale zu Laon. (Sadoux.)
T 131. Grabmal in der Kathedrale zu Narbonne. (Baldinger nach Phot.)
» T32. Grabmal Ludwig's XII.
y> 133. Hausthüre zu Blois. (Baldinger nach Phot.)
» 134. Franzöfifcher Schrank nach Herdtie.
» 135. Bleiglafirte Gourde. Louvre.
» 136. Bodenplatten aus dem Mufeum zu Sevres.
s 137. Kanne von F. Briot. Samml. A. v. Rothfchild.
f 138. Steinzeug-Vafe. Louvre.
» 139. Schüffei von Paliffy. Samml. des Marquis de St. Seine.
» 140. Humpen von Paliffy. Louvre.
» 141. Schüffei von Paliffy. Louvre.
» 142. Schüffei von Paliffy. Louvre.
» 143. Kanne von PaUffy. Sammlung G. v. Rothfchild.
» 144. Fayencen von Oiron.
^ 145. Salzfass in Oiron-Fayence. Sammlung Fountaine.
» 146. Majolica-Vafe von Nevers. Mufeum zu Nevers.
s. 147. Perfffche Vafe von Nevers. Sammlung E. Pascal.
» 148. Bodenplatte aus dem Palafte der Herzoge von Nivernois. Mufeum zu
» 149. Emailkanne von Limoges. Kenfmgton-Mufeum.
» 150. Rand einer Email-Schale von Pierre Reymond. Louvre.
> 151. Theil einer Schüffei von Pierre Reymond. Sammlung Bafilewsky.
3> 152. Rückfeite einer Schale von Pierre Courtois. München.
. 153. Glasgemälde in der Schlofskapelle zu Vincennes. (Sadoux-Paliiftre )
» 154. Bucheinband für Jean Grolier. (Sammlung Dutuit.)
» 155. Bucheinband für den Grafen von Mannsfeld. (Sammlung Didot.)
» 156. Bucheinband für J. Grolier. (Nach Techener.)
> 157. Bucheinband aus der Bibliothek Franz' I. (Sammlung Dutuit.)
» 158. Bucheinband für Heinrich II. (Nach Techener.)
» 159. Bucheinband für Heinrich II.
» 160. Bucheinband für Heinrich II.
» 161. Bucheinband für A. de Montmorency. (Nach Techener.)
» 162. Bucheinband von Le Gascon. (Sammlung Dutuit )
> 163. Einband aus der Bibliothek des Cardinais Mazarin.
I. KAPITEL.
UMWANDLUNG DES FRANZÖSISCHEN GEISTES.
Karls VIII und Ludwigs XII italienische Feldzüge.
[ARL VII hatte Frankreich von den Engländern befreit,
Ludwig XI durch Niederwerfung der grofsen Vafallen
und durch Begünftigung des Bürgerftandes die könig-
liche Macht befeftigt und die Einheit des Reiches be-
fördert. So waren die Bedingungen gewonnen, unter
denen Frankreich in die neue Zeit eintreten konnte.
Um aber völlig mit dem Mittelalter zu brechen, be-
durfte es einer Einwirkung von aufsen, von dem Lande,
welches fchon feit dem Beginn des 15. Jahrhunderts
mit Entfchiedenheit den neuen Weg befchritten hatte und im glänzenden
Wiederfchein des klaffifchen Alterthums Kunfl und Wiffen, ja das ganze
Leben umzugeftalten ftrebte. Es waren königliche Erbanfprüche, welche
Karl VIII und Ludwig XII fowie fpäter Franz I über die Alpen führten \
im tieferen Grunde aber war es die überfchüffige Kraft der frifch auf-
blühenden franzöfifchen Nation, war es die durch das ganze Mittelalter die
germanifchen Völker bewegende Sehnfucht nach dem Süden, welche diefe
zahlreichen Kriegszüge veranlafsten. Die phantaftifche Fahrt des jugend-
lichen Karl VIII, unbefonnen und ohne Vorbereitung unternommen, macht
miehr den Eindruck einer übermüthigen Luftbarkeit als eines ernften Kriegs-
zuges. Es ift eine ununterbrochene Kette von Feftlichkeiten , in denen
Karl mit feinen gleich ihm jugendlichen Rittern fich beraufchte. In Turin
beginnt die Prinzeffm von Piemont in einem fabelhaft reichen Aufzuge,
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. I
2
Kap. I. Umwandlung des franzöfiichen Geiftes.
umgeben von einer Schaar junger Damen, ^) die Reihe diefer Lullbar-
keiten; in Afti weifs der verfchlagene Lodovico Sforza durch fünfzig der
feltenften und mindeft fpröden Schönheiten den thörichten und fchwachen^
leicht entzündbaren König zu feffehi ; in Fifa ifh es ein ganzer Chor
flehender Damen, durch die man ihn für die Befreiung der Stadt vom
florentinifchen Joch zu gewinnen fucht. Ueberall empfangen Triumphbögen,
fcenifche Darftellungen, hiftorifche Bilder, prachtvolle Aufzüge das Heer der
Franzofen. ^) Den Höhenpunkt erreicht dies Treiben in Neapel , deffen
üppige Fefte dem König und den Seinen ein zweites Capua wurden. Be-
fonders ift Karl hingeriffen von der Schönheit des Schloffes Poggio Reale^
diefer mit allem Zauber der Frührenaiffance gefchmückten Villa mit ihren
luftigen Hallen, ihren Springbrunnen, ihrem Rofenparterre und den fchat-
tigen Baummaffen ihres Parks. Serlio giebt im III. Buche feines Werkes
eine Aufnahme und Schilderung diefes jetzt verfchwundenei\, von König
Alfons erbauten Lufthaufes. In der Mitte, fagt er, war ein quadratifcher
von Arkaden umgebener Hof mit einem vertieften Baffm, zu welchem rings
Stufen hinabführten. Hier speifte der König an fchönen Tagen mit aus-
erwählten Damen und CavaHeren, und wenn es ihm gefiel, fo füllte fich
auf ein gegebenes Zeichen das Baffm mit Waffer, und Herren und Damen
bheben gemeinfam in diefem improvifirten Bade. Auch fehlte es nicht an
reichen Gewändern, um fich wieder anzukleiden, noch an köftlichen Betten
für die, welche der Ruhe bedürftig waren. »O delitie Italiane,« fetzt der
Berichterftatter in feiner Begeifterung hinzu: »come per la discordia noftra
fiete eftinte !'<
So that fich eine Welt voll ungeahnter Schönheit den Blicken der
erregbaren Franzofen auf. Statt ihrer mittelalterlich gefchloffenen, mit Wall
und Graben umgebenen, von finfter dräuenden Thürmen gefchützten, zinnen-
gekrönten Schlöffer fehen fie die fürftlich glänzenden offenen Paläfte mit
ihren Loggien und Arkaden, ihrem Schmuck von Marmor, Gemälden und
Bildwerken, die Villen mit ihren weiten Hallen, ihren prächtigen Gärten.
Daheim ift alles finfter, trotzig, kriegerifch; hier alles heiter, offen, lebens-
froh. Wir wiffen, welcher Reichthum von Meifterwerken durch zwei Ge-
nerationen von Architekten, Bildhauern und Malern feit Brunellesco, Ghiberti,
Mafaccio in Florenz und' den übrigen Städten Italiens in Kirchen, Kapellen
und Paläften entftanden war. Noch jetzt wirkt auf uns die Fülle diefer an-
Der Chronift, der in Schilderung ihres koftbaren Anzuges fchwelgt , fügt hinzu :
>et ainfi richement veftue eftoit montee für une hacquenee, laquelle eftoit conduicte par fix
laquets bien accouftrez de fin drap d'or broch^, avec une bände de damoifelles.« Desrey
in Monftrelet, chroniques. Vol. III. Paris 1603. fol. — ^) »C'eftoit chofe admirable ä voir
que toutes les figures d'hiftoire, des myfteres, des arcs triomphaux deflines au paffage du
roy et de l'armee de France.«
§ I. Karls VIII und Ludwigs XII italienifche Feldzüge.
3
muthigen Werke bezaubernd; wie mufs fie damals den folcher Schönheit
ungewohnten Nordländern im vollen Reiz der Neuheit überwältigend ent-
gegengetreten fein. Die mafliven Quadermauern der florentiner Paläfte ^)
finden felbft beim trockenen Chroniften Erwähnung, und der damals im
Glänze der Neuheit fchimmernde Palazzo Medici (Riccardi), der dem König
zur Wohnung angeboten wird, fcheint ihm ganz von Marmor erbaut.^) Mit
Vorhebe aber werden die Reize der Villen gefchildert, die in ihrer freien
Verbindung von Architektur, Garten- und Parkanlage ftets aufs Neue die
Bewunderung wecken. Auf Karl macht alles dies einen tiefen Eindruck ;
wir fehen ihn in Florenz und Rom 3) fleifsig umherwandern, namentlich um
die Kirchen und ihre Merkwürdigkeiten zu betrachten ; wir fehen ihn Kunft-
werke und Bücher kaufen und felbft eine Anzahl von Künftlern nach Frank-
reich berufen, um dort Arbeiten für ihn auszuführen. 4)
Noch ft^rker werden die Einflüffe Italiens unter Ludwigs XII weifer
und glücklicher Regierung. Deutlicher laffen fich die Eindrücke italienifcher
Kunft in den Aufzeichnungen der Chroniften erkennen. So fchildert Jean
d'Auton die Schönheit des Parks von Pavia, feiner prächtigen Baumgruppen,
der üppigen Wiefen, der Bäche und Springbrunnen, der Ziergärten und
Lufthäufer, der ihm ein w*ahres Eden zu fein fcheint. 5] So giebt er eine
genaue Befchreibung des Domes zu Genua mit feinem Portal, den Schiffen
und ihren Porphyrfäulen, der Kapelle Johannes des Täufers ^) mit ihren Sta-
tuen und dem marmornen Tabernakel fammt feinen Bildwerken. Alfo haben
die fchönen Arbeiten Matteo Civitali's von Lucca fich den Augen des könig-
lichen Hiftoriographen tief eingeprägt, obwohl er den Namen des Meifters
nicht nennt. Aber auch den Finger des Heiligen vergifst er nicht, mit
welchem diefer auf den Herrn gezeigt hat, und der »fupernaturellement fut
exempt de la puiffance du feu«. Die Bewunderung Italiens fpiegelt fich
auch fpäter noch in Rabelais' Pantagruel, wo Epistemon^) von einem Befuch
erzählt, den er vor Jahren mit andern Lernbegierigen gemacht, um die
»weifchen Gelahrten, Raritäten und Alterthümer« zu fehen. »Befchauten
uns eben aufmerkfam die fchöne Lag und Pracht von Florenz, den Bau des
Doms, die herrhchen Tempel und ftolzen Paläft« .... Dagegen fagt ein
Mönch aus Amiens: »Ich weifs nit was für Spafs euchs macht, die Leun
^) »De palais maffifs comme des citadelles.« — »Puis il fut accompagne au logis
qui luy eftoit prepare, appartenant ä Pierre de Medici, dont les murs font tous baftis de
marbre.« Lavigne, Journal, in Godefroy's Samml. zur Gefch. Karls VIII. Paris 1617. 4. —
3) »II alloit par recreation voir les lieux les plus curieux et les chofes les plus rares.* Lavigne
— 4) La renaiffance en Italie et en France ä l'epoque de Charles VIII par Eugene Müntz.
Paris 1885. Eine fehr werthvolle Arbeit. — s) Chroniques de Jean d'Auton I, 51: »que
mieux fembloit un Eden paradifique qu'une domaine terreftre.« — ^) Ibid. II, 230 sqq. —
7) Ich citire die treffliche Ueberfetzung, beffer gefagt Nachdichtung von G. Regis, IV, 11.
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Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
und Afrikanen (fo denk ich heifst ihr was man fonft Tiger nennt) dort bei
dem Wartthurm anzufchauen, desgleichen die Straufsen und Stachelfchwein
in dem Palaft Herrn Philipp Strozzi's. Mein Treu, lieber fäh ich einen guten
feiften Ganfert am Spiefs. Die Porphyr und Marmel da fmd fchön, ich
fchelt fie nicht: allein nach meinem Schmack weit beffer find doch die
Butter-Striezel von Amiens. Diefe antikifchen Statuen find wohlgemacht,
wills glauben: aber bei dem heiligen Ferreol von Abbeville, die jungen
Dirnlein bei uns zu Haus find taufendmal zuthulicher. « —
Auch Ludwig XII läfst Kunfl;werke und Künftler aus Italien kommen,
unter letzteren vor allem Fra Giocondo, den berühmten veronefifchen Bau-
meifi:er.') Doch werden wir uns vergeblich nach Spuren der Thätigkeit
desfelben umfchauen. Dagegen befitzen wir das Gefchichtswerk von Claude
Seyflel, den der König in feinen Dienft als Hifl;oriographen berufen hatte.
EINFLUSS DER ITALIENISCHEN ZÜGE AUF DEN AdEL.
DER franzöfifche Adel war noch ganz befangen in der Lebensweife und An-
fchauung des Mittelalters. In den italienifchen Kriegszügen erkennt man
das letzte Aufflammen des ritterlichen Geiftes und zugleich die erften Spuren
vom Untergange desfelben, vom Aufkommen einer neuen Gefittung. Karl VIII
zieht wie ein mittelalterlicher Degen aus auf romantifche Abenteuer, auf die
Eroberung Neapels und die ganz phantaftifche Einnahme Konftantinopels ;
Franz I ifl: der letzte Ritter und zugleich der Zerftörer des Ritterthums.
Noch lebt der Adel auf feinen fefi:en Schlöffern, aber durch Ludwig XI
war feine Macht gebrochen, die königliche Gewalt mehr und mehr zuneh-
mend; fo wird aus der Ritterfchaft allmähUch ein Hof- und Kriegsadel im
Dienfte der Krone. Zu Haufe fitzen die Edelfrauen noch in alter Sitte auf
ihren einfamen Schlöffern, von Jungfrauen aus vornehmen Gefchlechtern
umgeben, ihre Kinder erziehend, fbickend, lefend, auch wohl fchon fchrift-
ftellernd. Eine anmuthige Schilderung folchen Lebens haben wir an Ga-
briele von Bourbon, der erften Gemahhn des wackern Louis de la Tremouille,
die felbft kleine Abhandlungen > zu Ehren Gottes, der Jungfrau Maria und
zur Unterweifung junger Damen« verfafst."*)
Die Ritter felbft find aber gröfserentheils den Wiffenfchaften und Künften
nicht hold. Der Dichter Alain Chartier klagt: 3) »plus y a car ce fol langage
court aujourd'hui que noble homme ne doit favoir les lettres, et tiennent
ä reprouches de gentilleffe bien lire ou bien escrire.« Von feinen Kriegs-
zügen heimkehrend verachtet der franzöfifche Ritter die Italiener wegen
') Vafari, ed. Le Monnier IX, 1 59 und Note 2. — Mem. de Louis de la Tremouille,
chap. 12. — 3) L'esperance, ed. de Duchesne, p. 316.
§ 2. Einflufs der italienilchen Züge auf den Adel.
5
ihrer Weichlichkeit, die unzertrennlich von einer hohen Kulturblüthe zu fein
pflegt ; dennoch wirken die dort gewonnenen Anfchauungen einer glänzenden
Kunft umgeftaltend auf feinen Geifb, und unvermerkt ziehen Wiffenfchaften
und Künfte aus Italien felbft bei ihm ein. Den ftärkften Stöfs empfing aber
das feudale Leben durch die veränderte Kriegsweife der neuen Zeit, die
Einführung des fchweren Gefchützes und die überwiegende Bedeutung des
Fufsvolks. Der ritterliche Mann in fchwerer Rüftung auf feinem gleichfalls
gepanzerten Rofs giebt nicht mehr wie früher den Ausfchlag; fein Panzer
wird für ihn fortan mehr eine Laft als ein Schutz. Und ebenfo erging es
den feudalen Schlöffern, deren Mauern dem fchweren Gefchütz eben fo wenig
zu widerftehen vermochten wie der gefchloffenen Macht des Königthums.
So trägt alles dazu bei, den Adel in feinem Wefen umzugeftalten.
Dennoch find die alten Ueberlieferungen fo mächtig, das Gefühl und
Bewufstfein kriegerifcher Tüchtigkeit fo herrfchend, dafs das Ritterthum nur
langfam und fchwer feinen feudalen Charakter aufgiebt. Wie wenig zunächft
felbft die italienifchen Züge wirkten, merkt man aus den Aufzeichnungen
der Chroniften und Gefchichtfchreiber. Faft nichts bieten fie als Berichte
von Kriegsthaten, allenfalls wechfelnd mit Schilderungen von Fefben, deren
Glanzpunkt in mittelalterlicher Weife Turniere find. Erft unter Heinrich II
kommt auch darin die neue Zeit zum Durchbruch, und Brantöme erzählt
von einem Feft, welches der Kardinal von Ferrara diefem König zu Lyon
gab, und wobei er nach antiker Weife Gladiatorenfpiele , eine Naumachie
und endlich eine Tragödie zum Beften gab, die von italienifchen Schau-
fpielern und Schaufpielerinnen aufgeführt wurde, lauter Genüffe, wie der
Berichterftatter verfichert, die vordem in Frankreich noch nie erlebt worden
waren.')
Zu Ludwigs XII und felbft noch zu Franz I Zeit fpäht man vergeblich
in der Maffe der Memoiren nach künftlerifchen oder literarifchen Aufzeich-
nungen; felbft über italienifche Bauten oder Bildwerke findet man nur ver-
einzelte Notizen. Und fo dringt auch ins franzöfifche Leben nur fpärlich
erft der Einflufs Italiens. Wohl lefen wir fchon unter Ludwig XI bei einem
Einzug, den diefer im Jahre 1461 zu Paris hielt, von Sirenen, durch drei
fchöne nackte Mädchen dargeftellt, die den König empfingen, und die der
Chronift naiv genug fchildert.^) Bisweilen wird uns wohl erzählt, dafs die
') Brantöme, Mem. Henry II: »Cette entree donc fut accompagnee de plufieurs tres-
belles fingularitez, l'une d'un combat ä outrance et ä l'antique, de douze gladiateurs veftus.
de fatin blanc les fix, et les autres de fatin cramoifi fait ä l'antique Romaine« .... »La troi-
fieme belle chofe auffi fut cette belle naumachie, ou combat de Galeres tout ä l'antique.«
— 2) Les chroniques du Roy Louis XI, par Jean de Troyes, p. 16: »et fi y avoit encores
trois belies fiUes faifans perfonnaiges de Seraines toutes nues, et leur veoit on le beau tetin
droit fepare, rond et dur, qui eftoit chofe bien plaifante.«
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Kap. L Umwandlung des franzöfilchen Geiftes.
jungen Herren fich mit Ballfpielen ergötzen, die, wie ausdrücklich hinzu-
gefügt wird, aus Italien eingeführt find.')
Ein andres Mal läfst vor Ludwig XII eine florentinifche Tänzerin ihre
Künfte fehen.^) Im Uebrigen bleibt der Sinn für das höhere Schöne in
der Maffe felbft der gebildetften Kreife noch ftumpf, ja verfchloffen. Nur
einzelne feinere Geifter wie Comines haben ein Auge dafür. Inmitten feiner
diplomatifchen Verhandlungen findet diefer Staatsmann doch Zeit für Beob-
achtungen anderer Art. Er fchilderts) die Häufer von Venedig mit ihrer
Bekleidung von iftrifchem Marmor, Porphyr und Serpentin ; mit der pracht-
vollen Ausftattung ihrer Zimmer, den vergoldeten und gemalten Decken,
den marmornen mit Bildwerken gefchmückten Kaminen, den koftbaren Betten,
Teppichen und anderem Mobiliar. Er erzählt uns, dafs die Quaderfteine
am Dogenpalaft an den Fugen eines Zolles Breite vergoldet find, dafs drinnen
die Säle in Gold und Farben fchimmern. Er bewundert'*) die Marmorpracht
der Certofa von Pavia, die fchönfhe Kirche, die er je gefehen; er ift es
auch, durch den wir Kunde von den künftlerifchen Unternehmungen Karls VIII
erhalten s). Aufser diefem und feinem Nachfolger ift es aber der Minifter
Ludwigs XII, der Kardinal Georg von Amboife, der als Förderer der Kunft,
als Verbreiter eines neuen höheren Kulturlebens fich verdient macht. Von
feiner Kunftliebe giebt Nichts eine fo hohe Vorftellung wie die glänzende
Refidenz, die er fich zu Gaillon baute, und die er mit aller Pracht aus-
fchmückte, obwohl das Schlofs nicht fein Befitzthum, fondern das feines
Erzbisthums Ronen war. In demfelben Geifbe bauten auch ein Julius II und
Leo X, nur dafs des Kardinals Kunftliebe noch uneigennütziger war, da er,
durch Staatsgefchäfte ftets ferngehalten, während feiner ganzen Regierungs-
zeit nur ein dutzend Mal auf wenig Tage feine LiebUngsfchöpfung befuchen
konnte.^)
CHON Ludwig XI hatte griechifche Gelehrte in fein Land berufen, die
O BibHothek vermehrt, die Univerfität von Paris zu reorganifiren begonnen.
Karl VIII, mehr noch Ludwig XII, fetzen diefe Beftrebungen fort und fuchen
in aller Weife die klaffifchen Studien zu fördern. Zunächft bewirken die
antiken Studien einen Umfchwung in der Literatur, der fich indefs nur
') Mem. de Fleuranges in der Coli. univ. XVI, 6 u. 7: »Monfieur d'Angoulesme (nach-
mals Franz I) et le jeune adventureux jouoient ä l'escaigne, qui eft un jeu venu d'Italiet . . . .
»jouoient ä la groffe boule, qui eft un jeu d'Italie non accoutume de par decä.« — 2) Chro-
niques de Jean d'Auton III, 9. — 3) Memoires de Phil, de Comines, 1. VII, chap. 15. —
+) Ebend. 1. VII, chap. 7. — 5) Ebend. 1. VIII, chap. 18. — 6) A. Deville, comptes des de-
penfes de la conftruction du chäteau de Gaillon. Paris 1850, p. XVII.
§ 3-
Einwirkung der antiken Studien.
§ 3- Einwirkung der antiken Studien. 7
»
langfam vollzieht, anfangs vielfach gehemmt durch pedantifche Unbehülf-
lichkeit. Noch verharrt die Mehrzahl der Chroniften im naiven Ton ihrer
fchlichten, ungefchmückten Erzählung; aber Andre, die nach dem Ruhm
des Hiftorikers ftreben, ringen nach kunftvollerer Darftellung, fchlagen zier-
lichere Weifen an, beginnen die antiken Gefchichtsfchreiber nachzuahmen.
Treffend bemerkt Ranke : ^) »Der italienifche Geift ward von den klaffifchen
Muftern zur Nachbildung ihrer Formen angeregt, der deutfche durch das
Studium der Sprache auf die Urkunden des Glaubens und ihre Aneignung
im Geifte zurückgeführt; der franzöfifche fetzte fich mit der Mannigfaltig-
keit des Inhalts der alten Autoren, namentlich des Gefchichtlichen in un-
mittelbare Beziehung. Auf die Form der franzöfifchen Literatur hatten die
Alten damals keinen befonderen Einflufs.«
Das belle Beifpiel dafür bietet Jean d'Auton, Ludwigs XII Hiftorio-
graph und Hofpoet. Gleich in der Vorrede feines Werkes fpricht er es
aus,^) dafs wie bei den Griechen und Römern die Feder beredter Dichter
und anmuthiger Redner nicht weniger zum Wohle des Staates beigetragen
habe, als die Lanze der tapferften Krieger, fo habe er fich mit Tinte und
Papier alle Mühe gegeben der öffentlichen Sache nach Kräften zu nützen.
Sein Buch wimmelt von antiken Citaten, die manchmal mühfam genug
herbeigeholt fmd und den naiven Ton der Erzählung oft feltfam unter-
brechen. So wenn er einen Sturm des franzöfifchen Heeres mit einer
Belagerung der Unterwelt, um Proferpina und Eurydice zu rauben,^) ver-
gleicht; wenn er die Mäfsigkeit des Königs der Ueppigkeit eines Sarda-
napal entgegenfetzt ;^) wenn er die vom Feinde in Brand gefetzten Felder
mit der von Phaeton's Sturz angezündeten Erde vergleicht ; s) wenn er bei
Erwähnung der Infel Mitylene feine Kentniffe der griechifchen Sage und
Gefchichte auskramt;^) befonders aber wenn er feine Helden fchön ftyh-
firte Reden im Geifte des Livius halten läfst.?) Zu kindifcher Spielerei
mifsbraucht er die lateinifche Sprache oder vielmehr einen Schein derfelben
bisweilen in Verfen wie folgende:
»Ora per duces confors ter regens et poffes Syon :
Or a perdu fes conforts, terres, gens et pojfejßon.
Ludo vicia fui demi lana Germanie:
Ludovic y a fui de Milan a Germanie. d.
Uebrigens meint er naiv,^) es fei kein Wunder, wenn die Bücher der
Griechen, Römer und »andrer barbarifcher Völker« reicher an fchönen
Worten und löblichen Dingen feien als die »unferen«, fo rühre das von
Franz. Geich. I, 124. — Chroniques de jean d'Auton, publ. par Paul L. Jacob,
Paris 1834. I, 2. - 3) Ebend. I, 46. - 0 Ebend. I, 61. - 5) Ebend. I, 85. - 6) Ebend.
11^ 55. _ 7) z. B. die Rede Lodovico Sforza's an feine Hauptleute I, 171. — Jean
d'Auton III, 79.
8
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
dem Mangel an guten Styliften. (Beiläufig: Diefe Anwendung des Wortes
Barbar haben fich die Griechen wohl nicht träumen laffen.) Nicht minder
pedantifch ift das endlofe Klagegedicht') auf den Tod der Tomaffina Spinola
von Genua, die fo fchwärmerifch in Ludwig XII verliebt war, dafs fie auf
die falfche Nachricht feines Ablebens wirklich ftarb. Die ganze griechi-
fche Mythologie wird zu ihren Ehren geplündert, Neptun feierlich apoftro-
phirt, die Todtenrichter, Parzen, Najaden, Dryaden und Oreaden, Nereiden
und Satyrn werden angerufen und alle berühmten Liebenden des Alter-
thums in Contribution gefetzt. Bei folch kraufen Gefchmacklofigkeiteii
kann die Gefchichte jenes unglücklichen Skeptikers nicht Wunder nehmen,,
dem die antike Mythologie fo zu Kopf geftiegen war, dafs er in der Ste.
Chapelle dem celebrirenden Priefter die Hoftie entrifs mit den Worten:
5>foll diefe Narrheit ewig dauern .\< Jean d'Auton erzählt mit Entrüftung,
dafs derfelbe nur Jupiter und Hercules als Gottheiten anerkannt, alle Ge-
fetze aufser den natürlichen geleugnet und fogar zu der Behauptung fich
verftiegen habe, die Seeligen würden kein anderes Paradies finden als die
Champs elyfees. Der arme Schelm wurde demnach rite verbrannt, wie der
Chronift naiv hinzufetzt :^) »et lui brüle tout vif comme deffervi l'avoit.«
Wie weit die Vorliebe ging antike Anfpielungen zu machen, beweift
unter anderm das Tagebuch Louifens von Savoyen, 3) Franz' I Mutter, die
bei aller Kürze diefer knappen Aufzeichnungen doch Gelegenheit findet
auf Cäfar's Commentarien zu verweifen und zu bemerken, dafs bei dea
Römern Ardres »Ardea« und Calais »Caletum« oder »portus Itius« genannt
werden. Diefelbe Dame zeigt uns, wie mit diefen Studien merkwürdige
Züee von Freidenkerei zufammenhängen, die indefs mit wunderhchen Aeufse-
rungen mittelalterlichen Aberglaubens verquickt find. So meint fie, im
Kriege feien lange Paternofter und Gebetmurmeln nicht am Platz, denn
das fei eine befchwerliche Waare, die im Kampf höchfi:ens Leuten diene,
die nicht wiffen was zu thun. Daneben freilich zahlreiche Züge eines kraffen
Wunderglaubens.
So finden wir überall in diefer Zeit diefelbe Mifchung : mittelalterliche
Anfchauungen, vom Geift der neuen Zeit angehaucht, und in diefem Gäh-
rungsprozefs die erfteren immer mehr von letzterem verdrängt: die finftere
Scholaftik der Sorbonne von dem freien Aufleben der antiken Literatur,
die ftrenge Zucht des altväterifchen Schlofslebens von der ungebundenen
Gefelligkeit des Hofes, die ritterliche Kampfweife von der neuen Krieg-
führung mit Fufsvolk und Gefchütz. Auf allen Punkten dringt ein neues
Fluidum in die geiftige Atmofphäre; diefe ifb noch fchwer, nebelicht, trübe;
■) Ebend. III, 125 ff. — Ebend. III, 33. — 3) Journal de Louife de Savoie (Coli,
•de Michaud et Poujoulat, V.).
4- Jean Foucquet.
9
aber fie fängt an fich zu bewegen, aufzurollen, zu zertheilen. Gerade fo
äufserlich, werden wir finden, find die antiken Formen den gothifchen Con-
ftruktionen und Anlagen der Gebäude aufgeheftet. Die Gefinnung ifl; und
bleibt noch geraume Zeit mittelalterlich gebunden, nur hie und da im
Einzelnen fchleicht fich ein neues Ausdrucksmittel ein.
U den merkwürdigften Erfcheinungen der Uebergangszeit gehört der
Maler Jean Foucquet von Tours. Wir befitzen über ihn zahlreiche
eingehende Arbeiten, fo dafs es hier nicht Noth thut, auf das allgemein
Bekannte zurückzukommen. Wir wiffen, dafs er als »der gute Maler und
Illuminator (enlumineur) König Ludwigs XI« bezeichnet wird, und dafs er
für diefen Fürften und für andere vornehme Perfonen eine Anzahl von Hand-
fchriften mit Miniaturen gefchmückt hat. Dahin gehört die franzöfifche
Ausgabe des Jofephus in der Nationalbibliothek zu Paris, wahrfcheinlich
für den Herzog von Nemours um 1465 ausgeführt. Unter den 14 darin
vorhandenen Bildern darf man 9 auf Foucquet's Hand zurückführen. Eben-
dort ift ein franzöfifcher Livius gleichfalls mit Miniaturen Foucquet's ge-
fchmückt. Ein anderer Livius mit Bildern des Meifters findet fich in der
Bibliothek zu Tours, ein Virgil in der Bibliothek zu Dijon, mit Minia-
turen, die vielleicht feiner Schule angehören. Bedeutender ift ein anderes
Werk, ein für den Schatzmeiflier Karls VII und Ludwigs IX Etienne Chevalier
ausgeführtes Gebetbuch, das leider nicht mehr als Ganzes vorhanden ift,
von dem aber nicht weniger als 40 Miniaturen im Befitze des Herrn Ludwig
Brentano la Roche zu Frankfurt a/M. fich befinden, während zwei andre
Blätter an den Baron Feuillet de Conches nach Paris und an Lady Springle
nach London gelangt find.
Ein anderes Werk, von den uns erhaltenen vielleicht das frühefte , ift
die franzöfifche Ueberfetzung von Boccaccio »de cafibus virorum et foeminarum
illuftrium«, jetzt in der Hofbibliothek zu München. Das Buch ift nach
einer infchriftlichen Notiz am 24. November 1458 durch den Schreiber
vollendet worden, worauf fich die Arbeit des Malers unmittelbar ange-
fchloffen haben wird. Foucquet fteht in diefen Schöpfungen nicht blos als
einer der vorzüglichften Miniatoren aller Zeiten da, fondern er vereinigt in
feiner Kunft die Vorzüge der damaligen flandrifchen Malerei mit den Er-
rungenfchaften feiner italienifchen Zeitgenoffen. ^) Der flandrifche Realismus
§ 4.
Jean Foucquet.
0 Mrs. Marc Pattifon, the renaiffance of art in France (London 1879) leugnet den
flandrifchen Einflufs (I. p. 290) wie mir fcheint mit Unrecht.
lO
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
in der genauen Schilderung der Wirklichkeit, der durchaus individuellen
Geftalten, der reichen Zeitkoftüme, der perfpektivifch abgeftuften landfchaft-
lichen und architektonifchen Gründe, verbindet fich mit jenem Sinn für
rhythmifchen Aufbau der Compofitionen wie ihn die damalige italienifche
Kunft, namentlich die florentiner Schule, entwickelt hatte. Manches erinnert
an die milde Anmuth eines Fra Angelico, befonders der edle Stil der Ge-
wandung, der Ausdruck der Köpfe und das meift in einer lichten Tonfcala
durchgeführte Colorit. Am auffallendften aber ift, dafs Foucquet in feinen
Werken neben den häufig vorkommenden gothifchen Gebäuden, wie feine
Heimat fie ihm auf Schritt und Tritt darbot, die Formen der Renaiffance mit
grofser Vorliebe anwendet, und zwar nicht blofs in jener naiven Vermifchung mit
mittelalterlichen Elementen, wie fie dem ganzen Norden bis tief in's i6. Jahr-
hundert geläufig war, fondern oft in völlig reiner und von auffallendem
Verftändnifs zeugender Weife, fo dafs man fagen mufs, dafs Foucquet allen
übrigen nordifchen Künftlern der gefammten Frührenaiffance in dieser Hin-
ficht um mehr als ein Menfchenalter vorausgeeilt war. Erwägen wir, dafs
um die Mitte des 15. Jahrhunderts mehrere namhafte fiandrifche Künftler
fich längere Zeit in Italien aufhielten und gleichwohl in ihren Werken nicht
den leifeften Einflufs der Kunft des Südens fpüren laffen , fo wird die
Erfcheinung Foucquets nur noch merkwürdiger. Ohne Frage mufs der
Künftler, der zwifchen 141 5 und 1420 in Tours geboren fein mag, fich
längere Zeit in Italien aufgehalten haben. Vasari') erzählt in feinem Leben
Filarete's, dafs diefer durch einen fehr ausgezeichneten Maler Giovanni
Focchetta (in der zweiten Ausgabe in Foccora corrumpirt,) das Bildnifs
Papfh Eugens IV für St. Maria fopra Minerva habe malen laffen. Filarete
felbft berichtet ebenfalls diefe Thatfache, wobei er aber den Namen des
Malers in Giachetto Francioso corrumpirt. Dies mufs im Jahre 1443 ge-
fchehen fein, als Eugen IV nach feiner Vertreibung durch die Römer auf
den päpftlichen Stuhl zurückkehrte. Auf dasfelbe Bild bezieht fich der
italienifche Humanift Francesco Florio, der um 1477 von Tours aus in einem
Briefe an feinen Freund Jacobo Tarlato den Johannes Fochettus über alle
Maler der Welt, felbft über Polygnot und Apelles, erhebt, und befonders
die Gemälde desfelben in der von Ludwig IX ausgeftatteten Kirche Notre
dame la riche nicht genug zu rühmen weifs. Seit 1461 läfst fich dann
Foucquet in den Urkunden als angefehener, für den franzöfifchen Hof viel
befchäftigter Meifter in der Heimat nachweifen, wo er um 1480 geftorben
fein mufs.
Für iinfre Betrachtung ift es von Werth, feftzuftellen, in welchem Um-
fange der Meifter fich die Formen der italienifchen Renaiffance zu eigen
0 Valari ed. Sanfoni II, 461.
4- Jean Foucquet.
gemacht hat. Unterfuchen wir zunächft den Münchener Boccaccio, der
durch die Pracht feiner Ausftattung und den Reichthum feiner Illufbrationen
einen hohen Rang einnimmt. Unter den 91 Bildern ragt durch Gröfse und
Fig. I. Verehrung der Madonna. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.)
Schönheit das 28^/2 cm. breite und 34 V2 cm. hohe Titelblatt hervor, welches
eine Gerichtsfitzung darftellt. Karl VII felbft thront in feinem Parlament,
umgeben von den Grofswürdenträgern der Krone, während der General-
12
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
prokurator die Anklage verlieft, und im Vordergründe bewaffnete Wächter
das herandrängende Volk zurückzuhalten fuchen. Das Blatt mit feinen etwa
300 Figuren fteht nicht blos an Gröfse und Reichthum, fondern auch an
Feinheit der Ausführung, Schärfe der Charakteriftik und harmonifcher
Farbenpracht einzig da. Aufser diefem Prachtftück ift noch eine Anzahl
andrer Bilder auf Foucquet felbft zurückzuführen, namentlich die gröfseren
Darftellungen, welche den einzelnen Kapiteln vorausgehen. Befonders
anziehend ift die mehrmals in Variationen wiederkehrende Scene, wo
Boccaccio am Schreibpulte fitzt und in dichtem Gedränge die berühmten
Männer und Frauen fich ihm nahen, als wollten fie ihm felbft ihre Gefchichte
erzählen. Der Seffel mit feinem Baldachin ift gothifch, ebenfo die Ein-
faffung des Bogens, aber die Zwickelflächen find mit antiken Medaillonköpfen
gefchmückt, und der Abfchlufs zeigt Renaiffanceformen mit Voluten und
Akanthus. Zum letzten Male erfcheint die Hand des Meifters auf Blatt 122.
Die grofse Mehrzahl namentlich der kleineren Abbildungen vertheilt fich
auf zwei Gehülfen, von denen der eine dem Meifter nahe zu kommen fucht,
während der andere durch matteres Colorit und fchwächere Zeichnung fich
als beträchtlich geringer darfteilt. Was die angewandten architektonifchen
Formen betrifft, fo treten zwifchen den gothifchen die Renaiffancemotive
ziemHch häufig auf; es fehlt nicht an Rundtempeln mit Kuppeln, antiken
Portalen und korinthifchen Pilaftern ; mehrmals kommen römifche Triumph-
bögen vor mit allerlei kleinen Varianten, wobei die Kenntnifs römifcher
Triumphthore unverkennbar ift. Wo der Einblick in ein Gemach gegeben
wird, befteht die Umrahmung des Bildes in der Regel aus cannelirten
korinthifchen oder römifchen Pilaftern,
Steht hier indefs überall das architektonifche Beiwerk ziemlich befcheiden
da, fo nimmt es eine ungleich höhere Bedeutung in Anfpruch bei den herr-
lichen Blättern zu Frankfurt, die dem nach oft wiederholtem infchriftlichen
Zeugnifs für »MaiftreEftienne Chevalier« ausgeführten Gebetbuch entftammen.
Wie diefes Werk unbedingt die Höhe der künftlerifchen Leiftungen Foucquets
bezeichnet, fo zeigt er fich auch im Verftändnifs und der Anwendung der
architektonifchen Formenwelt als einen Mann, der die grofsen Neuerungen
der italienifchen Kunft fich völlig zu eigen gemacht hat. Schon darum
mufs diefes Werk als das reifere, alfo auch fpätere bezeichnet werden.
Wohl weifs der Künftler die malerifchen mittelalterlichen Profpecte feiner
Heimat mit vollem Verftändnifs vorzuführen; bisweilen wendet er auch die
gothifchen Formen für den Gefammtaulbau feiner Compofitionen an, wie
denn die Verkündigung in einem gothifchen Chor vor fich geht, wo die Ma-
donna fich mit ihrem grofsen Gebetbuche auf einem Teppich häuslich
eingerichtet hat. In andern Fällen mifcht er beide Bauweifen in naivfter
Art, fo in der Verehrung der Madonna (Fig. i), wo diefe in einer reichen
§ 4- Je^n Foucquet.
13
gothifchen Portalnifche thront, deren Füllung das Mufchelmotiv der Renaif-
fance zeigt. Noch auffallender ift die an das Portal unmittelbar anftofsende
Wandbekleidung im Hintergrunde mit ihren cannelirten korinthifchen Pila-
flern und genau durchgeführtem antikem Gebälk. Auch die über diefem
Fig. 2. Einregnung der Apoftel. Miniatur von J. Foucquet. Frankfurt. (Kettlitz nach Phot.)
fich tummelnden nackten Genien , welche Medaillons halten und Fruchtge-
winde auf den Schultern tragen, fmd Elemente der Renaiffance und con-
traftiren eigenthümlich mit den auf andern Blättern mehrfach vorkommen-
den bekleideten Engelknaben, die durch das Diakonengewand fich als Kinder
des Mittelalters zu erkennen geben.
14
Kap. I. Umwandlung des franzöfilchen Geiftes.
Wo der Künftler die feierlichfte Pracht entfalten will, wie auf dem
herrlichen Eingangsblatt, wo der Stifter von feinem Schutzpatron St. Stephanus
empfohlen und von mufizirenden Engeln begleitet vor der Madonna kniet,
da ift durch cannelirte korinthifche Pilafter, prächtige Wandtäfelungen, reiche
antike Gefimfe mit feftonhaltenden Genien die Renaiffance zum vollen
Ausdruck gekommen. Aber bezeichnend genug thront die Madonna in
einer gothifchen Nifche, fo dafs hier doch wohl für die Himmelskönigin
eine Form von myftifcher Feierlichkeit gewählt wurde. Bei der Begegnung
zwifchen Maria und Elifabeth fieht man feitwärts einen Altarbau unter
einem von Compofitafäulen getragenen Baldachin, deffen Gebälk und Gefims
der ionifchen Ordnung folgt. Bei der anmuthigen Scene, wo die Apoftel
zum Antritt ihrer Wanderfchaft eingefegnet werden (Fig. 2), fchliefst wiederum
eine Wand mit Marmorgetäfel, gegliedert durch cannelirte korinthifche Pi-
lafter, und abgefchloffen durch ein prachtvolles antikes Gebälk und Gefims
mit Stierfchädeln und Fruchtfchnüren den Hintergrund ab. Auf dem Gefims
fieht man drollige nackte Flügelknäbchen paarweife Wappen haltend und
Lorbeerzweige fchwingend. Der Brunnen aber, der die Mitte einnimmt und
mit feinen W^afferftrahlen die Knieenden befprengt, zeigt gothifche Formen.
Nochmals kommt dann die Antike ausfchliefslich und in höchfher Pracht
bei der Darftellung der Vermählung Maria's und Jofeph's zur Geltung, denn
ein dreithoriger Triumphbogen, der bis auf die. reichen Reliefs, die plaftifch
gefchmückten Schlufsfteine, die fchwebenden Victorien in den Zwickeln und
die Caffettirungen der gewölbten Thorwege den römifchen Vorbildern nach-
geahmt ift, bildet den Abfchlufs. Merkwürdigerweife aber ifi: diefes Pracht-
ftück der Architektur, das die Auffchrift templum Salomonis trägt, mit
zwei Compofitafäulen decorirt, deren Schäfte gefchweift und in horizontalen.
Streifen abwechselnd mit gewundenen Cannelirungen und allerlei Relief-
fcenen bedeckt find. Woher der Künftler diefe Anfchauungen entlehnte,
die hier zum erften Mal auftreten, dann bei Rafael in den Cartons für die
Teppiche wiederkehren, um endlich bei dem coloffalen Tabernakel in St.
Peter in das gröfste monumentale Mafs übertragen zu werden, wiffen wir
nicht. Was aber die gefammten Renaiffanceformen Foucquets auszeichnet,,
ift der Umftand, dafs fie nicht aus den dekorativ überfchwänglichen Schulen
Oberitahens, woher die deutfchen Meifter von Nürnberg und Augsburg
ihre Anfchauungen fchöpften, fondern aus der ftrengeren florentinifchen
Auffaffung fich herfchreiben. Brunellesco, Mafaccio, Fra Angelico find
die Vorbilder unferes Meifters; namentlich des letzteren Wandgemälde in
S. Marco find mit Hintergründen ähnlicher Art ausgeftattet, bei denen der
cannelirte korinthifche Pilafter eine grofse Rolle fpielt. Dafs Foucquet
mit feiner Hinneigung zu den antiken Formen in feiner Nation über ein
halbes Jahrhundert vereinzelt blieb, werden wir fpäter fehen.
5- Die Bücherilluftration.
15
§ 5-
Die Bücherillustration.
PÄTER als die merkwürdigen Schöpfungen Foucquets, aber doch früher
ti]^ als die monumentale Erfcheinung der Renaiffance in Frankreich, find die
Leiftungen des Bücherdrucks, fofern fie fich auf die künftlerifche Ausftat-
tung der Bücher beziehen. Wir haben hier nicht jene überftrömende Phan-
tafiefülle, jene geiftreiche Kraft und Mannigfaltigkeit der Erfindungsgabe
zu verzeichnen, wie fie Deutfchland in diefer Epoche darbietet. Bei uns
war es der Sieg der Reformation, der eine volksthümliche Literatur von
unglaubHchem Reichthum hervorrief und damit zugleich eine Freude an
künftlerifcher Ausftattung, welche durch die Thätigkeit von Meiftern wie
Dürer, Burgkmaier, Holbein, Kranach u. A. die mächtigfte Förderung er-
fuhr. In Frankreich, wo die Reformation bald unterdrückt wurde, blieb
die Literatur weit mehr ein Befitzthum der vornehmeren Kreife, und es
war in erfter Linie der Hof, namentlich Franz I, der »Vater der Wiffen-
fchaften«, (pere des lettres) , welcher diefe Richtung förderte. Nur fehr
langfam brach fie fich Bahn und faft noch länger als in Deutfchland blieb
beim Bücherdruck die gothifche Type in Kraft, da befonders in den bürger-
lichen Kreifen man mit grofser Zähigkeit an dem nationalen Stil der Gothik
fefthielt. Als dann doch, durch die Verbindungen mit Itahen, durch die
Kriegszüge Karls VIII und Ludwigs XII, die Einflüffe der Kunft des Südens
fich geltend machten, endlich aber Franz I fich der neuen Kunft der Re-
naiffance mit Begeifterung zuwandte, mufste auch die Typographie die
alten ausgetretenen Geleife verlafsen und in neue Bahnen einlenken.')
Dies gefchah nun zunächft in der Weife, dafs die Buchdrucker für die
Ausftattung ihrer Erzeugniffe die Ornamente, Randleiften, Vignetten, Zier-
buchftaben u. dgl. aus italienifchen Büchern einfach copiren liefsen, fo dafs
bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts gröfstentheils folch ent-
lehntes Schmuckwerk in den franzöfifchen Büchern angetroffen wird. Daraus
ergab fich auch für die folgende Zeit ein ziemHch enger Anfchlufs an
italienifche Formgebung und an die mehr zeichnerifch plaftifche, als male-
rifche Behandlung der italienifchen Illuftration. Franz I in feiner Be-
geifterung für die Wiffenfchaften und Künfte war es, der durch fein Ein-
greifen der franzöfifchen Typographie einen Auffchwung verlieh. Er be-
ftätigte die von feinem Vorgänger den Buchdruckern und Buchhändlera
verliehene Steuerfreiheit, fchuf die Hofbuchdruckerftellen und ertheilte Pri-
I) Vergl. A. F. Butfch, die Büciierornamentik der Renaiffance. München 1880. FoL
II. Bd. Das Folgende beruht auf Studien in den Bibliothelien zu Stuttgart und München^
von denen namentlich letztere reich an den fehenften Werken der damaligen franzöfifcherk
Literatur ifl.
FLetus longaeui rex regum mifer*
rus,angelum mirrir gaudium pro
Iudl^u:vt dicat Annx, Tempore fenili
prolem habebis.
Erenim vcrbi concipies marre Anna
tu gaucle:quoniä nec tale eße nec cre»
dasfuturam.hanc dicct omnes beatä.
loachim magno gaudio replerur vo
ce du audit angeli dicenris,Pariet tibi
Anna matrem dei grande praf cö^is.
Gloria patri genitaeque proli, fiamini
(ando,virginiq; matri,qii?clei natum
genuit hominem,fit lauspcrennis.1^-
Necdum erant abyfli»?^ . Et ego iam
concepra eram. Oratio.
DEus ineffabilis mifericordia?, qui
primae piacula.mulierts per vir?
gine expianda (anxifti:da nobis qu^fii
mus cöceptionis eins memoria digne
vcnerari,quaf vnigenitu tnü virgo cos
Fig. 5. Randleiften von G. Tory. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiflance).
§ 5- Die Bücherilluftration.
viligien gegen den Nachdruck, forgte für die Verbefferung der Typographie,
indem er die Beftrebungen eines Geofroy Tory, Simon de CoHnes, Robert
Etienne , Conrad Neobar und Anderer förderte. Allerdings liefs er fich
durch die Furcht vor dem Ueberhandnehmen der Reformation 1534 zu
einem Verbot des Bücherdrucks hinreifsen , und der gelehrte R. Etienne
mufste 1550, weil er der neuen Lehre anhing, nach Genf flüchten ; aber
dies konnte kaum vorübergehend die Entwicklung der Typographie hemmen,
die bis gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts immer noch Beachtens-
werthes leiftete.
Bezeichnend für den Charakter der franzöfifchen Illuftration ifl und
bleibt es, dafs fie wie die gefammte Kunft Frankreichs überwiegend unter
dem Einflufs des Hofes fteht. Sie gewinnt dadurch die Richtung auf das
Feine und Elegante und erinnert in diefer Hinficht an die Miniaturmalerei
des Mittelalters, die aus denfelben Gründen in Frankreich vorzugsweife
nach formalem Reiz ftrebte. Weiterhin ift es beachtenswerth , dafs nur
die Officinen von Paris und Lyon in ihren typographifchen Leiftungen eine
felbftändige Bedeutung gewinnen; aber fo Glänzendes fle auch hervor-
bringen, fo unleugbar in diefen Arbeiten fleh der den Franzofen eigen-
thiimliche feine Gefchmack offenbart, fo bietet doch Frankreich nicht das
Bild jener unerfchöpflich reichen, wenngleich im ganzen Charakter viel
derberen Mannigfaltigkeit wie Deutfchland, wo in zahlreichen gröfseren und
kleineren Städten ein erflaunlich rühriger Wetteifer in der typographifchen
Arbeit herrfcht. Auch hier alfo treffen wir diefelben Züge, welche in der
gefammten übrigen Kunfl; und Kultur beide Länder unterfcheiden.
Unter den franzöflfchen Drucken vom Ausgang des 15. Jahrhunderts
fmd die zahlreichften , immer wieder aufs Neue reproduzirten , die unter
dem Namen der »Heures« bekannten Gebetbücher , deren Maffenhaftigkeit
allein von der Devotion und dem Fefthalten an den kirchlichen Ueber-
lieferungen den deutlichften Beweis giebt. Die erften Drucke diefer Art,
die von Simon Vofl:re aus dem Jahre i486 und die von Philippe Pigouchet
und Antoine Verard aus den beiden folgenden Jahren tragen in ihren Typen,
fovvie in der Ornamentik noch durchaus den gothifchen Charakter. Noch
kein Hauch der neuen Kunftweife läfst fleh fpüren, und die in fpätmittel-
alterlichen Formen behandelte Ornamentik ift durch Handmalerei ausgeführt,
fo dafs diefe kleinen Bücher auf den erften Blick den Eindruck von Manu-
fcripten mit Miniaturen machen. Im Wefentlichen herrfcht diefer Charakter
felbft noch in den Heures, welche Jehan de Brie 15 10 herausgab. Auch
hier ift faft durchgängig das Gepräge des Mittelalters, die Schrift gothifch,
Initialen und Bilder gemalt , letztere zeigen fleh grobkörnig im Stil
der Spätzeit des 15. Jahrhunderts. Aber fchon beginnt die Renaiffance,
wenngleich noch fchüchtern, einzudringen, denn auf der Ausgiefsung des
LUBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl.
i8
Kap. 1. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
heiligen Geiftes zeigt der Thron der Madonna gleich der umgebenden Halle
die allerdings noch ziemlich derben, wenig verftandenen Formen des neuen
Stils. In den ungefähr gleichzeitigen Heures von Germain Hardouyn
herrfcht im Wefentlichen noch dasfelbe Verhältnifs : gothifche Schrift und
reich ausgemalte fpätmittelalterliche Ornamentik. Aber fämmtliche gröfsere
Bilder fmd mit, freilich übelverftandenen, Renaiffancerahmen eingefafst, wobei
neben den Pilaftern vom Gebälk Blumengewinde herabhängen, dies Alles
merkwürdig nüchtern und trocken gezeichnet. Aber auch fonft fchlägt das
Architektonifche in Renaiffanceformen um, fo beim Tode der Maria, und
bei der Ausgiefsung des heiligen Geiftes der Thron der Madonna; dagegen
fmd die einzelnen Seiten überall mit mittelalterlichem Laubornament ein-
gefafst. In einer andern Ausgabe der Heures , die den Namen desfelben
Verlegers trägt, tritt nun plötzlich die Antiquafchrift auf und verändert mit
einem Schlage die gefammte Phyfiognomie des Buches. Das Format ift
viel kleiner als bei dem vorher befprochenen und auch die herzlich unbe-
Fig. 4. Zierbuchftaben von G. Tory. (Aus Butlch, Bücherornamentik der RenailUince.)
deutenden Bilder zeigen geringeren Maafsftab. Ihre Umrahmung aber ift
genau diefelbe mit trocknen doriftrenden Pilaftern , Gebälken und Blumen-
gehängen, Man erkennt alfo auch hier den Kampf der neuen mit der alten
Zeit, die merkwürdige Gährung der beiden Weltanfchauungen, welche damals
aufeinander ftiefsen.
Ueberaus bemerkenswerth fmd die »Menüs propos, compofez par Pierre
Gringoire. Paris, Philippe le Noir 1528.« Das kleine Buch trägt trotz der
vorgefchrittenen Zeit überwiegend noch mittelalterlichen Charakter, ift
namentlich mit gothifchen Lettern gedruckt. Die Initialen dagegen find
antik, der Grund indefs mit gothifchem Laubwerk gefüllt. Die Bilder find
derb mit einfacher aber kräftiger Schattirung, manche gut gezeichnet und
lebendig bewegt, im Ganzen jedoch von fehr verfchiedenem Werth. Von
irgend einer ornamentalen Einrahmung ift hier nirgends die Rede, Im fol-
genden Jahr (1529) erfchien »Champfleury auquel eft contenu lart et fcience
de la deue et vraye Proportion des Lettres attiques, quon autrement lettres
Antiques et vulgairement Lettres Romaines proportionnees felon le Corps
Fig. 5. Randleiften von Oronce Fine. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
2*
20
Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
et Vifage humain. Paris par Maiftre Geofroy Tory de Bourges, Libraire
et autheur du dict Livre et par Giles Gourmont auffi libraire >;. Hier tritt
uns alfo jenes grofse Beftreben der Renaiffancezeit , überall zu den letzten
Gründen vorzudringen, Alles auf wiffenfchaftliche Gefetze zurückzuführen,
in einem bedeutenden Verfuch entgegen, für die Zeichnung der neu auf-
gekommenen Antiquafchrift in den Verhältniffen der menfchlichen Geftalt und
des Antlitzes fefte Grundlagen zu gewinnen. Das Buch ift vornehm aus-
geftattet, namentlich mit einem reizenden Laubalphabet auf hellem Grund
gefchmückt. Auffallend dürftig ift das Titelblatt, gering in Zeichnung und
Schnitt, aber es trägt ein elegantes Buchdruckerzeichen, eine aus antiker
Vafe hervorblühende Narciffe. Die Schlufsvignette zeigt dasfelbe Signet,
aber von einer aufserordentlich fchönen, nur im Umrifs höchft elegant ge-
zeichneten Fruchtguirlande eingefafst. In der Vorrede, wo auch der bekannte
Bücherfreund Jean Grolier citirt wird, ergeht fich der Verfaffer in Bemer-
kungen über die Veränderungen und den Verderb der franzöfifchen Sprache:
»La langue Frangoife, pour la plus grande part, fera changee et peruertie.
Le langage dauiourdhouy eft change en mille fagons du Langage qui eftoit
il y a Cinquante ans ou enuiron. Lautheur du Liure des Efchecqtz difoit
en fon temps Neantplus et nous difons Non plus. II difoit Bien eft voir
et nous difons Bien eft vray.« etc.
In diefem Werke begegnet uns zum erften Mal der grofse Reformator
des franzöfifchen Bücherdrucks, Geofroy Tory, der als Freund des berühmten
Druckers Simon de Colines, bald auch als felbftändiger Drucker nicht blofs in
der Antiquafchrift, fondern auch in der gefammten ornamentalen Ausftattung
den Geift der Renaiffance zur Herrfchaft brachte (f 1533). Seine geiftvollen
Vignetten, die graziöfen Blumenalphabete (Fig. 4), die Kopfleiften und Titel-
einfaffungen (Fig. 3) führen mit einem Schlage die ganze Anrnuth der Re-
naiffance in den Bücherfchmuck ein und geben auf lange Zeit der fran-
zöfifchen Illuftration das herrfchende Gepräge. Neben ihm ift hauptfächlich
Oronce Fine zu nennen, der ebenfalls von der italienifchen Renaiffance aus-
geht, in einzelnen Formen aber altheimifchen Traditionen folgt und zuerft einen
etwas kräftigeren Ton anfchlägt. (Fig. 5.) Neben diefen Hauptmeiftern ift dann
befonders noch Salonion Bernard (»le petit Bernard«) zu nennen, der feit
Ausgang der vierziger Jahre für den Lyoner Bücherdruck eine Menge der
graziöfeften Arbeiten, reich verzierte Alphabete, Randleiften, Vignetten u. dgl.
lieferte, aufserdem aber auch jene köftlichen Bibelbilder zeichnete, die auf
dem kleinften Raum, ähnlich den berühmten Holbein'fchen Arbeiten, die
den Meifter wohl begeiftert haben, die gröfste Lebendigkeit entfalten. Die
franzöfifche Illuftration erreicht in den Werken diefes vorzüglichen Künftlers
ihren Höhenpunkt. In feinen Bahnen bewegen fich dann die Monogram-
miften C. B., P. V. und G. L. Diefe Richtungen beftimmen auf lange Zeit
5. Die Bücherilluftration.
21
den Charakter der franzöfifchen Buchilluftration, bis dann in der zweiten
Hälfte des i6. Jahrhunderts das Cartouchenwerk mit feinen derberen Formen
eindringt. Dazwifchen wirkt die Ornamentik der Schule von Fontainebleau
mit ihren itahenifchen »Grotesken« ein, die überhaupt für die gefammte
Dekoration der franzöfifchen Renaiffance mafsgebend wird.
Zu den graziöfefben Schöpfungen der franzöfifchen Illuftration gehört
die Hecatomgraphie'') von Gilles Corrozet, 1543 in Paris bei Denys
Janot erfchienen. Das kleine Buch in Sedez ift in fchöner Antiquafchrift
gedruckt, die Seiten zur Linken mit zierlichen kleinen Bildern gefchmückt,.
die Einfaffungen durch Laubwerk, Masken und phantafhifche Figürchen im
edelften Stil der Frührenaiffance gebildet, das Ganze in feiner feinen Raum-
vertheilung von köftlichem Reiz. Das Titelblatt enthält ein Frontifpiz, deffen
Fig. 6. Initialen von Oronce Fine. (Aus Butlch, Bücherornamentik der RenailTance.)
Compofitapilafter Rahmen und Laubwerk zeigen und das durch einen kleinen
hübfchen Giebel abgefchloffen wird.
In demfelben Verlag war einige Jahre früher (1539) le theatre des
bons eng in s^) von Guillaume de la Fernere erfchienen, ebenfalls in Sedez^
die Schrift antiqua, aber curfiv, das Ganze ebenfalls fehr elegant, wenn
auch nicht fo zierhch wie das vorerwähnte Buch. Das Titelblatt ift hier
reicher geftaltet, die Pilafter find dorifch, aber mit vorgelegten Balufter-
fäulchen, deren Schaft mit Weinranken umwunden ift. Der obere Bogen-
') Hecatomgraphie, c'eft ä dire les defcriptions de cent figures et hyftoires, contenans
plufieurs appophthegmes prouerbes fentences et dictz tout des anciens que des modernest.
Paris. Denys Janot. 1543. — Le theatre des bons engins, auquel font contenuz cen
emblemes moraulx, compofe par Guillaume de la Perriere Tolofain. Paris. Denys Janot-
(Der Margaretha von Navarra gewidmet.)
22
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
abfchlufs ift mit Voluten und Laubwerk gefüllt, unten fieht man ein Liebes-
paar im Garten. Die kleinen gefchichtlichen Bilder ftehen auf der linken
Seite, die erklärenden Verfe rechts. Erftere haben Einrahmungen von vier
verfchiedenen Randleiften, wie in dem vorerwähnten Buche, während Letztere
einfachere Einfaffungen und zwar ebenfalls vier verfchiedene Mufter zeigen.
In beiden Werken fmd nur einzelne Initialen zur Verwendung gekommen.
§ 5- Die Bücherilluftration.
23
Zu den ftattlichften Erzeugniffen der Frühzeit gehört fodann die
Protomathefis des Oronce Fine vom Jahre 1532.') Das Titelblatt zeigt
ein prächtiges , etwas derb gezeichnetes und kräftig fchattirtes Frontifpiz,
eingefafst von Frührenaiffance-Pilaftern mit Laubkapitälen, Sirenen, davor
frei heraustretende Kandelaber , Säulchen mit lappigem Laubwerk und
Delphinen, die Krönung phantafbifch mit Ranken, Genien und Salamandern,
letztere auf Franz I bezüglich, dem das Werk gewidmet ift. Im Bogen-
feld Herkules im Kampfe mit der Hydra. Auch das Dedikationsblatt ift
durch reiche Ranken mit Sirenen, Salamandern und Balufterfäulen gefchmückt.
Von ungewöhnlicher Pracht find die zu den Initialen vielfach verwendeten
Alphabete (Fig. 6) theils ganz grofse mit herrlichem Laubwerk, fchwarz
auf weifsem Grunde, andere mit reizenden kleinen Figuren. Im grofsen O
das Portrait des Künftlers. Auch die Kopfleiften , welche geometrifche
Inftrumente Zirkel, Winkelmafse, Quadranten in hübfchen Laubgewinden
zeigen, find reizend.
Fig. 8. Initialen mit maurifchen Ornamenten. (Aus Butlch, Bücherornanientik der Renailiance.)
Um die Mitte des Jahrhunderts vollzieht fich eine Umwandlung des
Stils. Diefelbe kündigt fich fchon in Jean le Maire's Illuftration de
Gaule ^) an, 1549 in Lyon bei Jean de Tournes erfchienen. Das Titelblatt
ift fchon vollftändig in dem trockenen und derben Cartouchenftil mit
feinen gerollten Bändern und Schnörkeln behandelt und zeigt auch in den
Figuren , den Karyatiden , gefeffelten bocksfüfsigen Atlanten , hockenden
Satyrn und dgl., den völlig umgewandelten Gefchmack. Prachtvoll find die
Initialen , einige ganz grofse und befonders fchöne mit Laubwerk auf ge-
punztem Grunde, andere mit Laubornamenten und allerlei Figürlichem eben-
falls auf gepunztem oder dunkel fchattirtem Grunde, dies alles noch im
beften Stil der Frührenaiffance, fo dafs fich in demfelben Werke zwei Ver-
zierungsweifen begegnen. Auch hübfche Kopfleiften und Vignetten fchmücken
Orontii Finei Delphinatis liberalium disciplinarum profefforis Regii Protomathefis,
opus uarium ac fcitu non minus utile quam iucundum nunc primum in lucem foeliciter
emiffum. Parifiis anno 1532. — 2) Les illuftrations de Gaule et fmgularitez de Troye, pas
Maiftre Jehan le Maire de Beiges. Auec la couronne Margaritique et pluffieurs autres
Oeuvres de luy non iamais encore imprimees. Lyon. Jehan de Tounies MDXLIX. Fol.
24 Ka.p. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
das prächtig ausgeftattete Buch. Denfelben neuen Cartouchenftil finden wir
in dem grofsen Fohobande des Commentars zu den Evangelien, der
1552 in Paris erfchien.') Das Titelblatt zeigt ein üppiges Cartouchenwerk
Fig. 9. Aus Ovids Metamorpholen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentik: der Renaiflance.)
mit Masken und Fruchtgehängen und jenen phantaftifchen Satyrgeftalten
mit geflochtenen Schlangenfchwänzen ftatt der Füfse , wie fie fortan in der
') Clariffima et facillima in quatuor facra Jefu Chrifti evangelia nec non in actas
Apoftolicos fcholia ex praecipuis tarn Graecorum quam Latinorum fententiis felecta, Joannis
Benedicti theologi cura emendata. Authore Joanne Gagneio Parifis ap. Carolam Guillard
viduam Claudii Chevallonii et Guilelmum Desboys, fub fole aureo, in via diuijacobi. 155^. Fol.
§ 5- Die Bücherilluftration.
franzöfifchen Renaiffance beliebt werden. Die zierlichen Initialen fmd meift
auf lichtem Grund, der mit maurifchen Ornamenten durchwoben ift, wie fie
fortan vielfach zur Verwendung kommen (Fig. 8).
Fig. 10. Aus Ovids Metamorphofen von Salomon Bernard. (Aus Butfch, Bücherornamentik der Renaiffance.)
Im Gegenfatz dazu halten gewiffe Erzeugniffe der damaHgen Preffe
noch einige Zeit an der befcheidenen und anmuthigen Ornamentik der früheren
Epoche feft. So namentlich die zierlichen kleinen vom fogenannten Petit
Bernard illuftrirten Bilderausgaben biblifcher Gefchichten, wie
fie mit franzöfifchem , deutfchem, niederländifchem, italienifchem und felbfb
26
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
fpanifchem Text ') feit den fünfziger Jahren durch mehrere Dezennien von
Lyon aus in die ganze Welt gingen. Die reizenden kleinen Bilder ver-
rathen zwar in den überlangen Figuren den Manierismus der Zeit, aber
die Tittelblätter mit ihrem feinen Rankenwerk gehören noch der Früh-
renaiffance. Die gröfste Mannigfaltigkeit und Schönheit finden wir in den
1557 bei Jean de Tournes erfchienenen , ebenfalls von Bernard illuftrirten
Metamorphofen des Ovid.^) Hier kommt auch das aus den Damas-
cirungen der Waffen hervorgegangene maurifche Blattornament fchon beim
Titel aufs reizendfte zur Verwendung, bald weife Ornamente auf fchwarzem
Grund , bald umgekehrt. Aufserdem herrfcht in den reichen Randver-
zierungen, welche jede Seite einfaffen, die bunte Welt der Hermen, Mas-
carons u, dgl. im Stil der Schule von Fontainebleau. (Fig. 9 u. 10.)
In prächtiger Weife kommt der durch die grofsen Architekten gegen
die Mitte des Jahrhunderts ausgebildete Stil in dem Foliobande von 1 549 zur
Geltung, der den Einzug Heinrichs II in Paris darfteilt. 3) Schon das
Titelblatt ift im vollen Cartouchenftil gehalten; aber befonders geben die
Triumphbögen und andere Prachtdekorationen den vollen Einblick in die
nunmehr ganz von der Antike beherrfchten Anfchauungen der Zeit. Nicht
weniger als fünf folcher Pforten, bald mit einem, bald mit drei Thoren,
geben die verfchiedenen Schattirungen der antiken Architektur vom einfach
dorifchen bis zum reicliften korinthifchen Stil. Befonders beachtenswerth
ift die Brücke von Notre Dame mit ihrem als Laubgewölbe behandelten
Oberbau, wo Sirenen die aus Blumengewinden beftehenden Gurte der Ge-
wölbe tragen. Ueber • der letzten reichgefchmückten Triumphpforte, vor
welcher auf Poftamenten vier heftig bewegte Reitergruppen aufgeftellt fnid,
erhebt fich ein Saal »ä la mode Frangoife, garnie de croifees ä vitres«.
An diefe Arbeiten fchliefsen fich die Werke der grofsen Kunfttheore-
tiker der Zeit, unter welchen Jehan Coußn einen hervorragenden Rang ein-
nimmt. In feiner 1560 zu Paris erfchienenen Perfpective '^j zeigt fchon das
Titelblatt (Fig. 11) eine Compofition im eleganteften Cartouchenwerk, mit
reizenden Figuren meift phantafhifcher Art, Faune, Sirenen u. dgi. Oben
halten zwei liegende nackte Frauen die königliche Krone , welche von
=') Quadernos ystoricos de la biblia. J. de Tournes. Lyon 1553. Dann 1558. 1559.
Guillaume Roville 1564, 1565. Eftienne Michel 1582. Ich citire nur die Ausgaben, die mir
vorgelegen haben. — La metamorphofe d'Ovide figuree. J. de Tournes. Lyon 1557.
— 3) C'eft l'ordre qui a efte tenu a la nouvelle et joyeufe entree que tres hault tres
excellent et tres puiffant Prince le Roy tres chreftien Henry deuzieme de ce nom a faicte
en fa bonne ville et cite de Paris capitale de fon Royaume le fezieme iour dejuin MDXLIX.
Paris. Jacques RofFet dit le Faulcheur. Fol. — Liure de Perfpective de Jehan Coufm
Senonois, maiftre peinctre ä Paris. Paris de l'imprimerie de Jehan le Royer imprimeur du
Roy es Mathematiques. 1560. Fol.
28
Kap. I. Umwandlung des franzöüfchen Geiftes.
Genien mit Schmetterlingsflügeln bekränzt wird. Es ift eine der fchönften
und eleganteften Schöpfungen der Zeit. Auf dem erfben Blatt von faft
doppelter Gröfse, das daher eingefchlagen ift, fleht man in einem derb-
gezeichneten Cartoucherahmen »les cinq corps regulairs de Geometrie« und
»certains perfonnages racourciz felon ceft art«; die Figuren in kühnem
Michelangeleskem Stil meifterlich verkürzt, Aufserdem fchmückt eins
der fchönften und gröfsten Alphabete diefes Buch, weifse Buchftaben auf
lichtem Grund, umgeben von zierlich gezeichneten fchwebenden, hockenden
fliegenden, kopfüberftürzenden Figürchen, in welchen der Meifter ebenfalls
feine Kunft der Verkürzung zur Geltung bringt; aufserdem Füllungen von
herrlichem Laubwerk; andere Buchftaben mit Thierfigürchen und dem<
fchönften Rankenornamente. Aehnlich flnd die Kopfleiften behandelt, mit
phantaftifchen Figuren aller Art, mit Füllhörnern, Laub- und Rankenwerlc.
Fig. 12. Initialen aus Jehan Coufins Perfpective.
Dafs fodann die PubHkationen der grofsen Architekten der Zeit in
ihrer Ausfl;attung denfelben künflilerifchen Charakter zeigen, bedarf kaum
der Erwähnung. So die Reigle Generalle d'Architectur e von Jean
BuUant, Paris 1564. Das Titelblatt zeigt einen reichen Cartouchenrahmen
mit fl:arkbewegten Figuren, Atlanten und Karyatiden, Genien und Masken.
Herrlich flnd die grofsen Liitialen, weifs auf lichtem Grunde mit Blumen
und Laubranken, dazwifchen einzelnes Figürliche. Ebenfo flnd die Kopf-
leiften mit trefflich gezeichneten Figuren und Blattornamenten; das Ganze
von vornehmer Pracht. Etwas einfacher, aber ebenfalls gediegen ifl: der
1559 in Paris erfchienene Folioband von Du Cerceaus Ar ch i tec tu r a.
Die ftaatlichen Liitialen, weifs auf lichtem Grunde, reich mit Figürlichem,
namentlich Phantaftifchem, gefchmückt, flnd etwas derb und ungelenk ge-
zeichnet und ebenfo gefchnitten. Glänzender wieder ift das Werk Serlios
ausgeftattet, welches 1560 in Lyon erfchien.') Das Titelblatt mit Frucht-
0 Extraordinario libro di architettura di Sebaftiano Serlio. In Lione. Gugl. Rovillio
1560. Fol.
§ 6. König Rene von Anjou.
fchnüren und Cartouchen, letztere jedoch fehr gemäfsigt, wird durch Satyrn,
Masken und Genien im Gefchmack der Zeit belebt. Sehr reich ift die
Ausftattung- mit gefchmückten Initialen, unter denen wir drei verfchiedene
Alphabete antreffen. Das Erfte, fehr grofs, hat fchwarze Buchftaben auf
hellem Grund, der mit Blumen und Vögeln durchwebt ift. Das Zweite
zeigt weifse Buchftaben auf gepunztem Grund mit fehr fchönen Laubranken
im Charakter der Frührenaiffance. Das Dritte, etwas kleinere, fetzt feine
fchwarzen Buchftaben von einem Grunde ab, der mit maurifchem Blattwerk
belebt ift. Man fieht, wie für die Ausfchmückung der Buchftaben alle Motive
damaliger Ornamentik verwerthet find.
Diefe wenigen Beifpiele werden genügen, den Charakter und die Ent-
wicklung der franzöfifchen Bücherilluftration anzudeuten.
dem »guten« König Rene ein Ehrenplatz. Die Perfönlichkeit diefes
kunftliebenden und allem Anfcheine nach felbft in der Malerei dilettirenden
Fürften ^) ift der lebendigfte Ausdruck der fich vielfach kreuzenden künftle-
rifchen Strömungen jener Zeit. Denn in feinen Bauten noch durchaus dem
Mittelalter angehörend, neigt er fich in der Malerei der flandrifchen Schule
■der van Eyck zu, während feine plaftifchen Unternehmungen italienifchen
Urfprung verrathen. Von dem durchaus noch gothifchen Charakter feiner
Bauten giebt das kleine Tarascon eine Anfchauung. Der öde, armfelige
•Ort, der dem Vorbeifahrenden nur durch die gigantifchen Maffen feines am
Rhone-Ufer aufragenden alten Schloffes bemerkbar wird, war einft die
Refidenz des »guten« Königs Rene. Aber von dem heiteren Leben an
feinem mufenfreundlichen Hofe geben die finfteren Mauern und Thürme
des durch ihn erbauten Schloffes keine Ahnung. Nirgends geftatten die
fenfterlofen Flächen, die gleichfam blind in der heiterften Landfchaft liegen,
einen Blick in die Herrlichkeit der umgebenden Natur, und die Zinnenkränze
mit ihren drohenden Machicoulis vollenden den Eindruck einer Zeit, die
noch tief im Feudalismus des Mittelalters mit feiner Gefetzlofigkeit und
Fehdeluft vergraben war. Erft im engen Hofe des jetzt als Gefängnifs
dienenden Baues fpricht fich in der weiten Rundbogenhalle und der zier-
lichen Wendeltreppe die Stimmnng wohnlichen Behagens aus, und von der
Plattform des Daches fchweift das Auge entzückt über die liebliche Land-
fchaft, welche der ftolze Flufs weithin durchftrömt.
^) Wenn auch die ihm zugefchriebenen Gemälde fchwerlich von feiner Hand find, wie
-das Triptychon in der Kathedrale zu Aix und die Altartafel im Hofpital zu Villeneuve
(bei Avignon.
§ 6.
König Ren^ von Anjou.
Renaiffance in Frankreich gebührt
30
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
Allerdings war fein Leben mit feinen wechfelnden Schickfalen für jene
fcheinbar widerftreitenden Tendenzen beftimmend. Zu Angers i. J. 1409
geboren, als zweiter Sohn des Herzogs Ludwig von Anjou und feiner Ge-
mahlin Jolanthe, Tochter König Johanns I von Arragonien, erbte er von
feinem Grofsvater die Anwartfchaft auf den Thron von Neapel, während er
durch feine Gemahlin Ifabella, die Tochter Karls I von Lothringen, An-
fprüche auf diefes Herzogthum befafs. Als er diefelben geltend zu machen
fuchte, wurde er jedoch gefangen genommen und von 143 1 — 1437,
kurzer Unterbrechung, in Dijon internirt. Dort ohne Zweifel am glänzenden
burgundifchen Hofe lernte er die durch ihre erftaunliche Lebenswahrheit
alle anderen gleichzeitigen Kunftleiftungen übertreffende flandrifche Malerei
kennen und fchätzen. Als er dann 1438 — 1442 fich nach Neapel begab,
um feine Anfprüche an den königlichen Thron mit Gewalt der Waffen
durchzufetzen, vermochte er gegen Alfons von Arragonien nicht durchzu-
dringen und kehrte nun nach der Provence zurück, um bis zu feinem Tode
i. J. 1480 fich den ihm mehr zufagenden friedlichen Beftrebungen in Kunft
und Poefie hinzugeben.
In Italien, wo damals gerade die Frührenaiffance in ihrer erften Blüthe
ftand, hat er Gefchmack an ihren feinen Schöpfungen gewonnen und auch
mit den berühmteften Humaniften Verbindungen angeknüpft.') So mit
Francesco Filelfo, mit Antonio Marcello, der ihm durch Guarino von Verona
eine Ueberfetzung des Strabo vermittelte, mit Maggio und Lorenzo Valla.
Von feiner Verbindung mit den italienifchen Künfblern zeugen zunächfb
mehrere Medaillen, befonders jenes prächtige Stück, welches er 1462 durch
Pietro da Milano (bezeichnet »Opus Petri de Mediolano«) fertigen liefs.^)
Sie zeigt auf dem Avers die charaktervoll behandelten Bildniffe des guten
Königs und feiner zweiten Gemahlin Johanna de Laval, auf dem Revers
eine figurenreiche Ceremonie mit einem tempelartigen Gebäude im Hinter-
grund, wo man in der Mitte den König, vielleicht in einer Gerichtsfitzung
thronen fieht. Aufserdem finden wir Medaillen des Königs von Francesco
Laurana, vielleicht einem Verwandten des bekannten Luciano Laurana,
welcher 1468 den Bau des Palaftes von Urbino leitete. Laurana hat auch
Ludwig XI von Frankreich dargeftellt und ebenfo finden wir von ihm eine
Medaille des Herzogs Johannes von Calabrien, des Sohnes von König Rene. 3)
Auf der Rückfeite derfelben fieht man einen antiken Rundtempel, von
korinthifchen Säulen umgeben, auf deffen Kuppeldach der Erzengel Michael
mit Schild und Lanze fteht. So find es auch hier die Werke der Klein-
') Vgl. E. Müntz, la renaiffance, S. 481 ff. — ^) Vgl. Alois Heifs, les medailleurs de
la renaiffance. Francesco Laurana. Pietro da Milano. Ebenfo Jul. Friedländer im Jahrbuch
der k. preufs. Kunftfammlungen. III. Heft 3 u. 4. — s) Abgeb. bei Heifs u. bei Friedländer.
§ 6. König Rene von Anjou.
31
kunft, in welchen zuerft der neue Stiel zum Ausdruck kommt, fo war es
zu allen Zeiten, bei den Vorfahren der Griechen, die in den Goldfchmiede-
arbeiten zuerft die orientalifche Kunft kennen lernten, fo im frühen Mittel-
alter, als der byzantinifche Stil durch Elfenbeinfchnitzereien, miniirte Hand-
fchriften und die Werke der Juweliere im Abendlande eindrang. Derfelbe
Laurana, der mit feinem Kunftgenoffen Petrus von Mailand am Hofe des
Königs Rene lebte, hat dann auch fogar den Hofnarren Triboulet mit feinem
Narrenftab auf der Schulter auf einer Medaille darftellen müffen, auf der
Rückfeite ein liegender Löwe, der aber eher einem Pudel ähnlich fieht.i)
Wichtiger für uns ift eine Medaille desfelben Künftlers vom Jahre 1466,.
welche den Senefchall der Provence, Johannes de Coffa, darfteilt. Diefer
vornehme Beamte ift uns nämlich durch ein, wie es fcheint, felbft bei den
franzöfifchen Forfchern unbeachtet gebliebenes Grabdenkmal bekannt, welches
wir zu unferer höchften Ueberrafchung in der Kathedrale von Tarascon
fanden. Wenige Schritte von dem oben gefchilderten königlichen Schlofs,
welches noch ganz das Gepräge einer düfteren mittelalterlichen Burg trägt,
erhebt fich als ein nicht gerade bedeutender Bau der romanifchen Epoche
diefe von aufsen wenig verfprechende Kirche. Um fo lohnender ift das Innere.
Am Weftende des Schiffes fteigt man zu einer Unterkirche herab, welche
das Grab der dort hochverehrten heiligen Martha enthält. Am Eingang diefer
Krypta erhebt fich rechts ein prachtvolles Marmorgrab der Renaiffance. Eine
Infchrift in fchönen Uncialen belehrt uns, dafs im Jahre 1476 König Rene
feinem werthgefchätzten treuen Diener Johannes de Coffa , der auf den Wunfeh
des Königs fein Vaterland verlaffen habe, um ihm zu folgen, diefes Denkmal
habe errichten laffen. Friedvoll ruht die edle Geftalt des Senefchalls im
Gebet mit gefalteten Händen auf einer einfachen Tumba. Die Füfse fetzt
er auf einen Hund, das Sinnbild der Treue, welches fonft auf mittelalterlichen
Denkmälern weniger den Männern als den Frauen beigegeben wird. Feine
korinthifche Pilafter, mit zierlichen Ornamenten bedeckt, umfchliefsen das
Ganze, oben fchweben zwei Genien mit Blumengewinden, während zwei
andere den Schild des Ritters halten, auf den fie fich wehmüthig ftützen.
Das edle Denkmal ift völlig überhaucht vom feinen Geifte der Frührenaiffance,
und da es wohl das frühefte Monument des neuen Stils auf franzöfifchem
Boden ift und in eine Zeit hinaufreicht, wo fchwerlich fchon ein einheimifcher
Künftler die klaffifche Formenwelt zu beherrfchen wufste, fo mufs man es
unbedingt einem Italiener zufchreiben. Es ift wohl nicht zu gewagt, Laurana
als den Urheber diefes fchönen Werkes zu bezeichnen. Wir fmd dazu um
fo mehr berechtigt, als noch mehrere Denkmäler auf franzöfifchem Boden
diefem Künftler zugefchrieben werden. So vor Allem in der Kathedrale
') Abb. bei Heifs.
32
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
von Le Mans das Grabmal Karls von Anjou, Grafen von Maine, Bruders
des Königs Rene, der 1472 ftarb.') In fchwarzem und weifsem Marmor
ausgeführt, zeigt es auf einem Sarkophag in den edlen Formen italienifcher
Frührenaiffance von wahrhaft klaffifcher Behandlung die ausgeftreckt in der
Rüftung daliegende Geftalt des Verftorbenen, voll ftillen Adels, mit kreuz-
weis übereinander gelegten Händen, die Füfse gegen den Turnierhelm fetzend,
das Bild tiefen Schlummers. Völlig im Geift der Renaiffance find die
nackten, nur mit flatternden Schärpen bekleideten Genien, welche die In-
fchrifttafel halten. Man lieft: HIC CAROLVS COMES CENOMANIAE
'OBIIT DIE X AP. MCCCCLXXII.
Ein anderes Werk, welches man demfelben Künftler zufchreibt, ift ein
Altar in der Kirche St. Didier zu Avignon, mit einem grofsen Rehef
der Kreuztragung Chrifti.=') Gehört diefes Werk wirklich demfelben Meifter
.an, fo hat er in der fchrofifen Realiftik, der derben Ausdrucksweife, den
Typen und Koftümen fleh dem Einflufs der damaligen nordifchen Kunft
überlaffen. Bezeichnend aber für den Italiener find die Gebäude des Hinter-
grunds mit ihren cannelirten dorifchen und korinthifchen Pilafterftellungen
zwifchen denen Loggien fich öffnen, die mit Zufchauern befetzt find. Diefe
Architektur hätte fchwerlich ein franzöfifcher Künftler damals zu Stande
gebracht.
Auch fonft finden wir Rene als Förderer der Künfte und Verehrer des
klaffifchen Alterthums. In feiner Kunftfammlung fah man eine Anzahl
antiker Cameen, die er fich aus Rom verfchafift hatte, daneben venezianifche
Gläfer, und unter feinen Bildern fand fich eines, in welchem Paris, Venus,
und »andre Dinge« dargeftellt waren. Genug Rechtstitel, um dem guten
König Rene einen Platz unter den Förderern der Renaiffance anzuweifen.
§ 7-
Geistesrichtung Franz des Ersten.
DIESE Mifchung, welche der ganzen Epoche befonderen Reiz verleiht,
kommt zur höchften Entwicklung unter Franz' I langer und glänzender
Regierung (15 15— 1547). Der König felbft ift der vollendete Ausdruck
feiner Zeit. Auch er wurzelt mit feinen Empfindungen noch in der Welt
.des Mittelalters; eine ftattliche Erfcheinung, ritterlich hochgemuth, perfön-
ilich tapfer bis zur Tollkühnheit, ein gewaltiger Jäger, der überall in den
-wildreichen Forften Jagdfchlöffer erbaut und auch auf der Jagd fein Leben
in verwegener Weife auf's Spiel zu fetzen liebt; nicht minder allen ritter-
lichen Uebungen, befonders der Luft des Turniers hingegeben. Selbft die
') Vergl. darüber Heifs a. a. O. und Müntz, la renaiffance p. 489 mit Abbildung. —
Abb. bei Müntz a. a. O. S. 487.
§ 7- Geiftesrichtung Franz des Erften. 23
Liebhaberei an Hofnarren dürfen wir auf diefe Rechnung fetzen/) Aber
daneben ift in feiner reich angelegten Natur nicht minder ftark ausgeprägt
der Geift der neuen Zeit. Vor allem hoch fteht fein Wiffensdurft, fein Sinn
für Gelehrfamkeit und Literatur, fein Ankämpfen gegen das bornirte Pfaffen-
thum der Sorbonne. Ausgezeichnete Gelehrte berief er in fein Land, felbft
Erasmus fuchte er zu gewinnen, um der freien Wiffenfchaft, gegenüber der
Scholaftik der Univerfität, eine Stätte zu bereiten. Sein heller Geiftesbhck
liefs ihn Anfangs, ehe fanatifche Ausfchreitungen ihn ftutzig machten, felbft
die Reformation mit Theilnahme betrachten, Luther's Schriften lefen, Louis
de Berquin, den eifrigften der franzöfifchen Reformatoren, aus dem geift-
lichen Gefängnifs befreien. Ein zweites Mal freilich vermochte des Königs
Macht den kühnen Mann nicht zu fchützen, der von der Sorbonne ver-
dammt, zum grofsen Genufs des bigotten Parifer Volkes auf dem Greve-
platze verbrannt wurde.
Lebendigen Antheil nahm der König an den klaffifchen Studien und
der Entwicklung der Literatur. Alterthumsforfcher und Dichter, Gelehrte
aller Art , namentlich Profefforen der alten Sprachen rief er an feinen Hof,
gab ihnen anfehnhche Gehalte und nahm, was mehr war, perfönlichen
Antheil an ihren Arbeiten. Da er felbft der alten Sprachen nicht mächtig
war, veranlafste er Ueberfetzungen der Klaffiker, und förderte dadurch in
durchgreifender Weife die Bildung feines Volkes. Zwar wirkte fein Beifpiel
zunächft nur auf die unmittelbare Umgebung ein, während in der Maffe
der Nation der mittelalterhche Gefchmack auch in hterarifchen Dingen
noch lange die Alleinherrfchaft behauptete. Aber es war doch an einflufs-
reichfter Stelle Bahn gebrochen, und die günftigen Folgen konnten auf die
Dauer nicht ausbleiben. Der neue Geift verfcheuchte immer mehr den
finfteren Aberglauben des Mittelalters. Der König felbft ift ein lebendiges
Beifpiel diefer gemifchten Gefmnung. Unbedenklich nahm er das filberne
Gitter vom Grabe des hl. Martin in Tours, das der bigotte Ludwig XI
gefchenkt hatte, ^) und liefs trotz des Widerfpruchs der Geiftlichkeit es in
Geld verwandeln. Ein andres Mal fieht man ihn in Paris ein von Frevler-
händen zerftörtes Muttergottesbild von Stein in maffivem Silber erneuern
und felbft an der Spitze feines Hofes unter dem Geleite der Geiftlichkeit
in feierhcher Proceffion aufftellen.3)
Neben jener ernfteren Geiftesrichtung macht fich fodann das fmnhch
erregbare Naturell des Königs in feiner Vorliebe für heiteren Lebensgenufs
p-eltend. Sein Hof war der Mittelpunkt von Allem^ was es Glänzendes,
Geiftreiches, Hervorragendes gab. Früher war die Damenwelt am Hofe
Contes de Bonav. des Perriers. Vgl. Brantöme, art. Frangois I. —
de S. Martin, p. 330. — 3) Gaillard, hift. de Franc. I. T. V. p. 434.
LÜBKE, Gefch. d. RenailTance in Frankreich. II. Aufl.
2) Gervaile, vie
3
54
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes,
kaum zugelaffen worden, und erft die Königin Anna von Bretagne hatte
in bedingter Weife Damen an den Hof gezogen. Franz I gab, wie Brantome
fagt, erft dem Hofe feinen wahren Schmuck, indem er die fchönften und
hebenswürdigften Damen in grofser Schaar um fich verfammelte. Ein Hof
ohne Frauen , fagte der galante König , ift ein Jahr ohne Frühhng , ein
Frühling ohne Rofen, oder wie Brantome hinzufetzt, ein Garten ohne Blumen,
und gleicht, nach dem naiven Ausdruck des Letzteren eher dem eines
orientalifchen Satrapen oder Türken als dem eines chriftHchen Königs.')
Indefs hielt mit der Damenwelt jede Art von Intriguen ihren Einzug, und
wenn wir nur den zwanzigften Theil der Erzählungen für wahr nehmen,
fo war der königliche Hof fchon zu Franz' I Zeiten, um den Ausdruck
desfelben Berichterftatters zu gebrauchen, »affez gentiment corrompue.«
Jedenfalls glauben wir in dem Grundrifs der könighchen Schlöffer mit den
vielen Degagements, den zahlreichen verfteckten Treppen und feparirten
Wohngemächern den Reflex diefes von Liebesintriguen durchzogenen Hof-
lebens zu erkennen. Nicht minder geben die Erzählungen der Margarethe
von Navarra, der Schwefter des Königs, ein Bild von dem leichtfertigen
Ton, der dort herrfchte.
Unter dem Einflufs folchen Damenregiments entfaltete die Prachthebe
des Königs fich auf's Höchfte. Er felbft hielt auf reichen, koftbar ge-
fchmückten Anzug, wie die Porträts der Zeit ihn uns zeigen; und es ift
bezeichnend, dafs fogar in dem Nebenfächlichen äufserer Erfcheinung, in
kurz gefchorenem Haupthaar und wohl gepflegtem Vollbart der König fich
der neuen Zeit und der italienifchen Mode fügte, während das Bürgerthum
und die Parlamente in alter Ehrbarkeit an der früheren Tracht, langem,
felbft die halbe Stirn bedeckenden Haar und glattem Kinn, fefthielten,'')
fo dafs auch darin das Volk fich fcharf vom Hofe unterfchied. Bezeichnend
ift, wie Pierre Lescot als Canonicus von Notre Dame wegen feines Bartes
vom Kapitel zurückgewiefen wird, und wie es einer ernften Berathung des
ganzen Collegiums bedarf, um ihm den Zutritt mit Bart zu geftatten, da
er nachweift, dafs er denfelben wegen feiner Stellung bei Hofe tragen müffe.^)
Am edelften tritt uns die Prachtliebe des Königs in feinen künftle-
rifchen Unternehmungen, den zahlreichen von ihm erbauten Schlöffern und
ihrer koftbaren Ausftattung entgegen. Die fchönen Teppiche, die Brantome^)
als Meifterftücke flandrifcher Arbeit rühmt, find mit fo vielem Andern ver-
fchwunden, aber Manches ift erhalten und wird fpäter zu betrachten fein.
Brantome, Capit. Francais, art. Montmorenci u. Francois I. Eine erbauliche Idee,
von der mit Franz I einreifsenden Maitreffenwirthfchaft einen neuen Rechtstitel für die
ChriftHchkeit des »allerchriftlichften« Königs abzuleiten. — ■ Gaillard, VII, 200. — 3) A.
Berty, les grands architectes Francais de la renaiffance, p. 69. — ■*) Brantome, Capit.
Francais, art. Francois I.
§ 8. Umfchwung der Literatur.
35
Aus Benvenuto Cellini's Selbftbiographie erfehen wir, wie vielfeitig das
Streben des Königs war, fich mit künfllerifch geadeltem Luxus zu umgeben.
Nicht blofs die Aufträge für koftbare Geräthe und Gefchirre gehören hieher,
das goldene Salzfafs, die filbernen Vafen und dergl. ; nicht blofs der koloffale
für Fontainebleau beftimmte Brunnen, fondern felbft für die Münzftempel
feines Reiches liefs der König durch Benvenuto neue Erfindungen machen.
Am ftaunenswertheften find aber die zwölf koloffalen filbernen Statuen von
Göttern und Göttinnen, die als Leuchter um die königliche Tafel aufgeftellt
werden foUten. ^) Welche Freude der König an feinen künfiilerifchen Unter-
nehmungen hatte, erfehen wir u. A. aus einem Berichte des enghfchen
Gefandten Wallop vom 17. November 1540 an Heinrich den VIII.^) Er
-erzählt, wie der König fich von den englifchen Refidenzfchlöffern Windfor,
Hamptoncourt, Richmond berichten läfst und dabei die Bemerkung macht,
<er habe gehört, dafs in diefen Gebäuden, namentlich an den Decken fehr
viel Gold angewendet fei, während er bei feinen Plafonds koftbare Hölzer
vorziehe und das Gold nur wenig anwenden laffe ; er halte dies fowohl für
reicher als für dauerhafter. Der König führt den Gefandten dann durch
fein Schlofs Fontainebleau, zeigt ihm die verfchiedenen Räume mit ihrer
prächtigen Ausftattung, das Schlafzimmer mit feiner koftbaren Wand-
bekleidung, deren Stoff der Gefandte, mit Hülfe des Königs auf eine Bank
fteigend, mit der Hand prüfen mufs, vor Allem aber die grofse Galerie,
wo die herrliche holzgefchnitzte Decke und die zwifchen den Fenftern auf-
geftellten antiken Statuen höchlich bewundert werden. Fügen wir endlich
noch hinzu , dafs der blühende Zuftand der Nation , gefördert durch die
verftändige Verwaltung des Königs, der trotz allen Aufwandes feinem Nach-
folger einen gefüllten Schatz und geordnete Finanzen hinterliefs , diefen
frifchen Auffchwung begünftigte, der die ganze Epoche in liebenswürdigem
Lichte erfcheinen läfst.
§ 8.
Umschwung der Literatur.
DIE Einwirkung der klaffifchen Autoren auf die franzöfifche Literatur macht
fich während der Regierung Franz' I in fteigendem Maafse bemerk-
lich, nicht wenig gefördert durch die Theilnahme des Königs. Um diefen
Werken gerecht zu werden, mufs man bedenken, in welch abgefchmackten
Tändeleien mit Reimen und Worten die franzöfifche Poefie vorher, fich
gefiel. Die künfthchen Reimereien einfacher, doppelter oder gar dreifacher
Benvenuto's Biographie bei Goethe, an verfchiedenen Stellen.
JCing Henry the Eighth. VIII. Vol., p. 479 ff.
— =2) State papers.
3"
36
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geldes.
leoninifcher Verfe, die Akroftichen, die als Echo wiederholten Schlufsreime,
die Gedichte mit lauter Worten desfelben Anfangsbuchftabens , kurz alle
diefe Spielereien mit Form und Inhalt verloren ihre Bedeutung. Dagegen
erheben fich Dichter wie Marot, zwar wenig glücklich in der Nachahmung
des Ovid und Properz, aber naiv und Hebenswürdig, heiter und witzig in
feinen kleineren Gedichten, den Erzählungen, Madrigalen, Epigrammen.
Auch von Franz I befitzen wir noch eine Anzahl Gedichte voll wahrer
Empfindung und natürlichen Ausdrucks. Der fchriftftellerifchen Thätigkeit
feiner Schweiler wurde fchon gedacht. Minder anziehend ift St. Gelais,
:>der franzöfifche Ovid«, deffen gefpreizte Verfe fchon jenes froftige Wefen
athmen, in welchem die Franzofen fpäter ihren klaffifchen Styl fanden.
Bemerkens Werth, mit welchem Eifer die Dichter diefer Zeit felbft die antiken
Versmaafse nachzubilden fuchen, indem fie dactyhfche und fpondäifche
Verfe, alcäifche und fapphifche Oden machen. Unglückhche Verfuche,
dem Geifte der franzöfifchen Sprache zuwider und doch von Einflufs auf
eine gefchmeidigere Behandlung derfelben. Andere Poeten ahmen lateinifch
die Alten nach wie Macrin, »der moderne Horaz«, doch ohne günftigen
Erfolg. Auch auf dem Gebiet des Schaufpiels wendeten der Hof und die
mit ihm zufammenhängenden Kreife fich von den derben mittelalterlichen
Farcen und Myfterienfpielen ab, an denen das Volk noch immer mit Leiden-
fchaft hing. Lazare de Baif überfetzte die Elektra des Sophokles und die
Hekuba des Euripides, und begründete dadurch das franzöfifche Theater.
Der gefeierte Dichter der Epoche ift aber der fteife, froftige Ronfard, von
deffen nüchternen Hymnen und Oden, wäfferigen Sonetten und Madrigalen
die Zeitgenoffen indefs auf's Höchfte entzückt waren. Brantöme, der ihm
eine glänzende Lobrede hält,') rühmt die ernften und erhabenen Sentenzen
feiner Werke, ein Beweis wie fchnell die Franzofen zu jenem hohlen rheto-
rifchen Pathos übergingen, welches den Charakter ihrer klaffifchen Dichtung
beherrfcht.
In anderen Dichtern gewinnt die Poefie einen tieferen Gehalt. Der
Hugenot Du Bartas, der Patriarch der proteftantifchen Poefie, wie ihn Ranke
nennt, ^) gibt in feiner »Woche der Schöpfung« der Dichtung einen rehgiöfen
Inhalt, den er mit folcher Wärme erfafst, dafs man ihn den Vorläufer
Miltons nennen darf. Der geiftreich bewegliche Charakter der franzöfifchen
Nation fpricht fich aber am fchärfften in Michel Montaigne aus, dem erften
völlig freien Vertreter des modernen Geiftes. Daneben wirkt die tiefe
Gelehrfamkeit eines Scaliger, Muret und Lambin, fowie der beiden Etienne,
diefer gelehrteften aller Buchdrucker. Ebenfo werden Jurisprudenz und
Medicin durch Zurückgreifen auf die Alten erneuert, und felbft die Sache
') Brantöme, Caplt. Franc., art. Henri II. — Franz. Geich. I, 373 ff.
§ 9- Rabelais und die Thelemitenabtei.
37
"der kirchlichen Reformation gewinnt trotz der fanatifchen Verfolgungen
der Sorbonne überall Boden. Wie aber in der Nation neben allen diefen
Neuerungen noch immer die Anhänglichkeit an das Alte ihre Wurzeln treibt,
beweifen die fortwährend erneuten Ausgaben der mittelalterlichen Dichtungen,
des Amadis de Gaule, Lanzelot du Lac, Triftan, Huon de Bourdeaux,
Godefroy de Bouillon, Don Flores de Grece u. A., die noch bis in die fieb-
ziger und achtziger Jahre des Jahrhunderts, wiederholt aufgelegt, aus den
Druckereien von Paris und Lyon hervorgehen. Und gerade fo lange bei-
nahe, werden wir finden, bleiben die Reminiscenzen der gothifchen Baukunft
in Kraft.
§ 9-
Rabelais und die Thelemitenabtei.
DER hervorragendfte Repräfentant jener Vermifchung zweier Weltanfchau-
ungen, die diefe Epoche fo anziehend macht wie irgend eine Ueber-
gangsepoche, ifb Meifter Franz Rabelais. In der Form kraus, phantafhifch-
verworren, als ob er ganz von mittelalterlicher Romantik umfponnen wäre,
in feinen grotesk übertriebenen Geftalten und Gefchichten die Abenteuer
der Ritterromane in derber Perfiflage überbietend, gehört er durch feine
ätzende Satire, feinen kühnen Humor ganz dem modernen Geifte. Wie
geifselt er die Unwiffenheit , den Zelotismus des Pfaffenthums, die Lafter
der Mönche, die dünkelhafte Anmafsung der Gelehrten, wie hält er allen
Thorheiten der Zeit den Spiegel vor! Sein Buch ift wie ein mittelalter-
licher Bau, gewunden und geheimnifsvoll, überladen mit burlesken Fratzen,
ftarrend von allerlei Spitzen und Auswüchfen, aber gerade durch diefe
malerifche Unregelmäfsigkeit anziehend, ja um fo feffelnder, da diefe ganze
unendlich reiche Compofition ihre Ausführung dem fatirifchen Spott eines
überlegenen Geiftes verdankt.
Aber uns ift er von befonderer Wichtigkeit durch die Schilderung
jener poetifchen Abtei der Thelemiten, in welcher das architektonifche
Ideal der Epoche Franz' I vollftändig fich ausfpricht. Wir geben die Stelle
nach der Ueberfetzung von Regis:^) »Des Gebäudes Figur war hexagonifch,
dergeftalt, dafs auf jedes Eck ein dicker runder Thurn zu fbehen kam,
6o Schritt im Durchfchnitt ihres Umfangs, und an Dick und Umrifs waren
fie all' einander gleich. Auf der Seite gen Mitternacht Hef der Loireflufs,
an deffen Ufer ftund einer von den Thürmen. 312 Schritt betrug von
einem Thurn zum andern der Zwifchenraum : zu fechs Geftocken alles er-
bauet, die Keller im Grund mit eingerechnet. Das zweite Stock war korb-
') Gargantua I. 53 und 55.
38
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
henkeiförmig gewölbt, die andern mit flandrifchem Gips in Lichtftock-Art^'
bekleidet. Das Dach aus feinem Schiefer mit Blei-Rücken voller kleiner
Thier- und Männerfigürlein wohlaffortiret und überguldet, wie auch die
Regentraufen, die aus der Mauer zwifchen den Fenflerbögen fprangen,.
diagonalifch mit Gold und Azur bemalt bis zu ebener Erden, da fie in weite-
Röhren liefen, welche fämmtlich unter dem Haus in den Flufs ausgingen«..
»Selbiges Gebäude war taufendmal prächtiger als weder Bonnivet noch
Chambourg (Chambord) oder auch Chantilly, denn es waren darin 9332 Ge-
mächer, jedes mit Hinterkammer, Clofet, Kapell, Garderob und Austritt
in einen grofsen Saal verfehen. Zwifchen jedem Thum in Mitten der
Mauern jenes Haufes felbft war eine Schneckentreppe quer durch das Haus^
gebrochen, die Stufen derfelben theils Porphyr, theils numidifcher Stein,,
theils Serpentin. In jeder Ruh (Treppenabfatz, Podeft) waren zwo fchöne
antikifche Bögen, durch die der Tag einfiel, und kam man durch fie in ein
durchbrochenes Gemach von gleichem Umfang mit der Treppen, flieg dann
weiter bis über das Dach, da fie in einem Pavillon zu Tag ausging. Nach
allen Seiten trat man von diefer Schneckentrepp in einen grofsen Saal, undi
aus den Sälen in die Gemächer und Zimmer Zu mittelft war eine
wunderbare Schneckentrepp, auf welche man von aufsen herein durch einen
fechs Klafter breiten Bogen paffirt', und war von folchem Umfang und
Ebenmaafs, dafs fechs Reifige die Speer in den Hüften bis auf das Dach
des ganzen Haufes neben einander herauf reiten konnten. Zwifchen den
Thürmen Anatole und Mefembrine waren fchöne geräumige Galerien mit
lauter alten Heldenthaten, Hiftorien und Erdbefchreibungen bemalt«.
»In Mitten des Hofes war ein herrhcher Brunnen von fchönem Alabafter-
ftein: darauf ftanden die drey Grazien mit den Hörnern des Ueberfluffes
und gaben das Waffer aus Brüften, Ohren, Mund, Augen und andern
Oeffnungen des Leibes von fich. Der innere Bau des Haufes über dem
Hofe ftund auf mächtigen Pfeilern von Chalzedon und Porphyr mit fchönen
antikifchen Bögen, innerhalb welcher fchöne lange geräumige Galerien waren,
verziert mit Schildereyen, mit Hörnern vom Hirfch, Rhinozeros, Einhorn,
Flufspferd, mit Elephantenzähnen und andern Merkwürdigkeiten
Auf der Flufs-Seit war der fchöne Luftgarten, und mitten darin das artige
Labyrinth belegen. Zumittelft der beiden andern Thürn das Ballfpiel und
der grofse Ballen. Dem Thum Kryere gegenüber war der Fruchtgarten
voller Obftbäume all im Quincunx angepflanzet : hinter demfelben das grofse
Gehäg, von allen Arten Gewildes wimmelnd Alle Zimmer, Säl
und Gemächer waren nach den Jahreszeiten verfchiedentlich tapezirt, die
Böden all mit grünem Tuch bedeckt, die Betten von Stickerey«.
I) »a forme de culz de lampes«, d. h. alfo »mit fchwebenden Schlufsfteinen«.
§ 10. Franz I und die Künftler.
39
Wer fieht nicht fogleich, dafs die Eigenthümlichkeiten der berühmteften
Schlöffer jener Zeit dem Dichter vorfchweben. Die Wendeltreppen, die
bis auf das Dach führen und mit grofsen Sälen in Verbindung ftehen,
erinnern an Chambord; die Schneckentreppen, auf denen man hinaufreiten
kann bis auf die Plattform, finden wir zu Amboife ; die mit hiftorifchen
Bildern gefchmückten Galerien find Fontainebleau entlehnt. Die korbhenkel-
förmigen Gewölbe mit den fchwebenden Schlufsfteinen , die antiken Bögen
fammt den Arkaden und der Fontaine des Hofes, die runden Thürme und
die Eintheilung der Wohnräume, die Bleiverzierung der Dachfirften und
felbft die Wafferfpeier find Züge, die an allen franzöfifchen Schlöffern der
Epoche wiederkehren. Dafs Porphyr, Marmor und andre koftbare Steine
zu den fürftlichen Bauten aus Itahen herbeigeholt wurden, ift uns durch
mehr als ein Beifpiel, ausdrücklich aber durch die Bauten Karl's VIII und
Georg's von Amboife') bezeugt. Ein voUftändigeres Bild des damaligen
franzöfifchen Herrenfchloffes konnte nicht gegeben werden.^)
§ 10-
Franz I und die Künstler.
WIE überall im Leben, fo befonders in der Kunft ergreift der König die
Initiative. Sein von den Ideen der neuen Zeit bewegter Geift, feine
heitre Sinnlichkeit und Prachtliebe mufsten fich gerade in Förderung
der bildenden Künfte am lebhafteften ausfprechen. War in ihm etwas
Romantifches, fo hatte das keinen Einflufs auf feine künfi:lerifchen Neigungen.
Er fchwärmte fo wenig für die Architektur des Mittelalters, dafs er den
alten Louvre abreifsen hefs, um für einen Neubau Platz zu gewinnen, trotz
der prachtvollen Galerie und Treppe aus der Zeit Karl's V, die dadurch
dem Untergang geweiht wurden. Dagegen war der König ganz erfüllt von
der Herrlichkeit der itahenifchen Kunft. Wie viele der berühmteften Meifter
berief er in fein Land oder beftellte, wenn dies nicht möglich war, bei
ihnen Kunftwerke. An der Spitze fteht Lionardo da Vinci, den er nicht
blofs als grofsen Künftler, fondern auch als ausgezeichneten Menfchen
und wegen feiner vielfeitigen und tiefen Kenntniffe fchätzte. Noch jetzt
befitzt die Sammlung des Louvre einige der feltenen Bilder des grofsen
Meifiiers, die aus der Sammlung Franz' I fiiammen, darunter das Portrait
der Mona Lifa, welches der König mit der für jene Zeit aufserordent-
lichen Summe von 12,000 Livres bezahlte. 3) Ebenfo berief er Andrea del
I) Deville, comptes de Gaillon p. Gl und CHI u. Comines, ed. MUe. Dupont II, 585
Note. — 2) Vgl. die Schrift von Gh. Lenormant, Rabelais et l'architecture de la renaiffance.
Reftitution de l'abbaye de Theleme. Paris 1840. — 3) Pere Dan, trefor des merveilles de
Fontainebleau. Paris 1642.
40
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
Sarto, der aber feine glänzende Stellung verfcherzte, weil er das Ver-
trauen des Königs mifsbrauchte. ^) Für die Ausfchmückung feines Schloffes
zu Fontainebleau liefs er Roffo von Florenz^) und Primaticcios) kommen.
Diefer, den er mit bedeutenden Summen nach Italien fchickte, brachte nicht
weniger als 125 antike Marmorwerke fowie die Abgüffe der Säule Trajans,
des Laokoon, der Venus, der Ariadne und anderer berühmten Antiken mit!
die fämmtlich in Bronze gegoffen und in Fontainebleau aufgeftellt wurden.^)
Er liefs auch das Pferd des Marc Aurel formen, deffen Gypsabgufs lange
im Hofe des Schloffes von Fontainebleau ftand, wovon diefer den Namen
»Hof des weifsen Pferdes« erhielt. Unter Primaticcio war eine Anzahl
italienifcher Künftler in Fontainebleau befchäftigt, von denen nur Niccolo
deir Abbate genannt werden möge, der den Ballfaal und die Galerie
Franz' I mit Wandgemälden fchmückte.s) Von Rafael wufste der König
fich mehrere vorzügliche Werke zu verfchaffen, darunter den grofsen
h. Michael und die Madonna Franz' I,^) die, wie wir urkundhch wiffen, 7)
1. J. 1518 als Gefchenk des Herzogs von Urbino an den König abgefandt
wurden. Von Tizian liefs der König fich felbft malen, wahrfcheinlich nach
einer Medaille; es ift das prächtige Profilportrait, welches man im Louvre
fieht. Am anfchaulichften fchildert Benvenuto Cellini den Verkehr des
Königs mit feinen Künfllern. Er giebt ihnen eigene Wohnungen und
Werkftätten, nimmt durch wiederholte Befuche Augenfchein vom Fortfehritt
ihrer Arbeiten, ermuntert fie durch Theilnahme und Lob und belohnt fie
mit fürftlicher Freigebigkeit. So gab er Primaticcio die Abtei von S. Martin
zu Troyes; auch Benvenuto hatte er eine Abtei zugedacht.
Es ift bezeichnend, dafs unter diefer Schaar von Künftlern, denen fich
noch andere anfchloffen, kein Architekt genannt wird. Wir werden bei
der Mufterung der Bauten fehen, dafs es wahrfcheinlich meift franzöfifche
Baumeifter waren, welche die Schlöffer des Königs aufführten. 9) Dagegen
fanden fich in Frankreich keine Künftler vor, denen man die innere Aus-
fchmückung der Gebäude im Sinn der neuen Zeit mit Stukkaturen, Bild-
werken und Gemälden hätte anvertrauen können. Wohl fanden wir' fchon
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den ausgezeichneten Miniatur-
maler Jean Foucquet, in deffen Bildern bereits Anklänge der Renaiffance,
architektonifche Hintergründe mit antiken Gebäuden auftauchen; wohl find
im 16. Jahrhundert die beiden Clouet, Vater und Sohn, als Portraitmaler
Vafari, ed Le Monn. V. di A. del Sarto VIII, 270 ff. — 2) Valari, V. del Roffo
IX, 76 ff - 3) Vafari, V. d. Primaticcio XIII, 3 ff - Vafari, V. di Zucchero XII 132
- s) Vafari, Vita di Primaticcio XIII, p. 6. - 6) Villot, Notices des tableaux du Louvre
ec. d'Italie, Nr. 377. 382. - 7) Gaye, Carteggio II, 146. - 8) ß. Cellinis Selbftbiographie
m Goetlie's ^'erken. - 9) Schon Felibien, entretiens II, 55 ff vindicirt den franzöfifclien
Künftlern diefer Epoche ihr Verdienft.
§ 10. Franz I und die Künftler.
41
am franzöfifchen Hofe hoch gefchätzt und vielfach verwendet;') auch lernen
wir aus den Baurechnungen von Gaillon zahlreiche einheimifche Maler
kennen, die mit Ausfchmückung der Gemächer betraut werden: aber jene
bedeutenderen Meifter fmd offenbar nur in Arbeiten kleinen Maafsftabes
und befonders im Portrait bewandert, und diefe letzterwähnten gehören
ohne Zweifel einer mehr handwerklichen Praxis an, die fich nicht über
das Niveau blos dekorativer Architekturmalerei und des Vergoldens und
Bemalens von plaftifchen Werken ganz im Sinne des Mittelalters erhob.
So finden wir denn auch in Gaillon zu den Malereien höheren Ranges
einen Italiener, den Andrea de Solario,^) verwendet, und für denfelben
Theil der Ausftattung mit Gemälden und Stuckaturen fehen wir überall,
namentlich im Schlofs Madrid und zu Fontainebleau , italienifche Künftler
herbeigezogen. Erfh im Jahre 1541 wurde, wie es heifst für den Neubau
des Louvre, Serlio berufen, der dann zu St. Germain und längere Zeit zu
Fontainebleau thätig war; 3) aber Spuren feines Schaffens vermögen wir
nicht nachzuweifen.
Von der Baulufh des Königs geben nach fo vielen Zerffcörungen immer
noch manche der prächtigften Werke der franzöfifchen Renaiffance, mehr
aber die Aufnahmen Du Cerceaus Kunde, der dem König das Zeugnifs
ausftellt:'') »le Roy Frangois I eftoit merveilleufement addonne apres les
baftimens«. Mit noch gröfserer Bewunderung fpricht Brantome^) von der
Pracht feiner Bauten und ihrer reichen Ausftattung, die um fo gröfseren
Eindruck macht, wenn man fie mit der Dürftigkeit der Ausftattung ver-
gleicht, welche noch zu Karls VIII Zeiten bei den königlichen Schlöffern
nicht ungewöhnlich war.^) Fügen wir endlich hinzu, dafs im Jahr 1536
durch genuefifche Fabrikanten der Grund zur Lyoner Seideninduftrie gelegt
wurde, und dafs zu gleicher Zeit die Buchdruckerkunft auch in Frankreich
einen Auffchwung nahm, der wie in geiftiger fo auch in materieller Beziehung
von grofser Bedeutung wurde, fo haben wir in kurzen Andeutungen die
künftlerifchen Beftrebungen diefer regfamen Epoche berührt.
Wie nun die Fürften es waren, von denen die Renaiffance in Frank-
reich ausging, fo haben fie auch der Architektur dort das Gepräge ihres
Wollens und ihres Geiftes aufgedrückt. Denn nicht blofs fchritten fie im
Erfaffen der neuen Ideen überhaupt ihrem Volke voraus: es mufsten auch
i) Vgl. das Werk des Grafen de Laborde, la renaiffance des arts ä la cour de France.
Paris 1850. T. I und dazu die gediegene Recenfion Waagen's im Deutfchen Kunftblatt 185 1.
Nr. 9 ff. — 2) A. Deville, comptes des depenfes de la conftruction du chäteau de Gaillon.
Paris 1850. p. CXXXV. — 3) Felibien a. a. O. II, 57. — ■*) Les plus excellents baftimens de
France. — s) Brantöme, Capit. Franc, art. Francois I. — 6) Man vgl. bei Brantörae, ibid.
art. La Roche du Maine die Billets, welche die Königin Anna wegen Inftandfetzung des
Schloffes Chinon an den Kaftellan desfelben richtet.
42
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
im Einzelnen, in Anlage und Ausführung der Bauten ihre Anfchauungen
und Lebensgewohnheiten beftimmend werden. Dies bedingt den eigen-
thümlichen Charakter der franzöfifchen Renaiffance. In Italien ging die
neue Kunft aus dem Volk hervor, wurde von grofsen Meiftern im begei-
fterten Studium der Antike aus freiem Impulfe gefchafifen und dem ge-
fammten Leben der Nation zum idealen Ausdruck hingefbellt. In Frank-
reich wurde fie durch den fouverainen Willen der Fürften eingeführt. Aber
fo viele italienifche Künftler fie ins Land riefen, doch ift die Renaiffance
bis zur letzten Lebenszeit Franz' I ganz original franzöfifch. Kein Werk
vermöchten wir nachzuweifen, das man italienifchen Architekten zufchreiben
könnte, es fei denn dafs die Italiener fich der franzöfifchen Weife bis zur
Verleugnung der eigenen anbequemt hätten. Dergleichen mag allerdings
bisweilen vorgekommen fein. Benvenuto erzählt wenigftens wie er das
Modell zu einem Portal des Schloffes Fontainebleau gemacht, wobei er fo
wenig als möglich die Anlage des gegenwärtigen zu verändern dachte. »Es
war, fagt er, nach ihrer franzöfifchen Manier, grofs und doch zwergen-
mäfsig, feine Proportion wenig über ein Viereck und oben drüber ein halbes
Rund, gedrückt nach Art eines Korbhenkels«. Ebenfo finden wir bei SerHo,
namentlich im VII Buche, eine Anzahl von Kaminen, Schornfteinen , Ent-
würfe zu Fagaden mit hohen Dächern und Dachgefchoffen, die, wie er felbft
bemerkt, durch die Kreuzftäbe der Fenfter, die Wendeltreppen, die Man-
farden und die Form der Kamine fich der franzöfifchen Weife fügen. ^) Jeden-
falls war alfo die Einwirkung der nationalen Sitten, Anfchauungen und Be-
dürfniffe fo ftark, dafs felbft die hochmüthigften itahenifchen Künftler fich
ihnen fügen mufsten, ohne fie irgend im Wefentlichen umgeftalten zu können.
Mit Ausnahme der Innern Dekorationen, von denen wir fchon gefprochen
haben, und für die man vorzugsweife die Italiener berief, dürfen wir an-
nehmen, dafs die Bauten diefer ganzen Epoche von franzöfifchen Meiftern
entworfen und ausgeführt wurden. Auch fehlt es nicht an Beweifen, dafs
die franzöfifchen Architekten fchon früh fich mit der neuen Bauweife ver-
traut gemacht hatten. In den Rechnungen von Schlofs Gaillon 3) kommt
ein Meifter Pierre Delorme vor, von dem es heifst, dafs er verftehe »faire
ä l'entique et ä la mode frangoife«. FreiHch waren diefe tüchtigen Künftler
noch ganz nach mittelalterlicher Weife befcheidene Werkmeifter, die nicht
wie die verwöhnten Italiener fich als hochgeftellte Männer fühlten. Das
beweift nicht blofs die Art, wie mit ihnen gefchäftlich verkehrt wird, fondern
^) Benv. Cellini Buch III, C. 6. — Befonders Cap. 27, 29, 32 »delle fineftre nei tetti
al coftume di Francia«. Cap. 33, 41, 71 »la quäle (cafa) per due conditioni larä alla Fran-
cefe: cioe per le fineftre a cro.ce et per la limaca publica fuor die mano; perciocche non
tengono conto della fcala piü in vn luogo, che nell' altro, pur che montino ad alto alle
loro commoditä«. — 3) Deville, a. a. O. p. CI und 405.
§11. Grundzüge der franzöfifchen Renaiffance.
43
auch der Umftand , dafs kein Gefchichtfchreiber ihre Namen aufbewahrt
hat, und dafs erft der neueren Forfchung gelungen ift, fie aus vergilbten
Akten der Archive zu ermitteln. Gleichwohl fehlt es unter den Zeitgenoffen
nicht an einem kräftigen Bewufstfein künftlerifcher Tüchtigkeit, und Charles
de Sainte Marthe ') fagt, in feinen Confeils aux poetes, allerdings nicht ohne
dichterifche Uebertreibung :
»Qu'a ritahe ou toute l'Allemaigne,
La Grece, Escoffe, Angleterre ou Espaigne
Plus que la France? Eft-ce point de tous biens?
Eft-ce qu'ils ont aux arts plus de moyens?
Tant Ten fauldra que leur veuillons ceder
Que nous dirons plus toft les exceder.«
Am heften aber zeugen für diefe alten fchlichten franzöfifchen Meifter ihre
Werke, die wir nun betrachten wollen.
Grundzüge der französischen Renaissance.
TY/ENN die italienifche Renaiffance fich die Aufgabe geftellt hatte, dem
Vv ganzen Leben nach allen feinen Beziehungen, privaten und öffentlichen,
weltlichen und religiöfen, einen künftlerifch verklärten Ausdruck zu fchafifen,
lo kann man von der franzöfifchen Baukunft diefer Epoche^) nicht ein
I) Citirt von Viollet-le-Duc, Dict. de l'arch. fr. III, i86 Note. — Unfere Darftellung
beruht faft überall auf eigener Anfchauung, fowie auf folgenden Publikationen. Hauptwerk :
J. Androuet du Cerceau, les plus excellents baftimens de France. Fol. Yol. I. Paris 1576.
Vol. II, 1579. — J. Fr. Blondel, architecture francoife. 4 Vols. Fol. Paris 1752 ff. —
Neuere Aufnahmen: A. Berty, la renaiffance monumentale en France. Paris. 2 Vols. 4. —
Gl. Sauvageot, choix de palais, chateaux, hotels et maifons de France. 4 Vols. Fol. Paris.
— E. Rouyer et D. Darcel, l'art architectural en France. Fol. Paris 1863, ff. — H. Deftailleur,
recueil d'etampes rt^latives ä l'ornementation des appartemens. Fol. Paris 1863 ff. — Verdier
et Cattois, architecture civile et domeftique. 2 Vols. Paris 1855 u. 1857. — Archives de
la commiffion des monuments hiftoriques. Fol. — Einiges in Gailhabaud. — Werthvolle
Bemerkungen in Viollet-le-Duc, Entretiens für l'architecture. T. I. Paris 1863. gr. 8 u.
Kupferatlas in fol. — Ebenfo in desfelben Verf. Dictionnaire de l'architecture, namentlich in
den Artikeln chäteau, escalier, maifon, manoir, palais etc. — Malerifche Anflehten in Chapuy's
Moyen äge monumental und desf Verf. Moyen äge pittoresque, fowie in Du Sommerard,
les arts du moyen äge; ferner in den Voyages dans l'ancienne France, par Taylor, Nodier etc.
— Cotman et Turner, antiquites de la Normandie. — Baron de Wismes, ^glifes et chateaux
de la Vendee, du Maine et de l'Anjou. Fol. Paris. — Victor Petit, chateaux de la vallee
de la Loire. Fol. Paris 1860. - G. Eyries et P. Perret, les chateaux hiftoriques de la
France. Paris 1882 ff. Fol. — Ad. Michel, l'ancienne Auvergne et le Velay. Moulins 1843.
— Neuerdings erfcheint das Prachtwerk von Leon Paluftre, la renaiffance en France. Paris
1880 ff. Fol. Bis jetzt 10 Lieferungen. Gründhche hiftorifche Unterfuchungen mit treff-
Hchen malerifchen Radirungen von E. Sadoux. — Dazu mein Auffatz «Zur franzöfifchen Re-
naiffance*. Nord und Süd 1882. — Werthvoll auch die alten Stiche von Ifrael Silveftre
44
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
Gleiches fagen. Sie dient faft ausfchliefslich weltlichen Intereffen, ift haupt-
fächlich zum glänzenden Schmuck des vornehmen Lebens gefchaffen. Die
Städte, das Bürgerthum und das Volk überhaupt, halten noch lange feft
an den Traditionen der alten Kunft, und die neue Bauweife dringt bei ihnen
erft zur Zeit Heinrichs II in merklicher Weife ein. Namentlich aber ver-
harrt der ganze Kirchenbau bis in die Mitte des i6. Jahrhunderts beim
gothifchen Stile, der zwar bald einige antike Details annimmt, aber nach
Planform und Conftruction treu an der mittelalterlichen Ueberlieferung hält.
Anders fteht es um den Schlofsbau. Zwar geht auch diefer in der
Grundgeftalt von der feudalen Burg der gothifchen Epoche aus, behält in
Anlage und Eintheilung wie im gefammten Aufbau die mittelalterliche Form
bei, aber doch in wefentlich neuem Sinn. Jene Form wird fortan eine Maske,
die einen völlig veränderten Inhalt birgt. Schon feit dem Anfang des
15. Jahrhunderts hatte man die alten Schlöffer unbehaglich gefunden. Die
engen Höfe, die maffigen Thürme, die geringen Lichtöfifnungen, der ganze
blos auf Vertheidigung berechnete Charakter wurde drückend und läftig
in einer lebensluftigen Zeit, deren Sinn auf heiteren Genufs gerichtet war.
Ohnedies waren die Befeftigungen durch die Einführung des fchweren Ge-
fchützes und durch das Uebergewicht der königlichen Macht unhaltbar ge-
worden. Aber den Schein des Feudalfchloffes wollte man doch aufrecht
halten, da traditionelle Vorurtheile zu feft daran hafteten. Aufserdem hatten
manche Lebensgewohnheiten, die ihren Ausdruck in den Schlöffern ge-
funden, fich fo in die neue Zeit vererbt, dafs man fie nicht aufgeben mochte.
Daher die vielen verfteckten Gänge und Treppen, die hohen Dächer mit
dem Wald von Kaminen, die Dachgefchofse mit giebelgefchmückten Fenftern,
die felbftändige Bedachung der einzelnen Gebäudetheile, vor Allem die ge-
waltigen runden Thürme und endlich die Waffergräben mit Wällen und
Zugbrücken. In Chambord ift die mittelalterliche Tradition fo vorherrfchend,
dafs felbft der Donjon in den Plan des Baues aufgenommen wird. In der
Gefammtanlage bleibt es bei der Anordnung, wie fie fich im Mittelalter
herausgebildet hatte : jedes vollftändige Schlofs hat zwei Höfe, einen äufseren
(baffe cour), um welchen fich die Stallungen und Wirthfchaftsgebäude grup-
piren, und einen inneren (cour d'honneur), den die herrfchaftlichen Wohn-
räume fammt den Dienftlokalen umgeben. Ein Waffergraben, fowie Mauern
mit Thürmen umfchliefsen die ganze Anlage völlig wie in der feudalen Zeit.
Ein anfchauliches Beifpiel bietet der unter Figur 13 beigefügte Grundrifs
des Schloffes von Bury. Ueber eine Zugbrücke A, die von zwei Thürmen
eingefchloffen wird, gelangt man in den Haupthof F, den die Wohngebäude
und Matth. Merian. — Wichtige hiftorifche Unterfuchungen giebt A. Berty, les grands archi-
tectes Fran^ais de la renaiffance. 8. Paris 1860, fowie Graf de Laborde, la renaiffance des
arts ä la cour de France. Tom. I. Paris 1850. 8. (p. 353—538.)
§ II. Grundzüge der franzöfilchen Renaiffance.
45
umgeben. In H ift eine lange Galerie, das Prachtftück der franzöfifchen
Schlöffer diefer Epoche. Eine doppelte Freitreppe führt hinab in den herr-
fchaftlichen Garten E, der von einer Mauer mit Thürmen umfchloffen wird
und bei G eine kleine Kapelle hat. Ein Gemüfegarten D mit Obftbäumen,
Spaheren und einem Taubenhaufe in Form eines Thurmes K fchUefst fich
daran. Vor diefem liegt der Wirthfchaftshof C mit feinem befonderen Ein-
gang bei B, den ebenfalls in mittelalterlicher Weife eine Zugbrücke bildet.
Fig. ij. Scblol's von Biiry. (Du Cerceau und VioUet-le-Duc.)
Aber alle diefe Formen erhalten einen neuen Sinn. Die Thürme, ehe-
mals nur zur Vertheidigung dienend, mit fpärlichen Oefifnungen, mit Zinnen-
kranz und Machicoulis, werden zu Wohnräumen, erhalten grofse Fenfter
zum Ausfehauen in die Landfchaft. Ueberhaupt wo man früher fich nach
innen zurückzog, legt man jetzt die Flucht der Wohnräume gern nach aufsen,
um des BHckes in die umgebende Natur froh zu werden. Denn nicht blofs
der vorbeiziehende Strom, Wald und Wiefe und ein Hügelzug locken zur
Ausficht: auch die Kunft trägt zur Verfchönerung der Umgebung bei.
Gartenanlagen, Blumenparterres, mit Terraffen, Pergolen und Springbrunnen
gefchmückt, umgeben fortan den Herrenfitz, und ein ftattlicher Park macht
den Uebergang zu Wald und Feld. Während früher das Schlofs fich finfter
gegen aufsen abfperrte, öffnet es fich jetzt feftlich einladend.
46
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
So geftaltet fich nun auf mittelalterlicher Grundlage alles Einzelne in
neuem Sinne. Der Eingang, früher aus einem grofsen Thorweg und einem
Nebenpförtchen für Fufsgänger beftehend, wird jetzt zu einem prächtigen
hohen Portal mit antiker Einfaffung. Statt des Zinnenkranzes fieht man
wohl eine durchbrochene Galerie von mannigfaltiger Zeichnung, darunter
einen Bogenfries mit Mufchelfüllungen, eine Reminiscenz romanifcher Kranz-
Fig. 14. Vom Schlofs zu Blois. (Baldinger nach Phot.)
gefimfe. (Fig. 14.) Die Fenfter der Dachgefchoffe (Lucarnen) bewahren
ihren gothifchen Aufbau mit Pfeilern, Strebebögen und zierHcher Krönung,
aber die Formen werden fpielend in antikifirende Elemente überfetzt.
(Figur 14 und 15.) Von der geiftreichen Mannigfaltigkeit, welche gerade
in diefen beliebten Bildungen herrfcht, geben die Abbildungen in § 21
(Blois), § 32 (Chenonceaux) , § 33 (Bury), § 36 (Chantilly), § 38 (Azay-
§ II. Grundzüge der franzöfifchen Renaiffance. 47
le-rideau) weitere Anfchauung. Die Fenfher überhaupt behalten noch
geraume Zeit die fteinernen Kreuzpfoften der gothifchen Epoche, und
auch in ihrer Umrahmung macht fich das feine Kehlen- und Stabwerk
Fig. 15. Hotel Ecoville zu Caen.
des Mittelalters geltend. In der Gefammtanlage ift man häufig gebunden
durch die Unregelmäfsigkeit der älteren Theile, die man wie in Blois,
St. Germain, Gaillon, Fontainebleau und vielen andern Orten benutzte.
48
Kap. I. Umwandlung des Iranzölilchen Geiftes.
Man ficht daraus, wie wenig diefe Zeit eine fymmetrifche Anlage als
unerläfsliche Grundbedingung gelten liefs. Wo man aber frei verfügen
konnte, ftrebte man möglichft nach regelmäfsiger Grundrifsbildung, die
im Einzelnen jedoch nicht zu ftreng fymmetrifch gebunden war. Nament-
Hch find es die Treppen, durch welche ein Element zwanglos male-
rifcher Anlage von hohem Reiz in diefe Bauten eingeführt wird. Man
zieht diefelben nicht wie in Italien in die Dispofition des Innern hinein,
fondern legt fie in mittelalterlicher Weife in runde oder polygone Thürme,
die in den Ecken des Haupthofes, oder auch aus der Mitte einer Hofifagade
vorfpringen. Diefe Treppen find immer Wendelfi;iegen , bisweilen rampen-
artig ohne Stufen auffteigend wie in Amboife. Die damalige franzöfifche
Sprache kennt noch nicht den Ausdruck »escalier«, gebraucht vielmehr
immer das Wort »vis«. Die Hauptftiege wird oft zu einem grofsartigen
Prachtftück der Conftruction und Ornamentik, wie zu Chambord, wo fie
mit doppeltem Lauf durchgeführt ift, fo dafs die Auf- und Abfteigenden
fich nicht zu begegnen brauchten. Auch dies ift eine Tradition des Mittel-
alters.^) Den oberen Abfchlufs bildet dann gewöhnlich ein Pavillon oder
eine durchbrochene Laterne. In anderen Fällen, wie in Gaillon und Blois
(vgl. die Fig. in § 21) befteht das Treppenhaus aus einem Syftem von Pfeilern
und Bögen, in luftiger Durchbrechung von allen Seiten geöffnet.
Mit diefem Streben nach heiterer Pracht hängt die breitere Anlage
der Höfe zufammen, die aufserdem manchmal im untern (Fig. 16), auch
wohl in den oberen Gefchoffen Arkaden erhalten, in der Regel jedoch nur
an einer oder zwei, fafl; nie an allen Seiten durchgeführt. Die einzelnen
Flügel des Gebäudes haben ftets nur die Tiefe eines Zimmers, und die
Räume Hegen in einfacher Flucht neben einander. Dadurch wurde um fo
mehr eine gröfsere Anzahl von Verbindungen und befonderen Treppen er-
fordert, und in der That zeichnen fich die Gebäude diefer Epoche durch
ihre zahlreichen Treppenanlagen aus. Die Schlöffer Franz' I zerfallen meift
wie Chambord, Madrid, La Muette und andre in eine mehr oder minder
grofse Anzahl felbftändiger Logis, jedes aus einem Wohnzimmer, Schlaf-
kabinet, Garderobe und Retraite befi:ehend , aufserdem mit eigenem Ein-
gang und befonderer Treppe verfehen. Für die gemeinfame Gefelligkeit
ift dann in jedem Stockwerk ein gröfserer Saal, oder auch mehrere Säle
mit möghchft centraler Anlage befliimmt. Das Prachtftück der bedeuten-
deren Schlöffer ift die Galerie, ein Saal von fchmaler aber aufserordent-
lich langer Anlage, in den Verhältniffen den Sälen der altaffyrifchen Pa-
läfte auffallend ähnhch, wohl eine Reminiscenz des grofsen Verfammlungs-
') Vgl. die Notiz über eine folche Treppe im Klofter der Bernardiner zu Paris, bei
VioUet-le-Duc, Dict. de l'arch. fr. V. 306.
§ II. Grundzüge der franzöfifcheu Renaiffance.
49
Fig. i6. Seus. Erzbifchöfl. Vahü. Hofarkade. (Saiivageot.)
faales mittelalterlicher Schlöffer. Letztere indefs waren ftets mehrfchiffig
und machten fchon dadurch, wie durch die vielen Wölbungen auf fchlanken
Säulen und die hohen, breiten mit Glasgemälden gefchmückten Bogen-
fenfter einen ganz andern Eindruck als diefe Galerieen mit ihren in Gold.
LÜBKE, Gefell, d. RenailTance in Frankreich. II. Aufl. 4
50
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
und Farben fchimmernden Plafonds, ihren Gemälden und überreichen Stuck-
dekorationen. Die Bedeckung der Räume befteht meiftens aus einem reichen
hölzernen Kaff ettenwerk (Fig. 17); indefs werden bald durch die italienifchen
Künftler für die Prachträume glänzende Stuckdecken eingeführt. Doch
hat die franzöfifche Renaiffance nicht die Abneigung der italienifchen gegen
das Kreuzgewölbe; vielmehr wendet fie dasfelbe in Treppenhäufern, Sälen,
Kapellen und wo es fonft erforderlich ift, gern an, und zwar mit mittel-
alterUch profilirten Rippen, Confolen, Schlufsfteinen und felbft freifchwebenden
Fig. 17. Haus der Agnes Sorel. Decke im Obergefchofs.
Zapfen. Die Form des Bogens ift aber nicht mehr die gothifche, fondern
meift die eines gedrückten Bogens, nach Art eines Korbhenkels, wie fie
fchon die letzte gothifche Epoche hervorgebracht hatte. (Fig. 18.) Der
regelmäfsige Rundbogen bricht fich erft allmählich Bahn.
So ift alfo in der Gefammtanlage, den hohen Dächern mit ihren Fenftern
und Kaminen, den Thürmen und den Wendeltreppen die ganze malerifche
Anlage des Mittelalters erhalten. Der Antike gehört nur die leichte Be-
kleidung mit gewiffen Detailformen, die Einfaffung von Fenftern und Por-
talen, die Eintheilung der Wandflächen mit Pilaftern oder Halbfäulen, die
Fig. i8. Galerie im Schlofs La Rochefoucauld. (Baldinger nach Phot.)
52
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geirtes.
Ausbildung der Gefimfe und anderer Gliederungen mit den Elementen der
antiken Architektur. Aber während in Italien man das Gefetzmäfsige diefer
Formenwelt zu ermitteln und in klaren Verhältniffen zu fixiren fuchte, gilt
hier keine beftimmte Ordnung, und man wendet Pilafter des verfchieden-
ften Maafses, endlos geftreckte und zwerghaft verkümmerte, harmlos neben
einander an. Die Pilafter find in der Regel mit Rahmenwerk, in der Mitte
und an den Enden mit den in Oberitalien beliebten Rautenmuftern, häufig
auch mit feinem Laub- und Arabeskenornament gefchmückt. Ueberhaupt
hat die fpielende, verzierungsluftige Frührenaiffance Oberitaliens weit mehr
Einflufs aut die franzöfifche Architektur geübt als die ernftere, maafsvoUere
Bauweife Toscanas. Das zeigt fich befonders in der verfchwenderifchen
Fülle, mit welcher in den franzöfifchen Bauten der Epoche Ludwigs XII
und Franz' I auch die übrigen Theile der Architektur, namentlich die Friefe
mit Ornamenten bedeckt werden. Diefelben find oft von einer Feinheit
der Zeichnung, einer Anmuth der Erfindung, einer Delicateffe der Aus-
führung, dafs fie dem Schönften, was Venedig und Florenz in dekorativen
Arbeiten hervorgebracht, ebenbürtig erfcheinen. Ein Gegenftand der Vor-
liebe find für die Architekten diefer glänzenden Zeit die zahlreichen Ka-
pitäle der Pilafter und Halbfäulen, welche fie an ihren Fagaden austheilen.
Sie nehmen die freikorinthifirende Form des bekannten Kapitälfchemas der
italienifchen Frührenaiffance auf, das aus einer Akanthusblattreihe befteht,
aus welcher Voluten, Delphine oder andere figürliche Bildungen hervor-
wachfen, um die Deckplatte zu ftützen. Aber die franzöfifche Kunft ift
dabei noch phantafievoller, noch mannichfaltiger in ihren Erfindungen, theils
weil ihr der mittelalterliche Gedanke unendlicher Varietät desfelben Grund-
motives tiefer im Blute fteckt, theils weil fie fich weniger an die Mufter
der Antike gebunden fühlt. Wir geben unter Figur ig als Probe ein
Kapitäl von Fontainebleau, mit welchem man das Kapitäl in § 50 ver-
gleichen möge.
Das Innere diefer prächtigen Gebäude erhielt eine künftlerifche Aus-
ftattung, in welche ebenfalls das Mittelalter Anfangs noch ftark hineinfpielt.
Gewölbe und Holzdecken ftrahlten in Gold und Azur/) und es ift erftaun-
lich, z. B. aus den Rechnungen von Gaillon zu fehen, welch umfaffende
Verwendung namentlich vom Golde gemacht wurde. ^) Ebenfo wurden die
Skulpturwerke, welche man nach italienifchem Vorbild nunmehr in Marmor
ausführte, reichlich vergoldet. 3) Nicht minder leuchteten in den kleinen
Fenfterfcheiben die Arbeiten der Glasmaler in Bildern , Wappen , Devifen
A. Deville, comptes des depenfes de la conftruction du chätcau de Gaillon, p.
CXXX: »paindre et dorer le demourant du plancher de la gallerie haulte, c'eft affavoir les
courbes, les ogives et les rencos d'or et d'azur. — ^) Ebendafelbft p. CXLVI. — 3) Ebend.
p. CXXXV. ' ♦
§ II. Grundzüge der franzöfifchen RenaifTance.
53
und Emblemen mannichfacher Art, und diefs finden wir nicht blofs in dem
noch halb gothifchen Gaillon,') fondern felbft noch in dem die neue Rich-
tung entfchieden vertretenden Fontainebleau.^) Was fodann die Form
der Decken betrifft, fo zeigen diefelben in Treppenhäufern, Veftibuls,
Corridoren und Kapellen noch lange die gothifchen Rippengewölbe, oft mit
prachtvoll fculpirten, gemalten und vergoldeten fchwebenden Schlufsfteinen,
wie im Treppenhaufe des Schloffes Nantouillet, 3) in der Kirche zu Tillieres'«)
und in manchen andren Beifpielen (vgl. Fig. i8). Die Wohnräume, Zimmer,
Säle und Galerien erhalten dagegen Holzdecken mit prächtigem Kaffetten-
werk und eleganten Reliefs, wie man deren fehr fchöne in den Schlöffern
von Chenonceau und Beauregard,^) vor Allem auch in Fontainebleau^) be-
wundert. Proben folcher Decken von ausgezeichneter Feinheit des Ge-
fchmacks und der Ausführung geben wir in Fig. 17 und in § 49. Auch
an den Portalen, Kapellengittern, endlich an den Täfelungen der Wände
kommt die vom Mittelalter her trefflich gefchulte Holzfchnitzerei zur An-
wendung, aber der Stil diefer Werke zeigt durchweg ftatt des Naturalismus
I) Ebend. p. CXXXVII. — Cte. de Laborde, la renaiffance des arts ä la cour de
France, p. 281. 377. — 3) Sauvageot, choix de palais, chäteaus etc.. Vol. III. — +) Rouyer
et Darcel, l'art architectural, Vol. II. — s) Ebend. Vol. I. eine Anzahl vorzüglicher Mufter.
— 6) Pfnor, Monogr. du palais de Fontainebleau, Vol. II.
54
Kap. I. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
der fpätgothifchen Zeit die edle harmonifche Kunftweife der Renaiffance.
Endlich dringt von Italien aus auch die eingelegte Arbeit (Intarfia) ein,
von welcher fich ebenfalls Beifpiele von unübertrefflicher Anmuth erhalten
haben , wie im Schlofs Ancy-le-Franc , oder es finden fich prachtvolle
Goldverzierungen in den fchönften Muftern wie Schlofs Anet deren befafs.s),
An den Wänden herrfcht in der erften Epoche bis gegen Mitte des
i6. Jahrhunderts die Holzfchnitzerei, daneben aber in ausgedehnter An-
wendung die Dekoration mit aufgehängten Teppichen, wie fie das benach-
barte Flandern, vorzüglich Arras in ausgezeichneten Arbeiten lieferte.
Brantome erzählt mit Begeifterung von den herrlichen Tapeten, welche die
Schlöffer Franz I fchmückten.^) In Gaillon waren nicht weniger als zwanzig
Tapeziere und Sticker mit der Ausfbattung des Schloffes befchäftigt.^)
Genua, Mailand, Florenz und Tours lieferten die Prachtftofife , die grünen,
blauen, carmoifinrothen Velours, die weifsen Damafte, grünen Tafifetas, die
mit Wappen , Namenszügen und Emblemen in Farben , Gold und Silber
geftickt wurden. Die Wände nicht blofs , auch die Möbel, Seffel, Bethen,
Baldachine, Vorhänge zeigten durchweg folche kofhbare Stoffe. Befondere
Prachtftücke waren die Kamine, die man ganz im Sinne der Renaiffance
aufbaute, mit Pilaftern oder Säulen eingefafst, die Friefe mit Arabesken,
darüber ein Feld mit einem Gemälde, oder einem plaftifchen Werk, alles
in Marmor ausgeführt (Fig. 20). Fügt man endlich hinzu, dafs die Fufs-
böden in Sälen, Kapellen, Galerien und felbft im herrfchaftlichen Plofe mit
emaillirten Platten bedeckt waren, für welche man wohl florentinifche Meifter
kommen hefs , dafs die Schmiede kunflvolle , prächtig vergoldete Gitter
und andre Arbeiten lieferten, dafs die Firften der Dächer und die Spitzen
der zahlreichen Thürme von ebenfalls vergoldeten Bleiverzierungen, bisweilen
auch, namentlich in der Normandie,^) von glänzenden Fayence-Auff ätzen
ftrahlten, fo haben wir ein Bild von der alle Theile durchdringenden künft-
lerifchen Ausfbattung diefer Bauten.
Es ift wahr: diefe fröhliche Zeit kennt noch kein ftrenges Gefetz der
Compofition, noch keine klaffifche Durchbildung der Form. Aber fo wenig
muftergiltig die Einzelheiten find, fo felbftändigen Werth hat diefe Archi-
tektur als treuer Spiegel der Sitten und Anfchauungen ihrer Zeit, als Aus-
druck der Lebensgewohnheiten der Fürften und ihres Kreifes, deren Charakter
wir oben gefchildert haben. Stilreinheit darf man hier nicht fuchen, ebenfo-
wenig eine correcte Behandlung und Anwendung der Antike; aber eine
originelle Anjnuth, malerifchen Reiz, den Ausdruck heiteren Lebensgenuffes
Rouyer et Darcel, Vol. I. — Ebend. Vol. II. — 3) Capit. Francais, art. Fran^ois I.
— 4) Deville, comptes p. CLVI Iq. — s) Girolanio della Robbia für das Schlofs Madrid,
Vafari, V. di Luca della Robbia III, p. 72. — ^) Ein Beifpiel in Paluftre II, S. 313.
§ II. Grundzüge der franzöllfchen Renaiffance.
55
än naiver Verfchmelzung und pikanter Verarbeitung heterogener Formen
wird man diefen liebenswürdig zwanglofen Bauten in hohem Grade zu-
geftehen.
Fig. 20. Kamin aus dem Schlofs Du Pailly. (Sauvageot.)
Gegen Ende der Regierung Franz' I, alfo gegen Mitte des Jahrhunderts,
beginnt die Antike einen ftärkeren Einflufs zu üben. Man ftrebt nach
gröfserer Regelmäfsigkeit der Anlage, wie fie fich z. B. im Schlofs von
56
Kap. 1. Umwandlung des franzöfifchen Geiftes.
Ancy-le-Franc (vgl. den Grundrifs in § 73) zu erkennen giebt. Die Refte
mittelalterlicher Ueberlieferung fchwinden , die zahlreichen vorfpringenden
Ausbauten, Eckthürme und Treppenthürme werden unterdrückt, die Treppen
mehr in's Innere gezogen, aber immer noch einfach angelegt, nach Art
derer in den florentinifchen Paläften, mit einfachem, durch ein Zeigendes
Tonnengewölbe bedecktem Lauf, mit ziemlich fteilen Stufen. Jene Treppe
im Louvre, auf welcher man zur Gemäldegalerie auffteigt, ift ein bezeich-
nendes Beifpiel. Befonders werden aber die Details in antikem Sinn durch-
gebildet, die klaffifchen Säulenordnungen ftrenger beobachtet, reiner nach-
geahmt, übereinftimmender gehandhabt (vgl. Fig. 20), die Wandflächen
erhalten durch Säulen- und Pilafterordnungen fammt reichem Gebälk und
Gefims und durch Nifchenwerk eine regelmäfsige Gliederung. Auch dafür
bietet der Louvre in feinen Hoffagaden das fchönfte Beifpiel. Aber trotz
der antikifirenden Phyfiognomie werden die fteilen Dächer und die hohen
Pavillons mit ihren gewaltigen Kaminen beibehalten, nur die Dachfenfl:er
nicht mehr in gothiflrender Weife behandelt, fondern mit einem fbrengeren
Pilafterfyftem eingerahmt und etwa durch antiken Giebel gefchloffen.
Ueberau das Streben nach gröfserer Einfachheit und Ruhe, aber mit der
fröhlichen Ungebundenheit der früheren Epoche geht viel von dem naiven
Reiz diefer Bauweife verloren, und bei den Nachfolgern Heinrichs II fchon
fchleicht fich froftige Nüchternheit ein. Zu gleicher Zeit aber kommen
häfsliche, willkürliche, geradezu barocke Formen auf, fchwulfhige Glieder;
gebrochene Gefimfe, Säulenfchäfte mit horizontalen Ringen und willkürlichen
Ornamenten, endlich Verkröpfungen aller Art, fo dafs der Barockftil hier faft
früher auftaucht als in Italien. Namentlich gilt dies von der Ausftattung
des Innern, bei welcher die Holztäfelungen und Teppiche der Wände, fo-
wie die kunftreichen holzgefchnitzten Decken mehr und mehr von der aus
Italien eingeführten Stuckarbeit, verbunden mit Malerei, freilich zumeift
fchon in übertriebenem Pomp und manierirten Formen zurückgedrängt
werden. Im Ganzen aber, befonders am Aeufseren, bleibt immer noch eine
gewiffe Tüchtigkeit, Kraft und Gröfse, vertreten durch bedeutende Meifter
wie Lescot, BuUant, De l'Orme, und die franzöflfche Architektur bewahrt
bis in die erften Decennien des 17. Jahrhunderts ein unverkennbares Ge-
präge von Originalität.
II. KAPITEL.
DER UEBERGANGSSTIL UNTER KARL VIII UND LUDWIG XIL
§ 12.
Nachblühen der kirchlichen Gothik.
'S ward fchon bemerkt, dafs die Volkskreife, die Ge-
meinden und der Klerus bis in die Mitte des i6. Jahr-
hunderts der Renaiffance Widerpart halten. Sie be-
harren bei den Traditionen des Mittelalters und laffen
ihre Kirchen, Rath- und Wohnhäufer in gothifchem
Stil aufführen. Der Kirchenbau zunächft behält in
Grundrifsanlage und Conftruction das alte Syftem bei,
und nur in dem übermüthigen Dekorationstrieb des
_ Flamboyantftiles verräth es fich, dafs die erwachte
Weltluft, der profane Sinn der realiftifch gewordenen Zeit feinen ftarken
Antheil auch am kirchlichen Leben fordert. Um einen Begriff von der
Ueppigkeit zu geben, mit welcher diefer Nachfommer der Gothik in Frank-
reich auftritt, genügt es, auf die Reihenfolge der in Kugler's Gefchichte
der Baukunft an betreffendem Ort') aufgezählten Monumente hinzuweifen.
Werke wie St. Maclou zu Ronen, und die Fagade der dortigen Kathedrale
(1485 — 1507), wie die Parifer Kirchen^) St. Germain l'Auxerrois, St. Severin,
St. Gervais, St. Medard, St. Merry, letztere erft feit 1520 erbaut, endlich
der Thurm von St. Jacques de la Boucherie (1508 — 1522), ferner die feit 1506
ausgeführte überfchwänglich reiche Fagade der Kathedrale von Troyes und die
übrigen in demfelben Jahrhundert erbauten Kirchen diefer alterthümlichen
Stadt, 3) vor allem aber das Prachtftück der Notre Dame zu Brou^) (i 506 — 1 536)
^) Bd. III, S. 90 — 114. — ^) M. F. de Guilhermy, descript. archeol. des monum. de
Paris. 2. edit. 8. Paris 1856, p. 140, 154, 178, 184, 171, 224. — 3) A. Aufauvre, Troyes et
fes environs. 8. Troyes et Paris 1860. — 4) Dupasquier, Monogr. de Notre Dame de Brou.
Fol. Paris. Vgl. dazu meinen Auffatz in Weftermann's Monatsheften. 1883.
58 Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
geben nebfb vielen andern Kirchenbauten diefer Epoche ein glänzendes Bild
von der Nachblüthe der Gothik.
In diefer fpätmittelalterlichen Form erfchöpfte fich zunächfl jener phan-
taftifche dekorative Trieb, der diefem Jahrhundert überall, am meiften im
Norden eigenthümhch war. Man hat die Werke diefes Flamboyantfliles
bisher in der Regel fchlechthin als »Verfallkunft«, als »gothifchen Zopf«
wegwerfend behandelt. Mit Unrecht fürwahr, wenn man die Fülle fchöpfe-
rifcher Kraft, das Ueberftrömen genialer Erfindungen ins Auge fafst,
die fich darin ankündigen. Gewifs dürfen diefe Arbeiten nicht mit dem
Maafsftabe des fbreng conftructiven frühgothifchen Stiles des 1 3. Jahrhunderts
gemeffen werden. In der Conflruction find fie ungleich lockerer als jene,
und vor allem hat ihre Ornamentik fich im kecken Uebermuth von der
conftructiven Grundlage losgefagt und führt, unbeirrt von jener, auf eigene
Fauft ihre bunten Verfchlingungen wie ein lofes Spiel darüber hin. Aber
welch unverfiegliche Luft am mannigfaltigften Ausdruck dekorativen Lebens,
welch unabfehbare Reihe von Variationen über dasfelbe Thema, und mit
welcher Virtuofität des Meifsels vorgetragen, ja jedem Material abgetrotzt
und abgefchmeichelt ! Ohne Zweifel ift diefe Virtuofität wie jede andere
nicht das Höchfte in der Kunft ; aber es fteckt in ihr ein gutes Stück
Steinmetzenpoefie, und der phantaftifche Sinn des Jahrhunderts fand in ihr
feinen glänzendften Ausdruck. Vor Allem wird das Eine klar: diefer de-
korationsluftigen Schule kam es zunächft darauf an, in der Ornamentik
Alles zu übertreffen. Es liefs fich erwarten, dafs, nur erft mit den Formen
der Renaiffance bekannt, fie keinen Augenblick Bedenken tragen werde,
auch diefes Ausdrucksmittel dem fchon vorhandenen Vorrath von Zier-
formen einzuverleiben. Wir werden fehen, dafs es fo kam.
§ 13.
Spätgothischer Profanbau.
WICHTIGER aber für uns find die Privathäufer diefer Epoche, weil in
ihnen, bei völligem Fefthalten an gothifchen Formen, an gewiffen
mittelalterlichen Eigenheiten des Grundriffes, die Lebensfreude der Zeit in
der ftattlicheren Anlage und der reicheren Ausführung charakteriftifch zur Er-
fcheinung kommt. Eins der fchönften Beifpiele ift das wohlerhaltene Haus
des Jacques Coeur zu Bourges') (1443 — 1453). Die Mitte haltend
zwifchen einem feudalen Schlofs und einer Stadtwohnung, lehnt es fich
an die Stadtmauer mit ihren Thürmen, die es in feinen Grundplan hinein-
zieht. Ein unregelmäfsiger Hof trennt die Wohnräume von der Strafse.
Aufnahmen bei Gailhabaud, Denkm. der Baukunft, Bd. III. Vgl. die treffenden Be-
merkungen in ViolIet-le-Duc's Dictionn. de l'archit. unter dem Artikel »maifon«. T. VI,
p. 277 ff.
§ 13. Spätgothifcher Profanbau.
59
Drei in den Hof vortretende Treppenthürme gewähren den einzelnen Theilen
bequemen Zugang und unterftützen die reichliche Anlage von Degagements,
auf die man fchon im mittelalterlichen Burgenbau grofse Stücke hielt.
Ueber dem breiten Thorweg mit feinem fchmalen Seiteneingang für Fufs-
gänger liegt die Kapelle, die ihren eigenen Treppenzugang hat. Zu beiden
Seiten fchliefsen fich weite Hallen an, gegen den Hof durch Arkaden ge-
öffnet, für den äufseren Verkehr des Haufes beftimmt.
Das vollfbändige Bild einer vornehmen Stadtwohnung diefer Zeit ge-
währt das Hotel de Cluny in Paris, erbaut feit 1485-') Auch hier
trennt ein Hof, von zinnengekrönter Mauer eingefchloffen, die Wohngebäude
wird. Mehrere Treppen, hier jedoch nicht mehr in den Hof vorfpringend,
die Hauptftiege mit einer Freitreppe und Rampe verbunden, bewirken die
Verbindung mit dem Obergefchofs. Ueber dem Durchgang B, der vom
Hofe in den Garten führt, tritt auf fchlanken Säulen eine Hauskapelle vor,
eine im Mittelalter beliebte Anordnung, die uns noch mehrfach begegnen
I) Vgl. V.-le-Duc, Dictionn. T. VI, p. 286 ff. — Aufnahme in Verdier et Cattois,
architecture civile et domeftique, T. II, p. 19 ff. Vgl. V.-le-Duc, Dict. T. VI, p. 282 ff
von der Strafse : eine Anordnung, welche
bis in die neuefte Zeit bei vornehmen
Stadtwohnungen in Frankreich geltend
geblieben ift. Auch hier das grofse
Portal von einem kleinen Eingang für
Fufsgänger begleitet, gleich daneben zur
Linken die Wohnung des Pförtners, die
durch eine eigene Wendeltreppe und
durch einen Arkadengang mit der Woh-
nung in Verbindung fteht. Auch hier
mehrere Wendeltreppen, welche den Auf-
gang zu den verfchiedenen Räumen und
die Verbindung mit dem Garten ver-
mitteln.
Fig. 21. Hotel de la Tremouille. Erdgefchofs.
(Viollet-Ie-Duc.)
Um diefelbe Zeit, gegen 1490, wurde
in Paris das Hotel de la Tremouille^)
erbaut (Fig. 21), welches in den vierziger
Jahren abgeriffen worden ift. Von glän-
zend reicher Ausftattung, hat es wieder
den doppelten Eingang A in einen un-
regelmäfsigen Hof, der die Wohnräume
von der Strafse trennt, und auf zwei
Seiten von offenen Arkaden umgeben
6o Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
wird. Ein kleinerer Hof O mit einem Brunnen, durch Arkaden mit dem
Garten zufammenhängend, trennt die Wohnräume von der Küche und ihrem
Zubehör. Ein zweiter Ausgang, durch die Pförtnerwohnung bewacht, führt
vom Garten aus in eine Seitenftrafse.
In demfelben Stil find nun auch gegen Ende des 15. und zu Anfang
des 16. Jahrhunderts mehrere adlige Land fitze aufgeführt worden,
die deutlich das Streben nach glänzender Ausftattung verrathen, obwohl
fich dasfelbe noch gänzlich in gothifchen Formen ausfpricht. Solcher Art
ift das Schlofs Meillant im Departement du Cher,') erbaut um 1500
durch den Kardinal Amboife, dem wir fpäter noch als hochherzigem För-
derer der Kunft begegnen werden. Er errichtete dasfelbe für feinen Neffen
Karl von Amboife, Herrn von Chaumont, während diefer als Gouverneur
von Mailand abwefend war. Der Bau zeigt die unregelmäfsige Anlage \md
die Einrichtung einer mittelalterlichen Burg. Er befteht nur aus einem
langgeftreckten in ftumpfem Winkel gebrochenen Flügel. Nach aufsen ift
derfelbe mit zahlreichen Thürmen von unregelmäfsiger Form flankirt und
an den beiden Enden erheben fich viereckige Thürme mit Machicoulis
und hohen Dächern. Der weftliche giebt durch feine bedeutende Mauer-
maffe fich als der alte Donjon zu erkennen.
Während dies Alles ganz in mittelalterlicher Weife nur den Zwecken
der Befeftigung dient, fpricht fich der wohnliche, der modernen Zeit eigne
Charakter an der Innern Seite nach dem ehemaligen Hofe durch die
grofsen Fenfi:er mit Kreuzftäben, die reich durchbrochenen Galerien, die
fammt den Fenfterbrüftungen Fifchblafenmufter zeigen, und die hohen reich-
bekrönten Dachfenfter mit ihren Giebeln aus. Die Aufgänge zu den Wohn-
zimmern find in drei polygonen Treppenthürmen angebracht, und aufser-
dem ift an der wefllichen Ecke erkerartig ein achteckiger kleiner Thurm
ausgebaut. Das Prachtftück der ganzen Anlage ift die Haupttreppe, deren
Ecken mit kräftig gewundenen Säulen eingefafst und deren Flächen von
unten bis oben mit Maafswerkmufbern und den Devifen des Befitzers be-
deckt find. Ueber dem niedrigen Portal find Wappenhalter mit dem Schild
und den Devifen Karls von Amboife unter drei etwas wunderlichen Balda-
chinen angeordnet. Der Thurm endet mit einer Terraffe, die von einer
durchbrochenen Fifchblafenbaluftrade eingefafst wird. Von hier fteigt eine
mit Krabben befetzte Laterne als Krönung des kräftigen Ganzen auf.
Unter der Baluftrade zieht fich ein gothifches Kranzgefims hin, das aufser-
dem noch mit einem Rundbogenfries und Mufchelnifchen bereichert ift.
Letztere find der einzige Anklang an Renaiffanceformen , der fich im ganzen
Schlöffe findet. Er kommt aber noch einmal an dem kleinen, übrigens als
Aufn. in Gailhabaud, Denkm. der Baukunft Bd. III.
§ 13. Spätgothifcher Profanbau.
6i
gothifcher Spitzpfeiler behandelten Brunnen vor, der im, Hofe fich befindet.
Eine kleine gothifche Kapelle, ebenfalls getrennt vom Schlöffe, vervoll-
ftändigt die Anlage.
Ein anderes Werk diefer Zeit ift das Schlofs Chaumont^) (Fig. 22).
In prächtiger Lage hoch über der Loire, bewahrt es noch ganz fein mittel-
alterliches Gepräge und die Embleme, welche auch Meillant zeigt, auf
deffen Befitzer, Karl von Amboife, zum grofsen Theil auch diefer Bau
zurückzuführen ift. Er befteht aus zwei Flügeln, die fich in unregelmäfsiger
Form um den Hol gruppiren und an beiden Enden durch mächtige runde
Thürme mit Machicoulis und hohen Dächern flankirt werden. Der Ein-
gang, durch einen rundbogigen Thorweg gebildet, liegt in einem hohen
Pavillon, der durch zwei gewaltige runde Thürme mit Machicoulis und
fteilen Dächern eingefafst wird. Der Hof öffnet fich zwifchen den beiden
Flügeln des Baues als freie Terraffe mit köftlicher Ausficht über die Loire.
I) Vgl. die hiftorilchen Notizen in L. de la Sauflliye, Blois et les environs. 2. edit.
Blois et Paris 1860. p. 289 ff.
<52 Kap. II, Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
Das Innere zeigt in feinen Sälen, Zimmern und der grofsen Galerie
eine prächtige Ausftattung im Stil der Renaiffance, fo dafs man hier in
vollem Maafse den wohnhchen Eindruck der Schlöffer jener Zeit empfängt.
Sehenswerth fmd befonders mehrere Tapeten des 15. Jahrhunderts, welche
zur urfprünglichen Ausftattung des Schloffes gehörten. Auch die grofse
kreuzförmig erbaute Kapelle, im reichen Flamboyantftil und mit Glas-
gemälden gefchmückt, verdient Beachtung. Die Formen des ganzen Baues
zeigen noch den gothifchen Stil.
Aehnlicher Art ift das Schlofs von Fougeres,') erbaut durch Pierre
de Refuge, Schatzmeifter Ludwigs XI. Auch hier ift der Eingang durch
zwei Thürme flankirt, und an den Ecken des Gebäudes treten mächtip-e
o
runde Thürme und ein donjonartiger viereckiger Thurm hervor. Der Hof
ift mit Arkaden eingefchloffen und die Hauptftiege liegt wie gewöhnlich
in einem reichgefchmückten polygonen Treppenhaus.
Auch das fchöne Schlofs Martainville,^)im Departement der unteren
Seine gelegen, zeigt in verwandter Weife noch völlige Abhängigkeit von
mittelalterlicher Formenwelt, aber in der Anordnung des Grundplans den
modernen Gedanken behaglich freier WohnÜchkeit (Fig. 23.) In einem
ausgedehnten von Wirthfchaftsgebäuden auf zwei Seiten eingefafsten, von
Mauern mit kleinen runden Eckthürmen umfchloffenen Hofe erhebt fich
■der Hauptbau in Geftalt eines Rechtecks von 70 Fufs Breite bei 48 Fufs
Tiefe. Auf den vier Ecken fpringen Rundthürme vor, im Innern poly-
gone Zimmer enthaltend, die als Kabinette mit den Haupträumen in Ver-
bindung ftehen. Der Eingang liegt bei A in der Mitte der Fagade unter dem
erkerartig ausgebauten Chor der im obern Gefchofs angebrachten Kapelle:
eine in Frankreich fich oft wiederholende Anordnung, Ein mit Kreuz-
gewölben bedeckter Gang trennt den grofsen Saal H von den beiden
auf der anderen Seite liegenden Zimmern D, G. Am Ende des Korridors
ift in einem polygonen Treppenhaus die Wendelftiege B angeordnet, die
zu den beiden oberen Stockwerken führt. Im Hauptgefchofs ift ein Theil
des Korridors durch eine Querwand als Kapelle abgegrenzt, und auf jeder
Seite des Ganges fmd zwei mit einander verbundene Zimmer angebracht.
Das Aeufsere zeigt fich als charaktervoller Backfteinbau, in den oberen
Stockwerken mit Rautenfeldern und Lilienornamenten in dunkleren Steinen
gefchmückt. Doch fmd die reichen gothifchen Giebelkrönungen der Dach-
fenfter in Hauftein ausgeführt. Dies Alles und die lebendige Gefammt-
gliederung, die vier Eckthürme mit ihren Kegeldächern, der hohe, mit
Glockenftuhl gekrönte Treppenthurm und der zierliche Chor der Kapelle
verleihen dem Bau ein hochmalerifches Gepräge.
^) L. de la Sauffaye, a. a. O, p. 316 ff, — ') Sauvageot, choix de palais, chateaux etc
Vol. IV,
§ 13. Spätgothifcher Profanbau.
63
Hierher gehört endhch noch eine Reihe ftatüicher Rathhäufer,
namenthch in den nordöfthchen Provinzen, welche an den prachtvollen
Stadthäufern des benachbarten Flandern direkte Vorbilder fanden. Sie be-
ftehen meift aus einer Bogenhalle im Erdgefchofs, über welcher die oberen
Stockwerke, manchmal durch einen gewaltigen Beftroi gekrönt, in reichem
Schmuck fpätgothifcher Zeit fich erheben. Aufser den bei Kugler^) fchon
verzeichneten Rathhäufern von St. Quentin, Noyon und Saumur nennen
wir die Hotels de ville zu Douay, Dreux und das befonders anziehende
Fig. 23. Schlofs Martainville. Erdgefchofs. (Sauvageot.)
ZU Compiegne,^) welches zwar keine Bogenhalle befitzt, aber durch
baldachingekrönte Nifchen für Statuen, durch eine grofse Flachbogennifche
mit dem Reiterbild Ludwigs XII und befonders durch den mächtigen Beffroi,
der fich über der Mitte der Fagade erhebt, ausgezeichnet ift. Das Ge-
bäude wurde 1499 begonnen und ift gleichwohl noch vollftändig im gothi-
fchen Stil durchgeführt, abermals ein Beweis wie feft und wie lange die
bürgerlichen Kreife damals im Gegenfatz zum Hofe an der einheimifchen
Ueberlieferung fefthielten.
I) Gefch. d. Baukunft, Bd. III, S. 113 fg. — Aufn. in Verdier et Cattois, arch. civ.
et dorn. T. I, p. 172 IT.
64
Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
§ >
Das Schloss zu Amboise.
LS Karl VIII von Italien heimkehrte, brannte er vor Eifer, ähnliche
JL \ Herrlichkeiten ausführen zu laffen, wie er fie dort in den prächtigen
Schlöffern und Villen gefehen hatte. Vom Kardinal Giuliano della Rovere,
dem fpäteren Papft JuHus II, erhielt er das reich verzierte Modell zu einem
Palaft gefchenkt, welches Giuliano da S. Gallo für diefen gearbeitet hatte.
Der Künftler mufste es ihm felbft nach Lyon bringen, wo der König ihn
mit Freuden begrüfste und reichlich befchenkte. ') Vor Allem liefs aber
der König Künftler von Neapel kommen für die Arbeiten, mit welchen er
das Schlofs zu, Amboife (1498) zu verfchönern gedachte. Er unternahm
dort nach dem Zeugnifs Comines^) fo grofsartige Bauten »wie fie feit hundert
Jahren kein König ausgeführt hatte« und zwar fowohl am Schlofs wie in
der Stadt. Mit welchem Eifer der König diefe Angelegenheit betrieb, be-
zeugt die Quittung eines Nicolas Fagot, welcher bekennt 398 Livres
5 Sols Tourn. erhalten zu haben für den Transport mehrerer Tapeten,
Bücher, Gemälde, Marmore und Porphyrfteine und anderer Gegenftände,
fowie für den Unterhalt von 22 Werkleuten, die der König für feine Ar-
beiten von Neapel nach Amboife hatte kommen laffen. 3)
Das Schlofs von Amboife (Fig. 24)-*) ift noch immer ein anfehnlicher
Bau, der fich mit feinen mächtigen Thürmen und feiner hochgelegenen
Terraffe dominirend an dem hohen Ufer der Loire erhebt. Von den Bauten
Karls VIII rühren nach Comines Zeugnifs die beiden gewaltigen Thürme
C, D, von beinahe 40 Fufs Durchmeffer, in denen man auf einer 20 Fufs
breiten Rampenfhiege bis auf die Höhe der Terraffe und des eben fo hoch
gelegenen Schlofshofes zu Pferde gelangen konnte. Den innern Hof A
umziehen auf zwei Seiten Arkaden, die bei der unregelmäfsigen Anlage in
einem fpitzen Winkel zufammentreffen. Zahlreiche Wendeltreppen fpringen
nach innen vor und bewirken die Verbindung in diefen älteren Theilen des
Baues. Ein Saal von beträchtlicher Gröfse bildet noch heute den wich-
tigften Theil der inneren Räumlichkeiten. Nach aufsen flankiren mehrere
') Vafari, Vita di Giuliano da San Gallo, ed. Le Monn. T. VII, p. 219. — 2) Comines,
1. VIII, cap. 18: »lequel (Charles VIII) eftoit en fon chafteau d'Amboife, oü il avoit entre-
prins le plus grant edifice que commencea, cent ans a, Roy, tant au chafteau que ä la ville,
et fe peut veoir par les tours, par oü l'on monte a cheval, et par ce qu'il avoit entreprins ä la ville
et avoit amene de Naples plufieurs ouvriers excellens en plufieurs ouvraiges, comme
Tailleurs et Painctres.« — 3) Fontanieu, portef. 149: »vingt deux hommes de meftiers, le-
quels par fomme icelluy Seigneur a fait venir du dit Napples pour ouvrer de leur meftier a
Ion devis et plaifir.« cf. Comines, ed. Mlle. Dupont, Paris 1843. T. II, p. 585 Note. —
4) Aufn. bei Du Cerceau, T. II. Hiftor. Notizen in L. de la Sauflaye, Blois et fes environs,,
p. 202 ff. Vgl. die fchöne Darfteilung in den Chateaux hiftoriques I, 65 ff.
§ 14- Das Schlofs zu Amboife. § ij. Das Schlofs zu Blois.
65
runde Thürme die Ecken des Schloffes. Eine kleine kreuzförmige Ka-
pelle B mit polygonem Chorfchlufs, noch völlig gothifch angelegt und aus-
geführt, tritt ebenfalls aus der Umfaffungsmauer vor. Sie fcheint derfelben
Zeit anzugehören, ift aber unter der Reftauration durch den Herzog von
Orleans wieder hergeftellt worden.
Fio-. 2^. Schlofs zu Amboife. Aeltere Theile. (Du Cerceau.)
§ 15-
Das Schloss zu Blois.
EIN frühzeitiger Tod raffte Karl mitten in feinen Unternehmungen hin,
und die in lo grofsem Stil begonnenen Bauten blieben unvollendet.
Ludwig XII aber in feiner langen und glücklichen Regierung (1498 — 151 5)
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 5
66
Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
nahm, erfüllt von der Herrlichkeit italienifcher Kunft, diefe Beftrebungen
wieder auf und fuchte fich nicht blos Kunftwerke von dort zu verfchafifen,
fondern auch Künftler für fich zu gewinnen. Er berief den Veronefer Fra
Giocondo, von welchem Vafari') berichtet, er habe zwei fchöne Brücken
über die Seine erbaut und fonft noch viele Werke in Frankreich für den
König ausgeführt. In Wahrheit ift aber nur eine Brücke, die von Notre
Dame, nachweislich von Fra Giocondo erbaut worden, nachdem die alte
Brücke im November 1499 eingeftürzt war.^) Erft im Herbft 15 12 ward
die neue fteinerne, mit Buden befetzte Brücke gänzlich vollendet. Im
Uebrigen läfst fich weder aus Urkunden, noch aus dem Stil der Bauten
Ludwigs XII irgendwie die von Vafari gerühmte Thätigkeit des kunft-
verftändigen Frate beglaubigen. Auch von der alten »cour de comptes«
imjuftizpalaft zu Paris läfst fich, nach den Stichen Israel Sylveftre's
zu urtheilen, kein Schlufs auf die Betheiligung Fra Giocondo's ziehen.
Aber das glänzendfte Denkmal fetzte der König feiner Kunftliebe im
Neubau des Schloffes von Blois.^) Aus der Stadt Blois ragen zwei
Hügel auf, von denen der fteilere durch die Kathedrale, der minder hoch
aufragende durch die ausgedehnten Baulichkeiten des königlichen Schloffes
bekrönt wird. Das Schlofs, deffen Gefchichte bis in die römifche Epoche
hinauffteigt, wo es am Ende des 6. Jahrhunderts als Caftrum auftritt, war
im Mittelalter eine feudale Feflung, zuerft unter den Grafen von Blois,
dann unter den Herzogen von Orleans. Im Jahr 1433 wird von bedeu-
tenden Arbeiten dafelbft berichtet, die jedoch ausfchliefslich den Befefhi-
gungswerken galten. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts veränderte es
wie fo viele Schlöffer des Mittelalters feinen Charakter und wurde aus der
kriegerifchen Vefte der Feudalzeit ein glänzender fürftlicher Wohnfitz.
Ludwig XII, der für feine Geburtsftätte eine lebhafte Vorliebe hatte und
meiftens hier refidirte, brachte diefen Umbau mit aller Opulenz feiner Zeit
zu Ende und erbaute das Schlofs, wie Jean d'Auton fagt, ganz neu und mit
wahrhaft königlichem Aufwand.'')
Der impofante Bau (Fig. 25) zeigt im Wefentlichen verfchiedene Bau-
gruppen, Der ältefte Theil, zur Rechten des Eintretenden, bildet die
nordöftliche Ecke des Ganzen. Er befteht aus dem grofsen Saal H der
') V. di Fra Giocondo T. IX, p. 159 u. Note 2. — Humbert Vellay, chroniques,
cap. 15 erzählt, dafs der König die eingeftürzte Brücke »fit rebatir de pierre avec beaucoup
de curiofite, et le rendit plus beau et commode qu'il n'avoit ete auparavant.« — 3) Aufn. bei
Du Cereeau, Tom. II und in den Monum. Hiftor. Vgl. dazu das Gefchichtliche in L. de la
Sauffaye, hift. du chateau de Blois. 4. edit. Blois et Paris 1859. 8. — • »tout de neuf et
tant fomptueux que bien fembloit oeuvre de Roy.« — s) Wir geben trotz einiger Un-
genauigkeiten den Grundrifs nach Du Cereeau, der die Umgeftaltungen der Zeit Gaftons
noch nicht kennt. Den heutigen Zuftand ftellt der Grundrifs in den Monum. Hift. dar.
§ 15- Das Schlofs zu Blois.
67
tnittelalterlichen Notablenverfammlung und trägt das Gepräge des 13. Jahr-
liunderts, der Zeit des hl. Ludwig. Steinfäulen mit frühgothifchen Kapitälen
und Spitzbögen theilen den 50 Fufs breiten, 90 Fufs langen Saal in zwei
:Schiffe, deren jedes eine fpitzbogige Holzbedeckung hat. Diefe oberen Theile
Fig. 25. Schlofs zu Blois. Erdgefchofs. (Du Cerceau.)
ftammen aus der Zeit Ludwigs XIL Dem Baue diefes Königs gehört fo-
dann der öftliche Flügel B, der fich im rechten Winkel an der Südfeite E
fortfetzt und dort die Kapelle J aufnimmt. Der Bau Franz' I, von welchem
.{päter zu fprechen ifb, erftreckt fich in fchiefem Winkel an der gegenüber-
68 Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
liegenden nördlichen Seite O und bildete ehemals mit einem weftlichen
Flügel M den Abfchlufs. An die Stelle diefes letzteren trat .fpäter der
nüchterne Bau Gaftons von Orleans. Wir haben es hier zunächft mit dem
Werk Ludwigs XII zu thun.
Die Hauptfagade B, nach Often gelegen, i6o Fufs lang, unregelmäfsig
eingetheilt, ift wie der ganze Bau Ludwigs in feiner Maffe aus Ziegeln auf-
geführt, nur der Sockel, die Einfaffungen der Fenfter und Thüren, das reiche
Kranzgefims mit feiner aus Fifchblafen zufammengefetzten Baluftrade, die
Fenftergiebel des Daches und endlich fämmtliche Ecken und Pilafter fmd
aus Haufteinen gearbeitet. Die Fenfter des Erdgefchofses und des oberen
Stockwerkes fowie die des Dachgefchofses fmd in ungleicher Axentheilung,.
rein nach dem innern Bedürfnifs angelegt. Doch macht fich ein Streben
nach möglichfler Gleichheit der Abftände bemerklich. Ihre fteinernen Kreuz-
fläbe, die Säulchen und Einkehlungen der Umfaffung fowie die überfchnei-
denden Rundftäbe, endlich die auf Confolen ruhenden Krönungen gehören
durchaus noch dem gothifchen Stile. Dasfelbe gilt von den Baluftraden
der beiden Altane am letzten und vorletzten Fenfter, von den phantaftifchen
Maafswerken des Hauptgefimfes , von der Form der Lifenen und endlich
von den Krönungen der Dachfenfter, deren gefchweifte Spitzbögen mit
Krabben und Kreuzblumen ausgeftattet und mit Fialen eingefafst fmd. Nur
einmal, an dem erften Dachfenfter (zur Rechten) kommt ein Renaiffance-
motiv vor, da ftatt der Fialen Pilafter, von Delphinen bekrönt, angebracht
fmd. In den Bogenfeldern der Dachfenfter fmd mehrmals das Wappen von
Ludwigs erfter Gemahlin Anna von Bretagne und die Namenszüge des
Königspaares angebracht. Das Portal, unfymmetrifch an der rechten Seite
angebracht, befteht aus einem hohen halbkreisförmigen Bogen, neben welchem
ein kleines Pförtchen in gedrücktem Rundbogen dem Fufsgänger fich öffnete
Ueber beiden fieht man das Emblem Ludwigs XII, das Stachelfchwein mit
der Krone, über dem Haupteingang aufserdem unter reichem Baldachin auf
blauem Grunde mit goldenen Lilien in Hochrelief das Reiterbild des Königs.
Dies gehört den Reftaurationen an, welche neuerdings unter der meifter-
haften Leitung von Felix Duban das ganze Schlofs wieder hergeftellt haben.
Die innere Fagade nach dem Hofe wird an der öftlichen und füdlichen
Seite im Erdgefchofs durch Arkaden D, E gebildet, deren fehr gedrückte
Bögen auf Pfeilern ruhen, die abwechfelnd rautenförmige Felder mit Lilien
oder nach Art der italienifchen Renaiffance ein Rahmenwerk mit Arabesken-
füllung zeigen. Dies find die einzigen entfchiedenen Anklänge an italieni-
fchen Stil, während alles Andere, die Bogenprofile, Fenftereinfaffungen, Ge-
fimfe und Baluftraden bis zu den Fialen und Giebeln der Dachfenfter noch
gothifch ift. Die Verbindung mit dem oberen Gefchofs wird in den beiden
Ecken rechts und links vom Eingange durch Wendeltreppen F^ G, von.
i6. Schlofs Gaillon.
69
denen die zur Rechten fich durch gröfsere Anlage und reicheren Schmuck
und ihr unmittelbares Ausmünden auf den grofsen Saal als Haupttreppe
erweift, bewerkftelligt. Befonders fchön und reich gefchmückt mit acht
Rippen ift ihr Gewölbefchlufs. Das obere Gefchofs befteht aus einer einfachen
Reihe verbundener Räume von 26 Fufs Tiefe, der Hauptfaal 42 Fufs lang.
In dem füdlichen Flügel hegt die einfchiffige, polygon gefchloffene
Kapelle J mit reichen Sterngewölben und Fifchblafenfenftern, durchaus noch
ein Werk des gothifchen Flamboyants, neuerdings wieder hergeftellt. Noch
-ftammt aus Ludwigs XII Zeit, in feinen Grundlagen fogar noch aus dem
früheren Mittelalter, der runde Thurm L in der nordwefthchen Ecke des
Schloffes, der fpäter ganz in den Bau Franz' I hineingezogen wurde.
Ueber den Architekten des Baues wiffen wir nichts. Der Stil fpricht
jedenfalls eher gegen als für Fra Giocondo. Dagegen ift durch neuere Ent-
deckungen feftgeftellt, dafs Coän Biart »maitre magon en la ville de Blois«,
fowohl am Schlofs von Blois wie an dem von Amboife beschäftigt war.
Allem Anfcheine nach, da er wie wir bald fehen werden auch durch den
Kardinal Amboife nach Gaillon berufen wurde, müffen wir ihn als einen
fehr tüchtigen, weit bekannten Meifter betrachten.
§ 16.
ScHLOSS Gaillon.
DER gröfste Förderer der Renaiffance in Frankreich war Ludwigs XII
Minifter Kardinal Georg von Amboife, Erzbifchof von Ronen, einer der
erleuchtetften Staatsmänner feiner Zeit. Er wufste fich aus Italien Bücher
und Kunftwerke zu verfchaffen und fchmückte damit fowohl den erzbifchöf-
lichen Palaft zu Ronen als auch fein Schlofs Gaihon. Bedeutende Summen,
die ihm grofsentheils aus den Strafgeldern der aufftändifchen itahenifchen
Städte floffen, wendete er auf den Neubau diefer Schlöffer. Nicht weniger
als 153,600 Livres, eine Summe, die jetzt das Zwanzigfache gelten würde,
betragen laut den noch vorhandenen Rechnungen die Gefammtkoften des
Baues von Gaillon, und doch übertrafen die Baukoften des erzbifchöfhchen
Palaftes zu Ronen diefe noch um ein Drittel. =) Dort entftand u. A. eine
prachtvolle Galerie im Garten mit einer marmornen Fontaine, fodann eine
Kapelle und ein Oratorium. Von diefen Werken ift nichts erhalten, dagegen
befitzen wir von Gaillon, das 1792 verkauft und fchmählich verwüftet wurde.
I) Bulletin archeol. Jahrg. 1843 p. 469 »Colin Biart entr'aultres a efte a con-
duire le commencement de pons Notre-Dame de Paris. Depuys fuft appelle au
chafteau d'Amboyfe, et depuys au chafteau de Blois, qui font chofes fomptueufes et de
grant entreprife.« — A. Deville, comptes des depenfes de la conftruction du chäteau de
Gaillon. Paris 1850. Mit Atlas in fol. p. XX ff.
70 Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
wenigftens einige Ueberrefte in der Ecole des beaux arts zu Paris, die Auf-
nahmen bei Du Cerceau und die vollftändigen Baurechnungen, die uns einen
umfaffenden Einblick in den künftlerifchen Betrieb der damaligen Zeit ver-
ftatten. Obwohl das Schlofe nicht Privatbefitz Amboife's war, fondern dem'
Erzbisthum Ronen gehörte, und obwohl er in feinem vielbefchäftigten Leben
nur feiten und auf wenige Tage dort weilen konnte, betrieb der hochfmnige
Prälat aus reiner Begeifterung für die Kunfh den Bau von 1502 bis zu
feinem Tode 15 10 mit allem Eifer. Bisweilen erfcheint er, um nach den
Bauten zu fehen, fich ihres Fortgangs zu freuen, dann aber mufs — fo
wenig war dort für die nothdürftigften Einrichtungen geforgt — alles Er-
forderliche bis auf die Lebensmittel von Rouen mitgenommen werden, und
es kommt fogar vor, dafs man fich Betten leihen mufs. Dabei wird alles
mit der höchften Pracht ausgeführt, für die Arkaden werden marmorne
Pfeiler und Medaillons aus demfelben Material befchafift, und ein reich
gefchmückter Marmorbrunnen wird fogar aus Italien herbeigeholt.
Gaillon') liegt zehn Meilen von Rouen entfernt, eine Viertelmeile von
der Seine auf hügeligem Terrain, welches eine reiche Ausficht gegen Often
gewährt. Im Mittelalter unter Philipp Auguft war es eine ftarke Vefte^
die im 13. Jahrhundert in Befitz der Erzbifchöfe von Rouen kam und im
15. Jahrhundert von den Engländern durch Schleifung der Mauern und des
Donjons zerftört wurde. Bald darauf ftellte der Kardinal d'Eftouteville das-
Schlofs wieder her, und in diefem Zuftande fand es Georg von Amboife,
Diefer fchlofs bei feinem Neubau (Fig. 26) fich an das Beftehende an, be-
wahrte die Hauptmauern mit den Thürmen und den Gräben und behielt
fomit die unregelmäfsig dreieckige Geftalt des Ganzen bei. lieber den
Graben L führte eine Zugbrücke, vertheidigt bei der Pforte a durch zwei.
Thürme, zu dem Haupteingang b c. Diefer lag in einem viereckigen
Pavillon H mit kleinen Thürmen auf den Ecken, an welchen fich zur
Rechten und zur Linken G die Gebäude Eftouteville's anfchloffen. Von
hier gelangte man zu dem äufseren Hofe A, und aus diefem durch die
Galerie E zu dem Haupthofe B. Auch diefer ift unregelmäfsig angelegt
und an zwei Seiten mit Arkaden D, E ausgeftattet , die im Erdgefchofs
offen, im obern Stockwerk gefchloffen waren. Zwei vortretende polygone
Thürme in den entgegengefetzten Ecken, f, m, enthalten die Wendelftiegert
zum oberen Gefchofs. Sie ftehen zugleich mit den Galerieen in Verbindung-
und vermitteln durch diefelben den Eintritt in die Gemächer. Die Haupt-
treppe f ift nach aufsen auf Pfeilern mit offenen Bögen ftattlich aufgeführt.
In der Mitte des Hofes ftand die berühmte Marmorfontaine g. In der
nordweftlichen Ecke des Hofes erhob fich ein viereckiger Pavillon K, nach
^) Aufser den Zeichnungen bei Deville vgl. die Aufnahmen bei Du Cerceau, T. I,
§ i6. Schlofs Gaillon.
71
aufsen mit kleinen Thürmen auf Kragfteinen flankirt, durch welchen man
über eine Zugbrücke nach einer grofsen Terraffe und von dort in die aus-
gedehnten Gartenanlagen gelangte.
Das Hauptgebäude C, »la grante maifon« genannt, befteht aus einer
Reihe von Gemächern, vor welchen fich nach aufsen eine prachtvolle Galerie h
auf Marmorpfeilern hinzog. An der einen Ecke wurde diefelbe durch einen
grofsen runden Thurm I flankirt, an der entgegengefetzten Seite durch die
Kapelle J. Die gegenüberliegende unregelmäfsige Partie des Gebäudes F G
hiefs nach dem ausführenden Architekten das Haus Pierre de Lorme. Auch
Fig. 26. Schlofs Gaillon. Erdgeichofs. (Du Cerceau.)
der Pavillon K, welcher die Verbindung mit dem Garten herftellt, trug den
Namen diefes Meifters. Der Garten felbft bildete ein Blumenparterre von
gewaltiger Ausdehnung, 540 Fufs breit und doppelt fo lang, an der füd-
öftlichen Langfeite in ganzer Länge von einer offenen Galerie eingefafst, die
auf einen kleinen Pavillon mündete. Die Mitte des Gartens zeigte unter
einer Voliere einen Springbrunnen. Vom Garten gelangte man in den Park
mit feinen prachtvollen Baumgruppen, von wo eine lange Allee zu der Ere-
mitage und dem »weifsen Haufe<* führte, einer Anlage, die der zweite Nach-
folger Amboife's, Carl von Bourbon, in ziemlich barockem Stil, aber mit
grofser Pracht hinzugefügt hatte. Der ganze Park umfafste einen Flächen-
raum von 800 Morgen.
Die Gefammterfcheinung des Schloffes (Fig. 27) mit feinen hohen Dächern,
Kaminen und zierlich gekrönten Dachfenftern, mit den zahlreichen Thürmen,
72
Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
Nebenthürmen und der gothifchen Kapelle Avar ein überaus malerifcher,
noch ganz im Sinne des Mittelalters. Nur die Arkaden mit ihren gedrückten
Rundbögen, die Medaillons und die Pilafter gehören der Renaiffance an.
Aber diefe neuen Elemente mifchen fich viel ftärker als in Blois mit den
gothifchen Formen, und der Uebergangsftil tritt in Gaillon zum erften Mal
entfcheidend auf. Alle Theile des Gebäudes waren aufs Reichfte gefchmückt,
befonders glänzend die nach aufsen liegende Galerie, deren Bögen auf neun
Marmorpfeilern ruhten. Ueber den Archivolten waren Marmormedaillons
mit antiken Bruftbildern angebracht. In dem grofsen runden Thurm diefer
Seite lag das Kabinet des Kardinals, deffen gefchnitzte Holzdecke von Azur
und Gold fchimmerte. Aufserdem werden in diefem Haupttheile der Woh-
nung ein grofser Saal, ein Zimmer mit vergoldeter Ledertapete und ein
anderes mit grünem Velourteppich erwähnt. Der Saal mafs über loo Fufs
Länge bei 48 Fufs Tiefe, Er ftand gleich den übrigen Zimmern in un-
mittelbarer Verbindung mit einer prächtigen Terraffe, die von der Marmor-
galerie getragen wurde.
Befonders glänzend war die Kapelle ausgeftattet, die nach aufsen durch
ihren mit offener Laterne bekrönten Glockenthurm fich bemerklich machte.
Mit vergoldetem Blei in zierHchen Ornamenten bedeckt, fchmückten ihn die
Figuren von Sibyllen und einer Sirene. Der Altar der Kapelle war ganz
aus Marmor gearbeitet, mit den Reliefbildern der zwölf Apoftel, die Chor-
ftühle mit Ornamenten und Figuren in kunftvollem Schnitzwerk bedeckt,^;
die achtzehn Fenfter mit Glasmalereien, welche noch im Anfang des 18. Jahr-
hunderts die Bewunderung erregten.^) Selbft die Wände der Kapelle waren
mit Gemälden gefchmückt, welche Andrea Solario von Mailand in zwei
Jahren bis 1509 ausgeführt hatte. Von ihm war auch das Altargemälde
der Kapelle, die Geburt Chrifti darfteilend. 3) Den oberen Theil des Altars
bildete ein Marmorrehef von Michel Colomb, St. Georg den Drachen tödtend,
gegenwärtig im Mufeum des Louvre aufbewahrt, 4) während die Bruchftücke
der unübertrefflichen Chorftühle, die den höchften Luxus dekorativer Pracht
in Verbindung gothifcher Elemente mit Renaiffanceformen zeigen, in die
Kirche von St. Denis gekommen find. Unter den Treppen zeichnete fich
durch ihre feinen Ornamente, den plafi;ifchen Schmuck, die durchbrochenen
fchwebenden Schlufsfireine des Gewölbes und den kupfernen St. Georg, welcher
das Dach krönte, die grofse zur Kapelle führende Hauptfliiege aus.
Die Arkaden des Hofes, auf reich dekorirten Pfeilern ruhend, mit Ara-
besken von delikatefiier Behandlung gefchmückt, die Fenfiier über ihnen mit
^) Deville im Atlas Taf. 12 u. 13 giebt Zeichnungen derfelben. — 2) Felibien, entret.
III, p. 83. — 3) »Ung beau tableau de la nativite de noftre Seigneur qua a faict maiftre
Andr6 de Solario, peintre de Monfeigneur.« Deville, a. a. O. p. 540, cf. p. LXXI. — 4) Barbet
de Jouy, Defcription des fculptures modernes du Mus. Imp. du Louvre, Nr. 84.
74
Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
marmornen Medaillons römifcher Kaifer, endlich die Dachfenfter mit ihrer
pyramidalen Krönungen gaben der Architektur des Hofes nicht geringerer
Reiz. Ueber den Arkaden fah man fogar ein langes Marmorrelief, welche.'
die Schlacht von Genua und den fiegreichen Einzug der Franzofen in diefe
Stadt darftellte. Bemalte Hirfchköpfe von Holz auf einem Grunde von Laub
werk fchmückten die untere Galerie, während die obere an ihren Gewölbei
mit Azur und Gold bemalt war. Der ganze Hof war mit einem Pflaftei
von fchwarzen, grauen und grünen Platten in teppichartigen Muftern bedeckt
empfing aber feinen Hauptfchmuck durch den hohen mit plaftifchen Werker
gezierten Springbrunnen, welchen die Republik von Venedig dem Kardina.
pfefchenkt hatte. Von allen diefen Schönheiten ift nichts erhalten als das
Portal des äufseren Hofes, das Werk Pierre Fain's von Ronen, welches gegen-
wärtig den Hof der Ecole des beaux arts in Paris abtheilt. Es giebt mit
feinen gedrückten Rundbögen und den arabeskengefchmückten Pilaftern einer
annähernden Begriff von dem ehemaligen Glanz diefes Baues, den die Revo-
lution bis auf einige nackte Mauern verwüftet hat (Fig. 28).
§ 17-
Die Künstler von Gaillon.
DIE Baurechnungen von Gaillon,^) die einen vollftändigen Einblick in die
gefammte Unternehmung gewähren, geben uns auch Auffchlufs über die
dabei betheiligten Künftler. Gegenüber den fo oft wiederholten Behaup-
tungen von der Heranziehung italienifcher Architekten, namentlich Fra
Giocondo's. zu den franzöfifchen Bauten diefer Epoche ift es zunächft von
Werth feftzuftellen, dafs kein hervorragender italienifcher Architekt in den
Rechnungen genannt wird, dafs nur in untergeordneter Weife drei italienifche
Künftler gegenüber von mehr als hundert franzöfifchen beim Bau vorkommen,
dafs offenbar der Plan und die Ausführung des Ganzen von einheimifchen
Künftlern ausgeht. Diefe waren freilich keine berühmten Architekten im
modernen Sinne, fondern fchlichte Bau- und Maurermeifher nach Art des
Mittelalters. Sie gingen aus zweien der angefehenften Künftlerfchulen des
Landes, der von Ronen und der von Tours hervor, deren Tradition bis ins
frühe Mittelalter hinaufreicht. Oft fmd mehrere gleichzeitig an verfchiedenen
Theilen des Baues befchäftigt, jeder für fich felbfländig arbeitend; bisweilen
löft der eine den andern in derfelben Arbeit ab. Was das Ganze dadurch
an einheitlicher Strenge einbüfste, gewann es ganz im Geifte des Mittel-
alters an bunter Mannigfaltigkeit und origineller Frifche. Wir erwähnen kurz
die Hauptmeifber und ihre Thätigkeit am Baue.
^) Das Folgende beruht auf der mufterhaften fchon erwähnten Arbeit A. Deville's
§ ly. Die Künftler von Gaillon.
75
Als folche lernen wir unter den Baumeifbern in erfter Linie kennen
Guillaume Senault von Ronen. ') Er entwirft die Pläne zum Hauptgebäude
und arbeitet von 1502 bis 1507 an der Ausführung desfelben. Er wird
mehrmals auch anderwärts zu wichtigen Unternehmungen als Sachverftän-
diger berufen, fo beim Bau der neuen Thürme an den Kathedralen zu Reuen
und zu Bourges. Auch an dem neuen erzbifchöf liehen Palaft zu Ronen war
er betheihgt. — Pierre Fain, ebenfalls von Ronen, ^) errichtete für 18,000
Livres die Kapelle und die zu derfelben führende Haupttreppe. Aufserdem
ifl er der Schöpfer des jetzt in der Ecole des beaux arts aufgeftellten Por-
tals (Fig. 28), für welches er 650 Livres empfing. Wir finden ihn ferner
Fig. 28. Portal von Gaillon. (Baldinger nach Phot.)
bei den Bauten des erzbifchöflichen Palaftes zu Ronen, welchen er in den
Jahren 1501 und 1502 vorftand. Später vertraute ihm der Abt von St. Ouen,
Antoine Boyer, genannt »le grand bätiffeur«, den Bau einer neuen Abt-
wohnung. — Der dritte Meifler ift Pierre de Lonne, '^^ ebenfalls von Rouen,
v/on dem ausdrücklich bemerkt wird, dafs er in antiker wie in franzöfifcher
Weife zu arbeiten verftehe.'') Auch er war am erzbifchöflichen Palaft zu
Deville, p. XCIII ff. — Ebend. p. XCVII ff. — 3) Ebend. p. XCIX ff. — 4) Ebend.
p). 405: »Pierre de Lorme, macon, a fait marche de faire et tailler a l'entique et ä la mode
Francoife les entrepiez qu'il fault ä affeoir les medailles soubz la taraffe baffe du grant corps
dl'oftel.«
76
Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
Rouen thätig gewefen. In Gaillon führte er den Umbau der alten vom
Kardinal Eftouteville errichteten Theile , erbaute den nach ihm benannten
Flügel des Schloffes, welcher der »grande maifon« gegenüber liegt, und den
Pavillon, der die Verbindung mit der Terraffe und dem Garten herftellt.
Neben diefen Meiftern von Rouen fmd noch zwei hervorragende Künftler
aus der Touraine in Gaillon befchäftigt: Colin Biart von Blois,') der mehr-
mals zur Berichtigung der Bauten berufen und als Architekt von Gaillon
bezeichnet, aufserdem für den Bau der Thürme in Rouen und Bourges her-
beigezogen wird, die Notre Dame-Brücke in Paris errichtet und an den
Schlofsbauten von Amboife und Blois betheiligt ift.^) Sodann Piet're Valence
von Tours, 3) ein ungemein vielfeitiger Künftler, der als Steinmetz und Maurer-
meifter, Zimmermeifter, Schreiner, Maler und Hydrauliker verwendet wird.
Er hat vorzüglich mit den Bauten im Garten, der grofsen Laube und Voliere,
dem Pavillon und der Kapelle dafelbft zu thun. Namentlich arbeitet er die
Holzverkleidung der grofsen Galerie im Garten und führt das Waffer aus
dem Park in das Schlofs, leitet die Aufftellung des Springbrunnens und
bringt ihn in Gang. In Rouen ift er beim erzbifchöf Uchen Palaft befchäftigt,
wo er einen emaillirten Fufsboden legt. Bei der Berathung wegen des neuen
Thurms der Kathedrale, ob derfelbe mit einer Spitze oder Terraffe enden
folle, ftimmt er fammt den übrigen Baumeiftern für Erfteres, das Kapitel
aber entfcheidet für Letzteres. Auch hierin erkennt man den Kampf der
alten Zeit mit der neuen, der gothifchen Traditionen mit den antiken An-
fchauungen.
Neben dielen Hauptmeiftern fmd manche andere in mehr untergeord-
neter Stellung thätig. Wir heben nur zwei Italiener'*) hervor: Bertrand de
Meynal aus Genua, der den marmornen Brunnen brachte und aufrichtete
und an den Dekorationen des Marmoraltars in der Kapelle arbeitete, und
Geraulme Pacherot, ein zu Amboife anfäffiger Italiener, der ebenfalls am
Brunnen und Altar arbeitet, auch am Portal befchäftigt ift und verhältnifs-
mäfsig bedeutenden Lohn empfängt.
Aufser diefen Baumeiftern fmd fieben Bildhauer (»ymaginiers«) mit der
überaus reichen plaftifchen Ausftattung betraut, s) Hance oder Jean de Bony
macht im Jahr 1 508 einen St. Johann für den Pavillon im Garten , wofür
er 12 Livres empfängt; dann »ung monftre, une melufme, des anges de
boiz« für 24 Livres, ferner 15 Hirfchköpfe von Holz für die untere Galerie,
endlich das Modell zu einem kupfernen St. Georg, der das grofse Stiegen-
haus krönen follte. — Michel Columb, oder Michauli Coulombe, ein treff-
licher Meifter, arbeitet das obere Marmorrelief für den Altar der Kapelle,
0 Deville, p. CV ff. — ^) Vgl. S. 44. § 12. — 3) Ebend. p. CVIII ff. — 4) Deville,
p. cm. — 5) Ebend. p. CXIX ff.
§ i8. Denkmäler zu Rouen.
77
St. Georg den Drachen tödtend, welches man jetzt im Mufeum des Louvre
fieht. Diefer Meifter gehörte zur Schule von Tours und führte fein Werk
nicht an Ort und Stelle aus, fondern in feiner heimifchen Werkftatt. Er
erhielt dafür die für jene Zeit bedeutende Summe von 300 Livres. Mit den
umfangreichften Aufträgen war aber Antoine Jiiße, der als Florentiner be-
zeichnet wird, betraut. Er arbeitete die zwölf alabafternen Apoftel für die
Kapelle, den grofsen Marmorfries mit der Schlacht von Genua, eine Büfte
des Kardinals und mehrere andere Werke, für welche er im Ganzen die
Summe von 447 Livres empfing, wenig im Verhältnifs zu Michel Columb.
Endlich wurde ein Mailänder Künftler Lorenzo de Miigiano noch mit den
drei Marmorftatuen des Königs, des Kardinals und feines Neffen, des Statt-
halters von Mailand, beauftragt. Diefe Werke wurden von Italien nach
Gaillon gefchafft.
Unter den 40 Malern, die aufserdem erwähnt werden, ift nur Andrea
de Solario^) von hervorragender Bedeutung. Alle übrigen haben blos mit
dem Vergolden und Bemalen der architektonifchen und dekorativen Theile
zu thun. Der Aufwand für diefe Arbeiten, die häufige Erwähnung von Gold,
Azur und andern koftbaren Farben beweift aber den Umfang und die Be-
deutung diefes malerifchen Schmucks. Für die Ausführung der Fenfter und
ihrer Glasgemälde find fünf Glasmaler ^) angeftellt. Als Verfertiger der kofi:-
baren gefchnitzten Chorftühle 3) werden Pierre Comedieu, Jehan Dubais und
Richart Delaplace, fowie Richart Guerpe genannt. Aufserdem fehlt es nicht
an Erzgiefsern, Kunftfchmieden, Bleiarbeitern, Goldfchmieden, und endlich
werden fünf Miniaturmaler (»enlumineurs«) genannt, die für die Bibliothek
von Gaillon thätig waren.
§ i8-
Denkmäler zu Rouen.
VON den zu Gaillon befchäftigten Künftlern gehörte die Mehrzahl der
alten bedeutenden Schule an, welche in der Hauptftadt der Normandie
während des ganzen Mittelalters in Blüthe ftand. Dafs in diefem künft-
lerifchen Mittelpunkt nicht minder erhebliche Arbeiten ausgeführt wurden,
erfuhren wir fchon aus den Rechnungen von Gaillon; aber von dem erz-
bifchöflichen Palaft fowie von dem Sitze der Aebte von St. Ouen ifl; nichts
übrig geblieben. Die verfchwenderifche Prachtdekoration an der Fagade
der Kathedrale und an St. Maclou, obwohl in diefer Epoche entfl;anden,
haben wir hier zu übergehen, da fie durchaus noch die Sprache des gothi-
fchen Stils redet. Dagegen ift Einiges von Profanbauten erhalten, das den
0 Deville, p. CXXXV fg. — 2) Ebend. p. CXXXVII fg. — 3) Ebend. p. CXXXIX ff
78
Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
Uebergangsftil diefer Zeit, in welchem die alte und die neue Kunft wett-
eifern, zur vollen Erfcheinung bringt. Hierher gehört vor Allem der Juftiz-
p a 1 a fb , von dem der linke Flügel und der gröfste Theil des Mittelbaues,
feit 1493 aufgeführt, alt ift, während das Uebrige, befonders der fymme-
trifche Abfchlufs durch einen rechten Flügel, der neuen trefflichen Reftau-
ration angehört. Ungemein reich ift befonders der Mittelbau. Einftöckig
über einem niedrigen Erdgefchofs mit flachbogigen Fenftern, erhebt er fich
mit feinen gradlinig gefchloffenen Fenftern, die aber eine elegante flach-
bogige Einfaffung haben. Reich entwickelte Strebepfeiler, mit hohen fchlanken
Fialen bekrönt, theilen die Fläche; eine Dachgalerie baut fich mit luftigen
Flachbögen empor und hat zur Verbindung mit den Strebepfeilern zierliche
Fialen und Statuen als Bekrönung. Die hohen Dachfenfter fchliefsen mit
fchlanken Giebeln, und vor ihnen zieht fich die ganz durchbrochene Galerie
bin. Alles ift aufs Reichfte dekorirt in überaus graziöfen Formen. Der
linke Flügel bildet einen einzigen grofsen Saal, an den Schmalfeiten mit
Galerieen und Fenftern. Zwifchen den Fenftern find kleine Wandnifchen
für Statuen, mit zierlichen Tabernakeln gekrönt, angebracht. Die Decke
des grofsen Saales zeigt ein fpitzbogiges hölzernes Tonnengewölbe mit Oeff-
nungen für die Dachfenfter. In der Mitte der Hauptfagade ift ein fchöner
polygoner Erker ausgebaut, noch üppiger dekorirt als alles Uebrige.
Ein Prachtftück des gleichzeitigen Privatbaues ift das Hotel Bourg-
theroulde.^) Der Hauptbau, in der Intention noch gothifch, mit Strebe-
pfeilerchen, hohen fialenbekrönten Dachfenftern und einem kleinen poly-
gonen Treppenthurm in der Ecke. Aber in dem oberen Gefchofse kommen
fchon Renaiffancepilafter mit feinen Reliefornamenten vor, und die Flächen
imter und neben den Fenftern find mit lebendig behandelten bibhfchen
Scenen in flachem Relief bedeckt, ohne architektonifchen Plan, rein malerifch.
Der linke Flügel dagegen ift ein zierliches Werk der Frührenaiffance aus
Franz' I Zeit, von hohem dekorativen Werth. Unter den Fenftern zieht
fich ein Sockel hin mit aufserordentlich graziöfen Arabesken in zartem Relief.
Dann folgt der naive zierlich ausgeführte Fries mit der Zufammenkunft
Franz' I und Heinrichs VIII von England, in reicher malerifcher Anordnung,
aber befcheidener Wirkung. Darüber kommen die Fenfter des Obergefchoffes
zwifchen Pilaftern, die an ihren Flächen und Kapitälen mit reizenden Ara-
besken bedeckt find. Die Fenfter zeigen die elegantefte Einfaffung, in ihren
Wänden kandelaberartige Säulchen mit luftigen nackten Kindern und anderem
figürlichen Beiwerk. Darüber endlich bildet eine Attica den Schlufs, auch
fie mit fehr reichen Pilaftern und einem Friefe, der jedoch etwas zu ftarkes
^) Taylor et Nodier, Voyages. Normandie, Vol. II, pl. 164, 165, 166. — Ebend.
Vol. II, pl. 157 — 163. Vgl. auch Paluftre, II, 287 mit Abb.
§ 19- Der herzogliche Palaft zu Nancy.
79
Relief hat. In diefem hat Paluftre Darftellungen der Triumphe Petrarca's
nachgewiefen. Das Ganze gehört zum Luxuriöfeften und Eleganteften.
was diefe fröhliche Zeit hervorgebracht; die Verhältniffe find klein und
fpielend.
Als eine der köfthchften Schöpfungen der Zeit mufs aber das Haus
am Domplatz') bezeichnet werden, welches ehemals als Finanzbureau
diente und feit 1 509 durch Roland le Roux für den General der Normandie
Thomas Bohier aufgeführt wurde. Hier erfchhefst fich die volle Grazie
der Frührenaiffance in einem wahrhaft bezaubernden ornamentalen Spiele,
in einer Mannigfaltigkeit der Erfindung und Zartheit der Ausführung, die
ihres Gleichen fuchen. Friefe mit Medaillons, Wappen und Emblemen,
letztere gehalten von geflügelten Genien und von ebenfalls geflügelten Stieren,
Arabesken des anmuthigften Linienzuges an jeder Fläche, welche die Lifenen
und Pilafter bieten, feine Kapitäle mit Laubwerk und Delphinen, durch-
brochene Blumenguirlanden an den Fenfterrahmen , endlich üppig reiche
Candelaber vor den Fenfterpfeilern des Hauptgefchofses , das find die Ele-
mente, aus welchen diefs liebenswürdige Werk fich zufammenfetzt. Dabei
bemerkt man, wie im Erdgefchofs und der niedrigen Mezzanina über dem-
felben in richtigem Takt alles Ornament im zarteften Relief gezeichnet ift,
während in den oberen, dem Auge entfernteren Theilen eine vollere plaftifche
Behandlung herrfcht. Das Stachelfchwein und das L deuten auf die Zeit
Ludwigs XII hin ; gothifche Nifchen mit Fialen auf den Ecken, deren Sta-
tuen die Revolution zerftört hat, find die einzige entfchieden mittelalterliche
Reminiscenz.
In diefe Zeit gehört auch der prächtige grofse Flachbogen, der von
dem einfach derben fpät gothifchen Uhrthurm, dem Beffroi, über die
Strafse gefpannt ift. Der malerifche Effekt des Ganzen wird durch die
phantafievolle Ornamentik in graziöfen Renaiffanceformen noch gefteigert.
§ 19-
Der herzogliche Palast zu Nancy.
Zu den glänzendften Beifpielen diefes Uebergangftiles zählt auch der alte
Herzogspalaft zu Nancy,^) der ehemaligen Hauptftadt Lothringens.
Ein einheimifcher Künftler, Manfiiy Gauvain,^) errichtete ihn im Anfang
des 16. Jahrhunderts und arbeitete 1512 für das Hauptportal das Reiterbild
I) Sauvageot, choix de palais, Vol. IV; vgl. Taylor et Kodier, Voyages. Normandie,
Vol. II, pl. 172. Dazu Paluftre II, 284. — 2) Abb. des Portals in Chapuy, Moyen äge pitt.
T. I, pl. 27. Einzelne Anflehten des Aeufsern und des Innern, der Treppe, des Hofes find
in Nancy erfchienen. — 3) Promenade dans Nancy et fes environs. Nancy 1866, p. 50.
8o Kap. II. Der Uebergangftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
des Herzogs Anton, welches, 1792 zerftört, in jüngfter Zeit durch ein neue;
erfetzt worden ift. Das einftöckige, in Quadern aufgeführte ftattHche Ge-
bäude erftreckt fich in bedeutender Länge an der Südfeite der Grande Kut
und erhält feinen Hauptfchmuck durch ein Prachtportal, das zu den reichfbei
Schöpfungen diefer Zeit gehört. Aller Luxus des Flamboyant verbinde:
fich mit den zierlichen Ornamenten der Renaiffance zu einem Ganzen, da>
felbft in diefer Epoche feines Gleichen fucht. Das Portal befteht nach de:
allgemeinen Sitte der Zeit aus einer breiten, im Flachbogen gelchloffenen
Einfahrt und einer kleinen niedrigen Pforte für die Fufsgänger. Renaiffance-
pilafter, mit Arabesken bedeckt, bilden die Einfaffung, aus welcher die
gothifchen Bogenprofile , die gefchweiften Giebel mit Krabben und Kreuz-
blumen, die ebenfo gefchmückten Fialen hervorwachfen. Ueber der fchmalea
Pforte fleht man im Bogenfeld zwei gewappnete Reifige, im Tympanon des
Hauptportales dagegen in einer Flachbogennifche , die mit kleinen Spitz-
bögen garnirt ift, das Reiterbild des Herzogs. Ein hohes fpitzbogiges Giebel-
feld, welches ein phantaftifch ausgezackter Bogen füllt, baut fich darüber
auf, mit Krabben und Kreuzblumen reich befetzt, und darüber endlich fteig:
ein hoher Auffatz empor, an welchem wieder die Renaiffance mit ihren
Pilaftern und Arabesken und mufchelbefetzter Bogennifche das Wort er-
greift, um endlich noch einmal mit hohem gefchweiftem gothifchem Bogen
zu fchhefsen. Allein diefe oberen Krönungen, obwohl mittelalterlich ge-
dacht, find in Renaiffanceformen überfetzt, namentlich die Fialen und andern
Auffätze originell in Candelaber umgedeutet. So gehört diefs Werk zu den-
jenigen, in welchen die Mifchung der beiden grundverfchiedenen Elemente
zwar in all ihrer fpielenden Willkür, aber auch mit überwältigender dekora-
tiver Pracht zur Erfcheinung kommt.
Auf beiden Seiten neben dem Portal fieht man Fenfter im obern Gefchofs.
mit polygon ausgebautem Altan, der in mittelalterlicher Weife auf Confolen
ruht und deffen Baluftrade aus Fifchblafenmuftern zufammengefetzt ifb. Im
Innern gelangt man unmittelbar in eine grofse Halle und von da in den
Hof des Palafbes, der noch einen Theil feiner alten Säulenarkaden zeigt.
Aus der Halle führt eine der bequemften und breiteften Wendelftiegen, mit
zahlreichen Ruhebänken in den tiefen Fenfternifchen, zum oberen Gefchofs.
Diefes befteht aus einem einzigen Saal von bedeutender Länge mit ge~
fchnitzter flacher Holzdecke und zwei prächtigen Kaminen. Diefer Saal,
»Galerie des cerfs« genannt, diente urfprünglich den grofsen Verfammlungen
der lothringifchen Stände. Gegenwärtig ift er fammt den unteren Räumen
zu einem hiftorifchen Mufeum eingerichtet und bewahrt unter andern Denk-
mälern einen prachtvollen Teppich, der am Tage der Schlacht von Nancys
im Zelte Karls des Kühnen erbeutet wurde.
§ 20. Grabdenkmäler.
8i
§ 20.
Grabdenkmäler.
EINEM Meifter von Gaillon begegnen wir in dem prächtigen Grab-
denkmal, welches die Königin Anna dem letzten Herzog der Bretagne,
Franz II, errichten liefs, und das man in der Kathedrale von Nantes
fieht. Es ift infchriftlich als Werk des Michel Columb bezeichnet, der es
im Jahr 1507 vollendete. Ganz aus Marmor von verfchiedenen Farben
errichtet, trägt es die beiden liegenden Statuen des Herzogs Franz und
feiner letzten Gemahlin Marguerite de Foix, im weiten herzoglichen Mantel,
die Krone auf dem Haupt. Nach mittelalterlicher Weife unterftützen
Engel die Kiffen, aui denen fie ruhen, und zu ihren Füfsen liegen ein
Löwe und ein Windfpiel mit den Wappen der Verftorbenen. Auf den
vier Ecken des Denkmals, das als Freigrab in Form einer mittelalterlichen
Tumba errichtet ift, ftehen die Statuen der vier Kardinaltugenden. Die
Flächen des Denkmals find mit Nifchen zwifchen eleganten Pilaftern ge-
gliedert, welche die Statuetten der zwölf Apoftel enthalten. Unter ihnen
finden fich Medaillons mit den Reliefbildern Trauernder. Auch hier waltet
ein feiner dekorativer Gefchmack.
Ein kleines, aber anmuthiges Grabmal diefer Zeit fieht man in der
Kathedrale von Tours.') Es ift für zwei frühverftorbene Kinder
Karls VIII errichtet, Charles d' Orleans, der 1495 im Alter von 3 Jahren
und 3 Monaten, und Charles II, der im folgenden Jahre 25 Tage alt ftarb.
Es befteht aus einem marmornen Sarkophag, der ganz mit feinen Arabesken
bedeckt ift. Auf ihm ruhen die liebenswürdigften und unfchuldigften
Kindergeftalten, denen zwei kleine allerliebfte Engel mit inniger Hingebung
die Kiffen halten, während zu ihren Füfsen zwei ähnliche mit den Wappen
der Verftorbenen angebracht find. Dies anmuthige Werk ift die Schöpfung
des trefflichen Meifters Jean Juße von Tours.
Endlich gehört hieher als eines der gröfsten Prachtftücke das Grab-
denkmal, welches Georg von Amboife, der Neffe und Nachfolger des gleich-
namigen Kardinals, für feinen Oheim und fich felbft im Chor der Kathe-
drale von Ronen errichten liefs. Wir wiffen, dafs Pierre Valence von
Tours, den wir aus den Rechnungen von Gaillon kennen, zuerft damit be-
auftragt wurde als er ablehnte, erhielt Roullant le Roux die Ausführung
des Werkes, das 1525 vollendet wurde. Roullant (d. i. Roland) war ein
auch fonft vielbefchäftigter Meifter; er arbeitete am Jull;izpalaft, dem Haupt-
portal der Kathedrale und dem neuen Thurme derfelben.3) Er gehört zu
I) Aufn. in Berty, la renaifi. monum. T. II. — ^) Deville, p. CIX; vgl. desf. Verf.
Tonibeaux de ia cathedr. de Rouen, p. 91. — 3) Deville, les tombeaux de la cathedrale de
Rouen.
LÜBKE, Gefch. d. RenaifTance in Frankreich. II. Aull. 6
82 Kap. II. Der Uebergangsftil unter Karl VIII und Ludwig XII.
den Künftlern, welche die unerfchöpfliche Phantafie des Mittelalters mit
den Formen des neuen Stiles zu verbinden wufsten. Das Denkmal') ift
in einer Mauernifche an der einen Seitenwand des Chores aufgebaut.
Sechs kleine Nifchen mit den fitzenden Statuen von Tugenden zwifchen
Pilaftern , die auf's Ueppigfte gefchmückt find , bilden den Unterbau.
Ueber der Platte desfelben find die beiden Prälaten hinter einander knieend
lebensgrofs dargeftellt. Die Rückwand enthält in Nifchen zwifchen eleganten
Pilaftern Statuetten von Heiligen, in der Mitte St. Georg den Drachen
tödtend. Ueber den Knieenden wölbt fich ein Baldachin, deffen Bogen-
fläche mit Rofetten und Laubwerk in Gold und Azur bedeckt ift. Drei
durchbrochene freifchwebende Schlufsfteine begrenzen den Bogen. Seine
Krönung befteht zunächft aus einem Fries mit Arabesken und allerliebften
nackten Kindern, darüber aus pilaftergefchmückten Nifchen mit den Statuetten
der Apoftel und anderer Heiligen. Endlich bilden fechs pyramidale Auf-
fätze in gothifchem Sinn, aber mit Guirlanden, Kindern, Mufchelwerk und
allerlei phantaftifchen Figuren, den Abfchlufs des unvergleichHch pracht-
vollen Werkes. Wohl darf man keine ftrengere Kritik an die Compofition
des Ganzen legen ; aber die unerfchöpfliche Fülle der Phantafie, die fpielende
Leichtigkeit der Ausführung bewirken einen Zauber, dem der Befchauer
fich gerne gefangen giebt.
Aufn. in Gailhabaud, Denkm. der Bauk. Bd. IV. Vgl. dazu Paluftre II mit meifter-
hafter Abbildung zu Sadoux.
III. KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I.
A. KÖNIGLICHE SCHLÖSSER.
§ 21.
Das Schloss zu Blois.
ATTE die neue Bauweife bis dahin nur in einzehien
Verfuchen fich zeigen können, in welchen der gothifche
Stil überall noch ftark fich geltend macht, fo gewinnt
mit der Thronbefteigung Franz' 1(1515) die Renaiffance
einen neuen Auffchwung, der die mittelalterlichen Tra-
ditionen immer mehr zurückdrängt und dem neuen
Stil endlich zum völligen Siege verhilft. Der König
felbft, einer der kunftfmnigften Fürften, die je gelebt
haben, fand in feiner langen Regierungszeit (bis 1 547) reichhche Gelegenheit
feiner Bauluft zu genügen. Muftern wir die Reihe der von ihm errichteten
oder vollendeten Schlöffer, deren Anzahl, Umfang und Pracht Bewunderung
erregen.
Zu den früheften diefer Bauten gehören die Vollendungsarbeiten des
Schloff es zu Blois.") Sein Vorgänger (§ 15) hatte den öftHchen Flügel
in den glänzenden Mifchformen des Uebergangftiles erneuert ; Franz I führte
mit noch gröfserer Pracht und in den Formen einer edlen Renaiffance den
nördlichen Flügel aus. Die Hoffagade (vgl. Fig. 29) ift ohne Frage das
fchönfte und reichfte Werk, welches die Früh renaiffance in Frankreich auf-
zuweifen hat. Sie befteht aus einem niederen Erdgefchofs mit viereckigen
') Vgl. Du Cerceau, Vol. II und die Monum. hiftoriques.
6*
84
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
Fenftern, die von Pilaftern mit korinthifirenden Kapitalen eingefafst werden.
Darüber erheben fich zwei obere Gefchoffe, von denen das erftere durch
gröfsere Höhe ausgezeichnet ift, beide mit Fenftern, die durch fteinerne
Kreuzftäbe in mittelalterlicher Weife getheilt werden. Sämmthche Fenfter
find durch korinthifirende Pilafter eingefafst, und die Pilafter durch eine
durchlaufende Verticalgliederung unter einander verbunden, fo dafs die hori-
zontalen Gefimsbänder am ganzen Baue mit der Verticalgliederung ein voll-
ftändiges Rahmenwerk bilden, das in der franzöfifchen Frührenaiffance fich
überall wiederholt, und deffen Monotonie im vorliegenden Fall durch die
reiche und feine Ornamentation aufgehoben wird. Denn die Pilafter haben
nicht blofs in den Obergefchoffen eine Bordüre von Rofetten und elegante
Kapitale von jener zierlichen Form, die auch in der italienifchen Früh-
renaiffance üblich find, fondern die gröfseren Wandfelder zeigen reichen
Schmuck durch die häufige Anwendung des bekannten Emblems Franz' I,
eines von Flammen umgebenen gekrönten Salamanders. Den Abfchlufs bildet
das prachtvolle Kranzgefimfe, welches feine Hauptformen aus antiken und
mittelalterhchen Motiven zu höchfter Wirkung zufammenfetzt; denn es be-
ginnt mit einem Zahnfchnittfries und reichem ConfolengefimxS, fügt aber zu
der cannelirten Platte und dem Eierftab des letztern den romanifchen Rund-
bogenfries hinzu, deffen Bogenöfifnungen mit kleinen Mufcheln gefchmückt
find. EndHch erhebt fich über den kräftigen Profilen der Traufrinne, der
die mittelalterhchen Wafferfpeier nicht fehlen, eine ganz durchbrochene Balu-
ftrade (vgl. S. 46), zwifchen deren Pfeilern und candelaberartigen Säulchen
die Namenszüge des Königs und feiner erften Gemahlin Claude, gefchmückt
mit der Krone und umwunden von durchbrochenen Schnüren, fich zeigen.
Ueber diefem Abfchlufs, einem wahren Triumph der Steinmetzenkunfl , er-
heben fich, den Theilungen der Fagade entfprechend, die Dachfenfter mit
ihrer feinen Arabeskeneinfaffung und der in gothifchem Sinn gedachten,
aber in Renaiffanceformen durchgeführten Bekrönung.
Das unübertroffene Prachtftück des ganzen Baues ift aber die berühmte
Treppe (vgl. Fig. 29), welche in einem achteckigen Stiegenhaus angelegt,
urfprüngHch genau in der Mitte der Fagade hervortrat. Dies Verhältnifs
ift fpäter durch den Bau Gaftons, der einen Theil der fchönen Anlage
Franz' I zerftörte, verdorben worden. Es ifl eine der prachtvollften Treppen
der Renaiffance, in achteckigem Aufbau als Wendelftiege um eine noch
ganz gothifch profilirte Spindel angelegt, mit einem Durchmeffer von acht-
zehn Fufs im Lichten. Nach aufsen bilden kräftige Pfeiler und weitgesprengte
Flachbögen ein frei durchbrochenes Gerüft, innerhalb deffen die fteigenden
Podefte in drei Etagen als Altane mit reich verzierten Brüftungen aus-
gebildet find. Der höchfte Luxus der Ausftattung concentrirt fich an
diefen Theilen: die untern Partieen der Pfeiler find mit den feinften Ära-
Fig. 29. Die Wendeltreppe im Schlofs zu Bloi
86
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
besken, neben denen man Wappen, Embleme und Namenszüge des Königs
und der Königin erblickt , bedeckt. Weiter treten auf reich fculpirten
Confolen, unter Baldachinen von gothifchem Aufbau mit Renaiffancedetails,.
Statuen allegorifcher Figuren hervor. Die Baluftraden endlich find im
untern Gefchofs mit candelaberartigen Stützen, in den oberen mit Sala-
mandern und dem Buchftaben F in prachtvollfter Ornamentik gefchmückt;
den oberen Abfchlufs bildet das hier durchgeführte Hauptgefims mit feiner
herrhchen Baluftrade. Dann folgt eine Terraffe, auf welche die Treppe
mündet und hinter w^elcher fich ein krönendes Obergefchofs , achteckige
aber von geringerem Durchmefser erhebt, das nochmals mit einem ver-
fchwenderifch reichen, höchft originell componirten Dachgefims und durch-
brochener Baluftrade fchliefst, in der Mitte aber als Krönung einen eleganten
fchlanken Giebelauffatz , nach Analogie der Dachfenfter, aber wieder in
neuer Variation, hervortreibt. Mit einem Wort: an diefem Wunderwerk
der Architektur ift eine Originalität der Compofition, eine geiftreiche
Frifche der Erfindung, eine künftlerifche Feinheit in der Ausführung, die
nirgends wieder in diefer Art ihres Gleichen haben wird.
Das Innere der Treppenanlage ift nicht minder von feltenfter Pracht
und reichfter Ausführung. Die Wandpfeiler werden durch edle Pilafter
gebildet, der fteigende Plafond ift mit gothifchen Rippen gegliedert, in
deren Durchfchneidung fich Rofetten von elegantefter Arbeit zeigen. Der
mittlere Pfeiler ift in den fchmalen Flächen zwifchen den gothifchen Dienften
mit köfllichen Arabesken bedeckt, der obere Gewölbfchlufs der Treppe
mit ausgefuchter Feinheit dekorirt. Vor allem find aber die Krönungen
der Portale zu den einzelnen Stockwerken von feltener Ueppigkeit, mit
Salamandern und edlen Arabesken in fpielender Anmuth gefchmückt.
Die innere Dispofiiion der oberen Stockwerke befteht aus zwei Reihen
gröfserer und kleinerer Gemächer, die weder durch befondere Gröfse noch
durch ungewöhnliche Höhe — letztere beträgt nicht über fünfzehn Fufs —
fich auszeichnen. Etwas Ungewöhnliches für diefe Zeit ift aber die Doppelreihe
der Zimmer, die dadurch entftand, dafs eine neue Mauer an der Aufsen-
feite in einem Abftand von fechzehn Fufs vor der alten Umfaffungsmauer
aufgeführt wurde. Beide Mauern haben eine Dicke von über fünf Fufs; der
mittlere Theil, der einen quadratifchen Thurm umfafste, fogar zwei Meter.
Dadurch haben fich tiefe Fenfternifchen nach der Aufsenfeite gebildet, die
diefen Gemächern befonderen Reiz verleihen. Vor mehreren diefer Zimmer
öffnen fich polygone Altane nach aufsen , die ebenfalls den corridorartigen
fchmaleren Räumen einen freieren Ausblick verfchäffen. Faft am Ende
diefer Flucht ift eine kleine Kapelle mit polygonem erkerartig ausgebautem
Chor angelegt. Endlich wurde um den vom älteren Bau herrührenden
runden Thurm ein offener Umgang auf Arkaden, abermals mit altanartigem
§ 21. Das Schlols zu Blois.
87
Ausbau angelegt. Durch die meifterhafte Reftauration Dubans ift Alles
wieder dem urfprünglichen Zuftand nahe gebracht. Die reich gemalten
Holzdecken mit ihren gefchnitzten Balken, die grofsen prächtigen Kamine,
die glafirten Kacheln der Fufsböden fmd treu nach alten Muftern her-
geftellt.
Wir haben endHch noch einen Bhck auf die lange nach Norden
gerichtete Aufsenfagade zu werfen. (Fig. 30.) Sie zeigt mit gutem Recht
eine einfachere Behandlung, ein ftrengeres Anfchliefsen an italienifche Bau-
weife. Die Fagade erhebt fich in ihrer ganzen Länge aus dem unregel-
mäfsigen Felsboden und zwar fo, dafs ihre weftliche Hälfte ein Stockwerk
weniger hat als die öfthche. Letztere beginnt mit einem Erdgefchofs von
gekuppelten Bogenfenftern mit Kreuzftäben, an deren Stelle die weftHchen
Theile nur fchwere Subftruktionen zeigen. Darauf folgen in der ganzen
Länge des Baues zwei Stockwerke von gleicher Höhe , deren Fenfter
fämmtlich in der Tiefe eines loggienartigen Bogenganges angebracht fmd.
An den Bögen diefer Arkaden fowie an manchen andern Einzelheiten er-
kennt man, dafs hier zwei verfchiedene Bauführungen fich berühren: die
wefthche Hälfte hat gedrückte Korbbögen, die öfthche nur ein Segment
des Rundbogens, letztere Form als die unorganifchere wohl ungefälliger
als erftere, beide freiHch in der nordifchen Renaiffance durch die geringe
Höhe der Stockwerke bedingt. Die Einfaffung der einzelnen Syfteme
bilden unten und oben Pilafter, deren Kapitäle mit ächt florentinifcher
Feinheit die korinthifche Form variiren. Wenn irgendwo, fo läfst fich an
diefer Fagade der Einflufs eines itahenifchen Baumeifters vermuthen. Den
Abfchlufs der Fagade bildet der Rundbogenfries mit Mufcheln, der einen
Theil des prachtvollen Hauptgefimfes der Hof fagade ausmacht. Man mufs
den feinen Takt bewundern, mit welchem diefe einfachere Form am Aufsen-
baue über den leichten Arkadenwänden gewählt ift. Ueber dem Gefimfe
erhebt fich noch ein Gefchofs mit kurzen ftämmigen ionifchen Säulen auf
Stylobaten, die durch eine Baluftrade verbunden fmd, und deren Form an
der öftlichen Hälfte ein kurzes korinthifches Pilafterchen bildet, während
fie an der weftlichen Seite einfacher ift.
Die lange Ausdehnung diefer Fagade erhält eine Unterbrechung durch
die theils als offne Altane, theils zugleich als gefchloffne Erker durch-
geführten polygonen Balkone. Sie entwickeln fich in mittelalterlicher Weife
aus übereck geftellten Confolen mit tragenden Figürchen und reichgegliedertem
Sockel. Sie haben an den Ecken Wafferfpeier von phantaftifcher Form,
an den Baluftraden Relieffcenen aus der antiken Mythologie, an den Pfeilern
graziöfe Ornamente, aus Emblemen und Arabesken beftehend. Aufserdem
find die Pilafter des Hauptgefchoffes in dem weftlichen Bau ebenfalls reich
ornamentirt, während fie in den übrigen Theilen glatt geblieben fmd.
88
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
Ferner zeigen die Baluftraden des Hauptgefchoffes die Namenszüge des
Königs und feiner Gemahlin, fowie die Embleme beider, den gekrönten
Salamander in Flammen für den König, die Lilien und den von einem
Pfeil durchbohrten Schwan für die Königin. Fügen wir hinzu, dafs die
Nifchen der Loggien in glänzendem Farbenfchmuck mit Gold und Azur
leuchten, fo haben wir von der Pracht auch diefer immerhin einfacheren
Theile eine annähernde Andeutung gegeben.
Was die Zeitftellung des Baues betrifft, fo erhellt aus den Emblemen,
dafs feine verfchiedenen Theile vor dem Tode der Königin Claude (1525)
ausgeführt worden find. Da von der Aufsenfeite die örtlichen Theile
offenbar jünger find als die wefblichen, und da beide fpäter in Angriff ge-
nommen wurden als die Hoffagade, fo werden wir wohl berechtigt fein,
den Anfang des Baues in den Beginn der Regierungszeit des Königs
hinaufzurücken.
Im 17. Jahrhundert erfuhr das Schlofs von Blois die beklagenswerthe
Umgeftaltung durch Gafton von Orleans, den Bruder Ludwigs XIII, welcher
von 1635 — 1660 durch Manfart den wefhHchen Flügel abreifsen und mit
dem pomipöfen, aber nüchternen Bau vertaufchen liefs, den man jetzt noch
fieht. Die Revolution übte ihre Zerftörungsluft auch an diefem Prachtbau,
und es fehlte nicht viel, dafs derfelbe im Jahr 1793 mit fo manchem
andern bedeutenden Monument der Erde gleich gemacht worden wäre.')
Später wurde das Schlofs zur Kaferne herabgewürdigt, und erft feit 1841
erlebte es die treffliche Wiederherftellung durch F. Duban, in der man es
jetzt bewundert.
§ 22.
ScHLoss Chambord.
WENN man den Reichthum der Ideen, die Mannigfaltigkeit der Er-
findungen diefer fchöpferifchen Zeit fchätzen will, fo mufs man die
aufserordentliche Verfchiedenheit in Anlage und Ausführung der einzelnen
Schlöfferbetrachten. Sprächen die . decorativen Formen nicht unzweideutig,
fo würde man kaum glauben, dafs das phantaftifche Schlofs von Cham-
0 Von dem Geift, in welchem man damals die hiftorifchen Denkmäler betrachtete,
giebt die »Voyage dans les departements de la France par le citoyen la Vallee« Zeugnifs.
Der gefmnungstüchtige citoyen fagt vom Schlofs zu Blois: »II fut l'ouvrage de vingt mains,
et il femble'que les rois fe foient acharnes ä qui le defigureroit le mieux. Tour-ä-tour il
epuisa le mauvais goüt de Louis XII, de Francois I, de Henry II, de Charles IX, de
Henry III, de Henry IV; et tous ces meffieurs, de pere en fils, par la sötte vanite de vou-
loir fe mieux loger qua leur pere font parvenus ä n'en faire qu'un amas de pierres, fans
choix et fims grace, et que les fteriles admirateurs de fottifes royales trouvent fuperbe.« L.
de la Sauffaye, hift. du chät. de Blois. p. 351.
90
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
b o r d ^) zu derfelben Zeit und für denfelben Fürften errichtet wurde , wie
der edle Bau von Blois. Chambord liegt einige Meilen von Blois und
der Loire entfernt in einer öden fandigen Gegend , deren Eindruck um fo
trübfeliger ift, wenn man kaum die lachenden Ufer der Loire verlaffen hat.
Nur die Jagdluft Franz' I gab Veranlaffung, in diefer Einöde ein fo grofs-
artiges Schlofs zu bauen. Das Schlofs erhebt fich wie eine Fata Morgana,
in einem jetzt verwilderten , von einer Mauer umzogenen waldigen Gehege
von bedeutender Ausdehnung. Schon im frühen Mittelalter lag hier ein
kleines Jagdfchlofs der Grafen von Blois, in deffen Nähe fpäter die Mutter
Franz' I das Schlofs Romorantain bewohnte. Der König, der eine innige
Anhänglichkeit an die Stätten feiner Jugend bewahrte, begann um 1526
den Bau diefes mächtigen Schloffes. Die Conftruction ift riefenhaft gewaltig,
alles aus grofsen Quadern, der ganze Bau von Weften nach Often ohne
die Thürme gegen 400 Fufs breit bei 275 Fufs Tiefe. Es ift, als ob die
ganze Phantaftik des Mittelalters noch einmal gegen den eindringenden neuea
Geift fich^ erhoben und der Renaiffance mit diefer koloffalen Schöpfung fich
eigenwillig und capriziös entgegengeworfen hätte: ein Verfuch, der um
fo intereffanter auftritt, als er fich mit den Detailformen der Renaiffance
vollzieht. (Fig. 31.)
Die Anlage des Ganzen (Fig. 32) geht fo genau auf die Dispofitionen
mittelalterlicher Burgen ein, dafs fie fogar den koloffalen, von den übrigen
Gebäuden ifolirten Hauptthurm, den Donjon aufnimmt; nur dafs fie ihn für
die modernen Lebensgewohnheiten umgeftaltet und durch ftreng fymme-
trifche, regelmäfsige Anlage des Ganzen dem neuen Geifte eine Conceffion
macht. Das Gebäude bildet ein grofses Rechteck, welches von vier runden
Thürmen von 40 Fufs Durchmeffer flankirt wird. Jeder diefer Thürme zeigt
im Innern eine andre Eintheilung, indem er im Wefentlichen aus einem
oder zwei grofsen Wohnzimmern mit Kabinet, Garderobe und befonderem
Treppenaufgang befteht. Ebenfo ift der vordere Flügel, zu dem eine Zug-
brücke über den Graben führte, gleich den beiden Seitenflügeln in eine
Anzahl von Wohnzimmern getheilt, von denen jedes mit einer Garderobe
verbunden, vom Nebengemach aber abgefchloffen und mit eigenem Zugang
verfehen ift. Welchen Werth man in den Schlöffern jener Zeit auf diefe
Anordnung des Innern legte, beweift bei Rabelais die Schilderung der Thele-
miten-Abtei, bcftätigt aufserdem die Mehrzahl der damals entftandenen
Schlöffer. Die drei oben betrachteten Flügel des Schloffes haben nur ein
Erdgefchofs und fchHefsen über diefem mit einer Terraffe. Nur die nörd-
.A.ufn. bei Du Cerceau, T. I, Berty, renaiff. T. II und Gailhabaud, Denkm. der
Bauk. Bd. IV. Das Gefchichüiche bei L. de la Sauffaye, le chäteau de Chambord, Lyon
1859 und deff. Verf. Blois et fes environs. p. 247 ff. Vergl. dazu die prächtige Darfteilung
in den Chäteaux hiftoriques II, 197 ff.
92 Kap. III. Die RenaiiTance unter Franz I.
liehe, an den Hauptbau fich anfchliefsende Hälfte der beiden Seitenarme ift
mit einem oberen Gefchofs verfehen. Die vierte Seite bildet in zwei Stock-
werken über einem mit Arkaden verfehenen Erdgefchofs die Verbindung
mit dem Hauptbau. In den beiden äufseren Ecken ziehen diefe Arkaden
einen Halbkreis, der fich als offenes Gerüft um eine grofse Wendeltreppe
emporbaut. Beide Wendeltreppen reichen bis zum Dachgefchofs, wo fie in
einer Kuppel mit fchlanker Laterne fchliefsen. Ihr Aeufseres ift in den drei
imteren Gefchoffen mit Pilafbern, im oberften Stockwerk mit fchlanken
Hermen bekleidet, die jedoch nicht vollendet, nur roh vorgehauen find.
Von diefen beiden Treppen ift nur die öftliche, die zu den Wohnzimmern
Franz' I führte, aus der erften Bauepoche, während die weftliche aus der
Zeit Heinrichs II flammt. An diefer, fowie an den Obergefchoffen des an-
ftofsenden Flügels find auch die Details bei weitem nicht fo fein ausgeführt,
vielmehr fchwer und plump, mit roh angewandten Lilien-Emblemen und
vorgefchobenen Säulen.
Der merkwürdigfte Theil des Ganzen ift der in Form eines Donjon
angelegte Mittelbau, ein Quadrat von 140 Fufs, flankirt mit vier runden
Thürmen von ca. 62 Fufs Durchmeffer. Im Centrum diefes Baues erhebt
§ 22. Schlofs Chambord.
95
fich felbftändig auf acht mächtigen Strebepfeilern die berühmte doppelte
Wendeltreppe (Fig. 33), fo angelegt, dafs die Hinauf- und die Hinabftei-
genden einander nicht zu begegnen brauchen. Mit ihren durchbrochenen
Strebebögen und der fchlanken Laterne, auf deren Spitze eine koloffale
Fig. 53. Chambord. Laterne. (Baldiiigcr.)
IviHe fich erhebt, ragt fie in bedeutender Höhe über den Dächern der um-
gebenden Theile und der Thürme in die Luft, mit dem trefflichen weifsen
Kalkflein fich fcharf vom blauen Himmel abfetzend. Um diefe Haupttreppe
legt fich in Form eines griechifchen Kreuzes ein grofser Saal, oder vielmehr
.^4 Käp. III. Die Renaiffance unter Franz I.
vier Säle, in jedem Gefchofs fich wiederholend, jeder mit zwei Kaminen,
die verftändiger Weile nicht einander gegenüber angebracht find, um die
Communication zu erleichtern. Diefe Säle find mit gewaltigen Tonnen-
gewölben in mächtiger Steinconftruction überdeckt, in deren Cafletten man
in vielfachen Variationen den Salamander und den Namenszug des Königs
fieht. Im Verhältnifs zur Breite der Säle find die im Korbbogen ausge-
führten Gewölbe etwas gedrückt, doch mag grade dadurch für die Bewohner
ein behaglicher Eindruck erzielt worden fein.
Die vier zwifchen den Kreuzarmen liegenden Ecken des Mittelbaues
fowie die anftofsenden Thürme find wieder zu einzelnen Wohnräumen, deren
jeder aus einem gröfseren Hauptgemach, Kabinet und Garderobe befteht,
eingetheilt. Der Hauptraum in dem füdweftlichen Thurm ift die Schlofs-
kapelle. Alle diefe Wohnräume haben ihre eigenen Aufgänge in kleinen
Wendeltreppen, ftehen aber unmittelbar mit dem grofsen gemeinfchaft-
lichen Saal in Verbindung, der feinerfeits wieder durch die Haupttreppe
allgemein zugänglich ift und durch Seitengalerien, die an den Thürmen
hingeführt find, mit den beiden äufseren Flügelbauten zufammenhängt.
Eine gröfsere Kapelle ift in dem äufseren Thurme der nordweftlichen Ecke
angebracht. Dies in kurzen Zügen die Eintheilung des Schloffes, der man
.das Zeugnifs nicht wird verfagen können, dafs fie den Lebensbedürfniffen
ihrer Zeit trefflich entfprach, obwohl fie diefelben wunderhch genug in die
Formen einer vergangenen Kulturepoche einzwängte.
Was nun die künftlerifche Behandlung betrifft, fo befteht diefelbe faft
noch ausfchHefslicher als zu Blois aus antikifirenden Elementen. Die Haupt-
theile des Gebäudes zeigen drei Gefchoffe, belebt durch Fenfter mit ein-
fachen oder doppelten Kreuzftäben. Sämmtliche Fenfter haben geraden
Sturz, mit Ausnahme der drei Rundbogenfenfter, die den Mittelfaal im oberen
Gefchofs erleuchten. Die GUederung der Wände wird in allen drei Ge-
fchoffen durch ein Syftem vertical verbundener Pilafter und horizontaler
Gefimsbänder gebildet. Obwohl nun an ihren Kapitälen fich die mannig-
faltigfle Erfindung und die delikatefte Behandlung des Reliefs geltend macht,
fo vermag doch alles diefes die ftarre Monotonie diefer Gliederung, die an
dem ganzen Bau in ödem Einerlei fich hinzieht, nicht genügend zu beleben.
.Selbft das reiche Kranzgefims, das die Hauptmotive des fchönen Gefimfes
von Blois, Confolen und Rundbogenfries, nur freilich in nicht lo organifcher
Verbindung, wiederholt und eine etwas zu zierliche Balustrade hinzufügt,
ift nicht im Stande, jenen Eindruck aufzuheben.
Aber die Monotonie wird noch viel empfindlicher durch den über-
fchwänglichen Reichthum, mit welchem die hohen Dächer des Mittelbaues
und der Thürme mit ihren Laternen, mit den in lauter Variationen fich
£rfchöpfenden Dachfenftern und ihren hohen Giebelkrönungen, den koloffalen,
§ 22. Schlofs Chambord.
95
ebenfalls in den verfchiedenften Formen durchgeführten Kaminen und end-
lich der Haupttreppe mit ihrer phantaftifchen, alles überragenden Laterne
überladen find. Das Ange wird wie bei den compHcirteften gothifchen
Eauten durch diefe Ueberfchwänglichkeit voUftändig verwirrt, und der un-
befangene Befchauer mufs fich geftehen, dafs eine Architektur, welche die
Haupttheile der Conftruction öder Nüchternheit Preis giebt, um die unter-
geordneten Partieen auf's UngebührHchfte hervorzuheben, der Schönheit
-wie der Wahrheit den Rücken kehrt. Wunderlich genug ift noch ein
anderes dekoratives Element ausfchliefslich an den Pilaftern und Gefimfen
der Dacherker, fowie den Kaminen und dem Treppenthurm verwendet:
die zahlreich in die Flächen eingelaffenen Trapeze, Kreife, Halbkreife und
Dreiecke von dunklen Schieferplatten, die den Reichthum diefer Theile
noch fchreiender machen. Bekanntlich ift dies eine Dekoration, der fich
nur die venezianifche und die von ihr abhängige oberitalienifche Kunft
bedient.
Wir haben es offenbar mit dem Werk eines Architekten zu thun, der,
aus der einheimifchen Schule hervorgegangen, den Beweis liefern wollte,
•dafs er des neuen Stiles vollkommen Herr fei und zugleich im Stande, ihm
den phantaftischen Reiz der mittelalterlichen Architektur abzuringen. Diefer
Künftler war, wie neuere Unterfuchungen dargethan, Pierre Nepveu, genannt
Trinqueau, der ausdrücklich als Meifter der Arbeiten am Schlofs Chambord
bezeichnet wird.^) Chambord ift übrigens niemals ganz vollendet worden.
Auf einige fpäter ausgeführte Theile wiefen wir bereits hin. Das Erd-
geschofs zeigt überall die feinen Formen der Zeit Franz' I, ebenfo der
ganze Hauptbau und der vom König felbft bewohnte nordöftliche Flügel.
Die oberen Gefchoffe des nordweftlichen Flügels dagegen beweifen durch
ihre plumperen Formen und die rohere Ausführung eine fpätere Zeit. Aufser
Heinrich II hat namentlich Ludwig XIV durch Manfart den Bau weiter
führen laffen. In der Revolution wurde das Schlofs mit fo vielen anderen
vollftändig verwüftet. Nicht blofs das prachtvolle Mobiliar wurde zerftört
oder vertrödelt , fondern die reichen Kamineinfaffungen herabgefchlagen
und herausgebrochen, ja felbft die koftbaren Tapeten von Arras verbrannt,
um die Gold- und Silberfädchen daraus zu gewinnen. Jetzt ift im Innern
keine Spur mehr von der alten Pracht ; nur die Gewölbe des grofsen Saales
und einzelner Zimmer, in gedrücktem Bogen, aber in folidefter Conftruction
ausgeführt, zeigen in ihren Caffetten Reliefs von ausgezeichneter Feinheit.
Die grofse Kapelle in dem äufseren Thurme ift ernft und einfach in zwei
Gefchoffen mit Wandfäulen dekorirt.
') L. de la Sauffaye, a. a. O. p. 260: »Pierre Nepveu dit Trinqueau, maiftre de l'oeiivre
de maconnerie du bastiment du Chaftel de Chambord.«
96
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
S 23.
ScHLoss Madrid oder Boulogne.
EINEN gröfseren Gegenfatz innerhalb derfelben Zeit wird man kaum
finden als ihn das Schlofs Madrid im Vergleich mit Chambord bietet.
Franz I liefs es in der Nähe von Paris mitten im Bois de Boulogne feit
1528 etwa errichten.^) Es erhielt allgemein den Namen Madrid, nicht wie
man wohl gemeint hat, in Erinnerung an die Gefangenfchaft des Königs
oder gar in Nachahmung eines in der Hauptftadt Spaniens befindlichen
Schloffes; mehr Wahrfcheinlichkeit hat die Anficht, dafs diefer Beiname
durch den Spott der Hofleute entftanden fei, wenn der König fich mit
wenigen intimen Gefährten dem Hofe entzog, um in dem Schlofs des
Boulogner Gehölzes feiner Mufe zu leben. Von diefem Prachtbau, der mit
K-H I I H I I I 1 1 i 1
Fig. 34. Schlofs Madrid. (Du Cerceau und V.-le-Duc.)
dem feinften Kunftfinn angelegt und ausgeftattet war, ift kein Stein auf
dem andern geblieben. Die Revolutionszeit hat ihn dem Erdboden gleich
gemacht. Nur den Aufnahmen Du Cerceau's verdanken wir eine genauere
Kenntnifs desfelben.
Das Schlofs Madrid^) war das, was die Franzofen ein Manoir (manerium)
nennen, d. h. ein kleineres, ohne Thürme und Donjon errichtetes ländliches
Wohnhaus, dem in der Regel auch der Hof fehlt. Ganz fo verhielt es
fich mit diefem Schlofs (Fig. 34). Es bildete ein Rechteck von 250 Fufs
Breite bei 95 Fufs Tiefe. Auf den vier Ecken erhoben fich vortretende
0 In dem königlichen Erlafs vom 28. Juli 1528 wird aufser Fontainebleau auch das
Schlofs von Boulogne unter den auszuführenden Bauten genannt. De Laborde, la renailT.
T- I, p- 537- — ^) Aufn. bei Du Cerceau, T. I vgl. dazu Viollet-le-Duc, Entretiens I^
p. 353 ff.
§ 23. Schlofs Madrid oder Boulogne.
97
quadratifche Pavillons; zwei viereckige Treppenthürme theilten die beiden
langen Fagaden in drei gleiche Theile, während an den fchmalen Seiten
fich in der Mitte ein runder Treppenthurm erhob. Zwifchen diefen Treppen-
thürmen und den Pavillons find auf Pfeilern mit vorgelegten Halbfäulen in
den beiden Hauptgefchoffen Arkaden herumgeführt, genügend geräumig,
um eine leichte Communication zu geftatten, aber nicht fo tief, um den
grofsen, mit doppelten Kreuzftäben verfehenen Fenftern das Licht zu ver-
kümmern. Der mittlere Theil der beiden Hauptfagaden hat dagegen in
ganzer Breite eine Treppe A, welche zu einem weit zurückfpringenden
Bogengang von beträchthcher Tiefe (i2Fufs) führt. Diefe ftatthchen Hallen
bilden den Zugang zu dem grofsen Saal, der mit feiner Länge von circa
65 Fufs und feiner Breite von 28 Fufs den ganzen mittleren Theil der
Anlage einnimmt. Diefer Saal wiederholt fich mit feinen Arkaden im oberen
Hauptgefchofs. Es folgt dann ein kleineres Gefchofs, deffen Gemächer
durch die auf den untern Arkaden ruhende Terraffe mit einander verbunden
fmd; endhch ein viertes Stockwerk, welches gleich dem vorigen von mäfsiger
Höhe ift und, wie jenes, Gaftzimmer enthielt. Aufserdem war ein niedriges
Erdgefchofs , halb unterirdifch , mit mächtigen Gewölben angebracht, das
die Küchen und fonftige Haushaltungs- und Dienflräume umfchlofs. Mit
richtigem Verftändnifs hatte der Architekt das Gebäude fo orientirt, dafs
die Hauptfronten nicht genau nach Norden und Süden gerichtet waren;
der Saal und die meiften andern Räume hatten dadurch im Sommer er-
frifchende Kühle und in der kälteren Jahreszeit möglichft viel Sonne.
Die Anordnung des Innern war, den Sitten der Zeit entfprechend, von
ausgefuchter Zweckmäfsigkeit. Der grofse Saal B, von zwei prächtigen
Kaminen erwärmt, hatte an der einen Schmalfeite einen kleineren Saal B',
der dem König diente, wenn er fich von der Gefellfchaft zurückziehen
wollte. Im diefem Saal erhob fich bei C ein mächtiger Kamin, hinter
welchem ein Gang D und in der Mauer eine Treppe E angebracht war,
auf welcher man ungefehen zu einem über diefem Theil liegenden kapellen-
artigen Raum gelangen konnte. Diefe beiden Räume zufammengenommen
hatten die Höhe des Hauptfaales, die gegen 22 Fufs betrug. Aufserdem
ftand diefer Nebenfaal durch befondere Eingänge mit den äufseren Arkaden
in Verbindung. Die übrigen Theile der beiden Hauptgefchoffe waren zu
gefonderten Wohnungen beftimmt. Man findet in jedem Flügel vier grofse
Zimmer F mit Kaminen, jedes mit einer Garderobe H verbunden, die zum
Theil in den Eckpavillons angebracht und in finnreicher Weife untereinander
und mit den Portiken verbunden fmd. Jedes diefer Wohngemächer konnte
von dem andern abgefondert werden; jedes ftand in unmittelbarer Ver-
bindung mit den Portiken G und den Treppenthürmen I, fowie mit dem
Hauptfaal, fo dafs die Bewohner, ohne beobachtet zu werden, aus- und ein-
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 7
98
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
gehen konnten. Die Verbindung der Räume war alfo fo angenehm und
bequem wie möglich; der Architekt hielt dabei zwar für den Mittelbau die
Axen der Fenfter und Arkaden übereinftimmend, band fich aber für die
Flügel nicht ftreng an folche Vorfchrift. Dagegen legte er die Thüren
der Gemächer überall dicht bei den Fenftern an, fo dafs er möglichft viel
ununterbrochene Wandflächen erhielt. Endlich ift noch zu bemerken, dafs
auch in den offenen Portiken durch die vorfpringenden Treppenthürme und
Pavillons die Zugluft möglichft abgefchnitten war. Man darf diefes Schlofs
alfo wohl als Mufter eines fürftlichen Landfitzes jener Zeit bezeichnen.
Der Aufbau des Ganzen, von dem wir in Fig. 35 den mittleren Theil
geben, zeigte eine Verbindung zwifchen italienifcher und franzöfifcher Auf-
faffung, die hier ebenfo gelungen, wie in Chambord mifsglückt war. Die
hohen Dächer, die jeden Haupttheil bedeckten, die kuppelartigen Krönungen
der Wendeltreppen, die Manfardenfenfler und die gewaltigen Kamine ge-
hörten der nationalen Ueberlieferung an, aber fie waren auf das Maafs des
Noth wendigen zurückgeführt, nicht Gegenftand einer phantaftifchen Lieb-
haberei geworden. Auch die Fenfter mit ihren fteinernen Kreuzftäben
und die Conftruction der Wölbungen gehörten der heimifchen Bauweife an :
alles Uebrige dagegen war der italienischen Renaiffance mit freiem Ver-
ftändnifs nachgebildet. Dies gilt von den Arkaden mit ihren eleganten
Pfeilern und Säulen, ihren reich profilirten und caffettirten Bögen und ihren
Medaillonfüllungen, von den elegant decorirten Friefen und der mannig-
faltigen Umrahmung der Fenfter, durch welche jedes Stockwerk feinen
befonderen Charakter erhält, endlich von der Krönung der Thüren, die
mehrfach einen Giebel mit ruhenden Figuren zeigen. Den glänzendften
Schmuck empfing der Bau durch die reiche Anwendung farbig glafirter
Terrakotten , für welche Girolamo della Robbia ausdrücklich von Florenz
berufen wurde.') An den Friefen der Hauptgefchoffe und den Medaillons
der Arkaden, ebenfo an den Deckencaffetten der Portiken, fowie an den
Fufsböden war diefer glänzende Schmuck verwendet. Du Cerceau gibt
einige Beifpiele der Caffettenplatten , die durch Schönheit der Zeichnung
und Reichthum der Erfindung bewundernswürdig find. Wenn indess der
gelehrte Viollet-le-Duc^) die Behauptung ausfpricht, dafs diefe Anwendung
glafirter Terrakotten am Aeufsern von Gebäuden eine neue, Franz I zu
verdankende Erfindung fei, fo vergifst er unter anderem die Fagaden der
Innocenti zu Florenz, des Hofpitals zu Piftoja, vor Allem des Oratoriums
S. Bernardino zu Perugia.
Vafari, V. di Luca della Robbia T. III, p. 72: s Girolamo fu condotto in
Francia; dove fece molte opere per lo re Francesco a Madri, luogo non molto lontano da
Pärigi; e particolarmente un palazzo, con molte figure ed altri ornamenti« etc. — 2) Entre-
tiens T. I, p. 354.
100
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
Es ift auch bei diefem Bau lebhaft darüber geftritten worden, ob er
von einem itahenifchen oder einem einheimifchen Baumeifter herrühre. Dank
neueren Unterfuchungen wiffen wir, dafs es ein Franzofe war, Piej-re Gadier,
welcher den Bau entworfen und ausgeführt hat. Mit Unrecht will der
Graf de Laborde den wackeren »maitre magon« zu einem blofsen technifchen
Bauführer herabfetzen, indem er fagt: »Gerome de la Robbia etait l'artifte
createur, l'homme de genie et de goüt, Pierre Gadier, ouvrier foumis, mais
en reaUte le veritable conftructeur. « Diefe Hypothefe fchwebt vollftändig
in der Luft; felbft Vafari weifs nur von Terrakotten und Stuckaturen, mit
welchen della Robbia das Gebäude gefchmückt habe. Von diefen Arbeiten,
die gröfstentheils das Innere angingen, giebt Du Cerceau reichliche Bei-
fpiele. Er hat die beiden Kamine des Hauptfaales mit der zwifchen ihnen
liegenden Thür, den grofsen Prachtkamin des Nebenfaales und aufserdem
noch mehrere Kamine der verfchiedenen Zimmer dargeftellt. An diefen
fällt nicht blos der Reichthum der Dekoration, die verfchwenderifche
Anwendung von Sculptur und Malerei, die Mannigfaltigkeit der Anord-
nungen auf, fondern mehr noch eine bedenklich hervortretende Vorliebe für
fchwülftige, ja geradezu barocke Formen. Namentlich find hermenartige
Karyatiden in zum Theil höchft unfchönen Formen zur Anwendung gekommen.
Da indefs die innere Ausftattung erft nach Franz' I Tode durch Philibert
de rOrme und fpäter durch Primaticcio zur Vollendung kam, fo müffen
wir einen Theil diefer Werke diefer fpätern Zeit zurechnen. Wir wollen
nur noch anmerken, dafs die reicheren Kamine eine grofse Nifche mit einem
Poftament, das für eine Statue beftimmt war, über fich haben, andere
dagegen ein offenbar für Malerei beftimmtes Bildfeld. An einem Kamine
ift dasfelbe mit einem Gemälde der Entführung der Europa gefchmückt.
Pierre Gadier ftarb 1531; ihm folgte Gratien Frangois und fein Sohn
Jean, fämmtlich alfo Franzofen. Auch de l'Orme verwendete einen ein-
heimifchen Fayencekünftler aus den berühmten Werkftätten von Limoges,
Pierre Courtois. Erft Primaticcio hefs wieder della Robbia kommen. Jeden-
falls hat kein anderes Gebäude in fo hohem Grade eine Anfchauung von dem
intimen Leben feines kunftfinnigen fürftHchen Erbauers gegeben wie diefes.
§ 24.
Das Schloss von Fontainebleau.
AM fühlbarften tritt der Einflufs und die Mitwirkung italienifcher Künftler
bei dem Schlofs hervor, welches man als eins der bedeutendften
Hauptwerke diefer Epoche, als die Lieblingsfchöpfung Franz' I betrachten
kann. Fontainebleau') war fchon im 12. Jahrhundert ein königliches
I) Aufn. bei Du Cerceau, Tom. II und in Pfnor, Monogr. de Fontainebleau. Fol. 2
Vols. Prachtwerk mit Text von ChampoUion-Figeac. Vergl. dazu Paluftre I, 173 — 230
mit trefflichen Abbildungen.
§ 24- Das Schlofs von Fontainebleau.
lOI
Schlofs, welches den Jagden in dem benachbarten grofsen Walde, noch
jetzt einem der fchönflen Frankreichs, feine Entfbehung verdankte. Ludwig VII
liefs II 60 eine Kapelle zu Ehren der Maria und des heiligen Saturnin dort
erbauen. Ludwig der Heilige gründete eine zweite Kapelle der heihgen
Dreifaltigkeit und ein Spital dicht bei feinem Palaft, zu deffen Dienft er
im Jahre 1259 Mathuriner-Mönche berief. Frühzeitig wurde zugleich Fon-
tainebleau der Sitz der königlichen Bibliothek, welche fpäter der Grundftock
der grofsen Bibliothek von Paris wurde. Aber erft Franz I fchuf das mittel-
alterliche Schlofs zu einem königlichen Palafte um, der an Ausdehnung
wie an Pracht der Ausftattung feines Gleichen fuchte. Wenn man die
Anlage diefes ungeheuren Baues, dessen Längenausdehnung gegen 450 Meter
mifst, prüft (Fig. 36), fo fieht man aus feiner Unregelmäfsigkeit, dafs der
fogenannte ovale Hof A die älteften Theile umfafst. Diefer Hof ift links
mit einer Doppelreihe von Zimmern umgeben, während die rechte Seite
hauptfächlich durch eine Doppelkapelle D mit polygonem Schlufs (St. Saturnin)
und einem galerieartigen Saale C, der fogenannten »Galerie Heinrichs II«
eingefafst wird. Den Abfchlufs bildete zu Du Cerceaus Zeit gleich neben
der Kapelle ein ovaler Saal (J in Fig. 41), von welchem man mittelft einer
Zugbrücke über den damals noch vorhandenen Waffergraben in diejenigen
Gebäude, PI, gelangte, welche fpäter unter Heinrich IV auf drei einen faft
quadratifchen Hof von 85 zu 77 Meter umgebende Flügel erweitert wurden.
Heinrich IV verlängerte auch den ovalen Hof, indem er neben der Kapelle
und ebenfo an der gegenüberliegenden Seite ihn nach Often weiter führte.
Eine andere Vergröfserung , die ebenfalls diefer fpäteren Zeit angehört,
befteht aus der Gebäudegruppe J, welche links von dem ovalen Hof fich
um die »Cour des Princes« herumzieht und deren vorderer Flügel die 90 Meter
lange »Galerie der Diana«, K, enthält. Kehren wir zum ovalen Hof als
dem Centrum der Anlage zurück, fo finden wir dort in der Mitte der vorderen
Schmalfeite einen viereckigen Thurm E, den alten Donjon, deffen Mauern
wie die der anstofsenden Theile von der früheren mittelalterlichen Anlage
beibehalten wurden. Vor diefe älteren Theile des Hofes legt fich im Erd-
gefchofs eine offne Arkade auf Säulen, die durch Architrave verbunden
werden. Ueber ihnen bildet fich im oberen Gefchofs eine Terraffe zur
Verbindung der Räume. An dem ehemaligen Eingang in die nördlichen
Gemächer wird diefe Arkade durch einen auf Pfeilern mit Halbfäulen
ruhenden loggienartigen Vorbau F in zwei Gefchoffen unterbrochen. Seine
Bögen (Fig. 37), zum Theil halbrund, zum Theil in gedrückter Korbhenkel-
form, zeigen wie die übrigen Theile ein ziemliches Verftändnifs und dabei
doch eine freie Nachbildung der antiken Bauweife.
War in diefen Theilen durch Beibehaltung der alten Anlage die Unregel-
mäfsigkeit des Grundriffes bedingt, fo beweift die Regelmäfsigkeit aller
§ 24. Das Schlofs von Fontainebleau.
103
übrigen Theile, dafs fie von Grund aus neu erbaut wurden. Zunächft wurde
an die älteren Theile, namentlich jenen viereckigen Thurm des Mittelalters,
der Längenaxe des Ganzen entfprechend, ein weiterer Flügel N gelegt,
der nach Norden eine Reihe von Zimmern, nach Süden die 58 Meter lange
■> Galerie Franz' I« enthält. Am Ende derfelben legt im rechten Winkel
ein Querbau aus zwei Flügeln fich vor, der Hnks die ganz neu erbaute
Fig. 37. Schloss von Fointaiiiebleau. Aus dem ovalen Hof. (Nach Pfuor.)
Dreifaltigkeitskapelle O, daran anftofsend mehrere Wohngemächer und einen
Saal zum Ballfpiel T enthält, rechts ftattlich angelegte Wohnräume P, die
Pius VII bei feiner Gefangenfchaft als Quartier angewiefen waren. Vor die
Mitte diefes 132 Meter langen Querbaues legt fich die berühmte hufeifen-
förmige Rampentreppe R.
Diefem weftlichen Flügel entfprechend wurde am entgegengefetzten
Ende der Galerie Franz' I ein dritter Flügel L mit doppelter Freitreppe
104
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
/
aufgeführt, der das Theater enthielt. Der füdHche Seitenhof M, der auf
diefe Weife entftanden war, wird »Cour des Fontaines« genannt, weil am
Schlufs feiner Längenaxe als prächtiger Augenpunkt für die Galerie Franz' I
fich eine Fontaine und das Baffin eines grofsen Weihers befindet. Aber mit
diefer gewaltigen Ausdehnung, die bereits vier Höfe umfafst, war der Bau
noch nicht abgefchloffen. Schon Franz I fügte einen fünften Hof S hinzu,,
den »Hof des weifsen Pferdes« , fo genannt, weil feine Mitte lange Zeit
durch das Gypsmodell des Pferdes von der Reiterfbatue Marc Aurels ein-
genommen wurde. Er ifb der gröfste von allen, 165 Meter tief und iio-
Meter breit, rings umgeben von niedrigen Flügeln, die aus einem Parterre
und einem Dachgefchofs beftehen, zu welchem jedoch an der Südfeite noch
ein oberes Stockwerk kommt. In der Mitte und auf den Ecken diefer Flügel
erheben fich, die Einförmigkeit zu unterbrechen, Pavillons mit hohen Dächern.
Fügen wir hinzu, dafs ausgedehnte Blumenparterres, Parkanlagen mit präch-
tigen Baumalleen, Teichen und Springbrunnen das Ganze fchon damals um-
gaben, fo ift eine annähernde Vorftellung von der Ausdehnung diefer grofs-
artigen Refidenz gegeben. Karl IX zog einen tiefen Waffergraben aus
Anlafs der Bügerkriege um die Haupttheile des Schloffes, der den äufsern
Hof von dem Hauptbau trennte, fo dafs man mittelft einer Zugbrücke ehe-
mals zu der Haupttreppe gelangte. Du Cerceau zeichnet diefen Graben,
der indefs fpäter ausgefüllt worden ift.
Vergleicht man nun unbefangen diefen berühmten Bau mit den anderen
Schlöffern Franz' I, fo wird man geftehen müffen, dafs er dem Rufe, deffen.
er feit alter Zeit geniefst, keineswegs entfpricht. Mehr in die Länge und
Breite fich ausdehend, als nach der Höhe entv/ickelt, bietet er dem Auge
nirgends einen mächtigen Totaleindruck. Er ift nicht fo phantaftifch wie
Chambord, fondern grenzt eher an eine gewiffe Nüchternheit; er hat nicht
den graziöfen Reiz der plaftifchen Details von Blois, noch der malerifchen
von Madrid, vielmehr neigt feine Formbehandlung zur Trockenheit. Alle
Theile des Baues mit Ausnahme weniger Pavillons haben über dem Erd-
gefchofs nur ein Stockwerk, und felbft die in Frankreich fo beliebten Dach-
gefchofse find hier nicht durchgängig zur Anwendung gebracht; wo fie
aber vorkommen, zeigen ihre Fenfter eine ftrengere mehr antikifirende Um-
rahmung mit Pilaftern und graden oder gebogenen Giebeln, weit entfernt
von der phantafievollen Mannigfaltigkeit zu Blois und Chambord. Mit einem
Wort : das üppige Spiel der Frührenaiffance ift zu Ende, mit Fontainebleau
beginnt das Ueberwiegen des itahenifchen Einfluffes. Damit hängt es zu-
fammen, dafs die Treppen hier meift nicht mehr als Wendelftiegen in vor-
fpringenden Thürmen, fondern im Innern des Baues angebracht find.
Am meiften von der frifchen Anmuth der früheren Zeit hat fich in
den Säulengängen des ovalen Hofes eingefunden. Befonders die Käpitäle
§ 24- Das Schlofs von Fontainebleau.
105
variiren in reizenden Erfindungen ; hockende Kinder bilden die Ecken,
während die Flächen vom Namenszug Franz' I, von gekrönten Salamandern,
Fruchtfchnüren oder elegantem Akanthusblatt gefüllt werden. (Vgl. die
Abbildung auf S. 53). Auch die Kapitale der Pilafter am grofsen Thurm
und an den Dachfenftern zeigen mannigfaltige Erfindung. Diefelbe Behand-
lung wiederholt fich am fogenannten »Pavillon der Maintenon« B, bei welchem
übrigens zum erften Mal je zwei Stockwerke äufserlich durch grofse Pilafter-
ftellungen als eines dargeftellt find. Unfchön genug fchneiden dabei die
Giebelkrönungen des untern Fenfters in die Brüftungen des oberen hinein..
Die fogenannte »porte doree« diefes Pavillons, zu Franz' I Zeit das Haupt-
portal des Schloffes, öffnet fich nach aufsen mit einem korbförmigen Bogen
und hat in ihrem Tympanon ein Relief, den Salamander in einem Medaillon,
umfafst von Fruchtfchnüren , auf beiden Seiten von weiblichen Genien
begleitet. Zu den tüchtigften Partieen gehört die füdliche Fagade des
ovalen Hofes, welche zwifchen der Kapelle St. Saturnin und einer in der
Fagade maskirten Wendelftiege in beiden Stockwerken eine Galerie, unten
für die Garden, oben als Ballfaal beftimmt, enthält, die fich mit koloffalen
Fenftern von zwölf Fufs Breite zwifchen Pilaftern nach aufsen öffnet (Fig. 38).
Im oberen Gefchofs ift der Zwifchenraum der Bögen in etwas lockerer
Compofition durch Medaillons mit Emblemen Franz' I ausgefüllt. Zu der
Treppe, die in einem Pavillon angebracht ift, führt ein doppeltes Portal,
niedrig mit Pilaftern eingefafst und — eines der früheften Beifpiele diefer
Art — mit einem antiken Giebel bekrönt, deffen Wirkung gleichwohl durch
den wunderlichen mittleren Auffatz und die grofsen Figuren auf den Ecken
in Frage geftellt wird. Dafs diefe Fagade von keinem klaffifch gefchulten
italienifchen Architekten, fondern von einem franzöfifchen Maurermeifter,
der die Antike nur von Hörenfagen kannte, herrührt, ift unzweifelhaft.
Diefer Stil vereinfacht fich noch um ein Wefentliches an den Fagaden
des Hofes der Fontaine. Die Hauptfagade desfelben, welche die Galerie
Franz' I enthält, hat ein Erdgefchofs von kräftigen Rufticapfeilern, je zwei
enger geftellt und durch eine nifchenartige Oeflnung verbunden, die einzelnen
Syfteme aber unter einander durch einfache Arkaden verknüpft, wodurch
eine lebendige Abwechselung erzielt wird. Diefe Halle wurde indefs erft
unter Heinrich IV dem Baue aus Franz' I Zeit vorgelegt. Originell ift
nun, dafs über den Arkaden die obere Wand eine gefchloffene Fläche zeigt,
während über den Nifchen grofse rechtwinklige Fenfter die durch Pilafter
gegliederte Mauer durchbrechen. Die öftHche Fagade desfelben Hofes, vor
welcher fich die Doppeltreppen zum Theater hinaufziehen, zeigt eine Archi-
tektur von einer ähnhchen fchlichten Derbheit, im Erdgefchofs Ruftica, im
oberen Stockwerk dorifche Pilafter zwifchen einfachen Fenftern, an deren
Stelle am Mittelbau Nifchen treten. Auch die Dachfenfter, in der Mitte
io6
Kap. III. Die Renaiflance unter Franz I.
zu einem dominirenden Giebelbau ausgebildet, beweifen eine bezeichnende
Vereinfachung des Stils. (Fig. 39.) Eine andere Galerie, von ihren berühmten
durch Primaticcio ausgeführten Gemälden die »Galerie des Ulyffes« genannt,
wurde fpäter unter Ludwig XV zerftört.
Fig. 38. Schlofs zu Fontainebleau. Theil der Südfafade des ovalen Hofes. (Pfnor )
Konnte demnach das Aeufsere von Fontainebleau fich an Feinheit und
Reichthum der Durchbildung mit den übrigen Schlöffern Franz' I nicht
meffen, fo war dagegen aller Nachdruck auf die Ausfchmückung des Innern
§ 24. Das Schlofs von Fontainebleau. 107
gelegt. Für folche Dekorationen hatte fich in Italien ein Stil gebildet, der
befonders durch Giulio Romano zur üppigften Entfaltung gekommen war. Er
verband die reichfte Anwendung von Gemälden an Decken und Wänden
mit Stuckaturen, welche jede Art plaftifcher Schöpfungen vom Relief bis
zur Freifculptur häufte, damit aufserdem Holzbekleidungen in reichem
Fig. 39. Fontainebleau. Theaterfajade. (Pfnor.)
Schnitzwerk und glänzenden Schmuck von Farben und Vergoldung verband.
(Fig. 40.) Aber diefe Dekoration artete bald zu einem Schwulft und einer
Ueberladung aus, von welcher die Galerie Franz' I ein auffallendes Beifpiel
bietet. In diefem Gewirr von Einzelheiten, die einander zu überfchreien
fuchen, diefen Bildern, die nicht blofs von reichgefchnitzten Rahmen, fondern
Io8 Kap. III. Die Renaiffance unter Franz 1.
auch von Fruchtfchnüren, von wunderlichem Cartouchenwerk mit fpielenden
Genien, athletifchen Männergeftalten und üppigen Frauen, von Hermen und
Karyatiden, Panisken, Engelköpfen, Masken, kurz allen Ausgeburten der
antiken und chriftlichen Mythologie umfpielt werden, verliert das Auge
jeden Halt und irrt rathlos, ohne einen Ruhepunkt zu finden, vom einen
zum andern. Nur die holzgefchnitzten Plafonds zeichnen fich durch gute
Eintheilung und edlen Stil der Ornamente vortheilhaft aus. Gewifs ift nie
ein Palaft mit gröfserem Aufwand von künftlerifchen Mitteln errichtet worden,
und die Gefammterfcheinung diefer ausgedehnten, aber ziemlich niedrigen
und fchmalen Galerieen, die unter Louis Philipp und dem neuen Kaiferreich
mit allem Aufwand wieder hergeftellt find, ift von unvergleichlichem Effekt ;
wenn aber Franz I die heften Kräfte feiner Zeit heranzuziehen fuchte, fo
war es nur fein Unglück, nicht feine Schuld, dafs diefe bereits den vollen
Verfall der italienifchen Kunft mit fich brachten.
Man hat viel darüber geftritten, ob die von diefem König errichteten
Theile des Schloffes von franzöfifchen oder italienifchen Architekten her-
rühren. Das ausführhche Decret vom 28. April 1528, in welchem der
König die neu zu errichtenden Bauten anordnet, nennt keinen Künftler-
namen ; doch wiffen wir, dafs in demfelben Jahre Serlio berufen wurde,
und ihm hat man daher ohne Weiteres die Bauten des ovalen Hofes zu-
fchreiben wollen. Allein die dort angewandten Kunftformen, befonders die
Säulen der Arkaden zeigen foviel Originalität in der Behandlung, dafs wir
fie nur als Erfindung franzöfifcher Künftler anfehen können. Die gleich-
zeitigen ItaHener hätten die fchulmäfsig feftgeftellten antiken Ordnungen
verwendet. Ebenfo find in der Bildung der Gefimfe und anderer Baugheder
zwar die antiken Formen im Einzelnen mit Verftändnifs gehandhabt, aber
in fo willkürlicher Weife zufammengefetzt, namentlich die Pilafter fo fyftemlos
angeordnet, dafs man einen Architekten erkennt, der zwar die neue Bau-
weife ftudirt hat, aber nicht zum vollen Verftändnils durchgedrungen ift.
Die überftrömende Frifche und Phantafiefülle der Frührenaiffance fteht ihm
nicht mehr zu Gebote ; und zu der ftreng klafficiftifchen Behandlung, welche
in Italien durchgedrungen war, reicht feine architektonifche Bildung nicht
aus. Gegen Serlio's Urheberfchaft fpricht ohnediefs der Umftand, dafs
man in feinem bekannten Werk keine Andeutung diefer Art findet, dafs er
vielmehr den ohne fein Zuthun erbauten Ballfaal, für welchen er einen
eigenen Entwurf beibringt, einer fcharfen Kritik unterwirft. WahrfcheinHch
dagegen darf man ihn als den Erbauer der Fagaden des Fontainenhofes
betrachten, da dort jene mehr fchulmäfsige , einfach ftrenge Architektur
herrfcht, welche um jene Zeit mit ihrem würdevollen, aber etwas trocknen
Ernft durch ihn und die anderen italienifchen Theoretiker zum Gefetz erhoben
wurde. Er kommt als »paintre et architecteur du Roy« mit anfehnlichen
I lO
§ 24. Die Renaillance unter Franz I.
Summen bis zum Jahre 1550 in den Rechnungen von Fontainebleau vor,
wo er bis an fein Lebensende (1568) thätig bUeb.
Diejenigen Künftler aber, welche den wefenüichften Theil der Aus-
ftattung, die Dekoration des Innern, namenüich der Galerieen leiteten, waren
zuerft der Florentiner Roffo (»maitre Roux«), der um 1530 berufen wurde
und bis zu feinem Tode 1541 die Malereien und Stuckaturen, befonders
der Galerie Franz' I ausführte.^) Aber fchon 1531 wurde auch Primaticcio^)
berufen, der indefs mit Roffo fich fo heftig verfeindete, dafs der König ihn
mit Aufträgen nach Italien fchicken mufste. Eine Zeit lang freilich fehen
wir beide, jeden für fich gefondert, mit zahlreichen Gehülfen neben einander
befchäftigt. Nach dem Tode Roffo's erhielt jedoch Primaticcio die aus-
fchliefsliche Leitung der Arbeiten, die er gleich damit begann, dafs er eine
Anzahl der Werke feines Vorgängers zerftören liefs. Noch unter den beiden
Nachfolgern Franz' I blieb er in Thätigkeit bis zu feinem Tode im Jahre
1570. Ihn unterftützte namentlich Niccolb deW Abbate der die fpäter
zerftörte Galerie des Ulyffes und den Ballfaal ausmalte. Zunächft waren
es überhaupt itahenifche Künftler, welche bei diefen Arbeiten mitwirkten.
Neben ihnen und einigen flandrifchen Meiftern finden wir aber in den
Rechnungen eine anfehnliche Zahl einheimifcher Künftler, die als Maler,
Stuckatoren und Bildhauer bezeichnet werden. Diefs ift die »Schule von
Fontainebleau«, von welcher dann der italienifche Gefchmack in Frankreich
zur ausfchliefslichen Herrfchaft erhoben wurde.
Leider brachten diefe Italiener den Manierismus mit all' feinen Aus-
fchweifungen mit herüber, welchem feit Rafaels Tode die meiften Schulen
Italiens unaufhaltfam fich hingaben, und hier im fremden Lande, wo ihre
Schöpfungen als höchfte Offenbarungen bewundert wurden, fielen fie einer
um fo gröfseren Verwilderung anheim, als kein maafshaltender Einflufs ihnen
zügelnd zur Seite ftand. Gefällt fich Roffo in Nachahmungen Michelangelo's,
in bravourmäfsigen Verkürzungen und übertriebenen Stellungen und Bewe-
gungen, fo wird Primaticcio noch widerwärtiger durch die affektirte Grazie
feiner überfchlanken Geftalten, in denen die Franzofen noch immer gern
»griechifche Anmuth« fehen. 4) Angefichts diefer mit fo hoher fürftlicher
Liberalität und fo bedeutenden Mitteln in's Leben gerufenen Werke voll
Unnatur und Uebertreibung kann man fich des Gedankens kaum erwehren,
wie viel günftigere Refultate die Kunftliebe des Königs gehabt haben müfste,
wenn Andrea del Sarto, anftatt das Vertrauen des Monarchen durch feinen
Leichtfinn zu täufchen, die Leitung diefer grofsen Arbeiten erhalten hätte.
^) Vafari, V. del Roffo, T. IX, p. 77 ff. — ^) Vafori, V. di Primanccio, T. XIII, p. 3 ff.
— 3) Vafari, V. di Primaüccio, T. XIII, p. 5 fg. — 4) So Champollion-Figeac im Text
zum Pfnor'fchen Werke: »Les raccourcis nombreux du Roffo dans fes figures ne feront
jamais oublier l'elegance toute Grecque de fon contemporain.« Tom. II, p. 2.
§ 2$. Die Bau-Urkunden von Fontainebleau.
III
§ 25.
Die Bau-Urkunden von Fontainebleau.
FÜR die Baugefchichte von Fontainebleau ift eine Reihe von Doku-
menten von Bedeutung , welche veröftentlicht zu haben das Verdienft
des Grafen De Laborde ift.^) Wir finden einen Erlafs des Königs vom
28. Juli 1528, in welchem Franz I die Abficht ausfp rieht, in Fontainebleau
und dem Walde von Boulogne mehrere Gebäude ausführen zu laffen.s) Ein
anderer könighcher Willensakt vom i . Auguft desfelben Jahres, gleich dem
vorigen aus Fontainebleau datirt, wiederholt den Inhalt des erften und dehnt
ihn auf »deux autres lieux de Livry« aus.t) Am wichtigften aber ifh das
umfangreichfte und zugleich frühefte diefer Aktenftücke, welches am
28. April 1528 erlaffen wurde. 5) Es enthält die genaueften Anweifungen
über Gröfse, Form und Ausführung des neuen Baues und geht in der
Sorgfalt für die Feftfetzung der einzelnen Punkte fo fehr in's Detail, dafs
nicht blofs das Maafs der einzelnen Räume und die Art der zu verwendenden
MateriaHen, wie fich von felbft verficht, genau feftgefetzt wird, fondern dafs
fogar die Dicke der Mauern und der Grad ihres Abnehmens in den oberen
Gefchoffen , die Form der einzelnen architektonifchen GHeder , ja felbfb
die Anlage der Aborte mit ihren Sitzen und Zuglöchern^) vorgefchrieben
wird. Man erkennt mit fteigendem Intereffe aus den detailHrten Angaben,
wie der Bau dem König eine befonders am Herzen liegende Sache war,
und kann aus der Aufzählung der einzelnen Theile die Entftehung und den
Fortgang der Arbeit Schritt für Schritt verfolgen. Bisweilen wird in all-
gemeinen Ausdrücken gefagt , dafs diefer oder jener in Rede ftehende
Theil »aufs Befte« oder »nach dem heften Ermeffen des Meifters« oder
:>wie fich's gehört« ausgeführt werden folle. In der Regel aber werden die
Wünfche des Bauherrn umftändlich und genau präcifirt. So wird z. B. von
den äufseren Pfeilern gefagt, fie follen fein »garnies de chapiteaux de fagon
honnefte«.7) Von den Wandpfeilern (»piedroicts«) heifst es: »lesquels feront
garnis de contrepilliers portans baffe et chapiteau, arquitrave, frize, corniche
et frontepie, ainfi qu'il appartient«.^)
Der Bau beginnt (Fig. 41) an der Südfeite des ovalen Hofes A mit
Abbruch des alten Portals, ftatt deffen ein neues (die jetzige »porte doree«)
in einem viereckigen Pavillon B, deffen Maafse genau angegeben werden,
zu errichten ift. Die Anzahl der verlangten Zimmer, die Mauerftärke wird
feftgefetzt, die Höhe der Räume dagegen und die Weite der Portalhalle
') Das luxuriöfe Werk von Pfnor leiftet für die Gefchichte des Baues nicht Er-
fchöpfendes. Wir verfuchen diefs fchwierige Kapitel fo weit zu löfen, als die uns zu Gebote
ftelienden Hülfsmittel reichen. — 2) La renaiffance des arts a la cour de France. Tom. I,
P'ig- 337 ff- — ^) Ebenda p. 337. — '^) Ebenda p. 338. — s) Ebenda p. 342—370. —
6) Ebenda p. 361. — ?) Ebenda p. 344. — ^) Ebenda p. 346.
112
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
dem Ermeffen des Architekten frei gegeben: »que fera adoife pour le
mieulx.« Auch die beiden kleineren Pavillons, welche den gröfseren ein-
fchliefsen, werden fammt den Dachfenftern genau bezeichnet. Die Anficht,
welche Du Cerceau von diefer Seite giebt, ftimmt pünktlich mit der Be-
fchreibung überein. Nur die Vorhalle von vier Säulen, die in drei Ge-
fchofsen, in den beiden erften mit gradem Gebälk, in dem oberften mit
korbhenkelförmigem Bogen, fich vor dem Pavillon erheben foUte,') ift nicht
zur Ausführung gekommen. Nach der Hoffeite foll fodann eine Wendel-
treppe, rund, zehn Fufs im Durchmeffer, in der Ecke zwifchen dem Pavillon
und dem öftlich anzubauenden Theile aufgeführt werden. Auch das Portal
zu diefer Treppe wird genau vorgefchrieben ; es ift das noch vorhandene
in Fig. 38 abgebildete. Neben der grofsen Stiege foll eine kleinere für die
Retraiten angelegt werden. Beide fieht man auf unfrem Grundrifs. Sodann
ünd die fchadhaften Theile der alten Mauern abzubrechen und neu aufzu-
führen. Zwifchen dem Portalpavillon und dem Donjon C des alten Schloffes
(»la groffe vielle tour«) follen zwei »corps d'hoftel« erbaut werden mit zwei
Kammern, Garderoben und einem Saal in jedem Gefchofs. Sodann find
neu aufzuführen die drei Corps d'hötel D, E, F jenfeits des alten Thurmes,
•die zur Wohnung der königlichen Kinder beftimmt find, mit Sälen, Zimmern
und Garderoben in drei Gefchoffen.^) Die Umfaffungsmauern feien beizu-
behalten, aber auszubeffern. Am Ende diefer Wohnung fei ein Pavillon
H zu errichten, wie der erfte beim Portal und wie der alte Thurm, unge-
fähr 24 Fufs im Quadrat. Aufserdem werden noch vier Wendeltreppen
im Hofe verlangt, 3) die indefs nicht alle ausgeführt fein können, oder bald
darauf durch Neubauten zum Theil verdrängt worden find, da Du Cerceau
nicht fo viel Treppenanlagen aufweift.
Weiter foll beim alten Thurm ein Halbrund aus Kragfteinen ausgebaut
werden (vgl. den Grundrifs) und eine Wendeltreppe, die nach aufsen zum
Garten herunter führt. Wir erfahren, dafs in diefem Theile die Wohn-
zimmer der Königin lagen. Auch aus den Zimmern des Königs foll eine
Rampentreppe in den Garten führen. Sodann wird eine Terraffe auf vier
Säulen mit Bögen verlangt, um den Eingang in den Saal der Garden und
die Wohnung der Prinzen zu maskiren. Dies ift ohne Frage jene ftatt-
liche Vorhalle H in zwei Gefchofsen, von der wir einen Theil in Figur 37
gegeben haben.
Der intereffantefte Theil der Anlage ift jedoch die als »grant corps
d'hoftel« bezeichnete Partie, welche einen grofsen Saal, unten für die
Wachen, oben für Bälle enthalten foll. Die für ihn beftimmte Gröfse,
84 Fufs zu 40 Fufs, ftimmt wirklich mit den Dimenfionen des jetzt als
') De Laborde p. 346. — Ebend. p. 350. — 3) Ebend. p. 355.
114
Kap. III. Die Renaiflance unter Franz I.
»Galerie Heinrichs II« bekannten Saales L überein (vgl. Fig. 38). Von
diefem Saal foU eine Wendeltreppe nach dem Garten herabführen, und neben
ihm foll 36 Fufs breit Raum gelaffen werden für Anlage einer Kapelle K.
Wenn nun zwifchen diefem Kapellenplatz und dem Portalpavillon ein »corps
d'hoftel« mit vier Dienftzimmern, zwei Küchen und einem Ankleideraum
für die Sacriftei verlangt wird, fo können wir das nur fo verftehen, dafs
urfprüngHch für den Saal und die Kapelle eine andere Dispofition beab-
fichtigt gewefen fei, als der Grundrifs fie jetzt zeigt. Jedenfalls wurde die
Kapelle St. Saturnin fpäter in Angrift genommen, denn der bei Pfnor')
abgebildete Schlufsftein ihres Chorgewölbes meldet in gleichzeitiger In-
fchrift, dafs die Kapelle 1545 unter Franz I vollendet worden fei.
Ueber den Ballfaal fpricht fich Serho^) ausführlich und zwar in mifs-
billigender Weife aus. Er fagt, im zweiten Hofe des Palaftes, auf welchen
die königlichen Zimmer gingen, fei eine Loggia angeordnet worden, die
einerfeits auf den Hof, andrerfeits auf einen grofsen Garten blicke. Auf
der einen Seite derfelben feien die fürftlichen Wohnräume, nach der andern
eine Kapelle. »Diefe Loggia« , fährt er fort, »ift fo angeordnet, dafs fie
fünf Arkaden hat, von zwölf Fufs Weite, und die Pfeiler von fechs Fufs
Stärke; aber ich wüfste nicht zu fagen, welcher Ordnung diefe Architektur
angehöre «.3) Er erzählt ferner, man habe bei 30 Fufs Breite des Gemaches
und 16 Fufs Höhe den Raum wölben wollen, und fchon fei mit den Krag-
fteinen begonnen gewefen, als ein Mann von Einflufs und von mehr Urtheil
als der Maurer-*) dazu gekommen fei, der befohlen habe, die Kragfteine zu
entfernen und eine hölzerne Decke anzuordnen. »Aber ich,« fetzt er hin-
zu, »der dort damals fortwährend anwefend war, im Sold des hochherzigen
Königs Franz, habe, obwohl man mich nicht im Mindeften um Rath ge-
fragt, einen Entwurf gemacht, wie ich die Loggia ausgeführt hätte.« Und
nun fügt er feinen Plan in Grundrifs, Aufrifs und Durchfchnitt bei, und
ein Blick auf diefe ftreng und edel durchgebildeten dorifchen Pfeilerhallen
mit grofsen Bogenfenftern beweift fofort den grofsen Unterfchied zwifchen
der Behandlung eines itahenifchen Architekten und der in Fontainebleau
damals zur Ausführung gekommenen Werke. Es ift damit, wie fchon
bemerkt wurde, wohl unwiderleglich dargethan, dafs nur ein franzöfifcher
Baumeifter, und zwar ein folcher, der die antiken Formen nur oberfläch-
lich fich zu eigen gemacht hatte, ohne ihre fyftematifche Anwendung, wie
0 Monogr. du chät. de Fontainebleau. T. I, p. 5. — Architettura, lib. VII, cap. 40. —
3) »Ma non faprei giä dire di clie ordine fia fatta quefta architettura.« ibid. — 4) »Sopra-
giungendo un huomo d'autoritä, di piü giudicio del muratore, che haueua ordinato tal cofa.«
ibid. Dafs dies kein anderer als Philibert de l'Orme gewefen fei, wie zuerft Caftellan
(Fontainebleau 1840) vermuthet, ift durch L. Charvet (Sebaftien Serlio p. 24) feftgeftellt
worden.
§ 25- Die Bau-Urkunden von Fontainebleau.
■diefelbe feit 1500 in Italien allgemein geworden war, zu kennen, die in
Rede ftehenden Bauten entworfen haben kann. Wer die Entwürfe gemacht
hat, erfahren wir immer noch nicht; als ausführenden Meifter lernen wir
Gilles le Breton^ »magon, tailleur de pierre, demeurant ä Paris« kennen.')
Er braucht freilich darum nicht der Urheber des Planes gewefen zu fein.
Seit dem i. Auguft 1527 ift diefer Gilles fchon in der alten Abtei der
Mathuriner, die Franz gekauft hatte, um fie in feinen Bau hineinzuziehen,
fowie an den Dienftwohnungen des äufseren Hofes (»baffe court«) und der
■Conciergerie befchäftigt.^) Noch am 18. Februar 1534 erhält er Summen
für Bauausführungen in denfelben Theilen. Mit ihm ausfchliefslich wird auf
Grund des ausführlichen Bauprogrammes von 1528 unterhandelt. Wir haben
nur noch hinzuzufügen, dafs auch die grofse Galerie Franz' I, M, in diefem
Programm erwähnt ift. 3) Für fie wird eine Länge von 192 Fufs bei
18 Fufs Breite verlangt. Sie ift beftimmt, vom Saal des alten Thurmes
:zur Abtei zu führen und foll an ihrem Ende eine Kapelle erhalten. Dies
ift ohne Zweifel die Chapelle St. Trinite, N. In den Jahren 1537 bis 1540
arbeitet Gilles Breton am »corps d'hoftel et pavillon« , fodann »entre la
baffe court et le cloiftre de l'Abbaye.« SerHo kommt als »paintre et
architecteur du Roy« zuerft am 27. Dezember 1541 vor und erhält
,400 Livres Jahresbefoldung."*)
Die übrigen Notizen in den reichhaltigen Auszügen der Baurechnungen
betreffen gröfstentheils die innere Ausfchmückung, deren Pracht wie gefagt
■damals in Europa ihres Gleichen fuchte. Das Meifte bezieht fich auf die
Decorationen der grofsen Galerieen und Säle, fowie der Zimmer des Königs
und der Königin. Um nur einige der wichtigften Daten hervorzuheben,
fo werden feit 1533 »termes et ouvrages de stucq« erwähnt. Bartolommeo
da Miniato ift 1534 mit Stuckarbeiten befchäftigt, ebenfo feit 1533 Prima-
ticcio und Nicolas Bellin, »dit Modesne«, die im Zimmer des alten Thurmes
arbeiten, Ueberhaupt handelt es fich dabei hauptfächhch um die Gemächer
des Königs und der Königin, fowie die porte doree. Um diefelbe Zeit
arbeitet Roffo in der Galerie Franz' I. Zugleich ift man mit der Meublirung
des Schloffes befchäftigt und Girolamo della Robbia macht in Email ein
Medaillon mit Fruchtfchnüren für das Portal des Schloffes.^) Neben all
der Pracht fehlte es aber auch nicht an dem damals noch immer unerläfs-
lichen Schmuck von Glasgemälden. Schon am 17. Auguft 1527 war ein
Vertrag mit Jean Chaftellan , vitrier , gemacht worden , alle Fenftergläfer
für das Schlofs zu hefern , fowohl weifses wie »des escuffons, armoiries,
devifes et autres verrieres peintes«. Für jedes Wappen und jede Devife
I) De Laborde, p. 370. — ^) Ebend. p. 371. — 3) Ebend. p. 370. — Ebend.
p. 204. — 5) Ebend. p. 388. — Ebend. p. 395.
8*
ii6
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
erhielt er 40 Fr. , für jede kleinere oder gröfsere figürliche Darftellung.
»hiftoires et autres enrichiffements« in Kapellen und Kirchen dafelbft
20 Fr.') Zu der glänzenden Ausftattung gehören dann auch koftbare
Teppiche und Ledertapeten, darunter »peaux de cuire de Levant«.
Endlich find noch zu erwähnen die zahlreichen Werke felbftändiger
Flaftik und Malerei, die zur Ausfchmückung herangezogen wurden. Franz I
liefs nicht blofs die antiken Marmorfachen und die treft'lichen Gemälde der
erften itahenifchen Meifter , die er erworben hatte , in den Galerieen von
Fontainebleau aufftellen, fondern er gab auch den Auftrag, von andern
antiken Meifterwerken , deren Modelle Primaticcio hatte beforgen müffen,
Abgüffe in Bronze herzuftellen. So ift mehrmals vom Guffe des Laokoon
die Rede, der dabei in den Rechnungen fich gefallen laffen mufs, bald als
»Lacon«, bald als »Vulcan«, einmal gar als »Cleon« aufzutreten.^) Ebenfo
wird die Figur des Tiber in Bronze ausgeführt, und Benvenuto Cellini giefst
feine elegante Nymphe für das Bogenfeld des Portales. Aufserdem machte
Primaticcio ein Modell zu einer weiblichen Figur in Bronze, die ebenfalls
für ein Portal beftimmt war. Aber auch ein kupferner Vulcan kommt vor,
der an der grofsen Schlofsuhr die Stunde zu fchlagen hat. Dafs Benvenuto
beiläufig einen neuen Entwurf zum Hauptportal und das Modell zu einem
koloffalen Brunnen für den Schlofshof machte, wiffen wir aus feinem Leben.
Endlich möge noch der Oelgemälde für die Schrankthüren im Kabinet
des Königs gedacht werden, mit welchen Bagnacavallo beauftragt wurde,
fowie der Aquarellfkizzen zu zwölf Apofteln , die als Vorlagen für den
Emailleur von Limoges dienen follten.s) Der aufserordentliche Reichthum
und die Vielfeitigkeit der Arbeiten, fowie die grofse Anzahl von fremden
und einheimifchen Künfhlern aller Art, die fich dabei mehrere Decennien
hindurch zufammenfinden, geben ein erftaunliches Bild von einer Thätigkeit,
wie fie damals fo umfangreich und planvoll ineinander greifend felbft in
Italien kaum mehr angetroffen wird. Nur fchade, dafs der Charakter diefer
Kunft fchon wefentlich der des Manierismus ift.
§ 26.
Das Schloss S. Germain-en-Laye.
WIEDER von einer andern Seite lernen wir die Architektur Franz' I in
einem Schlöffe kennen , welches der König gleichzeitig neben fo
vielen in Ausführung begriffenen Werken in Angriff nahm. Es ift das
Schlofs von S. Germain-en-Laye, 4) wenige Meilen von Paris in einer
^) De Laborde, p. 280. 377. — Ebend. p. 416. 417. 426. — 3) Ebend, p. 431. —
+) Neben Du Cerceau, T. I, besonders zu vergl. die vollftändige Aufnahme in Sauvageot,
T. II. Sodann Paluftre II, 37.
20. Das Schlofs St. Gerniain-en-Lave.
117
prächtig dominirenden Lage fich hoch über den Ufern der Seine erhebend.
Schon in den früheften Zeiten des Mittelalters war es wegen feiner Lage
eine wichtige Feftung, welche den Lauf der Seine beherrfchte. Mehrere
Könige refidirten dort, und Ludwig der Heilige erbaute eine Schlofskapelle,
welche noch jetzt vorhanden ift. Später bemächtigten fich die Engländer
des Platzes, der von ihnen vor der Schlacht von Crecy eingeäfchert wurde.
Karl V ftellte das Schlofs wieder her, und noch jetzt fieht man auf der
äufseren Ecke links einen viereckigen Thurm, der aus feiner Zeit datirt.
Später gerieth das Schlofs etwas in Verfall, bis Franz I, der im Jahre 15 14
dort feine Vermählung mit der Königin Claude gefeiert hatte, es einem
umfaffenden Neubau unterwarf.') Er behielt jedoch die alten Fundamente,
die Kapelle des 13. Jahrhunderts (Fig. 42 bei C) und den Eckthurm der
vorderen Seite bei , und gab dem Schlofs im Wefentlichen die Geftalt,
Avclche es noch jetzt zeigt, mit Ausnahme der Thürme, die durch Lud-
Avicf XIV in Pavillons umgewandelt wurden. Als Architekten lernen wir den
älteren Pierre Chambiges kennen, der als Baumeifter der Stadt Paris
bezeichnet wird; nach ihm trat Guillaunie Guil/am ein, der auch in dem
üädtifchen Amt fein Nachfolger war und mit dem Mauermeifter jfehan
Langlois fich verpflichten mufste, nach den Plänen des erften Meifters zu
verfahren.
Unter allen Schlöffern diefer Zeit ift St. Germain (Fig. 42) dasjenige,
welches am meifben den Charakter des Maffenhaften, Kriegerifchen an fich
trägt, und ohne die grofsen Fenfter der beiden oberen Gefchoffe würde es
einen düftern, feftungsartigen Eindruck machen. Von Gräben, B, urhgeben,
erhebt es fich als unregelmäfsiges Fünfeck, deffen Seiten fämmtlich in einem
fpitzen oder ftumpfen Winkel aneinander ftofsen, um einen nach derfelben
1-^orm angelegten Hof D. Das Aeufsere fteigt zunächft in zwei unter-
licordneten, mit kleinen Fenftern durchbrochenen Gefchoffen aus den um-
gebenden Gräben empor. Diefe Theile gehören noch dem Mittelalter. Der
Haupteingang liegt an der Weftfeite und wurde durch eine Zugbrücke A
vermittelt. Eine andre Brücke führte an der nordöftlichen Ecke in die
ausgedehnten Garten- und Parkanlagen. Vor dem Haupteingang dehnte
fich ein auf drei Seiten mit Wirthfchaftsgebäuden umgebener äufserer Hof
aus. An den äufseren Ecken des weftlichen Flügels find runde Treppen-
thürme angebracht. Drei andere Wendelftiegen liegen im Hofe, zwei davon
in den Ecken des Weftflügels als Zugänge zu dem dort befindlichen grofsen
Saal von 125 Fufs Länge und 35 Fufs Breite, eine dritte in der nord-
') Der Bau wird erwähnt in der Urkunde vom 18. Juni 1532. De Laborde, p. 339:
:»)avons voulu et ordonne autres baftimens et edifices eftre faits en nos chafteaux de Saint
Gcrmain en Laye et pour faire venir une fontaine en chacun de ces dits chafteaux
de Saint Germain, Villiers Cotterets.«
ii8
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
örtlichen Ecke. Aufserdem find mehrere kleinere Wendelftiegen in dem
füdlichen Flügel angebracht, während ungefähr in der Mitte des Nordflügels
eine bequeme Haupttreppe, E, mit gradem Lauf emporführt.
Der Bau ift in vier Gefchoffen durchgeführt, von denen die beiden
unteren geringe Höhe haben, die beiden oberen aber als Hauptgefchoffe
ftattlicher angelegt fmd. Die unter Franz I errichteten Theile (Fig. 43)
Fig. 42 Schlofs S. Germain. (Sauvageot.)
zeigen eine originelle Behandlung, in welcher das decorative Element vor
dem ftrengen Ernft der Conftruction auffallend zurücktritt. Kräftige Strebe-
pfeiler erheben fich bis zum Dach, wo fie mit vafengekrönten Poftamenten,
die durch eine offne Baluftrade verbunden werden, fchliefsen. In dem
zweiten und dem vierten Gefchofs fmd diefe Streben durch Rundbögen
verbunden, fo dafs zwei gewaltige tiefe Mauernifchen entftehen, innerhalb
deren die beiden Fenfterreihen der entfprechenden Stockwerke angeordnet
§ 27. Das Schlofs St. Germain-en-Laye.
119
find. Die Fenfter zeigen fämmtlich den Rundbogen, find bisweilen zu
zweien gekuppelt und haben einen Rahmen von dorifchen Pilaftern, zu
welchem in dem Hauptgefchofs noch ein einfacher antiker Giebel kommt.
Fig. 4;. Aus dem Hofe des Schloires von S. Germain. (Sauvageot.)
Das Hauptgefchofs ift auiserdem mit einer durchbrochenen Baluftrade, die
fich vor den Fenftern als Brüftung hinzieht , verfehen. Diefelbe ftrenge
Pilafter-Architektur ift auch zur Gliederung der Treppenthürme verwendet,
120
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
und noch einfacher find die mit kleinen Bögen verbundenen Pilafter, welche
die Flächen der Strebepfeiler gliedern. Der Ernft diefer Architektur wird da-
durch noch erhöht, dafs die Hauptglieder aus Quadern, die Bogenfüllungen und
felbft die Strebepfeiler in den oberen Gefchoffen aus Ziegeln aufgeführt find.
So fehr diefer Bau durch feine faft düftere Strenge fich von der feft-
lichen Heiterkeit, dem dekorativen Reiz der übrigen Schlöffer diefer Zeit
unterfcheidet, fo hohe Bedeutung hat er gleichwohl in constructiver Hin-
ficht. Er wendet in nachdrücklicher Weife den Gewölbebau an, der in den
untern Gefchoffen, in dem grofsen Saal, den Treppenhäufern und den damit
verbundenen Corridoren und Veftibüls noch ganz in mittelalterlicher Weife
m.it ftarken Rippen und eleganten Schlufsfteinen durchgeführt ifb ; am
■originellfi;en aber in dem ganz gewölbten oberften Stockwerk, deffen Wöl-
bung, wohl das frühefte Beifpiel diefer Art im Norden, unmittelbar die
fleinerne Decke des Gebäudes trägt. Man hat alfo ausnahmsweife auf jede
Art von hölzernem Dach verzichtet, und durch reihenweis übereinander-
gelegte Steinplatten eine flach anfteigende Terraffe gebildet, die auf beiden
Seiten von Baluftraden eingefafst wird. Um fo feltfamer wirken die zahl-
reichen, in ihrer Höhe freilich gemäfsigten Kamine, die über der Terraffe
aufragen. Da du Cerceau verfichert, der König habe fich fo fehr des
Baues angenommen, dafs er geradezu als Baumeifter desfelben bezeichnet
werden müffe , fo darf man ihm vielleicht diefe den fonftigen Sitten feines
Landes entgegenftehende Anlage perfönlich zufchreiben.
Oefhlich von dem Schlöffe begann fpäter Heinrich II die noch jetzt
■durch ihre herrliche Ausficht über die Seine berühmte Terraffe; aufserdem
ein eigenthümliches Gebäude »en maniere de theatre« wie du Cerceau fagt,
deffen Plan ein an den Ecken abgeftumpftes Quadrat mir vier Halbkreifen
an den einzelnen Seiten zeigt, das Ganze ein offner zu theatralifchen Auf-
führungen oder Spielen beftimmter Raum, der durch eine Anzahl von
bedeckten Nebenräumen rechtwinklig abgefchloffen wird.
jr\ den Baufinn Franz' I verkünden, führte der König eine Anzahl anderer
meiftens kleinerer Schlöffer aus, die ebenfalls für die Kunft und die Sitte
der Zeit charakteriftifch find. Wir befprechen nur die bedeutenderen unter
ihnen und beginnen mit La Muette.') Der König liefs dies kleine Jagdfchlofs
mitten im Walde von St. Germain, zwei Meilen von diefem Schlöffe erbauen,
und nannte es La Muette, wie Du Cerceau fagt, »weil es ftill, abgelegen
0 Aufn. bei Du Cerceau, T. I. Vgl. Paluftre II, 43.
§ 28. Das Schlofs La Muette.
121
und rings vom Walde umgeben ift.« Als Architekt wird, wie bei St. Germain,
der ältere Pierre Chambiges^ genannt; der Contract datirt vom 22. März
1541. Es wurde alfo erbaut, um dem Könige mit einigen feiner intimen
Gefährten eine ftille Zuflucht und einen Punkt der Ruhe nach den Freuden
der Jagd zu bieten. Das Gebäude ift in kleinem Maafsftab nach einem
ähnhchen Programm ausgeführt wie das Schlofs Madrid (Fig. 44). Ohne
Hofanlage, bietet es einen faft quadratifchen Mittelbau, auf deffen vier
Ecken thurmartige Pavillons vorfpringen, während fich vor der Mitte der
Rückfeite eine Kapelle mit polygonem Abfchlufs, an der Vorderfeite ein
Treppenhaus mit ähnlichem Polygonfchlufs ausbaut. Der Mittelbau, der
Länge nach getheilt, enthält einerfeits einen Saal mit zwei Kaminen und
, ,
Fig. 44, Schlofs La Muettc. (Nacli Du Cerceau.)
zwei Fenftern, andererfeits zwei geräumige, von einander getrennte, aber
mit dem Saal verbundene Wohnzimmer; in den Eckpavillons liegt jedes
Mal noch ein Wohnzimmer mit befonderer Garderobe und Retraite.
Eine etwas genauere Analyfe des Plans wird zeigen, mit welcher Sorg-
falt der Architekt, ähnlich wie im Schlofs Madrid, die gleichen Bedürfniffe
befriedigt hat. Ueber einem Souterrain, welches die Dienfträume und
Küchen enthielt, erhob fich das Gebäude in drei Hauptgefchoffen. Der
Eingang, zu dem man mittelft einer kleinen Brücke über den auch hier
vorhandenen Graben gelangte, war im Treppenhaufe. Von hier gelangte
man durch einen mäfsig breiten Gang in einen kleinen Vorraum und,
mittelft eines fchrägen Eingangs, in den grofsen Saal. Der Saal hat directe
Verbindung mit den beiden anftofsenden Wohnzimmern, mit der Kapelle
122
Kap. III. Die Renairfance unter Franz I.
und mit den kleinen in den fchrägen Mauermaffen der äufsern Ecken an-
gebrachten Kabineten und Retraiten. Aufserdem fteht er mit zwei balkon-
artigen Galerien in Verbindung. Letztere führen auf kleine Wendeltreppen,
die wieder mit den Eckzimmern in Zufammenhang ftehen. Diefe wieder-
holen fich auch in den beiden andern Eckpavillons und find wie im Schlofs
Madrid fo angeordnet, dafs jedes feine eigne Garderobe, Kabinet und
Stiege hat. Sämmtliche Zimmer und Garderoben find mit Kaminen ver-
fehen und hinreichend beleuchtet. So find alfo die Wohnräume in felbft-
ftändiger Verbindung mit den Treppen und Galerieen, mit dem Saal und
ebenfo unter einander, können aber nach Bedürfnifs auch von einander
getrennt werden. Nur das rechtwinkhge Einfehneiden der Garderoben und
Kabinete in den Raum der Eckzimmer wird man nicht als gelungene Löfung
betrachten können. Die kleinen Galerieen mit ihren Wendeltreppen hatten
um fo mehr Bedeutung für die Communication , als der Mittelbau nur aus
drei Gefchoffen beftand, während die Pavillons deren fechs enthielten, die
nun durch die Wendeltreppen unter einander und durch die Galerieen mit
dem mittleren Saal in Verbindung ftanden. Eine ähnhche Verbindung
findet fich auch am Mittelbau von Chambord, wo immer zwei kleine Etagen
auf eine Hauptetage kommen. Aber auch durch die in doppelten Läufen
emporführende Haupttreppe hingen die einzelnen Stockwerke des Haupt-
baues wie der Pavillons mit einander zufammen.
Was die Conflruction und den äufseren Aufbau betrifft, fo zeigen die-
felben grofse Aehnlichkeit mit denen des Schloffes St. Germain, und Du
Cerceau fagt daher mit Recht: »touchant l'edifice il eft fait fuyuant et
tout ainfi que iceluy de St. Germain, a fgavoir tous les ornements de bric-
que par le dehors.« Das Schlofs war nämlich in feiner Maffe aus Back-
fteinen ausgeführt, mit ftarken Mauern und kräftig vorfpringenden Strebe-
pfeilern, die durch Bögen wie in St. Germain verbunden wurden. In der
Tiefe diefer Bogenumfaffungen lagen die Fenfter, und auf den Bögen ruhten
auch die Galerieen. Diefe äufserfh mafsige Conftruction wurde dadurch
bedingt, dafs wie zu St. Germain auch hier das obere Gefchofs gewölbt
war und ein flaches mit Steinplatten belegtes Terraffendach trug, von wo
man einen reizenden BHck rings über die Wälder genofs. Später führte
ftatt deffen Philibert de l'Orme ein halbrundes Dach auf, welches mit einer
Plattform fchlofs.
§ 28.
Das Schloss Chalvau.
GANZ diefelbe einfach flrenge Architektur wie St. Germain und La
Muette zeigt auch das erft in unferem Jahrhundert (1840) zerftörte
Schlofs Chalvau: Backfteinbau mit kräftig vorfpringenden Pfeilern, die
§ 28. Das Schlofs Chalvau.
123
Fenfter in den Bogenöffnungen zwifchen den Pfeilern vertieft, die Oeffnungen
etwas monoton mit einem dürftigen Pilafterfyftem eingefafst. Wie jene
beiden Schlöffer ift es das Werk des älteren Pierre Chambiges.
Chalvau ') liegt zwifchen Fontainebleau , Montereau und Nemours.
Franz I liefs das Schlofs bauen , wie Du Cerceau fagt , weil es in dem
benachbarten Walde viele Hirfche gab. Später fchenkte er es der Herzogin
von Etampes. Aus ähnlichem Anlafs hervorgegangen, wie La Muette, zeigt
es verwandte Anlage (Fig. 45). Es befteht aus einem rechtwinkligen
Mittelbau ohne Hof, der auf den vier Ecken von Pavillons flankirt wird.
Zu dem Eingang führt eine polygone Freitreppe, über welcher fich auf
Fig. 45. Schlofs Chalvau. Erdgclchofs. (Du Cerce.-iii.)
Pfeilern die Apfis der im oberen Gefchofs liegenden Kapelle erhebt. Dies
ift ein mittelalterlicher Gedanke, den wir in ähnlicher Weife mehrfach, z. B.
beim Schlofs Martainville (S. 63) fanden. Durch ein breites Portal gelangt
man zu einem Veftibül , von wo in der Mitte die Haupttreppe zum oberen
Gefchofs auffteigt, neben welcher fich auf beiden Seiten fchmalere Corri-
dore bilden, die zu den Gemächern des unteren Stockwerks führen. Sie
münden in der Tiefe des Baues auf einen Quergang, der von beiden Enden
fein Licht empfängt und den vorderen Theil des Gebäudes von dem rück-
wärts gelegenen trennt. Vorn fmd auf jeder Seite des Treppenhaufes zwei
^) Aufn. bei Du Cerceau, T. II. Dazu Paluftre I, 164 ff.
124
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
ftattliche, ungefähr quadratifche Zimmer angebracht. Jedes derfelben hat
feinen Zugang vom Corridor, feinen Kamin, eine Verbindungsthür in de-
Zwifchenwand, und ein nach der Seitenfront auf eine Galerie hinausgehende?
Fenfter, zu welchem für die nach vorn hegenden Zimmer ein Fenfter an
der Fagade hinzukommt. Der nach hinten liegende Theil des Mittelbaues
dagegen zerfällt in einen gröfseren Saal und ein mit ihm verbundene?
Zimmer, das nur vom Saale aus feinen Zugang hat, alfo wie ein befonden
refervirtes Kabinet zu betrachten ift. Der Saal hat feinen Zutritt vom
Quergange aus, wird durch zwei Kamine erwärmt und empfängt fein Licht
durch drei Fenfter an der Rückfeite und ein feithches, auf die Galerie
hinausgehendes.
Fig. 46. Schlols Ch;ilvau. Vordere Fafade. (Du Cerceau.)
Diefe Seitengalerieen , auf Bögen mit fchlicht behandelten Pfeilern
ruhend , dienten , um die in den Eckpavillons liegenden Wohnungen mit
dem Mittelbau, namentlich dem Saal, in Verbindung zu fetzen. Jede diefer
Wohnungen hat ein Haupt- und ein Nebenzimmer , beide mit Kaminen,
fodann Garderobe , Retraite und befonderen Zugang durch eine Wendel-
treppe. Es war alfo dasfelbe Programm ausgeführt , welches wir in allen
von Franz I neuerrichteten Gebäuden, in Chambord, Madrid und La Muette
als gemeinfam zu Grunde liegendes erkannten : ein Mittelfaal für die
Gefelligkeit ; um ihn gruppirt und mit ihm verbunden eine gröfsere oder
geringere Anzahl felbftändiger Logis , jedes durch eigene Wendelftiege fo
unabhängig gemacht, dafs fein Bewohner ungefehen aus- und eingehen konnte.
§ 29. Das Schlofs von Villers-Coterets.
125
Die Haupttreppe, welche das hochliegende Erdgefchofs mit den beiden
oberen Stockwerken verband, führte in einem Zuge ohne Abfatz und Ruhe-
punkt, in der ganzen etwa 22 Fufs betragenden Höhe des Erdgefchoffes
zu dem oberen Stockwerk. Diefe Treppe mufs ziemlich mühfam zu fteigen
gewefen fein, ähnlich der noch etwas fpäter entftandenen Haupttreppe des
Louvre, welche den Befuchern der Gemäldegalerie wohl bekannt ift.
Ueber die Architektur des Aeufseren (Fig. 46) ift nur zu fagen, dafs
fie, in der Maffe aus Ziegeln, in den conftructiven GHedern aus Quadern
beftehend, einen überaus fchlichten Eindruck machte. Bezeichnend waren
die in tiefen Bogennifchen liegenden Fenfter. Das Obergefchofs war wie
in St. Germain und La Muette gewölbt und trug , ähnlich wie dort , ein
Terraffendach, das mit Steinplatten eingedeckt war. Nur über der Kapelle^
die fich fchon durch ihre grofsen mit Maafswerk gegliederten Bogenfenfter
charakterifirte, erhob fich ein hohes Dach, das von einer Laterne bekrönt
wurde. Für die Seitenfagaden beftimmten die in zwei Stockwerken wieder-
holten offenen Bogenhallen der Galerieen den Eindruck.
W Compacten, eng Gefchloffenen der Anlage mit St. Germain ver-
gleichen liefsen, fo bietet das Schlofs von Villers-Coterets in feiner
weiten, geftreckten, um mehrere grofse Höfe fich ausdehnenden Gruppirung
einige Verwandtfchaft mit Fontainebleau. ^) Nur dafs hier, wo wenig Altes
beizubehalten war , der Architekt freier , planmäfsiger verfahren , fym-
metrifcher, normaler componiren konnte.
Aus dem Erlafs Franz' I von 18. Juni 1532 wiffen wir, dafs damals,,
neben den Bauten zu Fontainebleau, Boulogne, fowie zu St. Germain und
am Louvre auch in Villers-Coterets gearbeitet wurde. Ausdrücklich wird
fogar hervorgehoben, dafs dort wie zu St. Germain eine Fontainenleitung
bewerkftelligt werden foUe.^) Auch diefes wie die meiften Schlöffer des
jagdliebenden Königs verdankte feinen Urfprung einem benachbarten Walde;
es lag an der Strafse von Paris nach Soiffons , fünf Meilen von letzt-
genannter Stadt, dicht beim Walde von Rets. Als Architekten werden bis
1550 Jacques und Guillmime le Breton bezeichnet, deren Bruder Gilles wir
in Fontainebleau kennen lernten. Später, als unter Heinrich II der Bau
vollendet und namentlich an der weftHchen Seite ein grofser Pavillon hinzu-
gefügt wurde, finden wir Robert Vmiltier und Gilles Ägaffe genannt. Um
S 29.
Das Schloss von Villers-Coterets.
La Muette und Chalvau fich in der Conftruction und felbft dem
\) Aufn. bei Du Cerceau, T. IL Dazu Paluftre i, 122 ff. mit Abb. — ^) De Laborde
P- 339-
126
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
die Mitte des i8. Jahrhunderts wurde das Schlofs durch den Herzog von
Orleans ftark geändert und in der Revolution arg verwüftet. Jetzt dient
€s als «depot de mendicite».
Das Gebäude gehört zu denen, an welchen die moderne Form des
fürftlichen Landfitzes, ohne Graben und Zugbrücke, ohne Thürme und die
anderen mittelalterlichen Elemente, kurz ohne die traditionellen Zuthaten
fich darftellt. Selbft die Treppen liegen nicht mehr als Wendelftiegen in
vorfpringenden Thürmen, fondern fmd gerade anfteigend, nach dem Mufter
der florentinifchen , noch in befcheidener Weife in den Ecken der Höfe
angebracht. Letztere haben auf drei Seiten vorgelegte Säulenarkaden zur
Verbindung der Räume.
Man tritt durch ein fchlichtes Rundbogenportal, über welchem fich
ein Altan auf Confolen erhebt, in den äufseren Hof (baffe cour), der auf
drei Seiten v'on einftöckigen Dienftwohnungen umgeben ift. Säulenportiken,
zu deren erhöhtem Fufsboden in gewiffen Zwifchenräumen einige Treppen-
ftufen führen, umgeben diefen lang geftreckten Hof, der 120 Fufs Breite
bei 300 Fufs Länge mifst. In der Hauptaxe gelangt man dann an ein
zweites Thor, in dem Querbau, der den äufseren von dem inneren Hofe
trennt. Diefer Bau enthält die älteren Theile des Schloffes, welche Franz I
erneuerte und ausbaute. Die Formen find hier felbftverftändlich reicher,
und der Bau zeigt über dem Erdgefchofs, das er mit den Gebäuden des
äufseren Hofes gemein hat, ein oberes Stockwerk, das am ganzen herr-
fchaftlichen Theile durchgeführt ift. Pilafter, die unteren dorifch, die oberen
l^orinthifirend , gliedern die Wandflächen. In der Mitte öffnet fich mit
gedrücktem Bogen das Portal , das in den zweiten Hof führt ; über dem-
felben eine Loggia mit Balkon; darüber am Fries die Lilien und der könig-
liche Namenszug. Das hohe Dach hat fein befonderes Stockwerk und auf
feinem Giebel erhebt fich ein Glockenthurm mit fchlanker Spitze.
Nach diefem Vorgange ift die Architektur der herrfchaftlichen Wohn-
räume, welche den inneren Schlofshof umgeben , nur in etwas einfacherer
Ausführung behandelt. Vor das Erdgefchofs legen fich an den beiden
Schmalfeiten und der rechts vom Eintretenden befindlichen Langfeite Säulen-
hallen, gleich denen des äufseren Hofes durch Architrave verbunden und
unmittelbar wie dort das Pultdach aufnehmend. Diefer innere Hof, 56 Fufs
2U 120 meffend, diente zum Ballfpiel.
An der inneren Eintheilung ift nichts weiter bemerkenswerth, als dafs
•eine Reihe von gröfseren und kleineren Gemächern, in einfacher Flucht
aneinandergereiht, zum Theil durch fchmale Corridore degagirt werden und
mit den Treppen in Verbindung ftehen, deren Anlage fchon berührt wurde.
Aufser den Hauptreppen find indefs noch einige Wendelftiegen in runden
Eckthürmchen zu Hilfe genommen, auch fonft nach aufsen mehrere kleine
§ 30. Schlofs Folembray, genannt der Pavillon.
127
runde Thürme angebracht, um rings den BHck über die Gärten und den
Park zu gewähren. Das Schlofs war nämlich nach allen Seiten von aus-
gedehnten Blumenparterres, Gärten mit Alleen und Gebüfch, endHch von
einem ebenfalls weithin mit Alleen durchfchnittenen Park umgeben. Treppen
führten unmittelbar aus den Zimmern auf mehreren Seiten in die Gärten.
So kann man das Ganze als Mufter eines einfachen, aber behaglichen und
gefchmackvollen vornehmen Landfitzes jener Zeit betrachten.
Big. 47. Schlofs Folembra}'. (Du Cerceau.)
§
ScHLOSS Folembray, genannt der Pavillon.
GLEICH dem letzterwähnten Bau trägt auch das Schlofs von Folembray
das Gepräge einer einfach klaren modernen Anlage (Fig. 47) ohne
mittelalterliche Reminiscenzen. ') Höchftens dafs die fünf Wendeltreppen
mit ihren polygonen Thürmen, die im Hofe vertheilt find, an die alte ein-
heimifche Sitte erinnern. Der Eingang, ein in antiker Weife mit Pilaftern
eingefafster Rundbogen, lag in einem Pavillon A, der von vier runden
Thürmen flankirt wurde. Von hier trat man in einen äufseren unregel-
mäfsig angelegten Hof, welcher einen Saal zum Ballfpiel aufser anderen
Bauhchkeiten enthielt. Von hier gelangte man, nicht wie gewöhnhch in
der Längenaxe fortfchreitend, fondern nach der Linken fich wendend, bei
B in den grofsen inneren Hof C, der die bedeutende Länge von 240 zu
') Du Cerceau, Vol. I.
128
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
140 Fufs Breite mafs. Ohne Arkaden war derfelbe auf allen Seiten von
ftattlich angelegten und wohl verbundenen Wohnräumen in zwei Stock-
werken und einem Dachgefchofs umgeben. Die Fenfter, hoch mit doppelten
Kreuzftäben, zeigten einfache Umrahmung, die Dachfenfter aufserdem anti-
kifirende Giebel. Es ift derfelbe Geift vornehmer Einfachheit und fchlichter
Klarheit, der diefen anziehenden ländlichen Aufenthalt, ähnlich wie das
Schlofs von Villers-Coterets auszeichnet. Mit befonderer Vorliebe war die
nach dem Garten liegende Langfeite" behandelt. In ganzer Ausdehnung
von einer breiten Terraffe begleitet, von welcher Treppen in den Garten
hinabführten, enthielt fie eine Flucht von unmittelbar zufammenhängenden,
aufserdem durch drei Wendeltreppen in Verbindung mit den anderen Stock-
werken gefetzten Sälen und kleineren Zimmern, nicht weniger als zehn im
Ganzen. Den gröfsten Reiz gewann aber die Anlage durch die fchönen
Gärten und Parks, die in bedeutender Ausdehnung das Schlofs umgaben.
Auch diefes Schlofs verdankte feine Entftehung Franz I. Eine halbe
Meile nördlich von Coucy in einer Ebene gelegen, diente es dem König
zum abwechfelnden Aufenthalt, wenn ihm die Mauern in diefer grandiofen
Vefte des Mittelalters zu drückend wurden. In den Bürgerkriegen des
XVI. Jahrhunderts wurde es 1 544 theilweife eingeäfchert, und Du Cerceau
gibt uns in der perfpektivifchen Anficht des Gebäudes das Bild eines halb
in Ruinen Hegenden, dem völligen Untergang entgegenfehenden Baues.
IV. KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I.
B. LANDSITZE DES ADELS.
§ 31.
Das Schloss Nantouillet.
AS Beifpiel eines fo kunftliebenden Königs wirkte
fchnell beftimmend auf Alles ein , was vornehm war
und fich zum Hofe hielt. Noch gegen Ende des
15. Jahrhunderts baute der Adel feine Wohnungen
durchaus nur im gothifchen Stil, und felbft ein Mann
wie Louis de la Tremouille , der Italien genugfam
kannte, fand für feine prächtige Wohnung in Paris
die alte einheimifche Bauweife hinreichend. Sogar
am erften Decennium des 16. Jahrhunderts fahen wir einen Kenner und
Freund der Kunft wie den Kardinal Amboife im Schlofs Gaillon einen Bau
errichten, in welchem die gothifchen Tendenzen noch ftark vorherrfchen.
Aber feit dem Regierungsantritt Franz' I dringt die Renaiffance auch bei
den Landfitzen des Adels mehr und mehr ein, und wir können in einer
Reihe anziehender Werke auch hier den Entwicklungsgang der Architektur
deutlich verfolgen. Bezeichnend aber ift, dafs bei diefen Bauten mehr als
bei den meiften könighchen Schlöffern die Grundzüge der feudalen Burg
beibehalten werden. Je weniger Bedeutung, gegenüber der Macht der
Krone , der Adel fortan als felbftän'diges Element im Staatsleben hatte,
■defto mehr, fo fcheint es, mochten feine Mitglieder in ihren Landfitzen den
Schein des feften Schloffes durch den ringsum angelegten Waffergraben
und die mächtigen Eckthürme behaupten. Es war freilich nur eine Maske,
iinter welcher die Rückficht auf Bequemlichkeit, heitren Schmuck und behag-
lichen Lebensgenufs fich um nichts weniger geltend machte.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. ^
Kap. III. Die Renaiflance unter Franz I.
Wir beginnen mit einem trotz feiner Nähe von Paris bis jetzt wenig-
bekannten Schlofs, deffen treffliche Publikation wir Sauvageot verdanken.')
Es ift das unfern Meaux gelegene Schlofs Nantouillet, der glänzende
Landfitz des Kardinals Du Prat, der aus niedrem Stande fich zu der Würde
eines Kanzlers Franz' I und fpäter felbft eines päpftlichen Legaten auf-
gefchwungen hatte. Der Bau wurde wie es fcheint um 15 19 begonnen; at
einem Fenfter des Erdgefchoffes heft man die Jahrzahl 1521. Das Schlofs,
heute in verwahrloftem Zuftande zu einem Pachthofe herabgewürdigt, trägt
nicht blofs in der Gefammtanlage das Gepräge eines feudalen Herrenhaufes^
fondern zeigt auch in feinen Einzelformen eine ftarke Mifchung gothifcher
Elemente mit den dekorativen Formen der Renaiffance.
Ein Waffergraben, jetzt ausgefüllt und mit Gebüfch bepflanzt, umgiebt
die hohe Umfaffungsmauer, die ein Rechteck von ca. 260 Fufs Breite bei
230 Fufs Tiefe bildet. Auf den vier Ecken find ganz nach mittelalterlicher
Weife runde Thürme von 32 Fufs Durchmeffer angeordnet. An der Rück-
feite fchliefst fich ein Gartenparterre an , welches der ehemalige Graben
mit umzieht. Auch an feinen beiden nach aufsen gelegenen Ecken find
zwei kleinere runde Thürme pavillonartig errichtet. Der Eingang in den
Schlofshof liegt nicht , wie man erwarten follte , in der Axe , fondern an
der rechten Ecke der vorderen Seite, dicht flankirt von dem dort befind-
lichen Thurme, ganz nach den Regeln alter Vertheidigungskunft die rechte
unbefchützte Seite des Heranziehenden bedrohend , als hätten bei den
Anlagen diefer Zeit noch Rückfichten auf ernfbliche Abwehr von An-
griffen gegolten. Das Portal befteht aus einem grofsen rundbogigen
Thorweg, neben welchem eine fchmale Pforte für Fufsgänger in her-
kömmhcher Weife angeordnet ift. Hier fällt fofort die wunderliche Ver-
mifchung der beiden Bauftile ins Auge : das untere Gefchofs zeigt ausfchliefs-
lich die Formen der Renaiffance, Rahmenpilafher von fchweren Verhältniffen,
mit eleganten Kapitälen und fonftiger zierlicher Dekoration; das obere
Gefchofs, an welchem man die grofsen Mauerfalze für die Ketten der Zug-
brücke bemerkt, hat drei elegante baldachingekrönte Nifchen für Statuen,,
zwifchen welchen über der Einfahrt eine viel höhere und reichere Nifche
mit der Statue eines fitzenden Juppiter — ein paffender Schutzheiliger für
einen Kirchenfürften der damaligen Zeit — angeordnet ift. Diefe Nifchen
mit ihren hohen durchbrochenen Baldachinen find gothifch gedacht, aber
der mittelalterliche Gedanke ift mit den zierlichften Renaiffanceformen aus-
gedrückt.
Tritt man in den Hof, fo gelangt man zwifchen den neueren Oekonomie-
gebäuden hindurch zu dem Kern der alten Anlage. Das Schlofs befteht
0 Sauvageot, Palais, Tom. III, p. 25 ff. mit 13 Tafeln. Vgl. dazu Paluftre I, 154 ff.
mit trefflichen Abbildungen.
§ 3I- Das Schlofs Nantouillet.
aus einem Hauptflügel, der den Eingang und die Treppe enthält und fich
an die Umfaffungsmauer der Rückfeite anfchliefst; aufserdem aus zwei
Fig. 48. Schlofs Nantouillet. (Sauvageot.)
Seitenflügeln, von denen der links gelegene eine fchön ausgebildete Treppe
für die Dienerfchaft enthält. Auf den beiden äufseren Ecken flnd wieder
132
Kap. IV. Die Renaiflance unter Franz I.
runde Thürme angebracht , die indefs nur 9 Fufs im Lichten meffen. Sie
gewähren als Erker für die Eckzimmer den AusbHck in den Garten. Der
rechts gelegene enthält aufserdem in einem niedrigen Parterregefchofs das
Badekabinet des Kardinals, welches die heutigen Bewohner als »Gefängnifs«
bezeichnen. Eine von aufsen fichtbare Wendeltreppe führt aus den Wohn-
zimmern zu ihm hinab.
Der intereffantefte Theil des Baues ift die Treppe. In der Axe des Haupt-
flügels angelegt, bietet fie für Frankreich eins der früheften, vielleicht geradezu
das erfte Beifpiel einer Treppe mit geradem Lauf, die ins Innere des Baues
hineingezogen ift, während die meiften Treppen der damaligen franzöfifchen
Schlöffer, wie wir fahen, in vorfpringenden Thürmen angelegte Wendel-
ftiegen find. Den Eingang vom Hofe bildet ein niedriges Portal , mit
abgerundetem Sturz, von gothifchen Dienften und Hohlkehlen eingefafst,
aber mit delikat ausgeführten Renaiffance-Arabesken gefchmückt. Zugleich
führt aber auch an der entgegengefetzten Gartenfeite eine doppelte
Rampentreppe zu einem zweiten Portal, das von einer Vorhalle auf
fchlanken, im Sinne des Mittelalters componirten Säulen überdacht wird.
Diefe Säulen (Fig. 48) tragen die kleine polygone Kapelle des Schloffes,
die alfo hier wie fo oft damals in Frankreich über dem Portal auf Säulen
hinausgebaut ift. Ein Corridor, unter dem zweiten Stiegenlauf liegend,
führt von diefem Gartenportal zu der Treppe. Diefe ift ein Meifterftück
eleganter Architektur; mit verfchieden componirten gothifchen Stern- und
Netzgewölben bedeckt , zeigt fie an den frei fchwebenden , durchbrochen
gearbeiteten Schlufsfteinen , an dem reichen Maafswerke , das die Rippen
umfpielt, endlich an den Confolen und eleganten Renaiffance-Nifchen der
Wandpfeiler die ganze dekorative Pracht diefer Epoche. Hier fieht man
auch die kecke Devife des ehrgeizigen Kardinals: » HE VRT ANT A POINT.«
Die Kapelle mit ihren Netzgewölben und Fifchblafenfenftern ift klein, fteht
aber durch eine gefchmackvolle hölzerne Gitterthür fo mit dem Treppen-
haus in Verbindung, dafs diefes nöthigen Falls den Begleitern des Schlofs-
herrn zur Anhörung der Meffe dienen konnte. Der prächtig gefchnitzte
Stuhl des Kardinals ift noch vorhanden.
Von der Innern Ausftattung fieht man Nichts mehr als den reichen
Kamin in dem Saale des Erdgefchoffes, der links vom Hofeingange neben
der Treppe liegt. Der Salamander Franz' I, den man an mehreren Stellen
antrifft, ift ein weiteres Beglaubigungszeichen für die Entftehungszeit des
anziehenden Baues. Noch fei der eleganten teppichartigen Mufter gedacht,
welche in der Form von Sternen, Lilien und dergleichen mit mannigfaltiger
Zeichnung die Mauerflächen beleben. Sie find in flacher Vertiefung aus
dem Stein herausgemeifselt. Beachtenswerth ift endlich auch, dafs der
ganze Bau kein ausgefprochenes Dachgefchofs befitzt.
§32. Das Schlofs Chenonceau.
1 Chenonceau das Bild eines noch völHg erhaltenen Denkmals diefer
bauluftigen Zeit. Wenige Meilen von Blois , auf einer Brücke über dem
Flufs eher errichtet, wurde es feit 151 5 durch Thomas Bovier, Finanz.-
intendanten der Normandie, bis zu feinem Tode 1523 in den Haupttheilen
vollendet.^) Aber fchon fein Sohn verkaufte das Schlofs an Franz I, der
ebenfalls Arbeiten daran ausführen hefs.^) Noch jetzt fieht man an dem Bau
mehrfach gemalt und gemeifselt die Wappen des erften Befitzers und feiner
Gemahlin und den Spruch: »SIL VIENT A POINT ME SAUWIENDRA.«
Heinrich II fchenkte es der Diana von Poitiers, welche um 1555 die fchon
vom erften Erbauer beabfichtigte Brücke über den Cher ausführen liefs.
Nach dem Tode des Königs zwang Katharina von Medicis die verhafste
Maitreffe, es ihr gegen das Schlofs Chaumont abzutreten. Es wurde ein
Liebhngsfitz der Königin , die dem alten Bau grofsartige Zufätze hinzu-
zufügen begann. 3) Zwei rechteckige Flügel, die das Schlofs von der Rück-
feite einfafsten, follten fammt der zwifchen ihnen gelegenen Brücke die Ver-
bindung mit einem grofsartigen Hofe vermitteln. Nach den Zeichnungen
bei Du Cerceau follte der Hof auf beiden Seiten zu einem Halbrund, ganz
mit Arkaden eingefafst, fich erweitern und mit einer zweiten Brücke auf
einen weiten trapezförmig angelegten äufsern Hof münden, der auf drei
^) L. de la Sauffaye, Blois et ses environs, p. 297. — ^) De Laborde, la ren. des arts
I, p. 340 in dem Erlafs vom 22. Januar 1535. — ■3) Aufnahmen bei Du Cerceau, Vol. II.
Einzelheiten in Berty, ren. monum. Vol. I und Rouyer et Darcel, l'art. archit. V. I, pl. 4.
Vgl. auch Victor Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. Paris 1860. Fol. (Sammlung litho-
graphirter malerifcher Anflehten.)
Fig. 49. Schlofs Chenonceau. (Du Cerceau.)
134
Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I.
Seiten von Gebäuden umfchloffen war und in der Mitte der Hauptaxe ein
grofsartiges Portal mit dreifchiffiger Eingangshalle zeigt.
Wir fehen von diefen Entwürfen ab und befchränken uns auf die in
Franz' I Zeit ausgeführten Theile. Das Gebäude (Fig. 49) bildet ungefähr
eine quadratifche Maffe, ähnlich den Schlöffern La Muette und Chalvau,
nur mit ftärkeren Anklängen an das Mittelalter, da auf den vier Ecken
runde Erkerthürme auf Kragfteinen vorfpringen und an der öftHchen Seite
eine polygen gefchloffene Kapelle und ein viereckiger Pavillon mit einem
Fig. 50. Schlofs Chenonceau. (Baldinger nach Phot.)
ebenfalls polygonen kleineren Raum, der Bibliothek, herausgebaut fmd.^)
Den Zugang gewinnt man über eine lange Brücke, deren Eingang in mittel-
alterlicher Weife durch runde Thürme vertheidigt wird. Das Gebäude
felbft hat in der Mitte der Länge nach einen breiten Corridor. Von ihm
gelangt man links in einen Saal und ein geräumiges Nebenzimmer^ beide
auf den Ecken durch einen runden Erker erweitert. Mit dem Saal fteht
die Kapelle, mit dem Nebenzimmer der fchon erwähnte Pavillon fammt der
Bibliothek in Verbindung. Zwifchen beiden Räumen ift aufserdem eine
Die Decke der Bibliothek in Rouyer und Darcel, a. a. O.
§ 3S- Das Schlofs von Bury.
135
Communication durch einen Gang und eine Wendeltreppe. Auf der andern
Seite gelangt man vom mittleren Corridor in zwei quadratifche Wohnräume,
zwifchen welchen die Haupttreppe in geradem Lauf bis zu einem Podeft
»und von dort in umgekehrter Richtung bis ins obere Gefchofs führt.
Kleinere Nebentreppen find an beiden Endpunkten des mittleren Corridors
angebracht. Die Anordnung des Erdgefchoffes wiederholt fich im oberen
Stockwerk.
Die Architektur des Aeufsern (Fig. 50) zeigt die hoben Dächer mit
ihren noch mittelalterlich entworfenen, aber in Renaiffanceformen durchge-
führten Fenftergiebeln und den maffenhaften Kaminen , die gedrückten
Korbbögen des Portals und der über demfelben angebrachten Loggia, die
durch vorgekragte Altane fich nach aufsen öfinet, endlich die fpät-
gothifchen Formen der Kapelle: alles Elemente aus der Frühzeit der fran-
zöfifchen Renaiffance. Die Fenfter mit ihrem abgerundeten Sturz werden
von Pilaftern eingefchloffen und paarweife durch derb behandelte Hermen
verbunden. Der Reiz der Lage mitten auf dem ftrömenden Waffer, um-
geben von prächtigen Baumgruppen und Gärten, ift von feltener Anmuth.
Das Innere erhält aber noch höheren Werth durch die faft voUftändige
Erhaltung der alten Ausftattung mit ihrem reichen plaftifchen und male-
rifchen Schmuck.
§ 33.
Das Schloss von Bury.
Zu den grofsartigften Schlofsanlagen aus der Frühzeit Franz' I gehörte
Bury. Zwei Meilen von Blois in dem anmuthigen Waldthale der
Ciffe gelegen, dicht am Rande des Waldes von Blois, erregt es noch jetzt
durch feine mächtigen Ruinen die Bewunderung. An der Stelle einer in
den Kriegen unter Karl VI und Karl VII zerftörten Burg wurde es feit
151 5 durch Florimond Robertet, Minifter und Staatsfekretair des Königs,
neu erbaut.') Im Anfang des 17. Jahrhunderts beim Ausfterben der
Familie in andere Hände gelangt, gerieth es unter den neuen Befitzern
bald in Verfall und wurde von denfelben fogar feiner Ausftattung beraubt
und theilweife zerftört, um das ihnen ebenfalls gehörende Schlofs von On-
zain herzuftellen und zu fchmücken. Einmal preisgegeben, fank es immer
tiefer, wurde von den Bewohnern der Umgegend als Steinbruch benützt,
und ift jetzt nur noch als gewaltige Ruine der Schauplatz für die Phantafie-
gebilde der Volksfage, die feine Trümmer zum Sitz des wilden Jägers und
der weifsen Dame gemacht hat.
^) L. de la Sauffaye, Blois et fes environs, p. 237.
136
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
Von der Anlage des Ganzen haben wir nach Du Cerceau') in § i r
mit Hinzufügung des Grundriffes ein Bild entworfen. Wir geben nach der-
felben Quelle eine perfpectivifche Anficht unter Figur 51, aus welcher die
Verbindung mittelalterhcher Anlage und moderner Ausftattung erfichtlich
wird. Der Waffergraben mit feiner von Thürmen vertheidigten Zugbrücke,
die vier runden Eckthürme, zu denen noch zwei am Ende des Gartens hin-
zukommen, gehören der feudalen Burg des Mittelalters; aber die Einthei-
Fig. 51. Schlofs Biir}'. (Du Cerceau und V.-le-Duc.)
lung der inneren Räume zeigt uns die Gewohnheiten einer neuen Zeit. Die
Thürme, anflatt der Vertheidigung zu dienen, enthalten in jedem Stock-
werk ein geräumiges Zimmer nebft Garderobe, nach aufsen durch grofse
Fenfter mit Kreuzftäben fich öffnend. Auch die Treppen fmd nicht mehr
als Wendelftiegen in vorfpringenden Treppenhäufern angelegt, fondern in
den Bau hineingezogen, Ebenfo gehören die ftattlichen Arkaden auf der
Eingangsfeite, die regelmäfsige Anlage des Hofes, der ein Quadrat von
') Les plus excellens baftim. V. II.
§35- Das Schlofs Le Verger.
150 Fufs bildete, und die 140 Fufs lange, 24 Fufs breite prachtvolle Galerie,
welche den rechten Flügel einnahm, der neuen Zeit an. Der Renaiffance
entftammt auch die ganze Dekoration mit regelmäfsigen Pilafterfyfbemen in
zwei Gefchoffen und den reich bekrönten Dachfenftern , welche an die
fpielenden Formen von Blois und Chenonceau erinnern.
Unter dem reichen Schmuck, der das Schlofs auszeichnete, werden
noch im 17. Jahrhundert prächtige Marmorbüften hervorgehoben. Bei Du
Cerceau und danach in unferer Abbildung ficht man in der Mitte des Hofes
auf einer Säule eine fchlanke jugendliche Geftalt. Es unterliegt keinem
Zweifel, dafs diefe Figur der gänzlich verfchollene bronzene David Michel-
angelo's war, welchen diefer im Auftrage der Signoria von Florenz urfprüng-
lich für Pierre de Rohan, Marfchall von Gie, giefsen foUte,') und die der
Nachfolger desfelben in der Gunft des Königs, Florimond Robertet, erhielt
und im Hof feines Schloffes Bury aufftellen liefs. In Reifebefchreibungen
des 17. Jahrhunderts wird ausdrücklich ein »Erzbild des Königs David« im
Schlofshofe von Bury erwähnt, welches von Rom hergebracht fei und von
den Kennern fehr hoch gefchätzt werde. ^) Aber fchon in den Stichen von
Ifrael Sylveftre fieht man an Stelle des David einen Springbrunnen. Wahr-
fcheinlich war der David ebenfalls nach dem Schlöffe Onzain gebracht, wo
er dann fpurlos verfchollen ift.
§ 34.
Das Schloss Le Verger.
IN ähnlicher Weife wie zu Bury beherrfchen die Ueberlieferungen des
Mittelalters, verbunden mit den Bauideen der neuen Zeit , die Anlage
des nicht minder grofsartigen Schloffes Le Verger im Anjou, der ehe-
mahgen Wohnung des Prinzen von Rohan-Guemene.^) Auch hier flankiren
gewaltige runde Thürme mit Zinnenkranz und Machicoulis den Bau, einer
auf den Ecken der Flügel, welche den grofsen äufseren Hof umgeben ; zwei
andre aufserdem an den Ecken der herrfchaftlichen Wohnung, die den eben-
falls rechtwinkligen innern Hof einfchliefst. Ein Waffergraben umzog nicht
blofs die ganze Anlage, fondern trennte auch den äufseren Hof von dem
eigentlichen Schlöffe. Aber in der rechtwinkeligen und fymmetrifchen An-
ordnung des Planes fprach fich auch hier die Tendenz auf klare Regel-
mäfsigkeit aus , welche mit der Renaiffance eindrang. Eine Zugbrücke
führte zu dem von zwei runden Thürmen flankirten Haupteingang, der mit
Vgl. M. de Reifet im Athenäum vom Jahr 1853. — So in Jodocus Sincerus,
Itinerarium Galliae 1649: «In medio areae, columnae impofita eft imago regis Davidis
aenea, magni pretii aeftimata : quae Roma jam fere ante faeculum eo translata traditur.» (Die
Verwechfekmg von Florenz und Rom kann nicht befremden.) Citat bei L. de la Sauffaye,
a. a. O. — 3) Vgl. Viollet-le-Duc, Dictionn. III 180 ff.
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
grofsem Rundbogen und Giebelfeld die Geftalt eines antiken Triumphbogens
nachahmt. Dagegen ift der zweite Eingang, der, gleich dem erften in der
Hauptaxe liegend, den Zutritt zum inneren Hofe gewährt, nach franzöfifcher
Sitte aus einer im gedrückten Bogen gewölbten Einfahrt und daneben
liegenden engen Pforte für Fufsgänger gebildet. Auch fehlt über derfelben
die beliebte Bogennifche mit dem Reiterbilde nicht, und die Krönung besteht
aus einem fteilen, von ausgekragten Thürmcheri eingefafsten und mit hohen
Dachfenftern verfehenen Pavillon. Die Dachfenfter zeigen am ganzen Bau
noch überwiegend mittelalterhche Form. So kreuzen fich auch hier die
nationalen Ueberlieferungen mit fremden Einflüffen.
§ 35-
Das Schloss Varengeville.
DENSELBEN frifchen Charakter diefer Uebergangsepoche zeigen die Ueber-
refte des Schloffes Varengeville bei Dieppe, das zu den inter-
effanteften Denkmälern jener Zeit gehört.') Ein durch feinen Reichthum
und feine weiten Seefahrten, nicht minder durch feine Kunftliebe berühmter
Rheder jener Stadt, Jean Ango, liefs fich diefen prächtigen Landfitz erbauen,
nachdem er vorher in Dieppe felbft fein Wohnhaus mit reich gefchnitzter
Holzfagade neu aufgeführt hatte. Um 1532 konnte er Franz I mit fürft-
licher Opulenz in feinem Schlofs aufnehmen und bewirthen. Gleich Nan-
touillet ift auch diefes Prachtftück der Frührenaiffance jetzt halb verwüftet
und zu einem Pachthof herabgefunken. Aber noch zeigen die Hofifagaden
den Glanz und die Zierlichkeit des urfprünglichen Werkes. In der Ecke,
wo beide Flügel zufammenftofsen, erhebt fich ein polygoner Treppenthurm,
wie meift an diefen Schlöffern; aber originell und fonft kaum irgendwo in
diefer Epoche nachzuweifen ift die grofse. Freitreppe des Hofes, die mit
doppelten Rampen zu einer grofsen Halle im Erdgefchofs emporführt,
welche über einer hohen Brüftungsmauer fich mit mächtigen , auf vier
ftämmigen Säulen ruhenden Bögen einladend gegen den Hof öfifnet. Auch
der andere Flügel zeigt eine folche Halle, gleich jener nicht fowohl als
Arkade, fondern mehr als ofifne Loggia aufzufaffen. Die Säulen erinnern
durch ihre derben Verhältniffe und die Kapitäle an gothifche Bauweife;
dagegen zeigen die Bögen antike Profilirungen und rautenförmige Caffetten,
vermifcht mit gothifchem Stabwerk.
Im Erdgefchofs fieht man kleine Rundbogenfenfter, mit Pilaftern, Ge-
bälk und Giebeln nach Art der Renaiffance eingefafst. Dagegen haben
die Fenfter des Hauptgefchoffes geraden Sturz, Kreuzftäbe und eine Um-
rahmung mit römifchen Pilaftern. Ein Fries mit Medaillonköpfen, ab-
^) Taylor et Kodier, Voyages dans l'ancienne France. Normandie T. II, pl. 96—98.
§36. Das Schlofs von Chantilly.
139
•wechfelnd in Rautenfelder oder in runde Lorbeerkränze eingefafst, zieht fich
zwifchen beiden Stockwerken hin. Ganz wie in Nantouillet ift auch hier auf
Anlage eines Dachgefchoffes verzichtet. Die gröfste Pracht der Dekoration
-entfaltet fich an der Rampentreppe, deren Stirnwand von köftlichen Ara-
besken , Pilaftern mit graziöfen Ornamenten und Reliefmedaillons ganz
bekleidet ift.
§ 36.
Das Schloss von Chantilly.
IN feiner Schilderung der Thelemiten-Abtei nennt Rabelais diefe Phantafie-
fchöpfung »prächtiger als Bonnivet, Chambord oder auch Chantilly.«
Zu feiner Zeit gehörte alfo das letzgenannte Schlofs unter die anfehnlichften,
die man in Frankreich kannte. Wir fuchen aus Du Cerceau's Aufnahmen
eine Anfchauung der Anlage zu gewinnen.
Die Lage des Schloffes (Fig. 52), nahe bei Senlis , an einem Neben-
flufs der Oife, hatte Veranlaffung zu ausgedehnten Wafferbaffnis gegeben,
welche nicht blofs mit den herkömmlichen Gräben, fondern aufserdem
mit grofsen Teichen die umfangreiche Gebäudegruppe umfchloffen. Von
der Landftrafse gelangte man mittelft einer langen Brücke A über einen
diefer breiten Wafferarme , der das Ganze umgab , in den rechtwinklig
angelegten, von Dienftlokalen eingefafsten äufseren Hof B, der durch den
Saal C mit einem Gartenparterre D verbunden war. Wie eine lang ge-
ftreckte Infel liegen diefe beiden zufammengehörenden Theile da. Als
zweite Infd, rings in gleicher Weife von Waffergräben umfchloffen, erhebt
fich daneben die herrfchaftliche Wohnung, die fich in Form eines Dreiecks
um einen dreifeitigen Hof gruppirt. Wir finden alfo hier, ohne Frage
bedingt durch die Befchaffenheit des Ortes, eine völlig unregelmäfsige
Anlage, nach Art des Mittelalters. Der feudale Eindruck wird aber noch
verftärkt dadurch, dafs nicht blofs auf den Ecken fich drei runde Thürme
mit Zinnenkranz, Machicoulis und hohen Dächern erheben, fondern dafs
ungefähr in der Mitte zweier Seiten des Dreiecks ein baftionartiger halb-
runder Thurm vorfpringt, und zwei ähnliche Bollwerke an der dritten Seite
den Zugang über die äufsere Zugbrücke M vertheidigen. Hier ift alfo der
feudale Charakter nachdrücklicher als an irgend einem anderen Schlöffe
der Zeit betont. Das ganze innere Schlofs fteht auf einem Felsboden,
deffen Plateau fich gegen 10 Fufs über den Boden des äufseren Hofes
erhebt. Man mufste daher aus diefem mittelft einer Treppe E auf die
Brücke hinauffteigen, die zum herrfchaftlichen Wohngebäude führt. Ebenfo
gelangte man von diefem durch eine zweite Treppe in den gleichfalls
») Du Cerceau, T. II. Vgl. dazu Paluftre I, 77 mit Abb.
I40
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
niedriger gelegenen Garten. Endlich find unter dem ganzen herrfchaft-
lichen Bau gewölbte Keller in gewaltiger Ausdehnung und in zwei Stock-
werken über einander aus dem Felsgrund gehauen, eine Anlage, die nach
du Cerceau »eher einem Labyrinth als einem Keller zu vergleichen.«
Fig. 52. Schlofs Chantilly. (Du Cerceau)
Damit war aber die grofsartige Anlage nicht abgefchloffen. Sie dehnte
fich vielmehr nach zwei Seiten noch bedeutend aus; denn von der Haupt-
fagade über die mit Thürmen flankirte Brücke J gelangt man bei M zu
einer grofsen, ebenfalls erhöht liegenden Terraffe, die in einem Rechteck
von circa 300 zu 200 Fufs, von Mauern umfchloffen, fich vor der Haupt-
36. Das Schlofs zu Chantilly.
141
front des Schloffes in ganzer Länge ausdehnt. Von ihr kommt man
fodann in die weiten Parkanlagen mit ihren prächtigen Alleen und Baum-
gruppen. An der entgegengefetzten Seite aber, wenn man von dem Garten-
parterre D mittelft einer Brücke über den äufseren Waffergraben ging, kam
man an einen noch viel ausgedehnteren Garten, der ein Quadrat von circa
350 Fufs bildete und an der einen Seite von einer erhöhten offenen Loggia
eingefchloffen war. Neben diefem Garten war der unregelmäfsige geräumige
Wirthfchaftshof mit feinen ausgedehnten Baulichkeiten angebracht, fo dafs
•das Schlofs nicht weniger als drei Höfe befafs.
Fig. 53. Aus dem Hofe zu Chantilly. (Du Cerceau.)
Kehren wir nun zu dem inneren Schlofs zurück, um feine Anlage zu
prüfen. Die Hauptfront bildet die längere Kathete des Dreiecks. Hier
gelangt man durch den die Mitte einnehmenden, von Thürmen vertheidig-
ten Eingang J in die herrfchaftlichen Wohnräume, die nach der Sitte der
Zeit aus einer Reihe gröfserer und kleinerer Zimmer beftehen. Vom Hofe
G führt eine ftattHche Freitreppe K mit zwei Rampen zu dem hochliegen-
den Erdgefchofs und von da zu einer Treppe, die in geradem Lauf, aber
nach dem erften Podeft mit rechtwinkliger Wendung, das obere Stockwerk
142
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
erreicht. Trotz der Harken mittelalterlichen Reminiscenzen ift die Treppen-
anlage alfo völlig modern, und in dem ganzen Schlofsbau kommt keine
bedeutendere Wendelftiege vor. Die andre rechtwinklige Seite des Baues
fchliefst fich an den Hauptbau mit einem grofsen Saal L, zu welchem eine-
befondere Freitreppe vom Hofe führt. An ihn lehnen fich, die ftumpfe
unregelmäfsige Ecke des Dreiecks füllend, untergeordnete Räumlichkeiten,
Die dritte Seite, die Hypotenufe, wird nur zum Theil von Gebäuden, zum'
Theil von einer Befeftigungsmauer umfchloffen, aus welcher ein Thurm zur
Vertheidigung der zweiten Brücke vorfpringt. Hier liegt als felbftändiger
kleiner Bau die gothifche Kapelle H mit polygonem Chor.
Diefs die Anlage des mächtigen Baues, die zum Theil aus dem Mittel-
alter ftammt, aber im i6. Jahrhundert mit aufserordentlicher Pracht erneuert
und umgeftaltet wurde. Indefs laffen fich nach Du Cerceaus Zeichnungen,
abgefehen von den mittelalterlichen Reften , zwei Epochen deutlich unter-
fcheiden. Die erfte, welche den gröfsten Theil des eigentlichen Schloffes,.
der herrfchaftlichen Wohnung umfafst, weift unverkennbar auf die Frühzeit
Franz' I; die zweite, welcher die regelmäfsige Anlage des äufseren Hofes,
und der dort befindlichen Dienfträume zuzufchreiben ift, fteht entfchieden,
am Ausgange diefer Epoche oder vielmehr fchon in der Zeit Heinrichs II.
Die gröfste Pracht entfaltet fich an den Bauten der Frühzeit, namentlich
an der Hoffeite der herrfchaftlichen Wohnung, die zu den eleganteften und
reichften Werken diefer Zeit gehört (Fig. 53). Die grofsen Fenfter mit
ihren Steinkreuzen, in beiden Gefchoffen von korinthifchen Pilaftern ein-
gefafst, die reich gekrönten Dachfenfler, die mit den zierlichften ihrer Art
wetteifern, der glänzende, als offene Halle angelegte Vorbau der Freitreppe,,,
deffen Dach mit Statuen gefchmückt und mit einer fchlanken Spitze gekrönt
ift, die prachtvolle offene Halle, mit welcher der galerieartige Saal fich
gegen den Hof öffnet, und deffen Wände wie der eben erwähnte Vorbau
mit korinthifchen Halbfäulen gegliedert find, endlich der kleine Pavillon in
der einfpringenden Ecke, der ebenfalls eine Treppe enthält und mit einem
achteckigen Oberbau und runder Laterne abfchhefst, das Alles bietet ein
Ganzes von höchfter Opulenz. Dazu kommen die Medaillons mit Bruft-
bildern, die wappenhaltenden fchwebenden Genien an den Fenfterbrüftungen,.
die Vafen und Statuen, die überall zur Krönung felbftändiger Theile ver-
wendet find, kurz alle Elemente der Dekoration, welche jene prachtHebende
Zeit zur Verwendung brachte. Selbft die Kapelle, im Wefentlichen wohl
noch ein frühgothifcher Bau, zeigt ein Portal, in welchem die Elemente
des Flamboyant mit denen der Renaiffance fich üppig mifchen. Dem
Mittelalter dagegen gehören offenbar die ihr benachbarten Baulichkeiten an..
Mit Recht fagt daher Du Cerceau von dem herrfchaftlichen Wohn-
gebäude: »II ne tient parfaictement de l'art antique ne moderne, mais des.
§ 37- Das Schlofs zu Chantilly. I43,
deux meslez enfemble.« Dagegen heifst es von den Gebäuden des vorderen
Hofes: »Les faces des baftiments eftans en icelle tant dans la court que:
dehors, fuivent l'art antique, bien conduicts et accouftrez.« In der That:
tritt bei diefen Theilen jene Vereinfachung der Formen ein , welche der
Fig. 54. Schlofs Chantilly. Pavillon aus Heinrichs II Zeit. (Du Cerceaii.)
ftrengeren Beobachtung der Antike zuzufchreiben ift. Die Gebäude befteher*'
faft ohne Ausnahme aus einem Erdgefchofs , deffen grofse Fenfter mit
Bogengiebehi dekorirt find. Darüber erhebt fich ein oberes Stockwerk,
deffen Fenfter zum Theil rechtwinklig, zum Theil rundbogig gefchloffen,.
144
Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I.
aber fämmtlich mit antikifirenden Giebeln gekrönt werden. Sie ragen aber
nach einer damals beginnenden Sitte in das Dach hinein. Intereffant ift
nun, dafs an hervorragenden Stellen, befonders bei den Eckpavillons, eine
einzige koloffale korinthifche Pilafterordnung die Wände bekleidet (Fig. 54),
■ein Gebrauch, der dem Streben entfprang, aus den gehäuften kleinlichen
. Pilafterftellungen der früheren Epoche zu grofsartigeren, einfacheren Formen
zu gelangen. Ein Uebelftand war freilich im vorhegenden Falle, dafs die
•oberen Fenfter rückfichtslos das Gebälk fammt Fries und Dachgehmfe
durchfchneiden. Vielleicht das frühefte Beifpiel diefer bedenklichen An-
ordnung. An dem grofsen galerieartigen Saale, der diefen Hof von dem
kleinen Gartenparterre trennt, tritt ftatt der unteren Fenfterreihe eine offne
Arkade auf Pfeilern ein, die mit korinthifchen Pilaftern dekorirt find.
§ 37.
Das Schloss von Chateaudun.
DIE Touraine hat unter allen Provinzen Frankreichs den gröfsten Reich-
thum an Denkmälern diefer Zeit aufzuweifen, und das Flufsgebiet der
Loire, diefer lachende Garten mitten im Herzen des Landes, von Angers
bis hinauf nach Orleans, ift für Frankreich beinahe das, was Toscana für
Itahen, ebenfo wie fich die Normandie in der überfchwänglichen dekorativen
Phantaftik ihrer Werke mit Oberitalien vergleichen läfst. Die Touraine
war damals der bevorzugte Sitz des Hofes; kein Wunder daher, dafs fich
neben den drei grofsen königlichen Schlöffern Amboife, Blois und Chambord
•eine Reihe von Landfitzen des hohen Adels erhoben, die an künftlerifchem
Glanz der Ausführung miteinander wetteiferten. Chenonceau, Bury, Le
Verger, die wir fchon kennen, gehören in diefe Zahl. Andere ftehen ihnen
würdig zur Seite. Wir beginnen mit dem Schlofs der alten Grafen von
Dunois zu Chateaudun, kürzlich noch Wohnfitz des durch feine hohe
Kunfl;liebe berühmten Herzogs von Luynes. In dem freundlichen Thal
•des Loir, eines Nebenfluffes der Loire, fechs Meilen von Orleans gelegen,
■erfuhr das Schlofs zu Anfang des 16. Jahrhunderts (1502 — 32) eine glänzende
Erneuerung, ohne indefs vollendet zu werden. ^) Das Aeufsere diefer Theile
gehört noch faft ausfchhefslich dem gothifchen Stile, namenthch die pracht-
volle Maafswerkgarnitur, welche in luftiger Durchbrechung das Hauptgefimfe
begleitet. Doch zeigen die Confolen des letztern, die Pilafter und Giebel-
krönungen der Fenfber den Einflufs der Renaiffance. Was aber dem Schlofs
feinen claffifchen Werth unter fo vielen gleichzeitigen Monumenten verleiht,
ift das Stiegenhaus, welches an Grofsartigkeit und Reichthum feines
Victor Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. Dazu die treffliche Darftellung in
■den Chateaux hiftoriques III, i ff.
§37- Das Schlofs von Chateaudun.
145
Gleichen fucht. Nicht wie die Haupttreppe von Blois aus der Baulinie
vorfpringend, nicht wie die mittlere Treppe von Chambord zu einem felb-
iftändig ifolirten Baukörper entwickelt, ift die Treppe von Chateaudun in
■den Bau hineingezogen , innerhalb desfelben aber zu einem unabhängigen
Prachtftück ausgebildet.
Vom Hofe aus tritt man in einen doppelten hohen Portalbogen , der
noch ganz in mittelalterlicher Weife zwifchen fchlanke Strebepfeiler ein-
gefafst ift , die mit Nifchen und reichen Baldachinen für Statuen belebt
fmd und in fchlanke Fialen auslaufen. Die Compofition gemahnt faft an
die eines gothifchen Kirchenportals, denn diefer ganze Theil bildet mit
feinem fteilen Dach einen felbftändigen Pavillon, der von zwei vorgekragten
Fig. 55. Treppe zu Chateaudun. Grimdrifs.
Rundthürmen eingefchloffen wird. Sämmtliche Abtheilungen fmd mit
gothifchen Flachbögen gefchloffen , die mit durchbrochnen Maafswerken
wie mit Spitzen gefäumt fmd. Auch das Dachgefims ift in ähnlicher Weife
eingefafst.
Man gelangt nun unmittelbar in eine hohe Eingangshalle und befindet
fich am Aufgang der Treppe. Diefe ift dem allgemeinen Gebrauch der
Zeit folgend eine Wendelftiege , die fich um einen runden Mittelpfeiler
fpiralförmig hinaufzieht (Fig. 55). Auf drei Seiten ift fie von der Mauer
eingefchloffen, auf der vierten dagegen öffnet fie fich mit einem ganz
^) Abbildungen in Chapuy, Moyen äge monumental III, pl. 208. 298. 321. 369. 376.
382. 387.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. jq
146
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
flachen Bogen auf einer mittleren Rundfäule, welcher an den Mauerecken
Halbfäulen entfprechen. Um aber die Stufen aufzunehmen, ift bei jedem
Umlauf durch vortretende Träger ein Uebergang ins Achteck gemacht
Fig. 56. Treppe zu Chateaudun. (Chapuy.)
und dadurch ein Platz für acht auf fchwebenden Conlblen verkröpfte Säulen
oder Kragfteine gewonnen. Diefe ihrerfeits ftützen, durch Flachbögen ver-
bunden, das kreisrunde Gefimfe, auf welchem die Stufen mit ihren End-
punkten aufruhen. (Fig. 56.)
Fig. 57. Schlofs von Azay-le-Rideau. (Baldinger nach Phot.)
10*
148
Kap. 1. Die Renaiffance unter Franz I.
Ist diefe Conftruction für fich fcbon beachtenswerth , fo fteigert fich
das Intereffe durch die Pracht der Ausftattung-, deren Schönheit von keinem
andern Werke der franzöfifchen Renaiffance übertrofifen wird. War am
Aeufsern Alles noch gothifch, fo tritt hier der mittelalterliche Stil nur in
der Form und dem Profil der Bögen und in der Maafswerkgliederung des
Mittelpfeilers befcheiden auf. Allein die Felder der Spindel felbft find mit
Renaiffance-Arabesken des reinften Gefchmacks und der delikateften Aus-
führung gefüllt. Und die Kapitale der Säulen, die Baluftrade, die Gefimfe
und Friefe, fowie die Leibung der Bögen, endlich die zahlreichen Krag-
fteine, Confolen und Kapitale der Wandfäulen zeigen eine Mannigfaltigkeit
und Schönheit, wie kaum ein zweites Bauwerk diefer Epoche.
§ 38.
Das Schloss zu Azay-le-Rideau.
IN andrer Hinficht bemerkenswerth ift das Schlofs von Azay-le-Rideau.')
Es zieht weniger durch ein einzelnes Prachtftück, als durch die klare
und harmonifche Gefammtanlage die Aufmerkfamkeit an. Auf einer kleinen
Infel des Indre, etwa eine Meile von feiner Mündung in die Loire, gelegen,
ift es im Wefentlichen feinem Aeufsern nach jetzt noch fo erhalten , wie
es um 1520 von Gilles Berthelot, dem damaligen Befitzer des Ortes, erbaut
wurde. Es befteht aus zwei in rechtem Winkel zufammenftofsenden Flügeln,
ift nach mittelalterlicher Weife mit einem Waffergraben umzogen und nach
aufsen durch Zinnenkranz und Machicoulis , fowie durch mächtige runde
Thürme mit runden Dächern als trotzige Vefte charakterifirt, während die
grofsen von Kreuzftäben getheilten und mit Pilaftern eingefafsten Fenfter
diefem Anfchein widerfprechen.
Nach der Innern Hoffeite find denn auch diefe feudalen Elemente auf-
gegeben, und das Schlofs zeigt dort drei Gefchoffe mit grofsen Fenftern,
die im obern Stockwerk eigenthümlicher Weife zum Theil in das Dach
hineinreichen und mit phantaftifchen, nicht gerade fchönen Giebeln gekrönt
find. (Fig. 57.) Während die durchlaufenden Pilafterfyfteme und die zahl-
reichen horizontalen Gefimfe dem Eindruck eine gewiffe Monotonie geben,
ift aller Luxus der Dekoration auch hier auf das Treppenhaus verwendet,
das in der längeren Hoffagade als befonderer hochaufragender Giebelbau
mit doppelten Bogenöftnungen in vier Gefchoffen hervortritt. (Vgl. Fig. 57.)
Auch hier ift , ähnlich wie in Chateaudun , die Treppe im Innern des
Gebäudes angelegt, aber ihre dekorative Ausftattung zeigt fchon am Aeufsern
die ganze Formenfprache der Renaiffance, ihre Pilafter und Bögen, ihre
Arabeskenfriefe und Gefimfe, nur dafs in den beiden mittleren Gefchoffen
^) Aufn. Gailhabaud, Denkm. der Baukunft; vgl. V. Petit, chäteaux etc.
§39- Schlofs von Beauregard.
149
ftatt des Halbkreifes der gedrückte Korbbogen angewandt ift. Am Mittel-
pfeiler, fowie zu beiden Seiten find Nifchen für Statuen mit reichen Bal-
dachinen angeordnet, gleich dem krönenden Giebel mittelalterlich gedacht,,
aber mit der ganzen Fülle der Renaiffanceformen ausgedrückt. Unter den.
Sculpturen begegnen wir mehrfach dem Salamander Franz' I. Aufserdem
findet fich der Namenszug des Erbauers und der Spruch : »UNG SEUL
DESIR«, ohne Zweifel die Devife des Befitzers.
§ 39-
Das Schloss von Beauregard.
UNGEFÄHR eine Meile von Blois, am Saume des Waldes von Ruffy^
am Abhänge einer Hügelreihe, welche das anmuthige Thal des
Beuvron einfcWiefst , liegt das Schlofs Beauregard, das mit Recht feinen
Namen trägt. Um 1520 wurde es für Rene, Baftard von Savoyen, natür-
lichen Bruder der Mutter Franz 1', erbaut.') In der Schlacht von Pavia
gefangen und bald darauf an den dort erhaltenen Wunden geftorben, hatte
er fich nur kurze Zeit feines Befitzes erfreut und hinterliefs denfelben feiner
Wittwe Anna von Laskaris. Im Jahr 1543 wurde es von diefer verkauft
und kam bald darauf in den Befitz des Jean du Thier, der Staatsfecretär
unter Heinrich II war und durch feine Pflege von Wiffenfchaft und Kunfh
fich einen Namen machte. Er vergröfserte das Schlofs und gründete darin
eine Biblothek, von welcher Ronfard fingt :
»Tu recompenfas avec beaucoup d'escus
Ces livres qui avoient tant de fiecles vaincus,
Et qui portoient au front de la marge, pour guide,
Ce grand nom de Pindare et du grand Simonide,
Desquels tu as orne le fomptueux chafteau
De Beauregard, ton oeuvre, et tu l'as fait plus beau.«
Im Jahre 16 17 kam Beauregard durch Kauf in den Befitz des Schatz-
meifters Ludwig's XIII, Paul Ardier, der die grofse Galerie mit den Por-
traits von fünfzehn franzöfifchen Königen fchmückte. Sein Sohn fügte noch
eine Reihe von Bildniffen hinzu und baute die Fagade, die nach dem Fluffe
liegt. Im Anfang unferes Jahrhunderts wurde durch einen neuen Befitzer
leider die alte Kapelle, welche Fresken von Niccolo dell' Abbate enthielt,
zerftört. In neuerer Zeit dagegen ift das Schlofs durch den gegenwärtigen
Befitzer trefflich reftaurirt und im Stil der Renaiffance neu ausgeftattet
worden.
Der gröfsere Theil des Baues^) gehört fo wie er jetzt befbeht dem 17. Jahr-
hundert an ; wir haben es hier in erfter Linie mit der Anlage aus Franz' I Zeit
L. de la Saufifaye, Blois et fes environs,. p. 225 ff. — 2) Aufn. bei du Cerceau, Vol. II.
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
zu thun. Du Cerceau fagt von ihm; »L'edifice n'en eft pas grand, mais il eft
mignard, et autant bien accommode qu'il eft poffible pour ce qu'il contient.«
Es beftand damals, wie die Pläne ausweifen (Fig. 58), aus einem füdlichen und
nördlichen Pavillon E, F, welche durch die grofse Galerie D und eine vor
ihr liegende nach dem Hofe auf Pfeilern und Bögen fich öffnende Arkade
C verbunden wurden. Ueber einem Obergefchofs , deffen grofse Fenfter
durch Kreuzftäbe getheilt und mit Pilaftern eingefafst find, erhebt fich ein
Dachgefchofs, deffen Fenfter an dem Verbindungsbau und dem einen Pavillon
die zierlich fpielende Bekrönung der Frührenaiffance zeigen , während fie
an den übrigen Theilen einfach mit antikem Giebel abgefchloffen find.
Zwei rechtwinklig anftofsende Flügel A, G umfaffen, der eine jedoch nur
zur Hälfte, die beiden Seiten des inneren Hofes B. Ein grofser unregel-
I ^
Fig. 58. Das Schlols von Beauregartl. (Du Cerceau.)
mäfsiger äufserer Hof mit Wirthfchaftsgebäuden legte fich, ähnlich wie bei
Bury, vor die eine Langfeite des Gebäudes.
Die moderne Tendenz der ganzen Anlage wird durch die vollftändige
Abwefenheit mittelalterlicher Elemente bezeugt. Keine Spur eines Grabens
mit feinen Zugbrücken oder der beliebten Eckthürme ift zu erblicken. Die
ganze Eintheilung ift klar , regelmäfsig , rechtwinklig. Auch die Haupt-
treppen find im Innern des Baues angelegt, und zwar beide mit geradem
Lauf, die eine neben der Galerie , die andre am Hauptpavillon. Zu dem
hohen Erdgefchofs des letztern führt aufserdem eine breite Freitreppe mit
doppelter Rampe. Nur die Dienftwohnungen, die vom Hauptbau getrennt
den untern Theil des Hofes umfchliefsen, haben in einem vorfpringenden
achteckigen Thurm ihre Wendelftiege. Die Anzahl der herrfchaftlichen
40. Andere Schlöffer des Loiregebietes.
Wohnräume war zu Du Cerceaus Zeit gering; fie befchränkte fich aufser
der gegen 70 Fufs langen, 18 Fufs breiten Galerie, im Hauptflügel auf
einen Saal von 40 zu 24 Fufs, der mit Nebenzimmer und Garderobe, fo-
wie einem gröfseren und einem kleineren Gemach verbunden war, in dem
andern Pavillon auf ein gröfseres Zimmer mit Garderobe und zwei kleineren,
mit der Nebentreppe und der Galerie zufammenhängenden Räumen. Ein
grofses wohlgepflegtes Gartenparterre, von zwei langen offhen Laubengängen
mit Eckpavillons eingefafst, fowie ein weiter Park mit prachtvollen Bäumen
und Alleen umgeben den Bau.
§ 40.
Andere Schlösser des Loiregebietes.
DIE bisher betrachteten Bauten enthalten die Grundzüge franzöfifcher
Schlofsanlagen der Frührenaiffance in fo reicher Mannigfaltigkeit, dafs
Avir die grofse Anzahl der kleineren Schlöffer diefer Zeit in kürzerem Ueber-
bHck zufammenfaffen dürfen. Der gemeinfame Grundzug bleibt auch hier
noch während der ganzen Epoche die Mifchung gothifcher Formen mit
■denen der Renaiffance, die nationale Vorhebe für Thürme, erkerartige Aus-
bauten, vorfpringende Treppenhäufer mit Wendelftiegen , für fteile Dächer
mit reich bekrönten Giebeln. Mit diefen Elementen verbinden fich die
einzelnen antiken Formen, die man aus Italien empfing, in derfelben naiven
und zwanglofen Weife, die wir fchon kennen gelernt haben. Der malerifche
Reiz diefer kleinen graziöfen Werke hängt innig mit dem Charakter ihrer
landfchaftlichen Umgebung zufammen. In den engen Strafsen, an den
regelmäfsigen Plätzen der Städte würde ihre Architektur nicht Stich halten,
am wenigften wenn man fie unmittelbar neben irgend einen der ftreng
componirten, in machtvollen Formen und fymmetrifcher Anlage entwickelten
fiorentinifchen Paläfte ftellen wollte. Aber umgekehrt würde ein Palazzo
Strozzi oder Ruccellai fich ebenfo übel ausnehmen, wenn man ihn an das
Ufer der Loire oder des Cher in die unmittelbare Umgebung von Wald
und Wiefe verpflanzen würde. Die franzöfifchen Schlöffer haben eben ein
Gepräge ländlicher Zwanglofigkeit , das nur in freier Naturumgebung fich
entfalten konnte.
Die Bauten des Loiregebiets zeigen diefen Charakter in befonders
liebenswürdiger Weife. Nahe bei Azay-le-Rideau hegt das Schlofs von
Uffe,') noch im Mittelalter um 1440 begonnen, dann 1485 fortgefetzt und
erft im 16. Jahrhundert vollendet, ein gothifcher Bau mit fpäteren Um-
geftaltungen im Renaiffanceftil, überfchwänglich reich, dazu mit Thürmen und
I) V. Petit, chäteaux de la vallee de la Loire. Vergl. die Chäteaux hiftoriques III,
103 ff.
152
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
hohen Dächern überladen, die wie die Pilze emporfchiefsen. Von unvergleich-
licher Pracht ift die Fagade der Schlofskapelle mit Portal und hohem Spitz-
bogenfenfter, noch gothifch in Anlage und Conftruction, aber mit einer
üppig fpielenden Renaiffancedekoration, die wie ein Gewebe Brüffeler Spitzen
das Ganze überfluthet und befonders dem Fenfter eine Bekrönung giebt^
die an Grazie und übermüthiger Luft kaum ihres Gleichen findet.')
Elegante Frührenaiffance zeigt auch das kleine Schlofs von Sanfac^)
bei Loches, vom Jahr 1529, die Fenfter in übHcher Weife mit Pilafter-
fyftemen eingerahmt, die Dachfenfter mit zierlichen Giebeln. Aehnlich das
Schlofs von Landifer^) mit vier runden Eckthürmen, Kreuzfenftern, feinen
Pilaftern und reichem Dachgefchofs , um 1558 indefs durch Heinrich II
umgebaut und zum Theil erneuert. Ferner das Schlofs zu Lude,'») um
1535 vollendet, mit mächtigen runden Eckthürmen, zierlichen Pilaftern,.
Medaillons mit Bruftbildern in den Wandfeldern und mit Dachfenftern, die
mit mufchelartigen Bekrönungen fchhefsen. Das Schlofs von Benehart,5)
um 1530 erbaut, an deffen Dachfenftern gothifche Elemente fich mit
Renaiffanceformen mifchen. Das Schlofs zu Rocher de Mefanger^) in
der Provinz Maine, ebenfalls mit Pilaftern, die ein Rahmenwerk haben,
mit Flachbögen an den Arkaden des Hofes und reich gekrönten Dach-
fenftern, Hieher gehört auch das durch feine Fayencen (vgl. § in) fo
berühmt gewordene Schlofs Oiron^) (Deux Sevres), deffen frühere Theile
aus der Zeit Franz' I ftammen und durch die kunftfmnige Herrin, welcher
man auch die Herftellung jener prächtigen Töpferwaaren verdankt, aus-
geführt wurden. Der Hauptbau mit feinen beiden Flügeln, die mit Pavillons
und Rundthürmen flankirt find, gehört erft dem 17. Jahrhundert an. Im
Innern ftammt die fchöne Wendeltreppe aus der Zeit Heinrich's II, wäh-
rend ein reich fculpirter Kamin noch in die Epoche Franz' I hinaufreicht.
Endlich fcheint die Galerie im Hofe mit ihren gewundenen gothifchen
Säulen, mit welchen die Renaiffancemedaillons unter den Fenftern eigen-
thümlich contraftiren , noch aus der Uebergangsepoche Ludwig's XII zu
ftammen.
Ferner das Schlofs zu Moulins^) im Bourbonnais, um 1530 entftanden^
mit prächtigen Hofarkaden, die jetzt verbaut find, korinthifchen Pilaftern
und reich fculpirten Archivolten und Zwickeln. In derfelben Provinz das
Schlofs von Ch areil, 9) das im Innern einen Kamin von glänzender Arbeit
mit zierlichem Arabeskenfries und mit ionifchen Säulenfchäften befitzt, die
0 Vgl. die fchöne Abbildung in den Chateaux hiftoriques a. a. O. — V. Petit,
chateaux de la vall^e de la Loire. — 3) Ebend. und bei Baron de Wismes , le Maine et
l'Anjou, (lithogr. Anflehten). — 4) V. Petit, a. a. O. — 5) Ebend. — 6) Baron de Wismes,
a. a. O. — 7) Les chateaux hiftoriques II, 151 ff. — 8) L'ancien Bourbonnais, par Achille
Allier, continue par A. Michel et L. Battifier. Moulins 1838. — 9) Ebend.
§ 41- Schlöffer der Normandie.
ganz aus Blätterreihen beftehen. Bedeutend fodann das herzogliche Schlofs
zu Nevers,') um 1475 begonnen, ein mächtiger fpätgothifcher Bau mit
einem durchbrochenen polygonen Treppenhaus an der Mitte der Fagade,
im 16. Jahrhundert erneuert und namentlich mit einem reichen Dachgefchofs
ausgeftattet, deffen Fenfter mit Karyatiden und Voluten gefchmückt find.
Das alte Schlofs der Herzöge von Anjou zu Angers, thurmartig in
mittelalterlicher Anlage aufgebaut, in reicher und edler Renaiffance gefchmückt,
dabei klar und nicht überladen. Das Schlofs von Valengay, 3) um 1540
entftanden, mit grofsen runden Eckthürmen, in der Mitte ein mächtiger
Pavillon, mit reichen Dachfenftern und hohen Kaminen überladen, die
Fenfter wie gewöhnhch mit Pilaftern eingefafst. Das Schlofs von Saint-
Amand,4) das um diefelbe Zeit fein prächtiges Dachgefchofs und andere
dekorative Zufätze erhielt. Das Schlofs von Serrant unfern Angers, s)
um 1545 erbaut, im 17. Jahrhundert vollendet, ohne Dachgefchofs in etwas
ftrengerer Renaiffance durchgeführt , gleichwohl mit Kreuzfenftern und
Pilafterwerk verfehen. Die Maffen find in Bruchfteinen aufgeführt, aber in
drei Gefchoffen durch ionifche, korinthifche und Compofita-Pilafl;er in folidem
Quaderwerk gegliedert. Auch hier folgen die derben Rundthürme auf den
Ecken noch mittelalterhcher Anlage. Das Schlofs von S edleres (Cor-
reze), ein Bau des 15. Jahrhunderts, quadratifch um einen ebenfalls qua-
dratifchen Hof angelegt, mit einem quadratifchen Thurm an der einen Ecke
und mit ausgekragten Rundthürmen, die das Portal und zwei Seiten des
Wohngebäudes flankiren, im 16. Jahrhundert durch grofse Fenfter mit
Pilafterumfaffungen zu einem Renaiffancefchlofs umgefchafifen. Noch manche
Bauten wären zu nennen, welche ähnliche Umgeftaltung erfahren haben.
ÄCHST der Touraine ift die Normandie reich an Bauten der Früh-
IN renaiffance. Auch fie zeigen die gemeinfamen mehrfach befprochenen
Merkmale, nur fteigern fie diefelben durch noch üppigere Pracht der Orna-
mentik, die, wie wir fahen, ein Erbtheil der fpätgothifchen Architekturfchule
des Landes war. Wir nennen das Schlofs von Mesni eres im Departement
der untern Seine, nach quadratifchem Plan angelegt, auf den Ecken mit
Thürmen, deren einer die Kapelle enthält. Es ift eins der grofsartigften
und impofanteften Werke der Zeit, um 1540 — 1546 erbaut, aufsen nach
alter Sitte feftungsartig ernft, im Innern mit einem reizenden Hof, der von
V. Petit, a. a. O. — Baron de Wismes, a. a. O. — 3) V. Petit, a. a. O. —
4) Ebend. — 5) Ebend. Vgl. dazu die Chateaux hiftoriques I, 135 ff- — ^) Viollet-le-Duc,
Dictionn. VI, p. 314 fg.
§ 41.
Schlösser der Normandie.
154
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
Arkaden umgeben ift. ^) Die Schlöffer von Conde am Yton und Boiffey-
le-Chätel, aus Quadern und Backfteinen malerifch aufgeführt mit eleganten
Dachfenftern.
Im Departement Calvados gehört hieher das Schlofs vonLaffon und
das von F'ontaine- Henry, beide urfprünglich aus dem 15. Jahrhundert,
aber im 16. erneuert und im Stil der Renaiffance ausgebaut. Laffon mit
feiner überaus zierlichen Dekoration wird neuerdings als Werk Hector Sohiers
Fig. 59. Schlofs von Chaiiteloup. (Nach Sadoux-Paliiftre.)
bezeichnet, den wir als den ausgezeichneten Meifter des Chors an St. Pierre
in Caen im § 96 werden kennen lernen;^) Fontaine-Henry erhielt 1537 an
feinen mittelalterlichen Kern einen Anbau , der durch fein koloffales , an
Höhe den übrigen Bau weit überfteigendes Dach und deffen riefig auf-
gethürmten Kamin alles in diefer Art in Frankreich Vorhandene hinter
fich läfst.3) Gleiches gilt von dem fogenannten Manoir des Gendarmes,
eigentlich Manoir de Nollent, unweit Caen, einem Bau von mittelalterlicher
Paluftre VI, 278 mit Abb. — 2) Ebenda II, 234 mit Abb. — 3) Ebenda II, 280
mit Abb.
§ 42- Schlöffer in den öftlichen Provinzen.
Anlage mit gewaltigen Rundthürmen, der mit eleganten Renaiffancefenftern
und mit zahlreichen über die Flächen regelmäfsig vertheilten Medaillon-
bruftbildern felbft an den Zinnen gefchmückt ift. ^) Sodann das Schlofs
von Fontaine-Etoupefour bei Caen, deffen elegantes Portal von zwei
runden Thürmen flankirt wird. Das Manoir von Bello, auf fleinernem
Unterbau in hölzernem Fachwerk mit Ziegeln ausgeführt, ein anziehendes
Beifpiel diefer in der Normandie beliebten Conftructionsweife. Sodann das
Schlofs von Saint Germain de Livet bei Lifieux, in Quadern und Back-
fteinen erbaut.
Durch eine prachtvolle Polychromie zeichnet fich das Schlofs von
Auffay^) aus, ein einfaches Manoir mit runden Eckthürmen, von äufserft
malerifcher Erfcheinung. Von ähnlich fchlichter Anlage ift das Schlofs
von Bai n vi liier s,3) ein Backfteinbau mit Pilaftern in Haufteinen, das Ganze
in den zierHchen Formen von St. Pierre in Caen von 1527 — 1536 aus-
geführt. Im Innern ein Kamin von 4 Meter Höhe, mit Kandelaberfäulchen
eingefafst. Von hohem Reiz ift das Schlofs von C haute loup-*) (Manche),
das in feiner üppigen Ornamentik und feiner reichen Gliederung an die
frühen Bauten von Caen erinnert und wohl als ein Werk des Hector Sohier
angefprochen werden darf. (Fig. 59.) Sodann das Schlofs von Ivry-la-
Bataille,5) 1537 erbaut, aber bis auf die Mauern eingeftürzt und unter
Heinrich II in fhrengem dorifchen Stil wieder aufgebaut. Ein einfacher
aber zierlicher Bau ift das kleine Schlofs von Tourlaville^) bei Cher-
bourg, Fenfter und Portale mit korinthifchen kannelirten Pilaftern ein-
gefafst, die an dem runden Thurm durch ionifche erfetzt find.
§ 42.
Schlösser in den östlichen Provinzen.
AUCH in Isle de France und den benachbarten Gebieten ift manches
zierliche Werk aus diefer liebenswürdigen Früh-Epoche anzumerken.
Minder üppig als die Bauten der Normandie, nehmen diefe Schlöffer an
der anmuthigen Geftaltung Theil , welche durch die epochemachenden
Prachtwerke Franz' I allgemeingültig geworden war.
So zeigt das erft unter der Regierung Louis Philippe's zerftörte Schlofs
zu Sarcus in den einzelnen erhaltenen Theilen prachtvoll ornamentirte
breite Bögen , zwifchen welchen die Pfeiler noch mit gothifchen Fialen
enden, aufserdem ein reich umrahmtes Fenfter. Man lieft die Jahrzahl 1523.7)
Um diefelbe Zeit, bald nach 1527, entftand das Schlofs Anizy,^) von dem
Chapuy, Moyen äge monum. Vol. I, pl. 140. — ^) Paluftre II, 276 mit Abb. —
3) Ebenda II, 276. — 4) Ebenda II, 235 mit Abb. — s) Ebenda II, 216. — ^) Ebenda II,
282 mit Abb. — 7) Paluftre a. a. O. I, 70 ff. — 8) Ebenda I, 108 ff.
156
Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I.
nur noch ein Flügel vorhanden ift, in der Maffe ein Backfteinbau mit
geometrifchen Muftern, ähnlich dem erzbifchöflichen Palaft zu Sens (vgl.
Fig. 16.) Die Behandlung ift einfach, aber von vollendeter Grazie, die
Fenfter haben die übliche Einfaffung durch korinthifche Pilafter, das Portal
ift ähnlich behandelt mit Pilaftern und Giebelabfchlufs , die Ornamentik
fcheint von grofser Feinheit. Es war urfprünglich ein fehr anfehnlicher
Bau mit Pavillons und zwei Flügeln, von denen, wie gefagt, nur einer noch
befteht. Nach dem Vorbilde von Anizy ift fodann das Schlofs von
Marchais ^) behandelt, doch etwas bewegter in den Formen^ mit kleinen
Pavillons ausgeftattet; 1546 vollendet.
Eine der bedeutendften Anlagen war das feit 1528 für Anne de Mont-
morency begonnene Schlofs Fe re-en-Tar de nois,^) angeblich durch ^ean
Bullant erbaut. Aber nur wenige Bruchftücke find davon übrig geblieben,
allerdings hinreichend, um von der ehemaligen Grofsartigkeit des Werkes
zu zeugen. Dahin gehört namentlich der grandiofe Viaduct von 61 Meter
Länge, 3,30 Meter Breite, bei 20 Meter Höhe, machtvoll wie ein Römer-
werk, die Bögen in fchlichter, aber ausdrucksvoller Weife mit facettirten
Quadern gefäumt. Auch das prachtvolle Hauptportal ift erhalten, mit
dorifchen Säulen eingefafst, dabei das Fenfter des oberen Gefchoffes nach
Bullant's Art über das Gefimfe in's Dach hinaufragend und mit Bogen-
giebel gefchloffen. Diefe Theile find nicht vor 1566 vollendet, wie denn
das Ganze fchon mehr den Charakter der Zeit Heinrichs II athmet. End-
Hch wäre noch das Manoir von Huleux^) zu nennen, das mit feinen
fchlichten Pilaftern in den drei Ordnungen den Anfang der Regierung:
Heinrichs II anzeigt. Im Innern ein hübfcher Kamin. Aus Burgund
fchliefsen wir hier das Schlofs von Buffy-Rabutin (Cöte d'or) an, 4) deffen
Hof mit feinen Arkaden noch der Zeit von Franz I angehört, während
die Hauptfagade den Stil der erften Hälfte des 17. Jahrhunderts, aber noch
in fehr gemäfsigter, ja ftrenger Behandlung zeigt. Kraftvoll ift die Gliede-
rung der Flächen durch korinthifche Pilafter, welche die Fenfter einrahmen ;
dazwifchen belebt allerlei Nifchenwerk die Maffen. Die aus der Epoche
Franz' I ftammenden Theile bieten an den Arkaden des Erdgefchoffes ,
fowie der kleinen Fenftergalerie des oberen Stockwerkes noch den Korb-
bogen der früheften Zeit. Auf den Ecken erheben fich fchlichte Rund-
thürme.
') Paluftre I, iio fg. — Ebenda I, 114 ff. mit Abb. — 3) Ebenda I, 89. — 4) Les
chateaux hiftoriques II, 75 ff.
158
Kap. IV. Die RenailTance unter Franz I.
§ 43-
Schlösser im Süden.
BESCHRÄNKTER an Zahl find die Bauwerke, welche die füdlichen Pro-
vinzen in die Reihe der Schöpfungen diefer Zeit zu ftellen haben. Sie
zeigen aufserdem ein geringeres Verftändnifs der antiken Formenwelt. Aber
fie entfchädigen dafür in gewiffem Sinn oft durch ihre dekorative Pracht,
die fich im Prinzip wefentlich unterfcheidet von der Dekorationsluft der
nördlichen und mittleren Provinzen. In der Touraine und auch in der
Normandie werden die architektonifchen Glieder zart und befcheiden gebildet,
und die Arabesken und figürlichen Ornamente an den heften Werken in
graziöfer Feinheit behandelt, fo dafs nur durch den oft überfchwänglichen
Reichthum ihrer Anwendung der überaus prachtvolle Eindruck entfteht.
In den füdlichen Denkmalen dagegen werden die architektonifchen Glieder
felbft mit jener üppigen lebenftrotzenden Energie gebildet, die fchon an
den antiken Denkmälern des füdlichen Frankreichs fo auffallend zur Er-
fcheinung kommt. Wenn fich damit ein kräftiger plaftifcher Schmuck ver-
bindet, fo ift auch dies ein Zug, den fchon die römifchen Denkmäler des
Landes aufweifen.
Eins der glänzendften Beifpiele diefer Richtung ift das Schlofs von
Uffon (Dep. Puy de Dome, Arr. Iffoire), Fig. 60, an Ueppigkeit und
Pracht wohl eins der reichften in ganz Frankreich. An den vielfach vor-
handenen Infchrifttafeln , welche in klaffifchen Schriftzügen Stellen aus
antiken Autoren enthalten, macht fich fchon das Cartouchenwerk bemerk-
lich, das auf die Zeit um die Mitte des 16. Jahrhundert hindeutet. Im
Uebrigen aber ift die ziemlich lockere Compofition, die fpielende Pracht
der Einzelformen, der ganze dekorative Apparat noch völlig im Charakter
der Frühzeit. Befonders gilt dies von den im Erdgefchofs und dem oberen
Stock über einander angebrachten Nifchen mit ihren phantaftifch dekorirten
Confolen und der bunten Mannigfaltigkeit, ihrer Candeiaberfäulchen. Die
in denfelben angebrachten weiblichen Figuren von Tugenden verrathen eine
ziemlich plumpe Unbehülflichkeit der ausführenden Künftler. Direkte antike
Studien nach den Römerwerken des füdlichen Frankreich erkennt man in
den prunkvollen Akanthusranken mit eingeftreuten Genien und andrem
Figürlichen, welche überall reichUch vertheilt find, ebenfo in den Medaillon-
köpfen des Erdgefchoffes, dem kräftigen Confolengefims des Hauptgefchoffes
und den Genien fammt Fruchtkränzen, welche als durchbrochener Fries die
Attika bekrönen. Das Erdgefchofs übrigens hat bedeutend gelitten, und
namentHch gehört die Einfaffung des Portals mit den fteifen kannelirten
Säulen und den magern Fruchtfchnüren einer Erneuerung wie es fcheint
des 18. Jahrhunderts an. Das ganze Werk, fo wenig man es als eine hohe.
Schlöffer im Süden.
künftlerifche Leiftung hinfichtlich der Compofition auffaffen kann, feffelt
doch durch die überftrömende Ueppigkeit der Einzelbehandlung.
Hieher gehört dann auch , obwohl in einem ganz andern Charakter
angelegt und durchgeführt, das mächtige Schlofs von La Rochefoucauld
bei Angouleme/) Als Stammfitz des berühmten gleichnamigen Gefchlechtes
reicht feine Entftehung noch in's Mittelalter hinauf, wie namentlich der
gewaltige viereckige Donjon mit feinen Machicoulis beweift. Auch die
Anlage des mächtigen aus zwei Flügeln, einem öftlichen und einem füd-
lichen, beftehenden Hauptbaues mit den dräuenden runden Eckthürmen,
von denen der eine wie gewöhnlich die Kapelle enthält, die fich fchon
nach aufsen durch die hohen gothifchen Fenfter markirt, ifh noch ein
mittelalterlicher Gedanke. Aber in der Frühzeit der Regierung Franz' I
(um 1528) vollzog fich ein durchgreifender Umbau, der unter Frangois II
La Rochefoucauld und feiner Gemahlin Anna von Polignac ausgeführt wurde.
Vgl. die fchöne reich illuftrirte Darftellung in den Chäteaux hiftoriques I, 33 ff.
i6o
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
Diefer Zeit gehört namentlich die in Figur 6i dargeftellte Fagade, fowie
die hnks im rechten Winkel anftofsende, die mit ihren Pilafterfyftemen,
welche die Fenfter einfchliefsen , noch mehr aber mit dem prachtvollen
Kranzgefims und der über demfelben fich hinziehenden Galerie fowie den
in zierlich fpielendem Aufbau durchgeführten Lucarnen das Vorbild des
Schloffes von Blois deutlich verräth. Von der prachtvollen Galerie des
Innern mit ihren reich entwickelten Rippengewölben gaben wir in Fig. i8
S. 51 eine Anfchauung. Diefe Galerie zieht fich, äufserlich mit Pilafter-
fyftemen eingefafst, in drei Stockwerken an der Hoffeite öftUch und füdlich
hin und hat an Grofsartigkeit und Pracht in Frankreich nicht ihres Gleichen.
Nach oben ift fie durch eine phantaftifch reiche Bekrönung abgefchloffen,
in welcher gothifche Wimperge und Fialen in die Sprache der Renaiffance
überfetzt fmd. Freilich fehlt auch nicht eine ftattliche Wendelftiege, wenn
diefelbe auch hinter denen von Chanibord und Blois zurückftehen mufs.
Befonders reich und edel ausgebildet find die Portale, welche aus der Galerie
die Verbindung mit den anfbofsenden Räumen bewirken. (Vgl. Fig. 18.)
Im Languedoc ift das Hauptwerk das ftattliche Schlofs von A f f i e r.
An Stelle einer älteren Burg, von welcher ein Thurm beibehalten wurde,
erbaute es Galliot de Genouilhac, der fchon unter Karl VIII mit in Italien
war, unter Franz I in der Schlacht von Pavia die Artillerie commandirte
und fpäter eine Zeit lang Finanzminifter wurde. Im 18. Jahrhundert, 40
Jahre vor der Revolution zerftört, fteht es als immerhin noch bedeutende
Ruine da. Das Ganze ift malerifch reich entwickelt und zeigt auf einer
Abbildung vom Jahre 1680 einen grofsen viereckigen Hof, an der einen
Seite mit rechtwinklig einfpringendem Flügelbau. Das Schlofs bildete ein
Quadrat von 168 Fufs; die inneren Hofifagaden gehörten der Zeit Franz' I,
■ebenfo ein Theil des Aeufseren, an welches der alte mächtige runde Eck-
thurm ftöfst. Im Uebrigen fcheint der Ausbau der äufseren Front in das
Ende diefer Epoche, wenn nicht fchon in die Zeit Heinrichs II zu fallen.
Das Hauptportal ift in der Weife eines antiken Triumphbogens gebildet
und mit korinthifchen Säulen eingerahmt. Darüber öffnet fich eine grofse
Nifche, von zwei Ordnungen ionifcher Säulen eingefafst, die einen antiken
■Giebel tragen. In der Nifche fah man das Reiterbild Franz' I. Die Fenfter
find zum Theil noch nach alter Weife mit Kreuzftäben verfehen, zum Theil
in ftreng claffifcher Form durchgebildet. Merkwürdig ift der hohe cannelirte
Fries unter dem Dachgefims, das mit fchweren Confolen in römifcher Art
rgefchmückt ift. In all diefen Formen zeigt fich jene pompöfe, etwas
maffive Pracht, die wir als bezeichnendes Merkmal diefer füdlichen Bauten
hervorgehoben haben. Dies prunkvolle Gefims hat fo gefallen, dafs man
') Taylor et Nodier, Voyages. Languedoc. T. I, Vol. 2.
§45- Schlöffer im Süden. jgj
es fammt dem Friefe auch dem alten runden Eckthurm hinzugefügt hat.
Die Dachfenfter find mit ionifchen Pilaftern eingefafst und zeigen eine
Volutenkrönung.
Fig. 62. Schlofs von AlTier. (Baldinger nach Phot.)
Ungleich eleganter, zierlicher, reicher, ohne Frage auch früher find die
Hoffagaden. (Fig. 62). Die Fenfter haben im unteren und oberen Ge-
fchofs den geraden, aber nach mittelalterlicher Weife an den Enden abge-
LÜBKE, Gefch. d. RenaifTance in Frankreich. II. Aufl. t t
l62
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz I.
rundeten Sturz, dazu die Theilung durch Kreuzftäbe. Gleichwohl werden
fie von Pilaftern eingerahmt, die reich decorativ behandelt und unter
einander nach beliebter Sitte zu einem durchgehenden Verticalfyflem ver-
bunden fmd. Ueberaus reich ift die plaftifche Belebung aller Flächen. In
den Wandfeldern zwifchen den Fenftern fieht man zwölf römifche Kaifer-
büften in bekränzten Medaillons ; aufserdem Salamander , Embleme und
Wappen in reicher Ausführung. Unter den Fenftern des Obergefchoffes
zahlreiche mythologifche Scenen in Reliefs. Den Abfchlufs bildet ein hoher
attikenartiger Fries mit Pilaftern, darin Embleme und die Namenszüge des
Erbauers. Ein elegantes Zahnfchnittgefims krönt das Ganze. Das Hof-
portal öffnet fich in einem grofsen Bogen, der jederfeits mit drei korin-
thifchen Säulen eingefafst ift, offenbar einer der fpäteren Zufätze. Die
Wölbung zeigt prächtige Caffetten. Ueber dem Portal ift eine Loggia
angebracht, die von vorfpringenden ionifchen Säulen umrahmt wird. Das
Ganze trägt ein ungemein phantafievolles Gepräge. Unter den Devifen
des Erbauers lieft man wiederholt den Spruch: »J'AIME FORT UNE«,
wobei der Doppelfmn beabfichtigt ift, der durch Zufammenziehen der beiden
letzten Worte entfteht. Daneben findet man als humoriftifche Bekräfti-
gung: »OUI JE L'AIME SICUT ERAT IN PRINCIPIO.« Das Innere
des Baues weifl fchöne Treppen und prachtvolle Kamine auf.
Eine etwas ungefchickte , aber ebenfalls reiche Frührenaiffance zeigt
fodann das Schlofs Montal bei St. Cere (Lot), in anmuthiger Lage auf
einem Hügel noch vor 1534 erbaut.') Es befteht aus zwei von Thürmen
flankirten Flügeln, ift aber nie ganz vollendet worden. Befonders reich find
auch hier die Fagaden des Hofes ausgeführt, namentlich durch einen pracht-
vollen Relieffries zwifchen Erdgefchofs und oberem Stockwerk, fowie
Nifchen mit Bruftbildern zwifchen den Fenftern bemerkenswerth. Dabei
folgen die Giebelkrönungen mit ihren Krabben nach gothifcher Form.
Fenfter und Thüren zeigen den an den Ecken abgerundeten geraden Sturz,
erftere aufserdem eine Theilung durch Kreuzftäbe. Die einfaffenden Pilafter
haben zum Theil elegante Ornamente. Die Fenflerbrüftung zwifchen dem
unteren und oberen Stockwerk ift mit einem breiten Fries von Arabesken,
Sirenen, Namenszügen und Emblemen gefchmückt. Im oberen Gefchofs
fieht man zwifchen den Fenftern Bruftbilder in Medaillons, die von Pilaftern
und häfsHchen fteilen Giebeln eingefafst find. Dies verleiht im Einklang
mit den keineswegs glücklichen Verhältniffen dem Eindruck des Ganzen
etwas Befangenes, Ungefchicktes.
Im Innern fällt eine prächtige Wendelftiege auf, deren Plafond ganz
mit eleganten Ornamenten bedeckt ift. Sodann zeigt der grofse Saal des
^) Taylor et Kodier, a. a. O. Vgl. die Chateaux hift. I, 167 fF.
§ 44- Das Schlofs von Bournazel.
163
Schloffes, der ein gothifches Rippengewölbe auf Confolen hat, einen
reichen Kamin mit Arabeskenfries, in etwas wunderlicher Weife mit zwei
Attiken über einander bekrönt, beide reichlich mit Wappen und eleganten
Ornamenten gefchmückt. Man fieht: es ift eine Provinzialkunft , der die
Quellen des Formenverfländniffes etwas fern liegen.
Hieher gehört auch das Schlofs von Bourdeilles') (Dordogne), im
Wefentlichen ein mittelalterlicher Bau von kriegerifch-trotzigem Charakter,
an welchen indefs im 16. Jahrhundert Jacquette de Montbrun, die Wittwe
des Schlofsherrn und Schwägerin Brantomes, einen Neubau fügte, der jedoch
nicht vollendet wurde. Es ift eine faft quadratifche Anlage, im Innern
durch eine ftattliche Treppe und einen noch wohl erhaltenen »goldenen
Saal« bemerkenswerth. Die fchönen Wandtäfelungen und die reichgemalten
Holzplafonds werden höchlich gepriefen. Endlich mufs das alte Schloss
zu Pau^), jetzt im Befitz des Staates, wegen feiner im üppigflen Stil
Franz' I ausgeführten Theile hier genannt werden. In feiner Maffe ift es
ein gewaltiger düfterer gothifcher Bau aus verfchiedenen Zeiten des Mittel-
alters, dem Hauptbeftande nach aus dem 14. Jahrhundert, wo ein Architekt
Sicard de Lordas genannt wird. Zu dem coloffalen aus Backfteinen er-
richteten Donjon und den übrigen drei mittelalterhchen Thürmen, die
abweichender Weife nicht rund, fondern fämmtlich viereckig find, wurden
neuerdings unter Louis Philippe (feit 1838) und Napoleon III je ein neuer
hinzugefügt, fo dafs das Schlofs jetzt nicht weniger als fechs Thürme zeigt.
Die uns hier angehenden Theile wurden unter Henri d'Albret und feiner
Gemahlin, der hochgebildeten Margarethe von Navarra, Franz' I berühmter
Schwefter, feit 1527 ausgeführt. Dahin gehören die prächtigen Lucarnen
des Hofes fowie einige Portale und Fenfter, die zu den graziöfeften Arbeiten
der Zeit zählen. Nicht blofs find alle Einzelheiten von jener fpielenden
Anmuth und Phantafiefülle, welche jene Zeit befeelt, fondern der plaftifche
Reichthum ift nach der Gewohnheit diefer fiidlichen Schule fo grofs, dafs
felbft die Kreuzftäbe der Fenfter völlig in Sculptur aufgelöft find. Im
Innern ift ein fchöner Kamin beachtenswerth. Im vorigen Jahrhundert
verfallen und herabgekommen, wurde das Schlofs in der Revolution als
Gefängnifs und Kaferne benutzt und erfuhr erft in neuerer Zeit eine voll-
ftändige Wiederherftellung. Zu feinen höchften Reizen gehört die wunder-
volle Lage.
') Les chäteaux hiftoriques III, 31 ff. — Ebenda III, 45 ff.
104
Kap. IV. Die Renaiflance unter Franz I.
§ 44-
Das Schloss von Bournazel.
DER fchönen Veröffentlichung A. Bertys 3) verdanken wir die Bekannt-
fchaft mit einem bis dahin nirgends genannten Schlöffe der Renaiffance,
in welchem man eine der vollendeten , muftergiltigen Schöpfungen anzu-
erkennen hat, deren Zahl äufserft befchränkt ift. Wir meinen das Schlofs
von Bournazel, welches unfern der Station Cranfac an der Eifenbahn-
linie Rodez-Villefranche in hochromantifcher Gebirgsumgebung gelegen ift.
Einer der Kriegshauptleute Franz' I, Jean de Buiffon, der in der Schlacht
von CerifoUes verwundet worden war, liefs es errichten, um darin von feinen
Strapazen auszuruhen. Man lieft an dem Gebäude die Jahrzahl 1545. In
der That trägt feine Architektur den Charakter jener edlen Schönheit,
welche die Anmuth und Phantafiefülle der Frührenaiffance zum Ausdruck
einer harmonifchen Ruhe mäfsigt. Als Schöpfer des Baues nennt man einen
fonft unbekannten Künftler Guillaume Lysforgues , dem man auch die Er-
bauung des Schloffes von Graves zufchreibt. Aber felbft wenn diefer ver-
fchoUene befcheidene Meifter einer entlegenen Provinz nichts Andres ge-
fchaffen hat, als nur das Schlofs von Bournazel, fo gebührt ihm mit vollem
Recht ein Ehrenplatz neben Lescot, de l'Orme und Bullant. Sein Bau
trägt das Gepräge einer machtvollen Majeftät und vornehmen Gröfse, darin
man deutlich die tiefen Eindrücke Roms und feiner antiken Herrlichkeit
nachfühlt.
Das Schlofs war ohne Zweifel auf vier um einen Hof zu gruppirende
Flügel berechnet. Von diefen ift nur der längere nördliche und der kürzere
öftliche, fowie ein Anfatz des füdlichen zur Ausführung gekommen. Der
letztere enthält ein grofses Treppenhaus mit der in vier rechtwinklig
gebrochenen Läufen geführten Hauptftiege; im öftlichen liegen die Haupt-
räume, namentlich ein Saal von 45 Fufs Länge zu 25 Fufs Breite; den
nördlichen nimmt eine Reihe von Wohngemächern ein, die am weftlichen
Ende des Baues auf eine zweite ftattliche Treppe mündet. Auch diefe ift
im Sinne der neuen Zeit mit geradem Laufe angelegt. An's Mittelalter
dagegen erinnern die beiden maffigen Rundthürme, welche die äufseren
Ecken des Baues flankiren.
Der Architekt hat den äufseren Fagaden das Gepräge eines ftrengen,.
faft herben Ernftes gegeben. Ihre Mauern fmd in Bruchfteinen ausgeführt,,
und nur die Fenfter mit ihren Umfaffungen zeigen eleganten Quaderbau
und Pilafterftellungen , im Erdgefchofs ionifche , im oberen Stockwerk
korinthifche, im Dachgefchofs dorifche. Unter einander find diefe Syfteme
La renaiff. monum. Tom. I. Neun Tafeln.
i66
Kap. IV. Die Renaiffance unter Franz 1.
vertikal verbunden durch ftelenartig verjüngte Pilafter , die im oberen
Gefchofs fich als ziemlich manierirte Hermen entwickeln. Diefe ganze
Compofition ift weder durch die Verhältniffe noch durch ihre innere Ver-
bindung eine glückliche zu nennen. Um fo überrafchender wirken die Fa-
gaden des Hofes.
Die nördliche, längere zeigt fünf breite Theilungen, die im Erdgefchofs
durch dorifche, im oberen durch ionifche Halbfäulen bewirkt werden. Jede
derfelben fchliefst unten und oben ein bald zweitheiliges, bald fchmaleres
eintheiliges Fenfter ein. Darüber ein Dachgefchofs , deffen Fenfter mit
korinthifchen Pilaftern bekleidet und mit luftigen Giebelauffätzen im Sinn
der Gothik bekrönt find. Diefs ift der einzige Anklang ans Mittelalter, und
auch hier gehört das Einzelne dem neuen Stil. Die Fenfter der anderen
Stockwerke find im Erdgefchofs mit dorifchen, im oberen mit ionifchen
Pilaftern eingerahmt und durch kräftige antikifirende Giebel bekrönt, denen
fogar kleine Akroterien beigegeben find. Alle diefe Formen zeigen un-
gemein feine und elegante Durchbildung-, wirken aber noch bedeutender
durch die fchönen Verhältniffe und vor Allem durch die ungewöhnlich
breiten Mauerflächen, welche die Fenfter einfchliefsen. Diefs hauptfächlich
erzeugt den wahrhaft vornehmen Eindruck des Baues. Dazu kommt dann
noch die Opulenz der Decoration, eine Fülle plaftifcher Ausftattung , die
fich gleichwohl der ruhigen Gefammthaltung fo glücklich unterordnet, wie
an fehr wenigen franzöfifchen Bauten und nur an den claffifch durchgebildeten
der Fall ift. Schon die Gebälke der Fenfter im Erdgefchofs haben Tri-
glyphenfriefe mit Stierfchädeln und Schilden in den Metopen. Jeder Fenfter-
giebel umfchliefst aufserdem eine der Antike nachgebildete Büfte. Dann
kommt der grofse dorifche Fries des Erdgefchoffes, in deffen Metopen eine
unerfchöpfliche Mannigfaltigkeit von Reliefdarftellungen , verzierte Schilde,
Masken, Stierfchädel, Cartouchen, elegant ornamentirte Rüftungen und Waffen,
felbft freie plaftifche Scenen fich zeigen. Noch prachtvoller ift das Haupt-
gefims mit feiner nach den eleganteften antiken Muftern durchgebildeten
Confolenreihe, die merkwürdiger Weife unter dem Architrav fich hinzieht,
während ein kleineres Confolengefims den oberen Abfchlufs bildet. Da-
zwifchen läuft ein hoher Fries, in ganzer Länge mit prachtvollen Akanthus-
ranken gefchmückt, in welchen Genien neben reich ornamentirten Masken
fpielen. Die Ausführung diefes verfchwenderifchen plaftifchen Schm.uckes
foll zum Theil von unübertroffener Meifterfchaft zeugen.
Aber noch bedeutender geftaltet fich die öftliche Fagade. Sie befolgt
die Ordonnanz der nördlichen mit ihren elegant cannelirten dorifchen und
ionifchen Halbfäulen und ihren prachtvollen Gefimfen. Was ihr aber den
Eindruck einer in der gefammten Hochrenaiffance nirgends übertrofifenen
Majeftät verleiht, ift die unvergleichlich fchöne Verwendung der Säulen-
§ 44- Das Schlofs von Bournazel.
167
ftellungen. Diefelben trennen paarweife, aber in weiten, durch Nifchen
belebten Abftänden die einzelnen Fenfter. Diefe felbft liegen bedeutend
rückwärts in tiefen Bogennifchen , welche durch die bedeutende Dicke der
Mauern gebildet find. Im oberen Gefchofs, wo diefer Vorfprung ca. 6 Fufs
beträgt, bildet fich dadurch ein Verbindungsgang, der fich vor den Fenftern
hinzieht. Auch hier trägt Alles den Stempel der Claffizität, namentlich die
herrlichen Rofetten , welche in fchön ftylifirten Umrahmungen den Bogen-
leibungen den Ausdruck leichter Anmuth und edler Pracht verleihen. Wir
haben es wie gefagt mit der Schöpfung eines Meifters erften Ranges zu
thun, der voll von den Eindrücken Roms mit frifcher Begeifterung fein
künftlerifches Gefühl in diefem Prachtbau eines abgelegenen Gebirgsthales
ausgefprochen hat. Leider haben die Verwüftungen der Revolutionszeit auch
diefes Denkmal fchwer getroffen.
V. KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER FRANZ I
C. STÄDTISCHE GEBÄUDE.
§ 45-
Gattungen Städtischer Gebäude.
EN verfchiedenen Claffeii der Bevölkerung, welche fchon
feit dem frühen Mittelalter fich innerhalb der Ring-
mauern der Städte angefiedelt hatten, entfpricht die
Mannigfaltigkeit der baulichen Anlagen. Zunächft hatte
der zahlreiche Adel des Landes, hatten ebenfo die
bedeutenderen Klöfter, fowohl in den gröfseren Städten
der Provinzen als befonders in Paris, ihre fbändigen
Abfteigequartiere. Diefe Wohnungen, für welche der
Franzofe das Wort »Hotel« befitzt, gaben eine Nachbildung der Burg
oder des Schloffes, jedoch in verjüngtem Maafsflab und mit Befeitigung der
Elemente, welche auf die Vertheidigung berechnet fmd, alfo der Thürme und
der Waffergräben mit ihren Zugbrücken. Allein eine fefte Abfchliefsung,
eine vornehme Trennung und Zurückziehung vom lauten Treiben der Strafsen
lag gleichwohl in der Tendenz der ariftokratifchen Bewohner; deshalb um-
gibt nach aufsen eine oft mit Zinnen gekrönte hohe Mauer das Ganze, und
aus demfelben Grunde wird das Wohngebäude möglichft feitab von der
Strafse angelegt, von diefer nach vorn durch einen Hof gefchieden. Nur
die Pförtnerwohnung, allenfalls auch folche Räume, die mehr dem öffentlichen
Verkehr des Haufes dienen, werden an die äufsere Umfaffungsmauer ange-
lehnt. An der Rückfeite liebt man, um auch dort vom Geräufch der
45- Gattungen ftädtifcher Gebäude.
169
Strafse getrennt zu fein, einen Garten anzuordnen, der mit feinem Grün,
feinen Blumen und Bäumen zugleich eine freundliche Erinnerung bot an
Gärten und Parks, Wald, Feld und Wiefe, welche draufsen das Schlofs
umgaben.
Wir haben in der vorigen Epoche (vgl. § 13) einige Mufterbeifpiele
folcher ftädtifchen Hotels kennen gelernt: im Hotel de la Tremouille die
Stadtwohnung eines vornehmen Herrn vom Hofe, im Hotel de Cluny das
Abfteigequartier einer der mächtigften Abteien des Landes. Aber fchon
damals ahmte das reich gewordene Bürgerthum in feinen hervorragenden
Vertretern jene ariftokratifche Sitte nach, und Jacques Coeur ftellte in feinem
Haufe zu Bourges fich eine Wohnung her, die in ftattlicher Anlage und
reicher Ausfchmückung mit den Hotels der vornehmen Herren wetteifert.
In der Eintheilung der Räume zeigten diefe Gebäude in verjüngtem Maafs-
flab alle jene Eigenheiten, welche den Baronen der Feudalzeit von ihren
Schlöffern her lieb und vertraut geworden waren : einfach verbundene Räume
verfchiedener Art, einen gröfseren Saal, oft galerieartig ausgedehnt, vor
allem zahlreiche Verbindungen, hauptfächlich in vorfpringenden Thürmen
durch Wendeltreppen vermittelt. Auch eine Hauskapelle pflegte diefen
herrfchaftlichen Wohnfitzen nicht zu fehlen.
Diefe Grundzüge der Anlage bleiben auch während der Zeit Franz' I
in Kraft. Sie waren offenbar viel zu innig mit dem Leben und den Gewohn-
heiten der Nation verwachfen, um leicht aufgegeben zu werden. Die einzige
durchgreifende Umgeftaltung vollzog fich auf dem Gebiet der Decoration,
die allmählich fich von den mittelalterlichen Ueberlieferungen löfte und die
Formen der Renaiffance, ähnlich wie beim Schlofsbau und oft in überaus
zierlicher Behandlung, aufnahm. Nur die Hofanlagen werden manchmal
durchgreifender umgeftaltet und erhalten durch ein ausgebildetes Syftem
von Arkaden auf Pfeilern oder Säulen ein höheres monumentales Gepräge
und ein neues Motiv für die wohnliche Verbindung der Räume.
Aus dem Hotel wächft in nothwendiger Confequenz das Palais hervor,
das die Elemente jener Gebäude, nur in gefteigerter Anlage, weiter bildet.
Es erhebt fich in ähnlicher Weife über die Anlage des Hotels, wie fein
Befitzer fich über die gefellfchaftliche und politifche Stellung jener arifto-
kratifchen Claffe erhebt. Das Palais ifb nach franzöfifchem Begriff in erfter
Linie die Wohnung des Souverains. Man fpricht daher vom Palais des
Louvre, der Tuilerieen. Aber auch die Häufer jener hohen Würdenträger
des Staates oder der Kirche, welche in ihrem Kreife die Rechte der Sou-
verainetät ausübten, werden als Palais bezeichnet. Dahin gehören nament-
lich die bifchöflichen oder erzbifchöflichen Refidenzen. Wie fchon bemerkt,
weichen diefelben im Wefentlichen von der Anlage der Hotels nicht ab,
nur dafs fie diefelbe, den Bedürfniffen eines gröfseren Hofhalts entfprechend.
j^O Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
umfangreicher anlegen und grofsartiger entwickeln. Ein Punkt jedoch mufs
befonders als charakteriftifch hervorgehoben werden: die Anlage eines grofsen,
auf eine bedeutendere Menge berechneten Saales, der zu feierlichen Hand-
lungen verfchiedener Art gebraucht wurde, und in welchem fich der Begriff
der Souveränetät gleichfam verkörperte. Diefer Saal hatte dann bald auch
die geräumigere Anlage der zugehörigen Räumlichkeiten, Nebenzimmer,
Vorfäle, Veftibuls zur Folge ; befonders aber führte er bald zur grofsartigeren
Ausbildung des Treppenhaufes , das als »Escalier d'honneur« feine felb-
fländige Bedeutung erhielt. Die Renaiffance fand im Verlaufe ihrer Ent-
wicklung vorzüglichen Anlafs zur mannigfaltigen und grofsartigen Löfung
gerade diefes Bauprogramms.
Diefen ariftokratifchen Wohnungen fleht das einfache bürgerliche
Wohnhaus als Vertreter der zahlreichen Claffe gegenüber, die überwiegend
dem kaufmännifchen und gewerblichen Betriebe angehört. Schon das Bürger-
haus des Mittelalters zeichnete fich durch die Mannigfaltigkeit der Plan-
formen und des Aufbaues aus. Der individualiftifche Charakter jener Epoche
trieb jeden Einzelnen, feine Wohnung nur nach eigenem Bedürfniffe zu ge-
halten und die Anordnung des Innern nach aufsen energifch auszufprechen.
In den grofsen Handels- und Fabrikftädten der nördlichen Gegenden drückt
die Rückficht auf den öffentlichen Verkehr dem Haufe ihr Gepräge auf.
Das Erdgefchofs öffnet fich mit weiten Fenftern oder Kaufläden, bisweilen
mit Bogenhallen auf die Strafse. Der Eingang liegt zu ebener Erde und
führt unmittelbar in einen grofsen Flur, der dem gefchäftlichen Verkehr
gewidmet, erforderlichen Falles als Verkaufslokal eingerichtet war. Von
ihm führte ein fchmaler Gang nach dem hinter dem Haus liegenden Hofe,
der oft von Speichern und andern Vorrathsräumen begrenzt wurde. Auf
ihn gehen ein oder mehrere Hinterzimmer hinaus, die zu Comtoirs beftimmt
waren. Aus dem grofsen Flur , der im Bürgerhaufe gleichfam die Stelle
des Saales im Ritterfchlofs vertritt, führt eine freiliegende gerade Treppe,
oder auch eine Wendelftiege in das obere Gefchofs, welches als Wohnung
für die Familie vorbehalten ift und über dem Flur ein entfprechendes nach
der Strafse gehendes Hauptzimmer befitzt. Küche und Schlafkammern
liegen nach dem Hofe, für letztere ift aufserdem in einem zweiten Gefchofs
meiftens noch geforgt. Diefe Häufer zeichnen fich im Aufbau der Fagade
durch die zahlreichen grofsen Fenfter aus, welche oft, von fchmalen Pfeilern
getheilt, die ganze Breite einnehmen. Sie wollen fich fo weit wie möglich
gegen die Strafse öffnen, mit dem Verkehre draufsen in Verbindung ftehen.
Unterftützt wird diefe Tendenz in den nördlichen und mittleren Provinzen
durch den Fachwerkbau, der bis in die Renaiffancezeit hinein herrfchend
bleibt. Die zahlreichen kleineren Abtheilungen, welche diefe Conftruction
mit fich bringt, leifteten der Vielfenftrigkeit Vorfchub.
45 • Gattungen ftädtifcher Gebäude.
171
Anders geftalten fich Plan und Aufbau des Haufes in den ruhigen
Ackerftädten oder in Fällen, wo ein begüterter Bürger fich zu behaglichem
Lebensgenufs die Wohnung errichtet. Hier fällt die Rückficht auf den
öffentlichen Verkehr fort, vielmehr tritt das Streben ein, fich mit dem Leben
der Familie möglichft zurückzuziehen und nach aufsen abzufchliefsen. In
der Regel fteigt man von der Strafse auf einer Freitreppe zu der gefchloffenen
Thür des Erdgefchoffes empor, das fich vornehm über das Niveau der
Strafse erhebt. Die innere Eintheilung bleibt indefs der oben erwähnten
verwandt, wie denn gewöhnlich die Häufer auf fchmalem aber tiefem
Grundftück dicht an einander gerückt werden, fo dafs eine Beleuchtung
nur von der Strafse und vom Hinterhofe zu erzielen ift. Das Erdgefchofs
in diefen Häufern wird für Dienftzwecke , für Küche und Vorrathskammern
beftimmt. Im Flur liegt auch hier die Treppe zu den oberen Stockwerken,
welche der Familie als Wohnräume dienen. Die Form des Grundriffes
veranlafst auch bei diefer Gattung von Gebäuden zahlreiche grofse Fenfter
anzubringen. Nur in den füdlichen Provinzen zwingt die Rückficht auf die
grofse Sonnengluth die Fenfter fpärlicher und kleiner anzuorden.
Diefe Grundzüge der Anlage bleiben für die verfchiedenen Gattungen
des Bürgerhaufes auch während der Renaiffancezeit in Kraft , wie ja das
Bürgerthum am längften mit Zähigkeit an den Ueberlieferungen, auch an
den Formen des Mittelalters fefthielt. Die gothifche Epoche hatte die ver-
fchiedenften Materialien zur Anwendung gebracht: in den nördlichen und
mittleren Provinzen erhoben fich die oberen Stockwerke über dem in
Quadern aufgeführten Erdgefchofs in reichgefchnitztem Fachwerkbau, eins
über das andre auf vorfpringenden Balkenköpfen weit vorkragend; in
anderen Gegenden, namentlich der oberen Champagne , dem Loiregebiet
und den füdöfblichen Provinzen war ein ausgebildeter Quaderbau zu Haufe,
während in den Gegenden des füdweftlichen Frankreichs, fowie in der Nor-
mandie der Backfteinbau herrfchte. Letzteren hat, wie es fcheint , die
Renaiffance fallen laffen, ohne ihn, fo viel wir wiffen, in Frankreich künfl-
lerifch auszubilden. Der Quaderbau dagegen wurde mit Vorliebe behandelt
und erfuhr nicht blofs eine reiche und elegante Durchbildung , fondern
erlangte auch eine gröfsere geographifche Verbreitung. Endlich wurden
die Formen des neuen Stiles in den nördlichen Provinzen, namentlich der
Normandie, auch auf den Fachwerkbau übertragen, ohne jedoch dem Material
felbft angepafst zu werden.
Endlich haben wir noch diejenigen Gebäude zu erwähnen, in welchen
das Gefammtgefühl der Bürgerfchaft zu einem monumentalen Ausdruck kam :
die Stadt- oder Rathhäufe r. Sie waren, was bei der Anhänglichkeit
der Städte an die Ueberheferungen des Mittelalters begreiflich ift, in den
erften Decennien des 16. Jahrhunderts, wie wir gefehen haben, noch aus-
172
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
fchliefslich in gothifchem Stil erbaut. Erft gegen Mitte des Jahrhunderts
kommen die Formen der Renaiffance allgemeiner in Aufnahme und werden
mit grofser Pracht verwendet. Damit fchwindet der mittelalterliche Charakter
diefer Gebäude. Statt der früher beliebten offenen Hallen wird eine
gefchloffene Fagade mit Pilafterwerk und den andern decorativen Formen
des neuen Stils durchgeführt. Der Beffroi verfchwindet entweder ganz oder
macht einem kleineren Uhr- und Glockenthurme Platz. Im Innern bleibt es
indefs wefentlich bei der Eintheilung der früheren Zeit, nur dafs allmähhch
Veftibül und Treppenhaus opulentere Anlage und Ausfchmückung erfahren.
NTER den zahlreichen intereffanten Gebäuden, welche die alterthümliche
Stadt Sens trotz mancher Zerftörungen noch jetzt aufzuweifen hat, ift
der erzbifchöfliche Palaft als bedeutendes Werk der Frührenaiffance hervor-
zuheben. Um 1520 wurde der ältere, mit der Kathedrale parallel laufende
Theil durch Erzbifchof Etienne Poncher errichtet; 1535 fügte Kardinal
Ludwig von Bourbon den rechtwinklig daran ftofsenden Flügel hinzu, welcher
im Jahr 1557 vollendet wurde und als »Flügel Heinrichs II« bezeichnet
wird. Der Architekt diefes Baues fcheint Godinet von Troyes gewefen zu
fein, der 1534 auch einen prachtvollen, jetzt zerftörten Brunnen in der Mitte
des Hofes errichtete.
Der ältere Theil des Baues befteht aus einem unregelmäfsig angelegten,
der Krümmung der Strafse folgenden Flügel von etwa 160 Fufs Länge.
Neuerdings leider grofsentheils zerftört, ift er uns durch die Aufnahmen
Sauvageots') erhalten. Er befteht aus einem ganz fchmucklofen Erdgefchofs,
welches, in Quadern mit lifenenartigen Pilaftern aufgeführt, von zwei Reihen
untergeordneter Fenfter durchbrochen wird. Defto reicher und eleganter
ift das obere Stockwerk. Ueber einem Zahnfchnittgefims beginnt es mit
einem breiten Fries, den die Fortfetzungen der Pilafter theilen und deffen
Flächen unter den Fenftern mit fchön gearbeiteten Mufcheln an flatternden
Bändern und mit Harfen gefchmückt find (Fig. 64). Dann folgen Pilafter
mit reich gegliederten Poftamenten und mannigfaltig korinthifirenden
Kapitälen. Die Pilafter, Ecken und Fenfterumfaffungen beftehen aus Quadern,
die Flächen aus Ziegelmauerwerk, in welches fchwarzglafirte Backfteine
rautenförmige Mufter zeichnen. Ueberaus reich ift die Umrahmung der
Fenfter. Sie befteht aus gothifchen Dienften und Hohlkehlen , letztere
mit Laub und Blumen gefchmückt. Die Fenfter find nach dem innern
Bedürfnifs der Räume in den verfchiedenen Abtheilungen entweder einzeln
§ 46.
Der erzbischöfliche Palast zu Sens.
') Sauvageot, choix de palais etc. Vol. II.
§ 46. Der erzbifchöfliche Palaft zu Sens.
3^5 eA^.
Fig. 64. Erzbifchöflicher Palaft in Sens.
oder gekuppelt angeordnet, fämmtlich aber wegen ihrer bedeutenden
Höhe (gegen 13 Fufs im Lichten) mit zwei fleinernen Querftäben getheilt.
Den Abfchlufs bildet ein im Wefentlichen noch gothifch profilirtes Gefims,
174
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
deffen Traufrinne mit Löwenköpfen und Blattwerk gefchmückt ift. Die
glücklich vertheilten Ornamente und die grofsen Verhältniffe — das obere
Stockwerk mifst i8 Fufs Höhe — geben dem Gebäude ein wahrhaft vor-
nehmes, palaftartiges Gepräge. Ein Dachgefchofs ift nicht vorhanden.
Durch einen gewölbten Thorweg am weftlichen Ende der Fagade
gelangt man in einen äufseren Hof, der rechts durch eine Quermauer von
dem innern Hof abgefchnitten wird. Eine fchmale Pforte neben einem
gröfseren Portal führt in letztern hinein. Auf der einen Seite von der
Kathedrale, auf den beiden andern von dem Palaft gefchloffen, zeigt er
ein unregelmäfsiges Rechteck, deffen gröfste Breite iio Fufs bei 85 Fufs
Tiefe beträgt. In dem altern Flügel find zwei Wendeltreppen angebracht,
die eine nach aufsen polygon vortretend, die andre viereckig in den Bau
hineingezogen. Ihre Portale find in reichen spätgothifchen Formen durch-
geführt, nur die Füllungen der kleinen flankirenden Strebepfeiler und Fialen
zeigen feine Renaiffance-Arabesken. Auch der kleine Ziehbrunnen, der fo
angebracht ift, dafs man von aufsen und von innen fchöpfen kann, ift mit
krabbenbefetztem gothifchem Dach bekrönt, aber an feinen Gefimfen mit
Renaiffancedetails gefchmückt. Die innere Fagade diefer ältern Theile zeigt
im Wefentlichen den Stil der äufsern, nur dafs die ornamentale Pracht eine
noch viel gröfsere und mannigfaltigere ift. Ihre Arabesken gehören zu den
feinften und geiftreichften der franzöfifchen Renaiffance.
Diefer Stil modificirt fich etwas ins Strengere und Einfachere an dem
fogenannten Flügel Heinrich's II, deffen Conception indefs noch der Zeit
Franz' I angehört. Er zeigt (Fig. 16) neun ehemals offene, jetzt ver-
mauerte Arkaden im Erdgefchofs, deren Rundbögen auf Pfeilern mit vor-
gelegten korinthifchen Rahmenpilaftern ruhen. Confolen mit Akanthus-
blättern leiten von den untern Pfeilern zu den etwas lang geftreckten des
oberen Gefchoffes hinüber. Die Fenfter des letztern bieten durch ihr reich
profilirtes Rahmenwerk noch gothifche Reminiscenzen. Die Fagade nach
dem an der entgegengefetzten Seite liegenden Garten ift ähnlich, nur hat
fie im Erdgefchofs Fenfter ftatt der Arkaden. Die innere Eintheilung diefes
Flügels zeigt grofse regelmäfsige Räume und die Haupttreppe, die in geraden,
dreimal gebrochenen Läufen ins obere Gefchofs führt.
AEN ift noch immer eine der anziehendften und alterthümlichften Städte
Frankreichs. Noch hat die moderne Nachahmungsfucht die alten
gewundenen Strafsen mit ihren malerifchen Häufern nicht rafirt, um breite,
monotone »Boulevards de l'Imperatrice« durchzubrechen. Noch fieht man
in der Rue St. Pierre und in andern Strafsen ganze Reihen jener originellen.
§ 47-
Hotel Ecoville zu Caen.
§ 47- Hotel Ecoville zu Caen.
fpät mittelalterlichen Fachwerkhäufer, die in reichem Schnitzwerk mit den
Formen des Steinbaues wetteifern; überall fteigen Prachtftücke der hohen
fteinernen Thurmhelme gothifcher Zeit empor, und die Abteien Wilhelms
des Eroberers erheben fich mit ihren ernften Maffen, von einfam ftillen
Plätzen umgeben. In der Mitte der Stadt aber, vom lebendigen Treiben
des Marktes umdrängt, liegt die Kirche St. Pierre, deren Chor das reichfte
und originellfte Werk der ganzen Kirchenbaukunft franzöfifcher Früh-
renaiffance ift. An dem Platze, der diefe Kirche umgiebt, hat fich ein
Privatbau jener prächtigen Epoche erhalten, der ein muftergiltiges Beifpiel
der vornehmen Stadtwohnungen jener Zeit bietet. Das Hotel Ecoville,')
jetzt als Börfe dienend, wurde um 1530 durch Nicolas de Valois, damaligen
Herrn von Ecoville, errichtet. An einem Fenfter lieft man die Jahrzahl
1535, als Architekten hat Herr Trebutien, Bibliothekar der Stadt, Blaife
le Preßre ermittelt.
Die Fagade nach dem Platze erhebt fich über einem Erdgefchofs mit
einem oberen Stockwerk und einem Dachgefchofs , deffen Fenfter reiche
Krönungen zeigen. Die Verhältniffe fmd von vorzüglicher Schönheit, das
Erdgefchofs beträchtlich höher als das obere, die Fenfter breit und grofs
mit markig profihrten fteinernen Kreuzpfoften, die einzelnen Syfteme getrennt
durch vortretende Halbfäulen, unten und oben mit frei behandelten korin-
thifchen Kapitälen, die Bafen auf gut durchgebildeten Stylobaten ruhend.
Ein volles Verftändnifs der antiken Formen fpricht fich überall aus, ohne
jedoch fchon conventioneller Nüchternheit zu verfallen. Durchweg vielmehr
weht noch der frifche Hauch, die freie Phantafie der Frührenaiffance. Am
kräftigften kommt diefe zu Tage in den Krönungen der Dachfenfter, vor
Allem in dem prächtigen hochaufragenden Dachgiebel mit korinthifchen
Säulen und reichen Volutenkrönungen, der fich über dem Hauptportal erhebt.
Ehemals zeigte die grofse Flachnifche deffelben ein in der Revolution zer-
ftörtes Relief mit einem Reiterbild, aber nicht wie gewöhnlich in diefer
Zeit ein Portrait, fondern die Darfteilung des myftifchen Ritters der Apo-
kalypfe. Auch das Bogenfeld des Portales war mit einem Relief gefchmückt.
Das Portal ift in der Mitte der Fagade angeordnet, wenn man den rechts
vom Befchauer liegenden Flügel abrechnet, welcher mit felbftändigem fteilem
Dach als befonderer Pavillon charakterifirt ift. Eine kleine Pforte, gefchickt
an der Grenze der Fagade und des Pavillons eingefchaltet, führt von der
Strafse aus zu einer Wendeltreppe, die, auch vom Hofe zugänglich, zu
Dienftzwecken beftimmt war.
Treten wir durch den gewölbten Thorweg des Hauptportals, fo gelangen
Avir in einen der reizvollften Höfe, welche die franzöfifche Renaiffance ge-
I) Sauvageot, choix de palais etc. Vol. IV. Dazu Paluftre II, 308 ft". mit Abbild.
176
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
fchaffen (Fig. 65). Beinahe quadratifch angelegt, wird er an der Seite des
Eingangs und zur Rechten durch Wohngebäude eingefafst, während zur
Linken fich Arkaden mit ofifnen Bogenftellungen auf Pfeilern hinziehen und
die vierte Seite zwifchen Arkaden in der Mitte einen dominirenden Pavillon
zeigt, der einen quadratifchen Saal enthält. Jede Seite diefes bezaubernden
Hofes ift felbfländig, abweichend von den andern behandelt und doch die
Harmonie der durchgehenden Hauptformen glücklich gewahrt. Erdgefchofs
und oberes Stockwerk erhalten eine fefte Gliederung durch edle korinthifche
Rahmenpilafter, die fich an ausgezeichneten Stellen mit vorgelegten Säulen
verbinden. Wo im Erdgefchofs Arkaden vorkommen, fmd diefelben theils
auf Pilafter, theils auf Halbfäulen geftützt, und ihre Archivolten mit feinen
Fig. 6j. Caen. Hotel Ecoville. (Sauvageot.)
Profilirungen eingerahmt. Die Fenfter, entweder einfach oder mit Kreuz-
pfoften, haben eine ähnliche reichprofihrte Umfaffung, und ihr Mittelftab
wird durch Säulchen und Kandelaber aufs Zierlichfle gegliedert. Aufserdem
fehlt es bei den Baluftraden, den Krönungen kleinerer Fenfter und befonders
endlich bei den Dachfenftern nicht an zierlichen Ornamenten, Volutenwerk
mit Vafen, Delphinen mit Medaillons, Bändern und Feftons aller Art. Mit
der Anmuth der Erfindung hält die Feinheit der Ausführung gleichen Schritt.
Die in Abbildung beigefügte Fagade der Eingangsfeite (Fig, 66) ifl
von allen die fchlichtefte. Die höchfle Pracht entfaltet fich an der rechts
vom Eingang liegenden Seite, jetzt einen einzigen zu den Börfenverfamin-
lungen beftimmten Saal umfchliefsend, ehemals in mehrere Räume abgetheilt.
§ 47- Hotel Ecoville zu Caen.
177
Die drei breiten doppelt getheilten Fenfter find hier fo weit getrennt,
dafs eine reiche Nifchenarchitektur , mit korinthifchen Säulen eingefafst,
zwifchen ihnen Platz behält. Im Erdgefchofs fieht man in den Nifchen auf
eleganten Poftamenten die Figuren Davids mit dem Haupte des Goliath,
Fig. 66. Hotel Ecoville. Hoffeite. (Sauvageot.)
Judiths mit dem des Holofernes. Im oberen Gefchofs wird das eingerahmte
Feld durch Genien, welche ein Wappen «fammt feiner Helmzier halten, und
durch flatternde Bänder ausgefüllt. Die Baluftrade, welche beide Stock-
werke trennt, zeigt hiftorifche Reliefs, Perfeus die Andromeda befreiend und
ein anderes von unverftändlichem Inhalt. Ueber diefer prachtvollen Nifchen-
, LÜBKE, Gefch. d. Renaiflance in Frankreich. II. Aufl.
j^g Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
architektur läfst der geniale Architekt die Fenfter des Dachgefchoffes auf-
fteigen, welche durch gröfsere Anlage und reichere Krönung denen der
andern Fagaden überlegen find.
An der hinteren Ecke diefes Flügels ift nun eine breite freie Rampen-
treppe angeordnet, welche zuerft in ein reichgefchmücktes Veftibül führt,
deffen Decke elegante Caffetten und Arabesken zeigt. Diefer Vorraum
vermittelt die Verbindung zwifchen dem Saal des rechten Flügels und dem
grofsen Pavillon der Rückieite und gewährt den Zutritt zu einer bequem
angelegten Wendelftiege, welche die Ecke beider Flügel ausfüllt. Diefe hat
der Architekt in zwei luftig durchbrochenen Gefchoffen mit einer fechs-
eckigen Laterne bekrönt, die fammt der kleineren auf Säulen ruhenden
Nebenlaterne unftreitig die fchönfte derartige Schöpfung der gefammten
franzöfifchen Renaiffance ift. Mit eleganten korinthifchen Rahmenpilaftern
als Strebepfeilern flankirt, auf den Deckplatten der Gefimfe mit fchönen
Vafen und dazwifchen mit hockenden Kindern gefchmückt, giebt fie diefem
zierlichen Hofe einen unvergleichhch heiteren Abfchlufs und verkündet von
Weitem fchon die ftolz über die niedrigen Bürgerwohnungen emporragende
Behaufung des vornehmen Mannes. Auf der Spitze der Laterne fieht man
die Statue eines Apollo, auf der kleineren wie es fcheint einen Mofes und
unter dem Säulenbau der letztern wunderhcher Weife einen Priap. Die
feltfame Art wie in der reichen Ornamentik des Baues antike und biblifche
Stoffe fich harmlos mifchen, ift ein bezeichnendes Beifpiel von der Sinnes-
weife der Renaiffance.
Diefer eleganten Compofition völlig ebenbürtig ift ein anderes Pracht-
ftück, welches dem kleinen Hofe zu nicht geringerer Zierde gereicht: die
Lucarne, die den mittleren Pavillon abfchliefst (Fig. 15 auf S. 47). Wir
kennen in der franzöfifchen Renaiffance kein ähnliches Werk, das fich in
Schönheit der Verhältniffe , luftig fchlankem Aufbau und Anmuth der
Dekoration mit diefem meffen könnte. Ein grofses Bogenfenfter wird von
korinthifchen Säulen eingerahmt, auf beiden Seiten von Strebebögen gehalten,
deren Pfeiler mit Rahmenpilaftern derfelben Ordnung bekleidet und mit
Candelabern auf Poftamenten ftatt der gothifchen Fialen bekrönt find.
Den Uebergang zum höheren Mittelbau bildet volutenartiges Blattwerk,
in bärtige Köpfe auslaufend. Der Abfchlufs des Mittelbaues gipfelt, von
ähnlichen Voluten eingefafst, in einem kleineren Fenfter mit Pilaftern, über-
ragt von einem Medaillon mit dem Bruftbild der heiligen Cäcilia, umrahmt
von Arabesken mit Delphinen. Flankirt wird die Basis des Oberbaues durch
zwei Figuren, welche Marfyas und Apollo darfteilen, denen in der Mitte
der Brüftung ein bärtiger Mann zu laufchen fcheint. Unterhalb an dem
Fries lieft man dielnfchrift: >.MARSYAS VICTUS OBMUTESCIT.« Eine
andere finnige Lifchrift an der Thür der Dienfttreppe lautet: »LABOR
§ 48- Andere Privatbauten der Normandie.
179
IMPROBUS OMNIA VINCIT«. So viel über diefes Juwel der Renaiffance,
in deffen Meifter wir einen der ausgezeichnetften Architekten jener Epoche
anzuerkennen haben.
§ 48.
Andere Privatbauten der Normandie.
BEI einer Umfchau über das, was aufserdem noch an ftädtifchen Wohn-
gebäuden im Gebiete der Normandie diefem Zeitraum angehört, finden
wir nur eine fpärliche Ausbeute. Dies hat hauptfächlich darin feinen Grund,
dafs gerade in diefer Provinz die Anhänglichkeit an den althergebrachten
Fachwerkbau ungemein lange in Kraft blieb. Mochten auch die Stände
in Blois im Jahr 1520 ein Gefetz gegen diefe Bauweife erlaffen, die durch
das Vorkragen der oberen Stockwerke die Strafsen verengte und ihnen
Luft und Licht entzog, es kann kein Zweifel fein, dafs noch eine geraume
Zeit diefe Verordnung in Wirklichkeit umgangen wurde. So enftanden
jene malerifchen Häufer, deren man noch immer eine Anzahl in den Städten
der Normandie, vorzügHch in Caen und in Rouen antrifft. In trefflicher
Darfteilung wie immer gibt Viollet-le-Duc Beifpiele von diefen originellen
Schöpfungen des fpätmittelalterlichen Baugeiftes. Denn das find fie bis
tief ins 16. Jahrhundert hinein, und fo ausfchhefslich herrfchen an ihnen
die dekorativen Formen des gothifchen Stiles, dafs man meift vergeblich
nach einem Hauch von Renaiffancekunft in ihnen forfcht. Begreiflich
genug; denn gerade die Werkmeifter der Zimmerkunfb, aufgewachfen in
den Traditionen der gothifchen Architektur, hielten um fo zäher feft an
ihrer überlieferten Formenwelt, als die Umgeftaltung der Baukunft fich auf
einem ganz andern Felde, dem der Steinconftruction, vollzog. So war und
blieb noch geraume Zeit die Kunft des Zimmermanns inmitten der Gäh-
irungen und Strömungen eines neuen Baufmnes wie auf ruhiger Infel abge-
fchloffen, unberührt von den Umwälzungen, welche damals an der vor-
nehmen Steinarchitektur fich vollzogen.
Dennoch fehlt es nicht an Beifpielen, dafs zuletzt auch in dies ftille
Gebiet der Geift der neuen Zeit eindrang und mit unwiderftehlicher Kraft
auch die gothifch gefchulten Zimmermeift;er zu Conceffionen zwang. . In
der Rue de la Groffe Horloge zu Rouen ficht man zwei folcher Häufer,
die mit der mittelalterHchen Formenwelt völlig gebrochen haben und, ob-
wohl in Fachwerk durchgeführt, den ganzen Reichthum der Renaiffance-
Ornamentik in verfchwenderifcher Ueppigkeit und graziöfefl;er Ausführung
zur Anwendung bringen.^) Korinthifche Pilafter, mit köfl;lichen Arabesken
Dictionn. de l'arch. Franc., T. VI, Artikel maifon. — Viollet-le-Duc, Dict. VI,
p. 271 giebt die Fa^ade eines folchen Haufes. Vgl. auch Gailhabaud, Denkmäler.
i8o
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
bedeckt, in den unteren beiden Gefchoffen noch mit Candelaberfäulchen
bekleidet, gliedern fämmtliche drei Stockwerke. Das Erdgefchofs ift mit
zwei breiten flachbogig gefchloffenen Fenftern weit geöffnet ; dagegen ahmen
die Fenfter der oberen Stockwerke die Kreuzpfofben der rechtwinkhgen
Fenfter des Steinbaues nach. Friefe mit Arabesken, Brüftungen mit nach-
geahmten Baluftraden und prächtig gefchnitzten Reliefs trennen die Ge-
fchoffe, und den oberen Abfchlufs des Ganzen bildet eine Attika mit
Zwergpilaftern , in deren Feldern man zwifchen Rankenwerk Genien mit
Portraitmedaillons fieht. So verführerifch der Eindruck diefer köftlichen
Fagaden ift, fo darf man doch nicht vergeffen, dafs er auf Kofben jeder
rationellen Gefetze der Architektur erkauft ift.
An einem andern Bau derfelben Stadt, der Abtei von St. Am and,
wird dagegen deutlich, wie man um diefelbe Zeit vom gothifchen Fach-
werkbau zum Steinbau der Renaiffance überging. Hier wurde der ältere
Theil des Baues wohl noch im Ausgang des 15. Jahrhunderts in jener Art
der Holzconftruction durchgeführt, welche fich mit den Details der gothi-
fchen Steinarchitektur fchmückt; die Fagade gehört fogar zu den reichften
ihrer Art.') Aber unmittelbar an dies luxuriöfe Werk ftöfst im rechten
Winkel ein in der Epoche Franz' I hinzugefügter Theil, welcher in ent-
wickelten Renaiffanceformen und in Quaderbau durchgeführt ift. Man hat
dabei die Abficht gehabt, hinter den älteren Theilen an Reichthum nicht
zurückzubleiben, an gediegener Pracht fie womöglich zu überbieten. Daher
im unteren und oberen Gefchofs die energifche Wandgliederung durch
elegante korinthifche Säulen, welche auf Poftamenten vorgefchoben find.
Der in der Ecke angebrachte polygone Treppenthurm mit feinen Pilaftern und
reich gekrönten Fenftern, oben mit Candelaberfäulchen auf den Ecken, fcheint
einer mittleren Periode anzugehören. Im Innern bewahrt das fogenannte
Zimmer der Guillemette d'Affy einen der prachtvollften K a m i n e der Früh-
renaiffance. Eine Attika, mit ornamentirten Pilaftern, dazwifchen Mufchel-
nifchen mit vier Statuetten (die heilige Margarethe und eine andere Heilige,
Maria und der Engel der Verkündigung), darüber ein fchöner Akanthus-
fries, Alles mit eleganten Arabesken bedeckt, bildet den oberen Haupt-
theil. An folchen kleineren Werken befriedigt die überfchwängHche Deko-
rationsluft der Zeit mehr als an den Fagaden der Gebäude, von welchen
man gröfseren Ernft, ruhigere [architektonifche Haltung verlangen darf.
Ein anderer Kamin, noch prachtvoller, weil zu den Pilaftern, den Arabesken,
den gefchmückten Nifchen mit Statuetten noch vier figürHche Reliefs
kommen, ift in einem Haufe der Rue de la Croix de fer erhalten.^)
1) Abbild, bei VioUet-le-Duc, a. a. O. p. 270. Vgl. Taylor et Nodier, Voyages.
Normandie, Vol. II, pl. 153. 154. 156. — ^) Abgeb. in den Voyages, Normandie, Vol. II,
pl. 174. 175.
§ 49- Das Haus der Agnes Sorel zu Orleans.
Von dem unübertroffenen Prachtftück, welches die Schule von Ronen
in diefer Epoche hervorgebracht, dem Hotel de Bourgtheroulde, war
in § i8 fchon die Rede. Diefer Bau ift freilich der glänzendfte Beweis,
wie die im Ornament fchwelgerifche Phantafie der Frührenaiffance alles
architektonifche Gefetz in ein allerdings das Auge durch feine Anmuth
berückendes dekoratives Spiel auflöft.
Von dem Hotel de Than') ifl; nur noch eine Lucarne erhalten,
jedoch mit ihren phantaftifch gefchweiften Krönungen, dem könighchen
Salamander im Bogenfeld, den Medaillonköpfen im Fries und den fein
ornamentirten korinthifchen Rahmenpilaftern der Einfaffung, neben welchen
Delphine den äufseren Rahmen bilden, von unübertroffener Anmuth.
Noch ift in Andelys die fogenannte Grand' Maifon^) als anfehnHcher
Bau der Frührenaiffance zu erwähnen, indeffen nur in den Zeichnunsren
der Voyages erhalten. Die Renaiffance ringt hier noch ftark mit der
Gothik, wefshalb das Haus dem Anfang der Epoche, wenn nicht noch dem
Ausgang der Zeit Ludwigs XII zugefchrieben werden mufs. Am Aeufseren
war ein polygoner Ecker von befonders reicher nnd zierlicher Durchbildung.
Im Innern geftaltete fich derfelbe als Kapelle des grofsen, prächtigen Saales,
in den üppigften Formen des Flamboyants durchgeführt, aber mit Re-
naiffancemotiven gemifcht.
§ 49-
Das Haus der Agnes Sorel zu Orleans.
KEINE andere Stadt hat für die Renaiffance in Frankreich eine bedeu-
tendere Rolle gefpielt als Orleans. Was Ronen in der erften Epoche
unter Ludwig XII für den Norden war, wurde diefe damals mächtige Stadt
für die mittleren Provinzen. Im Herzen des Landes an dem grofsen
belebten Strome gelegen , für Handel und Verkehr wie in politifcher Be-
ziehung der Schlüffel des Südens, Hauptfbadt der Provinz, in welcher damals
•der Hof feine Lieblingsfitze hatte, zeigt die Stadt noch jetzt nach mancher
Zerftörung eine Anzahl intereffanter Beifpiele der Profanarchitektur aus
jenen glänzenden Tagen. Zu den früheften derfelben gehört das in der
Rue du Tabourg gelegene fogenannte Haus der Agnes Sorel. 3) Die Fran-
zofen, in ihrem charakteriftifchen Eifer, den fchönften Privatbauten jener
Zeit den Namen irgend einer königlichen Maitreffe beizulegen, haben im
vorhegenden Fall , den augenfcheinlichen Anachronismus überfehend,
0 Paluftre II, 312 mit prächtiger Abb. — 2) Abgeb. in den Voyages, Normandie,
Vol. II, pl. 190 — 192. — 3) Archives des monum. hift. und Verdier et Cattois, archit. civ.
et domeft. T. I, letztere Aufnahrae in mehreren Punkten von erfterer abweichend. Wir
folgen den mon. hift.
Kap. V. Die RenailTance unter Franz I.
wenigftens die Fagade nach der Strafse und die vordere Hälfte des Gebäudes
der Zeit Karls VII vindiciren wollen, ohne zu bemerken, dafs die innere
Hoffagade kaum wenige Decennien fpäter ausgeführt fein kann , als die
vordere.
Offenbar war das Haus (Fig. 67) von einem reichen Kaufmann der
Stadt erbaut, denn nur einem folchen und nicht der Geliebten des Königs
konnten die beiden grofsen, den engen Hausflur einfchliefsenden Verkaufs-
läden dienen, deren jeder durch zwei weite rundbogige Oefifnungen ein
volles Licht erhält. An den links liegenden ftöfst ein Gemach , welches
fein Licht von einem kleinen Hofe A empfängt, hinter welchem das Treppen-
haus mit feiner Wendelftiege liegt. Von dem rechts vom Hausflur befind-
hchen Kaufladen ift ein geräumiges Zimmer mit Kamin abgetrennt, welches
nach dem Innern Hofe B ein grofses Fenfter und eine Thür befitzt und
zugleich mit dem Flur und dem vordem Räume in Verbindung fleht. Die
ungleiche Tiefe beider Haushälften macht es höchft unwahrfcheinlich, dafs
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^ 'TTirr
Fig. 67. Orleans. Haus der Agnes Sorel. (Mon. hift.)
der nun folgende Theil des Gebäudes, wie behauptet wird , viel fpäter
hinzugefügt fei. Wenn an der Fagade gewiffe mittelalterliche Formen
ftärker zur Geltung kommen, fo darf man nicht vergeffen, dafs in jener
Zeit oft wenige Jahre den völligen Umfchwung zur Renaiffance bewirkten.
Aufserdem aber werden wir finden, dafs auch die Hoffagade nicht ganz
frei von gothifchen Reminiscenzen ift.
Der innere Theil des Haufes zeigt uns eine beträchtliche Verlängerung
des Flures, der indefs in der Mitte auf drei Säulen mit Rundbögen fich
gegen den Hof B öffnet und dadurch nicht blofs für fich in feiner ganzen
Länge, fondern auch für das Treppenhaus genügendes Licht gewinnt. Dem
Hofe gegenüber führt eine Thür in einen Saal von bedeutender Ausdehnung,
der auf drei Seiten mit Fenftern verfehen ift. Ihm gegenüber, den Hof
abfchliefsend, ift ein geräumiges Gemach mit Kamin angeordnet. Andere
geringfügigere Theile fchhefsen fich der Tiefe nach um einen dritten Hof C.
') So Verdier und Cattois I, p. 165 f.
§ 49- Das Haus der Agnes Sorel zu Orleans.
183
An der Strafsenfagade fällt uns zunächft auf, dafs die beiden oberen
Gefchoffe mit ihren Fenftern ziemlich fymmetrifch eingetheilt find , während
die grofsen Bogenöffnungen des Erdgefchoffes keine Rückficht auf die obere
Anordnung nehmen, eine in gut mittelalterhchem Sinne benutzte Freiheit.
Aufserdem zeigen die Profile der Bögen fammt ihren Pfeilern fowie die
Fenfliereinfaffungen gothifche Kehlen und Stabwerke. Auch die Pfoften
der Fenfter nehmen an diefer Bildung Theil, und felbft die Krönung der
letzteren durch ein verkröpftes auf Kragfteinen mit Figürchen ruhendes
Fig. 68. Haus der Agnes Sorel. Decke im Erdgefchofs,
Gefimfe ift gothifcher Abkunft. Aber die delikaten Ornamente der Fenfter-
rahmen an Laubwerken und Blätterfriefen find im ächten Geift der Re-
naiffance ausgeführt, und die graziöfen korinthifchen Pilafter der Dachfenfter
mit ihren feinen Arabesken athmen diefelbe Richtung. Unmotivirt und
unorganifch find nur die Giebel der letztern, ein Uebelftand, der indefs
urfprünglich wohl durch ornamentale Zufätze gemildert wurde. Noch ift
der prachtvollen Steinbalken zu gedenken, die im Erdgefchofs fowohl die
grofsen Bogenöffnungen in der Kämpferlinie theilen, als auch das horizontale
i84
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
Portal abfchliefsen. ') Sie waren fämmtlich mit allerliebften Relieffriefen
gefchmückt. Ueber dem Thürbalken ift noch ein eleganter arabesken-
gezierter Fries mit krönendem Gefims durchgeführt, der das Portal von
dem flachbogigen Fenfter trennt, welches dem Flur fein Licht giebt. In
den oberen Gefchoffen wiederholen fich zu demfelben Zweck kleine vier-
eckige Fenfter, auch fie mit reich dekorirter Laibung. Um das Bild diefer
originellen und malerifchen Fagade zu vollenden, fei noch der Thürflügel
gedacht, welche das Portal und die grofsen Bogenöffnungen fchloffen. Sie
zeigen in rechtwinklig umfchloffenen Rautenfeldern kräftig gefchnitzte
Ro fetten.
Die Hofifagade ruht auf Säulen, welche fammt ihren Bögen mittelalter-
liche Verhältniffe und Profile zeigen, obwohl die Kapitale mit graziöfen
Renaiffancemotiven , Arabesken , Sirenen und anderen Phantafiegebilden
dekorirt find. Auch die Fenfter und Thüren des Erdgefchoffes haben
gothifche Profile, an erfiieren aber verbinden fich damit elegante Blumen
und verfchlungene Bänder, die der Renaiffance angehören. Die beiden
oberen Stockwerke — ein Dachgefchofs giebt es nicht — find wie an der
Hauptfagade unabhängig vom Erdgefchofs in drei Syftemc von Kreuz-
fenftern eingetheilt. Auch ihre Fenfter haben an den Pfoften und dem
Rahmenwerk gothifche Rundftäbe und Hohlkehlen, wenn auch ohne Laub-
Ichmuck; aber fie fügen dazu ein ausgebildetes Pilafterfyftem , das nach
franzöfifcher Sitte lifenenartig in vertikalen Zufammenhang gebracht ift und
hart über den Arkaden in Confolen von feinftem Gefchmack endigt. Die
Pilafter und ihre Fortfetzungen haben rautenartige Füllungen, und erftere
find mit eleganten Frührenaiffance-Kapitälen von grofser Mannigfaltigkeit
bekrönt. Unter jedem Fenfter aber ficht man, von Laubkränzen umgeben
und von flatternden Bändern umfpielt, ein Wappen. Diefe Fagade, die in
ihrer ftrengeren Regelmäfsigkeit die frifche Anmuth der Frühzeit noch
bewahrt hat, mufs um 1530 entftanden fein.
Von unübertroffenem Reiz endlich find die holzgefchnitzten Decken
des Erdgefchoffes und des erften Stocks. Erftere (Fig. 68) zeigen von
kräftigen Rundftäben mit Rofetten eingefafste viereckige Felder, jedes mit
einer andern Arabeske vom zarteften Relief und der glücklichften Erfindung
ausgefüllt. Im oberen Gefchofs (Fig. 17) ift die Auffaffung eine andere.
Breite Flachbänder, von fchildartigen Knöpfen gehalten und mit köftlichen
Arabesken gefchmückt, trennen Caffetten von flacherem Profil, welche in
einem Rautenfeld jedes Mal eine Rofette umfchliefsen. Verdier und Cattois
geben Proben von beiden Syftemen.
') Die beiden uns vorliegenden Aufnahmen weichen in der Reftauration diefer Theile
merkHch von einander ab.
§ 50. Das Haus Franz I zu Orleans.
185
§ 50.
Das Haus Franz' I zu Orleans.
Zu den ausgezeichneteren unter den zahlreichen Renaiffancehäufern von
Orleans gehört das an einer Ecke der Rue de Recouvrance gelegene
fogenannte Haus Franz I. Nach den Unterfuchungen der Lokalforfcher') wurde
es 1536 durch den königlichen Kammerdiener Guillaume Tutain erbaut, durch
Franz I aber im Innern ausgeftattet und
reich gefchmückt. Man hat daraus gefolgert,
dafs der König das Haus für feine bekannte
Geliebte Anne de Piffeleu, Herzogin von
Etampes, habe einrichten laffen. So viel ift
gewifs, dafs jene Dame im Jahr 1540 auf
Einladung ihres Oheims, des Bifchofs von
Orleans, fich dort zum Befuch aufhielt, aber
nicht in der bifchöflichen Refidenz^ fondern
im Quartier St. Eufroy wohnte, in welchem
das bezeichnete Haus gelegen ift.
Das Aeufsere diefes Baues zeigt einfach
edle Formen und jene immer noch lebendige,
aber mafsvolle Behandlung, in welche feit
den dreifsiger Jahren der fprühende Ueber-
muth der Frührenaiffance umfchlug. An der
Fagade fieht man zwifchen korinthifchen
Pilaftern gekuppelte Fenfter mit Kreuzftäben,
aber mit rundbogigen Abfchlüffen, eine in
der franzöfifchen Renaiffance fonft fehr feiten
vorkommende, in Orleans aber beliebte Form. Ein rechtwinkliger Rahmen
von einfachem Profil, bekrönt von antikifirendem Giebel, in deffen Tympanon
ein Medaillonkopf, bildet die Umfaffung. Der Grundrifs^) (Fig. 69) zeigt
in der Mitte des fchiefwinkligen Planes den Hausflur, an welchen rechts
ein gröfseres, links zwei kleinere Zimmer ftofsen. Man fieht an der geringen
Tiefe derfelben, die der gröfseren Ausdehnung des Hofes zu Gute kommt,
dafs man es nicht mit einem jener in Orleans fo zahlreichen Häufer zu
thun hat, deren Erdgefchofs kaufmännifchen Zwecken diente — wie z. B.
das im vorigen § befchriebene, — fondern mit der gefchloffenen Wohnung
eines Privatmannes.
Fig. 69. Orleans. Haus Franz I. (Sauvageot.)
Vergnaud-Romanefij hiftoire d'Orleans, und M. de Buzonniere, hift. architecturale
de la ville d'Orleans ; vgl. Sauvageot, choix de palais etc. Vol. III und die Monum.
Hiftor. — 2) Der Grundrifs in den Mon. Hift. weicht in wefentlichen Punkten von dem bei
Sauvageot ab. Letzterer zeigt z. B. die Seitenmauer in gebrochener, erfterer in gerader Linie
geführt. Uns will die Aufnahme bei Sauvageot genauer bedünken.
i86
Kap. V. Die RenailTance unter Franz I.
Der unregelmäfsige Hof ift auf drei Seiten von dem Wohngebäude,,
auf der vierten von einer hohen Mauer umgeben. An der einen Langfeite
begrenzen ihn Bogenhallen, die untern auf fchlanken korinthifchen, die obern
auf kurzen ionifchen Säulen (Fig. 70). Diefe entfchiedene Betonung und
Gegenüberftellung einer fchlanken und einer ftämmigen Ordnung ift wie
alles Beftimmte von glücklicher Wirkung. Die Ausführung diefer Theile
Fig. 70. Orleans. Hof im Haiile Franz' I. (Sauvageot.)
zeugt von grofser Sorgfalt. Die reich variirten Kapitäle der unteren Säulen
gehören zu den eleganteften der Zeit (Fig. 71), die ionifchen Kapitäle der
oberen Reihe find mit Feinheit durchgebildet. Die Medaillons in den
Zwickeln, unten mit Wappen, oben mit Reliefköpfen römifcher Kaifer
gefchmückt, die wirkfam profilirten Archivolten mit ihren confolenartige:n
Schlufsfteinen und das reiche Confolengefims im oberen Gefchofs verleihen
§ 50. Das Haus Franz I zu Orleans.
187
diefer Fagade den Ausdruck lebensvoller und doch befcheidener Anmuth.
Die Arkaden dienen als Verbindung für die beiden Wendelftiegen, die an
beiden Endpunkten in viereckigen Treppenthürmen angelegt find.
Wie diefe Zeit überhaupt nach mafsvoller Anlage ftrebt, erkennt man
an den einfachen Giebelabfchlüffen der Lucarnen und der übrigen Fenfter^
befonders aber an den Treppenthüren mit ihrem dorifchen Triglyphenfries
fammt den Stierfchädeln der Metopen und dem antiken Giebel, deffen
Tympanon den Salamander zeigt. Den Abfchlufs des Hofes bildet in ganzer
Fig. 71. Orleans. Haus Franz' I. (Sauvagcot.)
Breite ein grofser Saal, durch eine kleinere Thür mit dem anftofsenden
Treppenhaufe verbunden, durch grofse Bogenportale vom Hofe und von
der Seitenftrafse zugänglich. Hier erheben fich über dem Erdgefchofs
zwei obere Stockwerke. In der Ecke, welche diefer Theil des Haufes
mit der Grenzmauer des Hofes bildet, ift im Hauptgefchofs erkerartig ein
zierliches Thürmchen ausgebaut, das einen Viertelkreis bildet. Es ruht auf
einer mufchelförmigen Wölbung (Trompengewölbe), deren Caffetten gefchmack-
volle Arabesken, figürHche Darftellungen , darunter den Salamander und
die Jahrzahl 1540 zeigen. Obwohl das Haus in traurig verwahrloftem Zu-
i88
Kap. V. Die RenailTance unter Franz I.
ftande fich befindet, befitzt es doch im Innern noch Spuren feiner ehemals
prächtigen Ausftattung. An den lebendig profilirten Deckbalken fieht man
Wappen, darunter das königliche, Lilien, gekrönte Delphine und andere
Schnitzwerke. Das Hauptftück ift aber der prachtvolle Kamin, von dem
Sauvageot eine Abbildung giebt.
§ 51-
Holz- und Fachwerkbauten in Orleans.
Es ift bezeichnend für die handelsmächtige Stadt, dafs weitaus die Mehr-
zahl ihrer alten Häufer in ihrer Anlage die Rückficht auf den leb-
haften Handelsverkehr verräth. Die meiften gehörten offenbar Kaufleuten
oder waren von ihren Befitzern, wenn diefe nicht felbft Handel trieben, im
Erdgefchofs doch durch Anordnung von Verkaufsläden möghchft einträg-
hch gemacht. Der Grundrifs diefer Häufer (vgl. die Fig. 72 und 73) ift
in der Regel nach mittelalterlicher Weife aufserordentlich fchmal, aber von
bedeutender Tiefe. Das Erdgefchofs läfst kaum an der einen Seite dem
langen engen Corridor Platz, da der ganze Raum durch einen Verkaufs-
laden eingenommen wird. Diefer öffnet fich mit grofsen Bögen auf Pfeilern
gegen die Strafse, fteht aber aufserdem mit einem Zimmer in Verbindung,
welches fein Licht vom Hofe empfängt. Eine faft an allen diefen Häufern
wiederkehrende Befonderheit ift, dafs der fchmale Hausflur da, wo er auf
den Hof mündet, fich zum Treppenhaus erweitert, welches mit einer Wendel-
fliege zu den oberen Stockwerken führt, eine ebenfo compendiöfe als
zweckmäfsige Anordnung. Der Hofraum ifh in diefen Häufern fehr eng
und wird oft durch die oberen Gefchoffe, die wohl auf fchräg anftrebenden
Stützen (Knaggen) vorgekragt flnd, noch mehr eingefchränkt.
§ 51. Holz- und Fachwerkbauten in Orleans.
189
Befonders orginell und darum beachtenswerth ift an diefen Gebäuden
die noch vielfach erhaltene Einrichtung der Verkaufsftellen. In der go-
thifchen Epoche , deren Formen jedoch bis tief in die Zeit Franz' I hinein-
reichen, befteht der immer in Holz ausgeführte Einbau der grofsen Bogen-
öffnungen aus einer Architektur, die in der Regel, wie es dem Schematismus
jenes Stiles entfprach , eine zu fclavifche Abhängigkeit von den Formen
der Steinconftruction zeigt. Wir geben in Figur 74 ein Beifpiel diefer Art.
Anders verhält es fich mit den Bauten, die den Stil der Renaiffance auf-
nehmen. Sie tragen durchweg in der Ausbildung der Holzconftruction dem
Material gebührend Rechnung. Zunächft jedoch fo, dafs gewiffe, wenn auch
phantaftifche , fo doch lebensvolle Motive der mittelalterlichen Kunft fich
einmifchen (Figur 75). Während der untere Theil der grofsen Oefifnung
Flg. 74. Orleans. Verkaufsladen. Fig. 75. Orleans. Rne du Chätelet.
eine Brüftung aus Pfoften mit Bretterfüllung erhält und ein höher auf-
fbeigender Ständer den Eingang in den Laden abgrenzt, wird der obere
Theil des Bogens durch einen kräftigen hölzernen Tragbalken, der zugleich
dem Thürpfoften Halt giebt, abgegrenzt. Die Endpunkte diefes Trägers
werden gern in mittelalterlicher Weife und in wirkfamer tektonifcher Sym-
bolik als Drachenköpfe gebildet. Auf diefem Balken ruht die hölzerne
Vergitterung, welche das obere Bogenfegment ausfüllt und felbft dann noch
dem Räume Licht gewährt, wenn die ganze untere Oefifnung durch ihre
Holzläden gefchloffen ift. Die dritte und letzte Stufe der Ausbildung diefes
Motivs vergegenwärtigt unfere Figur 76. Hier haben fich die Pfoften in
zierliche Rahmenpilafter, die Balken in Architrave und Gefimfe mit eleganten
antiken Details umgeformt, während die Vergitterung der oberen Partieen
aus Eifenftäben befteht.
190
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz 1.
Hat in diefen Einbauten die Holzconffcruction das Wort, so fpielt die-
felbe bei allen älteren Bauten bis in die erften Decennien des 16. Jahrhunderts
hinein auch in der Gefammtarchitektur der Häufer die erfte Rolle. Es ift
der Fachwerkbau, der, die oberen Stockwerke auf vorgefchobenen Balken-
köpfen vorkragend, diefen Fagaden ihre charakteriftifche Erfcheinung giebt.
Die wichtigften Elemente diefer Conftruction, die Köpfe der vorfpringenden
Querbalken, empfangen durch das gewandte Schnitzmeffer der mittelalter-
lichen Werkleute einen lebendigen Schmuck, in welchem Figürliches und
Phantaftifches anziehend fich mifcht. Auch die verbindenden Balken erhalten
durch wirkfame Profilirung, tief eingefchnittene Kehlen und fcharf vor-
fpringende Stäbe ihr künftlerifches Gepräge. Aber von der originellen
Fig. 76. Orleans. Marche a la volaille.
Frifche, mit welcher die norddeutfchen Meifter von Braunfchweig , Halber-
ftadt, Goslar, Hildesheim, Quedlinburg, Wernigerode diefen Conftructionen
eine aus dem Wefen des Materials mit tektonifcher Nothwendigkeit fich
entwickelnde Charakteriftik fchufen, ift in den franzöfifchen Bauten nur
feiten und bedingt die Rede. Gewöhnlich verfallen fie, wie fchon bemerkt,
einer gebundenen Nachbildung des Steinbaues. Auch Orleans befitzt manche
Beifpiele diefer Art, die felbft noch der Zeit Franz' I angehören. Im
Ganzen kann man fagen, dafs die Renaiffance durch den aufkommenden
Luxus des gediegenen Quaderbaues, unterfhützt durch ftaatliche Verord-
nungen, diefem Stil ein Ende machte. Doch fieht man in der Rue des
Hoteleries Nr. 48 ein Haus, welches den Fachwerkbau in die Formen einer
§52. Privatgebäude in Q.uadern zu Orleans.
191
theils nüchternen, theils fchon barocken klaffifchen Architektur überfetzt.
Es trägt die Jahreszahl 1599 und mag hier vorgreifend Erwähnung finden.
Eine fo grofse Verirrung weifen felbft die fpätgothifchen Bauten nicht auf.
Denn wenn jene die Steinformen nachahmten, fo Hefsen fie doch dadurch
das Wefen ihrer Conftruction nicht gefährden; hier aber ift von einem
rationellen Holzverband nicht mehr die Rede und damit die Berechtigung
zu folcher Behandlung völlig erlofchen.
Nicht feiten dagegen treffen wir in den Höfen der Häufer zu Orleans
hölzerne Galerieen, die zum Theil auf fteinernen Knaggen, zum Theil auf
hölzernen Stützen ruhen. Diefe zeigen manchmal eine charaktervolle Aus-
bildung. Ein Beifpiel dagegen von barocker Phantaftik ficht man in einem
Haufe der Rue de Coulon Nr. 10.
USSER den in den §§ 49 und 50 vorausgenommenen gröfseren und
r\ vornehmeren Häufern begegnen wir in Orleans einer Anzahl von
Privatbauten, an welchen die Renaiffance in opulenter Steincojiftruction fich
heiter und lebensvoll zur Geltung bringt. Um an ihnen in chronologifcher
Reihe die Entwicklung der Formen zur Anfchauung zu bringen, beginnen
wir mit einem kleinen Haufe der Rue de l'Impoffible Nr. 20, das in der
üppigften, coquetteften Frührenaiffance prangt und an Luxus der Dekoration
fämmtliche andere Privatgebäude der Stadt übertrifft. Es befteht im Erd-
gefchofs feiner ganzen Breite nach nur aus der fchmalen Hausthür und der
im flachen Korbbogen abgefchloffenen Ladenöffnung; über der Hausthür
find zwei durch ein Pilafterchen verbundene Fenfter zur Erhellung des Flures
angeordnet. Diefe Gliederung des unteren Gefchoffes wird aufs Elegantefte
■eingerahmt durch Zwergpilafter, auf Confolen mit Laubwerk verkröpft, mit
feinen Arabesken an ihren Schäften und zierHchen korinthifchen Kapitälen,
verbunden durch ein Zahnfchnittgefims. Das Bogenprofil ift aufserdem
mit einem geflochtenen Bande, die Laibung mit Rofettenfeldern, die Bogen-
zwickel endhch mit Medaillonköpfen gefchmückt. Das einzige Fenfter im
•obern Gefchofs, rechtwinklig und mit Kreuzftäben, ift wieder mit gefchmack-
vollem Bandgeflecht umrahmt und von zwei korinthifirenden Halbfäulen
eingefafst, deren Schäfte, mehr im Geifte romanifcher als Renaiffancekunft,
Rautenfelder mit Rofetten zeigen. Ueber dem Fenfter zieht fich ein Fries
mit köftlichen Akanthusranken hin, und kurze Lifenen, wieder mit Arabesken
bedeckt, leiten zu dem Fenfter des oberften Stockwerks, das mit feinem
antiken medaillongefchmückten Giebel in das Dach hineinreicht und in
I) Aufn. in den Monum. hiftor. und in Sauvageot, Vol. III.
9 52.
Privatgebäude in Quadern zu Orleans.
192
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
ähnlich üppiger Verfchwendung mit arabeskenbedeckten Pilaftern und einem
Akanthusfriefe umfafst wird. Die vollendete Feinheit der Ausführung ent-
fpricht dem ausgefuchten Gefchmack diefes kleinen Prachtgebäudes.
Diefe Ueppigkeit mäfsigt fich in den nachfolgenden Bauten zu ruhiger
Harmonie, die bei fparfamerem Detail nur durch fchöne Verhältniffe und
wohlgeordnete Gliederung wirken will. Wir nennen zunächft das edle Haus
der Rue du Tabourg , deffen fchmale Fagade im Erdgefchofs neben der
rundbogigen Hausthür einen Kaufladen hat und in den beiden oberen
Stockwerken je zwei Doppelfenfter, die durch Pilafter zu einem Syftem
zufammengefchloffen werden. An keinem der vielen Gebäude der Stadt ifh
Fig. 77. Orleans, Rue da Tabourg.
eine Gliederung nachzuweifen , die mit fo ausgefuchter Feinheit bis ins
Kleinfte confequent und doch in lebensvoller Anmuth durchgeführt wäre
(Fig. 77). Jedes der beiden Rundbogenfenfter , die nach mittelalterlicher
Weife durch ein Säulchen getheilt werden, wird durch einen Blendbogen,
der die beiden Oefifnungen umfafst, zu einem Ganzen verbunden. Die
Bögen ruhen auf cannelirten Pilafbern, deren Gefimfe nicht blofs mit dem
Kapitälgefims der Säulchen correfpondiren , fondern fogar an den gröfsern
Pilaftern, welche beide Fenfler zu einem Syftem abfchHefsen, durchgeführt
find. Ein Akanthusblatt giebt dem Gefimfe hier einen confolenartigen Halt,
und der obere Theil des Pilafterfchaftes ift mit feinen Arabeskenreliefs
gefchmückt. Die Confequenz des ausgezeichneten Künftlers, dem wir diefe
Fagade verdanken, geht fogar fo weit, auch dem Theilungsfäulchen der
§ 52. Privatgebäude in Quadern zu Orleans.
Fenfter dort wo die Brüftung abfchliefst , einen Ring zu geben und den
oberen Theil des Säulenfchaftes zu canneliren. Das Bogenfeld endlich zeigt
im erften Gefchofs Feftons mit zierlichen Bändern und ein kleines Medaillon,
im oberen Gefchofs ein gröfseres Medaillon mit figürlichem Relief.
Ebenfalls noch aus der eleganteften Zeit Franz' I, etwa um 153O)
flammt das fchöne Haus der Rue Pierre percee. Im Erdgefchofs hat es
zwei grofse Ladenöfifnungen, die aber bei ihrer bedeutenden Breite und
dem fchlanken Verhältnifs der Pfeiler den gedrückten Korbbogen zeigen.
Die Oekonomie des Raumes hat hier dahin geführt, dafs felbft die Haus-
thür in die eine der grofsen Bogenöffnungen mit hineingezogen wurde. Die
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Fig. 78. Orleans. Ruc pierre percee.
Lage des Hausflurs verräth fich aber in den oberen Gefchoffen durch die
kleinen Fenfter, welche die oberen Gänge erhellen. Diefe Anordnung,
welche dem ftreng fymmetrifchen Gefühl unferer Tage widerfpricht (Fig. 78),
ifl aus dem gefunden Baufmn jener Zeit hervorgegangen, der die innere
Raumtheilung unbekümmert an der Fagade zum Ausdruck bringt, nicht
umgekehrt dem Prokuftesbett der Symmetrie die innere Eintheilung über-
liefert. Die Gliederung der Wandflächen befteht aus einem Syfbem fchlanker,
etwas magerer Rahmenpilafter, mit den bekannten Rautenfüllungen und
reizend variirten korinthifchen Kapitälen. Die Fenfter, wie an allen diefen
Bauten zu einer Gruppe zufammengefchloffen , find breit und hoch, mit
geradem Sturz und Kreuzpfoften. Am Grundrifs des Haufes (Fig. 72) der
LÜBKE, Gefch. d. RenaiflTance in Frankreich. II. Aufl. I ^
194
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
die fchon befprochene Anlage der meiften Häufer von Orleans zeigt, ift
nur hervorzuheben, dafs die Verbindung der vorderen Räume mit dem
Hinterhaus im oberen Stockwerk durch eine hölzerne Galerie mit Säulchen
bewirkt ift, die in der punktirten Linie des Grundriffes von fteinernen
Knaggen geftützt wird.
In ähnlicher, jedoch einfacherer Weife ift das fchmale, nur aus einem
Syftem beftehende Haus der Rue de la vieille poterie ausgeführt, das eben-
falls die Hausthür in den einzigen grofsen Bogen des Erdgefchoffes einfafst
und ebenfalls rechtwinklige Fenfter mit Kreuzftäben fowie fchlanke korin-
thifche Rahmenpilafter in zwei Gefchoffen zeigt.
Eine andre Gattung von Privathäufern tritt uns in dem ftattlichen Eck-
haus der Rue de la Clouterie Nr. i entgegen. Hier durchbricht kein Kauf-
laden das Erdgefchofs: recht im ausdrücklichen Gegenfatz zu jenen dem
Verkehr weit geöffneten Handelshäufern fchliefst fich das Erdgefchofs vor-
nehm ab und zeigt in feinen kleinen, theils einfachen, theils gekuppelten
Rundbogenfenftern , welche die breiten Mauermaffen fpärlich unterbrechen,
dafs das Erdgefchofs hier nur untergeordneten Dienftzwecken beftimmt ift,
während die herrfchaftliche Wohnung in dem einzigen, aber durch feine
hohen Verhältniffe imponirenden oberen Stockwerk fich befindet. Das
Syftem der Fenfter und der einfaffenden Pilafter ift dem in Fig. 77 dar-
geftellten des fchönen Haufes der Rue du Tabourg nachgebildet, nur etwas
einfacher und ftrenger, die Rahmenpilafter ohne Füllungen, die Kapitäle
claffiziftifch in korinthifcher Form, das Ganze mehr durch edle plaftifche
Ausbildung der Glieder als (wie oben) durch ornamentale Grazie anziehend.
An einem Dachfenfter zeigen fich als Einfaffung der gekuppelten Rund-
bogenfenfter Hermen als Träger ionifcher Kapitäle.
Bauten in Backstein und Quadern zu Orleans.
EBEN dem reinen Quaderbau hat fich nun auch in einzelnen Beifpielen
JLN zu Orleans') diejenige Art von Bauwerken eingeführt, welche den
Backftein in mehr oder minder grofser Ausdehnung aufnimmt. Eine Zwifchen-
ftellung bezeichnet zunächft das Haus der Rue de l'Ormerie, welches die
Ecke der Rue Roche aux Juifs bildet. Es gehört zu den gröfseren und
vornehmeren diefer Privathäufer , theilt aber mit den meiften die aufser-
ordentlich fchmale Geftalt des Grundplanes, die neben dem fehr engen
Flur nur einem Zimmer Raum gibt. Das Erdgefchofs ift von kleinen
rundbogigen, hoch über der Strafse liegenden gekuppelten Fenftern durch-
brochen; im Hauptgefchofs find zwei ebenfalls gekuppelte, durch antiken
Giebel bekrönte hohe Fenfter angeordnet, und im oberen Stockwerk zeigen
§ 53.
') Aufnahmen in den Monuments hiftor. und in Sauvageot, III.
§ 53- Bauten in Backfteinen und Quadern zu Orleans.
die Fenfter einen geraden Sturz und, gleich den unteren, Kreuzpfoften.
Wie bei den meiften diefer Häufer wird das Kranzgefims durch das weit
vorfpringende Dach verdeckt. Korinthifche Pilafter mit regelrecht gebil-
deten Kapitalen, die Schäfte zu drei Vierteln cannelirt, gliedern in beiden
Stockwerken die Maffen, und man hat, um einen ftattlichen Eindruck zu
erzielen, dafür geforgt, neben den Fenftern, ftatt fie dicht zufammenzu-
rücken, angemeffene Mauerflächen flehen zu laffen. Die fchlichte Klarheit
diefer Fagade ift eine weitere ins Einfache gehende Umbildung der oben
befprochenen Fagade des Eckhaufes in der Rue de la Clouterie und deutet
offenbar auf die Schlufszeit diefer Epoche. Noch eins ift bemerkenswerth :
das früher nicht gekannte Streben nach Symmetrie, welches den kleinen
für den Hausflur beftimmten Fenftern ein Pendant gefchafifen hat, das aus
der Anordnung des Grundriffes keine Erklärung findet.
Merkwürdig ift die langgeftreckte Seitenfagade in der Nebenflrafse,
die in der malerifchen Weife des Mittelalters aus einer Gruppe fehr ver-
fchiedener Theile von wechfelnder Höhe und felbftändiger» Bedachung fich
zufammenfetzt. An das hohe Vorderhaus fchliefst fich der Treppenthurm
mit feinem Ziegelmauerwerk, feiner Quadereinfaffung und fpitzem Dach;
an diefen ein niedriger den Hof abfchliefsender Verbindungsbau, der zum
Hinterhaufe führt, welches wieder aus zwei felbfländigen, und zwar einem
einflöckigen und einem zweiftöckigen Theile befteht. In den Hof führt
ein breiter Thorweg, und auch das Hinterhaus hat feinen eigenen Eingang,
beide rundbogig gefchloffen. Die Fenfter fmd fämmtlich rundbogig, theils
einfach, theils gekuppelt, meiftens mit rechtwinkligen Rahmen umfafst. Im
erften Stock des Vorderhaufes ift ein hübfcher Erker auf kräftigen Con-
folen angebracht, mit korinthifchen Pilaflern dekorirt und mit einem Bogen-
giebel abgefchloffen. Er hat nur an den Seiten ein kleines Fenfter, welches
den Verkehr der Hauptftrafse fowie den der Nebenflrafse zu überfchauen
geftattet.
So weit ift faft Alles gediegener Quaderbau, namentlich an der Haupt-
fagade. Dagegen hat man fich für den Hof die Anwendung des Back-
fteins vorbehalten. Wie überhaupt in den anfehnlicheren Häufern, bildet
eine Säulenhalle mit einem Verbindungsbau an der einen Langfeite die
Vermittlung zwifchen der Treppe des Vorderhaufes und den Hintergebäuden.
Die Säulen, mit ihren frei korinthifirenden Kapitälen, die Archivolten der
Bögen, die Einfaffung der rundbogigen Fenfter und der Mauerecken, end-
lich die eleganten cannelirten korinthifchen Pilafler des oberen Stockwerks
fmd aus Quadern gebildet, die Mauerflächen ganz in Backflein ausgeführt.
Doch zeigt fich auch dabei das Streben nach künftlerifcher Gliederung, da
die Flächen mit rautenförmigen Muftern in dunkleren Ziegeln netzförmig
überzogen ffnd.
15*
196
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
Ift hier der Backfteinbau den inneren Theilen vorbehalten, fo tritt der-
felbe bei einem anfehnlichen Haufe der Rue du battoir vert endlich an der
Hauptfagade in fein Recht. Es ift ebenfalls ein Eckhaus, an die Rue de
Semoi anftofsend, aber von bedeutend breiterem Grundrifs, der Vorderbau
mit zwei geräumigen Zimmern neben dem an der einen Seite angelegten
fchmalen Hausflur, der auch hier direkt auf die Wendeltreppe führt. Das
Vorderhaus enthält, von der dortigen Sitte abweichend, nur eine Zimmer-
reihe, wodurch der Hof, der übrigens ohne alle künftlerifche Bedeutung ifl,.
an Ausdehnung beträchtlich gewonnen hat. Noch mehr Licht und Luft ifh
für ihn gefchaflen worden dadurch, dafs man den Verbindungsflügel zwifchen
Vorder- und Hinterhaus nicht nach der Seite der Nebenftrafse aufgeführt,,
fondern an die Rückwand des anftofsenden Nebenhaufes gelehnt hat. Nach
der Seitenftrafse bildet eine Mauer mit Thorweg den Abfchlufs.
Für uns das Intereffantefle ift an dem ganzen Baue die Hauptfagade.
Sie folgt bis zum Extrem dem mittelalterlichen Princip einer möglichfh
ungebundenen Eintheilung, denn ohne Grund treibt fie förmlich Luxus mit
Unfymmetrie, indem Tie ohne durch die innere Eintheilung gezwungen zu
fein, einfache und gekuppelte Rundbogenfenfter mit einander wechfeln läfst.
lieber einem hohen ariftokratifch gefchloffenen Erdgefchofs mit kleinen
Rundbogenfenftern, die einen zierlichen rechtwinkligen Rahmen mit Zahn-
fchnittfries haben, erheben fleh zwei obere Stockwerke, deren hohe Fenfter
vorzügHch elegant durchgebildet find. Es ift in beiden Stockwerken die-
felbe Form: einfaches oder gekuppeltes Rundbogenfenfter mit fteinernem
Querftab, umfafst von reichem Rahmen mit Zahnfchnittgeflms, gekrönt durch
einen mit Masken gefchmückten fchmalen Fries. Die Profile der Fenfter-
ftäbe haben noch mittelalterlichen Schnitt, die kleinen Bogenzwickel find
mit elegantem Laubwerk gefüllt, das Ganze macht eine energifche und
dabei feine Wirkung. Alle diefe Formen find aber in Hauftein durch-
geführt, ebenfo die Mauerecken mit Quadern eingefafst, die ganze Fagade
aber in Ziegelwerk mit dunklem Rautenmufter wie ein einziger grofser
Teppich behandelt. Diefer mehr malerifchen Wirkung zu Liebe ift denn
auch auf jede plaftifche Gliederung der grofsen Flächen verzichtet, wodurch
freilich der architektonifche Werth des Ganzen hinter den fchönen Quader-
fagaden, an denen die Stadt fo reich ift, zurückftehen mufs.
§ 54.
Andere Privatbauten im mittleren Frankreich.
WENN auch in den übrigen Städten diefer gefegneten Provinz nicht ent-
fernt der architektonifche Reichthum von Orleans anzutreffen ift, fo
haben wir doch hier eine kleine Nachlefe zu halten. Wir beginnen mit
Blois, wo trotz vieler Zerftörungen neuerer und neuefter Zeiten eine Anzahl
§54- Andere Privatbauten im mittleren Frankreich.
197
von Wohnhäufern nicht blofs aus den Tagen Franz' I, fondern felbft noch
aus der Zeit Ludwigs XII vorhanden find.') An diefen Privatgebäuden, fo
fchwer die Hand der Zeit und die fchlimmere der Menfchen fie gefchädigt
hat, läfst fich der Unterfchied einer Stadt wie Blois von einer Stadt wie
Orleans deutlich erkennen. Während dort Alles auf den regen Verkehr
eines Handelsemporiums hinweift, die fchmale, knappe Geftalt der Grund-
riffe, die fparfame Benützung des Raumes, die häufige Anlage von Ver-
kaufsläden , hat man es in Blois mit den ftattlichen , meift breit um einen
Hof gelagerten Häufern vornehmer Herren, die zum Hofe gehörten, zu
thun. So ftammt noch aus der Zeit Ludwigs. XII das Hotel Hurault, auch
>le Petit-Louvre« genannt^ erbaut vom Kanzler Hurault de Cheverny. Man
tritt durch einen langen, im gedrückten Bogen gewölbten Thorweg ein,
deffen prächtige Bildwerke ftarke Befchädigungen zeigen. In einer Ecke
des Hofes fieht man ein ausgekragtes Thürmchen, und am Thürfturz der
Treppe, wo ehemals das Stachelfchwein dargeftellt war, lieft man als Er-
klärung diefes Emblems Ludwigs XII das Diftichon:
»Spicula funt humili pax haec, fed bella fuperbo
Et vita ex noftro vulnere nexque venit«.
Der Brunnen bewahrt fein hübfches, mit Blei gefchmücktes Kuppel-
dach, das von der Figur eines lanzentragenden Kriegers gekrönt wird. Im
Innern zeigt ein kleines Kabinet noch feine ganze reich gefchnitzte Holz-
täfelung.
Aus derfelben Zeit ftammt das an der Ecke der Rue neuve und der
Grande Rue gelegene Hotel de la Chane ellerie.^) Seine Fagade ift
mit fehr verftümmelten Sculpturen elegant gefchmückt, und am Portal fah
man noch vor Kurzem den Hermelin der Anna von Bretagne, zum Beweis,
dafs ein Herr vom Hofe der Gemahlin Ludwigs XII fich dies Haus errichtet
hatte. Den Eingang bildet auch hier ein gewölbter Thorweg.
Trotz moderner Umgeftaltungen und Verwüftungen tragen auch das
Hotel d' Au male an der Ecke der Rue de la Fontaine-des-Elus und der
Rue Vauvert , fowie das Hotel d'Amboife an der Place du chäteau,
welches von dem berühmten Minifter Ludwigs XII, Georg von Amboife,
den Namen führt, noch Spuren des glänzenden Stiles jener Zeit. Dasfelbe
gilt vom Hotel Sardini in der Rue du Puits-Chatel , bemerkenswerth
nicht blofs durch Sculpturen an feiner Fagade, fondern durch eine kleine
mit einem Freskobild der Zeit gefchmückte Kapelle. Dasfelbe ftellt den
Gekreuzigten und am Fufse des Kreuzes vier HeiHge dar.
Vgl. über diefelben die forgfältigen hiftorifchen Nachweifungen in L. de la Sauffaye,
Blois et fes environs. Blois 1860. — ') Nicht zu verwechfeln mit dem grofsen Haus der
Rue du Lion-Ferr^, welches diefelbe Bezeichnung trägt.
198
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
Aus Franz' I Zeit flammt das Hotel d'Alluye, von Florimond
Robertet, Herrn von Alluye, Minifter und Finanzfekretär unter Ludwig XII
und Franz I, erbaut. Noch eine andere hiftorifche Erinnerung heftet fich
an diefen Bau; im Jahr 1588 wurde er vom Herzog von Guife bewohnt,
der von hier aus feinen Todesgang nach dem Schlöffe antrat. Das Ge-
bäude war eines der ftattHchften und prächtigften ; es beftand aus vier um
einen Hof gruppirten Flügeln, von welchen zwei erft in unferem Jahrhundert
abgebrochen wurden. Es ift aus Backftein und Quadern aufgeführt und
im Hofe mit Arkaden verfehen, über welchen eine Galerie fich hinzieht.
Medaillons mit den Büften von zwölf römifchen Kaifern in gebranntem
Thon, ein zur Renaiffancezeit beHebter Schmuck, dekoriren die Galerie.
In der Ecke des Hofes ift auch hier, wie bei den meifben der damahgen
Privathäufer, eine elegante Wendeltreppe in einem vorfpringenden Thurme
angebracht. Im Innern verdienen ein prachtvoller Kamin und die zierHche
Kapelle Beachtung. Der Kamin, bei Rouyer und Darcel abgebildet,')
gehört nicht, wie dort angegeben, der Zeit Ludwigs XII, fondern der
Epoche Franz' I, und zwar dem Ausgang derfelben an, wie der ftrengere
claffiziftifche Charakter der Formen, namentHch der cannelirten Pilafter und
der Volutenconfolen beweift. Er trägt die Infchrift: »ME^^^NHSO. THS.
KOINHS TrXHS«.
Das befterhaltene unter den Gebäuden diefer Epoche zu Blois ift das
Hotel Denys du Pont, welches noch jetzt den Namen feines Erbauers,
eines gelehrten Rechtskundigen, trägt. In der Rue Chartraine gelegen,
zeichnet es fich durch die feine Pilafterarchitektur feines Hofes und die
elegante, durchbrochene, mit Salamandern und andern Bildwerken ge-
fchmückte Wendeltreppe aus, welche, wie gewöhnlich, in einer Ecke des
Hofes angeordnet ift. Die inneren Fagaden beftehen aus drei mit korin-
thifchen Pilaftern auf Stylobaten gegliederten Gefchoffen, über welchen das
prächtige Rundbogengefims, das wir am Schlöffe Franz' I kennen lernten,
den Abfchlufs bildet. An dem prächtigen Treppenhaufe fieht man die
Wappen und Devifen des Erbauers und feiner Gemahhn. Sein Spruch
lautet: »VIRTVS SINE FORTVNA MANCA«, der ihrige: »CHAVFET-
TES D'ARDENT DESIR«, dazu eine flammende Räucherpfanne.
Ein Haus der zierlichften Frührenaiffance, um 1525 entftanden, fieht
man zu Paray-le-Moni al.^') Mit feinen kleinen Thürmen und den
krabbengefchmückten Dachgiebeln zahlt es dem Mittelalter noch Tribut,
aber mit den eleganten Fenftern fammt den feinen Pilaftern, welche die-
felben einfaffen, huldigt es dem neuen Stil. Nach der fo oft wiederkehren-
^) L'art architektural, Vol. I, pl. i. — V. Petit, chäteaux de la vallee de la Loire.
§54- Andere Privatbauten im mittleren Frankreich.
den Weife diefer Zeit find die Pilafter in vertikaler Richtung durch Zwerg-
hfenen fortgefetzt, alle diefe Glieder aber erhalten durch delikate Arabesken
und zierhches Mufchelwerk das Gepräge lebensvoller Anmuth.
Den Stempel derfelben Frühzeit trägt ein reich behandeltes Haus in
Rheims, in der Rue du Marc gelegen.^) Es befteht aus zwei rechtwinkhg
an einander ftofsenden Flügeln. Das Portal zeigt den Flachbogen, die
Fenfter fmd im unteren und oberen Stockwerk gekuppelt, breit, rechtwinkhg
und durch Kreuzpfoften getheilt. Ueber den Fenftern des Erdgefchoffes
fieht man Medaillons mit Bruftbildern, über denen des oberen Stockwerkes
einen Relieffries mit Kampffcenen. Magere Pilafter, durch kürzere Zwifchen-
glieder verbunden, theils mit römifchen, theils mit korinthifchen Kapitalen,
geben der Fläche jene fpielende, dekorative GHederung, die fo oft an
Tifchlerarbeiten erinnert. Anziehend dagegen ift auch hier wieder die
phantafievoll und fein behandelte Ornamentik, welche in Fülle über die
Pilafterflächen ausgegoffen ift: menfchliche Figürchen, Vögel, Lilien, Vafen,
fammt anderen Emblemen verfchlingen fich mit reizenden Laubranken.
Im Innern ein Pavillon mit einer Holzdecke, welche durch elegante gefchnitzte
Ornamente, vegetabihfche und figürliche, fich auszeichnet.
Zu Le Mans, dicht neben der Weftfagade der gewaltigen Kathedrale,
erhebt fich ein kleines Privathaus, das ebenfalls diefer Zeit angehört und
durch einen hübfchen polygonen Erker und elegant ausgebildete Dach-
giebel fich bemerklich macht.
Zu Angers ift das Hotel d'Anjou oder De Figuier^) ebenfalls ein
eleganter Bau der Frührenaiffance, beachtenswerth wegen der hoch hinauf-
gezogenen, wie immer durch Zwifchenhfenen verbundenen Pilafter, die in
ihren Füllungen graziöfe Arabesken zeigen.
Ein elegantes Haus aus der letzten Zeit Franz' I hat fich in der Rue
des Forges zu Dijon erhalten. 3) Urfprünghch ein anfehnhches Hotel ift
es durch die Revolution und andere Zerftörungen nur noch der Reft eines
ehemals durch Adel und Reichthum feiner Ausftattung bedeutenden Baues
und befindet fich in einem traurigen Zuftand von Verwahrlofung. Von
fchlechten neueren Gebäuden eingefchloffen , erhebt fich feine Fagade in
zwei Stockwerken über einem Erdgefchofs, von vortretenden Säulen auf's
Glücklichfte geghedert (Fig. 79). Die Antike ift hier bereits mit vollem
Verftändnifs gehandhabt, und den Säulenordnungen fehlen weder die durch-
gebildeten Stylobate, noch die mit Verftändnifs geghederten Gebälke und
Gefimfe. Im Erdgefchofs find es fchlanke, cannelirte, römifche Säulen, im
Taylor et Nodier, Voyages, Cliampagne I. —
la Loire. — 3) Aufn. bei Sauvageot, Tom. II.
V. Petit, chäteaux de la vall^e de
200
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
erften Stockwerk korinthifche mit glatt gelaffenem unteren Theil des Schaftes,
im zweiten leichtere korinthifche, ebenfalls gröfstentheils cannelirt, aber am
untern Ende mit freiem Ornament gefchmückt. Trotz diefer ftrengeren
Claffizität hat fich aber die dekorative Luft der Frührenaiffance ihr Recht
nicht nehmen laffen und dasfelbe fowohl in den Arabesken der Fenfter-
laibungen als in dem plaflifchen Schmuck der oberen Säulenfockel und der
Brüftungen zur Geltung gebracht. Unter den Fenftern des Hauptgefchoffes
fieht man in kräftigem Relief bewegte Reiterkämpfe, im oberen Gefchofs
halten Genien ein mit der Grafenkrone gefchmücktes, von einem Ordens-
band umfchloffenes Wappen. Die Fenfter fmd grofs, rechtwinklig mit
Kreuzpfoften ; vor den Mittelpfoften der oberen ift ein fchlankes Säulclien
geftellt, in Uebereinftimmung mit dem zierhcheren Charakter, der diefem
Stockwerk überhaupt verliehen ift. An der einen Ecke diefer anmuthigen
Fagade liegt in einem runden Thurme eine Wendelftiege, die fich gegen
den Hof mit Flachbögen öffnet. An ihrem Geländer ift eine Bahiftrade
in kräftigem Relief angedeutet. Das Haus mufs um 1 547 vollendet worden
fein, denn diefe Jahreszahl Heft man an einem der oberen Fenfter.
Das alterthümliche Troyes, an kirchhchen Denkmälern der Gothik
und der Renaiffance fo reich, befitzt in der Nähe von St. Madelaine an
der Ecke der Rue des quinze vingt und der Rue du Palais de Juflice ein
intereffantes Privathaus von reicherer Anlage, mit reizend entwickeltem, in
den feinften Renaiffanceformen durchgeführten polygonen Erker an der
Ecke und mit prächtig ftylifirten Eifengittern an den Fenftern des Erd-
gefchoffes. Die Fagade des Hofes, in den man unmittelbar von der Strafse
gelangt, gehört zu den eleganteften der Zeit. Vortrefflich dekorirte Pilafter
mit reizenden Kapitälen von grofser Mannigfaltigkeit, aufserdem Reliefs
von delikatefter Arbeit, namentlich wappenhaltende Genien geben dem
feinen Baue befonderen Reiz. Als Datum der Erbauung Heft man die
Jahreszahl 1531.
In B e f a n g o n ift das Palais Granvella ein grofser von dem berühmten
Cardinal als Privatwohnung für fich erbauter Palaft, von fchwerfälligen
Verhältniffen, wie die burgundifche Architektur fie liebt. Die Ausführung
in forgfältigem Quaderbau ift gediegen, die Wirkung im Ganzen aber düfter
und laftend. Dasfelbe gilt von dem grofsen, faft quadratifchen Hof, deffen
gedrückte Arkaden von dorifchen Halbfäulen eingefafst werden und durch-
gehends im Innern Balkendecken zeigen. Dem immerhin ftattlichen Bau
fehlt jede Anmuth der Renaiffance.
Von den zahlreichen faft überall noch vorhandenen Privathäufern
diefer Epoche wollen wir nur noch die von Tours, Joinville (Haute
Marne) und Luxeuil (Haute Saöne) erwähnen.
laus m Dijoii. (Sauvageot
202
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
§ 55-
Das Haus Franz' I zu Paris.
UNTER die edelften Leiftungen des Privatbaues diefer Epoche gehört
die allbekannte »Maifon de Frangois I«, welche aus dem Dorfe Moret
bei Fontainebleau nach Paris in die Champs Elyfees verpflanzt worden ift.
Die Fagade diefes kleinen Baues, ja die Anlage des Ganzen ift allerdings
bei diefer Uebertragung den modernen Wohnbedürfniffen angepafst und in
fehr wefentlichen Punkten umgeftaltet worden. Dahin gehört die fymme-
trifche Hinzufügung des rechts an die Mittelarkade ftofsenden Theiles fowie
die fchwere den Bau krönende Attika; ebenfo die Ausfüllung der Laub-
kränze des Friefes mit Bruftbildern der Margaretha von Navarra, der Diana
von Poitiers, Franz' I, u. f. w.^)
Den drei grofsen Bogenfenftern des Erdgefchoffes entfprechen im oberen
Stockwerk je drei durch Kreuzpfoften getheilte Fenfter mit geradem Sturz.
Jedes diefer Syfteme wird unten und oben durch prachtvolle korinthifche
Pilafter eingerahmt, deren Fläche im oberen Gefchofs Arabesken von deli-
katefter Erfindung und Ausführung zeigt, während fich vor die unteren
Pilafter üppige candelaberartige Säulchen legen. Auch die Ecken der
Fagade (die zur Rechten ein moderner Zufatz) zeigen Pilafter mit herrlichen
Arabesken, und ebenfo find die vertikalen Fortfetzungen fämmtlicher Pilafter
zwifchen beiden Gefchoffen ausgeftattet. Ihren höchften Triumph feiert
aber die Dekoration an dem überfchwänglich prachtvollen Friefe, welcher
beide Stockwerke verbindet. Er zeigt in kraftvollem ReHef in der Mitte
(moderne) Bruftbilder, von Kränzen umwunden, Wappen, die von Genien
gehalten werden, in den Seitenfeldern heitere Kinderfcenen mit bacchifcher
Bedeutung: thyrfusfchwingende und traubenlefende Genien. Der einzige
Nachklang mittelalterlicher Kunftweife giebt fich in den bunten Krönungen
der kleinen Seitenfenfter zu erkennen.
Die Kehrfeite diefes prächtigen kleinen Gebäudes hat in der Mitte eine
Vortreppe mit zwei Aufgängen, welche zu einer mit reichem Arabesken-
fchmuck verfehenen Rundbogenthür führt, die ehemals in einem Seiten-
flügel lag, wie Fig. 80 zeigt. Ueber derfelben, von zwei Baldachinen mit
I) Ueber den urfprünglichen Zuftand vgl. C. Daly, Revue generale d'architecture 1870.
Dazu Paluftre, I, 150 ff. mit Abb. — ^) Dafs diefe Bruftbilder, wenigftens gröfstentheils,
moderne Zufätze feien, habe ich fchon in der erften Auflage diefes Buches (S. 165) aus-
gefprochen. Herr Paluftre, der mir S. 150 feines fchönen Werkes vorwirft, ich habe die
modernen Zufätze von den urfprünglichen Theilen nicht zu unterfcheiden vermocht, und
deffen wohlfeile Ausfälle auf den »celebre critique allemand« von gewiffen liebenswürdigen
deutfchen Tagesfchriftftellern mit Wonne aufgenommen und verbreitet worden fmd, hat
es offenbar nicht für nöthig erachtet, meine Darftellung genau durchzufehen.
§ 56. Privatgebäude im Languedoc. 2C>5
kleinen Kuppeln eingefafst, der Salamander, der an derfelben Fagade im
Giebelfeld eines fchönen Kreuzfenfters wiederkehrt, an welchem aufserdem
zwei allerliebfte, auf Delphinen reitende Genien angebracht find. Die beiden
andern Fagaden find modernifirt, und auch an den Bildwerken der Haupt-
front bemerkt man, wie gefagt, moderne Zufätze.
Die innere Eintheilung ift modern; nur die Treppe, die in der Mitte
mit geradem Lauf auffteigt, gehört der urfprünglichen Anlage.
Fig. 80. Sogenanntes Haus Franz' I. (Paluftre-Sadoux.)
Privatgebäude im Languedoc.
IM Süden , wo die prachtvollen Ueberrefte der Römerzeit niemals ganz
ohne Einflufs auf die fpätere Entwicklung der Baukunft geblieben find,
nimmt befonders die Provinz Languedoc an der Bewegung der Renaiffance
lebendigen Antheil. In mehreren Schlöffern der Zeit (§ 43) trat uns eine
204
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
gewiffe überftrömende Ueppigkeit der Formbildung als Merkmal der Bauten
diefer Provinz entgegen. Auch in den Städten beginnt nun die Architektur
wetteifernd der allgemeinen Bewegung zu folgen.
In Cahors fieht man ein Renaiffancehaus ^) aus der früheren Zeit
Franz' I, an welchem mittelalterliche Reminifcenzen fich mit der vollen
ornamentalen Pracht des neuen Stiles verbinden. Das Portal, niedrig, gothifch
profilirt, mit horizontalem an den Ecken abgerundetem Sturz, ift von korin-
thifchen Pilaflern eingefafst. Darüber fteigt im erften Gefchofs ein gekup-
peltes Fenfber, ähnlich profilirt und umrahmt, durch kräftigen Querpfoften
getheilt, empor. Diefs Ganze ift der fonft einfachen Fagade als Prunkftück
■erften Ranges zugetheilt, Sämmtliche Glieder, die Pilafter und Fenfterftäbe,
•die Gefimfe und Friefe, find mit den eleganteften Arabesken überfluthet.
Aehnliche Dekoration füllt auch, das reich behandelte Wappen umgebend,
die Fläche zwifchen Thür und Fenfter, fo dafs nicht der kleinfte Raum
unverziert gebheben ift.
Derfelben Frühzeit gehört der Hof des Jefuitencollegiums in der Rue
•des Balances zu Touloufe.^) Ein hohes Erdgefchofs ift mit eleganten
Candelaberfäulchen dekorirt. In den Zwickeln der Arkadenbögen fieht man
•die in diefer Zeit fo beliebten Medaillons mit Bruftbildern. Das Gewölbe
•des Thorweges zeigt prächtige Caffetten in Rautenform. Ein grofser Flach-
bogen, ebenfalls caffettirt, öffnet fich darüber als Nifche. Das obere Gefchofs
ift beträchtHch niedriger gehalten, als Attika gleichfam , mit vortretenden
korinthifchen , zur Hälfte cannelirten Säulen dekorirt. Die Sockel, auf
welchen fich diefelben erheben, find durch eine Baluftrade verbunden. Der
Fries zeigt kleine Rundfenfter und reiches Zahnfchnittgefims, das über den
Säulen fich ftark verkröpft. An der einen Hofifagade enthält das Ober-
gefchofs Fenfter mit Kreuzpfoften, die andere Seite zeigt eine glänzend
heitere Loggia, deren gedrückte Rundbögen caffettirt und von prächtigen
Pilaftern eingerahmt find.
Zu den ftattlicheren Bauten der Epoche gehört ebendort das Hotel
Meynier,3) deffen Fenfter theils die Frühzeit Franz' I mit elegant fculpirten
Pilaftern und meift mit Kreuzpfoften, theils die Spätzeit des Jahrhunderts
verrathen, mit baroken Hermen und Atlanten, mit Faunen, deren Bocks-
beine fpiralförmig Verfehlungen find. Auch der Hof mit feinem Treppen-
thurm gehört der Frühepoche an, wie die reichen Ornamentfriefe, die ge-
fchmückten Pilafter und Bogenfüllungen, die Medaillons mit Bruftbildern und
der glänzende auf Confolen ruhende Bogenfries beweifen. Von der Innern
Ausftattung ift ein prachtvoller Kamin zu nennen, mit feinen Arabesken-
i) Taylor et Kodier, Voyages. Languedoc. Abth. I, Bd. 2. — Ebend. Abth. I, Bd. i.
— 3) Ebenda.
§ 57- Stadthaus zu Orleans.
205.
pilaftern, Genien, Laubgewinden, Bruftbildern und anderen Reliefs zu den.
reichften der Frührenaiffance gehörend. ^
In Albi fleht man in der Rue Timbal ein befcheidenes Backfteinhaus-
mit charaktervoller Ruftica an den Einfaffungen der Fenfher und Thüren^
offenbar etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts angehörend: die Kreuz-
ftäbe der Fenfter mit derben Atlanten, Engelköpfen und anderem Figür-
lichen decorirt, wie es diefer Stil Hebt. Ueberaus malerifch wirkt der kleine
Hof, der freilich jetzt fehr vernachläfsigt ift. Links eine halbvermauerte
Arcade von zwei fehr flach gefpannten Bögen auf einer toskanifchen Mittel-
fäule, darüber im obern Gefchofs eine noch gedrücktere Arcade, in der
Ecke ein runder Treppenthurm mit einfacher Wendelftiege , am rechten
Flügel zwifchen den ziemlich derb behandelten Fenfhern in einer Nifche
die fehr lebendig gearbeiteten Büften Franz' I und feiner Gemahlin. Das-
Ganze, trotz unbedeutender Verhältniffe, charaktervoll und originell. In der-
felben Strafse fleht man noch ein kleines Fachwerkhaus aus derfelben Epoche,,
die Fenfter in ein Syftem von ionifchen Pilaftern gefafst, an welchem jene
unmittelbare Uebertragung des Steinftils in den Holzbau ftattflndet, die wir
überall in der Renaiffance wahrnehmen, und die ftets den Untergang der
felbftändigen Holzarchitektur bezeichnet.
Hier möge noch aus der benachbarten Dauphine, an der Grenze des
Languedoc, ein köftliches, in aller Ueppigkeit der Frührenaiffance prangendes
Haus angefügt werden, welches fleh in Valence erhalten hat. Ein Pracht-
portal , mit geradem, an den Ecken abgerundetem Sturz , von einer ver-
fchwenderifchen Fülle von Ornamenten umgeben, von decorirten Pilaftern
eingefchloffen, an deren Sockeln fogar Medaillonköpfe (ähnlich wie an der
Certofa zu Pavia), bildet das Hauptftück der Fagade. Eine Mufchelnifche
mit wappenhaltenden Engeln, daneben Genien, welche eine Guirlande aus-
breiten, und darüber ein nicht minder luxuriös gefchmücktes Fenfter mit
Kreuzftäben verbindet fleh damit zu einem Ganzen von höchftem Reich-
thum. ^)
ATTE fleh in den Privatbauten, zuerft wohl durch den Adel, dann aber
1 1 auch durch den wetteifernden reichen Bürgerftand die Renaiffance
mit zahlreichen Prachtwerken in den Städten eingeführt, fo follte fle nun
auch in den für das Gemeinwefen errichteten Monumenten zur Anerkennung
gelangen. Die Rathhäufer, bis ins 16. Jahrhundert hinein durch ihre
gothifchen Formen ein Beweis des zähen Fefthaltens der Städte an den
§ 57-
Das Stadthaus zu Orleans.
Chapuy, Moyen dge monum. Vol. I, pl. 124.
206
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
Traditionen des Mittelalters (vergl. § 13), werden jetzt zu Zeugniffen, in
welchen fich die veränderte Geiftesrichtung des Bürgerthums zu glänzendem
Ausdruck zufammenfafst. Eines der früheften, vielleicht überhaupt das erfte
unter diefen Gebäuden, errichtete die Stadt Orleans. So früh allerdings,
wie Dr. Cattois') dasfelbe entftehen läfst, um die Mitte nämlich des 15.
Jahrhunderts, ift der Bau nimmermehr ausgeführt worden, und wenn der
Meifter Viart, welchem man dasfelbe, fowie das Stadthaus zu Beaugency
zufchreibt, wirklich um 1442 gelebt hat, fo kann von feiner Urheberfchaft
nicht die Rede fein.
Der Bau ift, wie der Augenfchein lehrt (Fig. 81), in der Frühzeit der
Regierung Franz' I, etwa um 1520 entftanden. Er befteht aus einem ziem-
lich regelmäfsigen Rechteck, deffen nach der engen Strafse fchauende
Fagade glänzend entwickelt ift.=) In beinahe fymmetrifcher Durchführung
wird fie in vier Fenfterfyfteme eingetheilt, jedes von Pilaftern eingefchloffen,
die vom Sockel auffteigend bis zum Dachgefims eine confequente Vertical-
gliederung bewirken. Zwifchen ihnen ift fo viel Fläche gelaffen, um neben
■den Fenftern des Hauptgefchoffes Baldachine mit Statuen anbringen zu
können und zugleich den Durchbrechungen ein Gegengewicht durch ge-
fchloffene Mauerflächen zu geben. Die Verhältniffe der Fagade haben
-dadurch eine überaus glückliche Wirkung gewonnen. Zu den wunderlichen
Spielereien diefer Frühepoche gehört es dagegen, dafs der Architekt den
Pilaftern des Erdgefchoffes ihre Kapitäle ohne alle Motivirung etwa in der
Mitte der Höhe, anftatt unmittelbar unter dem Gefimfe gegeben hat: ein
unbegreifliches Verkennen der Formen und Verhältniffe. Anftatt wohl-
abgewogener Glieder hat er dadurch häfsliche Zwergpilafter und als Fort-
fetzung derfelben nüchterne Lifenen bekommen. Alles ift übrigens mit
Reichthum und im Einzelnen mit Feinheit durchgeführt, wie denn die
ganzen Flächen des Erdgefchoffes einfchliefslich der Lifenen mit einem
teppichartigen Mufter von Lilien in zartem Relief bedeckt find. Ein befonderes
Prachtftück bildet das Portal, das unter dem zweiten Fenfter von rechts
angebracht ift. Im Rundbogen gefchloffen und mit Ornamenten und reichen
Gliederungen gefchmückt, wird es von Pilaftern eingefafst, die auf Halb-
fäulen ruhen. Die Schäfte der letzteren find in der Weife des romanifchen
Uebergangftiles mit gewundenen Canneluren und Ornamenten bedeckt.
Ueber dem Portal zieht fich ein Fries mit Wappen und Ornamenten hin,
diefs luxuriöfe kleine Prachtftück würdig abfchliefsend. Die Fenfter des
Erdgefchoffes find einfach viereckig, mit fchUchtem Rahmen eingefafst,
•oben durch ein verkröpftes Gefimfe nach gothifcher Art gekrönt.
') Verdier et Cattois, archit. civ. et dorn. — Aufn. in den Monum. hiftor. und in
"Verdier et Cattois, archit. civ. et dorn.
§57- Das Stadthaus zu Orleans.
207
Von grofsartiger Wirkung gegenüber den gedrückten Verhältniffen des
Erdgefchoffes, ift das hoch auffteigende obere Stockwerk mit feinen gewal-
tigen durch doppelte Kreuzftäbe getheilten Fenftern, den reichen Baldachin-
nifchen und dem überaus prachtvollen Kranzgefims (Fig. 81). Die Ver-
hältniffe fmd hier von feltnem Adel, das Ganze von harmonifcher Wirkung.
Das Rahmen- und Pfoftenwerk der Fenfter ift noch durchaus in gothifchem
Sinne aus mageren Säulchen und tiefen Hohlkehlen zufammengefetzt. Auch
Fig. 81. Vom Stadthaus zu Orleans. (Mon. hift.)
das ift ein mittelalterHcher Gedanke: die Einfaffung durchbrochener Rund-
bögen, welche in graziöfem Spiel den oberen Abfchlufs bildet. Ebenfo
fmd die Nifchen der Statuen mit ihren Baldachinen völlig in gothifchen
Formen durchgeführt, doch hat der Architekt mit Verftändnifs ihnen einen
flachen Abfchlufs gegeben, um fein Hauptgefims nicht zu durchfchneiden.
Er hat damit die Herrfchaft der Horizontale, die Berechtigung des neuen
Stiles befiegelt und durch die weife Unterordnung der zur Anwendung
gebrachten mittelalterlichen Formen diefen ein Bürgerrecht in der neuen
208
Kap. III. Die Renaiffance unter Franz I.
Bauweife gefiebert. Im Uebrigen fpricbt die Renaiffance in den fcblanken
Pilaftern, den wappenbaltenden Engeln an der Fenfterbrüftung, den Profilen
und Ornamenten der Gefimfe fich vernehmlich aus. Nur in dem Kranz-
gefmis kommt noch einmal ein Compromifs zwifchen beiden Stilen in glück-
licher Weife zur Geltung.
Die Hauptform desfelben , der Rundbogenfries, ift , ähnlich wie die
Säulen des Portals , der romanifchen Bauweife entlehnt , und es verdient
Beachtung, dafs die Frührenaiffance öfters fich der Formen diefes ihr inner-
lich verwandten Stiles bedient hat. Aber fie weifs ihn in ihrem Sinn
umzubilden, neu zu beleben, ja zu bereichern , und giebt uns darin einen
bemerkenswerthen Fingerzeig, in welchem Geift eine fchöpferifche Archi-
tekturepoche auch die Formen der Vergangenheit wieder flüffig zu machen
verfteht. Die Mufcheln der Bogenfüllungen, die Ornamente der Glieder und
der kleinen Zwickel bezeugen diefs. Nur zwifchen den Pilaftern und dem
Fries ift keinerlei organifche Verbindung gewonnen, wie denn überhaupt
die lockere Compofition davon Zeugnifs ablegt, dafs die Meifter jener Zeit
meift noch unficher zwifchen den beiden Bauftilen umhertafteten. Unmittelbar
über dem Gefims liegt die Traufrinne mit ihren prächtigen Rofetten und
ihren Wafferfpeiern , dann folgt die durchbrochene Baluftrade der Galerie,,
welche fich vor den Fenftern des Dachgefchoffes hinzieht : diefe wieder mit
ihren Fifchblafenmuftern ein letzter Nachhall des Flamboyant. Die ganze
Compofition diefer reichen Krönung bildet offenbar die Vorftufe für jenes
noch grofsartigere, noch entwickeltere Kranzgefims, das wir in Blois an der
inneren Fagade kennen lernten. Auch die beiden kleinen pfefiferbüchfen-
artigen Thürmchen auf den Ecken find eine mittelalterliche Conception,
auch fie jedoch mehr dem romanifchen als dem gothifchen Stil verwandt.
Die Dachfenfter endhch mit ihren Kreuzpfoften werden von korin-
thifirenden Pilaftern eingefafst, die horizontal durch ein Gefims ver-
bunden find. Sehr unorganifch fteigen über diefen krönende Spitzgiebel
auf, die durch ihre Steile und die abfchliefsende Kreuzblume der gothifchen
Auffaffung angehören. Uebrigens ift zu bemerken, dafs die Fagade mancherlei
Befchädigungen erfahren hat, weniger wohl durch die Hugenotten, »die
undankbaren Söhne unferer chriftlichen Civilifation« , wie Dr. Cattois fie
fchmeichelhaft bezeichnet, fondern durch die Revolution, welche namentlich
die fünf Statuen franzöfifcher Könige aus ihren Nifchen herabwarf und zer-
trümmerte. Gegenwärtig ift das Gebäude in würdiger Weife gefchützt und
zum Mufeum der Stadt umgeftaltet.
Der Grundrifs ift einfach. Ein mit Kreuzgewölben gedeckter Flur,
neben welchem auf beiden Seiten anfehnliche Räume mit grofsen Kreuz-
gewölben auf achteckigen Pfeilern liegen, führt zu einer Treppe, auf welcher
man den höher gelegenen Hof erreicht. Hier erhebt fich rechts der
§ 58. Das Stadthaus zu Beaugency.
209
gewaltige Beffroi , rechtwinklig , aber nicht quadratifch , mit einem runden
Treppenthurme zu anfehnlicher Höhe auffteigend und mit fchlankem Spitz-
helm in einer Höhe von ca. 180 Fufs gefchloffen. Das obere Gefchofs
öffnet fich auf allen Seiten mit hohen gothifchen Fenftern als Glockenftube.
Die Krönungen der Fenfter im gefchweiften Spitzbogen , fowie die Fialen
und die Fifchblafengalerie am Anfang des Daches bezeugen deuthch die
fpätgothifche Entftehung. Damit ftimmt die Nachricht wohl überein, dafs
Robin Galier um 1442 den Thurm errichtet und 1453 das Werk vollendet
habe.
Das obere Gefchofs des Vorderbaues befteht in feiner ganzen Aus-
dehnung aus einem Saal von 60 Fufs Lange bei 2 5 Fufs Breite. An feinen
Schmalfeiten find zwei Kamine angebracht und zwei Thüren führen aus
einer Vorhalle hinein. Letztere, in narthexartiger Form, ift fammt der
Wendeltreppe in ganzer Länge vor dem Saal hingeführt.
ER erfte Ort, welcher dem mächtigen Orleans in Aufführung eines
Ly Rathhaufes in der neuen Bauweife folgte, war die kleine Stadt Beau-
gency, zwifchen Blois und Orleans an der Loire gelegen.') Der Stil des-
felben ift dem des Stadthaufes von Orleans fo nahe verwandt, dafs man
mit Wahrfcheinhchkeit auf denfelben Meifter fchhefsen darf. Als Erbauungs-
zeit wird das Jahr 1526 angegeben. Jedenfalls wurde der kleine Bau erft
nach dem Vorbilde , das Orleans gegeben hatte , errichtet , nicht wie
Dr. Cattois annimmt, vor jenem. Abgefehen davon , dafs in der Regel die
grofsen, mächtigen Gemeinwefen es find, die in der Architekturentwicklung
die Entfcheidung geben und durch bedeutende Werke einer neuen Richtung
zuerft Bahn brechen^ find auch gewiffe Formen am Rathhaufe zu Beaugency
offenbar erft die weitere Entfaltung, zum Theil felbft die höhere Vollendung
des in Orleans Begonnenen. Ausdrücklich gilt dies von dem herrhchen
Kranzgefims , das an Reichthum und Adel dem von Orleans überlegen ift
und fich dem prachtvollen des Schloffes von Blois an die Seite ftellt. (Vgl.
Der kleine Bau befteht aus einem unregelmäfsigen Rechteck, das im
Erdgefchofs eine nach der Strafse geöffnete Halle, im oberen Stockwerk
den grofsen Rathsfaal enthält. Der Aufgang liegt an der Rückfeite in
einem polygonen Treppenhaufe mit breiter Wendelftiege. Die Fagade gehört
zu den reichften und zierhchften der Zeit (Fig. 82). Die grofsen halb-
gefchloffenen Arkaden mit flachem Korbbogen, mit welchen das Erd-
Aufn. in den Mon. hiftor. und bei Verdier et Cattois, archit. civ. et domeft.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl.
§
Das Stadthaus zu Beaugency.
Fig. 82.)
210
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
gefchofs fich gegen die Strafse öffnet, find offenbar aus der im benach-
barten Orleans gebräuchlichen Kaufladenanordnung herübergenommen.
Zierlich und elegant ift das Portal mit den kleinen gekuppelten Fenftern
darüber.
In unbekümmerter Weife verfolgt das obere Gefchofs fein eigenes Gefetz
der Anordnung und Eintheilung, ohne Rückficht auf die Axentheilung des
Erdgefchoffes. Defshalb find feine Pilafter auf Kragfteinen mit Voluten
verkröpft. Unter den Wappen und Emblemen, welche die Fenfberbrüftungen
ausfüllen, bemerkt man den Salamander Franz' I. Sehr fchön find die
Verhältniffe, Eintheilung und Dekoration der drei grofsen Fenfter mit ihren
von köfthchen Arabesken belebten Kreuzftäben, nicht minder gefchmack-
voll die Ornamente an den Kapitälen der Pilafter und in den Füllungen
ihrer Schäfte. Die höchfte Pracht aber entfaltet fich in dem Kranzgefims,
das nur am Schlofs zu Blois feines Gleichen findet. Die Flächen des oberen
Stockwerkes find endlich mit einem LiHenmufter bedeckt, zum Beweis für
die unerfättliche Dekorationsluft diefer Zeit.
§ 59-
Das Stadthaus zu Paris.
DIE Stadt Paris befafs im Mittelalter für die Berathungen ihrer Vorfteher
ein Haus am Greveplatz , die fogenannte Maifon aux Piliers , welche
1357 um die Summe von 2880 Livres von einem Privatmann erworben
wurde.') Nach den Befchreibungen von Zeitgenoffen und nach einem
Miniaturbild des 15. Jahrhunderts war es ein anfehnlicher Bau mit einer
Bogenhalle im Erdgefchofs, zwei Höfen, einer Kapelle und einem grofsen
Saal. Bei der ftarken Zunahme der Bevölkerung in der Refidenz, die damals
fchon eine Weltftadt zu werden anfing, hatte fich der Bau längft unzureichend
erwiefen, als die Schöffen am 13. Dezember 1529 den Befchlufs fafsten,
den König um Erlaubnifs zum Ankauf mehrerer benachbarter Häufer und
zum Neubau eines gröfseren Stadthaufes anzugehen. Gern ertheilte Franz I
die erbetene Ermächtigung, und am 15. Juli 1533 wurde unter grofser
Feierlichkeit der Grundftein gelegt. Als Erfinder des Planes und oberfter
Leiter der Ausführung wird Doinenico Boccador aus Cortona genannt, der
dafür einen Jahrgehalt von 250 Livres empfing. Unter ihm war als
Maurermeifter Piert'e Sambiches mit 2 5 Sous Taglohn und für die Zimmer-
arbeit Jehan Affelin mit 75 Livres Jahrgehalt angeftellt. Man ficht fchon
aus dem Verhältnifs diefer Zahlen, dafs der Italiener in hervorragender
') Die hiftorifchen Notizen in dem fchönen Werke von Victor Calliat, l'hötel de ville
de Paris. Avec une hiftoire de ce monum. par le Roux de Lincy. Paris 1844. 2 Vols. Fol.
— Ein Mitglied der Architektenfainilie Chambiges, die bis ins 17. Jahrhundert vorkommt.
212
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz I.
Stellung als erfindender und leitender Architekt jenen blofs ausführenden
Meiftern gegenübertritt.
Der Bau wurde anfangs energifch gefördert, fo dafs bis 1 541 die drei
Flügel, welche vorn, rückwärts und an der rechten Seite gegen die Seine
den Hof umfchliefsen, im Wefentlichen vollendet waren. Namentlich ftand
der Hof an den drei bezeichneten Seiten damals gröfstentheils fertig da,
fo wie er noch jetzt fich zeigt. Als aber am 2. Juli 1541 bei Annäherung
der feindlichen Truppen die Stadt Paris für Befeftigungswerke die Summe
von 34.000 Livres zahlen mufste, wurde die Hälfte der Arbeiter entlaffen
und der Bau bis 1548 mit alfo verringerten Kräften langfamer fortgeführt.
Eine Federzeichnung vom Jahre 1583^) zeigt nur das Erdgefchofs im Rohen
angelegt, darüber ragen drei ungleiche Giebel auf ; vollendet ift blofs der
Pavillon rechts nach der Seine hin. Im Jahre 1589 droht plötzlich der
letzte fehr verfallene Reft der Maifon aux Piliers, die Pförtnerwohnung, den
Einfturz und mufs fchnell abgetragen werden. Man begreift leicht, dafs in
der langen Zeit der rehgiöfen Wirren und der Bürgerkriege die Stadt weder
Luft noch Mittel zur Förderung des Baues fand. Als mit Heinrich IV
Friede und Vertrauen dem Reiche wiederkehrten, wurde der Bau feit 1600
mit neuem Eifer in Angriff genommen und 1607 die Fagade »avec les
pilaftres , moulures, enrichiffement , corniche, attique et fronton« in ihren
Haupttheilen vollendet. Es blieb noch der Uhrthurm des Mittelbaues zu
errichten , der die Form einer offenen Laterne erhalten foUte. Die aus-
führenden Meifter wurden angewiefen, »fuivant le deffm en parchemin« —
worunter wohl nur die Pläne Boccadors zu verftehen find — den Uhrthurm
mit zwei Gefchoffen in Form einer Laterne zu erbauen, »qui doivent fur-
monter le cadran et au dernier desquels fera mis ung timbre ou cloche
pour fervir d'horloge.« Die Baumeifter fprachen fich dahin aus, dafs das
Dach »la forme, ftructure et fagon du comble de la grande falle du Louvre«;
erhalten foUe.^) Seit 1608 wurden nun die Vollendungsarbeiten mit Eifer
in Angriff genommen, die proviforifchen Säulen des Erdgefchoffes durch
cannelirte korinthifche erfetzt, das Gefims mit einer Baluftrade gekrönt,
welche der Plan Boccador's nicht vorfchrieb, und über dem mittleren Portal
im Bogenfeld auf fchwarzem Marmorgrunde das Reiterbild Heinrichs IV in
Hochrelief ausgeführt. Es war das Werk des trefflichen Bildhauers Pierre
Biard, der als »Architecte fculpteur du Roy« bezeichnet wird. Die Aus-
führung des Baues leitete zu diefer Zeit Meifter Pierre Guillairi. Seit 1609
wird der Pavillon des linken Eckflügels, feinem Pendant genau entfprechend,
errichtet, bis 161 2 der Glockenthurm fammt Uhr und Glocke hinzugefügt
und fchliefslich in auffallend langfamer Bauführung von 16 18 bis 1628 der
^) Als Vignette bei Calliat, Tom. II, pl. i wiedergegeben. — Calliat II, p. 7.
§ 59- Das Stadthaus zu Paris.
213
linke Flügel des Hofes und damit der ganze Bau vollendet. Seit der Mitte
des vorigen Jahrhunderts, als die Räumlichkeiten immer unzureichender
fich erwiefen, trug man fich mit Erweiterungsplänen, die indefs erft in
neuerer Zeit von 1837 bis 1846 nach den Plänen Godde's und Lefueur's
in ausgezeichneter Weife zur Verwirklichung kamen. Durch die Com-
munards 1871 eingeäfchert, wurde der Bau feitdem durch Bally und
De Perthes wieder hergeftellt.
Um ein Bild von der Anlage des alten Baues zu gewinnen, müffen wir
die ausgedehnten Flügelbauten mit den beiden Seitenhöfen, das Treppen-
haus mit feiner grandiofen Doppeltreppe und den grofsen Feftfaal im hin-
teren Flügel hinwegdenken. Wir erhalten dann die trapezförmige, nach
der Tiefe fich erweiternde Grundform des alten Stadthaufes , welches fich
mit vier Flügeln um einen ähnlich angelegten Hof gruppirte. Der Bau
wurde an der Rückfeite durch eine kleine Quergaffe von der gothifchen
Pfarrkirche St. Jean en Greve, an welche fich die grofse viereckige Kapelle
St. Jean anfchlofs, getrennt. An der linken Seite ftiefs die Heiligg^ift-
Kapelle mit dem neben ihr fich ausdehnenden Hofpital an; an der rechten
dagegen begrenzte ihn die Rue du Martroi, deren Eingang indefs gefchickt
durch den grofsen Thorweg des dort errichteten Eckpavillons in den Bau
hineingezogen war. Die Fagade ift völlig fymmetrifch entwickelt: in der
Mitte der Haupteingang, jederfeits von drei Theilungen mit Fenftern ein-
gefafst; dann als Abfchlüffe die mächtigen Eckpavillons mit ihren Durch-
fahrten.
Auf einer polygonen Rampentreppe gelangt man zum Eingang in den
Flur, der in der Axe des Baues mit einer Anzahl Stufen, ganz wie am
Stadthaus zu Orleans , den 1 2 Fufs über dem Strafsenniveau liegenden
trapezförmigen Hof gewinnt. Urfprünglich hypäthral, erft neuerdings mit
einem Glasdach eingedeckt, wird derfelbe von Arkaden auf Pfeilern um-
zogen , hinter welchen die Bureaux in einfacher Flucht fich hinziehen.
Mehrere zweckmäfsig angelegte Treppen, fämmtlich in geradem Lauf auf-
fteigend und über dem erften Podeft ebenfo umwendend, bieten überall
genügende Verbindungen. Die Haupttreppe, noch immer anfehnlich genug,
liegt rechts am Eingang. Sie hat auf den Podeften gedrückte Rundbogen-
gewölbe, die mit Kreuzrippen und Schlufsfteinen in gothifcher Weife aus-
gebildet find. Dagegen ift ihr fteigendes Tonnengewölbe in glänzender
Weife mit Caffetten in mannichfaltiger Ornamentation gegliedert. Diefe
Theile gehören in ihrer charaktervollen Architektur zu denen, welche das
urfprüngliche Gepräge am treueften bewahrt haben. Dasfelbe gilt von den
inneren Fagaden des Hofes. Sie zeigen im Erdgefchofs ionifche, im oberen
Stockwerk korinthifche Halbfäulen, fämmtlich uncannelirt, im Uebrigen mit
ihren Stylobaten, Gebälken und Gefimfen aus dem vollen Verftändnifs der
214
Kap. V. Die RenailTance unter Franz I.
antiken Formen gefchaffen. In den Bogenzwickeln der unteren Arkaden
find Medaillons, offenbar für Bruftbilder, eingelaffen. Die Plafonds der
Galerieen zeigen grofse Mannichfaltigkeit der Eintheilung und Dekoration,
alles im Sinn der Antike. Die Frührenaiffance mit ihren übermüthigen
Formenfpielen und ihren mittelalterlichen Anklängen fpuckt nur noch
einmal, luftig genug, in den üppig dekorirten Umrahmungen der Dach-
fenfter.
Treten wir fchliefslich noch einmal vor die Fagade, um den künft-
lerifchen Eindruck derfelben zu prüfen. Ueber einem niedrigen, als Sockel
des Oberbaues behandelten Erdgefchofs erhebt fich ein hohes Parterre,
und über diefem ein noch bedeutenderes Obergefchofs. Dann fchHefst der
Mittelbau mit Gefims und Baluftrade ab, während die Eckpavillons noch ein
zweites mit korinthifchen Pilaftern dekorirtes Stockwerk zeigen, über welchem
fich die fteilen Dächer erheben. Diefen mächtig abfchliefsenden Maffen
hält der fchlanke Glockenthurm des Mittelbaues mit feiner prachtvoll deko-
rirten Uhr und den beiden achteckigen Laternen ein wirkfames Gegen-
gewicht. Die Gliederung und Dekoration der Fagade ift von grofsem
Reichthum. Im Erdgefchofs faffen tiefe Bogennifchen die Fenfter ein,
welche rechtwinklig, durch Kreuzftäbe getheilt und mit antikem Giebel
gefchloffen find. Kräftig vortretende korinthifche Säulen, cannelirt, auf
hohen Stylobaten, ftark verkröpfte Gefimfe ftützend, geben eine ungemein
wirkfame Gliederung. Das obere Gefchofs hat enorme Fenfter von 20 Fufs
Höhe im Lichten und deshalb mit doppelten Kreuzftäben getheilt. Je ein-
facher aber ihre Umrahmung ift, defto reicher die Decoration der Zwifchen-
wände. Ueber den Säulen des Erdgefchoffes fteigen kurze Pilafter auf,
mit vorgelegten Voluten reich gefchmückt. Auf ihren üppigen ftark aus-
ladenden Kapitälen erheben fich fchlanke Tabernakel, mit Rundgiebeln
bekrönt, eleganten Bogennifchen als Einfaffung dienend , welche Statuen
enthalten. In diefer originellen Decoration fordert die Plaftik der Früh-
renaiffance noch einmal ihr Recht. Dasfelbe gilt in verftärktem Maafse,
felbft noch mit gothifirender Tendenz von den Baldachinen der Nifchen,
die im Erdgefchofs der beiden Pavillons angebracht find. In diefen Deco-
rationen, fowie in den hohen Dächern mit ihren Fenftern und Kaminen
hat der italienifche Architekt dem franzöfifchen Nationalgeift feine Con-
ceffionen gemacht.
§ 60.
Oeffentliche Brunnen.
HAND in Hand mit dem Streben nach reicherem Schmuck de's öffent-
lichen Lebens geht die Errichtung von ftattlichen Brunnen, die fortan
im Sinne der Renaiffance zu monumentalen Werken ausgeprägt werden.
§ 6o. Oeffentliche Brunnen.
215
Schon das Mittelalter hatte diefen Denkmälern eine befondere Vorliebe
zugewandt; aber in der gothifchen Epoche hatte die kirchliche Architektur
einen zu einfeitigen Einflufs auf ihre Form und Ausbildung gewonnen, und
es konnte nicht als eine in tektonifchem Sinne angemeffene und wahrhaft
künftlerifche Löfung betrachtet werden, wenn die Form eines gothifchen
Thurmes im verkleinerten Nachbild eines Spitzpfeilers als Motiv zum
Wafferfpenden zur Verwendung kam. Denn die metallenen Röhren, welche
in folchem Fall das Waffer zu vertheilen haben, werden in ihrem rein
Fig. 83. Brunnen zu Mantes. (Sadoux.)
äufserlichen Anfatz an den Körper des Denkmals keineswegs zu künftle-
rifchen Trägern ihrer Funktion.
Die Renaiffance greift zur Form eines weiten Beckens zurück, aus
deffen Mitte fich in der Regel ein reich gefchmückter kegelförmiger Pfeiler-
bau erhebt. Eines der zierhchften Denkmäler . diefer Art, noch aus der
Epoche Ludwigs XII, befitzt die Stadt Tours. Jacques de Beaune, Seig-
neur de Semblangay und Gouverneur der Touraine , liefs dasfelbe aus
carrarifchem Marmor durch den berühmten Bildhauer Michel Columb ent-
werfen, deffen Neffen Baßien und Martin Francois es im Jahre 15 10 aus-
2l6
Kap. V. Die Renaiffance unter Franz 1.
führten. Das kleine Monument') befteht aus einem achteckigen Becken,
aus welchem fich ein 15 Fufs hoher pyramidaler Auffatz erhebt. Das
Baffm hat auf den Ecken originelle ionifche Zwergpilafter mit cannehrten
Schäften und in den zierlich umrahmten Feldern Ornamente von Ranken,
Fig. 84. Fointaine zu Clermont-Ferrand. (Chapuy.)
Kränzen und flatternden Bändern. Die Pyramide entwickelt fich in einer
Anzahl horizontaler Abfchnitte, bei deren Gliederung und Profilirung die
Kunft der Renaiffance den ganzen Reichthum ihrer Phantafie aufgeboten
hat. Geflügelte Wafferfpeier , deren urfprünglicher Charakter nicht genau
') Vgl. die Aufnahme bei Berty, ren. mon., Tom. II.
§ 6o. Oeffentliche Brunnen.
217
mehr zu erkennen ift, fpenden das belebende Element. Unter den zahl-
reichen Wappen und Emblemen, die an den Flächen fich finden, fieht man
die Namenszüge Ludwigs XII und feiner Gemahlin Anna, von gefchmack-
vollen Ornamenten umgeben. Auffallend genug find am oberen Theile,
wo fich aus eleganten Voluten die Spitze in Form einer gefchweiften
Geländerfäule entwickelt, die Werkzeuge der Paffion angebracht. So fpielt
der fchwache Anklang eines religiöfen Elements in dies rein weltliche Denk-
mal hinein.
Ein anderes anmuthiges Denkmal diefer Art ift der in Fig. 83 dar-
geftellte, von 1519 bis 1521 ausgeführte Brunnen zu Mantes. Auf einem
achteckigen Becken erhebt fich ein polygoner Pfeiler, auf welchem die
runde, mit einem zierlichen Relieffries gefchmückte Schale ruht. Ueber
diefer fteigt ein ganz in Plaftik aufgelöfler Pfeiler empor, der eine kleinere,
noch reicher dekorirte Schale trägt. An beiden Schalen find Masken ange-
bracht, aus welchen fich die Wafferftrahlen in das Becken ergiefsen. Der
Charakter des Ganzen ift der einer fpielenden zierlichen Frührenaiffance.
Ein Werk von bedeutenderem Umfang ift die Fontaine Delille zu
Clermont-Ferrand, von der wir unter Fig. 84 eine Abbildung beifügen.^)
Sie wurde im Jahr 1 5 1 5 von Jacques d' Amboife bei der Kathedrale errichtet,
neuerdings aber auf die Place Champeix übertragen, wobei das achteckige
Becken ungefchickter Weife durch ein rundes erfetzt wurde. In ihrem
fpielend dekorirten Autbau und felbft zum Theil in den Einzelheiten der
Ornamentik enthält fie noch gewiffe gothifche Nachklänge , die jedoch in
zierlicher Weife fich mit den Details der Renaiffance, mit arabesken-
gefchmückten Pilaftern, fowie mit mancherlei figürlichem Beiwerk verbinden.
Das Ganze macht einen originellen, phantaftifch heiteren Eindruck.
Von der Fontaine des Innocents zu Paris, dem edlen Werke Jean
Goujons, ist in § 63 ausführlicher die Rede.
Vgl. Chapuy, Moyen äge pitt. III, pl. 88.
VI. KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN VALOIS.
A. DIE HAUPTMEISTER UND IHRE WERKE.
§ 6i.
Veränderte Zeitverhältnisse.
LS Franz I ftarb, hinterliefs er feinem Sohn und Nach-
folger, wenn man Brantome Glauben fchenken darf,
einen Staatsfehatz von drei bis vier Millionen, ohne
die jährhchen Einkünfte zu rechnen. Heinrich II
trat die Herrfchaft an, erfüllt von dem Wunfche, in
die Fufsftapfen feines Vaters zu treten, an Pracht,
Glanz und Ruhm ihn wo möglich zu übertreffen.
Ein fchöner Mann, wohlgewachfen und ftattlich, dem
die dunkle Gefichtsfarbe einen befonders männlichen Ausdruck verlieh,
abgehärtet und in allen Leibesübungen erfahren, ahmte er nicht ohne Erfolg
das ritterliche Wefen feines Vaters nach. Dem Krieg und Soldatenwefen
leidenfchaftlich ergeben, fetzte er fich Entbehrungen und Gefahren aus wie
der gemeine Soldat; es war etwas von jenem Geifte perfönlicher Tapferkeit,
der feinen Vater auszeichnete. Ein trefflicher Reiter und leidenfchaftlicher
Pferdeliebhaber, wurde er bewundert wegen feiner ritterlichen Haltung;
nicht minder hing er wie Franz I an dem Vergnügen der Jagd, namenthch
der Hirfchjagd, deren Anftrengungen und Gefahren er fich, jeder Witterung
trotzend, ausfetzte. Ein Meifter in den verfchiedenen Arten des Ballfpiels,
nahm er auch darin für fich den fchwierigften und gefährUchften Poften in
Anfpruch, und zwar nicht aus Gewinnfucht, denn damals fei die Partie nur
§ 6i. Veränderte Zeitverhältniffc.
219
um zwei, drei bis fünf Hundert Thaler, nicht wie fpäter um vier, fechs
Taufend, ja um das Doppelte gegangen, und der König habe den Gewinn
ftets an feine Umgebung vertheilt.') Ebenfo war er neben dem Herrn von
Bonnivet der befte Springer am Hofe , und über einen Waffergraben von
fünfundzwanzig Fufs Breite zu fetzen, war ihm ein Leichtes. Bei folchen
Gelegenheiten liebte er es, feine Gefchicklichkeit und Kraft vor den Damen
des Hofes leuchten zu laffen, und die kluge Katharina von Medici wufste
dafür zu forgen, dafs es an einem glänzenden Flor fchöner Damen nie fehlte.
Das Verhältnifs zu diefer merkwürdigen Frau war ein eigenthümliches.
Egoiftifch und kalt berechnend, mufste fie ihre Herrfchfucht , die einzige
Leidenfchaft ihres Lebens, zurückdrängen und die Allmacht der Diana von
Poitiers, die Heinrich zur Herzogin von Valentinois erhob, ruhig ertragen.
Die ränkevolle Florentinerin, in der feften Ueberzeugung , dals ihre Zeit
kommen werde, begünftigte fogar den Verkehr mit diefer Hauptmaitreffe,
wie fie denn keinen Augenblick Bedenken trug, durch die fchönen Damen
ihrer Umgebung ihren Gemahl und alle einflufsreichen Männer am Hofe in
Liebesnetze zu verftricken und nach Kräften zu verderben. Auch in diefer
Hinficht waren die Sitten am Hofe Heinrichs II nicht blofs die Fortfetzung
derer feines Vaters, deffen Hof Brantome fchon »affez gentiment corrompu«
nennt, fondern der Sohn wufste fein Vorbild noch zu übertreffen. Eine
monumentale Beftätigung diefer Thatfachen wird man darin finden, dafs,
während Franz I an feinen Bauten aufser dem eigenen Namen nur den feiner
Gemahhn anbringen liefs , Heinrich II fich nicht fcheute, Namenszug und
Symbol feiner Concubine überall verfchwenderifch auszutheilen. Aus diefen
Verhältniffen ging die womögHch noch gefteigerte Neigung zu Feften und
Luftbarkeiten aller Art, zu Turnieren, Maskeraden, Schauftellungen, Balleten
und Tänzen hervor, welche in der Lebensbefchreibung diefes Königs bei
Brantome fich fo aufserordentlich breit machen. Es fei nur an die Feft-
lichkeiten beim Einzug des Königs in Lyon erinnert, wo mit Gladiatoren-
fpielen und Galeerenkämpfen, Naumachieen nach antiker Weife, die damals
in Frankreich faft noch unerhörte Aufführung einer Tragödie abwechfelte
und die Illumination der ganzen Stadt den Befchlufs machte. Hand in
Hand damit ging die noch gefteigerte Pracht der äufseren Erfcheinung des
gefammten Lebens, Wir wollen nur an die herrlichen Rüftungen mit ein-
gelegten Goldornamenten oder getriebenen Reliefs, an die glänzenden
Teppiche, an die berühmten Fayencen, die man als »Faience Henry II«
bezeichnet, erinnern.
Sieht man aber genauer zu, fo gewahrt man bald, dafs der Sohn den
Vater doch nur äufserUch nachahmte, und diefs gilt befonders für das
I) Vgl. die Schilderung bei Brantome, Capit. Francais, Art. Henry II.
220
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Gebiet idealer Strebungen. Wohl fchützte und pflegte Heinrich, auch darin
den Spuren feines Vaters folgend, Wiffenfchaft und Kunft. Einer Anzahl
tüchtiger Gelehrter gab er Penfionen und Unterftützungen , der Dichter
Jodelle erhielt von ihm für feine Tragödie Cleopatra fünfhundert Thaler,
den froftigen Ronfard, der das Entzücken der Zeit war, nannte der König
»feine Nahrung,« für feine Maitreffe liefs er ein prachtvolles Schlofs erbauen,
. und die angefangenen Unternehmungen feines Vaters, namentlich den Louvre
und das Schlofs von Fontainebleau, fowie manche andere wurden mit nicht
geringerem Glänze weiter geführt. Aber jenes perfönliche Verhältnifs zu
Gelehrten , Dichtern und Künftlern , welches bei Franz I in menfchlich
liebenswürdiger Weife hervortritt und auf einer tieferen Schätzung alles
geiftigen Schaffens, vorzüglich der Kunft, beruht, jenen warmen perfön-
lichen Antheil, der allen Schöpfungen Franz' I den Zauber einer indivi-
duellen Frifche und Anmuth verleiht, fuchen wir vergebens bei Heinrich IL
Ihm ift es mehr um äufseren Glanz zu thun , feine Kunftförderung quillt
nicht aus der Liebe zur Sache, fondern aus Prunkfucht und Ruhmbegier.
Gleichwohl fmd die während feiner Regierung (1547 — 1559) entftandenen
Schöpfungen, obwohl häufig bereits ein kühlerer Hauch, ein ftärkeres
Walten der Reflexion fleh zu erkennen giebt, diejenigen Denkmale der
franzöfifchen Renaiffance, in welchen, was die Epoche Franz' I in ver-
fchwenderifchem Keimen und Blühen begonnen hatte, zur vollen Entfaltung
gelangt, in welchen der nationale Baugeift, tiefer erfüllt und gefättigt von
der Antike, feine edelften Offenbarungen erlebt. —
Eine allmähliche Umwandlung, langfam aber ficher vorfchreitend, voll-
zieht fleh während der Regierung der drei Söhne Heinrichs, die einander
den Preis der Erbärmlichkeit flreitig machen. Die fchhmme Saat, die ihr
Vorgänger durch fein fchwankendes, haltungslofes Wefen , durch das auf-
wuchernde Parteigetriebe und die fchmachvollen Verfolgungen der Huge-
notten, endlich durch feine finnlofe Verfchwendung ausgeftreut hatte, ging
nunmehr wuchernd auf. Schon Franz I hatte nur durch drückende Auf-
lagen die Korten, welche feine Kriege und fein glänzender Hofhalt heifchten,
zu beftreiten vermocht; aber feine geregelte Finanzwirthfchaft hatte
fchlimmere Folgen verhütet. Unter Heinrich II, deffen finnlofes Gebahren
durch beftändige Kriege, üppigen Hof halt und verfchwenderifche Ausftattung
der Maitreffen die Grundfeften des nationalen Wohlftands erfchütterte, ftieg
das jährliche Deficit auf drittehalb Millionen und die Staatsfchuld auf die
für jene Zeit ungeheure Summe von fechsunddreifsig Millionen. Mit diefer
Schuldenlaft hinterliefs er feinen Söhnen die immer übermüthiger werdenden
Faktionen der Grofsen, vor Allen die Herrfchfucht der Guifen, die ungelöfle
religiöfe Frage und den beginnenden Bürgerkrieg. Die drei elenden Söhne
Heinrichs, Franz II, der in dem einen Jahre feiner Regierung (i 559— 1 560)
§ 6i. Veränderte Zeitverhältniffe.
221
die Schuldenlaft auf dreiundvierzig Millionen brachte, Karl IX (1560 bis
1574), der ächte Sohn feiner Mutter, und der tückifche Heinrich III (1574
bis 1583) häuften auf das unglückliche Land alle Gräuel und Schrecken
des religiöfen Bürgerkrieges. Alle drei, fyfkematifch durch die verruchten
Anfchläge ihrer Mutter verderbt, durch Ausfchweifungen vorfätzlich ent-
nervt, waren willenlofe Werkzeuge in der Hand diefes weiblichen Macchiavell.
Ohne Gemüth und Gewiffen, ohne Treu' und Glauben, verrätherifch zwifchen
den Parteien fchwankend, ift fie die Incarnation der ruchlofen itahenifchen
Politik jener Zeit. Kein Wunder, dafs die Blätter der franzöfifchen Ge-
fchichte in diefer Epoche mit Blut befudelt find, dafs unter Franz II bei
Entdeckung der Conde'fchen Verfchwörung gegen die Guifen zwölfhundert
Edle hingerichtet werden, dafs unter Karl IX über die arglofen Proteftanten
die Gräuel der Bartholomäusnacht ausbrechen, dafs Heinrich III mit der-
felben feigen Verrätherei fich von den Guifen befreit.
Wenn in folchen Zeiten, wo die Sittlichkeit vergiftet, der nationale
Wohlftand zerrüttet, die Gewiffensfreiheit mit Füfsen getreten, das Land
durch Mord und Brand verwüftet ift, von glänzenden Werken der Kunft
geredet werden foll, fo vermag der Gefchichtsfchreiber nicht ohne Beklommen-
heit ans Werk zu gehen. Vollends wenn es fich dabei um Monumente
handelt, in denen die Prachtliebe und Ruhmfucht der Grofsen fich auf
Koften des ganzen Volkes verewigt hat, in denen man beim erften BHck
nur Offenbarungen der Eigenliebe und Eitelkeit wird anerkennen wollen.
Und doch verhält es fich anders bei tieferem Nachdenken. Gerade in
Zeiten, wo die menfchliche Natur ihre Nachtfeite herausgekehrt zu haben
fcheint, wo ein widriges Gemifch von Frivolität und Bigotterie, von brutaler
Gewalt und tückifchem Verrath die Luft verpeftet , thut es doppelt Noth,
auch die Lichtpunkte aufzufuchen, um die tröflUche Gewifsheit aufrecht zu
halten, dafs das Edle nur zurückgedrängt, nicht ganz vernichtet ift. Selbft
bei Katharina von Medici dürfen wir nicht vergeffen, dafs fie aufser der
ränkevollen itahenifchen Politik doch auch die Kunftliebe ihres Haufes mit
nach Frankreich brachte, und während der Scheinregierung ihrer Söhne
als thätige Befchützerin der Künfte, vor Allem der Architektur, einen wohl-
thuenden Einflufs übte. Befonders aber, wenn wir den Glaubensmuth der
Proteftanten, das feurige Auflehnen gegen ftaatlichen und kirchUchen Ter-
rorismus, den Auffchwung des wiffenfchaftUchen Lebens, der trotz der
Bürgerkriege doch auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unge-
hemmt feinen Fortgang nimmt, ins Auge faffen , wie hoch fteht da jenes
frifche Jahrhundert der Geifter über jenen fpäteren Epochen, wo die Blei-
decke des Defpotismus fich über ganz Europa immer weiter ausbreitet und
felbft in Deutfchland alle jene Länder, die damals freudig der religiöfen
Wiedergeburt anhingen, jetzt längft durch den Habsburger Jefuitismus und
222
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
blutige Dragonaden zum alleinfeligmachenden Glauben zurückgezwängt, im
dumpfen Geiftesdruck der Pfaffenherrfchaft begraben fmd.
So richten wir uns denn gern an dem kraftvollen Geiftesleben jener
Zeit auf ; fo erquickt uns in diefer Epoche, gegenüber dem öden Unglauben,
der, mit barockem Aberglauben gemifcht, uns die Erfcheinung der Katharina
von Medici und ihrer Sippfchaft fo widerwärtig macht, jeder Geiftesftrahl,
der aus den Werken eines einfamen Denkers, wie Michel de Montaigne,
bricht, und fo fmd auch die Kunftfchöpfungen der Zeit als Zeugniffe des
geiftigen Lebens und des Schönheitsfmnes uns hochwillkommen. Dafs in
ihnen aber fortan ein andrer Ausdruck herrfcht, wird die nähere Betrachtung
ergeben.
§ 62.
Umgestaltung der Architektur.
IN der fpäteren Zeit Franz' I hatte die franzöfifche Baukunft die letzten
Spuren des Mittelalters abgeftreift und fich aus der fpielenden Ver-
wendung antiker Elemente zu einem klareren Verftändnifs und einer fyfbema-
tifchen Behandlung erhoben. Wie Heinrich II in allen Punkten feinem
Vater nachzueifern fuchte, fo ift auch die Architektur zunächft die unmittel-
bare Fortfetzung der Richtung-, in welche die vorige Epoche ausmündete.
Schon der Umftand, dafs eine Reihe bedeutender Bauten, wie der Louvre
und das Schlofs von Fontainebleau , von Franz I begonnen, zu vollenden
waren, brachte ein AnfchHefsen an die bisher geübten Formen mit fich.
Die edle Anmuth der Schlufsepoche Franz' I fetzt fich daher unmittelbar
eine Zeit lang fort. Inzwifchen machten fich jedoch daneben neue Ver-
hältniffe geltend, aus welchen fich allmählich eine ftarke Umgeftaltung der
Architektur ergab.
Das Entfcheidende ift, dafs kurz vor der Mitte des Jahrhunderts eine
Reihe einheimifcher Architekten auftreten, die nicht mehi-, wie die früheren,
fchHchte mittelalterliche Werkmeifter find, fondern fich als freie Künftler
fühlen, an der humaniftifchen Bildung der Zeit vollen Antheil nehmen und
ihre Studien in Rom an den Denkmälern antiker Kunft vollenden. Hatten
bis dahin nur die in's Land gerufenen italienifchen Künftler eine folche
Stellung eingenommen, fo wetteiferten die einheimifchen Architekten fortan
mit den ItaHenern, nicht ohne in einen beftimmten Gegenfatz zu ihnen
zu treten. Durch diefe vöHig veränderten äufseren Bedingungen kam ein
neues Element in die Architektur, das der eigentlich modernen Subjectivität.
Die Perfönlichkeit der einzelnen Künftler bringt in den verfchiedenen Werken
fich mit Bewufstfein zum Ausdruck und die Gefchichte der Architektur
wird nunmehr, wie fie es in ItaHen fchon lange war, zur Gefchichte der
Architekten. Gleichwohl bleibt bei allem individuellen Gepräge den Werken
62. Umgeftaltung der Architektur.
223
ein nationaler Grundzug gemeinfam, der fie von den italienifchen deutlich
unterfcheidet. Diefs nationale Element läfst fich in den Grundriffen, im
Aufbau wie in der Dekoration, erkennen. Was die Planform betrifft, fo
gewinnt diefelbe jetzt die völlig durchgebildete Regelmäfsigkeit und Sym-
metrie, welche überall im Programm der modernen Baukunft liegt. Die
vielen selbftändigen Ausbauten, die runden Eckthürme, die vorfpringenden
polygonen Treppenhäufer, in welchen fich die vorige Epoche noch gefiel,
fallen fort, und die Fagaden zeichnen fich in klar überfichtlichem recht-
winkligem Zuge der Linie. Die Treppen werden in's Innere hineingenommen,
mit gerade auffteigendem und dann rückwärts gewendetem Lauf, wie fchon
die Römer fie in ihren Theatern, Amphitheatern, Thermen und ähnHchen
Bauten zur Anwendung gebracht. Bisweilen finden fich auch wohl opulentere
Treppenanlagen mit doppelten Läufen; doch find das noch Ausnahmen.
Bei alledem bleibt als ächt franzöfifche Eigenthümhchkeit die Anordnung
von Pavillons auf den Ecken, auch wohl in der Mitte der Fagade, welche
durch ihre Maafse, meift auch durch gröfsere Höhe einen wirkfamen Rhyth-
mus der Linien ergeben. Diefs ift der letzte Anklang der mittelalterlichen
Thürme, freiHch in ganz moderne Form überfetzt.
Im Aufbau machen fich als nationale Elemente nach wie vor die
grofsen rechtwinkligen Fenfter mit ihren Kreuzpfoften, vor allen aber die
Dachgefchoffe und die fiieilen Dächer mit den zahlreichen hohen Kaminen
und den Lucarnen auf allen Theilen des Baues, befonders auf den Pavillons,
geltend. Letztere namentlich find auch jetzt mit Vorliebe ausgebildet, und
wenn in ihren Bekrönungen die gothifchen Traditionen den antiken Giebeln,
geradlinigen, runden und felbft fchon gebrochenen v/eichen, fo wird in der
ornamentalen Ausbildung bis auf die Verwendung von Hermen und Karya-
tiden nichts gefpart.
Diefs führt uns auf das gefammte Detail der künftlerifchen Ghederung
und Dekoration, in welchem fich der individuelle Charakter der einzelnen
Künftler am fchlagendften zu erkennen giebt. Man unterfcheidet bald bei
Künftlern wie Pierre Lescot die vollere Anwendung der Plaftik, die reichere
Fülle des Ornaments von der herberen und knapperen Ausdrucksweife, wie
fie Philibert de l'Orme z. B. am Schlofs St. Maur anwendet. Im Ganzen
macht fich zunächft doch ein Streben nach einfach ftrengen Ausdrucks-
mitteln, nach einem gewiffen ruhigen Ernft der Flächendekoration geltend,
wie es die gleichzeitigen ItaUener, ein Vignola und Palladio, zur Herrfchaft
bringen. Man erkennt darin das genauere Studium der antiken Refte und
des Vitruv, das Vorwalten einer theoretifchen Richtung, die zugleich in
den literarifchen Arbeiten eines Bullant, du Cerceau, de l'Orme fich aus-
fpricht. In der Ghederung der Flächen gewinnt der dorifche Pilafl;er die
Oberhand, und ein Syftem von Nifchen gefeilt fich dazu, wie z. B. beim
224
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Louvrehof und beim Schlofs von Ancy-le-Franc. Bald aber empfand man,
dafs die zahlreichen Pilafterordnungen den Fagaden etwas Monotones und
Kleinliches gäben, was bei der im Ganzen geringeren Stockwerkshöhe der
franzöfifchen Bauten — einem natürlichen Ergebnifs der klimatifchen
Bedingungen — um fo unverkennbarer hervortritt. Daher jene Verfuche,
durch Einordnung zweier Stockwerke in eine mächtige Pilaflerflellung den
Fagaden einen Ausdruck von Würde und Gröfse zu geben, von denen wir
fchon in § 36 an den jüngeren Bauten von Chantilly ein Beifpiel gehabt
haben. In diefen Löfungen fmd die franzöfifchen Architekten ganz originell^
wie fpäter auch die Betrachtung von Charleval (§ 76) beweifen wird.
Im Ganzen entgehen nun freilich diefe fr-anzöfifchen Werke ebenfo
wenig wie die verwandten italienifchen einer gewiffen Kühle, ja felbft
Nüchternheit des Eindrucks, und bisweilen empfindet man den Hauch diefer
Kälte etwa wie den einer Ronfard'fchen Ode, manchmal aber auch wie die
edle verftändige Klarheit eines Effais von Montaigne. Nicht feiten fcheint es
fogar, als wolle die Architektur in Sack und Afche eines freudlofen fchema-
tifchen Dorismus und einer »mürrifchen« Ruftica Bufse thun für die fröh-
lichen Thorheiten ihrer harmlos fpielenden Jugendjahre unter Franz 1.
Aber neben diefer ftrengeren Aufifaffung gewinnt bald eine andere Platz,
die man den geraden Gegenfatz, das Durchbrechen eines übermüthigen
phantaftifchen Sinnes nennen kann , der aber nicht mehr in der freien
Hebenswürdigen Naivetät der Frühepoche, fondern in bedenklicher Wendung
zum Barocken zur Erfcheinung kommt. So ift das »weifse Haus«, welches
Karl von Bourbon dem Schlofs Gaillon hinzufügte (§ 16), durch feine
dorifchen Rufticafäulen, durch die häfslichen Hermen mit Schmetterlings-
flügeln und mit Voluten ftatt der Arme, durch die grotesken Panisken mit
kreuzweis verfchlungenen Bocksbeinen ein tolles Prachtftück diefer Mifs-
architektur. Malerifch, ja theatralifch bewegte Atlanten, hockende Panisken
mit doppelten Schmetterlingsflügeln, Fenfber mit gebrochenen und auf-
gerollten Giebeln, Ueberhäufung mit wild in's Kraut gefchoffenem Laub-
werk fleht man am Terraffenbau des Schloffes Vallery (§ 74). Diefe
Phantaftik wirkt um fo empflndlicher, als fle mit einer bewufsten und
korrekten Gliederbildung Hand in Hand geht, das Walten der Reflexion
überall durchfchimmern, die Abwefenheit der Naivetät alfo deutlich erkennen
läfst. Solche Bauten fchwanken oft in ihren einzelnen Theilen zwifchen
Nüchternheit und Ueberladung, wie die Zeit felbft zwifchen den Extremen
fanatifcher Bigotterie und fchamlofer Ausfchweifung hin und her trieb.
Verwunderlich aber ift, gegenüber der Strenge, die damals noch in Italien
herrfchte, das Losbrechen diefes tollen Fafchings, in welchem wir wieder
eine ächt nationale Eigenheit anzuerkennen haben. Denn es fpiegelt fleh
darin jener Hang zu forcirter Uebertreibung, welchem der Franzofe, deffen
§ 6j. Pierre Lescot und Jean Goujon.
225
Bewegungslinie fich ftets in Extremen hinzieht, auf allen Gebieten geiftigen
Lebens von je her fich überlaffen hat. Bauten, wie die oben gefchilderten
zu Gaillon und Vallery kann man als Grimaffen der Architektur bezeichnen,
und folche Grimaffen fchneidet die franzöfifche Kunft auch fonft noch zur
Genüge. Indefs dürfen wir nicht vergeffen, dafs durch keinen Geringeren
als Michelangelo bereits ein bedenklicher Vorgang für die Entfeffelung
fubjektiver Willkür gegeben war. Immer aber fteht die ausgeartete Renaif-
fance Italiens noch ernft und ftreng da gegenüber den Uebertreibungen
franzöfifcher Kunft. Namentlich unterfcheidet fich von dem pompöfen
Pathos des fpäteren italienifchen Barockftils diefe Architektur durch das
bezeichnende Streben nach einer falfchen Grazie, welches indefs feines
Zieles fo weit verfehlt, dafs es eher in's Poffenhafte, Burleske umfchlägt.
die liebenswürdige Geftalt Pierre Lescots^ in welchem die phantafie-
volle Kunft der Frühzeit ihren durch das Studium der Antike geläuterten,
geradezu klaffifchen Ausdruck findet.^) Er wurde, wie es fcheint, um 15 10
zu Paris geboren als Sohn des Seigneur de Clagny, feines gleichnamigen
Vaters, der in angefehenen Hofämtern zu den Rathen Franz' I gehörte.
Als Sohn eines edlen Haufes in angenehmen Verhältniffen aufgewachfen,
fühlte der junge Pierre fich früh fchon zu den Wiffenfchaften und Künften
hingezogen , wie uns fein Freund Ronfard in einem längeren Gedicht
»Toy, L'Escot, dont le nom jusques aux aftres vole,
As pareil naturel: car, eftant ä l'escole,
On ne peut le deftin de ton esprit forcer,
Que tousjours avec l'encre on ne te vift tracer
Quelque belle peinture, et ja, fait geometre,
Angles, lignes et poincts für une carte mettre.
Puis, arrivant ton age, au terme de vingt ans,
Tes esprits courageux ne furent pas contans
Sans doctement conjoindre avecques la peinture
L'art de mathematique et de l'architecture,
Oü tu es tellement avec honneur monte
Que le fiecle ancien eft par toy furmonte.«
Dafs er fodann zeitig nach Rom gegangen und dort die antiken Denk-
mäler ftudirt hat, kann keinem Zweifel unterliegen, wenn es auch nicht
*) Für die Lebensgefchichte diefes und der anderen franzöfifchen Meifter diefer Epoche
vgl. die ausgezeichnete Schrift von A. Berty, les grands architectes Frangais de la renaif-
fance. Paris 1860. 8. — 2) Oeuvres de Ronfard, ed. Blanchemain (Paris 1866) VI, p. 188.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. . \ j
erzählt :
226
Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
durch fchriftliches Zeugnifs beftätigt wird. Seine Werke beweifen es zur
Genüge, denn damals gab es in Frankreich kein anderes Mittel, fich eine
gründliche Kenntnifs der antiken Architektur zu verfchaffen. Nach feiner
Rückkehr mufs er bald die Aufmerkfamkeit Franz' I auf fich gezogen
haben, wie uns wieder Ronfard erzählt:
»Jadis le Roy Francois, des lettres amateur,
De ton divin esprit premier admirateur,
T'aima pardelTus tout: ce ne fut, en ton äge,
Peu d'honneur d'eftre ayme d'un fi grand perfonnage« ....
Gewifs ift, dafs er feit 1 546 den Neubau des Louvre leitete, dem er bis zu
feinem Tode im Jahr 1578 ununterbrochen vorftand. Wie fehr Heinrich II
ihn fchätzte, erfahren wir abermals durch Ronfard's Erzählung:
»Henry, qui apres lui tint le fceptre de France,
Ayant de ta valeur parfaite cognoiffance,
Honora ton f^avoir, fi bien que ce grand roy,
Ne vouloit escouter un autre homme que toy« ....
Der König ernannte ihn zu feinem Rath und Almofenier, aufserdem zum
Abt von Clermont und endHch im Jahr 1554 zum Canonicus bei der Kirche
Notre Dame zu Paris. Er mufs alfo die niederen Weihen empfangen
haben, was bei feiner forgfältigen und felbft gelehrten Erziehung um fo weniger
Anftand fand. Bezeichnend für die Zeit ift, dafs das Kapitel von Notre
Dame ihn zurückwies wegen feines Bartes, den er nach der Hoffitte trug.
Erft auf feine motivirte Vorftellung dispenfirte ihn das Kapitel von der
Verpflichtung der Canoniker, mindeftens einmal alle drei Wochen fich
rafiren zu laffen, und nahm ihn, mit Bart, in feine Reihen auf.
Lescot fcheint nicht zu den vielbefchäftigten Architekten der Zeit gehört
zu haben. Seine Vermögenslage wies ihn nicht auf Erwerb hin und die
Stellung bei Hofe mag ihn ganz ausgefüllt haben. Wir wiffen nur, dafs er
in St. Germain l'Auxerrois in den Jahren 1541 bis 44 den Lettner errichtet
hat, deffen Skulpturen Jean Goujon arbeitete. Sodann führte er 1550 die
Fontaine des Innocents oder des Nymphes aus, bei welcher derfelbe Bild-
hauer ihn unterftützte. Von dem Lettner, der 1745 niedergeriffen wurde,
fmd nur noch einige Reliefs im Louvre erhalten. Er beftand aus drei
Arkaden, deren mittlere den Haupteingang in den Chor bildete, während
die feitlichen einen mit einer Baluftrade eingefchloffenen Altar enthielten.
Jede der Arkaden war mit zwei korinthifchen Säulen bekleidet und in den
Zwickeln fah man Engel mit den Marterwerkzeugen. Ueber den Säulen
erhoben fich die vier Evangeliften, und an der Mitte der Attika breitete
fich ein grofses Relief der Grablegung Chrifti aus.
Die Fontaine lehnte fich an die Kirche des Innocents und öffnete fich
mit einem Bogen auf die Rue aux fers und mit zweien auf die von St.
63. Pierre Lescot und Jean Goujon.
227
Denis/) Um 1783 bei der Zerftörung der Kirche trug man die Fontaine
forgfältig ab, die fodann mit Hinzufügung eines vierten Bogens in ziemlich
widerfmniger Weife als viereckiger Pavillon wieder aufgebaut worden ift.
Am 3. Auguft 1546 ernannte Franz I Lescot zum Architekten des
Louvre, und feit dem Jahre 1550 bezog er in diefer Stellung einen Monats-
gehalt von 100 Livres, anfehnlich für jene Zeit, wenn wir z. B. damit ver-
gleichen, dafs Domenico Boccador für die Ausführung des Hotel de ville
ungefähr zur felben Zeit nur 250 Livres Jahrgehalt empfing.
Ehe wir von dem Hauptbau Lescot's fprechen , ift des Künftlers zu
gedenken, den wir zweimal fchon mit ihm verbunden fanden, und dem
man auch die reiche plaftifche Ausftattung des Louvre verdankt. Aber
nicht blos als Bildhauer, und zwar als der vorzüglichfte unter fämmtlichen
gleichzeitigen Meiftern Frankreichs, fondern auch als Architekt wird Jean
Goujon mehrfach bezeugt. Jean Martin in der Widmung feiner Ueberfetzung
des Vitruv nennt Goujon, der ihm die Figuren zu feinem Buche gezeichnet
hat, »nagueres architecte de Monfeigneur le Conneftable et maintenant Tun
des votres«, d. h. Heinrichs IL Ebenfo wird er in den Rechnungen der
Kathedrale von Rouen^) »tailleur de pierre et maffon« genannt und in dem
Auszug des Vitruv, welchen 1556 Jean Gardet und Dominique Bertin ver-
öffentlichten, heifst er »sculpteur et architecte de grand bruit«. Allerdings
vermag man keine Bauten von ihm nachzuweifen , und es ift fogar wenig
wahrfcheinlich , dafs er folche ausgeführt habe; allein feine Zeichnungen
zu Martins Vitruv und die Epiftel an die Lefer, welche er felbft am Ende
des Buches veröffentlicht, bezeugen zur Genüge, dafs er die Baukunft
theorethifch aus dem Grunde verftand. Er empfiehlt den Baubefliffenen
eindringlich, unter Berufung auf die Beifpiele Rafael's, Mantegna's (den er
»non inferieur en fon temps« nennt), Michelangelo's, Sangallo's, Bramante's,
das Studium der Geometrie und Perfpective. »Ce que fentans avoir acquis
par travail et exercitation continuele, ilz fe font tout curieufement delectez
ä pourfuyvre ce noble fubject, que leur immortele renommee eft espandue
parmy toute la circumferance de la terre«. Auch Serlio, Lescot, Philibert
de rOrme führt er als treffliche Architekten auf und fagt dann, er habe
diefe Zeichnungen gemacht, weil ».par le paffe il y a eu quelzques faultes
en l'intelligence du texte d'icelluy Vitruve, par efpecial en la formation
d'aucuns membres de maffonnerie, chofe qui eft procedee par la mauvaife
congnoiffance qu'en ont eu noz maiftres modernes, laquelle eft manifefte-
ment approuuee par les oeuures qu'ilz ont cy devant faictes, d'autant quelles
font desmesurees, et hors de toute fymmetrie«.
') Eine Abb. der urfprünglichen Anlage in Blondel, archit. Fran^oife, Tom. III. —
A. Deville, tombeaux de la cathedrale de Ronen (Ronen 1833. 8.), p. 126.
IS*
228
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Nicht blofs die Zeichnungen , fondern mehr noch die Erklärungen,
welche er zu denfelben giebt, erweifen Goujon als durchgebildeten Archi-
tekten. Man lefe, was er über die Bedeutung der Perfpective für die
Geftaltung und die Verhältniffe der einzelnen Glieder fagt ; wie er die Lage
der Gebäude, je nachdem fie in engen Gaffen oder auf freien Plätzen liegen,
für die Modification der Profile in Anfchlag bringt; wie er die Perfpective
namentlich auch für die Bildung der Portale (S. 8i) mafsgebend hinftellt;
wie er auf gefetzmäfsige Begründung der Architektur durch mathematifche
Verhältniffe dringt; man vergleiche die Beifpiele von verfchiedenen Kapitälen,
Bafen, Friefen und Gefimfen, die er beibringt; die feinen Unterfchiede, die
er z. B. beim Entwurf eines korinthifchen Kapitäles (S. 98, 99, 100), eines
römifchen (S. 93), oder eines dorifchen (S. 105, 106, 107, 108) macht;
man erwäge, was er über die verfchiedene Zeichnung der ionifchen Volute
fagt (S. 72, 73), von der er behauptet, dafs Niemand, mit Ausnahme
von Albrecht Dürer, fie völlig richtig nach der Vorfchrift Vitruv's
entworfen habe;') und vieles Andre diefer Art. Kurz, wir fehen Goujon
in alle Tiefen und Feinheiten der Architektur und ihrer Wiffenfchaft ein-
geweiht und erhalten von feinen Beftrebungen auf diefem Gebiet denfelben
Eindruck der Gründlichkeit und faft möchte man fagen, gelehrten Schärfe
der Beobachtung und Unterfuchung , welche allen grofsen Meiftern der
Renaiffance eigen find und ihren Werken den Stempel vollendeter Klarheit,
Harmonie und Eurhythmie aufprägen.
Genug alfo, um dem trefflichen Meifter der Sculpturen des Louvre,
der Schlöffer Anet und Ecouen, der Fontaine des Innocents und fo mancher
anderen Werke unter den Architekten einen ehrenvollen Platz anzuweifen.
Gehörte ja ohne Frage eine tüchtige Kenntnifs der Bauformen dazu , um
jenen Denkmalen einen im Geifle der Architektur durchgeführten plaftifchen
Schmuck zu verleihen.
Jean Goujon fcheint 1562 geftorben zu fein, wenigftens verfchwindet
er mit diefem Jahr aus den Rechnungen des Louvre. Geboren wurde er
gewifs vor 15 10, da er fchon 1540 in S. Maclou zu Ronen arbeitete, wo
er u. a. die Entwürfe zu den Säulen machte, welche die Orgeln tragen.
Er war gleich den du Cerceau's , Jean Coufin, Bernard de Paliffy und
andern berühmten Künftlern der Zeit Hugenott^) und es ift inmitten der
Gräuel der Religionskriege ein tröflliches Bild, wenn wir ihn, nahe ver-
bunden mit Pierre Lescot, dem Abt und Canonicus von Notre Dame, feine
fchönften Werke fchafien fehen.
') «Afin de ne frauder perfonne de fa deue louenge, ie confeffe qu'homme ne l'a point
faicte felon l'entente de Vitruue fors Albert Durer paintre qui l'a tournee perfectement
bien« p. 349. — ^) Seine Ermordung in der Bartholomäusnacht ift ein blofses Märchen.
§ 64. Der Palaft des Louvre.
229
§ 64. .
Der Palast des Louvre.
UM zu einem Verftändnifs der ausgedehnten Anlage des Louvre zu
gelangen, haben wir die Gefchichte diefes Baues in rafchem Zuge
uns klar zu machen (vergl. den Grundrifs Fig. 85). Im 14. Jahrhundert
hatte Karl V den alten kaftellartigen Bau Philipp Auguft's, der aus einem
Donjon (i) und vier mit Thürmen flankirten Flügeln (2) beftand, durch ein
prachtvolles Treppenhaus und andere Zufätze zu einem der glänzendften
Schlöffer der Zeit umgefchaffen. Der faft quadratifche Hof, welchen die
Bauten einfchloffen, und der ungefähr den vierten Theil des jetzigen Louvre-
hofes betrug, mafs 366 zu 361 Fufs. Der Bau war von Gräben umzogen,
beherrfchte mit feinen gewaltigen Thürmen den Lauf der Seine und war
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da Louvre
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Fig. 85. Plan des Louvre und der Tuillerien.
zugleich ein Bollwerk gegen die ftromaufwärts fich anfchliefsende Stadt.
Franz I in feiner unermüdlichen Bauluft befchlofs kurz vor feinem Tode
die Errichtung eines neuen Palaftes, liefs zunächfb den Donjon fammt dem
füdlichen und weftlichen Flügel niederwerfen, die Gräben ausfüllen, und
betraute, wie wir gefehen haben, Pierre Lescot mit der Ausführung des
Neubaues. Diefer begann mit dem Weftflügel, und zwar der füdhchen
Hälfte des heutigen (3), dem fich fodann im rechten Winkel der füdliche
Flügel (3) parallel mit dem Strome anfchlofs. Der letztere beftand urfprüng-
lich nach der allgemeinen Sitte der Zeit aus einer einzigen Reihe von
Gemächern, und wo er mit dem Weftflügel zufammenftiefs, erhob fich zu
') Zu den Aufnahmen bei du Cerceau, Vol. I, kommen die neueren trefflichen bei
Blondel, arch. Franc. Vol. IV und in Baltard's Prachtwerk, Paris et fes monuments. Die
Galerie des Louvre in Berty's Renaiffance Vol. I, mit baugefchichtlich-kritifcher Notiz.
230
Kap. VI. Die Renaifiance unter den letzten Valois.
bedeutender Höhe ein Pavillon. Alle diefe Bauten kamen, da Franz I bald
nach dem Beginn der Arbeiten ftarb, erft unter Heinrich II zur Ausführung.
Urfprünglich war der Hof des Louvre auf ungefähr diefelbe Gröfse wie der
des alten angelegt und bei der Ausführung der neuen Mauern find offenbar
die alten Grundmauern benutzt worden. Nach dem Tode ihres Gemahls
fetzte Katharina von Medici unter Franz II und Karl IX den begonnenen
Bau des füdHchen Flügels fort , und hefs aufserdem , um die Verbindung
mit dem von ihr angefangenen Palaft der Tuilerieen (8 und 9) zu gewinnen,
neue Bauten in entgegengefetzter Richtung anfügen. Von dem Eckpavillon
wurde alfo ein fchmaler kurzer Verbindungsbau weftwärts gefchlagen, der
zu einer langen, im rechten Winkel füdwärts fich gegen die Seine hin-
ziehenden Galerie (4) führte. Diefe »kleine« Galerie, 210 Fufs lang und
30 Fufs breit, hatte damals nur ein Erdgefchofs und fchliefst noch in den
Zeichnungen von du Cerceau mit einer Terraffe ab. Später errichtete
man im oberen Stockwerk über ihr die prachtvolle »Galerie d'ApoUon.«
Erbauer diefer unteren »kleinen« Galerie, die gegen 1566 begonnen wurde,
foll Pierre Chambiges, aus einer in mehreren Generationen vorkommenden
Architektenfamilie,') gewefen fein. Lescot, fo fagt man, fei zur Unthätig-
keit verurtheilt worden, und die Königin habe willkürlich in den Bau ein-
gegriffen.^) Die fchriftlichen Documente bei Laborde fchweigen aber davon
nicht blofs, fondern fie bezeugen eher das Gegentheil. Denn fowohl Franz II
als Karl IX beftätigen Lescot als Baumeifter des Louvre, und felbft als
Franz II die Aufficht über die könighchen Schlöffer dem in Ungnade
gefallenen Philibert de l'Orme entzieht und auf Primaticcio überträgt, wird der
Louvrebau als unter Lescot's Leitung ftehend ausdrücklich ausgenommen. 3)
Wie hätte alfo ein anderer Architekt zu gleicher Zeit an demfelben Bau
befchäftigt werden follen ! Da wir vielmehr wiffen, dafs Lescot bis zu feinem
Tode im Jahr 1578 dem Louvrebau vorftand, und da die befprochene
»kleine« Galerie im erften, 1576 erfchienenen Bande du Cerceau's dargeftellt
ift, fo werden wir fie keinem Andren als Lescot zufchreiben dürfen.
Vom Ende diefer Galerie aus nahm man nun wieder die weftliche
Richtung parallel dem Fluffe, führte zunächft einen Pavillon (5) auf, der
im oberen Gefchofs den berühmten Salon quarre enthält und fchlofs daran
die grofse Galerie (6 und 7), die bis zum Pavillon Lesdiguieres (*) eine
Länge von 550 Fufs mifst, in der Folge aber noch Um 720 Fufs verlängert
vmrde. Auch diefe Bauten fcheint Lescot begonnen zu haben, denn du
') Einen älteren Meifter desfelben Namens, vielleicht den Vater des hier genannten,
haben wir oben bei S. Germain, la Muette und Chalvau kennen gelernt. — So urtheilt
nicht blofs Vitet in feiner Baugefchichte des Louvre, fondern felbft Berty, a. a. O., p. 146,
obwohl er fich als gewiffenhafter Forfcher fehr vorfichtig ausdrückt. — 3) De Laborde, a
renaiffance, Tom. I, p. 456. 475. 481. Für Karl IX fodann p. 485. 501. 509. 515.
§ 64- Der Palaft des Louvre.
231
Cerceau fpricht von »quelques accroiffemens de galleries et terraces, du
cofte du Pauillon, pour aller de lä au Palais qu'elle (nämlich Katharina) a
faite conftruire et edifier au lieu appele les Tuilleries«, ein Ausdruck, der
nur auf die grofse Galerie, nicht auf die kleine pafst. Da aber bei feinem
Tode diefe Theile nicht weit vorgerückt fein konnten, und Thibault Metezeau
in demfelben Jahre (1578) fein Nachfolger wurde,') fo darf man diefen als
wahrfcheinhchen Erbauer der erften Hälfte diefer Galerie bezeichnen. Das
obere Gefchofs derfelben fcheint dann fein Sohn Louis Metezeau, der dem
Vater bei deffen Tode 1596 als Nachfolger gefetzt wurde, ^) ausgeführt zu
haben. Doch dürfen wir nicht verfchweigen, dafs noch ein andrer Archi-
tekt, Pierre Chambiges, an diefen Bauten betheiligt zu fein fcheint.
Kehren wir nun zum Bau Pierre Lescot's zurück, fo ift für ihn
bezeichnend, dafs die dem Flufs zugekehrte äufsere Fagade eine ftrenge
Einfachheit zeigt, die nur durch bedeutende Verhältniffe und kräftige
Gliederungen zu wirken fucht. Ueber einem Unterbau, der mit hoher
Böfchung anhebt, fteigen zwei Gefchoffe von anfehnlicher Höhe auf, die
Fenfter durch doppelte Kreuzpfoften getheilt, mit antiken Rahmenprofilen,
im Erdgefchofs mit flachem Bogen, im oberen mit geradem Sturz gefchloffen
und von einem Giebel mit reichen Confolen gekrönt. Die Mauerecken
find in kräftiger Ruftica hervorgehoben, die Stockwerke in fein abgewogener
Weife durch reich gefchmückte Gefimsbänder getrennt und endlich ift ein
niedriges Obergefchofs, kaum halb fo hoch wie jedes der beiden andern,
hinzugefügt, deffen kleine Fenfter ein Rahmenprofil und den Flachbogen
zeigen. Den Abfchlufs bildet ein kräftiges Confolengefims über einem
Fries mit Laubwerk. Der Pavillon fügt noch ein oberes Gefchofs von der
Höhe des Hauptftockwerks hinzu, welches durch hohe Rundbogenfenfter
fein Licht empfängt. Zwifchen ihnen find die Wände mit Trophäen in
Relief gefchmückt, und die antiken Giebel, welche fich über ihnen, jede
Fenftergruppe zu einem Ganzen zufammenfaffend, erheben, zeigen ähnliche
Dekoration. Die Höhe der Dächer hat der Künftler gemäfsigt, die Kamine
befcheiden ausgebildet, nur der Pavillon zeichnet fich durch ein gewaltiges
fteiles Dach mit riefigen Kaminen aus, und endlich zieht fich eine elegante
vergoldete Bleiverzierung als Krönung auf dem Firft des Daches in ganzer
Länge hin. Der Eindruck diefer Fagade bei du Cerceau fpricht von einer
überlegenen künftlerifchen Kraft, die ihre Mittel weife zu Rathe zu halten
verfteht. Wie der Pavillon als Mufter anerkannt wurde, fahen wir fchon
beim Parifer Stadthaufe und werden noch andren Beifpielen direkter Nach-
ahmung desfelben begegnen.
') A. Berty, a. a. O. p. 123. 124. — Ebenda p. 125.
232
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Dafs Lescot aber auch alle Elemente der Architektur zu einer Com-
pofition von höchfter Pracht zu vereinigen wufste, zeigte er bei den inneren
Fagaden des Hofes (Fig. 86). Da das Erdgefchofs Gewölbe erhielt, fo
ergaben fich als Widerlager mächtige Pfeilermaffen , die der Architekt
durch Rundbögen verband und mit einem Syftem canneHrter korinthifcher
Pilafler dekorirte. An den Portalen verwandte er zur Steigerung des Ein-
drucks doppelte Halbfäulen, zwifchen denen jedesmal eine kleine Nifche
die Wandfläche durchbricht. In der Tiefe der grofsen Pfeilerbögen liegen
die hohen Fenfter mit doppelten Kreuzpfoften, im Stichbogen gefchloffen.
Dasfelbe Syftem von Pilaftern und Halbfäulen, ebenfalls cannelirt aber mit
Compofitakapitälen, wiederholt fich am oberen Gefchofs, doch fallen hier
die Fenfternifchen fort und die reichumrahmten Fenfter find abwechfelnd
mit geraden oder gebogenen Giebeln bekrönt. Nur die über den Portalen
liegenden Fenfter haben eine freie plaftifche Krönung von ruhenden Wind-
fpielen oder Löwen. Den Abfchlufs macht ein reich mit Guirlanden und
den Emblemen Heinrichs II gefchmückter Fries und ein Confolengefims.
Dazu kommen noch Tafeln verfchiedenfarbigen Marmors, rechtwinklige im
Erdgefchofs, ovale im oberen Stockwerk, die in edler plaftifcher Umrahmung
zwifchen den Halbfäulen über den Nifchen angebracht find. Kurz, der ganze
Reichthum der Frührenaiffance wird entfaltet, aber er ift einem höheren
architektonifchen Gefetz, einer ftrengeren plaftifchen Gliederung unterworfen.
Sind alle Glieder hier mit edler Pracht gefchmückt, fo hat der Archi-
tekt noch reichere Fülle von Dekoration über das attikenartige oberfte
Stockwerk ausgegoffen. Mit Recht hat er es als leichte Krönung des
Ganzen aufgefafst und ihm defshalb feine Rahmenpilafter und einen prächtig
gefchmückten Fries fammt Gefimfe ohne Confolen gegeben, über dem fich
als Abfchlufs eine luftig durchbrochene Krönung in den zierlichften Formen
erhebt. Die Fenfter find von Trophäen und Emblemen eingefafst, noch
reicher aber geftaltet fich die Dekoration der über den Portalen liegenden
Theile, Plier find Relieffiguren in den Seitenfeldern und Victorien mit
Wappen oder Emblemen über breiten Guirlanden in den Bogengiebeln,
welche diefe Theile abfchliefsen, angebracht. Es ift eine Architektur des
höchften Luxus, die im Bunde mit der Plaftik hier ein Werk gefchaffen
hat, das als ein vollendeter und zugleich edelfter Ausdruck jener pracht-
liebenden Zeit feines Gleichen fucht. Und da diefer Reichthum, durch ein
feines künftlerifches Gefühl vertheilt, in wohlberechneter Steigerung ange-
wendet , durch den klaren Zug der Hauptlinien und die vornehmen Ver-
hältniffe beherrfcht wird, fo hat er feine volle Berechtigung. Denkt man
fich in diefe Umgebung jene glänzende Welt vom Hofe Heinrichs II, jene
in Sammet und Seide, in Federn und Stickereien prunkenden Geftalten, fo
wird man diefe Architektur erft verftehen.
234
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Die innere Anlage der Räume ift folgende. Der weftliche Flügel,
foWeit Lescot ihn errichtet hat , befteht im Erdgefchofs aus einem Saale
von I20 Fufs Länge bei 42 Fufs Breite. Diefs ift die jetzt als Antiken-
faal dienende »Salle des Caryatides«. Ein gewaltiges Tonnengewölbe aus
grofsen Quadern bedeckt ihn und findet an den 10 Fufs dicken Mauern
genügende Widerlager. Vom Hofe erhält der Saal durch 6 Fenfter reich-
Hches Licht, und zwifchen ihnen liegt die Thür, welche ehemals den Haupt-
eingang bildete. Eine andere Thür, in der Schmalfeite rechts gelegen,
ftellt die Verbindung mit dem anftofsenden Treppenhaufe her, in welches
ein direkter Eingang vom Hofe führt. Die Treppe erreicht in geradem
Lauf, der fich über dem Podeft wendet, das obere Gefchofs. Sie ift fteil
und mühfam, wie damals noch alle Treppen waren. Ihr fteigendes Tonnen-
gewölbe und die Decken der Podefte find mit prachtvollen Sculpturen von
trefflicher Ausführung bedekt. Den höchften Glanz erreicht aber die
plaftifche Ausfchmückung in dem Saale felbft. An der Schmalfeite des
Eingangs vom Treppenhaufe hat Jean Goujon vier zierlich drapirte Karya-
tiden, leider mit abgefchnittenen Armen, hingeftellt. Sie tragen mittelft
dorifcher Kapitäle ein überreich gefchmücktes Gebälk, darüber einen ganz
mit Eichenlaub bedeckten ausgebauchten Fries und ionifches Kranzgefims.
Ueber diefem erhebt fich eine durchbrochene Baluftrade, an deren Pfeilern
Genien mit Fruchtgewinden angebracht find.
An die entgegengefetzte Seite des Saales ftöfst ein um fünf Stufen
erhöhtes, dem Treppenhaufe in der Form entfprechendes Tribunal, von
vier Syftemen gekuppelter dorifcher Säulen eingefafst, welche, an den Seiten
durch Gebälk und Giebel verbunden , in der Mitte triumphbogenartig mit
einem reichgefchmückten Bogen fich öffnen. Die Schlufswand zeigt in der
Mitte, der Längenaxe des Saales entfprechend, einen Kamin von auffallend
einfacher Form. Vom Hofe führt ein felbftändiger Eingang in diefs Tri-
bunal, und ihm gegenüber fchliefst es mit einer grofsen Apfis von 27 Fufs
Weite. An diefen Saal ftofsen die gröfseren und kleineren Gemächer, die
im Eckpavillon und dem hier angrenzenden füdlichen Flügel liegen.
Bemerkenswerth ift die bequeme Verbindung der Räume und die gefchickte
Anordnung der Degagements mit Hilfe verfchiedener Seitentreppen. Jedes
Gemach, felbft die kleinften nicht ausgefchloffen, hat feinen Kamin. Die
Eintheilung im Hauptgefchofs, welches zur königlichen Wohnung beftimmt
war, ift diefelbe wie oben , nur dafs der grofse Saal mit zwei Kaminen in
den Schmalfeiten verfehen und ftatt des Tribunals zwei Nebenzimmer hat.
Die Verbindungsthüren zwifchen den einzelnen Zimmern liegen immer dicht
an der Fenfterwand, um möglichft gefchloffene Mauerflächen zu erhalten.
Das zweite Stockwerk, in eine Anzahl Wohnräume eingetheilt, diente zur
Aufnahme der Herren vom Hofe.
§ 6s- Jacques Androuet du Cerceau.
Alles in Allem ift und bleibt Lescots Hoffagade des Louvre das unüber-
trofifene Meifterftück der franzöfifchen Renaiffance. Mit Recht fagt du
Cerceau: »Cefte face de magonnerie eft tellement enrichie de colonnes,
frifes, architraues, et toute forte d'architecture, auec fymmetrie et beaute
fi excellente, qu'ä peine en toute l'Europe ne fe trouuera la feconde.«
§ 65.
Jacques Androuet du Cerceau.
IN die Reihe der bedeutenden Architekten diefer Zeit gehört auch Jacques
Androuet du Cerceau, obwohl fich kaum ein von ihm aufgeführtes Gebäude
nachweifen läfst. In der That fcheint er als praktifcher Architekt nicht
aufgetreten zu fein, denn es ift eine Ausnahme, wenn die Kirche von
Montargis, übrigens ein ziemlich troftlofes Gebäude, auf ihn zurückgeführt
wird. Aber als gefchickter und fleifsiger Stecher hat er durch feine zahl-
reichen Publikationen eine folche Bedeutung für die Architektur erlangt,
dafs ihm an diefer Stelle ein hervorragender Platz gebührt. Denn nicht
blofs durch Aufnahme und Darfteilung der berühmteften Schlöffer Frank-
reichs, wie in feinem bekannteften und verbreitetften Werke, fondern durch
eine grofse Anzahl eigener Erfindungen, fowohl m Gefammtplänen als auch
in Details, bewährt er sich als tüchtiger Bauverftändiger. Als folcher ift
er denn auch früh anerkannt worden, und Jan Vredeman nennt in
feiner 1577 zu Antwerpen erfchienenen Architectura unter den berühmten
Architekten »den weitberühmten Vitruvius , Sebaftian Serlio und den
erfahrenen Jacobus Androuetius Cerceau«.
Du Cerceau wurde wie es fcheint um 15 10, doch eher etwas früher
als fpäter,') zu Paris geboren. Schon im Jahre 1539 gab er eine von ihm
geftochene Karte heraus , und diefer Publikation folgten im Laufe eines
langen und thätigen Lebens zahlreiche gröfsere Werke. Von feinem Leben
ift uns nicht viel bekannt, doch wiffen wir, dafs er Proteftant war, treu
an feinem Glauben hing, gleichwohl jedoch fein Hauptwerk der Königin
Katharina widmen durfte. Den erften Band feines theoretifchen Werkes
über die Architektur, welcher 1559 erfchien, widmete er Heinrich II und
in der Dedication dankt er demfelben für manche empfangene Gunftbeweife.
Sein Lehrbuch der Perfpektive ift dagegen wieder der Königin zugeeignet.
In feinen alten Tagen finden wir ihn als Bürger von Montargis mit Heraus-
gabe feines Werkes über die franzöfifchen Schlöffer befchäftigt. Montargis
war damals ein Zufluchtsort der Reformirten, »la retraite de ceux de la
religion«. Im Jahre 1579 klagt er, dafs das Alter ihm nicht geftatte fo
I) Wenn er fchon 1539 mit einer Publikation auftritt, 1579 aber über fein vorgerücktes
Alter klagt, fo mufs man jedenfalls eher ein früheres Geburtsjahr annehmen.
236
Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
viel Fleifs aufzuwenden wie früher; in feinem letzten Werke, dem livre des
edifices antiques vom Jahre 1584, welche dem Herzog von Nemours gewidmet
find, zählt er fich zu den Angehörigen des herzoglichen Hofhaltes. Da
der Herzog 1585 zu Annecy bei Genf ftarb , wo er feit mehreren Jahren
in ftiller Zurückgezogenheit gelebt hatte, fo liegt die Vermuthung nahe,
dafs du Cerceau fich ebenfalls dorthin oder nach Genf gewendet habe, um
Verfolgungen zu entgehen, und dafs er um diefelbe Zeit dort in der Fremde
geftorben ift.
Aufser einer grofsen Anzahl einzelner Blätter verfchiedenfter Gattung
hat er eine Reihe zufammenhängender Werke veröffentlicht, die zu den
wichtigften architektonifchen Publikationen der Zeit gehören. Einige von
diefen , wie die Baftiments de France und verfchiedene Bücher , welche
antike Denkmäler enthalten, beftehen ausfchliefslich in Aufnahmen v^or-
handener Denkmäler. In andern verbindet er damit eigene Compofitionen ;
in einer dritten Gruppe endlich bietet er nur felbftändige Erfindungen. Zu
der erften Gattung gehören aufser den beiden Bänden der »plus excellents
baftiments de France«, welche 1576 und 1579 erfchienen: »RECEUIL DE
FRAGMENTS ANTIQUES d'apres Leonard Thierry, recemment mort a
Anvers. Aureliae 1550«. Es enthält zwölf Abbildungen antiker Bauwerke
und ift eines feiner früheften Werke. Sein fpäteftes vom Jahre 1584 mit
einer Widmung an den Herzog von Nemours, und dem Titel: »LIVRE
DES EDIFICES ANTIQUES ROMAINS«, bringt auf 63 Tafeln Dar-
ftellungen derfelben Art.
Der zweiten aus Eignem und Fremdem gemifchten Gattung gehört
feine erfte Arbeit an, die 1549 gleich feinen übrigen früheren Werken in
Orleans erfchienen ift. Auf dem Titelblatt bezeichnet er den Inhalt in
einer Vv^idmungsfchrift als : » QUINQUE ET VIGINTI EXEMPLA ARCUUM
partim a me inventa partim ex veterum fumpta monumentis«. Auf fünf-
undzwanzig mit vorzüglicher Feinheit geftochenen Blättern giebt er in
grofsem Maafsftabe perfpektivifch gehaltene Aufriffe und Grundpläne der
Denkmäler. Das Werk gehört in Schönheit der Darftellung zu feinen vor-
züglichften Arbeiten. Von antiken Bögen enthält es die zu Verona, Bene-
vent, Ancona, Sufa, Aleffandria, den doppelthorigen zu Ravenna, endlich
die Bögen des Titus, Septimius Severus und Conftantin. Diefe bilden ihm
gleichfam die Bafis, auf welcher er fechzehn Bogen von eigener Erfindung
ausführt. Der Ideenreichthum, den er darin entfaltet, und die Freiheit,
mit der er fich in den antiken Formen bewegt, find anerkennenswerth. Im
Ganzen hält er ein edles Maafs und klaffifche Reinheit der Formen feft;
in einzelnen Fällen aber kommt eine wunderliche Phantaftik in völHg barocker
Weife zum Vorfchein. Es fehlt nicht an muftergiltigen Beifpielen, wie denn
mehrere der auf den erften Blättern dargeftellten Bögen korinthifcher Ordnung
§ 65. Jacques Androuet du Cerceau.
237
Fig. 87. Entwurf für eine Hausfajade. (Du Cerceau.)
dahin gehören. Bezeichnend ift ein dorifcher Bogen, mit frei vortretenden
römifch-dorifchen Säulen flankirt. Nach der Auffaffung feiner Zeit bedarf
es zur Charakteriftik diefes Stiles kriegerifcher Embleme. Daher an den
238 Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Säulenfchäften Löwenköpfe, auf den vorfpringenden Pfeilern der Attika
vier auf fchweren Schlachtroffen einherfprengende Kämpfer. In verwandtem
Sinne benutzt er das lonifche zum Ausdruck der Ueppigkeit; fpiralförmig
cannelirte Säulen, der Bogen auf männlichen und weiblichen Hermenfiguren
mit verfchlungenen Armen ruhend, auf der Attika weibliche Geftalten mit
flatternden Gewändern, mit Blumen, Füllhörnern und Kränzen. Karyatiden
und Atlanten, die malerifch genug, aber fehr unarchitektonifch einander
umarmen und ftatt der Kapitäle Fruchtkörbe auf den Köpfen tragen, fieht
man auf einem andern Bogen korinthifcher Ordnung. Ins Naturaliftifche
fpielen bisweilen felbft die Hauptformen der Architektur hinein, fo auf dem
fechften Blatt die korinthifchen Säulen, deren Schaft mit Palmblättern und
Mohnkapfeln bekleidet ift. Grofse Mannigfaltigkeit, zum Theil mit glück-
lichem Erfolg, erreicht er auch in dem fehr verfchiedenen oberen Abfchlufs
und der Krönung feiner Bögen. Dagegen gehören zwei Beifpiele zu den
wunderhchften unter den barocken Auswüchfen der Zeit. Er bezeichnet
fie als Bögen der »Salomonifchen Ordnung«. Das Wefen diefes etwas
myftifchen Stiles fcheint er in jenen gewundenen Säulen zu erkennen, die
zuerft in den römifchen Cosmatenarbeiten des 13. Jahrhunderts auftauchen,
dann von Rafael in dem Karton zu einer feiner Tapeten verwendet find und
fpäter durch Bernini am Altartabernakel von St. Peter in koloffaler Ueber-
treibung verwirklicht wurden. Aufserdem fcheint zur falomonifchen Ordnung
zu gehören, den Bogen auf Hermen mit fpiralförmig verfchlungenen fchlangen-
artigen Beinen, oder das Gebälk auf hockenden Satyrn ruhen zu laffen.
Im Jahre 1550 erfchien in etwas kleinerem Formate, ebenfalls in zier-
lich ausgeführten Stichen zu Orleans eine Reihe von 35 Blättern, die er
auf dem Dedikationstitel als: »EXEMPLA TEMPLORUM ANTIQUO
MORE CONSTRUCTORUM« bezeichnet. Er fetzt aber hinzu: »quibus
accefferunt etiam alia libero Marte nuUoque exemplo descripta«. In der
That find von ausgeführten Bauten mit Sicherheit nur Sta. Coftanza
(»templum Bacchi«), der Tempietto von S. Pietro in Montorio, der römifche
Veftatempel und das Pantheon, endHch etwa noch die Vorhalle vom Tempel
des Antoninus und der Fauftina zu erkennen. Die übrigen Gebäude fcheinen
meiftens freie Phantafien nach der Antike, unter denen eine Anzahl g6ift-
voller, in edlen Formen durchgeführter Compofitionen hervorragen. Be-
mericenswerth für die Zeit ift wieder der Eifer, mit welchem der Kuppel-
bau und der Centraigedanke in einer grofsen Anzahl von Beifpielen variirt
wird. Auch der Thurmbau ift mehrfach zu einer glänzenden Löfung ge-
bracht, bisweilen in der mehr fpielenden Weife der Frührenaiffance , dann
aber auch im edelften Geift des klaffifchen Alterthums.
Diefem liebenswürdigen Werke fteht ein andres fehr nahe , das 1 5 5 1
erfchienen, das letzte der in Orleans von ihm edirten , auf dem Titel als
§ 65. Jacques Androuet du Cerceau.
»VENUSTISSIMAE OPTICES, QUAM PERSPECTIVAM NOMIN ANT,
viginti figurae« bezeichnet ift. Man darf es aber nicht etwa für ein Lehr-
buch der Perfpective halten; vielmehr find es zwanzig auf runde Platten
mit grofser Feinheit geftochene ideale Anflehten antiker Gebäude, die
unbedingt in ihrer Mannigfaltigkeit und Anmuth zum Schönften gehören,
was von folchen Reftaurationen in antikem Geifte gefchafifen worden ift.
Der Künftler benutzt diefe Darftellungen zu dem Zweck, die Gefetze der
Perfpective, die er mit Meifterfchaft beherrfcht, nach allen Seiten zur An-
Fig. 88. Entwurf zu einem Schlöffe. (Du Cerceau.)
fchauung zu bringen, aber unter der Hand wird ihm daraus eine Schilderung
römifcher Baukunft, die uns in die Plätze und Märkte der alten Welt mit
ihren Hallen, Bafiliken und Tempeln, mit den reichen Durchbhcken durch
Säulenfbellungen und Bogengänge, in die Höfe der Paläfte mit ihren Arkaden,
in die mannigfaltigften Formen öffentlicher Gebäude fchauen läfst. Befon-
ders erfindungsreich weifs er die öfifentHchen Plätze durch Treppenanlagen
zu gliedern und die Vorftellung eines bewegten Terrains zu erzeugen, das für
die Darlegung der perfpectivifchen Gefetze überaus dankbar ift. Nicht
minder find die verfchiedenen Formen römifcher Wölbung, ihre mannigfaltige
240
Kap. VI. Die RenaiÜ'ance unter den letzten Valois.
Verbindung für reich gegliederte Raumanlagen und ihre Bekleidung mit den
edlen Formen des griechifchen Säulenbaues unerfchöpflich reich variirt,
und dabei ift nirgends die Linie des Wirklichen und Möglichen über-
fchritten. Der Befchauer denkt fich fo gern in diefe weiten Hallen und
fchönen Umgebungen hinein, und es wird ihm darin fo leicht und frei zu
Muthe, wie vor den heften Werken der Renaiffance und des claffifchen
Alterthums. Diefe Reihenfolge allein würde ihrem Urheber das Anrecht auf
einen ausgezeichneten Platz unter den erften Architekten der Zeit verfchaffen.
Nicht minder frifch und originell ftrömt feine Erfindungsgabe in dem
ein Jahr vorher erfchienenen Quartband: »LIBER DE EO PICTURAE
GENERE QUOD GROTTESCHE VOCANT ITALI. Aureliae 1550«.
Neue Auflage Paris 1566, unter dem Titel: »Livre de grotesques«. Es ift
eine köftliche Sammlung geiftreich entworfener und mit vollendeter Freiheit
gezeichneter Arabesken auf 35 Blättern. Hierher gehört noch ein Werk
vom Jahre 1 560 : »JACOBI ANDROVETII DE CERCEAU LIBER NOVUS,
amplectens multas et varias omnis ordinis, tam antiquorum quam moder-
norum, fabricas«. Man kann es als eine Fortfetzung der 1549 und 1550
erfchienenen Werke betrachten ; es enthält auf 26 Folioblättern einige Ent-
würfe und Aufnahmen antiker Gebäude , darunter den Triumphbogen von
Befangon.
In der Sammlung der Tempel vom J. 1550 bringt die Dedication das
Verfprechen in einer Reihe folgender Bücher die Tempel, die Grabmäler,
die Springbrunnen, die Kamine und endlich die Schlöffer und Paläfte
gefondert behandeln zu wollen. Der fleifsige Künftler hat nicht blofs diefes
Programm ausgeführt, fondern in noch umfaffenderer Weife feine praktifchen
Anleitungen zum Bauen gegeben. Diefs zunächft in einem Foliobande, der
1559 zu Paris unter dem Titel erfchien: »DE ARCHITECTURA , Jacobi
Androvetii du Cerceau, opus«. Diefes Werk verfolgt den rein praktifchen
Zweck, den Bauluftigen eine Anzahl von Plänen von der einfachften bis
zur reichften Entwicklung in Grundriffen , Durchfchnitten , Aufriffen und
Perfpectiven vorzulegen, um für die mannigfaltigften Wünfche und Bedürf-
niffe einen Anhalt zu bieten.
Es beginnt mit einer Widmung an Heinrich II : der König habe an
feinen früheren leichteren Arbeiten Gefallen gefunden, defshalb biete er ihm
hier fünfzig Entwürfe zu Wohnhäufern, gefchaffen »non modo in principum
et potentiorum fed etiam mediocrium et tenuiorium gratiam«, damit Frank-
reich, fchon durch prächtige Bauten gefchmückt, noch weniger Anlafs habe,
bei Auswärtigen und Fremden die fchöne Baukunft zu fuchen. Seinen
Text beginnt er dann mit einer Erklärung des franzöfifchen Klafters, fowie
der Haupttheile der Gebäude. Daran fchhefst fich eine Erläuterung der
auf einer grofsen Anzahl von Tafeln mitgetheilten Pläne. Sie begreifen
§ 6$. Jacques Androuet du Cerceau.
241
die ganze Stufenleiter vom Einfachen, felbft Nüchternen bis zum Reichen
und Prachtvollen. Die Grundriffe zeugen von grofser Gewandtheit, find
praktifch angeordnet und mannigfaltig entwickelt, wobei überall den Bedürf-
niffen feiner Zeit und feines Landes Rechnung getragen wird. Die Einzel-
gliederung und die Formbehandlung trägt häufig das Gepräge einer gewiffen
Trockenheit, obwohl es auch an reicheren Entwürfen nicht fehlt; ftets ruht
aber mit vollem Recht wie bei jeder gefunden Architektur der Hauptaccent
auf der Gefammtgliederung der Maffen, auf dem lebendig bewegten Umrifs,
und darin bewährt du Cerceau wieder feine Meifterfchaft (vgl. Fig. 87).
Neben einer grofsen Zahl normal angelegter Bauten fehlt es dann frei-
lich nicht an mancherlei abftracten Combinationen, in denen die architek-
tonifche Phantafie der damaligen Künftler fo gern fchwelgte. So Nr. XVI :
griechifches Kreuz, Vorderarm Eingangshalle, rechts Küche fammt Zubehör,
links Pferdeftall, an der Rücksfeite Wohnräume, in der Mitte mächtiger
Rundbau mit dem runden Treppenhaus, oben terraffenförmig abgeftuft und
mit Laterne gefchloffen. Nr. XXVII : Sechseck, im Innern Hof drei Wendel-
treppen in den Ecken, an drei Seiten des Polygons quadratifche Pavillons
mit den Wohnräumen vorgelegt. Nr. XXXV : kreisrunder Grundplan, von
Waffergraben umgeben, im Innern zu einem griechifchen Kreuz eingetheilt,
in der Mitte kreuzförmiger Hof, in deffen Ecken vier Wendeltreppen.
Nr. XXXVII : vier quadratifche Treppenhäufer , in gemeffenem Abftand
durch offene Arkaden zu einem grofsen Quadrat verbunden, an den Aufsen-
feiten mit Pavillons für die Wohnungen, Wirthfchaftsräume und Stallungen ;
die Treppen wieder terraffenförmig abgeftuft und mit Laternen gefchloffen.
Man ficht, wie die alte Liebhaberei für Treppenanlagen gelegentlich noch
fpukt. Nr. XLIII : griechifches Kreuz , auf den Endpunkten und in der
Mitte quadratifche Pavillons, verbunden durch Arkaden, im mittleren vier
Treppen. Noch wunderlicher Nr. XLIV: um einen quadratifchen, an den
Ecken abgefchrägten Hofraum mit Pfeilerhallen find in einer Flucht die
Wohnräume angeordnet, auf den abgefchrägten Ecken treten quadratifche
Pavillons in diagonaler Stellung vor. Eine Variation diefes Grundriffes in
Nr. XLVIII, nur dafs hier die Hauptfeiten diagonal und die Pavillons dem-
nach normal geftellt find ; der Hof ohne Arkaden. Die Krone der Wunder-
hchkeit gebührt Nr. XLIX: die Mitte bildet ein zehneckiger Hof mit Ar-
kaden, an fünf Seiten des Zehnecks legen fich grofse rechtwinklige Pavillons,
zwifchen die beiden vorderen fchiebt fich ein quadratifcher zweiter Hof mit
den Wirthfchaftsgebäuden (vgl. auch Fig. 88).
An diefes Werk fchliefst fich gleichfam als zweiter Band das 1561
zu Paris in Folio erfchienene: »LIVRE D'ARCHITECTURE contenant
plufieurs et diverfes ordonnances de cheminees, lucarnes, portes, fontaines,
puis et pavillons.« Es handelt alfo von der Innern und äufsern Ausfliattung
LÜBKE, Gefch. d. Renaiflance in Frankreich. II. Aufl. l6
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
der Gebäude und zeugt trotz mancher zum Barocken neigender Elemente
aufs Neue in günftiger Weife von der reichen Erfindungsgabe des Künftlers.
Zehn verfchiedene Entwürfe zu Grabmälern find hinzugefügt. In der Wid-
mung an den König fpricht er bereits von feiner durch die früheren Herrfcher
beftätigten Abficht, die königlichen Schlöffer und andere merkwürdige
Gebäude des Landes herauszugeben. Als dritter Band diefer Reihenfolge
erfchien 1582 in Paris als eins feiner letzten Werke, wieder mit einer Wid-
mung an den König, ein neues »LIVRE D'ARCHITECTURE« , welches
den Plan des erflien Bandes weiterführt und auf 38 Folioblättern Entwürfe
zu Landhäufern von der einfachfiien Art bis zum prächtigfben Schlofs
zufammenfliellt. Die Einleitung enthält Erläuterungen über die Maafse, die
Materialien, die Berechnung der Preife, um ähnlich wie in jenem früheren
Bande den Baulufi:igen eine Norm für Auffliellung von Koftenanfchlägen zu
geben. Hier zeigt fich die Erfindungsgabe du Cerceau's wieder mit
unerfchöpflicher Mannigfaltigkeit in liebenswürdiger, aber auch in barocker
Weife. Die Mehrzahl der Entwürfe ift praktifch, klar und einfach, fo dafs
man fie jeden Augenblick als Mufi:er für Landfitze verwerthen könnte.
Befonders anmuthig die kleineren Gebäude in Nr. V, VII, VIII, IX, XII,
XIII, fi:attlicher Nr. XI mit Prachtportal und runden Eckthürmen, reizend
mit feiner Gartenanlage Nr. XIX, originell in Form und Dekoration Nr. XXV,
dagegen abfl;rakt und wunderlich Nr. XX, mit rundem Arkadenhof in der
Mitte, vier Pavillons in den Axen und quadratifchem Umfaffungsbau , das
Ganze von Waffergräben umzogen. Faft eben fo feltfam Nr. XXX. mit
ovalem Hof in der Mitte, um welchen fich die Gebäude zu einem Rechteck
mit Pavillons und vorfpringenden Erkerthürmen gruppiren. Ausgerundete
Fagaden zeigen Nr. VI und XVIII, und gefchweifte Dächer kommen mehr-
fach mit andern Barockformen, namentlich in Nr. XXVII und XXXVII vor.
Aufser einem theoretifchen Werk »LEgONS DE PERSPECTIVE
POSITIVE«, welches 1576 zu Paris in 60 Blättern Kleinfolio erfchien, ift
noch des grofsen zweibändigen Werkes der »plus excellents baftimens de
France« zu gedenken, welches mit zahlreichen Abbildungen dreifsig der
bedeutendften Schlöffer Frankreichs darftellt. Schon der Umftand, dafs die
Mehrzahl diefer Gebäude den Stürmen der Zeit erlegen ift, verleiht diefer
Arbeit einen hohen Werth. Zwar fehlt es in den Aufnahmen nicht an Flüchtig-
keiten und Irrthümern, und die Darfteilung leidet häufig an einer gewiffen
Trockenheit ; aber neben dem liebevollen Fleifs und der treuen Ausdauer, die
du Cerceau hier wie in allen Arbeiten bewiefen hat, erfreut es durch die
künftlerifche Frifche, die anfchauliche Lebendigkeit der Aufiaffung.
Jacques Androuet hatte zwei Söhne, welche beide den Beruf des
Architekten praktifch ausübten: Baptiste, um 1555 geboren, 1602 fchon
als abgefchieden bezeichnet. Er war Architekt Heinrichs III und Heinrichs IV,
§ 66. Philibert de l'Orme.
243
wurde 1578 an den Bau des Louvre berufen und in demfelben Jahre mit
dem Neubau des Pont Neuf betraut. Bei der Errichtung der Kapelle der
Valois in der Kirche zu St. Denis trat er als Nachfolger Bullant's ein.
Wie fein Vater war er Proteftant und hielt fo treu an feiner Ueberzeugung,
dafs er, auf Antrieb der Fanatiker zum Uebertritt aufgefordert, vorzog,
feine Stelle aufzugeben und felbft das fchöne Haus im Stich zu laffen,
welches er fich eben 1584 in Paris erbaut hatte. — Sein Bruder Jacques
findet fich feit 1576 erwähnt und ftarb 16 14. Er war Architekt Heinrichs IV
und Ludwigs XIII. Wahrfcheinlich erbaute er die zweite Hälfte der grofsen
Louvregalerie. Endlich ift noch der Sohn Baptift's, Jean, zu erwähnen,
der 16 17 zum Architekten Ludwigs XIII ernannt wurde. Er wird zum
letzten Male im Jahre 1649 genannt.
§ 66.
Philibert de l'Orme.
UNTER den durch ihre ausgeführten Werke hervorragenden Meiftern
ift neben Lescot vor Allen Philibert de V Orme zu nennen, nicht minder
bedeutend als Jener, wenn fchon von wefentlich verfchiedener Anlage.
Ging Jener völlig im künftlerifchen Schäften auf, fo ifl; in Diefem die
Phantafie von einer ftärkeren Zugabe der Reflexion begleitet, die ihn
antreibt, aufser den Schöpfungen des praktifchen Architekten auch den
Beruf des Theoretikers mit Eifer zu erfaffen. Man kann ihn den franzö-
fifchen L. B. Alberti nennen, wenn er auch an Tiefe und Umfang des Wiffens
dem berühmten Florentiner nicht gleichkommt. Er gehört zu jenen
denkenden, grübelnden Künftlern, welche ftets auf neue Erfindungen finnen,
und die Architektur verdankt ihm wichtige Neuerungen auf dem Felde der
Conftruction. Grofsen Einflufs gewann er fodann durch feine literarifchen
Arbeiten, da er zu den Erften gehörte, welche in Frankreich die Lehre
von der Baukunft fyftematifch darzuftellen unternahmen.
De rOrme fcheint um 151 5 geboren zu fein und gehört vielleicht
einer Familie von Architekten an, aus der wir einem Mitgliede fchon beim
Bau von Gaillon begegneten. Diefs würde erklären, warum er in ungewöhn-
lich jungen Jahren fchon zur Kunft und in die Praxis gelangte, denn wie
er felbfb erzählt, hatte er als Fünfzehnjähriger bereits dreihundert Arbeiter
unter feinem Befehl. Kurze Zeit darauf begab er fich, immer noch fehr
jung, nach Rom, wo er mit bedeutendem Aufwand von Mühe und Koften
die antiken Denkmale aufnahm.') Als er eines Tages mit feinen Leuten
bei diefer Arbeit befchäftigt war, kam der Cardinal von Santa Croce,
') Von diefen Studien berichtet er im Livre d'architecture fol. 131.
i6'
244
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
damals noch einfacher Bifchof, fpäter Papft Marcellus II, mit anderen
Cardinälen und vornehmen Herren vorbei, redete ihn an, lud ihn zu wieder-
holten Befuchen ein und nahm ihn in feine Dienfte. Diefs mufs um den
Anfang des Jahres 1535 gewefen fein, als de l'Orme vermuthlich kaum
zwanzig Jahre zählte. Dafs er fchon 1533 in Rom fich befand, erzählt er
felbft in feinem Hauptwerke.') Bald jedoch gelang es feinen einflufsreichen
Landsleuten, Guillaume du Beilay und deffen Bruder Jean, dem Cardinal,
den vielverfprechenden jungen Künftler zur Rückkehr in die Heimat zu
bewegen; 1536 finden wir ihn in feiner Vaterftadt Lyon mit der Aus-
führung verfchiedener Bauten befchäftigt, und um 1542 begann er das
Portal an St. Nizier, als der Cardinal du Beilay ihn nach Paris zog und
ihn mit dem Bau feines Schloffes betraute.
Aber es blieb nicht bei diefen künftlerifchen Unternehmungen. Im
Jahr 1 546 lernen wir de l'Orme als Ingenieur und Feftungsbaumeifter kennen,
in welcher Eigenfchaft er beauftragt wurde, alljährlich zweimal die ganze
Küfte der Bretagne mit ihren Feftungen zu infpiciren. Er hat die Schiffs-
bauten in Havre de Gräce zu beauffichtigen , die in den Häfen der Nor-
mandie vorhandenen Fahrzeuge zu unterfuchen, das Lager von Boulogne
mit Proviant zu verfehen, die Feftungen in Stand zu fetzen und hat dabei
Gelegenheit, die Stadt Breft vor einem drohenden Angriff der Engländer
zu fchützen. Er war alfo, ähnlich wie Lionardo da Vinci und andre grofse
italienifche Künftler, auch in der Kriegswiffenfchaft und Befeftigungskunft
feiner Zeit wohl erfahren. Nahm er diefe Stellung fchon unter Franz I
ein, fo wurde er im Beginn der Regierung Heinrichs II durch einen Erlafs
vom 3. April 1548 zum Oberauffeher der königlichen Bauten von Fontaine-
bleau, St. Germain, Villers Coterets u. A. ernannt. Seit diefer Zeit bleibt
er in der Gunft Heinrichs II und der Diana von Poitiers, für welche er
bedeutende Bauten ausführte. Es fehlte auch nicht an Belohnungen und
Gunftbeweifen. Schon 1548 ift er Rath und Almofenier des Königs,
erhält mehrere Abteien, namenthch die von Ivry und wird neben Pierre
Lescot zum Canonicus von Notre Dame ernannt. Wie früh fein Ruf fich
verbreitet haben mufs, fleht man aus einer ehrenvollen Erwähnung bei
Rabelais, wo von den Belagerungsmafchinen der Alten die Rede ift und
de l'Orme als Autorität angerufen wird. 3)
Das Wohlwollen Heinrichs II und mehr noch der Diana von Poitiers
verwandelte fich gleich nach dem Tode des Königs in fein Gegentheil, als
Katharina endlich zur vollen Herrfchaft gelangte. Kabalen und Ver-
I) Livre d'architecture fol. 197. — ") De Laborde, la renaiff. I, p. 410. De l'Orme
heifst in diefem Erlafs : »noftre amd et feal confeiller et aumosnier ordinaire, maiftre Philbert
de Lorme, noftre architecte ordinaire.« — 3) Pantagruel, IV, ch. 61.
§ 66. Philibert de l'Orme.
245
leumdungen brachten es dahin, dafs Franz II fchon am dritten Tage nach
dem Tode feines Vaters de l'Orme aus feiner Stellung entfernte und Pri-
maticcio zum Oberauffeher der königlichen Bauten ernannte.') Wie man
dem trefflichen Künftler mitgefpielt, erfahren wir aus einer Denkfchrift von
feiner Hand , deren Veröffentlichung wir Berty verdanken,^) Sie ift ein
koftbares Dokument, welches uns Einblicke in die Gefchichte feines Lebens
und Schaßens geftattet. Er vertheidigt fich gegen ungerechte Befchuldi-
gungen, gegen die Verleumdung, dafs er fich im könighchen Dienfl bereichert
habe, während in Wahrheit kaum feine Auslagen ihm erfetzt worden feien.
Denn er habe für feine vielen Reifen im königlichen Dienft immer zehn bis
zwölf Pferde halten und auf feine Rechnung eine grofse Anzahl von Werkleuten
und untergebenen Beamten beköftigen müffen. Aufserdem habe er fünf
Neffen ftudiren laffen, auch Gelehrte habe er fich gehalten und befoldet,
um mit ihnen wiffenfchaftliche Arbeiten zu betreiben. Theure Modelle,
die manchmal zwei- bis dreihundert Thaler gekoftet, habe er für die Bauten
des Königs anfertigen laffen, und für alles diefs nicht, wie man ihm nach-
fage, zwanzig, fondern nur fechstaufend Livres Jahrgehalt »und etwa noch
feinen grauen Bart« bekommen. In gerechtem Selbftgefühl zählt er dagegen
feine Leiftungen auf : nicht blofs die wichtigen Dienfte, die er bei Beauf-
fichtigung der Häfen und Befeftigungen dem Lande erwiefen habe, fondern
auch die zahlreichen königlichen Bauten, die von ihm geleitet worden feien.
Er habe »die gute Baukunfl in Frankreich eingeführt« und die barbarifchen
Formen befeitigt.3) Wichtige Erfindungen zum Vortheil des Königs und
des Landes habe er in der Confbruction der Dächer gemacht, wodurch es
möglich geworden, mit kürzeren Balken und viel geringeren Korten die
Gebäude einzudecken.
Seine Rechtfertigung mufs fchliefslich durchgedrungen fein, denn 1564
erhält er von Katharina von Medici den Auftrag zum Bau eines neuen
Palaftes, der Tuilerien, die fein Hauptwerk fein würden, wenn fie nach
feinen Plänen zur Vollendung gekommen wären. Er war daran befchäftigt
bis zu feinem Tod, der am 8. Januar 1570 (1571), wie neuerdings 4) ermittelt
worden, erfolgte. Aus feiner früheren Zeit (feit 1552) ftammt das Schlofs
Anet, die glänzende Wohnung der Diana von Poitiers, in der Revolution
gröfstentheils zerfbört. Noch früher fällt fein erfter bedeutenderer Bau, das
Schlofs von St. Maur, welches ebenfalls nicht mehr vorhanden ift. Rechnen
wir dazu das Portal der Kirche St. Nizier zu Lyon, die Kapelle im Park
I) De Laborde, a. a. O. p. 458. — =2) Les grands architectes, p. 49 ff. — 3) Ebenda p. 54:
>Et oultre tout cecy, n'ay-je pas faict tant d'aultres fervices, quant ce ne feroyt qua d'avoir
port^ en France la fa?on de bien baftir, oftt5 les fa^ons barbares et grandes commiffures,
monftre ä tous comme l'on doibt obferver les mefures de architecture.« —
+) Ebend. p. 44.
246
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
von Villers Coterets, bei welcher er zum erftenmal eine von ihm erfundene
und als »franzöfifche Ordnung« bezeichnete Säulenftellung zur Anwendung
brachte, ferner die Bauten an den Schlöffern von St. Germain, La Muette,
Monceaux, Madrid, St. Leger, wo er eine grofse Galerie, die Kapelle und
die Pavillons erbaute, Limours, Vincennes, de Couci und Folembray, wozu
endlich noch feine Betheiligung am Grabmal Franz' I zu St. Denis und
ein Entwurf zum Refectorium der Abtei von Montmartre, fowie Privatbauten
in Lyon und Paris kommen, fo haben wir das Bild einer überaus umfang-
reichen Thätigkeit. Dazu gehören endlich noch feine Schriften , die eine
gefonderte Betrachtung verdienen.
§ 67.
DE l'Orme's Schriften.
DE l'Orme's Neigung zur theoretifchen Betrachtung, zur wiffenfchaft-
lichen Begründung feiner Kunft führte ihn auch zu fchriftftellerifcher
Thätigkeit, und das erfte literarifche Werk, welches wir von ihm befitzen,
bezieht fich auf feine Erfindung einer neuen Dachconftruction, die er zuerfb
im Schlofs von Monceaux bei Bedeckung eines Saales zum Ballfpiel für
Katharina von Medici in Anwendung brachte. Die Königin und ihr
Gemahl nahmen lebhaften Antheil an diefer Arbeit, und letzterer forderte
den Künftler auf, feine Erfindung in einem Buche der Welt mitzutheilen.
Diefs Werk erfchien indefs erft nach dem Tode Heinrichs II unter dem
Titel : »NOVVELLES INVENTIONS POVR BIEN BASTIR et ä petit
fraiz, trouvees n'agueres par Philibert de l'Orme^ Lyonnois. Paris MDLXI«.
Wichtiger als Zeugnifs feiner gefammten künftlerifchen Anfchauung
ift jedoch das zweite, gröfsere Werk, auf welches er in dem Text des
erfteren bereits hindeutet. Es follte in zwei Foliobänden eine vollftändige
Lehre der Architektur enthalten , nach dem Vorgang Vitruv's und
L. B. Alberti's. Der erfte Band, zu deffen Ausarbeitung de l'Orme die
unfreiwillige Mufse, während er bei Hof in Ungnade gefallen war, benutzte,
erfchien 1567 in Paris unter dem Titel: »LE PREMIER TOME DE
L'ARCHITECTVRE DE PHILIBERT DE L'ORME confeiller et avmofnier
ordinaire du Roy«. Es beginnt mit einer Widmung an die Königin Mutter
und einer Epiftel an die Lefer, in welcher er darüber klagt, dafs es fo wenig
tüchtige Architekten gebe, weil die meiften nur eine einfeitig theoretifche
oder ausfchliefslich praktifche Bildung befäfsen. Indem er die Würde und
Herrlichkeit der Architektur begeiftert rühmt, leitet er die richtigen Maafse
und Verhältniffe derfelben direkt von Gott, dem erhabenen Weltenbaumeifter,
ab, und bekennt befcheiden, dafs die Werke, die er felbft gefchaffen und
mit denen er allgemeine Anerkennung gefunden habe , ihm fo wenig
genügten, dafs er fie von Neuem beffer und fchöner aufzuführen wünfche.
§ 67. De rOrme's Schriften.
247
Intereffant ift, was er dann in der Vorrede zum erften Buche von den
architektonifchen Zuftänden feiner Zeit berichtet, wie Mauer- oder Zimmer-
meifter, oder gar »irgend ein Maler oder Notar« fich als Architekten auf-
werfen') und durch Gefchwätz und Schmeicheleien die Bauherren zu bethören
wiffen. Wie fehr ihm befonders die Anmafsung der Maler, der zahlreichen
»donneurs de portraicts et faifeurs de deffings, dont la pluspart n'en
fgauroit bien traffer ou descrir aucun« zuwider ift, zeigt er nochmals im
zehnten Kapitel des erften Buches, und man wird ihm diefe fcharfen Worte
gegen den Dilettantismus um fo weniger verargen, wenn man bedenkt, dafs
jahrelang der intriguante Primaticcio ihn zu verdrängen wufste. Die an-
mafsende Oberflächlichkeit architektonifcher Pfufcher mufste einem Manne
doppelt zuwider fein, der in gerechtem Selbftgefühl von fich fagt, dafs er
fünfunddreifsig Jahre und darüber fich mit dem Studium der Architektur
befchäftigt habe, und deffen Werk auf jeder Seite den Beweis feiner gründ-
lichen wiffenfchaftlichen Bildung, feiner umfaffenden künftlerifchen Studien
und feiner grofsen praktifchen Erfahrung liefert. Er dringt deshalb überall
auf Verbindung der Theorie mit der Praxis, will von denen, die durch
fchön ausgeführte Zeichnungen den Bauherrn beftechen, nichts wiffen und
empfiehlt nachdrückhch , bei wichtigen Bauten nicht blofs ein, fondern
mehrere Modelle zu machen, um fich über die Wirkung klar zu werden.') Dafs
er felbft ein trefflicher Zeichner ift, geht aus den in ganz grofsem Maafsftab
ausgeführten Holzfchnitten feines Buches hervor, die er nach feiner Angabes)
eigenhändig gezeichnet hat. Nach den fchönften antiken Ueberreflien in
Rom felbft entworfen und genau vermeffen, geben fie einen neuen Beleg
für die gründUchen und mühevollen Studien, welche die grofsen Meifter
der Renaiffance ohne Ausnahme gemacht haben, und wodurch fie die
Bequemhchkeit der heutigen Architektengeneration befchämen. De l'Orme's
Darftellungen der antiken Säulenordnungen gehören zum Vorzüglichften,
was wir aus jener Zeit an folchen Arbeiten befitzen. Mit welcher Auf-
merkfamkeit er die Monumente erforfcht hat, beweift unter anderm die
von ihm gemachte Entdeckung eines nur angefangenen antik-ionifchen
Säulenkapitäls der Kirche Sta. Maria in Traftevere, wo er den Punkt zum
Einfetzen des Zirkels und zur Befchreibung der Volutenkreife angegeben
fand.-^)
Sein Werk zerfällt in neun Bücher. In dem erften fpricht er von den
Materialien, der Prüfung und Wahl des Bauplatzes und Orientirung der
Gebäude. Das zweite handelt von der Fundamentirung und den Werk-
zeugen, deren der Architekt fich bedient; das dritte und vierte befchäftigt
i) Livre d'architecture, fol. 6. — 2) Ebenda fol. 21. — 3) Ebenda fol. 5. — ♦) Ebenda
fol. 162.
248
Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
fich in gründlicher Weife mit dem Steinfchnitt ; die drei folgenden behandeln
die vier Säulenordnungen, denen er aus eigener Erfindung noch eine fünfte
hinzufügt; das achte giebt Anweifung über die Verhältniffe und Formen
von Triumphbögen und Portalen, fowie der Fenfter; das neunte endlich
über Anlage und Ausfchmückung der Kamine in den Zimmern und Sälen,
fowie der Schornfheine auf den Dächern. Der wichtigfte Theil befteht aus
den beiden Büchern , welche vom Steinfchnitt handeln. Das Mittelalter
hatte in feinen Bauhütten diefe Wiffenfchaft als eine geheime behandelt,
und die neue Baukunft mufste die Wiffenfchaft der Stereotomie auf neuer
Bafis aufbauen und begründen. Es ift das grofse Verdienft de l'Orme's,
diefe Aufgabe für die Architektur feines Landes und für feine Zeit in ebenfo
wiffenfchaftlicher als klarverftändlicher Weife gelöft und damit der Baukunft
eine allgemeine fefte Grundlage gegeben zu haben. Die Stellung , welche
er in diefer Arbeit gegenüber der alten nationalen Kunft einnimmt, verdient
bemerkt zu werden. Er fagt, er wolle jene Gewölbe »a la mode Frangaife«
nicht verachten, da manche gute und fchwierige Conftruction in ihr aus-
geführt fei; allein die, welche die wahre Architektur kännten, befolgten
nicht mehr diefe Bauweife.') Trotzdem bezeugt er in feinem Werke zur
Genüge, dafs er die gothifche Conftruction gründlich verfteht, denn er giebt
vollftändige geometrifche Schemata für die Ausführung gothifcher Rippen-
gewölbe complizirtefter Art, wobei er felbft die fchwebenden Schlufsfteine nicht
vergifst.^) Er zieht aber die nach antiker Weife im Halbkreis geführten
Wölbungen als stärker, beffer und dauerhafter vor, und fetzt ihre Vortheile
auseinander, die er nicht blofs in ftatifch conftructiver Leichtigkeit, fondern
auch in der reicheren und gefchmackvolleren Dekoration, deren fie fähig
feien, findet. 3) In demfelben Sinne fpricht er fich gegen die gedrückten
und die korbhenkelförmigen Bögen aus."*) Dafs aber noch genug vom
Geift mittelalterHcher Meifter in ihm ift, um Freude an den complizirteften
Conflructionen zu finden , beweift er namentlich durch die Angabe ver-
fchiedenartiger Wendeltreppen und befonders der fchwierigen zur Unter-
ftützung vorfpringender Bautheile der oberen Stockwerke dienenden Mufchel-
oder Zwickelgewölbe (Trompen).^)
Was den künftlerifchen Charakter de l'Orme's betrifft, fo läfst derfelbe
den Adel und die Feinheit Lescot's vermiffen. Seine Formenwelt, wie fie
fowohl in den mitgetheilten Proben von Portalen und Kaminen, als in feinen
ausgeführten Bauwerken hervortritt , ift nicht blofs eine derbere , fondern
auch fchon mehrfach zu barocken Formen, zu allerlei Verkröpfungen und
Auflöfungen der Glieder neigende. Geradezu wunderlich erfcheint eine
0 Livre d'architecture fol. 107. — ') Ebend. fol. iii. — 3) Ebend. a. a. O. —
4) Ebend. fol. 112. - 5) Ebend. fol. 88.
§ 67. De rOrme's Schriften.
249
Säule in Form eines rohen Baumftammes mit kraufem Laubkapitäl, die er
für gewiffe Fälle, wo es fich um hölzerne Stützen handelt, empfehlen zu
dürfen meint. Empfehlenswerther dagegen ift eine andere Säulenart, die
er zuerfl für die Kapelle von Villers Coterets erfunden und fpäter bei den
Tuilerien und anderwärts angewendet hat, und welche von manchen fran-
zöfifchen Architekten nachgeahmt worden ift. (Fig. 89.) Wenn den Griechen
und Römern geftattet war, Säulenordnungen zu erfinden, fo argumentirt er,
warum foUte dann uns nicht erlaubt fein, ebenfalls neue Säulenformen zu
erfinden, und diefelben »franzöfifche« zu nennen Er wenigftens habe fich
folches erlaubt, und da er für die Säulen zu Villers Coterets keine mono-
lithe Schäfte zu erhalten gewufst, fo fei
er auf den Einfall gekommen, die Fugen
der einzelnen Trommeln durch vortretende
Bänder mit Ornamenten zu verdecken, fo
dafs fie fehr fchön und anmuthig anzu-
fehen feien. Gewifs ift diefe in der fran-
zöfifchen Spätrenaiffance fo beliebte Form
eine der rationellften und annehmbarften
Erfindungen des beginnenden Barockftils,
und fie mufs diejenigen vollftändig be-
friedigen, welche überall die Ornamentik
nur als Symbol für die Conftruction gelten
laffen wollen. Aber ebenfo gewifs ift,
dafs die Griechen, wenn fie die einzelnen
Trommeln fo eng mit einander verbanden,
dafs die Säule als Monolith erfchien und
durch die aufftrahlenden Cannelirungen
fo kräftig wie möglich die Continuität
Fig. 89. De i'Orme's »franzöfifche« Säule. Louvre. ^^g^Q^te, das höhere uud feinere Kunft-
(Baldinger nach Photogr.)
gefühl bewiefen haben.
Als heiteren Schlufs feines Werkes bietet de l'Orme in zwei grofsen
Zeichnungen das Bild des wahren und des falfchen Architekten. Den
erfteren fieht man in einer Landfchaft voll prächtiger Gebäude, durch die
ein Quell riefelt, der üppige von Weinftöcken umrankte Bäume tränkt. In
würdiger Ruhe unterweift er einen lernbegierigen Jüngling. Um feine
Gefchicklichkeit anzudeuten, hat der Künftler ihn mit drei Augen und vier
Händen, an den Füfsen aufserdem mit Flügelfchuhen ausgeftattet. Der
falfche Architekt dagegen irrt durch eine unkultivirte Landfchaft, in der
man nur mifsgeformte Gebäude fieht. Er ift ohne Augen, Ohren und Nafe,
aber mit einem grofsen Munde dargeftellt »pour bien babiller et mesdire« ;
mit dem langen Talar und der Mütze eines Gelehrten »pour contrefaire un
250
Kap. IV. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
grand docteur et tenir bonne mine ä fin que l'on penfe que c'eft quelque
grande chofe de lui«. Aufserdem hat er keine Hände »pour monftrer que
ceux qu'il reprefente ne fgauroient den faire«. In feinem Wege liegen
Stierfchädel »qui fignifient gros et lourd efprit« , und Steine, an denen
er fich flöfst, während verkrüppeltes Gebülch feinen wehenden Mantel aufhält.
NTER den von de l'Orme aufgeführten Gebäuden mufs das Schlofs
Anet als fein Hauptwerk bezeichnet werden. Im Auftrage Heinrichs II
feit 1552 für Diana von Poitiers erbaut, war es eine Schöpfung aus einem
Guffe, in voller Freiheit, ohne Befchränkung der Mittel aufgeführt, wie de
rOrme felbft bekennt, und defshalb der befte Prüfftein für den künftle-
rifchen Geift feines Erbauers. In der Revolution theils zerftört, theils feines
künftlerifchen Schmuckes entkleidet, wird es uns in feiner urfprünglichen
Geftalt nur aus den Zeichnungen du Cerceau's erkennbar.^) Anet hegt in
der Nähe von Dreux in einer Ebene , welche von der Eure durchftrömt
wird. Es war im Mittelalter eine königliche Domaine, welche Karl VII an
Pierre de Breze verlieh. Der Enkel desfelben heiratete in zweiter Hochzeit
15 14 Diana von Poitiers, die nachmals einen fo grofsen Einflufs auf den
faft zwanzig Jahre jüngeren Heinrich II gewann. Der König liefs das alte
Schlofs gröfstentheils abbrechen und durch de l'Orme ein neues, prachtvolles
aufführen, wobei indefs der Architekt, wie aus feinen Schriften hervorgeht,
und wie die Pläne erweifen, gewiffe Partieen des alten Baues beibehalten
mufste.
Dafs er diefs mit grofsem Gefchick vollführt, ohne der Klarheit und
Symmetrie des neuen Baues Abbruch zu thun , beweift der Grundrifs.
(Fig. 90.) Die ausgedehnte Anlage wird rings von einem Waffergraben
und von Mauern mit vorfpringenden Baftionen auf den Ecken umfchloffen.
Ueber eine Zugbrücke gelangte man zu dem Haupteingang, der als befonderer
Thorbau impofant und faft feftungsartig geftaltet ift. Mit ausgebogener
Mauer vortretend zeigt er zwifchen vier weit geftellten dorifchen Säulen
zwei kleinere Seitenpforten und ein grofses Mittelportal, letzteres durch eine
weite Bogennifche gekrönt, in welcher Benvenuto Cellini 's berühmte Bronze-
figur der Nymphe von Fontainebleau angebracht war. 3) Zu beiden Seiten
Les plus excellents baftimens, Vol. II; vgl. Rouyer et Darcel, l'art architectural,
Vol. I, pl. 17 — 27 und Pfnor, Monogr. du chäteau d'Anet. Endlich die reiche Darfteilung
in den Chäteaux hiftoriques de France II, i ff. — Livre d'architecture, fol. 88. —
3) Sie befand fich urfprünglich über dem Hauptportal zu Fontainebleau (vgl. S. 115), kam
von Anet in den Karyatidenfaal des Louvre und befindet fich jetzt dort im Muleum der
neueren Bildwerke.
§ 68.
Das Schloss Anet.
4
^ § 68. Das Schlofs Anet. 25 1
dagegen find die dorifchen Säulen durch Gebälk und Gefimfe verbunden
und von einer gefchloffenen Bruftwehr gekrönt.
In der gleichen Höhe fchliefsen die anftofsenden feftungsartig behandelten
Theile ab, die jedoch mit durchbrochenen Baluftraden enden. Die Form
der letzteren, aus gewundenen Tauen zufammengefetzt, ift bezeichnend für
20 Metra
Fig. 90. Schlofs Anet. (Pfnor.)
den Charakter diefer Epoche: das Motiv erfcheint nüchtern und dabei zu-
gleich willkürlich. Geradezu häfslich find die auf den Ecken fich erhebenden
grofsen Schornfteine mit ihren plumpen Krönungen in Form gefchweifter
Sarkophage, deren Flächen mit nüchternen Cannelirungen und fchwerem
Blattwerk zwifchen übermäfsig derben Profilen bedeckt find. Auch ihre
Krönung durch volutenartig aufgerollte abgefchnittene Giebel ift barock
252
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
genug. Die Sarkophage, die auf allen Schornfteinen des Schloffes und
felbft auf dem prachtvollen Brunnen wiederkehren, find wohl ein architek-
tonifcher Ausdruck der Wittwentrauer^ mit welcher diefe keufche Diana
ihr Leben lang kokettirte.
Im obern Gefchofs nimmt der Mittelbau die Form einer auf beiden
Seiten abgerundeten flachen Terraffe an, aus welcher ein höheres Mittel-
ftück attikenartig auffteigt. Diefes ifl mit cannehrten langgezogenen Voluten
ftatt der Pilafter bekleidet, zeigt im Mittelfeld das Zifferblatt einer Uhr,
in den Seitenfeldern Nifchen und trägt auf feinen Volutenkrönungen die
Figuren zweier Jagdhunde, die zu einem in der Mitte fbehenden Hirfch
hinaufblicken. Die Hunde gaben, wie de l'Orme felbft erzählt,') durch
Bellen, der Hirfch durch Scharren mit dem Fufs die Stunden an. So
fchwer und nüchtern , im Einzelnen auch felbfb fchon barock, die Glieder
hier durchweg find, fo mufs doch zugeftanden werden, dafs der Architekt
in origineller und wirkfamer Compofition den Ausdruck des kaftellartig
Abgefchloffenen, wie er einem folchen Aufsenthor zufteht, glückHch getroffen
hat. Aufserdem verleiht er, während er fich für diefe Aufsenfagade den
feineren plaftifchen Schmuck verfagt, den Flächen durch paffend angebrachte
Platten von Porphyr, Serpentin und Marmor, fowie von Bronze über den
Portalen, an den Friefen, Attiken und Sockeln des Oberbaues feinem Werke
doch den Charakter gediegener Pracht in Anwendung einer wirkfamen
Polychromie.^)
Das Innere des Thorbaues gliedert fleh als ftattliche dreifchiffige Ein-
gangshalle, mit hohem in Bogen geöffnetem Mittelgang und niedrigen Seiten-
fchiffen, die durch Arkaden auf Pfeilern vom mittleren Gange getrennt
werden. In den Nebenräumen war einerfeits die Wohnung des Pförtners,
andererfeits ein Dienftlokal. Die Anordnung und Eintheilung, fowie der
innere Bau diefer Propyläen verräth die flchere Hand eines Meifters.
In der Hauptaxe weiterfchreitend , gelangt man nun in den grofsen,
ungefähr quadratifchen Herrfchaftshof, der auf drei Seiten von den Wohn-
gebäuden umfchloffen wurde. Rechts und in der Tiefe der dem Eingang
gegenüber liegenden Seite zog fleh im Erdgefchofs ein Arkadengang hin,
auf paarweife verbundenen Pfeilern mit geradem Gebälk ruhend. Die Haupt-
treppe lag rechts in der Ecke der beiden zufammenftofsenden Flügel ; eine
andere Treppe ftand mit dem in der Mitte liegenden Eingang in Verbin-
dung. Die Architektur diefer Theile war einfach und von guter Wirkung.
Das obere Stockwerk erhielt fein Licht abwechfelnd durch breitere und
fchmalere Fenfter, fämmtlich durch zwei Querftäbe getheilt, erftere aufser-
dem mit einem auffteigenden Mittelpfoften und antikem Giebel verfehen.
') Livre d'architecture, I. VIII, ch. 12. — Ebend. über diefe Dekoration Genaueres.
;
§ 68. Das Schlofs Anet.
253
Fig. 91.
Aus dem Hof von Schlofs Anet.
(Baldinger nach Phot.)
Die fpärlich angebrachten Dachfenfter
find mit Bogengiebeln bekrönt, die in
barocker Weife auf verkröpften Ge-
bälken ruhen.
Mit ächt künftlerifchem Sinn hat
der Architekt verftanden, feinem Bau
einen Alles beherrfchenden Mittelpunkt
zu geben. Dem Haupteingang gegen-
über in der Axe des Gebäudes hat
er ein triumphbogenartiges Portal auf-
geführt, welches mit feinen beiden
unteren Gefchoffen den beiden Etagen
des Hofes entfpricht, dann aber mit
einem dritten Stockwerk hoch über
das Dach hinaufreicht. Es ift das
jetzt zu Paris in der Ecole des beaux
arts aufgeftellte Bruchftück. (Fig. 91.)
Unten mit dorifchen, dann mit ioni-
fchen, darüber mit korinthifchen ge-
kuppelten Säulen bekleidet, die ein
entfprechendes verkröpftes Gebälk tra-
gen, erhält es durch Nifchen mit Sta-
tuen und durch Reliefs reichen Schmuck.
Die grofse Hauptnifche des oberften
Stockwerks umfchlofs ftatt des in un-
ferer Abbildung dargeftellten bogen-
fpannenden Amors eine Statue von
Dianens verftorbenem Gemahl Louis
de Breze, mit der für diefe treue
Wittwe bezeichnenden Infchrift:
>Braefe haec ftatuit pergrata Diana marito,
Uf diuturno fui fint monumenta viri.«
Auf der mittleren Attika, die das
Ganze bekrönt, fah man ein grofses
Wappen, von fchreitenden Löwen ge-
halten. Die feine Ausbildung der
architektonifchen Formen, die elegan-
ten Kapitäle, die edlen Gliederungen
der Gefimfe, die zarten Lorbeerzweige,
welche den unteren Theil der korin-
thifchen Säulenfchäfte umziehen, geben
254
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
den Beweis, dafs de l'Orme an geeignetem Ort auch eine feinete claffifche
Architektur zu entfalten wufste. Wir dürfen nicht vergeffen, dafs damals
bei den tonangebenden Meiftern der Renaiffance eine gewiffe trockene
Derbheit der Formen, befonders die Ruftika und der nüchterne römifch-
dorifche Stil als bezeichnender Ausdruck des Ländlichen galten, wie denn
Giulio Romano den Palazzo del Te in diefem Sinne am Aeufsern fo trüb-
felig charakterifirt hat. Ob wir übrigens de l'Orme als Erfinder diefes
prächtig wirkenden Triumphbogens gelten laffen können, mufs dahin geftellt
bleiben. Wir werden fehen , dafs Jean BuUant diefe Compofition vielleicht
fchon einige Jahre vorher am Schlofs Ecouen zur Anwendung gebracht hatte.
Zwei noch ausgedehntere Nebenhöfe erftreckten fich links und rechts
vom herrfchaftlichen Hauptbau : der zur Linken als regelmäfsiges Rechteck
angelegt mit einer prachtvoll barocken Fontaine in der Mitte, auf welcher
Jean Goujon's Bronzegruppe der Diana mit einem Hirfch und zwei Jagd-
hunden fich erhob ; der zur Rechten mit einem kleineren Brunnen, unregel-
mäfsig und von den Ueberreften des ältern Baues begränzt. In den letzteren
führte von der Seite ein felbftändiger, ebenfalls ftattlich, aber noch mehr
kaftellartig behandelter Portalbau , aus deffen Schiefsfcharten du Cerceau
Kanonen hervorfchauen läfst.
Aus dem angrenzenden Flügel des Herrenhaufes tritt eine Kapelle in
Form eines griechifchen Kreuzes mit abgerundeten Schenkeln vor, der
Mittelbau mit einer kreisrunden Kuppel und Laterne bekrönt, die Ecken
nach der Innenfeite von zwei Thürmen mit fchlichtem Pyramidendach aus-
gefüllt, welche die Treppen zu der Empore enthalten, nach der Hoffeite
mit zwei zu Sakrifteien beflimmten Räumen. Eine hübfche Vorhalle auf
gekuppelten Säulen legt fich in ganzer Breite vor den Bau. Das Innere
zeigt eine edle und reiche Gliederung in claffifch durchgebildeten Formen,
korinthifche Pilafter mit originellen Schilfblatt-Kapitälen, dazwifchen Wand-
nifchen, die Bögen und Tonnengewölbe elegant ftucchirt mit Ornament-
bändern, welche Bildfelder einfchliefsen, in den Zwickeln fchwebende Engel,
den antiken Victorien nachgebildet, die Kuppel mit rautenförmiger Caffet-
tirung. Die Sculpturen, von der Hand Jean Goujon's, gehören wie die
Kapelle felbft zu den wenigen noch ziemlich gut erhaltenen Theilen des
Baues. Aufserdem ift nur noch das Hauptportal und der Hnks fich an-
fchliefsende Flügel vorhanden.
An die Rückfeite der Schlofsanlage fchliefst fich ihrer ganzen Breite
nach ein enormes Gartenparterre, 400 Fufs breit bei etwa 250 Fufs Tiefe,
auf drei Seiten von Arkaden in derber Ruftika umgeben, »qui donne, fagt
Diefs treffliche Werk ift jetzt im Mufeum des Louvre , Abtheilung der neueren
Bildwerke, Nr. 100, aufgeftellt. Vgl. H. Barbet de Jouy, defcript. des fculpt. modernes.
§ 68. Das Schlofs Anet.
255
du Cerceau, au jardin un merveilleux esclat ä la veue«. Die Verbindung
mit dem Herrenhaufe wurde durch eine breite Terraffe zwifchen vor-
fpringenden Pavillons bewirkt, von welcher man den Garten und die beiden
grofsen Parks mit ihren Alleen und Rafenflächen überfchaute. Zwei Spring-
brunnen waren, in der Axe der beiden Pavillons, mitten im Garten ange-
bracht. In den Gartenarkaden und den Terraffen waren die Fufsböden mit
reich gemufterten emaillirten Platten bedeckt. Ein Bruchftück derfelben
wurde in den vierziger Jahren ans Licht gezogen,') Man fieht, dafs die
ganze Anlage von fürftlicher Opulenz zeugte und völlig im Sinne der
modernen Zeit geftaltet war. Als Nachklänge feudaler Schlofsbauten fmd
nur die Waffergräben und feftungartigen Mauern, fowie die kleinen erker-
artig ausgekragten Thürmchen am vorderen Ende der beiden Schlofsflügel
zu bezeichnen. Auch ein runder Erker auf mufchelartigem Gewölbe aus-
gekragt, zum Cabinet des Königs gehörend, deffen Conftruction de l'Orme
im vierten Buch feiner Architektur mit befonderer Vorliebe behandelt,
gehört hierher.
Zu den intereffanteren Theilen des Schloffes rechnen wir endlich die
Grabkapelle, welche Diana fich links vom Schlöffe hatte erbauen laffen,
und deren Zeichnung du Cerceau mittheilt. Es war ein kleiner Bau, aus
einem länglichen Rechteck mit vorgelegter halbkreisförmiger Apfis beftehend,
einfchiffig , mit einem Tonnengewölbe bedeckt , von ftrengen fchlichten
Formen. Eine Bruftwehr trennte das Vorderfchiff vom Presbyterium,
welches auf jeder Seite zwei Reihen von Chorftühlen zeigte. Neben dem
Chor traten, den Bau nach aufsen kreuzförmig geftaltend, zwei Querarme,
die im oberen Gefchofs eine Empore enthielten, mit ihren Treppenhäufern
vor. Diefe kleinen Seitenräume fmd im Innern rund, mit vier Nifchen
erweitert und mit kleinen Kuppeln gefchloffen. Die Fagade der Kapelle
zeigt ftreng klaffifche Formen, korinthifche Pilafter, dazwifchen Nifchen mit
Statuen, in der Mitte das Portal mit einer Attika und einem Rundfenfter
darüber. Dann über dem Gebälk mit ausgebauchtem Fries und Confolen-
gefims eine hohe Attika mit dorifchen Pilaftern, der Mittelbau bekrönt von
einem Auffatz mit einem Sarkophag, vor welchem Engel mit Palmen
Wache halten, und über dem fich eine Figur mit dem unvermeidlichen
Wappen erhebt.
Ehe wir von dem Meifterwerk de l'Orme's fcheiden, haben wir noch
der prachtvollen Ausftattung des Schloffes zu gedenken. Diefelbe erftreckte
fich, von demfelben künftlerifchen Geift entworfen und geleitet, über alle
Theile des Baues, und gab diefem den Charakter unvergleichlicher Har-
monie , den wir aus den begeifterten Schilderungen der Zeitgenoffen er-
Abgeb. bei Rouyer et Darcel, l'art architectural, T. I, pl. 17..
256 Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
kennen. ') Von den prachtvollen Decken, den holzgefchnitzten und gemalten
Wandbekleidungen find nur dürftige Spuren erhalten.^) Ebenfowenig ift
von den emaillirten Fufsböden übrig geblieben, zu welchen man die aus-
gezeichnetften Künftler heranzog. 3) Von den Bildwerken Jean Goujons zeugt
wenigftens noch die Kapelle, fowie die Brunnengruppe im Mufeum des
Louvre. Zu den zahlreichen Thüren, fowie zu den Vertäfelungen der Wände
hatte man die koftbarften und feltenften Holzforten verwendet. Was davon
übrig ift, trägt theils den Charakter einer kräftigen plaflifchen Behand-
lung in den derberen Gliederungen und reichen emblematifchen Füllungen,
welche diefe Epoche liebte, theils zeigt fie mäfsiges Relief und mehr
malerifche Behandlung durch Intarfia mit Anwendung verfchiedenfarbiger
Holzforten. Die künftlerifche Vollendung des Ganzen erftreckt fich mit
ftets gleich bleibender Sorgfalt bis in die kleinften Einzelheiten.
Uns, die wir an der feinen Anmuth griechifcher Formen unfre Schön-
heitsbegriffe gebildet haben, wird es nicht leicht, den Schöpfungen jener Zeit
gerecht zu werden. Schnell ftöfst uns die fchwere und zum Theil fchon
barocke Ausdrucksweife zurück und wir find geneigt, von diefen Werken
uns verletzt abzuwenden. Aber wir begehen damit ein fchweres Unrecht
gegen den Genius jener grofsen Meifter, die fo ernft und hoch von ihrer
Kunft dachten, fo Herrliches in ihr gefchafifen haben. De l'Orme fpricht
fich an zahlreichen Stellen feines Buches deutlich genug über das Wefent-
hche in der Architektur aus. An einer Hauptftelle s) fagt er: »J'ay tou-
fiours efte d'avis qu'il vaudroit mieux ä l'architecte, ne fgavoir faire orne-
ments ne enrichiffements de murailles ou autres, et entendre bien ce
qu'il fault pour la fante et confervation des perfonnes et de leur biens.
Ce qu'auiourd'huy eft pratique tout au contraire Je ne dy pas
qu'il ne foit convenable et fort bon de faire tresbeaux ornements et faffades
enrichies pour les Roys, Princes, et Seigneurs, quand ils le veulent ainfi.
Car cela donne un grand contentement et plaifir ä la veue: principalement
quand telles faffades font faictes par fymmetrie et vraye proportion, et les
ornements apphquez en un chacun lieu, ainfi qu'il eft neceffaire et raifon-
') Brantome, Capit. Fran^., art. Henry. II (ed. Leyde 1699), T. II, p. 10): »Encore
de ces deniers cette Dame n'en abufa point, car eile fit baftir et conftruire cette belle maifon
d'Anet, qui fervira pour jamais d'une belle decoration ä la France, qu'on ne peut dire une
pareille, j'entens ü par aucunes mains violentes eile n'eft ruin^e, ainfi qu'elle en fut ä la
veille dernierement, lorsque le procez de Monfieur d'Aumale fut fait, ä qui eile appartient
par. fucceffion de fa mere, que tout ainfi que luy fut condamne ä mourir, fut eile ainfi con-
damn^e ä eftre raz^e et demolide de fond en comble, dont c'eufl: ete un grand dommage,
et qu'en pouvoient mais les marbres et les pierres qui n'ont aucun fen-
timent?» — Einige Beifpiele in Pfnor's Monographie. — Eine fchöne Probe giebt
Pfnor. — 4) Vgl. Rouyer et Darcel, l'art architectural, Vol. I, pl. 27 und mehrere Tafeln
bei Pfnor. — s) Le premier tome de l'architecture, liv. I, chap. VIII, im Anfang.
§ 69. Die Tuilerien.
257
nable Pour-ce ie confeille ä l'Architecte , et ä tous qui font
profeffion de baftir, qu'ils s'eftudient pluftoft ä cognoifbre la nature des
lieux, que ä faire de tant beaux ornements, qui le plus fouvent ne fervent
que de filets ä prendre les hommes, ou ce qui eft dans leurs bourfes ....
Auffi ie ne voudrois point que les dicts ornements des faces empefchaffent,
qu'on ne peuft donner les vrayes mefures qu'il fault ä une falle ou chambre,
et auffi qu'on ne peuft mettre les portes, feneftres et cheminees aux lieux
plus commodes et neceffaires, fans y rien faire par contrainte, ains pluftoft
par les moiens de l'art et de nature«.
Diefe Grundfätze hat der Meifter an feinen Bauten entfchieden zur
Geltung gebracht, und wer zweckmäfsige Anlage und Eintheilung, wohl-
abgewogenen Gegenfatz der Maffen, wirkungsvolle Bewegung des Gefammt-
umriffes, edle Verhältniffe und rhythmifche Gliederung zu würdigen weifs,
wird überall den grofsen Architekten erkennen. Wem aber ein unhellenifch
profilirter »Eierftab« alle diefe Vorzüge verdecken kann, dem ift überhaupt
nicht zu helfen.
§ 69.
Die Tuilerien.
DIE grofsartigfte Aufgabe feines Lebens wurde de l'Orme zu Theil, als
Katharina von Medici ihn mit dem Bau eines neuen Schloffes bei
Paris betraute. Bei diefer Aufgabe hatte der Meifter fichtlich fein ganzes
Können und Wiffen zur Geltung zu bringen gefucht , aber fein gewaltiger
Plan, den du Cerceau ') mittheilt, und der etwa das höchfte Ideal des da-
maligen Palaftbaues verwirklicht haben würde, blieb nicht blofs unaus-
geführt, fondern felbft das, was ihm zu verwirklichen geftattet war, wurde
fpäter faft bis zur Unkenntlichkeit entftellt. Wir fmd auf die leider un-
genügenden Zeichnungen du Cerceau's angewiefen, wenn wir uns ein Bild
von den Abfichten des Künftlers machen wollen.
Um 1 564 befchlofs die Königin, in der Nähe des Louvre, weftlich vor
den Thoren und Wällen der Stadt , fich einen neuen Palaft erbauen zu
laffen, der von den Ziegeleien, welche damals dort lagen, den Namen der
Tuilerien erhielt. Die Ausführung des Baues übertrug fie Philibert de l'Orme,
der bis zu feinem Tode das Werk fortführte und dann feit 1570 durch
Jean Bullant erfetzt wurde. Aber fchon 1572 gab die Königin den Plan
auf, weil ihr Aftrolog ihr verkündet hatte, fie müffe fich vor St. Germain
hüten, wenn fie nicht von einem Gebäude erfchlagen werden wollte. Da
nun die Tuilerien zur Pfarre St. Germain l'Auxerrois gehörten, fo gab die
abergläubifche Katharina das Unternehmen auf. Was von de l'Orme
') Les plus excellents baftimens, Vol. II. Vgl. damit Blondel, arch. Fran^., Vol. IV.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. \>j
258
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
ausgeführt worden ift, wird auf unferem kleinen Plan (S. 229) mit (8)
bezeichnet. Es ifl der jetzige Mittelpavillon mit den anftofsenden Flügeln.
Die Eckpavillons dagegen (9) darf man wohl Jean Bullant zufchreiben.
Vergleichen wir nun mit diefen ärmhchen, dazu noch fchlimm verball-
hornten Bruchftücken den impofanten Plan, welchen de l'Orme feinem Bau
zu Grunde legte (Fig. 92). Der Palaft follte danach ein Rechteck von
816 zu 504 Fufs umfaffen. Der Haupteingang lag an der Stadtfeite bei D,
ungefähr wo heute der Triumphbogen fteht. Aus dem grofsen dreifchiffigen
äufsern Veftibül gelangte man durch ein kleineres inneres in den Haupthof
A, der auf beiden Seiten mit Arkaden eingefchloffen war. Vier kleinere
Höfe, dazwifchen zwei Amphitheater, wohl für Spiele und Feftlichkeiten
beflimmt, trennten die beiden mittleren Querflügel von den beiden äufseren
Galerien, unter denen C gegen die heutige Rue de Rivoh, B gegen den Flufs
liegt. Von der Gartenfeite führte der Eingang E in die jetzt vermauerten
Arkaden H und dann in die ebenfalls nicht mehr vorhandene prachtvolle
Haupttreppe, die in doppeltem Lauf kreisförmig emporftieg. Die Wohn-
gemächer vertheilten fich auf die beiden langen Hauptflügel der weftlichen
Gartenfeite und der öftlichen Stadtfeite, zwifchen denen die vier Querflügel
als Galerien und Arkaden die Verbindung herftellten. Gewaltige Pavillons
auf den Ecken, zu denen auf den Langfeiten in wohl gemeffenem Abftand
drei andere, auf den Schmalfeiten je einer kam, follten dem Bau nicht blofs
eine wirkfame Abwechfelung der Maffen, fondern im Innern die wünfchens-
werthe Vermehrung der Räume geben.
Wenn Viollet-le-Duc^) den Plan als unpraktifch verwirft, weil die innere
Eintheilung fleh von der bis dahin in Frankreich gültigen entfernt, fo fcheint
er uns im Unrecht. Man darf nicht vergeffen, dafs es fleh hier zum erflen
Mal um einen Palaft handelt, in welchem das Königthum felbft, offiziell
gleichfam, mit feinem ganzen Hofftaat refldiren und repräfentiren will,
während alle Schlöffer Franz' I einen privaten Charakter tragen und mehr
auf die perfönlichen Neigungen und intimeren Umgebungen des Fürften
berechnet find. Der Plan der Tuilerien bietet in zwei Gruppen eine für
einen grofsen und glänzenden Hofhalt reichlich genügende Anzahl gröfserer
und kleinerer Gemächer, zu denen noch der fchön disponirte Feftfaal F
kommt. Die Räume flnd aufserdem durch genügende Degagements und
Nebentreppen verbunden, und bei dem ungemein rationellen Geift de l'Orme's
und dem eingehenden Intereffe, welches die Königin an künftlerifchen
Unternehmungen hatte, läfst fleh vorausfetzen, dafs das Programm wohl
durchdacht war. Ausdrücklich wird uns diefs fogar von de l'Orme felbft
') Bekanntlich find die Tuilerien durch die Communards 1871 eingeäfchert und feitdem
nicht wieder aufgebaut worden. — Entretiens, V. I, p. 361.
§ 69. Die Tuilerien.
Fig. 92. De rOrmes Plan der Tuilerien. (Du Cerceau.)
bezeugt:') »Ainfi qu'on voit auiourd'hui eftre faict au palais de la maiefte
de la Royne mere, ä Paris, laquelle a voulu prendre la peine,
avec un fingulier plaifir, d'ordonner le departiment de fondit palais, pour
les logis et lieux des falles, antichambres, chambres, cabinets et galleries,
') Architecture, liv. I, chap. VIII, f. 20.
17*
26o
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois
et me donner les mefures des longueurs et largeurs«. Wenn wir alfo feinen
Plan nicht vollftändig mehr erklären können, fo liegt die Schuld davon
nur an den ungenügenden Ueberlieferungen.
Diefelbe Stelle feines Buches giebt Rechenfchaft über die architek-
tonifchen Formen des Baues. Offenbar verlangte die Königin') möglichfte
Pracht der Ausführung, und der Architekt bewies, dafs er diefer Forderung
zu genügen vermöge (Fig. 93). Er begann mit der Gartenfagade. Der
mittlere Pavillon, für den Eingang beftimmt, wurde mit den beiden doppelt
fo breiten Seitenpavillons im Erdgefchofs durch offene Arkaden verbunden,
dreizehn an jeder Seite. Sie beftehen auf dem von du Cerceau mitge-
theilten Grundrifs aus Bogenhallen auf Pfeilern mit vortretenden Säulen.
Der Aufrifs der Fagade, den du Cerceau giebt, zeigt aber eine Abweichung,
die einer lebendigeren, rhythmifcheren Gliederung förderlich war. Es
wechfeln nämlich ftets ein paar Säulen mit einem Pilafterpaar, und da über
den Säulen auch die Gebälke mit dem Gefimfe vorfpringen, fo ergab fich
fchon daraus eine fein abgewogene Wechfelwirkung. Die Arkaden fchloffen
im oberen Gefchofs mit einer flachen Terraffe, die durch ein kräftiges
durchbrochenes Geländer eingefafst wurde. Das obere Stockwerk ift, viel-
leicht im Hinblick auf die ländliche Lage und Umgebung, als Dachgefchofs
in Form einer hohen Attika behandelt. Hier hat der Architekt dasfelbe
Gefetz rhythmifchen Wechfels zur Geltung gebracht, wie am Erdgefchofs.
lieber den Arkadenftellungen des letztern ift jedesmal ein Fenfter mit
bogenförmiger Giebelkrönung angebracht, daneben folgt ein gefchloffenes
niedrigeres Wandfeld mit geradem Giebel, auf welchem Statuen ruhen
und in deffen Mitte ein Wappen prangt. Die Pavillons erhielten noch ein
zweites Stockwerk, im Erdgefchofs Säulen, in den oberen Pilafterftellungen ;
doch theilt du Cerceau nur den mittleren Pavillon, und auch von diefem
nur das Erdgefchofs mit.
Zu den edlen und grofsartigen Verhältniffen, der trefflich durchdachten
rhythmifchen Bewegung der Maffen, der lebendig betonten Gliederung fügt
de rOrme im Einzelnen eine Feinheit der Durchbildung, mit der er fich
auch als Meifter eleganter Dekoration bewährt. Bei der Pilafter- und Säulen-
ftellung des Erdgefchoffes wendet er den ionifchen Stil, aber in jener Um-
wandlung an, die er als »franzöfifche Ordnung« erfunden und zuerft bei
der Kapelle von Villers Cotterets angewendet hatte. Er fetzt feine Säulen-
fchäfte aus einzelnen Stücken zufammen, und die cannelirten Trommeln
verbindet er durch breite Marmorbänder. Auf letzteren bringt er fymbo-
I) De rOrme, ibid.: »d'abundant eile a voulu auffi me Commander faire plufieurs in-
cruftations de diverfes fortes de marbre, de bronze dor^, et pierres minerales , comme
marchafites incruftees fus les pierres de ce pais, tant au faces du palais et par le dedans que
par le dehors.«
§ 69. Die Tuilerien.
lifche Ornamente an, Lorbeerblätter und Keulen als Embleme der Stärke
von verknoteten Schnüren, Zeichen des Wittwenftandes, umfchlungen. Diefe
Ornamente, gefchmackvoll entworfen und aus dem feinen Material in zartem
Relief gearbeitet, bilden einen wohl überlegten Gegenfatz mit den tief
ausgearbeiteten Canneluren der Säulentrommeln. Aehnlicher Reichthum
Fig. 93. Tuilerien. Theil von de l'Ormes Gartenfafade. (Du Cerceau und V..-le-Duc.)
der Dekoration, noch gefteigert durch figürliche Bildwerke, herrfcht am
oberen Gefchofs. Unter den Emblemen bemerkt man den häufig wieder-
kehrenden Namenszug Heinrichs und feiner Gemahlin.
Die Hoßagade, welche du Cerceau ebenfalls giebt, zeigt ähnliche Ein-
theilung und Behandlung, die nur im Erdgefchofs dadurch vereinfacht ift,
262
Kap. VI. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
dafs die Arkaden fortfallen und ausfchliefslich Pilafter angewandt find. Eine
originelle Anordnung bemerkt man an dem erften Fenfterpaar zu beiden
Seiten des Mittelbaues. Hier find im oberen Gefchofs die ausnahmsweife
dicht neben einander angebrachten beiden Fenfter durch gemeinfamen
Giebel, auf welchem Statuen ruhen, bekrönt: eine Anordnung, die in Ver-
bindung mit dem mittleren Pavillon von trefflicher Wirkung fein mufste.
Die fpäteren taktlofen Umgeftaltungen haben von der edlen Architektur
de rOrme's kaum einen Schatten übrig gelaffen. Wäre der Palaft nach
feinen Plänen vollendet worden, fo dürfte kein anderes Königsfchlofs an
Grofsartigkeit und Schönheit mit ihm fich meffen.
Die Pavillons, welche Jean Bullant den beiden Flügeln des de l'Orme-
fchen Baues hinzufügte, fchliefsen fich in Anlage, Eintheilung und Behand-
lung dem Mittelbau an; doch find auch fie von fpäteren Umgeftaltungen
fo übel betroffen worden, dafs über den Werth der Arbeiten BuUant's ein
Urtheil nicht mehr möglich ifb. Nur fo viel erkennt man noch, dafs er als
verftändiger Künftler eine harmonifche Gefammthaltung erftrebte und fern
von der Rohheit derjenigen war, welche fpäter durch Aufführung der
Koloffalordnung auf den Ecken und an der Flufsfeite die urfprüngliche
Architektur fowohl der Tuilerien als der Louvregalerie auf's Empfindlichfte
beeinträchtigten .
§ 70.
Das Schloss von St. Maur.
WENN wir die Reihe der Werke de l'Orme's mit St. Maur abfchUefsen,
fo müffen wir daran erinnern, dafs wir es mit einer Schöpfung feiner
jungen Jahre zu thun haben. Kurz vor dem Tode Franz' I begann er
für feinen Gönner, den Cardinal du Bellai, den Bau des Schloffes, welches
nachher in die Hände der Katharina von Medici kam und unter feiner
Leitung bedeutend vergröfsert wurde. Heute ift nichts mehr von dem Bau
vorhanden.
St. Maur^) liegt zwei Meilen von Paris bei Vincennes an der Marne.
Das Schlofs (Fig. 94) bildete beinahe ein Quadrat, auf den vier Ecken
durch gewaltige Pavillons flankirt, die auf drei Seiten durch Bogenhallen
auf Pfeilern im Erdgefchofs wie in den oberen beiden Stockwerken ver-
bunden wurden. An der Seite des Eingangs fehlte diefe Verbindung, und
ftatt der Arkaden war ein mittlerer Pavillon angelegt, der die impofante
dreifchiffige Thorhalle enthielt. Gegen den Hof öffnete fich diefelbe auf
eine Arkade, welche beiderfeits auf eine Treppenanlage mündete. Niedrige
Pfeilerhallen mit geradem Gebälk zogen fich um die drei anderen Seiten
Du Cerceau, Vol. II. Vgl. Paluftre II, 68.
§ 70. Das Schlofs von St. Maur.
263
des Hofes und trugen im erften Gefchofs eine Terraffe, welche zur Ver-
bindung der Zimmer diente. In der Mitte jedes diefer drei Flügel war eine
Haupttreppe mit gerade anfteigendem Lauf angebracht. Jede der dadurch
gebildeten vier Gebäudemaffen war in wahrhaft vornehmer Weife aus
grofsen Sälen und mehreren geräumigen Zimmern mit den nöthigen Neben-
gemächern zufammengefetzt. Nach der vorderen Seite lag ein ausgedehnter
äufserer Hof, auf vier Seiten von Dienftwohnungen umfchloffen. Links
neben dem Hauptbau dehnte fich, an den Flufs ftofsend, ein Fruchtgarten
aus; an die Rückfeite aber fchlofs fich ein ungeheures Gartenparterre, aus
zweiundvierzig verfchieden verzierten Feldern beftehend. Wie wir durch
du Cerceau erfahren, hatte der Cardinal nur einen Flügel des Gebäudes
, , , 6 . P,
Fig. 94. Schlofs St. Maur. (Du Cerceau.)
ganz vollendet; die Königin aber befchlofs, den Bau weiter zu führen und
zu vergröfsern und de l'Orme hatte ein Modell des Ganzen ausgearbeitet.')
Die Hoffagaden zeigten anfangs nur ein Stockwerk, mit doppelten korin-
thifchen Pilaftern, in den Ecken mit Säulen derfelben Ordnung belebt;
darüber eine fchhchte Attika mit dem abfchliefsenden Gefimfe. Die Königin
liefs fpäter ein zweites Gefchofs auffetzen.
Trägt diefe Architektur das Gepräge einer ftreng klaffifchen Einfach-
heit, fo nimmt das Aeufsere den Charakter des Derben, felbft Trockenen
an. Sämmtliche Ecken und Fenflereinfaffungen, fowie die Arkadenbögen
') De l'Orme in feinem Livre d'architecture, VIII, ch. 17, fol. 251 fagt felbft von
diefem Bau: >lequel auiourd'huy fe continue et acheue par la maieft^ de la Royne mfere,
dune fa?on bien autre et beaucoup plus riche et logeable, qu'il n'auoit efte encommen?^ et
ordonne.«
264
Kap. VI. Die RenailTance unter den letzten Valois.
find in Ruftika ausgeführt und felbft die korinthifchen Säulen, mit denen
im unteren Gefchofs die Ecken etwas feltfam umrahmt werden, müffen fich
diefer Behandlung fügen. Sogar die Schlote der hohen Schornfteine find
in Rufi;ika durchgeführt. Wir erinnerten fchon daran, dafs damals die
Architekten in diefer Bauweife den ländlichen Charakter ausgefprochen
glaubten. Reichere Formen, aber in barock fpielender Weife, find an den
Dachfenftern zur Verwendung gekommen. Das Hauptftück aber ift der
breite und hohe antike Tempelgiebel mit figürlichem Schmuck, aber zugleich
von zwei Bogenfenftern durchbrochen, der fich über die ganze Arkadenreihe
des Mittelbaues ausfpannt; eine Neuerung, die man der noch frifchen Be-
geifterung für die in Italien gewonnenen antiken Anfchauungen zu Gute
halten mufs. Du Cerceau fagt: »für lequel eft affis un Frontispice, qui
eft bien un ordre et maniere Antique, et esclatant ä nous, qui n'en avons
point faict en noftre France de fi grand«. Wir Heutigen finden es freilich
unpaffend und unfchön, um fo mehr, da es mit den fteilen Dächern der
Pavillons — de l'Orme hat jede Ecke durch zwei gefonderte Dächer als
einen Zwillingspavillon geftaltet — einen Widerfpruch bildet.
Steht indefs der Künftler in diefem Jugendwerk minder bedeutend da,
fo haben die Schöpfungen feiner reiferen Jahre ihn uns in voller Meifter-
fchaft gezeigt.
INE in mancher Hinficht an de l'Orme erinnernde Erfcheinung ift Jean
Bullant, von deffen Leben wir freilich nur fpärliche Kunde haben. Sein
Geburtsort fcheint Ecouen, das er mit dem Hauptwerk feiner künftlerifchen
Thätigkeit zu fchmücken beftimmt war. Auch bei ihm dürfen wir annehmen,
dafs feine Geburt um 151 5 fällt. Wie de l'Orme war er in feiner Jugend
in Italien, um dort die Werke der alten und neuen Meifber zu fi;udiren.
In feiner Schrift über die Architektur erzählt er felbfi;, dafs er in Rom die
mitgetheilten Zeichnungen nach der Antike aufgenommen habe.') Es findet
fich darunter eines jener prachtvollen korinthifchen Kapitäle vom fogenannten
Tempel des Jupiter Stator^) (Dioskurentempel im Forum), welches er im
grofsen Porticus des Hofes zu Ecouen genau nachgebildet hat. Ein Beweis,
dafs die Erbauung des Schloffes nach feiner italienifchen Reife fällt.
Es fleht zu vermuthen, dafs fein Gönner, der Connetable von Mont-
morency, welchem Ecouen gehörte, früh auf fein Talent aufmerkfam gemacht,
Reigle generalle d'architecture, in der Dedication und der Vorrede; ...... que
i'ai mefurees ä l'antique dedans Rome« ; » que moy mesmes les mefurez et
practiquez. — 2) ibid. Fol. E. VIII.
§ 71.
Jean Bullant.
71. Jean BuUant.
265
ihn nach Italien gefchickt habe. Gewifs ift, dafs der Connetable, als er
während der Zeit feiner Ungnade von 1541 bis 1547 in Ecouen wohnte,
den Entfchlufs fafste, das alte Schlofs umzubauen und durch BuUant ein
neues aufführen zu laffen. Mit diefer grofsen Unternehmung begründete
der Architekt feinen Ruf und gewann, als mit dem Regierungsantritt
Heinrichs II Montmorency wieder zur Macht gelangte, bald die Gunft des
Königs, der ihn durch einen Erlafs vom 25. Oktober 1557 zum General-
infpektor fämmtlicher Bauten der Krone ernannte.'') Sofort nach dem Tode
Heinrichs II fiel er gleich de l'Orme in Ungnade und mufste einer Kreatur
der Katharina Namens Frangois Gannat weichen. 3) Von 1559 bis 1570
blieb er, wie es fcheint, ohne weitere Aufträge, wie er denn felbft fagt,
der Connetable habe ihn immer beim Bau feines Schloffes verwendet, weil
er fonft meiftens ohne andere Befchäftigung gewefen.'*) Er nahm feinen
Wohnort in dem ftillen Ecouen und befchäftigte fich, ähnlich wie de l'Orme,
mit theoretifchen Unterfuchungen und literarifchen Arbeiten.
Das erfte Werk, welches man diefer Mufse verdankt, erfchien unter
dem Titel: »RECVEIL D'HORLOGIOGRAPHIE, contenant la description,
fabrication et ufage des horloges folaires, Paris 1561«. Er nennt fich darin
Architekt des Connetable von Montmorency, dem er diefes und das folgende
Buch gewidmet hat. Im nächften Jahre 1562 erfchien fein »PETIT
TRAICTE DE GEOMETRIE«, mit welchem das frühere Werk dann zu
einem Ganzen verbunden wurde. Mit zahlreichen Holzfchnitten ausgeftattet,
geben diefe Schriften den Beweis der wiffenfchaftlichen Studien und der
ernflen Neigung zur Theorie, welche ihn ähnlich wie de l'Orme auszeichnete.
Seine Hauptarbeit auf diefem Gebiet ift aber die i 564 herausgegebene, dem
Sohne des Connetable gewidmete, 1568 und fpäter noch öfter neu aufgelegte:
»REIGLE GENERALLE D'ARCHITECTURE des cinq manieres de
colonnes, a fgavoir Tuscane, Dorique, lonique, Corinthe et Compofite a
l'exemple de l'antique fuiuant les reigles et doctrine de Vitruue«.
Diefe Arbeiten freilich find weder fo umfaffend, noch von der felbft-
ftändigen Bedeutung, wie jene de rOrme's,^) welchem er auch in allgemein
wiffenfchaftHcher Bildung nachfteht. Aber die Befcheidenheit , mit der
Nach Paluftre II, 49 freilich hätte der Umbau fchon 1532 unter- einem Meifter
Charles Baillard (oder Billard) begonnen und BuUant wäre diefem erft 1550 gefolgt. —
2) De Laborde, la renaiff. des arts, V. I, p. 453. — 3) Ibid. p. 458. — 4) Reigle generalle,
in der Dedication: »d'autant que la pluspart du temps me reftoit fans autre occupation«.
Diefe Ausfage fleht denn auch im Gegenfatz zu all den meift kirchlichen Bauten, welche
Paluftre II, 3 ff. dem Meifter zufchreiben will. Wir können darin nur Werke erkennen, in
denen fich der Einflufs feiner Formenwelt ankündigt. — s) Schon dem äufsern Umfange
nach nicht, da Bullant's Schrift in der erften Auflage 24 Folioblätter, de l'Ormes Werk
deren 283 enthält.
266
Kap. VI, Die Renaiflance unter den letzten Valois.
Bullant fich überall ausfpricht, beweift, dafs er zugleich weit von jeder
Ueberhebung entfernt war. Ueberhaupt ift feine Stellung eine befcheidnere,
und er war niemals wie de l'Orme Abt, Canonicus, königlicher Rath und
Almofenier. Die gelehrte Bildung, die wir bei jenem angetroffen, vermiffen
wir bei Bullant, und er fagt felbft in der Widmung feiner Schrift über die
Geometrie: »Monfeigneur, je vous prie que fi vous trouvez quelque faute
ä la lettre et langage vouloir excufer la rudeffe et malaornement de mondit
langage, parce que je ne fuis latin«. Und in feiner Architektur, »quelque
fimple et mechanique qu'il foit«, entfchuldigt er fich wegen feines »petit
entendement ä comprendre es livres de Vitruue«. Bullant befchränkt fich
denn auch, — da er fein Buch nur gefchrieben, »pour les ouvriers, car les
hommes doctes en ceft art n'ont befoing de mes efcripts« — , auf Dar-
fteilung der verfchiedenen Säulenordnungen, die er aber mit aufserordent-
licher Genauigkeit nach geometrifchen Formeln und Gefetzen entwerfen
lehrt, fo dafs fein Buch in der That für die Praxis damals von erheblichem
Werth gewefen fein mufs. Wir fehen auch aus diefem Beifpiel, welch ernfte
Mühe zu jener Zeit jeder Architekt fich mit dem gründhchen Studium
feiner Kunft, namentlich mit der Erforfchung der Verhältniffe gegeben hat.
Auf der letzten Seite entläfst er den Lefer mit einem Quatrain und einem
Sonett, in welchem es u. a. heifst:
»Si qu'or' auant on voye en-my la France
Maints beaux Pallais d'orgueilleufe apparence
Ne ceder point aux Babyloniens«.
Mit dem Jahre 1 570 hörte die königliche Ungnade auch für Bullant
auf. Er wurde zum Architekten Katharinas und zum Auffeher ihrer Bauten
ernannt, und da de l'Orme eben geftorben war, trat er als deffen Nach-
folger bei den Tuilerien ein.') Aufserdem mufste er für die Königin,
als diefe aus Aberglauben den Bau des Palaftes liegen liefs, ein neues
Stadtfchlofs, das Palais de la Reine, fpäter Hotel de Soiffons genannt, auf-
führen. Es wurde fpäter durch die Kornhallen verdrängt, in deren Mauer-
werk fich noch eine koloffale korinthifche Säule davon erhalten hat. Da
in demfelben Jahre mJt de l'Orme auch Primaticcio ftarb, fo wurde er an
deffen Stelle zum Auffeher der königlichen Bauten ernannt und leitete als
folcher nicht blofs die Arbeiten von Fontainebleau,^) fondern auch die
Ausführung der Königsgräber in St. Denis. Er wird in den Rechnungen
als »ordonnateur de ladicte fepulture« bezeichnet. 3) Auch am Schlöffe
Ueber feine Betheiligung bei diefem Bau vgl. oben § 65. — De Laborde, la
renaiff. Vol. I, p. 462: »A maiftre Jean Bullant, controleur desdicts baftimens, la fomme de
200 liv., pour une demie annee de fes gages«. — 3) Ibid. p. 535: »A mre. Jehan Bullant,
architecte du Roy, pour fes gaiges et appointements d'ordonnateur de ladicte fepulture
durant dix mois quinze jours, 523 liv.«
§ 72. Das Schlofs Ecouen.
267
St. Maur, welches die Königin anfehnlich vergröfsern liefs, finden wir ihn
befchäftigt.')
Bullant machte im Oktober 1578, krank und fchwach, in Ecouen fein
Teftament und ftarb dort am 10. desfelben Monats.^) Er hinterliefs eine
Frau mit neun Kindern. Einen Monat vorher war Pierre Lescot verfchieden,
und fo bheb von den grofsen Meiftern, welche die Bewegung der Renaiffance
in Frankreich zu ihrer Vollendung geführt, nur du Cerceau übrig, auch
diefer bald auf fremder Erde fein Leben endend.
COUEN liegt fünf Meilen nördlich von Paris, in einem von Hügeln ein-
C gefchloffenen Thale, umgeben von prachtvollen Baumgruppen. Als der
Connetable von Montmorency die feudale Burg abbrechen und ein neues
Schlofs errichten liefs, war es offenbar feine Abficht, an Grofsartigkeit und
Pracht der Anlage mit den glänzendften königlichen Bauten zu wetteifern.
In Bullant fand er den geeigneten Meifter, der noch voll von den Ein-
drücken ItaHens ein Werk fchuf, das zu den erften feiner Zeit gerechnet
werden mufs. Glücklich durch die Stürme der Revolution bis auf unfere
Tage gerettet, gehört es zu den wenigen faft voUftändig erhaltenen Schlöffern
jener Epoche. Nur das Hauptportal mit feinem Triumphbogen wurde durch
einen fpäteren Befitzer abgeriffen, um einige taufend Franken zu feiner Aus-
befferung zu erfparen. Napoleon I gab dem Schlöffe die Beftimmung einer
Erziehungsanftalt für die Töchter der Ehrenlegionaire, und noch jetzt dient
es nach kurzer Unterbrechung diefem Zweck.
Das Schlofs 3) bildet ein mächtiges Viereck, welches fich um einen
beinahe quadratifchen Hof von 70 zu 60 Fufs gruppirt (Fig. 95). Auf den
Ecken fpringen hohe Pavillons als gewaltige Einfaffung vor, in den äufseren
Winkeln mit kleinen runden Treppenthürmen , den letzten Reminiscenzen
mittelalterlicher Aufifaffung, flankirt. Auf drei Seiten, vorn, links und an
I) A. Berty, les grands architectes, p. 160. — Ein gelehrter Forfcher der Picardie,
H. Dufevel, in feinen »Recherches hiftoriques für les ouvrages executes dans la ville
d' Amiens par des maitres d'oeuvre pendant les XIV, XV et XVI fiecles« (Amiens, 1858)
hat aus den Archiven ermittelt, dafs ein Meifter Jehan Bullant, der mehrmals in den Rech-
nungen vorkommt, 1574 Architekt der Stadt Amiens war, in diefer Stellung aber den
Behörden Anlafs zu Klagen gab, weil er die Arbeiter dadurch, dafs er ihnen oft aus einem
Buche vorlas, zum Müfsigfitzen verleitete. Da an eine Identität mit unferem Jean Bullant
nicht , zu denken, haben wir es in diefer anziehenden Notiz offenbar mit einem Namensvetter
und Kunftverwandten des Meifters von Ecouen zu thun. Vgl. A. Berty a. a. O. p. 160 tt.
— 3) Aufnahmen bei Du Cerceau, Vol. II, bei Baltard, Paris et fes environs (14 Tafeln)
und bei Rouyer et Darcel, l'art architect. Vol. I, pl. 43—47 (Einzelheiten der Ausftattung.)
Vgl. dazu Paluftre II, 49 ff.
§
Das Schloss Ecouen.
268
Kap. VI. Die RenailTance unter den letzten Valois.
der Rückfeite , umgeben Waffergräben den Bau ; an der rechten Seite
fchliefst ihn eine grofse Terraffe ein. Kleinere Terraffen, innerhalb der
Gräben den Bau unmittelbar umgebend, beherrfchen den Blick über Gärten,
Park und Waldung. Ein Garten, rings von Mauern umfchloffen, die an
zwei Seiten eine Nifchenarchitektur zeigen, lehnt fich an die vordere rechte
Seite der Hauptfagade, die Terraffen und den Graben bis hart an den
Haupteingang durchfchneidend. Vorn und an der Rückfeite führen Zug-
brücken zu fefbungsartigen Eingängen, welche durch kurze in Ruftika aus-
geführte Thürme gefchützt werden. Von den vier Flügeln, aus denen der
Bau befteht, enthält der vordere nur eine lange Galerie, die fich mit Pfeiler-
arkaden gegen den Hof öffnet. Die beiden Seitenflügel fmd in gröfsere
Zimmer und Säle abgetheilt und haben jeder in der Mitte eine Haupt-
treppe mit geradem Lauf. Kleinere Treppen liegen in den vier Ecken.
Der Flügel der Rückfeite ift in eine Reihe von Wohngemächern getheilt,
von denen das gröfste 24 zu 18 Fufs mifst. Von den , Pavillons enthält der
an der Hnken Ecke der Vorderfeite gelegene die Kapelle , die ihre eigene
Treppe und Sakriftei hat. Die drei andern fmd zu gröfseren und kleineren
Wohnräumen eingerichtet. Die Anlage fpricht fich überall klar und über-
fichtlich aus ; die Verbindung der Räume ift zweckmäfsig und durch die
zahlreichen Treppen überall leicht zugänglich. Wie in den meiften Schlöffern
der Zeit ift auch hier Bedacht darauf genommen, eine Anzahl felbftändiger
Wohnungen , zum minderten aus zwei zufammenhängenden Zimmern
beftehend und mit eigenem Ausgang verfehen, zu gewinnen.
Für die architektonifche Charakteriflik hat der Künftler manche Elemente
der früheren franzöfifchen Architektur aufgenommen , fie aber dem Gefetz
der Symmetrie und den Formen der Renaiffance unterworfen (Fig. 96).
Die runden Eckthürmchen mit ihren Laternen , die fteilen Dächer mit den
zierlichen Bleikrönungen, die hohen Schornfteine mit der ftrengen Pilafter-
und Bogengliederung, namentlich aber die Dachfenfter mit ihrer Einfaffung
von Pilaftern, bekrönt von einem mehr oder minder reichen Aufbau, gehören
hieher. An den verfchiedenen Theilen des Gebäudes fmd die Abfchlüffe
diefer Lucarnen mit gutem Bedacht variirt: an der leichten einflöckigen
Galerie des vorderen Flügels haben fie eine fpielend dekorative Form , an
dem rechten Seitenflügel, der auf die grofse Terraffe hinausgeht und durch
einen loggienartigen mit antikem Giebel bekrönten Mittelbau ein mehr
claffifches Gepräge gewinnt, fmd fie mit einfachen Bogengiebeln gefchloffen.
An den hohen Pavillons und den Hoffagaden haben fie kleine Nifchen mit
Statuen, Pilaftereinfaffungen und in der Mitte antikifirende Giebel. Vollends
dem gothifchen Stil huldigte Bullant bei der Kapelle, ein Beweis, wie lange
für religiöfe Bauten felbft diefe Zeit noch an der traditionellen Form feft-
hielt. Im Ganzen erkennen wir aus all diefen Zügen, dafs Bullant in feinem
§ 72. Das Schlofs Ecouen.
269
Erftlingswerk eine zwifchen der alten und der neuen Zeit vermittelnde
Stellung einnimmt, während de l'Orme in dem feinigen (Anet) ausnahmslos
der claffifchen Richtung huldigt, die grofsen Eckpavillons befeitigt, die Ein-
heit der Horizontalen auch bei den Dächern betont, die Kapelle in ftreng
claffifcher Weife durchführt und nur geringe Spuren einer Conceffion an
die mittelalterliche Auffaffung erkennen läfst. Eben dadurch gewinnt aber
Fig. 95. Schlofs Ecouen. (Baltard.)
Bullants Bau ein mehr nationales Gepräge und berührt uns wie mit einem
Hauch wärmerer Empfindung.
Die claffifche Formenwelt hat er fich für die Haupttheile feiner Com-
pofition aufgefpart, und man mufs geftehen, dafs er. fie mit künftlerifchem
Bewufstfein und mit Freiheit handhabt. Am fchönften ohne Zweifel an
dem prachtvollen Triumphbogen des Haupteinganges, deffen Motiv de l'Orme
in Anet aufgenommen und freilich durch Verlegung in den Schlufspunkt
270 Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
des Hofes zu ganz neuer Wirkung verwerthet hat. In drei Gefchoffen baut
fich diefes Triumphthor als ftark vorfpringende Halle auf, im Erdgefchofs
mit dorifchen, darüber mit ionifchen Säulen, zuletzt mit Telamonenhermen
dekorirt, in den fchmalen Seitenfeldern mit Nifchen gefchmückt. Das Portal
öffnet fich breit mit geradem Sturz ; darüber im Hauptgefchofs eine Loggia
mit grofser Bogenöffnung, im oberften Gefchofs endlich eine Nifche mit dem
Reiterbild des Connetable. Neben dem Bogen derfelben find auf Attiken
ruhende Sphinxfiguren angebracht. Die ganze Compofition ift ohne Frage
eine der geiftreichften Verwendungen und Umbildungen antiker Motive,
die wir aus jener Zeit befitzen. Das runde Dach hat der Künftler auch
bei der Galerie des vorderen Flügels angebracht.
Während fodann am Aeufsern wie am Innern die Fagaden durchgängig
nur mit fchhchten dorifchen Pilafterfyftemen geghedert find, hat der Archi-
tekt fich weislich darauf befchränkt, die Axenlinien, befonders an den drei
Hoffagaden glanzvoll hervor zu heben. Am einfachfi:en noch ift der dem
Haupteingang gegenüber liegende breite Thorweg als einfchiffiger Triumph-
bogen mit vortretenden dorifchen Säulen und reichem Gebälk derfelben
Ordnung eingefafst. Kapitäle, Gefimfe und Archivolte find fein geghe-
dert, in den Metopen lorbeerbekränzte Schilde abwechfelnd mit Trophäen,
in den Bogenzwickeln fchwebende Victorien mit Lorbeerzweigen angebracht.
Auch der Bogengang ift am Gewölbe reich caffettirt. Stattlicher ift die
Mitte des rechten Hofflügels ausgebildet. Es galt hier, zwei durch breite
Mauerflächen getrennte Portale kräftig hervorzuheben. Bullant hat das
obere Gefchofs mit den grofsen Fenftern in feine Compofition hineingezogen,
Nifchen mit Statuen in der Zwifchenwand angebracht und das Ganze durch
gekuppelte Säulen eingerahmt, zwifchen denen noch Platz für kleinere
Nifchen gebheben ift. Die untere Ordnung ift dorifch , die obere korin-
thifch, die ganze Compofition in ihrem ftrengen Clafficismus von edler
Wirkung; nur Schade, dafs unter den Fenftern das dorifche Gebälk durch-
fchnitten wird, um Tafeln mit Emblemen Platz zu machen. Eine Attika,
mit lorbeerumwundenen Halbmonden gefchmückt, bildet den Abfchlufs.
Noch grofsartiger aber ift die gegenüber liegende Mitte des linken
Flügels ausgebildet. Hier hat der Künftler, vielleicht das frühefte Beifpiel
in Frankreich, eine koloffale, beide Gefchoffe umfaffende Säulenordnung
angebracht, deren prachtvolle Details dem Dioskurentempel des Forums
nachgebildet find. Zwifchen den mittleren Säulen öffnen fich zwei Eingänge
zu dem Treppenhaus und den angrenzenden Sälen, * darüber im Erdgefchofs
zwei kleinere, im oberen Stockwerk zwei grofse Fenfter; in den beiden
') Eine Abbildung desfelben bei Baltard, PI. 7 und in meiner Architekturgefchichte,
IV. Aufl., S. 731.
2/2
Kap. VI. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
feitlichen Intercolumnien find Nifchen angeordnet, in welchen der Connetable
die beiden Marmorftatuen Gefangener von Michelangelo hatte aufftellen
laffen, die urfprüngHch für das Grabmal Julius' II gearbeitet, fpäter ins
Mufeum des Louvre gelangt find.') Die Architektur diefes hervorragenden
Theiles zeigt in allen Gliedern bis auf die Fenfterprofile, die Gefimfe und
das Rahmenwerk den gröfsten Reichthum. Die Dekoration des Architravs
ift der des Dioskurentempels getreu nachgeahmt, am Fries fieht man
Trophäen mit Lorbeerzweigen und Lorbeerkränzen über gekreuzten
Schwertern; nur am Kranzgefims hat der Architekt die grofsen Confolen
fich verfagen müffen.
Endlich haben wir noch der fchon kurz erwähnten Loggia zu gedenken,
weche an der rechten Aufsenfeite zum freien UeberbHck über die dort
befindliche grofse Terraffe vorgebaut ift. Auch hier hat der Künftler ein
antikes Motiv, das des Triumphbogens, frei verwerthet, und in beiden
Hauptgefchoffen eine grofse Bogenöffnung zwifchen zwei kleineren ange-
ordnet, das Ganze von antikem Giebel gekrönt. Die Einfaffung befteht
unten aus cannelirten dorifchen Pilaftern, mit Gebälk und Triglyphenfries,
oben aus ebenfalls cannelirten ionifchen Pilaftern, mit einem Gebälk, an
deften Fries prächtige Laubgewinde gemeifselt fmd. Schade, dafs der
Architekt das Gefimfe in der Mitte unterbrochen hat, um für feinen Bogen
und für zwei Victorien, die das Giebelfeld bis zur Archivolte füllen, Platz
zu gewinnen. Zur Genüge geht aus unferer Darftellung hervor, wie frei
Bullant, ganz im Sinn feiner Zeit, die antiken Formen verwendet, und wie
er fie einem durchaus franzöfifch nationalen Bau nur als glänzende Pracht-
dekoration aufgeheftet hat.
Die gefammte Ausftattung des Schloffes athmete denfelben künftlerifchen
Geift. Alles war von folcher Vollendung, dafs du Cerceau fogar die reichen
Fufsbodenfliefen der Terraffen und des Hofes, die von Rouen bezogen
waren, hervorhebt, und von letzterem fagt: »la court eft fi richement pavee
qu'il ne f'en trouve point qui la feconde«. Von der reichen Ausftattung
des Innern find kaum einzelne Spuren erhalten. Roffo hatte das Schlofs mit
■Gemälden, Jean Goujon und Poncio es mit Bildwerken gefchmückt. Antike
Statuen ftanden felbft auf den Gängen und Treppen, Meifterwerke italie-
nifcher Maler fchmückten die Säle, Glasgemälde nach Compofitionen Rafaels
die Fenfter. Befonders glänzend war die Kapelle ausgeftattet. An den
Wänden fah man ein Täfelwerk mit koftbaren eingelegten Hölzern, die
Emporen zeigten fchön gefchnitzte Brüftungen, die gothifchen Rippengewölbe
0 Du Cerceau fagt von ihnen : »Deux figures de captifs de marbre blanc, de la main
de feu Michel Ange, eftimees de meilleures befongnes de France pour le regard de l'oeuvre
et non fans caufe«.
§ 7^. Das Schlofs Ecouen.
273
waren mit Fresken von Jean Coufin bedeckt, die Fenfter mit Glasgemälden von
Nicolas le Pot gefüllt, und der Fufsboden beftand aus emaillirten Platten der
beften franzöfifchen Meifter'). Von alledem ift nichts erhalten als der Altar, der
zur Revolutionszeit ins Mufeum der franzöfifchen Denkmäler gebracht, fpäter
in die Kapelle des Schloffes Chantilly übergeführt wurde. Im Gegenfatz
zum gothifchen Stil der Kapelle ift diefs Werk, deffen Abbildung Baltard
giebt, ftreng in antikem Geift entworfen. Die Seiten des Altartifches hatte
Jean Goujon mit den Reliefs der Kardinaltugenden und Evangeliften ge-
fchmückt; darüber erhebt fich ein prachtvoll eingerahmtes Relief, das
Opfer Ifaaks darftellend, umfchloffen jederfeits von zwei eleganten dorifchen
Marmorfäulen mit einem Gebälk desfelben Stiles. Auch hier hat alfo Bullant
feiner Begeifterung für die Antike in einem einzelnen Prachtflück Ausdruck
gegeben.
Einige Bruchftücke und ein üppig dekorirter Kamin bei Baltard, Anderes bei Rouyer
et Darcel, a. a. O.
LÜBKE, Gefch. d. RenailTance in Frankreich. II. Aufl.
18
VII. KAPITEL.
DIE RENAISSANCE UNTER DEN LETZTEN VALOIS.
B. DIE UEBRIGEN PROFANBAUTEN.
§ 73-
Das Schloss Ancy-le-Franc.
US der Reihe anfehnlicher Privatbauten, deren Archi-
tekten nicht bekannt find, die aber im Stil den von
den tonangebenden Künftlern der Zeit aufgeftellten
Grundzügen fich anfchliefsen, heben wir zunächft das
Schlofs von Ancy-le-Franc hervor.^) Es liegt im
alten Burgund in einer anmuthigen auf einer Seite von
Hügeln begränzten Ebene, und wurde gegen 1545 durch
den Grafen Antoine de Clermont, Generalforftmeifter
von Frankreich, angeblich nach den Plänen von Primaticcio^) begonnen. Das
Gebäude, welches eines der befterhaltenen der Zeit ift, zeigt die regelmäfsige
Anlage von vier Flügeln, die einen quadratifchen Hof umgeben und auf den
Ecken mit vorfpringenden Pavillons eingefafst find. Ein breiter Graben, der
fein Waffer von dem kleinen Flufs Armangon erhielt, umgiebt den Bau auf
allen Seiten. Der Grundrifs (Fig. 97) bietet das Mufl;er einer klaren, regel-
mäfsigen Anlage. Rings um den Waffergraben zieht fich eine hohe Terraffe,
die nach allen Seiten freien Ausblick gewährt. Ueber eine Zugbrücke
gelangte man zu dem Haupteingang A und an der Rückfeite zu dem
Thore N, das die Verbindung mit den ausgedehnten Gärten vermittelt. Eine
breite Halle D, der eine ähnliche im oberen Gefchofs entfpricht, führt
dann von beiden Seiten in den Hof, der ein Quadrat von 84 Fufs bildet.
In den Ecken find vier Wendeltreppen angebracht, und bei der Eintheilung
der Räume fällt es auf, dafs mehrfach kleinere Gemächer in zwei Reihen
^) Vgl. du Cerceau, Vol. I, die ausführliche neuere Aufnahme bei Sauvageot, Vol. IV,
Einzelnes in Rouyer et Darcel, Vol. I, pl. 38—42. — =) Diefe Angabe dünkt uns zweifel-
haft, da wir Primaticcio eine fo einfach klare Architektur nicht zutrauen.
§73- Das Schlofs Ancy-le-Franc.
neben einander gelegt find. Die Wohnräume liegen indefs im obern Stock-
werk. Sie beliehen aus einer Anzahl gröfserer Säle und Gemächer, befonders
über dem Raum C liegt ein anfehnlicher Saal von 62 Fufs Länge bei 26
Fufs Breite, in dem Pavillon L die Kapelle, in dem links an diefen ftofsenden
Flügel eine prächtige Galerie, welche die ganze Länge zwifchen den beiden
Pavillons einnimmt und den Blick über den Garten gewährt. Die Mauern
' ■ ^ eil
Fig. 97. Schlofs Ancy-le-Franc. Erdgefchofs. (Sauvageot.)
find durchweg 6 Fufs dick, fo dafs man, wie du Cerceau fagt, nirgends
ein folider gebautes Schlofs fieht und auf dunkle Räume fchliefst. Aber,
fährt er fort, »Ton cognoift tout le contraire: et n'y a chofe neceffaire pour
fervir ä un baftiment, foit d'elevation des eftages, et embrafemens des
feneftres, foit en beaute et clarte, qui y defaille. Et de ma part, ie trouue
ce logis bien mignard et ä mon gre«.
18*
2/6
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Die Architektur des Schloffes ift von grofser Einfachheit und Klarheit
Die äufseren Fagaden zeigen eine fcMichte Gliederung durch Pilafterfyfteme
dorifchen Stiles, gleichmäfsig in beiden Gefchoffen fowie im oberften Stock-
werk der höher emporgeführten Pavillons. Die fteilen Dächer, auf den
Pavillons pyramidenförmig und mit Laternen abgefchloffen, die hohen Schorn-
fteine und die fchlicht mit antikem Giebel bekrönten kleinen Dachfenfter
wahren die nationale Eigenthümlichkeit des Baues. Ein kräftiges Confolen-
gefims fchliefst alle Theile ab. Etwas reicher find die Hoffagaden (Fig. 98),
doch auch hier herrfcht Einfachheit und Klarheit. Gekuppelte Pilafter,
Fig. 98. Ancy-Ie-Franc. Hoffafade. (Sauvageot.)
unten korinthifch, oben compofit, zwifchen welchen die Wandflächen durch
Nifchen gegliedert fmd, rahmen im unteren und oberen Gefchofs die Arkaden
und die Fenfter ein. Das obere Stockwerk erhält nur dadurch etwas
Gedrücktes, dafs das Confolengefims unmittelbar auf den Architrav gefetzt
ifl. Im Uebrigen zeugen die cannelirten Pilafter, mit ihren fein gearbeiteten
Kapitälen, die eleganten Profilirungen, die Gefimfe, befonders die mit Akanthus
gefchmückten Confolen des Kranzgefimfes von echt künftlerifcher Durch-
führung. Man kann diefe ganze edle Architektur als eine Vereinfachung
der prächtigen Hoffagaden des Louvre bezeichnen.
§ 74- Das Schlols Vallery.
277
Von hohem Werth ift die grofsentheils noch erhaltene Ausftattung
des Innern. Köftliche Holztäfelungen an den Wänden und ebenfalls getäfelte
Decken mit graziöfen aufgemalten Arabesken, zum Theil in Gold, geben
einen Beweis von dem feinen künftlerifchen Sinn, der hier gewaltet. Rouyer
und Darcel bringen in ihrem Werke ^) Beifpiele diefer Dekorationen, nament-
Hch der Decken , die zum Edelfben und Schönften ihrer Art gehören.
Anderes findet fich bei Sauvageot. Namentlich das fogenannte Zimmer
des Cardinais, die Kapelle und das Zimmer des »paftor fido« zeichnen fich
aus. Letzteres hat feinen Namen von den Gemälden an feinen Wänden,
welche Scenen jener bekannten Dichtung darfteilen. Der Bau fammt feiner
Ausftattung wird kaum fpäter als 1 569 , welches das Todesjahr feines
Erbauers ift, vollendet worden fein.
OCH etwas ftrenger, felbft nicht frei von Nüchternheit ift der architek-
1\| tonifche Stil in dem fünf Meilen von Fontainebleau und faft eben fo
weit von Sens gelegenen Schlöffe von Vallery.^) Es ftand hier aus dem
Mittelalter eine anfehnliche Burg, welche der Marfchall von St. Andre um
die Mitte des 16. Jahrhunderts zum Theil niederreifsen und durch ein
Gebäude im neueren Stil vergröfsern liefs. An die alten Theile, die fich
um zwei äufsere Höfe gruppiren und durch eine mit zahlreichen Thürmen
bewehrte Mauer umfchloffen wurden, fügte er einen grofsen quadratifchen
Hof, auf zwei Seiten von dem Neubau umgeben, deffen beide Flügel durch
einen hohen Pavillon verbunden wurden. Die Architektur diefer Theile ift
ein neuer Beweis von dem Einflufs , welchen der gerade im Entftehen
begriffene Bau des Louvre auf die gleichzeitige Architektur ausübte.
Namentlich gilt diefs von den äufseren Theilen, die in der Behandlung eine
unverkennbare Aehnlichkeit mit der nach dem Flufs liegenden Lescot'fchen
Fagade des Louvre verrathen. Nur dafs die Mauermaffen hier aus Ziegeln
beftehen, während der hohe Sockel bis zur Fenfterbank im Erdgefchofs,
die derbe Ruftikaeinfaffung der Ecken und der Fenfter, fowie die Gefimfe
in Hauftein ausgeführt find. Die Fenfter im Erdgefchofs find mit Bogen-
giebeln, die im oberen Stockwerk am Pavillon mit geraden Giebeln , im
Uebrigen mit einem kräftigen Gefims auf Confolen abgefchloffen. Ebenfo
zeigen die Dachfenfter mit ihren Bogengiebeln und den langgeftreckten
Voluten an den Seiten diefelbe ftreng antike Behandlung, und das Ganze
würde nicht frei fein von einer gewiffen Nüchternheit, wenn nicht die
kräftige ProfiHrung der Formen, die bedeutenden Verhältniffe und die
§ 74.
Das Schloss Vallery.
I) L'art architectural, Vol. I, Tafel 38—42. — ^) Aufn. bei du Cerceau, Vol. I.
278 Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
lebendige Bewegung der Maffen ihm das Gepräge einer frifchen Energie
verliehen.
Drei Zugbrücken führten über den breiten Graben, die eine zum Neben-
hof, die beiden andern in den herrfchaftlichen Hof. Von diefen gehörte
die am Ende des rechten Flügels angebrachte noch dem mittelalterlichen
Bau an , wie fchon aus den fie flankirenden runden Thürmen erfichtlich
wird. Offenbar foUte der Bau hier weiter geführt werden und allmählich
die ganze mittelalterliche Anlage verdrängen. Denn wie im Louvre, in
Ancy-le-Franc und Ecouen war es auf ein Viereck mit hohen Pavillons auf
den Ecken abgefehen. Der andere Eingang mit antikifirendem Portal liegt
in der Mitte des linken Flügels, und man gelangte von ihm in eine grofse mit
Wandnifchen dekorirte Halle, die fich mit fünf auf Pfeilern ruhenden Bögen
gegen den Hof öffnete (vgl. Fig. 99). Jedes diefer Arkadenfyfteme ift an
der inneren Fagade durch einen krönenden Giebel ausgefprochen. Die
Architektur der Hoffeiten befolgt diefelbe ftreng claffifche Auffaffung wie
die Fagaden, nur dafs die Ruftika hier unterdrückt ift und an paffender
Stelle, namenthch in den Nifchen des oberen Stockwerkes und den ein-
gerahmten Wandfeldern des untern, feines Ornament einen edlen Schmuck
hinzufügt. Schon du Cerceau ift die Verwandtfchaft mit dem Louvre nicht
entgangen und er fagt: »Ce pavillon a efte fuivy en partie für celuy du
Louvre, non pas que ce foit la mesme ordonnance, ny aux enrichiffements,
ny aux commoditez: mais pour ce que il n'y a rien que beau et bon«.
Aufserordentlich umfangreich waren die Parks, Gärten und Weinberge,
welche in weitem Umkreis nach allen Seiten die fchöne Befitzung umgaben.
Befonders prächtig ift der grofse Ziergarten in der Nähe des Haufes, mit
reichem Blumenparterre, in der Mitte in ganzer Länge ein Wafferbaffin.
Breite fchön gepflafterte Terraffen umgaben ihn von allen Seiten, abge-
fchloffen durch eine Mauer mit Blendarkaden in Backftein. Dem Eingang
gegenüber an der Mittagsfeite war eine bedeckte Halle zwifchen zwei
hohen Pavillons angebracht, die fich mit neunundzwanzig Arkaden gegen
den Garten öffnete, zur Sommerzeit ein fchattiger Spaziergang. Die Archi-
tektur der Arkaden und der Pavillons ift in demfelben einfach claffifchen
Sinn durchgeführt, wie die des Schloffes.
§ 75-
Das Schloss Verneuil.
EINE der grofsartigften Schöpfungen der gefammten franzöfifchen Re-
naiffance ift das Schlofs Verneuil, deffen Bekanntfchaft wir du Cerceau
verdanken.') Mit dem vollen Verftändnifs der antiken Formenwelt aus-
I Les plus excellents baftiments. Vol. I. Vgl. dazu Paluftre I, 83 ff.
§75- Das Schlofs Verneuil.
279
geführt, zeigt es diefelben in einer Freiheit der Behandlung, die auf einen
bedeutenden Architekten der Zeit fchliefsen läfst. Als folcher wird uns
Fig. 99. Aus dem Hofe des Schloffes Vallery. (Baldinger nach du Cerceau.)
Jean Broffe genannt; der grofse Neubau war 1585 noch nicht vollendet.
Wenn Bullant beim Schlofs zu Ecouen die antiken Elemente nur gleichfam
als glänzende Zuthat, um feine Studien zu documentiren , verwendet hatte.
28o
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
wenn de l'Orme in Anet der Antike manche Eigenheiten der franzöfifchen
Auffaffung zum Opfer brachte, fo hat der Meifter von Verneuil jene hohe
Freiheit der Behandlung erreicht, die fich zwar innerhalb des antiken
Formenkreifes bewegt, aber das nationale Gepräge zum vollkommenen Aus-
druck bringt. Freilich müffen wir in einzelnen Theilen uns gewiffe barocke
Elemente gefallen laffen; aber wir dürfen nicht vergeffen, dafs auch in
ItaHen durch Michelangelo damals fchon mancherlei Willkür in die Archi-
tektur eingedrungen war.
In einem anmuthigen Thale der Picardie, zwei Meilen von Senlis lag
das alte Schlofs Verneuil, ein ftattlicher, gröfstentheils aus dem Mittelalter
flammender Bau, den um die Mitte des i6. Jahrhunderts Philipp de Bou-
lainvillier befafs. Diefer Herr, den du Cerceau als »homme fort amateur
de l'architecture« bezeichnet, befchlofs mit Beibehaltung der alten Theile
einen neuen Prachtbau hinzuzufügen, für welchen er den neben dem alten
Schlofs befindlichen Hügel auserfah. Gleichwohl wurden die unerläfslichen
Gräben, welche den neuen Bau von allen Seiten umgeben foUten , aus-
geftochen, wobei fich der Vortheil ergab, dafs man treffliche, leicht zu
bearbeitende Steine für den Bau in Fülle vorfand. Wir geben nach du
Cerceau den urfprünglichen Plan des Baues, der das Programm des dama-
ligen franzöfifchen Schloffes in grofsartiger Weife verwirklicht (Fig. loo).
Ueber die Zugbrücke gelangt man zu einer prachtvollen Eingangshalle, die
als Rotunde mit nifchenförmigen Ausbauten und hohem Kuppelgewölbe
charakterifirt ifl; , wohl das frühefte Beifpiel diefer Art in Frankreich.
Offene Arkaden auf gekuppelten Säulen verbinden diefelbe mit den Seiten-
flügeln des Schloffes. Man tritt nun in einen quadratifchen Hofraum von
bedeutender Ausdehnung, io8 Fufs im Geviert. Um ihn gruppiren fich
die einzelnen Flügel, auf den Ecken nicht wie gewöhnlich durch einen,
fondern durch zwei Pavillons flankirt. Diefe vorgefchobenen Maffen, mit
runden Dächern bedeckt (Fig. loi) — eines der erften Beifpiele vielleicht —
geben dem Bau eine überaus lebendige Wirkung. Als fpäter der Herzog
von Nemours das Schlofs erwarb, änderte er diefe Anordnung dahin, dafs
flatt der zwei Pavillons nur einer, aber von gröfserem Umfang fich auf jeder
Ecke erhob. Die Pavillons find übrigens nach der Sitte der Zeit zu
befonderen Wohngemächern mit Kabineten und meiftens mit eigenem Auf-
gang verwendet. Die übrigen Wohnräume liegen in dem Flügel rechts
vom Eingang, während der linke Flügel in ganzer Ausdehnung unten eine
offene Halle, oben eine Galerie, das Lieblingsftück der damaligen franzö-
fifchen Schlofsanlage, enthält. Die Haupttreppe liegt in der Axe des
Gebäudes dem Eingang gegenüber. Sie fi;eigt von einem breiten Veftibul
in zwei gewundenen Armen doppelläufig empor, neben der Haupttreppe
der Tuilerien eines der früheften Beifpiele in Frankreich.
§ 75- Das Schlofs Verneuil.
281
O i i I l I -I SO'PaT.
Fig. 100. Das Schlofs Verneuil. (Du Cerceau.)
Mit diefer bedeutenden Compofition war aber das Ganze noch nicht
zum Abfchlufs gelangt. Der Herzog von Nemours Hefs nicht blofs manche
Aenderungen und Bereicherungen am Hauptbau ausführen, fondern befchlofs
gegen den Garten hin noch einen vorgefchobenen Baukörper anzufügen,
der in der Mitte eine koloffale Nifche als Abfchlufs der Gartenanlagen
282
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
bildete, und auf beiden Ecken von vorfpringenden Pavillons, ebenfalls mit
runden Dächern, flankirt wurde. Auf dem Grundrifs bei du Cerceau fteht
diefer Bau durch einen grofsen Saal mit der Rückfeite des Schloffes in
Verbindung, auf der perfpektivifchen Darfteilung liegt ein freier Raum
dazwifchen, als Fortfetzung der Terraffen, die das ganze Schlofs umgaben.
Eine doppelte Freitreppe führte von hier in das tiefer gelegene Garten-
parterre hinab. Zur Linken hatte man den Hof und die Gebäude des alten
Schloffes; vor fich aber fah man einen prächtigen Ziergarten mit einem
Springbrunnen in der Mitte; am Ende desfelben, immer in der Hauptaxe,
führte abermals eine doppelte Freitreppe in ein wiederum beträchtlich tiefer
liegendes zweites Gartenparterre, das in der Mitte aus Blumenbeeten beftand,
auf beiden Seiten von höher gelegenen Baumpflanzungen eingefafst. Ein
Wafferkanal umgiebt diefen zweiten Garten und ift aufserdem in zwei
parallelen Armen wiederholt , fo dafs fich in ganzer Länge zwei vom
Waffer eingefchloffene Queralleen bilden, in der Hauptaxe des Schloffes
durch Brücken mit Triumphthoren verbunden und am Ende durch einen
Pavillon abgefchloffen. Der Blick von hier rückwärts über die Kanäle, die
Laubengänge, die beiden über einander fich erhebenden Blumengärten bis
zu der koloffalen Halbkreisnifche mit ihren Pavillons, das Ganze noch über-
ragt von den reichgegliederten Maffen des Schloffes, mufs feines Gleichen
nicht gehabt haben. Jedenfalls war es eine der früheften, in hochidealem
Sinn die Formation des Terrains felbft mit in Rechnung ziehenden Anlagen.
Kehren wir zum Schlofs zurück, um fchliefslich einen Blick auf
die Architektur desfelben zu werfen. In feiner erften Geftalt wurde das
Aeufsere in feiner Wirkung hauptfächlich durch die acht Eckpavillons
bedingt (vgl. Fig. loi). Sie hatten über dem hohen Erdgefchofs ein oberes
Stockwerk , über welchem fie mit einem kräftigen Confolengefims und
baluftradengefchmückter Terraffe fchloffen. Von hier ftieg ein oberes
Gefchofs in bedeutender Verjüngung auf, mit runden Dächern bekrönt.
Die Architektur ift zugleich derb und reich: erfteres durch die kräftige
Ruftika am Sockel und an fämmtlichen Ecken, letzteres durch die mit
Ornamenten, Laubwerk, Masken und Helmen bedeckten Wandfelder, welche
die Flächen neben den Fenftern ausfüllen, fowie durch die reich compo-
nirten Trophäen, die über den Bogengiebeln der Fenfter des oberften
Stockwerks angebracht find. Bemerkenswerth ift, dafs wir hier eines der
erften Beifpiele vereinzelter Ruftikaquadern finden, welche den Rahmen
des Fenfters durchfchneiden. Die runde Portalhalle der Vorderfeite ift
gleich dem einftöckigen Verbindungsbau durch gekuppelte korinthifche
Säulen und reich dekorirte Friefe zu einem Prachtftück herausgehoben.
Ueber einer Baluftrade ift der Mittelbau mit einem in Halbkreis durch-
geführten und durch eine Laterne bekrönten Auffatz abgefchloffen. So
§75- Das Schlofs Verneuil.
283
gewifs Manches in den Formen den unfchönen Stempel der Willkür trägt,
fo ift doch das Ganze in wahrhaft künftlerifchem Geifte fo aus dem Vollen
gefchaffen, dafs es einen bedeutenden Eindruck macht.
Die inneren Hoffagaden (Fig. 102) find auch hier durch feinere , zier-
Hchere Behandlung angemeffen ausgezeichnet. Im untern Gefchofs erheben
fich auf hohen Sockeln elegant cannelirte gekuppelte dorifche Pilafter, die
im oberen Stockwerk als breite Lifenen, durch Nifchen mit Statuen durch-
brochen, fortgeführt find. Den Abfchlufs bildet eine Attika mit glänzend
dekorirtem Geländer, über den Pilaftern mit Trophäen bekrönt. In beiden
Fig. lOi. Das Schlofs Verneuil. (Baldinger nach du Cerceau.)
Stockwerken find hohe Fenfter mit Kreuzfl:äben angeordnet, die mäfsig
hohen Dächer dagegen haben keine Fenfter. Befonders reich und edel ift
der linke Flügel, der im Erdgefchofs ftatt der Fenfter mit Arkaden durch-
brochen ift (Fig. 102). Die Lorbeerzweige in den Bogenzwickeln, die
Masken der Schlufsfteine, die Trophäen auf dem vorgekröpften Fries , die
Arabesken auf dem Pilafterfries des oberen Gefchoffes, die feine Ausbildung
aller Gheder, namentlich das Blattwerk an den Gefimfen und Rahmenprofilen,
das alles giebt diefer Fagade eine dekorative Fülle, die mit der Behand-
lung der inneren Louvrefagaden wetteifert. In der Mitte der drei Hoffeiten
find aufserdem Portale angebracht , im Erdgefchofs von gekuppelten
284
Kap. VII. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
dorifchen Säulen, im oberen Stockwerk auf jeder Seite von zwei Karyatiden
eingerahmt. Ueber dem Hauptgefims erhebt fich als Abfchlufs ein Bogen-
giebel, reich ornamentirt und mit zwei fitzenden weiblichen Figuren bekrönt.
Du Cerceau hat nicht Unrecht, wenn er fagt: ...... fi que je puis dire
avec ceux qui fe connoiffent en tel befongne qu'icelle court ne trouuera
gueres fa feconde«.
Die Umgeftaltungen, welche der Herzog von Nemours mit dem Baue
vornahm, betrafen hauptfächlich die Vereinfachung des Grundriffes und der
äufseren Fagaden. Da auf den Ecken die beiden Pavillons in einen zufammen-
gezogen wurden, fo mufste der laternenartige oberfte Auffatz befeitigt und
in ein volles oberes Stockwerk verwandelt werden. Dadurch erhielten die
Verhältniffe mehr Schlankheit, die Umriffe mehr Ruhe und Harmonie.
Uebereinftimmend damit wurden auch die Fenfter in fchHchterer Weife
ausgebildet und der Schmuck überhaupt auf wenige Punkte, auf die origi-
nelle Bekrönung der Fagade und des mittleren Eingangs befchränkt. Auch
der letztere verlor feine Attika und wurde mit einer einzigen aber ziemhch
coloffalen Säulenftellung als Unterbau der Kuppel bekleidet. Während
fomit Alles vereinfacht und im Sinn einer grofsartigeren Wirkung umge-
bildet wurde, entfaltete fich an dem neu hinzugefügten Vorbau gegen den
Garten eine phantaftifch tolle Pracht , die nur am Weifsen Haufe des
Schloffes Gaillon ihres Gleichen findet. Das grofse Halbrund und die Eck-
pavillons find mit mächtigen korinthifchen Säulen dekorirt, die auf hohen
Sockeln vortreten und üppig ornamentirte Friefe tragen. Der Mittelbau
fchliefst darüber mit einer Baluftrade, die Pavillons haben aber ein nie-
drigeres Obergefchofs , deffen Gliederung durch breite Pilafl:er über den
Säulen bewirkt wird. An diefen Pilaftern find wunderhche hockende Satyr-
geftalten mit ägyptifchem Kopfputz und doppelten Schmetterlingsflügeln,
mit gefpreizten thierifchen Beinen, zwifchen denen die Arme auf den Boden
herabgreifen, angebracht. Aus ihrem Kopfputz wachfen zum Ueberflufs
riefige Blätterkronen bis zum Gefimfe empor. Verbindet man damit die
überfchwängliche Ornamentik aller übrigen Theile, die ruhenden Figuren
über den Fenftergiebeln des Erdgefchoffes, die in wilde Arabesken aus-
laufenden Rahmen der oberen Fenfter, die mit gebrochenen Volutengiebeln
bekrönt find, die überreiche Verfchwendung von Laubwerk an Friefen und
fonfhigen Flächen, endlich die vier coloffalen Atlanten, die vier grofsen
Monarchieen vorftellend, welche das Portal einfaffen, fo mufs man geftehen,
dafs hier ein förmlicher Fafching der Dekoration entfeffelt ift, der bei alle-
dem indefs die Hand eines bedeutenden Künftlers verräth.
Wer war diefer Meifter, der am Vorderbau fo mafsvoll ftreng, an der
Gartenfagade fo ausgelaffen üppig fich geberdet? Wir glauben Jacques
Androuet du Cerceau felbft als den Urheber diefer Theile zu erkennen.
§.75- Das Schlofs Verneuil.
285
Wer die Erfindungen in feinen verfchiedenen Werken, namentlich im Livre
d'architecture von 1582 vergleicht, wird grofse Verwandtfchaft der künft-
lerifchen Richtung entdecken. Der Entwurf XXXVII hat nicht blofs im
Grundrifs, fondern auch im Aufbau, in den runden Dächern der Eckpavil-
lons, dem Halbkreisgiebel über dem Mittelbau entfchiedene Aehnlichkeit
Fig. 102. Verneuil. Hofarkaden. (Baldinger nach du Cerceau.)
mit Verneuil. Die gefchweiften Dächer fpielen überhaupt in diefen Arbeiten
du Cerceau's eine bedeutende Rolle. Der ernfte, ftrenge Stil der Archi-
tektur am Aeufseren zu Verneuil findet in der Mehrzahl der Entwürfe feine
Parallele. Aber felbft für die phantaftifch-baroken Auswüchfe des Garten-
pavillons läfst fich in der »falomonifchen Ordnung« der Triumphbögen (vgl.
S. 238) ein Analogon finden. Dafs er fich nicht als Urheber des Baues
286
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
nennt, kann nicht als Gegenbeweis gelten, denn faft niemals fpricht er von
den Architekten der von ihm aufgenommenen Schlöffer, theils weil er diefs
als allgemein bekannt vorausfetzen durfte, theils weil jene Zeit noch vom
Mittelalter her die Gewohnheit haben mochte, den Künftler hinter fein
Werk zurücktreten zu laffen. Werfen wir dagegen in die Wagfchale, dafs
du Cerceau dem Herzog von Nemours nahe ftand, wie aus der Widmung
feines letzten Werkes hervorgeht, fo wird unfere Vermuthung bis zur
Wahrfcheinlichkeit erhoben.
§ 76.
Das Schloss Charleval.
NOCH grofsartiger als das im vorigen § befprochene Werk war die An-
lage des Schloffes Charleval, welches Karl IX fich in der Nor-
mandie nahe bei Andelys errichten laffen wollte, das aber noch weniger
als das Schlofs von Verneuil zur Vollendung kam. Brantome fagt : »En
cette foreft il avoit fait jetter les premiers fondemens de la plus fuperbe
maifon, qui fut jamais en France, et la nomma Charleval, ä cause de la
fituation qui efl une vallee, et de fon nom«. Und du Cerceau berichtet:
»Le Roi feift compofer un plan digne d'un Monarque et feift befongner
apres et commencer un corps ä la baffe court; et le fondement faict,
esleverent le premier eftage, y etabliffant les offices Si ce lieu
euft efte parfaict, ie croy que c'euft efte le premier des baftimens de
France, pour la maffe dont il euft efte fourny«.
Dies Wort ift nicht zu ftark, wenn wir einen Blick auf den Plan bei
du Cerceau werfen. Derfelbe zeigt eine zu bebauende Fläche, hinter deren
Umfang felbft die urfprüngHchen Pläne der Tuilerien weit zurückbleiben.
Es wäre ein Palaft geworden von einer Ausdehnung, wie fie fonft nur bei
orientahfchen Herrfcherfitzen gefunden wird, in hohem Grade geeignet, das
Königthum glanzvoll zu repräfentiren, und doch feiner gefammten Anord-
nung und einfamen Lage nach nur als Privatwohnung des Fürften zu
betrachten. Das Ganze follte ein faft quadratifches Rechteck von 1080
Fufs Breite bei 1060 Fufs Tiefe bilden. Ein Waffergraben, über den an
der Vorderfeite eine Zugbrücke führte, follte den Bau umfchliefsen. An
der Rückfeite vermittelte eine zweite Brücke, die Verbindung mit einem
ungeheuren Gartenparterre von beinahe gleichem Umfang, das ebenfalls rings
von .Kanälen umzogen, in der Mitte der Quere nach durch ein breites Waffer-
baffm getheilt, am Ende in ein mit luftigen Arkaden umgebenes, etwas
elliptifches Rondell auslief. Den Garten liefs Karl, wie du Cerceau bezeugt,
') Mem. Capit. Fran?., Art. Charles IX. — Les plus excellents baftimens, Vol. II.
§ 76. Das Schlofs Charleval.
287
noch vollenden; vom Schlöffe felbft, deffen Bau durch des Königs Tod
unterbrochen wurde, kamen nur einzelne Theile zur Ausführung.
Die Grundzüge der Anlage find folgende. Aus der Portalhalle des
vorderen Einganges gelangt man in den ungeheuren äufseren Hof (baffe
cour), der ein Quadrat von 480 Fufs bildet, von Arkaden und den Dienft-
wohnungen umfchloffen wird. Zu beiden Seiten find neben diefem Hofe
in durchaus fymmetrifcher Anlage zwei kleinere Höfe angebracht, ebenfalls
auf mehreren Seiten mit Arkaden umzogen. Von diefen beiden Höfen
bildet der äufsere den Vorhof und die Vorbereitung auf den Innern, und
man gelangt durch eine Doppelcolonnade und einen breiten Thorweg in
den kleineren zweiten Hof, deffen Mitte jederfeits eine Kapelle einnimmt.
Der Hauptbau des Schloffes ifi; in der Breite des grofsen Mittelhofes um
einen quadratifchen Hof als vierflügliger Bau mit prächtigen Pavillons auf
den Ecken angelegt. Neben ihm dehnen fich zu beiden Seiten, von Terraffen
mit Arkaden umfchloffen, Blumengärten mit Laubengängen aus. Das Schlofs
zeigt in feiner Anlage diefelbe ftrenge Symmetrie wie alles Uebrige.
Durch einen impofanten Thorweg gelangt man in ein breites Vefliibül, von
wo in doppeltem geradem Lauf eine ftattliche Treppe, wohl das frühefte
Beifpiel diefer Art in Frankreich, auffteigt. In den Axen der beiden
Seitenflügel find ebenfalls Doppeltreppen, aber mit gewundenen Läufen,
ähnlich der Haupttreppe der Tuilerien angebracht. Das Prachtftück des
Baues ift der gewaltige Feftfaal, der die Mitte des gegen den Garten
gelegenen Flügels einnimmt, dreifchiffig mit doppelten Säulenfbellungen,
180 Fufs lang bei 72 Fufs Breite. Neben ihm jederfeits ein Treppen-
haus in Verbindung mit den übrigen Räumen. Eine doppelte Freitreppe
in Hufeifenform führt von dem Saal in den Garten hinab. Die Form des
Saales, der die bis dahin üblichen Galerien durch feine gröfsere Breite in
Schatten ftellt, die impofante Entwicklung der Treppen, die ftreng durch-
geführte Symmetrie des Ganzen laffen in diefem Bau den erften energifchen
Verfuch erkennen, an die Stelle der bisherigen Tradition eine neue Auf-
faffung, die Richtung auf das Gigantifche zu fetzen. Der Verfuch war ver-
früht und wurde vereitelt. Erft unter Ludwig XIV follte diefe Tendenz zur
Verwirklichung gelangen.
Was du Cerceau uns von der Architektur des riefigen Werkes auf-
bewahrt hat, entfpricht, obwohl es "nur die Gebäude des äufseren Hofes
find, diefem Streben in einer Weife, der man die Genialität nicht abftreiten
kann, obgleich in den Formen und der Compofition genug Willkür mit-
unterläuft. Der Architekt hat vor Allem, da er hier mit kleinen Formen
nicht ausreichte , fein Streben darauf gerichtet , die grofsen Verhältniffe
durch entfprechend grofse Formen auszuprägen. Zur Verwirklichung
wendet er das Mittel an, welches gleichzeitig in Italien, namentlich durch
288
Kap, VII. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
Palladio, zur Herrfchaft gelangte und von dem wir auch in Frankreich
fchon ein Beifpiel gefunden haben: an den jüngeren Theilen cjes Schloffes
von Chantilly (§ 36). Es ift die Anwendung koloffaler Säulen- oder Pilafter-
ordnungen, welche zwei Stockwerke einfchliefsen. An den Fagaden des
Hofes ift diefs Syftem fo geftaltet worden , dafs mächtige cannelirte
dorifche Pilafter bis zum Dachgefims auffteigen, zwifchen welchen im untern
Gefchofs abwechfelnd einmal eine hohe Arkade, darüber das ebenfalls fehr
hohe Fenfter des oberen Stockwerks, daneben im folgenden Syftem eine
niedrige, mit einer Baluftrade theilweis verfchloffene rechtwinklige Thür-
öffnung, darüber eine fchlanke Nifche mit Statue angebracht ift. Diefs
ganze Syftem beruht auf einer Täufchung, auf der Vorfpiegelung, dafs man
es nur mit einem Stockwerk zu thun habe, wefshalb fogar die Nifchen
mit feiner Berechnung das Auge über die Linie hinwegführen, wo man
den Fufsboden des oberen Stockwerks zu fuchen hat. Aber das Prinzip
einmal zugegeben, ift die Compofition von eminenter Wirkung und verräth
die Hand eines Meifters vom erften Range. ^)
Mufste der Architekt indefs im Hofe ein geiftreiches Verftecken mit
den Haupthnien der Innern Conftruction fpielen, fo erhebt er fich bei der
Aufsenfagade zu einer Behandlung, gegen welche die architektonifche Logik
nichts einzuwenden hat. 3) Er gliedert feine Mauerflächen durch ungeheuere
in derber Ruftika aufgeführte, über einem hohen fockelartigen Untergefchofs
auffteigende dorifche Pilafter. Zwifchen diefen ordnet er jedes Mal zwei
Fenfterfyfteme an und zwar im untern wie im obern Gefchofs , doch fo
dafs er die Krönungen der unteren in die Brüftungen der oberen hinein-
greifen läfst und auch hier die grofsen Verticallinien durchführt. Die Fenfter
find ebenfalls mit Ruftika eingefafst, während die Füllmauern aus Back-
ftein beftehen. Diefe Compofition ift defshalb fo rationell, weil die
gewaltigen Pilafter nicht blofs im Eindruck , fondern in der Funk-
tion als Strebepfeiler aufzufaffen find , die demnach mit Recht ohne
Rückficht auf die innere Stockwerktheilung vom Sockel bis zum Dach eine
Einheit bilden, innerhalb deren die Fenfter die innere Dispofition vertreten
und deutlich genug ausfprechen. Auch die Formen im Einzelnen find
kraftvoll und noch ziemlich ftreng behandelt, wenn auch in den gebrochenen
Giebeln und verkröpften Gefimfen der Fenfter fich die Willkür des Zeit-
gefchmackes ankündigt. Auch die reicher gehaltene Dekoration der Hof-
fagaden athmet denfelben Geift energifcher Klarheit, denfelben grofsen Sinn
für Verhältniffe , rhythmifchen Wechfel und harmonifche Wirkung. Mit
einem Wort, das Ganze ift eine Compofition erften Ranges.
Vgl. die fchöne Darfteilung bei Viollet-le-Duc , Entretiens I, p. 376, Fig. 7. —
^) Auch in Chantilly hat man (vgl. Fig. 54 auf S. 143) eine ähnliche Anwendung von den
Nifchen gemacht. — 3) Abb. bei Viollet-le-Duc, a. a. O. p. 376, Fig. 6.
§77- Das Schlofs du Pailly.
289
Auch hier wiffen wir nichts über die Perfon des Architekten , wenn
wir nicht einige Anzeichen wieder auf du Cerceau deuten dürfen. Den
Reichthum der Phantafie, die Grofsartigkeit der Compofition, den leben-
digen Sinn für die Wirkung der Maffen, für feines Abwägen der Contrafle
finden wir in feinen zahlreichen Entwürfen wieder. Die Anwendung ko-
loffaler Pilafter dorifchen Stils auf zwei Gefchoffe treffen wir in feinem
Livre d'architecture von 1582 in dem Entwurf XXIII; ähnliche Ruftika-
pilafter wie zu Charleval wendet er in Nr. XX an. Gewichtiger vielleicht
ift der Umftand , dafs er bei der Befprechung von Charleval ein grofses
Blatt mit lauter Varianten für die Ausbildung der äufsern Fagaden beifügt,
zwifchen denen der entwerfende Architekt dem Bauherrn offenbar die Wahl
gelaffen hatte. Doch geben wir zu, dafs wir es in diefem Falle blofs mit
Vermuthungen zu thun haben. Nur das möchten wir betonen , dafs man
ihm nach feinen übrigen Arbeiten einen folchen Entwurf wohl zutrauen darf.
§ 77-
Das Schloss du Pailly.
WIR gehen nunmehr zur Betrachtung von zwei Schlöffern über, welche
weniger durch ihren Umfang als durch ihre claffifch edle Architektur
Aufmerkfamkeit verdienen. In beiden glaubt man die Hand desfelben
Architekten zu erkennen, wie denn beide auf das Geheifs desfelben Be-
fitzers, des Marfchall von Tavannes, aufgeführt worden find. Gaspard de
Saulx, Marquis von Tavannes, fpielt in der Gefchichte Frankreichs in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine hervorragende Rolle. Kühn und
tapfer, wagte er es am Hofe Heinrichs II als gefchworner Feind der Diana
von Poitiers aufzutreten und wufste dennoch durch feine kriegerifchen Ver-
dienfte den Marfchallftab zu erlangen. In den Bürgerkriegen fodann ragte
er als heftiger Verfolger der Hugenotten hervor, und fein Fanatismus ging
fo weit, dafs er zu dem Mordplan der Bartholomäusnacht feine Zuftimmung
gab, und nach Brantome's Zeugnifs ^) bei jener grauenhaften Kataftrophe
die Strafsen durcheilte mit dem Ruf: »Saignez, faignez! La faignee eft
auffi bonne en tout ce mois d'Aout qu'en Mai!« Im Jahre 1563 erlitt er
den Verluft feines älteften Sohnes und »croyant la paix de duree, il fe met
a baftir le chafteau de Pailly a quoy il emploie fon bon menage f excercit
ä la chaffe«.^)
Das Schlofs 3), in dem kleinen Flecken Du Pailly, zwei Stunden von
Langres gelegen , zeigt eine unregelmäfsige Geftalt , die offenbar durch
Benützung der Grundmauern eines mittelalterlichen Baues, vielleicht auch
Brantome, Memoires, Capit. Franc., Art. Tavannes. — Mem. de Tavannes. —
3) Aufn. bei Sauvageot, choix de palais. T. II; vgl. Rouyer et Darcel, art. architect. I,
pl. 36. 37.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl.
290
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
durch den Felsgrund, auf dem es errichtet ift, feine Erklärung findet. Drei
Seiten, von denen die eine jetzt zerfbört ift, find rechtwinklig angelegt, die
vierte bildet einen fchiefen Winkel. Wo fie auf die Fagade ftöfst, ift ein
grofser viereckiger Pavillon vorgebaut, welcher den Haupteingang enthält.
An den übrigen drei Ecken find runde Thürme angebracht, deren Anlage
vielleicht ebenfalls noch vom Mittelalter fich herfchreibt. Die Aufsenfeiten
des Schloffes find völlig einfach, ohne architektonifche Bedeutung. Ein
Waffergraben, über welchen zwei Zugbrücken und eine breite fteinerne
Brücke für den Haupteingang führen, umgiebt das Ganze. Im Gegenfatz
zu der völligen Schmucklofigkeit der übrigen Theile ift der Pavillon des
Einganges an der füdweftlichen Ecke des Baues mit aufserordentlichem
Reichthum durchgeführt. Ueber einem hohen Erdgefchofs, deffen punktirte
Ruftikaquadern den Uebergang zu den fchlichten Maffen der anflofsenden
Theile vermitteln, erheben fich zwei Stockwerke von ftattlichen Verhält-
niffen, mit vortretenden gekuppelten Säulen dekorirt. Im erften Gefchofs
find es ionifche , im zweiten korinthifche, fämmtlich mit fehr fchlanken
cannelirten Schäften , nur auf einfachen Plinthen ruhend. In der Mitte
umfchliefsen fie ein hohes Fenfter mit doppeltem Kreuzftab, während die
Mauerflächen zu beiden Seiten durch reich eingerahmte Marmorplatten
gefchmückt find. Der Fries im Hauptgefchofs ift mit eleganten Blumen
geziert und über den Säulen vorgekröpft, an den Intercolumnien aber unter-
brochen. Das zweite Stockwerk dagegen fchliefst ein Kranzgefims mit
grofsen Confolen, das die Stelle des Friefes vertritt. Den oberften Abfchlufs
bildete ehemals eine von Pilaftern eingefafste Nifche mit der Reiterftatue
des Marfchalls. Alle Theile diefer prächtigen Compofition find durch ele-
gante GHederung und feine Ornamentik zu einem harmonifchen Ganzen
zufammengeftimmt. Die aus Laubwerk, Voluten und Masken beftehenden
Einfaffungen der Marmorplatten, diefe felbfl; in ihrer edlen, malerifchen
Wirkung, die Friefe in beiden Stockwerken, endlich die Fenfterrahmen mit
ihren Ornamentbändern zeugen von einer Nachwirkung jener Dekorations-
weife, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts noch einmal prächtig aufblüht.
Im Innern umfchHefst das Gebäude einen regelmäfsigen quadratifchen
Hof von 70 Fufs im Geviert. Der öftliche Flügel ifi; verfchwunden ; der
anftofsende nördhche befteht gröfstentheils aus einem koloffalen Donjon des
Mittelalters, der mit feinen fchweren Maffen die übrigen Theile in ihrer
Wirkung erdrückt, und felbft das neben ihm angeordnete Hauptportal bei
allem Reichthum kaum zur Geltung kommen läfst. Die gegenüberliegende
füdhche Seite enthält an der öftlichen Ecke ein rundes, gegen den Hof mit
Arkaden geöffnetes Stiegenhaus mit Wendeltreppe, in der andern Ecke
eine ins Innere hineingezogene zweite Treppe , die mit dem Pavillon des
Eingangs in Verbindung fteht, und zwifchen beiden Treppen eine Arkade
292
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
auf Rundbögen, darüber im oberen Stockwerk eine fchmale Galerie. Die
Wohnräume fmd hauptfächlich im weftlichen Flügel und der anftofsenden
Ecke des nördlichen vertheilt. Im oberen Gefchofs ift hier ein auf koloffalen
Confolen über drei Fufs vortretender Gang zur Verbindung des nördlichen
und füdlichen Flügels angeordnet. Die ganze Conftruction ift in mächtiger
Solidität aus einem granitartig harten Gefhein gebildet.
Die Architektur der einzelnen Hoffagaden zeigt bei einer gewiffen
Mannigfaltigkeit vollkommene Harmonie in edlen claffifchen Formen von
mafsvoller Behandlung, und nur vereinzelte Cartouchen find als mehr will-
kürliche Elemente eingemifcht. Einfachheit und Gediegenheit herrfchen vor
und haben auch die Anwendung uncannelirter dorifcher Pilafler im Erd-
gefchofs, ionifcher im obern Stockwerk beftimmt. Damit verbindet fich in
gutem Einklang die Ruftika des Mauerwerks, die durch ihre regelmäfsige
Punktirung fich fein und elegant ausnimmt. Bis zum Kämpfergefims der
Bögen ift felbft an den Pilaftern des Erdgefchoffes diefe Ruftika durch-
geführt. Vorzüglich fchön ift das Verhältnifs der Oefifnungen zur Mauer-
maffe abgewogen. Zwifchen den einzelnen Arkaden find die breiten Wand-
flächen durch je zwei Pilafter gegliedert, zwifchen welchen noch Raum für
kleine hübfch eingerahmte Tafeln geblieben ift. Im Uebrigen beruht die
Wirkung diefer edlen Fagade auf dem Contrafte der punktirten Ruftika mit *
den glatten Flächen an Pilaftern, Gebälken, Sockeln und Fenfterbrüftungen,
Den Abfchlufs macht über einem kräftigen Confolengefims eine Attika, die
über den einzelnen Arkadenfyftemen mit Giebeln gekrönt ift, deren Tym-
panon eine Füllung von Cartouchen zeigt. Das offene Treppenhaus, das im
oberften Stockwerk mit korinthifchen Pilaftern dekorirt ift und mit einer
runden Kuppel abfchliefst, verleiht diefer Fagade noch einen befonderen
malerifchen Reiz.
Verwandte Behandlung macht fich an der weftlichen Fagade geltend
(Fig. 103), nur dafs hier ftatt der Arkaden auch das Erdgefchofs grofse
Fenfter mit Kreuzpfoften zeigt, und dafs zwifchen denfelben paarweife jene
mächtigen Confolen vorfpringen, auf welchen der Verbindungsgang ruht.
Diefe Confolen fteigen vom Sockel auf, find in halber Höhe durch energifche
Masken und von dort aus über einem Gefims durch Cannelirungen wirkfam
dekorirt.
Mit gutem Grund hat der ausgezeichnete Meifter diefes Baues die
höchfte Pracht für das fchmale Stück der nördlichen Fagade aufgefpart,
welches neben dem alten Donjon den Eingang zur Haupttreppe enthält.
Drei Portale, zwei kleinere zu beiden Seiten, von denen das eine auf eine
runde Nebentreppe führt, dazwifchen der grofse Portalbogen des Haupt-
einganges, von doppelten dorifchen Pilaftern umrahmt, durchbrechen das
Erdgefchofs. Im oberen Stockwerk find es vortretende Compofita-Säulen,
§ 77- Das Schlofs du Pailly.
293
cannelirt und von übermäfsiger Länge, welche in der Mitte ein Fenfter, zu
beiden Seiten Nifchen für Statuen einfchliefsen. Darüber folgt die Attika
und dann eine grofse Lucarne, deren gekuppeltes Bogenfenfter von Com-
pofitapilaftern und aufserdem von Säulen derfelben Ordnung eingefafst wird.
Die Giebelkrönung und die Seitenabfchlüffe diefes Aufbaues mit ihren
Voluten, Schnörkeln und Vafen, ihren Genien und wappenhaltenden Löwen
ift nicht frei von barocken Elementen, gleichwohl aber von gefchickter und
wirkfamer Gruppirung. Diefes Prachtftück von Architektur ift in allen
Theilen verfchwenderifch dekorirt; die dorifchen Pilafter des Erdgefchoffes
haben Füllungen von Lorbeerblättern, die Portalbögen und die Fenfter-
rahmen hnd aufs Schönfte gegliedert, die Friefe endlich in beiden Gefchoffen
mit Laubwerk ganz bedeckt. Schade, dafs die korinthifchen Säulen des
oberen Stockwerks auf zu niedrigen Sockeln ruhen und dadurch eine über-
mäfsige Länge erhalten haben, welche durch die drei gewundenen Bänder
an der oberen Hälfte ihres Schaftes noch fühlbarer wird. An der Fenfter-
brüftung fieht man das Wahrzeichen des Marfchalls, einen Pegafus, darunter
feine Devife: »quo fata trahunt«.
Von der ehemals reichen Ausftattung des Innern haben die Stürme
der Revolution wenig übrig gelaffen. Zu den befterhaltenen Theilen gehört
die Haupttreppe, die in Anlage und Ausfchmückung einen vornehmen Ein-
druck macht. Sie fteigt von dem Veftibül in geradem Lauf, mit einem
Tonnengewölbe bedeckt und mit elegant eingerahmten Marmorplatten an
den Wänden dekorirt, zu dem erften Podeft empor, von wo fie in zwei
Armen zum oberen Gefchofs weiter führt. Ein ftattliches Veftibül mündet
hier auf die fogenannte »Salle doree« , die den ganzen Raum des Donjon
einnimmt. Der Saal hatte im Mittelalter ein Tonnengewölbe, welches die
Renaiffance durch eine hölzerne Balkendecke verkleidete. Die Balken zeigen
noch jetzt Spuren von Malerei, ebenfo fmd die tiefen Fenfternifchen mit
mythologifchen Fresken, freilich von geringem Werth, bedeckt. Ein pracht-
voller Kamin (vgl. Fig. 20, S. 55), auf akanthusgefchmückten Confolen mit
dorifchem Fries, darüber ein Auffatz, der von gekuppelten fein cannelirten
korinthifchen Pilaftern eingefafst wird und von üppigem Cartouchenwerk
mit P'ruchtgehängen bedeckt, zeigt das von zwei geflügelten Greifen gehaltene
Wappen des Erbauers. Farben und reiche Vergoldung, zu denen ein-
gelaffene Marmorplatten fich gefeilen, fteigern den Eindruck diefes präch-
tigen Werkes. Zwei Galerieen führten ehemals von diefem Saale zu der
kleinen Kapelle, welche im nordweftlichen Thurme liegt. Sie war mit
einer Kuppel bedeckt, die auf noch vorhandenen cannelirten Säulen ruhte,
zwifchen denen die Reliefgeftalten von fechs Tugenden angebracht fmd.
Gegenwärtig dient die Kapelle bedauerlicherweife als Taubenfchlag.
294
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
§ 78.
Das Schloss Sully.
DER zweite Bau, welchen der kriegerifche Marfchall ausführen Hefs, ift
das in Burgund zwei Meilen von Autun gelegene Schlofs Sully.^)
Es wurde 1567 begonnen, doch wird in den Jahren 1596, 1609 und felbft
1630 noch von weiteren Arbeiten berichtet. Der Marfchall ftarb hier im
Jahre 1573. Mit den beiden glänzenden Bauten, die er hinterlaffen hat,
fteht eine Aeufserung feiner Memoiren in feltfamem Widerfpruch. Er fagt :
»Les baftiments font un honorable appauvriffement et une efpece de maladie ;
a peine ceux qui ont commence fen peuvent tirer. Si c'eft pour laiffer
memoire de nous, eile tourne plus ä l'architecte ; cela eft hors de nous,
ainfi que fi ceux qui ont des chevaux, des pierreries et de l'argent, devaient
acquerir reputation pour les poffeder. Et le pis eft qu'il ne fe bätit den
au gre de la pofberite qui fait fouvent les portes lä oü ont ete les fenetres,
et peu de gens verront ces baftiments fans y trouver ä redire. Que fi nous
cherchons la beaute, la fymmetrie, quelle voüte plus belle que le ciel ?
Quel jardinage, quelle allee plus belle que la campagne?« Verftändlicher
freilich werden uns diefe Klagen, wenn wir fie nicht als Aeufserungen des
Erbauers, fondern feines Sohnes und Erben, der die Memoiren redigirt hat,
auffaffen.
Das Schlofs Sully bildet ein ziemlich regelmäfsiges Viereck, deffen
Flügel fich um einen faft quadratifchen Hof von 125 zu 115 Fufs gruppiren.
Das Aeufsere ift ohne architektonifche Bedeutung. Auf den Ecken erheben
fich diagonal geftellte Pavillons, vielleicht ein fpäterer Zufatz; in der Mitte
der nördlichen Fagade hat man neuerdings eine gothifche Kapelle vorgebaut.
Der Eingang, zu dem man über einen Graben gelangt, liegt in der Mitte
der Oftfeite.
Alles architektonifche Intereffe concentrirt fich auf die vier Fagaden
des Hofes. Sie gehören neben denen des Schlofses du Pailly zu den reinften
Schöpfungen diefer Epoche. In ähnlich ftrengem Geift der Clafficität ent-
worfen, fchliefsen fie fich noch enger als jene der italienifchen Auffaffung
an. Daher das ftarke Betonen der horizontalen Linie, das Zurückdrängen
der Dachgefchoffe, die zwar noch beibehalten, aber untergeordnet und felbft
nicht einmal glückhch behandelt find. Vor Allem bezeichnend ift die mafs-
voU ernfte Gliederung und Dekoration in den fchlichteften Formen der
Antike. Die einzelnen Fagaden find auch hier, bei durchgehender einheit-
licher Grundftimmung, verfchieden behandelt ; nur die füdliche und nördliche
entfprechen einander. In der Axe der Weftfagade, dem Eingang gegen-
I) Nicht zu verwechfeln mit Sully-fur-Loire, einem mächtigen mittelalterlichen Bau. —
Aufn. bei Sauvageot, choix de palais, Vol. I. Vgl. dazu les chäteaux hiftoriques I, i ff.
78. Das Schlofs Sully.
295
über, tritt ein Pavillon vor, der das Hauptportal und Treppenhaus enthält.
Während aber im Schlofs du Pailly diefer Theil der Anlage fich um ein
Stockwerk über die anderen Gebäudemaffen erhebt, herrfcht hier auch für
den Pavillon die ftreng durchgeführte Horizontale des gemeinfamen Haupt-
eefimfes.
Fig. 104. Schlofs Sully. (Sauvageot.)
Die Anordnung diefer Fagade beruht auf einem Syftem doppelter
Pilafter, die aber näher zufammentreten, als im Schlofs du Pailly. (Fig. 104.)
Wie dort ifb auch hier im Erdgefchofs die dorifche, im oberen, die ionifche
Ordnung angewendet, erftere gleich dem Stockwerk, zu welchem fie gehört,
in ungefchmückter Ruftika behandelt. Tiefe Bogennifchen, innerhalb deren
die grofsen Fenfter liegen, öffnen fich zwifchen den Pilaftern. Im oberen
Gefchofs fmd mächtige Rundbogenfenfler mit doppelten Kreuzftäben
296
Kap. VII. Die RenailTance unter den letzten Valois.
angebracht. An ihren Brüftungen fieht man m ReHef eine Baluftrade nach-
gebildet. Ein Kranzgefims mit paarweife verbundenen Akanthusconfolen
macht einen ebenfo kräftigen wie eleganten Abfchlufs. Der Mittelbau hat
zu beiden Seiten des Bogenportals kleinere viereckige Fenfter, über welchen
Medaillonköpfe in reichen Barockrahmen angebracht find. Aehnlich ift hier
auch das obere Gefchofs behandelt.
Zeichnet fich diefe Fagide durch fchöne Verhältniffe, glücklichen Gegen-
fatz der Oeffnungen zu den Mauerflächen und lebendigen Rhythmus aus, fo
gilt diefs in noch höherem Maafse von der füdlichen und nördlichen Fagade.
Auch hier fmd im Erdgefchofs Arkaden, im oberen Stockwerk Rundbögen
zur Einfaffung der Fenfter angeordnet; allein die Oeffnungen fmd paarweife
durch einen Pilafter verbunden, von der folgenden Gruppe aber durch zwei
Pilafter und eine breite Mauermaffe getrennt, fo dafs ein ungemein lebens-
voller Rhythmus, noch glücklichere Contrafte, noch edlere Verhältniffe ent-
ftehen. Unbedenklich ift diefe Fagade wohl eine der edelften, welche die
franzöfifche Renaiffance jener Epoche hervorgebracht hat. Die breiten
Mauerflächen flnd im Erdgefchofs mit Büften in Medaillons, im oberen
Stockwerk mit viereckigen Flachnifchen gefchmückt, über welchen Relief-
köpfe in ovalen Medaillons mit eleganten Cartoucherahmen angebracht fmd.
In der Axe der füdlichen Fagade führen die beiden mittleren Arkaden zur
Haupttreppe.
Das Innere des Schloffes hat zahlreiche Umgeftaltungen erfahren. Nur
ein Zimmer zeigt noch unverfehrt feine alte Ausftattung, die gemalten Balken
der Decke, den ftattlichen Kamin und fogar die prächtigen Teppiche jener
Zeit. Aufserdem ift in einem Saal ein grofser Kamin mit luxuriöfer plaftifcher
Dekoration erhalten. Sein ftark vorfpringender Mantel ruht auf Säulen von
höchft phantaftifcher Form und Dekoration. Endlich fleht man in der
Apfis der Kapelle eine köftliche Decke, die in bemaltem Schnitzwerk Ara-
besken, Masken und Figuren, untermifcht mit Cartouchen von eleganter
Zeichnung, enthält.
§ 79-
Das Schloss Angerville-Bailleul.
WIE allgemein das einmal für die Schlofsanlagen gewonnene Grundmotiv
aufgenommen und in verfchiedenen Umgeftaltungen durchgeführt
wurde, beweift eine Anzahl von Gebäuden der Epoche. Als eines der
intereffanteren gedenken wir hier des kleinen durch Sauvageot bekannt
gemachten Schloffes Angerville. In der Normandie, nahe bei Fecamp
belegen, gehört es zu den kleineren, aber auch zu den eleganteren Schö-
') Choix de palais etc. Vol. III.
§ 79- Das Schloss Angerville-Bailleul.
297
pfungen diefer Epoche. Ueber feine Entftehung ift nichts ermittelt worden,
aber der Charakter feiner Formen zeugt für die letzten Decennien des
16. Jahrhunderts. Denn die antiken Ordnungen find zwar mit gutem Ver-
ftändnifs und in aller Reinheit behandelt, aber in der häufigen Anwendung
eines theils trockenen, theils bizarren Cartouchenwerks und in manchen
andern fchon barocken Elementen fpricht fich der Uebergang zur Kunftweife
des 17. Jahrhunderts unverkennbar aus.
Fig. 105. Schlols Angerville-Bailleul. (Sauvageot.)
Der Grundrifs des kleinen Gebäudes (Fig. 105) zeigt ein Rechteck ohne
Hof, flankirt von vier Pavillons. Es ift die fchon früher für folche Anlagen
feftgeftellte Form, wie wir fie z. B. in Martäinville fanden, nur dafs aus
den früheren runden Eckthürmen jetzt Pavillons geworden find und dafs
möglichfte Regelmäfsigkeit der Anlage erftrebt ift. Der Eingang, von Säulen
flankirt, liegt in der Mitte der Fagade und führt in ein Veftibül, das mit
Kreuzgewölben bedeckt und an den Wänden mit Nifchen gefchmückt ift.
In der Verlängerung desfelben gelangt man zu der bequem angelegten
Treppe, die in geradem Lauf zu einem mit Nifchen ausgeftatteten und mit
298
Kap. VII. Die RenailTance unter den letzten Valois.
Kreuzgewölben bedeckten Podeft und von da in rückwärtiger Wendung zum
oberen Gefchofs fuhrt Die Eintheilung der Räume ift im unteren wie im
oberen Stockwerk diefelbe, nur dafs im Erdgefchofs der ausfpringende Theil
der Pavillons als kleines Kabinet abgetrennt ift. Vier Zimmer im Haupt-
bau, fämmtlich von gleicher Gröfse bis auf das eine, welches durch die
Treppenanlage befchränkt wird, und vier damit verbundene Nebenzimmer
in den Pavillons bilden das Ganze. Die Zimmer im Hauptbau erhalten
durch breite gekuppelte Fenfter, die Räume in den Pavillons durch fchmale
einfache Fenfter ihr Licht.
Befondere Sorgfalt ift auf die künftlerifche Durchführung der Fagade
verwendet. (Fig. 106.) Und zwar concentrirt fich der reichere Schmuck
derfelben auf den mittleren Theil, der das Portal enthält. Im Erdgefchofs
find es elegant cannelirte dorifche Säulen, die frei vortretend mit kräftigem
Gebälk das Portal einrahmen. Ueber dem letzteren fieht man ein von
Greifen gehaltenes Wappen in mehr reicher als gefchmackvoller Compofition
von einem abenteuerlichen Gemifch widerfprechender Formen in willkür-
licher Zufammenftellung. Hässliche firenenartige Fabelwefen, Genien mit
Fruchtfchnüren, Trophäen und Schilde in wunderlicher Art zufammengeftellt,
erhalten durch die Schnörkel der Cartouchen vollends das Gepräge der
Barockzeit. Dazu kommen die einzelnen Quader, die ebenfo roh als
unmotivirt das Rahmenprofil des Portals und der Fenfter durchfchneiden.
Im erften Stockwerk folgen ionifche und im zweiten korinthifche Säulen,
fämmtlich cannelirt und zierlich gearbeitet. Darüber fteigt ein eleganter
fchlanker Glockenthurm mit einer Laterne bekrönt empor, eingefafst von
korinthifchen Säulen, die auf lang gezogenen Confolen ruhen. Das Einzelne
ift auch hier fchon fehr barock, doch läfst fich nicht leugnen, dafs die
Compofition diefer Mittelpartie im Ganzen einen originellen und lebensvollen
Eindruck macht. Verftärkt wurde derfelbe durch die urfprüngliche Anord-
nung der Dächer. Nicht blofs die Eckpavillons haben fteile Pyramiden-
dächer , fondern auch das Dach des Hauptbaues war in zwei felbftändige
hohe Dächer zerlegt, fo dafs der Glockenthurm mit feiner zierlichen Laterne
fich um fo wirkfamer gegen den Himmel abfetzte. Dazu kommt endlich
der ungemein reiche figürliche und ornamentale Schmuck in getriebenen
Bleiverzierungen, welche die Dächer krönen und die zwar ebenfalls fchon
willkürlichen aber originellen' und keck componirten Dachfenfter.
Von der inneren Ausftattung find nur Bruchftücke der elegant gearbei-
teten, aber in der Compofition barocken und in der Zeichnung mageren
Holzvertäfelung der Wände erhalten.
300
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
§ 80.
Das Schloss Maune.
DIE lebhafte Befchäftigung mit geometrifchen Formen und Conftructionen,
der fich die Architekten der Renaiffance mit Vorliebe hingaben, führte
Tie gelegentlich dazu, ftatt der naturgemäfsen rechtwinkligen Anlage einzelne
Verfuche mit complicirteren Grundriffen zu machen. Der Kreis und die
verfchiedenen Arten von Polygonen in mannigfacher Anwendung und Ver-
bindung fpielen dabei eine Hauptrolle, und es ift, als ob in folchen Com-
pofitionen ein Stück Phantaftik aus früheren Epochen nachfpuke, um fich
auf Korten des fonft fo rationellen Baugeiftes diefer Zeit geltend zu machen.
In Italien ift das Schlofs Caprarola ein merkwürdiges Beifpiel diefer Rich-
tung. Für Frankreich liefert du Cerceau wenigftens auf dem Papier in
einer Anzahl von Entwürfen feines Livre d'architecture Vorbilder zur Genüge.
Freilich bemerkt er dabei gelegentlich, wenn er gar zu feltfame Erfindungen
darbietet, er theile fie mit »plus pour plaifir et diverfite que pour autre
chofe«.') In Wirklichkeit hat fich ein Bauwerk diefer Gattung bis auf
unfere Tage erhalten zum Beweife, dafs bisweilen auch hier aus folchen
Spielen der Einbildungskraft monumentaler Ernft wurde.
Es ift das kleine Schlofs Maune (Mosne), bei der Eifenbahnftation
Tanlay, an der Linie von Paris nach Lyon, im alten Burgund, Departement
der Yonne gelegen. Der Herzog von Uzes liefs es in Form eines regel-
mäfsigen Fünfecks erbauen, auf deffen Ecken nach aufsen thurmartige Vor-
fprünge, theils als Erker, theils als Treppen dienend, fich erheben (Fig. 107).
In der Mitte des Gebäudes, fagt du Cerceau, ift unten ein Springbrunnen
angebracht, um den fich in einem Fünfeck eine doppelte Wendeltreppe hinauf-
zieht, zur Verbindung der wenigen grofsen Gemächer, in welche die einzelnen
Stockwerke getheilt find. Die Treppe ift ganz durchbrochen, fo dafs man
beim Auf- und Abfteigen immer den Brunnen ficht. Derfelbe Gewährsmann
rühmt die Zweckmäfsigkeit der Anlage: »En ce baftiment y a poelle, eftuves,
baignoires, fort bien pratiquez, ä caufe de la fontaine: enfemble falles,
chambres, garderobbes et toutes commoditez neceffaires ä un logis, chasqu'un
eftage accommode de ce qui y eft befoin«. Das Dach des Fünfecks
bildet eine Pyramide, aus deren Mitte fich eine kleine Laterne erhebt. Eine
ausführliche Befchreibung widmet du Cerceau der Conftruction der Balken-
decke mit ihrem reichen Schmuck.
Eine Umfaffungsmauer mit Arkaden umgiebt in Hufeifenform den Bau
und öffnet fich gegen ein Gartenparterre mit Weiher und Springbrunnen,
I) Livre d'architecture von 1582 Nr. XXXVIII. — =) Aufn. bei du Cerceau Vol. I,
wo im Text durch einen leicht erklärlichen Druckfehler Manne zu lefen ift, während die
Tafeln nach damaliger Schreibweife richtig Maune geben.
§ 8i. Die Gärten der Renaiffance.
301
das an der entgegengefetzten Seite wieder mit einem Halbkreis abfchliefst.
Auf der andern Seite führt vom Schlofs ein Verbindungsgang, der aus
offenen Arkaden und einem Dachgefchofs befbeht, nach dem äufseren Wirth-
fchaftshofe, der eine ovale Form zeigt, eigentlich zwei Halbkreife, welche
durch vorfpringende rechtwinklige Bauten verbunden werden. Der dem
Schlofs zugewendete Halbkreis enthält im Erdgefchofs offene Arkaden, im
Dachgefchofs Dienft Wohnungen. Der andere Halbkreis befteht nur aus einer
Umfaffungsmauer, die in der Mitte durch das Eingangsthor unterbrochen ift.
Feftungsartige Mauern, im Rechteck angelegt und von breiten Gräben um-
fchloffen, ziehen fich um die ganze Schlofsgruppe fammt dem Garten herum.
Die Architektur des Aeufsern ifh von abfoluter Nüchternheit , ohne eine
Spur von künftlerifcher Form. Wir erwähnen das wunderliche Gebäude
nur, weil es für eine Richtung des Baugeifbes jener Zeit bezeichnend ifb, im
Uebrigen, um mit du Cerceau zu reden, »plus pour plaifir et diverfite que
pour autre chofe«.
§ 81.
Die Gärten der Renaissance.
WIR würden nur ein unvollftändiges Bild der franzöfifchen Renaiffance-
fchlöffer befitzen, wenn wir nicht einen Blick auf die Gartenanlagen
werfen wollten. Schon die mittelalterliche Burg befafs, wo irgend der Platz
es geftattete, einen Garten, in welchem man aufser den Küchenkräutern und
den Fruchtbäumen ein Blumenparterre, namentlich von Rofen und Lilien,
Rebengänge, Rafenplätze mit fchattenden Bäumen, bisweilen auch Weiher
und, wo der Ort es gab, Springbrunnen hatte. In den Gärten ftolzirten
Pfauen und in den Weihern fpiegelten fich Schwäne. Unter Karl V erwähnen
die Rechnungen des Louvre einen »lehan Baril, faifeur de treilles, pour
avoir faict un grand preau esdicts iardins et faict de merrien (de bois) un
lozengie tout autour, ä fleur de liz et ä creneaux«.') Doch war immer-
hin der Raum für folche Anlagen befchränkt, das Leben felbft zu unruhig
und kriegerifch bewegt, die Rückficht auf Befeftigung und Vertheidigung
zu ausfchliefslich, um jenen Gärten eine gröfsere Bedeutung zu geben. Als
aber im 15. Jahrhundert das Naturgefühl immer mächtiger erwachte und
in der Kunft einen lebhaften Widerhall fand, als die flandrifchen Meifter
zuerft ihre heiligen Geftalten vom Goldgrund erlöften und mitten in das
blühende Leben des Lenzes hineinftellten, wurde alsbald auch die Garten-
anlage ein Gegenftand künftlerifchen Studiums, äfthetifcher Ausbildung. Es
ift bezeichnend für das gefteigerte Naturgefühl der Zeit, dafs wir fo oft
in den anziehendften Bildern der Meifter des 1 5. Jahrhunderts die Madonna*
') Comptes du Louvre, citirt von A. Berty, la renaiff. monum. Vol. I.
302
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
im Rofenhag dargeftellt fehen, und dafs auf allen Bildern ein Teppich von
natürlichem Rafen, mit Blumen durchwirkt, fich den Geftalten unterbreitet.
Den entfcheidenden Anftofs gab aber auch hier Italien. Schon bei dem
Kriegszuge Karls VIII nach Neapel fmd die Berichterftatter von nichts fo
entzückt, wie von den bezaubernden Gärten der italienifchen Villen. Die
Herrlichkeit des Gartens von Poggio reale feffelt den König und feine
Cavaliere mehr als alle andern Schöpfungen der Kunft, und ebenfo ent-
zückt fpricht fich Jean d'Auton über die Schönheit des Parks von Pavia
aus. (Vgl. § I.) Kein Wunder, dafs fortan bei allen Schlofsbauten die
Anlage der Gärten mit befonderem Nachdruck gepflegt wurde. Ueberein-
ftimmend kann man bei aller Abwechslung folgende Grundzüge beobachten.')
Die unmittelbare Nähe des Schloffes, d. h. der herrfchaftlichen Wohn-
räume, wird für die Anlage eines Parterre von Blumen vorbehalten, fo dafs
man nicht blofs aus den Zimmern den Blick über dasfelbe genofs, fondern
auch durch Treppen fchnell dahin gelangen konnte. Die Anordnung folcher
Treppen zur Verbindung mit dem Garten wird z. B. in den Urkunden von
Fontainebleau ausdrücklich vorgefchrieben. Bezeichnend für die künftlerifche
Gefmnung der Zeit ift die ftreng fymmetrifch-regelmäfsige Behandlung diefer
Blumenparterres , die felbft da feftgehalten wird , wo ' man im Schlofsbau,
durch ältere Theile gehemmt, fich die Regelmäfsigkeit und Symmetrie ver-
fagen mufste. Gaillon bietet ein merkwürdiges Beifpiel. Die einzelnen
Blumenbeete erhalten mannigfaltige Zeichnungen, nicht blofs in rhythmifch
bewegten Ornamenten, fondern auch in allerlei Spielereien mit Namenszügen,
Emblemen und Devifen. In dem bunten Schmuck diefer unendlich abwech-
felnden Formenwelt, die einerfeits an die Mufter der emaillirten Fufsböden,
andrerfeits an die Ornamentik der Decken erinnert, hat die dekorative Luft
der Renaiffance wieder ihre Unerfchöpflichkeit bewährt. Häufig findet man
«ins oder auch zwei diefer Blumenfelder als Labyrinthe, oder wie es damals
hiefs, als Dädalus ausgebildet, eine Form, welche auf die Irrgänge in den
Fufsböden der mittelalterlichen Kirchen zurückführt. Was dort dem ablafs-
bedürftigen Beter als Penfum für feine fromme Kafteiung vorgezeichnet
wurde, gewann hier den Charakter eines neckifchen Spiels. Solche Laby-
rinthe zeigt bei du Cerceau der Garten der Tuilerien, und in doppelter
Anlage kommen fie in Gaillon und Montargis vor.
Zur befferen Ueberficht des heiteren Ganzen liefs man rings um das
Blumenparterre, mit diefem durch Treppen verbunden, erhöhte Terraffen
fich hinziehen, breit genug, um einer feftlichen Gefellfchaft zum Luftwandeln
zu dienen. Von der Sorgfalt, mit welcher man auch diefe Theile ausftattete.
0 Rabelais in feiner Schilderung der Thelemitenabtei (vgl. § 7) giebt auch von den
Gartenanlagen das jener Zeit vorfchwebende Idealbild.
§ 8i. Die Gärten der Renaiffance.
303
geben die Baurechnungen von Gaillon zahlreiche Beweife. Namentlich
erhalten die Fufsböden reiche Mufter durch verfchiedenfarbige glafirte Steine.
Ein Bruchftück folcher Fufsböden hat man in neuerer Zeit zu Anet gefunden.
In der Regel werden die Terraffen nach aufsen durch Mauern abgefchloffen,
aber früh fchon umgiebt man fie auf einer oder mehreren Seiten mit
bedeckten Arkaden, um je nach Belieben fchattige oder gefchützte fonnige
Wandelbahnen zu erhalten. Schon in Gaillon ßnd zwei Seiten des Gartens
mit bedeckten Galerieen umzogen, die an den Enden auf Pavillons münden.
So gewann man mitten im Garten in der fchönften Umgebung Räume für
ftille Zurückgezogenheit und ruhige Meditation. Aehnlich fieht man es an
einer Seite der Gärten zu Vallery und zu Chantilly, in noch vollftändigerer
Fig. 107. Das Schlofs Maune. (Du Cerceau.)
Weife zu Dampierre. Das fchönfte Beifpiel bot aber Anet, wo auf drei
Seiten das grofse Gartenparterre von Galerieen mit Arkaden in Ruftika
umzogen wurde, was, wie du Cerceau fagt, »donne au iardin vn merueilleux
eclat ä la vue«. Bisweilen verbindet man damit kleine Bethäufer, wie die
noch gothifchen Kapellen im Garten zu Bury und zu Gaillon. Aehnlich zu
Blois , wo ein langer gedeckter Laubengang vom Schlofs um drei Seiten
des Gartens fich hinzieht und fchliefslich auf die Kapelle mündet. Dagegen
fehen wir fpäter de l'Orme im Park von Villers-Coterets eine Kapelle in
ftreng antiken Formen aufführen. Ein Hauch von ftiller Naturandacht
mochte in folcher Umgebung diefe kleinen Oratorien umfpielen und den
Einfamen zur Sammlung des Gemüthes ftimmen.
304 Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Aber auch fonft wird für fchattige Gänge geforgt. Leichte Holz-
galerieen mit Epheu oder Reben umrankt, find in wohlabgemeffener Anord-
nung zwifchen die Bkimenbeete vertheilt, fei es, dafs fie in der Mitte das
Parterre durchfchneiden oder an den Seiten fich hinziehen. Und zwar find
es nicht blofs die anfpruchslofen Conftructionen leichter Laubengänge mit
gebogenen Lattendecken, nach Art von Tonnengewölben, fondern die Kunft
des Zimmermanns erhebt diefe Conftructionen bald zu höherer Bedeutung,
bildet an ihnen die Formen des Steinbaues mit angemeffener Umgeftaltung
nach, giebt der Compofition höheren architektonifchen Werth dadurch, dafs
die langen Galerieen an den Endpunkten und etwa noch in der Mitte durch
erhöhte Pavillons unterbrochen werden. Das fchönfte Beifpiel diefer Art
war zu Montargis (Fig. 108); andere fah man zu Verneuil, zu Charleval,
Beauregard, hier in ftreng antiker Behandlung mit durchweg geradem Ge-
bälk und Giebeln an den Pavillons, freier dagegen in charakteriftifch aus-
geprägter Holzconftruction zu Bury.
Herrfchte in diefem Kernpunkt der Gartenanlagen das ftreng-architek-
toriifche Gefetz, fo trat in wirkfamen Contraft dazu der weite Ring aus-
gedehnter Parkanlagen, in welchen man dem Walten der Natur und der
Vegetation gröfsere Freiheit liefs. Zwar die Obftgärten mit ihren Rafen-
flächen und regelmäfsig ausgetheilten Fruchtbäumen halten das Gefetz der
Symmetrie feft, bilden aber doch einen Uebergang zu der freieren Bewegung
der grofsen Laubmaffen des anftofsenden Parks. Diefer felbft, von breiten
Baumalleen in allen Richtungen durchzogen, mit feinen Rafenflächen und
Laubmaffen, vermittelt endhch den Uebergang in die freie Natur, mit der
er die Schöpfung des menfchlichen Geiftes verknüpft.
Zu diefen beiden Elementen, der Vegetation und der Architektur,
gefeilt fich als dritter nicht minder wichtiger Faktor das Waffer. Im Mittel-
alter hatte man fich bei den Gärten in diefem Punkte mit dem behelfen
müffen, was die Natur freiwillig und zufällig bot. Die Architekten der
Renaiffance in ihrer wiffenfchaftlichen Durchbildung waren aber zugleich
tüchtige Hydrauliker und wufsten den Gärten den belebenden Schmuck
fpringender Waffer zu geben. In Gaillon finden wir Pierre Valence von
Tours mit der Leitung und Anlage des Springbrunnens für den Garten und
Schlofshof befchäftigt. In den Baurechnungen Franz' I wird ausdrücklich
der Fontainen gedacht, welche in St. Germain und Villers-Coterets angelegt
werden follen. Das Wenigfte, was gefordert wird, ift ein Springbrunnen
inmitten des Gartenparterres, der dann manchmal wie in Gaillon und Blois
durch einen leichten in Holz conftruirten Pavillon, der ihn umfchliefst, zu
einem behaglich kühlen, halb gefchloffenen Platze umgewandelt wird. Wo
die ungewöhnliche Breite des Gartens es erheifcht, wie in An et und Charleval,
bringt man zwei Fontainen in gleichmäfsigem Abftand an. Reichere
§ 8i. Die Gärten der Renaiffance.
Wafferkünfte mit Grotten und Cascaden kommen in diefer Zeit kaum fchon
vor. Nur zu Chenonceau und zu Gaillon finden fich Beifpiele, beide jedoch
erft aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts als Zufätze fpäterer Zeit.
Eine viel eingreifendere Rolle kam diefem Elemente zu, wo die Nähe
eines Fluffes Waffer in reicher Fülle gewährte. Da wird nicht blofs rings
um den Garten ein Kanal gezogen, fondern bisweilen in öfterer Wieder-
holung durchfchneidet das belebende Element mit parallelen Armen den
Garten, wie in der prächtigen Anlage von Verneuil, oder es wird in ganzer
Breite als fchön eingefafstes Baffin in die Gartenanlage eingeführt, wie in
Charleval, Vallery und beim weifsen Haufe zu Gaillon. Wo in diefer Weife
das Waffer von allen Seiten die Gärten umzieht, da fucht man dasfelbe
auch dem Auge des Befchauers unmittelbar nahe zu rücken. Daher fallen
Fig. loS. Gartenlaube zu Montargis. (Du Cerceau und Berty.).
hier die umgebenden abfchliefsenden Mauern fort und ftatt gefchloffener
Galerieen werden leichte Laubengänge angeordnet, durch deren zahlreiche
OefFnungen der Waffer fpiegel fichtbar wird und frifchen Luftzug, angenehme
Kühlung in diefe fonft leicht dumpfigen Galerieen bringt. So ficht man es
zu Dampierre und zu Chantilly, namentlich aber zu Verneuil, wo überall
das Waffer in vielverzweigten Kanälen , Baffins und grofsen Weihern eine
Hauptrolle fpielt. Seltener dagegen wird die Plafbik zu Hülfe genommen,
die in Italien bei den Gärten fo hervorragende Bedeutung gewinnt. Nur
in der Klausnerei zu Gaillon wird eine Ausnahme gemacht , und in Fon-
tainebleau nimmt bei du Cerceau die Diana von Verfailles die Mitte des
kleineren an der Südfeite des Schloffes gelegenen Gartens ein.
Wohl das Vollendetfte, was die Gartenkunft diefer Epoche in Frank-
reich hervorgebracht, ift der Garten von Verneuil, den wir in § 75 bei
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 20
3o6
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Befchreibung des Schloffes gefchildert haben. Die Figur 109 überhebt uns
einer ausführlicheren Erklärung. Hier ift aufserdem die Benützung des an-
fteigenden Terrains zu bedeutenden Wirkungen gelangt.
Merkwürdig dadurch , dafs er fich ausnahmsweife nach den unregel-
mäfsigen Formen des (im Wefentlichen aus dem Mittelalter flammenden)
Schloffes richtet, ift der Garten von Montargis. Im weiten Halbrund,
zwei concentrifche Ringe bildend, der innere mit Mauern umzogen und mit
dem äufseren durch flattliche Portale verbunden, umfchliefst er in grofsem
Bogen den Bau. Von den beiden Labyrinthen des inneren Parterres war
fchon oben die Rede und die prächtige Doppelgalerie, deren Holzwerk eine
Bekleidung von Epheu hatte, ift in Figur 108 theilweife dargeftellt. Mit
den reichen Blumenbeeten wechfeln Rebengänge, Rafenflächen mit Obft-
bäumen aller Art und Wiefen, die weithin von Alleen durchfchnitten werden.
Rene de France, Tochter Ludwigs XII und Gemahlin des Herzogs Hercules
von Ferrara , liefs diefen Garten anlegen , als ihr 1 560 Montargis zum
Wittwenfitz überwiefen wurde.
Von aufserordentlichem Umfang waren die Gärten zu Blois, zu denen
man vom Schlofs aus durch einen verdeckten Gang über die Strafse hin
gelangte. Der Haupttheil beftand aus einem Parterre von 600 Fufs Länge
bei 250 Fufs Breite, rings auf drei Seiten mit einer hölzernen Galerie
umzogen, die auf einen Pavillon und eine kleine Kapelle mündete. In der
Mitte des Gartens erhob fich über einem Springbrunnen ein Kuppelbau.
Daneben auf beiden Seiten zwei andere Gärten , der eine mit zierlichen
Blumenbeeten, die einen Springbrunnen umgaben, der andere mit Baum-
alleen und von zwei in der Mitte fich kreuzenden fchattigen Galerieen
durchfchnitten. Du Cerceau fagt: »II y a de beaux et grands iardins,
differans les vns des autres, aucuns ayans larges allees ä lentour , aucuns
couvertes de charpenterie, les autres de coudres, autres appliquez ä vignes«.
Durch grofsen Wafferreichthum zeichnet fich die Anlage des Schloffes
Dampierre aus , wo drei Gärten , fämmtlich von Kanälen und breiten
Baffins umzogen, durch Brücken miteinander in Verbindung ftehen. Das
mittlere Parterre in der Axe des Schloffes und mit diefem auf einer Infel
errichtet , läuft in eine dreieckige Spitze aus , die durch drei Pavillons
bezeichnet wird. Bedeckte Galerieen mit offenen Arkaden verbinden die
Pavillons und umziehen den ganzen Garten. An den Canälen find breite
fchattige Gänge mit doppelten Baumreihen nach allen Seiten hingeführt.
Auch der Garten von A n e t, grofs und regelmäfsig mit zwei Spring-
brunnen und, wie wir gefehen, auf drei Seiten von Galerieen mit Arkaden
umzogen, war rings von Waffer eingefchloffen, das am äufserften Ende einen
grofsen halbrunden Weiher bildete. Hier war ein Badhaus angelegt, von
deffen Gemächern Stufen zum Baffin hinabführten. Im Uebrigen fah man
§ 8i. Die Gärten der Renaiffance. 307
Rafenplätze mit Fruchtbäumen, Blumenparterres, Fifchteiche und Kaninchen-
gehäge, fämmtlich durch Kanäle, die mit Alleen eingefafst waren, getrennt.
Auch an Volieren und Orangerieen fehlte es nicht.
Auch Chenonceaux zeichnete fich durch reiche Gartenanlage aus,
bei welcher ein ausgebildetes Syftem von Wafferkünften zur Anwendung
gekommen war. Rechts vom Eingang fah man im Park eine Felsgrotte
mit Caskaden, umgeben von einem Wafferbaffm. Eine Terraffe mit Blumen
umgab dasfelbe und weiter oberhalb war eine andre Terraffe angebracht,
die mit Laubgängen bedeckt war, und deren Umfaffungsmauer mit Nifchen,
Fig. 109. Gartenanlage zu Verneuil. (Du Cerceau und Berty.)
Säulen und Statuen, fowie mit Sitzbänken gefchmückt war. Auch zum
Vexirfpiel war das Waffer hier fchon verwendet, denn in der Mitte des
kleineren Gartens war eine Oeffnung angebracht, die ein hölzerner Zapfen
fchlofs. Wenn man diefen unverfehens herauszog, flieg ein Strahl 18 Fufs
hoch empor, »qui eft une belle et plaifante invention«, fagt du Cerceau.
Die gröfste Mannigfaltigkeit zeigten aber die Gärten zu Gaillon nach
den Verfchönerungen , welche der Kardinal von Bourbon der urfprünglich
fchon reichen Anlage hinzugefügt hatte. Hier war in der Verbindung der
verfchiedenen Gärten das hügelige Terrain zur Geltung gebracht und dafür
20*
3g8
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
geforgt, dafs der Blick immer das liebliche Thal und den Flufs mit um-
fafste. In ziemlicher Entfernung vom Schlofs und deffen Gärten hatte der
Kardinal eine Karthaufe errichten laffen, wohin man durch den Park auf
Terraffen und durch anfteigende bedeckte Baumgänge gelangte. Man kam
zuerft zu einer Kapelle, die mit einem kleinen Wohngebäude und einer auf
einem Felfen angelegten Einfiedelei in Verbindung ftand, rings von einem
viereckigen Wafferbaffm eingefafst. Daneben lag auf der einen Seite ein
kleiner gefchloffener Blurnengarten , mit Lauben und gedeckten Gängen.
Um das Parterre erhoben fich auf einer Anzahl von Poftamenten Statuen
von drei bis vier Fufs Höhe. Auf der andern Seite der Einfiedlergrotte
gelangte man an einem ausgedehnten Baffm , das von breiten Terraffen
umfchloffen war, zu dem fogenannten weifsen Haufe, einem rings von Waffer
umgebenen Luftgebäude der üppigflen Anlage. Es enthielt im Erdgefchofs
einen grofsen mit Arkaden geöffneten Saal, an den gefchloffenen Wänden
mit Nifchen und Karyatiden, fowie mit Statuen gefchmückt, aufserdem durch
drei Baffuis mit Fontainen belebt. Eine Treppe an der Rückfeite führte
zum oberen Gefchofs, welches in mehrere Gemächer eingetheilt war. Eine
Plattform mit durchbrochenem Geländer gewährte den freien Ueberblick
über das Ganze.
Nirgends wird uns das heitere Leben der Renaiffancezeit fo gegen-
wärtig, als wenn wir uns diefe prächtigen Gartenanlagen aus den Zeich-
nungen und ; Befchreibungen du Cerceau's wieder herzuftellen verfuchen und
ihr die glänzende, geiftreiche und übermüthige Gefellfchaft jener Tage zur
Staffage geben.
§ 82.
Städtische Wohngebäude in Orleans.
DER Bau der bürgerhchen Wohnhäufer in den Städten beharrt in diefer
Epoche auf der in der vorigen eingefchlagenen Bahn, und nicht blofs
für die Grundrifsbildung , fondern auch für die Behandlung der Fagaden
bleiben die früher entwickelten Grundzüge geltend, nur dafs der Charakter
der Formen im Einzelnen dem in diefer Zeit gültigen Gepräge folgt. Aus
dem Anfang der Epoche begegnen wir einer Anzahl fbädtifcher Wohn-
häufer , deren Architektur den Stempel einer edlen Ruhe und claffifchen
Reinheit der Formen trägt. Allmählich führt dann auch hier das Streben
nach Einfachheit und Gröfse zur Strenge und felbft zur Trockenheit, in
welche fich gleichwohl bald gewiffe Elemente einer willkürlichen, barocken
Detailbildung mifchen.
Orleans ift auch jetzt reich an intereffanten Privatgebäuden. Wir be-
ginnen mit dem fogenannten Haufe der Diana von Poitiers,^) welches.
•) Aufn. in den Monum. hift.
§ 82. Städtifche Wohngebäude in Orleans.
309
diefen Namen mit ebenfowenig Recht trägt, wie die früher erwähnten
Häufer der Agnes Sorel und Franz' I oder vielmehr der Herzogin von
Etampes. Es zeigt jene vornehmere Anlage, die im Erdgefchofs ftatt der
Kaufläden gefchloffene Mauermaffen, durchbrochen von wenigen kleinen
Fenftern, enthält. Auch die oberen Stockwerke haben neben den grofsen
Fenftern ausgedehnte Wandflächen und dadurch einen Charakter von Ernft
und Ruhe, von vornehmer Zurückhaltung. Im Hauptgefchofs fmd die
Fenflier mit feinen Rahmen und einem flachen Bogengiebel eingefafst. Der
letztere enthält eine kleine weibliche Büfte. Schlanke korinthifche Säulen,
zu zwei Dritteln cannehrt, ghedern diefes Stockwerk, während im oberen
auf den Ecken kurze Rahmenpilafl;er derfelben Ordnung angebracht find.
Das mittlere Fenfher des oberen Gefchoffes ift kreisrund und von ver-
fchlungenen Cartouchen eingerahmt. Der Grund-
rifs des Haufes befolgt die in Orleans her-
kömmhche Anlage: der Eingang liegt, wie
immer bei diefen fchmalen Gebäuden, an der
einen Seite, -der Flur mündet auf die Treppe
und auf den Hof, der hier geräumiger angelegt
und ftattlicher architektonifch ausgebildet ift,
als es die Regel zu fein pflegt.
Zu den anziehendften Gebäuden gehört
fodann ein fchmales, am Marchee ä la volaille
gelegenes Haus, welches man als »Maifon de
Jean d'AHbert« bezeichnet.') Diefer hervor-
ragende Führer der proteftantifchen Partei von
Orleans foll es erbaut und darin die erfte Ver-
fammlung feiner Glaubensgenoffen abgehalten
haben. Die Fagade ift fchmal, im Erdgefchofs durchbrochen von der grofsen
Bogenöflhung eines Kaufladens, daneben das zierlich eingefafste Rundbogen-
portal, darüber ein reizendes kleines auf Säulchen gekuppeltes Fenfter zur
Erleuchtung des Hausflurs, eingefafst von Hermen, an den Ecken auf eleganten
Masken ruhend. Die beiden oberen Stockwerke zeigen feine korinthifche
Rahmenpilafter und grofse rechtwinklige Fenfter mit Kreuzftäben. Der Cor-
ridor fpricht fich in beiden Gefchoffen durch kleine Bogenfenfter mit
eleganter Umrahmung aus. Die Anwendung von Masken und Laubfchnüren,
die Rahmen von verfchlungenen Cartouchen, die prächtigen Löwenköpfe,
auf welchen die Pilafter des erften Gefchoffes ruhen, deuten auf die
Epoche von 1550 bis 1560.
Fig. HO. Haus du Cerceaus zu Orleans.
I) Aufn. bei Sauvageot, Vol. III, und in den Monuments hiftoriques.
310
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Weiter ift hier anzufchliefsen der fogenannte »Pavillon der Jeanne
d'Arc«, der den Uebergang- von der Schlufszeit Franz' I zur Epoche Hein-
richs II bezeichnet.') Es ift ein thurmartiger Pavillon, der fich als vor-
fpringender Theil an ein älteres Gebäude anfchliefst. Auf einem Sockel
von punktirter Ruftika erhebt es fich in zwei Gefchoffen von bedeutender
Höhe mit mäfsig grofsen Rundbogenfenftern, über welchen die hohen Stirn-
mauern darauf deuten, dafs beide Stockwerke gewölbt fmd. Tafeln wie
für Infchriften angebracht und mit Feftons und Masken gefchmückt, beleben
diefe grofsen Flächen. Schlichte ionifche Pilafter bewirken im unteren,
cannelirte korinthifche im oberen Gefchofs die GHederung der Maffen. Im
Innern fmd die Tonnengewölbe jedes Gefchoffes mit jener Gattung von
Arabesken in ReHefdarftellung bedeckt, in welchen das edle vegetabilifche
Leben der früheren Arabeske durch Ueberwuchern tendenziöfer Figuren
und zugleich durch Ueberladung mit phantaftifchen Elementen erftickt
wird. Das ift immer der Tod des ächt künftlerifchen Arabeskenftyles.
In claffifchem Geifte ftreng und edel durchgeführt ift das fogenannte
»Haus du Cerceaus«.^) An einer Ecke der Rue des Hötelleries gelegen,
zeigt es einen gedrängten faft quadratifchen Grundrifs (Fig. i lo), der durch
feine compendiöfe Anlage Intereffe erregt. Im Erdgefchofs ift ein grofser
Eckladen angebracht, neben welchem nur für einen fchmalen Flur Raum
bleibt. Diefer mündet wie gewöhnlich auf die Wendeltreppe. Ein Wohn-
zimmer mit Kamin liegt hinter dem Laden, und felbft für einen allerdings
winzigen Hof mit einem Brunnen in der Ecke ift noch Raum geblieben.
Von der edlen Pilafterarchitektur, welche die ganze Fagade gliedert, giebt
unfre Abbildung Figur in eine Anfchauung. Wir brauchen nur hinzu-
zufügen, dafs alle Formen mit vollem Verftändnifs und in höchfter Feinheit
durchgebildet fmd.
Als Mufter einer ganz fchlichten , aber monumentalen Behandlung
erwähnen wir zwei Häufer, die im Erdgefchofs an Ecken, Gefimfen und
Fenftereinfaffungen den Quaderbau, im Uebrigen den Backftein zeigen. 3)
Das eine, mit intereffanter Ausbildung des Kaufladens im Erdgefchofs, mit
hohen, rechtwinkligen Kreuzfenftern in den oberen Stockwerken und mit
kräftig einfachem Confolengefims Hegt in der Rue du Chätelet Nr. 3; das
andere, ebenfalls mit Kaufläden, etwas ftattlicher, von fchlankeren Verhält-
niffen und in reicherer Ausführung, deren Formen auf die fpätere Zeit des
Jahrhunderts weifen, ift die Nr. 17 in der Rue des Hötelleries.
Aufn. in den Monum. hiftor. — ') Treffliche Aufnahme in Sauvageot, Vol. III. —
3) Vgl. Sauvageot a. a. O.
Fig. III. Haus du Cerceaus zu Orleans. (Sauvageot.)
312
Kap. VII. Die Renaiflance unter den letzten Valois.
§ 83.
Städtische Wohngebäude in den nördlichen Provinzen,
DIE Normandie hat auch in diefer Epoche ihren Antheil an der archi-
tektonifchen Bewegung und obfchon die Energie und der Reichthum
der früheren Epoche hier merklich nachlaffen, fo fehlt es doch nicht an
einzelnen ausgezeichneten Beifpielen auch des bürgerlichen Privatbaues. Wir
beginnen mit dem prächtigen Haufe des Etienne Duval in Caen, das
einen Uebergang von der Epoche Franz' I zu der Heinrichs II bildet.^)
Etienne Duval war einer jener grofsen Kaufleute des 16. Jahrhunderts, die
durch den Welthandel zu Macht und Reichthum gelangten und von dem
künftlerifchen Wefen der Zeit lebendig genug berührt waren, um ihrer
Lebensftellung einen monumentalen Ausdruck zu geben. Durch Heinrich II
im Jahre 1 549 geadelt, errichtete er in Caen fich eine prächtige Wohnung,
in welcher er 1578 ftarb.
Nur ein Theil feines Haufes ift erhalten, genug indeffen, um für die
Bedeutung des Ganzen zu zeugen. Im Erdgefchofs befteht das Vor-
handene aus einer Galerie von 15 Fufs Breite bei 34 Fufs Länge, an den
Schmalfeiten durch grofse Bogenportale, an der einen Langfeite durch drei
mächtige Arkaden, die mittlere höher und breiter als die feitlichen, geöffnet.
Alles ift hier bis ins Kleinfte in claffifcher Weife durchgebildet. Die Bögen
ruhen auf gut profilirten Pfeilern, die über einem hohen gemeinfamen Sockel
aufzeigen. Kräftige korinthifche Säulen mit verkröpftem Gebälk treten
davor, und ein elegantes Confolengefims fchliefst das Erdgefchofs ab.
Das obere Stockwerk enthält in ganzer Ausdehnung einen Saal, der
an zwei Seiten gefchloffen und mit zwei Kaminen verfehen, an den beiden
andern, und zwar einer fchmalen und einer langen, mit Bogenfenftern
durchbrochen ift. Diefe find über den kleineren Arkaden zu zweien, über
der mittleren und an der Schmalfeite zu dreien gekuppelt ; bei letzteren ift
das Mittelfenfter höher und durch Pilafter eingefafst , während die Fläche
über den Seitenfenftern in ziemlich widerfmniger Spielerei mit einem nach-
geahmten Geländer dekorirt ift. Die Doppelfenfter haben dagegen eine
angemeffene Umrahmung und gemeinfamen antiken Giebel, in welchem
wunderlich genug eine Erinnerung an gothifche Krabben nachfpukt. Auch
das Dachfenfter beweift in Aufbau und Ornamentik, dafs der Architekt
diefes Baues fich der inzwifchen etwas dunkel und confus gewordenen
Traditionen der Gothik noch nicht ganz zu entfchlagen vermochte. Ein
am Ende des Gebäudes rechtwinklig vorfpringender , mit offener Laterne
bekrönter Thurm enthält die Wendeltreppe zum oberen Gefchofs, zu
welchem man indefs nur mittelft eines auf Confolen vorfpringenden Balkons
') Aufn. in Rouyer et Darcel, Vol. I, pl. 13 — 16.
§ 83- Städtifche Wohngebäude in den nördlichen Provinzen. 313
gelangen kann. Korinthifche Rahmenpilafter, im Einklang mit den Säulen
des unteren und oberen Gefchoffes, faffen die Ecken ein.
Den entwickelteren Stil der Zeit finden wir an einem Haufe der Rue
Perciere zu Ronen/) welches dem Ende der Epoche angehört und die
Jahrzahl 1581 trägt. Es ift. wie die meiften Häufer der mittelalterlichen
Städte, klein und fchmal, aber hoch. Das Erdgefchofs öffnet fich völlig
als Kaufladen in fchmucklofer Holzconftruction. Auch die beiden oberen
Stockwerke find ganz mit Fenftern durchbrochen , von denen die beiden
äufseren , obwohl gerade gefchloffen , mit einem Rahmen in Flachbogen
umgeben find, während die beiden Innern keinerlei Einfaffung haben, aber
durch einen ganz mit Ornamenten bedeckten Pilafter getrennt werden.
Auch fonft ift in allen Flächen über und unter den Fenftern in Masken,
Cartouchen und fonftigem Ausputz der fchon fehr willkürhch barocke Geift
vom Ende diefer Epoche zum Ausdruck gelangt.
Aus der Mitte des 16. Jahrhunderts ftammt ein Haus in der Rue du
grand cerf in Chartres. Es wurde laut einer Infchrift an der Fagade
von dem Arzt Claude Huve erbaut, der feinen Mitbürgern in lateinifcher
Sprache untermifcht mit einer kleinen Dofis von Griechifch erzählt, dafs
er es mit Rückficht auf den Schmuck der Stadt und die Nachwelt erbaut
habe.^) Das Gebäude ift klein und macht dabei den Eindruck wohnlichen
Behagens. Ueber einen breit angelegten Flur mit Kreuzgewölben, der fich
in der Tiefe verengt, um der Treppenanlage Raum zu laffen, gelangt man
in einen Hof, der an der Hinterfeite ebenfalls von Gebäuden eingefchloffen
wird. Zu dem hoch liegenden Erdgefchofs führt eine Rampentreppe. Das
Vorderhaus befitzt im Erdgefchofs und den beiden oberen Stockwerken
ein gröfseres Vorderzimmer, daneben ein nach dem Hof liegendes Gemach,
an welches ein kleines Kabinet ftöfst. Dazu kommt in den oberen Gefchoffen
noch ein über dem breiteren Theil des Flurs liegendes Zimmer. Die Fagade
des kleinen Baues ift unvollendet geblieben. Sie beginnt in prächtiger Weife
mit dem grofsen Bogenportal, das triumphbogenartig mit cannelirten korin-
thifchen Säulen und kräftig vorfpringendem Gebälk fammt Confolengefims
eingerahmt wird. Ueber diefem erhebt fich, durch eine reiche Brüftung
mit der Infchrifttafel vorbereitet, das grofse Fenfter des erften Stockwerks,
wieder von korinthifchen Säulen eingefafst, die ein Gebälk fammt antikem
Giebel tragen. Im oberen Stockwerk find es Karyatiden-Hermen, auf deren
Köpfen das Gebälk und ein kräftig profiHrter Bogengiebel ruhen. Die
Mauerflächen zeigen eine Mifchung von Ziegeln und Quadern. Die übrigen
') Aufn. bei Berty, la renaiffance monumentale, Vol. II. — 2) Die Infchrift lautet:
SIC COSTRVXIT. CLAVDI'. HW. lATPOZ DECORI. VRBIS. AC. POSTERITATI.
CONSVLES. Woraus der Name »Haus der Confuln» entftanden.
314
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Theile der Fagade find, wie die fpielenden Formen der Zwergpilafter und
die viel kleineren Fenfter beweifen — es kommen hier auf die beiden
oberen Gefchoffe des neuen Theiles drei volle Stockwerke — aus der
früheren Zeit Franz' I, Refte eines älteren Baues, welchen vollftändig
umzugeftalten wohl die Mittel gefehlt haben. Erwähnt wird der Bau als
fchon beftehend im Jahr 1559.
An der äufserften Grenze diefer Epoche fteht ein Haus in der Rue
des vergeaux zu Amiens,') welches von einer Figur an feiner Fagade
den Namen »Maifon du fagittaire« führt. Es wurde im Jahre 1593 vom
Herzog von Mayenne, dem General der Ligue erbaut, deffen Wappen es
trägt. Die Fagade ift fo reich mit Ornamenten bedeckt, dafs fie mit den
üppigften Schöpfungen der Frührenaiffance wetteifert, und obwohl der
Maafsftab der einzelnen Formen nicht im Verhältnifs zu den befcheidenen
Dimenfionen des Ganzen fteht, macht diefer Reichthum doch einen
beftechenden Eindruck. Dazu kommt, dafs der Meifter diefes Werkes zwar
Willkürliches, auch Naturaliftifches in den Ornamenten nicht vermieden,
aber eigentlich Barockes, z. B. das Schnörkelwerk der Cartouchen ver-
fchmäht hat. Er fcheint feine Infpirationen an den Werken der früheren
Epochen zu fchöpfen. Das gilt, felbft wenn wir, wie es wahrfcheinlich ift,
die grofsen Spitzbögen, in welchen das Erdgefchofs mit feinen Kaufläden
fich öffnet , für Refte einer früheren Anlage halten. Gefchmückt find
indefs die Rahmen diefer Bögen durch elegante Canneluren im feinften
Renaiffancegefchmack. Sitzende Reliefgeftalten weiblicher Tugenden, von
Emblemen und Laubwerk ganz umfchloffen, füllen die grofsen Zwickel-
flächen, und auf den Ecken bilden canneHrte dorifche Pilafter die Einfaffung.
Noch ganz in gothifchem Sinn, wenn auch in antiken Formen, find die
Baldachine der kleinen Statuennifchen zwifchen den Bögen behandelt. Die
oberen beiden Gefchoffe zeigen gedrückte Verhältniffe und breite, niedrige,
im Flachbogen gefchloffene Fenfter, im erften Stock ionifche, im zweiten
korinthifche Pilafter, fämmtlich cannelirt, dazu prachtvolles Ranken- und
Blattornament an den Friefen und in breiten Maffen über den Fenftern,
letztere aufserdem mit äufserft elegant fculpirten Gliedern eingerahmt und
die oberften Fenfter mit durchbrochenen Giebeln bekrönt: das Ganze von
einer mehr verfchwenderifchen als edlen Ueppigkeit.
Ebendort mufs die Porte Montre-Ecu vom Jahre 1531 als ein
allerdings verftümmelter , aber reizvoller Bau der Frühzeit hervorgehoben
werden, der in zwei Gefchoffen mit elegant dekorirten Rahmenpilaftern und
mit zahlreichen Salamandern als Zeugen der Entftehungszeit gefchmückt ift.
') Aufn. bei Berty, la renaiffance monumentale, Vol. I, Vgl, Paluftre I, 33 mit
Abbildung. — ') Paluftre I, 30.
§ 84. Städtifche Gebäude in den nordöftlichen Provinzen. 315
Kräftig und lebendig, voll Originalität ift die kleine Fagade des Hotel
de Vauluifant zu Troyes, welches 1564 ein reicher Bürger Antoine Hen-
nequin fich erbauen Hefs. Zwei Rundthürme, zwifchen denen eine ftatt-
liche doppelte Freitreppe zum hochgelegenen Erdgefchofs emporführt,
flankiren diefelbe. Pilafter gliedern die Flächen, und eine Baluftradengalerie
fchliefst den Bau ab. In den Dachfenftern mit ihren Krönungen bemerkt
man noch gothifche Reminiscenzen , freiHch in ftarker Verzopfung. Im
Erdgefchofs liegt ein grofser Saal mit prächtigem , durch korinthifche
Pilafter dekorirten Kamin und gemalter Holzvertäfelung.
Ein ftattliches Gebäude aus dem Anfang diefer Epoche ift fodann das
Haus der Familie Feret de Montlaurent zu Rheims, erbaut unter der
Regierung Heinrichs II von Hubert Feret. Es hat einen prächtigen Hof
mit Arkaden auf gekuppelten Säulen , zwifchen den Bögen Nifchen mit
Statuen. Die Fenfter fmd rechtwinklig und durch Kreuzpfoften getheilt.
§ 84.
Städtische Gebäude in den nordöstlichen Provinzen.
IN den nordöfthchen Theilen Frankreichs, welche gröfstentheils urfprüng-
lich zu Flandern gehörten und erft fpät zu Frankreich kamen, herrfcht
eine Behandlung der Renaiffanceformen , die in ihrer derben Freiheit das
flandrifche Gepräge nicht verkennen läfst. Solcher Art ift die Balley zu
Aire, ein anziehender kleiner Bau, auf zwei Seiten mit einer Vorhalle
auf fchlanken Säulen umgeben, darüber ein flandrifch hohes Obergefchofs
in Backftein und Hauftein, über den Fenftern trotz des Datums 1595
gefchweifte Spitzbogenblenden, als Abfchlufs der Fagade eine reiche Balu-
ftrade mit üppigen Rehefs. Ein polygoner Erkerbalkon verleiht dem Bau
befonderen Reiz.
Befonders gehört hieher der neue Flügel, welchen die Stadt Arras
feit 1573 ihrem Stadthaufe hinzufügte. Die Stadt, durch Handel und
Gewerbe blühend, berühmt namentHch durch ihre kunftvollen Webereien,
hatte feit Anfang des Jahrhunderts (i 501 — 1554) ihr Rathhaus in gothifchem
Stil erneuert. Nach kurzer Zeit ftellte fich das Bedürfnifs einer Erweiterung
heraus, und Meifter Mathias Teffon wurde mit der Ausführung eines neuen
Flügels beauftragt. Der Architekt dachte nicht daran, fein Werk mit dem
älteren in Einklang zu bringen, wohl aber mit demfelben an Glanz und
Pracht zu wetteifern.
Der neue Flügel ==) befteht aus einer Fagade von drei breiten Fenfter-
fyftemen, die durch gekuppelte Säulen von einander getrennt werden.
') Paluftre I, 21 mit Abbildung. — ») Vgl. die Aufn. bei Berty, la renaiflance monu-
mentale, Vol. I. Dazu Paluftre I, 19 mit Abbildung.
3i6
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
Fig. 112. Vom Stadthaus zu Anas. (Berty.)
Ranken und Blätter als leichte Krönung hin.
(Fig. 1 1 2). Im Erdgefchofs
find es dorifche von jener
häfslichen Form, welche
den Schaft abwechfelnd
aus glatten Trommeln und
aus Boffagen zufammen-
fetzt. Ebenfo find die
breiten dreitheiligen mit
Kreuzpfofl:en verfehenen
Fenfter des Erdgefchoffes
rings durch vereinzelte
Ruftikaquadern eingefafst.
Diefe Behandlung gehört
mehr der flandrifch-deut-
fchen als der franzöfifchen
Schule an. Die Säulen
treten auf vorfpringenden
Sockeln kräftig heraus und
tragen ein verkröpftes Ge-
bälk mit Zahnfchnittfries.
In glänzendem Reich-
thum erhebt fich darüber
das erfte Stockwerk, mit
gekuppelten korinthifchen
Säulen gegliedert, deren
unterer Theil mit Masken,
Hermen , Blumen und
Rankenwerk dekorirt ift,
während der obere Theil
feine Canneluren zeigt.
Ueberaus prachtvoll ift
der Fries mit Rofetten,
Masken und Löwenköpfen
in zierlichen Medaillons
gefchmückt ; ebenfo find
am Sockel und der ganzen
Brüftung Menfchen- und
Thierköpfe verwendet, und
über den breiten dreithei-
ligen Fenfbern ziehen fich
§ 85. Städtifche Wohngebäude in den füdlichen Provinzen. 317
Das oberfte Stockwerk ift in demfelben Geifte, nur etwas befcheidener
dekorirt, hat aber feinen urfprünghchen Charakter dadurch eingebüfst, dafs
man die fpiralförmig canneUrten Säulen, welche es bekleideten, befeitigt
hat. Eine Attika mit Masken in kräftig profilirten Medaillons bildet den
Abfchlufs. Trotz der ftark barocken Elemente zeichnet fich das Werk durch
die faft überftrömende Energie der Behandlung vortheilhaft aus.
Ein fpäter Nachzügler, mit ftark barocker Färbung, ift die Börfe zu
Lille,^) 165 1 durch Meifter Julien Deflre erbaut. Die derben Ruftikapilafter,
mit Hermen wechfelnd, geben den beiden oberen Stockwerken ein kraft-
volles Gepräge, während das hohe Dach mit feinen Manfarden, allerdings
gleich dem Erdgefchofs nicht mehr in urfprünghcher Verfaffung, wirkfam
das Ganze abfchhefst. Der Hof hat im Erdgefchofs eine ftattliche dorifche
Colonnade, darüber ein einziges durch hohe Fenfter charakterifirtes Stock-
werk.
§ 85-
Städtische Wohngebäude in den südlichen Provinzen.
IM Languedoc, wo wir fchon in der vorigen Epoche eine wenn gleich
nicht ausgedehnte, aber doch im Einzelnen glänzende Bauthätigkeit
fanden, treten auch jetzt mehrere anfehnhche Bauten hervor.
Wir nennen zunächft das ftattliche Hotel d'Affezat zu Touloufe,
welches noch auf der Grenze der vorigen Epoche fteht und die Jahrzahl
1555 trägt. Es ift ein Backfteinbau mit reich in Hauftein durchgeführten
Ghederungen. Angeblich foll es durch Primaticcio für die Königin Mar-
garethe erbaut worden fein, was indefs als völlig unbegründete Sage zu-
rückzuweifen ift.^) Drei Gefchoffe mit gekuppelten Säulen, unten dorifch,
in den beiden oberen korinthifch, gliedern in der pompöfen Weife der
Hochrenaiffance die Fagade. (Fig. 113.) Die Fenfter der beiden unteren
Gefchoffe haben Kreuzpfoften, letztere fmd aber durch vorgelegte Voluten
mit prachtvollem Akanthus verftärkt und mit Rundbogenfriefen eingefafst,
ein wahres Fortiffimo der Dekoration, welches, mit dem Uebrigen in befter
Harmonie, einen förmlich beraufchenden Eindruck macht. Das oberfte
Stockwerk hat jene dreitheiligen , an den Seiten geradlinig, in der Mitte
rundbogig gefchloffenen Fenfter, welche in der Renaiffance Oberitahens
eine Rolle fpielen. Das Hotel befteht aus einem Hauptbau mit zwei
Flügeln, in deren einfpringendem Winkel fich rechts ein viereckiger Treppen-
thurm erhebt. Der linke Flügel hat nur ein Gefchofs mit ftattlicher Frei-
treppe. An der rechten Seite in der Tiefe des Hofes ift, vielleicht als
0 Paluftre I, 5 ff. mit Abbildung. — ^) Taylor et Nodier, Voyages. Languedoc, Vol. I
P. L Vgl. damit die Ichöne Aufnahme bei Berty, ren. mon. Vol. I, auf elf Tafeln.
3i8
Kap. III. Die Renaiflänce unter Franz I.
Reft eines früheren Baues, ein viereckiger Thurm mit rundem Treppen-
thürmchen angeordnet. Erwähnen wir endlich noch, dafs die Fenfter des
Erdgefchoffes in ihren Krönungen bereits zu barocken Formen neigen und
dafs das Portal durch fpiralförmig
gewundene Säulen mehr reich als
rein eingefafst wird.
Hierin gehört ferner das Pa-
lais du Capitol derfelben Stadt,
prächtig, aber auch fchon etwas
barock, obwohl immer noch maafs-
voll und ernft.^) Ein überreiches
Portal mit Victorien über den
Bögen, verfchwenderifch eingefafst
von doppelten Pilaflern und Halb-
fäulen ionifchen Stiles, trägt einen
ausgebauchten Fries, darüber Auf-
fätze mit den Figuren ruhender
Sphinxen und gefeffelter Sclaven,
darüber ein ähnliches Pilafterfyftem
korinthifcher Ordnung. Zwifchen
diefem öffnet fich eine Nifche
mit dem Standbild Heinrichs IV.
Wahrfcheinlich wurde der Bau, der
wohl fchon unter Heinrich II be-
gonnen war, erft unter diefem
Fürften vollendet. Die Architektur
des Hofes gehört jedenfalls früherer
Zeit an als die der Fagade und
deutet auf einen Architekten, der
die antiken Formen nur fehr ober-
flächlich , gleichfam vom Hören-
fagen, kannte. Wunderlich genug
durchfchneiden fich eine kürzere
dorifche Pilafterftellung mit fchlan-
ken korinthifchen Säulen. Ebenfo
feltfam find die drei niedrigen,
mit Cherubimköpfen und Laub-
gewinden dekorirten Attiken, mit welchen mühfam genug die ganze Ober-
wand gegliedert ift. Das Portal, welches in den Hof führt, zeigt elegante
Aus dem Hofe des Hotel d'Assezat.
Toulouse. (Berty.)
') Abb. in Taylor et Nodier, Voyages pitt. Languedoc, Vol. I, S^r. i.
§ 85. Städtifche Wohngebäude in den füdlichen Provinzen. 319
Formen, noch nicht fo coriventionell behandelt wie das Aufsenportal. Im
Innern zeichnet fich der fogenannte Saal des kleinen Confiftoriums durch ein
zierliches Netzgewölbe auf Renaiffanceconfolen und durch gemalte Arabesken
an den Wänden aus. Er enthält aufserdem einen prachtvollen Kamin,
unten eingefafst mit gekuppelten ionifchen Säulen, oben mit doppelten
weiblichen Hermen, in der Mitte ein Relief mit einem Reiterbild, darüber
als Abfchlufs ein durchbrochener Bogengiebel mit Genien und helmbekröntem
Wappen.
Noch üppiger entfaltet fich diefer füdliche Stil am Hotel Catelan
in derfelben Stadt.') Das Portal ift mit gekuppelten korinthifchen Säulen,
deren Schäfte cannelirt find, eingefafst ; darüber Karyatiden und phanta-
ftifch gefchweifte Auffätze, wozu allerlei barocke Elemente kommen, nament-
lich Prismen und andere geometrifche Figuren von bunten Marmorplatten,
in Gebälk, Attika und andere Flächen eingelaffen.
Der Eindruck ift im Ganzen fchon fehr überladen. Das Innere bietet
nicht viel, da zu einer flatthcheren Hofanlage entweder der Raum oder
die Mittel fehlten. Man tritt zuerft in einen engen Durchgangshof, der
eine befcheidene Pilafterarchitektur zeigt. Dem zweiten gröfseren Hofe
fehlt jede höhere architektonifche Ausbildung; hübfch ift nur ein kleiner,
rund heraustretender Treppenthurm, auf elegantem Tragftein mit Confolen
und Feftons ruhend, von Putten gehalten,
Das gröfste Prachtftück diefes Stiles ift aber die fogenannte »Maifon
de pierre« in derfelben Strafse unweit der Dalbade-Kirche gelegen. Hier
ift fchon die Fagade ein Werk von bedeutendem, ja man darf fagen faft
unerhörtem Aufwand, prunkvoll und überladen, aber als Compofition fchwer-
fällig und faft unerfreulich. Hier tritt das prahlerifche Syftem der fpäteren
Renaiffance auf, durch eine einzige koloffale Säulen- oder Pilafterftellung
hier find es riefige korintifche Pilafter mit cannehrten Schäften — der
Fagade eine gewiffe Gröfse des Eindrucks zu verleihen. Während aber
über den Capitälen durch das verkröpfte Gebälk und einen mächtigen Con-
folenfries Raum für ein oberes Gefchofs gewonnen wird, vermifst man um
fo empfindhcher einen genügenden Unterbau, und wenn es auch kein
Geringerer als ein Palladio gewefen ift, der das Beifpiel für diefe Anord-
nung gegeben hat, fo bleibt fie darum nicht minder verwerflich. Eine
Folge davon war dann die unorganifche Anordnung des grofsen Doppel-
portals, das mit feinen vorgefetzten Säulen und weit herausfpringendem
verkröpften Gefims unfchön die grofse Pilafterordnung durchfchneidet.
Uebrigens ift Alles an diefer pompöfen Fagade gethan, was das Urtheil
befl:echen könnte, denn alle Flächen find in verfchwenderifcher Ueppigkeit
I) Abb. in Taylor et Nodier, Voyages pitt. Languedoc. Vol. I, Ser. i.
320
Kap. VII. Die Renaiffance unter den letzten Valois.
mit einer ftark in's Kraut gefchoffenen Ornamentik überladen und felblT;
die grofsen Pilafter haben in der Höhe des Erdgefchoffes eine Bekleidung
von Blumen und Fruchtfeftons, Trophäen, Emblemen und Masken erhalten,
die im ftärkften Fortiffimo diefes Stils componirt ift. Selbft die fteinernen
Fenfterpfoften, im Hauptgefchofs kreuzförmig angeordnet, find in Orna-
mente aufgelöfh. Befonders prachtvoll find die Wappen über den beiden
Portalen, welche paarweife von eleganten weiblichen Figuren gehalten wer-
den : dies Alles gleich der ganzen Ornamentik mit grofser Virtuofität aus-
geführt. Dafs aber der Architekt diefer Fagade mehr ein blendender
Dekorateur als ftrenger Componift war, beweift auch die fchwerfälHge Art,
wie er über dem weit vorfpringenden Hauptgefims das Ganze durch eine
Reihe gerader und gebogener Giebel abfchliefst. Endlich noch eine Be-
merkung über die Form der Portale: anftatt mit einem Bogen fchhefsen
fie mit einer polygon gebrochenen Oefifnung, ein Beweis, wie fehr man
damals auf Neues, Ungewöhnliches erpicht war.
Im Innern geftaltet fich der ungefähr quadratifche Hof mit breiten
Arkaden vorn und zur Linken ungemein fi:attlich ; aber die Verhältniffe leiden
unter einer gewiffen Schwere und die Formen der ionifchen Pilaflier, fowie
der reichen Ornamentik an barocker Ueberfchwänglichkeit. Die Flächen
find auch hier in Backfhein ausgeführt. In dem rückwärts liegenden Flügel
öffnet fich in der Mitte ein prachtvolles Barockportal, von mächtigen Hermen
eingefafst, deren Beine bis auf die Füfse in jenen wunderhchen Karten
ftecken, welche in der damaligen franzöfifchen Architektur behebt waren.
Als Erbauungszeit des immerhin impofanten Palaftes wird das Jahr 1612
angegeben.
Befonders phantaftifch geftaltet fich diefe Bauweife an der Maifon des
nourrices zu Narbonne.') Die Fagade darf man als eines der feltenen
Beifpiele bezeichnen, wo die Architektur in's Witzige und Komifche fällt.
Ein gekuppeltes Fenfter ifl: mit weibHchen Hermen eingefafst, die in
unglaubhcher Fülle wahre Prachtbeifpiele von Mutterbrüften hoch hinauf-
fchwellend zur Schau tragen und unterwärts in bauchige, fehler indifche
Formen, reich mit Akanthusblättern gefchmückt, auslaufen. Diefelben
Geftalten wiederholen fich in noch gröfserem Mafsfiiabe auf Confolen als
zweite Einrahmung der Fenfter, mit reich gefchmücktem Confolenfries ver-
bunden, deffen Zwifchenräume Löwenköpfe zeigen mit Ringen, an denen
Blumengewinde hangen. Den oberen Abfchlufs bildet ein eleganter Archi-
trav, ein Fries mit Akanthusblättern und ein reich gefchmücktes Gefimfe
mit Zahnfchnitten.
') Abb. in Taylor et Nodier, Voyages pitt. Langue^oc. Vol. II, i.
§ 85. Städtifche Wohngebäude in den füdlichen Provinzen.
321
Dasfelbe unvergleichlich prachtvolle Confolengefims und ähnliche glanz-
volle Ausbildung der Fenfter, nur ohne die Mutterkaryatiden findet man
an der Maifon des Chevaliers zu Viviers.^) Ueber einem ganz kahlen
Erdgefchofs erheben fich zwei obere Stockwerke und als Abfchlufs ein
kleineres Halbgefchofs. Die mit Kreuzftäben getheilten Fenfter werden
von vortretenden ionifchen und korinthifchen Säulen umfafst, über welchen
ein akanthusgefchmückter Confolenfries ähnlich wie in Narbonne den Ab-
fchlufs bildet. Die Vorliebe für diefe prachtvolle Form ift hier fo grofs
gewefen, dafs man auch unter den Fenftern des erften Stockes gewaltige
ähnlich verzierte Confolen und in den Zwifchenräumen Medaillons mit Bruft-
bildern in Hochrelief, in der Mitte ein helmgekröntes Wappen angeordnet
hat. Zwifchen den beiden Hauptgefchoffen zieht fich ein Relieffries mit
Reiterkämpfen, über dem oberen Gefchofs zierHches Blätter- und Ranken-
werk hin. Selbft die kleinen Fenfter des oberften Stockes haben ihren
Confolenfries und korinthifche Säulen, wozu noch Karyatiden und Hermen
und, um alle Formen zu erfchöpfen, fpiralförmig gewundene Säulen kommen.
Das Kranzgefimfe wird durch drei überkragende Reihen von Rundbögen
in etwas trockener Weife gebildet. Das Gebäude wurde um 1550 durch
Noel de St. Albans erbaut, der als Führer der Hugenotten in den Bürger-
kriegen hervortrat und den Tod durch Henkershand fand.
I) Abb. in Taylor et Kodier, Vogages pitt. Languedoc. Vol. II, Ser. 2.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffatice in Frankreich. II. Aufl.
VIIL KAPITEL.
DER PROFANBAU UNTER HEINRICH IV UND LUDWIG XIII
§ 86.
Weitere Umgestaltung der Architektur.
O gänzlich waren die letzten Decennien des i6. Jahr-
hunderts in Frankreich von Parteiung und Bürger-
krieg erfüllt, dafs die Kunft fich nicht frei zu ent-
wickeln vermochte. Auch mit der Thronbefteigung
Heinrichs IV (1589) war der Zuftand der Unruhe
lange noch nicht befeitigt , und erft 1 598 mit dem
Frieden von Vervins und dem Edikt von Nantes
athmete das Land nach fo langen Stürmen wieder
auf. Aber der öffentliche Zuftand war fo tief zerrüttet, die Finanznoth fo
drückend, Handel und Verkehr fo gelähmt, dafs es ftrenger Nüchternheit
und ausdauernder Energie bedurfte, um fo fchwere Schäden zu heilen.
Solche Zeiten fmd nicht dazu angethan, jene freie Stimmung zu fchafifen,
aus welcher die edle Blüthe der Kunft hervorkeimt. Vergleicht man daher
die Regierung Heinrichs IV mit den Zeiten Franz' I und felbft noch Hein-
richs II, fo bekommt man den Eindruck ernfter Mannesjahre voll Arbeit
und Mühen, die auf fröhliche Jugendtage mit ihrer Luft an den bunten
Spielen der Phantafie gefolgt fmd. Der Verftand, die Befonnenheit haben
jetzt die Herrfchaft, und während Sully die Finanzen wieder herftellt,
während der König mit allem Eifer den Bürgerftand zu heben, Handel und
Gewerbe zu fördern bemüht ift, mufs das Schöne hinter dem Nützlichen
zurücktreten. Wohl hat die Architektur auch jetzt wichtige Aufgaben zu
§ 86. Weitere Umgestaltung der Architektur.
323
löfen, aber diefelben gehören mehr dem letzteren als dem erfteren Gebiete
an. Es ift hauptfächlich der Bau von Strafsen und Kanälen, der den König
befchäftigt; es gilt durch Correctionen ganzer Plätze Stadtviertel den Be-
wohnern der Refidenz Luft und Licht zu geben, für die Wohlfahrt und
•Gefundheit des Volkes zu forgen. Das flnd die Ziele, welche in erfter
Linie jetzt der Architektur geftellt werden. Wohl haben wir darin für
die Kulturgefchichte einen Fortfehritt anzuerkennen, wenn auch die höhere
äfthetifche Löfung diefen Aufgaben noch fern bleibt.')
Bei folchem auf das Gemeinwohl zielenden Streben tritt der Schlofsbau
als der künftlerifch geadelte Ausdruck egoiftifcher Tendenzen mehr in den
Hintergrund. Umfangreichere Unternehmungen diefer Art werden unter
Heinrich IV nur auf den Fortbau des Louvre und des Schloffes zu Fontaine^
bleau, fowie auf die neuen Anlagen zu St. Germain verwendet. Bei diefen
Werken bemerkt man zum Theil ein Anfchhefsen an die Richtung der
vorigen Epoche, zum Theil entwickeln fich aber aus den fchon früher vor-
handenen Keimen die Anfätze zu einer neuen Behandlungsweife. Der
Grundzug derfelben beruht auf einer gewiffen Strenge und Nüchternheit, einer
kühlen Reflexion, wie fie folcher verftändig praktifchen Epoche natürlich ift.
Am meiften bezeichnend für diefe Richtung wird die maffenhafte Aufnahme
des Ziegelbaues, der in den vorigen Epochen doch nur die Ausnahme von
der Regel bildete. Nunmehr aber drängt er fich felbft bei den bedeutendlten
Bauten ein, ohne jedoch auch jetzt zu einer künftlerifchen Durchbildung,
etwa analog den norddeutfchen oder den oberitalienifchen Backfteinbauten
zu gelangen. Vielmehr wird auch jetzt an der Verbindung mit Haufteinen
feftgehalten, und jede charakteriftifche Form, die Ecken, Fenftereinfaffungen
und Gefimfe in Quadern durchgeführt. Diefe Gebäude mit ihren fchweren
Gliedern und dunklen Maffen machen wohl einen tüchtig gediegenen, aber
oft auch trübfehg mürrifchen Eindruck. Der Quaderbau felbft aber nimmt
überwiegend den Charakter der Ruftica an, die noch allgemeiner als in
der vorigen Epoche fich Bahn bricht und auch die Pilafter- und Säulen-
ordnungen mit in ihr Bereich zieht. Im Zufammenhange damit werden
alle Formen derber gebildet, die Arabesken und leichteren Ornamente
durch fchwere Cartouchen verdrängt, namenthch aber die feineren und
reicheren Ordnungen des ionifchen und noch mehr des korinthifchen Stils
zu Gunften eines nüchternen Dorismus befeitigt. Es ift bemerkenswerth,
dafs die Renaiffance überall, in Italien wie in den andern Ländern, den-
felben Weg vom Reichen und Zierhchen zum Nüchternen und Trockenen
zurücklegt, während die antikrömifche Kunft, fowie die griechifche vor
') Diefe Seite der baulichen Thätigkeit Heinrichs IV bietet bemerkenswerthe Analogieen
mit jenen ftädtifchen Wohnh ausbauten, welchen Friedrich der Grofse in Berlin und Potsdam
.in ganz ähnlicher Abficht fo viel Eifer zuwendete.
21*
324
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
ihr in entgegengefetzter Linie fich entwickelt haben. Ebenfo bezeichnend
erfcheint es, dafs während die Frührenaiffance fo fehr dem Kleinen und
Zierlichen ergeben war, dafs fie diefer Richtung felbft im Grofsen oft zu
weit nachgab, jetzt umgekehrt die Tendenz auf das Grofse, Bedeutende,
Mächtige fo überhand nimmt, dafs felbft da, wo das Kleine und Zierliche
am Platze wäre, dasfelbe ins Schwere und Plumpe umgewandelt wird.
Wo man trotzdem den Ausdruck von Reichthum und Pracht erftrebt,
gefchieht das durch derbe Häufung und barocke Umgeftaltung der Glieder,
wobei verkröpfte Gefimfe, durchbrochene und gebogene Giebel, kraufes
Cartouchenwerk eine Hauptrolle fpielen, Befonders ausgedehnten Gebrauch
macht man aber von allerlei gekünftelten Verzierungen , mit welchen man
die Ruftica ausftattet. Sie wird oft in ganzer Ausdehnung mit jenen wie
Gewürm verfchlungenen Linienfpielen bedeckt, zu welchen verfchiedenes
reichere Ornament, Laubwerk, befonders Lorbeerzweige, und felbft Embleme
aller Art fich gefellen. An Stelle einer klaren und wirkfamen plaftifchen
Ghederung tritt in folchen Fällen alfo eine rein malerifche, freilich mit den
Mitteln der Plaftik hergeftellte Dekoration.
Soll dagegen eine durchgreifende architektonifche Gliederung gewonnen
werden, fo geht man auf dasfelbe Streben nach Gröfse und »Majeftät« aus,
welches fchon in der vorigen Epoche die Koloffal-Ordnungen hervorgerufen
hatte. In der Regel wird alfo eine riefige Pilafterftellung zur Charakteriftik
für zwei Stockwerke verwendet.
Für die Gefammtanlage der Gebäude hält man auch jetzt an den Grund-
zügen feft, welche aus den nationalen Sitten und Anfchauungen fich heraus-
gebildet hatten, nur dafs bisweilen dem italienifchen Einflufs mehr Spiel-
raum geftattet wird. Indeffen vermag derfelbe die hohen Dächer mit ihren
Giebeln und Schornfteinen , fowie die Pavillons und die durch diefelben
bedingte malerifche Gruppirung der Gebäude doch nicht zu befeitigen.
Der hier in kurzen Zügen gefchilderte Stil bleibt auch während der
Regierung Ludwigs XIII in Kraft, nimmt aber allmählich die Elemente
eines ftrengen und zugleich feineren Clafficismus auf. Namentlich gilt dies
von der inneren Dekoration der Räume, bei welcher die wilde Ueberladung,
die aus der Schule von Fontainebleau fich feit 1550 verbreitet hatte, einer
mafsvoUeren Behandlung und eleganteren Gliederung weicht. Eingelaffene
Gemälde in plaftifch durchgebildeten Rahmen, auch wohl in elegant can-
nelirte Pilafterftellungen gefügt, kommen dabei häufig zur Anwendung und
werden von den noch immer mit Virtuofität behandelten reichgefchnitzten
Holzdecken, deren Felder häufig ebenfalls Gemälde zeigen, unterftützt.
Diefe Dekoration enthält die Keime, aus welchen in confequenter Fort-
bildung fich der Stil der Zeit Ludwigs XIV entwickeln follte. Entfchei-
dend für diefe Behandlungsweife wird der Umftand, dafs inzwifchen eine
87. Arbeiten am Louvre.
325
nationale Schule von bedeutenden Malern fich herangebildet hat, deren
berühmtefte Vertreter, wie Simon Vouet, Nicolas Pouffin, Philippe Cham-
paigne, Euftache le Sueur, Charles le Brun in der Ausfchmückung diefer
Prachtgemächer wetteifern.
Unter diefer ftarken Strömung verfch winden jetzt die letzten Spuren
romantifcher Ritterlichkeit und feudaler Selbflherrlichkeit. Die gewaltige
Hand Richelieus wirft die Grofsen des Landes nieder und befeitigt damit
die fpärHchen Anklänge, welche noch an das Mittelalter erinnerten. Die
vornehmen franzöfifchen Kreife bilden jetzt erfb ihren modernen Charakter
aus und werden zu einer geiftreichen Gefellfchaft der Salons. Damit ver-
fchwindet denn auch in den Anlagen der Schlöffer der letzte Reft feudaler
Reminiscenzen : die Thürme und häufig felbft die Pavillons, die Waffer-
gräben mit ihren Zugbrücken, die vorgebauten Treppenhäufer mit ihren
Wendelftiegen, ftatt deren die Treppen mit geradem Lauf angelegt und
ins Innere hineingezogen werden. Auch die Anordnung und Verbindung
der Zimmer gewinnt überwiegend den Charakter des Privaten und Wohn-
lichen und deutet auf eine Gefellfchaft, die mehr den Intereffen des Frie-
dens , der Kunft und Literatur als dem der rauheren Beftrebungen , der
Jagd und des Krieges zugethan ift. Selbft ein anfcheinend fo geringfügiger
Umftand wie der, dafs nunmehr die Fenfter die fo lange behaupteten ftei-
nernen Pfoften des Mittelalters gegen ein hölzernes Rahmenwerk vertau-
fchen , ift bezeichnend für den neuen Geift , der in die Architektur ein-
dringt.
U den erften Unternehmungen Heinrichs IV , nachdem er in Befitz von
Paris gelangt war, gehört der weitere Ausbau des Louvre. Der König
wünfchte dadurch nicht blofs den Künftlern und Handwerkern dauernde
Befchäftigung zu bieten, fondern auch, was in jenen noch immer unruhigen
Zeiten nahe genug lag, für feine Sicherheit zu forgen. Defshalb liefs er
die fchon begonnene Galerie zur Verbindung von Louvre und Tuilerien
energifch aufs Neue in Angriff nehmen und vollenden ; denn da die Tui-
lerien damals noch aufserhalb der Stadt, durch Wall und Graben von diefer
getrennt waren, fo durfte er hoffen , durch eine gedeckte Verbindung mit
denfelben fich eine fiebere Rückzugslinie für äufserfte Nothfälle herzu-
ftellen.
Unter diefen Gefichtspunkten mufste man fich den unter Katharina von
Medici ausgeführten Bauten zunächft anzufchliefsen fuchen. Die kleinere
Galerie (4 auf dem Grundrifs S. 229), welche bis dahin nur aus einem
Erdgefchofs, mit einer Terraffe beftanden hatte, wurde um ein Stockwerk
§ 87-
Arbeiten am Louvre.
326 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
erhöht. Die lange Galerie (7) , welche gleichfalls blofs ein Erdgefchofs
gebildet hatte, erhielt ein oberes Stockwerk und, zur Ausgleichung der
Höhe, ein Mezzaningefchofs. Zugleich aber wurden in Uebereinftimmung
mit den oberen Theilen auch die unteren mit der Dekoration ausgeftattet,
welche fie jetzt noch zeigen. (Fig. 1 14.)
Bei diefen Arbeiten hat offenbar die Abficht vorgewaltet, fich den
inneren Fagaden Lescots im Charakter möglichft zu nähern und in gewiffen
Hauptformen zugleich an die Tuilerien de l'Ormes zu erinnern. Letzteres
gilt befonders von den Pilafterfyftemen des Erdgefchoffes , die an hervor-
ragenden Theilen fich mit frei vortretenden Säulen verbinden. Es ift die
»franzöfifche Ordnung« de l'Ormes in der vollen ornamentalen Pracht und
dem Reiz der Behandlung, wie fie fchon am Hauptbau der Tuilerien fich
findet. Die reich gefchmückte Ruftica, welche damit in Verbindung gefetzt
ift, entfpricht dem künfllerifchen Streben der in Rede ftehenden Epoche.
Ein üppiger Fries mit Laubwerk, Emblemen und Genien (vgl. Fig. 87 auf
S. 249) bildet den Abfchlufs des Erdgefchoffes.
Noch reicher, noch eleganter find die beiden oberen Stockwerke durch-
geführt. Die Fenfter der Mezzanina haben feine Pilafter, die Wandfelder
zwifchen ihnen graziös ausgebildete Rahmen. Ein Fries mit üppigem Laub-
gewinde fchliefst unter kräftiger Gefimsplatte auch diefs Halbgefchofs als
ein felbftändiges ab. Dann folgt das Hauptgefchofs mit feinen grofsen
Fenftern, die fo weit auseinander liegen, dafs nicht blofs für doppelte
Pilafterftellungen, fondern abwechfelnd mit den Fenftern noch für Nifchen
mit Statuen genügender Raum bleibt. Dadurch fowie durch die abwechfelnd
geraden oder runden Giebel , welche jedes Fenfterfyftem krönen , ift dem
langgeftreckten Bau der Eindruck rhythmifcher Bewegung und fchöner
Mannigfaltigkeit gewahrt und jede Monotonie aufs Glücklichfte vermieden.
Uns fcheint diefe Fagade mit ihren fein cannelirten korinthifchen Pilaftern,
den Trophäengruppen zwifchen ihnen, den reichen laubgefchmückten Friefen
und den Bildwerken in den Giebeln eine der gelungenften Compofitionen
der franzöfifchen Renaiffance.
Diefe Anordnung findet noch einen Anklang bei der Behandlung des
anftofsenden Pavillons (6) und dem daneben liegenden Portal Lesdiguieres.
Von da an beginnt die in unfrem Plan Fig. 85 mit (11) bezeichnete weft-
liche Hälfte der Galerie, welche fammt dem an die Tuilerien ftofsenden
Theil (10) die Verbindung mit den letzteren herftellt. Vergleicht man diefe
Partieen mit der oben befprochenen , fo würde man kaum glauben, dafs
beide derfelben Zeit angehören. Und doch find letztere gleich den erfteren
unter Heinrich IV ausgeführt worden. Wüfsten wir etwas Genaueres von
den Künftlern, welche dabei betheiligt waren, fo hätten wir vielleicht einen
Anhaltspunkt zur Erklärung diefes auffallenden Gegenfatzes. Der Architekt
§ 87. Arbeiten am Louvre. 327
der weftlichen Galerie hat nämlich fich von der Anordnung, welche die
übrigen Theile des Louvre wie der Tuilerien beherrfcht, frei gemacht und
an Stelle der kleineren , für jedes Stockwerk felbftändigen Ordnungen eine
einzige koloffale Pilafterftellung zur Dekoration feiner Fagaden gewählt. Je
zwei cannelirte korinthifche Pilafber erheben fich auf hohem Stylobat und
fteigen bis zum Gefimfe auf, wo fie durch ein fchweres Gebälk verbunden
fmd. Plumpe Giebel, abwechfelnd gerad oder gebogen, von Trophäen aus-
gefüllt, bilden die Bekrönung. Diefs ift das einzige Motiv, welches von
Fig. 114. Louvre-Galerie Heinrichs IV. (Baldinger nach Phot.)
dem öftlichen Theil entlehnt, aber durch die Schwerfälligkeit der Verhält-
niffe ins Häfsliche entftellt ift. Ebenfo unfchön mufs man es nennen, dafs
die grofsen Fenfter des oberen Gefchoffes, in rückfichtslofer Weife das Ge-
bälk durchfchneidend, unmittelbar hart an das Kranzgefims ftofsen. Das
Streben nach Grofsartigkeit hat den Architekten alfo nicht blofs zu einer
innerlich unwahren Dekoration, fondern auch zu unfchönen Verhältniffen
und einer ebenfo nüchternen als fchwerfälligen Behandlung verführt, die
aufserdem noch das Gepräge einer öden Monotonie trägt. Wollte er diefe
mm
328 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
vermeiden, fo hätte er vor Allem durch wh-kfame Gruppirung den Maffen
einen belebten Rhythmus fchafifen müffen.')
Die Frage nach dem Urheber diefer Theile läfst fich mit Sicherheit
nicht beantworten, Dafs Baptiße du Cerceau Architekt Heinrichs IV war,
ift feftgeftellt. Ihm folgte, da er 1602 fchon nicht mehr lebte, fein Bruder
Jacques, der bis 16 14, alfo noch einige Jahre unter Ludwig XIII thätig
war. Es ift wahrfcheinlich, dafs Beide an den Louvregalerieen gearbeitet
haben ; welche Theile man aber dem Einen, welche dem Andern zufchreiben
darf, wird fich kaum ermitteln laffen. Aufserdem find aber auch zwei
Glieder der Familie Metezeau^) als Architekten des Königs in derfelben
Epoche bezeichnet, und alte Nachrichten wollen ihnen ebenfalls Antheil
an der Louvregalerie vindiciren. Es ift Thibault Metezeau, der jedoch 1596
nicht mehr am Leben war und als Nachfolger beim Louvrebau feinen Sohn
Louis hatte, welcher 161 5 ftarb. Aber auch von diefen Künftlern wiffen
wir nichts Genaueres über ihren Antheil an dem Werke. Wahrfcheinlich
jedoch haben wir die eine Hälfte den beiden Metezeau, die andere den
beiden du Cerceau zuzufchreiben. Welche aber, das ift zweifelhaft.
Unter Ludwig XIII blieb längere Zeit der Bau ruhen, bis Richelieu
ihn wieder aufnahm. Man wandte fich aber jetzt dem unvollendet geblie-
benen Lescot'fchen Baue zu, und der gefchickte Architekt Lemercier wurde
1624 mit der Ausführung betraut. Um aber das Werk den inzwifchen
gefteigerten Anfprüchen gemäfs umzugeftalten , vergröfserte man den Plan
Lescot's um das Vierfache, machte den nördlichen Eckpavillon (pavillon
de l'horloge) zur Mitte der doppelt fo langen Weftfagade und führte die
auf unferem Plan mit (12) bezeichneten Theile des weftlichen und nördlichen
Flügels aus. Das Verdienft Lemerciers ift es, dabei die Anordnung und
Dekoration des LeScot'fchen Baues feftgehalten und dem Louvrehofe für
die Folge feine künftlerifche Harmonie gewahrt zu haben. Der obere Ab-
fclilufs des Pavillons mit den Karyatiden, welche drei Frontons über einander
tragen, und mit dem hohen Kuppeldach ift nicht tadellos, aber doch im
Verhältnifs zu der Willkür des damaligen Kunftgefchmacks immer noch
anzuerkennen. Namentlich ift nicht zu leugnen, dafs die Karyatiden, das
gepriefene Werk des talentvollen Bildhauers Sarazin, zwar etwas zu nlalerifch
gedacht, aber im Vergleich zu fo manchen phantaftifch barocken Schöpfungen
der Epoche, immer noch als mafsvoll, edel und anmuthig zu bezeichnen find.
') Um nicht ungerecht zu fein, müffen wir indefs daran erinnern, dafs die Disharmonie
zwifchen der öfllichen und weftlichen Hälfte der Galerie urfprüngHch weniger bemerkbar
war, weil beide Theile damals noch durch einen mächtig vorfpringenden alten Befeftigungs-
thurra, fowie durch den Wall und Graben, welche dort die Stadt abfchloffen, getrennt,
wurden. — ^) A. Berty les grands architectes, p. 121 flf.
§ 88. Arbeiten in Fontainebleau. 329
An Stelle Lemercier's trat unter Ludwig XIV feit 1660 Levau, der
die übrigen Fagaden des Hofes (13) in Angriff nahm und die durch Brand
zerftörte Apollogalerie wieder herftellte. Zugleich vollendete er den
Pavillon Marfan und damit den nördlichen Flügel der Tuilerien (14). Sodann
wurde feit 1665 nach Perraults Plänen die Oftfeite (15) mit der koloffalen
Säulenhalle errichtet, die unharmonifch dem Uebrigen fich anfügt, aber der
Vorliebe Ludwigs XIV für das Majeftätifche fchmeichelte. Nach diefen
Arbeiten gerieth der Louvre, der noch immer unvollendet war, in Verfall,
das Schickfal des Königthums theilend, und als letzteres geftürzt war, fall
der gewaltige Bau einer verfallenen Ruine gleich. Erft Napoleon liefs durch
Per der und Fontaine den Palaft wieder herftellen und weiter ausführen.
Die weftliche Hälfte der Nordgalerie, die an die Tuilerien grenzt (16), und
die auf derfelben Seite an den Louvre ftofsenden zu einer Kapelle beftimmten
Theile (16) entftanden in diefer Zeit. Den Abfchlufs haben dann neuer-
dings die unter dem zweiten Kaiferreich ausgeführten Theile (18) gemacht.
Die Pläne Visconti' s haben dabei leider ftarke Umgeftaltungen erfahren,
und Alles ift in jenem aufgebaufchten marktfchreierifchen Stile durchgeführt,
welcher der entfprechende Ausdruck für die jetzt (1868) in Frankreich herr-
fchenden Gefellfchaftskreife zu fein fcheint.
§ 88.
Arbeiten in Fontainebleau.
MEHR als am Louvre, wo die Rückficht auf frühere Theile die neueren
Ausführungen bedingte, läfst fich der Charakter der Epoche Hein-
richs IV an den Bauten erkennen , welche er dem Schlöffe Fontainebleau
hinzufügte. Dahin gehören zunächft die auf dem Gefammtplan S. loi mit
H bezeichneten Theile. In drei Flügeln einen grofsen Hof umgebend, fuid
diefe Gebäude untergeordneten Dienftzwecken beftimmt und tragen demnach
das Gepräge ftrenger Einfachheit, die im Geifte der Zeit fich nicht ohne
Nüchternheit ausfpricht. Die Verbindung von Ziegelbau mit Quadern, die
fchmucklofe ja plumpe Einfaffung der Fenfter und Thüren, die Abwefenheit
jeder feineren oder lebensvolleren Form giebt diefen Gebäuden einen trockenen
Ausdruck, obwohl das Ganze durch die tüchtigen Verhältniffe und die
glückliche Maffengliederung, unterftützt namentlich durch Pavillons auf den
Hauptpunkten, eine würdig folide Wirkung macht. Die grofsen Halbkreis-
nifchen, welche die Hauptfagade in der Mitte durchbrechen, tragen dazu
das Ihrige bei (Fig. 115). Jedenfalls gehören diefe Theile zu den Muftern
deffen, was man damals unter ländlichem Charakter in der Baukunft verftand.
Gröfsere Pracht dagegen entfaltete fich an dem Portal, welches unter
der Bezeichnung »Baptifterium Ludwigs XIII« den ovalen Hof des Schloffes
an der öftlichen Seite abfchliefst. Seinen Namen erhielt es dadurch, dafs
330 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
in feinem kuppelartigen Oberbau die Taufe des Dauphins ftattfand. Der
Bau hat die imponirende Form eines Triumphbogens, doch in ganz freier,
origineller Compofition. Ein weiter Bogen öffnet fich in der Mitte, auf den
Seiten flankirt durch Nifchen, welche von kurzen Pilaftern mit korinthifchen
" «'1 f 30 //O iO'Par.
Fig. 115. Fontainebleau. Aus dem Hofe Heinrichs IV. (Pfnor.)
Phantafiekapitälen eingefafst werden. Ueber den Nifchen find Medaillons mit
Büften, umkränzt von fchweren Blattgewinden, angebracht. Die Formen fuchen
fich den mannichfach variirten Beifpielen derFrührenaiffanceanzufchliefsen, aber
die derben Glieder und das üppig kraufe Blattwerk bezeugen deutlich genug
die fpäte Zeit. Ueber dem Mittelbau erhebt sich nun ein nach vier Seiten
geöffneter und mit gefchweiftem Kuppeldach gefchloffener Bogen. Diefe
Form ifl: nicht frei von barocker Willkür, aber das Ganze macht doch einen
prächtigen Eindruck und giebt dem Hofe einen impofanten Abfchlufs.
§ 88. Arbeiten in Fontainebleau.
Aufserdem wurden unter Heinrich IV die Hi r fchgaleri e und die
über derfelben liegende Galerie der Diana hinzugefügt, von denen die erftere
unter Ludwig XV zu Wohngemächern umgeftaltet wurde. Auch diefe
Theile (vgl. Fig. 116) tragen fehr entfchieden das Gepräge diefer Epoche
durch die derben Formen und die Mifchung von Ziegelbau mit Quadern.
Doch zeugt auch hier die Behandlung vom Walten eines energifchen und
10 . 20'Par.
1 !
Fig. 116. Fontainebleau. Hirschgalerie. (Baldinger nach Pfnor.)
bewufsten Künftlergeiftes. Zu den barocken Wunderlichkeiten gehören die
ftellenartig verjüngten Pilafter des oberen Gefchoffes mit ihrer Voluten-
krönung, von welcher ein Laubkranz herabhängt; befonders aber die durch-
brochenen Gefimfe der Fenftergiebel und die phantaftifchen Voluten, welche
das mittlere Fenfter einfchliefsen. Als Architekt diefer neuen Theile wird
Etienne Duperac von Bordeaux genannt, der feine Studien in Italien gemacht
332
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
hatte und wie du Cerceau felbft den Grabftichel führte. Wir befitzen aufser
einer Anzahl einzehier Blätter von ihm ein Werk über die Alterthümer
Roms und malerifche Anflehten der Gärten von Tivoli , fowie Abbildungen
der Peterskirche und des römifchen Capitols. Er war zugleich Maler und
hatte nicht blofs Gemälde für das Badezimmer von Fontainebleau, fondern
wahrfcheinlich auch die Dekoration der erwähnten Galerieen ausgeführt.
Aufserdem rührte von ihm die Rehgalerie, die fich mit einem Bogengang
von ca. 1 20 Fufs Länge der Dianengalerie gegenüber öffnete und mit Land-
fchaften und Jagdfcenen bemalt war. Diefe Galerie ift fpäter völlig zer-
ftört worden. Endlich gehört zu den Ausführungen diefer Zeit der Umbau
und die glänzende Ausfchmückung der Dreifaltigkeitskapelle, deren Dekora-
tion in prachtvoller W^eife und in Formen von ziemlich reinem Clafficismus
durchgeführt ift. An ihren Gemälden war hauptfächHch Freminet, ein
damals gefchätzter Maler, betheiligt.
Unter Ludwig XIII wurde endlich durch Lemercier die berühmte huf-
eifenförmige Treppe erbaut, welche den Haupteingang aus dem grofsen
äufseren Hofe in den Mittelbau bildet. Die heutige Anfchauung fchätzt
diefe malerifchen Treppenanlagen der Barockzeit gering. Indefs entfalten
fie in ihrer grandiofen Wirkung perfpektivifche Reize, von denen fich unfere
Aefthetik nichts träumen läfst.
§ 89.
Bauten zum öffentlichen Nutzen.
UNTER Heinrich IV äufsert fich zum erften Mal in Frankreich das
Streben der Renaiffance, in gröfserem Umfange das Gefetz der Sym-
metrie und der Regelmäfsigkeit bei der Anlage von Strafsen und Plätzen,
ja von ganzen Stadtvierteln zu entfalten. In bedeutendem Umfange führte
Heinrich IV diefe Idee bei der Place Roy ale ins Leben. ^) Der Bau
begann 1605 und wurde erft zwei Jahre nach des Königs Tode 161 2
vollendet. Ehemals ftand auf diefem Platze das Hotel des Tournelles,
welches Katharina von Medici nach dem Tode ihres Gemahls hatte zer-
ftören laffen. Der Platz bildet ein weites Viereck, rings von regelmäfsigen
Gebäuden umzogen, die im Erdgefchofs fich mit 144 Arkaden öffnen. Ein
umgitterter Rafenplatz mit Baumgruppen, zwei Springbrunnen und das
Reiterbild Ludwigs XIII an Stelle der in der Revolution zerftörten alten
Statue in neuerer Zeit errichtet, nimmt die Mitte des Platzes ein. Die
Architektur, aus Backftein und Quadern gemifcht, macht einen ftrengen
und düfteren Eindruck, der durch die 35 hohen Pavillons, in welche die
Maffe der Dächer aufgelöft ift, noch gefteigert wird. Die Schönheit tritt
') Aufn. in Blondel, Archit. Francoife, Vol. II.
§ 89. Bauten zum öffentlichen Nutzen. 333
hier hinter die Herrfchaft blofser Zweckmäfsigkeit zurück, letztere aber ift
in nachdrücklicher Weife betont, fo dafs das Ganze in feiner Art bei aller
Strenge doch das Gepräge klarer Gefetzmäfsigkeit und Tüchtigkeit gewinnt.
Die zweite Schöpfung diefer Art ift die Place Dauphine, 1608
auf zwei ehemaligen Infein der Cite angelegt. Die Gebäude tragen den-
felben Charakter, der aus der Verbindung von Ziegelbau und Quadern fich
ergiebt. Nur ift hier der Ausdruck noch etwas ftrenger und nüchterner
und die Anwendung der Ruftica noch hervortretender als auf der Place
royale. Der Platz, der die wefentliche Spitze der Infel bildet, hat drei-
eckige Grundform.
Grofsartiger wäre ein dritter Platz geworden, welcher als Place de
France an der Stelle des Marais fich ausdehnen und diefe Unternehmungen
zur Verfchönerung und Verbefferung der Stadt abfchliefsen follte. Diefer
Platz hätte in grofsem Umkreis einen Halbmond befchrieben, deffen Durch-
meffer von der Baftille bis zur Rue du Temple fich erftrecken würde. Acht
Hauptftrafsen follten ftrahlenförmig von hier ausgehen und die Namen der
Hauptprovinzen Frankreichs tragen, während den Verbindungsftrafsen die
Namen der untergeordneten franzöfifchen Provinzen zugedacht waren. Zwi-
fchen den Hauptftrafsen follte jede der fieben Gebäudemaffen über einem
Erdcrefchofs mit Arkaden fich in zwei Stockwerken von Backftein und
Quadern erheben, jede als befonderer Pavillon mit hohem Dach gefchloffen.
Der Plan zu diefer grofsartigen Anlage ftand bereits feft, als durch die
Ermordung des Königs diefem gleich fo vielen andern Entwürfen ein Ziel
gefetzt wurde.
Von den zahlreichen übrigen Bauten zum öffentlichen Nutzen heben
wir die Vollendung des Pont Neuf^) hervor, deffen Bau der König von
1602 bis 1607 zur Ausführung brachte. Damit hing die Verlängerung der
Infel der Cite nach der Weftfeite zufammen, die durch Verbindung zweier
kleiner Infein bewerkftelligt wurde. Die Brücke trat dadurch in Berührung
mit der Cite und wurde in zwei felbftändige Theile gefchieden. Ferner
liefs der König die Wafferleitungen von Belleville und der Pres-St. Gervais
wieder herftellen, welche den nördlichen Theil von Paris mit Waffer ver-
fahen; ebenfo liefs er die Brunnen, welche von ihnen gefpeift wurden, wieder
herftellen und eine Anzahl neu errichten. Auch verfchiedene Quais wurden
neu gefafst und die Mauern und Thore der Stadt ausgebeffert.
Es ift bezeichnend, dafs diefser Freund des Bürgers und des Volkes
der erfte unter den Herrfchern Frankreichs war, weicher Bauten für den
öffentlichen Nutzen und nicht blofs Prachtwerke zum eigenen Vergnügen
0 Aufn. bei A. Berty, la renaiffance monum. Vol. I. — Blondel, Archit. Fran^oife,
Vol. II.
334
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
ausführen liefs. Im Verhältnifs zu der kurzen Regierungszeit, die ihm
befchieden war, mufs man die Zahl und die Bedeutung der von ihm errich-
teten Bauten anfehnhch nennen.
i\| der Künfte auf, und diefe Kunftliebe, ein Erbtheil ihres väterlichen
Haufes, würde vielleicht die widerwärtigen Eigenfchaften diefer ränkevollen
und herrfchfüchtigen Florentinerin vergeffen machen, wenn nicht auch durch
ihre Beziehungen zur Kunft ein erkältend froftiger Hauch hindurchginge.
Froftig in hohem Grade ift denn auch das Hauptwerk, welches die Archi-
tektur auf ihre Veranlaffung hervorgebracht hat. Im Jahre 1612 kaufte fie
das Hotel und die Gärten des Herzogs von Luxembourg, fowie mehrere
benachbarte Grundftücke, und liefs von 161 5 durch Salomon de Brojjfe,^)
einen Neffen des jüngeren Jacques Androuet du Cerceau, fich das pracht-
volle Palais errichten, welches noch jetzt vorhanden ift,^) In der auffallend
kurzen Zeit von fünf Jahren war der ganze Bau vollendet, und 1620 konnte
Rubens berufen werden, um feine berühmten Gemälde für die Galerie aus-
zuführen.
Von dem Meifter des Baues wiffen wir nur, dafs er zu Verneuil geboren
war, ohne indefs das Jahr feiner Geburt zu kennen. Vermuthen läfst fich,
dafs er nach der Sitte der Zeit feine Studien in Italien gemacht hat, Wenig-
ftens deutet fein Werk felbft darauf hin, denn die Architektur desfelben
«rinnert an Ammanati's Hof des Palazzo Pitti zu Florenz, nur dafs dort
einfache, hier gekuppelte Pilafterftellungen die Flächen gliedern. Im Uebrigen
ift die oft behauptete Aehnlichkeit des Luxembourg mit dem Palazzo Pitti
ein Märchen. Die Anlage zeigt vielmehr einen durchaus franzöfifchen
Grundrifs, und ebenfo im Aufbau die hohen Dächer und die dominirenden
Pavillons.
Schon das ift in der Anordnung des Grundplans durchaus der fran-
zöfifchen Sitte entfprechend, dafs ein ungefähr quadratifcher Hof, auf drei
Seiten von Galerieen eingefafst, den Hauptbau von der Strafse trennt. In
der Mitte des äufseren Flügels, der nur aus einem Erdgefchofs mit einer
Terraffe befteht, erhebt fich ein zweiftöckiger mit einer Kuppel gekrönter
Portalbau von ftattlicher Wirkung. Auf beiden Ecken wird diefer Vorder-
bau flankirt durch Pavillons mit fteilen Dächern, über dem Erdgefchofs mit
§ 90.
Der Palast des Luxembourg.
dem Tode Heinrichs IV trat Maria von Medici als Befchützerin
So, nicht Jacques, wie bisher allgemein angenommen, ift der Taufname des Künft-
lers. Vgl. Berty, les grands architectes, p. in, der fich auf neuere Entdeckungen des Herrn
Charles Read bezieht. — 2) Aufn. bei Blondel, archit. Fran?. Vol. II.
§ 90. Der Palaft des Luxembourg.
335
zwei oberen Stockwerken emporgeführt. Die beiden Seitenflügel des Hofes,
die fich den Pavillons anfchliefsen , beftehen aus einem Erdgefchofs und
einem oberen Stockwerk , welches eine Galerie von i8 Fufs Breite bei
i8o Fufs Länge enthält. Die zur Rechten liegende Galerie war mit den
grofsen Bildern von Rubens gefchmückt, welche fpäter in das Mufeum des
Louvre übertragen wurden. Der Hauptbau fchliefst zweiftöckig über einem
Erdgefchofs den Hof ab, fchiebt aber an beiden Endpunkten fowohl gegen
den Hof wie gegen den Garten zwei mächtige Pavillons vor , die nur da-
durch über den Hauptbau fich etwas erheben, dafs das obere Stockwerk,
an den übrigen Bautheilen etwas niedrig, bei ihnen um 6 Fufs höher geführt
ift. Gegen den Hof wurde der Vorfprung der Pavillons ehemals durch eine
fchöne mit einer Baluftrade gefchloffene Terraffe verbunden, zu welcher in
der Mitte eine halbrunde Freitreppe emporführte. Die Mitte des Haupt-
baues nimmt ein kleinerer Pavillon ein, der die grofsartige mit doppeltem
Lauf anfteigende Treppe enthält. Nach der Rückfeite gegen den Garten
ift ein halbkreisförmiges Veftibül vorgelegt, im Hauptgefchofs die Kapelle
enthaltend und mit einem Kuppelbau bekrönt. Zu beiden Seiten fchliefst
fich eine Galerie zur Verbindung mit den Eckpavillons an.
Ift diefe Anordnung in ihrer Klarheit und vornehmen Würde als Mufter
eines Palaftbaues zu bezeichnen, fo hat der Architekt eine faft feierliche
Ruhe im künftlerifchen Aufbau walten laffen, fo dafs an allen Seiten und
in jedem Theile des Baues diefelbe Ordonnanz die Maffen gliedert. Gekup-
pelte Pilafter, im Erdgefchofs toskanifche, im erften Stockwerk dorifche
mit Triglyphenfries, im zweiten ionifche, find am ganzen Bau mit ftrenger
Confequenz durchgeführt. Dabei find die Pilafter wie die Wandflächen in
Ruftica behandelt, aber nicht in jener dekorativ fpielenden der Louvregalerie
und der Tuilerien, fondern in einer herben Schlichtheit, die allen Schmuck
verfchmäht. Nur an den Mittelbauten, welche die Eingänge enthalten^
kommen Säulenftellungen vor; vegetabilifcher Schmuck ift nirgends, ftatua-
rifcher mit höchfter Sparfamkeit, hauptfächlich an den Giebelfeldern der
Eckpavillons angebracht. Auffallend namentlich ift, dafs der Architekt die
Gartenfeite ganz in demfelben ernften Stile durchführt wie die Stadtfeite,
und dafs fein Streben offenbar auf völlige Einheit, ja Einförmigkeit ge-
richtet ift.
Ohne Frage macht diefe nüchterne Aufifaffung einen etwas erkältenden
Eindruck; es ift eine Architektur, welche fleh nur an den Verftand, gar
nicht an die Phantafle wendet. Unterftützt wurde folche Aufifaffung freilich
dadurch, dafs wie wir wiffen die Renaiffancezeit in der Ruftica und dem
dorifchen Stile den Ausdruck des Ländlichen zu finden glaubte. Aber diefe
Grenzen der Aufifaffung und der mehr reflektirenden als phantaflevollen Be-
gabung einmal zugegeben, wird man geftehen müffen, dafs es ein bedeu-
336
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
tender und ächter Künftler ift, der diefes Werk gefchaffen, und der in einer
Zeit, welche der Willkür in barocken Ausfchreitungen huldigte, folche Rein-
heit und Strenge des Stiles feftzuhalten wufste.
Den Reiz der Anlage vermag man indefs erft zu würdigen, wenn man
fich an den unvergleichlich fchönen Garten erinnert, der leider feit einigen
Jahren durch die nimmerfatte Veränderungsluft der Franzofen fo gut wie
zerftört worden ift. Das Blumenparterre mit feinem Baffm und Spring-
brunnen und feinen Statuen, eingefafst von mächtigen Baumgruppen; die
fchöne Verbindung, welche zwifchen dem Garten und der Architektur
beftand und eine lebensvolle Wechfelwirkung erzeugte, das Alles gab dem
Ganzen erft die Vollendung. Die Grottenanlage an der linken Seite des
Parks ift ein charakteriftifches Beifpiel jener ins Naturwüchfige übergehen-
den Ruftica, welche die Renaiffance für folche Zwecke anzuwenden liebte.
§ 91-
Andre Werke von de Brosse.
EINIGE Jahre vor der Ausführung feines Hauptbaues errichtete de Broffe,
der felbft Hugenott war, zu Charenton das Bethaus der Prote-
ftanten, zu deffen Aufführung Heinrich IV die Erlaubnifs gegeben hatte.
Es wurde 1606 begonnen, aber 1685 nach Zurücknahme des Edikts von
Nantes zerftört. Der Bau mufs ein befonderes Intereffe dargeboten haben,
denn der Architekt hatte dabei das Vorbild der antiken Bafiliken im Auge
und errichtete das Gebäude als koloffales Rechteck, welches rings auf allen
Seiten von drei Galerieen umzogen war. Die untere Säulenftellung befolgte
die toskanifche, die zweite die dorifche, die oberfte die ionifche Ordnung.
Drei Portale vermittelten den Zugang und einundachtzig Fenfter gaben dem
Räume reichliches Licht. Das Innere wie das Aeufsere enthielt fich in pro-
teftantifcher Einfachheit jeden Schmuckes und zeigte diefelbe nüchterne
Strenge, welche einen allgemeinen Charakterzug der damaligen Bauten aus-
macht. Eben defshalb fand diefe fchlichte Behandlung bei den Zeitgenoffen
keinen Anftofs, und de Broffe erntete für feine grofsartige und zweckmäfsige
Conftruction allgemeine Bewunderung.
Dafs er indefs auch reichere Compofitionen auszuführen verftand, bewies
er an der P'agade von St. Gervais, zu welcher Ludwig XIII am 24. Juli
16 16 den Grundftein legte. ^) Ohne Rückficht auf den gothifchen Charakter
des Baues fetzte er die Fagade als felbftändiges Dekorationsftück dem Baue
vor und fchmückte fie mit den drei antiken Säulenordnungen. Es war das
erfte Beifpiel diefer Anwendung der claffifchen Architektur in Frankreich,,
wefshalb diefe Fagade lange Zeit in hohem Anfehen ftand.
') F. de Guilhermy, Delcription archeologique de Paris, p. 178.
§ 92. Privatfchlösser diefer Zeit. 237
Einige Jahre vorher, 1613, hatte de Broffe Gelegenheit, eine der grofs-
artigften NützHchkeitsbauten auszuführen. Die ganze füdhche Hälfte der
Hauptftadt entbehrte fchon lange hinreichenden guten Trinkwaffers , und
Heinrich IV hatte defshalb den Plan gefafst, den noch von den Römern
herrührenden Aquädukt von Arcueil wieder herzuftellen. Der Dolch
Ravaillac's hatte auch diefen Plan nicht zur Ausführung kommen laffen,
und das Volk von Paris würde noch lange auf die Wohlthat frifchen Trink-
waffers haben verzichten müffen, wenn nicht der Palaft des Luxembourg
für feine Wafferwerke dasfelbe Bedürfnifs getheilt hätte. Die Königin liefs
defshalb 16 13 durch de Broffe den Plan wieder aufnehmen und den grofs-
artigen Bau der Römer herftellen. Die römifche Wafferleitung, welche
hauptfächlich die Thermen zu verforgen hatte, brachte in einer Länge von
16 Kilometer das Waffer von Rungis nach Paris, Durch die Normannen
zerftört und feit Jahrhunderten dem Verfall preisgegeben, ftand fie nur noch
als Ruine in einzelnen Ueberreften da, fo dafs man das Werk de Broffe's
als eine ganz neue Schöpfung bezeichnen kann. Er prägte ihm jenen Cha-
rakter gediegener Gröfse auf, welcher die Römerbauten derfelben Art aus-
zeichnet. Der Aquädukt überfchreitet das Thal von Arcueil auf 25 Bogen
in einer Höhe von 83 Metres, gehört alfo zu den kühnften Conftructionen
diefer Art. Der Bau wurde 1624 vollendet und gab Veranlaffung zur Er-
richtung zahlreicher Brunnen in den füdlichen Theilen der Stadt.
Endlich hatte de Broffe den im März 161 8 durch Brand zerftörten
grofsen Saal des Palais de Juftice zu Paris wieder herzuftellen. Mit
Beibehaltung der alten Grundmauern fchlofs er fich der zweifchiffigen Anlage
des früheren Saales an , ohne jedoch im Mindeften Rückficht auf den Stil
der übrigen Theile zu nehmen. Er gab dem Saal, der früher hölzerne
Bedeckung in Form gothifcher Tonnengewölbe gehabt hatte, fteinerne rund-
bogige Wölbungen, die in der Mitte auf einer Reihe von Pfeilern ruhen.
Letztere erhielten eine Dekoration von dorifchen Pilaftern. Zwei breite
Halbkreisfenfter und darüber zwei Rundfenfter in den fchmalen Schlufsfeiten
geben dem Raum reichliches Licht. Die Architektur ifh nicht ohne Würde,
aber doch von einer erkältenden Nüchternheit. Sie beweift gleich den
übrigen Schöpfungen, dafs de Broffe zu jenen Architekten gehört, die mehr
durch Reflexion und rationelle Aufifaffung als durch Phantafie hervorragen.
§ 92.
Privatschlösser dieser Zeit.
Aus der ziemlich anfehnlichen Reihe von Schlöffern, welche während der
erften Decennien des 17. Jahrhunderts errichtet wurden, heben wir
einige befonders charakteriftifche hervor, um an ihnen die weitere Entwick-
lung des franzöfifchen Schlofsbaues darzulegen,
LÜBKE, Gefch. d. Renaiflance in Frankreich. II. Aufl. 22
338
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
Als gemeinfamer Grundzug ift feftzuhalten, dafs noch immer die natio-
nalen Sitten, anknüpfend an die Traditionen der früheren Epoche, das Mafs-
gebende bei diefen Anlagen find, dafs die Vertheilung der Räume, die An-
ordnung der Treppen, die regelmäfsige Gruppirung um einen viereckigen
Hof die fefte Norm bilden, Befonders ift es für die Gefammterfcheinung
diefer Bauten bezeichnend, dafs fie zwar in italienifcher Weife mehr nach
Ruhe und Einfachheit der Linien ftreben, aber im Anfang der Epoche die
Eckpavillons und damit die malerifche Maffengliederung auch jetzt mit Vor-
liebe fefthalten, ja dafs felbft Rundthürme und Waffergräben mit Zugbrücken
keineswegs völlig aus dem Bauprogramm fchwinden. Dagegen kommen
die grofsen Galerieen, der Stolz des i6. Jahrhunderts, jetzt in Abnahme,
und das Leben der Schlofsbewohner zieht fich als ein mehr intimes in
behaglichere Zimmer und Säle zurück.
Für die künftlerifche Charakteriftik laffen fich zwei ganz verfchiedene,
ja entgegengefetzte Typen unterfcheiden. Der eine beruht auf einer faft
abfichtlich zur Schau getragenen, oft bis zum äufserften Grade getriebenen
Einfachheit, die nichts kennt als die fchlichtefte Verbindung von Backftein-
bau und Rufticaquadern, und eine Derbheit der Profile, die nicht feiten zur
plumpen Schwerfälligkeit wird. Der andere nimmt zwar diefelben Grund-
elemente auf, weifs aber aus ihnen eine reichere dekorative Wirkung zu
gewinnen, die freilich in der Regel zu barocken Formen und zu üppiger
Ueberladung neigt. In beiden Fällen mufs für den Mangel an feiner künft-
lerifcher Durchbildung das ächt nationale, oft wahrhaft originelle Gepräge
entfchädigen.
Von beiden Typen liefert das Schlofs Tanlay in Burgund in feinen
verfchiedenen Gebäuden bezeichnende Beifpiele.') Der Hauptbau wurde 1559
durch Frangois de Coligny, Bruder des berühmten Admirals, begonnen,
aber nur ein runder Eckthurm mit den anftofsenden Theilen der beiden
Flügel vollendet. Ein neuer Befitzer, Jacques Chabot, Marquis de Mirebeau,
fügte 1610 das fogenannte »kleine Schlofs« hinzu, einen vor dem Haupt
bau felbftändig fich erhebenden Pavillon. Diefer zeigt im Erdgefchofs die
üppigfle Ruftica mit einer wahrhaft phantaftifch überfchwänglichen Dekora-
tion, in welcher alle Arten von Linienfpielen mit vegetabilifchen Muftern
wechfeln. Darüber erhebt fich ein oberes Gefchofs mit eleganten korin-
thifchen Pilaftern, reichen Fenflergiebeln und einem prachtvollen, ganz mit
Laubwerk dekorirten Fries. Diefer üppige Bau, völlig aus Quadern auf
geführt, war auf den Contrafb mit dem Waffer des umgebenden Grabens
berechnet.
') Sauvageot, choix de palais, Vol. I.
22*
340
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
Von höchfler Nüchternheit ift dagegen der weitere Ausbau des Haupt-
fchloffes, welcher durch den Finanzintendanten d'Hemery in den erften
Jahren der Regierung Ludwig's XIV feit 1643 ausgeführt wurde. Da der-
felbe nicht mehr diefer Epoche angehört, fo gehen wir darüber hinweg,
zumal uns ein anderes Schlofs der Zeit Ludwigs XIII ein Beifpiel ähnlicher
Nüchternheit bietet.
Es ift das kleine Schlofs WideviUe') unweit Verfailles. Es wurde
von Claude de Bullion, der unter Heinrich IV und Ludwig XIII hohe
Staatsämter bekleidete, erbaut. Die Anlage bildet ein Rechteck von geringer
Tiefe, 30 Fufs bei 125 Fufs Breite. Auf beiden Seiten fpringen kleine
Pavillons mit runden Dächern vor, die Mitte bildet ein gröfserer ebenfalls
vortretender Pavillon, der die übrigen einftöckigen Gebäude um ein Gefchofs
überragt und das Veflibül fammt einem quadratifchen Saal enthält. Rechts
neben demfelben ift die in geradem Lauf anfteigende Treppe angeordnet,
während links eine kleinere Seitentreppe liegt. Die ganze Eintheilung ift
bequem und anfprechend. Der Bau erhebt fich, rings von Gräben umzogen,
auf einer Infel mit hohem Unterbau, der auf den Ecken durch kleine
feftungsartige Thürme flankirt wird. Die aufserordentlich hohen Fenfter,
die Ecken , fowie die Gefimfe beftehen aus Quadern , alles Uebrige ift in
Ziegeln ausgeführt, und der ganze Bau zeigt die höchfte Einfachheit und
Nüchternheit. Von der inneren Ausftattung fmd befonders die fchönen
glafirten Fufsböden hervorzuheben. Im Park fieht man eine Grottenanlage
in einer Ruftica mit dorifchen Säulen, welche eine Nachahmung von Tropf-
fteinbildungen zeigen.
In der Normandie, wo der Backfteinbau fchon im Mittelalter eine
künftlerifche Ausbildung erlangt hatte, finden wir auch jetzt Beifpiele einer
reicheren Anwendung desfelben. Befonders prächtig am Schlofs von
BeaumesniP) im Departement der Eure. (Fig. 117.) Auf einer Infel,
rings vom Waffer umfchloffen, erhebt fich der prächtige Bau, deffen Fenfter
upd Thüren, fowie die Ecken eine ungemein derbe Ruftica zeigen, während
die Wandflächen in Backftein mit rautenförmigen Muftern durchgeführt find.
Diefes, fowie die originellen barockphantaftifchen Krönungen der Portale,
der Fenfter und der Lucarnen, die überall in den Formen die gröfste
Mannigfaltigkeit zeigen, endlich die gewaltigen ebenfo reich durchgeführten
Kamine und der pompöfe Abfchlufs des mittleren Pavillons mit feinem
runden Dache, verleihen dem Bau bei aller fchweren Ueberladung ein
ungemein malerifches Gepräge. Die Wirkung diefer reich gegliederten
Maffen wird durch den Wafferfpiegel und die prächtigen Laubgruppen der
unmittelbaren Umgebung aufs Glücklichfte gefteigert. Der Bau befteht
i) Sauvageot, choix de palais, Vol, III. — ^) Ebend. Vol. IV.
§ 93- Städtifche Privathäufer. 34 1
übrigens wie in Wideville aus einem langgeftreckten Rechteck von 30 Fufs
Tiefe bei 120 Fufs Breite. Die Mitte bildet ein vorfpringender Pavillon,
der das Veftibül fammt dem Treppenhaufe enthält.
Denfelben Charakter, die gleiche Verbindung eines gemufterten Back-
fteinbaues mit derben Rufticaquadern findet man an den alten Theilen des
Chateau des Ifs') bei Fecamp, nur dafs die Anlage kleiner und die
Dekoration, obgleich ebenfalls derb ufid barock, nicht ganz fo fchwer und
überladen ift wie in Beaumesnil. Der Bau befteht ebenfalls nur aus einem
Rechteck von 25 Fufs zu 65 Fufs. Die Mitte enthält das Veftibül fammt
dem Treppenhaufe , neben welchem jederfeits ein grofses quadratifches
Zimmer den übrigen Raum einnimmt. Auf den Ecken der Vorderfagade
find kleine runde Thürme mit gefchweiften Dächern angebracht, die als
Kabinete mit den anftofsenden Zimmern in Verbindung ftehen. Auch hier
ift alfo die malerifche Bewegung der Maffen hauptfächlich betont. Ein
prächtiger Park bildet mit feinen Laubgruppen einen wirkfamen Hinter-
grund.
§ 93-
Städtische Privathäuser.
UNTER den vornehmen Wohnhäufern , welche aus diefer Zeit in den
Hauptftädten des Landes überall noch vorhanden find, darf als eins
der bedeutendften das Hotel Montescot zu Chartres^) bezeichnet werden.
Es wurde im Anfang des 17. Jahrhunderts durch Claude de Montescot,
Sekretair Heinrichs IV, erbaut, diente nachmals als Klofter und ift gegen-
wärtig als Hotel de ville benutzt. Der Bau, deffen Grundrifs wir in Fig. 118
beifügen, zeigt die regelmäfsige Anlage, welche den vornehmen Stadtwoh-
nungen in Frankreich feit längerer Zeit eigen war, in befonders klarer
Anordnung. Um einen quadratifchen Hof E gruppiren fich auf drei Seiten
die Wohnräume, während auf der vierten Seite gegen die Strafse eine
Mauer mit dem Eingangsthor den Abfchlufs bildet. Die Haupttreppe A
liegt in der Mitte des Flügels an der Rückfeite, eine zweite Treppe B ift
im linken Flügel angebracht. Die Architektur, aus Ziegeln und Quadern
beftehend, zeigt das äufserfte Maafs von Nüchternheit, nirgends das geringfte
Ornament, und felbft die Gefimfe und fonftigen Glieder find von einer ans
Rohe grenzenden Plumpheit. Nur die grofsen Verhältniffe und die glück-
liche Bewegung der Maffen geben dem Bau ein ftattliches Gepräge. Be-
merkenswerth ift, dafs die Einfaffungen der Fenfter und die Pilafter, welche
die Wände gliedern, aus Backftein gebildet find, während die übrigen
Theile meiftens den Quaderbau zeigen. Beim Hauptportal, das eine reichere
Anlage erhalten hat, wechfeln Quader mit Backfteinen. Die drei Portale
Sauvageot, Vol. II. — Ebend.
342
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
der Hoffagaden find reicher ausgeführt und felbft mit plaftifchem Schmuck
verfehen.
Ungleich eleganter und prächtiger ift das Hotel de Vogüe zu Dijon,
welches um diefelbe Zeit von Etienne Bouhier, der als Rath im Parlament
von Burgund eine einflufsreiche Stelle bekleidete, erbaut wurde.') Man
darf das Jahr 1614 als Datum der Vollendung des Baues annehmen,
denn diefe Jahrzahl lieft man am Kamin des grofsen Saales. Bouhier war
ein begeifterter Kunftfreund, machte Reifen in Italien und trieb feine Stu-
dien fo weit, dafs im Jahre 1630 das Hofpital der Stadt nach feinen Plänen
0 5 10 /ij- aoTO
1 I I I ! I I I I I I I I 1 I 1 I I I I I
• Fig. 118. Hötel Moutescot zu Chartres. (Sauvageot.)
erbaut wurde. Wahrfcheinlich hat er auch die Entwürfe zu der prächtigen
Wohnung gemacht, die er früher für fich ausführen liefs. Gewiffe Eigen-
heiten fowohl in der Anordnung des Grundriffes wie in der originellen,
dabei jedoch willkürlichen und fogar feltfamen Behandlung der Architektur
fcheinen dafür zu fprechen, dafs man es hier mit dem Werke eines geift-
reichen Dilettanten zu thun hat.
') Vrgl. die ausführliche Aufnahme bei Sauvageot, Vol I. Einzelnes bei Rouyer et
Darcel, I, pl. 48 — 50 und in Berty's ren. mon. II, pl. 47 — 49.
§ 93- Städtifche Privathäufer.
343
Der Bau gruppirt fich mit drei Flügeln um einen kleinen Hof, der
nach der Strafse durch eine Mauer mit barockprächtigem Eingang abge-
fchloffen wird. An diefe Mauer legt fich nach innen eine Arkade, die in
der höchften Pracht der Ausführung ein elegantes Beifpiel antiker Studien
enthält und in ihrem graziöfen Clafficismus von dem derberen Charakter
der übrigen Theile auffallend abweicht. Der Bau ift im Uebrigen weder
durch glückliche Verhältniffe , noch durch Confequenz der Durchbildung
hervorragend. Die Fenfter z. B. haben auffallend dürftige Rahmen, mit
denen die fchweren auf Confolen ruhenden Giebelkrönungen, die theils rund,
theils gerade, theils in Voluten aufgerollt find, wunderlich contraftiren. Im
Einzelnen herrfcht freilich an diefen Theilen grofser Reichthum der Dekora-
tion, die in feiner Ausführung vegetabilifche und figürliche Elemente ver-
bindet. Es ift eine Ueppigkeit der Conception, die immer neue Motive
bringt und durch den Reichthum der Variationen, der fich felbft auf die
Umrahmungen der Dachfenfter erftreckt, die Harmonie der Wirkung preis-
giebt. Aber die Gediegenheit der Ausführung, die confequente Anwendung
eines reinen Quaderbaues, der fich über alle Theile gleichmäfsig erftreckt,
geben dem Gebäude den Werth einer höchft originellen Schöpfung. Dazu
kommt die ausgezeichnete Erhaltung, die fich bis auf die bunt glafirten
Dächer mit ihren eleganten Bleifpitzen, die prächtige Laterne im Treppen-
haus, die charaktervolle Eifenarbeit des Brunnens im Wirthfchaftshofe, end-
lich auf die Holzvertäfelung und die gefammte innere Ausftattung der
Zimmer erftreckt.
Kleinere Privathäufer diefer Epoche fieht man in manchen andern
Städten. Wir nennen in Ronen das ftattliche Haus der Rue de la groffe
Horloge, welches die Ecke der Rue des heiles femmes bildet. Es trägt
die Jahrzahl i6oi und gehört zu den reichften diefer Epoche.') In Paris
zählt hierher das Hotel Sully^) in der Rue St. Antoine, erbaut feit 1624,
eine der gröfsten und vollftändigften unter den vornehmen ftädtifchen Privat-
wohnungen diefer Zeit , ungewöhnlich reich an plaftifcher Dekoration.
Ferner in Ar ras 3) ein Haus in der Rue des Balances, das in derben
kraftvollen Formen durchgeführt ift. Diefe Beifpiele mögen ftatt vieler
anderer genügen.
Zu palaftartiger Gröfse und Bedeutung erhob fich die fürftliche Woh-
nung, welche Richelieu feit 1624 durch Jacques Lemercier fich gegen-
über der Nordfeite des Louvre erbauen hefs und der er den Namen »Palais
Cardinal« gab. Kaum war der ftolze Bau vollendet (1639), fo fchenkte
der Befitzer ihn dem Könige. Seit 1643 wurde das nun als Palais
i) Aufn. in Berty, la renaiffance monumentale, Vol. II. — ^) Blondel, archit. Fran^oife,
Vol. II. — 3) Berty, a. a. O. Vol. I.
344 Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
Royal bezeichnete Gebäude Sitz der Regentin Anna von Oefterreich , und
Ludwig XIV überliefs es an Philipp von Orleans, der jene bedeutenden
Umgeftaltungen damit vornehmen liefs , unter welchen wir es kennen.
Urfprünglich befland der grofsartige Palaft aus einer Anzahl im Rechteck
gruppirter Flügel, die fich um zwei grofse Höfe lagerten. Der Haupthof
war auf drei Seiten von Gebäuden umgeben; an der vierten grenzte ein
Erdgefchofs mit Arkaden, über welchen fich eine Terraffe hinzog, ihn gegen
den grofsen prächtigen Garten ab. Im Innern herrfchte fürftlicher Luxus
in Anordnung und Ausftattung der Räume. Aufser den grofsen Feftfälen
und Galerien mit Marmorwerken und Gemälden von der Hand der erfben
damaligen Meifter enthielt der Palaft zwei Säle fürs Schaufpiel, einen kleinen
für ausgewählte Kreife und einen gröfseren für dreitaufend Zufchauer.
Diefs war die claffifche Bühne, welche bald darauf durch die Meifterwerke
eines Corneille, Racine und Moliere ihre Weihe erhalten follte.
§ 94.
Öffentliche Gebäude.
WIE fehr die Zeit der Bürgerkriege und des Religionsftreits hemmend
auf die Entwicklung der Städte gewirkt, fahen wir fchon bei Be-
trachtung des Stadthaufes von Paris (§ 59), deffen Bau längere Zeit ruhte
und erft unter Heinrich IV zur Vollendung kam. Die Regierung diefes
volksfreundlichen Königs ift es denn überhaupt, welche dem Bürgerthum
Schutz und Freiheit der Entwicklung gewährt. Zum Zeugnifs deffen erheben
fich feit dem Anfang des 17. Jahrhunderts in mehreren der wichtigften
Städte des Landes Rathhäufer in den kräftigen, felbft derben Formen der
Zeit, aber zugleich in der energifchen Ueppigkeit der Dekoration, deren
diefer Stil fähig ift. Man glaubt in der Frifche und Opulenz diefer Gebäude
einen Wiederfchein des neuen Lebensgefühls zu erkennen, welches unter
dem Scepter Heinrichs IV nach fo langen Leiden dem Bürgerthum wieder-
kehrte.
Eins der bedeutendften unter diefen Denkmalen ift das Stadthaus von
La Rochelle, diefem berühmten Wafifenplatz der Hugenotten.') Das
Gebäude ift in verfchiedenen Zeiten errichtet, und ein Theil desfelben
ftammt aus dem 15. Jahrhundert. Im Jahr 1605 legte man den Grund-
ftein zu der Galerie (Fig. 119) und dem grofsen Saale, welche noch jetzt
das Prachtftück des ganzen Baues bilden. Im Erdgefchofs zieht fich eine
Arkade auf ungemein kurzen, derben dorifchen Säulen vor der Fagade hin.
Die Schäfte der Säulen beftehen aus cannelirten Trommeln, die mit fchweren
Boffagen wechfeln. Um die Galerie nicht gar zu eng und zu düfter zu
') Aufn. in Rouyer et Darcel, Art. architectural. Vol. II, pl. 13.
§ 94- Oeffentliche Gebäude. 345
machen, hat der Architekt unter den grofsen Fenftern des oberen Stock-
werks, wo die Durchbrechung der Mauermaffe es geftattete, die dort zu
Fig. 119. Vom Stadthaus zu La Rochelle. (Baldinger nach Phot.)
erwartende Säule fortgelaffen und die beiden Bögen mit einem fchwebenden
Schlufsftein verbunden. Dadurch entfteht eine ebenfo phantafievolle wie
rationelle Rhythmik, die in den oberen Theilen durch fchlanke korinthifche
346
Kap. VIII. Der Profanbau unter Heinrich IV und Ludwig XIII.
Pilafter ihre Fortfetzung findet. In den weiteren Intervallen derfelben find
grofse Fenfter mit geradem Sturz angebracht, in den engeren dagegen
Nifchen mit Statuen auf eleganten Sockeln. Ein Dachgefchofs mit barock
aber höchft originell componirten Fenftern und Giebeln bildet den energifch
wirkfamen Abfchlufs. Alle Theile des Baues zeigen eine für diefe Zeit
ungewöhnlich reiche Dekoration : in den Bogenzwickeln der Arkaden Tro-
phäen und Laubgewinde, an den fchwebenden Schlufsfteinen Masken , im
Triglyphenfries Embleme fammt dem Namenszug des Königs, am Fries des
Hauptgefchoffes elegante Akanthusranken , an den Krönungen der Dach-
giebel Masken und Voluten , hermenartige Karyatiden und Genieen mit
Füllhörnern. So ift der prächtige Bau noch jetzt ein Zeugnifs von der
Macht und Blüthe der Stadt, die bald darauf (1628) ihren Todesftofs erhielt.
Ehemals befand fich an diefer Fagade eine doppelte Freitreppe mit dem
Reiterbild Heinrichs IV.
Im Jahr 1627 begann die alte Krönungsftadt der franzöfifchen Könige,
Rheims, ebenfalls den Bau eines neuen Rathhaufes, welches feiner Anlage
und Ausführung nach fich dem Vorbild des Parifer Stadthaufes anfchHefst.
Die Fagade wird wie dort von zwei Pavillons mit hohen Dächern flankirt.
Ein mittlerer Pavillon enthält den Haupteingang und wird von einem Uhr-
thurme bekrönt. Die Verhältniffe find tüchtig, die Eintheilung und Gliederung
der Fagade klar und in kräftigen noch ziemlich reinen Formen durch-
geführt. Das Erdgefchofs hat dorifche Halbfäulen und Ruftica, die auch
für die Fenftereinfaffungen verwendet ift. Im oberen Gefchofs find korin-
thifche Halbfäulen angeordnet, während das zweite Stockwerk, mit welchem
die Pavillons über die anderen Theile hervorragen, ionifche Halbfäulen
zeigt. Ein Dachgefchofs mit abwechfelnd gröfseren und kleineren Lucarnen
bildet den Abfchlufs. Ueber dem Portal ficht man in einem Relief von
Kalkftein das Reiterbild Ludwigs XIII, welches an die Stelle eines im Jahr
1792 zerftörten Holzreliefs getreten ift. Die dabei befindliche Infchrift
nennt als Datum der Vollendung des Baues das Jahr 1636.
Von grofsartiger Anlage, prachtvoll wenn auch in etwas fchwulftigen
Formen ausgeführt, ift das Stadthaus von Lyon, 1646 begonnen, aber
feiner ganzen künftlerifchen Haltung nach in diefe Epoche gehörend.^) In
neuerer Zeit fchön reftaurirt, ausgebaut und vergröfsert, ift das Gebäude
ein pompöfer Ausdruck der Lebensfülle diefer reichen und mächtigen Stadt.
Hauptfächlich trägt dazu die reiche plaftifche Ausftattung bei, die in ihrer
Fülle und Kraft an die römifchen Monumente des füdlichen Frankreich
erinnert. Dazu kommt, dafs die architektonifchen Formen ziemlich rein
Vgl. das Prachtwerk von T. Desjardins, monogr. de l'hötel de ville de Lyon. fol.
Paris 1867.
§ 94- Oetfentliche Gebäude.
347
und edel behandelt find mit wenig barocker Willkür ; ferner dafs der ganze
Bau in Quadern ausgeführt ift, ein Vorzug , den er mit den Stadthäufern
von Paris, La Rochelle und Rheims theilt.
Die Fagade folgt wieder der durch das Parifer Stadthaus gegebenen
Anordnung; auf beiden Seiten kräftige Pavillons, mit runden Dächern
gefchloffen, in der Mitte der Haupteingang, darüber im oberften Gefchof?
eine Flachnifche mit dem Reiterbild Ludwigs XIII, dahinter aufragend der
ftattliche Glockenthurm mit der Uhr, der mit einer reichen Laterne originell
abgefchloffen wird. Grofse Opulenz erhält die Fagade durch den plaftifchen
Schmuck: im Erdgefchofs Masken an den Schlufsfteinen der Fenfterbögen
und Portraitmedaillons in den Bogenfeldern , im Hauptgefchofs ruhende
Löwen auf den Giebeln der Fenfter; im oberen Stockwerk Fruchtfchnüre
an den Fenftern, Trophäen in den Frontons der Pavillons, aufweichen
die allegorifchen Figuren der vier Kardinaltugenden ruhen, endlich ähnliche
Figuren als Krönung der mittleren Nifche und des Glockenthurmes.
Für das Innere ift die Anordnung von grofsem Reiz, dafs der prächtige
Haupthof bedeutend höher liegt als das Niveau der Strafse, eine Anordnung,
die übrigens in verwandter Weife fchon an den Stadthäufern zu Orleans
und zu Paris angetroffen wird. Die innere Dekoration gehört gröfstentheils
der jüngften mit bedeutenden Mitteln ausgeführten Herftellung an.
IX. KAPITEL.
DER KIRCHENBAU DER RENAISSANCEZEIT.
§ 95.
Die Entwicklungsstufen desselben.
N Italien hatte die Renaiffance kraft der Univerfalität
ihres Strebens die kirchliche Architektur gleich der
profanen in ihr Programm aufgenommen und auch in
Gebäuden des religiöfen Bedürfniffes ihr künfllerifches
Ideal zu verwirklichen gefucht. In gröfster Mannig-
faltigkeit tritt uns diefe Tendenz dort entgegen: die
Bafilika, das einfchiffige Langhaus mit flacher Decke
oder mit Gewölben, Syfteme von Kuppeln und Tonnen,
oder ausfchliefslich Tonnengewölbe, nicht minder das Kreuzgewölbe kommen
zur Anwendung. Vor allem wird der Centraibau in Verbindung mit der
Kuppel gepflegt und in vielfacher Umgeftaltung als Rundbau, Polygon,
Quadrat oder griechifches Kreuz ausgebildet. Damit geht von Anbeginn
das Streben Hand in Hand, diefen Werken durch eine Gliederung, Con-
ftruktion und Dekoration im Geifte des claffifchen Alterthums das Gepräge
von antiken Tempelbauten zu geben.
Nichts von alledem treffen wir in Frankreich. Seit dem Beginn des
13. Jahrhunderts hatte der Kirchenbau mit fo beifpiellofer Energie die
materiellen und künftlerifchen Kräfte der Nation in Anfpruch genommen,
mit einer folchen Fülle kirchlicher Bauten jeden Ranges von der Kathedrale
bis zur kleinften Kapelle und Dorfkirche das Land bedeckt, dafs nach
diefer Richtung kaum noch Etwas zu thun übrig blieb. Wo in einzelnen
Fällen Bauten der früheren Zeit zu vollenden, oder wo neue zu errichten
§95- Die Entwicklungsltufen desfelben.
349
waren, da gefchah es durchaus in mittelalterlicher Weife, in jenem fpät-
gothifchen Flamboyantftil, der gerade in Frankreich eine feltene Opulenz
und dekorative Fülle entfaltet. Wir haben in § 1 2 Beifpiele diefer gothifchen
Nachzügler gegeben und dabei gefunden, dafs bis tief ins 16. Jahrhundert
diefe nationale Bauweife in Kraft bheb. Ein noch erftaunhcheres Beifpiel
von dem zähen Fefthalten am gothifchen Stil und von deffen unverwüft-
licher Lebenskraft ift die Kathedrale von Orleans, welche nach ihrer Zer-
ftörung durch die Hugenotten auf Anordnung Heinrichs IV feit 1601 ganz
nach mittelalterlicher Anlage und in gothifchem Stil erneuert wurde. Man
fieht aus diefen Thatfachen, dafs die alten Bauhütten noch lange in Kraft
blieben, und dafs die Meifter der gothifchen Kunft, geftützt auf die An-
hänglichkeit des Bürgerthums und der kirchlichen Corporationen an den
Stil des Mittelalters, denfelben gegen die eindringende Renaiffance zu
behaupten wufsten.
Als aber die Fürften und der hohe Adel in allen Theilen des Landes
Schlöffer zu errichten begannen, die den neuen Stil glänzend zur Geltung
brachten, konnte es nicht ausbleiben, dafs der dekorative Reiz diefer Bauten
in einer Zeit der höchft gefteigerten Dekorationsluft bald auf alle Kreife
einen tiefen Eindruck machte. Unter den alten Werkmeiftern fogar erwachte
der Drang, mit den Künftlern des modernen Stils zu wetteifern und Proben
ihrer Bekanntfchaft mit der Antike abzulegen. Etwa feit 1520 laffen fich
Zeugniffe davon in den Kirchenbauten nachweifen. Doch tritt das antiki-
firende Element zunächft nur befcheiden, meift in dekorativen Einzelheiten
auf, denn die Tradition war fo mächtig, dafs nicht blofs der mittelalterliche
Grundplan, die drei- oder fünffchiffige Anlage, der polygone Chor mit
Umgang und Kapellenkranz, fondern auch das ganze Syftem der gothifchen
Conftruction , die Rippengewölbe und die grofsen Spitzbogenfenfter , die
Strebepfeiler und Strebebögen feftgehalten wurden. Aber im Einzelnen
fängt man an, diefe Conftructionen durch eine neue Formenfprache aus-
zuprägen. Am wenigften bemerkt man davon im Innern; doch kommen
fchon Pfeiler vor, die mit antiken Pilaftern dekorirt find, und die in diefer
Epoche fo behebten fchwebenden Schlufsfteine der Gewölbe werden mit
antiken Formen, mit Arabesken und figürlichem Schmuck ausgeftattet.
Viel umfaffender ift die Anwendung der Renaiffancedetails am Aeufseren.
Hier werden die Strebepfeiler mit antiken Pilafl;ern bekleidet und felbft die
Gefimfe mit antiken Architraven und Friefen verbunden ; die Fialen nehmen
die Geftalt von Kandelabern an, und die Strebebögen erhalten ebenfo eine
Dekoration mit Renaiffanceformen. Am eingreifendften vollzieht fich diefs
Compromifs zwifchen mittelalterHcher Anlage und antiker Ausprägung an
den Portalen und überhaupt am ganzen Fagadenbau. Zunächfi; find es
antike Einzelheiten, Säulenfi;ellungen , Nifchen, Caffettengewölbe , fowie die
350
Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit.
mannichfaltigen Ornamente, welche ziemlich willkürlich fich der mittelalter-
lichen Anlage hinzufügen und folchen Fagaden den Charakter einer harmlos
fpielenden Pracht verleihen. Um 1540 aber gewinnt eine ftrengere, mehr
fchulmäfsige Behandlung der antiken Formen die Ueberhand, und bald
fetzt man antike Säulenftellungen mit Gebälk und Giebel, manchmal in
mehreren Gefchoffen, dem gothifchen Baue vor, ohne die inneren Wider-
fprüche folcher Anordnung zu empfinden.
Auffallend ift bei alledem, wie lange Frankreichs Kirchenbau fich gegen
diefe Neuerungen fträubt. Selbft in den Renaiffancefchlöffern bleiben die
Kapellen noch lange Zeit völlig gothifch, fo nicht blofs in Gaillon (§ 16)
und in Chenonceaux (§ 32), fondern fogar noch in Ecouen, wo Jean Bullant
die Kapelle im gothifchen Stil ausführte (§ 72). Dagegen find es auch
wieder zuerft die Schlofskapellen, welche den ftreng antiken Stil aufnehmen,
und Philibert de l'Orme ift es, der in den Kapellen zu Villers-Coterets
(§ 29) und zu Anet (§ 68) die claffifche Architektur zur Geltung bringt.
Bei gröfseren Kirchenbauten wird diefs Beifpiel aber erft im 17. Jahrhundert
befolgt, und nachdem Salomon de Broffe 16 16 die Fagade von St. Ger-
vais begonnen hat, wird bald darauf bei den Kirchen der Carmeliter und
der Sorbonne (1635) der italienifche Kuppelbau in Frankreich eingeführt.
IE Normandie, deren glänzende Leiftungen auf dem Gebiet des Profan-
baues wir unter den bedeutendften Schöpfungen der Frührenaiffance
kennen gelernt haben, bringt auch im Kirchenbau eine Reihe von Werken
hervor, in welchen diefer gemifchte Uebergangsftil fich zur höchften deko-
rativen Pracht entfaltet. Das Meifterfi;ück diefer Epoche, welches nirgends
feines Gleichen findet, ift der Chor von St. Pierre zu Caen, 1521 durch
Hector Sohier begonnen.^) Der Grundrifs zeigt nach gothifcher Weife
polygonen Abfchlufs mit niedrigem Umgang und Kapellenkranz. Die
Conftruction und die Form der Pfeiler und Gewölbe find noch durchaus
mittelalterlich, aber die Dekoration befteht aus einer Mifchung fpätgothifcher
Formen mit Details der Frührenaiffance, in welcher die phantafie volle
Ueppigkeit beider Stile fich zu einer Wirkung von unvergleichlichem Zauber
verbindet.
Im Innern^) beftehen die Sterngewölbe aus den reichften Verfchling-
ungen, und die kräftig profilirten Rippen, in ihrer ganzen Ausdehnung mit
frei durchbrochenem Ranken-Ornament befetzt, treffen in Schlufsfl;einen
0 Vgl. Guide de Caen, 1857. p. 12. Dazu Paluftre II, 228 ff. — =") Eine Abbild, bei
Chapuy, Moyen äge mon. II, pl. 284.
§ 96.
Kirchen zu Caen.
352
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renailfancezeit.
zufammen, die in Form von Zapfen frei niederfchweben und in brillanter
Weife mit Renaiffanceformen dekorirt find. Noch gröfsere Pracht entfaltet
fich an den phantaftifchen Baldachinen der Statuennifchen, welche in den
Ecken des Chorumgangs und der Kapellen überall angebracht fmd. Bei
ihnen entwickelt fich aus einem gothifchen Unterbau die fchlanke Krönung
in den mannichfach bewegten Formen einer fpielenden Frührenaiffance.
Ihren Gipfel erreicht aber diefe überfchwänglich üppige Architektur
am Aeufseren (Fig. 120). Wie hier die gothifche Conftruction völlig in
Renaiffanceformen überfetzt ift, wie korinthifche Pilafter mit vorgelegten
Candelabern oder graziöfe baldachingekrönte Nifchen die Strebepfeiler
bekleiden, wie die originellften Phantafiefpiele an Stelle der gothifchen
Fialen die krönenden Abfchlüffe bilden, wie übermüthige Arabesken die
Baluftraden der Dachgalerieen füllen, und ähnliche Compofitionen jede frei
bleibende Fläche, die Zwickel über den Fenftern, die Friefe und die Ein-
faffungen der oberen Rundfenfter bedecken, das gehört zum Geiftreichften
und Graziöfeften der gefammten Frührenaiffance. Die Compofition, frei
von pedantifcher Strenge, ergeht fich hier in dem genialen Uebermuth,
der allein folchen Schöpfungen ihre Berechtigung giebt, und die Erfindung
ift fo lebenfprühend, die Ausführung fo elegant, dafs das Ganze als ein
wahres Meifterwerk unübertroffen in feiner Art dafteht.
Eine zweite Schöpfung verwandter Art fieht man in Caen an der
kleinen Kirche St. Sauveur. Es ifh ein unregelmäfsiger fpätgothifcher Bau,
aus zwei Schiffen beflehend, die mit zwei polygonen Chören neben einander
fchliefsen. Der eine ift ein glänzendes Werk fpätgothifchen Flamboyant-
ftils, der andre wetteifert mit ihm in den dekorativen Formen der Früh-
renaiffance. Auch hier find elegante Pilafler zur Bekleidung verwendet,
auch hier ift das ganze gothifche Syftem der Streben und Fialen in an-
muthiger Weife aus Renaiffanceformen zufammengefetzt , wie eine luftig
übermüthige Parodie der gothifchen Dekoration. Diefe prächtigen Werke
erinnern an die in ihrer Art nicht minder ausgezeichnete Architektur des
Hotel d'Ecoville (§ 47).
§ 97-
Andre Kirchen der Normandie.
Zu den früheften Werken diefes Uebergangsftils gehört die Kirche von
Treport, deren Portal ein Werk eleganter Frührenaiffance ift.^) Es
öffnet fich mit zwei ganz flachen Bögen unter einem grofsen Halbkreis-
bogen , deffen gothifch profilirte Laibung theils mit dem naturaliftifchen
Blattwerk des fpätmittelalterlichen Stiles, theils mit Mufcheln und auf-
0 Abb. in den Voyages pittor. Normandie,. Vol. II, pl. 93.
§ 97- Andre Kirchen der Normandie.
353
gerollten Bändern in zierlichem Renaiffancegefchmack dekorirt ift. Zwifchen
beiden Oeffnungen hat eine Nifche Platz gefunden , mit antikem Giebel
bekrönt und mit korinthifchen Pilaftern eingefafst. Der übrige Theil des
Bogenfeldes zeigt eine willkürliche Ausfüllung mit fpätgothifchen Baldachinen
und Maafswerken.
Wie unklar die Meifter dieier Epoche gerade im Kirchenbau zwifchen
beiden Stilen hin- und hertappen und dabei felbft in der Gothik aus dem
Sattel geworfen werden, ohne doch in dem neuen Stil feften Fufs zu faffen,
beweifb die Fagade der Kirche von Gifors.^) Es ift ein Bau von höchft
unregelmäfsiger mittelalterlicher Anlage, aus einem Hauptportal und zwei
Seitenpforten beflehend, die durch gewaltige Strebepfeiler getrennt werden.
An der nördlichen Ecke flankirt ein quadratifcher aus dem Mittelalter
flammender Thurm die Fagade, während füdlich in ganz fchiefer Stellung,
wunderlich genug, ein koloffaler Thurm in den Formen der fpätern Renaiffance
fich erhebt, der jedoch unvollendet geblieben ift. Mit Ausnahme defselben
zeigt die ganze übrige Fagade eine feltfame und mifsverftandene Mifchung
fpätgothifcher Formen mit Renaiffancemotiven. Das Hauptportal mit feinem
koloffalen Rundbogen hat eine Füllung von Nifchen zwifchen korinthifchen
Pilaftern und im Tympanon ein Relief vom Traume Jacobs. In der Aus-
fchmückung der Bögenlaibung und der Seitenwände herrfcht das wunder-
Hchfte Stilgemifch. Ganz ungefchickt find die oberen Theile des Mittel-
baues dekorirt. Ueber dem Portalbogen baut fich ein Flachbogengiebel
auf, mit plumpen Sculpturen gefüllt, und darüber fteigt ein Tabernakelbau
empor, wie eine offene Loggia zwifchen korinthifchen Pilaftern geftaltet,
in feiner Art das befte und zierlichfte Stück am ganzen Bau. Sieht man
aber wie es blofs aufgepflanzt ift, um das dahinter liegende prachtvolle
Spitzbogenfenfter des Mittelfchiffs zu maskiren , fo erkennt man die ganze
Kopflofigkeit des Baumeifters, der mit den alten Formen nichts mehr, und
mit den neuen noch nichts anzufangen wufste. Dasfelbe Durcheinander
zeigt fich an allen übrigen Theilen diefer grotesken Fagade, namentlich an
dem oberen Gefchofs und der achteckigen Krönung des nördlichen Thurmes.
Dergleichen fieht wohl toll und übermüthig genug aus, gehört aber doch
bei aller dekorativen Pracht zum Wunderlichften feiner Art. Als Archi-
tekten wurden Robert Grappin und fein Sohn Jean genannt.
Etwas mehr Haltung zeigt die Fagade der Kirche vom Vetheuil.^)
Chor und Thurmbau gehören dem Mittelalter an, während die Sakriftei,
das Schiff und die Portale von 1533— 1550 vollendet worden find. Wenn
Aufn. in Gailhabaud IV. Vgl. Voyages, Normandie II, pl. 200—204. Dazu Pa-
luftre II. 204. — =") Aufn. bei Gailhabaud IV. Vgl. A. Durand in den Monuments hiftoriques
und Paluftre II, 15 mit Abbildung.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 23
354
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit.
die Einweihung, wie berichtet wird, erft 1588 ftattfand, fo hatte das feinen
guten Grund, denn die oberen Theile der Fagade find offenbar nicht früher
vollendet worden. Man erkennt das leicht aus der ftrengeren Obfervanz,
in welcher hier die antiken Elemente zur Verwendung gebracht find, und
fchon der Triglyphenfries der fammt Confolengefims den Hauptbau abfchliefst
und von einem claffifchen Giebel gekrönt wird, kann nicht vor der Epoche
Heinrichs II ausgeführt worden fein. Im Uebrigen ift fowohl am Haupt-
portal wie an der grofsen Pforte des Querfchiffs, die auf eine elegante Vor-
halle mündet, die Mitwirkung gothifcher Formen vereinfacht, und das
Streben offenbar auf Gröfse und Klarheit gerichtet. Doch hat auch hier
die Rathlofigkeit des Architekten, namentlich in der Nifchenbekrönung des
Hauptportals, fich wunderlich genug ausgefprochen.
Wahrhaft wohlthuend berührt dagegen die grofsartige Fagade der
Kirche Ste. Clotilde zu Andelys.') Hier ift die mittelalterliche Anord-
nung ebenfalls beibehalten, aber mit den wohlverftandenen Elementen der
antiken Bauweife fo glücklich und in fo eminentem künftlerifchem Geifte
in Verbindung gefetzt, dafs eine grofsartige und harmonifche , wenngleich
felbftverftändlich blofs dekorative Wirkung fich ergibt. Zwei Hauptgefchoffe
find durch mächtige gekuppelte Säulenftellungen , unten ionifche, oben
korinthifche eingerahmt. Zwifchen den Säulen bleibt noch Raum für ele-
gante Nifchen und anderes füllende Beiwerk. Im Erdgefchofs öffnet fich
in gewaltigem, von ionifchen Säulen eingefafstem Bogen das Portal, in zwei
kleinere Bogenöfifnungen getheilt, die auf eleganten Karyatiden ruhen. Das
grofse Tympanon hat man auch hier nur durch Nifchen zwifchen Säulen
auszufüllen verfbanden. Ueber alle Theile verbreitet fich eine luxuriöfe
Ornamentik theils figürlicher, theils vegetabilifcher Art, und den Abfchlufs
bildet ein prachtvolles korinthifches Confolengefims. Das obere Gefchofs
füllt ein glänzendes Radfenfter und darunter eine fehr elegante Galerie,
deren Fenfteröfifnungen von korinthifchen Säulen eingerahmt werden. Das
Ganze ift eine Schöpfung von hohem künftlerifchem Werthe.
In demfelben Stil ift auch die Umwandlung des Innern vollzogen.
Man fieht die gothifchen Arkaden auf Pfeilern ruhen , die mit korinthifchen
Pilaftern bekleidet find; man fieht das Obergefchofs über einem antiken
Gefims mit cannelirten korinthifirenden Pilaftern auffteigen und felbft die
Triforien mit antiken Säulen und Gebälken dekorirt, obfchon die Fenfter
darüber die fpätgothifchen Flamboyantmufter zeigen. Für die Zeit des
Baues ift nicht blofs die Jahreszahl 1540, die man auf einem Glasfenfter
bemerkt, mafsgebend, fondern der gefammte künftlerifche Charakter fpricht
für die glänzende Epoche Heinrichs II.
') Treffliche Aufn. in Rouycr et Darcel, art archit. i, 28 — 33. Vgl. Voyages, Nor-
mandie II, 189.
§ 97- Andre Kirchen der Normandie. 355
Denfelben durchgebildet claffifchen Gefchmack zeigt endlich auch das
Portal der Kirche von Aumale.^) Es ift eine Compofition völlig im Cha-
rakter des Titusbogens : ein grofser Halbkreis , auf korinthifchen Säulen
Fig. 121. Argentan. Kirche St. Germain. (Sadoux.)
ruhend, zwifchen welchen Nifchen mit Engelftatuen angebracht fmd. In
den Zwickeln dagegen fchweben victorienartige Engel, während der Fries
0 Abb. in den Voyages, Normandie II, 100 und 10 1.
25*
356
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
mit Lorbeerzweigen und Stierfchädeln dekorirt ift. Den oberen Abfchlufs
bildet eine Aedicula, von korinthifchen Säulen und claffifchem Giebel ein-
gefafst, darin eine Madonnenftatue, zu beiden Seite knieende Engel. Auf
den Ecken kleinere Nifchen mit Heiligenbildern, noch ganz in gothifchem
Sinn, aber in Renaiffanceformen mit Baldachinen gekrönt. Diefes noch-
malige Auftauchen eines mittelalterlichen Motivs ift um fo bemerkens-
werther, da das Portal die Jahrzahl 1608 trägt.
Ungleich feltener find die Beifpiele einer durchgreifenden Ausbildung
des Innern in den Formen diefes Mifchftiles. Eins der merkwürdigften ift
aber die kleine Kirche von Tillieres, die zwifchen 1543 und 1546 (denn
beide Daten findet man an dem Monument) ausgeführt wurde.') Es han-
delt fich um das intereffante Gewölbe des Chores, der polygon gefchloffen
und mit gothifchen Spitzbogengewölben bedeckt ift. Die Rippen zeigen
an den breiten Flächen elegante Renaiffanceornamente , und die frei-
fchwebenden Schlufsfteine find in höchfter Pracht mit Pilafterchen und
Nifchen , Masken und Arabesken, kleinen Figuren , bunt gemifcht mit Vo-
luten, Akanthusblättern und felbft noch einzelnem gothifchem Laubwerk,
gefchmückt. Den vollen Charakter einer fchon üppig ausfchweifenden
Renaiffance tragen die luxuriöfen Steinreliefs, mit welchen fämmtliche Ge-
wölbkappen in ganzer Ausdehnung bedeckt find. Nackte Figuren in allen
Verkürzungen und Bewegungen fpielen dabei eine Hauptrolle. Bald find es
Genien, bald Fabelwefen mit weiblichem Oberleib, bald grofse Masken oder
Flügelwefen verfchiedener Art, die mit einem fchweren, vielfach aufgerollten
Cartouchenwerk, fowie mit Blumenranken und Emblemen verfchiedener Art
ein buntes QuodHbet bilden. Diefer Stil ift nicht blofs unkirchlich im
höchften Grade, fondern — was fchlimmer — unkünftlerifch. Es ift die
widerlich ins Kraut gefchoffene Dekoration der Schule von Fontainebleau,
die hier ihre Früchte trägt, und die nicht mehr in feinem finnigem Spiel
die Flächen gliedern, fondern in breitfpuriger Selbftverherrlichung Aller
Augen auf fich lenken will.
Aufserordentlich zahlreich find auch fonft noch die kirchlichen Bauten,
welche damals in der Normandie entftanden. So finden wir an der Kathe-
drale von Evreux^) die Nordfagade um 1531 durch Jean Coffart in dem
bezeichnenden Stil diefer Frühzeit ausgeführt. Später, unter Heinrich II,
wurde dann die Hauptfagade in entwickeltem Renaiffanceftil vollendet. Sehr
merkwürdig find fodann an der in Trümmern liegenden Abteikirche Val-
mont3) die überhöhten rundbogigen Arkaden auf dorifchen Säulen, die
Triforien mit ihren ionifchen Säulenftellungen und darüber der abfchliefsende,
') Aufn. bei Rouyer et Darcel II, 1—6. Dazu Paluftre II, 210. — ^) Paluftre II, 208. — -
3) Paluftre II, 200.
§ 98. Kirchen zu Paris.
357
antike Confolenfries. Dagegen find die Triforien der Kirche zu Pont-
Audemer') gothifch ; im Uebrigen aber die mittelalterliche Conftruction
durch üppige Renaiffanceornamente belebt. Wie feltfam oft in diefer Zeit
diefe Stilmifchung fich ausnimmt, bezeugt vor Allem das Innere der Kirche
St. Germain zu Argentan,^) in deren Chorumgang die in zwei Gefchoffen
mit dorifchen und ionifchen Säulenftellungen bekleideten Pfeiler feltfam mit
den mittelalterlich profilirten Rippen der Netzgewölbe und ihren üppigen
freifchwebenden Schlufsfteinen contraftiren. (Figur 121). Eine äufserft
elegante Dekoration von höchfter Feinheit zeigt die Kirche Notre Dame
de Pitie in Longni,3) 1545— 1549 ausgeführt, Befonders reich fmd die
Strebepfeiler mit ihren Doppelnifchen und zierlichen Krönungen, fowie das
reizend durchgeführte Hauptportal, Dagegen ift das Innere einfach,
namentlich fehlen die fonft fo beliebten Schlufsfteine. Wiederum zeigt die
Kirche von Almeneches'*) bei Argentan, welche 1550 vollendet wurde,
diefe Eigenthümlichkeit in reicher Anwendung. Wie noch damals oft
Mittelalter und Renaiffance aneinanderftiefsen, beweift die Kirche von M o r-
tagne,5) welche 1535 in gothifchem Stil vollendet wurde, fieben Jahre
fpäter aber einen Renaiffancethurm erhielt. Eine ausgebildete Fagade des
neuen Stils finden wir an Ste. Marie zu Caudebec,^) während St. Remy
zu Dieppe,'') von 1522 — 1531 ausgeführt, den Spitzbogen mit Renaiffance-
details verbindet. St. Jacques in derfelben Stadt vom Jahr 1535 zeigt
im Aeufsern die Strebepfeiler mit zierlichen Tabernakeln dekorirt, im Innern
dagegen die Gewölbe mit reichen hängenden Schlufsfteinen. Bisweilen
werden die in der Normandie fchon feit der romanifchen Epoche allgemein
gebräuchlichen hohen Vierungsthürme im Innern völlig in die Botmäfsig-
keit des neuen Stils gebracht; eins der merkwürdigften Beifpiele ift
St. Pierre von Contances,^) deffen Centraithurm mit den Ordnungen der
antiken Architektur elegant geghedert ift. Das oberfte Gefchofs diefer
prächtigen Laterne erhielt erft unter Heinrich III feine Vollendung.
IE Stadt Paris hat im Bündnifs mit der Sorbonne während des 16.
Jahrhunderts in allen Geifteskämpfen , namenthch in denen des reli-
giöfen Gebiets eine energifche Rückfchrittsrolle gefpielt, die fich auch in
ihren künftlerifchen Unternehmungen ausdrückt. Von den zahlreichen und
anfehnhchen, noch völlig dem gothifchen Stil angehörenden Kirchen, welche
fie in diefer Epoche ausführte, war fchon im § 12 die Rede. Indeffen hatte
i) Paluftre II, 215. — Ebenda II, 223. — 3) Ebenda II, 220. — Ebenda II, 220. — •,
5) Ebenda II, 220. — ^) Paluftre II, 199. — 7) Ebenda II, 199. — ^) Ebenda II, 240.
§ 98.
Kirchen zu Paris.
358
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
die Bauluft Franz' I doch fo viel Einflufs, dafs auch hier unter feiner Re-
gierung einige Kirchen entftanden, die den Stempel der neuen Zeit in her-
vorragender Weife an fich tragen. Zu diefen gehört zunächft St. Etienne
du M o n t. Neben der alten Abtei von St. Genevieve hatte fich feit dem
13. Jahrhundert eine Pfarrkirche erhoben, die am Ende des 15. Jahrhun-
derts bei der ftark angewachfenen Volkszahl einen Erweiterungsbau drin-
gend bedurfte. Aber erft 15 17 kam man dazu, den Bau zu beginnen, und
1537 war nur der Chor vollendet. Im folgenden Jahr kam das füdhche
Seitenfchiff mit den Kapellen zum Abfchlufs , 1541 konnten die Altäre
geweiht werden, aber noch 1 563 blieb die Bauunternehmung im Gang, und
die Fagade wurde erft 16 10 begonnen.
Die Kirche bietet im Innern ein wunderliches Compromifs zwifchen
der Gothik und der Renaiffance, doch fo dafs letztere nur an den Brüftungen
der Galerieen, den Eierftäben der Pfeilerkapitäle und ähnlichen untergeord-
neten Details zur Erfcheinung kommt. In Anlage und Conftruction noch
völlig gothifch zeigt fie einen polygonen Chor mit Umgang und Kapellen-
kranz, ein hohes Mittelfchiff mit übermäfsig hohen Seitenfchiffen und nie-
drigen Kapellen. Der Eindruck ift nichts weniger als erfreuhch, da das
Mifsverhältnifs der Höhenentwicklung unbefriedigend wirkt. Die Rund-
pfeiler werden im Chor durch fpitzbogige gothifch gegliederte Arkaden
verbunden, die gleich den breiten Gewölbrippen ohne Kapitäl fich aus dem
Schaft entwickeln. Im Schiff kommt die fortgefchrittene Renaiffance in
architravirten Rundbögen zum Ausdruck, die aber dem Höhencharakter
des Baues noch unangenehmer widerfprechen. Eine merkwürdige Anord-
nung ift die Anlage eines Umgangs, der als Galerie in der halben Höhe
des Mittelfchiffs die Pfeiler verbindet und fich an der Rückfeite um die-
felben hinzieht, eine Communication um den ganzen Bau gewährend. Die
gothifchen Sterngewölbe find fämmthch mit herabhängenden Schlufsfteinen
verfehen, die höchft elegant in durchbrochener Arbeit wieder das behebte
Prachtftück der ganzen Anlage bilden. Schwerfälhg und breit dagegen
find die Fenfter, mit unfchönem Maafswerk , die oberen fpitzbogig , die
unteren rundbogig gefchloffen. HäfsUch ift auch der Lettner mit feinen
flachen Bögen und der durchbrochenen Wendeltreppe. Ein elegantes Deko-
rationsftück dagegen die Portale zu den Chorumgängen im Renaiffance-
gefchmack. Mit einem Wort : es ift die handwerksmäfsig gewordene Gothik,
die fich ungefchickt genug mit einzelnen antiken Schmucktheilen heraus-
zuputzen fucht.
Anders verhält es fich mit der feit 16 10 hinzugefügten Fagade (Fig. 122).
Sie fchliefst fich in ihrer fteil aufragenden Gefammtform dem Bau des
Aufn. in Gailhabaud, IV.
36o
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit.
Schiffes an, fucht aber die Elemente der Antike zur Gliederung und Deko-
ration zu verwenden. Diefs ift hier noch nicht zu einer völlig fchulmäfsigen
Durchführung vorgedrungen, doch kann man das intereffante Werk als
bahnbrechenden Vorläufer für die bald nachher auftretenden ftreng antiki-
firenden Fagaden betrachten. Bezeichnend ift, dafs die langen Fenfter nach
mittelalterlicher Sitte beibehalten fmd, ja dafs felbft das Radfenfter noch
Aufnahme gefunden hat. Der Mittelbau mit feinen eleganten korinthifchen
Säulen nach der »franzöfifchen Ordnung« de l'Orme's, und dem reich
gefchmückten Giebel, darüber als oberer
Abfchlufs der zweite gebogene Giebel, in
allen Theilen mit gefchmackvoller Orna-
mentik ausgeftattet, ift ein Beweis, mit
welcher Anftrengpng man die antiken
Syfteme den Kirchenfagaden anzupaffen
fuchte.
Von ungleich höherem Werth ift die
fchöne imd grofse Kirche St. Euftache,
die reichfte und gröfste Pfarrkirche auf
dem rechten Seineufer. ') Sie wurde feit
1532 unter Leitung eines Meifters David
völlig neu erbaut, und zwar begann man
mit dem Schiff zuerft. Die Bauführung
fchritt langfam vor, und der Chor wurde
erft 1624, das Ganze noch etwas fpäter
vollendet.
Auch hier begegnen wir einer ftreng
mittelalterlichen Anlage, die mit feltner Con-
fequenz in fo fpäter Zeit feftgehalten und zu
(Baldinger
noch einmal mächtig ausbricht.
fchöner Harmonie durchgeführt worden ift.
Das Innere zeigt bedeutende Verhältniffe
und jene Neigung zum Ueberfchlanken, die
in der fpätgothifchen Kunft Frankreichs
Das Mittelfchiff erhebt fich wenig über
die vier hohen Seitenfchiffe, hat aber doch unter feinen Fenftern ein voll-
ftändiges Triforium. Niedrige Kapellen umgeben die Abfeiten und fetzen
fich mit diefen als Umgänge um den hohen Chor fort. Der Eindruck des
Innern ift ein überaus lichter, freier und wohlthuender. Alle Formenaus-
bildung vollzieht fich im Rundbogen und im feinften Renaiffanceftil , alle
conftructiven Gedanken gehören fammt der Anlage und Eintheilung des
') Vgl. V. Calliat, l'eglile St. Euftache ä Paris. Fol. Paris.
§ 99- Kirchen in Isle de France.
361
Planes dem gothifchen Syftem. So zeigen namentlich die Pfeiler mittel-
alterliche, aber fehr breit gezogene Profilirungen, die mit reichen Renaiffance-
formen dekorirt find.
Am Aeufseren (Fig. 123) find die Strebepfeiler und Bögen, die Gefimfe
und die Fenfter, die Giebel der Kreuzfchiffe mit ihren Portalen völlig in
Renaiffanceformen überfetzt; aber es fehlt jene geiftreich freie Behandlung
von St. Pierre zu Caen, und ftatt ihrer tritt ein etwas barocker Clafficismus
ein, der am entfchiedenften an der) Strebebögen und den Fenftern Schifi"-
bruch leidet. Eine fchöne und wirkungsvolle Compofition in reich dekora-
tiver Frührenaiffance war dagegen die Hauptfagade mit ihren drei Portalen,
die fpäter, noch unvollendet, abgeriffen und durch die Architekten Manfard
de Jouy und Moreau mit dem ftümperhaften, zum übrigen Bau gar nicht
paffenden Werk vertaufcht wurde, welches man jetzt ficht.
§ 99-
Kirchen in Isle de France.
VON jener anziehenden Vermifchung mittelalterlicher Conftruction und
Anlage mit Renaiffance-Ornamentik bietet auch eine Anzahl von
Kirchen in der damals wieder fo bauthätigen Provinz Isle de France mannig-
faltige Beifpiele. Wir nennen die Kirche zu M ontj avoult ') mit einem
Portal in prächtiger Frührenaiffance, deffen etwas fchwerer breiter caffettirter
Bogen auf einer Wand mit zierlichen Nifchen ruht , die durch cannelirte
korinthifche Pilafter eingerahmt find. Das Ganze , von frei vortretenden
korinthifchen Säulen triumphbogenartig umrahmt, bietet eine höchft origi-
nelle Compofition. Die kraufefte Stilmifchung zeigt der Chor der Notre-
Dame zu La-Ferte-Milon,^) deffen gothifche Fenfter fehr fpäte Fifch-
blafen-Maafswerke zeigen, während die Gliederung der Mauern durch dorifche
Pilafter und Triglyphenfries bewirkt wird. Die Jahreszahl 1 563 beweift, bis
in wie fpäte Zeit fich diefe Mifcharchitektur erhielt. Dagegen gehört
St. Aspais zu Melun, 3) feit 1 506 erbaut, zu denjenigen Kirchen, welche
noch völlig der mittelalterlichen Weife folgen, in Einzelheiten aber das
erfte Auftauchen von Renaiffanceformen verrathen. Aehnliches gilt von
der Kirche zu Montereau -Fault-Yonne, welche noch 1534 diefelbe
Stilmifchung, aber mit etwas ftärkerem Zufatz von Renaiffanceformen zeigt.
Eine höchft elegante Fagade des neuen Stils, üppig und reich durchgeführt,
finden wir an der Kirche zu Othis,^) deren Portal mit dorifchen Säulen
und prachtvollem Triglyphenfries dekorirt ift. Die Strebepfeiler, mit can-
nehrten ionifchen Pilaftern eingefafst, find nicht minder elegant und prächtig.
') Paluftre I, 69, — Ebenda I, 105. — 3) Ebenda I, 142. — 4) Paluftre I, 144. —
s) Ebenda I, 146.
362
Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit.
Der Bau wurde erft 1573 vollendet. Aehnliche Behandlung zeigt die Kirche
zu Brie-Comte-Robert,') nur dafs hier die korinthifche Ordnung herrfcht,
die ftets auf eine um etwas frühere Zeit deutet. Ganz im Stil der Re-
naiffance ift dann die Kirche zu Etrepilly^) durchgeführt. Eins der
fchönften Beifpiele diefer Art ift die Kiixdie zu Beiloy, 3) deren Fagade um
1 540 entftanden ift, und die man neuerdings Jean Bullant zufchreibt. Dahin
gehört auch die Kirche von Sarcelles,"*) etwas jünger, etwas einfacher,
aber in demfelben Geift behandelt. Ungefähr dasfelbe gilt von der Kirche
zu Villiers-le-Bel5) mit ihren antikifirenden Strebepfeilern, die gleichfalls
als ein Werk Bullanfs bezeichnet wird. Sie trägt die Daten 1545 und
1550. Noch eine ganze Anzahl kirchlicher Gebäude,^) wie die von
Luzarches [St. Damian], die zu Gouffain ville von 1559, die zu Isle-
Adame, 1567 vollendet, ferner die von Maffliers und Mesnil- Aubry
(um 1582) tragen fämmtlich den Charakter der Bullant'fchen Kunftweife,
fo dafs man wenigftens feinen Einflufs oder feine Schule darin erkennen
kann. An ihn felbft dagegen ift fchwerlich zu denken. Der letztgenannte
Bau zeigt trotz der fpäten Entftehungszeit immer noch fpitzbogige Arkaden
auf dorifchen Säulen mit Gebälk und Triglyphenfries.
Ein anziehender Bau ift fodann St. Maclou in Pontoife, an welcher
feit etwa 1525 die nördlichen Seitenfchifife ausgeführt wurden, die man
demfelben Pierre Lemercier zufchreibt, welcher 1552 den Auftrag erhielt,
den Thurm zu vollenden. Von 1566 — 1578 wurden dann die füdlichen
Seitenfchifife in einem ftrengeren Stil hinzugefügt. Etwas früher, von 1 548
bis 1561, wurde an der Notre-Dame zu Magny^j das füdliche Seiten-
fchifif und das Kreuzfchifif ausgebaut, erfteres am Aeufsern mit ionifchen
Pilaftern, letzteres mit Halbfäulen derfelben Ordnung auf Pilaftern ftatt der
Strebepfeiler. Die Fenfter find zwar im Rundbogen gefchloffen, aber noch
mit gothifchem Maafswerk , freilich von fehr häfslicher Form , gegliedert.
Auf dem Kreuzfchifif erheben fich zwei zierliche Giebelauffätze mit Nifchen,
die von korinthifchen Pilaftern eingefafst find. Man fchreibt diefe Theile
Jean Grappin, dem Architekten der Kirche von Gifors zu. Auf denfelben
Meifter glaubt man die Kirche von St. Gervais^) zurückführen zu dürfen,
deren Portal vom Jahr 1550 in fehr eleganter Weife antikifirend durch-
geführt ift.
Eine ftrengere Fagade vom Jahr 1549 finden wir an der Kirche
St. Georges zu Villeneuve,^) namentlich find die beiden dorifchen Seiten-
portale bemerkens Werth.
0 Paluflre I, 144. — =>) Ebenda I, 148. — 3) Ebenda II, 3. — '>) Ebenda II, 5. —
5) Ebenda II, 5. — 6) Ebenda II, 7. ~ ?) Ebenda I, 70. — 8) Ebenda II, 14. — 9) Ebenda
II, 19.
§ 100. Kirchen zu Troyes. 363
§ 100.
Kirchen zu Troyes.
EIN verheerender Brand, welcher im Jahr 1524 die Stadt Troyes betraf
und ganze Stadtviertel fammt fieben Kirchen zerftörte, gab Veran-
laffung zu Neubauten aller Art, die in umfaffender Weife auch den kirch-
lichen Monumenten zu Gute kamen. Troyes noch immer eine der an-
ziehendften und alterthümhchften Städte Frankreichs, bietet daher eine
Reihe von kirchlichen Denkmalen, in welchen die Mifchung des gothifchen
Stils mit der Renaiffance mannigfach zum Ausdruck kommt. Meift in engen
winkligen Strafsen der dicht bevölkerten Stadt gelegen, find diefe Gebäude
von mäfsigem Umfang und zeigen in ihrem Grundrifs intereffante Verfuche,
dem kirchlichen Bedürfnifs gerecht zu werden , im Kampf mit äufserfh be-
fchränkenden Raumbedingungen. So find z. B. mehrfach die Chöre gerad-
linig gefchloffen, um die ganze von den anftofsenden Strafsen geftattete
Breite auszunutzen, aber im Innern fchliefst gleichwohl das Mittelfchifif
polygon, und die Seitenfchifife fammt ihren Kapellen, wo letztere vorhanden,
fuchen durch künftliche Gewölbeanlagen den rechtwinkhgen Abfchlufs mit
dem Innern Polygon zu vermitteln.
Solcher Art ift die Kirche St. Nicolas, die von 1526— 1600 völlig
erneuert wurde. Sie befteht aus einem hohen Mittelfchifif und zwei niedrigen
fchmalen Seitenfchififen, fämmtlich mit reichen Sterngewölben verfehen, die
in den Chorabtheilungen mit üppig durchbrochenen Ornamenten an den
Rippen dekorirt find. In den Arkaden des Chores herrfcht noch der Spitz-
bogen, während das Schifif den Rundbogen zeigt. Am meiften Mühe haben
auch hier die Fenfter verurfacht, denn ihre grofsen rundbogigen Oeffnungen
find mit einem Maafswerk gefüllt, welches theils aus häfslichen fpätgothifchen
Formen, theils aus trockenen Renaiffancemotiven befteht. Am weftlichen
Ende des Schiffes führt eine grofse Treppe an der Südfeite zu einer präch-
tigen Empore, deren Anlage in ihrer Grofsartigkeit wahrhaft überrafchend
ift. Auch am Aeufsern kreuzen fich die beiden Stile, und von den beiden
Hauptportalen an der Nord- und Südfeite gehört das erftere noch ganz
der Spätgothik, während das andere fich in ziemlich freien phantafievoUen
Formen der Renaiffance bewegt.
Noch ftärker greift die Renaiffance mit ihren reichen Dekorationsformen
in die gothifche Conftruction und Anlage hinein bei St. Pantaleon, wo
das Innere gerade durch den bunten Wechfel der Formen zu höchft male-
rifcher Wirkung kommt. Die Kirche befteht aus einem hohen Mittelfchifif
mit fchmalen niedrigen Seitenfchififen und Kapellen. Der Chorfchlufs ift,
ähnlich wie bei St. Nicolas, im Aeufsern rechtwinklig, doch im Innern mit
polygonem oder vielmehr halbkreisförmigem Abfchlufs des Mittelraumes.
364
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
In den Arkaden, den Gewölben und den Fenflern der SeitenfchifFe gehört
alles noch der Gothik und dem Spitzbogen; dagegen find die Pfeiler des
Mittelfchiffs als coloffale korinthifche Säulen behandelt, die mit ihrem vor-
gekröpften Gebälk fich disharmonifch genug eindrängen. Ebenfo häfslich
ift das hölzerne Tonnengewölbe, mit welchem das Mittelfchiff abfchliefst.
Auch die rundbogigen Oberfenfter mit trocknem Füllwerk in Renaiffance-
form wirken ungünftig. Das Aeufsere zeichnet fich durch den reichen
Schmuck des Chores in fpätgothifchen Formen aus. Von den Portalen
ift das füdliche noch ein Werk der Gothik, während das nördHche der
entwickelten Renaiffance angehört.
An der kleinen Kirche St. Jean ift das Schiff vom Brande im We-
fentlichen verfchont geblieben; der Chor dagegen ebenfalls nach 1524
erbaut und zwar in fo gefteigerten Dimenfionen, dafs die Seitenfchiffe des-
felben an Höhe faft das alte Mittelfchiff erreichen. Die Gewölbe der Chor-
umgänge und Kapellen zeigen die üppigften Verfchlingungen eines mit
durchbrochenen phantaftifchen Ornamenten bekleideten Rippenwerks. Inter-
effant ift namentlich die Vermittlung des achteckigen Schluffes mit der
rechtwinkligen Form des Aeufsern. Das Letztere zeigt gleich dem um
1555 errichteten Glockenthurm diefelbe Stilmifchung. Zahlreiche tüchtige
Glasgemälde diefer Epoche fchmücken die Kirche, und auch in den übrigen
Denkmälern von Troyes fieht man noch genug ähnliche.
Einen andern Grundplan zeigt die kleine Kirche St. N i z i e r, die eben-
falls nach dem Brande in den Jahren 1535 bis 1578 erneuert wurde. Die
Seitenfchiffe fetzen fich als Umgänge mit drei polygonen Halbkapellen um
den aus dem Achteck gefchloffenen Chor fort: eine Anordnung die fchon
in St. Madeleine auftritt, im Uebrigen in Frankreich zu den Ausnahmen
gehört.') Die Arkaden, Gewölbe und Fenfter zeigen noch den Spitzbogen,
doch mifchen fich in das Maafswerk der letzteren die Formen der Renaiffance.
Auffallend find die breiten gedrückten Verhältniffe des Baues, welche der
fonft in Troyes herrfchenden ungemein fchlanken Entwicklung entgegen-
gefetzt find. Von den Portalen zeigt das füdliche noch gothifche Reminis-
cenzen, das nördliche mit Säulen und Gebälk die Formen der Renaiffance,
und das weftliche Hauptportal den letzteren Stil in einer eleganten triumph-
bogenartigen Compofition, die in zwei Gefchoffen mit ionifchen und korin-
thifchen Säulen fammt eleganten Details fich ausfpricht.
Diefelbe Grundrifsbildung zeigt die kleine Kirche St. Remy, deren
Schiff noch dem Mittelalter angehört, während der Chor mit feinen Um-
') Es ift diefs jene äufserfte Reduktion des franzöfifchen Chorfchema's mit Umgang
und Kapellenkranz, welche an den norddeutfchen Backfteinbauten von Lübeck, Doberan,
Schwerin, Roftock, Wismar etc. vorkommt, und die wir in Frankreich aufserdem noch an
St. Jean zu Caen, in Belgien an der Kathedrale von Tournay nachweifen können. —
loi. Kirchen im übrigen Frankreich.
gängen und Kapellen, feinen Gewölben und Fenftern den gemifchten Stil
des 16. Jahrhunderts verräth.
§ loi.
Kirchen im übrigen Frankreich.
Es genügt in einigen Beifpielen die weitere Verbreitung diefer wunder-
lichen Mifchformen, die künftlerifch keine erhebliche Bedeutung haben,
nachzuweifen, um die allgemeine Herrfchaft diefer phantaftifchen Dekorations-
weife hervorzuheben.
Noch unklar zwifchen beiden Stilen fchwankend zeigt fich die Fagade
der Kirche von Tilloloy') in der Picardie, Departement der Somme. Es
ift ein hoher, breiter, ungegliederter Giebelbau, von zwei Rundthürmen
mit fpitzen Kegeldächern flankirt: eine Compofition, die mehr an nord-
deutfche als an franzöfifche Bauten erinnert. Die Maffe des Mauerwerks
befteht aus Backftein, alle charakteriftifchen Formen aber, das Portal, die
Fenfter, Gefimfe und Nifchen aus Quadern. Wunderlich fpielen hier die
Elemente der Renaiffance mit zierHchem Arabeskenwerk der Pilafter , mit
zahlreichen dekorativen Nifchen, mit der Umfaffung, Krönung und Gliede-
rung des Portals in die gothifche Detailbildung hinein. Letztere findet
ihren Ausdruck hauptfächlich in dem grofsen Radfenfter und in gewiffen
Maafswerkornamenten , die ebenfo feltfam als gefchmacklos den hohen
Giebel zu fchmücken fich anftrengen. Das Ganze zeigt uns eine bizarre
Compofition, die das volle Verftändnifs der Antike auch nicht annähernd
erreicht, zugleich aber den richtigen Gebrauch der gothifchen Formen ver-
loren hat. Im Innern findet fich die Jahrzahl 1534, wie Palufl:re I, 38
angiebt; nicht wie Berty a. a. O. mittheilt, 1554.
Wie an andern Orten um diefelbe Zeit componirt wurde, bezeugt ein
kleiner Kirchenbau der Champagne. In der Nähe von Troyes unfern
Rozieres hegt der kleine Ort St. Andre, ehemals durch eine in der Revo-
lution zerftörte Abtei ausgezeichnet. Die Pfarrkirche, ein an fich unanfehn-
licher Bau, erhält durch ein ungewöhnlich grofsartiges und prachtvolles
Hauptportal vom Jahre 1549 Bedeutung. Es ifi; eine der reichften Com-
pofitionen diefer Art, welche die Epoche Heinrichs II hervorgebracht hat,
und dürfte nicht leicht durch ein ähnHches übertroffen werden. Die Antike
herrfcht ausfchliefslich, in vollem Verftändnifs der Formen, aber auch ohne
alle fchulmäfsige Trockenheit, vielmehr fpricht fie fich mit der Kraft einer
üppig überftrömenden Phantafie aus. Das Ganze befteht triumphbogen-
artig aus zwei Ordnungen von vier korinthifchen Säulen, die im Erdgefchofs
zwei gleich hohe und weite Eingänge, im oberen Stockwerk zwei grofse
I) Aufn. in A. Berty, ren. mon. Vol. I. Vgl. dazu L. Paluftre, a. a. O. I. Bd.
366
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
Rundbogenfenfter umfchliefsen. Ein prachtvoller Fries fammt Zahnfchnitt-
gefims trennt die beiden Stockwerke, ein Confolenfries mit antikem Tempel-
Giebel krönt das Ganze. Die Portale und Fenfter, die Nifchen und das
Rahmenwerk der Seitenabtheilungen, die Stilobate, ja alle irgend fich dar-
bietenden Flächen find mit verfchwenderifcher Dekoration bedekt, und felbft,
über die Schäfte der Säulen find Blumen- und Fruchtgehänge in feftlicher
Pracht ausgebreitet. Zwifchen den beiden Fenfbern ift die Statue des
h. Andreas angebracht, und zwei andre Heiligenfiguren füllen die Nifchen
des oberen Gefchoffes.
Von ähnlicher Auffaffung zeugt das Martinsportal der Kirche Notre
Dame zu Epernay. Ein reich caffettirter Bogen wird von zwei Ord-
nungen gekuppelter korinthifcher Säulen eingerahmt, und ein Confolengefims
mit antikem Giebel macht auch hier den Abfchlufs. Doch erhebt fich
darüber ein fchmalerer Auffatz, deffen Triglyphenfries von zwei Karyatiden
getragen wird. Auf beiden Seiten vermitteln Voluten, in Pflanzengewinde
auslaufend, den Uebergang zum breiteren Unterbau. Das Portal felbft
befteht aus einer doppelten Oefifnung, deren Bögen auf Confolen ruhen.
Ein reiches Gefims trennt diefen Theil von dem grofsen triumphbogen-
artigen Rundbogen, der beide Oefifnungen umfafst. Sein Tympanon ift
nach Art eines fünftheiligen Radfenfters ausgefüllt, eine letzte Reminiscenz
des Mittelalters. Alle Gliederungen und Flächen diefes prächtigen Werkes
find mit verfchwenderifchem plaflifchem Schmuck bedeckt.
Auch im Süden finden wir ein ähnhches Prunkftück am Portal der
Kirche Dalbade zu Touloufe. Es zeigt ebenfalls zwei Oefifnungen, die
mit korinthifchen Pilaftern und cannelirten Halbfäulen eingefafst werden.
Darüber bildet den Abfchlufs ein Gebälk fammt Fries mit eleganten Ara-
besken. In der Mitte fieht man auf reichgefchmückter Säule die Statue
der Madonna, während auf beiden Seiten zierhche Nifchen für ähnhchen
Schmuck beftimmt waren. Das Tympanon ift von zwei Fenftern durch-
brochen, der Bogen reich eingefafst , und der obere Abfchlufs durch eine
Nifche mit antikem Giebel bekrönt. Die Compofition des Ganzen hat noch
etwas Unficheres, die Dekoration etwas willkürlich Spielendes, was auf die
Zeit Franz' I hinweift.
An der Kirche St. Sern in ebendort hat die Frührenaiffance, ähnhch
wie an der Dalbade, ein befonderes Prachtftück in dem eleganten Portal
hingeftellt, welches in einigem Abftande dem älteren Portal des füdlichen
Seitenfchififs vorgefetzt ift. In marmorartigem Kalkftein ausgeführt, ift es
eine der zierlichften Compofitionen aus der Zeit Franz' I. Eine hohe Bogen-
pforte ruht auf fein gegliederten Rahmenpilaftern und wird von einem
') Taylor et Kodier, Voyages, Champagne.
§ loi. Kirchen im übrigen Frankreich.
Syftem vorfpringeiider Pfeiler mit vortretenden fchlanken Säulchen eingefafst,
deren Schaft gegürtet und in den oberen Theilen mit den fubtilften Orna-
menten gleichfam überhaucht ift. In den Bogenzwickeln fieht man Medail-
lons mit Zerftörten Füllungen, in dem Friefe und dem hohen Bogenfelde,
welches unter einem einfachen Giebel das Ganze abfchliefst, breiten fich
die zarteften Laubranken aus. Diefes fchöne Portal wird gleich allen übrigen
dortigen Arbeiten aus jener Epoche einem trefflichen einheimifchen Künftler
Nicolas Bachelier zugefchrieben. Auch das Portal der Dal bade wird auf
ihn zurückgeführt.
Dagegen gehört dem Anfang des 17. Jahrhunderts (infchriftlich 161 1
bis 1632 ausgeführt) die Kirche von St. Florentin in Burgund, Depar-
Fig. 124. Chambord. Dorfkirche. (Lafius.)
tement der Yonne,') ein Bau, der durch die elegante Fagade des nörd-
lichen Querfchiffs bemerkenswerth ift. Der hohe, fchmale Giebelbau wird
durch polygone Thürme flankirt und zeigt in drei Gefchoffen eine Dekora-
tion mit korinthifchen , ionifchen und dann wieder korinthifchen Pilaftern,
prächtige Confolengefimfe, ein elegantes Portal und fein gegHederte Nifchen,
Alles in edler und flüffiger Behandlung mit gutem künftlerifchem Gefühl
durchgeführt. Es ift eins jener Beifpiele, wo die Formen der Antike fich
als blofse Dekoration, aber mit Gefchmack und Feinheit, einem ganz fremd-
artigen Baukörper anfchmiegen.
I) Aufn. in Berty, ren. monum. T. I.
368
Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit.
Diefen vereinzelten Beifpielen, denen fich noch manche anfügen liefsen,
genügt es uns das Mufter einer kleinen Dorfkirche diefer Zeit hinzuzu-
geben. Es ift die Kirche zu Chambord (Fig. 90). Der fonft unbedeu-
tende Bau zeichnet fich durch eine Fagade aus, welche in der leichten
graziöfen Weife der Zeit Franz' I ausgeführt ift. Obwohl nur eine Dekora-
tion, hat fie doch durch die gefälligen Verhältniffe , den ungemein glück-
lichen Aufbau und die zierliche Durchführung Anfpruch auf Beachtung.
§ 102.
Thurmbauten.
JE weniger die Renaiffance in Frankreich mit dem Innern der Kirchen
anzufangen wufste, je unverbrüchlicher fich dort die Anlagen und Con-
ftructionen der Gothik gegen die neuen Formen behaupteten, um fo eifriger
tritt das Bemühen hervor, dem Aeufseren der Kirchen einen Antheil vom
Gepräge des neuen Stiles zu fichern. War das, wie wir gefehen haben,
an Portalen, Fagaden und andern Einzelnheiten fchon der Fall, fo erreichte
diefs Streben feinen Höhepunkt bei den Thurmbauten. Selbftändige Werke
wie fie find, wenigftens in ihrem oberen Aufbau, hefsen fie fich leichter
nach einem beftimmten Syftem behandeln und geftatteten die dekorative
Anwendung antiker Glieder in ziemlich freier, ja oft in fehr gelungener
Weife. Die Anlage und Confl:ruction bleibt dabei mittelalterlich, infofern
ein Syftem von kräftigen Strebepfeilern und leichteren Füllmauern, letztere
durch Schallöfifnungen unterbrochen, die Grundlage bildeten. Aber indem
man den einzelnen Stockwerken die antiken Säulenordnungen als Dekora-
tion vorfetzte, erhielt man durch die kräftig vorfpringenden Gefimfe fcharf
markirte Horizontalabfchnitte, und an die Stelle des raftlofen Aufwachfens
und Verjüngens gothifcher Thürme trat jene gemeffenere, durch rhythmifche
Abtheilungen gebundene Bewegung, welche das Grundgefetz antiken Auf-
baues ausmacht. Oft ifi: die Löfung der Aufgabe eine ungemein glückliche,
echt künftlerifche, und in folchen Fällen wird man an die fchönen Thurm-
bauten romanifcher Zeit erinnert, die ja dasfelbe Gefetz horizontaler Thei-
lung befolgen.
Der fchwierigfiie Punkt der Aufgabe fl:ellte fich aber beim Abfchlufs
folcher Thurmbauten dar. Gegen die fchlanken Thurmhelme der gothifchen
Zeit hat die Renaiffance eine leicht begreifliche Abneigung, die wir auch
bei den Berathungen über die Vollendung des Thurms der Kathedrale zu
Ronen hervortreten fahen. (S. 76). Wie in jenem Falle entfchied man fich
bisweilen für ein flaches Terraffendach , fo dafs der Abfchlufs in antikem
Sinn durch die Horizontale gebildet wurde. Doch wirkte die alte Sitte
noch kräftig genug nach, um in den meiften Fällen eine fchlankere Krö-
nung wünfchenswerth zu machen, in der die auffteigende Tendenz aus-
§ 102. Thurmbauten.
369
klingen und zur künftlerifchen Löfung gelangen konnte. So weit jedoch
machte auch hier die antike Ueberzeugung fich geltend, dafs nicht ein
fpitzes Giebeldach, fondern die weich gefchwungene Linie einer Kuppel
dabei zur Verwendung kam.^)
Wohl das fchönfte Beifpiel folchen Thurmbaues bieten die Thürme
der Kathedrale zu Tours, ^) deren nördlicher laut einer Infchrift im
Schlufsftein der Laterne fchon 1 507 vollendet wurde, während der füdliche
erft 1547 zur Vollendung kam. In den unteren Theilen noch romanifch,
zeigen fie oberhalb des Schiffs einen Aufbau in den glänzenden Formen
der Renaiffance und zwar in der reizvollften und pikanteften Weife.
Originell ift der Uebergang ins Achteck vermittelt, indem auf den vier
Ecken elegant gegliederte Pfeiler ftehen bleiben, von denen fich Strebebögen
nach dem Mittelbau hinüber fchlagen. Eine durchbrochene Galerie zieht
fich um den Fufs diefes Stockwerks herum , eine zweite bezeichnet den
Anfang des folgenden. Von hier verjüngt fich der Bau, indem er mit
fechzehn Rippen fich kuppelartig zufammenzieht, dann nochmals in zierlich
durchbrochener Laterne lothrecht emporftrebt, um endlich mit einer kleinen
Kuppel zu fchliefsen. Die Dekoration ift von unerfchöpflicher Mannig-
faltigkeit und voll graziöfer Erfindung. Die antiken Formen, die canne-
lirten, die mit Rauten oder mit Arabesken gefchmückten Pilafter, die
Gefimfe mit ihren Zahnfchnitten und Confolen, die Friefe mit ihren Ara-
besken, die vafenartigen Auffätze, das Alles ift in freier Genialität zur
Verwendung gebracht, und ebenfo zwanglos verbinden fich damit die mittel-
alterlichen Elemente, die caffettirten Strebebogen, die üppigen Krabben,
welche ihnen fowie den beiden Kuppeln beigegeben find, die Schallöffnungen
mit ihren Theilungsfäulchen , endlich die Wafferfpeier der Gefimfe. Dazu
kommen frei fpielende Motive, wie die acht Säulchen mit vafenartigen Auf-
fätzen, welche die untere Kuppel umgeben. Mit einem Wort, es ift wieder
eine jener phantafievollen hochoriginalen Schöpfungen, an welchen die
Schule der Touraine zur Zeit der Frührenaiffance fo reich war. Aufserdem
gehört der nördliche Thurm kraft feiner ungewöhnlich frühen Datirung
zu der kleinen Zahl von Bauwerken, bei welchen die Renaiffance zum erften
Mal in Frankreich zur Anwendung kam.
In nicht minder bedeutender Weife wird eine mehr ftreng antikifirende
Auffaffung durch ein anderes Beifpiel vertreten: die Thürme von St. Michel
zu Dijon.3) Hier ift die ganze grofsartige Fagade dem Renaiffanceftil
') Dafs auch das gothifche Mittelalter gelegenüich folche Kuppellinien den geraden
Pyramiden vorzog, beweifen u. a. der Dom zu Frankfurt und die Kirche Maria Stiegen zu
Wien. — 2) Vgl. die fchöne Aufn. bei Berty, ren. monum. Vol. II. — 3) Abb. bei Chapuy,
Moyen äge mon. II, 240. III, 355.
LÜBKE, Gefch. d. RenaifHince in Frankreich, II. Aufl. 24
370
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
unterworfen, obwohl Anlage und Eintheilung völlig dem Mittelalter ange-
hören. Drei gewaltige faft gleich hohe und weite Portale öffnen fich in
zackenbefetzten Rundbögen zu eben fo vielen tiefen Vorhallen. Die Wände
derfelben find in Nifchen mit Statuen aufgelöft, die Wölbungen aber als
Tonnen mit frei behandelten Caffetten und reichem plaftifchem Schmuck
ausgebildet. Höchft originell ift der Gedanke, die mittlere Wölbung
kuppelartig zu durchbrechen, fodafs die Laternenkrönung derfelben über
dem horizontalen Abfchlufs diefes unteren Gefchoffes wunderlich genug
hervortritt. Zur Gliederung der Thürme (Figur 125) find die vier antiken
Säulenordnungen mit grofsem Gefchick verwendet, fo dafs man in diefer
Hinficht den Bau als muftergiltig bezeichnen kann. Den Abfchlufs bildet
eine kleine achteckige Laterne, die freiUch unvermittelt aus dem oberen
Gefchofs auffteigt. Der zwifchen den beiden Thürmen befindliche Theil
der Fagade zeigt zwei grofse blinde Halbkreisfenfter mit Maafswerk , als
Abfchlufs aber eine offene Galerie zwifchen korinthifchen Säulen, um den
Giebel des Mittelfchiffs zu maskiren.
Auch in andern Gebieten Frankreichs fehlt es nicht an folchen Re-
naiffancethürmen. Ein intereffantes Beifpiel zeigt die Kirche von Ar gen tan
im Departement der Orme.') Hier erhebt fich auf dem Querfchiff nach
normanifcher Weife ein fpätgothifcher Thurm; an der Fagade aber fteigt
nördhch ein mächtiger viereckiger Thurm empor, mit zwei achteckigen
Obergefchoffen , die in eine Kuppel endigen. Sie find mit Pilaftern und
darüber mit korinthifchen Säulen bekleidet, und der Uebergang aus dem
Viereck wird durch Pfeiler mit Strebebögen nach mittelalterlicher Weife,
aber in Renaiffanceformen bewirkt.
Den Uebergang vom Mittelalter zum neuen Stile erkennen wir an der
Pfarrkirche von Bourg, einem flattlichen Werke der Frühepoche. Als mit
dem Neubau der Kirche von Brou die Pfarrverwefung nach Bourg verlegt
wurde, begann man den Bau einer anfehnlichen Pfarrkirche. Louis van
Boghem wird im Dezember 15 14 als Hauptmeifter genannt, unter welchem
mehrere Maurermeifter der Stadt das Werk ausführten. Anordnung und
Behandlung erinnern deutlich an die Kirche von Brou, nur ift alles ein-
facher gehalten, aus dem FürftUchen ins Bürgerliche überfetzt. Das hohe
Mittelfchiff ifi: wie dort jederfeits von zwei niedrigeren Seitenfchiffen
begleitet, alles wieder mit Sterngewölben bedeckt, nur find die Verhältniffe
durchweg fchlanker als dort. Der Chor, fünffeitig aus dem Achteck
gefchloffen, hat frei fchwebende, keck durchbrochen gearbeitete Schlufs-
fteine in den Gewölben, von phantaftifcher Wirkung. Tüchtig gearbeitete
') Abb. bei Chapuy, Möyen äge mon. III, 309. Dazu Paluftre II, 221 ff. mit Ab-
bildungen.
§ 102. Thurmbauten.
Chorftühle mit grofsen Heiligenfiguren in Flachreliefs auf den Rückfeiten
zeugen von gediegener Behandlung, und im Ornament wieder Einflüffe der
Renaiffance.
Sehen wir hier ein Schwanken zwifchen Gothik und Renaiffance, fo
hat letztere endlich an der fehr ftattlich mit einem kuppelgekrönten Thurm
Fig. 125. Dijon. S. Michel. (Baldinger nach Chapiiy.)
ausgebildeten Fagade den Sieg davon getragen. Zwar fpielen in die Form
der Portale mittelalterhche Gedanken noch hinein, namentlich in der an
romanifche Portale erinnernden Gliederung; aber die drei Syfteme gekup-
pelter Pilafter und Halbfäulen, welche die Strebepfeiler beleben, fowie die
achteckige Kuppel, welche den Thurm abfchhefst, gehören gänzlich der
Renaiffance. Am füdlichen Portal Heft man die Jahreszahl I545-
24*
372
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
Eine völlig in claffifchem Sinn durchgeführte Compofition von origi-
nellem Gepräge zeigt fodann der Thurm an der Fagade von St. Patrice zu
Bayeux.') Der Unterbau ift mit Strebepfeilern flankirt, welche in dorifche
Säulen endigen. Ein Confolengefims bildet den Abfchlufs. Dann folgt ein
oberes Gefchofs mit ionifchen Säulen, welche klar gegliederte Schallöffnungen
umfchliefsen. Von nun an verjüngt fich . der Thurm zuerft mit einem von
korinthifchen Pilaftern bekleideten Stockwerk, über welchem zwei runde
auf Pfeilern mit Bogenftellungen durchbrochene Gefchoffe auffteigen , die
mit einer Kuppel und kleinen Laterne gekrönt find. Es ift ein v/ohl-
gelungener Verfuch, mit den Verjüngungen im Aufbau gothifcher Thürme
zu wetteifern.
Zu den originellften diefer Bauten gehört fodann der Glockenthurm
der Kirche von St. Amand (Nord). In mächtiger Maffe erhebt fich die
Fagade in fünf Stockwerken , durch üppig dekorirte Pilafter- und Säulen-
fyfteme gegliedert, aufserdem durch ftark barocke Nifchen der verfchie-
denften Form belebt. Kräftige Vorfprünge zu beiden Seiten werden durch
achteckige Aufiätze mit kuppelartigen Abfchlüffen bekrönt, während auf
dem weiter zurücktretenden Mittelbau ein achteckiger Auffatz in drei Ge-
fchoffen als machtvoller Hauptthurm emporfteigt , zuerft in eine Kuppel,
dann in eine obere Spitze mit Laterne auslaufend. Der ganze Bau, einer
der impofanteften feiner Art, echt flandrifch derb und üppig, erft 1633
vollendet.
Endlich verzeichnen wir noch ein Beifpiel jener mächtigen normannifchen
Vierungsthürme, die dem Norden Frankreichs eigen find. Es ift der Thurm
der Kirche St. Marie du Mont zu Charentan.3) Ueber einem
gothifchen Hauptgefchofs erhebt fich ein achteckiger Oberbau in zwei
Stockwerken, mit einer durchbrochenen Laterne abgefchloffen und von
einer Kuppel bekrönt. Die Formen haben das Gepräge einer fpielenden
Renaiffance.
EN Uebergang zu einer mehr claffifchen, felbft fchulmäfsigen Behand-
l_y lung der Renaiffance bilden einige kleinere Werke, namentlich Ka-
pellen, bei welchen es mögHch war, in felbftändiger Weife von der Anlage
und Conftruction des Mittelalters abzuweichen und zu neuen Geftaltungen
durchzudringen. Doch fehlt es auch unter diefen oft fehr anmuthigen
Werken nicht an Beifpielen des fchon mehrfach charakterifirten gemifchten
Uebergangsftiles.
S 103-
Kapellenbauten .
i) Abb. in Chäpüy, Moyen äge rtlon. II, 160. — 2) Paluftre 1, 8 ff. — 3) Abb. in
Chapuy, Moyen äge mon. Vol. II, 256.
§ 103. Kapellenbauten.
373
Flg. 126. Kapelle in St. Jacques zu Rheims. (Lafius.)
Zu den intereffanteften Vertretern diefer gemifchten Gattung gehört
eine kleine Kapelle in St. Jacques zu Rheims, von welcher unfere Fig. 126
eine Anfchauung giebt. Wie der Augenfchein lehrt, find hier für den Grund-
374
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit.
rifs, die Conftruction der Gewölbe und die Form der Fenfter noch mittel-
alterliche Motive mafsgebend ; aber der Rundbogen ift überall durchgeführt,
die gothifch profilirten Gewölbrippen ruhen auf antiken Deckplatten, Ge-
Fig. 127. Rouen. Kapelle S. Romain. (Sadoux.)
fimfen und Gebälken, die von gekuppelten korinthifchen Säulen getragen
werden. Was in grofsen Dimenfionen wahrfcheinlich unerträglich fein
würde, das wird hier bei den kleinen Verhältniffen zu einem eben fo an-
muthigen als pikanten Contraft und zum Ausdruck einer freien Grazie.
376
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
Eine Compofition von höchft originellem Gepräge ift fodann die kleine
Kapelle St. Romain zu Ronen (Fig. 127), welche 1542 an Stelle einer
alten verfallenen aufgeführt wurde. ') Es ift ein triumphbogenartiger kleiner
Bau, im Erdgefchofs aus einem blofsen Thorweg beftehend, darüber wie-
derum als Rechteck nach allen Seiten mit einem Bogen auf Pfeilern fich
öffnend das Hauptgefchofs. Gekuppelte korinthifche Halbfäulen gliedern
unten und oben die Pfeiler, den Abfchlufs bildet nach jeder Seite ein an-
tiker Giebel, über deffen gekreuzten Dächern fich eine zierliche Laterne in
zwei durchbrochenen Auffätzen erhebt. Es ift wohl eins der früheften
datirten unter diefen kleineren Gebäuden, an welchen die claffifche Formen-
welt rein und vollftändig zum Ausdruck kommt.
Noch entwickelter und dabei reicher ausgeführt ift die prachtvolle
Kapelle der h. Urfula in der Kathedrale zu Toul, von der wir unter
Figur 128 eine Anficht beifügen. Da urkundlich feftfteht, dafs Bifchof
Hector d'Ailly, welcher 1532 ftarb, diefelbe gegründet und bei feinem
Tode unvollendet hinterlaffen hat,^) fo befitzen wir hier vielleicht das frühefte
Beifpiel einer ftreng antikifirenden Kuppelanlage auf franzöfifchem Boden.
Die Kapelle, am öfthchen Ende des füdlichen Seitenfchiffes erbaut, hat
quadratifchen Grundplan, im Erdgefchofs eine Ordonnanz von dorifchen
Pilaftern und Säulen und darüber ein ionifches Obergefchofs, welches in den
Ecken durch vorgefchobene Säulen in fehr finnreicher Weife den Ueber-
gang zum Octogon und zur caffettirten achteckigen Kuppel vermittelt.
Die Verhältniffe find fchön, die Formbehandlung ift einfach und edel, die
Gefammtwirkung des Raumes ungemein anziehend. Derfelbe Stifter erbaute
am nördlichen Seitenfchiff ein anderes ähnliches Prachtftück, die fogenannte
Kapelle der Bifchöfe, ebenfalls in elegantem Renaiffanceftil.
In dem grofsartigen antiken Gräberfelde der Aliscamps bei Arles
liegt eine halbzerftörte mittelalterliche Klofterkirche aus romanifcher Epoche.
Am füdlichen Kreuzarm hat fich eine Kapelle erhalten, die ein elegantes
Werk der heften Renaiffancezeit ift. Ein quadratifcher Raum, in den Ecken
durch elegante korinthifche Säulen mit prachtvoll dekorirten Schäften geglie-
dert, wird durch einen ebenfalls reich gefchmückten, mit herrlicher Akanthus-
ranke bekleideten Fries und prächtiges Confolengefims abgefchloffen. Darüber
entwickelt fich ein hohes Gewölbe aus vier auffteigenden Kappen, die noch
in mittelalterlicher Weife durch Gurte verbunden werden. Sie vereinigen
fich zu einem quadratifchen Oberlicht, das von einer kleinen Kuppel
gekrönt wird. Das Ganze, etwa um 1550 entftanden, fehr elegant und fein.
Eine andere ähnlicn behandelte Kapelle neben jener erften ift nicht
viel fpäter. Sie unterfcheidet fich nur dadurch von jener, dafs fie eine
') Aufnahme bei Berty, ren. mon., Vol. II. — =') Notice für la cathedrale de Toul,
par l'Abbe Guillaume (Nancy 1863) p. 54.
§ 104' Kirchen in ftreng claffifchem Stile
377
achteckige Grundform, achteckiges Gewölbe und Oberlicht hat, dies Alles
von verwandter Ausführung, aber mit einem dorifchen Triglyphenfries aus-
geftattet. Die acht Eckfäulen, die wahrfcheinlich derfelben antiken Ordnung
angehörten, find bis auf die Poftamente verfchwunden.
Ungefähr zu gleicher Zeit macht fich auch an den Schlofskap eilen,
die bis dahin, wie wir fahen, gothifch gewefen waren, die claffifche Rich-
tung geltend. Zu den früheften Beifpielen gehört die von Philibert de l'Orme
im Park von Villers-Coterets erbaute Kapelle (vergl. § 29), fowie die
beiden Kapellen, welche er zu An et (§ 68) ausführte. Von den letzteren
ift die im Schlöffe felbft gelegene wohl das erfte kirchliche Gebäude Frank-
reichs, welches die runde römifche Kuppel vollftändig in antiker Weife zur
Ausbildung bringt.
IE gröfseren ftädtifchen Pfarr- und Klofterkirchen nehmen den con-
1 J fequent durchgebildeten Renaiffanceftil erft fpät auf, und vorzüglich
da zuerft, wo die Gründung oder doch ein nachhaltiges Intereffe für Er-
richtung derfelben von den Hofkreifen ausgeht. Eins der früheften Bei-
fpiele folcher in antikem Sinne ftreng durchgebildeten Kirchenfagade gab
Phihbert de l'Orme an St. Nizier zu Lyon (§ 66). Eine allgemeinere Nach-
folge follte aber erft das beginnende 17. Jahrhundert bringen, und wir
können die fchon betrachtete Fagade von St. Etienne du Mont (§ 98 und
Fig. 122) als den Uebergang zu diefer neuen Auffaffung bezeichnen.
Salomon de Broffe war es fodann, der beim Neubau der Fagade von
St. Gervais zu Paris ^) den entfcheidenden Schritt that. Im Jahr 1616
legte Ludwig XIII den Grundftein zu derfelben , und rafch ftieg der Bau
empor. 162 1 war er vollendet. Die Fagade ift ein Hochbau, mit den
drei antiken Säulenordnungen bekleidet. Die Säulen find gekuppelt, um
einen kräftigeren Eindruck zu erzielen. In den beiden erften Gefchoffen
treten fie fogar zu vieren verbunden auf. Ein gebogenes Giebelfeld bildet
den Abfchlufs des Ganzen. Das Hauptportal, im Halbkreis gefchloffen,
wird von einem Giebel gekrönt. Das Obergefchofs enthält in der Mitte
zwei Rundbogenfenfter , in den Seitenabtheilungen grofse Nifchen mit den
Statuen der Stiftsheiligen Gervafius und Protafius. Um den höheren Mittel-
bau mit der Attika des breiten Untergefchoffes zu verbinden, find einwärts
gefchweifte Bogenftücke angebracht, an deren Fufs die Evangeliften in
Gruppen fich erheben. Auch der Schlufsgiebel der Fagade ift mit Hegenden
Statuen gefchmückt. Ueber das Aeufserliche, rein Dekorative im Charakter
§ I04-
Kirchen in streng classischem Stile.
') Aufn. in Gailhabaud, IV.
378
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
einer folchen Fagade ift kein Wort weiter zu verlieren; ebenfo wenig über
die Diffonanz, in welcher diefelbe zu dem Innern des ganz gothifchen
Baues fleht. Wie aber die Dinge einmal lagen, da die ftets moderner
werdende Kultur fich mit Gewalt vom Mittelalter abwendete, mufste eine
folche Compofition, von der Hand eines bedeutenden Künftlers ins Leben
gerufen, der neuen Auffaffung zum Siege verhelfen.
Diefs fehen wir dann wenige Jahre darauf an der Jefuitenkirche
St. Louis-St. Paul, welche 1627 begonnen und auf RicheUeu's Koften
1634 vollendet wurde.') Es ift einer der vielen Künftler des Jefuitenordens
Frangois Derrand, nach deffen Plänen fie erbaut wurde. An der Fagade
treten wieder drei Säulenftellungen auf, aber es find ausfchliefsHch korin-
thifche Formen, die im Verein mit einer üppigen Ornamentik, namentlich
an den Friefen, jenen koketten Stil einführen, der für die Jefuiten bezeich-
nend ift. Ihre Prunkluft war bekanntlich eine wohlberechnete, denn fie
fuchten durch alle Mittel die Sinne des Volks zu beftechen und für fich
zu gewinnen. In anderer Beziehung ift diefe Kirche epochemachend ge-
worden: fie war die erfte in Frankreich, welche ihrem Langhaus den
Kuppelbau hinzufügte, wenngleich noch in wenig hervortretender Weife.
Bald folgte darin die kleine Karmeliterkirche in der Rue de Vau-
girard, die indefs ebenfalls noch in fehr mäfsigen Dimenfionen ausgeführt
ift. Damit war dem wahrhaft grofsen und zündenden Gedanken, welchen
die Renaiffance für den Kirchenbau gefchafifen hatte , auch in Frankreich Bahn
gebrochen. In der unerbittHch ftrengen Confequenz des gothifchen Stils,
in dem grofsen Dreiklang feiner Höhenbewegung findet die Kuppel ein für
allemal keinen Platz. Der romanifche Stil konnte fie aufnehmen und zu
fchönen Wirkungen verwenden; wo fie jedoch in der Gothik auftritt, leidet
immer der Organismus und die harmonifche Wirkung des ftreng in ein-
ander gefügten Ganzen. Wo fie aber zur vollen Berechtigung, ja zur
höchften künftlerifchen Verklärung kommt, das ift der Kirchenbau der
Renaiffance. Ueber die Wirkung von Gebäuden entfcheidet freihch nicht blofs
der Verftand, fondern weit mehr noch die Phantafie, die mit vollem Recht
von jedem künftlerifch gegliederten Raum einen beftimmten Eindruck ver-
langt. Wer möchte die wunderbare Wirkung des Innern einer gothifchen
Kathedrale wie Amiens, Rheims, Tours und fo viele andre leugnen. Aber
wer möchte den Eindruck von St. Peter in Rom , den Eindruck jener
kleineren und befcheideneren Kuppelkirchen der Renaiffance in ItaHen
darum geringer anfchlagen. Wo diefe Werke in der fpäteren Epoche
etwas Erkältendes haben , da kommt es faft nie auf Rechnung der Ver-
hältniffe, der Planform , des Aufbaues im Ganzen , fondern nur der meift
fchon nüchternen oder überladenen Einzelformen.
I) Aufn. in Gailhabaud, IV.
§ 104- Kirchen in ftreng clalTilchem Stile.
379
So war mit der Kuppel alfo die höchfte Monumentalform des modernen
Kirchenbaues eingeführt, und die erfte bedeutendere Conftruction diefer
Art erhob fich auf Geheifs Richelieu's feit 1635 auf der Kirche der
Sorbonne (1653 vollendet). Lemercier war es, der dielen Bau ausführte.
Die Kuppel erhebt fich, von vier kleinen Campaniles begleitet, über dem
Kreuz und wird in ihrem Cylinder durch acht grofse Fenfter reichhch
erhellt. Die Fagade der Kirche zeigt eine korinthifche Säulenordnung,
über welcher fich eine ebenfalls korinthifche Pilafterflellung erhebt. Ein
einfaches Giebelfeld bildet den Abfchlufs.
In bedeutenderen Dimenfionen kam dann die Kuppel am Klofter von
Val de Gräce") zur Ausführung. Anna von Oefterreich hatte in langer
kinderlofer Ehe das Gelübde eines prächtigen Gotteshaufes gethan, falls fie
einen Thronerben erhalten würde. Nachdem fie Ludwig XIV geboren
hatte, führte fie diefs Gelübde aus und legte 1645 den Grundftein zum
Val de Gräce, deffen Kirche nach den Plänen von Frangots Mansard aus-
geführt wurde. Indefs war es Lemercier, welcher den gröfseren Theil des
Baues errichtete, und erft feit 1654 wurde unter Pierre Lemuet und Gabriel
Lediic die Kuppel vollendet. Letzterer hatte in Rom feine Studien an
St. Peter gemacht, die er in glücklicher Weife an feiner Schöpfung ver-
werthete. Die Wirkung im Innern ift Ucht und frei, und der Aufbau, der
fchöne Contour , die angemeffene Dekoration geben auch dem Aeufseren
Harmonie und Anmuth.
§ 105.
Dekorative Werke.
EINE Epoche, welche wie die Renaiffance in hohem Grade dekorative Ten-
denzen verfolgt, wird auch in folchen Werken, die recht eigentlich die
Aufgabe der Dekorationskunft bilden , Vorzügliches leiften. Für unfere
Epoche kommt als fördernder Umftand hinzu, dafs aus dem Mittelalter fich
eine gefunde Praxis in Beherrfchung der verfchiedenen technifchen Ver-
fahrungsweifen vererbt hatte. Diefe Gediegenheit des künftlerifchen Hand-
werks entwickelte fich nun unter dem Hauch der claffifchen Studien und
der Einwirkung Italiens zu lauterer Schönheit und zu hoher Pracht. Nur
Schade, dafs auch hier zu früh jene üppige Entartung hereinbrach, welche
den Barockftil zur Herrfchaft bringen follte. Wir können aus der grofsen
Fülle der vorhandenen Werke nur einige bezeichnende Beifpiele hervor-
heben.
Für die Dekoration in Stein find hauptlächhch einige Chor-
fchranken und Kapellengitter bezeichnend, von denen wir zunächft die in
') Blondel, archit. Frangoife, Vol. II — 2) Ebend.
38o
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiffancezeit.
Notre Dame zu Rodez als Werke des fein ften ornamentalen Gefchmacks
zu nennen haben. Die durchbrochenen Gitter find durch Pilafter und
Bögen geghedert, die Flächen fämmtlich mit köftlichen Arabesken, die
Zwickel mit Medaillonköpfen gefüllt, und am abfchliefsenden Fries fieht
man Genien mit eleganten Rankengewinden. Diefe Arbeiten gehören zu
den Unternehmungen des Bifchofs Frangois d'Eftaing, welcher von 1501
bis 1529 die weftlichen Theile der Kathedrale ausbaute und den Chor
fammt den Kapellen mit einem Lettner, Chorftühlen, Gittern und einer Co-
lonnade in vergoldetem Kupfer ausftattete. Ein ausgezeichneter einhei-
Fig. 129. Kapellengitter zu Fecamp. (Sadoux.)
mifcher Künftler Nicolas Bachelier leitete die Ausführung. Dazu gehört
auch die prachtvolle Orgelempore.
Auch in der Normandie fehlt es nicht an ausgezeichneten Arbeiten
diefer Art. Wir nennen die Kapellengitter der Kirche zu Fecamp,
') Taylor et Nodier, Voyages, Languedoc, I, 2. Vergl. Berty, la ren. mon. I. —
Ueber Bachelier, dem man fo ziemlich alle bedeutenden Renaiffancebauten im Languedoc
zufchreibt, fehlen bis jetzt kritifche, auf urkundlichen Unterfuchungen fufsende Mittheilungen.
Die blofsen Muthmafsungen und rein willkürlichen Angaben über ihn weiter zu verbreiten,
fehen wir uns nicht veranlafst.
§ 105. Dekorative Werke.
381
(Figur 129) in prachtvoller Frührenaiffance durchgeführt,') die ähnlichen
Gitter in St. Remy zu Diep pe,^) namentlich aber die aufserordentUch edlen
und feinen Kapellengitter der Kathedrale von Evreux^), die wohl das
Anmuthigfte find, was von diefer Art die Frührenaiffance in Frankreich
gefchaffen hat. Sie nehmen noch vereinzelte gothifche Elemente auf, ver-
fchmelzen damit aber allen Reichthum der Renaiffanceornamentik in fchönfter
Erfindung und fauberfter Ausführung.
Merkwürdig find durch den reichen plaftifchen Schmuck die Chor-
fchranken der Kathedrale von Chartres.^) Sie ftammen zum Theil
aus der letzten Epoche des Mittelalters, und Partieen tragen das Gepräge
des fpätgothifchen Stils. Aber im Anfang des 17. Jahrhunderts (man lieft
Fig. 130. Kapellengitter in der Kathedrale zu Laon. (Sadoux.)
die Jahrzahlen 161 1 und 161 2) ift durch einen tüchtigen Künftler, T. Boudin,
das Werk fortgefetzt und vollendet worden, wobei er in feltener Pietät fich
dem Stile der ältern Theile nach Kräften anzufchliefsen fuchte.s) Die
architektonifche Dekoration ift demnach in der Gefammtfaffung gothifirend,
in den Details aber, namentlich an den unteren Flächen, eine überaus feine
und anmuthige Renaiffance, die noch den Charakter der Frühzeit trägt.
Den heften Renaiffanceftil zeigen fodann die prachtvollen Marmor-
fchranken des Chores von St. Remy zu Rheims, welche das Grabmal
I) Paluftre II 258. — ^) Ebend. II, 199. — 3) Gailhabaud IV, giebt auf mehreren Tafeln
treffliche Darftellungen derfelben. — 4) Chapuy, Moyen äge mon. I, 10. — 5) Ueber das
Bildnerifche vgl. Lübke, Gefch. der Plaftik, S. 687.
332
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit.
des heil. Remigius umgeben. Sie wurden 1537 vom Kardinal Robert de
Senoncourt errichtet und 1847 vollftändig wiederhergeftellt.
Eins der umfangreichften Prachtwerke fmd die Gitter, welche fämmt-
liche Kapellen der Kathedrale von Laon^) fchUefsen, achtundzwanzig
im Ganzen. (Fig. 1 30). Mit Ausnahme von drei etwas früheren, an denen
das Datum 1522 vorkommt, flammen fie aus den Jahren i574 und 1575.
Sie zeigen grofse Mannigfaltigkeit, namentlich in den Dekorationen der
unteren Felder und der oberen Theile , wobei das barocke Cartouchen-
werk diefer Epoche ftark mitfpricht. Die Eintheilung wird durch zierHche
cannelirte dorifche Säulen bewirkt, zwifchen welchen kleinere Säulen der-
felben Ordnung die Felder durchbrechen. Den Abfchlufs bildet ein Gebälk
mit etwas trocknem Triglyphenfriefe. Diefe intereffanten Arbeiten fmd zum
Theil bemalt und vergoldet.
Von Orgelemporen ift befonders noch die plaftifch reich dekorirte der
Kathedrale von Gifors^) zu nennen, und als ein weiteres Zeugnifs des
dekorativen Reichthums der normannifchen Schule heben wir endlich die
prächtige Treppe in St. Maclou zu Ronen 3) hervor.
Ein prächtiger Altar von 1549 findet fich in der Kirche von Raven el
(Isle de France) , reich aber etwas fchwer behandelt. Ein anderer
Altar in der Kirche zu Pleffis-Placys) ift mit der Legende des heiligen
Viktor und der heiligen Magdalena von einem Meifter Theodor gefchmückt.
Zu Cambrai in St. Gery^) ficht man einen trefflich gearbeiteten Lettner
von 1545, der fich durch feine feine Ornamentik auszeichnet. Ein präch-
tiger Taufbrunnen mit reizvoller plaftifcher Dekoration findet fich in der
Kirche zu Magny,
Noch viel üppiger ergeht fich die Dekorationsluft diefer Zeit in den
Holzarbeiten, in welchen fich eine aus dem Mittelalter ererbte Schnitz-
kunft mit dem ganzen Reichthum der ornamentalen Formen der Renaiffance
verbindet. Wir nennen zunächft mehrere Chorftühle, unter denen die
der Kathedrale von Auch 7) noch überwiegend dem fpätgothifchen Stil
angehören, aber in den Details der Confolen und Mifericordien wie in den
Ornamenten der Gefimfe die Formen der Renaiffance aufnehmen. Vom
Jahre 1535 datiren die Chorftühle in St. Bertrand de Comminges,^)
in der luftigften, zierlichften Frührenaiffance, dabei von höchfter Pracht der
Ausführung. Der herkömmliche gothifche Aufbau mit feinen Baldachinen
und Tabernakeln, feinen Fialen, Strebebögen und hängenden Schlufsfteinen
ift mit geiftreicher Freiheit in die Formen der Renaiffance übertragen.
') Berty, ren. monum. Vol. II. — 2) Aufn. in Gailhabaud, IV. Vgl. Voyages, Nor-
mandie II, 205. — 3) Taylor et Kodier, Voyages, Normandie II, 151. — 4) Paluftre I,
66. — 5) Ebenda I, 148. — ^) Ebenda I, 13. — 7) Chapuy, Moyen äge mon. II, 263. —
^) Voyages, Languedoc II.
§ 105- Dekorative Werke.
383
Von befonderer Pracht find die beiden bifchöflichen Sitze. Reicher bild-
nerifcher Schmuck kommt hinzu, an den Lehnen hockende phantaftifche
Figuren, an den Rückwänden Sibyllen, Propheten und Apoftel. Ein noch
üppigeres Prunkftück ift der Hochaltar, mit Sirenen und andern Phantafie-
gebilden gefchmückt und von fünf hohen Tabernakeln bekrönt. In diefen
Werken herrfcht etwas von der Ueberfchwänglichkeit der gleichzeitigen
fpanifchen Dekoration. Auch die Anordnung des hohen Chores in der
Mitte des Schiffes erinnert an die Sitte jenes Lahdes. Diefe Arbeiten, zu
denen noch die ebenfo glänzend behandelte Orgel kommt, find eine Stif-
tung des Bifchofs Jean de Mauleon.
Dafs gelegentlich noch in fpäter Zeit elegante Arbeiten diefer Art
ausgeführt wurden , beweifen fodann die Chorftühle der Kathedrale von
Bayeux') vom Jahr 1589 und diejenigen in St. Pierre zu Touloufe,=)
welche in die Zeit Ludwigs XIII fallen. Bei einem ftrengeren Clafficismus
zeichnen fich die erfteren durch den edlen Aufbau, die graziöfen korin-
thifchen Säulchen und die reiche Ornamentik ihrer Glieder aus, während
in den Füllungen der Rückwände und den ungebührlich phantaftifchen
Bekrönungen der Barockftil mit feinen Maafslofigkeiten alles überwuchert.
Die Chorftühle von St. Pierre dagegen haben in ihren Rückwänden ein
nüchternes Rahmenwerk, wofür indefs die prachtvoll durchbrochenen Laub-
gewinde der Seitenwangen entfchädigen.
Unter den gefchnitzten Kirchenthüren gebührt dem herrlichen Nord-
portal von St. Maclou zu Rouen3) der Preis. Es enthält in fchön
ftilifirter Umrahmung eine Anzahl biblifcher Scenen. Ein anderes Pracht-
ftück ift das füdhche Portal der Kathedrale von Beauvais,4) in jener
fpielenden Frührenaiffance , die gerade in dekorativen Werken den köft-
lichften Reiz entfaltet. Die gekrönten Salamander in den Arabesken der
unteren Felder deuten auf die Zeit Franz' I.
Eine treffliche Arbeit ift fodann das Portal von St. Wulfram zu
Abbevilles) vom Jahre IS50, durch feine Statuetten von Heiligen in
Renaiffancenifchen , durch Scenen aus dem Leben der Madonna mit zier-
lich fpielenden Bekrönungen und einen Fries mit einer Darfteilung von
Kämpfen gefchmückt. Ueberaus reich gefchnitzt im Stil der Frührenaiffance
find auch die Portale der Kirchen St. Antoine und St. Jacques in Com-
piegne.^) Treffliche Chorftühle fieht man unter anderm in der Kirche zu
Goupillieres7) in der Normandie vom Jahre 1532, fodann in der Kirche
von Chanpeaux,^) für welche ein Meifter Falaize aus Paris berufen wurde.
') Aufn. in Rouyer et Darcel, art. archit. II, 14. — Ebenda II, 15—17- — ^) Voyages,
Normandie II, 152. Dazu Paluftre II, 264 mit trefflicher Abbildung. — t) Chapuy, Moyen
äge monum. II, 232. Dazu Paluftre I, 56 ff. mit trefflichen Abbildungen. — s) Paluftre I,
57. — 6) Ebenda I, 67. — ^) Ebenda II, 216. — 8) Ebenda I, 148.
334
Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit.
Elegante Arbeiten diefer Art fieht man auch in St. Crepin zu Chateau-
Thierry,') zwanzig Nifchen mit Statuetten von Sibyllen und Tugenden,
eingefafst von zierlichen Arabeskenpilaftern.
Endlich ift hier noch der fchönen Kanzel in St. Nicolas zu Troyes
zu gedenken , die in Aufbau , Compofition und Behandlung aufifallend an
die herrliche Marmorkanzel des Benedetto da Majano in Sta. Croce zu
Florenz erinnert. Zierliche korinthifche Säulen, an den Schäften Engel-
köpfe, die im Munde kleine Guirlanden halten, faffen die Ecken ein. Das
Ornamentale ift durchweg von grofsem Reiz, dabei in einer gewiffen
keufchen Einfachheit behandelt. Auch der Schalldeckel ift trefflich ange-
ordnet und edel ornamentirt.
Von Werken der Erzdekoration wiffen wir nichts Namhaftes anzu-
führen.
U den glänzendften Leiftungen der Renaiffancekunft gehören die Denk-
/ ^ mäler für die Verftorbenen, in welchen fich das religiöfe Gefühl und
die weltliche Ruhmfucht , glänzende Prachtliebe und hoher Kunftfmn
wunderfam durchdringen. Was die Uebergangszeit auf diefem Gebiet
gefchafifen, ift in § 20 erörtert worden. Dafs gelegentlich auch hierbei die
gothifchen Traditionen eine grofse Rolle fpielen, beweift das unvergleich-
liche Maufoleum der Kirche zu Brou mit feinen prachtvollen Gräbern.
Doch gelangt feit dem Regierungsantritt Franz' I auch in den Grabmälern
die Renaiffance bald zu ihrem Recht, und es erheben fich überall im Wett-
eifer Monumente, in denen die neue Kunft ihre volle Entfaltung erreicht.
Die beiden aus dem Mittelalter überkomm.enen Hauptformen ^) find das
Wandgrab, von welchem das Denkmal des Kardinals Amboife fchon
ein glänzendes Beifpiel gab, und das Frei grab, welches aus einem mehr
oder minder reichgefchmückten Sarkophag (Tumba) befteht. Aus dem
letzteren entwickelt aber die Renaiffance die denkbar reichfte und höchfte
Form, indem fie über dem Sarkophag eine Art Aedicula als Baldachin auf
Säulen emporführt. 3) Auf die Geftaltung und Ausfchmückung diefer Werke
übte die italienifche Kunft beftimmenden Einflufs.
Ein ftattliches Wandgrab der Frührenaiffance ift das Denkmal Herzog
Rene's II von Lothringen, des Siegers über Karl den Kühnen, in der
Franziskanerkirche zu Nancy.'f) Es zeigt eine fehr kindliche und unbehülf-
') Paluftre I, 120. — 2) Wenn wir von den ganz einfachen Grabplatten abfehen. —
3) Auch dafür liefert das Mittelalter einzelne Vorbilder, z. B. in den prachtvollen Königs-
gräbern der Kathedrale von Palermo und in verfchiedenen Grabmälern befonders verehrter
Heiliger. — 4) Chapuy, Moyen äge monum. III, 299.
§ 106.
Grabmäler.
§ io6. Grabdenkmäler.
liehe Anwendung des neuen Stiles, hält fich aber von gothifirenden Ten-
denzen völlig frei. Man fieht in einer rechtwinklig gefchloffenen Flachnifche
den Verftorbenen im Herzogsmantel an feinem Betpult vor der Madonna
knieend, die auf einem Poftament fleht und ihm ihr Kind entgegenhält.
Arabesken, Mufcheln und andere Renaiffanceornamente zieren den Rahmen,
der von zwei kurzen Pilaftern mit frei korinthifirenden Kapitälen eingefafst
wird. Am oberen Fries zeigen fich Kleeblattbögen als letzter vereinzelter
Anklang ans Mittelalter. Darüber eine Attika mit fechs kleinen Heiligen-
figuren in Mufchelnifchen zwifchen feinen Pilaftern. Eine unbegreiflich rohe
und häfsliche Hohlkehle mit wappenhaltenden Engeln und wunderlich
gefchweiften Akroterien bildet den Abfchlufs. Dazwifchen Gott Vater von
zwei Engeln angebetet.
Ein etwas einfacheres Grabmal derfelben Gattung ift das des Bifchofs
Hugues des Hazard in der Kirche zu Blemod-les -Toul, Departement
der Meurthe. Doch liegt hier nach der Weife des Mittelalters der Ver-
ftorbene ausgeftreckt auf feinem Kiffen, und über ihm fieht man, ein
feltenes Vorkommen an folcher Stätte, die Figuren der fieben freien Künfte,
während am Sockel in hergebrachter Weife Figuren von Trauernden dar-
geftellt find, welche ein Spruchband mit der Infchrift : »NASCI. LABORARE.
MORL« halten. Die architektonifche Einfaffung bewegt fich in den Formen
der Frührenaiffance , in welche jedoch die mittelalterliche Auffaffung noch
hineinfpielt.
Ein fchönes Beifpiel diefer Wandgräber ift das Denkmal des Kardinals
Hemard vom Jahre 1543 in der Kathedrale zu Amiens^), unten mit Pilafter-
ftellungen, darüber mit Statuetten von Tugenden in der weit geöffneten,
ebenfalls von Pilaftern eingerahmten Nifche, in welcher der Verftorbene
vor dem Betpult knieend dargeftellt ift. Originell und reich ausgeführt
in der Kathedrale von St. Omer das Grab Sidrachs de Lalaing vom Jahre
1534,3) von George Monoier gearbeitet. Es ift zwifchen zwei Pfeilern des
Chorumgangs angebracht und wird von einer prächtigen Confole getragen,
die auf einer Säule ruht. Das fehr elegante Denkmal trägt durchaus noch
den Charakter der Frühzeit. Ebendort das prächtige Grabmal des Bifchofs
Euftache de Croy vom Jahre 1538, die Arbeit eines Meifters Jacques du
Broeucq, Eins der zierlichften derartigen Denkmäler ift das Wandgrab in
der Kirche von Mai gnelay,-*) das fich auf zwei eleganten Confolen über
einer ionifchen Säule erhebt, nicht unähnlich dem von St. Omer. In echt
franzöfifcher Auffaffung zeigen fich über den Infchrifttafeln zwei grinfende
Gerippe als Bruftbilder. Ein Freigrab im edlen Stil der feinften Früh-
I) Chapuy, Moyen äge monum. III, 511. —
4) Edenda I, 66.
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl.
2) Paluftre I, 43,
— 3) Ebenda I, 24. —
386
Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit.
renaiffance ift das Denkmal von Charles de Lalaing im Mufeum zu Douai,')
ehemals in der Abbaye des Pres, vom Jahre 1558. Auf einem Sarkophag
von fchwarzem und weifsem Marmor, der mit korinthifchen Pilafterchen
und dazwifchen mit Medaillons gefchmückt ift, fleht man die ausdrucks-
volle ritterliche Geftalt liegend ausgeftreckt. In den Medaillons fmd Bruft-
bilder allegorifcher Figuren von Tugenden dargeftellt. Ein andres Denk-
mal ift im Chorumgang der Kathedrale zu Narbonne erhalten, das zu
den eleganteften Werken diefer Art gehört. Zwifchen den nördlichen Chor-
pfeiler ift ein kleines bifchöfliches Grabmal der Frührenaiffance eingebaut,
das in feiner befcheidenen Zierlichkeit fehr anziehend fich darfteilt. (Fig. 131).
Als Wandgrab angelegt, lehnt es fich mit der Rückfeite an die Umfaffungs-
mauer des Chores. Zwei fchlanke , gegürtete Säulen mit korinthifchen
Kapitälen, zwifchen ihnen in der Mitte ein dekorirter Pfeiler mit ähnlichem
Kapitäl, erheben fich auf einem reich gefchmückten Unterbau und tragen
ein Gebälk, deffen Fries zwifchen kleinen Säulenftellungen abwechfelnd mit
geflügelten Engelköpfen und Todtenfchädeln dekorirt ift. Als hätte der
Gegenfatz diefer wunderlichen Ornamentik noch fchärfer betont werden
follen, flnd die Engelköpfe möglichft pausbäckig dargeftellt. Auch am
Poftament des Unterbaues ift mit Todtenfchädeln, Handfceletten und ähn-
lichem Knochenwerk eine unliebfame Ornamentik in Scene gefetzt. Gefälliger
ift der Sarkophag dekorirt, der zwifchen graziöfen Balufterfäulchen Statuetten
von Klagenden enthält, wie fle unter der Bezeichnung »Ii plourans« fo oft
an franzöfifchen Monumenten vorkommen. Die Figur des Verftorbenen,
welche der Sarkophag ohne Zweifel trug , ift wahrfcheinlich in der Revo-
lution zerftört worden.
Zur vollen Höhe entfaltet fleh das Grabmal der Renaiffance zuerft
(vgl. Fig. 132) in dem Denkmal Ludwigs XII und deffen Gemahlin Anna
von Bretagne in der Kirche von St. Denis, welches gegen 15 18 vollendet
wurde. ^) Wahrfcheinlich war es Jean Juße von Tours, der diefs fchöne
Werk entwarf und ausführte. Es befteht aus einem baldachinartigen Bau,
der fleh über einem hohen Sockel erhebt, an den Schmalfeiten mit zwei,
an den Langfeiten mit vier Arkaden auf Pfeilern fleh öffnend. Das ganze
Werk ift in weifsem Marmor ausgeführt. Am Unterbau fleht man in
malerifch behandelten Reliefs Scenen des italienifchen Feldzuges , nament-
lich die Schlacht von Agnadel und den Einzug des Königs in Genua. In
den Oefifnungen der Arkaden flnd die Marmorftatuen der zwölf Apoftel
fltzend angebracht. Auf der Plattform des Baldachins knieen vor ihren
Betpulten die lebensgrofsen Figuren des königlichen Paares. Sodann liegen
') Paluftre I, 9. — Gailhabaud IV, und E. F. Imbard, tombeaux de Louis XII et de'
Fran^ois I. Fol. Paris. Ueber die Bildwerke vergl. Lübke, Gefch. der Plaftik, S. 624.
§ io6. Grabdenkmäler.
387
diefelben in abfchreckender Lebenswahrheit als nackte Leichen ausgeftreckt
auf dem Sarkophag, den die Arkaden umfchHefsen. Die architektonifchen
Formen des Denkmals find von vollendeter Anmuth, die Pilafter mit reizend
variirten freikorinthifirenden Kapitälen, ihre Schäfte mit eleganten Arabesken,
25*
388
Kap. IX. Der Kirchenbau der Renaiflancezeit.
die Bogenzwickel mit Genien und Emblemen, die Bogenleibungen mit
Caffetten gefchmückt. Prachtvolle Caffettirungen mit fchönen Rofetten
gliedern auch die innere Decke des köftlichen kleinen Gebäudes.
Auch das Wandgrab erhält bald darauf feine grofsartigfte Ausbildung
an dem Denkmal, welches Diana von Poitiers von 1535 bis 1544 ihrem
verftorbenen Gemahl Louis de Breze in der Kathedrale von Rouen
errichten liefs. ') Es befindet fich in der mittleren Chorkapelle, dem Grab-
mal Amboife gegenüber. Der Stil desfelben ftreift die feine Ornamentation
der Frührenaiffance ab, um an ihrer Stelle durch bedeutendere Ausprägung
und ftrengere Anwendung der antiken Formen zu wirken. Die Compofi-
tion des Ganzen ift nicht ohne Gröfse, dabei elegant und prachtvoll. Sie
befteht aus einer flachen Wandnifche, welche unten von gekuppelten korin-
thifchen Säulen auf hohen Stilobaten eingefafst wird, Diefe tragen ein
mit Masken, Fruchtfchnüren und Adlern gefchmücktes Gebälk. Ueber dem
Gefimfe desfelben erhebt fich eine zweite Ordnung, von paarweis verbun-
denen, malerifch bewegten Karyatiden gebildet, die eine grofse Bogennifche
mit dem Reiterbild des Verftorbenen einfchhefsen. An den Zwickeln find
Victorien mit Palmen und Lorbeerkränzen ausgemeifselt , und der Fries
befteht aus einer Compofition von kränzefpendenden Victorien, geflügelten
Löwen und Vafen. Ueber dem Gefims baut fich als Abfchlufs des Ganzen
eine von Compofitafäulen umfchloffene Aedicula auf, in deren Nifche die
allegorifche Geftalt der Tugend fitzt. Auf den Ecken bilden Akroterien
mit Wappen die Bekrönung, durch einwärts gefchweifte Voluten mit dem
mittleren Tabernakel verbunden. Nach der Sitte der Zeit und des Landes
ficht man auch hier auf dem Sarkophag, der den unteren Theil der Nifche
ausfüllt, die nackt ausgeftreckte, nur zum Theil mit dem Leichentuch ver-
hüllte Gefl;alt des Todten. Die Fläche über ihm wird durch zwei Infchrift-
tafeln mit Barockrahmen von Cartouchenwerk und Fruchtfchnüren belebt.
Zu Häupten des Todten kniet hinter den Säulen der Einfaffung im Wittwen-
fchleier betend feine GemahUn; ihr gegenüber an der andern Seite fteht
die Madonna, ihr Kind auf den Armen troftreich darreichend. Das ganze
Werk ift aus Alabafter und fchwarzem Marmor unter Anwendung reicher
Vergoldung ausgeführt. Ueber feinen Urheber ift nichts Beftimmtes bekannt,
doch fpricht Manches für Jean Goujon.
Beffer unterrichtet find wir über die Entftehung des grofsartigen Denk-
mals, welches Heinrich II für Franz I und deffen Gemahlin Claude feit
1555 in der Kirche zu St. Denis errichten Hefs.') Es ifl: eins der vor-
züglichften Werke von Philibert de tOrme, der es nicht blofs entworfen,
Aufn. in Rouyer et Darcel, art archit. I, pl. 9—12. Ueber die Bildwerke vergl.
Lübke, Gefch. der Plaftik, III. Aufl. S. 864. — 2) Aufn. in dem oben genannten Werk von
Imbard. Ueber die Bildwerke vgl. Lübke, Gefch. der Plaftik, S. 625. 685.
Fig. 132. Grabmal Ludwigs XII.
390
Kap. IX. Der Kirchenbau der RenailTancezeit.
fondern auch feine Ausführung geleitet hat.') Ganz aus weifsem Marmor
erbaut, überbietet es an Grofsartigkeit alle früheren Werke, namentlich
auch das benachbarte Denkmal Ludwigs XII. Zudem ift es bezeichnend
für den feit circa 1540 eingetretenen Umfchwung der Anfchauungen , denn
anftatt wie in der Frührenaiffance fämmtliche Flächen mit zierlichen Ara-
besken zu bedecken, bildet es die architektonifchen Formen und Linien
in ftrenger Reinheit durch und verweift die Mitwirkung der Plaftik auf das
Gebiet des felbftändig figürlichen Schmuckes. Dadurch wird bei allem
Reichthum der Eindruck ein mehr architektonifcher , und die Gefammt-
wirkung gewinnt eine Würde und Gröfse, die der monumentalen Bedeutung
eines Grabdenkmals am heften entfpricht.
Die Grundform ift ähnlich der am Denkmal Ludwigs XII : zwei Sarko-
phage mit den ausgeftreckten Leichen des Königspaares, umfafst und über-
ragt von einem baldachinartigen Arkadenbau. Da die Decke desfelben
jedoch nicht flach ift , fondern aus einem Tonnengewölbe befteht , fo
bedurfte es kräftigerer Widerlager, die in Form von maffenhaften Pfeilern
mit vorgelegten Säulen angeordnet find. Vier Hauptpfeiler in quadratifcher
Anordnung , durch grofse Rundbögen verbunden , bilden den mittleren
Theil. In kleinerem Abftande entfprechen denfelben in der Längen- und
der Queraxe des Monuments Eckpfeiler, an den Querfeiten durch Baluftraden
verbunden, mit den Mittelpfeilern durch kleinere, niedrigere Bögen zufammen-
hängend , fo dafs das Denkmal einen kreuzförmigen Grundrifs und von
allen Seiten die Geftalt eines Triumphbogens zeigt. Die Säulen fammt dem
Gebälk und den Gefimfen find im reichften ionifchen Stil durchgeführt, die
fchlanken Schäfte cannelirt, fämmtliche Glieder in feiner und lebensvoller
Weife mit den entfprechenden antiken Ornamenten gefchmiickt. Den
Hauptantheil an der reicheren Wirkung nimmt aber die figürliche Plaftik.
Der Sockel des ganzen Denkmals fammt den Stilobaten der Säulen ift mit
miniaturartig fein, aber in völlig malerifchem Stil durchgeführten Dar-
ftellungen der Schlachten Franz' I , namentlich der von Marignano und
Cerifolles bedeckt. An den Zwickeln der grofsen Bögen find fchwebende
Genien gemeifselt, namentlich aber ift das grofse Tonnengewölbe mit den
Flachreliefs der Evangeliften fowie allegorifcher Tugenden und fchwebender
Genien gefchmückt, und die einzelnen Felder erhalten durch breite Flecht-
bänder mit Rofetten in den Oefihungen ein Rahmenwerk vom edelften Stil.
Diefe Reliefs find von Germain Pilon , die liegenden Geftalten des könig-
lichen Paares von Pierre Bontemps ausgeführt. Auf der Plattform des
Denkmals knieen im Gebet die lebensgrofsen Figuren des Königs und der
Königin und ihrer beiden Söhne.
') Ueber das Hiftorifche vergl. des Grafen Delaborde Renaiff. des arts , p. 445. 446.
454. 460. 462. 470. 479. 484.
§ io6. Grabdenkmäler.
Nach dem Mufter diefes grofsartigen Werkes liefs Katharina von
Medici, ebenfalls zu St. Denis, für fich und ihren verftorbenen Gemahl
Heinrich II ein ähnliches Denkmal errichten. Es ift gleich jenem ganz
aus Marmor ausgeführt, und der Entwurf dazu wird bald de l'Orme, bald
Bullant oder felbft Primaticcio zugefchrieben. Die Anordnung ift diefelbe:
auf einem Sarkophag fieht man die ausgeftreckten Leichen des königlichen
Paares. Zwölf Säulen von dunklem Marmor mit Compofitakapitälen tragen
den Arkadenbau, auf deffen Plattform Heinrich II und Katharina in lebens-
grofsen Erzfiguren knieend angebracht fmd. Die Architektur im Ganzen
ift derber, kühler, von fchwereren Formen, das Gebälk über den Säulen
vorgekröpft; zwifchen den letzteren durchbrechen fenfterartige Oeffnungen
die einzelnen Felder. Am Sockel fmd Marmorreliefs von Germai?i Pilon
ano-ebracht, und auf den Ecken des Gebäudes erheben fich auf vorgefcho-
benen Poftamenten die Erzgeftalten der vier Kardinaltugenden.
Diefs ift das letzte grofse Grabdenkmal der franzöfifchen Renaiffance.
Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts dringt jene malerifche Auffaffung
auch hier ein, welche aus den Grabmälern nichts anderes als theatralifche
Scenen, im heften Fall lebende Bilder zu machen wufste. Solcher Art ift
das Grabmal Richelieu's in der Kirche der Sorbonne, wo der Kar-
dinal, auf dem Sarkophag ausgeftreckt, durch die Figur des Glaubens halb
aufrecht gehalten wird, während das untröftHche Frankreich zu feinen
Füfsen jammert. Solcher Art ift im Mufeum zu Verfailles das Denk-
mal des Herzogs von Roh an , um welchen fich zwei Genien bemühen, von
denen der eine ihm den Kopf ftützt, während der andere wehklagend den
Herzogsmantel um ihn fchlägt. Bei folchen »geiftreichen« Erfindungen, die
grofsentheils von den Malern der Zeit herrühren, hat die Architektur zu
verftummen.
X. KAPITEL.
DAS KUNSTGEWERBE DER EPOCHE.
§ 107.
Allgemeiner Charakter.
läfst fich leicht denken, dafs mit einer fo reichen
Blüthe wie die franzöfifche Renaiffance fie entfaltet
hat, eine nicht minder glänzende Ausbildung der ver-
fchiedenen Kunftgewerbe Hand in Hand geht. Die
Prachtliebe des Hofes und der Grofsen fbeht auch
hier als bewegendes Motiv in erfter Linie, Franz I
gab für die gefammte Umgebung den Ton an, und
Heinrich II, fowie die folgenden Herrfcher traten
in feine Fufsftapfen. Niemals vielleicht ifb in den
modernen Zeiten die äufsere Erfcheinung der Menfchen in Kleidung und
Schmuck und in der Geftaltung der Wohnräume fo edel und ftilvoll behandelt
worden wie damals. Wie fehr auch hiefür die Einflüffe Italiens beftimmend
waren, wie die dort empfangenen Eindrücke fchon unter Karl VIII und Lud-
wig XII zu einer Umwandlung der franzöfifchen Anfchauungen führten, die dann
alsbald die Berufung italienifcher Künftler zur Folge hatte, ift oben im erften
Kapitel gezeigt worden. Während nun für die Entwicklung der Architektur
jene fremden Einflüffe kaum irgendwie von Bedeutung waren, da die natio-
nalen Anfchauungen, Sitten und Gewohnheiten zu mächtig gegen die fremde
Form reagirten, läfst fich in den begleitenden Künften, und fpeziell in den
Kunftgewerben ein ftarker itaHenifcher Einflufs nicht verkennen. Für die
Goldfchmiedearbeit war die Berufung eines Meifters wie Benvenuto Cellini
ohne Frage von epochemachender Bedeutung. Die Majolika erhielt einen
erften Impuls durch die Berufung des Girolamo della Robbia, der mit
feinen farbig glafirten Terracotten die Fufsböden, die Friefe und Medaillons
der Arkaden, fowie die Caffetten^ der Hallendecken am Schlofs Madrid und
§ loy. Allgemeiner Charakter.
393
fpäter auch zu Fontainebleau zu fchmücken beauftragt wurde. Für die
prachtvollen Rüftungen wurden die berühmten Mailänder Waffenfchmiede
in Anfpruch genommen; aber wir wiffen auch, dafs die deutfchen Harnifch-
macher vielfach für den franzöfifchen Hof verwendet wurden, dafs nament-
lich Jörg Seufenhofer von Innsbruck durch Franz I berufen wurde und dafs
vielleicht auch Hans Muelich Entwürfe für Franz I und Heinrich II lieferte.
Ift alfo für manche Techniken auswärtiger Einflufs und fremde Thätig-
keit bezeugt, fo läfst fich gleichwohl vielfache Mitwirkung einheimifcher
Künftler und Werkleute vorausfetzen und auch nachweifen. Im Ganzen
aber wird man in manchen Zweigen der Kunftgewerbe eine fpezififch fran-
zöfifche Behandlung nicht gerade behaupten können ; franzöfifche Schmuck-
fachen werden im Wefentlichen in derfelben Weife componirt und aus-
geführt, und namentlich mit dem ganzen Reiz farbiger Schmelzwerke, dem
Schimmer der Perlen, dem Glanz der Edelfteine ausgeftattet , wie die
deutfchen Werke; Wappen und Rüftungen erhalten ebenfo wie in Deutfch-
land durch Aetzung , Niellirung und Taufchirung das unvergleichliche Ge-
präge höchfter Kunftvollendung und ornamentaler Pracht. Nur das Eine
etwa läfst fich bemerken, dafs unter dem Einflufs der Befteller, eines kunft-
fmnigen Hofes und prachtiiebender Fürften unter Mitwirkung des den Fran-
zofen befonders eigenen Sinnes für formale Vollendung, Grazie und Fein-
heit diefe Werke einen befonders vornehmen und zugleich graziöfen Cha-
rakter gewinnen, und dafs befonders auch das Figürliche voll Schwung und
Anmuth ift. Für die Ornamentalcompofition auf den verfchiedenften
Gebieten wurde aber die italiehifche Kunft am meiften einflufsreich durch
die Schule von Fontainebleau, welche zuerft die fogenannten Grottesken
der italienifchen Hochrenaiffance im Norden einbürgerte, die dann mit ihren
feltfamen, oft kunterbunten und überladenen Zufammenftellungen von Blumen-
gewinden, Fruchtfchnüren, Masken, phantaftifchen Fabelwefen, Emblemen,
Inftrumenten und dgl. bald ihren Weg auch nach Deutfchland fanden. In
Frankreich wird alfo die harmonifche und edle Ornamentik der Früh-
renaiffance , die im Wefentlichen auf fchön gezeichnetem Laubwerk mit
fparfam eingeftreuten Figuren beruht, früher von jener bunten Mifchgattung
verdrängt als irgendanderswo im Norden. Beifpiele diefer Richtungen und
des Kampfes derfelben unter einander haben wir fchon oben bei der Be-
trachtung der Bücherilluftration § 7 zur Genüge kennen gelernt.
Wo nun die franzöfifchen Kunftgewerbe in ihren Schöpfungen denen
der übrigen Länder, namentlich Deutfchlands nahe verwandt find, da be-
darf es hier keiner eingehenden Schilderung, fondern nur einer Verweifung
auf das in der Gefchichte der deutfchen Renaiffance Kapitel III Gefagte;
ich befchränke mich hier auf diejenigen Zweige kunftgewerblicher Thätig-
keit, in welchen Frankreich zu eigenartigen Leiftungen durchgedrungen ift.
394
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
§ 108.
Schreinerei und Schnitzerei.
DEN Anfang möge eine Betrachtung der künftlerifchen Holzarbeit machen,
die in Frankreich ganz bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten aufweift.
Allerdings ift von der betreffenden Ausftattung der Schlöffer , von den
Wandvertäfelungen, gefchnitzten Decken, kunftreichen Thüren u. dgl., durch
die Bilderftürmerei der Revolutionszeit unendlich Vieles zerftört worden ;
dennoch ift in öffentlichen Sammlungen, namentlich im Hotel de Cluny
manches Werthvolle erhalten und dasfelbe gilt von den Möbeln der Zeit.
Ich erinnere an die reichgefchnitzte mit den Wappen Heinrichs IV und
der Maria von Medici gefchmückte Holztreppe aus dem Palais de Juftice,
jetzt im Hotel de Cluny, an die Prunkbettftatt aus der Zeit Franz' I,
an den gefchnitzten Schrank aus dem Schlofs von Fontainebleau und an
den fchönen, der Zeit Heinrichs II angehörenden Schrank aus Nufsbaum-
holz, fämmtlich in derfelben Sammlung. Die eigenthümlichen Vorzüge der
franzöfifchen Arbeiten diefer Art beruhen auf der Klarheit der Compofi-
tion und dem echten Holzftil, der niemals in die bei den deutfchen Werken
überwiegende Nachahmung der Steinconftruction verfällt. Es ift alfo den
franzöfifchen Arbeiten diefer Art ein gefunderes Prinzip und ein tieferes
Verftändnifs des der Holzarbeit zukommenden Formgepräges eigenthümlich.
Als Erläuterung geben wir die Darftellung einer Hausthür aus Blois
(Fig. 133), welche diefe Vorzüge auf's Anziehendfte zur Erfcheinung bringt.
Man möchte fagen, dafs hier der tief in den Geift der Nation eingedrungene
Geift mittelalterlicher Conftruction noch nachwirke und in den Formen des
neuen Stiles feine Auferftehung feiere. Denn wie klar, wie conftructiv ver-
ftändig ift die Anlage des Ganzen, die Eintheilung und Gliederung durch
ein befcheidenes und doch wirkfames Rahmenwerk, wie glücklich die Aus-
füllung der Flächen, der kleineren Felder, Friefe, Zwickel und des Bogen-
feldes durch Ornamente , deren Grundaccord ein weich gezeichnetes und
plaftifch fein bewegtes Laubwerk ift, während Figürliches an paffender Stelle
als Blüthe des Ganzen heraus tritt. So wirkt das Ganze reich und doch
ohne Ueberladung, lebensvoll und vornehm zugleich. Das Cartouchenwerk
der beginnenden Hochrenaiffance ift in weifer Zurückhaltung nur den oberen
Thürfeldern zugedacht.
Aehnliche Vorzüge find durchweg den Möbelcompofitionen der fran-
zöfifchen Renaiffance eigen. Klarheit der Conftruction und des Aufbaues,
') Vergl. die trefflichen Aufnahmen von H. Herdtie , Möbclformen der franzöfifchen
Renaiffance. Wien 1881. Fol. Einiges auch in A. Lambert, Parchitecture Suiffe, fowie in
der Publikation der Sammlung Bafilewsky.
396
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
angemeffene Gliederung, gefchmackvolle Vertheilung der Ornamente, die
nach Zeichnung und plaftifcher Entwicklung für die Technik des Holz-
fchnitzens berechnet find , bilden die Vorzüge des franzöfifchen Möbels.
An die Stelle des trockenen Formalismus der Spätgothik tritt das lebens-
volle Ornament der Renaiffance, befonders in feinen feinen Laubverfchhn-
gungen. Zuerft herrfcht noch eine derbere Behandlung, die fich mit dem
anfänglich zur Verwendung kommenden Eichenholz aus dem Mittelalter
herfchreibt. Bald aber tritt an die Stelle diefes derberen Materials das
gefchmeidigere, dem Schnitzmeffer die höchften Feinheiten geftattende Nufs-
baumholz. Nach und nach bürgern fich auch die antiken Säulenordnungen
mit ihren Gefimfen und Friefen, ihren Giebeln, Hermen und Karyatiden
ein, werden jedoch in einer dem Holzftil entfprechenden Weife umgeftaltet.
Zuerft Hebt man wohl unterfetzte korinthifirende Rahmenpilafter mit Laub-
ornamenten an dem kurzen Schaft. Befonders in den nordifchen Schulen,
in der Normandie, Picardie und Flandern herrfchen diefe ftämmigen Formen
vor. In der Isle de France dagegen macht fich der Einflufs der Schule
von Fontainebleau geltend, die Möbel erhalten einen fchlanken Aufbau,
elegante Gliederungen , feine mäfsig ausladende Profile. Das Möbel geht
immer mehr aus den Händen des Zimmermanns in die des Architekten
und Bildfchnitzers über. Meifter wie Goujon und Du Cerceau machen ihren
Einflufs geltend. Dazu kommt reicher malerifcher und plaftifcher Schmuck
mit eingelegter Arbeit, mit Intarfien, Marmorplatten, Emailgemälden und
anderem farbigem Zufatz, wodurch oft eine überaus elegante Gefammt-
wirkung hervorgerufen wird. Als bezeichnendes Beifpiel diefer Gattung
diene der in Fig. 134 dargeftellte Schrank.
Wefentlich anders geftalten fich die Möbel der burgundifchen Schule,
in deren Gefammtform und Einzelbehandlung etwas von füdlicher Ueppig-
keit eindringt. Der Aufbau ift breiter, maffiger, die Gliederung heraus-
fordernder, die feinen Säulchen werden durch fchwungvoll bewegte Hermen
und Karyatiden verdrängt, ja bisweilen treten folche Figuren in drei Stock-
werken auf, worin man eine befondere burgundifche Eigenart erkennt. Alle
Formen und Ausladungen find kräftiger, befonders das Laubornament ift
von quellender Ueppigkeit , und in den Füllungen fieht man Reliefs von
keck bewegten Reiter- und Kriegergeftalten. Von verwandter Art find die
Möbel im Süden und befonders in Lyon, ähnlich maffenhaft aufgebaut,
breit angelegt und mit glänzendem Reichthum dekorirt, doch in der guten
Zeit ftets mit feinem Verftändnifs eingetheilt und abgeftuft.
Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts behalten die franzöfifchen Möbel
im Wefentlichen ihren fchönen ftilvollen Charakter und bleiben den barocken
Ausfchreitungen fern, welchen die Möbel in Deutfchland fchon früh ver-
fallen. Erft unter Ludwig XIII kommt fchwerfällige Derbheit in den Auf-
§ io8. Schreinerei und Schnitzerei. 397
bau und Ueberladung in die Gliederung, namentlich überwuchert das Car-
touchenwerk die Dekoration, die fchlanken Säulen werden zu gewundenen
Fig. 134. Franzöfifcher Schrank nach Herdtie.
und das vegetative wie figürliche Ornament verfällt feelenlofer Stumpfheit.
Damit hat diefe Epoche ihren Abfchlufs erreicht.
398 Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
§ 109.
TÖPFEREI: TERRACOTTEN UND STEINZEUG.
AUCH auf dem Gebiet der Töpferei blieb Frankreich noch ziemlich
lange der mittelalterlichen Ueberlieferung treu, und als dann die
neuen Formen von Italien her allmählich Eingang fanden , hielt man doch
noch eine Weile an der hergebrachten mittelalterlichen Technik feft, fo
dafs die grüne Kupferglafur und die Bleiglafur fich gegen die Zinnglafur
der Fayence eine Zeit lang behaupteten. Auf diefen Werken wie z. B. den
Gefäfsen von Beauvais und der Normandie bilden grün, braun und weifs
einen harmonifchen Farbenakkord. Wie lange diefe Technik fich erhalten
Fig. 135. Bleiglafirte Gourde. Louvre.
hat, beweift unter vielen andern Beifpielen eine grüne bleiglafirte Jagdgourde
des Louvre, welche mit Masken, Löwenköpfen und dem Wappen der
Montmorency verziert ift (Fig. 135). Ein Hauptort der Fabrikation diefer
Werke war fchon feit dem 14. Jahrhundert die Stadt Beauvais, deren Töpfer-
waare fich durch einen blafsgrünen Ton auszeichnet und bis zur Zeit
Ludwigs des XIII vorkommt. Sogar Rabelais erwähnt im Pantagruel diefe
Gefäfse, und im Panurg die blauen Gefäfse von Savignies. Neben diefen
Orten machen fich Saintes, Reimes, La Chapelle des Pots, dann aber im
^) Hiftoire de la Ceramique par Albert Jacquemart. Paris 1873. — Grundrifs der
Keramik von Friedr. Jaenniclte. Stuttgart 1879.
§ 109- Töpferei, Terracotten und Steinzeug.
399
füdweftlichen Frankreich Sadirac bei Bordeaux als Fabrikationsorte folchen
Gefchirrs bemerklich.
Die Einführung der Renaiffance gefchah zuerft durch italienifche
Künftler, welche fich in Frankreich niederliefsen und die italienifche Majo-
lika zur Geltung brachten. So wiffen wir ja, dafs Franz I für die Aus-
fchmückung feines Schloffes Madrid den Girolamo della Roblia kommen
liefs. Trotzdem blieb noch lange Zeit neben diefen fremden Arbeiten die
franzöfifche Töpferei bei ihrer frühern Technik und machte dem Zeit-
gefchmack nur in der Aufnahme der neuen Formen ein Zugeftändnifs. Wie
Fig. 136. Bodenplatten aus dem Museum zu Sevres.
fehr diefelben bisweilen den italienifchen fich näherten, geht aus den fchönen
emaillirten Bodenplatten hervor, mit welchen das Schlofs zu Ecouen
gefchmückt war und von denen wir jetzt wiffen , dafs fie durch einen
einheimifchen aus der Normandie flammenden Künftler Maffeot Abaquesne
ausgeführt waren. Man weifs , dafs diefer Meifter aber auch emaillirte
Gefäfse gefertigt hat. Reiche Auswahl franzöfifcher Boden- und Wand-
bekleidungsplatten findet man im Mufeum zu Sevres, aber auch im Louvre
und im Hotel de Cluny (Fig. 1 36). In der Eintheilung und der Ornamentik
diefer Platten, die aus Laubranken, Kränzen und Medaillons befteht, zeigt
fich die ganze Anmuth der Frührenaiffance. Hierher gehören auch die
400
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
glafirten Bodenplatten aus der Schlofskapelle zu Oiron, welche in grünlich
fchwarzer Zeichnung Linearornamente auf blafsröthlichem Grunde enthalten,
wozu noch die lebhaft colorirten Familienwappen kommen. Eine befonders
für Frankreich bezeichnende Eigenheit find die Giebelfpitzen, Windfahnen,
Firftziegel und andere Dachverzierungen, welche den damaligen franzöfifchen
Bauten namentlich in der Normandie grofsen malerifchen Reiz verliehen.
Zu den Hauptorten der Fabrikation der franzöfifchen Fayence gehört
ferner Avignon, deffen dunkelbraune Gefäfse, Kannen und Vafen, Schalen,
Fig. 137. Kanne von F. Briot. Samml. A. v. Rothfchild. Fig. 138. Steinzeug- Vafe. Louvre.
Schüffein , Tafelauffätze u. f. w. , eine reichere Ornamentik mit durch-
brochenen Rehefs in gelbem Ton, namenthch Masken u. dergl. zeigen.
Aehnlich find die Gefäfse von Clermont Ferrand, jedoch ift die Farbe der-
felben noch dunkler und die Ornamente find netzartig. Ueberaus reich
und mit glänzendem plaftifchen Schmuck in reicher Farbengebung durch-
geführt find die Arbeiten des Francois Briot, der um die Mitte des i6.
Jahrhunderts in Paris lebte und von dem man einige Prachtflücke kennt.
(Fig- 13 7-)
§ HO. Bernard de Paliff}-,
401
Das franzöfifche Steinzeug ift gröfstentheils, ähnlich dem deutfchen,
in grauer Farbe mit blauen Ornamenten durchgeführt. Als Hauptorte werden
wiederum Beauvais und Savignies bezeichnet. In der Ornamentik bleibt
das franzöfifche Steinzeug an Reichthum und Phantafiefülle weit hinter
dem deutfchen zurück und kennt namentlich kaum den dort fo beliebten
Schmuck von Figuren und Sinnfprüchen. Meiftens findet man auf diefen
Gefäfsen nur Blumenornamente, befonders die Lilie, aufserdem Rofetten,
Guirlanden und Wappen. (Fig. 138.)
Flg. 139. Schuffel von PaliUy. Samml. des Marquis de St. Seme.
§ HO.
Bernard de Palissy.
DER berühmtefte unter den Meiftern der franzöfifchen Töpferei, Bernard
de PaliJJy,^) wurde um 15 10 zu La-Chapelle-Biron im Perigord ge-
boren. Er machte dort feine Lehrzeit bei einem Glafer durch. Diefes
Gewerbe, damals fchon durch die Glasmalerei von hoher künftlerifcher
Bedeutung, genügte jedoch dem eifrigen jungen Mann nicht, der fich in
feinen Mufseftunden mit dem Studium der Geometrie und Perfpektive, mit
0 Vgl. die Literatur bei § 109. Dazu Mrs. M. Pattifon, the renaiffance of art in France.
Vol. II. p. 246 ff.
LÜBKE, Gefell, d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 26
402
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Zeichnen, Malen und Modelliren weiter zu bilden fuchte. Nach feinen
Lehrjahren durchwanderte er Frankreich, Flandern und die Rheinlande und
wufste fich durch das Studium der Naturwiffenfchaften , befonders der
Chemie immer umfaffendere Kenntniffe zu erwerben. So erwarb er als
echter Künftler der Renaiffance den Grund zu jener umfaffenden wiffen-
fchaftlichen Bildung, welche er fpäter in feinen Schriften niedergelegt hat.
Als er 1539 von der Wanderfchaft heimkehrte und fich in Saintes nieder-
Hefs, wo er fich einen Hausftand gründete, wurde er durch eine ihm zu
Geficht kommende Fayencetaffe aufs lebhaftefte angeregt und zu eigenen
Verfuchen veranlafst, die befonders auf Darftellung weifsen Emails hinaus-
Fig. 140. Humpen von Paliffy. Louvre.
gingen. Rührend ift die Erzählung von den fchweren Sorgen, den bitteren
Enttäufchungen, welche ihm durch alle diefe Verfuche bereitet wurden. Trotz
der Noth, in die er gerieth, trotz der Vorwürfe feiner Frau und der War-
nungen feiner Freunde fetzte er mit eiferner Beharrlichkeit und ungebrochenem
Muthe feine Experimente fort. Nach den fchwerfben Opfern und Ent-
sagungen gelang ihm endlich die Darftellung des Emails und damit begann
für ihn die Epoche feines Glanzes. Nachmals fchrieb der treffliche Künftler
an Antoine des Fonts: »J'ay trouve grace devant Dieu qui m'a fait con-
noiftre des fecrets qui ont efte jusques ä prefent inconnuz aux hommes.«
Seine erften Arbeiten waren die fogenannten Pieces ruftiques figulines,
(Fig. 139), welche durch ihre ganz neue Eigenartigkeit fchnell allgemeine
§ 110. Beraard Paliffy.
403
Bewunderung erregten und ihm bei Heinrich II und Catharina von Medici
fowie andern vornehmen Perfonen alsbald glänzende Aufträge verfchafften.
Da Paliffy gleich mehreren der bedeutendften Künftler der Zeit Proteftant
war, fo erlitt er, als die fanatifchen Verfolgungen begannen, die fchwerften
Bedrängniffe, die in der Zerftörung feines Haufes und feiner Werkftatt
gipfelten und ihn felbft dem Tode nahe brachten. Erft durch feine Berufung
nach Paris in den Dienft des Königs wurde er den Verfolgungen enthoben
und durfte im Auftrage der Königin Mutter auf dem Platze, wo fpäter die
Tuillerien erbaut wurden, fich eine Werkftatt errichten, in welcher er oft
von Catharina von Medici befucht wurde. Aufserdem eröffnete er Vor-
Fig. 141. Schüffel von Paliff}'. Louvre.
lefungen über Phyfik und allgemeine Naturwiflenichaften , durch welche er
die gelehrten Kreife der Hauptftadt zu feffeln wufste. Aber trotz des
Schutzes Seitens der höchften Perfönlichkeiten wurde der treue Proteftant
im Jahre 1588 im hohen Alter in die Baftille geworfen, wo Heinrich III
ihn wiederholt felbft befuchte, um ihn zu bekehren, welche Bemühungen
der ftandhafte Künftler mit Hohn zurückwies. Wohl wurde er dem Schaffot
entzogen, aber der fchwache König liefs ihn langfam im Gefängnifs ver-
fchmachten. Er ftarb 1589.
Unter feinen Arbeiten fmd die oben bereits erwähnten diejenigen,
welche als die eigenthümlichften ihm den höchften Ruhm eingetragen haben.
Es fmd die heutzutage wieder ftark nachgeahmten runden und ovalen
26*
404
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Schüffein (Fig. 139), welche als Schauftücke mit äufserft naturwahr imitirten
Reliefgeftalten von Schlangen , Eidechfen , Fifchen , Krebfen , Fröfchen,
Schmetterlingen, Mufcheln u. dgl. bedeckt find, auf einem Grunde, welcher
mit Blättern aller Art gefchmückt und zum Theil bisweilen ein fliefsendes
Gewäffer darftellt. Es ift keine Frage, dafs diefer Naturalismus ftrengeren
Stilgefetzen widerflreitet, doch verdient die technifche Ausführung in der
aufserordentlichen Treue nicht blofs der Formen, fondern namentlich auch
der Farben und der ebenfo glänzende als milde und harmonifche Gefammt-
ton hohe Bewunderung. In verwandter naturaliftifcher Behandlung find
Fig. 142. Schierel von Paliffy. Louvre.
dann auch Humpen ausgeführt, die ganz mit Mufcheln oder Blättern, auch
wohl einzelnen Thieren wie Eidechfen, Fröfchen, Krebfen bedeckt werden.
(Fig. 140.)
Allein Paliffy blieb bei diefer rufiiiken Dekorationsweife nicht fhehen.
Weit ftilvoller z. B. find diejenigen Schüffein, welche einen mit den fchönften
Renaiffanceornamenten gefchmückten Rand zeigen und in dem Mittelfelde
nur etwa eine zierliche Eidechfe enthalten, die fich von dem braun, blau
und weifs marmorirten Grunde abhebt. (Fig. 141.) Ueberhaupt war der
Aufenthalt in Paris und die Anfchauung der dortigen zahlreichen Kunft-
ÄlIisilililM»
§ HO. Bernard Paliffy. 405
werke für den Gefchmack diefes geiftvoUen und denkenden Künfllers in
hohem Grade förderlich, fo dafs er nunmehr feine Werke mit glänzenden
farbigen Rehefs mythologifcher, allegorifcher und hiftorifcher Darftellungen
fchmückte, in denen er fich unter dem Einflufs der grofsen italienifchen
Kunft zeigt. (Fig. 142.) Auch hier ift die farbige Wirkung durch die
von ihm hauptfächlich angewandten blauen, gelben und grauen Töne, zu
welchen in zweiter Linie noch grün , violett und braun kommen , ebenfo
glänzend wie harmonifch und die Ausführung bis ins Kleinfte von höchfter
Fig. 145. Kanne von PalilTy. Sammlung G. v. Rothfcliild.
Vollendung. (Fig. 143.) EndUch giebt es auch von ihm rein ornamental
behandelte Schüffein, die in durchbrochener Arbeit mit verfchlungenen
Bändern, Laubwerk und Masken dekorirt fmd, und deren Rand meiftens
durch zierliche Blumenkränze gebildet wird. Die hohe künftlerifche Sorg-
falt, mit welcher der ausgezeichnete Meifter verfuhr, hefs ihn jedes irgend
mangelhafte Stück, namentHch auch feine erften unvollkommenen Verfuche,
vernichten. Daher fmd die echten Arbeiten von ihm fchon an der hohen
Vollendung der technifchen Ausführung zu erkennen.
liwiiip
406
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
§ III-
Die Fayencen von Oiron.
EINE ganz befondere Stellung unter den franzöfifchen Töpferarbeiten
nehmen die Fayencen von Oiron ein,') früher allgemein als »Faience
Henri II« bezeichnet. Es find jene köftlichen, meiftens kleineren Gefäfse
aus feinem Thon, mit Bleiglafur überzogen, durch die zarte, meift ockergelbe
oder braune Inkruftation und die reiche Dekoration mit verfchlungenen
Bändern, Blumen und Laubgewinden, aber auch mit Wappen, Masken,
Eidechfen und phantaftifchen Figuren unvergleichlich reich und elegant
gefchmückt. Ueber die Entftehung diefer prachtvollen und koftbaren
Werke ift erfl in neuerer Zeit durch B. Fillon der Schleier gelüftet worden.
Wir wiffen nunmehr, dafs im Poitou auf dem Schlofs Oiron Helene de
Hangeß, feit 15 19 Wittwe Arthur Gouffiers, diefe reizenden Werke unter
Mitwirkung ihres Töpfers Frangois Charperitier und ihres Sekretärs Jehan
Bernart felbft ausgeführt hat. Wir haben es alfo mit einer Dilettantin zu
thun, die freilich ein ungewöhnlich hohes künftlerifches Gefühl bekundet.
Ihr Gemahl, ebenfalls ein hochgebildeter Mann, war mit Ludwig XII nach
Itahen gezogen und nachmals vom Könige zum Hofmeifber des Dauphin,
des nachmaligen Franz' I beftellt worden. Seine Wittwe erhielt von Franz I
den Auftrag zur Erziehung feines Sohnes, des fpäteren Heinrich II. Wenn
fie fich nicht bei Hofe aufhielt, bewohnte fie feit 1524 ihr Schlofs Oiron,
wo fie 1537 ftarb. Nach ihrem Tode wurde unter ihrem Sohne Claude die
Fabrikation der Fayencen fortgefetzt, wie denn 1538 in den Rechnungen
des Haufes Jehan Bernart mit zwei Malern und einem Knecht noch vor-
kommt.
Man kann drei Epochen in der Fabrikation diefer Fayencen unter-
fcheiden. Die erfte und zugleich vorzüglichfte befchränkt fich auf die
Lebenszeit der Helene Gouffier, und der geläuterte Gefchmack, der in den
damals entftandenen Schöpfungen herrfcht, legt genugfam Zeugnifs von
dem feinen Kunftgefühl der Dame ab, die offenbar nur aus Liebhaberei
fich mit der Kunfttöpferei befafste. Ohne Zweifel find diefe fein ftilifirten
Gefäfse durch Erinnerungen an die in Fontainebleau vorhandenen Pracht-
gefäfse entftanden. Ihre Dekoration zeigt einige Verwandtfchaft mit Metall-
ornamenten, und die verfchlungenen Bänder gemahnen an die Bucheinbände
der damahgen Zeit. (Fig. 144.) Die Gefäfse zeichnen fich durch das milde
Gelb des Grundes aus, von welchem die Ornamente in dunkelbraunem Ton
fich kräftig abheben. Die fpärlich noch fonft auftretenden Farben wie
hchtbraun, braunroth und fchwarz gehören derfelben Scala an und ver-
leihen diefen Werken den Charakter ernfter Vornehmheit. In diefer
') Zu der Literatur in § 109 vgl. Mrs. M. Pattifon a. a. O. p. 239 ff.
§ III. Die Fayencen von Oiron.
407
Hinficht überragen die heften diefer Fayencen wohl Alles, was auf dem-
felben Gebiet zur Zeit der Renaiffance irgendwo entstanden ift; hierauf
eben beruht ihre ganz ausgezeichnete Stellung. Die Ornamente, neben
jenen verfchlungenen Bändern und Knoten aus fein ftilifirten Blumen von
Laubranken und aus durchbohrten Herzen beftehend, fmd zum Theil in
zierhchfter Weife nur aus einzelnen Punkten zufammengefetzt. Figürhches
Louvre. Sammlung Hope. Louvre,
Fig. 144. Fayencen von Oiron.
ift nur vereinzelt durch Masken oder auch wohl eine Eidechfe vertreten.
Aufserdem finden fich die Wappen der Gouffiers und der mit ihnen be-
freundeten Familien, woraus fchon hervorgeht, dafs die Gefäfse wohl aus-
fchliefslich zu Gefchenken beftimmt waren. Der Aufbau diefer köfthchen
Werke zeugt vom feinften Gefchmack, indem die gröfsern ruhigen Flächen
durch gut motivirte Gliederungen zufammengefafst werden , fo dafs das
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Ganze meiftens einen fchön bewegten Umrifs bietet. Dabei ift Alles dem
angewendeten Material entfprechend behandelt, namentlich zeigen die
Henkel und Ausgufsröhren den breiten und kräftigen Charakter, welchen
die Töpferei verlangt.
Mit dem Tode der Helene Gouffier beginnt die zweite Epoche der
Fabrikation, die bis gegen die Mitte des i6. Jahrhunderts dauert. Der feine
Charakter, das klaffifche Gepräge der erften Periode macht einer derberen,
in der Gefammtform mehr architektonifchen, in der Ornamentik mehr über-
ladenen Behandlung Platz. Man erkennt darin die Prunkliebe diefer fpätern
Zeit und befonders den Einflufs Claude Gouffiers , der die fchlichte har-
monifche Schönheit der frühern Arbeiten zu überbieten fucht. Auch kommt
Jehan Bernart fortan in den Rechnungen nicht mehr vor, was ebenfalls
Fig. 145. Salzfals 111 Oiron-Fayence. Sammlung Fountaine.
auf eine veränderte künftlerifche Leitung hindeutet. Der Aufbau der Ge-
fäfse neigt unter dem Einflufs der Architektur der Zeit zum Barocken ;
wunderlich namentlich find die Pilafter und Strebepfeiler , mit denen man
die Gefäfse nicht feiten einfafst, namentlich gilt diefs von den Salzfäffern,
die förmlich wie kleine Gebäude entwickelt find (Fig. 145). Die Ornamentik
bewegt fich ebenfalls in andern Tönen, indem die Formen theils fchwarz
auf weifsem, theils weifs auf fchwarzem Grunde abwechfeln, die Guirlanden
dagegen grün emaillirt find. Auf diefen Gefäfsen findet man öfter die
Wappen von Frankreich und der Montmorency, aufserdem verfchiedene
königliche Abzeichen , namentlich den Salamander Franz' I und befon-
ders die Halbmonde und das Monogramm Heinrichs II, welch Letzteres
früher zu der Bezeichnung »Faience Henri deux« Anlafs gab. Zuweilen
findet fich auch die Gans als Wahrzeichen von Oiron. Von den emaillirten
§ 112. Die Fayencen von Nevers.
409
Platten des Fufsbodens aus der Kapelle von Oiron, welche ebenfalls diefer
Epoche angehören, war fchon oben die Rede.
Die dritte Periode beginnt etwa 1562, als Claude Gouffier, um den
Verfolgungen der Hugenotten zu entgehen, Oiron verliefs, welches dann
1568 gänzlich zerftört wurde. In diefe kurze Zeit fallen die letzten Ar-
beiten, welche fichtlich ein plötzHches Sinken der Technik erkennen laffen.
Diefe Arbeiten wurden wahrfcheinlich zum Verkauf von Leuten angefertigt,
welche fich das Material der Werkftätte zu verfchaffen gewufst hatten.
Diefe letzten Arbeiten find ziemhch flüchtig und roh ausgeführt, die Kannen,
Krüge, Schüffein, Tafelauffätze und Salzfäffer ohne feinere Rhythmik auf-
gebaut, die Ornamente ungefchickt vertheilt und ohne Feinheit behandelt,
die Farben vielfach disharmonifch und unrein.
Im Ganzen kennt man gegen 50 Stücke von Oiron-Fayence , deren
Werth neuerdings fo hoch geftiegen ift, dafs vor nicht langer Zeit ein
Biberon um 27,500 Frcs. für das Kenfington-Mufeum erworben wurde.
Diefes befitzt überhaupt fechs Exemplare, der Louvre und die Sammlung
Anthony von Rothfchild je fieben, die übrigen finden fich meift in Privat-
fammlungen Englands und Frankreichs.
§ 112.
Die Fayencen von Nevers.
DER Kunftliebe eines vornehmen Herrn, des Louis de Gonzaga, eines
Verwandten der Catharina von Medici, der vom Könige zum Herzog
von Nivernois ernannt wurde, verdankt die Majolika-Fabrikation von Nevers
ihren glänzenden Auffchwung. Zwar find die angeblichen Begründer der
Werkftatt, als welche man die drei Brüder Conrade betrachtete, diefer her-
vorragenden Stellung neuerdings mit Recht entkleidet worden; dennoch ift
nicht zu bezweifeln , dafs der Herzog als grofser Kunftfreund bald nach
1565, dem Jahre feiner Vermählung mit Henriette de Cleves, einer der
drei Grazien am Hofe Karls IX , italienifche Künftler herbeizog , denen
man auch die Einführung der Majolika-Technik verdankt. Diefe Italiener
hielten den Stil ihres Landes feft, und befonders find es die Majoliken von
Urbino , deren Technik nachgeahmt wurde. Wie dort findet man hier
in den frühern Arbeiten von Nevers jene beliebten mythologifchen Schil-
derungen, Tritonen und Nereiden, Amoretten u. f. w., bald aber, wie erft
franzöfifche Arbeiter herangezogen wurden, erfuhr diefer Stil eine wefent-
liche Umgeftaltung. Bezeichnend ift befonders die Farbengebung, nament-
lich das bläuHche Grün, welches diefe Arbeiten von Nevers auszeichnet.
Sodann ift zu bemerken , dafs die gelben Töne matter find als bei den
') Vgl. die Literatur zu § 109.
9
4IO
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
italienifchen Majoliken, und namentlich der gelbe Ocker nicht fo häufig
zur Anwendung kommt. Aufserdem ift zu beachten, dafs die Figuren
meiftens gelb auf blauem Grunde gemalt find und dafs roth nicht vor-
kommt. Im Uebrigen ift das Colorit bisweilen dem italienifchen überlegen,
die Zeichnung dagegen bleibt weit hinter der italienifchen zurück. In der
Dekoration fpielen die Schwäne als Symbole der Familie de Cleves eine
grofse Rolle ; bisweilen fieht man Amoretten, die auf Schwänen reiten, dann
wieder ift der blaue Grund mit Schwänen durchzogen. Von dem Reiz der
Dekorationen und der Anmuth diefer Gefäfse giebt eine Vafe aus dem Mufeum
von Nevers (Fig. 146) eine Vorftellung. Aufserdem findet man Gefäfse
diefer Art befonders im Hotel de Cluny und in der Sammlung Fountaine.
Eine befondere Gattung find die prächtigen Nachbildungen perfifcher
Gefäfse, die an Schönheit und technifcher Vollendung zu den vorzüglichften
Leiftungen ihrer Art gehören. Anftatt der figürhchen Darfteilung find
hier ausfchliefslich die mit dem feinften Naturgefühl behandelten und doch
zugleich ftilvoll aufgefafsten Blumen der perfifchen Ornamentik in Ver-
wendung gekommen, die fich von einem tiefen lafurblauen, bisweilen auch
gelben Grunde weifs oder gelb abheben. (Fig. 147.) Am fchönften wirken
mit ihrem herrlichen Emailglanz die weifs auf blauem Grunde verzierten
Vafen. Denfelben Charakter, aber in freier und edler an die italienifche
Renaiffance gemahnender Formgebung , tragen die glafirten Bodenplatten
aus dem herzoglichen Palafte, die man im Mufeum zu Nevers fieht, mit
Fig. 146. Majolica-Vafe von Nevers.
Mufeum zu Nevers.
Fig. 147. Perfifche Vafe von Nevers.
Sammlung E. Pascal.
§ 1 1 3 ■ Limoliner Email.
411
grofsartig gezeichneten, von Vögeln belebten weifsen Ranken auf blauem
Grunde. (Fig. 148.)
Neben diefen Richtungen erhält fich ein befonderer Stil , der italie-
nifche Motive, namenthch mythologifche Darftellungen mit orientalifchen
Ornamenten vermifcht. Bald darauf dringt der hoUändifche Gefchmack
und der chinefifch-japanifche Stil in die Dekoration ein und führt zu Ent-
wickelungen, welche aufserhalb des Rahmens unferer Betrachtung liegen.
§ 113.
LiMOSiNER Email.
Zu den koftbarften Prachtwerken, welche die Gefchicklichkeit des fran-
zöfifchen Kunftgewerbes gefchaffen hat, gehören nun auch in erfter
Linie die Schöpfungen der Limofmer Emailmaler.') Das Email macht in
der Renaiffancezeit ähnliche Entwickelungen durch wie die Glasmalerei.
Fig. 148. Bodenplatte aus dem Palafte der Herzoge von Nivernois. Mufeum zu Nevers.
Beide find von Haus aus mufivifche Techniken, die mit kleinen aneinander
gefetzten farbigen Stücken in mühfamem Zufammenreihen ihre malerifchen
Wirkungen erzielen. Mit dem Beginn der neuen Zeit dringt auch in diefe
Kunftgattungen eine neue Bewegung, das Streben nach freierer Behandlung,
nach höheren rein künftlerifchen Wirkungen. Jede diefer Techniken geht
darauf aus, freie Kunft zu werden. Bei dem Email gefchieht dies dadurch,
dafs mit Schmelzfarben auf Schmelzgrund gemalt wird, wodurch das Metall,
völlig verdeckt, nur noch wie das Holz oder die Leinwand bei der Tafel-
malerei als Grund zur Verwendung kommt. Keine Frage, dafs diefer Um-
wandlungsprozefs fich in Uebereinftimmung und wahrfcheinlich fogar unter
dem Vorgange der Glasmalerei vollzieht. Limoges, welches fchon im
Mittelalter durch feine Emails fich ausgezeichnet hatte, ift auch jetzt der
') Vgl. Ardant, Emailleurs Limoufms. Limoges 1858 fF. — M. de Laborde, Notice des
emaux etc. du muiie du Louvre. Paris 1857 2 Vols. — Darcel, notice des emaux. Paris
1867. — Mrs. Marc Pattifon, the renaiflance of art in France II p. 171 ff.
412
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Sitz diefer Kunft, die bald fo weit berühmt wurde, dafs z. B. die reichen
Nürnberger Familien fich dort ihre koftbaren Tafelgefchirre beftellten, wie
denn in der Familie Tucher noch jetzt ein folches aus jener Zeit vor-
handen ift.
Der Entwickelungsgang nimmt auch hier denfelben Lauf wie bei allen
übrigen Künflen in der Renaiffancezeit ; er beginnt mit kirchlichen Auf-
gaben, um bald faft allgemein in den Dienft des profanen Lebens überzu-
gehen. Im 15, Jahrhundert, in deffen zweiter Hälfte das Limofmer Email
diefen Umfchwung erfährt, beftehen die Hauptaufgaben in jenen kleinen
Flügelaltären (Triptychen) , welche in den vornehmen Kreifen als Reife-
altärchen dienten. Diefe Werke wetteifern an Glanz , Leuchtkraft und
Farbenpracht mit den berühmten Schöpfungen der flandrifchen Maler-
fchule; aber es ift hier fogleich zu betonen, dafs die Arbeiten in diefer
Technik kaum jemals , was nur zu fehr verkannt wird , den hohen Rang
völlig freier Kunftfchöpfungen behaupten können, dafs vielmehr die Schranken
des Kunfthandwerklichen fie meiftens gefeffelt halten. Was die Technik
diefer Arbeiten betrifft, fo grub der Künftler die Umriffe feiner Figuren
mit der Nadel in die Metallplatte, welche darauf mit einer dünnen Lage
durchfcheinenden Schmelzes überzogen wurde. Sodann hob man die Um-
riffe durch eine dunkle Schmelzfarbe hervor, ähnlich wie bei der Glas-
malerei die Zeichnung durch kräftige Umriffe markirt wurde. Im Charakter
der ältern Malerei wurden nun die Einzelheiten des Bildes einfach mit
kräftigen Farben ausgefüllt, ohne Schattengebung, indem die Lichter nur
durch aufgefetztes Gold zur Wirkung gelangten. Die nackten Theile er-
hielten einen violetten Ton mit weifs aufgefetzten Lichtern, endlich wurden
durch kleine Schmelztröpfchen im Geifte der ältern Kunft Edelfteine und
Perlen auf Gewändern und fonftigen Koftümtheilen angebracht. Diefe
archaifche Kunftweife, welche hauptfächlich durch die Arbeiten des ältern
Jean Penicaud, aber auch noch durch diejenigen des jüngern Meifters diefes
Namens wenigftens im Anfang feiner Laufbahn vertreten werden, laffen
noch in keiner Weife den Einflufs der italienifchen Kunft ahnen, ftehen
vielmehr auch im Figürlichen unter der Botmäfsigkeit der nordifchen,
namentlich der flandrifchen Kunft. Höchftens tritt bei den Einrahmungen
das Renaiffanceornament der Frühzeit auf. Ein fchönes Beifpiel diefer
Kunftrichtung ift auf Tafel 40 der Collection Bafilewsky farbig dargeftellt.
Sobald der neue Stil auch in diefe Werke eindringt, vollzieht fich eine
Umwandlung nicht blos in der Form, fondern auch in der Technik. Man
bedeckte nun das Kupfer mit einer dicken Lage von fchwarzem oder doch
dunklem Schmelzflufs, auf welche man nun mit dick aufgetragener weifser
Farbe malte, indem man die Uebergänge in den Schattenpartien theils
durch zarter aufgetragenes Weifs, theils durch Schraffirungen erreichte.
I ('<.V|«'''!:''!:' illW'SSS
Ililili!l;!üi;ililliii;ililill)ilili
§ 113. Limofiner Email.
Nur die nackten Theile wurden mit einem Fleifchton angelegt, nicht feiten
auch goldene Lichter aufgefetzt. Diefe grau in grau gemalten fogenannten
Grifaillen, die mit den ähnlich behandelten Grifaillen der Glasgemälde in
nächfter Verwandtfchaft ftehen, find künftlerifch ohne Frage das Reizendfte
und Vollkommenfte was diefe Technik hervorgebracht hat. Die Wirkung
wird noch dadurch erhöht, dafs Ornamentbänder mit goldenen Ranken auf
fchwarzem Grunde, die öfter wieder durch fchmalere weifse Bänder mit
Goldornamenten begrenzt werden , die Flächen abfchliefsen und gliedern.
Doch fehlt es auch in diefer Zeit nicht
an Emails mit voller polychromer Wir-
kung, welche durch die reiche Abftufung
der Farben, durch Schatten und Licht
und die ganze Scala prachtvoller Töne,
zu denen als höchfter Effekt aufgefetzte
Goldlichter kommen, einerfeits mit der
vollentwickelten Glasmalerei der Zeit,
andrerfeits mit der Oelmalerei der flan-
drifchen Schule wetteifern. Eins der
gröfsten Prachtftücke diefer Art ift der
ovale Schild vom Jahr 1555 in der Apollo-
galerie des Louvre, bezeichnet mit dem
Monogramm A. C. In der Mitte die
Geftalt der Minerva mit Fahne und
Medufenfchild , ziemhch fteif in ebenfo
fteif gezeichneter Landfchaft, umgeben
von einem derben goldenen Cartouchen-
rahmen mit Edelfbeinen, der durch eine
abfcheulich häfsliche Maske und männ-
liche und weibliche Hermen belebt wird,
aufserdem prachtvoll gemalte Blumen-
und Fruchtgewinde zeigt. Die tech-
nilche Behandlung ift freilich von gröfster
Meifterfchaft.
Mit diefer technifchen Umgeftaltung geht eine Umwandlung nach Form
und Inhalt Hand in Hand. Das Email tritt faft ausfchliefslich in den Dienft
des profanen Lebens, indem es hauptfächHch dazu beftimmt wird, deffen
Gefäfse und Geräthe mit dem Zauber feiner Farben und Formen zu
fchmücken. Schilde, Schüffein, Schalen, Kannen, Leuchter und dergl. find
fortan die Hauptaufgaben diefer glänzenden Kunft, die bei manchem diefer
Gefäfse, wie Schüffein, Tellern u. f w., die äufsere und innere Seite völlig
zu dekoriren hat. Aufserdem werden Platten mit Emailgemälden zur Aus-
Fig. 149. Emailkanne von Limoges.
Kensington-Muleum.
414
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
fchmückung von kleinen Käftchen, Koffern, Tifchen u. f. w. verwendet.
Mit richtigem Stilgefühl bildet man die Gefäfse in grofsen ruhigen Flächen
mit geringer plaflifcher Gliederung, um der Malerei möglichft viel Spiel-
raum zu geftatten. (Fig. 149.) Es tritt hier alfo dasfelbe Gefetz in Kraft,
welches auch bei den antiken gemalten Vafen beobachtet wird. Dafs fodann
der Metallftil eine feine Ausarbeitung und Zufpitzung gewiffer Einzelheiten
mit fich führt, wie der Henkel und der Ausgüffe, ift felbftverftändlich. Auf
die fo gewonnenen Flächen breitet nun der Emailmaler feine Gemälde aus,
indem er die Hauptcompofitionen mit ornamentalen Einfaffungen abwechfeln
läfst. Was die figürlichen Darftellungen betrifft, fo verbreiten fie fich über
das gefammte Gebiet der claffifchen Mythologie und Gefchichte, aber auch
der biblifchen Scenen des alten und neuen Teftaments. Als Anhaltspunkte
dienten zuerft die Compofitionen Dürers und der deutfchen Kleinmeifter ;
bald aber werden diefe durch die Italiener verdrängt und nicht blofs
Fig. 150. Rand einer Email-Schale von Pierre Reymond. 1569. Louvre.
Raphaels Schöpfungen kommen zur Verwendung, fondern auch die Meifter
von Fontainebleau, Roffo und Primaticcio, liefern Entwürfe für die Email-
maler. Weiterhin kamen auch die Compofitionen von Du Cerceau, de Bry,
Virgil Solis u. f w. zur Verwendung. In einzelnen Fällen arbeiten aber
auch Künftler wie Leonard Limofin nach eigenen Entwürfen.
Alle Schriftfteller, welche über diefe Werke gehandelt haben, bewegen
fich ausfchliefslich in Schilderungen der figürlichen Compofitionen , als ob
diefen Arbeiten die Bedeutung felbftändiger Kunftwerke gebühre. Wir
haben fchon hervorgehoben, dafs davon nur ausnahmsweife die Rede fein
kann; dagegen wird die Hauptfache, der dekorative Charakter, von allen
jenen Autoren so gut wie mit Stillfchweigen übergangen. Und doch beruht
gerade auf diefem Punkte der eigentliche Reiz und Werth folcher Werke.
Die Mannigfaltigkeit in der Verwendung der dekorativen Elemente ift aufser-
-ordenthch grofs. Bei den Kannen z. B. find es Laubkränze , zierliche
§ L i^. Limöfiaser Emaü,
Blumengewinde, Blätterreihen, antike Eierftäbe oder Flechtbänder, welche
die einzelnen Glieder, den Fufs und den Hals, fowie die trennenden Bänder
fchmücken. Aehnliche Ornamentik weifen die Salzfaffer, Leuchter u. dgl.
auf. Den höchften Reiz aber zeigen die Schüffein, Schalen und Schilde.
Hier wird die Hauptfiäche im Innern einer figürlichen Compofition vor-
Fig. 151. Theil einer SchüU'el von Pierre Reyraond. Sammlung Bafilewsky.
behalten. Den Rand aber umzieht ein Fries, der auf fchwarzem Grunde
die mannigfaltigften Erfindungen der fröhlichen Renaiffancekunft vereinigt:
Rankengewinde, die einerfeits in Akanthusblätter , andrerfeits in Genien,
Thierfiguren und Masken auslaufen. (Fig. 150.) Das Cartouchenwerk ift
bei den früheften und fchönfben diefer Arbeiten nur fparfam angewendet,
etwa für die Infchrifttafeln. Den Uebergang von diefem Rande zur ver-
4i6
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
tieften innern Fläche bildet ftets ein fchmaler Fries mit herrlichen Ranken-
ornamenten in Gold auf fchwarzem Grunde. In vielen Fällen wird bei den
runden Tellern oder Schüffein die Mitte für ein Portrait ausgefpart, mit
fchmalem weifsem goldverziertem Rahmen , um welchen fich wieder ein
breiterer fchwarzer Fries mit Goldornamenten legt, feinerfeits von der übrigen
Fläche durch einen fchmalern weifsen Rahmen mit Goldfchmuck getrennt. So
auf einer herrlichen Schüffei von Pierre Reymond vom Jahre 155^
Sammlung Bafilewsky zu Paris (Fig. 151). Damit ift indefs das Gebiet diefer
Ornamentik bei weitem noch nicht erfchöpft, vielmehr wird alles was die
Renaiffance erfunden hat herbeigezogen, um diefen Werken den höchften
dekorativen Reichthum zu verfchafifen. Dahin gehören namentlich jene
feltfamen Fabelwefen, in denen manchmal fchon die Phantafie eines HöUen-
brueghel zu fpuken fcheint. So mit ungewöhnlichem Reiz lebenfprühender
Phantafie auf einer ovalen Schüffei von Jean Courtois im Befitz des Fürften
Liechtenflein zu Wien, fo ferner auf einer trefflichen runden Schale von
Pierre Reymond aus dem Jahre 1558 und auf einem prächtigen Teller des-
felben Künftlers in der Apollogalerie des Louvre. In allen diefen Fällen,
mag die Darfteilung der Hauptbilder polychrom oder Grifaille fein, wirkt
der Wechfel mit den Goldornamenten auf fchwarzem Grund und den zier-
lichen Ornamenten auf weifsem Grund aufserordentlich reizvoll und beweift
wie diefe Künftler mit hoher Sicherheit die Totalwirkung zu beherrfchen
wufsten. Als letztes aber keineswegs fchönftes diefer dekorativen Elemente
ift das Cartouchenwerk zu bezeichnen, das um die Mitte des Jahrhunderts
aufkommt. Wo es indefs fich mit Figürlichem, mit Masken, Hermen u. dgl.,
mit Laubfchnüren und Fruchtgewinden glücklich zu verbinden weifs, da
wird oft ein hoher dekorativer Reiz erzielt. So auf der Rückfeite einer
ovalen Schüffei von Pierre. Courtoys vom Jahre 1558 im National-Mufeum
zu München, welche Herkules im Kampf mit dem nemeifchen Löwen in
reichem Cartouchenrahmen darftellt (Figur 152), während auf der innern
Seite Sufanne im Bade zu fehen ift. Ueberhaupt wird das Cartouchenwerk
in richtigem Stilgefühl mehr für die Aufsenfeite verwendet; fo auf der
oben erwähnten Schüffei von Jean Courtoys beim Fürften Liechtenftein,
wo die Innenfeite eine figurenreiche Darfteilung des Mofes mit der ehernen
Schlange enthält. Dasfelbe ift der Fall mit einer prachtvollen runden
Schüffei von Piei^re Reymond in der Apollogalerie des Louvre, aus dem
Jahre 1569, deren innere Seite Scenen aus dem alten Teftament enthält.
Es kann hier nicht unfere Abficht fein, mehr als eine blofse Skizze
zu geben, doch mögen die Hauptmeifter Erwähnung finden. Neben den
fchon genannten Künftlern aus der Familie Penicaud, von denen der ältere
zum Theil noch dem 15. Jahrhundert angehört, ift als einer der bedeu-
tendften der fchon mehrfach erwähnte Pierre Reymond anzuführen, der von
§ II 5. Limofiner Email.
417
1534 bis 1582 ununterbrochen thätig war. Man hat von ihm Werke fehr
verfchiedenen Werthes, und zwar aus den verfchiedenen Epochen feines
Lebens, woraus deutlich hervorgeht, dafs er mit Hilfe einer zahlreichen
Werkfbatt arbeitete, deren Leiftungen felbftverftändlich von verfchiedenem
Werthe waren. Sein Name war fo berühmt, dafs er felbft aus Deutfchland,
namentlich aus Nürnberg Aufträge erhielt, wie denn das oben erwähnte
Service der Familie Tucher noch jetzt am urfprünglichen Ort fich erhalten
hat. Dafs er auch in feiner Heimath hochgefchätzt war, fehen wir aus dem
Umflande, dafs er 1567 zum Rathsherrn erwählt wurde.
Fig. 152. Rückfeite einer Schale von Pierre Courtois. München.
Noch gröfsere Bedeutung und im Ganzen vielleicht höheren künfllerifchen
Werth hat Leonard Limo/in^ der allgemein als der vorzüglichfle unter diefen
Meiftern gilt, obwohl wir auch bei feinen bezeichneten Arbeiten die Mit-
wirkung geringerer Gehilfen wahrnehmen. Sein frühefhes bezeichnetes
Werk, Scenen aus der Paffion nach Dürer, datirt von 1532. Im Jahre
1535 malte er auf einer Platte grau in grau eine Compofition nach Rafaels
Pfyche-Bildern, die fich wie die heften feiner Werke durch den köftlichen
Schmelz der Töne , namentlich des Weifs auszeichnet. Auch von den
Goldornamenten weifs er den zarteften Gebrauch zu machen. Gelegentlich
finden wir auch Tafeln von ihm mit Bildniffen berühmter Zeitgenoffen , fo
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffance in Frankreich. II. Aufl. 27
4i8
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
das Portrait des Anne von Montmorency vom Jahre 1536 in der Apollo-
galerie des Louvre, von aufserordentlicher Zartheit eines kühlen Colorits,
das durch den tiefblauen Schmelzgrund noch wirkfamer wird. Die Um-
rahmung befteht aus einem Volutenwerk mit Akanthusblättern , dies Alles
in Gold, während die Füllungen auf fchwarzem Grund grau in grau gemalte
Masken, fowie zwei prächtig gezeichnete männliche und weibliche Satyrn
mit fpielenden Genien enthalten. Diefe Figuren verrathen durch ihre effekt-
volle Muskulatur und ihre kühnen Bewegungen einen fehr frühen Einflufs
der Kunft Michelangelos. Ueberhaupt fehen wir den Meifter bald von
deutfchen Vorbildern zu italienifchen übergehen. Auch Leonard Limofm
zeichnet fich durch eine aufserordentliche Fruchtbarkeit aus, wie denn fein
Ruhm immer höher ftieg und er fich 1551 als »varlet de chambre« des
Königs bezeichnen konnte. Heinrich II und Catharina von Medici be-
trauten ihn daher auch mit zahlreichen Aufträgen. In feiner Vaterftadt
wurde er 1571 zum Rathsherrn ernannt. Im Jahre 1574 vollendete er
die Portraits Heinrichs III als Jupiter und der Catharina von Medici als
Venus. Diefs fmd die letzten Werke, welche feinen Namen tragen; 1577
wird er als verftorben bezeichnet. Von feinen wichtigften Werken nennen
wir noch eine Schale mit dem Kampf der Kentauren und Lapithen vom
Jahre 1536 in der Sammlung James Rothfchild, ein Triptychon mit der
Anbetung der Könige vom Jahre 1544 in der Sammlung Alphons Roth-
fchild, dann die ungewöhnlich grofsen zwölf Tafeln mit den Bildern der
Apoftel in der Peterskirche zu Chartres, faft 2 Fufs hoch, von 1545 bis
1 547 im Auftrage Franz' I nach den Entwürfen des Malers Michel Rochetel
ausgeführt. Vom Jahre 1553 datiren die im Auftrage Heinrichs II für die
Ste. Chapelle ausgeführten Bilder der Kreuzigung und der Auferftehung
Chrifti, jetzt im Louvre.
Von den übrigen Meiftern, die um diefelbe Zeit wirkten, nennen wir
Jean Court, ferner Jean Courtois, fowie die jüngeren Mitglieder der Familie
Limofm, Leonard II, Jean und Jofeph^ ebenfo die jüngeren Mitglieder der
Familie Courtois, Martial, Antoine und Pierre. Auch eine Künftlerin Sufanne
de Court ift zu erwähnen. Tüchtige Arbeiten lieferte auch ein Meifter, der
fich M, D. Pape bezeichnet, und endlich verdient Nicolaus Nouailher (oder
Noylier) Erwähnung.
§ 114.
Glasmalerei.
AN der glänzenden Entwicklung der Kunftgewerbe nimmt nun auch in
einer für Frankreich höchft bezeichnenden Weife die Glasmalerei Theil.
Hatte diefe prächtige Kunft dort im 13. Jahrhundert bereits den höchften
Auffchwung genommen und fich an der reichen Entfaltung der gefammten
§ 114. Glasmalerei.
419
kirchlichen Kunft betheiligt, fo follte fie jetzt eine neue Blüthe erleben, in
welcher fich ein abermaliger Auffchwung des kirchlichen Lebens zu erkennen
giebt. Es lag in den allgemeinen Kulturverhältniffen des Landes, dafs die
Renaiffance, obgleich in erfter Linie wie überall Profankunft, in Frankreich
dennoch auch den kirchlichen Bedürfniffen reiche Anregung verdankte.
Wir erkennen daraus wieder die orthodoxe Devotion des Landes, das fich
den mächtigen Strömungen der Reformation verfperrte und diefelben fchliefs-
lich in Blut erftickte. So erlebt der Kirchenbau noch einmal eine Nach-
blüthe, die wir oben kennen gelernt haben, und fämmthche dekorirende
Künfte, darunter vor allem die Glasmalerei, nehmen an diefem Auffchwunge
Theil. Hier tritt nun der fchärffte Gegenfatz gegen die Schweiz zu Tage,
wo ebenfalls damals die Glasmalerei fich zur höchften Blüthe auffchwang,
denn dort ging diefe fchöne Kunft als Cabinetmalerei in den Dienft des
Privatlebens über, während fie in Frankreich dem kirchlichen Charakter
treu blieb. Allein obwohl im Dienfte der Kirche ftehend, vermochte fie
fich der künftlerifchen Strömung der Zeit nicht zu entziehen, und fo
gewinnt fie nicht blofs als freie Malerei die höchfte künftlerifche Wirkung,
fondern giebt fich in formeller Hinficht gänzHch in die Botmäfsigkeit der
italienifchen Kunft, wie fie zugleich in den architektonifchen Einfaffungen
die eleganten Formen der Renaiffance verwendet. Trotz fo vieler Zer-
jftörung^n find noch jetzt überall im Lande fo zahlreiche Werke erhalten,
dafs Frankreich fich an Fülle der Denkmäler mit der Schweiz meffen kann.
Eine eingehende Gefchichte diefer fpätern Glasmalerei, welche von den
Archäologen der ftrengen Obfervanz natürlich verachtet wird, ift noch zu
fchreiben. Wir haben hier uns auf kurze Andeutungen zu befchränken.
Unter den berühmteften Glasmalern diefer Epoche eröffnet Robert
Pinaigrier den Reigen. Er fcheint gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts
geboren zu fein, malte 1527 und 1530 mehrere Fenfter in St. Hilaire zu
•Chartres, die ihm wie es fcheint folchen Ruf verfchafften, dafs er eine ganze
Reihe ähnlicher Aufträge für die Kirchen zu Paris erhielt. In der fpätern
Zeit feines Lebens finden wir ihn in Tours , wo auch feine Söhne Nicolas,
Louis und jfean lebten. Nicolas malte noch im Anfang des ly. Jahr-
hunderts in St. Etienne du Mont zu Paris ein Fenfler mit der Darftellung
der myftifchen Weinkelter. Von Robert ftammen namentlich die Chorfenfter
in St. Gervais mit dem Leben der Maria, von grofsem dekorativen und
coloriftifchen Reiz.
Zu den frühern Meiftern gehört fodann Nicolas le Pol, den wir in den
Glasgemälden der Schlofskapelle von Ecouen kennen lernen. Auch fein
Bruder jfean le Pol war nicht blofs Bildhauer, fondern ebenfalls Glasmaler.
Sodann ift als ein vorzüglicher Meifter Enguerrand le Prince hervorzuheben,
^ier 1530 ftarb und deffen Söhne Jean und Nicolas gleichfalls als tüchtige
27*
420
Kap. X, Das Kunftgewerbe der Epoche.
Meifter gelten. Von Jean befitzt die Kirche zu Triel (Dep. Seine et Oife,
Arr. Verfailles) fieben prachtvolle Glasgemälde von 1554 und 1557.
Eine ganz hervorragende Stellung endlich gebührt Jemi Coufin, einem
der bedeutendften franzöfifchen Künftler der Zeit. Um 1501 in Soucy bei
Sens geboren, 1589 geftorben — er felbft nennt fich Semonenfis — war
er einer jener Künftler der Renaiffance, welche in univerfellfter Weife das
gefammte Kunftgebiet umfafsten und zugleich die Kunftlehre mit wiffen-
fchaftlicher Vertiefung zu fördern fuchten. Wie Michelangelo und Lionardo
war er als Maler und Bildhauer thätig; zugleich aber zeichnete er fich als
Glasmaler und Kupferftecher aus, und wenn er auch fchwerlich felbft Form-
fchneider war, fo hat er doch zahlreiche Zeichnungen für den Holzfchnitt
angefertigt. Von feinen wiffenfchaftlichen Beftrebungen zeugt fein Livre de
perfpective, fowie fein Livre de pourtraicture von 1571. Ohne Zweifel hat
Coufm feine Studien in Italien und zwar in Rom gemacht, denn die Typen
feiner Geftalten find die der römifchen Schule, und im bewegten Charakter
feiner Compofitionen und der Vorliebe für kühne Verkürzungen erkennt
man den Nachahmer Michelangelos. Das Gemälde des jüngften Gerichts
im Louvre, ehemals in der Minoritenkirche bei Vincennes , zeigt eine
miniaturartig ausgeführte Maffe von kleinen Figuren in bewegten Gruppen,
warm und klar im Ton und goldig in der Carnation, im Ganzen jedoch
von keiner hervortretenden Originalität. Als Bildhauer ift er durch die
edle Grabftatue des Admirals Chabot fehr beachtenswerth. Allein feinen
Hauptruhm verdankt er doch den von ihm ausgeführten Glasgemälden. In
diefer Kunft fcheinen die beiden Meifter Jacques Hympe und Taffin Graffoty
von welchen die füdlichen Portalfenfter der Cathedrale von Sens herrühren,
ihn unterrichtet zu haben. Er felbft arbeitete dann ebendort um 1530 die
Fenfter mit der Legende des heiligen Eutropius, fodann 1 5 5 1 in St. Gervais
zu Paris das Martyrium des heiligen Lorenz, die Königin von Saba, den
Gichtbrüchigen und die Samariterin am Brunnen. Um 1542 hatte er im
Wetteifer mit Nicolas le Pot die Fenfter in der Schlofskapelle zu Ecouen
ausgeführt. Zu feinen Hauptwerken endlich gehören die fünf Fenfter in
der Schlofskapelle zu Vincennes, (vgl. Fig. 153), in welchen der Glanz
der Renaiffancedekoration befonders klar zur Geltung kommt. Die Vifionen
der Apocalypfe find hier mit aufserordentlicher Lebendigkeit dargeftellt.
Sehr fchön im heften Geifte der Renaiffance find die Einfaffungen der
Bilder, die meift in zwei Abtheilungen übereinander angeordnet find, unten
mit einfacheren Bögen auf dorifchen Pilaftern, oben mit reicheren in ionifcher
Ordnung durchgeführt, in den Bogenzwickeln, den prachtvoll gefchmückten
Friefen und dem reichen Confolengefims des Gebälks und des Giebels, den
das gothifche Maafswerk feltfam genug durchfchneidet, die üppige Fülle
der entwickelten Renaiffancekunft darbietend.
Kap. X. Glasmüerei.
421
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Glasgeniälde in der Schlofskapelle zu Vinceiines.
(Sadoux-Paluftre.)
Von den trotz aller Zerftörung
immer noch zahlreich erhaltenen
Glasgemälden diefer Epoche nennen
wir in Paris diejenigen in St.
Severin, St. Germain l'Auxerroi,
St. Merry, St. Gervais, St. Medard,
St. Euftache, St. Etienne du Mont.
In St. Martin zu Montmorency
fieht man zwei Glasgemälde von
1524, in St. Michel für Orge fmd
vier Glasfenfter wahrfcheinlich von
Robert Pinaigrier erhalten. Zu
den bedeutendften Cyklen gehören
die fieben prächtigen Fenfter in
der Kirche zu T r i e 1 (Seine et Oife),
1554 bis 1557 von Jean le Pri7ice
ausgeführt, Chrifti Einzug in Jeru-
falem, feine Fufswafchung durch
Magdalena, der Tod der hl. Jung-
frau, legendarifche Scenen, S. Se-
baftians Martyrium, die hl. Rochus,
Martinus u. A., fowie die Wurzel
Jeffe, lebensvoll bewegte, meifl
figurenreiche Scenen.
Namentlich aber die grofs-
artige Reihenfolge von 37 Fenftern
in der Kirche von Monfort
l'Amaury (Seine et Oife) aus
den Jahren 1544 bis 1578: —
Darftellungen aus dem Leben und
Leiden Chrifti, dem Leben Mariä,
Legenden, Apoftelgefchichte, grofs-
entheils von hohem Werth, zugleich
mehrfach mit prächtigen architek-
tonifchen Gründen und reichen Re-
nal ffancehallen, die bisweilen noch
die frühen, meiftens aber die aus-
gebildeten Formen des Stils ver-
rathen. Treffliche Glasgemälde fo-
dann in S. Etienne zu Beauvais,
vorzüglich darunter die Apokalypfe und die Wurzel Jeffe.
wmmm
422
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Auch die Normandie ift, namentlich in ihren öfthchen Theilen, noch
immer reich an Werken diefer Art. Wir nennen in Ronen die Cathedrale,
St. Vincent, St. Patrice, St. Godard, fodann in Elboeuf St. Etienne und
St. Jean, endhch in der Kirche zu Gifors die fchönen, ganz unter dem
Einflufs rafaehfcher Kunft flehenden Glasgemälde, befonders das herrliche
Fenfter mit Scenen aus dem Leben der Maria.
Unter diefen fpäten Meifterwerken der Glasmalerei nehmen nun auch
diejenigen in der Kirche von Brou einen hohen Rang ein.') Vollendete
Meifterfchaft in Compofition, Zeichnung und malerifcher Durchführung ver-
bindet fich mit einem überaus feinen dekorativen Sinn für Anordnung,
Farbenvertheilung und ornamentale Durchbildung. In letzterer Hinficht
ftellt fich fofort heraus, dafs die entv^erfenden Künftler der Gothik faft
völlig entwachfen find und diefelbe nur hier und da in zierHchen Krabben
und durchbrochenen Zackenbögen zu Worte kommen laffen, während die
Hauptformen, namentlich die Baldachinarchitektur, die den Geftalten als
Einfaffung dient, die Formen einer eleganten Frührenaiffance verrathen.
Die Schönheit und Frifche der Farben, der Reichthum der Stoße, nament-
lich der prächtigen Koftüme mit ihrem Schmuck , fteigern den wahrhaft
bezaubernden Eindruck diefer köftlichen Werke. Im Chor find die fünf
prachtvollen, 1 3 Meter hohen zweitheiHgen Fenfter noch völlig erhalten. Ihre
bedeutende Höhe wird durch eine Galerie getheilt. Das mittlere Fenfter
zeigt in der unteren Abtheilung den Heiland, der nach feiner Auferftehung
feiner Mutter erfcheint. In der oberen Hälfte fieht man abermals den Auf-
erftandenen als Gärtner der Magdalena erfcheinend, die ihm zu Füfsen
finkt, während ihre beiden Begleiterinnen den Hintergrund füllen. In dem
Fenfter zur Linken (nördlich) kniet unten Philibert der Schöne vor einem
Betpult, von feinem hinter ihm ftehenden Patron empfohlen, während zur
Rechten (füdHch) feine Gemahhn in derfelben Stellung von ihrer Befchützerin,
der heiligen Margaretha, begleitet ift. Diefe Darftellungen, die an die her-
gebrachte Form der Altarbilder anknüpfen, zeichnen fich durch befondere
Farbenpracht aus. Ueber ihnen erheben fich auf himmelblauem Grunde
prächtige hellfchimmernde Baldachine in Renaiffanceform , mit Goldorna-
menten reich gefchmückt. Die knieenden Genien mit Guirlanden, fowie
die unter den fürftlichen Figuren als Abfchlufs angebrachten wappen-
haltenden Engel gehören ebenfalls dem neuen Stile. Von diefen Engeln
halten zwei eine Tafel, von denen die eine das Todesdatum Philiberts zeigt,
während die andere leer geblieben ift: ein Beweis, dafs diefe Theile vor
dem Tode der Erzherzogin bereits vollendet waren.
Noch prachtvoller wird die Gefammtwirkung diefer glänzenden Fenfter
dadurch, dafs die obere Hälfte ganz mit den Wappen des fürftlichen Paares,
Abbildungen in Dupasquier's Monographie über die Kirche von Brou.
§ 114- Glasmalerei.
423
mit denen feiner Vorfahren und der ihnen zugehörigen Länder, Herrfchaften
und Städte ausgefüllt ift. Diefe durch die reichen Farbentöne, durch Gold
und Silber ftrahlenden Darftellungen haben allerdings mehr ein hiftorifches
als künftlerifches Intereffe; aber fie dürfen doch als Mufber für derartige
heraldifche Aufgaben bezeichnet werden. Da die beiden anderen Seiten-
fenfter in ähnlicher Weife gefchmückt find, fo ficht man, wie fehr bereits,
als Ausdruck der neuen Zeit, das Religiöfe hinter dem Perfönlichen zurück-
tritt, und wie trotz aller Frömmigkeit doch weltliche Ruhmbegier immer
mehr Einflufs auf die Geftaltung auch der kirchlichen Aufgaben gewinnt.
Ungleich höhere Bedeutung hat daher das Hauptfenfter der Marien-
kapelle. Fünftheilig, in einer Gefammtbreite von etwa zehn Fufs, ift es
durch eine grofsartige Darfteilung der Himmelfahrt der Jungfrau ausgefüllt.
In der Mitte fchwebt die weihevolle Geftalt der Verklärten empor, demuth-
voll das Haupt fenkend und die Arme über die Bruft kreuzend, während
Gottvater und Chriftus , zu beiden Seiten thronend , ihr gemeinfam die
Himmelskrone aufs Haupt fetzen. Die ganze Darftellung athmet die fchUchte
Würde der älteren flandrifchen Kunft. Unten umgeben theils knieend,
theils ftehend die Apoftel mit Zeichen des Staunens und der Andacht das
offene Grab. Ganz vorn dagegen kniet in allem Glanz fürftlicher Erfcheinung
das Stifterpaar, von den hinter ihm ftehenden Schutzpatronen empfohlen.
Die Kunft hat auf diefe Gruppe wieder ihren vollen ornamentalen Zauber
verwendet. Eine elegante Architektur von Renaiffancefäulen bildet die
Einfaffung.
Ueber diefer reichen Scene ift nun merkwürdiger Weife ein Fries
angeordnet, der in kleinen, trefflich durchgeführten Figürchen den Triumph-
zug Chrifti darfteilt. In der Mitte ficht man den Welterlöfer auf einem
von den vier Evangeliftenzeichen gezogenen und von den vier Kirchen-
vätern geleiteten Wagen triumphirend einherziehen; vor dem Wagen das
Alte, hinter ihm das Neue Teftament in feinen Haupt Vertretern. Bei erfterem
beginnen Adam und Eva den Zug, gefolgt von Patriarchen und Propheten
und der Mutter der Makkabäer mit ihren fieben Söhnen ; bei letzterem find
es die Apoftel, Märtyrer und andere Heilige, unter welchen die Riefen-
geftalt des Chriftophorus mit dem Jefuskind auf der Schulter hervorragt.
Die Bekrönung des Fenfters bilden, ganz im Sinne der Renaiffance, Blumen-
vafen, Laubgewinde und Delphine; fodann find die Oeffnungen der Maafs-
werke ganz mit anbetenden, mufizirenden und jubilirenden Engeln angefüllt,
wobei die gefchickte Benutzung des Raumes Bewunderung verdient.
In der benachbarten Gorrevod-Kapelle finden wir ebenfalls ein wohl-
erhaltenes Fenfler, das durch eine Darfteilung Chrifti, der nach der Auf-
erftehung dem zweifelnden Thomas erfcheint, gefchmückt ift. Daneben
knieen Lorenz von Gorrevod und feine zweite Gemahlin, Claudine de Rivoire,
424
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
von ihren Schutzheiligen empfohlen. Darunter fieht man beider Wappen-
fchild, oben aber, in der Krönung des Fenfters, die Wappen Philiberts und
Margarethens. Alle diefe Wappen find wie diejenigen im Chor in grüne
Laubkränze eingefafst, deren Wiederkehr den Farbenaccord zu feiner Har-
monie zufammenftimmt. Die ungemein reiche Architektur, welche in Nifchen
und Baldachinen diefe Darflellungen einrahmt, ift ein üppiges Gemifch
gothifcher und Renaiffanceformen, übermüthiger und fpielender als an den
übrigen Fenftern. In den Oefifnungen der Mafswerke fieht man wieder
zahlreiche anbetende Engel in anmuthiger Mannigfaltigkeit der Geberden
und Stellungen.
Noch zwei fchöne und im ganzen wohlerhaltene gemalte Fenfter finden
wir an der Südfeite der Kirche. Das erfte gehört der Kapelle der fieben
Schmerzen an, welche der Abt de Montecut, Almofenier der Prinzeffin, mit
ihrer Genehmigung 1516 für fich ftiftete. Man fieht Chriftus beim Nacht-
mahl zu Emaus mit den beiden Jüngern fitzen und das Brod brechen.
Unten kniet der fromme Stifter im Gebet, vom heiligen Antonius empfohlen.
Der obere Theil des Fenfters ift mit Scenen aus der Gefchichte Jofephs
gefchmückt; man fieht in kleinen Darftellungen, wie er von feinen Brüdern
verrathen wird , dann Pharao feine Träume auslegt und von diefem mit
Ehren überhäuft und von feinen Brüdern erkannt wird. Die Mafswerk-
öfifnungen find auch hier mit fingenden und mufizirenden Engeln gefüllt.
Das letzte Fenfter endlich im füdlichen Kreuzarme ift der Gefchichte
der keufchen Sufanna gewidmet. In der oberen Abtheilung erfcheint fie
als Angeklagte vor dem Richter; in der unteren bringt der weife Daniel
ihre Unfchuld an den Tag und fällt über die beiden verbrecherifchen
Alten das Verdammungsurtheil. Kompofition und Ausführung find hier
einfacher, aber in demfelben Geifte und Stilgefühl wie die übrigen Fenfter
behandelt.
Das entfprechende Glasgemälde im nördlichen Querarm ift durch einen
Hagelfchlag zu Grunde gegangen; ebenfo ift das öfl;liche Halbfenfter der
Marienkapelle feines ehemaligen Schmuckes beraubt. Immerhin bieten aber
die noch vorhandenen und wohlerhaltenen Theile diefer reichen Dekoration
vorzügHche Beifpiele jener hochentwickelten Art der Glasmalerei.
§ IIS-
Bucheinbände.
WIE wir in den Bücherilluftrationen die erften Spuren der beginnenden
Renaiffance in Frankreich gefunden haben (§ 5) , fo mögen einige
Bemerkungen über die äufsere Ausftattung der Bücher, den Bucheinband,
den Kreis unferer Betrachtungen fchliefsen. Ift doch auf diefem Gebiet
Frankreich von ganz hervorragender Bedeutung, fo dafs feine vorzüglichen
426
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Arbeiten des i6. Jahrhunderts grade heut bei der ftillofen Verwilderung
des Büchereinbands als muftergiltig bezeichnet werden müffen.^)
Bekanntlich war fchon im frühen Mittelalter für die prachtvollen mit
Miniaturen reich gefchmückten gefchriebenen Bücher, wie die Kirche fie
als Evangeliarien, Antiphonarien u. dgl. gebrauchte, ein kofbbarer Einband
unerläfsHch. Gefchnitzte Elfenbeintafeln, in Silber oder Gold gefafst, oder
auch getriebene Platten von vergoldetem Silber mit Perlen und Edelfteinen
gefchmückt, bildeten die Deckel diefer meift im Folioformat angelegten
Pergamenthandfchriften. In der Epoche der Gothik tritt bereits der Leder-
einband auf Holzplatten an die Stelle jener Prachtftoffe und erhält häufig
durch eingefchnittene Ornamente, durch gepunzte Mufter und eingeprefste
Figuren künftlerifche Belebung. Ein Hauptmittel der Ornamentik waren
die durch metallene Rollen ausgeführten dekorativen Friefe, Leiften und
Streifen. Metallene Eckbefchläge und Krampen vollendeten den kraftvollen
Eindruck diefer monumentalen Werke.
Zur höchften künftlerifchen Entwicklung gelangt der Bucheinband aber
erft in der Zeit der Renaiffance. Neben Bauten und Bildern waren Bücher
der Ehrgeiz jener grofsen geiftig regfamen Epoche; koftbare Ausgaben in
künftlerifch vollendeten Einbänden zu befitzen, war das wetteifernde Streben
in allen gebildeten Kreifen. Die Bibliotheken der Medicäer und der Päpfte,
namentlich Nicolaus V, fowie der hervorragenden Herrfcher, wie des Herzogs
von Urbino, fodann auch die berühmte Sammlung des Königs Mathias
Corvinus von Ungarn, zeichneten fich nicht blofs durch den Inhalt, fondern
auch durch die äufsere Erfcheinung aus. Der bedeutende venetianifche
Buchdrucker Aldus liefs, wahrfcheinlich durch orientalifche Arbeiter, die
von jeher in der Behandlung des Leders ausgezeichnet gewefen waren, die
Einbände feiner Bücher herftellen, und fo entftand der eigenartige maurifche
Charakter der Ornamentik, welcher fortan das Gepräge der Renaiffance-
einbände beftimmt. Denn von Italien verpflanzt fich diefe Behandlung als-
bald nach Frankreich, wo fie eine befonders feine Ausbildung erfährt.
Bezeichnend ifl zunächft, dafs die Literatur bewegHcher wird, und dafs
im Ganzen die grofsen und fchweren mittelalterlichen Formate, abgefehen
von mancherlei Ausnahmen für kirchliche oder wiffenfchaftliche Bücher,
») Vgl. d. Catalogue illuftre v. Firmin Didot. Paris 1878. J. et L. Techener, hiftoire
de la bibliophilie Paris 1861 flF. Fol. Libri, raonuments in^dits, faifant partie du Cabinet
de G. Libri. Londres 1862. Fol. Les arts du bois, des üffus et du papier. Paris 1883.
Zaehnsdorf, the art of bookbinding London 1880. M. Michel, la reliure Francaife Paris 1880.
Stockbauer, Muftereinbände aus der Blüthezeit der Buchbindekunft. Leipzig. Sodann die
gehaltvolle Schrift von R. Steche, Zur Gefchichte des Bucheinbandes, Leipzig 1878, und
F. Luthmer, Bucheinbände der Renaiffance im Kunftgewerbeblatt der Zeitfchrift für bildende
Kunft 1885.
5
§ 115. Bucheinbände.
427
Fig. 155. Bucheinhand für den Grafen von Mannsfeld. (Sammhiug Didot.)
aufhören. An ihre Stellen treten die kleineren und leichteren Formate,
durch welche eine allgemeinere Zugänglichkeit und Handlichkeit der Bücher
bedingt wird. So fchwindet denn auch die fchwere Holzdecke des Mittel-
■428
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
alters mit ihren metallenen Eckbefchlägen, Krampen und Spangen, und an
ihre Stelle tritt ein aus Pergamentblättern zufammengeleimter Deckel, deffen
Feinheit und Glätte für die Ausführung der in Gold geprefsten Verzierungen
von Wichtigkeit ift. Den Ueberzug bildet, wo nicht etwa in einzelnen
Fig. 156. Buclieiiiband für J. Grolier. (Nach Techeuer.)
Fällen Sammet- oder Goldfchmiedearbeit angewendet wird, hauptfächlich
das Leder, in jener vollkommenen Bearbeitung, welche man von den Orien-
talen erlernte und als Corduan oder Maroquin (von Cordova und Marocco)
bezeichnet. Charakteriftifch ift ferner, dafs diefe Bücher auf Heftfchnüren
§ 115. Bucheinbände.
429
(Nerfs oder Nervures) ausgeführt werden, die am Rücken fich als kräftig
vortretende Rippen (;^Bünde«) markiren und bei den früheften diefer Bücher
fo zahlreich find, dafs kein Raum für einen Rückentitel bleibt, vielmehr
für den Titel ein mittleres Feld auf dem Deckel ausgefpart wird. (Fig. 1 54.)
Fig. 157. Bucheinband aus der Bibliothek Franz' I. (Sammlung Dutuit.)
Anfangs wendete man vorwiegend ein dunkles naturfarbenes Leder an, dem
aber feit ca. 1 5 30 ein gebleichtes pergamentartiges, oder auch ein mannich-
fach gefärbtes zur Seite tritt, welches im Zufammenhang mit den Gold-
ornamenten diefen Werken oft einen prächtigen polychromen Eindruck ver-
430
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
leiht. Für die Ausführung der Ornamente erfindet fodann Pierre Gaillard
an Stelle der früheren metallenen Rollen die fogenannten Fileten, halbmond-
förmige Eifen, bei deren Gebrauch das Feingefühl der künftlerifchen Hand
zur Geltung kommt.
Was die Ornamentik felbft betrifft , fo wird die Tiefprägung der
gothifchen Epoche, die in Deutfchland noch lange Zeit mit Hartnäckigkeit
feftgehalten wird, immer mehr durch eine eigentliche Flächendekoration
verdrängt. Die Motive derfelben gehören durchaus dem Orient an, und
zwar ift es die maurifche Ranke mit ihrem eigenthümlichen Blattwerk,
welche den Charakter diefer Ornamentik vollftändig beherrfcht. Doch gibt
es auch einzelne Beifpiele, wo die etwas mehr naturaliftifche Blumenranke
der perfifchen Kunft aufgenommen wird, wie in jenem prachtvollen vene-
tianifchen Buchdeckel der Bibhothek Firmin Didot, welche auf dem ovalen
Mittelfelde mit einem köftlichen Gemälde von Pyramus und Thisbe ge-
fchmückt ift. Doch dies find Ausnahmen, da im Allgemeinen die maurifch-
arabifche Dekoration vorwiegt. Es ift jenes aus der maurifchen Architektur
bekannte Spiel mit geflochtenen und verfchlungenen Bändern, fowie mit
reich entwickelten Ranken , die in jene fpezififch maurifchen Blätter und
Blumen auslaufen, für welche in der Natur keine Vorbilder zu finden find.
Es ift alfo diefelbe Ornamentik, welche von den Bucheinbänden fich fodann
auf die berühmten Oironfayencen (§ iii) verpflanzt hat. Diefe Ornamentik,
welche den Flächencharakter in vollkommenfter Weife zur Geltung bringt,
und deren hohe ftiliftifche Vollendung darauf beruht, dafs fie demfelben
niemals untreu wird, und nur ein harmlofes, das Auge ergötzendes Formen-
fpiel, niemals aber etwas felbftändig Bedeutfames fein will, überzieht die
Flächen, indem ihre frei und oft grofsartig gefchwungenen Linien fich dem
gegebenen Räume aufs GlückHchfte anpaffen. (Fig. 155.) In der Regel
wird ein mittleres Feld für das Wappen des Befitzers oder den Titel des
Buches ausgefpart, und mit einem fchön ftilifirten Rahmen von ver-
fchlungenen Bändern eingefafst. Aufserdem zieht fich häufig ein breiter,
mit Rankenwerk dekorirter Rahmen rings um den Deckel hin. Die übrig
bleibenden Flächen werden dann entweder leer gelaffen, oder mit einem
Ornament gefüllt, deffen zierlicher Charakter fich von dem der übrigen
Theile wirkfam unterfcheidet. Manchmal wird die ganze Fläche durch
Bandverfchlingungen , welche von dem mittleren Felde ausgehen, in eine
Anzahl fchön gezeichneter Felder eingetheilt, deren Ornamentik dann wieder
mit der in den übrigen Flächen angewandten contraftirt. Diefe Contrafte,
auf denen die bewundernswürdige Wirkung diefer fchönen Werke beruht,
werden durch die Anwendung verfchiedenfarbigen Leders, alfo recht eigent-
licher Ledermofaik noch gefteigert, indem man die Bänder und Streifen
durch aufgeklebtes buntes Leder von gröfster Zartheit fich vom dunkleren
§ 115. Bucheinbände.
Grunde abheben läfst. Den höchften Glanz erhalten dann diefe Decken
durch Vergoldung der Ornamente, wobei die Blätter und Blumen meift
fchraffirt werden. (Fig. 156.) Neben diefen reicheren Beifpielen giebt es
aber auch einfachere, bei welchen mannichfach verfchlungene Bänder und
Fig. 158. Bucheinband für Heinrich II. (Nach Techener.)
Streifen das einzige Motiv der Dekoration bilden (vgl. Fig. 154). Auch
diefe zeichnen fich bei hoher Schlichtheit durch die edle ftilvolle Be-
handlung aus. Fig. 154 giebt ein Beifpiel aus der Sammlung des Herrn
Dutuit.
432
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
Fig. 159. Bucheinband für Heinrich If.
Diefs ift der Charakter des Bucheinbandes , welchen der berühmte
Bücherfreund Jean Grolier zuerft in Frankreich eingeführt hat. Bis 1535
als Schatzmeifter zu Mailand lebend und dann für diefelbe Stellung nach
§ 115- Bucheinbände.
433
Fig. i6o. ßucheiuband für Heinrich II.
Frankreich berufen, hatte er in Italien die fchönen Bucheinbände der Re-
naiffance kennen gelernt und führte diefelben in Frankreich ein, wo er bis
zu feinem Tode 1565 vier Königen nach einander diente. -Nach Ausfage
LÜBKE, Gefch. d. Renaiffaiice in Frankreich. II. Aufl. _o
434
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
feiner Zeitgenoffen Hefs er die Bücher in feinem Palais unter feiner eignen
Aufficht binden und foll felbft mit Hand angelegt haben. Die GroHer'fchen
Bände find von vornehmfter Eleganz, an Harmonie der fein zufammen-
geftimmten gedämpften Töne, an technifcher Vollendung, prächtigem Farben-
glanz und Anmuth der Zeichnung unübertroffen. Die Decken find meift
aus Maroquin oder braunem Kalbleder hergefbellt, die Ornamente in Gold
und Olivengrün, auch wohl in Gold und Schwarz auf braunem Grunde
ausgeführt. Diefe herrlichen Werke mit der Auffchrift: »GROLIERII
ET AMICORVM« werden jetzt mit Taufenden bezahlt.
Auch der uns fchon bekannte Geofroy Tory (S. 20 ff.) hat dem Buch-
einbande feine Sorgfalt zugewendet. Die durch ihn hergeftellten Bände,
meifb aus Schafleder gearbeitet, find in der Regel nur mit goldgeprefsten
Ornamenten gefchmückt, nur ausnahmsweife mit farbiger Zuthat verfehen.
Seine Arabeske zeigt das feine Rankenwerk, welches wir fchon aus feinen
Randleiften kennen. In der Regel weifs er damit fein Zeichen, einen zer-
brochenen Krug, aufs Gefchicktefte zu verbinden. Auch den Schnitt der
Bücher Hebte man nicht unverziert zu laffen, und gab ihm gern auf Gold-
grund farbige Ornamente, welche vermittelft der Punzen eingefchlagen
wurden. Eigenthümlich ift , dafs die für Franz I ausgeführten Bände
fich durch eine gröfsere Einfachheit auszeichnen ; meift in fchwarzem Leder
oder Sammet von derfelben Farbe ausgeführt, find fie in der Regel mit
fchlichten, breit behandelten Bändern gefchmückt, in deren Verfchlingungen
bereits die beginnende Cartouche fich zeigt. Wir geben in Figur 157 ein
Beifpiel aus der Sammlung des Herrn Dutuit. In dem Mittelfelde ficht
man fodann auf punktirtem Grunde das königliche Wappen fammt dem
Salamander, Alles in Gold. Diefe Bände machen einen befonders vor-
nehmen Eindruck.
Prächtiger und eleganter zeigen fich die Bände, welche Heinrich II für
fich oder für Diana von Poitiers ausführen liefs. (Fig. 158.) Im Schlofs
Anet fanden fich gegen 800 jener prachtvollen Bände aus Ziegen- oder
Schaf leder. Ihre Ornamentik befteht meift aus Cartouchenwerk ; doch
kommen auch die einfachen und feineren Arabesken der früheren Zeit vor,
untermifcht mit Köcher und Pfeil und den verfchränkten Halbmonden der
Diana. Ein fchönes Beifpiel der für diefen König ausgeführten Bände geben
wir in Figur 159, ausgezeichnet durch die vornehme Sparfamkeit der Or-
namente. In dem Mittelfelde das reich umrahmte königliche Wappen
fammt dem Namenszuge Heinrichs. Auf einem andren ungemein pracht-
vollen Bande im Befitz des Herrn Dutuit ift in der Mitte und auf den vier
Ecken das Portrait des Königs in Form eines antiken lorbeergekrönten
Kaifermedaillons angebracht. (Fig. 160.) Weiter gehört zu den fchönften
derartigen Erzeugniffen diefer Zeit ein bei Techener mitgetheilter, für Anne
§ 115. Bucheinbände. 4^5
de Montmorency ausgeführter Einband, den wir unter Figur 161 mittheilen.
Die breiten verfchlungenen Bänder bilden in ihrer fchönen Zeichnung einen
lebendigen Contraft mit den feinen Ornamenten des Randes und den
fchwungvoll behandelten gröfseren der inneren Flächen.
Fig. 161. Bucheinband für A. de Montmorency. (Nach Techener.)
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts tritt in dem bekannten franzöfifchen
Staatsmann und Vorftand der königlichen Sammlungen und Bibliothek
Ch. A, de Thou ein neuer Bücherfreund auf, der dem Einband wieder
feine befondere Sorgfalt zuwendet, nachdem unter Heinrich III unheim-
436
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
liehen Andenkens eine Behandlung eingetreten war, die durch ihre geome-
trifch vertheilten Schilder mit den Leidenswerkzeugen in Blinddruck oder
Silberpreffung eine feltfam morofe, dem Charakter des Königs entfprechende
Stimmung hervorrufen. Die Einbände de Thou's erheben fich, anknüpfend
an den Vorgang Groliers, wieder zu glänzender Pracht. Meift aus rothem
Maroquin hergeftellt und in der Mitte mit dem Namenszug und dem Wappen
des Befitzers gefchmückt, find fie durch breite verfchlungene Bänder in
einzelne Felder getheilt, von denen nur die kleineren mit dem arabifchen
§ 115. Bucheinbände. 437
Rankenwerk gefchmückt find, während die gröfseren Flächen durch fchön
ftilifirtes Lorbeer-, Oliven- und Eichenlaub gefchmückt werden. Die technifche
Ausführung ift von höchfter Vollendung.
Im 17, Jahrhundert ift es der Buchbinder der Anna von Oefterreich,
Le Gascon (bis 1655 thätig), welcher die grofsen Traditionen Frankreichs
Fig. 163. Einband aus der Bibliothek des Cardinais Mazarin.
auf diefem Gebiet aufrecht erhält. (Fig. 162.) Anknüpfend an die frühere
Behandlungsweife wendet er vielfach verfchlungene Bänder als Hauptmotiv
für die Eintheilung der Flächen an. Die dadurch entftehenden mannichfach
geftalteten Felder füllt er fodann mit einem Linienfpiel, welches nichts
mehr mit maurifchen Elementen zu fchaffen hat, obwohl es auf einem ver-
wandten Prinzip der Flächendekoration beruht. Aber der letzte Anklang
438
Kap. X. Das Kunftgewerbe der Epoche.
an natürliches Laubwerki ft abgeftreift, und die nur aus aneinander gereihten
Punkten (au pointille) beftehenden , durch Fileten hergeftellten Spiralen
erhalten djurch einzelne kräftigere Punkte neues Leben. Namentlich war
es Le Gascon, der die Bücher für die berühmte Bibliothek des Cardinais
Mazarin auszuführen hatte. Die vornehme Pracht diefer Einbände beruht
zunächft auf dem einfarbigen Ton des Leders und der ebenfo reichen als
edlen Zeichnung der Ornamente und glücklichen Eintheilung der Flächen
(Figur 163). Verfchlungene Bänder bilden in feftem Zufammenhang ein
Syftem mannigfach gezeichneter Felder, von denen das mittlere mit dem
Wappen des Kardinals, die übrigen mit zierlichem Rankenwerk gefchmückt
find. Alle übrigen Flächen bedeckt eine Arabeske von originellfter Erfindung
und Feinheit der Linienführung, deren Zwifchenräume er durch unzählige
kleine Punkte zu beleben weifs. Die technifche Meifterfchaft der Aus-
führung diefer in glänzender Vergoldung auf einfarbigem Grunde hingefetzten
Ornamente ift von unübertrefflichem Reiz.
Diefs find die letzten ftilvollen Leifl;ungen des franzöfifchen Buchein-
bandes. Bald tritt ein unruhiges Spiel mit allerlei neuen Farbenwirkungen
an die Stelle edler Ornamentik, und da man felbft fo weit geht, Marmor
und Granit nachzuahmen (»Veau granit«) und fogar dem Leder den An-
fchein von gewäffertem Doppeltaffetftofif zu geben , in der Ornamentik
Spitzen und fächerartige Formen nachzuahmen, fo find damit die Grund-
gefetze ftilvollen Schafifens verlaffen. Mit diefen Verirrungen hat unfre
Betrachtung nichts mehr zu fchafifen.
ORTS-VER
ZEICHNISS.
A.
Abbeville.
St. Wulfram : Portal 383.
Aire.
Balley 315.
Albi.
Privathaus 205.
Almeneches.
Kirche 357.
St. Amand (Loir et Cher).
Schlofs 153.
St. Amand (Nord).
Glockenthurm 372.
Amboife.
Schlofs 64.
Amiens.
Maifon du fagittaire 314.
Porte Montre-Ecu 414.
Kathedrale : Denkmal des Kardinals Hemard
385.
Ancy-le-franc.
Schlofs 56. 274; Intarfien 54.
Andelys.
Ste. Clotilde, Fagade 354.
Grande maifon 181.
St. Andre.
Kirche 365.
Anet.
Schlofs 228. 245. 250; Intarsien 54; Garten
303. 306; Kapellen 377.
Angers.
Schlofs 153.
H6tel d'Anjou 199.
Angerville-Bailleul.
Schlofs 296.
Anizy.
Schlofs 155.
Arcueil.
Aquäduct 337.
Argentan.
St. Germain 357.
Kirchthürme 370.
Arras.
Stadthaus 315.
Privathaus 343.
Affier.
Schlofs 160.
Auch.
Kathedrale: Chorftühle 382.
Auffay.
Schlofs 155.
Aumale.
Kirche: Portal 355.
Avignon.
Kirche St. Didier 32.
Fayencen 400.
Azay-le-Rideau.
Schlofs 147. 148.
B.
Bainvilliers.
Schlofs 155.
Bayeux.
Kathedrale: Chorftühle 383.
St. Patrice: Thurm 372.
Beaugency.
Stadthaus 209. 211.
440
Ortsverzeichnifs.
Beaumesnil,
Schlofs 340.
Beauregard.
Schlofs 149; Decke 53; Garten 304.
Beauvais.
St. Etienne: Glasgemälde 421.
Kathedrale: Portal 385.
Töpferwaaren 398; Steinzeug 401.
Bello.
Manoir 135.
Beiloy.
Kirche 362.
Benehart.
Schlofs 152.
St. Bertrand de Comminges.
Kirche: Chorftühle 382.
Befangen.
Palais Granvella aoo.
Blemod-les-Toul.
Kirche: Grabmal des Bifchofs Hugues des
Hazard 385.
Blois.
Schlofs 46. 65. 83. 85. 89; Garten 303. 306.
Hötel d'Alluye 198.
Hotel d'Amboise 197.
Hötel d'Aumale 197.
Hötel de la chancellerie 197.
Hotel Denys du Pont 198.
Hötel Hurault 197.
Hötel Sardini 197.
Privathäufer 196.
Hausthür 395.
Boiffey-le-Chatel.
Schlofs 1 54.
Boulogne.
Schlofs 96.
Bourdeilles (Dordogne).
Schlofs 163.
Bourg.
Pfarrkirche 370.
Bourges.
Kathedrale 75.
Haus des Jacques Coeur 58.
Bournazel.
Schlofs 164.
Brie-Comte-Robert.
Kirche 362.
Brou.
Kirche: Notre-Dame 57; Maufoleum 384;
Glasgemälde 422.
Bury.
Schlofs 44. 135; Garten 303.
Buffy-Rabutin.
Schlofs 156.
c.
Caen.
St. Pierre 175. 350.
St. Sauveur 352.
Haus des Etienne Duval 312.
Hötel Ecoville 47. 174.
Manoir des Gendarmes 154.
Privathäuser 17g.
Cahors.
Privathaus 204.
Cambrai.
St. Gery 382.
Caudebec.
Ste. Marie 357.
Chalveau.
Schlofs 122. 124.
Chambord.
Schlofs 88. 91.
Kirche 368.
Chanpeaux.
Kirche: Choriföhle 383.
Chanteloup (Manche).
Schlofs 155.
Chantilly.
Schlofs 139; Kapelle 273; Garten 303. 505.
Chareil.
Schlofs 152.
Charentan.
Ste. Marie du Mont: Thurm 372.
Charenton.
Bethaus der Proteftanten 336.
Charleval.
Schlofs 286; Garten 304.
Chartres.
Kathedrale: Chorfchranken 381.
Hötel Montescot (Hötel de ville) 341.
Ortsverzeichnifs.
441
Privathaus 313.
Peterskirche: 12 Emailtafeln mit Bildern
der Apoftel 418.
St. Hilaire: Glasmalerei 419.
Chateaudun.
Schlofs 144.
Chäteau des Ifs.
Schlofs 341.
Chäteau-Thierry.
St. Crepin: Chorftühle 384.
Chaumont
Schlofs 61.
Chenonceau.
Schlofs 133; Decke 53; Garten 305. 307.
Clermont-Ferrand.
Fontaine Delille 217.
Fayencen 400.
Compiegne.
St. Antoine: Portal 383.
St. Jacques: Portal 383.
Hotel de ville 63.
Conde.
Schlofs 154.
Contances.
St. Pierre 357.
Couci.
Schlofs 246.
D.
Dampierre.
Schlofsgarten 303. 305 306.
St. Denis.
Kirche : Chorftühle von Gaillon 72 ; Denkmal
Ludwigs XII 386; Denkmal Franz' I 246.
388; Denkmal der Katharina von Medici 391.
Dieppe.
St. Remy 357. 381.
St. Jacques 357.
Dijon.
Bibliothek: Vergil-Ausgabe. Miniaturen 9.
St. Michel: Thürme 369.
Hotel de Vogü6 342.
Privathaus 199.
Douai.
Hotel de ville 63.
Mufeum: Denkmal von Charles de Lalaing
386.
Dreux.
Hotel de ville 63.
Du Pailly.
Schlofs 289.
E.
Ecouen.
Schlofs 228. 254. 267. 399. Glasmalerei
419. 420.
Elboeuf.
St. Etienne: Glasgemälde 422.
St. Jean: Glasgemälde 422.
Epernay.
Notre-Dame: Portal 366.
Etrepilly.
Kirche 362.
Evreux.
Kathedrale : Fa?ade 356; Kapellengitter 381.
F.
Fecamp.
Kirche: Kapellengitter 380.
Chateau des Ifs 341.
Fere-en-Tardenois.
Schlofs 1 56.
St. Florentin (Burgund).
Kirche 367.
Folembray.
Schlofs 127. 246.
Fontainebleau.
Schlofs 100. 102. 103. 106. 107. 113. 329;
Decke 53; Kapitäl 53; Ballsaal 109;
Hirfchgalerie 331.
Fontaine-Etoupefour.
Schlofs 155.
Fontaine-Henri.
Schlofs 154.
Fougeres.
Schlofs 62.
Frankfurt a. M.
Miniaturen bei Herrn Ludw. Brentano la
Roche 9. 1 1. 12. 13.
G.
Gaillon.
Schlofs 69. 72. 75. 224; Garten 302. 303.
305. 307.
442
Ortsverzeichnifs.
St. Germain-en-Laye,
Schlofs ii6. ii8. 119.
St. Germain de Livet.
Schlofs 155.
St. Gervais.
Kirche 362.
Gifors.
Kathedrale: Orgelempore 382; Fagade 353;
Glasgemälde 422.
Goupillieres,
Kirche: ChorlKihle 383.
Gouffainville.
Kirche 362.
H.
Huleux.
Manoir 156.
I.
Ivry-la-Bataille.
Schlofs 155.
Isle-Adame.
Kirche 362.
J.
Joinville.
Privathäufer 200.
L.
La Ferte-Milon.
Notre-Dame 361.
La Muette.
Schlofs 120. 121. 246.
Landifer.
Schlofs 152.
Laon.
Kathedrale: Kapellengitter 382.
La Rochefoucauld.
Schlofs 51. 159.
La Rochelle.
Stadthaus 344.
Laffon.
Schlofs 154.
St. Leger.
Schlofs 246.
Le Maus.
Kathedrale 32.
Privathaus 199.
Le Verger.
Schlofs 137.
Lille.
Börfe 317.
Limoges.
Limofmer Email 411. 413.
Limour.
Schlofs 246.
London.
Miniaturen bei Lady Springle 9.
Kenfmgton-Mufeum : Emailkanne 413.
Longni.
Kirche Notre-Dame de Pitie 357.
Lude.
Schlofs 152.
Luxeuil.
Privathäuser 200.
Luzarches.
St. Damian 362.
Lyon.
Stadthaus 346.
St. Nizier, Portal 244. 245. 377.
M.
Maffliers.
Kirche 362.
Magny.
Notre-Dame 362.
Taufbrunnen 382.
Maignelay.
Kirche 385.
Mantes.
Brunnen 215. 217.
Marchais.
Schlofs 156.
Martainville.
Schlofs 62.
Maune.
Schlofs 300.
St. Maur.
Schlofs 245. 262.
Meillant.
Schlofs 60.
Ortsverzeichnifs.
443
Melun.
St. Aspais 361.
Mesnieres.
Schlofs 153.
Mesnil-Aubry.
Kirche 362.
Monfort l'Amaury (Seine et Oife).
Kirclie: Glasgemälde 421.
Montal.
Schlofs 162.
Montargis.
Kirche 235.
Schlofsgarten 302. 304. 306.
Montereau-Fault-Yonne.
Kirche 361.
Montjavoult.
Kirche 361.
Montmorency.
St. Martin: Glasgemälde 421.
St. Michel für Orge: Glasgemälde 421.
Mortagne.
Kirche 357.
Mosne, f. Maune.
Moulins.
Schlofs 152.
München.
HofbibHothek: Boccaccio-Ausgabe, Minia-
turen 9. II.
N.
Nancy.
Franciskanerkirche: Denkmal Herzog Re-
ne's II. 384.
Herzogl. Palaft 79.
Nantes.
Kathedrale: Grabmal Franz II. 81.
Nantouillet.
Schlofs 129. 131; Treppe 53. 132.
Narbonne.
Maifons des nourrices 320.
Kathedrale: Grabmal 386.
Nevers.
Herzogl. Schlofs 153.
Fayencen 409. 410.
Mufeum: Vafen 410.
Noyon.
Hotel de ville 63.
Nürnberg.
Service von Pierre Reymond bei der Fa-
milie Tucher 417.
o.
Oiron.
Schlofs 152.
Schlofskapelle: Bodenplatten 400.
Fayencen 406.
St. Omer.
Kathedrale: Grab Sidrachs de Lalaing 385.
Grabmal des Bifchofs Euftache de Croy 385.
Orleans.
Stadthaus 205.
Pavillon der Jeanne d'Arc 310.
Haus der Agnes Sorel 181.
Haus Franz' I. 185.
Haus der Diana von Poitiers 308.
Haus des Jean d'Alibert 309.
Haus des Du Cerceau 310.
Privathäufer 308. 310.
Privathäufer in Holz 188.
Privathäufer in duadern 191.
Priathäufer in duadern und Backftein 194.
Othis.
Kirche 361.
P.
Paray-le-Monial.
Privathaus 198.
Paris.
Nationalbibliothek : Jofephus- Ausgabe, Mi
niaturen 9 ; Livius-Ausgabe, Miniaturen 9
Miniaturen bei Baron Feuillet de Conches 9
St. Etienne du Mont 358; Facade 360. 377
Glasmalerei 419. 421.
St. Euftache 360; Glasgemälde 421.
St. Germain l'Auxerrois 57. 226; Glas
maierei 421.
St. Gervais 57. 577; Facade 337; Glasge
mälde 419. 420. 421.
St. Jacques de la boucherie: Thurm 57.
St. Louis - St. Paul 378.
St. Medard 57; Glasgemälde 421.
St. Merry 57; Glasgemälde 421.
St. Severin 57; Glasgemälde 421.
Karmeliterkirche 378.
444
Ortsverzeichnifs.
Kirche der Sorbonne: Kuppel 379; Grab-
mal Richelieu's 391.
Klofter Val de gräce: Kuppel 379.
Louvre 229. 325 ; Treppe zur Gemälde-
galerie 56; Mufeum: Marmorrelief von
Gaillon 72. 77; Relief von St. Germain
l'Auxerrois 226; Emailbilder von Limo-
fm 418; Bodenplatten 390; Jagdgourde
398; Glasgemälde von Coufm 420.
Apollogalerie: Schild von 1 555 41 3 ; Schüf-
fei von Pierre Reymond 416; Portrait
des A. von Montmorency 418.
Tuilerien 245. 257. 325.
Ecole des beaux arts: Portal von Gaillon
75; Bruchftück von Anet 253.
Sammlung Bafilewski : Limofmer Email 416.
Sammlung James Rothfchild: Email-Schale
418.
Sammlung Alphons Rothfchild: Email-
Triptychon 418.
Aquäduct von Arcueil 337.
Fontaine des Innocents 217. 226. 228.
Haus Franz' I. 202.
Hötel de Cluny 59. 394. 399.
Hotel Sully 343.
Hötel de la Tremouille 59.
Palais de Juftice: Saal 66. 337.
Palais Luxembourg 334.
Palais Royal 344.
Place Dauphine 333.
Place de France 333.
Place Royale 332.
Pont Neuf 333.
Pont Notre-Dame 66.
Schlofs Madrid 96. 246.
Stadthaus 210.
Pleffis-Placy.
Kirche 382.
Pont-Audemer.
Kirche 3 57.
Pontoife.
St. Maclou 362.
Q.
St. Quentin.
Hötel de ville 63.
R.
Ravenel (Ifle de France).
Kirche 392.
Rheims.
St. Jacques: Kapelle 373.
St. Remy: Chorfchranken 381.
Rathhaus 346.
Haus Feret de Montlaurent 315.
Privathaus 199.
Rocher de Mefanger.
Schlofs 152.
Rodez.
Notre Dame: Kapellengitter 380.
Rouen.
Kathedrale 57. 75. 227; Grabmal Amboife
81; Denkmal Louis de Breze 388; Glas-
gemälde 422.
St. Maclou 57. 288; Treppe 382; Thüre
383.
St. Romain 376.
St. Vincent: Glasgemälde 422.
St. Patrice: Glasgemälde 422.
St. Godard: Glasgemälde 422.
Abtei St. Amand 180.
Erzbifchöfl. Palaft 75.
Juftizpalaft 78.
Hötel Bourgtheroulde 78. 181.
Haus am Domplatz 79.
Privathäufer 179. 180. 313. 343.
Hötel de Than 181.
s.
Sanfac.
Schlofs 152.
Sarcelles.
Kirche 362.
Sarcus.
Schlofs 155.
Saumur.
Hötel de ville 63.
Savignies.
Töpferwaaren 398. Steinzeug 401.
Sedieres.
Schlofs 153.
Sens.
Kathedrale: Glasgemälde 420; Erzbifchöfl.
Palaft 49. 172.
Ortsverzeichnifs.
445
Serrant.
Schlofs 153.
Sevres.
Mufeum: Bodenplatten 399.
Sully.
Schlofs 294.
T.
Tanlay.
Schlofs 338.
Tarascon.
Schlofs 29.
Kathedrale, Grabdenkmal 31.
Tillieres.
Kirche 356; Treppe 53.
Tilloloy.
Kirche: Facade 365.
Toul.
Kathedrale: Urfula-Kapelle 376.
Touloufe.
Kirche Dalbade: Portal 366.
St. Sernin 366.
St. Pierre: Chorftühle 383.
Jefuitencollegium 204.
Hotel d'Affezat 317.
Hotel Catelan 319.
Hotel Meynier 204.
Maifon de pierre 319.
Palais du Capitol 318.
Tourlaville.
Schlofs 155.
Tours.
Bibliothek: Livius-Ausgabe. Miniaturen 9.
Kathedrale: Grabmal 81; Thürme 369.
Privathäufer 200.
Brunnen 215.
Treport,
Kirche: Portal 352.
Triel (Dep. Seine et Oife. Arr. Ver-
failles.)
Kirche: Glasgemälde 420. 421.
Troyes.
Kathedrale 57.
St. Jean 364.
St. Nicolas 363; Kanzel 384.
St. Nizier 364.
St. Pantaleon 363.
St. Remy 364.
Hotel de Vauluifant 315.
Privathaus 200.
u.
Uffe.
Schlofs 151.
Uffon.
Schlofs 157. 1^8.
V.
Valengay.
Schlofs 153.
Valence.
Privathaus 205.
Vallery.
Schlofs 224. 277; Garten 303.
Valmont.
Abteikirche 356.
Varengeville.
Schlofs 138.
Verneuil,
Schlofs 278; Garten 304. 30$.
Verfailles.
Mufeum: Denkmal des Herzogs von Rohan
391.
Vetheuil.
Kirche: Facade 353.
Villeneuve.
St. Georges 362.
Villers-Cotterets.
Schlofs 125. 249; Garten 303 ; Kapelle 246.
377-
Villiers-le-Bel.
Kirche 362.
Vincenties.
Schlofs 246.
Schlofskapelle : Glasgemälde 420.
Viviers.
Maifon des Chevaliers 321.
w.
Wideville.
Schlofs 340; 341.
Wien.
Email-SchülTel beim Fürften von Liechten-
ftein 416.
VERZEICHNISS
DER
KÜNSTLERNAMEN.
A.
Abaquesne, Maffeot 399.
Abbate, Nicolo dell' 40. iio.
Agaffe, Gilles .125.
AlTelin, Jehan 210.
B.
Bachelier, Nicolas 367. 380.
Bagnacavallo, 116.
Baril, Jehan 301.
Bartolommeo da Miniato 115.
Bellin, Nicolas 115.
Bernard, Salomon 20. 24. 25.
Bernart, Jehan 406.
Biard, Pierre 212.
Biart, Colin 69. 76.
Boccador, Donienico 210. 227.
Bogheni, Louis van 370.
Bontemps, Pierre 390.
Bony, Jean de 76.
BoLidin, T. 381.
Breton, Gilles le 115.
Briot, Fran^ois 400.
Broeucq, Jacques du 385.
Broffe, Jean 279.
Brofle, Salomon de 334. 336. 377.
Bullant,Jean 56. 156. 254. 257. 262. 264. 362.
C.
Cellini, Benvenuto 40. 116. 250.
Chambiges, Pierre, der ältere 117. 121. 123.
Chambiges, Pierre, d. j. 230. 231.
Champaigne, Philippe 325.
Charpentier, Francois 406.
Chaftellan, Jean 115.
Clouet, Vater und Sohn, 40.
Columb, Michel 72. 76. 81. 215.
Conrade, Brüder 409.
Cornedieu, Pierre 77.
Coffart, Jean 356.
Coulombe, Michault 72. 76. 81. 215.
Court, Jean 418.
Court, Sufanne de 418.
Courtois, Pierre 100. 416. 418.
Courtois, Jean 416. 418.
Courtois, Martial 418.
Courtois, Antoine 418.
Coufin, Jehan 26. 27. 28. 228. 273. 420.
D.
David 360.
Delaplace, Richard 77.
Delorme, Philibert 100. 227. 230. 243. 257. 388.
, Delorme, Pierre 42.. 56. 71. 7.5.
Derrand, Francois 378.
Verzeichnifs der Künftlernamen.
447
Deftr^, Julien 517.
Duban, Felix 68. 88.
Dubois, Jehan 77.
Du Cerceau, Baptifte 242. 328.
Du Cerceau, Jaques Androuet 41. 96. 112.
228. 230. 231. 235. 257. 272. 278. 284. 286.
Du Cerceau, Jacques d. j. 243. 328.
Du Cerceau, Jean 243.
Duperac, Etienne 331.
F.
Fain, Pierre 74. 75.
Falaize 383.
Fine, Oronce 19. 20. 21. 23.
Fontaine 329.
Fouquet, Jean 9. 40.
Fran^ois, Baftien 215.
Frangois, Gratien 100.
Frankels, Jean 100.
Frangois, Martin 215.
Freminet 332.
G.
Gadier, Pierre 100.
Galier, Robin 209.
Gaillard, Pierre 430.
S. Gallo, Giuliano da 64.
Gannat, Frangois 265.
Gauvain, Manfuy 79.
Giocondo, Fra 4. 66. 74.
Godinet 172.
Gouffier, Helene 406.
Gouffier, Claude 408. 409.
Goujon, Jean 225. 226. 227. 254. 272. 388.
Grappin, Jean 353. 362.
Grappin, Robert 353.
Graffot, Taffin 420.
Guerpe, Richart 77.
Guillain, Pierre 212.
Guillain, Guillaume 117.
H.
Hangeft, Helene de 406.
Hympe, Jacques 420.
J.
Jouy, Manfard de 361.
Jufte, Antoine 77.
Jufte, Jean 81. 386.
L.
Langlois, Jehan 117.
Laurana, Francesco 30.
Le Breton, Gilles 115.
Le Breton, Jacques 125.
Le Breton, Guillaume 125.
Le Brun, Charles 325.
Leduc, Gabriel 379.
Lemercier, Jacques, 328. 332, 343. 379.
Lemercier, Pierre 362.
Le Gascon 437,
Lemuet, Pierre 379.
Le Pot, Nicolas 273. 419.
Le Pot, Jean 419.
Le Preftre, Blaife 175.
Le Prince, Enguerrand 419.
Le Prince, Jeau 419.
Le Prince, Nicolas 419.
Le Roux, Roullant 79. 81.
Lescot, Pierre 34. 56. 225. 227. 228. 229.
230. 231. 232. 267.
Le Sueur, Euftache 325.
Levau 329.
Limolin, Leonard der ältere 414. 417. 418.
Limofm, Leonard der jüngere 418.
Liniofm, Jean 418.
Limofin, Jofeph 418.
Lionardo da Vinci 39. 377.
Lordas, Sicard de 163.
L'Orme, Philibert de 100. 227. 230. 243-
257. 388.
L'Orme, Pierre de 42. 56. 71. 75.
Lyfforgues, Guillaume 164.
M.
Manfard, Francois 379.
Manfard de Jouy 361.
Manfart 88. 95.
Manfuy, Gauvain 79.
Metezeau, Louis 231. 328.
Metezeau, Thibault 231. 328.
Meynal, Bertrand de 76.
Miniato, Bartolommeo da 115.
Monoier, George 385.
Moreau 361.
Mugiano, Lorenzo de 77.
N.
Nepveu, Pierre 95.
Nouailher (Noylier), Nicolaus 418.
448
Verzeichnifs der Künftlernamen.
Pacherot, Geraulme 76.
Paliffy, Bernard de 228. 401.
Pape, M. D. 418.
Penicaud, Jean 412.
Percier 329.
Perrault 329.
Pietro da Milano 30.
Pilon, Gcrmain 390. 391.
Pinaigrier, Robert 419.
Pinaigrier, Nicolas 419.
Pinaigrier, Louis 419.
Pinaigrier, Jean 419,
Pouffin, Nicolas 325.
Primaticcio 40. 100. iio. 115. 116. 230. 245.
266. 274.
R.
Rafael 40.
Reymond, Pierre 416.
Robbia, Girolamo della 98. 100. 115.
Rochetel, Michel 418.
Roffo 40. HO. 115. 272.
Roullant le Roux 79. 81.
Roux (maitre) iio.
Rubens 334.
s.
Sambiches, Pierre 210.
Sangallo, Giuliano da 64.
Sarazin 328.
Sarto, Andrea del 40.
Senault, Guillaume 75.
Serlio 41. 108. 114. 227.
Sohier, Hector 154. 155,
350.
Solario, Andrea de 41. 72. 77.
Teflon, Mathias 315.
Theodor 382.
Tizian 40.
Tory, Geofroy 16. 18. 20.
Trinqueau 95.
V.
Valence, Pierre 76.
Vaultier, Robert 125.
Viart 206.
Vinci, Lionardo da 39.
Viollet-le-Duc 98.
Visconti 329.
Vouet, Simon 325.