REPERTORIUM
FÜR
KUNSTWISSENSCHAFT
REDIGIERT
VON
HENRY THODE,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT IN HEIDELBERG
UND
HUGO VON TSCHUDI,
DIREKTOR DER STAATLICHEN GALERIEN IN BAYERN
XXXII. Band.
BERLIN W. 35
DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER
1909.
PHOTOMECHANISCHER NACHDRUCK
WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN 1968
Arehiv-Nr. 3848680
©
1968 by Walter de Gruyter <fe Co., vormals G. J. Göschen’sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuch-
handlung — Georg Reimer— Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthlner Straße 13.
Printed ln the Netherlands
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Geneh-
mlgung des Verlages Ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanisohem Wege
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THE J. PAUL GETTY CENTER
LIBRARY
Inhaltsverzeichnis.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz in Nürn-
berg unter der Leitung Konrad Heinzehnanns. Von Albert Gümbel . . i,
Jakob Binck und seine Kupferstiche. Von Gustav Pauli
Zur Ikonographie der Ölbergdarstellung. Von Gustav Munzel
Falsificazioni di documenti per la storia dell’arte romana. Von Giacomo de Nicola
Michelangelo und der türkische Hof. Von Friedrich Sarre
Zur Martin-Heß-Frage. Mela Escherich .
Zum Datum der Bella Tizians. Hadeln
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli. Von Walter
Bombe 97»
San Colombano al Lambro e le sue opere d’arte. Di Francesco Malaguzzi-V aleri
Die Heimat des Meisters D. S. Von Paul Kristeller
Zum Thema: »Goethe und die bildende Kunst«. Von Alfred Peltzer . . . .
Zum Oeuvre Bernardino Licinios. Hadeln
Vitruv und die Renaissance. Von Fritz Burger
Über einige altitalienische Zeichnungen in der Königl. Graphischen Sammlung zu
München. Von A. v. Beckerath
Un Documento inedito dell’ Architetto Carlo Fontana. Di Piero Misciattelli .
Zur Datierung von Dürers Paumgartneraltar. Von Heinz Braune
Zwei bisher unbekannte Briefe von Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahre
1579. Ein Beitrag zur Cranach-Literatur. Von C. v. Bardeleben. . . .
Der Palast des Braccio Baglioni in Perugia und Domenico Veneziano. Von
Walter Bombe
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom. Von Konrad Escher
Die vierte Lieferung der Vasari Society für die Reproduktion von Zeichnungen
alter Meister. V on A. v. Beckerath
Der Kodex Burlington in der Royal Academy of British Architects in London.
Von Fritz Burger
Zur Genesis des Auferstehungsfreskos von Piero della Francesca im Stadthause zu
Sansepolcro. Von Walter Bombe
Heinrich Lang, der Hausbuchmeister. Von Helmuth Th. Bossert
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Kon-
stanz. Von J. Gramm
Der angebliche Malername Hans Peurl auf Nürnberger Tafelgemälden des 15. Jahr-
hunderts. Von Max Bach
Die Chronologie der Werke Grünewalds. Von H. A. Schmid
Seite
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IV
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Fortleben der religiös-dogmatischen Kompositionen Cranachs in der Kunst des
Protestantismus. Von Dr. Karl Ernst Meier 415
Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte. Von Robert Hedicke 436
Ein mittelalterlicher Kanon des menschlichen Körpers. P. Ildefons Herwegen . 445
Zur Baugeschichte des Ulmer Münsters. Von Hans Klaiber 471
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck. Von Fritz Rupp 480
Eine gereimte Erzählung auf den Maler Konrad Witz. Von Helmuth Th: Bossert 497
Ein Bild von Mathias Grünewald. Von Heinz Braune 501
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien. Von August L. Mayer . 508
Noten für den Illuminator. Helmuth Tk. Bossert 529
Zu Paris Bordone. Wilhelm Schmidt 531
Zu Wolf Huber. Wilhelm Schmidt 534
Literatur.
Martin Schweisthal. La Halle Germanique et ses transformations. Karl Simon . 72
Einzelforschungen über Kunst- und Altertumsgegenstände zu Frankfurt a. M. F. R. 75
Mainzer Zeitschrift. F. R. 77
Josef Weiß. Kurfürst Maximilian I. als Gemäldesammler. A. Feigel .... 80
Der neue Smith (II. Band). A. Bredius 82
W. L. Schreiber und Paul Heitz. Die deutschen »Accipies« und Magister cum
discipulis-Holzschnitte, als Hilfsmittel zur Inkunabel-Bestimmung. Curt Glaser 85
Graphische Gesellschaft. Curt Glaser 87
Dr. Paul Kaufmann. Johann Martin Niederee, ein rheinisches Künstlerbild. J. S. 89
August L. Mayer. Jusepe de Ribera. Friedländer 91
Hsiang Yuan Pien. Chinese Porcelain. Falke 92
Marie Schuette. Der schwäbische Schnitzaltar. Theodor Hampe 184
Johannes Sievers. Pieter Aertsen. Ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen
Kunst im XVI. Jahrhundert. Walter Cohen 189
Österreichische Kunsttopographie. Dehio 192
August Grisebach. Das deutsche Rathaus der Renaissance. Fritz Hoeber . . . 266
Bernhard Patzak. Die Villa imperiale in Pesaro. Wölfflin 271
Max Den. Das Rollwerk in der deutschen Ornamentik des sechzehnten und sieb-
zehnten Jahrhunderts. Fritz Hoeber 273
Adolf Gottschewski. Über die Porträts der Caterina Sforza und über den Bildhauer
Vincenzo Onofri. Paul Schubring 278
Philipp Maria Halm. Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaissance in AJt-
bayern. Richard Graul 280
Ludwig Zottmann. Zur Kunst der Bassani. G. Gr 282
Hugo Schmerber. Betrachtungen über die italienische Malerei im 17. Jahrhundert.
G. Gr 284
Der Gemäldezyklus der Galerie der Maria von Medici von Peter Paul Rubens
von Karl Großmann. Fritz Burger 290
Heinrich Höhn. Studien zur Entwicklung der Münchener Landschaftsmalerei vom
Ende des 18. und vom Anfang des 19. Jahrhunderts. J. Sievers . . . 291
Hans Cornelius. Elementargesetze der bildenden Kunst. Wölfflin 335
Krapf. Das Problem der Bindung in der bildenden Kunst. Deri 337
P. Eichholz. Das älteste deutsche Wohnhaus, ein Steinbau des IX. Jahrhunderts.
Karl Simon 338
Inhaltsverzeichnis.
V
Seite
Paul Wilhelm von Keppler. Aus Kunst und Leben, J. Sievers 341
Die italienische Malerei des 15. — 18. Jahrhunderts. Jahresbericht 1906.
Gronau 342> 453
Luigi Serra. Domenico Zampiero detto il Domenichino. Hermann V oss . . . 360
Hans Hildebrandt. Die Architektur bei Albrecht Altdorfer. Friedländer , . . 362
Curt Glaser. Hans Holbein d. Ält. H. A. Schmid 3^4
Paul Ganz. Handzeichnungen von Hans Holbein d. J. H. A. Schmid .... 373
E. W. Moes. Frans Hals, Sa vie et son oeuvre. J. G. Veldheer, C. J. Gönnet
und F. Schmidt-Degener. Frans Hals in Haarlem. Andre Fontainas.
Frans Hals. A. Bredius 37^
Robert Corwegh. Donatellos Sängerkanzel im Dom zu Florenz. Hadeln ... 382
Andreas Aubert. Die malerische Dekoration der San-Francesco-Kirche in Assisi,
ein Beitrag zur Lösung der Cimabuefrage. Adolfo Venturi. La Basilica
di Assisi. Karl Frey 447
A. Hahr. Die Architektenfamilie Pahr. Ludwig Kaemmerer 535
Edmund Hildebrandt. Leben, Werke und Schriften des Bildhauers E.-M. Falconet
(17x6 — 1791). Kaesbach 53^
Katalog der Gemäldesammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.
Carl Gebhardt . , 537
Ludwig Justi. »Giorgione«. Emil Schaeffer 54°
Erzeugnisse islamischer Kunst. Teil II. Seldschukische Kleinkunst. Wendland . 548
Dr. Viktor Roth. Geschichte des deutschen Kunstgewerbes in Siebenbürgen.
Julius Leise hing 551
Berichtigung. Dehio 293
Nekrolog Franz Wickhoff. Von Gustav Glück. . . 3^5
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
b
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des
Chorbaus von St. Lorenz in Nürnberg unter der Leitung
Konrad Heinzeimanns.
Von Albert Gümbel,
Kgl. Kreisarchivassessor in Nürnberg.
Einleitung.
Am 18. Mai 1439 wandte sich der Rat der Stadt Nürnberg an die
Stadt Rothenburg o. T. mit der schriftlichen Bitte, ihm über »wesen und
gelegenheit« des Meisters Konrad, des Parliers, Werkmeisters daselbst,
Auskunft zu erteilen, nachdem Dr. Konhofer1 * 3 4), Pfarrer bei St. Lorenz, und
einige Nürnberger Ratsherren mit ihm bereits wegen Übernahme eines
von ersterem geplanten »merklichen« Baues bei seiner Pfarrkirche des Hlg.
Laurentius in Unterhandlung getreten seien. Insbesondere wTünschte der
Rat von seinen »Künsten« zu wissen, ob »sollicher merklicher paue mit
ime versorgt und ausgerichtet werden möcht« *). Gemeint mit diesem »merk-
lichen« Baue ist der Neubau des Chores von St Lorenz, mit welchem nach
der bekannten Inschrift in der Kirche 3) am St. Simon- und Judastag
(= 28. Oktober) 1439 begonnen wurde.
Der in dem Nürnberger Ratsschreiben genannte »Meister Konrad«
ist wohl unzweifelhaft ein und dieselbe Persönlichkeit mit jenem »meister
Conradten Heintzelmann seligen«, von welchem es in dem schon länger
bekannten Bestallungsbrief Hanns Pauers von Ochsenfurt vom 17. Mai
1458«) als Parlier bei St. Lorenz heißt, daß von ihm der Bau des Chores
*) Dieses ist die richtige, von Konhofer selbst gebrauchte Schreibung des Namens.
Vgl. über diesen Pfarrer von St. Lorenz den Exkurs (Beilage VI): Dr. Konrad Konhofer
und das Konhoferfenster im Chor von St. Lorenz zu Nürnberg.
*) Siehe den Wortlaut des Briefes in Beilage I.
3) 1439 an Simon Judas tag ward der kor angefangen dar nach 1477 an dem heiligen
oster abent ward er volbracht.
4) Abgedruckt nach dem Original im Germanischen Museum zu Nürnberg von
Neumann und Walderdorff in ihrer Abhandlung »Die drei Dombaumeister Roritzer und ihr
Wohnhaus zu Regensburg, die älteste bekannte Buchdruckerstätte in Regensburg«. (Ver-
handlungen des hist. Vereins von Oberpfalz und Regensburg, Bd. XXVIII, Seite 73
bis 76.)
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
2
Albert Gtimbel:
und der Kirche von St. Lorenz »einsteils angefenngt, aufgefurt und an-
gesehen ist worden«.
Die bisher bekannt gewordenen Nachrichten über Heinzeimann 5)
reichen bis zum Jahre 1429 zurück.
In diesem Jahre bestellten ihn »Meister .Hanns Kirchenmeister« und
Hanns Felber von Ulm als ihren Vertreter beim Neubau der St. Georgs -
kirche zu Nördlingen* * * 6 *). Vorher hatte er in Ulm gearbeitet. Über die Tätig-
keit Heinzeimanns beim Nördlinger Kirchenbau äußert sich Mayer auf
Grund archivalischer Nachrichten dahin, daß er wohl keine unabhängige
Stellung eingenommen, sondern nur das Amt eines Parliers bekleidet habe.
Er schließt dies daraus, daß Heinzeimann nicht den Titel eines »Kircher\-
meisters« führte und, wo es sich um besondere Geldehrungen handelt, nur
die Hälfte dessen empfangen habe, was den beiden oben genannten Ulmer
Meistern gereicht wurde. Auch als er nach einer Reihe von Jahren Nörd-
lingen verließ, habe er sich auswärts mit einer Parliersstelle begnügt. Um
eine solche bewarb er sich, wenn auch vergebens, beim Kirchenbau zu
Eßlingen. »Nach seinem hiesigen (d. h. Nördlinger) Aufenthalt, der 1438
zu enden scheint, soll er nach Rothenburg gegangen sein.« Daß dies in der
Tat zutrifft, beweist unser Nürnberger Brief. In Rothenburg war er während
seines, ja nur kurzen Aufenthaltes als städtischer Werkmeister wohl am
Baue der St. Jakobskirche tätig 7).
Von Interesse ist nun die Frage, ob Heinzeimann den Chorbau von
St. Lorenz wieder nur als Parlier eines anderen Baumeisters übernahm,
dessen architektonische Gedanken er ausführte, oder ob er selbstschöpfe-
risch dabei auftrat. Bekanntlich hat die kunstgeschichtliche Forschung
bisher daran festgehalten, daß die Pläne zum Neubau des Lorenzer Ost-
chors von Konrad Roritzer, dem ältesten des mit Wolfgang Roritzer tragisch
endigenden Geschlechts der Regensburger Dombaumeister, entworfen seien.
Unter ihm habe Konrad Heinzeimann 1445 — 1448 den Bau ausgeführt8).
Daran scheint zunächst schon das eine unrichtig zu sein, daß Heinzel-
mann erst im Jahre 1445 die Bauleitung übernommen habe. Abgesehen von
5) Ich bleibe bei dieser in die Kunstgeschichte einmal eingeführten Namensform,
obgleich vielleicht die Schreibung »Heinrichsmann« die richtigere ist. (Vgl. unten am Schlüsse
der Einleitung!)
6) Mayer, Christian: Die Stadt Nördlingen, ihr Leben und ihre Kunst im Lichte
der Vorzeit, Nördl., 1877, Seite 124.
7) Über Rothenburg bzw. die Rothenburger Landschaft als Heinzeimanns ver-
mutliche Heimat, vgl. weiter unten. Häffner (Die Hauptkirche St. Jakob in Rothenburg
o. T., Zeitschrift für Bauwesen, 50. Band, S. 431 ff.) nennt Heinzeimann nicht.
8) So z. B. H o f f m a n n , Die Nürnberger Kirchen in der Sammlung »Die Bau-
kunst«, herausgegeben von Borrmann und Graul, 12. Heft, 2. Serie, R 6 e in der neuesten
Ausgabe seines »Nürnberg« u. a.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 3
dem Rothenburger Briefe besitzen wir eine, allerdings bisher unbeachtet
gebliebene archivalische Notiz, nach welcher er schon im Oktober 1444 in
Nürnberg ansässig erscheint. Es ist uns nämlich ein Ratserlaß vom
28. Oktober genannten Jahres erhalten, in welchem den Ratsherren Bertold
Holzschuher und (Konrad) Baumgärtner, sowie dem Stadtbaumeister —
es war damals Hanns Graser — befohlen wird, den »Meister C o n r [at]
zu Sand Lorentzen« und sonst mehrere Meister zu bestellen und
sie mit der »großen Büchse« schießen zu lassen, wobei ein Kleinod als Preis
für den besten Schützen ausgesetzt war 9). Daß unser Meister auch mit
der Handhabung des schweren Geschützes Bescheid wußte, kann uns nach
manchen Analogien nicht wunder nehmen. Es liegt in unserem Falle
besonders nahe: war doch jener obgenannte Baumeister Hanns Felber,
der unseren Konrad Heinzeimann als seinen Vertreter beim Nordlinger
Kirchenbau bestellte, Geschützgießer und Konstrukteur von allerlei Kriegs-
maschinen. In Nürnberg zeigte er 1427 einen Kriegswagen und später
betraute ihn Kaiser Sigismund mit der Herstellung von Kriegsinstrumenten
geheimnisvoller Konstruktion9 10).
Was sodann die Fertigung des Bauplans durch Konrad Roritzer von
Regensburg betrifft, so dürfte hiefür kaum irgend ein urkundlicher Nach-
weis vorliegen. Diese Annahme stützte sich offenbar bisher nur auf die
Tatsache, daß Roritzer im Jahre 1458 den Hanns Paur von Ochsenfurt als
seinen Parlier beim Lorenzer Chorbau bestellte und in späteren Baurech-
nungen öfter als in Nürnberg anwesend erscheint, sowie darauf, daß er
später seinem Sohne Matthäus die Bauleitung übertrug. Was hat dies
aber mit den Bauplänen des Jahres 1439 zu tun? In diesem Jahre stand
Roritzer als Steinmetz (»Staynmaißl«) im Dienste der Stadt Regensburg
er hatte nicht etwa damals schon die Leitung der Regensburger Dombau-
hütte, ja er war in die Hütte, welcher damals Andreas Engl, sein Stief-
vater, Vorstand, noch nicht einmal eingetreten. Dies geschah erst 1446,
9) Ratsbuch Nr. 1 b, fol. 140 b: Meister Conr[at] zu Sand Lorentzen und sust meer
meister bestellen und sie mit der großen puchßen umb ein clenhet schießen lassen. B. Holsch.,
Pawmgartner, Pawmeister. (Der Erlaß muß, wie aus dem folgenden datierten sich ergibt,
auf Mittwoch, den 28. Oktober [1444], fallen.)
10) Mayer a. a. 0. Seite 123.
") Vgl. die Urkunde des K. Allg. Reichsarchivs in München vom 17. September
1446, worin »Connrad Roriczer der Staynmaißel« der Stadt Regensburg den Empfang seines
Soldes, der ihm versprochen oder geschuldet war, während er der Stadt Diener gewesen
ist, bestätigt. Die Urkunde ist abgedruckt von Neumann : Zwei Nachträge zur Monographie
»Die drei Dombaumeister Roritzer und ihr Wohnhaus zu Regensburg« (Verhandlungen
des Hist. Vereins von Oberpfalz • und Regensburg, Bd. 29, S. 141 ). Doch irrt der Heraus-
geber, wenn er meint, Engl habe damals die Führung der Bauhütte an seinen Stiefsohn
abgegeben.
4
Albert Gtimbel:
die Leitung übernahm er erst volle IO Jahre später, also 17 Jahre nach
dem Beginn der Bauarbeiten an der Lorenzer Kirche.
Unter solchen Umständen kann es nicht auffallen, daß Dr. Konhofer
und die Ratsherren sich nicht nach Regensburg und an einen damals ver-
mutlich noch ziemlich unbekannten Steinmetzen, sondern nach Rothenburg
und an einen Mann wandten, der sich als tüchtiger Werkmeister schon
bewährt hatte.
Bemerkenswert ist doch auch, daß der Name Roritzers in den uns
erhaltenen Baurechnungen der Jahre 1445 bis 1449 nicht einmal
erscheint und überhaupt urkundlich vor dem Jahre 1456 nicht in Verbin-
dung mit dem Lorenzer Chorbau erwähnt wird. Aus diesem letztgenannten
Jahre (1456, 31. Juli) besitzen wir die Antwort des Nürnberger Rates auf
die vom Domkapitel zu Regensburg, sowie von seiten des Regensburger
Rates gestellte Bitte, Konrad Roritzer, den »Werkmeister des Paws Sant
Laur[entzenj« seiner Pflichten »des paws halben« gütlich ledig zu sagen
und ihm zu gestatten, die Leitung des Regensburger Dombaues an Stelle
seines verstorbenen Vaters (richtiger Stiefvaters) zu übernehmen. Der
Nürnberger Rat wollte aber nur zugeben, daß Roritzer beiden Bauten vor-
stehe II).
Höchstwahrscheinlich hatte Roritzer sogleich nach dem Tode Heinzei-
manns die erledigte Stelle eines Werkmeisters beim Lorenzer Chorbau über-
nommen. Die vom Nürnberger Rate hier vorgeschlagene Teilung der Arbeits-
kräfte zwischen Nürnberg und Regensburg dürfte wohl eingetreten aber
zu Unzukömmlichkeiten geführt haben, so daß Roritzer im Jahre 1458
den Schweinfurter Parlier als seinen ständigen Vertreter bestellte.
Vielleicht besitzen wir auch in der Höhe der Besoldung Heinzeimanns
einen gewissen Anhaltspunkt, wie hoch die Arbeitstätigkeit unseres Meisters
am Bau bewertet wurde. Da stellt sich nun heraus, daß dieser, solange
uns Aufzeichnungen über die Baukosten erhalten sind, ganz die gleiche Be-
zahlung erhielt, wie später Roritzer, wenn er (wie zum Beispiel im Jahre
1462, Anfang August) von Regensburg herüber kam. Letzterer erhielt
für die Woche 8 % alt, das wäre also für das ganze Jahr berechnet 416
alt. Heinzeimanns Besoldung betrug für das ganze Jahr 80 Gulden Lands-
währung, d. h. (den Gulden 5 8 dn. gleichgesetzt) 431 alt, dazu wurde
ihm ein Hauszins oder Mietsentschädigung von 8 fl. jährlich gewährte).
**) Siehe den Brief in Beilage II.
U) Zweifelhaft erscheint es, ob wir auch die Entlohnung des in unseren Rechnungen
mehrmals erscheinenden »meisters«, welcher mit seinen Gesellen »auf dem Berg«, d. h.
im Steinbruch, arbeitet (z. B. 1447 in der Woche vor Dionysius 15 dn. täglich), gleich-
falls Heinzeimann zurechnen dürfen. Es könnte hier auch der (mit Namen allerdings
nie genannte) Leiter der Arbeiten im Steinbruch gemeint sein.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 5
Man vergleiche mit diesen Zahlen auch die uns aus der Bestallungs-
urkunde des Konrad Pauer von Ochsenfurt bekannte Entlohnung. Dieser
erhielt 5 U für die Woche und alle Quatember einen Gulden also 4 Gulden
im Jahr und 6 Gulden zu einem Hauszinse.
Schließlich spricht für die angesehene und autoritative Stellung,
welche Heinzeimann einnahm, der Umstand, daß die Stadt Amberg im
Jahre 1446 seinen Rat bezüglich des Baues der St . Martins - Kirche
daselbst einholte J4).
Es ist also wohl kaum mehr möglich, daran festzuhalten, daß Heinzel-
mann als Parlier, sei es des älteren Roritzer, sei es eines anderen auswärtigen
Baumeisters den Chorbau von St. Lorenz geleitet habe, die Dinge dürften
vielmehr so liegen, daß er als einziger, verantwortlicher Baumeister nach
seinen Plänen das große Unternehmen begonnen und bis zu seinem im
Jahre 1454 erfolgten Tode geleitet habe. Zu dieser Auffassung paßt doch
auch der Ausdruck des Pauerschen Bestallungsbriefes, daß der Bau von
Meister Konrat Heinzeimann »angefenngt, aufgefurt und angesehen ist
worden« am besten.
Auch die Stellung, welche die kunstgeschichtliche Betrachtung dem
prächtigen Hallenbaue von St. Lorenz mit Hinblick auf eine Beeinflussung
durch benachbarte schwäbische und Regensburger Kirchenbauten zuweist,
verträgt sich recht wohl mit unseren Folgerungen aus dem urkundlichen
Material. HoffmannI5) erkenn' in der Gestaltung des Chorbaues die stilisti-
schen Eigentümlichkeiten der schwäbischen, enger der Nördlinger Schule
und meint, Roritzer sei bei den Schwaben in die Schule gegangen. Warum
aber dieser Umweg? Es bedarf dessen nach unseren Darlegungen nicht mehr.
Im Zusammenhang mit der Baumeisterfrage sei auch ein anderer Irr-
tum berührt, der sich in den bisherigen Darstellungen der Lorenz er Bau-
geschichte findet, daß nämlich mit dem Chorbau erst im Jahre 1445 begonnen
wurde, und zwar sei zunächst die 1403 begonnene Erweiterung der Seiten-
schiffe und die Eindeckung derselben zu Ende geführt worden. Die An-
nahme vom Baubeginn im Jahre 1445 beruht vielleicht auf der Tatsache,
daß uns Baurechnungen erst seit diesem Jahre Vorlagen. Das ist aber
sicherlich nur ein bedauerlicher Zufall. Wir besitzen eine ganze Reihe von
Ratserlässen, beginnend mit dem Jahre I44L welche sich mit dem Bau
beschäftigen und ersehen lassen, daß dieser nicht etwa seit der Grundstein-
legung bis zum Jahre 1445 ruhte. So erging am 14. Juli 1441 an die Gottes-
hauspfleger Ulrich Ortlieb und Christian Imhof der Auftrag des Rates,
*4) Siehe den Brief des Nürnberger Rates an Amberg vom x. Dezember 1446 in
Beilage III.
J5) a. a. 0. S. 14.
6
Albert Gümbel:
die bereits gehauenen Steine versetzen zu lassen. Dabei wird ihnen einge-
schärft, aus den (regelmäßigen) Einkünften des Heiligen nichts auf den
Bau zu verwenden, was aber freiwillig zum Bau gegeben werde, sollten sie
verbauen dürfen l6).
Einen Monat später, am 21. August, erging nochmals ein Ratsbefehl an
Pfleger und Kirchenmeister, sie sollten die gehauenen Steine und etwaige
weitere Steine, welche hauen zu lassen sie Vollmacht haben sollten, setzen
und verbauen und auch eine neue Winde machen lassen und, wenn die
Steine gelegt sind, die Winde wieder ruhen lassen. Dazu solle ihnen das
Geld, welches die Kirche zinsbar beim Losungsamt angelegt hat, gegeben
werden und sollten sie fürbaß nicht mehr verbauen, als ihnen täglich dazu
gegeben werde, so daß sie der Kirche keine Schuldenlast aufbürdeten, auch
sollten sie eine lautere Rechnung ablegen, wrelche neben den Losungern
Paul Vorchtel und Hanns Tetzel von ihnen entgegennehmen sollten1?).
Am 25. September beschloß man im Rat, der Chor solle gebaut werden
nach Dr. Konhofers »und des Pfarrers Wohlgefallen«, doch nur soweit
Geld da sei und ohne die Kirche in Schulden zu stürzen l8). Als „Baumeister“,
wie man in Nürnberg solche mit der Beaufsichtigung eines Baues besonders
hinsichtlich der Geldgebarung und Verwendung öffentlicher Gelder be-
traute Ratskommissäre nannte, wurde Berthold Nützel bestimmt, an dessen
Stelle später (1443) Paul Vorchtel tratr9).
l6) Ratsbuch im K. Kreisarchiv Nürnberg Nr. 1 b, fol. 5b: Item man hat hern
Vlr[ich] Ortlieb und Cristan Im Hoff, Gotzhausmaister zu sandt Laurentzen, gesagt, das
sie die stein, die gehauen sein, versetzen lassen und sand Laurentzen zins nyt verbauen;
was aber zu dem pau geben wirt, mugen sie wol verbauen. Act. feria VIa Margar. virginis
[= 14. Juli] (1441).
!7) Ratsbuch ib fol. 15 b: Item es ist aber (= abermals) ertailt und man hat daz
also mit hern Vlr[ich] Ortlieb und Cristan Im Hoff, Godshau[s]meister zu sandLorentz,
gerett von des paus wegen des neuen chors daselbs, daz sie die gehauen stain, die vorhanden
sein, und, ob sie gadünck, dar zu bedürfen, auch mugen hauen lassen, setzen und verpauen
und auch ein neuewynden machen laßen und, wenn sulch stein gelegt sein, dieselben wynden
wider zu legen, und darzu soll man im (!) geben daz gelt, daz sant Lorentz in der losung-
stoben hat, und daz sie furbaßer nit mer verpauen, dann daz man teglich darzu gibt,
also daz sie kein schult der kirchen machen und daz sie auch ein lautere rechnung tun
sollen und darzu hat man geben zu den losungern hern Paulus Furchtfel] und hern Hansen
Tettzel, act. feria 2a qua supra [= post Sebaldi, 21. August] (1441).
l8) Ebenda, S. 24 b : Es ist ertailt von des paues wegen des chors zu sand Laurentzen
das man denselben pauen soll nach doctor Konhofers und des pfarrers wolgefallen, wann
gelt da sei, also daz man sand Lorentzen nyt in schuld bring, und ein rat hat hern Berthold
Nutzei darzu geben, daß er mitsampt den kirchenmeistern darob sein soll. act. 2a post
Mathei apostoli [= 25. September] (1441).
J9) Ebenda, fol. 79 a: Der rate hat hern Paulus Vorchtfel] geben zu einem pau-
meister des chors ad sanctum Laurencium, act. ut supra [= feria IVa ante Anthonii,
23. Januar] (1443).
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 7
Auch die Notizen der Nürnberger Chroniken über die während der
ersten zehn Jahre aufgewendeten Bausummen lassen erkennen, daß auch
in den dem Jahre 1445 vorausgehenden Jahren ziemlich bedeutende Summen
für die Fortführung des Baues aufgewendet wurden. So gibt die Tuchersche
Chronik der Großherzoglichen Bibliothek zu Weimar«), welche sich un-
zweifelhaft auf irgendwelche, heute verlorene, amtliche Aufzeichnungen
stützt, denn so bestimmte Zahlenangaben können nicht aus der Luft gegriffen
sein, an, daß sich die Kosten für den Chorbau in den ersten zehn Jahren
auf 3230 fl. -f 15 CCO U alt (= 6200 fl.) beliefen21). Ziehen wir von dieser
Summe die 1225 fl. ab, welche nachweislich während der drei Baujahre
1445/46, 1447/48 und 1448/49 verausgabt wurden, so bleibt für die restlichen
7 Jahre die immerhin bedeutende Summe von 4975 A- Ein Nachweis, wie
sich diese Summe auf die einzelnen Jahre verteilt, ist freilich nicht möglich.
Die der ganzen Sachlage nach recht unwahrscheinliche, urkundlich
auch sonst nicht beglaubigte Nachricht, daß vor Inangriffnahme des neuen
Chorbaues erst die 1403 begonnenen Arbeiten an der Kirche durch Ein-
deckung der Seitenschiffe zu Ende geführt worden seien, geht auf Baader22)
zurück, welcher eine Reihe von Rechnungsnotizen unserer Kirchenmeister-
rechnung von 1445/46 * 23) in dieser Weise deutet, daß nämlich in diesem Jahre
die vollständige Eindeckung der Kirche, des alten Chores, der beiden Ab-
seiten und der Sakristei und damit der Abschluß der 1403 begonnenen
Erweiterung erfolgt sei. Die Deutung dieser Rechnungsposten ist allerdings
schwierig, doch scheint kein Bedenken vorzuliegen, sie nicht auf eine um-
fassendere Reparatur zu beziehen. Von einem Eindecken des Daches ist dort
zunächst nicht die Rede, sondern von einem »heben«, d. h. Abheben zum
Zwecke einer Reparatur. An eine »Erhöhung« der Mauern und damit des
Daches ist keinesfalls zu denken, sonst würden die Arbeiten sicherlich mehr
als 400 % gekostet haben.
Es sei hier noch angefügt, was wir über das Lebensende Konrad Heinzei-
manns wissen. Für die Annahme, daß mit dem Jahre 1449 (oder 1448,
10) Vgl. Jahrbücher des 15. Jahrhunderts, herausgegeben von Theodor von Kern
in Chroniken der deutschen Städte, Bd. X, S. 45 ff.
2I) a. a. 0. S. 157: Und deßelben jars (= 1439) da wart sant Lorentzen kor ange-
fangen und kost pis auf 49. die gehen jar pei Cristo Imhoff dreu tausent zwaihundert und
30 gülden und 15 tausend und die selben zeit galten 5 <tb. 1 gülden und etlich dn., die
<ö). machen zwai tausend 9 hundert und 70 gülden, summa die 10 jar pei Cristo Imhoff
6200 gülden, so kost er 10 jar pei Niclas Kölers Zeiten 71 10 fl. summa pei den zwaien pflegern
Cristan Imhoff und Niclas Köler 13310 gülden.
**) Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, 1. Reihe, 1860, S. 64.
23) Sie seien zur Beurteilung der Sachlage hier wiedergegeben, wobei ausdrücklich
bemerkt wird, daß diese Posten nicht unter den Ausgaben zum Bau
(»waß ich han awßgeben, daz der paw kost«), sondern unter den allgemeinen Ausgaben
8 Albert Gümbel:
wie Baader hat) seine Wirksamkeit am Baue ein Ende genommen habe,
besitzen wir gar keinen Nachweis. Die letzte Jahresrechnung von 1448/49
hat durchaus keine Andeutung in dieser Hinsicht. Er dürfte vielmehr auch
unter dem auf Christian Imhof (seit 1449) folgenden Kirchenmeister Nikolaus
Koler die Arbeiten weiter geleitet haben. Eben dieser Kirchenmeister
vermerkt in dem von ihm geführten Großtotengeläutbuch von St. Lorenz
das Ableben unseres Meisters mit den Worten: (Man läutete) „Maister
Kunrat vnserem mawrer. dedit nichcz“* *4). Er starb zwischen Mariä
Verkündigung (25. März) und Georgi (= 23. April) 1454 *5).
An des alten Konrad Heinzeimanns Tod knüpfte sich ein Briefwechsel
des Rates mit des Verstorbenen Sohn (Stiefsohn?), der sich Friedrich Hein-
richsmann von Dettwang nannte und zu Ebenfurt (»Elgenfürt«) j6) unter
der Jurisdiktion des edlen Herrn Georg von Bottendorf wohnte. Dieser
behauptete nämlich, daß die Gotteshausmeister seinem Vater einen $l/i-
jährigen Jahressold schuldig geblieben seien, wogegen jene aus den Bau-
rechnungen die Unrichtigkeit dieser Behauptung nachwiesen. Das teilte
der Rat Friedrich Heinrichsmann wiederholt mit und verwies ihn im übrigen
auf den Rechtsweg. Dieser wollte sich aber nicht abweisen lassen und er-
ging sich in Drohungen gegen die Stadt. Diese wandte sich beschwerend
der Lorenzer Kirchenfabrik (»waß ich han awß geben, daz sant Lorentzen czu steet«)
vorgetragen werden.
Item II Maister Dekter han ich gehabt X wochen, mit
namen meyster Lewpold*) und meister Jorgen, waß iklicher
selb VII (d. h. 6 Gesellen und der Meister selbst) und der hüben
daz tach gantz awf der kirchen und awf dem kor und auf paid
abseyten und den sagerrer (Sacristei).
Item dor czu kom LXVI suner kalk und III firta.il, kost
y'klichs suner czu XXXII dn.
Item dor czu körnen VIII^ vnd IIIC hoken vnd preyß
czigel**), kost iklichs IM czu XIII
Item für eytel sand czu furen XXV <öi XIV dn.
Item von czigeln czu furen IX <ö>. XX V2 dn., macht alles IVCXCVII <ö>. XX dn.
Vorausgehen und folgen Ausgaben für das Fronleichnamsfest, Kirchweih und
Lorenztag, für ein »mol« (Mahl), Gras und Rosen (zum Streuen bei den Prozessionen).
*4) Großtotengeläutbuch von St. Lorenz im Kreisarchiv Nürnberg, S. I, L. 130,
Nr. 8, S. 2. Die Gebühr betrug sonst 1 fl rh. (in Gold).
J5) Dies sind die nächst vorausgehenden und folgenden, angegebenen Tagesdaten.
3Ä) Gemeint ist wohl Ebenfurth in Niederösterreich bei Wiener Neustadt.
*) Ein Lewpold Paternoster wird in den Ämterbüchlein von 1442 — 1445 unter
den geschworenen Deckern der Stadt genannt.
**) Unter »hacken« (hocken) verstand man ineinandergreifende Dachziegel mit
hakenförmigen Erhöhungen, unter »preiszigel« jene Ziegel, welche den Zusammenschluß
von je zwei Hohlziegeln überdecken. Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg
(1464 — 1475). herausgegeben von Weech und Lexer, Wortverzeichnis.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. g
an obengenannten Herrn von Bottendorf. Schließlich scheint der Handel
zu einem guten Ende gekommen zu sein, indem Heinrichsmann seine Absage
an die Stadt zurückzog, diese ihm aber versicherte, daß er sich von ihrer
Seite keines Args zu versehen habe. Die gewünschte Herausgabe seines
Absagebriefes schlug sie indessen ab 27).
Bei dieser Gelegenheit erhalten wir einen Anhaltspunkt für die Heimat
unseres Meisters: das in der Kunstgeschichte rühmlich bekannte Dörfchen
Dettwang bei Rothenburg. Heinzeimann hat wohl seine Familie von Rothen-
burg — oder wohnte er selbst schon in Dettwang? — nach Nürnberg mit-
genommen und während seines 15 jährigen Aufenthaltes daselbst bei sich
gehabt. Nach dem Tode des Vaters siedelte diese vielleicht wieder in die alte
Heimat am Fuße der Rothenburger Mauern über. Möglicherweise aber ließ
Heinzeimann auch erwachsene Söhne in Dettwang zurück, von welchen einer
sein Glück in der Fremde versuchte. Ist Dettwang in der Tat seine Heimat, so
entstammte er der gleichen Rothenburger Landschaft, deren Sohn auch der
Baumeister Hanns Müllner, der Nachfolger des trefflichen Nikolaus Eselers
in der Bauleitung von St. Jakob in Rothenburg, war (seit 1471) l8).
Betrachten wir nun unsere drei Baurechnungen, deren Abdruck
nachstehend gegeben wird, im einzelnen! Sie gehören den Rechnungsjahren
1445/46, 1447/48 und 1448/49 an. Im Gegensatz zu einigen uns gleichfalls
erhaltenen späteren, ausschließlich dem Baue gewidmeten Rechnungen
bilden sie die (allerdings umfangreichsten) Bestandteile eines allgemeinen
Einnahmen- und Ausgabenregisters der Kirche von St. Lorenz (und der
St. Leonhardskirche) * *9) überhaupt. Geführt wurden sie unzweifelhaft von
dem damaligen Kirchenmeister Christian Imhof 3°), welchem als Kirchen-
pfleger zunächst Ulrich Ortlieb, dann (seit 1448) Michael Grundherr über-
geordnet waren. Der Kirchenmeister war der eigentliche Säckelmeister
*7) Die in dieser Angelegenheit ergangenen Ratsschreiben habe ich in der Beilage
IV a bis f wiedergegeben.
l8) Vgl. Müllners Bestallungsbrief bei Gümbel, Kleine Beiträge zur älteren Rothen -
burger Kunstgeschichte III. Repert. f. Kunstw. Bd. XXXI.
*9) Die Kirche von St. Leonhard mit einem Siechkobel für 12 arme Frauen war
eine Filiale der Kirche von St. Lorenz, innerhalb deren Parochie sie lag.
3°) Sohn des 1396 zu Venedig gestorbenen Konrad Imhof und der Anna Schürstab,
vermählt in erster Ehe mit Margareth Dürlerin, in zweiter mit Klara Prünsterin. Schon
*433 (22- April) wird er in einer Urk. des Kreisarchivs Gotzhaws Pfleger bei St. Lorenz
(wohl eine Verwechslung mit Kirchenmeister) genannt. Er blieb Kirchenmeister bis
1452, in welchem Jahre Nikolaus Koler an seine Stelle trat. Er starb 1466 und wurde
nach dem Großtotengeläutbuch von St. Lorenz am Freitag nach Johannis Baptista
(= 27. Juni) begraben. ^Sein Sohn Anton Imhof fiel 1449 bei Fürth im Kampfe gegen
die Markgräflichen. Sein Bruder war Konrad Imhof (f 1449), Stifter des bekannten
Imhofschen Altars bei St. Lorenz.
IO
Albert Gümbel:
und Güterverwalter der Kirche, durch dessen Hände alle Einnahmen und
Ausgaben liefen. Der aus dem Rate gewählte Pfleger vertrat diesen gegen-
über der Kirche und deren Klerus und andererseits natürlich auch die Inter-
essen des letzteren gegenüber dem Rate, beide aber, Kirchenmeister und
Pfleger, blieben dem Rate für die ordnungsmäßige Verwaltung des Kirchen-
vermögens verantwortlich und hatten darüber alljährlich vor einigen verord-
nten Ratsherren Rechnung zu legen 3*). Zum Zwecke einer solchen
Rechnungsablage sind wohl auch die vorliegenden Kirchenrechnungen
gefertigt.
Wenn übrigens oben gesagt wurde, daß die Führung der Kirchenrech-
nungen in der Hand des Kirchenmeisters, in unserem Falle Christian Imhofs,
lag, so ist dies nicht so zu verstehen, daß uns in den drei Rechnungsheften
eigenhändige Aufzeichnungen und Rechnungsabschlüsse Imhofs vorliegen.
Die eigentliche Zusammenstellung von Einnahme- und Ausgabetiteln sowie
die Niederschrift der Rechnungshefte dürfte durch einen, dem Kirchen-
meister beigegebenen Schreiber 32) natürlich auf Grund von ihm durch
den Kirchenmeister gelieferten Aufzeichnungen und Rechnungsbelegen her-
31) Nicht zu verwechseln mit diesem Kirchenmeister von St. Lorenz ist der
Schaffer von St. Lorenz (lateinisch praeceptor). Es war diese eine speziell mit der
Verwaltung von Einnahmen und Ausgaben des Pfründevermögens des jeweiligen Pfarrers
(bzw. später Propsts) bei St. Lorenz betraute Persönlichkeit und zwar ein Kleriker, während
der Kirchenmeister Laie war. Nach Hilpert, Geschichte des Protestant. Kirchenvermögens,
S. 4 war es der älteste der Kapläne oder »Gesellen« des Pfarrers. Dem Schaffner oblag
auch die Leitung des ganzen im Lorenzer Pfarrhof seinen Mittelpunkt findenden geistlichen
Haushalts und, da der Pfarrer, die 7 Kapläne, die 2 Kornschreiber und der Schul-
meister im Pfarrhof wohnten und gemeinsamen Tisch hatten, war der ganze Betrieb ein
ausgedehnter und verantwortungsvoller. In dieser Eigenschaft als Hausverwalter wird
der Schaffer auch oeconomus, rei oeconomicae inspector genannt. Ein Aktenstück aus
dem Jahr 1453 sagt, daß er verantwortlich war für die »koste des hoffs«. Über
Einnahmen und Ausgaben (darunter auch für die dem Pfründevermögen obliegenden
Baulasten) hatte der Schaffer dem Pfarrer Rechnung abzulegen. Eine solche über 10 Jahre
sich erstreckende Gesamtabrechnung zwischen Dr. Konhofer, dem Pfarrer von St. Lorenz,
und dessen Schaffer, Peter Cammrer, ist uns im K. Archive Nürnberg aus dem Jahr 1444
erhalten. Urkunden des siebenf. Alph. VI 97/2 Nr. 894. Beide rechnen ab über alle
»einnemen vnd ausgeben in die Kuchen vmb eßen vnd trincken, prot vnd allerley speyß,
Auch allen anderen stucken gegen Hantwerckleuten vnd dyiener Ion vnd waß dem Hof
(i. e. dem Pfarrhof) zusteet, Auch vmb den paw zu dem kor vnd in den
p f a r h o f , der geschehen ist vom samstag [vor] exaltacionis s. crucis [=12. September]
im Jar alß man zalt 1433 piß auff datum ditz brieffs [=2. Mai 1444]«. Daß hier Rech-
nungsposten für den Chorbau (natürlich erst seit 1439) erscheinen, ist nicht auffällig, da
Geldbeiträge seitens des Pfarrers durch unsere Rechnungen (wenigstens für das Jahr 1445)
bestätigt werden. Übrigens ist in der Urkunde nur von Schuldresten seitens des Schaffers
in Korn die Rede. Es könnte sich also bei den genannten Bauten auch um leibliche Ver-
pflegung der Bauhandwerker handeln.
3J) Leider findet sich nirgends der Name eines solchen.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 1 1
gestellt worden sein. Waldau 33) gibt an, daß jeder Kirchenmeister einen
Kirchner unter sich hatte, der sein Schreiber hieß und ihn unterstützte 34).
Anderweitig z. B. bei der Regensburger Domfabrik finden wir für diesen
Unterbeamten des Magister fabricae den Titel Scriptor fabricae. Von diesem
Scriptor sagt Schuegraf 35), daß er das Geschäft auf sich gehabt habe, Alles,
was bei der Domfabrik eingenommen und ausgegeben wurde, aufzuschreiben
und die jährliche Abrechnung zu stellen. Nehmen wir an, daß unsere Rech-
nungshefte von diesem Kirchner, Schreiber oder Scriptor fabricae gefertigt
wurden, so haben wir auch eine Erklärung für die auffällige Tatsache, daß
sich dort Korrekturen und Streichungen finden. Sie wurden wohl bei einer
Revision durch den Kirchenmeister selbst angebracht; so hebt sich z. B.
bei der Schlußabrechnung des Jahres 1449 eine zweite Schrift deutlich
von der des ersten Schreibers ab. Eine solche nachträgliche Revision und
Ergänzung des Bauregisters des Scriptor fabricae durch den Magister fabricae
finden wir auch in Regensburg 36).
Unsere Kirchenrechnungen führen zunächst in summarischer Weise
die Einnahmen an Geld und Korn, sodann im einzelnen die Ausgaben an,
daran schließen sich Einnahmen und Ausgaben für den ,,paw“. Das Rech-
nungsjahr lief für die erste unserer Kirchenrechnungen von Michaelis 1445
bis Michaelis 1446. Die Einnahmen zum Bau beliefen sich auf 1749 7 dn.
und 1 16 fl. Landswährung gegen 2240% 26 dn. Ausgaben, für 1447/48 (von
Jacobi [25. Juli] bis 1 1. September) auf 1124% 20 dn. und 1 1 6 fl. gegen
1536 U 22 dn. und 60 fl. Ausgaben, für 1448/49 (1 1. September — 5. Juli)
auf 1128 U 2672 dn. und 122 fl. gegen 1043 U 2 1/2 dn. und 88 fl. In zwei
Jahren überteffen also die Ausgaben die Einnahmen nicht unerheblich.
Betrachten wir nun die für den Bau verfügbaren Einnahmen näher!
Es sei hier vorausgeschickt, daß das Konzil zu Basel im Jahre 1440 auf
Bitten der Kirchenpfleger von St. Lorenz genehmigt hatte, daß bei den
unzureichenden Mitteln der Kirchenfabrik mit Zustimmung des Pfarrers
und unter vorheriger Ausscheidung eines genügenden Einkommens für
diesen die gesamten Einkünfte der Kirche auf zehn Jahre für die Vollendung
des Chorbaues verwendet werden dürften. Mit dem Vollzug der Bulle wurde
der Abt von St. Ägydien beauftragt 37). Es scheint jedoch, daß der Rat
33) Nürnbergisches Zion oder Nachricht von allen Nürnbergischen Kirchen usw.,
Nürnberg 1787, S. 5 Anm.
34) Nach Hilpert, a. a. 0. S. 4, oblag dem Kirchner dieAufsicht über die kirchlichen Ge-
bäude und den Kirchhof. Den Untergebenen des Kirchenmeisters nennt er Kornschreiber.
35) In seiner Ausgabe der Regensburger Dombaurechnung vom Jahre 1459, Anm. 75
(Verhandlungen des histor. Vereins von Oberpfalz und Regensburg, XVI. Bd. S. 161).
36) Schuegraf a. a. 0. S. 21.
37) Siehe Beilage V.
Albert Gtimbel:
I 2
sich dieser Verwendung der Kirchengüter widersetzte (siehe oben den Rats-
erlaß vom 14. Juli 1441), und daß die Bulle nicht zum Vollzug kam. Jeden-
falls ersehen wir aus unserem Verzeichnis des »Einnemens zu dem Paw«,
daß dieses sich zum allergrößten Teile aus freiwilligen Gaben und Almosen
zusammensetzt, aus letztwilligen Zuwendungen, dem Erlöse von zum Bau-
fonds geschenkten Kleidungsstücken, aus dem Ertrage der Sammlungen
bei der Gemeinde an hohen Festtagen und den Sonntagen, aus den Ein-
lagen der Opferstöcke, dem Verkaufspreise von »bösen«, d. h. wohl ver-
hauenen oder sonst unbrauchbaren Steinen aus der Bauhütte 38). Dazu
waren dem Baufonds die Einnahmen »von der großen Glocken« zugewiesen,
d. h. die Gebühren für die Lautung der großen Glocke bei der Beerdigung
(sie betrug stets einen Gulden rh.). Einen sehr ergiebigen Einnahme-
posten bildeten im Baujahre 1445/46 die 10 U alt, welche Dr. Konhofer
alle Wochen zum Bau beisteuerte. In den beiden späteren Rechnungs-
journalen erscheint dieser Betrag nicht mehr.
Was nun die Ausgaben betrifft, so verteilt sich deren Hauptmasse
auf die Steinmetzen in der Bauhütte (gesellen in der hutten) und einen
Lehrjungen dort (hutenknecht), dann auf die Steinbrecher »auf dem perg«
d. h. auf dem Reuhelberg (heute Schmausenbuck) bei Nürnberg 39). Bedeu-
tendere laufende Ausgaben entstanden auch für das Verbringen der Steine von
den Brüchen zur Bauhütte — die Kosten betrug 8 — 9 dm pro Stein. — sowie
für die Bedienung der Winde oder des Aufzugs 4°) beim Bau (gesellen in dem
rad). Vereinzelt erscheinen auch Maurer (ein Konrad Lang und der Ekel),
38) Vgl. in der ersten Rechnung unter den Einnahmen: »Item für etzlich pos stein,
dy nicht tochten LXVI 1/J <0). II dn.«
39) Im Tucherschen Baumeisterbuche (vgl. oben Anm. 23) wird in dem Kapitel
»Von dem Reuhelperg stein zu prechen« auch »sant Laurentzen . . . gruben« genannt. Im
Jahr 1451 erging ein Befehl des Rates: Sant Laurentzen den Steinpruch zu seinem pawe
volgen lassen, Als das dann erteilt ist. Möglicherweise handelte es sich hier um die durch
ganz besonders guten Stein ausgezeichneten Brüche am Reuhelperg, welche sich der Rat
für seine eigenen Bauten Vorbehalten hatte und wo niemand ohne Erlaubnis des Rates
brechen durfte (vgl. bei Tücher a. a. O.).
Daß mit dem »perg« der Kornberger Bruch nicht gemeint sein kann, ergibt sich
daraus, daß einmal ausdrücklich »V stein kurnperg« unter den Ausgaben erscheinen. Die
Kornberger Steine wurden mit Vorliebe für Wasserbauten verwendet. (Baumeisterbuch
a. a. O. S. 84 — 86.)
«°) So, glaube ich, dürfen wir wohl den immerwiederkehrenden Ausdruck »Rad«
deuten. Es liegen zwei Möglichkeiten vor. Entweder kann es einen einräderigen Schub-
karren bedeuten (Grimm, Deutsches Wörterbuch unter »rad«, 2. Bedeutung) oder »rad,
das irgend ein gangwerk treibt, zum drehen, ziehen oder treten: rad das man tritt, etwas
aufzeziehen: tympanum« (Grimm unter Bedeutung 3 d). Grimm zitiert dann weiter: tym-
panum, ein kranchrade, ein gerüste mit eim groszen rad, das getretten würt, so man etwas
schwärs aufhebet.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 13
Zimmerleute und Decker. Kleinere, zeitweilig wiederkehrende Posten
betreffen das Ausgraben und Wegschaffen des ausgehobenen Baugrundes
(gesellen in dem grund), die Beschaffung des Kalks, die Herstellung und
das Ausbessern des Handwerkszeugs bei der Hütte und auf dem Berg, die
Seile zu den Winden — auch beim Steinbruch war eine solche aufgestellt —
usw. Als ganz vereinzelte Posten erscheinen im Jahre 1445/46 7 U für einen
Gesellen »der (so ist wohl zu lesen statt dy) dy lawber hawt«, 42 U 28 dn.
für eiserne Stangen und Eisen, »daz gehört in ein glaß venster ... czu
einem Muster«, dann Geschenke für Meister und Gesellen an Neujahr und
St. Peterstag, d. h. Petri Stuhlfeier, mit welchem Tage das Winterhalbjahr
schloß, die sommerliche Bauzeit begann. Die Zahl der ständig beschäftigten
Gesellen in der Bauhütte überschritt niemals 7 und sank zuweilen auf 2,
in dem Steinbruche arbeiteten im Baujahre 1445 5 — 6 Gesellen, später
2 — 4 und 2 — 6. Im Winterhalbjahr von Gallus (16. Oktober) bis Petri Stuhl-
feier (22. Februar) erhielt ein Geselle in der Bauhütte 15 dn., die Gesellen im
Steinbruch 12 dn., der Meister 15 dn., im Sommerhalbjahr die Steinmetzen
20 dn., die Steinbrecher 14dm, der Meister 15 dn. für den Tag. Die Auszah-
lung erfolgte am Wochenende. Übrigens wurde nicht immer in der Hütte
und im Steinbruche gleichzeitig gearbeitet. So ruhten z. B. im Jahre 1446
die Arbeiten beim letzteren vom 23. April bis zum Schlüsse des Rechnungs-
jahres (24. September), im Jahre 1447 wurden sie erst im Oktober wieder
aufgenommen, dafür ruhten die Arbeiten in der Hütte bis zur Palmwoche
1448; von dort an wurde an beiden Stätten bis zum Herbst gearbeitet,
wo dann der Steinbruch stillgelegt wurde.
Für eine Vergleichung der eben genannten Geldwerte, wie überhaupt
der Zahlenangaben unserer Rechnungen — sie erfolgen fast ausschließlich in
Gulden Landwährung und Pfunden alt 41) — sei auf die Untersuchungen
Sanders 4») verwiesen. Dieser setzt für die Jahre 1435 — 144° den Goldwert
des Landwährungsgulden etwa 8 M gleich. In Silber würde das % alt (zu
je 30 dn.) I M 30 dn. unseren Geldes entsprechen. Ihren wahren, für eine
Vergleichung nutzbaren Wert erhalten diese Zahlen ja erst, wenn wir die
damaligen und heutigen Preise für Lebensmittel usw., kurz den Kaufwert
des Geldes berücksichtigen. Es muß jedoch hier auf das von Sander, a. a. 0.
besonders über die Preise von Getreide und Brot Gesagte verwiesen werden.
Äußerlich stellen sich unsere Rechnungen als drei Papierhefte in Quart
aus dünnem, aber sehr haltbarem Papier (Wasserzeichen: ein zinnengekrönter
Turm und (in den späteren) der Ochsenkopf) in grauen Umschlag geheftet,
41) Zweimal erscheinen Groschen.
4l) Die reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs, dargestellt auf Grund ihres Zu
Standes von 1431 — 1440, Leipzig 1902, Bd. I, S. 24 ff. und Bd. II, S. 742 ff.
Albert Gümbel:
14
dar. Sie sind auf beiden Seiten der ganzen Breite und von der gleichen
Hand (abgesehen von den Korrekturen) in sehr deutlicher Schrift mit nur
leicht verblaßter Tinte geschrieben. Eine alte Foliierung ist nicht vorhanden.
Zum Schlüsse einige Worte über die gewählte Gestaltung des Textes
der Rechnungshefte. Sie schließt sich in der Schreibung der Vorlage an 43),
nur wurden alle Eigennamen mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben.
Die Zahlangaben in römischen Ziffern wurden ebenso wiedergegeben,
jedoch mit einiger Modernisierung. Der alte Schreiber gab z. B. die Zahl
IV mit IIII, unser XC mit LXXXX. Die alten gebrauchten Abkürzungen:
c über der Zeilenlinie für centum (z. B. IIC = zweihundert) und M für
mille (z. B. VM = fünftausend) wurden beibehalten, ebenso W für Pfund,
dn. für Pfennig 44). Bei den nicht seltenen Korrekturen wurde die frühere
Zahl, wo lesbar, mitbemerkt.
A.
Rechnung der Kirchenfabrik von St. Lorenz
(und St. Leonhard) zu Nürnberg vom 29. September
1445 bis 29. September 1446. Kgl. Kreisarchiv Nürnberg, Saal I,
Lade 130, Nr. 12, Heft I.
Seitei] Item waß ich han ein gen [u] men 45) von sand Lorentzen
wegen seind der nechsten Rechnung, dy ich det am nechsten samztag an sand
Erhartz tag, dy ich dun schold haben czu sand Michels, waß. ich dann han
ein gen [u] men seind des selben sand Michels ym XLV jar vntz awf sand
Michels tag in dem XLVI° jar, daz stet hernoch geschriben . . .
[Es folgen auf Seite 1 — 2 die einzelnen Einnahmeposten an Geld und Getreide.
Gesamtsumme 1064 <ö>- 9*/i dn. und 95 Gulden Landswährung.]
Seite 3] Item waß ich han awßgeben, daz sand Lorentzen czu stet,
daz stet hernach geschriben:
[Es folgen auf Seite 3 — 5 die Ausgabe^6) mit einer Gesamtsumme von 1283 fl*.
28 dn. und 47^3 fl.]
[Auf Seite 6 folgt eine Vergleichung der Ausgaben und Einnahmen von St. Lorenz,
deren Ergebnis ein Guthaben des Kirchenmeisters von 219 fl>. 181/z dn. ist.]
[Seite 7 führt Einnahmen und Ausgaben von St. Leonhard an. Ergebnis: Mehr-
einnahme von 457 & zS dn. und 30 fl.]
[Seite 8 ist leer.]
43) Dagegen wurde die Schreibung der in den Beilagen wiedergegebenen Ratsbriefe
nach den bekannten Grundsätzen vereinfacht.
44) Das bei mittelalterlichen Zahlenangaben gebrauchte Zeichen für 1/z, die
Durchstreichung bzw. Durchschlingung des letzten, unter die Zeile verlängerten Striches
wurde mit »/* wiedergegeben, IVj/jc = vierthalbhundert oder 350.
45) Darüber: han.
46) Ich habe von diesen Ausgaben schon die für Reparatur des Daches der Kirche
usw. in der Einleitung (Anm. 23) wiedergegeben. Von sonstigen seien noch bemerkt:
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 1 5
Seite 9] Item waß czu den paw dytz jar geben
vnd gefallen ist, daz stet hernach geschriben:
Item am ersten hat mein her der pfarrer der
doctor Konhoffer geben alle wochen XU alt VCXX U.
Item Hans Sigwein der elder, formund 47) des
Heintz Burst III guld[enj.
Item der Herold vom Gostenhoff VII U XX dn.
Item für etzlich pos stein, dy nicht tochten LXVI1 * * 4 5/* U II dn.
Item her Albrecht awf sand Nyclos altar I guldfenj.
Item dy Kellerin in sand Lorentzen selhaws 48) I gülden.
Item der Vngerlein vnd Putzenrewter für dy
Markartin von der Weyden; warn ir formund, XXX gülden.
Item awß dem stok awf dem Kirchoff XIII U IIF/a dn.
Item der Newpawr gab mir ein swartzen mantell
mit einer swartzen, lemerein kurßen. den gab ichvmb VIII gülden.
Item her Friderich des Schon Peters sun 49) I gülden.
Item awß den stoken in der kirchen LXXXV’/i U I dn.
II gülden.
Item vnßer pfarrer gab mir, waß gefunden wern, I gülden.
Item vnßer schaffer zu sand Lorentzen 5°) I gülden vnd V U
Item ein prawn Rock, mit fugsch clocn gefutert,
von dem Vlrich Hinderholtz, den gab ich für VI gülden,
summa dytz folii macht VIC XCII U .
XXV PA dn. vnd LIV gülden.
Seite 5] Item von einem klensellS1) in dy tagmeß geloken
czu peßern VI'/j tfc. I dn.
Item von einem newen klenßell czu smiden in einem
Hamer pey Lawf, wigt LXVIII <tk., must ich geben für daz eyßen
vnd doselbst zu smiden XIV 'tt., vnd hie dem schloßer follen
awß czu beraiten VI tk., macht XX <tt.
gehört awch in dy tagmeß geloken zu Bartholomey.
Item ich han aber dy geloken mit namen dy tagmes geloken,
vnßer frawen meß geloken vnd dy II fesper geloken loßen anders
holsen vnd all czappen vnd all schilt anders smiden vnd loßen
schleyffen, daz kost alles XXVII 'tt. IX dn.
47) = Testamentsvollstrecker.
48) D. h. ein der Kirche gehöriges, im Nonnengäßlein gelegenej, für fromme (welt-
liche) Frauen (Seelweiber, Seelnonnen) bestimmtes Haus.
49) Er war der Stifter des (heute noch in der Lorenzer Kirche befindlichen) Gemäldes
der Gebprt Christi mit den symbqlischen Andeutungen der Jungfräulichkeit Marias. Thode
(Die Mallerschule von Nürnberg, S.| 53) nennt es wegen seiner Darstellungen höchst interessant.
5°) Über diesen, damals Peter Cammrer, vgl. oben in der Einleitung, Anm. 31.
51) = Klengel, Klöppel.
i6
Albert Glimbel:
Seite io] Item Vlrich Krewtzer vnd Michel
Dechelmair, dy (!) Tusoltin seligen formund, gaben
mir an sand Bartholomes abend [= 23. August] V gülden.
Item czu der kirchweih gevil pey dem heiltum
vnd auf den taffein, macht LXXIII U IIP/j dn.
Item an sand Lorentzen tag [= 10. August]
gevil pey dem heiltum vnd awf der taffein vnd vber
all, daz macht II c III1/* U II gülden.
Item so ist gevallen awf dy taffein alle suntag
vnd pey dem heyltum alle hochczeytlich tag, macht VICLXVI U VIII dn.
Item am Montag noch vnßer frawn tag nati-
vitatis [= 13. September] gab mir her Hans von
Swobach für den Stiglitz seligen I gülden.
Item am selben tag gab mir dy Hertzogin neben
dem Jar haber an geld ye V U VIII dn. für den
gülden X gülden.
Item am pfintztag noch des heiligen Crewtz
tag Exultacionis [= 16. September] awß paiden
stoken awf dem kirchoff VI % VIII dn.
Item ein petler starb czu der Alheyt Vischerin
hinder dem Taffe [l]hof pey der zigelhuten, der schik
[= vermachte letztwillig] sein parschafft sand Lo-
rentzen, waß LXCIII U VIII [dn.]
Item am freytag vor sand Matheus tag [= 17.
September] gab mir vnßer pfarrer, waß ym furpas
worn von dem capplan sand Kungunden, V U V dn.
Item von der großen geloken XLIV gülden III U
XXII [dn.].
summa dytz foly macht
ImLI U IX1/* dn. 5*)
vnd LXII 53) gülden.
summa als meins einnemens czu dem paw macht
ImVIIcXLIX U VI dn. vnd ICXVI gülden lantzwerung.
Seite 1 1 ] Item waß ich han awß
geben, daz der paw kost, vntz pis
her seind der nechsten Rechnung,
daz stet hernach geschriben:
5J) Korr, aus IM vnd XLVII tb. XVI I1/* dn.
53) Korr, aus XVIII.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. j y
Item am nechsten samtztag noch sand Michels
tag [= 2. Oktober] VII gesellen in der hüten vnd
ein hüten knecht, dy haben alle zu IV tagen, XXI % XIII dn.
Item VI gesellen awf dem perg 54) mit dem
meyster 55), haben V tag, XIV ’U XVII dn.
Item III gesellen in dem Rad 54), haben czu
IV tagen, V U XXIV dn.
Item LX stein, von stein czu furen VIII dn.,
macht XVI U.
Item am samtztag, an sand Dyonisius tag
[= g. Oktober], VII gesellen vnd ein hüten knecht,
dy haben alle zu VI tagen, macht XXXI XXIII dn.
Item VI gesellen awf dem perg haben awch
czu VI tagen, XVII U XXIV dn.
Item III gesellen in dem Rad, haben auch
VI tag, macht VIII % XVIII dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV % .
Item ein wagen kalk, der hilt VII suner56), daz
suner czu XXXVII, VII
Item II Eyßne sturtz 57) maister Chunrad, dy
kosten X dn.
summa dytz foly macht
ICXLVII U X dn.
Seite 12] Item an sand Gallen tag [= 16. Ok-
tober] VII gesellen in der hüten vnd ein hüten knecht,
dy haben alle zu VI tagen, XXXI % XXIII dn.
Item VI gesellen awf dem perg, haben auch
VI tag, macht XVII XII dn.
Item III gesellen ym rad, auch VI tag, macht IX % VI dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV
Item III wagen kalk, dy haten XIII suner czu
XXVI dn., XI U XXI dn.
Item am samtztag vor sand Simon vnd Juda
tag [= 23. Oktober] VII gesellen in der hüten vnd
54) Über die Bedeutung siehe oben in der Einleitung!
55) Es ist fraglich, ob damit Heinzeimann gemeint ist. Vgl. oben in der Einleitung.
56) Ein Trockenmaß, Schmeller-Fromann, Wörterbuch II, 283.
57) Dieses in unseren Rechnungen öfters vorkommende Wort scheint in der von
Heyne, Deutsches Wörterbuch, angegebenen Bedeutung »kurzes, abgebrochenes oder
abgeschnittenes Stück« (zunächst vom Tuch, dann hier aber auch von Eisen oder Holz)
gebraucht zu sein.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
2
i8
Alb ert Gümbel:
ein hüten knecht, dy haben alle czu VI tagen, yklichem
gesellen den tag zu XV dn. vnd dem hüten knecht
czu XII dn., XXIV U V dn.
Item VI gesellen awf den perg mit dem Maister,
dy haben alle czu VI tagen, den gesellen zu XII
[dn.] 58) vnd dem Maister zu XV dn., XV U XII dn.
Item III gesellen yn dem Rad auch VI tag,
macht VII U XVIII dn.
Item XC stein zu VIII dn., macht XXIV U.
Item von ein pferd awf dem perg IV % .
Item dem Vlman smid 59) von der winden czu
pessern auf dem perg XII U III1/* dn.
Item am samtztag vor aller heyligen tag
[= 30. Oktober] VII gesellen in der hüten vnd ein
hüten knecht, haben alle zu V tagen, XX U VIII dn.
Item VI gesellen awf dem perg, haben auch
V tag, XII U XXVII dn.
Item III gesellen ym Rad zu V tagen, macht VI % VI dn.
Item LXXV stein zu VIII dn., macht XX *66 .
Item dem smid awf dem perg, macht LX dn.
Item für VI Eyßne Stangen vnd für VII Eyßen,
daz gehört in ein glaß venster, liß ich machen czu
einem Muster ein Hamersmid pey Lawf, heyst New-
teter. dy Stangen vnd dy eyßen do pey wegen IVYzc
[= 350] vnd XV H \ kost der Ic czu IX U , vnd
XXVIII dn. zu Trinkgelld seinem sun, macht XLII U XXVIII dn.
summa dytz foly macht
IICLXXXV U XIXVz dn.
Seite 13] Item an sand Linhartz tag [= 6. No-
vember] VII gesellen in der hüten vnd ein hüten
knecht, haben zu V tagen, macht XX % VIII dn.
Item VI gesellen awf dem perg, haben awch
czu V tagen, XII U XXVIII dn.
Item III gesellen ym rad, haben awch zu
V tagen, VI U VI dn.
Item LXXV stein zu VIII dn., macht XX % .
58) Geschrieben ist irrtümlich : tagen.
59) Er wird auch inSteinlingers Baumeisterbuch von 1452 (Ausgabe von Mummenhoff
in Mitteil, des Ver. f. Gesch. der Stadt Nürnberg, Bd. 1) erwähnt.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 19
Item für VIII1/* sturtz dem Maister zu mos
preter V XVIII dn.
Item am samtztag noch sand Mertens tag
[= 13. November] VII gesellen in der hüten vnd ein
hüten knecht, haben alle czu V tagen, XX ti VIII dn.
Item VI gesellen awf dem perg, dy haben awch
czu V tagen, XII U XXVIII dn.
Item III gesellen in dem Rad, haben awch czu
V tagen, VI U VI dn.
Item LXXV stein czu VIII dn., macht XX % .
Item für III schawfeln awf dem perg czu XII dn. XXXVI U.
Item dem gesellen, dy ( ! ) dy lawber60) hawt,
alle tag II dn., mer VII U .
Item für VI sturtz, für iklichen XXI dn., macht IV VI dn.
Item dem smid awf dem perg XLII dn.
Item am samtztag vor presentacionis Marie
[= 20. November] VII gesellen vnd ein hüten knecht,
haben alle czu VI tagen, XXIV % V dn.
Item VI gesellen awf dem perg, haben awch
czu VI tagen, XV XII dn.
Item III gesellen ym rad, dy haben awch
czu VI tagen, VII XII dn.
Item LX stein czu IX dn., macht XVIII ’U .
Item von eim pferd, erden awss czu furen awf
dem perg IV U.
Item für klein sail in dy hüten VII1/*
summa dytz foly macht
II c XIV U XX dn.
Seite 14] Item am samtztag noch sand Kathrein
tag [= 27. November] VI gesellen vnd ein hüten
knecht, dy haben czu V tagen, macht XVII % XX dn.
Item V61) gesellen awf dem perg, dy haben
awch czu V tagen, X % XXV dn.
60) Das Wort ist zu mittelhochdeutsch loup, pl. louber (Lexer, Mittelhochdeutsches
Handwörterbuch, Bd. I, Spalte 1970). und zwar in der Bedeutung »künstliches Laub«
zu ziehen. Lexer zitiert a. a. 0. in der Beschreibung künstlerisch verzierter Fenster bei
Konrad von Würzburg (Trojanischer Krieg): von loubern und von tieren wären sie ge-
howen. Der »lawber hawer« erscheint auch in den späteren Baurechnungen häufig unter
den Steinmetzen und zwar mit einem gegenüber den anderen Gesellen stets erhöhten und
dem des Parliers gleichkommenden Taglohn.
61) Körrig, aus VI.
2'
20
Albert Giimbel:
Item II gesellen in der kalkhuten, haben awch
V tag, IV U IV dn.
Item LX stein czu IX dn., macht XVIII % .
Item am samtztagan sand Barbara tag [= 4. De-
zember] VI gesellen vnd ein hüten knecht, haben alle
czu V tagen, macht XVII U XX dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
V tag, X U XXV dn.
Item II gesellen in der kalkhuten awch V tag IV % IV dn.
Item LX stein izu IX dn. macht XVIII U .
Item am samtztag noch Concep[ci]onis Marie
[= II. Dezember] VI gesellen vnd ein hüten knecht,
haben alle czu IV tag, macht XIV % VIII dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
IV tag, VIII U XXII dn.
Item III gesellen ym rad, haben IV tag, III U XXIV dn.
Item XL stein czu furn czu IX dn. XII % .
Item eim czimerman awf dem perg III tag, LXII dn.
Item dem Maister sein golt vasten XX gülden.
Item am samtztag vor sand Thomas tag
[= 18. Dezember] VII gesellen vnd ein hüten knecht,
haben alle czu VI tagen, XXIV U V dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XII U XXVIII dn.
Item LX stein czu IX dn., macht XVIII U .
Item ein czimerman awch VI tag, LXXIV dn.
Item für XXVIII prukholtzer czu VI dn. vnd
XVII laten VI U XXI dn.
Item dem Kuntz Langen62) vnd Ekl ale tag
Iklichen II dn. awf der Mawr XLIV % XXVI dn.
summa dytz foly macht
ITA c vnd I U VIII dn.
vnd XX gülden.
Seite 15] Item am heigen Crist abend
[= 24. Dezember] VI gesellen vnd ein hüten knecht,
dy haben czu IV tagen, macht XIV U VIII dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
IV tag, VIII U XXII dn.
6l) Er kommt auch in den späteren Rechnungen der sechziger Jahre noch unter
den Steinmetzen vor.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw.
Item LX stein czu IX dn. macht
Item eim czimerman czu IV tagen, macht
Item VIM VI c spitzen vnd XV aksten czu
stechein vnd etzlich eyßen dem Maister, macht
Item dem smid awf dem perg
Item dem alden Plankenstein für XIV c hocken
czigell63), daz IM für XIV % , macht
Item am neuen Jars abend [=31. Dezember]
VI gesellen vnd ein hüten knecht, haben alle czu
III tagen, macht
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
III tag,
Item XLV stein zu IX dn., macht
Item ein czimerman hat awch III tag, macht
Item dem Maister vnd den gesellen des newen
Jar
Item am nechsten samtztag noch Obersten
[= 8. Januar (1447)] V gesellen vnd ein hüten
knecht, haben alle czu V tagen, macht
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
V tag,
Item LX stein czu IX dn., macht
Item dem czimerman V taglon, macht
summa dytz foly macht
Ic LXXII U II dn.
Seite 16] Item am nechsten samtztag vor sand
Antonigen tag [=15. Januar] V gesellen vnd ein
hüten knecht, dy haben alle czu VI tagen,
Item V gesellen awf dem perg, hab[en] awch
VI tag,
Item LX stein zu IX dn., macht
Item XV prukholzer czu VI dn. czu den klein
gewelblein
Item ein czimerman, dy winden czu pessern awf
dem perg
Item dem Vlman smid von etzlichen Eyßen zu
pessern
Item dem smid awf dem perg
XVIII U.
L dn.
XXX U X dn.
LX dn.
XVIII U X dn.
IX U XVIII dn.
VI U XIX dn.
XIII1/* U.
XLVIII dn.
XLII dn.
XV U II dn.
X U XXV dn.
XVIII U.
LXII U.
XVII U XXIX dn,
XII U XXVIII dn.
XVIII U.
III U.
LIV dn.
VI U I dn.
LXXII dn.
63) Über die Bedeutung siehe oben Anm. 23.
22
Albert Glimbel:
Item an samtztag an sand Vincenten tag
[= 22. Januar] V gesellen vnd ein hüten knecht,
haben alle czu VI tagen, XVII U XXIX dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
zu VI tagen, XII U XXVIII dn.
Item LXV stein zu IX dn., macht XIX H XV dn.
Item für Eyßne negell czu den laten, alz man
dy venster dekt, VI U XVII dn.
Item am samtztag vor vnser frawen tag czu
lichtmes [= 29. Januar] V gesellen vnd ein hüten
knecht, haben alle zu V tagen, XV & II dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
V tag, X U XXV dn.
Item LXXV* 64) stein czu IX dn., macht65) XXII U XV dn.
summa dytz foly macht
r LXIX U XV dn.
Seite 17] Item am samtztag nach lichtmes
[= 5. Februar] V gesellen vnd ein hüten knecht,
haben alle czu V tagen, macht XV % II dn.
Item V gesellen awf dem perg, dy haben awch
V tag, X U XXV dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXII U XV dn.
Item VII taglon den czimerleuten, den Olperg66)
czu vnderstulzen, IIF/2 U .
Item am samtztag vor Valentiny [= 12. Februar]
V gesellen in der hüten, dy haben zu VI tagen, macht XV U XV dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XII U XXVIII dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV ti .
Item dem smid awf dem perg, macht XLVIII dn.
Item am samtztag von sand Peters tag Kathedra
[= 19. Februar] V gesellen in der hüten, haben czu
VI tagen, macht XV U XV dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XII U XXVIII dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV % .
Korrigiert. Ursprüngliche Zahl unleserlich.
65) Darnach gestrichen: Item dem awf dem perg LX dn.
66) Eine künstlerisch- wenig wertvolle Gruppe eines Christus mit drei schlafenden
Jüngern in fast lebensgroßen Gestalten befindet sich heute noch an der Nordseite der Kirche.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 23
Item IV gesellen, dy stein hülfen awß der hüten
furen, LVI dn.
Item an sand Peters tag [= 22. Februar] für
ein sail in dy winden, daz wigt CC on [= ohne, minus]
XIII kost daz % zu V dn., macht XXXI % V dn.
Item ich gab dem Maister vnd gesellen an sand
Peters tag67) LXXXIV dn.
Item am samtztag noch sand Peters [= 2 6. Fe-
bruar] V gesellen in der hüten, heten czu IV tagen
vnd XX dn. czu Ion, XIII % XXV dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
IV tag czu XIV dn., IX % XXIV dn.
Item LX stein czu IX dn., macht XVIII
summa dytz foly macht
II c XXXV U XXV dn.
Seite 18] Item am samtztag noch sand Mathias
tag68) oder Invocavit [= 5. März] V gesellen in der
hüten, dy haben czu IV tagen, XIII % XXV dn.
Item V gesellen awf dem perg, dy haben V tag,
macht XII V dn.
Item LX stein czu IX dn., macht XVIII % .
Item dem smid awf dem perg, macht XLVIII dn.
Item am samtztag Remiscere (!) [== 12. März]
V gesellen in der hüten, heten czu VI tagen, macht XX U XV dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XIV U XVI dn.
Item XC stein zu VIII dn., macht XXIV
Item dem Maister Chunrad sein goltfasten XX gülden.
Item am samtztag Oculy [ = 19. März] V gesellen
in der hüten, haben czu VI tagen, macht XX % XV dn.
Item V gesellen awf dem Perg, haben awch
VI tag, XIV U XVI dn.
Item IV gesellen in dem grünt pey dem Olperg
awch VI tag XII % VIII dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV ti .
Item am samtztag Letare [= 26. März] V gesellen
67) D. h. an Petri Stuhlfeier (= 22. Februar), mit welchem Tage das sommerliche
Baujahr seinen Anfang nahm.
68) Samstags nach Mathias wäre der 26. Februar, Samstag [vor] Invocavit ist der
5. März. Dieser ist unzweifelhaft gemeint.
24
Albert Gümbel:
in der hüten vnd ein hüten knecht, haben alle czu
V tagen, macht XIX U XII dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
V tag, XII U V dn.
Item V gesellen ym grünt awch V tag, XII U V dn.
Item LXXV stein zu VIII dn., macht XX % .
Item VIII c klein czigellstein czu den klein ge-
welblein czu XXVIII dn. VII U V dn.
Item für ein klein sail in den dein cloben LXXXIV dn.
summa dytz foly macht
II1/* c u VIII dn. vnd XX gülden.
Seite 19] Item am samtztag Iudyca [=2. April]
V gesellen vnd ein hüten knecht, haben alle czu
VI tagen, macht XXIII U XVII dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XIV U XVI dn.
Item V gesellen ym grund, awch VI tag, macht XIV U X dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV U .
Item dy wochen erden awß czu furen, macht VI
Item XX fuder sand, daz fuder czu IV dn.,
macht LXXX dn.
Item am samtztag palm abend [ = 9. April]
V gesellen vnd ein hüten knecht, haben alle zu
VI tagen, macht XXIII U XVII dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XIV U XVI dn.
Item V gesellen in dem Rad, haben awch VI tag, XIV U X dn.
Item XC stein czu VIII dn., macht XXIV %
Item Erden awß czu furen dyße wochen, VI 'U .
Item von VMIVC spitzen dy akst, vom Ic czu
X dn., vnd von XX maißeln, vom Maißel czu III dn., XX U .
Item für XIV suner kalk, daz suner czu XXXI dn. XIV U XXVIII dn.
Item am Oster abend [= 16. April] V gesellen
vnd ein hüten knecht, dy haben alle czu V tagen, XVII V dn.
Item V gesellen awf dem perg, haben awch
V tag, XIV U XV dn.
Item III gesellen ym rad, haben awch V tag, VII % VI dn.
Item LXXV stein czu VIII dn., macht XX % .
Item von der Erdy (!) awßzufuren V t6 .
Item von XXX lang nagel czu dem gewelblein XXV U .
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 25
Item dem smid awf dem# perg LX dn.
summa dytz foly macht
IFLXIX U X dn.
Seite 20] Item am samtztag noch Ostern [=
23. April] V gesellen in der hüten, heten newr II tag
Iklincher, macht VII % V dn.
Item II gesellen in der kalk hüten, heten awch
II tag, LX dn.
Item am samtztag nach dem heiltum [= 30. April]
V gesellen in der hüten, hat Iklicher V tag, macht XVII V dn.
Item II gesellen in der kalk hüten, haben awch
V tag, IV U XXIV dn.
Item für IV pruk holtzer czu VI dn., macht XXIV dn.
Item von einem haspel vnd von eim Cloben
dem Kutner I II1/ 2 %-
Item am samtztag noch sand Johans tag ante
Portam [= 7. Mai] IV gesellen vnd ein hüten knecht,
haben czu V tagen, XV U XXVII dn.
Item am samtztag noch Pangracyj [= 14. Mai]
IV gesellen vnd ein hüten knecht, dy haben czu
VI tagen, XIX U XIV dn.
Item am samtztag -vor Vrbany [= 21. Mai]
IV gesellen vnd ein hüten knecht, haben alle czu
VI tagen, macht XIX % XIV dn.
Item IV tag erden awß czu furen, macht IV % .
Item am samtztag noch Vrbany [= 28. Mai]
II gesellen in der hüten, haben czu V tagen, macht VI XXVI dn.
summa dytz foly macht
CI U IV dn.
Seite 21] Item am pfingstabend [?= 4. Juni]
II gesellen in der hüten, haben czu VI tagen, VIII % VI dn.
Item für VIIIC klein czigellstein, daz Ic umb
XXI dn., V U XVIII dn.
Item am samtztag Trinitatis [= II. Juni]
III gesellen in der hüten, heten alle czu III tagen,
macht VI % IX dn.
Item dem Maister Chunrad sein goltfasten XX gülden.
Item am samtztag noch sand Veytz tag [=
18. Juni] IV gesellen in der hüten haben alle czu
IV tagen, macht XI % II dn.
2 6
Albert Gürnbel:
Item am samtztag noch sand Johans tag czu
sunbenden [= 25. Juni] IV gesellen in der hüten,
haben czu V tagen, XIII % XXII dn.
Item am samtztag vnßer frawn tag visitacionis
[= 2. Juli] IV gesellen in der hüten, haben czu
IV tagen, macht XI U II dn.
Item von IVM aksten vnd von VII achksten
zu stecheln69) vnd von XVI maißeln vnd ein tail
new Maißel XVII U XII dn.
Item am samtztag noch sand Kilian tag [=
9. Juli] IV gesellen in der hüten vnd haben alle
czu VI tag, XVI U XII dn.
Item am samtztag noch sand Margreten tag
[= 16^ Juli] IV gesellen vnd ein hüten knecht, haben
czu V tagen, XVI U IX dn.
Item am samtztag vor sand Jakob tag [=
23. Juli] IV gesellen vnd ein hüten knecht, hab[en]
awch czu V tagen, XVI U IX dn.
Item I1/ 2 tag Ion dem Ekel am gewelblein zu
peßern XXX dn.
Item am samtztag noch sand Jak[o]b tag [=
30. Juli] IV gesellen in der hüten vnd II hüten knecht,
haben alle czu V tagen, XVIII U XXVI dn.
Item VIII suner, I s[uner] I f [irteil] kalk czu
XXXVII dn., X U XII dn.
summa dytz foly macht
iyacII u XIX dn. XX gülden
Seite 22] Item am samtztag vor sand Lorentzen
tag [— 6. August] IV gesellen in der hüten vnd
II hüten knecht, haben alle czu V tagen, XVIII % XXVI dn.
Item am samtztag noch sand Lorentzen tag
[= 13. August] V gesellen in der hüten vnd II hüten
knecht, haben alle czu V tagen, XXII U IX dn.
Item am samtztag noch vnßer frawen tag
asumtzionis [= 20. August] IV gesellen vnd II hüten
knecht, haben czu IV tagen, XV U VI dn.
Item am samtztag noch sand Bartholmes tag
[= 27. August] V gesellen vnd ein hüten knecht,
haben alle czu V tagen, macht XIX W XXII dn.
*9) = stählen.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 27
Item II gesellen ym Rad, awch czu V tagen, V % IV dn.
Item am samtztag noch sand Egidien tag [—
3. September] VII gesellen vnd ein hüten knecht,
dy haben alle czu V tagen, XXVI % XVIII dn.
Item II gesellen in dem Rad, haben awch V tag, XXVI % IV dn.
Item am samtztag noch vnßer frawen tag
nativitatis [= io. September] VI gesellen in der
hüten vnd ein hüten knecht vnd ein knecht in der
kalk hüten, haben alle czu IV tagen, XX U XXII dn.
Item am samtztag vor sand Matheus tag [=
17. September] VI gesellen in der hüten vnd awch
II gesellen in der hüten, haben alle czu VI tag, XXX XXII dn.
Item mer II gesellen hullfen stein awß der
hüten furen ein tag, XXX dn.
Item am samtztag vor sand Michels tag [=
24. September] VI gesellen in der hüten vnd II ge-
sellen in paiden hüten, haben alle czu VI tagen, XXV U XXII dn.
Item dem Maister Chunrad sein goltfasten XX gülden,
summa dytz foly macht
CXCI U V dn.
vnd XX gülden.
Seite 23] summa alz meins awßgeben, datz der
paw kost seind der nechsten Rechnu[n]g facit II1^
IVCXL U xxvy270) dn. vnd LXXX gülden lantzwerung.
summa summarum alles meim einnemens von sand Lorentzen, sand Linhard vnd
vom paw macht IICXLVI gülden landswerung IIIMIVCXXXIII (0>. alt VIII dn.
Summa summarum derselben dreier awßgeben machtCXXXII1/! gülden vndIIIMVIIIc
vnd LXXXV II4I>. alt XII1/* dn. so ist man mir an der nechsten Rechnung schuldig beliben
CLXXXVIII gülden landswerung vnd MCCCCLXXVII <ü). alt VI1/* dn. daz alles macht
VmIIIcLXIV & alt XIX dn. vnd IIFXX1/* gülden.
Item dor an get ab, daz ich han ein gen[u]men von sand Lorentzen vnd von sand
Linhart vnd von dem paw, daz macht in einer sum IICXLVI gülden landswerung vnd
IIIMIVCXXXIII <ö>. alt VIII dn. alzo beleybt man mir noch LXXIV*/* gülden und
IMIXCXXXI tt. XI dn.
b.
Kirchenrechnung vom 25. Juli 1447 — II. September 1448.
Ebenda Heft II.
Seite 1] Item waß ich han ein gen[o]men seind der nechsten Rech-
nung, dy do geschah czu sand Jacobs tag [= 25. Juli] yn dem XLVII° Jar,
daz sand Lorentzen czu stet, daz stet hernoch geschriben . . .
7°) Die Zahl V1/* ist durch einen Tintenfleck verdeckt; eine Zusammenzählung
der Ausgabeposten ergibt diese Ergänzung.
28
Albert Giimbel:
[Es folgen auf Seite i und 2 die einzelnen Posten der Einnahmen an Geld
und Getreide mit einer Gesamtsumme von 1020 8. 7 V* dn. und 91 Gulden Landswährung.]
Seite 3] Item waß ich han awß geben, daz sand Lorentzen czu steet,
seind der nechsten Rechnung, daz stet hernoch geschriben . . .
[Es folgen auf Seite 3 — 5 die einzelnen Ausgaben?1) mit einer Gesamtsumme
von 585 <8). 22 dn. und 99 (korrig. aus 72) Gulden Lands Währung.]
[Es folgen auf Seite 6 die Einnahmen und Ausgaben von St. Leonhard. Die Ein-
nahmen betragen 661 8. 8 dn., die Ausgaben 202 8). 18 dn. bzw. 12 Gulden und 2 fl., der
Kirchenmeister verbleibt mit 459 fl. weniger 10 dn. und 10 fl. im Rest.]
[Seite 7 leer.]
Seite 8] Item waß ich han einge-
numen, daz zu dem paw gehört, daz
steet hernach geschriben:
Item am suntag vor sand Awgustin tag [=
27. August] gab mir Heintz von Aistet vnd Lorentz
Wagner für Kuntz Peken seligen, daz er an den
paw schik III gülden.
Item an vnßer frawen abend nativitatatis! [=
7. September] gab mir der Notzheimer geloken-
gießer, I gülden.
Item am suntag noch vnßer frawen tag nativi-
tatis [= 10. September] schiket dy Frewdenreichin
ein alden mandel; waß grin vnd vmbkert, der ward
geben vmb II gülden.
71) Von solchen Ausgabeposten seien des baugeschichtlichen Interesses
wegen verzeichnet:
Seite 3] Item von IV czinen lewchtern czu machen vom
8. czu V dn, dy wegen (wiegen) 1° LXXXVII 8. lawter, daz
zin waß sand Lorentzen vnd waß von der Orgeln vberbeliben,
macht XXX 8. XXII1/, dn.
Item ich han dy grosten geloken vnd dy tagmeß- vnd
vnßer frawn meß geloken alle drey loßen ab nemen vnd auch
dy wellen do von vnd dy zapfen, dy schilt vnd kegell alle von
newen anders smiden vnd schleyfen vnd czu stechein vnd für
etzlich schin eyßen vnd dem Maister sein Ion, macht alles XXVII gülden XXIIdn.
Item dem Maister Hansen, smid pey dem newen spital,
von ein klensel in dy großen geloken czu pessern vnd awch dy
tagmeß geloken XXIV 8.
Seite 5] Item von Etzlichen Patzern zu vernewen
Maistern Endres M 0 1 e r 7») III1/* 8.
Item für ein sail für daz krewtz vor dem kor czu der
lampen, daz hat LII klofftern, kost dy kloftern czu II dn., macht LIV dn.
7*) Entweder Andreas Eysenploser oder Andreas Preuß. Vgl. Repert. f. Kunstw.,
Bd. 29, S. 346 und Bd. 30, S. 27 und Nachtrag. Pacem ist ein Kußtäfelchen in
Form eines Kreuzes.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 29
Item Hans Ortollf der jung gab mir des Kilian,
seins knecht, vnd des Smidmair Tochther ir paides
Gotzpfenng II gülden.
Item Flok, lederer, gab mir am nechsten tag
dornoch II gülden.
Item Michel Grunther73) gab mir awf dem Rat-
haws am freytag noch Eraßmy [= 7. Juni (1448)]
datz der Heintz Rumei selig an den paw schickt, X gülden.
Item mer gab mir Michel Grunther am selben
tag, daz ym der Geir gab, I gülden.
Item Jakob Sagsch, Goltsmid, gab mir am
suntag Eraßmy [= 2. Juni] V gülden.
Item Dorot[e]a Murrlin vnd dy Helbling, der
Kathrein Morlin seligen furmund, gob mir am Mentag
noch Eraßmy [= 3. Juni] III gülden.
summa dytz foly macht
XXIX gülden.
Seite 9] Item Deocarus Hirßfogel74), Chunrad
Raier, seydeneter, vnd Fritz Part, formund des
Fritzen Alban, der Hirßfogels knecht waß, gaben
mir an sand Veytz abend [= 14. Juni] V gülden.
Item am freytag von sunbenden [= 21. Juni]
gab mir Maister Heinrich Gerung vnd her Heinrich
Streh, vicarier awf sand Kiliansalter, gaben mir für
hern Awgustin, ein ffemden prister, II gülden.
Item am samtztag vor sand Maria Magdalen
tag[= 20. Juli] gab mir Kuntz Onelspach pey Spitaler
tor für dy Rumelhensin XXV gülden.
Item vmb pos stein, dy do czu dem paw nicht
dochten, Ic vnd II % X dn.
Item von der Großen geloken ist gevallen LV75) gülden II
Item awf der taffein all feirtag vnd pey dem
heiltum VPLXXVI U XIP/z
dn.
Item awß den stocken allen in der kirchen vnd
awf dem kirchoff, Ic % XV1/^ dn:
73) Der Kirchenpfleger von St. Lorenz.
74) Aus dem ratsfähigen Geschlechte der Hirßvogel. Mit der Familie der Glasmaler
dieses Namens hat der Genannte nichts zu tun.
75) Korrigiert aus LXVII.
30
Albert Gümbel: Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus usw.
Item an sand Lorentzen tag [= io. August]
gevil pey dem heiltum vnd awff der taffein IFXLIII XII dn.
summa dytz foly macht
XF vnd XXIV U XX dn>)
vnd LXXXVII77) gülden.
summa totum meins ein nemen ist, datz dem paw czu gehört, macht
XIC vnd XXIV U XX dn.7«)
vnd FXVI79) gülden lantzwerung.
76) Korrigiert aus VIIFLXXXI <ö>. VIII dn.
77) Korrigiert aus LXXXXIX guld[en].
7«) Korrigiert aus VIIFLXXXI & vnd VIII dn.
79) XVI korr. aus XXVIII.
(Fortsetzung im nächsten Heft.)
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
Von Gustav Pauli.
Noch vor einem Menschenalter durfte Jakob Binck eine ziemlich
bedeutende Rolle in der deutschen Kunstgeschichte beanspruchen, da
er als vielseitiger Künstler, als Maler, Bildhauer, Innenarchitekt und
Kupferstecher eine weithin wirkende Tätigkeit im Norden Europas ent-
faltet zu haben schien. Seitdem hat indessen die fortschreitende kri-
tische Untersuchung sein Ansehen um ein wesentliches gemindert. Sein
größter Ruhmestitel wurde ihm genommen, als sich die Grabdenkmäler,
die er für die dänische Königsfamilie und für den Herzog Albrecht von
Preußen geschaffen haben sollte, als Werke des Cornelis Floris erwiesen,
bei denen Binck nur als Besteller beteiligt gewesen war. So blieben denn als
plastische Arbeiten von ihm nur einige Schaumünzen übrig und etwa
die Modelle für die Täfelung zweier Zimmer im herzoglichen Schlosse
zu Königsberg, von denen indessen nur das eine, das sogenante Geburts-
zimmer — und auch dieses zum Teil erneuert — auf unsere
Zeit gekommen ist. Binck zeigt sich hier als ein geschmackvoller Ver-
treter der in Nürnberg entwickelten Frührenaissance, die aus den Motiven
des Bildnismedaillons, des Blattgerankes, aus Pilastern und Säulen gar
zierliche Flächendekorationen zu bilden wußte.
Auch von seiner Tätigkeit als Maler ist nicht viel mehr übrig
geblieben, so daß ich hoffe, sie ungestraft mit Schweigen übergehen
zu dürfen, da mir die sieben Bildnisse, die Francis Beckett
als echt in den Schlössern Frederiksborg und Gaunö sowie bei
Herrn Dons anführt, nicht bekannt geworden sind. Dagegen ließe
sich über das graphische Werk des Meisters noch manches Neue
berichten. Leider ist der letzte Bearbeiter desselben, Eduard Aumüller,
in seinem 1893 erschienenen Verzeichnis so unkritisch verfahren, daß
er zum mindesten ebensoviel geschadet wie genützt hat — genützt durch
einige neue richtige Zuschreibungen, geschadet dadurch, daß er anderen
die Aufstellung eines gründlicheren Kataloges erschwert hat. Freilich
ist zuzugeben, daß der Gegenstand an sich nicht besonders anziehend
sei und daß er eben durch die Unselbständigkeit des Meisters verhältnis-
mäßig große Schwierigkeiten bereite. Die schmiegsame Natur Bincks
wußte sich den verschiedensten Vorbildern so sehr anzupassen, daß man
3 2
Gustav Pauli:
ihn oftmals schwerlich wiedererkennen würde, wofern er sich nicht mit
dem Monogramm ausdrücklich bezeichnet hätte.
Das Kupferstiohwerk, das Bartsch auf siebenundneunzig Nummern
bemessen hatte, ist bei Passavant auf hundertundvierzig angewachsen
und durch Aumüller auf hundertfünfundachtzig vermehrt. Wenn wir von
diesen acht als unecht oder doppelt beschrieben wieder abstreichen1),
so behalten wir hundertsiebenundsiebzig Blätter übrig. Dazu sind unter
den Nachträgen, die Max Lehrs für die neue Ausgabe von Merlos
»Kölnischen Künstlern« beigesteuert hat, zehn echte neue Blätter ge-
kommen. (Die übrigen sind auch bei Aumüfler verzeichnet.) Da nun
Lehrs und Aumüller unabhängig voneinander vorgegangen sind und da
andererseits Aumüller das bisher umfangreichste Verzeichnis von Bincks
graphischen Arbeiten aufge^tellt hat, so habe ich in den am Schlüsse
dieses Aufsatzes folgenden Nachträgen die bei Merlo allein verzeichneten
Blätter noch einmal aufnehmen zu müssen geglaubt. Durch die übrigen Zu-
weisungen wächst dieser Appendix auf im ganzen dreiundsiebzig Nummern
an, so daß man hiernach über zweihundertundvierzig Kupferstiche und
Radierungen dem Binck zuzuschreiben berechtigt wäre. Besonderen Dank
schulde ich dabei Herrn Campbell Dodgson in London, der auf meine
Bitte die Bestände des Kupferstichkabinetts im Britischen Museum einer
erneuten Durchsicht auf Binck hin unterzog und wertvolle Beiträge für
den Appendix beisteuerte. Ganz gewiß wird es der Spezialforschung
gelingen, den Umfang dieses Werkes noch weiter zu vergrößern. Da es
mir indessen in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird, die hierfür er-
forderlichen Studien zum Abschluß zu bringen, so bitte ich einstweilen
mit diesem Fragment als Beitrag für den künftigen Binckkatalog vorlieb
zu nehmen.
Nicht viele Aufschlüsse sind es, die uns das chalkographische Werk
Bincks über seinen Lebens- und Bildungsgang mitteilt, jedenfalls nur
wenige, die nicht bereits bekannt wären. Wir sehen es deutlich, daß er
in seiner Frühzeit maßgebenden Einfluß im Kreise der Nürnberger Klein-
meister, namentlich von den Brüdern Beham empfangen hat. Nicht
weniger als einunddreißigmal hat er sie in seinen Stichen der zwan-
ziger Jahre kopiert. Sodann hat Dürer einen nachhaltigen Eindruck auf
ihn gemacht. Er hat ihn sich elfmal zum Muster genommen, daneben
vereinzelt auch Schongauer, Baidung, den Meister P. W. und Altdorfer.
Zu Ende der zwanziger Jahre ist Binck jedenfalls in den Niederlanden
gewesen, da er 152g den Brüsseler Maler Lucas Gassei nach dem Leben
0 Die bei Aumüller zu streichenden Nummern sind: 36 (Al. Claesz), 43 (nicht
Binck), 59 (Barthel Beham), 96 (Kopie nach Binck), 97 (identisch mit 135), 129 (Barthel
Beham \ 156 (identisch mit 170), 184 (nicht Binck).
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
33
porträtierte und wahrscheinlich auch um dieselbe Zeit den damals in den
Niederlanden im Exil lebenden König Christian II. von Dänemark. Da-
mals mag es auch gewesen sein, daß Lucas van Leyden einen starken
Eindruck auf sein empfängliches Gemüt machte, und daß er durch Kup-
ferstiche mit den italienischen Meistern bekannt wurde, von denen er
einige im Geschmacke der niederländischen Manieristen kopierte. Auch
kann er das Radieren auf Kupfer, das in Deutschland damals noch nicht
üblich war, nur in den Niederlanden gelernt haben, wo es bereits 1520
Lucas van Leyden angewendet hatte. — Es heißt, daß er dann 1531 in den
Dienst des dänischen Königshauses getreten sei. Hermann Ehrenberg
hat darauf hingewiesen, daß dieses Datum nicht sicher beglaubigt wäre;
er plädiert dafür, daß Binck erst 1541 in Kopenhagen erschienen sei;
doch spricht dagegen ein bisher unbeschriebener Bildnisstich des Königs
Christian III., der das Datum 1535 trägt. (Nachtr. 47.) Da nun der Stich
des Augsburgers Joachim Hoexter das Datum 1532 trägt, so liegt die
Vermutung nahe, daß Binck zwischen jenen beiden Jahren nach Kopen-
hagen übergesiedelt sei. Fortan hat er durch die verschiedensten Ar-
beiten in Anspruch genommen, allem Anschein nach wenig mehr
gestochen. Immerhin aber hat er seine Tätigkeit auf der Kupferplatte
nicht gänzlich eingestellt. Eine bisher unbeschriebene Landschaftsradie-
rung, die alle Merkmale seiner Hand trägt, ist mit der Jahreszahl 1536
datiert. (Nachtr. 71.) Sie erlaubt den Rückschluß auf die Entstehungs-
zeit der wenigen übrigen Eisenradierungen Bincks, die durchaus gleichen
Charakters sind. Dabei bemerken wir, daß das Monogramm des Künstlers,
das scheinbar aus H B und C zusammengesetzt war, insofern eine Än-
derung erfahren hat, als der Querstrich des H weggelassen ist, so daß
es sich jetzt in J. B. C mühelos auflösen läßt (Jacob Binck Coloniensis),
welche Deutung übrigens schon Nagler gegeben hat. Alle mit diesem
Monogramm versehenen Stiche möchten wir der späteren Zeit Bincks
zuweisen. Unter ihnen ist namentlich eine Gruppe von wahrscheinlich
sechzehn Landsknechtfiguren beachtenswert, von der Bartsch nur drei
Blatt (Nr. 68, 69, 71) beschrieben hat. Schließlich sind als bemerkens-
werte Hauptwerke der späteren Zeit Bincks die beiden großen Holz-
schnitte anzuführen, die er auf ausdrückliches Geheiß des Königs
Christian III. für dessen Kopenhagener Bibelausgabe des Jahres 1550
in den Niederlanden anfertigte.
Das Übrige, das zu Bincks Kupferstichwerk zu sagen wäre, lasse ich in der
Form von Randglossen zu Aumüllers Verzeichnis dem Appendix voraufgehen.
A. 5. (Wessely Suppl. 6.) Kain und Abel. Es gibt zwei Zustände.
I. Ohne Monogramm, mit dem Datum 1526 in einem Täfelchen
links unten. Bremen. Wien, Alb.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
3
34
Gustav Pauli:
II. Mit dem Monogramm unter der Jahreszahl. Dresden K. K.,
Wien, Albert.
A. 6 (P. 98). Die zwei Söhne Noahs. Der Stich ist monogrammiert.
Das Monogramm steht ganz klein im Spiegelsinne unten rechts
zwischen den Gräsern.
A. 7 (B. 4). Loth und seine Töchter 70:54 PI. 51 Dm. der Einf.
A. 8 (B. 5). David und Goliath. Die gegenseitige Kopie trägt oben
links ein Täfelchen mit dem Monogramm Bincks und der Jahres-
zahl 1526.
Die Plattengröße ist gleich der des Originals. Berlin, Bremen,
Wien, Albert. Singer Katal. v. Lanna Nr. 1535.
A. 17 (B. 14. Merlo Nachtr. 18). Der Heiland. Die Maße betragen
186: 127 Einf. Basel, Köln, Wallr. Richartz-Mus.
A. 30 (B. 19). Hl. Jungfrau auf der Rasen bank.
II. Vollkommen, bis zur Unkenntlichkeit von fremder Hand auf-
gestochen. Ganz oben links und rechts über der Krone in den Strahlen
die Buchstaben: t i. Berlin.
A. 31 (B. 20). Hl. Jungfrau thronend. Originalseitige Kopie.
In der Mitte unten: Jan Tiel excv. — Unter der Einfassungslinie:
Virgo concepisti et peperisti filium cuius nomen emanuel. — Drei
Einfassungslinien. 138 : 102 PI. 132 : 99. Innere Einf. Bremen.
Nagler Mon. III. Nr. 775. 6.
A. 36. Hl. Jungfrau in einer Landschaft. Wie schon Lehrs
bemerkt, von Al. Claesz.
A. 40 (P. 109a). Hl. Jungfrau, von einem Engel gekrönt. Mono-
gramm und Jahreszahl rechts (nicht links).
I. vor der Jahreszahl 1526. Wien, Albertina.
II. Mit derselben. Bremen, Frankfurt a. M., Zürich.
A. 43. Hl. Jungfrau mit dem Kinde (nach Dürer B. 42). Das Blatt
ist nicht von Binck. Ein Abdruck des ersten Zustandes erschien
in der Auktion Gutekunst Nr. LIV. Stuttgart 1900 Nr. 44.
A. 46 (B. 21). Hl. Antonius. Gegenseitige unbeschriebene Kopie von
Alaert Claesz, dessen Monogramm oben rechts steht. 76 : 52 Bl.
B rem en.
A. 47. Hl. Christoph. Monogramm und Datum 1526 (nicht 1536)
in einer Tafel oben rechts.
A. 51. (P. in. Andresen in Naumanns Archiv XIV. 50. Nr. 172.) —
Johannes Ev. und Magdalena. Johannes, der den Kelch segnet,
steht rechts; Magdalena mit dem Salbengefäß links. Die Ranken,
zwischen welchen oben in der Mitte das Schild schwebt mit dem
Monogramm und einem aus einer Lilie bestehenden Wappenbilde,
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
35
ruhen links und rechts auf Konsolen, welche mit Kindergestalten
verziert sind. 108 : 75 PI. London.
A. 56 (P. 1x2). Die hl. Peter, Paul und Veronika. Die Einf. mißt
148 : 101. Slg. Lanna. Singer Kat. Nr. 1590.
A. 58 (B. 25). Hl. Magdalena. Ein Abdruck des ersten Zustandes vor
der Jahreszahl in Paris, E. v. Rothschild.
A. 59 (P. 114). Das Blatt stammt von Barthel Beham (v. Seidlitz
in Meyers Künstlerlex. 12) und stellt nicht Magdalena sondern
Barbara vor. — Abdrücke in Bremen, London, Wien
Hofbibi.
A. 81 (B. 48). Venus. Wie -schon von Passavant bemerkt, der obere Teil
- O
einer Dolchscheide. 166: — PI. Vollständige Abdrücke derselben
2 1
in Bremen, Frankfurt a. M., Dresden F. A. II. Rom, Corsini,
Wolfegg, Fürst v. Waldburg.
A. 83 (P. IV p. 283, 200). Mucius Scaevola. Er steht von vorn ge-
sehen barhaupt in einer Säulenhalle und legt die Linke in ein Feuer-
becken. Den linken Fuß stützt er auf eine Stufe. Unbezeichnet.
42 Dm. der PI. Bremen, Hamburg, Slg. Lanna. (Nicht bei
Singer). Das Vorbild des Stiches ist eine ovale Plakette, von der
sich ein Bronzeabguß im Kaiser-Friedrich -Museum zu Berlin be-
findet.
A. 84 Nicht Ar te misia, sondern Magdalena. Die Figur ist original-
seitig frei nach Alaert Claesz. Aumüller 85 kopiert. Rund 41
Dm. der PI. 40 Dm. der Einf. Berlin, Bremen, Dresden F.
A. II. Slg. Lanna. (Singer Nr. 6769.)
A. 93 (B. 56). Der Altar. Maße falsch angegeben. 70: 54 PI. 52 Dm.
der Einf. Bremen, Zürich. Slg. v. Lanna (Singer Nr. 1557).
A. 93. Gegenseitige Kopie ohne Monogramm 51 Dm. d. PI. Bremen.
Sammlung Lanna (Singer Nr. 1558).
A. 95 (B. 58). Der Waldteufel und die Hexe.
I. Mit der Jahreszahl. Bremen, Zürich.
II. Mit ausgeschliffener Jahreszahl, deren Spuren noch sichtbar
sind. Bremen.
A. 95. Gegenseitige Kopie. Oben links eine weiße Tafel 70 : 53. PI.
Berlin.
A 96. Nacktes Weib mit fünf Tieren ist eine Kopie nach A. 61
(B. 127).
A. 102, Zwei Genien mit einem Hunde. Ist eine gegenseitige
Kopie nach dem anonymen Stich B. X. p. 14 1. 4, den Rosenberg
unter Nr. 58 dem Barthel Beham zuschreibt.
3'
36
Gustav Pauli:
A. 108 (B. 70). Der Eierverkäufer. Ist eine Kopie nach Sebald
Beham, Pauli 192. Aumüller kehrt das Verhältnis um.
A. in. Das Blatt, das mit der zweiten Monogrammform bezeichnet ist,
gehört zu den späten Arbeiten Bincks. Passavants Zweifel an seiner
Echtheit sind unbegründet.
Originalseitige Kopie. Ohne Monogramm. 85:87 Bl. — London.
Gegenseitige Kopie. Ohne Monogramm. 84:93 Bl. — London.
A. 114 (B. 64). Es gibt eine gegenseitige Kopie ohne Monogramm.
55: 39 PI. London, Wolfegg. — B. X. p. 149. 14.
A. 117 (B. 67). Außer den angeführten beiden gibt es eine dritte gegen-
seitige rohe Kopie. Oben links eine Tafel mit dem Datum 1531
im Spiegelsinne. 68 : 50 PI. Berlin.
A. 118 (B. 68). Der Hellebardier. Dieses Blatt bildet mit den Num-
mern 11 9. 120. 125. 126. 127. 128 sowie mit den im Nachtrag
folgenden Nummern 34—42 eine Folge von sechzehn Blatt, die nach
der Tracht der Dargestellten um 1555 entstanden sein dürfte. An-
scheinend ist die Folge hiermit abgeschlossen, da von Franz Brun
eine Reihe von sechzehn gegenseitigen Kopien hiernach existiert,
die sämtlich monogrammiert und 1559 datiert sind. Die Kopien
sind in jeder Richtung etwa einen Millimeter größer als die durch-
schnittlich 72 : 48 messenden Originale. Abdrücke der Kopien in
Donaueschingen und Wolfegg.
A. 129 (B. X. p. 147. 11). Der nach vorn geneigte Landsknecht
am Baumstamm. Dieses Blatt dürfte vielmehr von Barth el Beham
herrühren (Maße 47:25 Einf.).
A. 131. (Wessely, Suppl. 11.) Vom Rücken gesehener Soldat.
Ist eine gegenseitige Kopie nach Barthel Beham (B. X. p. 147.
10) Slg. Lanna (Singer Nr. 1601).
A. 132 (B. X. p. 148. 13). Reitender Fähnrich und Landsknecht.
Es gibt eine gegenseitige Kopie vom Monogrammisten W. 60 : 41 PI.
(B. IX. p. 53. 1) Wien, Albert.
A. 133. Fähnrich, Trommler und Pfeifer (66 : 41 PI.). Ist nicht
sowohl nach Sebald Beham als nach Barthel Beham B. 50 kopiert.
I. Vor der Jahreszahl. Berlin. Wolfegg.
II. Mit der Jahreszahl 1526 (nicht 1521) rechts oben. Das
Monogramm links oben.
A. 135. Soldat und Dirne ist identisch mit A. 97
A. 136. Bildnis des Königs Franzi. Das. originalseitig mit dem
Stiche übereinstimmende Vorbild ist ein großer Holzschnitt, der
oben rechts das französische Lilienwappen trägt. 335 : 265 Einf.
Berlin. Reproduktion Hirth Kulturgesch. Bilderbuch II. Nr. 698.
Jacob Binck und seine Kupferstiche.
37
Die Kopien nach diesem und dem folgenden Blatte (A. 137) sind
originalseitig und messen 34 : 25 PI.
A. 138 (B. 91). König Christian II. von Dänemark. Es braucht
nicht angenommen zu werden, daß dieser Stich im Jahre 1525 aus-
geführt sei, wenngleich die Möglichkeit offen bleiben mag. Er ist
nämlich eine gegenseitige Kopie nach einem augenscheinlich sehr
seltenen vortrefflichen anonymen Holzschnitt. Der Holzschnitt, der
das Brustbild des Königs nach rechts gewendet zeigt, trägt auf der
Brüstung das Datum 1525 ohne Monogramm. Darunter die In-
schrift: Christi ernus. 2. Danorum Rex. Die drei Wappenschilder
bezeichnen Schweden, Dänemark und Norwegen. Durchweg ist die
künstlerische Qualität dieses Holzschnittes, den wir nicht Binck zu-
schreiben dürfen, dem Kupferstiche überlegen. 125:87 Einf. Ein
Abdruck auf Pergament im Städelschen Institut in Frankfurt.
Die von Bartsch und Aumüller angeführte Kopie nach B. 91 ist in
Wahrheit gleichfalls nach diesem Holzschnitt ausgeführt, was sich
schon daraus ergibt, daß sie in einigen Stücken, beispielsweise in
der Schattierung des Baretts, an Augen und Mund, den Holzschnitt
mit besserem Verständnis wiedergibt, als Bincks Stich. 149 : 92 PI.
Ein Abdruck im Germanischen Museum.
A. 14 1. Reinneir V. H. Die gegenseitige Kopie trägt Bincks Mono-
gramm. 67:67 Einf. Berlin.
A. 143. Angeblich es Selbstbildnis Bincks. Eine dritte gegenseitige
Kopie trägt oben die Inschrift: RESPICE FINEM. Links oben: J V M.
114 : 76. Berlin, Bremen. (P. III. 6. 174). — Hiernach ist original-
seitig eine weitere Holzschnittkopie mit der Inschrift Respice finem
hergestellt. 217 : 146. — Frankfurt a. M. Stadtbibi. (In den Band
Bibi. Germ. Cath. 202 Ingolstadt 1537 eingeklebt.)
A. 145 (P. 137). Dies Bildnis stellt, wie schon die Unterschrift sagt,
Christian II. (nicht Christian III.) dar und ist augenscheinlich in den
Niederlanden, wahrscheinlich zu derselben Zeit, wie das Bildnis des
Lucas Gassei, um 1529 entstanden. Die Anregung hierzu mag viel-
leicht die große Radierung Lucas van Leydens nach Kaiser Maxi-
milian abgegeben haben.
A. 147. Joachim Hoecstter. Monogramm und Jahreszahl 1532 stehen
links, die Buchstaben H X C rechts. Die von Passavant ungenau
wiedergegebene Inschrift lautet:
Quos • cernis . vultus • sculpsit • germanus • Apelles.
Et • rare • expressit . nobilitatis • opus.
Qualis • enim • nüc • est • Joachim • Hoecstter • imago.
Vindelice • Auguste • cuus [ =civis =] hoc • aere • refert.
3«
Gustav Pauli:
128 : 108 PI. 98 : 102 Bildgr. * — Gegenseitige Kopie mit dem Mono-
gramm Sebald Behams links oben. In der Unterschrift an Stelle des
Namens Joachim Hoecstter »Sebalden Behems «. 124:107. Bremen.
A. 148 (B. X. p. 166. 1. P. IV. p. 269. Weigel K. L. Kat. 22122). Der
Dargestellte ist Kaiser Karl V. Berlin, Wien, Albert. Slg. Lanna.
(Singer Nr. 1602.)
A. 151 (B. 80). Querfüllung; ist eine gegenseitige Kopie nach Barthel
Beham Rosenberg 76.
A. 152 (B. 81). Querfüllung; ist eine gegenseitige Kopie nach Barthel
Beham B. 59.
A. 154 (B. 83). Querfüllung; ist eine gegenseitige Kopie nach Barthel
Beham Rosenberg 69.
A. 156. Hochfüllung ist identisch mit A. 170 (P. 128).
A. 162. Querfüllung. Genauer zu beschreiben: Ein geflügelter nackter
Knabe geht mit ausgebreiteten Armen nach rechts. In beiden
Händen hält er ornamentale Delphine, deren Köpfe ihm zugewendet
sind, an ihren Schwänzen. Hinter den Füßen des Knabens wächst
Blattwerk hervor. Unten links das Monogramm. 24:53 PI. Berlin,
Bremen.
A. 169 (P. 127). Hochfüllung gleich B. X. p. 142. 6. Von Passavant
an anderer Stelle mit Unrecht dem Barthel Beham (73) zuge-
schrieben.
A. 170 (P. 128). Hoch füll ung siehe A. 156.
A. 171. Hochfüllung. Die Maße falsch angegeben. 61 : 38 PI.
52:32 Einf. — Merlo Nachtr. 17.
A. 172 ist originalseitig kopiert nach B. Beham P. 76.
A. 177 (P. 134). Querfüliung. Die von Aumülier notierte Kopie mit
dem Datum 1525 ist vermutlich das Original und zwar von Barthel
Beham (Passavant 7 5 a).
A. 179 (P. 136). Querfüllung. Die Beschreibung muß lauten: Eine
weibliche Halbfigur (nicht ein Satyr) mit langen und spitzen Ohren
hält mit beiden Händen die Ranken, in die ihr Körper verläuft.
In der Mitte unten auf einer Tafel das Monogramm. Der Hinter-
grund ist mit zwei Strichlagen schraffiert. 26:55 PI. London, Paris,
E. v. Rothschild.
A. i8x (B. 88). Dolchscheide. Der obere Teil des Stiches ist iden-
tisch mit Passavant 126a.
A. 182 und 183. Landschaften. (B. 97 und P. 140) stehen so sehr
unter dem Einfluß Altdorferscher Landschaftsradierungen, daß
die Vermutung naheliegt, Binck habe verschollene Originale Alt-
dorfers kopiert, oder Zeichnungen der Altdorferschule.
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
39
Nachtrag.
1. Adam. Er steht nach rechts gewendet vor dem Baum. In der
Linken erhebt er den Apfel, in der Rechten hält er einen Zweig,
mit dem er die Scham bedeckt. Oben rechts an einem Zweig auf
einem Täfelchen das Monogram im Spiegelsinne. Unten links: 1526
61 : 42 PI. Gegenstück zu A. 3. B. 3. Berlin, Dresden F. A. II.
Hamburg. Kl. Oels, Graf York. Paris, E. v. Rothschild, Stuttgart.
Heinecken II 714. (Wessely Suppl. 5. Merlo Nachtr. 3.)
2. Kain und Abel. Abel stürzt vornüber zu Boden. Kain steht hinter
ihm und pakt ihn mit der Linkem am Schopfe, während er die
Rechte mit einer dicken Keule erhebt. Hinten links zwei aufflam-
mende Garben auf einem vierkantigen Opfersteine. Ohne Mono-
gramm. Rund 42 Durchmesser der PI. Bremen, Dresden F. A. II.
(B. X. p. 123. 1. Merlo Nachtr. 6.)
3. Simson, der mit antiker Rüstung und einem Mantel bekleidet ist,
beugt sich nach links über den Löwen, dem er mit beiden Händen
das Maul auseinanderreißt. Ohne Monogramm. Rund 42 Dm. der
PI. Paris, E. v. Rothschild.
4. Judith. Sie schaut nach links, indem sie nach rechts geht, und
hält das Schwert in der Rechten, den Kopf des Holofernes in der
Linken. Hinten rechts zwei Zelte. Ohne Monogramm. Rund 42 Dm.
der PI. Bremen, Sammlung Lanna (Singer Nr. 6687) P. IV p. 270.
138. Auktion Amsler u. Ruthardt XXVI Nr. 722.
5. Esther. Die reichgekleidete Königin steht mit einem Federhut auf
dem Kopfe leicht nach links gewendet von vorn gesehen ein Szepter
in der Linken haltend. Hinten rechts ein Baumstamm. Ohne
Monogramm. Rund 42 Dm. der PI.
I. Wie beschrieben. Berlin.
II. Über dem Kopf: Hester. Paris, E. v. Rothschild. Dieses
Blatt, das mit Nr. 2, 3 und 4 zusammenzustellen ist, wurde dem Barthel
Beham zugeschricben von Passavant 68 b, Rosenberg 54» Aumüller
62, Seidlitz in Meyers Künstlerlex. 97.
6. Ecce Homo. Der Heiland erscheint in einer Fensteröffnung im
Brustbild von vorn gesehen, dornengekrönt im Mantel mit überein-
andergelegten gefesselten Armen. In der Rechten hält er das Rohr.
Im Unterrande: ECCE HOMO und das Monogramm. 105 : 80 PI.
London. — Andresen in Naumanns Archiv XIV. p. 21. 64.
7. Der Schmerzensmann. Der Heiland erscheint von vorn gesehen
im Brustbild mit dem Mantel bekleidet. In den Armen hält er
Kreuz und Martersäule. Das dornengekrönte Flaupt ist auf die rechte
Schulter geneigt. Über seinem Haupt eine Bandrolle mit der In-
4o
Gustav Pauli:
schrift: Aspice. q. träsis . . . Rechts oben Bincks Monogramm.
92:66 PI. London. — Andresen a. a. O. 7. 22.
8. Marien leben. In der Mitte: Anbetung der drei Könige, darüber
Maria mit dem Christkind im mandelförmigen Nimbus von zwei
Engeln gekrönt. An der linken Seite untereinander: Anbetung des
Christkindes durch die Eltern und Engel (rund) — Heimsuchung Mariä
(rund) — Verkündigung Mariä (rund) — Katharina in einem Buche le-
send die Linke aufs Schwert gestützt. An der rechten Seite untereinander:
Christus erscheint der betenden Maria (rund) — Ausgießung des heiligen
Geistes (rund) — Himmelfahrt Mariä (rund) — die heilige Barbara. Im
Mittelbilde oben das Monogramm. 162 : 110 PI. Paris, E. v.
Rothschild.
9. Maria auf der Mondsichel. Genaue originalseitige Kopie nach
Dürer B. 32. Unten links das Monogramm, ohne Jahreszahl. 115 : 74. PI.
Berlin, Bremen.
10. Maria auf der Mondsichel. Maria mit einer Krone auf dem
Haupt, über der sieben Sterne schweben, steht auf der Mondsichel,
um die sich eine Schlange windet. In der Rechten hält sie ein
Szepter, im linken Arm das Christkind. Sie ist ganz von einem
Strahlennimbus umgeben. Unten links das Monogramm. Unten
rechts: 1526. 73 : 46 PI. Berlin, Charlottenburg, Beuth-Schinkel-
Museum.
11. Maria auf der Mondsichel. Originalseitige Kopie nach Schongauer
B. 28, unter Hinzufügung von zwei Engeln, die über ihr eine Krone
halten, über der sieben Sterne schweben. Unten links das Monogramm.
185: 129 PI. Dresden K. K.
12. Der hl. Trudo. Der heilige Abt sitzt auf einem Stuhl unter
einem reich verzierten auf vier Säulen ruhenden Architrav. Er hält
in der Rechten eine Palme, in der Linken das Modell einer Kirche.
Ohne Monogramm. 77 : 65 PI. London. — Andresen. a. a. O. 46.
158.
13. Apoll und Daphne. Daphne steht links von vorn gesehen mit
erhobenenen Armen. Ihre rechte Hand verläuft in Geäst, ihre
Füße in Wurzeln. Apoll erfaßt sie mit der Rechten an der linken
Schulter. Den Bogen hält er in der Linken. Das Gesicht im
Linksprofil. Unbezeichnet. 68:46. Oxford.
14. Urteil des Paris. Originalseitige Kopie nach Barthel Beham.
B. 26. Ohne Jahreszahl. Mit einer Strichlage über der Venus.
Ohne Monogramm. 69 : 55 PI. Rund 52 Dm. der Einf. Dresden
F. A. II. Karlsruhe, London, Paris, E. v. Rothschild, Wien,
Albert, und Hofb. Wolfegg.
Jakob Binck und seine Kupferstiche. 41
15. Cimon und Pero. Gegenseitige Kopie nach H. S. Beham. Pauli
77. Rechts oberhalb Cimons das Monogramm. Rund, zwei Ein-
fassungslinien 36 Dm. d. äußersten Einf. Nürnberg.
16. Lucretia. Halbfigur. Sie stößt sich mit der Rechten den Dolch
in die Brust. Ihr Haupt ist nach links zurück gewendet. Mit der
Linken hält sie ihr Gewand. Oben rechts auf einem Zettel das
Monogramm. 62 '.44 PI. Dresden, F. A. II Merlo Nachtr. 7. — Pauli,
Inkunabeln der Radirg. XIV.
17. Lucretia. Sie sitzt nackt von vorn gesehen auf einer Steinbank
und stößt sich mit der Linken das Schwert in die Brust. Ihr Haupt
ist nach links gewendet. Hinten Gebäude mit einem Hofe. Ohne
Monogramm. 55 : 40 PI. London, B. X. p. 13 1. 2.
18. Satyrweibchen bei einer Priapherme. Radierung auf Kupfer.
Ein Satyrweibchen steht nach links gewendet neben einer Priapherme,
deren einziges Horn sie mit der Linken ergreift. Ohne Monogramm
149 : 110 PI. Bremen, Dresden, F. A. II, Slg. v. Lanna (Singer
Nr. 1323) B. XIV. 284 — P. VI. p. 28. Anm. — Unter S. Beham
bei: A. 131. — S. 292 — Pauli (apokryphe) 1373 und Inkunabeln
der Radirg. XVII.
19. Dekoratives Rundbild. Ein halbnacktes Weib sitzt am Fuße
eines Baumstammes. Im rechten Arm hält es ein Knäblein, das
sich mit einem Apfel in der Hand nach links wendet. Mit der
Linken greift das Weib nach Früchten, die ihm ein rechts stehender
Krieger auf einer Schale darbietet. Unbezeichnet. 41 Dm. der PI.
40 Dm. der Einf. Bremen, Dresden, v. Hägens, Oxford,
Sammlung Lanna (Singer Nr. 6662) B. X. p. 144. 3. Kat. Amsler
u. Ruthardt XXVI 1888 Nr. 720 mit Reproduktion.
Freie originalseitige Kopie der Gruppe des Weibes mit dem
Kinde. Statt des Krieges hier ein nackter Mann. — Vom Mono-
grammisten HSE. — 41 Dm. der Einf. Dresden K. K.
20. Dekoratives Rundbild. Gegenseitige Wiederholung der oben
beschriebenen Gruppe des Weibes mit dem Kinde, ohne den Krieger.
Das Weib greift nach den Blättern einer großblumigen Pflanze.
Unbezeichnet. 31 Dm. der PI. Berlin, Bremen, Dresden K. K.
Frankfurt a. M. Kat. Amsler und Ruthardt XXVI Nr. 74 mit Re-
produktion.
21. Delphinreiter. Gegenseitige Kopie nach Barthel Beham B. 33.
Unbezeichnet. 51 : 32 PI. 43 : 26 Einf. Oxford, Wien, Hofb.
W o 1 f e g g.
22. Delphin reite r. Gegenseitige Kopie nach Barthel Beham B. 34.
Unbezeichnet. 51 133 PI. 44 : 26 Einf. Dresden K. K. Wolfegg.
42
Gustav Pauli:
23. Zug von Meergöttern. Auf einem Seepferd, das statt der Vorder-
beine Voluten hat, die aus Blattwerk hervorwachsen, reitet ein
nackter Mann mit gezücktem Schwert. Links zwei andere Reiter,
von denen der erstere eine Keule in der Rechten hält. Rechts ein
Dritter, der einen Schild in der Linken hält und mit der Rechten
den Arm des Weibes ergreift. Ganz hinten rechts ein Seepferd.
Unbezeichnet. 40 : 100 PI. Bremen, Dresden K. K. und F. A. II.
Sammlung v. Lanna Singer Nr. 6656, B. X. p. 134 Nr. 5.
24. Triton und Nereide. Gegenseitige Kopie nach Barthel Beham
B. 23. Oben links das Monogramm Bincks. 17:40 p!. Bremen.
25. Triton und Nereide. Gegenseitige Kopie nach Barthel Beham
B. 22. Links von der Mitte oben das Monogramm Bincks. 19:48 Pl.
Bremen, Wien Hofbibi.
26. Rundbild. Ein Weib, das mit einem hemdartigen Gewände be-
kleidet ist, steht von vorn gesehen, das Haupt nach rechts gewendet
und hält in den Armen einen Fuchs, der nach rechts schaut. Ohne
Monogramm. 38 Dm. der Einf. Dresden F. A. II. Hamburg.
Sammlung Lanna (Singer Nr. 6770).
27. Der Narr und das Mädchen. Er steht links, sie rechts, indem
sie einander unzüchtig berühren. Oben links Tafel mit dem Mono-
gramm. 58 : 39 Pl. Paris, E. v. Rothschild.
Gegenseitige Kopie dieses Blattes. Oben rechts eine leere Tafel,
die oben mit zwei Strichlagen bestochen ist. 67 : 48 Pl. Wolfegg.
Dem Barthel Beham zugeschrieben von Bartsch 48. Rosenberg 52.
Aumüller 61. Seidlitz 57.
28. Der sich ankl eid en de Mann. Radierung auf Eisen. Ein nackter
vollbärtiger Mann, der einen Weinlaubkranz im Haar trägt, sitzt nach
rechts gewendet auf einem Felsblock und zieht sich ein Beinkleid über
das linke Bein. Oben rechts auf dem Felsen das Monogramm.
Kopie nach Michelangelo-Marc Anton B. 472. 125 : 17 1 Pl. Bremen.
— Pauli, Inkunabeln der Radirg. XVII.
29. Knäbchen als Fahnenträger. Ohne Mon. 29:25 p!. Berlin.
B. X. p. 140. 1.
30. Knäbchen als Trommler. Ohne Mon. 29:25 Pl. Berlin B.
X. p. 141. 2.
31. Knäbchen als Pfeifer. Ohne Mon. 29 : 25 Pl. Berlin, Bremen.
B. X. p. 141. 3.
32. Knäbchen als Hellebardier. Das Kind marschiert nach rechts,
eine Hellebarde über der linken Schulter, einen kurzen Säbel an der
rechten Seite. Ohne Monogramm. 28 : 25 Pl. Bremen.
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
43
33. Knäbchen mit Steckenpferd. Ohne Monogramm. Das Knäb-
chen marschiert nach rechts und hält in der Rechten einen Lanzen-
schaft, in der Linken ein Steckenpferd. 39:26 Bl. Bremen.
34. Eierverkäufer (Gegenstück zum folgenden). Ein Bauer steht von
vorn gesehen. Er stützt sich mit der Rechten auf einen langen
Stab und hält in der Linken einen mit Eiern gefüllten Korb. Oben
rechts Zettel mit dem Monogramm. 55:35 p!. Bremen. Dresden.
F. A. II und K. K. Nagler Mon. III Nr. 775. 15. Merlo Nachtr. 9.
35. Marktbäuerin (Gegenstück zum vorigen). Gegenseitige Kopie
nach H. S. Beham. Pauli 194. I. 55 : 35 PI. Dresden K. K. und
F. A. II. Wien, Hofb. Merlo Nachtr. 8.
36. Ein Fähnrich. Er steht von vorn gesehen und schaut nach links,
trägt einen Federhut und hält die Fahne über der linken Schulter.
Unbezeichnet. 73 : 43 PI. Katalog Amsler und Ruthardt LI Nr. 1393
mit Reproduktion.
37 — 45. Folge von neun Blatt mit Darstellungen von Offizieren und Lands-
knechten. Ergänzung zu Aumüller 118 (B. 68), 119 (B. 69), 120 (B. 71),
125 (P. 1 2 1), 126 (P. 122) 127 (P. 123), 128 (P. 241). Alle sind mit der
späten Form des Monogramms bezeichnet und messen 70—74 : 47—48.
37. Der vollbärtige Landsknecht steht voll vorn gesehen, die
Lanze in der Rechten und schaut nach rechts. Unten rechts Tafel
mit dem Monogramm. 72 : 48 PI. Charlottenburg, Beuth-Schinkel-
Museum. Darmstadt. Paris, E. v. Rothschild. Weigel K. L.
Kat. 10 134. Nagler Mon. III. Nr. 775. 18.
38. Ein Landsknecht. Der vollbärtige Landsknecht geht nach rechts.
Die Lanze über der linken Schulter haltend, das Schwert in der
Rechten. Am Boden zwischen seinen Füßen das Monogramm.
72 148 PI. Charl Ottenburg, Beuth-Schinkel-Museum. Darmstadt,
Paris, E. v. Rothschild.
39. Ein Landsknecht. Der vollbärtige Landsknecht, der eine Mütze
und Pluderhosen trägt, geht nach rechts. Über der linken Schulter
hält er eine große Axt, im rechten Arm ein Schwert. Unten rechts
Tafel mit dem Monogramm. 72:48p!. Charlottenburg, Beuth-
Schinkel-Museum. Darmstadt.
40. Ein Landsknecht. Er wandert von hinten gesehen nach links.
Über der linken Schulter trägt er eine große Büchse, im linken Arm
hält er das Schwert. Auf dem Rücken hängt ihm die Pulverflasche.
Unten rechts Tafel mit Monogramm. 72 148 PI. Charlottenburg,
Beuth-Schinkel-Museum. Darmstadt, Wien, Albert.
41. Ein Trommler. Der schnurrbärtige Trommler geht nach rechts.
Er trägt einen hohen Hut, der mit Hahnenfedern besteckt ist. An
44
Gustav Pauli:
seiner Rechten hängt die große Trommel; in jeder Hand hält er
einen Schlägel. Unten rechts Tafel mit dem Monogramm. 72:48 PI.
Bremen, Charlottenburg, Beuth-Schinkel-Museum. Darmstadt,
Wien, Albert.
42. Ein Ritter. Der geharnischte vollbärtige Ritter, der Straußen-
federn am Helm trägt, wandert nach rechts. Mit der Linken stützt
er sich auf seine Lanze, unter dem rechten Arm hält er das Schwert.
Unten links Tafel mit dem Monogramm. 74:47 PI. Charlotten-
burg, Beuth-Schinkel-Museum. Darmstadt.
43. Ein Hellebardier. Der vollbärtige Hellebardier steht von vorn
gesehen und trägt ein Strauß feder- Barett. Er stützt sich mit der
Rechten auf die umgekehrte Hellebarde, die Linke ruht hinter
seinem Rücken. An seiner Rechten hängt das Schwert. Unten
rechts das Monogramm. 72 : 47 PI. Charlottenburg, Beuth-
Schinkel-Museum. Darmstadt, Wien, Albert.
44. Ein Feldhauptmann. Der vollbärtige Hauptmann, der sehr
lange Pluderhosen trägt, geht nach rechts. In der Linken hält er
einen Kommandostab, den er in die Hüfte stemmt, mit der Rechten
erfaßt er den Griff seines Schwertes. Er trägt einen kurzen Mantel
und hohe Mütze. Unten rechts Tafel mit dem Monogramm.
72 : 48 PI. Charlottenburg, Beuth-Schinkel-Museum. Darmstadt.
45. Ein schnurrbärtiger Landsknecht, der eine hohe mit zwei
Hahnenfedern besteckte Mütze trägt, wandert nach rechts. Über der
linken Schulter hält er den Schaft seiner Lanze, unter dem rechten
Arm das Schwert. Das linke Bein ist mit einer langen geschlitzten
Pluderhose bekleidet, das rechte am Oberschenkel mit einer knapp
anschließenden Hose. Rechts unten auf einer Tafel das Monogramm.
72 : 48 PI. Charlottenburg, Beuth-Schinkel-Museum. Darmstadt,
Wien Alb.
Gegenseitige Kopien der ganzen Folge von sechzehn Blatt
von Franz Brun. Sämtlich bezeichnet mit dessen Monogramm
und 1559 datiert. Annähernd Masse der Originale. Donaueschingen,
W o 1 f e g g.
46. Bildnis Kaiser Karls V. Der bartlose Kopf ist nach rechts
gewendet. Er trägt eine Mütze und über einem Pelzrock die Kette
des Goldenen Vließes. Unter dem Bilde: Carolus Caesar. Oben
links das Monogramm. 35 : 28 Einf. Berlin, Dresden F. A. II.
Paris, E. v. Rothschild. Nagler, Mon. III, 775. 27. Merlo Nachtr. 5.
47. Bildnis des Königs Christian III. von Dänemark. Brustbild.
Der vollbärtige Kopf ist halb nach rechts gewendet. Der König
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
45
trägt ein Barett und einen Pelzrock. Oben links das Wappen von
Schleswig, oben rechts das Wappen von Holstein. Unten:
Effigies • Illustriss • Pricipis • Christiani • Haeredis
Norvaegiae • Slesvici • Holsaciae • Stormariae • Ducis &
Comitis • in • Aldenburg • et • Delmenhorst • ad • vivam
Eius • Imaginem • exarata • anno ■ aetatis •
Svae • XXXII • Imperii • vero • III
A • Christo • nato • M •
D ■ XXXV •
In • Domino • aethereo • semper • spes • fixa • manebit •
Res • aliae • valeant • hic • mihi • Turis • erit.
181 : 128 PI. Berlin, Dresden K. K. Hamburg.
48. Bildnis eines Juden. Der glattrasierte Kopf mit langen Haaren,
der die spitze Judenmütze trägt, blickt mit leicht geöffnetem Munde
nach rechts. Unten rechts neben dem Halse das Monogramm.
Der Hintergrund schraffiert. 34 : 31 PI. Bremen.
49. Querfüllung. Auf dunklem schraffiertem Grunde verlaufen gelappte
Blattranken von rechts nach links. Unten rechts das Monogramm.
13:89 p!. Charlottenburg, Beuth-Schinkel-Museum.
50. Querfüllung. Eine weibliche geflügelte Halbfigur hält an ihren
Schwänzen zwei nach außen gewendete hahnenartige Vögel. Von
links beleuchtet. Ohne Monogramm. 20 : 52 PI. Gegenseitige
Kopie nach Barthel Beham P. 75b. Bremen, Wien, Hofb.
51. Querfüllung. Ein Adler schreitet mit geöffneten Flügeln nach
rechts. Rechts und links neben ihm ein gefllügelter Genius, der
eine große Ranke hält. Von links beleuchtet. Ohne Monogramm.
20 : 53 PI. Gegenseitige Kopie nach B. Beham Anm. 89. Bremen.
52. Querfüllung. Triton und Nereide, die in Blattwerk verlaufen,
blasen, nach außen gewendet, auf kurzen Hörnern. Zwischen ihren
Schwänzen eine Maske. Unbezeichnet. 21 : 52 PI. Originalseitige
Kopie nach B. Beham. Seidlitz 80. Dresden F. A. II. Frenzei. Kat.
Einsiedel Dresden 1833. II Nr. 190a.
53. Querfüllung. Zwei Delphine, deren heraufgebogene Schwänze von
einem Reif zusammengehalten werden, wenden ihre Köpfe einem
geflügelten Engelsköpfchen zu, das in der Mitte unten steht. Hinter-
grund schraffiert. Ohne Monogramm. 20 : 53 PI. Wien, Hofb.
54. Querfüllung. Ein nacktes Knäblein reitet auf einem Delphin nach
rechts, ein paar Fische in der Linken, eine Keule in der Rechten
haltend. Der Delphin ist mit Blattwerk geschmückt. Der Hinter-
grund wagrecht schraffiert. Ohne Monogramm. 22:43 p!. Paris,
E. v. Rothschild. Kat. Reynard Pays 1846 Nr. 424.
46
Gustav Pauli :
55. Querfüllung. In der Mitte steht eine kleine Deckelvase. Links
und rechts davon je ein geflügelter Putto, dessen Leib in einen
Fischschwanz verläuft und der in der Hand eine kleine Keule hält,
während er mit der andern Hand sein Schwanzende ergreift. Unten
links das Monogramm. 2 2 : 5 1 PI. Dresd en F.A. II. Merlo Nachtr. 16.
56. Querfüllung. Zwei Putten reiten nach außen gewendet auf
Ranken, die in der Mitte durch einen Reifen verbunden sind. In
der einen Hand hält jeder eine Keule. Unbezeichnet. 23 : 50 PI.
Dresden F. A. II. Merlo Nachtr. 10.
57. Querfüllung. Eine weibliche Halbfigur erscheint von vorn ge-
sehen auf schraffiertem Grunde. Mit beiden Händen erfaßt sie die
Ranken, in die ihr Körper verläuft. Ihr Kopf schaut nach links.
Unten links das Monogramm. 24 : 52 PI. Bremen.
58. Querfüllung. Eine männliche Figur mit Blattwerk an Stelle von
Bart und Haar mit großen schneckenförmig gewundenen Ranken
statt der Arme und mit Blattwerk statt der Unterschenkel erscheint
von vorn gesehen auf schraffiertem Grunde. Rechts neben der
Brust das Monogramm. 24:51 PI. Bremen.
59. Querfüllung. Ein geflügelter Genius über den Schweifen zweier
chimärischer Fische, die durch einen Ring verbunden sind. Links
unten das Monogramm. 25 : 52 PI. oder Einf.? Nagler Mon. III.
775. 23. Wessely Suppl. 14.
60. Querfüllung. Ein Mann, dessen Beine in Delphine verlaufen, hält
mit beiden Händen ihre Schwänze. Monogramm rechts oben.
24 : 55 PI. oder Einf.? Nagler Mon. III. 775. 25. Wessely Suppl. 13.
61. Querfüllung. Die Halbfigur eines Tri tonen hält zwei Delphine.
Links das Monogramm. 27 : 54 PI. oder Einf.? Frenzei Kat. v.
Einsiedel Dresden 1833 II. Nr. 190 a.
62. Querfüllung. Ein Fries von zwölf Kindern, die nach rechts mit
gefällten Speeren einem Bären entgegenziehen. Sie haben drei
Hunde bei sich. Eins der Kinder reitet zu Pferde. Der Bär ist
nur zur Hälfte sichtbar. 27 : 108 PI. Kat. Gutekunst Stuttgart 1889,
Nr. 86.
63. Querfüllung. In der Mitte ein nackter Mann nach rechts ge-
wendet mit Rankenleib. Er legt die Linke auf einen Schild, die
Rechte auf einen Blumenkelch. Ohne Monogramm. 36 : 125 PI.
Dresden F. A. II. Merlo Nachtr. 14.
64. Hochfüllung. Ein Knäblein setzt, nach links gewendet, seinen
Fuß auf den Kopf eines Delphins, den er mit der Rechten an der
blattartigen Verlängerung der Schnauze festhält. Auf dem Schwänze
Jakob Binck und seine Kupferstiche.
47
des Delphins steht eine Ente, die nach dem Knäblein schnappt. Ohne
Monogramm. 33 : 26 PI. Oxford.
65. Hochfüllung. Eine gekrönte weibliche Halbfigur mit Blattwerk
statt der Arme, deren Leib in zwei Fischschwänze verläuft, über
denen drei Voluten liegen. Unbezeichnet. 34:26 PI. Dresden
F. A. II. Merlo Nachtr. 11.
66. Hoch füll ung. Eine weibliche Halbfigur mit zwei Fischschwänzen,
deren Enden sie in den Händen hält. Der Hintergrund ist mit zwei
Strichlagen schraffiert. Oben rechts das Monogramm. 34:27 PI.
Bremen. Paris, E. v. Rothschild.
67. Hochfüllung. In der Mitte ein Satyrtorso von zwei stehenden
Putten gehalten. Oben links und rechts Füllhörner und darauf
Schwäne. Oben links das Monogramm. (Kopie nach Barthel
B eh am P. 78 a.) 51 : 36 PI. Dresden F. A. II. Merlo Nachtr. 15.
68. Hochfüllung. Ein Vasengebilde, an dessen Fuß zwei Masken mit
Rankenwerk angebracht sind. In der Mitte eine Maske. Oben ein
Mann, der auf zwei Trompeten bläst. Ganz unten in der Mitte
das Monogramm. 93 : 24 PI. Brüssel, Herzog von Arenberg.
69. Hochfüllung (Dolchscheide.) In einem Rankenaufbau kommen
übereinander zwei flache Schalen und oben eine Vase vor. Von
20
links beleuchtet. 150: — PI. (Gegenseitige Kopie nach einer un-
beschriebenen Hochfüllung von Barthel Beham, der seinerseits eine
Füllung des Mantegna auf Bartsch 14 rechts frei kopiert hatte.)
Dresden F. A. II. Karlsruhe.
70. Hochfüllung (Dolchscheide). Oben zwei weibliche Halbfiguren
neben einer Vase einander zugewendet. Unten zwei Löwenfüße. Von
. 20 . .
links beleuchtet. Ohne Monogramm. 150 : — PI. Gegenseitige
Kopie nach einer unbeschriebenen Hochfüllung Barthel Behams, von
der sich Abdrücke in Karlsruhe, in Rom (Corsiniana) und in der
Wiener Hofbibliothek befinden. Dresden F. A. II. Karlsruhe.
71. Landschaft. An einem Flusse links am Fuße eines Berges eine
ausgedehnte Bastion. Oberhalb derselben vereinzelte Bauten. Am
Ende dei Bastion inmitten des Bildes ein viereckiger Turm, der mit
einem kleineren ähnlichen, der rechts ins Wasser gebaut ist, durch
eine Brücke von zwei Bogen verbunden ist. Am Himmel rechts
von der Mitte das Datum 1536 (die 3 verkehrt). Ohne Monogramm.
120 : 93 PI. Dresden F. A. II. — Pauli, Inkunabeln der Radirg. XV.
72 und 73. Zwei Holzschnitte für die dänische Bibel von 1550.
Sie bilden die einzigen Illustrationen, die Binck für diese Bibel bei-
48
Gustav Pauli: Jakob Binck und seine Kupferstiche.
gesteuert hat und wurden von ihm auf dringendes Erfordern König
Christians III. in den Niederlanden gezeichnet, um der im übrigen
offenbar bereits fertig gedruckten Bibel nebst Titel, Vorrede und
Übersichtstafel des alten Testaments sowie dem Holzschnitt des
Paradieses nachträglich vorgeheftet zu werden.
72. König Christian III. Er steht von vorn gesehen in Halbfigur
ein wenig nach rechts gewendet mit Federbarett und Pelzschaube,
in der behandschuhten Rechten den anderen Handschuh haltend,
in der Linken eine kleine Schriftrolle. Vor ihm in Form einer
Brüstung eine Tafel mit folgender Inschrift: Christian met Guds
naade, den tredie, Danmarks, j Norgis, Wendis oc Göttis, Könning.
Hertug i Sleswig, / Holsten, Stormarn, oc Dytmerschen. Greffue J
i Oldenburg, oc Delmenhorst. 278 : 192 Einf. Nagler III. Nr. 775.
279 mit einigen Druckfehlern. — P. IV. 97.
73. Das Wappen von Dänemark. Das Wappen mit der Königs-
krone steht in einem reichen Kartuschenrahmen, der durchaus im
Stile des Cornelis Floris gehalten ist. An beiden Seiten steht im
Rahmenwerk ein nackter vollbärtiger Mann. Unter dem Wappen
auf einer Tafel die Inschrift: Insignia Christi / ani tertii dano- / rum
Regis etc. j anno M • D • L . j Weiter unten auf dem Rahmen: Vnica j
spes mea j Christus / C'RD‘ Oben rechts das Monogramm.
Links: 1550. 276:192 Einf. Ein Abdruck der seltenen Bibel in
der Universitätsbibliothek zu Göttingen.
Zur Ikonographie der Ölbergdarstellung.
Deutung einer Figur im Ölberg Christian Wenzingers im
Museum der Stadt Frankfurt a. M.
Von Gustav Münzel.
In dem von mir besprochenen1) Ölberg Christian Wenzingers aus
Staufen vom Jahre 1745 finden sich zwei Figuren, die aus der typischen
Form der Ölbergdarstellung herausfallen. Während die eine davon auf
Grund der Vergleichung als Selbstporträt des Meisters bestimmt werden
konnte, bedarf die Deutung der anderen, einer weiblichen Gestalt, einer
eingehenderen Untersuchung2).
So groß wie die größten Figuren des Ölbergs, die schlafenden
Apostel, hatte sie ihren Platz vorn auf der linken Seite der Szene. Sie
ist als eine Zuschauerin der Vorgänge im Ölgarten gedacht, denen sie
in großer Ergriffenheit folgt. An ein Felsstück gelehnt, das linke Knie
darauf gestützt, den rechten Fuß auf dem Boden steht sie da. Die
rechte Hand preßt ein Tuch an die Wange, der linke Arm ist klagend
in die Höhe gerichtet, die abgebrochenen Teile der linken Hand, Daumen
und Zeigefinger, waren, wie man noch erkennen kann, ausgestreckt, die drei
anderen Finger sind geschlossen. Die Kleidung, ein hemdartiges Unter-
gewand und ein in starken Falten bewegter Überwurf, lassen Arme und
Beine sowie einen Teil der wenig entwickelten Brust völlig frei. Aus
dem jugendlich schönen Gesicht, wie aus der Haltung der ganzen Gestalt
spricht leidenschaftliche Klage. Alles, die verwirrten Haare, die erregt
bewegten Glieder, die heftigen Falten der Gewandung müssen dazu dienen,
den Eindruck des Schmerzes zu verstärken.
Die Erklärung dieser höchst lebendigen und eindrucksvollen Gestalt
ist nicht ohne weiteres gegeben, da mehrere Möglichkeiten dafür in
Betracht kommen. In den biblischen Erzählungen findet sich für sie
kein Anhalt, von der Teilnahme einer Frau an der Ölbergszene ist nirgendwo
die Rede. Nur eine Möglichkeit gäbe es, diese Figur aus der biblischen
Erzählung zu erklären, wenn man sich der Meinung anschließt, die bei
*) Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 1908 I. S. 35 ff.
2) Abbildung dieser Figur a. a. O. S. 47.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
4
5°
Gustav Münzel:
dieser Figur mit Rücksicht auf die wenig entwickelte Brust geäußert
worden ist, daß es sich gar nicht um eine Frauengestalt, sondern um
einen mädchenhaft zart gebildeten Jüngling handle. Dann hätten wir
es mit jenem Jüngling zu tun, von dem Mark. 14, 50 berichtet wird, und
der sich z. B. bei Dürer in der Kupferstich-Passion (B. 5) und in der
großen Holzschnitt-Passion (B. 7) bei der Gefangennahme Christi im
Hintergründe findet. Im mittelalterlichen geistlichen Schauspiel tritt er
unter den verschiedensten Namen auf, u. a. als der blinde Marcellus.
Aber diese Annahme ist nach der ganzen Bildung, Kleidung der
Figur und ihrer Geste völlig ausgeschlossen.
Auch die weitere Vermutung, daß die Figur wegen der unaus-
gebildeten Brust ein geschlechtlos aufgefaßter Engel sei, ist unhaltbar.
Wäre sie richtig, dann hätten wir in diesem Ölberg zwei Engel vor uns,
was an sich nicht unmöglich ist, da uns dies in der Barockplastik nicht
selten begegnet. So findet sich diese ikonographische Eigenart an einem
darum interessanten Ölberg in dem Freiburg benachbarten Kenzingen,
der ungefähr der gleichen Zeit angehört wie der Wenzingers 3).
Dort tritt zu den üblichen Personen noch ein zweiter Engel hinzu,
der hinter Christus stehend ihn in seinem Seelenkampfe unterstützt,
ähnlich wie auf dem Ölbergrelief in den Passionsszenen von T. Boudin
an dem Chor der Kathedrale zu Chartres von 1611, wo der Herr von
zwei Engeln gehalten wird 4). Unsere Figur aber kann kein Engel sein,
denn, ganz abgesehen von der dazu nicht passenden Stellung, fehlt ihr
das wichtigste Attribut, die Flügel. Übrigens hat Wenzinger Engelfiguren
mit ganz ausgebildeter Brust, so z. B. den Posaunenengel auf dem Denk-
mal des Generals von Rodt im Münster zu Freiburg 5).
Nun bliebe noch die Möglichkeit, daß die Figur eine allegorische
Darstellung sei, etwa eine Verkörperung der Trauer der Christenheit beim
Anblick des seelischen Leidens Christi und des Verrates des Judas, wie
dies dem Geiste des 18. Jahrhunderts sehr wohl entspräche. Und in der
Tat handelt es sich auch um eine solche, allein es ist nicht die Dar-
stellung einer allegorischen Abstraktion, sondern die Verkörperung alle-
gorisch-symbolischer Beziehungen, die sich im Laufe der Zeit an einen
bestimmten historischen Namen angeschlossen haben. Für diese Ver-
3) Erwähnt bei Kraus, Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden Bd. 6. I. Abt.
1904 S. 166, doch ohne Hervorhebung des zweiten Engels.
*) Ltibke, Geschichte der Plastik 1863 S. 687.
5) Abbildungen dieses Denkmals bei Schäfer, Christian Wenzinger. Zeitschrift
Schau - ins - Land 19. Jahrg. 1893. S. 31. — D ehio und W in ter, Kunstgeschichte in
Bildern, Leipzig 1900, Abt. 5 Tafel 82. — Kuhn, Allgem. Kunstgeschichte, Einsiedeln
Bd. 2. Geschichte der Plastik, Einschaltbild zu S. 760.
Zur Ikonographie der Ölbergdarstellung.
51
Wendung einer historischen Persönlichkeit sollen im folgenden die Unter-
lagen gegeben werden.
Die Passionsdarstellungen der bildenden Kunst sind häufig über
den biblischen Rahmen hinausgegangen, sei es, daß biblische Andeutungen
erweitert wurden, sei es, daß ganz neue Personen Aufnahme fanden.
Diese Neuerungen flössen aus den verschiedensten Quellen. Eine Hauptquelle
dafür ist das Passionsspiel. Hierher gehören die Übernahme von Genre-
szenen, wie das Zimmern des Kreuzes durch die Zimmerleute, das Schmieden
der Nägel, das Binden der Ruten, ebenso die Ausbildung der Procla-
szenen und vieles andere mehr6 7).
Auch die Ölbergszene hat dadurch eine Erweiterung erfahren. Zwei
Miniaturen Fouquets zeigen eine alte Frau, die die Soldaten in den Öl-
garten führt und die Nägel des Kreuzes schmiedet. Wie Male nach-
gewiesen hat, kommt diese Alte, die im Schauspiel Hedroit heißt, in den
Mysterienszenen vor, woher sie Fouquet in seine Darstellungen über-
nahm?).
Eine fernere Quelle sind die theologisch-mystischen Betrachtungen,
die entweder direkt oder durch Vermittelung des geistlichen Schauspiels
in die bildende Kunst gelangten. Von Bedeutung dafür sind z. B. die
Meditationen Bonaventuras über das Leben Christi geworden8 9). Und auf
derartige mystisch-theologische Spekulationen geht es auch wohl zurück,
daß Fra Angelico in S. Marco auf der Darstellung der Ölbergszene die
beiden heiligen Frauen Maria und Martha in ihrer Zelle die Vorgänge
im Garten Gethsemane betend miterleben läßt9).
Mit diesen Quellen hat die Anwesenheit unserer Figur in der Öl-
bergdarstellung Wenzingers nichts zu tun, sie kam vielmehr aus einem
dritten Gebiet, der Legende. Auf Grund der Identifikation der Maria
Magdalena mit der Sünderin bei Lukas, die Christus die Füße salbte, und
mit der Maria von Bethanien, sowie des Berichts von der Gefolgschaft,
6) Male, Le renouvellement de l’art par les »Mysteres« a la fin du moyen äge.
Gazette des Beaux - Arts. Paris 1904. S. 290 ff. — Tscheuschner, Die deutsche
Passionsbühne und die deutsche Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts in ihren Wechsel-
beziehungen. Repertorium für Kunstwissenschaft XXVII, XXVIII 1904 — 05 S. 442,
wo auch noch andere unerklärte Erweiterungen angeführt sind, wie z. B. die alte Frau
bei Hannas auf Dürers kleiner Passion und ähnlich der Mann bei Schongauer (B. 1 1).
7) Comptes rendus de l’Academie des Inscriptions et Beiles - Lettres, Paris 1903.
Bulletin de Juillet-Aoüt S. 330. — Male, a. a. O. S. 292.
8) Vergl. darüber die erwähnte Arbeit von Male S. 96 ff.
9) Detzel, Christi. Ikonographie, I. Band Freiburg i. B. 1894, S. 350 ff. — Kraus,
Geschichte der Christlichen Kunst, 2. Bd. I. Abth. Mittelalter, Freiburg i. B. 1897, S
301 — 2. — Sauer, Kunstgeschichtliche Literaturbesprechungen, Literarische Rundschau,
1907 Nr. 9 S. 37.
4’
52
Gustav Mtinzel:
die Maria Magdalena dem Herrn leistete (Luk. 8, i — 3) baute die Legende
weiter. Sie erzählte, daß Maria Magdalena voll Reue über ihre Sünden
und aus dankbarer Liebe für deren Verzeihung sich fast immer in un-
mittelbarer Nähe Christi aufgehalten habe, und ein Teil der Legenden-
erzähler nahm auch ihre Anwesenheit bei dem Verrat im Ölgarten an10).
Die betreffenden Stellen aus einigen dieser Lebensbeschreibungen
seien hier angeführt. Hrabanus Maurus sagt in seiner vita B. Mariae
Magdalenae11): — — Secuta est incontinenti [...], Salvatoris proditio
et passio. Prodiit eum per osculum, unus ex suis apostolis, in horto
trans torrentem Cedron, cohorti et ministris pontificum, quos conduxerat,
cum laternis et facibus et armis. Cumque vinctus abduceretur, discipuli
ejus, relicto eo, omnes fugerunt (Matth. XXVI, 56). Mariae vero Mag-
dalenae devotio non defecit. Tune pelli suae consumptis carnibus adhaesit
os Salvatoris (Job. XIX, 20), quia Juda prodente, Petro negante, et fu-
gientibus decem apostolis: Mariam Magdalenam, juxta se, semper invenit
fortitudo Redemptoris. Quis exprimat dolorem cordis ejus, et mentis
amaritudinem? aestuabant praecordia ejus, dum cerneret dilectum suum,
osculo tradi, catenis vinciri, et ad pontificis Annae palatium abduci. —
Weiter sei erwähnt der sermo de S. Maria Magdalena des Abtes
Odo von Cluny12).
Quid vero ex hujuscemodi dilectionis professione consecuta sit;
ipse Dominus manifestat, qui Symoni indignanti cur ad se mulierem
I0) Als Beispiel für die abweichende Fassung der Legende, die die Anwesenheit
der Maria Magdalena im Ölgarten nicht annimmt, diene eine Stelle aus dem Speculum
Poenilentiae des Conventualen F: Augustinus Hoffman | Constantz 1597 j, von dem auch
die Verschiedenheit der »Betrachtungsweisen« hervorgehoben wird. S. 74 das 32. Capitel:
» Wie der Mutter deß Herren | Marthae un Magdalenae vom Joanne trawrige Bottschaft
kompt wie der Herr am Oelberg von den Juden gefangen j und jämmerlich gebunden
seye. Christus ist gefangen. Sobaldt nun unser lieber Herr und Seligmacher am
Oelberg gefangen ] gebunden | und in Annas Hauß geführt worden | und der H. Joannes
vermerckt hett j dz er auch in Caiphas Hauß solte geführt werden | schreiben etliche
Betrachtungsweiß | er seye auß der Statt gen Bethanien zu der Mutter deß Herre j zu
Marthen un Magdalena gange. — Joannes bringt trawrige Bottschaft vö Christo. Als
er nun an de Hauß Marthae anklopffet | ward er alsbald von jnen erkent un eingelassen
(dan wenig schlaffs dieselbige nacht sie überfallen hett) mit vermelden wie jr lieber
Herr un Meister jämerlich gefangen were. «
") B- Rabani Mauri Opera omnia, tom. VI. Patrologia latina ed. Migne 1852.
De vita Beatae Mariae Magdalenae et sororis ejus sanctae Marthae. Cap. XX 1461 — 62.
I2) Dieser sermo Odos, des Begründers der Kongregation von Cluny und Wieder-
herstellers des Klosters Fleury im xo. Jahrhundert, ist abgedruckt: Acta Sanctorum Julii.
Tomus quintus (Antuerpiae 1727). Dies vigesima secunda Julii : De S. Maria Magdalena
(Joh. B. Sollerius). Sermo de S. Maria Magdalena auctore Odone abbate Floriacensi et
Cluniacensi S. 218. Abschn. 172. —
Zur Ikonographie der Ölbergdarstellung.
53
peccatricem permitteret accedere, conversus ad illum respondit inter
cetera; Amen dico tibi, dimissa sunt ei peccata multa, quia dilexit
multum. zuae Domini adepta clementiam, ut Lucas describit, illico,
posthabitis omnibus, ita familiaris effecta est, ut ipsum non solum mente,
sed et corpore sequeretur, de propriis facultatibus, utpote valde locuples,
victum et vestitum ei ministrans; implens bifarie dominicum praeceptum
dicentis: Qui mihi ministrat, me sequatur. Und ferner daraus der
Abschnitt Constantia fideiI3): — : — Sed his breviter praelibatis, ad
ipsius fidei constantiam atque ferventissimae dilectionis ardorem, nec non
et quod in passione Domini specialiter ac familiariter peregerit; cunctis
admirandum imo magis imitandum mortalibus, perveniendum est. Nam
haec sancta Mulier Dominum secuta, sicut jam praefati sumus, et de
suis largissimis facultatibus illi devotissime ministrans; postquam vidit
eum comprehensum, ligatum, flagellatum omnibusque subsannationibus
et irrisionibus delusum, ad ultimum pro salute generis humani in cruce
positum; discipulos etiam qui prius dicebant; Eamus et nos, et moriamur
cum ipso, terga vertisse: ipsa cum eo remansit, quia quae arctius et
ferventius eum dilexerat, nec a mortuo potuit separari. Et sic impletum
est tempore dominicae passionis, quod olim per beatum Job dictum
fuerat; Pelli meae, consumptis carnibus, adhaesit os meum, et derelicta
sunt tantummodo labia circa dentes meos. Quasi enim consumptis
carnibus pellis ossi adhaeret, quando discipulis fugientibus, beata Maria
Magdalena cum Domino perseveravit. Et tamdiu permansit quousque
diversis conditum aromatibus in sepulchro collocari prospexit. —
Aus der Reihe der Späteren, die im allgemeinen betonen, daß die
Heilige Jesus im Leben wie im Tode nicht verließ, sei Stengelius^) er-
wähnt: — Maria igitur Magdalena, ut non deseruerat Jesum in vita,
quocunque iret sequens ac ministrans ei: ita nec in morte deseruit, nam
amor fecit, quod Dominum ad mortem usque comitata sit, . . .
Diese Anführungen mögen genügen I5).
Die angegebenen Stellen betonen entweder im allgemeinen die An-
wesenheit der Maria Magdalena bei dem Leben und Sterben Christi
oder heben ihre Gegenwart im Garten Gethsemane bei dem Verrate des
r3) A. a. O. S. 220. Abschn. 179.
*4) Carolus Stengelius, S. Mariae Magdalenae vitae historia commentario illustrata.
Aug. Vind. 1622. Cap. XVII. S. 239.
>5) Und diese Auffassung der Legende läßt sich noch bis in das 19. Jahrhundert
hinein verfolgen, was eine Stelle aus Cacheux, Panegyrique de Sainte Marie-Madeleine
(Sainte Marie - aux - Mines 1849) S. 12 zeigen mag: — Que dirai-je du devouement
de votre sainte patronne? Si les apotres abandonnerent leur divin maitre qu’ils n’avaient
ni la force ni le courage de delivrer, Madeleine voulut assister a toutes les scenes de
cette sanglante tragedie, dont le Souvenir nous arrache des larmes. —
54
Gustav Mtinzel: Zur Ikonographie der Ölbergdarstellung.
Judas noch besonders hervor. Das sind die Stellen, die die Veranlassung
zur Aufnahme der Maria Magdalena in die Ölbergszene gaben, als welche
die hier behandelte Figur anzusehen ist. Wenn man dieser selteneren
Fassung der Legende folgte, so hatte dies wohl hauptsächlich seinen
Grund in den symbolisch -allegorischen Vorstellungen, die sich mit der
Maria Magdalena verbanden. So schreibt der erwähnte Odo1^): Mystice
autem haec beatissima Mulier sanctam designat Ecclesiam. Und weiter^):
Bene etiam M. Magdalena dicitur: Magdalus vero interpretatur turris,
et significat Ecclesiam. — Auch wurde sie als ein Bild des zum Glauben
bekehrten Heidentums aufgefaßt, und damit zugleich als Typus der
christlichen Kirche, die nur aus getauften Heiden bestand18).
Diese Fülle von allegorischen Beziehungen, die sich mit der Maria
Magdalena verband, machte es unnötig, zu einer abstrakten Allegorie zu
greifen, man konnte die allegorische Vorstellung mit einem historischen
Namen verknüpfen.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß der Band der Acta mit dem
sermo Odos im Jahre 1727 erschien, während der Ölberg 1745 errichtet
wurde; darum ist es sehr wohl möglich, daß gerade diese Lebensbeschreibung
die Veranlassung zu der Aufnahme der Maria Magdalena in den Ölberg
wurde. Der beauftragende Pfarrer von Staufen konnte darauf aufmerksam
geworden sein durch die Zugehörigkeit seiner Pfarrei zu der Abtei St.
Blasien, die mit den Bollandisten in solchen Beziehungen stand, daß
diese später sogar die Fortsetzung der Acta dorthin verlegen wollten^).
l6) Acta Sanctorum a. a. O. S. 219 Abt. 173 und ähnlich S. 220.
*7) a. a. O. S. 219. Abt. 175.
l8) Über die allegorische Auslegung vergl. weiter Clarus, Geschichte des Lebens,
der Reliquien und des Kultus der heiligen Geschwister Magdalena, Martha und Lazarus
und der übrigen Heiligen, welche das Christentum zuerst in Frankreich verkündigt haben.
Regensburg 1852, S. 103 ff.
*9) Wetzer und Weltes Kirchenlexikon, II. Auflage, Freiburg 1883, II. Band.
Artikel »Boiland« von A. Schmid. Sp. 989.
/
Falsificazioni didocumenti per lastoria dell’arte romana1)*
Von Giacomo de Nicola.
Le varie ragioni che mi avevano indotto a ritardare 1’ estensione
di queste note cadono, oggi che di alcuni degli stessi fatti cui esse note
si riferiscono hanno dovuto parlare il Venturi2 3 4 5) e il Brunelli3). E’tempo
che mostri il fondamento dell’accusa di falso da me rivolta a tutto
un gruppo di documenti sulla storia dell’arte romana editi dal Giordani,
e che ne assuma pubblicamente la responsabilitä.
Dovevo, Testate scorsa, corredare di note dei documenti, di prossima
pubblicazione, tratti dalT archivio di san Giovanni in Laterano, e, fra
essi, uno che riguardava T orafo Nardo Corbolini. Nardo Corbolini era
da poco salito al grado di scultore, e tra i piü insigni scultori del suo
tempo a Roma, giacch£ un nuovo documento gli dava gran parte nei
rilievi del tabernacolo di Sisto IV 4). Era naturale che di questo
documento io dovessi tenere molto conto; ma, sospettando che fosse stato
male trascritto, volli riscontrarlo nelToriginale.
La cosa non era difficile, data le precisione del seguente passo
che lo conteneva5): »Il Grimaldi (cod. Barber. XXXIV, 50 a c. 160) fa
precedere il disegno ricostruttivo dell’opera [il tabernacolo di Sisto IV]
da un cenno esplicativo, riportandosi al codice Vaticano »Summa super
titulis decretalium edita ab Archiepiscopo Ebrudunense« e di 1 k trae
alcune notizie, riguardanti il cardinale Giovanni Mellini, incaricato da
Sisto IV alla cura della costruzione (Cod. Vat. 1518 ac. 27 »MCCCCLXXX
die XVII mensis Maii. Hane summam legavit ho: mei Joannes de Mellinis
>) Cfr. Georg Gronau, Gefälschte Künstlerdokumente (in Monatshefte für Kunstw.
I, Heft 7/8, S. 673 u. f.).
») Storia dell’arte italiana, Vol. VI, p. 1121, nota 1, 1130, nota 2 e 1138 nota 1.
3) Jacopo d’ Andrea scultore fiorentino del sec. XV (nelT »Arte« 1908, fase. V
p. 373—377)-
A non mettere piü indugio a questa pubblicazione mi ha indotto anche il fatto
che altri, non sospettando di nulla, va accogliendo per buoni i documenti: per es., lo
Steinmann nell’ ultima edizione del suo Rom in der Renaissance (1908, p. 55).
4) Paolo Giordani, Studii sulla scultura romana del quattrocento (nell’ »Arte«
1907, fase. IV, p. 273).
5) art. cit. dell’ »Arte« a p. 273. Per maggiore chiarezza ho dovuto porre le
due note nel testo, tra parentesi, al posto dei loro richiami.
56
Giacomo de Nicola:
ecc. ecc. «). Riconfrontato il cenno del Grimaldi al codice, scoprimmo
in margine al medesimo il nome degli artisti, che furono all’ uopo salariati.
Vi si dice. » extant in testamento (Johannis de Millinis) solutiones ad
Nardum Corbolinum de Urbe sculpt. mg. ros Franciscum de Anconia et
Raynaldum de Bonomia, Nicolaum Ciumare marmorarios, Benedictum
pictorem, qui opus fabrefecere. «
Ma nel codice vaticano 1518, un elegante codice in pergamena
del quattrocento, Poriirio sta tranquillamente chiosando le odi di Orazio,
e n£ a carta 27, ne in alcun’ altra carta, vi £, per un caso, la nota
marginale indicata.
Pensai allora che fosse errato il numero del codice. Fortunatamente,
il Giordani stesso indicava come rettificarlo, rimandando al Grimaldi, sua
prima fonte. E, difatti, il Grimaldi (c. 159b) cita la »Summa super
titulis decretalium ecc.«, e di cui riporta tutto il brano dato dal Giordani
in nota (»MCCCCLXXX die XVII mensis Maii« ecc.), come libro
»Bibliotecae Basilicae S. Petri«. Non restava, dunque, che andare
all’ archivio della Basilica di San Pietro per trovare il codice. E li,
sotto la segnatura 22. A., fu trovata la »Summa de Titulis Decretalium
edita ab Archiepiscopo Ebrudiensi «, una delle solite Summae Decretalium
bolognesi del trecento, e nell’ ultima carta, sul rovescio, il passo riferito
dal Grimaldi* 6 7) (»MCCCCLXXX die XVII mensis maii. Hane summam «
ecc.), ma in nessun margine di nessuna carta quello che premeva di
trovarvi, cioe 1’ »extant in testamento ecc.«. Dunque esiste il codice
della Summa, ma non esiste nel codice la nota di pagamento agli
artefici del tabernacolo: il falso £ evidente.
E’tanto evidente che credo superflua la riprova che potrebbe dare
il testamento del cardinale Giovanni Mellini. Ma io ho voluto tentarla,
senza successo, pero, non essendo riuscito a trovare quel testamento nel
suo luogo naturale, quäle e per gli arcipreti della basilica vaticana (e
tale fu il Mellini) l’archivio della stessa basilica, nel cui catalogo
manoscritto (»Index scripturarum ecc.«) l’elenco dei testamenti ivi
conservati e’ nelle carte 300 — 303 b del primo volume.
Il Corbolini £ tornato orafo. Ma anche come orafo lo stesso articolo
dell’ »Arte« presume di accrescerne l'importanza, giacch£ produce
documenti secondo i quali Nardo restaurö la statua di Marc’ Aurelio7)
e 1’ angiolo di Castel Sant’ Angelo8). Perö quei documenti furono giä
editi dal Müntz in Les a,rts ecc. III p. 176 e p. 242, rispettivamente.
6) E dal Grimaldi passö con parecchie inesatezze nel Müntz (Les arts ece. III.
p. 149— 150).
7) p. 274, nota 1.
®) p. 274, nota 2.
Falsificazioni di documenti per la storia dell’arte romana.
57
E nello stesso Müntz9) erano giä parecchi anni prima gli altri due
documenti inediti riportati a pag. 275, nota 1 e 2.
In quell’ articolo non ci sono altri documenti, ma ne £ pieno un
articolo dello stesso Giordani che lo precede10).
Sarebbero anche questi dello stesso genere? Nella ragionevolezza
del sospetto, avvalorato da altri indizi, mi posi a rintracciarli, uno per
uno; ed ecco con quäle risultato.
II primo che si presenta* 11) £ ben importante: nel 1484 Paolo
romano (dunque un terzo Paolo romano, ch£ il secondo era certo morto
prima del 1473) ha fatto col suo discepolo Gian Cristoforo il sepolcro
di Pietro Mellini a Santa Maria del Popolo. L’ istrumento 6 detto
all’ archivio del Sancta Sanctorum, in data del 24 sett. 1484.
L’ archivio giä al Sancta Sanctorum £ oggi, come ognuno sa,
all’ Archivio di Stato. Nel protocollo V degl’ istrumenti del Sancta
Sanctorum si contengono »Instromenti dalli 3 Luglio 1483 a tutto li 26
Luglio 1492. Giorg. Albini de Ca [stiglioni] «. E’questo il volume dove
dovremmo trovare 1’ atto. Si noti che il volume fu cosi formato dal
quatirocento, che £ munito, in fondo, di un repertorio pure del tempo,
e che, come ne accerta anche la numerazione originaria continua, non
ha mancante neppure una carta.
Eppure n£ lo spoglio attento del repertorio, nd della rubricella
alfabetica aggiunta in principio sotto Clemente XI, n£ di ogni singolo
atto, pot£ fare rin venire l’istrumento del 24 settembre 1484, o, nell’ ipotesi
di una data errata, un istrumento riferibile alla tomba del Mellini e ai
suoi artefici.
Piü grave constatazione risultö dall’ esame del secondo documento
del Sancta Sanctorum, quello, in data 14 novembre 1485, che assegna
il sepolcro di Marco Antonio Albertoni di S. Maria del Popolo a Gian
Cristoforo e a un Nicola per cessione loro fatta da Paolo romano12).
In questa parte delle mie ricerche ebbi a compagno il dott. Enrico
Brunelli, il quäle era da tempo in possesso di un altro documento sullo
stesso sepolcro Albertoni, documento, pure tratto dall’ archivio del Sancta
Sanctorum, che alloga, il 20 aprile 1487, il monumento Albertoni a
maestro Jacopo d’Andrea.
Il Brunelli, non sospettando della bontä di alcuno dei due atti,
poteva bene metterli d’accordo, supponendo ragionevolmente che il
monumento, assegnato da prima, nel 1484, a Paolo romano e a 'Gian
9) Op. cit. II p. 29, nota 1 e p. 21.
10) L’ »Arte«, 1907, fase. III, p. 197 — 208.
11) p. 199 e riprodotto a p. 208.
,2) p. 200 e riprodotto a p. 208.
5»
Giacomo de Nicola:
Cristoforo, fosse poi dato a finire a Jacopo d’Andrea. Ma le mie notizie
gl’ insinuarono una ipotesi un pö diversa.
E, difatti, nel citato volume quinto aegli istrumenti dell’ archivio
del Sancta Sanctorum, mentre trovammo subito, a c. 114, il documento
riguardante Jacopo di Andrea, non ci fu possibile di scorgere traccia
dell’altro relativo a Paolo e a Gian Cristoforo. Vi ö, sf, un documento
colla stessa data del 14 Novembre 1485 (c. 79), che contiene, perö, una
promessa di donazione all’ ospedale del Salvatore da parte di Battista
de Fantiis.
Ma noi dovevamo chiamarci ancora piü fortunati pel ritrovamento,
fatto sulla scorta dell’Adinolfi, del testamento di Caterina Albertoni, del
3 marzo 1487, nel quäle la testatrice prescrive ai suoi eredi che colla
somma di settanta ducati facciano in Santa Maria del Popolo, nel luogo
promesso dai preposti alla chiesa, un sepolcro marmoreo alla memoria
di Marco G). II 20 aprile dello stesso anno, morta Caterina, gli eredi
danno a Jacopo d’ Andrea la commissione del sepolcro.
II testamento di Caterina Albertoni esclude, dunque, la possibilitä
dell’ introvabile documento del 14 novembre 1485.
Dalla serie dei documenti dell’ »Arte« viene ora innanziH) il
»über fraternitatis S. ti Spiritus, preziosa collezione d’ autografi ecc. «,
una specie di obituario, a quanto sembra, che non dovrebbe mancare
nella recente raccolta di obituari della provincia di Roma di Pietro
Egidix5) se esistesse. Ma all’ archivio di Stato, dove sono tutte le
carte antiche di Santo Spirito, non si conosce quel prezioso manoscritto
che assegnerebbe a Gian Cristoforo i monumenti Lonati e Podocataro di
Santa Maria del Popolo.
Ugualmente irreperibile ö il »Über de exitu « del cardinale
d’Aragona, che dä notizia di due nuove medaglie di Gian Cristoforo16),
codice citato cosi, tout court, come se dovesse essere per tutti il piü
familiäre dei codici.
Viceversa esistono all’ archivio di Stato, ne possono essere altrove,
i mandati della Camera Apostolica del 1506 e 1509 nel volume segnato:
»Archivio Camerale. Mandati dal 1500 al 1513«; perö io non ho
saputo leggervi neppure il nome di Gian Cristoforo, tanto meno i
pagamenti di quattro sue medaglie1?).
>3) Il testamento e all’ archivio di Stato colla segnatura : Sancta Sanctorum Arm. IV
Mazzo IX n. 52 A.
J4) p. 202.
>5) Necrologi e libri affini della Provincia Romana, Roma, 1908, Vol. I.
l6) p. 204 — 206.
J7) p. 206 — 207.
Falsificazioni di documenti per la storia dell’arte romana.
59
E’ terminato il secondo articolo di Giordani, ma nön i suoi documenti,
giacchd egli ha voluto fornirne il recente libro su »La scultura nel
Trecento in Roma« (Torino, 1908) della signorina Filippini. La gentile
signorina d, per fortuna, al riparo di qualunque responsabilitä, dichiarando
sempre a chi spettino le scoperte archivistiche.
Il posto che nei precedenti documenti occupano Paolo romano e
Gian Cristoforo qui d preso dai Salvati, a ricostituire la operositä dei
quali si offrono al Giordani concordi gli archivii romani del Sancta
Sanctorum, del Vaticano, di Sant’ Eligio, di Sant’ Alessio.
S’ immagini che bell’ albero genealogico aveva potuto comporre la
Filippini! Magister Paulus risale per tre generazioni a Cintio de Salvati18)!
Purtroppo non uno dei nuovi documenti sfugge al severo giudizio
giä espresso per gli altri.
Il nominato Cintio d il primo a comparire in uno spropositato,
ma abbastanza lungo, documento del 1293 ricavato dallo »Stato obituario
di Sant’ Alessio « J9).
Le poche pergamene superstiti alla dispersione fatta del cartulario
dell’ antico monastero di Sant’Alessio sul principio del sec. XIX le ha
raccolte 1’ archivio di Stato dal Corvisieri. Ma non vi d un obituario
tra esse; nd di un tale obituario d parola nel diligentissimo Studio di
Alfredo Monaci sul Regesto di Sant’ Alessio20), o nella pubblicazione
parziale che di quell’ archivio fece il Nerini nel settecento21).
Un altro documento del 1327 su Pietro Salvati proviene dall’ archivio
di Sant’ Eligio22).
Non si comprende bene se questo documento sia tutt’ uno con quello
accennato a pag. 90, secondo il quäle lo stesso Pietro Salvati, nello
stesso anno 1327, avrebbe scolpito per la chiesa dei Santi Quattro alcune
Statuette e un bassorilievo rappresentante la bottega di uno scultore.
Ad ogni modo sarebbe di molto interesse sapere dov’ e 1’ archivio di
Sant’ Eligio, ignorandolo gli Studiosi romani.
Ancora un Salvato eseguisce per la chiesa di san Matteo di via
Merulana due statue dei principi degli apostoli. E’ un pagamento del
13x4 dell’ archivio Vaticano, scoperto dal Giordani, che ce lo rivela23).
Disgrazia vuole che proporio 1’ Introitus et exitus di quell’ anno d
mancante da circa un secolo all’archivio Vaticano: ciascuno pud
«* *) p. 88.
’9) P- 54-
lc) Nell’ Archivio della Societa rom. di stör. patr. 1904 p. 351 e ss., 1905, p. 151
e ss., p. 395 f: ss.
JI) De Templo et coenobio SS. Bonifacii et Alexii, Romae, 1752.
“) P- 87.
*3) p. 92 nota 1.
6o
Giacomo de Nicola: Falsificazioni di documenti per la storia usw.
controllare che T Intr. et exit. n. n va fino al 1309 e il n. 12 ripiglia
dal 1316. E nemmeno puö supporsi quel pagamento nei Mandati
Camerali, avendo questi inizio con Bonifacio IX.
L’Introitus et exitus (arch. vat.) del 1341, invece, £ ancora al suo
posto: £ nei due volumi segnati col 186 e 186A; ma io li ho scorsi
senza trovarvi il pagamento a maestro Paolo per la statua di Benedetto XII* 24).
Un documento del 1340 che nomina Paolo di Giovanni Salvati
non 6 riportato nei testo, ma e detto che fu rinvenuto dal Giordani
al Sancta Sanctorum25)!
Si ritorna all’archivio di Sant’ Alessio coli’ ultimo documento in cui
ne 1389 a Salvatello e commesso il sepolcro di Urbano VI 2Ö).
Non farä, ormai, piü maraviglia che anche questo non si trovi.
Perö il Nerini riproduce un atto del 1377, in cui 6 fra i testimoni
»Paulo Salvatelli Marmorario de regione Trivii« e nella nota 67 della
stessa pagina, a proposito del documento che segne, dä alcune notizie
di Urbano VI, tra l’altro che mori il 15 ottobre 1389 e che fu sepolto
in S. Pietro 27). Sarebbe, forse, nato il documento dalla combinazione di
quel nome di marmorario nella lista dei testi cogli accenni storici della
nota? Avremmo, cosi, per un momento, sorpreso il falsicatore nei suo
laboratorio.
Ma questa ricerca, che si potrebbe estendere, se £ divertente, non
preme. Io non ho impugnato l’autenticitä dei documenti n£ per il modo
con cui sono redatti, n£ per il contenuto storico-artistico (e ne avrei
avuto modo!), bensi solo col riferirmi alle fonti, perch6 questo esame
A bastato.
Parimenti non preme di sapere di quäle materiale si sia servito il
Giordani, se di uno schedario del sei o settecento, come io ero da prima
propenso a credere, o dei nostri tempi, come £ quello che egli ha privata-
mente mostrato.
Il risultato non cambia per ciö. E il risultato £ che i suoi documenti
o sono editi, o sono, per difetto d’indicazioni, introvabili, o sono da
tempo perduti, o sono, per fatti e documenti che li contradicono, falsi.
Altri vorrä, forse, metterli (eccetto i primi, naturalmente) tutti sotto
1’ ultima categoria.
*4) p. 101 e nota 3.
25) p. 105 e nota 3.
l6) p. 127 e nota 2.
*7) op. cit. p. 544.
Michelangelo und der türkische Hof.
Von Friedrich Sarre.
Unter den von Karl Frey aus dem Archivio Buonarroti ver-
öffentlichten Briefen an Michelangelo1) beansprucht für denjenigen, der
den künstlerischen Beziehungen zwischen Italien und dem Orient in der
Renaissance nachgeht, ein aus dem Jahre 1519 (1. April) stammendes
Schreiben eines gewissen Tommaso di Tolfo in Adrianopel ganz besonderes
Interesse. Mit Aufbietung aller Künste der Überredung sucht der Brief-
schreiber den Meister, der ihm von früher her bekannt ist, dazu zu
überreden, sobald wie möglich nach Adrianopel zu kommen und als
Maler in die Dienste eines kunstsinnigen vornehmen Mannes, seines Herrn,
zu treten. Wir beschränken uns darauf, die Hauptpunkte aus dem auch von
Thode2 3 4) jüngst, in Übersetzung, veröffentlichten Schreiben hervorzuheben.
Vorbereitungen für die umständliche Reise des Künstlers von
Italien nach Adrianopel hat Tommaso bereits in weitestem Maße getroffen.
Er hat die mit Michelangelo auch sonst in Verbindung stehenden
Banquiers Gondi in Florenz angewiesen, ihm Geld, falls er es wünsche,
für die Reise vorzuschießen; nach Ragusa würde ihm ein Empfehlungs-
schreiben des betreffenden hohen Herrn entgegengesandt, in Skutari3)
der Befehlshaber angewiesen werden, ihm eine Begleitmannschaft bis
nach Adrianopel zu stellen (vna chompagnia buona, che vi achompagnara
per infino qua). Wolle Michelangelo selbst nicht kommen, so möge er
einen anderen hervorragenden Maler senden (vno altro pintore que sia
di meglio che ogi di si trouj in christianita di pitura); der solle
eins seiner besten Werke mitbringen. Als Beweis für den Kunstsinn
und für die Freigebigkeit des betreffenden Herrn führt der Briefschreiber
an, daß jener jüngst einem Manne, der ihm eine Antike, die Statue einer
liegenden nackten Frau mit hinter dem Kopf verschränkten Armen4), die
nicht einmal etwas Ausgesuchtes sei, verschafft, mit 400 Golddukaten
*) Sammlung ausgewählter Briefe an Michelagniolo Buonarroti. Berlin 1899. S. 137.
2) Michelangelo. Kritische Untersuchungen über seine Werke. II. Berlin 1908.
S. 419.
3) So deutet Frey wohl mit Recht den Namen Chocia. Skutari lag schon auf
türkischem Gebiet.
4) Wahrscheinlich die Figur einer Nymphe.
6 2
Friedrich Sarre:
belohnt und ihm außerdem einen höheren Rang und eine bessere Stellung
in seinen Diensten gegeben habe. Er erinnert Michelangelo daran, daß
dieser ihm vor ungefähr 15 Jahren im Hause des Gianozo Salviati davon
gesprochen habe, er wolle gern nach der Türkei kommen (di uenire
a uedere questo paexe); damals habe er ihm davon abraten müssen,
denn der damalige Herr sei kunst- und bilderfeindlich gewesen, während
sein jetziger hoher Herr gerade als das Gegenteil bezeichnet werden
müsse (»per esere a quello tempo vno signore, il qualle non si
dillectaua di fighura di nesuna sorta, anzi piu presto lauetta (l’avette)
in odio; diche al prexente questo nostro illustrissimo signore e tuto per
lo oposito«).
Michelangelo hat diesem Rufe, in der Türkei tätig zu sein, nicht
Folge geleistet. Der Brief hat seinen Zweck verfehlt; aber trotzdem
möchte man Näheres über die hier nur angedeuteten Beziehungen des
Künstlers zum Orient wissen. Wer sind die beiden »Signori«, von
denen die Rede ist? Frey hält sie für »Großwürdenträger der Türken,
etwa Paschas von Adrianopel « und meint, daß der Gedanke an die
Sultane Bajezid II. (1481 — 1512) und Selim I. (1512 — 1520) wohl aus-
zuschließen sei. Thode läßt die Frage offen; sonst sind m. W. neuere
Biographen Michelangelos nicht auf diesen Brief zu sprechen ge-
kommen.
Michelangelos Beziehungen zur Türkei und zum Großsultan gehen
auf das Jahr 1506 zurück, als er sich auf der Flucht vor Julius II. in
Florenz aufhielt. Damals, so erzählt Condivi (XXX.), dachte er daran,
pach der Levante zu gehen, hauptsächlich weil er, vermittelst einiger
Mönche vom hl. Franziskus, vom Türken mit den größten Versprechungen
angegangen worden war, der ihn brauchen wollte, von Constantinopel
nach Pera eine Brücke zu bauen, wie auch zu anderen Geschäften (fare
un ponte da Constantinopoli ä Pera, e in altre cose di poi). Als aber
der Gonfaloniere (Pier Soderini) dies hörte, brachte er ihn von dem
Gedanken ab, indem er ihm sagte: »Che piuttosto eleggerebbe di morire
andando al Papa, que vivere andando al Turco«5). Wir wissen, daß
Sultan Bajezid den bildenden Künsten zwar kein Interesse abgewann,
daß er aber die »mechanischen Künste« unterstützte 6), vor allem die
Errichtung von Nützlichkeitsbauten förderte und »als Brückenbauer in
die Fußtapfen seines Ahnherrn Murads II. trat «7). Daß der Sultan
schon den Plan, der erst im 19. Jahrhundert verwirklicht werden sollte,
5) Aurelio Gotti. Vita. I. p. 45.
6) L. Thuasne: Djem-Sultan. Paris 1892. p. 28 ff.
7) J. von Hammer-Purgfstall: Geschichte des Osmanischen Reiches. I. Pesth
1830. S. 687 fr.
Michelangelo und der türkische Hof.
63
gefaßt hat, über das Goldene Horn eine Brücke zu schlagen8 *) und seine
Residenz, das türkische Stambul, mit den Frankenstädten Pera und Galata
zu verbinden, zeugt von der Kühnheit seiner technischen Unternehmungen.
Der Sultan mag von der Flucht Michelangelos aus Rom gehört, er mag
von seiner verzweifelten Stimmung in jener Zeit unterrichtet gewesen
sein und geglaubt haben, daß er jetzt den Künstler zur Übersiedelung
nach Konstantinopel mit Erfolg veranlassen könnte. Nicht als Bildhauer
und Maler, sondern als Baumeister und Überwinder technischer Schwierig-
keiten wollte er ihn in seinen Diensten haben. Er wählte bei diesem
Versuche nicht den offiziellen Weg durch einen Abgesandten, sondern
übermittelte seinen Wunsch heimlich durch Franziskanermönche 9).
Michelangelo scheint nach Condivis Bericht große Lust gehabt zu haben,
dem Rufe zu folgen10). Als eine glückliche Lösung seiner unerquick-
lichen Lage mag ihm der Eintritt in die Dienste des Großherrn
erschienen sein; er mag an eine Reihe seiner Landsleute gedacht haben,
an einen Gentile Bellini, der sich Ruhm, Ehre und Lohn am Sultanshof
geholt hatte. Und doch folgte er dem lockenden Rufe nicht; nach
Condivi hat ihn Pier Soderini von dem Entschluß abgebracht. Der
Brief des Tommaso di Tolfo vom Jahre 1519 macht einen von anderer
Seite ausgehenden und bestimmenden Einfluß auf Michelangelo sehr
wahrscheinlich. Er schreibt, daß es ungefähr 15 Jahre (hora fa 15
anni incircha) her seien, als sie im Hause des Gianozo Salviati
zusammengekommen wären, und er ihn von seinem Verlangen,
nach der Türkei zu gehen, abgebracht hätte11). Ich möchte an-
nehmen, daß sich Tommaso di Tolfo in der Zeit irrt, daß nur
13 Jahre verstrichen sind, und daß die Unterredung eben in jener
kritischen Zeit, April bis November 1906, stattfand, als das Sultans-
Anerbieten an Michelangelo herangetreten war. Was natürlicher, als daß
8) Wie aus den Aufnahmen Konstantinopels durch Melchior Lorichs (1559) hervor-
geht, scheint zu seiner Zeit ganz oben, im nördlichen, schmalen Teile des Goldenen
Horns, hinter Ejub, eine Brücke vorhanden gewesen zu sein (E. Oberhummer: Konstantinopel
unter Suleiman dem Großen. München 1902). Hier handelt es sich jedoch um den
ca. 450 m breiten Meeresarm, über den jetzt zwei Brücken führen. Die ältere wurde
1836 unter Machmud II., die jüngere 1845 von der damaligen Sultanin-Mutter erbaut
(Briefe über Zustände in der Türkei von Helmuth von Moltke. 1893. S. 82).
9) In ähnlicher Weise ließ Muhammed der Eroberer im Jahre 1479 den Brief,
worin er die Signoria von Venedig um die Sendung eines Malers ersuchte, nicht auf
diplomatischem Wege, sondern durch einen Juden überbringen (L. Thuasne: Gentile
Bellini et Sultan Mohammed II. Paris 1888. p. 10).
10) Bei seinem Aufenthalt in Venedig (1529) hat sich Michelangelo mit dem
Plane beschäftigt, den Kanal der Giudecca zu überbrücken.
") Thode (Michelangelo I. S. 347) setzt dieses Zusammentreffen, dem Briefe
des Tommaso entsprechend, in das Jahr 1504.
64
Friedrich Sarre:
er sich bei einem Manne, der in der Türkei zu Hause und über die
türkischen Verhältnisse genau unterrichtet war, Rat holte, daß er ihn
über den hohen Herrn, in dessen Dienste er treten sollte, ausfragte? Und
da erfuhr er dann, daß »ein Herr regierte, der keine Freude an figürlichen
Darstellungen irgendwelcher Art hatte, vielmehr sie haßte«. Dies der
vermutliche Grund, weswegen Michelangelo den Plan aufgab; unter
diesen Umständen kam für ihn der Übergang in türkische Dienste nicht
mehr in Frage. Wie die eines Gentile Bellini hatte er sich wohl seine
dortige Stellung ausgemalt; als Brückenbaumeister am Hofe eines
fanatischen, kunst- und bilderfeindlichen muhammedanischen Herrschers
konnte für ihn kein Platz sein. Und ein solcher ist im Gegensatz zu
seinem Vater, Muhammed dem Eroberer, Sultan Bajezid in Wahrheit
gewesen. Wir wissen aus den Memoiren des Italieners Angiolello, daß
der Herrscher sofort nach seiner Thronbesteigung alle Kunstwerke und
Gemälde, die sein kunstsinniger Vater im Serail vereinigt hatte, entfernen
und im Bazar von Konstantinopel verkaufen ließ, wo sie von
europäischen Kunsthändlern aufgekauft und nach Europa gebracht
wurden1* *). Dies auch der Grund, weshalb sich nichts von Bellinis
Arbeiten in Konstantinopel erhalten hat, mit Ausnahme eines kleinen
Miniaturporträts, das jüngst zum Vorschein gekommen ist r3).
Und wie in dem Briefe des Tommaso die Tolfo vom Jahre 1519
mit dem »kunstfeindlichen Herrn« Sultan Bajezid gemeint ist, soll
mit dem jetzigen »kunstfreundlichen Herrn«, in dessen Dienste zu
treten er Michelangelo auffordert, sein Sohn und Nachfolger Sultan
Selim I. meiner Ansicht nach gemeint sein. Er nennt ihn »nostro
illustrissimo signore « ; so würde er von einem » Pascha von Adrianopel «
nicht sprechen. »Unser Herr (türk. Effendimiz) «, ist der Ausdruck, der
in der Türkei noch heute angewendet wird, wenn man vom Sultan
spricht. Während der Briefschreiber früher Michelangelo davor gewarnt hat,
in die Dienste des kunstfeindlichen Bajezid zu treten, könne er jetzt nur
dazu raten, nach der Türkei zu kommen, wo ein Herrscher von ganz
entgegengesetzten künstlerischen Anschauungen regiere; und es folgt als
Beweis die oben erwähnte Geschichte von der Auszeichnung und
Belohnung eines Mannes, der dem Sultan eine antike Figur und nicht
einmal eine besonders gute verschafft habe.
Mit dieser Charakteristik des Tommaso di Tolfo stimmt das Bild,
das uns die Geschichte von Selim überliefert hat, vollkommen überein.
Trotz seiner tyrannischen und grausamen Gemütsart, seiner kriegerischen
JI) »Historia Turchesca di Gio. Angiolello Schiavo et altri schiavi dall’ anno
1429 sin al 1513« zitiert bei L. Thuasne, Gentile Bellini p. 68.
*3) Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen 1906. S. 302 ff. und 1907. S. 51.
Michelangelo und der türkische Hof.
65
Neigungen, war der Herrscher ein Freund der Wissenschaften und Künste,
protegierte er Gelehrte und Dichter1**), soweit ihn seine kurze achtjährige
Regierungszeit und die kriegerischen Unternehmungen, die ihn bis nach
Persien und Ägypten führten, dazu kommen ließen. Konstantinopel
wurde durch Bauten verschönt, wir erfahren von einem Marmorschloß,
das mit Gemälden aus der Geschichte des Hauses Osman geschmückt
wurde z5), er legte den Grundstein zu der seinen Namen tragenden
gewaltigen Moschee, die erst unter seinem Nachfolger vollendet werden
sollte. Sie ist ebenso wie die große Moschee in Adrianopel ein Werk
des genialen Architekten Sinan. Adrianopel — und das verdient hier
besonders hervorgehoben zu werden — hatte zu jener Zeit, ein halbes
Jahrhundert nach der Einnahme von Konstantinopel, seine Rolle als
Hauptstadt und zeitweilige Residenz der Sultane noch nicht eingebtißt,
war noch nicht zu einer Provinzstadt, die es heut ist, herabgesunken.
Besonders nach dem furchtbaren, Konstantinopel verheerenden Erdbeben
vom Jahre 1509 war Adrianopel wieder hauptsächlich Residenzstadt der
Herrscher geworden und blieb es bis in das 17. Jahrhundert hinein.
Als Selim im Jahre 1518, also ein Jahr vor unserem Briefe, von der
Eroberung Ägyptens nach Konstantinopel zurückkehrt, hält er sich dort
nur einige Tage auf, um vom 4. August an seinen dauernden Aufenthalt
in Adrianopel zu nehmen. Noch einmal veranlaßt den Sultan die in
Adrianopel auftretende Pest, die Stadt zu verlassen und nach Konstanti-
nopel überzusiedeln. Auf dem Rückwege von hier nach Adrianopel
stirbt der Sultan am 22. September 1520 (v. Hammer a. a. O.).
Nach dem Gesagten dürfte es keines Beweises mehr bedürfen, daß
mit dem kunstsinnigen Herrn, in dessen Dienste Michelangelo im Jahre
1519 eintreten soll, der Sultan Selim I. gemeint ist. An einen »Groß-
würdenträger, etwa einen Pascha von Adrianopel, « ist meiner Ansicht nach
nicht zu denken.
Die auffallende Dringlichkeit, die Tommaso di Tolfo in seinem Briefe
zeigt, die umfangreichen Vorbereitungen, die für die Reise Michelangelos ge-
troffen sind, die Eile, zu der er drängt, machen es ferner sehr wahrscheinlich,
daß er in höherem Aufträge handelt, daß sich der Sultan des Landsmanns des
Meisters bedient, um diesen zum Eintritt in seine Dienste zu veranlassen.
Und wenn Michelangelo selbst nicht kommen wolle oder könne, möge
er dafür Sorge tragen, daß ein anderer Maler, » der zu den besten in
’4) Selim hat von Kennern der orientalischen Poesie noch heute geschätzte
Gedichte in persischer Sprache verfaßt. Eine Prachtausgabe seines »Divans« ist vor
wenigen Jahren auf Befehl des Deutschen Kaisers als Geschenk für den regierenden
Sultan, den Nachkommen des fürstlichen Dichters, in der Reichsdruckerei hergestellt worden.
J5) v. Hammer-Purgstall a. a. O. I. S. 798.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
5
66
Friedrich Sarre: Michelangelo und der türkische Hof.
der Christenheit gehört«, sobald als möglich abreise; zum Beweise seiner
Fähigkeiten solle dieser aber eine Arbeit seiner Hand mitbringen. Darum wird
em Michelangelo nicht erst gebeten. Um welches kaiserliche Projekt es sich
gehandelt haben mag, um die Ausschmückung eines Schlosses mit
historischen Gemälden oder um die Anfertigung von Bildnissen, wissen
wir nicht; auch darüber sind wir im Unklaren, wie Michelangelo diese
Aufforderung aufgenommen hat. Obgleich ihm diesmal, wo er nicht
nur als Brückenbaumeister und Ingenieur tätig sein sollte, rein künstlerische
Aufgaben winkten, ist er daheim geblieben; er war jetzt in ganz anderer,
glücklicherer Lage, als vor 13 Jahren in Florenz, anerkannt und mit den
größten Arbeiten beschäftigt, die ihm die Heimat bot, mag er den
Gedanken, in die Fremde zu ziehen, gar nicht in Erwägung gezogen haben.
Es ist zwecklos, sich die Entwickelung auszumalen, die Michelangelo
im Orient und im Dienste der mächtigsten Herrscher der damaligen Welt
genommen hätte; und doch entbehrt es nicht eines gewissen Reizes, sich
den Baumeister der Peterskirche unter der Kuppelwölbung der Hagia
Sofia, den Maler vor den koloristischen Wundern des Orients und den
Bildhauer Michelangelo in Mitten urwüchsigen und kraftstrotzenden Volks-
tums vorzustellen.
Zur Martin-Hess-Frage.
Die beiden naturgemäßen Zentren für die mittelrheinische
Kunst sind die Bischofsstadt Mainz und die Messestadt Frankfurt. Mainz
war der ältere Sammelpunkt. Nach der Eroberung der Stadt durch
Adolf von Nassau im Jahre 1462 wanderten verschiedene Künstler und
Kunsthandwerker nach Köln aus. Unter ihnen der Buchdrucker
Ulrich Zell, der 1466 in Köln die erste Buchdruckerei eröffnet. Wahr-
scheinlich auch der Meister E. S. ; denn wir finden um diese Zeit seinen
Einfluß auf die Kölner Kunst1). Der aus Straßburg stammende2) Meister
E. S., der wahrscheinlich eine Zeitlang in Mainz ansässig war, kann sehr
wohl das Haupt der mittelrheinischen Schule gewesen sein. Er war eine
nicht unbedeutende künstlerische Persönlichkeit, die bis nach Italien
Ansehen hatte. Haben wir doch in dem Kupferstichwerk des sogen.
Baccio Baldini zahlreiche Figuren, die auf den Einfluß des Meisters E. S.
weisen und in der Pietä des Sebastiano del Piombo eine Komposition, die
auf die Pietä des rheinischen Meisters zurückgeht 3). Beziehungen von ihm
zu dem Hausbuchmeister und dessen Kreis, wie zu dem Meister des
Seligenstädter Altars (Galerie, Darmstadt) liegen zutage, somit also
Beziehungen zu der folgenden Künstlergeneration am Mittelrhein. Durch
die Ereignisse von 1462 wurde die Mainzer Künstlergemeinde aus-
einander gesprengt, zum Teil nach Köln verschlagen, von wo sie wieder
zurückebbte; aber nicht mehr nach Mainz, sondern dem nahen Frankfurt
dessen Messe gewiß Anzugskraft übte. Wir wissen aus Dürers Briefen,
welche Rolle für die Künstler die Frankfurter Messe spielte. Er selbst
ließ dort jährlich seine Holzschnitte und Stiche feilbieten. In Frankfurt
ist auch ein kunstfreundliches Patriziertum. Heller bestellt bei Dürer
den herühmten Altar. Sechs Jahre vorher weilt Holbein d. Ä. in der
Stadt, um den Altar für die Dominikaner zu malen. Um diese Zeit
scheint Martin Heß der Senior der Frankfurter und mittelrheinischen
Künstlerschaft überhaupt zu sein.
Auf Martin Heß vermute ich, daß sich auch die bekannte Stelle
in dem Lobgedicht Lemairs »La couronne Margarithique « auf die
*) Kämmerer, Jahrb. d. pr. K. XVII. S. 153.
2) Geisberg, Das Wappen des Meisters E. S. Ebenda XXII.
3) Warburg, Vorträge in der kunstgescb. Gesellschaft in Berlin.
5*
68
Mela Escherich: Zur Martin-Hess-Frage.
Tochter Maximilians, die Statthalterin der Niederlande, bezieht (i. Ausgabe
Lyon 1549, dat. 1544,' nach Crowe und Cavalcaselle vor 15 11 gedichtet),
wo die verschiedenen Künstler Roger, Jan van Eyck, Fouquet, Marinion,
Bouts rühmend genannt werden:
II y survint de Bruges Maistre Hans
Et de Frankfort Maistre Hughes Martin
Tous deux ouvrieurs tres clers et triumphans.
In Maistre Hans de Bruges erkennt Bock Hans Memling, in Hughes
Martin — Schongauer. Es scheint aber doch auffällig, daß der Dichter
Frankfurt nennt. Zweifellos liegt es näher, in Maistre Hughes Martin de
Frankfort den Frankfurter Martin Heß als den Colmarer Martin Schongauer
zu erkennen. Ist in dem Lobgedicht aber der Frankfurter Künstler
gemeint, so bedeutet das einen neuen Beweis für die Anerkennung, deren
er sich bei seinen Lebzeiten erfreute. Mela Escherich.
Zum Datum der Bella Tizians.
Gronau hat in seinen Forschungen über die Kunstbestrebungen der
Herzoge von Urbino Dokumente publiziert, welche die Entstehungszeit
wichtiger Bilder Tizians fixieren. Die Bella ist darunter1).
Am 2. Mai 1536 schreibt von Padua aus der Herzog Francesco
Maria an seinen Gesandten Leonardi in Venedig: ». ... direte al
Titiano . . . che quel’ retratto di quella Donna che ha la veste azura,
desideriamo che la finisca bella circa il Tutto et con il Timpano . . . .«
Gronau meint, man dürfe dieses Bild einer Dame im blauen Kleide
wohl mit der Bella indentifizieren, die einmal ihrem Stile nach in diese
Zeit gehört, die ferner ganz gewiss von Urbino nach Florenz kam. Den
timpano, unter dem ein Musikinstrument zu verstehen sei, müsse Tizian
weggelassen haben.
Diese • letzte Annahme, Tizian sei dem ausdrücklichen Wunsche
des Herzogs, auch den timpano zu vollenden, nicht nachgekommen,
befriedigt nicht ganz. Sollte hier mit timpano nicht doch etwas anderes,
als ein musikalisches Instrument gemeint sein? Lexica geben allerdings
keine andere, passende Deutung. Aber das häufige Vorkommen dieses
Wortes in Lottos Libro dei conti2) verspricht Aufklärung. — Auch hier
ist der Sinn dieses Wortes an den einzelnen Stellen nicht immer nicht
ganz klar. Man versteht erst, was gemeint ist, wenn man mehrere dieser
Stellen zusammenhält:
1540, September notiert Lotto: ».... per l’ornamento del quadro
de la Venere .... zoe de ligname de noce doratura e timpano de tella
negra da lion con le lettere . . . .« (Seite 205). — Der timpano ist hier
also kein gemalter Gegenstand auf dem Bilde, er gehört vielmehr zum
ornamento, zur Ausstattung. Er besteht aus schwarzer Lionaiser Lein-
wand. Buchstaben sind auf ihm angebracht.
1540, 8. Dezember trägt Lotto die Ausgabe ein für »16 ferreti de
rame in loco de cadenaceti da serar li timpani de quadri« (Seite 213).
Diese Notiz soll später interpretiert werden.
1) G. Gronau, Jahrbuch der K. Pr. Kunstsammlungen, XXV. Beiheft, S. 9 ff.
*) Il Libro dei conti di Lorenzo Lotte in Le Gallerie nazionali italiane. I. Roma.
1894. p. 115 fr.
70
Hadeln:
1542, Juli: »per l’ornamento con el timpano del quadretto de la
Madonna de Grade per Lucreda (Lottos Nichte), el ligname . . . .
la doratura con ei suo timpano, cioe el telar de ferro con el velo«
(Seite 207). Der Vorhang (velo) des timpano ist also an einem eisernen
Rahmen angebracht. Telar=telajo, eigentlich der AV eberahmen, dann
auch jeglicher Rahmen, in den oder über den etwas gespannt wird,
Stickrahmen, Rahmen der Schriftsetzer, auch der Rahmen, über dem die
zu bemalende Leinwand befestigt wird, darum in Venedig öfters auch
gleichbedeutend mit Bild.
1544, 8. Januar schätzt Lotto ein Bild des H. Andreas, das er für
den Podestä von Treviso, Andrea Renier gemalt hat, folgendermaßen ein:
» quäl quadro la pictura con quella del timpano a buon mercato valeva
duc. 16 tra cari amici « (Seite 13 1). Da quella auf nichts anderes, als
auf pictura zu beziehen ist, ergibt sich, daß der timpano hier bemalt war.
1544, 28. Februar berechnet Lotto die Kosten eines Porträts des
Ludovico Avolante. Er berechnet u. a. 6. L. 4. 5. »per fatura del
timpano, dato doi volte le litere de mano mia« (Seite 170). Auch hier
scheinbar Buchstaben auf dem timpano.
1544, 18. November: »Cartoni per el dito crucifisseto da far il
timpano« (Seite 212). Nicht recht verständlich, zumal unter gleichem
Datum die Spesen eingetragen sind für »el telareto de rame da coprir
el crucifisseto« und für »el velo sotil et cordele per dito telareto«.
I547> 2 3* September. Lotto notiert zu dem von ihm gemalten
Familienporträt seines Hauswirtes in Venedig, des Zuane da la Volta,
dessen Frau und deren zwei Söhnchen: »quäl quadro era indicato e
per bontä e per colori finissimi con el coperto suo sul timpano duc
50 e piü da persone perite senza passione« (Seite 162). Coperto wohl
gleich copertojo. (Decke, Deckel.) Daß diese Decke auf (?) dem timpano
von den persone perite miteingeschätzt wurde, läßt wiederum Bemalung
vermuten.
1553, 6. März und 8. September. Lotto hatte im Aufträge des
Gouverneurs von Loretto für den Cardinal von Carpi einen » Hieronymus
in der Einöde« gemalt. Am 6. März trägt er in sein Rechnungsbuch
außer 40 Dukaten für das Bild 6 weitere Dukaten ein »per il timpano
in coperto cio£ la pittura con la impresa del santo nel leone« (Seite
I5^)* Und am 8. September der gleiche Vermerk: »per un quadro de
San Hieronimo a l’heremo per el Sor Cardinale Carpo .... fatto con
ogni diligentia con el suo timpano per coperto, il quadro scuti 40 d’oro
et il timpano scuti sei . . . .« (Seite 181). Diese beiden letzten Notizen
sagen einigermaßen unzweideutig, was ein timpano war. Es war ein
Deckel, der — wohl zum Schutze der Malerei — über das Bild gelegt
Zum Datum der Bella Tizians.
7*
wurde. Er bestand scheinbar aus einem eisernen Rahmen (telar de ferro)
und aus Leinwand oder anderem Stoffe, der über oder in diesen Rahmen
gespannt war. Diese Schutzdecken scheinen öfters bemalt gewesen zu
sein. Für das Hieronymusbild malte Lotto das Attribut des Heiligen,
den Löwen. In anderen Fällen begnügte man sich offenbar mit einer
Inschrift (lettere), die wohl bei Portraits Namen und Alter des Darge-
stellten nannte.
Für die Art der Befestigung des timpano über dem Bilde gibt
jener oben mitgeteilte Vermerk vom 8. Dezember 1540 wenigstens einen
Hinweis. Lotto hatte sechzehn kupferne Stifte (ferretti de rame) gekauft,
die an Stelle von Riegeln (cadenaceti) die timpani der Bilder ver-
schließen sollten.
Nun zu der Bella zurück. Der Herzog wünschte von Tizian nicht
nur das Bild der Dame im blauen Kleide, sondern auch einen Schutz-
deckel dafür. Wo wir jetzt wissen, daß ein solcher und kein auf dem
Bilde zu malendes Musikinstrument in jenem Briefe gemeint ist, können
wir unbedenklich Gronaus Identifikation beistimmen. Die Bella ist für
den Herzog Francesco Maria gemalt. Am 2. Mai 1536 war sie noch
nicht vollendet. Hadeln.
Literaturbericht.
Martin Schweisthal. La Halle Germanique et ses transformations.
Extr. des annales de la soctete d’Archeologie de Bruxelles XXI, ire
et 2e livr. Bruxelles 1907.
Ein Thema, dessen Behandlung bei aller Würdigung des Bemühens
und der lebendigen Darstellung freilich nicht recht zureichen will.
Schweisthal stellt die These auf, daß aus der alten germanischen
Halle sich die Pfalz und das Rathaus des Mittelalters entwickelt habe,
die somit ein Weiterleben der germanischen Halle bedeuten — filiation
restee inconnue jusqu ä present (p. 43). Diese Anschauung ist nun
freilich nicht neu; in einem leicht zugänglichen Werk hat sie bereits Dohme
für die romanischen Schloßbauten zur Geltung gebracht, in größerem
Zusammenhänge und ausführlicher ist in meinen Studien zum romanischen
Wohnbau (Straßburg 1902) die Rede davon. Daß diese Schweisthal
nicht bekannt sind, ist freilich nicht wunderbar; denn bei dem traditionellen
Mangel an Begeisterung für architekturgeschichtliche Arbeiten haben sie
keine einzige ernsthaft zu nehmende Besprechung — auch die B erg n ersehe
in der Kunstchronik rechne ich nicht dazu — in der fachwissenschaft-
lichen Literatur erfahren.
Ist die Grundanschauung so nicht neu, wie Verfasser meint, so
fehlt es auch an einer festen Umgrenzung der weiteren Ausführungen.
Die Schilderung soll Gemeingermanisches umfassen, wofür indessen
Denkmäler- und Literaturkenntnis nicht recht ausreichen, und kommt so
doch wieder auf das engere belgische Gebiet zurück, ohne daß
Folgerungen und Behauptungen demgemäß eingeschränkt würden. So
z. B. bei der ausführlichen Besprechung des Beifried, der als unum-
gänglich notwendiger Teil » des « Rathauses hingestellt wird, obgleich in
Deutschland, von dem in der übrigen Darstellung viel die Rede ist, der
1 urm nur im östlichen Kolonisationsgebiet, sonst nur in bedeutend
späterer Zeit regelmäßig auftritt.
Die Charakteristika der Halle sind für Schweisthal das auf Pfeilern
ruhende Untergeschoß, die äußere Treppe und der Saal, zu dem diese
führt. Doch wir sind berechtigt noch weiter zu gehen. Aus dem, was
wir von dem germanischen Hause wissen, geht hervor, daß der offene
Literaturbericht.
73
Dachstuhl durch den Firstbalken abgeschlossen und zusammengehalten
war. Dieser First bedurfte von dem Innern des Hauses aus einer Stütze,
als welche ein in der Mitte aufgerichteter hochragender Balken angegeben
wird (Heyne, Das deutsche Wohnungswesen, S. 26). Die Konsequenz,
die aber weder Heyne noch irgendein anderer gezogen hat, ist die, daß
bei größerer Länge des Hauses, also auch des Firstbalkens, diese Stützen
vermehrt werden müssen. Dadurch bildet sich ganz von selbst ein
symmetrisch zweischiffiger Raum, der für die mittelalterlichen Pfalzen, also
die direkten Nachfolger der Halle, geradezu kanonische Geltung hat (vgl.
Studien S. 137). Andrerseits erlaubt uns gerade das regelmäßige Vor-
kommen dieser Einteilung den sicheren Rückschluß auf die altgermanische
Zeit (vgl. auch den Aufsatz über zweischiffige Anlagen in Bd. 25 (1902)
dieser Zeitschrift).
Sodann ist auch der Begriff der Halle einer weiteren Ausdehnung
fähig. Der »Saal« der Halle dient — nach der Bedeutung des Wortes
selbst — nicht nur der Erfüllung von Repräsentationspflichten, der
Beratung, dem Empfang, der Bewirtung, sondern auch überhaupt der
Unterkunft, der Beherbergung von Gästen (Heyne a. a. O. S. 37).
Damit würde man den Kreis der Bauten, bei denen man eine Nach-
wirkung der altgermanischen Halle zu suchen haben würde, erheblich
erweitern können. Vor allem läßt sich Schweisthal fast ganz die Kloster-
architektur entgehen, die von dem St. Gallener Plan an bis zur Gotik
in Abtswohnung und Herrenhaus, wohl auch in Refektorium und
Dormitorium Verwandtes bieten (vgl. die Studien 32, 219h, 223h, 236).
In der Anlage der Refektorien zeigt sich in Deutschland, aber auch in
Frankreich, vielfach fast regelmäßig zweischiffige Anlage oder ein Fort-
schreiten von der Dreischiffigkeit zur Zweischiffigkeit, die also die äußere
Gleichheit mit den Palas- Anlagen und der altgermanischen Halle bringt.
Von den Klosteranlagen sind wieder abhängig die Universitätsgebäude,
wo die Zweischiffigkeit z. B. noch 1592 im Helmstedter Juleum eine
Rolle spielt.
Und nicht nur gesunde, sondern auch kranke Menschen bedürfen
der Unterkunft: das Krankenhaus in Kloster Eberbach ist freilich drei-
schiffig, ebenso gleiche Bauten in Angers, Chartres, Ourscamp und sonst;
ihnen steht aber gegenüber z. B. das zweischiffige Hospital in Lübeck,
begonnen 1276. Und nicht nur zum Unterbringen von Menschen, sondern
auch von Vieh oder Vorräten, von Waren, Getreide usw. dienen Gebäude,
die in ihrer Anlage eine Übereinstimmung mit der zweischiffigen germanischen
Halle zeigen. Das ist der Fall nicht nur in den Tuch-, Fleisch- und
sonstigen Kaufhallen, den Schlachthäusern, sondern auch in den Keller-
und Speichergebäuden — eins doppelt zwei-, also vierschiffig in Metz —
74
Literaturbericht.
Marställen und sogar Kuhställen, welch letztere Dilich in dieser Grundriß-
form noch am Anfang des 17. Jahrhunderts auf rheinischen Burgen sah.
Gerade in dem Heimatslande des Verfassers sind ja prachtvolle Beispiele
ersterer Art erhalten, und ich kann mir nicht versagen, die wichtigsten,
die bei Schweisthal kaum gestreift werden, hier aufzuzählen.
So sind zweischiffig die großen Tuchhallen und die interessante
kleine Fleisehhalle in Ypern mit ihren sechs Rundsäulen im Erdgeschoß
die von Renaissance-Säulen durchstellte (jetzige) Fleischhalle in dem
Brügger Hallengebäude, die ehemalige Tuchhalle (jetzige Universität) in
Löwen mit den durch ernste Rundbogen verbundenen Pfeilern und der
hölzernen Decke, endlich die Antwerpener Fleischhalle mit ihren fünf
Mittelstützen. Dreischiffig ist allein die jüngst durchgreifend wieder-
hergestellte Tuchhalle in Gent. Auch das bei den romanischen Bauten
Deutschlands beobachtete Verhältnis von Breite : Länge = 1 : 2 — 3 (Studien
S. 132) ist bei den Hallen und Rathäusern Belgiens die Regel. Unter
diesem Durchschnitt bleibt nur die Tuchhalle in Gent (22 m X 13m);
darüber hinaus gehen die Fleischhalle in Gent (70 m X um) und das
Rathaus in Gent (59 m X 14m); ebenso natürlich die Hallen in Ypern
(120 m x 3 2 m) und Brügge (80 m X 14 m), sowie das Brüsseler
Rathaus.
Eine sorgfältige Zusammenstellung der Hallenbauten für jedes
einzelne germanische oder germanisch beeinflußte Land wäre sehr
wünschenswert; dadurch wäre eine Übersicht über das Verbreitungs-
gebiet der germanischen Halle und eine Abgrenzung gegen ähnliche
Anlagen anderer Völker möglich. So kreuzen sich offenbar in Frankreich
germanische und antike Einflüsse, was sich gewiß in der zwei- bzw.
vierschiffigen Anlage auf der einen, der dreischiffigen Anlage derselben
Gebäudegattung auf der andern Seite zeigt.
Im einzelnen sei folgendes bemerkt: Gegenüber der Annahme, daß
das auf Pfeilern ruhende Haus, wie es außer im Norden, in der Schweiz
und im Schwarzwald vorkommt, aus dem Norden importiert sei, darf
man wohl als möglichen Ausgangspunkt auch auf den Pfahlbau verweisen,
der jedenfalls für die Schweiz besonders nahe liegen würde.
In der »Torhalle« von Lorsch sieht Schweisthal einen Saal, der etwa
für Zwecke des Abtes, Versammlungen seiner Vasallen u. a. m. gedient
haben könne. Wichtiger als Maulbronn und Pforta, die als Beispiele
angeführt werden, scheint mir der Plan der Abtei Canterbury zu sein,
der in der Nähe des Eingangstores ein mit Aula nova bezeichnetes
zweistöckiges Gebäude zeigt. Das Erdgeschoß wird von einer auf Säulen
ruhenden Halle gebildet, über der die ganze Langseite in Arkaden auf-
gelöst erscheint.
Literaturbericht.
75
Bei der Besprechung der karolingischen Pfalzen und dem Übergang
zur romanischen Zeit vermißt man einen Hinweis darauf, daß eine Anlage
wie z. B. Ingelheim etwas total Verschiedenes von der »germanischen
Halle« ist; wenigstens wenn man dazu nicht jede römische oder
byzantinische Saalanlage rechnen will. Auch für die Erkenntnis dieser
prinzipiellen Verschiedenheit zwischen karolingisch-antikisierenden und
altgermanische Tradition fortsetzenden Pfalzenanlagen der romanischen
Zeit muß ich auf meine Studien verweisen.
Interessant ist eine bei Schweisthal wiedergegebene Zeichnung des
alten Rathauses in dem kleinen Städtchen Niewstadt, das die Elemente
der germanischen Halle in primitivster Art zeigt. Verwandtes wird, z. TI.
mit Abbildungen, aber leider ohne Grundrißangaben, aus der Bretagne
aufgeführt; mächtige nach den Seiten offene, überdachte Hallen. Auch
in Deutschland finden sich vor allem Rathäuser, die den Saalbau wie in
Niewstadt auf hohen freistehenden Stützen ruhend zeigen; ich nenne
Michelstadt im Odenwald. Ähnlich ist das Schlachthaus in Heilbronn
(um 1600), wo das Erdgeschoß eine nach allen Seiten offene Halle mit
einer mittleren Stützenreihe bildet. Die Renaissance wird bei S. nur
im Vorbeigehen gestreift; daß sie den Rathäusern weniger günstig ge
wesen sei, mag für Belgien zutreffen, für Deutschland jedenfalls nicht.
Zum Schluß noch die Bemerkung, das Bergner, den Schweisthal
als Quelle zitiert (S. 14), an der Behauptung, in der Gelnhausener Pfalz
sei eine Doppelkapelle, unschuldig ist, und daß sich das römisch-germanische
Museum nicht in Nürnberg, sondern in Mainz befindet. Karl Simon.
Einzelforschungen über Kunst- und Altertumsgegenstände zu Frank-
furt a. M. Im Auftrag der Kommission für Kunst- und Altertums-
gegenstände herausgegeben vom Städtischen Museum. I. Frankfurt a. M.
1908. Joseph Baer & Co., Kommissions-Verlag. 179 S. und 3 Tafeln.
M. 12.
Die Aufsätze, bei denen nur zum Teil kunstgeschichtlicher Inhalt
vorwiegt, bilden die wissenschaftliche Festgabe zum 80. Geburtstag des
um die Kunstgeschichtsforschung in Frankfurt wohlverdienten Professors
Otto Donner von Richter. Es sind recht wertvolle Mitteilungen
darunter, die den Wunsch nach Fortsetzung rege machen. Ich gebe die
einzelnen Aufsätze mit ihrem Inhalt an.
1. Über den Zusammenhang römischer und früh-mittelalterlicher
Kultur im Mainland. Von Professor Georg Wolflf. Zeigt am Beispiel
des Dorfes Groß-Krotzenburg bei Hanau die Abhängigkeit der früh-
mittelalterlichen Besiedlung von der römischen Bauanlage und weist an
76
Literaturbericht.
demselben Beispiel die Fäden nach, die von der römischen Kultur in
die mittelalterliche hinübergreifen.
2. Die Gigantensäulen, insbesondere die Reiter- und Giganten-
gruppen und ihre Literatur seit der Entdeckung der Heddernheimer
Säule 1884/5. V°n Professor Dr. Alexander Riese. Kommt nach Durch-
musterung der Denkmäler und der Literatur zum Schluß, daß diese
Säulen, die meist von einem Reiter (Jupiter, Kaiser) und einem zu Füßen
des Rosses liegenden Giganten gekrönt sind, nicht dem öffentlichen
Kaiserkultus dienen sollten, sondern von Privaten errichtet worden seien.
3. Deckel römischer Tonlampen im Histor. Museum zu Frankfurt a. M.
Von Direktorialassistent Rudolph Welcher. Kreisrunde, flache Scheiben
aus gebranntem Ton mit figürlichem Relief und auf der Rückseite mit
einem Zapfen versehen. Der Verfasser macht die von ihm angenommene
Bestimmung nach Analogie des in der Form verwandten Guttus und auf
Grund des Zapfens sehr wahrscheinlich.
4. Zur Geschichte der Irdenware in Frankfurt a. M. Von Dr. Otto
Lauffer. Gibt eine kurze Geschichte der Frankfurter Häfnerei, soweit es
in Anbetracht des spärlichen Materials möglich ist. Wir erfahren dabei, daß
in Frankfurt auch sogenanntes » Marburger Geschirr« hergestellt worden ist.
5. Die Karolingische Pfalz zu Frankfurt a. M. Von Emil Padjera.
Der Verfasser nimmt an, daß zur Karolingerzeit eine Stadt Frankfurt
noch nicht bestanden habe, vielmehr nur eine Kaiserpfalz mit Saalgebäude
und Palastkapelle.
6. Abreibungen romanischer Metallgravierungen im Kupferstich-
kabinett des Städelschen Kunstinstituts und ein verschollenes Reliquiar
der Abtei Iburg. Von Direktor Dr. Georg Swarzenski. Der Verfasser
weist nach, daß acht von ihm vor einigen Jahren im Berliner Kunst-
gewerbemuseum gefundene vergoldete und gravierte Kupferscheiben, von
denen Abreibungen im Städelschen Institut sich befinden, von einem
Reliquiar der Abtei Iburg bei Osnabrück stammen und vielleicht ein
Werk des Künstlerbischofs Meinwerk von Paderborn sind.
7. Hans von Metz, ein oberrheinischer Maler des 15. Jahrhunderts.
Von Dr. Carl Gebhardt. Der Verfasser bespricht das Kalvarienbergbild
des Histor. Museums und bildet es ab, zeigt Beziehungen zu Passions-
spielen, teilt dem Maler seinen Platz in der oberrheinischen Schule, nahe
dem L. Moser, zu und nimmt auf Grund einer vom Archivdirektor Jung
in Frankfurt veröffentlichten Urkunde als Maler in Anspruch den Hans
von Metz in Frankfurt, der 1445 ein Bild desselben Inhalts zu malen
übernommen hatte.
8. Stiftungen Jakobs zu Schwanau und seiner Treuhänder zum Bau
und zur künstlerischen Ausschmückung Frankfurter Kirchen 1473 — 1480.
Literaturbericht.
77
Von Archivdirektor Professor Dr. Rudolph Jung. Ein besonders wertvoller
Beitrag, der uns mit einer ansehnlichen Zahl von Künstler- und Hand-
werkernamen beschenkt.
9. Ein Buchtitel Christian Egenolffs mit bildlichen Darstellungen
nach Dürer und anderen. Von Bibliothekar Dr. Emil Sarnow. Es
handelt sich um das Titelblatt zu einem 1545 gedruckten Eormelbuch.
Die Vorbilder sind u. a. Dürers Melancholie und Meerwunder, die
ergötzlich zu einem Bild verbunden sind.
10. Sebastian Furcks Silberplakette auf den Stadtbaumeister Joh.
Wilh. Dilich im Städtischen Histor. Museum. Von Dr. Julius Cahn.
Dilich (1600 — 1657), der Sohn Wilh. Dilichs (1575 — 1655), des Verfassers
der Hessischen Chronik, hat mit seinem Vater die neuere Befestigung der
Stadt Frankfurt angelegt. Die Plakette ist als Stichplatte benutzt worden.
Furck hat von 1612 — 1655 in Frankfurt gearbeitet.
11. Beiträge zur Frankfurter Kunstgeschichte im 17. Jahrhundert.
Von Oberlehrer Dr. Friedrich Bothe. Sehr verdienstlich. Zieht Schlüsse
auf die Vermögensverhältnisse damaliger Künstler und gibt Nachrichten
über ihre fahrende Habe, besonders an Kunstwerk. Es ergeben sich
manche neue Feststellungen, z. B. über die einzelnen Maler v. Falckenburg.
12. Gürtel jüdischer Bräute in Frankfurt a. M. Von Bibliothekar
Dr. A. Freimann. Beschreibt einen derartigen Brautgürtel und bildet ihn ab.
13. Zwei gerettete Altfrankfurter Portale. Von Architekt Privat-
dozent Dr. phil. Julius Hülsen. Sie stammen von einem Hause der Zeil,
das 1742 — 1744 als kaiserliches Absteigquartier gedient hat. Der Ver-
fasser setzt ihre Entstehungszeit auf 1690 an.
14. Die Frankfurter Kunst und Goethe. Von Professor Dr. Heuer.
Überblickt die in Frankfurt zu Goethes Jugendzeit blühende Kunst der
Schütz, Trautmann und Seekatz und zeigt den Wechselverkehr zwischen
Goethe und der Frankfurter Kunst. Eine Zeichnung des Jubilars zu
Goethes »Fuchs und Kranich« ist wiedergegeben.
15. Per nordwestliche Zug der ersten Stadtmauer von Frankfurt a. M.
Von Architekt Chr. L. Thomas. Ein genauer Ausgrabungsbericht, auf
Grund dessen der Verfasser seine Ansichten über das Karolingische
Frankfurt und seine Ausdehnung entwickelt. F. R.
Mainzer Zeitschrift. Zeitschrift des Römisch -Germanischen Central -
Museums und des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte
und Altertümer, herausgegeben von der Direktion des Römisch-
Germanischen Central-Museums und dem Vorstande des Mainzer
Altertums-Vereins.
78
Literaturbericht.
Jahrgang III, 1908, der neuen Folge der Zeitschrift des Vereins
zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer, Mainz 1908,
in Kommission bei L. Wilckens, gedruckt bei Philipp von Zabern,
Großh. Hess. Hofbuchdruckerei, Mainz. (Mit 6 Tafeln in Autotypie
und Steindruck und zahlreichen Abbildungen im Text.) 4° 143 S.
Preis 7 M.
Eine schätzbare Zeitschrift, deren Bereich örtlich begrenzt ist, die
aber innerhalb dieser Grenzen ein weites Feld für geschichtliche,
archäologische und kunstgeschichtliche Forschung findet. Ich nenne die
einzelnen Aufsätze, berichte aber nur bei denen von kunstgeschichtlichem
Belang kurz über den Inhalt. Besonders wichtig sind in diesem Anbetracht
die Nummern 5 und 6. Sie enthalten sehr wertvolle Mitteilungen über
die nicht mehr vorhandene altmainzische St. Albanskirche, die in
karolingischer Zeit an Stelle eines frühchristlichen Heiligtums erbaut
wurde. Die gerade in ihrer Beschränkung verdienstliche und interessante
Zeitschrift, deren Arbeit im wesentlichen Mainzer Gelehrte, darunter die
Direktoren des R.-G. Centralmuseums, bestreiten, hat auf Beachtung und
Verbreitung Anspruch.
1. Die im Jahre 1907 gefundenen römischen und frühchristlichen
Inschriften und Skulpturen. Von K. Körber. Nur einige figurale Relief-
bruchstücke, zwei Köpfe aus Sandstein und ein korinthisches Säulen-
kapitell interessieren kunstgeschichtlich.
2. Archäologische Karte der Umgebung von Mainz. Von K. Schumacher.
Ist mit einem sorgfältig gearbeiteten Lexikon aller rheinhessischen Fund-
orte von der neolithischen bis zur karolingischen Zeit verbunden.
3. Karl Zangemeister. Von K. Schumacher. Aus dem Biographischen
Jahrbuch und Deutschen Nekrolog, Band X, 1907, abgedruckt.
4. Zur Kenntnis der frühneolithischen Zeit in Deutschland. Von
P. Reinecke.
5. Zur Baugeschichte der St. Albanskirche bei Mainz. Von E. Neeb.
Benutzt archivalische und literarische Quellen und eine Anzahl (meist
nicht ganz zuverlässiger) Abbildungen des Albansberges und der Albans-
kirche aus der Zeit nach ihrer letzten Zerstörung 1552. Zeigt, daß
schon in vorkarolingischer Zeit auf dem späteren St. Albansberg eine
kleine Kirche bestand, von deren Mauern vielleicht noch Reste vorhanden
sind. 805 vollendete Erzbischof Richulf eine große Basilika zu Ehren des
hl. Alban. Die während des Baues (794) verstorbene Gemahlin Karls
des Großen, Fastrada, wurde darin bestattet. In romanischer Zeit wurden
kleinere bauliche Veränderungen, vielleicht auch Anbauten, vorgenommen.
In gotischer Zeit und zwar, wie der Verfasser nachweist, zwischen 1297
und 1329, wurde die Kirche (vielleicht nur ihr Chor und Querschifif?) um-
Literaturbericht.
79
gebaut und mit zwei Westtürmen versehen. Die Karolingische Basilika
war ein stattlicher Bau; der innere Durchmesser ihrer Ostapsis betrug
io Meter, die ganze Breite an der Ostseite etwa 41 Meter. Der gotische
Chor maß im Inneren 1 1 Meter in der Breite und von der Mitte der
Ostwand bis zur Mitte des Triumphbogens 17 Meter in der Länge. Ob
die Kirche Richulfs eine Pfeiler- oder Säulenbasilika war, ist noch nicht
ermittelt. Verwandte karolingische Kirchenanlagen, namentlich Höchst a. M.
und St. Gallen, werden zum Aufschluß über den Bautypus herangezogen;
die Rekonstruktion der inneren Ausstattung des karolingisch-romanischen
Baus mit Altären und Grabdenkmälern wird auf Grund literarischer
Quellen versucht. St. Alban, auf dessen Gelände schon in spätrömischer
Zeit ein Friedhof lag, war bis ins XI. Jahrhundert eine vielbegehrte
Begräbnisstätte. Nicht bloß die meisten Mainzer Erzbischöfe von Richulf
bis Willigis, sondern auch viele weltliche Fürsten wurden dort beigesetzt.
1552 zerstörte Albrecht Achilles von Brandenburg Kirche und Kloster
(damals Ritterstift), wie er gleichzeitig die Stifte von St. Viktor und
Heiligkreuz und das Karthäuserkloster zerstört hat. Die Reste der
Sakristei wurden 1603 zu einer Kapelle hergerichtet. Im übrigen blieb
die Kirche Ruine und wurde als Steinbruch benutzt. Die Kapelle ging
1793 bei der Belagerung zugrunde.
6. Bericht über die Ausgrabungen der St. Albanskirche bei Mainz
im Jahr 1907. Von L. Lindenschmit und E. Neeb. Der genaue und stoff-
reiche Bericht enthält einen Teil der tatsächlichen Grundlagen für den
vorhergehenden Aufsatz und bringt einen Grundriß, der die vorkarolingischen,
karolingischen und gotischen Bauanlagen, sowie die nach ihrer Ent-
stehungszeit noch nicht festgestellten veranschaulicht.
7. Der Reliquienschatz von St. Stephan in Mainz. Zur Erinnerung
an Friedrich Schneider f. Von E. A. Stückelberg. Schildert, wie der
Verfasser mit dem verstorbenen Prälaten den Inhalt zweier Schränke im Chor
der Stephanskirche nutersucht hat. Außer Gegenständen rein kirchlicher
Bedeutung befinden sich darin ein Gewand des Erzbischofs Willigis,
merkwürdige gläserne Reliquienbehälter, mittelalterliche Stoffe, Limousiner
Arbeiten, eisenbeschlagene gotische Reliquienkästen. Schneider hat selbst
das Heiltum von St. Stephan veröffentlichen wollen. Es ist leider nicht
geschehen. Der feine, stimmungserregende Aufsatz erweckt den Wunsch,
daß sich jemand der Sache annähme.
8. Zweiim Frühjahr 1908 in Bingen gefundeneinschriftsteine. Von A.Oxd.
Bruchstück eines Soldatengrabsteins und Grabschrift eines Priesters Ätherius.
9. Zur Geschichte der Mainzer Synagogen. Von S. Salfeld. Exegese
einiger Inschriftsteine. Ein löblicher Beitrag zur Geschichte der uralten
und sehr angesehenen jüdischen Gemeinde in Mainz.
8o
Literaturbericht.
10. Ein verschwundenes Erzbischofsdenkmal des Mainzer Domes.
Von E. Neeb. Weist auf Grund zweier Zeichnungen, die der Verfasser
auf der Mainzer Stadtbibliothek entdeckt hat, den Rest eines Grabdenkmals,
vermutlich des Erzbischofs Siegfried III. von Eppstein (gest. 1249) nach.
Ein andres Denkmal desselben Erzbischofs ist noch im Mainzer Dom
erhalten.
11. Kleinere Beiträge zur Mainzer Geschichte, vornehmlich im
17. Jahrhundert. Von Dr. H. Schrohe. Nur Abteilung II: Nachweise
über einzelne Mainzer Künstler und Kunsthandwerker, hat kunstgeschicht-
liches Interesse. Aber bei keinem dieser Bildhauer, Maler, Glasmaler,
Kupferstecher usw. überschreitet das Ansehen die Örtlichkeit.
12. Neuerwerbungen des Mainzer Altertumsvereins. Von L. Linden-
schmit. U. a. ein (wohl ottonisches) Elfenbeinrelief und ein schöner (nieder-
rheinischer? vlämischer?) Elfenbeinkruzifixus aus dem 17. Jahrhundert.
13. Jahresbericht des R.-G. Centralmuseums April 1906 7.
F. R.
Josef Weiß. Kurfürst Maximilian I. als Gemäldesammler. Neue
archivalische Beiträge. Histor.-polit. Blätter. München 1908. CXLII S.
Weiß veröffentlicht hier zum ersten Male eine Reihe von Schrift-
stücken aus den Jahren 1627 — 1633 über Erwerbung von Kunstwerken
aus Forchheim, Köln, Meßkirch, Neumarkt, Nürnberg, Stendal und Nieder-
sachsen durch Maximilian I. Es sind Beiträge, die das Bild, das uns
Reber in seinem »Kurfürst Maximilian als Gemäldesammler« von dem
fürstlichen Sammler entwirft, ergänzen, indem sie wichtige Aktenstücke
über Hauptwerke Dürers z. B. den Hellerschen und Paumgartnerschen
Altar und die Vier Aposteln zu den bereits bekannten hinzufügen. Von
besonderer Bedeutung für die Kunstgeschichte sind die Nachrichten über
verloren gegangene und bis jetzt unbekannte Werke Dürers. So wendet
sich Maximilian an Tilly mit dem Auftrag, nach einem Altarbilde Dürers
zu Stendal zu forschen: »Wür werden glaubwürdig bericht, das zu
Stendel in der Markh Brandeburg in Unser L. Frauen Khirchen zu
hinderist under der Orgl ein Altar sey mit St. Hieronimi Bildtnuß (so
zweymal aufgethan) mit doppelten Flüglen vom Albrecht Dürer Ao 1 5 1 1
gemalt. « Den Verkauf des Altares bewilligte der Rat von Stendal im
September 1627. Aldringen, der an Maximilian ein Gutachten, das leider
nicht mehr vorhanden ist, übermittelte, übergab den Altar einer Proviant-
fuhre nach Hessen, von wo aus er ihn weiterbefördern wolle. Das
weitere Schicksal des Altars ist gänzlich unbekannt. Ob er zerstört
wurde, oder den Schweden in die Hände fiel, oder ob ein spanischer
General ihn in seine Heimat entführte, wohin ja so manches deutsche
Literaturbericht.
8l
Kunstwerk geschleppt wurde, ist ungewiß. Daß es sich um einen
»Dürer« handelte, ist sehr wahrscheinlich, da Maximilian und seine
Vertrauensmänner sich sehr wohl auf dessen Werke verstanden (vgl. die
auf Seite 560 abgedruckte Bemerkung Maximilians über Zurückweisung
von Kopien nach Dürer). Diese Wahrscheinlichkeit erscheint um so
gesicherter, da sich Dürer in den Jahren um 1511 wiederholt mit der
Darstellung des hl. Hieronymus beschäftigte.
Aus der Korrespondenz Maximilians mit seinem Bruder, Kurfürst
Ferdinand von Köln, erfahren wir von weiteren Werken Dürers in Köln,
so von einer Tafel mit U. L. Frauen und einem Laurentius. Außerdem
auch von Altären in der Augustinerkirche und in Lyskirchen. Doch ist
mit diesen Angaben wenig zu machen, da sie ziemlich dunkel gehalten
sind. Auch über einige Gemälde Cranachs erhalten wir manche
Nachrichten, so bemühte sich der Kurfürst um » ein gemaltes U. L. Frauen
Bildt mit dem Christkindlein, so ein Weintrauben in der Hand, von
Lucas Cronach«, das in Neumarkt in Verwahr sei, ferner um ein
Bild aus Forchheim: »Christus und die Ehebrecherin«.
Auch den Meistern aus Italien wendet Maximilian sein Interesse
zu. Er verhandelt mit dem aus Krakau stammenden Stenzei Schilling
in Nürnberg über den Ankauf eines angeblichen Michelangelo, einer
Tafel, auf »welcher die Rais der Allerheiligsten Muetter Gottes mit irem
Khind und Joseph in Aegipten« gemalt sei. Jedoch blieb seine Unter-
handlung erfolglos. Zweien ihm angebotenen Bildern gegenüber verhielt
sich Maximilian leider ablehnend, leider, denn es handelte sich um einen
Tizian: »Die drei Lebensalter« und um einen Corregio: einer »Ver-
mählung der hl. Katharina«. Ebensowenig kam ein Ankauf von Bildern
aus der Stiftskirche zu Meßkirch zustande, nämlich »2 Täfelein« von
den Nebenaltären mit der Verspottung Christi und Christus vor dem
hohen Rat. Von großem Interesse für die kunstgeschichtliche Forschung
ist ein Verzeichnis von Künstlern aus der Mark Brandenburg und
Nie der Sachsen, sowie über Werke derselben. Maximilian schickte
diese Aufstellung an Aldringen, der ja auch die Unterhandlung wegen
des Stendaler Altares leitete. Der Bericht sei im Auszuge hier wieder-
gegeben:
»Zu Schwatt [Schwedt] in dem Schloß ist ein berhüemtes Stukh,
wie Christus mit den 2 Juengern nach Emaus geet, hats ein berhüemter
Maister, der Goldtbekh genandt, gemaldt.
Bei Perlin gegen Bernau, Landsberg und Lieuenwaldt ist ein Ort
Marzian [Marzahn] genandt, alda in der Khirchen ein Maria Bild mit
dem Khindlein und Joseph auf Holz, dabei des Malers Nam, aber solcher
mir nit mer in der Gedechtnuß ....
Repertorium für Kunstwissenschaft. XXXII.
6
Literaturbericht.
8 2
Zu Prenzlau in der Markh bei Reppin ist ein Stükh das Nachtmal
Christi von einem Maler Truekhokh oder Cruekhokh genandt gemalt . . .
Lestlich hat es in Nider Saxen und Brandeburg viel berhümbLe
Maister gehabt, alß zu Spandau einen, Duxi genant, jtem den Goldbökh,
wider einen andern der Schrötter, dan einen denn Tanneberger genandt,
jtem den Chruchekhokh und andere mehr, so vor ongefehr ioo Jaren
gearbeitt . . . .« Es wäre gewiß außerordentlich interessant, wenn sich
Werke dieser Meister noch nachweisen ließen, zumal ja diese Gegenden
im Vergleich zu Süddeutschland nicht reich an uns bekannten Künstlern ist.
Im letzten Teile seines inhaltreichen Aufsatzes behandelt Weiß die
Frage nach der Plünderung der Galerie Maximilians durch die Schweden
und die Bemühungen des Kurfürsten um die Wiedererlangung der ent-
führten Kunstschätze. Dr. A. Feigel.
Der neue Smith (II. Band)1).
Überraschend schnell bringt uns Dr. Hofstede de Groot den II. Band
seines Riesenwerkes, diesesmal freilich unter Mitarbeitung von Kurt Freise.
Ein dickes Buch, von beinahe 700 Seiten, das nur zwei Malern, Aelbert
Cuyp und Philips Wouwermans gewidmet ist. Ich schreibe Wouwer-
mans im Gegensatz zum Verfasser, der an der alten Schreibweise festhält.
Ich werde gleich sagen weshalb. In einem Vorwort sagt Dr. de Groot,
weshalb er sich soviel wie möglich bei Bildern aus Privatsammlungen
der Kritik über Qualität und Erhaltung enthalten hat. Man kann dem
nur beipflichten. Es ist auch nicht angenehm für den Sammler, der
seine Sachen mit Liebe zusammengebracht hat, auf ewige Zeiten seinen
Cuyp, seinen Wouwermans im »Smith« als: langweiliges Bild, ziemlich
verdorben, usw. gedruckt zu sehen. Trotz seines Versprechens sehe ich
doch bei einem Cuyp in Privatbesitz: der Hund ist schwach, der Ge-
sichts^usdruck des Knaben nicht angenehm. Bei einem echten und bez.
Bild sollten auch solche Bemerkungen dem Leser vorenthalten bleiben; er
kann sie selbst machen, wenn er das Bild unter die Augen bekommt.
Das einleitende Wort bei Cuyp ist wieder vortrefflich geschrieben,
inhaltsreich bei sehr knapper Form. Nur einige kurze Bemerkungen
möchte ich mir erlauben. Der Verfasser behauptet, daß Cuyp zu den
sehr wenigen großen Künstlern zu rechnen sei, deren Werke von den
Zeitgenossen bereits geschätzt wurden und die deshalb nicht unter
äußerer Not leiden mußten.
*) Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der Werke der hervorragendsten
Holländischen Maler des XVII. Jahrhunderts. Von Dr. C. Hofsted e de Groot.
Eßlingen und Paris. (F. Kleinberger.)
Literaturbericht.
83
Eben im Begriff, die leider nur sehr unvollständig erhaltenen
Dordrechter Notariatsprotokolle durchzulesen, finde ich während
Cuiyps Leben dessen Bilder auf 15 — 30 Gulden (auch noch im Jahre 1688)
taxiert. Sein Vater starb nicht unbemittelt, aber es war durch seine
Heirat (1658) mit einer sehr reichen Witwe, daß Cuyp in die angenehme
Lage versetzt wurde, nicht um das liebe Brot malen zu müssen. Daß
er trotzdem so fleißig war, daß er in seinen späteren Arbeiten immer
Bedeutenderes und Genialeres gab, beweist nur, daß er wirklich ein großer
Künstler, ein Meister von Gottes Gnaden war. Ob es aber eine » Legende «
ist, daß er nur aus Liebhaberei malte? Ich glaube kaum. In keinem
Dokument habe ich noch das Wort »Schilder» hinter seinem Namen ge-
sehen, das bei seinem Vater nie fehlt. Wohl aber heißt er immer: de
Heer Aelbert Cuyp! Leider ist kein Inventar von seinem Nachlaß vor-
handen; und ich fürchte, wir werden über diese Frage kaum den vollen
Aufschluß finden. Ich glaube aber, daß de Groots Vorstellung, als wäre
Cuyp durch große und ihm unangenehme Bestellungen gehetzt worden, irrig
ist.. Er verkehrte mit den vornehmsten Einwohnern Dordrechts als seines-
gleichen, und da hat er wohl manches Bild aus Gefälligkeit gemalt.
Vorläufig ist das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen.
Ich empfehle ganz besonders die ausgezeichnete Charakteristik Cuyps
in diesem Vorwort; man sieht seine Bilder beim Lesen vorüberziehen
in ihrer sonnigen Wärme, ihrer goldigen Glut. Sehr richtig auch, was
Verfasser über die Ungleichheit von Cuyps Bildern sagt, und ich stimme
ihm gerne bei, wenn er ausführt, wie gerne wir diesem Maler eine Anzahl
geringere, flüchtigere Arbeiten2) verzeihen, sobald wir wieder vor einem
seiner Meisterwerke stehen, darin die Atmosphäre »von Feuchtigkeit
durchtränkt und von warmem Sonnenglanz erfüllt ist. Die Schönheit
der Dordrechtschen Landschaft, der holländischen Luft und Sonne haben
das Herz des Künstlers ganz erfüllt, und die aus solcher Stimmung
heraus geschaffenen Werke lösen in dem empfänglichen Betrachter
ähnliche Gefühle freudiger Dankbarkeit und Lebensbejahung aus.«
Über 800 Nummern zählt der Katalog. auf; aber wir können wohl
wenigstens 200 — 250 davon streichen als unsichere Angaben alter
Kataloge, Bilder die zwei- oder dreimal erwähnt werden, usw. Es bleibt
dann doch noch ein stattliches Oeuvre übrig.
2) Es bleibt auch noch eine offene Frage, ob Cuyp nicht schon bei seinem Leben
geschickte Nachahmer gehabt hat, deren Werke hie und da jetzt als Cuyps gelten.
In einem Inventar eines sehr reichen Dordrechter Herrn fand ich, neben Landschaften
Cuyps auch große Landschaften von Richard Farrington hängen (um 1690). Dieser
Farrington lebte zwischen 1650 — 1665 in Dordrecht und war mit der Tochter eines
angesehenen Glasmalers verheiratet.
6*
84
Literaturbericht.
Bei Nr. 437 »Reisende in einer Gebirgslandschaft« möchte ich be-
merken, daß mir bei genauer Vergleichung dieses Bild bestimmt als
Kopie nach Nr. 425 bei Lord Scarsdale vorkam.
Sehr lehrreich ist der Schluß über die Schüler und Nachahmer Cuyps.
Bei Wouwermans schrieb de Groot auch ein sehr interessantes
Vorwort. So kann nur einer schreiben, der mit fast sämtlichen Arbeiten
eines Meisters vollständig vertraut geworden ist. Mit Recht rühmt er die
Dünen- und Strandansichten mit nur wenigen Figuren als Wouwermans’
beste Bilder. Er hätte noch etwas mehr über die frühen Bilder sagen
können, jene hellen »warmen« Wouwermans, auf braunem Grunde,- fast
immer auf Holz gemalt, im Gegensatz zu den schwarzen und grauen
Spätbildern, überladen von Figuren, die meist auf Leinewand gemalt sind.
Schöne Exemplare davon sind der einzelne Schimmel im Ryks Museum
und der Halt auf der Jagd (hier N. 654) im Haag.
Warum ich Wouwermans, mit s, schreibe? Weil die drei Brüder —
Maler Philips, Pieter und Jan sich selbst immer (auch bei Gelegenheit
der schönen Unterschrift von Philips’ Testament) mit s geschrieben haben.
Philips war ein kultivierter Maler, der doch wohl wußte, wie er seinen
eigenen Namen schreiben mußte. Sein Vater hieß nur Paulus Joosten.
Seine Mutter aber Maycken Wouwermans, und die Kinder nahmen,
wie das damals in Holland mehr vorkam, den Namen der Mutter an.
Eins wundert mich: daß de Groot erzählt, Wouwermans habe 1672
seiner Tochter eine Mitgift von 20000 Gulden gegeben bei ihrer Heirat!
War der Maler damals doch schon seit 4 Jahren nicht mehr im Lande
der Lebendigen. Und — ich hoffe später mehr darüber zu erzählen —
soviel kann ich schon verraten, daß Wouwermans (der 7 Kinder und
eine Witwe hinterließ), nicht so reich geworden war, daß er jedem
20000 Gulden geben konnte. Ich weiß nicht, ob er überhaupt wohl
jemals 20000 Gulden besessen hat!
Ob Wouwermans wirklich große Reisen gemacht? Vielleicht ist er
kurze Zeit in Frankreich gewesen; sein Bruder starb ja in Paris, und
höchstwahrscheinlich hat auch Philips dort geweilt. Wenn er aber vor
seiner Heirat, resp. vor seiner improvisierten Hochzeitsreise (als er erst
19 Jahre alt war), Italien besucht häben soll, muß er schon außer-
ordentlich jung seine Südreise angetreten haben. Vielleicht geben uns
die Archive auch darüber noch einmal Aufschluß.
Mit dem Verfasser staunen wir über die ungeheure Menge Bilder,
die Wouwermans’ Namen tragen, und die er innerhalb dreißig Jahren ge-
malt haben muß. Vergessen wir nicht: auch Wouwermans ist schon früh
vortrefflich kopiert, viele Bilder in alten Auktionskatalogen ihm zuge-
Literaturbericht.
85
schrieben, sind von seinem Bruder Pieter — wir dürfen von den
1x65 Nummern des neuen Smith wohl 300—400 Stück abziehen als
unsichere oder doppelt oder drei, vier Male erwähnte Bilder — es bleiben
doch noch immer über 700 Werke übrig, worunter solche, wie die großen
Schlachten in Petersburg, Mauritshuis und bei Dowdeswell in London,
umfangreiche Bilder, die geraume Zeit in Anspruch genommen haben
müssen. Und von Collaboration wissen wir nichts. Höchstens könnte
sein Bruder Jan ihm etwas bei der Landschaft geholfen haben. Und
das wieder gewiß nicht in seinen späteren Arbeiten. Alle Achtung vor
diesem Fleiße, nur zu vergleichen mit dem Fleiße, womit der Verfasser
diese für ihn oft gewiß recht unerquickliche aber für uns alle so nütz-
liche Arbeit zu Ende gebracht hat. A. Bredius.
W. L. Schreiber und Paul Heitz. Die deutschen »Accipies« und
Magister cum discip ulis-Holzschnitte, als Hilfsmittel zur In-
kunabel-Bestimmung. Mit 77 Abbildungen. Studien zur deutschen
Kunstgeschichte. Heft 100. Straßburg. I. H. Ed. Heitz. 1908.
Inhalt und Absicht des Buches sind in seinem Titel umschrieben.
Es handelt sich um eine Zusammenstellung der Schulszenen darstellen-
den Holzschnitte, die jeweils als Titelbild den verschiedenen Schulbüchern
eines Verlages vorangestellt zu werden pflegten, und die als vielbenutzte
Stöcke — eine andere Art von Druckerzeichen — zur Bestimmung un-
bezeichneter Drucke gute Dienste zu leisten vermögen. Sorgfalt und
möglichste Vollständigkeit in der Zusammenstellung des Materials, das
wichtigste für ein solches in erster Reihe praktischen Zwecken dienendes
Buch, gewährleistet schon der Name des Verfassers, und Stichproben
bestätigen durchaus die Zuverlässigkeit. Die Anordnung nimmt ledig-
lich auf die Möglichkeit rascher Orientierung Rücksicht. Nach der
Anzahl der Schüler werden die Holzschnitte in Gruppen gesammelt
Beinahe alle in Frage kommenden Darstellungen sind in Abbildungen
beigegeben, und rasch orientierende Beischriften heben die dem ersten Blick
oft nur schwer kenntlichen Unterschiede der einander nahe stehenden
Holzschnitte gut heraus.
Zu bedauern ist, daß aus äußerlichen Rücksichten, um eine Auf-
nahme in die Heitzschen »Studien zur deutschen Kunstgeschichte«, die
mit dem vorliegenden Bande ihre hundertste Nummer erreicht haben, zu
ermöglichen, das Thema auf die deutschen Schuldarstellungen beschränkt
wurde, zumal Schreiber selbst den Nachweis führt, daß der Brauch und
mit ihm die Vorbilder für einige der Haupttypen aus dem Auslande
stammen. So kommt es, daß für die Reihen zusammengehöriger Holz-
86
Literaturbericht.
schnitte gerade die Anfangsglieder an einigen Stellen fehlen, so für den Holz-
schnitt des Johann Amerbach, der der erste deutsche Drucker war, der
einen Stock schneiden ließ, um ihn für verschiedene Schulbücher seines
Verlages zu verwenden, das Vorbild aus der Offizin des Gottfried de
Os in Gouda (leicht zugängliche Abbildung in Diederichs Monographien
Bd. IX S. 51), für das Schulbild des Cornelius von Zürichsee in Köln
die Vorlage des Gerard Leeu in Antwerpen und für den » magister cum
discipulis« des Augsburger Hans Schaur das entsprechende Blatt des
Richard Paffroet zu Deventer (abgebildet in Diederichs Monographien
Bd. IX. S. 38). In dem von Johann Amerbach verwendeten Holzschnitt
Kr. 15 endlich hat sich doch wohl, wie auch Schreiber vermutet, ein
niederländisches Originalwerk eingeschlichen.
Wenn diese Bemerkungen weniger den unmittelbaren Zweck des Buches
treffen als das kunsthistorische Ergebnis, das gleichsam als Nebenprodukt
der Arbeit abfällt, so zielen ebenfalls nur auf dieses ein paar Einwen-
dungen, die gegen Beziehungen einzelner Holzschnitte untereinander,
wie Schreiber sie aufstellt, zu erheben sind. So will es nicht einleuchten,
daß der Augsburger Holzschnitt (Nr. 2) eine wenn auch freie Bearbeitung
der frühesten Darstellung dieser Art, die um 1473 bei Martin Flach in
Basel erschien (Nr. 1), sein soll. Auf der anderen Seite wird versucht,
denselben Augsburger Holzschnitt in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem
Quentellschen Accipiesschnitt von 1490 (Nr. 18) zu setzen. Es ist nicht
abzusehen, wie beides sich miteinander vertragen soll, aber auch die
letztere Beziehung will durchaus nicht einleuchten. Es sei nur kurz dar-
auf hingewiesen, daß auch die Angabe, der Reutlinger Schnitt Nr. 61
habe für den ebenfalls Reutlinger Nr. 62 und den Ulmer Nr. 34 als Vor-
lage gedient, zum mindesten in dieser Form kaum haltbar ist, und daß es
ebenso zuviel gesagt scheint, wenn der Quentellsche Holzschnitt Nr. 47
eine Kopie des ebenfalls Kölnischen Accipiesschnittes Nr. 66 genannt
wird, wenn auch die Möglichkeit einer Beziehung in diesen Fällen zuge-
standen sein soll.
Zum Schluß sei auf eine Feststellung hingewiesen, die über den
engen Rahmen des vorliegenden Buches hinaus allgemeineres Interesse
beansprucht, nämlich auf den Nachweis, daß die Beliebtheit eines künst-
lerisch nicht eben hochstehenden und bereits veralteten Holzschnittes aus
Quentells Offizin (Nr. 18), der seit 1495 an verschiedenen Orten kopiert
und eifrig benutzt wurde, nur darauf zurückzuführen ist, daß man den
Käufer glauben machen wollte, er habe einen Quentellschen Druck vor
sich. Es handelt sich also um Nachahmung der Schutzmarke eines be-
liebten Fabrikates und um einen der Fälle, die uns lehren müssen, daß
auch in der Kunst die Deutung der Zusammenhänge aus rein künstle-
Literaturbericht.
87
rischen Motiven nicht in allen Fällen zureicht. Wenn der Forscher heut
gegen die Irrtümer, die hervorzurufen diese Nachahmungen geradezu
bestimmt waren, gesichert ist, so dankt er es der sorgfältigen Zusammen-
stellung in Schreibers Buche. Curt Glaser.
Graphische Gesellschaft.
Die zwei neuen Veröffentlichungen — die siebente und achte — ,
die die graphische Gesellschaft zum Abschluß des dritten Jahrganges
ihres Bestehens den Mitgliedern überreicht, unterscheiden sich von ihren
Vorgängerinnen durch die größere Mannigfaltigkeit ihres Inhalts, denn
sie geben nicht wie sonst zusammenhängende Folgen oder das graphische
Oeuvre eines Künstlers, sondern die Zusammenstellung erfolgte nach
äußeren Gesichtspunkten. »Holzschnitte der ersten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts im Königl. Kupferstichkabinett zu Berlin« werden von Max Lchrs
herausgegeben und »Inkunabeln der deutschen und niederländischen Ra-
dierung« von Gustav Pauli.
Wie in allen Veröffentlichungen der Gesellschaft, so sind auch hier
die Wiedergaben durchaus mustergültig. In absolut zuverlässigen Licht-
drucken sind die frühen Holzschnitte des Berliner Kabinetts reprodu-
ziert, vier davon farbig, und der Vergleich zeigt, daß auch hier das
Mögliche geleistet ist in der Annäherung an das originale Kolorit. Die
Publikation umfaßt die stattliche Zahl von 31 Blättern, die dem Stile
nach in chronologischer Reihe geordnet vom Anfang bis in die Mitte
des XV. Jahrhunderts führen. Die sehr bedeutende Sammlung von In-
kunabeln des Holzschnitts im Berliner Kabinett, die erst im vergangenen
Jahre durch die letzte noch von Lehrs veranstaltete Ausstellung weiteren
Kreisen bekannt wurde, ist hier in ihrem weitaus interessantesten und
wichtigsten Teile der Forschung zugänglich gemacht, und es ist mit Ge-
nugtuung zu begrüßen, daß diese Sammlung, die länger als viele, weit
geringere der Erschließung harren mußte, nun im Gegensatz zu manchen
anderen eine in jeder Hinsicht würdige Veröffentlichung gefunden hat.
Nicht weniger interessant und reichhaltig ist die Zusammenstellung
von Inkunabeln der Radierung, die Gustav Pauli gibt. Auch hier ist
die Klarheit der Reproduktionen sehr zu rühmen, die die im Druck oft
unvollkommenen Versuche einer noch unausgebildeten Technik mit aller
wünschbaren Treue wiedergeben. Den Anfang mac1'1- Daniel Hopfer, der
bewegliche und vielseitige Augsburger, der weniger durch Originalität
als durch Geschicklichkeit ausgezeichnet, in seinem graphischem Werke uns
die Erinnerung an manche verlorene Schöpfung der Genossen seiner
Kunst und Heimat bewahrt hat. So zeigt der Schmerzensmann auf
88
Literaturbericht.
Tafel III der vorliegenden Publikation (Eyßen 29) unverkennbar den
Stil des älteren Holbein. Das Blatt reicht der Erfindung nach noch in
das XV. Jahrhundert zurück und ist im Charakter weitaus das alter-
tümlichste der Folge. Mit ihm und dem zwischen 1501 und 1507
sicher zu datierenden Kunz von der Rosen stellt Daniel Hopfer sich als
der erste dar, der die Ätzung auf Eisen zum Zweck des Druckes übte.
Auf die Werke der Hopfer, denen sich 3 interessante Blätter des Meisters
C. B. anschließen, folgen die 2 Radierungen des in allen Techniken er-
fahrenen Schweizers Urs Graf, und zeitlich mit dessen Arbeiten fallen
auch bereits Dürers erste Versuche in der Radierung zusammen, die in
dem wuchtigen Blatte der Kanone ihren Höhepunkt und Abschluß finden.
Ob, wie Pauli will, der Stil dieses Blattes, das mit seinem markigen
Strich mehr dem Holzschnitt sich nähert als der Feinarbeit des Kupfer-
stichs, und ob das große Format überhaupt der Radierung ihrem Wesen
nach allein angemessen sei, scheint allerdings fraglich. Die spätere Ent-
wicklung der Technik schlägt vielmehr in der Hauptsache die Wege ein,
die etwa in den sehr reizvollen, winzigen Blättchen aus der Marienlegende
von Hans Sebald Beham vorgezeichnet sind. Altdorfers Holzschnitte,
denen diese Radierungen des Beham nacherfunden sind, erscheinen hier
in eine persönlichere, beweglichere, der kapriziösen Erfindung besser an-
gemessene Sprache übersetzt. Von Altdorfer selbst war das Bedeut-
samste im Bereich der Radierung, seine Landschaften, schon in einer
früheren Veröffentlichung der Gesellschaft vorweggenommen. So blieben
hier nur die Landschaftsradierungen des Jakob Binck, die an ihr Vor-
bild nicht heranreichen. Von der Vielseitigkeit dieses schwer zu fassen-
den Meisters geben die italianisierenden Blätter, die auf seine Land-
schaften folgen, auch hier Zeugnis. — In einem anderen Sinne als in
Deutschland wird in den Niederlanden die neue Technik der Radierung
gehandhabt, nicht so sehr als eigene Ausdrucksform, vielmehr als Hilfe
und Surrogat des mühsameren Stiches. So wird man in Lucas van
Leydens prachtvollem Maximilianporträt erst bei eingehendem Studium
die radierten von den gestochenen Linien unterscheiden. Neben Leydens
schönen Arbeiten verdienen noch die interessanten Blätter des Meisters
mit dem Krebs hervorgehoben zu werden.
Das Ergebnis ist, daß schon in den ersten Stadien der Radier-
technik alle Möglichkeiten ihrer späteren Entwicklung vorgebildet sind,
der offene, breite Strich der tiefgeätzten Furche, die Beweglichkeit der
leicht zu handhabenden Radiernadel und endlich die Feinarbeit, die alle
technischen Möglichkeiten nutzt, die sich nicht ihrem Materiale über-
läßt, sondern der alles nur Mittel ist, ein vorausgewolltes Endziel zu er-
reichen.
Literaturbericht.
89
Die Ausstattung der Publikationen zeichnet jene einfache Sachlich-
keit aus, die in jeder Hinsicht charakteristisch ist für den Geist des
Unternehmens. Die vorhandenen Mittel sind nicht für schönfärberische
Kunststücke benutzt, wie etwa das heut vielfach beliebte Auflegen auf
verschieden getönte Untersatzpapiere, das bei Veröffentlichungen in Buch-
form immer etwas Peinliches hat und außerordentlich unpraktisch ist,
weil jedes Umblättern das aufgelegte Blatt gefährdet, sondern alle Mittel
werden darauf verwendet, eine möglichst große Zahl zuverlässiger Repro-
duktionen zu schaffen. Da die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft mit
der Zahl ihrer Mitglieder sich steigert, ist zu wünschen, daß diese neuen
Publikationen, die gerade durch die Vielseitigkeit ihres Inhalts auf ein
weites Interesse rechnen dürfen, dem Unternehmen neue Freunde werben
mögen. Curt Glaser.
Dr. Paul Kaufmann. Johann Martin Niederee, ein rheinisches
Künstlerbild. Straßburg, Heitz 1908.
Neben anderen Vergessenen und Verkannten wurde auch Niederee
durch die deutsche Jahrhundertausstellung zu Berlin 1906 wieder ins
Licht gerückt. Daß Niederee bei dieser Gelegenheit entdeckt werden
konnte, war wesentlich das Verdienst seines rheinischen Landsmannes,
der jetzt auch sein Leben in herzlicher Meinung geschrieben hat.
Dieses Leben war kurz, denn es umfaßt nur 23 Jahre, es war hart, denn
es ist unter Not und Entbehrungen verlaufen. Nur von aussichtreichen
Anfängen einer Laufbahn ist zu berichten. Wer dabei mit hohen Worten
lobt„ kann sich auf Peter von Cornelius berufen, der seinen jungen
Schützling überaus pries und ihn einmal mit Dürer verglich, nicht bei-
läufig und ungefähr, sondern als ein gleichwertiger wird Niederee neben
Dürer gestellt. Die Urteile und Vergleichungen der Künstler waren
schon vor 50 Jahren durch Überschwang unleidlich. Sicher war Niederee
kein Dürer, aber er besaß vortreffliche Anlagen, die ihn bei längerem
Leben gewiß auf eine beträchtliche Höhe gebracht hätten. Wenn
Cornelius in einer Eingabe an König Friedrich Wilhelm IV., um Niederee
Erleichterungen im Militärdienst zu verschaffen, sagt: »er hat dasjenige
von der Natur gratis erhalten, wonach ändere ihr ganzes Leben lang
vergebens ringen« so ist das nur wenig übertrieben. Der König selbst
urteilte kühler, er fand, daß Niederee in der eingesandten Zeichnung
»ein entschiedenes Talent an den Tag gelegt habe«. Was dem Könige,
Cornelius und der ganzen offiziellen Kunstwelt nach damaligem Geschmack
an Niederee so wohl gefiel, war einmal seine flinke Fertigkeit im
Zeichnen. Cornelius äußerte sich darüber: »Nur wenige Striche tat er
mit dem Blei, dann ging er schnell und kühn mit der Feder los und
90
Literaturbericht.
arbeitete mit unglaublicher Schnelligkeit und Sicherheit.« Von Farbe
ist in allen Urteilen von Zeitgenossen nie 'die Rede. Die technische
Fertigkeit imponierte zumeist dem Künstler, der König und andere
fanden natürlich mehr zu rühmen an Niederees Kompositionen, was
von diesen in Berlin bekannt wurde, behandelte ausnahmslos religiöse
Gegenstände. Sie konnten auch wohl gefallen, trotzdem allerlei
Erinnerungen,, wie sie lernende Künstler naiv als Eigenes geben, zu
erkennen sind und wohl damals schon erkannt wurden. Aber aus der
kleinsten und bescheidensten spricht die frohgemute Gottseligkeit, die
Niederee als rheinisches Erbteil besaß und der er so eindringlich Aus-
druck zu geben verstand. Eine andere bessere Heimatgabe hat erst die
jüngste Zeit in Niederees Arbeiten schätzen gelernt. Malerischer Sinn
zeichnet den Rheinländer aus, seitdem er sich künstlerisch betätigt.
Schon in seinen romanischen Kirchenbauten wird sie deutlich. Bei
Niederee wird die ererbte malerische Begabung seines Stammes, eine
glückliche aber nicht notwendige Ergänzung, durch einen frischen Farben-
sinn gesteigert. Das schmale Verzeichnis der hinterlassenen Werke
Niederees umfaßt 47 Nummern, die sich auf die 6 Jahre von 1847 — 53
verteilen. Darunter nur 14 Ölgemälde, die beinahe sämtlich in Linz
und Düsseldorf entstanden sind vor der Übersiedelung nach Berlin.
Diese Ölgemälde sind mit nur einer Ausnahme (die Nonne auf dem
Friedhof) Bildnisse und Kopfstudien. Porträtieren mochte Niederee
aber gar nicht, er nennt es einmal »eine fürchterliche Aufgabe« und
» einen Gang in fremden Stiefeln «. Die gemalten Bildnisse sind aber
gerade das, was uns heute von Niederees Kunst am besten gefällt,
sicher auch das, was dauernd in Schätzung bleiben wird. Sein Biograph
macht auf die Ähnlichkeit mit den Bildern von Julius Oldach, Erwin Speckter
und Friedrich Wasmann aufmerksam. Die Übereinstimmung ist frappant.
Ein Zusammenhang zwischen den Hamburgern und dem Rheinländer ist
aber nicht zu konstruieren. Aus der Gleichartigkeit ihrer gemalten
Bildnisse spricht der deutsche Zeitstil, wie er in den Niederungen der
Kunst, in die die akademischen Meinungen nicht drangen, gewachsen
ist. Vor den Bildern der Nordländer, jedenfalls vor denen Oldachs
und Speckters, zeichnen sich die Niederees durch eine fröhliche Farbigkeit
aus. Durch diese Bildnisse, die er selbst nicht sonderlich hoch ein-
schätzte, wurde Niederee nach einem halben Jahrhundert des Vergessens
wieder bekannt, an ihnen haftet sein später Nachruhm. Einmal erworben,
wird er nicht mehr verklingen, zumal mit ihm die Erinnerung an ein
ergreifendes Menschenschicksal lebendig wird, das nach kürzester Blüte
rasch verging, zumal uns jetzt das Ergehen des Jungverstorbenen in
warmherziger Erzählung gegeben ist. Gern wird der Verfasser, der ein
Literaturbericht.
91
hohes Reichsamt bekleidet und das schöne Buch seinen knapp bemessenen
Erholungstagen abgerungen hat, auch da Nachfolge finden, wo er über-
zeugen will, daß sein Held bei längerem Wirken eine höchste Spitze
erreicht hätte. Es kann sich ja nur um einen Glauben handeln, der
unter der Voraussetzung geteilt werden kann, daß Niederee bei weiterem
Leben in die rheinische Heimat zurückgekehrt wäre. Denn nur da hätte
sich seine koloristische Begabung, durch die er allein seine Umgebung
überragte, selbständig entfalten können. Dieses seines besonderen Vorzugs
war sich aber Niederee selbst noch kaum bewußt geworden. Cornelius
hat es nicht erkannt. Wohler als sonst die Rheinländer fühlte sich
Niederee in Berlin. Mit hoher Verehrung und beinahe willenlos sah er
zu Cornelius auf, zu großer Dankbarkeit war er ihm verpflichtet. Da ist
es wenig wahrscheinlich, daß er rechtzeitig zum Entschluß des Fortgehens
gekommen wäre. Und wenn, dann wäre er zunächst in das verderbliche
Italien geraten. Sein malerisches Talent war in Gefahr, bald zu ver-
kümmern. Berlin und die Farblosen hätten Niederee niedergezwungen.
/• &
August L. Mayer. Jusepe de Ribera. Mit 59 Abbildungen in Licht-
druck. Kunstgeschichtliche Monographien X. Leipzig 1908. Karl
W. Hiersemann. 196 S.
Von den typischen Merkmalen der Erstlingsarbeiten erscheint dieses
Buch ziemlich frei. Die erstaunlich vollständige Kenntnis der Monumente,
der unter Riberas Namen in fast allen Galerien Europas ausgestellten
Gemälde, und das sichere Urteil über die Qualität jedes dieser Bilder machen
den Band zu einem reifen, fertigen und sehr nutzbringenden Beitrag.
Niemand vor dem Verfasser hat annähernd so viel kritische Aufmerksamkeit
den Schöpfungen dieses Meisters zugewendet.
Abgesehen von einer gewissenhaften Prüfung der spärlichen Nach-
richten von den Lebensumständen Riberas, wobei sich nichts Neues von
Belang ergibt, abgesehen von mehreren Exkursen und einer zusammen-
fassenden Charakteristik, enthält der Band die Aufzählung der Arbeiten
Riberas in der historischen Folge. Da zienjlich viele Bilder in-
schriftlich datiert sind — von 1626 bis 1652 (einige Radierungen
haben noch frühere Daten) — , ist die Aufreihung nicht allzu schwierig.
Die Entwicklung der Riberaschen Kunst wird aus diesem Kataloge leider
nicht so deutlich, wie der Verfasser gewünscht haben mag. Einmal weil
der Leser bei der ermüdenden Lektüre — fast ein halbes Hundert echter
Bilder werden besprochen — den Überblick verliert und dann (hier
widerspreche ich dem Verfasser) weil diese Entwicklung nicht eine einfache
und schöne Entfaltung ist.
92
Literaturbericht.
Die charakterisierenden Sätze, die der Verfasser dem Meister widmet,
erscheinen in der Hauptsache zutreffend. Relativ dürftig ist die kunst-
geschichtliche Einordnung. Ribera ist Spanier, das wird deutlich, Schüler
Francisco Ribaltas, er ist Valencianer, anders als ) Velazquez und als
Murillo. Früh aber kam er nach Italien und war lange in Neapel tätig,
er nahm und gab auf italienischem Boden und wurde ein Glied in der
Kette der italienischen Kunst. Davon ist wenig die Rede. Namentlich
wird, wie mir scheint, die Bedeutung Caravaggios unterschätzt.
Der Verfasser isoliert seinen Helden und überschätzt ihn. Dies
freilich ist doch eine Eigenschaft der Erstlingsarbeiten. Der Verfasser
hat nicht stets den rechten Abstand von seinem Thema. Dafür ein
Beispiel: Ribera ist viel nachgeahmt worden. Mit den Kopien, Nach-
ahmungen, Karikaturen des Riberaschen Stiles, hat der Verfasser sich
wacker herumgeschlagen, in dem schönen (und erfolgreichen) Streben,
das »Werk« des Meisters von allen falschen Zutaten zu reinigen. So
hat er wieder und wieder Riberas Originale mit trübereren und schwereren
Kopien verglichen, solange, bis ihm die Originale leuchtend hell
erschienen. Vor dem »Klumpfuß« im Louvre, einem der spätesten
Werke Riberas, spricht er von »vollstem pleinair«. Für das Auge,
das nicht beim Betrachten von Ribera-Imitationen einen falschen Maß-
stab eingesogen hat, ist dieses Bild hart im Umriß und schwarz in den
Schatten. Das künstliche und manieristische Verstärken der Licht-
kontraste, um schlagendere Wirkungen zu erzielen, bleibt auch nach
der reinigenden und aufklärenden Arbeit Mayers als eine wesentliche
Eigenschaft Riberas bestehen.
Widerspruch erregt der Satz: Ribera ist wohl der universalste aller
spanischen Meister. — Freilich kommen vielerlei Motive im »Werke«
dieses Meisters vor, seine Einbildungskraft aber, ob wir nun die Empfindung,
die Naturbeobachtung oder die Anordnung prüfen, erscheint weder reich,
noch beweglich.
Über die hauptsächliche Leistung des Buches, den kritischen Bilder-
katalog, kann ich mich nur dankbar und empfehlend äußern; in den
Fällen, wo ich Gelegenheit hatte, nachzuprüfen, fand ich das Urteil
gerecht und scharfsichtig. Friedländer.
Hsiang Yuan Pien. Chinese Porcelain. Translated and annotated by
Stephen W. Bushell. Mit 83 Farbtafeln. Oxford 1908.
Dr. Bushell, wohlbekannt durch das kostspielige Prachtwerk Oriental
ceramic art und durch sein Handbuch des South Kensington Museums
über Chinesische Kunst (1904), hat mit seiner neuesten Veröffentlichung
dem Studium des altchinesischen Porzellans wieder einen großen Dienst
Literaturbericht.
93
erwiesen. Hsiang Yuan Pien, ein in der chinesischen Literatur mehrfach
erwähnter und anerkannter Kunstsammler und Maler, hatte in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts diejenigen mittelalterlichen Porzellane, die
ihm in seiner eigenen und verschiedenen anderen Sammlungen als die
bemerkenswertesten erschienen, auf 83 Aquarellblättern aufgenommen und
mit sehr exakten und instruktiven Beschreibungen versehen. Das Original
dieses Illustrierten Katalogs berühmter Porzellane ist 1887 verbrannt,
nachdem in Peking auf Veranlassung des Gesandten v. Brandt einige
Faksimilekopien hergestellt worden waren. Eine davon diente als Vorlage
für die ausgezeichnete Reproduktion, die Dr. Bushell durch die Clarendon
Press in Oxford ausführen ließ. Man kann nicht behaupten, daß die
steifen und befangenen Zeichnungen des Hsiang Yuan Pien Kunstwerke
sind, aber ihren Zweck, eine genaue Vorstellung der mittelalterlichen
Porzellane zu geben, erfüllen sie doch ganz gut. Das Buch ist die erste
authentische Auskunft darüber, welcherlei Porzellane die chinesischen
Sammler des 16. Jahrhunderts für die 'kostbarsten Denkmäler ihrer
Keramik gehalten haben. Von den 83 abgebildeten Gegenständen
gehören 42 in die Zeit der Sungdynastie (960 — 1279), genug, um die
in der Einleitung Bushells gut charakterisierten sieben Hauptgattungen
der Sungporzellane zu veranschaulichen. Nur ein Stück stammt aus der
Zeit der Yuandynastie (1280 — 1367), 40 dagegen aus der Mingperiode
bis zur Regierung Ching-te (1506 — 1521). Es ist merkwürdig und lehr-
reich zu sehen, wie weit der Geschmack des chinesischen Sammlers von
demjenigen seiner europäischen Kollegen der Neuzeit abweicht. Die
durchweg monochromen Sungporzellane sind in den Formen zum größten
Teil genaue Nachbildungen alter Bronzegefäße aus dem allbekannten und
in vielen Neudrucken verbreiteten Pokutu, dem Bronzekatalog aus dem
12. Jahrhundert oder — seltener — aus dem Altertümerkatalog Kaokutu
vom Jahre 1092. Und der Verfasser versäumt niemals, in seinen Be-
schreibungen die unfreie Nachahmung dieser für China zwar klassischen,
aber doch höchst unkeramischen Bronzeformen als Ruhmestitel der
Porzellane anzuführen. Bei den Mingporzellanen treten die Bronzeformen
des Pokutu zurück. Obwohl die Mehrzahl der vorgeführten Porzellane
der Zeit der Kaiser Hsiian-ti und Ching-hoa angehört, deren Marken
auch in unseren Sammlungen am häufigsten vertreten sind, fehlen doch
die bei uns geschätzten großen schwungvollen Vasen mit reicher Blau-
malerei gänzlich. Die von Hsiang Yuan Pien zusammengestellten und zum
Teil sehr hoch — bis zu 300 Taels Silber — bewerteten Mingporzellane sind
viel bescheidener im Umfang und ebenso in der malerischen Ausstattung.
Unter den Formen finden sich Nachbildungen naturalistisch gestalteter Jade-
gefäße, die in unseren Sammlungen so gut wie unbekannt sind. Falke.
Bei' der Redaktion eingegangene Werke:
Beissel S. J., Stephan. Geschichte der Verehrung Marias in
Deutschland während des Mittelalters. Mit 292 Abb.
Freiburg i. B., Herdersche Verlagshandlung. M. 15.
Corwegh, Robert. Donatellos Sängerkanzel im Dom zu Florenz.
Berlin, Bruno Cassirer.
Eibner, A. Malmaterialienkunde alsGrundlage der Maltechnik.
Berlin, Julius Springer. M. 12.
Eichler, Ferdinand. Die deutsche Bibel des Erasmus Stratter
in der Universitätsbibliothek zu Graz. Mit 9 Taf. Leipzig,
Otto Harrassowitz. M. 6.
Fischer, Otto. Die altdeutsche Malerei in Salzburg. Mit 35 Abb.
auf 25 Lichtdrucktafeln. Kunstgeschichtliche Monographien, XII.
Leipzig, Karl W. Hiersemann.
Gebhardt, Carl. Die Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg.
Mit 5 r Abb. auf 34 Lichtdrucktafeln. Studien zur deutschen Kunst-
geschichte, Heft 103. Straßburg i. E., J. H. Ed. Heitz. M. 14.
Hildebrand, Adolf. Gesammelte Aufsätze. Straßburg i. E., J. H. Ed.
Heitz. M. 2.
Hildebrandt, Edmund. Leben, Werke und Schriften des Bild-
hauers E.-M. Falconet. Mit 39 Abb. auf 21 Taf. Zur Kunst-
geschichte des Auslandes, Heft 63. Straßburg i. E., J. H. Ed. Heitz.
M. 15.
Holmes, C. J. Notes on the Science of picture-making. London,
Chatto & Windus. sh. 7,50.
Höhn, Heinrich. Studien zur Entwickelung der Münchener
Landschaftsmalerei vom Ende des 18. und vom Anfang
des 19. Jahrhunderts. Studien zur deutschen Kunstgeschichte,
Heft 108. Straßburg i. E., J. H. Ed. Heitz. M. 14.
Keppler, Paul Wilhelm von. Aus Kunst und Leben. 3. Auflage.
Mit 6 Taf. und 118 Abb. Freiburg i. B., Herdersche Verlaghandlung.
M. 6.
Mack, Carl Conrad. Die Oberamts- u. Seminarstadt Saulgau.
Stuttgart, Schwarenberg.
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
95
Male, Emile. L’art religieux de la fin du moyen äge en France.
Mit 250 Abb. Paris, Armand Colin. Fr. 25.
Schreiber, W. L. Basels Bedeutung für die Geschichte der
Blockbücher. Mit 5 Abb. Studien zur deutschen Kunstgeschichte,
Heft 106. Straßburg i. E., J. H. Ed. Heitz. M. 3
Schulz, Fritz Traugott. Die St. Georgenkirche in Kraftshof.
Mit 35 Abb. auf 21 Taf. Studien zur deutschen Kunstgeschichte,
Heft 107. Straßburg i. E., I. H. Ed. Heitz. M. 8.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto
Bonfigli.
Von Walter Bombe.
Ausführliche Notizen über Benedetto Bonfigli gab zuerst Annibale
Mariotti in seinen »Lettere pittoriche perugine« J) auf Grund fleißiger und
umfassender Archivstudien. Den meist sehr sorgfältigen Angaben Mariottis
folgen Crowe und Cavalcaselle in ihrer Geschichte der italienischen Malerei * * 3 4 5)
in welcher sie eine dem damaligen Stande der Forschung entsprechende
gründliche und eingehende Untersuchung über den Künstler bieten. In
den siebziger Jahren ist durch die unermüdlichen Archivforschungen Adamo
Rossis 3) und neuerdings durch den Conte L. Manzoni 4) nicht wenig Neues
über Benedetto Bonfigli ans Licht gefördert worden.
In seinen »Pelerinages Ombriens« 5) und in »La jeunesse du PtSrugin« 6 7)
versucht der Abbe Broussolle die kunsthistorische Bedeutung des Meisters
in das rechte Licht zu rücken, wobei er jedoch auf eine gründliche Darlegung
seines Entwicklungsganges und auf eine kritische Sichtung und Gruppierung
der unter seinem Namen gehenden Werke verzichtet. Ältere Nachrichten
über Benedetto Bonfigli, die sich hier und da finden, sind dürftig und nicht
frei von Widersprüchen und Fehlern. Vasari erwähnt ihn kurz in seiner
Vita des Pinturicchio, zu dessen Gehülfen er ihn macht 7).
Crispolti 8 9 * * *), Morelli 9), Alessi !0), Pascoli «) und Taja l3) geben kurze
Notizen von zum Teil zweifelhaftem Wert. Der Verfasser hat in seiner
») Perugia, 1788, p. 6, 72, 77» 121, 129, 135 u. ff.
*) Bd. 4 der deutschen Ausgabe, 1. Hälfte, Kap. VI, p. 148 u. ff.
3) Giornale di Erudizione Artistica, Perugia 1872 — 1877.
4) Bollettino della R. Deputazione di Storia Patria per l’Umbria Vol. III, p. 374 u. ff.
und Vol. VI, p. 307 u. ff.
5) Paris 1896, p. 11 u. ff.
6) Paris 1901, p. 172 — 184 u. 284 — 301.
7) Ed. Milanesi Vol. III, p. 506.
8) Perugia Augusta, 1648.
9) Bravi notizie delle pitture e sculture in Perugia, Perugia 1683.
I0) Elog. Civ. Perus. Cent. II, p. 69.
“) Vite dei Pittori, Scultori ed Architetti Perugini, Roma 1732.
«) Descrizione del Palazzo Apostolico Vaticano, Roma 1750.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
7
98
Walter Bombe:
Dissertation J3) den Versuch unternommen, von der Eigenart des Meisters
und von seiner kunsthistorischen Bedeutung ein klareres Bild zu gewinnen.
Durch die Aufforderung älterer Fachgenossen ermutigt, übergibt er den
damals unveröffentlicht gebliebenen Teil zugleich mit einigen aus der ge-
druckten Arbeit zusammengestellten Bemerkungen hiermit der Öffentlichkeit.
Biographische Notizen.
Nach Annibale Mariottis Angabe * *4) ist Benedetto ein »filius olim
Bonfilii«. Über sein Geburtsjahr steht nichts sicher fest. Wir dürfen es
aber ohne Gefahr eines Fehlgriffs etwa auf 1420 festsetzen. Über seine
wahrscheinlich in der Vaterstadt verlebte Jugend und seine Lehrzeit ist
nichts bekannt. Die früheste Nachricht über Bonfiglis künstlerische Tätig-
keit gibt ein Aktenstück vom 7. März 1445 I5)> aus welchem wir ersehen,
daß der junge Künstler ein Votivbild der Madonna mit zwei Engeln über
dem Altar einer Kapelle außerhalb der Kirche S. Pietro zu malen sich ver-
pflichtete. Da das Bild in keiner der alten Beschreibungen von Perugia
erwähnt wird, mag es frühzeitig zugrunde gegangen sein. Aus der Tatsache,
daß der Künstler in dem Aktenstück nicht, wie später meist, als »egregius
pictor« oder »magister« bezeichnet wird, darf der Schluß gezogen werden,
daß Bonfigli damals noch in jugendlichem Alter stand.
Im Jahre 1450 befindet sich Benedetto, wie aus Notizen der päpst-
lichen Rechnungskammer hervorgeht, in Rom. Papst Nikolaus V. hatte
ihn neben vielen anderen Künstlern, zu denen auch Fra Angelico und Benozzo
Gozzoli zählten, dorthin berufen. Der Papst bewilligte ihm dasselbe Honorar,
wie Fra Angelicos Gehülfen Benozzo Gozzoli, nämlich sieben Dukaten pro
Monat und freie Verpflegung l6). Von seinen Arbeiten in Rom, die nach
Vasari J7) sehr zahlreich gewesen sind, ist nichts mehr vorhanden. Seine
römische Tätigkeit hat spätestens 1453 ihr Ende erreicht, denn wir finden
ihn am 13. August dieses Jahres wieder in Perugia, wo er gemeinsam mit
dem Maler Mariano d'Antonio und einem uns sonst unbekannten Bildhauer
Melchiorre da Cittä di Castello ein Gutachten über ein von Battista di
Baldassarre Mattioli restauriertes altes Altarwerk abgibt l8).
Es ist wahrscheinlich, daß die römischen Leistungen unserem Meister
einen gewissen Ruf in der Heimat verschafft haben; am 30. November 1454
*3) Benedetto Buonfigli. Eine kunsthistorische Studie. Berliner Inaugural-Disser-
tation 1904.
x4) Lett. pitt. p. 130, Anm. 2.
*5) Bollettino della R. Deputazione di Storia Patria per l’Umbria Völ. III, p. 374.
l6) Giorn. di Erud. Art. VI, p. 265.
*7) Vasari, Ed. Milanesi Vol. III, p. 505.
l8) Gualandi, Memorie originali Ser. V, p. 8 — 9.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
99
erhält er den größten Freskenauftrag, den die Prioren von Perugia jemals
einem Künstler erteilt haben x9). Der Auftrag umfaßte die Ausmalung
zunächst einer Hälfte der neuen Kapelle des Stadthauses mit der Dar-
stellung des Crucifixus und einer Reihe von Geschichten des heiligen Ludwig
von Toulouse. Dafür, daß man bedeutende Leistungen erwartete, spricht
die Berufung dreier ausgezeichneter Vertreter der Florentiner Kunst, des
Fra Angelico, des Filippo Lippi und des Domenico Veneziano, zum Schieds-
richteramt.
Erst drei Jahre später, am 4. Juli 1457, hören wir von einer ersten
Zahlung für die begonnene Arbeit, und sieben Jahre vergingen, bis sie,
am 11. September 1461, durch Fra Filippo Lippi, den einzigen noch
lebenden der drei Schiedsrichter, abgeschätzt werden konnte. Der Frate lobte
die Arbeit und setzte den Preis für die Ausschmückung der ganzen Kapelle
auf 400 fl. fest. Noch an demselben Tage schlossen die Prioren mit
Benedetto Bonfigli einen neuen Kontrakt ab, auf Grund dessen ihm auch die
zweite Kapellenhälfte übertragen wurde.
Möglicherweise fällt in die Jahre um 1460 noch ein Aufenthalt unseres
Meisters in Siena. Wenigstens versichert Cesare Alessi, daß Bonfigli auf
Befehl des Papstes Pius II nach Siena gegangen sei, um dort verschiedene
Arbeiten auszuführen * *°). Pius wurde am 20. August 1458 gewählt und
starb am I. September 1464. Beide Daten setzen die Grenzen fest für einen
Aufenthalt in Siena, der keinesfalls von längerer Dauer gewesen ist, da
der Meister durch seine Tätigkeit in der Kapelle der Prioren stark in Anspruch
genommen war*1). Arbeiten seiner Hand in Siena und Pienza sind nicht
mehr erhalten.
Von 1464 an ist Benedetto dauernd in der Heimat tätig. Im gleichen
Jahre wird in seiner Werkstatt und unter seiner Beteiligung ein Gonfalone
für die Kirche S. Francesco vollständig übermalt. Im Mai des Jahres 1465
wird ihm die Ehre zuteil, in Gemeinschaft mit dem Maler Angelo di Bal-
dassare Mattioli die Skulpturen an der Fassade von S. Andrea e Bernardino,
das graziöse Werk des Florentiners Agostino di Antonio Duccio abzu-
schätzen **). In demselben Jahre malt er einen großen Gonfalone für die
ebengenannte Kirche, ein Werk, das schon Vasari nennt *3.)
Durch zwei Dokumente von 1467 lernen wir ihn als Künstler auf
dem Gebiete der Glasmalerei kennen: Am 4. April 1467 empfängt er
>9) Bollettino della R. Deputazione di Storia Patria per l’Umbria Vol. VI (1900),
p. 307 ff.
20) Elog. Civ. Perus. Pars II, p. 69.
21) Siehe die auf Fußnote 52 mitgeteilten Zahlungsvermerke.
**) Giorn. di Erud. Art. Vol. IV, Fase. II, Februar 1875.
*3) Ed. Milanesi III, p. 506.
7'
100
Walter B ombe:
eine Zahlung von 5 fl. für ein Glasfenster in der Sakristei von S.
Pietro 24).
Am 7- November 1469 beschwert er sich bei den Prioren über unpünkt-
liche Zahlung des für die Arbeiten in der Kapelle ausbedungenen Lohnes.
Im Jahre 1472 malt er, wie urkundlich und durch Inschrift feststeht,
eine Kirchenfahhe für das Städtchen Corciano unweit Perugia, und einen
Gonfalone für S. Maria Nuova ebendort. Das Datum 1476 trägt der Gon-
falone von S. Fiorenzo in Perugia.
Eine Zahlung 'von 180 fl., die Bonfigli am 1. Juli 1477 von dem Merciaio
Bartolomeo di Gregorio für Rechnung der Prioren empfängt, läßt darauf
schließen, daß inzwischen die Arbeiten in der Kapelle der Prioren bedeutend
gefördert sein müssen. Von diesem Tage bis zu seinem Tode fehlen weitere
Nachrichten über die Fresken.
In das Jahr 1482 fällt die Vollendung des Gonfalone von S. Francesco
in Montone bei Umbertide, an dem sein Werkstattgenosse Bartolomeo
Caporali hervorragend beteiligt ist 25). Im Jahre 1495 empfängt er noch
die Bezahlung für eine Arbeit im neuerbauten Kloster S. Caterina zu
Perugia i6).
Am 6. Juli 1496 macht Benedetto Bonfigli »sanus mente et intellectu
licet corpore languens et timens casum mortis« sein Testament. Zwei Tage
später stirbt er und wird auf seinen Wunsch in der Kirche S. Domenico
beigesetzt. Seine Gattin Gioliva di Menicuccio, mit der er in keineswegs
glücklicher Ehe gelebt hat, wie aus zahlreichen unerfreulichen Rechts-
händeln hervorgeht, überlebte ihn. Ihr Testament ist vom 24. August 1502
datiert.
Die Tafelbilder.
Da Bonfigli keines seiner Tafelbilder datiert oder mit seinem Namen
gezeichnet hat, und auch die Archive über die Entstehungszeit derselben
keine Aufschlüsse geben, ist es nur durch stilkritische Vergleichung der
unter seinem Namen gehenden Werke möglich, zu einer Vorstellung von
des Künstlers Werdegang zu gelangen. Bei der im folgenden ausgeführten
Prüfung des einschlägigen Materials, das zum größten Teil in der Stadt-
galerie von Perugia vereinigt ist, werden sich einige Anhaltspunkte wenigstens
ergeben, welche uns in den Stand setzen, die Jugendwerke von denen einer
späteren Lebensperiode zu sondern.
J4) Repertorium XXVI, Fase. II, p. 125.
J5) Archivalische Notizen über den Meister, die jedoch für seine weitere künst-
lerische Tätigkeit nur wenig ergeben, sollen in einer bevorstehenden größeren Arbeit
des Verfassers publiziert werden.
2Ö) Ricci, Storia della B. Colomba, Perugia 1902, p. 331, Note 2.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
IOI
Der Entstehungszcit nach das erste der noch erhaltenen Werke dürfte
eine große Anbetung der Könige sein, welche sich früher in
S. Domenico zu Perugia befand und schon von Vasari als Werk unseres
Meisters erwähnt wird 27).
Vor der verfallenen Hütte, über welcher der Stern erglänzt, hat die
Madonna mit dem Kinde auf dem Schoße Platz genommen. Sie trägt ein
rotes, hochgegürtetes Kleid, das den Hals freiläßt; um ihre Schultern legt
sich ein grüner mit weißem Pelz besetzter Mantel, der die Füße verdeckt.
Unter einem leichten Kopfschleier quillt das Haar in lichtblonden Löckchen
hervor. Ihr anmutiges Gesicht zeigt eine freie Stirn, hochgeschwungene
Augenbrauen, gerade Nase und feinen, festgeschlossenen Mund. Das Kind
auf ihrem Schoße ist nackt bis auf ein Lendentüchlein und faßt mit der Linken
nach seinem Geschenk, während es mit der Rechten den alten König segnet, der
niedergekniet ist, um ihm den Fuß zu küssen. Hinter ihrem älteren Genossen
stehen die beiden anderen Könige, welche ihre Gaben noch in den Händen
halten. Der eine, mit bärtigem, hagerem braunem Gesicht, trägt
ein langes Kleid von rotem Brokat und gleichfarbigen Mantel, der andere,
bartlose, ist mit rotem Rock und braunem, ärmellosem Mantel bekleidet.
Im Hintergründe drängt sich, teils neugierig zuschauend, teils indifferent,
das orientalisch -bunte Gefolge, mit Pferden, Hunden und Kamelen. In der
Ferne zeigen sich sehr konventionell aufgefaßte, Maulwurfshügeln ähnliche
Berge und die rot beglänzten Mauern von Jerusalem. Ikonographisch
interessant ist die Einführung der Figur Johannes des Täufers in die
Szene.
Die sehr beschädigte Predella besteht aus drei Täfelchen: Taufe
Christi, Kreuzigung, Wunder des heiligen Nikolaus.
Christus, im seichten Jordan stehend, empfängt das Wasser aus der
Schale, die Johannes über seinem Haupte ausgießt. Rechts tragen drei
Engel28) die Kleider Christi. Die Kreuzigung ist eine figurenreiche
Komposition: In der Mitte Christus am Kreuze, Magdalena den Kreuzes -
stamm umfassend, links die Gruppe des Johannes und der Maria, rechts
Pharisäer und römische Kriegsknechte. Das dritte Predellentäfelchen stellt
J7) Ed. Milanesi III, p. 506.
l8) Auf dem Kopfe tragen die Engel einen bizarren, einem Hahnenkamm (Cresta)
ähnlichen, aus künstlichen Blumen hergestellten Zierrat, für den Bonfigli eine besondere
Vorliebe besessen haben muß, da er ihn fast allen seinen Engeln aufsetzt. Es war der Kopf-
putz, welchen die jungen Mädchen in Perugia bei festlichen Gelegenheiten zu tragen pflegten.
Schon in einem 1339 aufgenommenen Inventar der Disciplinati von S. Domenico wird
dieser seltsame Zierrat erwähnt. Unter Nr. 52 heißt es daselbst: »Ancho sei berette
bianche con creste roscie«.
Bonfigli hat die Cresta wie ein Monogramm auf den meisten seiner Tafelbilder und
Gonfaloni angebracht. Bei anderen umbrischen. Meistern findet sie sich nie.
102
W alter Bombe :
den heiligen Nikolaus dar, welcher drei zum Tode verurteilte Jünglinge
rettet. Alle drei PredeLlenbildchen sind halb verlöscht.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir es hier mit der zaghaften Arbeit
eines Anfängers zu tun haben. Die ganz verzeichneten Gestalten Johannes
des Täufers und des knienden alten Königs verraten eine sehr mangelhafte
Kenntnis der Anatomie. Bei den meisten anderen Figuren verdecken starre
Gewandfalten die Linien des Körpers. Das Stehen ist unfest. Wenn möglich,
werden die Füße unter lang herabfallenden Kleidern versteckt. Der Vorder-
grund ist kleinlich behandelt. Die Berge in der Ferne zeigen ähnliche Formen,
wie wir sie in Fra Angelicos Predellentafel mit dem Wunder des heiligen
Nikolaus und auf ganz frühen Bildern des Piero della Francesca, z. B.
dem Misericordienaltar in Sansepolcro (von 1445) finden. Der oben gekenn-
zeichnete Madonnentypus ist jedenfalls durch Fra Angelico und Filippo
Lippi vorbereitet. In seltsamem Gegensatz zu der Anmut und Holdseligkeit
der Madonna steht das halslose, plump gebaute Christuskind, dessen Typus
gleichfalls aus dem des Filippo Lippi entwickelt ist. In der Behandlung
der übrigen Einzelformen aber ist das Werk von sieneser Vorbildern be-
einflußt. Die Abhängigkeit von Siena bekundet sich vor allem in der alter-
tümlichen Gedrängtheit der Komposition, dem Mangel an Linien- und
Luftperspektive, der Schattenlosigkeit, den grellen Gegensätzen in der
Farbenzusammenstellung bei miniaturartiger Sauberkeit der Ausführung
und der überreichen Verwendung von Gold.
Etwas späteren Ursprungs scheint ein gleichfalls in der Pinakothek
zu Perugia aufbewahrtes Tafelbild zu sein, das die Verkündigung
darstellt 29).
Vor einer offenen Halle, an die sich nach links eine reich dekorierte
marmorne Brüstungsmauer anschließt, kniet die Madonna auf niedrigem
Schemel. Sie trägt ein ungegürtetes Kleid aus schwerem dunkelrotem Stoff,
dessen Saum in vielfachen Schlangenlinien am Boden sich ausbreitet. Von
links her schreitet der Engel der Verkündigung auf die Madonna zu. Seine
Kleidung ist die idealisierte Tracht der Zeit. Sie setzt sich zusammen aus
einem Rock von grünlich schillerndem weichen Seidenstoff und einer ge-
gürteten Jacke von schwerer gelber Seide mit weißer Pelzverbrämung.
Der Hals bleibt frei, die Ärmel sind lang und mit Aufschlägen versehen,
auf dem künstlich gelockten lichtblonden Haar prangt der modische Kopf-
putz, die Cresta. Zwischen der Jungfrau und dem Verkündigungsengel
hockt der heilige Lukas am Boden, ruhig an seinem Evangelium schreibend.
Neben dem Heiligen liegt der geflügelte Stier. Zwischen den Vorderbeinen
hält er ein Buch. Ein Pergamentstreifen, den der Evangelist voll-
39) Sala del Bonfigli, Nr. 7.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
103
geschrieben hat, ist dem Stier um den Kopf geschlungen. Hinter der
marmornen Brüstungsmauer erheben sich einige Zypressen und die Gipfel
kahler Berge, über welchen die Halbfigur Gottvaters mit der Weltkugel in
der Hand, getragen von Cherubim, heranschwebt. Die von ihm entsandte
Taube des heiligen Geistes hat ihre Flugbahn fast zurückgelegt. Vier
Mädchenengel in der für Bonfigli charakteristischen Kleidung und Kopf-
bedeckung begleiten den Gottvater.
Die Halle, welche mit der friesgeschmückten und durch korinthisierende
Pilaster gegliederten Marmorbrüstung zusammen den architektonischen
Hintergrund bildet, hat im oberen Geschoß noch gotisches Maßwerk.
Dagegen zeigt die Architektur des Untergeschosses und der Marmor-
brüstung Renaissancemotive, die zum Teil wenigstens ihre römische Herkunft
nicht verleugnen können. Auf quadratischen Postamenten erheben sich zwei
schlanke unkanellierte Säulen, deren korinthisches Kapitäl drei Blattreihen
und verhältnismäßig kleine Voluten aufweist. Hinter den Säulen sind jeder -
seits drei einfache, viereckige Pfeiler als Träger des flachen Kassettendaches
angeordnet. Säulen und Pfeiler tragen ihre Last unmittelbar, ohne ein-
geschaltetes Gebälkstück. Die sich links anschließende Marmorbrüstung
ist durch drei kanellierte korinthische Pilaster gegliedert. Die Zwischen-
räume zwischen den Pilastern sind durch farbige Marmorinkrustation
ausgefüllt. Das Gebälk besteht aus drei übereinander gespannten Gurt-
bändern, ornamentiertem Fries und einfachem Kyma. Auch für das Detail
im engeren Sinne sind Formen der römischen Architektur verwertet.
Die Schmuckmotive des Frieses sind Amoretten und Festons und die
Zwickelfelder der Rückwand des Untergeschosses sind durch geflügelte
Genien ausgefüllt, welche an die Victorien auf römischen Triumphbögen
erinnern.
Diese ganz verständnisvolle Benutzung antiker Architekturformen
legt den Gedanken nahe, der Meister habe das Bild erst nach der Rück-
kehr aus Rom geschaffen. In der Behandlung des Räumlichen lassen sich
bedeutende Fortschritte erkennen: Zum ersten Male wird der Versuch
gewagt, eine perspektivische Aufgabe zu lösen, aber der Künstler vereinfacht
sich sein Problem, indem er die gerade Ansicht von vorn nimmt, in ähnlicher
Weise, wie dies Fra Angelico und Filippo Lippi zu tun pflegen. Die ganze
Anlage, zweigeschossiges Gebäude mit antikisierenden Säulen im Unter-
geschoß und links sich anschließender Brüstungsmauer, findet sich in ähn-
licher Weise auf des Piero della Francesca Verkündigung an die Kaiserin
Helena in Arezzo. Ein anderes Verkündigungsbild dieses Meisters, das sich
ehedem in S. Antonio zu Perugia befand und jetzt in der Pinakothek
bewahrt wird, zeigt eine ähnlich verkürzte Säulenhalle. Einflüsse des
großen Lehrmeisters der Perspektive, der vermutlich schon unj 1438 -mit
104
Walter Bombe:
Domenico Veneziano in Perugia weilte und auch später dort mehrfach tätig
war, sind in hohem Grade wahrscheinlich.
Bedeutende Fortschritte des Meisters gegenüber der frühen Anbetung
der Könige bekunden sich ferner im Figürlichen, in der Gewandbehandlung
und in der koloristischen Haltung des Ganzen. Der Verkündigungsengel
ist eine schlanke, graziös bewegte Gestalt. Die geradlinigen, starren Falten-
züge auf dem ersten Bilde haben einer freieren Behandlung des
Gewandes Platz gemacht. Bonfigli macht sich von den Sieneser Einflüssen
frei, und die überlegene Florentiner Kunst beginnt' auf ihn einzuwirken.
Die bunte, fast schattenlose Farbe seines ersten Bildes ist einer immer noch
lebhaften, aber harmonischen Färbung gewichen. Die Verwendung von
Gold ist eine sparsamere und beschränkt sich auf den Ersatz des Lufthinter-
grupdes. Die Umrißzeichnung wird korrekter. In der Formenauffassung
aber ist Bonfigli von der Strenge und Wahrheit und der herben Energie
der Charakteristik, welche die Schöpfungen des Piero della Francesca aus-
zeichnen, weit entfernt.
Das Bild ist für die Audienz der Notare gemalt worden, deren Bau
1444 begann. Eine zugehörige Predelle mit den heiligen Markus und Hiero-
nymus und der Pietä ist verschollen.
Mit der großen Anbetung der Könige und der Verkündigung steht in
engstem stilistischen Zusammenhang eine kleinere Anbetung der Könige,
welche aus dem Besitz des Antiquars Volpi in Florenz für die National
Gallery in London erworben wurde.
Die Komposition ist auf die einfachste Form zurückgeführt. Die heiligen
drei Könige sind ohne Gefolge vor dem Christuskinde erschienen, das völlig
bekleidet auf dem Schoß der Mutter sitzt. Das Kind hat sein Geschenk in
Empfang genommen und segnet mit der Rechten den in Anbetung ver-
harrenden alten König. Der heilige Joseph kauert mit untergeschlagenen
Beinen am Boden in derselben Weise, wie der Evangelist Lukas auf dem
Verkündigungsbilde. Rechts erhebt sich vor bergigem Hintergründe die
Gestalt des gekreuzigten Christus. Die schematischen, geradlinigen Ge-
wandfalten, der kleinlich behandelte Vordergrund und die abbreviatorischen
Formen der Berge kennzeichnen das Bild als ein Jugendwerk auf der Stufe
der großen Anbetung der Könige aus S. Domenico.
Zu den Jugendwerken des Meisters dürfen ferner gezählt werden :
Vier Tafeln mit je zwei Engeln, welche, auf leichtem Gewölk kniend,
Blumenkörbe tragen. Die Tafeln sind sehr schadhaft, zeigen alle den gleichen
gemusterten Goldgrund und scheinen Reste eines größeren Werkes zu sein.
Die Engel sind mit der nämlichen, etwas manirierten Eleganz modisch
aufgeputzt, wie in der Anbetung der Könige und der Verkündigung. Auf
dem Haupte tragen sie die Cresta.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli. 105
In demselben Saale bewahrt die Stadtgalerie zu Perugia acht Engel
mit den Marterinstrumenten Christi, welche, paarweise auf vier Tafeln
verteilt, gleichfalls Reste eines größeren Ganzen sind. Die sonst bei Bonfigli
so häufige Cresta fehlt ihrem in der Mitte gescheitelten, zierlich gekräuselten
Haar. Doch trifft die oben gegebene Charakteristik auch auf sie zu. Mit
einem rührenden Ausdruck von Trauer und Schmerz in den blassen Kinder -
gesichtern weisen sie ihre Attribute vor. Zwei von ihnen halten lange Schrift-
bänder, welche auf die Darstellung einer Kreuzabnahme oder einer Pietä
Bezug nehmen.
Aus dem Kloster S. Francesco del Convento stammt eine jetzt in der
Pinakothek zu Perugia aufbewahrte thronende Madonna mit vier
Heiligen und vier anbetenden Engeln.
Die Madonna sitzt, leicht nach links gewandt, in gleicher Tracht,
wie auf der großen Anbetung der Könige und dem Verkündigungsbilde,
vor einer Marmorbrüstung, an welcher ein Teppich aufgespannt ist. Sie
hält mit beiden Händen das auf ihrem rechten Knie sitzende, in weißes
Linnen und olivgrünes Tuch gehüllte Kind, das mit der Rechten nach dem
ihm zunächst stehenden heiligen Hieronymus hinübergreift. Hieronymus,
in roter Kardinalstracht, hat seinen Löwen zur Seite. Er wendet sich halb
zu dem neben ihm postierten Thomas von Aquino, der als Dominikaner-
mönclh gekleidet in der Linken ein aufgeschlagenes Buch hält und die Rechte
erhebt. Rechts stehen in ihrer Ordenstracht S. Franciscus mit den Wunden»
malern und S. Bernhardin, beide in der Linken ein Buch haltend. Ihre Köpfe
sind fast gänzlich zerstört. Über der marmornen mit Palmettenfries ge-
schmückten Brüstung erscheinen rechts und links je zwei anbetende Engel
in Halbfigur.
Die Komposition ist noch symmetrisch und altertümlich streng, und
gerade das Motiv, das einen lebendigeren Zug in das Bild bringen sollte,
das Hinübergreifen des Christuskindes nach dem (viel zu weit entfernten)
Hieronymus, ist mißglückt. In der Madonna hat der Meister seinen jugend-
lichen. Lieblingstypus beibehalten. Daß wir uns aber einer späteren Ent-
wicklungsstufe des Künstlers genähert haben, bekundet vor allem die Farbe,
deren ursprüngliche Buntheit gemildert ist. Trotz der altertümlich-symmetri-
schen Anordnung, die als rituelles Erfordernis peinlich beobachtet ist, müssen
wir schon aus äußeren Gründen das Werk in die Zeit nach dem römischen
Aufenthalt Bonfiglis ansetzen. 'Das Vorkommen des heiligen Bernhardin
ist entscheidend. Die Kanonisation Bernhardins erfolgte unter Nikolaus V.
im Jahre 1450. Damals befand sich Bonfigli in Rom, und erst 1453 ist
er in Perugia nachweisbar. Nach 1453 wird das Werk entstanden sein.
Über dem Bilde hängt eine wahrscheinlich nicht zugehörige kreis-
segmentförmige Tafel mit der Darstellung Gottvaters, welcher von zwei
io6
Walter Bombe:
Engeln begleitet ist, in der Linken die Weltkugel hält und mit der Rechten
segnet, eine fast wörtliche Wiederholung des Gottvaters aus dem Ver-
kündigungsbilde 3°).
Einer späteren Schaffensperiode des Meisters scheint ein vielteiliges
Altarwerk aus der Kirche S. Domenico anzugehören, dessen Mittelstück
die Madonna mit vier musizierenden Engeln darstellt.
In einer Felsenlandschaft sitzt die Madonna nach vorn, den Kopf
leicht nach links geneigt, und betet den auf ihrem rechten Knie sitzenden,
völlig nackten Christusknaben an, der sich mit der Linken an den Falten
ihres Kleides festhält. Dieses ist von dunkelroter Farbe, hoch gegürtet,
und läßt den Hals frei. Der um die Schultern gelegte lange Mantel war
ursprünglich blau und ist von einem Restaurator mit grauer Farbe über-
strichen worden. Unter dem leichten Kopfschleier, dessen Enden tief herab -
hängen, quillt das lichtblonde Haar hervor. Ihr Gesicht zeigt die bekannten
Züge: Das nach unten spitz verlaufende Oval auf schlankem Halse, die
hohe Stirn, die schön geschwungenen Brauen, die gerade Nase, den zier-
lichen Mund. Es ist jener anmutige Madonnentypus, an dem Bonfigli, wie
es scheint, sein ganzes Leben lang festgehalten hat. Rechts und links zu
Füßen der Madonna lassen je zwei kniende Mädchenengel ihre Instrumente:
Mandoline, Geige, Harfe und Tamburin, ertönen. Gold vertritt die Stelle
des Lufthintergrundes. Das Bild schließt oben halbkreisförmig ab.
Zwei zugehörige kleinere Seitentafeln zeigen S. Paulus und Petrus
Martyr (rechts) und S. Petrus Ap. und S. Catharina (links). In den Aposteln
Petrus und Paulus werden die überlieferten Typen gegeben. Petrus erscheint
in mattgrünem Gewand und gelblich-braunem Mantel, Paulus in blauem
Kleid und dunkelrotem Mantel, der in einer sonst bei Bonfigli nicht üblichen
Weise über die linke Schulter und den linken Arm geworfen und, unter der
rechten Hüfte durchgezogen, von der linken Hand gehalten wird 3*). In der
Rechtenhält er das traditionelle Schwert. Petrus Martyr in Dominikanerkutte
hält in der Linken ein Buch und in der Rechten die Märtyrerpalme. Das
schwere Messer, das ihm den Schädel gespalten hat, sitzt noch in der Wunde.
Die Brust ist von einem Dolch durchbohrt. Die heilige Katharina ist von
individuellerem Charakter als die männlichen Gestalten; sie trägt ein dunkel-
rotes, sehr hoch gegürtetes Kleid, das an den eng anschließenden Ärmeln
3°) Das Bild stammt aus dem Besitz der Confraternitä del Gonfalone di S. Francesco.
31) Am Saum seines Gewandes ist die gefälschte Künstlerinschrift
Spagnas angebracht. Diese Figur rührt, wie die drei anderen der Seitentafeln und
die Figuren des Tympanons von Bartolomeo Caporali her. Die letzte Zahlung für das
Altarwerk, das für die Cappella S.Vincenzo in S. Domenico bestimmt war, erfolgte, wie sich
aus Dokumenten ergibt, die ich demnächst publizieren werde, an Bonfigli und Caporali am
l8. Juli 1467, also zu einer Zeit, da Spagna wahrscheinlich noch nicht geboren war.
Die Tafgjbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
107
die modischen Aufschläge zeigt. Um ihre Schultern legt sich ein kostbarer
Bnokatmantel,' auf dem Haupte trägt sie die Krone, in der Rechten ein
Schwert, Palme und Buch in der Linken.
Den oberen Abschluß des jetzt in seine einzelnen Tafeln zerlegten
Triptychons bilden zwei Tafeln mit den Figuren der Verkündigung: Die
Jungfrau kniet, die Hände über der Brust gekreuzt, vor ihrem Pult, um
die himmlische Botschaft zu empfangen. Def Engel der Verkündigung
hat sich auf ein Knie niedergelassen und hält eine Lilie in der Linken.
In der Stellung der Figuren ist die alte Gebundenheit und Symmetrie
bei behalten, und auch der Aufbau des ganzen Altarwerks entspricht der
Überlieferung; in der koloristischen Haltung aber nähert sich das Werk
den einer späteren Schaffensperiode des Meisters angehörigen Gonfaloni
und Fresken. Im Figürlichen zeigt sich auch hier die geringe Durchbildung
der Glieder, im Ausdruck das geziert-anmutige, in der Komposition die
archaisch-strenge Symmetrie, und im Aufbau das altertümliche Prinzip
des aus vielen Einzeltafeln zusammengesetzten Altarwerkes.
Fassen wir die aus den bisher betrachteten Bildern gewonnenen
Eindrücke zusammen, so stellt sich der Charakter der Kunst Bonfiglis
als eine Mischung florentinischer Eigentümlichkeiten mit der ererbten
umibrischen Empfindung dar. Doch scheint es, als ob der Meister von der
Küinst der großen Florentiner Zeitgenossen sich nur das angeeignet habe,
was seinem weichen Naturell unmittelbar entsprach. Im ganzen be-
sitzen die Tafelbilder Bonfiglis ein viel altertümlicheres Gepräge, als
die erzählenden Fresken in der Kapelle der Prioren, welche in einem
besonderen Kapitel eingehend analysiert werden sollen. Obgleich der
Künstler es nicht vermocht hat, sich in seinen Andachtsbildern ganz
von der Tradition loszulösen, so konnten doch an ihnen die Haupt-
ph;asen seiner Entwicklung aufgezeigt werden. Der ganze Umfang seines
Kömnens aber tritt erst in seinem Hauptwerk, den Fresken in der Kapelle
der Prioren, in die Erscheinung.
Die Gonfaloni.
Fast alle Kirchenfahnen des Bonfigli sind entstanden in Zeiten, da die
Pest oder eine andere Seuche das Land heimsuchte oder kurz vorher heim-
gesucht hatte. Wir entnehmen das aus den alten Chroniken von Perugia
und aus den Darstellungen selbst.
Seit ihrem ersten verheerenden Auftreten im Jahre 1348, wo im Stadt-
gebiet von Perugia, wenn wir den Angaben der Chroniken trauen dürfen,
fast hunderttausend Menschen der Seuche zum Opfer fielen, so daß Fried-
höffe und Gräber nicht hinreichten, um all die Toten aufzunehmen, brachte
die Pest in jedem Jahrzehnt mindestens einmal das große Sterben über die
io8
W alter Bombe:
Stadt. Dann versammelte sich das geängstigte Volk in den Kirchen, wo die
Disciplinati ihre Büßpredigten hielten, der Ruf : »Miserere« erscholl gen Himmel
und in feierlicher Prozession wurde der Gonfalone durch die Straßen getragen.
Waren dann Not und Kümmernis der Pestjahre überwunden, so verkündigten
Bußprediger die baldige Wiederkehr des göttlichen Strafgerichtes, und was
der Phantasie der Kanzelredner entsprungen war, gewann sichtbare Gestalt
in der Malerei.
Zu einer systematischen Betrachtung der Pestgonfaloni übergehend,
wollen wir zunächst eine Reihe von Schöpfungen analysieren, welche sich
durch ein ganz bestimmtes, alter Überlieferung folgendes Kompositions-
schema von den individueller gestalteten unterscheiden.
Auf allen diesen Gonfaloni nimmt die Madonna in sehr großer Figur
die. Mitte der ganzen Komposition ein. Unter ihrem weit ausgebreiteten
Mantel drängen sich das Volk und die Mitglieder der Brüderschaft in winzigen
Gestalten. Über der Madonna ist Christus mit den Wundenmalen an Hüfte
und Händen dargestellt. Er ist mit einem Mantel bekleidet, der die rechte
Körperseite freiläßt. Mit der Rechten schleudert er Pfeile herab, die an dem
Mantel der Madonna abprallen oder zerbrechen. Die heiligen Schutzpatrone
der Stadt und der Brüderschaft knien zur Seite der Madonna, als Fürsprecher
über der frommen Gemeinde schwebend.
Das so gekennzeichnete Kompositionsschema gehört alter umbrischer
Tradition an. Die streng liturgische Fassung des Themas lernen wir aus einem
alten, vielfach übermalten Temperabilde auf Leinwand in der Kirche S. Croce
dei Falegnami zu Perugia kennen, das von Crowe-Cavalcaselleals Fresko
beschrieben und irrtümlich unter den Werken Bonfiglis erwähnt wird. Es
ist eine künstlerisch ganz untergeordnete Leistung und könnte wohl in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden sein, vielleicht kurz nach
der Pestilenza mortifera von 1429.
Oben sehen wir den zürnenden Gottvater, der mit beiden Händen
Pfeile herabschleudert, und in der Mitte die Madonna, welche mit ihrem
Mantel das Volk beschützt. Am Saum ihres Kleides sind in gotischen Lettern
die Verse zu lesen:
»Con umele chore et ardente fervore
Regina Celi dei Pechatore salute
Noi pregiam te che prege che ci ajute
El tuo figliolo e levace el furore.«
Auf einem Spruchband, das vom Munde des heiligen Sebastian zur
Madonna geführt ist, stehen die Verse:
»Per quiste piache che or ci rüde alquanto,
Per lo tuo amore e per lo figliol tuo
Te priego Madre che lo priege tanto
Che essaudischa quisto popul suo.«
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
109
Maria erhört die Bitte des Volkes und seines heiligen Fürsprechers,
denn auf einem Spruchband, das zum Erzengel Raphael geführt ist, liest man:
»Martir beao con umilie core
Se’ essaudito, e perö Agnolo cruo
Remette l’arma e la crua spada,«
Der Engel folgt dem Befehl und steckt sein Schwert in die Scheide.
Über dem Schwert ist das Wort »Fiat« zu lesen.
Unter den im Anschluß an diese streng liturgische Fassung des Themas
entstandenen Gonfaloni ist der von S. Francesco in Perugia
wohl der älteste. Zentralfigur ist die Madonna, welche unter ihrem Mantel
die Gemeinde vor den Pfeilen Christi behütet. Oben rechts und links zwei
Engel mit Schwertern und der Inschrift: »Justitia« und »Misericordia« in
den Nimben. Zu den Seiten der Madonna knien Heilige: Links (von oben
nach unten) Lorenzo, Ercolano, Francesco und Bernardino. Rechts: Lodo-
vico, Costanzo, Pietro Martire und Sebastiano. Unten sieht man vor den
Marnern von Perugia den Tod als Gerippe mit Fledermausflügeln, in den
Händen Pfeile und Bogen, zu seinen Füßen Pestleichen. Ein von rechts
herlbeifliegender Engel (Angelus Misericordiae) greift ihn mit einer Lanze
an. Bürger verlassen die Stadt. Links kniet vor der Kirche S. Francesco
eine Gruppe von Frauen. Über der Stadtmauer ist zu lesen: FV Ro 1464.
Das Ganze ist eine besonders flüchtige Arbeit und von nur geringem
künstlerischen Verdienst. Der Gonfalone genießt besondere Verehrung,
weil das Antlitz der Madonna von Engelshand gemalt sein soll. Wie aus
der Inschrift zu schließen, ist der Gonfalone im Jahre 1464 einer umfassenden
Restauration unterzogen worden, die wahrscheinlich in der Werkstätte
Bonfiglis erfolgte, und an der Gesellenhände hervorragenden Anteil haben.
Neuerdings ist die Fahne nochmals vollständig übermalt worden 3>).
3») Am 3. Oktober 1464 wird die Errichtung einer Kapelle zu Ehren des wunder-
tätigen Gonfalone von den Franziskanermönchen zu Perugia beantragt und von den Prioren
bewiilligt (Ann. Decemv. 1464 c. 96 t.). Am 20. März 1465 wird der Betrag von 10 fl. für
Alta.rkerzen angewiesen und dabei des neuen Gonfalone gedacht (Ann. Decemv. 1465
c, ^4 t.). Ebenso am 4. April (Ann. Decemv. 1465 c. 48) sowie am 22. April (Ann. Decemv.
1465; c. 54). Am 12. August eine Quantität Wachs für Kerzen (Ann. Decemv. 1465 c. 107 t.),
am .26. Oktober 1465 und am 25. Juni 1466 werden je 25 fl. für Schmuck der Kapelle und
Herstellung eines Tabernakels für den Gonfalone angewiesen (Ann. Decemv. 1465 c. 128
129; 1466 c. 70 u. 72). Am 8. Mai 1468 25 fl. für Herstellung eines eisernen Gitters zum
Abschließen der Kapelle (Ann. Decemv. 1468 c. 50 t. u. 51 t.), am 27. Januar 1469 weitere
30 fl., zu demselben Zweck (Ann. Decemv. 1469 c. 2 t. u. 8), am 22. Oktober 10 fl. für
»Hostium« und Tür der Kapelle (Ann. Decemv. 1469 c. 97 u. 97 t.), am 25. März 1470 ein
weiterer Zuschuß von 20 fl. (Ann. Decemv. 1470 c. 23 t. und 25), ferner am 23. Juli 1470
20 fl.. (Ann. Decemv. 1470 c. 79 t. u. 80 t.), am 28. Oktober 1472 eine Beisteuer von 20 fl.
für die Vollendung der Kapellendecke (Ann. Decemv. 1472 c. 147 u. 15z), am 17. Mai i486
8 fl. für ein hölzernes Gerüst zum Tragen des Gonfalone (Ann. Decemv. 1486 c. 115U. 115t.).
I lö
Walter Bombe:
Auf weit höherer Stufe steht der Gonfalone inCorciano bei Perugia,
der urkundlich im Jahre 1472 bestellt 33) und laut Inschrift auch in dem-
selben Jahre ausgeführt wurde. Das Thema ist das gleiche: In der Mitte
die Mantelmadonna, von oben herab schleudert Christus Pfeile, zwei Engel,
mit der für Bonfigli so charakteristischen Cresta auf dem Kopfe, halten
den Mantel der Madonna. S. Niccola da Tolentino und S. Antonius emp-
fehlen das betejlde Volk. Ganz unten, auf einem Hügel, der mit Oliven
bestanden ist, eine Ansicht von Corciano, und über dem Stadttor das
Datum 1472.
Zwei Inschriften auf Schildern links und rechts verdienen noch Er-
wähnung. Die eine lautet: »0 Maria flos virginum, velut rosa vel lilium,
funde preces ad filium pro salute fidelium«. Die andere: »Sancta Maria,
succurre miseris, juva pusilanimos, refove debiles, ora pro populo« 34).
Der Gonfalone war, wie sich aus dem mitgeteilten Dokument ergibt,
für die Kirche S. Agostino bestimmt, wo er auch bis 1879 aufbewahrt wurde.
Er figurierte auf der Kunstausstellung von 1879 in Perugia und wurde nach
erfolgter Zurücklieferung in der Pfarrkirche S. Maria aufgestellt.
Geringer ist der Gonfalone, welchen in dem abgelegenen Bergstädtchen
P a c c i a n o , südwestlich dem Trasimenersee, die Kirche S. Giuseppe
bewahrt. Die Madonna breitet ihren langen weißen Brokatmantel über das
betende Volk. Christus in runder Glorie schleudert Pfeile, die Engel Raphael
und Gabriel zücken Schwerter. Rechts und links knien S. Sebastian und
S. Niccola da Tolentino. Zwei Spruchbänder in den Händen der Madonna
fragen die Inschriften: »Se salve volete le vostre persone, per questo Sancto
[Sebastiano] che porta le freccie, lui abiate gran devotione« und »a questo
Sancto [Niccola da Tolentino] non posso negare che io per voi notrl [?1 el
33) 1472 die ... . Cum ad presens predicator sancti Augustini fecerit fieri quoddam
Gonfalone cum figura Virginis Marie et nonnullorum sanctorum pro devotione uni-
versitatis Comunis predicti, petit elemosinam fiendam per Comune in subsidium dicte
devotionis.
Cum in dicto Castro sit Ser Antonius Ceralli de Castro Sancti Poli de Campania
Romana magister scolarum qui sit in dicto Castro sine aliquo salario etc. juvenes dicti castri
petunt ut sibi de aliquo salario provideatur. Fu data facoltä ai Consiglieri di assignare
l’elemosina per detto Gonfalone e di assignare il salario a detto Ser Antonio, il quäl salario
sit florenorum quatuor ad rationem XL bonon. pro floreno pro quolibet anno in quo
serviverit.
Zitiert nach Mariotti: Cronache manoscritte dei Castelli Perugini (in der Bihlio-
teca Comunale zu Perugia). Auszug aus einem verloren gegangenen libro delle delibe-
razioni Consigliari del Comune di Corciano. (Fol. 161.)
34) Die gleiche Inschrift findet sich auf einem Gonfalone, der 1907 bei Gelegenheit
der Peruginer Mostra zum Vorschein kam und jetzt leihweise in der Pinakothek ausgestellt
ist (vom Verfasser beschrieben in Augusta Perusia 1907, p. 61).
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
III
mi' ifigliolo che mai non cessa me per voi pregare«. Die Darstellung schließt,
wie üblich, mit einer Ansicht des Ortes. Davor stehen links S. Barbara
und rechts S. Monica in ganz kleinen Figuren.
Durch sorgfältige Ausführung, größere Korrektheit der Zeichnung
und lebhaftes Kolorit nimmt die Kirchenfahne von S. Francesco in M o n -
tone bei Umbertide eine besondere Stelle unter den Schöpfungen dieses
Kunstzweiges ein.
Die Anordnung ist die gleiche. Maria, gekleidet in ein schweres langes
Brokatgewand, welches die Füße verdeckt, hält über den Häuptern der
frommen Gemeinde ihren Mantel, an welchem die Pfeile Christi abprallen
und zerbrechen. Zwei Engel zu den Seiten Christi machen fürbittende
Geberden. In drei Reihen übereinander knien je vier Heilige. Links: S. Gio-
vanni Battista, S. Ubaldo, S. Francesco und S. Sebastiano; rechts: S. Gre-
gorio, S. Niccola da Bari, S. Antonio und S. Bernardino. Eine Ansicht von
Montone mit dem Schloß der Fortebracci bildet den unteren Abschluß.
Rechts und links daneben in Strahlenglorie die Brustbilder zweier Heiligen.
Rechts sieht man den Tod auf der Flucht begriffen. Die vielen Porträts
von Bürgern der Stadt berechtigen zu der Annahme, daß der Gonfalone
an Ort und Stelle gemalt worden ist. Auf einem Cartello zu den Füßen der
Madonna die Inschrift: »A. D. 1482. Opus Huius Conventus«.
Stilistisch steht das interessante Werk dem Bartolomeo Caporali
näher als seinem Werkstattgenossen Bonfigli. Zu bedauern ist, daß es eine
vollständige Übermalung erfahren hat.
Von dem bisher betrachteten alter Überlieferung folgenden Kom-
positionsschema unterscheidet sich eine Reihe individueller gestalteter
Gonfalonebilder, die durch drei Werke des Bonfigli, die Gonfaloni von
S. Maria Nuova, von S. Bernardino und von S. Fiorenzo repräsentiert werden.
Im ersten Falle handelt es sich um einen Pestgonfalone, im zweiten um ein
Bildwerk, das an die Heilstätigkeit Bernardins in Perugia erinnern sollte.
Wenn die Kirchenfahnen des ersten Schemas die Idee der Gnade und der
Verzeihung in den Vordergrund stellen, so wird im Gonfalone von S. Maria
Nuova vor allem der Gedanke des göttlichen Zornes zum Ausdruck gebracht.
In ^ riesengroßer Gestalt nimmt die ganze Mitte des Bildes der thronende
Christus ein, der mit der Rechten Blitze schleudert. Wie auf den Dar-
stellungen des jüngsten Gerichtes sind dem zürnenden Gott Sonne und Mond
beigegeben und Engel mit den Leidensinstrumenten Christi, mit Kreuz
und Lanze, mit Säule und Schweißtuch, auf den Köpfen die Cresta, erscheinen
zur Seite des Herrn. Zu seinen Füßen knien links die Madonna und rechts
S. Domenico, beide in kleinerer Figur. Unten, dicht gedrängt, das Volk,
der Gnade Christi empfohlen durch S. Bernardo (links) und S. Scholastica
(rechts). Über den Häuptern der Menge schwebt mit gewaltiger Sense der
I I 2
Walter Bombe:
Tod dahin. Ein Engel wehrt mit seiner Lanze dem tödlichen Streich. Im
Hintergründe eine Ansicht von Perugia. Das Bild hat durch Staub und
Kerzenruß schwer gelitten. Als Jahr der Entstehung ist 1472 anzunehmen 35).
Auch derGonfalone von S. Bernardino zeigt als Zentralfigur Christus,
der in der Linken eine große schwarze Fahne hält und die Rechte segnend
oder vielmehr mahnend erhebt. Ein Chor von musizierenden und Blumen
tragenden Engeln umgibt den Heiland. Vor ihm steht etwas niedriger auf
Wolken der heilige Bernardin mit dem Emblem Christi in der Rechten.
Die auf der unteren Hälfte des Bildes dargestellte Szene ist früher falsch
gedeutet worden. Man glaubte, daß hier zugleich und nebeneinander die
feierliche Verbrennung der Bücher und Bilder, welche auf Bernardins Befehl
1425 stattfand, und die Kerzenspende durch Pius II. (1459) dargestellt seien.
Da aber die Verbrennung der Bücher und Bilder auf dem Domplatz erfolgte
und der Vorgang hier auf der Piazza S. Bernardino sich abspielt, muß diese
Deutung verworfen werden. Nun findet sich in der Chronik des Graziani,
deren Manuskript die Biblioteca Comunale zu Perugia bewahrt, die Nach-
richt, daß am 28. Juni 1450 auf Befehl des Bischofs eine allgemeine feierliche
Prozession nach der Kirche S. Bernardino veranstaltet wurde 36), welche all-
jährlich am 20. Mai, dem Todestage des Heiligen, sich wiederholte und welche
noch zu Cesare Crispoltis Zeiten stattfand37). Diese Prozession zu Ehren des
heiligen Bernardin hat der Künstler dargestellt: Der Zug, mit dem Bischof,
mehreren Mönchen, Magistratspersonen und Tubabläsern an der Spitze,
hat sein Ziel, den Platz vor der Kirche S. Bernardino, erreicht. Die Männer
35) In der Sitzung vom 28. Januar 1472 beschlossen die Prioren, der Confraternita
eine Beihülfe von 10 fl. zur Vollendung des Gonfalone zu gewähren (Ann. Decemv. 1472
c. 18 t.). Am 27. Februar 1472 erfolgte die Zahlung (Ann. 1472 c. 38 t.). Am 2. Dezember
desselben Jahres werden 20 fl. für Herstellung eines eisernen Gitters in der Kapelle des
Confalone bewilligt (Ann. 1472 c. 169 und 169 t.), am 6. Juli eine weitere Beisteuer von
15 d. (Ann. 1473 c. 57), am 23. Mai 1475 e'n neuer Zuschuß von 30 fl. (Ann. 1475 c. 60 u.
71 t.) Am 7. September 1477, dem Namenstage der Jungfrau Maria, wurde die Kirchen-
fahne zum ersten Male in feierlicher Prozession durch die Stadt getragen (Ann. 1477 c. 59).
Am 9. Dezember 1478 wurden 10 fl. für Ausbesserung des Gonfalone gewährt (Ann. 1478
c. 96 t.) und am 26. Dezember 1478 bezahlt (Ann. 1478 c. 110 u. in t.).
36) 1450. A di 28 di Giugno, per la canonizazione di Santo Berardino fu fatta qui
una bella e djvota pjocessione: et prima li disciplinati delle fraternite, e poi tutti li ordini
de’ frate li quali tutti haveno le candele. Anco ce andö Monsignore e li Priori, li quali ebbero
le facole de libre 4 l’una; e li camorlenghi di libre 3: et andarce de molti citadini, e donne
e picoli e grande, tutti con le candele a loro spese. Et partirono da S. Lorenzo et andarono
per fina a S. Francesco; dove 11 se fece un notevole e bello offizio, et el Comuno nostro ce
spese in la cera fiorini 200: et fu fatto uno pennone de tafetä, nel quäle ce fu pento Santo
Berardino, et quello se porta in processione; et fu ordinato che la festa de dicto Santo
Berardino se debia fare adl 20 de maggio, e che tutta la cera che se porterä, lassarla.
Cronaca del Graziani, Arch. Stör. It. Tom. XVI parte la p. 626.
37) Crispolti, Perusia Augusta, p. 149.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
US
legen Kerzen, die Frauen Altartücher als fromme Spende in drei in der
Mitte aufgestellte Körbe. Die Fassade von S. Bernardino und der rechts
sich daran anschließende Bau der Kirche S. Francesco sind mit größter
Genauigkeit wiedergegeben. Nur die Inschrift auf dem Hauptgesims:
Augusta Perusia 1465 steht im Widerspruch mit dem an Duccios
Fassa.de befindlichen Datum 1461. Wir haben also das Jahr 1465 als das
Datum der Vollendung des Gonfalone anzunehmen 33 * * * * 8). Der Künstler, der
die Arbeit ausführte, war Bonfigli, wie schon Vasari angibt 39). Es ist noch
zu erwähnen, daß die Fassade 1465 durch Bonfigli und Mattioli abgeschätzt
wurde, und daß im Jahre 1465 der Bischof Jacopo Vannucci die Prozession
leitete. Von ihm spricht auch Crispolti, und Bonfigli hat ihn auf seinem
Gonfalone porträtiert.
Als von dem herkömmlichen Kompositionsschema wesentlich ab-
weichend ist ferner der Gonfalone von S. Fiorenzo zu erwähnen,
der laut Inschrift 1476 gemalt wurde, als wieder einmal die Pest das Stadt-
gebiet von Perugia heimsuchte. Im oberen Teil des Bildes ist die auf Wolken
kniende Madonna dargestellt. Vor ihr halten vier Engel an Stricken einen
mit Rosen gefüllten Korb, auf welchem der nackte Christusknabe steht,
der mit der Rechten segnet und die künftigen Wundenmale zeigt. Etwas
tiefer hält ein Engel ein langes Cartello mit einem in derber Vulgärsprache
verfaßten Gedicht. Zur Rechten des 'Cartello knien S. Sebastian und Filippo
Benizi, zur Linken S. Pellegrino Laziosi und S. Fiorenzo, welche die betende
Gemeinde der Gnade Christi empfehlen. Das Gedicht, mit Unrecht dem
Lorenzo Spiriti zugeschrieben, stellt die Pest als Strafe für mancherlei
Sünden hin und enthält den Aufruf an das Volk von Perugia, der rettenden
Gnade Gottes zu gedenken:
0 populo obstinato iniquo e rio
Crudel superbo ingrato e pien d’inganno,
Ch’ai posta la speranza e ’1 tuo desio
In cose piene de mortale afanno
Jo son l’Angel del Ciel messo de Dio
A farte noto ch’a la pena e T danno
de le tuoie piaghe e de le tuoie ruine
per prieghe de Maria ci a posto fine.
38) Am 8. Mai 1463 werden von den Prioren 6 fl. für Bemalung des Gonfalone be-
willigt (Ann. Decemv. 1463 c. 53 t.) und am 16. Mai bezahlt (Ann. 1463 c- 57)* Am 3. Januar
1496 1 5 fl. für Ausbesserungsarbeiten ap demselben (Ann. 1496 c. 1 t.) und am 1. Februar
bezahlt: »pro refetione gonfalonis cum figura divi Santi Berardini causa portandi jn pro-
cessionibus« (Ann. 1496 c. 7 t.). Am 17. April weitere 15 fl. bewilligt (Ann. 1496 c. 23)
und am 20. April bezahlt: »pro uno gonfalone fiendo cum figura Sancti Berardini loco
alterims consumpti et per dittos disciplinatos deferendo per Civitatem in processionibus
fiendis;« (Ann. 1496 c. 25).
39) Ed. Milanesi III, p. 506.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXIL
8
j 14 Walter Bombe: Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto usw.
Volgete gl’occhi, miseri mortali,
A’ grandi exempli presenti e passati
de le miserie extreme e de' gran maii
ch’el Ciel vi manda pe’ vostri peccati
De homicidij adulterj principali
d’avaritia luxuria. 0 scelerati
la iustizia del Cielo non fa a furia
ma lei sempre punisce omne sua ingiuria.
Ninive fu ciptä florida e magnia
E Babilonia, e or non son niente
e Soddoma e Gomorra un laco bagnia
d’acqua e de solfo nera puzzolente.
L’altra che vinse el mondo e or si lagnia
Posta in septentrione da occidente
Pei suoi peccati antiqua e bella Roma
Che ’n servil giogho el ciel la stracia e doma.
Or siate adunque grati e cognioscenti
De i benefici e gracie del Signore;
E sieno gl’ animi vostri tutti ( ?) ardenti
Di fede carita pace e amore
E se pur voe sarcte pigri e lenti
A non volere abandonare l’errore,
Nuovo giuditio a voe anuntio: e stimo
Che fia majure e piu crudel ch’el primo.
Con pianti fatta fu gridand’ omei
Nel mille settanta quatro cento sei.
Alle diese Kirchenfahnen sind mit sehr dünner Tempera auf ungrundierte
Leinwand gemalt. Die Farbe ist meist trüb und dumpf geworden. Die Fahnen
von S. Francesco, S. Bernardino und zu Montone haben eine vollständige
Übermalung erlitten. Der künstlerische Wert dieser Erzeugnisse ist sehr
verschieden. Einzelne derselben verraten nur zu deutlich die Flüchtigkeit
ihrer Entstehung. Die Gedankenwelt, in der sich der Künstler hier bewegt,
mutet noch recht mittelalterlich an. Seine Sprache ist die der Bußprediger
der Zeit. In der Absicht, auch dem Ungebildeten verständlich zu sein,
arbeitet er mit derben und drastischen Mitteln. Auch die Komposition
macht einen mittelalterlich-naiven Eindruck. Die Größenverhältnisse der
einzelnen Figuren werden nach der Wichtigkeit derselben abgestuft. So
finden wir häufig vier bis fünf verschiedene Maßstäbe innerhalb eines Bildes.
In der Madonna gibt Bonfigli einen überlieferten hieratischen Typus, unter
stärkerer Betonung der Hoheit und Majestät als in den uns bekannten
Tafelbildern. Der Künstler hat die Neigung, möglichst viel Personen an-
zubringen; dadurch wirkt das Ganze leicht überladen.
(Schluß folgt.)
San Colombano al Lambro e le sue opere d’ arte.
Di Francesco Malaguzzi-Valeri.
La Lombardia b regione ricca di opere d' arte piü che, anche in Italia,
non si creda. Meno i centri principali, oltre Milano, Bergamo, Monza,
Como, Brescia, Cremona, Lodi, maggiormente illustrati da studiosi italiani
e stranieri (e m' e grato ricordare il compianto amico dott. Alfred Gotthold
Meyer, cosl acuto investigatore dei caratteri deir edilizia lombarda antica) —
moltissimi luoghi attendono ancora chi dedichi loro studi e ricerche parti-
colari. Io ho pensato che, dopo le mie peregrinazioni nella regione stessa,
il frutto di ricerche e di qualche scoperta potrebbe interessare in Germania —
dove gli ammiratori dell’ arte italiana sono una legione e dove i visitatori
del bei paese son numerosi e dotti — per indurre ad abbandonare qualche
volta i luoghi percorsi dalle ferrovie e dai tramways in cerca di oasi d'arte
nascoste. Le valli bergamasche, le montagne della Valtellina, certe parti
della pianura verde e lussureggiante che si stende fino al Po nascondon
tuttavia castelli, cascinali, chiese, oratori, case coloniche nelle quali b spesso
piü che un’ eco della grande arte nostrana che vanto Leonardo da Vinci
ela sua scola prolifica e, nell’ edilizia, il genialissimo Bramante e i suoi nume-
rosi seguaci. Lungo le rive fiorite dei laghi lombardi, superlecostedeimonti,
dissimulati fra le insenature o nascosti dai boschi, quei piü modesti avanzi
del bei tempo antico rivelano al fedele dell' arte sorprese piacevolissime
sfuggite all'attenzione dei piü diligenti compilatori di guide artistiche. Ma,
oltre quegli esempi isolati, attendon tuttora un illustratore numerose
borgate lontane dalle linee ferroviarie e dai battelli a vapore e pur rieche,
talvolta rigurgitanti, di suggestive memorie d' arte e di storia. Nella
speranza d’ indurre qualche studioso dell' arte lombarda a farne oggetto
di studi' pazienti e d' invogliare i tedeschi che si recano in Lombardia,
nelle loro peregrinazioni, a visitarli, io mi propongo, merc& la cortese ospi-
talitä, a me nota da anni, della Direzione del R e p e r t o r i u m f. K. di
richiamar l'attenzione, anche con nuovi dati critici e storici, su quei
luoghi o, almeno, sui piü notevoli e dimenticati. E incomincio con San
Colombano al Lambro, 1' amena borgata alla quäle si arriva, da Lodi, in
un' ora di vettura, percorrendo una lunga strada fra boschi foltie vaste distese
di campi tagliati da abbondanti corsi d' acqua. Sul fiume Lambro, che
8*
Francesco Malaguzzi- V al e ri :
1 16
dä nome al luogo, il paese si stende sulla riva verde, pittoresco e vivace
nella sua linea movimentata, sulla quäle sovrasta 1' antico castello medio-
evale in rovina. Per chi conosce la storia interessante del luogo le memorie
si affollano numerose e s' incalzano: e, a chi abbia la pazienza di cercare e
osservare, gli avanzi artistici vi rappresentano una delle piü simpatiche sorprese.
* * *
*
La storia del luogo — che convien ricordare brevemente per spiegare
la presenza delle opere d' arte — b antica e bella.
L’ antica denominazione di Mombrione che sarebbe stata data
a quella localitä parrebbe d' origine gallica. Come il nome di Insumbria
deriverebbe da is-ombria, dai galli ombri, cosl il nome di Monte-ombrione,
con progresso fonetico analogo, verrebbe modificato in monsombrone.
Non insistiamo sulla attendibilitä della cosa ch' b ripetuta, per tradizione,
dagli storici del luogo e notiamo invece come il nome di Mombrione sia
rimasto a una parte del territorio, sulle colline, in cui son avanzi di forti-
ficazioni delle quali sarebbe ricordo fin dal secolo XIV. Alcuni laterizi tolti
da scavi fra quei ruderi sono stati ritenuti tuttavia come appartenenti
all' epoca della dominazione romana. Negli anni 595 — 598 un Colombano,
monaco irlandese ospite di Agilulfo nella vicina Pavia, combattendo la setta
ariana che aveva proseliti numerosi nella localitä di Mombrione, avrebbe
insegnato agli abitanti a perfezionare la coltivazione della vite, talchö in suo
onore gli abitanti — non insensibili alle dolci attrattive del prodotto di
Bacco — avrebber mutato il nome di Mombrione in S. Colombano. Gli
avrebbero anzi dedicata una chiesa: nell' atto di donazione fatto da G.
Galeazzo Visconti ai Certosini nel 1396 e fatto ricordo di una chiesa portante
il nome di S. Colombano, ma 1' ubicazione che nel documento e designata
non sembra corrispondere a nessuna delle chiese moderne. Nel 1164 Federico
Barbarossa avrebbe riedificate e rinforzate, ingrandendole, le fortificazioni
vicine al mons Colatus (attualmente la C o 1 1 a d a) formandone cosi
il castello (tutissimum Federici Castrum) raccogliendo poi
gli sparsi abitanti in un borgo quadrato ai piedi del castello, recinto da
bastioni, da mura merlate e da fosse, al quäle sarebbe stato dato 1’ ampolloso
nome di Civitas Imperialis1). Il borgo e gran parte delle
terre circostanti passarono in seguito in feudo ad Ariberto d’
Intimiano 2) : v' avrebber poi avuto sede i Landriani, Capitani del popolo
nel periodo comunale, e poscia, quali nuovi feudatari, i Visconti. Da questo
J) Muratori, Chronicon Rom. Imp. — Pertz , Chron. Placentinum.
— Alessandro Riccardi, Le localitä e territorij di S. Colombano al
L a m b r 0. Pavia. Tip. succ. Bizzoni 1888 e doc. ivi citati.
*) Puricelli, Monum. della Basilica Ambrosiana p. 245.
San Colombano al Lambro e le sue opere d’ arte.
1 1 7
mormento le notizie (che pel riportato primo periodo debbo alla cortesia
di uni dotto ricercatore di memorie sancolombanesi abitantesulposto e intelli-
gente raccoglitore di cimelii storici e artistici di quella plaga, il dott. Pier
Luigi Fiorani) hanno piü sicure basi nei documenti storici e negli avanzi
artistici. Nel 1396 Gian Galeazzo Visconti lasciava, per testamento, i possessi
agricoli di San Colombano, insieme a quelli di Graffignana e Vimagano,
con un reddito di 4500 fiorini, ai padri di San Bruno della Certosa di Pavia.
Da questo momento anche 1' arte trovö nel luogo incoraggiamento notevole.
Del castello — 1' arx, la rocca — di San Colombano b ricordo fre-
quente. Si sa che, con la morte di Bianca di Savoia, (31 Dicembre 1387)
il castello e i diritti inerenti al feudo pervennero al milite Nicola de Diveni
crediitore del Duca e maestro delle entrate3). Nel rogito di donazione del
Duca all' erigenda Certosa di Pavia h detto che egli donava ai Certosini,
fra igli altri terreni, anche il Ricetto del castello di San Colombano co'
suoi edifici e spettanze nonch& gli edifici e le possessioni fuori del Ricetto
stesso con la fornace e i molini. Un mese dopo acquistava dal milite
Nicola de Diveni, per 20 mila fiorini d' oro, il castello di San Colombano
col suo territorio e proprietä annesse con la podestä di spada, onoranze,
regalie e diritti inerenti 4). Una carta del 25 Ottobre 1399 dell' archivio
Belgioioso aggiunge che Gian Galeazzo confermö la donazione dei beni di
S. Colombano ai Certosini, liberando i loro massari, famigliari, fittabili da
ogni imposta, dazio, pedaggio, creando cosl una specie di comune libero nel
resto del Comune di S. Colombano. Alla morte di Gian ‘Galeazzo i beni di
San Colombano, tanto quelli dei Visconti che quelli dei Certosini, andarono
a ruba per opera dei nemici dei Visconti capitanati da Giovanni Vignati
signore di Lodi dal 1403 al 1416. Piü tardi i beni, per quanto assogget-
tati a deperimento negli edifici e nelle terre coltivate furon restituiti
alla Certosa e ad altri milanesiS). Nel 1447 San Colombano e il suo castello
furo>n occupati dai Veneti; nel 1460 i Certosini rientrarono in possesso della
loro parte. «Vicende diverse di guerra ebbe a subire quell' ospizio, che teneva
ancora le sembianze di castello turrito, nel 15 12 ed anni susseguenti, allorchö
fu a vicenda conquistato colle armi alla mano dal Lautrec dapprima, e
poscia, dietro espresso incarico avutone da Don Antonio De Leyva, da
Lodiovico III principe di Belgioioso, fattone poi feudatario»3 4 5 6).
3) Giovanni Agnelli, Vertenze dei Visconti colla mensa vesco-
vilediLodi ecc. (inArchivioStoricoLombardo. A. XXVIII. Serie III
1901 pag. 296).
4) Archivio Belgioioso e G. Agnelli loc. cit.
5) Ibid.
6) Diego Sant’ Ambrogio, Una breve corsa arti,stica fra le Grangie
o p ossesioni agricole della Certosa di Pavia (in Arch. Sto. Lomb.
Ser . III. A. XXIII 1896, 345).
1 18
Francesco Malaguzzi- Valeri:
Vediamo — prima di passare alla storia e all' esame dei minori monu-
menti del luogo — qualche ricordo piü interessante per noi, relativo ai lavori
compiuti nel castello stesso e possibilmente intorno ai suoi architetti. Se
crediamo allo storico di S. Colombano, il Riccardi, il costruttore o rico-
struttore del castello al tempo di Federico Barbarossa sarebbe stato, almeno
per le mura elefortificazioni, l'architetto Tito Muzio Gatta cremonese, che nel
1158 avrebbe innalzate quelle di Lodi Nuovo. Lo storico cita in proposito
i manoscritti (sic) dell' archivio Belgioioso: noi ci accontentiamo
di ricordare la citazione guardandoci bene dall’ insistere sull' importanza
ch'essa possa avere. Piü tardi, nella metä del XIV secolo, il castello doveva
presentarsi in bella forma e, tenuto conto dei tempi, provvisto di comodita
negli alloggi se Francesco Petrarca, ospite dell' arcivescovo nel Castello
di S. Colombano, ne cantava le lodi e lo chiamava late notum moeni-
busque prevalidum ricordando 1' Arx, — la rocca, — il t a 1 a m o
regale o Camera Regia, insieme alle circostanti colline u b e r r i m e
e vantando il limpidissimo fiumeLambro, piccolo ma capace di portar navi.
Sembra che realmente, in quel torno di tempo, il luogo avesse acquistato
in importanza e che, chiuse e bonificate alcune paludi circostanti, fosse
centro non disprezzabile di commercio e di benessere. Nel 1370 il Castello
fu ingrandito e restaurato per opera di Galeazzo II. Nel 1 37 1 — 1374
Bianca di Savoia, ottenuta la concessione del feudo di S. Colombano,
v’ eresse, nel Ricetto del Castello, un proprio casamento che sarebbe
stato chiamato la cucina (coquina domine Blanchede Sebau-
d i a) ciö che proverebbe ch'essa vi abitava per qualche mese dell’ anno.
Il luogo, piü tardi, servl di carcere a prigionieri di Stato notevoli; fra
gli altri a Francesco Carrara il Vecchio gia Signore diPadova: ciö ch’ öprova
dell’ importanza e sicurezza militare delia rocca. E poco dopo il territorio circo -
stante faceva parte delle caccie riservate ai Visconti. Piü tardi il castello e la
rocca incominciarono a sentire il cozzo terribile delle artiglierie, come osserva
il Riccardi dal quäle spigoliamo le notizie piü importanti per noi. Morto
il Duca e inauguratasi la Repuhblica ambrosiana i veneziani s’ impadroni-
rono di S. Colombano e della rocca benchö, nota il Simonetta, «fortissima
per posizione naturale e grandiosa costruzione d’ edifizi.» Francesco Sforza
marciö su S. Colombano e vi pose 1' assedio (14 — 15 settembre 1447) aprendo
il fuoco delle bombarde contro i bastioni del borgo e le mura della rocca
superiore difesa dai Veneziani. 11 luogo si arrese poi, ma gli edifici forti-
ficati dovettero risentir dei danni del combattimento e anche dei successivi
awenimenti perchö nel 1481 si provvedeva alla riparazione di alcune parti.
V incarico del sopraluogo, della verifica e della stima dei lavori da eseguirsi
fu dato all' ingegnere del Comune di Milano. Pietro da Lonate. Lasua
relazione rimane tuttora e vi si rileva che si riferiva a restauri da farsi nel
San Colombano al Lambro e le sue opere d’ arte. 1 1 9
ponte di soccorso del castello verso mezzogiorno, nei beccatelli, nell' alto
della torre deir orologio, nonch6 nella torre di San Giovanni, nella torre «de
la Mirabola» nella torretta di mezzo («el torino de mezzo») nella torre
«de Yaledeamagi», nella torre grande nel mezzo del castello, nel «pontile
che sarä a le camere del palazzo verso la terra», nella torre di San Cristo-
foro, nei locali adibiti al molino, nella corte del castello e nell’ abitazione del
Castellano. I lavori si intrapresero qualche tempo dopo e, per avere il legname
necessario, si dovettero tagliare grossi alberi nei possedimenti della Certosa
di Pavia, di che i fittabili, danneggiati, si lamentarono col Duca di Milano 7).
Nel 1504, in un atto di consegna della rocca e del castello con le munizioni
e la armi fatta dal maestro delle Entrate straordinarie con 1' ingegnere Amedeo
(o Amadeo ? ) al Priore della Certosa, b descritta la fortezza coi suoi reve-
1 i n i , le vie coperte, la torre grossa 0 Castellana pressola Torre dei Gnocchi,
la torre di S. Cristoforo nella Rocca superiore, i ponti levatoi, la ghirlanda,
i corridori, le fosse, con le misure in braccia milanesi. II castello rigurgitava
d’ armi: v’eran balestre, corazze, celate, archibugi, s c i 0 p e t i , mortaletti,
spingarde, ecc.* * 8). Del 1505 e un’ altra stima di riparazioni urgenti alla rocca
e agli alloggi del Castellano nei casamenti vicini: del 1522, in un atto di
consegna del luogo al nuovo Castellano, e ricordo delle tristi condizioni
della terra dopo lo scempio fatto dalle guerre; il documento ci fa sapere
che la torre centrale di S. Cristoforo era tutta a massi di ceppo e granito
a punta di diamante. Nel 1525 il duca ordinava, per le istanze dei Certosimi
e la diminuita importanza militare del luogo dopo 1 uso perfezionato
delle artiglierie, di demolire il castello; ma lo smantellamento fu parziale:
sarebber scomparsi i fortini avanzati, varie torri fra cui quella centrale
di S* Cristoforo, le fosse, gran parte dei bastioni. Ma poco dopo, aumen-
tandosi a 250 fanti il presidio di custodia, il luogo sarebbe stato rimesso
in istato di difesa. Certo e che gli avanzi.che arrivaron fino a noi rivelano
in gran parte 1' arte edilizia del periodo precedente a quella parziale demo-
lizione. Dopo il 1530 San Colombano non figura piü nel novero delle
piazze fortidel ducato di Milano. I lavori successivi furon diretti
piuttosto alla riedificazione e alle ampliazioni del borgo che della rocca;
il castello propriamente detto, il nucleo superiore con le sue opere di difesa
si presto da allora piuttosto agli usi mutati dell’ abitazione. Quando avrem
fatto cenno di adattamenti al Castello nel 1585, di nuovi diroccamenti
delle fortificazioni e del riempimento delle fosse nel 1585, della fondazione
del nuovo Monte di Pieta nel Ricetto del Castello nol 1593» di pitture
fatte eseguire nel 1682 sulla fronte della torre dell’ Orologio, della demolizione
7) Giovanni Agnelli. Documenti inediti (in Archivio Storico di
L o d i 1898, III, 108).
8) Archivio Belgioioso giä in S. Colombano: Riccardi op. cit.
120
Francesco Malaguzzi- Val eri:
di diverse case nel R i c e 1 1 o , giä popolatissimo, lungo le mura castellane
e nell’ interno nel 1760 — 1 776, di nuove demolizioni di case nel Ricetto da
parte dei nuovi proprietarii, i Belgioioso, per aprirvi ll giardino nel 1830 —
1850, sarä finita la serie degli avvenimenti piü notevoli per la storia
edilizia del Castello 9).
Esaminiamo ciö che rimane del Castello e delle fortificazioni del borgo.
Le demolizioni del 1525 dovetter prender di mira, le fortificazioni
del borgo, ch' era cittä forte, piü che quelle del castello. Deila cinta
fortificata del borgo si son trovati avanzi, e sul piü importante di questi,
che presenta la merlatura a coda di rondine, ö stata collocata una lapide
commemorante la cinta gloriosa, a cura dello strenuo difensore delle memorie
sancolombanesi, il sullodato dott. PierLuigi Fiorani. Si tratta di forti costru-
zioni, di diligente fattura, in laterizio. Quanto alle fortificazioni del castello
— la rocca — il danno maggiore derivö loro dall' incuria umana. Infatti
le torri — sempre le prime a esser demolite in uno smantellamento inten-
zionale — erano invece rimaste in piedi, e diverse lo sonotuttora: quasi tutte
le torri abbattute lo furono in questi Ultimi anni, a memoria di abitanti
viventi. L' abbarbicarsi delle piante parassite, un fulmine, il desiderio
di vendere il materiale laterizio o, senz’ altro, 1' incuria dei proprietär! —
e pel castello furon diversi — hanno prodotto ciö che molteplici assedii
e fatti d' arme non avevan fatto ancora. In una sua relazione di una visita
compiuta a S. Colombano nell' ottobre del 1887, il Riccardi diede diversi
particolari tecnici sullo stato del Castello in quell' epoca, che a noi piace
qui ricordare, per quella parte che interessa 1' edilizia del monumento.
Il muro di fronte del Castello aveva due giri, 1' uno sopra 1' altro, di merli
tutti incastonati nella parete e che erano indizio che 1' antichissimo parapetto
del Castello era piü basso dell’ attuale. Su qualcuno rimaneva lo stemma
scalpellato con 1' impronta del biscione Visconteo ciö che prova che il nucleo
principale arrivato fino a noi deve appartenere alla ricostruzione fatta,
come vedemmo, nel 1370 e, poco dopo, continuata da Bianca di Savoja: il
R i c e 1 1 o e gli edifici abitati all' interno del Castello dovetter esser rifatti
o rimodernati in pieno secolo XV. Il Riccardi credette identificare,
nell’ interno della rocca, nella prima cinta od antico Ricetto, 1' area, ora
giardino, su cui sorgeva ilPalacium Magnum del Barbarossa, ad
ovest, piü in alto 1' area della coquina domine Blancede Sabau-
dia, ilPalacium magnum ad est, deiVicari e Rettori della
terra di S. Colombano: palazzi che vennero incendiati nella insur*
rezione del 1402. Si potebbero identificare latorre grossa o castellana
ad ovest e altre parti ricordate nei documenti. Entro l’abitazione
9) Cfr. Riccardi op. cit.
San Colombano al Lambro e le sue opere d’ arte.
12 I
dei Belgioioso rimangon tuttora la torre dei Gnocchi e i sotterranei in
parte chiusi, che davano accesso alla rocca superiore dominante il Ricetto
e il Borgo e, forse, al Borgo e Mercato. Nelle torri alte vi son tuttora
prigioni sotterranee praticabili con scale a mano perch& non vi son
traccie di scale in muratura. Un’ apertura presso il borgo scendeva verso
il Ricetto. Il basamento delle mura castellane ü, secondo il Riccardi,
molto piü antico delle mura che lo sormontano, piü volte abbattute,,
piü volte rifatte o restaurate 10). Il Riccardi pot& tracciare una pianta
deir antico borgo cintato di mura e della rocca turrita provvista di revelini
o foirtini avanzati, oggi demoliti. La parte che maggiormente presenta
tuttora importanza artistica e 1’ ingresso verso la borgata, consistente in
un torrione quadrangolare con giro di grandiosi merli a coda di rondine e
^ottostanti piombatoi molto sporgenti con le fessure pel meccanismo
dei p»onte levatoio. Da un’ ampia porta a elegante sesto acuto in laterizio
si entra nel castello. In un edificio a sinistra che si presenta pel primo e
che s ervl di cantina, presso la cucina, una elegante bifora in cotto sormontata
da un arco e altre finestrelle piü piccole oggi chiuse attestano di
certa pretesa artistica dei luogo. Le case che formano la viuzza dei Ricetto
han tutte, quäl piü, quäl meno, avanzi medioevali. V' b Y edificio delle
prigioni con belle finestre a sesto acuto campeggianti entro le caratteristiche
riquadrature bianche di cementi, con che i costruttori lombardi ottennero
— nel medioevo — una modesta quanto vivace policromia nelle loro dili -
genti costruzioni in laterizio. Di contro un edificio appartenente oggi alla
Congr egazione di Caritä mostra anche le tracce di un vecchio affresco.
Altre costruzioni antiche con poche ogive qua elä econqualchebellapartico-
laritä edilizia fiancheggiano questa viuzza che sale verso la rocca superiore:
su di essa s’ innalzan tuttora gli avanzi di alcune vecchie torri di cinta,
fino a non molti anni or sono ancora in piedi. Oltre il muro di cinta con le
sue belle torri quadrangolari provviste di merli e di piombatoi, in parte
sfruttate, in parte demolite, il castello non offre particolaritä interessanti.
Gli edifici moderni dell' abitazione dell' attuale proprietario e dei personale
di cuistodia se conservano cimelii rintracciati sul luogo e attestanti la lunga
signo ria viscontea (medaglie, monete, armi, fittili ecc.) non presentano molte
parti antiche intatte dei castello. I ruderi delle torri di cinta, smantellate e
senza tetto, offron oggi maggiori attrattive all’ acquarellista che allo studioso
d' arte che deve crucciarsi dell’ abbandono in cui il luogo venne lasciato.
Maggiori soddisfazioni il ricercatore di emozioni artistiche poträ
trovare girovagando pel paese. L’ arte dei Rinascimento v’ ha lasciato
avanzi veramente notevoli.
,0) A. Riccardi , Relazione di una visita nell’ ottobrei 887 a 1 c 0 1 1 e
di S an Colombano. Milano, Borroni 1887.
122
Francesco Malaguzzi-Valeri:
L’ architettura bramantesca vi si affermanella bella chiesa di San Rocco,
fondata con atto del 16 agosto 1514 per concessione del canonico tortonese
G. B. Buzzatto a nome del Vescovo Ottaviano Maria Sforza Visconti e diretta
dilectis nobis in Christo nobilibus viris et aliis homi-
nibus et vicinis terrae S.ctl ColombaniLaudens. Dio c.11)
La chiesa, di piccole proporzioni, tutta in mattoni, a pianta ottagonale,
si presenta all' esterno modestamente, con una serie di grandi finestre ad
arco — due per ogni lato — a mo' di loggia ricorrente in alto e un corpo
quadrangolare, pure in mattoni, in basso provvisto in origine di una bella
cornice al di sotto delle finestre e di una fascia piü in bässo. Questo corpo
ottagonale, piuttosto che essere inscritto in un quadrato come la chiesa
di Santa Maria a Busto Assizio si, presentava adossato a un edificio quadran-
golare solamente in parte: una distribuzione analoga & nella chiesa dell'
Incoronata a Lodi in cui, dinnanzi all' ottagono, s' impostano due pareti
laterali ad angolo retto sulla fronte. II tetto antico, seguente, come neir
Incoronata di Lodi, la struttura ottagona predominante e reggente forse,
alla moda bramantesca, un cupolino, andb demolito. II tetto attuale troppo
basso taglia 1' edificio poco sopra le finestre: 1' interno ha cosl perduta la
leggerezza originale e le travi minori si presentano oggi scoperte e impostate
trasversalmente su due grandi travi addossate a quattro lesene della loggia
superiore, che ne risulta cosl tozza e monca.
I rapporti fra gli elementi costruttivi della chiesa dell' Incoronata
a Lodi e la chiesa di San Rocco di S. Colombano son grandissimi, nell'
interno. Nel piccolo edificio di S. Colombano ritornan tutti i concetti della
bella costruzione lodigiana, ma qualche po' semplificati e adattati al luogo
piü modesto. II pian terreno presenta, nei due edifici, gli stessi arconi
entro i quali si aprono le cappellette, a leggeressimo sfondo nell’ Incoronata,
in S. Rocco invece oggi in parte chiusi. Le lesene corinzie ornatissime dell'
Incoronata e disposte ad angolo in modo daseguirel’andamento preciso delle
par.eti si presentano invece in S. Rocco piü semplicemente piatte, di contro
ad ogni angolo dell’ ottagono; ma le loro sagome eleganti, nei capitelli, nei
pulvim, nello stesso carattere dei fogliami decorativi a rilievo son le stesse
nei due edifici. Nei peducci degli archi dell’ Incoronata si presentano
i caratteristici busti a tutto tondo comuni alle costruzioni lombarde, da
Bramante in poi. In San Rocco invece i busti son stati sostituiti da rosonh
La loggia superiore ü anche piü affine, in S. Rocco, al tempio di Lodi. Per
ogni lato dell' ottagono si aprono due arcate, divise da una colonnetta
liscia a capitello corinzio nell' Incoronata, da una colonnetta a candelabro,
strozzature e rigonfiamenti a vaso in San Rocco, che in questo particolare
,x) Archiviodi Stato di Milano. Fond9 diReligione,ad ann. cit. dal Riccardi, L e
localitä ecc. cit. pag. 68. Ma oggi ildocumentoeirreperibilenonostantelenostrericerche.
San Colombano al Lairibro e le sue opere d’ arte.
123
si presentapiü ricco e piü tenacemente lombardo: alle lesenesottostanti ne ri-
spondono altrettante al piano superiore nelle due chiese,ma ripiegate ad angolo
a Lodi come le sottostanti, piatte invece a S. Rocco pure come le sottostanti.
I tondi con stemmi e decorazioni nei peducci degli archi superiori dell'
Incoronata son vuoti invece in S. Rocco. La loggia b praticabile con un
corridoio in cui si aprono le finestre — due per ogni lato — in entrambi
gli edifici descritti. Ma a San Rocco le pareti si presentan oggi tutte in
laterizio, coperto di imbiancature: le decorazioni policromiche, se v' erano,
apposte nel Cinquecento, o son scomparse o si nascondono sotto la tinta
biancia stesa senza riguardo su tutto 1' edificio. II quäle, ad ogni modo,
ostenta certe civetterie decorative che la chiesa di Lodi non ha, almenö
negli elementi piü vicini all' organismo architettonico: prima di tutte quella
delle colonnette della loggia superiore che son abbinate, invece che semplici
come a Lodi, e, come notammo, a belle candelabre anzi che liscie. Le
decorazioni a fogliämi e girate convenzionali di fregi nella fascia fra il primo
e il second' ordine nel tempietto di S. Colombano appaion rifatte in epoca
posteriore alla costruzione cinquecentesca. Diversi quadri della decadenza
appesi qua e lä e che converrebbe togliere per lasciar campeggiare le belle
linee della chiesetta riproducono immagini di diversi santi cari all' ordine di
S. Bruno.
Chi fosse 1' architetto del leggiadro tempietto di San Rocco, che
ricorda le grazie dell' arte bramantesca lontano dai rumori della cittä, fra
la distesa verde delle praterie del Lodigiano, non dicono i documenti e le
storie locali da noi consultate. D’ altronde i cronisti del luogo si preoccu-
paron piü di tramandare a noi le vicende belliche del castello che i ricordi
d' arte. Ma b indubitato che 1' architetto che seppe trarre cosl buon par-
tito dalla distribuzione di elementi allora di moda con povero materiale e
limitati mezzi, non senza qualche simpatica innovazione, appartiene alla
scuola di Bramante. La costruzione del Battagio a Lodi come quella dell'
ignoto architetto di S. Rocco sono ispirate alla sagrestia di S. Satiro a
Milano: quella dell' Incoronata — con le sue lesene angolari ripiegate come
in S. Satiro — piü di quella colombanese. E gli stessi elementi costruttivi
e decorativi, ma applicati piü ampiamente, il Battagio svolse nella chiesa
di Santa Maria a Crema. In un' epoca molto vicina a quella della costru-
zione della chiesa di S. Rocco 1' architetto e scultore G. A. Amadeo aveva
lavorato a Lodi. Nel 1513 infatti egli fu chiamato a decorare la parte
superiore della chiesa dell' Incoronata e gli apparterrebbe il coronamento
a balaustrata sul coperchio di quella chiesa ”). Gli spetta forse
1' idea della chiesa di S. Rocco a S. Colombano ? Nulla di strano che il
I2) F. Malaguzzi-Valeri, Giov. Antonio Amadeo. Istituto It. d’ arti
grafiche. Bergamo 1904, pag. 278, 279, 280.
124
Francesco Malaguzzi- Valeri:
grande artista — piü spontaneo e originale scultore che architetto da le
idee nuove (nella cappella Colleoni s' ispirö alla pianta della cappella dei
Pazzi, piü tardi alle idee bramantesche) — dovendo occuparsi, anche nella
provincia lodigiana, di certi corsi d’ acqua, si ria recato a S. Colombano
e v’ abbia diretta quella costruzione; o, per lo meno, richiestone, v’ abbia
mandato i disegni dalla vicina Lodi mentre egli vi lavorava. Certa esilitü
di forme, nelle colonnette e nelle lesene, e che ritorna nei motivi predomi-
nanti del cortile Bottigella a Pavia, opera sua documentata, conforterebbe
1' ipotesi.
Anche 1' antica chiesa parrocchiale, prima dei rifacimenti del periodo
della decadenza, doveva presentare le forme edilizie eleganti proprie del XV
secolo. Ne fanno fede gli avanzi decorativi che rimangono. Prima della
metä di quel secolo la parrocchia si trovava nella localitä di Mombrione
ed era dedicata a Santo Stefano; trasferita poi nel luogo attuale
dovette iniziarsi un periodo proficuo per la chiesa che s' ando arricchendo
di opere d’ arte e di decorazioni. Ai due lati dell' altar maggiore rimangono
due tabernacoletti per 1’ olio santo ad attestare, con altri avanzi che ricorde-
remo, della ricchezza ornamentale della chiesa. L’ un d' essi, composto
di due lesene scanelate con capitellini a fogliami reggenti una trabeazione
classica, su cui s’ imposta una cuspide ornata di foglie d’ acanto e d' una
mezza figura d’Ecce homo, porta scritto, nel timpano, in tre righe
1484 HOC OP / VS. FECIT FIERI / D. DANIEL. . . .
Sotto il piccolo davanzale del tabernacolo son scolpiti tre festoncini. II
lavoro b modesto. D' altra mano piü esperta b il tabernacoletto che gli
sta di contro, di fianco all’ altar maggiore, composto di due leggiadre lese-
nette ornate ciascuna d’ una candelabra a fogliami uscenti da uno stelo
che reggono — sui due eleganti capitellini corinzi di sapore bramantesco
analoghi a quelli dell' interno di San Rocco — la classica cornice provvista
di bastoncini e di fuseruole. E' lavoro elegante, finemente scolpito,
dei primi anni del Cinquecento. Un parroco, certo Don Antonio dei Car-
catagi (1483 — 1525), lasciö buon ricordo di sü nella porta rettangolare, del
1499, provvista di due severe lesene, di due mensole a fiorami e modana-
ture diligenti nel fregio J3) che presenta questa iscrizione
HOC OPVS FACTVM FVIT PER VENERABIL. PRAESBITER.
D. ANTONIVS
DE CHARCHATAGIS RECTOR HVI. ECCLESIAE.
1499 DIE X JVNI.
Un altro ricordo del buon tempo antico la chiesa stessa conserva in sagrestia.
E' una bella croce astile, della metü del XVI secolo, compostadi untempietto
*3) D. Sant’ Ambrogio, op. cit.
San Colombano al Lambro et le sue opere d’ arte.
J25
ottagonale con figu'rette di santi in smalto a fondo azzurro cupo per ogni
lato (meno una ch’ e mancante) di buona esecuzione: sul tempietto s’ erge
il Crocefisso sapientemente e diligentemente modellatfo; alle estremitä dei
bracci entro comparti polilobati, si presentano mezze figure, emblemi degli
Evangelisti e, al sommo, 1’ allegorico pellicano che nutre i suoi piccoli.
Anche la chiesa di San Giovanni vantava una antica costruzione e
opere d’ arte. Del primo tempo conserva il presbitero e il fondo in cui si
aprono tre grandi archi a sesto acuto e, di epoca piü tarda ma ancor pura,
gli stalli del coro, semplici, di severo disegno. . La chiesa, come la stessa
parrocchiale, fu ampliata o ricostrutta nella sua parte anteriore.
* * *
*
La pittura del Rinascimento ha lasciato a San Colombano qualche
ricordo che convien trarre dairoblio; anzi il luogo diede i natali a un pittore
di cui le cronache locali fanno cenno con compiacenza: Bernardino Lanzani,
del XV secolo. Di questo pittore, che avrebbe lavorato insieme ad Ambrogio
da Fossano detto il Bergognone b piü facile ricordare gli elogi degli scrittori
di cose lodigiane che precisare le opere. Il Riccardi — a mo’ d' esempio —
fa cenno di lui sotto 1’ anno 1490 quando il pittore era chiamato presso
Lodovico il Moro come «bono pictore de hystoriado», poi di nuovo, su uno
scritto del Caffi, alle date 1500 e 1515 per dipinti a S. Tommaso di Pavia
e altrove1'»). Da diversi spogli di documenti sancolombanesi messi a mia
disposizione dal dott. Fiorani rilevo che una provvigione del 18 novembre
1498 della Fabbriceria di Lodi si riferirebbe alla pittura della cappella maggiore
condotta «a perfetione da Ambrogio Fossate (sic) da Borgogna sopranomi-
nato il Borgognone e da Bernardino Lanzano pittore di S. Colombano »dietro
compenso di lire due mila duecentocinquantadue. Parrebbe inoltre che il
Lanzani lavorasse a Pavia e nella Basilica di Bobbio: nell' archivio di
Stato di Torino si conserverebbe (desumo sempre dalle carte del dott. Fiorani)
P originale contratto, di pugno del Lanzani stesso, coi monaci di Bobbio
per gli affreschi da lui eseguiti nella loro chiesa *5). Al pittore stesso son
attribuite a San Colombano — benchü senza sussidio di documenti, nono*
stante le indagini compiute fin dal 1869 dal Parroco don Luigi Gallotta
per incarico di Michele Caffi — le figure della Vergine e del Bambino eseguite
a fresco, che si vedono nella cappellina fuor del paese, dinnanzi al Cimitero.
L' affresco vi fu trasportato, col pezzo di muro su cui b dipinto, nel 1522,
dalla non lontana chiesa di San Fermo, ora distrutta, dove decorava 1' altare.
Nel 1773, quando fu fatta dal Vescovo di Lodi mons. Antonio Scarampo
'«) A. Riccardi , Le 1 o c a 1 i t & ecc. cit.
*5) Su questo pittore cfr. Archivio Storico Lombardo Anni VIII (1881)
62 n.; IX (1882, 501).
I 2Ö
Francesco Malaguzzi- Valeri:
la visita pastorale a S. Colombano, quella chiesa esisteva ancora. La piccola
composizione rappresenta la divina madre seduta in trono, vestita di un
corpetto rosso e di annpio scialle che le cade dalle spalle e le copre tutta
la parte inferiore del corpo; con la sinistra tiene delicatamente un fiore
e con la destra sorregge il Bambino che, le gambette nude, un corpettino
giallo aderente alla persona fermato da un legaccio sui lombi, ritto in
piedi sulle ginocchia della madre benedicecon la destra rialzata e sostiene il
simbolico globocon la sinistra. Qualche ricordo della dolce arte bergognonesca
v' & nelle due figure non prive di qualche grazia ed eseguite con diligenza: ivisi
lunghi ma carnosi, le fronti ampie, le mani, lo stesso leggero abbigliamento
del putto richiaman le figure analoghe di Ambrogio da Fossano. Ma non
v’ & il suo spirito sereno e sicuro, non la sicurezza del disegno e la delicatezza
del colorito.
Se non sapremmo rintracciare, sul posto, le opere lasciatevi da un
altro pittore un pö piü tardi, G. B. Belmonte, che v' avrebbe lavorato
nel 1552 — 1562 l6), possiamo ammirare invece le molte che vi lasciö nel
1576 — 1581 Bernardino Campi. Questi, apprezzatissimo dai contemporanei
che lo chiamavan per commissioni a Cremona, a Mantova, a Piacenza, a
Milano, a Caravaggio, a Brescia, a Lodi, a Pavia, a Reggio, orno di affreschi
1' oratorio del Castello di S. Colombano allora di proprietä dei Certosini di
Pavia. Rimangon tuttora i documenti che precisano 1' attivitä del pittore
a S. Colombano: uno, in forma di confessione di pagamento in data 23 feb-
braio 1581, per «le opere fatte et figure dipinte per il sig. Bernardino Campi
pittore al Reved. e sacro Monasterio di Certoxa di Papia nel oratorio et
sotto al por'icho in recetto d’ esso Monasterio di Sancto Colombano. Prima
1’ anchona, seij historie et seij adornamenti della Vita de la Magdalena,
et tutte le picture fatte sopra al altare con il Dio Padre et le seij figure de
chiaro et scuro, et le finestre et la soffitta con tutto il resto de li ador-
namenti in detto oratorio, salvo 1' aver misso 1' oro. E piü la certoxa de-
pi'ita sotto al porticho sive logia. Item la Madona ch' & depinta nel giardino.
E piü doi Angeli depinti in la giesia di Santo Colombano et la conciadora de
1' anchona d’ esso altare. Per prezio de Scudi Cinquecento sexanta d' oro.»
Queste pitture furon stimate e collaudate da Aurelio Luini figlio del celebre
Bernardino («per Nob. Dominum Aurelium Luignum filium quondam
Nobilis Domini Bernardini Pictore Mediolani»), Il secondo documento,
del 25 di Settembre 1581, e la ricevuta di un' ultima somma a completo
pagamento per que’ suoi lavori1?). Nel 1846 il conte, poi Principe, Antonio
Belgioioso proprietario del Castello fece demolire 1' oratorio e dono alla
l6) A. Riccardi op. cit.
*7) Archivio Belgioioso. Cartella 100 p. 308, Comunicatami in copia dal sig. Fiorani.
Cfr. ArchivioStoricoLombardo. Anno VII 1 880, pag. 92 e segg.
San Colombano al Lambro et le sue opere d' arte.
127
Chiesa parrocchiale il quadro ad olio (1* a n c o n a del documento ricordato)
rappresentante il Crocefisso con le figure della Madonna, di S. Giovanni
Evangelista e della Maddalena inginocchiata; donö pure 1' altare con la
balaustrata di marmo, una pianeta, un calice, i camici e due colonne di
marmo rosso giä presso la tribuna dell’ organo delT oratorio. Diede inoltre
facoltä di levare e trasportare nella chiesa tutti gli altri affreschi che fosse
possibile levare ad eccezione del dipinto a fresco superiormente alb ancona
che il Belgioioso regalö a suo cugino nobile Mancini per 1' oratorio di Mira-
bello, parrocchia di Somaglia, dove pure fu trasportato 1' organo di S. Colom-
bano: le due imposte in legno dell’ organo, sulle quali incominciava il motivo
decorativo d’ angioli ricorrente lungo la parete superiore alle imposte e
lungo la volta sotto cui stava 1' altare furon donate dal Belgioioso al fratello
Rinaldo. Cid rilevo da una lettera inedita del prevosto Gallotta al conte
Berengario Belgioioso del 25 Settembre 1865 l8), che assicura che la parte
decorativa si componeva precisamente «di angeli con emblemi»: aggiungeva
il detto prevosto che avrebbe disposto per un miglior collocamento di quei
dipinti che minacciavan rovina. La figura della Vergine dipinta «nel giar-
dino» era giä guasta dal tempo: i due angioli che figuravano dipinti sulle
due imposte di legno passaron poi, se crediamo al Sommi Picenardi, in
proprietä della contessa Ceccopieri in Milano J9). Purtroppo la provvisorietä
del collocamento di quei dispersi frammenti dell' antico ciclo pittorico e durata
fino ad oggi: cosl che una parte di quelle decorazioni e precisamente le lesene
e il fregio del sott’ arco della cappella giaccion tuttora, imballati e incassati,
in un ripostiglio al pian terreno del Castello dove potemmo vederli. Mentre
scriviamo si sta provvedendo — mercö accordi fra la Fabbriceria della
Parrocchiale' di S. Colombano e la Direzione della Pinacoteca di Brera —
al licupero a Milano, presso la Pinacoteca stessa, di una parte di quegli
affreschi. Sia per la condizioni finanziarie della chiesa, sia per lo stato delle
pareti di quella parrocchiale e pel carettere eminentemente decorativo —
staremmo per dire profano — di alcuni dei dipinti, questi figureranno
meglio nella sala della Pinacoteca che accoglie giä altre opere della scuola
cremonese, e potranno sperare cosl di veder allontanato il pericolo della
loro rovina, piü fortunati di altri rimasti sul posto.
Esaminiamo ora quei ciclo, veramente interessante, di affreschi del
ampi, non ancor oggetto fin qui di uno studio preciso. Non tuttociö che
rimane corrisponde, per numero, a quanto i due documenti ricordano:
1’ incuria e i guasti del tempo hanno fatto ridurre la serie, che ad ogni modo
presenta interesse anche come si trova. Nell’ interno della parrocchiale
l8) Comunicatami dal sig. Fiorani.
J9) Archivio Storico Lombardo del 1880 cit.
128
Francesco Malaguzzi-Valeri:
furono addossati alle pareti diversi di quei frammenti tolti alla chiesetta
delCastello. Vi si vede nella prima cappella asinistra di chi entra dall ’ingresso
principale la composizione migliore; il Redentore dinanzi alla Maddalena
la quäle, inginocchiata a' suoi piedi, le chiome fluenti, il viso rivolto a lui
in sentita espressione di fede, ne invoca 1' aiuto: il Redentore, nudo, con
un gran mantello gettato negligentemente sulle spalle e intorno ai lombi,
si volge a lei e alza la mano in atto di protezione. Nel fondo del
paese, bellissimo di boschi e di colline verdi, si vede il gruppo delle Pie
donne dirette al sepolcro sul quäle un angelo seduto veglia. Nella stessa
cappella sono anche: la scena delle nozze in Galilea — Gesü Cristo a mensa
al quäle la Maddalena lava le chiome — e due belle lesene decorative. Nell’
ultima cappella dallo stesso lato son conservati diversi frammenti degli
affreschi del Campi che rivelan maggiormente i danni del tempo: vi b
notevole la composizione che raffigura Gesü predicante ai fedeli, in una
piazza racchiusa da edifici classici e nella quäle campeggiano una pira-
mide e un tempietto circolare a due ordini di logge sormontato da un cupo-
lino alla moda bramantesca. Nella prima fila degli spettatori che ascoltano
la parola divina b il gruppo delle pie donne. Un altro frammento mostra
un gruppo di teste vigorose di vecchi accuratamente segnate nei contorni,
magistralmente dipinte. Altri frammenti con teste di apostoli e di santi
furon collocati nelle pareti dietro la cantoria e nella sagrestia. Due belle
lesene decorative e due lunette ornate di putti con emblemi, di che fa cenno
la lettera del prevosto Gallotta, son tuttora giacenti, come notammo, in
un magazzeno del Castello e saranno forse trasportate a Milano, alla Pina-
coteca di Brera, considerato che sul posto, dopo la demolizione dell' oratorio
che le accoglieva e per la mancanza di spazio nella parrocchiale, non
rispondon piü alle esigenze decorative richieste dai committenti antichi.
E poichfc i minori frammenti collocati qua e lü un po’ a casaccio nella par-
rocchiale di S. Colombnano meriterebber veramente maggiori eure (noi
v' abbian visto persino addossate delle scale a piuoli e oggetti d’ uso comune)
e dove si trovano non hanno ragione d’ essere, b sperabile che si trovi modo
d’ accoglier pur essi a Brera. Se b preferibile che le opere d' arte vengan
lasciate, fin che si puö, sul posto a cui gli artisti le destinarono, nell’
ambiente sacro alla pietä dei vecchi committenti e dove tradizioni e fede
di popolo han dato loro un secondo valore, b invece per noi indiscutibile
che convien ripararle in luogo sicuro quali un museo o una galleria che val-
gano a toglierle della rovina estrema, quando le stesse opere d' arte abbian
perduto per sempre quelle ragioni che esigerebbero di lasciarle dove si tro-
vano. Molte, molte preziose opere d’ arte in Italia si sarebber salvate se
fosser state riparate a tempo in una pubblica collezione prima degli
sperperi che hanno dovuto subire.
San Colombano al Lambro e le sue opere d’ arte.
129
Gli affreschi del Campi che abbiam ricordato non son mo lto ricchi
di colorito, almeno nelle scene principali — al contrario delle lesene decora-
tive che son vivacissime — ; ma in compenso raccomandano il pittore per la
freschezza delle composizioni e la vivacitä degli stessi particolari. Le figure
muliebri hanno le fronti sfuggenti, le chiome biondo chiaro, le forme son
allungate, piene di nobiltä, caratteristiche del Campi; i fondi di paese, che
rivelano un amoroso Studio del vero nella riproduzione dei boschi fra cui
serpeggiano i viottoli, rendon piü attraenti queste composizioni. I visi ma-
schili presentano molta severa bellezza e, nel contorno a grafito che li rac-
chiude, rivelan 1' amorosa ricerca della linea che il pittore apprese sulle opere
del Correggio; benche lo spirito piuttosto superficiale dell’ arte dell’ ultim
ventennio del Cinquecento gli togliesse di interpretare tutto il sentimento
intimo che irradia dalle figure dell’ Allegri. Ma nelle decorazioni a putti,
a fogliami, a emblemi religiosi che corre lungo le lesene e nei sottarchi tolti
all’ oratorio del Castelle di San Colombano v’ e una vigoria di concezione
e una esuberanza di creazione abbastanze rare nell’ arte del tempo.
Bernardino Campi vi prelude a quella grande e vivace decorazione ch’ egli
svolse grandiosamente piü tardi, nel 1590, nel coro di S. Prospero a Reggio
Emilia.
Frammenti minori di affreschi vien fatto di osservare anche altrove
nella borgata di S. Colombano. Ricordo, sulla facciata di una casetta in
via Stefenini, una composizione con la Vergine, il Bambino e due santi,
dello scorcio del XV secolo o dell’ inizio del XVI, rovinatissima, che ricorda
un po’ la Madonna attribuita alLanzani che abbiam descritta; in via Umberto I
altri affreschi qua e lä 0 traccie di vecchi dipinti murali affini a quella stessa
pittura attribuita al Lanzani. Invece una piacente Adorazione del
B a m b i n o al n. 85 di quella stessa via richiama 1’ arte dei Piazza da Lodi.
Una S a 1 o m & , a fresco in quegli stessi paraggi, appartiene invece al
XVII secolo. Presso il ricordato dott. Pier Luigi Fiorani, intelligente racco-
glitore di cimelii d’ arte e di storia della sua borgata, ammirammo diversi
oggetti interessanti le nostre ricerche: una bella serie di oggetti di scavo
attestanti 1' antichitä di quella stazione, giä importante fin dall' epoca
gallica, varii frammenti di terre cotte decorative del Rinascimento, fra cui
due motivi analoghi ma di epoca diversa: 1’ uno un putto, di povere forme,
arcaico, appoggiato a un tralcio di vite, che il Fiorani crede facesse parte
della decorazione dell' antica chiesa, 1' altro, un piü attraente putto, dalle
forme grassoccie come un piccolo Bacco, in atto d’ arrampicarsi su un ramo,
come quelli analoghi e ricavati da stampo che ornano tuttora diversi
edifici e specialmente le ghiere delle finestre archiacute dell' Ospedal mag-
giore di Milano. Questo piacente esemplare di motivo affine ma diverso
da quelli, ornava il völto d’ una finestra o d’ una porta — lo prova la
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
9
130
Francesco Malaguzzi -Val e ri :
leggera curvatura — dell' antico palazzo Rho di Borghetto Lodigiano, benchü
il proprietario attuale lo trovasse murato in una casa di S. Colombano.
II Fiorani conserva anche diversi bei capitelli del XV e del XVIsecolo: fra
essi uno recante 1’ identico fregio della lesena che orna uno dei due
tabernacoletti su descritti della chiesa parrocchiale. Nella stessa raccolta
una piccola composizione a fresco — la Madonna col Bambino sulle
ginocchia e una santa con un libro nella mano sinistra — non presenta
importanza artistica ma un’ iscrizione che ricorda che il piccolo dipinto
fu fatto eseguire nel 1497 da un Antonio da Inzago.
* *
*
TDopo il Rinascimento 1’ arte ha lasciato piü numerose tracce a San
Colombano. Li ricorderemo fugacemente.
Nella chiesa parrocchiale — ricostruzione quasi moderna, a tre navate
— varie decorazioni festose attiran 1' attenzione con la loro esuberanza se
non sempre col loro buon gusto. Tuttavia la cappella del Rosario, costrutta
o almeno decorata nel 1638, con le sue ornamentazioni a fresco, & un degno
esempio dell' arte barocca in Lombardia, esuberante e spesso piacente
quasi quanto quella romana, 0 parte della romana. L’ altare,
ricchissimo, proveniente, sembra, da Lodi, gli stalli ornatissimi, la cantoria
con belle figure a rilievo rappresentan 1’ arte barocca con una vivacitü
che, nella modesta chiesetta della borgata, farebbe meraviglia a chi non
conoscesse altri tesori di quel periodo disseminati nelle chiese della
campagna lombarda e, piü ancora, in certe montagne, specialmente
in Valtellina e nell' alto bergamasco. Molte belle Stoffe e parati ricor-
dano ancora, in quella chiesa, la magla del colore e la ricchezza del
1’ arte decorativa del secolo XVII e del XVIII. In San Giovanni —
dove la facciata conserva cinque pinacoli in terra cotta, parte della
membratura antica e gli avanzi della decorazione originale a grandi dadi
rossi e neri — puo vedersi un' esuberante se non piacente ornamentazione
barocca di statue e di stucchi e un bell' altare della stessa epoca. Al
periodo barocco appartiene anche la costruzione attuale della chiesa di
S. Francesco, che rimase incompiuta.
I certosini arricchirono notevolmente di decorazioni e di arredi sacri
le chiese di S. Colombano. Oltre la croce della parrocchiale rimangon tuttora
diversi buoni esemplari d' arte religiosa decorativa nella borgata. Nella
chiesa di San Francesco ü ammirato 1' altar maggiore ornato a tarsia a
larghi fogliami di diversi marmi, specialmente di rosso 0 fiamma di Francia:
altri quattro altari presentano i pallii a finta tarsia. La balaustrata del
1* altar maggiore porta. la data della sua collocazione:
San Colombano al Lambro e le sue opere d’ arte.
131
DIE 26 AVGVSTI ANNO DOM. 1744
mentre 1' altare b del 1726; e un pallio analogo a quello di S. Colombano
b nella vicina terra di Graffignana datato 1724. II secolo XVIII fu dunque
particolarmente benemerito, in questi luoghi, per ricordi artistici lasciativi,
mercö i grandi mezzi di cui disponevano i Certosini. Si sa infatti che
nel 1782 1' ordine possedeva, nella sola borgata di S. Colombano, arredi
sacri e mobili per un valore di Tire 16,685,3. H dott. Sant’ Ambrogio notö giä
come di quella specie di tarsia che figura negli altari delle chiese
sancolombanesi non si abbiano perö esempi nella Certosa di Pavia dove i
pallii delle cappelle di San Giovanni Battista, di Santa Veronica e di
Sant’ Ugone offrono bensl alla vista lavori a finta tarsia ma non dello
stile di quelli di Graffignana e S. Colombano. Lo stesso scrittore osservava
perö come un pallio a finta tarsia di grandi dimensioni e di esecuzione
finita sia quello che si osserva nella prima cappella a sinistra della
parrocchiale di S. Colombano: in uno dei grandi fiorami a volute policrome,
analogo in tutto invece a certi pallii d’ altri altari della Certosa pavese
che non i ricordati, si legge 1' iscrizione
JACOBVS. PROFESS. PARISIENSIS. FECIT. 1673
che fa pensare che quel gruppo di lavori a finta tarsia di stile barocco
appartengan tutti, date la loro somiglianza e 1' unica derivazione, a quel
monaco professo parigino da annoverarsi nella bella serie degli artefici della
tarsia che per piu di due secoli arricchiron la Certosa e 1er sue dipendenze di
opere d’ arte. Da quell’ artista, pensa il citato scrittore, derivaron forse
i piu modesti artefici che ornaron piu tardi, nella prima metä del XVIII
secolo, gli altari di cui sopra s’ b fatto ricordo.
Anche le altre localitö dipendenti un tempo dalla Certosa di Pavia —
Carpiano, Vigano Certosino, Selvanesco, Villanova de' Beretti, Cascina
Brusada presso Marcignago, Guinzano, Molino de' Monaci, Landriano,
Birolo, Trezzano — conservan ricordi d' arte: pale d' altare, sculture,
affreschi, arredi. Ma son opere staccate, sparse qua e lä senza continuitä
d’ esecuzione. A San Colombano invece 1' arte b rappresentata ir un
piccolo ciclo che a noi b sembrato meritevole di ricordo. Altra volta
avremo a ricordare borgate e ville non meno rieche di cimelii artistici e
degne d' attenzione da chi visita 1' Italia a ragion di studio e per evocarne
le attrattive artistiche.
9'
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des
Chorbaus von St. Lorenz in Nürnberg unter der Leitung
Konrad Heinzeimanns.
Von Albert Gümbel,
Kgl. Kreisarchivassessor in Nürnberg.
(Schluß.)
Seite 1 1 ] Item waß ich han awß [geben]80) von des
paws wegen seind der nechsten Rechnung, daz stet
hernach geschriben:
Item am samtztag vor sand Peter tag vinkula
[= 29. Juli] II gesellen in der hüten, dy haten czu
V tagen, daz macht V % XXV dn.
Item am samtztag an sand Oswald tag [=
5. August] II in der hüten, dy haben V tag, daz
macht V U XXV dn.
Item am samtztag noch sand Lorentzen tag
[== 12. August] II in der hüten, dy haben czu V tagen,
daz macht V t6 XXV dn.
Item an sand Sebold abend [= 18. August]
II gesellen in der hüten, dy haben czu IV tagen, daz
macht IV U XXIV dn.
Item am samtztag vor sand Augustin [—
26. August] II in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht V U XXV dn.
Item Maister Kunrad czu der Goltfasten vor
sand Michelstag [= 20. September] XX gülden.
Item am samtztag vor Dyonisy [= 7. Oktober]
V gesellen awf dem perg mit dem maister, dy haben
czu VI tagen, den tag czu XIV dn., vnd dem maister
do selbst czu XV dn., macht XIV % XVI dn.
Item von etzlichen aksten vnd Maißeln czu
stechein, warn Vc spitzen, daz macht alles VI U VI dn.
8o) Geschrieben ist: dem.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus
Item am samtztag vor Gally [= 14. Oktober]
V gesellen awf dem perg, dy haben alle czu VI tagen,
macht
summa dytz foly macht
LXIII U XII dn.
vnd XX gülden.
Seite 12] Item am samtztag an der heyligen
XIM maid tag [=21. Oktober] V gesellen awf dem
perg ab czu Rawmen, yedem gesellen den tag czu
XII dn. vnd dem Maister XV dn., macht
Item dem eim karen für II rad vnd czu Eg-
schen81) vnd waß dor czu gehört
Item dem smid awf dem perg, macht
Item an sand Sumen Jada tag (!) [= Simonis et
Jude tag, 28. Oktober] V gesellen awf dem perg mit
dem maister, dy haben czu V tagen, macht
Item am samtztag noch aller heyligen tag [=
4. November] V gesellen awf dem perg, dy haben
czu V tagen, daz macht
Item an sand Mertens tag [= 11. November]
V gesellen awf dem perg, dy haben czu V tagen,
macht
Item dem smid awf dem perg doselbst
Item an sand Elspeten abend [= 18. November]
IV gesellen awf dem perg, haben czu VI tagen,
Item an sand Kathrein tag [= 25. November]
IV gesellen, dy haben czu IV tagen,
Item LXXXVIII stein czu VIII dn., macht
Item am samtztag noch sand Endres tag [=
2. Dezember] IV gesellen awf dem perg, haten czu
V tagen, macht
Item XL stein czu VIII dn, macht
summa dytz foly macht
FXIV U vnd XI dn.
Seite 13] Item am samtztag nach vnßer
Frawen tag Concepcionis [= 9. Dezember] IV gesellen
awf dem perg, haben czu IV tagen, macht
Item XXXII stein czu VIII dn., macht
Item dem smid awf dem perg, macht
von St. Lorenz usw. 133
XIV U XVI dn.
XII U XXVIII [dn.]
IV U X dn.
XXXVI dn.
X U XXV dn.
X U XXV dn.
X U XXV dn.
XXXVI dn.
X U XIV dn.
VIII U XXIV dn.
XXIII U XIV dn.
VIII U XXIII dn.
X U XX dn.
VII U II dn.
IX U XVI dn.
XXXVI dn.
8l) Wohl zu acks, ackst, Achse.
134
Albert Gümbel:
Item am samtztag noch Lucie [= 1 6. Dezember]
awf dem perg IV gesellen, haben czu VI tagen, macht X U XIV dn.
Item XLVIII stein czu VIII dn., macht XII U XXIV dn.
Item den windenpawmen abczunemen maister
W o 1 1 f a r t 82 ) selb IV, yklicher IV tag czu XV dn.,
macht VIII U.
Item am heyligen Crist abend [= 23. Dezember]
IV gesellen awf dem perg, haben czu V tagen, macht VIII % XXIII dn.
Item XL stein czu VIII dn., macht X U XX dn.
Item dem Maister sein Goltfasten, macht XX gülden.
Item am samtztag noch dem heyligen Cristag
[= 30. Dezember] IV gesellen awf dem perg, dy
haben czu II tagen, macht III % XX dn.
Item dem smid awf dem perg, XXIV dn.
Item XVI stein czu VIII dn., macht IV U VIII dn.
Item am Oberst abend [= 5. Januar] awf dem
perg IV gesellen, dy haben czu IV tagen, VII % II dn.
Item XXXII stein czu VIII dn., macht VIII U XVI dn.
summa dytz foly macht
LXCII U XXVI dn.
vnd XX gülden lantzwerung.
Seite 14] Item am samtztag noch Obersten
[= 13. Januar] IV gesellen awf dem perg, dy haben
czu VI tagen, daz macht X V6 XIV dn.
Item XLVIII stein czu VIII dn., macht XII W> IV dn.
Item an sand Sebastian tag [= 20. Januar]
IV gesellen awf dem perg, dy haben alle czu V tagen,
macht VIII U XXIV dn.
Item XL stein czu VIII dn., macht X U XX dn.
Item dem smid awf dem perg, macht XLVIII dn.
Item am samtztag noch lichtmes [= 3. Februar]
IV gesellen awf dem perg, dy haben czu V tagen,
macht VIII U XXIII dn.
Item XL stein czu VIII dn., daz macht X U XX dn.
Item am samtztag Invocavit [= 10. Februar]
IV gesellen awf dem perg, dy haben czu V tagen,
macht VIII U XXIV dn.
Item LII stein czu VIII dn., daz macht XIII U XVI dn.
8l) Ein Wolffhart wird in den Ämterbüchlein 1442 — 1445 unter den geschworenen
»Zimmermeistern zum Feuer« genannt. Sein Vorname war nach Tuchers Baumeister-
buch, wo er gleichfalls genannt wird (vgl. die obengenannte Ausgabe, S. 333) Ulrich.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 135
Item am samtztag Remiscere (!) [= 14. Februar]
IV gesellen awf dem perg, dy haben czu VI tagen,
macht
Item XC stein czu VIII dn., macht
Item dem smid awf dem perg, macht
summa dytz foly macht
FXXII U V dn.
Seite 15] Item am samtztag Oculy [= 24. Fe-
bruar] IV gesellen awf dem perg, dy haten czu
VI tagen, daz macht
Item LXXV stein czu VIII dn., macht
Item am samtztag Letare [= 2. März] IV ge-
sellen awf dem perg, haten czu VI tagen, daz macht
Item XC stein czu IX dn., macht
Item am samtztag Judica [— 9. März] IV ge-
sellen awf dem perg, dy haben alle czu VI tagen, daz
macht
Item XC stein czu IX dn., macht
Item dem smid awf dem perg,
Item an dem Palm abend [= 16. März] III ge-
sellen in der hüten, dy haben alle czu V tagen, daz
macht
Item IV gesellen awf dem perg, dy haben awch
V tag,
Item LXXV stein czu IX dn., macht
Item VI suner kalk czu XXIV dn., macht
Item am Oster abend [= 23. März] IV gesellen
in der hüten, dy haben V tag,
Item IV gesellen awf dem perg, haben awch
czu V tagen,
Item LXXV stein czu IX dn., macht
summa dytz foly macht
IIC vnd VI U XX dn.
Seite 16] Item am samtztag noch Ostern
[= 30. März] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu III tagen, macht
Item awf dem perg IV gesellen, awch czu
III tagen,
Item XXXVI stein czu IX dn., macht
Item am samtztag noch Ambrosy f= 6. April]
X U XIV dn.
XXIV U.
XLVIII dn.
XI U XX dn.
XXIP/a U.
XI U XX dn.
XXVII U.
XI U XX dn.
XXVII U.
XLVIII U .
X U IX dn.
IX U XXIII dn.
XXIP/a U.
V U.
XIII U XXII dn.
IX U XXIII dn.
XXI P/a U. •
VIII U XII dn.
V U XXIX dn.
X U XXIV dn.
136
Albert Gümbel:
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht XIII U XXII dn.
Item IV gesellen awf dem perg haben V tag IX 'M> XXIII dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXIl1/* U .
Item am samtztag vor Thiburtzy [= 13. April]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu VI tagen,
macht XVI U XII dn.
Item II gesellen awf dem perg, dy haben awch.
VI tag, V U VIII dn.
Item XC stein czu IX dn., macht XXVII U .
Item dem smid awf dem perg, XLVIII dn.
Item am samtztag vor sand Gorgen tag [=
20. April] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
V tagen, macht XIII U XXII dn.
Item II gesellen awf dem perg haben V tag, IV H XXIX dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXII1/* U.
Item am samtztag vor Wallpurgfis] [= 27. April]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht XIII U XXII dn.
Item II gesellen awf dem perg haben V tag IV U XXIX dn.
Item LXXV stein czu IV dn., macht XXIL/2 % •
Item dem smid awf dem perg XXXVI t6 .
summa dytz foly macht
IIC vnd VII U IX dn.
Seite 17] Item am samtztag noch sand Wall-
purg[is] tag [= 4. Mai] IV gesellen in der hüten,
dy haben czu III tagen, macht
Item II gesellen awf dem perg haben awch
III tag,
Item XLV stein czu IX dn., macht
Item III tag erden awß czu furen
Item am pfingst abend [=11. Mai] IV gesellen
in der hüten, dy haben czu VI tagen,
Item II gesellen awf dem perg, haben czu
VI tagen,
Item XC stein czu IX dn., macht
Item dy hüten czu fegen, macht
Item dem smid awf dem perg, macht
Item an der heyligen Drifaltikeit abend [=
18. Mai] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
VIII U VII dn.
III U I dn.
xmy, U.
XLII dn.
XVI U XII dn.
V U XXII dn.
XXVII U.
XIV dn.
XXIV dn.
III tag, macht
VIII U XII dn.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 137
Item awf dem perg II gesellen awf dem perg,
haben III tag, V U XXVI dn.
Item XLV stein czu IX dn., macht XVI!/j U .
Item maister Chunrad sein Goltfasten XX gülden.
Item an sand Vrbans tag [= 25. Mai] IV ge-
sellen in der hüten, haben V tag, XIII U XXII dn.
Item IV gesellen awf dem perg, haben awch
V tag, IX U XVIII dn.
Item IV gesellen II tag dy stein awß der hüten
czu furen III U XXIII dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXII1/^ dn.
summa dytz foly macht
iy2c vnd IV U III dn.
vnd XX gülden.
Seite iS] Item am samtztag vor sand Eraßmus
tag [= I. Juni] V gesellen in der hüten, dy haben
alle czu VI tagen, macht XX U XV dn.
Item IV gesellen awf dem perg, haben awch
czu VI tagen, XI U XIV dn.
Item XC stein czu IX dn., macht XXVII83) U.
Item dy hüten czu fegen XXVIII dn.
Item von eim pferd awf dem perg, erden czu
furen VI U XVIII dn.
Item am samtztag noch sand Eraßmus tag
[= 8. Juni] V gesellen in der hüten, dy haben czu
VI tagen, macht XX U XV dn.
Item IV gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, XI U XIV dn.
Item XC stein czu IX dn., macht XXVII U .
Item an sand Veytz tag [= 15. Juni] V ge-
sellen in der hüten, dy haben czu V tagen alle, daz
macht XVII U V dn.
Item III gesellen awf dem perg, dy haben czu
V tagen, VII U VI dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXII1/* U.
Item dy hüten czu fegen, macht XXVIII dn.
Item am samtztag vor sand Johans tag czu
sunbenden [= 22. Juni] IV gesellen in der hüten,
dy haben czu VI tagen, XVI U XII dn.
*3) Geschrieben ist fälschlich dn.
138
Albert Gümbel:
Item III gesellen awf dem perg, dy haben
VI tag,
Item XC stein czu IX dn., macht
Item dem smid awf dem perg
summa dytz foly macht
IIC vnd XXVI U X dn.
Seite 19] Item am samtztag sand Peter vnd
Pawl [= 29. Juni] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu IV tagen, macht
Item III gesellen awf dem perg, haben IV tag,
Item LX stein czu IX dn., macht
Item am samtztag noch Petry Pawly [= 6. Juli]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht
Item II gesellen awf dem perg, haben V tag,
macht
Item dy hüten czu fegen, macht
Item LXXV stein czu IX dn., macht
Item an sand Margreten tag [= 13. Juli] IV ge-
sellen in der hüten, dy haben czu V tagen, daz macht
Item II gesellen awf dem Perg, haben awch
czu V tagen,
Item LXXV stein czu IX dn., macht
Item an sand Maria Magdalen tag8-») [= 22. Juli]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu VI tagen,
macht
Item III gesellen awf dem Perg awch VI tag,
Item den kirchof czu Rawmen III gesellen,
macht
Item XC stein czu IX dn., macht
summa dytz foly macht
F vnd LXXI U XXIV dn.
Seite 20] Item am samtztag noch sand Jakob
tag [= 27. Juli] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu IV tagen, mach[t]
Item IV gesellen awf dem perg, haben czu
IV tagen,
Item LX stein czu IX dn., macht
Item dy hüten czu fegen,
®4) Fiel im Jahr 1448 auf einen Montag.
VIII U XXVI dn.
XXVII U
XXIV dn.
XI U II dn.
V U XXIV dn.
XVIII U.
XIII U XXII dn.
IV U XXIX dn.
XXVIII dn.
XXIP/a U.
XIII U XXII dn
IV U XXIX dn.
xxny* U.
XVI U XII dn.
VIII U XXIV dn.
XLII dn.
XXV P/a U
XI U XII dn.
VII U XXVI dn.
XVIII U
XLII dn.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 139
Item dem smid vmb allerley czu machen awf
dem perg VI U XXIV dn.
Item am samtztag an sand Steffans tag [=
3. August] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
V tagen, macht XIII U XXII dn.
Item IV gesellen awf dem perg aweh VI tag,
macht XI % XX dn.
Item ein hoffmewrlin czu machen in sand
Lorentzen selhaws kost mit allen Sachen VI XXIV dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXIL/a U .
Item VIMIVC spiczm, daz Ic czu X dn., vnd
XXI aksten czu XII dn. vnd XV Maißeln czu III dn.,
macht XXXI U XX dn.
Item an sand Lorentzen abend [= 9. August]
IV gesellen in der hüten, dy haben alle czu V tagen,
macht XIII U XXII dn.
Item IV gesellen awf dem perg, aweh V tag, IX U XXIII dn.
Item LXXV stein czu IX dn.. macht XXIL/a % .
summa dytz foly macht
Ic vnd LXXV II U XXII dn.
Seite 21] summa meins awß gebens, daz der paw macht mit allen
Sachen, facit IM vnd VCXXXVI U XXII dn. alt, vnd LX guld[en] lantz-
werung.
summa summarum alles einnemens von sand Lorentzen, sand Linhart vnd vom
paw macht IIMVIII°V <tb alt XXVII1/» [dn.]86) vnd IICXIX gülden lantzwer[un]g.
summa summarum der selben dreyer awßgeben macht IIMIIIC vnd XXV 4J>. I dn.
alt vnd ICLXI gülden n.
so ist man mir an der nechsten Rechnung schuldig belibenLXXIVVi gülden lands-
werung vnd IMIXCXXXI 4b. alt XI dn., daz alles macht IVMIICLV 4b. alt XII dn. vnd
11° VII1/» gülden landwerung, alzo belib mir sand Lorentz an dyßer Rechnung IIcXCVI4b.
alt VI1/» dn.* *7)
c.
Kirchenrechnung vom 11. September 1448 bis 5. Juli
1449. Ebenda Heft III.
Seite 1] Item waß ich han ein gen[o]men, daz sand Lorentzen czu
steet, seind der nechsten Rechnung, dy ich det am nechsten Mitwoch vor
Exultaciony (!) sante Crucis [= II. September] yn dem XLVIIIC Jar,
daz stet hernoch geschriben . . .
85) Korrigiert aus VIII 4b. XXIII dn.
86) Die 4b. und dn. korrig. aus VI(?) und V1/2.
*7) Korrigiert aus IMIIIC vnd XCIX 4t. alt vnd VI*/j dn.
140
Albert Gümbel:
[Es folgen auf Seite 1 und 2 die einzelnen Einnahmeposten an Geld und Getreide.
Summa 341 Gulden und 857 l/z <tb. alt.]
Seite 3] Item wafi ich han awß geben, daz sand Loren tzen czu steet,
daz stet hernoch geschriben . . .
[Es folgen auf Seite 3 — 6 die Ausgaben88), insgesamt (inkl. eines Schuldenrestes
von der vorigen Rechnung) 1435 4t. 10 dn. und 122 Gulden Landeswährung.]
[Auf Seite 3 sind Einnahmen und Ausgaben der Leonhardskirche (443 4t. und 12 fl.
gegen 167 «tb. 7 dn.) vorgetragen.]
Seite 8] Item waß ich han ein gen [o] men, daz czu
dem paw gehört, daz stet hernoch geschriben:
Item am ersten han ich ein gen [0] men für pos
stein LX % alt.
Item dy Geigerin schiket an den paw II gülden.
88) Von diesen seien hier die für 2 Chorbücher und für die kleine Orgel wieder-
gegeben:
Seite 3] Item von czwaien psalltern, dy in den kor ge-
horn, für permet vnd do von czu schreyben vnd czu einpinten,
macht VIII gülden XL dn.
Seite 4] Item der Nykolas Pair, sand Lorentzen Orgenist,
der vernewet vnßer klein Orgel vnd macht dor an XXI wochen
vnd verczert alle wochen ein halben gülden, macht
Item do von czu machen für seinen Ion
Item den czimerleuten III tag czu Rüsten, macht
Item für holtz zu dem gerüst
Item dem Orgenist czu leykawf für Parchant Czu einem
XV,89) gülden.
XVIII gülden.
LV dn.
XX dn.
Rock IV 4k..
Item für irch9°) czu der Orgeln, macht IIP/j 4t.
Item für III hewt czu den Ploßpelgen, macht XII 4t..
Item dem schuster von dem leder zu smiren III 4L
Item für negel czu den ploßpelgen, macht XLVIII da
Item dem Schreiner czu machen, waß dor czu not waß, VII1/* 4t..
Item für smer czu den Ploßpelgen, macht XXXV dn.
Item für horn vnd für alopatikum9I) X dn.
Item dem smid für hoken und kloben IV 4t.
Item für I 4t. czin vnd wißmat czu loten XLII dn.
Item für Ic pley czu der Orgeln V gülden.
Item alle tag ein seydlein wein, macht LXX mos czu
IV dn., IX 4t. Xdn.
Item czu plasen, dy weil man stimet IV 4L
summa daz dy Orgel kost
mit allen Sachen XXXIIIV2 gülden
vnd LIV 4t. X dn.
89) Korrektur aus XXI.
9°) Nach Schmeller-Frommann: Reh- oder Gemsleder.
91) Das Wort zu erklären ist mir nicht möglich. Sollte es zu Aloe hepatica, eine
Art Pflanzengummi oder Harz aus dem Safte der Aloe h., zu ziehen sein ?
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. j ^ j
Item die Hewßin schiket an den paw ein swartzen
frawenmantel vnd ein schlair, ward pedes geben vmb XVI U .
Item der Hewßin man ein swartzen mans
mantel, ward geben vmb IV gülden.
Item ward mir geben an den paw enpeintzing II gülden.
Item pey dem heiltum vnd awf der Taffein
ist gefällen mitsamt der lurchweych vnd sand Lo-
rentzen tag IXCXLIII U XVI*/*.
[dn.]
Item in den stocken in der Kirchen vnd awf
dem lcirchoff F vnd IX U X dn.
Item von der großen glocken Ic vnd XIV gülden,
summa dytz einnemen von des paws
wegen macht MC vnd XXVIII U XXVI*/, dn.
vnd CXXII gülden iantzwerung.
Seite 9] Item was ich han awßgeben, daz czu dem
paw gehört, seind der nechsten rechnung, dy ich det
czu des heiligen Krewtz tag Exultacionis in dem
XLVIII j ar daz stet hernoch geschriben:
Item am samtztag noch des92) heiligen Crewtz
tag [= 21. September] IV gesellen in der hüten
haben VI tag czu XX dn., macht XIII U XXII dn.
Item awf dem perg awch IV gesellen, dy haben
czu VI tagen czu II g[roß, Groschen]93) vnd irem
meyster XV dn., macht XI U XX dn.
Item LXXV stein czu IX dn., macht XXII1/} % .
Item eim gesellen erden awßczufuren awß der
hüten XIII dn.
Item dem Maister sein kotember XX gülden.
Item an sand Matheus abend [= 20. September]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht XIII U XXII dn.
Item auf dem perg II gesellen auch V tag,
macht IV U XXIX dn.
Item LXXV stein czu furlon, macht XXIF/2 .
Item awß der hüten dy gemachten stein czu
furen, macht VII U XIV dn.
92) Muß heißen »an«, wie das folgende Datum zeigt.
93) Nach Tücher (Baumeisterbuch, a. a. 0., Wortverzeichnis) wurde der Groschen
zu 7 Pfennigen gerechnet.
1^2 Albert Gümbel:
Item dem smid awf dem perg XLVIII dn.
Item dy gesellen in der hüten verzarten awf
dem perg XXIII dn.
Item an sand Michels abend [= 28. September]
IV gesellen in der hüten, haben VI tag, XVI % XII dn.
Item IV gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag, macht XI ^ XX dn.
Item XC stein, dy machen czu IX dn. XXVII U .
Item am samtztag noch Michahelis [=5- Oktober]
IV gesellen in der hüten czu V tagen XIII U XXII dn.
Item IV gesellen awf dem perg, haben czu
VI tagen, macht XI % XX dn.
Item LXXV stein macht XXII1/^ U .
Item ein deker selb drit, haten czu V tagen,
macht IX U XVI dn.
summa dytz foly IIC vnd XI % XXVI dn.
vnd XX guld[en] lantzwerung.
Seite 10] Item am samtztag noch Dyonisii
[= 12. Oktober] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu VI tag, macht
Item IV gesellen awf dem perg haben awch
VI tag
Item XC stein czu IX dn., macht
Item der decker selb drit, haben czu III tagen,
macht
Item am samtztag noch sand Gallen tag [=
19. Oktober] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
VI tagen, macht
Item VI gesellen awf dem perg, haben awch
VI tag,
Item XC stein czu IX dn., macht
Item IV taglon, erden awß czu furen, macht
Item dem smid awf dem perg
Item am samtztag vor Simanis et Jude [=
26. Oktober] IV gesellen in der hüten, haben czu
VI tagen vnd XV dn., den tag czu XV dn., macht
Item IV gesellen awf dem perg, den tag czu
XII dn., dem Maister XV dn.,
Item XXX stein czu IX dn., macht
Item dy steinmitzen gesellen verczerten awf
dem perg
I
XVI U XII dn.
XIII U XX dn.
XXVII U.
V U XVIII dn.
XVI U XII dn.
XI U XX dn.
XXVII U.
LVI dn.
LXIII dn.
XII U XII dn.
X U XIV dn.
IX U.
XXVIII dn.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. i
43
Item am samtztag noch aller Heyligen tag
[= 2. November] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu IV tagen, macht VIII % XII dn.
Item IV gesellen awf dem perg, haben awch
czu IV tagen, VI % X dn.
Item dem smid awf dem perg XXXIV dn.
Item dy gesellen, dy steimitz, verczerten awf
dem perg XXXVI dn.
summa dytz foly macht
PLXXI U XVI 194) dn.
Seite 1 1 ] Item am samtztag vor sand Merteins
tag [= 9. November] IV gesellen in der hüten, dy
haben czu VI tagen, macht XII % XII dn.
Item awf dem perg der maister allein hat
VI tag, macht III U II dn.
Item am samtztag noch sand Mertens tag [=
16. November] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu V95) tagen, daz macht X U XII dn.
Item awf dem Perg der Maister, hat [czu]
V tagen, macht LXXVII dn.
Item ein sail, daz wigt IIP % vnd kost daz
% czu VIIP/2 dn. vnd hat XXX klafftern an der
leng, macht LXXXV U
Item am samtztag vor sand Kathrein tag [=
23. November] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu VI tagen, macht XII U XII dn.
Item an sand Endres abend [= 29. November]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu IV tagen VIII U XII dn.
Item IX Eyßen czu stechein, dy awf den perg
gehorn, von eim czu XI dn., III U IX dn.
Item XXI keylen czu swaißen, von I ein dn.,
macht XXI dn.
Item am samtztag an vnßer frawen abend Con-
cepcionis [= 7. Dezember] IV gesellen in der hüten,
dy haben czu V tagen, macht X % XII dn.
Item IIIMIIIC spitzen, daz Ic czu X dn., vnd
XIII Maißel czu III dn. vnd XV aksten czu stechein,
von der aksten XII dn., macht XVIII % IX dn.
94) Korrigiert aus XIII.
95) Korrigiert aus IV.
i44
Albert Gtimb el:
Item am samtztag noch Lucie [= 14. Dezember]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tag,96)
Item dem Maister für papir, macht
Item am sand Thomas abend [= 20. Dezember]
IV gesellen in der hüten, dy haben V tag,
Item Maister Chunrad sein sold, macht
summa dytz foly macht
FLXXXVIII U VIF/* dn.98)
vnd XX gülden.
Seite 12] Item am heiligen Crist abend [=
24. Dezember] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu i! tagen, daz macht
Item am samtztag vor Obersten [= 4. Januar]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht
Item am samtztag noch sand Erhartz tag [=
II. Januar] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
V tagen, macht
Item am samtztag sand Priska tag [= 18. Januar]
IV gesellen in [der] hüten, dy haben czu VI tagen,
macht
Item am sand Pawls abend Converßionis
[— 25. Januar] IV gesellen in der hüten, dy haben
czu V tagen, macht
Item an vnßer lieben frawen abend czu licht-
meß [= I. Februar] IV gesellen in der hüten, dy
haben czu VI tagen, macht
Item an sand Appolonia tag99) III gesellen in
der hüten, dy haben czu VI tagen, macht
Item am samtztag noch Valentiny [= 15. Fe-
bruar] IV gesellen in der hüten, dy haben czu VI tagen,
macht
Item an sand Peters abend Kathedra [=21. Fe-
bruar] IV gesellen in der hüten, dy haten czu V tagen,
macht
96) Korrigiert aus IV tagen.
97) Korrigiert aus XII.
98) Korrigiert aus FLXXXIII «>. XXVIF/* dn.
99) Dies wäre ein Sonntag (9. Februar).
X97) U XII dn.
xvy2 dn.
X U XII dn.
XX gülden.
IV U XII dn.
X U XII dn.
X U XII dn.
XII U XII dn.
X U XII dn.
XII U XII dn.
IX U XII dn.
XII U XII dn.
X U XII dn.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaüs von St. Lorenz UsW. 14g
Item am samtztag Invocavit [= I. März]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu IV tagen
czu XX dn., macht XI U II dn.
Item am samtztag Remuscere (!) [= 8. März]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht XIII U XXII dn.
Item meistern Kunrad sein sold, macht XX gülden,
summa dytz foly
macht FXVII Uk
XII dn. vnd XX gülden.
Seite 13] Item am samtztag Oculi [= 15. März]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu VI tagen,
daz macht XVI U XII dn.
Item am samtztag Letare [= 22. März] V ge-
sellen in der hüten, dy haben czu VI tagen, daz macht XX U XV dn.
Item II czimerlewt, hat yklicher czu III tagen,
macht III U XXII dn.
Item am samtztag Judyca [= 29. März] V ge-
sellen in der hüten, dy haben czu V tagen, macht XVI 2# V dn.
Item domit IV czimerman, haben awch [czu]
V tagen, macht XII ’ü VIII dn.
Item am Palm abend [= 5. April] V gesellen
in der hüten, dy haben czu VI tagen, XX W> XV dn.
Item domit IV czimerlewt, haben awch czu
VI tagen, ...I0°)
Item am Oster abend [= 12. April] V gesellen
in der hüten, dy haben czu V tagen, XVII V dn.
Item domit IV czimerlewt, haben awch [czu]
V tagen, macht XIII U XXII dn.
Item am samtztag noch Ostern [= 19. April]
V gesellen in der hüten czu III tagen * X % XV dn.
Item am samtztag nach dem heiltum [= 26. April]
V gesellen in der hüten, dy haben czu IV tagen,
daz macht XIII U XXV dn.
Item am samtztag an des heiligen Krewtz tag
[= 3. Mai] VI gesellen in der hüten, dy haben czu
IV tagen, macht XVI U XVIII dn.
Item VIM vnd Vc spitzen, vom Ic czu X dn.,
macht XII U XI dn.
Item von Maister Chunrad Haws czu Czins VIII gülden.
10°) Es fehlt die Zahl.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
IO
146
Albert Gümbel :
Item am samtztag noch sand Johans tag ante
portam [= 10. Mai] VI gesellen in der hüten, dy
haben czu VI tagen, mach* XXIV M XVIII dn.
Item domit ein tagwerker hat awch VI tag,
das mach[t] II U XXVI dn.
Item am samtztag noch Pangracy [= 17. Mai]
IV gesellen in der hüten, haben VI tag, XVI % XII dn.
summa dytz foly macht
IICXVII U XIX dn.
vnd VIII gülden.
Seite 14] Item am samtztag an101) sand
Vrbans tag [= 24. Mai] IV gesellen in der hüten,
dy haben czu V tagen, macht XIII102) U XXII dn.
Item domit XI suner kalk czu XXVIII dn.,
macht X U XXVI dn.
Item am heyligen pfingst abend [= 31. Mai]
IV gesellen in der hüten, dy haben czu VI tagen,
macht XVI U XII dn.
Item an der heyligen drifaltikeyt abend [=
7. Juni] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
III tagen, macht VIII ^ XII dn.
Item domit dem Maister Chunrad sein Ion XX gülden.
Item von VIIIC spieen, vom Ic czu XI dn.,
macht II U XXIV dn.
Item an sand Veytz abend [= 14. Juni] IV ge-
sellen in der hüten, dy haben czu V tagen, macht XIII U XXII dn.
Item am samtztag noch sand Veytz tag [=
21. Juni] IV gesellen in der hüten, dy haben czu
VI tagen, macht XVI U XII dn.
Item domit XIV suner kalk, daz suner czu
XXV dn., XII U IV dn.
Item V stein Kurn pergI03) czu V g[roß] macht V 2# XXV dn.
Item am samtztag noch sunbenden [= 28. Juni]
II gesellen in der hüten, dy haben czu V tagen,
macht VI U XXVI dn.
Item am samtztag noch visitacionis Marie [=
5. Juli] II gesellen in der hüten, dy haben czu II tagen,
macht II U XXVI dn.
101 ) Muß heißen »vor«, da Urbani auf einen Sonntag fiel.
IM) Darunter mit schwächerer Tinte: XVI $t)..
I03) D. h. aus dem Kornberger Steinbruch. Vgl. in der Einleitung.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 147
Item domit für Rust sail VI $6
Item V czimerman, dy haben czu V tagen,
macht XX U X dn.
summa dytz foly macht
FXXXVI U XI dn.
vnd XX gülden.
summa meins awß geben ist, daz dem paw czu
stet, dazmachtXcvnd XLIII«4) U IR/^5) d n. v n d LXXXVIII
g u 1 d [e n] lantz werung.
[Es folgt noch eine, durch Korrekturen, Streichungen und Einschaltungen sehr
unklare Gesamtabrechnung über Einnahmen und Ausgaben von St. Lorenz, St( Leonhard und
und »von dem paw«. Sie schließt mit einem Debet der Kirchenfabrik zugunsten des Kirchen-
meisters im Betrage von 36 fl. und 219 <& 15 dn.]
Beilagen.
I.
Der Rat der Stadt Nürnberg bittet die Stadt
Rothenburg 0. T., ihmüber die Person und »Künste«
des für den Lorenzer Kirchenbau in Aussicht ge-
nommenen Werkmeisters, Meister Konrads Parliers,
Auskunft zu erteilen. 1439, 18. Mai. (Nürnberger Briefbücher
im K. Kreisarchive Nürnberg, Bd. 13, S. 328 [b].)
Der Stat zu Rotemburg.
L[ieben] fr[eunde]! Der erwirdig herre, herr Conr[at] Könnhofer,
lerer aller künste und pfarrer bei uns zu sand Lorentzen, hat uns anbringen
lassen und im etwas merklichen paues an ders [eiben] sand Lorentzenkirchen
fürgenommen, darumb denn er und etliche unser ratsfr[eund] mit meister
Conr[at] parlierer, euerm Werkmeister, in rede kommen sein, bitten wir
eur weishfeit] mit fleis, ir wellet uns zu lieb zuvoran von seinem wesen und
gelegenh[eit] und sunderl[ich] von seinen künsten, ob söllicher merklicher
paue mit im versorgt und ausgerichtet werden möcht, in guter freunts[chaft]
etwas eigensch[aft] verschreiben und im (!) zu söllichem paue bei uns
günsticlich von euch körnen lassen, eur gunste und füdrung umb unsern
willen gutwillicl[ich] tun, als etc. denn, wo wir euer ersamkeit lieb oder
etc. datum feria Ha post ascensionis domini [= 18. Mai 1439].
II.
Der Nürnberger Rat schreibt an das Domkapitel
(und den Rat) zu Regensburg, die erbetene Über-
nahme der Dombauhütte daselbst durch Konrad
104) Korrigiert aus XXXVIII.
105) Korrigiert aus XVIII1/*.
10
148
Albert Günibel:
Roritzer, zurzeit Werkmeister des Chorbaus von
St. Lorenz in Nürnberg, betreffend. 1456, 31. Juli. (Brief -
bücher/ Bd. 26, S. 191a und b.)
Den erwird[igen] hern Niclasen von Kindsperg, techant, und dem
capitel des tumstifts zu Regenspurg, unsern sundernlieben herren und
gunnern.
Wirdigen, sunderlieben herren und gunner! wir haben enphangen
und wol verpönten euer schreiben, uns itzunt von Meister Conr[at] Roritzers,
unsers Werkmeisters des paus Sant Laur[entzen] pfarrkirchen bey uns,
[wegen] zugesendt, beger[n]de, den seiner pflichte, uns des paus halben
derß [eiben] kirchen getan, gütlich ledig ze sagen und im, dem pau an dem
bau an dem thum bey euch zu Regenspurg an stat seins vaters seligen vorze-
sein, ze vergunnen etc. wiewol wir nu etlichen meistern, unsern bürgern,
die an dems [eiben] baue stunden und arbeiten, Urlaub geben und den gemelten
Meister Conraten umb notdurft und zierlicheit willen desselben paus bestellt
haben, sein auch dabey übel geraten und enbern mugen, haben wir doch
euer wirdfen] zu gevallen demßelben Meister Conrfat], der vorgemelten
pflicht unengolten, vergundt, das er euerm und unsern peuen, beden, vorsein
und die verwesen sull, mit sunderm fleis pittend, sollichs also von uns zu gevallen
•ze nemen und im widerumb ze gestatten, so wir in Vordren und unser not-
durft heischt, sich zu uns ze fügen und unserm vorgemelten paue vorzesein.
das stet uns zu der pillicheit umb euer wirdfen] ze verdienen], dat. sabbato
post Jacobi [== 31. Juli 1456].
Deßgleichen ze schreiben dem rate ze Regens [purg] mutatis mutandis.
III.
Derselbe teilt der Stadt Amberg auf deren Bitte
mit, daß der Baumeister der St. Lorenzkirche, acht
Tage dorthin kommen dürfe. 1446, I. Dezember. (Briefbücher,
Bd. 18, S. 113a.)
Amberg.
L[ieben] fr[eunde]! als ir uns von eins merklichen] paues wegen,
der an sand Martinskirchen bei euch angefangen sey, verschroben] und uns
umb den paumeister sand Lorentzenkirchen bey uns gebeten habt etc.,
das haben wir wol vernomen und eurer weish[eit] zu lieb haben wir mit
sand Lorenczen pflegern bey uns fleißig darumb reden und bitten laßen,
die haben uns geantwurt und zugesagt, ob ir des begert und in kürtz nach
demselben paumeister schikt, so wellen sie im wol gönnen an 8 tag also
bey euch zu seyn, waiß euch denn ders[elb] paumeister etwas guts zu raten,
daran tut er uns auch ein gefallen, denn wo wir euer ersamk [eit] lieb oder
etc. datum feria 5a post Andree apostoli [= I. Dezember] (1446).
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 14g
IV, a— f.
Derselbe schreibt an Friedrich H e i n r i c h s m a n n
von Dettwang, dann an Albrecht und Georg von
Bottendorf und Nikolaus Groß wegen einer von
ersterem erhobenen Anforderung an die Stadt,
betreffend die rückständige Besoldung seines ver-
storbenen Vaters, Meister Konräds, Werkmeisters
bei St. Lorenzen. 1456, 23. Februar, 1457, 20. Juni, 1463 2. Dezember
(Briefbücher Nr. 26, S. 91b, 27, S. 126 b — 128 a, 30, S. 210 b).
a.
Fridrichen Heinrichsmann
von Detwanng.
Lieber Fridrich! auf euer schreiben, uns itzunt zugesant, antreffend
dritthalben jarsold, so man maister Conraten weylant Werkmeister bey
uns zu Sannt Laurentzen, euerm vater seligen, von des baus wegen daselbst,
so ir vermeynt, schuldig beliben sein sol, haben wir die kirchenmeister zu
Sannt Laurentzen für uns besant und sie ernstlich darumb zu rede geseczt,
die uns denn zu erkennen geben haben, wie sie die register des baus mit
fleiß fürhannden genommen und die besehen haben und vynden eigentlich,
das im umb sein sold ganz ausrichtung und genügen gescheen sey, also das
man im nichts hinterstelligs schuldig beliebe, vermeynende, das ir sollicher
vordrung pillich abstundt. wie aber dem, wölt euch bedunken, das ir die
kirchenmeister deshalben vordrung und ansprach nit vertragen möcht, so
wollen wir euch oder euerm anwalt, so das ungeverlich begert wirdt, frunt-
lichs rechten fürderlich und gerne von in helfen; vermeynt ir auch darumb
zu uns und unserm conmunn eincherley vordrung ze haben, so wollen wir
euch auch fruntlichs rechten gerne pflegen an den enden, do wir des zu
pflegen schuldig sein und meynen, das ir euch des von uns und den unsern
pillich genügen laßt, wann wamit etc. dat. ut supra [= feria secunda post
Reminiscere = 23. Februar] (1456).
b.
Fridrichen Heinrichsman
von Detwang.
Lieber Heinrich (sic) ! euer schreiben, uns abermals zugesandt, solliche
vordrung durch euch, wiewol unpillich, etlichs euers vermeinten veter-
lichen ausstands und geltschuld wegen, von meister Conr[at], etwen Werk-
meister bei uns zu S. Laurfentzen] sei [ig] herrurnde, haben wir wol ver-
nomen etc. und wann wir euch nun deßelben euers fürnemens halben vormals
Albert Gtimbel:
*5°
in unsern Schriften, am montag nach dem suntag Reminiscere im 56. jare
gegeben, genuglich erclert haben, wie wir alsdenn die kirchenmeister zu
Sannt Laurentzen bei uns derselben Sachen halb für uns besandt und sie
ernstlich zu rede gesetzt, die uns denn haben zu erkennen geben, wie sie
die register des baus, alsdenn euer genanter vater Werkmeister gewesen ist,
furhannd genomen und die mit fleiß ersucht, besehen und eigentlich erfunden
haben, das dems [eiben] maister Conrfat] umb sein sold ganz ausrichtung
und genug gescheen und das man im auch nichts hinderstelligs beliben
sei etc., uns dabei erpietend, ob ir darüber zu den kirchenmeisteren der
[selben] ansprach halben eincherlei vordrung ze haben vermeintet, das wir
darumb euch oder euerm volmechtigen anwalt, so des ungeverlich begert
wurde, fruntlichs rechten furderlich und gerne von in helfen und, ob ir
auch darüber uns und unser conmunn vordrung und Spruche nicht ver-
tragen wollt, euch auch fruntlichs rechten ze pflegen an den enden, do wir
des zu pflegen schuldig sein etc., als euch der gemelt unser brief genuglich
underrichtung gibt, meinen wir, das ir euch sollicher unser rechtlichen
erpietung auch für uns und die unsern on verrer ersuchung pillich hett
genügen laßen etc. und wann ir uns aber über sollich unser rechtlich erpietung
ein unpillich, mutwillig bewarung zugeschr [iben] habt, die uns, all umbstend
angesehen, pillich befremden, darumb begern wir mit ernste, das ir sollich
euer furnemen on verziehen abtut, uns noch den unsern keines argen, scheden
noch geverden wartend seit, sunder euch von uns und den unsern an recht,
euch in unsern vorberurten Schriften fürgeschlagen, genügen laßt, als ir
auch selbs des wol schuldig seit, wa aber darüber uns oder den unsern ein-
cherlei scheden von euch oder euern wegen zugezogen wurden, musten
wir dafür halten, als sie weren. dat[um] ut supa [= feria secunda post
corporis Christi = 20. Juni (1457)].
c.
Hern Albrfecht] von Bottendorf.
Edeler, wolgeborner lieber herr und fürdrer! Fridrich Heinrichsmann,
zu Elgenfürt106) wonhaftig, hat im von seins vaters, meister Conrats seligen
wegen, der etwen an dem pau Sannt Laurentzen kirchen bei uns zu Nurmberg
Werkmeister gewesen ist, etlichen vermeinten ausstenden solde, dems [eiben]
seinem vater zustende, anrfürend], vordrung und spruch gen uns, wiewol
unpillich, fürgenomen, angesehen, das dems [eiben] seinem vater umb sein
Ion und solde, darumb er solfche] Spruch ereugt, zu iglichen Zeiten ganz
genug und ausrichtung gescheen und im nichts hinderstellig beliben ist, so
Io6) Weiter unten ist Ebenfurt geschrieben. Es ist wohl Ebenfurth in Niederösterreich
hei Wiener Neustadt gemeint.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. j 5 i
sich das in redlicher rechnung clerlicher erfindet und wiewol wir im nu darumb
für uns und die unsern, ob er uns sprüch zu vertragen nit vermeinte, recht
und billigen austrag furgeslagen und zugeschr [iben] haben, hat er uns
doch darüber ein ungepurlich bewarung zugesandt, daruf wir im aber recht
für uns und die unsern so völliclich gepotten haben, das er sich denn pillich
genügen ließ, als wir söllichs auch dem edeln wolgeboren hern Jorgejn von
Bottendorf und, wie sich die Sachen verhandelt und begeben hant, mit
unsern Schriften haben übersendet etc. darumb wir euer edelk[eit] in sunderm
fleiße und wolgetruwen pitten, ir wollet umb unsern willen den genanten
hern Jörgen fruntlich bitten, daran weisen und vermugen, auch selbs darob
sein, das der genant Fridrich söllich unrechtlich und ungepurlich bewarung
abtu und sich von uns vordem allerd [urchlauchtigsten] fürsten, unsern
allergfnedigsten] herren . . römischem keiser, als unserm ordenlichen
richter, oder, ob im das nit füglich sein wolt, vor der dreyer reichstet Rotem -
bürg, Windß[heim] oder Weißjenburg] rete einem, als wir denn an dem
heiligen reiche begnadt, gefreyet und herkumen sein, und von den unsern
vor des reichs richter und gerichte bei uns an recht genügen laßen, wann
wir im des für uns und unser conmunn vor dem vorgenanten unsern aller-
g[nedigisten] herren, dem ro. keiser, zu pflegen und von den unsern vor des
[reichs] richter vorgemelt, so das ungeverlich begert wirdet, willig sein
zu verhelfen und ze gestatten, und wollet euch sollichermas hirinne be-
weisen und erzaigen, als etc. das wollen etc. dat. ut supra [= Datum wie
bei b].
d.
Niclasen Groß, unserm ratsfrund, oder in seinem abwesen Sebalten
Rotenhan.
Lieber Niclas! wiewol wir Fridrich Heinrichsmann von seiner ver-
meinten sprüch und vordrung wegen, durch in von meister Conrats, seins
vaters, wegen, etwann Werkmeister des paus zu Sannt Laurentzen bei uns,
furg[enomen], in unsern Schriften genuglich zu erkennen geben, das wir uf
erfarung von den kirchenmeisterfn] daselbst zu Sannt Laurentzen clerlich
bericht sein, daß ders[elb] meister Conr[at] seins soldes ganz entricht und
im auch nichts hinderstellig schuldig belieben sei, hat uns doch der [selbig]
Fridrich ein ungepurlich bewarung über all unser rechtlich erpietung zu-
geschr [iben], darumb wir denn itz[und] abermals dems [eiben] Fridfrich]
schreiben, rechtlichen austrag furslahen und dem edlen hern Jorgen von
Bottendorf, des anses und inwoner zu Ebenfurt derselb Fridrich ist, schreiben
und anlangen, in darzu ze halten und zu vermugen, sich soll[icher] unser
rechtpot für uns und die unsern genügen ze laßen, inmaßen dich dise ein-
gelegten Schriften desselben handeis volliclicher unaerweisen, darumb ist
unser meinung, das du bei dems [eiben] von Bottend [orf] fleis tust und
*52
Albert Gümbel:
in von unsern wegen ersuchst und anlangest, den sein also zu underrichten,
sich von uns und den unsern also an recht in laut der gemelten unser ein-
gelegten schritte on verrer foeswerung und eintrege genügen ze laßen als
du das nach dem pesten wol waist furzenemen und ze handeln, das ist uns
von dir zu sunderm dank und wolg[evallen]. dat. ut supra [= Datum wie
bei b].
e.
Hern Jorgen von Bottendorf etc.
Edeler wolg[eborner] etc. besunder lieber herr und fudrer! Fridrich
Heinrichsman, euer anses und inwoner zu Ebenfurt, hat im vordrung und
Spruche von seins vaters wegen, meister Conrats, etwann Werkmeister und
barlierer des baus Sant Laur [entzenjkirchen bei uns ze Nur[emberg], fur-
genomen, darumb [wir] alsdenn und nun aber die kirchenmeister ders [eiben]
kirchen für uns besenndt haben, gelegenheit der Sachen an in ze erlernen,
die uns denn zu erkennen geben, wie sie alle register und rechenpucher,
dens [eiben] pau berurend, ersucht und mit vleis übersehen haben und nit
anders wißen noch vinden, denn das ders[elbig] meister Conr[at] seins solds
und Ions ganz ausgericht und im auch nichts unbezalts sollichs solds halben
hinderstellig beliben sei, so wir das dem [selben] Fridfrich] in unsern Schriften
genuglich erclert haben, uns dabei erpietend, ob er darüber zu den gemelten
kirchenmeistern icht ze sprechen vermeint zu haben, im oder seinem vol-
mecht[igem] anwalt von dens [eiben] kirchenmeistern fruntlichs rechten
furderlich ze helfen und ob er uns oder unser conmunn ansprach, auch
nit vertragen möcht, im darumb rechtens und austrags an den enden, da
wir des pflichtig sein, ze pflegen, so das euer edelkfeit] dise eingelegten
schrif t zu erkennen geben, und wann er uns nun darüber, wiewol unpillich
ein un[ge]purlich bewarung in laut der abschrift, sollichs berurend, zu-
geschrfiben] hat, das uns, sollich unser rechtlich erpietung-angesehen, nit
unpillich ser befrembdet, bitten wir euer edelkeit in sunderm fleis, den
gemelten euern anseßen und inwoner zu underrichten, sollich unpillich
und unrechtlich bewarung abzetun und sich von uns an recht oder, ob er
uns anders deshalben vordrung nit vertragen möcht, vor unserm aller-
gfnedigsten] herren, dem ro. kaiser etc., als unserm ordenlichen richter,
oder, ob im das nit sinnlich were, vor der dryer reichstet Rot[emburg]
Winds [heim] oder Weissfenburg] ret einem, nachdem wir an dem heiligem
reich begnadt und gefreiet sein, und von den unsern vor des reichs richter
und gerichte bei uns ze Nurfemberg] an recht genügen ze laßen, als wir
uns des kein zweifei zu euer edelkeit nemen, sunder alles guten gentzlich
versehen, das stet uns mit willen umb dieselben euer edelkeit zu verdienen],
dat. ut supra [Datum = wie bei b].
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. 153
f.
Friderichen Heinrichsmann
von Dettwanng.
Lieber Friderich! euer schreiben, itzundt an uns gelanget und am
sambstag nach Symonis et Jude nechtsvergangen zu Ebenfurt gegeben,
haben wir mit seiner inhalt wol vernomen und zweifeln nit, unsere vordere
schrift, euch zugesandt, haben euch wol underricht, wie wir die kirchen-
meister bei uns zu sandt Lorenntzen euer vermeinten vordrung halben
begagent, ernstlich zu rede gehalten und antwurt von in entphangen haben,
auf meinung, wie sie die register des baus mit fleiß übersehen und darmne
eigentlich funden haben, das euerem vater seligen umb sein sold ganz aus-
richtung und genug gescheen sei, und uns darbei erpoten, ob ir solicher
ir antwurt nit genugig sein wolt, euch von denselben kirchenmeisteren
rechtens zu verhelfen und, ob ir uns derhalben Spruch auch zu vertragen
nit vermeintet, euch darumb rechtens zu pflegen an den enden, do wir des
pflichtig weren etc., miaut derselben unser schrift, des wir uns auch noch-
mals für uns und die unsern also ungeverlich ze tun willig erbieten und
tun darauf allen Unwillen gen. euch gütlich abe und bedurft euch derhalben
keins argen zu uns versehen, desgleichen wir uns auch für uns und die unsern
gen euch halten wollen, soverr ir dem nachkumpt, s,o ir uns in laut euers
briefs zugeschriben habt; aber diebriefe, uns von euch zugeschickt, euch
wider zu senden, ist unser gewonheit nit; das wollet also im pesten merken,
wann wamit etc. dat. feria VI. post Andree apostoli [= 2. Dezember ( 1 463 ) ] .
V.
Das Baseler Konzil gestattet, die Einkünfte
der Lorenzer K i r c h e n f a b r i k auf IO Jahre für den
Chorbau zu verwenden. 1440, 16. September (K. Kreisarchiv,
S. VI 101/2 Nr. 891).
SacrosanctaI07) generalis Synodus Basilien [sis] , inspiritu sancto legitime
congregata, universalem ecclesiam representans, Dilecto ecclesie filio . .
Abbati Monasterii sancti Egidii Nurenburgen. ordinis sancti Benedicti,
Bambergen [sis] dio[cesis] Salutem et omnipotentis dei ben[edictionem].
Qui divinum ubilibet vigere pariter et augeri cultum sinceris zelamus affec-
tibus, non inmerito solicitis invigilamus studiis ad hoc, ut ecclesie queque
pro huuismodi cultu inibi a fidelibus conmodosius peragendo nostri favoris
presidio convenienter valeant adaptari. Sane pro parte dilectorum ecclesie
I07) Die Schreibung ist die des Originals, doch wurde die Interpunktion zum Zwecke
leichteren Verständnisses vervollständigt.
*54
Albert Glimbel:
filiorum Magistrorum fabrice parrochialis ecclesie sancti Laurencii Nuren-
burgen[sis], Bambergen [sis] dio[cesis], nobis exhibita petitio continebat
quod olim ipsi, considerantes dictam ecclesiam non tante amplitudinis
existere, quod illius parrochiani et alii fideles ad ipsam diebus precipue
festivis et solemnibus ad audiendum divina confluentes conmodose absque
magna pressura recipi valerent, extensionem dicte ecclesie opere magnifico
et sumptuoso pro choro novo euisdem ecclesie fecerunt inchoari.
Et sicuti eadem petitio subjungebat, pro complimento operis huiusmodi,
ad quod maximi sumptus requirentur, fabrice ipsius ecclesie proprie non
Suppetunt facultates quodque, si fructus, redditus, proventus et obventiones
universi prefate ecclesie, qui satis exuberant, congrua ex eis dumtaxat
pro ipsius ecclesie Rectore porcione reservata, eidem fabrice ad decem
annorum spacium appropriarentur et applicarentur, opus huiusmodi posset
deo annuente laudabiliter consummari. Quare pro parte dictorum Magistro-
rum fabrice nobis fuit humiliter supplicatum, ut pro complemento operis
huiusmodi ad dei laudem et salutem populi fructus, redditus, proventus,
obvenciones et emolumenta predicta, reservata ex eis congrua porcione
pro Rectore predicto, eidem fabrice ad huiusmodi annorum spacium appro-
priare et applicare dignaremur. Nos igitur, de premissis certam noticiam
non habentes, huiusmodi supplicacionibus inclinati, discrecioni tue per hec
scripta mandamus, quatenus vocatis dicto Rectore et aliis, qui fuerint evo-
candi, si est ita ipseque Rector in hoc expresse consenserit, congrua pro eo
et successoribus suis dicte ecclesie Rectoribus, qui interim forsan fuerint,
porcione, de qua conmode sustentari, episcopalia jura solvere et alia eis
incumbentia onera supportare valeant, per te super fructibus, redditibus,
proventibus, obvencionibus et emolumentis dicte ecclesie reservata, totum,
quod ex eis, porcione huiusmodi deducta, residuum fuerit, fabrice predicte
ad huiusmodi decem annorum spacium auctoritate nostra applices etappro*
pries illudque per Magistros fabrice predictos interim annis singulis colli-
gendum et in huiusmodi complemento operis exponendum fore eadem
auctoritate decernas faciens eisdem Magistris fabrice de universis fructibus,
redditibus, proventibus, juribus, obvencionibus et emolumentis predictis
ad usum fabrice et complemento operis huiusmodi convertendis, dicta ex
eis porcione deducta, integre responderi, Contradictores per censuram
ecclesiasticam appellacione postposita compescendo. Non obstante
si aliquibus conmuniter vel divisim a sede apostolica sit indultum,
quod interdici, suspendi vel excommunicari non possint per literas non
facientes plenam et expressam ac de verbo ad verbum de indulot huius-
modi mentionem. Dat. Basilee XVI Kal. Octobr. Anno a nativitate
domini Millesimo quadringentesimo quadragesimo. — Orig. Perg. mit
Bleibulle.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw.
VI.
Dr. Konrad Konhofer und das Konhoferf enster
im Chore von St. Lorenz zu Nürnberg lo8).
Dr. Konrad Konhofer war als Sohn Heinrich Konhofers und seiner
Ehefrau Gertrud (oder Gerhaus), einer geborenen Hofmann, zu Nürnberg
geboren. Zu Prag erwarb er sich den Doktorgrad in allen vier Fakultäten109).
Er selbst nennt sich »sacre theologie professor, utriusque juris doctor, artium
et medicine magister«. 1405 ist er Generalvikar des Bischofs von Bamberg
(Nbg. Briefb. I, 52b). Er war Domherr zu Passau und Regensburg (seit
1402), 1424 wurde er Propst des Kollegiatstifts U. L. Frau zur Alten Kapelle
in Regensburg110). Aus seinen Testamenten von 1429 und 1430 erfahren
wir, daß er vordem Pfarrer zu »Galkweiß« (Gailwies bei Innsbruck?) war.
Wann er in die Dienste des Nürnberger Rates trat, ist nicht genau fest-
zustellen. Jedenfalls muß es vor dem Jahre 1425 gewesen sein, denn in diesem
Jahre entsandte ihn die Stadt nach Rom, um eine Bestätigungsbulle Papst
Martins V. über die dauernde Verwahrung der Reichskleinodien zu Nürnberg
auszuwirken, was ihm auch gelang111). 1431 begleitete er König Sigmund,
entsprechend einem Wunsche des letzteren, auf Kosten der Stadt nach
Eger zu den Verhandlungen mit den Hussiten112). Im Jahr 1438 wurde er
nach dem rasch hintereinander erfolgten Tode Heinrich Tanndorfers und
Dr. Johanns von Ehenheim durch einen mit Berthold Deichsler einge-
gangenen Tausch seiner Pfarrei Leutershausen, Pfarrer bei St. Lorenzn3).
Auf dem Baseler Konzil war er als Vertreter Nürnbergs tätig. Gelegentlich
der Reise dorthin dürfte er zu Rothenburg mit Meister Konrad Heinzeimann
persönlich in Unterhandlung getreten sein.
Um seine Vaterstadt machte sich der wohlhabende Prälat durch eine
Reihe von Schenkungen und Stiftungen wohl verdient. So überließ er 1443
108) Die hier gegebenen biographischen Angaben beruhen auf meist noch unbenutzten
Urkunden des Kreisarchivs Nürnberg. Einiges ist aus Würfels Diptycha Ecclesiae Lauren-
tianae (Nürnberg, 1756) und Waldaus, Nürnberger Zion (Nürnberg, 1787) entnommen.
In bemerkenswerter Weise äußert sich auch über ihn der gleichzeitige Mönch von St.
Aegydien zu Nürnberg, Konrad Herdegen, in seinen Annalen (herausgegeben von Theodor
von Kern, Erlangen 1874).
109) Annalen des Konrad Herdegen, a. a. 0., S. 13: ipse antiquissimus doctor Pragae
ante eversionem ibidem ordinatus, antequam Bohemia erraret, dum ibidem Studium
vigebat.
110) Auch wird er capellanus papae und auditor causarum palacii apostolici ge-
nannt. Daß er 1436 Dommeister (magister fabrice) in Regensburg war, erfahren wir aus
Schuegraf, Geschichte des Domes zu Regensburg, I. Teil (Verhandlungen des hist. Vereins
von Oberpfalz und Regensburg, Bd. XI, S. 174).
HI) Chroniken der deutschen Städte, Bd. II, S. 44.
I12) Ebenda, Bd. I, S. 381, Anm. 1.
”3) Ebenda S. 400, Anm. i, und Beil. XIII.
Albert Gümbel:
*5«
dem Rate seine an theologischen und medizinischen Werken reiche Bücherei.
1.446 machte er eine Stiftung zur besseren Beleuchtung der Altäre bei St.
Lorenz, im gleichen Jahre dotierte er zwei Vikarien auf zwei neuen Altären
im neuerbauten Chor, nämlich des hl. Hieronymus und der vier Kirchenväter,
südlich oder rechts vom Hochaltar, und des hl. Konrad und der 14 Not-
helfer, links oder nördlich vom Hochaltar, auch erkaufte er zur Wohnung
für die Inhaber dieser zwei Pfründen zwei Häuser hinter der Lorenzkirche
von den Gotteshauspflegern daselbst. Eine weitere Stiftung betraf drei
Stipendien für Nürnberger Bürgersöhne.
Er verschied am St. Willibaldstag (7. Juli) 1452 zu Regensburg,
seinem gewöhnlichen Wohnsitz, und wurde gemäß einer letztwilligen- Ver-
fügung nach Nürnberg überführt und beim Altar des hl. Hieronymus be-
graben1^).
•Für Nürnberg ist Konhofer, abgesehen von seinen Verdiensten um
den Lorenzer Kirchenbau, in kunstgeschichtlicher Beziehung als Stifter des
bekannten Konhoferfensters im Chor von St. Lorenzir5) von Bedeutung.
Ich habe im 30. Bande des Repertoriums, Seite 64, Nachtrag zu Anm. 3,
der Vermutung Ausdruck gegeben, daß wir in diesem Fenster ein Werk
des Meisters Konrad, Malers von Regensburg, vor uns haben. Es stützt
sich diese Vermutung auf einen Eintrag in das Einlaufregister des Nürnberger
Rates vom Jahre 1453, nach welchem der Rat der Stadt Regensburg den
ersteren bat, »Meister Conrjat] Maler« zu der Arbeit zu St. Laurentzen,
den Chor zu verglasen, zu fürdern. Dieser Bitte schloß sich noch besonders.,
der Ratsherr Erhärt Reich an. Ich habe damals geschlossen, daß sich auch
hierin der Einfluß Roritzers, des Regensburger Baumeisters, bemerkbar
mache. Nach meinen obigen Ausführungen möchte ich dies für die Zeit
bis zum Tode Heinzeimanns nicht mehr annehmen, wohl aber hängt das
Erscheinen dieses »Malers« in Nürnberg mit einem anderen Regensburger,
eben unseren Dr. Konhofer bzw. dessen Auftrag zur Ausführung eines Glas-
fensters entgegen.
"4) Die Inschrift seines bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts noch im Lorenzer
Chor befindlich gewesenen Grabsteins teilt Murr, Beschreibung der vornehmsten Merk-
würdigkeiten in der Reichsstadt Nürnberg usw. (Nürnberg, 1801) auf S. 127, Anm. mit.
Der Mönch von St. Ägydien sagt a. a. O. : obiit enim Ratisbonae et huc adductus est cum
magna sollennitate et processione defunctus susceptus et in capella s. Marthae prope sanctam
Claram expectatus et in choro novo adhuc non tecto ibidem sepultus.
Im K. Archive Nürnberg hinterliegt eine Rechnung über die Kosten des Transportes
des Leichnams von Regensburg nach Nürnberg, worin auffallenderweise als sein Todes-
tag der 8. Juli (St. Kilianstag) genannt wird. Akten des siebenfarb. Alphabets (in Neu-
ordnung begriffen): Papiere aus dem Nachlaß des Konrad Kunhofer zu Nürnberg betr.
Prod. 25.
”5) Eine ausführliche Beschreibung bei Murr, a. a. 0.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw. jgy
Daß ein fremder Glaser oder Maler etwa die Verglasung des ganzen,
neuerbauten Chors seitens der Kirchenpfleger von St. Lorenz in Auftrag
erhalten habe unter Beiseiteschiebung des einheimischen, leistungsfähigen
Handwerks, scheint gänzlich ausgeschlossen. Dafür hätte sich auch kaum
der Regensburger Rat oder ein einzelner Ratsherr mit Empfehlungsbriefen
eingesetzt. Es mußte also ein bestimmter künstlerischer Auftrag sein,
der den Maler Konrad nach Nürnberg führte.. Es kann nur das Konhofer-
fenster sein!
Der Hergang war wohl dieser, daß Propst Konhofer in seinem zu Regens-
burg errichteten, über seine dortige Hinterlassenschaft verfügenden Testament
die Vollstrecker seines letzten Willens mit der Herstellung eines Glasfensters
zu seinem Gedächtnis betraute, welches Fenster sodann in dem von ihm
so eifrig geförderten neuen Chorbau bei den von ihm gestifteten Altären
nahe seiner letzten Ruhestätte zur Aufstellung gelangen sollte. Die Be-
auftragten wandten sie an einen einheimischen, schon bewährten Meister,
der im Sommer des Jahres 1453 sein Werk vollendet hatte und nunmehr
den Regensburger Rat um einen Empfehlungsbrief bat, um das Fenster
in Nürnberg an Ort und Stelle zusammensetzen und fertigstellen zu können.
Vermutlich war Reich einer der Konhoferschen Testamentsvollstrecker.
Leider besitzen wir das Regensburger Testament des Propstes nicht
mehr, während das am 27. März 1452 zu Nürnberg abgefaßte 'Testament,
in welchem er über seine Hinterlassenschaft daselbst verfügte, uns im Original
im K. Kreisarchiv Nürnberg116) noch erhalten ist. . In diesem Schriftstück
erwähnt er ausdrücklich ein weiteres Regensburger Testament mit den
Worten: Volo tarnen quod testamentum per me Ratispone de residuis
meis bonis ibidem per me relictis [factum], exceptis jamdictis clenodiis,
maneat in vigore et, quatenus in aliquo huic presenti prejudicare possit,
ex nunc de certa. scientia revoco et anullo.
Unzweifelhaft waren in diesem Regensburger Testamente die Be-
stimmungen über die Herstellung des- Glasfensters enthalten, in dem Nürn-
berger fehlt jede Spur davonIJ7). Zwar gedenkt er darin auch seiner Pfarr-
kirche von St. Lorenz (Item ad fabricam sancti Laurentii plura donavi, sic
hac vice volo, quod quinque magne ta’pete de Braba n c i a rema-
neant aptud (!) eam, sed monstrancia deaurata et campanelle vendantur
cum cleinodiis), doch ist das alles. Auch in früheren Testamenten nirgends
eine Spur von jenem Fenster.
Il6) Papiere aus dem Nachlaß a. a. O. Prod. 38. Am 21. April verliess er jurh letzten-
mal Nürnberg, um sich nach Regensburg zu begeben. Ebenda Prod. 25.
“7) Wie überhaupt in allen, aus seinem Nachlaß stammenden Schriftstücken des
Nürnberger Archivs.
15«
Albert Glimbel:
Daß er die Bestimmungen über sein Gedächtnisfenster in sein Regens-
burger Testament aufnahm, mag wohl abgesehen von irgendwelchen, für
uns nicht mehr übersehbaren finanziellen Gründen damit Zusammenhängen,
daß Konhofer von vornherein den Meister Konrad hierfür ins Auge gefaßt
und sich noch zu seinen Lebzeiten mit diesem auch über die künstlerischen
Grundgedanken des Ganzen verständigt hatte.
Ein Bedenken ist freilich noch zu beheben! Waren die Bauarbeiten
im Jahre 1453 schon soweit fortgeschritten, daß eine Anfertigung des Fensters
möglich war? Der gut unterrichtete Mönch von St. Ägydien, welcher,
wie wir oben gesehen haben, die Tatsache der Überführung des Leichnams
von Regensburg nach Nürnberg kannte, teilt mit, daß Konhofer in novo
choro adhuc non tecto begraben wurde. Der Chor war also noch
nicht gedeckt! Scheint es da wahrscheinlich, daß die Fenster schon eingesetzt
wurden ? Zufällig besitzen wir aus einer Zeit, in welcher der Chor noch nicht
zu seiner vollen Höhe geführt war, urkundliche Nachricht über die Anbringung
eines Glasfensters. Am 6. Mai 1454 war Berthold Tücher gestorben und
zu seinem Gedächtnis ließen seine Testamentsvollstrecker ein »fenster vnd
glaßwerck« im neuen Chor machen118). Dieses Fenster war im Jahr 1457
vollendet und eingesetzt worden, denn in diesem Jahre übergaben die gleichen
Exekutoren den Kirchenmeistern von St. Lorenz zu treuen Händen 50 Gulden
mit der Abmachung, daß diese Summe nach Vollendung des Chores (»auf
solch künfftig tag vnd zeit, so die hoch des gepews des kors der benannten
Lorentzen pfarrkirchen volbracht wurdet«) zur Vollendung des oberen
Abschlusses des bereits gemachten unteren Fensters gebraucht würde (das
die benant summ güldein dienen und wartten sol zu dem öbern glaßfenster-
werck obe dem gange ob des benanten Berchtolds Tuchers seligen y e t z -
gemachten fenster und glaswerck, das dann die
benanten sein Vormunden im czu seliger ewiger
gedechtnüße gemacht lassen habe n). Und zwar behielten
sich die Vormünder (= Vollstrecker seines letzten Willens) bzw. deren
Rechtsnachfolger vor, dieses Glaswerk selbst fertigen zu lassen.
Il8) Die hier besprochene Urkunde aus dem Tucherschen Familienarchiv ist abge-
druckt in Chroniken der deutschen Städte, Bd. X (Nürnberg, Bd. IV), S. 37/38. Der
Herausgeber (Hegel) bemerkt hierzu: Die Stiftung, welche durch die folgende Urkunde
uns bezeugt wird, ist entweder nicht zum Vollzug gekommen, oder die Glasmalereien,
von denen doch offenbar hier die Rede ist, haben sich nicht bis auf unsere Zeit erhalten.
Nur das unterhalb des Umgangs befindliche, in vorliegender Urkunde als bereits vollendet
erwähnte Fenster (es ist das zweite an der Nordseite des Chors) zeigt noch jetzt einigen
Farbenschmuck. Doch gehört auch hier das Erhaltene mit Ausnahme etwa des Wappens
von Berthold Tücher, unter welchem die seiner drei Frauen stehen, einer viel späteren
Periode an.
Rechnungen und Aktenstücke zur Geschichte des Chorbaus von St. Lorenz usw.
Was nun im Jahre 1455 oder I45ön9) möglich war, mag wohl auch
zwei oder drei Jahre vorher keinem Hindernis begegnet sein. Ohne solche
Annahme hätte die Bitte des Regensburger Rates ja gar keinen Sinn. Übrigens
wird schon in unseren Baurechnungen vom Jahre 1445 von eisernen Stangen
und Eisen als »Muster« in ein »glaß venster« und weiter unten von »eyßnen
negell czu den laten, als man dy venster dekt« gesprochen.
n9) Aus diesemjahre 1455 besitzt die Kirche noch ein Hirßfogelfenster. Es ist das
erste Fenster nördlich im Chorumgang und trägt die Inschrift: Anno dni. 1456 ward diß
fenster ein Gesetzt, hat gestift d[eocharus ?] Hirßfogel, dem got gnad.
Die Heimat des Meisters D. S.
Von Paul Kristeller.
Mit 2 Abbildungen.
Die Vergleichung der beiden hier abgebildeten Holzschnitte des
Meisters D. S. und Johannes Wechtlins wird auf den ersten Blick erkennen
lassen, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den beiden Dar-
stellungen bestehen müsse. Unter den zahlreichen Illustrationen der Ars
moriendi steht diese Komposition, in der in geschickter Weise die beiden
sonst stets in Reihen von Bildern einander gegenüber gestellten Szenen
des seligen und des reuelosen Sterbens in eins verbunden sind, so viel ich
weiß, ganz allein. Ebensowenig wie über die Tatsache, daß die beiden Dar-
stellungen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, kann man,
meines Erachtens, darüber im Zweifel sein, welcher von beiden die Priorität
zugesprochen werden muß.
Der Holzschnitt des Meisters D. S. ist ein Meisterwerk der Kompo-
sition und der Formgebung von ganz bedeutender Wirkung, wie es im An-
fänge des 16. Jahrhunderts nur sehr wenige deutsche Künstler hervorzu-
bringen imstande gewesen wären. Ein Widerspruch hiergegen wird so wenig
zu befürchten sein wie es nötig wäre, auf die einzelnen Vorzüge der Kompo-
sition oder auf die Feinheiten der Zeichnung hinzuweisen. Wechtlin hat
für seinen Holzschnitt, der seiner Passionsfolge angefügt ist, das Werk des
D. S. als geschickter Künstler mit einer gewissen Selbständigkeit benutzt.
Er hat die Gesamtanlage der Komposition gegenseitig nachgebildet
und einzelne Motive übernommen, aber überall durch seine Abänderungen
die Wirkung des herrlichen Blattes des D. S. wesentlich abgeschwächt.
Er hat z. B. den dort diskret aber merklich angegebenen Gegensatz der
verfallenen, strohgedeckten Behausung des Guten zu der reicheren, ge-
dielten Wohnung des im Himmelbett sterbenden Bösen nicht beachtet
und beiden Räumen gleich indifferente Formen gegeben. Die ruhende
Gestalt des reuig Sterbenden hat er verhältnismäßig am genauesten nach-
gebildet, besonders die charakteristische matte Wendung des Kopfes, die
Lage des Körpers und sogar die Anordnung der Falten. Die ergreifende
Vereinigung von tiefstem Leiden, letzter Mattigkeit und frommer Ergebung
hat er nicht wiederzugeben vermocht. Ihm hat auch das Verständnis für
viele andere Feinheiten seines Vorbildes gefehlt. Er übersieht, wie sich hier
Die Heimat des Meisters D. $.
161
die mageren Formen des Körpers unter der Bettdecke abheben; er gibt
leere Flächen, wo jener kunstvoll plastische Formen fühlbar zu machen
weiß. Die mit so viel Temperament als Geschick dramatisch zusammen-
geballte Gruppe des Teufels und des Mönchs, die gewissermaßen um den
bösen Sterbenden kämpfen, hat er in ein mattes Nebeneinander aufgelöst
und dabei noch die heftig abwehrende Bewegung des Kranken bis zur
Undeutlichkeit abgeschwächt. Wenn man noch darauf hingewiesen hat,
wie das Spiel, das der Teufel vorn unter dem Bette mit dem betenden
Geistlichen treibt, bei Wechtlin an packender Wirkung verloren hat,
wie er die lebendig teilnehmende Gruppe der Madonna und des Engels
hinter dem Bette in eine steife Reihe posierender Heiligen verwandelt hat,
so darf man wohl sicher sein, den Leser davon überzeugt zu haben, daß
Wechtlin die Komposition des D. S. gekannt und in seiner Weise umge-
staltet hat.
Aus diesem Verhältnis der beiden Todesszenen des D. S. und Wecht-
lins lassen sich einige nicht unwichtige Belehrungen über unseren Meister
und seine mehrfach betonten Beziehungen zu Wechtlin gewinnen. Zunächst
gibt Wechtlins Nachahmung einen Terminus ante quem für die Kompo-
sition des D. S.
Das Todesbild findet sich zuerst in der undatierten Ausgabe der
Wechtlinschen Passion die mit lateinischem Texte unter dem Titel:
»Passio Jesu Christi Salvatoris Mundi vario carminum genere F. Benedicti
Chelidonii Musophili doctissiani descripta cum figuris artificiosissimis Joannis
Vuechtlin« erschien. Die erste datierte Ausgabe der Folge, die aber das
Todesbild nicht enthält, wurde 1508 in Straßburg von Knoblouch unter
dem Titel: »Das Leben Jesu Christi gezogen aus den vier Evangelisten«
mit deutschem Texte von Johann Schott herausgegeben1). Wahr-
scheinlich ist die lateinische Ausgabe, der 14 Holzschnitte der deut-
schen fehlen, früher entstanden. Die Holzschnitte müssen jedenfalls,
wenigstens teilweise, schon 1506 fertiggestellt gewesen sein, weil einer von
ihnen, die Auferstehung, für die 1506 von Knoblouch herausgegebene
deutsche Ausgabe der mit Urs Grafs Holzschnitten ausgestatteten Passion
des Ringman Philesius Verwendung gefunden hat. Die Todesszene des
Meisters D. S., die Wechtlin in seiner Passion nachgebildet hat, ist also
höchstwahrscheinlich vor 1506 entstanden. Dodgson2) setzt das Blatt in
die Nähe des h. Ambrosius von 1506, hat also mit seiner Datierung aus
stilistischen Gesichtspunkten das Richtige getroffen.
U S. Nagler, Monogrammisten IV Nr. 219. Die Todesszene kommt mit den anderen
Blättern der Passion auch in Geilers Postille von 1522 vor.
*) Jahrbuch der K. preuß. Kunstsammlungen 1907 pag. 26 Nr. 14 seines Verzeich-
nisses.
1 1
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
IÖ2
Kristeller:
Betrachtet man unser Todesbild, den ebenfalls 1506 oder früher ent-
standenen h. Ambrosius (Dodgson 11) und die Holzschnitte zu Olearius’
Schrift »De fide concubinarum« (Dodgson 18 — 27), die noch früher, vor
1505 3)> ausgeführt worden sein müssen, so wird man sich kaum dazu ent-
schließen können, die Madonna mit dem von Hieronymus und Magdalena
ihr empfohlenen Bischof von Basel (Dodgson 8) in den nach dem 2 7. Sep-
tember 1503 (dem Datum des Prologus) gedruckten »Statuta synodalia
episcopatus Basiliensis« als eine Arbeit des Meisters D. S. anzuerkennen.
Man kann sich hier nicht aus der Verlegenheit helfen, mit der Annahme,
daß der Holzschnitt längere Zeit vor dem Drucke des Buches entstanden
sei, denn Bischof Christoph von Utenheim, der die Statuta herausgegeben
3) Das Titelbild ist schon in dem von Froschauer in Augsburg 1505 herausgegebenen
Nachdruck der Schrift (Panzer VI pag. 134 Nr. 29) kopiert worden.
Die Heimat des Meisters D. S.
163
hat, und der vor der Madonna kniet, ist überhaupt erst am 1. Dezember
1502 zum Bischof von Basel gewählt worden. Der Holzschnitt mit der
Madonna und das Wappen, das Dodgson (Nr. 28) ebenfalls dem D. S. zu-
schreibt, können also erst 1503 gearbeitet worden sein. Kämmerer 4) hat
als erster dieses Blatt für unseren Künstler in Anspruch genommen,
Dodgson — allerdings, wie es scheint, nicht ganz ohne Bedenken — und
4) Sitzungsberichte der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft zu Berlin 1900 Nr. V
pag. 24.
11*
Kristeller:
164
Koegler 5) sind ihm hierin gefolgt. Der Abstand zwischen der Madonna
in den Statuta und den Holzschnitten der Schrift des Olearius oder gar
dem Todesbilde, die, wenn nicht gleichzeitig, so doch sicher nur kurze Zeit,
höchstens 2 — 3 Jahre später entstanden sein können, scheint mir doch allzu
groß zu sein. Mit der kraftvollen, selbständigen Art des Meisters D. S. läßt
sich diese ansprechende aber schwächliche und eckige Arbeit überhaupt
nicht wohl vereinigen. Sie liegt tief unter seinen Fähigkeiten. Noch dazu
ist die Madonna eine bis in alle Einzelheiten genaue, gegenseitige Kopie
nach Schongauer ('B. 28). Für einen geistreichen, geschickten Künstler,
wie der D. S. es war, ist eine so sklavische Nachahmung undenkbar. Mit
welcher Freiheit er Schongauers Meisterwerke zu benutzen gewußt hat,
zeigt /die Madonna in Erlangen (Dodgson 7), die von Schongauers Stich
(B. 27) wohl inspiriert ist, ihm aber kaum mehr als das Motiv der Stellung
entlehnt, sonst aber ganz neue Formen und Gefühlsäußerungen in voller
Selbständigkeit aus ihm entwickelt.
Überhaupt scheint es mir angezeigt, dringend zur Vorsicht bei der
Zuschreibung von Holzschnitten an den D. S. zu mahnen. In der hohen
Schätzung seiner Kunst ist man doch so einig, daß nur das Allerbeste als
gut genug für ihn angesehen werden sollte. Koegler, der das Werk des D. S.
durch einige sehr überzeugende Zuschreibungen, z. B. durch die des Wappen-
blattes in Etterlyns Chronik5 6 7), der Badeszene und des Astrologen in Reischs
Margerita philosophica, bereichert hat, scheint mir dagegen sowohl die beiden
kleineren Schlachtenbilder in Etterlyns Chronik als auch besonders die
Schlacht bei Dorneck von 1499 (Berlin, K. Kupferstichkabinett) nicht
mit Recht in diesen engen Kreis hineingezogen zu haben. Ich glaube nicht
einmal, daß die beiden Illustrationen der Chronik notwendigerweise von
derselben Hand herrühren müssen wie die Schlacht bei Dorneck. Jene
haben allerdings einige Verwandtschaft mit dem D. S. Ihr Zeichner ist
offenbar einer der gewiß nicht vereinzelten Künstler, die von dem Meister
D. S. zu lernen und ihn nachzuahmen suchten. Die Schlacht bei Dorneck,
die wir wohl demselben Künstler verdanken wie die — von Koegler konse-
quenterweise ebenfalls dem D. S. zugeschriebenen — Bilder in Schradins
Chronik des Krieges gegen den schwäbischen Bund von 1500 7), zeigt, wenn
sie sich auch über den Durchschnitt erhebt, doch noch durchaus den ge-
5) Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde. N. F. IX (1907) pag. 226.
6) Mayor, Urs Graf, Straßburg 1907, pag. 7, weist den Holzschnitt irrtümlich Urs
Graf zu.
7) » CRonigk diß Kiergs (!) gegen dem (!) allerdurchlüch / tigisten hern Romschen
»König als ertzrhertzo / gen zu Osterich und dem schwebyschen pundt/. . . .<•
»Gedrugkt vnd vollendet Inn der Löblichen / stalt Surse Im Ergow vf Zuestag vor/ sant
» Anthengen tag Im XVC. Jar. « 8° Hain 14 526. Weller 173. (Berlin. Kgl. Bibi.)
Die Heimat des Meisters D. S.
^5
wohnten Landkartenstil der alten Buchillustratoren vom Handwerk, ihre
routinierte und schematisierende Arbeit ohne Frische und Geist, ihre
typischen, häufig wiederholten Bewegungen der Menschen und Pferde.
Der Stil der Zeichnung und die Technik des Schnittes scheint mir auf Straß-
burg hinzuweisen, wo der geschickte Künstler in einer der dortigen Offizinen
sich ausgebildet haben mag. Die Buchstaben auf der Fahne, die Koegler
als Bezeichnung des Meisters D. S. auffaßt, sind deutlich als S. G. erkennbar
und brauchen sich auch gar nicht auf den Zeichner oder den Holzschneider
des Blattes zu beziehen.
Auch in dem hübschen Titelholzschnitte von Balthasser Prasbergs
Choralis musice interpretatio, die 1501 in Basel von Michael Furter gedruckt
worden ist (Berlin, Kunstgewerbemuseum), wird es mir schwer, den per-
sönlichen Stil des D. S. zu entdecken. Den Illustrationen der Oleariusschen
Schrift gegenüber, die ja nicht viel später entstanden sein werden, ist das
Bildchen in Prasberg doch sehr steif und hart. Den Gesichtern und den
Bewegungen fehlt das Leben, den Händen und den Haaren die Fülle und
Rundung, die jene auszeichnen. Wie bei der Madonna in den Statuta
synodalia, mit der das Blatt in Prasberg übrigens wenig Verwandtschaft
hat, ist der Unterschied in der Qualität gegenüber den frühesten sicheren
Arbeiten des D. S. zu groß, um durch einen so kurzen Zeitabstand erklärt
werden zu können.
Kämmerer, Dodgson und Koegler haben die Verwandtschaft des
Meisters D. S. mit Wechtlin hervorgehoben, ohne sich indes deutlicher dar-
über auszusprechen, in welchem Verhältnisse ihrer Meinung nach die beiden
zueinander gestanden haben. Wenn Dodgson diese Beziehungen des D. S.
zu Wechtlin als ein Argument für die oberrheinische Herkunft unseres
Meisters aufführt, so muß er sich wohl den D. S. als von Wechtlin abhängig
gedacht haben, da im umgekehrten Falle seine Schlußfolgerung keine Be-
rechtigung und keine Beweiskraft hätte. Die Vergleichung der beiden
Todesbilder lehrte nun aber, wie wir gesehen haben, daß nicht etwa der
Meister D. S. Wechtlins Schüler gewesen sein könne, sondern daß vielmehr
der Straßburger aus den Werken des talentvollen Mannes Anregung und
Belehrung geschöpft haben muß. In den schwächlichen, von Dürer ab-
hängigen Holzschnitten der Wechtlinschen Passion lassen die Gestalten,
die in ihrem Charakter den Stil des D. S. zur Schau tragen, ihre Überlegenheit
über dem, was Wechtlins künstlerisches Eigentum zu sein scheint, deutlich
erkennen. Sie treten wie Fremde unter den Figuren der Passion auf. Man
betrachte z. B. den Kopf des schlafenden Jüngers im Ölberg, den Henker
in der Geißelung, den Mann rechts mit dem Schwerte im Ecce Homo, den
Mann zur Rechten in der Kreuzigung, endlich vor allem das Sterbebild,
für das sich das Vorbild unter den Holzschnitten des D. S. noch nachweisen
i66
Kristeller:
läßt, und man wird, denke ich, sogleich erkennen, daß diese Elemente,
die auf den D. S. zurückzuführen sind, sich als starke, fremdklingende Ak-
zente in dem sonst eintönigen und nicht gerade hochgestimmten Vortrage
der Wechtlinschen Passion deutlich abheben. Sie fallen um so stärker auf,
als Wechtlin im wesentlichen sich in der dem Meister D. S. ganz fern-
stehenden Dürerschen Formenw'elt bewegt 8).
Diese Feststellung ist nicht ganz ohne Wichtigkeit. Der Meister D. S.
erscheint Wechtlin gegenüber als die ungleich reifere, selbständigere und
gefestigtere Künstlerpersönlichkeit, nicht nur ihm an Potenz weit über-
legen, sondern auch altertümlicher, trotz seiner Freiheit quattrocentisti-
scher. Wie Wechtlin haben auch Urs Graf und andere Holzschneider, deren
Namen wir nicht kennen, sich an den Werken des großen Unbekannten
gebildet oder seinen persönlichen Einfluß erfahren. Für die Frage der künst-
lerischen Abstammung des D. S. sind diese Beziehungen zu Schweizer und
oberrheinischen Künstlern aber ohne Belang. Man darf aus ihnen nicht,
wie das geschehen ist, einen Schluß auf seine Schweizer Herkunft ziehen.
Daß Urs Graf erst spät, nachdem er in Straßburg seine Schule durchge-
macht hatte, unter den Einfluß des Meisters D. S. kam, läßt sogar ver-
muten, daß dieser zur Zeit, als Urs Graf in der Schweiz Lehrling war, also
um 1500, noch nicht dort ansässig gewesen sei.
Dodgson hat die verschiedenen Ansichten über die Heimat des
Meisters D. S. zusammengestellt und als seine eigene Überzeugung aus-
gesprochen, daß unser Meister in Basel, wo er höchstwahrscheinlich tätig
gewesen ist, bodenständig gewesen sei. Dabei betont Dodgson selber ganz
mit Recht, daß der D. S. von den Baseler Illustrationen des Ritters von
Turn und des Narrenschiffes durchaus unabhängig sei. Das müßte, wenn
D. S. Basler war, denn doch Verwunderung erregen. Nun herrscht aller-
dings, mögen die Ansichten auch sonst noch so sehr auseinandergehen,
darüber kein Zweifel, daß jene Holzschnitte nicht Arbeiten eines Baseler,
sondern eines fremden Künstlers seien. Die Baseler Illustrationskunst verdankt
ihren plötzlichen Aufschwung am Ende des 15. Jahrhunderts ohne Frage
dem Eingreifen einer fremden künstlerischen Kraft. Auch die reizvollen
Umrahmungen in dem 1492 gedruckten Buche »das andechtig zitglögglyn«9),
eines der wenigen künstlerischen Werke der Baseler Buchillustration vor
dem Ritter von Turn, sind nicht Baseler Arbeit. Sie stimmen in ihrem Stil
ganz genau mit den von Straßburger Druckern seit etwa 1480 benutzten
Leisten überein. Welches .sind dann nun aber die Baseler Werke der Plastik,
der Malerei oder der Graphik, aus denen die Kunst des Meisters D. S.,
8) In der Verkündigung ist die Gruppe der oben schwebenden Engel sogar teil-
weise direkt nach derjenigen in der Geburt Christi in Dürers Marienleben (B. 85) kopiert.
9) Weisbach, Baseler Buchillustration. Straßburg 1896. Nr. 31, pag. 21.
Die Heimat des^Meisters D. S.
167
wenn sie Baseler Ursprungs war, hätte erwachsen können? Sie müßte man
zuerst aufweisen, wenn man die Herkunft unseres Meisters aus Basel glaub-
haft machen will I0). Die Erfahrung lehrt aber, daß nur in den großen Mittel-
punkten der Kultur und der Kunstübung bedeutende Künstler sich bilden
können, daß sich die Graphik immer nur im engsten Zusammenhänge mit
der monumentalen Kunst entwickelt. Es ist sicher kein Zufall, daß die
ersten individuell künstlerischen Leistungen des deutschen Holzschnittes
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts uns in Ulm, der vornehmsten
Pflegestätte der Plastik und der Malerei in Schwaben, begegnen. Hier
wird man diesen blühenden Zweig der Kunst nicht als ein Propfreis, sondern
als aus dem kräftigen Stamme selber erwachsen ansehen dürfen.
Zu Dürer steht der Meister D. S. anerkanntermaßen in keiner Be-
ziehung. Ich kann aber ebensowenig eine Verwandtschaft seiner Kunst mit
der Grünewalds entdecken und deshalb auch in dem von Rieffel n) ihm
zugeschriebenen Aschaffenburger Gemälden keine Ähnlichkeit mit den
Holzschnitten unseres Künstlers wahrnehmen. Er kommt in der Wucht
seiner Motive und in der Unmittelbarkeit seiner bildnerischen Vorstellungen
dem großen Maler wohl oft nahe, bleibt ihm aber in seinem Temperament
und in seiner Ausdrucksweise ganz fern. Will man Gemälde finden, die vom
Meister D. S. geschaffen sein könnten, so muß man doch wohl nach Kon-
zeptionen höherer Potenz suchen, als sie z. B. die ihm von Koegler IZ) zu-
geschriebene Kreuzigung des Züricher Landesmuseums aufweist. Mir scheint,
daß auch diese Hypothese der Kritik nicht standhalten wertie. Ich wenig-
stens habe mich von den von Koegler bemerkten stilistischen und gegen-
ständlichen Übereinstimmungen jenes Gemäldes mit den Holzschnitten
des D. S. nicht überzeugen können. Offenbar hat die Tätigkeit des D. S.
in Basel oder für Baseler Drucker und seine Beziehungen zu Schongauer
die Suchenden auf eine falsche Fährte geführt.
Ich glaube, wir müssen den Rhein verlassen und uns nach Schwaben,
insbesondere nach Augsburg wenden, wenn wir die künstlerische Heimat
unseres Meisters aufsuchen wollen. Dodgson findet es unbegreiflich, daß
ich den Meister D. S. Burgkmair und Breu an die Seite gestellt und zu
I0) Koegler stellt allerdings im »Repertorium« XXX (1907) pag. 203 den Nach-
weis in Aussicht, daß eine Reihe von Holzschnitten, die man dem Meister der Bergmann-
schen Offizin (oder dem, den man dafür hält) zuweist, besonders das Bildnis Brants in dessen
»Varia Carmina« von 1498, Arbeiten einer besonderen, einheimischen Baseler Schule seien.
Ich kann mir aber nicht gut vorstellen, wie ihm das gelingen sollte. Von einem eigenen,
autochthonen Baseler Stil kann weder in der monumentalen Kunst noch in der Graphik
die Rede sein. Konrad Witz ist aus Rottweil, Hans Holbein aus Augsburg zugewandert.
Sie haben in Basel wohl Schüler gebildet, aber keine Schule im eigentlichen Sinne.
“) Kunstchronik. N. F. XIX (1908) pag. 321 ff.
n) Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde. N. F. IX (i9°7) PaS> 3r4 T
i68
Kristeller:
den Augsburgern gerechnet habe x3). Dornhöffer hat dagegen, wie ich nach-
träglich gesehen habe, die Beziehungen der Holzschnitte in »De fide con-
cubinarum« zu Burgkmairs frühen Arbeiten bestimmt hervorgehoben * *4) ;
wie mir scheint, mit vollem Rechte. Hier kann man nun aber nicht, wie
bei Wechtlin, von Entlehnungen und von einem Abhängigkeitsverhältnis
des einen vom andern sprechen, hier handelt es sich vielmehr um eine innere
Stil Verwandtschaft, die auf Stammesgemeinschaft und auf gleicher künst-
lerischer Erziehung beruht.
Von Burgkmairs Anfängen ist kaum mehr bekannt als von denen des
Meisters D. S. Als seine früheste bekannte Arbeit hat Dornhöffer die Madonna
mit den Heiligen von Constanz in dem 1499 in Augsburg von Radtolt ge-
druckten Constanzer Missale nachgewiesen, ein Werk, das schon ganz den
persönlichen Stil des Augsburger Meisters zur Schau trägt. Daß dieses
Blatt nicht die erste Holzschnittzeichnung des 1473 geborenen Künstlers
gewesen sei, darf wohl mit Sicherheit angenommen werden. Dornhöffer
folgt, wie mir scheint, einer ganz richtigen Empfindung, wenn er geneigt
ist, einige Holzschnitte in Augsburger Drucken der 90er Jahre als Jugend -
werke Burgkmairs anzusehen. Besonders zutreffend ist diese Vermutung
für den prächtigen, von Dornhöffer erwähnten Farbenholzschnitt, die drei
Heiligen Stephanus, Valentinus und Maximilianus, in dem von Radtolt
in Augsburg am 21. Januar 1494 gedruckten Missale Pataviense (Berlin,
Kupferstichkabinett) x5). In der Zeichnung der ausdrucksvollen Gesichter
und der Hände und sogar in einzelnen Details der Faltengebung scheint
mir Burgkmairs eigene Art aus den sonst noch steifen und schematischen
Formen der traditionellen Augsburger Holzschnittmanier matt aber deut-
lich hervorzuschimmern. Der junge Künstler kann hier freilich seine Eigen-
art dem routinierten Holzschneider gegenüber noch nicht so energisch zur
Geltung bringen wie in seinen späteren Arbeiten für den Holzschnitt. Den
gewöhnlichen Augsburger Buchillustrationen gegenüber bezeichnet dieses
Blatt des Missale Pataviense von 1494 unbedingt einen so großen Fortschritt,
daß er eine besonders aufmerksame Betrachtung verdient.
Burgkmair muß jedenfalls in den neunziger Jahren bereits selbständig
gearbeitet haben und um 1500 schon ein reifer Künstler gewesen sein. Der
Meister D. S. tritt uns in den frühesten Arbeiten, die wir von ihm kennen,
ebenfalls schon als fertiger, sicherer Künstler entgegen. Wir wissen nicht,
wann er geboren ist, und in welchem Verhältnis er zu Burgkmair gestanden
habe. Wahrscheinlich sind sie ungefähr gleichaltrig gewesen und haben
*3) Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten. Berlin 1905. pag. 218.
*4) Beiträge zur Kunstgeschichte, Franz Wickhoff gewidmet. Wien 1903, pag. 119.
*5) Lippmann, Kupferstiche und Holzschnitte alter Meister in Nachbildungen X, 49,
nach dem Missale von 1498.
■
Die Heimat des Meisters D. S.
169
beide bestimmende Eindrücke durch Martin Schongauer und seine Werke
empfangen.
So selbständige und bedeutende Künstler können, zumal in ihren
reifen Werken, ihre Verwandtschaft nicht durch die Übereinstimmung ein-
zelner Formen aufweisen, sondern nur durch die Gemeinsamkeit der Formen-
grundlagen und der poetischen Stimmung. Hierin liegen aber die Be-
ziehungen, wie mir scheint, deutlich zutage. Der Meister D. S. zeigt in seinen
sonst sehr robusten und individuellen Gesichtern dieselbe empfindungs-
volle Weichheit des Ausdruckes wie Burgkmair, bei aller Kraft viel Eleganz
und Zierlichkeit der Bewegungen, geschmeidige Rundung in der Form-
bildung. Manche seiner Typen, besonders der Kinder, erinnern an des alten
Holbein Zeichnungen. Auch in Burgkmairs Werk mangelt es nicht an
Gesichtsbildungen, die bei aller individueller Verschiedenheit viele Züge
mit denen des D. S. gemeinsam haben. Selbst in der Zeichnung der in
lockigen Strähnen reich herabfließenden Haare kommt das gleiche Formen -
gefühl zur Geltung. Besonders wichtig ist die Gewandbehandlung. Burgk-
mair ist weichlicher und kleinlicher, weniger individuell als der Meister
D. S., aber der Rhythmus des Faltenwurfes, die Tendenz, große Massen und
breite Flächen zu bilden, den Stoff den Gliedern sich anschmiegen zu lassen,
ihn vom Schwergewicht und von den Bewegungen des Körpers gezogen
erscheinen zu lassen, sind bei beiden dieselben.
Man vergleiche diese in großen Massen angeordneten, weichgeschwun-
genen Faltenzüge des Meisters D. S. mit dem brüchigen Faltengekräusel
der Nürnberger Meister der Malerei und der Plastik. So große, gewölbte
Flächen, so energische Biegungen, so tiefe Einsenkungen, so stark aus-
ladende Rundung der Umrisse findet man dort nie und auch sonst um jene
Zeit nirgends als in den Werken der Schwäbischen Schule. Man kann diese
Art der Gewandmodellierung auch in den Skulpturen Augsburger Meister
beobachten. Als Beispiele mögen einige Monumente des Augsburger Domes,
auf die mich Wilhelm Vöge aufmerksam gemacht hat, angeführt werden:
Das Grabmal des Lorenz Felman von 1497, das des Christoph von Knoring
(t U01), des Konrad Morlin (vor 1510) und des Grafen Friedrich von Zollern
(1505). Der Stil dieser Skulpturen ist dem der Holzschnitte des D. S. nicht
nur in der großzügigen, weichen Faltengebung und in einzelnen Typen
nahe verwandt, sondern, was das Wichtigste ist, auch im Temperament
der Bewegungen und des Empfindungsausdruckes. Besonders überzeugend
sind die lebhaft bewegten, stark und doch weich in den Gelenken gebogenen
Hände mit den gespreitzten vollen Fingern. Ich glaube, daß eine genauere
Vergleichung hier nicht unergiebig sein wird.
Die Architektur in den Holzschnitten des D. S. scheint mir den in
Augsburg üblichen Formen durchaus nicht zu widersprechen, wie Dodgson
Kristeller:
170
meint; die Mischung von Gothik und Renaissance und die abgeschnittenen
Gewölberippen, die in den Blättern mit Christus, der Madonna und dem
Baseler Wappen (Dodgson 6, 7 u. 32) auffallen, finden vielmehr in Augsburg
und im besonderen bei Burgkmair vielfache Analogien. In der Zeichnung
dieses Meisters zur Nürnberger Madonna l6) ist der Bogen am Thron der
Maria wie in jenen Erlanger Holzschnitten des D. S. mit lebhaft bewegten
Statuen, die fast eine eigene Darstellung bilden, verziert. Der Meister D. S.
erhebt sich in diesen Figurengruppen schon zu Holbeinscher Freiheit und
Wucht der Bewegung.
Von einem so individuellen Künstler darf man genauere Übereinstim-
mungen mit den Werken anderer Meister gar nicht erwarteh. In der Grund -
Stimmung, in der fast südländischen Lebhaftigkeit und Rundung der Be-
wegungen und der Formen kommt der schwäbische Charakter seiner Kunst
deutlich genug zum Ausdruck. Die Formensprache unseres Meisters ließe
sich vielleicht von Schongauer allein herleiten — der übrigens ja auch von
Abstammung Schwabe war — die notwendige Voraussetzung seiner künst-
lerischen Individualität scheint mir aber doch seine Herkunft aus einem
Kulturgebiete, in dem eine Verbindung von intellektueller Regsamkeit
mit weichem, lyrischem Empfinden, ein starkes Gefühl für die Rhetorik
der Form und für vollen Wohlklang und schwungvolle Rhythmik der Linien
das Wesen der Kunstübung bestimmten.
Der Meister D. S. gibt in seiner kraftvollen Unbefangenheit und in.
seiner Sicherheit des Gefühlsausdrucks wie kein anderer deutscher Künstler
des beginnenden 16. Jahrhunderts eine Vorahnung des jungen Holbein.
Wer die, freilich tiefliegenden Fäden, die die beiden verbinden, entdeckt
hat, wird hiermit ein neues, wichtiges Argument für die schwäbische Her-
kunft des D. S. gewonnen haben.
Die technische Ausführung der Holzschnitte unseres Meisters zeigt
überall, auch da, wo die Formen flüchtiger und derber behandelt sind,
vollkommene Herrschaft über Werkzeug und Material und einen großen
Reichtum an Ausdrucksmitteln. Der Schnitt läßt eine Feinfühligkeit für
die Bedeutung der Linien, ein liebevolles Eingehen auf alle Einzelheiten,
eine erschöpfende Kürze der Formbildung erkennen, die zu der Ansicht
führen könnten, der Meister habe seine Zeichnungen auch selber geschnitten.
Man möchte es fast nicht für möglich halten, daß ein Holzschnitttechniker
in jener Zeit die Zeichnung eines anderen mit so viel Freiheit und so ganz
ohne jeden Schematismus zu behandeln imstande gewesen sei. Die Ver-
schiedenheiten in der technischen Ausführung der einzelnen Blätter lassen
l6) Im Berliner Kabinett, Abbildung in: Zeichnungen alter Meister im K. Kupfer-
stichkabinett zu Berlin.
Die Heimat des Meisters D. S.
1 7 i
sich viel eher als durch die Annahme verschiedener Hände aus der künst-
lerischen Freiheit und aus der ganz individuellen Behandlung jeder Form
und jeder Tonabstufung erklären. Jedenfalls müßte der Meister D. S., wenn
er seine Arbeiten nicht selber geschnitten hat, einen ganz vorzüglichen
Holzschneider von der Geschicklichkeit und Folgsamkeit eines Lützelburger
zu seiner Verfügung gehabt haben. Diese Frage berührt indeß einen der
diffizilsten Punkte im Studium der alten Holzschneidekunst der vorläufig,
bis zur Kenntnis neuer Tatsachen, nur mit der größten Zurückhaltung
und Vorsicht behandelt werden darf.
Zum Thema: „Goethe und die bildende Kunst“.
Eine Entgegnung an Theodor Volbehr.
Von Alfred Peltzer.
Der Kampf mit Scheingründen, den Theodor Volbehr im letztjährigen
Maiheft der »Göttinger Gelehrten Anzeigen« gegen meine Arbeit »Goethe
und die Ursprünge der neueren deutschen Landschaftsmalerei« (Leipzig,
E. A. Seemann 1907) geführt hat, möchte mir durchsichtig genug er-
scheinen, als daß eine Entgegnung mir in meinem persönlichen Interesse
dringendes Bedürfnis wäre. Wenn ich mich gleichwohl zu einer solchen
entschließe, geschieht es in der Erwägung, daß alte »eingerostete Vor-
urteile« (wie ich mich einmal in meinem Buche ausgedrückt hatte) schließ-
lich doch nur zu leicht siegreich verharren, wenn ihnen nicht immer wieder
zu Leibe gegangen wird1).
Volbehrs Name war in meiner Schrift, die nicht im geringsten pole-
mischen Charakter hatte, nicht genannt worden. Daß indessen die oben
angedeutete, beiläufig eingestreute Bemerkung auch auf ihn zielte, daß
ich mich mit meinen Anschauungen in einem Gegensatz zu ihm befand,
das dürfte jedem sachverständigen Leser nicht entgangen sein. So war
sein ungewöhnlich heftiger Angriff gegen mich also ein Vorstoß in eigener
Sache, obwohl er davon nicht spricht.
Sein bekanntes, vor 13 Jahren erschienenes Buch »Goethe und die
bildende Kunst« ist der typische Ausdruck jener, heute noch wie früher
weitverbreiteten Ansicht, daß der alte Goethe, »der Klassizist«, der schlimme
J) Die Redaktion der »Göttinger Gelehrten Anzeigen« sowie die
»Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen«,
in deren Auftrag jene erscheinen, verweigerten den Abdruck vorliegender Entgegnung,
unter Berufung auf einen Paragraphen ihrer reglementarischen Bestimmungen, der laut
Mitteilung des Sekretärs der Gesellschaft den Wortlaut hat: »Entgegnungen werden nach
altem Brauch in die Anzeigen nicht aufgenommen, soweit es nicht das Preßgesetz ver-
langt.« Der Verfasser würde dem heftigen und, nach seiner Meinung ungerechten Angriff
völlig wehrlos gegenüberstehen, — das in Frage stehende wissenschaftliche Problem würde
durch eine »Königliche Gesellschaft der Wissenschaften«, nach seiner Überzeugung,
auf einem veralteten Standpunkt festgehalten erscheinen, wenn nicht die Redaktion des
»Repertorium« zu dieser ferneren Erörterung, die notwendigerweise eine Polemik hat werden
müssen^ dankenswerterweise Raum gegeben hätte. D. V.
Goethe und die bildende Kunst.
173
Hemmschuh unserer Kunstentwicklung gewesen sei. Was und wen er eigent-
lich gehemmt und ungünstig beeinflußt haben soll, ist nie so recht klar
geworden. Denn wo sind dfe Genies oder auch nur die außerordentlichen
Talente in jenen Tagen, die das »falsche« Licht des Goetheschen Ansehens
blendend getroffen hätte? Glaubt man denn wirklich, es hätte die Ent-
wicklung der bildenden Kunst einen anderen Weg genommen, wenn er nicht
mit solchem Nachdruck die Nachfolge der Antike gelehrt hätte, zu der
übrigens den Strom der Künstlerschaft ganz unabhängig von ihm und
vor ihm schon andere Geister gelenkt hatten? Es beweist einerseits wenig
Sinn für historische Notwendigkeiten, andererseits aber auch geringes
Urteil über das in jener Zeit faktisch vorhandene Kunstvermögen sowie
die Potenz des damals geborenen Künstlergeschlechts, wenn darüber immer
wieder Klagen angestimmt und Goethen seine vermeintlichen Sünden
nachgerechnet werden. Da werden immer wieder die Anklagen Schadows
und Runges wiederholt. Abgesehen davon, daß Goethe den Leistungen
dieser Künstlerkreise meist sympathisch, ja fördernd gegenüberstand, —
wer glaubt denn im Ernste, daß diese Talente ohne Goethe und seine
Theorien das Bild der Kunst im 19. Jahrhundert hätten anders gestalten
können? Aus dem Holze, aus dem die großen Bahnbrecher der Kunst-
geschichte geschnitzt erscheinen, welche ganzen Epochen mit ihrem Genie
den Stempel aufdrückten, waren sie nicht geschnitzt und war keiner unter
allen Künstlern dieser Periode (welche künstlerisch eine vorwiegend dich-
terische und musikalische war) gewachsen. Wenn heutzutage — Hand
in Hand mit dem Bestreben, für gewisse moderne Kunsttendenzen »Vor-
stufen« nachzuweisen, — für Runge, Friedrich oder andere Künstler mit
dem Ausdrucke des Bedauerns und erneuter Schulmeisterei Goethes der-
gleichen behauptet wird, so ist das einfach eine arge Verschiebung alles
Maßverhältnisses. Man bewahre sich doch aber die passenden Maßstäbe,
für das Kleinere wie für das Große, — für Runge wie für einen Goethe.
Ich hatte in meiner, vonVolbehr rezensierten Arbeit die wirkliche Bedeutung
Runges, Friedrichs und der Ihrigen gewiß sehr hervorgekehrt, ja kräftig und
freudig doppelt unterstrichen. Lag das doch überhaupt im Interesse der
Absichten dieser Arbeit. Die Forderung Volbehrs jedoch, daß wir immer
wieder von neuem einstimmen sollen in die Klagen und in die (bei den so
abweichenden Maßverhältnissen) unartigen Angriffe Runges auf Goethe,
weise ich entschieden zurück. Daß Goethe in seinem immer wiederholten
Betonen der Antike als Vorbild einem Künstler wie Runge schließlich
»lästig« werden konnte, mag man ja verstehen. Indessen behaupte ich, daß
der jugendliche Hamburger Maler damals und in diesem Punkte den
Weimarer Dichter ebenso mangelhaft, ebenso halb und wenig tiefdringend
verstanden hat wie heute noch gewisse Kunstschriftsteller und Kunst-
*74
Peltzer:
historiker. Übrigens hatte ich diese Einwendungen Runges gegen Goethe,
seine spätere Mißstimmung keineswegs ignoriert, sondern ausdrücklich
darauf aufmerksam gemacht. Aber ich hatte sie auf ihre wahren Ursachen
zurückgeführt, — was indessen Volbehr seinerseits einfach ignoriert. Auf
die Beeinflussung des innerlich schwachen jungen Malers von seiten des,
Goethe feindlichen und von Goethe energisch bekämpften Nazarenertums,
von dem Runge damals völlig angesteckt worden war, hatte ich die Um-
wandlung der Rungeschen Anschauungen zurückgeführt. Mit der Frage
nach der Ausbildung und Entwicklung des malerischen Könnens und der
malerischen Naturanschauung des 19. Jahrhunderts haben daher im letzten
Grunde diese Wandlungen Runges und seine späteren Äußerungen gegen
den Weimarer »Hellenen« eigentlich gar nichts zu tun. Ich muß es daher
als/ ein Scheingefecht bezeichnen, wenn Volbehr aus solchen Worten Runges
etwas gegen die Absichten meiner Arbeit beweisen zu können vorgibt.
Und wenn wir heute noch etwas beklagen wollen, so sollten wir diesen ver-
derblichen Einfluß des innerlich schwachen Nazarenertums beklagen, —
womit wir uns eins fühlen könnten mit den Anschauungen des Olympiers
in Weimar, der in Sachen der bildenden Kunst nur und einzig und allein
gegen diese falsche Richtung seine Blitze geschleudert hat. In Wahrheit
ist das der einzige Hemmschuh, welchen Goethe der Malerei des 19. Jahr-
hunderts hat anlegen wollen. Derselbe hat zwar nicht viel genützt, aber
wer ihn nicht als vollberechtigt anzusehen imstande ist, der sollte über
die Kunstgeschichte jener Tage nicht mitreden dürfen.
Ja, waren denn die »einseitig klassizistischen« Forderungen und
Prinzipien Goethes wirklich so schlimm in einer Zeit, wo bei einer so weit-
verbreiteten Schwäche der bildenden Kunst die Nachahmung als solche
— in Goethes jüngeren Jahren der Franzosen oder der Niederländer, später
der primitiven Deutschen oder der Italiener — an der Tagesordnung war?
Da keine wirklich stilbildenden Genies auftraten, war schließlich Goethes,
von Oeser, Winckelmann und anderen aufgenommene und weitergebildete
Forderung der Nachfolge der klassisch vollendetsten Kunst noch das
geringste Übel. Sind denn seine Kunstanschauungen wirklich so irrige,
so erkältende, so — geistlose gewesen, wie seine Widersacher damals wie
heute es glauben? Ist er denn wirklich mit unseren alten Akademieprofes-
soren auf eine Stufe zu stellen, welche das Zeichnen nach dem antiken
Gipsabguß für das einzige Heil erklärten ? Bei dieser Frage suchte mein,
von Volbehr so heruntergerissenes kleines Buch einzusetzen. Für eine Seite
der ästhetischen Anschauungen Goethes und des Einflusses seiner Persön-
lichkeit auf die zeitgenössische Kunst zum mindesten suchte es eine neue
und richtigere Anschauung zu begründen, — und hat es auch mit einigem
Erfolg schon getan, wie ich aus den Beurteilungen anderer weniger
Goethe und die bildende Kunst.
175
voreingenommener und wohlwollenderer Sachverständiger entnehmen
durfte.
Ich hatte in meiner Arbeit die Hoffnung ausgesprochen, daß man
in Zukunft (wie ich das auf dem bescheidenen kleineren Gebiete der Äs-
thetik der Landschaftsmalerei eben unternommen hatte) »des Dichters
Kunstanschauungen im Zusammenhang mit seiner Natur-
betrachtung ganz zu verstehen« sich bemühen werde. Ich möchte
mich heute an dieser Stelle erkühnen, dies als eine notwendige direkte
Forderung auszusprechen, für die Goethe-Forschung ebensowohl wie für
das Verständnis jenes Teiles der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts,
in den uns die »Deutsche Jahrhundert-Ausstellung« in Berlin 1906 einen
tieferen Blick hat tun lassen. Dieses Ziel geht allerdings weit über den
Standpunkt und den Gesichtskreis des Volbehrschen alten Buches, auf
dem er auch bei Verfassung seines Angriffes gegen mich verharrt, hinaus.
Was bedeutet Goethes Forderung der Nachfolge einer klassischen
Stilvollendung anderes wie Forderung einer strengen Gesetzmäßigkeit auch
in der Kunst, den Gesetzen in der Natur entsprechend, ja im direkten An-
schluß an diese? »Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze,
die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben«, so heißt
es bei ihm. Unter solchen Naturgesetzen, welche dem künstlerischen Schauen
und Gestalten zugrunde liegen, versteht er einerseits die Gesetze des sub-
jektiven Sehens und Aufnehmens unserer Sinne und Organe und anderer-
seits die Gesetze, unter welchen objektiv betrachtet alles Sein und
Leben gebildete Form, Gestalt und Charakter angenommen hat, — ein
Doppelstandpunkt, den er in seiner »Farbenlehre« so geistvoll durchgeführt,
mit dem er einer der Ersten moderner Naturwissenschaft geworden und
die Wege allerneuster physiologisch-psychologischer Kunstphilosophie schon
gewiesen hat. Daß er den höchstmöglichen künstlerischen Ausdruck typischer
und natürlicher Organisation des menschlichen Körpers in den Schöpfungen
der antiken Kunst ausgeprägt fand, wer will ihm das mißdeuten? Und
wenn ihm im Sinne der Alten die menschliche Gestalt das »Hauptziel«
aller bildenden Kunst ist, wenn er in der »Einleitung in die Propyläen«
ausruft: »Der Mensch ist der höchste, ja der eigentlichste Gegenstand bil-
dender Kunst!« — so ist daran doch für jeden Gebildeten nichts Auffallendes.
Ist das doch eine von jenen Grundwahrheiten der Kunstphilosophie, in denen
so ziemlich alle großen Denker und Künstler miteinander einig waren.
(Man lese z. B. die Ausführungen des Musikers Richard Wagner in dessen
»Oper und Drama«.) Wenn nun aber Volbehr aus ein paar diesbezüglichen
Aussprüchen Goethes ableiten will, daß es unter diesen Umständen im
Kopfe Goethes ein Interesse für die Landschaftsmalerei nicht habe geben
können, so ist das einfach — lächerlich. Lächerlich schon allein deshalb,
Peltzer:
176
weil derselbe Volbehr in derselben Rezension andere Zitate Goethes bringt,
die genau das Gegenteil beweisen. Böswillige Absicht des Rezensenten
aber muß ich es geradezu nennen, wenn er alle die vielen Äußerungen und
Handlungen Goethes, die sogar eine sehr rege Teilnahme an den Bestre-
bungen der in seinen letzten Jahrzehnten aufblühenden Landschaftsschule
beweisen, und die von mir zum ersten Male zusammengestellt die eine
Hälfte des Inhalts meines Buches ausmachen, ganz einfach mit völligem
Stillschweigen übergeht.
Wohl bin ich. mir bewußt, daß die Erfüllung jener, von mir soeben
aufgestellten Forderung, nämlich nach einem neuen System Goethescher
Ästhetik und demgemäß auch nach einer Revision des Problems »Goethe
und die bildende Kunst«, seine besonderen Schwierigkeiten hat. Denn
Goethe selbst hat ja etwas Ausführliches und Zusammenfassendes in dieser
Richtung gar nicht geschrieben. Der Fehler, der bisher gemacht worden ist,
und den auch Volbehr in seinem Buche damals begangen hat, war der,
daß man jene kleineren Schriften und jene gelegentlich getanen Äußerungen
Goethes, in denen er die Nachahmung der Antike empfiehlt, — schon für
seine Ästhetik nahm, indem man sich die, wenigstens richtungweisenden
Aufklärungen, welche in anderen seiner Schriften, vor allem in der »Farben*
lehre« stecken, entgehen ließ, — oder einfach nicht verstand. Aus der
Gesamtheit seines Wesens und seines Wirkens und aus einer sehr feinen
Analyse ebensosehr seiner Kunst- wie seiner Naturbetrachtungen würde
ein solches System gewonnen werden müssen, woran allerdings Volbehr
bei der Abfassung seines Buches und auch neuerlich bei der Niederschrift
seines letzten Erzeugnisses als Goethekenner und Rezensent nicht im ent-
ferntesten auch nur als eine Möglichkeit gedacht hat.
Er beharrt auf seinem alten Standpunkt und läßt es wiederum nicht
an Zitaten fehlen, welche Goethe als auf dem Irrweg in eine Sackgasse be-
findlich erscheinen machen sollen. Nun läßt sich ja bekanntlich aus Goethe
wie aus der Bibel ziemlich alles beweisen, — welchen genügend bekannten
Vorteil ich Volbehr bei etwaigen weiteren Äußerungen zu dieser Frage
gern einräumen will. Ja, es könnte geschehen, daß jene von mir gewünschte
neue Darstellung des Themas »Goethe und die bildende Kunst«, nach
meiner Auffassung Goethescher Ästhetik, weit weniger Goethesche Zitate
aufwiese, als Volbehr sie für seine Schilderung Goethes als des »Klassizisten«
aneinanderreihen kann. Indessen, es könnte ja auch einmal eine Wahrheit
wahr und eine wissenschaftliche Behauptung wissenschaftlich sein sogar —
ohne Zitate. Wer bloß einmal die »Farbenlehre«, ja sogar nur die kurze
»Einleitung in die Propyläen« mit wirklichem Verständnis durchliest, der
dürfte oder sollte doch wenigstens wissen, daß, wenn Goethe hier oder bei
so vielen andern Gelegenheiten die Nachahmung der Antike preist, dies
Goethe und die bildende Kunst.
177
im letzten Grunde nur ein Aushängeschild war für eine Kunstweisheit,
die mit dem Namen »Klassizismus« gar nicht zu decken ist. Auch der Zitate
dürften ihm genug in der Erinnerung bleiben, die zu gleicher Zeit von der
tiefsten natur* und kunstphilosophischen Bedeutung sind. Jedoch, die
Ausstrahlungen eines führenden Geistes sind manchmal so fein, daß sie
mit der üblichen Methode des Zitatensammelns überhaupt nicht völlig zu
messen sind.. Da wäre dann die wissenschaftliche Betrachtung auf manchen
Umweg angewiesen, um zum Ziele zu gelangen.
Einen solchen notwendigen Umweg hatte ich in meiner Arbeit ern-
geschlagen. Derselbe sollte wenigstens zu einem kleinen Sondergebiet
der bildenden Kunst und Goethes Beziehungen zu demselben führen, dem
der Landschaftsmalerei. Die »Neun (nicht »neuen«, wie Volbehr flüchtig
gelesen hat) Briefe über Landschaftsmalerei« des Freundes
Goethes, C. G. C a r u s , erschienen mir als ein System der Landschafts-
malerei — charakteristisch für die interessante Landschafterschule, deren
Wichtigkeit für die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts wir erst seit
einigen Jahren eingesehen haben — , welches ganz unter dem Einfluß von
Goethes Kunst- und Naturanschauungen entstanden ist. Der Analyse
dieser Schrift und der damit zusammenhängenden Anschauungen jenes
ganzen Künstlerkreises war die eine Hälfte meines kleinen Buches ge-
widmet. Volbehr geht darauf überhaupt nicht ein; meinen, doch immerhin
neuen Weg nachzugehen und nachzuprüfen unterläßt er. An die. Stelle
Carus’ rückt er Runge in den Vordergrund. In Beziehung auf diesen habe
ich ihm oben schon geantwortet.
Außer auf die Bloßlegung solcher innerer Fäden zwischen Goethescher
Denkungsart und den Ideen und Werken jener neuen Landschafterschule
ging meine Arbeit darauf aus, die äußeren Beziehungen des Dichters zu
jenen Künstlern festzustellen. Es war dabei die, viele wohl überraschende
Tatsache ans Licht gekommen, daß diese Beziehungen sehr enge waren,
daß Goethe der direkte Gönner und persönliche Förderer dieses Maler-
kreises gewesen ist. Die Aufzählung aller dieser Tatsachen, Daten, Aus-
sprüche, Briefstellen füllte die andere Hälfte meines Buches. Schon allein
diese Fakten geben eine ganz heue Ansicht von den Beziehungen Goethes
zu Künstlerkreisen, zum Thema »Goethe und die bildende Kunst«. Sie
Wären überdies fast allein beweiskräftig für meine Behauptung des Ein-
flusses und der Beziehungen Goethes auf die neue Landschaftskunst des
19. Jahrhunderts, die ich in ihrem letzten Grunde auf das neue Verhältnis
Goethes zur Natur überhaupt zurückführen wollte. Auch alle diese Bezie-
hungen Goethes, diese Ermunterungen, diese Korrespondenzen, diese Preis -
krönungen nach Weimar gesandter Landschaftsbilder, diese wohlwollenden
Besprechungen in der »Allgemeinen Literaturzeitung« und an anderen
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
12
P c 1 1 z e r :
*7*
Orten aus dem Kreise der Weimarer Kunstfreunde, — alles dies und noch
viel mehr, das bisher von der Forschung unberücksichtigt war, ist Volbehr,
dem Verfasser eines Buches über »Goethe und die bildende Kunst«, —
völlig gleichgültig. Ja, er wagt es, meine Arbeit eine »ergebnislose« zu
nennen. Ich hatte mir eingebildet, zum mindesten eine Ergänzung zu
seinem veralteten Buch geliefert zu haben, und überlasse das Urteil jetzt
anderen. Wohl aber erlaube ich mir zu fragen, was denn hat Volbehr eigent-
lich für die »Göttingischen Gelehrten Anzeigen« besprechen sollen und wollen,
wenn er die beiden wichtigsten Teile meiner Arbeit einfach ignoriert? Er
füllt IO Druckseiten, greift aber nur einige belanglose Einzelheiten heraus,
die er, wie ich sofort beweisen werde, mit Unrecht lächerlich zu machen
sucht, und tut sich im übrigen keinen Zwang an, seine! Antipathie — und
seinem Unverständnis, meinen neuen Anschauungen gegenüber, die Zügel
schießen zu lassen.
Im Interesse der Sache bringe ich es über mich, ihm auf seine ein-
zelnen Ausstellungen und Einwürfe zu antworten, obgleich dieselben sämt-
lich an den Haaren herbeigezogen sind oder auf Entstellung und Verzerrung
meiner Meinungen beruhen.
Ich begann mein erstes Kapitel mit jener »Prophezeiung« Carus’,
nach welcher »einst Landschaften höherer, bedeutungsvollerer Schönheit
entstehen werden, als sie Claude und Ruysdael gemalt haben«. Volbehr
hält sich zwei lange Seiten darüber auf und unternimmt es, an Hand von —
Zitaten zu beweisen, daß Goethe sich keine größere Landschaftskunst als
möglich gedacht hat als diejenige Claudes oder Ruysdaels, daß ich deshalb
nicht das Recht habe, die Anschauungen Carus’ als denen Goethes verwandt
hinzustellen. (Nebenbei gesagt ist das von den zahllosen der einzige Aus-
spruch Carus’, den Volbehr beachtet, als ob damit meine Behauptungen
und Beweise stünden und fielen!) Muß ich denn wirklich gestehen, daß
Goethe diese »Prophezeiung« dem eigentlichen Wortsinne nach vielleicht
nicht unterschrieben haben würde? Und haben andere Leser wie Volbehr
diesen ganzen Ausspruch nicht, wie billig, cum grano salis genommen?
Weiter. Ich hatte einen Ausspruch Goethes vom Jahre 1784 als für
die Wandlung des Dichters vom romantisch-poetischen Naturanschauen
zum mehr wissenschaftlichen als ganz besonders charakteristisch und als
einen für viele zitiert. Eine genaue »Datierung« dieser Wandlung brauchte
mich in meinem Zusammenhang gar nicht, aber auch gar nicht zu inter-
essieren; — abgesehen davon, daß eine Datierung solcher Dinge, die langsam
und unsichtbar kommen, unmöglich ist. Auch in Hinsicht auf jene
viel jüngeren Künstler, die, erst im folgenden Jahrhundert, von mir als
Anhänger Goethes und Fortbilder gewisser seiner Tendenzen geschildert
wurden, wäre die Fixierung auf ein Jahr oder gar ein Jahrzehnt ganz gleich-
Goethe und die bildende Kunst.
179
gültig. Kurz und gut: jener Ausspruch von 1784 war mir besonders dienlich,
und ich durfte im Anschluß an ihn ganz allgemein bemerken, daß es »in
dieser Zeit gewesen ist, wo der Dichter sich der Natur mit geologischen
und botanischen Interessen zuzuwenden beginnt«. Wozu also belehrt mich
der »Goethekenner« Volbehr, daß der Dichter schon 1780 Naturalienschränke
besessen, ja schon 1778 sich der Betrachtung der Moos£ zugewendet habe?
Daß ich die letztere Tatsache übrigens selbst meinen Lesern an anderer
Stelle (S. 18) mitgeteilt habe, verschweigt V.; nichtsdestoweniger macht
er mir aus deren »Unkenntnis« einen Vorwurf. Ist das Mangel an Ehrlich-
keit oder Leichtfertigkeit des Rezensenten? Mich wundert bloß, daß Volbehr
sich nicht jener Naturaliensammlung erinnert hat, die schon der Knabe
Goethe in Frankfurt, mystischen und natürlichen Sinn verbindend, zu
einem so wunderlichen Gottesdienste benutzte.
Viel schlimmer aber ist das, was Volbehr bei Gelegenheit der »Pro-
pyläen« äußert, wo er nicht bloß mir unrecht tut, sondern auch sein eigenes
Verständnis Goethes in ein höchst merkwürdiges Licht setzt. Hier ist haupt-
sächlich der Punkt, in dem sich der Gegensatz unserer Auffassungen, wie
ich ihn oben in allgemeineren Auseinandersetzungen anzudeuten suchte,
plötzlich ganz deutlich ausspricht. Volbehr wirft mir nämlich ein, in den
ganzen »Propyläen« stünde kein Wort über Landschaftsmalerei, und meine
Behauptung, daß diese Zeitschrift mit von Einfluß auf jenen Kreis von
Landschaftsmalern gewesen, sei aus der Luft gegriffen. Das erste stimmt
— war aber auch von mir mit keinem Worte anders gesagt worden; die
letztere bleibt, trotz Volbehr, bestehen. Auf den Einwurf meines Rezensenten,
daß von einer Wirkung der »Propyläen« auf Carus schon allein deshalb
nicht die Rede sein könne, weil sich dieser in den Erscheinungsjahren der
Zeitschrift — »in der schönen Jungensperiode von 9 — 1 2 Jahren« befunden
habe, vermag ich — ernsthaft nichts zu erwidern. Daß Carus, als späterer
Leser, Stellen aus den »Propyläen« zitiert, kümmert Volbehr gar nicht.
Den Ausspruch Runges: »Was ich will? ... Es ist: das Gute, welches Goethe
durch seine Propyläen zu verbreiten sucht, auszuüben....«, kann Volbehr
zwar nicht unterdrücken. Er sucht dafür aber diesen Zeugen als nicht
einwandfrei hinzustellen. Nun, zu diesem Bestreben habe ich selbst oben
ja noch eine neue Tatsache seines Verhaltens beigebracht, die jedoch nur
für mich und gegen Volbehr zeugt. — Aber — und das ist die wichtigste
Frage I — diese »Propyläen« selbst, und die von Goethe in ihnen ausge-
sprochenen Anschauungen und Forderungen, die nach meiner Auffassung
sollen richtungsweisend gewesen sein auch für jene später aufblühende
jüngere Malerschule? Der Goethe der »Propyläen« ist und bleibt Volbehr
nun eben der Klassizist, dessen verwerfliches Treiben und ungünstiger
Einfluß ihm einmal feststeht. Aus dem ganzen Programm der »Propyläen«
12
P e 1 1 z e r :
18,0
vermag er nichts anderes herauszulesen wie die Worte: »Nachahmung der
Antike«. Die Tatsache, daß Goethe anfangs die Absicht hatte, in dieser
Zeitschrift mit den Kunstfragen zugleich und im Zusammenhang mit ihnen
naturwissenschaftliche Theorien zu erörtern, wie ich aus einem wenig
beachteten Briefe an Cotta mitteilen konnte, gibt Volbehr nicht weiter zu
denken. Wie aber hat er folgende Stellen in der berühmten »Einleitung«
eigentlich verstanden, und hat ersieh überhaupt jemals etwas dabei gedacht?
Bei dieser »Einleitung« hielt Goethe offenbar zuerst noch an dem. Plan fest,
auch naturwissenschaftliche Arbeiten aufzunehmen (die er sich dann ja
aber später entschloß, als besondere Veröffentlichungen, »Zur Farbenlehre«,
»Zur Morphologie« usw. herauszugeben). So ist das erste Zitat zu verstehen:
>>Wenn wir nun Bemerkungen und Betrachtungen über Natur vor-
zulegen versprechen, so müssen wir zugleich anzeigen, daß es besonders
solche sein werden, die sich zunächst auf bildende Kunst, sowie auf Kunst
überhaupt, dann aber auch auf allgemeine Bildung des Künstlers beziehen.«
Sodann greife ich noch folgende Sätze und Absätze heraus:
»Die vornehmste Forderung, die an den Künstler gemacht wird,
bleibt immer die: daß er sich an die Natur halten, sie studieren, sie nach-
bilden, etwas, das ihren Erscheinungen ähnlich ist, hervorbiingen solle.«
»Alles was wir um uns her gewahr werden, ist nur roher Stoff; und
wenn sich das schon selten genug ereignet, daß ein Künstler durch Instinkt
und Geschmack, durch Übung und Versuche dahin gelangt, daß er den
Dingen ihre äußere schöne Seite abzugewinnen, aus dem vorhandenen
Guten das Beste auszuwählen, und wenigstens einen gefälligen Schein
hervorzubringen lernt; so ist es, besonders in der neueren Zeit, noch viel
seltener, daß ein Künstler sowohl in die Tiefe der Gegenstände, als in die
Tiefe seines eigenen Gemüts zu dringen vermag, um in seinen Werken
nicht bloß etwas leicht- und oberflächlich Wirkendes, sondern, wett -
eifernd mit der Natur, etwas geistig Organisches
hervorzubringen, und seinem Kunstwerk einen
solchen Gehalt, eine solche Form zu geben, wo du r c h
es natürlich zugleich und übernatürlich erscheint.«
Nachdem Goethe dann, wie oben zitiert, den Menschen als höchsten
Gegenstand der bildenden Kunst hingestellt hat, und »eine allgemeine
Kenntnis der organischen Natur« desselben als »unerläßlich« erklärt, wozu
er weiterhin die Forderung anatomischer Studien fügt, fährt er fort:
»Auch van den unorganischen Körpern sowie von allgemeinen Natur-
Wirkungen, besonders wenn sie, wie z. B. Ton und Farbe, zum Kunst-
gebrauch anwendbar sind, sollte der Künstler sich theoretisch belehren.« -1-
Und in einem weiteren Zusammenhang meint er: »daß wir zuletzt
beim Kunstgebrauch nur dann mit der Natur wetteifern können, wenn
Goethe und die bildende Kunst.
18 i
wir die Art, wie sie bei Bildung ihrer Werke verfährt, ihr wenigstens einiger-
maßen abgelernt haben«.
Nun frage ich, wo ist denn da eigentlich das Schreckgespenst des
Irrlehrers und Klassizisten Goethe, mit dem uns moderne Kunstschrift-
steller und Kunsthistoriker graulen machen wollen wie die älteren Kunst-
schüler die jüngeren vor dem maniristischen Akademieprofessor, der nur
Gipsabgüsse abzeichnen läßt? Doch Scherz beiseite: solcher Art sind die
Äußerungen Goethes, die ich natürlich meinte, als ich die, von jenen
Künstlern selbst (Runge und Carus ausdrücklich!) bestätigte Behauptung
aussprach, daß der neuen, der Natur auf neue Art sich hingebenden Kunst-
strömung Ideen und Anregungen Goethes vorangingen. Solcher Art die
Anschauungen Goethes, die, mit vielen anderen Aussprüchen aus anderen
seiner Schriften sowie mit manchen anderen »Ausstrahlungen« zusammen-
gestellt, nach meiner Forderung die Basis abgeben sollten für jene neue,
erwünschte Arbeit über Goethes Ästhetik und das Thema »Goethe und die
bildende Kunst«.
Von Volbehrs Einwürfen gegen die Einwandfreiheit meiner Arbeit
bleibt mir noch ein einziger zu berühren. Nach ihm darf nicht die Rede
davon sein, daß Runges Bemühungen um eine Farbenlehre und eine neue
malerische Anschauung erst Folge der Goetheschen Bestrebungen seien,
da beider »Farbenlehren« 1810 erschienen und die Rungesche Goethe schon
1809 vom Verfasser vorgelegt worden sei. Muß ich denn den »Goethekenner«
Volbehr noch belehren, daß das erste Stück der »Beiträge zur Optik« im
Jahre 1791, das zweite 1792 erschien, und daß auf diesen der Verkehr über
Fragen der Farbenlehre Goethes mit seinen Freunden basierte?? Oder
wird mir darauf wieder von Volbehr die geistreiche Antwort, daß sich auch
Runge damals noch »in der schönen Jungensperiode« befunden habe, jeg-
liche Kenntnisnahme und Beeinflussung also ausgeschlossen sei?
Zum Oeuvre Bernardino Licinios.
Folgende Zeilen sollen nichts weiter sein, als ein Nachtrag zu den
Oeuvrelisten Licinios bei Crowe und Cavalcaselle und bei Berenson. Es
soll auf einige Bilder Licinios, die bei jenen Autoren fehlen, aufmerksam
gemacht werden.
Das Provinzialmuseum zu Hannover besitzt das Bildnis eines Mannes
mittleren Alters im dunklen, pelzverbrämten Rocke, das als Werk eines
unbekannten venezianischen Meisters des sechzehnten Jahrhunderts katalogi-
siert ist: Nr. 473, Halbfigur, im Hintergründe links ein Rundbogenfenster
mit Ausblick auf Landschaft. — Pappelholz, h. 0,91; br. 0,74 m.
Ich bin überzeugt, daß Licinio der Urheber dieses in der Auffassung
Palma nahestehenden Bildnisses ist. Für Licinio spricht der ziegelig rote
Fleischton; der Mann mit den dünnen, eigentümlich scharf umrissenen
Lippen in dem sonst fleischigen Antlitz; die etwas plumpen und nicht ganz
korrekt gezeichneten Hände, die ungeschickte harte Behandlung des Pelz -
werks.
Herr Leopold Koppel in Berlin besitzt ein Damenbildnis von der
Hand Licinios. Halbfigur, rot gekleidet, einen Fächer in der Hand haltend,
grauer Grund; Holz, h. 0,78; br. 0,67 m. Nicht bezeichnet, aber so charakte-
ristisch, daß ich mich mit einem bloßen Hinweis auf signierte Arbeiten,
wie das Dresdener Damenporträt, das Familienbild der Galleria Borghese
begnügen darf.
Im Museum zu Grenoble befindet sich ein bezeichnetes Werk Licipios,
das, wohl wegen seines etwas abgelegenen Standortes, bei den genannten
Schriftstellern fehlt. Eine Sacra Conversazione. In der Mitte, vor einem
Vorhang die Madonna mit dem Kinde, neben ihr, vor landschaftlichem
Grunde, kniend und sitzend Jakobus, Johannes der Täufer, Hieronymus
und der Stifter. Bezeichnet: M . DXXXII/B . LYCINII/OPVS. — Lein-
wand, h. 1,20; br. 1,65 m.
Kürzlich wurde bereits von anderer Seite darauf hingewiesen, daß
das von Crowe und Cavalcaselle als verschollen erwähnte Bildnis Palladios
von der Hand Licinios sich in Windsor Castle befindet I). Ich kenne nicht
*) Camphell Podgson jn Mpnatsfi. f, JC. I §. 1124.
Hadeln, Zum Oeuvre Bernardino Licinios.
183
das Original, nur die vorzügliche Reproduktion in dem von Cust heraus
gegebenen Galeriewerk 2). Nach Cust ist das Bild auf Leinwand gemalt
und mißt h. 39*/», br. 32I/4 in. Das Bildnis trägt folgende Inschrift:
B . LYCINII./OPVS./ANDREAS./PALADIO./A./ANNOR./XXIII./MDXLI.
Danach wäre Palladio 1518 geboren, während er höchstwahrscheinlich
1508 geboren ist 3). So scheint die Inschrift nicht in ihrem ganzen Um-
fange intakt zu sein. Am nächsten liegt die Vermutung, daß die Alters-
angabe alteriert ist, daß die eine X irgendwie entfernt wurde. Meint man
dagegen, wie das Campbell Dodgson tut, daß ein Alter von 23 Jahren gut
zu dem Aussehen des Dargestellten paßt, ein Alter von 33 Jahren aber nicht,
so müßte man wohl an der Echtheit der Namensangabe zweifeln, da eine
Veränderung der Jahreszahl sehr unwahrscheinlich ist. Natürlich kann
nur eine Untersuchung des Bildes hier Klarheit schaffen. — Andere Bild-
nisse Palladios klären die Frage nicht. Der Stich von G. B. Cecchi und der-
jenige in der Biographie Temanzas vom Jahre 1762 stellen den Künstler
in höherem Alter dar.
Dagegen erscheint Palladio jünger und ebenfalls bartlos wie auf dem
Porträt in Windsor auf zwei Stichen R. Picarts vom Jahre 1716. Hier
könnte man — die Umstilisierung des 18. Jahrhunderts in Betracht ge-
zogen — Gleichheit der Persönlichkeit annehmen. Aber Picart könnte
ja das Windsor-Porträt gekannt haben und dieses könnte bereits zu Anfang
des 18. Jahrhunderts mit falschem Namen versehen gewesen sein. Temanza
teilte 1762 die Inschrift in der heutigen Fassung mit.
Schließlich mögen einige Neuerwerbungen von Werken Licinios durch
größere Galerien registriert werden. Die Brera erstand im Jahre 1906 auf
des Versteigerung Battistelli ein kleines Bild der Madonna mit dem Kinde
und dem jugendlichen Johannes (Leinwand, h. 0,89; br. 0,76 m). Ein zweites
Werk kam im gleichen Jahre mit anderen Bildern aus erzbischöflichem
Besitz als Leihgabe in die Brera. Wiederum eine Madonna mit dem Kinde
und dem Täufer (Leinwand, h. 0,60; br. 1, 1 2 m). Kürzlich soll die Akademie
zu Venedig eine Bildnisgruppe Licinios erworben haben. Hadeln.
2) Lionel Cust, The Royal Collection of Paintings.
3) F. Burger in Monatsh. f. K. I S. 914C
Literaturbericht.
Skulptur.
Marie Schuette, Der schwäbische Schnitzaltar. Mit
82 Lichtdrucktafeln in Mappe (Studien zur deutschen Kunstgeschichte,
91. Heft). Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1907. XIV u.
265 S. 25 M.
Das vorliegende Buch, stellt sich als eine- Erweiterung der Berliner
Dissertation der Verfasserin vom Jahre 1903 dar. Die Verfasserin hatte,
wie sie im Vorwort ausführt, dabei ursprünglich die Absicht gehabt, ihr
Thema über die Grenzen des Schwäbischen hinaus auszudehnen, kam aber
von diesem Vorhaben zurück, da die bisher nur mangelhafte Veröffent-
lichung der Plastik der benachbarten Länder dem Gelingen unüberwindliche
Schwierigkeiten entgegensetzte, die Plastik Schwabens aber in der eigent-
lichen Blütezeit des Schnitzaltars, im 15. und dem ersten Viertel des 16. Jahr-
hunderts, als im wesentlichen indigen angesehen werden muß und dabei in
ihrer führenden Stellung von hoher Bedeutung für die Entwicklung der deut-
schen Kunst war. So blieb es also bei dem »Versuch, an der Hand der in
Schwaben erhaltenen Altäre die Entwicklung des schwäbischen Altars dar-
zustellen«.
Doch sind es nicht etwa nur rein kunsthistorische öder stilkritische
Fragen, denen die Verf. nachgeht, sondern auch archäologische und ikono-
graphische. Namentlich die beiden ersten Kapitel befassen sich mit der Ent*
wicklung des schwäbischen Altars als solchen seit dem Ausgang des 14. Jahr-
hunderts und mit den an den schwäbischen Altären der behandelten Epoche
zur Verwendung gekommenen Darstellungen. Allein schon hier macht sich
der alte Dissertationscharakter, wenn ich so sagen darf, nicht eben vorteilhaft
geltend, indem einmal jene Beschränkung auf Schwaben den Blick einengt
und die Ergebnisse der Untersuchung in ihrer Zuverlässigkeit und Bedeutung
herabdrückt und zugleich aus Mangel an tieferem Einblick in die Kultur-
verhältnisse der Zeit eine Begründung, weswegen denn die Entwicklung sich
gerade so und nicht anders vollzieht, kaum versucht wird. Allerdings wird
gelegentlich auf Tatsachen aus der schwäbischen Kultgeschichte Bezug
genommen, findet sich dem ersten Kapitel ein kurzer Vergleich des schwäbi-
Literaturbericht.
185
sehen mit dem italienischen Altarthema angefügt und fehlt es nicht an
treffenden Bemerkungen und feinen Beobachtungen, die die Schülerin Hein*
rieh Wölfflins verraten. Aber im allgemeinen wird uns nicht viel mehr als
eine Aufzählung oder die chronologische Reihenfolge der Erscheinungen dar-
geboten, selten oder nie sehen wir sie organisch aus ihren Vorbedingungen
heraus erwachsen, und da auch eine Bezugnahme auf die angrenzende
fränkische, rheinische, schweizerische, tirolische, bayerische Kunst in der
Regel völlig mangelt, so kommt, um es kurz zu sagen, insbesondere bei den
ikonographischen Abschnitten des Buches nicht eben viel heraus.
Ähnliches gilt bald in stärkerem, bald in geringerem Maße von den
übrigen Kapiteln: die angedeuteten beiden Schwächen bleiben auch hier
die Hauptquellen für allerlei Schiefheiten im Urteil, Unzulänglichkeiten und
Fehler. Im III. Kapitel wird das Ornament behandelt. Frisch geschrieben
bietet der Abschnitt wiederum manche Anregung; aber das natürliche Ziel,
die Besonderheiten der Ornamentik des schwäbischen Schnitzaltars klar
herauszuheben, wird doch verfehlt, weil die Entwicklung auch hier fast
lediglich aus sich selbst heraus, mit nur ganz flüchtigen Seitenblicken etwa
auf Riemenschneiders Altäre oder auf Hervorbringungen der graphischen
Kunst zu begreifen versucht wird. So wird beispielsweise S. 53 »das Zu-
sammenziehen einer zusammengehörigem Schreindarstellung unter einem
einzigen breiten Eselsrücken« als eine Errungenschaft und ein Charakteristi-
kum der schwäbischen Altarplastik hingestellt, während sich das gleiche
Motiv doch ebenso an nichtschwäbischen Altären und teilweise früher als
in Schwaben findet x).
Ganz vortrefflich und reich an wertvollen Einzelbeobachtungen ist das
IV. Kapitel, das sich mit der Polychromie beschäftigt und in dessen Mittel-
punkt die Frage nach der Arbeitsteilung zwischen Bildhauer und Maler steht.
Um sich jedoch im höheren Sinne fruchtbar und bis zu einem gewissen Grade
abschließend zu gestalten, hätte freilich die Behandlung auch dieser Frage
sich auf breiterer Basis vollziehen müssen. Der Kunstbetrieb in schwäbi-
schen Landen vom 14. bis in das 15. Jahrhundert macht gewiß keine Aus-
nahme von der bei den übrigen deutschen Schulen fast durchgängig zu beob-
achtenden Erscheinung, daß nämlich die Bildschnitzerei, wo sie allmählich
die noch das ganze 13. Jahrhundert hindurch in den Kirchen durchaus domi-
nierende Steinplastik zurückdrängt, zunächst im Rahmen einer anderen,
verwandten Kunst oder, um mich mittelalterlich auszudrücken, eines' schon
von alters bestehenden Handwerks erwächst und erst langsam, hier früher,
*) Vgl. den wahrscheinlich niederrheinischen Hausaltar aus der Frühzeit des 15. Jahr-
hunderts im Bayerischen Nationalmuseum (Katalog: Gotische Altertümer Nr. 1335),
ferner den unterfränkischen Altar aus Gerolzhofen in dem gleichen Museum (Katalog
Nr. 1330) u. a. m.
i86
Literaturbericht.
dort später, aus diesem Rahmen heraustritt, zur Selbständigkeit erstarkt.
Dieser Vorgang liegt tief in der Entwicklung der Gewerbe während des
Mittelalters begründet, und solche Abzweigungen haben sich auf dem weiten
Felde der Handwerksgeschichte unzählige Male wiederholt. Wie die Tafel-
maler aus dem Handwerk der Schilter hervorgegangen waren, die Form-
schneider sich vielleicht ursprünglich aus den Reihen der Glasmaler rekru-
tierten, so kam die Bildschnitzerei in der Regel wohl in den Werkstätten
der Maler zuerst auf. In Breslau bildeten seit dem Ausgang des 14. Jahrhun-
derts die Maler mit den Bildschnitzern ein und dasselbe Handwerk, und die
gleichen Meister werden in den Urkunden bald als Maler, bald als Bild-
schnitzer bezeichnet* 2 3 4). In dem Arlberger Bruderschaftsbuche (15. Jahr-
hundert) findet sich unter den zahlreich vorkommenden Künstlern kein
Bildschnitzer genannt, woraus mit annähernder Sicherheit zu schließen ist,
daß sie sich hier noch unter den Malern verbergen oder richtiger, daß manche
der Maler, die in dem Buche genannt werden, zugleich Bildschnitzer waren 3).
Auch im 16. Jahrhundert ist in dem erzählenden Gedicht von der schönen
Malersfrau, das freilich zweifellos auf ältere Vorlagen zurückgeht, noch als
von etwas ziemlich Selbstverständlichem die Rede, von jenem »maler wiczen,
Der kond maln und sniczen« 4), wie es denn ja ohne Zweifel auch zu Beginn
des 16. Jahrhunderts noch vereinzelt Ateliers zur Anfertigung von Altären
gegeben hat, in denen sowohl geschnitzt wie gemalt wurde und die Trennung
der beiden Tätigkeiten gewiß nicht immer streng durchgeführt war. In
Nürnberg muß insbesondere Michael Wolgemut einem solchen Betriebe vor-
gestanden haben.
Es ist nun gewiß nicht ohne Interesse, wenn Sch. (S. 67 ff.) in gründ-
licher Untersuchung feststellt, daß in Schwaben im letzten Viertel des 15. und
dem Beginn des 16. Jahrhunderts eine weitgehende Arbeitsteilung geherrscht
habe. In jener Spätzeit indes hatte sich auch im übrigen Deutschland die
Trennung der Bildschnitzer von den Malern oder Steinmetzen im allgemeinen
bereits vollzogen — Wolgemut bedeutet doch nur eine Ausnahme, die Ver-
hältnisse einer früheren Epoche klingen in seinem schon von Hans Pleyden-
wurf übernommenen Betriebe aus — , und ungemein wichtiger und wert-
voller wäre daher eine Untersuchung über die Herkunft und das Auf-
kommen der Bildschnitzerei großen Stils in den verschiedenen Städten
Schwabens gewesen, die allerdings aus den Schnitzaltären allein und den
2) Alwin Schulz, Urkundliche Geschichte der Breslauer Malerinnung in den Jahren
1345 bis 1523. Breslau 1866 (danach Zeitschrift f. bildende Kunst I, 1866 S. 128).
3) Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses III, Regest
Nr. 3032 u. 3038.
4) A. Kellers Erzählungen aus altdeutschen Handschriften (Bibliothek des literari-
schen Vereins Bd. XXXV S. 173.
Literaturbericht.
I87
spärlichen über sie erhaltenen Urkunden nicht hätten abgelesen werden
können. Gewerbegeschichtliche Untersuchungen dieser Art würden beispiels-
weise auch einer wirklich fruchtbringenden Beschäftigung mit der Kunst
der Syrlin vorauszugehen haben, für die ja die Abstammung vom Schreiner-
handwerk wahrscheinlich ist. Eine solche Abstammung aber würde dann
wiederum, wenn strikte nachgewiesen, im Zusammenhänge mit genauer
Kenntnis der Ulmer Handwerksverhältnisse mancherlei Schlüsse auf Umfang
und Art der Syrlinschen Tätigkeit zu ziehen gestatten.
Kapitel V des Schuetteschen Buches behandelt mit feinem Verständnis
für die kunstgeschichtliche Entwicklung das Figürliche. Die Kenntnis des
kulturgeschichtlichen Untergrundes läßt freilich auch hier zu wünschen
übrig. So läßt sich manches in der gotischen Haltung und Stellung aus kon-
ventionellen Gesten, höfischen Gebärden, Tanzmotiven usw. erklären. Wäh-
rend z. B. an Portalen des 13. Jahrhunderts die gewissermaßen den Zeugen-
chor bildenden Heiligen oft geradezu »einen Tanz tretend« dargestellt sind
und dieses Motiv in mancherlei Variationen auch bei Einzelfiguren die ganze
gotische Zeit hindurch bald hier bald dort wieder auftaucht, ist es doch ver-
ständlich, daß es sich bei der Figur des Schmerzensmannes — vergl. S. 92 —
nie verwendet findet. Auf die Verdrängung der weichfließenden Falten der
Wolle durch die tiefen, eckigen des Seidengewandstiles — vergl. S. 94 bis 96 —
ist ohne Zweifel die Pracht und Bedeutung des burgundischen Hofes von
bestimmendem Einfluß gewesen, usf.
Das VI. Kapitel gibt eine Übersicht über die schwäbischen Lokalschulen.
Ich möchte es als das gelungenste des Schuetteschen Buches bezeichnen;
denn wenn es auch weit davon entfernt bleibt und auch gar nicht anstrebt,
eine Geschichte der schwäbischen Plastik vom Ende des 14. bis zum Anfang
des 16. Jahrhunderts zu bedeuten, so hat doch ein kenntnisreiches Hinaus-
greifen wenigstens über das enge Gebiet des Schnitzaltars eben hier eine Reihe
wertvoller Ergebnisse gezeitigt. Dazu rechne ich vor allem die Vermehrung
des bisherigen Multscherwerkes um die beiden bemalten Statuetten der
heiligen Barbara und Magdalena aus Kloster Heiligkreuzthal im Oberamt
Riedlingen, jetzt in der Lorenzkapelle zu Rottweil, deren Zuweisung an
Multscher als in jeder Hinsicht gesichert gelten kann, während die Zuteilung
der fünf Figuren von der Ostfassade des Ulmer Rathauses (Kaiser Karl der
Große, zwei Schildknappen und die Könige von Ungarn und Böhmen,
Originale jetzt im Gewerbemuseum zu Ulm) an denselben Meister bei dem
Mangel an geeignetem Vergleichsmaterial im gesicherten Werke Multschers
doch noch einigen Zweifeln begegnen dürfte. Mit gutem Stilgefühl ist ferner
eine Reihe von Werken zusammengestellt, die aus der Werkstatt eines anderen
Ulmers, des Meisters des Wippinger Altars von 1505, hervorgegangen sind,
und weiterhin die Holzplastik in Augsburg, Memmingen, Ravensburg, Urach,
i88
Literaturbericht.
Heilbronn, Wimpfen, Hall, der einzigen schwäbischen Lokalschule, wo wir
Spuren niederländischen Einflusses begegnen, sowie Nördlingen kurz charak-
terisiert. Die Syrlin- Frage dagegen ist, wie schon angedeutet, von vorn-
herein nicht ganz richtig angepackt und kaum gefördert, und den vergleichen-
den Abschnitt, mit dem das Kapitel schließt, hätten wir uns wiederum ein-
gehender, Gerpeinsames wie Trennendes kräftiger und klarer hervorhebend,
kurz erfolgreicher gewünscht.
Als zweiter Teil des Buches folgt eine sehr dankenswerte Zusammen-
stellung und knappe Beschreibung sämtlicher der Verfasserin bekannt geworde -
ner schwäbischer Schnitzaltäre unter Beifügung reichlicher und genauer Litera-
turangaben. Auch in diesem Verzeichnis bliebe freilich manches zu verbessern,
Verschiedenes auszuschalten, anderes hinzuzufügen, wie man denn auch hier
deutlich Schichten von noch mangelhafter Kenntnis von solchen, die von reife-
rem Wissen und besserer Einsicht zeugen, unterscheiden zu können meint. So
haben insbesondere, um nur Weniges hervorzuheben, weder das Altärchen
mit den Wappen der Wiesenthau und Bibra im Germanischen Museum
(Katalog der Originalskulpturen Nr. 343), das auch sonst an verschiedenen
Stellen des Schuetteschen Buches spukt, noch der verwandte Hausaltar im
Bayerischen Nationalmuseum (Katalog: Gotische Altertümer Nr. 1322) mit
schwäbischer Kunst etwas zu tun, gehören vielmehr, was ihre Schnitzereien
betrifft, zu einer Gruppe von Bildwerken, die zwischen Nürnberg und Würz-
burg mehrere Vertreter — ich denke z. B. an den Hochaltar in der Pfarrkirche
zu Neustadt an der Aisch — aufzuweisen hat und offenbar nach Würzburg
gravitiert. Andererseits hat auf eine besonders wichtige Auslassung, nämlich
auf das Fehlen des Schnitzaltars des Ivo Strigel vom Jahre 1514 in der
hl. Veitskirche auf dem Tartscher Büchel im Obervinstgau ip Tirol bereits
H[ans] S[emper] in seiner Besprechung des Schuetteschen Buches im Lite-
rarischen Zentralblatt 1908 Sp. 1269 hingewiesen. Ebenso hätte wohl der
Altarschrein von Ellhofen, der keineswegs als »künstlerisch unbedeutend«
bezeichnet werden darf, eine ausführlichere Behandlung verdient, als sie
ihm S. 217 des Buches zuteil geworden ist 5), und wären auch aus der Stutt-
garter Altertümersammlung noch ein paar weitere Altäre zu nennen ge-
wesen 5 6 7). Von geringerem Belang sind eine Anzahl kleinerer Versehen, wie
sie ja bei einem Werke wie dem vorliegenden kaum zu vermeiden sind 7).
5) Vgl. die Abbildung des kürzlich wiederhergestellten Altarschreines in der
»Denkmalspflege« X (1908) S. 47.
6) Z. B. der aus Schwarzenburg a. d. Murg mit der Madonna mit dem Kinde. Auch
die beiden Altarflügel mit der Geburt und der Anbetung Christi aus der Kirche zu Atten-
hofen bei Weißenhorn, seit 1890 im Gewerbemuseum in Ulm, hätten hier oder doch im
ersten Teil mit berücksichtigt werden sollen.
7) Sinnentstellende Druckfehler sind offenbar S. 58: »Heilsbronn« anstatt »Heil-
bronn«j S. 69: »Hoferschen Altar« anstatt »Hofer Altar«j S 76: »1592« anstatt »1492«,
Literaturbericht.
189
Dem Textband ist eine sehr ansehnliche Mappe mit 82 zum Teil gut
ausgefallenen Lichtdrucktafeln beigegeben, auf die nur leider im Texte
nirgends verwiesen wird, was das Studium des Buches recht erschwert.
Immerhin bilden diese Tafeln, die zum größten Teil auf Grund ' eigener
mühevoller photographischer Aufnahmen der Verfasserin hergestellt sind,
einen der Hauptruhmestitel des Buches, wie denn die vorstehende Kritik
überhaupt nicht etwa dahin verstanden werden möchte, daß man es
alles in allem mit einer nur wenig brauchbaren Arbeit zu tun habe. Im
Gegenteil: der Eifer und das redliche, durchaus wissenschaftliche Bemühen
der Verfasserin haben die noch so wenig ausgebaute, ja man kann sagen : noch so
wenig erforschte Geschichte der deutschen Plastik um zahlreiche wertvolle
Einzelergebnisse bereichert und eine Fülle neuen Materials erschlossen, das
in der Tat reichlich »für das Unbefriedigende und das Stückwerk«, um der
Verfasserin eigene, von richtiger, sogar etwas allzu scharferSelbstkritik zeugende
Worte zu gebrauchen, »entschädigt, das der Arbeit trotz aller Mühe haften
geblieben ist« (S. 5, am Schluß der Einleitung). DieVerf. hat eben mit teilweise
noch unzulänglichen Waffen gegen einen übermächtigen Gegner gerungen,
über den jedoch eine Reihe kleiner Vorteile davonzutragen, dem nicht völlig
zu erliegen, schon als eine Tat bezeichnet werden darf. Theodor Hampe.
Malerei.
Johannes Sievers. Pieter Aertsen. Ein Beitrag zur Geschichte
der niederländischen Kunst im XV I. Jahrhundert.
Mit 35 Abbildungen auf 32 Lichtdrucktafeln. Verlag von Karl W. Hierse-
mann. Leipzig 1908. (Band IX der Kunstgeschichtlichen Monographien.)
Der 147 Seiten umfassende Band ist aus einer bereits 1906 gedruckten
Hallenser Dissertation hervorgegangen. Einen Auszug enthält die für den
ersten Band des Thieme-Beckerschen Künstlerlexikons (1907) geschriebene
Aertsen- Biographie desselben Verfassers, die mir in ihrer inhaltsreichem
Knappheit als einer der vorbildlichen Beiträge dieser Publikation er-
scheinen will. Das Buch dagegen wirkt etwas langatmig durch die allzu
S. 206: »Wornersberg« anstatt »Wernersberg«' und »Unter-Göppingen« anstatt »Unter-
Gröningen« — ich erwähne sie nur, weil sie im Druckfehlerverzeichnis nicht vermerkt stehen.
Der langbärtige Heilige in Wasseralfingen (S. 141) kann Laurentius nicht sein. S. 201 :
der Bischof mit Stab und Glocke (darunter übrigens ein Teufel) ist wohl Theodul; im
Memminger Schrein nicht Stephanus sondern Laurentius; die Figürchen in Diakonen-
tracht sind wohl einfach Engel, der Ritter ohne Attribut nach seiner Geste offenbar Martin.
S. 202: die Flügel aus Mistlau sind nicht in Malerei, sondern in Reliefschnitzerei ausge-
führt, der Altar ist übrigens eher schwäbisch als fränkisch. S. 203: im Riedener Altar
nicht Reliefs, sondern Vollfiguren; beim Schnaither Altar ist anstatt »Konrad und Paulus«
»Konrad und Jakobüs« zu lesen, usf.
Literaturbericht.
I9O
skrupulöse Beschreibung der ohnehin überfüllten Gemälde des »langen
Pier«; sie stellt der Gewissenhaftigkeit des Autors das beste Zeugnis aus,
macht die Lektüre jedoch nicht eben genußreich. Und doch hätte aus der
Darstellung dieses Künstlerlebens etwas sehr Fesselndes werden können,
wenn ein streng-kunstgeschichtlicher Standpunkt immer wieder das betont
hätte, was bei Aertsen uns mehr interessiert als sein Leben oder die isolierten
Werke: die Stellung dieser in ihrer Einseitigkeit sehr starken Begabung
in der Geschichte des Sittenbildes. Die Frage nach den Beziehungen des
Aertsen- Stiles zum Braunschweiger Monogrammisten und zu Pieter Brueghel
findet keine befriedigende Lösung. Die nicht geringen Vorzüge dieser Arbeit
liegen nach der Seite der Bilderkritik und dem Aufstellen eines zwar noch
erweiterungsfähigen, aber jetzt schon überraschend reichhaltigen Bilder-
katälogs. Hier ist der Stoff durchaus bemeistert und mit einer Liebe, die
darüber hinweghelfen kann, daß der Verfasser mehr mit der Lupe als mit
dem Fernrohr operiert hat.
Nach einer kurzen Einleitung und einer Übersicht der Literatur, in
der N. de Roevers Aufsatz im VII. Jahrgang von Oud-Holland das Wich-
tigste darstellt, beschreibt S. das Leben des Künstlers. Eine über Allge-
meines hinausgehende Verwandtschaft seiner Kunst mit der des Lehrers,
des nur aus Stichen bekannten Allaert Claesz, wird nicht zugegeben. Ob
er Italien besucht hat, ist fraglich; die vielen Italismen können aus zweiter
Quelle kommen. 1535 tritt A. als Siebenundzwanzigjähriger in die Ant-
werpner St. -Lukas-Gilde ein, das früheste datierte Werk stammt aber erst
von 1543. Wahrscheinlich 1555 siedelt er wieder in seine Geburtsstadt
Amsterdam über; man weiß nicht genau, aus welchem Grunde er die Schelde-
stadt, wo er große Aufträge hatte, verlassen hat. Aus demselben Jahre
sind die bekannten Glasgemälde der Oude Kerk in Amsterdam datiert.
1575, nicht 1573, wie K. van Mander berichtet, ist Aertsen gestorben.
Es folgt (auf 78 Seiten) der Hauptteil: »Die Gemälde des Künstlers«,
alle wichtigeren sind in den scharfen und in ihrer Nüchternheit so soliden
Lichtdrucken des Hiersemannschen Verlags gut wiedergegeben. Ich gebe
in aller Kürze ein Verzeichnis derjenigen Werke, die Sievers, unterstützt
besonders von Pol de Mont, Hofstede de Groot und B. W. F. van Riemsdijk,
neu in die Literatur eingeführt hat, eine stattliche Liste ! I. L i 1 1 e , Museum.
Alte Bäuerin, Kniestück. Mit der Dreizackmarke bez. und datiert 1543
(die letzte Ziffer undeutlich). 2. Antwerpen, der Flügelaltar des Stiftes
Bogaerts -Torfs mit der Kreuzigung im Mittelbilde, den beiden Johannes
auf den Innenseiten, Stiftern und Heiligen auf den Außenseiten der Flügel.
Bereits van den Branden und J. de Roever, auch die Lexika, hatten auf
diesen urkundlich 1546 von Jan van der Biest für sein »van der Biest-Hofje«
gestifteten Altar hingewiesen, ihn aber nicht ausfindig machen können.
Literaturbericht.
I9I
1907, nach Sievers’ Entdeckung, waren die stark italisierenden und im
Kolorit wenig harmonischen Gemälde als Leihgabe und restauriert im Ant-
werpner Museum ausgestellt. 3. Brüssel, P. Dansette. Kirmesbild
mit vielen kleinen Figuren, undatiert. 4. Upsala, Universität. Fleisch-
bude, von 1551, eins der besten Werke von Aertsen, trotz den kleinen Figuren
ein reines Stillebenbild. 5. Baien a. d. Nethe, Kirche. Kreuztragung.
Das Bild hat die engste Verwandtschaft mit dem bekannten Gemälde des
Kaiser-Friedrich-Museums und ist wohl annähernd in demselben Jahre,
1552, entstanden. 6. Brüssel, Devolder. Ecce Homo-Bild mit vielen
kleinen Figuren. Bez. Steht dem Braunschweiger Monogrammisten sehr nahe !
7. B e e s e 1 in Südholland, Schloß Nieuwebruck. Fragment einer An-
betung der Hirten, von 1 5 54. Wahrscheinlich von einem der im Bilder-
sturm zerstörten großen Amsterdamer Altarwerke (vgl. van Mander).
8. Haag, Tholen. Fragment der Maria mit dem Kinde, aus einer An-
betung der Hirten, annähernd zwischen 1555 und 1560 entstanden. 9. Am-
sterdam, Deutzen-Hofje. Anbetung der Könige. Entstehungszeit
wie bei dem vorigen. IO. C u 1 e m b o u r g bei Utrecht, Elisabeth-Waisen-
haus. Die vier Evangelisten. Sehr schlecht erhalten. Um 1559. n. Ant-
werpen, Mayer van den Bergh. Bauerngesellschaft. Von 1556.
12. Petersburg, Delaroff. Christus und die Ehebrecherin, ähnlich
dem Bilde, das vor etwa zwei Jahren dem Staedelschen Institut aus dem
Nachlaß der Frau Berg zufiel. Zurzeit in der Lakenhai in Leiden ausgestellt,
vgl. K. Freise in den Biermannschen Monatsheften I S. 1140. 13. Düssel-
dorf, ehemals in der aufgelösten Sammlung der Fahnenburg. Fisch-
und Gemüsemarkt. Wurde fälschlich dem J. Beuckelaer zugeschrieben.
14. G e n u a , Palazzo Bianco. Köchin am Kamin, verwandt dem bekannten
Bilde der Brüsseler Galerie. Von 1559. 15. Budapest, Museum. Alter
Bauer. Von 1561. 16. Petersburg, Semionoff. Marktbauer. ^.Stock-
holm, Nat. -Museum. Zwei Köchinnen bei der Arbeit. Von 1562. Galt
bisher als Beuckelaer. Nachdem schon Hofstede de Groot aus stilistischen
Gründen die Umtaufe vorgeschlagen hatte, fand S. im dunklen Grunde
die Dreizackmarke. 18. Antwerpen, Spruyt. Gemüsehändlerin, von
1567. 19. Stockholm, Graf Hallwyl. Stilleben mit kleinen Figuren.
Von 1569. Das letzte datierte Werk des Meisters.
Von den zahlreichen Zeichnungen, die Aertsen in den verschie-
denen Kabinetten zugeschrieben werden, läßt S. nur vier gelten: zwei Küchen-
szenen in Amsterdam und Berlin, ein Bauernfest in Dresden, den Entwurf
zu einem Glasfenster in der Hamburger Kunsthalle.
Ein umfangreiches Kapitel, das die »dem Künstler fälschlich zuge-
schriebenen Gemälde« behandelt, ist von großer Wichtigkeit durch die
strenge Abgrenzung der verwandten Kunst Joachim Beuckelaers und der
192
Literaturbericht.
Söhne Pieter Pietersz und Aert Pietersz. Mit Recht werden die Gemälde
in Kassel, Karlsruhe, Pommersfelden und a. a. 0., die bis auf die neueste
Zeit in der einschlägigen Literatur mitgeführt wurden, dem Künstler abge-
sprochen. Auf einem dieser Pseudo -Aertsens, einem Marktbilde des National-
museums zu Neapel, fand S. die Bezeichnung »Arnol(d) de Muyser«. Kommt
dieser Unbekannte noch anderwärts vor?
Eine Schlußbetrachtung bringt verständige Bemerkungen über die
losen Zusammenhänge mit der Kunst der Bassani, verzichtet auch nicht
darauf, auf die noch ungelösten vorhin bezeichneten Probleme hinzuweisen.
Als Zeitgenossen und im Streben verwandte Künstler werden neben Hemessen
noch Jan Mandijn, Hendrick und Martin van Cleve genannt. Es wäre sehr
wünschenswert, wenn der Verfasser seine Studien auf diese Gruppe der
ältesten niederländischen Sittenbildmaler ausdehnen und auch den so frucht-
baren J. Beuckelaer einmal im Zusammenhänge behandeln wollte.
Walter Cohen.
Kunsttopographie.
Österreichische Kunsttopographie. Herausgegeben von der K. K. Zentral-
kömmission für Kunst- und historische Denkmale unter der Leitung ihres
Präsidenten Seiner Exzellenz Josef Alex. Freiherrn von Helfert, redigiert
von Prof. Dr. Max Dvorak. Bd. I, Bd. II. Bearbeitet von Dr. Hans
Tietze, mit Beiträgen von Prof. Dr. Moritz Hörnes, Dr. Max. Nistler und
Dr. Heinrich Sitte. Wien 1907/08.
Nun ist auch Österreich, das vor 50 Jahren einen so bedeutsamen
Anfang in der Erforschung und Darstellung seiner Kunstdenkmale gemacht,
dann aber eine Zeitlang auf seinen Lorbeeren geruht hatte, mit dem Ent-
schluß hervorgetreten, eine vollständige Kunsttopographie herauszugeben.
Die Verspätung bringt einen Vorteil; man konnte aus den im Zwecke
analogen deutschen Inventaren lernen; nach der Meinung der Herausgeber
noch mehr aus den Fehlern als aus den positiven Eigenschaften derselben.
Auf den ersten Blick erkennt man, daß dem neuen Unternehmen bedeutendere
finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, als den meisten deutschen Vorgängern,
und der Name des Generalredakteurs leistet Bürgschaft, daß an die wissen-
schaftliche Qualität der Arbeit höchste Ansprüche gestellt worden sind.
Ich fühle mich insofern als keinen ganz kompetenten Beurteiler, als
ich die bezüglichen Denkmäler nicht aus eigener Anschauung kenne. Da-
für kenne ich sehr genau die deutschen Inventare, und der Vergleich mit
ihnen hat mich besonders interessiert.
Dvorak hat in den Wiener „Kunstgeschichtlichen Anzeigen« 1906 eine
Generalkritik der deutschen Inventare vorausgeschickt. Er findet, daß »die
Literaturbericht.
193
meisten bei weitem nicht den Anforderungen, welche an sie gestellt werden
müßten« entsprechen, ja überhaupt, daß sie »wissenschaftlich unfrucht-
bar« geblieben sind; doch sei dies weniger den Beurteilern persönlich, als
dem verfehlten Programm zur Last zu legen. Daß sich unter den in Frage
kommenden 150 und mehr Bänden, deren Erscheinen sich über 40 Jahre
erstreckt, einen Zeitraum, in dem die Kunstwissenschaft große Wandlungen
durchgemacht hat, viel Unzulängliches, ja geradezu Schlechtes befindet, muß
ich leider bestätigen; doch auch, wenn schon in der Minorität, viel Gutes, mehr
als D. zugestehen will. Die Quelle der Mängel sehe ich aber, umgekehrt wie
D., mehr in den Personen als im Programm. Hätten die staatlichen und
provinziellen Behörden, die die Arbeit vergeben, zwischen kunstwissen-
schaftlich Gebildeten und Halbgebildeten zu unterscheiden verstanden, so
wäre auch unter den gegebenen Programmen Gutes zustande gekommen.
Und, wie schon gesagt, doch nicht so ganz selten ist es auch zustande ge-
kommen.
Das neue Programm, das D. aufstellt, verlangt »eine möglichst aus-
führliche Behandlung«, »eine exakte Untersuchung über die historische
Bedeutung der Denkmäler und Denkmälergruppen«, namentlich auch
»Durchforschung der Archive«. Das heißt soviel als: die Inventarisation
soll nicht Vorarbeit, sie soll definitive Arbeit sein. Gegenüber solchem
Idealismus möchte man fast kleinlaut werden, wenn man praktische Be-
denken nicht verschweigen kann. Leider sind sie unwidersprechlich ein
großer Machtfaktor in unserer wirklichen Welt. Zunächst die Frage: Wenn
wir mit unserem als oberflächlich bezeichneten deutschen Programm in
40 Jahren erst zwei Drittel des Pensums erledigt haben, wieviel Zeit wird
das österreichische bis zu seiner Erfüllung nötig haben? Ist es recht, die
gegenwärtige Generation darauf zu vertrösten, daß die nächste und eigent-
lich erst übernächste es gut haben wird? Wie soll man die historische Be-
deutung der Denkmäler eines Bezirks »exakt« bestimmen, so lange man
noch nicht weiß, wo man das Vergleichsmaterial in den anderen Bezirken
zu suchen hat? Ich fürchte, vielmehr ich sehe bestimmt voraus: dem öster-
reichischen Inventar wird es nach 40 Jahren ebenso gehen, wie dem deut-
schen, d. h. man wird in ihm Unvollkommenheiten entdecken; einige viel-
leicht schon heute. Meines Erachtens ist der in Deutschland eingeschlagene
Weg gar nicht so falsch im Prinzip gewesen. Der Aufbau des Inventarisa-
tionswerkes darf nicht gleichsam in senkrechten Abschnitten von Joch zu
Joch, sondern er muß stufenweise vor sich gehen. Wir wären heute weiter,
als wir sind, wenn man sich begnügt hätte, zunächst das bescheidenere Pro-
gramm (etwa in dem Umfange wie in der ersten Hälfte des Inventars für
Oberbayern) für das ganze deutsche Kunstgebiet zu Ende zu führen, schnell
und energisch. Auf diesem Unterbau hätte dann die nächste Generation
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
13
194
Literaturbericht.
das Hauptgeschoß aufführen sollen. Beispiel: die beiden Inventare für
den Regierungsbezirk Kassel, das von Lotz 1870 und das von Bickell 1901
begonnene neue. In mehreren Gebieten, z. B. in der zweiten Hälfte
Oberbayerns, hat man schon vor den Österreichern das österreichische
Programm durchzuführen getrachtet. Man hat ein Vierteljahrhundert dazu
gebraucht, und jetzt hat man im Gesamtinteresse als richtig erkannt, von
diesem Verfahren wieder abzugehen.
Als ein wirkliches und nicht notwendiges Übel der deutschen Programme
betrachte ich die von den meisten Auftraggebern verlangte Verkoppelung
der wissenschaftlichen Aufgabe mit dem Streben nach Wirkung über die
wissenschaftlichen Kreise hinaus. Nicht als ob nicht das Ziel an sich ein höchst
lobenswertes wäre. Allein es erfordert eine Summe von pädagogischem Ge-
schick und literarischer Sorgfalt, die man nicht häufig antreffen wird. Trotz-
dem deutet die Tatsache, daß nicht wenige Inventarbände schon vergriffen
sind, auf ein entschiedenes Verlangen nach dieser Richtung im Publikum.
Besser hätte man demselben dadurch Genüge getan (und könnte es noch
immer nachholen), daß man den wissenschaftlichen Bearbeitungen kurze
populäre Auszüge an die Seite gestellt hätte.
Sehen wir uns nun die beiden Erstlingsbände der österreichischen
Kunsttopographie näher an. Der eine behandelt den politischen Bezirk
Krems, der andere einen Teil der Außenbezirke Wiens (XI — XXI). Beide
in 4°. Der. erste XXIV plus 608 Seiten mit 29 Tafeln und 480 Abbildungen
im Text, der andere entsprechend XXXIX, 544, 37, 625. Das Gewicht
eines jeden Teiles mit Einband über 3I/2 Kilogramm. Es versteht sich
von selbst, daß schon diese Äußerlichkeiten einschränkend sowohl auf die
Art der Benutzung als auf den Umkreis der Benutzer einwirken müssen.
Genau den entgegengesetzten Weg hat man kürzlich in Bayern eingeschlagen
durch das Prinzip der Teilung in sehr viele kleine Bände, womit man das
Studium an Ort und Stelle erleichtern, vor allem eine populär-erzieherische
Wirkung anbahnen will. Noch entschiedener zeigt sich in der inneren Be-
handlung des österreichischen Werkes der entschlossene Verzicht auf alle
Nebenzwecke. Die Kunst allein ist Gegenstand, aber sie in weitestem
Umfange. Sicher ist diese Konzentration wissenschaftlich ein großer Vor-
teil. Die gedankenlose Ausdehnung der historischen Einleitungen auf
Vorgänge und Verhältnisse, die mit der Kunstgeschichte nichts zu tun
haben, und die Vermischung der Kunstaltertümer mit Privataltertümern
ist ein erst in jüngeren deutschen Inventaren, doch auch nur in einigen,
aufgetauchter Fehler, keineswegs eine allgemeine Eigenschaft, wie man
nach Dvoräks Kritik glauben könnte. Daß sich die vorliegenden Bände
gänzlich von ihm frei halten, hat natürlich meinen vollen Beifall. Dafür
ist den rein kunstgeschichtlich gefaßten Einleitungen reichlicher Raum
Literaturbericht.
J95
gewährt. Manchmal gehen sie sogar weiter, als durch den Begriff der Topo-
graphie gerechtfertigt ist; z. B. S. 17 die Erörterung über den Physiologus.
Wohlüberlegt und im ganzen gelungen ist die typographische Ein-
richtung. Sie ist als Bedingung schneller Orientierung eine wirklich
wichtige Sache und wurde in den älteren deutschen Inventaren schwer
vernachlässigt. Einzelnes wäre auch hier noch einer bessernden Revision
zu unterziehen. So z. B. verstehe ich nicht, weshalb die Künstlernamen
nur in der historischen Einleitung, aber nicht im Haupttext durch Sperr-
druck hervorgehoben sind. Auch ist es nicht zweckmäßig, daß öfters Angaben
über Glasgemälde und Deckengemälde in die Baubeschreibung, wieder ohne
Sperrdruck, eingestreut sind, also in einer Rubrik Unterkommen, in der
man sie nicht sucht.
Neu ist die ganz eingehende Behandlung der Privatsammlungen.
Auch im illustrierten Teil nehmen sie einen großen Raum in Anspruch. Ich
halte dies für Übertreibung. Denn der Inhalt dieser Sammlungen hat mit
der lokalen Kunstgeschichte selten etwas zu tun und wird schwerlich lange
Zeit am Orte haften bleiben. Ich will damit nicht sagen, daß die Arbeit un-
getan hätte bleiben sollen; allein ihr richtiger Platz ist in Beiheften, wie ja
ein solches, in Durchbrechung des Systems, für einen einzelnen Fall, für die
Sammlungen des Schlosses Grafenegg, auch schon tatsächlich in Anwendung
gebracht ist.
Auch sonst ist die Malerei, in geringerem Grade die Plastik, im Text
und noch mehr in den Abbildungen stark bevorzugt, während ein großer
Teil der deutschen Inventare, bald aus Sparsamkeit, bald und Öfter aus
weiser Vorsicht, über diese Partien sehr eilig wegzukommen pflegt.
Nun aber das Stiefkind: die Baukunst. Ein Stiefkind in ganz unbegreif-
lichem Maße ! Bereits der Überblick über die Illustrationen zeigt es. Einige
kleine summarische Grundrisse und wenige photographische Ansichten.
Nicht ein einziger Längen- oder Querschnitt in den zwei starken Bänden.
Mit der Rangstellung, die das Werk beansprucht, und den Mitteln, die ihm
zur Verfügung stehen, ist diese bequeme Lässigkeit ganz unvereinbar. Auch
die größte Kunst der Beschreibung könnte für das Fehlende zeichnerischer
Darstellung keinen Ersatz bieten. Dr. Tietzes Kunst ist aber sicher nicht groß.
Seine Beschreibungen sind nicht anschaulich. Mit derselben oder selbst einer
geringem Zahl von Worten ließe sich mehr sagen. Ein Mangel an Klarheit
über das Wesen der Sache zeigt sich von vornherein darin, daß er die Be
Schreibung mit dem Äußern beginnt. Das erste Bedürfnis des Lesers, der
sich einen Bau im Geiste konstruieren will, ist, eine Generalidee vom
Raumbilde zu erhalten. Also mit Angaben über Grundriß und Quer-
schnitt muß begonnen werden. Ich gebe als Beleg ein paar Stich-
proben. In der Beschreibung der Dominikanerkirche in Krems (I, 242)
196
Literaturbericht.
hört man von vier hohen Kreuzgewölben, über die Gestalt des Querschnitts
erfährt man nichts; ist es eine Hallenkirche? ist es eine Basilika? In der
historischen Einleitung wird kurz bemerkt: die Kirche stamme »noch aus
der Übergangszeit und dürfte Ende des XIII. Jahrhunderts gebaut sein«
— aber es fehlt jede Beschreibung der zum Beweis dienenden Formen
oder auch nur die Bezeichnung der Punkte des Gebäudes, wo sie
liegen. — Ich blättere weiter: Pfarrkirche St. Michael in Heiligenstadt
(II 409) »dreischiffige Pfeilerbasilika mit stark erhöhtem, durch ein-
gebauten spitzen Triumphbogen abgetrenntem Chor; das Langhaus
mit Netzgewölben, der Chor mit drei Kreuzgewölbejochen und einem
Abschluß in fünf Seiten des Achtecks.« Dann noch Mitteilung einer
Inschrift von 1510. Das ist die ganze Beschreibung, die durch keinen
Grundriß, keine Innenansicht unterstützt wird und die notwendigsten
stilgeschichtlichen Fragen unbeantwortet läßt. Für ein Inventar, das sich
»möglichst ausführliche Behandlung« zum Ziel gesetzt hat, ist das zu wenig,
auch wenn das Gebäude nach dem (subjektiven) Ermessen des Heraus-
gebers unerheblich sein sollte. — Wie wird das Hauptstück der zwei Bände,
das Schloß Schönbrunn behandelt sein? In der »kunstgeschichtlichen Über-
sicht« bemerkt Dr. Tietze, daß die Geschichte noch sehr im Dunkeln läge,
es müßte eine monographische Behandlung der topographischen Aufnahme
vorangehen. »Daß jene noch so vielfach fehlt, ist eine Tatsache, die kon-
statiert werden muß, so daß wir gezwungen sind, um uns nicht in weitführende
Untersuchungen zu verlieren, unsere Darstellung auf der bisherigen Literatur
aufzubauen und sie nur durch das zunächstliegende archivalische Material
zu ergänzen.« Ich denke nicht daran, aus diesem Geständnis einen Vorwurf
abzuleiten; sehr lehrreich ist aber doch, daß gleich bei dem ersten wichtigen
Fall reichlich Wasser in den Wein des idealistischen Programms hat ge-
gossen werden müssen. Etwas anderes aber war schon heute nicht nur
möglich, sondern unbedingt gefordert: eine anschauliche Darstellung der
Baugestalt. Sie ist ausgeblieben. Die die älteren Planstadien wiedergeben-
den Kupferstichprospekte kennen zu lernen ist interessant, die Dar-
stellung des heutigen Bestandes ist aber gänzlich
ungenügend. Von Abbildungen desselben werden gegeben: zwei
Grundrißskizzen im Formate 15,5 : 5>5 cm, zwei photographische Fassaden-
ansichten als Vignetten von 4,4 cm Höhe und 17 cm Breite. Die zweite
dieser Ansichten (Fig. 128, Gartenfassade) ist mit dem Grundriß absolut
nicht in Einklang zu bringen. Geometrische Darstellungen des Aufbaus
fehlen ganz, nicht ein einziges Profil wird gegeben. Zum mindesten wären
größere photographische Teilansichten mit Leichtigkeit zu beschaffen ge-
wesen. Auch dieses ist nicht geschehen. Nur aus dem Innern weiden einige
Dekorationsmotive beigebracht. Resultat: Unmöglichkeit einer auch nur
Literaturbericht.
197
einigermaßen eingänglichen Auffassung und Würdigung dessen was Schloß
Schönbrunn als Bauwerk ist und bedeutet. Wenn ich nun sehe, daß in
demselben Bande der Inhalt der privaten Sammlungen des Bezirks —
griechische Vasen, römische Emails, niederländische Handzeichnungen,
Porträts des 19. Jahrhunderts — aufs breiteste illustriert ist, so stehe ich
vor einer Verteilung von Kargheit und Verschwendung, deren Prinzip ich
nicht zu enträtseln vermag.
So ist denn auch diese neue, mit so hochfliegenden Vorsätzen begonnene
Kunsttopographie einstweilen nicht frei geblieben von Einseitigkeiten und
Subjektivitäten, Lücken und Schwächen. Von der Kritik der deutschen
Vorgänger ist sie ausgegangen; viele Fehler derselben hat sie einsichtsvoll
vermieden, nicht alle Vorzüge der besten unter jenen erreicht. Da ich
mit meinen Ausstellungen, wie ich glaube, nicht allein stehen werde, möchte
ich hoffen, daß die Redaktion sie für die künftigen Bände in Erwägung
ziehen wird. Dehio ,
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
14
Vitruv und die Renaissance.
Von Fritz Burger.
Unter Einfluß der Naturwissenschaften sind auch in der Geschichte der
Kunst fast alle Zäsuren verschwunden, der Entwicklungsgedanke hat sich
allen Schranken zum Trotz auch hier siegreich durchgesetzt. Man will in
dem romanischen und gotischen Stil längst nicht mehr gegensätzliche Er-
scheinungen, sondern nur mehr eng miteinander verbundene Phasen der Ent-
wicklungsgeschichte der Baukunst sehen, und dasselbe gilt für die antike und
christliche Kunst. Denn statt von altchristlicher Kunst müssen wir heute von
christlicher Antike sprechen und die Wurzel der christlichen Baukunst zum
mindesten teilweise auf kleinasiatischem Boden in spät-hellenistischer Zeit
suchen. IlavTa pst! Um so wichtiger sind uns feststehende Punkte
geworden, wie sie uns große Persönlichkeiten des Altertums zu geben
vermögen, deren Wirksamkeit die Jahrhunderte der christlichen Epoche
der Kunstgeschichte hindurch den Wandel der künstlerischen Anschauungen
überdauert. Sie sind zeugende Kräfte, die in den einzelnen Perioden der
Geschichte die verschiedensten Früchte gezeitigt haben und eben hierdurch
als Wahrzeichen des Verhältnisses der Zeit zur Antike dem Beobachter
eine Art Wertmesser für die Eigenart der Kultur zu liefern vermögen. Solche
Persönlichkeiten sind nicht zahlreich. Vitruv ist eine der wichtigsten und
interessantesten. Was Aristoteles und Plato auf philosophischem, das be-
deutet Vitruv auf künstlerischem Gebiete für die beiden Jahrtausende der
nachchristlichen Zeit. Er ist freilich nicht wie jene einer von den ganz Großen
gewesen, vielmehr vielleicht durch Zufall und Geschick1) als durch geniale
Begabung in den Strahlenkranz der Ewigkeit getreten. Er war mehr der
stellvertretende Vermittler als der flammenzüngige Apostel, durch den
die antike Vergangenheit Zwiesprache hielt mit der jungen Zukunft,
die ihr, der nie alternden, in inbrünstiger Verehrung und Bewunderung
zu Füßen saß. Vitruvs Buch de architectura ist als eines der wenigen
schriftlichen Zeugnisse dieser großen Vergangenheit von den jungen
') S. Äug. Thiersch, Die Proportionen in der Architektur (Handbuch der Archi-
tektur, herausg. v. Durm IV, i, 63), wo auf die richtige Stelle und die Tautologien der
Definitionen aufmerksam gemacht wird.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
15
200
Fritz Burger:
Geschlechtern von Anfang an mit Andacht und lernbegierigem Eifer
studiert worden, und die Originalität seiner merkwürdigen Organisation
hatte stets eine unwiderstehliche Zaubermacht ausgeübt. Das Buch
schien die weisen Sprüche und Regeln zu enthalten, durch die auch das
Geschlecht der Kleingeborenen wieder in die hohen lichten Sphären antiker
Schönheit sich zurückfinden könnte. Hierin liegt wohl der Schlüssel zu dem
Geheimnis der fabelhaften Wirkung, die Vitruvs Schrift auszuüben berufen
war. Von den Zeiten römischer Kaiser an ragt der Geist dieses Mannes über
Karls des Großen Tage und die Renaissance mit den ihm eigentüm-
lichen Anschauungen bis in das 19. Jahrhundert hinein als ein typischer
Vertreter der Theorie auf dem Gebiet des künstlerischen Schaffens, als das
angebetete Urbild der Kunstanschauung der Antike. Weitaus die größte
Bedeutung freilich hat Vitruv für das Zeitalter besessen, das am meisten
ehrfurchtsvoll und verlangend nach den goldenen Tagen antiker Kunstblüte
gesehen und sich als der eigentliche Erbe und Mehrer ihrer Größe betrachtet
hat, die Renaissance! Der Einfluß, den die Vitruvschen Schriften auf sie
ausgeübt haben, hat überhaupt eine symptomatische Bedeutung; denn der
Geist, der sich ihnen hingab, ist dem verwandt, der sie schuf, Vergangenheit
und Gegenwart reichen sich hier die Hand.
Als Vitruv sein Werk verfaßte, beugte sich vor dem Zepter des römischen
Kaisers fast die ganze Welt. Aus dem römischen Stadtstaat war ein riesiges
Reich geworden, an Stelle der Civitas war das Imperium getreten. Das
Nationalbewußtsein der einzelnen Völkerschaften mußte dem Gedanken der
Reichseinheit geopfert werden, und die sich hieraus entwickelnden kosmo-
politischen Tendenzen machten ihren nivellierenden Einfluß nicht nur
auf geistigem und politischem, sondern auch auf religiösem und künst-
lerischem Gebiet geltend2). Überall strebt man nach einer idealen Ein-
heit. Der Erfolg des Christentums beruht eben nicht zum geringsten Teil
darauf, daß es diesen kosmopolitischen Tendenzen entgegenkam und an
Stelle der nationalen Gottheit die weltumfassende Idee der Gotteskindschaft
setzte. Auf dem Gebiete der Kunst ist ideale Einheit gleich der Norm. Die
künstlerische Norm aber fand man nach den wirren Formen des hellenistischen
Barocks in der einfacheren Sprache des fünften Jahrhunderts, und genau wie
eineinhalb Jahrtausende später das napoleonische Kaisertum, so bespiegelt sich
auch hier das Imperium in den feierlich pathetischen Linien strenger, phidiasti -
scher Formenwelt. Nun wurde der Begriff »klassischer Kunst«, »klassisches
Altertum« geprägt als eine Art Protest gegen die individualistischen Ten-
denzen der vorangegangenen Zeit. An Stelle der individuellen Produktion
trat die objektive Reproduktion, an Stelle der intuitiven, gefühlsmäßigen
») S. Handbuch zum Neuen Testament I, 2 die hellenistisch-römische Kultur
v. Paul Wendland.
Vitruv und die Renaissance.
201
die verstandesmäßige Erfassung und Behandlung künstlerischer Probleme.
Das Ideal wurde Gesetz und dies Gesetz wurde durch Vitruvs Schriften für
das Gebiet der Architektur theoretisch formuliert. Jahrhunderte lang galten
sie als das Glaubensbekenntnis antiker Kunst, bis erst in unseren Tagen Wert
und Eigenart der Schrift durch die historische Forschung bestimmt und in
ihr das letzte erstarrte Glied einer unendlich reicheren und vielseitigeren
Kunstentwicklung erkannt wurde. Wir wissen nicht, ob und inwieweit im
Mittelalter vitruvianische Ideen fortlebten. Jedenfalls aber hat gleich der
erste Kaiser, der auf den Trümmern römischer Macht ein neues Reich auf-
gebaut, Karl der Große, zu Vitruvs Schriften gegriffen, und seinem eifernden
Interesse verdanken wir die Erhaltung dieser Schrift. Mit der sinkenden
Kultur scheint auch sie wieder für einige Jahrhunderte der Vergessenheit
anheimgefallen zu sein, bis sie im Jahre 1414 *n der Benediktiner-Abtei von
Monte Cassino neu entdeckt wurde. Das war kein Zufall, denn es bedurfte
des Eifers wie des Verständnisses des Finden Ein neues Zeitalter zog
im Morgenrot der Renaissance herauf. Knapp ein Jahrzehnt vorher
war Donatello und Brunellesco nach Rom gewandert, um nach künstle-
rischen Zeugen des einstigen Weltreiches zu forschen und an ihnen zu lernen.
Selbst die Erde wurde in heißem Wissensdurste aufgewühlt, und wie diese
beiden, so blickte gleichsam das ganze Zeitalter sehnend nach den Wundern
der Vergangenheit. Nun konnte man auch noch in Vitruvs Schriften den
Worten eines Römers selber lauschen, die den Schlüssel zu dem geheimnis-
vollen Reich antiker Schönheit zu geben schienen. Darin lag für die
Zeit der Zauber der 1485 zum erstenmal erschienenen Schriften
Vitruvs. Denn nicht das Griechentum, sondern Roms Pracht und
Macht beherrschte die Phantasie. Das Rom der Kaiser wurde von dem
der Päpste abgelöst. Schon Petrarca hatte ja begeistert an Giovanni Colonna
geschrieben: »Das Rom derWirklichkeit ist mächtiger als das meiner Phanta-
sie, seine Reste sind gewaltiger, als ich erträumte!« Augustus war der Märchen-
kaiser wie Virgil der lorbeergekrönte Dichter des Imperiums, der ja auch
Dante durch die schauerlichen Wunder des Jenseits schützend geleitete.
Annähernd zur selben Zeit hatten Flavio Biondo und Poggio Bracciolini ihre
Studien der antiken Denkmäler und Schriftsteller in Rom begonnen. Das
didaktische Element der Zeit war für alles Theoretische ganz besonders
empfänglich, und unterweisende Tendenzen treten schon in den I^ommentarien
des Ghiberti auf 3). Dazu kommt allgemein die auch in der Literatur, be-
sonders der humanistischen, sich stark fühlbar machende formalistische
Tendenz. Auf formale Bildung ging ja schon die Frührenaissance aus,
und sie bildete gegenüber dem Individualismus bezw. seinen Auswüchsen
3) Frey, II codice Magliabechiano 1892. Einleitung.
15
202
Fritz Burger:
eine Art passive Resistenz in der künstlerischen Entwicklung, bis schließlich
in Künstlern wie Fra Bartolomeo und Raffael das Formale das Übergewicht
bekam und die Hochrenaissance aus der Wiege gehoben wurde.
Dies muß man sich vor Augen halten, will man den Einfluß Vitruvs
schon bei Brunellesco und besonders bei A 1 b e r t i verstehen. Dazu
kam, daß universalistische Ideen, von denen ja auch Vitruvs Buch durch-
drungen ist, schon frühzeitig in der Renaissance auftauchen. Pico della
Mirandola glaubte an eine einheitliche Ordnung der Schönheit der Welt im
Wissen. Aber dies und das eifernde Interesse gegründet auf die Verwandt-
schaft des Fühlens ist’s nicht allein, das den tiefgehenden Einfluß Vitruvs
auf die Renaissance erklären könnte. Die wissenschaftliche Fundamentierung
künstlerischer Probleme war in dem Hauptherde der Renaissance, in Florenz,
vielleicht der wichtigste Faktor für die Entwicklung der Kunst. Am nach-
drücklichsten trat sie vielleicht gerade bei dem Altmeister der Renaissance-
baukunst Filippo Brunellesco auf. In seinen Schöpfungen beginnt die
Antike mit einem Schlage sich durchzusetzen. Die Säule tritt wieder
an ihren alten angestammten Platz: in die Vorhalle des Tempels und
wird das Grund- und Leitmotiv aller baulichen Ideen. — Darin liegt nicht
allein die Bedeutung Brunellescos in diesem Zusammenhang. Das wichtigste
ist, daß Brunellesco den Versuch machte, die traditionelle Empirie auf
den Boden der Wissenschaft zu stellen, d. h. also die praktische Erkenntnis
zu erweitern und wissenschaftlich zu vertiefen. Der klassische äußere
Ausdruck für diese harmonische Durchdringung wissenschaftlicher und
künstlerischer Elemente war die Kuppel des Domes von Florenz, in dem
die sieghafte Überwindung statischer Schwierigkeiten zugleich einer un-
übertrefflichen künstlerischen Form- entspricht. Wieweit freilich geniale
Intuition hier von der Empirie und wissenschaftlicher Erkenntnis zu trennen
ist, wird niemals entschieden werden können. Das bauliche Geschick Brunel-
lescos beruht wohl doch zum größeren Teil auf »praktischer Aktualität«, die
er während seiner Studienzeit in Rom und beim Entwurf der Kuppel ent-
faltet hat. Jedenfalls ist auch bei Brunellesco — und das ist der hier nicht
genug zu betonende springende Punkt — die Statik noch mehr oder minder
identisch mit der »schönen« Proportion. Eine statische Berechnung aller
Bauglieder ist unter Einwirkung des Eisens und der Trennung. von Ingenieur
und Architekten eigentlich erst in unserem bezw. dem vorigen Jahrhundert
allgemein üblich geworden. Darin liegt vielleicht überhaupt eines der tiefsten
Probleme der Baukunst begründet, daß eine Sehöpfung wie die Kuppel von
Santa Maria del Fiore aus einem fein ausgeprägten statischen Instinkt
hervorgegangen ist, der aber dabei auch notwendig das Künstlerische zu-
gleich treffen mußte. Konstruktion und Dekoration durchdringen sich
nicht nur, sondern sind überhaupt ein und dasselbe. Man lese nur die Be-
Vitruv und die Renaissance.
203
gründung, die Brunellesco für die Doppelkuppelform angibt. Der Größe der
Tat Brunellescos wird man sich aber erst dann voll bewußt, wenn man sich
klarmacht, daß er gleichzeitig mit souveräner Sicherheit die antike Form
in den Dienst seiner Ideen stellt. Man könnte sich wohl denken, daß diese
Zeit auch ohne Vitruv zu dem gekommen wäre, zu dem sie gekommen ist,
insofern eben die Statik oder besser die konstruktiven Probleme einer theo-
retischen Festlegung bedurften, die aber zugleich auch eine theoretisch-
aKademische Fixierung der Proportionen sein mußte. Daß Brunellesco
die grundlegenden Gesetze der Mechanik kannte, hat damit wenig zu tun.
Brunellesco muß spätestens im Jahre 1435 mit den Schriften Vitruvs
bekannt geworden sein, da ihm Leo Battista Alberti die in diesem Jahre fertig:
gestellte Schrift »della pittura« widmet, die die Kenntnisse eines Teiles der
Bücher Vitruvs voraussetzt. Daß Brunellesco selbst die Schrift Vitruvs schon
vorher gekannt habe, ist mit Rücksicht auf dessen beschränkte Sprach -
kenntnisse, wie Fabriczy nachgewiesen hat 4), unwahrscheinlich, und deshalb
hat auch dessen Lehre erkennbaren Einfluß auf ihn nicht ausgeübt, trotzdem
er gewissen Tendenzen des Buches durch die Art seiner Kunstübung
schon verwandt gewesen sein mußte. Aber dieser Konnex von Künstler -
und Literatentum, von Theoretikern und Praktikern ist bezeichnend für die
damalige Zeit, und aus diesem Zusammenhang erklärt sich die wunderbare
Logik, mit der sich die künstlerische Blüte hier auf allen Gebieten entfaltet,
erklärt sich aber auch der Erfolg, den Leo Battista Alberti mit seinem wesent-
lich auf Vitruv fußenden Buche »ordini architettonici« nun in ganz Italien
erzielen konnte. Was Wunder, daß man nun, nachdem man in Brunel-
lescos Bauten die Antike neuverjüngt aus dem Schutte hatte erstehen sehen,
d i e Antike, in der das rasch erstarkte Nationalitätsgefühl so gerne die
eigentliche Heimatkunst der verhaßten deutschen Gotik gegenüber
erblickte, mit wahrer Gier sich auf ein Buch stürzte, das die Geheimnisse
antiker Kunstschönheit in klar gefaßten Regeln zu offenbaren schien.
Damit begann mit den schwachen Anfängen in Cennino Cenninis
Schriften die erste Spaltung zwischen Theorie und Praxis,
das erste Zeichen zum Kampfe zwischen nüchternem, erwägendem Verstände
und freier, individualistischer Entfaltung künstlerischer Instinkte, ein mit
Notwendigkeit in bestimmten Perioden der Kunstgeschichte auftretender
Gegensatz, der von da ab für die Geschichte der italienischen Kunst be-
sondere Bedeutung gewinnt. Aber indem Alberti Vitruv sich zum Muster
nimmt, unterscheidet er sich doch prinzipiell von dessen Anschauungen.
Alberti müßte nicht der Sohn der Renaissance gewesen sein. Ist er
doch, wie Voigt sagt, gleichsam das geistige Produkt einer Ahnen-
4) Fabriczy, Brunellesco.
204
Fritz Burger:
reihe, die seit zwei Jahrhunderten die florentinische Luft geatmet.
Mit Vitruv erkennt Alberti die ästhetischen Grundlagen der Architektur
in der Geometrie, Optik und Mechanik. Es ist merkwürdig zu sehen,
daß inmitten der bunten, in Farben und Formen schwelgenden Pracht
des Quattrocento ein Theoretiker mit geometrischen Ornamenten als
den Symbolen der »reinen« Philosophie, die Wände dekoriert sehen
will. Schon hierin gibt sich deutlich genug der Einfluß des Vitruv
zu erkennen.. Wie dieser, so weist auch Alberti immer und immer wieder
den Baumeister auf die Natur hin, beide verlangen Universalität des
Wissens und Könnens und bei beiden nimmt der Künstler die höchste soziale
Stufe ein. Vitruv meint, indem er das regelmäßige und unregelmäßige
Mauerwerk vergleicht, das erstere sei allein das schöne, und wenn der Palazzo
Rucellai wirklich von Alberti ist, dann war er der erste, der analog den Regeln
des Vitruv an Stelle der unbändigen, gewaltigen Blöcke, die Brunellesco in
den Mauern des Palazzo Pitti aufeinandertürmte, regelmäßige, geschliffene,
von feinen Pilastern gegliederte Quadern setzte,. Der Verstand begann
hier schon ernüchternd, freilich auch klärend, auf die junge, über-
schäumende Kunst einzuwirken. Durch den Einfluß des Vitruv tritt der
Akademismus in seinen ersten schwachen Anzeichen zweifellos schon
bei Alberti auf, beide eifern ja auch gegen jeden Überschwang und
jedes Protzentum in der Baukunst. Nur durch die zügelnde Macht des Ver-
standes ist die Eurhythmie des Gebäudes zu erreichen. Dagegen sind bei
Alberti Ausführungen über Form und Proportionon der Räume viel um-
fangreicher. Er geht auf das Problem der Raumgruppen, die verschiedenen
Konfigurationen von Räumen sehr detailliert ein, das Bewußtsein,
daß Architektur Kunst des Raumes und der körperlichen Massen ist,
kommt hier viel energischer zum Durchbruch 5). Aber Alberti bleibt,
und das ist der nicht genug zu betonende Grundunterschied in der An-
schauungsweise der beiden großen Theoretiker, streng noch in der natio-
nal florentinischen Kunst befangen, während das Auge des Schriftstellers
der römischen Kaiserzeit über die Welt hinschweift. Vitruv ist Kosmopolit.
Alberti konnte das nicht sein, denn er stand eben noch teilweise auf
dem Boden des »Quattrocento«, trotzdem er in seinen Bauten die Hoch-
renaissance einleitet und der eigentliche Vater der »vitruvianischen Aka-
demie« des 16. Jahrhunderts gewesen ist. Daher auch manches Ungegorene
und Widerspruchsvolle in seinen Schriften. Obwohl er gegen alles Barocke
eifert und in Zahlen die Ordnungen und Regeln antiker Kunstweisen
aufstellen will, meint er doch, erst vom Maler habe der Baumeister seine
5) Daß es sich hier mehr um das Postulat eines Gedankenbildes handelt, ist
klar. S. Burckhardt, a. a. O. 89. Palladio hat diese Ideen theoretisch und praktisch
fortgebildet.
Vitruv und die Renaissance.
205
Säulen und Gebälke kennen gelernt, während Vitruv die Malerei zur Hilfs-
kunst der Architektur herabdrückt. Hier treffen die Gegensätze des freien,
malerischen, individualistischen Stiles und der strengen, akademischen Regel
in einer Person aufeinander. Symmetrie fordert Vitruv; einer freieren
malerischen Auffassung huldigt Alberti. Er meint: Nicht eine Linie
soll das Ganze beherrschen, da gewisse Teile schöner seien, wenn sie
groß, andere wenn sie klein sind, die einen, wenn sie in geraden
die anderen, wenn sie in geschwungenen Linien verlaufen. Daher
kann Alberti sich auch ein Bauwerk nur in der entsprechenden land-
schaftlichen Umgebung denken. Seine Bauwerke, die Vertreter der
Praxis, strafen freilich seine Theorie Lügen. Dagegen hat er dem theo-
retisch geforderten, proportionellen Rhythmus, seiner berühmten »con-
cinnitas«, derzufolge man ohne Schaden für die Wirkung des Bauwerkes
nichts hinzu-, nichts hinwegnehmen dürfe, auch in der Praxis Rechnung
getragen. — Alberti verlangt eine malerische Stadtanlage unter Ver-
meidung geradliniger Straßenzüge genau wie in unserem individua-
listischen Zeitalter. »Die Stadt wird größer (!) erscheinen, die Häuser
sich allmählich und abwechselnd dem Auge darbieten, der Schatten
nie ganz fehlen, der Wind gebrochen, die Verteidigung gegen die Feinde
leichter sein.« Vitruv verlangt nach dem Vorgänge des Hippödamos von
Milet eine regelmäßige Anlage der Stadt nach den Himmelsrichtungen
und zwar so, daß die Winde durch die Häuser abgehalten werden. Das
Technische hat bei ihm also hier den Vorzug gegenüber dem Ästhe-
tischen. Mit überraschender Schärfe ist in Vitruvs baukünstlerischen
Anschauungen auf die anthropomorphen Grundlagen des architektonischen
Schaffens hingewiesen6), stellenweise versucht er sich sogar zu einer
universellen Ästhetik durchzuringen, indem er auf die Gemeinsamkeit der
Künste und der Natur hinweist, ein Standpunkt, der von Alberti
nur äußerlich übernommen wurde. Nicht minder überraschend ist Vitruvs
Rationalismus in der Baukunst, wie er sich nicht annähernd bei Alberti
findet. Das Material, das die Örtlichkeit aufweist, soll nach Vitruv
den Bau und damit den Stil bestimmen und das Klima, riecht
minder der Zweck des Ganzen berücksichtigt werden, der zugleich
(und hier erscheint uns Vitruv als ein ganz moderner Ästhetiker) in dem
6) Ähnliches findet man dann später sehr energisch und freilich allzu gegen-
ständlich ausgedrückt bei dem Biographen Brunellescos Antonio di Puccio Manetti, der
jm Grundriß der Basilika die Gestalt eines am Boden ausgestreckten Menschen wieder-
zuerkennen glaubt, auch bei Filarete wird dann von der Verwandtschaft der Gebäude
mit dem menschlichen Leib gesprochen. Francesco di Giorgio Martini sagt im 4. Kap.
des 4. Buches seines Architekturtraktates „che le proporzioni dei templi sono dedotte
da quell’ uomo“.
20Ö
Fritz Burger:
Äußeren des Werkes gleichsam psychisch zum Ausdruck kommen soll.
Für das Heiligtum des Mars und Herkules fordert er nämlich dotischen Stil,
für Venus und Proserpina korinthischen, während Juno und Diana durch
einen jonischen Bau geehrt werden sollen. Bei Alberti findet sich
naturgemäß nichts von dieser universellen, kosmopolitischen Ästhetik
des Vitruv.
Auch von einem streng historischen Standpunkt, wie ihn Vitruv in
dem sehr lesenswerten Vorwort zum 7. Buche einnimmt, worin er auf die
Beachtung des in der Vergangenheit auf theoretischem und praktischem
Gebiete Geleisteten hinweist, kann bei Alberti keine Rede sein. Vitruv
betont damit die Entwicklung der Kunst, die Tradition. Bei Alberti
sind /die Bauformen gesetzlos und wandelbar, wie es jedem beliebt.
Ja, er empfiehlt direkt den Bruch mit der Tradition, was sich bei ihm als
Quattrocentisten wohl begreifen läßt. Auch hier trifft sich der indivi-
dualistische, freiheitliche und der akademische Standpunkt, wie
andrerseits die national eng umschriebene Renaissancekunst und die
kosmopolitische römische. Für Vitruv liegt die Schönheit in den
zahlenmäßigen Verhältnissen; Aiberti übernimmt dies wohl, aber mit
dem wichtigen Zusatz, daß ein unergründliches Etwas erst das Künstlerische
ausmache; Quid piam, quod quäle ipsum sit, non requiro! Ist ja auch das
Urteil nach ihm eine »soluta et .vaga opinio«. Von den zeitgenössischen
Architekten Vitruvs, von all den genialen Baumeistern des Pantheons, der
Konstantinsbasilika wissen wir nichts. Bei Alberti ist der ganze Zweck des
Bauens eine Verherrlichung des Baumeisters, und er selbst wünscht, daß, wer
auch immer von ihm lerne, ihn durch sein Portrait an seiner Schöpfung zum
Danke verewigen soll. Außerordentlich interessant ist daher auch der Tadel,
den Alberti über das gotische Kircheninnere ausspricht. Denn die hervor-
gerufene andächtige Stimmung hindere den Beschauer, auf die Schönheit
des Baues und die Verdienste des Architekten zu achten. Wer das Innere
der Pazzikapelle in Florenz mit offenen Augen betritt, begreift, woher
diese Anschauungen kommen. Die ornamentale Überladung mit Heiligen-
bildern, Teppichen usw. hatte man bis zum Überdruß satt, aber nicht
nur der Sache, sondern auch (und das ist eben bezeichnend) der Person
wegen. Hier kommt die ganze, unersättliche Ruhmessucht der Renaissance,
der natürliche Ausfluß der freien, individualistischen Tendenzen der Zeit
elementar zum Durchbruch. Alberti war der Florentiner Renaissance -
Aristokrat, der vom Schreibtische aus den Baumeistern seine Pläne dik-
tierte; den Bau selbst auszuführen, war unter seiner Würde. Nach seiner
Meinung ist der Baumeister eine über alles erhabene Künstlernatur, wie er
selbst sagt, ein Staatsweiser, und wer die Kuppel Brunellescos oder
Michelangelos besteigt, der gibt Alberti recht.
Vitruv und die Renaissance.
207
Vitruv blieb auch in dieser Beziehung rationalistisch. Er weiß von
dieser Vergötterung des Künstlers nichts. Er legt Gewicht auf die Kon-
ventionalstrafe und die Einhaltung der Baukosten, für die der Baumeister
mit der Einlage des Vermögens haften soll. Ganz im modernen Sinne fällt
Künstler- und Unternehmertum bei ihm schon zusammen. Nicht uninter-
essant ist auch das Verhältnis beider Schriftsteller zu den Leibesübungen..
Hier der Widerwille des Römers gegen die verrohte Gladiatoren-Athletik —
eine die christliche Askese vorbereitende Erscheinung — dort das ganze jugend-
liche Kraftbewußtsein des Quattrocento mit seiner Sehnsucht nach dem
vollendet durchgebildeten nackten Körper und den Heroen giechischer Pa-
lästra. Zu dem ästhetisch-wissenschaftlichen Element des Vitruv kommt
bei dem Humanisten A 1 b e r t i zugleich das ethische, der schöne
Leib beherberge auch eine schöne Seele, einen scharfen Geist, einen sittlichen
Willen. Ethik und Ästhetik bedingen sich bei Alberti gegenseitig. Vitri^v
bleibt hier nur am äußerlichen Eindruck, am Ästhetischen der Form
stehen. — Der »ratio formitatis, utilitatis, venustatis« des Vitruv entspricht
die »Formitas, salubritas, convenitas« des Alberti, die beide bei der
Anlage eines Bauwerkes fordern.
Der Eindruck des Buches Albertis in Italien schien doch sogleich ein
ungeheurer gewesen zu sein, und schon Ugolino begrüßte in seinem Buche
de illustratione urbisflorentiae Alberti mit dem passendsten Verse: »Nec minor
Euclide est Albertus vincit ipsum Vitruvium«, noch Rabelais stellt ihn
als gleichbedeutend neben Vitruv. Der Einfluß Albertischer Ideen macht sich
natürlich theoretisch wie praktisch sogleich in Florenz selber geltend.
Zunächst sind die sei’s mittelbar oder unmittelbar mit Alberti zusammen-
hängenden Bauten wie der Palazzo Rucellai zu nennen, dessen mutmaßlicher
ausführender Architekt Bernardo Rossellino die Papststadt Pienza ganz im
Geiste jener neuen Theorien erbaute, wobei die Säule das Grundmotiv der
Dekoration auch für die Kirchenfassade bilden sollte. In der Theorie hat der
Florentiner F i 1 a r e t e die Gedanken Albertis aus der klaren Luft
sachlicher Theorien in die nebelhafte Sphäre einer märchenhaften Phantasie
geführt und sein Buch in ein novellistisches Gewand gekleidet. Er ist zwar
ein »Gesinnungsgenosse« Brunellescos und Albertis, aber er bleibt doch mehr
auf der Oberfläche haften, wie er ja selbst die fruchtbaren Gedanken praktisch
nicht zu verwerten verstand, ein rechtes Kind seiner Zeit, das sich dem
Wirrsal der Anschauungen nicht zu entwinden vermochte.
Bezeichnenderweise am frühesten fanden die Albertischen Ideen in Rom
Eingang. In Italien hatte am Ende des 15. Jahrhunderts sich die individua-
listisch-malerische und die akademisch -klassizistische Richtung zu zwei
Extremen herausgebildet, und es war nur Logik der Entwicklung, wenn
Alberti in dem Francesco Polifilo der Antipode erstand, der in seinem archi-
208
Fritz Burger:
tektonisch -allegorischen Roman Hypnerotomachia einer märchenhaften
Phantastik das Wort redete 7), die auch in den Gemälden der Zeit und teil-
weise einer Reihe dekorativ architektonischer Schöpfungen, wie etwa denen
Benedetto da Majanos ihre Triumphe feierte. In seiner Mediceerkapelle
redet Michelangelo in der Architektur wie Plastik eine ganz persönliche
Sprache. Er hat wie keiner vor ihm der Architektur den Stempel der
Persönlichkeit aufzudrücken verstanden. Sie ist nur Dienerin seines
Willens, das gefügige Wachs in den eigensinnigen Händen des Genius. Aber
das scheinbar Willkürliche, Regellose trägt doch noch das Gesetz in sich.
Michelangelo war der Antipode der Vitruvianer, aber doch einer, der Vitruv
mit der Achtung des Meisters vor dem Meister gegenübergestanden hat.
In einem Briefe vom 7. Dezember 1532 schreibt der Kanonikus Giovanni
Norchiati an Michelangelo, daß er mit seiner Vitruv -Übersetzung beschäftigt
sei und nach Rom zu gehen beabsichtige, um die antiken Bauten für seinen
Kommentar zu studieren. Michelangelo hat ihn hierbei unterstützt* 8).
Und wer Michelangelos kapitolinischen Bau aufmerksam betrachtet, wird
finden, daß er in der Durchführung der Säulen durch beide Geschosse und der
beherrschenden Stellung des bekrönenden Gebälkes in der Gesamtlage mit
Palladianischen Bauten nicht allzusehr kontrastiert.
Am nachdrücklichsten, zugleich am faßbarsten, machen sich die Wir-
kungen Vitruvianischer Lehren an Bramantes Kunst geltend. Das darf
freilich nicht mißverstanden werden. Die Einwirkungen Vitruvs sind in
ihrer Art bei Alberti und Bramante zum Teil sehr verschieden. Das lag in der
Natur der Sache.
Man wird finden, daß die Künstler der Renaissance, die von Vitruv bezw.
Alberti ausgehen, eine Reihe von Eigentümlichkeiten in ihrer Kunst auf-
weisen, durch die sie bis zu einem gewissen Grade in Gegensatz zur Früh-
renaissance treten. Zunächst werden die Formen kräftiger, monu-
mentaler, die Proportionen, namentlich in den Gesimsen feiner und
richtiger abgewogen. Dazu kommt eine Vorliebe für die Säule. Die Be-
deutung, zugleich aber auch die Gefahr der Vitruvianischen Lehren, wird
durch nichts deutlicher als durch einen Vergleich der Fassade der Pazzi-
kapelle Brunellescos in Florenz mit der von Sant’ Andrea in Mantua, die
Alberti entworfen hat. Hier die feinsinnige, vom Zweck geborne Anlage,
freilich nicht ganz frei von proportioneilen Fehlern und jener zauberischen,
kindlichen Befangenheit der erwachenden Kunst; dort eine, wie Burckhardt
sich ausdrückt, erzwungene, griechische Tempelfront, der mit ihren Säulen
7) S. Burckhardt, Gesch. d. Renaissance in Italien, 1891, 46 ff.
8) Siehe Thode : Michelangelo und das Ende der Renaissance, I. 424. Frey, Briefe
334. Bemerkenswert ist, daß Michelangelos Marmortechnik auffallend immer mit der
Lehre Albertis übereinstimmt. Quellenschrift f. Kunstgesch., Bd. XI, S. XXXIV.
Vitruv und die Renaissance.
209
und Giebeln jeder rationale Bezug zur drei -schiff igen Anlage der Kirche
fehlt. Man sieht deutlich, wie Vitruv von Alberti mißverstanden wurde.
Verlangte doch der Römer, daß der Zweck die Form geben soll, daß
die Art des Inneren im Äußeren sich auszudrücken habe. Bei Alberti war
eben noch die klassizistische Form die Hauptsache, und als Quattrocentist
zerbricht er sich über den inneren Organismus des Bauwerkes nicht den Kopf
und dies trotz des klar ausgesprochenen Strebens nach einer strengen,
organischen Einheit der Fassade.
Bramante dagegen ist nicht nur künstlerisch, sondern auch in seinem
Verhältnis zu Vitruv ein anderer. Der Tempietto, den er im Aufträge des
spanischen Königs auf San Pietro in Montorio errichtete, erscheint wie ein
freies Gedicht in Marmor auf die Prosa Vitruvs im achten Kapitel des vierten
Buches, in dem er über die Peripteroi der Rundbauten spricht. Zum ersten-
mal erscheint die dorische Ordnung des Gebälkes hier in reiner Form,
nachdem sich das ganze Quattrocento von den eigensinnig steilen Linien des
Triglyphenfrieses mit auffälliger Scheu ferne gehalten hat. Durch die Ein-
wirkung des Vitruv begann man in der Verwertung antiker Vorbilder kritisch
zu werden, und jene wundersamen architektonischen Dekorationen, die die
Architekturen des Marzuppini -Grabmals in Santa Croce zierten, wurden nun
durch den historisch-kritizistischen Geist verdrängt. Zu diesen hierin
epochemachenden Persönlichkeiten gehört Bramante. Doch darf man
gerade bei ihm den Einfluß vitruvianischer Ideen nicht überschätzen.
Bramante hat in seinen Arbeiten in Mailand, voran in San Satiro dem
volkstümlichen Geiste norditalienischer Renaissance-Architekturen reich-
liche Konzessionen gemacht. Allgemein gesprochen ist freilich in diesem
Einleben des Urbinaten in eine ihm doch relativ fremde Formensprache, eine
Überschreitung der nationalen oder besser lokalen Grenzen der Kunst zu
erkennen. — In dieser Hinsicht ist ihm nun derjenige, der zumeist als Bra-
mantes Schüler gilt, Lionardo da Vinci, durchaus verwandt.
Als Lionardo sich um das Kuppelprojekt des Mailänder Domes bewarb,
hat er nicht, wie die zeitgenössischen und späteren Baumeister in naiver
oder wenn man will, roher Weise, neben den Formen der Vergangenheit,
rücksichtslos und unvermittelt, die eigenen baulichen Absichten in seinem
Kuppelbau verwirklicht, sondern der gotischen Architektur sich bedient, und
die Form nur mit Rücksicht auf die Umgebung erdacht. Wie so vieles,
hat Lionardo auch einen Traktat über die Architektur geplant. Leider
ist dies fast das einzige, was wir darüber wissen. Immerhin können wir aus
der Tatsache, daß Lionardo in fast all seinen Traktaten von Alberti bis zu
einem gewissen Grade abhängig ist, schließen, daß er auch in der Theorie
der Baukunst Albertis Ansichten nahe stand. Doch hätte er sicherlich in
seiner Bau-Ästhetik den historischen Standpunkt ähnlich wie Vitruv mehr
2 10
Fritz Burger:
betont; denn als Forscher wollte Lionardo nicht, wie Alberti, den Bruch
mit der Vergangenheit.
Lionardo war Architekt und er rühmt sich dessen wiederholt. Von
einer wissenschaftlichen Disputation vor dem Herzog von Mailand heißt es,
daß ihr »der scharfsinnigste Architekt und Ingenieur und neuer Sachen
kundige Erfinder Lionardo beigewohnt habe«.
Von Lionardos Architekturtheorien wissen wir freilich nichts. Daß die
in den einzelnen Codices in Mailand, Paris und London erhaltenen Skizzen
die engste Verwandtschaft mit den Skizzen Bramantes besitzen, will deshalb
nicht viel sagen, weil es sich hier zumeist um mailändische Bauten handelt,
bei denen die traditionellen Formen berücksichtigt erscheinen. Dazu sind
die Zeichnungen zumeist so flüchtig und klein, daß wir von Detail und Propor-
tionen keine Vorstellung erhalten. Immerhin nahe genug muß er als Archi-
tekt Bramante gestanden haben. In einer seiner flüchtig hingeworfenen
Notizen, in denen er durch Worte ein Historiengemälde zu skizzieren scheint,
kennzeichnet er die Architektur mit den Worten »Gebäude des
Bramante«.
Da wenige Jahre, nachdem Vitruvs Bücher im Drucke erschienen, der
Freund Lionardos, Luca Pacioli, nach dem Muster des Römers, sein Werk: »De
divina proportione« herausgibt, kann jedenfalls kein Zweifel darüber bestehen,
daß Lionardo mitVitruv bekannt war und auch von seinen Theorien beeinflußt
wurde. Wie weit, entzieht sich zunächst noch unserer Kenntnis. Wie Vitruv,
so macht auch Lionardo Vorschläge zu Stadtanlagen, und wie bei diesem,
beherrscht das praktisch -technische Moment ganz seine Ideen. Von den
malerischen Stadtanlagen des Alberti hören wir nichts mehr. Aber von
Trottoirs, Kanalisierung, Gruppierung der Häusertrakte nach der praktischen
Seite usw., und wenn Lionardo seine Ideen hätte verwirklichen können, wäre
ein Städtebild entstanden, das der modernsten deutschen oder ameri-
kanischen Stadt recht ähnlich hätte sehen müssen. Freilich Schematismus
und Akademismus wies Lionardo weit von sich.
Weit mehr als dieser Riesengeist gehört Raffael dem Kreise
jener, von Vitruv ausgegangenen, theoretisierenden, antikisierenden Rich-
tung an. Er muß mit Bramante als der eigentliche Klassiker der freieren
Richtung derselben betrachtet .werden. Der Tempietto, der ebenso wie auf
der analogen Schöpfung Peruginos, auf dem Sposalizio Raffaels im Hinter-
gründe erscheint, geht möglicherweise auf die Intentionen Luciano da
Lauranas zurück, mit dessen Kunst dieses noch etwas zierliche Bauwerk die
innigste Verwandtschaft hat 9).
9) In die Anschauungen, die am urbinatischen Hofe über baukünstlerische
Probleme herrschten, ist der bekannte Brief Federigos vom Jahre 1468 bezeichnend:
Vitruv und die Renaissance.
211
Erst in Rom kommt Raffael ganz unter den Bann Bramantes des
großen Schülers Lucianos. In der Predigt Pauli in Athen kopiert er fast den
Tempietto des Bramante und in der wundervollen Halle der Schule von
Athen in denStanzen des Vatikans läßt er mit dem Pinsel die Ideen Bramantes
für Sankt Peter vor unseren Augen erstehen. Ähnliches gilt natürlich auch von
seinen Palästen, voran der Fassade des ehemaligen Palazzo dell’ Aquila in
Rom. Er war der erste Generalkonservator der antiken Monumente Roms,
die man bis dorthin mit unglaublichem Vandalismus behandelt hat.
Die wissenschaftliche Schätzung der in Trümmer geschlagenen Kunst-
werke ging mit der Wertschätzung und dem Studium der theoretischen
Schriften des Vitruv Hand in Hand. In einem Briefe führt Raffael selbst an,
was er dem römischen Schriftsteller verdanke. Es war kein Zufall, daß
dieser Brief aus dem Jahre 1514 an den Grafen Castiglione, den Theoretiker
des gesellschaftlichen Lebens gerichtet war. »Ich möchte gerne die
schönen Formen der antiken Gebäude wiederfinden, weiß aber nicht, ob mein
Flug nicht ein Icarus-Flug sein wird; Vitruv gibt mir viel Licht, aber nicht
so viel als genug wäre I0).« Wie uns Calcagnini berichtet, hat sich Raffael von
Fabio Calvi den Vitruv übersetzen lassen, wobei es in den daran sich
knüpfenden Disputationen trotz aller Begeisterung freilich auch nicht an
Widersprüchen gefehlt hat. Raffael fühlte sich eben noch stark auf dem
Boden eigener Kunst.
P e r u z z i plante eine Herausgabe der antiken Denkmäler Roms und
nach Vasari entwarf er den Dom von Carpi nach den Regeln des Vitruv.
Inzwischen war die Kunst in Italien allerorts zur höchsten Blüte ge-
langt. Rom war das Erbe der florentinischen Kunst zugefallen und der
Glanz der ewigen Stadt überstrahlte zum zweitenmal die Welt. Das mußte
in erster Linie die lokale Kunst büßen, an der Italien im Quattrocento so
unendlich reich war.
Rom zog alle Künstler an, und von Rom aus zogen sie mit römischen
Ideen wieder hinaus. Die Kunst war ebenso wie das Denken kosmo-
politisch geworden. Im Jahre i486 hatte Pico della Mirandola noch in
Rom seine denkwürdige Rede von der Würde des Menschen gehalten. Der
Mensch in seiner Schönheit und Würde stand im Mittelpunkt der Betrachtung,
und noch in Lionardo klingt diese berauschende Lehre von einem antiken
Gottmenschentum nach. »Der Mensch kann alles aus seiner
»Die Architektur ist gegründet auf Arithmetik und Geometrie, welche zu den vor-
nehmsten unter den sieben freien Künsten gehören, weil sie den höchsten Grad von
Gewißheit in sich haben.« Gaye, Carteggio, I, 214 vgl. 274.
10) »Vorrei trovare le belle forme degli edifizi antichi, ne’ so se il volo sara
d’ Icaro. Me ne porge una gran luce Vitruvio, ma non tanto che basti, « Bottari,
lettere pittoriche, I, 52.
2 12
Fritz Burger:
K r a f t.« Nun weitet sich der Blick und Geist, man erkennt die großartige
Einheit des Universums, die Unbegrenztheit von Raum und Zeit. Durch die
Entdeckung des Kopernikus tritt die Erde und mit ihr der Mensch aus der
ihr zugewiesenen Stellung heraus. Die alte Weltanschauung stürzt und
Giordano Bruno ist der erste, der die ästhetische Harmonie des nun zum
Unendlichen erweiterten Weltganzen erkennt. In ihm erhält der Neuplato-
nismus der römischen Kaiserzeit eine neue Form. Über die Individuen und
die Nationen hinweg schreitet der Kosmopolitismus, und wie Wissen-
schaft und Philosophie, nahm auch die Kunst ein kosmopolitisches
Gepräge an, für das naturgemäß das geistige und künstlerische Zentrum
der Welt, Rom, tonangebend blieb. Man ging vom Humanismus zur
Wissenschaft über und in diesem Augenblick wird. Vitruv
zum Dogma erhoben.
Der Zeitgeist drängte von selber dazu, nach einer allgemeinen, fest-
stehenden Formel für die Kunst zu suchen. Im »Cortigiano« wurde die Norm
für Anstand und Sitte gefunden. Wie in der Philosophie auf Plato und
Aristoteles, so griff man auch auf dem Gebiete der Baukunst zu dem
Vorbild, das ja ohnedies seit langem die Geister beschäftigt hatte, Vitruv.
Auf dem Gebiet der Baukunst tat man das gleiche wie in der Dichtkunst,
indem man von der mehr individuellen Reproduktion zur Imitation
überging.
Ins Jahr 1521 fällt die Übersetzung Vitruvs von Cesare Cesariani, 1536
folgte die von Giambatista Caporali. Im Jahre 1542 endlich erfolgte die
Gründung der vitruvianischen Akademie, in der nun bezeichnenderweise
nicht die Künstler, sondern Gelehrte und Humanisten die führende
Rolle spielten. Wie Claudio Tolomei berichtet, war beabsichtigt,
nicht nur die antiken Bauten Roms, sondern ganz Italiens neu aufzunehmen.
Mit der dogmatischen Verehrung der Schrift ging notwendigerweise auch
die der Kunst Hand in Hand, und dies antiquarische historische Interesse
schmiedete den Dolch, der der nationalen Kunst den Todesstoß versetzen
mußte. Der vitruvianische Text ist Gesetz geworden, von dem abzuweichen
man für Sünde hält. Hand in Hand damit geht das Erwachen des historisch -
philologischen Geistes. Man hat Vergleiche darüber anzustellen be-
schlossen, inwieweit die antiken Bauten mit den Lehren Vitruvs tatsäch-
lich übereinstimmen. Freilich war man naiv genug, zu glauben, daß diese
Riesenarbeit in drei Jahren vollendet sein könnte. Grollend erhebt da
Michelangelo sein Haupt. Er ist aus anderem Gusse. Dem individualisti-
schen Gewaltmenschen, der über das Erbe Donatellos wachte, war dies
Treiben ein Greuel. Er wollte mit seiner Faust, wie er sagt, die Ketten und
Schlingen wieder zerreißen, welche man hier der Baukunst anzulegen sich
bemühte. Denn er für seine Person halte sich weder auf ein antikes noch
Vitrüv und die Renaissance.
213
auf ein modernes Gesetz verpflichtet Ix). Aus ihm spricht nicht nur
der Renaissance-Mensch, sondern auch der Vater des Barock, und
siegreich hat sich seine Richtung in dem kommenden Jahrhundert
und bei weitem großartiger neben oder besser gegen die akademische
durchgesetzt. Er befreite freilich, wie zuerst Burckhardt meinte, die
Kunst mehr als gut war.
S e r 1 i 0 ist der erste, der Vitruv als die unantastbare Bibel behandelt,
die immer recht hat, selbst gegen die Antike und auch dann, wenn Augen-
schein und Erfahrung dagegen sprechen. Der, der anderer Meinung ist, ist
Ketzer, und es ist höchst bezeichnend, daß Serlio am Schlüsse seines
Buches dell' architettura alle Vitruvianer mit Namen aufführt. In Rom
konnten die Vitruvianer, trotzdem die Akademie dort gegründet wurde,
nur wenig Boden fassen. Der Geist Michelangelos breitete noch ein Jahr-
hundert lang seine schützenden Fittiche über die ihm heilig gewordene
Stätte seiner Wirksamkeit, und im römischen Barock redet man noch lange
seine freilich nun zu laut gewordene Sprache. Auch Florenz blieb von dem
Akademismus verschont.
Anders im Norden Italiens!
Die Phantasie und der schrankenlose Individualismus hat sich nirgends
stärker ausgetobt wie hier. Man mag deshalb, des Formenüberschwanges
satt, nur um so rascher ernüchtert worden sein und doppelt gerne die ein-
fachen kühlen Formen der Vitruvianer begrüßt haben. Dazu kommt noch,
daß hier das antiquarische Interesse stärker und früher auftritt als selbst in
Rom und Florenz, und daß außerdem die Künstler bei weitem zahmer als
die Gewaltmenschen der Arnostadt, seit langem erstaunlich objektive Be-
trachter antiker Reste waren. Ich verweise nur auf die Zeichnungen des
Jacopo Bellini im Codex Vallardi in Paris. Selbst Mantegna beobachtet und
verwertet die antiken Formen mit einer für eine solche individualistische
Kraftnatur ganz erstaunlichen Objektivität. — Die Säule wurde mehr
als je das dekorative Grundelement der vitruvianischen Renaissancekunst;
sie galt aber auch am Gebäude als der Inbegriff höchster dekorativer Pracht
und dies nirgends mehr als in Venedig, wovon schon die Portale an San Marco
ein Lied zu singen wissen. — Nirgendwo in Italien wurde daher der neue
vitruvianische Stil stärker und nachhaltiger verwandt, nirgends war er von so
grundlegender, alles andere ausschließender Bedeutung wie in der Lagunen-
stadt. Hier und in der Umgebung von Venedig ist deshalb auch das
Zentrum der vitruvianischen Renaissancekunst gewesen. Der erste, der sich
als ausgesprochener Vitruvianer rühmt, war freilich ein Florentiner Jacopo
Tatti genannt Sansovino. Jakob Burckhardt hat ihm das nicht vergeben
II) Siehe auch Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien, 42.
214
Fritz Burger:
können, am allerwenigsten, daß er sich dabei zu starken Konzessionen an
den heimischen Geschmack hat hinreißen lassen und, er meint deshalb, es
müsse ihm bei großen Gaben des Geistes doch an wahrem Stolz gefehlt haben.
In seiner Biblioteca gegenüber dem Dogenpalast hat er zweifellos den
prächtigsten Bibliotheksbau der Welt geschaffen, und es ist bezeichnend für
Geist und Richtung der Zeit, daß bei Herstellung der Ecke des dorischen
Gebälkes sich »das ganze antiquarische Italien aufregte« und der Sekretär
der vitruvianischen Akademie sein Gutachten abgehen mußte“). Die
Schönheit wird unter Kuratel gestellt. Fast zur selben Zeit, da das
Papsttum, alle Kräfte zusammenfassend, ein neues großartiges, die Welt
umklammerndes dogmatisches System gegen die individualistischen Ten-
denzen der protestantischen Kirche errichtete, begegnen uns auch in der
Kunst diese starken Gegensätze, hier die dogmatisierende vitruvianische
Akademie mit ihrem kosmopolitischen Klassizismus, dort der schrankenlose,
nur auf seine eigene Kraft vertrauende Individualismus des Michelangelo.
Die eigentlichen Klassiker der vitruvianischen Renaissance, deren
Namen immer in Verbindung mit dem des Vitruv genannt werden müssen,
sind von Geburt Norditaliener, P a 1 1 a d 1 o aus venetianischem Land,
in Vicenza geboren, und Giacomo Barozzi, nach seinem Heimatsort
Vignola bei Modena genannt.
Erst jetzt, kann man sagen, wurde die Theorie des Vitruv mit all ihren
guten und schlechten Konsequenzen in die Praxis übersetzt, und ebenso wie
durch ihre Werke, so haben die beiden Meister durch ihre Schriften
im Sinne Vitruvs auf Jahrhunderte gewirkt.
Der Trattato degli ordini des Vignola hat zwei Jahrhunderte die Archi-
tektur beherrscht und Palladios Regola degli cinque ordini d'architettura hat
noch Goethe zum Verständnis der antiken Ordnungen erworben. Am 19. Sep-
tember 1786 schreibt er aus Vicenza von Palladios Schöpfungen: »Wenn
man diese Werke gegenwärtig sieht, so erkennt man erst den großen Wert
derselben; denn sie sollen ja durch ihre Größe und wirkliche Körper-
lichkeit das Auge füllen, und durch die schöne Harmonie ihrer Dimen-
sionen nicht nur in abstrakten Aufrissen, sondern mit dem ganzen perspekti-
vischen Vordringen und Zurückweiciien den Geist befriedigen; und so sag ich
von Palladio: er ist ein recht innerlicher und von innen heraus großer
Mensch gewesen.«
Der Grieche tritt in ihm mit einer ehrenden Anerkennung vor den Epi-
gonen. Freilich sind wir, die wir unmittelbaren Stimmungswerten gegen-
über allen »schönen« Formen den Vorzug geben, die wir das Kämpfen und
Ringen einer erwachenden Kunst lieber belauschen als uns der göttlich
sichern Ruhe der fertigen Kunst erfreuen, geneigt, den absoluten künstleri-
,a) Burckhardt, a. a. O.
Vitruv und die Renaissance.
215
sehen Wert Palladianischer Fassaden niedriger einzuschätzen. (Übrigens
ist auch der »absolute« Wert dieser Schöpfungen ein geringerer als man
in Vicenza zumeist in vielfacher Hinsicht anzunehmen geneigt ist. Für
ein feinsinniges Architektenauge muß Vicenza eine Enttäuschung sein.)
Durch Palladio, erklärt Goethe, sei ihm Vitruv nähergebracht worden.
Auch V i g n o 1 a scheint dem ersten großen Vitruvianer des Quattro-
cento, Alberti, zu folgen und ein Vergleich der Fassade der Kirche del Gesü
in Rom mit Leo Battista Albertis Fassade von Santa Maria Novella in Florenz
macht die Verwandtschaft der beiden Werke, zugleich aber auch den ganzen
künstlerischen Fortschritt klar. Vignola klammert sich auch bei weitem
nicht mit derselben Energie an die antiken Formen wie Palladio. Seine
Formenwelt ist weniger pathetisch, feiner und zierlicher, und seine Säulen-
gallerien geraten deshalb weit weniger in Widerspruch mit der Mauerfläche
als in manchem der Privatpaläste Palladios in Vicenza, die in ihrer zu starken
Betonung der Säule und der allein durch sie erstrebten Monumentalität fast
an das Groteske streifen. Im Teatro Olimpico fühlte schon Goethe den
tragischen Widerspruch zwischen den ins Grandiose gehenden Absichten
und der erreichten Wirkung heraus. Von ähnlichen Widersprüchen ist auch
Vignolas Hoffassade der Villa des Papa Giulio nicht frei, deren weit ausge-
dehnte Mauerflächen dimensional in keinem Verhältnisse zu der viel zu
schwachen architektonischen Gliederung stehen.
Kühl und nüchtern geht die Wirkung vitruvianischer Akademiebauten
zumeist von hart gezogenen und ineinandergeschobenen Linien der Archi-
tekturen aus. Immerhin sind Werke wie der kleine Palazzo Spada in Rom, der
Rundhof vonCaprarola oder der Palazzo Thiene in Vicenza bewundernswerte
Schöpfungen von überraschender Schönheit und nur eines großen Meisters
würdig. In Vignolas Akademismus erwacht auch stärker die historische
objektive Betrachtung vergangener Stilepochen. Es würde hier zu weit
führen, um die weitere Entwicklung der Akademie in Italien und ihr Ende
bis über die Renaissance hinaus zu verfolgen. Wir müssen uns begnügen nur
noch die Namen von Scamozzi, Giacomo della Porta, Martino Lunghi,
Mascerino zu nennen, die teils theoretisch, teils praktisch den Bahnen der
vitruvianischen Akademie gefolgt sind. Mit der Kunst der Renaissance,
die nun ihren Siegeszug über ganz Europa antrat und mehr als ein Jahr-
hundert mit ihren Ideen befruchtend wirkte, begann auch die vitruvi-
anische Akademie in Theorie und Praxis ihren Einfluß allerorts auszuüben.
Schon Fra Giocondo las in Frankreich einem Seigr:-r Philibert Vitruv
vor, und Budaeus rühmt sich, Vitruv als Meister gehabt zu haben I3).
J3) S. Baschet, Les archives de la serenissime republique de Venise. Souvenirs
d’une mission, Paris und Venedig, 1870. Geymüller, Die Baukunst der Renaissance in
Frankreich, 1898, 40.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII. *6
Fritz Burger:
i 16
Durch Francesco di Giorgio ist Philibert de l'Orme mit Vitruvs Lehren
bekannt geworden, und die Vorliebe für die theoretischen Schriften der
italienischen Renaissance hat hier nicht wenig zur Blüte der Baukunst
beigetragen J4).
Gleich unser größter Maler Albrecht Dürer wurde durch Vermittlung
des Jacopo de Barbari mit den Theorien des Vitruv-Übersetzers Luca
Pacioli 1S) vertraut, und die zahlenmäßige Festsetzung des »göttlichen Werkes«
hat ihn nicht nur sein Lebtag beschäftigt, sondern sie ist auch eine wichtige
Grundlage seiner Kunst geworden. In den Worten: »das was von den
meisten als schön gehalten wird, das wollen wir machen«, steckt schon
ein starker Ansatz zu einem theoretischen Akademismus. Solche Ideen
haben freilich bei den phantasiebegabten Landsleuten um so weniger auf
einen fruchtbaren Boden fallen können, als er ja selbst ihrer Verwirklichung
so ferne als nur möglich stand. Was die Baukunst der Renaissance in Deutsch-
land im speziellen anbelangt, so war sie noch zu jung, um sich solche Fesseln
schmieden zu lassen. Überhaupt setzte man hier nicht so leicht Theorien
in die Praxis um. Wie wenig theoretische Erwägungen praktischen Erfolg
hatten, zeigen die Schriften des Erasmus von Rotterdam, und wie unpraktisch
die Vertreter religiöser Theorie verfuhren, zeigt das Leben Martin Luthers.
In der Bibliothek des deutschen Baumeisters fehlten zwar Vitruv, Palladio
und die Bücher der Renaissancearchitekten nicht, aber sie wurden mehr zum
Studium der Geometrie und Perspektive oder zur Entlehnung einzelner Bau-
formen benutzt16). Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts macht sich die
Einwirkung der Lehren der vitruvianischen Akademie allgemeiner geltend,
in erster Linie an dem hervorragendsten Architekturwerk, das auf deutschem
Boden steht, dem Friedrichsbau in Heidelberg. Hier kommt die Nüchtern-
heit und Einfachheit palladianischer Kunst, freilich mit der bei einer so stark
entwickelten germanischen Formenphantastik gebotenen Einschränkung,
ziemlich deutlich zum Ausdruck. Die Pilaster, das Hauptmotiv der
Dekoration, ziehen sich in einer geraden Linie durch die drei
Geschosse hin. Die Vergröberung und Kühle der Details, die vertikale
Tendenz und der auffallend strenge Organismus der Fassade sind
alles Einwirkungen des italienischen Akademismus, der freilich in einer im
Grund so durch und durch ganz aus dem Volkstümlichen herausgewachsenen
Kunst auch hier nur in bedingter Weise zum Durchbruch kam. Reiner und
*♦) Geymüller, a. a. O., 45.
>5) Siehe Heyd, Handschriften und Handzeichnungen Schickhardts, 1902, S. 335 f.
Baum, Charakterisierung der deutschen Renaissancebaukunst. Zeitschrift f. bildende Kunst,
N. F. XX. H. 7 S. 151.
,6) Siehe Hans Klaiber, Beiträge zu Dürers Kunsttheorie, 1904.
Vitruv und die Renaissance.
217
nachhaltiger dringen die Ideen Palladios und Vignolas erst im 17. Jahr-
hundert in unser deutsches Vaterland ein.
Nirgends aber in Europa fanden die Palladianischen Formen
weiteren und tieferen Eingang als in Holland, das im 17. Jahrhundert
in religiöser wie politischer Hinsicht sich seine Selbständigkeit errungen hatte.
Ich muß mir hier versagen, auf das interessante Kapitel der Ein-
wirkung vitruvianischer Ideen auf die holländische Baukunst wie die Bedeu-
tung der vitruvianischen Akademie für die französische Renaissance ein-
zugehen. Schon unter Franz I. sind die Künstler Frankreichs mit Vignolas
und mit Vitruvs Baukunst sehr vertraut geworden * I7).
Auch für die Baukunst unseres Jahrhunderts ist Vitruv eine Zeitlang
der Eideshelfer gewesen. In dem Empire erscheint nach den Orgien des
Barock und Rokoko der Geist Vitruvs in neuer Gestalt, eben zu derselben
Zeit, als Napoleon seine Adler über ganz Europa führte und nach einem
europäischen Einheitsstaat strebte, die kosmopolitischen Tendenzen in
der deutschen und französischen Literatur sich wiederum breit machten, und
Hogarth, Burke, Mengs u. a. ihre neuen Theorien der Linie entwickelten.
Noch einmal stimmt die Antike ihren Sirenengesang an. Die Wirkung war
nicht von allzu langer Dauer. In den Stürmen der Revolution sind auch
schließlich diese Fesseln wieder abgestreift worden. Diese Renaissance des
19. Jahrhunderts stand auf den tönernen Füssen des Gedankens. Sie war
nur ein Lasttier, um die Säcke der Weisheit tragen zu helfen, eine bildliche
Exemplifikation kunsttheoretischer Probleme. Das Bildungsphilisterium
hatte die Vormundschaft über die Künste übernommen und die im 18. Jahr-
hundert so wonnig einherrauschenden Wogen in altväterlicher Fürsorge ge-
glättet, um die nach einem neuen Laufe drängenden Fluten wenigstens für
einige Zeit in das ausgefahrene sichere Bett der Vergangenheit zu leiten.
Vitruv war das Kompendium des Neoklassizismus auf dem Gebiete der Bau-
kunst geworden. Das neunationale und individualistische Geschlecht aber
hat ihn dann wohl für immer entthront.
Vitruv ist in der Geschichte der Kunst immer eine Art Mene-Tekel des
Zeitenwandels, dessen Verlauf die Idee des Kosmopolitismus sei’s auf künstle-
rischem oder politischem Gebiete, sowie der erwachende historische Geist
bestimmt. Den wunderbaren unfaßbaren Zauber der antiken Kunst durch
das Nadelöhr des Gedankens zu ziehen, war das heiße Verlangen vergange-
ner Jahrhunderte, die den ewigen Schatz der Antike zu einem Allgemeingut
auf dem Wege der Theorie sich zu machen bemühten. Das war der große
Irrtum der Zeiten, vor dem wir heute für immer bewahrt sind. Die
nebelhaft romantische Hülle, die die antike Kunst umgab, ist seit den Tagen
Lord Eigins vor den griechischen Originalen durch die kunsthistorische
*7) Siehe Willich, Vignola, Straßburg, 1906.
1 6*
2l8
Fritz Burger: Vitruv und die Renaissance.
Wissenschaft zerrissen worden. Durch die Klarlegung der Geschichte der
Entwicklung dieser Kunst haben wir gelernt, daß auch diese Kunst Blüte
und Verfall kennt, daß auch sie nicht unfehlbar ist, gewissermaßen ihre
sterbliche Seite hat. Der historisch-kritische Geist sieht auch in der antiken
Kunst nur den ewigen Wechsel individuellen Geschmackes persönlichen
Gefühls, sieht im ganzen den charakteristischen Ausdruck einer Weltan-
schauung, einer Weltanschauung von grandioser Einseitigkeit, die aber um
dessentwillen nicht die seine sein kann. Die Antike ist uns heute eine zwar
gewaltige Epoche, aber eben nur eine Epoche in der Geschichte der Mensch-
heit. Wir fühlen uns mit ihr verbunden wie die Frucht mit der Blüte. Indem
wir in das tiefste Geheimnis ihres Wesens eingedrungen sind, bewahrten wir
unsere eigene Kunst vor einer Veräußerlichung ihrer Formen. Das gilt
wie für die Antike auch für die Renaissance. Noch Boucher
hielt es für nötig, seinen Schüler Fragonard vor Raffael und Michelangelo
zu warnen und wie viele Künstler am Anfang des 19. Jahrhunderts, die in der
Renaissance nur die Vollendung antiken Kunstwollens sahen, haben sich an
der italienischen Kunst die Finger verbrannt. Wir suchen nicht mehr nach
einer begrifflich erfaßbaren Schönheit, sondern wir versuchen das i n d i v i -
duelle Leben der Menschheit in seinen tausendfachen Schattierungen
zu erfassen und das Ewige von dem zeitlich Bedingten zu sondern, um die
Sprache der eigenen Zeit verstehen zu lernen. Wir wissen, bei den Toten
ist der Schlüssel zu suchen, der zum klaren Verständnis der Kultur der
Lebenden führt. Deshalb brauchen wir nicht wie Odysseus die Ohren vor
der fremden Schönheit zu verstopfen, wir können heute Augen und Ohren
vielmehr nicht weit genug aufmachen.
Über einige altitalienische Zeichnungen in der Königl.
Graphischen Sammlung zu München.
Von A. von Beckerath.
Als ich im vorigen Oktober in München war, besuchte ich wie immer
das Kgl. Kupferstichkabinett (die jetzige Kgl. Graphische Sammlung)
und war sehr erstaunt und erfreut, im zweiten großen Ausstellungsraum
eine nach den neuesten Ansprüchen wohlgeordnete Ausstellung alter
italienischer Zeichnungen zu finden.
Viele liebe Bekannte sah ich wieder, aber auch vieles, das ich nicht
kannte, oder das meinem Gedächtnis entschwunden war. Im ganzen eine
stattliche Anzahl klassischer Zeichnungen.
Die Ausstellung war durch den Konservator, Herrn Dr. Weigmann,
mit vielem Geschmack und mit Kenntnis gemacht worden. Herr Dr. Weig-
mann war so freundlich, mich bei der Besichtigung zu begleiten, meine
vielfachen Fragen zu beantworten und mir einige Zeichnungen herauszu-
nehmen, was sehr erwünscht war.
Denn diesem neuen Ausstellungssaal, wenn er Raum genug hat, fehlt
es an genügender Beleuchtung, weil er das Licht erst aus zweiter Hand erhält.
Der weitgrößte Teil der graphischen Sammlung stammt aus Mann-
heim. Zur Feier der vor 150 Jahren stattgehabten Übersiedlung nach
München hat Herr Direktor Pallmann eine Geschichte der Sammlung ge-
schrieben, die eben veröffentlicht worden ist.
Ich nahm mir vor, über das erfreuliche Ereignis dieser Ausstellung
etwas zu schreiben, in Ergänzung des Aufsatzes, den Dr. Weigmann über
die Ausstellung schreiben wollte (der mittlerweile im ersten Heft 1909 der
Leipziger Monatshefte für Kunstwissenschaft publiziert worden ist).
Zitiert in meinem Aufsatz sind:
Wilhelm Schmidt, Publikation der Münchener Zeichnungen;
Morelli, die Münchener Galerie 1891;
Frey, Zeichnungen Michelagniolos;
Knapp, Perugino;
Ferri, Katalog der alten Zeichnungen in den Uffizien;
Berenson, Florentine Drawings;
220
A. v, Beckerath:
Weigmann, Leipziger Monatshefte;
Meder, Albertina -Publication.
Michelangelo.
Echte Zeichnung Michelangelos aus seiner frühesten Zeit, nach dem
Petrus in Masaccios Fresko Christus und die Apostel in der Brancacci-
Kapelle, Feder und Rötel, nicht gut erhalten, oben und unten rechts je ein
nackter Arm von späterer Hand, Berenson Nr. 1544, Schmidt 453, Frey
Tafel II.
Morelli p. 1 5 1 schreibt, daß die in München Michelangelo und andern
großen Künstlern zugeteilten Blätter wenig Vertrauen erwecken. Zu Tafel I
Frey, dem schönen Blatt im Louvre aus der gleichen Frühzeit wie das in
München, wird bemerkt: Nach Morelli, Kunstchronik 1891/92 nicht
von Michel Angelo »Wertlos«.
Diese Lapsusse des großen Kritikers bez. klassischer Handzeichnungen
sind Berenson, der sonst alle derartigen vielfachen Irrtümer seines ver-
ehrten Lehrers mit Andacht in seinem großen Werke notiert hat, leider
entgangen.
Angeblich Raffael.
Schmidt: mit dem Silberstift vorgezeichnet, mit der Feder nachge-
zeichnet.
Auf der Vorderseite des Blattes, Studie zu dem hl. Ambrosius in der
Disputa. Während auf dem Fresko der rechte Arm des Heiligen auf einem
Buche ruht und die leicht erhobene rechte Hand die mehr erhobene linke
Hand in adorierender Bewegung akkompagniert, ruht auf der Zeichnung
der rechte Arm auf dem Knie und hält ein Buch in geschlossener Hand.
Im Fresko hält der neben Ambrosius sitzende hl. Augustinus
geradeso Arm, Hand und Buch.
Im Fresko ist die linke Seite des Ambrosius durch den neben ihm
sitzenden Antonius verdeckt. In der Zeichnung ist Ambrosius nur so weit
skizziert, wie er im Fresko erscheint. Die linke Seite fehlt also.
Aus diesem Umstand allein kann man wohl schließen, und mit Fug
und Recht, daß die Zeichnung nicht für, sondern nach dem Fresko ge-
macht worden ist.
Den oben angeführten Umstand, »die Veränderung des rechten Arms«,
könnte man eventuell zugunsten der Originalität der Zeichnung geltend
machen.
Aber zuungunsten der Zeichnung sprechen laut die leblosen Umrisse
der Figur, die schlecht gezeichnete ausgestreckte Hand und die ungelenken
Schraffierungen, die Raffael nicht zuzutrauen sind.
Die Zeichnung ist sehr schlecht erhalten, durch Überzeichnungen
entstellt, unten links beschnitten.
Über einige altitalienische Zeichnungen usw.
221
Morelli hält beide Zeichnungen von »Raffael« mit Kohle vorgezeichnet
und von einer etwas späteren Hand, wie es scheint, mit der Feder
übergangen und entstellt, beide Zeichnungen sind als verloren zu be-
trachten.
Mit der Zeichnung auf der Rückseite, die einen knienden, betenden
jungen Mann darstellt, ist es jedenfalls so schlimm nicht, wie mit derZeichnug
auf der Vorderseite. Diese Federzeichnung ist ganz gut erhalten und in jeder
Beziehung besser wie die andere, nicht ohne Frische und Lebendigkeit;
sie erinnert an Raffaels Zeichnungsmanier zu dem Parnaß, aber ohne des
großen Künstlers Gefühl und Können.
Eine Vorzeichnung mit Silberstift (nach Schmidt), oder eine solche
mit Kohle (nach Morelli) im Zusammenhang, so daß danach die
Autorschaft Raffaels zu beurteilen ist, kann ich auf beiden Seiten nicht
entdecken.
Der Ambrosius ist nach Raffael, der Jüngling von einem Schüler
Raffaels gezeichnet worden.
Gaudenzio Ferrari.
Engelglorie, Teilentwurf (Segment) für die Ausschmückung einer
Kuppel, interessante, bedeutende Zeichnung (weißgehöhte Federzeichnung).
Im Novemberheft der Rassegna d’ arte 1908 bespricht Herr Frizzoni
ausführlich und mit gewohnter Kompetenz diese Zeichnung; er hält sie
für eine primitive Studie für die berühmte Dekoration der Kuppel in Saronno.
Das kann ja sein, ich möchte nur bescheidentlich dagegen einwenden, daß
der Umstand, daß die Zeichnung für eine Dekoration in Segmenten gemacht
worden ist, während in der Kuppel in Saronno die Engelglorie ohne jede
Einschränkung hin- und herwogt, doch schwerer ins Gewicht fällt, als
Frizzoni anzunehmen geneigt ist. Auch kann ich die einzige annähernde
Ähnlichkeit zwischen der Gruppe der drei Engel, die singend zusammen
in ein Buch sehen, die Frizzoni anführt, nicht für gleich erheblich halten.
Weshalb soll der Künstler vorher eine Einteilung in Segmenten machen,
wenn er sie in der Ausführung nicht beibehalten hat?
Francesco Morone.
Stehender Apostel (?) mit langem Bart, die rechte Hand dozierend
erhoben, in der linken ein Buch.
Weißgehöhte Tuschzeichnung. Ich glaube, daß diese Zeichnung von
Francesco Morone sein kann. Zum Vergleich beziehe ich mich auf di« zwei
stehenden Figuren in Rötel in der Albertina, Meder Nr. 181, und auf das
Bild im Kaiser Friedrich-Museum Nr. 46 B; die Zeichnung ist mehr Modell
als Charakterstudie.
Giuliano Bugiardini (unter Franciabigio), weißgehöhte Sepiazeich-
nung. Madonna mit Kind. Auf der Rückseite ältere Aufschrift »Bugiardini«.
222
A. v. Beckerath:
Dieser Künstler, von dem so viele Bilder existieren, ist als Zeichner
fastintrouvable (siehe meinen Artikel gegen Berenson, Repertorium 1905 p. 1 12).
Diese Zeichnung, die sein Wesen vollständig wiedergibt, halte ich für
eine echte, charakteristische Zeichnung des »amico di Michel Angello« breit
und routiniert.
Raffael di Montelupo, Federzeichnung (unter Michelangelo).
Eine bekleidete und eine nackte Figur, Berenson Nr. 1647. Echte
Zeichnung Montelupos.
Die Zeichnungen der Venetianischen Schule in München sind nicht
von Bedeutung, obgleich die großen Namen der Schule vertreten sein
sollen. Der hübsche Studienkopf unter »Kreis Paul Veronese« ist vielleicht
von Qiuseppe Salviati.
Der andere Studienkopf unter »Veronese« vielleicht von Carletto
(Veronese) Cagliari.
Vorzüglich ist der Kopf eines Imperators von Jacopo Tintoretto
und ganz hervorragend
Jacopo Tintoretto.
Kämpfender Krieger zu Pferd heransprengend, den blanken Säbel
in der Rechten, in der Linken den Schild, sich nach links herüberbeugend.
Reiter und Pferd wie aus einem Stück, groß und machtvoll, von momen-
tanster Wirkung, worin der Meister unübertrefflich ist. Unten zwei Beine
eines liegenden Kriegers. Schwarze Kreidezeichnung. In den Schlachten-
bildern im Dogenpalast habe ich das Motiv dieser Zeichnung nicht finden
können.
Angeblich S o d o m a.
Krönung der Jungfrau in einer Lünette.
Weißgehöhte Federzeichnung.
Ich möchte diese schöne Zeichnung bis auf weiteres für eine echte
Zeichnung Sodomas halten, sie ist ganz in seiner Art, wenn auch etwas
trocken.
Vielleicht gehört sie zu dem Fresko der Krönung, auf der großen Treppe
in Monte Oliveto Maggiore.
S 0 d 0 m a.
Vermählung der hl. Katharina.
Karton, Kohlenzeichnung.
Ist ein famoses großes Stück, trotz seiner mangelhaften Erhaltung,
neue Erwerbung.
S o d o m a.
Skizzenblatt, Federzeichnung.
»Angeblich Mariotto Albertinelli.« »Altarbild der Heimsuchung, darunter
Petrus heilt einen Kranken; Rückseite Altarentwurf mit Verkündigung.«
Über einige altitalienische Zeichnungen usw.
223
Die Heimsuchung mit Elisabeth kann nicht dargestellt sein, denn die Figur
links ist ein Mann mit Bart und Stab. Ich vermute, daß die Begegnung
an der goldenen Pforte (letztere fehlt allerdings) dargestellt sein soll. Der
eben angekommene Joachim reicht der hl. Anna, die zwischen zwei Be-
gleiterinnen steht, beide Hände. (Eine vortreffliche Skizze.) Oben in der
Ecke, ganz klein, sitzt Joachim am Altar; nachdem er geopfert und gebetet
hat, erscheint der Engel und gebietet ihm, zu Anna zurückzukehren. Der
Rückweg ist sogar mit einigen Strichen angedeutet.
Ob die ausdrucksvolle Skizze unter der Begegnung, eine Kranken-
heilung und sogar eine solche durch Petrus darstellen soll, entzieht sich
meiner Beurteilung. Man könnte auch an Loth und seine Freunde denken.
Auf der Rückseite befindet sich in der Altarnische die Verkündigung, der
Rahmen des Altars ist reich mit Heiligen in Nischen, Tondi mit Halb-
figuren, oben mit zwei Propheten dekoriert. Darunter ist die Verkündigung
kleiner und anders komponiert, wiederholt, zur Seite links sitzt ein treff-
lich skizzierter hl. Hyronimus. Die Fülle der geistreichen und phantasievollen
Entwürfe auf beiden Seiten des kleinen Blattes lassen auf einen großen
und begabten Künstler schließen, die Art der flüchtigen Skizzierung, die
Typen, Sodoma als Autor vermuten.
Ich stütze mich namentlich auf die vielen flüchtigen Federskizzen
in den Uffizien. Die Zeit wird die der Fresken in S. Anna in Kreta und in
Monte Oliveto Maggioro sein, der besten und fruchtbarsten des Künstlers,
von unerschöpflicher Phantasie.
Nachträglich finde ich, daß die Skizze zu einem Zyklus von Geschichten
der Jungfrau gehört, die Sodoma in monochromen Darstellungen in S. Anna
in Kreta ausführte.
Drei gut erhaltene Geschichten sind von Lombardi photographiert,
die andern sind verletzt und fast zerstört. Diese Photographien stellen dar:
»Die Zurückweisung des Opfers Joachims.«
»Christi Abschied von seiner Mutter.«
»Die Geburt der Jungfrau.«
Fra Bartolommeos Zeichnungen sind bekanntlich in München reich
an Zahl und vortrefflich in Qualität vertreten. Weigmann 7 und 8 hat
über die Blätter der mittleren und späteren Zeit ausführlich geschrieben.
Auch aus der früheren Zeit des Meisters sind schöne Zeichnungen vorhanden.
Mariotto Albertinelli.
Unter Fra Bartolommeo, Federzeichnung.
Die Madonna sitzend mit dem Kind zwischen hl. Lucia und hl. Seba-
stian (?). Ich halte diese höchst reizende kleine Zeichnung für eine Jugend-
zeichnung Albertinellis, sie erinnert mich lebhaft an das kleine, entzückende
Flügelaltärchen im Museo Poldi in Mailand. Der Typus der Madonna ist
224
A. v. Beckerath:
fast derselbe und weicht von dem des Frate ab. Auch die Schraffierungen
stimmen mit denen des Frate nicht ganz überein und nähern sich mehr den
in den Uffizien, Albertinelli zugeschriebenen Zeichnungen, Ferri 547 und 550.
Berenson Nr. 453 very sweet and early.
Rosso Fiorentino.
Musikanten auf einer Tribüne sehr frisch und lebendig, aus seiner
späteren Zeit.
Weißgehöhte Kreidezeichnung.
Niccolo dell' Abbate.
Zwei Träger mit Bahre.
Weißgehöhte Tuschzeichnung.
Vortrefflich und kräftig, in effektvollem Chiaroscuro.
Bartolommeo Montagna.
Madonna mit ausgebreiteten Armen, zwischen zwei Engeln auf Wolken
stehend, Tuschzeichnung.
Echte, seltene Zeichnung des großen Künstlers, in der Mache stimmt
sie ganz mit dem bedeutenden Blatt in Lille überein. Thronende Madonna
mit dem Kinde.
In den Verhältnissen ist die Madonna m München nicht gerade glück-
lich, sie ist, im Vergleich zu den Engeln, zu lang geraten, was durch ihren
kleinen Kopf noch empfindlicher wird. Die Engel sind vortrefflich, ganz
venetianisch.
Ich habe mich umsonst bemüht, ein Bild nach dieser Komposition
ausfindig zu machen. Morelli p. 153.
D. Ghirlandajo.
Ein Bischof tauft einen jungen Mann in einer Basilika.
Bekannte, vorzügliche, echte Zeichnung. Bisterzeichnung. Berenson
Nr. 885, Morelli p. 153.
Derselbe.
Zwei Männer im Gespräch.
Vortreffliche, schöne Zeichnung, aber ob von Domenico selber?
Silberstift weißgehöht.
Domenico Puligo.
Unter Franciabigio, Rötel, »Modellstudie eines stehenden Mannes«,
Dieser Mann ist offenbar ein San Rocco, mit seiner Linken zeigt er
auf die Wunde am Bein, dann trägt er das Kostüm eines Ritters. Hübsche
Zeichnung im Geschmack Andrea del Sartos, aber für ihn selber viel zu
schwach. Ich glaube, daß Puligo der Autor ist, was auch Berensons An-
sicht. Er führt die Zeichnung indessen unter Franciabigio Nr. 754 auf,
annehmend, daß es eine der Figuren im Bild »ein Tempel des Herkules«
von Franciabigio sein könne, was nicht der Fall ist. Berenson erkennt
Über einige altitalienische Zeichnungen usw.
225
nicht, daß der Mann ein S. Rocco ist und beschreibt die Zeichnung: »Study
perhaps from the Model of a Gentleman in a short cloak, looking up.«
Schule Lorenzo di Credis.
Unter Lorenzo di Credi, kniender Jüngling, weißgehöht, Silberstift.
Hübsche, sorgfältig ausgeführte Zeichnung, aber für Credi selber doch zu
schwach und namentlich in der Zeichnung des Kopfes gänzlich von ihm
abweichend.
Berenson Nr. 742.
Auf die ganz vorzügliche Zeichnung Andrea del Sartos, welche die
Münchener Sammlung besitzt, hat Dr. Weigmann f. 8 mit beredten Worten
hingewiesen.
Schule A. Pollajuolos.
Sitzender älterer Mann nach links.
Tusch- und Federzeichnung. Weigmann p. 8.
Der frühere Konservator des Kupferstichkabinetts in den Uffizien,
Herr Carlo Pini, hatte in seinem Bureau, in Schubladen, etwa 100 Zeich-
nungen von ein und derselben Hand pele-m£le durcheinander liegen. Herr
Pini behandelte diese Zeichnungen mit Geringschätzung, wofür schon die
Aufbewahrungsart bezeichnend war.
Durch den Einfluß Morellis kamen diese Zeichnungen zu Ehren, sie
wurden zum großen Teil in den Ausstellungsraum nach oben gebracht und als
Schule Pollajuolos, in einzelnen Fällen selbst als echte Pollajuolos ausgestellt.
Sie haben in der Tat den Charakter von Kopien im Geschmack Polla-
juolos. Die Umrisse sind hart, dick und roh. Die Modellierung aquarelliert,
es kommen aber auch andere Techniken vor. Nach meinen Erfahrungen
sind diese Zeichnungen in der zweiten Hälfte des Quattrocento nachPollajuolo
und andern Künstlern der Zeit gemacht worden. In Qualität sind sie ver-
schieden, trotzdem sind sie durch das Gemeinsame, das sie haben, leicht
zu erkennen. Die besten Blätter wird Herr Bonnat in Paris, in dem so-
genannten Skizzenbuch von Pollajuolo, besitzen. Mit Vorliebe werden
Naturstudien nach nackten oder bekleideten Figuren behandelt.
Einzelne dieser Zeichnungen in den Uffizien haben die Aufschrift Maso
Finiguerra von späterer Hand. Diese bezeichneten Blätter unterscheiden
sich in keiner Weise von den vielen andern nicht bezeichneten.
Maso Finiguerra war von 1458 — 1464 mit Antonio Pollajuolo assoziert.
Dokumentierte, authentische, existierende Werke von ihm sind die Intar-
sien in der Sakristei im Florentiner Dom und in der Dom Opera, nach seinen
Zeichnungen von Giuliano da Majano gemacht. Diese Zeichnungen waren
Maso von der Dom Opera bestellt worden.
Die Intarsien sind bedeutende stilvolle Werke, die nichts mit den Zeich-
nungen mit der Aufschrift Maso Finiguerra zu tun haben.
22Ö
A. v. Beckerath:
Herr Colvin hat nicht beweisen können, in seinem Prachtwerk Florentine
Picture Chronicle by Maso Finiguerra, London Quaritch 1898, daß die Zeich-
nungen in dieser Chronik, wie er behauptet, von Maso Finiguerra sind,
noch daß die Zeichnungen in Florenz, auf die er sich bezieht, von diesem
Meister sind. Eine treffliche Kritik von Dr. Paul Kristeller über das Werk
von Herrn Colvin erschien im Repertorium 1899 p. 1 33.
Ferner von Berenson eine solche in einer Anmerkung Vol. I p. 31.
In Anbetracht des Meeres von Ungewissenheiten, auf dem wir nur
zu häufig schiffen müssen, um die Autoren alter Zeichnungen zu eruieren,
soll man alten Aufschriften, auch wenn sie nicht aus der Zeit der Entstehung
der Zeichnung sind, alle gebührende Achtung zugestehen, ohne indessen
die eigene Kritik in die Tasche zu stecken.
Im vorliegenden Fall kommt die Hand, welche die Aufschrift Maso
Finiguerra geschrieben hat, noch in Aufschriften bei andern Zeichnungen
in den Uffizien vor.
Ich vermute, daß der ursprüngliche Besitzer dieser Zeichnungen, viel-
leicht weil er von dem Zusammenhang von Maso mit Pollajuolo gehört hatte,
oder weil er Vasaris Phantasien über den Ruhm Masos gelesen hatte, diese
Aufschriften gemacht hat.
Sollte man mir diese Konjekturen vorwerfen, so antworte ich, sie be-
zwecken nichts anderes, als die Sachlage aufzuklären und verhindern jeden-
falls keinen Besserwissenden, in dem Reich der Möglichkeiten weiter zu
forschen.
Schule A. Pollajuolos, Federzeichnung.
Kreuzigung Christi.
Umständliche Darstellung mit vielen Figuren und lebhaft erzählten
Einzelheiten, nicht ohne Ausdruck und Phantasie. Der Totaleindruck
leidet aber durch die Überfüllung und durch den Mangel an Konzentration.
Dann handelt es sich um ein kindliches, im Wachstum zurückgebliebenes
Geschlecht. Die Perspektive ist mangelhaft.
Die Manier ist wohl die Pollajuolos aber in einem primitiven Zustand.
In den Uffizien sind vier Zeichnungen, die Kreuzigung, die Abnahme
vom Kreuz resp. die Beweinung darstellend, von derselben Hand, dieAlessio
Baldovinetti zugeschrieben werden, jedenfalls mit Unrecht, denn an diesen
bedeutenden Künstler reichen sie bei weitem nicht heran.
Die Münchener ist wohl die beste von diesen Zeichnungen.
Antonio Pollajuolo.
Studie zu dem Reiterdenkmal Francesco Sforzas, angeblich früher
in Vasaris Besitz, Bisterzeichnung auf dunklem gefärbtem Grund, schlecht
erhalten.
Morelli p. 1 5 1 , Berenson Nr. 1908.
Über einige altitalienische Zeichnungen usw.
227
Echte Zeichnung des Meisters von großer, monumentaler Auffassung.
Das Pferd erinnert sehr an die Pferde, die im Hintergrund des Sebastian-
bildes in London heransprengen.
Pietro Perugino.
Ein gefesselter Jüngling, wird vor einen Richter geführt.
Silberstiftzeichnung auf präpariertem Papier, weißgehöht.
Diese schöne Zeichnung veranlaßt mich zu einem kurzen Exkurs über
Perugino.
Über die Frühzeit Peruginos bis 1480, also bis zu seinem 34. Jahre,
wissen wir weniger, als über die Frühzeit irgendeines andern großen ita-
lienischen Quattrocentisten.
1446 geboren, kam er jung nach Perugia in die Lehre, es ist zweifelhaft
zu wem; von Fiorenzo mag er beeinflußt worden sein.
1472 schreibt er sich in Florenz in der compagnia dei pittori ein, also
als Meister.
1475 malt er Fresken im Pal. Publico in Perugia, die untergegangen sind.
1478 führt er einen Freskenzyklus in Cerqueto aus, wovon bloß das Frag-
ment eines hl. Sebastian erhalten ist.
1480 wird er mit den berühmtesten Malern Italiens nach Rom berufen,
um die Cappella Sistina mit Fresken auszuschmücken. Er erhält den größten
Auftrag auf sechs Fresken. Vor den andern berühmten Künstlern wurde
er also besonders ausgezeichnet.
Von den drei erhaltenen Fresken führte er bloß die Schlüsselübergabe
eigenhändig aus, die Ausführung der beiden andern überließ er seinem
Schüler Pinturrichio. Die Schlüsselübergabe ist das erste und auch das
größte Meisterwerk Peruginos.
Den großen Florentinern, Botticelli und Ghirlandajo und selbst seinem
Landsmann Signorelli (der Feuer aus dem Stein schlug) gegenüber, ist
Perugino, wenn nicht ein größerer, so doch ein anderer großer Künstler.
Mit ihm ist die umbrische Kunst eine Großmacht geworden, die durch
seinen Schüler Raffael die Welt erobern sollte, mit und gegenüber dem größten
Florentiner, Michelangelo.
Im Vergleich mit den überfüllten unruhigen, bunten Fresken der andern
Quattrocentisten in der Sistina ist Peruginos Fresko übersichtlich ge-
gliedert, ruhig und klar,, gleich für den Beschauer verständlich, von
strahlender Farbenpracht. Und letztere hat sich bis zum heutigen Tage
erhalten.
Die eigentliche Schlüsselübergabe in Christus und Petrus ist schlicht
und eindringlich geschildert.
Die gehaltene, seelenvolle Stimmung und Feierlichkeit geht auf die
Apostel über.
22 8
A. v. Beckerath:
An sie schließen sich an beiden Seiten vornehme Männer und Künstler
in schöner Gewandung an, mit ausdrucksvollen, sinnenden Köpfen, die zu
den schönsten des ganzen Quattrocento gehören und wegen ihres intimen
Reizes nicht genug gepriesen werden können.
Die lange, vordere Figurenreihe ist nicht florentinisch komponiert,
man könnte den Mangel an Konzentration, die paarweise Aufmarschierung
der Protagonisten, tadeln. Perugino ist hier ganz Quattrocentist, nur auf
das Einzelne bedacht, es so genau charakteristisch wie möglich zu machen.
Viel weniger im Bann seiner Zeit, vielmehr ihr voraus, ist sein Raum-
gefühl, die malerische Vereinigung der Figuren mit dem Hintergründe.
Die vorderen Figuren stellt er vor einem Mittelgrund, einer großen
hellen Bodenfläche, der durch Hintergrundarchitekturen und Landschafts-
ausschnitte rhythmisch begrenzt wird.
Von dieser hellen Bodenfläche hebt sich die Figurenreihe in wohl-
tuender Klarheit und Weichheit ab.
Eine Menge kleiner (eigentlich zu kleiner) Figürchen spazieren, laufen,
gehen auf dem Mittelgrund und unterhalten den Beschauer aufs ange-
nehmste, dem bei ihrem Anblick ein Gefühl der Freiheit überkommt.
Noch habe ich nicht von der Zeichnung, dem Hauptgrund aller bilden-
den Kunst, gesprochen.
Die Zeichnung Peruginos in der Schlüsselübergabe ist höchst vortreff-
lich, wahrhaftig, lebenschaffend, von höchster Schärfe und Bestimmtheit.
Bei aller natürlichen Anlage konnte Perugino seine Ausbildung als Zeichner
nur in Florenz, der Kapitale der wissenschaftlichen und praktischen Kunst-
ausübung erhalten, im Verkehr mit den dortigen großen Künstlern (um
1465 — 1480) oder als Lehrling derselben.
Vasari sagt, daß er in der Werkstatt Verrocchios mit Leonardo und
Lorenzo di Credi gelernt habe, ferner daß er in Arezzo Geselle Piero della
Francescos gewesen sei.
Genaues, Gewisses ist uns darüber nicht bekannt.
Indem ich hiermit den Exkurs über Perugino schließe, welcher eines-
teils bezweckte, dem geneigten Leser ins Gedächtnis zurückzurufen, welche
hohe künstlerische und historische Bedeutung das Fresko der Schlüssel-
übergabe hat, was heute vielfach verkannt wird; andernteils zu rekapitu-
lieren, wie wenig uns über den Werdegang des Künstlers bis 1480 bekannt
ist, glaube ich das Interesse angeregt zu haben für die schöne Zeichnung
der Graphischen Sammlung, die ich Perugino zuschreibe und ungefähr
um 1470 — 1480 datiere.
Nichtreligiöse Stoffe hat Perugino nur selten behandelt, dazu gehören:
die Decke des Cambio, die Bilder im Louvre, Kampf zwischen Liebe und
Keuschheit, Apollo und Marsyas und unsere Zeichnung.
Über einige altitalienische Zeichnungen usw.
229
Das Sujet zu letzterer mag er Antonio Pollajuolo verdanken.
Im Britischen Museum befindet sich eine Kopie einer Zeichnung
Pollajuolos »ein gefesselter Gefangener vor einen Richter gebracht«, acht
nackte Figuren (Berenson Nr. 1906, mein Artikel im Repertorium 1906 p. 120).
Eine ganz ähnliche Komposition befindet sich in dem Sebastianbild
A. Pollajuolos in London, dort als Relief in einem Rund gemalt, an dem
Triumphbogen links.
Schmidt meint, daß der Mann zu äußerst rechts auf der Zeichnung
eine freie Nachahmung der Zeichnung A. Pollajuolos im Louvre sei. Das
kann sein (die resp. Zeichnung im Louvre wird von der neuern Kritik,
Berenson Nr. 1949, in die Schule Pollajuolos verwiesen, eine echte Zeich-
nung ist sie jedenfalls nicht), denn eine derartige Stellung nackter Männer
in gespreizter Beinstellung, vom Rücken gesehen, ist pollajuolesk, sie kommt
aber auch früh mit Vorliebe bei Signorelli vor.
Die Darstellung der Vorführung des Gefesselten bei Pollajuolo ist eine
leidenschaftliche, dramatische, aufgeregte, in vollem Gegensatz zu der
Peruginos, der mehr ein intimes Seelengemälde gibt, bloß der vom Rücken
gesehene Wächter zeigt mehr körperliche Bewegung.
Ebenso macht Perugino in seinem Louvrebild, Apollo und Marsyas,
aus dem dramatischen, antiken Stoff ein heiteres Idyll.
Schmidt erinnern Kopf, Charakter und Beinstellung des Gefesselten
an Perugino, das ist ja offenbar, ebenso die Übereinstimmung desselben
mit dem Apollo (Zeichnung Peruginos zu Apollo und Marsyas in Venedig).
Da sind der Typus des Gesichts, Arrangement der Haare mit den
Locken (natürlich ohne den Lorbeerkranz) fast identisch.
Nicht weniger peruginesk ist der Richter mit seiner Kopfbedeckung,
letztere kommt im Cambio ganz ähnlich vor.
Die Körper aller vier Figuren, Gesicht, Arme, Beine, Bewegung,
Ponderation sind peruginesk, was sich durch Konfrontierung mit dem
Oeuvre des Meisters beweisen läßt.
Die Köpfe der zwei Männer, die den Jüngling festhalten, weichen
etwas ab, sie sind wohl Reminiszenz an Pollajuolo.
Noch wesentlicher, eigentümlicher, bestimmender sind das .innerliche
Sentiment, die Innigkeit des sinnenden Ausdrucks, das harmonische Linien-
gefühl, das Raumgefühl.
Der Gefesselte selber, obgleich körperlich gut entwickelt, macht
einen etwas femininen Eindruck; ohne Bedrücktheit ist er nicht, aber seine
Schuld kann nicht groß sein. Er wird sicher freigesprochen werden, wie
aus dem wohlwollenden, wenn auch forschenden Blick des Richters, einem
Manne von vornehmem Äußern, im besten Mannesalter, hervorgeht. Mit
nobler Armbewegung spricht er zu dem Angeklagten.
230
A. v. Beckeratlf:
Der erste Wächter sieht sehr gelassen drein, er erwartet keine schlimmen
Sachen.
Der andere Wächter (im Kontrast) ist teilnahmsvoller, neugierig er-
wartet er, was kommen wird. Ein Rhythmus, ein wohltuendes Raumgefühl
waltet über der Komposition.
Der hölzerne Thron, auf dem der Richter sitzt, nimmt vielleicht etwas
zuviel Platz in Anspruch, er ist aber mit ausgesucht feinem Geschmack
entworfen, resp. gezeichnet und sehr charakteristisch für Perugino; ähnliche
Throne, Tabernakel, Profilierungen finden sich in den Bildern im Vatikan,
in Cremona, München, im Louvre.
Große Analogien bestehen zwischen unserer Zeichnung und dem
Bild^ im Louvre, Apollo und Marsyas und der Zeichnung zu diesem
Bilde in Venedig, wie oben schon bemerkt.
Das herrliche Bildchen im Louvre trägt den Namen Raffael und ist
seiner wohl würdig, es ist aber sicher von Perugino gemalt.
Knapp datiert es um 1505, was meines Erachtens viel zu spät ist,
ich möchte es um ein Jahrzehnt früher datieren, im Bereich der Glanzzeit
des Meisters, wozu es der Qualität nach, ja zweifellos gehört.
Die Zeichnung in Venedig müßte dann auch um 1495 etwa zu datieren
sein. Ein Vergleich dieser Zeichnung mit der Münchener ist, um meine
Vermutung zu beweisen, daß letztere vor 1480 zu datieren ist, sehr wesentlich.
Die Formgebung auf der Münchener Zeichnung ist von metallischer
Härte und Schärfe, von größter Bestimmtheit bis in jedes Einzelne, echt
quattrocentistisch, dagegen ist auf der venetianischen Zeichnung die Linien-
führung viel weicher und rundlicher, Härten sind ganz vermieden, die
Schwellungen der Körper sind zart und flüssig, lebensvoller, aber auch
flüchtiger.
Schmidts Klagen über den schlechten Erhaltungszustand der Zeich-
nung halte ich nicht für gerechtfertigt. In Anbetracht ihres hohen Alters
ist die Zeichnung vortrefflich erhalten.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto
Bonfigli.
Von Walter Bombe.
(Schluß.)
Obgleich die Gonfaloni meist datiert sind, bieten sie in stilkritischer
Hinsicht keine Handhabe. Eine Entwicklung des Künstlers an diesen
Schöpfungen aufzuzeigen, die ihrer Entstehung nach einen Zeitraum von
18 Jahren umspannen, ist nicht möglich, da das Maß der aufgewendeten
Sorgfalt ein zu verschiedenes ist. Das von der Tradition vorgeschriebene
Thema, das die Darstellung einer Menge heterogener Dinge auf verhältnis-
mäßig kleinem Raum bei mehrfach wechselndem Maßstab voraussetzte, er-
schien ihm wohl zu steril, als daß es ihn zu individuellerer Gestaltung hätte
verlocken können. 4°)
In der Hauptsache nach den alten Kompositionsprinzipien ist der
Gonfalone von S. Domenico in Perugia aufgebaut, der 1494 auf Ver-
anlassung der Beata Colomba für 20 fl. von einem Schüler Peruginos
gemalt wurde.
Ganz oben thront Christus mit drei Pfeilen in der Rechten. Mit ihm
in gleicher Reihe knien links die Jungfrau Maria, S. Giuseppe und S. Seba-
stiano, rechts der Täufer, S. Lorenzo und S. Ercolano. In der zweiten, mitt-
leren Zone des Bildfeldes versendet links ein Engel die verderbenbringenden
Pfeile, ein anderer, rechts, stößt sein Schwert in die Scheide, während ein
dritter in der Mitte eine Tafel mit der Inschrift trägt: »Parce Domine, parce
populo tuo«. Unten eine Ansicht von Perugia, und befremdend archa-
istisch, im Sinne der umgekehrten Perspektive des Trecento, dahinter die
viel zu großen Gestalten der Betenden. S. Domenico und S. Caterina da
Siena empfehlen die Gemeinde der himmlischen Gnade.
4°) Die folgenden Bemerkungen über Gonfalonebilder anderer Meister sind aus
einem Aufsatz des Verfassers in der Zeitschrift Augusta Peru«'* 1907 p. 1 — 7 zu-
sammengestellt und hatten den Zweck, die bei Gelegenheit der Peruginer Mostra 1907
auf seine Veranlassung dort vereinigten Gonfalonebilder alter Zeit zu illustrieren. Da
diese Ausführungen wohl nur wenigen Lesern des Repertoriums vor Augen gekommen
sind, erscheint ihr Wiederabdruck am Platze.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXIL
17
232
Walter Bombe:
Daß auch sonst umbrische Maler des Cinquecento das alte Kompo-
sitionsschema gelegentlich übernahmen, zeigt ein Gonfalone des Perugino-
schülers Berto di Giovanni im linken Seitenschiff des Doms zu
Perugia.
Oben sehen wir Christus mit Blitzen und gezücktem Schwert. Die
Jungfrau Maria ist vor ihm in die Knie gesunken und hemmt seinen Arm.
Seitwärts bittend S. Giuseppe und S. Costanzo. Ein Engel mit einem Cartello
in der Hand, auf das die Madonna hinweist, trennt den himmlischen Vorgang
von dem irdischen. Auf dem Cartello stehen die Worte: »Quomodo enim
sustinere potero necem et interfectionem populi mei?« Unten erblickt man
eine Ansicht von Perugia und davor viel gläubiges Volk. Einer aus der
Menge hält ein Schriftband mit dem Motto: »Salus nostra in manu tua
est, et nos et terre nostre tui sumus«. Das Bild stammt aus dem Jahre 1526.
Erinnerungen an die alte Form verwertet auch Perugino in seinem
Gonfalone della Giustizia, von 1498. Hier sind Himmel und Erde
noch streng geschieden : Oben die Jungfrau, umgeben von Engeln und Seraphim.
Auf der Erde knien S. Francesco und S. Bernardino. Die Mitglieder der
Brüderschaft sind auch hier in winzigem Maßstabe dargestellt; doch hat
Perugino sie, um ihre Kleinheit zu motivieren, in den entfernteren Hinter-
grund gerückt. Ganz in der Ferne, der übliche Landschaftsstreifen mit
der Ansicht von Perugia.
Auf Peruginos Gonfalone der Brüderschaft di S. Pietro Martire,
gleichfalls von 1498, vollzieht sich der himmlische Vorgang auf gleicher
Ebene mit dem irdischen. Maria sitzt, von zwei Engeln begleitet, das seg-
nende Kind auf dem Schoße, in sonniger Abendlandschaft. In der Ferne,
betend, die weißgekleideten Mitglieder der Brüderschaft.
Alter umbrischer Tradition folgt auch Benozzo Gozzoli in einem
großen Freskobilde, das er 1464 nach dem Erlöschen einer furchtbaren Pest
für die Kirche S. Agostino in S. Gimignano gemalt hat. Zentralfigur ist
der Pestheilige Sebastian, der auf einem Postament steht und unter dessen
von zwei Engeln gehaltenem Mantel sich das Volk von S. Gimignano zu-
sammendrängt, links Männer und Knaben, rechts Frauen und Mädchen.
Von oben schleudert Gottvater Pfeile herab. Zahlreiche Engel neben ihm
werfen gleichfalls Pfeile, die an dem Mantel des Heiligen abprallen und
von anderen Engeln zerbrochen werden. Etwas tiefer als Gottvater knien
Christus und Maria.
Der zürnende Gottvater findet sich bei Benozzo Gozzoli schon früher,
auf dem Fresko in S. Francesco zu Montefalco, das die Begegnung zwischen
S. Domenico und S. Francesco darstellt (nach 1452). Noch früher auf Fra
Angelicos Darstellung des gleichen Gegenstandes in einem Täfelchen des
Kaiser Friedrich-Museums. Benozzo wie Fra Angelico haben das Motiv
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
233
des zürnenden Gottes sicherlich in Umbrien kennen gelernt. Daß aber auch
sonst der toskanischen Kunst dieses umbrische Motiv nicht fremd
ist, beweist ein merkwürdiges Votivbild von der Hand des Filippino
Lippi in der Pittigalerie. Im Vordergründe sehen wir einen zu Boden
gesunkenen Jüngling, um dessen Leib sich eine Schlange windet, und
der verzweifelt die Arme aulsstreckt. Von ihm führt zu dem im Mittel-
gründe rechts unter einem Baume sitzenden Gottvater, der auf dem Schoße
mit beiden Händen Blitze hält, eine Inschrift, welche lautet: »Nulla deterior
pestis quam familiaris inimicus«. Vor Gottvater steht, die Arme nach ihm
ausstreckend, ein dem im Vordergründe ähnlicher Jüngling, dessen Beine
von einer Schlange umwunden sind, und zu dem ein weißes Wiesel, das
Wappentier der Florentiner Familie Vecchietti, den Kopf emporhebt. Im
Hintergründe erscheint Florenz mit dem, Domkuppel und Türme über-
ragenden, Monte Morello.
Wie ein Künstler des Nordens das Thema des zürnenden Gottvaters
behandelt, zeigt uns Hans Holbeins des Älteren Votivbild für den
Bürgermeister Ulrich Schwartz in Augsburg, das 1508 gemalt ist. Unten der
Stifter mit seiner zahlreichen Familie, 3 Frauen, 17 Söhnen und 14 Töchtern.
Christus links oben, weist auf seine Seitenwunde:
»Vatter, sich an mein Wunden rot
Hilf den Menschen aus aller Not
Durch meinen bittern Tod.«
Die Jungfrau Maria zeigt auf ihre entblößte Brust:
»Her thun ein dein schwert
Des du hast erzogen
Und sich an die Brust
Die dei Sun hat gesogen.«
Gottvater steckt sein Schwert in die Scheide mit den Worten-
»Barmherzigkait will ich allen den erzaigen
Die da mit wahrer Reu von hinnen schaiden.«
Anordnung der Komposition und Text der Spruchbänder erinnern in ganz
überraschender Weise an umbrische Gonfalonebilder.
Daß auch die freiesten Individualitäten unter den Renaissancekünstlern
sich nicht ganz dem Banne mittelalterlicher Tradition zu entziehen ver-
mochten, wenn es sich um Darstellung sakraler Vorgänge handelte, beweist
Raffaels Madonna di Foligno. Auf leichtem Gewölk herausschw'ebenu,
neigt sich die Gottesmutter herab zu dem von Hieronymus empfohlenen Stifter.
Links blickt S. Francesco empor, der mit einer hiridubueutenden Hand-
bewegung gleichsam die ganze gläubige Gemeinde in seine Fürbitte ein-
schließt. Ein Engelknabe, der ein Cartello trägt, ist, wie auf den Gonfaloni,
•das Bindeglied zwischen Erde und Himmel. An Stelle des Landschafts-
17'
234
Walter Bombe:
Streifens eine ideale Ansicht von Foligno. Doch überbietet Raffael seine
umbrischen Vorgänger durch eine Vielseitigkeit und Tiefe der geistigen
Kontraste, die jede Vergleichbarkeit aulhebt.
Auf bedeutsame Zusammenhänge zwischen der bildenden Kunst und
der lebendigen Kultur der Zeit führen uns diese merkwürdigen Gonfalone-
bilder. Liturgie, Predigt und Mysterienspiel sind nach Anton Springer die
hauptsächlichsten Quellen, aus denen der Künstler des Mittelalters schöpft.
Die Figur des zürnenden Christus mit ihrer Umgebung von Engeln, welche
die Marterinstrumente halten, ist dem alten Weltgerichtsszenarium des
dreizehnten Jahrhunderts entlehnt. Die Gottesmutter hatte Anteil am
Erlösungswerke, und die mittelalterlichen Hymnen gedenken ihrer als Helferin
am Tage des jüngsten Gerichts. Zugleich mit der Jungfrau werden die
heiligen Schutzpatrone angerufen. Auch die Dialoge zwischen der Madonna
und den Heiligen finden wir in den Mysterienspielen wieder, die besonders
in Umbrien ihre Heimstätte hatten. Und ist das lange Gedicht auf dem
Gonfalone von S. Fiorenzo nicht eine getreue Wiedergabe des Sermons
eines jener Bußprediger, die damals Italien durchwanderten? Weber in
seinem Buche: »Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst« hat nach-
gewiesen, daß das kirchliche Schauspiel in zahlreichen Fällen die Grund-
lage für die Auswahl und Zusammensetzung des Portalschmuckes, nament-
lich der gotischen Kathedralen gewesen ist. Vielleicht ist es nicht zu kühn,
wenn wir die Vermutung aussprechen, daß die Gonfaloni nur eine getreue
Wiedergabe der Szenen sind, die auf der Bühne im Innern der Kirche oder
auf dem Platze vor derselben vor den Augen der Beschauer sich abspielten.
Die Fresken in der Kapelle der Prioren.
Die Kapelle der Prioren, im Obergeschoß des Palazzo Pubblico gelegen,
ist heute ein Bestandteil des städtischen Museums. Sie stellt sich dar
als ein hoher Raum mit fast quadratischem Grundriß. Durch zwei
an der Ostseite angebrachte Fenster empfängt sie unzureichendes Licht.
Die ursprüngliche flache Balkendecke ist 1907 durch eine Kassettendecke
ersetzt worden. Deir Altar ist entfernt. Als Altartafel diente Peruginos
jetzt in Rom befindliche Madonna mit den vier Schutzpatronen von Perugia.
Das Chorgestühl ist mit Hülfe der bis vor kurzem im Universitätsmuseum
aufbewahrten Fragmente des alten Gestühles durch Wenceslao Moretti er-
gänzt worden. Über die Entstehung und die Geschichte der Fresken ist
das Wichtigste schon oben gesagt.
Die Reihe von Erzählungen aus der Legende des heiligen Ludwig
nimmt auf dem engen Raum zwischen Fenster und Südwand ihren Anfang.
Gegenstand der Darstellung ist die Bischofs weihe des Heiligen, welche
1296 in Rom durch Papst Bonifaz VIII. erfolgte. In einem von Säulen
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
235
getragenen Saal mit kassettierter flacher Decke geht die feierliche Zeremonie
vor sich. Rechts sitzt (nach links gewandt) auf einem durch drei Stufen
erhöhten Thron der Papst, den apostolischen Segen erteilend. Zu den Seiten
des Papstes, etwas niedriger, zwei Kardinäle. Ein Prälat hält sich,
den Hut in der Hand, im Hintergründe. In der Mitte steht in Franziskaner-
kutte der zweiundzwanzigjährige Ludwig, die Hände erhebend und den Blick
zu Bonifaz emporgerichtet. Ein Franziskanermönch wendet, vor dem Heiligen
stehend, dem Beschauer den Rücken und verneigt sich tief vor dem Papste.
Links wird der Kopf eines etwa fünfzigjährigen Mannes sichtbar, welcher an
dem Vorgang keinen Anteil zu nehmen scheint. Nach alter Tradition hätte
hier der Maler sich selbst porträtiert, was aber wohl durch das Alter der
dargestellten Persönlichkeit ausgeschlossen ist.
Dieses erste Bild der Freskenreihe erweckt sofort eine günstige Meinung
von dem Können des Meisters. Die Ausführung offenbart eine der Fresko -
technik kundige Hand. In den perspektivisch richtig verkürzten Raum
sind die Figuren mit Geschick hineinkomponiert. Möglicherweise hat ein
Fresko des Fra Angelico in der Nikolauskapelle im Vatikan, welches die
Ernennung des heiligen Stephanus zum Diakon schildert, die Anregung zu
Bonfiglis Fresko gegeben. Doch ist die Komposition des Umbrers im
Gegensinn angeordnet und die Charakteristik der einzelnen Personen dessen
geistiges Eigentum. Die runden Kopfformen des heiligen Ludwig und
des Prälaten im Hintergründe und die Proportionierung der Gestalten
erinnern an Filippo Lippi. Das architektonische Beiwerk zeigt ein Gemisch
von gotischen und Renaissanceformen. Die achteckigen Säulen, welche die
Decke tragen, sind gekehlt und ausgewinkelt. Sie bestehen aus ab-
wechselnd weißen und roten Marmorschichten (dem bekannten Material,
das für Assisi und Perugia der Monte Subasio lieferte) und schließen ab
mit einem gotischen Blätterkapitäl. Die Täfelung der Decke und die Türen
an der Rückwand zeigen wiederum Renaissanceformen. Das Kolorit ist
gedämpft; der Zustand der Erhaltung ist ein verhältnismäßig guter.
Auf der Südwand der Kapelle sind zwei weitere Geschichten aus der
Legende des heiligen Ludwig dargestellt. Es folgt zunächst das Wunder
des Kaufmanns von Marseille. Die Legende, welche der Dar-
stellung zugrunde liegt, ist in den Acta Sanctorum 4*) erzählt: Ein Kauf-
mann verliert während eines Seesturmes die mit Geld gefüllte Börse, welche
sein ganzes Vermögen enthielt. In seiner Not bittet er den heiligen Ludwig
um Beistand. Dieser erhört seine Bitte, und in den Eingeweiden eines
auf dem Markte gekauften Fisches findet der Kaufmann die verlorene Börse
wieder.
41) Acta Sanctorum, Aug. III, p. 795^-
236
Walter Bombe:
Diese Geschichte hat Bonfigli auf der linken Hälfte der Südwand in
einem umfangreichen Breitbilde erzählt. Ein Schiff treibt mit windgeschwell-
ten Segeln auf die Stadt Marseille zu, welche sich, vom Meere aus ansteigend,
auf steiniger Küste erhebt. Über dem Schiff erscheint in einer runden Glorie
die Gestalt des heiligen Wundertäters. An dem felsigen Meeresufer sitzt
ein halbnackter Fischer mit der Angelrute. Ein zweiter, nur mit schmalem
Lendentuch und kurzem Mantel bekleideter Fischer trägt auf dem Rücken
mehrere große Fische und empfängt von dem links herzut'retenden Kaufmann
eine Zahlung. Rechts hat sich vor einer von drei Bogen getragenen Halle,
welcher eine Laube vorgebaut ist, das Wunder vollzogen. Auf einer rohen
Bank liegt der geschlachtete Fisch, und neben ihm steht die rote Börse.
Mönche und Laienbrüder schauen betroffen auf das Wunder. Rechts kniet
der fromme Kaufmann und faltet die Hände zum Dankgebet.
Die einzelnen Vorgänge der Handlung sind klar und verständlich zum
Ausdruck gebracht. Lebhafte Farben hat der Meister auch hier vermieden,
wenngleich zugegeben werden muß, daß das Kolorit von seiner ursprüng-
lichen Frische viel eingebüßt hat. Das Ultramarin des Himmels ist auf-
gezehrt, und an einzelnen Stellen hat das Bild durch Abblättern von Farbe
gelitten. Der Akt des Fischers ist überraschend gut und erinnert an Piero
della Francesca 4*). Die Gruppe der dem Wunder zuschauenden Männer
ist sehr lebendig, die Gewandbehandlung breit und flott. Mit großer Liebe ist
der steinige Vordergrund ausgeführt. Zu der turmreichen Stadt im Hinter-
gründe hat Perugia die Anregung gegeben. Wir erblicken hier mit gering-
fügigen Änderungen den gewaltigen Finestrone von S. Domenico und den
schlankeh Campanile von S. Pietro.
Auf der rechten Hälfte der Südwand hat der Künstler ein anderes
Wunder aus der Legende des heiligen Ludwig zur Darstellung gebracht.
Leider entzieht sich der dargestellte Vorgang unserer Kenntnis, da die ganze
Mitte und die obere Hälfte des Bildes zugrunde gegangen sind. Auch die
Schriftquellen über den heiligen Ludwig geben keinen Aufschluß.
Ort der Handlung ist ein freier Platz vor dem römischen Konstantins-
bogen. Wir erblicken im Vordergründe links eine Gruppe von etwa zehn
Personen, welche einem Wunder beiwohnen, das sich in der zugrunde ge-
gangenen Mitte des Bildes zuträgt. Der Vorderstein der Reihe der Zuschauer
zeigt mit der Rechten auf die Stelle, wo sich das Wunder vollzieht, und wendet
sich mit lebhafter Geberde, zu den Begleitern, in deren Gesichtern sich Er-
staunen und Betroffensein ausdrücken. Oben erscheint, von einer runden
Strahlenglorie umflossen, die Gestalt des segnenden Heiligen. Auf der fast
gänzlich zugrunde gegangenen rechten Hälfte des Freskos führen drei Stufen
4J) Vgl. den Sebastian auf dem Misericordienaltar in San Sepolcro und die Akte
auf dem Fresko in San Francesco in Arezzo, welches den Tod Adams darstellt.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
237
zu einer von kannellierten Pilastern getragenen Halle, welche durch ein
niedriges metallenes Geländer abgeschlossen ist. Von den hier dargestellten
Personen sind nur noch die Gestalten eines Mannes und einer Frau sichtbar.
In dem architektonischen Hintergründe hat Bonfigli aus Phantasie und
Wirklichkeit ein reizvolles Ensemble geschaffen. Der mit bewunderungs-
würdiger Treue wiedergegebene Bau des Konstantinbogens ist eine Remi-
niszenz des Meisters an seinen römischen Aufenthalt. Hinter der Mittel-
öffnung des Bogens wird ein phantastisches Gebäude mit Bogenhalle und
gotischen Spitzgiebeln sichtbar. Wir sehen den Bogen rechts und links
von Häusern und Türmen umgeben. Wieweit der Maler hier der
Wirklichkeit gefolgt ist, läßt sich nicht mehr entscheiden, da bei der unter
Clemens XII. im Jahre 1733 erfolgten Ausgrabung und Freilegung des Kon-
stantinsbogens die anstoßenden Häuser niedergerissen wurden.
Wir wissen nicht mit absoluter Bestimmtheit, ob Bonfiglis Arbeit im
Jahre 1461, als Filippo Lippi die erste Hälfte der Fresken abschätzte, nur
bis hierher gediehen war, oder noch das folgende Fresko, die Totenmesse
für den heiligen Ludwig, umfaßte. Doch bezieht sich Filippo Lippis Gut-
achten ausdrücklich nur auf die dem alten Palazzo Pubblico zugewandte
Seite der Kapelle 43), wo die Malereien damals nahezu vollendet waren 43a),
Mit einer Schilderung der Totenmesse des heiligen Ludwig im
Franziskanerdom zu Marseille (Westseite der Kapelle, gegenüber der Fenster-
wand) schließt die Reihe der auf diesen Heiligen sich beziehenden Fresken.
Der Raum, in welchem die Totenmesse stattfindet, ist eine dreischiffige
Basilika, deren Mittelschiff das altertümliche Sparrendach aufweist und
durch je sieben korinthische kannellierte Säulen getragen wird. Die Seiten-
schiffe sind durch kannellierte Pilaster mit korinthisierenden Kapitellen
gegliedert, zwischen denen ein dreigeteiltes einfaches Gebälk entlang läuft.
Der Chor zeigt gotische Formen.
Im Mittelschiff ist die Leiche in weißem, mit den goldenen angiovini-
schen Lilien besätem Gewände aufgebahrt. Auch die Decke der Bahre zeigt
reichen Goldschmuck. Die Leiche umstehen im Halbkreise trauernde
Franziskanermönche, welche Lichter in den Händen halten und
ihre Litanei singen. Ein Bischof liest aus einem Meßbuche, das ihm
ein kniender Chorknabe hinhält, die Sterbegebete. An der Vorder-
seite der Bahre kniet mit dem Rücken nach dem Beschauer ein
blonder Jüngling in rotem Kleide und mit goldener Halskette, wahr-
scheinlich Ludwigs jüngerer Bruder Robert, der ihm die Krone von
—
43) »Prout nunc sunt ille depictte et factte figure per ipsum Benedictum in pariete
dicte capeile versus Palatium veterem« (Ann. Decemv. 1461 c. 83.
43a) »De medietate dicte capeile quasi jam depictte« (Ann. Decemv. 1461 c. 83).
238
Walter Bombe:
Neapel verdankte 44). In den Seitenschiffen der Kirche hat sich leid*
tragendes Volk versammelt, links Männer, rechts Frauen.
Die Raumbehandlung (der Künstler hat die gerade Ansicht von vorn
gewählt), zeugt von einer guten Kenntnis der Perspektive, die Bonfigli
wahrscheinlich dem Piero della Francesca verdankt, während die Typen der
Mönche (runde, etwas gedrückte Kopfform, kurzer Hals, kurze Nase, breiter
Mund) und ihre untersetzten Körper stark an Gestalten Filippo Lippis
erinnern. Das- Motiv des sich mit dem weiten Ärmel das Gesicht verhüllen-
den Mönches und seiner trauernden Nachbarn ist entnommen aus dem
Predellenbilde Fra Angelicos für S. Domenico in Perugia, welches die Toten-
klage um den heiligen Nikolaus schildert 45). Das Motiv des Mönches, der
sich mit dem Ärmel der Kutte über das Gesicht fährt, um sich die Tränen
abzuwischen, findet sich ein zweites Mal bei Fra Angelico in der Toten-
klage um den heiligen Franz (Cortona, Chiesa del Gesu). Der von Ulmann,
Williamson, Supino und anderen vertretenen Ansicht, daß Bonfiglis Fresko
dem Filippo Lippi bei seiner Beisetzung des heiligen Stephanus im Dom
zu Prato als Vorbild gedient habe, muß widersprochen werden. Die
Komposition Filippo Lippis ist doch von der des Peruginer Meisters recht
Verschieden. Man wird von dem Gedanken einer Anleihe des großen Floren-
tiner Meisters bei dem Umbrer absehen müssen und besser annehmen, daß
der Frate, wie Benozzo Gozzoli, Ghirlandajo und viele andere, seine Bei-
setzungsszene in freier Anlehnung an Giottos Exequien des heiligen Franz
in der Cappella Bardi in S. Croce geschaffen habe 46).
Die Fresken mit Darstellungen aus der Legende des heiligen
Herkulanus schließen sich unmittelbar an die Ludwigsfresken an und
bedecken die rechte Hälfte der Westseite, die ganze Nordseite und einen
schmalen Streifen an der Fensterwand (Ostseite) der Kapelle.
Die Legende des heiligen Herkulanus ist auf das engste mit einem
Ereignis aus Perugias Geschichte verknüpft: Ais der Gotenkönig Totila,
so berichtet die Ortslegende 47), im Jahre 547 nach Chr. mit großer Heeres-
macht Perugia belagerte, leitete der Bischof Herkulanus die Verteidigung
44) Simone Martini hat die Krönung Roberts auf einem Altarbilde in S. Lorenzo
Maggiore zu Neapel dargestellt. (7. Kap. rechts.)
45) Weisbach nimmt für dieses Bildchen die Urheberschaft des Pesellino in An-
spruch (Weisbach, Pesellino p. 41).
46) Die Komposition der Totenfeier des heiligen Stephanus kehrt ganz ähnlich
wieder in dem Bilde der Bestattung Marias im Dom zu Spoleto. Auch der Tod des heiligen
Bernhardin von Filippo Lippi im rechten Querschiff des Doms zu Prato geht auf Giottos
Darstellung zurück.
47) »Anno vero septimo nondum finito obsessa urbe (Perusia) Gothorum exercitus
intravit. Tune comes qui eidem exercitui praeerat .... venerabilem virum Herculianum
Episcopum, super urbis murum deductum capite truncavit, ejusque cutem jam mortuo a
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
239
der Stadt. Durch den Verrat eines Priesters aber fiel Perugia schließlich
nach langem Widerstand in die Hände des Feindes, und der heilige Herku-
lanus wurde das erste Opfer der Rache des erzürnten Barbarenfürsten.
Totila ließ ihn enthaupten, der Leiche die Haut abziehen und den Körper
über die Stadtmauer werfen. Fromme Bauern bestatteten heimlich die
Leiche ihres Bischofs, und um die Stelle wiederzufinden, legten sie an seine
Seite die Leiche eines Kindes. Als man vierzig Tage nach dem Tode das Grab
öffnete, war das Haupt des Heiligen so vollkommen mit dem Körper ver-
wachsen, daß Spuren der geschehenen Enthauptung nicht mehr zu finden
waren. Die Leiche des Kindes aber war in Verwesung übergegangen. Im
Jahre 1378 wurde der Körper des Heiligen in feierlicher Prozession zunächst
in den Dom überführt und später nach San Pietro. Einen Teil seiner Reli-
quien setzte man 1609 in der ihm zu Ehren erbauten Kirche Sant' Ercolanobei.
Die Belagerung von Perugia.
Zum Verständnis der hier dargestellten Vorgänge muß noch einiges
vorausgeschickt werden: Totila, durch den hartnäckigen Widerstand der
Peruginer entmutigt, hatte den Entschluß gefaßt, mit seinem Heere ab-
zuziehen. Um ihn in diesem Gedanken zu bestärken, griffen die Peruginer,
deren Not aufs höchste gestiegen war, zu einer Kriegslist. Sie schlachteten
einen Ochsen, füllten den Leib des Tieres mit Getreide und warfen ihn nachts
über die Mauer in das feindliche Lager. Ein Priester aber, heißt es in der
Legende, verriet dem Gotenkönige die bedrängte Lage der Stadt, und dieser
ließ sofort einen Sturm auf Perugia unternehmen, der zur Eroberung der
Stadt führte.
Dieser Vorgang ist in der Mitte und auf der linken Seite des Freskos
dargestellt. Wir sehen hier drei Soldaten damit beschäftigt, den Körper
des Ochsen zu zerhauen. Vor dem Barbarenfürsten, der links in übergroßer
Gestalt, von Kriegsleuten umgeben, in der Nähe seiner Zelte auf goldenem
Sessel thront, Reichsapfel und Szepter in den Händen, steht der junge
Priester, der den Betrug enthüllt. Im Hintergründe sehen wir, wie der
Befehl des Königs vollzogen wird: Tubabläser rufen zum Kampf, mit Sturm-
leiter und Schilddach wird ein Angriff auf die Stadt von der Seite der Porta
Marzia her unternommen.
Die heimliche Bestattung des Bischofs hat der Künstler auf der rechten
Seite desselben Freskos geschildert. Entgegen dem Wortlaut der Legende
wird der Heilige vor der seinen Namen tragenden Kirche bestattet. Ein
vertice usque ad calcaneum incidit ut ex ejus corpore corrigia sublata videretur,
moxque corpus illius extra muros projecit.«
Acta et miracula integra S. Herculiani seu Herculani, auctore anonymo perusino
bei Pez in »Thesauri anecd. noviss.« T. II u. III, p. 127
240
Walter Bombe:
Mann, der dem Beschauer halb den Rücken wendet, hält in der Hand noch
die Hacke, mit der er das Grab geöffnet. Zwei kniende Männer legen behutsam
die Leiche in die Grube, in welcher sich schon der Körper des Kindes be-
findet. Rechts liegen dicht unter der Stadtmauer der Kopf und die ab-
gezogene Haut des Heiligen.
Mehr Interesse, als diese zum Teil mit naivem Ungeschick vorgeführten
Szenen darf der architektonische Hintergrund des Ganzen in Anspruch
nehmen. Den Künstler hat hier eine umfangreiche Darstellung des mittel-
alterlichen Perugia gegeben und mit staunenswerter Treue Häuser, Tore,
Türme und Kirchen seiner Vaterstadt aufgenommen. So sieht die etrus-
kische Porta Marzia ,noch heute aus, und die Kirche Sant’ Ercolano hat
Bonfigli in ihrer ursprünglichen Anlage festgehalten 48).
Einen Entwurf zu diesem Fresko bewahrt die Handzeichnungssamm-
lung der Uffizien 49). Es ist eine sorgfältige, weißgehöhte Silberstiftzeichnung
auf dunkelrotbräunem Papier. Die hier gegebene Fassung ist später ver-
worfen worden. Links hat vor seinem Zeit der Gotenkönig Platz genommen.
Vor ihm kniet der junge Priester. Soldaten hören zu. In der Ferne wird
ein Angriff auf die Porta Marzia ausgeführt. Auch das Zerhauen des von
der Stadtmauer herabgeworfenen Ochsen ist in die Ferne verlegt. Die Ansicht
von Perugia ist von einem mehr nördlichen Punkte aus aufgenommen.
Rechts wird der enthauptete Leichnam des Heiligen von der Mauer herab -
geworfen. Alle diese Einzelheiten müssen mehr erraten als herausgelesen
werden. Durch Nebensächliches, wie z. B. zwei in gemessenem Schritt
vorbeitrabende Reiter im Vordergründe wird die Aufmerksamkeit von Wich-
tigerem abgelenkt. Ein Vergleich der Skizze mit dem ausgeführten Bilde
lehrt, daß die endgültige Fassung gegenüber dem Entwurf an Klarheit der
Disposition bedeutend gewonnen hat.
Die Überführung der Leiche des heiligen Herku-
lanus in den Dom und nach S. Pietro.
Im Jahre 1378 beschlossen die Peruginer, die Leiche ihres heiligen
Schutzpatrons in feierlicher Prozession nach dem Dom überzuführen. Der
Schilderung dieser Prozession hat Bonfigli die ganze Nordwand der Kapelle
Vorbehalten. Durch den Korso, am Palazzo Pubblico vorbei, geht der Leichen-
zug auf den Domplatz zu. Trommler und Pfeifer gehen voran; ihnen folgt,
von acht Männern in geistlicher und weltlicher Kleidung getragen, die Bahre,
*8) Die Kirche war ursprünglich, wie aus Bonfiglis Wiedergabe und aus Dokumenten
hervorgeht, eine Doppelkirche wie San Francesco in Assisi. Auch die Lageverhältnisse
sind San Francesco ähnlich. Der Umbau von Sant Ercolano, welcher die Beseitigung der
Oberkirche zur Folge hatte, ist im 16. Jahrhundert ausgeführt worden.
49) Saal der Zeichnungen, Nr. 333. Phot. G. Brampton Philpot, Florenz, Nr. 576.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedelto Bonfigli.
241
auf welcher die Leiche des Heiligen ruht. Dominikanermönche und allerlei
Volk schließen sich an. Der mächtige Bau des Stadthauses bildet einen
wirkungsvollen Hintergrund für die Prozession. Auf der dem Dome zu-
gewandten Seite des Palazzo Pubblico haben sich noch Spuren der alten
Außentreppe erhalten, welche für die neuerdings erfolgte Rekonstruktion
der Treppe von Bedeutung wurden 5°). Die linke Hälfte des Freskos ist
fast gänzlich zerstört, was um so mehr zu bedauern ist, als bei der Gewissen-
haftigkeit Bonfiglis in der Wiedergabe architektonischer Einzelheiten hier
wichtige Aufschlüsse über die ursprüngliche Gestalt der palästereichen
Hauptstraße von Perugia zu erlangen gewesen wären.
Ein ähnlich umfassendes Stadtbild ist der architektonische Hinter-
grund des letzten Freskos, in welchem die zweite Überführung der-Reste des
heiligen Herkulanus nach S. Pietro geschildert wird. In der Mitte präsen-
tiert sich das seltsame Oktogon von S. Ercolano und die Kirche S. Domenico
mit ihrem gewaltigen Finestrone und mit der schönen Turmpyramide, die
durch den Brand des Jahres 1614 vernichtet wurde. Rechts wird S. Pietro
mit seinem schlanken gotischen Campanile, in der ursprünglichen Gestalt,
sichtbar 51). Ganz in der Ferne ragt der Palazzo Pubblico empor. Ein buntes
Gewirr von Häusern und Türmen vervollständigt das malerische Stadtbild.
Der Leichenzug geht an S. Ercolano vorbei nach S. Pietro, wo die Reste
des Heiligen ihre Ruhestätte finden sollten. Männer geistlichen und welt-
lichen Standes tragen die Leiche und folgen dem Zuge. Rechts knien tief
verschleiert Frauen, welche dem Heiligen ihre Ehrfurcht bezeugen. Vor der
Kirche S. Ercolano hat sich ein Wunder zugetragen: Ein totes Kind ist
zum Leben erweckt worden.
Da Bonfigli die Fresken nicht ganz vollendet hat, so muß die Frage
aufgeworfen werden, wieweit der Meister selbst an der Ausführung dieses
letzten Freskos beteiligt gewesen ist. Wenn auch die Architektur des Hinter-
grundes unzweifelhaft von ihm selbst entworfen ist, so verraten doch mehrere
Figuren in dem Leichenzuge eine fremde Hand; andere wieder sind durch
ungeschickte Retouchen späterer Zeiten bis fast zur Unkenntlichkeit ver-
dorben. Der Name des Künstlers, der Bonfiglis Lebenswerk vollendete,
ist uns nicht bekannt.
Die Fresken in der Kapelle der Prioren sind die bedeutendste Leistung
der quattrocentistischen Monumentalmalerei in Perugia und zugleich das
5°) Siehe Bellucci: L’Opera del Palazzo del Popolo di Perugia, in Vol. VII des
Bollettino Umbro und mein Referat im Repertorium Bd. 24, Heft 6, p. 465 — 466.
51) Der jetzige Kreuzgang von S. Pietro ist ein Werk des 16. Jahrhunderts. Die
vier orientalischen Granitsäulen, welche auf dem Fresko die Vorhalle tragen, sind jetzt an
den vier Ecken des Kreuzganges angebracht. Auf dem Campanile des Freskos das rätsel-
hafte Datum: M Quatro.
242
Walter Bombe:
Lebenswerk des Meisters. Fast 42 Jahre lang hat er, allerdings mit großen
Unterbrechungen, an der Ausmalung der Kapelle gearbeitet. Am 30. November
1454 Unterzeichnete er den Rontrakt, und am 8. Juli 1496, als er starb,
war das Werk noch nicht vollendet.
Es scheint, als. ob sich Benedetto von vornherein mit der Arbeit nicht
sonderlich beeilt habe, denn erst am 4. Juli 1457, fast drei Jahre nach Unter-
zeichnung des Kontraktes, empfing er die erste Zahlung von 15 fl. für die
begonnene Arbeit. Weitere vier Jahre vergingen bis zur Vollendung der
ersten Kapellenhälfte 52).
52) Zahlungen für die Fresken in der Kapelle der Prioren:
1454, 30. November:
Instrumentum inter Comune Perusii et Mag. Benedictum pictorem de pictura
Capelle Palatii (Boll. della R. Dep. di Storia Patria per l’Umbria 1900 Vol. VI,
р. 307ff.). Ann. Decemv. 1454 c. 127 t.
1457, 4. Juli:
Zahlung von 15 fl. an Benedetto Bonfigli. Ann. Decemv. 1457 c. 91.
1459, 29. Oktober:
Zahlung von 10 fl. an Benedetto Bonfigli. Ann. Decemv. 1459 c. 137.
1459, 26. November:
Zahlung von 12 fl. an Benedetto Bonfigli. Ibidem, c. 752 t.
1460, 27. Dezember:
Zahlung von 11 fl. an Benedetto Bonfigli. Ibidem 1460 c. 134.
1460:
Zahlung von 10 fl. und von 16 fl. an Benedetto Bonfigli. Computisteria comunale
Libro M, Nr. 420 c. 38.
1461, 1. April:
Zahlung von 10 fl. an Benedetto Bonfigli. Ann. Decemv. 1461 c. 29.
1461, ix. September:
Laudum et declaratio mag. fratris Filippi Fratris ordinis Carmenitarum de
Florentia super picturis factis in Capelia M. D. P. per Benedictum Bonfigli. Ann.
Decemv. 1461, c. 83. (Boll. della R. Dep. di Storia Patria per l’Umbria Vol. VI,
.1900, p. 309 ff.)
1461, 11. September:
Instrumentum factum cum Benedetto Bonfigli super perfectione Capelle.
Ann. Decemv. 1461 c. 83 t. (Boll. della R. Dep. di Storia Patria per l’Umbria
Vol. VI, 1900, p. 3iiff.)
1461, 11. September:
Zahlung von 11 fl. 20 Soldi an »Mastro Filippo Frate del Carmine per parte
del lodo«. Computisteria comunale Libro M, Nr. 420 c. 38.
1461, 11. September:
Zahlung von 42 Soldi und 3 Denari an Benedetto Bonfigli. Ibidem, c. 38.
1461, 3. Oktober:
Zahlung von 2 fl. an Benedetto Bonfigli. Ibidem, c. 38.
1462, 31. Januar und 1. Februar:
Anweisung und Zahlung von 50 fl. an Benedetto Bonfigli. Ann. Decemv. 1462
с. 7 t.
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
243
Die von Bonfigli bisher bewiesene Unpünktlichkeit veranlaßte die
Prioren, in den zweiten Kontrakt vom II. September 1461 die Klausel auf-
zunehmen, daß der Meister in jedem Semester eine Geschichte fertigzustellen
1462, 4. April:
Zahlung von 4 fl. 40 Soldi. Comput. Com. Libro M, Nr. 420 c. 38.
1462, 1. Juli:
Zahlung von 3 fl. 60 Soldi. Ibidem, c. 38.
1462, 6. November:
Zahlung von 90 Soldi. Ibidem, c. 38.
1463, 22. Januar:
Zahlung von 1 fl. 80 Soldi. Ibidem, c. 38.
1463, 17. März:
Zahlung von 2 fl. 10 Soldi. Ibidem, c. 38.
1463, August:
Zahlung von 9 fl. Ibidem, c. 38.
1463, 26. September:
Zahlung von 14 fl. 71 Soldi. Ibidem, c. 38.
1463, 23. Dezember:
Zahlung von 4 fl. 90 Soldi. Ibidem, c. 38.
1464, 28. April:
Zahlung von 45 fl. Ann. Decemv. 1464 c. 42.
1464:
2 Zahlungen von insgesamt 2 fl. 84 Soldi. Comput. Com. Libro M, Nr. 420 c. 38.
1464, 17. Juli:
Zahlung von 1340. 4 Soldi 6 Denari. Ibidem, c. 38.
1469, 5. Dezember:
Zahlung von 80 fl. aus einem Guthaben der Stadtgemeinde bei dem Merciaio
Bartolomeo di Gregorio. Ann. Decemv. 1469 c. 249.
1477, 1. Juli:
Zahlung von 180 fl. durch denselben Bartolomeo di Gregorio. Ann. Decemv.
1477 c. 246.
1469, 7. November:
Provisio quod solvantur mag. Benedicto Bonfigli pictori de pictura Capelle
M. D. P. 400 fl. Mariotti, Lett. pitt. p. 134 — 135.
1469, 17. November:
Lex 2a quod mag: Benedicto Bomfilgli pictori satisfiat de pecuniis debitis a
Bartholo Gregorii pro pictura Capelle M. D. P. Ann. Decemv. 1469 c. III.
1469, 10. Dezember:
Provisio tertia ut mag. Benedicto Bonfilgli pro pictura Capelle M. D. P. con-
signetur nomen debitoris Bartolomei Gregorii. Ann. Decemv. 1469 c. 130.
1469, 10. Dezember:
Electio X Camerariorum super expendio negocio Mag. Benedicti Bonfigli juxta
formam etc. legis edite sub presenti millessimo et die 7 Novembris. Ann. Decemv.
1469 c. 132.
1469, 10. Dezember:
Conventio facta inter comune Perusii et mag. Benedictum Bonfilgli super
pictura Capelle M. D. P. Ann. Decemv. 1469 c. 132 t.
244
Walter Bombe:
habe und daß den Prioren das Recht zustehe, einen anderen Meister mit
der Fortsetzung der Arbeit zu betrauen, falls Bonfigli sich säumig zeigen sollte.
Wenn trotzdem noch Jahrzehnte vergingen, ohne daß die Arbeit
beendet wurde, so darf die Schuld nicht ausschließlich auf seiten des
ausführenden Künstlers gesucht werden. War Meister Benedetto ein säumiger
Arbeiter, so waren die Herren Prioren gelegentlich auch säumige Zahler.
Am 7. November 1469 beschwerte sich Bonfigli bei den Prioren über un-
pünktliche Zahlung des ausbedungenen Lohnes und drohte, die Arbeit ein-
zustellen. Die Beschwerde scheint nicht unberechtigt gewesen zu sein, denn
mit 44 Stimmen gegen 2 wurde Bonfiglis Forderung bewilligt. Die Prioren
spendeten ihm ein hohes Lob 53) und forderten nochmals, daß hinfort in
jedem Semester eine Geschichte fertiggestellt werde, vorausgesetzt, daß nicht
Krankheit den Künstler verhindere, und keine gefährliche Epidemie in
Perugia herrsche. Danach hätte die Arbeit in weniger als zwei Jahren
beendigt sein müssen. Sie war aber noch unvollendet, als der hochbetagte
Meister am 8. Juli 1496 starb. Wir wissen, daß er in seinem Testament
einen Zuschuß ausgesetzt hat zur Vollendung dessen, was er selbst nicht
mehr zu Ende zu bringen vermocht hatte 54).
Als Benedetto Bonfigli den ehrenvollen Auftrag erhielt, die Kapelle
der Prioren auszumalen, war er etwa fünfunddreißig Jahre alt und im Voll-
besitz seiner künstlerischen Mittel. Wenn in den Jahren vor 1450 sein künst-
lerisches Schaffen eng mit Sieneser Traditionen verknüpft war, so hat sich
offenbar während des Aufenthaltes in Rom eine große Wandlung in ihm
vollzogen. In Rom war er zu Fra Angelico und Benozzo Gozzoli, vielleicht
auch, wenn wir Vasaris Angaben Glauben schenken dürfen, zu dem großen
Lehrmeister der Perspektive, Piero della Francesca, in persönliche Beziehung
getreten. Von wie nachhaltigem Einfluß auf ihn der Verkehr mit diesen
großen Meistern gewesen, das bekunden seine Fresken in der Kapelle der
53) »Picturam dictae Capellae cedere in ornatum et decorem totius Civitatis et
Palatii: attenta potissimum pulcritudine picturarum, et fama, et ingenio dicti Mag. Bene-
dicti: et si res ipsa non deducatur ad finem, redire in ignominiam totius Reipublicae Peru-
sinae. Ann. Decemv. 1469 c. 105.
54) Item judicavit et reliquit quod Bartholomeus Gregorii de Perusio debeat per-
ficere seu perfici facere cappellam palatii Magnif. D. D. Priorum Civit. Perus, quam
dictus Bartholomeus accepit ad perficiendum ab ipso Testatore per tempus unius anni
proximi futuri. S. Mariotti, Lett. pitt. p. 135, Note 1.
Die Prioren hatten Benedetto am 5. Dezember 1469 einen Kredit von 370 Gulden
zediert, den sie bei dem oben genannten Bartolomeo di Gregorio besaßen. Hiervon wurden
ihm am 1. Juli 1477 180 Gulden ausgezahlt. Da er, wie es scheint, vor seinem Tode den
ganzen Betrag erhalten hatte, war er genötigt, einen Teil der Summe an den Geldgeber
zurückzuzahlen. Als Vollender der Fresken ist Bartolomeo di Gregorio (wie Manzoni
annahm) gewiß nicht aufzufassen, da er ein Merciaio war
Die Tafelbilder, Gonfaloni und Fresken des Benedetto Bonfigli.
245
Prioren. Wenn er bei der Schilderung der Bischofsweihe des heiligen Ludwig
sich durch eine ähnliche Darstellung Fra Angelicos anregen ließ und in der
Totenklage um den heiligen Schutzpatron von Perugia ein wichtiges Motiv
von dem Frate entlehnte, so zeigt sich in der Behandlung des Nackten
(Wunder des Kaufmanns von Marseille), der sorgsamen und doch nicht
kleinlichen Wiedergabe des Vordergrundes und in der vorzüglichen Archi-
tekturmalerei der Einfluß des Piero della Francesca.
Seine Innenräume (Saal im vatikanischen Palast, Dom von Marseille)
erwecken einen wirklichen Tiefeneindruck. Die breite und flotte Gewand-
behandlung und die Längen- und Breitenverhältnisse der Köpfe zeigen eine
gewisse Verwandtschaft mit Fra Filippo Lippi. In der Darstellung .der
menschlichen Figur lassen sich beträchtliche Fortschritte gegenüber der noch
befangenen und unfreien Auffassung in den Tafelbildern erkennen. Die
Gestalten erscheinen breiter, die Proportionen gedrungener, das Stehen wird
fester. In der FarBengebung ist eine große Vorliebe für satte, braune Lokal-
töne zu konstatieren, welche auch die Madonna mit vier musizierenden
Engeln und die gleichfalls einer späteren Schaffensperiode angehörigen
Gonfaloni kennzeichnen.
Offenbaren die Fresken so die Vorzüge seiner an dem Studium der
großen Zeitgenossen gewachsenen Kunst, so lassen sie uns doch auch ihre
Mängel und Schwächen erkennen. Bonfigli wird nur bis zu einem gewissen
Grade der Formen völlig Herr. Wenn eine bewegte Aktion darzustellen
ist, versagt seine Kraft. So wird er im Fresko der Belagerung von Perugia
unleidlich und maniriert. Im ruhigen Existenzbilde und in der Darstellung
glänzender Prozessionen leistet er Hervorragendes. An Bestimmtheit und
Prägnanz der Menschenauffassung stehen die Ludwigsfresken entschieden
über der Herkulanusfolge. Dafür entschädigt der Künstler in letzterer
wieder durch vortreffliche Behandlung der architektonischen Hintergründe.
Hier gibt er etwas völlig Neues: Er füllt die Hintergründe seiner Fresken
mit genauen Aufnahmen von Monumentalbauten und entrollt bisweilen
ganze umfangreiche Städtebilder. Bescheidene Rivalen dieser Veduten sind
die kleinen, aber meist sehr getreuen Städteansichten auf seinen Gonfaloni.
Zu dem späteren großartigen Aufschwung der umbrischen Landschafts-
malerei geben Bonfiglis Veduten den ersten Anstoß. Einen gewaltigen
Schritt über Bonfigli hinaus tat später Perugino, indem er die Landschaft
auf seinen Bildern zur Resonanz der Figurenkomposition machte.
Rückblick.
Wir sahen Bonfigli im Anfang seines künstlerischen Schaffens eng mit
der sienesischen Tradition verknüpft. Ein Kolorit von intensiver Buntheit,
durch reichliche Aüflage von Gold zu noch größerem Glanz gesteigert, kenn-
246
Walter Bombe:
zeichnete seine früheste uns erhaltene Schöpfung, die Anbetung der Könige
aus S. Domenico. Aus dem Charakter dieses Frühwerkes darf der Schluß
gezogen werden, daß Bonfigli die Anfangsgründe seiner Kunst in der Werk-
stätte eines der aus sienesischer Schulung hervorgegangenen Meister erlernt
habe, welche damals in Perugia ansässig waren. Durch das Studium der
Werke des Domenico Veneziano und seines großen Schülers Piero della
Francesca, sowie ‘des Filippo Lippi lernt er, sich auf das Wirkliche zu kon-
zentrieren und den Anforderungen der Perspektive zu entsprechen. Erst
in reiferen Jahren macht er (wahrscheinlich in Rom um 1450) die persönliche
Bekanntschaft des Fra Angelico, von dem er schon in Perugia Werke gekannt
hat. Er ist ihm und seinem Schüler Benozzo Gozzoli für manche Anregung
zu Dank verpflichtet. Nach des Meisters Rückkehr aus Rom tritt eine
weitere Stilwandlung ein. An die Stelle der intensiven, fast bunten Lokal-
farben treten gedämpfte braune Lokaltöne. Dieser Übergang zu warmen,
braunen Lokaltönen zeigt sich in dem Tafelbild der Madonna mit vier
musizierenden Engeln, in den Gonfalonen und den Fresken.
Im allgemeinen aber hält der mehr für das Anmutige als für die Dar-
stellung kräftiger Aktion begabte Meister an der älteren lokalen Richtung
fest und verbindet nur einzelne Züge der Formenauffassung der Neuzeit
mit der heimischen Kunstweise. Mit der Vervollkommnung, welche die
Kunst Perugias in den letzten Dezennien des Jahrhunderts durch Fiorenzo
di Lorenzo und namentlich durch Perugino erfuhr, vermochte er nicht
Schritt zu halten. Die ältere Lokalkunst Perugias schließt mit Bonfigli ab,
und der eigentliche Vermittler zwischen Florentiner und umbrischer Kunst-
weise ist nicht Benedetto Bonfigli, sondern Fiorenzo di Lorenzo. Ihm war
es Vorbehalten, der Wegweiser der jungen Künstlergeneration, eines Perugino
und Pinturicchio zu werden.
Un Documento inedito dell’ Architetto Carlo Fontana.
Di Piero Misciattelli.
II documento inedito che mi e dato qui di pubblicare figura nel catalogo
privato e fuori di commercio di libri stampati e manoscritti, disegni, in-
cisioni ed acquerelli riguardanti Innocenzo XII (Pignatelli) raccolti e posse-
duti dal principe Diego Pignatelli di Cavaniglia (Roma) e reca questa
indicazione a pagina 28. «Esposto di servigi resi alla
Camera (Apostolica) dal cav. Carlo Fontana archi-
tetto camerale succeduto al Bernini dal 1664 a
tutto il i° Dicembre 1702 — M. S. in --4 del secolo
XVIII di pagine 16 n. n. delle quali l’ultima bianca»
Nel margine superiore della prima pagina si legge la firma autografa di
Carlo Fontana.
II compilatore del catalogo awerte come vi sieno notati i lavori fatti
sotto il Pontificato di Papa Innocenzo XII ma non si b reso conto che
Timportanza di questo documento consiste particolarmente nel fatto che
il Fontana ci offre nel medesimo non solo una lista di pagamenti da lui
ricevuti per servigi resi al pontificato romano, ma un elenco per noi ancora
piu prezioso delle opere, e con i relativi pagamenti, compiute dal suo prede-
cessore rivale, il famoso Bernini. La lista delle paghe avute dal Bernini
egli contrappone con arte alla propria per dimostrare alla Reverenda
Camera Apostolica quanto minori fossero state le retribuzioni avute dalla
Casa Fontana per i servigi resi alla Sede Apostolica in confronto a quelle
riscosse dalla Casa Bernini.
In un prospetto rapido ed ordinato ci si rivela in questo singolare
documento le somme vistose che furono profuse dai pontefici Urbano VIII
ed Innocenzo XII in opere destinate all’ abbellimento di Roma: si ris-
contra in esso per la prima volta la somma totale spesa dalla Reverenda
Fabbrica durante 56 anni di servigio prestati dal Bernini e dal paragone
delle due liste ci e dato di osservare come al regime del fasto barberiniano
e chigiano seguissero nella Chiesa delle ristrettezze finanziarie che obbli-
garono l'ultimo pontefice del Seicento a serrare non poco i cordoni alla
borsa del pubblico erario, cosl che bene si comprendono le lagnanze del
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
248
Piero Misciattelli:
Fontana che a malincuore rassegnavasi a vedersi lesinate e diminuite
le paghe.
II cav. Carlo Fontana il quäle fu 1'ultimo arcniietto del Seicento,
e che degnamente chiude un secolo di straordinaria attivitä edilistica per
l’urbe, appartiene alla famiglia comasca onde usri nel 1543 Domenico
Fontana, il famoso architetto che lavorö sotto Sisto V ed al quäle si deve
l'innalzamento degli obelischi di San Pietro, di S. Maria Maggiore, di S. Gio-
vanni in Laterano, di Piazza del Popolo, e la fabbrica del palazzo pontifi-
cio sul Quirinale. Domenico Fontana morl nel 1607, ed ebbe a fratello
l’architetto Giovanni Fontana che fu valente ingegnere e restaurö gli
acquedotti di Augusto, ed a nipote, Carlo Maderna (1556 — 1639) al quäle
si detfe la facciata del tempio di S. Pietro.
Il nostro Carlo Fontana nacque a Bruciato nel territorio di Como
l'anno 1634; seguendo l’esempio dei suoi maggiori, venne a cercare lavoro
in Roma (vedasi piü sotto la nota delle principali fra le sue opere) ove seppe
competere e farsi notare in mezzo alle contese del Bernini e del Borromino
ed accaparrarsi, vivente il Bernini, la sua successione come aiutante, ed
al fine installarsi nel suo ufficio di architetto della Rev. Camera Apostoiica,
ciö che al grande scultore sembra rincrescesse molto, quantunque fosse
nella grave etä di settanta anni.
Il Fontana mori a Roma nel 1714 dopo aver lasciate oltre a parecchi
lavori architettonici le seguenti opere stampate:
Il tempio Vaticano e sua origine con gli edifici piü cospicui antichi
e moderni — Roma 1694.
L’anfiteatro flavio descritto e delineato — Aja 1725.
Trattato delle acque correnti — Roma prim. ediz. 1694 — seconda
ed. 1696.
Descrizione della Cappella del fonte battesimale nella Basilica Vati-
cana — Roma 1697.
Discorso sopra il monte Citorio — Roma prima, ed. 1694, 2° ed. 1608.
Discorso sopra le cause delle Innondationi del Tevere antiche e moderne
a danno della citta’ di Roma — Roma 1696.
Opere compiute dall’ architetto cav. Carlo Fontana e ricordate da
Filippo Titi, contemporaneo dell’ architetto, nel libro »Descrizione
delle Pitt 11 re, Sculture earchitettureesposteal
pubblico in Roma« — Ediz. 1763.
pag. 9: Deposito della regina di Svezia in S. Pietro ordinato dalla S. M.
d’Innocenzo XII, fatto poi perfezionare dalla S. M. di Clemente XI
con disegno del cav. Carlo Fontana.
Un Documento inedito dell’ Architetto Carlo Fontana.
249
pag. 20: (in S. Pietro) L’ultima cappella e senza altare, perche serve per
fonte battesimale. E’ notabile la sterminata urna di porfido che fu
sepolcro di Ottone II. II coperchio di bronzo dorato b disegno del
cav. Fontana.
pag. 43: (chiesa di S. Margherita) . . . . fu architetto e della chiesa e
della facciata il cav. Fontana.
pag. 46: (chiesa di S. Maria in Trastevere) Aveva questa chiesa un portico
molto deforme, con semplice tetto tutto aperto e rozzamente fatto,
dal che mossa la S. M. di Papa Clemente XI fece di nuovo
rifar detto portico, e ferrarlo con cancelli di ferro; e con tale occasione
decorö il mosaico sopra con ornamenti di stucco, che fanno anche
finimento alla facciata, il tutto con disegno e direzione del cav. Carlo
Fontana.
pag. 70 : (Chiesa di S. Sebastiano) La cappella di S. Fabiano, che siegue,
spettante alla Casa Albani, fu fatta con disegno di Carlo Maratta, e
seguito dal cav. Carlo Fontana, da Alessandro Specchi e dal Barigioni.
pag. 125: (Chiesa Nuova) La cappelletta che segue, sotto l’organo, che
e dei signori Spada architettata dal cav. Carlo Fontana,
pag. 137: (Chiesa di S. Andrea della Valle) La prima cappella a man
destra, entrando in chiesa, e stata fatta dai Signori Ginnetti con
l'architettura del cav. Carlo Fontana,
pag. 170: (Chiesa di S. Marta) La chiesa fu rimodernata ultimamente con
buona e vaga architettura dal Cav. Carlo Fontana a spese d’una
monaca di Casa Boncompagni.
pag. 187: (Chiesa di S. Biagio) S. Biagio ristorato modernamente con
capriccioso disegno del Cav. Carlo Fontana,
pag. 285: (S. Maria degli Angeli alle Terme) Le vastissime Terme di
Diöcleziano rimasero, come tutte le altre, dal tempo e dalla barbarie
guaste, ma la loro stessa vastitä ne fece rimanere in piedi una parte in
qua e in lä, che rispetto al tutto, furon piccola cosa, ma considerate da
per se, ciascuna di esse rendeva meraviglia, e faceva fede dell’ antica
magnificenza. Una di queste parti fu ridotta a granaj d’una prodigiosa
estensione, che rimangono dirimpetto al convento della Vittoria.
Dipoi un’ altra parte attaccata al giardino del principe Strozzi, al
tempo di Clemente XI, col disegno di Carlo Fontana, fu ridotta pari
mente allo stesso uso.
pag. 321: (Chiesa di S. Marcello) La facciata fu fatta a spese di Mons
Castaldi Boncompagni con l'architettura del cav. Fontana,
pag. 327: (Chiesa dell’ Umilitä) La facciata b disegno di Carlo Fontana,
pag. 419: (Chiesa dei S. S. Faustino e Giovita) Della Chiesa fatta ultima-
mente ne fu architetto il cav. Carlo Fontana.
iS*
250
Piero Misciattelli:
pag. 430: (Chiesa di S. Maria Traspontina) L’altare maggiore fu racconciato
ultimamente col disegno del cav. Carlo Fontana, dove sono molti
angeli di stucco che sostengono un' immagine di Maria Vergine.
pag. 464: (Chiesa Spirito Santo dei Napoletani) Questa chiesa racconcia
col disegno di Carlo Fontana.
pag. 484: (Palazzo Bigazzini) Giovanni Antonio Bigazzini vi fabbricö
un palazzo con disegno del Cav. Carlo Fontana.
La precedente lista ricavata dall’ opera del Titi deve essere com-
pletata con le seguenti opere di Carlo Fontana:
Palazzo della Curia Innocenziana a Montecitorio. (si vedano i primi
disegni originali che verranno da me pubblicati nel fascicolo Luglio
1909 nella Rivista senese «Vita d’ arte».)
(Chiesa di S. Andrea della Valle) Abside: altare maggiore, archi-
tettura di Carlo Fontana.
(Chiesa dei SS. Apostoli) Nel 1702 Clemente XI riedifico dai fonda-
menti la Basilica ed i lavori di questa riedificazione furono diretti da
Carlo Fontana.
(Chiesa di S. Marco) Nel secolo XVII l'ambasciatore della Re-
pubblica Veneta Sagredo la ridusse nello stato attuale coi disegno di
Carlo Fontana.
(Chiesa di S. Mafgherita) Nel 1680 fu restaurata per cura de
Cardinale Castaldic on architettura di Carlo Fontana, a cui appartiene
anche la facciata.
(Chiesa di S. Maria dell' Assunzione) Fu edificata verso la metä
del secolo XVII coi disegni di Carlo Fontana.
(Chiesa di S. Maria dei Miracoli) Nel 1664 Alessandro VII ordinö a
Carlo Rainaldi di edificare la chiesa la quäle rimasta incompiuta fu
terminata a spese del Cardinale Castaldi con l’aiuto del Bernini e del
Fontana.
(Chiesa di S. Maria ad Nives) Fu ceduta nel 1607 alla Confraternita
dei Rigattieri che la fecero piü tardi riedificare con architettura di
Carlo Fontana.
(Chiesa di S. Maria del Popolo) La seconda cappella della navata
di destra fu edificata verso la metä del secolo XVII dal cav. Carlo
Fontana.
(Chiesa di S. Teodoro) Nel 1705 Clemente XI fece scavare la terra
intorno alle pareti di questa Chiesa ed ordinö che fosse fatta la piazzetta
semicircolare della quäle b autore Carlo Fontana.
Ed ora ecco pubblicato integralmente il documento dell’ architetto
Carlo Fontana:
Firma autografa del Cav. Carlo Fontana.
Un Documento inedito dell’ Architetto Carlo Fontana.
25 1
Esposto primo per la Rev. Camera.
Si notifica con il presente esposto di quello che ha goduto e gode
il Cav. Carlo Fontana per il prestato servizio alla Rev. Cam. Apostolica sin
dall' anno 1664 a tutto il presente giorno I. Dicembre 1702.
Deila San. mem. d’Alessandro VII fu dichiarato con special chiro-
grafo in vita per uno delli misuratori della Rev. Camera con la provisione
di scudi 5 il mese, e scudi 2,20 per la solita parte in dispensa di palazzo,
e con li soliti emolumenti di scudi 2 per cento per la tara de’ conti che
pagono li artisti, quali scudi 2 si dividono per metä per ciaschedun misu-
ratore.
Attesa la vecchiaja del cav. Bernino fu imposto dal Sommo Ponte-
fice e Ministri Camerali al cav. Fontana che dovesse come coadiutore
esercitare anche la carica d'architetto come fece, indi intentionato nella
futura successione sl della carica come delle provisioni dopo 1a. morte del
detto Bernino e con tale speranza operö con ogni puntualitä e diligenza
sino alla morte del prefato cavaliere.
Morto che fu il suddetto Bernino non mancö il Fontana di far istanza
per la surrogazione, e pagamenti che portava la medesima carica promessali
consistenti in scudi trenta il mese con le parti doppie ascendenti ad altri
scudi 4 il mese.
Oltre di che li venivano pagati tutti li disegni e viaggi a parte come il
tutto si riconosce et apparisce da mandati spediti dall’E. mo Camerlengo
esistenti nella computisteria del Sig. Bondi, oggi Leonori. Di piü in
occasione dell' esilio di Luigi Bernino, che occupava la carica di Soprain-
tendente dei Palazzi Apostolici, che subentrö Gio. Antonio de’ Rossi, quäle
fu poi levato, e fu appoggiata questa carica di Sopraintendente al mede-
simo cav. Fontana, quäle ha esercitato sino al presente senza pagamento
veruno, quäl pagamento consisteva in scudi 10 il mese, e scudi 3 per la
parte, oltre le medaglie d’oro e pensioni.
In tempo che segul la morte del cav. Bernino suddetto e per alcuni
anni susseguenti con reiterate instanze alli tesorieri pro tempore, et a Mons.
Pilastri commissario gerente si domandavano con suppliche li detti paga-
menti soliti, ma invece d’avere il rescritto favorevole, li fu risposto in voce,
che Sua Santitä conosciuta l’abilitä del cavaliere abile a poter fare tutte le
carte, aveva abolito e soppresso le due, cioe di architetto e sopraintendente,
ma che non si sarebbe mancato alle giuste richieste per le recognitioni che
meritava il cavaliere; onde in luogo d’essa paga averebbe Sua Santitä
assegnata provisione congrua quäle non effettuatasi e dilungandosi si prese
motivo dalla benignitä dei tesorieri Ginnetti, Negroni, et Imperiali, si
avessero per mandati camerali alcune piccole recognitioni, tenui rispetto
252
Piero Misciattelli:
alle fatiche, ma furono pro una vice tantum si che non essendosi effettuato
mai l’assegno di detta provisione, li e rimasta la sola fatica di tutte le
cariche.
Volle poi Mons. Pilastri, commissario gerente, credendosi di far bene,
aggiungere alli due misuratori il terzo per sminuir la fatica e vi fu posto
frate Giuseppe Paglia domenicano; e che delli scudi io il mese che avevano
tra tutti due li misuratori se ne-fecero tre porzioni che venivano ad essere
scudi 3,33 il mese per ciaschedun misuratore. Riconosciuta'-'i poi pregiu-
diciale alla Rev. Camera la giunta del terzo misuratore e per altre
particolaritä che si tacciono, fu licenziato il frate Paglia dal servizio,
e ritorno in pristino alli due misuratori ma non fu mai restituito il
pieno delli scudi cinque alli detti misuratori e da allora sino al presente
si continua con li soli scudi 3,33 il mese in Camera, e a Palazzo scudi
2,20 il mese.
Onde il cav. Fontana supplica di riflettere e commettere in consi-
deraz:one che esso ha esercitato et esercita le due cariche d’architetto e
sopraintendente senza provisione e parte veruna dall’ anno 1666 in qua
sino al i° dicembre 1702 et invece d’essergli accresciute le paghe, si trova
diminuito nella propria di misuratore per la causa come segue.
Si notifica che le paghe delle tare non hanno che fare con quelle delF
architetto e sopraintendente ma tutte attinenti alla carica di misuratore come
cantano li Brevi speditigli e taluni credono siano di qualche somma conside-
rabile e si prega a far riconoscere tutta la somma delli lavori che si spediscono
anno per anno. Dal che si vedrä esser questi emolumenti molto tenui e che
dopo pagati li giovani non resta nelle mani dei misuratori che il sessanta in
circa per cento.
SI che il cav. Fontana esercita presentemente la carica d’ Architetto
della Rev. Camera e dei Palazzi in tutte le occorrenze si dei disegni come
dei viaggi fuori di Roma, quali non appartengono alla carica di misuratore
et esercita presentemente anche la carica di sopraintendente dei Palazzi giä
suppressa quali cariche unite con quelle dell’ architetto avevano di provisione,
cioe: all’ architetto scudi 34, al sopraintendente scudi 13.
Oltre vi erano li pagamenti, recognitioni di medaglie, mandati a parte,
e pensioni ben note alla casa Bernini.
Onde di presente li vengono nuovamente diminuiti li pochi emolumenti
delle misure a causa dell’ aggiunto terzo misuratore in Camera Sig. Bufalini
il quäle ritiene il terzo delle misure il quäl terzo lo godeva in comune il Fon-
tana e Contini, si che pagati li giovani restono gli utili ad una tenuitä forsi
non creduta.
Et a cio si riconosca quello che ha, il cavaliere pone qui sotto le paghe
mestruali mese per mese e prima cioe:
Un Documenta inedito dell’ Architetto Carlo Fontana.
253
Come architetto della Rev. Fabbrica scudi 10
Come architetto dell’acqua Paola scudi 5
Come misuratore di Camera invece delli scudi 5
ridotto scudi 3,30
Come misuratore di Palazzo scudi 2,20
Sommano in tutto scudi 20,50
Con essergli levate le parti che godevano li suoi antecessori.
Fa noto anche il Cavaliere le piü particolari opere grandiose che ha fatto
finora per la S. Sede senza aver avuto verun premio delle sue fatiche
e prima:
La condotta dell’acqua nuova Paola applicativi di sua assistenza anni
18 continui senza veruna paga sino che fu dichiarato architetto solo, una volta
scudi 100 datigli da Mons. Litta.
L’opera del fontanone a S. Pietro Montorio.
L'opera del nuovo porto d’Anzio di tante piante e modelli.
L’opera della condotta dell’ acqua di Civitavecchia.
Non si espongono l’altre infinite opere e fatiche perche sarebbe
un lungo catalogo, basta il dire che per lo spazio di circa 40 anni
ehe sempre e stato in moto continuo nel servizio della Rev. Camera
quasi gratis.
Sl che con la sola paga di misuratore di 5,50 diminuita viene il mede-
simo ad esercitare tutte le cariche che ascendevano prima alla somma di
scudi 47 il mese senza l’altre recognitioni. Perciö si supplica riflettere e
riguardare con occhio benigno le giuste ragioni che si sono addotte di sopra
acciö resti consolato con un giusto e doveroso provvedimento che se ne spera
dalla somma clemenza di Nostro Signore.
Restö favorito Don Gasparo Fontana figlio del suddetto Cavaliere dall’
infinita pietä d’Innocenzo XII d’un beneficio di S. Giovanni Laterano carico
di pensioni per scudi 70 e si dichiarö S. S. averglielo dato ad invito del fratello
cav. Francesco che glielo chiese per le fatiche fatte dal medesimo per l’ere-
zione ed assistenza della fabbrica della Dogana di terra.
Il cav. Fontana stante le sue diligenti applicazioni et operazioni levö
d’impegno la Rev. Camera di due gran spese giä cominciate dal cav. Bernino
in Civitavecchia, et una fu il principiato Bagno per le ciurme in tempo di
Clemente IX ascendente in scudi 350 incirca, l’altra fu del modo che principiö
detto Bernino per il riparo dell’ Antemurale in tempo di Clemente X ascen-
dente alla spesa di scudi ^ incirca che dalle diverse congregazioni dei
200
Camerali furono sospesi a causa delle ragioni addotte dal Cav. Carlo Fontana
a favore della Camera.
254
Piero Misciattelli:
Esposto secondo per la Rev. Fabbrica di S. Pietro.
Ristretto di quanto ha ricavato il cav. Bernino dalla Rev. Fabbrica
per il suo prestato servizio come Architetto che entrö nell'anno 1624 e durö
sino l’anno 1680, cio& anni 56 di servizio, come costa pubblicamente.
Pagamenti segulti.
Scudi
Per provisione della sopraintendenza di metallo del Ciborio dalli 15 di
Giugno 1624 per tutto Marzo 1624 a scudi IOO il mese come a
libro mastro 36 e 57 montano 4722
Per provvisione d'aprile 1627 per tutto giugno 1633 a ragione di scudi
250 il mese come al libro dei manuali 29 e libro de' manuali 8. . 15750
Per recognizione sino all’ anno 1627 come al libro mastro 84 3850
Per donativo d’ordine della S. memoria di Papa Urbano VIII l’anno
1633 come per pagamento 20 agosto di detto anno in libro dei
manuali nell' ultimo 10000
Per il modello della statua di S. Longino come al libro dei manuali 42 450
Per la statua come al libro dei manuali 17 3300
Per il campanile per la sua provvisione straordinaria dalli 25 febbraio
1638 a tutti li 29 agosto 1642 a scudi 100 il mese 5500
Per le 4 statue di stucco sopra il campanile come al libro de' manu-
ali 17 1200
Per il bassorilievo di Pasee oves meas come al libro dei manuali . . . 3000
Per recognizione di detta opera 200
Per la statua di Costantino a conto come al libro dei manuali 17 1 ... 900
Per la sopraintendenza dei portici dal 1° agosto 1657 per tutto luglio
1662, sono anni cinque a scudi 60 il mese 3600
Per la sopraintendenza dell' opera della cattedra per mesi 40 a ragione
di scudi 200 il mese come al Libro dei manuali 178 8000
Per provvisioni ferme di scudi 200 l’anno dall’anno 1629 a tutto
l'anno 1665, sono anni 37 (Sic) 7400
Per li due terzi delli due per cento sopra scudi 3,655,580 monta, come
per ristretto fattone dal computista antecedente che importa
no le stime e misure dei lavori e conti saldati a diversi dal sud-
detto cavaliere dall'anno 1624 a tutto gennajo 1661 4873
E per detti due terzi sopra scudi 115618,50 e per le misure, stime e
conti di diversi per tutto l’anno 1665 1 54 1
E per detti due terzi sopra scudi 230,138 per le misure e stime dei
scalpellini e rauratori appaltati 3068
Il retroscritto ristretto e stato copiato du un libro dove sono diversi
originali di disegni, note, ristretti et altro fatto fare dalla Santa
Un Documento inedito dell’ Architetto Carlo Fontana.
255
memoria di Papa Alessandro VII esistente ora detto libro nella
libreria dell’Ecc.mo principe Chigi e questa nota 6 stata auten-
ticata dal computista della rev. Fabbrica di quel tempo e rin-
contrata con le partite. Di piü ebbe scudi — 1 di legato per il
3
disegno et assistenza del Ciborio esistente entro la Cappella del
SS. Sacramento 3000
Onde ascende la somma che ha ritratta il Bernini per via di mandati
a scudi 80354
E piü s’aggiunga nella detta somma quello che ne ha ritratto dalla detta
fabbrica Luigi Bernini fratello del Cavaliere come Deputato
considerato con li regali e pagamenti di misure scudi 20 il mese,
ciok scudi 240 l’anno per anni 50, sino che fu bandito da Roma,
quali ascendono a scudi 12000
E piü nella detta somma si deve aggiungere li utili ricavati dalli cano-
nicati di Santa Maria Maggiore e S. Pietro concedutoli da i Papi
considerati di rendita per scudi 60 il mese, che ascendono l'anno
a scudi 720, che in anni 60, che segul la morte del fu Mons. Bernini
importa la somma di scudi 43200
E piü si deve aggiungere scudi 30 il mese che aveva il cav. Bernini
di paga ferma dalla rev. Camera che ascendono l’anno a scudi 360
che in anni 56 montano a scudi 20160
E piü scudi 8 il mese come Prefetto Architetto dell’acqua Felice che
fanno scudi 96 l'anno, montano per anni 56 a 537^
E piü scudi 5 il mese che aveva Luigi Bernini come architetto del’-
lacqua Paola che sono scudi 60 l’anno che per anni 30 che servl 1800
E piü per la carica di spolverare il Ciborio scudi 5 il mese che aveva
uno di detti fratelli importa scudi 60 l'anno che in anni 56 monta 3360
E piü scudi IO il mese ch’ebbe Luigi Bernini come sopraintendente dei
palazzi che sono scudi 120 l'anno che per anni 30 che servi monta 3600
Nella sopradetta somma vi si comprendono molti regali annuali di
medaglie d’oro, d'argento, pensioni, benefici per gli ecclesiastci,
parti doppie e molti altri legati da considerarsi altri scudi IO il
mese cio& scudi 120 l’anno ascendono a scudi 6720
SI che ristrette tutte le dette somme avrä ritratto la Casa Bernini
dalla Fabbrica e Camera scudi Centosettantaseimila e Cinque-
cento settanta, cioe scudi tremila centocinquanta l’anno incirca
che viene ad essere circa 260 il mese nello spazio di 56 anni mon-
tano scudi 176570
E’ da riflettersi anche la Dignitä Prelatizia che ha avuta detta Casa
con diverse cariche che non si mettono a calcolo.
256
Pi er o M isciattelli :
Si deve considerare che nelli detti anni 56 dal detto prestato servizio
di Bernini ha speso la Rev. Fabbrica un milione cento ottanta-
seimila scudi di fabbriche attinentialla magnificenza et orna-
mento del Tempio come si verifica da vari conti spediti in
Fabrica.
Esposto Terzo
Di minorazione di Spese che riceve la rev; Fabbrica dal Prestato
servizio del Cav. Carlo Fontana dall’anno 1684 sino al presente
1703. (sic.)
II Cav. Carlo Fontana architetto della Rev. Fabrica che ha servito
gratis^come deputato revisore da Clemente X sino ad Alessandro VIII, cioe
circa anni 18 nel quäl tempo ha composta l’opera stampata del Tempio
Vaticano, et anche per ordine di Mons. Vespignani ridusse li esorbitanti
prezzi nel modo che comunemente si osserva nella cittä di Roma, e fatico
molto tempo a fare i processi contro i delinquenti artisti, muratori et altri,
e fece restituire alla rev. Fabrica dai medesimi molti denari esorbitantemente
pagati e dai Pontificato d’ Alessandro VIII sino al presente giorno ha fatti
infiniti modelli e disegni per il fonte battesimale e Deposito della regina di
Svezia senza verun pagamento solo che li seguenti:
Scudi
Riceve il Cav. Fontana per anni 10 incirca avanti l’anno 1697 dalla
Rev. Fabrica scudi 10 il mese concessigli da Alessandro VIII come
Deputato e Revisore della Fabrica che sono scudi 120 l’anno che
in anni IO monta a scudi 1200
E piü dall’anno 1697 nel Pontificato d’Innocenzo XII ha ricevuto li
medesimi scudi 10 il mese come Architetto dichiarato da Papa
Innocenzo XII, che fanno scudi 120 l'anno che per anni 5 mon-
tano a 600
E piü altri scudi io il mese concessi et accresciuti da Innocenzo XII
al Cav. Francesco Fontana come Revisore Deputato in luogo del
padre, che costituiscono scudi 120 l’anno cominciando dall’anno
1697 a tutto l’anno 1702. Monta a 600
E piü il fruttato delle misure di fabriche fatte per la Fabrica sotto la
m
direzione e disegno del Cav. Fontana ascendenti circa scudi —
65
che sono incirca 800
E piü ha ricavato il Cav. Fontana dalla sua carica di misuratore della
Camera tra paghe ferme e frutto di misure circa scudi 10 il mese
che sono scudi 120 l'anno essendo anni 40 che possiede detta
carica, che montano a scudi 4800
Un Documento inedito dell’ Architetto Carlo Fontana. 257
E piü altri scudi 5 il mese concessigli l’anno 1690 da Alessandro VIII per
la carica d’Architetto dell’Acqua Paola che sono scudi 60 che
sino all’anno 1702, cioe anni 12, monta a J20
E piü scudi 8 il mese al cav. Francesco Fontana per la carica di Pre-
fetto Architetto dell’acqua Felice concessigli l’anno 1697 che
montano a scudi 69 l’anno per anni 5 480
E piü scudi 300 incirca per conto di recognizione da i Camerali a conto
d’infinite fatiche 30C>
E piü per il fruttato d’un beneficio di S. Giovanni Laterano concesso
da Innocenzo XII l’anno 1696 a Don Gasparo Fontana parimente
figlio del cav. Carlo suddetto che detrattone scudi 70 di pensione
gli resta scudi 14 il mese cioe scudi 168 l’anno per anni 6 sino al
presente 1702 1008
Si che tutto quello che ha ricavato nel corso d’anni 40 la Casa Fon-
tana sino al presente anno 1702 ascende circa a scudi 10508 che
sono ragguagliatamente un anno per l’altro circa scudi 262 che
viene ad essere al mese circa scudi 22.
Correndovi di diferenza scudi 238 il mese di piü che ha ricavato la
Casa Bernini.
Il tutto si e esposto per sperarne merito e non demerito come da taluni
che non informati parlano al vento.
Questo dl i° Dicembre 1702.
Zur Datierung von Dürers Paumgartneraltar.
Von Heinz Braune.
In einer handschriftlichen »Beschreibung der Reichsstadt Nürnberg«
aus dem 17. Jahrhundert, die in der Bibliothek des Germanischen Museums
aufbewahrt wird, findet sich bei den Aufzeichnungen über die Kirche des
Katharinenklosters auf S. 452 der Eintrag: »Hernach Ao. 1498 sind von
Albrecht Dürer, einem berühmten Mahler, Stephan Baumgärtner, samt
seinen Bruder Lukas, an dieses Altars Tafel, einer in der Bildnis S. Georgens,
der ander S. Eustachii contrafaictet worden. Diese Tafel hat man Ao. 1614
Herzog Maximilian in Bayern in seine Kunstkammer abfolgen lassen, doch
eine Copey davon behalten und in erstgedachten Altar gesezet.«
Die Notiz scheint mir in der Dürerliteratur übersehen worden zu
sein, obwohl sie doch die einzige ist, die ein bestimmtes Datum für die
Entstehungszeit des Paumgartneraltars in der Pinakothek angibt. Es muß
nun geprüft werden, wieweit sie Glauben verdient. Sicher zwar hat sie nicht
die unerschütterliche Bedeutung einer Urkunde, aber sie kann sehr wohl auf
eine dem Schreiber damals noch zugängliche Urkunde oder doch auf eine
gute Tradition zurückgehen. In jedem Falle gibt sie Anlaß, die bisher an-
genommene spätere Datierung des Altares einer Revision zu unterwerfen. —
Da der Paumgartneraltar das bedeutendste Malwerk Dürers vor seiner
zweiten italienischen Reise ist, hat man ihn gewöhnlich möglichst nahe an
diese heranzusetzen versucht, und wenn einige Forscher, wie Wölflin und
Weisbach ihn dem Florentiner Dreikönigsbild von 1504 unmittelbar voran-
gehen lassen ( — Valentin Scherer setzt ihn direkt »um 1504« an — ), andere
wie Thausing »nicht weit über das Jahr 1500 herab« wollen, so stimmen doch
alle darin überein, daß sie ihn für ein Werk des beginnenden 16. Jahrhunderts
halten. Die an sich nieht beweiskräftige Notiz der Nürnberger Handschrift
findet aber eine Stütze in der Familiengeschichte der Stifter des
Altares. Der Konservator am bayer. Nationalmuseum, Friedr. H. Hof-
mann, hat im 1. Jahrgang der »Christlichen Kunst«, 1904, sehr ausführlich
über die Stifter gehandelt, und aufs sorgfältigste zusammengetragen,
was über die einzelnen Personen zu erfahren war. Daraus ergab sich, daß der
Altar eine Stiftung der engeren Familie des alten, schon 1478 verstorbenen
Martin Paumgartner und seiner Ehefrau, einer Volckamerin, war. Ihre und
Zur Datierung von Dürers Paumgartneraltar.
259
ihrer vier Kinder Bildnisse trägt das Mittelstück. Wahrscheinlich also hatten die
Eltern ein Legat für den Altar ausgesetzt, und die Kinder' lösten die testamen-
tarisch übernommene Schuld mit der Bestellung des Altarwerkes ein.
Daraus erklärt sich dann das Fehlen des Hans Reich, an den Barbara Paum-
gartnerin seit 3. Juli 1497 verheiratet war, ohne daß man annehmen muß,
er sei damals bereits gestorben gewesen: er gehörte nicht zu der Nachkommen-
schaft des alten P., und somit nicht zur eigentlichen Familie. Überdies ist
Barbara Reich in nichts als Witwe charakterisiert. So darf man die oberste
Grenze der Entstehüngszeit gewiß bis 1497, dem Jahr der Verheiratung
Barbaras, hinaufrücken, während Dr. Hofmann 1499, das Todesjahr Reichs,
annahm. Wichtig aber wird besonders ein Umstand, den Dr. Hofmann
erwähnt: Im Jahre 1498 zog Stephan Paumgartner mit Herzog Heinrich
von Sachsen ins heilige Land. Liegt da die Vermutung nicht nahe, Stephan
P. habe vor Antritt einer so weiten Reise das Seine ordnen und seine Ver-
pflichtungen dem Andenken der Eltern gegenüber erfüllen wollen? Auch die
Eigentümlichkeiten der Kostüme sprechen mindestens nicht gegen die frühe
Datierung. Dabei ist die Perspektive so viel unbeholfener als in dem
Florentiner Bild, die Raumentwicklung so viel ängstlicher und beschränkter,
daß der Abstand zwischen beiden doch nicht zu gering angenommen
werden darf. Der quattrocentistische Aufbau des Mittelstückes in München
entspricht dem von vielen Nürnberger Bildern des letzten Viertels des
15. Jahrhunderts. Das Florentiner Bild vertritt deutlich eine jüngere Zeit.
Die Haltung der Figuren — nicht nur im Mittelbild, sondern auch auf den
Flügeln, scheint mir eher zu Dürers früheren Stichen zurückzuweisen als
zu dem Florentiner Bild. Immerhin ist es gefährlich, in solchen Dingen
allzusfcharf sehen zu wollen, und die Zeitdifferenz ,um die es sich handelt,
ist schließlich klein genug. Dem Maler des Krelbildnisses aber wird man
eine Leistung, wie den Paumgartneraltar, als schon vollbracht wohl
Zutrauen dürfen.
Zwei bisher unbekannte Briefe von Lucas Cranach dem
Jüngeren aus dem Jahre 1579.
Ein Beitrag zur Cranach-Literatur.
Von C. von Bardeleben. Generalleutnant z. D.
Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach und Bayreüth,
Sohn Georg des Frommen von Ansbach hatte nach dem Tode seiner ersten
Gemahlin unter den vielen ihm zu einer neuen Ehe vorgeschlagenen fürst-
lichen Töchtern diejenige des Herzogs Wilhelm von Braunschweig-Celle
auserkoren. Es war die noch nicht ganz 16jährige Herzogin Sophie, welche
ihre Erziehung am Hofe des Kurfürsten August von Sachsen genoß. Als
Georg Friedrichs Werbung im Frühjahr anno 1579 erfolgte, weilte die säch-
sische Familie auf Schloß Annaburg unweit Torgau. Der Markgraf traf am
Osterabend daselbst ein, und schon am Osterdienstag, dem 21. April, fand die
feierliche Verlobung statt. Der glückliche Bräutigam ließ in seiner Freude
über die gut getroffene Wahl gleich danach den beim Kurfürsten von Sachsen
in hoher Gunst stehenden Maler Lucas Cranach den Jüngern, Sohn des zur-
zeit schon verstorbenen Altern gleichen Namens, aus dem benachbarten
Wittenberg nach Annaburg kommen, um ein Bild seiner holden Braut in
Lebensgröße und in der Kleidung, welche sie bei dem Verlöbnis getragen
hatte, anzufertigen. Dem kunstsinnigen Fürsten Georg Friedrich, der
Gelehrte und Künstler gern um sich versammelte, mag wohl der berühmte
Meister Lucas persönlich bekannt gewesen sein, stammt doch höchst wahr-
scheinlich von ihm die schöne Handzeichnung, Georg den Frommen dar-
stellend, jetjzt in der Dresdner Galerie befindlich.
Georg Friedrich bestellte außer dem Bild seiner Braut bei Meister
Lucas noch ein größeres seiner ersten Gemahlin Elisabeth, Tochter des Mark-
grafen Johann von Küstrin, welche im vergangenen Jahr verstorben war J).
Auch sollte der Künstler noch mehrere kleine Bilder, die zu Geschenken be-
stimmt waren, anfertigen. Es bestand schon zu jener Zeit die Sitte, daß Fürst-
lichkeiten ihre Bilder in großer Zahl verschenkten, den Künstlern erwuchs aller -
1) Elisabeth hatte sich auf der Reise nach Warschau, zur Feier der Belehnung
hres Gemahls, bei der strengen Kälte eine Krankheit zugezogen, der sie nach kurzer
Zeit erlag. Sie starb in einem Dorfe bei Warschau, ihr Leichnam wurde mit fürstlicher
Pracht nach Königsberg i. Pr. geleitet und daselbst in der Kneiphöfschen Domkirche
beigesetzt.
Zwei unbekannte Briefe von Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahre 1579. 261
dings ein großer Vorteil hierdurch, aber die Kunst litt unter solcher Massen-
bestellung. Wir ersehen aus den noch vorhandenen Geschenklisten des mark-
gräflichen Hofes, daß sämtlichen oberen Beamten Ketten mit Bildern des
Markgrafen zum Einzug des jungen Paares auf der Plassenburg verliehen
wurden.
Cranach hatte versprochen, die Bilder der beiden Gemahlinnen und der
Mutter Georg Friedrichs recht bald zu liefern, wir erfahren aus seinem eigen-'
händigen Brief an den Markgrafen, der sich im Königl. Hausarchiv zu Char-
lottenburg befindet, daß er große Mühe und Fleiß auf die Bilder verwendet
hatte und andere Arbeit ruhen ließ, um sie zum Einzug der Neuvermählten
fertig zu haben. Das Schreiben lautet:
»Durchlauchtigster hochgeborener Fürst gnedigster Her. Ever
fürstlich gnaden sein meiner vnterthenigen Dienste zuvorn. Gnediger
Fürst vnd Her.
Auff Ever fürstlich gnaden befhel zur annaburgk. etzliche Conterfakt
halber so ich auffs förderlichste machen soll, weil ich dan an mir nichts
habe wollen er müden lassen, andere arbedt in dan gesatzt (andere Arbeit
hintangesetzt) vnd frühe vnd spaden (spät) an solchen Conterfakten gearbet,
wie auch Ev. furstl. gn. sehen werden, dan sie viel arbet gehabt, bitt ich
Ever furstl. gn. wo es was Lage sein mocht, kein ungenehmes gefallen
thragen (verübeln), verhoff sie werden ach so (auch so) gemalt sein
da ob Ev. furstl. gn. hin gnediges gefallen haben werden, Erst-
lichen zwei grosse Conterfekt Ev. f. gn. itziges gemahel. Das ander
Ev. f. gn. foriges gemahel, hochloblichen milden gedechtnus, welchs
E. f. gn. in preussen schicken werden, das das zum epithafium
darnach gemacht werde. Dan ich solchs in der Kleidung so ihre fstl.
gn. gethragen. es könnt auch darnach solchs Conterfakt auf ein
ramen Eingefasst werden . . das es zum epithafium oder wozu solchs
E. fstl. gn. ferner gebrauchen wollen. Darnahen (daneben) sein drej
kleine Ev. fstl. gn. frav mutter, drej kleine Ev. fstl. gn. itziges gemahel.
Darnach drej des forigen gemahel seiger milder gedechtnus weilhe
(welche) ich Ev. fstl. gn. in unterteniket (Untertänigkeit) übersende mit
einen Eigen botten (Boten) f ersehe mich werden mit gottes hulffe ohne
schaden zu körnen, welchs ich aus vnterthenigsten gehorsam Ev. fstl. gn.
nicht verhelen sollen, vnd wünsche von gott dem almechtigen Ev. fstl.
gn. derselbigen zukünftigen gemahel gottes gnedigen segen. Erbar'Landt
vnd Leuten zu freuden vnd allerglückseligen Wolfardt amen vnd Eine
fröhche (fröhliche) Heimfardt.
Dat. Wittenbergk am thage Himelfardt welcher ist der 27 mey 1579
Ever fürstlichen gnaden vnderthenigster Diner
Lucas Cranach Ma.«
2Ö2
C. von Bardeleben:
Adresse: »Dem Durchlauchtigsten
hochgeborenen Fürsten vnd Hern Heren
Georg Friderich Marggraffen zu branden -
burgk jun preussen zu Stettin pommern.
Der Cassuben vnd wenden auch in Schle-
sien zu gegerndorf Herzogh, burggraff zu
nurenbergk vnd furst zu rügen.«
Eingangsvermerk der markgräflichen Kanzlei auf der Adresse: »An Blaß-
berg 4 Juni An. 79. Lucas Kranach, Mahler vberschickt die fürstlichen
Contrafacturen.«
Ein zweiter Originalbrief Cranachs, an den Markgräflichen Kanzler
hiosemann gerichtet, ist gleichfalls noch im Hausarchiv aufbewahrt; auch
dem Kanzler versichert er, daß er die Bilder mit großer Sorgfalt gemalt habe.
Er spricht sich ferner eingehend über das Bild der ersten Gemahlin Elisabeth
aus. Es sei in der Tracht und dem Schmuck, wie sie beides getragen, genau
ausgeführt worden. Es könne sehr gut eins davon dem Bildhauer für das
Epitaph in der Kneiphöfschen Domkirche dienen oder als Vorlage für ein
Grabdenkmal. Die erwähnten drei kleinen Bilder der Mutter sollten wohl
als Geschenke Verwendung finden. Georg Friedrichs Mutter war Emilie, die
dritte Gemahlin Georg des Frommen, Tochter Herzog Heinrichs von Sachsen,
geboren 1516 und gestorben am 19. April 1591 zu Ansbach.
Ich lasse den Brief hier im "Wortlaut folgen:
»Mein freuntlchen Dinst zuvorn, Ernvester Achbar, hochgelarter
Her Doctor vnd Canzler freuntliche libe her swager. auff Ever an mich
gethanes schreiben, hab ich mit muhe v. grossen fleis di Conterfakten so
mein gnediger füst v. her bestellet gefercht (gefertigt), diselbigen himit
vberschicke, der hoffnung sollen wol ankomen vnd ist deme also. Das
m. g. f. vnd herr wolt habe sein itzige neves gemahl in ihre grossen (Größe)
v. der kleidung wie si das mahl zur annenburgk gewesen.
Darnach das forige gemahl in ihrer Kleidung vnd schmuck wie si
zur Zeit: gangen v. weil das bilde zum Epithafium solt in dem Habit gemacht
werden, so ist es fonnotten (nötig) dem bildhaver eins zu schicken, welchs
dan auch kont bey das begrebnus gebrucht werden, dan es mit sonderlichen
fleis gemacht vnd sich wol zum gedechnuhs schicken (zum Gedächtnis
eignen). Darnach hab ich sollen der Frav mutter drej kleine machen v.
der itzigen jungen Fürstin auch drej v. der forigen auch drej. das ich si
al solte zusammen vberschicke. vnd weil darneben auch Ein forzeichnus
mitschicke, was solche arbet alle kostet, bin ich der Zufersicht mein gnediger
furst vnd herr werden mihr solche bezolung thun lassen, vnd den botten
for beschirm zu stallen (unter Schutz nehmen), wiwol ichs bedenken habe
den botten zu ferthraven auff der Strassen es konte aber mir der her darin
Zwei unbekannte Briefe von Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahre 1579. 263
dienen v. mit denen von Dresen nach Dresen schicken. Das ichs zu Dresen
bekomen mocht in m. gn. hem des Churfürsten Kamer. kennt ihr
mir das itzunt wider schreiben bey wehme ich solchs mocht abfordern
lassen. Ich forsehe mich der her werde sich meines Dinstes nicht be-
schweren. vber das das ihr sonsten fil (viel) zu thun werden haben . . . vnd
thun wider was euch lieb ist damit Gott dem almechtigen befohlen.
Dat. in Wittenbergk den 28 mey 1579 Lucas Cranach Mahl.«
Diesem Brief ist die Rechnung für die Bilder beigefügt, in ihr haben
die Angaben der Preise das meiste Interesse, sie lautet:
»Verzeichnus der arbett so ich mein gnedgen Fürsten vnd hern hem
Georgen Friderich Marggraffen zu Brandenburgkh iz gemacht hab als
nemlchen (nämlich) für die zvej grosse Conterfakte bey der Gemahlen der
itzigen vnd die foriger, seliger gedechnus. welchs ein ides 40 Thal, werde,
aber wil si E. f. gn. eins für 30 Thal, lassen, ferner seint neven kleine Conter-
fakte für ein ides 4Thaler, so habe ich do ih zu E.fstl. gn. nach der annen-
burgk gefordertt fhure zerung auff thäge (die Anzahl der Tage ist leider nicht
ausgefüllt) mit zweien Pferden »fazeit samt den furthen 5 Thal. 20 gr.
nemlichen 3 Thal. 8 g. speisung 31) Thal, fuhrthen welchs nun alles in summe
macht 101 Thal. 20 g. 60
12 — 24
89 — 20 — 5
Ever fürstlichen gnaden vnderthenichster Diner
Lucas Cranach Mahl.«
Aufschrift:
»Den Ernvesten Achbaren, hochge-
larten David Hosman fürstlichen bran-
denburgkischen Canzler zu onotzpach
(Ansbach) mein günstigen Hern Schwä-
gern zu henden.«
Vermerk der Kanzlei: »Lucas Cra-
nach schikt die Contrafacturen Abwe-
sen des H. Hosman H. Andres zu er-
brechen od. H. Hobe.«
Beide Briefe sind recht unleserlich mit flüchtiger Handschrift ge-
schrieben, manche Sätze erst nach langer Prüfung zu verstehen, oft sind
Worte in ihren Silben auseinandergezogen, was das Lesen sehr erschwert.
Cranach, der Bürgermeister der gelehrten Stadt Wittenberg, nimmt es, wie
die Briefe zeigen, mit der Rechtschreibung und der Anwendung der Satz-
') Bedeutet die Hälfte, also 1 Thal. 12 gr.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
19
264
C. von Bardeleben:
Zeichen nicht sehr genau, besonders fällt dies in dem Schreiben an Hosemann
auf. Die Briefe sind durch die noch wohlerhaltenen mit Papier bedeckten
Oblatensiegel verschlossen gewesen. Das Cranachsche Wappen, von einem
kleinen Siegelring aufgedrückt, ist deutlich auf beiden zu erkennen: Die
geflügelte Schlange mit der Krone auf dem Kopf und dem goldenen Ring
im Maul windet sich wagerecht durch den Schild. Rechts und links vom
Helm stehen die beiden Buchstaben L. C. ; auch der ältere Cranach schrieb
sich mit C, nicht K.
Cranach fügt seiner Unterschrift immer den Stand als Maler, abgekürzt,
hinzu. Die Ansicht einiger Schriftsteller, daß die Familie vormals zu Kra-
nach nicht den Namen Müller, sondern Sünder geführt hat, halte ich für
richtig. Über die Geschlechtsfolge der Cranachs hat Max Senf zu Witten-
berg sehr eingehende Forschungen gemacht und dieselben in dankenswerter
Weise in der Vierteljahrschrift des deutschen Herold veröffentlicht. Der
fleißige Genealoge hat viele Irrtümer in früheren Werken über die Familie
Cranach aufgedeckt. U. a. auch festgestellt, daß der jüngere Lucas in Witten-
berg und nicht in Weimar gestorben und begraben ist. —
Die von Cranach hergestellten Bilder kamen auch richtig zum Einzug
des neuvermählten Paares auf der Plassenburg an, der Wunsch des Meisters
»einer recht fröhlichen Heimfahrt« war in Erfüllung gegangen. Die Trauung
hatte schon zu Dresden am Sonntag Misericord. Domini (am 3. Mai) in aller
Stille stattgefunden, wir wissen nur, daß dem Hofprediger Mirus, welcher die
Rede dabei hielt, dafür ein silbernes Geschirr im Werte von 20 Gulden verehrt
wurde und daß die Schauspieler, welche an einem der nächsten Abende eine
Tragödie aufführten »zur Ergötzlichkeit ihrer gehabten Mühe und Kosten
mit einer Verehrung beglückt wurden« und zwar im Betrage von 5 Gulden.
Man sieht, daß die Bühnenkünstler zu dieser Zeit nicht verwöhnt waren.
Über die Cranachschen Bilder erfahren wir weiteres durch eine zur
Zeit dieser Feierlichkeiten aus der markgräflichen Kanzlei an den Maler
Lucas abgesandte Antwort, welche noch im Entwurf vorhanden ist, folgenden
Inhalts:
»Georg Friedrich p. p.
Unsern Grus zuvorn. Erbar lieber besonders. Wir haben die bey
eignen botten vns von Dir vberschickten beide große Contrafacturen vnserer
seligen vnd itzigen f. geliebter Gemahlin samt den 9 kleinen Contrafacturen
jüngst In Blassenberge .woll entpfangen vnd darauff gnedigen Befehlich
gethan, das dir vnser Kontor zu Leipzig Werchow vor die beide
grosse Conterfact die begerte 60 Thaler vnd dan vor 6 kleine jedes
4 Thal., samt 5 Thlr. 20 gr. Zehrung vnd Fuhrlohns vnd also In allen
89 Thal. 20 gr. entrichten solle, die dir von Ihme zu entpfahen lassen
werdest
Zwei unbekannte Briefe von Lucas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahre 1579. 265
Was dan die vbrigen drej kleinen Stufcklein anlangt, di weill dieselben
vnserer f Gemahlin nicht fast ehnlich oder gleich sehen, thun Wir Sie
Dir hineben wieder hin senden, do du aber dieselben nochmals dermaßen
verbessern würdest, das Sie Ihrer fstl. Gn. gleich sehen, wollen wir solche
stucklein alsdan auch behalten vnd zahlen, wollten wir dir gnedig nicht
bergen vnd seind dir mit Gnaden geneigt
Datum (nicht ausgefüllt)
An Lucas Mahler
zu Wittenberg.«
Vorerst wird also hier die Höhe und Art der Zahlung abgemacht,
dann werden die kleinen Bilder der zweiten Gemahlin besprochen. Sie haben
den Beifall des Markgrafen, höchstwahrscheinlich auch den ihrigen und den
der anwesenden Gäste nicht gefunden. Weil die Bilder der Markgräfin nicht
»gleich sehen«, erfolgt keine Bezahlung dafür, und sie wandern wieder in die
Künstlerwerkstatt zurück. Leider schließt mit diesem markgräflichen
Schreiben der Briefwechsel. Man weiß nicht, ob Cranach sich daran gesetzt
hät, die Konterfeis der jungen Frau ähnlich zu »verbessern« und ob sie hierauf
vom Markgrafen angenommen und bezahlt wurden. Ein beim Tode Markgraf
Christian von Bayreuth (1655) im Schlosse zu Bayreuth aufgenommenes
Inventarium seines Nachlasses weist Bilder Georg Friedrichs und seiner
Gemahlin auf, ob das von letzterer eins von Cranach gemaltes ist, kann
nicht angegeben werden.
19’
Literaturbericht.
Architektur.
August Grisebach. Das deutsche Rathaus der Renais-
sance. 162 Seiten mit 50 Abbildungen nach Federzeichnungen.
Berlin 1907.
Der vorliegenden Arbeit wurde von der Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Berlin der Hermann -Grimm-Preis bei einer Konkurrenz des Jahres 1905
zuerteilt. Wie die Aufgabe gestellt war, zerfällt die Arbeit in zwei Haupt-
teile, die Beschreibung der einzelnen Rathäuser und in
eine Darstellung der allgemeinen Entwicklung des Rathauses
sowie seiner lokalen Sonder Charaktere. Zu Beginn sei gleich
bemerkt, daß das Thema in seiner ganzen Problematik leider nicht erschöpft
wurde.
Das Einleitungskapitel, welches die Bedeutung des Rat-
hauses im Stadtbilde schildern will, ist nach dem Material, das für
es herangezogen wurde, und formal nach der Menge städtebaulich hier
interessierender Untersuchungsfragen zu mager ausgefallen. Auch die gute
Gelegenheit zu einer wenigstens andeutenden Geschichte des deutschen
Marktplatzes und seiner so wichtigen sachlichen und ästhetischen Entwick-
lung ist ungenützt vorbeigelassen; ein Mangel, dem auch durch die kurze
Erwähnung der jedesmaligen Situation des betreffenden Rathauses nicht
wesentlich abgeholfen wird. Des weiteren hätte die künstlerische Ausbildung
und die Placierung der typischen öffentlichen Denkmäler vor dem deutschen
Rathause, der Rolandssäulen und der Marktbrunnen, des mancherorts
üblichen Prangers, in ihrer historischen Entwicklung wenigstens skizziert
werden sollen.
Der erste Teil des Buches, die statistische Beschreibung, ist viel ge-
ringer an Wert als der zweite der stilgeschichtlichen Darstellung. Es
haftet ihm etwas Ermüdendes und Unzusammenhängendes an. Auch besitzt
er nicht diese Intensität lebendiger künstlerischer Anschauung, die den
zweiten Teil durchgehends erfüllt. Die Gruppenbildung in seiner Disposition
zeigt nur selten ein stärkeres Eingehen auf das Beziehungs volle ini
Monumentenmaterial, für das sich doch in dem Schlußkapitel »Die lokalen
Sondercharaktere« so viel Verständnis offenbart. Bei dieser scharfen Tren-
Literaturbericht.
267
nung nämlich in I. Süddeutschland, zu welchem Franken gehört, und 2. Nord-
deutschland, dem Grisebach Obersachsen zurechnet, geht die höchst wichtige
Verbindungslinie durch die thüringisch-fränkische Rathäusergruppe Alten-
burg, Schweinfurt, Rothenburg verloren, welche ja vom Verfasser selbst auf
S. 150 in der Beschreibung der lokalen Sondercharaktere ausdrücklich fest-
gestellt wird. Auch sonst fallen die geographischen Gruppen Grisebachs
nicht ganz mit den tatsächlichen Stilprovinzen der deutschen Renaissance
zusammen, und vor allem kommt das niederländische Einflußgebiet, das
die Küstenländer der Nord- und Ostsee vollständig, Niedersachsen mindestens
zum großem Teile beherrscht, nicht klar zur Erscheinung. Dann ist die
anhangsweise behandelte Gruppe der Fachwerkrathäuser m. E. nicht ein-
gehend genug differenziert worden: Schwaben hat hier seine ganz eigene
Formensprache, die sich von allem unterscheidet, was nördlich wie westlich
von ihm im Holzbau geschaffen wurde (Markgröningen, Backnang). Auch
der niedersächsische Ständerbau hätte wohl eine individuelle Charakteristik
verdient.
Noch wären besser vielleicht die schönsten der Renaissance anbauten
an älteren gotischen Rathäusern, wie die zweistöckige Halle in Köln, die
Erker in Lemgo, die Bogenhalle und Treppe in Lübeck, ebenfalls unter
die ausführlichen Beschreibungen des ersten Teils aufzunehmen
gewesen: Bemerkt doch August Grisebach selbst sehr richtig von diesen
Anbauten, »das Besondere des neuen Stils erscheine nirgends
klarer und wirkungsvoller, als in solch unmittelbarem Kontakt mit einem
andersartigen Wesen früherer Zeit«.
Von wichtigen Rathausbauten der Renaissance fehlen in der Monu-
mentenbeschreibung des ersten Teils: Das Rathaus von Konstanz von
1592, dessen interessanter Arkadenhof bereits bei Lübke I, S. 295, Fig. 140
und bei Bezold S. 52, Fig. 41 publiziert ist. Das Rathaus von Ganders-
heim (Braunschweig), von 1581 — 1588 erbaut: Abbildungen bei Ort-
wein XXX, Bl. 1 — 5 (von Bohnsack gezeichnet) und photographisch repro-
duziert bei K. E. 0. Fritsch, 12. Lieferung. Die einfache, rein niederländische
Hinterfront des Rathauses zu Münster in Westfalen, noch von etwa
1560: Ortwein XXVIII, Bl. 31. Die kraftvoll schöne Spätrenaissancefront
des Würzburger Rathauses, welche weit hinter der gotischen Rat-
hausflucht in der Tiefe zurückliegt, von Wolff Beringer aus Freiburg im
Breisgau (1659 — 1660): Abbildung bei Bezold S. 54, Fig. 43 nach Fritsch.
Der höchst wertvolle, köstliche Frührenaissancetreppenaufgang Wendel
Roßkopfs von 1537 am Rathause zu Görlitz: Abbildung bei Fritsch,
Lübke I, S. 203, Fig. 295. Ortwein LIII, Bl. 51, 52. Die reizende Laternen-
krönung des rechtsstädtischen Rathausturmes in Danzig von 1559 bis
1561: Abbildung bei Bezold S. 145, Fig. 134, nach Ortwein XXXVIII,
268
Literaturbericht.
Bl. i, 2. Ebenso hätte auch das grandiose Hochzeitshaus in
H a m e 1 n von 1610, welches tatsächlich »nicht bloß für die Hochzeitsfeste
der Bürger, sondern auch für alle andern öffentlichen Zwecke
und Versammlungen bestimmt war«, noch dem Material einbe-
zogen werden müssen: Veröffentlicht ist es sowohl von Fritsch wie von
Ortwein XII, 2. Heft, Bl. i — 8.
Wie weit noch in den einzelnen Stilprovinzen Deutschlands kleinere
Gemeindebauten der Renaissance vorhanden sind, welche in dieser Rat-
hausmonographie zu erwähnen vergessen worden, kann nur die lokale
Kunstforschung bestimmen. In dem Ref. am besten vertrauten Elsaß
fehlen die hübschen Rathäuser von Ammerschweier von 1552 und
Kaysersberg von 1604 (Kraus, Kunst und Altertum in Oberelsaß,
S. 18 und Fig. 6, S. 202, 203).
Dadurch, daß Grisebach keines der beiden Schweizer Rathäuser,
Luzern, 1602 — 1606 von Antony Ysemann erbaut, und Zürich von
1694 — ein Datum, das allerdings schon außerhalb der vom Verfasser be-
handelten Periode fällt: — nennt (Abbildungen bei Lübke I, S. 251, Fig. 125,
S. 261, Fig. 128), verzichtet er freiwillig auf eine stilistisch inten-
sivere Verbindung, wie sie gerade die Schweizer Architektur zwischen
der italienischen Mutter- und der deutschen Tochterkunst darstellt. Der
kraftvolle und für nordische Verhältnisse eminent architektonische Luzerner
Bau wenigstens hätte namhaft gemacht werden müssen. Schließlich ist
noch ein hochinteressantes Denkmal, welches aus demselben Grunde der
Stilverknüpfung Deutschlands mit Italien unsere volle Aufmerksamkeit ver-
dient, der Arbeit Grisebachs entgangen, die Fassade des 1567 erbauten,
1770 abgebrochenen alten Rathauses von Pasqualini in Jülich an der Ruhr
(Regierungsbez. Aachen), das man getrost der andern großen, rein italie-
nischen Rathausfassade auf deutschem Boden, dem Posener Hallenbau des
Giovanni Battista di Quadro aus Lugano (1550 — 1555), an die Seite stellen
darf. Edmund Renard, der dieses Meisterwerk in der Fassade des jetzt eben-
falls schon niedergelegten Jülicher sogenannten Archivgebäudes wieder ent-
deckt hat, nennt die alte Jülicher Rathausfassade »eines der wertvollsten
Zeugnisse für die von Jülich ausgehende Verbreitung der Renaissance am
Niederrhein«. Genau so wie das Renaissanceschloß in Jülich (Chor der
Schloßkapelle) scheint sie durch niederländische Vermittlung mit der ober-
italienischen Baukunst, Veronas und Mantuas etwa, zusammenzuhängen.
Vgl. Kunstdenkmäler der Rheinprovinz VIII, Bd. I. Die Kunstdenkmäler
des Kreises Jülich, S. 138, Taf. VI. Lübke II, S. 449, Fig. 367.
In dem durchweg trefflichen zweiten Teil der Grisebach-
schen Monographie, die allgemeine Entwicklung des Rathauses und die
lokalen Sondercharaktere, ist vorzüglich die psychologisch fein erklärte Ent-
Literaturbericht.
269
wicklung des Rathausgrundrisses, die in Parallele zu der des Aufbaus gesetzt
wird, zu loben: Der Grundriß wird im Gegensätze zu Stiehls materialistischem
Verfahren, welches so denkbar unhistorisch wie nur möglich ist, nicht aus dem
Bedürfnisse der Stadtverfassungen in seinen Formen analysiert, da ja
ein materieller Inhalt an sich noch gar nichts über die hiervon gänzlich
unabhängige ästhetische Formulierung aussagen kann, sondern als
einen Ausdruck künstlerischen, raumschöpferischen Strebens gewürdigt1). Und
sein Schlußkapitel über die lokalen Sondercharaktere des deutschen Re-
naissancerathauses weist direkt glänzende, höchst feinsinnige Beobachtungen
auf in der Darstellung der Gegensätzlichkeit von farbig flächenhaft
empfindender niederdeutscher und der entschieden plastischen
oberdeutschen Baukunst, wobei gelegentlich die sehr treffende Parallele mit
dem architektonischen Kontrast in Italien zwischen Florenz hier, Venedig
dort gezogen wird.
Es ist schade, daß August Grisebach nun gar nichts über das kon-
krete Verhältnis der Denkmäler der deutschen Renaissance zu
Italien ausgesagt hat. Eine Klärung der genauen Beziehungen
zu dem Mutterlande aller Renaissance — seien diese nun direkte odei indi-
rekte: für die ganze norddeutsche Tiefebene unter der Vermittlung Hollands,
für das Rheingebiet von Mainz an abwärts durch Vermittlung Flanderns —
ist für einen solchen Importstil, wie ihn die deutsche Renaissance
darstellt, mehr als von relativer oder nur historischer Bedeutung. Diese
in den einzelnen Werken durchaus variable Proportion zu der
fremden höheren Kunst wird den Stil stets auch in seinem absoluten, indi-
viduellen Werte zu charakterisieren vermögen. —
Materiell ist zu dem ersten Kapitel des zweiten Teils der allgemeinen
Entwicklung des Rathauses hinzuzufügen, daß die auf S. 1 1 7 zu skizzieren
begonnene Entwicklungsgeschichte des Rathausturms auch noch auf den
als Glockentürmchen dienenden Dachreiter auszudehnen ist, wie man
ihn äußerst häufig besonders bei den kleineren südwestdeutschen Rat-
häusern im Elsaß, in Schwaben usw. antrifft als eine in der Mitte oder an
einem Ende des Dachfirstes obenaufsitzende Turmspitze oder Laterne, welche
die großen Hochbauten der gotischen Zeit ersetzen soll.
J) Es ist für den mit der architektonischen Tatsächlichkeit vertrauten Historiker
unbegreiflich, daß ein derart kompliziertes und keinesfalls in irgendeiner Periode je ge-
festigtes Rechtskonglomerat wie die mittelalterliche Stadtverfassung sich deutlich und
individuell im Grundrisse eines Rathauses abzeichnen soll: jene ist doch etwas Juristisches,
also ganz und gar Abstraktes, dieser etwas äußerst Sinnliches, Räumliches. Eine solche über
jede bestehende Kategorie des menschlichen Denkens sich souverän hinwegsetzende Über-
tragung erscheint sicher nicht viel anders, als wenn man etwa aus der staatsrechtlichen
Verfassung des Deutschen Reiches den Grundriß des Wallotschen Reichstagsgebäudes
ableiten wollte!
270
Literaturbericht.
Auch sind für ein bauhistorisches Thema aus der deutschen Renaissance
einer Gesamtschilderung der Entwicklung der Fassade in ihrer Übersicht,
wie sie uns Grisebach in drei stilgeschichtliche Perioden zerlegt (1. Die
Fassade bis zur Mitte des 16. Jahrh. 2. Die Fassade in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrh. 3. Die Fassade von 1600 — 1620), auf S. in — 130 seines
Buches trefflich vörführt, noch monographische Detailunter-
suchungen über die sich wandelnde Ausbildung des Tores, des Fensters,
des Erkers u. ä. mehr nach dem höchst nachahmenswerten Vorgehen Gustav
von Bezolds an die Seite zu stellen: Wie charakteristisch für den Geist
deutscher Renaissancebaukunst gerade die Ausbildung solcher kleinarchitek-
tonischer Teilorganismen der großen Gesamtfassade stets gewesen, ersieht
man aus Grisebachs eigenem schönen Sonderkapitel (S. 1 5 1 — 158) über die
Entwicklung und lokale Differenzierung der Formen des Giebels in Ober-
und Niederdeutschland.
Ebenso erscheint die Innenausstattung der Rathäuser als so wichtig,
daß ihre Hauptbeispiele zum mindesten nicht von vornherein aus
dem Programm ausgeschlossen werden durften, wie der berühmte Rats-
saal in Lüneburg, der 1566 — 1578 von Albert von Soest ausgeschmückt
wurde, die Kriegsstube im Rathause zu Lübeck von 1572 — 1578, der
schöngetäfelte Friedenssaal im Rathause zu Münster von 1587 und die
Prachtgemächer des D a n z i g e r rechtsstädtischen Rathauses, vor allem
die Sommerratsstube des Vredeman de Vries von 1596. Die Innendekoration
des Augsburger Rathauses wird vom Verfasser selbst schon auf S. 31, 32
beschrieben: Galten doch diese Prachträume genau so als öffentliche
Repräsentanten kommunalen Bürgerstolzes wie die Außenfassaden der
Stadthäuser selber. —
Von Einzelheiten ist noch zu monieren, daß eine Bezeichnung schlecht-
hin des Elias Holl als des »größten unter den deutschen Palla-
d i a n e r n« (S. 143), die übrigens durch Bezold, S. 120, 1 2 1 seiner Bau-
kunst der Renaissance in Deutschland, aufgekommen zu sein scheint, geeignet
ist, eine falsche Vorstellung vom Wesen seiner Kunst zu erwecken: vgl.
Julius Baum. Die Bauwerke des Elias Holl, S. 90 — 98.
Die bei Grisebach unter Abb. 8 und 9 angeführten Modelle erscheinen viel-
mehr als echt Venezianisches, an Jacopo Sansovinos Bibliotheca
di S. Marco etwa erinnernd, wenn auch im Detail — wie z. B. in den nach
der Tiefenrichtung verdoppelten Säulen — manches mit Palladio Zusammen-
treffen mag. Die Rathausausführung ist nur in der idealen Symmetrie ihres
Grundrisses von Palladio beeinflußt, während sich die Fassade ganz im Sinne
des römischen Barocco gestaltet, wie ja auch Grisebach in Anm. 2
zu S. 143 selbst ausführt. Bei den Türmen, die »dem Bau in und außer der
Stadt ein heroischeres Ansehen geben sollten«, möchte man am ehesten
Literaturbericht.
271
noch an Sanmicheli denken. Auch bei der mächtig horizontalisierenden
Fassade des Nürnberger Rathauses wird eher auf V i g n o 1 a s Stil, als
auf Rafael zu raten sein.
Schließlich sei von Unkorrektheiten noch angemerkt, daß stets der
Ausdruck »Dacherker«, welcher nur für die Dachaufbauten der Nürnberger
lokalen Architektur seine sinngemäße Bedeutung als zeltdachgekröntes
Türmchen hat (Abbildung bei Bezold S. 39, Fig. 28), an Stelle des die Sache
tatsächlich bezeichnenden Wortes »Zwerchhaus« angewandt ist Auch die
Ornamententerminologie erscheint nicht stets präzis: so findet
sich des öftern statt Beschlag Bandwerk, Rollwerk statt Beschlag Hier
richte man sich am besten nach dem von Gustav von Bezold in
der Baukunst der Renaissance in Deutschland, 2. Aufl., auf S. 252 ff. auf-
gestellten klaren Schema.
Die Strichzeichnungen Hellmuth Grisebachs
lassen sehr im Gegensätze zu denen Friedrich Schönes in bezug auf lebens-
volle, suggestive Wirkung zu wünschen übrig. Die impressionistische Farbig-
keit der niederdeutschen Rathäuser, das Architektonisch -Plastische der
oberdeutschen kommt in diesen dünnen Skizzen wenig zum Ausdruck.
Straßburg i. E. Fritz Hoeber.
Bernhard Patzak. Die Villa imperiale in Pesaro. (Die
Renaissance- und Barockvilla in Italien. Bd. III.) Leipzig, Klinkhardt
und Biermann, 1908.
Es gibt kaum ein brillanteres Thema als die Geschichte de* .calienischen
Villa. Die Heiterkeit des Stoffes; die Exaktheit der Da Stellung, die alle
Architekturhistorie (als Möglichkeit wenigstens) vor Malerei und Plastik
voraushat; eine Typengenealogie, die sich durch Jahrhunderte hindurch
verfolgen läßt — was für ein Buch muß sich da gestalten lassen! Die Arbeit
Patzaks entspricht nicht ganz dieser Erwartung. Sie gibt sich als Band III
einer umfassenden Geschichte, allein man merkt sehr bald, daß erst aus den
Studien, die der Einzelfall der Villa imperiale notwendig gemacht hatte,
dem Verfasser der Gedanke sich ergab, nun gleich das ganze Gebiet aufzu-
arbeiten. In wieviel Bänden das geschehen soll, wird nicht mitgeteilt. Dieser
3. Band hat jedenfalls einen ganz monographischen Charakter und wird sich
schwer einer Entwicklungsgeschichte einfügen, wenn das Ganze nicht überhaupt
bloß als eine Folge von Monographien gedacht ist. Die Architektur ist hier
nicht einmal die Hauptsache: die weitaus größere Hälfte des Buches beschäf-
tigt sich mit den Malereien der Villa, und nur 170 von 430 Seiten behandeln
das Speziell-Architektonische.
272
Literaturbericht.
Zu Ehren des Verfassers sei gesagt, daß er sich seine Aufgabe nicht
leicht gemacht hat. Überall ist das redliche Bemühen sichtbar, den Dingen als
Historiker beizukommen, sie in ihren Zusammenhang hineinzustellen und
ihnen wo immer möglich noch einen nachträglichen Geburts- und Taufschein
zu besorgen. Mit welchem Erfolg das für die Fresken geschehen ist, wird
man nach den Abbildungen des Buches kaum beurteilen können. Es sind
(nach des Verfassers eignen Worten) zum größten Teil übermalte oder ver-
witterte Bilder, als deren Urheber relativ wenig bekannte Künstler zu gelten
haben: Girolamo Genga, Francesco Menzocchi da Forll, Raffaellino dal
Colle, die Brüder Luteri, Camillo Mantovano. Unter vielfacher Polemik
gegen Thodes Aufstellungen gibt der Verf. seine Ansicht kund, wie das vor-
handene Werk an die überlieferten Namen aufzuteilen sei, wobei die Breite
der Darstellung dem künstlerischen Wert der Dinge nicht ganz angemessen
ist. Wertvolle Einzelnotizen wird man in den kurzen biographischen Ab-
schnitten finden. Übrigens hat der Verfasser auch hier von seinen Studien
sich weiter führen lassen und stellt noch eine Bibliographie der nachvasari-
schen Kunstschriftstellerei (S. 226), ein Spezialwerk über Giov. und G. B.
Dossi (S. 244) und eine umfassende Geschichte der Innendekoration (S. 435)
in Aussicht. Wir wollen das Beste hoffen.
Im architektonischen Abschnitt zerfällt der Stoff von selbst in zwei
Teile: die stark verschiedenen Gruppen des Sforzabaues einerseits, dessen
Gründung auf die Mitte des 15. Jahrh. fixiert wird, und des Roverebaues, des
Meisterwerkes Gengas, andererseits. Nach einer gründlichen Baubeschreibung
folgt eine entwicklungsgeschichtliche Betrachtung. Der erste Bau wird mit
toskanischen Villen verglichen, der zweite mit Schöpfungen der römischen
Hochrenaissance. Bei aller Anerkennung des aufgewendeten Fleißes kann ich
nicht leugnen, daß das Buch noch etwas Schülermäßiges hat. Die Beibringung
von Beispielen zur Geschichte des Palladiomotivs (S. 144 ff.) würde sich in
einer Seminararbeit ganz gut machen, aber v/as sollen solche Specimina
eruditionis hier? Und das Zurückgehen auf der Linie des toskanischen
Villenbaus bis auf die mittelalterlichen Typen (alles mit reichlicher Illustrie-
rung) — warum muß das gerade bei der Villa imperiale geschehn ? Wird der
Verf. nicht in Verlegenheit kommen, wenn er bei jeder Gelegenheit die ganze
Geschichte aufrollt? Mit mehr Disposition würde sich die Entwicklung der
Villa viel klarer und schlagender geben lassen Ob für den Roverebau der
Hinweis auf den herzoglichen Palast von Gubbio als spezielles Vorbild not-
wendig war, bleibt mir zweifelhaft (vgl. namentlich S. 170!). Für den
Villenterrassenbau im allgemeinen wird als antike Form der Fortunatempel
von Palestrina genannt, eine Anlage, von der sich schon Bramante in seinem
Vatikanischen Hof habe inspirieren lassen. Wölfflin.
Literaturbericht.
273
Max Deri. Das Rollwerk in der deutschen Ornamentik
des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts.
97 S. Berlin 1906.
Die sehr feinsinnige Schrift stellt eine empirisch-psycholo-
gische Ästhetik der mit dem alten Namen »Rollwerk« [»Das Ver-
sterben und Verlieren unten und oben am, Werk mit Geröll.« Vredemann de
Vries. Deutsche Ausgabe seiner Architektura. Antwerpen 1565) bezeich-
neten Ornamentgattung der deutschen Renaissance dar, d. h. also eine
künstlerisch -analytische Untersuchung auf Grundlage des geschichtlichen
Denkmälerbestandes. Sie zerfällt in drei große Kapitel, Spätgothik und
Humanismus, das Rollwerk und das Knorpelwerk.
Im ersten Kapitel wird das Rollwerk als die nationale »Reaktion
zum Gothischen« im Bereiche des von Italien eingeführten, fremden Huma-
nismus definiert. Das Rollwerk knüpft da an, wo die Spätgothik in ihrer
Entwicklung des Ornamentes aufgehört hatte: Das spätgothische Ornament
ist Lineament der Bewegung. Ihm eignet »der laufende Aufmerk-
samkeitspunkt«, im Gegensatz zu dem Renaissanceornament der italieni-
schen Daseins kunst, welches die Einstellung der Aufmerksamkeit
auf einen bestimmten Mittelpunkt oder auf eine feste Achse ver-
langt. Und solche nordische stetige Bewegung kann sich außer in der Zwei-
dimensionalität auch in die Tiefe fortsetzen, indem sie den klassischen
Reliefgrund negiert.
In dieses reine Rassenprodukt tritt nun nach Deri der »intellektuelle«
Faktor des italienischen Humanismus ein, das bislang nur Gefühlsmäßige
der Ornamentik rationalisierend: Das spätgothische Laubwerk wird dör
symmetrischen Anordnung unterworfen und der Ornamentgrund wird
deutlich festgelegt. Der italienische Einfluß beginnt sich in den ersten drei
Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts durchzusetzen. Am reinsten erscheint
er in der deutschen Frührenaissance der dreißiger und vierziger Jahre.
Die folgenden fünfzig Jahre gelten einer innerlichen Verschmelzung beider
Richtungen, so daß man sagen kann, um 1580 habe das spätgothische,
germanische Ornamentgefühl wieder die äußere italienische Invasion besiegt.
Nun ist freilich zu fragen, ob die Annahme des Verfassers des spezi-
fisch rationalistischen Charakters der italianisierenden Periode
in der deutschen Renaissance psychologisch stichhaltig ist. Da-
gegen läßt sich nämlich prinzipiell einwenden, daß auf dem Wege bewußter
Verstandesüberlegung niemals ein ganzer Zeitstil geworden ist; es sei
denn, daß der Ration ein durchaus spontanes Gefühl, eine adäquate »Stim-
mung« im gesamten zeitgenössischen Kunstwollen vorausgegangen. Auch
das italienische Quattrocento ist in seinem antiquarischen Suchen nach
den Formen des Altertums nicht frei von Vernunftmäßigem und doch läßt
274
Literaturbericht.
sich diese Frührenaissance keineswegs als eine rückblickende Verstandes-
tätigkeit analysieren, sondern als das Resultat innerlich voraus-
bedingter kunstgeschichtlicher Entwicklung. Ließe sich da nicht
auch für die deutsche Frührenaissance eine andere, autonome Erklärung
finden als die gewiß außerästhetische der intellektuellen Rezeption? Ließe
sie sich nicht etwa als den entwicklungsgeschichtlich logischen Umschwung
des spätgothi'schen Barock in eine entgegengesetzte, völlig klassizistische
Stilrichtung begreifen? Der Ausspruch des Luca Pacioli: Nihil est in in-
tellectu, quin prius sit in sensu , hat vor allem seine regelmäßige Geltung
für die Ableitung der Inhalte kunsthistorischer Epochen.
Ähnliche Einwürfe werden nun auch gegen eine Antithese zu erheben
sein, die Max Deri in seiner Einleitung aufstellt: Plastik und Malerei seien
gefühlsmäßig und individuell, Architektur und Ornament aber gedanken-
mäßig und sozial. Als ob sich eine »gedankenmäßige Kunst« in der Wirk-
lichkeit überhaupt ausdenken ließe, und als ob der etwaige Gegensatz von
individuell und sozial zwischen bildenden Künsten und tektonischen, ein
prinzipieller und nicht vielmehr höchstens ein gradueller
wäre: in den Bildkünsten kennt man doch auch Schulen wie Schulgruppen
ganz unindividuellen Charakters, und wieviel Architekturen oder Orna-
mente offenbaren dem näher Zuschauenden einen »höchst individuellen«
Stil. Es ist augenscheinlich, auf welche Gedankenreihe unser Autor
hier zurückgreift: Georg Simmel, den er ja auch einmal zitiert, spricht
in einer Abhandlung von dem »Einzelwert« und dem »Allgemeinwert« eines
Stücks Kunstwerk. Aber diese Gegensätze sind teleologisch genommen,
d. h. für die Wirkung bestimmt, und soziologisch, d. h. in ihren Beziehungen
zu dem Publikum. Doch für die Produktion selber beanspruchen sie gar
keine Geltung.
Das mittlere Kapitel, der Hauptteil, zeichnet die einzelnen Phasen
in der ästhetischen Entwicklung des Rollwerks: Um 1540 besteht im
deutschen Renaissanceornament noch eine Uneinheitlichkeit, die der
Hauptsache nach in den beiden Formgruppen des Rankenwerks einerseits,
der Maureske andererseits — nur selten kommt die ganz italienisch ge-
bliebene Groteske vor — ihren Ausdruck findet. Bald aber macht sich
im weiteren künstlerischen Verlauf eine gesamte Tendenz geltend, welche
auf die Bildung der typisch deutschen Ornamentform des Rollwerks mit
konsequenz hinauswill. Lichtwark charakterisiert das Rollwerk als »die
Bewegung der Fläche in so allgemeiner Form, wie die Spirale die der Linie
darstellt«. Deri bringt mehrere Belege hierzu aus dem 15. Jahrhundert,
in Bandmotiven, in Tartschen, in den Rollen des Parchemin plie, und bei
Albrecht Dürer, Kapitellvoluten als botanisch ausgedeutete gerollte Bänder
von dem Triumphbogen für Kaiser Maximilian.
Literaturbericht.
275
Die ersten fünfzig Jahre ist das Rollwerk nichts mehr als gerollte
Randform. Sachlich verkörpert es sich in friesartigen Bildungen und
in dem herumgeführten Rahmen, der Kartusche, die sich aus dem
Gegensätze einer geometrisch abgegrenzten Innenform und einer losgelösten
aktiven Randform entstanden erklärt. Indem das Material des Rollwerks
mit der Eigenschaft dicker Körperlichkeit ausgestattet wird, lösen sich
aus der Ebene Zungen los, die durch parallele, seitliche Einschnitte in den
Rand hergestellt wurden. Anfangs erscheint die Tiefenabsicht des Roll-
werks in einem bloßen Biegen des Randes nach vorwärts oder nach rück-
wärts und die Zungen geben sich noch einfach klar gelagert. Bald aber
schneidet man quadratische oder rechteckige Löcher in den Rahmen, und
ein zweiter wird hinter den ersten gesetzt, der die mannigfaltigsten Be-
ziehungen in Verflechtungen und Überbiegungen zu dem vorderen eingeht:
so stecken sich die Zungen des hinteren Rahmens durch die Löcher des
vorderen usw.
Deri will das wichtige Motiv zweier von hinten über die vordere Fläche
sich neigender, spiraliger Zungen, die durch' einen Steg miteinander ver-
bunden sind (Beispiel Handzeichnung des Wenzel Jamnitzer von 1546
in der Berliner Ornamentstichsammlung: Maureske in Verbindung mit
Rollwerk, abgebildet bei Lichtwark, Ornamentstich Fig. 2) von der Akan-
thusranke über der Rosette des korinthischen und Kompositkapitells histo-
risch ableiten. Allein dieses kleine klassische Detail kann hier nur als eine
Parallele gelten, da eine innere Ähnlichkeit so gut wie nicht vorhanden
ist und die sich überbeugende Spiralranke am besten als psychologisch
in sich bedingte, embryonale Erscheinung jener Rollwerkspezies, welche sich
später zu der zweifachen Flächendurchdringung ausbaut, zu verstehen ist,
so daß man von einer gar. sachlich wirkenden Abhängigkeit hier füglich
niemals reden darf.
Die Weiterentwicklung des Rollwerkornaments charakterisiert sich
durch die Bereicherung mit dem — zumeist angehängten — Figurenwerk
der Groteske, mit deren Tieren, Früchten, Tüchern oder Geräten, und einer
verstärkten Kräftigung im Sinne des Barocco: Ein mächtiges »Wühlen
und Wogen der Formen« setzt ein, die sich häufig gar auf drei hinterein-
ander gestellte Rahmen verteilen. Höchst malerische Effekte treten seit
Mitte des Jahrhunderts hinzu, indem der Schatten die Aufgabe erhält
zu modellieren, aber auch die Formen zu verwischen. Dem entspricht eine
scharf einseitige Beleuchtung im Ornamentstich.
In dem vorletzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts erobert das Roll-
werk zu der Randform, die es als Kartuschenrahmen ausgebildet hatte,
die Innenform: Es wird Grund mit Füllung. Gewiß noch vor dem
Rollwerk lieferte in Deutschland das Beschlagwerk, diese eckige,
276
Literaturbericht.
wie mit der Laubsäge ausgeschnittene reine Flachform, das hauptsächliche
Füllmaterial. Hier kann man Deri nicht verstehen, wenn er den Beschlag
als die unter niederländischem Einfluß entstandene stereometrisch wie
planimetrisch reduzierte Ableitung aus dem Rollwerk definiert.
Ist der Beschlag doch mindestens so alt wie das Rollwerk, eher
älter, und ist er doch auch schon vor der niederländischen Invasion in
Deutschland allenthalben anzutreffen, was ein genaueres Eingehen auf
die Denkmälerstatistik sofort darlegen wird. Und auch der ganzen stil-
psychologischen Reihe des Verfassers selbst würde die Entwicklung des
Rollwerks aus einem nun dreidimensional bewegten Beschläge, wofür es
sehr viele vermittelnde Beispiele gibt, statt umgekehrt ebenfalls weit besser
entsprechen, eine Ansicht, die z. B. auch Gustav von Bezold vertritt. Hin-
gegen erklärt sich die Primitivität dieses typischen Steinornaments des
Beschlags in seinem Ursprung als die Umdeutung der spätgotischen
naturalistischen ornamentalen Flachplastik in den abstrakten rechteckigen
und volutenförmigen Renaissancekontur: Beiden ist auch die Buntfärbung
oder zum mindesten die Aufrauhung der Grundfläche, wodurch das pla-
stisch erhaben ausgeschnittene Ornament in seiner präzisen Silhouetten -
Wirkung sehr gesteigert wird, gemein.
Außer dem Beschlag scheint um diese Zeit auch die Ornamentgattung
der Maureske in den großen Strom des Rollwerks noch einzumünden;
die Maureske, die, hauptsächlich für Metall- und Holzeinlagen handwerk-
lich bestimmt, die andere Hauptfüllungsform der deutschen Renaissance
darstellt. Ihr Organismus besteht aus einem durchaus silhouettenmäßigen,
kurvilinearen Bandwerk mit dazwischen angeordneten feingliederigen Blüten -
ranken. Unter Einwirkung der Rollwerkornamentik tritt hierin jetzt eine
lokale Zersetzung ein, indem die Bänder den Rahmen nach außen
herzustellen haben, während die Füllung aus der reinen Ranke
gebildet wird.
Zu solcher materiellen Bereicherung des Rollwerks dieser Epoche
tritt eine formale totale Umbildung im großen wie im einzelnen: Der Rand
scheint teilweisd von außen nach innen zu wachsen, so daß »Begrenzungs-
form« und »Füllungsform« nicht mehr unterschieden werden kann. Und
die Bänder biegen sich sowohl an ihren Rändern rillenförmig zusammen,
als auch sind sie nicht mehr von einheitlicher Breite, sondern verdicken
sich aus schmalem Anfang gegen ihre wuchtigen Enden hin. Solchen ein-
seitig verdickten, gerollten Bändern der reifen Rollwerkflächenfüllung gibt
Deri den Namen »Keulenschwünge« und läßt sie als Vorläufer der Elementar-
formen des Ohrmuschelstils gelten.
Das Schlußkapitel der Derischen Abhandlung ist der logischen Kon-
sequenz der Rollwerkentwicklung, dem sogenannten Knorpel - oder
Literaturbericht.
277
Ohrmuschelwerk gewidmet. In einer psychologisch äußerst fein-
sinnigen Einleitung verteidigt der Verfasser es gegen die ungerechten Urteile
anderer Ornamenthistoriker, welche in ihm nicht »das Symbol« eines spezi-
fischen Zeitgefühls sehen wollen, sondern es falscherweise mit konkreten
Objekten von unästhetischem Aussehen (Gedärmen, Knorpeln, der Ohr-
muschel usw.) in ihren Gedanken assoziieren.
Üm 1600 bestehen in der deutschen Ornamentik folgende drei Abarten
in der Rollwerkentwicklung nebeneinander: das Rahmenrollwerk, der
Beschlag und die Keulenschwungflächenfüllung. Eine durchgängige plasti-
sche Erweichung der Bildung, die jede Architektur von vorn-
herein negiert und zu obiger Assoziation lebendiger Formen ver-
führt hat, wandelt diese Arten in entsprechende Gattungen des Knorpel-
ornaments, also in das Rahmenknorpelwerk, in das Beschlagknorpelwerk
und die »Schweifgroteske« um, letztere die Derivation des seit etwa 1590
aufgekommenen Keulenschwungs. In der zu Anfang noch gleichmäßig
fluktuierenden, schwammigen Masse des Knorpelwerks macht sich allmäh-
lich eine Differenzierung in Hauptsträhnen mit immer stärker durchlochten
Zwischentälern bemerkbar. Ja bald werden diese Längsbahnen in klein-
teilige Knorpelchen zerlegt, bis etwa ums Jahr 1660 ein Abebben des ganzen
Bewegungstemperaments eintritt. Dies ist der Übergang in das anfangs
allerdings auch noch sehr weichlich durchgebildete antike Laubwerk
Louis XIV, der in Norddeutschland unter französischem, in Süddeutsch-
land unter italienischem Einfluß stattfindet. Wie dann dieser Akanthus
im 18. Jahrhundert wiederum erweicht und verkleinlicht zu den Formen
der Muschel, der Höhlung, zu Rippen und Zackenrändern wird, zeigt sich
in der Entwicklung zum Rokoko. Deri spricht von dessen »bald wieder
verfliegendem Kleinaffekt«, oder daß das Große hier nichts anders sein
konnte als nur »die Summierung von Teil affekten«. —
Soweit die psychologische Entwicklung des ganzen Rollwerkes, wie
sie Max Deri beschrieben. Was noch zu wünschen übrig bleibt, ist, daß
der Verfasser uns auch eine Geschichte des Rollwerks schenkt, die
mit möglichst präzisen chronologischen Zeitspannen und Daten
für die Ornamentgattungen und ihre Evolutionen operiert. Dadurch würde
sich gewiß mancher Fehler geben wie z. B. der oben gerügte der verkehrten
Ableitung des Beschlags aus dem Rollwerk. Und weiterhin wird vielleicht
die sehr zu erhoffende Neuauflage Illustrationen in wenigen charakteristi-
schen Beispielen aus dem ganzen Ornamentstichmaterial bringen, das Deri
erfreulicherweise in so äußerst reichlichem Maße seinen Ausführungen
zugrunde gelegt hat.
Und was das Prinzipielle in dieser ganz trefflichen Arbeit
schließlich noch angeht, so sei der Verfasser nur gewarnt vor zu weit
278
Literaturbericht.
gehenden Assoziationen aus dem Gebiete allgemeiner
Kulturerscheinungen, der wissenschaftlichen und religiösen Zeitstimmung,
als von Bedeutung für die Analyse kunstgeschichtlicher Formen. Es sei
hier auf das Schlußkapitel aus Wölfflins Prolegomena zu einer Psychologie
der Architektur , Prinzipien der historischen Beurteilung, verwiesen, das ver-
langt, allgemeine geistige Stimmungen nur insofern zu berücksichtigen,
als sie sich auf spezifische, präzise K ö r p e r gefühle umdeuten lassen,
Straßburg i. E. Fritz Hoeber.
Skulptur.
Adolf Gottschewski, ÜberdiePorträtsderCaterinaStorza
und über den Bildhauer Vincenzo Onofri. Mit
45 Abbildungen. Sträßburg, Heitz. 64 S.
Der Verf. bietet einen ersten Beitrag zur Geschichte der Bologneser
Plastik im Quattrocento; das Vorwort verheißt für später eine vollständige
Darbietung der Geschichte dieser romagnolischen Skulptur. Es ist erfreulich,
daß man jetzt allenthalben die außerflorentinische Plastik mit derselben
Gewissenhaftigkeit vornimmt, mit der bisher nur die Kunst am Arno ver-
folgt wurde; Vasaris einseitiger Bericht darf die Forschung. nicht irreleiten,
als sei alles Heil beim cupolone zu suchen. Freilich verdanken die Romagna,
die Marken und Umbrien den zugewanderten Florentinern viel; Agostino di
Duccio, Francesco di Simone, Benedetto daMaiano, Ciuffagni, die Robbiaha-
ben ihren Überfluß über die Berge getragen. Bologna verdankt, was den Stein
betrifft, in der Frülueit das Wichtigste einem ebenfalls, aber nicht aus
Florenz, sondern aus Apulien zugewanderten Plastiker, Niccolö da Bari,
der seit 1463 in Bologna bis zu seinem Tod 1494 nachweisbar ist. Dieser
und. nicht Guido Mazzoni ist nach G. der Lehrer Vincenzo Onofris, dem das
zweite Kapitel des Buches nachspürt. Nach m. A. ist aber die Nachwirkung
des Grabmals Tartagni von Francesco di Simone (1477) noch entscheidender
für Onofri gewesen; auch fehlt diesem stark reservierten Bildner der Zug
zum Pathetisch -Schweifenden, zum Üppig-Phantastischen, den der Süd-
italiener überall bekundet. Dafür tritt bei Onofri, wie G. richtig hervorhebt,
eine antikisierende Tendenz zutage. Die Hauptwerke sind eine Tongruppe
der Pietä, in sieben Figuren (Bologna, S. Petronio), die ein gedämpftes
Echo des starken Passionsakkordes ist, den Niccolö in Sa. Maria della Vita
angeschlagen hatte; ferner ein 1503 datierter Altar in S. Maria dei Servi
in Bologna, das Grab des 1504 verstorbenen Cesare Nacci in S. Petronio,
das folglich nicht schon um 1480 (wie der Cicerone annimmt) gearbeitet
Literaturbericht.
279
sein kann, das Grab des Antonio Busi in Persiceto, die Kriegerbüste der
früheren Sammlung Hainauer, die Marmorbüste des Filippo Beroaldo in
Sa. Maria magg. in Bologna, die Tonbüste des sog. Karl VIII. im Bargello
und der Caterina von Siena im Louvre, endlich das Grab Canonici im museo
civico in Bologna und die Tonbüste eines Jünglings in der Münchener
Glyptothek. Dazu kommt ein im Besitz des Verf. befindlicher weiblicher
Kopf, der als ein Porträt der Caterina Sforza erkannt wird. Das gibt Anlaß,
im ersten Kapitel die sämtlichen Porträts (Büsten, Medaillen, Tafelbilder,
Fresken) der Caterina aus dem Quattrocento und der späteren Zeit zusammen-
zustellen. Eine besondere Würdigung erfährt das schöne Bild in Alten-
burg, in dem schon Schmarsow Caterina Sforza erkannte. Wahrend dieser
Forscher es auf Botticelli taufte, möchte G. es Piero di Cosimo geben —
m. E. mit Unrecht; Berensons Taufe auf Mainardi ist viel plausibler. In
der Bronzebüste einer alten Frau des Bargello, die bisher Donatello zu-
geschrieben wurde, sieht G. mit Recht eine Totenmaske; selbst das Kopf-
tuch ist abgegossen. Ob in ihr wirklich Caterina dargestellt ist, bleibt m. E.
doch zweifelhaft. Das bekannte Mädchenbildnis in Forli von Lorenzo di
Credi hat, wie G. richtig sah, mit Caterina sicher nichts zu tun. Das Profil-
bildnis der Caterina im dritten Korridor der Uffizien wird hier nicht, wie
von vielen, einem Vlamen gegeben; sicher ist es das Vorbild für Vasaris Fresko
im Pal. vecchio gewesen. Es dürfte in der Schule Pontormos entstanden
sein auf Grund einer Medaille oder einer andern Profildarstellung. Nicht
aneignen kann ich mir G.s Bemerkungen über den Frauenkopf auf Rossellis
Bergpredigt im Vatikan. Die Halslinie entspricht durchaus der Gepflogen-
heit der Ghirlandajogruppe und will sicher nichts Individuelles geben. —
Die Tonbüste im Berliner Museum, die Francia genannt wird, möchte G.
ebenso wie das schöne Reiterrelief des Annibale Bentivoglio in S. Giacomo
magg. in Bologna (1458) Niccolö da Bari zuweisen. Aber einmal ist Niccolös
Anwesenheit in Bologna erst seit 1463 nachweisbar; und ferner weist der
Stil des Reiterreliefs doch wohl auf einen Ober- und nicht einen Süditaliener.
Sicher hängt das Relief mit dem Gattamelata zusammen. Die saubere
Detailbehandlung läßt an die Baroncelli denken. Das kleine Marmorrelief
des Giovanni II. Bentivoglio von 1497 in derselben Kapelle wird der Werk-
statt Onofris zugewiesen.
Die Darstellung ist bisweilen auffallend knapp, aber ebenso oft eigen-
artig und der Verf. hat manchen guten neuen Ausdruck geprägt. Wenn
er prinzipiell wird, verfällt er in einen etwas schulmeisternden Ton. Caterina
Sforzas »Spielende Geburt von acht Kindern« erfrischt gleich auf der ersten
Seite; eine unnötige captatio benevolentiae. Wir wünschen uns von dem
Verf. eine baldige Fortsetzung der Bologneser Studien; wer das Glück ge-
nießt, in Settignano zu wohnen, der ist verpflichtet. Paul Schubring.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
20
28o
Literaturbericht.
Philipp Maria Halm. Stephan Rottaler, ein Bildhauer
der Frührenaissance in Altbayern. München. Georg
D. W. Caliwey. 1908. M. 8.
Die Geschichte der Plastik in Bayern ist von Halm bereits um eine
Anzahl nützlicher Beiträge bereichert worden. Er hat Wolfgang Leb und
Matthäus Kreniss in die Kunstgeschichte eingeführt und hat neuerdings die
Selbständigkeit des letzteren, gegen einen Meister Huber, den man ihm
substituieren wollte, glücklich verteidigt. Auf Grund von ein paar be-
zeichneten Grabplatten in Regensburg und in Burghausen konnte er den
Joerg Gärtner als einen tüchtigen Porträtplastiker der ausgehenden Ritter-
herrlichkeit vorstellen. Die jüngste umfassendere Studie Halms ist einem
bisher Unbekannten, Stephan Rottaler gewidmet, den er als den
besten und letzten Repräsentanten der Frührenaissance Altbayerns zu
charakterisieren sucht.
Halms Studie zerfällt in zwei Teile. Der erste Teil, die stilkritische
Untersuchung, geht aus von vier mit dem Monogramm S. R. signierten
Skulpturen, dem Marolt-Altar im Domkreuzgang zu Freising und einigen
Grabplatten in Landshut, in Freising und Ingolstadt — Arbeiten in Stein,
deren Entstehung in den Jahren von 1513 bis 1522 liegt. Ihnen werden
als stilverwandt angeschlossen eine größere Anzahl Steinbildwerke, die das
Werk des Monogrammisten bis auf das Jahr 1527 erweitern, ohne eine
wesentliche Stilwandlung aufzudecken. Auch hier handelt es sich meist
um im ganzen handwerksmäßige steinerne Grabmonumente, die wie
dasjenige des Alexander Lebenskircher in der Pfarrkirche zu Gerzen
zeigt, mit einer wirkungsvollen Renaissanceumrahmung prunken. Bei
einem andern Grabmal, bei dem des Ritters Hans von Klosen in Arns-
torf, ist die Umrahmung durch spätere Änderungen arg entstellt. Um
so eindrucksvoller ist die Figur des Ritters, sie offenbart einen gesunden
Realismus und in der Stellung des Geharnischten natürliche Frische.
Halm schreibt dem Meister, denn als ein Meister erscheint ihm der
Monogrammist in den bisher genannten Werken, noch zwei Sandsteinreliefs
zu, von denen die Zugehörigkeit des einen Reliefs zu seinem Werk nicht
ohne weiteres einleuchtet. Halm motiviert seine Zuschreibung damit, daß
S. R. in diesem Salvatorrelief (vielleicht dem Rest eines Altaraufbaues)
im Sighart-Museum zu Freising — Szenen der Verkündigung, des Sünden-
falls, mit Putten, die die Leidenswerkzeuge Christi tragen u. a., aber von
Arabesken umgeben — abhängig war von fremden Vorbildern. Für den
Rahmen gelang ihm der Nachweis, daß der Künstler sowohl einen Holz-
schnitt der Mailänder Schule um 1500: Das Wunder der hl. Martha wie ein
Blatt aus Dürers Marienleben benutzt hat. Die stattliche Figur des Erlösers ver-
gleicht Halm mit den Nischenfiguren in den Flügeln des Freisinger Maroltaltars.
Literaturbericht.
281
Ob die Stilverwandtschaft so zwingend ist, läßt sich nach den Abbildungen
nicht nachprüfen. Namentlich aber bei dem andern Werk, einem Sand-
steinepitaph für Hans und Dorothea Esterreicher in Ingolstadt, mit der
prächtigen Darstellung des Gnadenstuhls will uns die Zugehörigkeit zu
der Gruppe der etwas handwerksmäßigen mit S. R. signierten Werke
nicht ohne weiteres einleuchten. Aber abgesehen von diesen beiden an sich
höchst beachtenswerten Arbeiten erscheint das von Halm zusammen-
gestellte Werk des Steinbildhauers S. R. mannigfaltig genug. Daß der
Meister gelegentlich den Meißel mit dem Schnitzmesser vertauschte und
holzgeschnitzte Altäre geschaffen habe, die zu Beginn des 16. Jahrhun-
derts in Altbayern vorwiegend in Betracht kommen, ist eine einschmeichelnde
Vermutung. Halm glaub t die Hand seines Meisters an den Resten eines freilich
arg veränderten Altars in Reisbach nachweisen zu können, indem er ver-
wandte Züge besonders in den Flügeln erkennt. Nicht überzeugender er-
scheint uns der Hinweis auf einige Reliefs im Historischen Verein zu
Landshut, wie das der Taufe Christi. Dies und andere Reliefs von 1524 sind
in der Tat vorzügliche Schnitzarbeiten, von individuellerem Gepräge als
die meisten anderen dem S. R. zugeschriebenen Werke. Bleibt die Zu-
weisung an unseren Monogrammisten aber zu Recht bestehen, dann läßt
sich die Reihe seines Werkes, das auch in seinem Stil weitergreift, noch
mehr erweitern. Von kleineren Arbeiten abgesehen, wird genannt eine Stifter-
figur in Maximiliansrüstung im Bayrischen Nationalmuseum, der köstliche
Standrahmen (mit dem Bilde Ludwigs X. von . Bayern) ebenda, der hl.
Florian der Sammlung Böhler und anderes mehr. Aber damit kommen
wir vom klar Bestimmten immer weiter in Unbestimmtes, und anstatt uns
der Person des Künstlers zu nähern, scheint sie uns wieder zu entschwinden.
Nun ist es Halm gelungen, das Monogramm S. R. zu lösen. An den
Laubenstützen im Residenzhof zu Freising fand er das S. R. des Marolt-
aitars und der Grabplatten wieder als Meisterzeichen, und als er dann in
dem Kammerbuch Herzog Ludwigs X. unter dem Jahre 1517 nachschlug,
entdeckte er Eintragungen, die sich auf einen Schnitzer Stephan Rottaler
beziehen, und bekunden, daß der Meister mannigfach in Freising beschäftigt
gewesen ist. Damit haben wir wieder etwas festen Grund unter den
Füßen.
Die derart gewonnenen Resultate verarbeitet Halm im zweiten Teil
sei 1er Studie. Er versucht da den Meister Stephan Rottaler in seiner
Eigentümlichkeit zu charakterisieren und seine Stellung im Kreise der Kunst
seiner Zeit zu skizzieren. Es wird die Entwicklung der Skulptur Landshuts,
dem Sitze Rottalers, und Niederbayerns geschildert und gezeigt, daß Rot-
taler, wieviel er auch den Anregungen anderer dankte, doch eine selb-
ständige, im Vergleich zu den Genossen wie Leinberger, eine entschieden
20’
282
Literaturbericht.
maßvollere Richtung verträte. Auch im Porträt, das er vortrefflich gibt,
sei er ruhiger, inniger als Joerg Gärtner, der Schilderer ritterlicher Drauf-
gänger. Im Ornamentalen sei Rottaler ein Repiäsentant der deutschen
spielenden Frührenaissance, gotische Reminiszenzen habe er schnell abge-
streift, geschickt hantiere er mit den Putten italienischer Abkunft. » Er
war der fruchtbarste und vielseitigste Vertreter der Frührenaissance Alt-
bayerns«, wenn Halm überall richtig gesehen hat. Auch wenn, wie wir
meinen, das nur zum Teil der Fall ist, und eine Nachprüfung das »Werk«
Rottalers wieder einschränken wird, bietet die Studie Halms eine Menge
nicht nur lokal wichtiges Material, das von der Forschung bisher zuwenig
beachtet worden ist. Richard Graul.
Malerei.
Ludwig Zottmann. Zur Kunst der Bassani. Zur Kunstge-
schichte des Auslandes Heft 57. Straßburg, Heitz & Mündel, 1908. 70 S.
Über die vielschaffende Künstlerfamilie, die man gewohnt ist, nach
ihrem Heimatsorte die »Bassani« zu nennen, war seit dem Buch von G. B.
Verci, Notizie intorno alla vita e alle opere de' Pittori .... di Bassano, das
im Jahre 1775 in Venedig erschien, nichts zusammenfassendes geschrieben
worden. Erst in der jüngsten Zeit hat das Boilettino del Museo Civico di
Bassano beachtenswerte Beiträge, die über das Schaffen dieser Künstler
Aufschluß geben, veröffentlicht; das Wichtigste aber brachte uns G. Gerola
in seinem Aufsatz »Per 1’ elenco delle' opere dei pitton da Ponte«, der in
den Atti del R. Istituto Veneto 1906 erschien. Von demselben Autor haben
wir einen zusammenfassenden Artikel im dritten Bande Thieme- Becker zu
erwarten.
Nicht sowohl neue urkundliche Forschungen als Zusammenfassung und
kritische Sichtung des gewaltigen Bildermaterials bietet uns die vorliegende
Schrift. Und zwar beschränkt sich der Verf. mit Recht auf die eigentlichen
Mitglieder der Familie, welche- den Ruhm der Schule begründet haben:
den Ahnherrn Francesco, dessen Sohn Jacopo und die beiden Enkel Fran-
cesco und Leandro, während Jacopos jüngere und weit unbedeutendere Söhne,
Gerolamo und Giambattista, mit ein paar Worten abgetan werden.
Bei dem älteren Francesco, den man nur in und um Bassano kennen
lernen kann (datierte Bilder 1518 — 1530), erbringt Verf. den Beweis, daß
er nicht sowohl Schüler des Gio. Bellini als des Montagna gewesen ist; aller
dings blieb er von der Kunstweise Bellinis nicht ganz unberührt, wie eben
kein Meister der Terra ferma vom Beginn des Jahrhunderts.
Jacopo dagegen hat in der Werkstatt des Bonifazio gelernt (natürlich
ist der Name Bonifazio Bembo S. 2 ein lapsus calami) ; das beweisen die
Frühbilder, wie das »Gastmahl in Emaus« (Kirche in Cittadella). Daneben
Literaturbericht.
283
scheint mir in der ganz frühen »Flucht nach Ägypten« im Museum von
Bassano (Abb. Tafel II) der Einfluß der Paduaner Fresken Campagnolas
unverkennbar. Später aber hat er mit geschmeidiger Art von der großen
venezianischen Trias — Tizian, Veronese, Tintoretto — gelernt. In seinen
Bildnissen wird er leicht mit Tintoretto verwechselt.
Jacopo ist der große Meister der Stadt und der Familie; daher
ist ihm der Hauptteil des Buches gewidmet und ein Versuch gemacht, die
verschiedenen Perioden seiner Kunst zu charakterisieren und gegeneinander
abzugrenzen. Freilich bleibt der Forschung hier noch einiges zu tun; klafft
doch zwischen der ersten und zweiten Periode eine Lücke von mehr als
zwanzig Jahren. Um das Material einigermaßen übersichtlich zu machen,
hat der Verf. im folgenden die Gruppierung nach Stoffen gewählt und hier
stets die Hauptexemplare jeder Komposition hervorgehoben. Denn die
Schwierigkeit für den Kritiker besteht besonders darin, daß dieselbe Kom-
position öfters in der Werkstatt wiederholt ist, daß gelegentlich Vater und
Sohn gemeinsam Bilder malten und signierten, daß die Söhne zum Teil
sehr geschickt die viel begehrten Arbeiten des Vaters zu imitieren wußten.
Man hat hier mit einem Material zu operieren, dem an Umfang in der ganzen
Renaissance wenigstens sich nichts vergleichen läßt.
Der Verf. brachte für diese Aufgabe nicht nur Hingebung mit, die in
erster Linie dazu gehört, sondern auch ausgesprochene Anlage. So ist es
wirklich erfreulich zu finden, daß er in der von Teniers kopierten Schäfer-
szene (Abb. Tafel XIII) »Anklänge an giorgioneske Stimmung« heraus-
gefühlt hat; tatsächlich hat der Meister sich in der Figur des Hirten an
das bekannte Blatt von Giulio Campagnola angeschlossen. Nicht genügend
gerecht wird er vielleicht Jacopo als Maler von Porträts; steht dieser doch an
einfacher Auffassung und in der Kraft der Pinselführung hier nicht selten
unmittelbar neben Tintoretto.
Recht interessant und beachtenswert ist auch der Hinweis, daß Jacopo
in dem Freskenzyklus an der Casa Michieli in Bassano Stiche von B. Beham
benutzt hat; übrigens charakteristischerweise die durchaus italienisierenden
Schlachtkompositionen.
Aus äußeren Gründen hat der Verf. leider seinen Forschungen, die
gerade in einigen an Bildern der Schule reichen Sammlungen benutzt
werden müßten, keinen Ortsindex beigegeben, was bei der Unübersichtlich-
keit des Materials an sich (durch die Zugehörigkeit sehr ähnlicher Arbeiten
an verschiedene Personen) die Benutzung erschwert. Doch auch so ist dieses
Buch eine gute und brauchbare Zusammenfassung, auf Grund deren es leichter
gemacht wird, das Fazit dieser streng abgeschlossenen Malergruppe und
deren Bedeutung für die Entwicklung der Naturbeobachtung zu ziehen.
G. Gr.
284
Literaturbericht.
Hugo Schmerber, Betrachtungen über die italienische
Malerei im 17. Jahrhundert. Straßburg, Heitz & Mündel,
1906. 230 S.
Nichts scheint mir für dieTeilnahmlosigkeit, welche sich die italienische
Kunst des 1 7. Jahrhunderts, besonders die Malerei dieser Epoche, hat ge-
fallen lassen müssen, charakteristischer als die Tatsache, daß dieses Buch
seit dem Erscheinen des dritten Bandes von Dohmes »Kunst und Künstler«
(1879) das erste Werk ist, welches sich eingehend und ernsthaft mit den
Problemen befaßt, die das Studium dieser Kunstentwicklung stellt. War
vor etwa fünfzig bis sechzig Jahren das Interesse an der bolognesischen und
römischen Malerei, wenn auch längst nicht mehr so lebendig, als am Anfang
des Jahrhunderts, doch nicht erloschen, so ging nun rapide, parallel mit
dem wachsenden Interesse für die primitive Kunst, das Verständnis für diese
Meister und ihre Bestrebungen völlig verloren.
Es ist hier nicht der Ort, die (mindestens vom historischen Standpunkt
aus betrachtet) Torheit dieses systematischen Sich -Verschließens gegen eine,
räumen wir selbst ein, uns Modernen vielfach unsympathische Richtung dar-
zutun, die doch Großes und Bleibendes, weil über Jahrhunderte Nach-
wirkendes geschaffen hat. Mit Genugtuung aber beobachten wir die sich mehren-
den Anzeichen, daß allmählich ein Wandel beginnt, und daß man anfängt,
den Meistern des späten Cinquecento und des Seicento ernsthafte wissenschaft-
liche Beschäftigung zu widmen. Besonders die treffliche Wiener Schule
Franz Wickhoffs geht hier voran und hat in H. Tietzes großem Aufsatz über
die Fresken Carraccis im Palazzo Farnese eine ausgezeichnete Arbeit getan,
während von W. Kallabs Studien über Caravaggio leider nur ein Fragment
hat veröffentlicht werden können. Auch auf L. von Bürkels Aufsatz über
Furini kann in diesem Zusammenhang hingewiesen werden.
Aus diesem Grund, als Zeichen erwachender Anteilnahme an der
späteren italienischen Malerei, sei auch das vorliegende Buch willkommen ge-
heißen. Der Verfasser hat den Titel vorsichtig gewählt; auf diese Weise,
indem er nur Betrachtungen anstellte, keine Geschichte der Kunst geben
wollte, konnte er persönlicher und willkürlicher verfahren. »Der Gang der
Untersuchung«, heißt es in der Einleitung, »ist ein doppelter: die erhaltenen
Kritiken (Rezensionen, Briefe, Aussprüche) und die Parallelerscheinungen
auf andern Gebieten bilden die eine, die vorhandenen Kunstwerke die andere
Linie. Die erste Reihe liefert das Material, das uns die Fähigkeit verleihen
soll, bei den Schöpfungen der Zeit das Auge auf dasjenige einzustellen, was
den Seicentisten daran interessierte; und vereinen sich beide Linien, so wird
sich manches, was heute paradox und unfaßbar erscheint, einfach und un-
gesucht erklären.« Und weil nach Ansicht des Verfassers »das allgemeine
Bild der Kunst bis etwa 1640 klarer zu übersehen ist, als später«, so will er
Literaturbericht. 285
das Hauptgewicht auf diese erste Periode, vom Auftreten der Carracci und
des Caravaggio an, legen.
Nun beginnt er freilich nicht, wie man erwarten sollte, mit einer Dar-
legung der allgemeinen Anschauungen, die die Kunst dieser Epoche beein-
flußten, mit einer Aneinanderreihung zeitgenössischer Urteile über die
Kunstwerke und einer Erörterung der Theorien, welche, aus Kunstwerken
abgeleitet, sofort wieder zu Forderungen an die Schaffenden wurden, was
doch das Verständnis außerordentlich erleichtert haben würde. Vielmehr
ist im ersten Teil von den Hauptkünstlern, die für diese Epoche in Betracht
kommen, die Rede: und zwar mit Übergehung von Annibale Carracci und
Caravaggio, über die später gehandelt wird, von Albani, Domenichino, Reni,
Sacchi, Cagnacci, Varotari und Liberi, Furini und Dolci, Sassoferrato und
Maratta, Guercino, dann über die neapolitanische Schule in ihrem größten
Repräsentanten, Salvator Rosa. Von jedem dieser Künstler ist das Haupt-
werk — oder die Hauptwerke — beschrieben und gewürdigt; Zeitstimmen
werden mitgeteilt, die uns lehren, was man daran bewunderte oder tadelte : aber,
offen gestanden, wird einem nicht immer'die Auswahl klar und ganz gewiß nicht
die Entwicklung, die die Gesamtheit dieser Maler darstellt oder darstellen soll.
Nun folgt im zweiten Teil die Darlegung der allgemeinen Kunstan-
schauungen, mit denen Verf. sein Buch hätte anfangen lassen sollen. An
einigen Beispielen wird dargetan (S. 44 ff.), wie man dem Schaffen der Ver-
gangenheit ohne Verständnis gegenübersteht, nur das noch begreift, worin
sich »ein Anklang an das eigene Fuhlen heraushören läßt«. Das Verhältnis zu
den großen Meistern, Raphael namentlich, wird gestreift, dann wie man
Dürer, Rubens, van Dyck beurteilte, und wie über sie alle Correggio die
meiste Bewunderung genoß. Das gibt dem Verfasser Gelegenheit zu dem
wichtigen Abschnitt über den Begriff der »grazia«, das meist gebrauchte
Wort in aestheticis zu jener Zeit, von Italien dann in die französische Kunst-
schriftstellerei übergehend (De Brosses' Buch ist voll davon) und für noch
ein Jahrhundert die ganze Welt beherrschend. Es folgen einige Daten über
den Einfluß literarischer Ideen auf das Kunstschaffen, über die Bedeutung,
die man der »invenzione« beimaß, und die Rücksicht auf das »decoro«, die
man zu nehmen anfing. Weiter geht der Verfasser auf die Ursachen ein,
weshalb wir in den Werken des Seicento meist einen Mangel an seelischer
Vertiefung spüren: er findet sie in dem Haften am einzelnen und der »scha-
blonenhaften Auffassung der Wirkungen seelischer Affekte auf den Körper.«
Die Zeitgenossen empfanden das, was uns als unwahr erscheint, nicht so,
weil ihre Bildbetrachtung »vom einzelnen ausging und den Gesamteindruck
kaum in Rechnung zog«.
Im allgemeinen herrscht in dieser Periode eine feminine Tendenz vor,
die alles Schroffe meidet, entsprechend der aufgestellten Forderung der
286
Literaturbericht.
grazia; das Schroffe, Kraftvolle (crudo) wird in Farbengebung, Beleuchtuig,
Faltenwurf ängstlich gemieden. Den Fragen des Kostüms ist ein besonders
Interesse zugewendet.
Indem der Verfasser uns auf diese Weise durch eine Besprechung cer
allgemeinen Anschauungen vorbereitet hat, geht er im dritten, dem Haupttül,
auf die einzelnen Meister ein. Zuerst auf den Führer der Naturalisttn,
Caravaggio. Nicht das Einfache in der Natur lag diesem Geschlecht, sondern
das Gesteigerte; die in einsam-aristokratischer Höhe thronende Kunst miß
dem Irdischen möglichst fernstehen. Man kann diese Scheu vor der »nalu-
ralezza« besonders auch an den Bildnissen jener Zeit studieren; nur sthr
wenige sind gemalt worden, die einfach aufgefaßt und frei von Pose sird;
selten gelingt die flotte Wiedergabe einer kraftvollen Persönlichkeit. In
dieser ganzen Periode entsteht kein monumentales Bildnis. Nach diestm
Exkurs kehrt Verfasser zu Caravaggio zurück, dessen Auftreten in Rom ene
Revolution bedeutete, schon allein wegen der Themata, die er vielfach le-
handelte, wegen der naturalistischen Einzelheiten auf seinen Bildern, le-
sonders aber wegen der Wiedergabe des Lichteinfalls, worin ihm in Italen
niemand gleichkam. Doch sind die Nachfolger vereinzelt: als Lichtmaer
ist besonders Domenico Feti zu beachten. Im Formalen ist die Vorliebe :ür
derbe Typen, daneben der Hang, das Menschliche so wahr als möglich dir-
zustellen (man könnte sich gelegentlich an Jordaens erinnert fühlen) charak-
teristisch für ihn. Er findet vereinzelt Nachahmung (gelegentlich G. Reii)
und Nachahmer, wie Saraceni und Lionello Spada. Sehr lehrreich, wie lie
Zeitgenossen über diese große und originelle Persönlichkeit urteilten (S. 137L).
Volle Anerkennung fanden die »Grablegung« in der Chiesa nuova (jetzt m
Vatikan) und die — leider fast nicht mehr erkennbaren — Bilder in 4er
Matthäuskapelle in S. Luigi de' Francesi. Man bewunderte an Caravag'io
doch hauptsächlich das Kolorit.
Stellt die Kunst Caravaggios eine in seiner Zeit abseits sich entwickelte
Erscheinung dar, so macht uns das Studium der Werke des Annibale Carraxi
mit der Hauptströmung, welche die ausgehende klassische Kunst mit cen
Bestrebungen des Seicento verbindet, vertraut. Hier beobachtet der V;r-
fasser sehr richtig, wie oft dieser Künstler, und viele andere mit ihm, duich
die bewußte Nachahmung Correggios in Widerstreit mit ihrer derben Natir-
anlage gerieten; infolgedessen empfinden wir häufig den Widerspruch zwisclen
dem Wollen dieser Meister und ihrem innern Wesen.
Das bewußte und gewollte Streben nach »grazia« erklärt so vieles \on
dem, was uns an der Kunst dieser Zeit unsympathisch ist; es tritt selbst >ei
Künstlern hervor, deren Temperament, wie bei Albani, nach dieser Richting
hin ging. Ausnahmen sind Künstler, wie Sacchi, Lomi, namentlich Furni,
Padovanino, Cagnacci u/a. An zahlreichen Beispielen wird ferner dargetin,
Literaturbericht.
287
wie das Bestreben, psychische Vorgänge in starken Bewegungen anschaulich
zu machen, an so vielen unerfreulichen Leistungen die Schuld trägt; ist dieses
schon bei Einzelfiguren — bei Magdalena z. B. — der Fall, wieviel mehr in
Gruppenbildern und den zahlreichen Martyriumsdarstellungen. Oftmals
bewirkt gerade hier das gesuchte Streben nach Anmut besonders auffallende
Dissonanzen.
Die Ursache, warum uns die Werke des Seicento vielfach überladen
und gesucht erscheinen, findet der Verfasser darin, daß diese Künstler es
nicht verstanden, das Wesentliche auszuwählen und das übrige als minder-
wertig zu behandeln; man wollte möglichst viele Eindrücke. Man muß daher
die Unruhe und Unklarheit, die wir Modernen in diesen Bildern empfinden,
als »Konsequenz eines bestimmten Ideals« auffassen. Es läßt sich dies aus
den urteilenden Stimmen der Zeitgenossen heraushören. Eine Folge solcher
»Einzelwertung«, wie Verfasser es nennt, ist das übermäßige Hineinbringen
von Gestalten in die Komposition, die mit dem Thema in keinem
Zusammenhang stehen (typisch Baroccios Abendmahl in S. Maria sopra
Minerva).
Es ist daher falsch, sagt der Verfasser zutreffend, wenn wir die großen
Fresken jener Zeit von unserem Standpunkt aus nur dekorativ fassen, in
ihrem Zusammenwirken mit dem Raum; denn die Künstler dieser Periode
»träumten gedankenvolle Werke zu schaffen«. Geht man nun auf das einzelne
ein, so findet man hier, wie sich an den Mythologien der Decke des Palazzo
Farnese dartun läßt, den gleichen Gegensatz zwischen »Concetto« und dem
Können; gerade wo Annibale die beste Gelegenheit hätte, im Sinne Correggios
zu schaffen, versagt er.
Verfolgt man die Entwicklung nach dem siebzehnten Jahrhundert
weiter, so kann man den Fortschritt feststellen, der, im modernen Sinn,
Guercino gegenüber Guido Reni bei einem ähnlichen Motiv gelang (dessen
»Aurora« im Casino Ludovisi) : freie Bewegung in weitem Raum gegenüber
reliefartiger, bewegter Komposition bei Guido. Auch bei Pietro da Cortona
läßt sich von einer neuen Stimmung sprechen, obschon das Neue schwer
faßbar ist, da es sich um Nuancen im Frauentypus, Mienenspiel, der Farben-
gebung handelt. Die gleiche Tendenz, wie sie dessen Fresken im Palazzo
Pitti erkennen lassen, läßt sich aus den Fresken des Giovanni da San Giovanni
und des Furini in der Silberkammer ebendort herauslesen. Hier und in
Arbeiten von Volterrano und Luca Giordano finden wir Symptome, die man
»als Vorboten des Rokoko« betrachten darf. Mit einer Besprechung der
Hauptwerke Pozzos werden diese Betrachtungen zu Ende geführt. —
Vielleicht ist dem, der sich die Mühe gegeben hat, dem Ref. bis hierher
zu folgen, aufgefallen, was ohne Zweifel der stärkste Fehler des Buches ist:
die nicht glückliche, z. T. direkt verfehlte Anlage. Ich meine, es hätte sich
288
Literaturbericht.
diese folgerichtig aus dem Wunsch des Verfassers, die Kunst des Seicento
besser verstehen zu lehren, ergeben müssen: nämlich allgemeine Anschau-
ungen und deren Einfluß auf das Schaffen, Charakteristik der Meister der
Hauptströmung, dann der besonderen Bestrebungen der Caravaggiogruppe.
Das ist mehrfach auf den Kopf gestellt, durchzogen mit allerhand an sich
wertvollen, aber den Gedankengang unterbrechenden Ausführungen; und
da kein Kapitel eine Überschrift trägt, hat der Leser Mühe, sich zu orientieren.
Ich bedauere dieses im Interesse des Buches, das durch die äußere Form
weiterer Verbreitung sich versagt, weil die Tendenz gut ist und das Ganze
mindestens von dem regen Interesse des Autors an dem Gegenstand und von
langer Vorbereitung zeugt. Dagegen habe ich nicht — oder nur selten — den
Eindruck, daß ihm selbst vor den Kunstwerken das Herz aufgegangen sei,
daß er schrieb, weil er sich durch inneres Ergriffensein berufen fühlte, deren
Herold zu werden. Und ein bißchen Enthusiasmus, selbst etwa auf Kosten
absoluter historischer Exaktheit, tut jedem kunstgeschichtlichen Buch gut,
das nicht nur Tatsachen darlegen oder Gedankenreihen entwickeln will; nur
so kann es Proselyten machen und andere zu eigner Betrachtung anregen.
Der Verfasser macht einmal (S. 1 77) die Bemerkung: »Wer das Ganze
(L. Carraccis Transfiguration) betrachtet, wendet sich unbefriedigt ab; wer
jede Gestalt für sich wertet, wird dem gerecht, was der Maler beabsichtigte.«
Das ist doch aber das A und 0 historischer Betrachtungsweise der Kunst,
daß man die Intentionen des Künstlers zu ergründen sucht und gewisser-
maßen mit seinen Augen das Werk anschaut; wie sollte sonst der nach
Jahrhunderten Geborene überhaupt ein Werk der Vergangenheit begreifen,
ganz wenige ausgenommen ? Hierin, in diesem oft entsagungsvollen Einleben
in fremde Individualität liegt ja die Stärke des Kunsthistorikers gegenüber
dem Selbst- Schaffenden.
Um auf einzelnes zu kommen: vieles, was Verfasser von den Anschau-
ungen und der Kunst des Seicento sagt, ist nicht allein diesem eigentümlich;
es paßt z. T. wörtlich auf die vorhergehenden Epochen, was ja dem Verfasser
selbst nicht ganz entgangen ist (S. 174). Seine Charakteristik der Evange-
listen von Domenichino (S. 161) könnte ebenso mutatis mutandis auf Correg-
gio angewendet werden (vgl. auch die Tafel VI); die Beurteilung, die Cara-
vaggio in seiner Zeit findet (S. 137), wolle man mit der Schilderung ver-
gleichen, die Tintorettos Kunst durch Vasari erhält; und könnte der Tadel,
den er (S. 166) gegen Martyrienbilder von Domenichino und Guercino aus-
spricht, nicht z. B. auch gegen Tizians Laurentius erhoben werden?
Ferner: wie erstickt nicht das spätere Quattrocento den Hauptvorgang
oft durch die Fülle der Assistenz; ich erinnere an den Zyklus der Sixtinafresken,
an Gozzoli. Man denke bei der Lektüre dieser Seiten (174/5) auch an
Tintoretto, Veronese. Der Ref. stößt sich (S. 1 70/1 ) an der schönen Pose
Literaturbericht.
289
des Isaak bei Domenichino : wie würde er die Haltung des Knaben bei Ghiberti
nennen? Das Seicento hatte kaum noch Verständnis für die Vorläufer der
klassischen Kunst; aber die Vorboten dieser Auffassung kann man schon
bei Vasari finden, so wenn er gelegentlich auf die Bellini das Wort »maniera
crudetta, tagliente e secca« anwendet (V, 104; cf. VII, 427 f.) Die Kostüm-
frage (S. 80) spielt schon weit früher eine große Rolle; wie oft spricht
Vasari nicht von den abbigliamenti, hebt er nicht Kopfputz und schön
geordnetes Haar, selbst Schuhwerk hervor (ich verweise hier als
Beispiele auf die Stellen im Leben des Rosso, V, 159/160, und des Salviati,
VII, 41).
Wenn Verfasser von der Überschätzung des »concetto« im Bilde und
von dem »wissensprotzigen Zug ... in dem Wirken vieler Künstler«
spricht (S. 59), so schlägt er vielleicht den Einfluß, den das Publikum auf das
Schaffen hat — als Besteller — , zu gering an, das gewiß (und gerade in Italien)
in der Kostümfrage bei den Bildnissen, die man bestellte, dezidierte Wünsche
zu erkennen gab (S. 93 ff. ; die wichtige Beobachtung S. 103). Aber auch
für diese Erscheinungen kann man doch viel früher Analoga finden: ich
erinnere an die Bilder für Isabella d’Estes Camerino (die sind doch gewiß
»wissensprotzig«!), an den Zyklus aus Philostrats Gemälden, den sich Alfonso
von Ferrara malen ließ, um wieder nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein
Musterbeispiel ferner Annibale Caros Programm für die Fresken des Schlaf-
zimmers in Caprarola.
Die Liste der »wenigen sympathischen Werke der Bildniskunst« würde
sich, glaube ich, unschwer vermehren lassen: mir fallen gerade ein das wunder-
volle Knabenbild von Carlo Dolci im Pal. Pitti, das man diesem nicht leicht
zutraut, das eminente Porträt des jugendlichen Domenichino in Darmstadt
oder das kleine weibliche Porträt von Furini in der Cenacolo di Foligno-
Galerie in Florenz, gemalt wie ein Vermeer.
Wenn Verfasser S. 8 von Baroccio sagt, er sei als Erscheinung zu Ende
des 16. Jahrhunderts von Interesse, direkte Anregungen fehlen später, so
darf ich u. a. an Maratta erinnern, der ohne jenen kaum zu denken ist. Dann
ein Einzelurteil, das ich ganz unbegreiflich finde: ,,was Caravaggio an land-
schaftlicher Szenerie bei figuralen Darstellungen bietet, wie etwa in der Ruhe
auf der Flucht (Gal. Doria), sei nicht beachtenswert (S. 1 13).« Ja w7o findet
man denn überhaupt eine stimmungsvollere Landschaft, als diese, das Stück-
chen Wiesengrund am Fluß, den Ausblick aufs jenseitige Ufer mit der schönen
Baumgruppe und auf die Hügellinie? Dabei ein so liebevolles Eingehen auf
die einzelnen Pflanzen, die dem Boden entsprießen, daß man sich an den
Wiesenhaag in Botticellis »Frühling« erinnert fühlt. Ich habe nie die römische
Galerie besucht, ohne stets von neuem durch dieses liebliche Naturabbild
bewegt zu sein. —
290
Literaturbericht.
Völlig verkennt Verf. die Aufgabe des Historikers, wenn er, Guercino
charakterisierend, sagt (S. 155) : »was trieb Guercino dazu, sanft und anmutig
sich zu gebärden? Für den Historiker war er auf Bahnen zu schönen Zielen,
was veranlaßte ihn, es einem Guido Reni gleichzutun?« Es muß eben doch
wohl ein innerer Drang dagewesen sein; der Historiker hat die Aufgabe,
solche Wandlungen des künstlerischen Stils zu beobachten, zu begreifen, zu
erklären; aber er kann nicht verlangen, daß der Schaffende sich nach ihm,
dem Urteiler ferner Jahrhunderte, richtet. — Das heißt denn doch die Dinge
auf den Kopf stellen.
Endlich eine kleine tatsächliche Anmerkung; der »unbekannte Ver-
fasser« des Discorso della pittura, den Gualandi gedruckt hat (S. 91), ist
Giulio Mancini.
Ich würde den »Betrachtungen« Schmerbers nicht eine so ausführliche
Anzeige gewidmet haben, wenn ich ihnen nicht als dem ersten Versuch, sich
mit der Kunst des Seicento wieder ernsthaft auseinanderzusetzen, eine größere
Bedeutung beimäße. Auch würde es unbillig sein, nicht anzuerkennen, daß
der Verf. den Monumenten dieser Epoche ein eingehendes und sorgfältiges
Studium hat angedeihen lassen, daß er die Quellenschriftsteller gut kennt
und wohl anzuwenden weiß. Aber wenn, wie ich fürchten muß, dieses Buch
nicht dazu führen wird, für das Seicento über den kleinen Kreis unabhängig
Kunst Betrachtender hinaus Sympathien zu erwecken, so liegt die Haupt-
ursache darin, daß von dem Verf. selbst gilt, was er in der Einleitung von der
Gegenwart generell sagt: »ein sympathisch -kongeniales Mitempfinden ist
nicht vorhanden.« Nur einer, in dem diese Kunst neu lebendig geworden ist,
wird berufen sein, als ihr Prophet aufzutreten. G. Gr.
Der G e m ä 1 d e z y k 1 u s der Galerie der Maria von Me-
dici von Peter Paul Rubens von Karl Großmann.
Heft XLV zur Kunstgeschichte des Auslandes, Heitz und Mündel, Straß -
bürg, 1907.
Vorliegendes Buch ist aus einer Leipziger Seminararbeit hervorgegangen
und verdient als Erstlingswerk sicherlich alles Lob. Die 17 Seiten lange
geschichtliche Einleitung, die sich im wesentlichen auf ein Exzerpt aus den
bekannten größeren Rubensmonographien beschränkt, hätte freilich etwas
beschnitten werden können. Überhaupt hätte die Arbeit sicher durch ent-
sprechende Kürzung, etwa als größerer Aufsatz, sehr gewonnen, da dann das,
wmrauf es dem Verfasser ankam, wirksamer in Erscheinung getreten wäre.
Großmann versucht vor allem eine künstlerische Analyse der Gemälde zu
geben, und man liest seine Darlegungen mit Freude und Nutzen, um so mehr-
als der Verfasser hier im Gegensatz zu den meisten kunsthistorischen Arbeiten
Literaturbericht.
291
auch auf die Farbe näher einzugehen versucht. Daß er hierbei freilich
über eine Deskription des Einzelnen nicht hinausgekommen ist und die hier
zu behandelnden Probleme nicht von systematischen Gesichtspunkten aus
betrachtet, wird man bei einem Erstlingswerk verzeihlich finden. Die Vor-
arbeiten auf diesem Gebiete sind ja ohnedies spärlich genug. Scharfsinnig
und treffend sind auch die formalen Analysen, nur darf man sich hier nicht
an den mancherlei barocken Satzwendungen stoßen, die durch allzueifrige
Verwendung der Terminologie des Lehrers des Verfassers entstanden sind.
»Aus der Region der elementaren Kraftentfaltung und der Körpernähe, der
physischen Betätigung, die den Stimmungsgehalt des Ereignisses oben in
Formen und Linien ausdrückt, gewinnt der Blick mit dem Schiff den raum-
schaffenden Körper, auf dessen Oberfläche sich die Szene abspielen kann« usw.
würde sich doch sicherlich einfacher ausdrücken lassen. Der Verfasser sieht
für mein Gefühl überhaupt etwas zu »klassisch«, zu formal.
In diese spanischen Stiefel läßt sich Rubens’ Geist nicht ohne Not
zwingen, trotzdem er einen so unendlich fein ausgeprägten Sinn für formale
Probleme und die proportioneilen Differenzierungen der Massen gehabt hat,
wie das vor allem sein Verhältnis zu Raffael beweist. Aus diesem Grunde
hätte man auch in dem Schlußkapitel über so manchen Punkt mit dem Ver-
fasser zu rechten. Rubens ist hier zu sehr unter dem Gesichtswinkel römischer
Renaissance gesehen. Seine Persönlichkeit und vielleicht auch die Kritik
kommt dabei wohl zu kurz. Der Verfasser meint beispielsweise von der
Krönung Marias in St. Denis, daß Rubens hier ein Repräsentationsbild
geschaffen habe, »das als eines der mächtigsten und lebendigsten Denkmäler
der Kulturgeschichte der Zeit angesehen werden muß, dem nicht leicht
ähnlich Großes und Vollkommenes an die Seite gestellt werden kann«. Was
diesem Gemälde von Rechts wegen an die Seite gestellt werden müßte, ist
Tizians Tempelgang der Maria in der Akademie von Venedig.
Rubens Bild ist eine frei impressionistische Umdichtung der Tizianschen
Komposition. Wenn der Verfasser diesen vielfach nur nach dem Gedächtnis
verwerteten italienischen Vorbildern näher nachgegangen wäre, hätte er sich
die Charakteristik der Bilder entschieden erleichtert und er wäre dann auch
wohl von selber zu einer mehr kritischen Behandlung der Lösung der
künstlerischen Probleme in Rubens herrlichem Gemäldezyklus getrieben
worden. Fritz Burger.
Heinrich Höhn. Studien zur Entwickelung der Münche-
ner Landschaftsmalerei vom Ende des 18. und vom
Anfang des 19. Jahrhunderts. (Studien zur deutschen Kunst-
geschichte, Heft 108, Straßburg, Heitz, 1909.)
292
Literaturbericht.
In der anregend geschriebenen Einleitung schildert der Verfasser das
Erwachen des Naturgefühls, wie es sich vom Beginn des 18. Jahrhunderts
ab besonders in Literatur und Musik bemerkbar macht. An den Anfängen
der realistischen Landschaftsmalerei, die Ende des 18. Jahrhunderts einsetzt,
hat München wesentlichen Anteil genommen. Eine Skizze Münchener
Kunstverhältnisse um diese Zeit leitet die Schilderung ein; die Überführung
der Mannheimer Galerie nach der bayrischen Hauptstadt wird entsprechend
gewürdigt. Die 1808 unter staatliche Verwaltung gestellte Zeichnungs-
akademie brachte unter Langer den Klassizismus zur Geltung und bekämpfte
den frischen Zug zu realistischer Auffassung, die besonders das Studium
der alten Niederländer pflegte, mit wahrem Despotismus. Es ist interessant,
von den mannigfachen kritischen Äußerungen jener Zeit, dem Hin und Her
der Parteien zu lesen: erinnert das alles doch lebhaft genug an manche
Kontroverse unserer Tage. Die Ansicht von der sekundären Bedeutung
der Landschaftsmalerei, die in erster Linie Cornelius vertrat, hat, wie die
Aufzeichnungen des Grafen Schack beweisen, noch lange genug nachgewirkt.
Einer der ersten bayrischen Künstler, die mit schwachen Kräften, aber
mit herzlicher Heimatsliebe landschaftliche Aufgaben zu lösen suchten, war
J. G. Wintter. Wesentlich bedeutender erscheint Ferdinand
K o b e 1 1 , der sich durch stetes Naturstudium sowie durch Beschäftigung
mit den Altniederländern bildete. Der Verfasser verteidigt den Künstler
gegen den Vorwurf Pechts, einzig ein Nachahmer Claude Lorrains und ver-
schiedener Niederländer gewesen zu sein, und betont Kobells frischen Natur-
sinn, der sich mehr noch in seinen graphischen Arbeiten als in seinen Bildern
zeigt. Seine Kunst wird vom Verfasser dahin präzisiert, daß sie die »end-
gültige Loslösung der deutschen und damit auch der Münchener Landschafts -
malerei vom Manierismus vollzieht«. Als Fortsetzer der Kobellschen Tra-
dition ist Georg von Dillis anzusehen, der auch persönlich durch
seine Beziehungen zum bayrischen Kronprinzen und als Teilnehmer an dessen
Italienreise Interesse gewinnt. — Wilhelm von Kobell, der Sohn
Ferdinand Kobells, schließt sich zunächst eng an Claude an; allmählich erst
bildet er sich an Aufgaben, die ihm die nähere und weitere Umgebung
Münchens bot, zu einer unmittelbareren Landschaftsauffassung heran. Bei
der Besprechung der Radierungen des Künstlers erwähnt der Verf. als von
Andresen nicht aufgenommen sechs Ansichten bayrischer Gegenden, die nach
seiner Ansicht zweifellos von Kobell herstammen. In den Gemälden geht
Kobell über seinen Vorgänger Dillis ebenso wie über die gemeinsamen nieder-
ländischen Vorbilder hinaus: aus seiner »Belagerung von Kosel« von 1808
(jetzt Armee-Mus. München) spricht eine durchaus eigne Naturauffassung,
besonders ist das Lichtproblem mit neuen Mitteln gelöst. — Max Joseph
Wagenbauer gelangt von den klassizistischen Kompositionen seiner
Berichtigung.
293
Frühzeit zu einem »schlichten Realismus«. Seine Landschaftsbilder sind
um so bemerkenswerter, als sie, mehr wie die Tierszenen, dem niederländischen
Urbild fernbleiben und als wirklich originale Landschaftsschöpfungen des
19. Jahrhunderts gelten können. — Der letzte der behandelten Künstler,
Joh. Jakob D o r n e r der Jüngere, macht sich allmählich von seinen
Vorbildern Everdingen und Ruysdael los und dringt, mit starkem
koloristischem Sinn begabt, zu einer liebevollen Naturbetrachtung
durch, die aus allen seinen sehr ungleichmäßigen Werken spricht. —
Mit einem Ausblick auf die Kunst Bürkels, auf die Höhn nicht eingeht,
weil sich in ihr bereits die »Stimmungslandschaft« darstellt, und einer
kurzen Inhaltsreplik schließt der Verfasser. Die Künstler, denen
er mit anerkennenswerter Sorgfalt und aufrichtiger Begeisterung nach-
gegangen ist, haben als erste im Beginn des 19. Jahrhunderts durch
ihr Naturstudium der Landschaftsmalerei die Wege gewiesen: auf
dem, was sie erreichten, konnten Männer wie Rottmann und Schleich
weiterbauen.
Es ist nicht leicht, dieses Buch zu lesen. So dankenswert die große
Materialfülle ist, die der Verfasser bringt, so wenig fruchtbar erscheint es
für den Leser, die lange Reihe der Beschreibungen von Gemälden, Zeich-
nungen usw. durchzuarbeiten: eine katalogmäßige Behandlung wäre da
besser gewesen. Am bedenklichsten ist aber das Fehlen jeglichen Registers,
ohne das ein Nachschlagen, überhaupt ein Befragen des Buches fast zur
Unmöglichkeit wird. Und das ist um so bedauerlicher, als durch die
warmherzig und geschmackvoll geschriebene Arbeit gewiß manche Lücke
ausgefüllt wird. J. Sievers.
Berichtigung?
Herr Dr. Hans Tietze in Wien schreibt mir, ich hätte in meiner
Besprechung der beiden ersten Bände der Österreichischen Kunsttopo-
graphie (Repert. XXXII S. 192 ff.) zwei Irrtümer begangen, die er mich
zu berichtigen bittet. Selbstverständlich komme ich einem solchen
Wunsche entgegen soweit als möglich. Es handelt sich um die Domini-
kanerkirche in Krems und die Michaelskirche in Heiligenstadt.
Ich hatte sie als Beispiele dafür angeführt, daß mir die Baubeschreibungen
des Verf. zur Gewinnung eines anschaulichen Bildes öfters nicht genügten.
Was nun die Kremser Kirche betrifft, so fühlt sich der Verf. .dadurch
gerechtfertigt, daß er geschrieben habe, sie sei im Grundriß der Steiner
Bettelordenskirche ähnlich. In der Tat, dieser Satz kommt in dem Bande
vor und ist von mir übersehen worden. Aber wo steht er? Nicht unter
294
Berichtigung.
Krems, sondern 234 Seiten von diesem Artikel entfernt in der kunstgeschicht-
lichen Übersicht des Bezirks! Es ist doch eine starke Zumutung an den
Benutzer des Inventars, daß derselbe, um die Baubeschreibung eines Denk-
mals zu verstehen, im Kopfe haben muß, was an einer ganz anderen
Stelle davon ausgesagt ist. Aber auch damit wäre dem Leser im vor-
liegenden Fall nur wenig geholfen. Denn er erfährt aus der »Übersicht«
von der Ähnlichkeit des Grundrisses mit einem anderen Grundriß,
aber immer noch nichts — was ich vornehmlich vermißt hatte — von dem
Aufbau des Querschnitts. In seiner brieflichen Erläuterung sagt der VerL
nur, das Wegbleiben einer allgemeinen Charakteristik der (in den Einzel-
heiten ziemlich genau beschriebenen) Kirche sei ein Versehen, das nur
dieses eine Mal vorkomme. — Leider muß ich sagen, daß auch der zweite
Fall nicht wesentlich anders liegt. Wer bei Tietze den »Pfarrkirche zum
hl. Michael« überschrieben Artikel liest, kann nichts anderes glauben, als
daß die Beschreibung von einem noch bestehenden Gebäude handele. Dem
ist aber nicht so. Sie bezieht sich auf das 1894 abgetragene Gebäude.
Wunschgemäß trage ich diese Berichtigung nach. Die Abtragung ist aller-
dings vom Verf. erwähnt worden, aber auch wieder an einer anderen, als
der allein ihr zukommenden Stelle. Im übrigen ändert die Aufklärung
dieses, wie man sieht für den Leser unvermeidlichen, Irrtums nichts daran,
daß die gegebene Beschreibung unzulänglich ist.
So vermag ich beim besten Willen von meinem ursprünglichen Ur-
teil nichts abzuziehen; eher noch müßte es verschärft werden! Die
wissenschaftliche Leistung Tietzes hat mir Achtung eingeflößt. Zu den
Pflichten, die der Verf. einer Kunsttopographie übernimmt, gehört aber
auch diese, bei jedem Satze, den er niederschreibt, sich in die Lage des
mit dem Gegenstände noch gänzlich unbekannten, nach schneller und
sicherer Auskunft verlangenden Benutzers hineinzudenken. Dehio.
Der Palast des Braccio Baglioni in Perugia
und Domenico Veneziano.
Von Walter Bombe.
Braccio il Magnifico, der Sohn des älteren Malatesta Baglioni, General
der Kirche unter den Päpsten Calixtus III., Paul II. und Sixtus IV., hat
sich nicht nur als Söldnerführer, sondern auch als Förderer der Künste
ausgezeichnet. Er war es, der 1473 die ersten deutschen Drucker, Johann
Vydenast und Stefan aus Mainz nach Perugia rief und ihnen die Mittel gab,
eine Druckerei zu errichten, aus der ganz vorzügliche Arbeiten hervor-
gegangen sind. Sein Palast, der bei Errichtung der Fortezza Paolina zu-
gleich mit den anderen Palästen der mächtigen Familie der Baglioni, mit
zwei Klöstern, elf Kirchen und über dreihundert Häusern des Borgo S. Giu-
liana zerstört wurde, soll das schönste Privathaus der ganzen Stadt gewesen
sein. Über die Lage des Palastes geben die Zeichnungen des Antonio und
Aristotile da Sangallo für die Fortezza Paolina, in den Uffizien, einigen
Aufschluß. Seine Westfassade, an der sich ein starker Turm erhob, lag an
der Piazza dei Servi, der Kirche gegenüber, in der sich Braccio 147 1 eine
Kapelle mit dem Aufwande von 120 Dukaten hatte künstlerisch aus-
schmücken lassen. Im Süden grenzte er an die alten Stadtmauern, im Nord-
westen an das Gebäude der Sapienza Nuova, im Osten an die Piazzetta dei
Baglioni, wo die Paläste des Ridolfo und des Gentile Baglioni lagen, letzterer
prächtig dekoriert und durch zwei Türme verteidigt, von denen einer in
der unterirdischen Straße unter dem Palazzo Provinciale, dicht an der
Porta Marzia, noch heute deutlich in den Fundamenten erkennbar ist.
An dieser Seite hatte der Palast Braccios einen zweiten Turm. Das Haus
enthielt einen Säulenhof und war vom Erdgeschoß bis zum Dach mit
Malereien geschmückt. Im ersten Saal, gleich hinter dem Eingänge, hatte
Braccio die Wände mit einem Freskenzyklus berühmter Helden des Geistes
und des Schwertes bemalen lassen. Dieser Zyklus wird auf Grund einer
Notiz bei Vasari, welche lediglich besagt, daß Domenico Veneziano in einem
Hause der Baglioni in Perugia, das schon zur Zeit Vasaris zerstört war,
Repertorium für Kunstwisienschaft, XXXII.
21
296
W alter Bombe:
Malereien ausgeführt habe 1), traditionell von allen Forschern, die sich je
mit Domenico Veneziano beschäftigt haben, dem großen Freilichtmaler zu-
geschrieben. Ferner haben alle Späteren, Milanesi folgend, der in einer
Note die Vermutung ausspricht, daß Domenico diese Fresken im Jahre 1438
gemalt habe, da er am I. April d. J. von Perugia an Piero dei Medici
einen Brief richtete, in welchem er diesen um den Auftrag zu einem Altar-
bilde bat * *), das Jahr 1438 als Entstehungsdatum akzeptiert. Ebenso
wird allgemein angenommen, diese Fresken seien völlig zugrunde gegangen.
Nun befindet sich aber im Magazin der Peruginer Pinakothek doch wenig-
stens ein bescheidenes, bisher unbeachtetes Bruchstück dieses Zyklus,, die
zweimallebensgroße Gestalt eines gepanzerten Ritters, und unter derselben
sind die Versenden seines Epitaphs, die Silbe »ore« und das Wort »con-
quassato« zu lesen. Der traurige Erhaltungszustand der Figur macht es
unmöglich, ein Urteil über ihren künstlerischen Wert abzugeben oder fest-
zustellen, ob sie von Domenico Veneziano herrührt oder nicht. Zu bedauern
ist, daß vor 50 Jahren, als die Peruginer in patriotischem Übereifer die
päpstliche Zwingburg bis auf die Fundamente zerstörten und dabei dieses
Freskenbruchstück freilegten, kein Fachmann zugegen war, der wenigstens
an dieser Stelle rechtzeitig der Zerstörung Einhalt geboten hätte. Von den
Epitaphien, die unter jeder Figur zu lesen waren, haben sich vierzehn in
einem Kodex der Biblioteca Comunale zu Perugia erhalten und Ariodante
Fabretti hat sie in einer Note des letzten Bandes seiner Capitani Venturieri
delU Umbria 3) unvollständig und fehlerhaft publiziert, weshalb wir sie
am Schluß noch einmal in korrekter Lesung abdrucken. Nach den
beiden noch erhaltenen Versenden zu schließen, müßte das Fragment in der
Pinakothek den Condottiere Ruggiero Cane deiRanieri darstellen, dessen Züge
uns ein Ölbild im Lesesaal der Biblioteca Comunale zu Perugia vorAugen führt.
Der ganze Zyklus umfaßte eine thronende Perusia und folgende 23
»Uomini illustri«: Eulistes aus Troja, den sagenhaften Begründer Perugias,
ferner die Condottieri Braccio Fortebracci, Jacopo Piccinini, Vinciolo, Rug-
giero Cane, Peruccio Nero de' Montesperelli, Jacopo degli Arcipreti, Fran-
cesco Piccinini, Biordo Michelotti, Boldrino da Panicale, Niccolo Forte-
bracci, Niccolo Piccinini, Carlo Fortebracci, Messer Borgaro da Marsciano,
Oddo Fortebracci, Rodolfo degli Oddi, Fabrizio Ranieri, Ranieri (?) del
Frogia, Ciccolino Michelotti, dann die Juristen Bartolo Alfani und Baldo,
Piero und Angelo Baldeschi. Die Lobsprüche in Ottaverime unter den
Bildnissen waren von Francesco Maturanzio verfaßt, wie sich aus einem
l) Vasari-Milanesi II, p. 674.
*) Gaye, Carteggio I, p. 136.
3) Note e Documenti raccolti e pubblicati che servono ad illustrare le biografie di
Capitani venturieri dell’ Umbria, Montepulciano, 1842.
Der Palast des Braccio Baglioni in Perugia und Domenico Veneziano.
297
Briefe ergibt, den Jacopo Antiquari aus Mailand an Maturanzio richtete:
»Memini quidem puer uno aut altero anno te majorem natu, elogia atque
epigrammata in Baliono illo tarn nobilissimo atrio viris fortibus et clarissimis
depictis, qui vel in re militari fuerunt egregj duces, vel in philosophia aut
jure civili principes sunt habiti, adscripsisse ceu in base, expressisseque
eorum virtutes et laudes, ita ut jam inde appareret tal idoneum fore qui
historiam aliquando componere posses.«4)
Eine kurze Beschreibung des Zyklus findet sich in der Chronik des
Frollieri aus dem 16. Jahrhunderts): »Braccio di Malatesta Baglioni uomo
nell' etä sua di grande animo e molto prudente, essendo il primo cittadino
di Perugia edificö per sua abitazione una nobilissima e splendida casa,
facendo nella prima intrata di quella una sala molto ampla e bella e di
bellissime pitture ornata, nel capo della quäle sopra un alto e ornato tribu-
nale fece dipingere una donna di venerabile presenza e piena di maestä,
avendo sopra il capo lettere che dicevano P e r u s i a, E da uno de' lati
della sala vi erano dipinti i famosi capitani e condottieri discesi da quella;
e dall' altro lato i celebratissimi e onorati dottori, alli piedi delli quali
vi era brevemente annotato il nome e gesta di ciascuno.«
In einem anderen Kodex des Cinquecento, den die Biblioteca Comunale
in Perugia bewahrt* * * 6), ist eine ähnliche Beschreibung der Fresken »in casa
de' Baglioni« zu lesen: »Per essere lui (Braccio di Malatesta Baglioni)
persona magnanima, et cupido de honore e gloria edificö in Perugia per sua
habitatione una nobilissima e splendida casa overo palazzo, dove tutte le
stantie di esso erano di diversi suoi concetti perfectamente istoriate e dipinte,
et infra le altre stantie nel primo ingresso della detta casa fece una sala molto
ampla spaciosa e bella, in capo della quäle fece depingere uno alto, et ornato
tribunale, dove che in esso a seggio vi stava una donna de venerabile aspetto
et apparentia, grande et venusta, et sopra alla testa di essa vi era scripto
PERVSIA. Et dal lato dextro della pariete vi erano depinti li conduttieri,
e capitani famosi difusi della Cita de Perugia, con le loro insegne Ordinate,
et da l'altra banda li celebratissimi Doctori, sotto alli piedi di essi erano epi-
taffii, dove era scripto il nome de ciascuno, et con breve annotatione li fatti
et gesti loro, se benchö per la fabrica della nova Citadella in tale luogo edi-
ficata per comissioni et opera de Papa Paulo III. fusseno tal figure scancel-
late e guaste, il piu proximo al tribunale predicto si era Euliste Troiano,
doppo lui seguiva Venciolo Citadin perugino, seguiva poi Petruccio nero,
4) Lib I Epist. 23, Bib. Perus. Cosmus Veronensis. MDXIX.
5) Memoria di alcune cose spetanti alla Cittä di Perugia Ms. de Bibi. Com.
Perug. zitiert nach Fabretti Vol. III p. 20 — 21.
6) Antonio Grisaldi, Raccolta di cose memorabili di Perugia, Ms. der Comunale
I, 110, 49-
298
Walter Bombe:
e cosi de mano in mano tutti li famosi huomini de perugia difusi vi
erano depenti.«
Auch in der Chronik des Maturanzio wird das Haus des Braccio Baglioni
erwähnt: »e aveva assai piü bella casa lui solo, che non avevano tutti li
altri; dove era una sala nella quäle erano pente tutti li capitanee che mai
ebbe Peroggia sino a quel dl, e similmente tutti li dottore famoso, ciascuno
de propio: e era tutta quella casa penta dentro e de fora, da la cima insino
a terra, cum doi torre, commo ve disse de sopra; e stava appicciato cum la
Sapientia Nova.« Die Tatsache aber, daß er selbst die Epitaphien unter
den Bildnissen gedichtet habe, verschweigt der Chronist 7).
Aus dem Briefe Jacopo Antiquaris ergibt sich, daß der berühmte
Humanist die Verse in jüngeren Jahren verfaßt hat. Wir wissen ferner,
daß Maturanzio um 1443, Braccio Baglioni um 1420 geboren wurde, und
daß von den dargestellten Uomini illustri Ruggero Cane 1441, Niccolo Picci-
nini 1444, Francesco Piccinini 1449, Jacopo Piccinini 1465 und Carlo
Fortebracci gar erst 1479 gestorben ist. Somit muß die Entstehungszeit
der Fresken, welche Milanesi und die meisten späteren Forscher um 1438
annehmen, um mindestens zwei, ja, vielleicht drei Jahrzehnte hinaufgerückt
werden, und es ist nicht nur möglich, sondern sogar in hohem Grade wahr-
scheinlich, daß Domenico Veneziano, der im Mai 1461 in Florenz starb,
als Autor dieses Freskenzyklus ausscheidet.
* *
*
Die Epitaphien des Francesco Maturanzio unter den Dar-
stellungen der Uomini illustri in Casa Baglioni. (Nach Cod.
562, Fl. 47, der Biblioteca Comunale zu Perugia, c. 143 f . — 145 -)
El pathaphio de Eulistio hedificator de Perosia No. 1.
Eulistes trojano, inclito e forte
Benche partito dal trojan valore
Dopo le guerre e tanto acerbe morte
Che fero i Greci sopra a mio Signore,
Italia volse per divina sorte
E fui de questa el primo fondatore,
Peruscia la chiamai nel monte toro
Che fu poj madre de tutti costoro.
El pataphio della ciptä. de Perusia No. 2.
Fra le Italiche eletta a tanto honore
Peruscia eulistea io son che degna
M’ anno fatta i miei figlioli in gran valore
Ove scientia e vertu d’arme regna,
7) Cronaca del Matarazzo, Arch. Stör. It. XVI Pars II, p. 104.
Der Palast des Braccio Baglioni in Perugia und Domenico Veneziano.
299
De Troja venne el primo fondatore,
E nei miei tempi so stata una insegna
D’Apollo e Marte sopra al monte toro,
Como dimostrano 1’ opre de costoro.
El pataphio de Braccio signor de Perosia No. 3.
[Braccio Fortebracci.]
Amator de virtü, maestro in guerra
Braccio so’ io tra mej quasi el magiore;
La fama mia ogn’ altra quasi serra.
La spada e ’l senno me fe grande honore,
Digno Signor mi fe della mia terra:
Roma aquistai per forza e per valore,
E relevai lu mio perduto stato,
Capua tenni col suo principato.
El pataphio del Conte Jacomo [Piccinini] No. 4.
Unico so’ io honor della mia terra
Iliustre conte Jacomo chiamato,
Favor della mia patria in ogni guerra,
E da un altro Marte generato:
L’animo excelso mio viltä non serra,
Chi m’a con seco e bene acconpagnato
Osservator de fede a cui prometto,
Et de conbatter solo e ’l mio diletto.
El pataphio de Vinciolio [Vincioli] No. 5.
Io son quel franco Venciolo perugino
Cavalier degno d’onorata sede,
Exenplo e specchio a ciascon ciptadino;
Nell’ alta impresa como che se vede
Mortal nimico al popol Saracino
Per ampliar la mia cristiana fede,
Dove alle Smirre [Smirne] combattendo armato
Sparsi il mio sangue e fui martirizato.
El pataphio de Roger dal Cane No. 6.
[Rugg'ero Cane dei Ranieri.]
Roger so’ io che per avere honore
Fidel fui sempre al mio promesso stato:
Nel’ armi capitan senza timore,
In guerra un drago, in pace humiliato,
Ebbi victorie dallo Imperadore,
EI vincitor fo vinto e conquassato;
E raquistai lo stato venitiano,
Ch’ era perduto, e fui Ior capitano.
El pataphio de Peruccio Nero [Montesperelli] No. 7.
Perugin so’, e foj Peruccio Nero
Che per la patria molto adoperai,
Io ebbi al ben comun 1’ animo intero
Tanto ch’ el Laco e ’l Chiusi li aquistai.
3°°
Walter Bombe:
Ai mej nemici io fui crudele e fero,
E infinite ingiurie vendicai.
La Republica mia tenni in istato,
Ciptadin grande onde io ne so exaltato.
El pataphio de Jacomo [Arcipreti] No. 8
Degli Arcipetri Jacomo chiamato
In fatti uno homo sempre de core.
El Signor Braccio prima me fo dato
Fratel per fede e poj me fo signore:
Fui grande appogio al mio gentile stato;
Colla mia spada mostrai gran valore,
Strenuo nel seguir de’ fatti d’arme,
Onde mia fama non pö piu mancarme.
El pataphio de Francesco Picinino No. 9.
Francesco Piccinin justo e gagliardo
So de parte Braccescha honore e lume,
Che dove io misi el filice stendardo
Fici col mio nom tremare i fiumi:
A mie imprese non fui lento ne tardo,
Giamai pigritia fu mio costume:
Amai con tutto el cor sempre mia terra
Cortese in pace e crudo nella guerra.
El pataphio de Biordo [Michelotti] No. 10.
Inmagin so’ di quel magno Biordo
Che al mondo se sugiugo tante ciptade,
De ventidui stendardi io me ricordo
Venirlli inseme in gran solennitade;
Ai soi nimici el vivar misc in ordo,
Tenendo el proprio nido in libertate
E fici si per piani e monti e rive
Che, polver gli ossa, il nome ancora vive.
El pataphio de Boldrino [da Panicale] No. 11.
Io son quel degno capitan famoso
Boidrin nell’ armi aventurato e forte.
In tutti i fatti miei victoriuso
E per mio senno e per celeste Sorte;
E fui si caro al mio stil valuruso
Che le mie genti dopo la mia morte
Tre anni il corpo a triumpho portaro
Tanto che la mia morte vendicaro.
El pataphio de Nicolö Forte braccie No. 12.
Nicolö Forte braccio io son quel degno
D’eterna fama che mortal non doma;
E fu di tal virtü l’inclito ingegno
Che ’l Vicario di Dio cacciai di Roma:
Der Palast des Braccio Baglioni in Perugia und Domenico Veneziano. 30 1
Io son collui che giunsi quasi al segno
De somma gloria e io misi la soma
Sempre co’ golpi a chi mi fu contraro
Dando alli mei nemici stato amaro.
El pataphio del primo Nicolö Picinino No. 13.
Nicolö son quil primo Piccinino
Ch’ ebbi nell’ armi ingegno forza e arte,
Lume de fedeltä nel mio camino,
Un fulgur di battaglia, un’ altro Marte;
Provö mia forza el popol Fiorentino
Ed a Venetia assai tolsi de parte:
E fo de tal virtü mia armata mano
Che tolsi el nome a ciascon capitano.
El pataphio del Conte Carlo [Fortebracci] No. 14.
Frutto d’excelso seme, inclito e franco,
De Signor nato e non de ciptadino
Son Conte Carlo e non di vita stancho,
In fatti d’arme un altro paladino;
Prima ch’io fatto sia canuto e bianco
Spero d’alzarme al mio lungo camino;
E colla spada in man fama aquistare
Che me’glior fructo non se’ de cercare.
Messer Borgaro da Marsciano, El Conte Oddo [Fortebracci?], Ro-
dolfo delli Oddi, FabritioRanieri,delFrogia, Cicholino [Michelotti],
Messer Bartolo, Messer Baldo, Messer Piero, Messer Angel o.
Quisti capitani e docturi scripti disopra sonno dipinti nelle
case de Braccio in Peroscia.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III.
im St. Peter in Rom.
Von Konrad Escher.
Es nimmt heute die Nische zur Linken der Cattedra Petri ein und
erhebt sich somit unmittelbar gegenüber demjenigen Urbans VIII. Daß
es aber ursprünglich nicht hier stand, und daß auch seine Gestalt nicht der
ursprünglichen entspricht, ist schon längst bekannt. »Zuerst stand es unter
der großen Kuppel, unweit dem Pfeiler der heil. Veronika. Es war ursprüng-
lich für einen freistehenden Ort bestimmt, wo es von allen Seiten gesehen
werden konnte, und hatte daher an der Rückseite noch zwei andere, die
beiden jetzt fehlenden Kardinaltugenden vorstellende Figuren, welche bei
der Versetzung des Monumentes an seinen gegenwärtigen Platz im Jahre
1628 weggenommen und in den Palast Farnese gebracht wurden.«1) (Be-
schreibung der Stadt Rom von Platner, Bunsen, Gerhard und Rösteil,
Stuttgart und Tübingen 1832. II. 1. p. 191.) Auch die modernen Reise-
führer haben diese Tatsache in die Beschreibung der Peterskirche auf-
genommen. (So Gsell-Fels, Rom und die Campagna, in Meyers Reise-
büchern, 6. Aufl.) H. Thode hat den Anteil Michelangelos an dem Werke
des Fra Guglielmo della Porta eruiert und damit einen Teil der ein-
schlägigen Literatur bekannt gemacht (Michelangelo, Kritische Unter-
suchungen zu seinen Werken. II. S. 235fr .) und zuerst in Übereinstimmung
mit Schreiber dieser Zeilen auf die Verwandtschaft der Entwürfe und Modelle
mit denjenigen für Michelangelos Julius -Grab hingewiesen. Der Klar-
legung der Geschichte, soweit möglich, und der Interpretation des Pauls-
grabes sind folgende Ausführungen gewidmet.
Vasari*) erzählt in der Vita des Lione Lioni »und anderer Bildhauer
und Architekten«, Fra Guglielmo della Porta habe sich im Jahre 1537 nach
*) Wahrscheinlich haben die Verfasser die Notiz dem Werke: Della sacrosanta
ßasilica di S. Pietro in Vaticano, libri due, In Roma 1750, entnommen, ohne es aber nam-
haft zu machen. Der Verfasser sagt: »II primo (sepolcro) e di Paolo III. quivi trasportato
ncll’anno 1628, occupando per lo innanzi quel sito ove di presente e la Statua della Veronica,«
was leicht zu einem Mißverständnis bezüglich der Placierung des Grabmals Anlaß gibt. s. u.
a) ed. Milanesi VII. p. 545 f.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom.
3°3
Rom begeben, sei daselbst von seinem Oheim Giovan Jacomo dem Maler
Sebastiano del Piombo empfohlen worden, lind dieser habe ihn wieder, wie
es seine Gewohnheit war, an Michelangelo Buonarroti empfohlen. Dieser
habe, als er Portas Arbeitseifer kennen gelernt, sich seiner angenommen
und ihn vor allem Antiken des Hauses Farnese restaurieren lassen, ihn
hernach in den Dienst des Papstes gestellt. In jener Zeit habe Porta ein
Grabmal für den Bischof Sulisse oder de Solis gefertigt, und zwar größten-
teils aus Metall, mit Figuren und Geschichten in Flachrelief, nämlich die
Kardinaltugenden und andere, die er mit großer Feinheit ausgeführt, außer-
dem noch die Statue des Bischofs selbst, die nachher nach Salamanca kam.
Während sich Porta vorab mit der Restaurierung der farnesischen An-
tiken befaßte, starb im Jahre 1547 Sebastiano del Piombo, und jener wußte
es mit allen Anstrengungen beim Papst und mit Hilfe Michelangelos und
anderer dazu zu bringen, daß er Sebastiano im Amt nachfolgte, und zu-
gleich den Auftrag für das Grabmal Pauls III. (f 1549) erhielt. In der Vita
Michelangelos3) ergänzt Vasari den obigen Bericht. »Im Jahre 1549 starb
Papst Paul III. Infolgedessen ließ der Kardinal Farnese nach der Wahl
Papst Julius’ III. für Papst Paul ein großes Grabmonument errichten und zwar
gab er Fra Guglielmo den Auftrag dazu. Dieser ordnete an, es müßte im
St. Peter unter den ersten Bogen der neuen Kirche, unter die Tribuna zu
stehen kommen, wo es aber auf dem ebenen Boden der Kirche nur hinder-
lich war und tatsächlich nicht an seinem richtigen Platze stand. Und weil
Michelangelo sehr treffend bemerkte, hier könne und dürfe es nicht stehen,
so nahm ihm der Frate dies sehr übel auf, in der Meinung, Michelangelo
täte es ihm nur aus Neid an. Dann aber sah er ein, daß jenfer recht gehabt
und daß der Fehler auf seiner Seite gewesen, weil er die Gelegenheit wohl
gehabt, aber trotzdem das Grabmal nicht ausgeführt habe, wie anderorts
berichtet werden soll. Ich kann es bezeugen, weil ich mich im Jahre 1550
auf Befehl Papst Julius’ III. nach Rom in seine Dienste begab, und um die
Gesellschaft Michelangelos zu genießen, stellte ich mich einer solchen Auf-
forderung zufolge gern zur Verfügung. Michelangelo wünschte nun, daß
das Grabmal in einer der Nischen aufgerichtet würde, wo heute die »Säule
der Besessenen«4) (Colonna degli spiritati) steht, wo auch sein Platz war,
und ich hatte mich dafür verwendet, daß sich Julius III. dazu entschloß,
3) ed. Milanesi VII. p. 225.
4) Die Säule gehörte einst zu den zwölf columnis vitineis, welche vor der Konfession
von St. Peter standen und welche Kaiser Konstantin aus dem salomonischen Tempel
hierher gebracht haben soll. »Earum autem uni tantam Christus Dominus adhaerendo, dum
praedicabat, virtutem contactu ipso impressit, ut immundos illico spiritus, vel reprimeret,
vel fugaret (Ciampini de sacris aedificiis a Constantino magno constructis synopsis historica.
Sectio IV. p. 51).
304
Konrad Escher:
in Übereinstimmung mit jenem Grabmal das seinige in der andern Nische
aber von gleicher Art wie dasjenige Pauls III. errichten zu lassen. Der
Frate, der dies falsch verstand, trug dann die Schuld, daß sein Grabmal
nie vollendet wurde, und daß man dasjenige des andern Papstes überhaupt
nicht errichtete; all dies hatte Michelangelo vorausgesagt.« Den Auftrag
zum Grabmal Pauls III. erhielt della Porta vom Kardinal wohl im Früh-
jahr des Jahres 1 5 505) ; wie aus den schriftlichen Zeugnissen hervorgeht,
sind Kommission und Künstler im folgenden Jahre vollauf beschäftigt.
Im Jahre 1551 sandte Annibale Caro, der hervorragenden Anteil am Zu-
standekommen des Monumentes hatte, zwei Entwürfe an den Kardinal von
Sta. Croce ein, und begleitete sie mit einem langen Schreiben, worin er beide
erläutert und kritisiert; der Adressat möge zwischen beiden wählen5 6 7). Fra
Guglielmo hatte damals sein Modell schon gebaut; denn- Annibale Caro be-
merkt zu der ersten Zeichnung: »II colorito (disegno) b quello che rap-
presenta il modello fatto da fra Guglielmo e conferito (come egli dice) con
Michelagnolo7). — Die andere Zeichnung, die nur in Aquarellfarben skizziert
ist, stammt von einem tüchtigen Mann, der sich aber nichts daraus macht,
mit Namen genannt zu werden, da er sich aus purer Bescheidenheit nicht
in die Angelegenheit der andern mischen will, und der die Zeichnung des-
halb nur auf Betreiben des Kardinals Farnese angefertigt hat.« Den aus-
führlichen Inhalt des Briefs hat Thode in Übersetzung wiedergegeben. Da
dem Brief , auch die Entwürfe beigegeben waren, so ist es begreiflich, daß
jener nicht alle Teile des Grabmals gleichmäßig erörtert, sondern nur die-
jenigen, in denen beide Entwürfe voneinander abwichen, und wo dem Ver-
fasser Verbesserungen notwendig schienen. Ein anderer mutmaßlicher
Grund zu der Unvollständigkeit des Berichts ist aus dem Folgenden zu
ersehen.
DerEntwurf Portas setzt ein F r e i g r a b voraus. Ein großer
Steinwürfel, ursprünglich von Porta und Michelangelo massiv gedacht, ent-
hält die geräumige Grabkammer in Form eines kleinen Tempels, in welcher
der »schöne« Sarkophag mit dem Leichnam steht. Da sich nämlich diese
Grabkammer ohnehin nicht zum Schmuck mit Stukkaturen, Malereien und
Mosaik eignete, verzichteten die Künstler anfangs darauf, überhaupt einen
Eingang anzugeben; die Türe wurde erst nachträglich eingezeichnet, be-
friedigte aber trotzdem nicht. (Wie die Stelle zu deuten sei, sie habe nicht
die Majestät, die dem Werke entspräche, und von der Architektur gefordert
werde, insofern namentlich, als man von außen hinab — und von innen
emporsteigt, ist zunächst nicht zu entscheiden.) Acht Termini vollziehen
5) H. Thode, Michelangelo und das Ende der Renaissance I. p. 450.
6) Bottari, Lettere pittoriche. Milano 1822. III. p. 21 1. Nr. XCVII.
7) Michelangelo, Kritische Untersuchungen, loc. cit.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom.
305
die Vertikalgliederung. An den beiden Seitenfluchten steht je ein Sarko-
phag, der das abschließende Horizontalgesimse durchbricht. Über den
Termini (Thode scheint mir mit der Übertragung in den Begriff »Pfeiler«
nicht das Richtige getroffen zu haben), welche die Ecken bezeichnen, stehen
Piedestale für andere Figuren, und diese Sockel werden von Kartuschen
überschnitten, die »über die Architektur hinausgehen«. Caro spricht nur
von due carteile; nimmt man an, die Zeichnung habe nur den Aufriß des
Grabmals gegeben und zwar die Front, so waren allerdings nur die zwei
vorderen Eckkartuschen sichtbar. Vorgesehen waren, auf Grund eines noch
zu Lebzeiten Papst Pauls III. geäußerten persönlichen Wunsches desselben,
acht Allegorien, nämlich die vier Jahreszeiten und vier Kardinaltugenden.
So der Bericht des Annibale Caro.
Dazu kommt eine Anzahl von ihm nicht erwähnter Bestandteile; ab-
gesehen von den vier Bronzeputti an den vier Ecken mit den Kartuschen
(s. o.) zeigte das Modell Geschichten und die Figuren der theologischen und
Kardinaltugenden, die er schon alle für das Grabmal des Bischofs Solis an-
gefertigt hatte; die Bekrönung des Ganzen sollte die Statue Pauls III. in
Bronze sein »in atto di pace«.8) Das Nähere gibt zudem ein Brief des Anni-
bale Caro an Marc' Antonio Elio da Capo d'Istria, Bischof von Pola, datiert
den 5. August 1551 9). Annibale Caro berichtet, die Entwürfe für das Pauls-
grab seien an den Kardinal von Sta. Croce abgeschickt worden, damit dieser
sich für einen derselben entschließe. Momentan stehe nur das Modell Fra
Guglielmos zur Verfügung, und dieser habe die Zeichnungen, aus Furcht
vor Plagiaten, nur sehr ungern herausgegeben, und es habe der ausdrück-
lichen Versicherung des Schreibers bedurft, der Kardinal hätte die Entwürfe
nur zur Beratung mit den andern Mitgliedern der Kommission eingefordert.
Darauf habe er (der Schreiber) Vom Künstler auch noch mündliche Informa-
tionen über Maße und Gegenstände eingeholt, und die Sache stünde jetzt
folgendermaßen. »All das, was zu machen ist, hat sich genau nach dem zu
richten, was schon gemacht ist, und dies ist nämlich erstens eine
Bronzebasis mit Geschichten, die der Frate für den toten Bischof Solis ange-
fertigt, und welche der Papst noch bei seinen Lebzeiten gekauft, da er sie als
seines Grabmals würdig erachtete. Diese ist 41/* Palmen hoch, 13 Palmen
8) Vasari, ed. Milanesi VII, p. 546 f. Die erwähnten theologischen und Kardinal-
tugenden sind identisch mit denen, die Vasari schon als zum Grabmal des Bischofs Solis
gehörig anführt; daß sie aber zum Paulsgrab verwendet werden sollten, ist ein Irrtum,
der auf einer Verwechslung beruht und sich nur dadurch erklären läßt, daß Vasari die
betreffende Vita erst lange nach den Vorbereitungen für den Grabmalsbau zusammenfaßte
und sich dabei auf ungenaue mündliche Mitteilungen verließ. Daß sich seine Arbeitsweise
übrigens keineswegs durch Sorgfältigkeit auszeichnet, ist eine allgemein bekannte Tatsache.
9) Vasari ed. Guglielmo dclla Valle. Siena. 1793. X. p. 331. Note.
3°6
Konrad Escher:
breit, und 18 lang, und auf sie sollte, wie S. Heiligkeit noch selbst be-
schlossen, eine Bronzestatue gesetzt werden, wofür der Frate auf seinen
Befehl das Modell machte. ..Hierauf wurde sie mit großen Unkosten ange-
fertigt (im Modell) und nach der Gießerei ins Belvedere gebracht, und es kam
auch das zum Guß nötige Metall von Genua an, und es besteht diese Statue
aus einem Koloß, darstellend den Papst sitzend, mit der Gebärde des Friedens-
stifters, iS1/ 2 Palmen hoch. Die beiden Sachen, welche schon so gut wie
gemacht sind, können, wie vorauszusetzen ist, nicht mehr rückgängig ge-
macht werden, weil sie schon Hunderte von Scudi kosten und nach Fug und
Recht dem Fra Guglielmo nicht aus den Händen gerissen werden dürfen.
Es bleibt also nur übrig, darauf zu sinnen, wie man sie fertig bringt, und
deshalb hat man zu berücksichtigen, daß ja noch ein alter sehr schöner
Sarkophag vorhanden ist, den der Papst selbst zur Aufnahme seines Leich-
nams bestimmt hatte, und daß man schließlich die Marmorblöcke, die man
zu diesem Zweck mit großen Unkosten von Carrara hat kommen lassen,
nicht wegwerfen darf, nämlich 16 Stücke, von denen acht für Liegestatuen
bezeichnet und zu diesem Zwecke schon abbozziert sind, vier derselben zehn
Palmen hoch und die vier andern neun, während die acht andern Blöcke
für die Termini bestimmt sind, von denen nachher die Rede sein wird. Dann
wurden auch für die Ornamente viele buntfarbige Steinsorten mit großem
Kostenaufwand gekauft, und dies ist das ganze Material für das Grabmal.
Da ich Euch bezüglich des Aussehens von hier die Zeichnungen nicht
schicken kann, so will ich Euch jetzt klar machen, auf wie viele Arten es bis
jetzt dargestellt wurde.
Fra Guglielmo machte sein erstes Modell folgendermaßen: Er
setzte die Statue und die obengenannte Basis auf acht Marmortermini samt
dem übrigen architektonischen Zubehör, und auf die Seiten des »Vierecks«10)
setzte er je einen Sarkophag mit je zwei Liegestatuen. An den Fronten des
»Vierecks« brachte er je eine große Kartusche an (Cartellone), und über
jeder zwei Liegestatuen, und so waren die Liegestatuen und die Zusammen-
setzung der Architektur aus Marmor, die Särge unterhalb der Statuen aus
Bronze, und alles übrige setzte sich aus buntem Material zusammen. Das
Viereck erhielt solche Dimensionen, daß im Innern ein Hohlraum wie eine
Kapelle übrig blieb, in deren Mitte man den alten Sarkophag mit dem Leich-
nam des Papstes stellte, und hiervon hat der Kardinal das Holz -Modell
gesehen. «
Beide Briefe Annibale Caros sprechen von einem fertigen Modell,
beide sind im Jahre 1551 geschrieben, nun bleibt aber die Frage offen, ob
sich beide mit demselben Zustand des Grabmalentwurfs beschäftigen, d. h.
,0) Der Ausdruck im Text lautet quadro.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom.
307
absolut gleichzeitig sind, ob der erst zitierte früher oder später anzusetzen
ist als der vom August datierte, ob dieses eventuelle Zeitintervall einen Fort-
schritt in der Angelegenheit bedeutet, und welchen.
Im erstgenannten Brief erläutert Caro dem Kardinal von Sta. Croce
eine Kopie des Modells Guglielmos, woraus resultiert, daß der Kardinal
das Modell noch nicht gesehen habe, während er im zweiten Brief als mit
der Angelegenheit vollauf beschäftigt erwähnt wird. Der erstgenannte Brief
verschweigt den oberen Teil des Grabmals völlig, er sagt nichts von der
reliefierten Bronzebasis und nichts von der Paulsstatue; über die Liege-
figuren ist man vollends unschlüssig: acht Statuen hatte der Papst ge-
wünscht, sie sind auf dem anderen Blatte, dem des Anonymus, verzeichnet;
nun wünscht aber Caro, nachdem er auch die Meinung des Bischofs von
Spoleto gehört, daß die Jahreszeiten durch andere Allegorien mehr lehr-
haften Charakters ersetzt würden, für den Fall, daß man dem Entwurf des
Anonymus zufolge acht Statuen anbringen wolle. Entscheidend für die
Frage der Zeitfolge ist vollends folgende Stelle: »Um aber zu einem festen
Entschluß bezüglich der Statuen zu gelangen, muß erst die Form der Archi-
tektur, in welcher sie verteilt werden soll, bestimmt sein.« Man berück-
sichtigt immer noch den Entwurf des Anonymus. »Der andere Entwurf
scheint allem gerecht zu werden und nicht viel mehr zu kosten, obgleich
er vier Statuen mehr enthält, es gehen die acht Termini ab, welche in jener
ersten Zeichnung (Portas) sind. Euer Hochwürden hat zu entscheiden,
welcher von beiden feineres Verständnis zeigt, und zu sagen, welche weitern
Wünsche sie hat. — Sollte der zweite Entwurf gefallen, so hieße es an vier
weitere Statuen denken, die hinzukommen, und an ihre Darstellungsweise,
wozu später noch Zeit ist.« In demselben Brief findet Annibale Caro die
Sarkophage außen an den Längsseiten überflüssig, und bemerkt, es mißfalle,
daß sie das Gesims durchschneiden, ebenso hat er an den Eckkartuschen
Aussetzungen zu machen. Letztere beiden Punkte werden im zweiten Brief
nicht mehr berührt, Porta muß also das Modell, das ja Caro selbst in Er-
mangelung der Skizzen beschreibt, korrigiert und zugleich fertig ausgebaut
haben; ein zweites kommt hier nicht in Frage, denn Annibale Caro sagt aus-
drücklich: »il primo modello«. Das Modell zeigt aber noch die zwei Sarko-
phage außen. Caro schreibt nun an Pola (Brief vom 5. August 1551): »Der
Kardinal hat das Holzmodell besichtigt und dann gefunden, man könnte
es noch verbessern; da nämlich für das Grabmal nur ein Leichnam da sei,
so schienen zwei Sarkophage außen und einer drinnen überflüssig. Da ferner
der (eigentliche) Sarkophag sehr schön und der Raum der Kapelle weit ist,
wie ich schon gesagt, wünschte man, nicht nur einen Eingang dazu, sondern
auch Schmuck in Form von Malerei und Mosaik. Und auf diesem Entwurf
(es ist wohl das Modell damit gemeint) war kein Platz für den Eingang,
3°8
Konrad Escher:
und obschon man es sich auf alle Arten überlegte, wie es zu machen wäre,
ließ er sich nur schlecht anbringen.«
Offenbar konnte man sich über die verschiedenen Fragen nicht einigen.
Auf Veranlassung Caros fertigte nun Paciotto einen eigenen Entwurf
an, der allgemein gefiel. Davon macht jener in demselben Brief an den
Bischof von Pola Mitteilung. »Mit einer andern Architekturordnung setzte
er den ganzen bronzenen Bestandteil auf gewisse Doppelpilaster, und an
jeder Fronte brachte er eine vergitterte Türe an, so daß man den Sarkophag
und den Schmuck in der Kapelle drinnen sehen konnte. Außen an den
Seiten nahm er die Sarkophage weg, und setzte an deren Stelle Würfel
(d. h. würfelförmige Steinpostamente) mit ihren Leuchtern und mit zwei
»aufgestützten« (Liege-) Statuen auf einem jeden dieser Würfel, und an
jeder Ecke des Vierecks stellte er vor die Pilaster auf zwei Piedestale eine
aufrechte Statue.« Caro berichtet weiter, Porta habe, aus Furcht, der Auf-
trag könnte ihm entrissen werden, erklärt, an seinem Modell alle Mängel
verbessern zu können, was wieder zu langen Verhandlungen zwischen den
beteiligten Kardinälen Anlaß gab, ohne daß je etwas beschlossen worden
wäre, »weil jemand ist, der nicht will, daß das Werk vorwärts geht, und
dadurch immer neue Entwürfe nährt und die Platzfrage in Zweifel zieht«.
Bis zum August 1551 war also folgendes geschehen. Nachdem Gu-
glielmo della Porta in der ersten Hälfte des Jahres 155° den Auftrag erhalten,
hatte er sich sofort mit Michelangelo beraten und unter Berücksichtigung
schon vorhandener Grabmalsrequisiten und der persönlichen Wünsche
Pauls III. das Modell gebaut, davon eine Kopie angefertigt, welche durch
Vermittelung des Annibale Caro an den Kardinal von Sta. Croce gelangte,
gleichzeitig mit dem Entwurf des Anonymus; dies geschah im Jahre 1 5 5 1 ,
aber man war sich noch gar nicht über alle Punkte klar. Jedenfalls sollte
es ein Freibau mit einem Hohlraum für den Sarkophag und mit Statuen
werden. Porta sah eine Gliederung mit Termini vor, ähnlich dem Juliusgrab
Michelangelos; er brachte an den beiden Längsseiten Sarkophage an, be-
krönte die Ecken mit Statuen und Kartuschen und dachte sich als Statuen -
schmuck vier Allegorien, wobei aber nicht gesagt wird, ob liegende oder
stehende. Der obere Teil stand von vornherein fest: es war die reliefierte
Bronzebasis vom Solisgrab und die Statue Pauls III., wie es der Verstorbene
gewünscht hatte.
Der Entwurf des Anonymus wich insofern von demjenigen Portas ab,
als die Termini in Wegfall kamen, die Zahl der Statuen dagegen acht statt
vier betrug; er hatte sich nämlich genau an des Papstes Wunsch bezüglich
Art und Zahl der Allegorien gehalten. Die seitlichen Sarkophage und
Kartuschen waren besser komponiert, das übrige offenbar überein-
stimmend.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom. 309
Wie aus dem Inhalt des zweiten Briefs Caros hervorgeht, muß der
erste an den Anfang des Jahres 1551 gesetzt werden. Offenbar entschloß
man sich recht bald für eine bestimmte Form, man ließ die Blöcke
aus Carrara kommen und schon abbozzieren. Das Modell Portas war
verbessert, vielleicht ausgebaut worden und präsentierte sich folgender-
maßen: Die Statue des Papstes und die Basis ruhen auf dem großen
viereckigen Grabbau, den acht Termini gliedern; ein Hohlraum im Innern
enthält als Grabkapelle den Sarkophag mit dem Leichnam; an den
Längswänden steht je ein Bronzesarg mit je zwei Liegestatuen; an den
beiden Fronten befindet sich je eine große Kartusche und je zwei Liege-
statuen. Die Kartuschen, etwaige bekrönende Eckfiguren, Inkrustationen
bestehen aus farbigem Material, das laut Angabe in reichlichem Maße zur
Verwendung kommen sollte. Ein Freibau mit acht Liegefiguren, je zwei
mit einem Sarkophag und je zwei mit einer Kartusche gruppiert; eine Grab-
kapelle; achtTermini; eine reliefierte Bronzebasis; eine bekrönende Statue des
Papstes. Wie vierlerlei Bestandteile sind hier vereinigt! Der Freibau, dessen
Wände Termini gliedern, und der einen Hohlraum für den Sarkophag ent-
hält, läßt in erster Linie an den frühesten Entwurf des Juliusgrabmals
Michelangelos denken,- was sich bestätigt, wenn man aus der von Annibale
Caro an den Kardinal abgeschickten Zeichnung Portas die Eckfiguren auf
Piedestalen auch hier ergänzt. Michelangelo dachte sich zwei Zugänge zur
Grabkapelle, die nach Art eines Tempels gebildet war, in ovaler Form, und
in deren Mitte der Sarkophag stand, in dem der Leichnam des Papstes bei-
gesetzt werden sollte. Man tadelte an Portas Entwurf und Modell, daß
keine Eingänge vorhanden waren, und als man sie anbringen wollte, konnte
es nicht in befriedigender Weise geschehen, weil das Grabmal nicht einheit-
lich konzipiert war. Auch der obere Abschluß des Paulsgrabes erinnert an
den ersten Entwurf für das Juliusgrab, von dem Condivi sagt, er habe den
ganzen Bau »so emporsteigend« in einer Plattform endigen lassen, was Vasari
in der zweiten Ausgabe seiner Vita weiter ausführt: »Oberhalb des Ge-
simses stieg der Bau empor, stufenweise sich verjüngend mit einem Fries
von Bronzedarstellungen und anderen Figuren und Platten und Ornamenten
ringsum.« (Übersetzung von Thode, Kritische Untersuchungen. I. S. 165.)
Im wesentlichen stimmt Portas Modell damit überein, nur mag, da es sich
nur um eine Basis, nicht einen Stufenbau handelte, das Aussehen des oberen
Teils noch mehr an das Grabmal Sixtus’ IV. erinnert haben.
Seitlich waren Sarkophage angebracht, ähnlich wie an den ersten Ent-
würfen für die Medicigräber, die in einem Freibau11) vereinigt werden sollten;
das Maßgebende aber sind natürlich die mit ihnen komponierten Liege-
n) Vgl. Fritz Burger, Geschichte des florentinischen Grabmals. Taf. XXXII, Fig. I.
3io
Konrad Escher:
figuren. Solche aber über einer Kartusche zu gruppieren, war ein Ver-
legenheitsmittel, und diese Frontgruppen können es allein gewesen sein,
die eine glückliche Anbringung der Eingänge zur Grabkapelle verhinderten.
Beim Juliusgrab war Marmor und Bronze zusammen verwendet worden;
jedenfalls aber sind unter den für das Paulsgrab angekauften »mischij«-
farbige Steinsorten zu verstehen, deren Verwendung in der Folgezeit ja die
Regel wurde. Die Statue, welche den ganzen Aufbau zu bekrönen hatte,
war die erste dieser Art; in die Nische hatte sie Michelangelo eingeführt.
Die Auffassung als Triumphalstatue, die Verwendung der seit dem Mittel-
alter gebräuchlichen Porträtstatuen von Päpsten als bekrönenden Ab-
schluß eines groß gedachten Grabbaus, war wohl der Gedanke Pauls III.
selbst gewesen.
Für die Bronzestatue hatte della Porta das Modell gemacht, Genua
das Metall geschickt, und in der Gießhütte im Belvedere sollte der Guß vor
sich gehen; aus den folgenden Zeilen von Caros zweiten Brief ist nun zu
entnehmen, daß er noch bevorsteht.
Vor dem August 1551 war das Modell fertig, die Marmorblöcke voll-
zählig da und schon abbozziert, der Guß der Papststatue vorbereitet, und
man könnte meinen, die Sache käme rasch zu Ende. Da trat aber, wie Anni-
bale Caro dem Bischof von Pola berichtet, Michelangelo dazwischen (s. 0.)
und bringt die Arbeit, lediglich der Platzfrage wegen, ins Stocken. »Er riet
diesen Kardinälen, welche sich über Einzelheiten nicht einigen konnten,
daß nur eine Nische gemacht würde, um diese Statue aus Bronze mit ihrer
Inschrift hineinzustellen, und nichts anderes, damit sie als ein giudice
di Campidoglio11) erscheine. Das hieß allerdings, das große, mit
seiner eigenen Hülfe vorbereitete Projekt Portas völlig Umstürzen; offen-
bar hatte ihn dessen Hartnäckigkeit bezüglich der Platzfrage erbittert,
und er wollte der Sache rasch ein Ende machen. Soviel wenigstens gelang
ihm, daß er die Angelegenheit neuerdings ins Stocken brachte. Annibale
Caro benützte die Pause und die Unschlüssigkeit der Kardinäle, um seiner-
seits einen Vorschlag zu machen. »Das, was meines Erachtens mehr als
alles andere gefallen dürfte, wäre das, daß die Statue und die Basis nicht
mehr auf den ganzen Bau gesetzt würde, der ja doch so hoch ist, sondern
nur auf einen Teil des Marmors und der bunten Steine, der sich nicht höher
über den Fußboden erheben sollte, als es brauchte, um der Statue Raum
zu schaffen (wohl so zu verstehen: nicht mehr als die Höhe der Statue selbst
beträgt), und da es euch ja doch nicht gelingt, Raum für die Kapelle und
für den Sarkophag zu schaffen, so werdet ihr auch keine Eingänge und Ge-
») Das Grabmal Urbans VII. besteht nur aus Postament und Statue. (Sta. Maria
sopra Minerva.)
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom. ^ 1 1
simse mehr anbringen müssen, und man wird den Platz für das Grabmal
viel leichter finden, weil nur seine Höhe Bedenken erweckt, es im St. Peter
aufzurichten«.
Annibale Caro schlägt also vor, den großen Freibau mit Grabkapelle,
Termini, Sarkophagen und Liegefiguren auf ein massives Postament aus
Marmor und andere Teile aus buntem Stein zu reduzieren; von den Liege-
statuen sagt er nichts; aus dem folgenden geht aber hervor, daß er sie bei-
behalten will, und zwar in der Vollzahl von acht. Was er dem Bischof Pola
mitteilt, ist kein angeführtes Projekt, sondern nur ein Gedanke, den er bei
dieser Gelegenheit äußert, weil er sich ja doch einmal so eingehend mit der
Sache beschäftigt. »Überlegt euch all diese Punkte, fährt Annibale Caro
fort; der Kardinal mag sich mit diesen Herren darüber beraten und sie aus-
wählen lassen, dann aber sich zum Besten in beiderlei Hinsicht entschließen
und Befehl geben, daß die Arbeit fertig werde, damit nicht noch die Bosheit
der Leute ein so schönes Werk verhindere. — Wenn ihr die Zeichnungen
haben wollt, so könnt ihr auf alle Fälle darum zum Kardinal von Sta. Croce
schicken, an den ich überdies noch eine Weisung bezüglich dessen, was es
zu dieser Zeit noch alles braucht, gesandt habe, und es wird gut sein, wenn
ihr ihn außer den Zeichnungen auch darum ansucht; denn es gibt auch noch
irgendwelche anderen Erwägungen darüber, deren ich mich nicht entsinne, aber
speziell über die historische Darstellung, über die schon viel hin und her geredet
worden ist. Noch zu Lebzeiten des Papstes beschloß man, an den beiden
Längsseiten je zwei (Statuen), nämlich die Gerechtigkeit und die Klugheit, den
Frieden und den Überfluß, und an den Schmalseiten die vier Jahreszeiten
anzubringen, welch letztere mir nie gefallen haben, da sie keine kirchlichen
oder belehrenden Gegenstände bilden, und an ihrer Stelle wurden vier andere
ausgemachte), und das sind die Religion und die Beständigkeit, und zwei
andere, an die ich mich nicht erinnere: und alle diese habe ich beschrieben,
wie die Alten sie darstelltenM). Auch di.es könnt ihr beim Kardinal von Sta.
Croce erfragen, da ich jetzt nicht finden kann, wo die Beschreibungen bei
mir sein möchten. Nun, bis daß die Komposition und die Statuen beschlossene
Sache sind, und da ja die Kolossalstatue und die Basis bereits feststehen,
und da ferner die ganze Ausgabe dafür geleistet ist, und weil schließlich die
Gießform und das Metall in Ordnung sind, wird es gut sein, wenn der Kar-
dinal dem Frate den Auftrag zum Guß erteilen läßt; denn mir scheint, ich
sehe voraus, daß ihm irgend ein unglücklicher Zufall noch dieses Metall aus
den Händen reißt. Aber jetzt genug davon«.
J3) Vgl. den Schluß des Briefs an den Kardinal von Sta. Croce.
J4) Annibale Caro an M. Fulvio Orsino. Bottari Lettere pittoriche V. p. 279 ff.
Nr. XCIV.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
22
312
K onrad Escher:
Der Guß der Papststatue kann also erst im Herbst des Jahres 1551
vor sich gehen. Man denkt an acht Allegorien, trotz der reduzierten Archi-
tektur, ein Punkt, den sich Annibale Caro in diesem Briefe offenbar noch
nicht überlegt hat. Über ein historisches Relief wird noch disputiert; es
kann sich nur um die Ergänzung des Reliefschmucks der Bronzebasis handeln.
Bis gegen Ende des Jahres 1553 machte die Grabmalsangelegenheit erfreu-
liche Fortschritte; am 25. November dieses Jahres schrieb Annibale Caro
an den Kardinal Farnese^), es hätte zwar jemand versucht, die Ausgaben
für das Monument zu hintertreiben, und wäre mit immer neuen Vorwänden
dazwischengetreten, es sei aber dem Bischof von Pola, sobald er den wahren
Grund erkannt habe, gelungen, jene Künste zu vereiteln, und mit Ein-
willigung der Kardinäle Sta. Croce und Sta. Fiora habe man an Fra Gug-
lielmo della Porta die Bezahlung für die Statuen und an Giovanni Angelo
diejenige für das Architektonische entrichtet, nachdem Messer Curtio mit
ihm wegen des Preises dafür übereingekommen sei16). Fra Guglielmo habe
zudem eine Statue schon ziemlich fertig gemacht, welche die allgemeine
Bewunderung errege, weil er sie nicht, wie es die andern tun, zuerst abbozziert,
sondern die Glieder fertig aus dem Marmor herausarbeite, so daß man meinen
könnte, eine nackte Frau käme aus dem Schnee heraus. Bis jetzt seien
Carpi, Crispo und St. Angelo und viele andere Herren dort gewesen, um
sie zu besichtigen, und ohne Zweifel werde man innerhalb Jahresfrist mehr
als die Hälfte fertig sehen. Die bronzene Papststatue sei ganz fertig und
sehr schön. Den Platz für das Grabmal hätte der Kardinal von Sta. Croce
zusammen mit Michelangelo ausgesucht, nämlich die Kapelle des Königs
(von Frankreich)1?), zur linken Hand, wobei nach ihrem Plan dem Paulsgrab
gegenüber dasjenige eines anderen Papstes zu errichten sei. Der Bischof
von Pola habe die Arbeit wiederholt besichtigt und werde dem Adressaten
darüber Bericht erstatten.
Die Tatsache, daß sich von 155 1 ab Annibale Caro im Auftrag des
Kardinals Farnese in nachdrücklicher Weise der Sache angenommen, be-
stätigt Vasari18). Sein Bericht kann jedoch nicht gleichzeitig abgefaßt sein,
denn er trennt die Bestandteile, die vom Solisgrab übernommen wurden,
und diejenigen, welche neu hinzukamen, nicht. Die Bronzestatue sah er
*5) Vasari, ed. della Valle. X. p. 335. Note.
l6) Auch hier gebraucht Caro den Ausdruck quadro. Gemeint kann nur der vier-
eckige Steinwürfel sein, auf dem die Papststatue thronen soll.
x7) Gemeint ist der südliche Kreuzarm von St. Peter; dieser nimmt den Raum der
alten französischen oder Petronillakapelle ein; Ciampini sagt darüber: tota Ecclesia
B. Petronillae solo aequata, in nova Basilica inclusa fuit, fornicibusque pavimentum eiusdem
Basilicae sustinentibus concamerata, et Christifidelium sepulcris addicta. (Ciampini, De
sacris aedificiis p. 89. Nr. 162 und 163).
l8) ed. Milanesi VII. p. 546.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls Hl. im St. Peter in Rom.
3*3
schon vollendet und unter den ersten Bogen, welche die Tribuna von St. Peter
tragend), aufgerichtet. Nach Portas Zeichnung handelte es sich um ein
Freigrab, und zu diesem sollten vier Marmorfiguren kommen, schön aus -
gedacht »secondo che gli fu ordinato da messer Annibale Caro, che ebbe
di ciö la cura dal papa e dal cardinale Farnese«. Er macht namhaft die
Justitia, Prudentia, Abundantia und die Pax, und außerdem eine historische
Darstellung, rein aus Metall, und nach Anweisung des erwähnten Caro mit
zwei Flußgöttern, von denen der eine einen See, der andere einen Fluß dar-
stellte, die sich beide im farnesischen Staat befanden. Dazu kam noch
»un monte pieno di gigli con l’arco vergine« (Iris). Die historische Dar-
stellung ist wohl identisch mit derjenigen, von welcher Annibale Caro dem
Bischof von Pola berichtet, daß schon viel darüber diskutiert worden sei,
die Flußgötter dagegen sind eine neue, aber völlig zeitgemäße Zutat. Auf
Annibale Caros Rat hin war aber die Zahl der Allegorien auf die Hälfte
reduziert worden; dies wird in der langen Zwischenzeit der Jahre 1552 und
1553 stattgefunden haben, denn wenn Caro am 25. November 1553 na den
Kardinal Farnese schreibt, Fra Guglielmo habe eine der Siegesstatuen fast
vollendet, und innerhalb Jahresfrist werde mehr als die Hälfte fertig sein,
so ist dies nur bei einer beschränkten Zahl von Figuren möglich, um so mehr
als ja der Schreiber des Briefes ausdrücklich bemerkt, der Künstler mache
keinen Abbozzo, sondern er hole die Statuen fertig aus dem Blocke heraus.
Wenn er aber früher bemerkte, die Marmorblöcke für Statuen und Termini
seien abbozziert, so läßt sich der Widerspruch zwischen beiden Aussagen
nur so lösen, daß die Blöcke ungefähr im nötigen Umfang behauen waren,
also doch ein ganz rudimentärer Abbozzo bestand, denn in einem Brief des
Jahres 1554 (s. u.) berichtet Caro sodann, die zweite Statue sei abbozziert,
die Blöcke für die zwei andern in die Werkstätte geschafft; Guglielmo machte
also, wie es übrigens unerläßlich notwendig ist, einen Abbozzo für seine
Statuen, nur führte er ihn nicht so weit aus, wie es die anderen Künstler
taten, sondern ging von einer gewissen rudimentären Stufe sogleich zur
Ausführung aller Details über.
Der erwähnte Brief des Jahres 15542°), datiert vom 6. April und
wieder an den Bischof von Pola gerichtet, beschreibt ein vorgeschrittenes
Stadium der Angelegenheit. Die erste Statue ist fast vollendet, die zweite
abbozziert, die Blöcke für die dritte und vierte sind in die Werkstätte ge-
schafft, und das große Viereck, d. h; das Postament mit Sockel wird mit
solchem Eifer fortgeführt, wie damals, als der Adressat abreiste. Die bunten
Steinsorten werden zersägt »con furia« und innerhalb zwei oder drei Mo-
*9) Gemeint sind damit die südlichen Gurtbogen.
,0) Vasari, ed. della Valle. X. p. 336. Note.
22*
3i4
Konrad Eschcr:
naten muß man soweit sein, die Fundamente zu legen. Bald hernach wird
Vasari das Werk gesehen haben: die Papststatue ist aufgestellt, die Liege-
statuen und die Bronzebasis aber noch nicht; er schließt seinen Bericht
über das Grabmal mit der Bemerkung: »ma il tutto non fu poi messo in
Opera per le cagioni che si son dette nella Vita di Michelangelo«21). Damit
stimmt auch der Schluß von Annibale Caros Brief von 1554 überein. Man
hofft, innerhalb zwei oder drei Monaten die Fundamente für das Grabmal
legen zu können und unterdessen Zeit zu gewinnen, die neuen Schwierig-
keiten zu besiegen, die Michelangelo, der widerwärtige Störefried, voraus-
sichtlich bereite. Der Adressat habe gut getan, die Hoffnungen Fra Gug-
lielmos zu bestärken, damit er »sein Rößlein antreibe«.
Michelangelo suchte mit allen Mitteln das Zustandekommen des Frei-
grabes zu verhindern, offenbar weil er es als Hindernis und Raumstörung
betrachtete. Im Jahre 1553 hatte er mit dem Kardinal von Sta. Croce den
Platz ausgemacht; es handelte sich um die Nische des südöstlichen Kuppel-
pfeilers, in der heute der heil. Andreas des Duquesnoy steht; denn der Brief
besagt: in der Kapelle des Königs, beim Eingang zur 1. Hand, wo dann gegen-
über ein anderes Grabmal errichtet werden sollte (s. u.). Vasari sah die
Paulsstatue »unter deh ersten Bogen, welche die Kuppel tragen«, auf ge-
stellt, also offenbar frei. Daß nun Fra Guglielmo und mit ihm die Kom-
mission nicht vom Freigrab mit den vier allegorischen Liegestatuen abzu-
bringen waren, verursachte Michelangelos Erbitterung. Vasari gibt aber
die Schuld natürlich dem Guglielmo della Porta (s. o.).
Solange Michelangelo lebte, und bis Vasari seine Viten vollendet hatte,
blieb die Sache liegen. Wann sie aber wieder in Fluß kam, ist gegenwärtig
in Ermangelung der nötigen Dokumente nicht genau festzustellen. Ciam-
pini22), der am Ende des 17. Jahrhunderts seine Beschreibung der mittel-
alterlichen Denkmäler Roms verfertigte, erwähnt ein vollendetes Grabmal
für Paul III, bei Anlaß der Wand, die der genannte Papst hatte errichten
lassen, bis die Fassade der Peterskirche vollendet wäre. Sie fiel erst 1615,
als Madernas Langhaus fertig war. »Kehren wir zu der oben erwähnten
großen Wand zurück, die von Paul III. gebaut wurde und in der in einem
primitiven seitlichen Grab der Leichnam dieses Pontifex so lange lag, bis auf
Veranlassung und aus den Mitteln des Kardinals Alexander Farnese, Bischofs
von Ostia, der heil, römischen Kirche Kardinal und Vizecancellarius und
der Vatikanischen Basilika Archipresbyter und Nepoten des Papstes, ein
herrliches Grabmal mit einem Schmuck von bronzenen und marmornen
Statuen gebaut war, das heute in der Tribüne der Basilika, auf der Evan-
gelienseite des Altars, der sich unter der Kathedra befindet, zu sehen ist«.
2I) ed. Milanesi VII. p. 548.
M) de sacris aedificiis p. 63
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom.
315
In Vasaris Werk konnte das vollendete Grabmal nicht mehr aufge-
nommen werden; daß der Ausbau wirklich stattfand, dafür ist Jacomo
Grimaldi33) Gewährsmann, dessen Sammelwerke für die römische Kunst-
geschichte unschätzbaren Wert besitzen. Seit 1581 in Rom ansässig, stieg
er unter Paul V. bis zur Würde des Archivars des Vatikans empor, und
schloß seine Sammelwerke um 1620 ab. Somit sah er noch vieles und konnte
vieles wenigstens im Bilde festhalten, womit noch zu seinen Lebzeiten und
später mehr oder minder gründlich aufgeräumt wurde. Ihm verdankt die
Wissenschaft die Kenntnis der weiteren Geschichte des Paulsgrabes, die im
Codex Vatic. Barber. lat. 2733 aufgezeichnet ist.24)
»Dieses herrliche Grabmal wurde vor der Gregorianischen Kapelle
mitten im Kirchenschiff, auf allen Seiten isoliert, aufgestellt, und zwar auf
einem großen Sockel, und die Marmorstatuen wurden unterhalb der Kolossal-
statue Pauls je zwei vorn und je zwei hinten placiert; da das Grabmal aber
in der Kirche ein Hindernis bedeutete, so wurde man anderer Meinung und
stellte es am gegenwärtigen Orte auf.«
Als Freigrab wurde es also trotzdem später noch errichtet, nur suchte
man ihm einen andern Platz aus, in der Meinung, es sei dort weniger hinder-
lich als zwischen zwei Kuppelpfeilern. Zu Füßen des Papstes wurden, ohne
Sarkophage, die Allegorien angebracht, wobei natürlich wegen der Vierzahl
ein unangenehmer Zwiespalt unvermeidlich war.
»Pauls III. Leichnam war in einem seitlichen Grabmal hinter der
Orgel bestattet worden, wurde aber unter Gregor XIII. in ein prachtvolles
Mausoleum übertragen.« Stand nun das Monument zur Zeit der Überführung
der Leiche noch vor der Gregorianischen Kapelle oder war es schon an den
neuen Ort versetzt worden? Es ist das letztere anzunehmen, denn die un-
mittelbar an jene Notiz Grimaldis anschließende Beschreibung des Grab-
mals erwähnt es bereits am neuen Orte; daß es einmal vor der Gregoriani-
schen Kapelle gestanden, erwähnt Grimaldi erst ganz am Schluß seiner
Ausführungen, gleich als ob er sich erst nachträglich daran erinnerte und
die Tatsache erst durch nachträgliche Mitteilung anderer erfahren hätte.
Während oder vor Gregors XIII. Regierung wurde also das Monument
zum erstenmal vollständig zusammengesetzt und vor der Gregorianischen
J3) H. Grisar, Die alte Peterskirche zu Rom. Römische Quartalschrift IX. p. 266 ff.
Recherches sur l’ceuvre arch^ologique de Jacques Grimaldi, ancien archiviste de la Basi-
lique du Vatican, par Eugene Muentz. Bibliotheque des 6coles frangaises d’Athenes e de
Rome; fase. 1. 1877. P- 225 ff. Publiz. als Analecta zu »fitude sur le liber pontificalis«
par M. l’abbe L. Duchesne.
*4) Der Verfasser, der leider den Kodex selbst zu konsultieren nicht Gelegenheit
fand, verdankt die Abschrift der betreffenden Stelle Herrn Dr. Kreplin, Volontär-
assistenten am preußischen historischen Institut in Rom und die Kollationierung der-
selben Herrn Prof. Dr. C. Schellhass in Rom.
316
Konrad Escher:
Kapelle aufgestellt, dann aber »in loculamento apsidiato magnae parastatae
summae Tholi e regione Maioris altaris«, in einer runden Nische eines der
großen Kuppelpfeiler außerhalb des Gebietes des Hochaltars, d. h. in seinem
Umkreis, aufgerichtet. Somit hat sich die Notiz Ciampinis, der Leichnam
Pauls III. sei erst bei der Niederlegung jener Abschlußwand, also 1615, in
das Grabmal übertragen worden, als unrichtig erwiesen, ebenso die Ansicht,
er sei in das heutige Grabmal übertragen worden. Dagegen erteilt er genauen
Aufschluß darüber, in welchen der vier Kuppelpfeiler das Grabmal zu stehen
kam25), nämlich in den südöstlichen, und zwar in die Nische, welche heute,
wie oben gesagt wurde, der heil. Andreas des Duquesnoy füllt. »Inter hoc
et supra memoratum Altäre Sti Martialis, ubi nunc una ex magnis quatuor
parastatis est, quae tholum sustentant, prima videlicet, quae ad sinistrum
latus ingredientibus occurrit, in absidula, seu loculamento in quo ad praesens
est simulacrum S. Andreae, inibi eximium marmoreum, deauratumque
erat sepulcrum, cujus locum numerus 53 26) indicat, cum Statua aenea
Pauli III. Pont. Max. quod postea Urbani VIII. jussu ad absidem majorem,
idemque sinistrum latus, ut modo visitur, translatum fuit.« Die erwähnte
Nummer 53 bezeichnet nun auf dem von Ciampini beigegebenen Übersichts-
plan der alten Basilika mit den Umrissen des neuen Zentralbaus genau die
Stelle der Andreasnische. Diese hatte auch Michelangelo für das reduzierte
Grabmal vorgesehen, und für dasjenige Julius’ III. war demnach die Vero-
nika-Nische bestimmt.
Die abermalige Versetzung des Paulsgrabes fand im Jahre 1628, also
einige Jahre nach Grimaldis Tod (1623) statt; wenn er also das Monument
in der Nische des südöstlichen Kuppelpfeilers beschreibt, so beruhen seine
Aussagen auf Autopsie, und dem entspricht auch die Ausführlichkeit der
Schilderung2?). Kardinal Alexander Farnese, der Nepot Pauls III. und
Archipresbyter von St. Peter trug die Sorge und die Kosten dafür. Fünf
herrliche Statuen bilden den Schmuck, vier davon sind aus Marmor und
zwei stellen Kardinaltugenden dar. Die Klugheit allein ist alt aufgefaßt,
mit einem Spiegel und einem Buch, auf dem man den Namen des Bildhauers:
Gulielmus della Porta Mediolanensis faciebat, lesen kann. Die drei übrigen
sind alle junge Frauen, und die Gerechtigkeit ist ganz nackt mit den Kon-
sularfaszen, eine symbolische Ermahnung an die Richter, sie sollten nur
an das Recht, das sie zu sprechen hätten, denken, und von Leidenschaft
frei sein. Aber da sich dies für einen heiligen Ort sehr profan ausnahm,
befahl Clemens VIII. bei einem Besuch in der Peterskirche, Brust und
Unterleib der Statue mit einer metallenen Verhüllung zu decken. Die Statue
25) op. cit. p. 662. Nr. 53.
l6) Auf dem Plan von St. Peter, ib. Taf. VII.
*7) op. cit. fol. 341V
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom,
317
Pauls III., welche auch der Koloß genannt werden könnte, sitzt, mit dem
päpstlichen Mantel bekleidet, und mit entblößtem Haupt zu oberst auf dem
Grabmal und ist ganz aus Erz. Das marmorn^ Grabmal selbst besteht aus
verschiedenartigen Steinen. Ganz in der Art der Plattform eines großen
Grabmals wird es ringsum durch Gesimse, Stufen, historische Darstellungen
in Flachrelief, eherne Statuen von kleinen Engeln oder Knaben geschmückt,
und unten liegen die Figuren von Gerechtigkeit und Klugheit ausgestreckt.
Unmittelbar28) zu Füßen der Papstfigur befindet sich ein großer schwarzer
Stein mit der Namensinschrift in goldenen Buchstaben. Unter der Statue
liegt der Leichnam (im Monument drin) in einem großen länglichen, gut
erhaltenen Sarkophag aus schwarzem lydischem Marmor bestattet, der im
Jahre 1544 gefunden wurde, und zwar, wie Alpharanus versichert, mit dem
Leichnam der Kaiserin Maria, der Gattin des Honorius29). Der Sarkophag,'
nicht viel über menschliche Größe, stand in einem andern von 14 Palmen
drin, und damals soll Paul III. von dem herrlichen Sarkophag gesagt haben:
»Er wird einmal zur Aufnahme unseres Leichnams dienen.« Als Nachtrag
erwähnt Grimaldi3°) noch die vier historischen Darstellungen in Bronze-
relief, deren Wahl auf Fulvius Ursinus oder Annibale Caro zurückgehen
mögen. Die Rundung und Wölbung der Nische, in der das Grabmal steht,
sind mit vergoldeten Stuckfiguren und den Einhörnern, dem Wahrzeichen
der farnesischen Familie geschmückt, und am Scheitel befinden sich die
Wappen Pauls III. aus Marmor und mit Inkrustationen — et aliae due
statuae stratae sedentes supradictae. Wie ist diese Stelle zu deuten? Am
Rande links von fol. 34 iv, wo die Beschreibung des Ganzen beginnt, be-
merkt Grimaldi, wohl als Nachtrag: »Von diesen vier Marmorstatuen da,
befinden sich zwei unten, nämlich Gerechtigkeit und Klugheit, zwei oben,
Liebe und Überfluß. Liebe und Klugheit sind als alte Frauen 3* *), Gerechtig-
keit und Überfluß jung und sehr schön dargestellt. Die Justitia hält die
fasces consulares, die Abundantia trägt das Füllhorn und den Ährenkranz.«
Man wird diese Stelle nur so deuten können, daß sich die beiden ersteren
Allegorien fast zu ebener Erde, die beiden andern etwas höher auf einem
Sockel befunden haben, aberallevierander Fronte, denn eine
rückwärtige Aufstellung war bei einem Nischengrab selbstredend ausge-
schlossen. Befriedigend konnte die Komposition keinesfalls gewirkt haben,
*8) fol. 3421-.
*9) Von Grimaldi wird auf fol. 56 verwiesen.
3°) fol. 469 und 470.
31) Auffallend ist der Widerspruch in der Beschreibung der Statuen. Im Text
werden drei junge und eine alte Frau genannt, in der Randbemerkung zwei junge und
zwei alte. Diese Randbemerkung ist aber Nachtrag und in Bezug auf die Gestalt der
Allegorien vielleicht eine Korrektur, eine Frage, die sich durch Autopsie entscheiden läßt.
Konrad Escher:
318
denn alle Teile, die für ein Freigrab berechnet waren, mußten sich der Auf-
stellung in einer Nische anbequemen. Zwei der Liegefiguren wurden über-
flüssig, und von den viel gepriesenen Reliefs der »Basis« war eines überhaupt
nicht mehr, zwei andere nur noch mit Mühe zu sehen. Es liegt daher nahe
zu glauben, Grimaldi habe das Grabmal noch als Freibau gesehen, wo er
alle Einzelheiten bequem studieren konnte. Dann müßte die Versetzung
in die Pfeilernische und die Translation in den letzten Regierungsjahren
Gregors XIII. stattgefunden haben, nämlich zwischen 1581, in welchem
Jahre Grimaldi in Rom eintrifft und 1585, dem Todesjahr des Papstes; nur
kraft persönlicher Erlaubnis desselben hatte die Exhumation und Trans-
lation der Leiche Pauls III. stattfinden dürfen. Nachdem der Sarkophag
im neuen Monument beigesetzt war, erhielt er einen neuen Verschluß durch
eine weiße Marmorplatte, und darauf wurde dann der eherne Koloß gesetzt.
Der letzte Ortswechsel, den Urban VIII. veranlaßte, bedeutete eine
höchst bedauerliche Reduktion und Verstümmelung; so verschwand die
Bronzebasis mit den Reliefdarstellungen, verschwanden auch zwei der
Bronzeputti. Am wenigsten vermißt man dagegen die zwei Statuen der
Caritas und Abundantia. Das Monument präsentiert sich rein reliefmäßig.
Auf dem Sockel lagern zu beiden Seiten einer Art Kartusche, auf Voluten,
Justitia und Prudentia, ohne die ursprünglich dazu gedachten Sarkophage
kaum verständlich. Vom obern Teil ist außer den zwei Putti auf den Eck-
voluten nur die Inschrifttafel geblieben, die Steinbasis für, die Papststatue
erweckt den Eindruck des notdürftig Zusammengebauten. So wie sich das
Grabmal Pauls III. heute präsentiert, ist es das unbefriedigende Produkt
eines langen Prozesses und darf daher in der Entwicklungsreihe der Papst-
gräber nicht als vollgültiger Faktor angesehen werden. Aber es bedeutete
einmal das letzte Freigrab der römischen Kunst; in den ersten Stadien
vereinigte es, unter den Auspizien Michelangelos, Motive und Gedanken der
Grabmäler Julius' II. und der Medizäer — ob mit Glück, bleibt fraglich.
Um sich aber einen Begriff davon zu machen, wie sich der obere Auf-
bau mit seinem reichen Reliefschmuck gestaltet haben möchte, heißt es
außeritalienische Monumente konsultieren. Ideen, von wandernden Künst-
lern in Länder getragen, die von fremden Einströmungen leben, erhalten
sich dort oft besser als in der Heimat, wo rasch eine Mode die andere ablöst.
Man mag in unserem Falle an das Monument König Ferdinands und Isa-
bellas, von Fancelli und Ordonoz in der königl. Kapelle zu Granada denken,
ebenso an das Philipps des Schönen und Juanas, welche alle den Gedanken
des Grabmals Sixtus’ IV. ins Monumentale übertragen zeigen32).
3») Burger, Geschichte des florentinischen Grabmals Abb. 161 und C. Justi, Mis-
cellaneen aus drei Jahrhunderten spanischen Kunstlebens. I. Kap. IV: Bartolome Ordofiez
und die Königsgräber zu Granada.
Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom.
319
Zusammenfassung. Der Hergang der Geschichte des Pauls-
grabes war also folgender:
1. Periode. 1550 bis I. Hälfte 1551. Fra Guglielmo della
Porta erhält von Kardinal Alessandro Farnese den Auftrag für das Grab-
mal; er berät mit Michelangelo den Entwurf, und fertigt, im Laufe des
Jahres 1550 ein Modell an, von welchem Annibale Caro eine Kopie an den
Kardinal von Sta. Croce schickt. Das Modell, für ein Freigrab berechnet,
sah einen großen Steinblock mit einer Grabkammer für den Sarkophag,
außen zwei bronzene Kenotaphe, vier allegorische Marmorfiguren, vier Eck-
statuen und Kartuschen, acht Termini vor. Dazu kam als oberer Abschluß
nach dem Wunsch Pauls III. eine relifierte Bronzebasis, die Guglielmo
schon früher für das Grabmal des Bischofs de Solis gefertigt hatte,
und die bronzene Kolossalstatue des Papstes. Porta wünschte das
Grabmal frei aufzustellen, wohl unter der südlichen Quertonne von
St. Peter. Michelangelo sieht darin ein Hindernis für den freien Ver-
kehr in der Kirche und verlangt Aufstellung in einer Nische. Diese
Differenzen ziehen sich durch die folgenden Jahre hindurch. Gleich-
zeitig mit Porta hatte ein Anonymus einen Entwurf gefertigt, der
keine Termini, aber dem Wunsche Pauls III. gemäß acht Allegorien
zeigte. Man ist noch über einzelne Punkte unschlüssig. Den Aufschluß
über den ganzen Hergang gibt nebst den kurzen und erst später nieder-
geschriebenen Nachrichten Vasaris der Brief des Annibale Caro an den
Kardinal von Sta. Croce.
2. Periode. 1. Hälfte bis 5. August 1551. Die Sache ist
im Gang, aber noch sind nicht alle Schwierigkeiten gehoben. Angeschafft
sind die 16 Marmorblöcke für acht Termini und acht Allegorien (deren Aus-
wahl aber noch nicht feststeht), die Bronze für die Papstfigur, deren Modell
fertig ist, der bunte Marmor für die architektonischen Teile. Guglielmo hat
sein Modell entweder ausgebaut oder verbessert, muß aber doch noch ver-
schiedene Aussetzungen anhören, ja die definitive Gestaltung der archi-
tektonischen Teile steht noch nicht fest. Die acht Allegorien waren so ver-
teilt, daß je zwei derselben, mit den beiden Sarkophagen an den Längs-
seiten, je zwei mit einer Kartusche an den beiden Fronten, alle als Liege-
figuren komponiert werden sollten. — Gleichzeitig hat Paciotto ein Modell
mit nur vier Allegorien gemacht; die Fronten erhalten vergitterte Eingänge
zur Grabkapelle, die den Sarkophag enthält. Michelangelo tritt wieder
dazwischen und stört den Gang der Angelegenheit, indem er das ganze
Grabmal auf Postament und Statue reduziert und in die Andreasnische,
d. h. die Nische des südöstlichen Kuppelpfeilers gesetzt haben will. Auch
Annibale Caro macht während dieser Pause im Gang der Arbeit einen. Re-
duktionsvorschlag, möchte aber doch die acht Allegorien beibehalten und
320
Konrad Escher: Zur Geschichte des Grabmals Pauls III. im St. Peter in Rom.
nur die Auswahl etwas ändern. Gleichzeitig diskutiert man noch über ein
Relief mit historischer Darstellung.
3. Periode. 5. August 1551 bis 25. November 1553-
Wahrscheinlich begann noch im Herbst 1551 der Guß der Statue Pauls III.,
die dann unter dem Bogen aufgestellt wurde, der das südliche Kuppel-
pfeilerpaar miteinander verbindet. Bezahlungen werden an Fra Guglielmo
für das Figürliche, an Giovanni Angelo für die architektonischen Teile ent-
richtet. Eine Allegorie (die Justitia?) ist in der Vollendung ziemlich weit
vorgeschritten; im übrigen ist jetzt die Zahl der Liegefiguren endgültig auf
vier reduziert. Michelangelo scheint mit seiner Ansicht zu siegen; denn
er bestimmt den Kardinal von Sta. Croce dazu, das Grabmal dereinst in der
Andreasnische aufstellen zu lassen. Dies bedingte den Wechsel von einem
Freigrab zu einem Nischengrab, und darauf wird die Reduktion der Zahl
der Liegefiguren auf die Hälfte zurückzuführen sein. Zu den an der Bronze-
basis schon vorhandenen historischen Darstellungen soll noch eine weitere
kommen nebst zwei Flußgöttern.
4. Periode. 25. November 1553 bis 6. April 1554. Das
Material für die architektonischen Teile wird bearbeitet, auch die Arbeit
an den Liegestatuen macht Fortschritte, so daß man hofft, innerhalb ganz
weniger Monate, also etwa bis Juni oder Juli 15 54, die Fundamente legen
und zugleich die neuen Quertreibereien Michelangelos beschwichtigenzu können.
5. Periode. 1554 bis 1581. Das Grabmal wird vollendet,
aber der Zeitpunkt ist nicht bekannt. Am Ende dieser Periode stand es
(ob von Arifang an?) als Freigrab vor der Gregorianischen Kapelle. Zu
Füßen der Papstfigur lagern am Postament die vier Allegorien und zwar
je zwei an der Vorder- und je zwei an der Rückseite.
6. Periode. I58ibisi58 5. Der Leichnam Pauls III. wird samt
seinem Sarkophag aus der provisorischen Bestattungsstelle in das neue
Monument übertragen, kraft eines päpstlichen, von Gregor XIII. ausge-
stellten Dispenses. Vielleicht war das Grabmal etwas vorher in die Andreas-
nische im südöstlichen Kuppelpfeiler übertragen worden, weil es als Freigrab
nur hinderlich war. Die Aufstellung in der Nische bedingt eine Anordnung
der Allegorien übereinander. Dazu gehören noch vier bekrönende Eck-
figuren, die relifierte Bronzebasis, ohne das geplante Relief nebst den Fluß-
göttern, welches alles nie zur Ausführung kam, und die bronzene Kolossal-
statue Pauls III.
7. Periode. 1585 bis 1628. Das Monument bleibt in der be-
sagten Nische. Im Jahre 1628 läßt es Urban VIII. in die linke Nische der
Chortribuna von St. Peter übertragen. Dabei werden Abundantia und
Pax, die Bronzebasis und zwei Eckfiguren entfernt.
Die vierte Lieferung der Vasari Society für die
Reproduktion von Zeichnungen alter Meister.
Von A. von Beckerath.
Diese Lieferung ist vorzüglich gelungen, die beste der bisher erschienenen,
sowohl wegen des reichen Inhalts als wegen der Reproduktionen selber, die
wenig zu wünschen übrig lassen und sich den musterhaften Reproduktionen
der Oxforder Zeichnungen nähern.
Wenn ich den billigen Preis dieser Veröffentlichung hinzunehme,
i Guinee = M. 21,50 für 35 alte Zeichnungen mit sachgemässen Beschrei-
bungen und kunsthistorischen Erklärungen erster Autoritäten, so sehe ich
darin einen großen Schritt vorwärts, für das Studium und für die Popu-
larisierung der Zeichnungen alter Meister.
Die verschiedenen Hauptschulen sind vertreten.
Ich hebe hervor:
Zwei bedeutende Zeichnungen von van Dyck.
Eine pikante Studie von Rubens.
Das aparte Blatt der niederländischen Schule um 1530, einen
Contre-Tanz darstellend.
Das ausgeführte, signierte und datierte Knabenporträt von J. G. Cuy p.
Die zwei Zeichnungen monogrammiert HB, sind ganz in der Art Lucas
Cranach's, der h. Petrus kommt fast tale quäle, nur kleiner und anders aqua-
relliert, in einer Zeichnung des Berliner Kupferstichkabinetts, wieder.
Die zwei bedeutenden, Burgkmai r zugeschriebenen Zeichnungen
kommen mir nicht so zweifellos für diesen Meister vor wie Herrn Campbell
Dodgson.
Die treffliche Zeichnung Fra Bartolommeos, Kopf eines kleinen
Kindes, und die zwei flüchtigen, wie aus dem Handgelenk gezeichneten Studien
Filippinos zu einer Pietä, die äußerst charakteristisch für diesen großen
Künstler sind, für seine Leichtigkeit im Schaffen, für seine regsame Phantasie.
Diese drei Zeichnungen im Besitz von Herrn Charles Loeser in Florenz.
Die bekannte prachtvolle Zeichnung von Ercole Grandi und die
im Jahrbuch der Preußischen Sammlungen publizierte Santa conversazione
von Carpaccio.
322
A. v. Beckerath:
Beide im Besitz von Herrn Gathorne Hardy in London.
Zu ausführlicheren Erörterungen veranlassen mich die folgenden Blätter:
Nr. 8. Ve n e t i an i s ch e Schule.
Bildnis eines Mannes, der Dürer gleicht. Originalgröße 39/9X31/3.
Schwarze Kreidezeichnung in der Reproduktion reduziert. Sidney Colvin
weiß den Autor dieser Zeichnung nicht zu bestimmen. »Obgleich sicher ein
Werk der venetianischen Schule um 1500 — 1510, liegt die Schwierigkeit darin,
daß der Dargestellte, außer seiner Kleidung, nichts Venetianisches an sich hat.
Es wird schwer, wenn nicht unmöglich sein, die Art, wie er Haare und Bart
trägt, in irgendeinem venetianischen Bildnis der Zeit wiederzufinden;
dagegen ist sie charakteristisch deutsch, sogar spezifisch charakteristisch für
A. Dürer selber, in der Zeit seines zweiten Aufenthalts in Venedig 1506
bis 1507.«
»Ebenso wird man bei fernerem Studium Ähnlichkeit mit Dürer finden
in Form und Ausdruck der Augen, in den Augenbrauen, im Kontur der
Wange. Wenn die Nase weniger zu einer römischen Krümmung geneigt
erscheint als die seine, so ist gerade diese Stelle der Zeichnung verletzt, so
daß man die Form nicht genau erkennen kann.«
»Im ganzen wird man kaum der interessanten Folgerung widerstehen
können, daß wir hier möglicherweise ein Porträt Dürers in venetianischer
Kleidung vor uns haben, welches von einem seiner italienischen Freunde
(unbestimmt von welchem) um 1506 — 1507 gemacht worden ist.«
Soweit Herr Colvin.
Ich kann der Vermutung Herrn Colvins nicht zustimmen und will an
Hand der authentischen Selbstbildnisse Dürers beweisen, daß sie nicht zu-
treffend sein kann.
Das stattliche Selbstporträt in München wird von der neueren Forschung
(Wölfflin, Justi) für falsch signiert und für falsch datiert gehalten und in die
Epoche 1506 — 1507 gestellt.
Und gewiß mit Recht.
Ich beziehe mich auf das, was Wölfflin in seinem Dürerbuch S. 136
darüber geschrieben hat:
Wölfflin meint : »obgleich dies Bild unsere Vorstellung von Dürer
durchaus beherrscht, habe man immer gefunden, daß dem Kopfe im Vergleich
mit älteren Selbstporträts das individuelle Gepräge fehle. Er malte sich nicht
wie er war, sondern wie er sein wollte. Die großen Augen hat er nicht gehabt,
die seinigen waren klein geschlitzt, sie lagen flach, die Brauen gingen in hohen
Bogen darüber hin. Hier ist alles im Sinn des Bedeutenden umgeändert.«
Es wird dabei wohl hauptsächlich auf den Vergleich mit dem Selbst-
porträt von 1498 in Madrid exemplifiziert und dasselbe als Normalbild
in Bezug auf Ähnlichkeit hingestellt, was ja richtig sein wird.
Die vierte Lieferung der Vasari Society usw.
323
Aber dem Vorwurf, daß Dürer im Münchener Selbstbildnis sich gemalt
habe, wie er sein wollte und nicht wie er war, möchte ich doch nicht zu-
stimmen.
Die Verschiedenheit des Eindrucks liegt in der Verschiedenheit der Dar-
stellung.
Wölfflin sagt weiter: »Und nun wirkt sehr stark die Einstellung des
Kopfes in die reine Vertikale, mit reiner Frontansicht.«
Vergleiche ich mit dem Selbstbildnis in Erlangen, so finde ich die großen
Augen, dieselben Brauen im Münchener Bilde und ganz verschieden von dem
Madrider Selbstbildnis.
Der Unterschied kommt daher, daß man in den beiden ersteren Bildern
die weit geöffneten Augen des Dargestellten unmittelbar vor sich hat und von
ihnen intensiv fixiert wird.
Alle Selbstbildnisse Dürers (auch das kleine in der Albertina) haben
die Nase mit leicht gebogenem Rücken und etwas aufgerichteter Spitze,
kurze Nasenflügel (bei dem Münchener Bild ist das wegen der reinen Front-
ansicht weniger sichtbar), starke Säcke unter den Augen, das Kinn etwas
zurücktretend, den Mund mit schön geschwungener Oberlippe und fleischiger
Unterlippe.
Schon die länglich ovale Form des Gesichts von Dürer weicht wesentlich
von der des obigen venetianischen Porträts äb, ebenso Form und Ausdruck der
Augen. Bei Dürer sinnend und gedankenvoll, sind sie bei dem Venetianer
feurig, listig, klug. Wenn die Form der Nase des letzteren in der Zeichnung ver-
rieben ist, so läßt sich doch erkennen, daß der Nasenrücken gerade ist, die
Nasenflügel gehen unten breit auseinander, die Lippen sind auffallend dünn
und fest geschlossen. Wie anders ist der schöne Mund Dürers!
Da das Münchener Porträt uns zeigt, wie Dürer in Venedig 1506 — 1507
Haar und Bart getragen hat, so brauche ich darauf im Vergleich mit dem
venetianischen Porträt nicht weiter einzugehen.
Ist nun auf diesem Porträt Dürer nicht dargestellt, so ist nicht daran
zu zweifeln, daß der Porträtierte Venetianer ist, denn er trägt venetianische
Amtstracht, und seine Haar- und Barttracht spricht durchaus nicht dagegen,
daß er Italiener ist.
Zur Zeit der großen Ausstellung italienischer Zeichnungen im Print
Room im British Museum vor 10 — 15 Jahren glaubte ich als Autor des resp.
Bildnisses Marco Marziale bestimmen zu können und zwar hauptsächlich
nach Konfrontation mit dem Bilde dieses Malers in der Nationalgalerie
Nr. 804, das signiert und 1507 datiert ist »Thronende Madonna mit Heiligen«.
Diese Attribution kommt mir auch heute beim Vergleiche mit der
großen Braunschen Photographie des resp. Bildes plausibel vor. Haar- und
Barttracht der Heiligen stimmen mit der des gezeichneten Bildnisses überein.
324
A. v. Beckerath:
Besonders Johannes der Täufer hat dieselbe Nase mit ausgebreiteten Flügeln,
dieselben Lippen, denselben Typus.
Wie das großartige Selbstbildnis in München unsere Vorstellung von
Dürer beherrscht, uns durch seine geistige Bedeutendheit erfreut und erhebt,
so geben uns die Darstellungen in ganzer Figur, unter dem Hellerschen Altar-
bild und im Dreifaltigkeitsbild den vorteilhaftesten Eindruck seiner äußer-
lichen Totalerscheinung.
Daß der Künstler sich seiner vorteilhaften äußeren Erscheinung bewußt
war, zeigt der Wert, den er auf seine Kleidung in den Selbstbildnissen legt.
Zudem drückt er seine Freude über seine schmucke Erscheinung »in
welschem Rock und französischem Mantel« in einem Briefe an Pirkheimer
aus Venedig aus.
Nr. 9. Bartolommeo Montagna.
Der hl. Sebastian. Federzeichnung.
Kräftig, aber noch unfein, wohl aus frühester Zeit.
Cavalcaselle notiert als frühestes Bild des Künstlers, um 1487, die
Madonna zwischen dem hl. Sebastian und dem hl. Rocco zu Bergamo.
Hier ist die Körperbildung der Heiligen schon feiner, die Haartracht
ist wie auf der Zeichnung, das Gesicht des hl. Rocco gleicht dem hl. Sebastian
auf derselben.
Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt die Zeichnung eines hl. Sebastian
von Montagna aus späterer Zeit, um Anfang des Cinquecento, Studie zu
dem Bilde aus San Bartolommeo »Madonna mit vielen Heiligen«, jetzt in
der Galerie von Vicenza.
Hier ist die Körperbildung der Heiligen viel vollkommener als auf
obiger Zeichnung dargestellt.
Nr. 6. Giovanni Bellin i.
Ein stehender, lesender Heiliger.
Federzeichnung.
Sidney Colvin schreibt:
»Meisterwerk eines venetianischen Künstlers unter dem Einfluß Man-
tegnas um 1460 — 1470. Authentische Zeichnungen Giovanni Bellinis sind
kaum zu finden, aber diese Zeichnung ist so ganz im Charakter seines frühen
religiösen Werks, in Würde und Haltung, in Intensivität des Gefühls, in Wurf
und Zeichnung der Gewandung, im Typus des Kopfs und der Hände, daß sie
ihm mit genügender Zuverlässigkeit zugeschrieben werden kann.«
Ich gestehe, daß diese vorzügliche Zeichnung mich lebhaft interessiert
hat und um so lebhafter, als ich sie noch nicht kannte und mir ihr Autor
unbekannt ist.
Ich will sie in meinem Sinn beschreiben: Das Standbein des Heiligen
ist das wenig akzentuierte linke Bein, das Spielbein ist dem Standbein sehr
Die vierte Lieferung der Vasari Society usw.
325
nahe, der Zwischenraum zwischen beiden Knien ist gering. Um dem dadurch
entstehenden wenig festen Stand der Figur Gegengewicht zu geben, dreht
sich der Oberkörper nach rechts, die rechte Hand hält das Buch, die linke
berührt dasselbe kaum.
Die Figur macht gewissermaßen eine schraubenartige Bewegung, die
mehr oder weniger kompliziert und künstlich ist und vor allem an Mantegna
erinnert, z. B. an Johannes den Täufer, im Altarbild in S. Zeno in Verona
(in umgekehrter Stellung) jedenfalls nicht an Giovanni Bellini, der in dem
stehenden Heiligen seiner Frühzeit bis etwa 1475 immer einfach und natürlich
bleibt, aber voll Empfindung ist.
Die frühen Bilder Giovannis, die in Frage kommen können, sind:
Die Verklärung in Museo Correr in Venedig.
Die Verklärung in Neapel.
Das Bild in Pesaro.
Das schöne Bild »Christus "m Ölberg« in London, weil die Figuren des-
selben nicht stehen, sondern knien oder liegen, scheidet aus.
Der hl. Georg auf der Säule in einer Predelle des Bildes in Pesaro ist
vielleicht die komplizierteste Figur dieser Frühwerke, sie hat etwas Floren-
tinisches, das an Donatello erinnert, sie steht aber natürlich und fest, ganz
anders wie der gezeichnete Heilige.
Und nun die Gewandung bei letzterem: sie ist höchst absonderlich
und kompliziert. Die Figur ist nicht wie die Figuren Giovanni Bellinis, der
nur immer Rock und Mantel zur Drapierung nötig hat, drapiert, sondern mit
Gewandstücken behängen, die an die spät antike römische Tracht erinnern.
Ich glaube daher nicht, daß die resp. Zeichnung von Giovanni Bellini
sein kann.
Einige der von Morelli (Galerie Doria Pamfili f. 355) s* Z. angeführten
Zeichnungen haben meiner Meinung nach mehr Anspruch, von diesem großen
Künstler zu sein. Glücklicherweise braucht mein Artikel nicht mit diesem
negativen Resultat zu schließen.
1879 in der Ausstellung alter Zeichnungen in der Ecole des beaux arts in
Paris war unter Giovanni Bellini Nr. 1 8 1 eine Zeichnung ausgestellt, damals
im Besitz des Marquis de Chenneviöres, die seit langer Zeit in den Besitz des
Berliner Kupferstichkabinetts übergegangen ist.
Diese Zeichnung wurde in Heft VII des Handzeichnungswerks des
Königl. Kupferstichkabinetts publiziert:
Venetianische Schule, XVI. Jahrhundert.
»Der hl. Marcus heilt zu Alexandrien den durch den Stich seiner Ahle
verwundeten Schuster Anianus.«
Trotz vieler Bemühungen s. Z. des Herrn Geheimrats Lippmann war der
Autor dieser Zeichnung nicht zu ermitteln.
326
A. v. Beckerath: Die vierte Lieferung der Vasari Society usw.
Ich glaube nun, daß diese Zeichnung und die im British Museum von
demselben Autor sind, wenn auch nicht aus derselben Epoche des resp.
Künstlers.
Jedenfalls sind die Übereinstimmungen beider Zeichnungen größer als
die Differenzen.
Beiden Zeichnungen ist der Charakter großer Lebendigkeit eigen.
Übereinstimmend sind Beleuchtung und Schattengebung, die kurzen Nasen,
der Mund, die Haare, das merkwürdige Hängen der Gewandung.
Den Künstler beider Zeichnungen zu benennen, bin ich leider nicht
imstande.
Der Kodex Burlington in der Royal Academy of British
Architects in London.
Von Fritz Burger.
Einer der eifrigsten Palladioforscher des 18. Jahrhunderts, Lord Bur-
lington, hat in Vicenza seinerzeit alle Palladiozeichnungen, deren er habhaft
werden konnte, aufgekauft und gesammelt. Er plante ein großes Werk über
Palladio und hatte auch bereits begonnen, einen Teil der von ihm zusammen -
gebrachten Originalzeichnungen des Palladio in einem großen Bande zu
publizieren *), der die von Palladio aufgenommenen Pläne und Rekon-
struktionen der antiken Thermenanlagen enthält. Doch hat der Tod die
Fortsetzung des Werkes verhindert Burlingtons Sammlung kam in den
Besitz des Herzogs von Devonshire in Chatsworth, der sie dann der Bibliothek
der Royal Academy of British Architects in London als Leihgabe überließ,
wo der aus 17 Bänden bestehende Kodex bis heute ein recht stilles Dasein
führte. Die Wissenschaft — und das gilt für Archäologie wie neuere Kunst-
geschichte in gleichem Maße — hat sich um ihn so gut wie gar nicht ge-
kümmert, obwohl doch wertvolles Material genug in ihm steckte.
An der Echtheit des weitaus größten Teiles der Zeichnungen kann gar
kein Zweifel sein. Die ersten 7 Bände enthalten die von Burlington publi-
zierten Thermenaufnahmen Palladios (die Thermen des Agrippa, des Antoni-
nus, Diokletians, Titus, Konstantins und Vespasians).
Auch die folgenden Bände weisen in loser Aufeinanderfolge eine Reihe
kunstgeschichtlich sehr interessanter Skizzen auf. Ich beschränke mich dabei
im folgenden vorläufig auf die Hervorhebung des Wichtigsten, soweit es für
die Beurteilung des wissenschaftlichen Wertes des Kodex vonnöten ist.
Neben Aufnahmen antiker Triumphbögen, wie des Titusbogens, der
Porta Borsari, des Bogens des Flavius Noricus und des Konstantinsbogens
(Bd. XIV, Bl. 7, 8, 9), enthält der Kodex eine Reihe Originalentwürfe für
Palastbauten Palladios, wie z. B. für den Palazzo Thiene, Trissino, Chiericato,
Valmarana, Giuseppe de' Porti. Vor allem zahlreich sind die Skizzen für die
J) Burlington; Palladio, 1770.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
328
Fritz Burger:
Palladianischen Renaissancevillen. Für die Villa Pisani
in B a g n o 1 o s) sind allein vier Originalentwürfe vorhanden, die erkennen
lassen, daß die Grundrißidee den Thermen des Hadrian entnommen ist.
Desgleichen geht aus den Skizzen hervor, daß die R o t o n d a (Villa des
Mario Capra) ihrer Grundrißanlage nach auf die Caracallathermen ebenso wie
ihre Vorgänger bei Serlio 3) und Giuliano da Sangallo 4) zurückgeht.
Weiter finden sich in dem Kodex kunstgeschichtlich sehr wichtige
Skizzen für die Villen Palladios 5) inCampiglia, Piombino Pojana, Maser und
Marocco. Besonders interessant ist eine Serie prachtvoller Rekonstruktions-
zeichnungen des großen Fortunatempels in Praeneste (Bd. 9,
Bl. 1, 2 u. 3), mit Grundriß, Schnitt und Aufrißzeichnungen, zweifellos die
umfassendste Aufnahme dieses großartigen pyramidal an einem Hügel
märchenhaft sich auf türmenden antiken Baukomplexes aus der Renaissance -
zeit 6). Als die gewichtigsten Argumente für die Echtheit des Kodex haben
aber jedenfalls eine Reihe von Federskizzen zu dienen, die als Stechervorlagen 7)
für Palladios berühmtes Buch gedient haben. Sie sind sämtlich im Gegensinn
gegeben und in Originalgröße mit genauen Maßangaben versehen.
Bd. XI, Bl. 15 des Burlingtonkodex stellt eine Vorzeichnung für Palla-
dios Buch Lib. IV, S. 119 u. 120 dar.
Bd. XI, Bl. 15 für Palladio Lib. IV. S. IOO u. 101.
Bd. XI, Bl. 20 für Palladio Lib. IV, S. 126 u. 129.
Bd. XI, Bl. 21 für Palladio Lib. II, S. 16.
Bd. XIII, Bl. 19 für Palladio Lib. IV, S. 32 und die Rückseite derselben
Skizze für Palladio S. 48.
*) Siehe Andrea Palladioi, quattro libri dell’ architettura, Venetia 1570, librosecondo
p. 47.
3) Siehe Geymüller, Die Architekten Toskanas, Giuliano da Sangallo.
4) Sebastiano Serlio, libro dell’ architettura. 1540.
5) Palladio a. a. 0. S. 51, 53, 58, 61, 66.
®) Diese werden demnächst in Hirschs Zeitschrift für Geschichte der Architektur
publiziert. Die Villenentwürfe werden in einer bei Klinkhardt und Biermann erscheinenden
Sonderpublikation der Renaissancevillen Palladios eingehender behandelt werden. Die
Rekonstruktionszeichnungen, die wir vom Tempel in Praeneste besitzen, sind sämtlich
recht unscheinbar gegenüber dieser Aufnahme. Eine Zeichnung des Giuliano da Sangallo
Codex Vaticanus lat. 4424, die anderen beiden neuerdings von Delbrück (hellenistische
Bauten in Latium, Straßburg 1907, S. 52) publizierten Entwürfe aus der Vaticana gehen
wahrscheinlich auf Piero Ligori’o zurück, eine Replik bei Egger, Kritisches Verzeichnis
d. S. architektonischer Handzeichnungen d. k. k. Hofbibliothek, Wien 1903. Keinem der
beiden Autoren sind die Zeichnungen im Burlingtonkodex bekannt gewesen. Die beste
neuere Aufnahme des Tempels bei Blondel, 4tat actuel des ruines du temple de la fortune,
M&anges d’arch^ologie et d’histoire 1882 p. 198.
7) Der Stecher hat sich an diese insofern nicht immer genau gehalten, als er Maß-
bruchteile fortläßt und nach oben oder unten oft des Raummangels wegen abrundet.
Der Kodex Burlington in der Royal Academy of British Architects in London. 329
Bd. XIII, Bl. 10 für Palladio Lib. II, Bl. 14 u. 15.
Bd. XVII, Bl. 4 für Palladio Lib. II, S. 8.
Bd. XVII, Bl. 14 für Palladio Lib. II, S. 16.
Bd. VIII, Bl. 1 enthält zwei Originalkonzepte Palladios8) für seine Ab-
handlungen über die korinthischen und ägyptischen Säle in seinem libro
dell' architettura S. 38 u. 41. Der Buchtext der ersteren stimmt mit dem
Manuskript bis auf die Schlußsätze überein, die deshalb zum Vergleiche
hier wiedergegeben werden:
1. Druck: La lunghezza di questa sale sarebbe molto bella di un
quadro, e due terzi della larghezza.
2. Manuskript: La longhezza di queste sale per mio p a r e r e (!)
seria stato molto bella di un quadro e due terzi della larghezza. L'ho
disegnato (!).
Die Überschrift lautet nicht wie im Drucke »Delle sale corinthie«, sondern
»De gli seci corinthii cap« (Nummer freigelassen).
Der zweite Teil des Manuskriptes ist das Konzept für S. 41 des Palla-
dianischen Buches über die ägyptischen Säle. Ich gebe im folgenden den
Wortlaut des Manuskripts und verzeichne in Klammern die Differenzen mit
dem gedruckten Text 9).
De gli Seci egyptii, Cap. . . (delle sale egittie, Cap. X.).
II disegno che segue e [de gli] (delle) [seci] (sale) [egyptii] (egittie) i (le)
quali erano molto simili alle basiliche, cioe luochi oue si rendeua ragione delle
quali si dirö [piü disotto] quand(o) si trattera delle piazze
perciöcche (in-queste sale) vi si faceva un portico facendosi le colonne di
dentro [ma] lontane dal muro come alle (nelle) basiliche e sopra (le) colonne
u'erano gli architraui [freggi] (ifregi) e (le) cornici. [II] (lo) spazio fra le
colonne e (il muro)[m] era coperto da un pauimento il quäle (e questo paui-
mento) era scoperto e faceua [corrador-o] (corritoro) o [poglo] (poggiuolo)
intorno sopra le dette colonne u’era muro continuato con mezze
colonne di dentro [ma] la quarta parte minori delle gia dette e fra gli inter-
colunnii u’erano le fenestre (che dauano lume alla sale) e per le quali dal
detto pauimento scoperto si poteuva ueder nella sala (in quella) [alla quäle
esse dauano il lume] e douevano hauer queste sale una grandezza mirabile
[si per le colonne] (si per l’ornamento delle colonne) si anche [per l'altezza
loro] (per la sua altezza) perciöcche il soffitto andaua sopra la cornice del
8) Das Konzept befindet sich auf der Rückseite des Blattes, die Vorderseite
zeigt eine Originalaufnahme Palladios von dem Tempietto in Tivoli und dem in Porto
S. Sebastiano, entsprechend den Reproduktionen auf Seite 91, 92 bzw. 89 in seinem
libro dell’ architettura.
9) Der Text in eckigen Klammern deutet die vom Druck abweichende Lesart an, die
in runden Klammern stehenden Worte geben den analogen Wortlaut des Buchtextes an.
23'
Fritz Burger: Der Kodex Burlington in der Royal Academy usw.
secondo ordine e douevano riuscir molto commode, quando uisi faceuano
feste o conuiti —
Der Vergleich der beiden Texte läßt deutlich erkennen, daß wir in
dem Manuskript tatsächlich das Konzept für den Text des Buches vor uns
haben, das dannn für den Druck noch zurechtgefeilt wurde.
Die Freude an dem Fund ist freilich nicht ganz ungetrübt. In den
Kodex sind eine Reihe von Blättern10) eingeschmuggelt, die nicht von Palladio
stammen, teilweise erst im 17. Jahrhundert wenn nicht noch später entstanden
sind. Einige stammen von dem Venezianer Vicentino. Ein Blatt trägt die
gefälschte Inschrift: Rafacle da Urbino Inventor. Eine Reihe von Blättern
lassen sich in Beziehung zu den von Scamozzi publizierten Bauten bringen
und sind wohl Schulgut Palladianischer Richtung. Darunter einige Zeich-
nungen für Bauten (Bertesina u. a.) die Palladio zugeschrieben werden, ihm
jedoch nicht gehören. Eine exaktere wissenschaftliche Durcharbeitung
des gesamten Materials hoffe ich im nächsten Jahr hier folgen lassen
zu können.
I0) Mehrere Blätter geben Jahreszahlen an: ein Plan, Bd. XV. Bl. 6 für S. Ambrogio
bei S. Catena ist 1637, ein anderer Bd. XV, Bl. 7 1650 datiert.
Zur Genesis des Auferstehungsfreskos von Piero della
Francesca im Stadthause zu Sansepolcro.
In einem Kodex: Statuta, sive Jura Municipalia Civitatis Burgi
S. Sepulcri von 1571, welchen das Stadtarchiv zu Sansepolcro unter der
Signatur F. F. 4 bewahrt, findet sich folgende Notiz, welche im Hinblick
auf das Auferstehungsfresko des Piero della Francesca ein gewisses Interesse
beanspruchen darf.
Archivio del Comune di Sansepolcro.
Statuta, sive Jura Municipalia Civitatis Burgi S. Sepulcri.
De Vexillo et Sigillo Comunis. Cap. XXXVIII.
c. 63 t. Habeat Comune Civitatis Burgi vexillum depictum ad Imma-
ginem Sancti Sepulcri, cum Christo resurgente, et insignis, et armis Sermi
Magni Ducis Hetrurie dominantibus, et ipsius Comunis cum Campo Albo
a parte inferiori, et nigro a parte superiori. Quod vexillum custodiatur
in Cancelleria Diebusque festivis et solemnibus ponatur cum Tubiis clangen-
tibus in honorem Dei Resurgentis, et Civitatis Conditoris sub ejus Sanctissimi
Sepulcri Nomine in Verrone, et loco solito Palatii Residentie Dominorum
Conservatorum, qui per illius traditionem una cum insignis Sericis de quibus
alias dictum est eorum officium tenentur deponere.
Habeatque dictum Comune Sigillum Magnum sculptum ad eandem
immaginem cum ipso Christo Resurgente circundatum his litteris = Sub
Umbra Alarum Tuarum cum quo sigillentur omnes littere, que mitterentur
ad Sernum Magnum Ducem Hetrurie Dominantem, vel ad Sernum Prin-
cipem Dominantem, imo = Gubernantem = vel ad Alios ad quos dare
Litteras sic sigillatas, si deceret, vel ex gravitate rei, de qua ageretur vel
ex qualitate, et condecentia gradus et dignitatis illorum quo sigillo utantur
Domini Conservatores etiam in Legalitatibus, et aliis Scripturis faciendis
in fidem a dictis Dominis.
Habeat quoque alterum sigillum aliquanto minus eodem modo sculp-
tum, et eisdem Litteris sculptum, imo — Circundatum — cum quo sigillentur
omnes littere que ad aliquem Magistratum Civitatis Florentie et Aliquam
privatam Persönam mittantur.
332
Walter Bombe: Zur Genesis des Auferstehungsfreskos usw.
Item tertium sigillum habeat representans insigna et arma ipsius
Comunitatis a parte superiori nigra et inferiori alba cum quo Cancellarius
teneatur et debeat sigillare Apotissus etLibros, si quos signandos ab Eo aliquo
Statuto disponeretur, illudque penes se in Cancelleria continuo tenere et
custodire teneatur; alteri vero stent, et stari et custodiri debeant in Capsa
clausa tribus clavibus quarum unam habeat dictus Vexillifer Justitie,
alteram vero Caput officii, tertiam Cancellarius dicti Comunitatis, et con-
tinuo capsa predicta cum dictis sigillis stet, et servetur in Audientia Palatii
Dominorum Conservatorum, nec Aliquis audeat, vel presumat cum dictis
sigillis, vel altero illorum sigillare aliquas literas, vel scripturas, nisi scri-
bantur nomine ipsius Comunis, a dictis Conservatoribus et sigillentur illis
aut saltem tribus illorum presentibus, et consentientibus, pena contra-
facienti Librarum Centum Denariorum Florentinorum parvorum Fisco,
et Magne Camere Ducali applicandarum et privatione officiorum et Bene-
fkiorum Comunis predicti x).
* *
*
Es ist bekannt, daß dem Redentore in der Kirche Santa Chiara zu
Sansepolcro schon in alten Zeiten eine Kapelle gewidmet war mit einem
großen vielteiligen Altarwerk, das im Mittelfelde die Auferstehung Chiisti
von der Hand eines Sieneser Trecentomeisters zeigt. In Erinnerung an den
alten Kultus des Redentore als Gründers der Stadt, dessen auch die Chroniken
von Sansepolcro gedenken, hat Großherzo'g Cosimo I. die Verordnung er-
lassen, das Bild des auferstehenden Christus als Wahrzeichen auf der Standarte
und den Siegeln der Stadt anzubringen und diese Fahne an Festtagen auf
dem »Verone« des Stadthauses aufzupflanzen, in dessen Hauptsaal sich
das Fresko des Piero della Francesca befindet. Die kleine archivalische
Notiz gibt somit eine Erklärung für die Wahl gerade der Darstellung des
auferstandenen Christus als Protektors der Stadt in der Sala dei Conservatori
zu Sansepolcro. Walter Bombe.
J) Dieses Exemplar der Statuten von Sansepolcro ist »per Dominum Nicolaum
de Janis 1571, Indictione XIV, Die 24 Mensis Decembris, Pio V. Pontefice Maximo et
SerüHE Cosmo Medice Hetrurie Magno Duce« zu Ende geschrieben worden. Es sind fünf
Bücher, in deren erstem: »De Regimine Civitatis« sich die oben mitgeteilte Notiz findet.
Den Abdruck eines der in den Statuten erwähnten Stadtsiegel hat vielleicht um
1600 der Kompilator eines Wappenkodex gesehen, den das Kunsthistorische Institut in
Florenz besitzt. Auf dem Wappen der Stadt, dem schwarz-weißen Feld mit Sarkophag
auf dem schwarzen Felde ist der Sarkophag fortgelassen, dagegen, gleichsam als
Impresa, die Figur des auferstandenen Christus mit der Kreuzesfahne zugefügt.
Heinrich Lang, der Hausbuchmeister.
Vor geraumer Zeit schon, als ich das mittelalterliche Hausbuch (her-
ausgegeben von Essenwein) wegen der Zuweisung einer neuen Federzeichnung
an den Hausbuchmeister, die demnächst im Jahrbuch der Kgl. preuß.
Kunstsammlungen ihre Veröffentlichung finden wird, durchzuarbeiten hatte,
war es mir klar geworden, daß Name und Herkunft dieses Meisters eben
nur durch sein Hausbuch entdeckt werden könnten: doch hatte ich dies
damals auf dieselbe Weise wie Flechsig1) zu erreichen versucht, nämlich
mittels der Wappen. Natürlich kam ich damit zu keinem erheblich ab-
weichenden Resultate, da das meiste, was. gesagt werden konnte, eben schon
von Flechsig geleistet worden war; höchstens stellte ich dabei endgültig fest,
daß das sogenannte »Wappen der Familie Goldast-Konstanz« (Hausbuch
p. 2 a und 34b) nicht das Wappen dieser Familie war1).
Als ich nun vor wenig Tagen mir zufällig das Hausbuch wieder einmal
betrachtete, fielen mir besonders die rätselhaften Buchstaben der Pferde-
l) Zeitschr. f. bild. Kunst VIII, N. F. (1897) p. 8 ff.
*) Vgl. das badische Geschlechterbuch von J. Kindler von Knobloch p. 453 f. ;
ferner die Konstanzer Ratslisten, herausgegeben von Konrad Beyerle, aus denen sich ergibt,
daß 1419 das Geschlecht zum letzten Male genannt wird und bald darauf ausstirbt. Zum
»Goldastwappen« vgl. noch den Donaueschinger Wappenkodex, Die Wappenrolle der
Gesellschaft zur Katze, Siebmachers Wappenbuch (V, p. 192 Nr. 12) und die Züricher
Wappenrolle Nr. 368.
334
Helmuth Th. Bossert: Heinrich Lang, der Hausbuchmeister.
decke auf Seite 21 a, die beistehend in einer von mir herrührenden Skizze
gegeben sind, auf. Schon seinerzeit konnte ich mir dieselben nicht genügend
erklären, und auf Befragen des Genealogen Roller- Karlsruhe wurde mir
der Bescheid, daß diese Zeichen mit Heraldik nichts zu tun hätten; auch
_ g— » — —
Was sollte das aber alles bedeuten? — Sofort begann ich an der Enträtselung
zu arbeiten, und siehe, sie gelang wider Erwarten; auf der Pferdedecke stehen
folgende Buchstaben: NEH/HCI H/GNA JF ./. Mit einigen Umstellungen
und mit Zuhilfenahme des Spiegels ist deutlich, ungezwungen und unwider-
leglich zu lesen: HENRICH • LANG • F[ECIT?]4). Weiteres habe ich vorläufig
nicht hinzuzufügen, sondern kann auf meine demnächst erfolgende Ver-
öffentlichung der diesbezüglichen urkundlichen Belege schon jetzt verweisen 5) .
Helmuth Th. Bossert - Karlsruhe.
3) Da wir auf der Hausbuchmeisterzeichnung im Kgl. Kupferstichkabinett zu
Dresden ebenfalls ein bekröntes E vorfinden, wird man jetzt doch nicht umhin können,
es für das Monogramm Heinrich Längs zu erklären. Vgl. Lehrs, Jahrb. d. Kgl. preuß.
Kunstsamml. XX (S. 180, Anm.).
4) Herr Prof. Dr. Max Wingenroth-Freiburg, der die Liebenswürdigkeit besaß,
meine Entdeckung nachzuprüfen, schreibt mir: »Mir scheint die Sache überzeugend und
undiskutierbar.*
5) Max Lehrs-Dresden hatte die Güte, mir noch folgendes mitzuteilen: „Ferner
möchte ich Sie auf die Kopie nach dem Jüngling aus „Tod und Jüngling“ in unserem
Kabinett aufmerksam machen, die ich in meiner Publikation der Stiche des Hausbuch-
Meisters unter Nr. 58 a angeführt habe und die unten den bisher ungedeuteten Namen
„hinrich“ trägt. Sollte sie vielleicht von einem versteckten Kunsthistoriker des
15. Jahrhunderts herrühren?“
Literaturbericht.
Kunsttheorie.
Hans Cornelius. Elementargesetze der bildenden Kunst.
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1908.
Man hat es Hildebrand oft nahe gelegt, sein »Problem der Form«
illustriert herauszugeben, mit Musterbeispielen, wo die schwer zu über-
sehenden allgemeinen Sätze an Einzelfällen verdeutlicht würden. Er hat
sich nie dazu entschließen können I). Nun bringt Cornelius ein Buch von
bescheidenem Umfang, reich mit Bildern versehen und lesbar für alle ge-
schrieben, das wohl als ein »illustrierter Hildebrand« gelten könnte, wenn
man damit nicht der Selbständigkeit des Verfassers unrecht täte und
andererseits die etwas engere Fragestellung verschwiege.
Im Hildebrandschen Sinn, aber mit eignem Ausdruck definiert der
Verf. künstlerische Gestaltung als »Gestaltung für das Auge«: Daß es darauf
ankomme, der Sichtbarkeit das Schwankende, Unbestimmte, schwer Faßliche
zu nehmen und es durch einfache, unmittelbar klare, bestimmt wirkende
optische Verhältnisse zu ersetzen. Er beschränkt das Problem auf das
Körperlich -Räumliche der Erscheinung, verfolgt es dann aber in allen
Äußerungen, in Bildern und Skulpturen, in der Architektur und nament-
lich im Kunstgewerbe. Das Buch ist für die Praxis geschrieben und
aus Vorträgen an einer Kunstgewerbeschule, also in unmittelbarem Kontakt
mit dem praktischen Unterricht entstanden. Über die (sehr gesunde) Kritik
vieler moderner Unarten zu referieren, liegt hier kein Anlaß vor; da die Kunst-
geschichte aber anfängt, sich auf ihre ästhetischen Grundlagen zu besinnen,
sei das Buch nach seinem allgemeinen Inhalt auch Historikern als nützlich
empfohlen. An Widerspruch wird es freilich nicht ganz fehlen und nicht
nur, weil der Historiker von vornherein die Dinge anders zu begreifen
gewöhnt ist.
Prinzipiell möchte ich glauben, daß Cornelius zu vieles aus bloßen
Forderungen des Auges erklärt. Die Unschönheit gewisser Figuren (vgl.
die Gefäße S. 108) kann nicht daher stammen, daß sie der Auffassung des
J) Die englische Ausgabe des Werkchens ist mit vom Verf. ausgewählten Illu-
strationen versehen. D. R.
336
Literaturbericht.
Auges zu wenig entgegenkommen, d. h. optisch nicht einheitlich genug gestaltet
sind, sondern daß sie in ihrer »funktionellen« Erscheinung widerspruchsvoll
sind. Die Bauanlagen, die mit der Landschaft zusammen komponiert sind
(vergl. S. iio), gefallen, nicht weil es dem Auge leicht ist, dem einheitlichen
Formenzug zu folgen, sondern weil man solche Dinge als gewachsen empfindet,
als Produkte einer einheitlichen Triebkraft. Das Entscheidende liegt auch
hier in der »funktionellen« Wirkung, nicht in dem Grad der Klarheit der
Erscheinung.
Es scheint mir aber überhaupt, daß der Begriff der »Klärung für das
Auge« zu einseitig gehandhabt sei. Die munteren Gitterfüllungen der
Lübecker Marienkirche (S. 144) kann man meinetwegen als »Beispiele leicht
faßlicher Teilungen« bezeichnen, aber wer wird zugeben, daß die künstlerische
Absicht dabei in erster Linie die war, die einfache Gesamtform durch Teilungen
»noch mehr zu klären«? Ich weiß: es handelt sich nur um »Elementar-
gesetze«; trotzdem vermisse ich hier den Gegenbegriff der reizvollen Ver-
unklärung. Das Auge will Schwierigkeiten überwinden. Man soll ihm
lösbare Aufgaben stellen, ja; aber die ganze Kunstgeschichte ist ein Beweis,
daß die »Klarheit« von heute morgen langweilig ist und daß die bildende
Kunst auf partielle Verdunkelungen der Form, momentane Irreführungen
des Auges so wenig verzichten kann wie die Musik auf die Dissonanzen, Trug-
schlüsse u. dgl. Daß in Plakaten diese Kunstmittel bis zum Extrem ver-
folgt werden, liegt in der Natur der Sache. Diese frechen Düpierungen
des Auges verfolgen ja aber auch meist nur eine Augenblickswirkung. Eben
darum dürfen sie nicht mit seriösen Bildwerken auf eine Linie ge-
bracht werden. Cornelius macht einen überreichlichen Gebrauch von
diesen wie Blitzlichter wirkenden Kompositionen als abschreckenden
Beispielen »uneinheitlicher Raumgestaltung« und was dergleichen Fehler
mehr sind.
Das Buch ist rein dogmatisch, nicht historisch Das ist kein Vorwurf
für den Verfasser, aber manches würde er doch überzeugender herausgebracht
haben, wenn seine Darlegungen auf dem Standpunkt stünden, daß auch das
Sehen eine Geschichte hat. Und wenn z. B. das Prinzip der klar sichtbar
zu machenden Vorderfläche in Bildern durch Botticellis Geburt der Venus
illustriert wird (S. 97), so finde ich das Beispiel nicht gut, weil das Bild uns
durchaus altertümlich befangen vorkommt, während die Aufgabe die wäre,
zu zeigen, inwiefern auch in der ganz freien Kunst das Gesetz noch verbindlich
wirkt. Einen »historischen Hildebrand« — wer wird uns den einmal schreiben ?
Wölfflin.
Literaturbericht.
341
Paul Wilhelm von Keppler, Bischof von Rottenburg. Aus Kunst
und Leben. III. verb. Aufl. Freiburg i. B., Herder. 1908.
Das Buch ist eine Gelegenheitsschrift. Es vereinigt eine Reihe von
Aufsätzen teils historischer teils feuilletonistischer Natur zu einem Zweck,
den der Verfasser am Schluß angibt: der Erlös soll dem Rottenburger Dom-
baufonds zufließen. Der Verfasser wendet sich an ein weiteres, künstlerischen
und kunsthistorischen Fragen fernstehendes Publikum; schon aus diesem
Grunde ist ein kritischer Maßstab vom wissenschaftlichen Standpunkt an
diese Dilettantenarbeit nicht anzulegen. — Aber einige Punkte sind in der
Schrift enthalten, die über den Kreis der bischöflichen Herde hinaus all-
gemeinere Interessen berühren: ich meine die schon vielbesprochene
Stellung der katholischen Kirche zur Kunst, besonders zur modernen. Je-
der weiß, wie traurig es um die Produkte »moderner Kunst« in katholischen
Kirchen bestellt ist, auch Bischof Keppler ist nicht ganz mit diesen Dingen
zufrieden, trotzdem empfiehlt er »nachdem die moderne Kunst der
Volksseele sich entfremdet hat« die »von bewährten katholischen Firme n«
hergestellten religiösen Bilder! Welche bedauernswerten Folgen ein
solcher Standpunkt zeitigen kann, wenn ihn Leute einnehmen, in deren
Händen wichtige künstlerische Entscheidungen ruhen, zeigt die im Schluß-
kapitel behandelte Frage des Domneubaues für Rottenburg. »Wie soll gebaut
werden? So hat noch keine Zeit fragen müssen, außer der unsrigen. Daß
wir so fragen müssen, ist ein beschämender Beweis unserer Schwäche. Das
sollen die nicht vergessen, die gar so fortschrittselig sind und nicht genug
rühmen können, wie herrlich weit wir es gebracht haben. Wir haben keinen
Baustil, und alle Versuche, einen zu erfinden, sind bisher fehlgeschlagen (!)
usw. usw. So sind wir genötigt zu Zwangsanlehen bei der Vergangenheit,
wir müssen in einem Stil der Vorzeit bauen. In welchem? Soweit ich da
ein Wort habe, werde ich mit aller Entschiedenheit für den romanischen
Stil eintreten.« — Also romanisch. Über die Tatsache, daß in unserer Zeit
an allen Ecken und Enden unseres deutschen Vaterlandes höchst beachtens-
werte Leistungen, nicht in einem »neuerfundenen Stil«, sondern in einem
neuen Sinne auf architektonischem Gebiet entstehen, über die Tatsache,
daß in nächster Nähe von Rottenburg, nämlich in Stuttgart, ein Mann wie
Theodor Fischer die kirchliche wie die profane Baukunst zu neuem Leben
erweckt hat, geht der Herr Bischof mit den oben zitierten Sätzen hinweg.
Er sollte nur andere Kräfte heranziehen, als jenen Baukünstler,- der
den geist- und blutleeren aber romanischen Dom entworfen hat, den die
Abbildung zeigt: dann würde er sehen, daß unsere Zeit nicht um Baumeister
verlegen zu sein braucht, die wahrhaft kirchliche Bauten in der Sprache
unserer Tage zu schaffen verstehen. 7- Sievers.
342
Literaturbericht.
Malerei.
Die italienische Malerei des 15.— 18. Jahrhunderts. Jahresbericht 19061).
I. Allgemeines.
1. K. Woermann, Die italien. Bildnismalerei
der Renaissance. Eßlingen. (Führer zur Kunst 4.)
Wesentlich 15. u. 16. Jht., schließt mit Tizian ab.
2. A. Venturi, Les »triomphes de P6trarque«
dans l'art repräsentativ Revue de l’art ancien
et moderne XX, S. 209. Über Pesellino, florent. Tondo in Turin,
Costa in S. Giacomo Maggiore, Bologna; P. della Francesca.
3. R. Förster, Laokoon im Mittelalter und in
der Renaissance. Jahrb. d. preuß. Kstslgn. 27, S. 149.
Miniaturen im Virgil der Riccardiana, Zeichnung von Filippino, ferner
Niccolo Abate, G. Romano.
4. C. von Fabriczy, Memorie sulla chiesa di
S. Maria Maddalena de’Pazzi ä Firenze e sulla
Badia di S. Salvatore ä Settim o. L' Arte IX, S. 255.
Aus den Aufzeichnungen des D. Ignazio Signorini (sec. XVII); bes. über
Ghirlandajo, Rosselli, Perugino und Credi (vgl. ebendort' X, S. 225).
5. A. V(enturi), Corriere Fiorentino. Ebendort
S. 62. Bilder von Tura, Costa; Porträt' von Mantegna, Pal. Pitti.
6. L. Dimier, Les origines des collections de
peinture duLouvre. AFontainebleau sousFran^oisI.
et sous Henri IV. Musees et monuments de France I,
S. 52. Die bekannten Werke von Raphael, Sarto, Leonardo, Tizian u. a.,.
alle in den drei Cham'bres de repos, kamen unter Heinrich IV. in den Pavillon
des peintures; an Stelle der Originale Kopien (zwei davon jetzt in der Kapelle
von Trianon-sous-Bois).
7. M. Besnier, La collection Campana et les
Musees de province. Revue ArcheologiquelV Serie,
t. VII, S. 30. Von den 646 Bildern des Katalogs kamen 1863 318 an
67 Provinz-Museen. Später kamen noch andere zur Verteilung. [Sehr
wichtig zur Identifizierung vieler Bilder der Campana Sammlung.] Eben-
dort S. 423 über Bilder dieser Provenienz in den Museen der Normandie.
8. A. Ratti, La risurrezione di un Museo Mila-
nese. Rendiconti d e 1 1 ’ Istituto Lombardo, S. II
t. XXXIX, S. ioii. Zur Geschichte des Museo Settala.
1) Mit Ausschluß der Lombardei und Piemonts.
Literaturbericht.
343
9. A. Chiti, Tommaso Puccini. Bullettino storico
Pistojese VIII, S. 179. Aus Briefen des Jahres 1783 über Bilder in
Galerien und Kirchen in Neapel (u. a. Galerien della Torre, Santobuono,
Stigliano, Capodimonte (Fortsetzung ebendort IX, S. I : Puccini als Direktor
der Uffizien).
10. Don Fastidio, La quadreria del Principe
di Salerno. Napoli nobilissima XV, S. 92. War 1840—1860
im Museo Borbonico und kam dann an den Herzog von Aumale. Wieder-
abdruck der Guida von 1842, die 102 Bilder aufführt.
11. C. de Bildt, Cristina di Svezia e Paolo Gior-
danoll. duca di Bracciano. Archivio della Societä
Romana di storia patria t. XXIX, S. 25. Aus Briefen von
1652: die Königin sendet Miniaturkopie von Cooper nach Tizian; über ihre
italienischen Bilder, alle aus Prag stammend. Der Herzog berichtet aus
Rom u. a. über P. da Cortona, Bernini und Algardi [cf. Fanfulla d. domenica
1891, 475. Oktober].
12. C. Ricci, La pittu ra antica alla mostra di
Macerata (II. Artikel). Emporium t. XXIII, März, S. 200.
U. a. die Venezianer : Jacobello del Bonomo; Teile eines Polyptychons,
Pausula, von Antonio Vivarini; Polyptychon von Andrea de Bologna
(Fermo); Bilder von Innocenzo da Imola, Gio. di Paolo (Assunta, San-
severino) u. a.
13. Od. H. Giglioli, Nuovi acquisti della Gal-
leria degli Uffizi. Ebendort S. 231. Bilder von Melozzo,
Tura, Costa, Niccolo da Guardiagrele, Jac. Bellini.
14. C. Ricci, Gli Ultimi ritratti d' artisti entrati
nella Galleria degli Uffizi. Illustratore fiorentino
per l’anno 1906, S. 13 1. Porträts des Galli Bibbiena, Girol. da Castello,
G. M. Terreni.
15. Gerspach, La Galerie Corsini ä Florence.
L e s A r t s Nr. 52, April, S. 12. Einige Angaben über Provenienz
der Bilder.
16. F. Mason Perkins, Note su alcuni quadri*
del Museo Cristiano nel Vaticano. Rassegna d'arte
VI, S. 106 u. 121. Außer Bildern des Trecento, bes. über die Sienesen:
Gio. di Paolo, Sano di Pietro, Sassetta, Matteo di Giovanni. Ferner Fra An-
gelico und Schule, Francesco di Gentile da Fabriano etc.
17. O. Sirdn, Quadri sconosciuti nel Museo
Cristiano Vaticano. L’Arte IX, S. 321. Von S. 332 über Bilder
des 15. Jhts.: Sassetta, Masolino (Tod der Maria und Kruzifixus), Predellen
von Gentile da Fabriano, vom Altar von S. Niccolo [dies gewiß richtig!],
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
24
344
Literaturbericht.
Triptychon des Giovanni del Ponte 1437; Bartolo di Maestro Fredi; Fra
Angelico; Gio. di Paolo.
18. A. V e n t u r i , La Galleria S t e r b i n i in Roma.
Saggio illustrativ o. Rom, Verlag der Arte. Erst
Trecento, dann Siena (guter Beccafumi), Florenz: zwei interessante
Heiligenlegenden von Filippino [!], Credi, Magdalena von Engeln empor-
getragen, in der Art des Boutgeois-Morgan- Bildes, Bacchiacca, Vision
d. hl. Bernhard (hübsch, peruginesk); Umbrien; Art des Parenzano;
Venedig (sehr schwache Bilder; hübscher Girol. Santa Croce); Dosso,
gutes Porträt; Zaganelli.
19. O. F. Tencajoli, La Villa Visconti di Sali-
ceto in Cernusco sul Naviglio. Ars et Labor Nr. 9,
S. 777; Nr. IO, S. 880. Außer Lombarden Bilder von Bartol. Veneto,
G. Romano, Albani, Longhi (Porträt des Conte Alinari, in ganzer Figur).
20. P. Schubring, Notizie di Berlin o. L’Arte
IX, S. 384. Vier Heilige von Masaccio, Predella von Fra Filippo; Bilder
von Bellini, Sassetta, Gio. di Paolo, Parentino. Botticelli, Sammlung Simon.
21. R. Graul, Die Ausstellung des K. Friedrich-
Museumsvereins. Z e i t s c h r. f. b i 1 d. Kunst N. F. XVII,
S. 133. Bes. gut vertreten Fr. Guardi (7 Bilder). Schönes männl. Porträt
von Bronzino, Sammlung Simon.
22. Th. von Frimmel, Aus der steiermärkischen
Landesgalerie zu Graz. Blätter f. Gemälde künde
III, I (Mai), S. IO. Gutes Porträt von Tintoretto, Bronzino, Tiepolo;
verdorbener Marco di Tiziano. Bedeutender Dosso; D. Pellegrini, signierter
Theod. Ghisi, Kopien nach Mantegna.
23. G. Bernardini, La quadreria Sandor Lederer
a Budapest. L’ Arte IX, S. 96. Schulen von Verona (Caroto) und
Bergamo; Romanino, signierter Rocco Marconi; Puligo, Rosso, Beccafumi,
P. da Cortona, Elis. Sirani.
24. Vgl. Tresors d' art en Russie VI, Heft 1/2. Schidone
und Tintoretto (geistvolle Kopie der Hochzeit zu Cana in d. Salute), Grand
*Palais de Pavlovsk; Domenichino, Kommunion eines Heiligen, Sammlung
Netchaieff -Malzoff.
25. G. Frizzoni, Appunti critici intorno alle
opere delle scuole italiane nella Galleria del
Louvre. L’Arte IX, S. 401. Für die Attribution der Madonna mit
Stifter an Jacopo Bellini; Antonio Vivarini, hl. Ludwig; Botticini, Baldovi-
netti, Sellajo, Bartol. di Giovanni, Pier di Cosimo, Girolamo di Benvenuto,
Franciabigio, Bacchiacca, Fra Bartolommeo, Leonardo. Bellini-Schule,
(Madonna nicht Rondinelli), Carotto (Madonna), Parentino, Meister derBern-
Literaturbericht.
337
Krapf. Das Problem der Bindung in«der bildenden
Kunst. Straßburg, Ed. Heitz 1908. 127 S. mit 24 Abb. u. 20 Taf.
Ich fragte unlängst einen meiner streitbarsten Kollegen, ob sich denn
nicht ein allgemeiner Grundsatz aufstellen ließe, nach dem man Bücher,
die man für schlecht halte, besprechen solle. Ich bekam die Antwort, man
solle dies proportional dem Schaden tun, den das Buch möglicherweise an-
richten könne.
Dieser dürfte hier nur klein sein, die Besprechung kann sich also kurz
halten. Das Buch ist um einen guten Einfall herumgeschrieben, um ein
ausgezeichnetes Wort, das sich in der Sprache der Kunsthistoriker wohl
einbürgern dürfte: »Bindung« vermag kräftig und bildhaft so manches
bei Kunstwerken auftretende Phänomen zu bezeichnen. Aber das Unmög-
liche des Büchleins steckt in dem Unternehmen, überall dort, wo irgend-
eine zusammenfassende Tätigkeit des Sehens, ja sogar der all-
gemeinen Denkfunktionen (z. B. bei der Bildung eines Begriffes S. 5 7 u. 60)
vorliegt, nun das Wort Bindung einzuführen, und für die Vielfältigkeit der
Sonderfälle statt der alten, im Gebrauche langher erprobten, neue Be-
nennungen zu erfinden (Bindeelement, eigentliche und uneigentliche Bindung,
Bindemittelpunkt, blicklenkende, erklärende, störende Bindungen, Neben-
bindungen usw.). Der allgemeine Vorgang der teils trennenden, teils zu-
sammenfassenden Arbeit menschlicher Geistestätigkeit ist ja seit mehr als
zwei Jahrtausenden beobachtet, und in neuerer Zeit seit dem Erstarken
der beschreibenden Psychologie durch alle möglichen Stadien durchverfolgt
worden. Und auch daß gerade im Kunstbereiche das Zusammenfassen, das
Binden von Einzelelementen (und worauf diese Bindung sich gründe:
Ähnlichkeit, Anordnung, Farbenhaltung usw.) oft zum Wichtigsten gehört,
ist bereits in jedem Lehrbuch der Psychologie zu finden. Die Kunsthistoriker
schon gar haben sich längst mit diesen Dingen vertraut gemacht. So daß der
Hinweis auf eine Diagonalkomposition bei Rubens als Beispiel der »Unge-
bundenheit als Empfindungserreger« nicht besser wirkt als die Analyse
der Kirchenfassaden und ihrer verschiedenen Bindungsmöglichkeiten durch
die Türme. Im Grunde bleibt nichts übrig, als die Aufforderung an den Kunst-
historiker, überall wo er bisher »zusammen« oder »con-« oder »syn-« gesagt
hat, wo er Worte wie Ecklösung, Auswiegen des Schwerpunktes, gesprengte
Gruppierung, Zeitstil (als »gegebene Gebundenheit des Zeitcharakters«), und
dergleichen anwendete, nun »Bindungsarten« zu unterscheiden.
Als Probe ein Beispiel aus dem Buche, Seite 1 1 7, Mitte: »Denken
wir uns in einer größeren Architekturgebundenheit die Gleichheit etwa in
der Vollerscheinung der Häuser als gleichhoher, gleichgerichteter, meist
gleichfarbiger Rechteckformen, wie dies beim Großstadtstraßenbild gewöhn-
lich der Fall ist, gegeben, so muß das Einzelhaus zweifellos an Wirkung ver-
33&
Literaturbericht.
lieren, denn es stellten Verbindung mit den übrigen Häusern eine eigent-
liche Gebundenheit vor, innerhalb welcher höchstens das uneigentlich ge-
bundene Detail sich auszuleben vermag. Da nun aber gerade die Hausform
als solche zur Geltung kommen muß, soll anders die Architektur als eigene
Kunst nicht ihre Bedeutung verlieren, so ergibt sich, daß die Bindung nicht
durch jene selbst geschaffen, sondern lediglich durch Gleichheit neben-
sächlicher Erscheinungsfaktoren, etwa der Farbe, erzeugt werden darf,
wenn das Haus imstande sein soll, als solches in Wechselwirkung zu den
übrigen Häusern des Nebeneinanders zu treten und damit die Eigenheit
speziell seiner Gesamterscheinung zu steigern. Je mehr nebensächliche
Erscheinungsfaktoren wir einander gleich halten, und je charakteristischer
wir im übrigen die individuelle Form bestimmen, um so lebhafter und ein-
dringlicher kann der eigentliche Hauscharakter im Straßenbilde empfunden
werden. Als die fruchtbarste Gestaltungsweise erkennen wir im allgemeinen
jene, bei welcher die relative Gebundenheit sich als eine Bruchzahl darstellt,
in deren Zähler die Summengebundenheit aller unwesentlichen Erscheinungs-
faktoren und in deren Nenner die absolute Gebundenheit steht; es ist dies
jene Gestaltungsweise, welche auf dem Boden der größten Einheit die
höchste Mannigfaltigkeit der Charakterwerte entwickelt.« Ebenso unzweifel-
haft richtig, wie längst bekannt. Nur daß man bisher kürzer, einfacher und
klarer sagte: das Miethaus soll bei möglichster Eigenart das Gesamt-
Straßenbild nicht stören. —
Gerade derjenige, der sich für Psychologie interessiert, der zwar nicht
die kindische Ansicht hegt, die Kunstgeschichte müsse nun mit Hilfe jener
jüngsten Wissenschaft von Grund aus verändert, wiedergeboren werden
— der aber glaubt, daß von psychologisch orientierten Kunsthistorikern
sehr wohl gewisse Gebiete der Kunstgeschichte so behandelt werden können,
daß sie auch den strengen Historiker interessieren: gerade der muß über
Büchern wie dem vorliegenden besonders mißmutig werden. Denn sie sind
nicht nur überflüssig; sie schaden direkt der im Kern guten Sache. Deri.
Archi tektu r.
P. Eichholz. Das- älteste deutsche Wohnhaus, ein
Steinbau des IX. Jahrhunderts. (Studien zur deutschen
Kunstgeschichte, H. 84.) Straßburg i. E. 1907.
Der zunächst etwas reklamehaft ausschauende Titel des Büchleins
darf nicht hindern, daß sich die Forschung ernsthaft mit seinem Inhalt aus-
einandersetzt. Es handelt sich um das bereits öfter behandelte graue Haus
Literaturbericht.
339
in Winkel im Rheingau. In der Volkstradition galt das Häuschen als Woh-
nung des Rabanus Maurus, also für ein Werk des 9. Jahrhunderts. Dem
widersprach, wie zunächst jeder eine solche Tradition mit wohlwollendem
Lächeln auf sich beruhen zu lassen geneigt sein wird, die große Mehrheit
derer, die sich mit dem Bau beschäftigt hatten; Eichholz tritt dagegen für
den karolingischen Ursprung von neuem ein, nachdem Konr. Plath bereits,
wenn auch noch nicht völlig abschließend, die dieser Auffassung günstigen
Tatsachen hervorgehoben hatte. Er geht von den Einzelformen aus, die
zum größten Teil in Abbildungen und Aufnahmen gebracht werden.
Den Hauptanstoß gab bisher ein kleines monolithes gekuppeltes Fenster
im Obergeschoß, das ein Würfelkapitell in freilich stark überhöhter Segment-
form zeigt. Zum Beweise dafür, daß diese Form des Kapitells nicht erst im
IO. Jahrhundert (Essen) auftritt, verweist Verfasser auf einen in Forch-
heimer-Strzygowskis Byzantin. Denkmälern abgebildeten altchristlichen
Sarkophag in Ferrara. Eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht zu verkennen
und gewiß ließen sich noch mehr Analogien beibringen, vor allem aus der
Kleinkunst. Wenn einmal erst das ganze Material der spätantiken bis
romanischen Kapitellformen durchgearbeitet sein wird, wird sich eher
mit Sicherheit über solche Dinge urteilen lassen. (Übrigens kommt in der
Abbildung die starke Verjüngung des Säulenschaftes nicht genügend zur
Geltung.)
Daß man im 12. Jahrhundert »so kleine Öffnungen nicht mehr rund-
bogig schloß, sondern mit einem geraden Sturz überdeckte«, ist in dieser Aus-
dehnung für Deutschland gewiß nicht richtig; die meisten Beispiele, die an-
geführt werden, gehören dem westlichsten Deutschland — wo übrigens auch
zahlreiche rundbogig schließende Öffnungen begegnen — und besonders
Frankreich an, wo sich eine von deutschen Gewohnheiten abweichende Vor-
liebe für die Horizontale ausgebildet hat. (Vgl. meine Studien zum roman.
Wohnbau, Straßburg 1902, S. 159.)
Dagegen hat die sonstige sparsame Ornamentik nichts mit
Romanischem zu tun: eingeritzte Schleifen, Linien in Form eines an-
steigenden Giebels mit kreisrunden Akroterien. Besonders schlagend ist
ein direktes Kerbschnittmuster am Mittelpfosten und zwischen den Bogen
eines gekuppelten Fensters, das Eichholz gefühlsmäßig lieber für karo-
lingisch als romanisch ansehen möchte. Gerade dafür haben wir aber ein
wichtiges Gegenstück im südlichen Giebel der Lorscher Torhalle, wo die
Kerbschnittverzierung in völlig gleicher Weise wiederkehrt. Die einfache
Übertragung der Zimmermannsgewohnheiten auf die Steinbearbeitung
zeigt sich auch in einem ausgegründeten Kreuz, für dessen Form ich zum
Vergleich auf ein fränkisches, aus Abenheim stammendes Schmuckstück
im Mainzer Römisch-Germanischen Zentralmuseum hinweisen möchte
340
Literaturbericht.
(Nr. 1371). Ebenso wichtig für die Datierung ist ein Gesimsstück mit einer
Stabverzierung, wie sie von merowingisch-fränkischen Sarkophagen be-
kannt ist. Auch die Eigentümlichkeit sicher karolingischer Bauten, daß
die Profile der Kämpfer nur nach der Leibungsseite ausladen, begegnet hier;
ebenso der Wechsel von roten Ziegeln und hellen Sandsteinen in den Bogen.
Es bleibt nichts aaderes übrig, als anzuerkennen, daß alles auf karo-
lingische, nichts auf spätere Entstehungszeit schließen läßt, denn auch die
Einfügung der sämtlichen frühen ornamentierten Teile in einen späteren
Bau ist in keiner Weise wahrscheinlich. Dabei ist aber nicht zu verkennen,
daß noch innerhalb der karolingischen Epoche Umgestaltungen mit dem
Hause vorgenommen worden sind; der Urbau bestand jedenfalls nur aus
einem zweigeschossigen Hauptbau mit gleichfalls zweigeschossigem Ora-
torium im Westen. Ein Kamin, kein »Hochsitz«, an der Südostwand; eine
Freitreppe wohl westlich im Winkel der beiden Bauteile.
Noch in karolingischer Zeit wurde südlich ein Erweiterungsbau ange-
fügt, bei dem zum Teil Stücke des ursprünglichen Baues pietätvoll ver-
wendet, Monolithe dagegen offenbar nicht mehr neu hergestellt wurden.
Weiter wurde südlich der Kapelle eine Küche angelegt, deren Herd an die
Stelle der Freitreppe kam. Die späteren Veränderungen interessieren hier
nicht weiter.
Die Untersuchung ist bis hierher durchaus überzeugend, sorgfältig
und nüchtern; es folgen Kombinationen, die für sicher anzunehmen niemand
gezwungen ist.
Der Bauherr war zweifellos ein wohlhabender Mann, gewiß ein Geist-
licher, jedenfalls klassisch gebildet. Das beweist die bisher unbemerkt ge-
bliebene Einhaltung der Lehre Vitruvs bei dem — nach Eichholz — ur-
sprünglichen Bau, den Grundriß I : 2 zu gestalten; bekanntlich zeigt die
Ingelheimer Pfalz dasselbe Verhältnis. Winkel liegt nahe bei Mainz, un-
willkürlich lockt der Gedanke, in Rabanus Maurus, dem Erzbischof selbst,
den Erbauer und Bewohner des Hauses zu sehen.
Seine umfassende Bautätigkeit für Fulda ist bekannt; andererseits
steht fest, daß er in Winkel ein Haus besessen und bewohnt hat. Auch der
Erweiterungsbau würde in der Geschichte seines Lebens seine Erklärung
finden: bei einer Hungersnot (850) soll er täglich Hunderte bei sich ge-
speist haben. Auch sonst ist Eichholz glücklich in der Heranziehung der
literarischen Quellen. Abschließend ist auch seine Arbeit nicht; so vermißt
man einen genauen Grundriß des Vorhandenen; Eichholz bringt nur einen
Lageplan des Ganzen und Grundrisse des Urbaus als Wiederherstellungs-
versuch. Auch die Arbeit seiner Vorgänger tritt zu Unrecht stark zurück;
manches in seinen Untersuchungen war bereits von anderen vor ihm aus-
gesprochen oder wenigstens angebahnt worden. Karl Simon.
Literaturbericht.
349
schreibt A. Madonna mit zwei Engeln derselben Galerie zu [was nach Abb.
nicht ganz überzeugt],
58. L. Cu st u. H. Cook, »The Lovers« at Bucking-
ham Palace. Ebendort IX, No. 38, Mai, S. 71. Aus Samm-
lung Karls I. (schon 1625), sehr schlecht erhalten, Tizian oder Giorgione
früher zugeschrieben. Nach Cust die Komposition von Giorgione, das
Buckingham-Pal.-Bild von Tizian (vgl. Salome, Doria Pamfili). Cook hält
das Bild der Casa Buonarroti möglicherweise für Original von Giorgione,
das vielleicht von Sebastiano vollendet ist; das Londoner Bild für Bordone.
Über Bilder von Bordone in England; Kopie von Tizians »Alfonso d'Este
und Laura Dianti« bei Earl Spencer, Althorp. Porträt der Paula Visconti
im Besitz des Königs von Portugal.
59. Zu Giorgione vgl. Kunstchronik XVII, No. 16,
Sp. 249 (Bilder der Sammlung Conway) und No. 31, Sp. 502 (Vermehren
über das Konzert des Pal. Pitti).
60. H. Cook, Notes on the study of Titian. Burl.
Magazine X, No. 44, November, S. 102. Der kleine Cupido,
Wien, Akademie, sei Original von Tizian; nicht von T. dagegen der »Tam-
burinspieler« der K. Galerie. Cornaro-Familie in Alnwick, um 1560. Bild
des Francesco Vecellio bei Sir W. Farrer, aus S. Giuseppe in Belluno
(Beziehung zu Giorgionebild bei Lord Allendale) und über andere Bilder
desselben. •
61. E. Petersen, Zu Meisterwerken der Renaissance.
4. Tizians »Amor sacro e profano«. Zeitschr. f. bild.
Kunst N. F. XVII, S. 182. Das Relief am Brunnen sei Tizians Er-
findung, müsse Bestrafung der carnal amore auf Geheiß der Venus
sein. Das Bild stellt den Gegensatz zwischen irdischer und himmlischer
Schönheit dar, beruht auf platonischen Ideen.
62. L. Ozzola, Venere ed Elena (Amor sacro
e Amor profano). L’A r t e IX, S. 298. Venus überredet Helena,
dem Menelaus zu folgen. Das Pferd des Sarkophags sei das trojanische,
rechts die Tötung des Deiphobus, Gemahls der Helena, durch Menelaus;
links, wie Venus den Paris vor Menelaus schützt.
63. P. Kristeller, II trionfo della fede. Graphi-
sche Gesellschaft. I. Veröffentlichung. Berlin.
64. E. Male, L’A rt symbolique ä la fin du moyen
äge. Revue de hart ancien et moderne XIX, S. in.
Kopie nach Tizians Holzschnitt des Triumphes Christi im Fenster der Kathe-
drale von Brou.
65. Trento, La vendita di un Tizian o. Rassegna
d' a r t e VI, November, zweite Umschlagsseite. Porträt
35°
Literaturbericht.
Madruz^os, von Baron Salvadori nach Amerika verkauft [Sammlung
Stillmann].
66. G. Gronau, Zwei tizianische Bildnisse der
Berliner Galerie. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 27,
S. 3. Bildnisse des Ranuccio Farnese und der Tochter des Roberto Strozzi
(vgl. Nachtrag von C. Sachs, ebendort S. 142).
67. H. von Kilenyi, Ein wiedergefundenes Bild
des Tizian. Budapest. »Toilette der Venus« aus der Sammlung
Erzherzog Leopold. Wilhelm, dann in Preßburg und Ofen, 1856 versteigert,
in Privatbesitz [des Verfassers]. Komposition mit einem Putto; ein zweiter
kam bei Reinigung zum Vorschein.
68. J. Guiffrey, La collection du baron de
Schlichtin g. LesArts No. 50, Februar, S. I. Darin Porträt
von Tizian, A. Doria, etwa 1557 — 1560, aus der Sammlung Morris Moore
[seither als Porträt des Vinc. Cappello erkannt].
69. Roth: Vesal, Estienne, Tizian, Leonardo.
Arch. f. Anatomie u. Physiologie, No. 1 (nach Internationaler
Bibliographie der kwiss. Literatur 1906, No. 2570).
70. Zu Tizian vgl. Rassegna d'arte VI, Januar,
zweite Umschlagsseite. Porträt des Dogen Seb. Venier, Halb-
figur, bei Antiquar in Görz, vielleicht aus T.s letzter Zeit, 1577 [sic!].
71. Archivio storico Messinese VII, S. 246: dem T.
zugeschriebenes Bild im Museum von Messina, aus S. Maria delF Alto (Corte-
Cailler).
72. Art Journal, N. S. 45, Oktober, S. 301, angeb-
liches Porträt des Lorenzo de Medici [?], von Tizian, verkauft in London,
früher Foot's Cray Place (vgl. dazu Athenaeum No. 4099, 19. Mai: all-
gemein Autor und Name des Dargestellten bezweifelt).
73. Vittorio (Conegliano). — Un Tiziano apo-
crifo. Rassegna d'arte VI, Juli, zweite Umschlags-
seite. Die Madonna im Dom von Vittorio sei nach Dokumenten Kopie
des Originals, das im 17. Jahrhundert verkauft wurde.
74. D. Buratti, Un opera ignota del Tiziano.
II ritratto di Andrea Doria. Marzocco XI, No. 41,
14. Oktober. Im Besitz des Marchese E. Doria di Cirie, in Cirie del
Canavese. Vgl. Rasse, gna d'arte VI, November, 2. Umschlagsseite.
75. Un quadro del Tiziano invendita? Rassegna
d'arte No. II. Batseba, im Besitz der Conti di Conversano bei Bari.
76. R. Fry, Some recent acquisitions of the
Metropolitan Museum, New York. Burl. Magazine
IX, No. 38, S. 136. Männl. Porträt von Lotto [?].
Literaturbericht.
351
77. Gerspach, La vie d'un peintre venitien au
XVI e s i b c 1 e. Lor. Lotto. Revue de l'art chretien
V . Serie, t. II, S. 158 u. 233 [wertlos].
78. Zu B o r d o n e vgl. Kunstchronik XVII, No. 32,
Sp. 521. Venus mit Amor bei Dr. Herbst, Bremen.
79. A. J. Rusconi, A. P. Bordone in the Vatican
Gallery. Connoisseur t. XVI, No. 61, S. 28. Der hl. Georg, mit
falscher Signatur des Pordenone.
80. G. Arenaprimo di Montechiaro, II ptttore
veneto Francesco Stetera in Messina. Arte e Storia
XXV, S. IOO. Zahlung an ihn 1572; Verkündigung in der Badia vecchia
in Novara di Sicilia ; Kopie in einer Kirche in Palermo. Signiert, datiert 1570.
81. P. Molmenti, Un contratto fra il Comune
di Salo e i pittori Palma il Giovane e Antonio Vassi-
lacchi. Atti d. R. Istituto Veneto di seien z e t. LXVI,
p. II (1906/7), S. 395. Die beiden Maler übernahmen Ausmalung des Chors
und vier Bilder für die Orgeln von S. Maria Annunziata in Salb 1602; sie
waren im folgenden Jahr fertig. Beschreibung derselben.
82. G. B. Cervellini, Marino, Emanuele e Costan-
tino Zane. Nuovo Archivio Veneto N. S. t. XII p. II,
S. 307. Künstlerfamilie aus Retimo. Von Emanuele Zane Bilder von 1636
bis 1686; von Costantino 1677 und 1682.
83. Sugli affreschi del Tiepolo di villa Duodo
e del palazzo Onigo. Marzocco XI, No. 46, 18. November.
Die Regierung hat Fresken aus Villa Duodo gekauft; zwei Soffitti aus Pal.
Onigo, Treviso, im Handel in Mailand. Vgl. ebendort No. 47, 25. November
(Molmenti): die Fresken von Giandomenico Tiepolo; die aus Casa Onigo
von einem Nachahmer, vielleicht del Canal. Vgl. auch Kunstchronik XVIII
No. 6, S. 94.
84. Zu Tiepolo vgl. Kunstchronik XVIII, No. 7, S. 108:
Skizze der Kreuztragung in S. Alvise, für Berlin erworben; ebenso Guardi.
85. Oct. Uzanne, Les deux Canaletto. Paris.
86. Fournier-Sarlovbze, Les peintres de Stanis-
laus Auguste. Revue de l’art ancien et moderne
XX, S. 1 1 3. S. 122: über Bellottos Aufenthalt in Warschau 1756/8; er
läßt sich dort 1768 nieder. Bilder im Besitz des polnischen Adels.
87. C. A. Simonson, Guardi e Longhi. Burl. Maga-
zine X, No. 43, 0 k t 0 b e r , S. 53. Bild von Guardi, Maskerade im
Ridotto, etwa 1760, Sammlung Kann; Replik von Pietro Longhi, Venedig
Museo Correr, wahrscheinlich Kopie des Guardi. Kann hat das Gegenstück
von Guardi.
35 2
Literaturbericht.
III. Die Terraferma.
Zur Malerei des Friaul vgl. Bibliographie 1905 No. 89/90.
88. G. Gerola, Catalogo dei dipinti del Museo;
Sezione bassanese. Bollettino d. Museo Civico di
B a s s a n o III, S. 105. Katalog von 106 Bildern, mit Provenienzen und
Literaturangaben.
89. G. Chiuppani, Di alcuni pittori sconosciuti
(s e c. XV/XVI). Ebendort S. 69. In der Vorrede über die Nasocchi,
Dario da Treviso (Zahlung 1462). Zahlung an B. Montagna 1487, an Gio.
da Crema 1476. Dann Liste von unbekannten Malern mit Dokumenten,
u. a. über Francesco fu Cristoforo da Vicenza, 1488, der gelegentlich mit
Francesco da Ponte verwechselt worden ist, welcher aus Gallio in den
Sette communi stammte.
90. G. B. Cervellini, Ancora per Pelenco delle
opere della scuola pittorica bassanese. Ebendort
S. 135. Liste der sicheren Werke von Giulio und Luca Martinelli, Giac.
Apollonio, Giac. Guadagnini, Antonio Scaiaro und dessen Söhnen. Bis auf
die zwei ersten alles Nachkommen des Giac. da Ponte.
91. A. Frova, Una casa dipinta a Fossalunga.
Ebendort S. 15. Casa Sernagiotti, 16. Jahrhundert, mit Anklängen
an die Fresken Bassanos an Casa Michiel und an der Piazzetta dell7 Angelo.
92. Gli stucchi di Ca’R^zzonico e la pittura
decorativa in Bassano. Arte ital. decorativa e
industriale XV, S. 3 7. Fresken der Bassani ; in Thiene, Pal. Conti
Porro, klassische Szenen von P. Veronese und Zelotti.
93. V. Lazzarini, Nuovi documenti su Mantegna,
Squarcione, Marco Zoppo, Schiavone etc. Ras-
segna d’arte VI, September, 2. Umschlagseite [für
die Paduaner Malerschule von grundlegender Bedeutung. Jetzt ganz er-
schienen im Nuovo Archivio Veneto, Jahrg. 1908].
94. S. de Kunert, Una cappella distrutta nella
Basilica di S. Antonio in Padova. L' Arte IX, S. 52.
Die Kapelle de Lazara, zerstört wahrscheinlich 1532, gemalt von Pietro
Calzetta (Vertrag von 1466: Ausmalung der Kapelle; Altarbild nach Ent-
wurf von Pizzolo auf Grund einer Zeichnung von Squarcione. Skizze des
Altarbildes, reproduziert). . 1552 malt Stefano dall’ Arzere das Bild der Auf-
erstehung (noch dort).
95. L. Serra, Andrea Mantegna (nel4°centenario
della sua morte). Natura ed arte XVI, Nr. I, I. De-
zember, S. 32.
Literaturbericht.
345
hardinslegende, Perugino (Apoll und Marsyas) ; Johannes d. T. dem Raphael
zurückgegeben; G. Romano (nicht Bagnacavallo), Beschneidung Christi.
2 6. G. Frizzoni, Intorno a due dipinti di scuole
italiane nel Museo di Digione. Rassegna d' arte VI,
S. 1 86. Holbein zugeschriebenes Frauenporträt ist früher Lotto, vgl. Porträt
Neapel und Bild bei Graf Puszlowsky [vgl. auch sog. Barbarj, Wien].
Bacchiacca, Auferstehung, zum Teil nach Perugino im Vatikan.
27. The National Gallery. Athenaeum No. 4114, 1.
September. Kurze kritische Noten, bes. zu Bildern der Sammlung
Salting. Vgl. No. 4131, 29. Dezember.
28. Ellen Duncan, The National Gallery of Ir. e -
land. Burlington Magazine X, No. 43, Oktober, S. 7.
Tizian, Eccehomo, spät; Mantegna, Judith; Moroni, Mann m. zwei Kin-
dern [?]; männl. Porträt, Cossa oder Roberti zugeschr. ; Costa, hl. Familie;
Altarbild von Palmezzano, 1513 (früher Sammlung Hercolani und Fesch);
Zanobi Macchiavelii, Madonna m. Heiligen; männl. Porträt, Solario zu-
geschr. [? nach CI. Phillips von Pacchia] ; Signorelli; Raphael- Schule,
zwei Kartons; Predelle von Fra Angelico; Mainardi; Carpaccio; Bissolo
und Bellini; Oliverio (zwei Bilder); die Vedutenmaler.
29. E. Gregory, Earl Brownlow’s collection of
pictures at Ashridge Park. The Connoisseur t. XIV,
No. 53, S. 3. Replik der Mona Lisa; Fra Bartolommeo; Tizian, hl. Katharina
(aus Pal. Corner); Tintoretto, Heilung d. Gichtbrüchigen; Cima; Spagna.
30. Vente Lord Grinthorpe, London. Rassegna
d’ a r t e VI, S. 123. Bilder der Schule Botticellis, männl. Porträt von
Tizian etc.
31. B. Berenson, Le pittu re italiane nella rac-
colta Yerkes lasciate di recente al Metropolitan
Museum di Nuova York. Ebendort S. 33. P. F. Fiorentino,
Madonna; Botticelli-Kopie; Pontormo, Porträt; drei Bilder von Guardi;
Cordegliaghi, signierte Madonna m. Stifter; Bild der Schule von Lucca,
Sammlung Lathrop, New York.
32. New York. Altre opere italiane passate al
Metropolitan Museum. Ebendort, März, zweite
Umschlagsseite. Zwei Heilige von Crivelli, aus Sammlung Ashburton.
Vgl. Burl. Magazine VII, No. 36, März, S. 443.
33. W. Rankin, Cassone fronts in American col-
lection s. Burlington Magazine IX, No. 40, J u 1 y , S. 288.
Zusammenstellung der Werke in den Sammlungen Gardner, Johnson, Jarves,
Metrop. Museum und New York Histor. Society. Ferner Falconetto, Matteo
de’Pasti bei Miss Bludgett, New York.
24'
346
Literaturbericht.
34. F. J. Mather, Recent additions to the Col-
lection of Mr. John G. Johnson, Philadelphia. Eben-
dort Nr. 41, August, S. 351. Predellen von Neri di Bicci; Ver-
kündigung, vielleicht Michelino; Bilder von Pesellino (Schule), Botticini,
Sellajo, P. F. Fiorentino; Fra Bartolommeo, Adam und Eva, unvollendet
(dazu H. Horne, ebendort, No. 42, S. 425: das Bild kommt in dem Dokument
der Trennung zwischen ihm und Albertinelli, 1512, vor); Bronzino, Portr.
d. Carlo Pitti (dazu Horne a. a. 0.; wahrscheinlich gemalt nach 1575, nach
Bronzinos Tod; dagegen Mather ebendort X, S. 137: Datum zweifellos
1546). Predella von Bartolo Fredi; Madonna Gio. Bellini; signierter Lean-
dro Bassano; Schule von Verona u. a.
35. F. Malaguzzi-Valeri, I disegni della R. Pina-
coteca di Brera. Mailand. Abb. von 94 Blättern aller Schulen,
mit kurzem kritischen Verzeichnis.
36. E. Jacobsen, Nachtrag zu meinem Artikel
»Handzeichnungen in den Uffizien«. Repertorium
XXIX, S. 27. Savoldo, Verocchio, M. Angelo, Tintoretto.
37. G. Frizzoni, Opere di maestri antichi
a pr.oposito d. pubblicazione dei disegni di Oxford.
P. IV. L’Arte IX, S. 241. Leonardo und Schule, Filippino, M. Angelo,
Raphael-Viti, Correggio (vgl. auch C. Ricci, Rassegna d' arte VI, S. 140).
38. Tresors d’art en Russie, VI, No. 3/4: angebliches
Kartonfragment der Farnesinafresken; Correggio, Kopf der Madonna der
Krönung, farbig [sieht gut aus]; G. Romano, Baroccio [Kopie], Ebendort
Nr. 6/7, S. 109: Collection A. Prachoff, Dessins de maitres anciens.
II. Venedig.
39. H. Cook, L'Esposizione del Burlington F. Arts
Club. L’Arte IX, S. 143. Lotto, Madonna mit Stiftern, und Susanna,
1517 (beides Neuerwerbungen der Sammlung Benson), Danae (Conway);
Palma, Porträt; Giorgione, Porträt, Col. Kemp (früher Doetsch); Giorgione-
Schule, Triumphzug (Cook, Richmond; ein zweites Stück bei Lord Darnley,
Cobham Hall). Das Novellenbild von Tizian aus Buckingham Palace.
Vgl. auch Magazine of Fine Arts I, No. 4, Februar, S. 255.
40. H. Cook, Some Venetian Portraits in Eng-
lish possession. Burl. Magazine VIII, No. 35, Februar,
S. 338. Giorgione, Col. Kemp; Basaiti, Sir Spencer Maryon-Wilson, Charlton
Park; Dom. Caprioli, Bowes Museum, Barnard Castle, datiert 1528 (dabei
über andere Bilder des Meisters); Cariani, Chatsworth.
41. Don Fastidio, Dipinti ignorati di Antonio
Vivarini. Napoli nobilissima XV, S. 144- Im Archivio
Literaturbericht.
347
Capitolare der Kathedrale von Polignano a Mare (Bari) fünf Teile eines
Polyptychons (Madonna mit vier Heiligen), mit Resten der Signatur, datiert
I445-
42. V. de Golube ff, Carattere e contenuto del
libro di schizzi di Jac. Bellini a Londra. Marzocco
XI, 30. 29. Jul i. Charakteristik des künstlerischen Gehalts.
43. C. Ricci, Una Madonna di Jac. Bellini.
R i v i s t a d’ a r t e IV, S. 22. Neuerwerbung der Uffizien, mit reicher
Bibliographie. Vgl. auch Marzocco XI, No. n. 18, März (Cantalamessa),
Rassegna d’arte VI, S. 59 (C. Gamba), Zeitschr. f. bild. Kunst N. F. XVII,
S. 266 (Gronau); Art Journal N. S. 45, Mai, S. 157.
44. A. Segarizzi, UlisseAleotti rimatore Vene-
ziano del sec. XV. Giornale storico della letteratura
i t a 1 i a n a t. 47, S. 41 ff. S. 65 : Verfasser der Sonette auf Ja*\ Bellini
und auf den Wettstreit in Ferrara, sowie auf A. Mantegna.
45. Ch. Diehl, La peinture orientaliste en Italie.
Revue de l'art ancien et moderne, t. XIX, S. 5 u. 143.
Gentile Bellini (türkische Bauten des Brerabildes) ; Empfang in Kairo 1512,
im Louvre; Carpaccio, St. Georg mit Drachen (gibt den Haram es Cherif
wieder). Einfluß des Florentiner Konzils von 1438 auf die Künstler.
46. J. R. Martin, A portrait by Gentile Bellini
in Constantinople. Burl. Magazine IX, No. 39, S. 148.
Sitzender junger Mann, schreibend, Miniatur in Wasserfarben, in einem
Album orientalischer Miniaturen, in Konstantinopel erworben. Hinweis
auf Gentiles Zeichnungen im British Museum [überzeugt unbedingt].
47- Fr. Sarre, Eine Miniatur Gentile Bellini’s,
gemalt 1479/80 in Konstant inopel. Jahrb. d. preuß.
K u n s t s 1 g n. 27, S. 302. In Besitz von Dr. Martin; ein Page, in
türkischer Tracht der Zeit Mohammeds II.
48. C. Cavazzana, Cassandra Fedele, erudita
Veneziana del Rinascimento. AteneoVenetoA. XXIX,
t. II, S. 73ff. S. 86/7 über das Porträt der Cassandra von Gio. Bellini,
verloren, war später im Haus des Cancellier grande A. Frigerio (S. 372).
Verse der Dichterin darauf.
49. D. F. Platt, Una Pietä del Crivelli. Rassegna
d' a r t e VI, S. 30. Sehr zerstörtes Bild der Sammlung Rev. Nevin, Rom,
aus Sammlung Caccialupi in Macerata. Zu Crivelli vgl. No. 32 u. 146/7.
50. Zu Lazaro Bastian i: Ebendort VI, April,
zweite Umschlagsseite. Madonna, der National Gallery geschenkt.
51. G. Ludwig- P. Molmenti, Vitt. Carpaccio.
Mailand, Hoepli (vgl. Emporium t. 23, März, S. 187).
348
Literaturbericht.
52. P. Molmen ti, Di alcuni quadri custoditi
nella cittä di Zara, e attribuiti al Carpaccio. Em-
porium 23, April, S. 266. Sechs Tafeln in der Sakristei des Doms,
ursprünglich am Altar des heiligen Martin; darstellend St. Martin und
Heilige, Mittelbild trägt Signatur (die zweifelhaft ist); gestiftet angeblich
1480, dann Carpaccios .frühestes Werk [?; vgl. Berliner Grablegung]. Car-
paccio soll für S. Domenico einen hl. Vincenzio Ferrer gemalt haben (ver-
loren). Angeblich von Carpaccio eine Mater misericordiae in S. Francesco
(nach anderen Schule Palmas) und eine andere im Convento dei frati minori
delle Paludi in Spalato.
53. L. Serra, Nota sugli affreschi dell’ ex-con-
vento dei SS. Severino e Sossio a Napoli. L’ Arte
IX, S. 106. Dem Antonio Solario zuerst von D'Engenio (Napoli sacra 1624)
zugeschrieben. Caravita (I Codici ... di Montecassino) hat die Angabe,
daß Zingaro 1518 in Monte Cassino Malereien ausführte, die noch 1610
vorhanden waren. Über zwei Bilder des Solario von 1495 und 1508. Das
ihm früher zugeschriebene Bild aus S. Pietro ad Aram, jetzt Museo Nazionale,
von dem Bolognesen Ant. Rimpacta. Der venezianische Charakter in den
besten der Fresken; einiges darin von Quartararo, 1491 in Neapel nach-
weisbar. Zwei Fresken später.
54. C. Grigioni, Antonio Solario detto lo Zin-
garo nelle Marche. Arte e Storia a. XXV, S. 1 77 (vgl.
Rassegna bibliografica d. arte italiana IX, S. 109). Giacomo, Sohn des
Vittorio Crivelli, überträgt 1502 Vollendung des Polyptychons in Fermo
an Antonius Joannis pieri de soleriis de Venetiis habitator firmi. Altarbild
in S. Francesco in Osimo, schon 1893 von A. Anselmi als Werk des Vene-
zianers Antonio di Giovanni di Piero nachgewiesen; 1506 von Giuliano
Presutti aus Fano vollendet. Das Bild aus Serrasanquirico (jetzt Brera)
könne nicht von Solario sein.
55. Zu Antonio Solario vgl. Napoli nobilissima
XV, S. 78 (Madonna mit Stifter, erworben für Galerie, Neapel).
56. P. J. Sebastiano, Sulla vera patria di An-
tonio Solario detto lo Zingaro. Rivista Abruzzese
XXI, S. 639. S. sei in Ripateatina bei Chieti geboren [ganz plantastisch;
ohne Kenntnis der neuen Forschungen; Hauptquelle der Fälscher de Domi-
nicis] . Dagegen G. deCaesaris, ebendort XXII, S. 50; Hinweis
auf ein dem S. zugeschriebenes Bild Gottvaters in S. Domenico in Penne;
Replik ebendort S. 603, ohne Wert.
57. Sir W. Armstrong, Alessandro Oliverio. Burl.
Magazine X, No. 44, November, S. 126. Männl. Porträt, signiert,
aus Sammlung Hamilton, gehört zum Palma-Kreis. Demselben Autor
Literaturbericht.
353
9 6. A. M. H i n d , The engravings of A. Mantegna.
The Connoisseur XIV, Nr. 56, S. 213; XVI, Nr. 62, S. 93. Versuch
einer Klassifikation und Datierung.
97. A. M. H(ind), Note su Mantegna e Pollajuolo.
L' A r t e IX, S. 303. Der Stich des G. Antonio da Brescia — Herkules
und der Löwe von Nemea — geht nicht, wie Bartsch annahm, auf Pollajuolo,
sondern auf Mantegna zurück.
98. Zu P a r e n t i n o vgl. Blätter f. Gemäldekunde
III, 2, S. 45: Bildchen Sammlung Weinberger, Wien.
99. Zu Lauro Padovano vgl. Kunstchronik XVII,
Nr. 31, Sp. 501.
100. G. Biadego, La cappella di S. Biagio nella
c h i e s a d e i SS. Nazaro e Celso in Verona. Nuovo
Archivio Veneto, N. S. t. XI, p. II, S. 91. Von größter Wichtigkeit
für die Veroneser Malerei, besonders Falconetto, Francesco Morone (zu-
gleich irrige Daten über Cavazzola berichtigt), Montagna, Cavazzola,
Bonsignori und Girolamo dai Libri, Antonio Badile. Mocettos Name kommt
nicht vor.
101. Zu Buonsignori vgl. A. Luzio, Isabella d’Este
ne’ primordi del papato di Leone X. Arch. stör,
lombardo S. IV, t. VI, S. 135. B. wird 1514 beauftragt, das Porträt
des Luigi Gonzaga zu malen; später malt er auch das Porträt des Ferrante
Gonzaga. Die Bilder sind im Juni in Rom. Endlich soll er auch Federigo G.
malen.
102. G. Frizzoni, La pala di G. Francesco Carotto
nel Duomo di Trent o. Archivio Trentino a. XXI,
S. 129. Bild am Altar der S. Massenza, signiert, wahrscheinlich aus dem
ersten Dezennium.
103. A. Sacchetti Sassetti, Del »Giudizio Uni-
versale« di Rieti e de’ suoi autori. Bollettino d.
Deputazione di storia patria per TUmbria t. XII,
S. 549. Von Lorenzo und Bart. Torresani aus Verona, vollendet 1554. Die
Maler von 1525 — 1555 in Rieti nachweisbar. Lorenzo malt die Sebastians-
kapelle in S. Agostino in Narni, wo er 1541 und 1547 nachweisbar ist; Barto-
lommeo zwei Fresken im Dom 1547.
104. II quadro di Maffeo da Verona. Marzocco
XI, No. 10, II. März. Bild, von Signor Geiger erworben, nach Zanetti
die »Leiden der Verdammten«; in den Mosaiken von S. Marco kopiert.
105. D. Canavesi, Un dipinto di Girol. Romanino.
Bollettino storico piacentino I, S. 76. Madonna, das Kind
anbetend, im Besitz des Verf.
Literaturbericht.
3 54
106. Zu Romanino vgl. A. Annoni, II Castell o del
Buonconsiglio in Trent o. Arte ital. decorativa e
industriale XV, S. 95.
107. L. Angelini, Un polittico di scuola berga-
masca. Rassegna d'arte VI, S. 62. Transfiguration mit Heiligen,
vielleicht von Gio. Giacomo Gavasio de Poscante (um 1512 tätig) in der
Chiesetta von Ama bei Albino (Valle Seriana).
108. G. Frizzoni, Nuove rivelazioni intorno a
Ja c. Palma il Vecchio. Ebendort S. 1 13. Schwierigkeiten
der Chronologie. Zwei echte Bilder in der Gal. Borromeo, Mailand; zwei
unbekannte Bilder (eines aus Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelm) aus
Wien an Crespi und Frizzoni. Madonna bei Visconti Venosta. Altarbilder
in Serina, Peghera und Dossena. Beziehung d. Santa Conversazione in
Venedig zu Bild von Tizian in Paris.
IV. Emilia, Romagna.
109. C. Gamba, Lorenzo Leonbruno. Rassegna
d'arte VI, S. 65 u. 91. Biographie, Zusammenstellung der Werke, dar-
unter die dokumentarisch beglaubigten Fresken der Scalcheria in Mantua
(1523). Schüler des Costa, später in Rom ausgebildet.
110. E. Scatassa, Di Antonio di Guido Alberti
da Ferrara, pittore. Rassegna bibliografica d'arte
ital. IX, S. 56. Dokumente 1423 — 1465. Fahne in Urbino 1438, ebendort
Polyptychon aus S. Bernardino; Fresken in Talamello 1449.
111. H. Yates Thompson, The most magnificent
book in the world? Burl. Magazine IX, No. 37, April,
S. 16. Aristoteles, 2 Bände, gedruckt in Venedig, mit Miniaturen der ferraresi-
schen Schule [? erinnern an Parentino].
1 1 2. Gerspach, Deux peintures de Cos. Tura,
Revue de l'art chretien, V s6r. t. II, S. 54. Dominikus in den
Uffizien, S. J acopo della Marca in der Gail. Borghese.
1 1 3. A. V(enturi), Due quadri di Francesco del
Cossa nella raccolta Spiridion ä Parigi. L'Arte
IX, S. 139. Zwei Heilige, Lucia und Liberale, Halbfiguren.
114. CI. Phillips, An unknown Dosso Dossi. Art
Journal N. S. 45, Dezember, S. 353. Beweinung Christi im
Besitz des Verf. (vgl. die Circe, Sammlung Benson).
11 5. V. Maestri, Una residenza feudale della
fine del XVIII0 sec. Erudizione e Belle arti N. S. III,
S. 129. Kastell von S. Martino in Rio, den Roberti gehörig. Decken und
Friese aus der Zeit Filippos I. Estense, um 1570, erhalten, von Modeneser
Literaturbericht.
355
Malern, wie Gio. Taraschi u. a. (S. 147/8). Beschreibung derselben mit Angabe
der Motti und Imprese (S. 170).
1 1 6. Arch. storico per le provincie Parmensi
N. S. t. VI, S. 226: über Fresken, zum Teil 15. Jahrhundert, in S. Antonio
del Viennese bei Borgo San Donnino.
117. D. Ettore Firelli, Cristo deposto dalla
Croce, affresco nella chiesa del SSm0 Crocifisso in
Carpi. Erudizione e Belle arti N. S. III, S. 14. Schon
erwähnt 1664, daher nicht von Bonav. Lamberti (wie Tiraboschi annahm).
Vielleicht von Bart. Ranzani, tätig um 1630, der von älteren Autoren ge-
nannt ist. Stich des Freskos, wahrscheinlich von Pietro Monaco nach
Zeichnung von Gio. Maria Barbieri aus Carpi.
11 8. T. Sturge Moore, Correggio. London, Duck-
worth.
1 19. A r n. B a r i 1 1 i , L* Allegoria d e 1 1 a v i t a u m a n a
nel dipinto correggesco della camera di S. Paolo
in Parma. Parma. Die Puttenszenen repräsentieren Jagd, Ackerbau,
Zivilisation und Krieg. Die Lünettenserie beginnt mit den Parzen, endet
mit dem Tempel. Hauptquelle war wohl Ovid [die Theorie ist unhaltbar;
die Darstellungen in den Lünetten sind zum Teil den Reversen römischer
Münzen entnommen]. Vgl. Rassegna d'arte VI, S. 143.
120. Th. von Frimmel, Bemerkungen zu Cor-
reggio. Blätter f. Gemäldekunde III, 4, S. 65. Über Farben-
gebung und Erhaltung der Madonna della Scodella; Untersuchung der
Bilder in Parma auf Technik.
1 2 1 . C. Ricci, Documenti su Fr. Maria Rondani
e Michelangelo Anselm i. Rivista d'arte IV, S. 31.
Die Fresken in der Cappella della Concezione bei S. Francesco in Parma,
1532—1534.
122. P. N. Ferri, Di un recente incremento alla
raccolta dei disegni di antichi maestri negli Uffizi.
Ebendort S. 124. Sammlung Marchesi Malvezzi in Bologna, gesammelt
vom Kardinal Vincenzo M. (18. Jahrhundert), wesentlich bolognesische
Schule 16. bis 18. Jahrhundert.
123 U. Santini, Cenni statistici sulla popo -
lazione del quartiere di S. Procolo in Bologna nel
1496. Atti Memorie d. R. Deputazione di storia patria
per 1 e p r o v. di R o m a g n a III S., t. XXIV, S. 327. Darin S. 334
einige Malernamen mit Katasterangaben.
124. Rassegna d' arte VI, Mai, 2. Umschlagsseite:
Bilder der bolognesischen Schule, Vendita Gozzadini, Bologna.
356
Literaturbericht.
125. H. Tietze, Annibale Carraccis Galerie im
Pal. Farnese und seine römische Werkstätte. Jahrb.
d. AH. Kaiserhauses XXVI, Heft 2, S. 49. Auch über die Schüler
Inn. Tacconi, Albani, Domenichino, Lanfranco, Badalocchio.
126. Imola. Quadro di Lod. Carracci restaurato.
Rassegna d'arte VI, Oktober, 1. Umschlagsseite.
S. Orsola in S. Niccolo.
127. Un Centenario ä Bracciano. II Rosario,
Memorie Domenicane A. XXIII (S. II, t. X), S. 502. Altar des
Rosario, gestiftet von Duchessa Caterina Galletti-Orsini, mit Anbetung
des Rosenkranzes, mit Porträts der Familie der Stifterin, aufgestellt Juli
1606, von Domenichino.
128. F. Malaguzzi-Valeri, Guercino disegnatore.
Ars et labor (giä Musica e Musicisti) I, S. 3. Mit Ab-
bildungen verschiedener Blätter in der Brera.
129. A. Bacchi della Lega, Sulla vita e le opere
di M. Ant. Franceschini pittore bolognese del sec. XVII. Atti
Memorie di storia patria p. le prov. di Romagna
S. III, t. XXIV, S. 590. Referat über Vortrag. Fr. lebte 1648 — 1729; über
seine Bilder in Bologna.
130. C. Gamba, Una tavola di Melozzo da Forli.
Rassegna d'arte VI, S. 44. Orgelflügel mit Verkündigung und
auf den Rückseiten Bischof und S. Beriedetto, für die Uffizien erworben.
Vgl. Kunstchronik XVII, Sp. 276 u. 407.
1 3 1 . C. Astolfi, Rivendicazione d’un quadro del
Palmezzano esistente a Treia. Rivista Marchi-
giana illustrata I, S. 310. Praesepe im Besitz des Grafen N.
Grimaldi, ausgestellt in Macerata; identische Komposition, wie Pal-
mezzano in Grenoble, ferner auf Predellen in der Galerie in Ravenna und
der Brera.
132. G. Petrini, Un presepe della pinacoteca
reatina. Rassegna d'arte VI, S. 190. Anbetung der Hirten,
aus dem Ex-Convento S. Francesco; nach Guardabassi »Schule Peruginos«
[Nachahmer Palmezzanos].
133. Fr. Ravagli, Carpi. Salone di Mori. Erudi -
zione e Belle arti N. S. A. III, S. 259. Fresken im Castello dei Pio,
überweißt, jetzt in Restauration, können nur von Gio. Sega von Forli sein,
der 1506 — 1527 in Carpi lebte.
134. C. Ricci, Un gruppo di quadri di G. B. Utili.
Rivista d'arte IV, S. 137. Dokumente in Faenza 1505 u. 1 5 1 5 •
Altarbild in der Pinakothek dort zeigt stark toskanischen Einfluß. R. schreibt
Literaturbericht.
357
ihm eine Gruppe von Madonnenbildern und Altarbild in S. Francesco in
S. Casciano zu.
V. Die Marken.
135. C. Astolfi, Gli antichi centri pittorici delle
Marche e l’Esposizione d'arte di Macerata. Rivista
Marchigiana illustrata I, S. 18. Die Schulen von Sanseverino,
Camerino, Ascoli, Urbino, Caldarola, Ancona [wichtig].
136. F. Mason Perkins, Note s u 1 1’ esposizione
d’ arte Marchigiana a Macerata. Rassegna d'arte
VI, S. 49. Alegr. Nuzi, Franc, di Cicco, über Gentile und Antonio da Fabriano
(signierter Kruzifix 1452), Polyptychon des Gerolamo di Gio. Boccati (1473),
Lorenzo II. da Sanseverino, Carlo und Vittore Crivelli, P. Alemanni, Folchetti,
Cola d'Amatrice, Lotto, Pagani, ferner Perugino (Fano) und Gio. di Paolo.
137. C. Ricci, La pittura antica alla mostra di
Macerata. Emporium t. XXIII, Februar, S. 99. Schulen
von Fabriano und Sanseverino, die Crivellesken, Cola d’Amatrice und Pagani.
Wichtige Bibliographie am Schluß, reiche Abb. (der 2. Artikel s. o. Nr. 12).
138. Ard. Colasanti, Gli affreschi di Gentile
da Fabriano nella Basilica Lateranense. Riv.
Marchigiana illustrata I, S. 268. Zusammenstellung der be-
kannten Notizen. Nach Zeugnis des Loverano waren die Fresken 1630
noch vorhanden; wahrscheinlich der Restauration durch Borromini (seit
1644) geopfert.
139. A. Venturi, Un nuovo dipinto di Gentile
da Fabriano. L’Arte IX, S. 222. Madonna mit Heiligen in Fabriano
[später von anderen richtig als Werk des Bicci di Lorenzo erkannt]. Vgl.
Riv. March, illustr. I, S. 146; Rass. d’arte VI, April, I Umschlagsseite.
140. A. Colasanti, La Chiesa farfense di S.Vit-
toria in Mantenano e i suoi affreschi. Emporium
t. XXIII, J a.n u a r , S. 20. Die Fresken in der Kapelle der alten Bene-
diktinerkirche (bei Fermo) können nicht die frühesten Arbeiten Gentiles
sein. Sie erinnern an ein Triptychon des Vatikans, irrig dem Gentile zu-
geschrieben, von einem unbekannten Folignaten [jedenfalls ist an Gentile
nicht zu denken].
141. E. Calzini, A proposito del pittore degli
affreschi di S. Vittoria in Montenano. Marzocco
XI, No. 13, 1. April. Derselbe Meister hat in S. Francesco in Ripa-
transone gearbeitet, wo Reste eines Freskos der Pieta. Ebenso L’Arte IX,
228: die Fresken seien später als Anfang des 15. Jahrhunderts; ebendort
S. 302: Hinweis auf Bild von Orlandus Perusinus, 1401, in Macerata Feltria.
358
L iteraturbericht.
142. Ans. Anselmi, Due ignoti pittori' Fabria-
nesi del Quattrocento. Riv. Marchigiana illustrata
I, S. 190. Costantino, Dokumente 1420 und 1447; Pierfrancesco 1480.
143. E. Calzini, Di un affresco del sec. XV recen-
temente scoperto in Urbin 0. Rassegna biblio-
grafica d. arte ital., IX, S. 106. Kreuzigung in S. Maria della Bella,
um 1450 (nicht Fra Carnevale, den 1467 für die Kirche eine Geburt Christi
malte).
144. B. Feliciangeli, Opere ignorate di Giovanni
Boccati. Ebendort S. 1. Bilder in Beiforte, S. Maria di Seppio;
Rom, Dr. Newin (zwei Bilder aus Sammlung Caccialupi, Macerata);
Budapest, Galerie (aus Kap. S. Savina, Orvieto); Ajaccio, Galerie und
bei B. Berenson. Im ganzen zwölf Bilder.
145. B. Feliciangeli, Sulla vita di G. Boccati
da Camerino, pittore del XV. Sanseverino Marche.
Katalog seiner Bilder; Abdruck der Dokumente (1445 — 1480).
146. G. Gavasci, Sarnano e i suoi monti. Riv.
Marchigiana illustrata I, S. 313. Madonna von Vitt. Crivelli
(stehend ganze Figur, das Kind ihr zu Füßen, mit zwei musizierenden
Engeln).
147. C. Grigioni, Notizie biografiche ed artisti-
che intorno a Vittorio e Giacomo Crivelli. Rassegna
bibliogr. d. arte ital. IX, S. 109. Tätigkeit Vittorios in Montelparo,
Fermo, Monte Santo, Osimo, 1481 — 1501. Das Bild für S. Francesco in
Osimo nach seinem Tod von Ant. Solario übernommen (April 1502). In
Fermo 1 5 1 1 ein Ercole di Franco aus Venedig, 1513 Gio. Pagani.
148. D. Spadoni, La scoperta d’un affresco ä.
Macerata e la rivelazione d’un pittore Marchigiano
d e 1 1500. Riv. Marchigiana i 1 1 u s t r. I, S. 1 12. Fresko der
Madonna in der Präfektur, i486, vielleicht von Maestro Pietro ( 147 1 er-
scheint ein Pietro teutonico in Macerata, vielleicht P. Alamanni). 1520
Auftrag auf Madonna in der Loggia an M. Lorenzo alias Juda. Notizen
über diesen (1514 — 1550).
149. D. Spadoni, Ancora di »Giuda« pittore edi
altri artisti dei sec. XV e XVI. Ebendort S. 147. Außer
Judas ein Johannes Stefani pictor Venetus; andere aus Fabriano, Recanati.
150. Zu Timoteo Viti vgl. Rassegna d'arte VI,
Januar, 2. Umschlagsseite. Fresko im Pal. Arcivescovile zu
Fossombrone, Christus und Heilige mit Bischof Santucci.
1 5 1 . C. Lagomaggiore, Spiriti e forme dell’ arte
raffaellesca. Padova-Verona: [Vortrag].
Literaturbericht.
359
1 5 1 a. G. U r b i n i , R a f f a e 1 1 e n e 1 Y U mb ria. Rassegna
nazionale XXVIII, t. 147, I. J a n u a r , S. 37 [Vortrag].
152. L. Beltrami, Disegni di Raff. Sanzio nella Biblioteca
Ambrosiana. Milano. Nozze Gavazz i - Pirelli. I. Zeichnung im
Band Resta, Vorderseite Madonna der Disputa, Rückseite Entwurf der
oberen Gruppe der Disputa. 2. Studie für den Kopf des Archimedes, den
B. für Bramante hält. 3. Kartonfragment der Konstantinsschlacht.
153. E. Durand -Grevi Me, Les portraits de la
famille d' Urbin par Raphael. Extrait d’ Angers»
Artist e. Angers [nicht von mir gesehen] .
154. Zu Raphael vgl. Arch. storico lombardo S. IV,
t. VI, S. 135, R. kopiert 1514 Porträts von Buonsignori. S. .163 über das
Bild, das R. für Isabella d'Este machen sollte, und das wohlmie fertig ge-
worden ist (Luzio, vgl. Nr. 101).
155. H. Cook, The Nations new Raphael. Burl.
Magazine X, No. 43, Oktober, S. 29. Mackintosh Madonna
oder Madonna della torre, 1856 in der Vente Rogers; nach Cook etwa 1512
gemalt. Über Kopien der Bilder. Zur Geschichte des Bildes vgl. auch
Athenaeum 4111, 11. August.
156. E. J a c o b s e n , Die »Madonna Piccola Gonzaga«
Straßbürg.
157. Th. von Frimmel, Zu Raphaels »Madonna
piccola Gonzaga«. Blätter f. Gemäldekunde III, 3,
S. 54. Vorsichtiges Urteil über die Broschüren und das Bild.
158. G. Bechi, Come feci la conoscenza con un
supposto bozzetto di Raffaello. Marzocco XI, No. 22,
3. J u n i. Im Besitz von Cav. A. Lo Schiavo in Radicena di Calabria.
Aquarell in Sepia, Constantinsschlacht.
159. Kunstchronik XVII, No. 32, Sp. 521: Freskenreste
der Raphael -Schule (Wappen Leos X. und Ornamente) im Vatikan; über
Madonna del divino amore. — Ebendort No. 33, Sp. 541 : Grottesken, im Stil
des Gio. da Udine, in einer Loggetta der dritten Loggia, vielleicht die Uccel-
leria’ Julius II.
160. Fr. de Amicis, R. Sanzio da Urbino e la sua
Madonna della Missione che si conserva in Asolo •
Veneto nella raccolta Bertold i. Genova. (Vgl. Rassegna
d'arte VI, Oktober, 2. Umschlagsseite und S. 173.) Madonna mit Johannes
knaben und Elisabet, »opera indiscutibile di R. S.« [vgl. dazu Poggi, Monats-
hefte f. Kunstwissenschaft I, 1908, S. 275, wo die Komposition, die in
mehreren Exemplaren vorkommt, als Werk Bacchiaccas erwiesen wird,
dem schon Morelli das Bild in Asolo zuschrieb].
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
25
360
Literaturbericht.
161. E. Calzini, Di due quadri di Cola d’Amatrice.
Rassegna bibliograficad. arte ital. IX, S. 53. In den
Kirchen von Colle Bigliana und des Castello di Fulignano.
162. V. Paoletti, Cola d’Amatrice e la sua casa
in Ascoli Piceno. Ebendort S. 188. Dokument von 1523.
163. E. Calzini, Una vecchia tavola di Cola
d'Amatrice. L’Arte IX, S. 229. Signierte heil. Familie 1522.
164. C. Grigioni, Notizie inedite intorno ai pit-
tori Pagani. Rass. bibliogr. d. arte ital. IX, S. 153. Über
Giovanni Pagani 1513 in Fermo, 1517 in Ripatransone; Vincenzo seit 1517
in Ripatransone, Lattanzio ebendort 1535/9.
165. L. Centanni, Opere di Vincenzo Pagani nella
Pinacoteca di Brera. Rass. d’arte VI, S. 75. Große Krönung
Mariä mit Heiligen, aus der Chiesa della Maddalena in Ripatransone (vgl.
S. 112).
1 66. C. Grigioni, Per una tavola di Vinc. Pagani
nella Pinacoteca di Brera. ArteeStoria XXV S. 86 ;
vgl. S. III. Dokument von 1517, wodurch Pagani das Bild für das Kloster
della Maddalena bei Ripatransone übernimmt, vollendet 1518. Seitentafeln
verloren. Das früheste sichere Bild von ihn.
167. C. Grigioni, Giuliano Presutti da Fano pit-
tore del sec. XVI. Rass. bibliogr. d. arte ital. IX, S. 122.
168. C. Astolfi, Due dipinti ignoti di Gio. Andrea
da Caldarola. Ebendort S. 1 19. Beide in S. Francesco bei
Massa Fermana, 1542. Über andere datierte Bilder 1543 — 1555. Dokument
über Durante Nobili 1578.
169. E. Calzini, La scuolabaroccesca. Alessandro
Vital i. Ebendort S. 181. Geboren wahrscheinlich 1580, gestorben
1640. Über seine Werke in den Marken, besonders in Urbino.
G. Gronau.
Luigi Serra. Domenico Zampiero detto il Domenichino.
Roma 1909.
Domenichino ist nach Burkhardts Ausspruch der »gewissenhafteste«
unter den Schülern der Carracci. Serra bestrebt sich, in einer Monographie
von 13 1 Seiten etwas mehr aus seinem Helden heraus zu holen als diese recht
magere und im Grunde nichtssagende Charakteristik. Mit Recht rückt er
die großen Freskenwerke des Meisters in den Brennpunkt von dessen Tätig-
keit und analysiert besonders eingehend die innere Ausmalung von S. Andrea
della Valle in Rom. Ich nehme gleich vorweg, daß S. bedauerlicherweise
Literaturbericht.
361
nicht die 34 Mappen mit Studien zu den Hauptwerken Domenichinos kennt, die
in der Royal Library zu Windsor aufbewahrt werden. Hier wären besonders
die Mappen 8 — 9 für S. Andrea, 10 für S. Carlo ai Catinari, 11 für S. Luigi
de* Francesi und 14 für Grottaferrata in Betracht gekommen. Zur Erkennt-
nis des Schaffensprozesses hätte die Kenntnis dieses reichen Materials an
Gesamtskizzen und Vorstudien natürlich außerordentlich beigetragen.
Auch für die Analyse der zahlreichen Ölgemälde des Domenichino
wären die Zeichnungen in Windsor von außerordentlichem Nutzen gewesen;
manche unklaren Punkte wie besonders die Jugendentwicklung des Künst-
lers hätten sich so mit größerem Erfolg aufhellen lassen, als es dem Verfasser
gelungen ist. Die Scheidung der Hände in der Galleria Farnese war schon
von Tietze in einer äußerst gründlichen und verdienstlichen Arbeit vorge-
nommen worden, und wenn es auch dahingestellt bleiben mag, ob alle Auf-
stellungen Tietzes sich halten werden, so geht es doch nicht an, so kurz
darüber hinwegzugehen, wie es S. tut, der zumal das Material an Zeichnungen
nicht halb so gut wie Tietze kennt.
Mit sehr anerkennenswertem Eindringen in Einzelheiten bemüht sich
S. um die Darstellung der künstlerischen Erziehung seines Meisters. Die
Beeinflussung durch Annibale Carracci wird naturgemäß stark betont,
ebenso die Beziehung zu Albani wenigstens angedeutet, andere Meister
wie Guido Reni, Tizian, Ludovico und Agostino Carracci, ganz zu Anfang
auch Calvaert, spielen hinein. Irrtümlich ist dagegen, was S. über Bezie-
hungen zu Caravaggio sagt. Das Konzert im Louvre, das S. als Domenichino
anführt, ist bekanntlich nicht von diesem Meister, sondern zweifellos
dem Lionello Spada zuzuweisen, den auch der Katalog längst als Urheber
nennt. S. scheint das Bild nur aus dem Umrißstiche bei Landon zu kennen.
Mithin kann aus dem unverkennbar caravaggesken Charakter dieses Ge-
mäldes für Domenichino nichts gefolgert werden. Ebensowenig existieren
Beziehungen zwischen Caravaggios Rosenkranzmadonna in Wien und der
entsprechenden Darstellung in Bologna; die von S. auf S. 66 reproduzierte
Zeichnung scheint mir außer Zusammenhang mit dem Bologneser Bilde und
überhaupt kaum von der Hand Domenichinos. Auch das Helldunkel auf
der Befreiung Petri in S. Pietro in Vincoli genügt m. E. nicht, um einen
Einfluß der lombardischen Naturalisten auf den zahmen Bologneser zu be-
weisen.
Es gehört zu den Verdiensten des Buches, daß in Italien wenigstens
sehr sorgfältig zwischen echten und Schulbildern geschieden wird. Man
wird den Resultaten S.s im allgemeinen hier beistimmen dürfen, so mangel-
haft andererseits seine Informationen über die transalpinen Galerien sind.
Einige Irrtümer möchte ich als besonders störend berichtigen. Das große
Bild in der Münchener Pinakothek »Herkules und Omphale«, dessen Gegen-
362
Literaturbericht.
stück S. sonderbarerweise gar nicht erwähnt, hat nicht Domenichino, sondern
Alessandro Turchi gen. l’Orbetto zum Urheber, unter dessen Namen es
auch der Katalog längst richtig eingeordnet hat. Eine »h. Agnes«, die S.
als »vielleicht heute in Windsor« aufführt, befindet sich dort in der Tat und
ist nicht nur im Baedeker von London und Umgebung genannt, sondern
von Braun photographiert worden. Mithin hätte S. nicht nötig gehabt,
das Gemälde im Index unter jenen aufzuführen, von denen er nicht weiß,
»ob und wo sie existieren«.
Unberücksichtigt blieben im Auslande u. a. die folgenden wichtigen
Gemälde, die dem Meister teils mit Sicherheit zuzuweisen sind, teils ihm
nahestehen: ein Opfer Abrahams im Prado (phot. Braun), eine hl. Cäcilie im
Escorial, eine hl. Magdalena inAlthorp House, eine bedeutende Kreuztragung
Christi in der Bridgewater Gallery und die Fresken beim Grafen Lancko-
ronski in Wien (aus Villa Adobrandini). In Italien: zu Savona im Santuario
della Misericordia die Darstellung im Tempel (fot. Alinari 15427). Ab-
gesehen hiervon zahlreiche dem Künstler zugewiesene Gemälde, wie die
sehr schöne »Caritas« in Dresden, die ihm freilich recht fern steht, eine
Venus mit Faunen in Braunschweig u. a.
Man kann dem Verfasser den Vorwurf nicht ersparen in der Zusammen-
stellung und Behandlung der Werke im Auslande durchweg zu flüchtig ver-
fahren zu sein. Allein die Einleitung betont mit Recht, daß eine vollständige
Monographie über einen Künstler des Seicento heute mit großen Schwierig-
keiten verbunden ist, und daß es sich deshalb von selbst verbietet, schon
jetzt ein abgeschlossenes Bild vom Schaffen des Meisters zu geben.
Nützlich sind S.s Angaben über die Nachfolge Domenichinos sowie jene über
die Beurteilung des Künstlers durch Zeitgenossen und Spätere. Einige
Urteile über andere Maler jener Tage erwecken Widerspruch, insbesondere
was S. über die Bedeutung des Belisario Cosenzio sagt, die er bei weitem
überschätzt. Umgekehrt ist die Stellung Massimo Stanzionis entschieden
nicht genügend herausgehoben.
Die Ausstattung des Buches, die der Verleger des Bolletino d’Arte,
E. Calzone, besorgt hat, verdient wegen der Fülle an Abbildungen Lob,
nicht so wegen des Papieres und der geschmacklosen Titelvignetten, die
man in einem wissenschaftlichen Werke von heute nicht mehr anzutreffen
erwarten würde. Hermann Voss.
Hans Hildebrandt. Die Architektur bei Albrecht Alt-
d o r f e r. Mit 23 Abb. auf 17 Lichtdrucktafeln. Studien zur Deutschen
Kunstgeschichte Heft 99. Straßburg J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel).
114 S.
Literaturbericht.
3 63
Das glücklich gewählte Thema ist sauber begrenzt. Die eingehende
Prüfung der Baulichkeiten in Altdorfers Bildern, Kupferstichen, Holz-
schnitten und Zeichnungen bringt historisch interessante Dinge
ans Licht. Nicht nur zur Kenntnis des Meisters, der ja auf seinem Grab-
steine Baumeister genannt wird, sondern auch zur Geschichte der deutschen
Renaissance im allgemeineren. Wie die Renaissanceformen nach Deutsch-
land kamen, beobachten wir weniger an ausgeführten und erhaltenen Bau-
werken als an Ornamentstichen und Entwürfen aller Art, die den Malern
zu danken sind, — gewiß auch an Bauphantasien in Gemälden. Das meiste
von deutscher Renaissance blieb auf dem Papier, und die Maler eilten keck
der schwerfälligen Heermasse der Baumeister voran.
In Hildebrandts Darstellung erscheint Altdorfers Leistung sehr erheb-
lich. Der Regensburger ist einer der ersten und eifrigsten Propagandisten
für südliche Architektur und Ornamentik. Mit der Gotik nicht so eng ver-
wachsen wie die meisten seiner Lands- und Zeitgenossen (die Bauten in
A.s ersten Arbeiten erscheinen überwiegend romanisch), findet er mit seinem
dem Heiteren und Farbigen zugeneigten Sinn verhältnismäßig leicht den
Eingang zur italienischen Formenwelt.
H. hat sich mit dem »Werke« A.s wohl vertraut gemacht, einen
klaren Überblick über des Meisters Entwickelung gewonnen und datiert
die inschriftlich nicht datierten Arbeiten sehr zutreffend. Bei der Datierung
des Augsburger Gemäldes mit der Geburt Mariae widerspricht er mir mit
vollem Recht. In der Tat habe ich dieses Bild viel zu spät angesetzt und
glaube jetzt wie er, daß es ziemlich gleichzeitig mit der Quirinsfolge ent-
standen ist.
Im Verhältnisse des Meisters zur Renaissance tritt um 1520 eine
Wandlung ein. H. markiert dies scharf, vielleicht etwas zu scharf. Von dieser
Zeit an erscheint A. als »Kleinmcister« im engeren Sinne des Begriffes, neben
den Beham und Jörg Benz. H. betont sehr richtig, daß A. seit dieser Zeit
glücklich im Sinne der oberitalienischen Renaissance gestaltet, z. B. in dem
Holzschnitte mit dem großen Altäre der »Schönen Maria«.
H. meint, A. sei kurz vor 1523 in Oberitalien gereist und habe zumal
in Verona und Venedig starke und tiefe Anregungen empfangen. Dies die
eigentliche These des Buches. Dies das Neue, da ich in meiner Altdorfer-
Monographie der Frage eines italienischen Aufenthaltes aus dem Wege
gegangen bin. Mir scheint, daß die Demonstrationen H.s die Reise sehr
wahrscheinlich machen. Der Verf. bemüht sich aber die Reise zu »beweisen«
und hat seine ganze Arbeit dieser Beweisführung gewidmet. In doppelter
Art führt er seine Sache. Er glaubt alle Anregungsquellen, die dem Regens-
burger in der Heimat zur Verfügung standen, prüfen zu können, und schließt,
als ob ihm nichts entgangen sein könnte: daraus konnte A. nicht gewinnen,
364
Literaturbericht.
was er ersichtlich gewonnen hat. Diese negative Beweisführung erscheint
mir etwas bedenklich. Irgendeine von hundert Möglichkeiten, hypothetisch
angenommen, wirft diesen »Beweis« um. Abgesehen davon, daß von den
Renaissancebauten auf deutschem Boden vieles vernichtet ist, ich setze
den Fall, ein italienischer Architekt sei mit gefüllter Mappe nach Regens-
burg gekommen und habe dem Stadtbaumeister Aufnahmen oder Entwürfe
gezeigt, oder ein deutscher Baumeister sei nach einer Italienfahrt zu ihm
gekommen. Selbst was italienische Drucke an Formen dem Regensburger
übermitteln konnten, ist für uns schwer zu übersehen. H. spricht nur von
dem Bekanntesten und ist allzu optimistisch in dem Glauben, alle Mög-
lichkeiten erschöpft zu haben.
Der positive »Beweis«, also die Prüfung der oberitalienischen Bauten
führt gewiß zu interessanten und bemerkenswerten Beobachtungen. H.
verfolgt die Reise des Meisters nach Verona, Padua und Venedig und zeigt
auf die Bauten und Schmuckformen, die A. betrachtet haben »mag«. Einige
Male sagt er, dies oder das »muß« A. gesehen haben.
In keinem Falle kann man bei vorsichtiger Prüfung das Gefühl der
Notwendigkeit teilen. Man kommt nur so weit, wie die Wahrscheinlichkeits-
rechnung führt. Eine Bauindividualität in Oberitalien, die A. gekannt
haben müßte — eine solche zu finden, war das Streben des Verf. — wird
nicht gezeigt, wohl aber glückt der Nachweis, daß der Regensburger sich
mit der typischen oberitalienischen Formenwelt vertraut gemacht hat.
Friedländer.
Curt Glaser. Hans Holbein d. Alt. Kunstgeschichtliche Mono-
graphien XI bei Hiersemann, Leipzig 1908, 219 S., 48 Abb.
Der Verfasser hat sich einer großen Aufgabe mit großem Fleiß gewidmet
und das Buch wird wohl noch lange unentbehrlich bleiben, da es schon
lange Bedürfnis war. Es bedeutet einen entschiedenen Fortschritt über
Woltmann hinaus, nicht nur dadurch, daß das Material mit größerer Voll-
ständigkeit zusammengetragen ist. Bei der Beurteilung der Arbeiten sind
auch die neueren Gesichtspunkte in Betracht gezogen. In der Einleitung
wird kurz das wenige, was wir über Holbeins Leben wissen, zusammen -
gestellt. Es folgt die Beschreibung der Werke, -getrennt davon eine Schilde-
rung von Holbeins Kunstentwicklung, dann im Anhang einige Exkurse,
über die Schulbilder, Israel von Meckenem und Sigmund Holbein, endlich
ein wertvolles Verzeichnis der Handzeichnungen.
In der Beschreibung der Werke möchte man mehr Positives erfahren,
über Erhaltungszustand, Kolorit usw. und weniger Urteile: »Auf dem dunkel-
blauen Grund baut sich die Farbengebung auf. Aus dem geheimnisvoll
Literaturbericht.
365
tiefen Dunkel leuchten die schweren und reichen Töne kräftig hervor. Die
Beschränkung auf wenige starke Farben ist das charakteristische.« Dies
ist vom Katharinenaltar von 1512 gesagt (S. 91), es gilt für fast alle Gemälde
der vorausgegangenen Zeit, was es aber für Farben sind in dem einzelnen
Fall, erfährt man nicht. Es ist oft schwer, sich durch solche Beschreibungen
durchzuarbeiten.
Sonst ist die Darstellung in dankenswerter Weise klar und übersicht-
lich und im ganzen auch schlicht uud sachlich.
Grobe Verstöße wird man wenige in dem Buche finden. Manche neue
Beobachtung vervollständigt das Bild, das wir von Holbein besitzen.
Der Haupteinwand, der gegen die Arbeit zu erheben ist, ist der, daß
eine Reihe von wichtigen Fragen, die im Buche gelegentlich besprochen werden,
nicht den eigentlichen Ausgangspunkt der Untersuchung bilden. Es scheint,
daß nicht die Verwunderung über einzelne Symptome, die in ihrer Verein-
zelung unerklärlich sind, den Verfasser geführt hat, nicht der Zweifel und
der Trieb, die Fragen zu beantworten, vielleicht auch hat der Verfasser
angesichts der sich erhebenden Schwierigkeiten erst auf die Lösung der wich-
tigsten Probleme verzichtet.
Holbein ist aber ein Künstler, der mehr wie andere Rätsel aufgibt
und zum Nachspüren reizen sollte. Es wären da Probleme zu lösen gewesen,
die von allgemeinem Interesse sind für den damaligen Kunstbetrieb, für
die deutsche Kunst, ja für das, was Kunstentwicklung überhaupt ist.
Die Arbeiten, die aus Holbeins Atelier hervorgegangen sind, zeigen
wohl bis zu einem gewissen Grade einen einheitlichen Charakter, sie unter-
scheiden sich von denen der Vorgänger, von denen aller Zeitgenossen in
Ober- und Niederdeutschland sehr deutlich, auch von denen der Zeitgenossen
in Augsburg und Ulm. Aber in der Durchführung verraten die Bilder große
und auffallende Unterschiede, gelegentlich auch schon in der Komposition.
Es gleicht auch hier und da das Frühere dem Späteren, während das Gleich-
zeitige sehr verschieden aussieht.
Am altertümlichsten ist vielleicht die Marienbasilika von 1499 in der
Augsburger Galerie, »die Historie mit einer Glocke«. Wohl würde man
dieses Bild, auch ohne das Datum, als zwischen 1480 und 1500 entstanden
bezeichnen können. Aber die Darstellung der Gebäude, der Landschaft,
der dunkle mit Sternen besäte Grund und die gotisch gedrechselten Locken
des Joseph und des Schergen, der die Dorothea enthauptet, die rundlichen
Formen und selbst das Karnat der weiblichen Gestalten zwingen zu der
Annahme, daß der Künstler, der das Bild ausgeführt hat, von den Errungen-
schaften der zwei letzten Generationen, d. h. der Zeit eines Lukas Moser
und der Schongauerzeit nur gelegentlich etwas in sich aufgenommen hat.
Als eine Vermutung von vielen, die möglich sind, könnte man etwa an-
366
Literaturbericht.
nehmen, daß die Arbeit von einem alten Gesellen ausgeführt wurde, der
bei einem Meister in der Art des Hamburgers Franke gelernt hat. Auch
dieser scheint mir ein Schwabe und ein naher Kunstverwandter des Lukas
Moser zu sein. Jedenfalls zeigt das Gesicht der heiligen Dorothea einen
Typus, der mit den sonst üblichen weiblichen Heiligen des Künstlers nichts
gemein hat. Weit weniger altertümlich sind die frühesten erhaltenen Bjlder,
die Tafeln des Weingartner Altars im Augsburger Dom. Mit diesen läßt
sich eine spätere Gruppe wie die Donaueschinger und die drei Augsburger
Passionstafeln, der Kaisheimer Altar, die Paulusbasilika und die Prager
Tafeln noch leidlich vereinigend Aber auch hier sind die Unterschiede sehr
erheblich, noch größer sind sie zwischen diesen beiden Gruppen und den
dazwischenliegenden Bildern, dem Afraaltar und dem Pariser Marientod.
Eine Gruppe für sich bilden dann wieder das Epitaph des Bürger-
meisters Schwarz von 1508, die Flügel des Katharinenaltars in Augsburg
von 1512 und die Hauptbilder des Sebastiansaltars von 1515/6.
Glaser nimmt an, daß die Prager Bilder 1508 — 1510, also nach dem
Epitaph des Bürgermeisters Schwarz, entstanden sind. Nehmen wir nun
aber auch das Gegenteil an, daß diese Bilder vorher zwischen 1504 und 1508
entstanden seien, was mir wahrscheinlicher dünkt, und daß, wie bisher,
angenommen, die Bilder von 1508, 1512 und 1515 einfach die weitere Ent-
wicklung des Stiles bedeuten, den wir aus dem Kaisheimer Altäre kennen,
so bleibt doch die selbst auf den Photographien leicht zu erkennende Tat-
sache, daß die Außenseiten des Sebastiansaltars nicht diesen späteren
Schöpfungen, sondern weit mehr den früheren der Paulusbasilika nahe
stehen und zwar nicht etwa in der Pinselführung, sondern in dem Geschmack,
der sich in der Anordnung, in der Wahl der Tracht und der Farbentöne zeigt.
Die Marienbasilika von 1499 ist bezeichnet Hans Holbain, die Kaisheimer
Tafeln Hans Holbon und Johannes Holbain, die Prager Tafeln : Hans Holbain,
das Epitaph des Bürgermeisters Schwarz H. H. Der Katharinenaltar von
1512: Hans Holba.... Die Paulusbasilika war nach Sandrart mit vollem
Namen bezeichnet, sie und der Sebastiansaltar enthalten das Bildnis des
alten Holbein. Das Bildnis auf dem letzteren Altäre geht auf eine Zeichnung
zurück, die sich etwas von den anderen Zeichnungen zum Sebastians-
altar und von der Mehrzahl der anderen Silberstiftzeichnungen des alten
Holbein unterscheidet und die Beischrift »Holbein der alt maler« trägt.
Diese Beischrift scheint von derselben Hand zu sein wie die Porträtstudie,
ist nicht die des Sohnes, kommt aber auf den Silberstiftzeichnungen häufig
vor und gilt als die des alten Holbein. Mehr weiß man nicht. So viele Beob-
achtungen, so viele Anlässe zu neuen Zweifeln.
Aus alledem ergibt sich aber mit genügender Sicherheit, daß aus der
Werkstatt Holbeins Gemälde verschiedener nicht unbedeutender Maler
Literaturbericht.
367
hervorgegangen sind, die mit dem Namen des Vorstehers der Werkstatt
bezeichnet sind. Es gibt dann noch außerdem Schöpfungen, die von Holbein
entworfen sein können, aber von roheren Gesellen ausgeführt sind, und
Schulbilder. Das eine oder das andere mit Hans Holbeins Namen oder
Monogramm bezeichnete Werk muß in allen wesentlichen Teilen von einem
anderen ausgeführt worden sein und ist doch nicht als Gesellenarbeit in dem
gewöhnlicheren herabsetzenden Sinne des Wortes zu bezeichnen. Der
Marientod in Paris aus den neunziger Jahren ist mit dem Namen des Wolf-
gang Prew und dem Holbcins bezeichnet. Hier kann immerhin der erste
Name den Bildhauer bezeichnen, der die zum Altäre gehörenden Skulpturen
geschaffen hat. Seit dem Beginne des Jahrhunderts aber war der Bruder
Sigmund Holbein als Maler in der Werkstatt tätig, und in Frankfurt scheint
außerdem noch Leonhard Beck, der später einen größeren Ruf als Künstler
errang, Holbeins Gehilfe gewesen zu sein.
Ein Werk, das den allgemeinen Charakter der Holbeinschen Werkstatt
teilt und mit einer Gruppe von Holbeinschen Gemälden besonders genau
übercinstimmt, ist außerdem noch S. HOLBEIN bezeichnet. Freilich
auf einem Papierstreifen, der aus einem Buche heraushängt in der Art,
daß man sich die ersten Buchstaben des Namens Hans als im Buch versteckt
vorstellen kann. Die epigraphischen Gewohnheiten schließen es aber durch-
aus nicht aus, daß damit Sigmund gemeint ist, wie früher behauptet wurde,
und da Hans Holbein sich doch auch gesagt haben kann, daß S. Holbain
auf Sigmund gedeutet werden könne, so ist es bei weitem das naheliegendste,
anzunehmen, daß mit dem »S« nicht der letzte Buchstabe von Hans, sondern
der erste des Wortes Sigmund gemeint sei. Es wäre auch denkbar, daß
Sigmund, abhängig von Hans, genötigt oder verpflichtet war, seine Arbeiten
mit dem Signum der Werkstatt zu versehen, und sich bei einem Werkchen,
das ihm besonders lieb war, durch eine zweideutige Bezeichnung verraten
wollte.
Es weist nun aber nicht nur das Gesamtwerk verschiedene Hände auf,
die Künstlern verschiedener Generationen angehören, es zeigt auch der
Stil jedes einzelnen Werkes Eigentümlichkeiten, nah beieinander wohnend,
die man nur bei Künstlern verschiedener Generationen erwarten sollte.
Das eine ist im Sinne der damals Stärksten unter den jüngeren Meistern,
wie Dürer und Grünewald, ein schreiender Mangel, das andere kann man
wieder auch in jener großen Zeit als einzigartigen Vorzug bezeichnen.
In der Fähigkeit, den Raum räumlich darzustellen und kraftvolle
Körperbewegung wiederzugeben, steht Holbein d. Ä. nicht bloß hinter
Dürer und Grünewald, sondern auch hinter Schongauer und Pacher, die
ihm doch vorausgingen, zurück. Er ist nicht nur in der eigentlichen Per-
spektive, der Darstellung der Gebäulichkeiten, des Fußbodens und der Art,
368
Literaturbericht.
wie die Leute darauf stehen, befangener, sondern auch in der Darstellung
der Verkürzungen und in der Schilderung der Landschaft. Dies ermöglichte
es auch, daß ein Werk von so hochaltertümlichem Gepräge wie die Marien-
basilika nach einer Skizze des Meisters ausgeführt werden konnte und sich
nicht allzu auffällig im Werke des Meisters ausnimmt. Holbein ist ein
Künstler, der immer und immer wieder den Auftrag erhielt, das Leiden
des Herrn darzustellen, 'und sich auch in der Schilderung heftiger Leiden-
schaften mit sichtlichem Interesse erging, dem aber das berechtigt Pathetische
fast ebenso wie einem Fra Angelico versagt blieb, wenigstens das Pathetische
in lebendiger Bewegung. Er war lange Zeit nicht imstande, einen Menschen
fest auf seinen Füßen stehend darzustellen. In den Porträtstudien löst er schwie -
rige Verkürzungen spielend, sogar mit einer gewissen Virtuosität. In der Dar-
stellung einer ganzen Figur, einer Gruppe hat er me die Befangenheit der frü-
heren Generation ganz abgestreift. Wo er eine Figur darzustellen hat, steht er
auf der Stufe des frühen Rogier van der Weyden. Bei seinen Bildnisstudien
geht er in gewissem Sinne über Dürer hinaus. Es gibt Leute, die seine Bildnis-
studien als moderner als die seines berühmten Sohnes empfinden.
Holbein erschöpft in diesen Studien auch eine große Stufenleiter des
Ausdrucks; er kennt in diesen Köpfen jenes Kraftbewußtsein, das wir sonst
in den Gestalten der jüngeren Generation bewundern. Er charakteri-
siert dies Gefühl der Ehrenfesten und Gestrengen, die er in Augsburg vor
sich sah, nicht ohne Geist und kaum ohne Absicht. Er muß eine Empfindung
dafür gehabt haben.
Aber diese Empfindung belebt und durchdringt nie eine ganze Gestalt.
Während er doch von Jahr zu Jahr die prächtigsten kraftstrotzenden martiali-
schen Gestalten durch die Kunst verewigt aus den Ateliers seiner Kollegen
Burgkmair und auch Dürer hervorgehen sah. Ihm, dem Zeichner sonder-
gleichen, ist es nicht gelungen, etwas Ähnliches zu schaffen. Eine breitspurig
dastehende Gestalt kommt gelegentlich vor, z. B. ist eine solche die des
Henkers der heiligen Katharina auf dem Katharinenaltar von 1512, allein
sie ist, wie Glaser bemerkt hat, von Dürer entlehnt, die Schergen auf dem
Sebastiansaltar stehen wieder weniger sicher auf ihren Füßen, und es fehlt
überall jenes Hurrah, das die anderen unterstrichen haben.
Diese Tatsache ist sehr merkwürdig und sollte zu denken geben.
Man kann nicht einmal sagen, daß Holbein eben nur das Ruhende,
Unbewegte der Natur abzulauschen verstand. Es sind aus seinem Atelier
wirkliche Idealgestalten von einer solchen Anmut und Zartheit auch in der
Bewegung hervorgegangen, wie sie Dürer nicht beschieden waren. Eine
liebenswürdige Eigenart der Nation hat sich in diesen Werken in unüber-
troffener Weise geäußert. Dürer ist immer um vieles derber; nur der Bild-
hauer Riemenschneider und der Meister des Blaubeurener Hochaltars, der
Literaturbericht.
369
übrigens auch in Augsburg tätig gewesen zu sein scheint, kommen da neben
Holbein auf.
Endlich ist Holbein ein Kolorist ersten Ranges, der größte seiner Zeit
in Oberdeutschland neben Grünewald.
Holbein den Älteren bearbeiten heißt unseres Erachtens die Bilder auf
ihren Erhaltungszustand genauer als bisher untersuchen, die Hände der
Restauratoren, Schüler, roheren Gesellen ausscheiden, die Entwicklung
des Hauptmeisters der Werkstatt und eventuell auch der besten Mit-
arbeiter aufweisen. Es müßte dies mit Hilfe der Studien und großer De-
tailaufnahmen dann auch plausibel dargestellt werden. Daran haben sich
die Fragen nach der Herkunft des Stils und über die Eigenart der Mit-
arbeiter zu schließen.
Es sollte u. a. damit begonnen werden, zu eruieren, ob die zahlreich
erhaltenen Kopfstudien zu erhaltenen Gemälden in verschiedenenSchöpfungen
nicht sehr verschieden benützt sind.
Das Abbildungsmaterial, das Glaser gibt, leistet gute Dienste, aber
für diese Fragen nicht. Da sind Köpfe in allen Reproduktionen nach Ge
mälden viel zu klein.
Die Verschiedenheit der Ausführung der einzelnen Werke ist
Glaser nicht verborgen geblieben, er gibt sie zu und betont sie gelegent-
lich. Er sieht auch die großen Unterschiede zwischen Werken, die
zeitlich nahe beisammen liegen, und erwähnt selber, daß weiter auseinander-
liegende Arbeiten oft mehr Berührungspunkte haben. Wollte man boshaft
sein und die etwas übertreibenden Ausdrücke, mit denen der Verfasser die
Unterschiede der einzelnen Jahre schildert, alle wörtlich nehmen, so könnte
man schon daraus die Beweise herleiten, daß keine Gruppe von Bildern von
demselben Kopf geschweige von derselben Hand sein kann wie die andere.
Von dem Afraaltar, der nach Glaser 1495 datiert, also wenige Jahre nach
dem Weingartneraltar (1493) entstanden ist, heißt es: »Sicher ist, daß viel
von der persönlichen Eigenart des ersten Werkes verloren ward«. Von den
folgenden um 1499 entstandenen Werken: »Den Meister des Weingartner-
altars mag man nur schwer noch in diesen Gemälden erkennen«. Von der
Donaueschinger Passion sogar: »Ein rechtschaffener, schwäbischer Meister
ist er geworden, der derb und tüchtig ein Werk anzufassen weiß«. Vom
Frankfurter Altar von 1501 : »Stürmischer Aufruhr tritt an die Stelle sicherer
Gelassenheit«. Dann von den unmittelbar 1502 folgenden Arbeiten in Augs-
burg: »Erst in der Heimat wieder, in einer neuen Zeit ruhigen Schaffens
glätten sich die Wogen«. »Alle Fäden, die die Frankfurter Passion noch
mit der in Donaueschingen verbanden, sind nun durchschnitten.«
So entwickelt man sich nicht, so entwickeln sich nur jene Geister,
die sich nicht entwickeln. Auch wenn man alle Übertreibungen in der Aus-
370
Literaturbericht.
drucksweise Glasers abzieht, so muß man annehmen, wie mir scheint, daß
derselbe von dieser schlichten feinfühligen und offenbar übelgebetteten
Künstlernatur eine Vorstellung hatte, die psychologisch unmöglich ist.
Ein großer Künstler bleibt sich erstaunlich treu. Jene Generationen, die
in der Furcht vor Gott, der Obrigkeit, vor Krieg, Türkennot und Pestilenz,
vor dem Teufel und den Höllenstrafcn aufwuchsen und gelegentlich für eine
Nuance des Glaubensbekenntnisses selbst den Martertod nicht scheuten,
waren keine modernen Ästheten, die heute »ganz Böcklin«, morgen »ganz
Impressionismus« sind. Die schöpferischen Kräfte sind es heute noch nicht.
Man sollte denken, daß der Reiz, den das Verfolgen einer künstlerischen
Entwicklung bietet, doch eben im Erkennen der Konsequenz bei allem
Reichtum der Erscheinungen, in dci Einheitlichkeit bei allem Wechsel be-
ruhe. Denn nur das Beharrende verdient ein tieferes Interesse.
Die Beobachtungen aber, die zu diesen übertreibenden Ausdrücken
geführt haben, drängen sich jedem auf. Eine psychologisch mögliche
und zugleich durch Tatsachenreihen festgegründete Entwicklung zu
entrollen, wird man in solch schwierigem Falle von einer Rezension
nicht verlangen. Ich vermute noch immer, daß sich von den beiden
Nürnberger Madonnen aus zwei Entwicklungsreihen bis zu den letzten
Werken aufweisen lassen.
Es sei den Ausführungen des Verfassers nur so viel an positiven Be-
hauptungen entgegengestellt.
Tatsache scheint mir, daß am Sebastiansaltar drei Hände gearbeitet
haben, die zweier älteren und die eines jungen mit Holbein d. J. mindestens
äußerst verwandten Künstlers. Glaser betont die Unterschiede in der Kom-
positionsweise zwischen dem Sebastiansaltar und dem späten Holbein
einerseits und der Kreuztragung des jungen Holbein in Karlsruhe anderersits
nicht anders als auf Grund der Ausführungen in meiner Habilitationsschrift,
er bestreitet dagegen, daß das Gesicht der heiligen Elisabeth in der Malerei
mit den frühesten Arbeiten des jungen Holbein Ähnlichkeit zeigt und von
diesem hineingemalt sein kann. Der Unterschied im Farbenauftrag zwischen
dem Gesicht der heiligen Elisabeth und anderen Köpfen derselben Tafel
und desselben Altars ist aber ein sehr großer. Die Ähnlichkeit des Ge-
sichtes der heiligen Elisabeth und des Kopfes des älteren Holbein mit
den beiden Basler Heiligenköpfen und den Gesichtern der Kreuztragung
in Karlsruhe ist auch zwingend. Was im Gesicht der Elisabeth nicht in der
Art des jungen Holbein ist, erklärt sich leicht aus der fremden Vor-
zeichnung.
Die Außenseiten der Flügel mit der Verkündigung verraten zwar
einen Meister der älteren Generation, aber Linienführung, Anordnung, Typen
zeigen einen feinen, zarten und ganz anderen Geschmack als der Altar von
Literaturbericht.
371
1512 und auch als das stark restaurierte Mittelbild des Sebastiansaltars.
Ebenso sehe ich nicht ein, was die von Dan. Burckhardt entdeckte und
publizierte Madonnenzeichnung in Basel gegen die Autorschaft des Sigmund
Holbein bei dem größeren mit S. Holbein bezeichneten Madonnenbildchen
in Nürnberg beweisen soll. Alles was Burckhardt und nach ihm Glaser
anführen, beweist doch nur, daß die beiden Nürnberger Madonnenbildchen
und die Zeichnung von Malern stammen, die sich persönlich und künstlerisch
nahestanden. Daß das Nürnberger Bild von der Zeichnung abhängig ist,
hat Burckhardt freilich nachgewiesen, aber die Art der Abhängigkeit würde
in späteren Epochen die Identität der Hand geradezu ausschließen und
sie beweist auch im 16. Jahrhundert nichts für dieselbe.
Naturgemäß ist nun auch die Scheidung zwischen Meister- und Ge-
sellenarbeit, die Glaser vornimmt, nicht ganz überzeugend.
Das Bild der Sammlung Weber hat sicher etwas für Holbein Befremden-
des und das Befremdende ist auch nach meiner Ansicht, daß die Figuren
mehr Raum als sonst bei Holbein haben, aber das ist bei dem Marientod
in Paris, der mit dem Namen Wolfgang Prew und Hans Holbein bezeichnet
ist, auch der Fall. Der Schmerzensmann des Landesmuseums in Zürich
und das schöne Bild eines Augsburger Patriziers in der Sammlung Lancko-
ronsky in Wien stehen den feinsten Arbeiten Holbeins sicher näher als diese
Werke und die Apostelmartyrien.
Diese Martyrien und der Marientod werden im Werk Holbeins d. Ä.
angeführt, die Darstellung im Tempel der Sammlung Weber unter den
Schulbildern und die beiden anderen gar nicht. Das Bild des Landesmuseums
ist im Katalog als Holbein bezeichnet. Es dürfte auf meinen Vorschlag hin
geschehen sein, da ich seinerzeit die Direktion einmal auf den Autor auf-
merksam machte. Das Gemälde der Sammlung Lanckoronsky gilt schon
lange als Holbein und wird Glaser bekannt gewesen sein.
Unter den Zeichnungen fehlen die beiden Bildnisstudien, die im Louvre
als Werke des jungen Holbein ausgestellt sind. Beide Zeichnungen sind
von Mantz (H. Holbein), die eine, fälschlich 1520 datierte, auch von Ganz
(Handzeichnungen von Hans Holbein d. J., Berlin Jul. Bard 1908) als
vom Sohne stammend publiziert. Die Autorschaft des alten Holbein steht
bei dieser zweiten außer Zweifel, bei der anderen könnte man an eine moderne
Fälschung nach Holbein d. Ä. denken.
Von den von Glaser angeführten Zeichnungen ist Nr. 197 eine Ein-
tragung des jungen Holbein in das Skizzenbuch des Vaters. Das Fugger-
porträt in Kopenhagen (Glaser 139, His, Handzeichnungen XLVI) ist doch
wohl von Hans Burgkmair. Der Kopf eines Mönchs in Bamberg (Glaser
125, His IV) und eines Kriegers (Glaser 199, His XXVIII) zeigen beide
ganz unverkennbar den Stil, der Frühzeit um 1502 und nicht wie Glaser
372
Literaturbericht.
will den von 1508 — 1512. Im allgemeinen ist der chronologischen Anord-
nung des Verfassers zuzustimmen.
Der Verfasser verzweifelt auch daran, die Herkunft des Rolbein'schen
Stiles aufzuweisen. Hier ist es aber möglich, auf die wichtige Frage eine be-
stimmte Antwort zu geben. Holbeins künstlerische Vorfahren waren neben
Roger van der Weyden und Bouts die Augsburger Altarplastiker. Auch in
diesem Falle entgingen dem Verfasser wichtige Einzelbeobachtungen nicht. Er
betont mehrmals, wie sehr die Darstellung an die Hochreliefs, besser Figuren-
gruppen, in den Schreinen der spätgotischen Altäre erinnert, sie ist aber
geradezu identisch. Es fehlt nur noch, daß die Gewänder der Figuren ver-
goldet wären. Nun ist aber der Stil Holbeins, namentlich der Gewandstil,
der ihn doch sehr deutlich von Nürnberg, Ulm, von Schongauer und dem
Hausbuchmeister unterscheidet, auch noch in der erhaltenen Augsburger
Steinplastik im Domkreuzgange und an anderen Orten schon in den siebziger
Jahren des 15. Jahrhunderts völlig ausgebildet vorhanden.
Die Altarplastik freilich ist an Ort und Stelle nicht mehr zu finden
und aus der Diaspora noch nicht rekonstruiert, aber das wenige, was bekannt
ist, unterstützt die Annahme oder wiederspricht ihr doch nicht. Die Holz-
plastiker waren ja auch vielfach zugleich Steinplastiker, und die Ähnlichkeit
der Steinfiguren der sechziger und siebziger Jahre mit denen Holbeins ist
mitunter so groß, daß man an denselben Künstler denken könnte. Das
erklärt sehr viel, was merkwürdig ist in Holbeins Kunst. Die Art, wie die
dekorative Wirkung vereinfacht ist, den dunklen Hintergrund, den schiefen
nach vorn abfallenden Boden seiner Darstellungen, die abbreviaturartige
Darstellung des Raumes. Wenn Holbein eine Figur Roger van der Weydens
kopieit, vereinfacht er ungefähr so viel wie die Schöpfer der Epitaphien
des Augsburger Domkreuzganges in ihrem Material, ihrem Format und
für ihre Zwecke vereinfachen hätten müssen, wenn sie einen Roger kopiert
hätten.
Die Schwaben sind für den Verfasser im 15. Jahrhundert die Zurück-
gebliebenen. Er denkt da neben Holbein d. Ä. in erster Linie an Zeitblom,
und für diese stimmt es wenigstens in mancher Hinsicht. Im allgemeinen
waren sie die beweglicheren. In der zweiten Generation des Jahrhunderts,
den Jahren 1420 — 1450 waren sie die Bahnbrecher, in den siebziger Jahren
übernahm der aus Augsburg stammende Schongauer die Führung. Von
der schwäbischen Kunst ist sicher auch der Hausbuchmeister ausgegangen,
für Grünewald war der Schwabe Holbein so viel wie für Dürer der von Augs-
burg stammende Schongauer. In der Plastik überragt noch am Ende des
15. Jahrhunderts der Schöpfer der Berliner Madonna und des Blaubeurener
Hochaltars die Nürnberger, und, was Vöge ebenfalls mit Recht vermutet,
auch Riemenschneider geht auf die schwäbische Kunst zurück; in Dürers
Literaturbericht.
373
letzten Lebensjahren übernimmt wieder ein geborener Augsburger das
Prinzipat in der oberdeutschen Kunst.
In tausend Wechselfällen vollzieht sich eben die Kunstgeschichte
eines Stammes, und nur das begabte Individuum ist konsequent in seiner
Entwicklung.
Das Buch ist ein sehr gut zu gebrauchendes Nachschlagewerk für
spätere Forschungen. H. A. Schmid.
Hand Zeichnungen von Hans Holbein d. J. ln Auswahl heraus-
gegeben von Paul Ganz. Berlin 1908, Jul. Bard.
Fünfzig Abbildungen von Zeichnungen aus allen Epochen des Künst-
lers in der Größe von ungefähr 12 : IO cm und 74 Seiten Text. Der Ver-
fasser gibt erst einen kurzen Überblick über das Leben und die Bedeutung
des Künstlers und bespricht dann die einzelnen Blätter und verwandte
Leistungen. Es ist ein hübsches Buch mit Abbildungen, die sehr vertrauens-
erweckend aussehen und zum Teil wirklich ausgezeichnet sind, auch die
Schweizerischen Handzeichnungen, die vom selben Verfasser herausgegeben
werden, verdienen ja dieses Lob. Zu bedauern ist nur, daß die Bilder auf ein
Papier von unangenehm rotem Ton aufgeklebt sind, und noch mehr die Ver-
kleinerung, welche die meisten Zeichnungen erfahren mußten. Neben Ent-
würfen, die in Originalgröße reproduziert sind, erscheinen Werke von
monumentalem Charakter ebenfalls klein und man könnte sagen ins Zier-
liche karikiert, dabei sind sie mit allem Raffi cment der Tecknik wieder-
gegeben. Man erhält dadurch ein überzeugendes aber nicht ganz richtiges
Bild und die flauen Abbildungen bei Knackfuß sind im Grunde weniger
stillos, weil sie gar nicht vorgeben, getreu zu sein. Diese Nachteile hätten
wesentlich gemildert werden können. Es hätte der breite Rand gelegent-
lich ausgenützt werden müssen.
Den Textangaben beizustimmen ist unmöglich. Mit besonderen
Lobsprüchen werden die Frauengestalten auf dem Entwurf zum
Triumphe des Reichtums im Louvre, Abb. 31, gegenüber den Baseler
Frauentrachten bedacht. Die Zeichnung selber ist nicht, echt, sie ist
entweder eine Kopie, eine Fälschung oder ein stark überarbeitetes
Original.
Noch weniger ist den Datierungen der durch äußere Anzeichen
oder die bisherige Literatur noch nicht genauer bestimmten Werke
beizupflichten.
Eine große Zahl der abgebildeten fünfzig Blätter sind durch äußere
Anzeichen für eine bestimmte Epoche oder für ein bestimmtes Jahr gesichert.
374
Literaturbericht.
Wie die Arbeiten für Heinrich VIII., die Entwürfe für die Baseler Rathaus-
malereien, die Studien zu den Bildnissen von Erasmus, zur Darmstädter
Madonna, der Lady Souch usw. Eine andere Reihe habe ich in einem Auf-
sätze der Graphischen Künste von 1900 festgelegt. Ganz schließt sich diesen
Datierungen bei Abb.Nr. 8 und 15, der Folge von Heiligen und der Madonna
mit dem Ritter an. Den Rest fast bis aufs Jahr festzulegen, ist auf Grund
des Holzschnittwerkes, dessen Chronologie durch Koeglers und meine
Studien in der Hauptsache festgestellt ist, keine hohe Kunst mehr. Ganz
aber datiert die wichtigsten Bestandteile der Baseler Sammlung in einer
Weise falsch, als ob es ihm darauf angekommen wäre, das Unmögliche zu
beweisen. Arbeiten, die , eine ' lange Entwicklung voraussetzen, wie der
Fassadenentwurf mit Karl dem Großen und das Haus zum Tanz, ein
Werk, das Holbein selber als seine beste Baseler Arbeit erklärt hat, werden
an den Anfang der Entwicklung gesetzt, die Trachtenbilder, welche wegen
ihres Raffinements längst aufgefallen sind, werden als steife Arbeiten des
19jährigen hingestellt.
Indessen besitzen wir eine Reihe von Handhaben zur Datierung,
die dem subjektiven Ermessen immerhin etwas mehr entrückt sind, als
die Beurteilung der Qualität.
Die Formgebung, nicht bloß gelegentliche Motive und Stimmungen
ist nach dem Luzerner Aufenthalt von Dürer beeinflußt. Ganz betont
den Einfluß Grünewalds in den Jahren 1521 — 1522 und hat selber einen neuen
Beleg zu dieser längst ausgesprochenen Beobachtung gefunden. Der Einfluß
Dürers ist aber erheblicher und auch wichtiger. Dieser Einfluß kam
nicht auf dem Umwege über Baidung; die Freiburger Bilder, die in diese
Zeit fallen, enthalten Entlehnungen nach Dürerschen Stichen, andere Werke
enthalten auch greifbare Anlehnungen. Holbeins Stil ist in dieser Zeit derb,
massig und etwas knorrig. Er wird stets und konsequent eleganter trotz
kleiner Schwankungen. Die Zeichnung wird straffer und bestimmter. Die
Konturen nach dem Luzerner Aufenthalt noch in vielfachen Krümmungen
sich ergehend, wie bei der Zeichnung von 1519 (Taf. 6) und der Folge von
Glasgemälden aus derselben Zeit (Taf. 8) werden glätter, der Faltenwurf
wird einfacher. Auch die Gesichter werden mit einfacheren Mitteln charak-
terisiert. Die plastischen Hauptformen treten mehr heraus, unplastische
Einzelheiten wie Stoppelbärte verschwinden mehr und mehr.
Endlich sind für bestimmte Epochen auch bestimmte Motive, Archi-
tekturformen, Ornamentformen und Gewohnheiten charakteristisch, deren
Aufnahme natürlich mit dem Wechsel des Geschmackes und der genaueren
Kenntnis der antiken Formen und der Hochrenaissance in Zusammenhang
steht, aber nicht notwendig "mit der größeren Reife verbunden war. Wir
kennen diese Gewohnheiten und ihren Wechsel aus den Holzschnitten.
Literaturbericht.
375
Danach gehören die Baseler Frauentrachten (angeblich um 1515 entstanden),
der heilige Michael (angeblich um 15 19), der Fassadenentwurf mit Karl dem
Großen, das Haus zum Tanz (beide angeblich um 1520), die Passionsfolge
(angeblich um 1523) alle in die reife Zeit nach 1523, fast alle in die
Zeit des dritten Baseler Aufenthaltes, zum Teil an den Schluß dieser Epoche.
Die neuesten Entdeckungen von Koegler bestätigen diese bei mir längst fest-
stehende Annahme in auffallender Weise. Nicht nur die künstlerische Reife,
nein auch die Formgebung, die Führung der Feder, die Knappheit der
Draperie und manche Einzelheiten der Architektur und Dekoration be-
weisen übereinstimmend die Richtigkeit dieser Datierung. Der Unter-
schied der figürlichen Kompositionen vor und nach 1523 ist nun aber
nicht allzuschwer zu erkennen, da in dieser Zeit der Stil des Meisters im
wesentlichen sein Gepräge erhielt. Erst im Einzelnen und später wird die
Frage schwierig. Schon aus den Abbildungen des Buches selber, die
für solche Beobachtungen manchmal zu klein sind, sieht man, dass der
hl. Michael Taf. 5 und der Scheibenriss Taf. 7 nicht in dieselbe Zeit wie die
Zeichnungen Taf. 6 und 8 gehören. Annähernd richtig ist das Bildnis des
jungen Mannes mit großem Hut mit 1526 datiert, doch spricht die Verwandt-
schaft mit den Bildnissen des ersten englischen Aufenthaltes, die von Ganz
mit Recht angeführt wird, mehr für 1528 als für 1526. Wieder eine ganz
unbegreifliche Datierung findet sich dann bei Nr. 40, dem Entwurf zu einem
Schweizer Dolch, der vom Verfasser 1523 angesetzt, die Eigenart der
Spätzeit und die Verwandtschaft mit dem »Parnass« deutlich an der
Stirn trägt.
Auch die Bemerkungen über menschliche Verhältnisse müssen Kopf-
schütteln erregen. Neben dem Titel wird das angebliche Selbstbildnis in
Basel wiedergegeben und an letzter Stelle im Texte als Selbstporträt aus
der Zeit um 1520 hingestellt. Das Bild stellt, wie wir aus den Darstellungen
der Spätzeit und aus der Zeichnung, die der Vater von dem Knaben gemacht
hat, ersehen, Holbein nicht dar. Die Formen von Nase und Stirn zeigen
wohl eine gewisse Ähnlichkeit, aber dahinter schaut ein anderer, viel
harmloserer Mensch hervor. Es ist vor allem kein Selbstbildnis. Es stellt
keinen Maler, sondern ehereinen Kaufmann, und nicht einen Dreiundzwanzig-
jährigen, sondern einen erheblich älteren Mann dar. Es ist auch nicht in der
Art gezeichnet, daß man vermuten könnte, daß Holbein das Bild schon
vor 1523 gemacht habe, ich vermute, daß es zwischen 1526 und 1532 ent-
standen ist. Vergleichsmaterial gerade für Werke vor- dieser Ausführung
gibt es nicht viel, doch dürfte die ruhige gesammelte Stimmung eher für die
Zeit um 1532 als um 1526 sprechen.
Wenn ferner von der Solothurner Madonna gesagt wird, daß der
Künstler da die Züge seiner Frau, wie man sie auf der Studie im Louvre
26
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
376
Literaturbericht.
sieht, »stark idealisiert« habe »durch Verlängerung des Ovals«, so muß
dem entgegengehalten werden, daß man gar nicht mehr feststellen kann,
wie dieser Kopf ehemals ausgesehen hat. Dann soll die adelige Dame
Taf. 3 dasselbe Modell wie die Lais vorstellen.
Lobend sei hervorgehoben, daß wenigstens die Zeichnungen fast alle
echt und von Holbein sind.
Allein das Bildnis eines jungen Mannes im Louvre (Nr. 9) ist eine
Zeichnung des Vaters, aus der Zeit um 1510. Eine Ähnlichkeit mit
den Studien des Sohnes aus der Zeit von 1516 — 22 ist schon vorhanden,
aber das Lineament ist zu steif. Der Sohn und gegen die Mitte des
zweiten Jahrzehnts auch der Vater gibt das Fleisch fleischiger.
Das Format des Buches hätte den Gedanken eingeben können, die
kleinen Arbeiten Holbeins, etwa das sogenannte englische Skizzenbuch oder
alle kleinen kunstgewerblichen Entwürfe kleinen Formates zu publizieren,
damit wäre der Forschung und dem Liebhaber ein wirklicher und ein
großer Dienst erwiesen worden, auch mit einer Ausgabe der Skizzenbücher
des Vaters, die wirklich wie Ganz andeutet Eintragungen des Sohnes ent-
halten, wäre dies geschehen. H. A. Schmid.
E. W. Moes. Frans Hals. Sa vie et son oe u v r e. Bruxelles,
van Oest & Cie.
J. G. Veldheer, C. J. Gönnet en F. Schmidt Degener. Frans Hals
in Haarlem. van Looy, Amsterdam.
Frans Hals (Les grands artistes) par Andre Fontainas, Henri Laurens,
Paris.
Nachdem vor nun schon mehr als 30 Jahren Bode sein grundlegendes
Werk über Hals herausgab, später noch einmal vervollständigt in seinen
»Studien zur holländischen Malerei«, erschien nur ein größeres, englisches
Buch über ihn (von Gerald S. Davies. 1902). Jetzt auf einmal drei
neue Studien, jede in ihrer Art gut und anregend, aber dennoch grund-
verschieden.
Moes gibt uns die gewissenhafteste Biographie, die eingehendste
Besprechung vieler Werke, die reichste Zahl von Abbildungen, zum Teil
von weniger bekannten Bildern, Werke seines Lehrers van Mander, seiner
Söhne usw. Schmidt Degener faßt sich am kürzesten. Nur 18 Seiten gibt
er uns (das übrige schrieb der Archivar von Haarlem, Herr Gönnet), aber
darin mit das schönste, richtigste, geistvollste, was je über den Meister
geschrieben wurde.
Literaturbericht.
377
Fontainas schrieb eine populäre Monographie über den Künstler,
aber darin befinden sich einige Seiten mit trefflichen und sehr klar
ausgesprochenen Bemerkungen über die Kunst des großen Haarlemer
Malers.
Betrachten wir zuerst das umfangreichste Buch von Moes.
Die Abbildungen sind leider zum Teil nur mäßig. So wäre von dem
Schützenstück von 1633 eine bessere Reproduktion zu geben; ebenfalls
von dem schönen Kavalier bei Wallace u. a.
Das erste Bild, welches Moes als frühestes Werk gibt, das reizende
kleine Porträt der Sammlung Knaus, ist meines Erachtens ein feiner früher
Th. de Keyser. Bode hat es als Hals seinerzeit eingeführt, ich bezweifle
aber stark, daß er noch an dieser Attribution festhält. Besonders die Hände
sind überzeugend nicht von Hals ; das Bild hat höchstens j ene fernen Analogien,
die manche Arbeiten de Keysers mit denen des Hals haben: einen breiten
Vortrag, schön gemalten Atlas, elegante Pose. Das Bildnis der Emerentia
von Beeresteyn hätte fehlen können. Es ist doch ein öffentliches Geheimnis,
*
daß dieses höchst anziehende Kinderporträt eine charakteristische Arbeit
von Hendrick Pot ist. Zum Vergleich bitte ich nur das prächtige
Schützenstück von Pot im Haarlemer Museum und das sehr Hals'sche Bild
des Rotterdamer Museums zu studieren. Moes selbst, der sich sogar zuerst
dazu versteigt, es den schönsten Arbeiten des Velazquez gleichzustellen,
sagt im Nachtrag, daß das Bild »trahit la collaboration d'un autre maitre«,
den er nicht kennt. Ich glaube, das Bild ist ein Werk aus einem Guß,
und zwar, wie auch die meisten Hals-Kenner schon längst eingesehen haben,
von Pot. Die Hals'sche pikante Pinselführung fehlt durchweg; aber das
hindert nicht, daß dieses Bild ein Meisterstück der holländischen Malerei
bleibt ! Pot ist noch immer nicht genug gewürdigt. Ich mache aufmerksam
auf ein lebensgroßes in Rot gekleidetes Mädchen, lachend, mit Tambourin
in der Hand, bei der Douairi&re van Alphen im Haag. Ganz Hals-artig in
der Auffassung, auch des Lachens. Dann ist es auch wohl endlich aus mit
der Zuschreibung der allzu berühmten Familiengruppe der Beeresteyns
im Louvre; auch diese Hals-ähnliche Malerei ist schon längst von Bode,
de Groot u. a. als Arbeit des Hendrick Pot erkannt. Moes hält bloß die
Zuschreibung an Hals für zweifelhaft und glaubt, es könne eine Kopie sein.
Für eine Kopie ist aber die Malerei viel zu bestimmt und entschieden. Da-
gegen verrät meines Erachtens jeder Kopf den Pinsel Pot’s. Er hat oft ein
eigentümliches Rosa in den Fleischpartien und das Virtuose von Hals’ Malerei
geht ihm ab.
Moes erzählt uns vieles Neue über die Familie des Meisters. Es scheint,
daß die Genealogie, welche van der Willigen in seinen »Peintres de Harlem«
zusammengestellt hat, total unrichtig ist. Moes hat festgestellt, daß Frans
26*
378
Literaturbericht.
Hals einen Frans Hals zum Vater gehabt hat, und nichts mit der
alten Patrizier-Familie Hals zu tun hat. Unser Maler hatte nicht
weniger als sechs Söhne, welche gemalt haben. Moes gibt Bilder von Herman,
Frans Ir, Claes, Johannes und Reynier Hals in Abbildungen sowie von
seinem Schwiegersohn Roestraten. Auch das Hauptstück seines Bruders
Dirck (im Ryks Museum) fehlt nicht. Sehr dankenswert ist auch die Ab-
bildung einer Bauernkirmeß seines Lehrers van Mander (Sammlung Semenow,
Petersburg). Das recht derbe Bild war auch schon durch einen Stich bekannt.
Man sieht, daß van Mander die Tradition des alten Pieter Brueghel fort-
setzte; und derb ist Frans Hals selbst auch wohl manchmal gewesen. Da
haben wir z. B. schon das lustige Quartett der Sammlung Altmann in
New York, mit dem vielsagenden »Stilleben«, ein Werk, das Moes mit Recht
in die Frühzeit des Meisters setzt.
In chronologischer Form bespricht Moes sodann das Leben und Werk
des Hals in angenehmer Abwechslung; die noch nicht sehr zahlreichen
Dokumente gibt er lobenswert in genauester Übersetzung.
Manches schöne, weniger bekannte Werk des Malers wird uns hier
vorgeführt, so das herrliche Porträt des Predigers Middelhoven, 1626 gemalt
(Sammlung Schloß, Paris), ein herrlicher, urwüchsiger Kopf, und das seiner
Frau (Kronberg, Sammlung de Ridder), ein schönes männliches Porträt
aus Buckingham Palace von 1630, die neuentdeckten Gruppenbildnisse
in der National Gallery und das (weit schönere) des Colonel Warde in Wester-
ham, den grimmigen Joseph Coymans von Mr. Drummond in Montreal
und das Bildnis des Malersohnes Härmen Hals im Art Institute in Chicago.
Wie viele schöne Sachen muß man schon in Amerika zitieren ! Am Schluß
des Werkes schrieb Moes eine sehr lesenswerte Betrachtung über sein Werk,,
über seinen Wert als Künstler und seinen Einfluß auf seine Schüler und
Nachfolger.
Eine sehr richtige Bemerkung ist die, daß es merkwürdig wenig Kopien
nach Hals gibt, weil seine virtuose geistreiche Malerei eben so sehr schwer
nachzuahmen ist.
Ein kurzgefaßtes Oeuvre schließt das verdienstvolle Buch. Noch
nicht ganz zu 300 Bildern bringt es der Verfasser. Wenn man bedenkt,
daß Rembrandts Oeuvre neben all den Radierungen und Zeichnungen über
600 Bilder umfaßt, während Hals IO Jahre länger gemalt hat, sollte man
glauben, daß dieser weniger fleißig war, trotzdem viele seiner Porträts aus-
sehen, als wären sie in wenigen Stunden hingeworfen. Vergessen wir nicht,
daß Hals ein einseitiger Künstler und Porträtmaler war, und, wenn (wie
am Ende seines Lebens) die Bestellungen ausblieben, gab es nichts zu malen !
Seine »Pochades«, lustige Trinker und Hille Bobbes (Babbe sollen wir sagen,
sagt Moes) brachten ihm kaum ein, was Leinewand und Farbe kosteten.
Literaturbericht.
379
Ich hoffe später manches Neue über das Leben von Hals bringen zu
können. Eine Neuigkeit will ich hier verraten: wo Rembrandt bei seinem
einzigen Schützenstück ioo Gulden erhielt für jeden Schützen, bekam
Hals bei einem seiner Doelenstücke 66 Gulden. Wir haben noch keine Doku-
mente gefunden, die uns erzählen, wie man seine Einzelporträts bezahlte.
Man schätzte sie aber nicht sehr hoch ! In einem Amsterdamer Inventar
von etwa 1660 oder 1670 wurden Bilder des Frans Hals auf 15 Gulden taxiert,
eine Kopie nach de Heem auf 30 Gulden. Und im Sterbehaus des
Jan Miense Molenaer standen die Porträts des Verstorbenen und der
Judith Leystar, beide Schüler von Hals, ohne Rahmen auf dem
Boden.
Aus dem schönen Buche Schmidt Degeners möchte ich nur hier und
da zitieren, übersetzen. Wenn mir das nur gelingt !
Nie wird eine Figur von Hals uns zwingen zu ernstem Nach-
sinnen, zum Eindringen in das Wesen der abgebildeten Persönlichkeit.
Wir wissen es im voraus: seine grenzenlose Offenherzigkeit hat uns nichts
zu verbergen. Hals ist kein Psychologe wie Holbein, kein Anatom, der kühl
den gegebenen Charakter analysiert, dessen Lebensgesetze uns offengelegt
werden; viel weniger ein weithin reichender Geist wie Rembrandt in seiner
Spätzeit, der seine Modelle wunderbar vertiefte und sie leben läßt in seiner
geheimnisvollen, fast überirdischen Welt. Wer Hals genießen will, muß
etwas anderes suchen. Er ist der Virtuose des flüchtigen Ausdrucks im
menschlichen Antlitz. Den Ausdruck verborgenen Leidens, den viele Groß-
meister des Bildnisses gemeinsam haben und bei dem Modell ein gelebtes
Leben vermuten lassen, . . . .bei Hals ist das nicht zu finden. Bei ihm ist
alles wechselnd, spontan. Ein bleibender Gemütszustand, wie Melancholie,
wird bei ihm »norsche mistroostigheid« J). Seine Kunst beschränkt sich —
aber in wie reicher Abwechslung ! — auf die Übergänge von Lächeln, Lachen,
lautem Gelächter, Ernst, Galgenhumor, Verdrossenheit. Wo es gilt, diese
Übergänge zu schildern, steht Hals hoch über allen, in vollkommenster Meister-
schaft. Seine Technik scheint ganz dazu angelegt zu sein, diese Nuancen
festzuhalten — den flüchtigen Ausdruck vorübergehender Stimmungen.
Und in dem Besitz dieser Technik liegt das Unvergleichliche des Künstlers
Frans Hals.
Etwas weiter:
Dank seiner Technik kann Hals jede/ Laune seines beweglichen Tem-
peramentes in der unmittelbarsten Weise zur Darstellung bringen. »La
touche est moyen comme un autre de contribuer ä rendre la pens6e dans
la peinture«, so lautet ein Ausspruch von Delacroix. Die lustige, prickelnde
*) Soll man das übersetzen mit: mürrische übele Laune?
380
Literaturbericht.
Ausführung in seinen ausgelassenen Momenten — man denke nur an die
Stickereien und Zierate mit in Gelb getauchtem Pinsel gemalt, wie kurze,
jauchzende Fiorituren — sie findet einen ergreifenden Kontrast in seiner
Malerei von etwa 1650, wo sein Gemüt schmerzlich niedergeschlagen war.
Es gibt, besonders in Privatbesitz, kleine Bildnisse mit mürrischen Ge-
sichtern, worin Hals seiner bitteren Stimmung den freien Lauf läßt durch
wüste Pinselbehandlung und scharfe, bösartige Strichelchen — fast eine
Beleidigung für den Abgebildeten. Man staunt, daß trotz dieser Technik
der Ausdruck so sicher, von einer so verblüffenden Wahrheit bleibt.
Die späten Bilder von 1664:
An einem Tische sind vier Frauen vereint, nicht jung mehr, streng
in Schwarz und Weiß^ gekleidet. Man glaubt sie zu unterscheiden: diese ist
Witwe, jene Hausmutter, die dritte alte Jungfer. Eine alte Dienerin kommt
von rechts angelaufen, steinrot im Gesichte, dumm der Ausdruck, einen
Brief in der Hand, voller niedriger Dienstfertigkeit. Was hat diese Unglück-
lichen bewogen, sich diesem verbitterten Künstler zu überlassen, der nichts
schenkte von aller Armseligkeit, welche dieses diffizile Kollegium ihm
offenbarte.
Welke Haut, dürre Herzen, das ist alles, was Hals gesehen hat. Da
sitzen sie, der Reihe nach, die vertrocknete Grazie, die mürrische Haus-
hälterin, die »preutsche maltentigheid«1). Seine Abkehr, seinen Haß sogar,
wie weiß Hals sie auf den Zuschauer überzutragen Man lese selbst
die meisterhafte Schilderung dieser letzten Arbeiten weiter.
Am Schluß (Hals und Rembrandt) :
Schon in seinem frühesten Werk steht Hals vor uns wie der geborene
Virtuose, der Maler von Gottes Gnaden. Bei Rembrandt dagegen ist der
Anfang schwer und ungeschmeidig, spricht alles von ernstem, mühevollem
Studium. Aber nirgends offenbart sich der Unterschied zwischen den beiden
Künstlern deutlicher als am Schluß ihres Lebens. Hals, der einst die hellsten
Farben gekannt, taucht zum Schluß seine Modelle in ein trauriges Grau;
sein Lachen wurde Haß und Spott, und zum Schluß,, nach einem letzten,
desperaten Versuch, überlebt er seine Kunst. Rembrandt, von einer tonigen
Malerei ausgehend, genießt erst in seinem Alter von der majestätischen
Gewalt der dreisten, offenen Farben; er stirbt mit dem Pinsel in der Hand
und seine letzten Schöpfungen sind lauter Liebe und Vergeben. Ist es nicht
schmerzlich, zu wissen, daß Hals nach jenem letzten Regentenbilde noch
zwei Jahre leben mußte, alt, bedürftig, von seiner Kunst verlassen in einer
Umgebung, die er haßte, in einer Welt, woraus jene Freunde verschwunden
waren ?
J) Etwa: lächerliche alte Jungfer.
Literaturbericht.
381
Man hat Rubens Rembrandts Antipoden genannt. Ein Irrtum; Rem-
brandts wirklicher Antipode ist Frans Hals. Wie universell Rembrandt,
so beschränkt war Hals. Hals spontan und offen, ohne jede Philosophie,
Rembrandt rätselvoll, überlegend, spekulierend. Die beiden müssen wohl
fremd sich gegenüber gestanden haben. Wir hören wohl von einem Besuch
van Dycks bei Hals, nichts von einer Begegnung von Hals mit Rembrandt.
Dennoch malt Rembrandt Haarlemer Bürger, Hals Amsterdamer Schützen.
Beide malten den Prediger Swalmius: Rembrandt voller Salbung und Würde,
Hals malt ihn wie einen lustigen alten Faun. Rembrandt, wiewohl er die
Realität beherrscht und gerne durchforscht, macht sie seiner Imagination,
seiner eigentlichen Domäne unterwürfig. Das Reich des Porträtmalers Hals
ist ausschließlich die Wirklichkeit. Für den einen war sie Mittel, für den
anderen Zweck. Darin liegt das Wesentliche ihrer Verschiedenheit. Jeder
ist auf seinem Gebiet der Erste.
Aber ich möchte am liebsten das Ganze übersetzen und dazu fehlt
Zeit und Raum. Moes und Schmidt Degener haben beide als Selbstbildnis
von Hals das Porträt aus der Sammlung Porges reproduziert. Meines Er-
achtens ist das Exemplar, das einst bei Heineman, dann in der Sammlung
Kirchheim war, das einzige Original dieses Bildnisses. Im Schmidt Degener-
schen Buch sind vortreffliche Stücke über das alte Haarlem und eine ge-
wissenhafte Biographie von Hals zu lesen von der Hand des gelehrten
Archivars C. J. Gönnet. Die Zeichnungen von Veldheer sind eine anziehende
Zugabe.
Fontainas, ein Dichter, betrachtet den Künstler in ähnlicher Weise
wie Schmidt Degener. Er scheint aber nur wenig von ihm gesehen zu haben.
Die kleinen Abbildungen sind meist recht gelungen. Leider bildet er
noch das Familienbild aus dem Louvre ab und einen lachenden Mann
der Sammlung Schloß, wohl kein Frans Hals, eher ein Härmen oder
Jan Hals.
Sehr lesenswert sind die Hauptstücke über: Les qualit^s de
mutier. Bei der Beschreibung der alten Regentinnen trifft uns eine
ähnliche Auffassung als die von Schmidt Degener:
Pas une ceuvre qui, au XVII si&cle, exprime, avec une justesse
aussi adäquate, Tarne etrange . de vielles femmes, d’une compassion
attendrie, presque douloureuse, d’une volont6 6troite, d'une bont6 s&che
et mesquine, d’une soumission paisible ä un monde inexorable de
prejug^s.
Une seule, qui n’a pas abdique encore son orgueil ancien de
coquette surannee, tient un eventail ferm£ et des gants; toutes sont
volontaires et tetues. Au doigt, avec ostentation, eiles portent Tanneau
nuptial.
382
Literaturbericht.
Ce qui se trouve en ce chef d’oeuvre d’un ordre si particulier, nul ne le
peut deviner s'il n'en a pas subi le prestige surprenant. Une methode, ici
intuitive, a suggere de ne pas tout exprimer, du moins directement, mais
de laisser l’imagination en suspens, pour suppleer ä ce qui manque. Ainsi
une ferveur s’emeut et opfere sans qu’on le veuille, sans qu’on le sache. A cet
fegard, le travail des mains divers, prfecieux et ferme dans ses elisions meme,
tient du prodige. Les articulations, la peau ridee, sfeche, toute l’ossature
sont construites dans leur mouvement propre; on y pergoit comme une
fifevre moite; le resultat ainsi obtenu ne peut se comprendre; ledessin a tremble,
la couleur s'fetale avec d'improbables rehauts; mais tout palpite, tout vit;
l’analyse seule reste en dfefaut.
Am Schluß führt er aus, wie Hals seine besten Schüler erst im 19. Jahr-
hundert gehabt. Courbet, Manet, Monet, Whistler, Fantin Latour u. a.
Der Einfluß des großen Haarlemers wirkte befruchtend auf die ganze moderne
Malerei.
Die drei Werke dürfen nicht fehlen in den Bibliotheken derer, die
den großen Haarlemer Künstler bewundern und verehren.
A. Bredius.
Skulptur.
Robert Corwegh. Donatellos Sängerkanzel im Dom zu
Florenz. Berlin, Bruno Cassirer, 1909.
Der Verfasser erklärt vier Bronzen zu Donatellos Cantoria zugehörig,
zwei männliche Köpfe (Florenz, Bargello) und zwei leuchterhaltende Putten
(Paris, Mad. Andrfe). Wer nur die Abbildung mit den eingefügten Bronzen
auf S. 2 sieht, wird schon ernstlich daran zweifeln, daß jene Stücke wirk-
lich zur Kanzel gehören. Die Köpfe sind zu schwer und groß, diePutti viel
zu klein und unbedeutend für die ihnen angewiesenen Plätze. Die Argu-
mente im Text sind dann keineswegs der Art, daß sie jene Zweifel ver-
scheuchen könnten. Im Gegenteil:
Vasari erwähnt auf der Brüstung von Luca della Robbias Kanzel als
Arbeiten Lucas »due figure di metallo dorate; ciofe due Angeli nudi «
Corwegh stellt nun die sonderbare Hypothese auf, Vasari habe Donatellos
Kanzel mit derjenigen Lucas verwechselt, — »die beiden Kanzeln müssen
sehr wenig Licht gehabt haben.« Jene beiden Bronzeengel befanden sich
also auf Donatellos, nicht auf Lucas Cantoria, waren Donatellos, nicht
Lucas Werk.
Diese Behauptung stützt Corwegh auf Aussagen Bocchis und
Del Migliores, die im Gegensatz zu Vasari Donatellos Kanzel über
Literaturbericht.
383
den Eingang zur Neuen Sakristei, diejenige Lucas über die Tür der
Alten Sakristei setzen. Dabei übersieht Corwegh ganz, daß seine
beiden Gewährsmänner mit Lucas Cantoria auch die Bronzeengel über
die Sagrestia vecchia versetzen. Damit ist jene Hypothese bereits
gerichtet.
Ferner sind Bocchis und Del Migkores Angaben der Standorte der
Kanzeln sicher irrig. Vasari hatte recht. Wie kann man annehmen, daß
Vasari, der sich ausführlicher als irgendein anderer älterer Schriftsteller
über die beiden Cantorie äußert, wegen ungenügender Beleuchtung beide
Werke verwechselt haben soll. Er spricht eingehend von der besseren Wir-
kung der nur bozzierten Figuren Donatellos im Gegensatz zu dem schwäche-
ren Effekt der sauber ausgeführten Reliefs Lucas. Wie paßt übrigens der
angebliche Lichtmangel zu Corweghs schwärmerischer Ausmalung (S. 20)
der ehemaligen Wirkung?
Vasari steht in vollem Einklang mit älteren Autoren, mit Antonio
Billi und dem sogenannten Anonymus des Codice Magliabechiano, die beide
merkwürdigerweise von Corwegh ignoriert werden. Vasari steht auch in
vollem Einklang mit einer Urkunde, die von Corwegh mitgeteilt wird, um
die irrtümlichen Angaben Bocchis und Del Migliores zu kräftigen. Es ist
das Auftragsdokument an Donatello vom 10. Juli 1433: »... ad faciendum
novum pergamum de marmore in secunda sagrestia seu super porta secunde
nove sagrestie in loco designato ...... Nach Corweghs Ansicht ist damit
bewiesen, daß sich Donatellos Kanzel über der Tür zur Neuen Sakristei
befand. Keineswegs. Das nove ist hier kein unterscheidendes Merkmal.
Corwegh zitiert bereits auf der nächsten Seite die Auftragsurkunde der
beiden bronzenen Sakristeitüren an Donatello vom 21. Februar 1436. Hier
heißt es: » duas portas de Bronzo duabus novis Sagrestiis ...... Beide
Sakristeien werden also als neu bezeichnet. Ganz natürlich, der Dom wurde
ja erst am 25. März 1436 geweiht. Aber das secunda ist ein sicheres Unter-
scheidungsmerkmal. In einer ganzen Reihe von Domurkunden der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts wird zwischen prima und secunda sacrestia
unterschieden. So wird in der Urkunde, welche die Bronzetür der später
sogenannten Neuen Sakristei Michelozzo, Luca della Robbia und Maso in
Auftrag gibt, von der sacrestia prima gesprochen; Lucas Himmelfahrts-
lünette über der Tür der Alten Sakristei wird für den Türbogen der sacrestia
secunda bestellt x). Identisch sind also prima und die spätere nuova, secunda
und die spätere vecchia. Das Dokument vom 10. Juli 1433 beweist also
das Gegenteil der Behauptung Corweghs, bestätigt Vasari: Donatellos
Kanzel befand sich über Lucas Himmelfahrtslunette, über dem Eingang
!) Die Urkunden bei Rumohr, Ital. Forschungen II. S. 364 ff.
3§4
Literaturbericht.
zur Alten Sakristei 2). Für die Annahme, daß auf der Brüstung dieser Kanzal
Bronzeengel angebracht waren, fehlt jeglicher dokumentarische oder
literarische Hinweis.
Nun zu den Bronzeköpfen des Bargello. Eine Urkunde vom 12. Ok-
tober 1439 wird mitgeteilt, laut der Donatello 300 Pfund Bronze erhalten
soll »per quadam texta quae debet fieri in pergamo per eum facto ex parte
posteriori in quadam bucha sive foramine subtus dictum perghamum, prout
est una alia texta.« Corwegh übersetzt, wie allerdings auch Semper hier
tat, texta mit Kopf. Das Latein der Urkunde ist ja freilich kein cicero -
nianisches, aber daß hier texta für caput stehen soll, kann ich so ohne
weiteres nicht glauben. Warum nicht dann das rein italienische testa. Ich
gestehe, daß mir die Bedeutung des Wortes nicht recht klar ist, meine aber,
daß es von texere abzuleiten ist, und möchte am ehesten an ein Bronze -
geflecht denken, ähnlich jenem Gitter über Verrocchios Medicäergrab in
S. Lorenzo. Und dann ein Kopf von 300 Pfund Bronze. Hat der Verf.
die Köpfe des Bargello nachgewogen? Schließlich, falls wirklich texta
caput heißt, falls wirklich jeder der Bargello -Köpfe 300 Pfund wiegt und
wirklich von Donatello stammt, ist dann wirklich mit »ex parte posteriori«
die von Corwegh bezeichnete Stelle gemeint? — Der Verf. durfte sich
nicht mit der bloßen Mitteilung und zum mindesten sehr freien Über-
setzung der keineswegs selbstverständlichen Urkunde begnügen. Hier war
eine gründliche Exegese erforderlich.
Corwegh unterscheidet in dem großen Puttenfries mehrere ausführende
Hände. Ein Stück, das tatsächlich die andern in der Qualität übertrifft,
soll eigenhändige Arbeit Donatellos sein. Die übrigen Teile werden Buggiano,
Michelozzo und einem Anonymus, dem Verfertiger des Grabmals Lombardi
in S. Croce zugewiesen.
Corwegh versucht ferner, etwas über den »literarischen Inhalt« der
Cantoria Donatellos auszusagen. Wie den Reliefs Lucas der 150. Psalm,
soll hier der 149. Psalm zugrunde liegen. Hingewiesen wird besonders auf:
»Laudent nomen ejus in choro: in tympano et psalterio psallant ei.« Gewiß,
das paßt allenfalls. Aber bei gutem Willen läßt sich für alles und jedes
irgendein Bibelvers finden. Ähnlich steht es mit der Ausdeutung der orna-
mentalen Elemente. Die Vasen der oberen Hohlkehle sollen Symbole des
irdischen zerbrechlichen Lebens sein, die Muscheln auf die Wanderung in
die ewige Heimat deuten. Daß die frühchristliche Kunst diese Dinge sym-
bolisch auffaßte, beweist noch nicht, daß Donatello sie so verstanden wissen
2 ) Auch der ursprüngliche Standort von Lucas Kanzel ist Vasaris Angaben völlig
entsprechend urkundlich bezeugt: Luca erhielt am 28. August 1438 Restzahlung für den
»perghamo del marmo, ch’e posto e murato nella chiesa maggiore sopra l’uscio della
sagrestia diuerso i Serui.“ Frey, Cod. Magi. p. 311.
Literaturbericht.
385
wollte. Und wenn auch. Zum Verständnis der Kunst Donatellos sind solche
Bemerkungen doch nur ein sehr kleiner Beitrag. Ein Beitrag, der sicherlich
in gar keinem Verhältnis steht zu der ungeheuren Prätension, mit der Cor-
wegh seine Schrift beginnt und endigt 3). H adeln.
3) Nach erfolgter Korrektur dieser Besprechung erschien bei Cassirer G. Poggis
Duomo di Firenze. Hier sind zum ersten Mal sämtliche Urkunden über die Cantoria
veröffentlicht. Aus ihnen geht hervor, daß tatsächlich Bronzeköpfe an dem Werk an-
gebracht waren. Libras versieht Poggi mit einem Fragezeichen, wodurch ein weiteres
der oben geäußerten Bedenken gehoben wird. Corweghs Identifikation dieser Köpfe
mit denen des Bargello weist Poggi zurück.
Franz Wickhoff.
Von Gustav Glück.
Franz Wickhoff, das Haupt und der eigentliche geistige Begründer
der Wiener kunstgeschichtlichen Schule, ist am 6. April d. J. in Venedig
gestorben. Der Tod hat ihn in der Stadt ereilt, die er so sehr
geliebt und deren Kunst er mit solchem Eifer und Erfolg erforscht hat,
und auch der 6. April ist ein bedeutsames Datum als der Todestag Raffaels,
dessen Studium den verstorbenen Gelehrten so viele Zeit seines Lebens
beschäftigt hat.
In Franz Wickhoff hat die Kunstwissenschaft einen ihrer hervor-
ragendsten Vertreter verloren. Wenigen Forschern auf diesem Gebiete
sind eine so tiefe Bildung, ein so gründliches Wissen, eine solche Vielseitigkeit,
eine so lebendige und selbständige Auffassung, ein so feines Verständnis
für Kunst und Literatur eigen gewesen, wie dem Verstorbenen. Noch
wenigeren kann man eine solche Fülle fruchtbarer geistiger Anregung nach-
rühmen, wie sie Wickhoff nach allen Seiten hin verschwenderisch ausgestreut
hat. Obwohl er kein glänzender oder bestechender Redner gewesen ist,
gehört er doch sicherlich zu den Universitätslehrern, die auf ihre Schüler
den größten Einfluß gewonnen haben, und ohne Zweifel werden sich manche,
die seine Vorträge nie gehört haben, allein aus der Lektüre seiner Schriften
heraus dankbar als seine Schüler bekennen.
Bei der Betrachtung von Wickhoffs ausgebreiteter literarischer Tätig-
keit fällt uns vor allem anderen der weite Blick auf, mit dem er das ganze
Gebiet der Geschichte der alten wie der neueren und neuesten Kunst zu
umfassen vermochte. Es ist höchst bewundernswert, wie er die Entwick-
lungsgeschichte des Stiles von der Kunst des Altertums an bis zu den künstleri-
schen Erzeugnissen unserer Tage verfolgt hat. Der höchst fruchtbare und
eigenartige Grundgedanke von einigen seiner wichtigsten Arbeiten ist die
von ihm zuerst aufgestellte Lehre von der Einheitlichkeit der
gesamten Kunstentwicklung. Bisher hatte man sich den
Verlauf der Geschichte der Kunst ähnlich vorgestellt wie das Wachstum,
die Blüte und den Verfall einzelner Pflanzen. Wickhoff hat mit dieser
Anschauung gebrochen. In den bisher sogenannten Zeiten des Verfalls der
Nekrolog.
387
Kunst erkennt er ein neues, frisches Leben, ein frohes Wachstum, das immer
wieder neues fördert, und es scheint seine Grundanschauung gewesen zu
sein, daß, wie in der Natur kein Atom verloren geht, so auch in der Kunst
keine Regung, kein Versuch ganz umsonst und wirkungslos sein kann. Von
diesem großen Gesichtspunkte aus hat er — in seinem Hauptwerke, der
Einleitung zu der von ihm und Wilhelm von Hartei besorgten Ausgabe der
Wiener Genesis (Wien 1895 ) — , der römischen Kunst der sogenannten
Verfallszeit gänzlich neue Seiten abgewonnen und aufgezeigt, daß wichtige
und bis auf die neueste Zeit wirksame künstlerische Taten in dieser angeb-
lichen Zeit künstlerischer Erschöpfung vollbracht worden sind. Ähnliche
Absichten verfolgt er in einigen kleineren inhaltsreichen Arbeiten, wie in
denen »über die historische Einheitlichkeit der gesamten Kunstentwicklung«
(Festgaben für Büdinger, Innsbruck 1898) und »über die Einteilung der
Kunstgeschichte in Hauptperioden« (Kunstgeschichtliches Jahrbuch der
Zentralkommission. Wien 1908).
Geben gerade solche Studien den Beweis dafür, daß Wickhoff immer
das Ganze, das Wesentliche seines Arbeitsgebietes vor Augen hatte, so hat
er es doch keineswegs verschmäht, sich mit jenen Einzelheiten zu be-
schäftigen, deren Erforschung für die Erkenntnis der großen allgemeinen
Entwicklung die unentbehrliche Grundlage bilden muß. Auch auf dem
Gebiete der S t i 1 k r i t i k hat er Ausgezeichnetes geleistet; er verfügte,
besonders auf dem Felde der italienischen Malerei, über eine hervorragende
Kennerschaft, die er weiterzubilden nicht müde wurde. Hier hat er sich
besonders Giovanni Morelli angeschlossen und eine Reihe von Bestimmungen
italienischer Bilder beweist, wie sehr jene intuitive Gabe der Kennerschaft
auch einem weitblickenden Gelehrten, wie Wickhoff es war, eigen sein konnte.
An den Gemälden der Wiener Galerie hat er in seinem inhaltsreichen Aufsatze:
»Les ecoles italiennes au musöe imperial de Vienne« (Gazette des Beaux-Arts
1893) wichtige und anregende Kritik geübt. Die große Bedeutung der
Handzeichnungen für die Bestimmung der Gemälde hat Wickhoff, ebenfalls
im Anschlüsse an Morelli, immer wieder hervorgehoben; er selbst war einer
der besten Kenner der italienischen Handzeichnungen, wovon sein Katalog
der italienischen Zeichnungen der Albertina (Jahrbuch der kunsthistori-
schen Sammlungen des Ah. Kaiserhauses Bd. XII und XIII), sein Bericht
»über die Anordnung von Raffaels Handzeichnungen« (Sitzungsberichte
der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1903) und eine Studie
über einige italienische Handzeichnungen im British Museum (Jahrbuch
derkönigl. preußischen Kunstsammlungen 1899) ein glänzendes Zeugnis geben.
Eine besondere Rolle spielt in Wickhoffs Schaffen die sach-
liche Erklärung von Gemälden und Zeichnungen. Hier kam
ihm seine ganz ungewöhnliche Belesenheit auf dem gesamten Gebiete
388
Nekrolog.
der Weltliteratur sehr zustatten. Bei der Erklärung von alten Kunstwerken
auf ihren stofflichen Inhalt hin vertrat er den ohne Zweifel richtigen Stand-
punkt, daß jeder Darstellung ein bestimmter Inhalt und auch eine be-
stimmte Quelle zugrunde liegen muß, und die meisten Stoffe fand er in der
antiken und spätantiken Literatur, wenn nicht in der Bibel, die er kannte,
wie kaum ein anderer Kunstgelehrter. Ein Meisterwerk unter diesen Unter-
suchungen über den gegenständlichen Inhalt der Kunstwerke ist seine
Studie über die Bibliothek Julius’ II. (Jahrbuch der königl. preußischen
Kunstsammlungen 1893); hier wird der Stoff der Fresken der Camera della
Segnatura in vollendeter Weise aus den geistigen Anschauungen von Raffaels
Zeit erklärt und die Deutung ist ebenso einleuchtend als ungezwungen.
In ähnlicher Weise hat Wickhoff eine ganze Anzahl von florentinischen und
venezianischen Bildern zu erklären und ihre literarischen Quellen nach-
zuweisen versucht (z. B. in den Aufsätzen: »Giorgiones Bilder zu römischen
Heldengedichten«, »Venezianische Bilder« und »Die Hochzeitsbilder Sandro
Botticellis«, ebenda 1895, 1902 und 1906). Auch eine wertvolle Studie
über »die Gestalt Amors in der Phantasie des italienischen Mittelalters«
(ebenda 1890) gehört in dieses Gebiet. Endlich hat Wickhoff mit seinen
Schülern eine Reihe von Zeichnungen Rembrandts vorgenommen, um sie
nach ihrem biblischen Inhalt zu erläutern (Einige Zeichnungen Rembrandts
mit biblischen Vorwürfen, Innsbruck 1906). Alle diese Erklärungen und
Erklärungsversuche scheinen uns von großer Bedeutung für die Erkenntnis
und däs Verständnis alter Kunst. Und wenn auch nicht in allen Fällen
die Richtigkeit der Deutung als völlig gesichert betrachtet werden kann,
so wird doch immer der wichtige Grundsatz bestehen bleiben, daß wir in den
Kunstwerken, die bis zum 16. Jahrhundert, ja zum größten Teil noch in
denen, die bis zum 17. Jahrhundert geschaffen worden sind, nie Stimmungs-
bilder im modernen Sinne zu erkennen haben, sondern Kunstwerke mit
einem ganz bestimmt umgrenzten literarischen Inhalt, Neuere Forschungen,
wie z. B. Karl Giehlows Erklärungen Dürerscher Schöpfungen, haben ja
auch auf anderen Gebieten die Richtigkeit von Wickhoffs Grundanschau-
ung bestätigt.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, Wickhoffs Schaffen in seiner
ganzen Vielseitigkeit erschöpfend darzustellen. Ein Verzeichnis seiner
sämtlichen Arbeiten wird von anderer Seite vorbereitet und wir hoffen auch,
daß eine Gesamtausgabe sämtlicher kleinerer Schriften des großen Gelehrten
bald vorliegen wird. Hier wird man sehen können, wie groß sein Arbeits-
gebiet gewesen ist; er ist nicht, wie so viele Forscher, an einem Spezialfach
hängen geblieben. Mochte er von antiker oder altchristlicher Kunst handeln,
von der Kunst des Ducento und des Trecento, von Raffael, Michelangelo,
Marc Anton, von venezianischer Malerei, von Dürer, vom Meister der weib-
Nekrolog.
389
liehen Halbfiguren und französischer Kunst, von der rätselhaften Wachs-
büste in Lille, immer hatte er etwas Neues und Anregendes zu sagen. Und
selbst aus seinen Irrtümern, die er später oft bereitwillig eingestand, haben
wir gelernt.
Ebenso schätzbar wie seine Vielseitigkeit war seine schriftstellerische
Begabung, die die Lektüre seiner Schriften zu einem Genuß macht. Er hat
alle seine Forschungen in eine feine literarische Form gekleidet, wie wir sie
nur selten bei wissenschaftlich ernsten Arbeiten finden. Alles, was er ge-
schrieben hat, zeugt von einem vortrefflichen literarischen Geschmack, der
sich an Goethes Werken gebildet hat. Seine vertraute Beschäftigung mit
Goethe, den er sein Leben lang nicht nur verehrte, sondern auch wirklich
las, verrät sich in einem seiner feinsinnigsten Aufsätze, der den Titel führt:
»Der zeitliche Wandel in Goethes Verhältnis zur Antike dargelegt am Faust«
{Jahreshefte des österreichischen archäologischen Instituts I).
Trotz dieser literarischen Neigungen war Wickhoff nichts weniger
denn ein Schöngeist. Als Schüler Theodor von Sickels, als den er sich dankbar
bekannte, war er durch und durch Historiker und jedem Dilettantismus
abhold. Nichts war ihm verhaßter, als das salbungsvolle Geschreibsel, das
heute leider in der kunstgeschichtlichen Literatur so häufig wissenschaftlich
ernste Arbeit verdrängt. Weil Wickhoff Historiker, nicht unklare und
seichte Kunstästhetiker erziehen wollte, hat er die Verbindung seiner kunst-
historischen Lehrkanzel mit dem Institut für österreichische Geschichts-
forschung für höchst wichtig gehalten und seinen Schülern historische,
diplomatische und paläographische Studien fast als eine Art von Zwang
auferlegt. Damit wollte er erreichen, daß selbst auch aus den weniger be-
gabten unter seinen Schülern keine seichten Schwätzer, sondern tüchtig
geschulte, wissenschaftlich denkende Arbeiter würden, an denen es ihm in
unserer Wissenschaft oft mehr zu fehlen schien als an Begabungen. Ein
Beispiel, wie er selbst die historische Quellenkritik zu handhaben wußte,
hat er in der meisterhaften Kritik der literarischen Nachrichten über die
Biographie Cimabues in seiner Arbeit über die Zeit des Guido von Siena
(Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung X, 1889)
gegeben, und sicherlich ist es der von ihm ausgehenden Anregung zu danken,
daß sich manche von seinen Schülern den in der Kunstwissenschaft noch
so wenig üblichen und doch so wichtigen quellenkritischen Studien .zuge-
wendet haben, unter denen besonders die Untersuchung des hoch-
begabten, früh verstorbenen Wolfgang Kallab über die Quellen Vasaris
ganz im Sinne seines Lehrers gewesen ist, der ihm nun bald im Tode
nachgefolgt ist.
Auch auf dem Gebiete der Stilkritik hat Wickhoff von seinen Schülern
verlangt, daß ihre Bestimmungen nicht auf Grund unklarer Empfindungen,
39°
Nekrolog.
sondern, nach dem Vorbilde des naturwissenschaftlich geschulten Morelli,
mit Hilfe ganz bestimmter Merkmale der künstlerischen Schrift erfolgten.
Durch solche Mittel hat er versucht, der noch jungen Kunstwissen-
schaft eine feste Grundlage zu geben und sie ihren älteren Schwestern, der
Archäologie und der Geschichte, an die Seite zu stellen. Auch den Gedanken
des Corpus hat er von diesen Wissenschaften übernommen und mit der von
ihm begründeten Herausgabe eines beschreibenden Verzeichnisses der
illuminierten Handschriften Österreichs den Anfang gemacht, von dem
schon drei von seinen Schülern in gewissenhafter Weise bearbeitete Bände
vorliegen.
Mit diesen seinen Bestrebungen hängen auch die »Kunstgeschicht-
lichen Anzeigen« zusammen, eine Schöpfung seiner letzten Lebensjahre.
Hier wollte er auch die Kritik der kunstwissenschaftlichen Erscheinungen
auf einen festen Grund stellen, statt der üblichen Gelegenheits- und Gefällig-
keitsbesprechungen ernste Erörterungen bringen und auch neben positiv
Neuem, das bei solchen Gelegenheiten vorgebracht werden kann, die Aufgabe
durchführen, die Spreu vom Weizen zu sondern. Daß es hierbei zu einem
Kampfe kommen mußte, wußte er sehr wohl, und er war auch nicht der
Mann, der den Kampf aufzunehmen sich gescheut hätte. So scharf und
persönlich manche Angriffe Wickhoffs erscheinen mögen, so weiß doch jeder,
der ihn gekannt hat, daß es ihm nie um Personen zu tun war, sondern nur
um die Sache. Um diese hat er freilich ehrlich gekämpft und kräftige Mittel
gebraucht, wenn sie ihm nötig schienen.
Durch Wickhoffs frühes Hinscheiden — er ist nicht ganz 56 Jahre
alt geworden — haben wir manche Arbeiten verloren, die ein anderer kaum
so hätte durchführen können wie er: unter anderem bereitete er ein Corpus der
Handzeichnungen Raffaels und ein Buch über Giorgione vor. So empfind-
lich auch dieser Verlust ist, so betrauern wir doch noch weit mehr den Verlust
des Mannes selbst, dessen Wesen sich in dem, was er geschaffen hat, schon
voll ausdrückt, der in allen seinen Arbeiten und Handlungen eine echte
Persönlichkeit, ein ganzer Mann war, als hätte er sich jenen von einem
anderen streitbaren Geiste, wie es Lichtenberg war, gebilligten Grundsatz
des Spectator zu eigen gemacht: »The whole man is to move together«.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der
Augustinerkirche zu Konstanz.
Von J. Gramm.
Die entwicklungsgeschichtliche Kunstbetrachtung der heutigen Zeit
läßt uns all jene Epochen der Menschheitsgeschichte als besonders interessant
erscheinen, in denen sich ein allgemeiner Wandel der Kunstanschauungen
vollzieht, in denen neue oder bisher zurückgehaltene Kulturmächte ans
Licht empordrängen. Wie in den Gärungszeiten des ausgehenden Mittel-
alters die Kunst aus erträumten Idealfernen in die lebensfrische Wirk-
lichkeit hinübertritt, das hatte man schon lange in der Geschichte der alt-
niederländischen Malerei an ihren großen Pfadfindern, den Gebrüdern
van Eyck erkannt. Erst der neueren Forschung jedoch ist der Nachweis
gelungen, daß diesem gewaltigen Umwandlungsprozeß in der nordischen
Kunst ein ähnlich bedeutungsvoller in der süddeutschen Malerei gegen-
übersteht. Konstanz und Basel, die beiden altehrwürdigen Konzils -
städte, erschienen mehr und mehr als Brennpunkte der künstlerischen Kultur
jener bewegten Zeit. Vor allem war es die Frage nach der künstlerischen
Herkunft des K. Witz, die seit D. Burckhardts interessanter Hypothese
die Aufmerksamkeit in erhöhtem Maße auf die Konzilsstadt am Bodensee
gelenkt hat. Wenn wir an der Hand der Richenthalschen Konzilschronik
und der anderen Quellen1) uns das bunte internationale Leben mit seinem
augenblendenden Festgepränge vergegenwärtigen, so legt sich ganz von selbst
der Gedanke an eine dementsprechend reiche und üppige Kunstentfaltung
nahe. Entsandte doch ganz Europa hochangesehene Persönlichkeiten, vor-
nehme Würdenträger geistlichen und weltlichen Standes nach Konstanz,
die gewiß auch, sei es aus Devotionsbedürfnis, sei es aus Ruhmessinn für die
Kunst eine offene Hand hatten. Gehen wir jedoch die Denkmäler dieser Zeit
in der Bodenseemetropole und ihrer näheren Umgebung durch, so sehen
wir uns in unseren Erwartungen getäuscht. Trotz der zahlreichen erhaltenen
*) Eine treffliche Übersicht über das Leben und Treiben in Konstanz während der
Konzilszeit bietet H. Finke, Bilder vom Konstanzer Konzil. Neujahrsblätter der Badischen
Historischen Kommission. N. F. 6. Heidelberg 1903.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
27
392
J. Gramm:
Werke spätmittelalterlicher Kunst im Seekreis findet sich kaum ein namhaftes
Werk, das mit Sicherheit der Konzilszeit zugewiesen werden kann. Auch
in den Schriftquellen treffen wir kaum Hinweise auf bedeutendere künst-
lerische Produkte aus der Zeit der Kirchenversammlung2) — eine Tatsache,
die uns befremden muß, da sich bei solchen festlichen Gelegenheiten ein-
heimischen und fremden Künstlern ein dankbares Arbeitsfeld zu eröffnen
pflegte. Da ist es denn doppelt zu begrüßen, daß uns in der Augustiner-
kirche zu Konstanz ein künstlerisch wie kunsthistorisch hoch -
bedeutender Doppelzyklus von Wandgemälden aus der Konzilszeit unter
der Tünche erhalten blieb, der anläßlich der in den letzten Jahren vorge-
nommenen Restauration unter der kundigen Leitung von Stadtpfarrer
Dr. Groeber und Professor Wingenroth freigelegt wurde. Über den Inhalt
der Darstellungen und ihre hohen künstlerischen Qualitäten orientieren
Wingenroths und Gröbers feinsinnige Ausführungen in der Zeitschrift des
Breisgauvereins »Schauinsland« 3), auf die hier verwiesen werden muß.
Es handelt sich darnach um zwei Zyklen von Wandbildern, die über-
einander die Hochwände des Mittelschiffs der Augustinerkirche schmückten.
Dicht unter dem Fenster läuft ein friesartiger Streifen um das Mittelschiff
herum und über die Triumphbogenwand. Die hier angebrachten Eremiten -
bilder wurden jedoch anläßlich der Erweiterung des Triumphbogens in
der Barockzeit bis auf geringe Reste zerstört. Der sich anschließende Streifen
der Südwand gliedert sich in 18 durch. Säulenarkaden geteilte Felder, die
Darstellungen von hl. Eremiten und Mönchen verschiedener Orden enthalten,
von denen die letzteren gruppenweise je eine stehende Mönchs- o<Jer Bischofs -
gestalt (S. Augustin?) umgeben. Der Heilige scheint ihnen seine Regel
zu übergeben; darauf deutet das Buch in seiner Linken und das Spruch-
band in der anderen Hand, das die Mönche mit dem Ausdruck ehrfürchtigen
Dankes kniend empfangen. Wingenroths Deutung zufolge hätte man in
diesen sich 14- rcsp. iömal wiederholenden Szenen eine Darstellung des
Stammbaumes der Augustinereremiten zu erkennen. Die Schilderung setzt
sich, nur wenig variiert, an der Westwand fort. Trotz einer gewissen Mono-
tonie, wie sie die häufige Wiederholung des schlichten Themas mit sich
brachte, ist doch die Einzelcharakterisierung der Gestalten vorzüglich
gelungen. In Stellung, Gebärden- und Mienenspiel weiß der Künstler stets
eine neue Note zu geben. Mit großer Geschicklichkeit ist das Verlangen,
Staunen und dankende Empfangen der Mönche variiert. Besondere Be-
achtung verdienen die trefflich individualisierten Gestalten der greisen
Eremiten.
l) Wie mir Herr Geh. Hofrat Finke freundlichst mitteilte, sollen sich nur einige
Notizen über anonyme spanische Schildmaler gefunden haben.
3) Jahrg. 35 (1908), S. 69 ff.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Konstanz. 393
Ähnlich waren die Darstellungen auf dem leider sehr stark zerstörten
Nordfries gehalten, nur vereinigen sich hier eine größere Anzahl kniender
Mönche zu teilweise gegeneinander gerichteten Gruppen. Unter den
dazwischen befindlichen stehenden Heiligen möchte man den einen stig-
matisierten in brauner Kutte als den hl. Franz von Assisi deuten, während
sich der andere, als Abt charakterisierte, vorläufig nicht näher bestimmen
läßt. Mit diesem oberen Fries gehören stilistisch auch die beiden ver-
stümmelten Hochbilder zusammen, die sich unter den Eremitengestalten
an der Triumphbogenwand befinden. Eine einigermaßen einleuchtende
Deutung der Gemälde konnte bisher noch nicht gefunden werden. Ver-
suche in dieser Richtung auf Grund eingehender Beschreibung der Fragmente
findet man in Wingenroths Aufsatz4).
Von einer anderen Hand dürfte der zweite, weit interessantere Bilder-
zyklus herstammen, dem wir uns nunmehr zuwenden. Er umfaßt die unter-
halb des Frieses freibleibenden Zwickel der Mittelschiffarkaden. Über den
Stützen sind in doppelter Lebensgröße thronende Heiligengestalten darge-
stellt. Sie sitzen auf vielfach durchbrochenen fialen- und krabbenbesetzten
Gestühlen mit baldachinartigem Aufbau. Die Hintergründe sind abwechselnd
rot und blau gehalten. Die Figuren selbst heben sich in ihren kräftigen,
durch das Durchkommen des feurigen Malgrundes noch verstärkten Farben
von dem rötlichen und grauen Gestühl prächtig ab. Der farbige Gesamt-
eindruck ist bei aller Leuchtkraft der Efnzeltöne doch überaus harmonisch.
Dabei muß man allerdings in Betracht ziehen, daß die Gestalten der Süd-
seite in der Renaissancezeit eine mehr oder minder starke Restauration resp.
Übermalung erfahren haben. Doch genügen die Proben der nicht über-
malten Nordwand, um ein Urteil über den erlesenen Farbengeschmack der
Meister zu gewinnen. Bezüglich der Bedeutung der Figuren kann man aus
der Gewandung, den Kopfbedeckungen, den Attributen und nicht zuletzt
aus den Inschriftfragmenten wichtige Anhaltspunkte gewinnen. In einzelnen
Fällen freilich läßt die allzustarke Zerstörung kein sicheres Urteil mehr zu.
So hätten wir nach Wingenroths) in den thronenden Einzelgestalten h 1.
Bischöfe, Könige, Fürsten (resp, Kurfürsten) und Herzoge zu
erblicken. Dazu gesellen sich noch zwei Frauengestalten, deren Deutung
auf größere Schwierigkeiten stößt. Die unter drei Figuren der Südseite
angebrachten Wappen weisen zweimal auf Ungarn, einmal auf Österreich.
Ziehen wir noch die allerdings aus der Renaissancezeit stammenden
Inschriftfragmente* * 6) in Betracht, so ergibt sich die Deutung zweier Ge-
stalten als S. Ladislaus und S. Wilhelm von Aquitanien.
4) Wingenroth, S. y2 ff.
5) Wingenroth, S. 99.
6) »S. LADISLAVS. REX«. — ». . . MVS DVX AQV«.
27
394
J. Gramm:
Wie aber kamen die Augustinermönche zu einer solchen Auswahl
ungarischer und österreichischer hl. Könige und
Fürsten ? Bereits Wingenroth hat diese Frage aufgeworfen und er
spricht die Vermutung aus, es möchte die Entstehung der Gemälde mit
der Anwesenheit Kaiser Sigismunds, des Königs von Ungarn und Böhmen,
auf dem Konzil in irgendwelcher Beziehung gestanden haben. Hatte sich
der Luxemburger doch mehrfach den Augustinern, seinen Gastwirten,
erkenntlich gezeigt. So würde die sonst kaum verständliche Auswahl von
ungarischen und österreichischen Heiligen ihre natürlichste Erklärung
finden.
Indessen sollte sich Wingenroths Vermutung glänzend bestätigen.
Der beste Kenner der Konstanzer Konzilszeit, Geh. Hofrat Finke hatte die
Güte, den Verfasser dieses Aufsatzes auf Urkunden im Fürstlich Hohen -
loheschen gemeinschaftlichen Hausarchiv (Weinsberger Archiv) von Öhringen
hinzuweisen, aus denen mit vollster Sicherheit hervorgeht, daß Kaiser
Sigismund die besprochenen Wandgemälde der Konstanzer Augustiner-
kirche stiftete. Durch eine Quittung der Maler erfahren wir zugleich die
Namen der ausführenden Meister und die Höhe ihres Honorars. Bei der
Durchsicht des Öhringer Materials fanden sich außerdem einige für die
Baugeschichte der Augustinerkirche interessante Notizen, die uns zunächst
hier beschäftigen sollen.
Das Konstanzer Augustinerkloster, eine Gründung des 13. Jahr-
hunderts, erreichte, durch mehrfache Schenkungen begünstigt, im Ver-
laufe des folgenden Säkulums seine höchste Bedeutung?) . Es ward eine
Pflegstätte der Gelehrsamkeit, besonders nachdem 1394 das Generalstudium
hierher verlegt worden war. Mochten Kirche und Kloster durch das große
Brandunglück von 1399 auch schwer mitgenommen worden sein, so
begannen doch bald wieder bessere Zeiten, als die glänzende Kirchenver-
sammlung in den Mauern der Bodenseestadt tagte. Der damalige Prior
Schwarz stand in Beziehung zu den angesehensten Persönlichkeiten der
abendländischen Welt, und Kaiser Sigismund bekundete seine Sympathien
für das Kloster schon dadurch, daß er in seinen Mauern Wohnung nahm
und mit dem geistig hochbedeutenden Provinzial Graf gelehrte Unter-
redungen pflog. Später aber brachen trübe Zeiten über das Kloster herein,
die zu seiner Auflösung in der Reformationszeit führten. Nach dem Wieder-
einzug der Mönche um die Mitte des 16. Jahrhunderts begann ein neuer
Aufschwung des klösterlichen Lebens und der gelehrten Bildung. In den
Wirren des Dreißigjährigen Krieges hatte die Niederlassung so stark gelitten,
daß ein Neubau des Klosters nötig ward. Damals wurde auch die Kirche
7) Wingenroth, S. 78, 80, 83.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Konstanz. 395
einer gründlichen Renovation unterzogen. Mit der Josephinischen Periode
brach dann die traurigste Zeit für das Kloster an, das sich schließlich
genötigt sah, seine Baulichkeiten dem Konstanzer Spital abzutreten. Die
Kirche selbst blieb in ihrer verzopften Umgestaltung dem Gottesdienst
erhalten und gelangte erst wieder durch die mit größter Umsicht und feinem
künstlerischem Verständnis vorgenommene Restauration des jetzigen Stadt-
pfarrers, Dr. Groeber zu Beachtung. Bei der Instandsetzung wurden auch
die hochinteressanten Wandmalereien zutage gefördert, an die unsere Be-
trachtungen anknüpfen.
Fassen wir zunächst den Kirchenraum selbst etwas näher ins Auge.
Es handelt sich um eine schlichte dreischiffige basilikale Anlage ohne Quer-
schiff mit geradlinig geschlossenem Chor und ehemals durchweg flacher
Eindeckung. Achteckpfeiler tragen die Langhauswände, die in ihren oberen
Partien von Rundfenstern durchbrochen waren. Den Spitzbogenarkaden
entsprachen große breite Spitzbogenfenster in den Seitenschiffmauern. Ein
tief herabreichendes Mittelfenster teilte die Westwand über dem Haupt-
portal. Durch Seitenfenster von ähnlichen Abmessungen wurde der Chor
erhellt. Seine Ostwand konnte keine Lichtöffnungen enthalten haben, da
hier das Kloster anstieß. Der eigentliche Ausbau der Kirche mag, wie
Wingenroth vermutet, erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts erfolgt sein8).
Für den heutigen Eindruck sind die Umgestaltungen maßgebend, die der
Bau im 17. und 18. Jahrhundert erfahren hat. 1740 wurden rundbogige
Fenster in den Hochwänden des Mittelschiffs und den Seitenschiffmauern
eingebrochen; man verbreiterte und erhöhte den Triumphbogen und mauerte
die Lichtöffnungen im Chor und an der Westwand in ihren unteren Teilen
zu. Aus dieser Zeit stammt auch das Spiegelgewölbe und die reiche Stuck-
verzierung an Decken und Wänden, die Pfeiler erhielten zugleich breit-
ausladende verogldete Stuckkapitelle. Die namentlich für die ältere Periode
überaus dürftigen Nachrichten über die Baugeschichte der Kirche haben
nun durch den neuen Urkundenfund im Öhringer Archiv eine nicht unwesent-
liche Bereicherung erfahren. Es mögen hier die beiden einschlägigen Stellen
auszugsweise im Wortlaut folgen:
1417. 19. Mai, Constanz. »Ich, Heinrich Gunterswylr
zu disen tzyten bawmeister und burger zu Costentz
veriche und bekenne mich offenlich mit disem brieff .... daß mir der wol-
geborn her Conrad herre zu Winsperg des heiligen Römischen Riehes Erb-
kamerer myn gnediger herre gegeben und bezalt hat sechs hundert
Rinische gülden von wegen in namen und an statt myns gnedigen
herren des Römischen und zu Ungern etc. Kunigs . . .« (Fürstl. Hohen-
8) Wingenroth, a. a. O. S. 83.
3 96
J. Gramm:
lohesches Gemeinsch. Hausarchiv, Abteilung Weinsberger Archiv,
D. i. k. 4.)
Die Bedeutung dieser Urkunde für unsere Frage ergibt sich erst durch
eine Notiz, die Konrad von Weinsberg in sein Verzeichnis der Ausgaben und
Einnahmen von 14 179) eigenhändig eintrug. Darin findet sich den Stutt-
garter Regesten des Weinsberger Archivs zufolge die Stelle: »Item an
freitag von sant Michelstag da reit ich gen Nürnberg von der halben iuden-
stüher wegen, als die Rudolf Sassen und Hanssen Hübnern für achthundert
gülden verschrieben sin, die ich meins herren dez künigs gnaden entlehet
zu sant Veltinstag; der 200 Gulden wurden graff Hansen von Salmen vnd
600 Gulden9 10) dem buwmeister zu Costentz, damyt er die
kirchen zu den Augustiner vnd die schieff machen solt...«
Da sich die betreffende Stelle in dem »eigenhändigen Verzeichnis«
Konrads von Weinsberg nicht auffinden ließ, so muß ich mich hier auf den
in den Stuttgarter Regesten zitierten Wortlaut stützen, dessen Richtigkeit
jedoch durch nachfolgenden eigenhändigen Vermerk Konrads in seinem
Ausgabenverzeichnis von 1417 S. 9 erwiesen wird: »Nota so entlehett ich
unem herren dem küng umb die nürenberger 800 gülden uff die iüdischeit . . .
tem der sin worden dem büwmeister 600 gülden Item dem
graffen von Salmen sind worden die überygen 200 gülden.«
Der Zusammenhang zwischen diesen beiden urkundlichen Berichten
liegt auf der Hand. Sigismund läßt dem Stadtbaumeister von Konstanz,
Heinrich Gunterswyler, für Arbeiten an der Augustinerkirche
daselbst 600 Gulden auszahlen. Den Empfang dieser Summe durch Konrad
von Weinsberg bestätigt Gunterswyler in der obigen Urkunde, der er unter
ausdrücklichem Vermerk sein Siegel beifügte11). Es frägt sich nur, was
jener Ausdruck »die kirchen . . . und die schieff machen« besagen will.. Dem
Sprachgebrauch der Konstanzer Urkunden zufolge waren unter »schieff«
nicht etwa speziell die Nebenschiffe zu verstehen, sondern die drei Schiffe
im allgemeinen111). Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß die
Kirche damals bereits in ihrer dreischiffigen Grundform bestand; sie war
auch laut Richenthals Konzilschronik wiederholt zu kirchlichen Veran-
staltungen, Belehnungen- und dergl. im Gebrauch. Schon deshalb wird man
an einen Neubau nicht denken dürfen. Dagegen spricht auch die unverhältnis-
mäßig geringe Summet). So kann es sich wohl nur um eine Restauration
9) Fürstl. Hohenlohesches gemeinschaftl. Hausarchiv D. 24 k. 3.
10) Der Verfasser der Regesten hat sich in der Wiedergabe der Zahl versehen (er
schrieb 89 statt 600 !) wie aus der zweiten Notiz Konrads hervorgeht.
n) Das Wappen zeigt einen Y-förmigen Gegenstand zwischen zwei Stern""
IS) Gütige Mitteilung des Herrn Stadtpfarrers Dr. Groeber.
*3) Wir haben keinen Grund, die 600 Gulden als Abschlagszahlung aufzufassen,
da von weiteren Teilzahlungen nichts verlautet.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Konstanz. 397
des durch den Brand von 1399 geschädigten Außenbaues (»die kirchen«)
und eventuell um Ausbesserung und Zurichtung der Schiffe (»die schieff«)
für die von Sigismund geplanten Wandgemälde handeln, zumal diese eine
Woche nach Ausstellung der Quittung Gunterswylers über den Empfang
der 600 Gulden in Aüftrag gegeben wurden.
Der Name Gunterswyl (e) r begegnet, in etwas variierter Schreib-
weise, seit 1376 mehrfach in den Konstanzer Ratslisten^). Es dürfte sich
dabei jedoch um den Johannes Gunterswyler gehandelt haben,
der in einer Konstanzer Ratsurkunde von 1396 (Karlsruhe, G. L. A. 5. Spec.
204) genannt wird* *5). Dagegen tritt 1410 ein Heinrich Gunters-
wyler in den Konstanzer Ratsbüchern als Bürgermeister auf16) und wird
1415 — 1424 als Ratsmitglied resp. Bürgermeister genannt1?). Wir dürfen
ihn jedoch nicht mit unserm Baumeister identifizieren, denn Heinrich Gunters-
wyler, der Bürgermeister, »was ain schuchmacher«18). Archivalische Nach-
forschungen haben leider keinen Aufschluß über die Persönlichkeit und
weitere Tätigkeit des Meisters gebracht, so daß wir uns damit bescheiden
müssen, den Namen des Architekten zu kennen, der die Augustinerkirche
zur Aufnahme der von Sigismund gestifteten Gemäldezyklen instand setzte.
Interessanter als diese baugeschichtliche Tatsache sind die urkund-
lichen Aufschlüsse bezüglich der Wandmalereien der Augustiner-
kirche und ihrer Meister. In einer Urkunde vom 27. Mai 1417 (Fürstl. Hohen-
lohesche Gemeinsch. Hausarchiv, Abteilung: Weinsberger Archiv, D. 8) weist
Sigismund Konrad von Weinsberg an »Item so sollen wir den malern
daz sie die kirchen zu den Augustinern ußrichten
und ußbereitten nach unserm fürgeben vierzehen-
hundert guldin geben«. Damit ist die Vermutung Wingenroths1?)
zur Gewißheit erhoben worden: Kaiser Sigismund ist der Stifter der umfang-
reichen Zyklen von Wandmalereien in der Augustinerkirche. Er mochte
auf diese Weise den Augustinern, deren er sich u. a. auch durch Schenkung
einer neuen Orgel erkenntlich zeigte, seine Dankbarkeit erweisen für die
gastliche Aufnahme, die sie ihm während seiner Anwesenheit beim Konzil
(seit 1415) in ihren Klostermauern gewährt hatten. Der Auftrag lautete
auf 1400 Gulden — nach damaligem Geldwert eine recht beträchtliche
Summe — und erfolgte demnach eine Woche nach Entlohnung des Konstanzer
*4) C. Beyerle, Die Constanzer Ratsnsten des Mittelalters. Heidelberg 1898, S. 95,
96, 98, 113, ”5» n6.
*5) Beyerle, a. a. 0. S. 120.
l6) Ebenda, S. 123.
J7) Beyerle, a. a. O. S. 125 — 130.
l8) Ebenda, S. 123.
*9) Wingenroth, a. a. 0. S. 99.
398
J. Gramm:
Stadtbaumeisters Gunterswyler, der die Kirche zur Ausmalung instand
gesetzt hatte. Schon in Anbetracht der Größenverhältnisse des Baus mußten
mehrere Meister für die farbige Ausschmückung beigezogen werden; die
Urkunde spricht denn auch von »den malern«. Wer aber waren diese?
Wir brauchen uns glücklicherweise keinen Vermutung’en hinzugeben, da uns
eine Öhringer Urkunde vom 4. Juli 1417 (D. I. k. 9) hierüber aufklärt.
»W ir Heinrich grübel Caspar sunder und Johans
lederhoser alle drye maler und burger zu Costentz
veriehen und bekennen uns offenlich mit diesem brieff vor allermenglich
für uns und unße erben als uns der allerdurchluchtigste fürste und herre
her Sigmund Römischer und zu Ungern etc. Kunig unser gnediger
herre verdinget hat zu malen gentzlichen miteinander die kurchen
zu den Augustinern umb virtzehenhundert guter
Rinischer gülden daz uns daran der wolgeborn herre her Conrad
herre zu Winsperg des heiligen Römischen Richs Erbekamerer gegeben
und bezalt hat von wegen in namen und anstatt desselben unß gnedigen
herren des Römischen und zu Ungern etc. Kunigs zweyhundert gut er
Rinischer gülden uff hut dato diß brieffs . . .«
»Des zu urkund so ich obgenannter Heinrich grübel myn eigen
insigel gedruckt zu rucke uff disen brieff.«
Die Ausmalung der Augustinerkirche lag demnach in den Händen
von drei in Konstanz ansäßigen Malern: Heinrich Grübel, Kaspar
Sunder und Johans Lederhoser. Wir haben hier einen der
seltenen Fälle in der Geschichte der spätmittelalterlichen Malerei am Ober-
rhein, wo sich ein kunsthistorisch bedeutungsvolles Werk mit bestimmten
Künstlerpersönlichkeiten in einen urkundlich gesicherten Zusammenhang
bringen läßt. Wie zu erwarten stand, besagt die Quittung nichts über den
Anteil der einzelnen Meister an dem Gesamtwerk. Dagegen scheint es höchst
wahrscheinlich, daß Heinrich Grübel die Oberleitung des Auftrags über-
nommen hatte, da er seinen Namen an die Spitze stellt und die Urkunde
mit seinem Siegel versieht20). Die bedungene Akkordsumme in Höhe von
1400 Gulden wurde durch Konrad von Weinsberg ratenweise ausbezahlt.
Den Empfang von 200 Gulden bestätigen die Maler in der oben mitge-
teilten Quittung. Eine weitere Abschlagszahlung in Höhe von 400 Gulden21)
scheint später erfolgt zu sein, denn auf der Rückseite dieser Quittung lesen
wir folgenden eigenhändigen Vermerk Konrads von Weinsberg: »Quidanz
20) Das Wappenschild enthält zwei mit den Stielen gekreuzte Hämmer; die Um-
schrift ist undeutlich.
21) Da weitere Quittungen der Maler fehlen, so bleibt es freilich zweifelhaft, ob in
der ausbezahlten Summe von 400 Gulden nicht jene 200 Gulden bereits enthalten waren,
über die die Maler quittieren.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Konstanz. 39g
umb 400 Gulden von den mallern die ich bezalt han die ist man mir noch
schuldig uff samstag nach exaltationis santi kruzi anno dom. 1417« (18. Sep-
tember). Damit stimmt ein weiterer Vermerk in Konrads eigenhändigem
Ausgabenverzeichnis von 1417 (D. 24. k. 3. S. 9) überein: »Item zu dem
ersten den mallern die da malten zu den Aug(e)nst(e)iner denen han ich
versprochen 1400 gülden. Item den han ich 400 gülden bezalt«22). In Anbe-
tracht der Höhe der Akkordsumme wird man annehmen dürfen, daß der
Gemäldezyklus von namhaften Meistern ausgeführt wurde; diese Ver-
mutung wird aber angesichts der hochbedeutenden künstlerischen Quali-
täten^) der Wandbilder zur Gewißheit. Um so interessanter erscheint denn
die Aufgabe, den ausführenden Künstlerpersönlichkeiten etwas nachzugehen.
Leider haben archivalische Forschungen2«) nur für zwei der genannten
Meister nähere Anhaltspunkte ergeben. Wie mir der Konstanzer Archivar,
Herr Dr. Maurer freundlichst mitteilte, ist für die Familie G r ü b e 1 die
Konstanzer Herkunft gesichert. Auch Sünder scheint einer Konstanzer
Familie zu entstammen, doch läßt sich dies vorläufig noch nicht mit voller
Sicherheit nachweisen. Der Name Lederhoser endlich soll in späterer
Zeit wiederholt in Konstanzer Urkunden begegnen.
Heinrich Grübel wird in dem ältesten Konstanzer Steuer-
buch (von 1378 — 1445) nicht erwähnte), er müßte demnach bereits vor
1378 in Konstanz Bürger gewesen sein. Diese Vermutung mag sich auf einen
Eintrag des ältesten Konstanzer Ratsbuchs stützen. Da finden wir (Beyerle,
Ratslisten, S. 1 13) im Jahre 1389 einen »Grübel« nach dem dritten
Zunftaufstand unter den neugewählten Zünftigen. Zur Identifizierung mit
unserm Maler Heinrich fehlt freilich, wie so häufig, der Vorname. Jedenfalls
kann es sich nicht um den »Uli Grübel« handeln, da dieser in dem
gleichen Zunftver^eichnis (von 1389) aufgeführt wird. Im Konstanzer
Steuerbuch von 1418 tritt dann weiterhin eine »G r ü b 1 i n« auf, die
400 lb. h. Liegendes und 400 lb. h. Fahrhabe versteuert. Leider können
wir nicht mehr feststellen, ob es sich hier um die Frau des Uli oder Heinrich
handelt. Falls letzteres zutrifft, wäre Heinrich Grübel, da er noch am
4. Juli 1417 die Quittung über 200 Gulden Abschlagszahlung für die Malereien
in der Augustinerkirche unterzeichnet, im folgenden Jahre aber nicht mehr
genannt wird, während eine »Grüblin« als Steuerzahlerin, also als Witwe
**) Ob hier wirklich eine weitere Abschlagszahlung vorliegt, läßt sich nicht ent-
scheiden.
*3) Diese lassen sich freilich aus den Reproduktionen nur sehr ungenügend erkennen.
*4) Zu aufrichtigem Dank für gütige Förderung meiner Studien bin ich Herrn Dekan
Maisch in Öhringen und Herrn Archivar Dr. Maurer in Konstanz verpflichtet.
*5) Bei dem häufigen Wechsel der Namensbezeichnungen wäre es freilich auch
denkbar, daß Grübel gelegentlich als »Heinrich der maler« aufgeführt wurde.
400
J. Gramm:
auftritt, in der Zwischenzeit bis zum nächsten Steuertermin, mithin Ende
1417 oder Anfang 1418 verstorben. Über das Alter des Malers läßt
sich leider kein sicherer Anhaltspunkt gewinnen; er mag frühestens in den
60 er Jahren des 14. Jahrhunderts geboren sein, da er sich 1418 noch der
schwierigen Malarbeit auf hohen Gerüsten unterzieht. Gegen ein späteres
Geburtsdatum spräche andererseits die bereits 1389 erfolgte Aufnahme
Grübels unter die Zünftigen im Rat, sofern wir überhaupt geneigt sind,
den Protokolleintrag auf unsern Maler beziehen zu wollen.
Im Jahr 1418, zur Zeit, da Grübel wohl bereits verstorben war, tritt
»Caspar Sünder vnd sin bruder« im Konstanzer Steuerbuch
auf. Kaspar versteuert 1701b. h. Fahrhabe, dagegen keine liegenden Güter.
Indessen läßt sich dem Konstanzer Gebrauch zufolge daraus noch nicht
ohne weiteres schließen, daß Kaspar Sünder kein Haus zu eigen gehabt
habe. Er wohnte mit seinem jedenfalls jüngeren Bruder zusammen, der
seinerseits nur mit 60 lb. h. Fahrhabe im Steuerverzeichnis von 1418 ein-
getragen ist. Hier finden wir auch eine »Sünderin vnd i r s o n«,
offenbar die Mutter des Kaspar. Sie versteuert 300 lb. h. Liegenschaften
und 760 lb. h. Fahrnisse, während der Sohn als minderjährig noch nicht
als Besitzer auftritt. Beide wohnten, wie die Reihenfolge der Steuerein-
träge erkennen läßt, nicht bei Kaspar und seinem Bruder, sondern in einer
anderen Stadtgegend (wohl heutige Wessenbergstraße). Da nun der jüngste
Sohn der »Sünderin« 1418 noch minderjährig ist, also etwa um 1400 geboren
wurde, so dürfte das Geburtsdatum seiner Mutter kaum vor den 60 er Jahren
des 14. Jahrhunderts angesetzt werden. Kaspar der Maler endlich könnte
dann nicht vor den 80 er Jahren geboren sein. Ein Vergleich der mutmaß-
lichen Lebensdaten des Kaspar Sünder und Heinrich Grübel ergibt einen
Altersunterschied von etwa 20 Jahren. So dürfen wir Sünder wohl der
neuen Generation zurechnen.
Für den dritten Meister, Johans Lederhoser *6), ließen sich
bisher leider gar keine urkundlichen Belege beibringen. Da Träger seines
Namens jedoch in späteren Konstanzer Materialien begegnen, so möchte
man in ihm gleichfalls einen Vertreter der vorgerückten Kunst erblicken.
26 ) Mit Jonans Lederhoser ist uns ein Maler des Vornamens Hans für das Jahr 1417
in Konstanz bezeugt, der sehr wohl noch 1424 am Leben gewesen sein mag, als jener »Hans
von Constanze in den Urkunden auftritt, den D. Burckhardt ohne weiteres mit Hans Witz
identifiziert. Der Vorname allein reicht dazu keineswegs aus, zumal in jenen Tagen auch
andere Maler des gleichen Vornamens in Konstanz gelebt haben mögen. Im übrigen sind
die Berührungspunkte der älteren Konstanzer Kunst mit der des KonradWitz doch sehr
geringfügig. Erst in dem 1445 datierten Wandgemälde der Margarethenkapelle des Kon-
stanzer Münsters — einer Kreuzigung und Madonna in Scheinarchitektur — macht sich
die Kunstweise des K. Witz und seines Kreises auffallend bemerkbar. Ich behalte mir vor
auf diese Beziehungen bei anderer Gelegenheit zurückzukommen.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde im der Augustinerkirche zu Konstanz.
401
Doch wir wollen uns nicht mit unsicheren Spekulationen aufhalten. Da
wir die Stileigentümlichkeiten der einzelnen Maler vorläufig nicht kennen,
so läßt sich der Anteil der drei Meister an den Gemäldezyklen natürlich nicht
feststellen. Immerhin wird man kaum fehlgehen in der Annahme, daß die
dem Stil nach altertümlich anmutenden Teile des Zyklus wie etwa der
Augustinusfries von Heinrich Grübel, dem Vertreter der älteren Generation,
herrühren. Hatte dieser als Senior des Malertrios nicht nur die geschäft-
lichen Obliegenheiten, sondern auch die künstlerische Oberleitung des Auf-
trags übernommen, was immerhin wahrscheinlich ist, so dürfte der Gesamt-
plan der Malereien von ihm festgelegt sein. Die thronenden Gestalten in
den Zwickeln der Nordwand verraten gleichfalls noch altertümliche Züge,
allein der Gesamteindruck ist doch ein anderer, so daß hier wohl eine andere
Hand mit im Spiele war. Es scheint, als ob dieser Künstler sich durch
gewisse Schranken der Tradition in seiner Formgebung gebunden fühlte,
als habe ihm irgendein älteres Vorbild zugrunde gelegen, das er nun mit
neuem Leben zu erfüllen bestrebt war, ohne dabei auf die hergebrachte
noch stark ans Hochgotische anklingende Formensprache zu verzichten.
Als Vorbilder mögen vor allem böhmische Malereien in Betracht kommen,
die der Künstler in Prag oder auf dem Schlosse Karlstein kennen gelernt
haben mochte. Bereits Wingenroth37) hat auf diese Spur hingewiesen.
Er macht auf die thronenden Sibyllen im Südflügel des Emausklosters zu
Prag aufmerksam. Hier begegnen die eng um den Körper geschlungenen,
gleichsam nassen Gewänder mit ihren Schlängelsäumen, wie sie an den
Konstanzer Zwickelgestalten der Nordseite Vorkommen. Auch für die eigen-
artigen Throne finden sich auf dem Sibyllen- und Judithbild von Emaus
Parallelen38). Doch ist die Formgebung im ganzen noch weit altertüm-
licher als in Konstanz. Etwas nähere Beziehungen zu den Zwickelgestalten
verraten manche der thronenden Einzelfiguren des Luxemburger Stamm-
baums, auf den gleichfalls Wingenroth hingewiesen hat39). Leider sind
wir durch den Untergang der Originalgemälde, die Karl IV. in seinem
Schlosse Karlstein ausführen ließ, auf die Nachbildungen des 16. Jahr-
hunderts angewiesen^), die jedoch den ursprünglichen Stil noch einiger -
*7) Wingenroth, a. a. 0. S. 98 u. 100.
*8) Vgl. J. Neuwirth, Die Wandgemälde im Kreuzgang des Emausklosters zu Prag.
Prag, 1898, Taf. IV, VII. Man vergleiche hierzu auch die thronartigen Gestühle auf böh-
mischen Miniaturen, z* * B. bei der Verkündigung aus dem Mariale des Erzbischofs Ernst
von Pardubitz. Abgeb. bei Neuwirth, Prag, S, 88. Auffallender jedoch als hier ist die Ver-
wandtschaft der Throne in den Miniaturen eines Psalters des Herzogs von Berry (Paris, Bibi.
Nat.), abgeb. bei Fierens-Gevaert, La renaissance septentrionale. Brüssel 1905, S. 61 u. 64.
*9) Wingenroth, a. a. S. 100.
3°) Wien, Hofbibliothek, Handschr. Nr. 8330. Vgl. Neuwirth, ' Der Bildercyclus
des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein. Prag 1897.
402
J. Gramm:
maßen erkennen lassen. Vergleicht man etwa den an der Nordwand der
Augustinerkirche über der Brüstung der Orgelempore thronenden Königs1),
der Zepter und Reichsapfel trägt, mit einzelnen Königen des Stamm-
baumes (Neuwirth a. a. O. Taf. IX, i, 2, XI, 2, 3, XV, 3, XVI, 1), so ergibt
sich namentlich bei letzterem eine unverkennbare Verwandtschaft, die sich
hier sogar auf den Gesichtstypus, auf Haar- und Barttracht erstreckt. Allein
wieviel freier und hoheitsvoller ist die Haltung der Konstanzer Königs-
figur! Der prächtige porträtartig durchgearbeitete Kopf zeugt von unmittel-
barer Lebensbeobachtung des Meisters. Nicht so überzeugend wirkt der
Vergleich der Frauengestalt auf der Nordseite mit den Königinnen des
Stammbaumes, die nur in der Anordnung der Gestalten eine gewisse Ähnlich-
keit mit jener aufweisen. Dagegen erinnert das langgestreckte, im Kinn
spitz zulaufende Gesichtsoval mit den hochgezogenen Brauenbogen und den
weitgeöffneten staunenden Augen an böhmische Typen, wie etwa auf dem
Wenzelsbilde der KLeinseitener Nikolauskirche zu Prag3*), in dem wiederum
Züge an flandrisch-burgundische Kunst anklingen33). Auch für den thronen-
den Heiligen mit der Kurfürstenmütze (?) an der Westwand ließe sich
allenfalls ein flandrisches Werk zum Vergleich heranziehen. Es ist ein
gewirkter Teppich des 14. Jahrhunderts aus der Antwerpener Kathedrale.
Da sehen wir eine sitzende männliche Gestalt unter einem reichausgestalteten
architektonischen Baldachin (Abbildung bei Fierens-Gevaert, a. a. O. zu
S. 40). Hier fließt die dünne Gewandung ganz ähnlich wie auf dem Konstanzer
Bilde in weichen Wellenlinien über den Körper zur Erde nieder; die Figur
ist nahezu in derselben Haltung, nur im Gegensinne aufgefaßt. Endlich
bietet die Baldachinarchitektur mit den perspektivisch verschobenen Kreuz-
rippengewölben mancherlei Vergleichspunkte. Von irgend welchem Ab-
hängigkeitsverhältnis kann ja wohl nicht die Rede sein. Es sollte nur auf
die zeitliche Gemeinsamkeit der Kunstbestrebungen in den verschiedenen
Ländern hingewiesen werden. Überdies mochten derartige Baldachin-
architekturen, wie sie sich vermutlich von Italien her über Avignon nach
Frankreich und in die Niederlande verpflanzten, teils direkt im südlichen
Deutschland Aufnahme gefunden haben, teils durch die böhmische Zentrale
dahin gelangt sein.
Werfen wir nun einen Blick auf die thronenden Gestalten der Süd-
wand der Augustinerkirche, so gewahren wir zunächst bedeutende Unter-
schiede im Typus, in der Körperbildung und der Gewandbehandlung, die
durch die starke Übermalung der Renaissancezeit ihre Erklärung finden.
31) Wingenroth, Taf. II Nr. 3.
3*) Abgebildet bei Neuwirth, Prag. Leipzig- Berlin 1901, S. 84.
33) Vgl. die Malouel oder Broederlam zugeschriebene Madonna der Kollektion Aynard
in Lyon, abgebildet u. a. in »Les Arts« 1904 Nr. 28, S. 6.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Konstanz. 403
An einzelnen besser erhaltenen Teilen jedoch läßt sich deutlich wahrnehmen,
daß wir es hier mit einer anderen Hand als auf der Südseite zu tun haben.
Bereits Wingenroth wies auf die schlankeren Proportionen und die breiteren,
volleren Detailformen hin; die Gewandung zeigt einen Fortschritt vom
Flächig- Gestrafften zum Breiten, Rundlichen. Freilich begegnen auch
hier noch die altmodischen Glocken- und Schlängelfalten, besonders bei der
großartig aufgefaßten weiblichen Gestalt an der Westwand. Die treffliche
Erhaltung dieser in warmen orangeroten und blauen Tönen gehaltenen
Frauenfigur läßt »die weiche Behandlung der Fleischteile, das volle Gesicht
mit dem starken, etwas wulstigen Mund«, den »kräftigen Hals und Arm«34)
erkennen, lauter Merkmale, die für die böhmische Kunst bezeichnend sind35).
Allein alle diese Berührungspunkte sind doch nicht ausreichend, um unsere
Meister als Zugehörige zur böhmischen Schule erweisen zu können. Immerhin
legt sich die Vermutung nahe, daß die drei von Sigismund beschäftigten
Meister in seiner Gefolgschaft die böhmische Kunst an der Quelle studierten
und die dort empfangenen Anregungen in ihrer Weise zu verwerten suchten.
Die Friesgestalten zeigen verhältnismäßig am wenigsten Anklänge an
Böhmisches36). Man könnte höchstens eine gewisse Verwandtschaft der
bärtigen Gestalt auf einem der Wandbilder des Emausklosters zu Prag
(Neuwirth, Taf. XII, 1 rechts) mit dem einen Eremiten des Frieses (Wingen-
roth, Fig. 7 links) konstatieren. Auf den verstümmelten Bildern der Triumph-
bogenwand erinnern die Frauen der linken Szene in der Schlankheit der
Proportionen, der Verhaltenheit der Gebärde und der Gewanddisponierung
mit dem engen weißen Gebände an die Witwe von Sarepta und die Sunamitin
der Emausbilder (Neuwirth, Taf. XXV).
Daß böhmische Stilelemente der karolinischen Kunstepoche gelegent-
lich in die oberrheinische Kunst eindrangen, ist genugsam bekannt. Es
sei nur an den offenbar von einem in Prag geschulten deutschen Meister
gefertigten Altar von Mühlhausen a. N. erinnert (Stuttgarter Galerie Nr. 94)37)
Der längst vermutete böhmische Einfluß auf die Wandgemälde der Burg
Zwingenberg a. N. erscheint durch die überraschende Verwandtschaft der
34) Wingenroth, a. a. 0. S. 97.
35) Vgl. J. Neuwirth, Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karl-
stein in Böhmen. Prag 1896, Taf. VIII.
36) Der Gesichtstypus des hl. Augustin erscheint vielmehr als eine Weiterbildung
der Bischofstypen des um 1410 tätigen Meisters der Nikolauslegende der Konstanzer
Münsterschatzkammer, dessen schönlinige Figurenauffassung auch in den Mönchsgestalten
des Frieses noch nachklingt. Vgl. J. Gramm, Spätmittelalterliche Wandgemälde im Kon-
stanzer Münster. Straßburg 1905, Taf. XIII, XX.
37) Vgl. Studien aus Kunst und Geschichte, Friedrich Schneider zum 70. Geburtstage
gewidmet. Freiburg 1906, S. 419 ff.
404
J. Gramm:
Verkündigung 3») mit der gleichen Szene im Emauskloster39) soviel wie
gesichert. Aber auch für die Wandgemälde des Meisters der Nikolauslegende
in der Schatzkammer des Konstanzer Münsters4°) lassen sich,, wie ich glaube,
vereinzelte Vergleichsmomente beibringen. Man beachte auf dem ersten
Bilde der Konstanzer Pilgerlegende4i) den Gesichtstypus des Mordgesellen
mit der niedern Stirn, der dicken, überhängenden Nase, dem abstehenden
Vollbart und dem zurückgestrichenen Haar. Er kehrt ganz ähnlich wieder
bei Josef auf der Geburt Christi des Emausklosters4*), oder bei den im
Profil gegebenen Begleitern des siegreichen David ebenda43). Der gleiche
Typus, ins Groteske gesteigert, kehrt endlich in der selben Szene beim
Haupte Goliaths wieder. Auch beim Vergleich einzelner Männertypen der
Nikolausszenen44) mit solchen auf dem Kreuzigungsbilde des Emaus-
klosters45) ergibt sich, namentlich in der Bildung von Augen,. Nase und
Mund eine gewisse, freilich nur oberflächliche Ähnlichkeit Im übrigen
liegt es mir fern, irgendwelchen direkten Zusammenhang des Meisters der
Nikolauslegende mit böhmischer Kunst und speziell mit den Wandbildern
im Emauskloster hersteilen zu wollen, schon deshalb, weil ich die Prager
Bilder nur aus Abbildungen kenne. Es sollte hier nur die Frage nach den
eventuellen Beziehungen der oberrheinischen Malerei zur böhmischen
neuerdings wieder angeregt werden. Wie sich in dieser Hinsicht die Meister
der Wandgemälde in der Augustinerkirche verhielten, haben wir bereits
oben angedeutet. Sie scheinen die weit überlebensgroßen thronenden
Gestalten im Anschluß an böhmische Vorbilder geschaffen zu haben. Die
damals noch erhaltenen Wandbilder mit der Ahnenreihe der Luxem-
burger auf Schloß Karlstein mochte für die Anordnung und Auswahl
der Gestalten vorbildlich gewesen sein. Es könnte sich freilich nur um
einen vorübergehenden Aufenthalt der Maler in Prag gehandelt haben,
da ihre Namen in den Listen der Malerzeche nicht Vorkommen. Die
Meister hätten dann ihre Eindrücke selbständig verarbeitet, v/obei sie
sich den heimischen Traditionen anschlossen, wie z. B. in der Beibe-
haltung der farbigen Streifengründe, die bereits in den Oberzeller
Wandbildern begegnen, sowie in der Bevorzugung der von den Nikolaus-
38) L. Leutz, Die Wandgemälde in der Burgkapelle Zwingenberg a. N. Darmstadt
1893, Taf. 23.
39) J. Neuwirth, a. a. O. Taf. VIII.
4°) J. Gramm, a. a. O. Taf. XIX.
41) Gramm, a. a. O. Taf. XIX.
4*) Neuwirth, Taf. IX.
43) Ebenda, Taf. V.
44) Gramm, Taf. XIV.
45) Neuwirth, Taf. I.
Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde in der Augustinerkirche zu Konstanz. 405
Wandbildern und dem Sposalizio des Roßgartenmuseums4<>) her bekannten
Knollenkapitellen.
Was aber stellten die Bilderzyklen der Konstanzer Augustinerkirche dar ?
Wingenroth und Gröber geben bereits eine trefflich begründete Antwort auf
diese interessante Frage 47). Es mag daher hier auf ihre scharfsinnige Unter-
suchung verwiesen werden. Sigismund scheint bei seinem Auftrag den
Malern eine doppelte Aufgabe gestellt zu haben. Sie sollten einmal, der
Bestimmung der Kirche entsprechend, die Entwicklung des Mönchtums,
mithin die Vorgeschichte des Augustinerordens schildern. Es geschah dies
in friesartig angeordneten Gruppen von Einsiedlern und Ordensstiftern, die
ihre Genossen um sich versammeln. Bezüglich der Deutung der einzelnen
besonders kenntlich gemachten Gestalten wird man Wingenroth beipflichten
dürfen, nur vermag ich nicht anzunehmen, daß S. Augustinus immer wieder-
kehrend dargestellt ist. Sollten wir in diesen freilich sehr verwandten Ge-
stalten nicht vielmehr die Stifter von Zweiggenossenschaften der Augustiner
oder anderer Orden erblicken dürfen? Die rätselhaften Bilder der Triumph-
bogenwand scheinen zu den Friesdarstellungen in irgendeinem Zusammen-
hang 'gestanden zu haben. Der Vermutung, daß es sich um Fragmente
eines Kalpharienberges handelt, kann ich nach eingehender Besichtigung
der Bilder nicht teilen. Wie mir Herr Stadtpfarrer Dr. Groeber mitteilt,
sollen sich in der Mitte des Bogens Reste eines kirchenartigen Gebäudes
befunden haben, zu dem Pferde hinaufstrebten. Vielleicht handelte es sich
um eine Schilderung der Freuden und Vergnügungen dieser Welt, die durch
den Einfluß des höllischen Widersachers (der Affe auf der Schulter des
einen Mannes als böses Prinzip gedeutet) den Menschen nicht zu wahrem
innerem Glücksempfinden gelangen lassen. Im Gegensatz dazu die innere
Ruhe, der in Gott gefestigte Seelenfrieden, wie ihn das Mönchstum der Kirche
bietet. Der Ideengang wäre dann ein ähnlicher wie auf dem »Triumph des
Todes« im Camposanto zu Pisa. Doch das sind natürlich alles nur müßige
Vermutungen, solange es nicht gelingt, das Gegenständliche der Fragmente
zu enträtseln.
Die zweite Aufgabe, die Sigismund den Malern stellte, betraf vermut-
lich die Verherrlichung seines Hauses und der Familie seiner Gemahlin
Maria von Ungarn. Dem Stammbaum der Mönchsorden sollte der Stamm-
baum der Luxemburger und Aquitanier an die Seite treten. Der heilige
Ort freilich bedingte eine Auswahl jener beiderseitigen Vorfahren, die der
Ehre des Altares teilhaftig geworden waren. So gewinnen Wingenroths
Deutungen der einzelnen Zwickelgestalten sehr an Wahrscheinlichkeit.
46) Abbildung hei Wingenroth, a. a. 0. S. 73.
47) Wingenroth S. 99 f.
40Ö J. Gramm: Kaiser Sigismund als Stifter der Wandgemälde usw.
Wenn man den aus der Renaissancezeit stammenden Beischriften Glauben
beimessen darf, so wäre das eine Mal der hl. Ladislaus, ein Vorgänger Sigis-
munds auf dem Königsthron dargestellt, während eine andere Gestalt sich
nach Wingenroths Ergänzung der verstümmelten Inschrift als der hl.
Wilhelm von Aquitanien, mithin als Ahne der Gemahlin Sigismunds, Maria
von Ungarn aus dem Hause Aquitanien erweist. Inwieweit die im übrigen
vorgeschlagenen Deutungen zutreffen, wage ich nicht zu entscheiden; sie
dürften sich jedoch dem Gesamtplan nicht übel einfügen. Mag man immerhin
diesen Deutungsversuchen skeptisch gegenüberstehen, so wird man einen
gewissen Zusammenhang der in den Zwickelbildern dargestellten Persön-
lichkeiten mit dem kaiserlichen Stifter Sigismund nicht verkennen wollen.
Andererseits erscheint es selbstverständlich, daß ein so umfangreicher
Auftrag des hohen Gönners der Augustinerkirche nicht beliebigen Meistern
anvertraut wurde. Es werden vielmehr Meister von hoher Tüchtigkeit
und begründetem Ansehen gewesen sein, die ihr Bestes aufboten zur Ver-
herrlichung des Mönchtums und des erlauchten Hauses ihres kaiserlichen
Auftraggebers. Diese Auffassung aber findet ihre vollste Bestätigung durch
die hervorragenden künstlerischen Qualitäten der Wandgemälde selbst, in
denen sich die hohe Kunstblüte der oberrheinischen Malerei zur Zeit des
Konstanzer Konzils aufs glänzendste dokumentiert.
Der angebliche Malername Hans Peurl auf Nürnberger
Tafelgemälden des 15. Jahrhunderts.
Von Max Bach.
Carl Gebhardt hat in seiner verdienstvollen Studie über die Anfänge
der Tafelmalerei in Nürnberg (Straßburg 1908) den Künstlername^ Peuerl
auf mehreren kirchlichen Gemälden in Nürnberg nachzuweisen gesucht.
Dieser Name, auch Pevrl, Peverle, Peuerlein, Peurlin geschrieben, kommt
zwar in Nürnberger Urkunden öfter vor (1404 — 1 500) » auch ein Hans Peurl
im Bürgerbuch von 1402 und ein anderer, mit dem vorigen wohl nicht
identisch, zwischen 1463 und 1473; doch passen diese Namen nicht zu den
zu besprechenden Gemälden, ebensowenig der Freskomaler Hans Peuerlein,
welcher im Kreuzgang des Predigerklosters 1493 malte.
Zunächst ist es das sog. Ehenheimische Epitaph in St. Lorenz, ein
Votivbild mit dem Schmerzensmann, dessen Königsmantel auf der Borte
des Halsausschnitts hebräisierende Buchstaben enthält, aus welchen Geb-
hardt den vollen Namen Hans Peurln fjAßg TTE21RAN herauslesen
will. In Wirklichkeit sind es folgende, genau nach der Photographie auf
Tafel 29 des genannten Buches gezeichnete Schriftcharaktere:
foKsyii
Gebhardt liest an der linken Seite HANS und sagt: die letzten
drei Buchstaben seien ohne Schwierigkeit zu lesen; der erste, der etwas
einem M ähnelt,. darf wohl als ein H gelesen werden, dessen erster Vertikal-
strich verkürzt und dessen Horizontalstrich mit einem Anhängsel verziert
ist. Wie man das herausfinden kann, ist mir unbegreiflich, denn alle vier
Buchstaben haben nicht die geringste Ähnlichkeit nm lateinischer Lapidar
oder gotischer Majuskelschrift. Ganz ungeheuerlich ist aber die Deutung
des Namens PEURLN; es gehört wirklich eine starke Phantasie dazu,
hier den Namen des Künstlers in versteckter Form herausbuchstabieren zu
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
28
408
Max Bach:
wollen, mit Ausnahme des E-ähnlichen Zeichens ist auch kein einziger
Zug der übrigen Schriftcharaktere in irgendeinem Alphabet unterzubringen,
auch nicht im hebräischen, mit dem diese Phantasieschrift am meisten
Ähnlichkeit hat. Offenbar wollte der Künstler nur die Borte mit Stickereien
verzieren, ohne an bestimmte Namen oder Worte zu denken, oder gar sein
Signet damit auszudrücken.
Die andere Schrift, welche sich am Tucherschen Altar in der Frauen-
kirche auf dem Flügel mit dem auf erstandenen Christus befindet, be-
spricht Gebhardt folgendermaßen:
#AAjrA?m
Auf dem Gewandsaum des schlafenden Grabwächters rechts finden
wir zwei Worte in sehr augenfälliger Schrift, Schwarz auf Gelb, von denen
das erste aus vier, das zweite aus fünf Zeichen besteht. Fraglich ist das
erste Wort. Der zweite Buchstabe ist A, der vierte N, der erste könnte wohl
als ein spielerisch verstelltes H, der dritte, der einer 2 gleicht, als Buch-
staben am ehesten als ein 3 gedeutet werden, Die vier ersten Buchstaben
des zweiten Wortes sind unzweideutig (!!); der fünfte, von dem nur der
Anfangstrich sichtbar ist, kann kaum anders als ein R ergänzt werden.
Die ganze Inschrift hieße dann: RA3N APGfY3ft (??). Auch diese
Deutung halte ich für ganz ausgeschlossen; es ist nichts als eine Phantasie-
schrift, wie solche im ganzen 15. Jahrhundert auf Gewandsäumen bei alt-
und neutestamentlichen Figuren sehr häufig Vorkommen, in der Regel
aber nur Verzierungen vorstellen. Die Beispiele, welche Gebhardt anführt,
sind nicht als Analogon zu verwerten. Der Künstlername des Pfenning
befindet sich auf der Schabracke eines Reiters, in auffälliger deutlicher Schrift,
ebenso der Name Laib am Harnischkragen eines Ritters; der Name »Hans
Peurlin« auf dem Reichenau -Epitaph des Augsburger Bildhauers Hans
Peurlin im Dom zu Eichstedt ist auf der mir vorliegenden Photographie
nicht sichtbar. Jedenfalls ist aber die von Redslob (Mitteil. d. germanischen
Nationalmuseums 1907 S. 65) mitgeteilte Inschrift deutlich und auf keinem
Gewandsaum angebracht. Ich habe schon in meinem Artikel über ein Altar-
werk in Weingarten (Archiv f. christl. Kunst 1898 Nr. 6) darauf aufmerksam
gemacht, wie vielfach die Sitte der damaligen Zeit, Buchstaben auf Gewand-
säumen als Dekorationsmittel anzubringen, die Forscher irregeführt hat,
oder gar, wie z. B. von Eigner nachgewiesen ist, Künstlernamen oder Mono-
gramme geradezu gefälscht wurden.
So halte ich vor allem die Inschrift auf dem Gürtel der Jungfrau
auf dem Bilde der Darstellung im Tempel des Weingartner Altarwerks im
Dom zu Augsburg für gefälscht. Ich habe dafür bis jetzt keine Zustimmung
Der angebliche Malemame Hans Peurl auf Nürnberger Tafelgemälden des 15. Jahrh. 409
erhalten, auch nicht von Glaser in seinem neuesten Buche über Holbein
den Ältern. Besonders ist mir Dr. Schröder im Repertorium 1898 S. 51 ff.
entgegengetreten. Die Inschrift lautet nach Woltmann .folgendermaßen :
»Michel. Ehrhart. Pildhaver. 1493. Hanns Holbein. Maler. 0 mater.
miserere nobis.« Die älteste Aufzeichnung darüber finde ich in Naglers
Monogrammisten III, Bd. 1863, sie lautet: »Paul. Erhärt. Pilthauer. 1495.
Hanns Holbein. Maler. O Mater. Miserere. Nobis. Hier ergeben sich schon
starke Varianten; Woltmann liest Pildhaver, Nagler Pilthauer, derselbe
schreibt anstatt Michel, Paul; die Jahreszahl wird 1493 und 1495 gelesen.
Da das Bild als Altartafel dient und ziemlich hoch hängt, so kann man
nicht recht beikommen, und es ist unmöglich, eine Pause von der Schrift
zu nehmen, doch konnte ich soviel konstatieren, daß die Inschrift aus
römischen Unizialbuchstaben besteht, wie solche auch sonst auf Holbein-
schen Bildern vorkommt. Die A und E sind in mittelalterlicher Majuskel-
form. Hiervon eine Probe1):
AMCH € L €RHHRT^PILOH7TV€ R 199;
Die Jahreszahl ist nicht mehr ganz deutlich, am Schlüsse des Namens
Holbein ist wieder ein Trennungszeichen in Form eines Laubes mit je drei
Punkten :• dann folgt MALER und schließlich die Fürbitte an die
Jungfrau. Die Trennungsornamente, wie ein solches auch vor und nach
dem Namen MALER steht, wurden irrtümlicherweise für Monogramme
erklärt, in jener Zeit, wo man überall Monogramme witterte und auch Zeit-
blom ein solches zuschrieb.
Wenn nun auch die Schriftformen an sich kein Mißtrauen erwecken,
so kommen aber doch noch andere Merkmale in Betracht, die Zweifel an der
Echtheit der Schrift aufkommen lassen. Einmal die Fassung der Inschrift,
wie solche an Holbeinschen Bildern sonst nicht vorkommt; er schreibt
gewöhnlich: »Hans Holbein de Augusta me fecit« oder »Depictum per
magistrum Johannem Holpain«. Den meisten Zweifel erweckt aber der
Name des Bildhauers Michel Erhärt. Diesen Namen schöpfte Eigner aus
Ulmischen Urkunden, wo ein Michel Erhärt »Bildhover« in den Zinsbüchern
der Frauenpflege vorkommt, und damit weiter in Verbindung bringt; eine
Nachricht aus der Kaisheimer Klosterchronik, wo die Bildschnitzer Gregor
Erhard und Adolph Davher und der Maler Hans Holbein genannt seien,
welche für den Abt »Görg« im Jahre 1502 ein Altarwerk geschaffen haben.
Nun ist aber dort keineswegs ein Bildhauer Erhärt, sondern nur ein »Pild-
hauer Maister Gregori« und ein Schreinermeister' Adolf Kästner, nebst dem
Maler Hans Holpain genannt* *).^ Ein Bildhauer Michel Erhärt ist also mit
*) Die Schriftzeichnung verdanke ich Herrn Professor Dieterlen in Ulm.
*) Vgl. meine Ausführungen im Archiv f. christl. Kunst 1902 S. 54.
28*
4io
Max Bach:
Holbein nicht in Verbindung zu bringen und wird in den Augsburger Künstler*
registern vergeblich gesucht.
Die weitere Frage, ob das ehm. Weingartner Altarwerk für eine
Arbeit Holbeins d. Ält. zu halten ist oder nicht, dürfte erst entschieden
werden, wenn die Bilder einer sachgemäßen Restauration unterzogen werden.
Stilistisch und chronologisch lassen sich die Bilder gut in das Werk Hol-
beins d. Ält. einfügen, und ich zweifle auch keineswegs an der zweimal auf
dem Bilde angebrachten Jahreszahl 1493, denn urkundlich steht fest, daß
unter den Äbten Kaspar Schiegg und Hartmann von Burgau 1477 — 1520
die Weingartner Klosterkirche neu hergestellt und ausgeschmückt wurde.
Eine neue Weihe fand 1487 statt und Abt Hartmann, welcher 1491 zur
Regierung kam und als Klosterschüler im Jahre 1477, durch Unvorsichtigkeit,
den Brand des Klosters verursacht haben soll, fühlte sich verpflichtet,
durch Stiftung des Altars auch seinerseits etwas beizutragen. Noch wenig
beachtet ist übrigens auch der Porträtkopf, welcher sich auf demselben
Bilde, hinter dem hl, Joseph befindet, es ist ein junger Mann von etwa
28 — 30 Jahren und könnte wohl das Selbstbildnis Holbeins vorstellen.
Zeitblom kann es nicht sein, da derselbe schon im Jahr 1497 ein älterer
Mann war, wie sein Selbstporträt auf dem Herherger Altar zeigt. Entgegen
meiner früheren Ansicht, welche das Werk entschieden dem Barth. Zeit-
blom zuwenden möchte, halte ich jetzt die allgemeine Annahme, daß wir
in den Augsburger Dombildern Werke Holbeins d. Ält. vor uns haben, für
wahrscheinlich, keinesfalls aber für gesichert.
Ganz verfehlt ist ferner das Beispiel eines Künstlermonogramms in
Form eines Steinmetzzeichens auf dem Basler Altarwerk des Conrad Witz;
hier befinden sich nämlich auf dem Gemälde mit der Figur des Hohenpriesters
an den Pfeilern der Architektur Steinmetzzeichen, wie solche öfter an
Malereien dieser Zeit Vorkommen, aber niemals als Signete des Malers
aufzufassen sind3). Die Inschrift des Multscher an seinem Ulmer Marien-
altar ist nicht als Kuriosum anzusehen. Man findet derartige Schriftformen
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts häufig, besonders in der Plastik.
PCRMC • I(MHH£M • MVLTSChEREH • H7TCI0HIS • D£RICh£HhOF£H
Auch die gemalte Schrift auf dem Bilde des Pfingstfestes vom Berliner
Multscheraltar von 1437 ist genau dieselbe wie in Ulm; H steht für N, die
H und E haben noch Majuskelform, das D ist ein verkehrt gestelltes C —
ein Beweis, daß beide Werke aus einer Werkstatt hervorgegangen sind.
Klemm, der bekannte Steinmetzenforscher4) dachte an eine spätere Änderung
3) Vgl. z. B. den Kupferstich des Meisters E S, die Madonna von Einsiedeln vom
Jahr 1466.
4) Württ. Baumeister u. Bildhauer S. 79.
Der angebliche Malername Hans Peurl auf Nürnberger Tafelgemälden des 15. Jahrh. 41 j
resp. Ergänzung des Ulmer Steinbildwerks, indem er sich darauf stützt,
daß die Künstlerinschrift in kleineren Buchstaben unter der Dedikations-
inschrift des Konrad Karg eingehauen ist und er dieselben Schriftcharaktere
häufig erst ums Jahr 1500 an Denkmälern angetroffen habe. Nach meinen
Beobachtungen trifft das doch nicht ganz zu; von einer Nacharbeitung
kann keine Rede sein, denn dieselben Schriftformen, nur in Relief, finden
sich an der oberen Inschrift des Denkmals, welche eine Anrufung der aller-
seligsten Jungfrau ausdrückt.
Ein wahres Quodlibet von Schriftformen bietet der 5) bekannte Altar
des Lukas Moser von Tiefenbronn, er ist ein Unikum, nicht allein als einzig
bekanntes Werk des Künstlers, Sündern auch wegen seiner originellen
Inschriften und der Klage des Künstlers: »Schrie . Kunst . schrie und klag
dich . ser, din . begert . jecz . Niemen . mer . so . o . we . 1431.« Diese
Inschrift ist in einer verschrobenen Minuskel, der Name des Künstlers in
einer anderen Variante, wie folgt, geschrieben, während die Dedikations-
inschrift in einer ähnlichen Majuskelschrift wie bei Multscher aufgemalt ist.
©
Merkwürdig ist die in k.einer deutlicher Minuskelschrift gegebene
Transkription unter der schwierig lesbaren Schrift; wahrscheinlich geschah
das von anderer Hand in späterer Zeit, um dem Publikum die Schrift zu
erläutern.
Was schließlich die angebliche Inschrift am Passionsaltärchen der
St. Johanniskirche auf dem Nürnberger Friedhof anbelangt, so sehe ich
hierin nichts anderes als Steinmetzzeichen; darunter Buchstaben zu wittern,
ist überaus gesucht, ganz und gar ausgeschlossen ist aber daraus den Namen
Peurl zu kombinieren. Die große Übereinstimmung, die Gebhardt mit den
anderen, dem Meister Peurl zugeschriebenen Werken findet, kann ich nicht
finden. Das Altärchen hat etwas fremdartig Italienisches und kann unmöglich
von demselben Meister geschaffen sein, welcher die Außenseiten des Tucher-
altars malte, am ehesten Übereinstimmung finde ich mit dem Ehenheim-
Epitaph in St. Lorenz, doch läßt sich ohne Vergleich mit dem Original
nichts Bestimmtes sagen. Die schon besprochene Inschrift auf dem Gewand-
saume des schlafenden Grabwächters, woraus Gebhardt ebenfalls den Namen
Peurl lesen will, auf Grund dessen er das Bild dem Meister zuschreibt,
beweist gar nichts. Der Altar ist durchaus aus einem Guß, sein Stil ist von
demjenigen des Johannesaltärchens so weit entfernt, daß es unmöglich ist,
an ein und denselben Meister zu denken.
5) Vgl. Pfleidererr, Das Münster zu Ulm S. 52 mit guter Photographie.
Die Chronologie der Werke Grünewalds.
Von H. A. Schmid.
Mit meiner Rekonstruktion des Aschaffenburger Altars glaube ich
bewiesen zu haben, daß das Freiburger Bild zu diesem gehört und also um
1519 entstanden ist. Ein neues wichtiges Datum scheint mir den letzten
Winter festzustellen gelungen zu sein, gegen alles Erwarten hat sich heraus -
gestellt, daß das Stuppacher Bild nun doch, wie Lange und ich früher arg-
wöhnten, auf den Aschaffenburger Altar gehört. Den vollständig zwingenden
Beweis hoffe ich noch diesen Winter zu bringen. Das Gemälde, das so manches
enthält, was an Colmar erinnert, ist also das erste nach Isenheim entstandene
Werk, das noch erhalten ist.
Ein weiteres, noch wichtigeres Datum glaube ich aus Grünewalds Schul-
zusammenhange herleiten zu können. Der Künstler hat zweifellos starke
Anregungen von den Niederländern, ferner selbst solche von Dürer und der
eindringenden Renaissance erhalten; der richtunggebende Lehrer war Holbein
der Ältere. Diejenigen Werke nun Holbeins, mit denen Grünewald die größte
Verwandtschaft aufweist, sind nicht die frühsten erhaltenen, sondern der
Altar in Frankfurt von 1501 und die unmittelbar darauf folgenden Bilder,
namentlich die Paulus- Basilika und die drei Tafeln mit Kreuzigung, Kreuz-
abnahme und Grablegung in Augsburg.
Hiermit ist aber mit einem Schlage auch die ganze Entwicklung des
Künstlers klargelegt, um so mehr, da aus Weizsäckers sorgfältigen Studien
sich zu bestätigen scheint, daß die Frankfurter Bilder wirklich zum Dürer-
schen Altar gehörten. Es ergibt sich dann folgender Lebenslauf:
F r ü h z e i t.
Geburt vermutlich erst nach 1480, um 1483/5.
1501 Schüler Holbeins d. Ä. in Frankfurt und wohl auch noch 1502
und 1503 in Augsburg.
Um 1505 das Bruchstück eines Altarwerkes : die Kreuzigung in Basel.
Auf der Rückseite der erhaltenen Tafel ist die Vorzeichnung einer Ein-
fassung erst begonnen, aber die Löcher von Scharnieren beweisen, daß der
Flügel im Gebrauch war, und das Brett die obere Hälfte eines linken Flügels
Die Chronologie der Werke Grünewalds.
413
war. Die untere Hälfte des Flügels enthielt also, wohl die Kreuzabnahme
oder Grablegung, die andere Seite Auferstehung und Noli me tangere oder
Christus und Thomas, das Mittelbild vermutlich Christi Höllenfahrt.
Mittlere Zeit.
Ausgezeichnete Studie zu einem Kruzifixe, in Karlsruhe, von Koelitz
in einer mir früher nicht zugänglichen Mappe aufgefunden. Original der
besseren der beiden Basler Kruzifixzeichnungen. Studie zu einer Ver-
spottung Christi (höhnendem Pharisäer) in Berlin.
Frankfurter Bilder; diese wohl um 1509. Altarwerk in Colmar.
Studien dazu in Göttingen.
In Colmar fällt in die Zeit nach den Frankfurter Tafeln der Abschluß
des Ganzen, die beiden Einzelfiguren, die beiden Landschaftsbilder mit der
Versuchung des Antonius und dem Besuch beim hl. Paulus und wohl auch
die Predella. Das Engelskonzert hat die meiste Verwandtschaft mit den
Tafeln in Frankfurt. Das ganze Werk ist aber die Arbeit von mehr als zwei
Jahren. Die Verkündigung ist einmal und die Kreuzigung mindestens
dreimal umgeändert worden, noch während der Arbeit auf der Bildtafel!
Die Maria hatte hier erst eine ähnliche Haltung wie auf dem Basler Bilde!
Die frühsten Teile der Kreuzigung sind das Älteste am ganzen Werke und
vielleicht vor den Frankfurter Tafeln entstanden.
Es ist die Zeit der äußersten Sorgfalt in der Durchbildung aller Natur-
formen. Oberflächliche Anlehnungen an den Stil der Dürer- Schule nur in
dieser Zeit. Anlehnung an eine antike oder antikisierende, das heißt Renais-
sancefigur beim Sebastian. Aufkommen der Renaissanceformen.
Anderseits bei Dürer 1508 — 1516 die Stiche, Radierungen und Holz-
schnitte, die sich besonders durch Helldunkelwirkungen auszeichnen!
1512— 1517.
1. Vermutlich: Studie zu einer Krönung der Maria in Berlin.
2. Die verschollene Kreuzigung, die im Stich von Sadeler erhalten
ist. Sie ist sicher nach der Isenheimer (Colmarer), sicher vor der Tauber-
bischofsheimer (Karlsruher) Kreuzigung entstanden.
3. Verschollene Arbeiten in Seligenstadt 1514.
4. Verschollene Arbeiten in Oberissigheim (nicht Uissigheim).
S p ä t z e i t.
Altar in Aschaffenburg mit der Madonna in Stuppach, dem Flügel
in Freiburg und vermutlich dem Traum des Patriziers und der Erscheinung
der Madonna in den Wolken auf dem verschollenen linken Flügel. Die
Erscheinung auf dem erhaltenen Flügel spätere Übermalung. Stärkere Kon-
zentration der Komposition als früher. Kenntnis altchristlicher römischer
Bauten. Freie und sehr willkürliche, aber ausschließliche Verwendung der
Renaissanceformen.
414
H. A. Sehmid:
Um 1522 Kreuzigung und Kreuztragung in Karlsruhe. Weicherwerden
der Konturen, breitere Pinselführung. Freieres Schalten und Walten mit
den Formen des Körpers als früher.
Zwischen 1519 und 1525 Übersiedelung nach Mainz. In dieser letzten
Zeit das eingezogene Leben, die Verdüsterung der Stimmung. 1524- — 1525
Aufenthalt in Halle. Predella in Aschaffenburg und das Münchener Bild
Mauritius und Erasmus. Aus der Spätzeit ferner: Initialen für Schöffer.
Zeichnung in Oxford. Charakteristisch für die beiden spätesten Gemälde:
die äußerste Ausnutzung der Bildfläche, das Zurücktreten der Landschaft,
auffallende Willkürlichkeiten der Komposition, noch großartigere Auf-
fassung der Form als in den Karlsruher Bildern.
Zum Teil schon vor 1525 vermutlich die Bilder für den Mainzer Dom.
Um 1529 Tod.
Von den beiden urkundlichen Notizen, nach denen ein Meister Mathis
im Jahre 1489 Aufträge in Aschaffenburg erhielt, bezieht sich die eine auf
eine Anstreicherarbeit und die andere ist nicht mehr aufzufinden und wahr-
scheinlich unrichtig.
Ist aber Grünewald erst um 1485 geboren und ein Schüler Holbeins
d. Ä., so erklärt sich auch seine Verwandtschaft mit Burgkmair und Schaffner,
das Fehlen jeglicher Arbeiten aus einer bisher angenommenen fünfzehn-
jährigen Frühzeit von 1489 — 1503 und auch das rasche Weiterschreiten
selbst in den letzten Jahren, die wir verfolgen können. Es ist der Isen-
heimer Altar dann in einem Lebensalter geschaffen, in dem Dürer seine
Apokalypse und Holbein seinen Totentanz schuf.
Noch bemerke ich, daß meine von Bock angezweifelten Angaben über
meine früheren Beobachtungen an der Stuppacher Madonna einfach richtig
sind. Es wachsen aus der Hydra der Grünewaldforschung genug unechte
Bilder hervor, ich werde mich schwer hüten, Bilder und Studien, die mich
aus irgendeinem Grunde an Grünewald erinnern und auf meinem Schreib-
tisch liegen, dem Fachgenossen Bock mitzuteilen. Dagegen habe ich schon
in Berlin (vor 1900) in meinen kunsthistorischen Übungen die später von
Friedländer im Repertorium dem Meister zugewiesene Louvrezeichnung als
unzweifelhafte Arbeit Grünewalds besprochen, ohne daß Bock davon Kunde
erhielt oder sie selbständig entdeckte.
Die neuste Entdeckung von Heinz Braune .scheint meiner Annahme
günstig zu sein und sie sogar endgiltig zu beweisen.
Fortleben der religiös-dogmatischen Kompositionen
Cranachs in der Kunst des Protestantismus.
Von Dr. Karl Ernst Meier.
I. Die Cranachschen Typen.
Der Einfluß der Reformation auf die bildende Kunst bedeutete im
großen und ganzen weder eine Bereicherung an künstlerischen Motiven,
noch eine Vertiefung der religiösen Betrachtungsweise. Vielmehr hatte
der Protestantismus etwas Kunstfeindliches insofern, als er dem Bilde die
hervorragende Eigenbedeutung, die es in der alten Kirche besaß, nahm.
Nicht das Bild als solches heischte, indem es das Urbild lebhaft vergegen-
wärtigte, Verehrung und Anbetung, nicht mehr sollte der Gläubige in
frommer Andacht hinknien vor die »Schmerzensreiche«, nicht den bittren
Leidensweg des Heilandes teilnehmend nachwandeln, sondern er sollte
Religionsunterricht in Bildern bekommen, sollte über die Hauptstücke
seines Glaubens aufgeklärt werden. So wendet sich denn insbesondere
der neue, von Lukas Cranach geschaffene, im Kreise der Reformatoren
geborene Bilderkreis, der das Thema »Gesetz und Gnade« behandelt, weniger
an das Gefühl, als an den Verstand des Betrachters. Die Hauptsache sind
eigentlich die zahlreich beigefügten Bibelstellen, die illustriert werden sollen.
Haben nun auch diese dogmatischen »Illustrationen« als Ganzes etwas ver-
standesmäßig Nüchternes und Gefühlsfremdes, so fesselt neben der Lebendig-
keit des Vortrags manche originelle Einzelheit. Daß aber diese Bilder auf
die Zeitgenossen, die weniger »ästhetisch« waren, als wir, tief und nach-
haltig gewirkt haben, das beweist die bedeutende Anzahl meist unbekannter
oder unbeachteter Nachahmungen und Ausstrahlungen jenes von Cranach
geschaffenen Typus, mit denen bekannt zu machen der Zweck dieser Unter-
suchung ist.
Von Lukas Cranach und seinen Gesellen ist das Thema »Gesetz und
Gnade« oder »Sündenfall und Erlösung« oder »Alter und Neuer Bund«
seit dem Jahre 1529 wiederholt behandelt worden. Es lassen sich drei
Haupttypen unterscheiden :
416
Dr. Karl Ernst Meier:
I. Der Prager Typus; einziges Beispiel das Bild im Rudol-
finum zu Prag vom Jahre 1529.
II. Der Königsberger Typus. Seine reichste Ausgestaltung
zeigt das Königsberger (im Stadtbesitz befindliche) Bild von 1532;
seine frühste Entwicklungsstufe das Gothaer von 1529 (in der Herzog-
lichen Galerie); spätere einander sehr ähnliche Variationen sind: das
Schneeberger Altarbild der St. Wolfgangskirche von 1 5391), das
auf zwei Tafeln verteilte im Germanischen Museum zu Nürnberg
(Nr. 266 und 267) und der Titelholzschnitt der Bibel Joh.
Friedrichs vom Jahre 15432), endlich das friesartig in die Länge gezogene,
einst auf der Wartburg hängende Gemälde des Weimarer Museums
(Nr. 7).
III. Der Weimarer Typus wird vertreten durch das berühmte
Altarbild der Stadtkirche von 1555 und ein Epitaphgemälde in der
Nikolaikirche zu Leipzig von 1557 (jetzt im städtischen Museum Nr. 46).
Die unterscheidenden Hauptmerkmale sind folgende 3). Der Königs-
b e r g e r Typus, der von Cranach und seiner Werkstatt am meisten wieder-
holte, teilt das Bild in zwei Teile durch den vom unteren Rande aufragenden
Baum, dessen Äste auf der linken Seite verdorrt, auf der rechten belaubt
sind. Auf der Seite des alten Bundes sind dargestellt: I. im Mittelgründe
der Sündenfall, 2. rechts dahinter das Zeltlager der Juden mit der
ehernen Schlange — diese Szene ist, dem eigentlichen Sinn der
Komposition widersprechend, auf allen Bildern, mit Ausnahme der beiden
ersten von 1529, des Prager und Gothaer Gemäldes, auf die rechte Seite
gerückt — , 3. in einer Wolkenglorie Christus als W e 1 1 r i c h t e r , 4. im
Vordergründe Tod und Teufel, den nackten Menschen zum
rauchenden, oft bevölkerten, Höllenpfuhl treibend, 5. am Stamm des Baumes
eine Gruppe von 4 oder 5 Männern: Moses, der den Menschen mit
unbarmherziger Geberde auf die Gesetzestafeln hinweist, neben ihm David
in königlicher Tracht, stets mit dem Ausdruck schmerzlichen Bedauerns,
hinter ihnen 2 oder 3 Propheten, meistens mit turbanartiger Kopf-
bedeckung. Diesen Gruppen entspricht auf der rechten Seite des Baumes:
I. wiederum der nackte Mensch, von Johannes dem Täufer
auf den (2.) Kruzif ixus hingewiesen, aus dessen Seitenwunde das
*) Bau- und Kunstdenkmäler d. Kgr. Sachsen, VIII. Beilage XI.
*) Kunstdenkmäler d. Prov. Sachsen. Jena, S. 143.
3) Fragmentarisch erhaltene Werke lasse ich unberücksichtigt. Auf Einzelheiten
kann ich um so eher verzichten, als im nächsten Schlesischen Jahrbuch V. Band 1909
eine ausführliche Einzelbesprechung der Cranachschen Kompositionen und einiger gemalten
und geschnittenen Nachahmungen erscheinen wird: Die Bildnisse von Johann Hess und
Cranachs »Gesetz und Gnade«. Da der Verfasser, Herr Prof. Dr. Foerster, mir einen Abzug
freundlichst zur Verfügung stellte, so konnte ich alle Wiederholungen vermeiden.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 41 7
sühnende Blut auf den Sünder herabspritzt. 3. Dem Höllenpfuhl und dem
siegreichen Tod korrespondiert der Auf erstandene vor der Grabes-
höhle, der mit der gläsernen Kreuzesfahne Tod und Teufel überwindet.
4. Neben dem Kreuze steht in der Regel das Lamm mit Fahne. (Auf dem
Gothaer Bilde tritt das Lamm auf Tod und Teufel, während Christus über
der Gruft gen Himmel schwebt.) 5. Im Mittelgründe die Verkündigung
an die Hirten; dort, wo die eherne Schlange nicht auf die rechte
Seite gebracht ist, entspricht ihr im Hintergründe eine mittelalterliche
Stadt, Jerusalem. 6. Sodann ist auf einigen Bildern die Empfängnis
der Maria hinzugefügt; sie steht oder kniet betend auf einem Berge,
während das Christkind mit einem Kreuz über der Schulter aus einer Wolken-
glorie zu ihr herniederschwebt. 7. Am oberen Bildrande werden die Füße
und ein Stück des Gewandes des gen Himm'l fahrenden
Christus sichtbar. (Die beiden letzten Gruppen fehlen auf dem Gothaer
Bilde.)
Der Weimarer Typus unterscheidet sich, abgesehen von den
hinzutretenden Porträts, vornehmlich dadurch, daß an die Stelle des Baumes
der Gekreuzigte in das Zentrum des Bildes gerückt ist. Dadurch ist die
strenge Scheidung in alten und neuen Bund aufgegeben, die Gruppen sind
durch den ganzen Mittelgrund verstreut. Weggefallen ist die Himmelfahrt,
die Empfängnis und auf dem Weimarer Bilde auch der Sündenfall.
Das unterscheidende Merkmal des Prager Typus ist die nur
einmalige Darstellung des Menschen am Fuße des
Baumes. Er sitzt, ein gänzlich unbekleideter, bartloser Jüngling mit
abfallenden Schultern, breit, er Brust und spitzem Knie auf einem Baum-
stumpf. Die Hände krampfhaft zum Gebet gefaltet, wendet er das angst-
volle Antlitz um zu dem Täufer, der ihn tröstend auf die Erlösungstat
des Herrn hinweist; wobei ihn auf der anderen Seite der P r o p h e t , ein
Greis in silbernem Bart und Haar, mit eindringlicher Gebärde unterstützt.
Diese pyramidal aufgebaute Gruppe zeichnet sich durch eine bei Cranach
seltene Geschlossenheit des Ausdrucks aus und verbindet beide Teile der
Tafel, die beim Königsberger Typus ganz auseinanderfallen, glücklich zu
einer Einheit. Von jener Mosesgruppe ist also nur der Prophet übrig-
geblieben; Moses selbst aber erblicken wir, wie er links auf einer Anhöhe
kniend die hellglänzenden Tafeln aus den Händen Gottes empfängt, die sich
aus finsteren Wolken herabsenken, von Feuerstrahlen und Funken umzuckt.
An der Stelle von Tod und Teufel sehen wir ein offenes Grab und darin
liegend einen in weiße Laken gehüllten Toten. Die übrigen Teile der
Komposition gleichen im wesentlichen dem Königsberger Typus, doch ist
die Anordnung klarer, die Korrelation genauer. Dem Toten gegenüber
steht der Auf erstandene, dem Kreuz, neben dem das Lamm
418
Dr. Karl Ernst Meier:
steht, der Sündenfall, eine fast genaue Kopie des Gothaer. Hinter
dem Baum der Erkenntnis steigt steil der Sinai empor, auf dem Moses
kniet. Auf einem gleichartigen Berge gegenüber steht, ein genaues Pendant,
Maria, das Haupt umgeben von einem länglich gezogenen, mit Engels -
köpfen dicht besetzten Wolkenkranz. Aus einem ähnlichen Wolkenkranz,
durch den man in den lichten Himmel selbst zu schauen meint, schwebt
das Christkind herab. Der Hintergrund stellt Zeltlager und Stadt,
eherne Schlange und Verkündigung an die Hirten gegen-
über. Die Beischriften der einzelnen Gruppen werden unten (S. 421) auf-
gezählt werden.
Ehe wir den Nachahmungen der Komposition im einzelnen nachgehen,
fragen wir nach ihrem Ursprung und Sinn. Das Thema war nicht
neu. Unter der Allegorie der Synagoge und Ekklesia4) oder auch des Lebens -
baumes5) war es bereits von der mittelalterlichen Kunst bearbeitet. Wie
kam nun Cranach zu der Auswahl gerade dieser Szenen? Bei den neu-
testamentlichen ist der Gesichtspunkt sogleich einleuchtend; sie umfassen
die bedeutsamsten Momente der Heilsgeschichte und
scheinen sich an den zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses bewußt
anzulehnen: Verkündigung, Empfängnis (an Stelle der Geburt), Kreuzigung,
Auferstehung, Himmelfahrt. Für die alttestamentlichen Szenen bot sich
eine so geschlossene Folge nicht von selbst an. Der Gegensatz
bestimmte die Wahl. Der Kreuzigung entspricht der Sündenfall, dessen
Sühnung sie darstellt. Die Sünde hatte den Tod und die Verdammnis
des Sünders zur Folge. Der Tod findet sein Gegenstück in der Auferstehung
und Überwindung des Todes. Der Hauptgegensatz von Gesetz und Gnade
wird illustriert durch Moses einerseits und die Verkündigung und Empfängnis
anderseits. Dem »letzten Propheten« Johannes stehen die Propheten des
alten Bundes gegenüber; beide kündigen den Erlöser an. Der Weltrichter
als Hinweis auf die letzte Konsequenz des Gesetzes schließt den Kreis
passend ab. Zu erklären bleibt noch die eherne Schlange. Sie bedeutete,
wie die Opferung Isaaks, in der Typologie des Mittelalters einen symbolischen
Hinweis auf die Kreuzeserhöhung Christi. Auf unseren Bildern scheint
sie mehr zu bedeuten als ein bloßes Symbol. Der alte Bund des Gesetzes
sollte als der Menschheit Verderben bringend bezeichnet werden. Daher
die Gruppe des zur Hölle Gejagten, oder die Darstellung des Toten im
Grabe. So scheint auch die Bestrafung der murrenden Israeliten durch die
feurigen Schlangen als ein besonders kräftiges Beispiel für die Folgen der
Gesetzesübertretung gewählt zu sein.
4) Vgl. P. Weber: Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst.
5) Vgl. H. Bergner: Der Lebensbaum. Monatsschr. f. Gottesd. und kirchl. Kunst.
1898, S. 333.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 419
Die gesamte Szenenfolge stellt eine zusammenhängende
Predigt dar, vorgetragen durch eine Reihe von Bibelstellen, die den
meisten Bildern als zusammenhängender Text beigegeben sind; darunter
auch der Kernspruch des Luthertums Röm. 3, 28 von der sola fides.
II. Nachahmungen in Tafelmaleiei und Holzschnitt.
Unter den zahlreichen Cranachschen Kompositionen ist der im Prager
Bilde geschaffene Typus derjenige, auf den die meisten von den zahlreichen
Nachahmungen in Farbe, Holz und Stein zurückgehen. Als Vorbild wird
den meisten Nachahmern nicht das Prager Gemälde, sondern ein nach
diesem gearbeiteter Holzschnitt gedient haben, wie wir deren mehrere
kennen, z. B. das Titelblatt für die Lübecker Bibel von 1533,
eine niederdeutsche Übersetzung der Lutherschen. Den Grund der Bevor-
zugung des Prager Typus möchte ich in der Geschlossenheit und Klarheit
der Anordnung, die ihn vor den übrigen entschieden auszeichnet, erblicken.
1. Eine Verschmelzung des Prager und Weimarer Typus, doch mit
starkem Überwiegen des ersteren, liegt vor in dem von der Cranachforschung
bisher nicht beachteten Bilde der St. Stephanskirche zu Aschersleben,
das sicherlich aus Cranachs Werkstatt stammt6 *). Es unterscheidet sich von
dem Prager Bilde einmal durch die umgekehrte Anordnung, rechts alter,
links neuer Bund, außerdem durch die abweichende Stellung des Ge-
kreuzigten, der vor dem Baume angebracht den Mittelpunkt des Ganzen
bildet, wie auf dem Weimarer Bilde. Im übrigen hat es ähnliche Sprüche
und Beischriften wie das Prager7). In manchen Einzelheiten — der Tod als
hockendes Gerippe mit Glaskugel in der Hand dargestellt, die Schlange
endigt vorn in einen Frauenleib, der Sünder trägt die Unterschrift Adamita —
weicht es ab.
2. Der Schule des jüngeren Cranach entstammt ein Gemälde der
Thomaskirche zu Leipzig8), das jetzt im Kirchenarchiv aut-
bewahrt wird. Es stammt vom Denkmal eines 1554 verstorbenen Barthol.
Helmut. Die Gruppenverteilung lehnt sich eng an das Prager Bild an;
hinzugefügt ist der auf der rechten Bildhälfte links vom Kreuz in Wolken
6) Zuerst veröffentlicht durch Brinkmann, Kunstdenkm. d. Pr. Sachsen, 25, S. 49
bis 51, Abb. Taf. 14, der es, ohne zwingende Gründe, dem älteren Lukas selbst zuschreibt.
Auch für die Behauptung, in dem Propheten habe der Künstler sich selbst dargestellt,
bleibt er jeden Beweis schuldig. Die liebliche Sündenfallgruppe, auch der Adamita, könnten
auf Cranach führen; die steifen Gestalten des Moses, des Propheten, der Maria sind nicht
von seiner Hand.
7) Auf diesem steht über dem herabschwebenden Christkind das Wort Emanuel.
Es steht auch hier in den Wolken, findet sich aber sonst nur noch auf dem Toryschen
Holzschnitt [S. 421].
8) Bau- und Kunstd. d. Kgr. Sachsen, 17, S. 73.
420
Dr. Karl Ernst Meier:
erscheinende Gottvater, der die Rechte segnend erhebt und in der
Linken die Weltkugel hält. Maria steht nicht auf einem Berge, sondern
Gebäude (Tempel?). Die drei Personen der Mittelgruppe stehen »auf brett-
artigen, glatt am Boden liegenden Tafeln«, welche gleiche Inschriften tragen,
wie das Prager Bild, nämlich unter dem Propheten »Propheten«, unter
dem nach Erlösung verlangenden Menschen »Mensch ohne Gnad« 9), unter
dein Täufer »Anzeiger Christi«; auf einer weiteren, auf den Kruzifixus zu
beziehenden Tafel »unser Rechtfertigung«.
3. Zum ersten Male, nämlich schon im Jahre 1547 — 1549, für ein
Epitaph verwandt ist die Komposition nicht von Cranach selbst, sondern
von einem selbständigen, eine eigene Sprache sprechenden Künstler, von
dem Meister des Johann-Hess-Epitaphs in der Maria-Magda-
lenenkirche zu B r e s 1 a u10). Es geht auf den Königsberger Typus zurück.
Zwei weitere, nicht aus der Cranachschen Werkstatt stammende
Nachbildungen aus dem späten 16. Jahrhundert oder gar aus noch späterer
Zeit weist R. Foerster in seiner bevorstehenden Arbeit nach, ein auf den
Königsberger Typus zurückgehendes Bild der Sammlung S u m i n s k i
und ein andres im Märkischen Museum zu Berlin; letzteres durch
wesentliche Abweichungen und eine großartige, von Cranach ganz
abweichende Formensprache bemerkenswert.
4. Als die bedeutendste und künstlerisch das Original weit über-
treffende Nachbildung des Prager Typus ist ein außerdeutsches Kunstwerk
anzusehen, der Holzschnitt des französischen Meisters G e o f r o y
Tory11). Da er 1533 gestorben ist und die ersten, uns bekannten, Dar-
stellungen des Themas vom Jahre 1529 stammen, so ist anzunehmen, daß
er, der das Prager Original kaum gesehen haben dürfte, einen Holzschnitt,
wahrscheinlich, wie sein eigner Entwurf, das Titelblatt einer Bibel (wie wir
deren auch von Cr. einige haben) vor Augen gehabt hat12). Die Abhängigkeit
erhellt schon aus einer Vergleichung der Beischriften. Die Anordnung
entspricht dem Prager Bilde. Unter der ausdrucksvollen, von der Cranach-
schen Steifheit weit entfernten Sündenfallgruppe — Eva reicht mit scham-
9) Schon diese Beischrift hätte Lehfeldt (a. a. 0.) belehren können, daß seine
Deutung des nackten Menschen als »der nackte Täufling Christus« falsch ist. Auch schwebt
der Engel der Verkündigung nicht auf Jerusalem herab, sondern auf die allerdings winzige
Gruppe der Hirten; der Auferstandene tötet auch nicht »den Drachen des Unglaubens«,
sondern überwindet Tod und Teufel, d. h. die Sünde und ihre verderblichen Folgen.
10) Dies Bild behandelt ausführlich Foerster a. a. 0.
") Abgebildet bei Hirth-Muther »Meisterholzschnitte aus 4 Jahrhunderten«, 1893,
S. 38, Taf. 163, wo von Cranach seltsamerweise keine Rede ist.
I2) Bergner »Kirchl. Kunstaltertümer in Deutschland« S. 548 möchte als das
Original aller Cranachschen Darstellungen »ein noch nicht wieder ermitteltes Flugblatt
der Reformationszeit« in der Art des Jenaer Holzschnitts ansehen.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 421
hafter Gebärde dem sitzenden, bedenklich zurückweichenden Adam den
Apfel herab — liegt der Tod als Gerippe ausgestreckt auf einem klassischen
Renaissance-Katafalk. (Ein ähnlicher, einfacherer begegnet auf dem schon
genannten Titelblatt der Lübecker Bibel von 1533.) Daran die Inschrift
la mort, bei Cr. Todt. Über dem knienden Moses steht in Wolken la loy,
bei Cr. Gesecz, unter der Sündenfallgruppe p6che, bei Cr. Sünder. Die
Szene mit der ehernen Schlange ist meisterhaft komponiert; eine Gruppe
betend auf die Knie gesunkener Frauen und Kinder, daneben in mannig-
fachster Bewegung die mit den Schlangen Ringenden, und dazwischen
der ruhig aufgerichtete Moses. Bei Cr. sind die Menschen in der Regel —
das Weimarer Altarbild ist eine Ausnahme — reihenweise hingemäht, und
die Schlangen kriechen zwischen ihnen herum. Der Cranachschen Beischrift
Figur der Rechtfertigung entspricht hier similitude de la iustification.
Ebenso entsprechen sich Propheten — le prophete, Mensch an Gnad —
Thomme. Anzeiger Christi (bei dem Täufer) — l'enseigneur de Christ, unser
Rechtfertigung (beim Kreuz) — nostre iustice, unsre Unschuld (beim
Lamm) — nostre innocence, bei Maria Gnad — grace, Emanuel — Emanuel
dieu avec nous, unter dem Auferstehenden unser Überwindung — nostre
victoire. Neu hinzugefügt hat Tory auf der Seite des alten Bundes Jerusalem
terrestre, das hinter dem Zeltlager sichtbar wird, auf der anderen Seite
Jerusalem celeste neben dem auf dem Regenbogen thronenden Weltrichter.
Außerdem hat er Hagar mit ihrem Ismael der glücklicheren Sarah mit
Isaak gegenübergestellt; zwei liebliche Gruppen, besonders die erste im
Ausdruck mütterlicher Sorge und kindlicher Hilfsbedürftigkeit. Die Ab-
hängigkeit ist offenbar, ebenso der ungeheure Abstand unseres Cranach
von diesem Franzosen, der stolze Kraft und Anmut in der Vordergrund-
gruppe mit großer Mannigfaltigkeit der Bewegung und des Ausdrucks in
den figurenreichen Szenen des Mittelgrunds vereinigt. Das Blatt ist so
meisterhaft, daß man es für das Prototyp aller andern halten möchte, wenn
es nicht an sich sehr wahrscheinlich wäre, daß gerade diese Predigt von
dem alleinseligmachenden Glauben unter Luthers Augen entstand.
III. Holzschnitzwerke.
Der Einfluß der Cranachschen Werkstatt reichte weit über die sächsi-
schen Grenzen hinaus bis nach Preußen und Friesland, ja, wie wir sahen,
bis nach Frankreich hinein. Im ganzen nördlichen und mittleren Deutsch-
land ward aber in jener Zeit die Malerei weniger geübt, als die Holzschnitzerei.
Da ist es nun für die konkurrenzlose Vorherrschaft der biblischen Stoffe
und ihre völlige Durchdringung der bürgerlichen, handwerksmäßigen Kunst
bezeichnend, daß die Mehrzahl der bildnerischen Vorwürfe auch an dem
Profanmobiliar, an Schränken, Truhen, Kaminen, Ofenplatten der biblischen
422
Dr. Karl Ernst Meier:
Geschichte entnommen sind. So hat man denn auch ein so eminent theolo-
gisches Thema, wie das unsre ist, zur Verzierung des Hausrats verwandt.
Unter den fünf Hoiztafeln, die mir bekannt geworden sind — gewiß gibt es
deren noch, mehrere — sind vier Truhenfronten, die, einander
sehr ähnlich, eine Gruppe bilden. Die fünfte Tafel steht durch die Be-
sonderheit der Gruppierung, zugleich durch ihre künstlerische Überlegenheit
für sich da. Wir beschreiben sie zuerst.
i. Im Kgl. Grünen Gewölbe zu Dresden (Wappenzimmer Nr. 26)
hängt eine mäßig große Holztafel, etwa 40 cm im Quadrat, deren ursprüng-
liche Bestimmung unbekannt ist. Verfasser und Zeit sind nicht vermerkt.
Die Stilformen der Schrifttafeln und einrahmenden, im Kapitell etwas
verballhornten, Balusterhalbsäulen scheinen auf das Ende des 16. Jahr-
hunderts oder auf noch spätere Zeit hinzuweisenx3). Die Ähnlichkeit mit dem
Prager Gemälde leuchtet auf den ersten Blick ein, die genauere Vergleichung
aber ergibt eine ganze Reihe dort fehlender, originaler Züge. Die Gruppen -
Verteilung entspricht im ganzen der Cranachschen, nur ist der Mensch unter
dem Baum nicht sitzend, sondern ganz in der Haltung des Königsberger
Typus stehend dargestellt. Abweichend von diesem ist er mit einem weiß-
getönten Lendenschurz bekleidet. Abweichend ist auch der Prophet gebildet,
in der Tracht des Hohenpriesters mit hoher, prächtiger Mithra, in einen
weiten, pelz verbrämten Mantel gehüllt, unter dem das feingefältete Unter -
gewand hervorsieht. Der Tod unter der Sündenfallgruppe fehlt, doch darf
vielleicht das hinter ihr sichtbare mit weißem Laken bedeckte Gestell als
Gruft gedeutet werden. Die Schlankheit der Eva erinnert an Cranach.
Eigentümlich ist die übertriebene Kleinheit des neben ihr sitzenden, lang-
gelockten und recht kindlich blickenden Adam, dem zu dem dicken Apfel,
den er bereits hält, noch ein zweiter angeboten wird. Die Schlange hat einen
Frauen- oder Kinderkopf. Neben Adam kauert ein Hund, wie er ähnlich
auch auf Cranachschen Paradieses- und Sündenfallbildern vorkommt. Die
Schlangenszene weicht von der Cranachschen ab — am Fuße des Stammes,
eines Kreuzes, winden sich die nackten Opfer der Schlangen — dagegen
stimmt Moses mit dem Stabe in Haltung und Kleidung (vielleicht zufällig)
mit dem auf dem Weimarer Bilde von 1555 überein, nur daß er, wie auf
dem Berge im Hintergründe, seltsamerweise bartlos gebildet ist. Die Zelte
tragen an der Stirnseite zum Teil Wappenschilder. In dem Johannes hat
sich der Künstler, indem er die Rückenansicht wählte, eine schwere, nicht
*3) Herr Prof. Sponsel teilt mir freundlichst mit, daß »die Tafel eine auffallende
Verwandtschaft mit zwei anderen Holzreliefs im Grünen Gewölbe hat; diese sind signiert
P D bez. P D 1529«. Danach könnte also die Tafel um dieselbe Zeit entstanden sein,
wie die Cranachschen Bilder.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 423
ganz gelöste Aufgabe gestellt; offenbar hatte er seine Freude an schwierigen
Stellungen; das beweist auch der in verzwickter Verkürzung gesehene Engel
der Verkündigung — in seiner Haltung dem herabschwebenden Genius
auf Veroneses »triumphierender Venezia« sehr ähnlich — , das zeigt ferner
die Maria auf dem Berge, die, mit lang wallendem Haar und Gewand, die
Arme in lebhafter Bewegung dem Christkind entgegenstreckt. Dieses
schwimmt auf einem breiten Lichtstrahl hernieder aus den Wolken, über
denen Gottvater mit erhobener Rechten, in der Linken die Weltkugel,
erscheint. Diese Gruppe ist klein und technisch nicht einwandfrei gebildet,
aber groß gedacht in dem Faltenwurf des weitärmeligen Mantels und dem
zur Seite gewehten Bart. Groß empfunden ist auch der Auferstandene.
Auf dem noch mit dem Leichentuch bedeckten Rande der Gruft steht er,
von einem vom Winde in viele Wellen aufgeblähten Mantel umflattert,
in der Linken die Kreuzesfahne, auf der Weltkugel, darauf Sonne und Mond
über einer hohen Stadt sichtbar werden. Diese Welt war dem Tode über-
liefert, auf dessen Bauch sie ruht; aber er ist nun überwunden und stütz,
den müden Schädel in die aufgestützte Hand, gräßlich anzusehen, denn
Fetzen von Fleisch hängen noch hier und da an seinen Gebeinen, und die
Schlange der Sünde umwindet ihn. Dieses Relief ist keine Handwerker-
arbeit. Befangen freilich und steif ist die Haltung der Eva, des Propheten;
Maria ist von rührender Unbeholfenheit. Aber sorgfältiges Studium
nach der Natur bekunden die schlanken Gestalten des Jünglings und
des Auferstandenen, besonders in der Bildung der Haare, der Füße,
des Prophetenkopfes, der Bäume; echt künstlerische Freude an Formpro-
blemen der Bewegung verbindet sich hier mit großer Innigkeit des
Empfindens.
Zahlreiche Inschriften -Täfelchen hängen teils vom oberen Rande in
die Bildfläche hinein, teils sind sie auf den unteren Rand aufgesetzt, teils
endlich werden sie vom Propheten und Täufer getragen. Des letzteren
Tafel zu enträtseln, ist mir nicht gelungen, auch trägt die oberhalb Christi
auf einer Erhöhung liegende Platte zwar lesbare, aber geheimnisvolle Ziffern :
IHCBIL
FE GE Ob das fe(cit) auf den Verfasser hindeutet? Die übrigen Bibel-
stellen stimmen auffallend genau mit denen des Prager Bildes überein,
selbst eine Beischrift des Gemäldes »Figur der Rechtfertigung« kehrt hier
auf der zur Schlange gehörigen Tafel wieder.
2. Die außerordentlich große Verbreitung des von Cranach geschaffenen
Bilderkreises wird durch nichts besser erläutert, als durch vier nieder-
deutsche Holztafeln des 16. Jahrhunderts, die alle an ver-
schiedenen, weit auseinander liegenden Stellen Deutschlands entstanden
sind und dabei so auffallende Ähnlichkeiten zeigen. Eine von diesen Tafeln
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
29
424
Dr. Karl Ernst Meier:
ist im Besitz des Prussiamuseums in Königsber g*4), eine zweite,
aus Braunschweig stammende, ist Eigentum des Generalleutnants
v. Gerstein auf Lüdershof in Lippe, ciie beiden andern hängen in der Privat-
sammlung Roettgen in Bonn (die nach dem kürzlich erfolgten Tode des
Besitzers ihrer Zersplitterung durch Auktion entgegensieht); die größere
von beiden stammt aus F r i e s 1 a n d. Alle vier sind Truhenfronten
von verschiedener Größe, aber gleichen Verhältnissen; die Breite der Bild -
fläche übertrifft die Höhe um etwas mehr als das Doppelte. Sie weichen
also im Format von den Cranachschen Bildern, die sich meistens vom Quadrat
nicht weit entfernen, beträchtlich ab. Dadurch allein werden mehrere
Abweichungen bedingt. Damit alle Szenen wiedergegeben werden, wird die
ganze Bildfläche mit Figuren gefüllt; der Cranachsche Hintergrund, die
noch auf der Dresdener Tafel wiederkehrende Gebirgskette, ist weggefallen.
Auch vom Mittelgründe kehrt nur das Zeltlager wieder, die Stadt Jerusalem
nur auf der Braunschweigschen Tafel. Da ferner das spröde Material eine
so feine Miniaturzeichnung, wie sie bei Cr. in den Darstellungen des Zelt-
lagers und der Verkündigung an die Hirten vorliegt, nicht gestattete, so sind
die Opfer der Schlangen verringert, aber größer dargestellt als dort; ebenso
die Hirten und Herden. So wird, da die Nebenfiguren den Hauptfiguren
an Größe nur wenig nachstehen, der Unterschied von Haupt- und Neben-
gruppen beinah aufgehoben, beide treten hart nebeneinander, die Figuren
drängen sich, das Ganze wird unübersichtlich.
Eng verwandt, auf ein gemeinsames Vorbild hinweisend, sind die ersten
drei der genannten Tafeln. Die tüchtigste Schnitzarbeit zeigt die Braun-
schweigsche, deren Urheber in der mit liebevoller Sorgfalt gebildeten Hirten-
szene eine durchaus über das Handwerksmäßige sich erhebende, aus eigner
Beobachtung erwachsene Mannigfaltigkeit der Form und Bewegung offen-
bart. Die Inschriften sind sehr beschränkt; auf der letztgenannten Tafel
weist der Prophet auf ein am Baume angebrachtes Schild mit: su an dat
lam, auf der Königsberger Tafel haben nur der Prophet und der Täufer
Schriftbänder, jener: su dat is dat lam, dieser: he drecht unser kreuz. Auf
dem Schriftband der Engel die Worte: es to huldi (Euch zur Huld).
Die andere in der Bonner Privatsammlung hängende Truhenfront ist
die weitaus größte der Gruppe (70 X 1 55) und die rohestgeschnitzte, zu-
gleich die einzige mit Jahreszahl, 1556, versehene. Sie stammt nach dem
handschriftlichen Vermerk des Sammlers aus Friesland. Die Figuren sind
grobknochig, Eva und Maria, letztere auch in der Tracht, rechte Bauern-
dirnen. Der Prophet ist riesenhaft gebildet, der nur mit einem weiten Laken
*4) Abb. in dem von H. Ehrenberg besorgten Katalog des Prussiamuseums, 1900,
S. 20 (Teil III).
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 425
behängte Täufer hat die Haltung eines Seiltänzers. Der Auferstandene
entsteigt, von allen Darstellungen abweichend, eben der Gruft, auf deren
Rand mit der Rechten sich stützend, und pflanzt die dreiwimpelige Kreuzes-
fahne senkrecht in den Bauch des Todes. Diese Gruppe könnte dem Titel-
blatt der oben erwähnten Lübecker Bibel direkt entnommen sein, so genau
stimmt sie mit ihm überein. Bemerkenswert sind einige Besonderheiten:
zur Maria schwebt nicht das Christkind mit Kreuz, sondern ein Engel
mit Lilienstengel herab, in bekannter Andeutung der unbefleckten
Empfängnis. Hinter der erhöhten Schlange steht ein Tisch mit Bibel
und Kelch. Diese echt protestantische Betonung von Schrift und Abend-
mahl begegnet sonst nicht. Zahlreiche kleine nackte Anbeter sind, z. T.
willkürlich und sinnlos, über die Tafel verstreut. Von Humor zeugt ein
an einem trockenen Ast baumelnder Sünder. Auf Schriftbändern mit selt-
sam tutenförmig gerollten Enden zahlreiche Beischriften: de doot, sondare
(Sünder) usw.
Längere Bibelsprüche tragen nur die Königsberger und Braunschweiger
Tafel. Diese den Spruch: Also hat Gott die weit geliebt usw., jene auf der
oberen Randleiste: Dat Gesette is dorch Mosen gegeven, de Gnade unde
Warheit is dorch Jhesum Christ geworden ne . . ., und unten: (Denn de
Dot) is der Sunde Solt, overst de Gave Gades is dat ewige Levent in Christo
Jh(esu unsern Herren), wobei ich das Eingeklammerte ergänzt habe, da
die dafür bestimmten Stellen unbeschrieben geblieben sind.
Neben den Truhenfronten birgt die Roettgensche Sammlung einen
Schrank von 1562, dessen Schnitzwerk den Gekreuzigten und die Schlan-
generhöhung gegenüberstellt und in der Darstellung des Gesetze empfangen-
den Moses über der Sündenfallgruppe bestimmt auf den Cranachschen
Typus des Prager Bildes zurückgeht.
3. Den Holzschnitzwerken sei die Gravierung eines silber-
nen Bucheinbandes angefügt, die als im ganzen getreue Über-
tragung des Holzschnittes anzusehen ist, der als Titelblatt vorangestellt
war der , »Auslegung der Epistel und Evangelien — D. Martin Luthers
Wittenberg, 1544.« Die Gravierung ist im Jahre 1555 von H. Kösler
angefertigt 15). Die auf vier Felder verteilte Darstellung schließt sich eng
an das Prager Gemälde an und trägt dieselben Beischriften in wenig ab-
weichender Schreibung. Auch die einzelnen Gruppen zeigen nur unbedeu-
tende Abweichungen: die Verkündigung an die Hirten fehlt, Adam und
Eva halten sich umschlungen, der Tod hockt unter einem Gewölbe in ähn-
licher Haltung wie auf dem Aschersiebener Bilde, neben Moses erscheint
Gottvater; im übrigen ist gerade diese Szene in der Bildung der den Wolken
JS) Abgebildet und besprochen bei Schwenke und Lange: Die Silberbibliothek d.
Herzogs Albrecht v. Preußen. 1894, S. 17, Taf. 3.
29
42Ö
Dr. Karl Ernst Meier:
entströmenden Strahlen und eines Funkenregens — dem ich sonst nur noch
auf der Aschersiebener Tafel begegnet bin — eine genaue Kopie des Prager
Typus.
IV. Übertragungen auf Stein.
I. Sahen wir an den zuletzt genannten Nachbildungen der Cranach-
schen Komposition deren starke Wirkung auch auf die Profankunst, so
dürfen wir bei dem religiös -dogmatischen Charakter der Erfindung von
vornherein erwarten, sie auch in ihrem ursprünglichen Kreise nachgeahmt
zu finden. Cranach malte seine Bilder für Altäre oder Epitaphien, jedenfalls
für Kirchen. So finden wir die Komposition auch später verwandt. Hier
bot sich für die umfangreiche Gruppenbildung ja auch die beste, man sollte
meinen, einzige Möglichkeit der Darstellung. Daß ein Künstler von Er-
findung aber auch auf weit weniger günstigem Felde imstande war, einer
so komplizierten Komposition einigermaßen Herr zu werden, zeigt eine
Kanzelbrüstung aus Sandstein, die offenbar auf unseren
Typus zurückgeht. Von der ehemaligen Kanzel zu Heldburg, einem
dem Cranachschen Wirkungskreise nahegelegenen Städtchen in Sachsen-
Meiningen l6), sind vier Platten erhalten. Die Form der Brüstung zwang
den Bildhauer die Komposition zu zerlegen. Er tat das mit Verständnis
für die Gruppeneinheiten. »Zwischen Eckpilastern mit Renaissancefüllungen
sind in den Flächen größere Reliefs ausgeführt, darunter in den Sockelteilen
einfachere Darstellungen zwischen den Postamenten der Eckpilaster.« Die
erste Platte faßt die Mittelgruppe zusammen ohne den hier überflüssigen
Baum: in der Mitte der sitzende Mensch, bärtig, sonst ganz in der Haltung
des Prager Bildes, zwischen dem turbangekrönten Propheten und dem Täufer,
der die Rechte dem Menschen auf die Schulter legt — dieselbe Geste auf
der Prussia-Tafel — und mit der Linken nach dem Kreuze weist, das erst
auf der übernächsten Tafel erscheint. Im Sockel ein sitzender Kindengel
mit einem Kreuz in der Hand. Darüber ist das Wort Genad nur aufgemalt
— offenbar ein Nachhall der Empfängnisgruppe, bei der dasselbe Wort
nicht weit von dem kreuztragenden Christkind erscheint. Die zweite Platte
gibt die Sündenfallgruppe wieder. Adam sitzt neben einem Hirsch,
Eva holt, den rechten Arm um seine Schulter gelegt, mit der Linken einen
Apfel vom Baum. Über der Gruppe: Su(nde). Diese Anordnung findet
sich auf keiner der Cranachschen Kompositionen unseres Themas, sie stimmt
dagegen genau überein mit einem Cranachschen Kupferstich von 1509 der
Münchener Sammlung1?). »Nach Kraus hatte das Relief noch die Über-
schrift: Anfang der Welt.« In dem Sockel unter der Gruppe ist auch der
l6) Bau- und Kunstd. Thüringens. Heft 31, S. 268. Daselbst auch eine aller-
dings unzulängliche und unvollständige Abbildung.
J7) Abb. bei Kirchner: Die Darstellung des ersten Menschenpaares. S. 135.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 427
Tod, abweichend von Cranach, als ein im offenen Sarge hockendes Gerippe
gebildet; Überschrift: Todt. Weggefallen ist das Zeltlager und der Gesetze
empfangende Moses, doch erinnert an diesen noch ein über der Mittelgruppe
schwebendes Schriftband, das nach Kraus die Inschrift trug: Moses giebt
Gesetz. Wie auf der Seite des alten Bundes die eherne Schlange, so ließ
der Künstler auf der andern Seite die Verkündigung an die Hirten, beides
figurenreiche und zum Verständnis des Ganzen entbehrliche Nebengruppen,
fort. Außerdem fehlt das Lamm, und von der Empfängnis blieb nur die
Sockelfigur des Engels mit Kreuz übrig. So faßt denn die dritte Platte
den neuen Bund zusammen in den beiden Hauptgruppen der Kreuzi-
gung und der Auferstehung und Überwindung des Todes, ganz
nach der Cranachschen Vorlage. Darüber das Wort: Erlösung. Der Sockel
zeigt in einer Kartusche des Bildhauers Namensbuchstaben B F und Zeichen.
Die vierte Platte mit einer Aussendung der Apostel und Christus mit der
Weltkugel geht nicht auf unsere Komposition zurück. Im Gebälk der dritten
Platte ist in einer herzförmigen Kartusche die Jahreszahl gemeißelt: 1536.
Wir haben es also mit einer recht frühen Übertragung des Cranachschen
Musters zu tun.
2. Die zweite mir bekannte Übertragung auf Stein istdasEpitaph
des Moritz von Donop in der Nikolaikirche zu Lemgo in Lippe.
Es ist an der Zeit dieses bisher fast unbekannte, in Abbildung niemals ver-
öffentlichte Denkmal seiner Verborgenheit zu entreißen, um so mehr, als
auf eine illustrierte Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler des
Fürstentums einstweilen nicht zu hoffen ist.
Das durch moderne Bemalung leider entstellte Epitaph (4,20 X 1,70)
hängt an einem Pfeiler, ist ihm vielmehr eingemauert. Der Aufbau ist ver-
hältnismäßig streng, da seitliche Ausbauschungen, wie sie an gleichzeitigen
Epitaphien üblich sind, fehlen. Auf unten sich ein wenig verjüngenden,
oben in volutengekrönte Karyatiden -Hermen endigenden Eckpilastern ruht
ein klassisches Renaissancegebälk mit vorspringendem, auf Konsolen ruhen-
dem Gesimse. Der breite Architrav trägt die lateinische Widmung und die
Jahreszahl 1587. Darüber erhebt sich ein kleinerer, dem unteren gleich-
artiger Aufbau mit dreieckigem Giebelfelde. Fünf blumen- oder halbmond-
tragende Obelisken krönen den Giebel und stehen als obere Fortsetzung
der Pilaster auf den Gesimsen. Unter dem Hauptbilde, von den Eckpfeilern
noch miteingerahmt, zählt ein breites Feld die Tugenden und Taten des
Verstorbenen in 10 wohlgebauten Distichen auf; eine kleinere Tafel mit
Rollwerkornament wiederholt, etwas abgekürzt, in deutschen Lettern und
deutschen Versen die Hauptdaten. Löwen- und Teufelsmasken mit Ringen
hängen als Kragsteine unter den Eckpilastern, an deren Seitenwänden sich
wiederholend. 16 Ahnenwappen sind über die Pfeiler und den Aufbau ver-
428
Dr. Karl Ernst Meier:
streut. Die Tafel zeigt die Merkmale der niederländischen Stilart. Der
Meister ist unbekannt.
Moritz von Donop i8) entstammt einer dem Protestantismus sehr
ergebenen Familie. Sein Vater war eifriger Förderer der neuen Lehre in
Lippe, er selber kämpfte als holländischer Rittmeister unter Ludwig von
Nassau gegen die Spanier. Es geschah also nicht von ungefähr, daß für das
Denkmal dieses Mannes jene typisch gewordene bildliche Darstellung des
neuen Dogmas gewählt wurde.
Der Bildhauer formte die Cranachsche Komposition, die ihm aus
Holzschnitten oder Holzschnitzereien — die oben genannte Braunschweig-
sche Holztafel stammt von einem Donop — bekannt sein mochte J9), seinen
besondren Aufgaben gemäß um. Er mußte den Verstorbenen mit seiner
Gattin in das Bild hineinbringen und wollte doch die Vordergrundsgruppe
des Prager Typus nicht aufgeben. Er teilte nun die ganze Bildfläche durch
zwei Querleisten in drei längliche Felder ein. Dadurch gewann er die Mög-
lichkeit, die einzelnen Gruppen aus dem Hintergrund hervorzuholen und
zu verselbständigen. Nur der Baum ragt durch alle drei Felder hinauf.
Das untere Feld zeigt den nackten Menschen auf einem (Grab-?)
Kasten sitzend mit betend vor die Brust gehaltenen Händen und zu Johannes
gewandtem Kopf. Der Kasten trägt die Worte — meine Ergänzungen in
Klammern — : ego miser homo quis iibera(vit) me de corp(ore) mort(is).
Der Prophet zur Linken trägt über einem Untergewande einen falten-
reichen Mantel, aber keine Kopfbedeckung; in der erhobenen Rechten hält
er eine Tafel: ecce virgo conci(piet) e(t) pa(riet) fil(ium). Esa. Johannes
der Täufer, ein muskulöser Mann im Schafpelz und darüberhängendem
Mantel, trägt in der Linken ein Buch und weist den Menschen mit der Rechten
auf eine Tafel hin mit der Inschrift: ecce agnu(s) dei qui tol(lit) pec(cata)
mu(ndi). Joa I. In demselben Felde werden gegenübergestellt der Sünden-
fall mit dem Tod im Grabkasten darunter und die Auferstehung des
Heilands und seine Überwindungvon Tod und Teufel; dieser
umklammert die Weltkugel. Hinter dem Auferstandenen erscheint eine
Stadt. Das zweite Feld stellt den Gekreuzigten und sein Symbol,
die eherne Schlange, gegenüber. Diese Szene, bei Cranach meistens
miniaturartig in den Hintergrund gedrängt, ist hier besonders reich aus-
l8) Genaue Kenntnis seines Lebens verdanke ich der großen Zuvorkommenheit
des Herrn Bankdirektors Henkel in Kassel, des Archivars der Familie, der selbst das
Genealogische der Tafel auseinandergelegt hat im »Deutschen Herold« 30, Nr. 8, 1899.
S. 115 fr.
*9) Bei Hirth-Muther a. a. O. sucht Jordan, ohne Cranach zu erwähnen, das Epitaph
als eine direkte Übertragung des Toryschen Holzschnitts nachzuweisen. Das ist nicht
ausgeschlossen, aber bei der großen Verbreitung des Typus in Deutschland sehr unwahr-
scheinlich.
430
Dr. Karl Ernst Meier.
geführt. Moses in langwallendem Mantel weist mit erhobener Rechten auf
die Schlange hin, dasselbe tut hinter ihm Aaron, der durch eine Mithra
als Hoherpriester kenntlich gemacht ist. Rings umher knieen Betende,
z- T. gruppenweise sich umschlungen haltend, und wälzen sich Gebissene,
darunter vorn ein Mann in römischer Tracht. Am Baum daneben eine
Inschrifttafel: Num(eri) 21. Joa. 3. sicut Moses exaltavit serpentem in
(desertis, ita etc.).
Auf der andern, neutestamentlichen Seite steht als genaues Pendant
das Kreuz mit dem Heiland — leider seit kurzem aus dem Bildwerk heraus -
gebrochen und verschwunden — , darunter das Lamm mit Fahne, im
Hintergrund Jerusalem, mit offenbarer Bemühung um orientalische
Formen gebildet, darüber die H i r t e n a u f dem Felde. Vom Himmel
schweben zwei Engel, der eine auf seinem Spruchband: ecce evangeli, der
andere: vobis gaudium a (deo?). Unter dem aus Raumrücksichten klein,
aber sorgfältig gemeißelten Kreuz knien einander gegenüber auf üppigen
Kissen »der trewe Heit Welchen der snöde Todt gefeit« in voller Rüstung,
an der Seite den Streitkolben, vor sich den Helm, und seine Gattin in schlich-
tem Gewände. Das obere bedeutend schmalere Feld zeigt links oben Moses,
wie er auf dem rauchenden Berge die Tafeln empfängt. Im Gezweige des
Baumes die Inschrift: Joan. 1. lex per Mousen data est Gratia et veritas
(a Christo Jesu). An die Stelle der Empfängnis Mariä hat der Bildhauer
die Verkündigung durch den Engel treten lassen. Dabei er-
laubte ihm die völlige Isolierung der Szene die Beibehaltung des üblichen
Interieurs. An ihrem Betstuhl kniet Maria vor ihrem Bett. Die Tiefe des
Zimmers hat der Künstler durch die perspektivische Zeichnung des Decken-
gebälks und der Fußbodenplatten sehr glücklich herausgebracht.
In dem Aufsatz ist das jüngste Gericht dargestellt; ein auf
Epitaphien sehr gewöhnlicher und auch durch Cranachs Weltrichter auf
den Bildern des Königsbet ger Typus nahegelegter Abschluß des Ganzen.
Die Auffassung weicht von der üblichen nicht ab; rechts der als Raubtier-
rachen gebildete Höllenschlund, links die Stufen zur Himmelstür. In der
Mitte eine liebliche Gruppe: ein Engel hilft einer Frau, die des neuen Lichts
ungewohnt die Augen mit der Hand schützt, aus der Erde empor20).
Das Ganze ist weniger das Bekenntnis einer eigenartigen Künstler-
natur, als das Zeugnis für eine fertige, mit Virtuosität und Geschmack
ausgeübte Technik. Das zeigt neben der klugen Anordnung des Ganzen
die Einzelausführung. Die in kräftigem Relief vorspringenden Figuren
haften kaum noch an der Bildfläche und nähern sich bisweilen der Rund-
20) Die ganze Darstellung ist typisch, hat aber doch auffallende Ähnlichkeit mit
einem Epitaphbilde des westfälischen Bildhauers Johann Beldensnyder in Osnabrück
vom Jahre 1561. Vgl. darüber Born: Die Beldensnyder. 1905, S. 53, Taf. 14.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 431
plastik. Sie sind durchweg — mit Ausnahme des schlanken Kruzifixus —
von kräftigem, untersetztem Körperbau und haben große Hände und Füße.
Ihre Haltung ist fest und sicher, manchmal ein wenig steif und des Wechsels
entbehrend; Standbein und Spielbein gleichförmig wiederholt, stets en face-
Ansicht. Das Haar ist gewandt, aber schematisch behandelt. Die Gesichter
sind in viele Falten gelegt, aber gleichwohl leer im Ausdruck; besonders
blöde glotzend der Blick bei dem Auferstandenen. Vortrefflich, fast raffiniert
ist dagegen die Ausarbeitung der überaus kräftigen, schon an Rubens er-
innernden Muskulatur, besonders prachtvoll bei Adam und dem Auferstan-
denen, sorgfältig aber auch bei den kleinen und plumpen Figuren des jüngsten
Gerichts. Der Gegensatz des männlichen und weiblichen Körpers bei Adam
und Eva und dem Karyatidenpaar ist glücklich betont; an letzterem ist außer-
ordentlich fein durchgearbeitet die Muskulatur und das Geäder der Arme
und Hände.
So verdient dieses Denkmal nicht nur wegen seiner ikonographischen
Eiftzigartigkeit Interesse, sondern auch um seiner künstlerischen Qualitäten
willen einige Beachtung.
V. Entferntere Ausstrahlungen und Ab-
kürzungen.
Die eminent dogmatische Bedeutung des Cranachschen Themas »Gesetz
und Gnade« erklärt seine außerordentliche Beliebtheit und Verbreitung über
alle protestantischen Gebiete Deutschlands, ja über Deutschlands Grenzen
hinaus. Es ist aber ohne weiteres einleuchtend, daß die Weitschweifigkeit
und der Gruppenreichtum der Komposition auf die Nachahmung vielfach
hemmend wirken mußte. Ohne weiteres verständlich war diese Interpre-
tation der protestantischen Rechtfertigungslehre auch nicht. Wir können
es daher verstehen, daß man sich um eine knappere Zusammen-
fassung ihrerHauptgedanken bemühte. Diese Hauptgedanken
liegen in dem Gegensatz von Gesetz und Gnade, von Sünde und Erlösung
einbeschlossen, und zu ihrer Verdeutlichung konnten die korrespondierenden
Gruppen von Sündenfall und Kreuz, von Moses als dem Vertreter des alten
Bundes und Johannes als dem Einleiter des neuen als hinreichend erschei-
nen 2I). Die persönliche Stimmung des Betrachtenden aber fand einen
dramatischen Ausdruck in dem um Erlösung flehenden, auf der Scheide
2I) Auf die knappste Formulierung gebracht ist der Gegensatz z. B. auf einer im
Museum der Stadt Bielefeld befindlichen Türfüllung aus dem 16. Jahrh. (Bau- und Kunstd.
Westfalens. Bielefeld, S. 25). In der Mitte der Baum der Erkenntnis, links Adam und
Eva, rechts das Kruzifix. Noch kürzer auf dem oben erwähnten Beldensnyderschen
Epitaph, das im Aufsatz die Sündenfallgruppe zeigt, Adam und Eva links und rechts
vom Baume, und neben Adam im Boden das Schwert des Gerichts, auf der anderen
Seite ein kniendes Lamm.
432
Dr. Karl Ernst Meier:
des alten und neuen Bundes stehenden Menschen. Diese packende Gruppe
ist deshalb auch da beibehalten, wo man glaubte, der Nebengruppen, be-
sonders der Darstellung des Todes, der Verkündigung an die Hirten, der
Empfängnis, der Überwindung des Todes (die ja eigentlich schon in der
Kreuzigung vollzogen ward) entbehren zu können.
Wiederum auf einem Epitaphbilde begegnet uns die erste abgekürzte
Darstellung unsres Themas.
1. In der Schloßkirche zu R h e d e n , Amt Gronau, hängt das Epitaph
eines 1572 verstorbenen Hinrich von Reden 22). Den Mittelpunkt der Malerei
bildet der Gekreuzigte, vor dem, wie so häufig auf Epitaphien, der
Verstorbene nebst Familie kniend dargestellt ist. Im Hintergrund sind
kleinere Figuren sichtbar, links Adam und Eva und Moses mit den
Gesetzestafeln. Rechts der fast unbekleidete Sünder mit betend er-
hobenen Händen, den Johannes auf das Kreuz hinweist. Bei letzterem
ein Spruchband mit seiner bekannten Predigt : Siehe das lamb usw. Daß
dies Denkmal auf Cranach zurückgeht, wer weiß, durch welche Vermittlung,
ergibt sich schon aus der Gruppe des Sünders und Johannes.
2. ■ Wieder in Cranachs Heimat zurück führt uns ein Epitaphgemälde
in der Johanniskirche zu Leipzig, das dem Hans Meyer, der Agathe
und dem Wolf Perger im Jahre 1616 errichtet worden ist * 23). Als Maler
ist Johann von der Perre vermerkt. Das mittlere Hauptgemälde zeigt in
der Mitte den von Sündenschuld bedrückten Menschen stehend in der
bekannten Haltung; er ist bis auf den Lendenschurz nackt und ein schöner
Jüngling. Hinter ihm ragt der links trockene, rechts belaubte Baum
empor. Links steht neben dem Menschen Moses, im rechten Arm
die Gesetzestafeln haltend, auf die er mit der Linken hinzeigt. Rechts weist
der Täufer mit der rechten Hand über seine linke Schulter nach dem
Gekreuzigten, der oben in der rechten Ecke erscheint. Ihm gegen-
über, ebenfalls klein im Hinteigrunde, Adam und Eva. Also wiederum
eine auf das Wesentliche sich beschränkende Abkürzung des Themas. Sie
geht in der Darstellung des Moses auf den Königsberger Typus zurück,
erinnert aber durch die einmalige Darstellung des Sünders auch an das
Prager Bild. Über dem Menschen ist an den Baum ein Zettel geheftet mit
der Inschrift: 0 ich elender Mensch usw. Die Härte des Gesetzes wird der
Rechtfertigung gegenübergestellt in zwei Inschriften, die sich um das Bild
herumziehen: Verflucht sey wer nicht alle wort dieses Gesetzes erfüllet,
das er darnach thue. Deut. 27. und Speculum iustificationis. (Erinnert
22 ) Mitthoff: Kunstdenkmale und Altertümer Hannovers, 3, 216.
23) Bau- und Kunstd. d. Kgr. Sachsen, 17, 167, Fig. 113.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 433
an das Cranachsche: Figur der Rechtfertigung.) Siehe das ist Gottes lamb
das der Welt sunde tregt. Johan. 1.
3. Ebenfalls schon in das 17. Jahrhundert fällt eine Cranachsche
Ausstrahlung, die wir in dem Altargemälde der Marienkirche zu Eilen-
b u r g J4) in der Provinz Sachsen zu erkennen haben. Das Hauptbild zeigt
den Gekreuzigten. Aus seiner Seitenwunde spritzt ein Blutstrahl
auf einen betenden Mann herab; wie bei den Cranachschen Bildern
des II. Typus. Links verweist Moses den Sünder auf die Gesetzestafeln,
von der rechten Seite tritt Johannes der Täufer hinzu; vor ihm liegt
das Lamm mit der Fahne. Er weist tröstend auf den Erlöser hin, indem
er dessen Fuß berührt. Die übrigen Gruppen fehlen.
4. Cranachscher Einfluß läßt sich noch an einer leider verloren ge-
gangenen Kanzel aus dem Münster in Hameln nachweisen 25). Mitthoff
teilt in den »Kunstdenkmalen und Altertümern im Hannoverschen« (B. I — 3
unter Hameln) eine der Sprengerschen Chronik von Hameln entnommene
Beschreibung mit. »Die 1619 errichtete Kanzel zeigte Schnitzarbeit und
feine Malerei.« In der Tür erblickte man Luther und Melanchthon ab-
gebildet und im untersten Fache am Stamme des Baumes den sündigen
Menschen zwischen Johannes d. T., der in der Linken ein Buch mit dem
Lamm darauf hielt, und Moses mit den Tafeln. Die Abhängigkeit von
Cranach, auch in den beigeschriebenen Bibelsprüchen, ist offenbar.
5. Vielleicht schon dem 18. Jahrhundert gehört eine Malerei der Kirche
zu Unterrenthendorf in Sachsen-Altenburg an 26). Es ist eine
ganz minderwertige Anstreicherarbeit. Zu beiden Seiten des Baumes
werden gegenübergestellt Sündenfall und Auferstandener
(ohne Tod und Teufel), eherne Schlange und Kreuz. Zu Füßen
des Baumes sitzt der betende Mensch, zwischen Moses und J o -
h a n n e s 27).
6. Nicht überall liegt die Nachwirkung der dogmatischen Malerei
Cranachs so klar zutage, wie an den besprochenen Denkmalen. Der barocke
Hochaltar der protestantischen St. Walpurgiskirche zu Helmstedt
vom Jahre 1679 28) trägt ein größeres Gemälde, welches in e i n e m Rahmen
und auf demselben Hintergrund zwei Kreuze vereinigt, an deren einem
24) Kunstd. d. Prov. Sachsen, 16, 88.
*5) Herr Generalmajor Köhler teilt mir freundlichst mit, daß über den Verbleib
der Kanzel keinerlei Nachrichten vorliegen und erneute Nachforschungen erfolglos
geblieben sind.
26) Bau- und Kunstd. Thüringens, II, 55.
27) Lehfeldts Deutung auf Versucher, Eva, Gottvater ist unglaublich.
2* *) Baudenkmäler Braunschweigs, 1, 76 mit Abbildung.
434
Dr. Karl Ernst Meier:
Christus, von den Seinen umgeben, an deren andrem die eherne
Schlange hängt; darunter Moses mit dem Stab. Zur Linken und Rechten
dieses Bildes stehen in säulenumrahmten Nischen als Rundplastiken Moses,
auf die Gesetzestafeln weisend und Johannes d. T.
mit dem Lamm. Hier haben wir die pendantartige Gegenüberstellung
der beiden Kreuze in derselben Weise, wie bei Cranach und vor allem seinen
Nachahmern. Wie bei Cranach erscheint außerdem auf der Seite des alten
Bundes Moses, auf der des neuen Johannes. Diese beiden Figuren finden
sich nun bekanntlich in derselben Weise angebracht bei einer überaus großen
Anzahl von Altar- und Kanzelbauten der Barockzeit in Mittel- und Nord-
deutschland, besonders in Thüringen 29). Alle diese Gegenüberstellungen
von Moses und Johannes auf Cranach zurückführen zu wollen, scheint gewagt,
so viel aber ist gewiß, daß das In-Mode-kommen derselben durch den
Einfluß der Cranachschen Bilder stark gefördert wurde.
Wir sahen auf den meisten Cranachschen Kompositionen die eherne
Schlange, im Grunde genommen widersinnig, auf die rechte Seite der
Tafel, in unmittelbarer Nähe des Kreuzes, gebracht. Diese Nebeneinander-
stellung des Kreuzes und seines Symbols wird seit der 2. Hälfte des 16. Jahr-
hunderts so häufig, daß man notgedrungen nach dem Vorbild fragt. Dieses
erblicke ich in Cranachs Kompositionen. Die Denkmäler sind zahlreich,
aber ausschließlich auf evangelische Kirchen beschränkt, und zwar
vornehmlich in den Gegenden, deren starke Beeinflussung durch Cranach
ohnehin feststeht. Ich nenne einige, leicht zu vermehrende Beispiele von
Epitaphien.
B r i e g. 1559 3°) : Christus am Kreuz, kleiner im Hintergründe —
also ganz wie bei Cranachs Bildern des Königsberger und Weimarer Typus —
die eherne Schlange.
G o 1 d b e r g. 1566 31). Dem vorigen sehr ähnlich.
Essen in Hannover. 1614. Relief 3*). Zeigt wiederum die eherne
Schlange mit dem Kreuze vereinigt und in den Hintergrund gerückt.
Jena. Kollegiatkirche. 163433). Ebenfalls Kreuz und Schlangen-
erhöhung in einem Rahmen. Zu beiden Seiten Moses und Johannes als
Rundfiguren.
29) Allein aus Thüringen nenne ich die Kanzeln der Kirchen zu Leutenthal, Kraut-
heim, Großneuhausen, Buttstädt, Wickenstedt, Langenschade, Burgau, alle aus dem
18. Jahrh.
3°) Lutsch: Kunstdenkmäler d. Prov. Schlesien, 2, 314.
31) Lutsch, 3, 297.
31) Mitthoff: Kunstdenkmale und Altertümer im Hannoverschen, 6, 43.
33) Bau- und Kunstd. Thüringens, 1, 107.
Fortleben d. religiös-dogmat. Kompositionen Cranachs i. d. Kunst d. Protestantismus. 435
Überhaupt wird die symbolische Gegenüberstellung des Gekreuzigten
und der ehernen Schlange — auf besonderen Tafeln — , die in der altchrist-
lichen Kunst gar nicht, in der Frühkunst des 12. bis 14. Jahrhunderts ziem-
lich häufig vorkommt, darnach aber fast gänzlich verschwindet, von der
Mitte des 16. Jahrhunderts an auf Denkmälern protestantischer Kunst
geradezu modern. Daß dazu die zahlreichen Vorbilder Cranachs und seiner
Schule in hohem Maße mitgewirkt haben, wenn sie nicht überhaupt die
entscheidende Anregung gaben, ist nicht zu bezweifeln.
Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte.
Von Robert Hedicke.
I.
Zur Periodenbildung in der Zeit des Übergangs vom
Mittelalter zur Neuzeit.
Man pflegt in der Geschichte der niederländischen Kunst das 14. und
15. Jahrhundert als Spätgotik, das 16. Jahrhundert als Renaissance zu
periodisieren. So klassifizieren die wichtigsten zusammenfassenden Dar-
stellungen der Architektur und Skulptur, wie Schayes, Schoy, Jean Rousseau,
Marchal. In der Malerei läßt man die Renaissance meist mit den Eycks
beginnen.
Wer auf Grundlage der heutigen Denkmalskenntnis und Kritik an eine
feinere Periodisierung der niederländischen Kunst herantritt, erkennt bald
das Unbefriedigende, sogar Unmögliche dieser Einteilung.
Mag der Hegelsche Entwicklungsgedanke: „Jeder Stil lebt sich in drei
Phasen aus, Frühzeit, Reifezeit, Spätzeit“ für seine Zeit ein fruchtbarer
und führender gewesen sein, heute hat vertiefte und erweiterte Denkmals-
kenntnis gelehrt, daß dieser Gedanke unhaltbar ist. Neue Erkenntnis zeigt
uns, daß vielmehr die großen Kunststile, wenn sie zur Reife gelangt sind,
schnell in ihrem innern Kern absterben, daß neue Gedanken die alten Formen
noch eine Zeitlang forttragen und zersetzen, bis neue Formen auch diese
verdrängen. So folgt auf den reifromanischen Stil im Heimatlande Frank-
reich die Frühgotik und die kurze Periode der Reifgotik. Was man
heute Spätgotik nennt, zeigt viele, der Gotik konträre neue Gedanken in
den altgewohnten Formen: eine neue Kunst in altgotischem Gewände. Die
Bezeichnung Spätgotik hindert die Erkenntnis ihres Wesens. Deutsch-
land springt vom reifromanischen Stil direkt zur klassischen Gotik Frank-
reichs über und verläßt sie bald wieder, um neue zeitgemäße Gedanken
des 14. und 15. Jahrhunderts in den altgotischen Formen auszudrücken.
Auch hier ist die Bezeichnung Spätgotik — wenn man darunter Verfall der
Gotik versteht — der Erkenntnis hinderlich. Der italienische Renaissancestil
geht von der kurzen klassischen Höhe in Rom direkt zu einer neuen
Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte.
437
Kunst in Hochrenaissanceformen über: zum Barock. Die Bezeichnung
Spätrenaissance ist meist nichtssagend. In Oberitalien ist sie verspätete
Hochrenaissance.
Wie soll man diese neu erkannten Phänomene fassen? Soll man das
Neue, das neben der Breitbewegung der Gotik auftritt, als gotisches Barock
neben Spätgotik bezeichnen? Es mehren sich die Stimmen, die dies ver-
langen. Darnach soll Barock eine seit der hellenistischen Zeit ruhende,
jetzt wieder hervortretende Grundströmung der Kunst sein, welche die
germanischen Völker besonders in sich tragen und welche mit Michelangelo
auch auf Italien übergreift. Sie tritt in der Zeit der sog. Spätgotik wieder
hervor, wird im Norden durch den Einfluß der italienischen Hochrenaissance
kurze Zeit zurückgedrängt, um dann endgültig beherrschend sich auszu-
breiten. Eine Definition des Barock ist schwierig, wohl unmöglich wegen
der Verschiedenheit der Phänomene, aber unbedingt notwendig. Barock
ist Freiheit, Willkür bis zur Sinnlosigkeit der Formen, um eine gewollte
Idee auszudrücken, eine gewollte Wirkung zu erzielen. Barock ist unab-
hängig von einem bestimmten Stil, ist kein Stil, sondern eine Geistesver-
fassung, kann die Formen verschiedener Stile übernehmen * *)•
Soviel über die sog. Spätgotik und die sog. Spätrenaissance und ihr
Verhältnis zum Barock. Was die Bezeichnung Renaissance anlangt,
so haben wir an anderem Orte ausgeführt, daß dieser Stilbegriff nur für
Italien gilt, daß im Norden nur italienische Einflußerscheinungen als Re-
naissance vorliegen, wenn man überhaupt etwas Faßbares unter Renaissance
verstehen will *).
Wir lassen unerörtert, wie die Periodisierung der Übergangszeit vom
Mittelalter zur Neuzeit in Deutschland und Frankreich 3) vorzunehmen wäre,
und wenden uns nach diesen Präliminarien den Niederlanden zu.
Wir betrachten zunächst gesondert die Periodenbildung in der Architektur,
Malerei, Skulptur und Dekoration.
In der Architektur wird die Gotik spät von Frankreich über-
nommen und hat vom 14. Jahrhundert an die Tendenz, frei zu schalten.
Strenge, oppositionelle und barocke Richtungen entstehen nebeneinander.
Die Aufnahme der Säule, die asymmetrisch gruppierende Kompositions-
weise, Netz- und Sterngewölbe, Hallenbau, asymmetrische Innendekoration
*) Dehio, Jb. preuß. KS. 1909 über Backofen.
*) Um nicht mißverstanden zu werden, fügen wir hinzu, daß wir vorläufig die Be-
zeichnungen »Spätgotik« und »Renaissance im Norden« nicht abschaffen wollen, sondern
nur mit neuem Sinn erfüllt und enger begrenzt sehen möchten.
3) In Frankreich bleibt die Gotik strenger, es ist wenig barocke Neigung und strengere
Renaissancebildung im Anschluß an Italien zu bemerken. Deutschland zeigt Verwandt-
schaft mit den niederländischen Phasen, zeitweise Beeinflussung durch die Niederlande,
neben selbständigen Richtungen.
438
Robert Hedicke:
u. a. lösen einerseits den Organismus auf, bedeuten andererseits neues Leben,
neue Baugedanken, neuen Reichtum. Dieser Zustand dauert bis etwa 1540.
Anfang des 16. Jahrhunderts beginnen die italienischen Einflußerscheinun-
gen, die um 1550 gesiegt haben als alter Geist in neuer Form. Der daraus
entstehende neue Geist ist zuerst streng und wird bald barock. Wir würden
also der herrschenden Einteilung folgen und die gotische Periode mit einer
»Periode der sog. Spätgotik und des gotischen Barocks« schließen (14. und
15. Jahrhundert), das 16. Jahrhundert »Periode der Renaissance oder des
italienischen Einflusses« nennen und die fortlebenden spätgotischen und
barocken Richtungen unter dieser Bezeichnung mit einbegreifen.
In der Malerei wäre das Mittelalter ohne Rücksicht auf Romanisch
und Gotisch in früh-, reif- und spätmittelalterlichen Perioden etwa bis zum
Beginn des 15. Jahrhunderts zu behandeln, dann eine »Periode des Realis-
mus« einzuschieben (15. Jahrhundert) und das 16. Jahrhundert als »Periode
des italienischen Einflusses (Renaissance)« zu begreifen. Daß daneben eine
vom italienischen Einfluß unabhängige, realistisch-indigene Richtung (Land-
schaft, Porträt, Bruegel usw.) fortläuft und die italianisierenden Richtun-
gen vorwiegend barock sind, könnte in dieser Periodenbezeichnung ebenso-
wenig zum Ausdruck kommen, wie die phantastische Richtung des H. Bosch
in der realistischen Periode.
In der Plastik wäre entsprechend die »Periode des Realismus«
mit Claus Sluter am Ende des 14. Jahrhunderts zu beginnen, die bis zum
Beginn des 16. Jahrhunderts (Schnitzaltar, Borman, Meister von Lombeek)
dauert. Also hier wäre Höhepunkt am Beginn, Tiefstand in der Mitte,
Durchschnittsindustrie am Ende. Die „Periode des italienischen Einflusses
(Renaissance)« (16. Jahrhundert) deckt sich zuerst mit dem Realismus,
diesen von 1540 an überwindend 4).
Die Dekoration schließt sich in der gotischen Zeit der Archi-
tektur eng an und ist in der sog. »Spätgotik« streng, oppositionell und barock
wie diese. In der »Periode des italienischen Einflusses (Renaissance)«
(16. Jahrhundert) geht sie der Architektur voraus, wird zeitweise Führerin
der Entwicklung, ist zuerst streng und barock, wie die Spätgotik (Altar
von Hai, Blondeei, Bos, Floris), dann nur streng (Florisstil), bis das Barocke
allmählich wieder siegt.
4) Ausdrücklich möchten wir die Periodenbezeichnung »style hispano-flamand«
einiger belgischer Schriftsteller ablehnen. Es sind nur einige vereinzelte architektonische
Erscheinungen spanischen Einflusses in Brügge, Antwerpen, Lüttich vorhanden, welche
vielleicht auch bei näherer Betrachtung sich als bodenständig erweisen könnten. Was
Marchal in diesem Abschnitt aneinanderreiht, zeigt nur, daß es keinen spanischen Stil in
den Niederlanden gibt.
Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte.
439
Fassen wir das Ergebnis für die Niederlande folgendermaßen zusammen:
Architektur: Malerei Plastik Dekoration
14. Jahrhundert spätgotisch spätmittelalterlich spätmittelalterlich spätgotisch
15. Jahrhundert spätgotisch realistisch realistisch spätgotisch
16. Jahrhundert Italienischer Einfluß oder Renaissance: barocke und strenge Richtungen
17. Jahrhundert Barock : strenge und barocke Richtungen.
Die Übergänge und Irregularitäten, die oben skizziert wurden, müssen
dabei wohl beachtet werden, können aber — ohne Begriffsverwirrung hervor-
zurufen — in den grundlegenden Periodenbezeichnungen nicht zum Aus-
druck kommen.
II.
Zwei H a u p t r i c h t u n g e n der Ornamentik
des 16. Jahrhunderts.
Die niederländische Dekoration des 16. Jahrhunderts ist nur einmal
bisher — in Grauls heute veralteter Jugendarbeit — Gegenstand eines
Darstellungsversuches gewesen. Vielleicht darf ein vorläufiger Versuch,
zwei ornamentale Richtungen zu fassen, auf das Interesse der Fachgenossen
hoffen.
An den Anfang der Periode des italienischen Einflusses oder der Re-
naissance möchten wir zwei Erscheinungen stellen: den Stecher Meister S
mit seinen vier Passionsumrahmungen und seiner Radierung mit den Toten-
köpfen und die Bilder des Lancelot Blondeel von Brügge. Beide verraten
das Bestreben, barockes, gotisches Maß -Ast- und Rankenwerk in arabeskes,
barockes Rankenwerk überzuführen.
Diese Versuche erweitern sich zu einer arabesken Richtung mit
zwei Gruppen, einer nord- und einer südniederländischen. Die nordnieder-
ländische Gruppe wird geführt von Lukas van Leyden, der an die neuen
Ornamentbildungen des Dürerkreises anknüpft, und sie bleibt im Banne
des deutschen Ornaments. Den vortrefflichen feinen Meister G I und den
Nachstecher Allaert Claes und einige Anonyme möchten wir hierhin stellen.
Aus diesem Kreise zieht die plastische nordniederländische Dekoration ihre
ersten Anregungen. Unabhängig hiervon ist eine von italienischen Ein-
flüssen befruchtete Gruppe im Süden zu beobachten, welche im Altar von
Hai und in den Audenarder Rathausschnitzereien ihre besten, stark italiani-
sierenden Arbeiten liefert.
Inzwischen scheint sich Ende der dreißiger und Anfang der vierziger
Jahre in Rom eine andere Gruppe niederländischer Meister getroffen zu
haben, welche aus dem. Studium der Loggien Rafaels und im Umgänge
mit den Stechern der Rafaelschule, besonders Agostino Veneziano und Enea
Vico, Anregungen zu einer neuen, stark barocken Ornamentik schöpft.
Vielleicht schwebte diesen Künstlern ein italianisierendes Ornament mit
Repertorium fiir Kunstwissenschaft, XXXII.
30
440
Robert Hedicke:
ausgeprägtem, niederländisch-vlamischem Nationalcharakter vor. Es waren
dies Cornelis Bos, Jacob Collyns und Cornelis Floris. Möglich — aber un-
wahrscheinlich — ist, daß auch Peter Coecke van Aelst damals Rom berührte.
Wer von diesen Meistern zuerst die neuen Gedanken gefaßt habe, läßt sich
mit Sicherheit nicht aussprechen. Vielleicht war es Cornelis Bos, der in
Rom bis zu seinem Tode (1560) blieb, und von dem die frühesten Stiche
dieser Richtung erhalten sind (1538, Kartuschenserie Anfang der vierziger
Jahre (?), Hauptmasse 1546—1554). Collyns arbeitet seit 1543 für uns
sichtbar in Utrecht und soll IÖOI gestorben sein. C. Floris scheint
um oder kurz vor 1546 nach Antwerpen zurückgekehrt zu sein und hier
P. Coecke für diese Richtung gewonnen zu haben. Doch findet sich eine
Umrahmung dieses Stils schon in Coeckes IV. Buche Serlios von 1542. Wäre
dann Floris früher zurückgekehrt? Oder hätte Coecke schon früher die An-
regung zu diesem Stiel erhalten, in Rom oder daheim durch Nachrichten
oder Zeichnungen? Das bleibt vorläufig ungewiß. Doch kann man ihm
hach einer Umrahmung nicht für Antwerpen die F.ührerrolle geben, da
überdies seine übrigen — dazu, trotz Manders Begeisterung, nicht exakt
beglaubigten — Leistungen erst um 1549 einsetzen, und er 1550 stirbt. So
werden wir vorläufig Coecke als von dem heimkehrenden C. Floris inspiriert
annehmen müssen. Das Neue dieser Gruppe ist nun die barocke G rot-
te s k e , welche die Grotteske des Rafaelkreises, besonders Venezianos,
ins Viamische übertreibt. Daran schließt sich eine Fortentwicklung des
Rollwerks, der Rollwerkkartusche und der Maske in phantastischem, ex-
tremem, barockem Geiste in Anknüpfung an gewisse gotische Barock-
erscheinungen. Bos scheint der Anreger, Floris der Hauptträger, Coecke
der Mitkämpfer zu sein. Collyns etabliert eine Filiale in Utrecht. Bos ent-
wickelt den Stil in einem reichen Stichwerk von Kartuschen, Grottesken,
Trophäen, Hermen. Floris' Werke von 1546 — 1550 sind Initialen, Gefäße,
Grottesken, Grabmäler, Masken. In der plastischen Praxis benutzt er seine
gestochenen Vorlagen selten und wird seit 1549 streng italianisierend. Coecke
wendet den Stil beim Privathaus an. Collyns überträgt ihn in die plastische
Praxis in Kamin, Grabmal, Gestühl, vielleicht auch aufs Privathaus. Seine
Grotteske ist maßvoller und mit Arabeske vermischt. Er ist, wie der spätere
Floris, auf das Allgemeingültige, Klassische gerichtet, hat jedoch mehr
Charakter als der Antwerpener Meister. Neben Terwens Gestühlsdekoration
von Dordrecht wird sein Ornament, gemäßigt, das führende in Holland.
Eine Aufnahme dieses Stils im Großen tritt nur in der Rollwerkkartusche
ein, wo Battini, Jacob Floris und Hans Vredeman de Vries, der uns immer
mehr in seinen Anfängen als Florisschüler sich erwiesen hat, mit einer
Tätigkeit einsetzen, die weithin im Buchdruck Verbreitung findet. Vredeman
ist noch eine Zeitlang Träger der grottesken Ornamentrichtung, die mit
Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte.
441
ihm verschwindet. Für Antwerpen ist das Beispiel des Cornelis Floris be-
stimmend, der seit 1549 entschieden in einer ausgedehnten Praxis in Plastik
und Architektur zu einer strengen und maßvollen, italianisierenden Orna-
mentik übergeht und in den südlichen Niederlanden die strenge Richtung
zum Siege führt. Alles übrige schließt sich diesen Führern an. Die Kriege
unterbrechen im Süden die Entwicklung, im Norden gelangt im letzten
Viertel des Jahrhunderts unter dem Einfluß Vredemans eine schwerere,
nüchterne, derbere, streng antikisierende Ornamentrichtung zur Annahme.
Die beiden Hauptrichtungen der Ornamentik, die wir hier skizzieren
wollten, möchten wir die arabeske und die grotteske Richtung
nennen. Beide sind barocke Strömungen. Die erste wird getragen von
Blondeel, Lukas van Leyden und seiner Umgebung und einigen plastischen
Schulen. Sie ist bodenständig oder von Deutschland beeinflußt und lebt
bis etwa 1540. In Holland bleibt die Arabeske bis gegen Ende des Jahrhun-
derts in der Holzschnitzkunst dauernd in Übung. Die zweite Richtung geht
von Rom aus, wird geführt von Bos, Floris, Collyns und hat ihre Blütezeit
ungefähr von 1546 — 1556. In der Folgezeit erringt die strenge Richtung
des Floris (1549 — 1575) den Sieg. In Holland gewinnt von den sechziger
Jahren an allmählich diejenige des Vredeman die Führung. Jene schafft
ein streng italianisierendes, heiter-graziöses Ornament, diese ein streng
antikisierendes, däftig-nüchternes Ornament. Beide sind strenge Renais-
sancerichtungen, während die arabeske und grotteske Richtung barocke
Strömungen waren. In der Person des Floris vereinigen sich die arabeske,
die grotteske und die strenge Richtung. Er ist zuerst barocker Ornamentist,
dann Renaissancemeister.
III.
Der holländische Barockturm und seine Vorbilder.
Man hat bisher angenommen, daß der holländische Barockturm, wie
er in Leyden, Amsterdam und Haarlem, auf vielen Rathäusern, wie Boisward,
Franeker usw., zu sehen ist, im wesentlichen eine bodenständige Schöpfung
sei und etwa von Hendrik de Keyzer oder Lieven de Key herrühre. Daß
hier nur reichere Ausbildung vorhandener Elemente vorliegt, lehrt ein Blick
in die südniederländische sog. Spätgotik und frühe Renaissance, wo alle Ele-
mente der Komposition vorhanden sind, wenn auch in unausgebildeter Form
und in gotischer Gestalt.
Die wichtigsten Elemente sind folgende: der Übergang vom vier-
eckigen zum achteckigen Turm, die Balustradengalerie mehrfach wieder-
holt, mit und ohne Obelisken auf den Ecken, auf Konsolen ruhend oder
direkt übergeleitet, ferner die offene Laterne meist mehrfach verwendet,
konkave, konvexe oder konkav -konvexe Überleitungen auf polygonalem
Grundriß, der zwiebel- oder rettigförmige Abschluß.
30'
442
Robert Hedicke:
Der Übergang vom Viereck zum Achteck findet sich z. B. in den Rat-
haustürmen von Brüssel upd Audenarde. Die Balustradengalerie mit
Maßwerkfüllung ist dem gotischen Turm, Kirchturm und Stadtturm, ver-
traut. Die Vorkragung erfolgt meist auf profilierter Leiste. Auf Ecken
und Zwischenpfeilern stehen gotische Fialen, welche dem späteren Obe-
lisken recht ähnlich sehen. Die offene Laterne, auch mehrfach übereinander,
die Überleitungen, die polygonale Bedachung, sogar die Zwiebelbildung
findet sich.
Lassen wir einige Türme an uns vorüberziehen. Der Turm von
Brüssel (1448 von Jean van Ruysbroeck nach Ysendyck ie s6rie H 9)
zeigt den Übergang vom Viereck ins Achteck, die vorgekragte Balustrade
dreimal, die Fialen auf den Eckpfeilern und drei offene Geschosse. L ö w e n s
(von Mathieu de Layens, Grundstein 1447 — Ys. H n) sechs kleine Türme
sind ganz achteckig, haben drei stark vorgekragte Maßwerkbalustraden und
zwei offene Geschosse. Am wichtigsten ist Audenarde (1525 — 1530
von Jean van Pede — Ys. H 10). Dort findet sich der Übergang vom Viereck
zum Achteck, dreimal wiederholte Maßwerkbalustrade mit Fialen 5), zwei
offene Geschosse und — zwiebelförmiger, polygonaler Abschluß, durch-
brochen, mit Rippenbildung. Füllt man diese Rippen aus, so erhält man
die spätere Form* * 6). Die Zwiebel ist also als barocke Form der Spätgotik
entstanden. Das Konkave, Konvexe und Konkav -Konvexe ist aus spät-
gotisch-barocken Maßwerkformen abgeleitet und von der Dekoration auf
die Architekturform übertragen.
Diese Zwiebelform, polygonal und ausgefüllt, findet sich im Vierungs-
turm der Kathedrale von Antwerpen (Ys. Ic sörie T 31, Hauptturm
vollendet 1518 — Stich des Verlags Plantin bei Guicciardini), wo auch die
Überleitungen sich auszubilden beginnen. Ganz deutlich ist diese Entwicklung
im Börsenturm von Antwerpen zum Abschluß gelangt (nach
Schayes IV 59 erbaut 1531 — Stich des Verlags Plantin bei Guicciardini).
Der Turm zeigt die rohesten Formen. Aus der Hausfassade wächst ein
Achteck, geht in ein Rund über, wird konkav-konvex polygonal bedacht
und erhält eine offene, auf einer Art Säulen ruhende Laterne, die in derselben
Weise gedeckt ist. Die Zwiebel darüber ist gleichsam eingeschnürt und
besteht aus einem runden polygonalen Unterteil — etwa wie ein Granat-
apfel — und einer rettigartigen Spitze. Ein kleinerer Turm daselbst hat
ein konvexes Dach erhalten. Hier in Antwerpen scheint die Geburtstätte
des neuen Typus zu liegen. Aus dem gotischen Barockturm wird der
5) Der Turm von Veere (Keldermans 1474 — Ys. H 7) hat fast schon Obelisken,
doch scheinen sie wohl später oder restauriert zu sein.
6) Konvexität und Laterne in Brügge, Just'zpalast 1523 — Ys. ie s£rie T 29.
Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte.
443
Renaissance- Barockturm, und der Börsenturm ist das erste Werk, in
welchem der Übergang vollzogen ist63).
An diesen Börsenturm und die Vorgänger der Spätgotik knüpft
Cornelis Floris an in seinem Turm des Hanseatenhauses
(1564 — 1568 — Stich bei Guicciardini). Ein einfacher viereckiger Turm erhebt
sich über der Mitte des Hauptbaus. Ganz unitalienisch-barock, aber
malerisch wirkungsvoll ist eine Ordnung auf Sockel frei herumgelegt mit
Sockel- und Krönungsbalustrade. So sind zwei Turmbalustraden erzielt,
aber die Idee, den Turm in der Mitte zu verdicken, wirkt barock. Eine
viereckige Verjüngung besteht aus einer Ordnung, die aber noch nicht
durchbrochen ist. Das Dach ist konkav-konvex quadratisch gedeckt mit
Luken, zwei Zwiebeln sind übereinander gestellt, fast kürbisförmig, mit
Zwischenstegen und recht ungeschickt, Drechslerarbeit ähnlich. Die Obelisken
findet man am Antwerpener Rathaus* * 7).
Dem Hanseatenturm schließt sich derjenige der Londoner Börse
an (erbaut von Thomas Gresham 15 66 — 1569 nach zwei Stichen des Brüsseler
Kupferstichkabinetts), welche auf den Typus der Antwerpener Börse den
Stil des Cornelis Floris anwendet. Der viereckige Turm erhält zwei vor-
kragende Balustraden ohne verbindende Ordnung, die Verjüngung Ordnung
und Nische, das Dach konvex-konkav-konvexe Form auf quadratischem
Grundriß. Die beiden Zwiebeln von Rettigform werden durch ein Flach-
polster getrennt.
Der Turm der Amsterdamer Börse (Stich Visscher von
1612 im Brüsseler Kupferstichkabinett) verrät mit Balustrade, Obelisken
und Zwiebel seine Antwerpener Abkunft. Auch das Innensystem der
Börse knüpft an Floris an.
Der Haager Rathaus turm (1565 — Ys. I* s6rie H 5) leitet
mit Balustrade, zwei offenen, konkav gedeckten Laternen und durch-
brochener Zwiebel zu der bekannten holländischen Gruppe8) über, von
der wir ausgingen.
Wir sehen also hier eine geschlossene und direkte Turmentwicklung
vor uns, die sich um den Wechsel der Formen nur wenig kümmert und
leicht von den gotischen zu italianisierenden Details übergeht: eine Barock-
entwicklung: Freiheit und Willkür bei Durchführung eines bestimmten
Gedankens in verschiedenen Stilformen.
6a) Vgl. Denkmalpflege 1909 über die Waghemakere.
7) Obeliskenverwendung am Turm in der italienischen Renaissance z. B. bei Ma-
donna di San Biagio bei Montepulciano von A. da Sangallo d. Ä.
8) Vgl. die Türme bei Ysendyck u. Ewerbeck oder bei Dehio, Kunstgesch. in Bildern
IV S. 64 f.
444
Robert Hedicke: Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte.
Man hat schon die Beobachtung gemacht, aber bisher nicht erklären
können, daß etwa zur gleichen Zeit in Schlesien ein sehr verwandter
Typus des Barockturmes im Anschluß an spätgotische Gebäude auftaucht.
Schlesien muß damals Beziehungen zu den Niederlanden gehabt haben —
die wir heute noch nicht kennen, aber vielleicht einmal erkennen werden — ,
da auch das kleine Florisepitaph in Schlesien in sehr verwandter Gestalt
auftritt (z. B. Breslau, Barbarakirche).
Falls also diese Erklärungs- und Verknüpfungsversuche sich als richtig
bewähren sollten, so wäre der holländische Barockturm aus dem südnieder-
ländischen, spätgotischen Turm hervorgegangen und hätte in Antwerpen
seine Formelemente erhalten, die sich nach England, Holland und Schlesien
etwa gleichzeitig weiter verbreiten. Für die Geschichte der Typenbildung
und Typenverbreitung, zugleich für die Art, wie Spätgotik und Renaissance,
wie 15. und 16. Jahrhundert sich im Barock verknüpfen, endlich wie
Barock entsteht und was er ist: dürfte diese Turmentwicklung ein lehr-
reicher Beitrag sein 9).
9) Soeben kommt Dammann, Der Ursprung des Haubenturms: Ztschr. f. Gesch.
der Arch. II 1909 S. 179 zu meiner Kenntnis. — Vgl. die Türme bei Mertens en Torffs,
Geschiedenis van Antwerpen IV 122 (Ansicht von 1556) und IV 495 (Huis van Aken).
Ein mittelalterlicher Kanon des menschlichen Körpers.
Unter den mannigfaltigen Fragmenten mittelalterlicher Gelehrsamkeit,
die sich in den Werken der hl. Hildegard von Bingen finden, sind die Spuren
eines Kanons des menschlichen Körpers bis jetzt gänzlich übersehen worden.
Sie sind uns in dem Buche »von den göttlichen Werken« (Liber divinorum
operum simplicis hominis, Migne, Patrologia latina, t. 197 col. 741 ff.) auf -
bewahrt, das man wohl eine mystische Kosmologie nennen könnte.
Das Weltall (der Makrokosmus), der menschliche Körper (der Mikrokosmus)
und das Leben und Weben der Menschenseele werden hier in Parallele gesetzt
und als die harmonische Verwirklichung einer großen Schöpfungsidee
aufgefaßt. Diese Anschauung führt dazu, Mikrokosmus und Makrokosmüs
zuweilen in die engste Beziehung zu bringen und gibt der geistreichen Ver-
fasserin auch Gelegenheit, von den Normalmaßen des menschlichen Körpers
zu sprechen. Hier soll nur auf die interessanten natur- und kunstwissenschaft-
lichen Lehrsätze aufmerksam gemacht werden. Zum Studium des Problems
wird man sich an den bei Migne gebotenen lateinischen Text wenden
müssen.
Der Begründer der Beuroner Kunstschule, P. Desiderius Lenz 0. S. B.,
der nach selbständigen Messungen und Berechnungen einen Kanon auf-
gestellt hat, war so gütig, sich auf meine Bitte hin über die Angaben der
rheinischen Seherin zu äußern. Bei denjenigen Maßen, die mit seinen Er-
gebnissen übereinstimmen, werde ich das besonders bemerken.
Auf folgende Stellen bei Migne a. a. 0. sei vor allem hingewiesen:
Col. 815. XVII. »Am Kopfe des Menschen sind die drei obern Ele-
mente angedeutet, nämlich von der Höhe des S c h e i t e 1 s bis zur Stirn
das leuchtende Feuer mit dem darunter liegenden schwarzen Feuer. Von
der Stirn bis zur Nasenspitze der reine Äther und von der Nase
bis zur Kehle der feuchte Äther. Und alle diese Teile befinden
sich in gleichem Abstande voneinander.
Col. 816. XVIII. »Die Ober- und Unterlippe... . am
Munde des Menschen haben gleiches Maß. Ebenso ist das Maß von
einem Ohre des Menschen zum andern Ohre — rückwärts um die
446
P. Ildefons Herwegen:
Kopfrundung gemessen — und von den O h r 1 ö c h e r n bis zu den
Schultern, sowie von den Schultern bis zum Ende der Kehle
das gleiche.«
Col. 819. XXII. »Von der obersten Höhe der Hirnschale (vasis
cerebri) bis zur untersten Linie der Stirne des Menschen ergeben sich sieben
Stellen, die gleichmäßig voneinander entfernt sind, durch welche die
sieben Planeten, die am Firmamente in gleichem Abstande voneinander
stehen, angedeutet werden.«
Col. 831. XXXIII. »Wie kein sichtbares Ding ohne Namen (d. h.
wohl ohne sein eigenes Wesen, das durch den Namen ausgedrückt wird)
ist, so auch keines ohne (sein bestimmtes) Maß. So haben auch die beiden
Augen des Menschen das gleiche Maß und die Augenhöhlen (specu-
lativa vasa) sind in ihren Kreisen gleich.«
Col. 843. LIII. »Vom Scheitel des menschlichen Hauptes bis
zum Ende d e r K e h 1 e (d. h. wohl bis zur Halsgrube), vom Ende der
K e h 1 e bis zum Nabel, vom N a b e 1 bis zum Orteder Ausschei-
dung ergibt sich das gleiche Maß.« Mit Ausschluß der letzten Angabe
stimmen diese Maßverhältnisse mit dem Beuroner Kanon überein.
Col. 844. LV. »Aber auch von beiden Schultern bis zu beiden
Ellenbogen und von beiden Ellenbogen bis zur äußersten Spitze
des Mittelfingers ergibt sich das gleiche Maß.« Diese Maße decken
sich ebenfalls mit denen des Beuroner Kanon.
»Die Hand wiederum hat von ihrem G e 1 e n k e an bis zur äußersten
Spitze des Mittelfingers dasselbe Maß, das vom Knöchel
bis zum Ende der großen Zehe besteht.
Col. 845. LVI. »Das Maß von einem Oberschenkel zum andern
hinüber beträgt ebensoviel, als vom N a b e 1 bis zur Stelle” der Aus-
leerung.« Die gleichen Proportionen weist der Beuroner Kanon auf.
Col. 869. XCII. »Von den Knien bis zum Knöchel besteht das-
selbe Maß, wie vom Orte der Ausscheidung oder vom Ober-
schenkel bis zum K n i e.« Auch diese Verhältnisse stehen mit dem
Kanon des P. Lenz im Einklang.
Die Bestimmung der Herkunft dieses von der hl. Hildegard über-
lieferten Kanonfragmentes und dessen Wertung muß ich — selbst unkundig
auf diesem Gebiete — Kennern der Geschichte des Kanons überlassen.
P. Ildefons Herwegen. O. S. B.
Literaturbericht.
Malerei.
Andreas Aubert. Die malerische Dekoration der San-
Francesco-Kirche inAssisi, ein Beitrag zurLösung
der Cimabuefrage. Mit 80 Abbildungen in Lichtdruck auf
69 Tafeln. Aus dem Norwegischen übersetzt von Cläre Greverus Mjöen.
Kunstgeschichtliche Monographien VI. Leipzig 1907. Karl W. Hiersemann.
Adolfo Venturi. La Basilica di Assisi. Illustrazione storico-
artistica con 30 zincotipie tratte da disegni di Gino Venanzi e con 6 fototipie
e 4 fotoincisioni. Roma. Casa editrice de »L’Arte« 1908.
Gibt es überhaupt eine »Cimabuefrage«? die einer Lösung harrte;
aus der ungeahnter Gewinn für die wissenschaftliche Erkenntnis entspränge;
für die demnach jeder, und sei es der kleinste Beitrag, auf Dank und Aner-
kennung zu rechnen hätte? Und worin besteht dieses Cimabueproblem ?
Wird etwa die Existenz dieses Malers überhaupt bestritten? Oder können
sich moderne Kunstkritiker nur nicht über Quantität und Qualität sowie
über die Genesis seines Oeuvre einigen? Solche Fragen stiegen mir auf,
als ich den Titel des Buches von A. Aubert las. Und eine gewisse Ent-
täuschung stellte sich dann ein, als ich an Stelle einer umfassenden Erörterung
der Quellen seines Lebens und seiner Kunst, an Stelle eines methodischen
Aufbaues seines künstlerischen Schaffens oder wenigstens des Versuches zu
einem solchen, nur eine Studie in Buchform über den ältesten Bildschmuck
und die älteste Dekoration der beiden Kirchen von San Francesco di Assisi
mit der Zuspitzung auf Cimabue und seinen wirklichen oder vermeintlichen
Anteil an diesen Fresken fand. Nun kann sich gewiß ein jeder Autor das
Thema, über welches er arbeiten will, nicht nur nicht wählen, sondern auch
bestimmen, innerhalb welcher Grenzen er es behandeln will. Ich gestehe
Aubert unbedingt die Befugnis zu, den Bildschmuck in Assisi aus der Ge-
samtentwicklung der italienischen Malerei des Ducento und aus ihm wieder
Cimabues Tätigkeit herauszuheben und kritisch zu zergliedern; nur muß
alsdann verlangt werden, zumal wenn es sich nicht um gelegentliche Auf-
sätze in Zeitschriften handelt, sondern um ein Buch, also um ein größeres
448
Literaturbericht.
planmäßig angelegtes Ganzes, daß das einmal gewählte Thema aus seinen
speziellen Voraussetzungen heraus, genetisch klar, erschöpfend und über-
zeugend, in übersichtlicher Weise und vor allem in logischem Aufbau ent-
wickelt werde. In dieser Beziehung weist aber das Buch sowohl prinzipielle
wie relative Mängel auf.
Als Cimabue in Assisi malte, hatte er bereits eine Entwicklung hinter
sich. Die Fresken in Assisi waren nicht sein erstes Werk. Geht nun Aubert
den Spuren dieses Meisters in Assisi nach, — und, um dies gleich zu sagen,
er hat dies mit Liebe und mit rührender Geduld getan — , so bedurfte es
einmal vorher einer Darlegung seines speziellen Entwicklungsganges bis zu
diesem Zeitpunkte, unter kritischer Analyse der Quellen (zu denen ich die
Werke in erster Linie rechne), über sein Leben und Tun;. und sodann einer
Untersuchung der Baugeschichte dieses ehrwürdigen Monumentes, in
welches sich Cimabues Malerei einfügt, vor allem einer möglichst gesicherten
Chronologie, die nicht nur für San Francesco, sondern in weiterer Folge
für die Malerei des Ducento in Rom und Toskana unerläßliche Vorbedingung
ist. Indem Aubert darauf verzichtet, indem er allein den malerischen
Schmuck und nur den, nicht auch die übrige, vor allem die plastische
Dekoration in Assisi, auf stilistische Unterschiede analysiert, aus ihm einen
bestimmten, anscheinend auf eine Künstlerindividualität zurückgehenden
Bestandteil heraushebt und seinen Verfasser, den »großen Unbekannten«
(w'ie A. ihn nennt), schließlich mit Cimabue identifiziert, verfährt er einmal
nicht methodisch, gibt weiter keine einwandsfreien Resultate und löst
somit die Aufgabe nicht, die er sich gestellt, so. scharfsinnig einzelne seiner
Beobachtungen sein mögen, und so sehr speziell ich geneigt bin, mich seiner
Führung anzuvertrauen.
Die Frage nach dem Wesen und Wert Cimabues und der Malerei
seiner Zeit ist eng verknüpft mit der Quellenanalyse Vasaris, im speziellen
Falle sowohl wie allgemein. Sie würde kaum bestehen, sie würde überhaupt
nicht so viele heterogene Ansichten, ja einen derartigen Tiefstand negativer
Kritik gezeitigt haben, wie er in dem Verdikte Langton Douglas’ über
Cimabue entgegentritt, der Wickhoff und J. P. Richter übertrumpfend,
in der Neubearbeitung von Crowes und Cavalcaselles history of painting
in Italy a 1903, I, !93 schreibt: »that to scientific criticism Cimabue as an
artist is an unknown person«, — wenn man zeitiger begonnen hätte, die
Tradition, wie sie vornehmlich von Vasari kodifiziert worden ist, mit Hilfe
einer soliden historischen Methode in ihre gleichsam individuellen Bestand-
teile aufzulösen, das Echte und Begründete darin, den Kern von den Zu-
sätzen und Fabeleien zu lösen, wenn man untersucht hätte, wTie speziell
Vasaris Vita Cimabues, die ja doch unsere einzige schriftliche Quelle über
diesen Meister ist, zusammengekommen ist, und wenn dann erst mit der
Literaturbericht.
449
so gewonnenen historischen Grundlage eine strenge, von persönlichen Velle-
itäten möglichst freie Formenanalyse verbunden worden wäre. In efsterer
Beziehung versagt auch Auberts Werk. Quellenanalyse und historische
Kritik fehlen so gut wie ganz. Verfasser ist nur zu sehr geneigt, auf diesem
Felde allerlei, meist selbstgewählten, Autoritäten ohne Angabe der Gründe
und meist mit einem: »ich glaube, meine« usw. zu folgen. Dagegen hat
es in bezug auf die Formenanalyse — Aubert nennt das, nicht eben scharf
und philosophisch distinguierend, bald »die künstlerische«, bald »die ästhe-
tische Wertschätzung« — unleugbare Verdienste aufzuweisen.
Die Hauptschwäche dieses Buches liegt in seiner Zusammenhangs-
losigkeit; doppelt befremdlich bei einem Autor, der, wie Aubert, ständig
»einer strengeren und methodischeren Untersuchung« das Wort redet und
von der Heilskraft der, wie er meint, von ihm neu erfundenen »Methode
der zwei parallelen Linien« Wunders für Erfolge sich verspricht. Ja. Aubert
hat wohl überhaupt noch nicht systematisch zu produzieren gelernt oder
die Fähigkeit gewonnen, die einzelnen Ergebnisse seiner Forschungen und
Beobachtungen zusammenzufassen und organisch zu entwickeln; äußerst
bedauerlich bei seiner großen Begabung und seinem Fleiße. Durch diese
Eigenschaft kommt leider sein Buch auch in eine bedenkliche Nähe von
der modernen kunstgeschichtlichen Massenproduktion, die meist in unreifem
Zustande, zum Schaden der Wissenschaft, auf den Markt geworfen -wird,
und gegen die vom Standpunkte des Universitätslehrers, so undankbar
und unerfreulich diese Aufgabe sein mag, nachdrücklich protestiert werden
muß. Gewiß, Aubert hat aufs eifrigste mit dem so spröden Stoffe gerungen.
Wie Jakob um Rahel, hat er um Assisi jahrelang gedient, sich mit offen-
sichtlicher »Liebe und Begeisterung« in die monumentale Dekoration von
San Francesco vertieft, den Wechsel in der Auffassung wie Formensprache
nach Ursache und Wirkung festzustellen und die Hände zu scheiden ver-
sucht; die Ergebnisse seiner Forschung, von denen er bereits einiges früher
(a. 1899 in der Z. f. b. Kunst) veröffentlicht hat, geduldig immer von neuem
geprüft, um möglichst Gesichertes zu bringen. Ich wünschte, ich könnte
diese rühmenswerten Eigenschaften allein, so nachdrücklich wie möglich
und ohne tadelnden Beisatz hervorheben; denn ich weiß wohl, jeder, auch
noch so berechtigte . Tadel hinterläßt ein bitteres Gefühl, namentlich da,
wo ernste Arbeit vorliegt. Aber indem der Verfasser sich nicht zu einer
straffen beweiskräftigen Darlegung entschließen konnte, hat er sich selbst
teilweise um die Früchte und den Segen seiner Mühen gebracht. Man merkt
auf Schritt und Tritt das Unvermittelte und Aneinandergeleimte seiner
Ausführungen. Vielfach nimmt er die Resultate seiner Beweisführung
vorweg, packt wichtige Dinge in Noten und Exkurse, eine Folge der zu engen
Fassung seines Themas; und der Mangel an scharfer Formulierung der
450
Literaturbericht.
jeweiligen zu beweisenden Probleme, an klarer Disponierung und Redigierung
des Stoffes bewirkt ein beständiges Abspringen und Wiederanknüpfen, ein
Hin- und Herwogen in den Darlegungen sowie zahllose Weitschweifigkeiten
und Wiederholungen, die den Leser ermüden. Ich gestehe, selten soviel
Mühe gehabt zu haben wie mit der Lektüre dieser 125 Druckseiten — nur
soviel beträgt nämlich der Umfang der eigentlichen Untersuchung, die bei
strafferer Zusammenfassung leicht noch auf die Hälfte hätte reduziert
werden können; die noch folgenden 20 Seiten sind für Nachträge und Exkurse
bestimmt. Schließlich legt man das Buch mit dem Gefühle aus der Hand,
daß der Verfasser seinen Resultaten selbst nicht recht traut. »Es könnte
auch anders sein.« Wenn z. B. die Madonna Trinitä Cimabues (heute in der
Accademia zu Florenz), wie er S. 103 gesteht, der Mittelpunkt seiner
Untersuchungen seit »der ersten Stunde seiner Cimabuestudien« gewesen ist,
»als ein Leitfaden durch das Labyrinth seiner Stilanalyse« — ja wahrlich,
ein Labyrinth ist diese Stilanalyse! — so hätte er das Bild einmal genau
nach Form und Inhalt besprechen, eingehender wenigstens, als es geschehen
ist, und sodann zum Ausgangspunkt seines Thema probandum machen
müssen. So hinkt es nach. Nun aber kommt Aubert mit San Francesco
di Assisi nicht aus. Beständig muß er auf den Cimabue in Rom, Florenz
und Pisa rekurrieren und Verwandtes heranziehen. Endlich, die stilkritischen
Untersuchungen des Verfassers erscheinen doch nicht mit der Schärfe und
Akribie durchgeführt, die man gerade von ihm, seinen Ausführungen im
ersten Kapitel des Buches zufolge, erwarten sollte.
Aubert weist auf die Divergenz und Einseitigkeit in den Urteilen
über Wesen und Wert von Kunstwerken und Meistern im Laufe der Zeiten
hin. Er findet, daß der Stilkritik stets ein subjektives Element anhafte, ja
anhaften müsse, und versteigt sich zu dem etwas dunklen Ausspruche, daß die
»Kunstgeschichte als Wissenschaft von den künstlerischen Strömungen der
Zeit abhängig sei, mehr vielleicht, als die meisten bemerken«. »Die Richtungen
und Ideale, die die Kunst der Zeit leiten, prägen sich auch in ihrer Kunst -
forschung aus.« Ein falsches Axiom, dazu nicht logisch entwickelt und bis
zu Ende gedacht! Verhüte der Himmel, daß in unserer Kunstwissenschaft
sich auch noch die Sympathien und Antipathien sowie die Modetorheiten
modernen Kunstbetriebes spreizen! Das traf vielleicht für die Zeit zu,
da die Beschäftigung mit der Kunst vergangener Zeiten und Völker vor-
nehmen Dilettanten Vorbehalten zu sein schien, als es noch keine Kunst -
Wissenschaft gab, die auf Universitäten gelehrt und betrieben wurde,
als ihr Gebiet anderen Wissensdisziplinen gegenüber unabgegrenzt, ihre
Methode und ihre Hilfsmittel unausgebildet waren. Wäre Auberts Ansicht
richtig, welchen Tiefstand nähmen alsdann die moderne Kunstwissenschaft
und die ihr verwandten Disziplinen ein! Ich hätte doch gewünscht, daß
Literaturbericht.
451
Aubert einmal den Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptung unter
spezieller Applikation auf Cimabue und San Francesco di Assisi erbracht
hätte. Was haben denn der Idealismus, Naturalismus oder Verismus, die
Neoromantik oder ihr Gegenteil, der Warenhausstil, der sich auch in der
modernen Malerei und Plastik breit zu machen beginnt, die Vorliebe für
malerisch dekorative Wirkung, wie die Abwesenheit des monumentalen
Sinnes und des echten Pathos in der Gegenwartskunst usw. usw. — mit
diesen Dingen, Zeiten und Meistern zu tun? Auberts persönliche Kunst-
neigung, die vielleicht aus seinem nordischen Milieu zu erklären ist und
die Wahl seines Themas oder besser den Angriffspunkt bestimmt hat, von
dem aus er an San Francesco in seinem Buche herangegangen ist, kommt
hier nicht in Betracht oder ist genau so berechtigt, wie wenn ein anderer
Gelehrter von den Bildern der beiden Kirchen ausgeht. Hier gebührt der
Sieg dem, der die beste Methode besitzt und mit ihrer Hilfe die richtigsten
Resultate herausbringt. Wenn dann den Verfasser »die ganze Stimmung
des Gebäudes (der Unterkirche) auf die Knie zwingt«, so ist das ein Senti-
ment, das ich verstehe und achte. Welcher moderne Mensch, der noch nicht
völlig in den Bann des Alltagsutilitarismus geraten ist, sondern mit offenem,
empfänglichem Sinne für das Wirken der Heroen in der Menschheitsentwick-
lung, am Grabe des heiligen Franz, dieses edlen Apostels werktätiger christ-
licher Liebe geweilt hat, hätte sich nicht willig dem Schauer wie dem Zauber
weihevoller Andacht hingegeben, den eine große Vergangenheit gerade in
diesem Ambiente ausübt? Aber w'enn ich an die Erforschung eines, dieses
wissenschaftlichen Problemes gehe, unterlasse ich alle romantisch sentimen-
talen Kniebeugungen, stecke die schönen Gefühle in die Tasche und suche
allein den Dingen auf den Grund zu kommen, und sei es auch nur, indem
ich vorerst die Tatsachen in ihrer einfachsten und übersichtlichsten Fassung
festzustellen mich bemühe. Das ist allein Ziel der Wissenschaft, insonderheit
der Kunstgeschichte, klare Erkenntnis einer Erscheinung an sich wie im
Zusammenhänge mit anderen nach Ursache und Wirkung. Das Bemühen
eines Gelehrten muß sein, so gewissenhaft wie möglich, ich möchte fast sagen,
auf dem Grunde eines besonders lebendigen Verantwortlichkeitsgefühles,
jenes kleine unscheinbare subjektive x, das in seiner Person an das zu
erforschende Objekt herantritt, zwar nicht zu eliminieren, aber auf sein
berechtigtes Maß einzuschränken, frei von Prädilektionen, vorgefaßten
Meinungen, Stimmungen und wie all die inkommensurablen Faktoren
heißen, die die Schärfe der Beobachtungen und die Richtigkeit der Ergeb-
nisse zu gefährden geeignet sind; und da, meine ich, wird der am weitesten
kommen, der die schärfsten Augen zugleich mit dem kühlsten Kopfe besitzt.
Aubert sieht scharf, aber er sieht mir nicht eingehend genug und sieht auch
vielfach mit fremden Augen.
45 2
Literaturbericht.
Die Franziskuskirchen von Assisi sind ein einheitliches Ganzes, hervor -
gegangen zwar aus ihrem zeitlichen und lokalen Milieu, zugleich aber auch
geschaffen unter dem Enthusiasmus und von der Gefühlsmacht einer naiven
Gläubigkeit, die die Stoffe und Ausdrucksmittel der vorhandenen Kunst
sich nicht nur dienstbar zu machen, sondern für ihre speziellen Aufgaben
und Zwecke auch zu steigern, zu läutern und zu neuer fruchtbarster Ent-
wicklung weiterzuführen verstanden hat. Dieses »ästhetische« Wunder,
das am letzten Ende der Poverello von Assisi gewirkt, hat auch Aubert
scharf erkannt. Nach Art und Vorbild der Byzantiner ist, wenigstens
ursprünglich, bei der ersten Anlage die Architektur, der malerische Dekor
dieser Architektur und der sich ihr einfügende Bildschmuck unter einem
Gesichtspunkte konzipiert worden (was in der Folgezeit Unterbrechungen
und Trübungen nicht ausschloß). Das ist ein Charakteristikon gerade der
Mönchs- und der von ihr abhängigen Laienkunst, das sich weit ins Trecento
hinein in Toskana verfolgen läßt; und es wäre ein dankbares Thema, zu
untersuchen, in welchem Verhältnisse die spätere du- und trecentistische
Kirchendekoration zu der älteren in Italien (San Marco, sizilianische Monu-
mente, Baptisterien u$w.) wie im Oriente (besonders in Byzanz) steht.
Daher ist es nur zu loben, wenn Aubert sich vornimmt, die architektonische
Dekoration,, wie er sagt, das monumental Dekorative neben den bildlichen
Darstellungen zu zergliedern. Das ist seine »Methode der beiden parallelen
Linien«. Lasse sich, wie er ausführt, in beiden Linien ein Stilwandel zu
gleicher Zeit nachweisen, so bestehe die Möglichkeit, die Absätze wie die
Verbindungen in dem malerischen Schmucke nicht nur an sich, sondern
auch in ihrer chronologischen Reihenfolge zu präzisieren. So glaube ich
wenigstens Auberts Absicht und Gedankengang (S. 16 f.) verstehen zu dürfen.
Gegen diesen Schluß ist a priori auch nichts einzuwenden. Wie aber, wenn
in praxi sich die Sache anders stellt? Wenn Dekorations- und Fresken-
malerei nicht unter einen Hut zu bringen, zu »parallelisieren« sind? Er
deutet ja selbst die Möglichkeit an (S. 14), daß der »monumentale Geist« —
eine inkommensurable Größe. — und der dekorative Sinn zu einer Zeit
hoch stehen können, die große Formenkunst aber über »kindliches Tasten«
noch nicht hinausgekommen sei. Und den Nachweis der parallelen Ent-
wicklung in Assisi bleibt er schuldig. Gewiß hat Aubert das Verdienst,
zwar nicht zum ersten Male, aber doch nachdrücklicher, als es bisher aus
Mangel an Abbildungen — ‘denn wer kann und mag sich monatelang in
dieses Nest hinsetzen — geschehen ist, die Dekoration in beiden Kirchen
beobachtet zu haben. Diesem Vorgehen verdankt er z. B. das hübsche
Resultat, daß das Eingangsjoch in der Unterkirche ein späterer Zusatz,
eine Erweiterung der ursprünglichen Anlage ist. Das ist nun auch nichts
Neues. Schon andere vor ihm (z. B. Papini) haben dies beobachtet. Aber
Literaturbericht.
453
Aubert hat dies doch besser begründet, ohne freilich wieder die daraus
sich ergebenden Konsequenzen in bautechnischer und bauhistorischer
Hinsicht zu verfolgen, die allerdings eine durchgreifende Umdisponierung
seiner Arbeit bedingt hätten. Nun aber ist die Art, wie er das tut, für seine
Arbeitsweise charakteristisch: Er führt seine Beobachtung im Texte (S. 22 f.)
an, hebt »die vielen dunklen Fragen in der Geschichte des Bauwerkes«
dabei hervor (ohne ihre Präzisierung oder gar Lösung zu versuchen) und
setzt endlich in die Anmerkung die Hauptsache, nämlich, daß auch aus der
Beschaffenheit des Mauerwerkes die »spätere Erweiterung des Bauplanes«
sich ergebe. Dazu noch das Datum dieses glücklichen Fundes: ,, Assisi
20. Mai 1899“. Also Aubert hat sich nicht entschließen können, innerhalb
der sechs Jahre bis zur Beendigung seines Buches (dessen Schlußwort trägt
das Datum 3. Juli 1905) diesen Passus in seine Darstellung hineinzuarbeiten
und auszuführen. Ich bedaure diese geringe Rücksichtnahme auf den Leser
und wundere mich nur, daß die ernsten Forscher, denen Aubert sein Manu-
skript vor der Drucklegung zur Lektüre vorgelegt hat, W. von Seydlitz
und A. Goldschmidt, von denen der erstere dem Buche auch noch eine
empfehlende Besprechung in einer Zeitschrift zum Geleite mitgegeben hat,
ihn nicht auf das in litteris Unzulässige und Unwissenschaftliche derartigen
Verfahrens aufmerksam gemacht zu haben; Weiter aber: So verdienstlich
die Betrachtung der malerischen Dekoration ist, so vermisse ich doch wieder
eine detaillierte Analyse desselben, z. B. eine Ableitung ihrer Motive. Und
endlich: Aubert verspricht, die »Methode der beiden parallelen Linien«
anzuwenden, verliert jedoch im Laufe der Arbeit diesen Gesichtspunkt
fast aus den Augen. Der Bildschmuck kommt zu kurz. Hier hätte die
Mühe nicht gescheut werden dürfen, Bild für Bild nach Komposition,
Formenbehandlung, Ausdruck, Technik usw. eingehend zu analysieren.
So unfertig das Buch nach Anlage und Darstellung ist, so möchte
ich zum Schluß doch wieder seine guten Seiten hervorheben. Die Fülle
richtiger und anregender Bemerkungen, die es bietet, trägt doch wesentlich
dazu bei, Cimabues Kunst und Persönlichkeit näher zu rücken. Der Nach-
weis, Wickhoff gegenüber, daß Cimabue in Assisi gemalt habe, und zwar
aller Wahrscheinlichkeit nach im Chore und Querschiffe der Oberkirche wie
auch die Madonna in Trono im rechten Querarme der unteren, ist ihm
gelungen, und Aussprüche wie der obenerwähnte Langton-Douglas’ gehören
nunmehr als kunsthistorische Kuriosa der Vergangenheit an. Auberts
Resultate, nicht zum mindesten durch vorsichtige Kritik der Ansichten
anderer Forscher wie Thodes, Strzygowskis, Suidas usw. erreicht, bilden
Ausgangspunkt wie Grundlage für das weitere Studium der Assisaner
Malereien. Seine Auffassung stimmt im großen und ganzen mit der überein,
die ich mir vor mehr als 25 Jahren vor den Fresken gebildet habe, und zwar
454
Literatuibericht.
bevor die unglückselige »Restauration« der Oberkirche unter Cavalcaselles
Oberaufsicht ihr Aussehen, ihre Formen und Farben von Grund aus verändert
hat. In der Bewertung des einzelnen, in der Ausscheidung und Bestimmung
der Flände weiche ich allerdings von Aubert ab. Worin diese Unterschiede
bestehen, kann ich hier aber nicht auseinandersetzen. Ich verweise vielmehr
in der Beziehung auf die Kommentare zu den Vite Cimabues wie Arnolfos
in meiner neuen Vasari- Ausgabe Band I und bekenne mit Dank, daß mir
Auberts Buch zur Präzisierung meiner Ausführungen von Nutzen gewesen
ist, wenn auch meist in negativer Weise. Da ich des Norwegischen nicht
mächtig bin, vermag ich über den Wert der deutschen Übersetzung nicht
zu urteilen. Dem Anscheine nach liegt eine recht gelungene Übertragung
vor. Vorzüglich ist auch die Ausstattung des Werkes. Das bezieht sich
nicht nur auf Äußerlichkeiten wie Druck und Format, sondern vornehm-
lich auf das reiche Bildmaterial in Lichtdrucken (69 Tafeln), das in dankens-
wertester Weise die Nachprüfung gestattet und in seiner Auswahl von der
Sorgfalt und dem Verständnisse des Verfassers wie des Verlegers das
beste Zeugnis ablegt.
Hat sich Aubert den malerischen Schmuck von San Francesco di
Assisi zum Gegenstand der Forschung genommen, so behandelt das Büchlein
A. Venturis die ganze Basilika des Heiligen. Ausgehend von der Lebens -
geschichte des hl. Franz, die in ihren Hauptzügen, soweit sie für das Ver-
ständnis des Monumentes in Betracht kommt, und nach den besten Quellen
erzählt wird, schildert es in großen Zügen die Baugeschichte der beiden
Kirchen, ihre allmähliche Ausschmückung von den ältesten Fresken der
Unterkirche bis zu Giotto und seinen Nachfolgern, um mit einer Beschreibung
zu schließen, die eine Reihe stilistischer Hinweise und Winke enthält. Das
Schriftchen erscheint als .ein Vademekum für den Gläubigen wie Kunst -
befliessenen, der nach Assisi pilgert. Es verfolgt populäre Zwecke und gibt
sich als einen kurzgefaßten, stellenweise getreuen Auszug aus der großen
monumentalen Storia dell* Arte Italiana des Verfassers Bd. IV und V,
als eine Relation über seine Forschungen und Ansichten, die aber nicht
immer allgemeinen Beifall finden dürften. So möchte, um nur eines hervor-
zuheben, Venturis »Entdeckung«, daß Fra Giovanni da Parma der Erbauer
der Oberkirche gewesen sei, auf Widerspruch stoßen. Auch Fra Filippo
da Campello kommt als Architekt nicht in Betracht (vgl. über die Bau-
meister dieser Kirche meinen Vasari I Beilage 3 E). Das Büchlein weist
die Vorzüge und Schwächen des gelehrten und unermüdlich tätigen Ver-
fassers auf, seine außerordentliche Materialkenntnis, eine Folge seiner
beständigen, jahrzehntelangen Beschäftigung mit den Monumenten Italiens
zum Teil in leitender Stellung, aber auch die unzulängliche Kraft zu dis-
ponieren, übersichtlich zu erzählen, scharf zu analysieren und die leitenden
Literaturbericht.
455
Gesichtspunkte hervorzuheben. Die Orientierung ist nicht immer leicht.
Wer Assisi nicht schon kennt, wird sich mit diesem Führer, wie ich fürchte,
auch nicht zurechtfinden. Und der Kunstgelehrte wird sich mit dem monu-
mentalen Werke Venturis in erster Linie auseinandersetzen, so wenig in
diesem die Architektur berücksichtigt ist. Eine Reihe kurzer Anmerkungen
enthält die wesentlichen Literaturangaben und auch Hinweise auf die
Ansichten anderer, namentlich deutscher Kunstgelehrter. Einige Abbil-
dungen und Pläne erleichtern die Benutzbarkeit des Buches.
Karl Frey.
Die italienische Malerei des 15.— 18. Jahrhunderts. Jahresbericht 19061).
VI. Florenz.
170. A. von Beckerath, Kritische Bemerkungen
über die in dem Werke von B. Berenson »The dra-
wings of the Florentine painters« reproduzierten
Zeichnungen. Repertorium XXIX, S. I.
171. O. H. Giglioli, Empoli artistica (La Toscana
i 1 1 u s t r a t a II). Florenz. Notizen über Rossello Franchi, Bicci di
Lorenzo (Teile eines Triptychons 1423) , Lorenzo Monaco, P. Francesco
Fiorentino, Botticini (Dokumente); Jacopo da Empoli, Cigoli, Vannini.
In der Umgebung Hauptbild des Sogliani in Madonna a Ripa; Bilder Pon-
tormos in Pontormo. Reiche Bibliographie und Dokumente.
172. I nuovi dipinti nel Museo di San Marc o.
Arte e Storia XXV, S. 158. Bilder von Fra Paolino, Michele di
Ridolfo, Bugiardini, Jacopo da Empoli, Sogliano u. a., aus den Depots.
Ebendort S. 174: über Bilder des 14. und 15. Jahrhunderts: Lorenzo
Monaco, Neri di Bicci etc.
173. C. Gamba, Di alcune pitture poco cono-
sciute della Toscana. Rivista d’arte IV, S. 45- Madonna
und Heilige von Matteo di Giovanni, Montepascoli; Grablegung von Rosso,
Borgo S. Sepolcro, S. Lorenzo; Bilder von Sogliani und Puligo in der Colle-
giata von Anghiari. Vgl. Arte e Storia XXV, S. 141.
174. A. Groner, Zur Entstehungsgeschichte der
sixtinischen Wandfresken. Zeitschr. f. christliche
Kunst XIX, S. 165, 192 u. 229. Interpretation der Urkunden von
1481/2 [unhaltbar]: die vier Maler hätten sich zu den acht Historien
verpflichtet und hatten am 17. Januar 1482 vier, also die Hälfte, fertig.
Der Untergang Pharaos als Ganzes von Ghirlandajo, mit Beihilfe des
Piero di Cosimo.
*) Mit Ausschluß der Lombardei und Piemonts.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
31
45 6
Literatürbericht.
175. C. Gamba, Un altro quadro di Rossel Io di
Jacopo Franchi. Rassegna d’ arte VI, S. 144. Signiertes
Bild von 1439, früher Toscaneili, dann Ch. F. Murray. Es ist der von Sir6n
»Compagno di Bicci« getaufte Meister.
176. H. P. Hör ne, Giovanni dal Ponte. Burl.
Magazine IX, Nr. 41, August, S. 332. Verzeichnis der Denunzie
1427 — 1433) zusammen mit Smeraldo. Chronolog. Übersicht über sein
Leben.
177. C. Gamba, Ancora di Giovanni dal Ponte.
Rivista d’ arte IV, S. 163. Nachträge zu dem früher aufgestellten
Katalog. Dazu H. Horne: Appendice di documenti su Gio. d. Ponte.
178. Un antico affresco all' Istituto di Belle
Arti. Arte e Storia XXV, S. 1 59- Fragmente eines Abendmahls,
vielleicht von Stefano d'Antonio Vanni, der viel im alten Hospital von
S. Matteo (jetzt Akademie) gemalt hat.
179. Firenze. Una scoperta artistica. Rassegna
d’arte VI, S e p t ember, 1. Umschlagseite. Fresko in
S. Maria in Campo, 15. Jahrhundert, vielleicht Fra Filippo oder Sellajo.
Vgl. Arte e Storia XXV, S. 126: mittelmäßiges Werk.
180. O. H. Giglioli, La cappella di S. Fredia.no
nella chiesa di S. Felicitä e la tavola d'altare di
Bicci di Lorenz o. Illustratore fiorentino f. 1906,
S. 147. Zahlung 1442 an den Maler für Altarbild und Malereien, aus dem
Ausgabenbuch des Donato Barbadori.
181. (G. Carocci), Un dipinto di Neri di Bicci
nella Chiesa di S. Verano ä Piccioli (Pisa). Eben-
dort S. 31. Noch dort; nach dem Tagebuch des Malers 1464 abgeliefert.
Ebendort S. 63: Neri di Bicci besaß Häuser am Canto alla Cuculia;
Bild und Reliquiar von ihm, früher in S. Monaca, verloren.
182. V. Leonardi, La tavola della Madonna della
Neve nel Museo Nazionale di Napoli. Siena. Nozze
Bindi - Sergardi=Bonci-Casuccini. Darlegung der Streit-
frage. K. Sigismund ist nicht auf dem Bilde; ob der Papst Martin V.
oder Eugen IV., nicht zu sagen. Das Bild kam 1760 als Fra Angelico
nach Neapel. Martin V. wohnte oft in S. Maria Maggiore, wo die Familie
Colonna vier Altäre hatte, einer der Madonna della Neve geweiht. Das
Bild muß in S. Maria Maggiore gemalt sein; die Landschaft gibt den
Blick vom Campanile nach Südost wieder (vorn Porta Asinaria), wo die
Colonna ihren Besitz hatten. Das Typische in den Figuren, wie in den
Fresken der Katharinenkapelle. Da schon kurz nach 1422 in Riofreddo
bei Rom Fresken in der Art Masolinos von einem Lokalmaler für die
Literaturbericht.
457
Colonnesen gemalt werden, schließt L., daß das Bild um 1422 entstanden ist.
Dessen Schwächen weisen auf Masolino.
183. W. Sufda, L' Altäre di Masaccio giä nel Car-
mineäPisa. L’Arte IX, S. 125. Nachweis der das Ganze bekrönen-
den Tafel in der Galerie in Neapel. Versuch einer Rekonstruktion des
Altarwerks.
184. H. Cochin, Le bienheureux Fra Gio. Angelico
da Fiesoie. Paris.
185. H. Wingenroth, Fra Angelico. Künstler-
monographien LXXXV.
186. G. Sortais, Le maitreet 1' 6 1 & v e. Paris (Fra
Angelico e Gozzoli).
187. G. P(oggi), Di due tavole di Fra Filippo
Lippi nella raccolta Cook di R i c h m o n d. Rivista
d’ a r t e IV, S. 39. Hl. Bernhard und Michael, Stücke des Triptychons
für König Alfons von Neapel, 1457.
188. Unquadro ignorato di Fra Filippo. Mar-
z o c c o XI, Nr. 43, 28. 0 k t o b e r. Madonna,- aus Castel Pucci ins Hospital
von S. Bonifazio, dann nach S. Salvi. Vgl. Kunstchronik XVIII, No. 5,
Sp. 77 und No. 8, Sp. 113*
189. Cassone fronts in American collect io ns II.
Pesellinos six triumphs of Petrarca. Burl. Maga-
zine X, No. 43, Oktober, S. 57 u. 131. Geschichte der Bilder, jetzt
Mrs. Gardner, Boston. Einfluß von Fra Angelico und Üccello.
190. A. Chiappelli, Per Andrea del Ca-stagno.
Marzocco XI, No. 19, 13. Mai. Referat über Hornes Artikel (Burl.
Mag. 1905) ; vgl. G. Poggi, Del luogo di nascitä di Andrea
d. Castagno, ebendort Nr. 23, IO.- Juni. NachweiSj daß er
aus S. Martino al Castagno, am Abhang der Falterona, stammt; der Vater
Bartolo di Simone (Dokumente) war Waldhüter.
191. G. Poggi, Degli affreschi di Andrea del
Castagno nella cappella di S. Giuliano della
SS. Annunziata. Rivista d'arte IV, S- 24. Erstmalige Re-
produktion des Freskos; Dokumente.
192. L. Testi, Note d’arte. Arch. storico ital.
V. s e r i e , t. 37, S. 365. Beachtenswerte Kritik von Giglioli, Emporium,
Februar 1905.
193. E. Jacobsen, Fresken von Castagno und
seiner Schule in Florenz. Reper t o r i u m XXIX, S. 101.
Hl. Hieronymus in S. Miniato; Fresken im Vorhof der Annunziata [sic !].
194. E. Londi, La data della nascita di Al. Bal-
31
458
Literaturbericht.
dovinetti. Rivista d'arte IV, S. 191. Milanesis Angabe —
14. Oktober 1427 — auf Grund der Denunzia des Vaters von 1430 und der
Angabe des Franc. Baldovinetti auf 1425 zu berichtigen.
195. 0. H. Giglioli, La cappella del Cardinale di
Portogallo nella chiesa di S. Miniato al Monte e le
pitture di Al. Baldovinetti. -Ebendort S. 89. Die Fresken
an der Decke und die Verkündigung 1466.
196. Ch. Diehl, Les maitres d' a r t. Botticelli.
Paris.
197. E. Gebhart, Botticelli et son £ p o q u e. Paris.
198. D. von Hadeln, Botticellis heil. Sebastian
aus S. Maria Maggiore zu Florenz. Jahrb. d. preuß.
Kunstsamml. 27, S. 282. Nachweis, daß das Berliner Bild aus S. Maria
Maggiore stammt; die Pietä, die ebendort war, sei das Bild im Museo Poldi
Pezzoli.
199. F. J. M(ather), Botticellis Lucretia. W. Ran-
kin, The later work of Botticelli. Burl. Magazine
IX, No. 40, Juli, S. 291. Die Lucretia, früher Ld. Ashburnham, sei
kurz vor 1500 entstanden.
200. W. Bode, Eine Verkündigung Botticellis
in der Sammlung Huldschinsky in Berlin. Jahrb.
d. preuß. Kunstsamml. 27, S. 245. Stammt aus der Galerie
Barberini.
201. F. Wickhoff, Die Hochzeitsbilder S. Botti-
cellis. Ebendort S. 198. Die Primavera stelle die Vision des Fulgen-
tius von der Hochzeit des Dichters mit der Satire dar.
202. F. Laban, Ein Bildnis Botticellis. Zeitschr.
f. b i 1 d. Kunst N. F. XVII, S. 213. Jetzt bei Ed. Simon, Berlin.
Zuerst nachweisbar 1822, Sammlung von Lassalle, München; dann Galerie
Leuchtenberg. Nach L. Jugendwerk Vor 1480; Beziehungen zum Berliner
Sebastian.
203. Zu Botticelli vgl. Rassegna d’arte VI, S. in:
Madonna mit zwei Engeln bei Miethke in Wien (aus Rom).
204. M. Cruttwell, Un disegno del Verrocchio
per la Fede nella Mercatanzia di Firenze. Ebendort
S. 8. Der Entwurf Verrocchios, der 1469 refüsiert wurde, ist in einer Zeich-
nung der Uffizien erhalten.
205. F. Malaguzzi • Valeri, Torino — Un quadro
di scuola fiorentina del Rinascimento. Ebendort
S. 158. Anbetung in S. Tecla in Torno (Comersee); aus der Schule
Verrocchios.
Literaturbericht.
459
206. E. Kühnei, Francesco Botticini. Straßburg.
207. J. Mesnil, Encore le Tobie et les Archanges
de l'Acad^mie des Beaux-Arts. Rivista d’arte IV,
S. 13. Kritik der Botticini-Theorie. Das aus der Badia stammende Bild
in der Akademie sei für die Familie Doni 1480 gemalt. Aus stilkritischen
Gründen gehöre das Bild dem Verrocchio.
208. F. J. M(ather), The New Haven Pollajuolo.
Burl. Magazine VIII, No. 36, März, S. 440. Herkules und Nessus.
Vgl. ebendort IX Nr. 37, April, S. 52; nach Cassone der Samm-
lung Cook müsse das Bild vor 1467 datiert werden, ebenso der Herkules
mit Hydra (Cook). Ferner ebendort S. 63: Zusammenhang von
Dürers Herkules in Nürnberg mit Pollajuolo (B. Howland).
209. A. V(enturi), II paliotto di Sisto IV. n e 1 1 a
basilica d’ Assisi disegnato da Ant. Pollajuolo.
L' A r t e IX, S. 218. Mittelstück, das den Papst vor Franz knieend dar-
stellt, sei von P. entworfen.
210. A picture by Piero Pollajuolo. The C 0 n -
n o i s s e u r XVI, Nr. 64, S. 263. Weibliches Profilporträt, Sammlung
Hainauer, bei Duveen (farbig reprod.).
2 1 1 . J. Mesnil, Portata al Catasto del padre e
delT avo del Ghirlandajo. Riv. d'arte IV, S. 64. 145 1
bis 1480; Angaben über die drei Brüder (wichtig für Benedetto).
212. G. Poggi, I ristauri agli affreschi del Ghir-
landajo. Marzocco XI, Nr. 51, 23. D e z e m b e r. Angaben
über frühere Restaurationen; Notwendigkeit der Reinigung.
213. G. Gronau, Eine deutsche Kopie nach Dom.
Ghirlandajo im Münchener Nationalmuseum. Mün-
chener Jahrbuch d. bild. Kunst I, S. 109. Porträts von
vier Philosophen, kopiert aus dem Fresko in S. Maria Novella.
214. H. Egger, Codex Escurialensis. Ein Skizzen-
buch aus der Werkstatt Ghirlandajo s. Wien. Schlüssiger
Nachweis, daß die Zeichnungen des berühmten Kodex zu Werken Ghir-
landajos in engem Zusammenhang stehen und im gleichen Stil gezeichnet
sind, wie er ihn anwandte.
215. U. Dorini, La casa di Mino e i disegni
murali in essa recentemente scoperti. Rivista
d' a r t e IV, S. 48. Interessante Kohlenzeichnungen in einem Haus der
Via Pietrapiana, das Mino 1464 kaufte, seit 1480 bewohnte.
216. 0. H. Giglioli, L' antica cappella Nenti nella
chiesa di S. Lucia dei Magnoli a Firenze e le sue
pitture. Ebendort S. 184. Mittelbild von P. Lorenzetti, zwei Tafeln
460
Literaturbericht.
der Verkündigung von Sellajo (Dokument von 1473), der Filippo di Giuliano
als Mitarbeiter hat.
217. Di alcuni quadri sconosciuti di Pier Fran-
cesco Fiorentino. Ebendort S. 136. Bilder der Galerie in
Gubbio und Collegiata in Sinalunga (beide irrig Neri di Bicci zugeschrieben),
Anbetung des Kindes in Dijon, Altarbild in Empoli, Bilder in Cambridge,
Fogg Museum und Florenz, Privatbesitz.
218. P. Bacci, I pittori fiorentini Donnino e
Agnolo di Donnino a Pistoja. Ebendort S. I. Donnino
geb. 1460; Daten über seine Tätigkeit. 1496/7 malt er mit seinem Bruder
Fresken im Palast der Opera di S. Jacopo. Diese und andere Arbeiten
zugrunde gegangen; erhalten die Fresken der Kuppel von S. Chiara, 1499
(unter der Tünche).
219. M. Bori, »L'Annunziazione« di Piero del
Donzello inuna cappella Frese obaldi nella chiesa
di S. Spirit o. Ebendort S. 1 17. Zahlungen dafür 1498/9 [wichtig,
weil Nachwerk eines sicheren Werkes].
220. E. Bertaux et G. Birot, Le Missei de Thomas
James, EvSque de Dol. Revue de l'art ancien et
moderne XX, S. 129. Das Manuskript, 1483/4 entstanden, wurde um
1847 verkauft und kam an den Erzbischof von Lyon; bei dessen Tod 1869
an die Kathedrale dort. Signiert und datiert 1483. Fünf Blätter fehlen.
Von Attavante selbst Frontispiz und Anfangsblatt des Kanon. Über das
Missale des M. Corvinus in Brüssel; eines der fehlenden Blätter im Mus6e
de Havre (Prachtblatt mit Kreuzigung), ganz von Attavantes Hand. Im
Rand unten die Taufe Christi von Verrocchio wiedergegeben.
221. P. Toesca, Dipinti nella Galleria Estense
di Modena e nel Museo Kircheriano di Roma. L' Arte
IX, S. 373. Verkündigung in Modena von Monte di Giovanni, Bruder des
Gherardo Miniatore, und über Codices der Brüder. Ein Triptychon des
Museo Kircheriano von einem Oberitaliener.
222. CI. Phillips, Two paintings by Filippino
Lippi. Art Journal N. S. 45, Januar, S. I. Moses schlägt
Wasser aus dem Felsen und Anbetung des goldenen Kalbes, London, bei
Sir Henry W. Samuelson. Aus Filippinos letzter Periode, 1496 — 1502 etwa.
Im Nachwort Hinweis auf Stelle b. Vasari, daß Filippino zwei Bilder an
M. Corvinus sandte, auf deren einen er ihn nach Medaille porträtierte; es muß
im September 1488 gewesen sein [eine Ähnlichkeit des betr. Kopfes mit der
Medaille des Corvinus besteht tatsächlich]. Gegen diese Identifizierung
spreche das Datum. Vgl. Kritik von Poggi, Rivista d'arte IV, S. 106: die
Bilder für Corvinus waren Madonnen.
Literaturbericht.
461
223. G. Cagnola, Intorno a due dipinti di Filip-
pino Lippi. Rassegna d'arte VI, S. 41. Gegen die Ansicht
von Phillipps, daß die Bilder für Corvinus gemalt sein könnten.
Publiziert zwei Zeichnungen, ehemals Habich in Kassel: die eine, Moses
schlägt Wasser aus dem Felsen, vielleicht Studie zu einem Bild; die
andere: Moses und Tochter Pharaos.
224. M. Lab 6, Note dolenti. Ebendort S. 61. Über
den traurigen Zustand des Altarbildes mit Sebastian und Heiligen; 1503
für Napoleone Lomellini gemalt, aus S. Teodoro in Genua 1892 in den Palazzo
Bianco gelangt.
225. J. Mesnil,NotessurFilippinoLippi. Rivisra
d' a r t e IV, S. 100. Zahlungen für die Anbetung der Könige in den Uffizien,
aus S. Donato ä Scopeto, 1496.
226. L. C. Hind, The drawings of Leonardo da
Vinci. London,
227. C. L. Hind, A note on the drawings of Leo-
nardo daVinci. The Magazine of fine arts I, Februar,
S. 260. [Abb. von acht Blättern, von denen sieben nicht von L. sind.]
228. E. Mc. Curdy, The note books of Leonardo
d. V. London.
229. Le vicende del Cenacolodi L. d. V. nel sec. XIX.
Uffizio regionale per la conversazione dei monu-
menti d. Lombardia. Mailand. Dokumentierte Darstellung
von allem, was seit der napoleonischen Zeit an für das Abendmahl getan
worden ist; besonders wichtig für die totale Restauration 1854/5.
230. G. Frizzoni, II presunto ritratto di Bea-
trice d'Este attribuito ä L. d. V. Rassegna d' arte
VI, S. 17. Gegen Beltrami: das Profilporträt der Ambrosiana stelle
Beatrice d' Este nicht dar und sei ein Werk von A. de Predis.
231. G. Frizzoni, Discussioni artistiche. Lette ra
aperta all’ amico pittore Ernesto de Li p hart di
Pietroburg 0. Marzocco XI, Nr. 40, 7. Oktober. Die Madonna
Litta habe als Prototyp die Silberstiftzeichnung in Turin, die ihr weit über-
legen ist. Morellis Attribution an Conti ist verfehlt. Über das Londoner
Exemplar der Vierge aux rochers.
232. Steinmann-Pogatscher, Daten zu den Fres-
ken Michelangelos in der Sixtina und Paolina.
Repertorium XXIX, S. 398. Enthüllung des jüngsten Gerichts
31. Oktober 1541; Besichtigung der Paolinafresken durch Paul III.
12. Juli 1545.
462
Literaturbericht.
233. B. Nogara, Restauri degli affreschi di
Michelangelo nella cappella Sistina. L’Arte IX,
S. 229. Über Restaurationen von 1565 — 1903.
234. G. Gronau, Andrea del Sarto. Magazine of
fine a r t s II, Nr. 10, August, S. 259.
235. Lo studio di Andrea d. Sarto e di Fed.
Zuccheri in Via del mandorlo. Illustratore fioren-
t i n 0 S. 58. Andrea kauft das Terrain 1520, baut das Haus an der Ecke
Via S. Sebastiano; das Studio war hinten, Via d. mandorlo. 1577 durch
Andreas Stiefsohn an F. Zuccaro.
236. Zu Sarto vgl. Kunstchronik XVII, Sp. 221: Testa-
ment des Bischofs Minerbetti 1529, dem Sarto für seine Kapelle S. Maurizio
in Fiesoie ein Bild malen soll (vgl. Sp. 501). Ebendort Sp. 396: über das
Doppelporträt im Pal. Pitti.
237. G. Gronau, Una lettera inedita di Giorgio
Vasari. Rivista d' arte IV, S. 62. Brief vom 15. August 1572
über die Fresken der Domkuppel u. a. — Brief an ihn 1574 über die Arbeiten
in Pisa.
238. C. 0. Tosi, Una correzione al Gaye. Arte e
Storia a XXV, S. 123. Brief des P. F. Riccio (Gaye II, 329); über
Porträt des Don Giovanni und Anfrage, ob die drei anderen Kinder gemalt
werden sollen. Am Rand steht: no.
239. H. Geisenheimer, Due cenacoli di Aless.
Allori. Rivista d'arte IV, S. 41 (vgl. S. 102). Im Carmine in
Florenz und in der Akademie in Bergamo, aus der Badia d' Astino, 1582;
inspiriert durch Sartos Abendmahl.
240. H. Geisenheimer, Di alcuni arazzi nel duomo
di Como su cartoni di Aless. Allori. Ebendort S. 109.
Fünf Teppiche, gewebt in der Arazzeria Medicea, 1595 — 1598.
241. M. Bori, Notizie sulla cappella Neri in
Cestello. Ebendort S. 193. Testament des Neri di Jacopo Neri
1598: das Bild soll von Passignano, die Fresken von Poccetti gemalt
werden.
242. L. von Bürkel, Gio. da San Giovanni. Mün-
chener Jahrb. d. bild. Kunst I, S. 138. Über die Fresken der
Silberkammer des Pal. Pitti.
VII. Siena und Umbrien.
243. R. L. Douglas, Burl. F. Arts Club. Exhibition
of pictures of the school of Siena. London. (Illustrierter
Katalog.)
Literaturbericht.
463
244. L. Coletti, Arte Senese. Treviso. Wesentlich
über d. Trecento, aber auch Franc, di Giorgio, Peruzzi, Matteo di Giovanni,
Pacchia usw. (vgl. die Rezension an F. M. Perkins, Rassegna d'arte VI,
Juni, 2. Umschlagseite).
245. F. Giordani, Impressioni artistiche Senesi.
Arte e Storia a. XXV, S. 129.
246. C. A. Nicolosi, Opere d'arte Senese nella
Galleria di Bergamo. Rass. d'arte Senese II, S. 87.
Über Werke von Matteo di Giovanni, Neroccio, Sodoma und Taddeo di
Bartolo.
247. G. Cagnola, Una g i t a ä Grosset o. Rass. d'arte
VI, S. 109. Dom: Glasfenster von Girol. di Benvenuto, Bilder von Matteo
di Giovanni, Sassetta, Pacchiarotto. Municipio: Madonna von Girol. di
Benvenuto. In Montepascoli großes Altarbild von Matteo di Giovanni.
248. Pienza. Due tavole d'autore nella catte-
drale. Ebendort April, 1. Umschlagseite. Bilder von
Vecchietta und Bartolo di Mo. Fredi aus d. Chiesa dello Spedaletto.
249. V. Lusini, Siena. Di alcuni affreschi che
ritornano in luce. Rass. d'arte Senese II, S. 93. Über
Freskenreste, wahrscheinlich von Niccolo di Naldi 1410.
250. M. Logan-Berenson, A picture by Taddeo
di Bartolo in the M u s 6 e Crozatier at Le Puy. Rev.
arch^ologique IV s., t. VII, S. 236. Madonna. Über seine Arbeiten
in Siena, Volterra, Badia di Isola und in Frankreich (Louvre, Grenoble-
Triptychon von 1390 — , in Nantes und Aurillac).
251. F. Hermanin, Un trittico di Sano di Pietro
a Bolsena. Rass. d’arte Senese II, S. 47. Madonna mit vier
Heiligen, Predella in der Sakristei von einem Schüler, vermutlich aus S. Giorgio
in Bolsena. Hinweis auf Bilder in Acquapendente, Viterbo und Tivoli.
252. F. B. P. Monteriggioni-Uopini. Ebendort
S. 98. Fragment eines Triptychons, gute Arbeit von Sano di Pietro, in
S. Marcellino.
253. F. Mason Perkins, Su certi quadri scono-
sciuti di Neroccio. Ebendort S. 83. Bilder bei B. Berenson,
G. Cagnola, Dr. Nevin in Rom (2) und Sammlung Noseda.
254. F. Mason Perkins, Alcuni Sassetta inediti.
Rass. d’arte VI, S. 31. Vier Bilder im Museo Cristiano d. Vatikans.
255. G. Cagnola, Un dipinto inedito del Sassetta.
Ebendort S. 63. Diptychon der Sammlung Trivulzio in Mailand, mit
Geburt der Maria, verwandt dem Bild in Asciano.
464
Literaturbericht.
256. Th. von Friramel, ZurFarbendrucktafel nach
dem altitalienische p Bilde der Sammlung Figdor.
Blätter f. Gemäldekunde III, 4, S. 64. Vision des hl. Gregor,
sienesisch um 1400, nach Douglas Gio. di Paolo [ja; als Bild kaum vor 1450].
257.. Zu Gio. di Paolo vgl. Burl. Magazine IX, No. 3 7,
April, S. 67. Zwei Heilige im Metropol. Museum, New York.
258. F. Mason Perkins, Un dipinto dimenticato
del Vecchietta. Rass. d’ arteSenese II, S. 52. Hl. Ansanus,
Fresko, in S. Ansano in Castelvecchio, in seiner ersten Manier.
259. L. Olcott, Una »annunciazione« di Ben •
venuto di Giovanni. Rass. d'arte VI, S. 73. In S. Bernardino
in Sinalunga; über andere Arbeiten des Meisters.
260. R. H. Hobart Cust, G. A. Bazzi, hitherto called
» i 1 Soddoma«. London.
261. G. Carocci, II pavimento del Duomo di
Siena. Arte ital. decorativa e industriale XV, S. 7
und 18. Über die Stücke von Beccafumi.
262. A. Liberati, Notizie artistiche 3 u 1 1’ orato-
rio della Compagnia di S. Caterina in Fontebranda.
Bulle ttino Senese di storia patria a. XIII, S. 475. Die
Malereien 1564 an G. B. Sozzini übergeben, dann Beschluß, bis zur Rück-
kehr des Riccio zu warten, der 1567 die Arbeiten übernimmt. Notiz über
A. Casolani 1593 und Vanni, der 1591 die neue Bahre übernimmt.
263. A. Cinquini, Pier della FrancescaaUrbino
e i ritratti degli Uffizi. L'Arte IX, S. 56. Gedicht des
Karmeliters Ferabö, der 1466 in Urbino war, auf das Porträt Federigos. Die
Porträts wahrscheinlich um 1465.
264. U. Tavanti, Scoperta di affreschi di Piero
d. Francesca ad Arezzo. Ebendort S. 305. Fresken aus
der Geschichte des S. Donato, in einem Raum neben S. Maria delle Grazie,
sehr zerstört, zum Teil Schülerarbeit (Lorentino) [es sind die Arbeiten
Lorentinos, die Vasari erwähnt].
265. Arezzo. — Una tavola di Fra Bartolommeo
della Gatta? Rass. d’arte VI, November, 2. Um-
schlagseite. In einer Kapelle bei S. Pier Piccolo Altarbild mit
B. Jacopo Filippo da Faenza, wohl das von Vasari erwähnte Bild, das ver-
schollen war. Vgl. L'Arte IX, S. 388.
266. G. M. Un autografo di Luca Signorelli. La
Bibliofilia a. VIII (Januar, Februar 1907), S. 383. Quittung
betreffend das Bild in Foiano, vom 14. Juli 1523 (Gaye II, t. II, aut. 50).
Die Schrift verrät die Unsicherheit der Hand.
Literaturbericht.
465
267. L. D i n i , Due quadri di Giovanmaria T o 1 0 -
sani. Miscellanea storica d. Valdelsa a. XIV, S. .33$
Pietä mit Heiligen in der Kirche von Campiglia bei Colle, 1536 aufgetragen,
und Fresko im Oratorio de' Taviani bei Colle, aufgetragen 1537 (Doku-
mente).
268. G. Bernardini, Le Gallerie comunali dell'
Umbria. Bollettinoufficiale d. Ministero d. pubblica
Istruzione Nr. 29. Allgemeine Einleitung, dann über die Galerien
von Perugia, Assisi, Fabriano, San Severino, Gualdo, Gubbio, Trevi, Spoleto,
Montefalco, Cittä di Castello, Arezzo, Borgo S. Sepolcro, Terni, Orvieto,
Narni, Bettona (vgl. Augusta Perusia I, S. 154).
269. G. Sordini, Notizie sui monumenti dell’
Umbria. Bollett. d. Deputazione di storia patria
per 1’ Umbria XII, S. 529. Restaurationen in Kirchen von Spoleto,
Aufdeckung von Fresken in S. Gregorio Maggiore und S. Salvatore.
270. A. Beliucci, II Castello di Coldimancia.
Augusta Perusia I, S. 106. Darin über Fresko in der Kapelle im
Pal. del Podesta, wahrscheinlich von Mezzastris; Freskenreste in der Madonna
del latte, von einem Antonellus i486.
271. Per la tutela de’ monumenti a Montone.
Ebendort S. 29. Zustand der Fresken und Bilder in S. Francesco.
272. M. Faloci-Pulignani, Del palazzo Trinci in
Foligno. Bollett. d. R. Deput. di storia patria per
P Umbria t. XII, S. 133. Kurze Beschreibung der Fresken von Otta-
viano Nelli.
273. A. Beliucci, I quadri di Ben. Bonfigli s e -
condo un recente libro tedesco. Arte e Storia XXV,
S. 5. Anzeige der Dissertation von W. Bombe.
274. G. Cristofanti, Un’ opera ignorata di F i 0 -
renzo di Lorenz o. Augusta Perusia I, S. 40. Ziborien-
türchen bei d. Conti Salvatori in Perugia.
275. Preziosi affreschi pericolanti. Ebendort.
S. 46. Zwei Fresken in Abbazia Monte l’Abate, Fiorenzo zugeschrieben.
276. R. Schneider, Un Perugin au Mus£e de Tou-
louse. Ebendort S. 5. Linker Flügel eines Triptychons, rechter
Flügel in Lyon: aus der Sakristei der Augustiner in Perugia.
277. F. Briganti, Un autografo del Pinturicchio.
Ebendort S. 17. Ganz eigenhändiges Billet vom 13. Mai 1510 an den
Vizeprior von S. Maria del Popolo, dem er Balken des Gerüstes der Kapelle
des Kardinals Ascanio überläßt. [Wichtig zur Datierung der Fresken
im Chor.]
466
Literatubericht.
278. Zu Bernardino di Mariotto vgl. ebendort
S. 153: Altarbild in S. Francesco di Acquapendente ihm zugeschrieben.
279. G. Urbini, Eusebio da San Giorgio, eben-
dort S. 33, 49 u. 65. Zusammenstellung des dokumentarischen und Bild-
materiales. Gehülfe Pinturicchios an dem Bilde für S. Andrea in Spello.
Zeichnung im venezianischen Skizzenbuch (zwei Reiter) kommen auf der
Anbetung der Könige von Eusebio in der Mitte vor (S. 65); daher Frage,
ob er der Autor sei [die Übereinstimmung nicht vollkommen, doch wahr-
scheinlich]. Eine Tochter Pinturicchios heiratet einen Eusebio di Giovanni
da Perugia, vielleicht Versehen des Notars. Reiche Bibliographie [wichtiger
Beitrag zur Geschichte der umbrischen Malerei].
280. L. Lanzi, II Convento di S. Francesco presso
Stroncone. Ebendort S. II. Im Oratorium von S. Antonio
da Padova Madonna mit vier Heiligen, 1509, vielleicht das Meisterwerk
des Tiberio d’ Assisi; ähnliche Komposition in S. Damiano in Assisi, acht
Jahre später gemalt.
281. P. Perali, Notizie miscellanee di topo •
grafia e d’ arte. Bollett. d. Deput per l'Umbria
t. XII, S. XXXII (Fase. III). Darin über die Maler Cristoforo da Marsciano
und Eusebio da Montefiascone, die in S. Rocco in Orvieto in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts tätig waren.
282. Viterbo. Quadro d’autore trasportato nella
Pinacoteca. Rass. d’ arte VI, November, 2. Umschlag-
sei t e. Madonna mit Engeln aus S. Clemente, vielleicht von Antonio da
Viterbo.
VIII. Rom.
283. Rieti. La scoperta di un affresco nella
Cattedrale. Rass. d’arte VI, Oktober, 1. Umschlags-
sei t e. Thronende Madonna, Ende des 15. Jahrhunderts, Antoniazzo
zugeschrieben. Vgl. L'Arte IX, S. 388.
284. E. Jacobsen, Neue Werke von Antoniazzo
Romano. Repertorium XXIX, S. 104. Sebastian mit zwei
Stiftern, Rom Gal. Corsini (das Melozzo zugeschriebene Bild !) und Madonna
mit Petrus und Paulus; Kapitol. Galerie, Fresko -Madonna; Pantheon,
Madonna u. Verkündigung.
285. F. Hermanin, Le pitture della cappella d e 1 1*
Annunziata a Cori presso Roma. L’Arte IX, S. 45. Aus
verschiedenen Perioden, die besten unter Masolinos Einfluß, 1446 — 1453.
286. A. Luzio, II Palazzo del Te a Mantova. Rass.
bibliografica d. arte ital. IX, S. 137. Über Giulio Romano,
Fermo da Caravaggio und Rinaldo Mantovano.
Literaturbericht.
467
287. M. Labö, Un dipinto inedito di Perino del
Vaga. L' Arte IX, S. 3 77. Genua, S. Maria della Consolazione, Fresko
der Grablegung, zuerst erwähnt von Soprani.
288. A. Melani, Logge Vaticane. Arte ital. deco-
rativa e industriale XV, S. 13. Gute Abb. der Inschrifttafeln
d. Carte geografiche. Vgl. oben Nr. 159.
289. R. Lanciani, Pirro Ligorio pittore. Ausonia
I, S. 101. Dokument von 1542, wodurch er für den Erzbischof von Benevent
eine Loggia mit Grottesken zu bemalen übernimmt; es war der Palast von
Urbino in Via lata.
290. Zu T. Zucchero vgl. Tresors d'art en Russie
VI, Nr. 5: Porträt des Kardinals Aless. Farnese, Rötelzeichnung, Sammlung
A. Prachoff [sieht spät aus].
291. G. Natali, II Collegio Borromeo a Pavia.
Natura ed arte XV, 15. Februar, S. 393. Fresken von
Fed. Zuccaro: Carlo Borromeo von Pius IV. zum Erzbischof gemacht, datiert
1604, und von Cesare Nebbia ausOrvieto: Prozession des S. Carlo während
der Pest.
292. W. Kallab, Caravaggio. Jahrb. d. Samml.
d. AH. Kaiserhauses XXVI, S. 272. Fragment.
293. V. Saccä, Michelangelo da Caravaggio. Arch.
storico Messinese VII, S. 40. I. Die Biographen. 2. Chronolog.
Streitfragen (diskutiert nur die letzten Lebensjahre und Todesdatum).
3. Über Selbstporträts des Malers (nicht echt das Bild der Uffizien, weil zu
alt aussehend; gut beglaubigt Bild in Pest; auf Bildern in Siena und Messina.
Hier auf S. 68 Anm. die Angabe, daß in den Taufregistern von Caravaggio
— seit 1569 — kein Michelangelo Merisi vorkommt). Fortsetzung VII T
(1907), S. 41. 4. Die Kunst C.s. 5. Die Schule der »tenebrosi«. Appendix
S. 63 : Caravaggio in Messina und Dokumente. Ferner über die Bilder
von C. in Messina (die Auferweckung des Lazarus 1608/9). S. 76 Anhang:
Über ein Selbstporträt im Privatbesitz in Messina. Die Forschungen in
Porto Ercole, betreffend das Todesdatum, waren vergeblich.
294. A. Lancelloti, Villa Falconieri. Natura ed
arte XV, S. 728. Über die Fresken von Ciro Ferri und P. L. Ghezzi. Vgl.
auch Emporium 23, Januar, S. 63.
295 . F. Hermanin, Un ritratto d. Galleria nazio-
n a 1 e di Roma. U A r t e IX, S. 127. Männliches Porträt, früher
v. Dyck, dann italienische Schule des 17. Jahrhunderts, durch Vergleich
mit Porträt in Berlin Nr. 426 A als Maratta bestimmt.
296. A. Tarducci, Gaetano Lapis pittore da
C a g 1 i. C a g 1 i (nach L’ A r t e IX, S. 480). Schüler d. Seb. Conca.
4-68
Literaturbericht.
297. L. Ozzola, Lettere inedite del pittore Gas-
pare Landi. Rassegna nazionale a. XXVIII, t. 150,
1. August, S. 545. Geb. 1756 in Piacenza, Schüler des Battoni. Später
(1817) Präsident der Akademie von S. Luca. Briefe von 1783— 1788.
298. Rieti. Per salvare una pittura. Rass. d'arte
VI, Oktober, I. Umschlagseite. Jüngstes Gericht im Oratorio
di S. Pietro Martire, irrtümlich dem Jacopo Siciliano zugeschrieben. Vgl.
L'Arte IX, S. 389.
IX. Unter-Italien und Sizilien.
299. F. Niccolini, Dalla Porta Reale al Palazzo
degli Studj. Napoli nobilissima XV, S. 52. In S. Domenico
Soriano Bilder von M. Preti, F. Santafede, L. Giordano. S. 80: In der
Madonna deir Assunta: Solimena.
300. Paolo S.treusi di Napoli pittore. Rass.
bibüogr. d. arte ital. IX, S. 34. Dokument von 1508.
301. Don Fastidio, Opere d’ arte ä Solofra. Napoli
nobilissima XV, S. 127. Bild von Gian Bernardo Lama, 1598, in
S. Michele.
302. Fr. di Palma, Un arMsta dimenticato: Paolo
Gamba. Arte e Storia XXV, S. 89. Schüler des F. Solimena,
1712 — 1782. Fresken in S. Elia in Pianisi 1740, Lünetten daselbst 1746;
Arbeiten in Ripabottoni.
303. A. Perotti, Tricase. Rivista stör. Sälen •
tina III, S. 80. Beschreibung von Tricase im 17. Jahrhundert. Bilder
von G. Andrea Coppola und Donatus Antonius Orlandus.
304. G. Laneri, Di un artista Leccese poco cono-
sciuto. Ebendort S. 320. Über Cesare Calense, von dem ein Bild
in S. Maria della Rosa in Neapel. Lebensdaten unbekannt. Hier auch Geburt
Riberas in Gallipoli (prov. di Lecce) behauptet.
305. F. Nicotera, Dizionario illustrato dei Co •
muni Siciliani. Anzeige: Arch. storico Messinese
VII, S. 141. Über verschiedene Maler des 17. Jahrhunderts. In Agira,
Chiesa del Salvatore, Bild des S. Filippo, Antonello zugeschrieben.
306. G. Borghese, Novara di Sicilia e le sue opere
d' arte. Ebendort S. 223. Für die Annunciata malt Antonino Campolo
aus Messina ein Banner (1504/5; Dokument). In S. Gio. Battista: Kreuz-
tragung von Antonio Catalano aus Messina, 1598; in S. Venera Madonna
von Franc. Cardile, 1607. Zahlreiche Ausgaben für die Hauptkirche, Kunst-
werke des 17. und 18. Jahrhunderts.
Literaturbericht.
469
307. L. Venturi, La pala cTAntonello da Messina
a Palazzolo Acreide. L'Arte IX, S. 4$2. Kontrakt 1474-
Das Bild ganz unvenezianisch, so daß Antonello vorher nicht in Venedig
gewesen sein kann. Ein von Cook (L’Arte 1905, S. 130) publiziertes Bild
bei Salting nicht von Antonello, sondern spanisch.
308. G. Arenaprimo, Un quadro di Antonello
da Messina. Arch. stör. Messinese VII, S. 230. Madonna
Annunziata, Halbfigur, aus dem Nachlaß von Vinc. di Giovanni ins Museum
von Palermo gelangt, ist besser, wie das gleiche Bild in Venedig, dessen
•Inschrift spätere Zufügung ist.
309. F. Allmayer, Per un quadro di Ant.- da Messina.
Marzocco XI, No. 52, 30. Dezember. Die Madonna Annunziata
in Palermo zeigt Verwandtschaft mit Arbeiten der Antonello da Saliba.
Reste von dessen Signatur auf dem Buch der Madonna. Das Bild in Venedig
ist Kopie danach.
310. V. Saccä, Per una pretesa tavola di Ant.
da Messina. Ebendort S. 131. Das Bild, das Grosso Coccapardo
1853 im Museo von Andrea Gallo gesehen hat, in Messina bei Cav. Vincenzo
Atanasi. Das Bild stellt vier Heilige dar und ist dasselbe, das nach C. D. Gallo,
Annali di Messina, die Königin Maria, Gattin von König Alfons, dem Placido
Gio. Gallo schenkte; mit einem Privileg 1443 auf der Rückseite (dies tat-
sächlich auf dem Bild bei Cav. Atanasi). Sehr restauriert, in Öl gemalt;
scheine nicht niederländisch zu sein. Ebendort S. 133 Anm. über angeb-
liches Bild d. Antonello (später) bei Baron Gius. Arenaprimo, Porträt der
gran cameriera der Königin, ebenfalls von Gallo erwähnt.
3 1 1 . G. d i M a r z 0 , Di un quadro di Antonello in
Ragusa inferiore. La Sicile i 1 1 u s t r 6 e , 1/2, S. 6 (nach
Arch. stör. Messinese VII, S. 255). Sitzende Madonna, früher in
Messina bei Ing. Arena, jetzt bei Donna Ma. Marullo Manganello in Ragusa
Inferiore.
312. E. Brunelli, Pietro da Saliba. L'Arte IX,
S. 357. Daten 1497: Gonfalone für S. Lucia del Mela, und 1501: Bild für
Genua. Er hatte Werkstatt mit Leonoro dell’ Aquila. Zwei signierte Bilder
von »Petrus Messaneus«: Budapest, Kopie des Christus von Antonello, und
Venedig, S. Maria Formosa. Die Identität des Pietro da Messina und des
Pietro da Saliba wahrscheinlich; nicht sicher diejenige mit »Pino da Messina«
(Abkürzung von Jacopo oder Giuseppe). Zwei andere signierte Bilder des
Pietro verloren. Über verschiedene Bilder der Antonello -Schule. Dem
Pietro schreibt B. den Sebastian bei Frl. Hertz zu.
313. A. d'Amico, Cenni storici su Merk. Arch.
stör. Messinese VII, S. 263. In d. SS. Annunziata Bild von Ant.
47°
Literaturbericht.
Catalano 1603 und Bilder der Schule von Messina des 17. Jahr-
hunderts.
314. G. La Corte Cailler, L'incendio della Par-
rocchia del villaggio Gesso. Ebendort S. 235. Ab-
gebrannt 23. Dezember 1906: verbrannt ein S. Antonio 16. Jahrhundert,
Bild von Ant. Catalano. Erhalten Bilder von Onofrio Gabrielle (Notizen
über ihn, 1619 — 1706) und Gio. Tuccari (1667 — 1743).
315. B. Bontempo, Memorie patrie di Alcara di
F u s i. Palermo. Anzeige ebendort S. 242. Fresken von Guasto
aus Regalbuto (1632); Bild von Gius. Tommasi, 1667.
316. P. M. Rocca, Un’ illustrazione degli affreschi
del Duomo di Alcamo, scritto nel sec. XVIII. Arte
e Storia XXV, S. 21, 42, 58, 71, 93 u. 105. Ursprünglich dem Olivio
Sozzi aus Catania übertragen, wurde die Arbeit dann von dem Vlamen
G. Borremans ausgeführt (1736 ff.). Über Bilder von Mariano Smeriglio aus
Palermo (1606), Gasp. Balsano (1612) und andere Palermitaner Maler des
18. Jahrhunderts.
Zur Baugeschichte des Ulmer Münsters.
Von Hans Klaiber.
I.
Der dritte Münsterbaumeister.
Bereits die älteren Ulmer Forscher neigten zu der Ansicht, daß in den
ersten Anfängen des Ulmer Münsterbaues die Baumeisterfamilie der Parier
beteiligt gewesen sei. Die Auffindung eines Grabsteines mit dem bekannten
Parlerschen Meisterzeichen schien diese Ansicht zu bestätigen, und man
sprach ihn als »Gedenkstein« für die drei ersten Meister des Baues an. Der
erste, Heinrich d. Ä., der in einer Kirchenpflegrechnung von 1387 als
verstorben genannt wird, soll Heinrich Parier, der Erbauer der Hei-
ligkreuzkirche in Gmünd sein, Meister Michael sein Sohn, und der jün-
gere Meister Heinrich, der laut dieser Urkunde im Jahre 1387 zu dem
Werke bestellt worden ist, wird mit dem in Prag, Brünn und Mailand
genannten Heinrich von Gmünd identifiziert. Was die beiden ersten
Meister betrifft, so bewegen wir uns auf dem unsicheren Boden der Hypo-
these. Zwar ist es wohl möglich oder gar wahrscheinlich, daß der in dem
Anniversarbuche der Gmünder Pfarrkirche erwähnte magister Hainricus
arctitector, dessen Grabstein in der Kirche war, wirklich Heinrich Parier
der Vater des Prager Dombaumeisters, gewesen ist. Aber die Annahme,
daß er als Greis noch an den Münsterbau berufen und dann wieder in die
Heimat zurückgekehrt sei, hat wenig für sich; es ist glaubhafter, daß er dem
Gmünder Kirchenbau bis zu seinem Tode vorgestanden und in dem 1372
in Gmünd genannten Meister Johannes seinen Nachfolger gefunden habe.
Jedenfalls erhielt ein in der Gmünder Pfarrkirche beigesetzter Baumeister
keinen Grabstein im Ulmer Münster. Doch mag das auf sich beruhen; über
den ersten Münsterbaumeister läßt sich ohne weitere urkundliche Aufschlüsse
keine Sicherheit gewinnen, ebensowenig über seinen Nachfolger, Meister
Michael. Etwas besser steht es mit dem an dritter Stelle genannten Heinrich
d. J., über den sich nun tatsächlich einiges ermitteln läßt. Im Jahre 1378
wird in den Wochenrechnungen des Prager Doms ein Heinrich von Gmünd
genannt. Als markgräflicher Baumeister erscheint er 1381 am Hofe zu Brünn
unter dem Namen magister Henricus de Gemunden iapicida, 1384 wird er
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
32
472
Hans Klaiber:
wieder erwähnt; 1387 begibt er sich nach Köln mit einem vom 22. September
datierten Schreiben des Brünner Rates, worin dieser bittet, dem Steinmetzen
in seiner Geldangelegenheit behilflich zu sein, damit er so schnell als möglich
binnen kurzer Zeit nach Brünn zu seiner Herrschaft zurückkehren könne.
(Vgl. die Nachweise bei Neuwirth, Peter Parier von Gmünd.) Dieser Bau-
meister des Markgrafen von Mähren soll nun der dritte Münsterbaumeister,
Heinrich d. J., sein. Dagegen erhebt sich eine chronologische Schwierigkeit.
Die Ulmer Kirchenpflegrechnung stammt vom 17. April 1387 und bucht
bereits eine Zahlung an den nunmehr zum Werk bestellten Meister Heinrich.
Damals aber befand sich Heinrich von Gmünd noch in fester Stellung in
Brünn; soll er doch von der Kölner Reise im Spätherbst 1387 wieder »nach
Brünn und zu seiner Herrschaft« zurückkehren; er stand also damals noch
im Dienste seines Herrn und hat von den Ulmer Kirchenpflegern sicher keine
Zahlungen erhalten. Die Identifizierung der zwei Meister ist deshalb nicht
angängig. Gleichwohl läßt sich wahrscheinlich machen, daß der Ulmer
Heinrich zu der weitverzweigten Gmünder Baumeisterfamilie (oder waren
es deren verschiedene?) gehört und ein und dieselbe Person ist mit dem am
Mailänder Dombau tätigen Enrico da Gamodia. Im Jahre 1391 wünschte
man in Mailand für den Dombau einen deutschen Meister zu gewinnen.
Darum wird Hans von Fernach nach Deutschland ausgesandt, um von dort
einen Meister (quendam magistrum pro optimo inzignerio approbatum) von
Ruf mitzubringen. Gegen Schluß des Jahres trifft ein deutscher Baumeister,
Enrico da Gamodia, Heinrich von Gmünd, in Mailand ein. Am 27. November
kommt er mit einem Genossen an und nimmt seine Herberge bei Adam
Teutonicus, hospes ad hospitium spatae Mediolani. Er tritt am 12. Dezember
seine Stellung an und hat sie bis 12. Mai 1392 inne; am 16. Mai heißt er bereits
olim inzignerius fabricae. Die erste Zahlung wird für ihn am 20. Dezember
gebucht als mag. Henricho de Gamundia inzignerio fabricae; eine weitere
drei Tage später als magistro Henricho de U 1 m o inzignerio fabricae.
Da nun sein Name offenbar Heinrich von Gmünd war, so kann die Bezeich-
nung Meister Heinrich von Ulm wohl nur besagen, daß er von Ulm nach
Mailand gekommen ist. (Vgl. die urkundlichen Belege in den Jahrbüchern
der Mailänder Dombauhütte Vol. append. I, 166.) Und das stimmt sehr
gut zur Chronologie der Ulmer Münsterbaumeister. Der in der Rechnung
von 1387 erwähnte Meister Heinrich muß eben im Laufe des Jahres 1 39 1
seinen Ulmer Posten verlassen haben, den dann Ulrich von Ensingen ein-
nimmt. Es ergibt sich also mit großer Wahrscheinlichkeit, daß der Ulmer
Münsterbaumeister Heinrich d. J. zwar mit dem in Böhmen und Mähren
genannten Heinrich von Gmünd nicht identisch ist, wohl aber mit dem in
Mailand nachzuweisenden Henrichus de Gamundia. Der Grabstein im Ulmer
Münster könnte sich darum auf den dritten Baumeister nicht beziehen, da
Zur Baugeschichte des Ulmer Münsters.
473
dieser 1 39 1 den Bau verlassen hat und später nicht mehr an ihn zurück -
gekehrt ist. Die Tatsache aber, daß wir gleichzeitig zwei Meister desselben
Namens, den einen in Böhmen, den andern in Ulm und Mailand nachweisen
können, mag uns vor voreiligen Identifizierungen lediglich auf Grund des
Namens warnen.
II.
Hallensystem und Wölbungsprojekte.
Die besondere Art und Weise der mittelalterlichen Bauführung, das
ruckweise Fortschreiten, die häufigen Wechsel der Bauleitung, die lange
Dauer größerer Unternehmungen, all das bringt es mit sich, daß in der Bau-
geschichte unserer Dome und Münster dunkle Stellen sind, über die zwar
Vermutungen genug anzustellen sind, aber um so weniger Sicherheit zu er-
langen ist. Beim Ulmer Münster ist es von jeher die Frage der Wölbungs-
projekte, deren Spuren noch nachweisbar sind, gewesen, die die Forscher
beschäftigt hat. Unsere Figur zeigt dieselben im Schnitt durch die östliche
Seite des Nordschiffes. Und zwar sind die heutigen Gewölbe mit a bezeichnet.
Sie stammen erst aus dem Anfänge des 16. Jahrhunderts, von Burkhard
Engelberg, dessen Meisterzeichen samt Jahreszahl an der östlichen Abschluß -
wand zu sehen ist. Während die Engelbergschen Gewölbe das Seitenschiff
in zwei Hallen zerlegen, bemerkt man, wenn man unter das Dach steigt,
an der Ostwand des Nordschiffes, etwas tiefer liegend als die heutigen Ge-
wölbe, eine die ganze Breite der Abseite überspannende, nunmehr abge-
spitzte Schildrippe; sie trägt in unserem Querschnitt den Buchstaben c.
Auch sie ist durch Jahreszahl und Meisterzeichen mit Bestimmtheit zu da-
tieren und stellt den letzten Rest der im Jahre 1452 von Matthäus Ensinger
unternommenen Wölbung des Nordschiffes dar, von der auch noch einige
Kämpferansätze an den Pfeilern der Nordseite zeugen. Daß der von dieser
Rippe überspannte Raum einst ins Innere der Kirche einbezogen und von
dort aus sichtbar war, erhellt auch daraus, daß der Verputz sich bis zu ihrem
Scheitel erstreckt. Eine Rekonstruktion dieser Wölbung ergibt ungefähr die
Höhe der Vorhallengewölbe, die gleichfalls*von Matth. Ensinger, und zwar
im Anschluß an die Seitenschiffwölbung, erbaut wurden. (In dem Tafelwerk
von R. Pfleiderer, Das Ulmer Münster und seine Kunstdenkmale, ist in der
erläuternden Unterschrift dieses Schnittes ein Druckfehler stehen geblieben,
der die ohnehin komplizierte Frage noch mehr verwirrt und Unheil gestiftet
hat. Es sind nämlich die Buchstaben b und c verwechselt und die in ziem-
licher Höhe über den heutigen Gewölben eingezeichnete Rippe dem
Matthäus Ensinger zugeschrieben. Wie aus den Ausführungen des Textes und
aus der der Figur zugrunde liegenden Zeichnung des Münsterbauamts hervor-
geht, ist das nur ein Druckversehen; auch Pfleiderer will, entsprechend der
474
Hans Klaiber:
vom Münsterbauamt vertretenen Ansicht, tatsächlich die unter den
Engelbergschen Gewölben eingetragene Rippe dem Matthäus Ensinger zu-
weisen, und auf diese nur kann sich die beigesetzte Jahreszahl 1452 beziehen).
Nun befindet sich aber an den östlichen Abschlußwänden der Seitenschiffe
die Spur einer dritten, zum mindesten projektierten Wölbung in Gestalt
einer gleichfalls die ganze Breite der Abseite überspannenden Schildrippe —
auf der Figur die Rippe b — , deren Scheitel 2,46 m über dem der heutigen
Gewölbe liegt. Ein ebenso profilierter, steil ansteigender Schildbogen ist
an der Nordwand des Nordschiffes erhalten, während an der gegenüberliegen-
den Südwand desselben Seitenschiffes nur spärliche Überreste desselben
Profiles, und zwar in etwas tieferer Lage, festzustellen sind, beides je im
östlichsten Joche. Im südlichen Seitenschiffe ist der entsprechende Schild -
bogen an der östlichen Abschlußwand wohl erhalten, Spuren von solchen
Anm. Das Clich4, nach einer Zeichnung von Münsterwerkmeister Lorenz, wurde
mit frdl. Erlaubnis vom Verfasser und Verleger aus dem Werke von Rud. Pfleiderer,
Das Münster zu Ulm, Stuttgart, Konr. Wittwers Verlag, 1905 entnommen.
Zur Baugeschichte des Ulmer Münsters.
475
an der Südwand im ersten bis dritten und achten Joch, an der Nordwand
nur im ersten Joch je von Osten aus gerechnet. Daß diesen Schildbögen
der beiden Abschlußwände niemals wirkliche ausgeführte Gewölbe ent-
sprachen, kann für sicher gelten. Schon das Fehlen eines Mauerverputzes
spricht dafür, daß der über den Gewölben von 1452 liegende Raum niemals
im Innern sichtbar war. Ferner hätte, wenn entsprechende Gewölbe je be-
standen hätten, ihre Beseitigung durchgreifende Veränderungen im ganzen
System des Aufbaues mit sich geführt, von denen Spuren zu sehen
sein müßten *). Nun fragt sich nur, aus welcher Zeit diese unbenutz-
ten Schildrippen stammen. Nach der in dem genannten Werke von
Pfleiderer vorgetragenen Ansicht des Münsterbauamtes wären diese
Schildbogen gleichzeitig mit den Osttürmen noch unter den drei
ersten Baumeistern versetzt worden und sollen beweisen, daß die
heutige Breite der Kirche nicht erst eine Planerweiterung des Ulrich
von Ensingen, sondern von Anfang an vorgesehen war. Danach wäre das
Urprojekt eine Hallenkirche gewesen von der Breite und Länge des heutigen
Münsters und etwa 2I/a m höher, als die jetzigen Seitenschiffe gewölbt sind.
Nun hat man aber schon oft darauf hingewiesen, daß die keineswegs außer-
ordentlichen Dimensionen des Chores, des frühesten Teiles der Kirche, auch
ein in mäßigen Verhältnissen gedachtes Langhaus voraussetzten. Daß man
keine Fundamente von einem solchen kleineren Langhaus gefunden hat,
hat nichts zu sagen. Es ist sehr wohl möglich, daß man sich zunächst mit
der Grundlegung des Chores begnügt hat und die Behauptung, daß bei
jedem Bau zuerst Abmessung und Fundamentierung des Ganzen vollzogen
werde, mag zwar für heutige Verhältnisse zutreffen, aber nicht für die mittel-
alterliche Bauweise. Auch die Notiz in Fabris Chronik vom Ende des 15. Jahr-
hunderts, daß man bei der Grundsteinlegung die ganze Länge und Breite
des nachmaligen Baues abgemessen habe, will nichts bedeuten, da er von
einer zwölf Jahre nach dem Baubeginn vollzogenen Planänderung nichts
zu wissen brauchte. Der Chor ist nicht viel größer als der von Heiligkreuz
in Gmünd, und so darf man sich das Langhaus etwa in den Größenverhält-
nissen dieser Kirche vorstellen. Es mag wohl als Hallenkirche gedacht
gewesen sein, da ja dieser Typus seit den dreißiger Jahren des 14. Jahr-
hunderts im Lande eingebürgert und in Herrenberg, Gmünd und Eßlingen
an hervorragenden Werken in Erscheinung getreten war. (Wenn auf dem
Gründungsrelief, die Kirche vielleicht nur der Vereinfachung wegen, mit
einem Dach, als Hallenbau, dargestellt ist, so ist daraus allein noch kein
sicherer Schluß zu ziehen, da diese Modelle keine archäologische Treue
beanspruchen.) Aber ein Hallenbau in den angenommenen Verhältnissen
I) Vgl. v. Arlt, Württ. Vierteljahrshefte I, S. 46 ff.
476
Hans Klaiber:
stünde einzig da. Eine so außerordentliche Breite und Länge zieht auch ent-
sprechende Höhenausdehnung nach sich, sonst ergäbe sich ein ganz selt-
samer Raumeindruck. Dazu stelle man sich das Dach vor, das diesen Raum
überdecken, die Stütz- und Strebevorrichtungen, die den Schub der drei
nach außen drückenden Gewölbe aufnehmen sollten. Aus allgemein kunst-
geschichtlichen Gründen ist noch immer wahrscheinlicher, daß erst Ulrich
von Ensingen, geleitet von seinem Streben ins Kolossale, die ursprünglich
mäßig geplanten Verhältnisse der Pfarrkirche ins außerordentliche gesteigert
hat. Und damit scheint sich auch die Frage der unbenutzten Schildrippen
zu vertragen. Wie weit, d. h. bis zu welcher Schicht die drei ersten Bau-
meister ihr Werk gefördert haben, kann niemand genau angeben. Es ist
deshalb auf Grund des Baubefundes nichts dagegen einzuwenden, wenn wir
die Ausführung der unbenutzten Schildrippen der ersten Zeit des Ulrich
von Ensingen (1392 — 1419) zuweisen. Im Gegenteil; wie ein Blick auf die
von Klemm (Ulmer Münsterblätter II, S. 33 ff.) besprochenen und in Gruppen
geteilten Steinmetzzeichen am Münster zeigt, finden sich an diesen Schild-
bogen Zeichen, die an den Bauteilen wiederkehren, welche man ohne Wider-
spruch der Periode des ersten Ensinger zuschreibt. Und wenn man auch den
Steinmetzmarken an sich wenig Beweiskraft beilegen wird, so darf man aoch
wenigstens ihr gruppenweises Vorkommen als Hilfsmittel zur Datierung
der verschiedenen Bauteile beiziehen. Sieht man sich die Zeichen daraufhin
an, so scheinen sie von den Vollendungsarbeiten im Chor bis in das erste
Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts zu führen, nämlich in die Zeit,
da man bereits am Westturm baute, die Arkadenpfeiler aufführte, am nörd-
lichen Chorturm schon die Höhe der Galerie erreicht war und am sogenannten
Othmarspfeiler gearbeitet wurde, der gleichzeitig mit den prächtigen Kon-
solen der Arkadenpfeiler, d. h. zu Beginn des 15. Jahrhunderts erstellt ist.
Daß sich Ulrich von Ensingen im Detail, z. B. in der Wahl der Profile, gelegent-
lich an vorhandene, vom Vorgänger benutzte Formen hielt, wissen wir von
der Eßlinger Liebfrauenkirche her. So könnte er auch hier ein schon von
seinen Vorgängern benutztes Profil verwendet haben. Nach diesem Vorschlag
würden also die unbenutzten Schildbogen (in der Figur Bogen b) schon aus
der Zeit stammen, da man — vornehmlich dem riesigen Westturme zu-
liebe — das Hallensystem aufgegeben und die basilikale Anlage gewählt
hatte; sie wären für die von Ulrich von Ensingen geplanten Seitenschiff-
wölbungen gedacht gewesen*). Seinen Nachfolgern aber wäre die projek-
*) Seltsam bleibt auch bei dieser Erklärung der Umstand, daß die Rippen an den
südlichen Längswänden beider Seitenschiffe, wie aus den Resten ihrer Schlußsteine zu ersehen,
im Scheitel erheblich tiefer lagen, als die Schildbogen gleichen Profiles an den beiden öst-
lichen Abschlußwänden der Nebenschiffe; jedoch auch nicht so, daß man sie etwa mit
der Einwölbung von 1452 in Zusammenhang bringen könnte.
Zur Baugeschichte des Ulmer Münsters.
477
tierte Höhe zu kühn erschienen, sie hätten darum im weiteren Aufbau
keine Rücksicht darauf genommen, und als man um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts so weit war, wirklich an die Ausführung der Einwölbung zu gehen,
da wurde sie erheblich tiefer gelegt, wie jener abgehauene, durch Jahreszahl
und Meisterzeichen datierbare Bogen des Matthäus Ensinger beweist.
III.
Der Entwurf des jüngeren Syrlin für den
Münsterturm.
Bekanntlich sind von den alten Rissen für den Westturm des Ulmer
Münsters verschiedene teils in Original teils in Kopie erhalten. Der älteste
wird ziemlich allgemein auf Ulrich von Ensingen zurückgeführt; ein etwas
jüngerer Entwurf darf mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit seinem Sohne Mat-
thäus zugeschrieben werden; der dritte ist durch Meisterzeichen und Auf-
schrift als geistiges Eigentum des Matth. Böblinger gesichert. Über das Ver-
hältnis dieser Projekte untereinander soll andernorts berichtet werden;
hier möge uns der vierte erhaltene Entwurf, der in der Sammlung vater-
ländischer Altertümer in Stuttgart aufbewahrt wird, etwas beschäftigen.
Er gilt als ein Konkurrenzprojekt, das Syrlin d. J. gegen den Entwurf Böb-
lingers ausgearbeitet habe, denn er trägt ein Meisterzeichen, das nach ver-
schiedenen älteren Nachrichten dem jüngeren Syrlin zugehörte. Zunächst
will es uns etwas seltsam erscheinen, daß ein Bildhauer und Kunstschreiner
sich, wenigstens auf dem Pergament, als Turmbaumeister produziert. Ver-
setzen wir uns aber in den von architektonischen Motiven und Ideen ganz
durchdrungenen kunstgewerblichen Betrieb der Spätgotik, erinnern wir uns,
daß man damals kein Bedenken trug, den Entwurf für ein gewaltiges Stein -
tabernakel bei einem Goldschmied, Visierungen für plastische Arbeiten bei
Malern zu bestellen, so kann man nicht von der Hand weisen, daß ein künst-
lerischer Großunternehmer wie Syrlin d. J. auch einmal seine Kunst an
einem Turmriß gewiesen haben soll. Gibt man das zu, so muß man den Ver-
such auch ernst nehmen. Der Plan ist nicht ganz 31/- m lang und exakt
gezeichnet und dürfte seinem Urheber nicht wenig Zeit und Mühe gekostet
haben; es ist kaum anzunehmen, daß er lediglich als Zeichenübung ent-
standen sei. Betrachten wir ihn etwas näher ! (Abbildung bei Paulus, Die
Kunst- und Altertumsdenkmale des Königreichs Württemberg; Textheft
zum Donaukreis.) In den zwei untersten Geschossen, der Vorhalle und
dem ersten Vierecksstockwerk, folgt der Plan im ganzen der Ausführung,
die um 1470 bis zum Ende des ersten Vierecksgeschosses gelangt war. In
der Wiedergabe der figürlichen Ausschmückung wahrt er sich, hier ver-
mehrend, dort vereinfachend, eine gewisse Freiheit. Die Änderungen be-
478
Hans Kl aiber:
ginnen mit dem zweiten Vierecksgeschoß. Abgesehen von kleineren Neuerun-
gen gegenüber den andern Plänen, so in der Horizontalteilung der Fenster, in
der Gliederung des Mittelpfeilers, ist das Wichtigste die Führung der Treppen-
türme. Auf Ulrichs Plan treten die das erste Achteck begleitenden Schnecken
beim Beginn des zweiten Achtecks an den Turmkern zurück und nehmen
so durch ihren Rücksprung an der Verjüngung der Gesamtsilhouette teil.
Dieses Motiv übernimmt unser Plan und verwendet es gar zweimal, indem
er die Wendeltreppentürmchen im zweiten Vierecksgeschoß, dann noch
einmal im Achteck zurückspringen läßt. Indem er sie ohne Absetzung vom
Viereck ins Achteck weiterführt, gewinnt er eine treffliche Verschleierung
des Überganges. Demselben Zweck dient die Staffelung und Auflösung der
äußeren Teile in Fialentürme in der oberen Hälfte des zweiten Vierecks-
geschosses, sodaß der plattformartige Absatz, auf dem nach den übrigen
Plänen das Oktogon mit dem Helm aufruht, hier wegfällt. Das alles geschieht
freilich, wie man sich nicht verhehlen darf, auf Kosten der Mauerstärke und
Tragfähigkeit der unteren Geschosse. Die Wendelstiege muß man sich
offenbar nach ihrer Umsetzung in den Kern des Vierecks eingebaut denken,
da sie sich sonst am Achteck nicht in gleicher Ebene fortsetzen könnte. Das
»Gebrüste« des Vierecks ist beim Übergange nicht mehr viel breiter als am
Achteck und enthält noch die Schnecken; ob dabei für die Übergangskon-
struktion noch die nötige Sicherheit geboten wird, scheint uns zweifelhaft.
Das Achteck ist in ein Geschoß zusammengezogen, ebenso wie auf dem Plane
von Böblinger, während die Ensinger wie in Straßburg zwei Oktogongeschosse
planten. Die Schnecken enden unterhalb des Achteckumganges, sodaß man
diesen erst durch Laufstege erreichen könnte. Die hohe Lage des Umganges
hängt damit zusammen, daß das Achteck über den Fenstern noch stark in
die Höhe gezogen ist, sodaß der Helm einen sehr kurzen, etwas verkümmerten
Eindruck macht. In der Organisation ist die Pyramide eine leicht modi-
fizierte Nachbildung von Ensingers Erfindung: dieselben drei hohen Felder,
die senkrechten Fialen an den Durchkreuzungspunkten der Rippen, die
Umgänge am Ende des dritten Feldes und unter der Kreuzblume, die Laub-
bossen am oberen Verlauf der Längsgurten. Nur die Füllung der Felder
steht wieder dem Plane Böblingers näher, sofern sie in der Art hoher, luftiger
Fenster gedacht ist.
Das Verhältnis unseres Planes zu denen der Ensinger ist leicht zu be-
stimmen: er setzt die Kenntnis der Ensingerschen Risse durchweg voraus,
arbeitet mit ihren Motiven, die er in freier Weise verwertet, vermehrt und
ornamental bereichert. Sein künstlerisches Hauptverdienst liegt in der all-
mählichen, wohlvorbereiteten Verjüngung des Umrisses und der Verhehlung
der Übergänge, wobei freilich der erhobene Einwand bestehen bleibt. Daß
der Entwurf aus einer Bildschnitzer- und Schreinerwerkstatt hervorgegangen
Zur Baugeschichte des Ulmer Münsters.
479
ist, scheint sehr wohl möglich. Denn wo die architektonischen Vorlagen
verlassen sind, tritt eine ausgesprochene Neigung zu den Kunststücken
der »Schreinergotik« zutage. Motive wie die geflochtenen Schäfte im Stab-
werk des Oktogons, die schrägen Brücken von den Wendelstiegen zum
Kranze, die balancierende Stützfigur am Mittelpfeiler des zweiten Vierecks -
geschosses, das Maßwerk an der Horizontalteilung des Achtecks fallen ent-
schieden aus dem tektonisch gedachten Formenkreise der übrigen Pläne
heraus und tragen einen kunstgewerblichen Charakter. Turmartige Gebilde
waren ja in den Bildhauer- und Bildschnitzerwerkstätten für Sakraments -
häuser, Kanzeldeckel und Baldachine aller Art sehr beliebt, und an solchen
Zierstüken waren wohl Formen und Motive zulässig, die sich an einem
Riesenturm in hundert Metern Höhe als unpassende Spielerei und kleinliche
Künstelei ausnehmen würden. Schwieriger ist die Frage, in welchem Ver-
hältnis unser Projekt zu Böblingers Plan steht. In der Entwicklung der spät-
gotischen Ornamentik stehen die beiden ungefähr auf gleicher Stufe und
mögen denn auch ziemlich gleichzeitig, etwa zwischen 1470 und 1480 ent-
standen sein. Gegenüber den Ensingerschen Plänen haben beide das einheit-
liche Achteck und die fensterartige Füllung in den durchbrochenen Feldern
der Pyramide gemein; im übrigen schließt sich der Syrlinsche Plan sichtlich
an die der Ensinger an. Man kann das so erklären, daß Syrlin den Böb-
lingerschen Plan gekannt, von ihm auch die zwei genannten Stücke herüber-
genommen, sonst aber bewußt an die ältere Tradition der Bauhütte ange-
knüpft habe. Oder aber, und diese Deutung will uns fast mehr Zusagen,
kannte Syrlin nur die Risse der Ensinger und baute auf diesem Grunde
weiter; und aus seinem Plane hätte dann Böblinger die beiden glücklichen
Neuerungen übernommen. Jedenfalls liegt der Syrlinsche Plan nicht auf
der geraden Linie, die von den zwei älteren Rissen zu Böblinger führt, sondern
etwas abseits. Auch das würde dazu stimmen, daß er nicht von einem der
berufsmäßigen Werkmeister der Hütte, sondern von einem Außenstehenden,
der freilich die Vorlagen der Bauhütte genau kannte, gefertigt ist. Einen
Mann von gutem künstlerischem Blick darf man in seinem Schöpfer jeden-
falls sehen.
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
Von Fritz Rupp.
Als der Münchner Kunsthistoriker Karl Voll im Jahre 1900 mit einer
kritischen Studie x) über Jan van Eycks Werke herausgekommen war, wurde
ihm vielseitige Anerkennung. Allein Bode griff ihn im Jahrbuch der Königl.
Preuß. Kunst-Sammlungen * 2), anknüpfend an eine neue Berliner Erwerbung
(Jan van Eycks Bildnis eines burgundischen Kammerherrn), an. Zu einer
Einkehr scheint Bodes polemische Entgegnung Voll, wie er in seiner, sechs
Jahre darauf erschienenen »Altniederländischen Malerei von Jan van Eyck
bis Memling« zeigt, nicht veranlaßt zu haben. Lediglich die Ausführungen zu
dem Londoner Bildnis des Mannes mit dem Turban unterzieht der Münchner
Gelehrte einer kurzen Modifikation. Konnte er in seiner ersten Schrift
nichts als eine starke Übereinstimmung in dem Kontur mit dem Arnolfini-
Bild in Berlin wahrnehmen, so entgeht ihm nun die »auffallende Familien-
ähnlichkeit« 3) mit dem Porträt von Eycks Frau nicht. Auch die Annahme
eines verschollenen Originals taucht auf. Bodes recht zutreffende Bemerkung
über das gleiche Spiel der Augen in dem Bildnis des Mannes mit dem Turban
und dem der Frau van Eycks ließ sich doch nicht ganz übergehen. Zu einer
Umkehrung seines eingenommenen Standpunktes kam Voll aber wie gesagt
nicht. Nach wie vor scheidet für ihn der kleine Bilderkreis, der sich an
das epochemachende Porträt des Mannes mit dem Turban anschließt, wie
der Jan de Leeuw in Wien und der Mann mit den Nelken in Berlin aus
dem Oeuvre des Meisters aus. Die für alle diese Werke angefochtene Kreuzung
von Blick und Haltung des Kopfes ist ein künstlerischer Vorwurf, der erst
mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts eine ausgebreitete Anwendung findet.
Aber er kommt auch bei Petrus Christus, Dierick Bouts und dem Meister
der Perle von Brabant vor, während er bei Memling, soweit uns dessen Werk
bekannt ist, fehlt. Ein Kriterium zur späteren Datierung strittiger Werke
van Eycks kann darin nicht gefunden werden. Wieweit nun Voll zur Ab-
J) Karl Voll, Die Werke des Jan van Eyck. Straßburg 1900.
2) Jahrbuch der Königl. Preuß. Kunstsammlungen. Bd. 22, 1901, S. 115 ff.
3) Karl Voll, Die altniederländische Malerei von Jan van Eyck bis Memling.
Leipzig 1906, S. 43.
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
481
spräche einer Reihe von Eyckschen Meisterwerken berechtigt ist oder nicht,
soll der Gang dieser Untersuchung lehren.
In der »National Gallery« zu London befindet sich das Bildnis eines
alten Mannes mit rotem Turban. Es ist datiert, und die In-
schrift trägt das für Eyck charakteristische Motto »als ikh kan«, nicht ge-
schrieben »als ihk kan«, wie bei Voll wiederholt zu lesen ist. Die Inschrift
soll, da sie nicht kalligraphisch genug ist, zu Bedenken Veranlassung geben.
Bode hat diesen Einwurf in dem erwähnten Aufsatz überzeugend zurück -
gewiesen. Wie verhält es sich aber mit dem Charakter der Inschrift? Gleich-
falls in der »National Gallery« befindet sich das so hoch gepriesene und
glücklicherweise auch bezeichnete Timotheos-Bild. Prüfen wir doch einmal
etwas eingehender die beiden Inschriften und wir erkennen, auch ohne
beeidigter Schreibsachverständiger zu sein, daß die Übereinstimmung der
Schnörkel, so bescheiden die Verzierungen bei dem Turbanträger angewandt
sind, die scharfe Betonung der Kanten und die in den schweren Strichen
ungleiche doch sichere Pinselführung keine Spuren einer unterschiedlichen
Hand zeigen. Doch wir haben noch zuverlässigere Kriterien. Die ange-
fochtene Inschrift weist in dem Worte »ALS« hinter dem Buchstaben L an
Stelle des Kapitalen S ein eckiges, der griechischen Schrift entlehntes Zeichen
auf. Das darf nicht übersehen werden, kann es sich doch bei Eyck nur
um eine unbewußte Anwendung handeln. Das gleiche griechische Zeichen
findet sich auch in der gotischen Minuskel"- Inschrift auf dem Verlöbnis- Bild
des Arnolfini und dem Porträt des Timotheos in London. Von größerer
Bedeutung aber für die angefochtene Inschrift ist das Vorkommen in dem
Worte »OKTOBRIS«. Also auch hier setzt die Gewohnheit nicht aus. Oder
sollte ein Fälscher so umsichtig gewesen sein, den seltsamen Buchstaben
im Anschluß an einen spezifisch Eyckschen und nur vereinzelt auftretenden
Gebrauch in der Inschrift zu verwenden? Wir können es nicht glauben,
selbst wenn wir es mit der Kopie eines Bildes des Meisters zu tun hätten.
Und welch eine eigentümliche Form hat das C in dem Worte fecit! Es
nimmt eine Mittelstellung ein. Der aufgestellte Fälscher müßte also scharf
hingesehen und geradezu eine einzigartige Übung in der Nachahmung von
Inschriften gehabt haben. Erwähnen wir noch für die Porträts des Turban-
trägers und des Timotheos die Übereinstimmung des an die alte Unzial-
schrift sich stark anlehnenden E — es fehlt für den schmucklosen Buch-
staben der für das Gotische so charakteristische vertikale Teilungsstrich —
so genügt nach unserer Überzeugung diese Beweisführung, um die Annahme
einer unechten oder verdächtigen Inschrift in das Reich der unbegründeten
Hypothesen zu verweisen. Wie eine Fälschung oder Korrektur Eyckscher
Inschriften aussieht, kann man an dem Christusbilde »Rex Regum« in
dem Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin entnehmen. Wir halten die drei
482
Fritz Rupp:
Worte »ALS IKH KAN« für unecht oder doch leichtfertig ergänzt, ohne
uns heute über das Bild selbst, da wir nicht alle Wiederholungen gegenwärtig
haben, zu entscheiden. Es hätte Voli, der unseres Erachtens eine sehr richtige
Deutung der gefälschten Buchstaben gibt, nicht entgehen dürfen, wie groß
trotz der Entstellung die Ähnlichkeit mit der gleichen Inschrift auf dem
Londoner Bilde des Turbanträgers oder der Brunnenmadonna zu Antwerpen
ist. Wo hier die Fälschung oder schlimme Verbesserung und wo die Original -
inschrift ist, ergibt sich auch bei flüchtigster Betrachtung auf den ersten
Blick.
In der Gesamtauffassung des Porträts macht sich eine ausgesprochene
Hinneigung zu plastischer Darstellung geltend. Das hat man schon früh
beobachtet. Licht und Schatten sind die neuen Mittel, womit der Künstler
arbeitet. Es ist die Sprache des Spätgotikers, Zeitstil im vollsten Sinne
und doch seinem innersten Wesen nach so grundverschieden von den Werken
der Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen. An die Meister des
Barocks mahnt die große Kunst Jan van Eycks. Wie dort ein plastischer
und ein malerischer Stil nebeneinander hergehen und der Form und Kon-
zeption fortgesetzt neue Nahrung zuführen, so kreuzen sich die gleichen
Einflüsse zur Blütezeit der gotischen Kunst. Nicht ohne innere Gründe
zieht der Altarschmuck jener Zeit die Plastik so ausgiebig heran. Davon
blieb auch die reine Tafelmalerei nicht unberührt. Die exponierte Stellung
der Plastik im Gotteshause war vorbildlich. Eyck ist noch einmal auf das
Problem scharfer Lichtverteilung im Porträt zurückgekommen, in dem
Vermählungsbilde des Arnolfini zu London aus dem folgenden Jahre.
Wiederholt ist auf die prächtige Modellierung der rechten Gesichts -
hälfte des Turbanträgers hingewiesen worden. Die technische Sicherheit,
mit der es dem Künstler gelungen ist, den Kontur mit hellen und dunklen
Tönen zu fixieren, wird von Kennern der altniederländischen Malerei immer
bewundert werden. Der Eindruck des organischen Ineinandergreifens aller
Einzelheiten nimmt den Beobachter gefangen, und man wird sich bewußt,
wie der ausübende Meister immer die ganze Persönlichkeit sinnlich gegen-
wärtig hatte. Nicht das Auge allein ist es, was das Porträt so anziehend
macht. Wie es aus dem Antlitz mit der schlanken und doch kräftigen Nase,
dem leise eingekniffenen Mund schaut, das läßt die innere Zusammengehörig-
keit so klar erkennen. Hierin liegt auch das eminent Charakteristische
dieses Porträts und nicht in der sorgfältigen Herausholung der geheimsten
Hautfältchen. Aus den Ohren, die Eyck wie alle Details des Kopfes stets
mit größter Sorgfalt behandelt, können wir nicht auf seine Hand schließen;
sie sind von dem Turban bedeckt. Die Behauptung, daß dieser Umstand
gegen die Autorschaft des Meisters spreche, muß ernstlich zurückgewiesen
werden. Ganz abgesehen davon, daß eine solche Annahme dem Künstler eine
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
483
gewisse Unfreiheit seinem Objekte gegenüber insinuieren heißt, trifft sie über-
haupt für das ganze Oeuvre Eycks nicht zu. Schon auf dem Genfer Altar
bedeckt die Rise in dem Bild der Stifterin, der Isabella Vydt die Ohren, und
auf dem Vermählungsbilde des Arnolfini treten diese als charakteristisches
Merkmal völlig in den Hintergrund. Dagegen läßt die Ausführung der Nasen-
flügel auf die Hand des Meisters schließen. Kein Maler des 15. und 16. Jahr-
hunderts, auch Memling nicht, der hierin Eyck noch am nächsten kommt, pflegt
ihre Darstellung mit gleicher Sorgfalt. Offenbar reizten den Künstler die
schweren Schatten der Nasenhöhlen in ihrem Kontrast zu den lichten Fleisch -
tönen, und man darf sagen — der Meister übertreibt. Das Urteil gilt ebenso
von der andern Gruppe von Bildnissen wie des Kanonikus van der Paele, des
Kardinals della Croce usf., ja für die Darstellung des Menschen, in welchem
Werke Eycks sie auch immer anzutreffen ist, überhaupt. Nicht weniger be-
denklich als die Kritik der Ohren ist es, von dem bewegten Faltenwurf des
Turbans auf die Hand eines fremden Künstlers zu schließen. Wem die
französisch -burgundische Mode jener Zeit auch nur flüchtig bekannt ist, wird
an dem Gefältel des Turbans keinen Anstoß nehmen. Wie geschaffen schien
die Gugel, als eine eigenartige Kopfbedeckung bei lästiger Hitze getragen zu
werden. Man wird nicht behaupten können, daß der Mann mit dem Turban
durch Formlosigkeit, die dem Künstler ein Recht zum Widerspruch gegeben
hätte, verletzt. Man kann ganz andere Gebilde der damals herrschenden
Geschmacklosigkeit antreffen, und ist es nicht überhaupt fraglich, ob der
Besteller sich in so wichtigen Dingen Vorschriften machen ließ? Und wich-
tiger als zu irgendeiner Zeit erschien dem damaligen Geschlecjit die Frage
der Mode. Doch der alte Herr in unserem Bilde macht den Eindruck, als
sei er über die Schwäche jugendlicher Eitelkeit hinaus. Wir halten den
Hinweis auf den Genfer Altar an dieser Stelle nicht für besonders glücklich.
Ob der Farbenton des Porträts, wie Voll urteilt, kühl ist, wollen wir
nicht allein entscheiden. Kaemmerer findet den Fleischton »warmrötlich« 4),
und wir stimmen ihm aus voller Überzeugung bei. Angesichts eines solchen
Widerspruches müßte man bezweifeln, ob es überhaupt angängig ist, von
kühlen und warmen Tönen zu sprechen. Wir glauben doch und halten die
Lösung der Schwierigkeiten überall da für möglich, wo man imstande ist,
in eine reinliche Scheidung von physischen und seelischen Eindrücken ein-
treten zu können.
Neben den Vorzügen besitzt das Bildnis auch die Nachteile Eyckscher
Kunst. Die Linie der Augenbrauen verläuft in einer stark gerundeten unge-
brochenen Kurve, die sich über das Nasenbein hin fortsetzt und keine sichere
Hand in der Scheidung so wichtiger Gesichtspartien verrät. Mit nicht gerin-
4) Ludwig Kaemmerer, Hubert und Jan van Eyck. Bielefeld und Leipzig 1898,
S. 62.
484
Fritz Ru pp:
gerer Schärfe trifft der gleiche Tadel das so laut gepriesene Porträt des
Timotheos in London; auf dem Bilde des Mannes mit den Nelken in Berlin
muß er wieder ein Kriterium für die Unechtheit des Werkes abgeben. Alles
in allem bleiben wir bei der Behauptung, daß das Porträt des Mannes mit
dem Turban von dem Meister herrührt und eine Leistung von historischer
Bedeutung ist. Wir würden keinen Anstand nehmen, das Werk, wenn es
unbezeichnet .wäre, dem Jan van Eyck zuzuschreiben. Ein unbekannter
Meister kommt unseres Erachtens nicht in Frage. Die Zeit war an wirklich
starken Talenten arm, und an dem Hofe der verschwenderischen Herzoge
von Burgund blüte auch der Weizen unbedeutender Künstler. Der Schöpfer
des besprochenen Werkes brauchte zu einer Fälschung nicht zu greifen,
dazu steht die Qualität des Bildes zu hoch.
In dem Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin hängt das Porträt des
Mannes mit den Nelken. Das Bildnis ist bekannt und mit Recht
berühmt. Mit unvergleichlicher Sicherheit ist es dem Künstler gelungen,
in dem greisen Kopf den letzten Rest von Ausdrucksfähigkeit zu vermitteln.
Wässerige Augen schauen uns prüfend, aber nicht »krankhaft angespannt
und blöde« 5) an. Der aufmerksame Blick steht in innerstem Zusammenhang
mit der emporgehobenen linken Hand, die uns absolut nicht so überflüssig
vorkommt. Mit plumper Beweglichkeit sucht sich der alte Herr zu enga-
gieren, und die Meisterschaft, womit Eyck dem unerfreulichen Modell gegen-
über seine Aufgabe gelöst, hat die Bewunderung, die dem Werke seither
zuteil wurde, wohl verdient.
Die Ähnlichkeiten in der Ausführung mit dem Bilde des Kardinals
della Croce sind, wie Voll sehr richtig bemerkt, »so schlagend, daß für die
allgemeine Bezeichnung zunächst nur der Name Eyck übrig bleibt«. In
dieser Überzeugung werden wir nach Prüfung der Einwände, die zu einem
andern Resultate führen sollen, noch lebhaft bestärkt: Die Aufgabe des
Künstlers war: einen alten Herrn naturgetreu nachzubilden. Mehr zu
sagen ist uns nicht erlaubt, und die Behauptung, daß der Porträtierte eckige,
harte Züge gehabt habe, ist das genaue Gegenteil von. dem, was jeder ein-
sichtsvolle Beobachter aus dem Bilde herausliest. Wenn ein bündiger Schluß
erlaubt ist, so deuten die fleischigen Faltenmassen, die hohen Augenbogen
und die zurücktretenden Backenknochen auf runde Züge. Vollkommen
ist das Porträt des Mannes mit den Nelken ebensowenig wie die übrigen
Kunstwerke des Meisters, und wir sehen die berüchtigte »nervlose, runde
Linie« auf sämtlichen Bildnissen, nicht zum letzten auf dem ganz unbegreif-
lich überschätzten Porträt des Timotheos. Wie dem auch sei, jedenfalls
5) Ohne besondere Angabe beziehen sich die folgenden Belegstellen immer auf
Volls Studie über Jan van Eyck.
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
485
können wir uns über die Eyckschen Schwächen hinweg das Modell zu dem
Manne mit den Nelken sehr gut denken. Wir finden in dem angestrengt
prüfenden Blick, der uns bei anhaltender Betrachtung in leichte Unruhe
versetzt, ein vorzügliches Kennzeichen jener Kunst, die allein der Persön-
lichkeit ohne Rücksicht auf den Beifall nachgeht. Der alte Herr ist mit
einer Sicherheit getroffen, die des Elindruckes nicht verfehlt. Man beachte
nur einmal die staunenswerte Behandlung der Details, wie mühelos alles
ineinandergeht und, von innerlichem Leben erfüllt, dem Werke zu seiner
bleibenden Wirkung verhilft. Noch treten die Knochen nicht mit voller
Schärfe hervor; fleischige Hautfalten, die Überreste längst entschwundener
Körperfülle verhüllen in leichter Rundung das starke Gefüge. So sind in
der Linienführung des Konturs weniger scharfe Ecken unausbleiblich. Die
nur schwache Wölbung des Schläfenbeines, die schweren Augenlider und
Tränensäcke, alles mit großer Sicherheit hingeworfen, lassen die Augen-
höhlen flach erscheinen, und das kräftige zahnlose Gebiß, dessen der alte
Herr sich rühmen darf, bildet mit den Muskeln im Winkel des gewiß nicht
kleinen Mundes einen fleischigen Wulst, der energisch Wange und Kinn
scheidet. Was einer so einfachen Erscheinung gegenüber das Fehlen einer
»Betonung der Knochen« und die Hervorhebung von »unbeholfenen kon-
vexen Zügen« heißen soll, ist unklar. Das Bild hat unser medizinisches
Interesse immer in hervorragender Weise erregt. Es wäre ein fruchtloses
Bemühen, in der altniederländischen Malerei ein Werk zu suchen, das mit
gleichem anatomischen Verständnis die Struktur eines Schläfenbeines oder
die unter der Cutis lagernden Fettreste des Unterhautzellgewebes erkennen
ließe. Wir glauben, daß Eyck die Grenze des Erreichbaren gestreift hat.
Eine meisterhafte Sicherheit in der Verteilung von Licht und Schatten
verrät sich auch auf der linken Gesichtshälfte des Dargestellten. Hier bot
die Wechselwirkung eines faltenreichen Gesichtes und der scharf überzogenen
Knochen dem Künstler nicht gewöhnliche Schwierigkeiten; Eyck hat sie
scheinbar spielend überwunden. Kein noch so schüchterner Übergang zur
Stilisierung verdirbt uns die reine E'reude an der Arbeit. Der Mann mit
den Nelken hat sich unter der Hand des Meisters nicht verschönert und
verdankt seinen Ruhm der naturalistischen Treue, die vor nichts zurück-
schreckte. Was nun di& Starrheit, den gerügten Hauptfehler des Bildes,
anbetrifft, so rühren wir hiermit an eine Stileigentümlichkeit, die ein untrüg-
liches Merkmal des Naturalismus in der spätgotischen Kunst überhaupt ist.
Hier war die Aufgabe nur insofern erschwert, als der alte Herr zu einer
outrierten Darstellung geradezu verführte. Die Eyckschen Porträts machen
fast ausnahmslos den Eindruck, als wären sie aus einer Handlung heraus-
geschnitten. Dem Beobachter wird es immer leicht werden, sich in innere
Beziehung zu dem Bildnis zu setzen. Einen Mangel an Beherrschung der
486
Fritz Rupp:
Form können wir hierin nicht erblicken. Das Befremdende liegt vielmehr
in einer gewissen Unfreiheit, die auch ein so großer Künstler wie Eyck nicht
ganz überwand. Am unabhängigsten erscheint uns der Meister in dem
Porträt des Kardinals della Croce. Es könnte seiner inneren Auffassung
nach einer späteren Zeit angehören, ein Gedanke, den wir aber aus jedem
andern Grunde weit von uns weisen. Ernst zu nehmen sind die Ausstände
an den Händen, Mängel, die unschwer zu bemerken sind. Der Daumen
der linken Hand ist gründlich verzeichnet; die Ausführung einiger Finger
darf geradezu als gelenklos verurteilt werden, so insbesondere des Mittel-
fingers der rechten Hand. Doch kommen Inkorrektheiten auch in andern
und beglaubigten Werken von Eyck vor. Man beachte nur die Mittelglieder
der Finger an der linken Hand des Kanonikus van der Paele auf dem Bilde
zu Brügge, die dünnen Finger an der rechten Hand des Engels der Ver-
kündigung in St. Petersburg, vor allem die abstoßende Häßlichkeit des
langen Daumens, der gleiche Übelstand auf dem Vermählungsbild des
Arnolfini, nicht ganz so abschreckend auf den Außenflügeln des Genter
und des Dresdener Altars. Man sieht, die langen Daumen sind charak-
teristisch für den Meister. Auch auf dem Bildnis des de Leeuw in Wien,
das freilich nicht echt sein soll, sind die Glieder der Finger gelenklos und
in den Proportionen falsch. Die gerügten Mängel fallen bei der Frage nach
der Echtheit des Berliner Bildnisses nicht bestimmend in die Wagschale.
Derartige Ausstände lassen sich auch, um einen alten Meister von unbe-
zweifeltem Ruf zu nennen, bei Matthias Grünewald machen, so z. B. an
den Grisaille- Bildern der beiden Heiligen Lorenz und Cyriacus im Städtischen
Historischen Museum zu Frankfurt a. M. »Und wie viel unproportionierte
Gliedmaßen finden wir bei Rubens, welche Verzeichnungen bei Hans von
Maries! Nicht immer liegen die Dinge so einfach wie bei dem gewissenhaften
Dürer und seinem innigen Streben nach Wahrheit in der Zeichnung. Eyck
war vor allem andern Kolorist. Einem solchen Künstler kommt man mit
kritischen Tüfteleien nicht näher.
Zu allen Zeiten wurde die Durchbildung des weit abstehenden linken
Ohres hervorgehoben. Können wir auch, rein malerisch betrachtet, nicht
ganz in das Lob einstimmen, so sehen wir doch nicht ein, daß das Ohr so
etwas wie »flach gestrichen« erscheint. Ohne diesen Umstand, der bei dem
eminent plastisch durchgebildeten Organ unseres Erachtens noch nicht einmal
scharf genug hervorgehoben ist, würde man nicht der Illusion eines ab-
stehenden Ohres verfallen, noch könnte das andere über die Wange hervor-
ragen. Wir finden vielmehr, daß das linke Ohr ungleich besser eingesetzt
ist als auf dem Bilde des Timotheos in London. Fiele hier nicht die grüne
Sendelbinde zum Teil verhüllend herab, so würde der unorganische Zu-
sammenhang mit der Gesichtshälfte noch schärfer auffallen, als dies ohnehin
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
487
schon der Fall ist. - — Nicht immer gelingt es aber dem Meister, die Per-
spektive der Augen der Haltung des Kopfes richtig anzupassen. Auf dem
Porträt des Mannes mit den Nelken und dem des Londoner Turbanträgers
ist die Verkürzung an den Augen ungewöhnlich scharf herausgekommen;
der .Timotheos in London und Jan de Leeuw in Wien lassen von diesem
Fehler nichts erkennen. So mischen sich in anerkannten und bezweifelten
Werken Mängel und Vorzüge untereinander.
Das Kolorit des Mannes mit den Nelken ist greisenhaft oder, wie
Voll will, auch kühl. Das ist bei dem alten Herrn kein Werturteil für die
Farbengebung selbst. Man muß vor den Werken eines Künstlers wie Eyck
sehr vorsichtig mit solchen Begriffen sein. Auch darf der Porträtierte mit
dem Kardinal della Croce trotz mancher äußeren Übereinstimmung nicht
in einem Atem genannt werden. Der Unterschied ist mit Händen zu greifen
und spricht sich in Konzeption und Farbe unverkennbar aus. Schlaue
Äuglein leuchten aus dem Antlitz des Kardinals, und die frische Farbe des
rundlichen Gesichtes läßt vermuten, daß die Askese nicht nach dem Ge-
schmack des Italieners war. Wie ganz anders tritt uns der Mann mit den
Nelken entgegen. Tiefe Furchen haben die Züge des Greises verhärtet, und
die dumpfe Luft trüber Geschäftsräume hat schon lange das letzte Rot
auf den Wangen erstickt. Und doch ist noch Leben in dem alten Manne,
wenn auch nicht blühend und warm. Die übertriebene Bezeichnung des
Kolorits als »kalt« ist schon darum nicht richtig, weil die charakteristischen
blauen Töne fehlen, und »unrein« ist die Farbengebung ebensowenig. Dazu
ist alles zu konsequent und klar durchgeführt. Wir hätten mehr Verständnis
für einen Vorwurf gehabt, der das Gegenteil besagt. Noch bedenklicher
sind die Epitheta »hart und gefühllos«. Wir meinen nicht die Ausdrucks-
weise selbst und erkennen gern ihre Berechtigung als Bezeichnung eines
Empfindungsvorganges analog den Tönen in der Musik an. Wir glauben
nur, daß man unter dem Eindruck, den der alte Herr auf uns macht, den
Blick für die rein malerische Beurteilung verloren hat. Härte und Gefühl-
losigkeit scheinen Charaktereigenschaften des Dargestellten gewesen zu
sein. Ganz unverständlich ist es uns, wie man das Kolorit der Kirchen -
madonna neben das des Mannes mit den Nelken halten kann. Eine solche
Betrachtungsweise ist keine Methode mehr und trägt dazu bei, die Schwierig-
keiten beharrlich zu vermehren. In einem bewußten Gegensatz zu Voll stehen
wir mit unserer Meinung, Eycks Bemühung, die erschlaffende Tätigkeit
der Arterien unter der Epidermis durch eine diskrcL Abtönung wieder-
zugeben, fordere geradezu den Vergleich mit der Kunst eines Denner heraus.
Einen üblen Beigeschmack des Paradoxen, wie man dem Turbanträger
gegenüber will, hat diese Erinnerung nicht, im Gegenteil, wir lassen uns
gerne darüber belehren, wo die Grenze zwischen der virtuosen Technik
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
33
488
Fritz Rupp:
des Hamburgers und dem Streben des Niederländers nach Naturwahrheit
zu ziehen ist. Eyck hat nicht nur in der Technik, sondern auch in der Kom-
position die Vergangenheit überwunden, und eine nachfolgende Generation
schon hat es verstanden, das Neuerworbene als festen Besitz zu erweitern.
Im Louvre befindet sich das Bildnis eines Mannes mit einem Weinglas,
früher im Besitz des Grafen Wilczek, ein Werk, das entgegen manchen äußeren
Vorzügen an innerem Leben weit seinem Vorbilde, dem Manne mit den Nelken,
nachsteht. Man unterlasse nicht, das Bildnis einer sorgfältigen Beobachtung
zu unterziehen. Alsdann wird man erkennen, wie unrecht Voll hat, alle
angefochtenen Werke einfach einer späteren Zeit zuzuweisen.
Einer scharfen und vernichtenden Kritik unterliegt auch das Bildnis
des JandeLeeuwim Wiener Hofmuseum. Es hängt in unmittelbarer
Nachbarschaft des Kardinals della Croce, und das ist gut. Das Porträt
des hohen geistlichen Herrn soll alle Züge der Eyckschen Urheberschaft
tragen, und man wagt nicht, die Echtheit anzuzweifeln. Dagegen findet man
bei dem Jan de Leeuw das Ohr »unnatürlich hoch« am Kopfe und »flau
und flüchtig« behandelt. Diese Art der Kritik ist neu. Was hat die mehr
oder weniger normale Lage eines Organs mit der Frage nach der Echtheit
eines Bildes zu tun? Man kennt ja die Porträts, den Louis de Gongora
im Prado und den Papst Innozenz X. im Palazzo Doria zu Rom, beide
von Velasquez, oder im Wiener Hofmuseum den Filippo Strozzi und den
Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen von Tizian, Beispiele, die sich
ohne Schwierigkeit vermehren ließen. Sie mögen genügen, zu beweisen,
wie die Lage des Ohres ein Kriterium zur Bestimmung des Künstlers nicht
sein kann, noch sein darf. Eyck hat keine Idealbildnisse gemalt.
Die Technik des Farbenauftrages ist in beiden Meisterwerken des
Wiener Hofmuseums, soweit die Übermalungen ein Urteil gestatten, die
gleiche vertriebene Art. Was mit der »flachen« Behandlung des Mundes
auf einem Porträt gemeint ist, das in der Wirkung »wohl von jeher auf
einen uneyckischen Gegensatz von hell oder dunkel gestellt ist«, will uns
wenig verständlich erscheinen. So »uneyckisch« ist dieser Gegensatz, wie
wir oben gezeigt haben, nun einmal ganz und gar nicht. Warum sollten
dem Spätgotiker Licht und Schatten gleichgültige Dinge sein? Die Be-
leuchtung des Ohres, das etwas unvermittelt aus der Wange hervortritt,
die scharf umränderten dunklen Nasenflügel, die von dem mächtigen Augen -
bogen an dem breiten Nasenrücken herabgleitenden unbelichteten Partien,
das alles findet sich auch auf andern Werken des Meisters, ebenso ist uns
das Inkarnat von der Paele-Madonna in Brügge und dem Arnolfini -Porträt
in Berlin her nicht fremd. Wie auch immer wir das Porträt des Jan de
Leeuw prüfend betrachten, sei es auf die vertriebene Technik, sei es auf
die Vorliebe für warme Farbentöne oder auf die eindrucksvolle Konzeption
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
489
hin und mit beglaubigten und unbezweifelten Werken Eycks vergleichen,
wir kommen stets zu dem gleichen Ergebnis: greifbare Unterschiede, um
das Bildnis dem Meister abzusprechen, lassen sich nicht auffinden. Wir
haben das Werk auch auf die Übermalung hin untersucht und stimmen
mit Voll darin, daß ihnen ein bedeutender Umfang zugesprochen werden
muß, nicht überein. Eine Restauration des Bildes wird überhaupt kaum
ratsam sein. Die Übermalung zeigt nicht die tupfende Manier eines berüch-
tigten Korrektors, und wir ziehen das Bild in seinem jetzigen Zustand der völ-
ligen Verderbnis, der es bei einer forcierten Wiederherstellung vielleicht
ausgesetzt ist, vor. Herr Hofrat Schaeffer, der Direktor der Gallerie, ver-
sichert, daß seit dem Jahre 1881 bestimmt nichts an dem Werke geschehen
sei, und glaubt daher, daß die Übermalungen wahrscheinlich mehr als 50 Jahre
alt seien. Protokolle, die uns einen Aufschluß geben könnten, sind leider
nicht vorhanden.
Wie verhält es sich nun mit der Inschrift? Voll hat versucht, zwei
Chronostichen glaubhaft zu machen, und die nicht völlige Übereinstimmung
einer zweiten Hand zuzuschreiben. Der Versuch muß als mißlungen be-
zeichnet werden. Für die beiden ersten Verse wäre der Buchstabe D aus-
zuschalten, was nicht ohne Willkür ist, und für die Schlußzeile müßte eine
ursprüngliche Schreibweise des Namens Eyck mit einfachem I vorausgesetzt
werden. Ebenso wäre das J in blijct mit einzurechnen, was sich allerdings
mit Rücksicht auf graphische Ausführung rechtfertigen ließe; die Buch-
staben I und J gleichen sich in der Inschrift vollständig. Alsdann ergäbe
sich folgendes Bild:
?AN DE (Löwe) OP SANT ORSELEN DACH
DAT ULAER EERST MET OGHEN SACH . 1401
GHECONTERFE/T N U HEEFT Ml JAN,
FAN EICK WEL BLIICT JFANNEERT BEGAN . 1436
Bode hält nun die Schreibweise des Namens Eyck mit einfachem I nach
den vlämischen Gesetzen für unmöglich. Das ist ein Irrtum, denn ein solches
vlämisches Gesetz gibt es nicht. Aus dem germanischen Diphthong ai ist
sehr wahrscheinlich der lange Vokal 6 entstanden, der in geschlossener
bilbe schon sehr bald durch den doppelten Buchstaben ee bezeichnet wurde.
Daneben taucht auch die Schreibweise ei sowie ey auf, ferner erscheint
unter dem Einfluß des Hochdeutschen im 14. Jahrhundert die Konsonanten-
verdoppelung im Auslaut, und es tritt ck für ein einfaches k ein. So läßt
sich die Entwicklung des Namens Eyck aus dem alten Worte 6k =* Eiche
zwanglos verfolgen. Irgendwelche Schwierigkeiten bietet die Etymologie
des Wortes nicht. Wie wenig sich aber jene Zeit an eine bestimmte Schreib-
weise hielt, geht aus einer Zusammenstellung, den von de Laborde veröffent-
lichten Akten der Herzoge von Burgund entnommen, hervor. Dort finden
49°
Fritz Rupp:
wir folgende Variationen in der Schreibart des Namens Eyck: Eick, Eych,
Eicke, Eecke, Heile, Heick, Deyk, Deik und Deick. Wir haben diese Klar^
Stellung auf Bodes Einwand hin unternommen; für unsere Untersuchung
ist sie bedeutungslos, da die Schreibweise des Namens Eyck mit einfachem
i schon nach Lage der einzelnen Buchstaben ausgeschlossen ist. — Doch
nehmen wir an, es verhielte sich mit der Inschrift so, wie man im Interesse
der Annahme einer Fälschung wünschen mag, was folgt hieraus? Bild und
Rahmen sind die Arbeit eines Fälschers, eine andere Erklärung gibt es nicht.
Daß der Kopist den Eyckschen Rahmen benutzt haben soll, ist eine zu
gewagte Annahme, als daß sie überhaupt aufgeworfen werden kann. Jedoch
alt ist die Inschrift, und Spuren einer zweiten Hand sind auch zu beob-
achten. Wer hat nun die beiden Chronostichen verdorben oder nicht ver-
standen? Gewiß beide nicht, weil überhaupt keine vorhanden waren. Wie
sollte der Fälscher oder der spätere Restaurateur, die sich in alle Details
mit so großer Treue verlieren, dazu kommen, etwas so Wesentliches wie die
Hervorhebung der Chronostichen zu eliminieren? Oder, mit welchem Recht
machen wir einen der beiden Anonymen zu einem solchen Ignoranten,
daß er die Inschrift nicht versteht? Wir tun gut, uns auf so kühne Kom-
binationen, die schließlich aus einer Summe von Unwahrscheinlichkeiten
die Möglichkeit einer Fälschung ableiten, nicht einzulassen. Auch die Hand-
schrift selbst ist unverdächtig; auf sie kommen wir noch bei Besprechung
des Dresdener Reisealtärchens zurück.
Die Persönlichkeit des Porträtierten als eines Zeitgenossen des Jan
van Eyck ist festgestellt, also geht das Bildnis auch ikonographisch mit
unserem Künstler zusammen. Aber noch könnte ein Maler-Genius von
gleicher Potenz gelebt haben, der bis zur Stunde dem scharfen Auge der
archivalischen Forschung entgangen ist. Eine solche Annahme hat wenig
Wahrscheinlichkeit für sich, das weiß auch Voll, also bleibt ihm keine andere
Wahl, als einfach die zweifelhaften Werke einer späteren Zeit zuzuteilen.
Daß eine so schwerwiegende Behauptung eingehender Begründung bedarf,
unterliegt keinem Zweifel. Doch glauben wir, daß ein jeder Versuch in
diesem Sinne auf den schärfsten Widerspruch stoßen wird. Denn etwas
ist dem gesamten Porträtwerke Eycks eigen, eine monumentale steife Ruhe
unter Vermeidung größeren Beiwerks. Sie wirkt geradezu plastisch, gleich
groß in Formensprache und seelischem Ausdruck. Die Nachfolger des
Künstlers ziehen die Landschaft in weitem Umfange heran. Diese ist als
belebendes Element gedacht. Noch vermag sie aber, von einigen Arbeiten
des Memling und Bouts abgesehen, den Eindruck einer geschlossenen Kom-
position weder der Anlage noch der Farbe nach zu erwecken. Auch mit
der raumlosen Tiefe, wie sie von Eyck in die Porträtkunst eingeführt wurde,
vermag die jüngere Generation nichts anzufangen. Wo sie sich findet, fördert
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
491
sie entweder die dumpfe Ausdruckslosigkeit wie bei Petrus Christus oder
hebt die Übertreibung des Charakteristischen wie bei dem Meister von
F16malle aufdringlich hervor. Es ginge zu weit, auf alle Einzelheiten einzu-
gehen; wir sind überzeugt, daß jede Bemühung, Analogien zwischen den
bezweifelten Werken und Arbeiten der nacheyckischen Zeit aufzufinden,
erfolglos bleiben wird.
Absichtlich haben wir uns jeder Meinungsäußerung über den Eindruck,
den das Bildnis des Jan de Leeuw auf uns macht, enthalten, können jedoch
nicht unterlassen, der Vollschen Beobachtung von »sehr leeren Formen
mit dem unreellen Effekt des allzu scharf blickenden Auges«, die Worte
Kaemmerers: »wenige Bildnisse Jans enthüllen so viel seelisches Leben
wie dies« 6) gegenüberzustellen. Die beiden Urteile sagen so ziemlich das
Schlechteste und Beste, was sich kurzerhand ausdrücken läßt. Die Wahrheit
liegt nicht etwa, wie versöhnliche Geister glauben mögen, in der Mitte;
sie ist auf dem Wege subjektiver Bewertung, die sich von Gegensätzen nährt,
überhaupt nicht erreichbar.
In der Königlichen Gemäldegalerie zu Dresden zieht ein Flügel-
altärchen der Familie Giustiniani, als Reisealtärchen Karls V.
weithin bekannt, seit langer Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.
Es trägt keine Bezeichnung, und seine Provenienz ist nicht bekannt. Wahr-
scheinlich wurde das wertvolle Stück unter König August III. in Paris
erworben, indessen geben die Akten des Archivs der Galerie keinen Auf-
schluß. Zum ersten Male taucht es im Jahre 1765 in dem »Catalogue des
tableaux de la Galerie electorale de Dresde« unter dem Namen Albrecht
Dürers auf. Lange Zeit hindurch blieb es bei dieser Taufe, bis daß seit dem
Jahre 1846 das Altärchen als eine Eycksche Arbeit unbestrittene Aner-
kennung gefunden hat. Auch Voll spricht dem Meister nur die Flügel ab,
ohne jedoch bei seiner Beweisführung sonderlich überzeugend zu sein.
Der erste Eindruck, den das Auge vor dem Altärchen erhält, ist der
einer unbedingten Zusammengehörigkeit von Mittelbild und Flügel. Die
bis dahin noch von keinem Meister erreichte Verteilung von Licht und
Schatten in dem Binnenraum, die in den hellen Partien stark durchleuch-
tende braune Untermalung, die schweren grauen Töne des Schattens, der
gleichmäßige und feinvertriebene Farbenauftrag, das Spiel des Lichtes
auf dem Ornament des Kapitäls, alles zeigt eine so klare Übereinstimmung
in den einzelnen Teilen des Altars, daß auch das geübteste Auge, in der
Technik einen Widerspruch nicht zu erblicken vermag. Allein in der Kon-
zeption macht sich ein Unterschied geltend. Mehr Licht durchflutet den
Raum des rechten Flügels. Es strömt durch das geöffnete Fenster herein,
6) Ludwig Kaemmerer, a. a. 0. S. 74.
492
Fritz Rupp:
in dessen unmittelbarer Nähe die hl. Katharina ihren Standort hat. Kräftig
leuchtet der Surcot mit seinem satten Ultramarinblau auf. Er ist in üppiger
Verschwendung mit Hermelin besetzt und verleiht der zarten Gestalt einen
licht- und farbenfrohen Akzent, über den die Madonna des Mittelbildes
nicht verfügt. Von koloristischer Wirkung sind auch die Flügel des Erz-
engels Michael, und sein Inkarnat ist frischer als dasjenige des Donators.
Das alles ist nicht ohne künstlerische Absicht geschehen und hebt auch das
linke Flügelbild der Farbe nach hervor. Die Aufgabe für den Künstler
war in den Flügeln eine andere als in dem Mittelbilde. Dort ist die Persön-
lichkeit das Dominierende, hier interessiert den Künstler vor allem das
Problem der Raumverteilung. Über diesen Gegensatz kam Eyck noch nicht
hinaus. Die menschliche Gestalt hat es ihm angetan und, erfüllt von dem
Streben, das individuelle Leben mit größter Treue wiederzugeben, verliert
er den sicheren Blick für die Gesamtkomposition. Darunter leidet der Dres-
dener Altar, wie auch das Bild des Kanonikus Paele und vor allem die kleine
herrliche Schöpfung der Kirchenmadcnna. Eyck überwindet die Vergangen-
heit nur schrittweise, und wenn sich bei dem Gotiker der Einfluß seiner
Vorgänger in der Wiedergabe des Menschen am längsten erhält, so entspricht
dies einer inneren stilgerechten Entwicklung. In der Tafelmalerei erwies
sich die Tradition am zähesten und büßte auch einem Meister wie Eyck
gegenüber ihre Widerstandsfähigkeit nicht völlig ein. In der Gotik des
14. Jahrhunderts duldete der Mensch keine Pflege des Beiwerks, und Eyck
nahm ihm nichts von seiner Bedeutung für die religiöse Malerei. Woher sollte
da eine sprunghafte Entwicklung kommen? Das hätte auch in innerlichem
Widerspruch mit der gesunden und klaren Kunst des Meisters gestanden.
Aus der Miniaturmalerei ging diese Kunst nicht hervor, und wir neigen
dazu, mit Voll eine Beeinflussung seitens der Miniatoren außerhalb der
Landschaft nicht anzunehmen.
Prüfen wir die malerische Konzeption im einzelnen, so fällt die Über-
einstimmung des Interieurlichtes mit dem der Lucca-Madonna in Frankfurt
a. M. auf. Auch die Töne der Seitenflügel sind nicht »lebloser und kälter«,
und wenn ohne Rücksicht auf den dimensionalen Unterschied eine Neben-
einanderstellung gestattet ist, so blicke man auf die Farbe der Madonna
des Kanonikus Paele in Brügge, um sich des inneren koloristischen Zu-
sammenhanges bewußt zu werden. Eine vielseitige Bewunderung haben
wir stets für das Altärchen gehabt, so für das Brillantgrün des Mantels,
worein der knieende Donator gehüllt ist. Ebenso glauben wir in den weißen
Lichtern des Inkarnates die Hand Eycks zu erkennen. Der sichere Auftrag,
die klare Anordnung schließt für den Erzengel Michael die Annahme der
Arbeit eines fremden Künstlers geradezu aus. Man halte doch einmal das
Berliner Bild »Maria mit dem Kinde vor dem Karthäuser« daneben und
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
493
lerne hieraus, wie sich bei gleicher Technik die Genialität des Schöpfers
von der erstaunlichen Virtuosität eines Schülers unterscheidet. Neben einer
hervorragenden Detailbehandlung und Perspektive erscheinen die kalte
Farbe, die Ausdruckslosigkeit und die röhrenförmigen Hälse geradezu
abstoßend. Eine eingehende Betrachtung dieses rätselhaften Werkes kann
für die Eyck-Forschung nicht warm genug empfohlen werden, und wir
bezweifeln, ob Tschudi, hätte er seinerzeit die Kartäuser-Madonna un-
mittelbar mit dem Dresdener Triptychon verglichen, so ungewöhnliche
Worte des Lobes 7), die zurückzunehmen ihm gewiß nicht leicht geworden ist,
gefunden. Aber auch in die Nähe des Petrus Christus, wie man heute in
Berlin will, gehört das Bildchen nicht. WTir denken vielmehr an den jungen
Memling. Darüber mag an anderer Stelle gesprochen werden. Der engen
Beziehungen wegen, die das kleine Werkchen, was Technik und Anlage
anbetrifft, zu dem Dresdener Altar hat, mußte es erwähnt werden.
Wir kommen zur Besprechung der Mängel des berühmten Triptychons.
Sie sind hier ebensogut wie bei anderen Schöpfungen des Meisters zu finden.
Nicht um dem Werke zu schaden, heben wir sie hervor, hoffen vielmehr,
daß unsere Kritik dazu beitragen wird, einer einseitigen Beurteilung die
überzeugende Kraft zu nehmen. In dem Mittelbilde ist der Gegensatz des
hellen und dunklen Seitenschiffes nicht klar zum Ausdruck gebracht, und
auf die augenfällig fehlerhafte Perspektive kommen wir noch zurück. Die
Stufenerhöhung des Thrones, worauf die Madonna sich niedergelassen hat,
ist durch den Teppich recht ungeschickt wiedergegeben. Der Künstler
versucht die Schwierigkeit der Verkürzung durch einen nachlässigen Hin-
wurf zu heben, konnte aber die Abschattung ebensowenig festhalten wie
den notwendigen Bruch in der Linienführung. Auf dem rechten Flügel
des Altärchens schwebt der Mantelwurf des Donators in der Luft, und in
dem Erzengel Michael kehrt das perückenartige Haar des Engels der Ver-
kündigung von dem Genter Altar wieder. Spuren der Flüchtigkeit sind
auf der Säule im Vordergrund des Flügels mit der hl. Katharina sichtbar,
während der Zustand des Surcots auch auf die schlechte Erhaltung des
Bildes zurückgeführt werden kann. Alles in allem sind das Ausstände, die
mit Zweifeln an die Urheberschaft Eycks nichts zu tun haben. Schwerer
wiegt dagegen jener Vorwurf, der sich auf die Perspektive in dem Mittelbilde
und den Flügeln beruft * * 8). Könnte sich die Richtigkeit eines solchen Ein-
wandes erweisen lassen, so müßte die Echtheit des Werkes der fehlenden
Einheitlichkeit in dem Entwurf wegen erheblichen Bedenken unterliegen.
7) Jahrbücher der Königl. Preuß. Kunstsammlungen. Bd. X, 1889, S. 154 ff. und
Bd. XV, 1894, S. 65 ff.
8) Karl Voll, Die altniederländische Malerei von Jan van Eyck bis Memling
Leipzig 1906, S. 41.
Königl. Gemälde-Galerie zu Dresden.
494
Fritz Rupp:
Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
495
Daß Eyck verschiedene Augenpunkte für die einzelnen Begrenziingsebenen
angenommen hat, darf man als bekannt voraussetzen. Suchen wir nun die
Bodenbegrenzungsebene des Mittelbildes durch Orthogonalen, paarweise
vom Rande aus in gleicher Entfernung gezogen, zu bestimmen, so ergeben
sich zwei Augenpunkte d und e (s. Abb.), die nicht einmal auf dem gleichen
Horizont liegen. Der Boden der Kirche steigt rechts an, was sich von einem
geübten Auge auch ohne lineare Aufteilung erkennen läßt. Für die. Flügel
fehlt es auf der rechten Seite an der geeigneten Bodenzeichnung, auf der
linken lagert sich der Augenpunkt in f zwischen die Höhen von d und e ein.
Die Augenpunkte der Höhenbegrenzungsebenen, an Orthogonalen in tun-
lichst weitem Abstand gemessen, ergeben im einzelnen die Schnittpunkte
A, B und C. Die Unterschiede sind für die verschiedenen Begrenzungs-
ebenen so gering, daß man mit Recht die hohe Kunst in der freien Behand-
lung der Perspektive bewundert. Die Konzeption verweist mit großer Sicher-
heit auf eine ausführende Hand für das ganze Triptychon.
Noch hat uns die Inschrift auf dem Rande zu beschäftigen. Sie zieht
sich in gleicher Weise fortlaufend um Mittelbild und Flügel, und ihre enge
Übereinstimmung mit der Bezeichnung auf dem besprochenen Wiener
Porträt des Jan de Leeuw fällt sofort in die Augen. Hier wie dort haben
wir es mit einem alten Rahmen zu tun, auf beiden Werken sind die teilweise
gotischen und lateinischen Buchstaben gelb gehöht, und ist der Grund
in einem schweren van Dyck- Braun ausgeführt. In der Kalligraphie lassen
sich auch bei der schärfsten Untersuchung keine zwei Hände unterscheiden.
Prüfen wir die Buchstaben im einzelnen. Neben dem H der Kapitalschrift
findet das gotische Zeichen häufige Anwendung. Ebenso verhält es sich
mit dem Buchstaben C; er wechselt ganz willkürlich mit dem griechischen
Zeichen des S, das uns von- dem Londoner Timotheosbild her wohlbekannt
ist. Ein innerer Zusammenhang der beiden Werke oder ihrer Vorlagen
scheint somit zu bestehen. Eine weitere Beobachtung wird auch die letzten
Bedenken zerstreuen. Auf dem Bildrande des Jan de Leeuw in Wien hat
der Künstler in dem Worte »gheconterfeit« den Buchstaben C in Form
der alten G-Unziale wiedergegeben, in der Inschrift des Flügelaltärchens
findet sich das Zeichen wiederholt. So wenig diese Schreibweise als eine aus-
schließliche Eigenheit Eycks angesehen werden kann (wir sind auch in
Handschriften und anderen Bildwerken darauf gestoßen), so macht doch
eine so auffallende Erscheinung wie das einmalige Vorkommen des ab-
weichenden Buchstabens auf dem Wiener Bilde gewiß nicht den Eindruck
einer bestellten Arbeit. Fassen wir daher alle schriftartlichen Analogien
sowie die Übereinstimmung in der Ausführung zusammen, so glauben wir
mit Recht eine einzige Hand in den Randinschriften erkennen zu dürfen.
Allein damit wäre die Annahme einer Fälschung für beide Fälle noch nicht
496
Fritz Rupp: Die angefochtenen Bilder des Jan van Eyck.
aus der Welt geschafft. Es könnte ja ein Fälscher — usum transcribendi —
die Eycksche Hand bis zur vollendeten Täuschung nachgeahmt haben.
Warum fehlt alsdann die so Nichtige Namensbezeichnung auf dem Dresdener
Altar? Wir haben keine Erklärung dafür. Eyck hat überwiegend seine
Bilder bezeichnet; er hat es auch unterlassen, wie es zu einer Zeit, da man
in der Hauptsache auf feste Bestellung hin arbeitete, üblich war. Ein Be-
trüger konnte sich diesen Luxus nicht erlauben. Ohne die namentliche
Inschrift hätte er keinen angemessenen Preis für den Altar erhalten und
die ganze mühsame Arbeit keinen Sinn gehabt. Auch die Annahme einer
Vollendung des Werkes durch einen Schüler ruft nur Schwierigkeiten hervor.
Was soll in diesem Falle mit dem Wiener Bildnis, dessen engen Zusammen-
hang mit dem Dresdener Altar wir oben festgestellt haben, geschehen?
Dort ist der Name des Künstlers voll ausgeschrieben. Wir sehen, wie die
Verwirrung durch etwaige Zweifel an die Echtheit des Bildes immer größer
wird. Aber auch aus rein äußeren Gründen vermögen wir uns nicht zu
entschließen, das Mittelbild des Werkchens allein als echt anzuerkennen.
Kommt einem Schüler Eycks das Verdienst der Vollendung zu, weshalb
verbirgt sich der Meister hinter der Anonymität? Wir besitzen nicht die
Naivität, einem jungen Künstler so gleichmütig die mühevolle Arbeit der
Nachahmung des Eyckschen Stiles zuzuschreiben. So billig war der Lorbeer
zu jener Zeit nicht, und der Beruf eines Wappen- und Standartenmalers
nicht so verlockend, um die übertriebene Pietät, wie sie die Ausschaltung
der eigenen Person darstellt, glaubhaft zu machen. Das prachtvolle Tri-
ptychon kann, wie es auch immer entstanden sein mag, unter dem Mittelgute
jener Zeit nicht untergebracht werden. Von dem Vollender des Altars wäre
ebenso wie von dem großen Unbekannten der übrigen angezweifelten Bild-
nis^ mehr auf uns gekommen. Haben wir es aber mit einer systematischen
Fälschung Eyckscher Bilder aus einem späteren Jahrhundert zu tun
— seit 1765 ist das Werk mit Sicherheit nachgewiesen — so ist das Fehlen
der Bezeichnung für den Dresdener Altar noch rätselhafter. Begnügen
wir uns also damit, daß das Triptychon auch von dem, der einer objektiven
stilkritischen Untersuchung nicht immer zugängig ist, aus rein äußeren
Gründen dem großen Meister nicht abgesprochen werden kann.
Eine gereimte Erzählung auf den Maler Konrad Witz.
Von Helmuth Th. Bossert.
Welche Berühmtheit der von Burckhardt x) entdeckte oberrheinische
Künstler Konrad Witz bei seinen Zeitgenossen erlangte, geht von neuem
aus einem Gedicht, dessen Zusammenhang mit diesem Maler kürzlich von
mir erkannt wurde, hervor. Dasselbe, leider nur als Bruchstück auf uns
gekommen, findet sich in der Karlsruher Papierhandschrift Nr. 408 *), die
auf 191 Blättern poetische Erzählungen enthält. Der Verfasser desselben
ist uns unbekannt, war aber sicher nach der Mitteilung des Herrn Dr. Rieser-
Karlsruhe in der Gegend des Oberrheins wohnhaft; die Schrift weist
meines Erachtens ungefähr auf die Jahre 1460 — 1480 hin. In dem Manuskript
sind die Blätter 103, 133, 134, 135, 187 ausgerissen, wovon gerade die Blätter
133 f. auf unser Gedicht entfallen. Ein Besitzer der Handschrift am Anfang
des 16. Jahrhunderts nennt sich auf der inneren Deckelseite: Heinrich
All; später kam sie in die Bibliothek des Ernst Ludwig Posselt, aus der sie
in die Karlsruher Hof- und Landesbibliothek gelangte.
Wenngleich auch der Stoff der unten zum Abdruck gebrachten Er-
zählung nicht für völlig historisch zu erachten ist, so sind uns doch durch
den anonymen Dichter, der jedenfalls ein späterer Zeitgenosse von Witz
war und gut in Basel gewesen sein konnte, zahlreiche wichtige Tatsachen
überliefert, die, da sie für den eigentlichen Gang der Erzählung nichts be-
deuten, um so höher zu werten sind. So vor allem, daß Witz, in Basel mit
einer schönen Frau 3) verheiratet, auch Holzschnitzer war und eine größere
Werkstatt unterhielt. Wer würde ferner bei den Versen 15 — 18 nicht an
das liebliche Bild (hl. Katharina u. hl. Magdalena) in den Straßburger Samm-
lungen erinnert, auf dem wir im Hintergründe deutlich einen Bilderladen
gewahren! Könnte dieser nicht ein getreues Abbild des Witzschen Ladens
in Basel sein?
J) Vgl. D. Burckhardt: Studien zur Geschichte der altoberrheinischen Malerei.
Jahrb. 27 (1906) S. 179 ff. u. d. Festschrift zur Basler Bundesfeier 1901.
2) Über die Handschrift selbst vgl. den Katalog d. Gr. bad. Hof- und Landesbibliothek
von Wilhelm Brambach (1896) S. 66 ff.; ferner das Verzeichnis altdeutscher Handschriften
von Adelbert v. Keller, herausgegeb. von Eduard Sievers (1890) S. 2 ff.
3) Bekanntlich hieß die Frau des Konrat Witz Ursula und war eine geb. Dreyger
von Wangen ; sie starb bald nach dam Tode ihres Gatten.
498
Helmuth Th. Bossert:
Zur Edition des Gedichtes bemerke ich noch: Die Handschrift ist von
mir sehr genau durchgesehen worden, und zeigt untenstehender Abdruck
dieselbe Orthographie wie das Original. Wo ich mir textkritische Ab-
weichungen erlaubte, sind sie angemerkt. K. bedeutet die Ausgabe des
Gedichtes von Adalbert v. Keller in seinen Erzählungen aus altdeutschen
Handschriften (1855). H. = Originalhandschrift. Die zahlreichen Ab-
kürzungen sind im Sinne des Schreibers aufgelöst; die betreffenden Buch-
staben sind jedoch im Texte kenntlich gemacht. Die Interpunktion stammt
von mir.
Text.
Von dem inoler mit der schon frawen.
pag. CXXXII recto: Eyns merleins wil ich euch gewern,
Das ist wor vn(d) hörst ir gern,
Das in ein(er) s t a t geschach
Bey dem rein, als man jach.
5 Do was ey(n) maler wiczen,
Der kond moln vn(d) s n i c z e n ,
Er was burg(er) in eyn(er) stat,
Der schonste(n) weyb er eins hat,
Die man kond find(e)n do
10 Oder jndert anders wo,
Mit suzze(n) sitte(n) gemeit.
Sie lebte(n) mit wirdikeit.
Sein knecht molten vn(d) s n i t e n
Bild noch meist(er)lich(e)n syten.
15 Der het [er] in d(er) kamm(er) weyt
Beyde hin vn(d) her g e 1 e y m t
Mit silber vn(d) mit golde,
Als ers v(er)kauffen wolde.
Nu was ey(n) münch abtru(n)nig word
20 Vo(n) ey(m) swarcz(e)n orden,
Den der teuffei dar zu bracht,
Daß er anleyt w(erl)tlich war
Durch seyn vppigen sin.
Er kam zu der selb(e)n stat hin,
25 Do der moler was gewon
Mit sein(er) my(n)necklich(en) kon.
Er wart do pferer.
Nymat west, das er ey(n) münch wer,
Wan got vn(d) sein wißen.
30 Auch het. er sich geflizzen,
Daß er dor an v(er)richtig waß,
Was man sang oder laß.
pag. 132 verso: Nu zwanck jn die my(n)n dor zue,
Daß er spot vn(d) frue
35 Warpp mit seine(m) synne
Vmb die molerynne.
Eine gereimte Erzählung auf den Maler Konrad Witz.
499
Ging sie zer kirch(e)n od(er) zu straß(e)n,
Er wolt sie nit erlaß(e)n;
Sie ne(m) sein red ver guet.
40 Nu het sie weyplich(e)n muet:
Sie wert sich seins werben.
Sie gedacht gar v(er)derb(e)n
An trewen vn(d) an eren.
Dor an wolt er sich nit ker[e]n
45 Der tvmme pfarer.
Des wart der frawe(n) swer.
Die red ich kurcz(e)n wil.
Er pot ir pfennig vil,
Die er ir wolt geb(e)n.
50 Nu gedacht sie ir eb(e)n,
Wie sie mit eren wurd,
An die großen burd,
Die der pfar(r)er wolt lad(e)n
Auf ir ere vn(d) irn *chad(e)n,
55 Eines nachtes sie do lack
Bey ire(m) man vn(d) der my(n)ne pflack,
Vn(d) er ir lieb mit lieb galt,
Do w(ar)t ir red manigfalt.
Sie kosten mit ey(n)and(er)n
60 Vn(d) retten ein vnd and(er)n.
Do sp(ra)ch die molerin guet
Auß getrewlichem muet:
»Liber freünt vn(d) wirt mey(n),
»Mag es mit hulde(n) gesein,
65 »So wil ich dir ey(n) teyl v(er)ieh(e)n,
»Daß icht schad(e)n do vo(n) gescheen
»Beyde dort vn(d) auch hie.« —
Er sp(ra)ch: »fraw, sagt an, wie,
»Das wir den schad(e)n vnt(er)stan.
70 »Hat vns ymat icht getan
»Oder wil vns schad(e)n yman.
»Daß soltu mich wißen lan.« —
Sie sprach: »d(er) pferer, d(er) hie ist,
»Der lost kein frist
75 »Mit seine(m) werb(e)n on not.
»Nu hon ich jm lang gedrot,
»Ich wolt dirs w(er)lich sagen
»Vn(d) sein werb(e)n nit v(er)dagen,
»Daß er vff my(n) ere tuet.« —
80 Er sp(ra)ch: »libe frau guet,
»Ich traw dein(er) weypheit wol.
»Sein gewerb ich vnt(er)farn sol,
»Vn(d) solt es mir koste(n) leyb vn(d) leb(e)n.
»Was beut er dir zu geb(e)n ?« —
[jOO Helmuth Th. Bossert: Eine gereimte Erzählung auf den Maler Konrad Witz.
85 Sie sp(ra)ch: »daß tut er geringe,
»Vierczick pfünt pfennige
»Vnd ev(n) pelcz veh(e)n
»Jerlich(e)n zu leh(e)n,
»Daß ich sein will(e)n tue.
90 »Here, nu rat selber zue,
»Daß wirs mit ern w(er)d(e)n an,
»Vn(d) daß dor vmb icht w(er)d gethan
»Im an seine(m) leib.« —
Do riet er dem weyb,
95 Daß sie jm also deten,
Daß sein ere werd v(er)tret(e)n
Vnd ir lob wurd vesten.
Nu fugt sich zum leczsten,
Daß der pfa(r)er ab(er) v(mb) die my(n)ne bat.
100 Die fraw geviel jn ey(n) rat
Vn(d) sp(ra)ch, das er die pfe(n)nig brecht.
So wurd sein sach siecht.
Die pfe(n)nig er mit ym nam,
Verholn er zu der frawe(n) kam.
105 Die bracht jn tauge(n) jn ein g a d ( e ) n ,
Daß was mit pild(er)n vb(er)lad(e)n.
Dar jn stund ey(n) betstat
5 K. vermutet falsch »mit witzen«; H. nur »wiczen«. 6 K. maln. 7 H. hat »Es«
= Schreibfehler. 9—10 K. hat »da« und »wa«. 13.H. hat »mogten« mit übergeschriebenem
»ch«. 14 H. hat »meinsterlichen«. 15 Der = Schreibfehler für »die« (K.); »er« ergänzt.
16 H: »geleymt wyd(er)streit«, was keinen guten Sinn gibt. 28 K.falsch »Nymant«; ferner
falsch »munich«. 31 K. »dar«. 33 K. »in« und »dar«. 34 K. »spat«. 36 K. »molerinne«.
39 K. »gut«. 44 K. »dar« 44 H. »kern«. 58 K. »ward«. 62 K. »mut«. 75 K. »an<<- 76 K.
»han«. 82 H. »Dein« = Schreibfehler. 86 K. »pfunt«. 92 K. »dar«. 95 K. »im«. 98 K.
»letzsten«. 103 K. »pfening«.
Nachbemerkung : Zweifelsohne haben wir in dem hier mitgeteilten
Texte nicht die Originalniederschrift zu sehen, wie aus verschiedenen
Mißverständnissen und auch aus der kritischen Betrachtung der übrigen
Teile der Handschrift ergeht; sie ist lediglich eine von einem Schreiber
veranstaltete Abschrift. Das Originalgedicht könnte also sehr wohl bald
nach dem Tode des Konrat Witz, zirka 1450, in Basel oder in der Umgegend
verfaßt sein, eine Tatsache, die mir für die historische Bewertung des
Textes außerordentlich wichtig erscheint. —
Eine nochmalige genaue Untersuchung des Straßburger Bildes ergab,
daß in dem Bilderladen nicht nur Gemälde, sondern auch zwei Holz-
statuetten, worunter eine Madonna mit dem Jesuskindlein deutlich erkenn-
bar, zur Ausstellung gebracht sind.
Ein Bild von Mathias Grünewald.
Von Heinz Braune.
Im letzten Heft des Repertoriums hat H. A. Schmid am Schluß seines
Aufsatzes über die Chronologie der Werke Grünewalds auf eine »Entdeckung«
von mir hingewiesen, und ich muß diese geheimnisvolle Andeutung nun wohl
aufklären. Da sei es zunächst erlaubt, das gerade in unseren Tagen so
stark diskreditierte Wort »Entdeckung« gegen ein anderes einzutauschen;
handelt es sich doch auch gar nicht um eine solche, da das Bild, von dem die
Rede sein wird, längst bekannt ist, sondern lediglich um eine Reihe von
Beobachtungen, die an ihm gemacht wurden.
Die „Verspottung Christi“, um die es sich handelt, ist hier abgebildet.
Das Bild, mäßiger Größe und offenbar zu einer Folge von Passionsdarstellun-
gen gehörig, befindet sich in der Münchener Universität, in die es vor mehr
als IOO Jahren (— damals noch nach Landshut — ) von der Zentralgemälde-
galerie abgegeben worden war. Weiter zurück finden wir es 1803 im Karme-
literkloster zu München, wo es der Galeriedirektor v. Männlich in der Liste der
bei der Säkularisierung für die Staatssammlungen zu requirierenden Kunst-
schätze aufführt. Entstanden ist es, laut Inschrift, im Jahre 1503. Als ich
vor einiger Zeit das mir längst bekannte Bild von neuem betrachtete, wurde
ich betroffen nicht nur von seiner hohen Qualität, sondern noch mehr von den
zahlreichen Analogien zu den gesicherten Bildern Grünewalds, die sich
meinem Auge aufdrängten. Ich gewahrte eine Farbe, warm und schimmernd,
kräftig und zart zugleich, sah eine unerhört malerische Behandlung der
Formen, eine Komposition, ähnlich unserem Erasmus-Mauritiusbilde in der
Pinakothek, und fand hinter all diesem eine Auffassung und eine stark
persönliche Psychologie, die mir von nirgend, als von Grünewald her be-
kannt war.
Das höchst anziehende Problem, die Stellung eines so bedeutenden
Bildes zu fixieren, führte mich zu genaueren Vergleichen, die anzustellen mir
um so leichter waren, als mir die Freundlichkeit und Unterstützung Herrn
Prof. Riehls es ermöglichten, das Bild für mehrere Tage von seinem bis-
herigen Standort in die Pinakothek zu überführen, um es dort in hellem
Licht und neben dem Mauritiusbild sorgsamer untersuchen und photo-
M. Grünewald, Verspottung Christi.
502
Heinz Braune:
Ein Bild von Mathias Grünewald.
503
graphieren lassen zu können. Die Resultate seien im folgenden kurz
niedergelegt:
Die eindrucksvolle Komposition, die — wie fast alle Kompositionen
Grünewalds schon ikonographisch etwas Einzigartiges darstellt, baut sich
in Kontrasten auf: Links vorn, sitzend, ganz leidend, »passiv« im vollsten
Sinne, sitzt Christus, ein wenig nach vorn (nach der Bildmitte zu) geneigt,
der eigentliche Schwerpunkt des Bildes, auf den von 3 Seiten lebhafteste
Aktionen hinlenken: Links der Trommel- und Flötenspieler, von oben der
Faustschläger, rechts, als der Bedeutendste, der Scherge mit dem Strick,
der wiederum in doppelter und kontrastierender Aktion befindlich ist: mit
dem einen Fuß nach rechts ausschreitend und Christus am Strick mitzerrend,
mit dem Kopf aber nach links zurückgewandt und ebenso mit der Rechten
zum Schlage nach links ausholend. Den umgekehrten Rhythmus zeigt die
hintere Reihe. Hier links die starke Bewegung des Faustschlägers gedämpft
durch die ruhige Figur des Kurzgeschorenen rechts und die beschwichtigende
Gebärde des diesem die Hand auf die Schulter legenden Mannes. — Findet
sich ein ähnlicher Parallelismus der Aktion in Vordergrund und Mittelgrund
bei der Disputation des heiligen Erasmus und Mauritius, so ähneln sich beide
Bilder doch mehr noch in der ganzen Gruppierung, die die Bildfläche mit den
Figuren nahezu völlig bedeckt, ohne doch, — wie es in solchen Fällen im
r5- Jahrhundert so oft zu finden ist, — eine Reliefordnung zu bilden. Grüne-
wald liebte es nicht, die Schauplätze seiner Darstellungen durch reiche
Linearperspektiven zu kennzeichnen, noch überhaupt sie exakt realistisch zu
schildern. Ihm waren die handelnden und leidenden Menschen die Haupt-
sache, und es ist für sein Temperament sehr bezeichnend, daß er das Raum-
problem von der konstruktiven Seite kaum kennt, wo Dürer sich mit Messun-
gen und Berechnungen zeitlebens plagt. Dürer strebt nach Erkenntnis,
Grünewald ringt um Ausdruck für sein Gemüt. So schildert er den Raum,
den sein Auge malerisch erfaßt, zwar an sich oft reicher und überzeugender
als Dürer, aber er vermeidet es gern, ihn als reale, fest bestimmte Örtlichkeit
zu charakterisieren. Beim Erasmusbild schließt die Szene hinten ein Vor-
hang ab, bei unserem Bild einfach dunkler Grund. Man fragt auch nicht nach
Gebälk, Wölbungen oder Wandflächen, wo eine Szene sich abspielt, wie
diese. Der Raum besteht für Grünewald meist nur, so weit Figuren zu
Figuren gestellt sind; was darüber ist, das interessiert nicht mehr. Kein
Künstler vor Rembrandt hat es so verstanden, die vorderen Figuren im Licht
zu halten und dahinterstehende in Dämmer zu tauchen, um sie mit den vor-
deren räumlich desto fester zu verbinden. Bei unserem Bild wreise ich nur
auf die untere Partie hin, wo das immer tiefer abgestufte Grau die Füße der
hinten Stehenden in weiche Schatten hüllt, wie bei dem Erasmusbild, und auf
die Köpfe der letzten Reihe und die zarten Töne der Stangen und Lanzen, die
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
34
Gränewald, Details aus der Verspottung Christi.
5°4
Heinz Braune:
Ein Bild von Mathias Grünewald.
505
aus dem Dunkel des Hintergrundes sanft herüberklingen, wie beim Erasmus-
bild und wie auf der Kreuzschleppung in Karlsruhe. Je mehr wir ins Ein-
zelne dringen, um so deutilcher werden die Analogien. Grünewald hat eine
ganz bestimmte Art, seine Menschen hinzustellen, in Ruhe, handelnd oder
redend. Die letzte besonders kennen wir von dem Colmarer Johannes
unterm Kreuz oder von dem heiligen Mauritius der Pinakothek her. Nun
betrachten wir den barhäuptigen Dicken rechts im grauen. Kittel. Er steht
da, mit dem nach vorn gerichteten linken Fuß und dem so charakteristisch
durchgedrückten und Vorgesetzten rechten Bein, — Zug um Zug gleich —
wie der Mauritius; er spricht, und die Gebärde des Sprechens ist die
gleiche, wie die des frommen Mohren, nur etwas zaghafter, weniger frei;
weniger entwickelt, — zwei Jahrzehnte trennen beide voneinander!
Nichts vielleicht aber ist charakteristischer bei Grünewald, als die
Hände. Wo immer er eine bildet, bis in die späteste Zeit, ist sie unverkennbar
Grünewaldisch. Er reißt sie auseinander, läßt die Finger in den divergierend -
sten Richtungen spielen, faßt die Hand nicht als Masse auf, sondern als das
beweglichste und in der Bewegung mannigfaltigste Organ des menschlichen
Körpers. Man wird nicht leicht eine engere Verwandtschaft finden, als
zwischen Händen, wie etwa denen der Engel bei der heiligenNacht in Colmar
und jenen des Flötenspielers auf der Münchener Verspottung Christi. Wenn
bei Grünewald einer nur ein Buch faßt, — wie differenziert er die Kraft-
leistung der Hand in den Fingern (vergl. den heiligen Laurentius in Frank-
furt a. M.) ; ähnlich hier bei der Hand ganz rechts, die sich auf die linke
Schulter des Kurzhaarigen legt. Oder man vergleiche die geballte Faust
des Zuschlagenden links etwa mit jener des Zuschlagenden rechts auf der
Kreuzschleppung in Karlsruhe. — Muß ich noch auf die gebogenen Finger
auf Grünewalds Bildern hinweisen ? Und auf die unvergleichliche Schönheit
der Hände Christi auf unserem Bilde, die im Verein mit dem Strick, der
mit so sensiblem Schönheitsgefühl um und durch die Hand des Knechtes
geschlungen ist, ein wundervolles rhytmisches Spiel bilden?
Es ist vielleicht mißlich, von der Farbe eines Bildes zu reden, ohne daß
dem Betrachter der farblosen Reproduktion die Nachkontrolle der Beobach-
tungen ermöglicht wird, noch dazu bei der unüberwindlichen Schwierigkeit, die
Farbtöne der Einbildungskraft des Lesers durch Worte hinreichend deutlich
vorzustellen. Bei Grünewald ist es unerläßlich, vielleicht aber auch leichter,
als in anderen Fällen. Wer Grünewald kennt, trägt die Farben seiner Bilder
in seinem Gedächtnis. Grünewald hat ein bestimmtes, unverkennbares, tief-
glühendes Rot, das an Karmin streift. Es findet sich be: dem auferstehenden
Christus in Kolmar, bei dem Johannes unterm Kreuz usw., — und ein anderes
ebenso unverkennbares Rot, heller, mehr ziegelartig, — wie etwa bei dem
anderen Johannes, der Maria stützt. Beide finden sich auf unserem Bild,
34
5°6
Heinz Braune:
Das erste glüht aus dem Grau der zugenestelten Jacke des Barhäuptigen
rechts zwischen den Schnüren hervor und findet sich an dem Untergewand
des gelben Trommlers; das zweite schmückt die Jacke des Faustschlägers
links. Auch das charakteristische Blaugrün ist da, und der Mantel Christi
hat dieselbe Färbung wie jener auf der Kreuzschleppung in Karlsruhe. Kein
deutscher Maler aber hat soviel mit Grau gearbeitet, um farbigen Reichtum
zu erzielen, als Grünewald. Er modelliert mit Grau, er arbeitet damit in
die tiefsten und prächtigsten Farben hinein, um sie zu nuancieren und um sie
schimmern zu machen. So ist auf unserem Bild das Rot und Blau behandelt,
ist die Jacke des Dicken rechts in ihrer reichen Abstufung und in ihrem
sanften Licht eine Vorstufe zur Rüstung des heiligen Mauritius, wie sein
Gesicht eine Vorahnung von dem des alten Begleiters des heiligen Erasmus
ist, oder der Strick eine der Perlstickerei auf jenem Bild; der Stab rechts ist
bewundernswert breit, frei und reich behandelt, als hätte ihn Rubens gemalt
(analog dem Kreuzesbalken in Karlsruhe). Wundervoll endlich ist auch
das Changieren von Blau und Gelb auf dem breiten Rücken des vorderen
Knechtes rechts, und das blühende Rot seiner Beinlinge. — Nebenbei noch
sei eine Morellische Beobachtung verzeichnet: Grünewald hat seltsamer-
weise höchst selten Ohren gemalt. Meist sind sie durch das Haar oder
durch die Kopfbedeckung unsichtbar gemacht. Nur dreimal hat er uns
ihren Anblick gegönnt: in Kolmar bei dem Christuskind, in Karlsruhe bei
der Kreuzschleppung und bei dem Mauritius in München. Die Form ist
überall die gleiche. Die Muschel stark eingesäumt, des Ohrläppchen lang
gezogen. Auch bei dem Münchener Bild ist ein Ohr sichtbar; es hat aufs
Haar die gleiche Gestalt.
Ist es noch nötig, von dem menschlichen Gehalt des außerordentlichen
Bildes zu reden? Ich fürchte, jedes Wort könnte den Eindruck des Bildes
nur abschwächen. Eins nur sei erwähnt, was man auf der Abbildung nicht
wahrnehmen kann; unter dem Tuch hervor, das die grauenvollen Spuren des
Leidens auf Christi Antlitz mild zu verdecken sucht, und aus der Nase
quillt das Blut über das Gesicht. Es ist wie der Choral: »Oh Haupt voll
Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn . . . . « Tönt er
mächtiger noch aus einem anderen Bild heraus, außer vielleicht aus der
Kreuzschleppung in Karlsruhe? — Genug und übergenug! Niemand wird
zweifeln, daß unser Bild in die nächste Nähe Grünewalds gehört, daß es
aufs engste verknüpft ist vor allem mit dem Erasmusbild in München und
der Karlsruher Kreuzschl'eppung. Nur weniger entwickelt, weniger frei
und großartig ist es, als diese, zu denen es sich verhält, wie die Knospe
zur Blüte. An einen Nachahmer oder Schüler zu denken, verbietet allein
schon die Datierung des Bildes: Links unten steht, unter der Erneuerung
deutlich sichtbar, die alte, echte Inschrift: Anno M D III die XXIII De-
Ein Bild von Mathias Grünewald.
507
cembris. Stünde sie nicht da, wir müßten das Bild auch infolge der
Trachten um 1500 ansetzen, früher also, als alle bisher bekannten Werke
Grünewalds. Kann ein Schüler oder Mitschüler Werke, die 20 Jahre später
vom Meister geschaffen wurden, so vorahnen? — Wir wollten nichts ande-
res, als Beobachtungen mitteilen. Den Schluß daraus zu ziehen, scheint fast
überflüssig. Der spezielleren Grünewald -Forschung1) liegt es nun ob, nach-
dem man in letzter Zeit so viele fernab liegende Bilder aus dem Kreise des
Hausbuchmeisters, Schongauers usw. irrtümlich als Jugendwerke des rätsel-
vollen Künstlers ausgegeben hat, den Fall weiter zu behandeln.
Der Erhaltungszustand des Bildes ist ungleichmäßig. Einige Köpfe
der hinteren Reihe wurden im 19. Jahrhundert von einem Restaurator rück-
sichtslos übermalt; andere Partien, von denen hauptsächlich die Rede war,
sind gut erhalten. — In der erwähnten Liste v. Mannlichs der im Karmeliter-
kloster zu München für die Staatssammlungen vorgemerkten Bilder ist, —
ohne Angabe der Maße — , noch eingetragen, eine »Kreuzigung, mit der
Jahreszahl 1 543> scheint jedoch älter zu sein und vielleicht von Hans Bai-
dung«, setzt Männlich hinzu. Dieses Bild ist seither verschollen. Vielleicht
trug es ursprünglich die Jahreszahl 1503 (durch mißverstehende Restauration
später in 1543 verändert) und war ein Gegenstück zu unserer Verspottung
Christi. Konnte man doch 1803, als der Name und die Kunst Grünewalds
noch unbekannt war, für eine Kreuzigung dieses Meisters gewiß keinen
besseren Namen finden, als den Hans Baidungs, der unter Grünewalds Ein-
fluß gestanden hat. — Über die Geschichte des Bildes haben wir noch
nichts Weiteres in Erfahrung gebracht. Die Karmeliter sind erst im
17. Jahrhundert nach München gekommen, so daß aus dieser Provenienz
für den Entstehungsort des Bildes nichts gefolgert werden kann. Woher die
Karmeliter nach München kamen, wie und wann das Bild in ihren Besitz
gelangt ist, konnte bisher nicht erfunden werden.
0 A. Schrnid u. a. haben die Autorschaft Grünewalds seither anerkannt.
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
Von August L. Mayer.
Nordwestkastilien, d. h. das Gebiet der Provinzen Leon, Palencia>
Zamora und Salamanca, ist von jeher als Sitz alter christlicher Kultur
berühmt. Fast stets hat sich dieser Teil Spaniens, der Kern des ehemaligen
Königreichs Leon, von den Mauren freigehalten, von hier aus ist einer der
Hauptvorstöße gegen die Maurenherrschaft unternommen worden.
Man weiß, daß sich hier ebenso wie in Galizien und Asturien, die ja
mit zu Leon gehörten eine große Anzahl höchst interessanter frühromani-
scher Kirchen erhalten hat; man kennt auch »la pulchra Leonina«, die
gotische Kathedrale von Leon, das schönste spanische Bauwerk des 14. Jahr-
hunderts, man würdigt die Plastik, die in der romanischen wie in der goti-
schen Periode hier reiche Pflege gefunden hat — aber von Werken der Malerei
in diesem Gebiete hört man auffallend wenig.
Von Carl Justi, der wie kein zweiter ganz Spanien durchforscht hat,
sind nur zwei Niederländer, die in Palencia gearbeitet haben, dem allgemeinen
Interesse nähergerückt und die interessante Persönlichkeit des Fernando
Gallegos einzig in der kunsthistorischen Einleitung zu Bädeckers »Spanien«
kurz gewürdigt worden.
Nun hat jüngst der treffliche Lyoner Kunsthistoriker Emile Bertaux
in seiner Würdigung spanischer Quattrocentokunst in der Histoire de l’Art
von E. Michel auch dieses Gebiet in Betracht gezogen, zum Teil gestützt auf
die interessanten, bisher noch unveröffentlichten Nachforschungen des
Grenadiner Universitätsprofessors D. Manuel Gomez Moreno *). Auf die
Ausführungen von Bertaux wird noch des öfteren zurückzukommen sein.
Er hat vor allem den italienischen Einfluß in diesem Gebiete betont. Daneben
aber macht sich in höchst interessanter Weise nordischer Einfluß bemerkbar
und verschiedene bedeutende Werke, vor allem der große, bisher ganz un-
bekannte Retablo von Fromista, werden uns beweisen, daß sich die manera
flamenca nicht zuerst und allein in Katalonien und Valencia Geltung
verschafft hat, sondern mindestens gleichzeitig auch in der Gegend von
Palencia und Leon festzustellen ist.
!) Michel, Histoire de l’Art III, 2, S. 743 ff.
Studien zur Quattrocentomalerei in Nord westkastilien.
5°9
Leon besitzt in den Wand- und Deckenmalereien im Pantheon de los
Reyes der Colegiata de S. Isidoro die hervorragendsten monumentalen Ge-
mälde des spanischen Mittelalters, denen an Bedeutung nur die umfang-
reichen, ein Jahrhundert später entstandenen Malereien im Kapitelsaal und
der Kirchenapsis des Johannesklosters von Sijena in Aragon gleichkommen.
Unter den Wandgemälden von S. Isidoro sind noch die Verkündigung und
der »Calvario« gut zu erkennen. Die sechs Gemälde der Decke, die von zwei
Säulen getragen wird, stellen dar: die Apokalypse, die Geschichte Josefs,
den thronenden Chris us, das Abendmahl, die Verkündigung an die Hirten
und den bethlehemitischen Kindermord.
Die Malereien sind höchstwahrscheinlich in Tempera ausgeführt und
stammen aus dem Anfänge des 13. Jahrhunderts. Trotz der »byzantinischen
Gestalten« macht das Ganze den Eindruck, als habe der Maler sein Werk
in Anlehnung an spätrömische-frühchristliche Dekorationskunst geschaffen.
Der Realismus, den man in den großen Gemälden hier und da bemerkt,
kommt vor allem in den Malereien eines Zwischenbogens zur Geltung, die
die zwölf Monate in den Hauptbeschäftigungen der Menschen darstellen.
Besonders gelungen sind die drei letzten Bilder: Im Oktober schüttelt man
die Eicheln vom Baume, um die Schweine zu mästen, die man dann im No-
vember schlachtet. Im Dezember trinkt man und wärmt sich die Füße am
Feuer. Die übrigen Zwischenbogen sind meist mit rein ornamentaler Malerei
ausgeschmückt.
Nicht ganz 150 Jahre nach der Entstehung dieses Werkes beauftragte
das Domkapitel den Maestro Nicolas, die Innenseite der Eingangswand der
Kathedrale (von der Spitze des Haupttores bis zur Triforiengalerie) mit
einer Darstellung des jüngsten Gerichtes zu schmücken. Der Meister, über
dessen Herkunft nichts näheres bekannt ist, erhielt am 24. August 1452 die
Summe von 15 000 Maravedis, ferner 800 Maravedis für eine Reise nach
Salamanca. Denn das Kapitel wünschte, daß Nicolas vor Beginn der Arbeit
sich das »jüngste Gericht« in der dortigen Kathedrale ansehe. Dieses Wand-
gemälde nun, das die Leoner Domherren ihrem Maler als Muster empfahlen,
war kurz vorher erst vollendet worden. Sein Ruhm muß sich also rasch ver-
breitet haben: Am 15. Dezember 1445 hatte das Kapitel der Kathedrale
von Salamanca mit dem Italiener Dello di Nicola den Kontrakt für das
Fresko des »jüngsten Gerichts« in der Apsis des Altarhauses abgeschlossen.
Dieser Dello war 1403 geboren und erscheint 1432 als eingeschriebener Meister
der Florentiner Malergilde. Bald darauf ging er nach Spanien. Vielleicht
war er zunächst in Avila tätig, wo sein Bruder Samson ein Atelier besaß.
Samson wird noch 1466 erwähnt, er schloß in diesem Jahre, am 13. April
1466, einen Vertrag mit einem Lehrling ab. Auch als Mitarbeiter des Fray
Pedro de Salamanca wird er erwähnt. In Salamanca war Dello di Nicola
August L. Mayer:
510
wohl schon Anfang der vierziger Jahre tätig, denn von seiner Hand rührt
höchst wahrscheinlich das große, 53 Kompartimente umfassende Altarwerk
in der Catedral vieja her. Es schildert rnit größter Ausführlichkeit das Leben
Marias und ihrer Vorfahren. Bertaux bemerkt mit Recht, daß das Werk
im Masolinostil gehalten ist. Das große Fresko des jüngsten Gerichts zeigt
einen andern Schwung als die kleinen Tafelbilder, namentlich Christus und
die Auferstandenen entbehren nicht einer gewissen Monumentalität. Die
Aktdarstellung wie die zahlreichen Verkürzungen sind nicht übel gelungen.
Daß der Maler nicht ganz aus dem alten Stil heraus konnte, zeigt die Schar
der Auserwählten und die kniende Jungfrau. Dello kehrte 1446, also nach
der Vollendung des »jüngsten Gerichts«, für kurze Zeit nach Hause zurück,
kam aber dann wieder nach Spanien, wo er bis etwa 1460 blieb.
Aus den Werken dieses Künstlers nun schöpfte Meister Nicolas seine
Kenntnis Florentiner Quattrocentokunst. Sein »jüngstes Gericht«, das vor
1460 vollendet war, ist uns leider nicht mehr erhalten. Der Grund des Unter-
ganges des Leoner Gemäldes ist bekannt. Es soll auf verschiedene fromme
Leute einen ähnlichen Eindruck gemacht haben, wie nicht ganz hundert Jahre
später Michelangelos berühmtes Fresko auf eine ganze Reihe allzu prüde;
Seelen: Man war nämlich entsetzt über die vielen nackten Figuren, die
Meister Nicolas angebracht hatte.
Am 5. März 1460 begann Nicolas den großen Wandgemäldezyklus im
Kreuzgange der Kathedrale von Leon. Ende April 1461 erhielt er IOOO
Mrs. für seine Arbeiten im vergangenen Jahre. Es war ihm nicht ver-
gönnt, diese Arbeit zu vollenden, denn 1467 oder 1468 ist er gestorben.
Unter denen, die sein Werk fortführten, wird Lorenzo de Avila genannt,
der 1521 für die Disputation im Tempel 6000 Mrs. erhielt.
Die Gemälde, in Tempera ausgeführt, erhielten sich schlecht. Wiederholt
wurden sie restauriert, so in den Jahren 1561/1562 fünf von ihnen. Heute
ist der umfangreiche Zyklus eine traurige Ruine; vieles ist überhaupt nicht
mehr zu erkennen, anderes nur noch bruchstückweise, so die Verkündigung,
die nur in der Zeichnung erhalten ist. Es folgt an der Seite links vom Eingänge
die Vermählung, bei der das Stabzerbrechen auf die verschiedenste Weise
wiedergegeben ist, was von der Erfindungsgabe des Meisters zeugt. Tempel-
gang und Begegnung Joachims und Annas sind in einem Bogenfelde dar-
gestellt. Sehr gelungen ist die Ausgießung des hl. Geistes, besonders schön
namentlich die beiden großen, vom Rücken gesehenen Gewandfiguren in der
Mitte. Recht gut erkenntlich ist noch der bethlehemitische Kindermord.
Es folgt dann die Passion.
Der italienisch-toskanische Einfluß ist unverkennbar. Die beiden er-
haltenen Einzelfiguren des hl. Andreas und hl. Bartholomäus zeigen An’äufe
zu einem monumentalen Stil. Im allgemeinen sind die Kompositionen sehr
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
5 1 1
figurenreich. Die, freilich oft sehr mangelhafte, Architektur ist stark mit
herangezogen. Überall sieht man Häuser und Türme. Auffallend ist die
häufige Verwendung von Blau.
Von Lorenzo rühren vielleicht auch die beiden stark zerstörten Wand-
malereien, S. Leandro und S. Eugenio darstellend, her.
Seiner Zeit gehört auch die »Beweinung Christi« (etwa 1500) hinter
dem Hochaltar im Umgang auf der Epistelseite an, ein flaues Wandgemälde,
das eine wohl etwas früher entstandene sehr figurenreiche Darstellung des
Ecce Homo zum Gefährten hat. Die Gestalt Christi ist in ganz schauder-
hafter Weise übermalt. Die Szene ist in einer Art Säulenhalle gedacht, vorn
stützen zwei sehr dünne Säulchen die Halle. Gegen Ausgang des 15. Jahr-
hunderts sind auch die Heiligen Marcellus und Victorianus (?) entstanden,
sehr männliche Gestalten in Goldbrokat gekleidet und gegen Goldhimmel
gestellt. Beide werden von Engeln gekrönt. Der eine hält ein Buch mit
einem Stein darauf und ein Kreuz, der andere Kreuz und Pfeile. Bei diesem
erblickt man die Kathedrale und die Stadtmauer von Leon im Hintergründe.
Die Faltengebung ist hart.
All das tritt aber weit hinter die Bedeutung der Gemälde des Hoch-
altars der Kathedrale zurück, der seine jetzige Gestalt seit 1906 besitzt;
seine etwas komplizierte, sehr lehrreiche Geschichte ist in kurzem folgende »):
Der ursprüngliche Hochaltar mußte 1740 wie
so viele andere seiner Gefährten einer großen Ma- 1
schine mit vielen gewundenen Säulen und schlech-
ten Heiligenfiguren weichen, die ein Verwandter
des berühmten Autors des Toledaner Trasparente
Narciso Tom6 zur großen Befriedigung des Kapi-
tels ausgeführt hatte. Da erbat sich der Pfarrer von Oncina bei Leon für den
Hochaltar der zu seinem Bezirk gehörenden Kirche von La Aldea einige
Stücke des alten Retablo aus. Bereitwillig trat ihm das Kapitel die vier
Tafeln mit dem Tempelgang Mariä und den drei Szenen aus dem Leben
des hl. Froilan ab (V und II — IV), die Tafel mit der Szene aus der Santiago -
legende (I) blieb in einem Winkel der Kathedrale. Alle übrigen Stücke des
einstigen Retablo sind leider verloren gegangen, denn man darf sicher an-
nehmen, daß er mindestens zehn große Tafeln zählte. Die übrigen nun mit
den fünf glücklich geretteten Stücken stammen, wie wir noch näher sehen
werden, von andern Händen, zierten aber einst gleichfalls Altäre der Kathe-
drale. Mit Ausnahme der Geburt Christi und des Marientödes schmückten
sie später die Pfarrkirche von Palanquinos, bis sie 1904 zurückerworben
wurden. Die beiden zuletzt erwähnten Gemälde kamen schließlich 1906
IV
m
6 7
II
V
13 8 12
9 10 xi
*) Juan Eloy Diaz-Jimenez: Catedral de Leon, el Retablo. Madrid 1907.
512
August L. Mayer:
aus der Kirche Sa. Maria del Mercado von Trobajo del Camino zu den andern
hinzu.
Der ursprüngliche Altar mayor ist, wie die fünf erhaltenen Gemälde
beweisen, sicher in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden.
Außer den stilistischen Momenten kommt auch noch die Tatsache in Be-
tracht, daß in den sehr genau geführten Sitzungs- und Rechnungsbüchern
des Kapitels von 1400—1423 und 1442 ff. nirgends des Altar mayor gedacht
wird. Die Bücher der Jahre 1424 — 1441 sind leider nicht mehr auf uns ge-
kommen. Man darf aber wohl mit Sicherheit annehmen, daß das Werk in
diesem Zeitraum entstanden ist. Auch sei noch der Umstand erwähnt, daß
der bereits oben näher gewürdigte Meister Nicolas 1450 die Summe von
1454 Mrs. erhielt, um die Tafeln des altar menor zu malen, woraus bereits
Diaz-Jimenez mit Recht schließt, daß damals doch der Altar mayor beendet
gewesen sein muß. Bertaux 3) setzt die Entstehungszeit des Altars gegen
1450 an und weist ihn, allerdings mit einem Fragezeichen, dem Meister
Nicolas zu.
Die Tafel oben in der Mitte des Altars (I) stellt die wunderbare Auf-
findung und Überführung der Gebeine des spanischen Nationalheiligen San-
tiago von Iria Flavia nach dem Berge Libredon dar.
Ein Ochsenkarren mit zwei mächtigen Steinrädern, Mühlsteinen ähnlich,
hält vor einer Kirche. Er trägt die mit kostbaren Seidenstoffen bedeckte
Lade. Die zwei Stiere des Karrens werden von zwei Geistlichen in prunk-
vollen Palmatiken gehalten, während zwei andere ebenso gekleidete Kleriker
ein anderes Stierpaar hinter dem Karren bändigen. Es soll damit das Wunder
dargestellt werden, wie die wilden Stiere, die die Heidin Lupia gegen die
Jünger des Apostels losgelassen hatte, von diesen gezähmt und vor den
Wagen gespannt wurden. Die Kirche, in deren Inneres man durch das
geöffnete Tor blickt, soll unzweifelhaft die Kathedrale von Santiago de
Compostela vorstellen: Man sieht einen Pilger seine Spende auf einen Altar
mit der Statue des hl. Jacobus maior nahe beim Eingänge der Kathedrale
niederlegen, die mit den burgundischen Haspelkreuzen, den deutschen
schwarzen Kruzifixen sowie den Wappen und Fahnen aller möglichen Na-
tionen und Länder reich geschmückt ist.
Im Hintergründe ist in weiter Landschaft die wunderbare Auffindung
der Reliquien angedeutet: Die Schäferin und der Schäfer, der, die Augen mit
der Hand beschattend, scharf nach der Grotte blickt, die in der Schlucht
zwischen zwei Bergen sichtbar wird, sollen auf die Entdeckung des Ortes
(S. Felix de Solobrio) hinweisen, wo die Gebeine des Heiligen 500 Jahre
lang nach seiner heimlichen Beisetzung ruhten. Das Schloß und die Mönchs-
3) Histoire de l’Art II, 2, S. 758.
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
513
kirche auf der Felsenhöhe erinnern daran, daß Teodomir, der Bischof von
Ira, von hier aus der himmlischen Lichterscheinung folgte, wodurch die
Entdeckung der Gebeine möglich wurde, ferner daß das Mönchskloster die
Stätte war, wo von dem Abt Ildefred die Gebeine Santiagos zuerst verehrt
wurden. Schließlich weisen die weißen Steine rings um das Kreuz auf der
Höhe auf die Sitte der Pilger hin, die am Ziele angelangt, stets einen Stein
zum Bau der Kathedrale von Santiago selbst herbeitrugen.
Der alte Altar zeigte wohl mehrere Szenen aus der Geschichte des
hl. Jacobus, vielleicht noch die Überführung der Leiche zur See nach der
Enthauptung. In der Sammlung von D. Pablo Bosch in Madrid sieht man
die beiden Szenen auf zwei trefflich erhaltenen Tafeln aus der gleichen Zeit,
die jedoch von der Hand eines katalanischen Künstlers herrühren. Die Szene
des Transportes auf dem Ochsenkarren zeigt viel Verwandtschaft in der
Darstellung mit der Hauptgruppe der Leoner Tafel. Andere Gemälde der
geschilderten Szene aus dieser Zeit sind uns nicht bekannt.
Ebenso wie die Santiagotafel wird auch die, welche den »Tempelgang
Mariä« darstellt (V), ursprünglich einige Begleiterinnen besessen haben, die
uns noch andere Szenen aus dem Leben der hl. Jungfrau zeigten.
Der Maler ist kein besonderer Meister der Perspektive. Er legt vor
allem Wert auf die Klarheit der Darstellung. So hat er in höchst naiver Weise
beim Tempelgange die vordere Pfeilerreihe einfach abgemäht und die Stümpfe
wie Stoppeln stehen lassen, damit man die Treppe mit der kleinen Maria
besser sehen kann. Die Gestalten sind recht voll gebildet, in weite Gewänder
von zarten Farben mit sehr weiten Falten gekleidet.
In den übrigen Tafeln mit Darstellungen aus dem Leben des hl. Froilan
hält sich der Meister genau an das, was Juan Diaconus von diesem Heiligen
erzählt hat, der 900— 905 Bischof von Leon gewesen ist. Auf Tafel II er-
blicken wir den Heiligen in schwarzem Ordensgewand auf jenem Spazier-
gange, der ihn von seiner göttlichen Sendung überzeugte. Auf seinen Schultern
sitzen zwei Tauben, eine weiße und eine rote. Sie sollen dann, erzählt die
Legende, als Sendboten des heiligen Geistes in seinen Mund geflogen sein
und die rote Besitz von seinem Herzen, die weiße von seinem Gehirn ge-
nommen haben. Der König Alfons III. el magno hörte von dem heiligen
Manne und wünschte ihn einmal an seinem Hofe in Oviedo zu sehen. Der
Künstler zeigt uns auf Tafel III die Gesandtschaft des Königs, die den Hei-
ligen in seinem Kloster Vesco auf dem Berge Curueno aufgesucht hat.
Gewählt ist der Augenblick, in dem ein vornehmer Herr am Tore des
Klosters dem im Eingänge stehenden, den Kopf demütig geneigt haltenden
Mönch in seiner schwarzen Kutte die Rechte drückt und sich dabei zu seinen
Gefährten umwendet.
5i4
August L. Mayer:
Schließlich ist von den Darstellungen aus dem Leben des hl. Froilan
die Tafel der Bischofsweihe erhalten. Der sitzende Heilige trägt über dem
schwarzen Ordensgewande des S. Benito ein kostbares Pluviale, auf dessen
großer Spange man in gotischen Lettern den Namen Froilamimus liest.
Mit seiner Rechten greift er nach dem Bischofsstab, den ihm ein Geistlicher
reicht, während ein Bischof, rechts hinter ihm stehend, den Heiligen mit
der Mitra krönt. Sein Haupt wendet S. Froilan nach rechts einem weiteren
Geistlichen zu, der, zu seinen Füßen kniend, auf einer Schüssel die goldene
Binde und das Salbölfläschchen trägt. Der Kopf dieses Klerikers ist sehr
markant. Mehr im Hintergründe erblickt man den Gefährten des Heiligen,
S. Atilano. In Weiß gekleidet, das Evangelienbuch auf die Brust pressend,
wartet er, bis an ihn, den neugewählten Bischof von Zamora, die Reihe kommt.
Diese Tafel nun ist der Clou des ganzen Altars. Es waltet hier eine
Freude an lichten, zarten, bunten Farben. Weiß, Rosa und Rot herrschen
im Vordergründe vor, im Hintergründe kommen Grün und Grau dazu. Man
wird lebhaft an Werke der Kölner Schule erinnert, namentlich an die Loch-
ners, an dessen Art auch der eigenartige Größenunterschied der Figuren
gemahnt, indem nämlich die Kleriker des Gefolges im Vordergründe viel
kleiner als die Hauptfiguren gebildet sind.
Leider wissen wir, wie schon gesagt, gar nichts über die Person des
Meisters. Jedenfalls war er nicht nur mit den lokalen Heiligenlegenden,
sondern auch mit den Sitten und Gebräuchen des Landes wohl vertraut,
wie aus der getreuen Wiedergabe des Ochsenkarrens, der Tracht der beiden
plaudernden Frauen im Grunde links auf der Bischofsweihe, des Dudelsack-
bläsers auf der Botschaft des Königs an S. Froilan deutlich hervorgeht. Als
Himmel sieht man stets gemusterten Goldgrund. Die Tierdarstellung ist
dem Meister sehr gut gelungen, weit weniger die Architektur. Hier verrät
sich oft große Hilflosigkeit; beachtenswert ist aber, daß sich der Künstler
auch in der Architektur an nordische Vorbilder anschließt. Trotz
all der fremden Einflüsse aber glaube ich doch, daß der Maler ein Spanier
gewesen ist.
Alle andern Gemälde des Altar mayor stammen aus späterer Zeit,
so die beiden Tafeln mit je drei Aposteln, die früher die Predella eines Re-
tablo in der Kirche von Palanquinos schmückten.
Wichtiger als diese Apostel sind die kleinen Tafeln mit Szenen aus dem
Marienleben, die heute die Predella des Hochaltars bilden. Von ihrer Pro-
venienz war schon weiter oben die Rede. Dargestellt sind Verkündigung (8),
Geburt Christ (9), Anbetung der Könige (10), Darbringung im Tempel (n),
Ausgießung des hl. Geistes (12), Tod Mariä (13). Die Tafeln stammen nicht
von einer Hand. Die besten sind die Verkündigung und die Ausgießung
des hl. Geistes. Namentlich bei dem letztgenannten Gemälde fällt die gute
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
5*5
Faltenbehandlung im Gegensätze zu der harten, ungeschickten Falten-
gebung der meisten übrigen sehr auf. Entstanden sind diese Tafeln zu Aus-
gang des 15. Jahrhunderts, vor allem die mit der Darstellung des Todes
Mariä, denn diese ist nichts weiter als eine freie Kopie nach dem berühmten
Schongauerschen Stiche. Dieses Blatt war ja auch in Spanien sehr bekannt,
in der Sakristei der Leoner Kathedrale selbst hängt eine fast lebensgroße,
ziemlich genaue Kopie des Stiches aus dem Anfänge des 16. Jahrhunderts.
Andere Kopien sieht man im Prado und in der Sacristia de los Calices der
Sevillaner Kathedrale.
Eine sehr tüchtige Leistung ist die große Beweinung Christi, links vom
Hochaltar. Auch diese Tafel ist wohl nur ein Bruchstück von einem großen
Altarwerk, das ein unter Roger van der Weydens Einfluß stehender Künstler
gegen 1500 geschaffen hat. Ganz außerordentlich gut ist die Darstellung
von Marias Ohnmacht gelungen. Jedoch verwundert einen im Gegensatz
zu der tüchtigen Formengebung und dem guten Ausdruck der bekleideten
Figuren die archaistische Körperbehandlung bei dem toten Christus. Die
Modellierung ist recht ungeschickt, die Bauchhöhle auffallend stark markiert.
Dazu erinnern die langen Röhrenfalten des Bahrtuches an Arbeiten goti-
scher Bildhauer.
Auf der andern Seite des Hochaltares sieht man ein kleines Altarwerk
aus dem Anfänge des 16. Jahrhunderts. Dargestellt ist die »Disputation im
Tempel«, der sehr weiträumig gestaltet ist, sowie die Messe des hl. Gregor,
bei der der Renaissancecharakter der Architektur noch stärker hervortritt.
Über diesen beiden größeren Tafeln sieht man zwei kleinere mit je zwei
Apostelhalbfiguren, und als Predella dienen zwei Tafeln, die eine Anbetung
der Könige und eine Beweinung Christi zeigen. Der niederländische Ein-
schlag dieses Altarwerkes kommt namentlich in der »Anbetung« stark zum
Durchbruch: die Madonna wie das Kind erinnern noch lebhaft an die
bekannten Typen des Dirck Bouts.
Von nicht geringerer Bedeutung als die fünf Gemälde des alten Hoch-
altars der Kathedrale von Leon sind die 28 Tafeln des Retablo Mayor von
Sa. Maria de Castillo in Fromista, einem Dorfe 34 km nördlich von Pa-
lencia, die fast gleichzeitig mit den Leoner Gemälden entstanden, den frühe-
sten Einfluß Eyckischer Kunst in Kastilien zeigen. Dargestellt sind:
Oberste Reihe: Sündenfall, Austreibung, Verkündigung an Joachim.
Begegnung an der goldenen Pforte, Geburt Mariä, Verkündigung Mariä.
Zweite Reihe: Heimsuchung, Geburt Christi, Anbetung der Könige,
Darstellung im Tempel, Flucht nach Ägypten, Bethlehemitischer Kindermord.
Disputation im Tempel, Taufe.
Dritte Reihe: Abendmahl, (Ölberg), Gefangennahme, Geißelung, Kreu-
zigung, Beweinung, Niederstieg zur Hölle, Auferstehung.
August L. Mayer:
5*6
Unterste Reihe: Verklärung, (Noli me tangere), Ausgießung des hl.
Geistes, David, Salomo, Tod Mariä, Bestattung Mariä, Himmelfahrt Mariä.
Die hier eingeklammerten beiden Darstellungen »Ölberg« und »Noii me
tangere« fehlen heute. Ich glaube kaum, daß die beiden verlorenen Tafeln
etwas anderes zum Inhalt hatten, als was hier angegeben ist. Die beiden
Tafeln waren, wie man sieht, auf der linken Seite an der zweiten Stelle
übereinander angebracht und sind heute durch eine schlechte, bekleidete
Statuette des Christkindes unter hohem gotischem Wimperg ersetzt.
Zu den einzelnen Darstellungen ist folgendes zu bemerken. Der »Sünden-
fall« ist von besonderem Interesse, da diese Szene in der spanischen Malerei
äußerst selten wiedergegeben worden ist. Von früheren Darstellungen kennt
Verf. nur die im Zyklus der Wandgemälde des Kapitelsaales des Convento
de S. Juan von Sijena, ein Werk des 14. Jahrhunderts.
Auf unserer Tafel zeigt sich der niederländische Einfluß besonders stark.
Der dunkellockige Adam, dreiviertel Rückenfigur, von rötlicher Karna-
tion, hat etwas zaghaft die Rechte ausgestreckt, um den Apfel zu empfangen.
Eva, mit rötlichem Haare, zeigt einen viel helleren Fleischton (vgl. Eyck,
Masaccio usw.) und vorstehenden Unterleib, also die gleiche Körperbildung
wie die Eycksche Gestalt. Die Schlange hat einen Menschenkopf, oben im
Baume wird Gott Vater sichtbar.
Die »Verkündigung an Joachim« erinnert sehr an Bouts, Man blickt in
eine sehr weite Landschaft, in der Joachim reich gekleidet sitzt, einen Stock
in der Linken, vor ihm ein Hund. Bei der »Begegnung« hat sich der Meister
nur auf die beiden Hauptfiguren beschränkt, die vor eine große, geschlossene,
goldene Tür gestellt sind. Bei der »Geburt« erscheint Maria als Wickelkind.
Eine Frau wärmt vorn ein Tuch. Rechts bringt eine vornehme, in Gold-
brokat gekleidete Frau etwas herbei, an italienische Quattrocentogestalten
erinnernd. Bei der »Verkündigung« sitzt Maria reich gekle det vor einem
Goldbrokatvorhange. Auch bei der Begegnung trägt sie kostbare Gewandung,
ebenso wie ihre Begleiterinnen. Sie faßt nach Elisabeths Leib. Die weite
Landschaft ist hier nicht so gut gelungen wie bei der Verkündigung an
Joachim.
Bei der »Geburt Christi« ist der Marientyp des Malers am besten zu
studieren. Rotblond, mit breitem Gesicht, etwas stark vortretenden Backen-
knochen und ziemlich spitzem Kinn, ziemlich langer Nase und kräftigem,
zuweilen etwas breitem Munde zeigt sie einen etwas derben Typus, dem aber
oft ein sehr lieblicher Ausdruck verliehen ist.
Die Anbetung der Könige offenbart den Sinn des Meisters für kleine
Spielereien, wie sie auch seine größeren nordischen Kollegen, u. a. Schon-
gauer, lieben: Joseph greift an seine Mütze, der Mohr lüftet sie, der mittlere
König hebt den Deckel vom Goldgefäß. Maria selbst, wie stets in Goldbrokat
Studien zur Quattrocenton\alerei in Nordwestkastilien.
517
und blauem Mantel, sitzt auf einem Thronsitze vor einem Goldbrokat-
teppich. Bei der »Disputation« hat sich der Künstler auf drei Schriftgelehrte
beschränkt. Gut sind die beiden Vordergrundsfiguren: die eine redet auf
die andere ein, die, den Kopf auf die Hand gestützt, zuhört. Maria ist in
anbetender Haltung wiedergegeben, Joseph (?) als aufmerksamer Zuhörer.
Das »Abendmahl« ist als .Zentralkomposition gedacht. Selbstverständ-
lich fehlt der Goldbrokatwandteppich nicht. Auch viele Apostel sind in Gold-
brokat gekleidet. Judas sitzt als Rückenfigur, Kopf im Profil nach links,
ganz vorn, in Blau gekleidet, den gelben Geldbeutel auf dem Rücken haltend.
Bei der »Kreuzigung« fällt vor allem die Gestalt der Magdalena auf,
die großen Schwung in ihrer Haltung zeigt und sehr preziös mit der Linken
ihr Kopftuch faßt, dagegen malt sich bei der »Beweinung« auf den Zügen-
aller ein ergreifender, stummer Schmerz. In den Schlußbildern des Maria-
lebens macht sich wieder eine reiche Verwendung von Goldbrokatstoffen
geltend. Beim »Begräbnis« wird Maria in ringsum offener, nur mit einem
goldbrokatstoffverkleideten Deckel überwölbter Lade getragen. Auf der
Lade sieht man die abgehauenen Hände des in Rot gekleideten, vorn am
Boden liegenden bestraften Spötters, mit rotem, glattem Gesicht.
Interessant sind die beiden Halbfiguren von David und Salomon, beide
sehr reich gekleidet vor eine Backsteinmauer gestellt, David vollbärtig,
Salomon bartlos, rotlockig, ein Spruchband haltend.
Von dem etwas derben Marientyp war schon die Rede. Auch die
Apostel sind stark bäuerliche Typen. Sie zeigen fest gebaute Schädel, manch-
mal aufgeworfene oder knollige Nasen. Ebenso ist Christus nicht allzu edel
gebildet. Die Falten sind hart und streng, oft röhrenartig. Die Komposition
sucht der Künstler fast stets möglichst zu vereinfachen (Begegnung, Dis-
putation). Goldbrokat verwendet er sehr reichlich und liebt bunte Farben.
Bei der Würdigung des Altarwerkes darf man aber nicht vergessen, daß es
1863 gründlich restauriert wurde.
Der Retablo ist wohl sicher vor 1450 entstanden. Wer sein Autor
ist, vermögen wir nicht zu sagen. Das kleine Fromista besaß selbst in jener
Zeit Künstler unter seinen Söhnen. Wir wissen von einem Maestro Juan
Sanchez de Fromista, der 1427 als Maler und Bildhauer für die Kathedrale
von Burgos tätig war 4). Ob man aber in diesem Meister den Maler des
besprochenen Retablo erblicken darf, erscheint sehr fraglich.
Mit dem Altar Mayor von Sa. Maria de Castilla in Fromista sind wir
schon in die Nachbarschaft der Kunstschätze von P c. 1 e n c i a gerückt.
Das älteste hier erhaltene Gemälde ist eine Himmelfahrt Mariä aus den
ersten Jahren des 15. Jahrhunderts, hinter der Capilla de los Reyes im
Chorumgang der Kathedrale.
*) D. Manuel Martinez y Sanz : Historia del templo Catedral de Burgos, Burgos 1866.
August L. Mayer:
Erheblich später, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, jedoch
noch immer von stark altertümlichem Charakter ist ein kleines Altarwerk
an der rechten äußeren Wand des Chores, die Heiligen Johannes, Andreas,
Lorenz und Stephan sowie die Heimsuchung darstellend. Die Heiligen sind
gegen Goldgrund gestellt. Andreas beschirmt den Stifter.
Auf der »Heimsuchung« sieht man nur die beiden Frauen, schlanke
Gestalten mit herben, länglichen Gesichtern. Die Faltengebung ist überall
sehr brüchig. Auch hier ist wie bei der Beweinung von Leon die Röhren-
form sehr beliebt.
In der Lünette, oberhalb des eigentlichen Altarwerkes, liest man
Die Hauptwerke der Palencianer Kathedrale, die Gemälde des Hoch-
altars von Juan de Flandes sowie den Altar desTrascoro von Juan de Holanda
hat bereits Carl Justi eingehend gewürdigt 5). Es bleibt mir nur wenig zu
seinen Ausführungen hinzuzufügen. Für die holländische Abkunft des an
zweiter Stelle genannten Meisters spricht auch die außerordentlich feine
Behandlung des zerstreuten Lichtes bei dem Interieur der Disputation im
Tempel. Bei der »Flucht« ist das Christkind als Wickelkind wiedergegeben,
das während des Rittes an der Mutterbrust trinkt. Die Pflanzen sind stets
sehr sorgfältig im einzelnen behandelt. Das weibliche Karnat ist auffallend
hell, namentlich bei der Beweinung und Grablegung.
Wenn auch Juan de Flandes die Gemälde des Altar Mayor bereits
1506 in Auftrag gegeben wurden, so hat er sie doch kaum vor 1509 ausge-
führt — denn von 1505 — 1508 war er in Salamanca tätig* 6); er hatte sich
ja auch drei Jahre Arbeitszeit ausgehalten.
Das Dispositionsschema der Gemälde bei Justi ist irre-
führend. Die Tafeln sind heute folgendermaßen angeordnet:
Die fehlenden beiden kleinen Tafeln der Kreuzabnahme und Klage
sowie die große der Kreuzigung hängen heute in der Capilla de S. Fernando
bzw. im Kapitelsaale.
5) Miscellaneen aus drei Jahrhunderten spanischen Kunstlebens I, 322 ff., 329 ff.
6) Gomez Moreno, Un tresor de pintures inMites du XVe siede. Gazette des Beaux
Arts. 1908, II, 308.
joanes auillö
. . p9 fieri . . . .
D»
1. Heimsuchung, 2. Verkündigung, 3. Ecce
homo, 4. Epiphanie, 5. Geburt Christi, 6. Noli
me tangere, 7. Gethsemane, 8. Christus vor Kaiphas,
9. Kreuztragung, 10. Grablegung, 1 1. Auferstehung,
12. Emmaus.
7 8
9
IO
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
519
Diese drei waren ursprünglich wohl sicher für den Altar Mayor be-
stimmt, es scheint mir aber fraglich, ob, wie Justi annimmt, sie jemals dort
angebracht gewesen sind. Denn für alle drei bleibt in der untersten Reihe
nicht genügend Raum. Ein Triptychon, wie man in Palencia meint, haben
sie ebensowenig gebildet, denn unter der »Kreuzigung« sieht man als starke
Predella ein großes Estofadorelief mit einer Beweinung, das nicht viel später
als das Gemälde entstanden sein kann. Auch ist es recht zweifelhaft, ob
die Tafeln, die den Hochaltar schmücken, ursprünglich anders angeordnet
waren. Die Schwierigkeit liegt, bei der richtigen chronologischen Anordnung,
in der Unterbringung des »Noli me tangere«.
Eine Erklärung für alle diese Dinge ist bald gefunden, wenn man be-
denkt, daß ja der Retablo selbst erst in jenen Jahren entstand, dem Maler
der endgültige Plan gar nicht vorlag sondern ihm nur so und soviel große und
kleine Tafeln in Auftrag gegeben wurden. Ferner hat der Meister vielleicht
eine ganze Reihe der Gemälde gar nicht an Ort und Stelle ausgeführt. Wohl
hatte er den Auftrag 1506 erhalten und sich verpflichtet, sein Werk bis 1509,
innerhalb dreier Jahre, fertigzustellen, aber wir wissen ja, daß er von 1505
bis 1508 vornehmlich in Salamanca tätig war, wo er unter anderem die Ge-
mälde für den Hochaltar der Universitätskapelle schuf.
Wie schon Justi bemerkt, sind die Gestalten des Juan de Flandes
oft schmächtig und hager, die Gewandbehandlung sehr sorgfältig und sein
Erzählungs- wie Kompositionstalent sehr beträchtlich. An Gerard David
erinnern nicht nur einzelne Typen und die Zartheit der Färbung,
sondern auch der sehr kühle Gesamtton des Kolorits, zu dessen Belebung
der Meister gern die Gewandung einer oder mehrerer Personen brennend rot
färbt. All diese Eigenschaften weisen auch die sieben Tafeln in S. Lazaro
zu Palencia auf, die Justi nur kurz erwähnt, Reste eines großen Altarwerkes.
Sechs (Verkündigung, Geburt Christi, Erweckung Lazari, Ölberg, Verklärung,
Ausgießung des hl. Geistes) sind in den heutigen Retablo Mayor eingelassen,
dessen Mitte eine Replik einer Madonna mit dem Christkind und dem hl.
Johannes d. T. von Andrea del Sarto ziert. Die siebente Tafel mit einer
Darstellung der Heimsuchung befindet sich in der Sakristei. Maria, stets
in Schwarz gekleidet, besitzt einen sehr vornehmen Typus. Die Erweckung
Lazari und der Ölberg sind weniger gelungen. Gut dagegen und sehr lebhaft
bewegt ist die Ausgießung des hl. Geistes, eine Zentralkomposition. Die
Verkündigung und der Ölberg sind den Darstellungen am Hochaltar der
Kathedrale sehr verwandt.
Nicht von Juan de Flandes stammten, wie ich nach wiederholten
eingehenden Prüfungen versichern kann, die ihm von Justi zugewiesenen
Tafeln des Hochaltars der Johanneskirche von Marchena (Provinz Sevilla)
Daß ihr Autor aber ein von der Brügger Schule abhängiger Meister ist, hat
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
35
520
August L. Mayer:
bereits Justi in seiner Spanischen Kunstgeschichte, hier ohne Zuweisung an
einen bestimmten Künstler, richtig bemerkt. Es ist leider bisher nicht
möglich gewesen, seinen Namen festzustellen.
1519 wird in einem Palencianer Dokument die Witwe des Künstlers
sowie ein Sohn gleichen Namens und Berufes erwähnt. Diesem jüngeren
Juan glaube ich zwei Werke zuweisen zu dürfen, die in Typen wie Kolorit
des Meisters Abhängigkeit von seinem Vater zeigen, jedoch auch zuweilen
den Einfluß jenes rätselhaften Juan de Holanda verraten. Das eine Tafel-
bild befindet sich in dem Hospital de S. Antolin zu Palencia und stellt eine
Beweinung Christi dar. Links im Vordergründe kniet der Stifter in weißem
Chorhemd, eine stolze, selbstbewußte Erscheinung mit kräftigen, fast etwas
derben Gesichtszügen. Vor ihm liegt ein aufgeschlagenes Gebetbuch und
seine Mütze. Eine nicht minder markante Erscheinung ist der in reinem
Profil nach links zu Christi Füßen kniende, mit der Linken das Bahrtuch
und mit der Rechten die Zange haltende Joseph von Arimathias. Sicher ein
Porträt. Er ist sehr vornehm gekleidet, trägt einen Hut mit Goldme-
daillon und eine reiche goldene Kette über dem weißen Pelzkragen seines
Gewandes. Es ist ein Mann jenseits des Lebens Mitte mit vollen, feinen
Zügen und nachdenklichem Blick. Die Haare sind sehr lang gehalten,
das Ohr blickt zwischen ihnen heraus. Spanisch ist der Typ nicht. Ich
hege stark die Vermutung, daß wir hier ein Porträt des Vaters des Künst-
lers, des älteren Juan de Flandes, vor uns haben.
Das Wappen des Stifters fehlt nicht: Drei schwarze Längsbalken in
goldenem Felde, das. ein Rahmen mit sechs Haspelkreuzen umgrenzt.
Das andere Werk des jüngeren Juan birgt die Sakristei der Pfarrkirche
von Santoyo, einem armseligen Dorfe etwa 8 km östlich von dem weiter oben
genannten Fromista. Die Pfarrkirche bietet den denkbar schärfsten Kon-
trast zu den dürftigen Bauernhäusern. Sie ist (in ihren ältesten Bestand-
teilen noch romanisch) eine dreischiffige Hallenkirche, in reichstem, spät-
gotischem Stil erbaut und von äußerst schlanken Verhältnissen. Die Seiten-
schiffe sind äußerst schmal. Das mächtige Eingangsportal auf der Südseite,
zu dem eine Freitreppe hinaufführt, ist in platereskem Stil gehalten. Neben
einem ausgezeichneten spätgotischen Chorpulte (facistol) und dem im
gleichen Stile gehaltenen Grabe des 15 1? verstorbenen Benefiziaten Andres
Perez schmückt die Kirche ein mächtiger Retablo von der Hand des Juan
de Juni (zwischen 1570 und 1583 entstanden), mit Szenen aus dem Leben
des Täufers und dem Heinigang Marias.
Das Altarwerk in der Sakristei zeigt als Kern fünf Tafeln:
Verkündigung Christus mit allen Heimsuchung
Heiligen
Geburt Christi
Heimgang Mariä.
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
521
Darunter eine Predella mit weiteren fünf Gemälden: Darstellung im Tempel,
Disputation, Kreuztragung, Kreuzigung, Beweinung. Diese zehn Tafeln
stammen von Juan d. J. Zu ihnen sind später nochmals fünf gekommen, eine
Himmelfahrt Mariä oberhalb des Allerheiligenbildes, Antonius von Padua
mit dem Christkind und die hl. Katharina auf dem linken Flügel und
S. Bartholomäus mit dem gefesselten Teufel sowie eine sitzende Anna selbdritt
auf dem rechten Flügel. Die letztgenannten Gemälde sind ungefähr 1550
entstanden.
Der thronende Christus auf dem Allerheiligenbilde ist dem Palencianer
Typ des älteren Juan sehr verwandt, ebenso der Marientyp. Auch hier
ist Maria fast stets in Schwarz gekleidet, die belebende rote Farbe (bei
der Heimsuchung das Gewand der Elisabeth, bei der Geburt das des hl.
Joseph) ist jedoch bei Juan d. J. bedeutend heller. Von den Predellenbildern
ist nur das der Kreuzigung von den Werken des Vaters beeinflußt. Der
Krieger in Rüstung mit der roten Fahne ist dem Bilde im Kapitelsaale der
Palencianer Kathedrale entnommen. Sonst lehnt sich hier der Maler auf-
fallend stark an Juan de Holanda an, namentlich bei der Darstellung und
Disputation hat er starke Anleihen bei dem Altar am Trascoro der Palen-
cianer Kathedrale gemacht: Joseph mit dem Taubenkörbchen ist ganz
genau kopiert. Die Disputation zeigt ähnliche Anordnung und Tendenz,
aber die Wiedergabe des zerstreuten Lichtes ist lange nicht so gut ge-
lungen. Der jüngere Juan war eben ein wenig selbständiger Geist. Wenn
auch sein Können nicht unansehnlich war, so zehrte er doch vor allem
vom Gute seines Vaters.
Von den Werken des Florentiners Dello di Nicolo in dem dritten Kunst-
zentrum, Salamanca, war schon weiter oben die Rede. Von der Hand spani -
scher Meister des 15. Jahrhunderts birgt der alte Kapitelsaal der Kathedrale
eine Anzahl Tafelgemälde, so eine Verkündigung und ein Triptychon mit
drei Heiligen, der zur Rechten als hl. Antonius von Padua erkenntlich.
Die beiden äußeren Gestalten sind gegen roten bzw. blauen Grund gestellt,
der mit großen, goldenen Blättern gemustert ist, bei dem mittleren, der in
Weiß und Blau gekleidet, gegen eine architektonisch gebildete Wand gesetzt
ist, hat der Meister dieses Blattmuster auf der Gewandung angebracht.
Die Falten sind recht hart, die Gestalten sehr gedrungen.
Von großer Wichtigkeit sind zwei Tafeln, die auch zu einem großen
Katharinenaltare gehörten. Die eine ist sehr figurenreich und stellt die
Disputation der Heiligen mit den Gelehrten vor dem Könige dar, die andere
die Grablegung der Heiligen durch drei Engel. Der Maler dieser Tafeln
scheint kein anderer als der Lehrer des Fernando Gailegos gewesen zu sein,
an den die derben Frauentypen, namentlich die der Engel, das Kolorit wie
die Faltenbehandlung lebhaft erinnern, nur ist alles primitiver.
35!
522
August L. Mayer:
Mit Fernando Gallegos nun sind wir zu dem einzigen uns mit
Namen bekannten spanischen Tafelmaler des 15. Jahrhunderts aus Nord-
westkastilien gekommen, von dem sich auch noch Gemälde erhalten haben.
Die Hauptwerke des Künstlers bergen die Kathedralen von Zamora und
Salamanca, S. Lorenzo von Toro und die Pfarrkirche von Arcencillas.
Über die näheren Lebensumstände des Meisters sind wir schlecht unter-
richtet. Er nennt sich auf mehreren seiner Gemälde Fernandus Galecus.
Zwischen 1440 und 1445 dürfte der Maler geboren sein, denn sein großes
Altarwerk in der Ildelfonskapelle der Kathedrale von Zamora, das sicher
nicht später als 1467 entstanden ist, gehört zweifelsohne der Jugendzeit des
Meisters an. Am 23. Februar 1473 weilte er in Coria bei Plasencia. Dort
sollte er sechs Retablen malen und der Preis von Fray Pedro de Salamanca,
Garcia del Barco oder einem andern berühmten Maler festgesetzt werden.
1507 vollendete er die »Tribüne« der Universitätskapelle zu Zaragoza. Nach
Cean Bermudez soll er erst 15 5° gestorben sein. Dies bezweifelte schon
Passavant mit Recht, der auch bereits die Ansicht vertrat, Gallegos müsse
früher gelebt haben.
Wenig klärend wirkt die von Moreno gefundene Notiz im Kathedral-
archiv zu Salamanca, daß für den ganz im reifen Stile des Meisters gehaltenen
großen Katharinenaltar ein Francisco Gallegos zweimal im Jahre 1500
Zahlungen erhalten hat. Nach Moreno sollen auch die beiden viel primi-
tiveren Tafeln mit der Kreuztragung und Pietä am Hochaltar der alten
Kathedrale von Salamanca von diesem Francisco gegen 1500 ausgeführt
sein. Es wäre dies nicht unmöglich, denn wenn die Datierung durch die Rech-
nungsbücher unwiderleglich ist, müssen die Tafeln von einem jungen, noch
nicht sehr geübten Schüler des Fernando, vielleicht seinem Söhne, her-
rühren. Sollte dieser aber auch den Katharinenaltar kurz danach gemalt
haben, so hätte dieser Francisco in kürzester Zeit ganz unglaubliche Fort-
schritte gemacht. Bis zur weiteren Klärung seien all diese Werke im
folgenden ohne Trennung der beiden Meister besprochen.
Ob Gallegos ein Schüler des Petrus Christus war, wie Passavant gemeint
hat, scheint mir ebenso fraglich wie die Richtigkeit der Vermutung von Cean
Bermudez, nach dessen Meinung Gallegos bei dem älteren Berruguete in die
Lehre gegangen ist. Den nordischen Einschlag in des Gallegos' Werken hat
man stets erkannt, darum nannte man ihn anfangs in Spanien einen Schüler
des Alberto Durero. Der Name jedoch, der sich einem, namentlich bei dem
großen Ildefons -Altar, unwillkürlich auf die Lippen drängt, ist der des
Dirck Bouts. Aber es hat hier gar keinen großen Wert, auf diesen oder jenen
Meister hinzuweisen, es genügt die Feststellung der Tatsache, daß die Kunst
des Fernando Gallegos sehr stark und fast ausschließlich von den Schöpfungen
der alten Niederländer beeinflußt ist.
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
523
Sein erstes großes uns erhaltenes Werk ist, wie der bereits erwähnte
Retablo der Ildefons -Kapelle in der Kathedrale von Zamora, wie die Kapelle
selbst eine Stiftung des Kardinals Juan de Mella. Dieser Kirchenfürst war
ein Sohn der Stadt. Er hatte in Salamanca studiert, sich dort den Doktorhut
erworben und als ein »celeberrimo letrado« selbst dort als Professor gewirkt.
In Rom verteidigte er den Erzbischof Diego de Anaya von Sevilla und
erhielt von Johann II. das Bistum Zamora verliehen. Doch blieb er ständig
in Rom, wo er Papst Eugen IV. gute Dienste leistete und ihn gegen die
Bedrückungen der Colonnas verteidigte. Calixtus III. ernannte ihn dann
1456 zum Kardinal. 1458 wurde er Erzbischof von Sigirenga und starb
am 13. Oktober 1467 in Rom. Die Mella waren eine sehr angesehene Familie.
Ein Namensvetter des Kardinals, der auch in der Ildelfons-Kapelle ruht,
war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Regidor von Zamora.
Das große Altarwerk dürfte wohl zwischen 1456 und 1467 entstanden
sein. Es ist auf der »Kaselverleihung« bezeichnet FERNAD9 GALECVS.
Dargestellt ist in der oberen Reihe die Taufe, Kreuzigung und die Hinrich-
tung Johannis. In der unteren die Erscheinung der hl. Leocadia, die Ver-
leihung der Kasel an den hl. Ildelfons und die Überreichung eines Reliquien -
kästchens.
Bei der Taufe fällt die weite Landschaft auf, doch die drei Figuren
stehen noch ganz vorn in einer Linie. Der Engel in Rosa ist eine sehr lieb-
liche Erscheinung. Der Christus der Kreuzigung zeigt einen sehr hageren,
dürren Körper. Das Haupt hat er gesenkt. Von den drei Frauen sind die
beiden vorderen in Blau und Gelb gekleidet, die hintere in Rot ist ganz in
ihren Mantel eingehüllt, nur die Augen sehen heraus. Alle drei sitzen. Jo-
hannes trägt rotbraune und blaugrüne Gewandung. Die Hinrichtung des
Täufers spielt sich in einem Hof ab, der Henker übergibt gerade Salome das
Haupt.
Die Leocadienerscheinung bezieht sich auf eine Toledaner Legende,
nach der diese Toledaner Märtyrerin dem hl. Ildefons, dem eifrigen Ver-
teidiger der reinen Jungfrau Maria, in Gegenwart des Königs Receswinth
erschienen sein soll. Der Erzbischof habe rasch mit einem Schwerte, das
ihm der König reichte, ein Stück des grünen Kopftuches der Heiligen abge-
schnitten, das als kostbare Reliquie verwahrt worden sei. Die Szene spielt
in einer Kirche mit reich gemustertem Fußboden. Auf der linken Seite
knien die Priester, auf der rechten der König. Ildefons hat mit der Linken
das Kopftuchende der knienden Heiligen erfaßt und wendet sich nun (vom
Rücken gesehen, den Kopf nach rechts) zum Könige, der ihm sein kurzes
Schwert reicht.
Der König, in Rot und Goldbrokat gekleidet, zeigt ein wenig edles
Gesicht. Seine Nase ist sehr lang. Verzeichnet wirkt die Figur rechts von
5 24
August L. Mayer:
ihm in dem langen gelben Mantel. Die Priester, von denen einer in reicher
Capa vorn kniet, sind besser gelungen. Oben im Chor der Kirche sieht man
einen Flügelaltar, dessen Mitte eine Kreuzigung bildet. Eine Erinnerung
an des Meisters flämische Vorbilder.
Die Gestalt des links im Profil knienden, in Weiß und Rot gekleideten
Ildefons auf der »Kaselverleihung« ist scheußlich übermalt. Ebenso die
beiden Engel in Blau hinter ihm, von denen einer seine Mitra hält, sowie die
Fensterausschnitte mit dem Himmelsblau und die Wolken über Maria.
Diese sitzt auf einem Thron in vornehmem, dunkelgrünem Kleid und roten
Schuhen und blickt, das Gewand überreichend, nieder, jedoch nicht zu
Ildefons. Rechts kniet der hl. Hieronymus im Profil in Kardinalstracht,
sein Hut liegt am Boden. Der Purpurmantel zeigt einen außerordentlichen
Faltenreichtum, doch sind die Falten zum Teil .hart gebrochen. Hinter
Hieronymus steht ein in Weiß und Blau gekleideter Engel in reicher goldener
Capa, der die Linke auf dem Rücken des Heiligen mit der Rechten auf Maria
weist. Neben dem gotischen Thronsessel erblickt man die hl. Katharina mit
Schwert und offenem Buche, die zu dem hl. Ildefons niederschaut. Ihr
dunkelgrünes Gewand ziert ein sehr •breiter Goldsaum. Alle Frauen haben
frische Landmädchengesichter, die beiden rechts sogar einen ziemlich
derben Typ.
Die letzte der großen Darstellungen bezieht sich wohl auf die frühere
Überführung der Reliquien des Heiligen nach Zamora. Ein hagerer, in Rot
gekleideter Mann, vom Rücken gesehen, weist rechts auf eine kleine, rosa-
farbene Kapelle hin, den Aufbewahrungsort der Reliquien.
Auch diese Szene spielt in einer Kirche. Hinten in der Mitte sitzt der
Erzbischof, von drei Leuten seines Gefolges umgeben, und überreicht einem
in braunem Mantel vor ihm knienden ein Kästchen, das wohl die Reliquie
des Heiligen enthält. Links sieht man anbetende Frauen, Bettler und Kinder,
rechts eine Gruppe von Männern, die zum Teil einen sehr verwunderten Aus-
druck zeigen. Besonders auffallend ist der im Vordergründe heranrutschende,
in Gelb und Rot gekleidete Bettler mit kleinen Holzstühlchen in den Händen.
Als Predellenbilder sieht man den hl. Kirchenvater, Gregor in reicher
perlengestickter Mitra und ebenso kostbarem Gewand, einen übermalten
Petrus, das Schweißtuch der Veronika und den hl. Hieronymus als Brust-
bild; die Nase ist auffallend lang, der Mund leicht geöffnet, so daß man die
Zähne sieht. In der erhobenen Rechten hält er die Feder, in der Linken
das Buch.
Auf den einrahmenden schmalen Außenseiten sieht man auf beiden
Seiten oben das Wappen des Kardinals, einen Adler, von drei goldenen Balken
wagerecht durchkreuzt und von acht kleinen goldenen Löwen in schwarzem
Feld umrahmt, darunter links Eva mit der Spindel, eine echt gotische Gestalt
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
525
in Tanzschritt, rechts Adam in gespreizter Stellung mit einer Harke in der
Rechten und der verhängnisvollen Frucht (auch hier als Feige gebildet)
in der Linken.
Es folgt dann wieder auf beiden Seiten das Wappen und darunter links
die Gestalt der Kirche und rechts die der Synagoge. Diese vier seitlichen
Darstellungen sind als Grisaillen auf rotgoldbrokatenem Grund aus-
geführt.
Als Seitenteile der Predella endlich sieht man links den Engel des
Matthäus und den Adler des Johannes, rechts Jacobus maior.
Der Altar zeigt uns den Meister, wie schon gesagt, noch nicht auf der
Höhe. Abgesehen von den derben Typen, bei denen vor allem die langen
Nasen auffallen, findet man wiederholt recht ungeschickte Verkürzungen
(der Leichnam Johannis, der Begleiter des Königs bei der Leocadienerschei-
nung, der Bettler bei der Reliquienübergabe). Die oft sehr langen Falten sind
meist hart gebrochen, manche sind röhrenförmig, was ja ein Charakteristikum
der nordwestkastilischen Schule zu sein scheint; namentlich der Mantel des
Johannes bei der Kreuzigung ist genau so behandelt, als sei er ein Entwurf
für eine Skulptur.
Derselben Zeit wie diese Schöpfung gehört das zweite bezeichnete Werk
des Gallegos an, die Reste eines Retablo in der Antonius-Kapelle der Kathe-
drale von Salamanca, auf dem Mittelfelde rechts unten FERNADVS
GALECVS bezeichnet. Passavant sah es in der Clemens -Kapelle, wo man
außer den heute leider stark restaurierten und gefirnißten Tafeln mit der
Madonna, dem hl. Andreas und S. Christoph »noch ein paar Zwickel des alten
Retablo, den König David und einen andern Propheten darstellend, sah«.
Bei dem Mittelbilde, das eine thronende Madonna darstellt, fühlte sich
Passavant mit Recht an das Frankfurter Bild des Petrus Christus erinnert.
»Die Behandlungsweise ist ganz Eyckisch. Die Schatten der Karnation haben
einen lichtbräunlichen Ton . . Weder die hl. Jungfrau noch das Christkind
sind schön zu nennen.« Über dem dunkelbraunen Gewände trägt Maria
einen hellroten Mantel, bei dem die reiche Faltengebuhg auffällt, doch sind
die Falten hart gebrochen. Auch der Saum des Kleides ist unten hart be-
handelt. Das Kind steht in durchsichtigem Hemdchen auf dem linken Knie
Marias und greift nach einer weißen Rose, die die Jungfrau in ihrer Rechten
hält. Ist Maria, wie Passavant sagt, auch nicht schön, so ist sie doch recht
lieblich zu nennen.
Auf fler Tafel links ist Andreas dargestellt, der, weißbärtig, in rosa
Gewand und dunklem Mantel, von vorn gesehen in der Linken ein offenes
Buch, in der Rechten das Kreuz hält. Im Hintergründe sieht man eine Stadt
und Schneeberge. Passavant bemerkt von dem Heiligen : »Der Kopf hat etwas
sehr Würdiges in der Art der Eyckischen Auffassungsweise. Die Füße wie
526
August L. Mayer:
auch bei Peter Christophsen ohne rechtes Verständnis gezeichnet.. Die Land-
schaft hat einen sehr bräunlichen, den Spaniern eigentümlichen Ton.«
Der hl. Christophorus zur Rechten ist in Blau und Rot gekleidet. Die
Linke eingestemmt, blickt er zu uns heraus. Das Bemerkenswerteste ist die
weite, sorgfältig behandelte Landschaft.
Nicht bekannt sind mir die 15 dem Meister zugewiesenen Gemälde
in Arcencillas. Es war ürsprünglich ein großer Retablo mit Darstellung des
Lebens und der Passion Christi, von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt.
Gleichfalls unbekannt sind mir im Original die Tafeln vom Hochaltar in
S. Lorenzo zu Toro. Die Stifter des Altars waren D. Pedro de Castilla und
Dona Beatriz de Fonseca. Der Gatte starb, nach seiner Frau, im Jahre 1492.
Erhalten sind noch acht Tafeln sowie die Predella und die Krönung des
Ganzen. Die mittlere Partie wurde im 18. Jahrhundert durch eine Schnitz-
arbeit im Churriguera-Stil ersetzt. Es befand sich da ein Gemälde, das
Christus in der Glorie zwischen Kirche und Synagoge zeigte (jetzt bei
M. Kleinberger, Paris). Die großen Tafeln enthalten vier Szenen aus der
Kindheit Christi und vier aus der Lorenzgeschichte.
Von den beiden Tafeln am Hochaltar der alten Kathedrale von Sala-
manca war schon weiter oben kurz die Rede. Bei der Kreuztragung fallen
die knittrigen, scharf gebrochenen Röhrenfalten, namentlich bei dem dunklen
Gewände Christi, auf, der große Verwandtschaft mit dem Bouts’schen Christus-
typ besitzt. Die figurenreiche Handlung ist ganz in den Vordergrund ge-
schoben und lebhaft bewegt. Dahinter erstreckt sich eine weite Landschaft,
in der die Marien erkenntlich sind, die mit zahlreicher Begleitung aus dem
Stadttor herauskommen. Der Christus der Beweinung zeigt einen sehr
hageren Körper, namentlich die Gliedmaßen sind sehr dürr. Magdalena
fällt durch die Lebhaftigkeit ihrer Klage auf. Eine der Marien hat ähnlich
wie in Zamora ihr Kopftuch weit über die Stirn herabgezogen. Auch hier
spielt die weite Landschaft eine große Rolle.
Beweisen diese beiden Tafeln mehr als die andern Werke, daß Gallegos
seine Lehrzeit bei dem »Meister des Katharinenaltars« in Salamanca zuge-
bracht hat, so zeigen ihn uns die Tafeln seines Katharinen-Altars in
der Sala capitular der Catedral vieja in Salamanca auf der Höhe seines
Könnens.
Auf der großen Mitteltafel erblicken wir die hl. Katharina frontal
sitzend auf einfachem breiten gotischen Sitz. Als Grund dient ein Teppich,
der oben als Baldachin gebildet ist und auf dessen beiden Seiten das große
Marterrad der Heiligen hervorblickt. Gekleidet ist die Heilige in ein gold-
brokatenes Untergewand mit roten Ärmeln und blaues Obergewand sowie
roten Mantel, der die Ärmel des blaue'n Kleides freiläßt und einen überaus
großen Faltenreichtum zeigt. Eine Krone auf dem Haupt, eine doppelte
Studien zur Quattrocentomalerei in Nordwestkastilien.
527
Perlenkette um den Hals, hält sie in der Rechten das Schwert und in der
Linken ein offenes Buch. Ihr Gesicht ist ziemlich voll gebildet, die Augen
groß und offen, das Kinn spitz, der Mund ziemlich breit. Sie sitzt in einem
Zimmer mit Fliesenboden, das in seiner Behandlung niederländischen Einfluß
verrät. Links liegt ein Buch auf einer Brüstung, rechts steht Glas und Flasche
auf der Fensterbank. Das Fenster selbst ist geöffnet und gewährt Ausblick
in eine Landschaft.
Auf der schmäleren Tafel links ist das Radwunder dargestellt. Katha-
rina in blauem, gelb gefüttertem Kleid und rotem, wiederum äußerst falten-
reichen Mantel, eine Korallenkette um den Hals, kniet im Gebet. Unter den
gestürzten Henkern, in deren Kleidung Blau vorwiegt, jedoch auch Gelb
ziemlich stark vertreten ist, herrscht lebhafteste Bewegung. So sehr sich
der Künstler auch Mühe gegeben hat, die schwierige Kunst der Verkürzung
beherrscht er in einigen verwickelten Fällen immer noch nicht ganz. Mit am
interessantesten ist eine Gestalt, die vorgebeugt sitzend den völlig gesenkten
Kopf in beide Hände genommen hat.
Auf der rechten schmäleren Tafel sieht man die Enthauptung der
Heiligen. Sie ist ganz ähnlich wie beim Radwunder gekleidet. Ihr Haupt,
erst zur Hälfte vom Rumpfe getrennt, ist auf die Seite geneigt. Die Augen
sind bereits gebrochen. Der Henker, eine hagere Gestalt, in Grau und Grün
gekleidet, holt zu einem zweiten Streich aus, um sein grausiges Werk zu
vollenden. Rechts stehen einige Zuschauer, gleichfalls sehr schlanke
Gestalten.
Der Boden besteht aus weißen und grünen Fliesen. Im Hintergründe
wird durch eine Art Fensteröffnung die Disputation der Heiligen mit den
Schriftgelehrten sichtbar, eine weitere Fensteröffnung zeigt einen Ausblick
in eine Landschaft.
Über den drei großen Tafeln sind drei kleinere mit Halbfiguren, die
gegen Goldgrund gestellt sind, angebracht. In der Mitte Petrus und Paulus,
einander zugekehrt; links der hl. Gregor mit Kreuz, Calix und Hostie, rechts
der hl. Hieronymus in Kardinalstracht mit Feder und Buch, niederblickend.
Ein Spätwerk des Meisters, das schon den Geist der Renaissance atmet
und zu gleicher Zeit in verschiedener Hinsicht stark an Memling erinnert,
ist das Gemälde am Trascoro der Kathedrale von Zamora, ein Allerheiligen-
bild. Vor allem sind hier die Typen bedeutend edler. Christus sitzt als
Salvator mundi auf einem reichen Renaissancethron, der mit den sitzenden
Statuetten der Kirche und der Synagoge geschmückt ist. Links vom Thron
erblickt man Maria in Schwarz, die Hände auf der Brust gekreuzt, ferner
Magdalena in Gelb, Katharina in Rot und andere weibliche Heilige; rechts
von Christus Johannes d. T., Petrus in Grünlichweiß, Johannes Ev. in Rot.
Ganz vorn in der Mitte sitzt der junge St. Michael mit Schwert und Schild.
528
August L. Mayer:
Er erinnert besonders lebhaft an Memlingsche Gestalten. Links von ihm
musizieren drei Engel, am besten ist der flötenblasende gelungen; rechts
von ihm singen drei andere aus einem Buch. Oben in den Lüften sieht
man kleine Putten. Die Faltenbehandlung ist etwas weicher, aber die
alten Gepflogenheiten des Meisters sind immer noch deutlich erkennbar.
Ein Hauptwerk aus dem Kreise des Künstlers ist der große Altar von
Ciudad Rodrigo, jetzt in der Sammlung Cook zu Richmond, der 23 größere
Tafeln und 3 Predellenstücke umfaßt. Er enthält die Welthistorie vom
Chaos bis zum jüngsten Gericht. Gailegos selbst darf man vielleicht 12 Tafeln
zuweisen.
Neben Gailegos arbeiteten noch zwei andere Künstler an diesem Werke.
Den bedeutenderen nennt Bertaux mit Recht le maitre aux armures. In
der Kunst der Waffenmalerei erinnert er lebhaft an Konrad Witz. Doch ist
er lange nicht so bedeutend. Seine Akte sind recht mager, seine Verkürzungs-
kunst ziemlich gering. Auffallend ist sein sehr melancholischer Christustyp.
Aus dem Kreise des Gailegos stammt ferner der Retablo in der Cap.
Sa. Barbara der Kathedrale von Salamanca, nach 1500 entstanden. Am
meisten zeigt die Tafel mit der »hl. Barbara vor dem Könige« von seiner
Eigenart. Sonst sieht man noch die »Kreuztragung«, »Golgatha«, »Bewei-
nung« (schlecht zu erkennen) und eine erst später hinzugefügte »Enthauptung
der hl. Katharina«. Der Kreuzgang der Kathedrale enthält schließlich
noch drei mäßige, schlecht erhaltene Retabeln aus der gleichen Zeit, der
späteste zeigt niederländischen Einfluß.
Im 1 6. Jahrhundert löste Valladolid die alten Kunststätten Leon und
Salamanca ab. Die bedeutendsten Malereien aus der ersten Hä'fte dieses
Jahrhunderts, die Salamanca aufzuweisen hat, stammen von der Hand des
vor allem als Bildhauer berühmten Alonso de Berruguete, der die größte
Zeit seines Lebens in Valladolid gewirkt hat. 1529 schuf er den Retablo
mayor für das Colegio del Arzobispo in Salamanca, Szenen aus dem Marien-
leben enthaltend, eines seiner interessantesten Frühwerke und seine bedeu-
tendste malerische Arbeit überhaupt.
Noten für den Illuminator.
In der Reichenauer Handschrift x) XXVII der Großh. Hof- und Landes-
bibliothek zu Karlsruhe sind uns — eine ziemliche Seltenheit — am Rande
des Manuskriptes Anmerkungen des Schreibers für den Miniateur erhalten,
die uns so recht gestatten, in die Werkstatt der damaligen Künstler einen
Einblick zu tun. Rudolf Kautzsch hat in seinen einleitenden Erörterungen
zu einer Geschichte der deutschen Handschriftenillustration (1894) die Art
der Herstellung der Handschriften und ihrer Bilder eingehend dargelegt
und hat auf Seite 63 Anm. I Noten aus dem Cod. palat. germ. 3 36 mitgeteilt;
ich brauche das dort Gesagte deshalb nicht zu wiederholen, sondern wende
mich zu unsern Noten selbst. Die Miniaturen erscheinen mir ziemlich hand-
werksmäßig und geben bei weitem kein Bild von der damals in Konstanz
blühenden Malerei; die Handschrift, 1335 jedenfalls in dieser Gegend ent-
standen, also nur kurz nach der Herstellung der berühmten Richenthaler
Originalhandschrift, weist 29 Miniaturen auf, und zwar auf Seite I, 5, 6,
35, 58, 73 b, 95, 115, H5b, 129, 144, 146, 147, 152, 166b, 200, 216b, 217,
232b, 252b, 253b, 259b, 268b, 278b, 284b, 292b, 301b, 318, 332.
Die meisten Noten zu diesen Miniaturen sind völlig ausradiert und
unlesbar.
Note zu Seite 58. »Da kvmpt ain bischo[ve] vn(d) lect für vff [den]
altar, vn(d) grift aine(m) bokk vff da[s] hvpt.« Samuel Berger, der einen
Teil dieser Noten in den »M^moires de la Soci6t6 Nationale des Antiquaires
de France« (1893) veröffentlicht hat, liest: Da kumpt ain bischo[ve] unn
lect für uff [ain] altar, unn grift (?) ainen bokk uff dem hupt.
Note zu Seite 166 b. »Da kvmpt ain gewabeter vo(n) dem strit zuo
kvnig dauid.« Samuel Berger: Da kumpt ain gewapeter von dem feit (?)
zuo kunig David.
*) Biblia cum duobus prologis Hieronymi, I. = Vetus Testamentum, bis Parabole
Salomonis, mit Esdrae III, in zwei Kolumnen, ohne die Psalmen. 402 Blätter (385 X 282)
aus Pergament. Auf Seite 401 b steht: Iste liber est magistro Johanni Spenlin. Zu diesem
Kodex gehört als zweiter Band Reichenau XXVIII, der jedoch keine Noten enthält.
Auf Seite 402 steht: in Nomine Domini Explicit Liber Apocalipsis. Anno Domini
M. CCCC. XXXV. Vgl. den Katalog der Reichenauer Pergamenthandschriften von Alfred
Holder (1906) S. 106 u. 107.
530
Noten für den Illuminator.
Note zu Seite 200. Dieselbe ist sehr stark radiert und kaum lesbar:
»Ain kvnig lit; sein hvptman beet; zuo [ihm] kvmpt ain p(ro)phet vn(d)
strafet den kvnig.« Samuel Berger liest die Note nicht.
Note zu Seite 217. »obne(n) adam, eua vn(d) juden; vnde(n) velt
ain kvfnig] i(n) sin swert.« Samuel Berger: Obenn Adam Eva unn juden.
Unden velt ain ku[nig] in seim swert.
Helmuth Th. Bossert- Karlsruhe.
Zu Paris Bordone.
Das umstehend abgebildete männliche Porträt verdankt ohne Zweifel
dem Pinsel des Paris Bordone seine Entstehung. Ich bringe die Nachbildung
hier, weil das Original auch zur Frage, ob das männliche Porträt von 1523
in der Münchener Pinakothek (Rebers Katalog Nr. 1120) von Bordone sei,
immerhin einen Beitrag liefert.
Das Porträt, Brustbild in Lebensgröße, stellt einen vornehmen Herrn
vor; die Beleuchtung kommt von links und ist mit großer Kenntnis der
Lichtwirkung durchgeführt. Mit psychologischer Feinheit prägen sich in
dem Gesichte die Wirkungen einer Krankheit, anscheinend der Lungen, aus;
Blick und Ausdruck zeigen schwärmerischen Charakter. Das Gewand ist
dunkel, ebenso Haar und Bart und die Farbe der Augen. Ich sah das Bild
schon vor längerer Zeit bei dem Münchener Kunstantiquar Julius Böhler,
der es dann auch in der großen Münchener Ausstellung des Jahres 1908
sehen ließ. Gegenwärtig gehört es Seiner Exzellenz Herrn Grafen Andreas
von Maltzan zu Militsch in Schlesien.
Ich sagte oben, es werfe ein Licht auf die Frage, ob das Münchener
Porträt von 1523 von Bordone sei. Diese Frage ist insofern nicht uninter-
essant, als man damit das frühest datierte Werk des Trevisaners vor sich
hätte. Crowe und Cavalcaselle hatten es zuerst demselben zugeteilt, und
auch ich habe dies immer für richtig gehalten (vgl. auch Helbing, Monats-
berichte, München, II, 1902, S. 355, mit Abbildung, und III, 1903, S. 3).
Nun schrieb es G. Frizzoni in der Zeitschrift L’Arte 1900, III, p. 74, gestützt
auf das Kniestück Nr. 221 der kaiserlichen Sammlung zu Wien, Bildnis des
Prokurators von San Marco Ottaviano Grimaldi, dem Bernardino Licinio
zu. Daß das letztere — ein bezeichnetes Bild — in der Kopfhaltung und
Augenstellung eine Verwandtschaft mit dem Pinakothekbilde hat, ist zuzu-
geben, abes es gleichen sich die Venezianer jener Zeit überhaupt, und man
muß bedenken, daß Bernardino ein unselbständiger Maler war, der auch
von andern, besonders von Palma vecchio, inspiriert «var. Der Vergleich
ist also einseitig, und ebenso kann man nicht zugeben, daß das Gesichtsrot
in der Münchener Leinwand dem des Licinio, der ein gleichmäßig verteiltes,
etwas ziegeliges Rot liebte (aber auch nicht überall anwandte), entspricht,
532
Wilhelm Schmidt:
vielmehr ist es überall in der Manier Bordones gehalten. Jedes rötliche Ge-
sicht ist denn doch schließlich nicht von Bernardino. Die Gleichheit der
Behandlung und des Ausdruckes kann man ja in München bequem an dem
Gemälde Nr. 1 1 2 1 , Mann und Mädchen, studieren. (Ein Licinio fehlte in der
Galerie; der Meister ist aber jetzt durch das kürzlich aus Augsburg herüber-
Zu Paris Bordone.
533
genommene, zuerst durch Otto Mündler bestimmte Brustbild einer Vene-
zianerin vertreten, worin auch das »Rot« des Malers.) Auch das Werk in
Militsch hat eine gleiche Behandlung und beweist für Nr. 1120 die Herkunft
von Paris, wenngleich es ebenso wie Nr. 1121 etwas später gemalt sein
dürfte. L. Bailo und G. Biscaro haben in ihrem schönen Werke: Deila
Vita e delle Opere di Paris Bordon, Treviso 1900, auf Frizzoni gestützt,
das frühest datierte Werk ihres Landsmannes zu Unrecht weggelassen.
Ich füge hinzu, daß das Militscher Bild im allgemeinen gut erhalten
und nur von einem etwas trüben Firnis bedeckt ist. Wilhelm Schmidt.
Zu Wolf Huber.
Rudolf Riggenbach erwähnt in seiner Inaugural-Dissertation über
W. Huber (Basel 1907) auf S. 72 einer Schlachtenzeichnung in der Münchener
Graphischen Sammlung. Dieses große und figurenreiche Blatt hatte ich
vor Jahren unter den »Unbekannten« vorgefunden und als W. Huber ein-
gelegt. Riggenbach erkennt die Bestimmung als richtig und knüpft daran
die Frage, ob Huber nicht aueh einen Auftrag von Herzog Wilhelm IV.
von Baiern für seine bekannte Schlachtenserie erhalten habe. Das ist leicht
möglich, auffallend ist ja eine solche Zeichnung bei dem Künstler immerhin,
aber das Gemälde ist dann wohl nicht zur Ausführung gelangt. Bei dieser
Gelegenheit möge auch auf die Studien von Ph. M. Halm hingewiesen werden:
»Zu Wolf Huber und der Kunst des Donaustiles« in der Zeitschrift Die
christliche Kunst V, 1908, S. 65 f., und »Zu Wolf Huber« in den Monats-
heften für Kunstwissenschaft II, 1909, S. H22, die mit Scharfsinn und
ikonographischer Kenntnis die Fragen erörtern. Bei der Beurteilung des
Meisters dürfen sie nicht übersehen werden. Wilhelm Schmidt.
Literaturbericht.
Architektur.
A. Hahr. Die Architektenfamilie Pahr. Straßburg. E. Heitz.
1908. 8°. 129 S. m. 46 Abb. im Text.
Für das Eindringen italienischer Schmuckformen in die Architektur
des deutschen Nordostens um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts sind
wir bisher auf spärliche und unzusammenhängende historische Nachrichten
angewiesen. Wir müssen annehmen, daß zahlreiche »muratori« aus Ober-
italien, besonders aus der Lombardei, die ja seit dem Mittelalter bereits auf
dem Gebiete der Backsteinbaukunst rege Betriebsamkeit entfaltete (maestri
Comacini), über die Alpen wanderten und mit ihrem Handwerk die
frohe Botschaft welscher Zierlust nach Böhmen, Sachsen, Schlesien,
Posen und Mecklenburg* trugen. Sie wanderten meist in ganzen Kolonnen,
mit werktätigen Verwandten und Gesellen, traten in den Dienst von
Fürsten und Gemeinden, wurden weiter empfohlen und schließlich auch
über das Meer nach Schweden verschlagen. Selten nur sahen sie ihre Heimat
wieder; die meisten endeten als fürstliche oder städtische Baumeister im
Norden. So Giovanni Battista de’Quadri, die Niuron, Lynar, Chiaramela,
della Torre u. v. a. Für Schlesien hat zuerst E. Wernicke die Nach-
richten über welsche Maurer gesammelt, auch E. C z i h a k in seinen Bei-
trägen zur Geschichte der Renaissancebaukunst in Schlesien gibt dankens-
werte Aufschlüsse, und der Registerband von Lutsch’s schlesischem
Denkmälerinventar verzeichnet sorgfältigst alle Notizen über die vielen
italienischen Architekten unter ihrem Namen.
Sehr erfreulich ist es nun, daß ein schwedischer Forscher, der Dozent
der Kunstgeschichte an der Universität Lund, August Hahr die Ge-
schicke einer dieser Künstlerfamilien, deren Namen in den deutschen Ur-
kunden in wunderlicher Abwandlung bald Bavor, Baar, Barr Bahr,
Boer, Paar, Pahr und Par geschrieben wird, zum Gegenstand eingehender
Untersuchung gemacht hat. Vermag er auch über die Tätigkeit der Pahrs
in Brieg, Hainau, Schwerin und Güstrow nicht wesentlich Neues zu be-
richten, so werden ihm um so mehr Alle, die sich für die Schicksale dieser
Wanderkünstler- und Sendboten interessieren, dankbar sein für die sorg-
36
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII.
536
Literaturbericht.
fältigen, durch Abbildungen erläuterten Nachrichten von ihren Kunsttaten
im Lande der Wasa.
Johann Baptista Pahr, der sich durch seine Arbeiten am Hof
Herzog Johann Albrechts den Titel eines herzoglich mecklenburgischen
Hofbaumeisters erworben hatte, wurde zunächst als Festungsingenieur 1572
nach Kalmar berufen und holt bald darauf seine Brüder Dominicus und
Franziskus nach seiner neuen Heimat herüber. Das Schloß in Kalmar
mit seinen vornehm schlichten Portalen, dem zierlichen Brunnenhäuschen
im Hof und den reich stukkierten Festsälen legt beredtes Zeugnis ab von
dem reifen Können der Mailänder Architekten, obwohl sie natürlich für die
Ausführung zahlreiche • — meist niederländische — Hilfskräfte heranziehen
mußten. Die Bauleitung des Wasaschlosses in B o r g h 0 1 m lag in
Händen von Dominikus Pahr; geschickt hat Hahr den Anteil
der Brüder an der Arbeit aus den zahlreichen Umbauten des heute in
Ruinen liegenden gewaltigen Baus herausgeschält und aus den Bau-
rechnungen auch die einheimischen Hilfskräfte, wie Hamson und Hakon
Björnsson eruiert. Gestützt auf die archivalischen Untersuchungen von
K j e 1 1 b e r g war es ihm auch möglich, die Baugeschichte des Schlosses
von Upsala, soweit sie mit den Pahrs zusammenhängt, klarzustellen.
Der hier, wie in Kalmar mehrfach genannte Heinerichvon Coelen
könnte vielleicht mit dem 1531 — 35 in Danzig (Autushof) tätigen Hein-
rich Holzapfel identisch sein, obwohl letzterer besonders als Bau-
tischler in Danzig beschäftigt war. Auch ein schlesischer Künstler, der
in seiner Heimat fast ganz unbekannt ist, Antofiius Watz, wird in
Upsala mehrfach erwähnt.
Es wäre zu wünschen, daß die verdienstliche Arbeit des schwedischen
Gelehrten der deutschen Forschung erneuten Anlaß böte, die Wanderungen der
lombardischen Künstler vom Süden über Österreich, Böhmen und Schlesien
nach Mecklenburg und damit das Eindringen der neuen Bauformen in
Nordostdeutschland näher zu verfolgen. Die Hauptstationen dürften in
Wien, Olmütz, Krakau, Neiße, Brieg, Breslau im Osten, Prag, Dresden,
Meißen, Posen im Westen zu suchen sein. Ludwig Kaemmerer.
Skulptur.
Edmund Hildebrandt. Leben, Werke und Schriften des
Bildhauers E.-M. Falconet (1716 — 1791). Mit 39 Abbildungen
auf 21 Lichtdrucktafeln. Straßburg. Ed. Heitz 1908. Zur Kunstge-
schichte des Auslandes, Heft 63.
Ein ausgezeichnet geschriebenes Buch über einen der interessantesten,
lange vergessenen Künstler Frankreichs im 18. Jahrhundert zu lesen ist
Literaturbericht.
537
ein Hochgenuß! Der Bildhauer und Kunstschriftsteller Falconet war ein
großer Künstler und ein originaler Geist. Einer jener reizvollen, in unserer
Zeit fast undenkbaren Menschen, in deren Natur sich mit dem kultiviertesten
Geschmack und Können ein großer und tiefer Geist verbindet. Ein Mensch,
der mit der gleichen Innerlichkeit für die Sevres -Manufaktur die entzückend-
sten Nippes schafft, in Petersburg in dem Monument Peters des Großen
eine Denkmalsidee verwirklicht, die eines Lionardo würdig gewesen wäre,
und der in seinen Briefen an seine kaiserliche Auftraggeberin, Katharina II.,
einen im schönsten Sinne des Wortes mannhaften Charakter offenbart.
Wundervoll ist dieser Briefwechsel Falconets mit Katharina II., aus dem
Hildebrandt leider nur wenige Proben geben kann, die aber den lebhaften
Wunsch entfachen, es möchte bald geschehen, daß dieser »für das Thema
Kunst und Fürstengunst« so außerordentlich wertvolle Briefschatz gehoben
würde, der seit 1876 in dem Magazin der kaiserlich russischen historischen
Gesellschaft ein unbeachtetes Leben führt.
Nachdem er Falconets Leben und Schaffen im ersten Teile des Buches
aufgebaut, gibt H. im zweiten Teile Auszüge aus Falconets originellen Streit-
schriften, die in der Originalausgabe von 1781 sechs Bände füllen. In diesen
Schriften kämpft Falconet, der seit dem Jahre 1780 nur noch Schriftsteller
war, einen wilden Kampf gegen die seines Erachtens dilettantischen Kunst-
urteile der Herren Cicero, Plinius, Voltaire, Winckelmann, Lessing, Goethe u.a.
Alle diese Andeutungen können natürlich nur den Zweck haben, zu
zeigen, wie interessant der Gegenstand des Hildebrandtschen Buches ist.
Daß es in seinem wissenschaftlichen Gehalt ebenso wertvoll sich erweist,
ist bei einem so ernsten und bewährten Forscher ohne weiteres anzunehmen.
Daß aber dieses Buch auch literarisch wertvoll ist, das macht es dem Rezen-
senten zur angenehmen Pflicht, auf dieses Buch als auf ein seltenes Werk
hinzuweisen. Schon in seinem ersten Buch »Friedrich Tieck« erwies sich
H. als ein feiner Schriftsteller. Dieses zweite übertrifft das erste an künst-
lerischer Qualität, trotzdem auch in ihm die schwierige Frage nach dem
ob und wie der Anmerkungen nicht durchaus befriedigend gelöst ist. H.
gehört zu den wenigen deutschen Kunstschriftstellern, die den Mut und die
Fähigkeit haben zur großen, langsam, mit feinstem Bedacht reifenden, die
vorgenommene Materie erschöpfenden Arbeit. Kaesbach.
Malerei.
Katalog der Gemäldesammlung des Germanischen
Nationalmuseums in Nürnberg. IV. Auflage. Nürnberg.
Verlag des Germanischen Museums. 1909.
Eine Neubearbeitung des Katalogs der Gemälde im Germanischen Mu-
seum war schon seit langen Jahren ein dringendes Erfordernis. Der letzte
538
Literaturbericht.
Katalog, den noch Reber und Bayersdorfer besorgt, stammte aus dem
Jahre 1893 und war schon seit langem vergriffen. Die Aufgabe, diesen
Katalog aufzufrischen, hatte Direktor Stegmann übernommen. Nach seiner
Abberufung wandte sich Nürnberg an München, und Dr. Braune wurde
mit der schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe betraut. Braune,
der seine Aufgabe in überraschend kurzer Zeit gelöst hat, ist mit großer
Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit zu Werke gegangen; er hat sich bei
seiner Neubearbeitung nicht damit begnügt, die inzwischen erschienene
Literatur für den Katalog nutzbar zu machen, sondern hat aus eigenem
manches neue Material hinzugegeben, so daß es sich rechtfertigt, wenn hier
auf die wichtigeren neuen Zuschreibungen hingewiesen werden soll.
Die kölnische und die niederländische Schule haben
keine tiefgreifende Umgestaltung erfahren. Die Madonna mit der
Erbsenblüte (4) wird als Fälschung abgelehnt, und zur näheren Be-
gründung dieser Ablehnung wird auf eine demnächst erscheinende Unter-
suchung von Dr. Redslob in den Mitteilungen des Germanischen Museums
verwiesen. Im Oeuvre des Sippenmeisters wird in etwas anderer
Weise zwischen Meister- und Schularbeit unterschieden. Die Versuchung
Christi (44) ist als Meister von L i n n i g bestimmt, das Bildnis
des Kardinals von Bourbon (101) dem Bourbonenmeister zu-
gewiesen.
Die Allegorie des Lebens und des Todes (109), die
sich schon die mannigfaltigsten Zuschreibungen hat gefallen lassen müssen,
heißt weiter allgemein »Oberdeutsch unter flandrischem Einfluß um 1490«.
Von Wichtigkeit ist der Hinweis, daß das jüngste Gesicht (110), um das
sich bisher niemand gekümmert hatte, zusammen mit diesen Allegorien ein
Triptychon gebildet hat, wie es denn auch gemeinsam mit diesem vom
Fürsten Wallerstein erworben wurde.
Von ziemlich einschneidender Art sind die Neubestimmungen, welche
die fränkische Schule erfahren hat.
Dem Meister des Imhof -Altares gibt der neue Katalog
zwei Werke, den Schmerzensmann, der die Rückseite des Imhofschen Altares
gebildet hat, und das Epitaph der Walpurg Prünsterin. Diese letztere Be-
stimmung scheint mir nicht richtig. Ein Typus wie der des hl. Joseph ist
mit dem Typus des bärtigen älteren Mannes auf den sicheren Werken des
Imhof-Meisters (Imhof-Altar, Deichsler-Altar, Imhof-Rothflasch-Epitaph in
St. Sebald) unvereinbar, auch die Maria zeigt einen wesentlich anderen
Typus als die Maria jenes Meisters. Der Stil des Ganzen ist fortgeschrittenei,
die Technik weiter entwickelt.
Eine Neuerwerbung des Museums bilden die Gregorsmesse ( 1 54)> vier
Flügel mit Heiligen (13; — 140) und zwei Predellenstücke mit je drei weib-
Literaturbericht.
539
liehen Heiligen (120 und 121). Auf eine Anfrage nach der Provenienz dieser
beiden letzten Stücke erhielt ich seinerzeit von Direktor Stegmann die Aus-
kunft, er habe diese zusammen mit den andern vorgenannten Tafeln in
einem gemeinsamen und zusammenhängenden gotischen Rahmenwerk aus dem
15. Jahrhundert gefunden, und dieser Altar sei früher in der Frauenkirche in
Nürnberg, zuletzt auf dem Speicher der dortigen Elisabethenkirche gewesen; das
Rahmenwerk habe seiner Morschheit wegen nicht beibehalten werden können;
der hl. Dominikus und der hl. Thomas, die das Museum schon länger besaß,
seien ursprünglich gleichfalls Teile dieses Altarwerkes gewesen. Ich hatte
keinen Grund, diesen Angaben Mißtrauen entgegenzubringen, und nahm
(in meinem Buche über die Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg, S. 95 ff.)
an, da die einzelnen Stücke sehr verschiedenen Stil zeigten, daß hier mehrere,
nicht derselben Generation angehörende Künstler zusammengearbeitet
hätten, und daß zumal die weiblichen Heiligen, die ich allein zu untersuchen
hatte, von einem älteren Maler als dem Mitarbeiter eines vorgeschritteneren
gefertigt seien. Dagegen wendet sich Braune insofern, als er die einzelnen
Stücke für unabhängig voneinander entstanden erklärt. Damit hat er, wie
ich mich jetzt überzeugt habe, im wesentlichen recht. Als Waagen und
Rettberg vor einigen 60 Jahren die Frauenkirche besuchten, sahen sie dort drei
verschiedene Werke: I. die Gregorsmesse mit den hl. Lorenz und Sebald
auf den Flügeln im linken Seitenschiffe, 2. einen Altar mit holzgeschnitztem
Mittelstück und je drei weiblichen Heiligen auf den Predellenflügeln im
rechten Seitenschiffe, 3. die hl. Dominicus und Thomas, an zwei Säulen
befestigt (Waagen, Kunstwerke und Künstler, I, 1843, S. 258 f., 260 f.,
Rettberg, Nürnberger Briefe, 1848, S. 80, 147 f.). Immerhin ist auch der
Katalog dahin zu berichtigen, daß die Gregorsmesse (154) und die Flügel
mit den Heiligen (137 — 140) ursprünglich zusammengehört haben. Übrigens
habe ich nicht, wie der Katalog angibt, die hl. Dominicus und Thomas
(129 und 130), sondern die beiden Predellenflügel mit den weiblichen Heiligen
(120 und 12 1) dem Meister des Hallerschen Altars in
St. Sebald zugeschrieben.
Dem Hans Pleydenwurff läßt der Katalog kein Stück un-
bezweifelt. Das Bildnis des sog. Canonicus Schönborn (und damit wohl
auch die aus Würzburg stammende Kreuzigung mit dem gleichen Canonicus
als Stifter) möchte er auf Grund der Farbbehandlung einem Künstler des
Mainkreises zuweisen; die andren von Thode dem Meister zugeschriebenen
Bilder, Verkündigungs-Maria, Anbetung der Könige und Vermählung der
Katharina, gibt er seiner Schule. Von Wolgemuth erkennt er nur zwei
Werke an, die Bildnisse des Perckmeister (135) und des Rosenthaler (136);
alles andere teilt er zwischen seiner Werkstatt und seiner Schule. Ich möchte
hier nicht näher auf diese Fragen eingehen, da ich sie in einem Buche über
540
Literaturbericht.
Pleydenwurff und Wolgemuth demnächst im Zusammenhang zu behandeln
haben werde.
Bedeutungsvoll und, wie mir scheint, sehr einleuchtend ist die Identi-
fikation des einen Mitarbeiters am Peringsdörfer Altar, der R. F.
signiert hat, mit dem jüngeren Ruland Frühauf. Der größere Teil
der Darstellungen des Altars ist, was der Katalog nicht klar zum Ausdruck
bringt, aber anzunehmen scheint, nicht von diesem; ich halte es immer noch
für sehr plausibel, daß der Gehilfe, dem Wolgemuth fast die ganze Arbeit
überließ, sein Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff gewesen ist.
Die Ulmer Schule bereichert Braune um zwei Werke, das Noli me
tangere (227) und das Porträt des Hans Wurm von 1487 (24 1 ) . Zwei homines
novi erscheinen zum ersten Male in einem Kataloge, Jörg Ziegler,
der Meister von Meßkirch, und Martin Hess, der Frankfurter Dürer-
schüler. Dem letzteren werden zwei neue Werke, die früher im Kirchenraume
ziemlich unsichtbar hingen, ein Schmerzensmann und eine Schmerzens-
mutter, zugeschrieben; der hohe Standort des Bildes macht auch jetzt die
Prüfung schwierig, doch scheint die Bestimmung sehr wahrscheinlich,
namentlich ist auch das Rankenornament ganz das des Frankfurter Bildes.
Das jüngste Gericht, das früher 'Grünewald zugeschrieben wurde,
reiht der Katalog (auf Vorschlag von Dr. Buchheit) der Schule Martin
Schaffners ein.
Die Abbildungen, die die dritte Auflage des Kataloges hatte, fehlen
in der vierten. Wünschenswert wäre es, daß zu den einzelnen Bildern nicht
nur die käuflichen Photographien angegeben würden, sondern auch die Ab-
bildungen, die in wissenschaftlichen Werken und Zeitschriften erschienen sind.
Erfreulicherweise ist die Benennung der Gemälde nicht nur im Katalog,
sondern auch in der Galerie selbst, in der man bisher pietätvoll den Stand
der Kunstwissenschaft von 1870 beibehalten hatte, einer Revision unter-
zogen worden. Hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, in der sich durch
eine Erweiterung der Räume die Galerie aus einem Gemäldemagazin in ein
Museum verwandelt. Carl Gebhardt.
Ludwig Justi. » G i o r g i o n e «. Zwei Bände. Verlegt bei Julius Bard.
Berlin 1908.
Wenn das Wirken eines Menschen mit seinem Tode nicht beschlossen
ist, wenn wir Spätgeborenen es noch lebendiger als das vieler Lebenden
empfinden, so preisen wir den Begnadeten, dem solche Macht über das
Grab hinaus innewohnte, als einen »Unsterblichen«. Analysiert man nun
die besonderen Arten dieses Unsterblich -Seins, so gelangt man zu drei typi-
schen Grundformen, »come l’uom’ s’eterna«: der Schöpfer und das Geschaffene
Literaturbericht.
541
bilden eine unlösbare Einheit, — der normale Fall. Oder: ein .Künstler
verschwindet hinter seinem Werke wie Homer, wie Shakespeare, wie der
Sänger des Nibelungenliedes, wie die Meister mancher Fresken des Tre-
cento. Drittens endlich: die Persönlichkeit eines Schaffenden leuchtet, los-
gelöst von seinem Werke, durch die Jahrhunderte. Nur in solchem Sinne
können die meisten Gewaltigen der Weltgeschichte unsterblich heißen; denn
was sie schufen — man denke an den mazedonischen Alexander oder an
den Staufer Friedrich — , hörte bisweilen schon mit ihrem letzten Atemzuge
zu bestehen auf; so wird, um nur von künstlerischen Individualitäten hier
zu sprechen, Lord Byron fortleben, nicht in seinen Dichtungen, sondern in
seiner strahlenden Menschlichkeit, so war es auch lange Jahrhunderte hin-
durch um den Nachruhm des G i o r g i o n e bestellt. Noch mußten viele
Venetianer den Klang seiner Stimme im Ohre haben, und doch wurde in
den Palästen schon gestritten, wer von einem Bilde des Giorgione das Original
besitze, Messer Antonio Pasqualigo oder Messer Zuane Ram1); zu Vasaris
Tagen wußten die Leute bereits nicht mehr, ob der Christus mit dem Kreuze
in der Chiesa di San Rocco ein Gemälde Tizians oder des Giorgione sei *),
und den Sinn seiner Fresken am Fondaco de' Tedeschi hat kein Einheimi-
scher dem Gaste aus Florenz zu deuten vermocht. Desto mehr aber
konnten sie von dem Menschen Giorgione erzählen, von der Anmut
seines Wesens, von seinem Lautespiel, das die Frauen verrückt gemacht,
und wie er von den Lippen einer pestkranken Geliebten sich den Tod ge-
küßt habe, den frühen Tod der Götterlieblinge. . . . Daß Giorgione die
schönen Frauen, die sein freskengeschmücktes Haus bei San Silvestro be-
traten, nicht bloß umarmt, sondern auch gemalt hatte, daß er durchglüht
war von dem Arbeitsfuror der Genies (die nur in Romanen immer faul sind),
daß er eine neue Maltechnik geschaffen und der Kunst neue Inhalts-, besser
neue Stimmungswerte geschenkt, — all' dies wurde beinahe oder ganz ver-
gessen, so sehr blendete die Lichtgestalt des Menschen Giorgione, leuchtend
im Schimmer des Geheimnisvollen, die Augen der Spätgeborenen. »Lo cerco
nel mistero della nube ignea che lo circonfonde« 3) ruft d’Annunzio. So taten
manche vor und neben ihm, suchten Giorgione »nel mistero« — und waren
im Grunde froh, ihn dort nicht zu finden, gleich sensitiven Träumern, die
den feinsten erotischen Reiz aus der Furcht ziehen, ihre Geliebte könnte mit
eigener ahnungsloser Hand jenes Kultbild zertrümmern, das sie der Ange-
beteten im Sanctuarium der Seele aufgestellt. Und diese Angst der allzu
Sensiblen war nicht unberechtigt. Denn was für Gemälde waren nicht schon
0 Vgl. Den »Anonimo Morelliano«, ed. Frimmel. Wien 1896. S. 78.
2) S. Vasari, ed. Milanesi IV. S. 97 u. VII. S. 437. Auch Ridolfi, Le Maraviglie I.
S. 203 f. gibt dieses Werk dem Tizian.
3) d’Annunzio, L’Allegoria dell’autunno. In Milano. S. 34.
542
Literaturbericht.
auf den Namen Giorgione getauft worden ! Die Erinnerung, daß Giorgione
in die venetianische Malerei das Heidnisch-Weltfrohe, das Musikalisch-
Amoureuse gebracht, war ja niemals verloren gegangen, aber man verlernte
bald, das Allgemein-Giorgioneske vom Spezifisch-Giorgionehaften zu sondern,
verwechselte die Begriffe »Stimmung« und »Inhalt« miteinander und »Gior-
gione« hieß schließlich alles, was etwa zwischen Bellini und Tizian zu liegen
schien, und was irgendwie mit Musik, Landschaft oder Frauenschönheit
zu tun hatte«. Nein, der küssende und singende Giorgione war entschieden
»interessanter« als die oft so schlechten Bilder, die seinen Namen trugen!
Crowe und Cavalcaselle waren wohl die ersten gewesen, die nicht den
Menschen Giorgione im goldenen Dämmerdunkel der Legende, »nella nube
ignea«, sondern, ohne um Illusionen zu bangen, den Künstler in seinem
Werke suchten. Man weiß, mit welchem Erfolge. Nur elf Bilder konnten
vor ihrem Richterauge als Schöpfungen Giorgiones bestehen, zu vieren wurde
ein Fragezeichen gefügt, den Rest — will sagen, hundertundfünfzig Gemälde
etwa — haben sie aus dem Oeuvre des Meisters gestrichen. Morelli ließ zwar
neunzehn Bilder als eigenhändige Arbeiten Giorgiones gelten, aber da er
»die Mehrzahl der frühen und der späten Gemälde verurteilte«, hat er doch
die Vorstellig eingeengt, die »wir von dem Meister haben, von seiner
Entfaltung und historischen Bedeutung«. Und dabei blieb es zunächst.
Denn Berenson und Gronau haben die Liste Morellis zwar im einzelnen
modifiziert, im Großen und Ganzen jedoch beibehalten; d. h. Berensons Ver-
zeichnis der eigenhändigen Werke Giorgiones umfaßt siebzehn Bilder, von
denen fünfzehn bereits Morellis »Placet« empfangen hatten, während von
den achtzehn Gemälden, die Gronau als »unbezweifelbare« Schöpfungen
Giorgiones anerkennt, auch wiederum sechzehn schon vor Morelli Gnade
fanden. Gegen diese gar zu strenge Auslese, die nach seiner Ansicht ebenso
durch Crowe und Cavalcaselle wie von den Kennern der Morelliänischen Ob-
servanz getroffen wurde, wandte sich dann Herbert Cook, der in seinem
»Giorgione« fünfundvierzig Bilder als eigenhändige Werke Giorgiones an-
führen konnte, weil er den Notizen alter Inventare, namentlich des seicento
und der rhetorischen vita Ridolfis weniger Mißtrauen entgegenbrachte als
seine Vorgänger. Als Cooks revolutionäres Buch erschien — es war im
Jahre 1900 — , ist die Kunstgeschichte mit leisem Lächeln daran vorbei-
gegangen; heute wirkt es in mancher Hinsicht wie eine Studie für den
»Giorgione« Ludwig Justis. Nur der Prolog zu einem »Tizian«
sollte nach dem Plane des Autors dieses Werk sein, aber die Einleitung
gedieh zur selbständigen Arbeit, und die Wissenschaft hat dabei nur ge-
wonnen — nämlich die erste nach streng historischen Gesichtspunkten an-
gelegte und auf den Fundamenten einer ebenso vorurteilslosen wie sicheren
Kennerschaft erbauten Monographie über den Meister aus Castelfranco,
Literaturbericht.
543
Justi
Crowe
u. Cav.
Morelli
Beren-
son
Gronau
Wick-
hoff
Cicerone
9. Aufl.
Cook
W.
Schmidt
U m 1495.
Auffind. d. Paris lSamml.Con-
—
—
—
C talentlos.
1 Nach-
—
—
Giorg.
—
Überg. d. Paris j way, Lond.
—
—
—
1 ahmung
—
—
Giorg.
—
Urteil Salomonis. Uffizien ....
Madonna in der Landschaft.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
ferrares.
Giorg.
Giorg.
Zu den folgenden
überleitend.
Auffind, des Paris. Budapest
—
Kopie
Kopie
Kopie
Kopie
—
Kopie
Schlechte
Kopie
Feuerprobe d. Moses. Uffizien
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
zu gering
f.Giorg.
Giorg.
Giorg.
Bis etwa 1503 oder 1504.
Epiphanie. London. Nat.-Gall.
Giorg.
Catena
Catena
Catena ?
_
Giorg.
Catena
Heilige Familie. London.
—
1 —
Catena
Catena ?
—
—
Giorg.
Catena
Sammlung Benson.
Thronszene London. National-
—
—
—
Giorg.-
—
—
Giorg.
Catena
Gallery.
Schule
Aeneas, Euander u. Pallas. Wien
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
—
Giorg.
Giorg.
Kopie
Kopie
Kopie
Giorg.
Vermutl.
Catena
od.Orig.
Madonna in trono Castelfranco
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Anbetung d. Hirten. London.
Giorg.
—
Catena ?
Catena ?
—
—
Giorg.
—
Lord Allendale.
Jünglingsbildnis. Berlin
—
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Sebast.
—
Giorg.
—
Um 1505. Eindringen
der florentinischen
Tendenzen.
Hypsipyle u. Adrast. Venedig,
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giovanelli.
Bis etwa 1 508. Weite-
res Herausgehen aus
dem Quattrocento
Venus. Dresden
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Jugendlicher David. Wien . .
Kopie
—
Kopie
Kopie
f Giorg.
—
Kopie ?
Wahr-
od. Or.
[Original
—
Kopie
Hirtenknabe. Hamptoncourt
*)
Giorg.
Giorg.
Giorg.
—
—
Torbido
Torbido
Mad. mit Heil. Prado
Fr. Ve-
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Tizian
Urteil Salomonis. Kingston-
Giorg.
—
Seba-
Seba-
—
—
Giorg.
—
Lacy.
stiano
stiano ?
»L’Adultera«. **) Glasgow . .
Cariani
—
Seba-
stiano
Provinz-
maler
—
*
Giorg.
D. Cam-
pagnola
*) Auf Giorg. zurückgehend. **) J. P. Richter: D. Campagnola
544
Literaturbericht.
Cr owe
Beren-
Wiek-
Cicerone
W.
Justi
’i. Cav.
Morelli
son
Gronau
hoff
9. Aufl.
Cook
Schmidt
Porde-
Beca-
Nachflg.
d. Pord.
none
ruzzi
Damenbildnis. Gal. Borghese .
—
Giorg.
Giorg.
Giorg.
—
Art des
Ber.
Licinio
Giorg.
—
Männliches Bildnis. Temple
—
—
—
Tizian
—
—
Giorg.
—
Newsam
1 508. Nach Urkunden.
Fresken amFondaco de’Tedeschi
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
Giorg.
—
Zwischen 1508 — 1510.
Freieste Arbeiten.
»Bravo«. Wien
Stilver-
wandtsch.
m. Cariani
Cariani
Cariani
—
Cariani
—
—
—
Konzert. Pal. Pitti
Giorg.
Tizian
Tizian
Tizian
D. Cam-
Giorg.
Giorg.
Tizian
pagnola
Fete champetre. Louvre ....
Nach-
Giorg.
Giorg.
Giorg.
D. Cam-
—
Giorg.
Tizian
Sebastiano
pagnola
Mad. mit Heil. Louvre
Peüegrino
de San
Nach-
ahmer des
Cariani
—
—
—
Giorg.
(vollend, v.
Cariani
Daniele
Giorgione
Sebast.f)
Sturm. Venedig. Accademia
Bordone
Giorg.
Giorg.
Bordone
Bordone
zu beschä-
digt, um
ein Urteil
zu gestatt.
Palma
Bildnis »Broccardo«. Budapest
—
Giorg.
Giorg.
Giorg.
—
—
Giorg.
Bern.
Licinio «)
Sog. »Fugger«. München . . .
Palma
Cariani
Cariani
—
—
—
—
Palma
Selbstbildnis. Braunschweig
—
—
—
als Ruine
—
—
—
—
lassen
Nicht Giorgione.
Malteserritter. Uffizien .....
Giorg. ?
Giorg.
Giorg.
Giorg.
—
Giorg. ?
Giorg.
Charakte-
Palma
Drei Menschenalter. Pal. Pitti
Lotto
Giorg.
—
—
—
Lotto ?
Giorg.
! —
Christus. Boston. Sammlung
Gardner.
Des Giorg.
würdig
—
Giorg.
—
—
irrthüml.
Giorgione
zu g.
Giorg.
—
Christus. Venedig. Chiesa di
Giorg.
—
Giorg.
Giorg.
—
Tizian
Giorg.
Tizian
San Rocco
od. Tiz.
*) Desgl. Venturi.
diesen Johannes den lauter der modernen Malerei. Auch Justi stellt, wie
Cook, den Inventaren und besonders dem vielgeschmähten Cavaliere Ridolf
eine umfassende Ehrenerklärung aus, und wennschon er nicht sämtliche
Attributionen seines englischen Vorgängers billigt und sogar von der kleineren
Morellischen Liste der Bilder Giorgiones noch »Die drei Menschenalter« des
Palazzo Pitti als ein Gemälde des Morto da Feltre und den »Malteserritter«
der Uffizien als eine Schöpfung des jungen Tizian streicht, so erreicht doch
Literaturbericht.
545
sein chronologisches Verzeichnis der Werke Giorgiones die stattliche Ziffer
von dreiunddreißig Bildern, wobei die Cassone-Malereien und die »zwischen
Giorgione und Tizian strittigen Porträts«, kurz alle Gemälde, über deren
Autorschaft Justi »keine hinreichend sichere Ansicht hat«, nicht einmal
mitgerechnet wurden. Dieser Katalog sei hier abgedruckt, weil man besser
als durch ein langatmiges Referat aus ihm ersieht, wie Justi sich die Ent-
wicklung Giorgiones denkt, und aus dem Vergleich seiner Attributionen mit
denen einiger hervorragender Giorgione-Kenner, die ich zur Bequemlichkeit
der Leser beifüge, erhellt zugleich Justis Standpunkt gegenüber seinen
Vorgängern.
Aus diesem Wirrwarr der Meinungen und Namen erhellt, daß die
soziale Frage vielleicht noch früher erledigt sein wird als der Streit um
Giorgione, und gerade Justis Kampfkapitel, »reaktionär« in den Attributionen
und bisweilen polemisch im Tone, bedeutet alles eher als eine Lösung des
verzwickten Problems. Schon seine nicht immer unbedenkliche Chronologie
der Werke Giorgiones wird dem Buche manchen Gegner erstehen lassen.
Allem Debattieren entrückt hat Justi vielleicht nur das Braunschweiger
Jünglingsporträt, das, wie aus seinem glänzend geführten Nachweis hervor-
geht, ein Selbstbildnis Giorgiones ist, während das angebliche, von pracht-
vollster Leidenschaft durchglühte »Selbstporträt« Palmas in München un-
möglich diesen nicht gerade von übermäßigem Temperament erfüllten
Meister darstellen kann; ob sich nun jedoch alle gleich mir von Justi werden
überzeugen lassen, daß uns in dem Münchener Gemälde eine Schöpfung
Giorgiones und zwar das verloren geglaubte Bildnis eines Fugger, erhalten
sei, bleibt billig abzuwarten. Jeder sieht am Ende doch nur, was er sehen
kann, und die objektiven Belege für subjektive Meinungen vermag selbst
eine so brillante advokatorische Beredsamkeit wie die Justis nicht zu ersetzen.
Exempla docent. Justi bringt tausend Gründe, um Giorgione die Autor-
schaft an dem »Urteil Salomos« in Kingston Lacy zu sichern, und doch
hat Roger Fry vor wenigen Wochen erst mit ebensoviel Feuer die Rechte
Catenas an diesem Bilde verteidigt, — und die Behauptungen beider sollen
in der »Qualität« des Werkes eine Stütze finden. Die »Qualität«! Ist das
nicht vielleicht auch nur ein Wort wie andere mehr? Justi z. B. bewundert
das »Konzert« im Palazzo Pitti als die herrlichste Offenbarung der Kunst
Giorgiones, während Wickhoff und Hadeln in diesem »mäßigen« Bilde eine
Arbeit des Domenico Campagnola erkennen. »Quid est veritas?« Zum
Glück bedeutet Justis Buch mehr als eine Summe von diskutierbaren At-
tributionen, und was ihm — zum mindesten in meinen Augen — seinen hohen
Rang unter den Publikationen unserer Wissenschaft anweist, sind nicht die
Neubestimmungen; sondern seine mit nie versagender, man möchte gern
schreiben familientraditioneller Wortkunst durchgeführten Analysen der
546
Literaturbericht.
Kunst Giorgiones, deren Bedeutung für die Gesamtentwicklung der euro-
päischen Malerei hier zum ersten Male ins rechte Licht gesetzt erscheint,
deren Wurzeln bioßgelegt, deren »Ausstrahlungen« bis zu Rembrandt und
van Dyck, hin verfolgt werden; und zur Grundlage dieser Unter-
suchungen machte Justi mit klugem Bedacht nur solche Werke Giorgiones,
an die sich kein Zweifel mehr heranwagt, die über dem Streit einander
widersprechender Meinungen stehen.
Den meisten ist Giorgione »der letzte Ritter des Quattrocento«, der
Künstler alles »Subtilen und Zarten«, für Justi bedeutet er »die Erfüllung
Bellinis, die Voraussetzung Tizians«. Die Tendenzen des alternden Bellini,
»die Vereinfachungen in Flächen und Bewegungen an Stelle des Zerrissenen
und Gespreizten, die Kultur der Farbe und des Lichtes, insbesondere der
warmen Farbe und der gedämpften Helligkeit, die träumerische Stimmung« —
»all dies führt genau auf Giorgiones Castelfranco-Altar«. Gerade jenes
Hauptwerk des jungen Giorgione birgt aber noch mancherlei — Einflüsse
wäre ein viel zu grobes Wort! — , was ihm nicht von Bellini kam, sondern
von Pietro Perugino, der ja im Dogenpalaste tätig wär, als Giorgione in dem
aufnahmefähigen Alter von etwa neunzehn Jahren stand. Die Schlachten -
gemälde des Umbriers dort werden ihn kaum entzückt haben, aber der
Anblick von Peruginos Madonnenbildern mochte schlummernde Seelenfähig-
keiten des Jünglings wecken und »die weichklingende Stimmung, der
schwärmerische Blick seiner Heiligen, der stille Abendfrieden seiner Land-
schaften, die vollendete Rhythmik seiner Massenverteilung — diese feine,
zarte Kunst hat bei Giorgiones Meisterwerk in Castelfranco Pate gestanden«.
Entscheidender noch für den Werdegang Giorgiones waren die Anregungen,
die er aus Florenz her empfing, durch Leonardo, von dem Giorgione, als der
Florentiner in Venedig weilte, laut Vasari »alcune cose« sah, »molto fumeggiate
ed cacciate . . . terribilmente di scuro«4), und späterhin mochte Fra Bartolommeo
»durch seine Kunst oder seine Kritik die letzte Entwicklung Giorgiones in
das Großartige« gefördert haben. Das florentinische Element in Giorgiones
Kunst, das Chiaroscuro und die Neigung für das Kolossale und Bewegte,
trat wohl in den zerstörten Fresken des Fondaco am deutlichsten zutage,
wie Justi das aus alten Berichten über die Wandmalereien des Fondaco
und den dürftigen Stichen Zanettis mit überzeugender Deduktionskraft
nachweist. Immerhin erfüllen auch Giorgiones Tafelbilder genugsam jene
Forderungen des Florentiner Cinquecento, die hier mit Justis Schlagworten
angedeutet seien: die Bewegung der Einzelfigur — der Kontrast in der
Komposition — , das Zusammenschließen und die freie Disposition' — , endlich
eine Steigerung des Ausdrucks; dieser neuen Rhythmik, dieser neuen »Archi-
4) Vasari IV. S. 92.
Literaturbericht.
547
tektur alles Formalen« gesellen sich, besonders in der Gestaltung des Nackten,
leise Anklänge an die Antike, und zur dem allen kommt die Weiterbildung
der auf das Koloristische gerichteten, spezifisch venezianischen Tendenzen:
»der Farbkörper ist bei Giorgione noch nicht aufgelöst in selbständige Pinsel-
striche«, wie später von Tizian, »sondern besteht noch aus einzelnen Farb-
flächen«, die aber nicht mehr quattrocentistisch hart, sondern »weich gegen-
einander grenzen« und öfters von »farbigem Kleinwerk überrieselt sind.
Auftrag und Farbe vermitteln zwischen Quattrocento und Cinquecento«.
Das sind also die einzelnen Elemente, in die sich Giorgiones Kunst auflöst;
aber Bilder sind keine chemischen Verbindungen, und namentlich ein Ge-
mälde Giorgiones bedeutet mehr als eine Addition, als die Summe des
Venezianischen plus dem Florentinischen plus einem Zehntel Antike.
Das Bestimmende und Entscheidende ist schließlich doch der Einsatz
der Individualität, die Fähigkeit des Genies, tausend fremde Dinge zu
einer neuen Einheit zusammenzuschweißen, oder wie Justi das for-
muliert: »Alles geht durch den persönlichen schöpferischen Geschmack
des Meisters hindurch, so daß der flüchtige Beobachter den Ursprung gar
nicht bemerkt.«
Ein Künstler von so »persönlichem schöpferischen Geschmack« konnte
seinen Schaffenstrieb unmöglich von Kontrakten und traditionellen Vor-
schriften einschnüren lassen, unmöglich nach Handwerkerart nur malen,
was Kirche und Gläubige gemalt haben wollten, sondern mußte sich, allein
seinem Dämon gehorchend, die Freiheit erkämpfen gegenüber seinen
Stoffen, gegenüber seinem Publikum, kurz, die Freiheit des modernen
Künstlers. In solchem Sinne ist Giorgione einer der ersten l’art pour
l’art - Schaffenden gewesen. Den Inhalt seiner Freske ließ er sich von
keinem klügelnden Humanisten vorschreiben, sondern schenkte den er-
staunten Venetianern »una fantasia a suo modo«, und seine Profanbilder
sind nach Justi, der hierin mit Gronau übereinstimmt, »nicht als. Illustra-
tionen gedacht, keine korrekten Verbildlichungen literarischer Stoffe«,
sondern Fantasien über mythologische Motive. Gelehrte Freunde mögen
ihn mit antiken Themen bekannt gemacht haben, »und das eine oder andere
gab dem Meister dann den Anlaß zu einer köstlichen Schöpfung. Und
wegen ihrer Köstlichkeit fand sie Käufer, der Inhalt war weniger
wichtig . . .« Bilder solcher Art wird Giorgione seltener »im Auftrag« als
»auf Vorrat« gemalt und seine gesellschaftlichen Verbindungen dann benutzt
haben, um den Kindern seiner Schaffenslaune einen vermögenden Adoptiv-
vater zu sichern. Denn »Giorgione musizierte und causierte gewiß nicht bloß
aus gesellschaftlichem Ehrgeiz, sondern scheint hierin der Ahne mancher
moderner Künstler, »die, nutzbringende Beziehungen anknüpfend«, sich
durch die schweren Diners der haute finance durchessen . . .«
548
Literaturbericht.
An Wendungen ähnlicher Natur ist Justis Buch nicht gerade arm,
und Fachgenossen, die ein gütiges Schicksal mit jenem Sinn für Feierlichkeit
begnadete, den der alte Fontane bei sich so schmerzlich vermißte, haben sich
über die Tonart dieses »Giorgione« baß entrüstet. Warum eigentlich? Solche
»Schnodderigkeiten«, wie man in Berlin sagt, machen allerdings das Buch
nicht besser, aber doch auch nicht schlechter und ganz gewiß sehr unterhalt-
sam. Freilich, wenn dieser Stil von Leuten ohne Justis Talent nachgeahmt
würde, dann , . . Noch aber dämmert dem »wissenschaftlichen Ernst« oder
was sich dafür ausgibt, nicht das Ende, noch braucht man nicht mit Schillers
Questenberg zu zittern, daß »dieser Geist der allgemeine ist« — unsere ganze
neuere kunsthistorische Literatur könnte darüber auch die ängstlichsten
Gemüter beruhigen — , und darum dürfen wir uns ohne Gewissensbisse auch
an den »Frivolitäten« dieses vom Verlage in schlechthin mustergültiger
Weise ausgestatteten Buches erfreuen, dessen ganze Art, alles in allem ge-
nommen, am besten jene Worte charakterisieren, die sein Verfasser einem
giorgionesken Cassonebilde des Paduaner »museo civico« widmet: es ist
»sehr meisterlich, originell, amüsant und ohne alle Beschwerlichkeit . . .«
Emil Schaeffer.
Kunsthandwerk.
Erzeugnisse islamischer Kunst. Teil II. Seldschuki-
sche Kleinkunst. Herausgegeben von Friedrich Sarre. Mit
25 Tafeln und 38 Textabbildungen. Leipzig 1909. Verlag von Karl
W. Hiersemann.
Der erste Teil dieser Publikation, »Metall«, erschien vor drei Jahren
und behandelte katalogisch die orientalisch-islamischen Metallobjekte der
Sammlung Sarre. Dieses neue Heft bietet eine zusammenfassende Dar-
stellung der Objekte seldschukischer Kleinkunst, die sich zumeist in Konia
befinden, und soll einer allgemeineren Betrachtung der Kunstgeschichte des
Islam zur Unterlage dienen. Die Arbeit wird diesen Zweck m. E. erfüllen,
schon wegen ihrer vielen guten Abbildungen. Was die wissenschaftlichen
Erklärungen und Anmerkungen betrifft, so weiß sich zwar der Rezensent
mit dem Verfasser im ganzen eins, variiert doch aber im Detail bisweilen
und denkt auch anders über die Herkunft des »seldschukischen Stiles«.
Strzygowski hat in seinem »Kleinasien, ein Neuland der Kunstge-
schichte« Sarre den Vorwmrf gemacht, daß er den persischen Ursprung des
seldschukischen Stiles nicht erkannt habe. Diesem Vorwurf ist Sarre in
dieser Publikation nicht entschieden begegnet und hat auch sonst vermieden,
auf dieses Problem einzugehen. Da nun anderseits mehrfach auf Beziehungen
Literaturbericht.
549
zu persischen Werken der Kleinkunst hingewiesen wird, so muß diese Arbeit
der Strzygowskischen Hypothese Vorschub leisten.
Es ginge über den Rahmen einer Anzeige weit hinaus, wollte man den
Beweis einer gegenteiligen Ansicht umfassend begründen. Es sei daher nur
auf die entscheidenden Punkte hingewiesen.
Die Werke der Kleinkunst bieten vor den Resten alter Architektur
den Vorteil, daß man sie ohne Geschichtskonstruktionen betrachten und
nach dem Augeneindruck klassifizieren kann. Stellt man so die Frage nach
der Klassifikation des seldschukischen Ornamentes im 13. Jahrhundert, so
wird man m. E. mit Notwendigkeit auf die nahe Verwandtschaft mit dem
gleichzeitigen Ornament in Ägypten kommen müssen, während man nicht
den fünften Teil so vollkommener Analogien für Persien finden möchte.
Ich halte mich in erster Linie an die Kunstwerke aus Holz, die Sarre
in reicher Auswahl im Bilde bringt. Hier ist die Verwandtschaft mit ägypti-
schen Arbeiten zuweilen so groß, daß es wohl schon eines aufs Feinste
gehenden Studiums des seldschukischen Ornamentes bedarf, um überhaupt
einen Unterschied zu erkennen. Man betrachte Abbildung 24 mit dem
Datum 1155 oder Abbildung 26, 27 von 1258.
Mit einigem Recht könnte man bei den Gebetnischen aus Fayence-
mosaik auf ihre persischen Schwestern hinweisen. Doch erkennt man gerade
hier an der stilistischen Differenz, wie falsch man geht, wenn man die seld-
schukische Kunst vom 12. bis 14. Jahrhundert aus der persischen zu ent-
wickeln sucht. Das Ornament bewahrt auch hier seine auf Syrien und
Ägypten hinweisende geometrische Tendenz, und auch hier versagen die
persischen Analogien.
Es gibt in der Geschichte nichts Absolutes; und so hieße es auch das
Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man überhaupt jeden Zusammen-
hang zwischen seldschukischer und persischer Kunst leugnen. So scheint
mir dieser für die figürliche Sternfliese (Sarre Tafel 19) wahrscheinlich.
Zwar kommen auch in Ägypten ähnliche figürliche Darstellungen auf Fayencen
vor. Aber bei unseren Fliesen ist der Eindruck mehr persisch; auch die
Technik ist nicht ägyptisch, wenn auch den ägyptischen Fayencen verwandter
als den persischen. Wir haben es also hier mit einer selbständigen Fabrika-
tion zu tun, aber mit einem Zeichner, der einer persischen oder mesopotami-
schen Malschule entstammt.
In Abbildung io gibt Sarre ein Steinrelief — Einhorn, eine Antilope ver-
folgend — , dem er eine hellblau glasierte persische Relieffliese mit einer ähn-
lichen Darstellung (Abb. 11) gegenüberstellt. Die Verwandtschaft in den
Typen kann wohl nicht geleugnet werden; die stilistischen Überein-
stimmungen gehen aber m. E. über das durch den Zeitstil Erklärbare
nicht hinaus.
550
Literaturbericht.
Bei der Reliefplatte mit Tierfiguren (Abb. 20, 21) scheint mir die An-
nahme einer früheren Entstehung für die Kehrseite mit dem Kreuz nicht
wahrscheinlich. Es gibt doch auch manche Übereinstimmungen in der
stilistischen Behandlung der beiden Seiten, und das Befremdende liegt mehr
in der ungewohnten Darstellung. Das Relief ist wegen der Übereinstimmung
mit ägyptisch -syrischen Arbeiten aus fatimidischer Zeit kaum später als
ins 12. Jahrhundert zu setzen. Mir scheint, daß einer so späten Datierung
auch für die »spätbyzantinische« Seite nichts im Wege steht. Ich habe
zurzeit nur Analogien aus Mittel- und Südrußland zum Vergleich. Doch sieht
man — um bei datierten Stücken zu bleiben — in der Uspenskij Kathedrale
zu Wladimir bei Nishnij -Nowgorod ein Kreuz mit genau so gestaltetem,
altertümlich-rohem Stufenberge. Da diese Kirche von Andrei Bogoljubskij
(1169 — 1174) erbaut wurde, so steht auch unserer Datierung der Kreuzseite
des obigen Reliefs ins 12. Jahrhundert nichts entgegen.
In einer zusammenfassenden Darstellung der Erzeugnisse seldschuki-
scher Kleinkunst hätte vielleicht auch der seldschukischen Stoffe gedacht
werden müssen. Wir sind glücklicherweise durch den im Museum zu Lyon
befindlichen Löwenstoff mit dem Namen eines seldschukischen Sultans des
13. Jahrhunderts im Besitze eines vortrefflichen Ausgangspunktes für weitere
Bestimmungen. Dieser Stoff weist durchaus die uns aus andern Kunstarten
bekannten Charakteristiken des seldschukischen Ornamentes auf und ist
deshalb für die Stoffkunde des islamischen Mittelalters von der größten Be-
deutung.
Zusammenfassend sei über die seldschukische Kunst folgendes gesagt.
Das seldschukische Ornament hat seinen besonderen Stilcharakter, der von
der persischen Kunst unabhängig, aber der syrisch-ägyptischen sehr ver-
wandt ist. Man wird daher bei einer allgemeinen Betrachtung der Kunst
des Islams die seldschukische Kunst an die syrische anschließen müssen.
Da aber durch die überwiegende Mehrzahl ihrer Monumente ein gemein-
samer charakteristischer Zug geht, so ginge man zu weit, wollte man von
einem syrisch-ägyptischen Kunst i m p 0 r t reden. Es besteht eben eine
innere Verwandtschaft.
Bei Heyd, Levantehandel, findet sich am Ende des ersten Bandes eine
Notiz, die hier im Auszuge wiedergegeben sei:
An der Südküste Kleinasiens wurde — wie dies bei allen seldschuki-
schen Fürsten Kleinasiens das natürlichste ist — der stärkste Verkehr mit
Ägypten gepflogen. Es war dies der natürliche Rückhalt zuerst gegen die
mächtigen Mongolen, dann gegen die kühn aufstrebenden Osmanen. Anderer-
seits freuten sich dessen die ägyptischen Sultane, die von Kleinasien Sklaven
als Soldaten, Schiffsbauholz und Pech bezogen. Darum sagt Sanuto mit
Recht: wolle die Christenheit dem Sultan von Ägypten seine Hilfsquellen
Literaturbericht.
551
abschneiden, so müsse sie auch das türkische Kleinasien als Feindesland
betrachten.
Ferner ebenda Seite 329: Kaufleute aus Syrien und Mesopotamien
(Mossul) brachten, durch das Seldschukengebiet ans Schwarze Meer vor-
dringend — oder über Trapezunt — , nach dem südlichen Rußland wollene
und seidene Zeuge und Gewürze. Den umgekehrten Weg gingen feines
Pelzwerk und Sklavinnen.
Seite 333: Über Konia ging die Verkehrsstraße von Syrien nach Kon-
stantinopel, von Antiochien her.
Dies sind Exzerpte, die ich mir in einem andern Zusammenhänge
notierte und die sich bei systematischer Durchsuchung der Quellen sicherlich
leicht vermehren ließen. Doch werden sie für unseren Zweck genügen.
Strzygowski mag mit seiner Hypothese für das frühere Mittel-
alter recht haben — was hier nicht zu untersuchen ist — ; jedenfalls kann sie
für die seldschukische Periode Kleinasiens nicht gelten, und später natürlich
erst recht nicht.
Vollkommene Klarheit über die seldschukische Kunst wird allerdings
erst zu gewinnen sein, wenn über die mesopotamischen Monumente der Zeit
genügende Publikationen vorliegen, weil dann erst der syrische Kunstkreis
feste Grenzen und darum feste Gestalt annehmen kann.
Es wäre sehr zu wünschen, daß Sarre das Material, über das er hier
verfügt, auch bald veröffentlichte. Eine solche Publikation würde die viel-
fachen Anregungen der vorliegenden Arbeit in dankenswerter Weise steigern.
Wendland.
Dr. Viktor Roth. Geschichte des deutschen Kunstge-
werbes in Siebenbürgen. Mit 75 Abbildungen auf 33 Licht-
drucktafeln. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz und Mündel) 1908.
Ladenpreis 14 M.
Als 104. Heft der »Studien zur deutschen Kunstgeschichte« hat Viktor
Roth, dem wir schon die in demselben Verlage erschienenen Darstellungen
der deutschen Baukunst und Plastik Siebenbürgens zu verdanken haben,
diesen nunmehr auch eine eingehende Schilderung des siebenbürgisch-
deutschen Kunstgewerbes folgen lassen.
Ein fast unbekanntes Gebiet wird weiteren Kreisen damit erschlossen.
Denn die vom Vereine für siebenbürgische Landeskunde veröffentlichten
Abhandlungen wurden bisher zu wenig beachtet, und die in Ungarn er-
schienenen bedienen sich der magyarischen Sprache, was ihre Verbreitung
behindert. Und doch hat sich hier im äußersten Osten seit dem 12. Jahr-
hundert inmitten fremder Völker und sprunghafter Entwicklungen eine
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXXII. -37
55«
Literaturbericht.
kleine Kulturwelt für sich ausgestaltet und erhalten, ebenso bemerkenswert
durch ihre selbständigen Leistungen wie in der Spiegelung fremder Vor-
bilder, die sie unter auswärtigen Einflüssen verarbeitete.
Es ist die eigentliche Volkskunst, die hier tonangebend bleibt. Fürst-
licher Auftrag spielte keine Rolle. Aber Stadt und Land, Bürger und Bauer
lernen von einander Kleidung und Schmuck und die Freude an der Farbe.
Noch heute webt sich die sächsische Bäuerin ihr Leinen selbst, und
noch immer wird es mit eingewebten Mustern zumeist nach alter Über-
lieferung und Stickereien verziert, letztere zum Teil nach dem Vorbilde
anatolischer Teppiche. Selbst in das Altargerät, wie in das Hermannstadter
Kelchtuch von 1615, haben sich türkische Motive eingeschlichen. Seit dem
15. Jahrhundert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts galt hier die Sitte, der
Kirche orientalische Teppiche zu schenken; die schwarze Kirche in Kron-
stadt besitzt ihrer allein noch 1 16 Stück. Auch die Vorliebe für buntgefärbtes
Leder zu Stiefeln, Pferdegeschirren, Gürteln und Feldflaschengehängen stand
offenbar unter türkischem Einflüsse. Von 1526 bis 1680 war ja Siebenbürgen
ein türkischer Vasallenstaat. Da der Islam tönerne Gefäße bevorzugte,
scheint die Annahme naheliegend, daß auch die Keramik Siebenbürgens
davon ihren Nutzen zog. Leider bleibt uns V. Roth die Antwort auf diese
wichtige, wenn auch schwer zu lösende Frage schuldig. Er weicht ihr aus,
obwohl sie über die Grenzen Siebenbürgens hinaus von besonderer Bedeutung
ist. Denn Siebenbürgen war seit dem Ausgange des Mittelalters das Ein-
fallstor orientalischer Kunst.
Eine Besonderheit der siebenbürgischen Keramik, die Sgraffiten auf
Kobaltglasur, finden dagegen eine sehr willkommene eingehende Schilderung;
Roth schreibt sie in der Hauptmasse einem namenlosen Meister in der Zeit
von 1780 — 1815 zu. Älter sind die von ihm als Nelkenkrüge bezeichneten,
die bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreichen. In Torenburg
(Torda), das aber schon außerhalb des Sachsenbodens liegt, in Sommerburg
und Draas befanden sich die Stammsitze der Töpfer, während eine eigent-
liche Faiencefabrik erst im Anfang des 19. Jahrhunderts in Kronstadt und
zwar von dem Italiener Perotti eingerichtet worden ist. Porzellan ist in
Siebenbürgen nie erzeugt worden.
Das Hauptgewicht legt deshalb V. Roth auf die umfassende Dar-
stellung der Goldschmiedewerke, deren Blütezeit in das 16. Jahrhundert fällt.
Die Zunftregulation von 1376 nennt noch keine Zunft der Goldschmiede,
da sie ihr Gewerbe noch frei ausübten. Für die Hermannstädter hat sich die
Regulation vom Jahre 1539 erhalten. Gerade unter den Goldschmieden
war die Wanderung eine starke: Siebenbürger trifft man in Wien, Nürn-
berger dagegen, Krakauer, Stettiner und Halberstädter in Siebenbürgen.
Die Arbeit gilt in erster Linie der Kirche. Als ältester Abendmahlskelch
Literaturbericht.
553
wird jener in Markt -Schelken genannt, der dem Ende des 14, Jahrhunderts
angehört. Der schon spätgotische des Stolzenburger Kirchenschatzes zeigt
die hochentwickelte Technik der Filigranschmelzarbeit in trefflicher Weise,
die zwar nicht ungarische Erfindung, aber schon im ersten Viertel des 15. Jahr-
hunderts (sächsisches Kurschwert in Dresden um 1425) in Ofen geübt worden
ist und sich nebst andern italienischen Anregungen auch nach Siebenbürgen
verbreitet hat. Eine Eigenart siebenbürgischer Goldarbeit ist dagegen der
Gürtel, wenngleich die ältesten erhaltenen Stücke nicht über die Mitte des
17. Jahrhunderts zurückreichen. Der Gürtel gehört zur Volkstracht der
sächsischen Frau und wird in Kronstadt noch heute in alter Weise hergestellt.
Die weltlichen Geräte der Renaissance stehen dagegen ganz unter dem Ein-
drücke der Nürnberger Ornamentstecher, deren Blätter ihren Weg bis in
den äußersten Osten fanden. Der Flauptmeister des 17. Jahrhunderts ist der
1644 in Leutschau geborene Goldschmied Sebastian Hann, von dem sich
noch 25 bezeichnete Werke nachweisen lassen.
Glücklicherweise hat ja der Reichtum der Kirchen an Kunstschätzen und
der zähe, stammesbewußte Sammeltrieb vom alten, einst freilich weit größeren
Vermögen dieses emsigen Volkes eine noch immer sehr stattliche Zahl alter
Kulturzeugen (auch in Bronzeguß, Eisen, Kupfer, Zinn und Möbeln) in die
Museen gerettet. Das Bruckenthalsche Museum, die Sammlung E. Sigerus
und das Siebenbürgische Karpathen -Museum in Hermannstadt, die Samm-
lungen A. Resch und Julius Teutsch in Kronstadt, das Alt-Schäszburger
Museum, das Siebenbürgische Museum in Klausenburg u. a. m. sind in
Zeiten unverständiger Mißachtung wahre Horte für das stark entwickelte,
bisher zu wenig geschätzte Kunstgewerbe Siebenbürgens gewesen. Der
Verf. hat aus ihren reichen Beständen, dann aus der Rüstkammer des Her-
mannstädter Rathauses und den Kirchenschätzen der evangelischen Ge-
meinden von Meeburg, Groß -Schenk, Heltau, Kreisch, Marktschelken.
Stolzenburg, Klein -Schelken, Deutsch-Kreuz, Mediasch, Birthälm, Hermann-
stadt u. a. 75 gute Lichtdruckabbildungen von den merkwürdig becher-
förmigen Taufbecken, von Rüstungen und Geschirren aus Kupfer und Zinn,
dann namentlich von den zahlreichen Abendmahlskelchen und -kannen,
Leuchtern, Pokalen und Zunftbechern, Kleiderhefteln und Gürteln, den
Bauernfaiencen und Ofenkacheln, Bauernstuben, Stickereien und Kleidungs-
stücken in lehrreicher Auswahl gegeben, die einen trefflichen Überblick
gewährt.
Es ist nur zu wünschen, daß es Viktor Roth vergönnt sein möge, als
Abschluß seiner dankenswerten Untersuchungen uns bald auch eine Ge-
schichte der siebenbürgischen Malerei zu bescheren.
Brünn. Julius Leise hing.