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Full text of "Repertorium für kunstwissenschaft"

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REPERTORIUM 

FÜR 

KUNSTWISSENSCHAFT 


REDIGIERT 


VON 

HENRY  THODE, 

PROFESSOR  AN  DER  UNIVERSITÄT  IN  HEIDELBERG 
UND 

HUGO  VON  TSCHUDI, 

DIREKTOR  DER  STAATLICHEN  GALERIEN  IN  BAYERN 


XXXII.  Band. 


BERLIN  W.  35 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  GEORG  REIMER 
1909. 


PHOTOMECHANISCHER  NACHDRUCK 
WALTER  DE  GRUYTER  & CO.,  BERLIN  1968 


Arehiv-Nr.  3848680 


© 

1968  by  Walter  de  Gruyter  <fe  Co.,  vormals  G.  J.  Göschen’sche  Verlagshandlung  — J.  Guttentag,  Verlagsbuch- 
handlung — Georg  Reimer— Karl  J.  Trübner  — Veit  & Comp.,  Berlin  30,  Genthlner  Straße  13. 

Printed  ln  the  Netherlands 

Alle  Rechte,  insbesondere  das  der  Übersetzung  in  fremde  Sprachen,  Vorbehalten.  Ohne  ausdrückliche  Geneh- 
mlgung  des  Verlages  Ist  es  auch  nicht  gestattet,  dieses  Buch  oder  Teile  daraus  auf  photomechanisohem  Wege 
(Photokopie,  Mikrokopie,  Zerokopie)  zu  vervielfältigen 


THE  J.  PAUL  GETTY  CENTER 

LIBRARY 


Inhaltsverzeichnis. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  in  Nürn- 
berg unter  der  Leitung  Konrad  Heinzehnanns.  Von  Albert  Gümbel . . i, 

Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche.  Von  Gustav  Pauli 

Zur  Ikonographie  der  Ölbergdarstellung.  Von  Gustav  Munzel 

Falsificazioni  di  documenti  per  la  storia  dell’arte  romana.  Von  Giacomo  de  Nicola 

Michelangelo  und  der  türkische  Hof.  Von  Friedrich  Sarre 

Zur  Martin-Heß-Frage.  Mela  Escherich . 

Zum  Datum  der  Bella  Tizians.  Hadeln 

Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli.  Von  Walter 

Bombe 97» 

San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’arte.  Di  Francesco  Malaguzzi-V aleri 

Die  Heimat  des  Meisters  D.  S.  Von  Paul  Kristeller 

Zum  Thema:  »Goethe  und  die  bildende  Kunst«.  Von  Alfred  Peltzer  . . . . 

Zum  Oeuvre  Bernardino  Licinios.  Hadeln 

Vitruv  und  die  Renaissance.  Von  Fritz  Burger 

Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  in  der  Königl.  Graphischen  Sammlung  zu 

München.  Von  A.  v.  Beckerath 

Un  Documento  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana.  Di  Piero  Misciattelli  . 

Zur  Datierung  von  Dürers  Paumgartneraltar.  Von  Heinz  Braune 

Zwei  bisher  unbekannte  Briefe  von  Lucas  Cranach  dem  Jüngeren  aus  dem  Jahre 
1579.  Ein  Beitrag  zur  Cranach-Literatur.  Von  C.  v.  Bardeleben.  . . . 

Der  Palast  des  Braccio  Baglioni  in  Perugia  und  Domenico  Veneziano.  Von 

Walter  Bombe  

Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom.  Von  Konrad  Escher 
Die  vierte  Lieferung  der  Vasari  Society  für  die  Reproduktion  von  Zeichnungen 

alter  Meister.  V on  A.  v.  Beckerath 

Der  Kodex  Burlington  in  der  Royal  Academy  of  British  Architects  in  London. 

Von  Fritz  Burger 

Zur  Genesis  des  Auferstehungsfreskos  von  Piero  della  Francesca  im  Stadthause  zu 

Sansepolcro.  Von  Walter  Bombe 

Heinrich  Lang,  der  Hausbuchmeister.  Von  Helmuth  Th.  Bossert 

Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Kon- 
stanz. Von  J.  Gramm 

Der  angebliche  Malername  Hans  Peurl  auf  Nürnberger  Tafelgemälden  des  15.  Jahr- 
hunderts. Von  Max  Bach 

Die  Chronologie  der  Werke  Grünewalds.  Von  H.  A.  Schmid 


Seite 

132 

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“5 

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IV 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Fortleben  der  religiös-dogmatischen  Kompositionen  Cranachs  in  der  Kunst  des 

Protestantismus.  Von  Dr.  Karl  Ernst  Meier 415 

Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte.  Von  Robert  Hedicke 436 

Ein  mittelalterlicher  Kanon  des  menschlichen  Körpers.  P.  Ildefons  Herwegen  . 445 

Zur  Baugeschichte  des  Ulmer  Münsters.  Von  Hans  Klaiber 471 

Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck.  Von  Fritz  Rupp 480 

Eine  gereimte  Erzählung  auf  den  Maler  Konrad  Witz.  Von  Helmuth  Th:  Bossert  497 

Ein  Bild  von  Mathias  Grünewald.  Von  Heinz  Braune 501 

Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien.  Von  August  L.  Mayer  . 508 

Noten  für  den  Illuminator.  Helmuth  Tk.  Bossert 529 

Zu  Paris  Bordone.  Wilhelm  Schmidt  531 

Zu  Wolf  Huber.  Wilhelm  Schmidt 534 

Literatur. 

Martin  Schweisthal.  La  Halle  Germanique  et  ses  transformations.  Karl  Simon  . 72 

Einzelforschungen  über  Kunst-  und  Altertumsgegenstände  zu  Frankfurt  a.  M.  F.  R.  75 

Mainzer  Zeitschrift.  F.  R. 77 

Josef  Weiß.  Kurfürst  Maximilian  I.  als  Gemäldesammler.  A.  Feigel  ....  80 

Der  neue  Smith  (II.  Band).  A.  Bredius 82 

W.  L.  Schreiber  und  Paul  Heitz.  Die  deutschen  »Accipies«  und  Magister  cum 

discipulis-Holzschnitte,  als  Hilfsmittel  zur  Inkunabel-Bestimmung.  Curt  Glaser  85 

Graphische  Gesellschaft.  Curt  Glaser 87 

Dr.  Paul  Kaufmann.  Johann  Martin  Niederee,  ein  rheinisches  Künstlerbild.  J.  S.  89 

August  L.  Mayer.  Jusepe  de  Ribera.  Friedländer 91 

Hsiang  Yuan  Pien.  Chinese  Porcelain.  Falke 92 

Marie  Schuette.  Der  schwäbische  Schnitzaltar.  Theodor  Hampe 184 

Johannes  Sievers.  Pieter  Aertsen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  niederländischen 

Kunst  im  XVI.  Jahrhundert.  Walter  Cohen 189 

Österreichische  Kunsttopographie.  Dehio 192 

August  Grisebach.  Das  deutsche  Rathaus  der  Renaissance.  Fritz  Hoeber  . . . 266 

Bernhard  Patzak.  Die  Villa  imperiale  in  Pesaro.  Wölfflin 271 

Max  Den.  Das  Rollwerk  in  der  deutschen  Ornamentik  des  sechzehnten  und  sieb- 
zehnten Jahrhunderts.  Fritz  Hoeber 273 

Adolf  Gottschewski.  Über  die  Porträts  der  Caterina  Sforza  und  über  den  Bildhauer 

Vincenzo  Onofri.  Paul  Schubring 278 

Philipp  Maria  Halm.  Stephan  Rottaler,  ein  Bildhauer  der  Frührenaissance  in  AJt- 

bayern.  Richard  Graul 280 

Ludwig  Zottmann.  Zur  Kunst  der  Bassani.  G.  Gr 282 

Hugo  Schmerber.  Betrachtungen  über  die  italienische  Malerei  im  17.  Jahrhundert. 

G.  Gr 284 

Der  Gemäldezyklus  der  Galerie  der  Maria  von  Medici  von  Peter  Paul  Rubens 

von  Karl  Großmann.  Fritz  Burger 290 

Heinrich  Höhn.  Studien  zur  Entwicklung  der  Münchener  Landschaftsmalerei  vom 

Ende  des  18.  und  vom  Anfang  des  19.  Jahrhunderts.  J.  Sievers  . . . 291 

Hans  Cornelius.  Elementargesetze  der  bildenden  Kunst.  Wölfflin 335 

Krapf.  Das  Problem  der  Bindung  in  der  bildenden  Kunst.  Deri 337 

P.  Eichholz.  Das  älteste  deutsche  Wohnhaus,  ein  Steinbau  des  IX.  Jahrhunderts. 

Karl  Simon 338 


Inhaltsverzeichnis. 


V 


Seite 

Paul  Wilhelm  von  Keppler.  Aus  Kunst  und  Leben,  J.  Sievers 341 

Die  italienische  Malerei  des  15. — 18.  Jahrhunderts.  Jahresbericht  1906. 

Gronau 342>  453 

Luigi  Serra.  Domenico  Zampiero  detto  il  Domenichino.  Hermann  V oss  . . . 360 
Hans  Hildebrandt.  Die  Architektur  bei  Albrecht  Altdorfer.  Friedländer  , . . 362 

Curt  Glaser.  Hans  Holbein  d.  Ält.  H.  A.  Schmid 3^4 

Paul  Ganz.  Handzeichnungen  von  Hans  Holbein  d.  J.  H.  A.  Schmid  ....  373 

E.  W.  Moes.  Frans  Hals,  Sa  vie  et  son  oeuvre.  J.  G.  Veldheer,  C.  J.  Gönnet 
und  F.  Schmidt-Degener.  Frans  Hals  in  Haarlem.  Andre  Fontainas. 

Frans  Hals.  A.  Bredius 37^ 

Robert  Corwegh.  Donatellos  Sängerkanzel  im  Dom  zu  Florenz.  Hadeln  ...  382 

Andreas  Aubert.  Die  malerische  Dekoration  der  San-Francesco-Kirche  in  Assisi, 
ein  Beitrag  zur  Lösung  der  Cimabuefrage.  Adolfo  Venturi.  La  Basilica 

di  Assisi.  Karl  Frey 447 

A.  Hahr.  Die  Architektenfamilie  Pahr.  Ludwig  Kaemmerer 535 

Edmund  Hildebrandt.  Leben,  Werke  und  Schriften  des  Bildhauers  E.-M.  Falconet 

(17x6 — 1791).  Kaesbach 53^ 

Katalog  der  Gemäldesammlung  des  Germanischen  Nationalmuseums  in  Nürnberg. 

Carl  Gebhardt  . , 537 

Ludwig  Justi.  »Giorgione«.  Emil  Schaeffer 54° 

Erzeugnisse  islamischer  Kunst.  Teil  II.  Seldschukische  Kleinkunst.  Wendland . 548 

Dr.  Viktor  Roth.  Geschichte  des  deutschen  Kunstgewerbes  in  Siebenbürgen. 

Julius  Leise  hing 551 

Berichtigung.  Dehio 293 

Nekrolog  Franz  Wickhoff.  Von  Gustav  Glück.  . . 3^5 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


b 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des 
Chorbaus  von  St.  Lorenz  in  Nürnberg  unter  der  Leitung 
Konrad  Heinzeimanns. 

Von  Albert  Gümbel, 

Kgl.  Kreisarchivassessor  in  Nürnberg. 

Einleitung. 

Am  18.  Mai  1439  wandte  sich  der  Rat  der  Stadt  Nürnberg  an  die 
Stadt  Rothenburg  o.  T.  mit  der  schriftlichen  Bitte,  ihm  über  »wesen  und 
gelegenheit«  des  Meisters  Konrad,  des  Parliers,  Werkmeisters  daselbst, 
Auskunft  zu  erteilen,  nachdem  Dr.  Konhofer1 * 3 4),  Pfarrer  bei  St.  Lorenz,  und 
einige  Nürnberger  Ratsherren  mit  ihm  bereits  wegen  Übernahme  eines 
von  ersterem  geplanten  »merklichen«  Baues  bei  seiner  Pfarrkirche  des  Hlg. 
Laurentius  in  Unterhandlung  getreten  seien.  Insbesondere  wTünschte  der 
Rat  von  seinen  »Künsten«  zu  wissen,  ob  »sollicher  merklicher  paue  mit 
ime  versorgt  und  ausgerichtet  werden  möcht«  *).  Gemeint  mit  diesem  »merk- 
lichen« Baue  ist  der  Neubau  des  Chores  von  St  Lorenz,  mit  welchem  nach 
der  bekannten  Inschrift  in  der  Kirche  3)  am  St.  Simon-  und  Judastag 
(=  28.  Oktober)  1439  begonnen  wurde. 

Der  in  dem  Nürnberger  Ratsschreiben  genannte  »Meister  Konrad« 
ist  wohl  unzweifelhaft  ein  und  dieselbe  Persönlichkeit  mit  jenem  »meister 
Conradten  Heintzelmann  seligen«,  von  welchem  es  in  dem  schon  länger 
bekannten  Bestallungsbrief  Hanns  Pauers  von  Ochsenfurt  vom  17.  Mai 
1458«)  als  Parlier  bei  St.  Lorenz  heißt,  daß  von  ihm  der  Bau  des  Chores 

*)  Dieses  ist  die  richtige,  von  Konhofer  selbst  gebrauchte  Schreibung  des  Namens. 
Vgl.  über  diesen  Pfarrer  von  St.  Lorenz  den  Exkurs  (Beilage  VI):  Dr.  Konrad  Konhofer 
und  das  Konhoferfenster  im  Chor  von  St.  Lorenz  zu  Nürnberg. 

*)  Siehe  den  Wortlaut  des  Briefes  in  Beilage  I. 

3)  1439  an  Simon  Judas  tag  ward  der  kor  angefangen  dar  nach  1477  an  dem  heiligen 
oster  abent  ward  er  volbracht. 

4)  Abgedruckt  nach  dem  Original  im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg  von 
Neumann  und  Walderdorff  in  ihrer  Abhandlung  »Die  drei  Dombaumeister  Roritzer  und  ihr 
Wohnhaus  zu  Regensburg,  die  älteste  bekannte  Buchdruckerstätte  in  Regensburg«.  (Ver- 
handlungen des  hist.  Vereins  von  Oberpfalz  und  Regensburg,  Bd.  XXVIII,  Seite  73 
bis  76.) 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


2 


Albert  Gtimbel: 


und  der  Kirche  von  St.  Lorenz  »einsteils  angefenngt,  aufgefurt  und  an- 
gesehen ist  worden«. 

Die  bisher  bekannt  gewordenen  Nachrichten  über  Heinzeimann  5) 
reichen  bis  zum  Jahre  1429  zurück. 

In  diesem  Jahre  bestellten  ihn  »Meister  .Hanns  Kirchenmeister«  und 
Hanns  Felber  von  Ulm  als  ihren  Vertreter  beim  Neubau  der  St.  Georgs  - 
kirche  zu  Nördlingen* * * 6 *).  Vorher  hatte  er  in  Ulm  gearbeitet.  Über  die  Tätig- 
keit Heinzeimanns  beim  Nördlinger  Kirchenbau  äußert  sich  Mayer  auf 
Grund  archivalischer  Nachrichten  dahin,  daß  er  wohl  keine  unabhängige 
Stellung  eingenommen,  sondern  nur  das  Amt  eines  Parliers  bekleidet  habe. 
Er  schließt  dies  daraus,  daß  Heinzeimann  nicht  den  Titel  eines  »Kircher\- 
meisters«  führte  und,  wo  es  sich  um  besondere  Geldehrungen  handelt,  nur 
die  Hälfte  dessen  empfangen  habe,  was  den  beiden  oben  genannten  Ulmer 
Meistern  gereicht  wurde.  Auch  als  er  nach  einer  Reihe  von  Jahren  Nörd- 
lingen verließ,  habe  er  sich  auswärts  mit  einer  Parliersstelle  begnügt.  Um 
eine  solche  bewarb  er  sich,  wenn  auch  vergebens,  beim  Kirchenbau  zu 
Eßlingen.  »Nach  seinem  hiesigen  (d.  h.  Nördlinger)  Aufenthalt,  der  1438 
zu  enden  scheint,  soll  er  nach  Rothenburg  gegangen  sein.«  Daß  dies  in  der 
Tat  zutrifft,  beweist  unser  Nürnberger  Brief.  In  Rothenburg  war  er  während 
seines,  ja  nur  kurzen  Aufenthaltes  als  städtischer  Werkmeister  wohl  am 
Baue  der  St.  Jakobskirche  tätig  7). 

Von  Interesse  ist  nun  die  Frage,  ob  Heinzeimann  den  Chorbau  von 
St.  Lorenz  wieder  nur  als  Parlier  eines  anderen  Baumeisters  übernahm, 
dessen  architektonische  Gedanken  er  ausführte,  oder  ob  er  selbstschöpfe- 
risch dabei  auftrat.  Bekanntlich  hat  die  kunstgeschichtliche  Forschung 
bisher  daran  festgehalten,  daß  die  Pläne  zum  Neubau  des  Lorenzer  Ost- 
chors von  Konrad  Roritzer,  dem  ältesten  des  mit  Wolfgang  Roritzer  tragisch 
endigenden  Geschlechts  der  Regensburger  Dombaumeister,  entworfen  seien. 
Unter  ihm  habe  Konrad  Heinzeimann  1445 — 1448  den  Bau  ausgeführt8). 

Daran  scheint  zunächst  schon  das  eine  unrichtig  zu  sein,  daß  Heinzel- 
mann  erst  im  Jahre  1445  die  Bauleitung  übernommen  habe.  Abgesehen  von 

5)  Ich  bleibe  bei  dieser  in  die  Kunstgeschichte  einmal  eingeführten  Namensform, 

obgleich  vielleicht  die  Schreibung  »Heinrichsmann«  die  richtigere  ist.  (Vgl.  unten  am  Schlüsse 

der  Einleitung!) 

6)  Mayer,  Christian:  Die  Stadt  Nördlingen,  ihr  Leben  und  ihre  Kunst  im  Lichte 
der  Vorzeit,  Nördl.,  1877,  Seite  124. 

7)  Über  Rothenburg  bzw.  die  Rothenburger  Landschaft  als  Heinzeimanns  ver- 
mutliche Heimat,  vgl.  weiter  unten.  Häffner  (Die  Hauptkirche  St.  Jakob  in  Rothenburg 
o.  T.,  Zeitschrift  für  Bauwesen,  50.  Band,  S.  431  ff.)  nennt  Heinzeimann  nicht. 

8)  So  z.  B.  H o f f m a n n , Die  Nürnberger  Kirchen  in  der  Sammlung  »Die  Bau- 
kunst«, herausgegeben  von  Borrmann  und  Graul,  12.  Heft,  2.  Serie,  R 6 e in  der  neuesten 
Ausgabe  seines  »Nürnberg«  u.  a. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  3 

dem  Rothenburger  Briefe  besitzen  wir  eine,  allerdings  bisher  unbeachtet 
gebliebene  archivalische  Notiz,  nach  welcher  er  schon  im  Oktober  1444  in 
Nürnberg  ansässig  erscheint.  Es  ist  uns  nämlich  ein  Ratserlaß  vom 
28.  Oktober  genannten  Jahres  erhalten,  in  welchem  den  Ratsherren  Bertold 
Holzschuher  und  (Konrad)  Baumgärtner,  sowie  dem  Stadtbaumeister  — 
es  war  damals  Hanns  Graser  — befohlen  wird,  den  »Meister  C o n r [at] 
zu  Sand  Lorentzen«  und  sonst  mehrere  Meister  zu  bestellen  und 
sie  mit  der  »großen  Büchse«  schießen  zu  lassen,  wobei  ein  Kleinod  als  Preis 
für  den  besten  Schützen  ausgesetzt  war  9).  Daß  unser  Meister  auch  mit 
der  Handhabung  des  schweren  Geschützes  Bescheid  wußte,  kann  uns  nach 
manchen  Analogien  nicht  wunder  nehmen.  Es  liegt  in  unserem  Falle 
besonders  nahe:  war  doch  jener  obgenannte  Baumeister  Hanns  Felber, 
der  unseren  Konrad  Heinzeimann  als  seinen  Vertreter  beim  Nordlinger 
Kirchenbau  bestellte,  Geschützgießer  und  Konstrukteur  von  allerlei  Kriegs- 
maschinen. In  Nürnberg  zeigte  er  1427  einen  Kriegswagen  und  später 
betraute  ihn  Kaiser  Sigismund  mit  der  Herstellung  von  Kriegsinstrumenten 
geheimnisvoller  Konstruktion9 10). 

Was  sodann  die  Fertigung  des  Bauplans  durch  Konrad  Roritzer  von 
Regensburg  betrifft,  so  dürfte  hiefür  kaum  irgend  ein  urkundlicher  Nach- 
weis vorliegen.  Diese  Annahme  stützte  sich  offenbar  bisher  nur  auf  die 
Tatsache,  daß  Roritzer  im  Jahre  1458  den  Hanns  Paur  von  Ochsenfurt  als 
seinen  Parlier  beim  Lorenzer  Chorbau  bestellte  und  in  späteren  Baurech- 
nungen öfter  als  in  Nürnberg  anwesend  erscheint,  sowie  darauf,  daß  er 
später  seinem  Sohne  Matthäus  die  Bauleitung  übertrug.  Was  hat  dies 
aber  mit  den  Bauplänen  des  Jahres  1439  zu  tun?  In  diesem  Jahre  stand 
Roritzer  als  Steinmetz  (»Staynmaißl«)  im  Dienste  der  Stadt  Regensburg 
er  hatte  nicht  etwa  damals  schon  die  Leitung  der  Regensburger  Dombau- 
hütte, ja  er  war  in  die  Hütte,  welcher  damals  Andreas  Engl,  sein  Stief- 
vater, Vorstand,  noch  nicht  einmal  eingetreten.  Dies  geschah  erst  1446, 


9)  Ratsbuch  Nr.  1 b,  fol.  140  b:  Meister  Conr[at]  zu  Sand  Lorentzen  und  sust  meer 
meister  bestellen  und  sie  mit  der  großen  puchßen  umb  ein  clenhet  schießen  lassen.  B.  Holsch., 
Pawmgartner,  Pawmeister.  (Der  Erlaß  muß,  wie  aus  dem  folgenden  datierten  sich  ergibt, 
auf  Mittwoch,  den  28.  Oktober  [1444],  fallen.) 

10)  Mayer  a.  a.  0.  Seite  123. 

")  Vgl.  die  Urkunde  des  K.  Allg.  Reichsarchivs  in  München  vom  17.  September 
1446,  worin  »Connrad  Roriczer  der  Staynmaißel«  der  Stadt  Regensburg  den  Empfang  seines 
Soldes,  der  ihm  versprochen  oder  geschuldet  war,  während  er  der  Stadt  Diener  gewesen 
ist,  bestätigt.  Die  Urkunde  ist  abgedruckt  von  Neumann : Zwei  Nachträge  zur  Monographie 
»Die  drei  Dombaumeister  Roritzer  und  ihr  Wohnhaus  zu  Regensburg«  (Verhandlungen 
des  Hist.  Vereins  von  Oberpfalz  • und  Regensburg,  Bd.  29,  S.  141 ).  Doch  irrt  der  Heraus- 
geber, wenn  er  meint,  Engl  habe  damals  die  Führung  der  Bauhütte  an  seinen  Stiefsohn 
abgegeben. 


4 


Albert  Gtimbel: 


die  Leitung  übernahm  er  erst  volle  IO  Jahre  später,  also  17  Jahre  nach 
dem  Beginn  der  Bauarbeiten  an  der  Lorenzer  Kirche. 

Unter  solchen  Umständen  kann  es  nicht  auffallen,  daß  Dr.  Konhofer 
und  die  Ratsherren  sich  nicht  nach  Regensburg  und  an  einen  damals  ver- 
mutlich noch  ziemlich  unbekannten  Steinmetzen,  sondern  nach  Rothenburg 
und  an  einen  Mann  wandten,  der  sich  als  tüchtiger  Werkmeister  schon 
bewährt  hatte. 

Bemerkenswert  ist  doch  auch,  daß  der  Name  Roritzers  in  den  uns 
erhaltenen  Baurechnungen  der  Jahre  1445  bis  1449  nicht  einmal 
erscheint  und  überhaupt  urkundlich  vor  dem  Jahre  1456  nicht  in  Verbin- 
dung mit  dem  Lorenzer  Chorbau  erwähnt  wird.  Aus  diesem  letztgenannten 
Jahre  (1456,  31.  Juli)  besitzen  wir  die  Antwort  des  Nürnberger  Rates  auf 
die  vom  Domkapitel  zu  Regensburg,  sowie  von  seiten  des  Regensburger 
Rates  gestellte  Bitte,  Konrad  Roritzer,  den  »Werkmeister  des  Paws  Sant 
Laur[entzenj«  seiner  Pflichten  »des  paws  halben«  gütlich  ledig  zu  sagen 
und  ihm  zu  gestatten,  die  Leitung  des  Regensburger  Dombaues  an  Stelle 
seines  verstorbenen  Vaters  (richtiger  Stiefvaters)  zu  übernehmen.  Der 
Nürnberger  Rat  wollte  aber  nur  zugeben,  daß  Roritzer  beiden  Bauten  vor- 
stehe II). 

Höchstwahrscheinlich  hatte  Roritzer  sogleich  nach  dem  Tode  Heinzei- 
manns die  erledigte  Stelle  eines  Werkmeisters  beim  Lorenzer  Chorbau  über- 
nommen. Die  vom  Nürnberger  Rate  hier  vorgeschlagene  Teilung  der  Arbeits- 
kräfte zwischen  Nürnberg  und  Regensburg  dürfte  wohl  eingetreten  aber 
zu  Unzukömmlichkeiten  geführt  haben,  so  daß  Roritzer  im  Jahre  1458 
den  Schweinfurter  Parlier  als  seinen  ständigen  Vertreter  bestellte. 

Vielleicht  besitzen  wir  auch  in  der  Höhe  der  Besoldung  Heinzeimanns 
einen  gewissen  Anhaltspunkt,  wie  hoch  die  Arbeitstätigkeit  unseres  Meisters 
am  Bau  bewertet  wurde.  Da  stellt  sich  nun  heraus,  daß  dieser,  solange 
uns  Aufzeichnungen  über  die  Baukosten  erhalten  sind,  ganz  die  gleiche  Be- 
zahlung erhielt,  wie  später  Roritzer,  wenn  er  (wie  zum  Beispiel  im  Jahre 
1462,  Anfang  August)  von  Regensburg  herüber  kam.  Letzterer  erhielt 
für  die  Woche  8 % alt,  das  wäre  also  für  das  ganze  Jahr  berechnet  416 
alt.  Heinzeimanns  Besoldung  betrug  für  das  ganze  Jahr  80  Gulden  Lands- 
währung, d.  h.  (den  Gulden  5 8 dn.  gleichgesetzt)  431  alt,  dazu  wurde 

ihm  ein  Hauszins  oder  Mietsentschädigung  von  8 fl.  jährlich  gewährte). 

**)  Siehe  den  Brief  in  Beilage  II. 

U)  Zweifelhaft  erscheint  es,  ob  wir  auch  die  Entlohnung  des  in  unseren  Rechnungen 
mehrmals  erscheinenden  »meisters«,  welcher  mit  seinen  Gesellen  »auf  dem  Berg«,  d.  h. 
im  Steinbruch,  arbeitet  (z.  B.  1447  in  der  Woche  vor  Dionysius  15  dn.  täglich),  gleich- 
falls Heinzeimann  zurechnen  dürfen.  Es  könnte  hier  auch  der  (mit  Namen  allerdings 
nie  genannte)  Leiter  der  Arbeiten  im  Steinbruch  gemeint  sein. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  5 

Man  vergleiche  mit  diesen  Zahlen  auch  die  uns  aus  der  Bestallungs- 
urkunde des  Konrad  Pauer  von  Ochsenfurt  bekannte  Entlohnung.  Dieser 
erhielt  5 U für  die  Woche  und  alle  Quatember  einen  Gulden  also  4 Gulden 
im  Jahr  und  6 Gulden  zu  einem  Hauszinse. 

Schließlich  spricht  für  die  angesehene  und  autoritative  Stellung, 
welche  Heinzeimann  einnahm,  der  Umstand,  daß  die  Stadt  Amberg  im 
Jahre  1446  seinen  Rat  bezüglich  des  Baues  der  St . Martins  - Kirche 
daselbst  einholte  J4). 

Es  ist  also  wohl  kaum  mehr  möglich,  daran  festzuhalten,  daß  Heinzel- 
mann  als  Parlier,  sei  es  des  älteren  Roritzer,  sei  es  eines  anderen  auswärtigen 
Baumeisters  den  Chorbau  von  St.  Lorenz  geleitet  habe,  die  Dinge  dürften 
vielmehr  so  liegen,  daß  er  als  einziger,  verantwortlicher  Baumeister  nach 
seinen  Plänen  das  große  Unternehmen  begonnen  und  bis  zu  seinem  im 
Jahre  1454  erfolgten  Tode  geleitet  habe.  Zu  dieser  Auffassung  paßt  doch 
auch  der  Ausdruck  des  Pauerschen  Bestallungsbriefes,  daß  der  Bau  von 
Meister  Konrat  Heinzeimann  »angefenngt,  aufgefurt  und  angesehen  ist 
worden«  am  besten. 

Auch  die  Stellung,  welche  die  kunstgeschichtliche  Betrachtung  dem 
prächtigen  Hallenbaue  von  St.  Lorenz  mit  Hinblick  auf  eine  Beeinflussung 
durch  benachbarte  schwäbische  und  Regensburger  Kirchenbauten  zuweist, 
verträgt  sich  recht  wohl  mit  unseren  Folgerungen  aus  dem  urkundlichen 
Material.  HoffmannI5)  erkenn'  in  der  Gestaltung  des  Chorbaues  die  stilisti- 
schen Eigentümlichkeiten  der  schwäbischen,  enger  der  Nördlinger  Schule 
und  meint,  Roritzer  sei  bei  den  Schwaben  in  die  Schule  gegangen.  Warum 
aber  dieser  Umweg?  Es  bedarf  dessen  nach  unseren  Darlegungen  nicht  mehr. 

Im  Zusammenhang  mit  der  Baumeisterfrage  sei  auch  ein  anderer  Irr- 
tum berührt,  der  sich  in  den  bisherigen  Darstellungen  der  Lorenz  er  Bau- 
geschichte  findet,  daß  nämlich  mit  dem  Chorbau  erst  im  Jahre  1445  begonnen 
wurde,  und  zwar  sei  zunächst  die  1403  begonnene  Erweiterung  der  Seiten- 
schiffe und  die  Eindeckung  derselben  zu  Ende  geführt  worden.  Die  An- 
nahme vom  Baubeginn  im  Jahre  1445  beruht  vielleicht  auf  der  Tatsache, 
daß  uns  Baurechnungen  erst  seit  diesem  Jahre  Vorlagen.  Das  ist  aber 
sicherlich  nur  ein  bedauerlicher  Zufall.  Wir  besitzen  eine  ganze  Reihe  von 
Ratserlässen,  beginnend  mit  dem  Jahre  I44L  welche  sich  mit  dem  Bau 
beschäftigen  und  ersehen  lassen,  daß  dieser  nicht  etwa  seit  der  Grundstein- 
legung bis  zum  Jahre  1445  ruhte.  So  erging  am  14.  Juli  1441  an  die  Gottes- 
hauspfleger Ulrich  Ortlieb  und  Christian  Imhof  der  Auftrag  des  Rates, 


*4)  Siehe  den  Brief  des  Nürnberger  Rates  an  Amberg  vom  x.  Dezember  1446  in 
Beilage  III. 

J5)  a.  a.  0.  S.  14. 


6 


Albert  Gümbel: 


die  bereits  gehauenen  Steine  versetzen  zu  lassen.  Dabei  wird  ihnen  einge- 
schärft, aus  den  (regelmäßigen)  Einkünften  des  Heiligen  nichts  auf  den 
Bau  zu  verwenden,  was  aber  freiwillig  zum  Bau  gegeben  werde,  sollten  sie 
verbauen  dürfen  l6). 

Einen  Monat  später,  am  21.  August,  erging  nochmals  ein  Ratsbefehl  an 
Pfleger  und  Kirchenmeister,  sie  sollten  die  gehauenen  Steine  und  etwaige 
weitere  Steine,  welche  hauen  zu  lassen  sie  Vollmacht  haben  sollten,  setzen 
und  verbauen  und  auch  eine  neue  Winde  machen  lassen  und,  wenn  die 
Steine  gelegt  sind,  die  Winde  wieder  ruhen  lassen.  Dazu  solle  ihnen  das 
Geld,  welches  die  Kirche  zinsbar  beim  Losungsamt  angelegt  hat,  gegeben 
werden  und  sollten  sie  fürbaß  nicht  mehr  verbauen,  als  ihnen  täglich  dazu 
gegeben  werde,  so  daß  sie  der  Kirche  keine  Schuldenlast  aufbürdeten,  auch 
sollten  sie  eine  lautere  Rechnung  ablegen,  wrelche  neben  den  Losungern 
Paul  Vorchtel  und  Hanns  Tetzel  von  ihnen  entgegennehmen  sollten1?). 
Am  25.  September  beschloß  man  im  Rat,  der  Chor  solle  gebaut  werden 
nach  Dr.  Konhofers  »und  des  Pfarrers  Wohlgefallen«,  doch  nur  soweit 
Geld  da  sei  und  ohne  die  Kirche  in  Schulden  zu  stürzen  l8).  Als  „Baumeister“, 
wie  man  in  Nürnberg  solche  mit  der  Beaufsichtigung  eines  Baues  besonders 
hinsichtlich  der  Geldgebarung  und  Verwendung  öffentlicher  Gelder  be- 
traute Ratskommissäre  nannte,  wurde  Berthold  Nützel  bestimmt,  an  dessen 
Stelle  später  (1443)  Paul  Vorchtel  tratr9). 

l6)  Ratsbuch  im  K.  Kreisarchiv  Nürnberg  Nr.  1 b,  fol.  5b:  Item  man  hat  hern 

Vlr[ich]  Ortlieb  und  Cristan  Im  Hoff,  Gotzhausmaister  zu  sandt  Laurentzen,  gesagt,  das 
sie  die  stein,  die  gehauen  sein,  versetzen  lassen  und  sand  Laurentzen  zins  nyt  verbauen; 
was  aber  zu  dem  pau  geben  wirt,  mugen  sie  wol  verbauen.  Act.  feria  VIa  Margar.  virginis 
[=  14.  Juli]  (1441). 

!7)  Ratsbuch  ib  fol.  15  b:  Item  es  ist  aber  (=  abermals)  ertailt  und  man  hat  daz 
also  mit  hern  Vlr[ich]  Ortlieb  und  Cristan  Im  Hoff,  Godshau[s]meister  zu  sandLorentz, 
gerett  von  des  paus  wegen  des  neuen  chors  daselbs,  daz  sie  die  gehauen  stain,  die  vorhanden 
sein,  und,  ob  sie  gadünck,  dar  zu  bedürfen,  auch  mugen  hauen  lassen,  setzen  und  verpauen 
und  auch  ein  neuewynden  machen  laßen  und,  wenn  sulch  stein  gelegt  sein,  dieselben  wynden 
wider  zu  legen,  und  darzu  soll  man  im  (!)  geben  daz  gelt,  daz  sant  Lorentz  in  der  losung- 
stoben hat,  und  daz  sie  furbaßer  nit  mer  verpauen,  dann  daz  man  teglich  darzu  gibt, 
also  daz  sie  kein  schult  der  kirchen  machen  und  daz  sie  auch  ein  lautere  rechnung  tun 
sollen  und  darzu  hat  man  geben  zu  den  losungern  hern  Paulus  Furchtfel]  und  hern  Hansen 
Tettzel,  act.  feria  2a  qua  supra  [=  post  Sebaldi,  21.  August]  (1441). 

l8)  Ebenda,  S.  24  b : Es  ist  ertailt  von  des  paues  wegen  des  chors  zu  sand  Laurentzen 
das  man  denselben  pauen  soll  nach  doctor  Konhofers  und  des  pfarrers  wolgefallen,  wann 
gelt  da  sei,  also  daz  man  sand  Lorentzen  nyt  in  schuld  bring,  und  ein  rat  hat  hern  Berthold 
Nutzei  darzu  geben,  daß  er  mitsampt  den  kirchenmeistern  darob  sein  soll.  act.  2a  post 
Mathei  apostoli  [=  25.  September]  (1441). 

J9)  Ebenda,  fol.  79  a:  Der  rate  hat  hern  Paulus  Vorchtfel]  geben  zu  einem  pau- 
meister  des  chors  ad  sanctum  Laurencium,  act.  ut  supra  [=  feria  IVa  ante  Anthonii, 
23.  Januar]  (1443). 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  7 

Auch  die  Notizen  der  Nürnberger  Chroniken  über  die  während  der 
ersten  zehn  Jahre  aufgewendeten  Bausummen  lassen  erkennen,  daß  auch 
in  den  dem  Jahre  1445  vorausgehenden  Jahren  ziemlich  bedeutende  Summen 
für  die  Fortführung  des  Baues  aufgewendet  wurden.  So  gibt  die  Tuchersche 
Chronik  der  Großherzoglichen  Bibliothek  zu  Weimar«),  welche  sich  un- 
zweifelhaft auf  irgendwelche,  heute  verlorene,  amtliche  Aufzeichnungen 
stützt,  denn  so  bestimmte  Zahlenangaben  können  nicht  aus  der  Luft  gegriffen 
sein,  an,  daß  sich  die  Kosten  für  den  Chorbau  in  den  ersten  zehn  Jahren 
auf  3230  fl.  -f  15  CCO  U alt  (=  6200  fl.)  beliefen21).  Ziehen  wir  von  dieser 
Summe  die  1225  fl.  ab,  welche  nachweislich  während  der  drei  Baujahre 
1445/46,  1447/48  und  1448/49  verausgabt  wurden,  so  bleibt  für  die  restlichen 
7 Jahre  die  immerhin  bedeutende  Summe  von  4975  A-  Ein  Nachweis,  wie 
sich  diese  Summe  auf  die  einzelnen  Jahre  verteilt,  ist  freilich  nicht  möglich. 

Die  der  ganzen  Sachlage  nach  recht  unwahrscheinliche,  urkundlich 
auch  sonst  nicht  beglaubigte  Nachricht,  daß  vor  Inangriffnahme  des  neuen 
Chorbaues  erst  die  1403  begonnenen  Arbeiten  an  der  Kirche  durch  Ein- 
deckung der  Seitenschiffe  zu  Ende  geführt  worden  seien,  geht  auf  Baader22) 
zurück,  welcher  eine  Reihe  von  Rechnungsnotizen  unserer  Kirchenmeister- 
rechnung von  1445/46 *  23)  in  dieser  Weise  deutet,  daß  nämlich  in  diesem  Jahre 
die  vollständige  Eindeckung  der  Kirche,  des  alten  Chores,  der  beiden  Ab- 
seiten und  der  Sakristei  und  damit  der  Abschluß  der  1403  begonnenen 
Erweiterung  erfolgt  sei.  Die  Deutung  dieser  Rechnungsposten  ist  allerdings 
schwierig,  doch  scheint  kein  Bedenken  vorzuliegen,  sie  nicht  auf  eine  um- 
fassendere Reparatur  zu  beziehen.  Von  einem  Eindecken  des  Daches  ist  dort 
zunächst  nicht  die  Rede,  sondern  von  einem  »heben«,  d.  h.  Abheben  zum 
Zwecke  einer  Reparatur.  An  eine  »Erhöhung«  der  Mauern  und  damit  des 
Daches  ist  keinesfalls  zu  denken,  sonst  würden  die  Arbeiten  sicherlich  mehr 
als  400  % gekostet  haben. 

Es  sei  hier  noch  angefügt,  was  wir  über  das  Lebensende  Konrad  Heinzei- 
manns wissen.  Für  die  Annahme,  daß  mit  dem  Jahre  1449  (oder  1448, 

10)  Vgl.  Jahrbücher  des  15.  Jahrhunderts,  herausgegeben  von  Theodor  von  Kern 
in  Chroniken  der  deutschen  Städte,  Bd.  X,  S.  45  ff. 

2I)  a.  a.  0.  S.  157:  Und  deßelben  jars  (=  1439)  da  wart  sant  Lorentzen  kor  ange- 
fangen und  kost  pis  auf  49.  die  gehen  jar  pei  Cristo  Imhoff  dreu  tausent  zwaihundert  und 
30  gülden  und  15  tausend  und  die  selben  zeit  galten  5 <tb.  1 gülden  und  etlich  dn.,  die 
<ö).  machen  zwai tausend  9 hundert  und  70  gülden,  summa  die  10  jar  pei  Cristo  Imhoff 
6200  gülden,  so  kost  er  10  jar  pei  Niclas  Kölers  Zeiten  71 10  fl.  summa  pei  den  zwaien  pflegern 
Cristan  Imhoff  und  Niclas  Köler  13310  gülden. 

**)  Beiträge  zur  Kunstgeschichte  Nürnbergs,  1.  Reihe,  1860,  S.  64. 

23)  Sie  seien  zur  Beurteilung  der  Sachlage  hier  wiedergegeben,  wobei  ausdrücklich 
bemerkt  wird,  daß  diese  Posten  nicht  unter  den  Ausgaben  zum  Bau 
(»waß  ich  han  awßgeben,  daz  der  paw  kost«),  sondern  unter  den  allgemeinen  Ausgaben 


8 Albert  Gümbel: 

wie  Baader  hat)  seine  Wirksamkeit  am  Baue  ein  Ende  genommen  habe, 
besitzen  wir  gar  keinen  Nachweis.  Die  letzte  Jahresrechnung  von  1448/49 
hat  durchaus  keine  Andeutung  in  dieser  Hinsicht.  Er  dürfte  vielmehr  auch 
unter  dem  auf  Christian  Imhof  (seit  1449)  folgenden  Kirchenmeister  Nikolaus 
Koler  die  Arbeiten  weiter  geleitet  haben.  Eben  dieser  Kirchenmeister 
vermerkt  in  dem  von  ihm  geführten  Großtotengeläutbuch  von  St.  Lorenz 
das  Ableben  unseres  Meisters  mit  den  Worten:  (Man  läutete)  „Maister 
Kunrat  vnserem  mawrer.  dedit  nichcz“* *4).  Er  starb  zwischen  Mariä 
Verkündigung  (25.  März)  und  Georgi  (=  23.  April)  1454 *5). 

An  des  alten  Konrad  Heinzeimanns  Tod  knüpfte  sich  ein  Briefwechsel 
des  Rates  mit  des  Verstorbenen  Sohn  (Stiefsohn?),  der  sich  Friedrich  Hein- 
richsmann von  Dettwang  nannte  und  zu  Ebenfurt  (»Elgenfürt«)  j6)  unter 
der  Jurisdiktion  des  edlen  Herrn  Georg  von  Bottendorf  wohnte.  Dieser 
behauptete  nämlich,  daß  die  Gotteshausmeister  seinem  Vater  einen  $l/i- 
jährigen  Jahressold  schuldig  geblieben  seien,  wogegen  jene  aus  den  Bau- 
rechnungen die  Unrichtigkeit  dieser  Behauptung  nachwiesen.  Das  teilte 
der  Rat  Friedrich  Heinrichsmann  wiederholt  mit  und  verwies  ihn  im  übrigen 
auf  den  Rechtsweg.  Dieser  wollte  sich  aber  nicht  abweisen  lassen  und  er- 
ging sich  in  Drohungen  gegen  die  Stadt.  Diese  wandte  sich  beschwerend 

der  Lorenzer  Kirchenfabrik  (»waß  ich  han  awß  geben,  daz  sant  Lorentzen  czu  steet«) 
vorgetragen  werden. 

Item  II  Maister  Dekter  han  ich  gehabt  X wochen,  mit 
namen  meyster  Lewpold*)  und  meister  Jorgen,  waß  iklicher 
selb  VII  (d.  h.  6 Gesellen  und  der  Meister  selbst)  und  der  hüben 
daz  tach  gantz  awf  der  kirchen  und  awf  dem  kor  und  auf  paid 
abseyten  und  den  sagerrer  (Sacristei). 

Item  dor  czu  kom  LXVI  suner  kalk  und  III  firta.il,  kost 
y'klichs  suner  czu  XXXII  dn. 

Item  dor  czu  körnen  VIII^  vnd  IIIC  hoken  vnd  preyß 
czigel**),  kost  iklichs  IM  czu  XIII 

Item  für  eytel  sand  czu  furen  XXV  <öi  XIV  dn. 

Item  von  czigeln  czu  furen  IX  <ö>.  XX  V2  dn.,  macht  alles  IVCXCVII  <ö>.  XX  dn. 

Vorausgehen  und  folgen  Ausgaben  für  das  Fronleichnamsfest,  Kirchweih  und 
Lorenztag,  für  ein  »mol«  (Mahl),  Gras  und  Rosen  (zum  Streuen  bei  den  Prozessionen). 

*4)  Großtotengeläutbuch  von  St.  Lorenz  im  Kreisarchiv  Nürnberg,  S.  I,  L.  130, 
Nr.  8,  S.  2.  Die  Gebühr  betrug  sonst  1 fl  rh.  (in  Gold). 

J5)  Dies  sind  die  nächst  vorausgehenden  und  folgenden,  angegebenen  Tagesdaten. 

3Ä)  Gemeint  ist  wohl  Ebenfurth  in  Niederösterreich  bei  Wiener  Neustadt. 

*)  Ein  Lewpold  Paternoster  wird  in  den  Ämterbüchlein  von  1442 — 1445  unter 
den  geschworenen  Deckern  der  Stadt  genannt. 

**)  Unter  »hacken«  (hocken)  verstand  man  ineinandergreifende  Dachziegel  mit 
hakenförmigen  Erhöhungen,  unter  »preiszigel«  jene  Ziegel,  welche  den  Zusammenschluß 
von  je  zwei  Hohlziegeln  überdecken.  Endres  Tuchers  Baumeisterbuch  der  Stadt  Nürnberg 
(1464 — 1475).  herausgegeben  von  Weech  und  Lexer,  Wortverzeichnis. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  g 

an  obengenannten  Herrn  von  Bottendorf.  Schließlich  scheint  der  Handel 
zu  einem  guten  Ende  gekommen  zu  sein,  indem  Heinrichsmann  seine  Absage 
an  die  Stadt  zurückzog,  diese  ihm  aber  versicherte,  daß  er  sich  von  ihrer 
Seite  keines  Args  zu  versehen  habe.  Die  gewünschte  Herausgabe  seines 
Absagebriefes  schlug  sie  indessen  ab  27). 

Bei  dieser  Gelegenheit  erhalten  wir  einen  Anhaltspunkt  für  die  Heimat 
unseres  Meisters:  das  in  der  Kunstgeschichte  rühmlich  bekannte  Dörfchen 
Dettwang  bei  Rothenburg.  Heinzeimann  hat  wohl  seine  Familie  von  Rothen- 
burg — oder  wohnte  er  selbst  schon  in  Dettwang?  — nach  Nürnberg  mit- 
genommen und  während  seines  15  jährigen  Aufenthaltes  daselbst  bei  sich 
gehabt.  Nach  dem  Tode  des  Vaters  siedelte  diese  vielleicht  wieder  in  die  alte 
Heimat  am  Fuße  der  Rothenburger  Mauern  über.  Möglicherweise  aber  ließ 
Heinzeimann  auch  erwachsene  Söhne  in  Dettwang  zurück,  von  welchen  einer 
sein  Glück  in  der  Fremde  versuchte.  Ist  Dettwang  in  der  Tat  seine  Heimat,  so 
entstammte  er  der  gleichen  Rothenburger  Landschaft,  deren  Sohn  auch  der 
Baumeister  Hanns  Müllner,  der  Nachfolger  des  trefflichen  Nikolaus  Eselers 
in  der  Bauleitung  von  St.  Jakob  in  Rothenburg,  war  (seit  1471)  l8). 

Betrachten  wir  nun  unsere  drei  Baurechnungen,  deren  Abdruck 
nachstehend  gegeben  wird,  im  einzelnen!  Sie  gehören  den  Rechnungsjahren 
1445/46,  1447/48  und  1448/49  an.  Im  Gegensatz  zu  einigen  uns  gleichfalls 
erhaltenen  späteren,  ausschließlich  dem  Baue  gewidmeten  Rechnungen 
bilden  sie  die  (allerdings  umfangreichsten)  Bestandteile  eines  allgemeinen 
Einnahmen-  und  Ausgabenregisters  der  Kirche  von  St.  Lorenz  (und  der 
St.  Leonhardskirche) *  *9)  überhaupt.  Geführt  wurden  sie  unzweifelhaft  von 
dem  damaligen  Kirchenmeister  Christian  Imhof  3°),  welchem  als  Kirchen- 
pfleger zunächst  Ulrich  Ortlieb,  dann  (seit  1448)  Michael  Grundherr  über- 
geordnet waren.  Der  Kirchenmeister  war  der  eigentliche  Säckelmeister 


*7)  Die  in  dieser  Angelegenheit  ergangenen  Ratsschreiben  habe  ich  in  der  Beilage 
IV  a bis  f wiedergegeben. 

l8)  Vgl.  Müllners  Bestallungsbrief  bei  Gümbel,  Kleine  Beiträge  zur  älteren  Rothen - 
burger  Kunstgeschichte  III.  Repert.  f.  Kunstw.  Bd.  XXXI. 

*9)  Die  Kirche  von  St.  Leonhard  mit  einem  Siechkobel  für  12  arme  Frauen  war 
eine  Filiale  der  Kirche  von  St.  Lorenz,  innerhalb  deren  Parochie  sie  lag. 

3°)  Sohn  des  1396  zu  Venedig  gestorbenen  Konrad  Imhof  und  der  Anna  Schürstab, 
vermählt  in  erster  Ehe  mit  Margareth  Dürlerin,  in  zweiter  mit  Klara  Prünsterin.  Schon 

*433  (22-  April)  wird  er  in  einer  Urk.  des  Kreisarchivs  Gotzhaws  Pfleger  bei  St.  Lorenz 
(wohl  eine  Verwechslung  mit  Kirchenmeister)  genannt.  Er  blieb  Kirchenmeister  bis 
1452,  in  welchem  Jahre  Nikolaus  Koler  an  seine  Stelle  trat.  Er  starb  1466  und  wurde 
nach  dem  Großtotengeläutbuch  von  St.  Lorenz  am  Freitag  nach  Johannis  Baptista 
(=  27.  Juni)  begraben.  ^Sein  Sohn  Anton  Imhof  fiel  1449  bei  Fürth  im  Kampfe  gegen 
die  Markgräflichen.  Sein  Bruder  war  Konrad  Imhof  (f  1449),  Stifter  des  bekannten 
Imhofschen  Altars  bei  St.  Lorenz. 


IO 


Albert  Gümbel: 


und  Güterverwalter  der  Kirche,  durch  dessen  Hände  alle  Einnahmen  und 
Ausgaben  liefen.  Der  aus  dem  Rate  gewählte  Pfleger  vertrat  diesen  gegen- 
über der  Kirche  und  deren  Klerus  und  andererseits  natürlich  auch  die  Inter- 
essen des  letzteren  gegenüber  dem  Rate,  beide  aber,  Kirchenmeister  und 
Pfleger,  blieben  dem  Rate  für  die  ordnungsmäßige  Verwaltung  des  Kirchen- 
vermögens verantwortlich  und  hatten  darüber  alljährlich  vor  einigen  verord- 
nten Ratsherren  Rechnung  zu  legen  3*).  Zum  Zwecke  einer  solchen 
Rechnungsablage  sind  wohl  auch  die  vorliegenden  Kirchenrechnungen 
gefertigt. 

Wenn  übrigens  oben  gesagt  wurde,  daß  die  Führung  der  Kirchenrech- 
nungen in  der  Hand  des  Kirchenmeisters,  in  unserem  Falle  Christian  Imhofs, 
lag,  so  ist  dies  nicht  so  zu  verstehen,  daß  uns  in  den  drei  Rechnungsheften 
eigenhändige  Aufzeichnungen  und  Rechnungsabschlüsse  Imhofs  vorliegen. 
Die  eigentliche  Zusammenstellung  von  Einnahme-  und  Ausgabetiteln  sowie 
die  Niederschrift  der  Rechnungshefte  dürfte  durch  einen,  dem  Kirchen- 
meister beigegebenen  Schreiber  32)  natürlich  auf  Grund  von  ihm  durch 
den  Kirchenmeister  gelieferten  Aufzeichnungen  und  Rechnungsbelegen  her- 

31)  Nicht  zu  verwechseln  mit  diesem  Kirchenmeister  von  St.  Lorenz  ist  der 
Schaffer  von  St.  Lorenz  (lateinisch  praeceptor).  Es  war  diese  eine  speziell  mit  der 
Verwaltung  von  Einnahmen  und  Ausgaben  des  Pfründevermögens  des  jeweiligen  Pfarrers 
(bzw.  später  Propsts)  bei  St.  Lorenz  betraute  Persönlichkeit  und  zwar  ein  Kleriker,  während 
der  Kirchenmeister  Laie  war.  Nach  Hilpert,  Geschichte  des  Protestant.  Kirchenvermögens, 
S.  4 war  es  der  älteste  der  Kapläne  oder  »Gesellen«  des  Pfarrers.  Dem  Schaffner  oblag 
auch  die  Leitung  des  ganzen  im  Lorenzer  Pfarrhof  seinen  Mittelpunkt  findenden  geistlichen 
Haushalts  und,  da  der  Pfarrer,  die  7 Kapläne,  die  2 Kornschreiber  und  der  Schul- 
meister im  Pfarrhof  wohnten  und  gemeinsamen  Tisch  hatten,  war  der  ganze  Betrieb  ein 
ausgedehnter  und  verantwortungsvoller.  In  dieser  Eigenschaft  als  Hausverwalter  wird 
der  Schaffer  auch  oeconomus,  rei  oeconomicae  inspector  genannt.  Ein  Aktenstück  aus 
dem  Jahr  1453  sagt,  daß  er  verantwortlich  war  für  die  »koste  des  hoffs«.  Über 
Einnahmen  und  Ausgaben  (darunter  auch  für  die  dem  Pfründevermögen  obliegenden 
Baulasten)  hatte  der  Schaffer  dem  Pfarrer  Rechnung  abzulegen.  Eine  solche  über  10  Jahre 
sich  erstreckende  Gesamtabrechnung  zwischen  Dr.  Konhofer,  dem  Pfarrer  von  St.  Lorenz, 
und  dessen  Schaffer,  Peter  Cammrer,  ist  uns  im  K.  Archive  Nürnberg  aus  dem  Jahr  1444 
erhalten.  Urkunden  des  siebenf.  Alph.  VI  97/2  Nr.  894.  Beide  rechnen  ab  über  alle 
»einnemen  vnd  ausgeben  in  die  Kuchen  vmb  eßen  vnd  trincken,  prot  vnd  allerley  speyß, 
Auch  allen  anderen  stucken  gegen  Hantwerckleuten  vnd  dyiener  Ion  vnd  waß  dem  Hof 
(i.  e.  dem  Pfarrhof)  zusteet,  Auch  vmb  den  paw  zu  dem  kor  vnd  in  den 
p f a r h o f , der  geschehen  ist  vom  samstag  [vor]  exaltacionis  s.  crucis  [=12.  September] 
im  Jar  alß  man  zalt  1433  piß  auff  datum  ditz  brieffs  [=2.  Mai  1444]«.  Daß  hier  Rech- 
nungsposten für  den  Chorbau  (natürlich  erst  seit  1439)  erscheinen,  ist  nicht  auffällig,  da 
Geldbeiträge  seitens  des  Pfarrers  durch  unsere  Rechnungen  (wenigstens  für  das  Jahr  1445) 
bestätigt  werden.  Übrigens  ist  in  der  Urkunde  nur  von  Schuldresten  seitens  des  Schaffers 
in  Korn  die  Rede.  Es  könnte  sich  also  bei  den  genannten  Bauten  auch  um  leibliche  Ver- 
pflegung der  Bauhandwerker  handeln. 

3J)  Leider  findet  sich  nirgends  der  Name  eines  solchen. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  1 1 


gestellt  worden  sein.  Waldau  33)  gibt  an,  daß  jeder  Kirchenmeister  einen 
Kirchner  unter  sich  hatte,  der  sein  Schreiber  hieß  und  ihn  unterstützte 34). 
Anderweitig  z.  B.  bei  der  Regensburger  Domfabrik  finden  wir  für  diesen 
Unterbeamten  des  Magister  fabricae  den  Titel  Scriptor  fabricae.  Von  diesem 
Scriptor  sagt  Schuegraf  35),  daß  er  das  Geschäft  auf  sich  gehabt  habe,  Alles, 
was  bei  der  Domfabrik  eingenommen  und  ausgegeben  wurde,  aufzuschreiben 
und  die  jährliche  Abrechnung  zu  stellen.  Nehmen  wir  an,  daß  unsere  Rech- 
nungshefte von  diesem  Kirchner,  Schreiber  oder  Scriptor  fabricae  gefertigt 
wurden,  so  haben  wir  auch  eine  Erklärung  für  die  auffällige  Tatsache,  daß 
sich  dort  Korrekturen  und  Streichungen  finden.  Sie  wurden  wohl  bei  einer 
Revision  durch  den  Kirchenmeister  selbst  angebracht;  so  hebt  sich  z.  B. 
bei  der  Schlußabrechnung  des  Jahres  1449  eine  zweite  Schrift  deutlich 
von  der  des  ersten  Schreibers  ab.  Eine  solche  nachträgliche  Revision  und 
Ergänzung  des  Bauregisters  des  Scriptor  fabricae  durch  den  Magister  fabricae 
finden  wir  auch  in  Regensburg  36). 

Unsere  Kirchenrechnungen  führen  zunächst  in  summarischer  Weise 
die  Einnahmen  an  Geld  und  Korn,  sodann  im  einzelnen  die  Ausgaben  an, 
daran  schließen  sich  Einnahmen  und  Ausgaben  für  den  ,,paw“.  Das  Rech- 
nungsjahr lief  für  die  erste  unserer  Kirchenrechnungen  von  Michaelis  1445 
bis  Michaelis  1446.  Die  Einnahmen  zum  Bau  beliefen  sich  auf  1749  7 dn. 

und  1 16  fl.  Landswährung  gegen  2240%  26  dn.  Ausgaben,  für  1447/48  (von 
Jacobi  [25.  Juli]  bis  1 1.  September)  auf  1124%  20  dn.  und  1 1 6 fl.  gegen 
1536  U 22  dn.  und  60  fl.  Ausgaben,  für  1448/49  (1 1.  September — 5.  Juli) 
auf  1128  U 2672  dn.  und  122  fl.  gegen  1043  U 2 1/2  dn.  und  88  fl.  In  zwei 
Jahren  überteffen  also  die  Ausgaben  die  Einnahmen  nicht  unerheblich. 

Betrachten  wir  nun  die  für  den  Bau  verfügbaren  Einnahmen  näher! 
Es  sei  hier  vorausgeschickt,  daß  das  Konzil  zu  Basel  im  Jahre  1440  auf 
Bitten  der  Kirchenpfleger  von  St.  Lorenz  genehmigt  hatte,  daß  bei  den 
unzureichenden  Mitteln  der  Kirchenfabrik  mit  Zustimmung  des  Pfarrers 
und  unter  vorheriger  Ausscheidung  eines  genügenden  Einkommens  für 
diesen  die  gesamten  Einkünfte  der  Kirche  auf  zehn  Jahre  für  die  Vollendung 
des  Chorbaues  verwendet  werden  dürften.  Mit  dem  Vollzug  der  Bulle  wurde 
der  Abt  von  St.  Ägydien  beauftragt  37).  Es  scheint  jedoch,  daß  der  Rat 


33)  Nürnbergisches  Zion  oder  Nachricht  von  allen  Nürnbergischen  Kirchen  usw., 
Nürnberg  1787,  S.  5 Anm. 

34)  Nach  Hilpert,  a.  a.  0.  S.  4,  oblag  dem  Kirchner  dieAufsicht  über  die  kirchlichen  Ge- 
bäude und  den  Kirchhof.  Den  Untergebenen  des  Kirchenmeisters  nennt  er  Kornschreiber. 

35)  In  seiner  Ausgabe  der  Regensburger  Dombaurechnung  vom  Jahre  1459,  Anm.  75 
(Verhandlungen  des  histor.  Vereins  von  Oberpfalz  und  Regensburg,  XVI.  Bd.  S.  161). 

36)  Schuegraf  a.  a.  0.  S.  21. 

37)  Siehe  Beilage  V. 


Albert  Gtimbel: 


I 2 

sich  dieser  Verwendung  der  Kirchengüter  widersetzte  (siehe  oben  den  Rats- 
erlaß vom  14.  Juli  1441),  und  daß  die  Bulle  nicht  zum  Vollzug  kam.  Jeden- 
falls ersehen  wir  aus  unserem  Verzeichnis  des  »Einnemens  zu  dem  Paw«, 
daß  dieses  sich  zum  allergrößten  Teile  aus  freiwilligen  Gaben  und  Almosen 
zusammensetzt,  aus  letztwilligen  Zuwendungen,  dem  Erlöse  von  zum  Bau- 
fonds  geschenkten  Kleidungsstücken,  aus  dem  Ertrage  der  Sammlungen 
bei  der  Gemeinde  an  hohen  Festtagen  und  den  Sonntagen,  aus  den  Ein- 
lagen der  Opferstöcke,  dem  Verkaufspreise  von  »bösen«,  d.  h.  wohl  ver- 
hauenen oder  sonst  unbrauchbaren  Steinen  aus  der  Bauhütte  38).  Dazu 
waren  dem  Baufonds  die  Einnahmen  »von  der  großen  Glocken«  zugewiesen, 
d.  h.  die  Gebühren  für  die  Lautung  der  großen  Glocke  bei  der  Beerdigung 
(sie  betrug  stets  einen  Gulden  rh.).  Einen  sehr  ergiebigen  Einnahme- 
posten bildeten  im  Baujahre  1445/46  die  10  U alt,  welche  Dr.  Konhofer 
alle  Wochen  zum  Bau  beisteuerte.  In  den  beiden  späteren  Rechnungs- 
journalen erscheint  dieser  Betrag  nicht  mehr. 

Was  nun  die  Ausgaben  betrifft,  so  verteilt  sich  deren  Hauptmasse 
auf  die  Steinmetzen  in  der  Bauhütte  (gesellen  in  der  hutten)  und  einen 
Lehrjungen  dort  (hutenknecht),  dann  auf  die  Steinbrecher  »auf  dem  perg« 
d.  h.  auf  dem  Reuhelberg  (heute  Schmausenbuck)  bei  Nürnberg 39).  Bedeu- 
tendere laufende  Ausgaben  entstanden  auch  für  das  Verbringen  der  Steine  von 
den  Brüchen  zur  Bauhütte  — die  Kosten  betrug  8 — 9 dm  pro  Stein.  — sowie 
für  die  Bedienung  der  Winde  oder  des  Aufzugs  4°)  beim  Bau  (gesellen  in  dem 
rad).  Vereinzelt  erscheinen  auch  Maurer  (ein  Konrad  Lang  und  der  Ekel), 


38)  Vgl.  in  der  ersten  Rechnung  unter  den  Einnahmen:  »Item  für  etzlich  pos  stein, 
dy  nicht  tochten  LXVI 1/J  <0).  II  dn.« 

39)  Im  Tucherschen  Baumeisterbuche  (vgl.  oben  Anm.  23)  wird  in  dem  Kapitel 
»Von  dem  Reuhelperg  stein  zu  prechen«  auch  »sant  Laurentzen  . . . gruben«  genannt.  Im 
Jahr  1451  erging  ein  Befehl  des  Rates:  Sant  Laurentzen  den  Steinpruch  zu  seinem  pawe 
volgen  lassen,  Als  das  dann  erteilt  ist.  Möglicherweise  handelte  es  sich  hier  um  die  durch 
ganz  besonders  guten  Stein  ausgezeichneten  Brüche  am  Reuhelperg,  welche  sich  der  Rat 
für  seine  eigenen  Bauten  Vorbehalten  hatte  und  wo  niemand  ohne  Erlaubnis  des  Rates 
brechen  durfte  (vgl.  bei  Tücher  a.  a.  O.). 

Daß  mit  dem  »perg«  der  Kornberger  Bruch  nicht  gemeint  sein  kann,  ergibt  sich 
daraus,  daß  einmal  ausdrücklich  »V  stein  kurnperg«  unter  den  Ausgaben  erscheinen.  Die 
Kornberger  Steine  wurden  mit  Vorliebe  für  Wasserbauten  verwendet.  (Baumeisterbuch 
a.  a.  O.  S.  84 — 86.) 

«°)  So,  glaube  ich,  dürfen  wir  wohl  den  immerwiederkehrenden  Ausdruck  »Rad« 
deuten.  Es  liegen  zwei  Möglichkeiten  vor.  Entweder  kann  es  einen  einräderigen  Schub- 
karren bedeuten  (Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  unter  »rad«,  2.  Bedeutung)  oder  »rad, 
das  irgend  ein  gangwerk  treibt,  zum  drehen,  ziehen  oder  treten:  rad  das  man  tritt,  etwas 
aufzeziehen:  tympanum«  (Grimm  unter  Bedeutung  3 d).  Grimm  zitiert  dann  weiter:  tym- 
panum,  ein  kranchrade,  ein  gerüste  mit  eim  groszen  rad,  das  getretten  würt,  so  man  etwas 
schwärs  aufhebet. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  13 

Zimmerleute  und  Decker.  Kleinere,  zeitweilig  wiederkehrende  Posten 
betreffen  das  Ausgraben  und  Wegschaffen  des  ausgehobenen  Baugrundes 
(gesellen  in  dem  grund),  die  Beschaffung  des  Kalks,  die  Herstellung  und 
das  Ausbessern  des  Handwerkszeugs  bei  der  Hütte  und  auf  dem  Berg,  die 
Seile  zu  den  Winden  — auch  beim  Steinbruch  war  eine  solche  aufgestellt  — 
usw.  Als  ganz  vereinzelte  Posten  erscheinen  im  Jahre  1445/46  7 U für  einen 
Gesellen  »der  (so  ist  wohl  zu  lesen  statt  dy)  dy  lawber  hawt«,  42  U 28  dn. 
für  eiserne  Stangen  und  Eisen,  »daz  gehört  in  ein  glaß  venster  ...  czu 
einem  Muster«,  dann  Geschenke  für  Meister  und  Gesellen  an  Neujahr  und 
St.  Peterstag,  d.  h.  Petri  Stuhlfeier,  mit  welchem  Tage  das  Winterhalbjahr 
schloß,  die  sommerliche  Bauzeit  begann.  Die  Zahl  der  ständig  beschäftigten 
Gesellen  in  der  Bauhütte  überschritt  niemals  7 und  sank  zuweilen  auf  2, 
in  dem  Steinbruche  arbeiteten  im  Baujahre  1445  5 — 6 Gesellen,  später 
2 — 4 und  2 — 6.  Im  Winterhalbjahr  von  Gallus  (16.  Oktober)  bis  Petri  Stuhl- 
feier (22.  Februar)  erhielt  ein  Geselle  in  der  Bauhütte  15  dn.,  die  Gesellen  im 
Steinbruch  12  dn.,  der  Meister  15  dn.,  im  Sommerhalbjahr  die  Steinmetzen 
20  dn.,  die  Steinbrecher  14dm,  der  Meister  15  dn.  für  den  Tag.  Die  Auszah- 
lung erfolgte  am  Wochenende.  Übrigens  wurde  nicht  immer  in  der  Hütte 
und  im  Steinbruche  gleichzeitig  gearbeitet.  So  ruhten  z.  B.  im  Jahre  1446 
die  Arbeiten  beim  letzteren  vom  23.  April  bis  zum  Schlüsse  des  Rechnungs- 
jahres (24.  September),  im  Jahre  1447  wurden  sie  erst  im  Oktober  wieder 
aufgenommen,  dafür  ruhten  die  Arbeiten  in  der  Hütte  bis  zur  Palmwoche 
1448;  von  dort  an  wurde  an  beiden  Stätten  bis  zum  Herbst  gearbeitet, 
wo  dann  der  Steinbruch  stillgelegt  wurde. 

Für  eine  Vergleichung  der  eben  genannten  Geldwerte,  wie  überhaupt 
der  Zahlenangaben  unserer  Rechnungen  — sie  erfolgen  fast  ausschließlich  in 
Gulden  Landwährung  und  Pfunden  alt  41)  — sei  auf  die  Untersuchungen 
Sanders  4»)  verwiesen.  Dieser  setzt  für  die  Jahre  1435 — 144°  den  Goldwert 
des  Landwährungsgulden  etwa  8 M gleich.  In  Silber  würde  das  % alt  (zu 
je  30  dn.)  I M 30  dn.  unseren  Geldes  entsprechen.  Ihren  wahren,  für  eine 
Vergleichung  nutzbaren  Wert  erhalten  diese  Zahlen  ja  erst,  wenn  wir  die 
damaligen  und  heutigen  Preise  für  Lebensmittel  usw.,  kurz  den  Kaufwert 
des  Geldes  berücksichtigen.  Es  muß  jedoch  hier  auf  das  von  Sander,  a.  a.  0. 
besonders  über  die  Preise  von  Getreide  und  Brot  Gesagte  verwiesen  werden. 

Äußerlich  stellen  sich  unsere  Rechnungen  als  drei  Papierhefte  in  Quart 
aus  dünnem,  aber  sehr  haltbarem  Papier  (Wasserzeichen:  ein  zinnengekrönter 
Turm  und  (in  den  späteren)  der  Ochsenkopf)  in  grauen  Umschlag  geheftet, 


41)  Zweimal  erscheinen  Groschen. 

4l)  Die  reichsstädtische  Haushaltung  Nürnbergs,  dargestellt  auf  Grund  ihres  Zu 
Standes  von  1431 — 1440,  Leipzig  1902,  Bd.  I,  S.  24  ff.  und  Bd.  II,  S.  742  ff. 


Albert  Gümbel: 


14 

dar.  Sie  sind  auf  beiden  Seiten  der  ganzen  Breite  und  von  der  gleichen 
Hand  (abgesehen  von  den  Korrekturen)  in  sehr  deutlicher  Schrift  mit  nur 
leicht  verblaßter  Tinte  geschrieben.  Eine  alte  Foliierung  ist  nicht  vorhanden. 

Zum  Schlüsse  einige  Worte  über  die  gewählte  Gestaltung  des  Textes 
der  Rechnungshefte.  Sie  schließt  sich  in  der  Schreibung  der  Vorlage  an  43), 
nur  wurden  alle  Eigennamen  mit  großen  Anfangsbuchstaben  geschrieben. 
Die  Zahlangaben  in  römischen  Ziffern  wurden  ebenso  wiedergegeben, 
jedoch  mit  einiger  Modernisierung.  Der  alte  Schreiber  gab  z.  B.  die  Zahl 
IV  mit  IIII,  unser  XC  mit  LXXXX.  Die  alten  gebrauchten  Abkürzungen: 
c über  der  Zeilenlinie  für  centum  (z.  B.  IIC  = zweihundert)  und  M für 
mille  (z.  B.  VM  = fünftausend)  wurden  beibehalten,  ebenso  W für  Pfund, 
dn.  für  Pfennig  44).  Bei  den  nicht  seltenen  Korrekturen  wurde  die  frühere 
Zahl,  wo  lesbar,  mitbemerkt. 


A. 

Rechnung  der  Kirchenfabrik  von  St.  Lorenz 
(und  St.  Leonhard)  zu  Nürnberg  vom  29.  September 
1445  bis  29.  September  1446.  Kgl.  Kreisarchiv  Nürnberg,  Saal  I, 
Lade  130,  Nr.  12,  Heft  I. 

Seitei]  Item  waß  ich  han  ein  gen  [u]  men  45)  von  sand  Lorentzen 
wegen  seind  der  nechsten  Rechnung,  dy  ich  det  am  nechsten  samztag  an  sand 
Erhartz  tag,  dy  ich  dun  schold  haben  czu  sand  Michels,  waß.  ich  dann  han 
ein  gen  [u]  men  seind  des  selben  sand  Michels  ym  XLV  jar  vntz  awf  sand 
Michels  tag  in  dem  XLVI°  jar,  daz  stet  hernoch  geschriben  . . . 

[Es  folgen  auf  Seite  1 — 2 die  einzelnen  Einnahmeposten  an  Geld  und  Getreide. 
Gesamtsumme  1064  <ö>-  9*/i  dn.  und  95  Gulden  Landswährung.] 

Seite  3]  Item  waß  ich  han  awßgeben,  daz  sand  Lorentzen  czu  stet, 
daz  stet  hernach  geschriben: 

[Es  folgen  auf  Seite  3 — 5 die  Ausgabe^6)  mit  einer  Gesamtsumme  von  1283  fl*. 
28  dn.  und  47^3  fl.] 

[Auf  Seite  6 folgt  eine  Vergleichung  der  Ausgaben  und  Einnahmen  von  St.  Lorenz, 
deren  Ergebnis  ein  Guthaben  des  Kirchenmeisters  von  219  fl>.  181/z  dn.  ist.] 

[Seite  7 führt  Einnahmen  und  Ausgaben  von  St.  Leonhard  an.  Ergebnis:  Mehr- 
einnahme von  457  & zS  dn.  und  30  fl.] 

[Seite  8 ist  leer.] 

43)  Dagegen  wurde  die  Schreibung  der  in  den  Beilagen  wiedergegebenen  Ratsbriefe 
nach  den  bekannten  Grundsätzen  vereinfacht. 

44)  Das  bei  mittelalterlichen  Zahlenangaben  gebrauchte  Zeichen  für  1/z,  die 
Durchstreichung  bzw.  Durchschlingung  des  letzten,  unter  die  Zeile  verlängerten  Striches 
wurde  mit  »/*  wiedergegeben,  IVj/jc  = vierthalbhundert  oder  350. 

45)  Darüber:  han. 

46)  Ich  habe  von  diesen  Ausgaben  schon  die  für  Reparatur  des  Daches  der  Kirche 
usw.  in  der  Einleitung  (Anm.  23)  wiedergegeben.  Von  sonstigen  seien  noch  bemerkt: 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  1 5 


Seite  9]  Item  waß  czu  den  paw  dytz  jar  geben 
vnd  gefallen  ist,  daz  stet  hernach  geschriben: 

Item  am  ersten  hat  mein  her  der  pfarrer  der 
doctor  Konhoffer  geben  alle  wochen  XU  alt  VCXX  U. 

Item  Hans  Sigwein  der  elder,  formund  47)  des 
Heintz  Burst  III  guld[enj. 

Item  der  Herold  vom  Gostenhoff  VII  U XX  dn. 

Item  für  etzlich  pos  stein,  dy  nicht  tochten  LXVI1 * * 4 5/*  U II  dn. 

Item  her  Albrecht  awf  sand  Nyclos  altar  I guldfenj. 

Item  dy  Kellerin  in  sand  Lorentzen  selhaws  48)  I gülden. 

Item  der  Vngerlein  vnd  Putzenrewter  für  dy 
Markartin  von  der  Weyden;  warn  ir  formund,  XXX  gülden. 

Item  awß  dem  stok  awf  dem  Kirchoff  XIII  U IIF/a  dn. 

Item  der  Newpawr  gab  mir  ein  swartzen  mantell 
mit  einer  swartzen,  lemerein  kurßen.  den  gab  ichvmb  VIII  gülden. 

Item  her  Friderich  des  Schon  Peters  sun  49)  I gülden. 

Item  awß  den  stoken  in  der  kirchen  LXXXV’/i  U I dn. 

II  gülden. 

Item  vnßer  pfarrer  gab  mir,  waß  gefunden  wern,  I gülden. 

Item  vnßer  schaffer  zu  sand  Lorentzen  5°)  I gülden  vnd  V U 

Item  ein  prawn  Rock,  mit  fugsch  clocn  gefutert, 
von  dem  Vlrich  Hinderholtz,  den  gab  ich  für  VI  gülden, 

summa  dytz  folii  macht  VIC  XCII  U . 

XXV PA  dn.  vnd  LIV  gülden. 


Seite  5]  Item  von  einem  klensellS1)  in  dy  tagmeß  geloken 
czu  peßern  VI'/j  tfc.  I dn. 

Item  von  einem  newen  klenßell  czu  smiden  in  einem 
Hamer  pey  Lawf,  wigt  LXVIII  <tk.,  must  ich  geben  für  daz  eyßen 
vnd  doselbst  zu  smiden  XIV  'tt.,  vnd  hie  dem  schloßer  follen 
awß  czu  beraiten  VI  tk.,  macht  XX  <tt. 

gehört  awch  in  dy  tagmeß  geloken  zu  Bartholomey. 

Item  ich  han  aber  dy  geloken  mit  namen  dy  tagmes  geloken, 
vnßer  frawen  meß  geloken  vnd  dy  II  fesper  geloken  loßen  anders 
holsen  vnd  all  czappen  vnd  all  schilt  anders  smiden  vnd  loßen 
schleyffen,  daz  kost  alles  XXVII  'tt.  IX  dn. 

47)  = Testamentsvollstrecker. 

48)  D.  h.  ein  der  Kirche  gehöriges,  im  Nonnengäßlein  gelegenej,  für  fromme  (welt- 
liche) Frauen  (Seelweiber,  Seelnonnen)  bestimmtes  Haus. 

49)  Er  war  der  Stifter  des  (heute  noch  in  der  Lorenzer  Kirche  befindlichen)  Gemäldes 
der  Gebprt  Christi  mit  den  symbqlischen  Andeutungen  der  Jungfräulichkeit  Marias.  Thode 
(Die  Mallerschule  von  Nürnberg,  S.|  53)  nennt  es  wegen  seiner  Darstellungen  höchst  interessant. 

5°)  Über  diesen,  damals  Peter  Cammrer,  vgl.  oben  in  der  Einleitung,  Anm.  31. 

51)  = Klengel,  Klöppel. 


i6 


Albert  Glimbel: 


Seite  io]  Item  Vlrich  Krewtzer  vnd  Michel 
Dechelmair,  dy  (!)  Tusoltin  seligen  formund,  gaben 
mir  an  sand  Bartholomes  abend  [=  23.  August]  V gülden. 

Item  czu  der  kirchweih  gevil  pey  dem  heiltum 
vnd  auf  den  taffein,  macht  LXXIII  U IIP/j  dn. 

Item  an  sand  Lorentzen  tag  [=  10.  August] 
gevil  pey  dem  heiltum  vnd  awf  der  taffein  vnd  vber 

all,  daz  macht  II c III1/*  U II  gülden. 

Item  so  ist  gevallen  awf  dy  taffein  alle  suntag 
vnd  pey  dem  heyltum  alle  hochczeytlich  tag,  macht  VICLXVI  U VIII  dn. 

Item  am  Montag  noch  vnßer  frawn  tag  nati- 
vitatis  [=  13.  September]  gab  mir  her  Hans  von 
Swobach  für  den  Stiglitz  seligen  I gülden. 

Item  am  selben  tag  gab  mir  dy  Hertzogin  neben 
dem  Jar  haber  an  geld  ye  V U VIII  dn.  für  den 
gülden  X gülden. 

Item  am  pfintztag  noch  des  heiligen  Crewtz 
tag  Exultacionis  [=  16.  September]  awß  paiden 

stoken  awf  dem  kirchoff  VI  % VIII  dn. 

Item  ein  petler  starb  czu  der  Alheyt  Vischerin 
hinder  dem  Taffe [l]hof  pey  der  zigelhuten,  der  schik 
[=  vermachte  letztwillig]  sein  parschafft  sand  Lo- 
rentzen, waß  LXCIII  U VIII  [dn.] 

Item  am  freytag  vor  sand  Matheus  tag  [=  17. 

September]  gab  mir  vnßer  pfarrer,  waß  ym  furpas 

worn  von  dem  capplan  sand  Kungunden,  V U V dn. 

Item  von  der  großen  geloken  XLIV  gülden  III  U 

XXII  [dn.]. 

summa  dytz  foly  macht 
ImLI  U IX1/*  dn.  5*) 
vnd  LXII 53)  gülden. 

summa  als  meins  einnemens  czu  dem  paw  macht 
ImVIIcXLIX  U VI  dn.  vnd  ICXVI  gülden  lantzwerung. 

Seite  1 1 ] Item  waß  ich  han  awß 
geben,  daz  der  paw  kost,  vntz  pis 
her  seind  der  nechsten  Rechnung, 
daz  stet  hernach  geschriben: 

5J)  Korr,  aus  IM  vnd  XLVII  tb.  XVI I1/*  dn. 

53)  Korr,  aus  XVIII. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  j y 


Item  am  nechsten  samtztag  noch  sand  Michels 
tag  [=  2.  Oktober]  VII  gesellen  in  der  hüten  vnd 
ein  hüten  knecht,  dy  haben  alle  zu  IV  tagen,  XXI  % XIII  dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg  54)  mit  dem 
meyster  55),  haben  V tag,  XIV  ’U  XVII  dn. 

Item  III  gesellen  in  dem  Rad 54),  haben  czu 
IV  tagen,  V U XXIV  dn. 

Item  LX  stein,  von  stein  czu  furen  VIII  dn., 
macht  XVI  U. 

Item  am  samtztag,  an  sand  Dyonisius  tag 
[=  g.  Oktober],  VII  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 

dy  haben  alle  zu  VI  tagen,  macht  XXXI  XXIII  dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg  haben  awch 
czu  VI  tagen,  XVII  U XXIV  dn. 

Item  III  gesellen  in  dem  Rad,  haben  auch 
VI  tag,  macht  VIII  % XVIII  dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV  % . 

Item  ein  wagen  kalk,  der  hilt  VII  suner56),  daz 
suner  czu  XXXVII,  VII 

Item  II  Eyßne  sturtz  57)  maister  Chunrad,  dy 
kosten  X dn. 

summa  dytz  foly  macht 
ICXLVII  U X dn. 

Seite  12]  Item  an  sand  Gallen  tag  [=  16.  Ok- 
tober] VII  gesellen  in  der  hüten  vnd  ein  hüten  knecht, 

dy  haben  alle  zu  VI  tagen,  XXXI  % XXIII  dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg,  haben  auch 
VI  tag,  macht  XVII  XII  dn. 

Item  III  gesellen  ym  rad,  auch  VI  tag,  macht  IX  % VI  dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV 

Item  III  wagen  kalk,  dy  haten  XIII  suner  czu 
XXVI  dn.,  XI  U XXI  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Simon  vnd  Juda 
tag  [=  23.  Oktober]  VII  gesellen  in  der  hüten  vnd 


54)  Über  die  Bedeutung  siehe  oben  in  der  Einleitung! 

55)  Es  ist  fraglich,  ob  damit  Heinzeimann  gemeint  ist.  Vgl.  oben  in  der  Einleitung. 

56)  Ein  Trockenmaß,  Schmeller-Fromann,  Wörterbuch  II,  283. 

57)  Dieses  in  unseren  Rechnungen  öfters  vorkommende  Wort  scheint  in  der  von 
Heyne,  Deutsches  Wörterbuch,  angegebenen  Bedeutung  »kurzes,  abgebrochenes  oder 
abgeschnittenes  Stück«  (zunächst  vom  Tuch,  dann  hier  aber  auch  von  Eisen  oder  Holz) 
gebraucht  zu  sein. 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


2 


i8 


Alb  ert  Gümbel: 


ein  hüten  knecht,  dy  haben  alle  czu  VI  tagen,  yklichem 
gesellen  den  tag  zu  XV  dn.  vnd  dem  hüten  knecht 
czu  XII  dn.,  XXIV  U V dn. 

Item  VI  gesellen  awf  den  perg  mit  dem  Maister, 
dy  haben  alle  czu  VI  tagen,  den  gesellen  zu  XII 
[dn.]  58)  vnd  dem  Maister  zu  XV  dn.,  XV  U XII  dn. 

Item  III  gesellen  yn  dem  Rad  auch  VI  tag, 
macht  VII  U XVIII  dn. 

Item  XC  stein  zu  VIII  dn.,  macht  XXIV  U. 

Item  von  ein  pferd  awf  dem  perg  IV  % . 

Item  dem  Vlman  smid  59)  von  der  winden  czu 
pessern  auf  dem  perg  XII  U III1/*  dn. 

Item  am  samtztag  vor  aller  heyligen  tag 
[=  30.  Oktober]  VII  gesellen  in  der  hüten  vnd  ein 
hüten  knecht,  haben  alle  zu  V tagen,  XX  U VIII  dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg,  haben  auch 

V tag,  XII  U XXVII  dn. 

Item  III  gesellen  ym  Rad  zu  V tagen,  macht  VI  % VI  dn. 

Item  LXXV  stein  zu  VIII  dn.,  macht  XX  *66 . 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht  LX  dn. 

Item  für  VI  Eyßne  Stangen  vnd  für  VII  Eyßen, 
daz  gehört  in  ein  glaß  venster,  liß  ich  machen  czu 
einem  Muster  ein  Hamersmid  pey  Lawf,  heyst  New- 
teter.  dy  Stangen  vnd  dy  eyßen  do  pey  wegen  IVYzc 
[=  350]  vnd  XV  H \ kost  der  Ic  czu  IX  U , vnd 
XXVIII  dn.  zu  Trinkgelld  seinem  sun,  macht  XLII  U XXVIII  dn. 
summa  dytz  foly  macht 
IICLXXXV  U XIXVz  dn. 

Seite  13]  Item  an  sand  Linhartz  tag  [=  6.  No- 
vember] VII  gesellen  in  der  hüten  vnd  ein  hüten 
knecht,  haben  zu  V tagen,  macht  XX  % VIII  dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
czu  V tagen,  XII  U XXVIII  dn. 

Item  III  gesellen  ym  rad,  haben  awch  zu 

V tagen,  VI  U VI  dn. 

Item  LXXV  stein  zu  VIII  dn.,  macht  XX  % . 


58)  Geschrieben  ist  irrtümlich : tagen. 

59)  Er  wird  auch  inSteinlingers  Baumeisterbuch  von  1452  (Ausgabe  von  Mummenhoff 
in  Mitteil,  des  Ver.  f.  Gesch.  der  Stadt  Nürnberg,  Bd.  1)  erwähnt. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  19 


Item  für  VIII1/*  sturtz  dem  Maister  zu  mos 
preter  V XVIII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Mertens  tag 
[=  13.  November]  VII  gesellen  in  der  hüten  vnd  ein 
hüten  knecht,  haben  alle  czu  V tagen,  XX  ti  VIII  dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  awch 
czu  V tagen,  XII  U XXVIII  dn. 

Item  III  gesellen  in  dem  Rad,  haben  awch  czu 
V tagen,  VI  U VI  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XX  % . 

Item  für  III  schawfeln  awf  dem  perg  czu  XII  dn.  XXXVI  U. 

Item  dem  gesellen,  dy  ( ! ) dy  lawber60)  hawt, 
alle  tag  II  dn.,  mer  VII  U . 

Item  für  VI  sturtz,  für  iklichen  XXI  dn.,  macht  IV  VI  dn. 

Item  dem  smid  awf  dem  perg  XLII  dn. 

Item  am  samtztag  vor  presentacionis  Marie 
[=  20.  November]  VII  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  alle  czu  VI  tagen,  XXIV  % V dn. 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
czu  VI  tagen,  XV  XII  dn. 

Item  III  gesellen  ym  rad,  dy  haben  awch 
czu  VI  tagen,  VII  XII  dn. 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht  XVIII  ’U . 

Item  von  eim  pferd,  erden  awss  czu  furen  awf 
dem  perg  IV  U. 

Item  für  klein  sail  in  dy  hüten  VII1/* 

summa  dytz  foly  macht 
II c XIV  U XX  dn. 

Seite  14]  Item  am  samtztag  noch  sand  Kathrein 
tag  [=  27.  November]  VI  gesellen  vnd  ein  hüten 
knecht,  dy  haben  czu  V tagen,  macht  XVII  % XX  dn. 

Item  V61)  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben 
awch  czu  V tagen,  X % XXV  dn. 

60)  Das  Wort  ist  zu  mittelhochdeutsch  loup,  pl.  louber  (Lexer,  Mittelhochdeutsches 
Handwörterbuch,  Bd.  I,  Spalte  1970).  und  zwar  in  der  Bedeutung  »künstliches  Laub« 
zu  ziehen.  Lexer  zitiert  a.  a.  0.  in  der  Beschreibung  künstlerisch  verzierter  Fenster  bei 
Konrad  von  Würzburg  (Trojanischer  Krieg):  von  loubern  und  von  tieren  wären  sie  ge- 
howen.  Der  »lawber  hawer«  erscheint  auch  in  den  späteren  Baurechnungen  häufig  unter 
den  Steinmetzen  und  zwar  mit  einem  gegenüber  den  anderen  Gesellen  stets  erhöhten  und 
dem  des  Parliers  gleichkommenden  Taglohn. 

61)  Körrig,  aus  VI. 


2' 


20 


Albert  Giimbel: 


Item  II  gesellen  in  der  kalkhuten,  haben  awch 

V tag,  IV  U IV  dn. 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht  XVIII  % . 

Item  am  samtztagan  sand  Barbara  tag  [=  4.  De- 
zember] VI  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  haben  alle 
czu  V tagen,  macht  XVII  U XX  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

V tag,  X U XXV  dn. 

Item  II  gesellen  in  der  kalkhuten  awch  V tag  IV  % IV  dn. 

Item  LX  stein  izu  IX  dn.  macht  XVIII  U . 

Item  am  samtztag  noch  Concep[ci]onis  Marie 
[=  II.  Dezember]  VI  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  alle  czu  IV  tag,  macht  XIV  % VIII  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
IV  tag,  VIII  U XXII  dn. 

Item  III  gesellen  ym  rad,  haben  IV  tag,  III  U XXIV  dn. 
Item  XL  stein  czu  furn  czu  IX  dn.  XII  % . 

Item  eim  czimerman  awf  dem  perg  III  tag,  LXII  dn. 

Item  dem  Maister  sein  golt  vasten  XX  gülden. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Thomas  tag 
[=  18.  Dezember]  VII  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  alle  czu  VI  tagen,  XXIV  U V dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  XII  U XXVIII  dn. 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht  XVIII  U . 

Item  ein  czimerman  awch  VI  tag,  LXXIV  dn. 

Item  für  XXVIII  prukholtzer  czu  VI  dn.  vnd 
XVII  laten  VI  U XXI  dn. 

Item  dem  Kuntz  Langen62)  vnd  Ekl  ale  tag 
Iklichen  II  dn.  awf  der  Mawr  XLIV  % XXVI  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
ITA c vnd  I U VIII  dn. 
vnd  XX  gülden. 

Seite  15]  Item  am  heigen  Crist  abend 
[=  24.  Dezember]  VI  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
dy  haben  czu  IV  tagen,  macht  XIV  U VIII  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
IV  tag,  VIII  U XXII  dn. 


6l)  Er  kommt  auch  in  den  späteren  Rechnungen  der  sechziger  Jahre  noch  unter 
den  Steinmetzen  vor. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw. 


Item  LX  stein  czu  IX  dn.  macht 
Item  eim  czimerman  czu  IV  tagen,  macht 
Item  VIM  VI c spitzen  vnd  XV  aksten  czu 
stechein  vnd  etzlich  eyßen  dem  Maister,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg 
Item  dem  alden  Plankenstein  für  XIV c hocken 
czigell63),  daz  IM  für  XIV  % , macht 

Item  am  neuen  Jars  abend  [=31.  Dezember] 
VI  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  haben  alle  czu 
III  tagen,  macht 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
III  tag, 

Item  XLV  stein  zu  IX  dn.,  macht 
Item  ein  czimerman  hat  awch  III  tag,  macht 
Item  dem  Maister  vnd  den  gesellen  des  newen 
Jar 

Item  am  nechsten  samtztag  noch  Obersten 
[=  8.  Januar  (1447)]  V gesellen  vnd  ein  hüten 
knecht,  haben  alle  czu  V tagen,  macht 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

V tag, 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  dem  czimerman  V taglon,  macht 

summa  dytz  foly  macht 
Ic  LXXII  U II  dn. 

Seite  16]  Item  am  nechsten  samtztag  vor  sand 
Antonigen  tag  [=15.  Januar]  V gesellen  vnd  ein 
hüten  knecht,  dy  haben  alle  czu  VI  tagen, 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  hab[en]  awch 

VI  tag, 

Item  LX  stein  zu  IX  dn.,  macht 
Item  XV  prukholzer  czu  VI  dn.  czu  den  klein 
gewelblein 

Item  ein  czimerman,  dy  winden  czu  pessern  awf 
dem  perg 

Item  dem  Vlman  smid  von  etzlichen  Eyßen  zu 
pessern 

Item  dem  smid  awf  dem  perg 


XVIII  U. 

L dn. 

XXX  U X dn. 
LX  dn. 

XVIII  U X dn. 


IX  U XVIII  dn. 

VI  U XIX  dn. 
XIII1/*  U. 
XLVIII  dn. 

XLII  dn. 


XV  U II  dn. 

X U XXV  dn. 
XVIII  U. 

LXII  U. 


XVII  U XXIX  dn, 

XII  U XXVIII  dn. 

XVIII  U. 

III  U. 

LIV  dn. 

VI  U I dn. 

LXXII  dn. 


63)  Über  die  Bedeutung  siehe  oben  Anm.  23. 


22 


Albert  Glimbel: 


Item  an  samtztag  an  sand  Vincenten  tag 
[=  22.  Januar]  V gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  alle  czu  VI  tagen,  XVII  U XXIX  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
zu  VI  tagen,  XII  U XXVIII  dn. 

Item  LXV  stein  zu  IX  dn.,  macht  XIX  H XV  dn. 

Item  für  Eyßne  negell  czu  den  laten,  alz  man 
dy  venster  dekt,  VI  U XVII  dn. 

Item  am  samtztag  vor  vnser  frawen  tag  czu 
lichtmes  [=  29.  Januar]  V gesellen  vnd  ein  hüten 
knecht,  haben  alle  zu  V tagen,  XV  & II  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

V tag,  X U XXV  dn. 

Item  LXXV* 64)  stein  czu  IX  dn.,  macht65)  XXII  U XV  dn. 
summa  dytz  foly  macht 
r LXIX  U XV  dn. 

Seite  17]  Item  am  samtztag  nach  lichtmes 
[=  5.  Februar]  V gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  alle  czu  V tagen,  macht  XV  % II  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  awch 

V tag,  X U XXV  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXII  U XV  dn. 

Item  VII  taglon  den  czimerleuten,  den  Olperg66) 
czu  vnderstulzen,  IIF/2  U . 

Item  am  samtztag  vor  Valentiny  [=  12.  Februar] 

V gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  zu  VI  tagen,  macht  XV  U XV  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  XII  U XXVIII  dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV  ti . 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht  XLVIII  dn. 

Item  am  samtztag  von  sand  Peters  tag  Kathedra 
[=  19.  Februar]  V gesellen  in  der  hüten,  haben  czu 
VI  tagen,  macht  XV  U XV  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  XII  U XXVIII  dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV  % . 


Korrigiert.  Ursprüngliche  Zahl  unleserlich. 

65)  Darnach  gestrichen:  Item  dem  awf  dem  perg  LX  dn. 

66)  Eine  künstlerisch-  wenig  wertvolle  Gruppe  eines  Christus  mit  drei  schlafenden 
Jüngern  in  fast  lebensgroßen  Gestalten  befindet  sich  heute  noch  an  der  Nordseite  der  Kirche. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  23 


Item  IV  gesellen,  dy  stein  hülfen  awß  der  hüten 
furen,  LVI  dn. 

Item  an  sand  Peters  tag  [=  22.  Februar]  für 
ein  sail  in  dy  winden,  daz  wigt  CC  on  [=  ohne,  minus] 

XIII  kost  daz  % zu  V dn.,  macht  XXXI  % V dn. 

Item  ich  gab  dem  Maister  vnd  gesellen  an  sand 
Peters  tag67)  LXXXIV  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Peters  [=  2 6.  Fe- 
bruar] V gesellen  in  der  hüten,  heten  czu  IV  tagen 
vnd  XX  dn.  czu  Ion,  XIII  % XXV  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

IV  tag  czu  XIV  dn.,  IX  % XXIV  dn. 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht  XVIII 

summa  dytz  foly  macht 
II c XXXV  U XXV  dn. 

Seite  18]  Item  am  samtztag  noch  sand  Mathias 
tag68)  oder  Invocavit  [=  5.  März]  V gesellen  in  der 
hüten,  dy  haben  czu  IV  tagen,  XIII  % XXV  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  V tag, 
macht  XII  V dn. 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht  XVIII  % . 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht  XLVIII  dn. 

Item  am  samtztag  Remiscere  (!)  [==  12.  März] 

V gesellen  in  der  hüten,  heten  czu  VI  tagen,  macht  XX  U XV  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

VI  tag,  XIV  U XVI  dn. 

Item  XC  stein  zu  VIII  dn.,  macht  XXIV 

Item  dem  Maister  Chunrad  sein  goltfasten  XX  gülden. 

Item  am  samtztag  Oculy  [ = 19.  März]  V gesellen 
in  der  hüten,  haben  czu  VI  tagen,  macht  XX  % XV  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  Perg,  haben  awch 
VI  tag,  XIV  U XVI  dn. 

Item  IV  gesellen  in  dem  grünt  pey  dem  Olperg 
awch  VI  tag  XII  % VIII  dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV  ti . 

Item  am  samtztag  Letare  [=  26.  März]  V gesellen 


67)  D.  h.  an  Petri  Stuhlfeier  (=  22.  Februar),  mit  welchem  Tage  das  sommerliche 
Baujahr  seinen  Anfang  nahm. 

68)  Samstags  nach  Mathias  wäre  der  26.  Februar,  Samstag  [vor]  Invocavit  ist  der 
5.  März.  Dieser  ist  unzweifelhaft  gemeint. 


24 


Albert  Gümbel: 


in  der  hüten  vnd  ein  hüten  knecht,  haben  alle  czu 

V tagen,  macht  XIX  U XII  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

V tag,  XII  U V dn. 

Item  V gesellen  ym  grünt  awch  V tag,  XII  U V dn. 

Item  LXXV  stein  zu  VIII  dn.,  macht  XX  % . 

Item  VIII c klein  czigellstein  czu  den  klein  ge- 
welblein  czu  XXVIII  dn.  VII  U V dn. 

Item  für  ein  klein  sail  in  den  dein  cloben  LXXXIV  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
II1/*  c u VIII  dn.  vnd  XX  gülden. 

Seite  19]  Item  am  samtztag  Iudyca  [=2.  April] 

V gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  haben  alle  czu 

VI  tagen,  macht  XXIII  U XVII  dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  XIV  U XVI  dn. 

Item  V gesellen  ym  grund,  awch  VI  tag,  macht  XIV  U X dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV  U . 

Item  dy  wochen  erden  awß  czu  furen,  macht  VI 
Item  XX  fuder  sand,  daz  fuder  czu  IV  dn., 
macht  LXXX  dn. 

Item  am  samtztag  palm  abend  [ = 9.  April] 

V gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  haben  alle  zu 

VI  tagen,  macht  XXIII  U XVII dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  XIV  U XVI  dn. 

Item  V gesellen  in  dem  Rad,  haben  awch  VI  tag,  XIV  U X dn. 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XXIV  % 

Item  Erden  awß  czu  furen  dyße  wochen,  VI  'U . 

Item  von  VMIVC  spitzen  dy  akst,  vom  Ic  czu 
X dn.,  vnd  von  XX  maißeln,  vom  Maißel  czu  III  dn.,  XX  U . 

Item  für  XIV suner  kalk,  daz  suner  czu  XXXI  dn.  XIV  U XXVIII  dn. 
Item  am  Oster  abend  [=  16.  April]  V gesellen 
vnd  ein  hüten  knecht,  dy  haben  alle  czu  V tagen,  XVII  V dn. 

Item  V gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

V tag,  XIV  U XV  dn. 

Item  III  gesellen  ym  rad,  haben  awch  V tag,  VII  % VI  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XX  % . 

Item  von  der  Erdy  (!)  awßzufuren  V t6 . 

Item  von  XXX  lang  nagel  czu  dem  gewelblein  XXV  U . 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  25 


Item  dem  smid  awf  dem#  perg  LX  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
IFLXIX  U X dn. 

Seite  20]  Item  am  samtztag  noch  Ostern  [= 

23.  April]  V gesellen  in  der  hüten,  heten  newr  II  tag 

Iklincher,  macht  VII  % V dn. 

Item  II  gesellen  in  der  kalk  hüten,  heten  awch 
II  tag,  LX  dn. 

Item  am  samtztag  nach  dem  heiltum  [=  30.  April] 

V gesellen  in  der  hüten,  hat  Iklicher  V tag,  macht  XVII  V dn. 

Item  II  gesellen  in  der  kalk  hüten,  haben  awch 

V tag,  IV  U XXIV  dn. 

Item  für  IV  pruk  holtzer  czu  VI  dn.,  macht  XXIV  dn. 

Item  von  einem  haspel  vnd  von  eim  Cloben 
dem  Kutner  I II1/ 2 %- 

Item  am  samtztag  noch  sand  Johans  tag  ante 
Portam  [=  7.  Mai]  IV  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  czu  V tagen,  XV  U XXVII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  Pangracyj  [=  14.  Mai] 

IV  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  dy  haben  czu 

VI  tagen,  XIX  U XIV  dn. 

Item  am  samtztag -vor  Vrbany  [=  21.  Mai] 

IV  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  haben  alle  czu 
VI  tagen,  macht  XIX  % XIV  dn. 

Item  IV  tag  erden  awß  czu  furen,  macht  IV  % . 

Item  am  samtztag  noch  Vrbany  [=  28.  Mai] 

II  gesellen  in  der  hüten,  haben  czu  V tagen,  macht  VI  XXVI  dn. 
summa  dytz  foly  macht 
CI  U IV  dn. 

Seite  21]  Item  am  pfingstabend  [?=  4.  Juni] 

II  gesellen  in  der  hüten,  haben  czu  VI  tagen,  VIII  % VI  dn. 

Item  für  VIIIC  klein  czigellstein,  daz  Ic  umb 
XXI  dn.,  V U XVIII  dn. 

Item  am  samtztag  Trinitatis  [=  II.  Juni] 

III  gesellen  in  der  hüten,  heten  alle  czu  III  tagen, 

macht  VI  % IX  dn. 

Item  dem  Maister  Chunrad  sein  goltfasten  XX  gülden. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Veytz  tag  [= 

18.  Juni]  IV  gesellen  in  der  hüten  haben  alle  czu 

IV  tagen,  macht  XI  % II  dn. 


2 6 


Albert  Gürnbel: 


Item  am  samtztag  noch  sand  Johans  tag  czu 
sunbenden  [=  25.  Juni]  IV  gesellen  in  der  hüten, 
haben  czu  V tagen,  XIII  % XXII  dn. 

Item  am  samtztag  vnßer  frawn  tag  visitacionis 
[=  2.  Juli]  IV  gesellen  in  der  hüten,  haben  czu 
IV  tagen,  macht  XI  U II  dn. 

Item  von  IVM  aksten  vnd  von  VII  achksten 
zu  stecheln69)  vnd  von  XVI  maißeln  vnd  ein  tail 
new  Maißel  XVII  U XII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Kilian  tag  [= 

9.  Juli]  IV  gesellen  in  der  hüten  vnd  haben  alle 

czu  VI  tag,  XVI  U XII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Margreten  tag 
[=  16^  Juli]  IV  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  haben 
czu  V tagen,  XVI  U IX  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Jakob  tag  [= 

23.  Juli]  IV  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht,  hab[en] 

awch  czu  V tagen,  XVI  U IX  dn. 

Item  I1/ 2 tag  Ion  dem  Ekel  am  gewelblein  zu 
peßern  XXX  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Jak[o]b  tag  [= 

30.  Juli]  IV  gesellen  in  der  hüten  vnd  II  hüten  knecht, 

haben  alle  czu  V tagen,  XVIII  U XXVI  dn. 

Item  VIII  suner,  I s[uner]  I f [irteil]  kalk  czu 
XXXVII  dn.,  X U XII  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
iyacII  u XIX  dn.  XX  gülden 

Seite  22]  Item  am  samtztag  vor  sand  Lorentzen 
tag  [—  6.  August]  IV  gesellen  in  der  hüten  vnd 

II  hüten  knecht,  haben  alle  czu  V tagen,  XVIII  % XXVI  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Lorentzen  tag 
[=  13.  August]  V gesellen  in  der  hüten  vnd  II  hüten 
knecht,  haben  alle  czu  V tagen,  XXII  U IX  dn. 

Item  am  samtztag  noch  vnßer  frawen  tag 
asumtzionis  [=  20.  August]  IV  gesellen  vnd  II  hüten 
knecht,  haben  czu  IV  tagen,  XV  U VI  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Bartholmes  tag 
[=  27.  August]  V gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 
haben  alle  czu  V tagen,  macht  XIX  W XXII  dn. 


*9)  = stählen. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  27 


Item  II  gesellen  ym  Rad,  awch  czu  V tagen,  V % IV  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Egidien  tag  [— 

3.  September]  VII  gesellen  vnd  ein  hüten  knecht, 

dy  haben  alle  czu  V tagen,  XXVI  % XVIII  dn. 

Item  II  gesellen  in  dem  Rad,  haben  awch  V tag,  XXVI  % IV  dn. 

Item  am  samtztag  noch  vnßer  frawen  tag 
nativitatis  [=  io.  September]  VI  gesellen  in  der 
hüten  vnd  ein  hüten  knecht  vnd  ein  knecht  in  der 
kalk  hüten,  haben  alle  czu  IV  tagen,  XX  U XXII  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Matheus  tag  [= 

17.  September]  VI  gesellen  in  der  hüten  vnd  awch 

II  gesellen  in  der  hüten,  haben  alle  czu  VI  tag,  XXX  XXII  dn. 

Item  mer  II  gesellen  hullfen  stein  awß  der 
hüten  furen  ein  tag,  XXX  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Michels  tag  [= 

24.  September]  VI  gesellen  in  der  hüten  vnd  II  ge- 
sellen in  paiden  hüten,  haben  alle  czu  VI  tagen,  XXV  U XXII  dn. 

Item  dem  Maister  Chunrad  sein  goltfasten  XX  gülden, 

summa  dytz  foly  macht 
CXCI  U V dn. 
vnd  XX  gülden. 

Seite  23]  summa  alz  meins  awßgeben,  datz  der 
paw  kost  seind  der  nechsten  Rechnu[n]g  facit  II1^ 
IVCXL  U xxvy270)  dn.  vnd  LXXX  gülden  lantzwerung. 

summa  summarum  alles  meim  einnemens  von  sand  Lorentzen,  sand  Linhard  vnd 
vom  paw  macht  IICXLVI  gülden  landswerung  IIIMIVCXXXIII  (0>.  alt  VIII  dn. 

Summa  summarum  derselben  dreier  awßgeben  machtCXXXII1/!  gülden  vndIIIMVIIIc 
vnd  LXXXV II4I>.  alt  XII1/*  dn.  so  ist  man  mir  an  der  nechsten  Rechnung  schuldig  beliben 
CLXXXVIII  gülden  landswerung  vnd  MCCCCLXXVII  <ü).  alt  VI1/*  dn.  daz  alles  macht 
VmIIIcLXIV  & alt  XIX  dn.  vnd  IIFXX1/*  gülden. 

Item  dor  an  get  ab,  daz  ich  han  ein  gen[u]men  von  sand  Lorentzen  vnd  von  sand 
Linhart  vnd  von  dem  paw,  daz  macht  in  einer  sum  IICXLVI  gülden  landswerung  vnd 
IIIMIVCXXXIII  <ö>.  alt  VIII  dn.  alzo  beleybt  man  mir  noch  LXXIV*/*  gülden  und 
IMIXCXXXI  tt.  XI  dn. 

b. 

Kirchenrechnung  vom  25.  Juli  1447 — II.  September  1448. 

Ebenda  Heft  II. 

Seite  1]  Item  waß  ich  han  ein  gen[o]men  seind  der  nechsten  Rech- 
nung, dy  do  geschah  czu  sand  Jacobs  tag  [=  25.  Juli]  yn  dem  XLVII°  Jar, 
daz  sand  Lorentzen  czu  stet,  daz  stet  hernoch  geschriben  . . . 

7°)  Die  Zahl  V1/*  ist  durch  einen  Tintenfleck  verdeckt;  eine  Zusammenzählung 
der  Ausgabeposten  ergibt  diese  Ergänzung. 


28 


Albert  Giimbel: 


[Es  folgen  auf  Seite  i und  2 die  einzelnen  Posten  der  Einnahmen  an  Geld 
und  Getreide  mit  einer  Gesamtsumme  von  1020  8.  7 V*  dn.  und  91  Gulden  Landswährung.] 
Seite  3]  Item  waß  ich  han  awß  geben,  daz  sand  Lorentzen  czu  steet, 
seind  der  nechsten  Rechnung,  daz  stet  hernoch  geschriben  . . . 

[Es  folgen  auf  Seite  3 — 5 die  einzelnen  Ausgaben?1)  mit  einer  Gesamtsumme 
von  585  <8).  22  dn.  und  99  (korrig.  aus  72)  Gulden  Lands  Währung.] 

[Es  folgen  auf  Seite  6 die  Einnahmen  und  Ausgaben  von  St.  Leonhard.  Die  Ein- 
nahmen betragen  661  8.  8 dn.,  die  Ausgaben  202  8).  18  dn.  bzw.  12  Gulden  und  2 fl.,  der 
Kirchenmeister  verbleibt  mit  459  fl.  weniger  10  dn.  und  10  fl.  im  Rest.] 

[Seite  7 leer.] 

Seite  8]  Item  waß  ich  han  einge- 
numen, daz  zu  dem  paw  gehört,  daz 
steet  hernach  geschriben: 

Item  am  suntag  vor  sand  Awgustin  tag  [= 

27.  August]  gab  mir  Heintz  von  Aistet  vnd  Lorentz 
Wagner  für  Kuntz  Peken  seligen,  daz  er  an  den 
paw  schik  III  gülden. 

Item  an  vnßer  frawen  abend  nativitatatis!  [= 

7.  September]  gab  mir  der  Notzheimer  geloken- 

gießer,  I gülden. 

Item  am  suntag  noch  vnßer  frawen  tag  nativi- 
tatis  [=  10.  September]  schiket  dy  Frewdenreichin 
ein  alden  mandel;  waß  grin  vnd  vmbkert,  der  ward 
geben  vmb  II  gülden. 

71)  Von  solchen  Ausgabeposten  seien  des  baugeschichtlichen  Interesses 
wegen  verzeichnet: 

Seite  3]  Item  von  IV  czinen  lewchtern  czu  machen  vom 

8.  czu  V dn,  dy  wegen  (wiegen)  1°  LXXXVII  8.  lawter,  daz 
zin  waß  sand  Lorentzen  vnd  waß  von  der  Orgeln  vberbeliben, 

macht  XXX  8.  XXII1/,  dn. 

Item  ich  han  dy  grosten  geloken  vnd  dy  tagmeß-  vnd 
vnßer  frawn  meß  geloken  alle  drey  loßen  ab  nemen  vnd  auch 
dy  wellen  do  von  vnd  dy  zapfen,  dy  schilt  vnd  kegell  alle  von 
newen  anders  smiden  vnd  schleyfen  vnd  czu  stechein  vnd  für 

etzlich  schin  eyßen  vnd  dem  Maister  sein  Ion,  macht  alles  XXVII  gülden  XXIIdn. 

Item  dem  Maister  Hansen,  smid  pey  dem  newen  spital, 
von  ein  klensel  in  dy  großen  geloken  czu  pessern  vnd  awch  dy 
tagmeß  geloken  XXIV  8. 

Seite  5]  Item  von  Etzlichen  Patzern  zu  vernewen 
Maistern  Endres  M 0 1 e r 7»)  III1/*  8. 

Item  für  ein  sail  für  daz  krewtz  vor  dem  kor  czu  der 
lampen,  daz  hat  LII  klofftern,  kost  dy  kloftern  czu  II  dn.,  macht  LIV  dn. 

7*)  Entweder  Andreas  Eysenploser  oder  Andreas  Preuß.  Vgl.  Repert.  f.  Kunstw., 
Bd.  29,  S.  346  und  Bd.  30,  S.  27  und  Nachtrag.  Pacem  ist  ein  Kußtäfelchen  in 
Form  eines  Kreuzes. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  29 


Item  Hans  Ortollf  der  jung  gab  mir  des  Kilian, 
seins  knecht,  vnd  des  Smidmair  Tochther  ir  paides 
Gotzpfenng  II  gülden. 

Item  Flok,  lederer,  gab  mir  am  nechsten  tag 
dornoch  II  gülden. 

Item  Michel  Grunther73)  gab  mir  awf  dem  Rat- 
haws  am  freytag  noch  Eraßmy  [=  7.  Juni  (1448)] 
datz  der  Heintz  Rumei  selig  an  den  paw  schickt,  X gülden. 

Item  mer  gab  mir  Michel  Grunther  am  selben 
tag,  daz  ym  der  Geir  gab,  I gülden. 

Item  Jakob  Sagsch,  Goltsmid,  gab  mir  am 
suntag  Eraßmy  [=  2.  Juni]  V gülden. 

Item  Dorot[e]a  Murrlin  vnd  dy  Helbling,  der 
Kathrein  Morlin  seligen  furmund,  gob  mir  am  Mentag 
noch  Eraßmy  [=  3.  Juni]  III  gülden. 

summa  dytz  foly  macht 
XXIX  gülden. 

Seite  9]  Item  Deocarus  Hirßfogel74),  Chunrad 
Raier,  seydeneter,  vnd  Fritz  Part,  formund  des 
Fritzen  Alban,  der  Hirßfogels  knecht  waß,  gaben 
mir  an  sand  Veytz  abend  [=  14.  Juni]  V gülden. 

Item  am  freytag  von  sunbenden  [=  21.  Juni] 
gab  mir  Maister  Heinrich  Gerung  vnd  her  Heinrich 
Streh,  vicarier  awf  sand  Kiliansalter,  gaben  mir  für 
hern  Awgustin,  ein  ffemden  prister,  II  gülden. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Maria  Magdalen 
tag[=  20.  Juli]  gab  mir  Kuntz  Onelspach  pey  Spitaler 
tor  für  dy  Rumelhensin  XXV  gülden. 

Item  vmb  pos  stein,  dy  do  czu  dem  paw  nicht 
dochten,  Ic  vnd  II  % X dn. 

Item  von  der  Großen  geloken  ist  gevallen  LV75)  gülden  II 

Item  awf  der  taffein  all  feirtag  vnd  pey  dem 
heiltum  VPLXXVI  U XIP/z 

dn. 

Item  awß  den  stocken  allen  in  der  kirchen  vnd 
awf  dem  kirchoff,  Ic  % XV1/^  dn: 


73)  Der  Kirchenpfleger  von  St.  Lorenz. 

74)  Aus  dem  ratsfähigen  Geschlechte  der  Hirßvogel.  Mit  der  Familie  der  Glasmaler 
dieses  Namens  hat  der  Genannte  nichts  zu  tun. 

75)  Korrigiert  aus  LXVII. 


30 


Albert  Gümbel:  Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  usw. 


Item  an  sand  Lorentzen  tag  [=  io.  August] 
gevil  pey  dem  heiltum  vnd  awff  der  taffein  IFXLIII  XII  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
XF  vnd  XXIV  U XX  dn>) 
vnd  LXXXVII77)  gülden. 

summa  totum  meins  ein  nemen  ist,  datz  dem  paw  czu  gehört,  macht 
XIC  vnd  XXIV  U XX  dn.7«) 
vnd  FXVI79)  gülden  lantzwerung. 


76)  Korrigiert  aus  VIIFLXXXI  <ö>.  VIII  dn. 

77)  Korrigiert  aus  LXXXXIX  guld[en]. 

7«)  Korrigiert  aus  VIIFLXXXI  & vnd  VIII  dn. 
79)  XVI  korr.  aus  XXVIII. 


(Fortsetzung  im  nächsten  Heft.) 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 

Von  Gustav  Pauli. 

Noch  vor  einem  Menschenalter  durfte  Jakob  Binck  eine  ziemlich 
bedeutende  Rolle  in  der  deutschen  Kunstgeschichte  beanspruchen,  da 
er  als  vielseitiger  Künstler,  als  Maler,  Bildhauer,  Innenarchitekt  und 
Kupferstecher  eine  weithin  wirkende  Tätigkeit  im  Norden  Europas  ent- 
faltet zu  haben  schien.  Seitdem  hat  indessen  die  fortschreitende  kri- 
tische Untersuchung  sein  Ansehen  um  ein  wesentliches  gemindert.  Sein 
größter  Ruhmestitel  wurde  ihm  genommen,  als  sich  die  Grabdenkmäler, 
die  er  für  die  dänische  Königsfamilie  und  für  den  Herzog  Albrecht  von 
Preußen  geschaffen  haben  sollte,  als  Werke  des  Cornelis  Floris  erwiesen, 
bei  denen  Binck  nur  als  Besteller  beteiligt  gewesen  war.  So  blieben  denn  als 
plastische  Arbeiten  von  ihm  nur  einige  Schaumünzen  übrig  und  etwa 
die  Modelle  für  die  Täfelung  zweier  Zimmer  im  herzoglichen  Schlosse 
zu  Königsberg,  von  denen  indessen  nur  das  eine,  das  sogenante  Geburts- 
zimmer — und  auch  dieses  zum  Teil  erneuert  — auf  unsere 
Zeit  gekommen  ist.  Binck  zeigt  sich  hier  als  ein  geschmackvoller  Ver- 
treter der  in  Nürnberg  entwickelten  Frührenaissance,  die  aus  den  Motiven 
des  Bildnismedaillons,  des  Blattgerankes,  aus  Pilastern  und  Säulen  gar 
zierliche  Flächendekorationen  zu  bilden  wußte. 

Auch  von  seiner  Tätigkeit  als  Maler  ist  nicht  viel  mehr  übrig 
geblieben,  so  daß  ich  hoffe,  sie  ungestraft  mit  Schweigen  übergehen 
zu  dürfen,  da  mir  die  sieben  Bildnisse,  die  Francis  Beckett 
als  echt  in  den  Schlössern  Frederiksborg  und  Gaunö  sowie  bei 
Herrn  Dons  anführt,  nicht  bekannt  geworden  sind.  Dagegen  ließe 
sich  über  das  graphische  Werk  des  Meisters  noch  manches  Neue 
berichten.  Leider  ist  der  letzte  Bearbeiter  desselben,  Eduard  Aumüller, 
in  seinem  1893  erschienenen  Verzeichnis  so  unkritisch  verfahren,  daß 
er  zum  mindesten  ebensoviel  geschadet  wie  genützt  hat  — genützt  durch 
einige  neue  richtige  Zuschreibungen,  geschadet  dadurch,  daß  er  anderen 
die  Aufstellung  eines  gründlicheren  Kataloges  erschwert  hat.  Freilich 
ist  zuzugeben,  daß  der  Gegenstand  an  sich  nicht  besonders  anziehend 
sei  und  daß  er  eben  durch  die  Unselbständigkeit  des  Meisters  verhältnis- 
mäßig große  Schwierigkeiten  bereite.  Die  schmiegsame  Natur  Bincks 
wußte  sich  den  verschiedensten  Vorbildern  so  sehr  anzupassen,  daß  man 


3 2 


Gustav  Pauli: 


ihn  oftmals  schwerlich  wiedererkennen  würde,  wofern  er  sich  nicht  mit 
dem  Monogramm  ausdrücklich  bezeichnet  hätte. 

Das  Kupferstiohwerk,  das  Bartsch  auf  siebenundneunzig  Nummern 
bemessen  hatte,  ist  bei  Passavant  auf  hundertundvierzig  angewachsen 
und  durch  Aumüller  auf  hundertfünfundachtzig  vermehrt.  Wenn  wir  von 
diesen  acht  als  unecht  oder  doppelt  beschrieben  wieder  abstreichen1), 
so  behalten  wir  hundertsiebenundsiebzig  Blätter  übrig.  Dazu  sind  unter 
den  Nachträgen,  die  Max  Lehrs  für  die  neue  Ausgabe  von  Merlos 
»Kölnischen  Künstlern«  beigesteuert  hat,  zehn  echte  neue  Blätter  ge- 
kommen. (Die  übrigen  sind  auch  bei  Aumüfler  verzeichnet.)  Da  nun 
Lehrs  und  Aumüller  unabhängig  voneinander  vorgegangen  sind  und  da 
andererseits  Aumüller  das  bisher  umfangreichste  Verzeichnis  von  Bincks 
graphischen  Arbeiten  aufge^tellt  hat,  so  habe  ich  in  den  am  Schlüsse 
dieses  Aufsatzes  folgenden  Nachträgen  die  bei  Merlo  allein  verzeichneten 
Blätter  noch  einmal  aufnehmen  zu  müssen  geglaubt.  Durch  die  übrigen  Zu- 
weisungen wächst  dieser  Appendix  auf  im  ganzen  dreiundsiebzig  Nummern 
an,  so  daß  man  hiernach  über  zweihundertundvierzig  Kupferstiche  und 
Radierungen  dem  Binck  zuzuschreiben  berechtigt  wäre.  Besonderen  Dank 
schulde  ich  dabei  Herrn  Campbell  Dodgson  in  London,  der  auf  meine 
Bitte  die  Bestände  des  Kupferstichkabinetts  im  Britischen  Museum  einer 
erneuten  Durchsicht  auf  Binck  hin  unterzog  und  wertvolle  Beiträge  für 
den  Appendix  beisteuerte.  Ganz  gewiß  wird  es  der  Spezialforschung 
gelingen,  den  Umfang  dieses  Werkes  noch  weiter  zu  vergrößern.  Da  es 
mir  indessen  in  absehbarer  Zeit  nicht  möglich  sein  wird,  die  hierfür  er- 
forderlichen Studien  zum  Abschluß  zu  bringen,  so  bitte  ich  einstweilen 
mit  diesem  Fragment  als  Beitrag  für  den  künftigen  Binckkatalog  vorlieb 
zu  nehmen. 

Nicht  viele  Aufschlüsse  sind  es,  die  uns  das  chalkographische  Werk 
Bincks  über  seinen  Lebens-  und  Bildungsgang  mitteilt,  jedenfalls  nur 
wenige,  die  nicht  bereits  bekannt  wären.  Wir  sehen  es  deutlich,  daß  er 
in  seiner  Frühzeit  maßgebenden  Einfluß  im  Kreise  der  Nürnberger  Klein- 
meister, namentlich  von  den  Brüdern  Beham  empfangen  hat.  Nicht 
weniger  als  einunddreißigmal  hat  er  sie  in  seinen  Stichen  der  zwan- 
ziger Jahre  kopiert.  Sodann  hat  Dürer  einen  nachhaltigen  Eindruck  auf 
ihn  gemacht.  Er  hat  ihn  sich  elfmal  zum  Muster  genommen,  daneben 
vereinzelt  auch  Schongauer,  Baidung,  den  Meister  P.  W.  und  Altdorfer. 
Zu  Ende  der  zwanziger  Jahre  ist  Binck  jedenfalls  in  den  Niederlanden 
gewesen,  da  er  152g  den  Brüsseler  Maler  Lucas  Gassei  nach  dem  Leben 

0 Die  bei  Aumüller  zu  streichenden  Nummern  sind:  36  (Al.  Claesz),  43  (nicht 
Binck),  59  (Barthel  Beham),  96  (Kopie  nach  Binck),  97  (identisch  mit  135),  129  (Barthel 
Beham  \ 156  (identisch  mit  170),  184  (nicht  Binck). 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


33 


porträtierte  und  wahrscheinlich  auch  um  dieselbe  Zeit  den  damals  in  den 
Niederlanden  im  Exil  lebenden  König  Christian  II.  von  Dänemark.  Da- 
mals mag  es  auch  gewesen  sein,  daß  Lucas  van  Leyden  einen  starken 
Eindruck  auf  sein  empfängliches  Gemüt  machte,  und  daß  er  durch  Kup- 
ferstiche mit  den  italienischen  Meistern  bekannt  wurde,  von  denen  er 
einige  im  Geschmacke  der  niederländischen  Manieristen  kopierte.  Auch 
kann  er  das  Radieren  auf  Kupfer,  das  in  Deutschland  damals  noch  nicht 
üblich  war,  nur  in  den  Niederlanden  gelernt  haben,  wo  es  bereits  1520 
Lucas  van  Leyden  angewendet  hatte.  — Es  heißt,  daß  er  dann  1531  in  den 
Dienst  des  dänischen  Königshauses  getreten  sei.  Hermann  Ehrenberg 
hat  darauf  hingewiesen,  daß  dieses  Datum  nicht  sicher  beglaubigt  wäre; 
er  plädiert  dafür,  daß  Binck  erst  1541  in  Kopenhagen  erschienen  sei; 
doch  spricht  dagegen  ein  bisher  unbeschriebener  Bildnisstich  des  Königs 
Christian  III.,  der  das  Datum  1535  trägt.  (Nachtr.  47.)  Da  nun  der  Stich 
des  Augsburgers  Joachim  Hoexter  das  Datum  1532  trägt,  so  liegt  die 
Vermutung  nahe,  daß  Binck  zwischen  jenen  beiden  Jahren  nach  Kopen- 
hagen übergesiedelt  sei.  Fortan  hat  er  durch  die  verschiedensten  Ar- 
beiten in  Anspruch  genommen,  allem  Anschein  nach  wenig  mehr 
gestochen.  Immerhin  aber  hat  er  seine  Tätigkeit  auf  der  Kupferplatte 
nicht  gänzlich  eingestellt.  Eine  bisher  unbeschriebene  Landschaftsradie- 
rung, die  alle  Merkmale  seiner  Hand  trägt,  ist  mit  der  Jahreszahl  1536 
datiert.  (Nachtr.  71.)  Sie  erlaubt  den  Rückschluß  auf  die  Entstehungs- 
zeit der  wenigen  übrigen  Eisenradierungen  Bincks,  die  durchaus  gleichen 
Charakters  sind.  Dabei  bemerken  wir,  daß  das  Monogramm  des  Künstlers, 
das  scheinbar  aus  H B und  C zusammengesetzt  war,  insofern  eine  Än- 
derung erfahren  hat,  als  der  Querstrich  des  H weggelassen  ist,  so  daß 
es  sich  jetzt  in  J.  B.  C mühelos  auflösen  läßt  (Jacob  Binck  Coloniensis), 
welche  Deutung  übrigens  schon  Nagler  gegeben  hat.  Alle  mit  diesem 
Monogramm  versehenen  Stiche  möchten  wir  der  späteren  Zeit  Bincks 
zuweisen.  Unter  ihnen  ist  namentlich  eine  Gruppe  von  wahrscheinlich 
sechzehn  Landsknechtfiguren  beachtenswert,  von  der  Bartsch  nur  drei 
Blatt  (Nr.  68,  69,  71)  beschrieben  hat.  Schließlich  sind  als  bemerkens- 
werte Hauptwerke  der  späteren  Zeit  Bincks  die  beiden  großen  Holz- 
schnitte anzuführen,  die  er  auf  ausdrückliches  Geheiß  des  Königs 
Christian  III.  für  dessen  Kopenhagener  Bibelausgabe  des  Jahres  1550 
in  den  Niederlanden  anfertigte. 

Das  Übrige,  das  zu  Bincks  Kupferstichwerk  zu  sagen  wäre,  lasse  ich  in  der 
Form  von  Randglossen  zu  Aumüllers  Verzeichnis  dem  Appendix  voraufgehen. 
A.  5.  (Wessely  Suppl.  6.)  Kain  und  Abel.  Es  gibt  zwei  Zustände. 

I.  Ohne  Monogramm,  mit  dem  Datum  1526  in  einem  Täfelchen 
links  unten.  Bremen.  Wien,  Alb. 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


3 


34 


Gustav  Pauli: 


II.  Mit  dem  Monogramm  unter  der  Jahreszahl.  Dresden  K.  K., 
Wien,  Albert. 

A.  6 (P.  98).  Die  zwei  Söhne  Noahs.  Der  Stich  ist  monogrammiert. 
Das  Monogramm  steht  ganz  klein  im  Spiegelsinne  unten  rechts 
zwischen  den  Gräsern. 

A.  7 (B.  4).  Loth  und  seine  Töchter  70:54  PI.  51  Dm.  der  Einf. 

A.  8 (B.  5).  David  und  Goliath.  Die  gegenseitige  Kopie  trägt  oben 
links  ein  Täfelchen  mit  dem  Monogramm  Bincks  und  der  Jahres- 
zahl 1526. 

Die  Plattengröße  ist  gleich  der  des  Originals.  Berlin,  Bremen, 
Wien,  Albert.  Singer  Katal.  v.  Lanna  Nr.  1535. 

A.  17  (B.  14.  Merlo  Nachtr.  18).  Der  Heiland.  Die  Maße  betragen 
186:  127  Einf.  Basel,  Köln,  Wallr.  Richartz-Mus. 

A.  30  (B.  19).  Hl.  Jungfrau  auf  der  Rasen  bank. 

II.  Vollkommen,  bis  zur  Unkenntlichkeit  von  fremder  Hand  auf- 
gestochen. Ganz  oben  links  und  rechts  über  der  Krone  in  den  Strahlen 
die  Buchstaben:  t i.  Berlin. 

A.  31  (B.  20).  Hl.  Jungfrau  thronend.  Originalseitige  Kopie. 
In  der  Mitte  unten:  Jan  Tiel  excv.  — Unter  der  Einfassungslinie: 
Virgo  concepisti  et  peperisti  filium  cuius  nomen  emanuel.  — Drei 
Einfassungslinien.  138  : 102  PI.  132  : 99.  Innere  Einf.  Bremen. 
Nagler  Mon.  III.  Nr.  775.  6. 

A.  36.  Hl.  Jungfrau  in  einer  Landschaft.  Wie  schon  Lehrs 
bemerkt,  von  Al.  Claesz. 

A.  40  (P.  109a).  Hl.  Jungfrau,  von  einem  Engel  gekrönt.  Mono- 
gramm und  Jahreszahl  rechts  (nicht  links). 

I.  vor  der  Jahreszahl  1526.  Wien,  Albertina. 

II.  Mit  derselben.  Bremen,  Frankfurt  a.  M.,  Zürich. 

A.  43.  Hl.  Jungfrau  mit  dem  Kinde  (nach  Dürer  B.  42).  Das  Blatt 
ist  nicht  von  Binck.  Ein  Abdruck  des  ersten  Zustandes  erschien 
in  der  Auktion  Gutekunst  Nr.  LIV.  Stuttgart  1900  Nr.  44. 

A.  46  (B.  21).  Hl.  Antonius.  Gegenseitige  unbeschriebene  Kopie  von 
Alaert  Claesz,  dessen  Monogramm  oben  rechts  steht.  76  : 52  Bl. 
B rem  en. 

A.  47.  Hl.  Christoph.  Monogramm  und  Datum  1526  (nicht  1536) 
in  einer  Tafel  oben  rechts. 

A.  51.  (P.  in.  Andresen  in  Naumanns  Archiv  XIV.  50.  Nr.  172.)  — 
Johannes  Ev.  und  Magdalena.  Johannes,  der  den  Kelch  segnet, 
steht  rechts;  Magdalena  mit  dem  Salbengefäß  links.  Die  Ranken, 
zwischen  welchen  oben  in  der  Mitte  das  Schild  schwebt  mit  dem 
Monogramm  und  einem  aus  einer  Lilie  bestehenden  Wappenbilde, 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


35 


ruhen  links  und  rechts  auf  Konsolen,  welche  mit  Kindergestalten 
verziert  sind.  108  : 75  PI.  London. 

A.  56  (P.  1x2).  Die  hl.  Peter,  Paul  und  Veronika.  Die  Einf.  mißt 
148  : 101.  Slg.  Lanna.  Singer  Kat.  Nr.  1590. 

A.  58  (B.  25).  Hl.  Magdalena.  Ein  Abdruck  des  ersten  Zustandes  vor 
der  Jahreszahl  in  Paris,  E.  v.  Rothschild. 

A.  59  (P.  114).  Das  Blatt  stammt  von  Barthel  Beham  (v.  Seidlitz 
in  Meyers  Künstlerlex.  12)  und  stellt  nicht  Magdalena  sondern 
Barbara  vor.  — Abdrücke  in  Bremen,  London,  Wien 
Hofbibi. 

A.  81  (B.  48).  Venus.  Wie -schon  von  Passavant  bemerkt,  der  obere  Teil 

- O 

einer  Dolchscheide.  166:  — PI.  Vollständige  Abdrücke  derselben 

2 1 

in  Bremen,  Frankfurt  a.  M.,  Dresden  F.  A.  II.  Rom,  Corsini, 
Wolfegg,  Fürst  v.  Waldburg. 

A.  83  (P.  IV  p.  283,  200).  Mucius  Scaevola.  Er  steht  von  vorn  ge- 
sehen barhaupt  in  einer  Säulenhalle  und  legt  die  Linke  in  ein  Feuer- 
becken. Den  linken  Fuß  stützt  er  auf  eine  Stufe.  Unbezeichnet. 
42  Dm.  der  PI.  Bremen,  Hamburg,  Slg.  Lanna.  (Nicht  bei 
Singer).  Das  Vorbild  des  Stiches  ist  eine  ovale  Plakette,  von  der 
sich  ein  Bronzeabguß  im  Kaiser-Friedrich -Museum  zu  Berlin  be- 
findet. 

A.  84  Nicht  Ar te misia,  sondern  Magdalena.  Die  Figur  ist  original- 
seitig frei  nach  Alaert  Claesz.  Aumüller  85  kopiert.  Rund  41 
Dm.  der  PI.  40  Dm.  der  Einf.  Berlin,  Bremen,  Dresden  F. 
A.  II.  Slg.  Lanna.  (Singer  Nr.  6769.) 

A.  93  (B.  56).  Der  Altar.  Maße  falsch  angegeben.  70:  54  PI.  52  Dm. 

der  Einf.  Bremen,  Zürich.  Slg.  v.  Lanna  (Singer  Nr.  1557). 

A.  93.  Gegenseitige  Kopie  ohne  Monogramm  51  Dm.  d.  PI.  Bremen. 

Sammlung  Lanna  (Singer  Nr.  1558). 

A.  95  (B.  58).  Der  Waldteufel  und  die  Hexe. 

I.  Mit  der  Jahreszahl.  Bremen,  Zürich. 

II.  Mit  ausgeschliffener  Jahreszahl,  deren  Spuren  noch  sichtbar 
sind.  Bremen. 

A.  95.  Gegenseitige  Kopie.  Oben  links  eine  weiße  Tafel  70  : 53.  PI. 
Berlin. 

A 96.  Nacktes  Weib  mit  fünf  Tieren  ist  eine  Kopie  nach  A.  61 
(B.  127). 

A.  102,  Zwei  Genien  mit  einem  Hunde.  Ist  eine  gegenseitige 
Kopie  nach  dem  anonymen  Stich  B.  X.  p.  14 1.  4,  den  Rosenberg 
unter  Nr.  58  dem  Barthel  Beham  zuschreibt. 


3' 


36 


Gustav  Pauli: 


A.  108  (B.  70).  Der  Eierverkäufer.  Ist  eine  Kopie  nach  Sebald 
Beham,  Pauli  192.  Aumüller  kehrt  das  Verhältnis  um. 

A.  in.  Das  Blatt,  das  mit  der  zweiten  Monogrammform  bezeichnet  ist, 
gehört  zu  den  späten  Arbeiten  Bincks.  Passavants  Zweifel  an  seiner 
Echtheit  sind  unbegründet. 

Originalseitige  Kopie.  Ohne  Monogramm.  85:87  Bl.  — London. 

Gegenseitige  Kopie.  Ohne  Monogramm.  84:93  Bl.  — London. 

A.  114  (B.  64).  Es  gibt  eine  gegenseitige  Kopie  ohne  Monogramm. 
55:  39  PI.  London,  Wolfegg.  — B.  X.  p.  149.  14. 

A.  117  (B.  67).  Außer  den  angeführten  beiden  gibt  es  eine  dritte  gegen- 
seitige rohe  Kopie.  Oben  links  eine  Tafel  mit  dem  Datum  1531 
im  Spiegelsinne.  68  : 50  PI.  Berlin. 

A.  118  (B.  68).  Der  Hellebardier.  Dieses  Blatt  bildet  mit  den  Num- 
mern 11 9.  120.  125.  126.  127.  128  sowie  mit  den  im  Nachtrag 
folgenden  Nummern  34—42  eine  Folge  von  sechzehn  Blatt,  die  nach 
der  Tracht  der  Dargestellten  um  1555  entstanden  sein  dürfte.  An- 
scheinend ist  die  Folge  hiermit  abgeschlossen,  da  von  Franz  Brun 
eine  Reihe  von  sechzehn  gegenseitigen  Kopien  hiernach  existiert, 
die  sämtlich  monogrammiert  und  1559  datiert  sind.  Die  Kopien 
sind  in  jeder  Richtung  etwa  einen  Millimeter  größer  als  die  durch- 
schnittlich 72  : 48  messenden  Originale.  Abdrücke  der  Kopien  in 
Donaueschingen  und  Wolfegg. 

A.  129  (B.  X.  p.  147.  11).  Der  nach  vorn  geneigte  Landsknecht 
am  Baumstamm.  Dieses  Blatt  dürfte  vielmehr  von  Barth  el  Beham 
herrühren  (Maße  47:25  Einf.). 

A.  131.  (Wessely,  Suppl.  11.)  Vom  Rücken  gesehener  Soldat. 
Ist  eine  gegenseitige  Kopie  nach  Barthel  Beham  (B.  X.  p.  147. 
10)  Slg.  Lanna  (Singer  Nr.  1601). 

A.  132  (B.  X.  p.  148.  13).  Reitender  Fähnrich  und  Landsknecht. 
Es  gibt  eine  gegenseitige  Kopie  vom  Monogrammisten  W.  60  : 41  PI. 
(B.  IX.  p.  53.  1)  Wien,  Albert. 

A.  133.  Fähnrich,  Trommler  und  Pfeifer  (66  : 41  PI.).  Ist  nicht 
sowohl  nach  Sebald  Beham  als  nach  Barthel  Beham  B.  50  kopiert. 

I.  Vor  der  Jahreszahl.  Berlin.  Wolfegg. 

II.  Mit  der  Jahreszahl  1526  (nicht  1521)  rechts  oben.  Das 
Monogramm  links  oben. 

A.  135.  Soldat  und  Dirne  ist  identisch  mit  A.  97 

A.  136.  Bildnis  des  Königs  Franzi.  Das.  originalseitig  mit  dem 
Stiche  übereinstimmende  Vorbild  ist  ein  großer  Holzschnitt,  der 
oben  rechts  das  französische  Lilienwappen  trägt.  335  : 265  Einf. 
Berlin.  Reproduktion  Hirth  Kulturgesch.  Bilderbuch  II.  Nr.  698. 


Jacob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


37 


Die  Kopien  nach  diesem  und  dem  folgenden  Blatte  (A.  137)  sind 
originalseitig  und  messen  34  : 25  PI. 

A.  138  (B.  91).  König  Christian  II.  von  Dänemark.  Es  braucht 
nicht  angenommen  zu  werden,  daß  dieser  Stich  im  Jahre  1525  aus- 
geführt sei,  wenngleich  die  Möglichkeit  offen  bleiben  mag.  Er  ist 
nämlich  eine  gegenseitige  Kopie  nach  einem  augenscheinlich  sehr 
seltenen  vortrefflichen  anonymen  Holzschnitt.  Der  Holzschnitt,  der 
das  Brustbild  des  Königs  nach  rechts  gewendet  zeigt,  trägt  auf  der 
Brüstung  das  Datum  1525  ohne  Monogramm.  Darunter  die  In- 
schrift: Christi ernus.  2.  Danorum  Rex.  Die  drei  Wappenschilder 
bezeichnen  Schweden,  Dänemark  und  Norwegen.  Durchweg  ist  die 
künstlerische  Qualität  dieses  Holzschnittes,  den  wir  nicht  Binck  zu- 
schreiben dürfen,  dem  Kupferstiche  überlegen.  125:87  Einf.  Ein 
Abdruck  auf  Pergament  im  Städelschen  Institut  in  Frankfurt. 
Die  von  Bartsch  und  Aumüller  angeführte  Kopie  nach  B.  91  ist  in 
Wahrheit  gleichfalls  nach  diesem  Holzschnitt  ausgeführt,  was  sich 
schon  daraus  ergibt,  daß  sie  in  einigen  Stücken,  beispielsweise  in 
der  Schattierung  des  Baretts,  an  Augen  und  Mund,  den  Holzschnitt 
mit  besserem  Verständnis  wiedergibt,  als  Bincks  Stich.  149  : 92  PI. 
Ein  Abdruck  im  Germanischen  Museum. 

A.  14 1.  Reinneir  V.  H.  Die  gegenseitige  Kopie  trägt  Bincks  Mono- 
gramm. 67:67  Einf.  Berlin. 

A.  143.  Angeblich  es  Selbstbildnis  Bincks.  Eine  dritte  gegenseitige 
Kopie  trägt  oben  die  Inschrift:  RESPICE  FINEM.  Links  oben:  J V M. 
114  : 76.  Berlin,  Bremen.  (P.  III.  6.  174).  — Hiernach  ist  original- 
seitig eine  weitere  Holzschnittkopie  mit  der  Inschrift  Respice  finem 
hergestellt.  217  : 146.  — Frankfurt  a.  M.  Stadtbibi.  (In  den  Band 
Bibi.  Germ.  Cath.  202  Ingolstadt  1537  eingeklebt.) 

A.  145  (P.  137).  Dies  Bildnis  stellt,  wie  schon  die  Unterschrift  sagt, 
Christian  II.  (nicht  Christian  III.)  dar  und  ist  augenscheinlich  in  den 
Niederlanden,  wahrscheinlich  zu  derselben  Zeit,  wie  das  Bildnis  des 
Lucas  Gassei,  um  1529  entstanden.  Die  Anregung  hierzu  mag  viel- 
leicht die  große  Radierung  Lucas  van  Leydens  nach  Kaiser  Maxi- 
milian abgegeben  haben. 

A.  147.  Joachim  Hoecstter.  Monogramm  und  Jahreszahl  1532  stehen 
links,  die  Buchstaben  H X C rechts.  Die  von  Passavant  ungenau 
wiedergegebene  Inschrift  lautet: 

Quos  • cernis . vultus  • sculpsit  • germanus  • Apelles. 

Et  • rare  • expressit . nobilitatis  • opus. 

Qualis  • enim  • nüc  • est  • Joachim  • Hoecstter  • imago. 

Vindelice  • Auguste  • cuus  [ =civis  =]  hoc  • aere  • refert. 


3« 


Gustav  Pauli: 


128  : 108  PI.  98  : 102  Bildgr.  * — Gegenseitige  Kopie  mit  dem  Mono- 
gramm Sebald  Behams  links  oben.  In  der  Unterschrift  an  Stelle  des 
Namens  Joachim  Hoecstter  »Sebalden  Behems «.  124:107.  Bremen. 

A.  148  (B.  X.  p.  166.  1.  P.  IV.  p.  269.  Weigel  K.  L.  Kat.  22122).  Der 
Dargestellte  ist  Kaiser  Karl  V.  Berlin,  Wien,  Albert.  Slg.  Lanna. 
(Singer  Nr.  1602.) 

A.  151  (B.  80).  Querfüllung;  ist  eine  gegenseitige  Kopie  nach  Barthel 
Beham  Rosenberg  76. 

A.  152  (B.  81).  Querfüllung;  ist  eine  gegenseitige  Kopie  nach  Barthel 
Beham  B.  59. 

A.  154  (B.  83).  Querfüllung;  ist  eine  gegenseitige  Kopie  nach  Barthel 
Beham  Rosenberg  69. 

A.  156.  Hochfüllung  ist  identisch  mit  A.  170  (P.  128). 

A.  162.  Querfüllung.  Genauer  zu  beschreiben:  Ein  geflügelter  nackter 
Knabe  geht  mit  ausgebreiteten  Armen  nach  rechts.  In  beiden 
Händen  hält  er  ornamentale  Delphine,  deren  Köpfe  ihm  zugewendet 
sind,  an  ihren  Schwänzen.  Hinter  den  Füßen  des  Knabens  wächst 
Blattwerk  hervor.  Unten  links  das  Monogramm.  24:53  PI.  Berlin, 
Bremen. 

A.  169  (P.  127).  Hochfüllung  gleich  B.  X.  p.  142.  6.  Von  Passavant 
an  anderer  Stelle  mit  Unrecht  dem  Barthel  Beham  (73)  zuge- 
schrieben. 

A.  170  (P.  128).  Hoch  füll  ung  siehe  A.  156. 

A.  171.  Hochfüllung.  Die  Maße  falsch  angegeben.  61  : 38  PI. 
52:32  Einf.  — Merlo  Nachtr.  17. 

A.  172  ist  originalseitig  kopiert  nach  B.  Beham  P.  76. 

A.  177  (P.  134).  Querfüliung.  Die  von  Aumülier  notierte  Kopie  mit 
dem  Datum  1525  ist  vermutlich  das  Original  und  zwar  von  Barthel 
Beham  (Passavant  7 5 a). 

A.  179  (P.  136).  Querfüllung.  Die  Beschreibung  muß  lauten:  Eine 
weibliche  Halbfigur  (nicht  ein  Satyr)  mit  langen  und  spitzen  Ohren 
hält  mit  beiden  Händen  die  Ranken,  in  die  ihr  Körper  verläuft. 
In  der  Mitte  unten  auf  einer  Tafel  das  Monogramm.  Der  Hinter- 
grund ist  mit  zwei  Strichlagen  schraffiert.  26:55  PI.  London,  Paris, 
E.  v.  Rothschild. 

A.  i8x  (B.  88).  Dolchscheide.  Der  obere  Teil  des  Stiches  ist  iden- 
tisch mit  Passavant  126a. 

A.  182  und  183.  Landschaften.  (B.  97  und  P.  140)  stehen  so  sehr 
unter  dem  Einfluß  Altdorferscher  Landschaftsradierungen,  daß 
die  Vermutung  naheliegt,  Binck  habe  verschollene  Originale  Alt- 
dorfers kopiert,  oder  Zeichnungen  der  Altdorferschule. 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


39 


Nachtrag. 

1.  Adam.  Er  steht  nach  rechts  gewendet  vor  dem  Baum.  In  der 
Linken  erhebt  er  den  Apfel,  in  der  Rechten  hält  er  einen  Zweig, 
mit  dem  er  die  Scham  bedeckt.  Oben  rechts  an  einem  Zweig  auf 
einem  Täfelchen  das  Monogram  im  Spiegelsinne.  Unten  links:  1526 
61  : 42  PI.  Gegenstück  zu  A.  3.  B.  3.  Berlin,  Dresden  F.  A.  II. 
Hamburg.  Kl.  Oels,  Graf  York.  Paris,  E.  v.  Rothschild,  Stuttgart. 
Heinecken  II  714.  (Wessely  Suppl.  5.  Merlo  Nachtr.  3.) 

2.  Kain  und  Abel.  Abel  stürzt  vornüber  zu  Boden.  Kain  steht  hinter 

ihm  und  pakt  ihn  mit  der  Linkem  am  Schopfe,  während  er  die 
Rechte  mit  einer  dicken  Keule  erhebt.  Hinten  links  zwei  aufflam- 
mende Garben  auf  einem  vierkantigen  Opfersteine.  Ohne  Mono- 
gramm. Rund  42  Durchmesser  der  PI.  Bremen,  Dresden  F.  A.  II. 
(B.  X.  p.  123.  1.  Merlo  Nachtr.  6.) 

3.  Simson,  der  mit  antiker  Rüstung  und  einem  Mantel  bekleidet  ist, 
beugt  sich  nach  links  über  den  Löwen,  dem  er  mit  beiden  Händen 
das  Maul  auseinanderreißt.  Ohne  Monogramm.  Rund  42  Dm.  der 
PI.  Paris,  E.  v.  Rothschild. 

4.  Judith.  Sie  schaut  nach  links,  indem  sie  nach  rechts  geht,  und 
hält  das  Schwert  in  der  Rechten,  den  Kopf  des  Holofernes  in  der 
Linken.  Hinten  rechts  zwei  Zelte.  Ohne  Monogramm.  Rund  42  Dm. 
der  PI.  Bremen,  Sammlung  Lanna  (Singer  Nr.  6687)  P.  IV  p.  270. 
138.  Auktion  Amsler  u.  Ruthardt  XXVI  Nr.  722. 

5.  Esther.  Die  reichgekleidete  Königin  steht  mit  einem  Federhut  auf 

dem  Kopfe  leicht  nach  links  gewendet  von  vorn  gesehen  ein  Szepter 
in  der  Linken  haltend.  Hinten  rechts  ein  Baumstamm.  Ohne 
Monogramm.  Rund  42  Dm.  der  PI. 

I.  Wie  beschrieben.  Berlin. 

II.  Über  dem  Kopf:  Hester.  Paris,  E.  v.  Rothschild.  Dieses 
Blatt,  das  mit  Nr.  2,  3 und  4 zusammenzustellen  ist,  wurde  dem  Barthel 
Beham  zugeschricben  von  Passavant  68  b,  Rosenberg  54»  Aumüller 
62,  Seidlitz  in  Meyers  Künstlerlex.  97. 

6.  Ecce  Homo.  Der  Heiland  erscheint  in  einer  Fensteröffnung  im 

Brustbild  von  vorn  gesehen,  dornengekrönt  im  Mantel  mit  überein- 
andergelegten  gefesselten  Armen.  In  der  Rechten  hält  er  das  Rohr. 

Im  Unterrande:  ECCE  HOMO  und  das  Monogramm.  105  : 80  PI. 
London.  — Andresen  in  Naumanns  Archiv  XIV.  p.  21.  64. 

7.  Der  Schmerzensmann.  Der  Heiland  erscheint  von  vorn  gesehen 

im  Brustbild  mit  dem  Mantel  bekleidet.  In  den  Armen  hält  er 
Kreuz  und  Martersäule.  Das  dornengekrönte  Flaupt  ist  auf  die  rechte 
Schulter  geneigt.  Über  seinem  Haupt  eine  Bandrolle  mit  der  In- 


4o 


Gustav  Pauli: 


schrift:  Aspice.  q.  träsis  . . . Rechts  oben  Bincks  Monogramm. 
92:66  PI.  London.  — Andresen  a.  a.  O.  7.  22. 

8.  Marien  leben.  In  der  Mitte:  Anbetung  der  drei  Könige,  darüber 

Maria  mit  dem  Christkind  im  mandelförmigen  Nimbus  von  zwei 
Engeln  gekrönt.  An  der  linken  Seite  untereinander:  Anbetung  des 
Christkindes  durch  die  Eltern  und  Engel  (rund)  — Heimsuchung  Mariä 
(rund)  — Verkündigung  Mariä  (rund)  — Katharina  in  einem  Buche  le- 
send die  Linke  aufs  Schwert  gestützt.  An  der  rechten  Seite  untereinander: 
Christus  erscheint  der  betenden  Maria  (rund)  — Ausgießung  des  heiligen 
Geistes  (rund)  — Himmelfahrt  Mariä  (rund)  — die  heilige  Barbara.  Im 
Mittelbilde  oben  das  Monogramm.  162  : 110  PI.  Paris,  E.  v. 
Rothschild. 

9.  Maria  auf  der  Mondsichel.  Genaue  originalseitige  Kopie  nach 

Dürer  B.  32.  Unten  links  das  Monogramm,  ohne  Jahreszahl.  115  : 74. PI. 
Berlin,  Bremen. 

10.  Maria  auf  der  Mondsichel.  Maria  mit  einer  Krone  auf  dem 

Haupt,  über  der  sieben  Sterne  schweben,  steht  auf  der  Mondsichel, 
um  die  sich  eine  Schlange  windet.  In  der  Rechten  hält  sie  ein 
Szepter,  im  linken  Arm  das  Christkind.  Sie  ist  ganz  von  einem 
Strahlennimbus  umgeben.  Unten  links  das  Monogramm.  Unten 
rechts:  1526.  73  : 46  PI.  Berlin,  Charlottenburg,  Beuth-Schinkel- 
Museum. 

11.  Maria  auf  der  Mondsichel.  Originalseitige  Kopie  nach  Schongauer 

B.  28,  unter  Hinzufügung  von  zwei  Engeln,  die  über  ihr  eine  Krone 
halten,  über  der  sieben  Sterne  schweben.  Unten  links  das  Monogramm. 
185:  129  PI.  Dresden  K.  K. 

12.  Der  hl.  Trudo.  Der  heilige  Abt  sitzt  auf  einem  Stuhl  unter 
einem  reich  verzierten  auf  vier  Säulen  ruhenden  Architrav.  Er  hält 
in  der  Rechten  eine  Palme,  in  der  Linken  das  Modell  einer  Kirche. 
Ohne  Monogramm.  77  : 65  PI.  London.  — Andresen.  a.  a.  O.  46. 
158. 

13.  Apoll  und  Daphne.  Daphne  steht  links  von  vorn  gesehen  mit 
erhobenenen  Armen.  Ihre  rechte  Hand  verläuft  in  Geäst,  ihre 
Füße  in  Wurzeln.  Apoll  erfaßt  sie  mit  der  Rechten  an  der  linken 
Schulter.  Den  Bogen  hält  er  in  der  Linken.  Das  Gesicht  im 
Linksprofil.  Unbezeichnet.  68:46.  Oxford. 

14.  Urteil  des  Paris.  Originalseitige  Kopie  nach  Barthel  Beham. 
B.  26.  Ohne  Jahreszahl.  Mit  einer  Strichlage  über  der  Venus. 
Ohne  Monogramm.  69  : 55  PI.  Rund  52  Dm.  der  Einf.  Dresden 
F.  A.  II.  Karlsruhe,  London,  Paris,  E.  v.  Rothschild,  Wien, 
Albert,  und  Hofb.  Wolfegg. 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche.  41 

15.  Cimon  und  Pero.  Gegenseitige  Kopie  nach  H.  S.  Beham.  Pauli 
77.  Rechts  oberhalb  Cimons  das  Monogramm.  Rund,  zwei  Ein- 
fassungslinien 36  Dm.  d.  äußersten  Einf.  Nürnberg. 

16.  Lucretia.  Halbfigur.  Sie  stößt  sich  mit  der  Rechten  den  Dolch 
in  die  Brust.  Ihr  Haupt  ist  nach  links  zurück  gewendet.  Mit  der 
Linken  hält  sie  ihr  Gewand.  Oben  rechts  auf  einem  Zettel  das 
Monogramm.  62  '.44  PI.  Dresden,  F.  A.  II  Merlo  Nachtr.  7.  — Pauli, 
Inkunabeln  der  Radirg.  XIV. 

17.  Lucretia.  Sie  sitzt  nackt  von  vorn  gesehen  auf  einer  Steinbank 
und  stößt  sich  mit  der  Linken  das  Schwert  in  die  Brust.  Ihr  Haupt 
ist  nach  links  gewendet.  Hinten  Gebäude  mit  einem  Hofe.  Ohne 
Monogramm.  55  : 40  PI.  London,  B.  X.  p.  13 1.  2. 

18.  Satyrweibchen  bei  einer  Priapherme.  Radierung  auf  Kupfer. 
Ein  Satyrweibchen  steht  nach  links  gewendet  neben  einer  Priapherme, 
deren  einziges  Horn  sie  mit  der  Linken  ergreift.  Ohne  Monogramm 
149  : 110  PI.  Bremen,  Dresden,  F.  A.  II,  Slg.  v.  Lanna  (Singer 
Nr.  1323)  B.  XIV.  284  — P.  VI.  p.  28.  Anm.  — Unter  S.  Beham 
bei:  A.  131.  — S.  292  — Pauli  (apokryphe)  1373  und  Inkunabeln 
der  Radirg.  XVII. 

19.  Dekoratives  Rundbild.  Ein  halbnacktes  Weib  sitzt  am  Fuße 
eines  Baumstammes.  Im  rechten  Arm  hält  es  ein  Knäblein,  das 
sich  mit  einem  Apfel  in  der  Hand  nach  links  wendet.  Mit  der 
Linken  greift  das  Weib  nach  Früchten,  die  ihm  ein  rechts  stehender 
Krieger  auf  einer  Schale  darbietet.  Unbezeichnet.  41  Dm.  der  PI. 
40  Dm.  der  Einf.  Bremen,  Dresden,  v.  Hägens,  Oxford, 
Sammlung  Lanna  (Singer  Nr.  6662)  B.  X.  p.  144.  3.  Kat.  Amsler 
u.  Ruthardt  XXVI  1888  Nr.  720  mit  Reproduktion. 

Freie  originalseitige  Kopie  der  Gruppe  des  Weibes  mit  dem 
Kinde.  Statt  des  Krieges  hier  ein  nackter  Mann.  — Vom  Mono- 
grammisten HSE.  — 41  Dm.  der  Einf.  Dresden  K.  K. 

20.  Dekoratives  Rundbild.  Gegenseitige  Wiederholung  der  oben 
beschriebenen  Gruppe  des  Weibes  mit  dem  Kinde,  ohne  den  Krieger. 
Das  Weib  greift  nach  den  Blättern  einer  großblumigen  Pflanze. 
Unbezeichnet.  31  Dm.  der  PI.  Berlin,  Bremen,  Dresden  K.  K. 
Frankfurt  a.  M.  Kat.  Amsler  und  Ruthardt  XXVI  Nr.  74  mit  Re- 
produktion. 

21.  Delphinreiter.  Gegenseitige  Kopie  nach  Barthel  Beham  B.  33. 
Unbezeichnet.  51  : 32  PI.  43  : 26  Einf.  Oxford,  Wien,  Hofb. 
W o 1 f e g g. 

22.  Delphin  reite  r.  Gegenseitige  Kopie  nach  Barthel  Beham  B.  34. 
Unbezeichnet.  51  133  PI.  44  : 26  Einf.  Dresden  K.  K.  Wolfegg. 


42 


Gustav  Pauli: 


23.  Zug  von  Meergöttern.  Auf  einem  Seepferd,  das  statt  der  Vorder- 
beine Voluten  hat,  die  aus  Blattwerk  hervorwachsen,  reitet  ein 
nackter  Mann  mit  gezücktem  Schwert.  Links  zwei  andere  Reiter, 
von  denen  der  erstere  eine  Keule  in  der  Rechten  hält.  Rechts  ein 
Dritter,  der  einen  Schild  in  der  Linken  hält  und  mit  der  Rechten 
den  Arm  des  Weibes  ergreift.  Ganz  hinten  rechts  ein  Seepferd. 
Unbezeichnet.  40  : 100  PI.  Bremen,  Dresden  K.  K.  und  F.  A.  II. 
Sammlung  v.  Lanna  Singer  Nr.  6656,  B.  X.  p.  134  Nr.  5. 

24.  Triton  und  Nereide.  Gegenseitige  Kopie  nach  Barthel  Beham 
B.  23.  Oben  links  das  Monogramm  Bincks.  17:40  p!.  Bremen. 

25.  Triton  und  Nereide.  Gegenseitige  Kopie  nach  Barthel  Beham 
B.  22.  Links  von  der  Mitte  oben  das  Monogramm  Bincks.  19:48  Pl. 
Bremen,  Wien  Hofbibi. 

26.  Rundbild.  Ein  Weib,  das  mit  einem  hemdartigen  Gewände  be- 
kleidet ist,  steht  von  vorn  gesehen,  das  Haupt  nach  rechts  gewendet 
und  hält  in  den  Armen  einen  Fuchs,  der  nach  rechts  schaut.  Ohne 
Monogramm.  38  Dm.  der  Einf.  Dresden  F.  A.  II.  Hamburg. 
Sammlung  Lanna  (Singer  Nr.  6770). 

27.  Der  Narr  und  das  Mädchen.  Er  steht  links,  sie  rechts,  indem 
sie  einander  unzüchtig  berühren.  Oben  links  Tafel  mit  dem  Mono- 
gramm. 58  : 39  Pl.  Paris,  E.  v.  Rothschild. 

Gegenseitige  Kopie  dieses  Blattes.  Oben  rechts  eine  leere  Tafel, 
die  oben  mit  zwei  Strichlagen  bestochen  ist.  67  : 48  Pl.  Wolfegg. 
Dem  Barthel  Beham  zugeschrieben  von  Bartsch  48.  Rosenberg  52. 
Aumüller  61.  Seidlitz  57. 

28.  Der  sich  ankl  eid  en  de  Mann.  Radierung  auf  Eisen.  Ein  nackter 
vollbärtiger  Mann,  der  einen  Weinlaubkranz  im  Haar  trägt,  sitzt  nach 
rechts  gewendet  auf  einem  Felsblock  und  zieht  sich  ein  Beinkleid  über 
das  linke  Bein.  Oben  rechts  auf  dem  Felsen  das  Monogramm. 
Kopie  nach  Michelangelo-Marc  Anton  B.  472.  125  : 17  1 Pl.  Bremen. 
— Pauli,  Inkunabeln  der  Radirg.  XVII. 

29.  Knäbchen  als  Fahnenträger.  Ohne  Mon.  29:25  p!.  Berlin. 
B.  X.  p.  140.  1. 

30.  Knäbchen  als  Trommler.  Ohne  Mon.  29:25  Pl.  Berlin  B. 
X.  p.  141.  2. 

31.  Knäbchen  als  Pfeifer.  Ohne  Mon.  29  : 25  Pl.  Berlin,  Bremen. 
B.  X.  p.  141.  3. 

32.  Knäbchen  als  Hellebardier.  Das  Kind  marschiert  nach  rechts, 
eine  Hellebarde  über  der  linken  Schulter,  einen  kurzen  Säbel  an  der 
rechten  Seite.  Ohne  Monogramm.  28  : 25  Pl.  Bremen. 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


43 


33.  Knäbchen  mit  Steckenpferd.  Ohne  Monogramm.  Das  Knäb- 
chen  marschiert  nach  rechts  und  hält  in  der  Rechten  einen  Lanzen- 
schaft, in  der  Linken  ein  Steckenpferd.  39:26  Bl.  Bremen. 

34.  Eierverkäufer  (Gegenstück  zum  folgenden).  Ein  Bauer  steht  von 
vorn  gesehen.  Er  stützt  sich  mit  der  Rechten  auf  einen  langen 
Stab  und  hält  in  der  Linken  einen  mit  Eiern  gefüllten  Korb.  Oben 
rechts  Zettel  mit  dem  Monogramm.  55:35  p!.  Bremen.  Dresden. 
F.  A.  II  und  K.  K.  Nagler  Mon.  III  Nr.  775.  15.  Merlo  Nachtr.  9. 

35.  Marktbäuerin  (Gegenstück  zum  vorigen).  Gegenseitige  Kopie 
nach  H.  S.  Beham.  Pauli  194.  I.  55  : 35  PI.  Dresden  K.  K.  und 
F.  A.  II.  Wien,  Hofb.  Merlo  Nachtr.  8. 

36.  Ein  Fähnrich.  Er  steht  von  vorn  gesehen  und  schaut  nach  links, 
trägt  einen  Federhut  und  hält  die  Fahne  über  der  linken  Schulter. 
Unbezeichnet.  73  : 43  PI.  Katalog  Amsler  und  Ruthardt  LI  Nr.  1393 
mit  Reproduktion. 

37 — 45.  Folge  von  neun  Blatt  mit  Darstellungen  von  Offizieren  und  Lands- 
knechten. Ergänzung  zu  Aumüller  118  (B.  68),  119  (B.  69),  120  (B.  71), 
125  (P.  1 2 1),  126  (P.  122)  127  (P.  123),  128  (P.  241).  Alle  sind  mit  der 
späten  Form  des  Monogramms  bezeichnet  und  messen  70—74  : 47—48. 

37.  Der  vollbärtige  Landsknecht  steht  voll  vorn  gesehen,  die 
Lanze  in  der  Rechten  und  schaut  nach  rechts.  Unten  rechts  Tafel 
mit  dem  Monogramm.  72  : 48  PI.  Charlottenburg,  Beuth-Schinkel- 
Museum.  Darmstadt.  Paris,  E.  v.  Rothschild.  Weigel  K.  L. 
Kat.  10 134.  Nagler  Mon.  III.  Nr.  775.  18. 

38.  Ein  Landsknecht.  Der  vollbärtige  Landsknecht  geht  nach  rechts. 
Die  Lanze  über  der  linken  Schulter  haltend,  das  Schwert  in  der 
Rechten.  Am  Boden  zwischen  seinen  Füßen  das  Monogramm. 
72  148  PI.  Charl Ottenburg,  Beuth-Schinkel-Museum.  Darmstadt, 
Paris,  E.  v.  Rothschild. 

39.  Ein  Landsknecht.  Der  vollbärtige  Landsknecht,  der  eine  Mütze 
und  Pluderhosen  trägt,  geht  nach  rechts.  Über  der  linken  Schulter 
hält  er  eine  große  Axt,  im  rechten  Arm  ein  Schwert.  Unten  rechts 
Tafel  mit  dem  Monogramm.  72:48p!.  Charlottenburg,  Beuth- 
Schinkel-Museum.  Darmstadt. 

40.  Ein  Landsknecht.  Er  wandert  von  hinten  gesehen  nach  links. 
Über  der  linken  Schulter  trägt  er  eine  große  Büchse,  im  linken  Arm 
hält  er  das  Schwert.  Auf  dem  Rücken  hängt  ihm  die  Pulverflasche. 
Unten  rechts  Tafel  mit  Monogramm.  72  148  PI.  Charlottenburg, 
Beuth-Schinkel-Museum.  Darmstadt,  Wien,  Albert. 

41.  Ein  Trommler.  Der  schnurrbärtige  Trommler  geht  nach  rechts. 
Er  trägt  einen  hohen  Hut,  der  mit  Hahnenfedern  besteckt  ist.  An 


44 


Gustav  Pauli: 


seiner  Rechten  hängt  die  große  Trommel;  in  jeder  Hand  hält  er 
einen  Schlägel.  Unten  rechts  Tafel  mit  dem  Monogramm.  72:48  PI. 
Bremen,  Charlottenburg,  Beuth-Schinkel-Museum.  Darmstadt, 
Wien,  Albert. 

42.  Ein  Ritter.  Der  geharnischte  vollbärtige  Ritter,  der  Straußen- 
federn am  Helm  trägt,  wandert  nach  rechts.  Mit  der  Linken  stützt 
er  sich  auf  seine  Lanze,  unter  dem  rechten  Arm  hält  er  das  Schwert. 
Unten  links  Tafel  mit  dem  Monogramm.  74:47  PI.  Charlotten- 
burg, Beuth-Schinkel-Museum.  Darmstadt. 

43.  Ein  Hellebardier.  Der  vollbärtige  Hellebardier  steht  von  vorn 
gesehen  und  trägt  ein  Strauß  feder-  Barett.  Er  stützt  sich  mit  der 
Rechten  auf  die  umgekehrte  Hellebarde,  die  Linke  ruht  hinter 
seinem  Rücken.  An  seiner  Rechten  hängt  das  Schwert.  Unten 
rechts  das  Monogramm.  72  : 47  PI.  Charlottenburg,  Beuth- 
Schinkel-Museum.  Darmstadt,  Wien,  Albert. 

44.  Ein  Feldhauptmann.  Der  vollbärtige  Hauptmann,  der  sehr 
lange  Pluderhosen  trägt,  geht  nach  rechts.  In  der  Linken  hält  er 
einen  Kommandostab,  den  er  in  die  Hüfte  stemmt,  mit  der  Rechten 
erfaßt  er  den  Griff  seines  Schwertes.  Er  trägt  einen  kurzen  Mantel 
und  hohe  Mütze.  Unten  rechts  Tafel  mit  dem  Monogramm. 
72  : 48  PI.  Charlottenburg,  Beuth-Schinkel-Museum.  Darmstadt. 

45.  Ein  schnurrbärtiger  Landsknecht,  der  eine  hohe  mit  zwei 
Hahnenfedern  besteckte  Mütze  trägt,  wandert  nach  rechts.  Über  der 
linken  Schulter  hält  er  den  Schaft  seiner  Lanze,  unter  dem  rechten 
Arm  das  Schwert.  Das  linke  Bein  ist  mit  einer  langen  geschlitzten 
Pluderhose  bekleidet,  das  rechte  am  Oberschenkel  mit  einer  knapp 
anschließenden  Hose.  Rechts  unten  auf  einer  Tafel  das  Monogramm. 
72  : 48  PI.  Charlottenburg,  Beuth-Schinkel-Museum.  Darmstadt, 
Wien  Alb. 

Gegenseitige  Kopien  der  ganzen  Folge  von  sechzehn  Blatt 
von  Franz  Brun.  Sämtlich  bezeichnet  mit  dessen  Monogramm 
und  1559  datiert.  Annähernd  Masse  der  Originale.  Donaueschingen, 
W o 1 f e g g. 

46.  Bildnis  Kaiser  Karls  V.  Der  bartlose  Kopf  ist  nach  rechts 
gewendet.  Er  trägt  eine  Mütze  und  über  einem  Pelzrock  die  Kette 
des  Goldenen  Vließes.  Unter  dem  Bilde:  Carolus  Caesar.  Oben 
links  das  Monogramm.  35  : 28  Einf.  Berlin,  Dresden  F.  A.  II. 
Paris,  E.  v.  Rothschild.  Nagler,  Mon.  III,  775.  27.  Merlo  Nachtr.  5. 

47.  Bildnis  des  Königs  Christian  III.  von  Dänemark.  Brustbild. 
Der  vollbärtige  Kopf  ist  halb  nach  rechts  gewendet.  Der  König 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


45 


trägt  ein  Barett  und  einen  Pelzrock.  Oben  links  das  Wappen  von 
Schleswig,  oben  rechts  das  Wappen  von  Holstein.  Unten: 

Effigies  • Illustriss  • Pricipis  • Christiani  • Haeredis 
Norvaegiae  • Slesvici  • Holsaciae  • Stormariae  • Ducis  & 

Comitis  • in  • Aldenburg  • et  • Delmenhorst  • ad  • vivam 
Eius  • Imaginem  • exarata  • anno  ■ aetatis  • 

Svae  • XXXII  • Imperii  • vero  • III 
A • Christo  • nato  • M • 

D ■ XXXV • 

In  • Domino  • aethereo  • semper  • spes  • fixa  • manebit  • 

Res  • aliae  • valeant  • hic  • mihi  • Turis  • erit. 

181  : 128  PI.  Berlin,  Dresden  K.  K.  Hamburg. 

48.  Bildnis  eines  Juden.  Der  glattrasierte  Kopf  mit  langen  Haaren, 
der  die  spitze  Judenmütze  trägt,  blickt  mit  leicht  geöffnetem  Munde 
nach  rechts.  Unten  rechts  neben  dem  Halse  das  Monogramm. 
Der  Hintergrund  schraffiert.  34  : 31  PI.  Bremen. 

49.  Querfüllung.  Auf  dunklem  schraffiertem  Grunde  verlaufen  gelappte 
Blattranken  von  rechts  nach  links.  Unten  rechts  das  Monogramm. 
13:89  p!.  Charlottenburg,  Beuth-Schinkel-Museum. 

50.  Querfüllung.  Eine  weibliche  geflügelte  Halbfigur  hält  an  ihren 
Schwänzen  zwei  nach  außen  gewendete  hahnenartige  Vögel.  Von 
links  beleuchtet.  Ohne  Monogramm.  20  : 52  PI.  Gegenseitige 
Kopie  nach  Barthel  Beham  P.  75b.  Bremen,  Wien,  Hofb. 

51.  Querfüllung.  Ein  Adler  schreitet  mit  geöffneten  Flügeln  nach 
rechts.  Rechts  und  links  neben  ihm  ein  gefllügelter  Genius,  der 
eine  große  Ranke  hält.  Von  links  beleuchtet.  Ohne  Monogramm. 
20  : 53  PI.  Gegenseitige  Kopie  nach  B.  Beham  Anm.  89.  Bremen. 

52.  Querfüllung.  Triton  und  Nereide,  die  in  Blattwerk  verlaufen, 
blasen,  nach  außen  gewendet,  auf  kurzen  Hörnern.  Zwischen  ihren 
Schwänzen  eine  Maske.  Unbezeichnet.  21  : 52  PI.  Originalseitige 
Kopie  nach  B.  Beham.  Seidlitz  80.  Dresden  F.  A.  II.  Frenzei.  Kat. 
Einsiedel  Dresden  1833.  II  Nr.  190a. 

53.  Querfüllung.  Zwei  Delphine,  deren  heraufgebogene  Schwänze  von 
einem  Reif  zusammengehalten  werden,  wenden  ihre  Köpfe  einem 
geflügelten  Engelsköpfchen  zu,  das  in  der  Mitte  unten  steht.  Hinter- 
grund schraffiert.  Ohne  Monogramm.  20  : 53  PI.  Wien,  Hofb. 

54.  Querfüllung.  Ein  nacktes  Knäblein  reitet  auf  einem  Delphin  nach 
rechts,  ein  paar  Fische  in  der  Linken,  eine  Keule  in  der  Rechten 
haltend.  Der  Delphin  ist  mit  Blattwerk  geschmückt.  Der  Hinter- 
grund wagrecht  schraffiert.  Ohne  Monogramm.  22:43  p!.  Paris, 
E.  v.  Rothschild.  Kat.  Reynard  Pays  1846  Nr.  424. 


46 


Gustav  Pauli : 


55.  Querfüllung.  In  der  Mitte  steht  eine  kleine  Deckelvase.  Links 
und  rechts  davon  je  ein  geflügelter  Putto,  dessen  Leib  in  einen 
Fischschwanz  verläuft  und  der  in  der  Hand  eine  kleine  Keule  hält, 
während  er  mit  der  andern  Hand  sein  Schwanzende  ergreift.  Unten 
links  das  Monogramm.  2 2 : 5 1 PI.  Dresd  en  F.A.  II.  Merlo  Nachtr.  16. 

56.  Querfüllung.  Zwei  Putten  reiten  nach  außen  gewendet  auf 
Ranken,  die  in  der  Mitte  durch  einen  Reifen  verbunden  sind.  In 
der  einen  Hand  hält  jeder  eine  Keule.  Unbezeichnet.  23  : 50  PI. 
Dresden  F.  A.  II.  Merlo  Nachtr.  10. 

57.  Querfüllung.  Eine  weibliche  Halbfigur  erscheint  von  vorn  ge- 
sehen auf  schraffiertem  Grunde.  Mit  beiden  Händen  erfaßt  sie  die 
Ranken,  in  die  ihr  Körper  verläuft.  Ihr  Kopf  schaut  nach  links. 
Unten  links  das  Monogramm.  24  : 52  PI.  Bremen. 

58.  Querfüllung.  Eine  männliche  Figur  mit  Blattwerk  an  Stelle  von 
Bart  und  Haar  mit  großen  schneckenförmig  gewundenen  Ranken 
statt  der  Arme  und  mit  Blattwerk  statt  der  Unterschenkel  erscheint 
von  vorn  gesehen  auf  schraffiertem  Grunde.  Rechts  neben  der 
Brust  das  Monogramm.  24:51  PI.  Bremen. 

59.  Querfüllung.  Ein  geflügelter  Genius  über  den  Schweifen  zweier 
chimärischer  Fische,  die  durch  einen  Ring  verbunden  sind.  Links 
unten  das  Monogramm.  25  : 52  PI.  oder  Einf.?  Nagler  Mon.  III. 
775.  23.  Wessely  Suppl.  14. 

60.  Querfüllung.  Ein  Mann,  dessen  Beine  in  Delphine  verlaufen,  hält 
mit  beiden  Händen  ihre  Schwänze.  Monogramm  rechts  oben. 
24  : 55  PI.  oder  Einf.?  Nagler  Mon.  III.  775.  25.  Wessely  Suppl.  13. 

61.  Querfüllung.  Die  Halbfigur  eines  Tri  tonen  hält  zwei  Delphine. 
Links  das  Monogramm.  27  : 54  PI.  oder  Einf.?  Frenzei  Kat.  v. 
Einsiedel  Dresden  1833  II.  Nr.  190  a. 

62.  Querfüllung.  Ein  Fries  von  zwölf  Kindern,  die  nach  rechts  mit 
gefällten  Speeren  einem  Bären  entgegenziehen.  Sie  haben  drei 
Hunde  bei  sich.  Eins  der  Kinder  reitet  zu  Pferde.  Der  Bär  ist 
nur  zur  Hälfte  sichtbar.  27  : 108  PI.  Kat.  Gutekunst  Stuttgart  1889, 
Nr.  86. 

63.  Querfüllung.  In  der  Mitte  ein  nackter  Mann  nach  rechts  ge- 
wendet mit  Rankenleib.  Er  legt  die  Linke  auf  einen  Schild,  die 
Rechte  auf  einen  Blumenkelch.  Ohne  Monogramm.  36  : 125  PI. 
Dresden  F.  A.  II.  Merlo  Nachtr.  14. 

64.  Hochfüllung.  Ein  Knäblein  setzt,  nach  links  gewendet,  seinen 
Fuß  auf  den  Kopf  eines  Delphins,  den  er  mit  der  Rechten  an  der 
blattartigen  Verlängerung  der  Schnauze  festhält.  Auf  dem  Schwänze 


Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


47 


des  Delphins  steht  eine  Ente,  die  nach  dem  Knäblein  schnappt.  Ohne 
Monogramm.  33  : 26  PI.  Oxford. 

65.  Hochfüllung.  Eine  gekrönte  weibliche  Halbfigur  mit  Blattwerk 
statt  der  Arme,  deren  Leib  in  zwei  Fischschwänze  verläuft,  über 
denen  drei  Voluten  liegen.  Unbezeichnet.  34:26  PI.  Dresden 
F.  A.  II.  Merlo  Nachtr.  11. 

66.  Hoch  füll  ung.  Eine  weibliche  Halbfigur  mit  zwei  Fischschwänzen, 
deren  Enden  sie  in  den  Händen  hält.  Der  Hintergrund  ist  mit  zwei 
Strichlagen  schraffiert.  Oben  rechts  das  Monogramm.  34:27  PI. 
Bremen.  Paris,  E.  v.  Rothschild. 

67.  Hochfüllung.  In  der  Mitte  ein  Satyrtorso  von  zwei  stehenden 

Putten  gehalten.  Oben  links  und  rechts  Füllhörner  und  darauf 
Schwäne.  Oben  links  das  Monogramm.  (Kopie  nach  Barthel 
B eh  am  P.  78  a.)  51  : 36  PI.  Dresden  F.  A.  II.  Merlo  Nachtr.  15. 

68.  Hochfüllung.  Ein  Vasengebilde,  an  dessen  Fuß  zwei  Masken  mit 
Rankenwerk  angebracht  sind.  In  der  Mitte  eine  Maske.  Oben  ein 
Mann,  der  auf  zwei  Trompeten  bläst.  Ganz  unten  in  der  Mitte 
das  Monogramm.  93  : 24  PI.  Brüssel,  Herzog  von  Arenberg. 

69.  Hochfüllung  (Dolchscheide.)  In  einem  Rankenaufbau  kommen 
übereinander  zwei  flache  Schalen  und  oben  eine  Vase  vor.  Von 

20 

links  beleuchtet.  150: — PI.  (Gegenseitige  Kopie  nach  einer  un- 
beschriebenen Hochfüllung  von  Barthel  Beham,  der  seinerseits  eine 
Füllung  des  Mantegna  auf  Bartsch  14  rechts  frei  kopiert  hatte.) 
Dresden  F.  A.  II.  Karlsruhe. 

70.  Hochfüllung  (Dolchscheide).  Oben  zwei  weibliche  Halbfiguren 

neben  einer  Vase  einander  zugewendet.  Unten  zwei  Löwenfüße.  Von 

. 20  . . 

links  beleuchtet.  Ohne  Monogramm.  150  : — PI.  Gegenseitige 

Kopie  nach  einer  unbeschriebenen  Hochfüllung  Barthel  Behams,  von 
der  sich  Abdrücke  in  Karlsruhe,  in  Rom  (Corsiniana)  und  in  der 
Wiener  Hofbibliothek  befinden.  Dresden  F.  A.  II.  Karlsruhe. 

71.  Landschaft.  An  einem  Flusse  links  am  Fuße  eines  Berges  eine 
ausgedehnte  Bastion.  Oberhalb  derselben  vereinzelte  Bauten.  Am 
Ende  dei  Bastion  inmitten  des  Bildes  ein  viereckiger  Turm,  der  mit 
einem  kleineren  ähnlichen,  der  rechts  ins  Wasser  gebaut  ist,  durch 
eine  Brücke  von  zwei  Bogen  verbunden  ist.  Am  Himmel  rechts 
von  der  Mitte  das  Datum  1536  (die  3 verkehrt).  Ohne  Monogramm. 
120  : 93  PI.  Dresden  F.  A.  II.  — Pauli,  Inkunabeln  der  Radirg.  XV. 

72  und  73.  Zwei  Holzschnitte  für  die  dänische  Bibel  von  1550. 
Sie  bilden  die  einzigen  Illustrationen,  die  Binck  für  diese  Bibel  bei- 


48 


Gustav  Pauli:  Jakob  Binck  und  seine  Kupferstiche. 


gesteuert  hat  und  wurden  von  ihm  auf  dringendes  Erfordern  König 
Christians  III.  in  den  Niederlanden  gezeichnet,  um  der  im  übrigen 
offenbar  bereits  fertig  gedruckten  Bibel  nebst  Titel,  Vorrede  und 
Übersichtstafel  des  alten  Testaments  sowie  dem  Holzschnitt  des 
Paradieses  nachträglich  vorgeheftet  zu  werden. 

72.  König  Christian  III.  Er  steht  von  vorn  gesehen  in  Halbfigur 
ein  wenig  nach  rechts  gewendet  mit  Federbarett  und  Pelzschaube, 
in  der  behandschuhten  Rechten  den  anderen  Handschuh  haltend, 
in  der  Linken  eine  kleine  Schriftrolle.  Vor  ihm  in  Form  einer 
Brüstung  eine  Tafel  mit  folgender  Inschrift:  Christian  met  Guds 
naade,  den  tredie,  Danmarks,  j Norgis,  Wendis  oc  Göttis,  Könning. 
Hertug  i Sleswig,  / Holsten,  Stormarn,  oc  Dytmerschen.  Greffue  J 
i Oldenburg,  oc  Delmenhorst.  278  : 192  Einf.  Nagler  III.  Nr.  775. 
279  mit  einigen  Druckfehlern.  — P.  IV.  97. 

73.  Das  Wappen  von  Dänemark.  Das  Wappen  mit  der  Königs- 

krone steht  in  einem  reichen  Kartuschenrahmen,  der  durchaus  im 
Stile  des  Cornelis  Floris  gehalten  ist.  An  beiden  Seiten  steht  im 
Rahmenwerk  ein  nackter  vollbärtiger  Mann.  Unter  dem  Wappen 
auf  einer  Tafel  die  Inschrift:  Insignia  Christi  / ani  tertii  dano-  / rum 
Regis  etc.  j anno  M • D • L . j Weiter  unten  auf  dem  Rahmen:  Vnica  j 
spes  mea  j Christus  / C'RD‘  Oben  rechts  das  Monogramm. 
Links:  1550.  276:192  Einf.  Ein  Abdruck  der  seltenen  Bibel  in 

der  Universitätsbibliothek  zu  Göttingen. 


Zur  Ikonographie  der  Ölbergdarstellung. 

Deutung  einer  Figur  im  Ölberg  Christian  Wenzingers  im 
Museum  der  Stadt  Frankfurt  a.  M. 

Von  Gustav  Münzel. 

In  dem  von  mir  besprochenen1)  Ölberg  Christian  Wenzingers  aus 
Staufen  vom  Jahre  1745  finden  sich  zwei  Figuren,  die  aus  der  typischen 
Form  der  Ölbergdarstellung  herausfallen.  Während  die  eine  davon  auf 
Grund  der  Vergleichung  als  Selbstporträt  des  Meisters  bestimmt  werden 
konnte,  bedarf  die  Deutung  der  anderen,  einer  weiblichen  Gestalt,  einer 
eingehenderen  Untersuchung2). 

So  groß  wie  die  größten  Figuren  des  Ölbergs,  die  schlafenden 
Apostel,  hatte  sie  ihren  Platz  vorn  auf  der  linken  Seite  der  Szene.  Sie 
ist  als  eine  Zuschauerin  der  Vorgänge  im  Ölgarten  gedacht,  denen  sie 
in  großer  Ergriffenheit  folgt.  An  ein  Felsstück  gelehnt,  das  linke  Knie 
darauf  gestützt,  den  rechten  Fuß  auf  dem  Boden  steht  sie  da.  Die 
rechte  Hand  preßt  ein  Tuch  an  die  Wange,  der  linke  Arm  ist  klagend 
in  die  Höhe  gerichtet,  die  abgebrochenen  Teile  der  linken  Hand,  Daumen 
und  Zeigefinger,  waren,  wie  man  noch  erkennen  kann,  ausgestreckt,  die  drei 
anderen  Finger  sind  geschlossen.  Die  Kleidung,  ein  hemdartiges  Unter- 
gewand und  ein  in  starken  Falten  bewegter  Überwurf,  lassen  Arme  und 
Beine  sowie  einen  Teil  der  wenig  entwickelten  Brust  völlig  frei.  Aus 
dem  jugendlich  schönen  Gesicht,  wie  aus  der  Haltung  der  ganzen  Gestalt 
spricht  leidenschaftliche  Klage.  Alles,  die  verwirrten  Haare,  die  erregt 
bewegten  Glieder,  die  heftigen  Falten  der  Gewandung  müssen  dazu  dienen, 
den  Eindruck  des  Schmerzes  zu  verstärken. 

Die  Erklärung  dieser  höchst  lebendigen  und  eindrucksvollen  Gestalt 
ist  nicht  ohne  weiteres  gegeben,  da  mehrere  Möglichkeiten  dafür  in 
Betracht  kommen.  In  den  biblischen  Erzählungen  findet  sich  für  sie 
kein  Anhalt,  von  der  Teilnahme  einer  Frau  an  der  Ölbergszene  ist  nirgendwo 
die  Rede.  Nur  eine  Möglichkeit  gäbe  es,  diese  Figur  aus  der  biblischen 
Erzählung  zu  erklären,  wenn  man  sich  der  Meinung  anschließt,  die  bei 


*)  Münchener  Jahrbuch  der  bildenden  Kunst  1908  I.  S.  35  ff. 

2)  Abbildung  dieser  Figur  a.  a.  O.  S.  47. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


4 


5° 


Gustav  Münzel: 


dieser  Figur  mit  Rücksicht  auf  die  wenig  entwickelte  Brust  geäußert 
worden  ist,  daß  es  sich  gar  nicht  um  eine  Frauengestalt,  sondern  um 
einen  mädchenhaft  zart  gebildeten  Jüngling  handle.  Dann  hätten  wir 
es  mit  jenem  Jüngling  zu  tun,  von  dem  Mark.  14,  50  berichtet  wird,  und 
der  sich  z.  B.  bei  Dürer  in  der  Kupferstich-Passion  (B.  5)  und  in  der 
großen  Holzschnitt-Passion  (B.  7)  bei  der  Gefangennahme  Christi  im 
Hintergründe  findet.  Im  mittelalterlichen  geistlichen  Schauspiel  tritt  er 
unter  den  verschiedensten  Namen  auf,  u.  a.  als  der  blinde  Marcellus. 

Aber  diese  Annahme  ist  nach  der  ganzen  Bildung,  Kleidung  der 
Figur  und  ihrer  Geste  völlig  ausgeschlossen. 

Auch  die  weitere  Vermutung,  daß  die  Figur  wegen  der  unaus- 
gebildeten  Brust  ein  geschlechtlos  aufgefaßter  Engel  sei,  ist  unhaltbar. 
Wäre  sie  richtig,  dann  hätten  wir  in  diesem  Ölberg  zwei  Engel  vor  uns, 
was  an  sich  nicht  unmöglich  ist,  da  uns  dies  in  der  Barockplastik  nicht 
selten  begegnet.  So  findet  sich  diese  ikonographische  Eigenart  an  einem 
darum  interessanten  Ölberg  in  dem  Freiburg  benachbarten  Kenzingen, 
der  ungefähr  der  gleichen  Zeit  angehört  wie  der  Wenzingers  3). 

Dort  tritt  zu  den  üblichen  Personen  noch  ein  zweiter  Engel  hinzu, 
der  hinter  Christus  stehend  ihn  in  seinem  Seelenkampfe  unterstützt, 
ähnlich  wie  auf  dem  Ölbergrelief  in  den  Passionsszenen  von  T.  Boudin 
an  dem  Chor  der  Kathedrale  zu  Chartres  von  1611,  wo  der  Herr  von 
zwei  Engeln  gehalten  wird  4).  Unsere  Figur  aber  kann  kein  Engel  sein, 
denn,  ganz  abgesehen  von  der  dazu  nicht  passenden  Stellung,  fehlt  ihr 
das  wichtigste  Attribut,  die  Flügel.  Übrigens  hat  Wenzinger  Engelfiguren 
mit  ganz  ausgebildeter  Brust,  so  z.  B.  den  Posaunenengel  auf  dem  Denk- 
mal des  Generals  von  Rodt  im  Münster  zu  Freiburg 5). 

Nun  bliebe  noch  die  Möglichkeit,  daß  die  Figur  eine  allegorische 
Darstellung  sei,  etwa  eine  Verkörperung  der  Trauer  der  Christenheit  beim 
Anblick  des  seelischen  Leidens  Christi  und  des  Verrates  des  Judas,  wie 
dies  dem  Geiste  des  18.  Jahrhunderts  sehr  wohl  entspräche.  Und  in  der 
Tat  handelt  es  sich  auch  um  eine  solche,  allein  es  ist  nicht  die  Dar- 
stellung einer  allegorischen  Abstraktion,  sondern  die  Verkörperung  alle- 
gorisch-symbolischer Beziehungen,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  an  einen 
bestimmten  historischen  Namen  angeschlossen  haben.  Für  diese  Ver- 


3)  Erwähnt  bei  Kraus,  Kunstdenkmäler  des  Großherzogtums  Baden  Bd.  6.  I.  Abt. 
1904  S.  166,  doch  ohne  Hervorhebung  des  zweiten  Engels. 

*)  Ltibke,  Geschichte  der  Plastik  1863  S.  687. 

5)  Abbildungen  dieses  Denkmals  bei  Schäfer,  Christian  Wenzinger.  Zeitschrift 
Schau  - ins  - Land  19.  Jahrg.  1893.  S.  31.  — D ehio  und  W in ter,  Kunstgeschichte  in 
Bildern,  Leipzig  1900,  Abt.  5 Tafel  82.  — Kuhn,  Allgem.  Kunstgeschichte,  Einsiedeln 
Bd.  2.  Geschichte  der  Plastik,  Einschaltbild  zu  S.  760. 


Zur  Ikonographie  der  Ölbergdarstellung. 


51 


Wendung  einer  historischen  Persönlichkeit  sollen  im  folgenden  die  Unter- 
lagen gegeben  werden. 

Die  Passionsdarstellungen  der  bildenden  Kunst  sind  häufig  über 
den  biblischen  Rahmen  hinausgegangen,  sei  es,  daß  biblische  Andeutungen 
erweitert  wurden,  sei  es,  daß  ganz  neue  Personen  Aufnahme  fanden. 
Diese  Neuerungen  flössen  aus  den  verschiedensten  Quellen.  Eine  Hauptquelle 
dafür  ist  das  Passionsspiel.  Hierher  gehören  die  Übernahme  von  Genre- 
szenen, wie  das  Zimmern  des  Kreuzes  durch  die  Zimmerleute,  das  Schmieden 
der  Nägel,  das  Binden  der  Ruten,  ebenso  die  Ausbildung  der  Procla- 
szenen  und  vieles  andere  mehr6 7). 

Auch  die  Ölbergszene  hat  dadurch  eine  Erweiterung  erfahren.  Zwei 
Miniaturen  Fouquets  zeigen  eine  alte  Frau,  die  die  Soldaten  in  den  Öl- 
garten führt  und  die  Nägel  des  Kreuzes  schmiedet.  Wie  Male  nach- 
gewiesen hat,  kommt  diese  Alte,  die  im  Schauspiel  Hedroit  heißt,  in  den 
Mysterienszenen  vor,  woher  sie  Fouquet  in  seine  Darstellungen  über- 
nahm?). 

Eine  fernere  Quelle  sind  die  theologisch-mystischen  Betrachtungen, 
die  entweder  direkt  oder  durch  Vermittelung  des  geistlichen  Schauspiels 
in  die  bildende  Kunst  gelangten.  Von  Bedeutung  dafür  sind  z.  B.  die 
Meditationen  Bonaventuras  über  das  Leben  Christi  geworden8 9).  Und  auf 
derartige  mystisch-theologische  Spekulationen  geht  es  auch  wohl  zurück, 
daß  Fra  Angelico  in  S.  Marco  auf  der  Darstellung  der  Ölbergszene  die 
beiden  heiligen  Frauen  Maria  und  Martha  in  ihrer  Zelle  die  Vorgänge 
im  Garten  Gethsemane  betend  miterleben  läßt9). 

Mit  diesen  Quellen  hat  die  Anwesenheit  unserer  Figur  in  der  Öl- 
bergdarstellung Wenzingers  nichts  zu  tun,  sie  kam  vielmehr  aus  einem 
dritten  Gebiet,  der  Legende.  Auf  Grund  der  Identifikation  der  Maria 
Magdalena  mit  der  Sünderin  bei  Lukas,  die  Christus  die  Füße  salbte,  und 
mit  der  Maria  von  Bethanien,  sowie  des  Berichts  von  der  Gefolgschaft, 


6)  Male,  Le  renouvellement  de  l’art  par  les  »Mysteres«  a la  fin  du  moyen  äge. 
Gazette  des  Beaux  - Arts.  Paris  1904.  S.  290  ff.  — Tscheuschner,  Die  deutsche 
Passionsbühne  und  die  deutsche  Malerei  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  in  ihren  Wechsel- 
beziehungen. Repertorium  für  Kunstwissenschaft  XXVII,  XXVIII  1904 — 05  S.  442, 
wo  auch  noch  andere  unerklärte  Erweiterungen  angeführt  sind,  wie  z.  B.  die  alte  Frau 
bei  Hannas  auf  Dürers  kleiner  Passion  und  ähnlich  der  Mann  bei  Schongauer  (B.  1 1). 

7)  Comptes  rendus  de  l’Academie  des  Inscriptions  et  Beiles  - Lettres,  Paris  1903. 
Bulletin  de  Juillet-Aoüt  S.  330.  — Male,  a.  a.  O.  S.  292. 

8)  Vergl.  darüber  die  erwähnte  Arbeit  von  Male  S.  96  ff. 

9)  Detzel,  Christi.  Ikonographie,  I.  Band  Freiburg  i.  B.  1894,  S.  350 ff.  — Kraus, 
Geschichte  der  Christlichen  Kunst,  2.  Bd.  I.  Abth.  Mittelalter,  Freiburg  i.  B.  1897,  S 
301 — 2.  — Sauer,  Kunstgeschichtliche  Literaturbesprechungen,  Literarische  Rundschau, 
1907  Nr.  9 S.  37. 


4’ 


52 


Gustav  Mtinzel: 


die  Maria  Magdalena  dem  Herrn  leistete  (Luk.  8,  i — 3)  baute  die  Legende 
weiter.  Sie  erzählte,  daß  Maria  Magdalena  voll  Reue  über  ihre  Sünden 
und  aus  dankbarer  Liebe  für  deren  Verzeihung  sich  fast  immer  in  un- 
mittelbarer Nähe  Christi  aufgehalten  habe,  und  ein  Teil  der  Legenden- 
erzähler nahm  auch  ihre  Anwesenheit  bei  dem  Verrat  im  Ölgarten  an10). 

Die  betreffenden  Stellen  aus  einigen  dieser  Lebensbeschreibungen 
seien  hier  angeführt.  Hrabanus  Maurus  sagt  in  seiner  vita  B.  Mariae 
Magdalenae11):  — — Secuta  est  incontinenti  [...],  Salvatoris  proditio 
et  passio.  Prodiit  eum  per  osculum,  unus  ex  suis  apostolis,  in  horto 
trans  torrentem  Cedron,  cohorti  et  ministris  pontificum,  quos  conduxerat, 
cum  laternis  et  facibus  et  armis.  Cumque  vinctus  abduceretur,  discipuli 
ejus,  relicto  eo,  omnes  fugerunt  (Matth.  XXVI,  56).  Mariae  vero  Mag- 
dalenae  devotio  non  defecit.  Tune  pelli  suae  consumptis  carnibus  adhaesit 
os  Salvatoris  (Job.  XIX,  20),  quia  Juda  prodente,  Petro  negante,  et  fu- 
gientibus  decem  apostolis:  Mariam  Magdalenam,  juxta  se,  semper  invenit 
fortitudo  Redemptoris.  Quis  exprimat  dolorem  cordis  ejus,  et  mentis 
amaritudinem?  aestuabant  praecordia  ejus,  dum  cerneret  dilectum  suum, 
osculo  tradi,  catenis  vinciri,  et  ad  pontificis  Annae  palatium  abduci.  — 

Weiter  sei  erwähnt  der  sermo  de  S.  Maria  Magdalena  des  Abtes 
Odo  von  Cluny12). 

Quid  vero  ex  hujuscemodi  dilectionis  professione  consecuta  sit; 
ipse  Dominus  manifestat,  qui  Symoni  indignanti  cur  ad  se  mulierem 


I0)  Als  Beispiel  für  die  abweichende  Fassung  der  Legende,  die  die  Anwesenheit 
der  Maria  Magdalena  im  Ölgarten  nicht  annimmt,  diene  eine  Stelle  aus  dem  Speculum 
Poenilentiae  des  Conventualen  F:  Augustinus  Hoffman  | Constantz  1597  j,  von  dem  auch 
die  Verschiedenheit  der  »Betrachtungsweisen«  hervorgehoben  wird.  S.  74  das  32.  Capitel: 
» Wie  der  Mutter  deß  Herren  | Marthae  un  Magdalenae  vom  Joanne  trawrige  Bottschaft 
kompt  wie  der  Herr  am  Oelberg  von  den  Juden  gefangen  j und  jämmerlich  gebunden 
seye.  Christus  ist  gefangen.  Sobaldt  nun  unser  lieber  Herr  und  Seligmacher  am 
Oelberg  gefangen  ] gebunden  | und  in  Annas  Hauß  geführt  worden  | und  der  H.  Joannes 
vermerckt  hett  j dz  er  auch  in  Caiphas  Hauß  solte  geführt  werden  | schreiben  etliche 
Betrachtungsweiß  | er  seye  auß  der  Statt  gen  Bethanien  zu  der  Mutter  deß  Herre  j zu 
Marthen  un  Magdalena  gange.  — Joannes  bringt  trawrige  Bottschaft  vö  Christo.  Als 
er  nun  an  de  Hauß  Marthae  anklopffet  | ward  er  alsbald  von  jnen  erkent  un  eingelassen 
(dan  wenig  schlaffs  dieselbige  nacht  sie  überfallen  hett)  mit  vermelden  wie  jr  lieber 
Herr  un  Meister  jämerlich  gefangen  were. « 

")  B-  Rabani  Mauri  Opera  omnia,  tom.  VI.  Patrologia  latina  ed.  Migne  1852. 
De  vita  Beatae  Mariae  Magdalenae  et  sororis  ejus  sanctae  Marthae.  Cap.  XX  1461 — 62. 

I2)  Dieser  sermo  Odos,  des  Begründers  der  Kongregation  von  Cluny  und  Wieder- 
herstellers des  Klosters  Fleury  im  xo.  Jahrhundert,  ist  abgedruckt:  Acta  Sanctorum  Julii. 
Tomus  quintus  (Antuerpiae  1727).  Dies  vigesima  secunda  Julii : De  S.  Maria  Magdalena 
(Joh.  B.  Sollerius).  Sermo  de  S.  Maria  Magdalena  auctore  Odone  abbate  Floriacensi  et 
Cluniacensi  S.  218.  Abschn.  172.  — 


Zur  Ikonographie  der  Ölbergdarstellung. 


53 


peccatricem  permitteret  accedere,  conversus  ad  illum  respondit  inter 
cetera;  Amen  dico  tibi,  dimissa  sunt  ei  peccata  multa,  quia  dilexit 
multum.  zuae  Domini  adepta  clementiam,  ut  Lucas  describit,  illico, 
posthabitis  omnibus,  ita  familiaris  effecta  est,  ut  ipsum  non  solum  mente, 
sed  et  corpore  sequeretur,  de  propriis  facultatibus,  utpote  valde  locuples, 
victum  et  vestitum  ei  ministrans;  implens  bifarie  dominicum  praeceptum 

dicentis:  Qui  mihi  ministrat,  me  sequatur. Und  ferner  daraus  der 

Abschnitt  Constantia  fideiI3):  — : — Sed  his  breviter  praelibatis,  ad 
ipsius  fidei  constantiam  atque  ferventissimae  dilectionis  ardorem,  nec  non 
et  quod  in  passione  Domini  specialiter  ac  familiariter  peregerit;  cunctis 
admirandum  imo  magis  imitandum  mortalibus,  perveniendum  est.  Nam 
haec  sancta  Mulier  Dominum  secuta,  sicut  jam  praefati  sumus,  et  de 
suis  largissimis  facultatibus  illi  devotissime  ministrans;  postquam  vidit 
eum  comprehensum,  ligatum,  flagellatum  omnibusque  subsannationibus 
et  irrisionibus  delusum,  ad  ultimum  pro  salute  generis  humani  in  cruce 
positum;  discipulos  etiam  qui  prius  dicebant;  Eamus  et  nos,  et  moriamur 
cum  ipso,  terga  vertisse:  ipsa  cum  eo  remansit,  quia  quae  arctius  et 
ferventius  eum  dilexerat,  nec  a mortuo  potuit  separari.  Et  sic  impletum 
est  tempore  dominicae  passionis,  quod  olim  per  beatum  Job  dictum 
fuerat;  Pelli  meae,  consumptis  carnibus,  adhaesit  os  meum,  et  derelicta 
sunt  tantummodo  labia  circa  dentes  meos.  Quasi  enim  consumptis 
carnibus  pellis  ossi  adhaeret,  quando  discipulis  fugientibus,  beata  Maria 
Magdalena  cum  Domino  perseveravit.  Et  tamdiu  permansit  quousque 
diversis  conditum  aromatibus  in  sepulchro  collocari  prospexit.  — 

Aus  der  Reihe  der  Späteren,  die  im  allgemeinen  betonen,  daß  die 
Heilige  Jesus  im  Leben  wie  im  Tode  nicht  verließ,  sei  Stengelius^)  er- 
wähnt: — Maria  igitur  Magdalena,  ut  non  deseruerat  Jesum  in  vita, 
quocunque  iret  sequens  ac  ministrans  ei:  ita  nec  in  morte  deseruit,  nam 
amor  fecit,  quod  Dominum  ad  mortem  usque  comitata  sit, . . . 

Diese  Anführungen  mögen  genügen  I5). 

Die  angegebenen  Stellen  betonen  entweder  im  allgemeinen  die  An- 
wesenheit der  Maria  Magdalena  bei  dem  Leben  und  Sterben  Christi 
oder  heben  ihre  Gegenwart  im  Garten  Gethsemane  bei  dem  Verrate  des 

r3)  A.  a.  O.  S.  220.  Abschn.  179. 

*4)  Carolus  Stengelius,  S.  Mariae  Magdalenae  vitae  historia  commentario  illustrata. 
Aug.  Vind.  1622.  Cap.  XVII.  S.  239. 

>5)  Und  diese  Auffassung  der  Legende  läßt  sich  noch  bis  in  das  19.  Jahrhundert 
hinein  verfolgen,  was  eine  Stelle  aus  Cacheux,  Panegyrique  de  Sainte  Marie-Madeleine 
(Sainte  Marie  - aux  - Mines  1849)  S.  12  zeigen  mag:  — Que  dirai-je  du  devouement 
de  votre  sainte  patronne?  Si  les  apotres  abandonnerent  leur  divin  maitre  qu’ils  n’avaient 
ni  la  force  ni  le  courage  de  delivrer,  Madeleine  voulut  assister  a toutes  les  scenes  de 
cette  sanglante  tragedie,  dont  le  Souvenir  nous  arrache  des  larmes.  — 


54 


Gustav  Mtinzel:  Zur  Ikonographie  der  Ölbergdarstellung. 


Judas  noch  besonders  hervor.  Das  sind  die  Stellen,  die  die  Veranlassung 
zur  Aufnahme  der  Maria  Magdalena  in  die  Ölbergszene  gaben,  als  welche 
die  hier  behandelte  Figur  anzusehen  ist.  Wenn  man  dieser  selteneren 
Fassung  der  Legende  folgte,  so  hatte  dies  wohl  hauptsächlich  seinen 
Grund  in  den  symbolisch -allegorischen  Vorstellungen,  die  sich  mit  der 
Maria  Magdalena  verbanden.  So  schreibt  der  erwähnte  Odo1^):  Mystice 
autem  haec  beatissima  Mulier  sanctam  designat  Ecclesiam.  Und  weiter^): 
Bene  etiam  M.  Magdalena  dicitur:  Magdalus  vero  interpretatur  turris, 
et  significat  Ecclesiam.  — Auch  wurde  sie  als  ein  Bild  des  zum  Glauben 
bekehrten  Heidentums  aufgefaßt,  und  damit  zugleich  als  Typus  der 
christlichen  Kirche,  die  nur  aus  getauften  Heiden  bestand18). 

Diese  Fülle  von  allegorischen  Beziehungen,  die  sich  mit  der  Maria 
Magdalena  verband,  machte  es  unnötig,  zu  einer  abstrakten  Allegorie  zu 
greifen,  man  konnte  die  allegorische  Vorstellung  mit  einem  historischen 
Namen  verknüpfen. 

Es  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  der  Band  der  Acta  mit  dem 
sermo  Odos  im  Jahre  1727  erschien,  während  der  Ölberg  1745  errichtet 
wurde;  darum  ist  es  sehr  wohl  möglich,  daß  gerade  diese  Lebensbeschreibung 
die  Veranlassung  zu  der  Aufnahme  der  Maria  Magdalena  in  den  Ölberg 
wurde.  Der  beauftragende  Pfarrer  von  Staufen  konnte  darauf  aufmerksam 
geworden  sein  durch  die  Zugehörigkeit  seiner  Pfarrei  zu  der  Abtei  St. 
Blasien,  die  mit  den  Bollandisten  in  solchen  Beziehungen  stand,  daß 
diese  später  sogar  die  Fortsetzung  der  Acta  dorthin  verlegen  wollten^). 

l6)  Acta  Sanctorum  a.  a.  O.  S.  219  Abt.  173  und  ähnlich  S.  220. 

*7)  a.  a.  O.  S.  219.  Abt.  175. 

l8)  Über  die  allegorische  Auslegung  vergl.  weiter  Clarus,  Geschichte  des  Lebens, 
der  Reliquien  und  des  Kultus  der  heiligen  Geschwister  Magdalena,  Martha  und  Lazarus 
und  der  übrigen  Heiligen,  welche  das  Christentum  zuerst  in  Frankreich  verkündigt  haben. 
Regensburg  1852,  S.  103  ff. 

*9)  Wetzer  und  Weltes  Kirchenlexikon,  II.  Auflage,  Freiburg  1883,  II.  Band. 
Artikel  »Boiland«  von  A.  Schmid.  Sp.  989. 


/ 


Falsificazioni  didocumenti  per  lastoria  dell’arte  romana1)* 

Von  Giacomo  de  Nicola. 

Le  varie  ragioni  che  mi  avevano  indotto  a ritardare  1’  estensione 
di  queste  note  cadono,  oggi  che  di  alcuni  degli  stessi  fatti  cui  esse  note 
si  riferiscono  hanno  dovuto  parlare  il  Venturi2 3 4 5)  e il  Brunelli3).  E’tempo 
che  mostri  il  fondamento  dell’accusa  di  falso  da  me  rivolta  a tutto 
un  gruppo  di  documenti  sulla  storia  dell’arte  romana  editi  dal  Giordani, 
e che  ne  assuma  pubblicamente  la  responsabilitä. 

Dovevo,  Testate  scorsa,  corredare  di  note  dei  documenti,  di  prossima 
pubblicazione,  tratti  dalT  archivio  di  san  Giovanni  in  Laterano,  e,  fra 
essi,  uno  che  riguardava  T orafo  Nardo  Corbolini.  Nardo  Corbolini  era 
da  poco  salito  al  grado  di  scultore,  e tra  i piü  insigni  scultori  del  suo 
tempo  a Roma,  giacch£  un  nuovo  documento  gli  dava  gran  parte  nei 
rilievi  del  tabernacolo  di  Sisto  IV 4).  Era  naturale  che  di  questo 

documento  io  dovessi  tenere  molto  conto;  ma,  sospettando  che  fosse  stato 
male  trascritto,  volli  riscontrarlo  nelToriginale. 

La  cosa  non  era  difficile,  data  le  precisione  del  seguente  passo 
che  lo  conteneva5):  »Il  Grimaldi  (cod.  Barber.  XXXIV,  50  a c.  160)  fa 
precedere  il  disegno  ricostruttivo  dell’opera  [il  tabernacolo  di  Sisto  IV] 
da  un  cenno  esplicativo,  riportandosi  al  codice  Vaticano  »Summa  super 
titulis  decretalium  edita  ab  Archiepiscopo  Ebrudunense«  e di  1 k trae 
alcune  notizie,  riguardanti  il  cardinale  Giovanni  Mellini,  incaricato  da 
Sisto  IV  alla  cura  della  costruzione  (Cod.  Vat.  1518  ac.  27  »MCCCCLXXX 
die  XVII  mensis  Maii.  Hane  summam  legavit  ho:  mei  Joannes  de  Mellinis 

>)  Cfr.  Georg  Gronau,  Gefälschte  Künstlerdokumente  (in  Monatshefte  für  Kunstw. 
I,  Heft  7/8,  S.  673  u.  f.). 

»)  Storia  dell’arte  italiana,  Vol.  VI,  p.  1121,  nota  1,  1130,  nota  2 e 1138  nota  1. 

3)  Jacopo  d’  Andrea  scultore  fiorentino  del  sec.  XV  (nelT  »Arte«  1908,  fase.  V 
p.  373—377)- 

A non  mettere  piü  indugio  a questa  pubblicazione  mi  ha  indotto  anche  il  fatto 
che  altri,  non  sospettando  di  nulla,  va  accogliendo  per  buoni  i documenti:  per  es.,  lo 
Steinmann  nell’  ultima  edizione  del  suo  Rom  in  der  Renaissance  (1908,  p.  55). 

4)  Paolo  Giordani,  Studii  sulla  scultura  romana  del  quattrocento  (nell’  »Arte« 
1907,  fase.  IV,  p.  273). 

5)  art.  cit.  dell’  »Arte«  a p.  273.  Per  maggiore  chiarezza  ho  dovuto  porre  le 
due  note  nel  testo,  tra  parentesi,  al  posto  dei  loro  richiami. 


56 


Giacomo  de  Nicola: 


ecc.  ecc. «).  Riconfrontato  il  cenno  del  Grimaldi  al  codice,  scoprimmo 
in  margine  al  medesimo  il  nome  degli  artisti,  che  furono  all’  uopo  salariati. 
Vi  si  dice.  » extant  in  testamento  (Johannis  de  Millinis)  solutiones  ad 
Nardum  Corbolinum  de  Urbe  sculpt.  mg.  ros  Franciscum  de  Anconia  et 
Raynaldum  de  Bonomia,  Nicolaum  Ciumare  marmorarios,  Benedictum 
pictorem,  qui  opus  fabrefecere. « 

Ma  nel  codice  vaticano  1518,  un  elegante  codice  in  pergamena 
del  quattrocento,  Poriirio  sta  tranquillamente  chiosando  le  odi  di  Orazio, 
e n£  a carta  27,  ne  in  alcun’  altra  carta,  vi  £,  per  un  caso,  la  nota 
marginale  indicata. 

Pensai  allora  che  fosse  errato  il  numero  del  codice.  Fortunatamente, 
il  Giordani  stesso  indicava  come  rettificarlo,  rimandando  al  Grimaldi,  sua 
prima  fonte.  E,  difatti,  il  Grimaldi  (c.  159b)  cita  la  »Summa  super 
titulis  decretalium  ecc.«,  e di  cui  riporta  tutto  il  brano  dato  dal  Giordani 
in  nota  (»MCCCCLXXX  die  XVII  mensis  Maii«  ecc.),  come  libro 
»Bibliotecae  Basilicae  S.  Petri«.  Non  restava,  dunque,  che  andare 
all’  archivio  della  Basilica  di  San  Pietro  per  trovare  il  codice.  E li, 
sotto  la  segnatura  22.  A.,  fu  trovata  la  »Summa  de  Titulis  Decretalium 
edita  ab  Archiepiscopo  Ebrudiensi «,  una  delle  solite  Summae  Decretalium 
bolognesi  del  trecento,  e nell’  ultima  carta,  sul  rovescio,  il  passo  riferito 
dal  Grimaldi* 6 7)  (»MCCCCLXXX  die  XVII  mensis  maii.  Hane  summam  « 
ecc.),  ma  in  nessun  margine  di  nessuna  carta  quello  che  premeva  di 
trovarvi,  cioe  1’  »extant  in  testamento  ecc.«.  Dunque  esiste  il  codice 
della  Summa,  ma  non  esiste  nel  codice  la  nota  di  pagamento  agli 
artefici  del  tabernacolo:  il  falso  £ evidente. 

E’tanto  evidente  che  credo  superflua  la  riprova  che  potrebbe  dare 
il  testamento  del  cardinale  Giovanni  Mellini.  Ma  io  ho  voluto  tentarla, 
senza  successo,  pero,  non  essendo  riuscito  a trovare  quel  testamento  nel 
suo  luogo  naturale,  quäle  e per  gli  arcipreti  della  basilica  vaticana  (e 
tale  fu  il  Mellini)  l’archivio  della  stessa  basilica,  nel  cui  catalogo 
manoscritto  (»Index  scripturarum  ecc.«)  l’elenco  dei  testamenti  ivi 
conservati  e’ nelle  carte  300 — 303  b del  primo  volume. 

Il  Corbolini  £ tornato  orafo.  Ma  anche  come  orafo  lo  stesso  articolo 
dell’  »Arte«  presume  di  accrescerne  l'importanza,  giacch£  produce 
documenti  secondo  i quali  Nardo  restaurö  la  statua  di  Marc’  Aurelio7) 
e 1’  angiolo  di  Castel  Sant’  Angelo8).  Perö  quei  documenti  furono  giä 
editi  dal  Müntz  in  Les  a,rts  ecc.  III  p.  176  e p.  242,  rispettivamente. 

6)  E dal  Grimaldi  passö  con  parecchie  inesatezze  nel  Müntz  (Les  arts  ece.  III. 

p.  149— 150). 

7)  p.  274,  nota  1. 

®)  p.  274,  nota  2. 


Falsificazioni  di  documenti  per  la  storia  dell’arte  romana. 


57 


E nello  stesso  Müntz9)  erano  giä  parecchi  anni  prima  gli  altri  due 
documenti  inediti  riportati  a pag.  275,  nota  1 e 2. 

In  quell’  articolo  non  ci  sono  altri  documenti,  ma  ne  £ pieno  un 
articolo  dello  stesso  Giordani  che  lo  precede10). 

Sarebbero  anche  questi  dello  stesso  genere?  Nella  ragionevolezza 
del  sospetto,  avvalorato  da  altri  indizi,  mi  posi  a rintracciarli,  uno  per 
uno;  ed  ecco  con  quäle  risultato. 

II  primo  che  si  presenta* 11)  £ ben  importante:  nel  1484  Paolo 
romano  (dunque  un  terzo  Paolo  romano,  ch£  il  secondo  era  certo  morto 
prima  del  1473)  ha  fatto  col  suo  discepolo  Gian  Cristoforo  il  sepolcro 
di  Pietro  Mellini  a Santa  Maria  del  Popolo.  L’  istrumento  6 detto 
all’  archivio  del  Sancta  Sanctorum,  in  data  del  24  sett.  1484. 

L’  archivio  giä  al  Sancta  Sanctorum  £ oggi,  come  ognuno  sa, 
all’  Archivio  di  Stato.  Nel  protocollo  V degl’  istrumenti  del  Sancta 
Sanctorum  si  contengono  »Instromenti  dalli  3 Luglio  1483  a tutto  li  26 
Luglio  1492.  Giorg.  Albini  de  Ca  [stiglioni] «.  E’questo  il  volume  dove 
dovremmo  trovare  1’  atto.  Si  noti  che  il  volume  fu  cosi  formato  dal 
quatirocento,  che  £ munito,  in  fondo,  di  un  repertorio  pure  del  tempo, 
e che,  come  ne  accerta  anche  la  numerazione  originaria  continua,  non 
ha  mancante  neppure  una  carta. 

Eppure  n£  lo  spoglio  attento  del  repertorio,  nd  della  rubricella 
alfabetica  aggiunta  in  principio  sotto  Clemente  XI,  n£  di  ogni  singolo 
atto,  pot£  fare  rin  venire  l’istrumento  del  24  settembre  1484,  o,  nell’  ipotesi 
di  una  data  errata,  un  istrumento  riferibile  alla  tomba  del  Mellini  e ai 
suoi  artefici. 

Piü  grave  constatazione  risultö  dall’  esame  del  secondo  documento 
del  Sancta  Sanctorum,  quello,  in  data  14  novembre  1485,  che  assegna 
il  sepolcro  di  Marco  Antonio  Albertoni  di  S.  Maria  del  Popolo  a Gian 
Cristoforo  e a un  Nicola  per  cessione  loro  fatta  da  Paolo  romano12). 

In  questa  parte  delle  mie  ricerche  ebbi  a compagno  il  dott.  Enrico 
Brunelli,  il  quäle  era  da  tempo  in  possesso  di  un  altro  documento  sullo 
stesso  sepolcro  Albertoni,  documento,  pure  tratto  dall’  archivio  del  Sancta 
Sanctorum,  che  alloga,  il  20  aprile  1487,  il  monumento  Albertoni  a 
maestro  Jacopo  d’Andrea. 

Il  Brunelli,  non  sospettando  della  bontä  di  alcuno  dei  due  atti, 
poteva  bene  metterli  d’accordo,  supponendo  ragionevolmente  che  il 
monumento,  assegnato  da  prima,  nel  1484,  a Paolo  romano  e a 'Gian 

9)  Op.  cit.  II  p.  29,  nota  1 e p.  21. 

10)  L’  »Arte«,  1907,  fase.  III,  p.  197 — 208. 

11)  p.  199  e riprodotto  a p.  208. 

,2)  p.  200  e riprodotto  a p.  208. 


5» 


Giacomo  de  Nicola: 


Cristoforo,  fosse  poi  dato  a finire  a Jacopo  d’Andrea.  Ma  le  mie  notizie 
gl’  insinuarono  una  ipotesi  un  pö  diversa. 

E,  difatti,  nel  citato  volume  quinto  aegli  istrumenti  dell’  archivio 
del  Sancta  Sanctorum,  mentre  trovammo  subito,  a c.  114,  il  documento 
riguardante  Jacopo  di  Andrea,  non  ci  fu  possibile  di  scorgere  traccia 
dell’altro  relativo  a Paolo  e a Gian  Cristoforo.  Vi  ö,  sf,  un  documento 
colla  stessa  data  del  14  Novembre  1485  (c.  79),  che  contiene,  perö,  una 
promessa  di  donazione  all’  ospedale  del  Salvatore  da  parte  di  Battista 
de  Fantiis. 

Ma  noi  dovevamo  chiamarci  ancora  piü  fortunati  pel  ritrovamento, 
fatto  sulla  scorta  dell’Adinolfi,  del  testamento  di  Caterina  Albertoni,  del 
3 marzo  1487,  nel  quäle  la  testatrice  prescrive  ai  suoi  eredi  che  colla 
somma  di  settanta  ducati  facciano  in  Santa  Maria  del  Popolo,  nel  luogo 
promesso  dai  preposti  alla  chiesa,  un  sepolcro  marmoreo  alla  memoria 
di  Marco  G).  II  20  aprile  dello  stesso  anno,  morta  Caterina,  gli  eredi 
danno  a Jacopo  d’  Andrea  la  commissione  del  sepolcro. 

II  testamento  di  Caterina  Albertoni  esclude,  dunque,  la  possibilitä 
dell’  introvabile  documento  del  14  novembre  1485. 

Dalla  serie  dei  documenti  dell’  »Arte«  viene  ora  innanziH)  il 
»über  fraternitatis  S.  ti  Spiritus,  preziosa  collezione  d’  autografi  ecc. «, 
una  specie  di  obituario,  a quanto  sembra,  che  non  dovrebbe  mancare 
nella  recente  raccolta  di  obituari  della  provincia  di  Roma  di  Pietro 
Egidix5)  se  esistesse.  Ma  all’  archivio  di  Stato,  dove  sono  tutte  le 
carte  antiche  di  Santo  Spirito,  non  si  conosce  quel  prezioso  manoscritto 
che  assegnerebbe  a Gian  Cristoforo  i monumenti  Lonati  e Podocataro  di 
Santa  Maria  del  Popolo. 

Ugualmente  irreperibile  ö il  »Über  de  exitu  « del  cardinale 
d’Aragona,  che  dä  notizia  di  due  nuove  medaglie  di  Gian  Cristoforo16), 
codice  citato  cosi,  tout  court,  come  se  dovesse  essere  per  tutti  il  piü 
familiäre  dei  codici. 

Viceversa  esistono  all’  archivio  di  Stato,  ne  possono  essere  altrove, 
i mandati  della  Camera  Apostolica  del  1506  e 1509  nel  volume  segnato: 
»Archivio  Camerale.  Mandati  dal  1500  al  1513«;  perö  io  non  ho 
saputo  leggervi  neppure  il  nome  di  Gian  Cristoforo,  tanto  meno  i 
pagamenti  di  quattro  sue  medaglie1?). 

>3)  Il  testamento  e all’  archivio  di  Stato  colla  segnatura : Sancta  Sanctorum  Arm.  IV 
Mazzo  IX  n.  52  A. 

J4)  p.  202. 

>5)  Necrologi  e libri  affini  della  Provincia  Romana,  Roma,  1908,  Vol.  I. 

l6)  p.  204 — 206. 

J7)  p.  206 — 207. 


Falsificazioni  di  documenti  per  la  storia  dell’arte  romana. 


59 


E’  terminato  il  secondo  articolo  di  Giordani,  ma  nön  i suoi  documenti, 
giacchd  egli  ha  voluto  fornirne  il  recente  libro  su  »La  scultura  nel 
Trecento  in  Roma«  (Torino,  1908)  della  signorina  Filippini.  La  gentile 
signorina  d,  per  fortuna,  al  riparo  di  qualunque  responsabilitä,  dichiarando 
sempre  a chi  spettino  le  scoperte  archivistiche. 

Il  posto  che  nei  precedenti  documenti  occupano  Paolo  romano  e 
Gian  Cristoforo  qui  d preso  dai  Salvati,  a ricostituire  la  operositä  dei 
quali  si  offrono  al  Giordani  concordi  gli  archivii  romani  del  Sancta 
Sanctorum,  del  Vaticano,  di  Sant’  Eligio,  di  Sant’  Alessio. 

S’  immagini  che  bell’  albero  genealogico  aveva  potuto  comporre  la 
Filippini!  Magister  Paulus  risale  per  tre  generazioni  a Cintio  de  Salvati18)! 

Purtroppo  non  uno  dei  nuovi  documenti  sfugge  al  severo  giudizio 
giä  espresso  per  gli  altri. 

Il  nominato  Cintio  d il  primo  a comparire  in  uno  spropositato, 
ma  abbastanza  lungo,  documento  del  1293  ricavato  dallo  »Stato  obituario 
di  Sant’  Alessio  « J9). 

Le  poche  pergamene  superstiti  alla  dispersione  fatta  del  cartulario 
dell’  antico  monastero  di  Sant’Alessio  sul  principio  del  sec.  XIX  le  ha 
raccolte  1’  archivio  di  Stato  dal  Corvisieri.  Ma  non  vi  d un  obituario 
tra  esse;  nd  di  un  tale  obituario  d parola  nel  diligentissimo  Studio  di 
Alfredo  Monaci  sul  Regesto  di  Sant’  Alessio20),  o nella  pubblicazione 
parziale  che  di  quell’  archivio  fece  il  Nerini  nel  settecento21). 

Un  altro  documento  del  1327  su  Pietro  Salvati  proviene  dall’  archivio 
di  Sant’  Eligio22). 

Non  si  comprende  bene  se  questo  documento  sia  tutt’  uno  con  quello 
accennato  a pag.  90,  secondo  il  quäle  lo  stesso  Pietro  Salvati,  nello 
stesso  anno  1327,  avrebbe  scolpito  per  la  chiesa  dei  Santi  Quattro  alcune 
Statuette  e un  bassorilievo  rappresentante  la  bottega  di  uno  scultore. 
Ad  ogni  modo  sarebbe  di  molto  interesse  sapere  dov’  e 1’  archivio  di 
Sant’  Eligio,  ignorandolo  gli  Studiosi  romani. 

Ancora  un  Salvato  eseguisce  per  la  chiesa  di  san  Matteo  di  via 
Merulana  due  statue  dei  principi  degli  apostoli.  E’  un  pagamento  del 

13x4  dell’  archivio  Vaticano,  scoperto  dal  Giordani,  che  ce  lo  rivela23). 

Disgrazia  vuole  che  proporio  1’  Introitus  et  exitus  di  quell’  anno  d 
mancante  da  circa  un  secolo  all’archivio  Vaticano:  ciascuno  pud 

«* *)  p.  88. 

’9)  P-  54- 

lc)  Nell’  Archivio  della  Societa  rom.  di  stör.  patr.  1904  p.  351  e ss.,  1905,  p.  151 
e ss.,  p.  395  f:  ss. 

JI)  De  Templo  et  coenobio  SS.  Bonifacii  et  Alexii,  Romae,  1752. 

“)  P-  87. 

*3)  p.  92  nota  1. 


6o 


Giacomo  de  Nicola:  Falsificazioni  di  documenti  per  la  storia  usw. 


controllare  che  T Intr.  et  exit.  n.  n va  fino  al  1309  e il  n.  12  ripiglia 
dal  1316.  E nemmeno  puö  supporsi  quel  pagamento  nei  Mandati 
Camerali,  avendo  questi  inizio  con  Bonifacio  IX. 

L’Introitus  et  exitus  (arch.  vat.)  del  1341,  invece,  £ ancora  al  suo 
posto:  £ nei  due  volumi  segnati  col  186  e 186A;  ma  io  li  ho  scorsi 
senza  trovarvi  il  pagamento  a maestro  Paolo  per  la  statua  di  Benedetto  XII*  24). 

Un  documento  del  1340  che  nomina  Paolo  di  Giovanni  Salvati 
non  6 riportato  nei  testo,  ma  e detto  che  fu  rinvenuto  dal  Giordani 
al  Sancta  Sanctorum25)! 

Si  ritorna  all’archivio  di  Sant’ Alessio  coli’  ultimo  documento  in  cui 
ne  1389  a Salvatello  e commesso  il  sepolcro  di  Urbano  VI 2Ö). 

Non  farä,  ormai,  piü  maraviglia  che  anche  questo  non  si  trovi. 
Perö  il  Nerini  riproduce  un  atto  del  1377,  in  cui  6 fra  i testimoni 
»Paulo  Salvatelli  Marmorario  de  regione  Trivii«  e nella  nota  67  della 
stessa  pagina,  a proposito  del  documento  che  segne,  dä  alcune  notizie 
di  Urbano  VI,  tra  l’altro  che  mori  il  15  ottobre  1389  e che  fu  sepolto 
in  S.  Pietro  27).  Sarebbe,  forse,  nato  il  documento  dalla  combinazione  di 
quel  nome  di  marmorario  nella  lista  dei  testi  cogli  accenni  storici  della 
nota?  Avremmo,  cosi,  per  un  momento,  sorpreso  il  falsicatore  nei  suo 
laboratorio. 

Ma  questa  ricerca,  che  si  potrebbe  estendere,  se  £ divertente,  non 
preme.  Io  non  ho  impugnato  l’autenticitä  dei  documenti  n£  per  il  modo 
con  cui  sono  redatti,  n£  per  il  contenuto  storico-artistico  (e  ne  avrei 
avuto  modo!),  bensi  solo  col  riferirmi  alle  fonti,  perch6  questo  esame 
A bastato. 

Parimenti  non  preme  di  sapere  di  quäle  materiale  si  sia  servito  il 
Giordani,  se  di  uno  schedario  del  sei  o settecento,  come  io  ero  da  prima 
propenso  a credere,  o dei  nostri  tempi,  come  £ quello  che  egli  ha  privata- 
mente  mostrato. 

Il  risultato  non  cambia  per  ciö.  E il  risultato  £ che  i suoi  documenti 
o sono  editi,  o sono,  per  difetto  d’indicazioni,  introvabili,  o sono  da 
tempo  perduti,  o sono,  per  fatti  e documenti  che  li  contradicono,  falsi. 

Altri  vorrä,  forse,  metterli  (eccetto  i primi,  naturalmente)  tutti  sotto 
1’  ultima  categoria. 

*4)  p.  101  e nota  3. 

25)  p.  105  e nota  3. 

l6)  p.  127  e nota  2. 

*7)  op.  cit.  p.  544. 


Michelangelo  und  der  türkische  Hof. 

Von  Friedrich  Sarre. 

Unter  den  von  Karl  Frey  aus  dem  Archivio  Buonarroti  ver- 
öffentlichten Briefen  an  Michelangelo1)  beansprucht  für  denjenigen,  der 
den  künstlerischen  Beziehungen  zwischen  Italien  und  dem  Orient  in  der 
Renaissance  nachgeht,  ein  aus  dem  Jahre  1519  (1.  April)  stammendes 
Schreiben  eines  gewissen  Tommaso  di  Tolfo  in  Adrianopel  ganz  besonderes 
Interesse.  Mit  Aufbietung  aller  Künste  der  Überredung  sucht  der  Brief- 
schreiber den  Meister,  der  ihm  von  früher  her  bekannt  ist,  dazu  zu 
überreden,  sobald  wie  möglich  nach  Adrianopel  zu  kommen  und  als 
Maler  in  die  Dienste  eines  kunstsinnigen  vornehmen  Mannes,  seines  Herrn, 
zu  treten.  Wir  beschränken  uns  darauf,  die  Hauptpunkte  aus  dem  auch  von 
Thode2 3 4)  jüngst,  in  Übersetzung,  veröffentlichten  Schreiben  hervorzuheben. 

Vorbereitungen  für  die  umständliche  Reise  des  Künstlers  von 
Italien  nach  Adrianopel  hat  Tommaso  bereits  in  weitestem  Maße  getroffen. 
Er  hat  die  mit  Michelangelo  auch  sonst  in  Verbindung  stehenden 
Banquiers  Gondi  in  Florenz  angewiesen,  ihm  Geld,  falls  er  es  wünsche, 
für  die  Reise  vorzuschießen;  nach  Ragusa  würde  ihm  ein  Empfehlungs- 
schreiben des  betreffenden  hohen  Herrn  entgegengesandt,  in  Skutari3) 
der  Befehlshaber  angewiesen  werden,  ihm  eine  Begleitmannschaft  bis 
nach  Adrianopel  zu  stellen  (vna  chompagnia  buona,  che  vi  achompagnara 
per  infino  qua).  Wolle  Michelangelo  selbst  nicht  kommen,  so  möge  er 
einen  anderen  hervorragenden  Maler  senden  (vno  altro  pintore  que  sia 
di  meglio  che  ogi  di  si  trouj  in  christianita  di  pitura);  der  solle 
eins  seiner  besten  Werke  mitbringen.  Als  Beweis  für  den  Kunstsinn 
und  für  die  Freigebigkeit  des  betreffenden  Herrn  führt  der  Briefschreiber 
an,  daß  jener  jüngst  einem  Manne,  der  ihm  eine  Antike,  die  Statue  einer 
liegenden  nackten  Frau  mit  hinter  dem  Kopf  verschränkten  Armen4),  die 
nicht  einmal  etwas  Ausgesuchtes  sei,  verschafft,  mit  400  Golddukaten 

*)  Sammlung  ausgewählter  Briefe  an  Michelagniolo  Buonarroti.  Berlin  1899.  S.  137. 

2)  Michelangelo.  Kritische  Untersuchungen  über  seine  Werke.  II.  Berlin  1908. 

S.  419. 

3)  So  deutet  Frey  wohl  mit  Recht  den  Namen  Chocia.  Skutari  lag  schon  auf 
türkischem  Gebiet. 

4)  Wahrscheinlich  die  Figur  einer  Nymphe. 


6 2 


Friedrich  Sarre: 


belohnt  und  ihm  außerdem  einen  höheren  Rang  und  eine  bessere  Stellung 
in  seinen  Diensten  gegeben  habe.  Er  erinnert  Michelangelo  daran,  daß 
dieser  ihm  vor  ungefähr  15  Jahren  im  Hause  des  Gianozo  Salviati  davon 
gesprochen  habe,  er  wolle  gern  nach  der  Türkei  kommen  (di  uenire 
a uedere  questo  paexe);  damals  habe  er  ihm  davon  abraten  müssen, 
denn  der  damalige  Herr  sei  kunst-  und  bilderfeindlich  gewesen,  während 
sein  jetziger  hoher  Herr  gerade  als  das  Gegenteil  bezeichnet  werden 
müsse  (»per  esere  a quello  tempo  vno  signore,  il  qualle  non  si 
dillectaua  di  fighura  di  nesuna  sorta,  anzi  piu  presto  lauetta  (l’avette) 
in  odio;  diche  al  prexente  questo  nostro  illustrissimo  signore  e tuto  per 
lo  oposito«). 

Michelangelo  hat  diesem  Rufe,  in  der  Türkei  tätig  zu  sein,  nicht 
Folge  geleistet.  Der  Brief  hat  seinen  Zweck  verfehlt;  aber  trotzdem 
möchte  man  Näheres  über  die  hier  nur  angedeuteten  Beziehungen  des 
Künstlers  zum  Orient  wissen.  Wer  sind  die  beiden  »Signori«,  von 
denen  die  Rede  ist?  Frey  hält  sie  für  »Großwürdenträger  der  Türken, 
etwa  Paschas  von  Adrianopel « und  meint,  daß  der  Gedanke  an  die 
Sultane  Bajezid  II.  (1481  — 1512)  und  Selim  I.  (1512  — 1520)  wohl  aus- 
zuschließen sei.  Thode  läßt  die  Frage  offen;  sonst  sind  m.  W.  neuere 
Biographen  Michelangelos  nicht  auf  diesen  Brief  zu  sprechen  ge- 
kommen. 

Michelangelos  Beziehungen  zur  Türkei  und  zum  Großsultan  gehen 
auf  das  Jahr  1506  zurück,  als  er  sich  auf  der  Flucht  vor  Julius  II.  in 
Florenz  aufhielt.  Damals,  so  erzählt  Condivi  (XXX.),  dachte  er  daran, 
pach  der  Levante  zu  gehen,  hauptsächlich  weil  er,  vermittelst  einiger 
Mönche  vom  hl.  Franziskus,  vom  Türken  mit  den  größten  Versprechungen 
angegangen  worden  war,  der  ihn  brauchen  wollte,  von  Constantinopel 
nach  Pera  eine  Brücke  zu  bauen,  wie  auch  zu  anderen  Geschäften  (fare 
un  ponte  da  Constantinopoli  ä Pera,  e in  altre  cose  di  poi).  Als  aber 
der  Gonfaloniere  (Pier  Soderini)  dies  hörte,  brachte  er  ihn  von  dem 
Gedanken  ab,  indem  er  ihm  sagte:  »Che  piuttosto  eleggerebbe  di  morire 
andando  al  Papa,  que  vivere  andando  al  Turco«5).  Wir  wissen,  daß 
Sultan  Bajezid  den  bildenden  Künsten  zwar  kein  Interesse  abgewann, 
daß  er  aber  die  »mechanischen  Künste«  unterstützte 6),  vor  allem  die 
Errichtung  von  Nützlichkeitsbauten  förderte  und  »als  Brückenbauer  in 
die  Fußtapfen  seines  Ahnherrn  Murads  II.  trat  «7).  Daß  der  Sultan 
schon  den  Plan,  der  erst  im  19.  Jahrhundert  verwirklicht  werden  sollte, 

5)  Aurelio  Gotti.  Vita.  I.  p.  45. 

6)  L.  Thuasne:  Djem-Sultan.  Paris  1892.  p.  28 ff. 

7)  J.  von  Hammer-Purgfstall:  Geschichte  des  Osmanischen  Reiches.  I.  Pesth 
1830.  S.  687  fr. 


Michelangelo  und  der  türkische  Hof. 


63 


gefaßt  hat,  über  das  Goldene  Horn  eine  Brücke  zu  schlagen8 *)  und  seine 
Residenz,  das  türkische  Stambul,  mit  den  Frankenstädten  Pera  und  Galata 
zu  verbinden,  zeugt  von  der  Kühnheit  seiner  technischen  Unternehmungen. 
Der  Sultan  mag  von  der  Flucht  Michelangelos  aus  Rom  gehört,  er  mag 
von  seiner  verzweifelten  Stimmung  in  jener  Zeit  unterrichtet  gewesen 
sein  und  geglaubt  haben,  daß  er  jetzt  den  Künstler  zur  Übersiedelung 
nach  Konstantinopel  mit  Erfolg  veranlassen  könnte.  Nicht  als  Bildhauer 
und  Maler,  sondern  als  Baumeister  und  Überwinder  technischer  Schwierig- 
keiten wollte  er  ihn  in  seinen  Diensten  haben.  Er  wählte  bei  diesem 
Versuche  nicht  den  offiziellen  Weg  durch  einen  Abgesandten,  sondern 
übermittelte  seinen  Wunsch  heimlich  durch  Franziskanermönche  9). 
Michelangelo  scheint  nach  Condivis  Bericht  große  Lust  gehabt  zu  haben, 
dem  Rufe  zu  folgen10).  Als  eine  glückliche  Lösung  seiner  unerquick- 
lichen Lage  mag  ihm  der  Eintritt  in  die  Dienste  des  Großherrn 
erschienen  sein;  er  mag  an  eine  Reihe  seiner  Landsleute  gedacht  haben, 
an  einen  Gentile  Bellini,  der  sich  Ruhm,  Ehre  und  Lohn  am  Sultanshof 
geholt  hatte.  Und  doch  folgte  er  dem  lockenden  Rufe  nicht;  nach 
Condivi  hat  ihn  Pier  Soderini  von  dem  Entschluß  abgebracht.  Der 
Brief  des  Tommaso  di  Tolfo  vom  Jahre  1519  macht  einen  von  anderer 
Seite  ausgehenden  und  bestimmenden  Einfluß  auf  Michelangelo  sehr 
wahrscheinlich.  Er  schreibt,  daß  es  ungefähr  15  Jahre  (hora  fa  15 
anni  incircha)  her  seien,  als  sie  im  Hause  des  Gianozo  Salviati 
zusammengekommen  wären,  und  er  ihn  von  seinem  Verlangen, 
nach  der  Türkei  zu  gehen,  abgebracht  hätte11).  Ich  möchte  an- 
nehmen, daß  sich  Tommaso  di  Tolfo  in  der  Zeit  irrt,  daß  nur 
13  Jahre  verstrichen  sind,  und  daß  die  Unterredung  eben  in  jener 
kritischen  Zeit,  April  bis  November  1906,  stattfand,  als  das  Sultans- 
Anerbieten  an  Michelangelo  herangetreten  war.  Was  natürlicher,  als  daß 

8)  Wie  aus  den  Aufnahmen  Konstantinopels  durch  Melchior  Lorichs  (1559)  hervor- 
geht, scheint  zu  seiner  Zeit  ganz  oben,  im  nördlichen,  schmalen  Teile  des  Goldenen 
Horns,  hinter  Ejub,  eine  Brücke  vorhanden  gewesen  zu  sein  (E.  Oberhummer:  Konstantinopel 
unter  Suleiman  dem  Großen.  München  1902).  Hier  handelt  es  sich  jedoch  um  den 
ca.  450  m breiten  Meeresarm,  über  den  jetzt  zwei  Brücken  führen.  Die  ältere  wurde 
1836  unter  Machmud  II.,  die  jüngere  1845  von  der  damaligen  Sultanin-Mutter  erbaut 
(Briefe  über  Zustände  in  der  Türkei  von  Helmuth  von  Moltke.  1893.  S.  82). 

9)  In  ähnlicher  Weise  ließ  Muhammed  der  Eroberer  im  Jahre  1479  den  Brief, 
worin  er  die  Signoria  von  Venedig  um  die  Sendung  eines  Malers  ersuchte,  nicht  auf 
diplomatischem  Wege,  sondern  durch  einen  Juden  überbringen  (L.  Thuasne:  Gentile 
Bellini  et  Sultan  Mohammed  II.  Paris  1888.  p.  10). 

10)  Bei  seinem  Aufenthalt  in  Venedig  (1529)  hat  sich  Michelangelo  mit  dem 
Plane  beschäftigt,  den  Kanal  der  Giudecca  zu  überbrücken. 

")  Thode  (Michelangelo  I.  S.  347)  setzt  dieses  Zusammentreffen,  dem  Briefe 
des  Tommaso  entsprechend,  in  das  Jahr  1504. 


64 


Friedrich  Sarre: 


er  sich  bei  einem  Manne,  der  in  der  Türkei  zu  Hause  und  über  die 
türkischen  Verhältnisse  genau  unterrichtet  war,  Rat  holte,  daß  er  ihn 
über  den  hohen  Herrn,  in  dessen  Dienste  er  treten  sollte,  ausfragte?  Und 
da  erfuhr  er  dann,  daß  »ein  Herr  regierte,  der  keine  Freude  an  figürlichen 
Darstellungen  irgendwelcher  Art  hatte,  vielmehr  sie  haßte«.  Dies  der 
vermutliche  Grund,  weswegen  Michelangelo  den  Plan  aufgab;  unter 
diesen  Umständen  kam  für  ihn  der  Übergang  in  türkische  Dienste  nicht 
mehr  in  Frage.  Wie  die  eines  Gentile  Bellini  hatte  er  sich  wohl  seine 
dortige  Stellung  ausgemalt;  als  Brückenbaumeister  am  Hofe  eines 
fanatischen,  kunst-  und  bilderfeindlichen  muhammedanischen  Herrschers 
konnte  für  ihn  kein  Platz  sein.  Und  ein  solcher  ist  im  Gegensatz  zu 
seinem  Vater,  Muhammed  dem  Eroberer,  Sultan  Bajezid  in  Wahrheit 
gewesen.  Wir  wissen  aus  den  Memoiren  des  Italieners  Angiolello,  daß 
der  Herrscher  sofort  nach  seiner  Thronbesteigung  alle  Kunstwerke  und 
Gemälde,  die  sein  kunstsinniger  Vater  im  Serail  vereinigt  hatte,  entfernen 
und  im  Bazar  von  Konstantinopel  verkaufen  ließ,  wo  sie  von 
europäischen  Kunsthändlern  aufgekauft  und  nach  Europa  gebracht 
wurden1* *).  Dies  auch  der  Grund,  weshalb  sich  nichts  von  Bellinis 
Arbeiten  in  Konstantinopel  erhalten  hat,  mit  Ausnahme  eines  kleinen 
Miniaturporträts,  das  jüngst  zum  Vorschein  gekommen  ist  r3). 

Und  wie  in  dem  Briefe  des  Tommaso  die  Tolfo  vom  Jahre  1519 
mit  dem  »kunstfeindlichen  Herrn«  Sultan  Bajezid  gemeint  ist,  soll 
mit  dem  jetzigen  »kunstfreundlichen  Herrn«,  in  dessen  Dienste  zu 
treten  er  Michelangelo  auffordert,  sein  Sohn  und  Nachfolger  Sultan 
Selim  I.  meiner  Ansicht  nach  gemeint  sein.  Er  nennt  ihn  »nostro 
illustrissimo  signore « ; so  würde  er  von  einem  » Pascha  von  Adrianopel « 
nicht  sprechen.  »Unser  Herr  (türk.  Effendimiz) «,  ist  der  Ausdruck,  der 
in  der  Türkei  noch  heute  angewendet  wird,  wenn  man  vom  Sultan 
spricht.  Während  der  Briefschreiber  früher  Michelangelo  davor  gewarnt  hat, 
in  die  Dienste  des  kunstfeindlichen  Bajezid  zu  treten,  könne  er  jetzt  nur 
dazu  raten,  nach  der  Türkei  zu  kommen,  wo  ein  Herrscher  von  ganz 
entgegengesetzten  künstlerischen  Anschauungen  regiere;  und  es  folgt  als 
Beweis  die  oben  erwähnte  Geschichte  von  der  Auszeichnung  und 
Belohnung  eines  Mannes,  der  dem  Sultan  eine  antike  Figur  und  nicht 
einmal  eine  besonders  gute  verschafft  habe. 

Mit  dieser  Charakteristik  des  Tommaso  di  Tolfo  stimmt  das  Bild, 
das  uns  die  Geschichte  von  Selim  überliefert  hat,  vollkommen  überein. 
Trotz  seiner  tyrannischen  und  grausamen  Gemütsart,  seiner  kriegerischen 

JI)  »Historia  Turchesca  di  Gio.  Angiolello  Schiavo  et  altri  schiavi  dall’  anno 
1429  sin  al  1513«  zitiert  bei  L.  Thuasne,  Gentile  Bellini  p.  68. 

*3)  Jahrbuch  der  Kgl.  Preuß.  Kunstsammlungen  1906.  S.  302  ff.  und  1907.  S.  51. 


Michelangelo  und  der  türkische  Hof. 


65 


Neigungen,  war  der  Herrscher  ein  Freund  der  Wissenschaften  und  Künste, 
protegierte  er  Gelehrte  und  Dichter1**),  soweit  ihn  seine  kurze  achtjährige 
Regierungszeit  und  die  kriegerischen  Unternehmungen,  die  ihn  bis  nach 
Persien  und  Ägypten  führten,  dazu  kommen  ließen.  Konstantinopel 
wurde  durch  Bauten  verschönt,  wir  erfahren  von  einem  Marmorschloß, 
das  mit  Gemälden  aus  der  Geschichte  des  Hauses  Osman  geschmückt 
wurde  z5),  er  legte  den  Grundstein  zu  der  seinen  Namen  tragenden 
gewaltigen  Moschee,  die  erst  unter  seinem  Nachfolger  vollendet  werden 
sollte.  Sie  ist  ebenso  wie  die  große  Moschee  in  Adrianopel  ein  Werk 
des  genialen  Architekten  Sinan.  Adrianopel  — und  das  verdient  hier 
besonders  hervorgehoben  zu  werden  — hatte  zu  jener  Zeit,  ein  halbes 
Jahrhundert  nach  der  Einnahme  von  Konstantinopel,  seine  Rolle  als 
Hauptstadt  und  zeitweilige  Residenz  der  Sultane  noch  nicht  eingebtißt, 
war  noch  nicht  zu  einer  Provinzstadt,  die  es  heut  ist,  herabgesunken. 
Besonders  nach  dem  furchtbaren,  Konstantinopel  verheerenden  Erdbeben 
vom  Jahre  1509  war  Adrianopel  wieder  hauptsächlich  Residenzstadt  der 
Herrscher  geworden  und  blieb  es  bis  in  das  17.  Jahrhundert  hinein. 
Als  Selim  im  Jahre  1518,  also  ein  Jahr  vor  unserem  Briefe,  von  der 
Eroberung  Ägyptens  nach  Konstantinopel  zurückkehrt,  hält  er  sich  dort 
nur  einige  Tage  auf,  um  vom  4.  August  an  seinen  dauernden  Aufenthalt 
in  Adrianopel  zu  nehmen.  Noch  einmal  veranlaßt  den  Sultan  die  in 
Adrianopel  auftretende  Pest,  die  Stadt  zu  verlassen  und  nach  Konstanti- 
nopel überzusiedeln.  Auf  dem  Rückwege  von  hier  nach  Adrianopel 
stirbt  der  Sultan  am  22.  September  1520  (v.  Hammer  a.  a.  O.). 

Nach  dem  Gesagten  dürfte  es  keines  Beweises  mehr  bedürfen,  daß 
mit  dem  kunstsinnigen  Herrn,  in  dessen  Dienste  Michelangelo  im  Jahre 
1519  eintreten  soll,  der  Sultan  Selim  I.  gemeint  ist.  An  einen  »Groß- 
würdenträger, etwa  einen  Pascha  von  Adrianopel, « ist  meiner  Ansicht  nach 
nicht  zu  denken. 

Die  auffallende  Dringlichkeit,  die  Tommaso  di  Tolfo  in  seinem  Briefe 
zeigt,  die  umfangreichen  Vorbereitungen,  die  für  die  Reise  Michelangelos  ge- 
troffen sind,  die  Eile,  zu  der  er  drängt,  machen  es  ferner  sehr  wahrscheinlich, 
daß  er  in  höherem  Aufträge  handelt,  daß  sich  der  Sultan  des  Landsmanns  des 
Meisters  bedient,  um  diesen  zum  Eintritt  in  seine  Dienste  zu  veranlassen. 
Und  wenn  Michelangelo  selbst  nicht  kommen  wolle  oder  könne,  möge 
er  dafür  Sorge  tragen,  daß  ein  anderer  Maler,  » der  zu  den  besten  in 

’4)  Selim  hat  von  Kennern  der  orientalischen  Poesie  noch  heute  geschätzte 
Gedichte  in  persischer  Sprache  verfaßt.  Eine  Prachtausgabe  seines  »Divans«  ist  vor 
wenigen  Jahren  auf  Befehl  des  Deutschen  Kaisers  als  Geschenk  für  den  regierenden 
Sultan,  den  Nachkommen  des  fürstlichen  Dichters,  in  der  Reichsdruckerei  hergestellt  worden. 

J5)  v.  Hammer-Purgstall  a.  a.  O.  I.  S.  798. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


5 


66 


Friedrich  Sarre:  Michelangelo  und  der  türkische  Hof. 


der  Christenheit  gehört«,  sobald  als  möglich  abreise;  zum  Beweise  seiner 
Fähigkeiten  solle  dieser  aber  eine  Arbeit  seiner  Hand  mitbringen.  Darum  wird 
em  Michelangelo  nicht  erst  gebeten.  Um  welches  kaiserliche  Projekt  es  sich 
gehandelt  haben  mag,  um  die  Ausschmückung  eines  Schlosses  mit 
historischen  Gemälden  oder  um  die  Anfertigung  von  Bildnissen,  wissen 
wir  nicht;  auch  darüber  sind  wir  im  Unklaren,  wie  Michelangelo  diese 
Aufforderung  aufgenommen  hat.  Obgleich  ihm  diesmal,  wo  er  nicht 
nur  als  Brückenbaumeister  und  Ingenieur  tätig  sein  sollte,  rein  künstlerische 
Aufgaben  winkten,  ist  er  daheim  geblieben;  er  war  jetzt  in  ganz  anderer, 
glücklicherer  Lage,  als  vor  13  Jahren  in  Florenz,  anerkannt  und  mit  den 
größten  Arbeiten  beschäftigt,  die  ihm  die  Heimat  bot,  mag  er  den 
Gedanken,  in  die  Fremde  zu  ziehen,  gar  nicht  in  Erwägung  gezogen  haben. 

Es  ist  zwecklos,  sich  die  Entwickelung  auszumalen,  die  Michelangelo 
im  Orient  und  im  Dienste  der  mächtigsten  Herrscher  der  damaligen  Welt 
genommen  hätte;  und  doch  entbehrt  es  nicht  eines  gewissen  Reizes,  sich 
den  Baumeister  der  Peterskirche  unter  der  Kuppelwölbung  der  Hagia 
Sofia,  den  Maler  vor  den  koloristischen  Wundern  des  Orients  und  den 
Bildhauer  Michelangelo  in  Mitten  urwüchsigen  und  kraftstrotzenden  Volks- 
tums vorzustellen. 


Zur  Martin-Hess-Frage. 

Die  beiden  naturgemäßen  Zentren  für  die  mittelrheinische 
Kunst  sind  die  Bischofsstadt  Mainz  und  die  Messestadt  Frankfurt.  Mainz 
war  der  ältere  Sammelpunkt.  Nach  der  Eroberung  der  Stadt  durch 
Adolf  von  Nassau  im  Jahre  1462  wanderten  verschiedene  Künstler  und 
Kunsthandwerker  nach  Köln  aus.  Unter  ihnen  der  Buchdrucker 
Ulrich  Zell,  der  1466  in  Köln  die  erste  Buchdruckerei  eröffnet.  Wahr- 
scheinlich auch  der  Meister  E.  S. ; denn  wir  finden  um  diese  Zeit  seinen 
Einfluß  auf  die  Kölner  Kunst1).  Der  aus  Straßburg  stammende2)  Meister 
E.  S.,  der  wahrscheinlich  eine  Zeitlang  in  Mainz  ansässig  war,  kann  sehr 
wohl  das  Haupt  der  mittelrheinischen  Schule  gewesen  sein.  Er  war  eine 
nicht  unbedeutende  künstlerische  Persönlichkeit,  die  bis  nach  Italien 
Ansehen  hatte.  Haben  wir  doch  in  dem  Kupferstichwerk  des  sogen. 
Baccio  Baldini  zahlreiche  Figuren,  die  auf  den  Einfluß  des  Meisters  E.  S. 
weisen  und  in  der  Pietä  des  Sebastiano  del  Piombo  eine  Komposition,  die 
auf  die  Pietä  des  rheinischen  Meisters  zurückgeht 3).  Beziehungen  von  ihm 
zu  dem  Hausbuchmeister  und  dessen  Kreis,  wie  zu  dem  Meister  des 
Seligenstädter  Altars  (Galerie,  Darmstadt)  liegen  zutage,  somit  also 
Beziehungen  zu  der  folgenden  Künstlergeneration  am  Mittelrhein.  Durch 
die  Ereignisse  von  1462  wurde  die  Mainzer  Künstlergemeinde  aus- 
einander gesprengt,  zum  Teil  nach  Köln  verschlagen,  von  wo  sie  wieder 
zurückebbte;  aber  nicht  mehr  nach  Mainz,  sondern  dem  nahen  Frankfurt 
dessen  Messe  gewiß  Anzugskraft  übte.  Wir  wissen  aus  Dürers  Briefen, 
welche  Rolle  für  die  Künstler  die  Frankfurter  Messe  spielte.  Er  selbst 
ließ  dort  jährlich  seine  Holzschnitte  und  Stiche  feilbieten.  In  Frankfurt 
ist  auch  ein  kunstfreundliches  Patriziertum.  Heller  bestellt  bei  Dürer 
den  herühmten  Altar.  Sechs  Jahre  vorher  weilt  Holbein  d.  Ä.  in  der 
Stadt,  um  den  Altar  für  die  Dominikaner  zu  malen.  Um  diese  Zeit 
scheint  Martin  Heß  der  Senior  der  Frankfurter  und  mittelrheinischen 
Künstlerschaft  überhaupt  zu  sein. 

Auf  Martin  Heß  vermute  ich,  daß  sich  auch  die  bekannte  Stelle 
in  dem  Lobgedicht  Lemairs  »La  couronne  Margarithique « auf  die 

*)  Kämmerer,  Jahrb.  d.  pr.  K.  XVII.  S.  153. 

2)  Geisberg,  Das  Wappen  des  Meisters  E.  S.  Ebenda  XXII. 

3)  Warburg,  Vorträge  in  der  kunstgescb.  Gesellschaft  in  Berlin. 

5* 


68 


Mela  Escherich:  Zur  Martin-Hess-Frage. 


Tochter  Maximilians,  die  Statthalterin  der  Niederlande,  bezieht  (i.  Ausgabe 
Lyon  1549,  dat.  1544,'  nach  Crowe  und  Cavalcaselle  vor  15 11  gedichtet), 
wo  die  verschiedenen  Künstler  Roger,  Jan  van  Eyck,  Fouquet,  Marinion, 
Bouts  rühmend  genannt  werden: 

II  y survint  de  Bruges  Maistre  Hans 
Et  de  Frankfort  Maistre  Hughes  Martin 
Tous  deux  ouvrieurs  tres  clers  et  triumphans. 

In  Maistre  Hans  de  Bruges  erkennt  Bock  Hans  Memling,  in  Hughes 
Martin  — Schongauer.  Es  scheint  aber  doch  auffällig,  daß  der  Dichter 
Frankfurt  nennt.  Zweifellos  liegt  es  näher,  in  Maistre  Hughes  Martin  de 
Frankfort  den  Frankfurter  Martin  Heß  als  den  Colmarer  Martin  Schongauer 
zu  erkennen.  Ist  in  dem  Lobgedicht  aber  der  Frankfurter  Künstler 
gemeint,  so  bedeutet  das  einen  neuen  Beweis  für  die  Anerkennung,  deren 
er  sich  bei  seinen  Lebzeiten  erfreute.  Mela  Escherich. 


Zum  Datum  der  Bella  Tizians. 


Gronau  hat  in  seinen  Forschungen  über  die  Kunstbestrebungen  der 
Herzoge  von  Urbino  Dokumente  publiziert,  welche  die  Entstehungszeit 
wichtiger  Bilder  Tizians  fixieren.  Die  Bella  ist  darunter1). 

Am  2.  Mai  1536  schreibt  von  Padua  aus  der  Herzog  Francesco 
Maria  an  seinen  Gesandten  Leonardi  in  Venedig:  ».  ...  direte  al 
Titiano  . . . che  quel’  retratto  di  quella  Donna  che  ha  la  veste  azura, 
desideriamo  che  la  finisca  bella  circa  il  Tutto  et  con  il  Timpano  . . . .« 

Gronau  meint,  man  dürfe  dieses  Bild  einer  Dame  im  blauen  Kleide 
wohl  mit  der  Bella  indentifizieren,  die  einmal  ihrem  Stile  nach  in  diese 
Zeit  gehört,  die  ferner  ganz  gewiss  von  Urbino  nach  Florenz  kam.  Den 
timpano,  unter  dem  ein  Musikinstrument  zu  verstehen  sei,  müsse  Tizian 
weggelassen  haben. 

Diese  • letzte  Annahme,  Tizian  sei  dem  ausdrücklichen  Wunsche 
des  Herzogs,  auch  den  timpano  zu  vollenden,  nicht  nachgekommen, 
befriedigt  nicht  ganz.  Sollte  hier  mit  timpano  nicht  doch  etwas  anderes, 
als  ein  musikalisches  Instrument  gemeint  sein?  Lexica  geben  allerdings 
keine  andere,  passende  Deutung.  Aber  das  häufige  Vorkommen  dieses 
Wortes  in  Lottos  Libro  dei  conti2)  verspricht  Aufklärung.  — Auch  hier 
ist  der  Sinn  dieses  Wortes  an  den  einzelnen  Stellen  nicht  immer  nicht 
ganz  klar.  Man  versteht  erst,  was  gemeint  ist,  wenn  man  mehrere  dieser 
Stellen  zusammenhält: 

1540,  September  notiert  Lotto:  »....  per  l’ornamento  del  quadro 
de  la  Venere  ....  zoe  de  ligname  de  noce  doratura  e timpano  de  tella 
negra  da  lion  con  le  lettere  . . . .«  (Seite  205).  — Der  timpano  ist  hier 
also  kein  gemalter  Gegenstand  auf  dem  Bilde,  er  gehört  vielmehr  zum 
ornamento,  zur  Ausstattung.  Er  besteht  aus  schwarzer  Lionaiser  Lein- 
wand. Buchstaben  sind  auf  ihm  angebracht. 

1540,  8.  Dezember  trägt  Lotto  die  Ausgabe  ein  für  »16  ferreti  de 
rame  in  loco  de  cadenaceti  da  serar  li  timpani  de  quadri«  (Seite  213). 
Diese  Notiz  soll  später  interpretiert  werden. 

1)  G.  Gronau,  Jahrbuch  der  K.  Pr.  Kunstsammlungen,  XXV.  Beiheft,  S.  9 ff. 

*)  Il  Libro  dei  conti  di  Lorenzo  Lotte  in  Le  Gallerie  nazionali  italiane.  I.  Roma. 
1894.  p.  115  fr. 


70 


Hadeln: 


1542,  Juli:  »per  l’ornamento  con  el  timpano  del  quadretto  de  la 
Madonna  de  Grade  per  Lucreda  (Lottos  Nichte),  el  ligname  . . . . 
la  doratura  con  ei  suo  timpano,  cioe  el  telar  de  ferro  con  el  velo« 
(Seite  207).  Der  Vorhang  (velo)  des  timpano  ist  also  an  einem  eisernen 
Rahmen  angebracht.  Telar=telajo,  eigentlich  der  AV eberahmen,  dann 
auch  jeglicher  Rahmen,  in  den  oder  über  den  etwas  gespannt  wird, 
Stickrahmen,  Rahmen  der  Schriftsetzer,  auch  der  Rahmen,  über  dem  die 
zu  bemalende  Leinwand  befestigt  wird,  darum  in  Venedig  öfters  auch 
gleichbedeutend  mit  Bild. 

1544,  8.  Januar  schätzt  Lotto  ein  Bild  des  H.  Andreas,  das  er  für 
den  Podestä  von  Treviso,  Andrea  Renier  gemalt  hat,  folgendermaßen  ein: 
» quäl  quadro  la  pictura  con  quella  del  timpano  a buon  mercato  valeva 
duc.  16  tra  cari  amici « (Seite  13 1).  Da  quella  auf  nichts  anderes,  als 
auf  pictura  zu  beziehen  ist,  ergibt  sich,  daß  der  timpano  hier  bemalt  war. 

1544,  28.  Februar  berechnet  Lotto  die  Kosten  eines  Porträts  des 
Ludovico  Avolante.  Er  berechnet  u.  a.  6.  L.  4.  5.  »per  fatura  del 
timpano,  dato  doi  volte  le  litere  de  mano  mia«  (Seite  170).  Auch  hier 
scheinbar  Buchstaben  auf  dem  timpano. 

1544,  18.  November:  »Cartoni  per  el  dito  crucifisseto  da  far  il 
timpano«  (Seite  212).  Nicht  recht  verständlich,  zumal  unter  gleichem 
Datum  die  Spesen  eingetragen  sind  für  »el  telareto  de  rame  da  coprir 
el  crucifisseto«  und  für  »el  velo  sotil  et  cordele  per  dito  telareto«. 

I547>  2 3*  September.  Lotto  notiert  zu  dem  von  ihm  gemalten 
Familienporträt  seines  Hauswirtes  in  Venedig,  des  Zuane  da  la  Volta, 
dessen  Frau  und  deren  zwei  Söhnchen:  »quäl  quadro  era  indicato  e 
per  bontä  e per  colori  finissimi  con  el  coperto  suo  sul  timpano  duc 
50  e piü  da  persone  perite  senza  passione«  (Seite  162).  Coperto  wohl 
gleich  copertojo.  (Decke,  Deckel.)  Daß  diese  Decke  auf  (?)  dem  timpano 
von  den  persone  perite  miteingeschätzt  wurde,  läßt  wiederum  Bemalung 
vermuten. 

1553,  6.  März  und  8.  September.  Lotto  hatte  im  Aufträge  des 
Gouverneurs  von  Loretto  für  den  Cardinal  von  Carpi  einen  » Hieronymus 
in  der  Einöde«  gemalt.  Am  6.  März  trägt  er  in  sein  Rechnungsbuch 
außer  40  Dukaten  für  das  Bild  6 weitere  Dukaten  ein  »per  il  timpano 
in  coperto  cio£  la  pittura  con  la  impresa  del  santo  nel  leone«  (Seite 
I5^)*  Und  am  8.  September  der  gleiche  Vermerk:  »per  un  quadro  de 
San  Hieronimo  a l’heremo  per  el  Sor  Cardinale  Carpo  ....  fatto  con 
ogni  diligentia  con  el  suo  timpano  per  coperto,  il  quadro  scuti  40  d’oro 
et  il  timpano  scuti  sei  . . . .«  (Seite  181).  Diese  beiden  letzten  Notizen 
sagen  einigermaßen  unzweideutig,  was  ein  timpano  war.  Es  war  ein 
Deckel,  der  — wohl  zum  Schutze  der  Malerei  — über  das  Bild  gelegt 


Zum  Datum  der  Bella  Tizians. 


7* 


wurde.  Er  bestand  scheinbar  aus  einem  eisernen  Rahmen  (telar  de  ferro) 
und  aus  Leinwand  oder  anderem  Stoffe,  der  über  oder  in  diesen  Rahmen 
gespannt  war.  Diese  Schutzdecken  scheinen  öfters  bemalt  gewesen  zu 
sein.  Für  das  Hieronymusbild  malte  Lotto  das  Attribut  des  Heiligen, 
den  Löwen.  In  anderen  Fällen  begnügte  man  sich  offenbar  mit  einer 
Inschrift  (lettere),  die  wohl  bei  Portraits  Namen  und  Alter  des  Darge- 
stellten nannte. 

Für  die  Art  der  Befestigung  des  timpano  über  dem  Bilde  gibt 
jener  oben  mitgeteilte  Vermerk  vom  8.  Dezember  1540  wenigstens  einen 
Hinweis.  Lotto  hatte  sechzehn  kupferne  Stifte  (ferretti  de  rame)  gekauft, 
die  an  Stelle  von  Riegeln  (cadenaceti)  die  timpani  der  Bilder  ver- 
schließen sollten. 

Nun  zu  der  Bella  zurück.  Der  Herzog  wünschte  von  Tizian  nicht 
nur  das  Bild  der  Dame  im  blauen  Kleide,  sondern  auch  einen  Schutz- 
deckel dafür.  Wo  wir  jetzt  wissen,  daß  ein  solcher  und  kein  auf  dem 
Bilde  zu  malendes  Musikinstrument  in  jenem  Briefe  gemeint  ist,  können 
wir  unbedenklich  Gronaus  Identifikation  beistimmen.  Die  Bella  ist  für 
den  Herzog  Francesco  Maria  gemalt.  Am  2.  Mai  1536  war  sie  noch 
nicht  vollendet.  Hadeln. 


Literaturbericht. 

Martin  Schweisthal.  La  Halle  Germanique  et  ses  transformations. 
Extr.  des  annales  de  la  soctete  d’Archeologie  de  Bruxelles  XXI,  ire 
et  2e  livr.  Bruxelles  1907. 

Ein  Thema,  dessen  Behandlung  bei  aller  Würdigung  des  Bemühens 
und  der  lebendigen  Darstellung  freilich  nicht  recht  zureichen  will. 

Schweisthal  stellt  die  These  auf,  daß  aus  der  alten  germanischen 
Halle  sich  die  Pfalz  und  das  Rathaus  des  Mittelalters  entwickelt  habe, 
die  somit  ein  Weiterleben  der  germanischen  Halle  bedeuten  — filiation 
restee  inconnue  jusqu  ä present  (p.  43).  Diese  Anschauung  ist  nun 
freilich  nicht  neu;  in  einem  leicht  zugänglichen  Werk  hat  sie  bereits  Dohme 
für  die  romanischen  Schloßbauten  zur  Geltung  gebracht,  in  größerem 
Zusammenhänge  und  ausführlicher  ist  in  meinen  Studien  zum  romanischen 
Wohnbau  (Straßburg  1902)  die  Rede  davon.  Daß  diese  Schweisthal 
nicht  bekannt  sind,  ist  freilich  nicht  wunderbar;  denn  bei  dem  traditionellen 
Mangel  an  Begeisterung  für  architekturgeschichtliche  Arbeiten  haben  sie 
keine  einzige  ernsthaft  zu  nehmende  Besprechung  — auch  die  B erg n ersehe 
in  der  Kunstchronik  rechne  ich  nicht  dazu  — in  der  fachwissenschaft- 
lichen Literatur  erfahren. 

Ist  die  Grundanschauung  so  nicht  neu,  wie  Verfasser  meint,  so 
fehlt  es  auch  an  einer  festen  Umgrenzung  der  weiteren  Ausführungen. 
Die  Schilderung  soll  Gemeingermanisches  umfassen,  wofür  indessen 
Denkmäler-  und  Literaturkenntnis  nicht  recht  ausreichen,  und  kommt  so 
doch  wieder  auf  das  engere  belgische  Gebiet  zurück,  ohne  daß 
Folgerungen  und  Behauptungen  demgemäß  eingeschränkt  würden.  So 
z.  B.  bei  der  ausführlichen  Besprechung  des  Beifried,  der  als  unum- 
gänglich notwendiger  Teil  » des « Rathauses  hingestellt  wird,  obgleich  in 
Deutschland,  von  dem  in  der  übrigen  Darstellung  viel  die  Rede  ist,  der 
1 urm  nur  im  östlichen  Kolonisationsgebiet,  sonst  nur  in  bedeutend 
späterer  Zeit  regelmäßig  auftritt. 

Die  Charakteristika  der  Halle  sind  für  Schweisthal  das  auf  Pfeilern 
ruhende  Untergeschoß,  die  äußere  Treppe  und  der  Saal,  zu  dem  diese 
führt.  Doch  wir  sind  berechtigt  noch  weiter  zu  gehen.  Aus  dem,  was 
wir  von  dem  germanischen  Hause  wissen,  geht  hervor,  daß  der  offene 


Literaturbericht. 


73 


Dachstuhl  durch  den  Firstbalken  abgeschlossen  und  zusammengehalten 
war.  Dieser  First  bedurfte  von  dem  Innern  des  Hauses  aus  einer  Stütze, 
als  welche  ein  in  der  Mitte  aufgerichteter  hochragender  Balken  angegeben 
wird  (Heyne,  Das  deutsche  Wohnungswesen,  S.  26).  Die  Konsequenz, 
die  aber  weder  Heyne  noch  irgendein  anderer  gezogen  hat,  ist  die,  daß 
bei  größerer  Länge  des  Hauses,  also  auch  des  Firstbalkens,  diese  Stützen 
vermehrt  werden  müssen.  Dadurch  bildet  sich  ganz  von  selbst  ein 
symmetrisch  zweischiffiger  Raum,  der  für  die  mittelalterlichen  Pfalzen,  also 
die  direkten  Nachfolger  der  Halle,  geradezu  kanonische  Geltung  hat  (vgl. 
Studien  S.  137).  Andrerseits  erlaubt  uns  gerade  das  regelmäßige  Vor- 
kommen dieser  Einteilung  den  sicheren  Rückschluß  auf  die  altgermanische 
Zeit  (vgl.  auch  den  Aufsatz  über  zweischiffige  Anlagen  in  Bd.  25  (1902) 
dieser  Zeitschrift). 

Sodann  ist  auch  der  Begriff  der  Halle  einer  weiteren  Ausdehnung 
fähig.  Der  »Saal«  der  Halle  dient  — nach  der  Bedeutung  des  Wortes 
selbst  — nicht  nur  der  Erfüllung  von  Repräsentationspflichten,  der 
Beratung,  dem  Empfang,  der  Bewirtung,  sondern  auch  überhaupt  der 
Unterkunft,  der  Beherbergung  von  Gästen  (Heyne  a.  a.  O.  S.  37). 
Damit  würde  man  den  Kreis  der  Bauten,  bei  denen  man  eine  Nach- 
wirkung der  altgermanischen  Halle  zu  suchen  haben  würde,  erheblich 
erweitern  können.  Vor  allem  läßt  sich  Schweisthal  fast  ganz  die  Kloster- 
architektur entgehen,  die  von  dem  St.  Gallener  Plan  an  bis  zur  Gotik 
in  Abtswohnung  und  Herrenhaus,  wohl  auch  in  Refektorium  und 
Dormitorium  Verwandtes  bieten  (vgl.  die  Studien  32,  219h,  223h,  236). 
In  der  Anlage  der  Refektorien  zeigt  sich  in  Deutschland,  aber  auch  in 
Frankreich,  vielfach  fast  regelmäßig  zweischiffige  Anlage  oder  ein  Fort- 
schreiten von  der  Dreischiffigkeit  zur  Zweischiffigkeit,  die  also  die  äußere 
Gleichheit  mit  den  Palas- Anlagen  und  der  altgermanischen  Halle  bringt. 
Von  den  Klosteranlagen  sind  wieder  abhängig  die  Universitätsgebäude, 
wo  die  Zweischiffigkeit  z.  B.  noch  1592  im  Helmstedter  Juleum  eine 
Rolle  spielt. 

Und  nicht  nur  gesunde,  sondern  auch  kranke  Menschen  bedürfen 
der  Unterkunft:  das  Krankenhaus  in  Kloster  Eberbach  ist  freilich  drei- 
schiffig,  ebenso  gleiche  Bauten  in  Angers,  Chartres,  Ourscamp  und  sonst; 
ihnen  steht  aber  gegenüber  z.  B.  das  zweischiffige  Hospital  in  Lübeck, 
begonnen  1276.  Und  nicht  nur  zum  Unterbringen  von  Menschen,  sondern 
auch  von  Vieh  oder  Vorräten,  von  Waren,  Getreide  usw.  dienen  Gebäude, 
die  in  ihrer  Anlage  eine  Übereinstimmung  mit  der  zweischiffigen  germanischen 
Halle  zeigen.  Das  ist  der  Fall  nicht  nur  in  den  Tuch-,  Fleisch-  und 
sonstigen  Kaufhallen,  den  Schlachthäusern,  sondern  auch  in  den  Keller- 
und Speichergebäuden  — eins  doppelt  zwei-,  also  vierschiffig  in  Metz  — 


74 


Literaturbericht. 


Marställen  und  sogar  Kuhställen,  welch  letztere  Dilich  in  dieser  Grundriß- 
form noch  am  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  auf  rheinischen  Burgen  sah. 
Gerade  in  dem  Heimatslande  des  Verfassers  sind  ja  prachtvolle  Beispiele 
ersterer  Art  erhalten,  und  ich  kann  mir  nicht  versagen,  die  wichtigsten, 
die  bei  Schweisthal  kaum  gestreift  werden,  hier  aufzuzählen. 

So  sind  zweischiffig  die  großen  Tuchhallen  und  die  interessante 
kleine  Fleisehhalle  in  Ypern  mit  ihren  sechs  Rundsäulen  im  Erdgeschoß 
die  von  Renaissance-Säulen  durchstellte  (jetzige)  Fleischhalle  in  dem 
Brügger  Hallengebäude,  die  ehemalige  Tuchhalle  (jetzige  Universität)  in 
Löwen  mit  den  durch  ernste  Rundbogen  verbundenen  Pfeilern  und  der 
hölzernen  Decke,  endlich  die  Antwerpener  Fleischhalle  mit  ihren  fünf 
Mittelstützen.  Dreischiffig  ist  allein  die  jüngst  durchgreifend  wieder- 
hergestellte Tuchhalle  in  Gent.  Auch  das  bei  den  romanischen  Bauten 
Deutschlands  beobachtete  Verhältnis  von  Breite  : Länge  = 1 : 2 — 3 (Studien 
S.  132)  ist  bei  den  Hallen  und  Rathäusern  Belgiens  die  Regel.  Unter 
diesem  Durchschnitt  bleibt  nur  die  Tuchhalle  in  Gent  (22  m X 13m); 
darüber  hinaus  gehen  die  Fleischhalle  in  Gent  (70  m X um)  und  das 
Rathaus  in  Gent  (59  m X 14m);  ebenso  natürlich  die  Hallen  in  Ypern 
(120  m x 3 2 m)  und  Brügge  (80  m X 14  m),  sowie  das  Brüsseler 
Rathaus. 

Eine  sorgfältige  Zusammenstellung  der  Hallenbauten  für  jedes 
einzelne  germanische  oder  germanisch  beeinflußte  Land  wäre  sehr 
wünschenswert;  dadurch  wäre  eine  Übersicht  über  das  Verbreitungs- 
gebiet der  germanischen  Halle  und  eine  Abgrenzung  gegen  ähnliche 
Anlagen  anderer  Völker  möglich.  So  kreuzen  sich  offenbar  in  Frankreich 
germanische  und  antike  Einflüsse,  was  sich  gewiß  in  der  zwei-  bzw. 
vierschiffigen  Anlage  auf  der  einen,  der  dreischiffigen  Anlage  derselben 
Gebäudegattung  auf  der  andern  Seite  zeigt. 

Im  einzelnen  sei  folgendes  bemerkt:  Gegenüber  der  Annahme,  daß 
das  auf  Pfeilern  ruhende  Haus,  wie  es  außer  im  Norden,  in  der  Schweiz 
und  im  Schwarzwald  vorkommt,  aus  dem  Norden  importiert  sei,  darf 
man  wohl  als  möglichen  Ausgangspunkt  auch  auf  den  Pfahlbau  verweisen, 
der  jedenfalls  für  die  Schweiz  besonders  nahe  liegen  würde. 

In  der  »Torhalle«  von  Lorsch  sieht  Schweisthal  einen  Saal,  der  etwa 
für  Zwecke  des  Abtes,  Versammlungen  seiner  Vasallen  u.  a.  m.  gedient 
haben  könne.  Wichtiger  als  Maulbronn  und  Pforta,  die  als  Beispiele 
angeführt  werden,  scheint  mir  der  Plan  der  Abtei  Canterbury  zu  sein, 
der  in  der  Nähe  des  Eingangstores  ein  mit  Aula  nova  bezeichnetes 
zweistöckiges  Gebäude  zeigt.  Das  Erdgeschoß  wird  von  einer  auf  Säulen 
ruhenden  Halle  gebildet,  über  der  die  ganze  Langseite  in  Arkaden  auf- 
gelöst erscheint. 


Literaturbericht. 


75 


Bei  der  Besprechung  der  karolingischen  Pfalzen  und  dem  Übergang 
zur  romanischen  Zeit  vermißt  man  einen  Hinweis  darauf,  daß  eine  Anlage 
wie  z.  B.  Ingelheim  etwas  total  Verschiedenes  von  der  »germanischen 
Halle«  ist;  wenigstens  wenn  man  dazu  nicht  jede  römische  oder 
byzantinische  Saalanlage  rechnen  will.  Auch  für  die  Erkenntnis  dieser 
prinzipiellen  Verschiedenheit  zwischen  karolingisch-antikisierenden  und 
altgermanische  Tradition  fortsetzenden  Pfalzenanlagen  der  romanischen 
Zeit  muß  ich  auf  meine  Studien  verweisen. 

Interessant  ist  eine  bei  Schweisthal  wiedergegebene  Zeichnung  des 
alten  Rathauses  in  dem  kleinen  Städtchen  Niewstadt,  das  die  Elemente 
der  germanischen  Halle  in  primitivster  Art  zeigt.  Verwandtes  wird,  z.  TI. 
mit  Abbildungen,  aber  leider  ohne  Grundrißangaben,  aus  der  Bretagne 
aufgeführt;  mächtige  nach  den  Seiten  offene,  überdachte  Hallen.  Auch 
in  Deutschland  finden  sich  vor  allem  Rathäuser,  die  den  Saalbau  wie  in 
Niewstadt  auf  hohen  freistehenden  Stützen  ruhend  zeigen;  ich  nenne 
Michelstadt  im  Odenwald.  Ähnlich  ist  das  Schlachthaus  in  Heilbronn 
(um  1600),  wo  das  Erdgeschoß  eine  nach  allen  Seiten  offene  Halle  mit 
einer  mittleren  Stützenreihe  bildet.  Die  Renaissance  wird  bei  S.  nur 
im  Vorbeigehen  gestreift;  daß  sie  den  Rathäusern  weniger  günstig  ge 
wesen  sei,  mag  für  Belgien  zutreffen,  für  Deutschland  jedenfalls  nicht. 

Zum  Schluß  noch  die  Bemerkung,  das  Bergner,  den  Schweisthal 
als  Quelle  zitiert  (S.  14),  an  der  Behauptung,  in  der  Gelnhausener  Pfalz 
sei  eine  Doppelkapelle,  unschuldig  ist,  und  daß  sich  das  römisch-germanische 
Museum  nicht  in  Nürnberg,  sondern  in  Mainz  befindet.  Karl  Simon. 


Einzelforschungen  über  Kunst-  und  Altertumsgegenstände  zu  Frank- 
furt a.  M.  Im  Auftrag  der  Kommission  für  Kunst-  und  Altertums- 
gegenstände herausgegeben  vom  Städtischen  Museum.  I.  Frankfurt  a.  M. 
1908.  Joseph  Baer  & Co.,  Kommissions-Verlag.  179  S.  und  3 Tafeln. 
M.  12. 

Die  Aufsätze,  bei  denen  nur  zum  Teil  kunstgeschichtlicher  Inhalt 
vorwiegt,  bilden  die  wissenschaftliche  Festgabe  zum  80.  Geburtstag  des 
um  die  Kunstgeschichtsforschung  in  Frankfurt  wohlverdienten  Professors 
Otto  Donner  von  Richter.  Es  sind  recht  wertvolle  Mitteilungen 
darunter,  die  den  Wunsch  nach  Fortsetzung  rege  machen.  Ich  gebe  die 
einzelnen  Aufsätze  mit  ihrem  Inhalt  an. 

1.  Über  den  Zusammenhang  römischer  und  früh-mittelalterlicher 
Kultur  im  Mainland.  Von  Professor  Georg  Wolflf.  Zeigt  am  Beispiel 
des  Dorfes  Groß-Krotzenburg  bei  Hanau  die  Abhängigkeit  der  früh- 
mittelalterlichen Besiedlung  von  der  römischen  Bauanlage  und  weist  an 


76 


Literaturbericht. 


demselben  Beispiel  die  Fäden  nach,  die  von  der  römischen  Kultur  in 
die  mittelalterliche  hinübergreifen. 

2.  Die  Gigantensäulen,  insbesondere  die  Reiter-  und  Giganten- 
gruppen und  ihre  Literatur  seit  der  Entdeckung  der  Heddernheimer 
Säule  1884/5.  V°n  Professor  Dr.  Alexander  Riese.  Kommt  nach  Durch- 
musterung der  Denkmäler  und  der  Literatur  zum  Schluß,  daß  diese 
Säulen,  die  meist  von  einem  Reiter  (Jupiter,  Kaiser)  und  einem  zu  Füßen 
des  Rosses  liegenden  Giganten  gekrönt  sind,  nicht  dem  öffentlichen 
Kaiserkultus  dienen  sollten,  sondern  von  Privaten  errichtet  worden  seien. 

3.  Deckel  römischer  Tonlampen  im  Histor.  Museum  zu  Frankfurt  a.  M. 
Von  Direktorialassistent  Rudolph  Welcher.  Kreisrunde,  flache  Scheiben 
aus  gebranntem  Ton  mit  figürlichem  Relief  und  auf  der  Rückseite  mit 
einem  Zapfen  versehen.  Der  Verfasser  macht  die  von  ihm  angenommene 
Bestimmung  nach  Analogie  des  in  der  Form  verwandten  Guttus  und  auf 
Grund  des  Zapfens  sehr  wahrscheinlich. 

4.  Zur  Geschichte  der  Irdenware  in  Frankfurt  a.  M.  Von  Dr.  Otto 
Lauffer.  Gibt  eine  kurze  Geschichte  der  Frankfurter  Häfnerei,  soweit  es 
in  Anbetracht  des  spärlichen  Materials  möglich  ist.  Wir  erfahren  dabei,  daß 
in  Frankfurt  auch  sogenanntes  » Marburger  Geschirr«  hergestellt  worden  ist. 

5.  Die  Karolingische  Pfalz  zu  Frankfurt  a.  M.  Von  Emil  Padjera. 
Der  Verfasser  nimmt  an,  daß  zur  Karolingerzeit  eine  Stadt  Frankfurt 
noch  nicht  bestanden  habe,  vielmehr  nur  eine  Kaiserpfalz  mit  Saalgebäude 
und  Palastkapelle. 

6.  Abreibungen  romanischer  Metallgravierungen  im  Kupferstich- 
kabinett des  Städelschen  Kunstinstituts  und  ein  verschollenes  Reliquiar 
der  Abtei  Iburg.  Von  Direktor  Dr.  Georg  Swarzenski.  Der  Verfasser 
weist  nach,  daß  acht  von  ihm  vor  einigen  Jahren  im  Berliner  Kunst- 
gewerbemuseum gefundene  vergoldete  und  gravierte  Kupferscheiben,  von 
denen  Abreibungen  im  Städelschen  Institut  sich  befinden,  von  einem 
Reliquiar  der  Abtei  Iburg  bei  Osnabrück  stammen  und  vielleicht  ein 
Werk  des  Künstlerbischofs  Meinwerk  von  Paderborn  sind. 

7.  Hans  von  Metz,  ein  oberrheinischer  Maler  des  15.  Jahrhunderts. 
Von  Dr.  Carl  Gebhardt.  Der  Verfasser  bespricht  das  Kalvarienbergbild 
des  Histor.  Museums  und  bildet  es  ab,  zeigt  Beziehungen  zu  Passions- 
spielen, teilt  dem  Maler  seinen  Platz  in  der  oberrheinischen  Schule,  nahe 
dem  L.  Moser,  zu  und  nimmt  auf  Grund  einer  vom  Archivdirektor  Jung 
in  Frankfurt  veröffentlichten  Urkunde  als  Maler  in  Anspruch  den  Hans 
von  Metz  in  Frankfurt,  der  1445  ein  Bild  desselben  Inhalts  zu  malen 
übernommen  hatte. 

8.  Stiftungen  Jakobs  zu  Schwanau  und  seiner  Treuhänder  zum  Bau 
und  zur  künstlerischen  Ausschmückung  Frankfurter  Kirchen  1473  — 1480. 


Literaturbericht. 


77 


Von  Archivdirektor  Professor  Dr.  Rudolph  Jung.  Ein  besonders  wertvoller 
Beitrag,  der  uns  mit  einer  ansehnlichen  Zahl  von  Künstler-  und  Hand- 
werkernamen beschenkt. 

9.  Ein  Buchtitel  Christian  Egenolffs  mit  bildlichen  Darstellungen 
nach  Dürer  und  anderen.  Von  Bibliothekar  Dr.  Emil  Sarnow.  Es 
handelt  sich  um  das  Titelblatt  zu  einem  1545  gedruckten  Eormelbuch. 
Die  Vorbilder  sind  u.  a.  Dürers  Melancholie  und  Meerwunder,  die 
ergötzlich  zu  einem  Bild  verbunden  sind. 

10.  Sebastian  Furcks  Silberplakette  auf  den  Stadtbaumeister  Joh. 
Wilh.  Dilich  im  Städtischen  Histor.  Museum.  Von  Dr.  Julius  Cahn. 
Dilich  (1600 — 1657),  der  Sohn  Wilh.  Dilichs  (1575  — 1655),  des  Verfassers 
der  Hessischen  Chronik,  hat  mit  seinem  Vater  die  neuere  Befestigung  der 
Stadt  Frankfurt  angelegt.  Die  Plakette  ist  als  Stichplatte  benutzt  worden. 
Furck  hat  von  1612 — 1655  in  Frankfurt  gearbeitet. 

11.  Beiträge  zur  Frankfurter  Kunstgeschichte  im  17.  Jahrhundert. 
Von  Oberlehrer  Dr.  Friedrich  Bothe.  Sehr  verdienstlich.  Zieht  Schlüsse 
auf  die  Vermögensverhältnisse  damaliger  Künstler  und  gibt  Nachrichten 
über  ihre  fahrende  Habe,  besonders  an  Kunstwerk.  Es  ergeben  sich 
manche  neue  Feststellungen,  z.  B.  über  die  einzelnen  Maler  v.  Falckenburg. 

12.  Gürtel  jüdischer  Bräute  in  Frankfurt  a.  M.  Von  Bibliothekar 
Dr.  A.  Freimann.  Beschreibt  einen  derartigen  Brautgürtel  und  bildet  ihn  ab. 

13.  Zwei  gerettete  Altfrankfurter  Portale.  Von  Architekt  Privat- 
dozent Dr.  phil.  Julius  Hülsen.  Sie  stammen  von  einem  Hause  der  Zeil, 
das  1742 — 1744  als  kaiserliches  Absteigquartier  gedient  hat.  Der  Ver- 
fasser setzt  ihre  Entstehungszeit  auf  1690  an. 

14.  Die  Frankfurter  Kunst  und  Goethe.  Von  Professor  Dr.  Heuer. 
Überblickt  die  in  Frankfurt  zu  Goethes  Jugendzeit  blühende  Kunst  der 
Schütz,  Trautmann  und  Seekatz  und  zeigt  den  Wechselverkehr  zwischen 
Goethe  und  der  Frankfurter  Kunst.  Eine  Zeichnung  des  Jubilars  zu 
Goethes  »Fuchs  und  Kranich«  ist  wiedergegeben. 

15.  Per  nordwestliche  Zug  der  ersten  Stadtmauer  von  Frankfurt  a.  M. 

Von  Architekt  Chr.  L.  Thomas.  Ein  genauer  Ausgrabungsbericht,  auf 
Grund  dessen  der  Verfasser  seine  Ansichten  über  das  Karolingische 
Frankfurt  und  seine  Ausdehnung  entwickelt.  F.  R. 


Mainzer  Zeitschrift.  Zeitschrift  des  Römisch -Germanischen  Central - 
Museums  und  des  Vereins  zur  Erforschung  der  rheinischen  Geschichte 
und  Altertümer,  herausgegeben  von  der  Direktion  des  Römisch- 
Germanischen  Central-Museums  und  dem  Vorstande  des  Mainzer 
Altertums-Vereins. 


78 


Literaturbericht. 


Jahrgang  III,  1908,  der  neuen  Folge  der  Zeitschrift  des  Vereins 
zur  Erforschung  der  rheinischen  Geschichte  und  Altertümer,  Mainz  1908, 
in  Kommission  bei  L.  Wilckens,  gedruckt  bei  Philipp  von  Zabern, 
Großh.  Hess.  Hofbuchdruckerei,  Mainz.  (Mit  6 Tafeln  in  Autotypie 
und  Steindruck  und  zahlreichen  Abbildungen  im  Text.)  4°  143  S. 

Preis  7 M. 

Eine  schätzbare  Zeitschrift,  deren  Bereich  örtlich  begrenzt  ist,  die 
aber  innerhalb  dieser  Grenzen  ein  weites  Feld  für  geschichtliche, 
archäologische  und  kunstgeschichtliche  Forschung  findet.  Ich  nenne  die 
einzelnen  Aufsätze,  berichte  aber  nur  bei  denen  von  kunstgeschichtlichem 
Belang  kurz  über  den  Inhalt.  Besonders  wichtig  sind  in  diesem  Anbetracht 
die  Nummern  5 und  6.  Sie  enthalten  sehr  wertvolle  Mitteilungen  über 
die  nicht  mehr  vorhandene  altmainzische  St.  Albanskirche,  die  in 
karolingischer  Zeit  an  Stelle  eines  frühchristlichen  Heiligtums  erbaut 
wurde.  Die  gerade  in  ihrer  Beschränkung  verdienstliche  und  interessante 
Zeitschrift,  deren  Arbeit  im  wesentlichen  Mainzer  Gelehrte,  darunter  die 
Direktoren  des  R.-G.  Centralmuseums,  bestreiten,  hat  auf  Beachtung  und 
Verbreitung  Anspruch. 

1.  Die  im  Jahre  1907  gefundenen  römischen  und  frühchristlichen 
Inschriften  und  Skulpturen.  Von  K.  Körber.  Nur  einige  figurale  Relief- 
bruchstücke, zwei  Köpfe  aus  Sandstein  und  ein  korinthisches  Säulen- 
kapitell interessieren  kunstgeschichtlich. 

2.  Archäologische  Karte  der  Umgebung  von  Mainz.  Von  K.  Schumacher. 
Ist  mit  einem  sorgfältig  gearbeiteten  Lexikon  aller  rheinhessischen  Fund- 
orte von  der  neolithischen  bis  zur  karolingischen  Zeit  verbunden. 

3.  Karl  Zangemeister.  Von  K.  Schumacher.  Aus  dem  Biographischen 
Jahrbuch  und  Deutschen  Nekrolog,  Band  X,  1907,  abgedruckt. 

4.  Zur  Kenntnis  der  frühneolithischen  Zeit  in  Deutschland.  Von 
P.  Reinecke. 

5.  Zur  Baugeschichte  der  St.  Albanskirche  bei  Mainz.  Von  E.  Neeb. 
Benutzt  archivalische  und  literarische  Quellen  und  eine  Anzahl  (meist 
nicht  ganz  zuverlässiger)  Abbildungen  des  Albansberges  und  der  Albans- 
kirche aus  der  Zeit  nach  ihrer  letzten  Zerstörung  1552.  Zeigt,  daß 
schon  in  vorkarolingischer  Zeit  auf  dem  späteren  St.  Albansberg  eine 
kleine  Kirche  bestand,  von  deren  Mauern  vielleicht  noch  Reste  vorhanden 
sind.  805  vollendete  Erzbischof  Richulf  eine  große  Basilika  zu  Ehren  des 
hl.  Alban.  Die  während  des  Baues  (794)  verstorbene  Gemahlin  Karls 
des  Großen,  Fastrada,  wurde  darin  bestattet.  In  romanischer  Zeit  wurden 
kleinere  bauliche  Veränderungen,  vielleicht  auch  Anbauten,  vorgenommen. 
In  gotischer  Zeit  und  zwar,  wie  der  Verfasser  nachweist,  zwischen  1297 
und  1329,  wurde  die  Kirche  (vielleicht  nur  ihr  Chor  und  Querschifif?)  um- 


Literaturbericht. 


79 


gebaut  und  mit  zwei  Westtürmen  versehen.  Die  Karolingische  Basilika 
war  ein  stattlicher  Bau;  der  innere  Durchmesser  ihrer  Ostapsis  betrug 
io  Meter,  die  ganze  Breite  an  der  Ostseite  etwa  41  Meter.  Der  gotische 
Chor  maß  im  Inneren  1 1 Meter  in  der  Breite  und  von  der  Mitte  der 
Ostwand  bis  zur  Mitte  des  Triumphbogens  17  Meter  in  der  Länge.  Ob 
die  Kirche  Richulfs  eine  Pfeiler-  oder  Säulenbasilika  war,  ist  noch  nicht 
ermittelt.  Verwandte  karolingische  Kirchenanlagen,  namentlich  Höchst  a.  M. 
und  St.  Gallen,  werden  zum  Aufschluß  über  den  Bautypus  herangezogen; 
die  Rekonstruktion  der  inneren  Ausstattung  des  karolingisch-romanischen 
Baus  mit  Altären  und  Grabdenkmälern  wird  auf  Grund  literarischer 
Quellen  versucht.  St.  Alban,  auf  dessen  Gelände  schon  in  spätrömischer 
Zeit  ein  Friedhof  lag,  war  bis  ins  XI.  Jahrhundert  eine  vielbegehrte 
Begräbnisstätte.  Nicht  bloß  die  meisten  Mainzer  Erzbischöfe  von  Richulf 
bis  Willigis,  sondern  auch  viele  weltliche  Fürsten  wurden  dort  beigesetzt. 
1552  zerstörte  Albrecht  Achilles  von  Brandenburg  Kirche  und  Kloster 
(damals  Ritterstift),  wie  er  gleichzeitig  die  Stifte  von  St.  Viktor  und 
Heiligkreuz  und  das  Karthäuserkloster  zerstört  hat.  Die  Reste  der 
Sakristei  wurden  1603  zu  einer  Kapelle  hergerichtet.  Im  übrigen  blieb 
die  Kirche  Ruine  und  wurde  als  Steinbruch  benutzt.  Die  Kapelle  ging 
1793  bei  der  Belagerung  zugrunde. 

6.  Bericht  über  die  Ausgrabungen  der  St.  Albanskirche  bei  Mainz 
im  Jahr  1907.  Von  L.  Lindenschmit  und  E.  Neeb.  Der  genaue  und  stoff- 
reiche  Bericht  enthält  einen  Teil  der  tatsächlichen  Grundlagen  für  den 
vorhergehenden  Aufsatz  und  bringt  einen  Grundriß,  der  die  vorkarolingischen, 
karolingischen  und  gotischen  Bauanlagen,  sowie  die  nach  ihrer  Ent- 
stehungszeit noch  nicht  festgestellten  veranschaulicht. 

7.  Der  Reliquienschatz  von  St.  Stephan  in  Mainz.  Zur  Erinnerung 
an  Friedrich  Schneider  f.  Von  E.  A.  Stückelberg.  Schildert,  wie  der 
Verfasser  mit  dem  verstorbenen  Prälaten  den  Inhalt  zweier  Schränke  im  Chor 
der  Stephanskirche  nutersucht  hat.  Außer  Gegenständen  rein  kirchlicher 
Bedeutung  befinden  sich  darin  ein  Gewand  des  Erzbischofs  Willigis, 
merkwürdige  gläserne  Reliquienbehälter,  mittelalterliche  Stoffe,  Limousiner 
Arbeiten,  eisenbeschlagene  gotische  Reliquienkästen.  Schneider  hat  selbst 
das  Heiltum  von  St.  Stephan  veröffentlichen  wollen.  Es  ist  leider  nicht 
geschehen.  Der  feine,  stimmungserregende  Aufsatz  erweckt  den  Wunsch, 
daß  sich  jemand  der  Sache  annähme. 

8.  Zweiim Frühjahr  1908  in  Bingen  gefundeneinschriftsteine.  Von  A.Oxd. 
Bruchstück  eines  Soldatengrabsteins  und  Grabschrift  eines  Priesters  Ätherius. 

9.  Zur  Geschichte  der  Mainzer  Synagogen.  Von  S.  Salfeld.  Exegese 
einiger  Inschriftsteine.  Ein  löblicher  Beitrag  zur  Geschichte  der  uralten 
und  sehr  angesehenen  jüdischen  Gemeinde  in  Mainz. 


8o 


Literaturbericht. 


10.  Ein  verschwundenes  Erzbischofsdenkmal  des  Mainzer  Domes. 
Von  E.  Neeb.  Weist  auf  Grund  zweier  Zeichnungen,  die  der  Verfasser 
auf  der  Mainzer  Stadtbibliothek  entdeckt  hat,  den  Rest  eines  Grabdenkmals, 
vermutlich  des  Erzbischofs  Siegfried  III.  von  Eppstein  (gest.  1249)  nach. 
Ein  andres  Denkmal  desselben  Erzbischofs  ist  noch  im  Mainzer  Dom 
erhalten. 

11.  Kleinere  Beiträge  zur  Mainzer  Geschichte,  vornehmlich  im 
17.  Jahrhundert.  Von  Dr.  H.  Schrohe.  Nur  Abteilung  II:  Nachweise 
über  einzelne  Mainzer  Künstler  und  Kunsthandwerker,  hat  kunstgeschicht- 
liches Interesse.  Aber  bei  keinem  dieser  Bildhauer,  Maler,  Glasmaler, 
Kupferstecher  usw.  überschreitet  das  Ansehen  die  Örtlichkeit. 

12.  Neuerwerbungen  des  Mainzer  Altertumsvereins.  Von  L.  Linden- 
schmit.  U.  a.  ein  (wohl  ottonisches)  Elfenbeinrelief  und  ein  schöner  (nieder- 
rheinischer? vlämischer?)  Elfenbeinkruzifixus  aus  dem  17.  Jahrhundert. 

13.  Jahresbericht  des  R.-G.  Centralmuseums  April  1906  7. 

F.  R. 


Josef  Weiß.  Kurfürst  Maximilian  I.  als  Gemäldesammler.  Neue 
archivalische  Beiträge.  Histor.-polit.  Blätter.  München  1908.  CXLII  S. 

Weiß  veröffentlicht  hier  zum  ersten  Male  eine  Reihe  von  Schrift- 
stücken aus  den  Jahren  1627 — 1633  über  Erwerbung  von  Kunstwerken 
aus  Forchheim,  Köln,  Meßkirch,  Neumarkt,  Nürnberg,  Stendal  und  Nieder- 
sachsen durch  Maximilian  I.  Es  sind  Beiträge,  die  das  Bild,  das  uns 
Reber  in  seinem  »Kurfürst  Maximilian  als  Gemäldesammler«  von  dem 
fürstlichen  Sammler  entwirft,  ergänzen,  indem  sie  wichtige  Aktenstücke 
über  Hauptwerke  Dürers  z.  B.  den  Hellerschen  und  Paumgartnerschen 
Altar  und  die  Vier  Aposteln  zu  den  bereits  bekannten  hinzufügen.  Von 
besonderer  Bedeutung  für  die  Kunstgeschichte  sind  die  Nachrichten  über 
verloren  gegangene  und  bis  jetzt  unbekannte  Werke  Dürers.  So  wendet 
sich  Maximilian  an  Tilly  mit  dem  Auftrag,  nach  einem  Altarbilde  Dürers 
zu  Stendal  zu  forschen:  »Wür  werden  glaubwürdig  bericht,  das  zu 
Stendel  in  der  Markh  Brandeburg  in  Unser  L.  Frauen  Khirchen  zu 
hinderist  under  der  Orgl  ein  Altar  sey  mit  St.  Hieronimi  Bildtnuß  (so 
zweymal  aufgethan)  mit  doppelten  Flüglen  vom  Albrecht  Dürer  Ao  1 5 1 1 
gemalt.  « Den  Verkauf  des  Altares  bewilligte  der  Rat  von  Stendal  im 
September  1627.  Aldringen,  der  an  Maximilian  ein  Gutachten,  das  leider 
nicht  mehr  vorhanden  ist,  übermittelte,  übergab  den  Altar  einer  Proviant- 
fuhre nach  Hessen,  von  wo  aus  er  ihn  weiterbefördern  wolle.  Das 
weitere  Schicksal  des  Altars  ist  gänzlich  unbekannt.  Ob  er  zerstört 
wurde,  oder  den  Schweden  in  die  Hände  fiel,  oder  ob  ein  spanischer 
General  ihn  in  seine  Heimat  entführte,  wohin  ja  so  manches  deutsche 


Literaturbericht. 


8l 


Kunstwerk  geschleppt  wurde,  ist  ungewiß.  Daß  es  sich  um  einen 
»Dürer«  handelte,  ist  sehr  wahrscheinlich,  da  Maximilian  und  seine 
Vertrauensmänner  sich  sehr  wohl  auf  dessen  Werke  verstanden  (vgl.  die 
auf  Seite  560  abgedruckte  Bemerkung  Maximilians  über  Zurückweisung 
von  Kopien  nach  Dürer).  Diese  Wahrscheinlichkeit  erscheint  um  so 
gesicherter,  da  sich  Dürer  in  den  Jahren  um  1511  wiederholt  mit  der 
Darstellung  des  hl.  Hieronymus  beschäftigte. 

Aus  der  Korrespondenz  Maximilians  mit  seinem  Bruder,  Kurfürst 
Ferdinand  von  Köln,  erfahren  wir  von  weiteren  Werken  Dürers  in  Köln, 
so  von  einer  Tafel  mit  U.  L.  Frauen  und  einem  Laurentius.  Außerdem 
auch  von  Altären  in  der  Augustinerkirche  und  in  Lyskirchen.  Doch  ist 
mit  diesen  Angaben  wenig  zu  machen,  da  sie  ziemlich  dunkel  gehalten 
sind.  Auch  über  einige  Gemälde  Cranachs  erhalten  wir  manche 
Nachrichten,  so  bemühte  sich  der  Kurfürst  um  » ein  gemaltes  U.  L.  Frauen 
Bildt  mit  dem  Christkindlein,  so  ein  Weintrauben  in  der  Hand,  von 
Lucas  Cronach«,  das  in  Neumarkt  in  Verwahr  sei,  ferner  um  ein 
Bild  aus  Forchheim:  »Christus  und  die  Ehebrecherin«. 

Auch  den  Meistern  aus  Italien  wendet  Maximilian  sein  Interesse 
zu.  Er  verhandelt  mit  dem  aus  Krakau  stammenden  Stenzei  Schilling 
in  Nürnberg  über  den  Ankauf  eines  angeblichen  Michelangelo,  einer 
Tafel,  auf  »welcher  die  Rais  der  Allerheiligsten  Muetter  Gottes  mit  irem 
Khind  und  Joseph  in  Aegipten«  gemalt  sei.  Jedoch  blieb  seine  Unter- 
handlung erfolglos.  Zweien  ihm  angebotenen  Bildern  gegenüber  verhielt 
sich  Maximilian  leider  ablehnend,  leider,  denn  es  handelte  sich  um  einen 
Tizian:  »Die  drei  Lebensalter«  und  um  einen  Corregio:  einer  »Ver- 
mählung der  hl.  Katharina«.  Ebensowenig  kam  ein  Ankauf  von  Bildern 
aus  der  Stiftskirche  zu  Meßkirch  zustande,  nämlich  »2  Täfelein«  von 
den  Nebenaltären  mit  der  Verspottung  Christi  und  Christus  vor  dem 
hohen  Rat.  Von  großem  Interesse  für  die  kunstgeschichtliche  Forschung 
ist  ein  Verzeichnis  von  Künstlern  aus  der  Mark  Brandenburg  und 
Nie  der  Sachsen,  sowie  über  Werke  derselben.  Maximilian  schickte 
diese  Aufstellung  an  Aldringen,  der  ja  auch  die  Unterhandlung  wegen 
des  Stendaler  Altares  leitete.  Der  Bericht  sei  im  Auszuge  hier  wieder- 
gegeben: 

»Zu  Schwatt  [Schwedt]  in  dem  Schloß  ist  ein  berhüemtes  Stukh, 
wie  Christus  mit  den  2 Juengern  nach  Emaus  geet,  hats  ein  berhüemter 
Maister,  der  Goldtbekh  genandt,  gemaldt. 

Bei  Perlin  gegen  Bernau,  Landsberg  und  Lieuenwaldt  ist  ein  Ort 
Marzian  [Marzahn]  genandt,  alda  in  der  Khirchen  ein  Maria  Bild  mit 
dem  Khindlein  und  Joseph  auf  Holz,  dabei  des  Malers  Nam,  aber  solcher 
mir  nit  mer  in  der  Gedechtnuß  .... 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft.  XXXII. 


6 


Literaturbericht. 


8 2 


Zu  Prenzlau  in  der  Markh  bei  Reppin  ist  ein  Stükh  das  Nachtmal 
Christi  von  einem  Maler  Truekhokh  oder  Cruekhokh  genandt  gemalt  . . . 

Lestlich  hat  es  in  Nider  Saxen  und  Brandeburg  viel  berhümbLe 
Maister  gehabt,  alß  zu  Spandau  einen,  Duxi  genant,  jtem  den  Goldbökh, 
wider  einen  andern  der  Schrötter,  dan  einen  denn  Tanneberger  genandt, 
jtem  den  Chruchekhokh  und  andere  mehr,  so  vor  ongefehr  ioo  Jaren 
gearbeitt  . . . .«  Es  wäre  gewiß  außerordentlich  interessant,  wenn  sich 
Werke  dieser  Meister  noch  nachweisen  ließen,  zumal  ja  diese  Gegenden 
im  Vergleich  zu  Süddeutschland  nicht  reich  an  uns  bekannten  Künstlern  ist. 

Im  letzten  Teile  seines  inhaltreichen  Aufsatzes  behandelt  Weiß  die 
Frage  nach  der  Plünderung  der  Galerie  Maximilians  durch  die  Schweden 
und  die  Bemühungen  des  Kurfürsten  um  die  Wiedererlangung  der  ent- 
führten Kunstschätze.  Dr.  A.  Feigel. 


Der  neue  Smith  (II.  Band)1). 

Überraschend  schnell  bringt  uns  Dr.  Hofstede  de  Groot  den  II.  Band 
seines  Riesenwerkes,  diesesmal  freilich  unter  Mitarbeitung  von  Kurt  Freise. 
Ein  dickes  Buch,  von  beinahe  700  Seiten,  das  nur  zwei  Malern,  Aelbert 
Cuyp  und  Philips  Wouwermans  gewidmet  ist.  Ich  schreibe  Wouwer- 
mans  im  Gegensatz  zum  Verfasser,  der  an  der  alten  Schreibweise  festhält. 
Ich  werde  gleich  sagen  weshalb.  In  einem  Vorwort  sagt  Dr.  de  Groot, 
weshalb  er  sich  soviel  wie  möglich  bei  Bildern  aus  Privatsammlungen 
der  Kritik  über  Qualität  und  Erhaltung  enthalten  hat.  Man  kann  dem 
nur  beipflichten.  Es  ist  auch  nicht  angenehm  für  den  Sammler,  der 
seine  Sachen  mit  Liebe  zusammengebracht  hat,  auf  ewige  Zeiten  seinen 
Cuyp,  seinen  Wouwermans  im  »Smith«  als:  langweiliges  Bild,  ziemlich 
verdorben,  usw.  gedruckt  zu  sehen.  Trotz  seines  Versprechens  sehe  ich 
doch  bei  einem  Cuyp  in  Privatbesitz:  der  Hund  ist  schwach,  der  Ge- 
sichts^usdruck  des  Knaben  nicht  angenehm.  Bei  einem  echten  und  bez. 
Bild  sollten  auch  solche  Bemerkungen  dem  Leser  vorenthalten  bleiben;  er 
kann  sie  selbst  machen,  wenn  er  das  Bild  unter  die  Augen  bekommt. 

Das  einleitende  Wort  bei  Cuyp  ist  wieder  vortrefflich  geschrieben, 
inhaltsreich  bei  sehr  knapper  Form.  Nur  einige  kurze  Bemerkungen 
möchte  ich  mir  erlauben.  Der  Verfasser  behauptet,  daß  Cuyp  zu  den 
sehr  wenigen  großen  Künstlern  zu  rechnen  sei,  deren  Werke  von  den 
Zeitgenossen  bereits  geschätzt  wurden  und  die  deshalb  nicht  unter 
äußerer  Not  leiden  mußten. 


*)  Beschreibendes  und  kritisches  Verzeichnis  der  Werke  der  hervorragendsten 
Holländischen  Maler  des  XVII.  Jahrhunderts.  Von  Dr.  C.  Hofsted e de  Groot. 
Eßlingen  und  Paris.  (F.  Kleinberger.) 


Literaturbericht. 


83 


Eben  im  Begriff,  die  leider  nur  sehr  unvollständig  erhaltenen 
Dordrechter  Notariatsprotokolle  durchzulesen,  finde  ich  während 
Cuiyps  Leben  dessen  Bilder  auf  15 — 30  Gulden  (auch  noch  im  Jahre  1688) 
taxiert.  Sein  Vater  starb  nicht  unbemittelt,  aber  es  war  durch  seine 
Heirat  (1658)  mit  einer  sehr  reichen  Witwe,  daß  Cuyp  in  die  angenehme 
Lage  versetzt  wurde,  nicht  um  das  liebe  Brot  malen  zu  müssen.  Daß 
er  trotzdem  so  fleißig  war,  daß  er  in  seinen  späteren  Arbeiten  immer 
Bedeutenderes  und  Genialeres  gab,  beweist  nur,  daß  er  wirklich  ein  großer 
Künstler,  ein  Meister  von  Gottes  Gnaden  war.  Ob  es  aber  eine  » Legende  « 
ist,  daß  er  nur  aus  Liebhaberei  malte?  Ich  glaube  kaum.  In  keinem 
Dokument  habe  ich  noch  das  Wort  »Schilder»  hinter  seinem  Namen  ge- 
sehen, das  bei  seinem  Vater  nie  fehlt.  Wohl  aber  heißt  er  immer:  de 
Heer  Aelbert  Cuyp!  Leider  ist  kein  Inventar  von  seinem  Nachlaß  vor- 
handen; und  ich  fürchte,  wir  werden  über  diese  Frage  kaum  den  vollen 
Aufschluß  finden.  Ich  glaube  aber,  daß  de  Groots  Vorstellung,  als  wäre 
Cuyp  durch  große  und  ihm  unangenehme  Bestellungen  gehetzt  worden,  irrig 
ist..  Er  verkehrte  mit  den  vornehmsten  Einwohnern  Dordrechts  als  seines- 
gleichen, und  da  hat  er  wohl  manches  Bild  aus  Gefälligkeit  gemalt. 

Vorläufig  ist  das  letzte  Wort  in  dieser  Frage  noch  nicht  gesprochen. 

Ich  empfehle  ganz  besonders  die  ausgezeichnete  Charakteristik  Cuyps 
in  diesem  Vorwort;  man  sieht  seine  Bilder  beim  Lesen  vorüberziehen 
in  ihrer  sonnigen  Wärme,  ihrer  goldigen  Glut.  Sehr  richtig  auch,  was 
Verfasser  über  die  Ungleichheit  von  Cuyps  Bildern  sagt,  und  ich  stimme 
ihm  gerne  bei,  wenn  er  ausführt,  wie  gerne  wir  diesem  Maler  eine  Anzahl 
geringere,  flüchtigere  Arbeiten2)  verzeihen,  sobald  wir  wieder  vor  einem 
seiner  Meisterwerke  stehen,  darin  die  Atmosphäre  »von  Feuchtigkeit 
durchtränkt  und  von  warmem  Sonnenglanz  erfüllt  ist.  Die  Schönheit 
der  Dordrechtschen  Landschaft,  der  holländischen  Luft  und  Sonne  haben 
das  Herz  des  Künstlers  ganz  erfüllt,  und  die  aus  solcher  Stimmung 
heraus  geschaffenen  Werke  lösen  in  dem  empfänglichen  Betrachter 
ähnliche  Gefühle  freudiger  Dankbarkeit  und  Lebensbejahung  aus.« 

Über  800  Nummern  zählt  der  Katalog. auf;  aber  wir  können  wohl 
wenigstens  200  — 250  davon  streichen  als  unsichere  Angaben  alter 
Kataloge,  Bilder  die  zwei-  oder  dreimal  erwähnt  werden,  usw.  Es  bleibt 
dann  doch  noch  ein  stattliches  Oeuvre  übrig. 

2)  Es  bleibt  auch  noch  eine  offene  Frage,  ob  Cuyp  nicht  schon  bei  seinem  Leben 
geschickte  Nachahmer  gehabt  hat,  deren  Werke  hie  und  da  jetzt  als  Cuyps  gelten. 
In  einem  Inventar  eines  sehr  reichen  Dordrechter  Herrn  fand  ich,  neben  Landschaften 
Cuyps  auch  große  Landschaften  von  Richard  Farrington  hängen  (um  1690).  Dieser 
Farrington  lebte  zwischen  1650 — 1665  in  Dordrecht  und  war  mit  der  Tochter  eines 
angesehenen  Glasmalers  verheiratet. 


6* 


84 


Literaturbericht. 


Bei  Nr.  437  »Reisende  in  einer  Gebirgslandschaft«  möchte  ich  be- 
merken, daß  mir  bei  genauer  Vergleichung  dieses  Bild  bestimmt  als 
Kopie  nach  Nr.  425  bei  Lord  Scarsdale  vorkam. 

Sehr  lehrreich  ist  der  Schluß  über  die  Schüler  und  Nachahmer  Cuyps. 

Bei  Wouwermans  schrieb  de  Groot  auch  ein  sehr  interessantes 
Vorwort.  So  kann  nur  einer  schreiben,  der  mit  fast  sämtlichen  Arbeiten 
eines  Meisters  vollständig  vertraut  geworden  ist.  Mit  Recht  rühmt  er  die 
Dünen-  und  Strandansichten  mit  nur  wenigen  Figuren  als  Wouwermans’ 
beste  Bilder.  Er  hätte  noch  etwas  mehr  über  die  frühen  Bilder  sagen 
können,  jene  hellen  »warmen«  Wouwermans,  auf  braunem  Grunde,-  fast 
immer  auf  Holz  gemalt,  im  Gegensatz  zu  den  schwarzen  und  grauen 
Spätbildern,  überladen  von  Figuren,  die  meist  auf  Leinewand  gemalt  sind. 
Schöne  Exemplare  davon  sind  der  einzelne  Schimmel  im  Ryks  Museum 
und  der  Halt  auf  der  Jagd  (hier  N.  654)  im  Haag. 

Warum  ich  Wouwermans,  mit  s,  schreibe?  Weil  die  drei  Brüder  — 
Maler  Philips,  Pieter  und  Jan  sich  selbst  immer  (auch  bei  Gelegenheit 
der  schönen  Unterschrift  von  Philips’  Testament)  mit  s geschrieben  haben. 
Philips  war  ein  kultivierter  Maler,  der  doch  wohl  wußte,  wie  er  seinen 
eigenen  Namen  schreiben  mußte.  Sein  Vater  hieß  nur  Paulus  Joosten. 
Seine  Mutter  aber  Maycken  Wouwermans,  und  die  Kinder  nahmen, 
wie  das  damals  in  Holland  mehr  vorkam,  den  Namen  der  Mutter  an. 

Eins  wundert  mich:  daß  de  Groot  erzählt,  Wouwermans  habe  1672 
seiner  Tochter  eine  Mitgift  von  20000  Gulden  gegeben  bei  ihrer  Heirat! 
War  der  Maler  damals  doch  schon  seit  4 Jahren  nicht  mehr  im  Lande 
der  Lebendigen.  Und  — ich  hoffe  später  mehr  darüber  zu  erzählen  — 
soviel  kann  ich  schon  verraten,  daß  Wouwermans  (der  7 Kinder  und 
eine  Witwe  hinterließ),  nicht  so  reich  geworden  war,  daß  er  jedem 
20000  Gulden  geben  konnte.  Ich  weiß  nicht,  ob  er  überhaupt  wohl 
jemals  20000  Gulden  besessen  hat! 

Ob  Wouwermans  wirklich  große  Reisen  gemacht?  Vielleicht  ist  er 
kurze  Zeit  in  Frankreich  gewesen;  sein  Bruder  starb  ja  in  Paris,  und 
höchstwahrscheinlich  hat  auch  Philips  dort  geweilt.  Wenn  er  aber  vor 
seiner  Heirat,  resp.  vor  seiner  improvisierten  Hochzeitsreise  (als  er  erst 
19  Jahre  alt  war),  Italien  besucht  häben  soll,  muß  er  schon  außer- 
ordentlich jung  seine  Südreise  angetreten  haben.  Vielleicht  geben  uns 
die  Archive  auch  darüber  noch  einmal  Aufschluß. 

Mit  dem  Verfasser  staunen  wir  über  die  ungeheure  Menge  Bilder, 
die  Wouwermans’  Namen  tragen,  und  die  er  innerhalb  dreißig  Jahren  ge- 
malt haben  muß.  Vergessen  wir  nicht:  auch  Wouwermans  ist  schon  früh 
vortrefflich  kopiert,  viele  Bilder  in  alten  Auktionskatalogen  ihm  zuge- 


Literaturbericht. 


85 


schrieben,  sind  von  seinem  Bruder  Pieter  — wir  dürfen  von  den 
1x65  Nummern  des  neuen  Smith  wohl  300—400  Stück  abziehen  als 
unsichere  oder  doppelt  oder  drei,  vier  Male  erwähnte  Bilder  — es  bleiben 
doch  noch  immer  über  700  Werke  übrig,  worunter  solche,  wie  die  großen 
Schlachten  in  Petersburg,  Mauritshuis  und  bei  Dowdeswell  in  London, 
umfangreiche  Bilder,  die  geraume  Zeit  in  Anspruch  genommen  haben 
müssen.  Und  von  Collaboration  wissen  wir  nichts.  Höchstens  könnte 
sein  Bruder  Jan  ihm  etwas  bei  der  Landschaft  geholfen  haben.  Und 
das  wieder  gewiß  nicht  in  seinen  späteren  Arbeiten.  Alle  Achtung  vor 
diesem  Fleiße,  nur  zu  vergleichen  mit  dem  Fleiße,  womit  der  Verfasser 
diese  für  ihn  oft  gewiß  recht  unerquickliche  aber  für  uns  alle  so  nütz- 
liche Arbeit  zu  Ende  gebracht  hat.  A.  Bredius. 


W.  L.  Schreiber  und  Paul  Heitz.  Die  deutschen  »Accipies«  und 
Magister  cum  discip  ulis-Holzschnitte,  als  Hilfsmittel  zur  In- 
kunabel-Bestimmung. Mit  77  Abbildungen.  Studien  zur  deutschen 
Kunstgeschichte.  Heft  100.  Straßburg.  I.  H.  Ed.  Heitz.  1908. 

Inhalt  und  Absicht  des  Buches  sind  in  seinem  Titel  umschrieben. 
Es  handelt  sich  um  eine  Zusammenstellung  der  Schulszenen  darstellen- 
den Holzschnitte,  die  jeweils  als  Titelbild  den  verschiedenen  Schulbüchern 
eines  Verlages  vorangestellt  zu  werden  pflegten,  und  die  als  vielbenutzte 
Stöcke  — eine  andere  Art  von  Druckerzeichen  — zur  Bestimmung  un- 
bezeichneter  Drucke  gute  Dienste  zu  leisten  vermögen.  Sorgfalt  und 
möglichste  Vollständigkeit  in  der  Zusammenstellung  des  Materials,  das 
wichtigste  für  ein  solches  in  erster  Reihe  praktischen  Zwecken  dienendes 
Buch,  gewährleistet  schon  der  Name  des  Verfassers,  und  Stichproben 
bestätigen  durchaus  die  Zuverlässigkeit.  Die  Anordnung  nimmt  ledig- 
lich auf  die  Möglichkeit  rascher  Orientierung  Rücksicht.  Nach  der 
Anzahl  der  Schüler  werden  die  Holzschnitte  in  Gruppen  gesammelt 
Beinahe  alle  in  Frage  kommenden  Darstellungen  sind  in  Abbildungen 
beigegeben,  und  rasch  orientierende  Beischriften  heben  die  dem  ersten  Blick 
oft  nur  schwer  kenntlichen  Unterschiede  der  einander  nahe  stehenden 
Holzschnitte  gut  heraus. 

Zu  bedauern  ist,  daß  aus  äußerlichen  Rücksichten,  um  eine  Auf- 
nahme in  die  Heitzschen  »Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte«,  die 
mit  dem  vorliegenden  Bande  ihre  hundertste  Nummer  erreicht  haben,  zu 
ermöglichen,  das  Thema  auf  die  deutschen  Schuldarstellungen  beschränkt 
wurde,  zumal  Schreiber  selbst  den  Nachweis  führt,  daß  der  Brauch  und 
mit  ihm  die  Vorbilder  für  einige  der  Haupttypen  aus  dem  Auslande 
stammen.  So  kommt  es,  daß  für  die  Reihen  zusammengehöriger  Holz- 


86 


Literaturbericht. 


schnitte  gerade  die  Anfangsglieder  an  einigen  Stellen  fehlen,  so  für  den  Holz- 
schnitt des  Johann  Amerbach,  der  der  erste  deutsche  Drucker  war,  der 
einen  Stock  schneiden  ließ,  um  ihn  für  verschiedene  Schulbücher  seines 
Verlages  zu  verwenden,  das  Vorbild  aus  der  Offizin  des  Gottfried  de 
Os  in  Gouda  (leicht  zugängliche  Abbildung  in  Diederichs  Monographien 
Bd.  IX  S.  51),  für  das  Schulbild  des  Cornelius  von  Zürichsee  in  Köln 
die  Vorlage  des  Gerard  Leeu  in  Antwerpen  und  für  den  » magister  cum 
discipulis«  des  Augsburger  Hans  Schaur  das  entsprechende  Blatt  des 
Richard  Paffroet  zu  Deventer  (abgebildet  in  Diederichs  Monographien 
Bd.  IX.  S.  38).  In  dem  von  Johann  Amerbach  verwendeten  Holzschnitt 
Kr.  15  endlich  hat  sich  doch  wohl,  wie  auch  Schreiber  vermutet,  ein 
niederländisches  Originalwerk  eingeschlichen. 

Wenn  diese  Bemerkungen  weniger  den  unmittelbaren  Zweck  des  Buches 
treffen  als  das  kunsthistorische  Ergebnis,  das  gleichsam  als  Nebenprodukt 
der  Arbeit  abfällt,  so  zielen  ebenfalls  nur  auf  dieses  ein  paar  Einwen- 
dungen, die  gegen  Beziehungen  einzelner  Holzschnitte  untereinander, 
wie  Schreiber  sie  aufstellt,  zu  erheben  sind.  So  will  es  nicht  einleuchten, 
daß  der  Augsburger  Holzschnitt  (Nr.  2)  eine  wenn  auch  freie  Bearbeitung 
der  frühesten  Darstellung  dieser  Art,  die  um  1473  bei  Martin  Flach  in 
Basel  erschien  (Nr.  1),  sein  soll.  Auf  der  anderen  Seite  wird  versucht, 
denselben  Augsburger  Holzschnitt  in  ein  Abhängigkeitsverhältnis  zu  dem 
Quentellschen  Accipiesschnitt  von  1490  (Nr.  18)  zu  setzen.  Es  ist  nicht 
abzusehen,  wie  beides  sich  miteinander  vertragen  soll,  aber  auch  die 
letztere  Beziehung  will  durchaus  nicht  einleuchten.  Es  sei  nur  kurz  dar- 
auf hingewiesen,  daß  auch  die  Angabe,  der  Reutlinger  Schnitt  Nr.  61 
habe  für  den  ebenfalls  Reutlinger  Nr.  62  und  den  Ulmer  Nr.  34  als  Vor- 
lage gedient,  zum  mindesten  in  dieser  Form  kaum  haltbar  ist,  und  daß  es 
ebenso  zuviel  gesagt  scheint,  wenn  der  Quentellsche  Holzschnitt  Nr.  47 
eine  Kopie  des  ebenfalls  Kölnischen  Accipiesschnittes  Nr.  66  genannt 
wird,  wenn  auch  die  Möglichkeit  einer  Beziehung  in  diesen  Fällen  zuge- 
standen sein  soll. 

Zum  Schluß  sei  auf  eine  Feststellung  hingewiesen,  die  über  den 
engen  Rahmen  des  vorliegenden  Buches  hinaus  allgemeineres  Interesse 
beansprucht,  nämlich  auf  den  Nachweis,  daß  die  Beliebtheit  eines  künst- 
lerisch nicht  eben  hochstehenden  und  bereits  veralteten  Holzschnittes  aus 
Quentells  Offizin  (Nr.  18),  der  seit  1495  an  verschiedenen  Orten  kopiert 
und  eifrig  benutzt  wurde,  nur  darauf  zurückzuführen  ist,  daß  man  den 
Käufer  glauben  machen  wollte,  er  habe  einen  Quentellschen  Druck  vor 
sich.  Es  handelt  sich  also  um  Nachahmung  der  Schutzmarke  eines  be- 
liebten Fabrikates  und  um  einen  der  Fälle,  die  uns  lehren  müssen,  daß 
auch  in  der  Kunst  die  Deutung  der  Zusammenhänge  aus  rein  künstle- 


Literaturbericht. 


87 


rischen  Motiven  nicht  in  allen  Fällen  zureicht.  Wenn  der  Forscher  heut 
gegen  die  Irrtümer,  die  hervorzurufen  diese  Nachahmungen  geradezu 
bestimmt  waren,  gesichert  ist,  so  dankt  er  es  der  sorgfältigen  Zusammen- 
stellung in  Schreibers  Buche.  Curt  Glaser. 


Graphische  Gesellschaft. 

Die  zwei  neuen  Veröffentlichungen  — die  siebente  und  achte  — , 
die  die  graphische  Gesellschaft  zum  Abschluß  des  dritten  Jahrganges 
ihres  Bestehens  den  Mitgliedern  überreicht,  unterscheiden  sich  von  ihren 
Vorgängerinnen  durch  die  größere  Mannigfaltigkeit  ihres  Inhalts,  denn 
sie  geben  nicht  wie  sonst  zusammenhängende  Folgen  oder  das  graphische 
Oeuvre  eines  Künstlers,  sondern  die  Zusammenstellung  erfolgte  nach 
äußeren  Gesichtspunkten.  »Holzschnitte  der  ersten  Hälfte  des  XV.  Jahr- 
hunderts im  Königl.  Kupferstichkabinett  zu  Berlin«  werden  von  Max  Lchrs 
herausgegeben  und  »Inkunabeln  der  deutschen  und  niederländischen  Ra- 
dierung« von  Gustav  Pauli. 

Wie  in  allen  Veröffentlichungen  der  Gesellschaft,  so  sind  auch  hier 
die  Wiedergaben  durchaus  mustergültig.  In  absolut  zuverlässigen  Licht- 
drucken sind  die  frühen  Holzschnitte  des  Berliner  Kabinetts  reprodu- 
ziert, vier  davon  farbig,  und  der  Vergleich  zeigt,  daß  auch  hier  das 
Mögliche  geleistet  ist  in  der  Annäherung  an  das  originale  Kolorit.  Die 
Publikation  umfaßt  die  stattliche  Zahl  von  31  Blättern,  die  dem  Stile 
nach  in  chronologischer  Reihe  geordnet  vom  Anfang  bis  in  die  Mitte 
des  XV.  Jahrhunderts  führen.  Die  sehr  bedeutende  Sammlung  von  In- 
kunabeln des  Holzschnitts  im  Berliner  Kabinett,  die  erst  im  vergangenen 
Jahre  durch  die  letzte  noch  von  Lehrs  veranstaltete  Ausstellung  weiteren 
Kreisen  bekannt  wurde,  ist  hier  in  ihrem  weitaus  interessantesten  und 
wichtigsten  Teile  der  Forschung  zugänglich  gemacht,  und  es  ist  mit  Ge- 
nugtuung zu  begrüßen,  daß  diese  Sammlung,  die  länger  als  viele,  weit 
geringere  der  Erschließung  harren  mußte,  nun  im  Gegensatz  zu  manchen 
anderen  eine  in  jeder  Hinsicht  würdige  Veröffentlichung  gefunden  hat. 

Nicht  weniger  interessant  und  reichhaltig  ist  die  Zusammenstellung 
von  Inkunabeln  der  Radierung,  die  Gustav  Pauli  gibt.  Auch  hier  ist 
die  Klarheit  der  Reproduktionen  sehr  zu  rühmen,  die  die  im  Druck  oft 
unvollkommenen  Versuche  einer  noch  unausgebildeten  Technik  mit  aller 
wünschbaren  Treue  wiedergeben.  Den  Anfang  mac1'1-  Daniel  Hopfer,  der 
bewegliche  und  vielseitige  Augsburger,  der  weniger  durch  Originalität 
als  durch  Geschicklichkeit  ausgezeichnet,  in  seinem  graphischem  Werke  uns 
die  Erinnerung  an  manche  verlorene  Schöpfung  der  Genossen  seiner 
Kunst  und  Heimat  bewahrt  hat.  So  zeigt  der  Schmerzensmann  auf 


88 


Literaturbericht. 


Tafel  III  der  vorliegenden  Publikation  (Eyßen  29)  unverkennbar  den 
Stil  des  älteren  Holbein.  Das  Blatt  reicht  der  Erfindung  nach  noch  in 
das  XV.  Jahrhundert  zurück  und  ist  im  Charakter  weitaus  das  alter- 
tümlichste der  Folge.  Mit  ihm  und  dem  zwischen  1501  und  1507 
sicher  zu  datierenden  Kunz  von  der  Rosen  stellt  Daniel  Hopfer  sich  als 
der  erste  dar,  der  die  Ätzung  auf  Eisen  zum  Zweck  des  Druckes  übte. 
Auf  die  Werke  der  Hopfer,  denen  sich  3 interessante  Blätter  des  Meisters 
C.  B.  anschließen,  folgen  die  2 Radierungen  des  in  allen  Techniken  er- 
fahrenen Schweizers  Urs  Graf,  und  zeitlich  mit  dessen  Arbeiten  fallen 
auch  bereits  Dürers  erste  Versuche  in  der  Radierung  zusammen,  die  in 
dem  wuchtigen  Blatte  der  Kanone  ihren  Höhepunkt  und  Abschluß  finden. 
Ob,  wie  Pauli  will,  der  Stil  dieses  Blattes,  das  mit  seinem  markigen 
Strich  mehr  dem  Holzschnitt  sich  nähert  als  der  Feinarbeit  des  Kupfer- 
stichs, und  ob  das  große  Format  überhaupt  der  Radierung  ihrem  Wesen 
nach  allein  angemessen  sei,  scheint  allerdings  fraglich.  Die  spätere  Ent- 
wicklung der  Technik  schlägt  vielmehr  in  der  Hauptsache  die  Wege  ein, 
die  etwa  in  den  sehr  reizvollen,  winzigen  Blättchen  aus  der  Marienlegende 
von  Hans  Sebald  Beham  vorgezeichnet  sind.  Altdorfers  Holzschnitte, 
denen  diese  Radierungen  des  Beham  nacherfunden  sind,  erscheinen  hier 
in  eine  persönlichere,  beweglichere,  der  kapriziösen  Erfindung  besser  an- 
gemessene Sprache  übersetzt.  Von  Altdorfer  selbst  war  das  Bedeut- 
samste im  Bereich  der  Radierung,  seine  Landschaften,  schon  in  einer 
früheren  Veröffentlichung  der  Gesellschaft  vorweggenommen.  So  blieben 
hier  nur  die  Landschaftsradierungen  des  Jakob  Binck,  die  an  ihr  Vor- 
bild nicht  heranreichen.  Von  der  Vielseitigkeit  dieses  schwer  zu  fassen- 
den Meisters  geben  die  italianisierenden  Blätter,  die  auf  seine  Land- 
schaften folgen,  auch  hier  Zeugnis.  — In  einem  anderen  Sinne  als  in 
Deutschland  wird  in  den  Niederlanden  die  neue  Technik  der  Radierung 
gehandhabt,  nicht  so  sehr  als  eigene  Ausdrucksform,  vielmehr  als  Hilfe 
und  Surrogat  des  mühsameren  Stiches.  So  wird  man  in  Lucas  van 
Leydens  prachtvollem  Maximilianporträt  erst  bei  eingehendem  Studium 
die  radierten  von  den  gestochenen  Linien  unterscheiden.  Neben  Leydens 
schönen  Arbeiten  verdienen  noch  die  interessanten  Blätter  des  Meisters 
mit  dem  Krebs  hervorgehoben  zu  werden. 

Das  Ergebnis  ist,  daß  schon  in  den  ersten  Stadien  der  Radier- 
technik alle  Möglichkeiten  ihrer  späteren  Entwicklung  vorgebildet  sind, 
der  offene,  breite  Strich  der  tiefgeätzten  Furche,  die  Beweglichkeit  der 
leicht  zu  handhabenden  Radiernadel  und  endlich  die  Feinarbeit,  die  alle 
technischen  Möglichkeiten  nutzt,  die  sich  nicht  ihrem  Materiale  über- 
läßt, sondern  der  alles  nur  Mittel  ist,  ein  vorausgewolltes  Endziel  zu  er- 
reichen. 


Literaturbericht. 


89 


Die  Ausstattung  der  Publikationen  zeichnet  jene  einfache  Sachlich- 
keit aus,  die  in  jeder  Hinsicht  charakteristisch  ist  für  den  Geist  des 
Unternehmens.  Die  vorhandenen  Mittel  sind  nicht  für  schönfärberische 
Kunststücke  benutzt,  wie  etwa  das  heut  vielfach  beliebte  Auflegen  auf 
verschieden  getönte  Untersatzpapiere,  das  bei  Veröffentlichungen  in  Buch- 
form immer  etwas  Peinliches  hat  und  außerordentlich  unpraktisch  ist, 
weil  jedes  Umblättern  das  aufgelegte  Blatt  gefährdet,  sondern  alle  Mittel 
werden  darauf  verwendet,  eine  möglichst  große  Zahl  zuverlässiger  Repro- 
duktionen zu  schaffen.  Da  die  Leistungsfähigkeit  der  Gesellschaft  mit 
der  Zahl  ihrer  Mitglieder  sich  steigert,  ist  zu  wünschen,  daß  diese  neuen 
Publikationen,  die  gerade  durch  die  Vielseitigkeit  ihres  Inhalts  auf  ein 
weites  Interesse  rechnen  dürfen,  dem  Unternehmen  neue  Freunde  werben 
mögen.  Curt  Glaser. 

Dr.  Paul  Kaufmann.  Johann  Martin  Niederee,  ein  rheinisches 
Künstlerbild.  Straßburg,  Heitz  1908. 

Neben  anderen  Vergessenen  und  Verkannten  wurde  auch  Niederee 
durch  die  deutsche  Jahrhundertausstellung  zu  Berlin  1906  wieder  ins 
Licht  gerückt.  Daß  Niederee  bei  dieser  Gelegenheit  entdeckt  werden 
konnte,  war  wesentlich  das  Verdienst  seines  rheinischen  Landsmannes, 
der  jetzt  auch  sein  Leben  in  herzlicher  Meinung  geschrieben  hat. 
Dieses  Leben  war  kurz,  denn  es  umfaßt  nur  23  Jahre,  es  war  hart,  denn 
es  ist  unter  Not  und  Entbehrungen  verlaufen.  Nur  von  aussichtreichen 
Anfängen  einer  Laufbahn  ist  zu  berichten.  Wer  dabei  mit  hohen  Worten 
lobt„  kann  sich  auf  Peter  von  Cornelius  berufen,  der  seinen  jungen 
Schützling  überaus  pries  und  ihn  einmal  mit  Dürer  verglich,  nicht  bei- 
läufig und  ungefähr,  sondern  als  ein  gleichwertiger  wird  Niederee  neben 
Dürer  gestellt.  Die  Urteile  und  Vergleichungen  der  Künstler  waren 
schon  vor  50  Jahren  durch  Überschwang  unleidlich.  Sicher  war  Niederee 
kein  Dürer,  aber  er  besaß  vortreffliche  Anlagen,  die  ihn  bei  längerem 
Leben  gewiß  auf  eine  beträchtliche  Höhe  gebracht  hätten.  Wenn 
Cornelius  in  einer  Eingabe  an  König  Friedrich  Wilhelm  IV.,  um  Niederee 
Erleichterungen  im  Militärdienst  zu  verschaffen,  sagt:  »er  hat  dasjenige 
von  der  Natur  gratis  erhalten,  wonach  ändere  ihr  ganzes  Leben  lang 
vergebens  ringen«  so  ist  das  nur  wenig  übertrieben.  Der  König  selbst 
urteilte  kühler,  er  fand,  daß  Niederee  in  der  eingesandten  Zeichnung 
»ein  entschiedenes  Talent  an  den  Tag  gelegt  habe«.  Was  dem  Könige, 
Cornelius  und  der  ganzen  offiziellen  Kunstwelt  nach  damaligem  Geschmack 
an  Niederee  so  wohl  gefiel,  war  einmal  seine  flinke  Fertigkeit  im 
Zeichnen.  Cornelius  äußerte  sich  darüber:  »Nur  wenige  Striche  tat  er 
mit  dem  Blei,  dann  ging  er  schnell  und  kühn  mit  der  Feder  los  und 


90 


Literaturbericht. 


arbeitete  mit  unglaublicher  Schnelligkeit  und  Sicherheit.«  Von  Farbe 
ist  in  allen  Urteilen  von  Zeitgenossen  nie  'die  Rede.  Die  technische 
Fertigkeit  imponierte  zumeist  dem  Künstler,  der  König  und  andere 
fanden  natürlich  mehr  zu  rühmen  an  Niederees  Kompositionen,  was 
von  diesen  in  Berlin  bekannt  wurde,  behandelte  ausnahmslos  religiöse 
Gegenstände.  Sie  konnten  auch  wohl  gefallen,  trotzdem  allerlei 
Erinnerungen,,  wie  sie  lernende  Künstler  naiv  als  Eigenes  geben,  zu 
erkennen  sind  und  wohl  damals  schon  erkannt  wurden.  Aber  aus  der 
kleinsten  und  bescheidensten  spricht  die  frohgemute  Gottseligkeit,  die 
Niederee  als  rheinisches  Erbteil  besaß  und  der  er  so  eindringlich  Aus- 
druck zu  geben  verstand.  Eine  andere  bessere  Heimatgabe  hat  erst  die 
jüngste  Zeit  in  Niederees  Arbeiten  schätzen  gelernt.  Malerischer  Sinn 
zeichnet  den  Rheinländer  aus,  seitdem  er  sich  künstlerisch  betätigt. 
Schon  in  seinen  romanischen  Kirchenbauten  wird  sie  deutlich.  Bei 
Niederee  wird  die  ererbte  malerische  Begabung  seines  Stammes,  eine 
glückliche  aber  nicht  notwendige  Ergänzung,  durch  einen  frischen  Farben- 
sinn gesteigert.  Das  schmale  Verzeichnis  der  hinterlassenen  Werke 
Niederees  umfaßt  47  Nummern,  die  sich  auf  die  6 Jahre  von  1847  — 53 
verteilen.  Darunter  nur  14  Ölgemälde,  die  beinahe  sämtlich  in  Linz 
und  Düsseldorf  entstanden  sind  vor  der  Übersiedelung  nach  Berlin. 
Diese  Ölgemälde  sind  mit  nur  einer  Ausnahme  (die  Nonne  auf  dem 
Friedhof)  Bildnisse  und  Kopfstudien.  Porträtieren  mochte  Niederee 
aber  gar  nicht,  er  nennt  es  einmal  »eine  fürchterliche  Aufgabe«  und 
» einen  Gang  in  fremden  Stiefeln «.  Die  gemalten  Bildnisse  sind  aber 
gerade  das,  was  uns  heute  von  Niederees  Kunst  am  besten  gefällt, 
sicher  auch  das,  was  dauernd  in  Schätzung  bleiben  wird.  Sein  Biograph 
macht  auf  die  Ähnlichkeit  mit  den  Bildern  von  Julius  Oldach,  Erwin  Speckter 
und  Friedrich  Wasmann  aufmerksam.  Die  Übereinstimmung  ist  frappant. 
Ein  Zusammenhang  zwischen  den  Hamburgern  und  dem  Rheinländer  ist 
aber  nicht  zu  konstruieren.  Aus  der  Gleichartigkeit  ihrer  gemalten 
Bildnisse  spricht  der  deutsche  Zeitstil,  wie  er  in  den  Niederungen  der 
Kunst,  in  die  die  akademischen  Meinungen  nicht  drangen,  gewachsen 
ist.  Vor  den  Bildern  der  Nordländer,  jedenfalls  vor  denen  Oldachs 
und  Speckters,  zeichnen  sich  die  Niederees  durch  eine  fröhliche  Farbigkeit 
aus.  Durch  diese  Bildnisse,  die  er  selbst  nicht  sonderlich  hoch  ein- 
schätzte, wurde  Niederee  nach  einem  halben  Jahrhundert  des  Vergessens 
wieder  bekannt,  an  ihnen  haftet  sein  später  Nachruhm.  Einmal  erworben, 
wird  er  nicht  mehr  verklingen,  zumal  mit  ihm  die  Erinnerung  an  ein 
ergreifendes  Menschenschicksal  lebendig  wird,  das  nach  kürzester  Blüte 
rasch  verging,  zumal  uns  jetzt  das  Ergehen  des  Jungverstorbenen  in 
warmherziger  Erzählung  gegeben  ist.  Gern  wird  der  Verfasser,  der  ein 


Literaturbericht. 


91 


hohes  Reichsamt  bekleidet  und  das  schöne  Buch  seinen  knapp  bemessenen 
Erholungstagen  abgerungen  hat,  auch  da  Nachfolge  finden,  wo  er  über- 
zeugen will,  daß  sein  Held  bei  längerem  Wirken  eine  höchste  Spitze 
erreicht  hätte.  Es  kann  sich  ja  nur  um  einen  Glauben  handeln,  der 
unter  der  Voraussetzung  geteilt  werden  kann,  daß  Niederee  bei  weiterem 
Leben  in  die  rheinische  Heimat  zurückgekehrt  wäre.  Denn  nur  da  hätte 
sich  seine  koloristische  Begabung,  durch  die  er  allein  seine  Umgebung 
überragte,  selbständig  entfalten  können.  Dieses  seines  besonderen  Vorzugs 
war  sich  aber  Niederee  selbst  noch  kaum  bewußt  geworden.  Cornelius 
hat  es  nicht  erkannt.  Wohler  als  sonst  die  Rheinländer  fühlte  sich 
Niederee  in  Berlin.  Mit  hoher  Verehrung  und  beinahe  willenlos  sah  er 
zu  Cornelius  auf,  zu  großer  Dankbarkeit  war  er  ihm  verpflichtet.  Da  ist 
es  wenig  wahrscheinlich,  daß  er  rechtzeitig  zum  Entschluß  des  Fortgehens 
gekommen  wäre.  Und  wenn,  dann  wäre  er  zunächst  in  das  verderbliche 
Italien  geraten.  Sein  malerisches  Talent  war  in  Gefahr,  bald  zu  ver- 
kümmern. Berlin  und  die  Farblosen  hätten  Niederee  niedergezwungen. 

/•  & 

August  L.  Mayer.  Jusepe  de  Ribera.  Mit  59  Abbildungen  in  Licht- 
druck. Kunstgeschichtliche  Monographien  X.  Leipzig  1908.  Karl 
W.  Hiersemann.  196  S. 

Von  den  typischen  Merkmalen  der  Erstlingsarbeiten  erscheint  dieses 
Buch  ziemlich  frei.  Die  erstaunlich  vollständige  Kenntnis  der  Monumente, 
der  unter  Riberas  Namen  in  fast  allen  Galerien  Europas  ausgestellten 
Gemälde,  und  das  sichere  Urteil  über  die  Qualität  jedes  dieser  Bilder  machen 
den  Band  zu  einem  reifen,  fertigen  und  sehr  nutzbringenden  Beitrag. 
Niemand  vor  dem  Verfasser  hat  annähernd  so  viel  kritische  Aufmerksamkeit 
den  Schöpfungen  dieses  Meisters  zugewendet. 

Abgesehen  von  einer  gewissenhaften  Prüfung  der  spärlichen  Nach- 
richten von  den  Lebensumständen  Riberas,  wobei  sich  nichts  Neues  von 
Belang  ergibt,  abgesehen  von  mehreren  Exkursen  und  einer  zusammen- 
fassenden Charakteristik,  enthält  der  Band  die  Aufzählung  der  Arbeiten 
Riberas  in  der  historischen  Folge.  Da  zienjlich  viele  Bilder  in- 
schriftlich datiert  sind  — von  1626  bis  1652  (einige  Radierungen 
haben  noch  frühere  Daten)  — , ist  die  Aufreihung  nicht  allzu  schwierig. 
Die  Entwicklung  der  Riberaschen  Kunst  wird  aus  diesem  Kataloge  leider 
nicht  so  deutlich,  wie  der  Verfasser  gewünscht  haben  mag.  Einmal  weil 
der  Leser  bei  der  ermüdenden  Lektüre  — fast  ein  halbes  Hundert  echter 
Bilder  werden  besprochen  — den  Überblick  verliert  und  dann  (hier 
widerspreche  ich  dem  Verfasser)  weil  diese  Entwicklung  nicht  eine  einfache 
und  schöne  Entfaltung  ist. 


92 


Literaturbericht. 


Die  charakterisierenden  Sätze,  die  der  Verfasser  dem  Meister  widmet, 
erscheinen  in  der  Hauptsache  zutreffend.  Relativ  dürftig  ist  die  kunst- 
geschichtliche Einordnung.  Ribera  ist  Spanier,  das  wird  deutlich,  Schüler 
Francisco  Ribaltas,  er  ist  Valencianer,  anders  als  ) Velazquez  und  als 
Murillo.  Früh  aber  kam  er  nach  Italien  und  war  lange  in  Neapel  tätig, 
er  nahm  und  gab  auf  italienischem  Boden  und  wurde  ein  Glied  in  der 
Kette  der  italienischen  Kunst.  Davon  ist  wenig  die  Rede.  Namentlich 
wird,  wie  mir  scheint,  die  Bedeutung  Caravaggios  unterschätzt. 

Der  Verfasser  isoliert  seinen  Helden  und  überschätzt  ihn.  Dies 
freilich  ist  doch  eine  Eigenschaft  der  Erstlingsarbeiten.  Der  Verfasser 
hat  nicht  stets  den  rechten  Abstand  von  seinem  Thema.  Dafür  ein 
Beispiel:  Ribera  ist  viel  nachgeahmt  worden.  Mit  den  Kopien,  Nach- 
ahmungen, Karikaturen  des  Riberaschen  Stiles,  hat  der  Verfasser  sich 
wacker  herumgeschlagen,  in  dem  schönen  (und  erfolgreichen)  Streben, 
das  »Werk«  des  Meisters  von  allen  falschen  Zutaten  zu  reinigen.  So 
hat  er  wieder  und  wieder  Riberas  Originale  mit  trübereren  und  schwereren 
Kopien  verglichen,  solange,  bis  ihm  die  Originale  leuchtend  hell 
erschienen.  Vor  dem  »Klumpfuß«  im  Louvre,  einem  der  spätesten 
Werke  Riberas,  spricht  er  von  »vollstem  pleinair«.  Für  das  Auge, 
das  nicht  beim  Betrachten  von  Ribera-Imitationen  einen  falschen  Maß- 
stab eingesogen  hat,  ist  dieses  Bild  hart  im  Umriß  und  schwarz  in  den 
Schatten.  Das  künstliche  und  manieristische  Verstärken  der  Licht- 
kontraste, um  schlagendere  Wirkungen  zu  erzielen,  bleibt  auch  nach 
der  reinigenden  und  aufklärenden  Arbeit  Mayers  als  eine  wesentliche 
Eigenschaft  Riberas  bestehen. 

Widerspruch  erregt  der  Satz:  Ribera  ist  wohl  der  universalste  aller 
spanischen  Meister.  — Freilich  kommen  vielerlei  Motive  im  »Werke« 
dieses  Meisters  vor,  seine  Einbildungskraft  aber,  ob  wir  nun  die  Empfindung, 
die  Naturbeobachtung  oder  die  Anordnung  prüfen,  erscheint  weder  reich, 
noch  beweglich. 

Über  die  hauptsächliche  Leistung  des  Buches,  den  kritischen  Bilder- 
katalog, kann  ich  mich  nur  dankbar  und  empfehlend  äußern;  in  den 
Fällen,  wo  ich  Gelegenheit  hatte,  nachzuprüfen,  fand  ich  das  Urteil 
gerecht  und  scharfsichtig.  Friedländer. 


Hsiang  Yuan  Pien.  Chinese  Porcelain.  Translated  and  annotated  by 
Stephen  W.  Bushell.  Mit  83  Farbtafeln.  Oxford  1908. 

Dr.  Bushell,  wohlbekannt  durch  das  kostspielige  Prachtwerk  Oriental 
ceramic  art  und  durch  sein  Handbuch  des  South  Kensington  Museums 
über  Chinesische  Kunst  (1904),  hat  mit  seiner  neuesten  Veröffentlichung 
dem  Studium  des  altchinesischen  Porzellans  wieder  einen  großen  Dienst 


Literaturbericht. 


93 


erwiesen.  Hsiang  Yuan  Pien,  ein  in  der  chinesischen  Literatur  mehrfach 
erwähnter  und  anerkannter  Kunstsammler  und  Maler,  hatte  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  diejenigen  mittelalterlichen  Porzellane,  die 
ihm  in  seiner  eigenen  und  verschiedenen  anderen  Sammlungen  als  die 
bemerkenswertesten  erschienen,  auf  83  Aquarellblättern  aufgenommen  und 
mit  sehr  exakten  und  instruktiven  Beschreibungen  versehen.  Das  Original 
dieses  Illustrierten  Katalogs  berühmter  Porzellane  ist  1887  verbrannt, 
nachdem  in  Peking  auf  Veranlassung  des  Gesandten  v.  Brandt  einige 
Faksimilekopien  hergestellt  worden  waren.  Eine  davon  diente  als  Vorlage 
für  die  ausgezeichnete  Reproduktion,  die  Dr.  Bushell  durch  die  Clarendon 
Press  in  Oxford  ausführen  ließ.  Man  kann  nicht  behaupten,  daß  die 
steifen  und  befangenen  Zeichnungen  des  Hsiang  Yuan  Pien  Kunstwerke 
sind,  aber  ihren  Zweck,  eine  genaue  Vorstellung  der  mittelalterlichen 
Porzellane  zu  geben,  erfüllen  sie  doch  ganz  gut.  Das  Buch  ist  die  erste 
authentische  Auskunft  darüber,  welcherlei  Porzellane  die  chinesischen 
Sammler  des  16.  Jahrhunderts  für  die  'kostbarsten  Denkmäler  ihrer 
Keramik  gehalten  haben.  Von  den  83  abgebildeten  Gegenständen 
gehören  42  in  die  Zeit  der  Sungdynastie  (960 — 1279),  genug,  um  die 
in  der  Einleitung  Bushells  gut  charakterisierten  sieben  Hauptgattungen 
der  Sungporzellane  zu  veranschaulichen.  Nur  ein  Stück  stammt  aus  der 
Zeit  der  Yuandynastie  (1280 — 1367),  40  dagegen  aus  der  Mingperiode 
bis  zur  Regierung  Ching-te  (1506 — 1521).  Es  ist  merkwürdig  und  lehr- 
reich zu  sehen,  wie  weit  der  Geschmack  des  chinesischen  Sammlers  von 
demjenigen  seiner  europäischen  Kollegen  der  Neuzeit  abweicht.  Die 
durchweg  monochromen  Sungporzellane  sind  in  den  Formen  zum  größten 
Teil  genaue  Nachbildungen  alter  Bronzegefäße  aus  dem  allbekannten  und 
in  vielen  Neudrucken  verbreiteten  Pokutu,  dem  Bronzekatalog  aus  dem 
12.  Jahrhundert  oder  — seltener  — aus  dem  Altertümerkatalog  Kaokutu 
vom  Jahre  1092.  Und  der  Verfasser  versäumt  niemals,  in  seinen  Be- 
schreibungen die  unfreie  Nachahmung  dieser  für  China  zwar  klassischen, 
aber  doch  höchst  unkeramischen  Bronzeformen  als  Ruhmestitel  der 
Porzellane  anzuführen.  Bei  den  Mingporzellanen  treten  die  Bronzeformen 
des  Pokutu  zurück.  Obwohl  die  Mehrzahl  der  vorgeführten  Porzellane 
der  Zeit  der  Kaiser  Hsiian-ti  und  Ching-hoa  angehört,  deren  Marken 
auch  in  unseren  Sammlungen  am  häufigsten  vertreten  sind,  fehlen  doch 
die  bei  uns  geschätzten  großen  schwungvollen  Vasen  mit  reicher  Blau- 
malerei gänzlich.  Die  von  Hsiang  Yuan  Pien  zusammengestellten  und  zum 
Teil  sehr  hoch  — bis  zu  300  Taels  Silber  — bewerteten  Mingporzellane  sind 
viel  bescheidener  im  Umfang  und  ebenso  in  der  malerischen  Ausstattung. 
Unter  den  Formen  finden  sich  Nachbildungen  naturalistisch  gestalteter  Jade- 
gefäße, die  in  unseren  Sammlungen  so  gut  wie  unbekannt  sind.  Falke. 


Bei'  der  Redaktion  eingegangene  Werke: 


Beissel  S.  J.,  Stephan.  Geschichte  der  Verehrung  Marias  in 
Deutschland  während  des  Mittelalters.  Mit  292  Abb. 
Freiburg  i.  B.,  Herdersche  Verlagshandlung.  M.  15. 

Corwegh,  Robert.  Donatellos  Sängerkanzel  im  Dom  zu  Florenz. 
Berlin,  Bruno  Cassirer. 

Eibner,  A.  Malmaterialienkunde  alsGrundlage  der  Maltechnik. 
Berlin,  Julius  Springer.  M.  12. 

Eichler,  Ferdinand.  Die  deutsche  Bibel  des  Erasmus  Stratter 
in  der  Universitätsbibliothek  zu  Graz.  Mit  9 Taf.  Leipzig, 
Otto  Harrassowitz.  M.  6. 

Fischer,  Otto.  Die  altdeutsche  Malerei  in  Salzburg.  Mit  35  Abb. 
auf  25  Lichtdrucktafeln.  Kunstgeschichtliche  Monographien,  XII. 
Leipzig,  Karl  W.  Hiersemann. 

Gebhardt,  Carl.  Die  Anfänge  der  Tafelmalerei  in  Nürnberg. 
Mit  5 r Abb.  auf  34  Lichtdrucktafeln.  Studien  zur  deutschen  Kunst- 
geschichte, Heft  103.  Straßburg  i.  E.,  J.  H.  Ed.  Heitz.  M.  14. 
Hildebrand,  Adolf.  Gesammelte  Aufsätze.  Straßburg  i.  E.,  J.  H.  Ed. 
Heitz.  M.  2. 

Hildebrandt,  Edmund.  Leben,  Werke  und  Schriften  des  Bild- 
hauers E.-M.  Falconet.  Mit  39  Abb.  auf  21  Taf.  Zur  Kunst- 
geschichte des  Auslandes,  Heft  63.  Straßburg  i.  E.,  J.  H.  Ed.  Heitz. 
M.  15. 

Holmes,  C.  J.  Notes  on  the  Science  of  picture-making.  London, 
Chatto  & Windus.  sh.  7,50. 

Höhn,  Heinrich.  Studien  zur  Entwickelung  der  Münchener 
Landschaftsmalerei  vom  Ende  des  18.  und  vom  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts.  Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte, 
Heft  108.  Straßburg  i.  E.,  J.  H.  Ed.  Heitz.  M.  14. 

Keppler,  Paul  Wilhelm  von.  Aus  Kunst  und  Leben.  3.  Auflage. 
Mit  6 Taf.  und  118  Abb.  Freiburg  i.  B.,  Herdersche  Verlaghandlung. 
M.  6. 

Mack,  Carl  Conrad.  Die  Oberamts-  u.  Seminarstadt  Saulgau. 
Stuttgart,  Schwarenberg. 


Bei  der  Redaktion  eingegangene  Werke. 


95 


Male,  Emile.  L’art  religieux  de  la  fin  du  moyen  äge  en  France. 

Mit  250  Abb.  Paris,  Armand  Colin.  Fr.  25. 

Schreiber,  W.  L.  Basels  Bedeutung  für  die  Geschichte  der 
Blockbücher.  Mit  5 Abb.  Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte, 
Heft  106.  Straßburg  i.  E.,  J.  H.  Ed.  Heitz.  M.  3 
Schulz,  Fritz  Traugott.  Die  St.  Georgenkirche  in  Kraftshof. 
Mit  35  Abb.  auf  21  Taf.  Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte, 
Heft  107.  Straßburg  i.  E.,  I.  H.  Ed.  Heitz.  M.  8. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto 

Bonfigli. 

Von  Walter  Bombe. 

Ausführliche  Notizen  über  Benedetto  Bonfigli  gab  zuerst  Annibale 
Mariotti  in  seinen  »Lettere  pittoriche  perugine«  J)  auf  Grund  fleißiger  und 
umfassender  Archivstudien.  Den  meist  sehr  sorgfältigen  Angaben  Mariottis 
folgen  Crowe  und  Cavalcaselle  in  ihrer  Geschichte  der  italienischen  Malerei * *  3 4 5) 
in  welcher  sie  eine  dem  damaligen  Stande  der  Forschung  entsprechende 
gründliche  und  eingehende  Untersuchung  über  den  Künstler  bieten.  In 
den  siebziger  Jahren  ist  durch  die  unermüdlichen  Archivforschungen  Adamo 
Rossis  3)  und  neuerdings  durch  den  Conte  L.  Manzoni  4)  nicht  wenig  Neues 
über  Benedetto  Bonfigli  ans  Licht  gefördert  worden. 

In  seinen  »Pelerinages  Ombriens«  5)  und  in  »La  jeunesse  du  PtSrugin«  6 7) 
versucht  der  Abbe  Broussolle  die  kunsthistorische  Bedeutung  des  Meisters 
in  das  rechte  Licht  zu  rücken,  wobei  er  jedoch  auf  eine  gründliche  Darlegung 
seines  Entwicklungsganges  und  auf  eine  kritische  Sichtung  und  Gruppierung 
der  unter  seinem  Namen  gehenden  Werke  verzichtet.  Ältere  Nachrichten 
über  Benedetto  Bonfigli,  die  sich  hier  und  da  finden,  sind  dürftig  und  nicht 
frei  von  Widersprüchen  und  Fehlern.  Vasari  erwähnt  ihn  kurz  in  seiner 
Vita  des  Pinturicchio,  zu  dessen  Gehülfen  er  ihn  macht  7). 

Crispolti 8 9 * * *),  Morelli  9),  Alessi !0),  Pascoli  «)  und  Taja  l3)  geben  kurze 
Notizen  von  zum  Teil  zweifelhaftem  Wert.  Der  Verfasser  hat  in  seiner 


»)  Perugia,  1788,  p.  6,  72,  77»  121,  129,  135  u.  ff. 

*)  Bd.  4 der  deutschen  Ausgabe,  1.  Hälfte,  Kap.  VI,  p.  148  u.  ff. 

3)  Giornale  di  Erudizione  Artistica,  Perugia  1872 — 1877. 

4)  Bollettino  della  R.  Deputazione  di  Storia  Patria  per  l’Umbria  Vol.  III,  p.  374  u.  ff. 
und  Vol.  VI,  p.  307  u.  ff. 

5)  Paris  1896,  p.  11  u.  ff. 

6)  Paris  1901,  p.  172 — 184  u.  284 — 301. 

7)  Ed.  Milanesi  Vol.  III,  p.  506. 

8)  Perugia  Augusta,  1648. 

9)  Bravi  notizie  delle  pitture  e sculture  in  Perugia,  Perugia  1683. 

I0)  Elog.  Civ.  Perus.  Cent.  II,  p.  69. 

“)  Vite  dei  Pittori,  Scultori  ed  Architetti  Perugini,  Roma  1732. 

«)  Descrizione  del  Palazzo  Apostolico  Vaticano,  Roma  1750. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


7 


98 


Walter  Bombe: 


Dissertation  J3)  den  Versuch  unternommen,  von  der  Eigenart  des  Meisters 
und  von  seiner  kunsthistorischen  Bedeutung  ein  klareres  Bild  zu  gewinnen. 

Durch  die  Aufforderung  älterer  Fachgenossen  ermutigt,  übergibt  er  den 
damals  unveröffentlicht  gebliebenen  Teil  zugleich  mit  einigen  aus  der  ge- 
druckten Arbeit  zusammengestellten  Bemerkungen  hiermit  der  Öffentlichkeit. 

Biographische  Notizen. 

Nach  Annibale  Mariottis  Angabe *  *4)  ist  Benedetto  ein  »filius  olim 
Bonfilii«.  Über  sein  Geburtsjahr  steht  nichts  sicher  fest.  Wir  dürfen  es 
aber  ohne  Gefahr  eines  Fehlgriffs  etwa  auf  1420  festsetzen.  Über  seine 
wahrscheinlich  in  der  Vaterstadt  verlebte  Jugend  und  seine  Lehrzeit  ist 
nichts  bekannt.  Die  früheste  Nachricht  über  Bonfiglis  künstlerische  Tätig- 
keit gibt  ein  Aktenstück  vom  7.  März  1445  I5)>  aus  welchem  wir  ersehen, 
daß  der  junge  Künstler  ein  Votivbild  der  Madonna  mit  zwei  Engeln  über 
dem  Altar  einer  Kapelle  außerhalb  der  Kirche  S.  Pietro  zu  malen  sich  ver- 
pflichtete. Da  das  Bild  in  keiner  der  alten  Beschreibungen  von  Perugia 
erwähnt  wird,  mag  es  frühzeitig  zugrunde  gegangen  sein.  Aus  der  Tatsache, 
daß  der  Künstler  in  dem  Aktenstück  nicht,  wie  später  meist,  als  »egregius 
pictor«  oder  »magister«  bezeichnet  wird,  darf  der  Schluß  gezogen  werden, 
daß  Bonfigli  damals  noch  in  jugendlichem  Alter  stand. 

Im  Jahre  1450  befindet  sich  Benedetto,  wie  aus  Notizen  der  päpst- 
lichen Rechnungskammer  hervorgeht,  in  Rom.  Papst  Nikolaus  V.  hatte 
ihn  neben  vielen  anderen  Künstlern,  zu  denen  auch  Fra  Angelico  und  Benozzo 
Gozzoli  zählten,  dorthin  berufen.  Der  Papst  bewilligte  ihm  dasselbe  Honorar, 
wie  Fra  Angelicos  Gehülfen  Benozzo  Gozzoli,  nämlich  sieben  Dukaten  pro 
Monat  und  freie  Verpflegung  l6).  Von  seinen  Arbeiten  in  Rom,  die  nach 
Vasari  J7)  sehr  zahlreich  gewesen  sind,  ist  nichts  mehr  vorhanden.  Seine 
römische  Tätigkeit  hat  spätestens  1453  ihr  Ende  erreicht,  denn  wir  finden 
ihn  am  13.  August  dieses  Jahres  wieder  in  Perugia,  wo  er  gemeinsam  mit 
dem  Maler  Mariano  d'Antonio  und  einem  uns  sonst  unbekannten  Bildhauer 
Melchiorre  da  Cittä  di  Castello  ein  Gutachten  über  ein  von  Battista  di 
Baldassarre  Mattioli  restauriertes  altes  Altarwerk  abgibt l8). 

Es  ist  wahrscheinlich,  daß  die  römischen  Leistungen  unserem  Meister 
einen  gewissen  Ruf  in  der  Heimat  verschafft  haben;  am  30.  November  1454 


*3)  Benedetto  Buonfigli.  Eine  kunsthistorische  Studie.  Berliner  Inaugural-Disser- 
tation  1904. 

x4)  Lett.  pitt.  p.  130,  Anm.  2. 

*5)  Bollettino  della  R.  Deputazione  di  Storia  Patria  per  l’Umbria  Völ.  III,  p.  374. 
l6)  Giorn.  di  Erud.  Art.  VI,  p.  265. 

*7)  Vasari,  Ed.  Milanesi  Vol.  III,  p.  505. 

l8)  Gualandi,  Memorie  originali  Ser.  V,  p.  8 — 9. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


99 


erhält  er  den  größten  Freskenauftrag,  den  die  Prioren  von  Perugia  jemals 
einem  Künstler  erteilt  haben  x9).  Der  Auftrag  umfaßte  die  Ausmalung 
zunächst  einer  Hälfte  der  neuen  Kapelle  des  Stadthauses  mit  der  Dar- 
stellung des  Crucifixus  und  einer  Reihe  von  Geschichten  des  heiligen  Ludwig 
von  Toulouse.  Dafür,  daß  man  bedeutende  Leistungen  erwartete,  spricht 
die  Berufung  dreier  ausgezeichneter  Vertreter  der  Florentiner  Kunst,  des 
Fra  Angelico,  des  Filippo  Lippi  und  des  Domenico  Veneziano,  zum  Schieds- 
richteramt. 

Erst  drei  Jahre  später,  am  4.  Juli  1457,  hören  wir  von  einer  ersten 
Zahlung  für  die  begonnene  Arbeit,  und  sieben  Jahre  vergingen,  bis  sie, 
am  11.  September  1461,  durch  Fra  Filippo  Lippi,  den  einzigen  noch 
lebenden  der  drei  Schiedsrichter,  abgeschätzt  werden  konnte.  Der  Frate  lobte 
die  Arbeit  und  setzte  den  Preis  für  die  Ausschmückung  der  ganzen  Kapelle 
auf  400  fl.  fest.  Noch  an  demselben  Tage  schlossen  die  Prioren  mit 
Benedetto  Bonfigli  einen  neuen  Kontrakt  ab,  auf  Grund  dessen  ihm  auch  die 
zweite  Kapellenhälfte  übertragen  wurde. 

Möglicherweise  fällt  in  die  Jahre  um  1460  noch  ein  Aufenthalt  unseres 
Meisters  in  Siena.  Wenigstens  versichert  Cesare  Alessi,  daß  Bonfigli  auf 
Befehl  des  Papstes  Pius  II  nach  Siena  gegangen  sei,  um  dort  verschiedene 
Arbeiten  auszuführen *  *°).  Pius  wurde  am  20.  August  1458  gewählt  und 
starb  am  I.  September  1464.  Beide  Daten  setzen  die  Grenzen  fest  für  einen 
Aufenthalt  in  Siena,  der  keinesfalls  von  längerer  Dauer  gewesen  ist,  da 
der  Meister  durch  seine  Tätigkeit  in  der  Kapelle  der  Prioren  stark  in  Anspruch 
genommen  war*1).  Arbeiten  seiner  Hand  in  Siena  und  Pienza  sind  nicht 
mehr  erhalten. 

Von  1464  an  ist  Benedetto  dauernd  in  der  Heimat  tätig.  Im  gleichen 
Jahre  wird  in  seiner  Werkstatt  und  unter  seiner  Beteiligung  ein  Gonfalone 
für  die  Kirche  S.  Francesco  vollständig  übermalt.  Im  Mai  des  Jahres  1465 
wird  ihm  die  Ehre  zuteil,  in  Gemeinschaft  mit  dem  Maler  Angelo  di  Bal- 
dassare  Mattioli  die  Skulpturen  an  der  Fassade  von  S.  Andrea  e Bernardino, 
das  graziöse  Werk  des  Florentiners  Agostino  di  Antonio  Duccio  abzu- 
schätzen  **).  In  demselben  Jahre  malt  er  einen  großen  Gonfalone  für  die 
ebengenannte  Kirche,  ein  Werk,  das  schon  Vasari  nennt  *3.) 

Durch  zwei  Dokumente  von  1467  lernen  wir  ihn  als  Künstler  auf 
dem  Gebiete  der  Glasmalerei  kennen:  Am  4.  April  1467  empfängt  er 

>9)  Bollettino  della  R.  Deputazione  di  Storia  Patria  per  l’Umbria  Vol.  VI  (1900), 
p.  307  ff. 

20)  Elog.  Civ.  Perus.  Pars  II,  p.  69. 

21)  Siehe  die  auf  Fußnote  52  mitgeteilten  Zahlungsvermerke. 

**)  Giorn.  di  Erud.  Art.  Vol.  IV,  Fase.  II,  Februar  1875. 

*3)  Ed.  Milanesi  III,  p.  506. 


7' 


100 


Walter  B ombe: 


eine  Zahlung  von  5 fl.  für  ein  Glasfenster  in  der  Sakristei  von  S. 
Pietro  24). 

Am  7-  November  1469  beschwert  er  sich  bei  den  Prioren  über  unpünkt- 
liche Zahlung  des  für  die  Arbeiten  in  der  Kapelle  ausbedungenen  Lohnes. 

Im  Jahre  1472  malt  er,  wie  urkundlich  und  durch  Inschrift  feststeht, 
eine  Kirchenfahhe  für  das  Städtchen  Corciano  unweit  Perugia,  und  einen 
Gonfalone  für  S.  Maria  Nuova  ebendort.  Das  Datum  1476  trägt  der  Gon- 
falone  von  S.  Fiorenzo  in  Perugia. 

Eine  Zahlung 'von  180  fl.,  die  Bonfigli  am  1.  Juli  1477  von  dem  Merciaio 
Bartolomeo  di  Gregorio  für  Rechnung  der  Prioren  empfängt,  läßt  darauf 
schließen,  daß  inzwischen  die  Arbeiten  in  der  Kapelle  der  Prioren  bedeutend 
gefördert  sein  müssen.  Von  diesem  Tage  bis  zu  seinem  Tode  fehlen  weitere 
Nachrichten  über  die  Fresken. 

In  das  Jahr  1482  fällt  die  Vollendung  des  Gonfalone  von  S.  Francesco 
in  Montone  bei  Umbertide,  an  dem  sein  Werkstattgenosse  Bartolomeo 
Caporali  hervorragend  beteiligt  ist  25).  Im  Jahre  1495  empfängt  er  noch 
die  Bezahlung  für  eine  Arbeit  im  neuerbauten  Kloster  S.  Caterina  zu 
Perugia i6). 

Am  6.  Juli  1496  macht  Benedetto  Bonfigli  »sanus  mente  et  intellectu 
licet  corpore  languens  et  timens  casum  mortis«  sein  Testament.  Zwei  Tage 
später  stirbt  er  und  wird  auf  seinen  Wunsch  in  der  Kirche  S.  Domenico 
beigesetzt.  Seine  Gattin  Gioliva  di  Menicuccio,  mit  der  er  in  keineswegs 
glücklicher  Ehe  gelebt  hat,  wie  aus  zahlreichen  unerfreulichen  Rechts- 
händeln hervorgeht,  überlebte  ihn.  Ihr  Testament  ist  vom  24.  August  1502 
datiert. 

Die  Tafelbilder. 

Da  Bonfigli  keines  seiner  Tafelbilder  datiert  oder  mit  seinem  Namen 
gezeichnet  hat,  und  auch  die  Archive  über  die  Entstehungszeit  derselben 
keine  Aufschlüsse  geben,  ist  es  nur  durch  stilkritische  Vergleichung  der 
unter  seinem  Namen  gehenden  Werke  möglich,  zu  einer  Vorstellung  von 
des  Künstlers  Werdegang  zu  gelangen.  Bei  der  im  folgenden  ausgeführten 
Prüfung  des  einschlägigen  Materials,  das  zum  größten  Teil  in  der  Stadt- 
galerie von  Perugia  vereinigt  ist,  werden  sich  einige  Anhaltspunkte  wenigstens 
ergeben,  welche  uns  in  den  Stand  setzen,  die  Jugendwerke  von  denen  einer 
späteren  Lebensperiode  zu  sondern. 


J4)  Repertorium  XXVI,  Fase.  II,  p.  125. 

J5)  Archivalische  Notizen  über  den  Meister,  die  jedoch  für  seine  weitere  künst- 
lerische Tätigkeit  nur  wenig  ergeben,  sollen  in  einer  bevorstehenden  größeren  Arbeit 
des  Verfassers  publiziert  werden. 

2Ö)  Ricci,  Storia  della  B.  Colomba,  Perugia  1902,  p.  331,  Note  2. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


IOI 


Der  Entstehungszcit  nach  das  erste  der  noch  erhaltenen  Werke  dürfte 
eine  große  Anbetung  der  Könige  sein,  welche  sich  früher  in 
S.  Domenico  zu  Perugia  befand  und  schon  von  Vasari  als  Werk  unseres 
Meisters  erwähnt  wird  27). 

Vor  der  verfallenen  Hütte,  über  welcher  der  Stern  erglänzt,  hat  die 
Madonna  mit  dem  Kinde  auf  dem  Schoße  Platz  genommen.  Sie  trägt  ein 
rotes,  hochgegürtetes  Kleid,  das  den  Hals  freiläßt;  um  ihre  Schultern  legt 
sich  ein  grüner  mit  weißem  Pelz  besetzter  Mantel,  der  die  Füße  verdeckt. 
Unter  einem  leichten  Kopfschleier  quillt  das  Haar  in  lichtblonden  Löckchen 
hervor.  Ihr  anmutiges  Gesicht  zeigt  eine  freie  Stirn,  hochgeschwungene 
Augenbrauen,  gerade  Nase  und  feinen,  festgeschlossenen  Mund.  Das  Kind 
auf  ihrem  Schoße  ist  nackt  bis  auf  ein  Lendentüchlein  und  faßt  mit  der  Linken 
nach  seinem  Geschenk,  während  es  mit  der  Rechten  den  alten  König  segnet,  der 
niedergekniet  ist,  um  ihm  den  Fuß  zu  küssen.  Hinter  ihrem  älteren  Genossen 
stehen  die  beiden  anderen  Könige,  welche  ihre  Gaben  noch  in  den  Händen 
halten.  Der  eine,  mit  bärtigem,  hagerem  braunem  Gesicht,  trägt 
ein  langes  Kleid  von  rotem  Brokat  und  gleichfarbigen  Mantel,  der  andere, 
bartlose,  ist  mit  rotem  Rock  und  braunem,  ärmellosem  Mantel  bekleidet. 
Im  Hintergründe  drängt  sich,  teils  neugierig  zuschauend,  teils  indifferent, 
das  orientalisch -bunte  Gefolge,  mit  Pferden,  Hunden  und  Kamelen.  In  der 
Ferne  zeigen  sich  sehr  konventionell  aufgefaßte,  Maulwurfshügeln  ähnliche 
Berge  und  die  rot  beglänzten  Mauern  von  Jerusalem.  Ikonographisch 
interessant  ist  die  Einführung  der  Figur  Johannes  des  Täufers  in  die 
Szene. 

Die  sehr  beschädigte  Predella  besteht  aus  drei  Täfelchen:  Taufe 
Christi,  Kreuzigung,  Wunder  des  heiligen  Nikolaus. 

Christus,  im  seichten  Jordan  stehend,  empfängt  das  Wasser  aus  der 
Schale,  die  Johannes  über  seinem  Haupte  ausgießt.  Rechts  tragen  drei 
Engel28)  die  Kleider  Christi.  Die  Kreuzigung  ist  eine  figurenreiche 
Komposition:  In  der  Mitte  Christus  am  Kreuze,  Magdalena  den  Kreuzes - 

stamm  umfassend,  links  die  Gruppe  des  Johannes  und  der  Maria,  rechts 
Pharisäer  und  römische  Kriegsknechte.  Das  dritte  Predellentäfelchen  stellt 

J7)  Ed.  Milanesi  III,  p.  506. 

l8)  Auf  dem  Kopfe  tragen  die  Engel  einen  bizarren,  einem  Hahnenkamm  (Cresta) 
ähnlichen,  aus  künstlichen  Blumen  hergestellten  Zierrat,  für  den  Bonfigli  eine  besondere 
Vorliebe  besessen  haben  muß,  da  er  ihn  fast  allen  seinen  Engeln  aufsetzt.  Es  war  der  Kopf- 
putz, welchen  die  jungen  Mädchen  in  Perugia  bei  festlichen  Gelegenheiten  zu  tragen  pflegten. 
Schon  in  einem  1339  aufgenommenen  Inventar  der  Disciplinati  von  S.  Domenico  wird 
dieser  seltsame  Zierrat  erwähnt.  Unter  Nr.  52  heißt  es  daselbst:  »Ancho  sei  berette 
bianche  con  creste  roscie«. 

Bonfigli  hat  die  Cresta  wie  ein  Monogramm  auf  den  meisten  seiner  Tafelbilder  und 
Gonfaloni  angebracht.  Bei  anderen  umbrischen.  Meistern  findet  sie  sich  nie. 


102 


W alter  Bombe : 


den  heiligen  Nikolaus  dar,  welcher  drei  zum  Tode  verurteilte  Jünglinge 
rettet.  Alle  drei  PredeLlenbildchen  sind  halb  verlöscht. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  wir  es  hier  mit  der  zaghaften  Arbeit 
eines  Anfängers  zu  tun  haben.  Die  ganz  verzeichneten  Gestalten  Johannes 
des  Täufers  und  des  knienden  alten  Königs  verraten  eine  sehr  mangelhafte 
Kenntnis  der  Anatomie.  Bei  den  meisten  anderen  Figuren  verdecken  starre 
Gewandfalten  die  Linien  des  Körpers.  Das  Stehen  ist  unfest.  Wenn  möglich, 
werden  die  Füße  unter  lang  herabfallenden  Kleidern  versteckt.  Der  Vorder- 
grund ist  kleinlich  behandelt.  Die  Berge  in  der  Ferne  zeigen  ähnliche  Formen, 
wie  wir  sie  in  Fra  Angelicos  Predellentafel  mit  dem  Wunder  des  heiligen 
Nikolaus  und  auf  ganz  frühen  Bildern  des  Piero  della  Francesca,  z.  B. 
dem  Misericordienaltar  in  Sansepolcro  (von  1445)  finden.  Der  oben  gekenn- 
zeichnete Madonnentypus  ist  jedenfalls  durch  Fra  Angelico  und  Filippo 
Lippi  vorbereitet.  In  seltsamem  Gegensatz  zu  der  Anmut  und  Holdseligkeit 
der  Madonna  steht  das  halslose,  plump  gebaute  Christuskind,  dessen  Typus 
gleichfalls  aus  dem  des  Filippo  Lippi  entwickelt  ist.  In  der  Behandlung 
der  übrigen  Einzelformen  aber  ist  das  Werk  von  sieneser  Vorbildern  be- 
einflußt. Die  Abhängigkeit  von  Siena  bekundet  sich  vor  allem  in  der  alter- 
tümlichen Gedrängtheit  der  Komposition,  dem  Mangel  an  Linien-  und 
Luftperspektive,  der  Schattenlosigkeit,  den  grellen  Gegensätzen  in  der 
Farbenzusammenstellung  bei  miniaturartiger  Sauberkeit  der  Ausführung 
und  der  überreichen  Verwendung  von  Gold. 

Etwas  späteren  Ursprungs  scheint  ein  gleichfalls  in  der  Pinakothek 
zu  Perugia  aufbewahrtes  Tafelbild  zu  sein,  das  die  Verkündigung 
darstellt  29). 

Vor  einer  offenen  Halle,  an  die  sich  nach  links  eine  reich  dekorierte 
marmorne  Brüstungsmauer  anschließt,  kniet  die  Madonna  auf  niedrigem 
Schemel.  Sie  trägt  ein  ungegürtetes  Kleid  aus  schwerem  dunkelrotem  Stoff, 
dessen  Saum  in  vielfachen  Schlangenlinien  am  Boden  sich  ausbreitet.  Von 
links  her  schreitet  der  Engel  der  Verkündigung  auf  die  Madonna  zu.  Seine 
Kleidung  ist  die  idealisierte  Tracht  der  Zeit.  Sie  setzt  sich  zusammen  aus 
einem  Rock  von  grünlich  schillerndem  weichen  Seidenstoff  und  einer  ge- 
gürteten Jacke  von  schwerer  gelber  Seide  mit  weißer  Pelzverbrämung. 
Der  Hals  bleibt  frei,  die  Ärmel  sind  lang  und  mit  Aufschlägen  versehen, 
auf  dem  künstlich  gelockten  lichtblonden  Haar  prangt  der  modische  Kopf- 
putz, die  Cresta.  Zwischen  der  Jungfrau  und  dem  Verkündigungsengel 
hockt  der  heilige  Lukas  am  Boden,  ruhig  an  seinem  Evangelium  schreibend. 
Neben  dem  Heiligen  liegt  der  geflügelte  Stier.  Zwischen  den  Vorderbeinen 
hält  er  ein  Buch.  Ein  Pergamentstreifen,  den  der  Evangelist  voll- 


39)  Sala  del  Bonfigli,  Nr.  7. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


103 


geschrieben  hat,  ist  dem  Stier  um  den  Kopf  geschlungen.  Hinter  der 
marmornen  Brüstungsmauer  erheben  sich  einige  Zypressen  und  die  Gipfel 
kahler  Berge,  über  welchen  die  Halbfigur  Gottvaters  mit  der  Weltkugel  in 
der  Hand,  getragen  von  Cherubim,  heranschwebt.  Die  von  ihm  entsandte 
Taube  des  heiligen  Geistes  hat  ihre  Flugbahn  fast  zurückgelegt.  Vier 
Mädchenengel  in  der  für  Bonfigli  charakteristischen  Kleidung  und  Kopf- 
bedeckung begleiten  den  Gottvater. 

Die  Halle,  welche  mit  der  friesgeschmückten  und  durch  korinthisierende 
Pilaster  gegliederten  Marmorbrüstung  zusammen  den  architektonischen 
Hintergrund  bildet,  hat  im  oberen  Geschoß  noch  gotisches  Maßwerk. 
Dagegen  zeigt  die  Architektur  des  Untergeschosses  und  der  Marmor- 
brüstung Renaissancemotive,  die  zum  Teil  wenigstens  ihre  römische  Herkunft 
nicht  verleugnen  können.  Auf  quadratischen  Postamenten  erheben  sich  zwei 
schlanke  unkanellierte  Säulen,  deren  korinthisches  Kapitäl  drei  Blattreihen 
und  verhältnismäßig  kleine  Voluten  aufweist.  Hinter  den  Säulen  sind  jeder - 
seits  drei  einfache,  viereckige  Pfeiler  als  Träger  des  flachen  Kassettendaches 
angeordnet.  Säulen  und  Pfeiler  tragen  ihre  Last  unmittelbar,  ohne  ein- 
geschaltetes Gebälkstück.  Die  sich  links  anschließende  Marmorbrüstung 
ist  durch  drei  kanellierte  korinthische  Pilaster  gegliedert.  Die  Zwischen- 
räume zwischen  den  Pilastern  sind  durch  farbige  Marmorinkrustation 
ausgefüllt.  Das  Gebälk  besteht  aus  drei  übereinander  gespannten  Gurt- 
bändern, ornamentiertem  Fries  und  einfachem  Kyma.  Auch  für  das  Detail 
im  engeren  Sinne  sind  Formen  der  römischen  Architektur  verwertet. 
Die  Schmuckmotive  des  Frieses  sind  Amoretten  und  Festons  und  die 
Zwickelfelder  der  Rückwand  des  Untergeschosses  sind  durch  geflügelte 
Genien  ausgefüllt,  welche  an  die  Victorien  auf  römischen  Triumphbögen 
erinnern. 

Diese  ganz  verständnisvolle  Benutzung  antiker  Architekturformen 
legt  den  Gedanken  nahe,  der  Meister  habe  das  Bild  erst  nach  der  Rück- 
kehr aus  Rom  geschaffen.  In  der  Behandlung  des  Räumlichen  lassen  sich 
bedeutende  Fortschritte  erkennen:  Zum  ersten  Male  wird  der  Versuch 

gewagt,  eine  perspektivische  Aufgabe  zu  lösen,  aber  der  Künstler  vereinfacht 
sich  sein  Problem,  indem  er  die  gerade  Ansicht  von  vorn  nimmt,  in  ähnlicher 
Weise,  wie  dies  Fra  Angelico  und  Filippo  Lippi  zu  tun  pflegen.  Die  ganze 
Anlage,  zweigeschossiges  Gebäude  mit  antikisierenden  Säulen  im  Unter- 
geschoß und  links  sich  anschließender  Brüstungsmauer,  findet  sich  in  ähn- 
licher Weise  auf  des  Piero  della  Francesca  Verkündigung  an  die  Kaiserin 
Helena  in  Arezzo.  Ein  anderes  Verkündigungsbild  dieses  Meisters,  das  sich 
ehedem  in  S.  Antonio  zu  Perugia  befand  und  jetzt  in  der  Pinakothek 
bewahrt  wird,  zeigt  eine  ähnlich  verkürzte  Säulenhalle.  Einflüsse  des 
großen  Lehrmeisters  der  Perspektive,  der  vermutlich  schon  unj  1438  -mit 


104 


Walter  Bombe: 


Domenico  Veneziano  in  Perugia  weilte  und  auch  später  dort  mehrfach  tätig 
war,  sind  in  hohem  Grade  wahrscheinlich. 

Bedeutende  Fortschritte  des  Meisters  gegenüber  der  frühen  Anbetung 
der  Könige  bekunden  sich  ferner  im  Figürlichen,  in  der  Gewandbehandlung 
und  in  der  koloristischen  Haltung  des  Ganzen.  Der  Verkündigungsengel 
ist  eine  schlanke,  graziös  bewegte  Gestalt.  Die  geradlinigen,  starren  Falten- 
züge auf  dem  ersten  Bilde  haben  einer  freieren  Behandlung  des 
Gewandes  Platz  gemacht.  Bonfigli  macht  sich  von  den  Sieneser  Einflüssen 
frei,  und  die  überlegene  Florentiner  Kunst  beginnt'  auf  ihn  einzuwirken. 
Die  bunte,  fast  schattenlose  Farbe  seines  ersten  Bildes  ist  einer  immer  noch 
lebhaften,  aber  harmonischen  Färbung  gewichen.  Die  Verwendung  von 
Gold  ist  eine  sparsamere  und  beschränkt  sich  auf  den  Ersatz  des  Lufthinter- 
grupdes.  Die  Umrißzeichnung  wird  korrekter.  In  der  Formenauffassung 
aber  ist  Bonfigli  von  der  Strenge  und  Wahrheit  und  der  herben  Energie 
der  Charakteristik,  welche  die  Schöpfungen  des  Piero  della  Francesca  aus- 
zeichnen, weit  entfernt. 

Das  Bild  ist  für  die  Audienz  der  Notare  gemalt  worden,  deren  Bau 
1444  begann.  Eine  zugehörige  Predelle  mit  den  heiligen  Markus  und  Hiero- 
nymus und  der  Pietä  ist  verschollen. 

Mit  der  großen  Anbetung  der  Könige  und  der  Verkündigung  steht  in 
engstem  stilistischen  Zusammenhang  eine  kleinere  Anbetung  der  Könige, 
welche  aus  dem  Besitz  des  Antiquars  Volpi  in  Florenz  für  die  National 
Gallery  in  London  erworben  wurde. 

Die  Komposition  ist  auf  die  einfachste  Form  zurückgeführt.  Die  heiligen 
drei  Könige  sind  ohne  Gefolge  vor  dem  Christuskinde  erschienen,  das  völlig 
bekleidet  auf  dem  Schoß  der  Mutter  sitzt.  Das  Kind  hat  sein  Geschenk  in 
Empfang  genommen  und  segnet  mit  der  Rechten  den  in  Anbetung  ver- 
harrenden alten  König.  Der  heilige  Joseph  kauert  mit  untergeschlagenen 
Beinen  am  Boden  in  derselben  Weise,  wie  der  Evangelist  Lukas  auf  dem 
Verkündigungsbilde.  Rechts  erhebt  sich  vor  bergigem  Hintergründe  die 
Gestalt  des  gekreuzigten  Christus.  Die  schematischen,  geradlinigen  Ge- 
wandfalten, der  kleinlich  behandelte  Vordergrund  und  die  abbreviatorischen 
Formen  der  Berge  kennzeichnen  das  Bild  als  ein  Jugendwerk  auf  der  Stufe 
der  großen  Anbetung  der  Könige  aus  S.  Domenico. 

Zu  den  Jugendwerken  des  Meisters  dürfen  ferner  gezählt  werden : 

Vier  Tafeln  mit  je  zwei  Engeln,  welche,  auf  leichtem  Gewölk  kniend, 
Blumenkörbe  tragen.  Die  Tafeln  sind  sehr  schadhaft,  zeigen  alle  den  gleichen 
gemusterten  Goldgrund  und  scheinen  Reste  eines  größeren  Werkes  zu  sein. 
Die  Engel  sind  mit  der  nämlichen,  etwas  manirierten  Eleganz  modisch 
aufgeputzt,  wie  in  der  Anbetung  der  Könige  und  der  Verkündigung.  Auf 
dem  Haupte  tragen  sie  die  Cresta. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli.  105 

In  demselben  Saale  bewahrt  die  Stadtgalerie  zu  Perugia  acht  Engel 
mit  den  Marterinstrumenten  Christi,  welche,  paarweise  auf  vier  Tafeln 
verteilt,  gleichfalls  Reste  eines  größeren  Ganzen  sind.  Die  sonst  bei  Bonfigli 
so  häufige  Cresta  fehlt  ihrem  in  der  Mitte  gescheitelten,  zierlich  gekräuselten 
Haar.  Doch  trifft  die  oben  gegebene  Charakteristik  auch  auf  sie  zu.  Mit 
einem  rührenden  Ausdruck  von  Trauer  und  Schmerz  in  den  blassen  Kinder  - 
gesichtern  weisen  sie  ihre  Attribute  vor.  Zwei  von  ihnen  halten  lange  Schrift- 
bänder, welche  auf  die  Darstellung  einer  Kreuzabnahme  oder  einer  Pietä 
Bezug  nehmen. 

Aus  dem  Kloster  S.  Francesco  del  Convento  stammt  eine  jetzt  in  der 
Pinakothek  zu  Perugia  aufbewahrte  thronende  Madonna  mit  vier 
Heiligen  und  vier  anbetenden  Engeln. 

Die  Madonna  sitzt,  leicht  nach  links  gewandt,  in  gleicher  Tracht, 
wie  auf  der  großen  Anbetung  der  Könige  und  dem  Verkündigungsbilde, 
vor  einer  Marmorbrüstung,  an  welcher  ein  Teppich  aufgespannt  ist.  Sie 
hält  mit  beiden  Händen  das  auf  ihrem  rechten  Knie  sitzende,  in  weißes 
Linnen  und  olivgrünes  Tuch  gehüllte  Kind,  das  mit  der  Rechten  nach  dem 
ihm  zunächst  stehenden  heiligen  Hieronymus  hinübergreift.  Hieronymus, 
in  roter  Kardinalstracht,  hat  seinen  Löwen  zur  Seite.  Er  wendet  sich  halb 
zu  dem  neben  ihm  postierten  Thomas  von  Aquino,  der  als  Dominikaner- 
mönclh  gekleidet  in  der  Linken  ein  aufgeschlagenes  Buch  hält  und  die  Rechte 
erhebt.  Rechts  stehen  in  ihrer  Ordenstracht  S.  Franciscus  mit  den  Wunden» 
malern  und  S.  Bernhardin,  beide  in  der  Linken  ein  Buch  haltend.  Ihre  Köpfe 
sind  fast  gänzlich  zerstört.  Über  der  marmornen  mit  Palmettenfries  ge- 
schmückten Brüstung  erscheinen  rechts  und  links  je  zwei  anbetende  Engel 
in  Halbfigur. 

Die  Komposition  ist  noch  symmetrisch  und  altertümlich  streng,  und 
gerade  das  Motiv,  das  einen  lebendigeren  Zug  in  das  Bild  bringen  sollte, 
das  Hinübergreifen  des  Christuskindes  nach  dem  (viel  zu  weit  entfernten) 
Hieronymus,  ist  mißglückt.  In  der  Madonna  hat  der  Meister  seinen  jugend- 
lichen. Lieblingstypus  beibehalten.  Daß  wir  uns  aber  einer  späteren  Ent- 
wicklungsstufe des  Künstlers  genähert  haben,  bekundet  vor  allem  die  Farbe, 
deren  ursprüngliche  Buntheit  gemildert  ist.  Trotz  der  altertümlich-symmetri- 
schen Anordnung,  die  als  rituelles  Erfordernis  peinlich  beobachtet  ist,  müssen 
wir  schon  aus  äußeren  Gründen  das  Werk  in  die  Zeit  nach  dem  römischen 
Aufenthalt  Bonfiglis  ansetzen.  'Das  Vorkommen  des  heiligen  Bernhardin 
ist  entscheidend.  Die  Kanonisation  Bernhardins  erfolgte  unter  Nikolaus  V. 
im  Jahre  1450.  Damals  befand  sich  Bonfigli  in  Rom,  und  erst  1453  ist 
er  in  Perugia  nachweisbar.  Nach  1453  wird  das  Werk  entstanden  sein. 

Über  dem  Bilde  hängt  eine  wahrscheinlich  nicht  zugehörige  kreis- 
segmentförmige Tafel  mit  der  Darstellung  Gottvaters,  welcher  von  zwei 


io6 


Walter  Bombe: 


Engeln  begleitet  ist,  in  der  Linken  die  Weltkugel  hält  und  mit  der  Rechten 
segnet,  eine  fast  wörtliche  Wiederholung  des  Gottvaters  aus  dem  Ver- 
kündigungsbilde 3°). 

Einer  späteren  Schaffensperiode  des  Meisters  scheint  ein  vielteiliges 
Altarwerk  aus  der  Kirche  S.  Domenico  anzugehören,  dessen  Mittelstück 
die  Madonna  mit  vier  musizierenden  Engeln  darstellt. 

In  einer  Felsenlandschaft  sitzt  die  Madonna  nach  vorn,  den  Kopf 
leicht  nach  links  geneigt,  und  betet  den  auf  ihrem  rechten  Knie  sitzenden, 
völlig  nackten  Christusknaben  an,  der  sich  mit  der  Linken  an  den  Falten 
ihres  Kleides  festhält.  Dieses  ist  von  dunkelroter  Farbe,  hoch  gegürtet, 
und  läßt  den  Hals  frei.  Der  um  die  Schultern  gelegte  lange  Mantel  war 
ursprünglich  blau  und  ist  von  einem  Restaurator  mit  grauer  Farbe  über- 
strichen worden.  Unter  dem  leichten  Kopfschleier,  dessen  Enden  tief  herab  - 
hängen,  quillt  das  lichtblonde  Haar  hervor.  Ihr  Gesicht  zeigt  die  bekannten 
Züge:  Das  nach  unten  spitz  verlaufende  Oval  auf  schlankem  Halse,  die 
hohe  Stirn,  die  schön  geschwungenen  Brauen,  die  gerade  Nase,  den  zier- 
lichen Mund.  Es  ist  jener  anmutige  Madonnentypus,  an  dem  Bonfigli,  wie 
es  scheint,  sein  ganzes  Leben  lang  festgehalten  hat.  Rechts  und  links  zu 
Füßen  der  Madonna  lassen  je  zwei  kniende  Mädchenengel  ihre  Instrumente: 
Mandoline,  Geige,  Harfe  und  Tamburin,  ertönen.  Gold  vertritt  die  Stelle 
des  Lufthintergrundes.  Das  Bild  schließt  oben  halbkreisförmig  ab. 

Zwei  zugehörige  kleinere  Seitentafeln  zeigen  S.  Paulus  und  Petrus 
Martyr  (rechts)  und  S.  Petrus  Ap.  und  S.  Catharina  (links).  In  den  Aposteln 
Petrus  und  Paulus  werden  die  überlieferten  Typen  gegeben.  Petrus  erscheint 
in  mattgrünem  Gewand  und  gelblich-braunem  Mantel,  Paulus  in  blauem 
Kleid  und  dunkelrotem  Mantel,  der  in  einer  sonst  bei  Bonfigli  nicht  üblichen 
Weise  über  die  linke  Schulter  und  den  linken  Arm  geworfen  und,  unter  der 
rechten  Hüfte  durchgezogen,  von  der  linken  Hand  gehalten  wird  3*).  In  der 
Rechtenhält  er  das  traditionelle  Schwert.  Petrus  Martyr  in  Dominikanerkutte 
hält  in  der  Linken  ein  Buch  und  in  der  Rechten  die  Märtyrerpalme.  Das 
schwere  Messer,  das  ihm  den  Schädel  gespalten  hat,  sitzt  noch  in  der  Wunde. 
Die  Brust  ist  von  einem  Dolch  durchbohrt.  Die  heilige  Katharina  ist  von 
individuellerem  Charakter  als  die  männlichen  Gestalten;  sie  trägt  ein  dunkel- 
rotes, sehr  hoch  gegürtetes  Kleid,  das  an  den  eng  anschließenden  Ärmeln 

3°)  Das  Bild  stammt  aus  dem  Besitz  der  Confraternitä  del  Gonfalone  di  S.  Francesco. 

31)  Am  Saum  seines  Gewandes  ist  die  gefälschte  Künstlerinschrift 
Spagnas  angebracht.  Diese  Figur  rührt,  wie  die  drei  anderen  der  Seitentafeln  und 
die  Figuren  des  Tympanons  von  Bartolomeo  Caporali  her.  Die  letzte  Zahlung  für  das 
Altarwerk,  das  für  die  Cappella  S.Vincenzo  in  S.  Domenico  bestimmt  war,  erfolgte,  wie  sich 
aus  Dokumenten  ergibt,  die  ich  demnächst  publizieren  werde,  an  Bonfigli  und  Caporali  am 
l8.  Juli  1467,  also  zu  einer  Zeit,  da  Spagna  wahrscheinlich  noch  nicht  geboren  war. 


Die  Tafgjbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


107 


die  modischen  Aufschläge  zeigt.  Um  ihre  Schultern  legt  sich  ein  kostbarer 
Bnokatmantel,'  auf  dem  Haupte  trägt  sie  die  Krone,  in  der  Rechten  ein 
Schwert,  Palme  und  Buch  in  der  Linken. 

Den  oberen  Abschluß  des  jetzt  in  seine  einzelnen  Tafeln  zerlegten 
Triptychons  bilden  zwei  Tafeln  mit  den  Figuren  der  Verkündigung:  Die 
Jungfrau  kniet,  die  Hände  über  der  Brust  gekreuzt,  vor  ihrem  Pult,  um 
die  himmlische  Botschaft  zu  empfangen.  Def  Engel  der  Verkündigung 
hat  sich  auf  ein  Knie  niedergelassen  und  hält  eine  Lilie  in  der  Linken. 

In  der  Stellung  der  Figuren  ist  die  alte  Gebundenheit  und  Symmetrie 
bei  behalten,  und  auch  der  Aufbau  des  ganzen  Altarwerks  entspricht  der 
Überlieferung;  in  der  koloristischen  Haltung  aber  nähert  sich  das  Werk 
den  einer  späteren  Schaffensperiode  des  Meisters  angehörigen  Gonfaloni 
und  Fresken.  Im  Figürlichen  zeigt  sich  auch  hier  die  geringe  Durchbildung 
der  Glieder,  im  Ausdruck  das  geziert-anmutige,  in  der  Komposition  die 
archaisch-strenge  Symmetrie,  und  im  Aufbau  das  altertümliche  Prinzip 
des  aus  vielen  Einzeltafeln  zusammengesetzten  Altarwerkes. 

Fassen  wir  die  aus  den  bisher  betrachteten  Bildern  gewonnenen 
Eindrücke  zusammen,  so  stellt  sich  der  Charakter  der  Kunst  Bonfiglis 
als  eine  Mischung  florentinischer  Eigentümlichkeiten  mit  der  ererbten 
umibrischen  Empfindung  dar.  Doch  scheint  es,  als  ob  der  Meister  von  der 
Küinst  der  großen  Florentiner  Zeitgenossen  sich  nur  das  angeeignet  habe, 
was  seinem  weichen  Naturell  unmittelbar  entsprach.  Im  ganzen  be- 
sitzen die  Tafelbilder  Bonfiglis  ein  viel  altertümlicheres  Gepräge,  als 
die  erzählenden  Fresken  in  der  Kapelle  der  Prioren,  welche  in  einem 
besonderen  Kapitel  eingehend  analysiert  werden  sollen.  Obgleich  der 
Künstler  es  nicht  vermocht  hat,  sich  in  seinen  Andachtsbildern  ganz 
von  der  Tradition  loszulösen,  so  konnten  doch  an  ihnen  die  Haupt- 
ph;asen  seiner  Entwicklung  aufgezeigt  werden.  Der  ganze  Umfang  seines 
Kömnens  aber  tritt  erst  in  seinem  Hauptwerk,  den  Fresken  in  der  Kapelle 
der  Prioren,  in  die  Erscheinung. 

Die  Gonfaloni. 

Fast  alle  Kirchenfahnen  des  Bonfigli  sind  entstanden  in  Zeiten,  da  die 
Pest  oder  eine  andere  Seuche  das  Land  heimsuchte  oder  kurz  vorher  heim- 
gesucht  hatte.  Wir  entnehmen  das  aus  den  alten  Chroniken  von  Perugia 
und  aus  den  Darstellungen  selbst. 

Seit  ihrem  ersten  verheerenden  Auftreten  im  Jahre  1348,  wo  im  Stadt- 
gebiet von  Perugia,  wenn  wir  den  Angaben  der  Chroniken  trauen  dürfen, 
fast  hunderttausend  Menschen  der  Seuche  zum  Opfer  fielen,  so  daß  Fried- 
höffe und  Gräber  nicht  hinreichten,  um  all  die  Toten  aufzunehmen,  brachte 
die  Pest  in  jedem  Jahrzehnt  mindestens  einmal  das  große  Sterben  über  die 


io8 


W alter  Bombe: 


Stadt.  Dann  versammelte  sich  das  geängstigte  Volk  in  den  Kirchen,  wo  die 
Disciplinati  ihre  Büßpredigten  hielten,  der  Ruf : »Miserere«  erscholl  gen  Himmel 
und  in  feierlicher  Prozession  wurde  der  Gonfalone  durch  die  Straßen  getragen. 
Waren  dann  Not  und  Kümmernis  der  Pestjahre  überwunden,  so  verkündigten 
Bußprediger  die  baldige  Wiederkehr  des  göttlichen  Strafgerichtes,  und  was 
der  Phantasie  der  Kanzelredner  entsprungen  war,  gewann  sichtbare  Gestalt 
in  der  Malerei. 

Zu  einer  systematischen  Betrachtung  der  Pestgonfaloni  übergehend, 
wollen  wir  zunächst  eine  Reihe  von  Schöpfungen  analysieren,  welche  sich 
durch  ein  ganz  bestimmtes,  alter  Überlieferung  folgendes  Kompositions- 
schema von  den  individueller  gestalteten  unterscheiden. 

Auf  allen  diesen  Gonfaloni  nimmt  die  Madonna  in  sehr  großer  Figur 
die.  Mitte  der  ganzen  Komposition  ein.  Unter  ihrem  weit  ausgebreiteten 
Mantel  drängen  sich  das  Volk  und  die  Mitglieder  der  Brüderschaft  in  winzigen 
Gestalten.  Über  der  Madonna  ist  Christus  mit  den  Wundenmalen  an  Hüfte 
und  Händen  dargestellt.  Er  ist  mit  einem  Mantel  bekleidet,  der  die  rechte 
Körperseite  freiläßt.  Mit  der  Rechten  schleudert  er  Pfeile  herab,  die  an  dem 
Mantel  der  Madonna  abprallen  oder  zerbrechen.  Die  heiligen  Schutzpatrone 
der  Stadt  und  der  Brüderschaft  knien  zur  Seite  der  Madonna,  als  Fürsprecher 
über  der  frommen  Gemeinde  schwebend. 

Das  so  gekennzeichnete  Kompositionsschema  gehört  alter  umbrischer 
Tradition  an.  Die  streng  liturgische  Fassung  des  Themas  lernen  wir  aus  einem 
alten,  vielfach  übermalten  Temperabilde  auf  Leinwand  in  der  Kirche  S.  Croce 
dei  Falegnami  zu  Perugia  kennen,  das  von  Crowe-Cavalcaselleals  Fresko 
beschrieben  und  irrtümlich  unter  den  Werken  Bonfiglis  erwähnt  wird.  Es 
ist  eine  künstlerisch  ganz  untergeordnete  Leistung  und  könnte  wohl  in  der 
ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  entstanden  sein,  vielleicht  kurz  nach 
der  Pestilenza  mortifera  von  1429. 

Oben  sehen  wir  den  zürnenden  Gottvater,  der  mit  beiden  Händen 
Pfeile  herabschleudert,  und  in  der  Mitte  die  Madonna,  welche  mit  ihrem 
Mantel  das  Volk  beschützt.  Am  Saum  ihres  Kleides  sind  in  gotischen  Lettern 
die  Verse  zu  lesen: 

»Con  umele  chore  et  ardente  fervore 
Regina  Celi  dei  Pechatore  salute 
Noi  pregiam  te  che  prege  che  ci  ajute 
El  tuo  figliolo  e levace  el  furore.« 

Auf  einem  Spruchband,  das  vom  Munde  des  heiligen  Sebastian  zur 
Madonna  geführt  ist,  stehen  die  Verse: 

»Per  quiste  piache  che  or  ci  rüde  alquanto, 

Per  lo  tuo  amore  e per  lo  figliol  tuo 
Te  priego  Madre  che  lo  priege  tanto 
Che  essaudischa  quisto  popul  suo.« 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


109 

Maria  erhört  die  Bitte  des  Volkes  und  seines  heiligen  Fürsprechers, 
denn  auf  einem  Spruchband,  das  zum  Erzengel  Raphael  geführt  ist,  liest  man: 
»Martir  beao  con  umilie  core 
Se’  essaudito,  e perö  Agnolo  cruo 
Remette  l’arma  e la  crua  spada,« 

Der  Engel  folgt  dem  Befehl  und  steckt  sein  Schwert  in  die  Scheide. 
Über  dem  Schwert  ist  das  Wort  »Fiat«  zu  lesen. 

Unter  den  im  Anschluß  an  diese  streng  liturgische  Fassung  des  Themas 
entstandenen  Gonfaloni  ist  der  von  S.  Francesco  in  Perugia 
wohl  der  älteste.  Zentralfigur  ist  die  Madonna,  welche  unter  ihrem  Mantel 
die  Gemeinde  vor  den  Pfeilen  Christi  behütet.  Oben  rechts  und  links  zwei 
Engel  mit  Schwertern  und  der  Inschrift:  »Justitia«  und  »Misericordia«  in 
den  Nimben.  Zu  den  Seiten  der  Madonna  knien  Heilige:  Links  (von  oben 
nach  unten)  Lorenzo,  Ercolano,  Francesco  und  Bernardino.  Rechts:  Lodo- 
vico,  Costanzo,  Pietro  Martire  und  Sebastiano.  Unten  sieht  man  vor  den 
Marnern  von  Perugia  den  Tod  als  Gerippe  mit  Fledermausflügeln,  in  den 
Händen  Pfeile  und  Bogen,  zu  seinen  Füßen  Pestleichen.  Ein  von  rechts 
herlbeifliegender  Engel  (Angelus  Misericordiae)  greift  ihn  mit  einer  Lanze 
an.  Bürger  verlassen  die  Stadt.  Links  kniet  vor  der  Kirche  S.  Francesco 
eine  Gruppe  von  Frauen.  Über  der  Stadtmauer  ist  zu  lesen:  FV  Ro  1464. 

Das  Ganze  ist  eine  besonders  flüchtige  Arbeit  und  von  nur  geringem 
künstlerischen  Verdienst.  Der  Gonfalone  genießt  besondere  Verehrung, 
weil  das  Antlitz  der  Madonna  von  Engelshand  gemalt  sein  soll.  Wie  aus 
der  Inschrift  zu  schließen,  ist  der  Gonfalone  im  Jahre  1464  einer  umfassenden 
Restauration  unterzogen  worden,  die  wahrscheinlich  in  der  Werkstätte 
Bonfiglis  erfolgte,  und  an  der  Gesellenhände  hervorragenden  Anteil  haben. 
Neuerdings  ist  die  Fahne  nochmals  vollständig  übermalt  worden  3>). 

3»)  Am  3.  Oktober  1464  wird  die  Errichtung  einer  Kapelle  zu  Ehren  des  wunder- 
tätigen Gonfalone  von  den  Franziskanermönchen  zu  Perugia  beantragt  und  von  den  Prioren 
bewiilligt  (Ann.  Decemv.  1464  c.  96  t.).  Am  20.  März  1465  wird  der  Betrag  von  10  fl.  für 
Alta.rkerzen  angewiesen  und  dabei  des  neuen  Gonfalone  gedacht  (Ann.  Decemv.  1465 
c,  ^4  t.).  Ebenso  am  4.  April  (Ann.  Decemv.  1465  c.  48)  sowie  am  22.  April  (Ann.  Decemv. 
1465;  c.  54).  Am  12.  August  eine  Quantität  Wachs  für  Kerzen  (Ann.  Decemv.  1465  c.  107  t.), 
am  .26.  Oktober  1465  und  am  25.  Juni  1466  werden  je  25  fl.  für  Schmuck  der  Kapelle  und 
Herstellung  eines  Tabernakels  für  den  Gonfalone  angewiesen  (Ann.  Decemv.  1465  c.  128 
129;  1466  c.  70  u.  72).  Am  8.  Mai  1468  25  fl.  für  Herstellung  eines  eisernen  Gitters  zum 
Abschließen  der  Kapelle  (Ann.  Decemv.  1468  c.  50  t.  u.  51  t.),  am  27.  Januar  1469  weitere 
30  fl.,  zu  demselben  Zweck  (Ann.  Decemv.  1469  c.  2 t.  u.  8),  am  22.  Oktober  10  fl.  für 
»Hostium«  und  Tür  der  Kapelle  (Ann.  Decemv.  1469  c.  97  u.  97  t.),  am  25.  März  1470  ein 
weiterer  Zuschuß  von  20  fl.  (Ann.  Decemv.  1470  c.  23  t.  und  25),  ferner  am  23.  Juli  1470 
20  fl..  (Ann.  Decemv.  1470  c.  79  t.  u.  80  t.),  am  28.  Oktober  1472  eine  Beisteuer  von  20  fl. 
für  die  Vollendung  der  Kapellendecke  (Ann.  Decemv.  1472  c.  147  u.  15z),  am  17.  Mai  i486 
8 fl.  für  ein  hölzernes  Gerüst  zum  Tragen  des  Gonfalone  (Ann.  Decemv.  1486  c.  115U.  115t.). 


I lö 


Walter  Bombe: 


Auf  weit  höherer  Stufe  steht  der  Gonfalone  inCorciano  bei  Perugia, 
der  urkundlich  im  Jahre  1472  bestellt  33)  und  laut  Inschrift  auch  in  dem- 
selben Jahre  ausgeführt  wurde.  Das  Thema  ist  das  gleiche:  In  der  Mitte 
die  Mantelmadonna,  von  oben  herab  schleudert  Christus  Pfeile,  zwei  Engel, 
mit  der  für  Bonfigli  so  charakteristischen  Cresta  auf  dem  Kopfe,  halten 
den  Mantel  der  Madonna.  S.  Niccola  da  Tolentino  und  S.  Antonius  emp- 
fehlen das  betejlde  Volk.  Ganz  unten,  auf  einem  Hügel,  der  mit  Oliven 
bestanden  ist,  eine  Ansicht  von  Corciano,  und  über  dem  Stadttor  das 
Datum  1472. 

Zwei  Inschriften  auf  Schildern  links  und  rechts  verdienen  noch  Er- 
wähnung. Die  eine  lautet:  »0  Maria  flos  virginum,  velut  rosa  vel  lilium, 
funde  preces  ad  filium  pro  salute  fidelium«.  Die  andere:  »Sancta  Maria, 
succurre  miseris,  juva  pusilanimos,  refove  debiles,  ora  pro  populo«  34). 

Der  Gonfalone  war,  wie  sich  aus  dem  mitgeteilten  Dokument  ergibt, 
für  die  Kirche  S.  Agostino  bestimmt,  wo  er  auch  bis  1879  aufbewahrt  wurde. 
Er  figurierte  auf  der  Kunstausstellung  von  1879  in  Perugia  und  wurde  nach 
erfolgter  Zurücklieferung  in  der  Pfarrkirche  S.  Maria  aufgestellt. 

Geringer  ist  der  Gonfalone,  welchen  in  dem  abgelegenen  Bergstädtchen 
P a c c i a n o , südwestlich  dem  Trasimenersee,  die  Kirche  S.  Giuseppe 
bewahrt.  Die  Madonna  breitet  ihren  langen  weißen  Brokatmantel  über  das 
betende  Volk.  Christus  in  runder  Glorie  schleudert  Pfeile,  die  Engel  Raphael 
und  Gabriel  zücken  Schwerter.  Rechts  und  links  knien  S.  Sebastian  und 
S.  Niccola  da  Tolentino.  Zwei  Spruchbänder  in  den  Händen  der  Madonna 
fragen  die  Inschriften:  »Se  salve  volete  le  vostre  persone,  per  questo  Sancto 
[Sebastiano]  che  porta  le  freccie,  lui  abiate  gran  devotione«  und  »a  questo 
Sancto  [Niccola  da  Tolentino]  non  posso  negare  che  io  per  voi  notrl  [?1  el 


33)  1472  die  ...  . Cum  ad  presens  predicator  sancti  Augustini  fecerit  fieri  quoddam 
Gonfalone  cum  figura  Virginis  Marie  et  nonnullorum  sanctorum  pro  devotione  uni- 
versitatis  Comunis  predicti,  petit  elemosinam  fiendam  per  Comune  in  subsidium  dicte 
devotionis. 

Cum  in  dicto  Castro  sit  Ser  Antonius  Ceralli  de  Castro  Sancti  Poli  de  Campania 
Romana  magister  scolarum  qui  sit  in  dicto  Castro  sine  aliquo  salario  etc.  juvenes  dicti  castri 
petunt  ut  sibi  de  aliquo  salario  provideatur.  Fu  data  facoltä  ai  Consiglieri  di  assignare 
l’elemosina  per  detto  Gonfalone  e di  assignare  il  salario  a detto  Ser  Antonio,  il  quäl  salario 
sit  florenorum  quatuor  ad  rationem  XL  bonon.  pro  floreno  pro  quolibet  anno  in  quo 
serviverit. 

Zitiert  nach  Mariotti:  Cronache  manoscritte  dei  Castelli  Perugini  (in  der  Bihlio- 
teca  Comunale  zu  Perugia).  Auszug  aus  einem  verloren  gegangenen  libro  delle  delibe- 
razioni  Consigliari  del  Comune  di  Corciano.  (Fol.  161.) 

34)  Die  gleiche  Inschrift  findet  sich  auf  einem  Gonfalone,  der  1907  bei  Gelegenheit 
der  Peruginer  Mostra  zum  Vorschein  kam  und  jetzt  leihweise  in  der  Pinakothek  ausgestellt 
ist  (vom  Verfasser  beschrieben  in  Augusta  Perusia  1907,  p.  61). 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


III 


mi'  ifigliolo  che  mai  non  cessa  me  per  voi  pregare«.  Die  Darstellung  schließt, 
wie  üblich,  mit  einer  Ansicht  des  Ortes.  Davor  stehen  links  S.  Barbara 
und  rechts  S.  Monica  in  ganz  kleinen  Figuren. 

Durch  sorgfältige  Ausführung,  größere  Korrektheit  der  Zeichnung 
und  lebhaftes  Kolorit  nimmt  die  Kirchenfahne  von  S.  Francesco  in  M o n - 
tone  bei  Umbertide  eine  besondere  Stelle  unter  den  Schöpfungen  dieses 
Kunstzweiges  ein. 

Die  Anordnung  ist  die  gleiche.  Maria,  gekleidet  in  ein  schweres  langes 
Brokatgewand,  welches  die  Füße  verdeckt,  hält  über  den  Häuptern  der 
frommen  Gemeinde  ihren  Mantel,  an  welchem  die  Pfeile  Christi  abprallen 
und  zerbrechen.  Zwei  Engel  zu  den  Seiten  Christi  machen  fürbittende 
Geberden.  In  drei  Reihen  übereinander  knien  je  vier  Heilige.  Links:  S.  Gio- 
vanni Battista,  S.  Ubaldo,  S.  Francesco  und  S.  Sebastiano;  rechts:  S.  Gre- 
gorio,  S.  Niccola  da  Bari,  S.  Antonio  und  S.  Bernardino.  Eine  Ansicht  von 
Montone  mit  dem  Schloß  der  Fortebracci  bildet  den  unteren  Abschluß. 
Rechts  und  links  daneben  in  Strahlenglorie  die  Brustbilder  zweier  Heiligen. 
Rechts  sieht  man  den  Tod  auf  der  Flucht  begriffen.  Die  vielen  Porträts 
von  Bürgern  der  Stadt  berechtigen  zu  der  Annahme,  daß  der  Gonfalone 
an  Ort  und  Stelle  gemalt  worden  ist.  Auf  einem  Cartello  zu  den  Füßen  der 
Madonna  die  Inschrift:  »A.  D.  1482.  Opus  Huius  Conventus«. 

Stilistisch  steht  das  interessante  Werk  dem  Bartolomeo  Caporali 
näher  als  seinem  Werkstattgenossen  Bonfigli.  Zu  bedauern  ist,  daß  es  eine 
vollständige  Übermalung  erfahren  hat. 

Von  dem  bisher  betrachteten  alter  Überlieferung  folgenden  Kom- 
positionsschema unterscheidet  sich  eine  Reihe  individueller  gestalteter 
Gonfalonebilder,  die  durch  drei  Werke  des  Bonfigli,  die  Gonfaloni  von 
S.  Maria  Nuova,  von  S.  Bernardino  und  von  S.  Fiorenzo  repräsentiert  werden. 
Im  ersten  Falle  handelt  es  sich  um  einen  Pestgonfalone,  im  zweiten  um  ein 
Bildwerk,  das  an  die  Heilstätigkeit  Bernardins  in  Perugia  erinnern  sollte. 
Wenn  die  Kirchenfahnen  des  ersten  Schemas  die  Idee  der  Gnade  und  der 
Verzeihung  in  den  Vordergrund  stellen,  so  wird  im  Gonfalone  von  S.  Maria 
Nuova  vor  allem  der  Gedanke  des  göttlichen  Zornes  zum  Ausdruck  gebracht. 
In ^ riesengroßer  Gestalt  nimmt  die  ganze  Mitte  des  Bildes  der  thronende 
Christus  ein,  der  mit  der  Rechten  Blitze  schleudert.  Wie  auf  den  Dar- 
stellungen des  jüngsten  Gerichtes  sind  dem  zürnenden  Gott  Sonne  und  Mond 
beigegeben  und  Engel  mit  den  Leidensinstrumenten  Christi,  mit  Kreuz 
und  Lanze,  mit  Säule  und  Schweißtuch,  auf  den  Köpfen  die  Cresta,  erscheinen 
zur  Seite  des  Herrn.  Zu  seinen  Füßen  knien  links  die  Madonna  und  rechts 
S.  Domenico,  beide  in  kleinerer  Figur.  Unten,  dicht  gedrängt,  das  Volk, 
der  Gnade  Christi  empfohlen  durch  S.  Bernardo  (links)  und  S.  Scholastica 
(rechts).  Über  den  Häuptern  der  Menge  schwebt  mit  gewaltiger  Sense  der 


I I 2 


Walter  Bombe: 


Tod  dahin.  Ein  Engel  wehrt  mit  seiner  Lanze  dem  tödlichen  Streich.  Im 
Hintergründe  eine  Ansicht  von  Perugia.  Das  Bild  hat  durch  Staub  und 
Kerzenruß  schwer  gelitten.  Als  Jahr  der  Entstehung  ist  1472  anzunehmen  35). 

Auch  derGonfalone  von  S.  Bernardino  zeigt  als  Zentralfigur  Christus, 
der  in  der  Linken  eine  große  schwarze  Fahne  hält  und  die  Rechte  segnend 
oder  vielmehr  mahnend  erhebt.  Ein  Chor  von  musizierenden  und  Blumen 
tragenden  Engeln  umgibt  den  Heiland.  Vor  ihm  steht  etwas  niedriger  auf 
Wolken  der  heilige  Bernardin  mit  dem  Emblem  Christi  in  der  Rechten. 
Die  auf  der  unteren  Hälfte  des  Bildes  dargestellte  Szene  ist  früher  falsch 
gedeutet  worden.  Man  glaubte,  daß  hier  zugleich  und  nebeneinander  die 
feierliche  Verbrennung  der  Bücher  und  Bilder,  welche  auf  Bernardins  Befehl 
1425  stattfand,  und  die  Kerzenspende  durch  Pius  II.  (1459)  dargestellt  seien. 
Da  aber  die  Verbrennung  der  Bücher  und  Bilder  auf  dem  Domplatz  erfolgte 
und  der  Vorgang  hier  auf  der  Piazza  S.  Bernardino  sich  abspielt,  muß  diese 
Deutung  verworfen  werden.  Nun  findet  sich  in  der  Chronik  des  Graziani, 
deren  Manuskript  die  Biblioteca  Comunale  zu  Perugia  bewahrt,  die  Nach- 
richt, daß  am  28.  Juni  1450  auf  Befehl  des  Bischofs  eine  allgemeine  feierliche 
Prozession  nach  der  Kirche  S.  Bernardino  veranstaltet  wurde  36),  welche  all- 
jährlich am  20.  Mai,  dem  Todestage  des  Heiligen,  sich  wiederholte  und  welche 
noch  zu  Cesare  Crispoltis  Zeiten  stattfand37).  Diese  Prozession  zu  Ehren  des 
heiligen  Bernardin  hat  der  Künstler  dargestellt:  Der  Zug,  mit  dem  Bischof, 
mehreren  Mönchen,  Magistratspersonen  und  Tubabläsern  an  der  Spitze, 
hat  sein  Ziel,  den  Platz  vor  der  Kirche  S.  Bernardino,  erreicht.  Die  Männer 

35)  In  der  Sitzung  vom  28.  Januar  1472  beschlossen  die  Prioren,  der  Confraternita 
eine  Beihülfe  von  10  fl.  zur  Vollendung  des  Gonfalone  zu  gewähren  (Ann.  Decemv.  1472 
c.  18  t.).  Am  27.  Februar  1472  erfolgte  die  Zahlung  (Ann.  1472  c.  38  t.).  Am  2.  Dezember 
desselben  Jahres  werden  20  fl.  für  Herstellung  eines  eisernen  Gitters  in  der  Kapelle  des 
Confalone  bewilligt  (Ann.  1472  c.  169  und  169  t.),  am  6.  Juli  eine  weitere  Beisteuer  von 
15  d.  (Ann.  1473  c.  57),  am  23.  Mai  1475  e'n  neuer  Zuschuß  von  30  fl.  (Ann.  1475  c.  60  u. 
71  t.)  Am  7.  September  1477,  dem  Namenstage  der  Jungfrau  Maria,  wurde  die  Kirchen- 
fahne zum  ersten  Male  in  feierlicher  Prozession  durch  die  Stadt  getragen  (Ann.  1477  c.  59). 
Am  9.  Dezember  1478  wurden  10  fl.  für  Ausbesserung  des  Gonfalone  gewährt  (Ann.  1478 
c.  96  t.)  und  am  26.  Dezember  1478  bezahlt  (Ann.  1478  c.  110  u.  in  t.). 

36)  1450.  A di  28  di  Giugno,  per  la  canonizazione  di  Santo  Berardino  fu  fatta  qui 
una  bella  e djvota  pjocessione:  et  prima  li  disciplinati  delle  fraternite,  e poi  tutti  li  ordini 
de’  frate  li  quali  tutti  haveno  le  candele.  Anco  ce  andö  Monsignore  e li  Priori,  li  quali  ebbero 
le  facole  de  libre  4 l’una;  e li  camorlenghi  di  libre  3:  et  andarce  de  molti  citadini,  e donne 
e picoli  e grande,  tutti  con  le  candele  a loro  spese.  Et  partirono  da  S.  Lorenzo  et  andarono 
per  fina  a S.  Francesco;  dove  11  se  fece  un  notevole  e bello  offizio,  et  el  Comuno  nostro  ce 
spese  in  la  cera  fiorini  200:  et  fu  fatto  uno  pennone  de  tafetä,  nel  quäle  ce  fu  pento  Santo 
Berardino,  et  quello  se  porta  in  processione;  et  fu  ordinato  che  la  festa  de  dicto  Santo 
Berardino  se  debia  fare  adl  20  de  maggio,  e che  tutta  la  cera  che  se  porterä,  lassarla. 

Cronaca  del  Graziani,  Arch.  Stör.  It.  Tom.  XVI  parte  la  p.  626. 

37)  Crispolti,  Perusia  Augusta,  p.  149. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


US 


legen  Kerzen,  die  Frauen  Altartücher  als  fromme  Spende  in  drei  in  der 
Mitte  aufgestellte  Körbe.  Die  Fassade  von  S.  Bernardino  und  der  rechts 
sich  daran  anschließende  Bau  der  Kirche  S.  Francesco  sind  mit  größter 
Genauigkeit  wiedergegeben.  Nur  die  Inschrift  auf  dem  Hauptgesims: 
Augusta  Perusia  1465  steht  im  Widerspruch  mit  dem  an  Duccios 
Fassa.de  befindlichen  Datum  1461.  Wir  haben  also  das  Jahr  1465  als  das 
Datum  der  Vollendung  des  Gonfalone  anzunehmen  33 * * * * 8).  Der  Künstler,  der 
die  Arbeit  ausführte,  war  Bonfigli,  wie  schon  Vasari  angibt  39).  Es  ist  noch 
zu  erwähnen,  daß  die  Fassade  1465  durch  Bonfigli  und  Mattioli  abgeschätzt 
wurde,  und  daß  im  Jahre  1465  der  Bischof  Jacopo  Vannucci  die  Prozession 
leitete.  Von  ihm  spricht  auch  Crispolti,  und  Bonfigli  hat  ihn  auf  seinem 
Gonfalone  porträtiert. 

Als  von  dem  herkömmlichen  Kompositionsschema  wesentlich  ab- 
weichend ist  ferner  der  Gonfalone  von  S.  Fiorenzo  zu  erwähnen, 
der  laut  Inschrift  1476  gemalt  wurde,  als  wieder  einmal  die  Pest  das  Stadt- 
gebiet von  Perugia  heimsuchte.  Im  oberen  Teil  des  Bildes  ist  die  auf  Wolken 
kniende  Madonna  dargestellt.  Vor  ihr  halten  vier  Engel  an  Stricken  einen 
mit  Rosen  gefüllten  Korb,  auf  welchem  der  nackte  Christusknabe  steht, 
der  mit  der  Rechten  segnet  und  die  künftigen  Wundenmale  zeigt.  Etwas 
tiefer  hält  ein  Engel  ein  langes  Cartello  mit  einem  in  derber  Vulgärsprache 
verfaßten  Gedicht.  Zur  Rechten  des  'Cartello  knien  S.  Sebastian  und  Filippo 
Benizi,  zur  Linken  S.  Pellegrino  Laziosi  und  S.  Fiorenzo,  welche  die  betende 
Gemeinde  der  Gnade  Christi  empfehlen.  Das  Gedicht,  mit  Unrecht  dem 
Lorenzo  Spiriti  zugeschrieben,  stellt  die  Pest  als  Strafe  für  mancherlei 
Sünden  hin  und  enthält  den  Aufruf  an  das  Volk  von  Perugia,  der  rettenden 
Gnade  Gottes  zu  gedenken: 

0 populo  obstinato  iniquo  e rio 
Crudel  superbo  ingrato  e pien  d’inganno, 

Ch’ai  posta  la  speranza  e ’1  tuo  desio 
In  cose  piene  de  mortale  afanno 
Jo  son  l’Angel  del  Ciel  messo  de  Dio 
A farte  noto  ch’a  la  pena  e T danno 
de  le  tuoie  piaghe  e de  le  tuoie  ruine 
per  prieghe  de  Maria  ci  a posto  fine. 

38)  Am  8.  Mai  1463  werden  von  den  Prioren  6 fl.  für  Bemalung  des  Gonfalone  be- 
willigt (Ann.  Decemv.  1463  c.  53  t.)  und  am  16.  Mai  bezahlt  (Ann.  1463  c-  57)*  Am  3.  Januar 

1496  1 5 fl.  für  Ausbesserungsarbeiten  ap  demselben  (Ann.  1496  c.  1 t.)  und  am  1.  Februar 
bezahlt:  »pro  refetione  gonfalonis  cum  figura  divi  Santi  Berardini  causa  portandi  jn  pro- 

cessionibus«  (Ann.  1496  c.  7 t.).  Am  17.  April  weitere  15  fl.  bewilligt  (Ann.  1496  c.  23) 

und  am  20.  April  bezahlt:  »pro  uno  gonfalone  fiendo  cum  figura  Sancti  Berardini  loco 
alterims  consumpti  et  per  dittos  disciplinatos  deferendo  per  Civitatem  in  processionibus 
fiendis;«  (Ann.  1496  c.  25). 

39)  Ed.  Milanesi  III,  p.  506. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXIL 


8 


j 14  Walter  Bombe:  Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  usw. 

Volgete  gl’occhi,  miseri  mortali, 

A’  grandi  exempli  presenti  e passati 
de  le  miserie  extreme  e de'  gran  maii 
ch’el  Ciel  vi  manda  pe’  vostri  peccati 
De  homicidij  adulterj  principali 
d’avaritia  luxuria.  0 scelerati 
la  iustizia  del  Cielo  non  fa  a furia 
ma  lei  sempre  punisce  omne  sua  ingiuria. 

Ninive  fu  ciptä  florida  e magnia 
E Babilonia,  e or  non  son  niente 
e Soddoma  e Gomorra  un  laco  bagnia 
d’acqua  e de  solfo  nera  puzzolente. 

L’altra  che  vinse  el  mondo  e or  si  lagnia 
Posta  in  septentrione  da  occidente 
Pei  suoi  peccati  antiqua  e bella  Roma 
Che  ’n  servil  giogho  el  ciel  la  stracia  e doma. 

Or  siate  adunque  grati  e cognioscenti 
De  i benefici  e gracie  del  Signore; 

E sieno  gl’  animi  vostri  tutti  ( ?)  ardenti 
Di  fede  carita  pace  e amore 
E se  pur  voe  sarcte  pigri  e lenti 
A non  volere  abandonare  l’errore, 

Nuovo  giuditio  a voe  anuntio:  e stimo 
Che  fia  majure  e piu  crudel  ch’el  primo. 

Con  pianti  fatta  fu  gridand’  omei 
Nel  mille  settanta  quatro  cento  sei. 

Alle  diese  Kirchenfahnen  sind  mit  sehr  dünner  Tempera  auf  ungrundierte 
Leinwand  gemalt.  Die  Farbe  ist  meist  trüb  und  dumpf  geworden.  Die  Fahnen 
von  S.  Francesco,  S.  Bernardino  und  zu  Montone  haben  eine  vollständige 
Übermalung  erlitten.  Der  künstlerische  Wert  dieser  Erzeugnisse  ist  sehr 
verschieden.  Einzelne  derselben  verraten  nur  zu  deutlich  die  Flüchtigkeit 
ihrer  Entstehung.  Die  Gedankenwelt,  in  der  sich  der  Künstler  hier  bewegt, 
mutet  noch  recht  mittelalterlich  an.  Seine  Sprache  ist  die  der  Bußprediger 
der  Zeit.  In  der  Absicht,  auch  dem  Ungebildeten  verständlich  zu  sein, 
arbeitet  er  mit  derben  und  drastischen  Mitteln.  Auch  die  Komposition 
macht  einen  mittelalterlich-naiven  Eindruck.  Die  Größenverhältnisse  der 
einzelnen  Figuren  werden  nach  der  Wichtigkeit  derselben  abgestuft.  So 
finden  wir  häufig  vier  bis  fünf  verschiedene  Maßstäbe  innerhalb  eines  Bildes. 
In  der  Madonna  gibt  Bonfigli  einen  überlieferten  hieratischen  Typus,  unter 
stärkerer  Betonung  der  Hoheit  und  Majestät  als  in  den  uns  bekannten 
Tafelbildern.  Der  Künstler  hat  die  Neigung,  möglichst  viel  Personen  an- 
zubringen; dadurch  wirkt  das  Ganze  leicht  überladen. 


(Schluß  folgt.) 


San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’  arte. 

Di  Francesco  Malaguzzi-Valeri. 

La  Lombardia  b regione  ricca  di  opere  d'  arte  piü  che,  anche  in  Italia, 
non  si  creda.  Meno  i centri  principali,  oltre  Milano,  Bergamo,  Monza, 
Como,  Brescia,  Cremona,  Lodi,  maggiormente  illustrati  da  studiosi  italiani 
e stranieri  (e  m'  e grato  ricordare  il  compianto  amico  dott.  Alfred  Gotthold 
Meyer,  cosl  acuto  investigatore  dei  caratteri  deir  edilizia  lombarda  antica)  — 
moltissimi  luoghi  attendono  ancora  chi  dedichi  loro  studi  e ricerche  parti- 
colari.  Io  ho  pensato  che,  dopo  le  mie  peregrinazioni  nella  regione  stessa, 
il  frutto  di  ricerche  e di  qualche  scoperta  potrebbe  interessare  in  Germania  — 
dove  gli  ammiratori  dell’  arte  italiana  sono  una  legione  e dove  i visitatori 
del  bei  paese  son  numerosi  e dotti  — per  indurre  ad  abbandonare  qualche 
volta  i luoghi  percorsi  dalle  ferrovie  e dai  tramways  in  cerca  di  oasi  d'arte 
nascoste.  Le  valli  bergamasche,  le  montagne  della  Valtellina,  certe  parti 
della  pianura  verde  e lussureggiante  che  si  stende  fino  al  Po  nascondon 
tuttavia  castelli,  cascinali,  chiese,  oratori,  case  coloniche  nelle  quali  b spesso 
piü  che  un’  eco  della  grande  arte  nostrana  che  vanto  Leonardo  da  Vinci 
ela  sua  scola prolifica  e,  nell’  edilizia,  il  genialissimo  Bramante  e i suoi  nume- 
rosi seguaci.  Lungo  le  rive  fiorite  dei  laghi  lombardi,  superlecostedeimonti, 
dissimulati  fra  le  insenature  o nascosti  dai  boschi,  quei  piü  modesti  avanzi 
del  bei  tempo  antico  rivelano  al  fedele  dell'  arte  sorprese  piacevolissime 
sfuggite  all'attenzione  dei  piü  diligenti  compilatori  di  guide  artistiche.  Ma, 
oltre  quegli  esempi  isolati,  attendon  tuttora  un  illustratore  numerose 
borgate  lontane  dalle  linee  ferroviarie  e dai  battelli  a vapore  e pur  rieche, 
talvolta  rigurgitanti,  di  suggestive  memorie  d'  arte  e di  storia.  Nella 
speranza  d’  indurre  qualche  studioso  dell'  arte  lombarda  a farne  oggetto 
di  studi'  pazienti  e d'  invogliare  i tedeschi  che  si  recano  in  Lombardia, 
nelle  loro  peregrinazioni,  a visitarli,  io  mi  propongo,  merc&  la  cortese  ospi- 
talitä,  a me  nota  da  anni,  della  Direzione  del  R e p e r t o r i u m f.  K.  di 
richiamar  l'attenzione,  anche  con  nuovi  dati  critici  e storici,  su  quei 
luoghi  o,  almeno,  sui  piü  notevoli  e dimenticati.  E incomincio  con  San 
Colombano  al  Lambro,  1'  amena  borgata  alla  quäle  si  arriva,  da  Lodi,  in 
un'  ora  di  vettura,  percorrendo  una  lunga  strada  fra  boschi  foltie  vaste  distese 
di  campi  tagliati  da  abbondanti  corsi  d'  acqua.  Sul  fiume  Lambro,  che 


8* 


Francesco  Malaguzzi- V al e ri : 


1 16 

dä  nome  al  luogo,  il  paese  si  stende  sulla  riva  verde,  pittoresco  e vivace 
nella  sua  linea  movimentata,  sulla  quäle  sovrasta  1'  antico  castello  medio- 
evale  in  rovina.  Per  chi  conosce  la  storia  interessante  del  luogo  le  memorie 
si  affollano  numerose  e s'  incalzano:  e,  a chi  abbia  la  pazienza  di  cercare  e 
osservare,  gli  avanzi  artistici  vi  rappresentano  una  delle  piü  simpatiche  sorprese. 

*  *  * 

* 

La  storia  del  luogo  — che  convien  ricordare  brevemente  per  spiegare 
la  presenza  delle  opere  d'  arte  — b antica  e bella. 

L’  antica  denominazione  di  Mombrione  che  sarebbe  stata  data 
a quella  localitä  parrebbe  d'  origine  gallica.  Come  il  nome  di  Insumbria 
deriverebbe  da  is-ombria,  dai  galli  ombri,  cosl  il  nome  di  Monte-ombrione, 
con  progresso  fonetico  analogo,  verrebbe  modificato  in  monsombrone. 
Non  insistiamo  sulla  attendibilitä  della  cosa  ch'  b ripetuta,  per  tradizione, 
dagli  storici  del  luogo  e notiamo  invece  come  il  nome  di  Mombrione  sia 
rimasto  a una  parte  del  territorio,  sulle  colline,  in  cui  son  avanzi  di  forti- 
ficazioni  delle  quali  sarebbe  ricordo  fin  dal  secolo  XIV.  Alcuni  laterizi  tolti 
da  scavi  fra  quei  ruderi  sono  stati  ritenuti  tuttavia  come  appartenenti 
all'  epoca  della  dominazione  romana.  Negli  anni  595 — 598  un  Colombano, 
monaco  irlandese  ospite  di  Agilulfo  nella  vicina  Pavia,  combattendo  la  setta 
ariana  che  aveva  proseliti  numerosi  nella  localitä  di  Mombrione,  avrebbe 
insegnato  agli  abitanti  a perfezionare  la  coltivazione  della  vite,  talchö  in  suo 
onore  gli  abitanti  — non  insensibili  alle  dolci  attrattive  del  prodotto  di 
Bacco  — avrebber  mutato  il  nome  di  Mombrione  in  S.  Colombano.  Gli 
avrebbero  anzi  dedicata  una  chiesa:  nell'  atto  di  donazione  fatto  da  G. 
Galeazzo  Visconti  ai  Certosini  nel  1396  e fatto  ricordo  di  una  chiesa  portante 
il  nome  di  S.  Colombano,  ma  1'  ubicazione  che  nel  documento  e designata 
non  sembra  corrispondere  a nessuna  delle  chiese  moderne.  Nel  1164  Federico 
Barbarossa  avrebbe  riedificate  e rinforzate,  ingrandendole,  le  fortificazioni 
vicine  al  mons  Colatus  (attualmente  la  C o 1 1 a d a)  formandone  cosi 
il  castello  (tutissimum  Federici  Castrum)  raccogliendo  poi 
gli  sparsi  abitanti  in  un  borgo  quadrato  ai  piedi  del  castello,  recinto  da 
bastioni,  da  mura  merlate  e da  fosse,  al  quäle  sarebbe  stato  dato  1’  ampolloso 
nome  di  Civitas  Imperialis1).  Il  borgo  e gran  parte  delle 
terre  circostanti  passarono  in  seguito  in  feudo  ad  Ariberto  d’ 
Intimiano 2) : v'  avrebber  poi  avuto  sede  i Landriani,  Capitani  del  popolo 
nel  periodo  comunale,  e poscia,  quali  nuovi  feudatari,  i Visconti.  Da  questo 

J)  Muratori,  Chronicon  Rom.  Imp.  — Pertz , Chron.  Placentinum. 
— Alessandro  Riccardi,  Le  localitä  e territorij  di  S.  Colombano  al 
L a m b r 0.  Pavia.  Tip.  succ.  Bizzoni  1888  e doc.  ivi  citati. 

*)  Puricelli,  Monum.  della  Basilica  Ambrosiana  p.  245. 


San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’  arte. 


1 1 7 

mormento  le  notizie  (che  pel  riportato  primo  periodo  debbo  alla  cortesia 
di  uni  dotto  ricercatore  di  memorie  sancolombanesi abitantesulposto e intelli- 
gente raccoglitore  di  cimelii  storici  e artistici  di  quella  plaga,  il  dott.  Pier 
Luigi  Fiorani)  hanno  piü  sicure  basi  nei  documenti  storici  e negli  avanzi 
artistici.  Nel  1396  Gian  Galeazzo  Visconti  lasciava,  per  testamento,  i possessi 
agricoli  di  San  Colombano,  insieme  a quelli  di  Graffignana  e Vimagano, 
con  un  reddito  di  4500  fiorini,  ai  padri  di  San  Bruno  della  Certosa  di  Pavia. 
Da  questo  momento  anche  1'  arte  trovö  nel  luogo  incoraggiamento  notevole. 

Del  castello  — 1'  arx,  la  rocca  — di  San  Colombano  b ricordo  fre- 
quente. Si  sa  che,  con  la  morte  di  Bianca  di  Savoia,  (31  Dicembre  1387) 
il  castello  e i diritti  inerenti  al  feudo  pervennero  al  milite  Nicola  de  Diveni 
crediitore  del  Duca  e maestro  delle  entrate3).  Nel  rogito  di  donazione  del 
Duca  all'  erigenda  Certosa  di  Pavia  h detto  che  egli  donava  ai  Certosini, 
fra  igli  altri  terreni,  anche  il  Ricetto  del  castello  di  San  Colombano  co' 
suoi  edifici  e spettanze  nonch&  gli  edifici  e le  possessioni  fuori  del  Ricetto 
stesso  con  la  fornace  e i molini.  Un  mese  dopo  acquistava  dal  milite 
Nicola  de  Diveni,  per  20  mila  fiorini  d'  oro,  il  castello  di  San  Colombano 
col  suo  territorio  e proprietä  annesse  con  la  podestä  di  spada,  onoranze, 
regalie  e diritti  inerenti  4).  Una  carta  del  25  Ottobre  1399  dell'  archivio 
Belgioioso  aggiunge  che  Gian  Galeazzo  confermö  la  donazione  dei  beni  di 
S.  Colombano  ai  Certosini,  liberando  i loro  massari,  famigliari,  fittabili  da 
ogni  imposta,  dazio,  pedaggio,  creando  cosl  una  specie  di  comune  libero  nel 
resto  del  Comune  di  S.  Colombano.  Alla  morte  di  Gian ‘Galeazzo  i beni  di 
San  Colombano,  tanto  quelli  dei  Visconti  che  quelli  dei  Certosini,  andarono 
a ruba  per  opera  dei  nemici  dei  Visconti  capitanati  da  Giovanni  Vignati 
signore  di  Lodi  dal  1403  al  1416.  Piü  tardi  i beni,  per  quanto  assogget- 
tati  a deperimento  negli  edifici  e nelle  terre  coltivate  furon  restituiti 
alla  Certosa  e ad  altri  milanesiS).  Nel  1447  San  Colombano  e il  suo  castello 
furo>n  occupati  dai  Veneti;  nel  1460  i Certosini  rientrarono  in  possesso  della 
loro  parte.  «Vicende  diverse  di  guerra  ebbe  a subire  quell'  ospizio,  che  teneva 
ancora  le  sembianze  di  castello  turrito,  nel  15 12  ed  anni  susseguenti,  allorchö 
fu  a vicenda  conquistato  colle  armi  alla  mano  dal  Lautrec  dapprima,  e 
poscia,  dietro  espresso  incarico  avutone  da  Don  Antonio  De  Leyva,  da 
Lodiovico  III  principe  di  Belgioioso,  fattone  poi  feudatario»3 4 5 6). 

3)  Giovanni  Agnelli,  Vertenze  dei  Visconti  colla  mensa  vesco- 
vilediLodi  ecc.  (inArchivioStoricoLombardo.  A.  XXVIII.  Serie  III 
1901  pag.  296). 

4)  Archivio  Belgioioso  e G.  Agnelli  loc.  cit. 

5)  Ibid. 

6)  Diego  Sant’  Ambrogio,  Una  breve  corsa  arti,stica  fra  le  Grangie 
o p ossesioni  agricole  della  Certosa  di  Pavia  (in  Arch.  Sto.  Lomb. 
Ser  . III.  A.  XXIII  1896,  345). 


1 18 


Francesco  Malaguzzi- Valeri: 


Vediamo  — prima  di  passare  alla  storia  e all'  esame  dei  minori  monu- 
menti  del  luogo  — qualche  ricordo  piü  interessante  per  noi,  relativo  ai  lavori 
compiuti  nel  castello  stesso  e possibilmente  intorno  ai  suoi  architetti.  Se 
crediamo  allo  storico  di  S.  Colombano,  il  Riccardi,  il  costruttore  o rico- 
struttore  del  castello  al  tempo  di  Federico  Barbarossa  sarebbe  stato,  almeno 
per  le  mura  elefortificazioni,  l'architetto  Tito  Muzio  Gatta  cremonese,  che  nel 
1158  avrebbe  innalzate  quelle  di  Lodi  Nuovo.  Lo  storico  cita  in  proposito 
i manoscritti  (sic)  dell'  archivio  Belgioioso:  noi  ci  accontentiamo 
di  ricordare  la  citazione  guardandoci  bene  dall’  insistere  sull'  importanza 
ch'essa  possa  avere.  Piü  tardi,  nella  metä  del  XIV  secolo,  il  castello  doveva 
presentarsi  in  bella  forma  e,  tenuto  conto  dei  tempi,  provvisto  di  comodita 
negli  alloggi  se  Francesco  Petrarca,  ospite  dell'  arcivescovo  nel  Castello 
di  S.  Colombano,  ne  cantava  le  lodi  e lo  chiamava  late  notum  moeni- 
busque  prevalidum  ricordando  1'  Arx,  — la  rocca,  — il  t a 1 a m o 
regale  o Camera  Regia,  insieme  alle  circostanti  colline  u b e r r i m e 
e vantando  il  limpidissimo  fiumeLambro,  piccolo  ma  capace  di  portar  navi. 
Sembra  che  realmente,  in  quel  torno  di  tempo,  il  luogo  avesse  acquistato 
in  importanza  e che,  chiuse  e bonificate  alcune  paludi  circostanti,  fosse 
centro  non  disprezzabile  di  commercio  e di  benessere.  Nel  1370  il  Castello 
fu  ingrandito  e restaurato  per  opera  di  Galeazzo  II.  Nel  1 37 1 — 1374 
Bianca  di  Savoia,  ottenuta  la  concessione  del  feudo  di  S.  Colombano, 
v’  eresse,  nel  Ricetto  del  Castello,  un  proprio  casamento  che  sarebbe 
stato  chiamato  la  cucina  (coquina  domine  Blanchede  Sebau- 
d i a)  ciö  che  proverebbe  ch'essa  vi  abitava  per  qualche  mese  dell’  anno. 
Il  luogo,  piü  tardi,  servl  di  carcere  a prigionieri  di  Stato  notevoli;  fra 
gli  altri  a Francesco  Carrara  il  Vecchio  gia  Signore  diPadova:  ciö  ch’  öprova 
dell’  importanza  e sicurezza  militare  delia  rocca.  E poco  dopo  il  territorio  circo  - 
stante  faceva  parte  delle  caccie  riservate  ai  Visconti.  Piü  tardi  il  castello  e la 
rocca  incominciarono  a sentire  il  cozzo  terribile  delle  artiglierie,  come  osserva 
il  Riccardi  dal  quäle  spigoliamo  le  notizie  piü  importanti  per  noi.  Morto 
il  Duca  e inauguratasi  la  Repuhblica  ambrosiana  i veneziani  s’  impadroni- 
rono  di  S.  Colombano  e della  rocca  benchö,  nota  il  Simonetta,  «fortissima 
per  posizione  naturale  e grandiosa  costruzione  d’  edifizi.»  Francesco  Sforza 
marciö  su  S.  Colombano  e vi  pose  1'  assedio  (14 — 15  settembre  1447)  aprendo 
il  fuoco  delle  bombarde  contro  i bastioni  del  borgo  e le  mura  della  rocca 
superiore  difesa  dai  Veneziani.  11  luogo  si  arrese  poi,  ma  gli  edifici  forti- 
ficati  dovettero  risentir  dei  danni  del  combattimento  e anche  dei  successivi 
awenimenti  perchö  nel  1481  si  provvedeva  alla  riparazione  di  alcune  parti. 
V incarico  del  sopraluogo,  della  verifica  e della  stima  dei  lavori  da  eseguirsi 
fu  dato  all'  ingegnere  del  Comune  di  Milano.  Pietro  da  Lonate.  Lasua 
relazione  rimane  tuttora  e vi  si  rileva  che  si  riferiva  a restauri  da  farsi  nel 


San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’  arte.  1 1 9 

ponte  di  soccorso  del  castello  verso  mezzogiorno,  nei  beccatelli,  nell'  alto 
della  torre  deir  orologio,  nonch6  nella  torre  di  San  Giovanni,  nella  torre  «de 
la  Mirabola»  nella  torretta  di  mezzo  («el  torino  de  mezzo»)  nella  torre 
«de  Yaledeamagi»,  nella  torre  grande  nel  mezzo  del  castello,  nel  «pontile 
che  sarä  a le  camere  del  palazzo  verso  la  terra»,  nella  torre  di  San  Cristo- 
foro,  nei  locali  adibiti  al  molino,  nella  corte  del  castello  e nell’  abitazione  del 
Castellano.  I lavori  si  intrapresero  qualche  tempo  dopo  e,  per  avere  il  legname 
necessario,  si  dovettero  tagliare  grossi  alberi  nei  possedimenti  della  Certosa 
di  Pavia,  di  che  i fittabili,  danneggiati,  si  lamentarono  col  Duca  di  Milano  7). 
Nel  1504,  in  un  atto  di  consegna  della  rocca  e del  castello  con  le  munizioni 
e la  armi  fatta  dal  maestro  delle  Entrate  straordinarie  con  1'  ingegnere  Amedeo 
(o  Amadeo  ? ) al  Priore  della  Certosa,  b descritta  la  fortezza  coi  suoi  reve- 
1 i n i , le  vie  coperte,  la  torre  grossa  0 Castellana  pressola  Torre  dei  Gnocchi, 
la  torre  di  S.  Cristoforo  nella  Rocca  superiore,  i ponti  levatoi,  la  ghirlanda, 
i corridori,  le  fosse,  con  le  misure  in  braccia  milanesi.  II  castello  rigurgitava 
d’  armi:  v’eran  balestre,  corazze,  celate,  archibugi,  s c i 0 p e t i , mortaletti, 
spingarde,  ecc.* * 8).  Del  1505  e un’  altra  stima  di  riparazioni  urgenti  alla  rocca 
e agli  alloggi  del  Castellano  nei  casamenti  vicini:  del  1522,  in  un  atto  di 
consegna  del  luogo  al  nuovo  Castellano,  e ricordo  delle  tristi  condizioni 
della  terra  dopo  lo  scempio  fatto  dalle  guerre;  il  documento  ci  fa  sapere 
che  la  torre  centrale  di  S.  Cristoforo  era  tutta  a massi  di  ceppo  e granito 
a punta  di  diamante.  Nel  1525  il  duca  ordinava,  per  le  istanze  dei  Certosimi 
e la  diminuita  importanza  militare  del  luogo  dopo  1 uso  perfezionato 
delle  artiglierie,  di  demolire  il  castello;  ma  lo  smantellamento  fu  parziale: 
sarebber  scomparsi  i fortini  avanzati,  varie  torri  fra  cui  quella  centrale 
di  S*  Cristoforo,  le  fosse,  gran  parte  dei  bastioni.  Ma  poco  dopo,  aumen- 
tandosi  a 250  fanti  il  presidio  di  custodia,  il  luogo  sarebbe  stato  rimesso 
in  istato  di  difesa.  Certo  e che  gli  avanzi.che  arrivaron  fino  a noi  rivelano 
in  gran  parte  1'  arte  edilizia  del  periodo  precedente  a quella  parziale  demo- 
lizione.  Dopo  il  1530  San  Colombano  non  figura  piü  nel  novero  delle 
piazze  fortidel  ducato  di  Milano.  I lavori  successivi  furon  diretti 
piuttosto  alla  riedificazione  e alle  ampliazioni  del  borgo  che  della  rocca; 
il  castello  propriamente  detto,  il  nucleo  superiore  con  le  sue  opere  di  difesa 
si  presto  da  allora  piuttosto  agli  usi  mutati  dell’  abitazione.  Quando  avrem 
fatto  cenno  di  adattamenti  al  Castello  nel  1585,  di  nuovi  diroccamenti 
delle  fortificazioni  e del  riempimento  delle  fosse  nel  1585,  della  fondazione 
del  nuovo  Monte  di  Pieta  nel  Ricetto  del  Castello  nol  1593»  di  pitture 
fatte  eseguire  nel  1682  sulla  fronte  della  torre  dell’ Orologio,  della  demolizione 

7)  Giovanni  Agnelli.  Documenti  inediti  (in  Archivio  Storico  di 

L o d i 1898,  III,  108). 

8)  Archivio  Belgioioso  giä  in  S.  Colombano:  Riccardi  op.  cit. 


120 


Francesco  Malaguzzi- Val  eri: 


di  diverse  case  nel  R i c e 1 1 o , giä  popolatissimo,  lungo  le  mura  castellane 
e nell’  interno  nel  1760 — 1 776,  di  nuove  demolizioni  di  case  nel  Ricetto  da 
parte  dei  nuovi  proprietarii,  i Belgioioso,  per  aprirvi  ll  giardino  nel  1830 — 
1850,  sarä  finita  la  serie  degli  avvenimenti  piü  notevoli  per  la  storia 
edilizia  del  Castello  9). 

Esaminiamo  ciö  che  rimane  del  Castello  e delle  fortificazioni  del  borgo. 
Le  demolizioni  del  1525  dovetter  prender  di  mira,  le  fortificazioni 
del  borgo,  ch'  era  cittä  forte,  piü  che  quelle  del  castello.  Deila  cinta 
fortificata  del  borgo  si  son  trovati  avanzi,  e sul  piü  importante  di  questi, 
che  presenta  la  merlatura  a coda  di  rondine,  ö stata  collocata  una  lapide 
commemorante  la  cinta  gloriosa,  a cura  dello  strenuo  difensore  delle  memorie 
sancolombanesi,  il  sullodato  dott.  PierLuigi  Fiorani.  Si  tratta  di  forti  costru- 
zioni,  di  diligente  fattura,  in  laterizio.  Quanto  alle  fortificazioni  del  castello 
— la  rocca  — il  danno  maggiore  derivö  loro  dall'  incuria  umana.  Infatti 
le  torri  — sempre  le  prime  a esser  demolite  in  uno  smantellamento  inten- 
zionale  — erano  invece  rimaste  in  piedi,  e diverse  lo  sonotuttora:  quasi  tutte 
le  torri  abbattute  lo  furono  in  questi  Ultimi  anni,  a memoria  di  abitanti 
viventi.  L'  abbarbicarsi  delle  piante  parassite,  un  fulmine,  il  desiderio 
di  vendere  il  materiale  laterizio  o,  senz’  altro,  1'  incuria  dei  proprietär!  — 
e pel  castello  furon  diversi  — hanno  prodotto  ciö  che  molteplici  assedii 
e fatti  d'  arme  non  avevan  fatto  ancora.  In  una  sua  relazione  di  una  visita 
compiuta  a S.  Colombano  nell'  ottobre  del  1887,  il  Riccardi  diede  diversi 
particolari  tecnici  sullo  stato  del  Castello  in  quell'  epoca,  che  a noi  piace 
qui  ricordare,  per  quella  parte  che  interessa  1'  edilizia  del  monumento. 
Il  muro  di  fronte  del  Castello  aveva  due  giri,  1'  uno  sopra  1'  altro,  di  merli 
tutti  incastonati  nella  parete  e che  erano  indizio  che  1'  antichissimo  parapetto 
del  Castello  era  piü  basso  dell’  attuale.  Su  qualcuno  rimaneva  lo  stemma 
scalpellato  con  1'  impronta  del  biscione  Visconteo  ciö  che  prova  che  il  nucleo 
principale  arrivato  fino  a noi  deve  appartenere  alla  ricostruzione  fatta, 
come  vedemmo,  nel  1370  e,  poco  dopo,  continuata  da  Bianca  di  Savoja:  il 
R i c e 1 1 o e gli  edifici  abitati  all'  interno  del  Castello  dovetter  esser  rifatti 
o rimodernati  in  pieno  secolo  XV.  Il  Riccardi  credette  identificare, 
nell’  interno  della  rocca,  nella  prima  cinta  od  antico  Ricetto,  1'  area,  ora 
giardino,  su  cui  sorgeva  ilPalacium  Magnum  del  Barbarossa,  ad 
ovest,  piü  in  alto  1'  area  della  coquina  domine  Blancede  Sabau- 
dia,  ilPalacium  magnum  ad  est,  deiVicari  e Rettori  della 
terra  di  S.  Colombano:  palazzi  che  vennero  incendiati  nella  insur* 
rezione  del  1402.  Si  potebbero  identificare  latorre  grossa  o castellana 
ad  ovest  e altre  parti  ricordate  nei  documenti.  Entro  l’abitazione 


9)  Cfr.  Riccardi  op.  cit. 


San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’  arte. 


12  I 


dei  Belgioioso  rimangon  tuttora  la  torre  dei  Gnocchi  e i sotterranei  in 
parte  chiusi,  che  davano  accesso  alla  rocca  superiore  dominante  il  Ricetto 
e il  Borgo  e,  forse,  al  Borgo  e Mercato.  Nelle  torri  alte  vi  son  tuttora 
prigioni  sotterranee  praticabili  con  scale  a mano  perch&  non  vi  son 
traccie  di  scale  in  muratura.  Un’  apertura  presso  il  borgo  scendeva  verso 
il  Ricetto.  Il  basamento  delle  mura  castellane  ü,  secondo  il  Riccardi, 
molto  piü  antico  delle  mura  che  lo  sormontano,  piü  volte  abbattute,, 
piü  volte  rifatte  o restaurate  10).  Il  Riccardi  pot&  tracciare  una  pianta 
deir  antico  borgo  cintato  di  mura  e della  rocca  turrita  provvista  di  revelini 
o foirtini  avanzati,  oggi  demoliti.  La  parte  che  maggiormente  presenta 
tuttora  importanza  artistica  e 1’  ingresso  verso  la  borgata,  consistente  in 
un  torrione  quadrangolare  con  giro  di  grandiosi  merli  a coda  di  rondine  e 
^ottostanti  piombatoi  molto  sporgenti  con  le  fessure  pel  meccanismo 
dei  p»onte  levatoio.  Da  un’  ampia  porta  a elegante  sesto  acuto  in  laterizio 
si  entra  nel  castello.  In  un  edificio  a sinistra  che  si  presenta  pel  primo  e 
che  s ervl  di  cantina,  presso  la  cucina,  una  elegante  bifora  in  cotto  sormontata 
da  un  arco  e altre  finestrelle  piü  piccole  oggi  chiuse  attestano  di 
certa  pretesa  artistica  dei  luogo.  Le  case  che  formano  la  viuzza  dei  Ricetto 
han  tutte,  quäl  piü,  quäl  meno,  avanzi  medioevali.  V'  b Y edificio  delle 
prigioni  con  belle  finestre  a sesto  acuto  campeggianti  entro  le  caratteristiche 
riquadrature  bianche  di  cementi,  con  che  i costruttori  lombardi  ottennero 
— nel  medioevo  — una  modesta  quanto  vivace  policromia  nelle  loro  dili  - 
genti  costruzioni  in  laterizio.  Di  contro  un  edificio  appartenente  oggi  alla 
Congr  egazione  di  Caritä  mostra  anche  le  tracce  di  un  vecchio  affresco. 
Altre  costruzioni  antiche  con  poche  ogive  qua  elä  econqualchebellapartico- 
laritä  edilizia  fiancheggiano  questa  viuzza  che  sale  verso  la  rocca  superiore: 
su  di  essa  s’  innalzan  tuttora  gli  avanzi  di  alcune  vecchie  torri  di  cinta, 
fino  a non  molti  anni  or  sono  ancora  in  piedi.  Oltre  il  muro  di  cinta  con  le 
sue  belle  torri  quadrangolari  provviste  di  merli  e di  piombatoi,  in  parte 
sfruttate,  in  parte  demolite,  il  castello  non  offre  particolaritä  interessanti. 
Gli  edifici  moderni  dell'  abitazione  dell'  attuale  proprietario  e dei  personale 
di  cuistodia  se  conservano  cimelii  rintracciati  sul  luogo  e attestanti  la  lunga 
signo  ria  viscontea  (medaglie,  monete,  armi,  fittili  ecc.)  non  presentano  molte 
parti  antiche  intatte  dei  castello.  I ruderi  delle  torri  di  cinta,  smantellate  e 
senza  tetto,  offron  oggi  maggiori  attrattive  all’  acquarellista  che  allo  studioso 
d'  arte  che  deve  crucciarsi  dell’  abbandono  in  cui  il  luogo  venne  lasciato. 

Maggiori  soddisfazioni  il  ricercatore  di  emozioni  artistiche  poträ 
trovare  girovagando  pel  paese.  L’  arte  dei  Rinascimento  v’  ha  lasciato 
avanzi  veramente  notevoli. 

,0)  A.  Riccardi , Relazione  di  una  visita  nell’  ottobrei  887  a 1 c 0 1 1 e 
di  S an  Colombano.  Milano,  Borroni  1887. 


122 


Francesco  Malaguzzi-Valeri: 


L’  architettura  bramantesca  vi  si  affermanella  bella  chiesa  di  San  Rocco, 
fondata  con  atto  del  16  agosto  1514  per  concessione  del  canonico  tortonese 
G.  B.  Buzzatto  a nome  del  Vescovo  Ottaviano  Maria  Sforza  Visconti  e diretta 
dilectis  nobis  in  Christo  nobilibus  viris  et  aliis  homi- 
nibus  et  vicinis  terrae  S.ctl  ColombaniLaudens.  Dio  c.11) 
La  chiesa,  di  piccole  proporzioni,  tutta  in  mattoni,  a pianta  ottagonale, 
si  presenta  all'  esterno  modestamente,  con  una  serie  di  grandi  finestre  ad 
arco  — due  per  ogni  lato  — a mo'  di  loggia  ricorrente  in  alto  e un  corpo 
quadrangolare,  pure  in  mattoni,  in  basso  provvisto  in  origine  di  una  bella 
cornice  al  di  sotto  delle  finestre  e di  una  fascia  piü  in  bässo.  Questo  corpo 
ottagonale,  piuttosto  che  essere  inscritto  in  un  quadrato  come  la  chiesa 
di  Santa  Maria  a Busto  Assizio  si,  presentava  adossato  a un  edificio  quadran- 
golare solamente  in  parte:  una  distribuzione  analoga  & nella  chiesa  dell' 
Incoronata  a Lodi  in  cui,  dinnanzi  all'  ottagono,  s'  impostano  due  pareti 
laterali  ad  angolo  retto  sulla  fronte.  II  tetto  antico,  seguente,  come  neir 
Incoronata  di  Lodi,  la  struttura  ottagona  predominante  e reggente  forse, 
alla  moda  bramantesca,  un  cupolino,  andb  demolito.  II  tetto  attuale  troppo 
basso  taglia  1'  edificio  poco  sopra  le  finestre:  1'  interno  ha  cosl  perduta  la 
leggerezza  originale  e le  travi  minori  si  presentano  oggi  scoperte  e impostate 
trasversalmente  su  due  grandi  travi  addossate  a quattro  lesene  della  loggia 
superiore,  che  ne  risulta  cosl  tozza  e monca. 

I rapporti  fra  gli  elementi  costruttivi  della  chiesa  dell'  Incoronata 
a Lodi  e la  chiesa  di  San  Rocco  di  S.  Colombano  son  grandissimi,  nell' 
interno.  Nel  piccolo  edificio  di  S.  Colombano  ritornan  tutti  i concetti  della 
bella  costruzione  lodigiana,  ma  qualche  po'  semplificati  e adattati  al  luogo 
piü  modesto.  II  pian  terreno  presenta,  nei  due  edifici,  gli  stessi  arconi 
entro  i quali  si  aprono  le  cappellette,  a leggeressimo  sfondo  nell’  Incoronata, 
in  S.  Rocco  invece  oggi  in  parte  chiusi.  Le  lesene  corinzie  ornatissime  dell' 
Incoronata  e disposte  ad  angolo  in  modo  daseguirel’andamento  preciso  delle 
par.eti  si  presentano  invece  in  S.  Rocco  piü  semplicemente  piatte,  di  contro 
ad  ogni  angolo  dell’  ottagono;  ma  le  loro  sagome  eleganti,  nei  capitelli,  nei 
pulvim,  nello  stesso  carattere  dei  fogliami  decorativi  a rilievo  son  le  stesse 
nei  due  edifici.  Nei  peducci  degli  archi  dell’  Incoronata  si  presentano 
i caratteristici  busti  a tutto  tondo  comuni  alle  costruzioni  lombarde,  da 
Bramante  in  poi.  In  San  Rocco  invece  i busti  son  stati  sostituiti  da  rosonh 
La  loggia  superiore  ü anche  piü  affine,  in  S.  Rocco,  al  tempio  di  Lodi.  Per 
ogni  lato  dell'  ottagono  si  aprono  due  arcate,  divise  da  una  colonnetta 
liscia  a capitello  corinzio  nell'  Incoronata,  da  una  colonnetta  a candelabro, 
strozzature  e rigonfiamenti  a vaso  in  San  Rocco,  che  in  questo  particolare 

,x)  Archiviodi  Stato  di  Milano.  Fond9  diReligione,ad  ann.  cit.  dal  Riccardi,  L e 
localitä  ecc.  cit.  pag.  68.  Ma  oggi  ildocumentoeirreperibilenonostantelenostrericerche. 


San  Colombano  al  Lairibro  e le  sue  opere  d’  arte. 


123 


si  presentapiü  ricco  e piü  tenacemente  lombardo:  alle  lesenesottostanti  ne  ri- 
spondono  altrettante  al  piano  superiore  nelle  due  chiese,ma  ripiegate  ad  angolo 
a Lodi  come  le  sottostanti,  piatte  invece  a S.  Rocco  pure  come  le  sottostanti. 
I tondi  con  stemmi  e decorazioni  nei  peducci  degli  archi  superiori  dell' 
Incoronata  son  vuoti  invece  in  S.  Rocco.  La  loggia  b praticabile  con  un 
corridoio  in  cui  si  aprono  le  finestre  — due  per  ogni  lato  — in  entrambi 
gli  edifici  descritti.  Ma  a San  Rocco  le  pareti  si  presentan  oggi  tutte  in 
laterizio,  coperto  di  imbiancature:  le  decorazioni  policromiche,  se  v'  erano, 
apposte  nel  Cinquecento,  o son  scomparse  o si  nascondono  sotto  la  tinta 
biancia  stesa  senza  riguardo  su  tutto  1'  edificio.  II  quäle,  ad  ogni  modo, 
ostenta  certe  civetterie  decorative  che  la  chiesa  di  Lodi  non  ha,  almenö 
negli  elementi  piü  vicini  all'  organismo  architettonico:  prima  di  tutte  quella 
delle  colonnette  della  loggia  superiore  che  son  abbinate,  invece  che  semplici 
come  a Lodi,  e,  come  notammo,  a belle  candelabre  anzi  che  liscie.  Le 
decorazioni  a fogliämi  e girate  convenzionali  di  fregi  nella  fascia  fra  il  primo 
e il  second'  ordine  nel  tempietto  di  S.  Colombano  appaion  rifatte  in  epoca 
posteriore  alla  costruzione  cinquecentesca.  Diversi  quadri  della  decadenza 
appesi  qua  e lä  e che  converrebbe  togliere  per  lasciar  campeggiare  le  belle 
linee  della  chiesetta  riproducono  immagini  di  diversi  santi  cari  all'  ordine  di 
S.  Bruno. 

Chi  fosse  1'  architetto  del  leggiadro  tempietto  di  San  Rocco,  che 
ricorda  le  grazie  dell'  arte  bramantesca  lontano  dai  rumori  della  cittä,  fra 
la  distesa  verde  delle  praterie  del  Lodigiano,  non  dicono  i documenti  e le 
storie  locali  da  noi  consultate.  D’  altronde  i cronisti  del  luogo  si  preoccu- 
paron  piü  di  tramandare  a noi  le  vicende  belliche  del  castello  che  i ricordi 
d'  arte.  Ma  b indubitato  che  1'  architetto  che  seppe  trarre  cosl  buon  par- 
tito  dalla  distribuzione  di  elementi  allora  di  moda  con  povero  materiale  e 
limitati  mezzi,  non  senza  qualche  simpatica  innovazione,  appartiene  alla 
scuola  di  Bramante.  La  costruzione  del  Battagio  a Lodi  come  quella  dell' 
ignoto  architetto  di  S.  Rocco  sono  ispirate  alla  sagrestia  di  S.  Satiro  a 
Milano:  quella  dell'  Incoronata — con  le  sue  lesene  angolari  ripiegate  come 
in  S.  Satiro  — piü  di  quella  colombanese.  E gli  stessi  elementi  costruttivi 
e decorativi,  ma  applicati  piü  ampiamente,  il  Battagio  svolse  nella  chiesa 
di  Santa  Maria  a Crema.  In  un'  epoca  molto  vicina  a quella  della  costru- 
zione della  chiesa  di  S.  Rocco  1'  architetto  e scultore  G.  A.  Amadeo  aveva 
lavorato  a Lodi.  Nel  1513  infatti  egli  fu  chiamato  a decorare  la  parte 
superiore  della  chiesa  dell'  Incoronata  e gli  apparterrebbe  il  coronamento 
a balaustrata  sul  coperchio  di  quella  chiesa ”).  Gli  spetta  forse 
1'  idea  della  chiesa  di  S.  Rocco  a S.  Colombano  ? Nulla  di  strano  che  il 

I2)  F.  Malaguzzi-Valeri,  Giov.  Antonio  Amadeo.  Istituto  It.  d’  arti 
grafiche.  Bergamo  1904,  pag.  278,  279,  280. 


124 


Francesco  Malaguzzi- Valeri: 


grande  artista  — piü  spontaneo  e originale  scultore  che  architetto  da  le 
idee  nuove  (nella  cappella  Colleoni  s'  ispirö  alla  pianta  della  cappella  dei 
Pazzi,  piü  tardi  alle  idee  bramantesche)  — dovendo  occuparsi,  anche  nella 
provincia  lodigiana,  di  certi  corsi  d’  acqua,  si  ria  recato  a S.  Colombano 
e v’  abbia  diretta  quella  costruzione;  o,  per  lo  meno,  richiestone,  v’  abbia 
mandato  i disegni  dalla  vicina  Lodi  mentre  egli  vi  lavorava.  Certa  esilitü 
di  forme,  nelle  colonnette  e nelle  lesene,  e che  ritorna  nei  motivi  predomi- 
nanti  del  cortile  Bottigella  a Pavia,  opera  sua  documentata,  conforterebbe 
1'  ipotesi. 

Anche  1'  antica  chiesa  parrocchiale,  prima  dei  rifacimenti  del  periodo 
della  decadenza,  doveva  presentare  le  forme  edilizie  eleganti  proprie  del  XV 
secolo.  Ne  fanno  fede  gli  avanzi  decorativi  che  rimangono.  Prima  della 
metä  di  quel  secolo  la  parrocchia  si  trovava  nella  localitä  di  Mombrione 
ed  era  dedicata  a Santo  Stefano;  trasferita  poi  nel  luogo  attuale 
dovette  iniziarsi  un  periodo  proficuo  per  la  chiesa  che  s'  ando  arricchendo 
di  opere  d’  arte  e di  decorazioni.  Ai  due  lati  dell'  altar  maggiore  rimangono 
due  tabernacoletti  per  1’  olio  santo  ad  attestare,  con  altri  avanzi  che  ricorde- 
remo,  della  ricchezza  ornamentale  della  chiesa.  L’  un  d'  essi,  composto 
di  due  lesene  scanelate  con  capitellini  a fogliami  reggenti  una  trabeazione 
classica,  su  cui  s’  imposta  una  cuspide  ornata  di  foglie  d’  acanto  e d'  una 
mezza  figura  d’Ecce  homo,  porta  scritto,  nel  timpano,  in  tre  righe 

1484  HOC  OP  / VS.  FECIT  FIERI  / D.  DANIEL. . . . 

Sotto  il  piccolo  davanzale  del  tabernacolo  son  scolpiti  tre  festoncini.  II 
lavoro  b modesto.  D'  altra  mano  piü  esperta  b il  tabernacoletto  che  gli 
sta  di  contro,  di  fianco  all’  altar  maggiore,  composto  di  due  leggiadre  lese- 
nette ornate  ciascuna  d’  una  candelabra  a fogliami  uscenti  da  uno  stelo 
che  reggono  — sui  due  eleganti  capitellini  corinzi  di  sapore  bramantesco 
analoghi  a quelli  dell'  interno  di  San  Rocco  — la  classica  cornice  provvista 
di  bastoncini  e di  fuseruole.  E'  lavoro  elegante,  finemente  scolpito, 
dei  primi  anni  del  Cinquecento.  Un  parroco,  certo  Don  Antonio  dei  Car- 
catagi  (1483 — 1525),  lasciö  buon  ricordo  di  sü  nella  porta  rettangolare,  del 
1499,  provvista  di  due  severe  lesene,  di  due  mensole  a fiorami  e modana- 
ture  diligenti  nel  fregio  J3)  che  presenta  questa  iscrizione 

HOC  OPVS  FACTVM  FVIT  PER  VENERABIL.  PRAESBITER. 

D.  ANTONIVS 

DE  CHARCHATAGIS  RECTOR  HVI.  ECCLESIAE. 

1499  DIE  X JVNI. 

Un  altro  ricordo  del  buon  tempo  antico  la  chiesa  stessa  conserva  in  sagrestia. 
E' una  bella  croce  astile,  della  metü  del  XVI secolo,  compostadi  untempietto 


*3)  D.  Sant’  Ambrogio,  op.  cit. 


San  Colombano  al  Lambro  et  le  sue  opere  d’  arte. 


J25 


ottagonale  con  figu'rette  di  santi  in  smalto  a fondo  azzurro  cupo  per  ogni 
lato  (meno  una  ch’  e mancante)  di  buona  esecuzione:  sul  tempietto  s’  erge 
il  Crocefisso  sapientemente  e diligentemente  modellatfo;  alle  estremitä  dei 
bracci  entro  comparti  polilobati,  si  presentano  mezze  figure,  emblemi  degli 
Evangelisti  e,  al  sommo,  1’  allegorico  pellicano  che  nutre  i suoi  piccoli. 

Anche  la  chiesa  di  San  Giovanni  vantava  una  antica  costruzione  e 
opere  d’  arte.  Del  primo  tempo  conserva  il  presbitero  e il  fondo  in  cui  si 
aprono  tre  grandi  archi  a sesto  acuto  e,  di  epoca  piü  tarda  ma  ancor  pura, 
gli  stalli  del  coro,  semplici,  di  severo  disegno.  . La  chiesa,  come  la  stessa 
parrocchiale,  fu  ampliata  o ricostrutta  nella  sua  parte  anteriore. 

*  *  * 

* 

La  pittura  del  Rinascimento  ha  lasciato  a San  Colombano  qualche 
ricordo  che  convien  trarre  dairoblio;  anzi  il  luogo  diede  i natali  a un  pittore 
di  cui  le  cronache  locali  fanno  cenno  con  compiacenza:  Bernardino  Lanzani, 
del  XV  secolo.  Di  questo  pittore,  che  avrebbe  lavorato  insieme  ad  Ambrogio 
da  Fossano  detto  il  Bergognone  b piü  facile  ricordare  gli  elogi  degli  scrittori 
di  cose  lodigiane  che  precisare  le  opere.  Il  Riccardi  — a mo’  d'  esempio  — 
fa  cenno  di  lui  sotto  1’  anno  1490  quando  il  pittore  era  chiamato  presso 
Lodovico  il  Moro  come  «bono  pictore  de  hystoriado»,  poi  di  nuovo,  su  uno 
scritto  del  Caffi,  alle  date  1500  e 1515  per  dipinti  a S.  Tommaso  di  Pavia 
e altrove1'»).  Da  diversi  spogli  di  documenti  sancolombanesi  messi  a mia 
disposizione  dal  dott.  Fiorani  rilevo  che  una  provvigione  del  18  novembre 
1498  della  Fabbriceria  di  Lodi  si  riferirebbe  alla  pittura  della  cappella  maggiore 
condotta  «a  perfetione  da  Ambrogio  Fossate  (sic)  da  Borgogna  sopranomi- 
nato  il  Borgognone  e da  Bernardino  Lanzano  pittore  di  S.  Colombano  »dietro 
compenso  di  lire  due  mila  duecentocinquantadue.  Parrebbe  inoltre  che  il 
Lanzani  lavorasse  a Pavia  e nella  Basilica  di  Bobbio:  nell'  archivio  di 
Stato  di  Torino  si  conserverebbe  (desumo  sempre  dalle  carte  del  dott.  Fiorani) 
P originale  contratto,  di  pugno  del  Lanzani  stesso,  coi  monaci  di  Bobbio 
per  gli  affreschi  da  lui  eseguiti  nella  loro  chiesa  *5).  Al  pittore  stesso  son 
attribuite  a San  Colombano  — benchü  senza  sussidio  di  documenti,  nono* 
stante  le  indagini  compiute  fin  dal  1869  dal  Parroco  don  Luigi  Gallotta 
per  incarico  di  Michele  Caffi  — le  figure  della  Vergine  e del  Bambino  eseguite 
a fresco,  che  si  vedono  nella  cappellina  fuor  del  paese,  dinnanzi  al  Cimitero. 
L'  affresco  vi  fu  trasportato,  col  pezzo  di  muro  su  cui  b dipinto,  nel  1522, 
dalla  non  lontana  chiesa  di  San  Fermo,  ora  distrutta,  dove  decorava  1'  altare. 
Nel  1773,  quando  fu  fatta  dal  Vescovo  di  Lodi  mons.  Antonio  Scarampo 

'«)  A.  Riccardi , Le  1 o c a 1 i t & ecc.  cit. 

*5)  Su  questo  pittore  cfr.  Archivio  Storico  Lombardo  Anni  VIII  (1881) 
62  n.;  IX  (1882,  501). 


I 2Ö 


Francesco  Malaguzzi- Valeri: 


la  visita  pastorale  a S.  Colombano,  quella  chiesa  esisteva  ancora.  La  piccola 
composizione  rappresenta  la  divina  madre  seduta  in  trono,  vestita  di  un 
corpetto  rosso  e di  annpio  scialle  che  le  cade  dalle  spalle  e le  copre  tutta 
la  parte  inferiore  del  corpo;  con  la  sinistra  tiene  delicatamente  un  fiore 
e con  la  destra  sorregge  il  Bambino  che,  le  gambette  nude,  un  corpettino 
giallo  aderente  alla  persona  fermato  da  un  legaccio  sui  lombi,  ritto  in 
piedi  sulle  ginocchia  della  madre  benedicecon  la  destra  rialzata  e sostiene  il 
simbolico  globocon  la  sinistra.  Qualche  ricordo  della  dolce  arte  bergognonesca 
v'  & nelle  due  figure  non  prive  di  qualche  grazia  ed  eseguite  con  diligenza:  ivisi 
lunghi  ma  carnosi,  le  fronti  ampie,  le  mani,  lo  stesso  leggero  abbigliamento 
del  putto  richiaman  le  figure  analoghe  di  Ambrogio  da  Fossano.  Ma  non 
v’  & il  suo  spirito  sereno  e sicuro,  non  la  sicurezza  del  disegno  e la  delicatezza 
del  colorito. 

Se  non  sapremmo  rintracciare,  sul  posto,  le  opere  lasciatevi  da  un 
altro  pittore  un  pö  piü  tardi,  G.  B.  Belmonte,  che  v'  avrebbe  lavorato 
nel  1552 — 1562 l6),  possiamo  ammirare  invece  le  molte  che  vi  lasciö  nel 
1576 — 1581  Bernardino  Campi.  Questi,  apprezzatissimo  dai  contemporanei 
che  lo  chiamavan  per  commissioni  a Cremona,  a Mantova,  a Piacenza,  a 
Milano,  a Caravaggio,  a Brescia,  a Lodi,  a Pavia,  a Reggio,  orno  di  affreschi 
1'  oratorio  del  Castello  di  S.  Colombano  allora  di  proprietä  dei  Certosini  di 
Pavia.  Rimangon  tuttora  i documenti  che  precisano  1'  attivitä  del  pittore 
a S.  Colombano:  uno,  in  forma  di  confessione  di  pagamento  in  data  23  feb- 
braio  1581,  per  «le  opere  fatte  et  figure  dipinte  per  il  sig.  Bernardino  Campi 
pittore  al  Reved.  e sacro  Monasterio  di  Certoxa  di  Papia  nel  oratorio  et 
sotto  al  por'icho  in  recetto  d’  esso  Monasterio  di  Sancto  Colombano.  Prima 
1’  anchona,  seij  historie  et  seij  adornamenti  della  Vita  de  la  Magdalena, 
et  tutte  le  picture  fatte  sopra  al  altare  con  il  Dio  Padre  et  le  seij  figure  de 
chiaro  et  scuro,  et  le  finestre  et  la  soffitta  con  tutto  il  resto  de  li  ador- 
namenti in  detto  oratorio,  salvo  1'  aver  misso  1'  oro.  E piü  la  certoxa  de- 
pi'ita  sotto  al  porticho  sive  logia.  Item  la  Madona  ch'  & depinta  nel  giardino. 
E piü  doi  Angeli  depinti  in  la  giesia  di  Santo  Colombano  et  la  conciadora  de 
1'  anchona  d’  esso  altare.  Per  prezio  de  Scudi  Cinquecento  sexanta  d'  oro.» 
Queste  pitture  furon  stimate  e collaudate  da  Aurelio  Luini  figlio  del  celebre 
Bernardino  («per  Nob.  Dominum  Aurelium  Luignum  filium  quondam 
Nobilis  Domini  Bernardini  Pictore  Mediolani»),  Il  secondo  documento, 
del  25  di  Settembre  1581,  e la  ricevuta  di  un'  ultima  somma  a completo 
pagamento  per  que’  suoi  lavori1?).  Nel  1846  il  conte,  poi  Principe,  Antonio 
Belgioioso  proprietario  del  Castello  fece  demolire  1'  oratorio  e dono  alla 

l6)  A.  Riccardi  op.  cit. 

*7)  Archivio  Belgioioso.  Cartella  100  p.  308,  Comunicatami  in  copia  dal  sig.  Fiorani. 
Cfr.  ArchivioStoricoLombardo.  Anno  VII  1 880,  pag.  92  e segg. 


San  Colombano  al  Lambro  et  le  sue  opere  d'  arte. 


127 


Chiesa  parrocchiale  il  quadro  ad  olio  (1*  a n c o n a del  documento  ricordato) 
rappresentante  il  Crocefisso  con  le  figure  della  Madonna,  di  S.  Giovanni 
Evangelista  e della  Maddalena  inginocchiata;  donö  pure  1'  altare  con  la 
balaustrata  di  marmo,  una  pianeta,  un  calice,  i camici  e due  colonne  di 
marmo  rosso  giä  presso  la  tribuna  dell’  organo  delT  oratorio.  Diede  inoltre 
facoltä  di  levare  e trasportare  nella  chiesa  tutti  gli  altri  affreschi  che  fosse 
possibile  levare  ad  eccezione  del  dipinto  a fresco  superiormente  alb  ancona 
che  il  Belgioioso  regalö  a suo  cugino  nobile  Mancini  per  1'  oratorio  di  Mira- 
bello,  parrocchia  di  Somaglia,  dove  pure  fu  trasportato  1'  organo  di  S.  Colom- 
bano: le  due  imposte  in  legno  dell’  organo,  sulle  quali  incominciava  il  motivo 
decorativo  d’  angioli  ricorrente  lungo  la  parete  superiore  alle  imposte  e 
lungo  la  volta  sotto  cui  stava  1'  altare  furon  donate  dal  Belgioioso  al  fratello 
Rinaldo.  Cid  rilevo  da  una  lettera  inedita  del  prevosto  Gallotta  al  conte 
Berengario  Belgioioso  del  25  Settembre  1865  l8),  che  assicura  che  la  parte 
decorativa  si  componeva  precisamente  «di  angeli  con  emblemi»:  aggiungeva 
il  detto  prevosto  che  avrebbe  disposto  per  un  miglior  collocamento  di  quei 
dipinti  che  minacciavan  rovina.  La  figura  della  Vergine  dipinta  «nel  giar- 
dino»  era  giä  guasta  dal  tempo:  i due  angioli  che  figuravano  dipinti  sulle 
due  imposte  di  legno  passaron  poi,  se  crediamo  al  Sommi  Picenardi,  in 
proprietä  della  contessa  Ceccopieri  in  Milano  J9).  Purtroppo  la  provvisorietä 
del  collocamento  di  quei  dispersi  frammenti  dell'  antico  ciclo  pittorico  e durata 
fino  ad  oggi:  cosl  che  una  parte  di  quelle  decorazioni  e precisamente  le  lesene 
e il  fregio  del  sott’  arco  della  cappella  giaccion  tuttora,  imballati  e incassati, 
in  un  ripostiglio  al  pian  terreno  del  Castello  dove  potemmo  vederli.  Mentre 
scriviamo  si  sta  provvedendo  — mercö  accordi  fra  la  Fabbriceria  della 
Parrocchiale'  di  S.  Colombano  e la  Direzione  della  Pinacoteca  di  Brera  — 
al  licupero  a Milano,  presso  la  Pinacoteca  stessa,  di  una  parte  di  quegli 
affreschi.  Sia  per  la  condizioni  finanziarie  della  chiesa,  sia  per  lo  stato  delle 
pareti  di  quella  parrocchiale  e pel  carettere  eminentemente  decorativo  — 
staremmo  per  dire  profano  — di  alcuni  dei  dipinti,  questi  figureranno 
meglio  nella  sala  della  Pinacoteca  che  accoglie  giä  altre  opere  della  scuola 
cremonese,  e potranno  sperare  cosl  di  veder  allontanato  il  pericolo  della 
loro  rovina,  piü  fortunati  di  altri  rimasti  sul  posto. 

Esaminiamo  ora  quei  ciclo,  veramente  interessante,  di  affreschi  del 
ampi,  non  ancor  oggetto  fin  qui  di  uno  studio  preciso.  Non  tuttociö  che 
rimane  corrisponde,  per  numero,  a quanto  i due  documenti  ricordano: 
1’  incuria  e i guasti  del  tempo  hanno  fatto  ridurre  la  serie,  che  ad  ogni  modo 
presenta  interesse  anche  come  si  trova.  Nell’  interno  della  parrocchiale 


l8)  Comunicatami  dal  sig.  Fiorani. 

J9)  Archivio  Storico  Lombardo  del  1880  cit. 


128 


Francesco  Malaguzzi-Valeri: 


furono  addossati  alle  pareti  diversi  di  quei  frammenti  tolti  alla  chiesetta 
delCastello.  Vi  si  vede  nella  prima  cappella asinistra di  chi  entra  dall ’ingresso 
principale  la  composizione  migliore;  il  Redentore  dinanzi  alla  Maddalena 
la  quäle,  inginocchiata  a'  suoi  piedi,  le  chiome  fluenti,  il  viso  rivolto  a lui 
in  sentita  espressione  di  fede,  ne  invoca  1'  aiuto:  il  Redentore,  nudo,  con 
un  gran  mantello  gettato  negligentemente  sulle  spalle  e intorno  ai  lombi, 
si  volge  a lei  e alza  la  mano  in  atto  di  protezione.  Nel  fondo  del 
paese,  bellissimo  di  boschi  e di  colline  verdi,  si  vede  il  gruppo  delle  Pie 
donne  dirette  al  sepolcro  sul  quäle  un  angelo  seduto  veglia.  Nella  stessa 
cappella  sono  anche:  la  scena  delle  nozze  in  Galilea  — Gesü  Cristo  a mensa 
al  quäle  la  Maddalena  lava  le  chiome  — e due  belle  lesene  decorative.  Nell’ 
ultima  cappella  dallo  stesso  lato  son  conservati  diversi  frammenti  degli 
affreschi  del  Campi  che  rivelan  maggiormente  i danni  del  tempo:  vi  b 
notevole  la  composizione  che  raffigura  Gesü  predicante  ai  fedeli,  in  una 
piazza  racchiusa  da  edifici  classici  e nella  quäle  campeggiano  una  pira- 
mide  e un  tempietto  circolare  a due  ordini  di  logge  sormontato  da  un  cupo- 
lino  alla  moda  bramantesca.  Nella  prima  fila  degli  spettatori  che  ascoltano 
la  parola  divina  b il  gruppo  delle  pie  donne.  Un  altro  frammento  mostra 
un  gruppo  di  teste  vigorose  di  vecchi  accuratamente  segnate  nei  contorni, 
magistralmente  dipinte.  Altri  frammenti  con  teste  di  apostoli  e di  santi 
furon  collocati  nelle  pareti  dietro  la  cantoria  e nella  sagrestia.  Due  belle 
lesene  decorative  e due  lunette  ornate  di  putti  con  emblemi,  di  che  fa  cenno 
la  lettera  del  prevosto  Gallotta,  son  tuttora  giacenti,  come  notammo,  in 
un  magazzeno  del  Castello  e saranno  forse  trasportate  a Milano,  alla  Pina- 
coteca  di  Brera,  considerato  che  sul  posto,  dopo  la  demolizione  dell'  oratorio 
che  le  accoglieva  e per  la  mancanza  di  spazio  nella  parrocchiale,  non 
rispondon  piü  alle  esigenze  decorative  richieste  dai  committenti  antichi. 
E poichfc  i minori  frammenti  collocati  qua  e lü  un  po’  a casaccio  nella  par- 
rocchiale di  S.  Colombnano  meriterebber  veramente  maggiori  eure  (noi 
v'  abbian  visto  persino  addossate  delle  scale  a piuoli  e oggetti  d’  uso  comune) 
e dove  si  trovano  non  hanno  ragione  d’  essere,  b sperabile  che  si  trovi  modo 
d’  accoglier  pur  essi  a Brera.  Se  b preferibile  che  le  opere  d'  arte  vengan 
lasciate,  fin  che  si  puö,  sul  posto  a cui  gli  artisti  le  destinarono,  nell’ 
ambiente  sacro  alla  pietä  dei  vecchi  committenti  e dove  tradizioni  e fede 
di  popolo  han  dato  loro  un  secondo  valore,  b invece  per  noi  indiscutibile 
che  convien  ripararle  in  luogo  sicuro  quali  un  museo  o una  galleria  che  val- 
gano  a toglierle  della  rovina  estrema,  quando  le  stesse  opere  d'  arte  abbian 
perduto  per  sempre  quelle  ragioni  che  esigerebbero  di  lasciarle  dove  si  tro- 
vano. Molte,  molte  preziose  opere  d’  arte  in  Italia  si  sarebber  salvate  se 
fosser  state  riparate  a tempo  in  una  pubblica  collezione  prima  degli 
sperperi  che  hanno  dovuto  subire. 


San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’  arte. 


129 


Gli  affreschi  del  Campi  che  abbiam  ricordato  non  son  mo  lto  ricchi 
di  colorito,  almeno  nelle  scene  principali  — al  contrario  delle  lesene  decora- 
tive  che  son  vivacissime — ; ma  in  compenso  raccomandano  il  pittore  per  la 
freschezza  delle  composizioni  e la  vivacitä  degli  stessi  particolari.  Le  figure 
muliebri  hanno  le  fronti  sfuggenti,  le  chiome  biondo  chiaro,  le  forme  son 
allungate,  piene  di  nobiltä,  caratteristiche  del  Campi;  i fondi  di  paese,  che 
rivelano  un  amoroso  Studio  del  vero  nella  riproduzione  dei  boschi  fra  cui 
serpeggiano  i viottoli,  rendon  piü  attraenti  queste  composizioni.  I visi  ma- 
schili  presentano  molta  severa  bellezza  e,  nel  contorno  a grafito  che  li  rac- 
chiude,  rivelan  1'  amorosa  ricerca  della  linea  che  il  pittore  apprese  sulle  opere 
del  Correggio;  benche  lo  spirito  piuttosto  superficiale  dell’  arte  dell’  ultim 
ventennio  del  Cinquecento  gli  togliesse  di  interpretare  tutto  il  sentimento 
intimo  che  irradia  dalle  figure  dell’  Allegri.  Ma  nelle  decorazioni  a putti, 
a fogliami,  a emblemi  religiosi  che  corre  lungo  le  lesene  e nei  sottarchi  tolti 
all’  oratorio  del  Castelle  di  San  Colombano  v’  e una  vigoria  di  concezione 
e una  esuberanza  di  creazione  abbastanze  rare  nell’  arte  del  tempo. 
Bernardino  Campi  vi  prelude  a quella  grande  e vivace  decorazione  ch’  egli 
svolse  grandiosamente  piü  tardi,  nel  1590,  nel  coro  di  S.  Prospero  a Reggio 
Emilia. 

Frammenti  minori  di  affreschi  vien  fatto  di  osservare  anche  altrove 
nella  borgata  di  S.  Colombano.  Ricordo,  sulla  facciata  di  una  casetta  in 
via  Stefenini,  una  composizione  con  la  Vergine,  il  Bambino  e due  santi, 
dello  scorcio  del  XV  secolo  o dell’  inizio  del  XVI,  rovinatissima,  che  ricorda 
un  po’  la  Madonna  attribuita  alLanzani  che  abbiam  descritta;  in  via  Umberto  I 
altri  affreschi  qua  e lä  0 traccie  di  vecchi  dipinti  murali  affini  a quella  stessa 
pittura  attribuita  al  Lanzani.  Invece  una  piacente  Adorazione  del 
B a m b i n o al  n.  85  di  quella  stessa  via  richiama  1’  arte  dei  Piazza  da  Lodi. 
Una  S a 1 o m & , a fresco  in  quegli  stessi  paraggi,  appartiene  invece  al 
XVII  secolo.  Presso  il  ricordato  dott.  Pier  Luigi  Fiorani,  intelligente  racco- 
glitore  di  cimelii  d’  arte  e di  storia  della  sua  borgata,  ammirammo  diversi 
oggetti  interessanti  le  nostre  ricerche:  una  bella  serie  di  oggetti  di  scavo 
attestanti  1'  antichitä  di  quella  stazione,  giä  importante  fin  dall'  epoca 
gallica,  varii  frammenti  di  terre  cotte  decorative  del  Rinascimento,  fra  cui 
due  motivi  analoghi  ma  di  epoca  diversa:  1’  uno  un  putto,  di  povere  forme, 
arcaico,  appoggiato  a un  tralcio  di  vite,  che  il  Fiorani  crede  facesse  parte 
della  decorazione  dell'  antica  chiesa,  1'  altro,  un  piü  attraente  putto,  dalle 
forme  grassoccie  come  un  piccolo  Bacco,  in  atto  d’  arrampicarsi  su  un  ramo, 
come  quelli  analoghi  e ricavati  da  stampo  che  ornano  tuttora  diversi 
edifici  e specialmente  le  ghiere  delle  finestre  archiacute  dell'  Ospedal  mag- 
giore  di  Milano.  Questo  piacente  esemplare  di  motivo  affine  ma  diverso 
da  quelli,  ornava  il  völto  d’  una  finestra  o d’  una  porta  — lo  prova  la 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


9 


130 


Francesco  Malaguzzi -Val e ri : 


leggera  curvatura — dell'  antico  palazzo  Rho  di  Borghetto  Lodigiano,  benchü 
il  proprietario  attuale  lo  trovasse  murato  in  una  casa  di  S.  Colombano. 
II  Fiorani  conserva  anche  diversi  bei  capitelli  del  XV  e del  XVIsecolo:  fra 
essi  uno  recante  1’  identico  fregio  della  lesena  che  orna  uno  dei  due 
tabernacoletti  su  descritti  della  chiesa  parrocchiale.  Nella  stessa  raccolta 
una  piccola  composizione  a fresco  — la  Madonna  col  Bambino  sulle 
ginocchia  e una  santa  con  un  libro  nella  mano  sinistra  — non  presenta 
importanza  artistica  ma  un’  iscrizione  che  ricorda  che  il  piccolo  dipinto 
fu  fatto  eseguire  nel  1497  da  un  Antonio  da  Inzago. 

* * 

* 

TDopo  il  Rinascimento  1’  arte  ha  lasciato  piü  numerose  tracce  a San 
Colombano.  Li  ricorderemo  fugacemente. 

Nella  chiesa  parrocchiale  — ricostruzione  quasi  moderna,  a tre  navate 
— varie  decorazioni  festose  attiran  1'  attenzione  con  la  loro  esuberanza  se 
non  sempre  col  loro  buon  gusto.  Tuttavia  la  cappella  del  Rosario,  costrutta 
o almeno  decorata  nel  1638,  con  le  sue  ornamentazioni  a fresco,  & un  degno 
esempio  dell'  arte  barocca  in  Lombardia,  esuberante  e spesso  piacente 
quasi  quanto  quella  romana,  0 parte  della  romana.  L’  altare, 
ricchissimo,  proveniente,  sembra,  da  Lodi,  gli  stalli  ornatissimi,  la  cantoria 
con  belle  figure  a rilievo  rappresentan  1’  arte  barocca  con  una  vivacitü 
che,  nella  modesta  chiesetta  della  borgata,  farebbe  meraviglia  a chi  non 
conoscesse  altri  tesori  di  quel  periodo  disseminati  nelle  chiese  della 
campagna  lombarda  e,  piü  ancora,  in  certe  montagne,  specialmente 
in  Valtellina  e nell'  alto  bergamasco.  Molte  belle  Stoffe  e parati  ricor- 
dano  ancora,  in  quella  chiesa,  la  magla  del  colore  e la  ricchezza  del 
1’  arte  decorativa  del  secolo  XVII  e del  XVIII.  In  San  Giovanni  — 
dove  la  facciata  conserva  cinque  pinacoli  in  terra  cotta,  parte  della 
membratura  antica  e gli  avanzi  della  decorazione  originale  a grandi  dadi 
rossi  e neri  — puo  vedersi  un'  esuberante  se  non  piacente  ornamentazione 
barocca  di  statue  e di  stucchi  e un  bell'  altare  della  stessa  epoca.  Al 
periodo  barocco  appartiene  anche  la  costruzione  attuale  della  chiesa  di 
S.  Francesco,  che  rimase  incompiuta. 

I certosini  arricchirono  notevolmente  di  decorazioni  e di  arredi  sacri 
le  chiese  di  S.  Colombano.  Oltre  la  croce  della  parrocchiale  rimangon  tuttora 
diversi  buoni  esemplari  d'  arte  religiosa  decorativa  nella  borgata.  Nella 
chiesa  di  San  Francesco  ü ammirato  1'  altar  maggiore  ornato  a tarsia  a 
larghi  fogliami  di  diversi  marmi,  specialmente  di  rosso  0 fiamma  di  Francia: 
altri  quattro  altari  presentano  i pallii  a finta  tarsia.  La  balaustrata  del 
1*  altar  maggiore  porta.  la  data  della  sua  collocazione: 


San  Colombano  al  Lambro  e le  sue  opere  d’  arte. 


131 

DIE  26  AVGVSTI  ANNO  DOM.  1744 
mentre  1'  altare  b del  1726;  e un  pallio  analogo  a quello  di  S.  Colombano 
b nella  vicina  terra  di  Graffignana  datato  1724.  II  secolo  XVIII  fu  dunque 
particolarmente  benemerito,  in  questi  luoghi,  per  ricordi  artistici  lasciativi, 
mercö  i grandi  mezzi  di  cui  disponevano  i Certosini.  Si  sa  infatti  che 
nel  1782  1'  ordine  possedeva,  nella  sola  borgata  di  S.  Colombano,  arredi 
sacri  e mobili  per  un  valore  di  Tire  16,685,3.  H dott.  Sant’  Ambrogio  notö  giä 
come  di  quella  specie  di  tarsia  che  figura  negli  altari  delle  chiese 
sancolombanesi  non  si  abbiano  perö  esempi  nella  Certosa  di  Pavia  dove  i 
pallii  delle  cappelle  di  San  Giovanni  Battista,  di  Santa  Veronica  e di 
Sant’  Ugone  offrono  bensl  alla  vista  lavori  a finta  tarsia  ma  non  dello 
stile  di  quelli  di  Graffignana  e S.  Colombano.  Lo  stesso  scrittore  osservava 
perö  come  un  pallio  a finta  tarsia  di  grandi  dimensioni  e di  esecuzione 
finita  sia  quello  che  si  osserva  nella  prima  cappella  a sinistra  della 
parrocchiale  di  S.  Colombano:  in  uno  dei  grandi  fiorami  a volute  policrome, 
analogo  in  tutto  invece  a certi  pallii  d’  altri  altari  della  Certosa  pavese 
che  non  i ricordati,  si  legge  1'  iscrizione 

JACOBVS.  PROFESS.  PARISIENSIS.  FECIT.  1673 
che  fa  pensare  che  quel  gruppo  di  lavori  a finta  tarsia  di  stile  barocco 
appartengan  tutti,  date  la  loro  somiglianza  e 1'  unica  derivazione,  a quel 
monaco  professo  parigino  da  annoverarsi  nella  bella  serie  degli  artefici  della 
tarsia  che  per  piu  di  due  secoli  arricchiron  la  Certosa  e 1er  sue  dipendenze  di 
opere  d’  arte.  Da  quell’  artista,  pensa  il  citato  scrittore,  derivaron  forse 
i piu  modesti  artefici  che  ornaron  piu  tardi,  nella  prima  metä  del  XVIII 
secolo,  gli  altari  di  cui  sopra  s’  b fatto  ricordo. 

Anche  le  altre  localitö  dipendenti  un  tempo  dalla  Certosa  di  Pavia  — 
Carpiano,  Vigano  Certosino,  Selvanesco,  Villanova  de'  Beretti,  Cascina 
Brusada  presso  Marcignago,  Guinzano,  Molino  de'  Monaci,  Landriano, 
Birolo,  Trezzano  — conservan  ricordi  d'  arte:  pale  d'  altare,  sculture, 
affreschi,  arredi.  Ma  son  opere  staccate,  sparse  qua  e lä  senza  continuitä 
d’  esecuzione.  A San  Colombano  invece  1'  arte  b rappresentata  ir  un 
piccolo  ciclo  che  a noi  b sembrato  meritevole  di  ricordo.  Altra  volta 
avremo  a ricordare  borgate  e ville  non  meno  rieche  di  cimelii  artistici  e 
degne  d'  attenzione  da  chi  visita  1'  Italia  a ragion  di  studio  e per  evocarne 
le  attrattive  artistiche. 


9' 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des 
Chorbaus  von  St.  Lorenz  in  Nürnberg  unter  der  Leitung 
Konrad  Heinzeimanns. 

Von  Albert  Gümbel, 

Kgl.  Kreisarchivassessor  in  Nürnberg. 

(Schluß.) 

Seite  1 1 ] Item  waß  ich  han  awß  [geben]80)  von  des 
paws  wegen  seind  der  nechsten  Rechnung,  daz  stet 
hernach  geschriben: 

Item  am  samtztag  vor  sand  Peter  tag  vinkula 
[=  29.  Juli]  II  gesellen  in  der  hüten,  dy  haten  czu 

V tagen,  daz  macht  V % XXV  dn. 

Item  am  samtztag  an  sand  Oswald  tag  [= 

5.  August]  II  in  der  hüten,  dy  haben  V tag,  daz 

macht  V U XXV  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Lorentzen  tag 
[==  12.  August]  II  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 
daz  macht  V t6  XXV  dn. 

Item  an  sand  Sebold  abend  [=  18.  August] 

II  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  IV  tagen,  daz 

macht  IV  U XXIV  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Augustin  [— 

26.  August]  II  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 

macht  V U XXV  dn. 

Item  Maister  Kunrad  czu  der  Goltfasten  vor 
sand  Michelstag  [=  20.  September]  XX  gülden. 

Item  am  samtztag  vor  Dyonisy  [=  7.  Oktober] 

V gesellen  awf  dem  perg  mit  dem  maister,  dy  haben 
czu  VI  tagen,  den  tag  czu  XIV  dn.,  vnd  dem  maister 

do  selbst  czu  XV  dn.,  macht  XIV  % XVI  dn. 

Item  von  etzlichen  aksten  vnd  Maißeln  czu 
stechein,  warn  Vc  spitzen,  daz  macht  alles  VI  U VI  dn. 


8o)  Geschrieben  ist:  dem. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus 

Item  am  samtztag  vor  Gally  [=  14.  Oktober] 

V gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  alle  czu  VI  tagen, 
macht 

summa  dytz  foly  macht 
LXIII  U XII  dn. 
vnd  XX  gülden. 

Seite  12]  Item  am  samtztag  an  der  heyligen 
XIM  maid  tag  [=21.  Oktober]  V gesellen  awf  dem 
perg  ab  czu  Rawmen,  yedem  gesellen  den  tag  czu 
XII  dn.  vnd  dem  Maister  XV  dn.,  macht 

Item  dem  eim  karen  für  II  rad  vnd  czu  Eg- 
schen81)  vnd  waß  dor  czu  gehört 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht 
Item  an  sand Sumen Jada  tag  (!)  [=  Simonis  et 
Jude  tag,  28.  Oktober]  V gesellen  awf  dem  perg  mit 
dem  maister,  dy  haben  czu  V tagen,  macht 

Item  am  samtztag  noch  aller  heyligen  tag  [= 
4.  November]  V gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben 
czu  V tagen,  daz  macht 

Item  an  sand  Mertens  tag  [=  11.  November] 

V gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht 

Item  dem  smid  awf  dem  perg  doselbst 
Item  an  sand  Elspeten  abend  [=  18.  November] 
IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  czu  VI  tagen, 

Item  an  sand  Kathrein  tag  [=  25.  November] 
IV  gesellen,  dy  haben  czu  IV  tagen, 

Item  LXXXVIII  stein  czu  VIII  dn.,  macht 
Item  am  samtztag  noch  sand  Endres  tag  [= 
2.  Dezember]  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haten  czu 

V tagen,  macht 

Item  XL  stein  czu  VIII  dn,  macht 

summa  dytz  foly  macht 
FXIV  U vnd  XI  dn. 

Seite  13]  Item  am  samtztag  nach  vnßer 
Frawen  tag  Concepcionis  [=  9.  Dezember]  IV  gesellen 
awf  dem  perg,  haben  czu  IV  tagen,  macht 
Item  XXXII  stein  czu  VIII  dn.,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht 


von  St.  Lorenz  usw.  133 


XIV  U XVI  dn. 


XII  U XXVIII  [dn.] 

IV  U X dn. 
XXXVI  dn. 


X U XXV  dn. 


X U XXV  dn. 


X U XXV  dn. 
XXXVI  dn. 

X U XIV  dn. 

VIII  U XXIV  dn. 
XXIII  U XIV  dn. 


VIII  U XXIII  dn. 
X U XX  dn. 


VII  U II  dn. 
IX  U XVI  dn. 
XXXVI  dn. 


8l)  Wohl  zu  acks,  ackst,  Achse. 


134 


Albert  Gümbel: 


Item  am  samtztag  noch  Lucie  [=  1 6.  Dezember] 
awf  dem  perg  IV  gesellen,  haben  czu  VI  tagen,  macht  X U XIV  dn. 

Item  XLVIII  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XII  U XXIV  dn. 

Item  den  windenpawmen  abczunemen  maister 
W o 1 1 f a r t 82 ) selb  IV,  yklicher  IV  tag  czu  XV  dn., 
macht  VIII  U. 

Item  am  heyligen  Crist  abend  [=  23.  Dezember] 

IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  czu  V tagen,  macht  VIII  % XXIII  dn. 

Item  XL  stein  czu  VIII  dn.,  macht  X U XX  dn. 

Item  dem  Maister  sein  Goltfasten,  macht  XX  gülden. 

Item  am  samtztag  noch  dem  heyligen  Cristag 
[=  30.  Dezember]  IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy 
haben  czu  II  tagen,  macht  III  % XX  dn. 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  XXIV  dn. 

Item  XVI  stein  czu  VIII  dn.,  macht  IV  U VIII  dn. 

Item  am  Oberst  abend  [=  5.  Januar]  awf  dem 
perg  IV  gesellen,  dy  haben  czu  IV  tagen,  VII  % II  dn. 

Item  XXXII  stein  czu  VIII  dn.,  macht  VIII  U XVI  dn. 
summa  dytz  foly  macht 
LXCII  U XXVI  dn. 
vnd  XX  gülden  lantzwerung. 

Seite  14]  Item  am  samtztag  noch  Obersten 
[=  13.  Januar]  IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben 
czu  VI  tagen,  daz  macht  X V6  XIV  dn. 

Item  XLVIII  stein  czu  VIII  dn.,  macht  XII  W>  IV  dn. 

Item  an  sand  Sebastian  tag  [=  20.  Januar] 

IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  alle  czu  V tagen, 

macht  VIII  U XXIV  dn. 

Item  XL  stein  czu  VIII  dn.,  macht  X U XX  dn. 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht  XLVIII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  lichtmes  [=  3.  Februar] 

IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  czu  V tagen, 

macht  VIII  U XXIII  dn. 

Item  XL  stein  czu  VIII  dn.,  daz  macht  X U XX  dn. 

Item  am  samtztag  Invocavit  [=  10.  Februar] 

IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  czu  V tagen, 

macht  VIII  U XXIV  dn. 

Item  LII  stein  czu  VIII  dn.,  daz  macht  XIII  U XVI  dn. 

8l)  Ein  Wolffhart  wird  in  den  Ämterbüchlein  1442 — 1445  unter  den  geschworenen 
»Zimmermeistern  zum  Feuer«  genannt.  Sein  Vorname  war  nach  Tuchers  Baumeister- 
buch, wo  er  gleichfalls  genannt  wird  (vgl.  die  obengenannte  Ausgabe,  S.  333)  Ulrich. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  135 


Item  am  samtztag  Remiscere  (!)  [=  14.  Februar] 

IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  czu  VI  tagen, 
macht 

Item  XC  stein  czu  VIII  dn.,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht 

summa  dytz  foly  macht 
FXXII  U V dn. 

Seite  15]  Item  am  samtztag  Oculy  [=  24.  Fe- 
bruar] IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haten  czu 
VI  tagen,  daz  macht 

Item  LXXV  stein  czu  VIII  dn.,  macht 
Item  am  samtztag  Letare  [=  2.  März]  IV  ge- 
sellen awf  dem  perg,  haten  czu  VI  tagen,  daz  macht 
Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  am  samtztag  Judica  [—  9.  März]  IV  ge- 
sellen awf  dem  perg,  dy  haben  alle  czu  VI  tagen,  daz 
macht 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg, 

Item  an  dem  Palm  abend  [=  16.  März]  III  ge- 
sellen in  der  hüten,  dy  haben  alle  czu  V tagen,  daz 
macht 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  awch 

V tag, 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  VI  suner  kalk  czu  XXIV  dn.,  macht 
Item  am  Oster  abend  [=  23.  März]  IV  gesellen 
in  der  hüten,  dy  haben  V tag, 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
czu  V tagen, 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht 

summa  dytz  foly  macht 
IIC  vnd  VI  U XX  dn. 
Seite  16]  Item  am  samtztag  noch  Ostern 
[=  30.  März]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  III  tagen,  macht 

Item  awf  dem  perg  IV  gesellen,  awch  czu 
III  tagen, 

Item  XXXVI  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  am  samtztag  noch  Ambrosy  f=  6.  April] 


X U XIV  dn. 
XXIV  U. 
XLVIII  dn. 


XI  U XX  dn. 
XXIP/a  U. 

XI  U XX  dn. 
XXVII  U. 


XI  U XX  dn. 
XXVII  U. 
XLVIII  U . 


X U IX  dn. 

IX  U XXIII  dn. 
XXIP/a  U. 

V U. 

XIII  U XXII  dn. 

IX  U XXIII  dn. 
XXI P/a  U.  • 


VIII  U XII  dn. 

V U XXIX  dn. 
X U XXIV  dn. 


136 


Albert  Gümbel: 


IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg  haben  V tag  IX  'M>  XXIII  dn. 
Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXIl1/*  U . 

Item  am  samtztag  vor  Thiburtzy  [=  13.  April] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 

macht  XVI  U XII  dn. 

Item  II  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  awch. 

VI  tag,  V U VIII  dn. 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXVII  U . 

Item  dem  smid  awf  dem  perg,  XLVIII  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Gorgen  tag  [= 

20.  April]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 

V tagen,  macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  II  gesellen  awf  dem  perg  haben  V tag,  IV  H XXIX  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXII1/*  U. 

Item  am  samtztag  vor  Wallpurgfis]  [=  27.  April] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  II  gesellen  awf  dem  perg  haben  V tag  IV  U XXIX  dn. 
Item  LXXV  stein  czu  IV  dn.,  macht  XXIL/2  % • 

Item  dem  smid  awf  dem  perg  XXXVI  t6 . 

summa  dytz  foly  macht 
IIC  vnd  VII  U IX  dn. 

Seite  17]  Item  am  samtztag  noch  sand  Wall- 
purg[is]  tag  [=  4.  Mai]  IV  gesellen  in  der  hüten, 
dy  haben  czu  III  tagen,  macht 

Item  II  gesellen  awf  dem  perg  haben  awch 
III  tag, 

Item  XLV stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  III  tag  erden  awß  czu  furen 
Item  am  pfingst  abend  [=11.  Mai]  IV  gesellen 
in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 

Item  II  gesellen  awf  dem  perg,  haben  czu 

VI  tagen, 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  dy  hüten  czu  fegen,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg,  macht 
Item  an  der  heyligen  Drifaltikeit  abend  [= 

18.  Mai]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 


VIII  U VII  dn. 
III  U I dn. 

xmy,  U. 

XLII  dn. 

XVI  U XII  dn. 

V U XXII  dn. 
XXVII  U. 

XIV  dn. 

XXIV  dn. 


III  tag,  macht 


VIII  U XII  dn. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  137 


Item  awf  dem  perg  II  gesellen  awf  dem  perg, 
haben  III  tag,  V U XXVI  dn. 

Item  XLV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XVI!/j  U . 

Item  maister  Chunrad  sein  Goltfasten  XX  gülden. 

Item  an  sand  Vrbans  tag  [=  25.  Mai]  IV  ge- 
sellen in  der  hüten,  haben  V tag,  XIII  U XXII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 

V tag,  IX  U XVIII  dn. 

Item  IV  gesellen  II  tag  dy  stein  awß  der  hüten 
czu  furen  III  U XXIII  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXII1/^  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
iy2c  vnd  IV  U III  dn. 
vnd  XX  gülden. 

Seite  iS]  Item  am  samtztag  vor  sand  Eraßmus 
tag  [=  I.  Juni]  V gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
alle  czu  VI  tagen,  macht  XX  U XV  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
czu  VI  tagen,  XI  U XIV  dn. 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXVII83)  U. 

Item  dy  hüten  czu  fegen  XXVIII  dn. 

Item  von  eim  pferd  awf  dem  perg,  erden  czu 
furen  VI  U XVIII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Eraßmus  tag 
[=  8.  Juni]  V gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 
VI  tagen,  macht  XX  U XV  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  XI  U XIV  dn. 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXVII  U . 

Item  an  sand  Veytz  tag  [=  15.  Juni]  V ge- 
sellen in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen  alle,  daz 
macht  XVII  U V dn. 

Item  III  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben  czu 

V tagen,  VII  U VI  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXII1/*  U. 

Item  dy  hüten  czu  fegen,  macht  XXVIII  dn. 

Item  am  samtztag  vor  sand  Johans  tag  czu 
sunbenden  [=  22.  Juni]  IV  gesellen  in  der  hüten, 
dy  haben  czu  VI  tagen,  XVI  U XII  dn. 


*3)  Geschrieben  ist  fälschlich  dn. 


138 


Albert  Gümbel: 


Item  III  gesellen  awf  dem  perg,  dy  haben 
VI  tag, 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg 

summa  dytz  foly  macht 
IIC  vnd  XXVI  U X dn. 
Seite  19]  Item  am  samtztag  sand  Peter  vnd 
Pawl  [=  29.  Juni]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  IV  tagen,  macht 

Item  III  gesellen  awf  dem  perg,  haben  IV  tag, 
Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  am  samtztag  noch  Petry  Pawly  [=  6.  Juli] 
IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht 

Item  II  gesellen  awf  dem  perg,  haben  V tag, 
macht 

Item  dy  hüten  czu  fegen,  macht 
Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  an  sand  Margreten  tag  [=  13.  Juli]  IV  ge- 
sellen in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen,  daz  macht 
Item  II  gesellen  awf  dem  Perg,  haben  awch 
czu  V tagen, 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  an  sand  Maria  Magdalen  tag8-»)  [=  22.  Juli] 
IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 
macht 

Item  III  gesellen  awf  dem  Perg  awch  VI  tag, 
Item  den  kirchof  czu  Rawmen  III  gesellen, 
macht 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 

summa  dytz  foly  macht 
F vnd  LXXI  U XXIV  dn. 
Seite  20]  Item  am  samtztag  noch  sand  Jakob 
tag  [=  27.  Juli]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  IV  tagen,  mach[t] 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  czu 
IV  tagen, 

Item  LX  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  dy  hüten  czu  fegen, 


®4)  Fiel  im  Jahr  1448  auf  einen  Montag. 


VIII  U XXVI  dn. 
XXVII  U 
XXIV  dn. 


XI  U II  dn. 

V U XXIV  dn. 
XVIII  U. 


XIII  U XXII  dn. 

IV  U XXIX  dn. 
XXVIII  dn. 
XXIP/a  U. 

XIII  U XXII  dn 

IV  U XXIX  dn. 

xxny*  U. 


XVI  U XII  dn. 
VIII  U XXIV  dn. 

XLII  dn. 

XXV  P/a  U 


XI  U XII  dn. 

VII  U XXVI  dn. 
XVIII  U 
XLII  dn. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  139 


Item  dem  smid  vmb  allerley  czu  machen  awf 
dem  perg  VI  U XXIV  dn. 

Item  am  samtztag  an  sand  Steffans  tag  [= 

3.  August]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 
V tagen,  macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg  aweh  VI  tag, 
macht  XI  % XX  dn. 

Item  ein  hoffmewrlin  czu  machen  in  sand 
Lorentzen  selhaws  kost  mit  allen  Sachen  VI  XXIV  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXIL/a  U . 

Item  VIMIVC  spiczm,  daz  Ic  czu  X dn.,  vnd 
XXI  aksten  czu  XII  dn.  vnd  XV  Maißeln  czu  III  dn., 
macht  XXXI  U XX  dn. 

Item  an  sand  Lorentzen  abend  [=  9.  August] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  alle  czu  V tagen, 

macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  aweh  V tag,  IX  U XXIII  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn..  macht  XXIL/a  % . 

summa  dytz  foly  macht 
Ic  vnd  LXXV II  U XXII  dn. 

Seite  21]  summa  meins  awß  gebens,  daz  der  paw  macht  mit  allen 
Sachen,  facit  IM  vnd  VCXXXVI  U XXII  dn.  alt,  vnd  LX  guld[en]  lantz- 
werung. 

summa  summarum  alles  einnemens  von  sand  Lorentzen,  sand  Linhart  vnd  vom 
paw  macht  IIMVIII°V  <tb  alt  XXVII1/»  [dn.]86)  vnd  IICXIX  gülden  lantzwer[un]g. 

summa  summarum  der  selben  dreyer  awßgeben  macht  IIMIIIC  vnd  XXV  4J>.  I dn. 
alt  vnd  ICLXI  gülden  n. 

so  ist  man  mir  an  der  nechsten  Rechnung  schuldig  belibenLXXIVVi  gülden  lands- 
werung  vnd  IMIXCXXXI  4b.  alt  XI  dn.,  daz  alles  macht  IVMIICLV  4b.  alt  XII  dn.  vnd 
11°  VII1/»  gülden  landwerung,  alzo  belib  mir  sand  Lorentz  an  dyßer  Rechnung  IIcXCVI4b. 
alt  VI1/»  dn.* *7) 

c. 

Kirchenrechnung  vom  11.  September  1448  bis  5.  Juli 
1449.  Ebenda  Heft  III. 

Seite  1]  Item  waß  ich  han  ein  gen[o]men,  daz  sand  Lorentzen  czu 
steet,  seind  der  nechsten  Rechnung,  dy  ich  det  am  nechsten  Mitwoch  vor 
Exultaciony  (!)  sante  Crucis  [=  II.  September]  yn  dem  XLVIIIC  Jar, 
daz  stet  hernoch  geschriben  . . . 


85)  Korrigiert  aus  VIII  4b.  XXIII  dn. 

86)  Die  4b.  und  dn.  korrig.  aus  VI(?)  und  V1/2. 

*7)  Korrigiert  aus  IMIIIC  vnd  XCIX  4t.  alt  vnd  VI*/j  dn. 


140 


Albert  Gümbel: 


[Es  folgen  auf  Seite  1 und  2 die  einzelnen  Einnahmeposten  an  Geld  und  Getreide. 
Summa  341  Gulden  und  857 l/z  <tb.  alt.] 

Seite  3]  Item  wafi  ich  han  awß  geben,  daz  sand  Loren tzen  czu  steet, 
daz  stet  hernoch  geschriben  . . . 

[Es  folgen  auf  Seite  3 — 6 die  Ausgaben88),  insgesamt  (inkl.  eines  Schuldenrestes 
von  der  vorigen  Rechnung)  1435  4t.  10  dn.  und  122  Gulden  Landeswährung.] 

[Auf  Seite  3 sind  Einnahmen  und  Ausgaben  der  Leonhardskirche  (443  4t.  und  12  fl. 
gegen  167  «tb.  7 dn.)  vorgetragen.] 

Seite  8]  Item  waß  ich  han  ein  gen  [o]  men,  daz  czu 
dem  paw  gehört,  daz  stet  hernoch  geschriben: 

Item  am  ersten  han  ich  ein  gen  [0] men  für  pos 
stein  LX  % alt. 

Item  dy  Geigerin  schiket  an  den  paw  II  gülden. 


88)  Von  diesen  seien  hier  die  für  2 Chorbücher  und  für  die  kleine  Orgel  wieder- 
gegeben: 

Seite  3]  Item  von  czwaien  psalltern,  dy  in  den  kor  ge- 
horn,  für  permet  vnd  do  von  czu  schreyben  vnd  czu  einpinten, 

macht  VIII  gülden  XL  dn. 


Seite  4]  Item  der  Nykolas  Pair,  sand  Lorentzen  Orgenist, 
der  vernewet  vnßer  klein  Orgel  vnd  macht  dor  an  XXI  wochen 
vnd  verczert  alle  wochen  ein  halben  gülden,  macht 
Item  do  von  czu  machen  für  seinen  Ion 
Item  den  czimerleuten  III  tag  czu  Rüsten,  macht 
Item  für  holtz  zu  dem  gerüst 

Item  dem  Orgenist  czu  leykawf  für  Parchant  Czu  einem 


XV,89)  gülden. 
XVIII  gülden. 
LV  dn. 

XX  dn. 


Rock  IV  4k.. 

Item  für  irch9°)  czu  der  Orgeln,  macht  IIP/j  4t. 

Item  für  III  hewt  czu  den  Ploßpelgen,  macht  XII  4t.. 

Item  dem  schuster  von  dem  leder  zu  smiren  III  4L 

Item  für  negel  czu  den  ploßpelgen,  macht  XLVIII  da 

Item  dem  Schreiner  czu  machen,  waß  dor  czu  not  waß,  VII1/*  4t.. 
Item  für  smer  czu  den  Ploßpelgen,  macht  XXXV  dn. 

Item  für  horn  vnd  für  alopatikum9I)  X dn. 

Item  dem  smid  für  hoken  und  kloben  IV  4t. 

Item  für  I 4t.  czin  vnd  wißmat  czu  loten  XLII  dn. 

Item  für  Ic  pley  czu  der  Orgeln  V gülden. 

Item  alle  tag  ein  seydlein  wein,  macht  LXX  mos  czu 
IV  dn.,  IX  4t.  Xdn. 

Item  czu  plasen,  dy  weil  man  stimet  IV  4L 

summa  daz  dy  Orgel  kost 
mit  allen  Sachen  XXXIIIV2  gülden 
vnd  LIV  4t.  X dn. 


89)  Korrektur  aus  XXI. 

9°)  Nach  Schmeller-Frommann:  Reh-  oder  Gemsleder. 

91)  Das  Wort  zu  erklären  ist  mir  nicht  möglich.  Sollte  es  zu  Aloe  hepatica,  eine 
Art  Pflanzengummi  oder  Harz  aus  dem  Safte  der  Aloe  h.,  zu  ziehen  sein  ? 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  j ^ j 


Item  die  Hewßin  schiket  an  den  paw  ein  swartzen 
frawenmantel  vnd  ein  schlair,  ward  pedes  geben  vmb  XVI  U . 

Item  der  Hewßin  man  ein  swartzen  mans 
mantel,  ward  geben  vmb  IV  gülden. 

Item  ward  mir  geben  an  den  paw  enpeintzing  II  gülden. 

Item  pey  dem  heiltum  vnd  awf  der  Taffein 
ist  gefällen  mitsamt  der  lurchweych  vnd  sand  Lo- 
rentzen  tag  IXCXLIII  U XVI*/*. 

[dn.] 

Item  in  den  stocken  in  der  Kirchen  vnd  awf 
dem  lcirchoff  F vnd  IX  U X dn. 

Item  von  der  großen  glocken  Ic  vnd  XIV  gülden, 

summa  dytz  einnemen  von  des  paws 
wegen  macht  MC  vnd  XXVIII  U XXVI*/,  dn. 
vnd  CXXII  gülden  iantzwerung. 

Seite  9]  Item  was  ich  han  awßgeben,  daz  czu  dem 
paw  gehört,  seind  der  nechsten  rechnung,  dy  ich  det 
czu  des  heiligen  Krewtz  tag  Exultacionis  in  dem 
XLVIII  j ar  daz  stet  hernoch  geschriben: 

Item  am  samtztag  noch  des92)  heiligen  Crewtz 
tag  [=  21.  September]  IV  gesellen  in  der  hüten 
haben  VI  tag  czu  XX  dn.,  macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  awf  dem  perg  awch  IV  gesellen,  dy  haben 
czu  VI  tagen  czu  II  g[roß,  Groschen]93)  vnd  irem 
meyster  XV  dn.,  macht  XI  U XX  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  IX  dn.,  macht  XXII1/}  % . 

Item  eim  gesellen  erden  awßczufuren  awß  der 
hüten  XIII  dn. 

Item  dem  Maister  sein  kotember  XX  gülden. 

Item  an  sand  Matheus  abend  [=  20.  September] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 

macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  auf  dem  perg  II  gesellen  auch  V tag, 
macht  IV  U XXIX  dn. 

Item  LXXV  stein  czu  furlon,  macht  XXIF/2  . 

Item  awß  der  hüten  dy  gemachten  stein  czu 
furen,  macht  VII  U XIV  dn. 


92)  Muß  heißen  »an«,  wie  das  folgende  Datum  zeigt. 

93)  Nach  Tücher  (Baumeisterbuch,  a.  a.  0.,  Wortverzeichnis)  wurde  der  Groschen 
zu  7 Pfennigen  gerechnet. 


1^2  Albert  Gümbel: 

Item  dem  smid  awf  dem  perg  XLVIII  dn. 

Item  dy  gesellen  in  der  hüten  verzarten  awf 
dem  perg  XXIII  dn. 

Item  an  sand  Michels  abend  [=  28.  September] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  haben  VI  tag,  XVI  % XII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag,  macht  XI  ^ XX  dn. 

Item  XC  stein,  dy  machen  czu  IX  dn.  XXVII  U . 

Item  am  samtztag  noch  Michahelis  [=5-  Oktober] 

IV  gesellen  in  der  hüten  czu  V tagen  XIII  U XXII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  czu 
VI  tagen,  macht  XI  % XX  dn. 

Item  LXXV  stein  macht  XXII1/^  U . 

Item  ein  deker  selb  drit,  haten  czu  V tagen, 
macht  IX  U XVI  dn. 

summa  dytz  foly  IIC  vnd  XI  % XXVI  dn. 
vnd  XX  guld[en]  lantzwerung. 

Seite  10]  Item  am  samtztag  noch  Dyonisii 
[=  12.  Oktober]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  VI  tag,  macht 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg  haben  awch 
VI  tag 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  der  decker  selb  drit,  haben  czu  III  tagen, 
macht 

Item  am  samtztag  noch  sand  Gallen  tag  [= 

19.  Oktober]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 
VI  tagen,  macht 

Item  VI  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
VI  tag, 

Item  XC  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  IV  taglon,  erden  awß  czu  furen,  macht 
Item  dem  smid  awf  dem  perg 
Item  am  samtztag  vor  Simanis  et  Jude  [= 

26.  Oktober]  IV  gesellen  in  der  hüten,  haben  czu 
VI  tagen  vnd  XV  dn.,  den  tag  czu  XV  dn.,  macht 
Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  den  tag  czu 
XII  dn.,  dem  Maister  XV  dn., 

Item  XXX  stein  czu  IX  dn.,  macht 
Item  dy  steinmitzen  gesellen  verczerten  awf 
dem  perg 

I 


XVI  U XII  dn. 

XIII  U XX  dn. 
XXVII  U. 

V U XVIII  dn. 


XVI  U XII  dn. 

XI  U XX  dn. 
XXVII  U. 

LVI  dn. 

LXIII  dn. 


XII  U XII  dn. 

X U XIV  dn. 
IX  U. 

XXVIII  dn. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  i 


43 


Item  am  samtztag  noch  aller  Heyligen  tag 
[=  2.  November]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  IV  tagen,  macht  VIII  % XII  dn. 

Item  IV  gesellen  awf  dem  perg,  haben  awch 
czu  IV  tagen,  VI  % X dn. 

Item  dem  smid  awf  dem  perg  XXXIV  dn. 

Item  dy  gesellen,  dy  steimitz,  verczerten  awf 
dem  perg  XXXVI  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
PLXXI  U XVI 194)  dn. 

Seite  1 1 ] Item  am  samtztag  vor  sand  Merteins 
tag  [=  9.  November]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy 
haben  czu  VI  tagen,  macht  XII  % XII  dn. 

Item  awf  dem  perg  der  maister  allein  hat 
VI  tag,  macht  III  U II  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Mertens  tag  [= 

16.  November]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 

czu  V95)  tagen,  daz  macht  X U XII  dn. 

Item  awf  dem  Perg  der  Maister,  hat  [czu] 

V tagen,  macht  LXXVII  dn. 

Item  ein  sail,  daz  wigt  IIP  % vnd  kost  daz 
% czu  VIIP/2  dn.  vnd  hat  XXX  klafftern  an  der 
leng,  macht  LXXXV  U 

Item  am  samtztag  vor  sand  Kathrein  tag  [= 

23.  November]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 

czu  VI  tagen,  macht  XII  U XII  dn. 

Item  an  sand  Endres  abend  [=  29.  November] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  IV  tagen  VIII  U XII  dn. 

Item  IX  Eyßen  czu  stechein,  dy  awf  den  perg 
gehorn,  von  eim  czu  XI  dn.,  III  U IX  dn. 

Item  XXI  keylen  czu  swaißen,  von  I ein  dn., 
macht  XXI  dn. 

Item  am  samtztag  an  vnßer  frawen  abend  Con- 
cepcionis  [=  7.  Dezember]  IV  gesellen  in  der  hüten, 
dy  haben  czu  V tagen,  macht  X % XII  dn. 

Item  IIIMIIIC  spitzen,  daz  Ic  czu  X dn.,  vnd 
XIII  Maißel  czu  III  dn.  vnd  XV  aksten  czu  stechein, 
von  der  aksten  XII  dn.,  macht  XVIII  % IX  dn. 


94)  Korrigiert  aus  XIII. 

95)  Korrigiert  aus  IV. 


i44 


Albert  Gtimb el: 


Item  am  samtztag  noch  Lucie  [=  14.  Dezember] 
IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tag,96) 
Item  dem  Maister  für  papir,  macht 
Item  am  sand  Thomas  abend  [=  20.  Dezember] 
IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  V tag, 

Item  Maister  Chunrad  sein  sold,  macht 

summa  dytz  foly  macht 
FLXXXVIII  U VIF/*  dn.98) 
vnd  XX  gülden. 

Seite  12]  Item  am  heiligen  Crist  abend  [= 
24.  Dezember]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  i!  tagen,  daz  macht 

Item  am  samtztag  vor  Obersten  [=  4.  Januar] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht 

Item  am  samtztag  noch  sand  Erhartz  tag  [= 
II.  Januar]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 

V tagen,  macht 

Item  am  samtztag  sand  Priska  tag  [=  18.  Januar] 
IV  gesellen  in  [der]  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 
macht 

Item  am  sand  Pawls  abend  Converßionis 
[—  25.  Januar]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben 
czu  V tagen,  macht 

Item  an  vnßer  lieben  frawen  abend  czu  licht- 
meß  [=  I.  Februar]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy 
haben  czu  VI  tagen,  macht 

Item  an  sand  Appolonia  tag99)  III  gesellen  in 
der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen,  macht 

Item  am  samtztag  noch  Valentiny  [=  15.  Fe- 
bruar] IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 
macht 

Item  an  sand  Peters  abend  Kathedra  [=21.  Fe- 
bruar] IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haten  czu  V tagen, 
macht 


96)  Korrigiert  aus  IV  tagen. 

97)  Korrigiert  aus  XII. 

98)  Korrigiert  aus  FLXXXIII  «>.  XXVIF/*  dn. 

99)  Dies  wäre  ein  Sonntag  (9.  Februar). 


X97)  U XII  dn. 

xvy2  dn. 

X U XII  dn. 
XX  gülden. 

IV  U XII  dn. 

X U XII  dn. 

X U XII  dn. 
XII  U XII  dn. 
X U XII  dn. 

XII  U XII  dn. 

IX  U XII  dn. 

XII  U XII  dn. 

X U XII  dn. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaüs  von  St.  Lorenz  UsW.  14g 


Item  am  samtztag  Invocavit  [=  I.  März] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  IV  tagen 

czu  XX  dn.,  macht  XI  U II  dn. 

Item  am  samtztag  Remuscere  (!)  [=  8.  März] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  meistern  Kunrad  sein  sold,  macht  XX  gülden, 

summa  dytz  foly 
macht  FXVII  Uk 
XII  dn.  vnd  XX  gülden. 

Seite  13]  Item  am  samtztag  Oculi  [=  15.  März] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 

daz  macht  XVI  U XII  dn. 

Item  am  samtztag  Letare  [=  22.  März]  V ge- 
sellen in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen,  daz  macht  XX  U XV  dn. 

Item  II  czimerlewt,  hat  yklicher  czu  III  tagen, 
macht  III  U XXII  dn. 

Item  am  samtztag  Judyca  [=  29.  März]  V ge- 
sellen in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen,  macht  XVI  2#  V dn. 

Item  domit  IV  czimerman,  haben  awch  [czu] 

V tagen,  macht  XII  ’ü  VIII  dn. 

Item  am  Palm  abend  [=  5.  April]  V gesellen 
in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen,  XX  W>  XV  dn. 

Item  domit  IV  czimerlewt,  haben  awch  czu 

VI  tagen,  ...I0°) 

Item  am  Oster  abend  [=  12.  April]  V gesellen 
in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen,  XVII  V dn. 

Item  domit  IV  czimerlewt,  haben  awch  [czu] 

V tagen,  macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  Ostern  [=  19.  April] 

V gesellen  in  der  hüten  czu  III  tagen  * X % XV  dn. 

Item  am  samtztag  nach  dem  heiltum  [=  26.  April] 

V gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  IV  tagen, 

daz  macht  XIII  U XXV  dn. 

Item  am  samtztag  an  des  heiligen  Krewtz  tag 
[=  3.  Mai]  VI  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 
IV  tagen,  macht  XVI  U XVIII  dn. 

Item  VIM  vnd  Vc  spitzen,  vom  Ic  czu  X dn., 
macht  XII  U XI  dn. 

Item  von  Maister  Chunrad  Haws  czu  Czins  VIII  gülden. 

10°)  Es  fehlt  die  Zahl. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


IO 


146 


Albert  Gümbel : 


Item  am  samtztag  noch  sand  Johans  tag  ante 
portam  [=  10.  Mai]  VI  gesellen  in  der  hüten,  dy 
haben  czu  VI  tagen,  mach*  XXIV  M XVIII  dn. 

Item  domit  ein  tagwerker  hat  awch  VI  tag, 
das  mach[t]  II  U XXVI  dn. 

Item  am  samtztag  noch  Pangracy  [=  17.  Mai] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  haben  VI  tag,  XVI  % XII  dn. 

summa  dytz  foly  macht 
IICXVII  U XIX  dn. 
vnd  VIII  gülden. 

Seite  14]  Item  am  samtztag  an101)  sand 
Vrbans  tag  [=  24.  Mai]  IV  gesellen  in  der  hüten, 

dy  haben  czu  V tagen,  macht  XIII102)  U XXII  dn. 

Item  domit  XI  suner  kalk  czu  XXVIII  dn., 
macht  X U XXVI  dn. 

Item  am  heyligen  pfingst  abend  [=  31.  Mai] 

IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  VI  tagen, 

macht  XVI  U XII  dn. 

Item  an  der  heyligen  drifaltikeyt  abend  [= 

7.  Juni]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 

III  tagen,  macht  VIII  ^ XII  dn. 

Item  domit  dem  Maister  Chunrad  sein  Ion  XX  gülden. 

Item  von  VIIIC  spieen,  vom  Ic  czu  XI  dn., 
macht  II  U XXIV  dn. 

Item  an  sand  Veytz  abend  [=  14.  Juni]  IV  ge- 
sellen in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen,  macht  XIII  U XXII  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sand  Veytz  tag  [= 

21.  Juni]  IV  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu 

VI  tagen,  macht  XVI  U XII  dn. 

Item  domit  XIV  suner  kalk,  daz  suner  czu 
XXV  dn.,  XII  U IV  dn. 

Item  V stein  Kurn  pergI03)  czu  V g[roß]  macht  V 2#  XXV  dn. 

Item  am  samtztag  noch  sunbenden  [=  28.  Juni] 

II  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  V tagen, 

macht  VI  U XXVI  dn. 

Item  am  samtztag  noch  visitacionis  Marie  [= 

5.  Juli]  II  gesellen  in  der  hüten,  dy  haben  czu  II  tagen, 

macht  II  U XXVI  dn. 

101 ) Muß  heißen  »vor«,  da  Urbani  auf  einen  Sonntag  fiel. 

IM)  Darunter  mit  schwächerer  Tinte:  XVI  $t).. 

I03)  D.  h.  aus  dem  Kornberger  Steinbruch.  Vgl.  in  der  Einleitung. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  147 

Item  domit  für  Rust  sail  VI  $6 

Item  V czimerman,  dy  haben  czu  V tagen, 
macht  XX  U X dn. 

summa  dytz  foly  macht 
FXXXVI  U XI  dn. 
vnd  XX  gülden. 

summa  meins  awß  geben  ist,  daz  dem  paw  czu 
stet,  dazmachtXcvnd  XLIII«4)  U IR/^5)  d n.  v n d LXXXVIII 
g u 1 d [e  n]  lantz  werung. 

[Es  folgt  noch  eine,  durch  Korrekturen,  Streichungen  und  Einschaltungen  sehr 
unklare  Gesamtabrechnung  über  Einnahmen  und  Ausgaben  von  St.  Lorenz,  St(  Leonhard  und 
und  »von  dem  paw«.  Sie  schließt  mit  einem  Debet  der  Kirchenfabrik  zugunsten  des  Kirchen- 
meisters im  Betrage  von  36  fl.  und  219  <&  15  dn.] 

Beilagen. 

I. 

Der  Rat  der  Stadt  Nürnberg  bittet  die  Stadt 
Rothenburg  0.  T.,  ihmüber  die  Person  und  »Künste« 
des  für  den  Lorenzer  Kirchenbau  in  Aussicht  ge- 
nommenen Werkmeisters,  Meister  Konrads  Parliers, 
Auskunft  zu  erteilen.  1439,  18.  Mai.  (Nürnberger  Briefbücher 
im  K.  Kreisarchive  Nürnberg,  Bd.  13,  S.  328  [b].) 

Der  Stat  zu  Rotemburg. 

L[ieben]  fr[eunde]!  Der  erwirdig  herre,  herr  Conr[at]  Könnhofer, 
lerer  aller  künste  und  pfarrer  bei  uns  zu  sand  Lorentzen,  hat  uns  anbringen 
lassen  und  im  etwas  merklichen  paues  an  ders  [eiben]  sand  Lorentzenkirchen 
fürgenommen,  darumb  denn  er  und  etliche  unser  ratsfr[eund]  mit  meister 
Conr[at]  parlierer,  euerm  Werkmeister,  in  rede  kommen  sein,  bitten  wir 
eur  weishfeit]  mit  fleis,  ir  wellet  uns  zu  lieb  zuvoran  von  seinem  wesen  und 
gelegenh[eit]  und  sunderl[ich]  von  seinen  künsten,  ob  söllicher  merklicher 
paue  mit  im  versorgt  und  ausgerichtet  werden  möcht,  in  guter  freunts[chaft] 
etwas  eigensch[aft]  verschreiben  und  im  (!)  zu  söllichem  paue  bei  uns 
günsticlich  von  euch  körnen  lassen,  eur  gunste  und  füdrung  umb  unsern 
willen  gutwillicl[ich]  tun,  als  etc.  denn,  wo  wir  euer  ersamkeit  lieb  oder 
etc.  datum  feria  Ha  post  ascensionis  domini  [=  18.  Mai  1439]. 

II. 

Der  Nürnberger  Rat  schreibt  an  das  Domkapitel 
(und  den  Rat)  zu  Regensburg,  die  erbetene  Über- 
nahme der  Dombauhütte  daselbst  durch  Konrad 

104)  Korrigiert  aus  XXXVIII. 

105)  Korrigiert  aus  XVIII1/*. 


10 


148 


Albert  Günibel: 


Roritzer,  zurzeit  Werkmeister  des  Chorbaus  von 
St.  Lorenz  in  Nürnberg,  betreffend.  1456,  31.  Juli.  (Brief - 
bücher/  Bd.  26,  S.  191a  und  b.) 

Den  erwird[igen]  hern  Niclasen  von  Kindsperg,  techant,  und  dem 
capitel  des  tumstifts  zu  Regenspurg,  unsern  sundernlieben  herren  und 
gunnern. 

Wirdigen,  sunderlieben  herren  und  gunner!  wir  haben  enphangen 
und  wol  verpönten  euer  schreiben,  uns  itzunt  von  Meister  Conr[at]  Roritzers, 
unsers  Werkmeisters  des  paus  Sant  Laur[entzen]  pfarrkirchen  bey  uns, 
[wegen]  zugesendt,  beger[n]de,  den  seiner  pflichte,  uns  des  paus  halben 
derß  [eiben]  kirchen  getan,  gütlich  ledig  ze  sagen  und  im,  dem  pau  an  dem 
bau  an  dem  thum  bey  euch  zu  Regenspurg  an  stat  seins  vaters  seligen  vorze- 
sein,  ze  vergunnen  etc.  wiewol  wir  nu  etlichen  meistern,  unsern  bürgern, 
die  an  dems [eiben]  baue  stunden  und  arbeiten,  Urlaub  geben  und  den  gemelten 
Meister  Conraten  umb  notdurft  und  zierlicheit  willen  desselben  paus  bestellt 
haben,  sein  auch  dabey  übel  geraten  und  enbern  mugen,  haben  wir  doch 
euer  wirdfen]  zu  gevallen  demßelben  Meister  Conrfat],  der  vorgemelten 
pflicht  unengolten,  vergundt,  das  er  euerm  und  unsern  peuen,  beden,  vorsein 
und  die  verwesen  sull,  mit  sunderm  fleis  pittend,  sollichs  also  von  uns  zu  gevallen 
•ze  nemen  und  im  widerumb  ze  gestatten,  so  wir  in  Vordren  und  unser  not- 
durft heischt,  sich  zu  uns  ze  fügen  und  unserm  vorgemelten  paue  vorzesein. 
das  stet  uns  zu  der  pillicheit  umb  euer  wirdfen]  ze  verdienen],  dat.  sabbato 
post  Jacobi  [==  31.  Juli  1456]. 

Deßgleichen  ze  schreiben  dem  rate  ze  Regens  [purg]  mutatis  mutandis. 

III. 

Derselbe  teilt  der  Stadt  Amberg  auf  deren  Bitte 
mit,  daß  der  Baumeister  der  St.  Lorenzkirche,  acht 
Tage  dorthin  kommen  dürfe.  1446,  I.  Dezember.  (Briefbücher, 
Bd.  18,  S.  113a.) 

Amberg. 

L[ieben]  fr[eunde]!  als  ir  uns  von  eins  merklichen]  paues  wegen, 
der  an  sand  Martinskirchen  bei  euch  angefangen  sey,  verschroben]  und  uns 
umb  den  paumeister  sand  Lorentzenkirchen  bey  uns  gebeten  habt  etc., 
das  haben  wir  wol  vernomen  und  eurer  weish[eit]  zu  lieb  haben  wir  mit 
sand  Lorenczen  pflegern  bey  uns  fleißig  darumb  reden  und  bitten  laßen, 
die  haben  uns  geantwurt  und  zugesagt,  ob  ir  des  begert  und  in  kürtz  nach 
demselben  paumeister  schikt,  so  wellen  sie  im  wol  gönnen  an  8 tag  also 
bey  euch  zu  seyn,  waiß  euch  denn  ders[elb]  paumeister  etwas  guts  zu  raten, 
daran  tut  er  uns  auch  ein  gefallen,  denn  wo  wir  euer  ersamk [eit]  lieb  oder 
etc.  datum  feria  5a  post  Andree  apostoli  [=  I.  Dezember]  (1446). 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  14g 

IV,  a— f. 

Derselbe  schreibt  an  Friedrich  H e i n r i c h s m a n n 
von  Dettwang,  dann  an  Albrecht  und  Georg  von 
Bottendorf  und  Nikolaus  Groß  wegen  einer  von 
ersterem  erhobenen  Anforderung  an  die  Stadt, 
betreffend  die  rückständige  Besoldung  seines  ver- 
storbenen Vaters,  Meister  Konräds,  Werkmeisters 
bei  St.  Lorenzen.  1456,  23.  Februar,  1457,  20.  Juni,  1463  2.  Dezember 
(Briefbücher  Nr.  26,  S.  91b,  27,  S.  126  b — 128  a,  30,  S.  210  b). 

a. 

Fridrichen  Heinrichsmann 
von  Detwanng. 

Lieber  Fridrich!  auf  euer  schreiben,  uns  itzunt  zugesant,  antreffend 
dritthalben  jarsold,  so  man  maister  Conraten  weylant  Werkmeister  bey 
uns  zu  Sannt  Laurentzen,  euerm  vater  seligen,  von  des  baus  wegen  daselbst, 
so  ir  vermeynt,  schuldig  beliben  sein  sol,  haben  wir  die  kirchenmeister  zu 
Sannt  Laurentzen  für  uns  besant  und  sie  ernstlich  darumb  zu  rede  geseczt, 
die  uns  denn  zu  erkennen  geben  haben,  wie  sie  die  register  des  baus  mit 
fleiß  fürhannden  genommen  und  die  besehen  haben  und  vynden  eigentlich, 
das  im  umb  sein  sold  ganz  ausrichtung  und  genügen  gescheen  sey,  also  das 
man  im  nichts  hinterstelligs  schuldig  beliebe,  vermeynende,  das  ir  sollicher 
vordrung  pillich  abstundt.  wie  aber  dem,  wölt  euch  bedunken,  das  ir  die 
kirchenmeister  deshalben  vordrung  und  ansprach  nit  vertragen  möcht,  so 
wollen  wir  euch  oder  euerm  anwalt,  so  das  ungeverlich  begert  wirdt,  frunt- 
lichs  rechten  fürderlich  und  gerne  von  in  helfen;  vermeynt  ir  auch  darumb 
zu  uns  und  unserm  conmunn  eincherley  vordrung  ze  haben,  so  wollen  wir 
euch  auch  fruntlichs  rechten  gerne  pflegen  an  den  enden,  do  wir  des  zu 
pflegen  schuldig  sein  und  meynen,  das  ir  euch  des  von  uns  und  den  unsern 
pillich  genügen  laßt,  wann  wamit  etc.  dat.  ut  supra  [=  feria  secunda  post 
Reminiscere  = 23.  Februar]  (1456). 

b. 

Fridrichen  Heinrichsman 
von  Detwang. 

Lieber  Heinrich  (sic) ! euer  schreiben,  uns  abermals  zugesandt,  solliche 
vordrung  durch  euch,  wiewol  unpillich,  etlichs  euers  vermeinten  veter- 
lichen  ausstands  und  geltschuld  wegen,  von  meister  Conr[at],  etwen  Werk- 
meister bei  uns  zu  S.  Laurfentzen]  sei [ig]  herrurnde,  haben  wir  wol  ver- 
nomen  etc.  und  wann  wir  euch  nun  deßelben  euers  fürnemens  halben  vormals 


Albert  Gtimbel: 


*5° 

in  unsern  Schriften,  am  montag  nach  dem  suntag  Reminiscere  im  56.  jare 
gegeben,  genuglich  erclert  haben,  wie  wir  alsdenn  die  kirchenmeister  zu 
Sannt  Laurentzen  bei  uns  derselben  Sachen  halb  für  uns  besandt  und  sie 
ernstlich  zu  rede  gesetzt,  die  uns  denn  haben  zu  erkennen  geben,  wie  sie 
die  register  des  baus,  alsdenn  euer  genanter  vater  Werkmeister  gewesen  ist, 
furhannd  genomen  und  die  mit  fleiß  ersucht,  besehen  und  eigentlich  erfunden 
haben,  das  dems  [eiben]  maister  Conrfat]  umb  sein  sold  ganz  ausrichtung 
und  genug  gescheen  und  das  man  im  auch  nichts  hinderstelligs  beliben 
sei  etc.,  uns  dabei  erpietend,  ob  ir  darüber  zu  den  kirchenmeisteren  der 
[selben]  ansprach  halben  eincherlei  vordrung  ze  haben  vermeintet,  das  wir 
darumb  euch  oder  euerm  volmechtigen  anwalt,  so  des  ungeverlich  begert 
wurde,  fruntlichs  rechten  furderlich  und  gerne  von  in  helfen  und,  ob  ir 
auch  darüber  uns  und  unser  conmunn  vordrung  und  Spruche  nicht  ver- 
tragen wollt,  euch  auch  fruntlichs  rechten  ze  pflegen  an  den  enden,  do  wir 
des  zu  pflegen  schuldig  sein  etc.,  als  euch  der  gemelt  unser  brief  genuglich 
underrichtung  gibt,  meinen  wir,  das  ir  euch  sollicher  unser  rechtlichen 
erpietung  auch  für  uns  und  die  unsern  on  verrer  ersuchung  pillich  hett 
genügen  laßen  etc.  und  wann  ir  uns  aber  über  sollich  unser  rechtlich  erpietung 
ein  unpillich,  mutwillig  bewarung  zugeschr  [iben]  habt,  die  uns,  all  umbstend 
angesehen,  pillich  befremden,  darumb  begern  wir  mit  ernste,  das  ir  sollich 
euer  furnemen  on  verziehen  abtut,  uns  noch  den  unsern  keines  argen,  scheden 
noch  geverden  wartend  seit,  sunder  euch  von  uns  und  den  unsern  an  recht, 
euch  in  unsern  vorberurten  Schriften  fürgeschlagen,  genügen  laßt,  als  ir 
auch  selbs  des  wol  schuldig  seit,  wa  aber  darüber  uns  oder  den  unsern  ein- 
cherlei scheden  von  euch  oder  euern  wegen  zugezogen  wurden,  musten 
wir  dafür  halten,  als  sie  weren.  dat[um]  ut  supa  [=  feria  secunda  post 
corporis  Christi  = 20.  Juni  (1457)]. 


c. 

Hern  Albrfecht]  von  Bottendorf. 

Edeler,  wolgeborner  lieber  herr  und  fürdrer!  Fridrich  Heinrichsmann, 
zu  Elgenfürt106)  wonhaftig,  hat  im  von  seins  vaters,  meister  Conrats  seligen 
wegen,  der  etwen  an  dem  pau  Sannt  Laurentzen  kirchen  bei  uns  zu  Nurmberg 
Werkmeister  gewesen  ist,  etlichen  vermeinten  ausstenden  solde,  dems  [eiben] 
seinem  vater  zustende,  anrfürend],  vordrung  und  spruch  gen  uns,  wiewol 
unpillich,  fürgenomen,  angesehen,  das  dems  [eiben]  seinem  vater  umb  sein 
Ion  und  solde,  darumb  er  solfche]  Spruch  ereugt,  zu  iglichen  Zeiten  ganz 
genug  und  ausrichtung  gescheen  und  im  nichts  hinderstellig  beliben  ist,  so 


Io6)  Weiter  unten  ist  Ebenfurt  geschrieben.  Es  ist  wohl  Ebenfurth  in  Niederösterreich 
hei  Wiener  Neustadt  gemeint. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  j 5 i 

sich  das  in  redlicher  rechnung  clerlicher  erfindet  und  wiewol  wir  im  nu  darumb 
für  uns  und  die  unsern,  ob  er  uns  sprüch  zu  vertragen  nit  vermeinte,  recht 
und  billigen  austrag  furgeslagen  und  zugeschr  [iben]  haben,  hat  er  uns 
doch  darüber  ein  ungepurlich  bewarung  zugesandt,  daruf  wir  im  aber  recht 
für  uns  und  die  unsern  so  völliclich  gepotten  haben,  das  er  sich  denn  pillich 
genügen  ließ,  als  wir  söllichs  auch  dem  edeln  wolgeboren  hern  Jorgejn  von 
Bottendorf  und,  wie  sich  die  Sachen  verhandelt  und  begeben  hant,  mit 
unsern  Schriften  haben  übersendet  etc.  darumb  wir  euer  edelk[eit]  in  sunderm 
fleiße  und  wolgetruwen  pitten,  ir  wollet  umb  unsern  willen  den  genanten 
hern  Jörgen  fruntlich  bitten,  daran  weisen  und  vermugen,  auch  selbs  darob 
sein,  das  der  genant  Fridrich  söllich  unrechtlich  und  ungepurlich  bewarung 
abtu  und  sich  von  uns  vordem  allerd  [urchlauchtigsten]  fürsten,  unsern 
allergfnedigsten]  herren  . . römischem  keiser,  als  unserm  ordenlichen 
richter,  oder,  ob  im  das  nit  füglich  sein  wolt,  vor  der  dreyer  reichstet  Rotem  - 
bürg,  Windß[heim]  oder  Weißjenburg]  rete  einem,  als  wir  denn  an  dem 
heiligen  reiche  begnadt,  gefreyet  und  herkumen  sein,  und  von  den  unsern 
vor  des  reichs  richter  und  gerichte  bei  uns  an  recht  genügen  laßen,  wann 
wir  im  des  für  uns  und  unser  conmunn  vor  dem  vorgenanten  unsern  aller- 
g[nedigisten]  herren,  dem  ro.  keiser,  zu  pflegen  und  von  den  unsern  vor  des 
[reichs]  richter  vorgemelt,  so  das  ungeverlich  begert  wirdet,  willig  sein 
zu  verhelfen  und  ze  gestatten,  und  wollet  euch  sollichermas  hirinne  be- 
weisen und  erzaigen,  als  etc.  das  wollen  etc.  dat.  ut  supra  [=  Datum  wie 
bei  b]. 

d. 

Niclasen  Groß,  unserm  ratsfrund,  oder  in  seinem  abwesen  Sebalten 
Rotenhan. 

Lieber  Niclas!  wiewol  wir  Fridrich  Heinrichsmann  von  seiner  ver- 
meinten sprüch  und  vordrung  wegen,  durch  in  von  meister  Conrats,  seins 
vaters,  wegen,  etwann  Werkmeister  des  paus  zu  Sannt  Laurentzen  bei  uns, 
furg[enomen],  in  unsern  Schriften  genuglich  zu  erkennen  geben,  das  wir  uf 
erfarung  von  den  kirchenmeisterfn]  daselbst  zu  Sannt  Laurentzen  clerlich 
bericht  sein,  daß  ders[elb]  meister  Conr[at]  seins  soldes  ganz  entricht  und 
im  auch  nichts  hinderstellig  schuldig  belieben  sei,  hat  uns  doch  der  [selbig] 
Fridrich  ein  ungepurlich  bewarung  über  all  unser  rechtlich  erpietung  zu- 
geschr [iben],  darumb  wir  denn  itz[und]  abermals  dems  [eiben]  Fridfrich] 
schreiben,  rechtlichen  austrag  furslahen  und  dem  edlen  hern  Jorgen  von 
Bottendorf,  des  anses  und  inwoner  zu  Ebenfurt  derselb  Fridrich  ist,  schreiben 
und  anlangen,  in  darzu  ze  halten  und  zu  vermugen,  sich  soll[icher]  unser 
rechtpot  für  uns  und  die  unsern  genügen  ze  laßen,  inmaßen  dich  dise  ein- 
gelegten Schriften  desselben  handeis  volliclicher  unaerweisen,  darumb  ist 
unser  meinung,  das  du  bei  dems  [eiben]  von  Bottend  [orf]  fleis  tust  und 


*52 


Albert  Gümbel: 


in  von  unsern  wegen  ersuchst  und  anlangest,  den  sein  also  zu  underrichten, 
sich  von  uns  und  den  unsern  also  an  recht  in  laut  der  gemelten  unser  ein- 
gelegten schritte  on  verrer  foeswerung  und  eintrege  genügen  ze  laßen  als 
du  das  nach  dem  pesten  wol  waist  furzenemen  und  ze  handeln,  das  ist  uns 
von  dir  zu  sunderm  dank  und  wolg[evallen].  dat.  ut  supra  [=  Datum  wie 
bei  b]. 

e. 

Hern  Jorgen  von  Bottendorf  etc. 

Edeler  wolg[eborner]  etc.  besunder  lieber  herr  und  fudrer!  Fridrich 
Heinrichsman,  euer  anses  und  inwoner  zu  Ebenfurt,  hat  im  vordrung  und 
Spruche  von  seins  vaters  wegen,  meister  Conrats,  etwann  Werkmeister  und 
barlierer  des  baus  Sant  Laur [entzenjkirchen  bei  uns  ze  Nur[emberg],  fur- 
genomen,  darumb  [wir]  alsdenn  und  nun  aber  die  kirchenmeister  ders  [eiben] 
kirchen  für  uns  besenndt  haben,  gelegenheit  der  Sachen  an  in  ze  erlernen, 
die  uns  denn  zu  erkennen  geben,  wie  sie  alle  register  und  rechenpucher, 
dens  [eiben]  pau  berurend,  ersucht  und  mit  vleis  übersehen  haben  und  nit 
anders  wißen  noch  vinden,  denn  das  ders[elbig]  meister  Conr[at]  seins  solds 
und  Ions  ganz  ausgericht  und  im  auch  nichts  unbezalts  sollichs  solds  halben 
hinderstellig  beliben  sei,  so  wir  das  dem  [selben]  Fridfrich]  in  unsern  Schriften 
genuglich  erclert  haben,  uns  dabei  erpietend,  ob  er  darüber  zu  den  gemelten 
kirchenmeistern  icht  ze  sprechen  vermeint  zu  haben,  im  oder  seinem  vol- 
mecht[igem]  anwalt  von  dens  [eiben]  kirchenmeistern  fruntlichs  rechten 
furderlich  ze  helfen  und  ob  er  uns  oder  unser  conmunn  ansprach,  auch 
nit  vertragen  möcht,  im  darumb  rechtens  und  austrags  an  den  enden,  da 
wir  des  pflichtig  sein,  ze  pflegen,  so  das  euer  edelkfeit]  dise  eingelegten 
schrif  t zu  erkennen  geben,  und  wann  er  uns  nun  darüber,  wiewol  unpillich 
ein  un[ge]purlich  bewarung  in  laut  der  abschrift,  sollichs  berurend,  zu- 
geschrfiben]  hat,  das  uns,  sollich  unser  rechtlich  erpietung-angesehen,  nit 
unpillich  ser  befrembdet,  bitten  wir  euer  edelkeit  in  sunderm  fleis,  den 
gemelten  euern  anseßen  und  inwoner  zu  underrichten,  sollich  unpillich 
und  unrechtlich  bewarung  abzetun  und  sich  von  uns  an  recht  oder,  ob  er 
uns  anders  deshalben  vordrung  nit  vertragen  möcht,  vor  unserm  aller- 
gfnedigsten]  herren,  dem  ro.  kaiser  etc.,  als  unserm  ordenlichen  richter, 
oder,  ob  im  das  nit  sinnlich  were,  vor  der  dryer  reichstet  Rot[emburg] 
Winds  [heim]  oder  Weissfenburg]  ret  einem,  nachdem  wir  an  dem  heiligem 
reich  begnadt  und  gefreiet  sein,  und  von  den  unsern  vor  des  reichs  richter 
und  gerichte  bei  uns  ze  Nurfemberg]  an  recht  genügen  ze  laßen,  als  wir 
uns  des  kein  zweifei  zu  euer  edelkeit  nemen,  sunder  alles  guten  gentzlich 
versehen,  das  stet  uns  mit  willen  umb  dieselben  euer  edelkeit  zu  verdienen], 
dat.  ut  supra  [Datum  = wie  bei  b]. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  153 

f. 

Friderichen  Heinrichsmann 
von  Dettwanng. 

Lieber  Friderich!  euer  schreiben,  itzundt  an  uns  gelanget  und  am 
sambstag  nach  Symonis  et  Jude  nechtsvergangen  zu  Ebenfurt  gegeben, 
haben  wir  mit  seiner  inhalt  wol  vernomen  und  zweifeln  nit,  unsere  vordere 
schrift,  euch  zugesandt,  haben  euch  wol  underricht,  wie  wir  die  kirchen- 
meister  bei  uns  zu  sandt  Lorenntzen  euer  vermeinten  vordrung  halben 
begagent,  ernstlich  zu  rede  gehalten  und  antwurt  von  in  entphangen  haben, 
auf  meinung,  wie  sie  die  register  des  baus  mit  fleiß  übersehen  und  darmne 
eigentlich  funden  haben,  das  euerem  vater  seligen  umb  sein  sold  ganz  aus- 
richtung  und  genug  gescheen  sei,  und  uns  darbei  erpoten,  ob  ir  solicher 
ir  antwurt  nit  genugig  sein  wolt,  euch  von  denselben  kirchenmeisteren 
rechtens  zu  verhelfen  und,  ob  ir  uns  derhalben  Spruch  auch  zu  vertragen 
nit  vermeintet,  euch  darumb  rechtens  zu  pflegen  an  den  enden,  do  wir  des 
pflichtig  weren  etc.,  miaut  derselben  unser  schrift,  des  wir  uns  auch  noch- 
mals für  uns  und  die  unsern  also  ungeverlich  ze  tun  willig  erbieten  und 
tun  darauf  allen  Unwillen  gen.  euch  gütlich  abe  und  bedurft  euch  derhalben 
keins  argen  zu  uns  versehen,  desgleichen  wir  uns  auch  für  uns  und  die  unsern 
gen  euch  halten  wollen,  soverr  ir  dem  nachkumpt,  s,o  ir  uns  in  laut  euers 
briefs  zugeschriben  habt;  aber  diebriefe,  uns  von  euch  zugeschickt,  euch 
wider  zu  senden,  ist  unser  gewonheit  nit;  das  wollet  also  im  pesten  merken, 
wann  wamit  etc.  dat.  feria  VI.  post  Andree  apostoli  [=  2.  Dezember  ( 1 463 ) ] . 

V. 

Das  Baseler  Konzil  gestattet,  die  Einkünfte 
der  Lorenzer  K i r c h e n f a b r i k auf  IO  Jahre  für  den 
Chorbau  zu  verwenden.  1440,  16.  September  (K.  Kreisarchiv, 
S.  VI  101/2  Nr.  891). 

SacrosanctaI07)  generalis  Synodus  Basilien  [sis] , inspiritu  sancto  legitime 
congregata,  universalem  ecclesiam  representans,  Dilecto  ecclesie  filio  . . 
Abbati  Monasterii  sancti  Egidii  Nurenburgen.  ordinis  sancti  Benedicti, 
Bambergen  [sis]  dio[cesis]  Salutem  et  omnipotentis  dei  ben[edictionem]. 
Qui  divinum  ubilibet  vigere  pariter  et  augeri  cultum  sinceris  zelamus  affec- 
tibus,  non  inmerito  solicitis  invigilamus  studiis  ad  hoc,  ut  ecclesie  queque 
pro  huuismodi  cultu  inibi  a fidelibus  conmodosius  peragendo  nostri  favoris 
presidio  convenienter  valeant  adaptari.  Sane  pro  parte  dilectorum  ecclesie 


I07)  Die  Schreibung  ist  die  des  Originals,  doch  wurde  die  Interpunktion  zum  Zwecke 
leichteren  Verständnisses  vervollständigt. 


*54 


Albert  Glimbel: 


filiorum  Magistrorum  fabrice  parrochialis  ecclesie  sancti  Laurencii  Nuren- 
burgen[sis],  Bambergen  [sis]  dio[cesis],  nobis  exhibita  petitio  continebat 
quod  olim  ipsi,  considerantes  dictam  ecclesiam  non  tante  amplitudinis 
existere,  quod  illius  parrochiani  et  alii  fideles  ad  ipsam  diebus  precipue 
festivis  et  solemnibus  ad  audiendum  divina  confluentes  conmodose  absque 
magna  pressura  recipi  valerent,  extensionem  dicte  ecclesie  opere  magnifico 
et  sumptuoso  pro  choro  novo  euisdem  ecclesie  fecerunt  inchoari. 
Et  sicuti  eadem  petitio  subjungebat,  pro  complimento  operis  huiusmodi, 
ad  quod  maximi  sumptus  requirentur,  fabrice  ipsius  ecclesie  proprie  non 
Suppetunt  facultates  quodque,  si  fructus,  redditus,  proventus  et  obventiones 
universi  prefate  ecclesie,  qui  satis  exuberant,  congrua  ex  eis  dumtaxat 
pro  ipsius  ecclesie  Rectore  porcione  reservata,  eidem  fabrice  ad  decem 
annorum  spacium  appropriarentur  et  applicarentur,  opus  huiusmodi  posset 
deo  annuente  laudabiliter  consummari.  Quare  pro  parte  dictorum  Magistro- 
rum fabrice  nobis  fuit  humiliter  supplicatum,  ut  pro  complemento  operis 
huiusmodi  ad  dei  laudem  et  salutem  populi  fructus,  redditus,  proventus, 
obvenciones  et  emolumenta  predicta,  reservata  ex  eis  congrua  porcione 
pro  Rectore  predicto,  eidem  fabrice  ad  huiusmodi  annorum  spacium  appro- 
priare  et  applicare  dignaremur.  Nos  igitur,  de  premissis  certam  noticiam 
non  habentes,  huiusmodi  supplicacionibus  inclinati,  discrecioni  tue  per  hec 
scripta  mandamus,  quatenus  vocatis  dicto  Rectore  et  aliis,  qui  fuerint  evo- 
candi,  si  est  ita  ipseque  Rector  in  hoc  expresse  consenserit,  congrua  pro  eo 
et  successoribus  suis  dicte  ecclesie  Rectoribus,  qui  interim  forsan  fuerint, 
porcione,  de  qua  conmode  sustentari,  episcopalia  jura  solvere  et  alia  eis 
incumbentia  onera  supportare  valeant,  per  te  super  fructibus,  redditibus, 
proventibus,  obvencionibus  et  emolumentis  dicte  ecclesie  reservata,  totum, 
quod  ex  eis,  porcione  huiusmodi  deducta,  residuum  fuerit,  fabrice  predicte 
ad  huiusmodi  decem  annorum  spacium  auctoritate  nostra  applices  etappro* 
pries  illudque  per  Magistros  fabrice  predictos  interim  annis  singulis  colli- 
gendum  et  in  huiusmodi  complemento  operis  exponendum  fore  eadem 
auctoritate  decernas  faciens  eisdem  Magistris  fabrice  de  universis  fructibus, 
redditibus,  proventibus,  juribus,  obvencionibus  et  emolumentis  predictis 
ad  usum  fabrice  et  complemento  operis  huiusmodi  convertendis,  dicta  ex 
eis  porcione  deducta,  integre  responderi,  Contradictores  per  censuram 
ecclesiasticam  appellacione  postposita  compescendo.  Non  obstante 
si  aliquibus  conmuniter  vel  divisim  a sede  apostolica  sit  indultum, 
quod  interdici,  suspendi  vel  excommunicari  non  possint  per  literas  non 
facientes  plenam  et  expressam  ac  de  verbo  ad  verbum  de  indulot  huius- 
modi mentionem.  Dat.  Basilee  XVI  Kal.  Octobr.  Anno  a nativitate 
domini  Millesimo  quadringentesimo  quadragesimo.  — Orig.  Perg.  mit 
Bleibulle. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw. 

VI. 

Dr.  Konrad  Konhofer  und  das  Konhoferf  enster 
im  Chore  von  St.  Lorenz  zu  Nürnberg lo8). 

Dr.  Konrad  Konhofer  war  als  Sohn  Heinrich  Konhofers  und  seiner 
Ehefrau  Gertrud  (oder  Gerhaus),  einer  geborenen  Hofmann,  zu  Nürnberg 
geboren.  Zu  Prag  erwarb  er  sich  den  Doktorgrad  in  allen  vier  Fakultäten109). 
Er  selbst  nennt  sich  »sacre  theologie  professor,  utriusque  juris  doctor,  artium 
et  medicine  magister«.  1405  ist  er  Generalvikar  des  Bischofs  von  Bamberg 
(Nbg.  Briefb.  I,  52b).  Er  war  Domherr  zu  Passau  und  Regensburg  (seit 
1402),  1424  wurde  er  Propst  des  Kollegiatstifts  U.  L.  Frau  zur  Alten  Kapelle 
in  Regensburg110).  Aus  seinen  Testamenten  von  1429  und  1430  erfahren 
wir,  daß  er  vordem  Pfarrer  zu  »Galkweiß«  (Gailwies  bei  Innsbruck?)  war. 
Wann  er  in  die  Dienste  des  Nürnberger  Rates  trat,  ist  nicht  genau  fest- 
zustellen. Jedenfalls  muß  es  vor  dem  Jahre  1425  gewesen  sein,  denn  in  diesem 
Jahre  entsandte  ihn  die  Stadt  nach  Rom,  um  eine  Bestätigungsbulle  Papst 
Martins  V.  über  die  dauernde  Verwahrung  der  Reichskleinodien  zu  Nürnberg 
auszuwirken,  was  ihm  auch  gelang111).  1431  begleitete  er  König  Sigmund, 
entsprechend  einem  Wunsche  des  letzteren,  auf  Kosten  der  Stadt  nach 
Eger  zu  den  Verhandlungen  mit  den  Hussiten112).  Im  Jahr  1438  wurde  er 
nach  dem  rasch  hintereinander  erfolgten  Tode  Heinrich  Tanndorfers  und 
Dr.  Johanns  von  Ehenheim  durch  einen  mit  Berthold  Deichsler  einge- 
gangenen Tausch  seiner  Pfarrei  Leutershausen,  Pfarrer  bei  St.  Lorenzn3). 
Auf  dem  Baseler  Konzil  war  er  als  Vertreter  Nürnbergs  tätig.  Gelegentlich 
der  Reise  dorthin  dürfte  er  zu  Rothenburg  mit  Meister  Konrad  Heinzeimann 
persönlich  in  Unterhandlung  getreten  sein. 

Um  seine  Vaterstadt  machte  sich  der  wohlhabende  Prälat  durch  eine 
Reihe  von  Schenkungen  und  Stiftungen  wohl  verdient.  So  überließ  er  1443 

108)  Die  hier  gegebenen  biographischen  Angaben  beruhen  auf  meist  noch  unbenutzten 
Urkunden  des  Kreisarchivs  Nürnberg.  Einiges  ist  aus  Würfels  Diptycha  Ecclesiae  Lauren- 
tianae  (Nürnberg,  1756)  und  Waldaus,  Nürnberger  Zion  (Nürnberg,  1787)  entnommen. 
In  bemerkenswerter  Weise  äußert  sich  auch  über  ihn  der  gleichzeitige  Mönch  von  St. 
Aegydien  zu  Nürnberg,  Konrad  Herdegen,  in  seinen  Annalen  (herausgegeben  von  Theodor 
von  Kern,  Erlangen  1874). 

109)  Annalen  des  Konrad  Herdegen,  a.  a.  0.,  S.  13:  ipse  antiquissimus  doctor  Pragae 
ante  eversionem  ibidem  ordinatus,  antequam  Bohemia  erraret,  dum  ibidem  Studium 
vigebat. 

110)  Auch  wird  er  capellanus  papae  und  auditor  causarum  palacii  apostolici  ge- 
nannt. Daß  er  1436  Dommeister  (magister  fabrice)  in  Regensburg  war,  erfahren  wir  aus 
Schuegraf,  Geschichte  des  Domes  zu  Regensburg,  I.  Teil  (Verhandlungen  des  hist.  Vereins 
von  Oberpfalz  und  Regensburg,  Bd.  XI,  S.  174). 

HI)  Chroniken  der  deutschen  Städte,  Bd.  II,  S.  44. 

I12)  Ebenda,  Bd.  I,  S.  381,  Anm.  1. 

”3)  Ebenda  S.  400,  Anm.  i,  und  Beil.  XIII. 


Albert  Gümbel: 


*5« 

dem  Rate  seine  an  theologischen  und  medizinischen  Werken  reiche  Bücherei. 
1.446  machte  er  eine  Stiftung  zur  besseren  Beleuchtung  der  Altäre  bei  St. 
Lorenz,  im  gleichen  Jahre  dotierte  er  zwei  Vikarien  auf  zwei  neuen  Altären 
im  neuerbauten  Chor,  nämlich  des  hl.  Hieronymus  und  der  vier  Kirchenväter, 
südlich  oder  rechts  vom  Hochaltar,  und  des  hl.  Konrad  und  der  14  Not- 
helfer, links  oder  nördlich  vom  Hochaltar,  auch  erkaufte  er  zur  Wohnung 
für  die  Inhaber  dieser  zwei  Pfründen  zwei  Häuser  hinter  der  Lorenzkirche 
von  den  Gotteshauspflegern  daselbst.  Eine  weitere  Stiftung  betraf  drei 
Stipendien  für  Nürnberger  Bürgersöhne. 

Er  verschied  am  St.  Willibaldstag  (7.  Juli)  1452  zu  Regensburg, 
seinem  gewöhnlichen  Wohnsitz,  und  wurde  gemäß  einer  letztwilligen-  Ver- 
fügung nach  Nürnberg  überführt  und  beim  Altar  des  hl.  Hieronymus  be- 
graben1^). 

•Für  Nürnberg  ist  Konhofer,  abgesehen  von  seinen  Verdiensten  um 
den  Lorenzer  Kirchenbau,  in  kunstgeschichtlicher  Beziehung  als  Stifter  des 
bekannten  Konhoferfensters  im  Chor  von  St.  Lorenzir5)  von  Bedeutung. 
Ich  habe  im  30.  Bande  des  Repertoriums,  Seite  64,  Nachtrag  zu  Anm.  3, 
der  Vermutung  Ausdruck  gegeben,  daß  wir  in  diesem  Fenster  ein  Werk 
des  Meisters  Konrad,  Malers  von  Regensburg,  vor  uns  haben.  Es  stützt 
sich  diese  Vermutung  auf  einen  Eintrag  in  das  Einlaufregister  des  Nürnberger 
Rates  vom  Jahre  1453,  nach  welchem  der  Rat  der  Stadt  Regensburg  den 
ersteren  bat,  »Meister  Conrjat]  Maler«  zu  der  Arbeit  zu  St.  Laurentzen, 
den  Chor  zu  verglasen,  zu  fürdern.  Dieser  Bitte  schloß  sich  noch  besonders., 
der  Ratsherr  Erhärt  Reich  an.  Ich  habe  damals  geschlossen,  daß  sich  auch 
hierin  der  Einfluß  Roritzers,  des  Regensburger  Baumeisters,  bemerkbar 
mache.  Nach  meinen  obigen  Ausführungen  möchte  ich  dies  für  die  Zeit 
bis  zum  Tode  Heinzeimanns  nicht  mehr  annehmen,  wohl  aber  hängt  das 
Erscheinen  dieses  »Malers«  in  Nürnberg  mit  einem  anderen  Regensburger, 
eben  unseren  Dr.  Konhofer  bzw.  dessen  Auftrag  zur  Ausführung  eines  Glas- 
fensters  entgegen. 

"4)  Die  Inschrift  seines  bis  zum  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  noch  im  Lorenzer 
Chor  befindlich  gewesenen  Grabsteins  teilt  Murr,  Beschreibung  der  vornehmsten  Merk- 
würdigkeiten in  der  Reichsstadt  Nürnberg  usw.  (Nürnberg,  1801)  auf  S.  127,  Anm.  mit. 
Der  Mönch  von  St.  Ägydien  sagt  a.  a.  O. : obiit  enim  Ratisbonae  et  huc  adductus  est  cum 
magna  sollennitate  et  processione  defunctus  susceptus  et  in  capella  s.  Marthae  prope  sanctam 
Claram  expectatus  et  in  choro  novo  adhuc  non  tecto  ibidem  sepultus. 

Im  K.  Archive  Nürnberg  hinterliegt  eine  Rechnung  über  die  Kosten  des  Transportes 
des  Leichnams  von  Regensburg  nach  Nürnberg,  worin  auffallenderweise  als  sein  Todes- 
tag der  8.  Juli  (St.  Kilianstag)  genannt  wird.  Akten  des  siebenfarb.  Alphabets  (in  Neu- 
ordnung begriffen):  Papiere  aus  dem  Nachlaß  des  Konrad  Kunhofer  zu  Nürnberg  betr. 
Prod.  25. 

”5)  Eine  ausführliche  Beschreibung  bei  Murr,  a.  a.  0. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw.  jgy 

Daß  ein  fremder  Glaser  oder  Maler  etwa  die  Verglasung  des  ganzen, 
neuerbauten  Chors  seitens  der  Kirchenpfleger  von  St.  Lorenz  in  Auftrag 
erhalten  habe  unter  Beiseiteschiebung  des  einheimischen,  leistungsfähigen 
Handwerks,  scheint  gänzlich  ausgeschlossen.  Dafür  hätte  sich  auch  kaum 
der  Regensburger  Rat  oder  ein  einzelner  Ratsherr  mit  Empfehlungsbriefen 
eingesetzt.  Es  mußte  also  ein  bestimmter  künstlerischer  Auftrag  sein, 
der  den  Maler  Konrad  nach  Nürnberg  führte..  Es  kann  nur  das  Konhofer- 
fenster  sein! 

Der  Hergang  war  wohl  dieser,  daß  Propst  Konhofer  in  seinem  zu  Regens- 
burg errichteten,  über  seine  dortige  Hinterlassenschaft  verfügenden  Testament 
die  Vollstrecker  seines  letzten  Willens  mit  der  Herstellung  eines  Glasfensters 
zu  seinem  Gedächtnis  betraute,  welches  Fenster  sodann  in  dem  von  ihm 
so  eifrig  geförderten  neuen  Chorbau  bei  den  von  ihm  gestifteten  Altären 
nahe  seiner  letzten  Ruhestätte  zur  Aufstellung  gelangen  sollte.  Die  Be- 
auftragten wandten  sie  an  einen  einheimischen,  schon  bewährten  Meister, 
der  im  Sommer  des  Jahres  1453  sein  Werk  vollendet  hatte  und  nunmehr 
den  Regensburger  Rat  um  einen  Empfehlungsbrief  bat,  um  das  Fenster 
in  Nürnberg  an  Ort  und  Stelle  zusammensetzen  und  fertigstellen  zu  können. 
Vermutlich  war  Reich  einer  der  Konhoferschen  Testamentsvollstrecker. 

Leider  besitzen  wir  das  Regensburger  Testament  des  Propstes  nicht 
mehr,  während  das  am  27.  März  1452  zu  Nürnberg  abgefaßte  'Testament, 
in  welchem  er  über  seine  Hinterlassenschaft  daselbst  verfügte,  uns  im  Original 
im  K.  Kreisarchiv  Nürnberg116)  noch  erhalten  ist.  . In  diesem  Schriftstück 
erwähnt  er  ausdrücklich  ein  weiteres  Regensburger  Testament  mit  den 
Worten:  Volo  tarnen  quod  testamentum  per  me  Ratispone  de  residuis 
meis  bonis  ibidem  per  me  relictis  [factum],  exceptis  jamdictis  clenodiis, 
maneat  in  vigore  et,  quatenus  in  aliquo  huic  presenti  prejudicare  possit, 
ex  nunc  de  certa.  scientia  revoco  et  anullo. 

Unzweifelhaft  waren  in  diesem  Regensburger  Testamente  die  Be- 
stimmungen über  die  Herstellung  des-  Glasfensters  enthalten,  in  dem  Nürn- 
berger fehlt  jede  Spur  davonIJ7).  Zwar  gedenkt  er  darin  auch  seiner  Pfarr- 
kirche von  St.  Lorenz  (Item  ad  fabricam  sancti  Laurentii  plura  donavi,  sic 
hac  vice  volo,  quod  quinque  magne  ta’pete  de  Braba  n c i a rema- 
neant  aptud  (!)  eam,  sed  monstrancia  deaurata  et  campanelle  vendantur 
cum  cleinodiis),  doch  ist  das  alles.  Auch  in  früheren  Testamenten  nirgends 
eine  Spur  von  jenem  Fenster. 


Il6)  Papiere  aus  dem  Nachlaß  a.  a.  O.  Prod.  38.  Am  21.  April  verliess  er  jurh  letzten- 
mal Nürnberg,  um  sich  nach  Regensburg  zu  begeben.  Ebenda  Prod.  25. 

“7)  Wie  überhaupt  in  allen,  aus  seinem  Nachlaß  stammenden  Schriftstücken  des 
Nürnberger  Archivs. 


15« 


Albert  Glimbel: 


Daß  er  die  Bestimmungen  über  sein  Gedächtnisfenster  in  sein  Regens- 
burger Testament  aufnahm,  mag  wohl  abgesehen  von  irgendwelchen,  für 
uns  nicht  mehr  übersehbaren  finanziellen  Gründen  damit  Zusammenhängen, 
daß  Konhofer  von  vornherein  den  Meister  Konrad  hierfür  ins  Auge  gefaßt 
und  sich  noch  zu  seinen  Lebzeiten  mit  diesem  auch  über  die  künstlerischen 
Grundgedanken  des  Ganzen  verständigt  hatte. 

Ein  Bedenken  ist  freilich  noch  zu  beheben!  Waren  die  Bauarbeiten 
im  Jahre  1453  schon  soweit  fortgeschritten,  daß  eine  Anfertigung  des  Fensters 
möglich  war?  Der  gut  unterrichtete  Mönch  von  St.  Ägydien,  welcher, 
wie  wir  oben  gesehen  haben,  die  Tatsache  der  Überführung  des  Leichnams 
von  Regensburg  nach  Nürnberg  kannte,  teilt  mit,  daß  Konhofer  in  novo 
choro  adhuc  non  tecto  begraben  wurde.  Der  Chor  war  also  noch 
nicht  gedeckt!  Scheint  es  da  wahrscheinlich,  daß  die  Fenster  schon  eingesetzt 
wurden  ? Zufällig  besitzen  wir  aus  einer  Zeit,  in  welcher  der  Chor  noch  nicht 
zu  seiner  vollen  Höhe  geführt  war,  urkundliche  Nachricht  über  die  Anbringung 
eines  Glasfensters.  Am  6.  Mai  1454  war  Berthold  Tücher  gestorben  und 
zu  seinem  Gedächtnis  ließen  seine  Testamentsvollstrecker  ein  »fenster  vnd 
glaßwerck«  im  neuen  Chor  machen118).  Dieses  Fenster  war  im  Jahr  1457 
vollendet  und  eingesetzt  worden,  denn  in  diesem  Jahre  übergaben  die  gleichen 
Exekutoren  den  Kirchenmeistern  von  St.  Lorenz  zu  treuen  Händen  50  Gulden 
mit  der  Abmachung,  daß  diese  Summe  nach  Vollendung  des  Chores  (»auf 
solch  künfftig  tag  vnd  zeit,  so  die  hoch  des  gepews  des  kors  der  benannten 
Lorentzen  pfarrkirchen  volbracht  wurdet«)  zur  Vollendung  des  oberen 
Abschlusses  des  bereits  gemachten  unteren  Fensters  gebraucht  würde  (das 
die  benant  summ  güldein  dienen  und  wartten  sol  zu  dem  öbern  glaßfenster- 
werck  obe  dem  gange  ob  des  benanten  Berchtolds  Tuchers  seligen  y e t z - 
gemachten  fenster  und  glaswerck,  das  dann  die 
benanten  sein  Vormunden  im  czu  seliger  ewiger 
gedechtnüße  gemacht  lassen  habe  n).  Und  zwar  behielten 
sich  die  Vormünder  (=  Vollstrecker  seines  letzten  Willens)  bzw.  deren 
Rechtsnachfolger  vor,  dieses  Glaswerk  selbst  fertigen  zu  lassen. 


Il8)  Die  hier  besprochene  Urkunde  aus  dem  Tucherschen  Familienarchiv  ist  abge- 
druckt in  Chroniken  der  deutschen  Städte,  Bd.  X (Nürnberg,  Bd.  IV),  S.  37/38.  Der 
Herausgeber  (Hegel)  bemerkt  hierzu:  Die  Stiftung,  welche  durch  die  folgende  Urkunde 
uns  bezeugt  wird,  ist  entweder  nicht  zum  Vollzug  gekommen,  oder  die  Glasmalereien, 
von  denen  doch  offenbar  hier  die  Rede  ist,  haben  sich  nicht  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten. 
Nur  das  unterhalb  des  Umgangs  befindliche,  in  vorliegender  Urkunde  als  bereits  vollendet 
erwähnte  Fenster  (es  ist  das  zweite  an  der  Nordseite  des  Chors)  zeigt  noch  jetzt  einigen 
Farbenschmuck.  Doch  gehört  auch  hier  das  Erhaltene  mit  Ausnahme  etwa  des  Wappens 
von  Berthold  Tücher,  unter  welchem  die  seiner  drei  Frauen  stehen,  einer  viel  späteren 
Periode  an. 


Rechnungen  und  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Chorbaus  von  St.  Lorenz  usw. 

Was  nun  im  Jahre  1455  oder  I45ön9)  möglich  war,  mag  wohl  auch 
zwei  oder  drei  Jahre  vorher  keinem  Hindernis  begegnet  sein.  Ohne  solche 
Annahme  hätte  die  Bitte  des  Regensburger  Rates  ja  gar  keinen  Sinn.  Übrigens 
wird  schon  in  unseren  Baurechnungen  vom  Jahre  1445  von  eisernen  Stangen 
und  Eisen  als  »Muster«  in  ein  »glaß  venster«  und  weiter  unten  von  »eyßnen 
negell  czu  den  laten,  als  man  dy  venster  dekt«  gesprochen. 

n9)  Aus  diesemjahre  1455  besitzt  die  Kirche  noch  ein  Hirßfogelfenster.  Es  ist  das 
erste  Fenster  nördlich  im  Chorumgang  und  trägt  die  Inschrift:  Anno  dni.  1456  ward  diß 
fenster  ein  Gesetzt,  hat  gestift  d[eocharus  ?]  Hirßfogel,  dem  got  gnad. 


Die  Heimat  des  Meisters  D.  S. 

Von  Paul  Kristeller. 

Mit  2 Abbildungen. 

Die  Vergleichung  der  beiden  hier  abgebildeten  Holzschnitte  des 
Meisters  D.  S.  und  Johannes  Wechtlins  wird  auf  den  ersten  Blick  erkennen 
lassen,  daß  ein  unmittelbarer  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Dar- 
stellungen bestehen  müsse.  Unter  den  zahlreichen  Illustrationen  der  Ars 
moriendi  steht  diese  Komposition,  in  der  in  geschickter  Weise  die  beiden 
sonst  stets  in  Reihen  von  Bildern  einander  gegenüber  gestellten  Szenen 
des  seligen  und  des  reuelosen  Sterbens  in  eins  verbunden  sind,  so  viel  ich 
weiß,  ganz  allein.  Ebensowenig  wie  über  die  Tatsache,  daß  die  beiden  Dar- 
stellungen in  einem  Abhängigkeitsverhältnis  zueinander  stehen,  kann  man, 
meines  Erachtens,  darüber  im  Zweifel  sein,  welcher  von  beiden  die  Priorität 
zugesprochen  werden  muß. 

Der  Holzschnitt  des  Meisters  D.  S.  ist  ein  Meisterwerk  der  Kompo- 
sition und  der  Formgebung  von  ganz  bedeutender  Wirkung,  wie  es  im  An- 
fänge des  16.  Jahrhunderts  nur  sehr  wenige  deutsche  Künstler  hervorzu- 
bringen  imstande  gewesen  wären.  Ein  Widerspruch  hiergegen  wird  so  wenig 
zu  befürchten  sein  wie  es  nötig  wäre,  auf  die  einzelnen  Vorzüge  der  Kompo- 
sition oder  auf  die  Feinheiten  der  Zeichnung  hinzuweisen.  Wechtlin  hat 
für  seinen  Holzschnitt,  der  seiner  Passionsfolge  angefügt  ist,  das  Werk  des 
D.  S.  als  geschickter  Künstler  mit  einer  gewissen  Selbständigkeit  benutzt. 
Er  hat  die  Gesamtanlage  der  Komposition  gegenseitig  nachgebildet 
und  einzelne  Motive  übernommen,  aber  überall  durch  seine  Abänderungen 
die  Wirkung  des  herrlichen  Blattes  des  D.  S.  wesentlich  abgeschwächt. 
Er  hat  z.  B.  den  dort  diskret  aber  merklich  angegebenen  Gegensatz  der 
verfallenen,  strohgedeckten  Behausung  des  Guten  zu  der  reicheren,  ge- 
dielten Wohnung  des  im  Himmelbett  sterbenden  Bösen  nicht  beachtet 
und  beiden  Räumen  gleich  indifferente  Formen  gegeben.  Die  ruhende 
Gestalt  des  reuig  Sterbenden  hat  er  verhältnismäßig  am  genauesten  nach- 
gebildet,  besonders  die  charakteristische  matte  Wendung  des  Kopfes,  die 
Lage  des  Körpers  und  sogar  die  Anordnung  der  Falten.  Die  ergreifende 
Vereinigung  von  tiefstem  Leiden,  letzter  Mattigkeit  und  frommer  Ergebung 
hat  er  nicht  wiederzugeben  vermocht.  Ihm  hat  auch  das  Verständnis  für 
viele  andere  Feinheiten  seines  Vorbildes  gefehlt.  Er  übersieht,  wie  sich  hier 


Die  Heimat  des  Meisters  D.  $. 


161 

die  mageren  Formen  des  Körpers  unter  der  Bettdecke  abheben;  er  gibt 
leere  Flächen,  wo  jener  kunstvoll  plastische  Formen  fühlbar  zu  machen 
weiß.  Die  mit  so  viel  Temperament  als  Geschick  dramatisch  zusammen- 
geballte Gruppe  des  Teufels  und  des  Mönchs,  die  gewissermaßen  um  den 
bösen  Sterbenden  kämpfen,  hat  er  in  ein  mattes  Nebeneinander  aufgelöst 
und  dabei  noch  die  heftig  abwehrende  Bewegung  des  Kranken  bis  zur 
Undeutlichkeit  abgeschwächt.  Wenn  man  noch  darauf  hingewiesen  hat, 
wie  das  Spiel,  das  der  Teufel  vorn  unter  dem  Bette  mit  dem  betenden 
Geistlichen  treibt,  bei  Wechtlin  an  packender  Wirkung  verloren  hat, 
wie  er  die  lebendig  teilnehmende  Gruppe  der  Madonna  und  des  Engels 
hinter  dem  Bette  in  eine  steife  Reihe  posierender  Heiligen  verwandelt  hat, 
so  darf  man  wohl  sicher  sein,  den  Leser  davon  überzeugt  zu  haben,  daß 
Wechtlin  die  Komposition  des  D.  S.  gekannt  und  in  seiner  Weise  umge- 
staltet hat. 

Aus  diesem  Verhältnis  der  beiden  Todesszenen  des  D.  S.  und  Wecht- 
lins  lassen  sich  einige  nicht  unwichtige  Belehrungen  über  unseren  Meister 
und  seine  mehrfach  betonten  Beziehungen  zu  Wechtlin  gewinnen.  Zunächst 
gibt  Wechtlins  Nachahmung  einen  Terminus  ante  quem  für  die  Kompo- 
sition des  D.  S. 

Das  Todesbild  findet  sich  zuerst  in  der  undatierten  Ausgabe  der 
Wechtlinschen  Passion  die  mit  lateinischem  Texte  unter  dem  Titel: 
»Passio  Jesu  Christi  Salvatoris  Mundi  vario  carminum  genere  F.  Benedicti 
Chelidonii  Musophili  doctissiani  descripta  cum  figuris  artificiosissimis  Joannis 
Vuechtlin«  erschien.  Die  erste  datierte  Ausgabe  der  Folge,  die  aber  das 
Todesbild  nicht  enthält,  wurde  1508  in  Straßburg  von  Knoblouch  unter 
dem  Titel:  »Das  Leben  Jesu  Christi  gezogen  aus  den  vier  Evangelisten« 
mit  deutschem  Texte  von  Johann  Schott  herausgegeben1).  Wahr- 
scheinlich ist  die  lateinische  Ausgabe,  der  14  Holzschnitte  der  deut- 
schen fehlen,  früher  entstanden.  Die  Holzschnitte  müssen  jedenfalls, 
wenigstens  teilweise,  schon  1506  fertiggestellt  gewesen  sein,  weil  einer  von 
ihnen,  die  Auferstehung,  für  die  1506  von  Knoblouch  herausgegebene 
deutsche  Ausgabe  der  mit  Urs  Grafs  Holzschnitten  ausgestatteten  Passion 
des  Ringman  Philesius  Verwendung  gefunden  hat.  Die  Todesszene  des 
Meisters  D.  S.,  die  Wechtlin  in  seiner  Passion  nachgebildet  hat,  ist  also 
höchstwahrscheinlich  vor  1506  entstanden.  Dodgson2)  setzt  das  Blatt  in 
die  Nähe  des  h.  Ambrosius  von  1506,  hat  also  mit  seiner  Datierung  aus 
stilistischen  Gesichtspunkten  das  Richtige  getroffen. 

U S.  Nagler,  Monogrammisten  IV  Nr.  219.  Die  Todesszene  kommt  mit  den  anderen 
Blättern  der  Passion  auch  in  Geilers  Postille  von  1522  vor. 

*)  Jahrbuch  der  K.  preuß.  Kunstsammlungen  1907  pag.  26  Nr.  14  seines  Verzeich- 
nisses. 

1 1 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


IÖ2 


Kristeller: 


Betrachtet  man  unser  Todesbild,  den  ebenfalls  1506  oder  früher  ent- 
standenen h.  Ambrosius  (Dodgson  11)  und  die  Holzschnitte  zu  Olearius’ 
Schrift  »De  fide  concubinarum«  (Dodgson  18 — 27),  die  noch  früher,  vor 
1505  3)>  ausgeführt  worden  sein  müssen,  so  wird  man  sich  kaum  dazu  ent- 
schließen können,  die  Madonna  mit  dem  von  Hieronymus  und  Magdalena 
ihr  empfohlenen  Bischof  von  Basel  (Dodgson  8)  in  den  nach  dem  2 7.  Sep- 


tember 1503  (dem  Datum  des  Prologus)  gedruckten  »Statuta  synodalia 
episcopatus  Basiliensis«  als  eine  Arbeit  des  Meisters  D.  S.  anzuerkennen. 
Man  kann  sich  hier  nicht  aus  der  Verlegenheit  helfen,  mit  der  Annahme, 
daß  der  Holzschnitt  längere  Zeit  vor  dem  Drucke  des  Buches  entstanden 
sei,  denn  Bischof  Christoph  von  Utenheim,  der  die  Statuta  herausgegeben 

3)  Das  Titelbild  ist  schon  in  dem  von  Froschauer  in  Augsburg  1505  herausgegebenen 
Nachdruck  der  Schrift  (Panzer  VI  pag.  134  Nr.  29)  kopiert  worden. 


Die  Heimat  des  Meisters  D.  S. 


163 


hat,  und  der  vor  der  Madonna  kniet,  ist  überhaupt  erst  am  1.  Dezember 
1502  zum  Bischof  von  Basel  gewählt  worden.  Der  Holzschnitt  mit  der 
Madonna  und  das  Wappen,  das  Dodgson  (Nr.  28)  ebenfalls  dem  D.  S.  zu- 


schreibt, können  also  erst  1503  gearbeitet  worden  sein.  Kämmerer  4)  hat 
als  erster  dieses  Blatt  für  unseren  Künstler  in  Anspruch  genommen, 
Dodgson  — allerdings,  wie  es  scheint,  nicht  ganz  ohne  Bedenken  — und 


4)  Sitzungsberichte  der  Kunstgeschichtlichen  Gesellschaft  zu  Berlin  1900  Nr.  V 
pag.  24. 


11* 


Kristeller: 


164 

Koegler  5)  sind  ihm  hierin  gefolgt.  Der  Abstand  zwischen  der  Madonna 
in  den  Statuta  und  den  Holzschnitten  der  Schrift  des  Olearius  oder  gar 
dem  Todesbilde,  die,  wenn  nicht  gleichzeitig,  so  doch  sicher  nur  kurze  Zeit, 
höchstens  2 — 3 Jahre  später  entstanden  sein  können,  scheint  mir  doch  allzu 
groß  zu  sein.  Mit  der  kraftvollen,  selbständigen  Art  des  Meisters  D.  S.  läßt 
sich  diese  ansprechende  aber  schwächliche  und  eckige  Arbeit  überhaupt 
nicht  wohl  vereinigen.  Sie  liegt  tief  unter  seinen  Fähigkeiten.  Noch  dazu 
ist  die  Madonna  eine  bis  in  alle  Einzelheiten  genaue,  gegenseitige  Kopie 
nach  Schongauer  ('B.  28).  Für  einen  geistreichen,  geschickten  Künstler, 
wie  der  D.  S.  es  war,  ist  eine  so  sklavische  Nachahmung  undenkbar.  Mit 
welcher  Freiheit  er  Schongauers  Meisterwerke  zu  benutzen  gewußt  hat, 
zeigt /die  Madonna  in  Erlangen  (Dodgson  7),  die  von  Schongauers  Stich 
(B.  27)  wohl  inspiriert  ist,  ihm  aber  kaum  mehr  als  das  Motiv  der  Stellung 
entlehnt,  sonst  aber  ganz  neue  Formen  und  Gefühlsäußerungen  in  voller 
Selbständigkeit  aus  ihm  entwickelt. 

Überhaupt  scheint  es  mir  angezeigt,  dringend  zur  Vorsicht  bei  der 
Zuschreibung  von  Holzschnitten  an  den  D.  S.  zu  mahnen.  In  der  hohen 
Schätzung  seiner  Kunst  ist  man  doch  so  einig,  daß  nur  das  Allerbeste  als 
gut  genug  für  ihn  angesehen  werden  sollte.  Koegler,  der  das  Werk  des  D.  S. 
durch  einige  sehr  überzeugende  Zuschreibungen,  z.  B.  durch  die  des  Wappen- 
blattes in  Etterlyns  Chronik5 6 7),  der  Badeszene  und  des  Astrologen  in  Reischs 
Margerita  philosophica,  bereichert  hat,  scheint  mir  dagegen  sowohl  die  beiden 
kleineren  Schlachtenbilder  in  Etterlyns  Chronik  als  auch  besonders  die 
Schlacht  bei  Dorneck  von  1499  (Berlin,  K.  Kupferstichkabinett)  nicht 
mit  Recht  in  diesen  engen  Kreis  hineingezogen  zu  haben.  Ich  glaube  nicht 
einmal,  daß  die  beiden  Illustrationen  der  Chronik  notwendigerweise  von 
derselben  Hand  herrühren  müssen  wie  die  Schlacht  bei  Dorneck.  Jene 
haben  allerdings  einige  Verwandtschaft  mit  dem  D.  S.  Ihr  Zeichner  ist 
offenbar  einer  der  gewiß  nicht  vereinzelten  Künstler,  die  von  dem  Meister 
D.  S.  zu  lernen  und  ihn  nachzuahmen  suchten.  Die  Schlacht  bei  Dorneck, 
die  wir  wohl  demselben  Künstler  verdanken  wie  die  — von  Koegler  konse- 
quenterweise ebenfalls  dem  D.  S.  zugeschriebenen  — Bilder  in  Schradins 
Chronik  des  Krieges  gegen  den  schwäbischen  Bund  von  1500  7),  zeigt,  wenn 
sie  sich  auch  über  den  Durchschnitt  erhebt,  doch  noch  durchaus  den  ge- 

5)  Anzeiger  für  Schweizerische  Altertumskunde.  N.  F.  IX  (1907)  pag.  226. 

6)  Mayor,  Urs  Graf,  Straßburg  1907,  pag.  7,  weist  den  Holzschnitt  irrtümlich  Urs 
Graf  zu. 

7)  » CRonigk  diß  Kiergs  (!)  gegen  dem  (!)  allerdurchlüch / tigisten  hern  Romschen 
»König  als  ertzrhertzo  / gen  zu  Osterich  und  dem  schwebyschen  pundt/.  . . .<• 
»Gedrugkt  vnd  vollendet  Inn  der  Löblichen  / stalt  Surse  Im  Ergow  vf  Zuestag  vor/  sant 
» Anthengen  tag  Im  XVC.  Jar.  « 8°  Hain  14  526.  Weller  173.  (Berlin.  Kgl.  Bibi.) 


Die  Heimat  des  Meisters  D.  S. 


^5 

wohnten  Landkartenstil  der  alten  Buchillustratoren  vom  Handwerk,  ihre 
routinierte  und  schematisierende  Arbeit  ohne  Frische  und  Geist,  ihre 
typischen,  häufig  wiederholten  Bewegungen  der  Menschen  und  Pferde. 
Der  Stil  der  Zeichnung  und  die  Technik  des  Schnittes  scheint  mir  auf  Straß- 
burg hinzuweisen,  wo  der  geschickte  Künstler  in  einer  der  dortigen  Offizinen 
sich  ausgebildet  haben  mag.  Die  Buchstaben  auf  der  Fahne,  die  Koegler 
als  Bezeichnung  des  Meisters  D.  S.  auffaßt,  sind  deutlich  als  S.  G.  erkennbar 
und  brauchen  sich  auch  gar  nicht  auf  den  Zeichner  oder  den  Holzschneider 
des  Blattes  zu  beziehen. 

Auch  in  dem  hübschen  Titelholzschnitte  von  Balthasser  Prasbergs 
Choralis  musice  interpretatio,  die  1501  in  Basel  von  Michael  Furter  gedruckt 
worden  ist  (Berlin,  Kunstgewerbemuseum),  wird  es  mir  schwer,  den  per- 
sönlichen Stil  des  D.  S.  zu  entdecken.  Den  Illustrationen  der  Oleariusschen 
Schrift  gegenüber,  die  ja  nicht  viel  später  entstanden  sein  werden,  ist  das 
Bildchen  in  Prasberg  doch  sehr  steif  und  hart.  Den  Gesichtern  und  den 
Bewegungen  fehlt  das  Leben,  den  Händen  und  den  Haaren  die  Fülle  und 
Rundung,  die  jene  auszeichnen.  Wie  bei  der  Madonna  in  den  Statuta 
synodalia,  mit  der  das  Blatt  in  Prasberg  übrigens  wenig  Verwandtschaft 
hat,  ist  der  Unterschied  in  der  Qualität  gegenüber  den  frühesten  sicheren 
Arbeiten  des  D.  S.  zu  groß,  um  durch  einen  so  kurzen  Zeitabstand  erklärt 
werden  zu  können. 

Kämmerer,  Dodgson  und  Koegler  haben  die  Verwandtschaft  des 
Meisters  D.  S.  mit  Wechtlin  hervorgehoben,  ohne  sich  indes  deutlicher  dar- 
über auszusprechen,  in  welchem  Verhältnisse  ihrer  Meinung  nach  die  beiden 
zueinander  gestanden  haben.  Wenn  Dodgson  diese  Beziehungen  des  D.  S. 
zu  Wechtlin  als  ein  Argument  für  die  oberrheinische  Herkunft  unseres 
Meisters  aufführt,  so  muß  er  sich  wohl  den  D.  S.  als  von  Wechtlin  abhängig 
gedacht  haben,  da  im  umgekehrten  Falle  seine  Schlußfolgerung  keine  Be- 
rechtigung und  keine  Beweiskraft  hätte.  Die  Vergleichung  der  beiden 
Todesbilder  lehrte  nun  aber,  wie  wir  gesehen  haben,  daß  nicht  etwa  der 
Meister  D.  S.  Wechtlins  Schüler  gewesen  sein  könne,  sondern  daß  vielmehr 
der  Straßburger  aus  den  Werken  des  talentvollen  Mannes  Anregung  und 
Belehrung  geschöpft  haben  muß.  In  den  schwächlichen,  von  Dürer  ab- 
hängigen Holzschnitten  der  Wechtlinschen  Passion  lassen  die  Gestalten, 
die  in  ihrem  Charakter  den  Stil  des  D.  S.  zur  Schau  tragen,  ihre  Überlegenheit 
über  dem,  was  Wechtlins  künstlerisches  Eigentum  zu  sein  scheint,  deutlich 
erkennen.  Sie  treten  wie  Fremde  unter  den  Figuren  der  Passion  auf.  Man 
betrachte  z.  B.  den  Kopf  des  schlafenden  Jüngers  im  Ölberg,  den  Henker 
in  der  Geißelung,  den  Mann  rechts  mit  dem  Schwerte  im  Ecce  Homo,  den 
Mann  zur  Rechten  in  der  Kreuzigung,  endlich  vor  allem  das  Sterbebild, 
für  das  sich  das  Vorbild  unter  den  Holzschnitten  des  D.  S.  noch  nachweisen 


i66 


Kristeller: 


läßt,  und  man  wird,  denke  ich,  sogleich  erkennen,  daß  diese  Elemente, 
die  auf  den  D.  S.  zurückzuführen  sind,  sich  als  starke,  fremdklingende  Ak- 
zente in  dem  sonst  eintönigen  und  nicht  gerade  hochgestimmten  Vortrage 
der  Wechtlinschen  Passion  deutlich  abheben.  Sie  fallen  um  so  stärker  auf, 
als  Wechtlin  im  wesentlichen  sich  in  der  dem  Meister  D.  S.  ganz  fern- 
stehenden Dürerschen  Formenw'elt  bewegt 8). 

Diese  Feststellung  ist  nicht  ganz  ohne  Wichtigkeit.  Der  Meister  D.  S. 
erscheint  Wechtlin  gegenüber  als  die  ungleich  reifere,  selbständigere  und 
gefestigtere  Künstlerpersönlichkeit,  nicht  nur  ihm  an  Potenz  weit  über- 
legen, sondern  auch  altertümlicher,  trotz  seiner  Freiheit  quattrocentisti- 
scher.  Wie  Wechtlin  haben  auch  Urs  Graf  und  andere  Holzschneider,  deren 
Namen  wir  nicht  kennen,  sich  an  den  Werken  des  großen  Unbekannten 
gebildet  oder  seinen  persönlichen  Einfluß  erfahren.  Für  die  Frage  der  künst- 
lerischen Abstammung  des  D.  S.  sind  diese  Beziehungen  zu  Schweizer  und 
oberrheinischen  Künstlern  aber  ohne  Belang.  Man  darf  aus  ihnen  nicht, 
wie  das  geschehen  ist,  einen  Schluß  auf  seine  Schweizer  Herkunft  ziehen. 
Daß  Urs  Graf  erst  spät,  nachdem  er  in  Straßburg  seine  Schule  durchge- 
macht hatte,  unter  den  Einfluß  des  Meisters  D.  S.  kam,  läßt  sogar  ver- 
muten, daß  dieser  zur  Zeit,  als  Urs  Graf  in  der  Schweiz  Lehrling  war,  also 
um  1500,  noch  nicht  dort  ansässig  gewesen  sei. 

Dodgson  hat  die  verschiedenen  Ansichten  über  die  Heimat  des 
Meisters  D.  S.  zusammengestellt  und  als  seine  eigene  Überzeugung  aus- 
gesprochen, daß  unser  Meister  in  Basel,  wo  er  höchstwahrscheinlich  tätig 
gewesen  ist,  bodenständig  gewesen  sei.  Dabei  betont  Dodgson  selber  ganz 
mit  Recht,  daß  der  D.  S.  von  den  Baseler  Illustrationen  des  Ritters  von 
Turn  und  des  Narrenschiffes  durchaus  unabhängig  sei.  Das  müßte,  wenn 
D.  S.  Basler  war,  denn  doch  Verwunderung  erregen.  Nun  herrscht  aller- 
dings, mögen  die  Ansichten  auch  sonst  noch  so  sehr  auseinandergehen, 
darüber  kein  Zweifel,  daß  jene  Holzschnitte  nicht  Arbeiten  eines  Baseler, 
sondern  eines  fremden  Künstlers  seien.  Die  Baseler  Illustrationskunst  verdankt 
ihren  plötzlichen  Aufschwung  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  ohne  Frage 
dem  Eingreifen  einer  fremden  künstlerischen  Kraft.  Auch  die  reizvollen 
Umrahmungen  in  dem  1492  gedruckten  Buche  »das  andechtig  zitglögglyn«9), 
eines  der  wenigen  künstlerischen  Werke  der  Baseler  Buchillustration  vor 
dem  Ritter  von  Turn,  sind  nicht  Baseler  Arbeit.  Sie  stimmen  in  ihrem  Stil 
ganz  genau  mit  den  von  Straßburger  Druckern  seit  etwa  1480  benutzten 
Leisten  überein.  Welches  .sind  dann  nun  aber  die  Baseler  Werke  der  Plastik, 
der  Malerei  oder  der  Graphik,  aus  denen  die  Kunst  des  Meisters  D.  S., 

8)  In  der  Verkündigung  ist  die  Gruppe  der  oben  schwebenden  Engel  sogar  teil- 
weise direkt  nach  derjenigen  in  der  Geburt  Christi  in  Dürers  Marienleben  (B.  85)  kopiert. 

9)  Weisbach,  Baseler  Buchillustration.  Straßburg  1896.  Nr.  31,  pag.  21. 


Die  Heimat  des^Meisters  D.  S. 


167 

wenn  sie  Baseler  Ursprungs  war,  hätte  erwachsen  können?  Sie  müßte  man 
zuerst  aufweisen,  wenn  man  die  Herkunft  unseres  Meisters  aus  Basel  glaub- 
haft machen  will  I0).  Die  Erfahrung  lehrt  aber,  daß  nur  in  den  großen  Mittel- 
punkten der  Kultur  und  der  Kunstübung  bedeutende  Künstler  sich  bilden 
können,  daß  sich  die  Graphik  immer  nur  im  engsten  Zusammenhänge  mit 
der  monumentalen  Kunst  entwickelt.  Es  ist  sicher  kein  Zufall,  daß  die 
ersten  individuell  künstlerischen  Leistungen  des  deutschen  Holzschnittes 
in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  uns  in  Ulm,  der  vornehmsten 
Pflegestätte  der  Plastik  und  der  Malerei  in  Schwaben,  begegnen.  Hier 
wird  man  diesen  blühenden  Zweig  der  Kunst  nicht  als  ein  Propfreis,  sondern 
als  aus  dem  kräftigen  Stamme  selber  erwachsen  ansehen  dürfen. 

Zu  Dürer  steht  der  Meister  D.  S.  anerkanntermaßen  in  keiner  Be- 
ziehung. Ich  kann  aber  ebensowenig  eine  Verwandtschaft  seiner  Kunst  mit 
der  Grünewalds  entdecken  und  deshalb  auch  in  dem  von  Rieffel  n)  ihm 
zugeschriebenen  Aschaffenburger  Gemälden  keine  Ähnlichkeit  mit  den 
Holzschnitten  unseres  Künstlers  wahrnehmen.  Er  kommt  in  der  Wucht 
seiner  Motive  und  in  der  Unmittelbarkeit  seiner  bildnerischen  Vorstellungen 
dem  großen  Maler  wohl  oft  nahe,  bleibt  ihm  aber  in  seinem  Temperament 
und  in  seiner  Ausdrucksweise  ganz  fern.  Will  man  Gemälde  finden,  die  vom 
Meister  D.  S.  geschaffen  sein  könnten,  so  muß  man  doch  wohl  nach  Kon- 
zeptionen höherer  Potenz  suchen,  als  sie  z.  B.  die  ihm  von  Koegler  IZ)  zu- 
geschriebene Kreuzigung  des  Züricher  Landesmuseums  aufweist.  Mir  scheint, 
daß  auch  diese  Hypothese  der  Kritik  nicht  standhalten  wertie.  Ich  wenig- 
stens habe  mich  von  den  von  Koegler  bemerkten  stilistischen  und  gegen- 
ständlichen Übereinstimmungen  jenes  Gemäldes  mit  den  Holzschnitten 
des  D.  S.  nicht  überzeugen  können.  Offenbar  hat  die  Tätigkeit  des  D.  S. 
in  Basel  oder  für  Baseler  Drucker  und  seine  Beziehungen  zu  Schongauer 
die  Suchenden  auf  eine  falsche  Fährte  geführt. 

Ich  glaube,  wir  müssen  den  Rhein  verlassen  und  uns  nach  Schwaben, 
insbesondere  nach  Augsburg  wenden,  wenn  wir  die  künstlerische  Heimat 
unseres  Meisters  aufsuchen  wollen.  Dodgson  findet  es  unbegreiflich,  daß 
ich  den  Meister  D.  S.  Burgkmair  und  Breu  an  die  Seite  gestellt  und  zu 

I0)  Koegler  stellt  allerdings  im  »Repertorium«  XXX  (1907)  pag.  203  den  Nach- 
weis in  Aussicht,  daß  eine  Reihe  von  Holzschnitten,  die  man  dem  Meister  der  Bergmann- 
schen  Offizin  (oder  dem,  den  man  dafür  hält)  zuweist,  besonders  das  Bildnis  Brants  in  dessen 
»Varia  Carmina«  von  1498,  Arbeiten  einer  besonderen,  einheimischen  Baseler  Schule  seien. 
Ich  kann  mir  aber  nicht  gut  vorstellen,  wie  ihm  das  gelingen  sollte.  Von  einem  eigenen, 
autochthonen  Baseler  Stil  kann  weder  in  der  monumentalen  Kunst  noch  in  der  Graphik 
die  Rede  sein.  Konrad  Witz  ist  aus  Rottweil,  Hans  Holbein  aus  Augsburg  zugewandert. 
Sie  haben  in  Basel  wohl  Schüler  gebildet,  aber  keine  Schule  im  eigentlichen  Sinne. 

“)  Kunstchronik.  N.  F.  XIX  (1908)  pag.  321  ff. 

n)  Anzeiger  für  Schweizerische  Altertumskunde.  N.  F.  IX  (i9°7)  PaS>  3r4  T 


i68 


Kristeller: 


den  Augsburgern  gerechnet  habe  x3).  Dornhöffer  hat  dagegen,  wie  ich  nach- 
träglich gesehen  habe,  die  Beziehungen  der  Holzschnitte  in  »De  fide  con- 
cubinarum«  zu  Burgkmairs  frühen  Arbeiten  bestimmt  hervorgehoben *  *4) ; 
wie  mir  scheint,  mit  vollem  Rechte.  Hier  kann  man  nun  aber  nicht,  wie 
bei  Wechtlin,  von  Entlehnungen  und  von  einem  Abhängigkeitsverhältnis 
des  einen  vom  andern  sprechen,  hier  handelt  es  sich  vielmehr  um  eine  innere 
Stil  Verwandtschaft,  die  auf  Stammesgemeinschaft  und  auf  gleicher  künst- 
lerischer Erziehung  beruht. 

Von  Burgkmairs  Anfängen  ist  kaum  mehr  bekannt  als  von  denen  des 
Meisters  D.  S.  Als  seine  früheste  bekannte  Arbeit  hat  Dornhöffer  die  Madonna 
mit  den  Heiligen  von  Constanz  in  dem  1499  in  Augsburg  von  Radtolt  ge- 
druckten Constanzer  Missale  nachgewiesen,  ein  Werk,  das  schon  ganz  den 
persönlichen  Stil  des  Augsburger  Meisters  zur  Schau  trägt.  Daß  dieses 
Blatt  nicht  die  erste  Holzschnittzeichnung  des  1473  geborenen  Künstlers 
gewesen  sei,  darf  wohl  mit  Sicherheit  angenommen  werden.  Dornhöffer 
folgt,  wie  mir  scheint,  einer  ganz  richtigen  Empfindung,  wenn  er  geneigt 
ist,  einige  Holzschnitte  in  Augsburger  Drucken  der  90er  Jahre  als  Jugend - 
werke  Burgkmairs  anzusehen.  Besonders  zutreffend  ist  diese  Vermutung 
für  den  prächtigen,  von  Dornhöffer  erwähnten  Farbenholzschnitt,  die  drei 
Heiligen  Stephanus,  Valentinus  und  Maximilianus,  in  dem  von  Radtolt 
in  Augsburg  am  21.  Januar  1494  gedruckten  Missale  Pataviense  (Berlin, 
Kupferstichkabinett)  x5).  In  der  Zeichnung  der  ausdrucksvollen  Gesichter 
und  der  Hände  und  sogar  in  einzelnen  Details  der  Faltengebung  scheint 
mir  Burgkmairs  eigene  Art  aus  den  sonst  noch  steifen  und  schematischen 
Formen  der  traditionellen  Augsburger  Holzschnittmanier  matt  aber  deut- 
lich hervorzuschimmern.  Der  junge  Künstler  kann  hier  freilich  seine  Eigen- 
art dem  routinierten  Holzschneider  gegenüber  noch  nicht  so  energisch  zur 
Geltung  bringen  wie  in  seinen  späteren  Arbeiten  für  den  Holzschnitt.  Den 
gewöhnlichen  Augsburger  Buchillustrationen  gegenüber  bezeichnet  dieses 
Blatt  des  Missale  Pataviense  von  1494  unbedingt  einen  so  großen  Fortschritt, 
daß  er  eine  besonders  aufmerksame  Betrachtung  verdient. 

Burgkmair  muß  jedenfalls  in  den  neunziger  Jahren  bereits  selbständig 
gearbeitet  haben  und  um  1500  schon  ein  reifer  Künstler  gewesen  sein.  Der 
Meister  D.  S.  tritt  uns  in  den  frühesten  Arbeiten,  die  wir  von  ihm  kennen, 
ebenfalls  schon  als  fertiger,  sicherer  Künstler  entgegen.  Wir  wissen  nicht, 
wann  er  geboren  ist,  und  in  welchem  Verhältnis  er  zu  Burgkmair  gestanden 
habe.  Wahrscheinlich  sind  sie  ungefähr  gleichaltrig  gewesen  und  haben 

*3)  Kupferstich  und  Holzschnitt  in  vier  Jahrhunderten.  Berlin  1905.  pag.  218. 

*4)  Beiträge  zur  Kunstgeschichte,  Franz  Wickhoff  gewidmet.  Wien  1903,  pag.  119. 

*5)  Lippmann,  Kupferstiche  und  Holzschnitte  alter  Meister  in  Nachbildungen  X,  49, 
nach  dem  Missale  von  1498. 


■ 


Die  Heimat  des  Meisters  D.  S. 


169 


beide  bestimmende  Eindrücke  durch  Martin  Schongauer  und  seine  Werke 
empfangen. 

So  selbständige  und  bedeutende  Künstler  können,  zumal  in  ihren 
reifen  Werken,  ihre  Verwandtschaft  nicht  durch  die  Übereinstimmung  ein- 
zelner Formen  aufweisen,  sondern  nur  durch  die  Gemeinsamkeit  der  Formen- 
grundlagen und  der  poetischen  Stimmung.  Hierin  liegen  aber  die  Be- 
ziehungen, wie  mir  scheint,  deutlich  zutage.  Der  Meister  D.  S.  zeigt  in  seinen 
sonst  sehr  robusten  und  individuellen  Gesichtern  dieselbe  empfindungs- 
volle Weichheit  des  Ausdruckes  wie  Burgkmair,  bei  aller  Kraft  viel  Eleganz 
und  Zierlichkeit  der  Bewegungen,  geschmeidige  Rundung  in  der  Form- 
bildung. Manche  seiner  Typen,  besonders  der  Kinder,  erinnern  an  des  alten 
Holbein  Zeichnungen.  Auch  in  Burgkmairs  Werk  mangelt  es  nicht  an 
Gesichtsbildungen,  die  bei  aller  individueller  Verschiedenheit  viele  Züge 
mit  denen  des  D.  S.  gemeinsam  haben.  Selbst  in  der  Zeichnung  der  in 
lockigen  Strähnen  reich  herabfließenden  Haare  kommt  das  gleiche  Formen - 
gefühl  zur  Geltung.  Besonders  wichtig  ist  die  Gewandbehandlung.  Burgk- 
mair ist  weichlicher  und  kleinlicher,  weniger  individuell  als  der  Meister 
D.  S.,  aber  der  Rhythmus  des  Faltenwurfes,  die  Tendenz,  große  Massen  und 
breite  Flächen  zu  bilden,  den  Stoff  den  Gliedern  sich  anschmiegen  zu  lassen, 
ihn  vom  Schwergewicht  und  von  den  Bewegungen  des  Körpers  gezogen 
erscheinen  zu  lassen,  sind  bei  beiden  dieselben. 

Man  vergleiche  diese  in  großen  Massen  angeordneten,  weichgeschwun- 
genen Faltenzüge  des  Meisters  D.  S.  mit  dem  brüchigen  Faltengekräusel 
der  Nürnberger  Meister  der  Malerei  und  der  Plastik.  So  große,  gewölbte 
Flächen,  so  energische  Biegungen,  so  tiefe  Einsenkungen,  so  stark  aus- 
ladende Rundung  der  Umrisse  findet  man  dort  nie  und  auch  sonst  um  jene 
Zeit  nirgends  als  in  den  Werken  der  Schwäbischen  Schule.  Man  kann  diese 
Art  der  Gewandmodellierung  auch  in  den  Skulpturen  Augsburger  Meister 
beobachten.  Als  Beispiele  mögen  einige  Monumente  des  Augsburger  Domes, 
auf  die  mich  Wilhelm  Vöge  aufmerksam  gemacht  hat,  angeführt  werden: 
Das  Grabmal  des  Lorenz  Felman  von  1497,  das  des  Christoph  von  Knoring 
(t  U01),  des  Konrad  Morlin  (vor  1510)  und  des  Grafen  Friedrich  von  Zollern 
(1505).  Der  Stil  dieser  Skulpturen  ist  dem  der  Holzschnitte  des  D.  S.  nicht 
nur  in  der  großzügigen,  weichen  Faltengebung  und  in  einzelnen  Typen 
nahe  verwandt,  sondern,  was  das  Wichtigste  ist,  auch  im  Temperament 
der  Bewegungen  und  des  Empfindungsausdruckes.  Besonders  überzeugend 
sind  die  lebhaft  bewegten,  stark  und  doch  weich  in  den  Gelenken  gebogenen 
Hände  mit  den  gespreitzten  vollen  Fingern.  Ich  glaube,  daß  eine  genauere 
Vergleichung  hier  nicht  unergiebig  sein  wird. 

Die  Architektur  in  den  Holzschnitten  des  D.  S.  scheint  mir  den  in 
Augsburg  üblichen  Formen  durchaus  nicht  zu  widersprechen,  wie  Dodgson 


Kristeller: 


170 

meint;  die  Mischung  von  Gothik  und  Renaissance  und  die  abgeschnittenen 
Gewölberippen,  die  in  den  Blättern  mit  Christus,  der  Madonna  und  dem 
Baseler  Wappen  (Dodgson  6,  7 u.  32)  auffallen,  finden  vielmehr  in  Augsburg 
und  im  besonderen  bei  Burgkmair  vielfache  Analogien.  In  der  Zeichnung 
dieses  Meisters  zur  Nürnberger  Madonna  l6)  ist  der  Bogen  am  Thron  der 
Maria  wie  in  jenen  Erlanger  Holzschnitten  des  D.  S.  mit  lebhaft  bewegten 
Statuen,  die  fast  eine  eigene  Darstellung  bilden,  verziert.  Der  Meister  D.  S. 
erhebt  sich  in  diesen  Figurengruppen  schon  zu  Holbeinscher  Freiheit  und 
Wucht  der  Bewegung. 

Von  einem  so  individuellen  Künstler  darf  man  genauere  Übereinstim- 
mungen mit  den  Werken  anderer  Meister  gar  nicht  erwarteh.  In  der  Grund - 
Stimmung,  in  der  fast  südländischen  Lebhaftigkeit  und  Rundung  der  Be- 
wegungen und  der  Formen  kommt  der  schwäbische  Charakter  seiner  Kunst 
deutlich  genug  zum  Ausdruck.  Die  Formensprache  unseres  Meisters  ließe 
sich  vielleicht  von  Schongauer  allein  herleiten  — der  übrigens  ja  auch  von 
Abstammung  Schwabe  war  — die  notwendige  Voraussetzung  seiner  künst- 
lerischen Individualität  scheint  mir  aber  doch  seine  Herkunft  aus  einem 
Kulturgebiete,  in  dem  eine  Verbindung  von  intellektueller  Regsamkeit 
mit  weichem,  lyrischem  Empfinden,  ein  starkes  Gefühl  für  die  Rhetorik 
der  Form  und  für  vollen  Wohlklang  und  schwungvolle  Rhythmik  der  Linien 
das  Wesen  der  Kunstübung  bestimmten. 

Der  Meister  D.  S.  gibt  in  seiner  kraftvollen  Unbefangenheit  und  in. 
seiner  Sicherheit  des  Gefühlsausdrucks  wie  kein  anderer  deutscher  Künstler 
des  beginnenden  16.  Jahrhunderts  eine  Vorahnung  des  jungen  Holbein. 
Wer  die,  freilich  tiefliegenden  Fäden,  die  die  beiden  verbinden,  entdeckt 
hat,  wird  hiermit  ein  neues,  wichtiges  Argument  für  die  schwäbische  Her- 
kunft des  D.  S.  gewonnen  haben. 

Die  technische  Ausführung  der  Holzschnitte  unseres  Meisters  zeigt 
überall,  auch  da,  wo  die  Formen  flüchtiger  und  derber  behandelt  sind, 
vollkommene  Herrschaft  über  Werkzeug  und  Material  und  einen  großen 
Reichtum  an  Ausdrucksmitteln.  Der  Schnitt  läßt  eine  Feinfühligkeit  für 
die  Bedeutung  der  Linien,  ein  liebevolles  Eingehen  auf  alle  Einzelheiten, 
eine  erschöpfende  Kürze  der  Formbildung  erkennen,  die  zu  der  Ansicht 
führen  könnten,  der  Meister  habe  seine  Zeichnungen  auch  selber  geschnitten. 
Man  möchte  es  fast  nicht  für  möglich  halten,  daß  ein  Holzschnitttechniker 
in  jener  Zeit  die  Zeichnung  eines  anderen  mit  so  viel  Freiheit  und  so  ganz 
ohne  jeden  Schematismus  zu  behandeln  imstande  gewesen  sei.  Die  Ver- 
schiedenheiten in  der  technischen  Ausführung  der  einzelnen  Blätter  lassen 

l6)  Im  Berliner  Kabinett,  Abbildung  in:  Zeichnungen  alter  Meister  im  K.  Kupfer- 
stichkabinett zu  Berlin. 


Die  Heimat  des  Meisters  D.  S. 


1 7 i 

sich  viel  eher  als  durch  die  Annahme  verschiedener  Hände  aus  der  künst- 
lerischen Freiheit  und  aus  der  ganz  individuellen  Behandlung  jeder  Form 
und  jeder  Tonabstufung  erklären.  Jedenfalls  müßte  der  Meister  D.  S.,  wenn 
er  seine  Arbeiten  nicht  selber  geschnitten  hat,  einen  ganz  vorzüglichen 
Holzschneider  von  der  Geschicklichkeit  und  Folgsamkeit  eines  Lützelburger 
zu  seiner  Verfügung  gehabt  haben.  Diese  Frage  berührt  indeß  einen  der 
diffizilsten  Punkte  im  Studium  der  alten  Holzschneidekunst  der  vorläufig, 
bis  zur  Kenntnis  neuer  Tatsachen,  nur  mit  der  größten  Zurückhaltung 
und  Vorsicht  behandelt  werden  darf. 


Zum  Thema:  „Goethe  und  die  bildende  Kunst“. 

Eine  Entgegnung  an  Theodor  Volbehr. 

Von  Alfred  Peltzer. 

Der  Kampf  mit  Scheingründen,  den  Theodor  Volbehr  im  letztjährigen 
Maiheft  der  »Göttinger  Gelehrten  Anzeigen«  gegen  meine  Arbeit  »Goethe 
und  die  Ursprünge  der  neueren  deutschen  Landschaftsmalerei«  (Leipzig, 
E.  A.  Seemann  1907)  geführt  hat,  möchte  mir  durchsichtig  genug  er- 
scheinen, als  daß  eine  Entgegnung  mir  in  meinem  persönlichen  Interesse 
dringendes  Bedürfnis  wäre.  Wenn  ich  mich  gleichwohl  zu  einer  solchen 
entschließe,  geschieht  es  in  der  Erwägung,  daß  alte  »eingerostete  Vor- 
urteile« (wie  ich  mich  einmal  in  meinem  Buche  ausgedrückt  hatte)  schließ- 
lich doch  nur  zu  leicht  siegreich  verharren,  wenn  ihnen  nicht  immer  wieder 
zu  Leibe  gegangen  wird1). 

Volbehrs  Name  war  in  meiner  Schrift,  die  nicht  im  geringsten  pole- 
mischen Charakter  hatte,  nicht  genannt  worden.  Daß  indessen  die  oben 
angedeutete,  beiläufig  eingestreute  Bemerkung  auch  auf  ihn  zielte,  daß 
ich  mich  mit  meinen  Anschauungen  in  einem  Gegensatz  zu  ihm  befand, 
das  dürfte  jedem  sachverständigen  Leser  nicht  entgangen  sein.  So  war 
sein  ungewöhnlich  heftiger  Angriff  gegen  mich  also  ein  Vorstoß  in  eigener 
Sache,  obwohl  er  davon  nicht  spricht. 

Sein  bekanntes,  vor  13  Jahren  erschienenes  Buch  »Goethe  und  die 
bildende  Kunst«  ist  der  typische  Ausdruck  jener,  heute  noch  wie  früher 
weitverbreiteten  Ansicht,  daß  der  alte  Goethe,  »der  Klassizist«,  der  schlimme 

J)  Die  Redaktion  der  »Göttinger  Gelehrten  Anzeigen«  sowie  die 
»Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen«, 
in  deren  Auftrag  jene  erscheinen,  verweigerten  den  Abdruck  vorliegender  Entgegnung, 
unter  Berufung  auf  einen  Paragraphen  ihrer  reglementarischen  Bestimmungen,  der  laut 
Mitteilung  des  Sekretärs  der  Gesellschaft  den  Wortlaut  hat:  »Entgegnungen  werden  nach 
altem  Brauch  in  die  Anzeigen  nicht  aufgenommen,  soweit  es  nicht  das  Preßgesetz  ver- 
langt.« Der  Verfasser  würde  dem  heftigen  und,  nach  seiner  Meinung  ungerechten  Angriff 
völlig  wehrlos  gegenüberstehen,  — das  in  Frage  stehende  wissenschaftliche  Problem  würde 
durch  eine  »Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften«,  nach  seiner  Überzeugung, 
auf  einem  veralteten  Standpunkt  festgehalten  erscheinen,  wenn  nicht  die  Redaktion  des 
»Repertorium«  zu  dieser  ferneren  Erörterung,  die  notwendigerweise  eine  Polemik  hat  werden 
müssen^  dankenswerterweise  Raum  gegeben  hätte.  D.  V. 


Goethe  und  die  bildende  Kunst. 


173 


Hemmschuh  unserer  Kunstentwicklung  gewesen  sei.  Was  und  wen  er  eigent- 
lich gehemmt  und  ungünstig  beeinflußt  haben  soll,  ist  nie  so  recht  klar 
geworden.  Denn  wo  sind  dfe  Genies  oder  auch  nur  die  außerordentlichen 
Talente  in  jenen  Tagen,  die  das  »falsche«  Licht  des  Goetheschen  Ansehens 
blendend  getroffen  hätte?  Glaubt  man  denn  wirklich,  es  hätte  die  Ent- 
wicklung der  bildenden  Kunst  einen  anderen  Weg  genommen,  wenn  er  nicht 
mit  solchem  Nachdruck  die  Nachfolge  der  Antike  gelehrt  hätte,  zu  der 
übrigens  den  Strom  der  Künstlerschaft  ganz  unabhängig  von  ihm  und 
vor  ihm  schon  andere  Geister  gelenkt  hatten?  Es  beweist  einerseits  wenig 
Sinn  für  historische  Notwendigkeiten,  andererseits  aber  auch  geringes 
Urteil  über  das  in  jener  Zeit  faktisch  vorhandene  Kunstvermögen  sowie 
die  Potenz  des  damals  geborenen  Künstlergeschlechts,  wenn  darüber  immer 
wieder  Klagen  angestimmt  und  Goethen  seine  vermeintlichen  Sünden 
nachgerechnet  werden.  Da  werden  immer  wieder  die  Anklagen  Schadows 
und  Runges  wiederholt.  Abgesehen  davon,  daß  Goethe  den  Leistungen 
dieser  Künstlerkreise  meist  sympathisch,  ja  fördernd  gegenüberstand,  — 
wer  glaubt  denn  im  Ernste,  daß  diese  Talente  ohne  Goethe  und  seine 
Theorien  das  Bild  der  Kunst  im  19.  Jahrhundert  hätten  anders  gestalten 
können?  Aus  dem  Holze,  aus  dem  die  großen  Bahnbrecher  der  Kunst- 
geschichte geschnitzt  erscheinen,  welche  ganzen  Epochen  mit  ihrem  Genie 
den  Stempel  aufdrückten,  waren  sie  nicht  geschnitzt  und  war  keiner  unter 
allen  Künstlern  dieser  Periode  (welche  künstlerisch  eine  vorwiegend  dich- 
terische und  musikalische  war)  gewachsen.  Wenn  heutzutage  — Hand 
in  Hand  mit  dem  Bestreben,  für  gewisse  moderne  Kunsttendenzen  »Vor- 
stufen« nachzuweisen,  — für  Runge,  Friedrich  oder  andere  Künstler  mit 
dem  Ausdrucke  des  Bedauerns  und  erneuter  Schulmeisterei  Goethes  der- 
gleichen behauptet  wird,  so  ist  das  einfach  eine  arge  Verschiebung  alles 
Maßverhältnisses.  Man  bewahre  sich  doch  aber  die  passenden  Maßstäbe, 
für  das  Kleinere  wie  für  das  Große,  — für  Runge  wie  für  einen  Goethe. 
Ich  hatte  in  meiner,  vonVolbehr  rezensierten  Arbeit  die  wirkliche  Bedeutung 
Runges,  Friedrichs  und  der  Ihrigen  gewiß  sehr  hervorgekehrt,  ja  kräftig  und 
freudig  doppelt  unterstrichen.  Lag  das  doch  überhaupt  im  Interesse  der 
Absichten  dieser  Arbeit.  Die  Forderung  Volbehrs  jedoch,  daß  wir  immer 
wieder  von  neuem  einstimmen  sollen  in  die  Klagen  und  in  die  (bei  den  so 
abweichenden  Maßverhältnissen)  unartigen  Angriffe  Runges  auf  Goethe, 
weise  ich  entschieden  zurück.  Daß  Goethe  in  seinem  immer  wiederholten 
Betonen  der  Antike  als  Vorbild  einem  Künstler  wie  Runge  schließlich 
»lästig«  werden  konnte,  mag  man  ja  verstehen.  Indessen  behaupte  ich,  daß 
der  jugendliche  Hamburger  Maler  damals  und  in  diesem  Punkte  den 
Weimarer  Dichter  ebenso  mangelhaft,  ebenso  halb  und  wenig  tiefdringend 
verstanden  hat  wie  heute  noch  gewisse  Kunstschriftsteller  und  Kunst- 


*74 


Peltzer: 


historiker.  Übrigens  hatte  ich  diese  Einwendungen  Runges  gegen  Goethe, 
seine  spätere  Mißstimmung  keineswegs  ignoriert,  sondern  ausdrücklich 
darauf  aufmerksam  gemacht.  Aber  ich  hatte  sie  auf  ihre  wahren  Ursachen 
zurückgeführt,  — was  indessen  Volbehr  seinerseits  einfach  ignoriert.  Auf 
die  Beeinflussung  des  innerlich  schwachen  jungen  Malers  von  seiten  des, 
Goethe  feindlichen  und  von  Goethe  energisch  bekämpften  Nazarenertums, 
von  dem  Runge  damals  völlig  angesteckt  worden  war,  hatte  ich  die  Um- 
wandlung der  Rungeschen  Anschauungen  zurückgeführt.  Mit  der  Frage 
nach  der  Ausbildung  und  Entwicklung  des  malerischen  Könnens  und  der 
malerischen  Naturanschauung  des  19.  Jahrhunderts  haben  daher  im  letzten 
Grunde  diese  Wandlungen  Runges  und  seine  späteren  Äußerungen  gegen 
den  Weimarer  »Hellenen«  eigentlich  gar  nichts  zu  tun.  Ich  muß  es  daher 
als/ ein  Scheingefecht  bezeichnen,  wenn  Volbehr  aus  solchen  Worten  Runges 
etwas  gegen  die  Absichten  meiner  Arbeit  beweisen  zu  können  vorgibt. 
Und  wenn  wir  heute  noch  etwas  beklagen  wollen,  so  sollten  wir  diesen  ver- 
derblichen Einfluß  des  innerlich  schwachen  Nazarenertums  beklagen,  — 
womit  wir  uns  eins  fühlen  könnten  mit  den  Anschauungen  des  Olympiers 
in  Weimar,  der  in  Sachen  der  bildenden  Kunst  nur  und  einzig  und  allein 
gegen  diese  falsche  Richtung  seine  Blitze  geschleudert  hat.  In  Wahrheit 
ist  das  der  einzige  Hemmschuh,  welchen  Goethe  der  Malerei  des  19.  Jahr- 
hunderts hat  anlegen  wollen.  Derselbe  hat  zwar  nicht  viel  genützt,  aber 
wer  ihn  nicht  als  vollberechtigt  anzusehen  imstande  ist,  der  sollte  über 
die  Kunstgeschichte  jener  Tage  nicht  mitreden  dürfen. 

Ja,  waren  denn  die  »einseitig  klassizistischen«  Forderungen  und 
Prinzipien  Goethes  wirklich  so  schlimm  in  einer  Zeit,  wo  bei  einer  so  weit- 
verbreiteten Schwäche  der  bildenden  Kunst  die  Nachahmung  als  solche 
— in  Goethes  jüngeren  Jahren  der  Franzosen  oder  der  Niederländer,  später 
der  primitiven  Deutschen  oder  der  Italiener  — an  der  Tagesordnung  war? 
Da  keine  wirklich  stilbildenden  Genies  auftraten,  war  schließlich  Goethes, 
von  Oeser,  Winckelmann  und  anderen  aufgenommene  und  weitergebildete 
Forderung  der  Nachfolge  der  klassisch  vollendetsten  Kunst  noch  das 
geringste  Übel.  Sind  denn  seine  Kunstanschauungen  wirklich  so  irrige, 
so  erkältende,  so  — geistlose  gewesen,  wie  seine  Widersacher  damals  wie 
heute  es  glauben?  Ist  er  denn  wirklich  mit  unseren  alten  Akademieprofes- 
soren auf  eine  Stufe  zu  stellen,  welche  das  Zeichnen  nach  dem  antiken 
Gipsabguß  für  das  einzige  Heil  erklärten  ? Bei  dieser  Frage  suchte  mein, 
von  Volbehr  so  heruntergerissenes  kleines  Buch  einzusetzen.  Für  eine  Seite 
der  ästhetischen  Anschauungen  Goethes  und  des  Einflusses  seiner  Persön- 
lichkeit auf  die  zeitgenössische  Kunst  zum  mindesten  suchte  es  eine  neue 
und  richtigere  Anschauung  zu  begründen,  — und  hat  es  auch  mit  einigem 
Erfolg  schon  getan,  wie  ich  aus  den  Beurteilungen  anderer  weniger 


Goethe  und  die  bildende  Kunst. 


175 


voreingenommener  und  wohlwollenderer  Sachverständiger  entnehmen 
durfte. 

Ich  hatte  in  meiner  Arbeit  die  Hoffnung  ausgesprochen,  daß  man 
in  Zukunft  (wie  ich  das  auf  dem  bescheidenen  kleineren  Gebiete  der  Äs- 
thetik der  Landschaftsmalerei  eben  unternommen  hatte)  »des  Dichters 
Kunstanschauungen  im  Zusammenhang  mit  seiner  Natur- 
betrachtung  ganz  zu  verstehen«  sich  bemühen  werde.  Ich  möchte 
mich  heute  an  dieser  Stelle  erkühnen,  dies  als  eine  notwendige  direkte 
Forderung  auszusprechen,  für  die  Goethe-Forschung  ebensowohl  wie  für 
das  Verständnis  jenes  Teiles  der  Kunstgeschichte  des  19.  Jahrhunderts, 
in  den  uns  die  »Deutsche  Jahrhundert-Ausstellung«  in  Berlin  1906  einen 
tieferen  Blick  hat  tun  lassen.  Dieses  Ziel  geht  allerdings  weit  über  den 
Standpunkt  und  den  Gesichtskreis  des  Volbehrschen  alten  Buches,  auf 
dem  er  auch  bei  Verfassung  seines  Angriffes  gegen  mich  verharrt,  hinaus. 

Was  bedeutet  Goethes  Forderung  der  Nachfolge  einer  klassischen 
Stilvollendung  anderes  wie  Forderung  einer  strengen  Gesetzmäßigkeit  auch 
in  der  Kunst,  den  Gesetzen  in  der  Natur  entsprechend,  ja  im  direkten  An- 
schluß an  diese?  »Das  Schöne  ist  eine  Manifestation  geheimer  Naturgesetze, 
die  uns  ohne  dessen  Erscheinung  ewig  wären  verborgen  geblieben«,  so  heißt 
es  bei  ihm.  Unter  solchen  Naturgesetzen,  welche  dem  künstlerischen  Schauen 
und  Gestalten  zugrunde  liegen,  versteht  er  einerseits  die  Gesetze  des  sub- 
jektiven Sehens  und  Aufnehmens  unserer  Sinne  und  Organe  und  anderer- 
seits die  Gesetze,  unter  welchen  objektiv  betrachtet  alles  Sein  und 
Leben  gebildete  Form,  Gestalt  und  Charakter  angenommen  hat,  — ein 
Doppelstandpunkt,  den  er  in  seiner  »Farbenlehre«  so  geistvoll  durchgeführt, 
mit  dem  er  einer  der  Ersten  moderner  Naturwissenschaft  geworden  und 
die  Wege  allerneuster  physiologisch-psychologischer  Kunstphilosophie  schon 
gewiesen  hat.  Daß  er  den  höchstmöglichen  künstlerischen  Ausdruck  typischer 
und  natürlicher  Organisation  des  menschlichen  Körpers  in  den  Schöpfungen 
der  antiken  Kunst  ausgeprägt  fand,  wer  will  ihm  das  mißdeuten?  Und 
wenn  ihm  im  Sinne  der  Alten  die  menschliche  Gestalt  das  »Hauptziel« 
aller  bildenden  Kunst  ist,  wenn  er  in  der  »Einleitung  in  die  Propyläen« 
ausruft:  »Der  Mensch  ist  der  höchste,  ja  der  eigentlichste  Gegenstand  bil- 
dender Kunst!«  — so  ist  daran  doch  für  jeden  Gebildeten  nichts  Auffallendes. 
Ist  das  doch  eine  von  jenen  Grundwahrheiten  der  Kunstphilosophie,  in  denen 
so  ziemlich  alle  großen  Denker  und  Künstler  miteinander  einig  waren. 
(Man  lese  z.  B.  die  Ausführungen  des  Musikers  Richard  Wagner  in  dessen 
»Oper  und  Drama«.)  Wenn  nun  aber  Volbehr  aus  ein  paar  diesbezüglichen 
Aussprüchen  Goethes  ableiten  will,  daß  es  unter  diesen  Umständen  im 
Kopfe  Goethes  ein  Interesse  für  die  Landschaftsmalerei  nicht  habe  geben 
können,  so  ist  das  einfach  — lächerlich.  Lächerlich  schon  allein  deshalb, 


Peltzer: 


176 

weil  derselbe  Volbehr  in  derselben  Rezension  andere  Zitate  Goethes  bringt, 
die  genau  das  Gegenteil  beweisen.  Böswillige  Absicht  des  Rezensenten 
aber  muß  ich  es  geradezu  nennen,  wenn  er  alle  die  vielen  Äußerungen  und 
Handlungen  Goethes,  die  sogar  eine  sehr  rege  Teilnahme  an  den  Bestre- 
bungen der  in  seinen  letzten  Jahrzehnten  aufblühenden  Landschaftsschule 
beweisen,  und  die  von  mir  zum  ersten  Male  zusammengestellt  die  eine 
Hälfte  des  Inhalts  meines  Buches  ausmachen,  ganz  einfach  mit  völligem 
Stillschweigen  übergeht. 

Wohl  bin  ich.  mir  bewußt,  daß  die  Erfüllung  jener,  von  mir  soeben 
aufgestellten  Forderung,  nämlich  nach  einem  neuen  System  Goethescher 
Ästhetik  und  demgemäß  auch  nach  einer  Revision  des  Problems  »Goethe 
und  die  bildende  Kunst«,  seine  besonderen  Schwierigkeiten  hat.  Denn 
Goethe  selbst  hat  ja  etwas  Ausführliches  und  Zusammenfassendes  in  dieser 
Richtung  gar  nicht  geschrieben.  Der  Fehler,  der  bisher  gemacht  worden  ist, 
und  den  auch  Volbehr  in  seinem  Buche  damals  begangen  hat,  war  der, 
daß  man  jene  kleineren  Schriften  und  jene  gelegentlich  getanen  Äußerungen 
Goethes,  in  denen  er  die  Nachahmung  der  Antike  empfiehlt,  — schon  für 
seine  Ästhetik  nahm,  indem  man  sich  die,  wenigstens  richtungweisenden 
Aufklärungen,  welche  in  anderen  seiner  Schriften,  vor  allem  in  der  »Farben* 
lehre«  stecken,  entgehen  ließ,  — oder  einfach  nicht  verstand.  Aus  der 
Gesamtheit  seines  Wesens  und  seines  Wirkens  und  aus  einer  sehr  feinen 
Analyse  ebensosehr  seiner  Kunst-  wie  seiner  Naturbetrachtungen  würde 
ein  solches  System  gewonnen  werden  müssen,  woran  allerdings  Volbehr 
bei  der  Abfassung  seines  Buches  und  auch  neuerlich  bei  der  Niederschrift 
seines  letzten  Erzeugnisses  als  Goethekenner  und  Rezensent  nicht  im  ent- 
ferntesten auch  nur  als  eine  Möglichkeit  gedacht  hat. 

Er  beharrt  auf  seinem  alten  Standpunkt  und  läßt  es  wiederum  nicht 
an  Zitaten  fehlen,  welche  Goethe  als  auf  dem  Irrweg  in  eine  Sackgasse  be- 
findlich erscheinen  machen  sollen.  Nun  läßt  sich  ja  bekanntlich  aus  Goethe 
wie  aus  der  Bibel  ziemlich  alles  beweisen,  — welchen  genügend  bekannten 
Vorteil  ich  Volbehr  bei  etwaigen  weiteren  Äußerungen  zu  dieser  Frage 
gern  einräumen  will.  Ja,  es  könnte  geschehen,  daß  jene  von  mir  gewünschte 
neue  Darstellung  des  Themas  »Goethe  und  die  bildende  Kunst«,  nach 
meiner  Auffassung  Goethescher  Ästhetik,  weit  weniger  Goethesche  Zitate 
aufwiese,  als  Volbehr  sie  für  seine  Schilderung  Goethes  als  des  »Klassizisten« 
aneinanderreihen  kann.  Indessen,  es  könnte  ja  auch  einmal  eine  Wahrheit 
wahr  und  eine  wissenschaftliche  Behauptung  wissenschaftlich  sein  sogar  — 
ohne  Zitate.  Wer  bloß  einmal  die  »Farbenlehre«,  ja  sogar  nur  die  kurze 
»Einleitung  in  die  Propyläen«  mit  wirklichem  Verständnis  durchliest,  der 
dürfte  oder  sollte  doch  wenigstens  wissen,  daß,  wenn  Goethe  hier  oder  bei 
so  vielen  andern  Gelegenheiten  die  Nachahmung  der  Antike  preist,  dies 


Goethe  und  die  bildende  Kunst. 


177 


im  letzten  Grunde  nur  ein  Aushängeschild  war  für  eine  Kunstweisheit, 
die  mit  dem  Namen  »Klassizismus«  gar  nicht  zu  decken  ist.  Auch  der  Zitate 
dürften  ihm  genug  in  der  Erinnerung  bleiben,  die  zu  gleicher  Zeit  von  der 
tiefsten  natur*  und  kunstphilosophischen  Bedeutung  sind.  Jedoch,  die 
Ausstrahlungen  eines  führenden  Geistes  sind  manchmal  so  fein,  daß  sie 
mit  der  üblichen  Methode  des  Zitatensammelns  überhaupt  nicht  völlig  zu 
messen  sind..  Da  wäre  dann  die  wissenschaftliche  Betrachtung  auf  manchen 
Umweg  angewiesen,  um  zum  Ziele  zu  gelangen. 

Einen  solchen  notwendigen  Umweg  hatte  ich  in  meiner  Arbeit  ern- 
geschlagen.  Derselbe  sollte  wenigstens  zu  einem  kleinen  Sondergebiet 
der  bildenden  Kunst  und  Goethes  Beziehungen  zu  demselben  führen,  dem 
der  Landschaftsmalerei.  Die  »Neun  (nicht  »neuen«,  wie  Volbehr  flüchtig 
gelesen  hat)  Briefe  über  Landschaftsmalerei«  des  Freundes 
Goethes,  C.  G.  C a r u s , erschienen  mir  als  ein  System  der  Landschafts- 
malerei — charakteristisch  für  die  interessante  Landschafterschule,  deren 
Wichtigkeit  für  die  Kunstgeschichte  des  19.  Jahrhunderts  wir  erst  seit 
einigen  Jahren  eingesehen  haben  — , welches  ganz  unter  dem  Einfluß  von 
Goethes  Kunst-  und  Naturanschauungen  entstanden  ist.  Der  Analyse 
dieser  Schrift  und  der  damit  zusammenhängenden  Anschauungen  jenes 
ganzen  Künstlerkreises  war  die  eine  Hälfte  meines  kleinen  Buches  ge- 
widmet. Volbehr  geht  darauf  überhaupt  nicht  ein;  meinen,  doch  immerhin 
neuen  Weg  nachzugehen  und  nachzuprüfen  unterläßt  er.  An  die.  Stelle 
Carus’  rückt  er  Runge  in  den  Vordergrund.  In  Beziehung  auf  diesen  habe 
ich  ihm  oben  schon  geantwortet. 

Außer  auf  die  Bloßlegung  solcher  innerer  Fäden  zwischen  Goethescher 
Denkungsart  und  den  Ideen  und  Werken  jener  neuen  Landschafterschule 
ging  meine  Arbeit  darauf  aus,  die  äußeren  Beziehungen  des  Dichters  zu 
jenen  Künstlern  festzustellen.  Es  war  dabei  die,  viele  wohl  überraschende 
Tatsache  ans  Licht  gekommen,  daß  diese  Beziehungen  sehr  enge  waren, 
daß  Goethe  der  direkte  Gönner  und  persönliche  Förderer  dieses  Maler- 
kreises gewesen  ist.  Die  Aufzählung  aller  dieser  Tatsachen,  Daten,  Aus- 
sprüche, Briefstellen  füllte  die  andere  Hälfte  meines  Buches.  Schon  allein 
diese  Fakten  geben  eine  ganz  heue  Ansicht  von  den  Beziehungen  Goethes 
zu  Künstlerkreisen,  zum  Thema  »Goethe  und  die  bildende  Kunst«.  Sie 
Wären  überdies  fast  allein  beweiskräftig  für  meine  Behauptung  des  Ein- 
flusses und  der  Beziehungen  Goethes  auf  die  neue  Landschaftskunst  des 
19.  Jahrhunderts,  die  ich  in  ihrem  letzten  Grunde  auf  das  neue  Verhältnis 
Goethes  zur  Natur  überhaupt  zurückführen  wollte.  Auch  alle  diese  Bezie- 
hungen Goethes,  diese  Ermunterungen,  diese  Korrespondenzen,  diese  Preis - 
krönungen  nach  Weimar  gesandter  Landschaftsbilder,  diese  wohlwollenden 
Besprechungen  in  der  »Allgemeinen  Literaturzeitung«  und  an  anderen 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


12 


P c 1 1 z e r : 


*7* 

Orten  aus  dem  Kreise  der  Weimarer  Kunstfreunde,  — alles  dies  und  noch 
viel  mehr,  das  bisher  von  der  Forschung  unberücksichtigt  war,  ist  Volbehr, 
dem  Verfasser  eines  Buches  über  »Goethe  und  die  bildende  Kunst«,  — 
völlig  gleichgültig.  Ja,  er  wagt  es,  meine  Arbeit  eine  »ergebnislose«  zu 
nennen.  Ich  hatte  mir  eingebildet,  zum  mindesten  eine  Ergänzung  zu 
seinem  veralteten  Buch  geliefert  zu  haben,  und  überlasse  das  Urteil  jetzt 
anderen.  Wohl  aber  erlaube  ich  mir  zu  fragen,  was  denn  hat  Volbehr  eigent- 
lich für  die  »Göttingischen  Gelehrten  Anzeigen«  besprechen  sollen  und  wollen, 
wenn  er  die  beiden  wichtigsten  Teile  meiner  Arbeit  einfach  ignoriert?  Er 
füllt  IO  Druckseiten,  greift  aber  nur  einige  belanglose  Einzelheiten  heraus, 
die  er,  wie  ich  sofort  beweisen  werde,  mit  Unrecht  lächerlich  zu  machen 
sucht,  und  tut  sich  im  übrigen  keinen  Zwang  an,  seine!  Antipathie  — und 
seinem  Unverständnis,  meinen  neuen  Anschauungen  gegenüber,  die  Zügel 
schießen  zu  lassen. 

Im  Interesse  der  Sache  bringe  ich  es  über  mich,  ihm  auf  seine  ein- 
zelnen Ausstellungen  und  Einwürfe  zu  antworten,  obgleich  dieselben  sämt- 
lich an  den  Haaren  herbeigezogen  sind  oder  auf  Entstellung  und  Verzerrung 
meiner  Meinungen  beruhen. 

Ich  begann  mein  erstes  Kapitel  mit  jener  »Prophezeiung«  Carus’, 
nach  welcher  »einst  Landschaften  höherer,  bedeutungsvollerer  Schönheit 
entstehen  werden,  als  sie  Claude  und  Ruysdael  gemalt  haben«.  Volbehr 
hält  sich  zwei  lange  Seiten  darüber  auf  und  unternimmt  es,  an  Hand  von  — 
Zitaten  zu  beweisen,  daß  Goethe  sich  keine  größere  Landschaftskunst  als 
möglich  gedacht  hat  als  diejenige  Claudes  oder  Ruysdaels,  daß  ich  deshalb 
nicht  das  Recht  habe,  die  Anschauungen  Carus’  als  denen  Goethes  verwandt 
hinzustellen.  (Nebenbei  gesagt  ist  das  von  den  zahllosen  der  einzige  Aus- 
spruch Carus’,  den  Volbehr  beachtet,  als  ob  damit  meine  Behauptungen 
und  Beweise  stünden  und  fielen!)  Muß  ich  denn  wirklich  gestehen,  daß 
Goethe  diese  »Prophezeiung«  dem  eigentlichen  Wortsinne  nach  vielleicht 
nicht  unterschrieben  haben  würde?  Und  haben  andere  Leser  wie  Volbehr 
diesen  ganzen  Ausspruch  nicht,  wie  billig,  cum  grano  salis  genommen? 

Weiter.  Ich  hatte  einen  Ausspruch  Goethes  vom  Jahre  1784  als  für 
die  Wandlung  des  Dichters  vom  romantisch-poetischen  Naturanschauen 
zum  mehr  wissenschaftlichen  als  ganz  besonders  charakteristisch  und  als 
einen  für  viele  zitiert.  Eine  genaue  »Datierung«  dieser  Wandlung  brauchte 
mich  in  meinem  Zusammenhang  gar  nicht,  aber  auch  gar  nicht  zu  inter- 
essieren; — abgesehen  davon,  daß  eine  Datierung  solcher  Dinge,  die  langsam 
und  unsichtbar  kommen,  unmöglich  ist.  Auch  in  Hinsicht  auf  jene 
viel  jüngeren  Künstler,  die,  erst  im  folgenden  Jahrhundert,  von  mir  als 
Anhänger  Goethes  und  Fortbilder  gewisser  seiner  Tendenzen  geschildert 
wurden,  wäre  die  Fixierung  auf  ein  Jahr  oder  gar  ein  Jahrzehnt  ganz  gleich- 


Goethe  und  die  bildende  Kunst. 


179 


gültig.  Kurz  und  gut:  jener  Ausspruch  von  1784  war  mir  besonders  dienlich, 
und  ich  durfte  im  Anschluß  an  ihn  ganz  allgemein  bemerken,  daß  es  »in 
dieser  Zeit  gewesen  ist,  wo  der  Dichter  sich  der  Natur  mit  geologischen 
und  botanischen  Interessen  zuzuwenden  beginnt«.  Wozu  also  belehrt  mich 
der  »Goethekenner«  Volbehr,  daß  der  Dichter  schon  1780  Naturalienschränke 
besessen,  ja  schon  1778  sich  der  Betrachtung  der  Moos£  zugewendet  habe? 
Daß  ich  die  letztere  Tatsache  übrigens  selbst  meinen  Lesern  an  anderer 
Stelle  (S.  18)  mitgeteilt  habe,  verschweigt  V.;  nichtsdestoweniger  macht 
er  mir  aus  deren  »Unkenntnis«  einen  Vorwurf.  Ist  das  Mangel  an  Ehrlich- 
keit oder  Leichtfertigkeit  des  Rezensenten?  Mich  wundert  bloß,  daß  Volbehr 
sich  nicht  jener  Naturaliensammlung  erinnert  hat,  die  schon  der  Knabe 
Goethe  in  Frankfurt,  mystischen  und  natürlichen  Sinn  verbindend,  zu 
einem  so  wunderlichen  Gottesdienste  benutzte. 

Viel  schlimmer  aber  ist  das,  was  Volbehr  bei  Gelegenheit  der  »Pro- 
pyläen« äußert,  wo  er  nicht  bloß  mir  unrecht  tut,  sondern  auch  sein  eigenes 
Verständnis  Goethes  in  ein  höchst  merkwürdiges  Licht  setzt.  Hier  ist  haupt- 
sächlich der  Punkt,  in  dem  sich  der  Gegensatz  unserer  Auffassungen,  wie 
ich  ihn  oben  in  allgemeineren  Auseinandersetzungen  anzudeuten  suchte, 
plötzlich  ganz  deutlich  ausspricht.  Volbehr  wirft  mir  nämlich  ein,  in  den 
ganzen  »Propyläen«  stünde  kein  Wort  über  Landschaftsmalerei,  und  meine 
Behauptung,  daß  diese  Zeitschrift  mit  von  Einfluß  auf  jenen  Kreis  von 
Landschaftsmalern  gewesen,  sei  aus  der  Luft  gegriffen.  Das  erste  stimmt 
— war  aber  auch  von  mir  mit  keinem  Worte  anders  gesagt  worden;  die 
letztere  bleibt,  trotz  Volbehr,  bestehen.  Auf  den  Einwurf  meines  Rezensenten, 
daß  von  einer  Wirkung  der  »Propyläen«  auf  Carus  schon  allein  deshalb 
nicht  die  Rede  sein  könne,  weil  sich  dieser  in  den  Erscheinungsjahren  der 
Zeitschrift  — »in  der  schönen  Jungensperiode  von  9 — 1 2 Jahren«  befunden 
habe,  vermag  ich  — ernsthaft  nichts  zu  erwidern.  Daß  Carus,  als  späterer 
Leser,  Stellen  aus  den  »Propyläen«  zitiert,  kümmert  Volbehr  gar  nicht. 
Den  Ausspruch  Runges:  »Was  ich  will? ...  Es  ist:  das  Gute,  welches  Goethe 
durch  seine  Propyläen  zu  verbreiten  sucht,  auszuüben....«,  kann  Volbehr 
zwar  nicht  unterdrücken.  Er  sucht  dafür  aber  diesen  Zeugen  als  nicht 
einwandfrei  hinzustellen.  Nun,  zu  diesem  Bestreben  habe  ich  selbst  oben 
ja  noch  eine  neue  Tatsache  seines  Verhaltens  beigebracht,  die  jedoch  nur 
für  mich  und  gegen  Volbehr  zeugt.  — Aber  — und  das  ist  die  wichtigste 
Frage I — diese  »Propyläen«  selbst,  und  die  von  Goethe  in  ihnen  ausge- 
sprochenen Anschauungen  und  Forderungen,  die  nach  meiner  Auffassung 
sollen  richtungsweisend  gewesen  sein  auch  für  jene  später  aufblühende 
jüngere  Malerschule?  Der  Goethe  der  »Propyläen«  ist  und  bleibt  Volbehr 
nun  eben  der  Klassizist,  dessen  verwerfliches  Treiben  und  ungünstiger 
Einfluß  ihm  einmal  feststeht.  Aus  dem  ganzen  Programm  der  »Propyläen« 


12 


P e 1 1 z e r : 


18,0 

vermag  er  nichts  anderes  herauszulesen  wie  die  Worte:  »Nachahmung  der 
Antike«.  Die  Tatsache,  daß  Goethe  anfangs  die  Absicht  hatte,  in  dieser 
Zeitschrift  mit  den  Kunstfragen  zugleich  und  im  Zusammenhang  mit  ihnen 
naturwissenschaftliche  Theorien  zu  erörtern,  wie  ich  aus  einem  wenig 
beachteten  Briefe  an  Cotta  mitteilen  konnte,  gibt  Volbehr  nicht  weiter  zu 
denken.  Wie  aber  hat  er  folgende  Stellen  in  der  berühmten  »Einleitung« 
eigentlich  verstanden,  und  hat  ersieh  überhaupt  jemals  etwas  dabei  gedacht? 
Bei  dieser  »Einleitung«  hielt  Goethe  offenbar  zuerst  noch  an  dem.  Plan  fest, 
auch  naturwissenschaftliche  Arbeiten  aufzunehmen  (die  er  sich  dann  ja 
aber  später  entschloß,  als  besondere  Veröffentlichungen,  »Zur  Farbenlehre«, 
»Zur  Morphologie«  usw.  herauszugeben).  So  ist  das  erste  Zitat  zu  verstehen: 
>>Wenn  wir  nun  Bemerkungen  und  Betrachtungen  über  Natur  vor- 
zulegen versprechen,  so  müssen  wir  zugleich  anzeigen,  daß  es  besonders 
solche  sein  werden,  die  sich  zunächst  auf  bildende  Kunst,  sowie  auf  Kunst 
überhaupt,  dann  aber  auch  auf  allgemeine  Bildung  des  Künstlers  beziehen.« 
Sodann  greife  ich  noch  folgende  Sätze  und  Absätze  heraus: 

»Die  vornehmste  Forderung,  die  an  den  Künstler  gemacht  wird, 
bleibt  immer  die:  daß  er  sich  an  die  Natur  halten,  sie  studieren,  sie  nach- 
bilden, etwas,  das  ihren  Erscheinungen  ähnlich  ist,  hervorbiingen  solle.« 

»Alles  was  wir  um  uns  her  gewahr  werden,  ist  nur  roher  Stoff;  und 
wenn  sich  das  schon  selten  genug  ereignet,  daß  ein  Künstler  durch  Instinkt 
und  Geschmack,  durch  Übung  und  Versuche  dahin  gelangt,  daß  er  den 
Dingen  ihre  äußere  schöne  Seite  abzugewinnen,  aus  dem  vorhandenen 
Guten  das  Beste  auszuwählen,  und  wenigstens  einen  gefälligen  Schein 
hervorzubringen  lernt;  so  ist  es,  besonders  in  der  neueren  Zeit,  noch  viel 
seltener,  daß  ein  Künstler  sowohl  in  die  Tiefe  der  Gegenstände,  als  in  die 
Tiefe  seines  eigenen  Gemüts  zu  dringen  vermag,  um  in  seinen  Werken 
nicht  bloß  etwas  leicht-  und  oberflächlich  Wirkendes,  sondern,  wett  - 
eifernd  mit  der  Natur,  etwas  geistig  Organisches 
hervorzubringen,  und  seinem  Kunstwerk  einen 
solchen  Gehalt,  eine  solche  Form  zu  geben,  wo  du  r c h 
es  natürlich  zugleich  und  übernatürlich  erscheint.« 

Nachdem  Goethe  dann,  wie  oben  zitiert,  den  Menschen  als  höchsten 
Gegenstand  der  bildenden  Kunst  hingestellt  hat,  und  »eine  allgemeine 
Kenntnis  der  organischen  Natur«  desselben  als  »unerläßlich«  erklärt,  wozu 
er  weiterhin  die  Forderung  anatomischer  Studien  fügt,  fährt  er  fort: 

»Auch  van  den  unorganischen  Körpern  sowie  von  allgemeinen  Natur- 
Wirkungen,  besonders  wenn  sie,  wie  z.  B.  Ton  und  Farbe,  zum  Kunst- 
gebrauch anwendbar  sind,  sollte  der  Künstler  sich  theoretisch  belehren.«  -1- 
Und  in  einem  weiteren  Zusammenhang  meint  er:  »daß  wir  zuletzt 
beim  Kunstgebrauch  nur  dann  mit  der  Natur  wetteifern  können,  wenn 


Goethe  und  die  bildende  Kunst. 


18  i 


wir  die  Art,  wie  sie  bei  Bildung  ihrer  Werke  verfährt,  ihr  wenigstens  einiger- 
maßen abgelernt  haben«. 

Nun  frage  ich,  wo  ist  denn  da  eigentlich  das  Schreckgespenst  des 
Irrlehrers  und  Klassizisten  Goethe,  mit  dem  uns  moderne  Kunstschrift- 
steller und  Kunsthistoriker  graulen  machen  wollen  wie  die  älteren  Kunst- 
schüler die  jüngeren  vor  dem  maniristischen  Akademieprofessor,  der  nur 
Gipsabgüsse  abzeichnen  läßt?  Doch  Scherz  beiseite:  solcher  Art  sind  die 
Äußerungen  Goethes,  die  ich  natürlich  meinte,  als  ich  die,  von  jenen 
Künstlern  selbst  (Runge  und  Carus  ausdrücklich!)  bestätigte  Behauptung 
aussprach,  daß  der  neuen,  der  Natur  auf  neue  Art  sich  hingebenden  Kunst- 
strömung Ideen  und  Anregungen  Goethes  vorangingen.  Solcher  Art  die 
Anschauungen  Goethes,  die,  mit  vielen  anderen  Aussprüchen  aus  anderen 
seiner  Schriften  sowie  mit  manchen  anderen  »Ausstrahlungen«  zusammen- 
gestellt, nach  meiner  Forderung  die  Basis  abgeben  sollten  für  jene  neue, 
erwünschte  Arbeit  über  Goethes  Ästhetik  und  das  Thema  »Goethe  und  die 
bildende  Kunst«. 

Von  Volbehrs  Einwürfen  gegen  die  Einwandfreiheit  meiner  Arbeit 
bleibt  mir  noch  ein  einziger  zu  berühren.  Nach  ihm  darf  nicht  die  Rede 
davon  sein,  daß  Runges  Bemühungen  um  eine  Farbenlehre  und  eine  neue 
malerische  Anschauung  erst  Folge  der  Goetheschen  Bestrebungen  seien, 
da  beider  »Farbenlehren«  1810  erschienen  und  die  Rungesche  Goethe  schon 
1809  vom  Verfasser  vorgelegt  worden  sei.  Muß  ich  denn  den  »Goethekenner« 
Volbehr  noch  belehren,  daß  das  erste  Stück  der  »Beiträge  zur  Optik«  im 
Jahre  1791,  das  zweite  1792  erschien,  und  daß  auf  diesen  der  Verkehr  über 
Fragen  der  Farbenlehre  Goethes  mit  seinen  Freunden  basierte??  Oder 
wird  mir  darauf  wieder  von  Volbehr  die  geistreiche  Antwort,  daß  sich  auch 
Runge  damals  noch  »in  der  schönen  Jungensperiode«  befunden  habe,  jeg- 
liche Kenntnisnahme  und  Beeinflussung  also  ausgeschlossen  sei? 


Zum  Oeuvre  Bernardino  Licinios. 


Folgende  Zeilen  sollen  nichts  weiter  sein,  als  ein  Nachtrag  zu  den 
Oeuvrelisten  Licinios  bei  Crowe  und  Cavalcaselle  und  bei  Berenson.  Es 
soll  auf  einige  Bilder  Licinios,  die  bei  jenen  Autoren  fehlen,  aufmerksam 
gemacht  werden. 

Das  Provinzialmuseum  zu  Hannover  besitzt  das  Bildnis  eines  Mannes 
mittleren  Alters  im  dunklen,  pelzverbrämten  Rocke,  das  als  Werk  eines 
unbekannten  venezianischen  Meisters  des  sechzehnten  Jahrhunderts  katalogi- 
siert ist:  Nr.  473,  Halbfigur,  im  Hintergründe  links  ein  Rundbogenfenster 
mit  Ausblick  auf  Landschaft.  — Pappelholz,  h.  0,91;  br.  0,74  m. 

Ich  bin  überzeugt,  daß  Licinio  der  Urheber  dieses  in  der  Auffassung 
Palma  nahestehenden  Bildnisses  ist.  Für  Licinio  spricht  der  ziegelig  rote 
Fleischton;  der  Mann  mit  den  dünnen,  eigentümlich  scharf  umrissenen 
Lippen  in  dem  sonst  fleischigen  Antlitz;  die  etwas  plumpen  und  nicht  ganz 
korrekt  gezeichneten  Hände,  die  ungeschickte  harte  Behandlung  des  Pelz  - 
werks. 

Herr  Leopold  Koppel  in  Berlin  besitzt  ein  Damenbildnis  von  der 
Hand  Licinios.  Halbfigur,  rot  gekleidet,  einen  Fächer  in  der  Hand  haltend, 
grauer  Grund;  Holz,  h.  0,78;  br.  0,67  m.  Nicht  bezeichnet,  aber  so  charakte- 
ristisch, daß  ich  mich  mit  einem  bloßen  Hinweis  auf  signierte  Arbeiten, 
wie  das  Dresdener  Damenporträt,  das  Familienbild  der  Galleria  Borghese 
begnügen  darf. 

Im  Museum  zu  Grenoble  befindet  sich  ein  bezeichnetes  Werk  Licipios, 
das,  wohl  wegen  seines  etwas  abgelegenen  Standortes,  bei  den  genannten 
Schriftstellern  fehlt.  Eine  Sacra  Conversazione.  In  der  Mitte,  vor  einem 
Vorhang  die  Madonna  mit  dem  Kinde,  neben  ihr,  vor  landschaftlichem 
Grunde,  kniend  und  sitzend  Jakobus,  Johannes  der  Täufer,  Hieronymus 
und  der  Stifter.  Bezeichnet:  M . DXXXII/B  . LYCINII/OPVS.  — Lein- 
wand, h.  1,20;  br.  1,65  m. 

Kürzlich  wurde  bereits  von  anderer  Seite  darauf  hingewiesen,  daß 
das  von  Crowe  und  Cavalcaselle  als  verschollen  erwähnte  Bildnis  Palladios 
von  der  Hand  Licinios  sich  in  Windsor  Castle  befindet  I).  Ich  kenne  nicht 

*)  Camphell  Podgson  jn  Mpnatsfi.  f,  JC.  I §.  1124. 


Hadeln,  Zum  Oeuvre  Bernardino  Licinios. 


183 


das  Original,  nur  die  vorzügliche  Reproduktion  in  dem  von  Cust  heraus 
gegebenen  Galeriewerk  2).  Nach  Cust  ist  das  Bild  auf  Leinwand  gemalt 
und  mißt  h.  39*/»,  br.  32I/4  in.  Das  Bildnis  trägt  folgende  Inschrift: 
B . LYCINII./OPVS./ANDREAS./PALADIO./A./ANNOR./XXIII./MDXLI. 
Danach  wäre  Palladio  1518  geboren,  während  er  höchstwahrscheinlich 
1508  geboren  ist  3).  So  scheint  die  Inschrift  nicht  in  ihrem  ganzen  Um- 
fange intakt  zu  sein.  Am  nächsten  liegt  die  Vermutung,  daß  die  Alters- 
angabe alteriert  ist,  daß  die  eine  X irgendwie  entfernt  wurde.  Meint  man 
dagegen,  wie  das  Campbell  Dodgson  tut,  daß  ein  Alter  von  23  Jahren  gut 
zu  dem  Aussehen  des  Dargestellten  paßt,  ein  Alter  von  33  Jahren  aber  nicht, 
so  müßte  man  wohl  an  der  Echtheit  der  Namensangabe  zweifeln,  da  eine 
Veränderung  der  Jahreszahl  sehr  unwahrscheinlich  ist.  Natürlich  kann 
nur  eine  Untersuchung  des  Bildes  hier  Klarheit  schaffen.  — Andere  Bild- 
nisse Palladios  klären  die  Frage  nicht.  Der  Stich  von  G.  B.  Cecchi  und  der- 
jenige in  der  Biographie  Temanzas  vom  Jahre  1762  stellen  den  Künstler 
in  höherem  Alter  dar. 

Dagegen  erscheint  Palladio  jünger  und  ebenfalls  bartlos  wie  auf  dem 
Porträt  in  Windsor  auf  zwei  Stichen  R.  Picarts  vom  Jahre  1716.  Hier 
könnte  man  — die  Umstilisierung  des  18.  Jahrhunderts  in  Betracht  ge- 
zogen — Gleichheit  der  Persönlichkeit  annehmen.  Aber  Picart  könnte 
ja  das  Windsor-Porträt  gekannt  haben  und  dieses  könnte  bereits  zu  Anfang 
des  18.  Jahrhunderts  mit  falschem  Namen  versehen  gewesen  sein.  Temanza 
teilte  1762  die  Inschrift  in  der  heutigen  Fassung  mit. 

Schließlich  mögen  einige  Neuerwerbungen  von  Werken  Licinios  durch 
größere  Galerien  registriert  werden.  Die  Brera  erstand  im  Jahre  1906  auf 
des  Versteigerung  Battistelli  ein  kleines  Bild  der  Madonna  mit  dem  Kinde 
und  dem  jugendlichen  Johannes  (Leinwand,  h.  0,89;  br.  0,76  m).  Ein  zweites 
Werk  kam  im  gleichen  Jahre  mit  anderen  Bildern  aus  erzbischöflichem 
Besitz  als  Leihgabe  in  die  Brera.  Wiederum  eine  Madonna  mit  dem  Kinde 
und  dem  Täufer  (Leinwand,  h.  0,60;  br.  1, 1 2 m).  Kürzlich  soll  die  Akademie 
zu  Venedig  eine  Bildnisgruppe  Licinios  erworben  haben.  Hadeln. 

2)  Lionel  Cust,  The  Royal  Collection  of  Paintings. 

3)  F.  Burger  in  Monatsh.  f.  K.  I S.  914C 


Literaturbericht. 

Skulptur. 

Marie  Schuette,  Der  schwäbische  Schnitzaltar.  Mit 
82  Lichtdrucktafeln  in  Mappe  (Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte, 
91.  Heft).  Straßburg,  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  & Mündel),  1907.  XIV  u. 
265  S.  25  M. 

Das  vorliegende  Buch,  stellt  sich  als  eine-  Erweiterung  der  Berliner 
Dissertation  der  Verfasserin  vom  Jahre  1903  dar.  Die  Verfasserin  hatte, 
wie  sie  im  Vorwort  ausführt,  dabei  ursprünglich  die  Absicht  gehabt,  ihr 
Thema  über  die  Grenzen  des  Schwäbischen  hinaus  auszudehnen,  kam  aber 
von  diesem  Vorhaben  zurück,  da  die  bisher  nur  mangelhafte  Veröffent- 
lichung der  Plastik  der  benachbarten  Länder  dem  Gelingen  unüberwindliche 
Schwierigkeiten  entgegensetzte,  die  Plastik  Schwabens  aber  in  der  eigent- 
lichen Blütezeit  des  Schnitzaltars,  im  15.  und  dem  ersten  Viertel  des  16.  Jahr- 
hunderts, als  im  wesentlichen  indigen  angesehen  werden  muß  und  dabei  in 
ihrer  führenden  Stellung  von  hoher  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  deut- 
schen Kunst  war.  So  blieb  es  also  bei  dem  »Versuch,  an  der  Hand  der  in 
Schwaben  erhaltenen  Altäre  die  Entwicklung  des  schwäbischen  Altars  dar- 
zustellen«. 

Doch  sind  es  nicht  etwa  nur  rein  kunsthistorische  öder  stilkritische 
Fragen,  denen  die  Verf.  nachgeht,  sondern  auch  archäologische  und  ikono- 
graphische.  Namentlich  die  beiden  ersten  Kapitel  befassen  sich  mit  der  Ent* 
wicklung  des  schwäbischen  Altars  als  solchen  seit  dem  Ausgang  des  14.  Jahr- 
hunderts und  mit  den  an  den  schwäbischen  Altären  der  behandelten  Epoche 
zur  Verwendung  gekommenen  Darstellungen.  Allein  schon  hier  macht  sich 
der  alte  Dissertationscharakter,  wenn  ich  so  sagen  darf,  nicht  eben  vorteilhaft 
geltend,  indem  einmal  jene  Beschränkung  auf  Schwaben  den  Blick  einengt 
und  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  in  ihrer  Zuverlässigkeit  und  Bedeutung 
herabdrückt  und  zugleich  aus  Mangel  an  tieferem  Einblick  in  die  Kultur- 
verhältnisse der  Zeit  eine  Begründung,  weswegen  denn  die  Entwicklung  sich 
gerade  so  und  nicht  anders  vollzieht,  kaum  versucht  wird.  Allerdings  wird 
gelegentlich  auf  Tatsachen  aus  der  schwäbischen  Kultgeschichte  Bezug 
genommen,  findet  sich  dem  ersten  Kapitel  ein  kurzer  Vergleich  des  schwäbi- 


Literaturbericht. 


185 

sehen  mit  dem  italienischen  Altarthema  angefügt  und  fehlt  es  nicht  an 
treffenden  Bemerkungen  und  feinen  Beobachtungen,  die  die  Schülerin  Hein* 
rieh  Wölfflins  verraten.  Aber  im  allgemeinen  wird  uns  nicht  viel  mehr  als 
eine  Aufzählung  oder  die  chronologische  Reihenfolge  der  Erscheinungen  dar- 
geboten, selten  oder  nie  sehen  wir  sie  organisch  aus  ihren  Vorbedingungen 
heraus  erwachsen,  und  da  auch  eine  Bezugnahme  auf  die  angrenzende 
fränkische,  rheinische,  schweizerische,  tirolische,  bayerische  Kunst  in  der 
Regel  völlig  mangelt,  so  kommt,  um  es  kurz  zu  sagen,  insbesondere  bei  den 
ikonographischen  Abschnitten  des  Buches  nicht  eben  viel  heraus. 

Ähnliches  gilt  bald  in  stärkerem,  bald  in  geringerem  Maße  von  den 
übrigen  Kapiteln:  die  angedeuteten  beiden  Schwächen  bleiben  auch  hier 
die  Hauptquellen  für  allerlei  Schiefheiten  im  Urteil,  Unzulänglichkeiten  und 
Fehler.  Im  III.  Kapitel  wird  das  Ornament  behandelt.  Frisch  geschrieben 
bietet  der  Abschnitt  wiederum  manche  Anregung;  aber  das  natürliche  Ziel, 
die  Besonderheiten  der  Ornamentik  des  schwäbischen  Schnitzaltars  klar 
herauszuheben,  wird  doch  verfehlt,  weil  die  Entwicklung  auch  hier  fast 
lediglich  aus  sich  selbst  heraus,  mit  nur  ganz  flüchtigen  Seitenblicken  etwa 
auf  Riemenschneiders  Altäre  oder  auf  Hervorbringungen  der  graphischen 
Kunst  zu  begreifen  versucht  wird.  So  wird  beispielsweise  S.  53  »das  Zu- 
sammenziehen einer  zusammengehörigem  Schreindarstellung  unter  einem 
einzigen  breiten  Eselsrücken«  als  eine  Errungenschaft  und  ein  Charakteristi- 
kum der  schwäbischen  Altarplastik  hingestellt,  während  sich  das  gleiche 
Motiv  doch  ebenso  an  nichtschwäbischen  Altären  und  teilweise  früher  als 
in  Schwaben  findet  x). 

Ganz  vortrefflich  und  reich  an  wertvollen  Einzelbeobachtungen  ist  das 
IV.  Kapitel,  das  sich  mit  der  Polychromie  beschäftigt  und  in  dessen  Mittel- 
punkt die  Frage  nach  der  Arbeitsteilung  zwischen  Bildhauer  und  Maler  steht. 
Um  sich  jedoch  im  höheren  Sinne  fruchtbar  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
abschließend  zu  gestalten,  hätte  freilich  die  Behandlung  auch  dieser  Frage 
sich  auf  breiterer  Basis  vollziehen  müssen.  Der  Kunstbetrieb  in  schwäbi- 
schen Landen  vom  14.  bis  in  das  15.  Jahrhundert  macht  gewiß  keine  Aus- 
nahme von  der  bei  den  übrigen  deutschen  Schulen  fast  durchgängig  zu  beob- 
achtenden Erscheinung,  daß  nämlich  die  Bildschnitzerei,  wo  sie  allmählich 
die  noch  das  ganze  13.  Jahrhundert  hindurch  in  den  Kirchen  durchaus  domi- 
nierende Steinplastik  zurückdrängt,  zunächst  im  Rahmen  einer  anderen, 
verwandten  Kunst  oder,  um  mich  mittelalterlich  auszudrücken,  eines' schon 
von  alters  bestehenden  Handwerks  erwächst  und  erst  langsam,  hier  früher, 

*)  Vgl.  den  wahrscheinlich  niederrheinischen  Hausaltar  aus  der  Frühzeit  des  15.  Jahr- 
hunderts im  Bayerischen  Nationalmuseum  (Katalog:  Gotische  Altertümer  Nr.  1335), 
ferner  den  unterfränkischen  Altar  aus  Gerolzhofen  in  dem  gleichen  Museum  (Katalog 
Nr.  1330)  u.  a.  m. 


i86 


Literaturbericht. 


dort  später,  aus  diesem  Rahmen  heraustritt,  zur  Selbständigkeit  erstarkt. 
Dieser  Vorgang  liegt  tief  in  der  Entwicklung  der  Gewerbe  während  des 
Mittelalters  begründet,  und  solche  Abzweigungen  haben  sich  auf  dem  weiten 
Felde  der  Handwerksgeschichte  unzählige  Male  wiederholt.  Wie  die  Tafel- 
maler  aus  dem  Handwerk  der  Schilter  hervorgegangen  waren,  die  Form- 
schneider sich  vielleicht  ursprünglich  aus  den  Reihen  der  Glasmaler  rekru- 
tierten, so  kam  die  Bildschnitzerei  in  der  Regel  wohl  in  den  Werkstätten 
der  Maler  zuerst  auf.  In  Breslau  bildeten  seit  dem  Ausgang  des  14.  Jahrhun- 
derts die  Maler  mit  den  Bildschnitzern  ein  und  dasselbe  Handwerk,  und  die 
gleichen  Meister  werden  in  den  Urkunden  bald  als  Maler,  bald  als  Bild- 
schnitzer bezeichnet* 2 3 4).  In  dem  Arlberger  Bruderschaftsbuche  (15.  Jahr- 
hundert) findet  sich  unter  den  zahlreich  vorkommenden  Künstlern  kein 
Bildschnitzer  genannt,  woraus  mit  annähernder  Sicherheit  zu  schließen  ist, 
daß  sie  sich  hier  noch  unter  den  Malern  verbergen  oder  richtiger,  daß  manche 
der  Maler,  die  in  dem  Buche  genannt  werden,  zugleich  Bildschnitzer  waren  3). 
Auch  im  16.  Jahrhundert  ist  in  dem  erzählenden  Gedicht  von  der  schönen 
Malersfrau,  das  freilich  zweifellos  auf  ältere  Vorlagen  zurückgeht,  noch  als 
von  etwas  ziemlich  Selbstverständlichem  die  Rede,  von  jenem  »maler  wiczen, 
Der  kond  maln  und  sniczen«  4),  wie  es  denn  ja  ohne  Zweifel  auch  zu  Beginn 
des  16.  Jahrhunderts  noch  vereinzelt  Ateliers  zur  Anfertigung  von  Altären 
gegeben  hat,  in  denen  sowohl  geschnitzt  wie  gemalt  wurde  und  die  Trennung 
der  beiden  Tätigkeiten  gewiß  nicht  immer  streng  durchgeführt  war.  In 
Nürnberg  muß  insbesondere  Michael  Wolgemut  einem  solchen  Betriebe  vor- 
gestanden haben. 

Es  ist  nun  gewiß  nicht  ohne  Interesse,  wenn  Sch.  (S.  67  ff.)  in  gründ- 
licher Untersuchung  feststellt,  daß  in  Schwaben  im  letzten  Viertel  des  15.  und 
dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  eine  weitgehende  Arbeitsteilung  geherrscht 
habe.  In  jener  Spätzeit  indes  hatte  sich  auch  im  übrigen  Deutschland  die 
Trennung  der  Bildschnitzer  von  den  Malern  oder  Steinmetzen  im  allgemeinen 
bereits  vollzogen  — Wolgemut  bedeutet  doch  nur  eine  Ausnahme,  die  Ver- 
hältnisse einer  früheren  Epoche  klingen  in  seinem  schon  von  Hans  Pleyden- 
wurf  übernommenen  Betriebe  aus  — , und  ungemein  wichtiger  und  wert- 
voller wäre  daher  eine  Untersuchung  über  die  Herkunft  und  das  Auf- 
kommen der  Bildschnitzerei  großen  Stils  in  den  verschiedenen  Städten 
Schwabens  gewesen,  die  allerdings  aus  den  Schnitzaltären  allein  und  den 

2)  Alwin  Schulz,  Urkundliche  Geschichte  der  Breslauer  Malerinnung  in  den  Jahren 

1345  bis  1523.  Breslau  1866  (danach  Zeitschrift  f.  bildende  Kunst  I,  1866  S.  128). 

3)  Jahrbuch  der  Kunstsammlungen  des  Allerhöchsten  Kaiserhauses  III,  Regest 
Nr.  3032  u.  3038. 

4)  A.  Kellers  Erzählungen  aus  altdeutschen  Handschriften  (Bibliothek  des  literari- 
schen Vereins  Bd.  XXXV  S.  173. 


Literaturbericht. 


I87 


spärlichen  über  sie  erhaltenen  Urkunden  nicht  hätten  abgelesen  werden 
können.  Gewerbegeschichtliche  Untersuchungen  dieser  Art  würden  beispiels- 
weise auch  einer  wirklich  fruchtbringenden  Beschäftigung  mit  der  Kunst 
der  Syrlin  vorauszugehen  haben,  für  die  ja  die  Abstammung  vom  Schreiner- 
handwerk wahrscheinlich  ist.  Eine  solche  Abstammung  aber  würde  dann 
wiederum,  wenn  strikte  nachgewiesen,  im  Zusammenhänge  mit  genauer 
Kenntnis  der  Ulmer  Handwerksverhältnisse  mancherlei  Schlüsse  auf  Umfang 
und  Art  der  Syrlinschen  Tätigkeit  zu  ziehen  gestatten. 

Kapitel  V des  Schuetteschen  Buches  behandelt  mit  feinem  Verständnis 
für  die  kunstgeschichtliche  Entwicklung  das  Figürliche.  Die  Kenntnis  des 
kulturgeschichtlichen  Untergrundes  läßt  freilich  auch  hier  zu  wünschen 
übrig.  So  läßt  sich  manches  in  der  gotischen  Haltung  und  Stellung  aus  kon- 
ventionellen Gesten,  höfischen  Gebärden,  Tanzmotiven  usw.  erklären.  Wäh- 
rend z.  B.  an  Portalen  des  13.  Jahrhunderts  die  gewissermaßen  den  Zeugen- 
chor bildenden  Heiligen  oft  geradezu  »einen  Tanz  tretend«  dargestellt  sind 
und  dieses  Motiv  in  mancherlei  Variationen  auch  bei  Einzelfiguren  die  ganze 
gotische  Zeit  hindurch  bald  hier  bald  dort  wieder  auftaucht,  ist  es  doch  ver- 
ständlich, daß  es  sich  bei  der  Figur  des  Schmerzensmannes  — vergl.  S.  92  — 
nie  verwendet  findet.  Auf  die  Verdrängung  der  weichfließenden  Falten  der 
Wolle  durch  die  tiefen,  eckigen  des  Seidengewandstiles  — vergl.  S.  94  bis  96  — 
ist  ohne  Zweifel  die  Pracht  und  Bedeutung  des  burgundischen  Hofes  von 
bestimmendem  Einfluß  gewesen,  usf. 

Das  VI.  Kapitel  gibt  eine  Übersicht  über  die  schwäbischen  Lokalschulen. 
Ich  möchte  es  als  das  gelungenste  des  Schuetteschen  Buches  bezeichnen; 
denn  wenn  es  auch  weit  davon  entfernt  bleibt  und  auch  gar  nicht  anstrebt, 
eine  Geschichte  der  schwäbischen  Plastik  vom  Ende  des  14.  bis  zum  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  zu  bedeuten,  so  hat  doch  ein  kenntnisreiches  Hinaus- 
greifen wenigstens  über  das  enge  Gebiet  des  Schnitzaltars  eben  hier  eine  Reihe 
wertvoller  Ergebnisse  gezeitigt.  Dazu  rechne  ich  vor  allem  die  Vermehrung 
des  bisherigen  Multscherwerkes  um  die  beiden  bemalten  Statuetten  der 
heiligen  Barbara  und  Magdalena  aus  Kloster  Heiligkreuzthal  im  Oberamt 
Riedlingen,  jetzt  in  der  Lorenzkapelle  zu  Rottweil,  deren  Zuweisung  an 
Multscher  als  in  jeder  Hinsicht  gesichert  gelten  kann,  während  die  Zuteilung 
der  fünf  Figuren  von  der  Ostfassade  des  Ulmer  Rathauses  (Kaiser  Karl  der 
Große,  zwei  Schildknappen  und  die  Könige  von  Ungarn  und  Böhmen, 
Originale  jetzt  im  Gewerbemuseum  zu  Ulm)  an  denselben  Meister  bei  dem 
Mangel  an  geeignetem  Vergleichsmaterial  im  gesicherten  Werke  Multschers 
doch  noch  einigen  Zweifeln  begegnen  dürfte.  Mit  gutem  Stilgefühl  ist  ferner 
eine  Reihe  von  Werken  zusammengestellt,  die  aus  der  Werkstatt  eines  anderen 
Ulmers,  des  Meisters  des  Wippinger  Altars  von  1505,  hervorgegangen  sind, 
und  weiterhin  die  Holzplastik  in  Augsburg,  Memmingen,  Ravensburg,  Urach, 


i88 


Literaturbericht. 


Heilbronn,  Wimpfen,  Hall,  der  einzigen  schwäbischen  Lokalschule,  wo  wir 
Spuren  niederländischen  Einflusses  begegnen,  sowie  Nördlingen  kurz  charak- 
terisiert. Die  Syrlin- Frage  dagegen  ist,  wie  schon  angedeutet,  von  vorn- 
herein nicht  ganz  richtig  angepackt  und  kaum  gefördert,  und  den  vergleichen- 
den Abschnitt,  mit  dem  das  Kapitel  schließt,  hätten  wir  uns  wiederum  ein- 
gehender, Gerpeinsames  wie  Trennendes  kräftiger  und  klarer  hervorhebend, 
kurz  erfolgreicher  gewünscht. 

Als  zweiter  Teil  des  Buches  folgt  eine  sehr  dankenswerte  Zusammen- 
stellung und  knappe  Beschreibung  sämtlicher  der  Verfasserin  bekannt  geworde  - 
ner  schwäbischer  Schnitzaltäre  unter  Beifügung  reichlicher  und  genauer  Litera- 
turangaben. Auch  in  diesem  Verzeichnis  bliebe  freilich  manches  zu  verbessern, 
Verschiedenes  auszuschalten,  anderes  hinzuzufügen,  wie  man  denn  auch  hier 
deutlich  Schichten  von  noch  mangelhafter  Kenntnis  von  solchen,  die  von  reife- 
rem Wissen  und  besserer  Einsicht  zeugen,  unterscheiden  zu  können  meint.  So 
haben  insbesondere,  um  nur  Weniges  hervorzuheben,  weder  das  Altärchen 
mit  den  Wappen  der  Wiesenthau  und  Bibra  im  Germanischen  Museum 
(Katalog  der  Originalskulpturen  Nr.  343),  das  auch  sonst  an  verschiedenen 
Stellen  des  Schuetteschen  Buches  spukt,  noch  der  verwandte  Hausaltar  im 
Bayerischen  Nationalmuseum  (Katalog:  Gotische  Altertümer  Nr.  1322)  mit 
schwäbischer  Kunst  etwas  zu  tun,  gehören  vielmehr,  was  ihre  Schnitzereien 
betrifft,  zu  einer  Gruppe  von  Bildwerken,  die  zwischen  Nürnberg  und  Würz- 
burg mehrere  Vertreter  — ich  denke  z.  B.  an  den  Hochaltar  in  der  Pfarrkirche 
zu  Neustadt  an  der  Aisch  — aufzuweisen  hat  und  offenbar  nach  Würzburg 
gravitiert.  Andererseits  hat  auf  eine  besonders  wichtige  Auslassung,  nämlich 
auf  das  Fehlen  des  Schnitzaltars  des  Ivo  Strigel  vom  Jahre  1514  in  der 
hl.  Veitskirche  auf  dem  Tartscher  Büchel  im  Obervinstgau  ip  Tirol  bereits 
H[ans]  S[emper]  in  seiner  Besprechung  des  Schuetteschen  Buches  im  Lite- 
rarischen Zentralblatt  1908  Sp.  1269  hingewiesen.  Ebenso  hätte  wohl  der 
Altarschrein  von  Ellhofen,  der  keineswegs  als  »künstlerisch  unbedeutend« 
bezeichnet  werden  darf,  eine  ausführlichere  Behandlung  verdient,  als  sie 
ihm  S.  217  des  Buches  zuteil  geworden  ist  5),  und  wären  auch  aus  der  Stutt- 
garter Altertümersammlung  noch  ein  paar  weitere  Altäre  zu  nennen  ge- 
wesen 5 6 7).  Von  geringerem  Belang  sind  eine  Anzahl  kleinerer  Versehen,  wie 
sie  ja  bei  einem  Werke  wie  dem  vorliegenden  kaum  zu  vermeiden  sind  7). 

5)  Vgl.  die  Abbildung  des  kürzlich  wiederhergestellten  Altarschreines  in  der 
»Denkmalspflege«  X (1908)  S.  47. 

6)  Z.  B.  der  aus  Schwarzenburg  a.  d.  Murg  mit  der  Madonna  mit  dem  Kinde.  Auch 
die  beiden  Altarflügel  mit  der  Geburt  und  der  Anbetung  Christi  aus  der  Kirche  zu  Atten- 
hofen bei  Weißenhorn,  seit  1890  im  Gewerbemuseum  in  Ulm,  hätten  hier  oder  doch  im 
ersten  Teil  mit  berücksichtigt  werden  sollen. 

7)  Sinnentstellende  Druckfehler  sind  offenbar  S.  58:  »Heilsbronn«  anstatt  »Heil- 
bronn«j  S.  69:  »Hoferschen  Altar«  anstatt  »Hofer  Altar«j  S 76:  »1592«  anstatt  »1492«, 


Literaturbericht. 


189 


Dem  Textband  ist  eine  sehr  ansehnliche  Mappe  mit  82  zum  Teil  gut 
ausgefallenen  Lichtdrucktafeln  beigegeben,  auf  die  nur  leider  im  Texte 
nirgends  verwiesen  wird,  was  das  Studium  des  Buches  recht  erschwert. 
Immerhin  bilden  diese  Tafeln,  die  zum  größten  Teil  auf  Grund ' eigener 
mühevoller  photographischer  Aufnahmen  der  Verfasserin  hergestellt  sind, 
einen  der  Hauptruhmestitel  des  Buches,  wie  denn  die  vorstehende  Kritik 
überhaupt  nicht  etwa  dahin  verstanden  werden  möchte,  daß  man  es 
alles  in  allem  mit  einer  nur  wenig  brauchbaren  Arbeit  zu  tun  habe.  Im 
Gegenteil:  der  Eifer  und  das  redliche,  durchaus  wissenschaftliche  Bemühen 
der  Verfasserin  haben  die  noch  so  wenig  ausgebaute,  ja  man  kann  sagen : noch  so 
wenig  erforschte  Geschichte  der  deutschen  Plastik  um  zahlreiche  wertvolle 
Einzelergebnisse  bereichert  und  eine  Fülle  neuen  Materials  erschlossen,  das 
in  der  Tat  reichlich  »für  das  Unbefriedigende  und  das  Stückwerk«,  um  der 
Verfasserin  eigene,  von  richtiger, sogar  etwas  allzu  scharferSelbstkritik  zeugende 
Worte  zu  gebrauchen,  »entschädigt,  das  der  Arbeit  trotz  aller  Mühe  haften 
geblieben  ist«  (S.  5,  am  Schluß  der  Einleitung).  DieVerf.  hat  eben  mit  teilweise 
noch  unzulänglichen  Waffen  gegen  einen  übermächtigen  Gegner  gerungen, 
über  den  jedoch  eine  Reihe  kleiner  Vorteile  davonzutragen,  dem  nicht  völlig 
zu  erliegen,  schon  als  eine  Tat  bezeichnet  werden  darf.  Theodor  Hampe. 


Malerei. 

Johannes  Sievers.  Pieter  Aertsen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  niederländischen  Kunst  im  XV I.  Jahrhundert. 
Mit  35  Abbildungen  auf  32  Lichtdrucktafeln.  Verlag  von  Karl  W.  Hierse- 
mann.  Leipzig  1908.  (Band  IX  der  Kunstgeschichtlichen  Monographien.) 
Der  147  Seiten  umfassende  Band  ist  aus  einer  bereits  1906  gedruckten 
Hallenser  Dissertation  hervorgegangen.  Einen  Auszug  enthält  die  für  den 
ersten  Band  des  Thieme-Beckerschen  Künstlerlexikons  (1907)  geschriebene 
Aertsen- Biographie  desselben  Verfassers,  die  mir  in  ihrer  inhaltsreichem 
Knappheit  als  einer  der  vorbildlichen  Beiträge  dieser  Publikation  er- 
scheinen will.  Das  Buch  dagegen  wirkt  etwas  langatmig  durch  die  allzu 

S.  206:  »Wornersberg«  anstatt  »Wernersberg«'  und  »Unter-Göppingen«  anstatt  »Unter- 
Gröningen« — ich  erwähne  sie  nur,  weil  sie  im  Druckfehlerverzeichnis  nicht  vermerkt  stehen. 
Der  langbärtige  Heilige  in  Wasseralfingen  (S.  141)  kann  Laurentius  nicht  sein.  S.  201 : 
der  Bischof  mit  Stab  und  Glocke  (darunter  übrigens  ein  Teufel)  ist  wohl  Theodul;  im 
Memminger  Schrein  nicht  Stephanus  sondern  Laurentius;  die  Figürchen  in  Diakonen- 
tracht sind  wohl  einfach  Engel,  der  Ritter  ohne  Attribut  nach  seiner  Geste  offenbar  Martin. 
S.  202:  die  Flügel  aus  Mistlau  sind  nicht  in  Malerei,  sondern  in  Reliefschnitzerei  ausge- 
führt, der  Altar  ist  übrigens  eher  schwäbisch  als  fränkisch.  S.  203:  im  Riedener  Altar 
nicht  Reliefs,  sondern  Vollfiguren;  beim  Schnaither  Altar  ist  anstatt  »Konrad  und  Paulus« 
»Konrad  und  Jakobüs«  zu  lesen,  usf. 


Literaturbericht. 


I9O 

skrupulöse  Beschreibung  der  ohnehin  überfüllten  Gemälde  des  »langen 
Pier«;  sie  stellt  der  Gewissenhaftigkeit  des  Autors  das  beste  Zeugnis  aus, 
macht  die  Lektüre  jedoch  nicht  eben  genußreich.  Und  doch  hätte  aus  der 
Darstellung  dieses  Künstlerlebens  etwas  sehr  Fesselndes  werden  können, 
wenn  ein  streng-kunstgeschichtlicher  Standpunkt  immer  wieder  das  betont 
hätte,  was  bei  Aertsen  uns  mehr  interessiert  als  sein  Leben  oder  die  isolierten 
Werke:  die  Stellung  dieser  in  ihrer  Einseitigkeit  sehr  starken  Begabung 
in  der  Geschichte  des  Sittenbildes.  Die  Frage  nach  den  Beziehungen  des 
Aertsen- Stiles  zum  Braunschweiger  Monogrammisten  und  zu  Pieter  Brueghel 
findet  keine  befriedigende  Lösung.  Die  nicht  geringen  Vorzüge  dieser  Arbeit 
liegen  nach  der  Seite  der  Bilderkritik  und  dem  Aufstellen  eines  zwar  noch 
erweiterungsfähigen,  aber  jetzt  schon  überraschend  reichhaltigen  Bilder- 
katälogs.  Hier  ist  der  Stoff  durchaus  bemeistert  und  mit  einer  Liebe,  die 
darüber  hinweghelfen  kann,  daß  der  Verfasser  mehr  mit  der  Lupe  als  mit 
dem  Fernrohr  operiert  hat. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung  und  einer  Übersicht  der  Literatur,  in 
der  N.  de  Roevers  Aufsatz  im  VII.  Jahrgang  von  Oud-Holland  das  Wich- 
tigste darstellt,  beschreibt  S.  das  Leben  des  Künstlers.  Eine  über  Allge- 
meines hinausgehende  Verwandtschaft  seiner  Kunst  mit  der  des  Lehrers, 
des  nur  aus  Stichen  bekannten  Allaert  Claesz,  wird  nicht  zugegeben.  Ob 
er  Italien  besucht  hat,  ist  fraglich;  die  vielen  Italismen  können  aus  zweiter 
Quelle  kommen.  1535  tritt  A.  als  Siebenundzwanzigjähriger  in  die  Ant- 
werpner  St. -Lukas-Gilde  ein,  das  früheste  datierte  Werk  stammt  aber  erst 
von  1543.  Wahrscheinlich  1555  siedelt  er  wieder  in  seine  Geburtsstadt 
Amsterdam  über;  man  weiß  nicht  genau,  aus  welchem  Grunde  er  die  Schelde- 
stadt, wo  er  große  Aufträge  hatte,  verlassen  hat.  Aus  demselben  Jahre 
sind  die  bekannten  Glasgemälde  der  Oude  Kerk  in  Amsterdam  datiert. 
1575,  nicht  1573,  wie  K.  van  Mander  berichtet,  ist  Aertsen  gestorben. 

Es  folgt  (auf  78  Seiten)  der  Hauptteil:  »Die  Gemälde  des  Künstlers«, 
alle  wichtigeren  sind  in  den  scharfen  und  in  ihrer  Nüchternheit  so  soliden 
Lichtdrucken  des  Hiersemannschen  Verlags  gut  wiedergegeben.  Ich  gebe 
in  aller  Kürze  ein  Verzeichnis  derjenigen  Werke,  die  Sievers,  unterstützt 
besonders  von  Pol  de  Mont,  Hofstede  de  Groot  und  B.  W.  F.  van  Riemsdijk, 
neu  in  die  Literatur  eingeführt  hat,  eine  stattliche  Liste ! I.  L i 1 1 e , Museum. 
Alte  Bäuerin,  Kniestück.  Mit  der  Dreizackmarke  bez.  und  datiert  1543 
(die  letzte  Ziffer  undeutlich).  2.  Antwerpen,  der  Flügelaltar  des  Stiftes 
Bogaerts -Torfs  mit  der  Kreuzigung  im  Mittelbilde,  den  beiden  Johannes 
auf  den  Innenseiten,  Stiftern  und  Heiligen  auf  den  Außenseiten  der  Flügel. 
Bereits  van  den  Branden  und  J.  de  Roever,  auch  die  Lexika,  hatten  auf 
diesen  urkundlich  1546  von  Jan  van  der  Biest  für  sein  »van  der  Biest-Hofje« 
gestifteten  Altar  hingewiesen,  ihn  aber  nicht  ausfindig  machen  können. 


Literaturbericht. 


I9I 


1907,  nach  Sievers’  Entdeckung,  waren  die  stark  italisierenden  und  im 
Kolorit  wenig  harmonischen  Gemälde  als  Leihgabe  und  restauriert  im  Ant- 
werpner  Museum  ausgestellt.  3.  Brüssel,  P.  Dansette.  Kirmesbild 
mit  vielen  kleinen  Figuren,  undatiert.  4.  Upsala,  Universität.  Fleisch- 
bude, von  1551,  eins  der  besten  Werke  von  Aertsen,  trotz  den  kleinen  Figuren 
ein  reines  Stillebenbild.  5.  Baien  a.  d.  Nethe,  Kirche.  Kreuztragung. 
Das  Bild  hat  die  engste  Verwandtschaft  mit  dem  bekannten  Gemälde  des 
Kaiser-Friedrich-Museums  und  ist  wohl  annähernd  in  demselben  Jahre, 
1552,  entstanden.  6.  Brüssel,  Devolder.  Ecce  Homo-Bild  mit  vielen 
kleinen  Figuren.  Bez.  Steht  dem  Braunschweiger  Monogrammisten  sehr  nahe  ! 

7.  B e e s e 1 in  Südholland,  Schloß  Nieuwebruck.  Fragment  einer  An- 
betung der  Hirten,  von  1 5 54.  Wahrscheinlich  von  einem  der  im  Bilder- 
sturm zerstörten  großen  Amsterdamer  Altarwerke  (vgl.  van  Mander). 

8.  Haag,  Tholen.  Fragment  der  Maria  mit  dem  Kinde,  aus  einer  An- 

betung der  Hirten,  annähernd  zwischen  1555  und  1560  entstanden.  9.  Am- 
sterdam, Deutzen-Hofje.  Anbetung  der  Könige.  Entstehungszeit 
wie  bei  dem  vorigen.  IO.  C u 1 e m b o u r g bei  Utrecht,  Elisabeth-Waisen- 
haus. Die  vier  Evangelisten.  Sehr  schlecht  erhalten.  Um  1559.  n.  Ant- 
werpen, Mayer  van  den  Bergh.  Bauerngesellschaft.  Von  1556. 
12.  Petersburg,  Delaroff.  Christus  und  die  Ehebrecherin,  ähnlich 
dem  Bilde,  das  vor  etwa  zwei  Jahren  dem  Staedelschen  Institut  aus  dem 
Nachlaß  der  Frau  Berg  zufiel.  Zurzeit  in  der  Lakenhai  in  Leiden  ausgestellt, 
vgl.  K.  Freise  in  den  Biermannschen  Monatsheften  I S.  1140.  13.  Düssel- 
dorf, ehemals  in  der  aufgelösten  Sammlung  der  Fahnenburg.  Fisch- 
und  Gemüsemarkt.  Wurde  fälschlich  dem  J.  Beuckelaer  zugeschrieben. 
14.  G e n u a , Palazzo  Bianco.  Köchin  am  Kamin,  verwandt  dem  bekannten 
Bilde  der  Brüsseler  Galerie.  Von  1559.  15.  Budapest,  Museum.  Alter 
Bauer.  Von  1561.  16.  Petersburg,  Semionoff.  Marktbauer.  ^.Stock- 
holm, Nat. -Museum.  Zwei  Köchinnen  bei  der  Arbeit.  Von  1562.  Galt 
bisher  als  Beuckelaer.  Nachdem  schon  Hofstede  de  Groot  aus  stilistischen 
Gründen  die  Umtaufe  vorgeschlagen  hatte,  fand  S.  im  dunklen  Grunde 
die  Dreizackmarke.  18.  Antwerpen,  Spruyt.  Gemüsehändlerin,  von 
1567.  19.  Stockholm,  Graf  Hallwyl.  Stilleben  mit  kleinen  Figuren. 

Von  1569.  Das  letzte  datierte  Werk  des  Meisters. 

Von  den  zahlreichen  Zeichnungen,  die  Aertsen  in  den  verschie- 
denen Kabinetten  zugeschrieben  werden,  läßt  S.  nur  vier  gelten:  zwei  Küchen- 
szenen in  Amsterdam  und  Berlin,  ein  Bauernfest  in  Dresden,  den  Entwurf 
zu  einem  Glasfenster  in  der  Hamburger  Kunsthalle. 

Ein  umfangreiches  Kapitel,  das  die  »dem  Künstler  fälschlich  zuge- 
schriebenen Gemälde«  behandelt,  ist  von  großer  Wichtigkeit  durch  die 
strenge  Abgrenzung  der  verwandten  Kunst  Joachim  Beuckelaers  und  der 


192 


Literaturbericht. 


Söhne  Pieter  Pietersz  und  Aert  Pietersz.  Mit  Recht  werden  die  Gemälde 
in  Kassel,  Karlsruhe,  Pommersfelden  und  a.  a.  0.,  die  bis  auf  die  neueste 
Zeit  in  der  einschlägigen  Literatur  mitgeführt  wurden,  dem  Künstler  abge- 
sprochen. Auf  einem  dieser  Pseudo -Aertsens,  einem  Marktbilde  des  National- 
museums zu  Neapel,  fand  S.  die  Bezeichnung  »Arnol(d)  de  Muyser«.  Kommt 
dieser  Unbekannte  noch  anderwärts  vor? 

Eine  Schlußbetrachtung  bringt  verständige  Bemerkungen  über  die 
losen  Zusammenhänge  mit  der  Kunst  der  Bassani,  verzichtet  auch  nicht 
darauf,  auf  die  noch  ungelösten  vorhin  bezeichneten  Probleme  hinzuweisen. 
Als  Zeitgenossen  und  im  Streben  verwandte  Künstler  werden  neben  Hemessen 
noch  Jan  Mandijn,  Hendrick  und  Martin  van  Cleve  genannt.  Es  wäre  sehr 
wünschenswert,  wenn  der  Verfasser  seine  Studien  auf  diese  Gruppe  der 
ältesten  niederländischen  Sittenbildmaler  ausdehnen  und  auch  den  so  frucht- 
baren J.  Beuckelaer  einmal  im  Zusammenhänge  behandeln  wollte. 

Walter  Cohen. 


Kunsttopographie. 

Österreichische  Kunsttopographie.  Herausgegeben  von  der  K.  K.  Zentral- 
kömmission für  Kunst-  und  historische  Denkmale  unter  der  Leitung  ihres 
Präsidenten  Seiner  Exzellenz  Josef  Alex.  Freiherrn  von  Helfert,  redigiert 
von  Prof.  Dr.  Max  Dvorak.  Bd.  I,  Bd.  II.  Bearbeitet  von  Dr.  Hans 
Tietze,  mit  Beiträgen  von  Prof.  Dr.  Moritz  Hörnes,  Dr.  Max.  Nistler  und 
Dr.  Heinrich  Sitte.  Wien  1907/08. 

Nun  ist  auch  Österreich,  das  vor  50  Jahren  einen  so  bedeutsamen 
Anfang  in  der  Erforschung  und  Darstellung  seiner  Kunstdenkmale  gemacht, 
dann  aber  eine  Zeitlang  auf  seinen  Lorbeeren  geruht  hatte,  mit  dem  Ent- 
schluß hervorgetreten,  eine  vollständige  Kunsttopographie  herauszugeben. 
Die  Verspätung  bringt  einen  Vorteil;  man  konnte  aus  den  im  Zwecke 
analogen  deutschen  Inventaren  lernen;  nach  der  Meinung  der  Herausgeber 
noch  mehr  aus  den  Fehlern  als  aus  den  positiven  Eigenschaften  derselben. 
Auf  den  ersten  Blick  erkennt  man,  daß  dem  neuen  Unternehmen  bedeutendere 
finanzielle  Mittel  zur  Verfügung  stehen,  als  den  meisten  deutschen  Vorgängern, 
und  der  Name  des  Generalredakteurs  leistet  Bürgschaft,  daß  an  die  wissen- 
schaftliche Qualität  der  Arbeit  höchste  Ansprüche  gestellt  worden  sind. 

Ich  fühle  mich  insofern  als  keinen  ganz  kompetenten  Beurteiler,  als 
ich  die  bezüglichen  Denkmäler  nicht  aus  eigener  Anschauung  kenne.  Da- 
für kenne  ich  sehr  genau  die  deutschen  Inventare,  und  der  Vergleich  mit 
ihnen  hat  mich  besonders  interessiert. 

Dvorak  hat  in  den  Wiener  „Kunstgeschichtlichen  Anzeigen«  1906  eine 
Generalkritik  der  deutschen  Inventare  vorausgeschickt.  Er  findet,  daß  »die 


Literaturbericht. 


193 


meisten  bei  weitem  nicht  den  Anforderungen,  welche  an  sie  gestellt  werden 
müßten«  entsprechen,  ja  überhaupt,  daß  sie  »wissenschaftlich  unfrucht- 
bar« geblieben  sind;  doch  sei  dies  weniger  den  Beurteilern  persönlich,  als 
dem  verfehlten  Programm  zur  Last  zu  legen.  Daß  sich  unter  den  in  Frage 
kommenden  150  und  mehr  Bänden,  deren  Erscheinen  sich  über  40  Jahre 
erstreckt,  einen  Zeitraum,  in  dem  die  Kunstwissenschaft  große  Wandlungen 
durchgemacht  hat,  viel  Unzulängliches,  ja  geradezu  Schlechtes  befindet,  muß 
ich  leider  bestätigen;  doch  auch,  wenn  schon  in  der  Minorität,  viel  Gutes,  mehr 
als  D.  zugestehen  will.  Die  Quelle  der  Mängel  sehe  ich  aber,  umgekehrt  wie 
D.,  mehr  in  den  Personen  als  im  Programm.  Hätten  die  staatlichen  und 
provinziellen  Behörden,  die  die  Arbeit  vergeben,  zwischen  kunstwissen- 
schaftlich Gebildeten  und  Halbgebildeten  zu  unterscheiden  verstanden,  so 
wäre  auch  unter  den  gegebenen  Programmen  Gutes  zustande  gekommen. 
Und,  wie  schon  gesagt,  doch  nicht  so  ganz  selten  ist  es  auch  zustande  ge- 
kommen. 

Das  neue  Programm,  das  D.  aufstellt,  verlangt  »eine  möglichst  aus- 
führliche Behandlung«,  »eine  exakte  Untersuchung  über  die  historische 
Bedeutung  der  Denkmäler  und  Denkmälergruppen«,  namentlich  auch 
»Durchforschung  der  Archive«.  Das  heißt  soviel  als:  die  Inventarisation 
soll  nicht  Vorarbeit,  sie  soll  definitive  Arbeit  sein.  Gegenüber  solchem 
Idealismus  möchte  man  fast  kleinlaut  werden,  wenn  man  praktische  Be- 
denken nicht  verschweigen  kann.  Leider  sind  sie  unwidersprechlich  ein 
großer  Machtfaktor  in  unserer  wirklichen  Welt.  Zunächst  die  Frage:  Wenn 
wir  mit  unserem  als  oberflächlich  bezeichneten  deutschen  Programm  in 
40  Jahren  erst  zwei  Drittel  des  Pensums  erledigt  haben,  wieviel  Zeit  wird 
das  österreichische  bis  zu  seiner  Erfüllung  nötig  haben?  Ist  es  recht,  die 
gegenwärtige  Generation  darauf  zu  vertrösten,  daß  die  nächste  und  eigent- 
lich erst  übernächste  es  gut  haben  wird?  Wie  soll  man  die  historische  Be- 
deutung der  Denkmäler  eines  Bezirks  »exakt«  bestimmen,  so  lange  man 
noch  nicht  weiß,  wo  man  das  Vergleichsmaterial  in  den  anderen  Bezirken 
zu  suchen  hat?  Ich  fürchte,  vielmehr  ich  sehe  bestimmt  voraus:  dem  öster- 
reichischen Inventar  wird  es  nach  40  Jahren  ebenso  gehen,  wie  dem  deut- 
schen, d.  h.  man  wird  in  ihm  Unvollkommenheiten  entdecken;  einige  viel- 
leicht schon  heute.  Meines  Erachtens  ist  der  in  Deutschland  eingeschlagene 
Weg  gar  nicht  so  falsch  im  Prinzip  gewesen.  Der  Aufbau  des  Inventarisa- 
tionswerkes darf  nicht  gleichsam  in  senkrechten  Abschnitten  von  Joch  zu 
Joch,  sondern  er  muß  stufenweise  vor  sich  gehen.  Wir  wären  heute  weiter, 
als  wir  sind,  wenn  man  sich  begnügt  hätte,  zunächst  das  bescheidenere  Pro- 
gramm (etwa  in  dem  Umfange  wie  in  der  ersten  Hälfte  des  Inventars  für 
Oberbayern)  für  das  ganze  deutsche  Kunstgebiet  zu  Ende  zu  führen,  schnell 
und  energisch.  Auf  diesem  Unterbau  hätte  dann  die  nächste  Generation 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


13 


194 


Literaturbericht. 


das  Hauptgeschoß  aufführen  sollen.  Beispiel:  die  beiden  Inventare  für 

den  Regierungsbezirk  Kassel,  das  von  Lotz  1870  und  das  von  Bickell  1901 
begonnene  neue.  In  mehreren  Gebieten,  z.  B.  in  der  zweiten  Hälfte 
Oberbayerns,  hat  man  schon  vor  den  Österreichern  das  österreichische 
Programm  durchzuführen  getrachtet.  Man  hat  ein  Vierteljahrhundert  dazu 
gebraucht,  und  jetzt  hat  man  im  Gesamtinteresse  als  richtig  erkannt,  von 
diesem  Verfahren  wieder  abzugehen. 

Als  ein  wirkliches  und  nicht  notwendiges  Übel  der  deutschen  Programme 
betrachte  ich  die  von  den  meisten  Auftraggebern  verlangte  Verkoppelung 
der  wissenschaftlichen  Aufgabe  mit  dem  Streben  nach  Wirkung  über  die 
wissenschaftlichen  Kreise  hinaus.  Nicht  als  ob  nicht  das  Ziel  an  sich  ein  höchst 
lobenswertes  wäre.  Allein  es  erfordert  eine  Summe  von  pädagogischem  Ge- 
schick und  literarischer  Sorgfalt,  die  man  nicht  häufig  antreffen  wird.  Trotz- 
dem deutet  die  Tatsache,  daß  nicht  wenige  Inventarbände  schon  vergriffen 
sind,  auf  ein  entschiedenes  Verlangen  nach  dieser  Richtung  im  Publikum. 
Besser  hätte  man  demselben  dadurch  Genüge  getan  (und  könnte  es  noch 
immer  nachholen),  daß  man  den  wissenschaftlichen  Bearbeitungen  kurze 
populäre  Auszüge  an  die  Seite  gestellt  hätte. 

Sehen  wir  uns  nun  die  beiden  Erstlingsbände  der  österreichischen 
Kunsttopographie  näher  an.  Der  eine  behandelt  den  politischen  Bezirk 
Krems,  der  andere  einen  Teil  der  Außenbezirke  Wiens  (XI — XXI).  Beide 
in  4°.  Der.  erste  XXIV  plus  608  Seiten  mit  29  Tafeln  und  480  Abbildungen 
im  Text,  der  andere  entsprechend  XXXIX,  544,  37,  625.  Das  Gewicht 
eines  jeden  Teiles  mit  Einband  über  3I/2  Kilogramm.  Es  versteht  sich 
von  selbst,  daß  schon  diese  Äußerlichkeiten  einschränkend  sowohl  auf  die 
Art  der  Benutzung  als  auf  den  Umkreis  der  Benutzer  einwirken  müssen. 
Genau  den  entgegengesetzten  Weg  hat  man  kürzlich  in  Bayern  eingeschlagen 
durch  das  Prinzip  der  Teilung  in  sehr  viele  kleine  Bände,  womit  man  das 
Studium  an  Ort  und  Stelle  erleichtern,  vor  allem  eine  populär-erzieherische 
Wirkung  anbahnen  will.  Noch  entschiedener  zeigt  sich  in  der  inneren  Be- 
handlung des  österreichischen  Werkes  der  entschlossene  Verzicht  auf  alle 
Nebenzwecke.  Die  Kunst  allein  ist  Gegenstand,  aber  sie  in  weitestem 
Umfange.  Sicher  ist  diese  Konzentration  wissenschaftlich  ein  großer  Vor- 
teil. Die  gedankenlose  Ausdehnung  der  historischen  Einleitungen  auf 
Vorgänge  und  Verhältnisse,  die  mit  der  Kunstgeschichte  nichts  zu  tun 
haben,  und  die  Vermischung  der  Kunstaltertümer  mit  Privataltertümern 
ist  ein  erst  in  jüngeren  deutschen  Inventaren,  doch  auch  nur  in  einigen, 
aufgetauchter  Fehler,  keineswegs  eine  allgemeine  Eigenschaft,  wie  man 
nach  Dvoräks  Kritik  glauben  könnte.  Daß  sich  die  vorliegenden  Bände 
gänzlich  von  ihm  frei  halten,  hat  natürlich  meinen  vollen  Beifall.  Dafür 
ist  den  rein  kunstgeschichtlich  gefaßten  Einleitungen  reichlicher  Raum 


Literaturbericht. 


J95 


gewährt.  Manchmal  gehen  sie  sogar  weiter,  als  durch  den  Begriff  der  Topo- 
graphie gerechtfertigt  ist;  z.  B.  S.  17  die  Erörterung  über  den  Physiologus. 

Wohlüberlegt  und  im  ganzen  gelungen  ist  die  typographische  Ein- 
richtung. Sie  ist  als  Bedingung  schneller  Orientierung  eine  wirklich 
wichtige  Sache  und  wurde  in  den  älteren  deutschen  Inventaren  schwer 
vernachlässigt.  Einzelnes  wäre  auch  hier  noch  einer  bessernden  Revision 
zu  unterziehen.  So  z.  B.  verstehe  ich  nicht,  weshalb  die  Künstlernamen 
nur  in  der  historischen  Einleitung,  aber  nicht  im  Haupttext  durch  Sperr- 
druck hervorgehoben  sind.  Auch  ist  es  nicht  zweckmäßig,  daß  öfters  Angaben 
über  Glasgemälde  und  Deckengemälde  in  die  Baubeschreibung,  wieder  ohne 
Sperrdruck,  eingestreut  sind,  also  in  einer  Rubrik  Unterkommen,  in  der 
man  sie  nicht  sucht. 

Neu  ist  die  ganz  eingehende  Behandlung  der  Privatsammlungen. 
Auch  im  illustrierten  Teil  nehmen  sie  einen  großen  Raum  in  Anspruch.  Ich 
halte  dies  für  Übertreibung.  Denn  der  Inhalt  dieser  Sammlungen  hat  mit 
der  lokalen  Kunstgeschichte  selten  etwas  zu  tun  und  wird  schwerlich  lange 
Zeit  am  Orte  haften  bleiben.  Ich  will  damit  nicht  sagen,  daß  die  Arbeit  un- 
getan hätte  bleiben  sollen;  allein  ihr  richtiger  Platz  ist  in  Beiheften,  wie  ja 
ein  solches,  in  Durchbrechung  des  Systems,  für  einen  einzelnen  Fall,  für  die 
Sammlungen  des  Schlosses  Grafenegg,  auch  schon  tatsächlich  in  Anwendung 
gebracht  ist. 

Auch  sonst  ist  die  Malerei,  in  geringerem  Grade  die  Plastik,  im  Text 
und  noch  mehr  in  den  Abbildungen  stark  bevorzugt,  während  ein  großer 
Teil  der  deutschen  Inventare,  bald  aus  Sparsamkeit,  bald  und  Öfter  aus 
weiser  Vorsicht,  über  diese  Partien  sehr  eilig  wegzukommen  pflegt. 

Nun  aber  das  Stiefkind:  die  Baukunst.  Ein  Stiefkind  in  ganz  unbegreif- 
lichem Maße ! Bereits  der  Überblick  über  die  Illustrationen  zeigt  es.  Einige 
kleine  summarische  Grundrisse  und  wenige  photographische  Ansichten. 
Nicht  ein  einziger  Längen-  oder  Querschnitt  in  den  zwei  starken  Bänden. 
Mit  der  Rangstellung,  die  das  Werk  beansprucht,  und  den  Mitteln,  die  ihm 
zur  Verfügung  stehen,  ist  diese  bequeme  Lässigkeit  ganz  unvereinbar.  Auch 
die  größte  Kunst  der  Beschreibung  könnte  für  das  Fehlende  zeichnerischer 
Darstellung  keinen  Ersatz  bieten.  Dr.  Tietzes  Kunst  ist  aber  sicher  nicht  groß. 
Seine  Beschreibungen  sind  nicht  anschaulich.  Mit  derselben  oder  selbst  einer 
geringem  Zahl  von  Worten  ließe  sich  mehr  sagen.  Ein  Mangel  an  Klarheit 
über  das  Wesen  der  Sache  zeigt  sich  von  vornherein  darin,  daß  er  die  Be 
Schreibung  mit  dem  Äußern  beginnt.  Das  erste  Bedürfnis  des  Lesers,  der 
sich  einen  Bau  im  Geiste  konstruieren  will,  ist,  eine  Generalidee  vom 
Raumbilde  zu  erhalten.  Also  mit  Angaben  über  Grundriß  und  Quer- 
schnitt muß  begonnen  werden.  Ich  gebe  als  Beleg  ein  paar  Stich- 
proben. In  der  Beschreibung  der  Dominikanerkirche  in  Krems  (I,  242) 


196 


Literaturbericht. 


hört  man  von  vier  hohen  Kreuzgewölben,  über  die  Gestalt  des  Querschnitts 
erfährt  man  nichts;  ist  es  eine  Hallenkirche?  ist  es  eine  Basilika?  In  der 
historischen  Einleitung  wird  kurz  bemerkt:  die  Kirche  stamme  »noch  aus 
der  Übergangszeit  und  dürfte  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts  gebaut  sein« 
— aber  es  fehlt  jede  Beschreibung  der  zum  Beweis  dienenden  Formen 
oder  auch  nur  die  Bezeichnung  der  Punkte  des  Gebäudes,  wo  sie 
liegen.  — Ich  blättere  weiter:  Pfarrkirche  St.  Michael  in  Heiligenstadt 
(II  409)  »dreischiffige  Pfeilerbasilika  mit  stark  erhöhtem,  durch  ein- 
gebauten spitzen  Triumphbogen  abgetrenntem  Chor;  das  Langhaus 
mit  Netzgewölben,  der  Chor  mit  drei  Kreuzgewölbejochen  und  einem 
Abschluß  in  fünf  Seiten  des  Achtecks.«  Dann  noch  Mitteilung  einer 
Inschrift  von  1510.  Das  ist  die  ganze  Beschreibung,  die  durch  keinen 
Grundriß,  keine  Innenansicht  unterstützt  wird  und  die  notwendigsten 
stilgeschichtlichen  Fragen  unbeantwortet  läßt.  Für  ein  Inventar,  das  sich 
»möglichst  ausführliche  Behandlung«  zum  Ziel  gesetzt  hat,  ist  das  zu  wenig, 
auch  wenn  das  Gebäude  nach  dem  (subjektiven)  Ermessen  des  Heraus- 
gebers unerheblich  sein  sollte.  — Wie  wird  das  Hauptstück  der  zwei  Bände, 
das  Schloß  Schönbrunn  behandelt  sein?  In  der  »kunstgeschichtlichen  Über- 
sicht« bemerkt  Dr.  Tietze,  daß  die  Geschichte  noch  sehr  im  Dunkeln  läge, 
es  müßte  eine  monographische  Behandlung  der  topographischen  Aufnahme 
vorangehen.  »Daß  jene  noch  so  vielfach  fehlt,  ist  eine  Tatsache,  die  kon- 
statiert werden  muß,  so  daß  wir  gezwungen  sind,  um  uns  nicht  in  weitführende 
Untersuchungen  zu  verlieren,  unsere  Darstellung  auf  der  bisherigen  Literatur 
aufzubauen  und  sie  nur  durch  das  zunächstliegende  archivalische  Material 
zu  ergänzen.«  Ich  denke  nicht  daran,  aus  diesem  Geständnis  einen  Vorwurf 
abzuleiten;  sehr  lehrreich  ist  aber  doch,  daß  gleich  bei  dem  ersten  wichtigen 
Fall  reichlich  Wasser  in  den  Wein  des  idealistischen  Programms  hat  ge- 
gossen werden  müssen.  Etwas  anderes  aber  war  schon  heute  nicht  nur 
möglich,  sondern  unbedingt  gefordert:  eine  anschauliche  Darstellung  der 
Baugestalt.  Sie  ist  ausgeblieben.  Die  die  älteren  Planstadien  wiedergeben- 
den Kupferstichprospekte  kennen  zu  lernen  ist  interessant,  die  Dar- 
stellung des  heutigen  Bestandes  ist  aber  gänzlich 
ungenügend.  Von  Abbildungen  desselben  werden  gegeben:  zwei 

Grundrißskizzen  im  Formate  15,5  : 5>5  cm,  zwei  photographische  Fassaden- 
ansichten als  Vignetten  von  4,4  cm  Höhe  und  17  cm  Breite.  Die  zweite 
dieser  Ansichten  (Fig.  128,  Gartenfassade)  ist  mit  dem  Grundriß  absolut 
nicht  in  Einklang  zu  bringen.  Geometrische  Darstellungen  des  Aufbaus 
fehlen  ganz,  nicht  ein  einziges  Profil  wird  gegeben.  Zum  mindesten  wären 
größere  photographische  Teilansichten  mit  Leichtigkeit  zu  beschaffen  ge- 
wesen. Auch  dieses  ist  nicht  geschehen.  Nur  aus  dem  Innern  weiden  einige 
Dekorationsmotive  beigebracht.  Resultat:  Unmöglichkeit  einer  auch  nur 


Literaturbericht. 


197 


einigermaßen  eingänglichen  Auffassung  und  Würdigung  dessen  was  Schloß 
Schönbrunn  als  Bauwerk  ist  und  bedeutet.  Wenn  ich  nun  sehe,  daß  in 
demselben  Bande  der  Inhalt  der  privaten  Sammlungen  des  Bezirks  — 
griechische  Vasen,  römische  Emails,  niederländische  Handzeichnungen, 
Porträts  des  19.  Jahrhunderts  — aufs  breiteste  illustriert  ist,  so  stehe  ich 
vor  einer  Verteilung  von  Kargheit  und  Verschwendung,  deren  Prinzip  ich 
nicht  zu  enträtseln  vermag. 

So  ist  denn  auch  diese  neue,  mit  so  hochfliegenden  Vorsätzen  begonnene 
Kunsttopographie  einstweilen  nicht  frei  geblieben  von  Einseitigkeiten  und 
Subjektivitäten,  Lücken  und  Schwächen.  Von  der  Kritik  der  deutschen 
Vorgänger  ist  sie  ausgegangen;  viele  Fehler  derselben  hat  sie  einsichtsvoll 
vermieden,  nicht  alle  Vorzüge  der  besten  unter  jenen  erreicht.  Da  ich 
mit  meinen  Ausstellungen,  wie  ich  glaube,  nicht  allein  stehen  werde,  möchte 
ich  hoffen,  daß  die  Redaktion  sie  für  die  künftigen  Bände  in  Erwägung 
ziehen  wird.  Dehio , 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


14 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


Von  Fritz  Burger. 

Unter  Einfluß  der  Naturwissenschaften  sind  auch  in  der  Geschichte  der 
Kunst  fast  alle  Zäsuren  verschwunden,  der  Entwicklungsgedanke  hat  sich 
allen  Schranken  zum  Trotz  auch  hier  siegreich  durchgesetzt.  Man  will  in 
dem  romanischen  und  gotischen  Stil  längst  nicht  mehr  gegensätzliche  Er- 
scheinungen, sondern  nur  mehr  eng  miteinander  verbundene  Phasen  der  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Baukunst  sehen,  und  dasselbe  gilt  für  die  antike  und 
christliche  Kunst.  Denn  statt  von  altchristlicher  Kunst  müssen  wir  heute  von 
christlicher  Antike  sprechen  und  die  Wurzel  der  christlichen  Baukunst  zum 
mindesten  teilweise  auf  kleinasiatischem  Boden  in  spät-hellenistischer  Zeit 
suchen.  IlavTa  pst!  Um  so  wichtiger  sind  uns  feststehende  Punkte 
geworden,  wie  sie  uns  große  Persönlichkeiten  des  Altertums  zu  geben 
vermögen,  deren  Wirksamkeit  die  Jahrhunderte  der  christlichen  Epoche 
der  Kunstgeschichte  hindurch  den  Wandel  der  künstlerischen  Anschauungen 
überdauert.  Sie  sind  zeugende  Kräfte,  die  in  den  einzelnen  Perioden  der 
Geschichte  die  verschiedensten  Früchte  gezeitigt  haben  und  eben  hierdurch 
als  Wahrzeichen  des  Verhältnisses  der  Zeit  zur  Antike  dem  Beobachter 
eine  Art  Wertmesser  für  die  Eigenart  der  Kultur  zu  liefern  vermögen.  Solche 
Persönlichkeiten  sind  nicht  zahlreich.  Vitruv  ist  eine  der  wichtigsten  und 
interessantesten.  Was  Aristoteles  und  Plato  auf  philosophischem,  das  be- 
deutet Vitruv  auf  künstlerischem  Gebiete  für  die  beiden  Jahrtausende  der 
nachchristlichen  Zeit.  Er  ist  freilich  nicht  wie  jene  einer  von  den  ganz  Großen 
gewesen,  vielmehr  vielleicht  durch  Zufall  und  Geschick1)  als  durch  geniale 
Begabung  in  den  Strahlenkranz  der  Ewigkeit  getreten.  Er  war  mehr  der 
stellvertretende  Vermittler  als  der  flammenzüngige  Apostel,  durch  den 
die  antike  Vergangenheit  Zwiesprache  hielt  mit  der  jungen  Zukunft, 
die  ihr,  der  nie  alternden,  in  inbrünstiger  Verehrung  und  Bewunderung 
zu  Füßen  saß.  Vitruvs  Buch  de  architectura  ist  als  eines  der  wenigen 
schriftlichen  Zeugnisse  dieser  großen  Vergangenheit  von  den  jungen 


')  S.  Äug.  Thiersch,  Die  Proportionen  in  der  Architektur  (Handbuch  der  Archi- 
tektur, herausg.  v.  Durm  IV,  i,  63),  wo  auf  die  richtige  Stelle  und  die  Tautologien  der 
Definitionen  aufmerksam  gemacht  wird. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


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200 


Fritz  Burger: 


Geschlechtern  von  Anfang  an  mit  Andacht  und  lernbegierigem  Eifer 
studiert  worden,  und  die  Originalität  seiner  merkwürdigen  Organisation 
hatte  stets  eine  unwiderstehliche  Zaubermacht  ausgeübt.  Das  Buch 
schien  die  weisen  Sprüche  und  Regeln  zu  enthalten,  durch  die  auch  das 
Geschlecht  der  Kleingeborenen  wieder  in  die  hohen  lichten  Sphären  antiker 
Schönheit  sich  zurückfinden  könnte.  Hierin  liegt  wohl  der  Schlüssel  zu  dem 
Geheimnis  der  fabelhaften  Wirkung,  die  Vitruvs  Schrift  auszuüben  berufen 
war.  Von  den  Zeiten  römischer  Kaiser  an  ragt  der  Geist  dieses  Mannes  über 
Karls  des  Großen  Tage  und  die  Renaissance  mit  den  ihm  eigentüm- 
lichen Anschauungen  bis  in  das  19.  Jahrhundert  hinein  als  ein  typischer 
Vertreter  der  Theorie  auf  dem  Gebiet  des  künstlerischen  Schaffens,  als  das 
angebetete  Urbild  der  Kunstanschauung  der  Antike.  Weitaus  die  größte 
Bedeutung  freilich  hat  Vitruv  für  das  Zeitalter  besessen,  das  am  meisten 
ehrfurchtsvoll  und  verlangend  nach  den  goldenen  Tagen  antiker  Kunstblüte 
gesehen  und  sich  als  der  eigentliche  Erbe  und  Mehrer  ihrer  Größe  betrachtet 
hat,  die  Renaissance!  Der  Einfluß,  den  die  Vitruvschen  Schriften  auf  sie 
ausgeübt  haben,  hat  überhaupt  eine  symptomatische  Bedeutung;  denn  der 
Geist,  der  sich  ihnen  hingab,  ist  dem  verwandt,  der  sie  schuf,  Vergangenheit 
und  Gegenwart  reichen  sich  hier  die  Hand. 

Als  Vitruv  sein  Werk  verfaßte,  beugte  sich  vor  dem  Zepter  des  römischen 
Kaisers  fast  die  ganze  Welt.  Aus  dem  römischen  Stadtstaat  war  ein  riesiges 
Reich  geworden,  an  Stelle  der  Civitas  war  das  Imperium  getreten.  Das 
Nationalbewußtsein  der  einzelnen  Völkerschaften  mußte  dem  Gedanken  der 
Reichseinheit  geopfert  werden,  und  die  sich  hieraus  entwickelnden  kosmo- 
politischen Tendenzen  machten  ihren  nivellierenden  Einfluß  nicht  nur 
auf  geistigem  und  politischem,  sondern  auch  auf  religiösem  und  künst- 
lerischem Gebiet  geltend2).  Überall  strebt  man  nach  einer  idealen  Ein- 
heit. Der  Erfolg  des  Christentums  beruht  eben  nicht  zum  geringsten  Teil 
darauf,  daß  es  diesen  kosmopolitischen  Tendenzen  entgegenkam  und  an 
Stelle  der  nationalen  Gottheit  die  weltumfassende  Idee  der  Gotteskindschaft 
setzte.  Auf  dem  Gebiete  der  Kunst  ist  ideale  Einheit  gleich  der  Norm.  Die 
künstlerische  Norm  aber  fand  man  nach  den  wirren  Formen  des  hellenistischen 
Barocks  in  der  einfacheren  Sprache  des  fünften  Jahrhunderts,  und  genau  wie 
eineinhalb  Jahrtausende  später  das  napoleonische  Kaisertum,  so  bespiegelt  sich 
auch  hier  das  Imperium  in  den  feierlich  pathetischen  Linien  strenger,  phidiasti  - 
scher  Formenwelt.  Nun  wurde  der  Begriff  »klassischer  Kunst«,  »klassisches 
Altertum«  geprägt  als  eine  Art  Protest  gegen  die  individualistischen  Ten- 
denzen der  vorangegangenen  Zeit.  An  Stelle  der  individuellen  Produktion 
trat  die  objektive  Reproduktion,  an  Stelle  der  intuitiven,  gefühlsmäßigen 

»)  S.  Handbuch  zum  Neuen  Testament  I,  2 die  hellenistisch-römische  Kultur 
v.  Paul  Wendland. 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


201 


die  verstandesmäßige  Erfassung  und  Behandlung  künstlerischer  Probleme. 
Das  Ideal  wurde  Gesetz  und  dies  Gesetz  wurde  durch  Vitruvs  Schriften  für 
das  Gebiet  der  Architektur  theoretisch  formuliert.  Jahrhunderte  lang  galten 
sie  als  das  Glaubensbekenntnis  antiker  Kunst,  bis  erst  in  unseren  Tagen  Wert 
und  Eigenart  der  Schrift  durch  die  historische  Forschung  bestimmt  und  in 
ihr  das  letzte  erstarrte  Glied  einer  unendlich  reicheren  und  vielseitigeren 
Kunstentwicklung  erkannt  wurde.  Wir  wissen  nicht,  ob  und  inwieweit  im 
Mittelalter  vitruvianische  Ideen  fortlebten.  Jedenfalls  aber  hat  gleich  der 
erste  Kaiser,  der  auf  den  Trümmern  römischer  Macht  ein  neues  Reich  auf- 
gebaut, Karl  der  Große,  zu  Vitruvs  Schriften  gegriffen,  und  seinem  eifernden 
Interesse  verdanken  wir  die  Erhaltung  dieser  Schrift.  Mit  der  sinkenden 
Kultur  scheint  auch  sie  wieder  für  einige  Jahrhunderte  der  Vergessenheit 
anheimgefallen  zu  sein,  bis  sie  im  Jahre  1414  *n  der  Benediktiner-Abtei  von 
Monte  Cassino  neu  entdeckt  wurde.  Das  war  kein  Zufall,  denn  es  bedurfte 
des  Eifers  wie  des  Verständnisses  des  Finden  Ein  neues  Zeitalter  zog 
im  Morgenrot  der  Renaissance  herauf.  Knapp  ein  Jahrzehnt  vorher 
war  Donatello  und  Brunellesco  nach  Rom  gewandert,  um  nach  künstle- 
rischen Zeugen  des  einstigen  Weltreiches  zu  forschen  und  an  ihnen  zu  lernen. 
Selbst  die  Erde  wurde  in  heißem  Wissensdurste  aufgewühlt,  und  wie  diese 
beiden,  so  blickte  gleichsam  das  ganze  Zeitalter  sehnend  nach  den  Wundern 
der  Vergangenheit.  Nun  konnte  man  auch  noch  in  Vitruvs  Schriften  den 
Worten  eines  Römers  selber  lauschen,  die  den  Schlüssel  zu  dem  geheimnis- 
vollen Reich  antiker  Schönheit  zu  geben  schienen.  Darin  lag  für  die 
Zeit  der  Zauber  der  1485  zum  erstenmal  erschienenen  Schriften 
Vitruvs.  Denn  nicht  das  Griechentum,  sondern  Roms  Pracht  und 
Macht  beherrschte  die  Phantasie.  Das  Rom  der  Kaiser  wurde  von  dem 
der  Päpste  abgelöst.  Schon  Petrarca  hatte  ja  begeistert  an  Giovanni  Colonna 
geschrieben:  »Das  Rom  derWirklichkeit  ist  mächtiger  als  das  meiner  Phanta- 
sie, seine  Reste  sind  gewaltiger,  als  ich  erträumte!«  Augustus  war  der  Märchen- 
kaiser wie  Virgil  der  lorbeergekrönte  Dichter  des  Imperiums,  der  ja  auch 
Dante  durch  die  schauerlichen  Wunder  des  Jenseits  schützend  geleitete. 
Annähernd  zur  selben  Zeit  hatten  Flavio  Biondo  und  Poggio  Bracciolini  ihre 
Studien  der  antiken  Denkmäler  und  Schriftsteller  in  Rom  begonnen.  Das 
didaktische  Element  der  Zeit  war  für  alles  Theoretische  ganz  besonders 
empfänglich,  und  unterweisende  Tendenzen  treten  schon  in  den  I^ommentarien 
des  Ghiberti  auf  3).  Dazu  kommt  allgemein  die  auch  in  der  Literatur,  be- 
sonders der  humanistischen,  sich  stark  fühlbar  machende  formalistische 
Tendenz.  Auf  formale  Bildung  ging  ja  schon  die  Frührenaissance  aus, 
und  sie  bildete  gegenüber  dem  Individualismus  bezw.  seinen  Auswüchsen 


3)  Frey,  II  codice  Magliabechiano  1892.  Einleitung. 


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Fritz  Burger: 


eine  Art  passive  Resistenz  in  der  künstlerischen  Entwicklung,  bis  schließlich 
in  Künstlern  wie  Fra  Bartolomeo  und  Raffael  das  Formale  das  Übergewicht 
bekam  und  die  Hochrenaissance  aus  der  Wiege  gehoben  wurde. 

Dies  muß  man  sich  vor  Augen  halten,  will  man  den  Einfluß  Vitruvs 
schon  bei  Brunellesco  und  besonders  bei  A 1 b e r t i verstehen.  Dazu 
kam,  daß  universalistische  Ideen,  von  denen  ja  auch  Vitruvs  Buch  durch- 
drungen ist,  schon  frühzeitig  in  der  Renaissance  auftauchen.  Pico  della 
Mirandola  glaubte  an  eine  einheitliche  Ordnung  der  Schönheit  der  Welt  im 
Wissen.  Aber  dies  und  das  eifernde  Interesse  gegründet  auf  die  Verwandt- 
schaft des  Fühlens  ist’s  nicht  allein,  das  den  tiefgehenden  Einfluß  Vitruvs 
auf  die  Renaissance  erklären  könnte.  Die  wissenschaftliche  Fundamentierung 
künstlerischer  Probleme  war  in  dem  Hauptherde  der  Renaissance,  in  Florenz, 
vielleicht  der  wichtigste  Faktor  für  die  Entwicklung  der  Kunst.  Am  nach- 
drücklichsten trat  sie  vielleicht  gerade  bei  dem  Altmeister  der  Renaissance- 
baukunst Filippo  Brunellesco  auf.  In  seinen  Schöpfungen  beginnt  die 
Antike  mit  einem  Schlage  sich  durchzusetzen.  Die  Säule  tritt  wieder 
an  ihren  alten  angestammten  Platz:  in  die  Vorhalle  des  Tempels  und 
wird  das  Grund-  und  Leitmotiv  aller  baulichen  Ideen.  — Darin  liegt  nicht 
allein  die  Bedeutung  Brunellescos  in  diesem  Zusammenhang.  Das  wichtigste 
ist,  daß  Brunellesco  den  Versuch  machte,  die  traditionelle  Empirie  auf 
den  Boden  der  Wissenschaft  zu  stellen,  d.  h.  also  die  praktische  Erkenntnis 
zu  erweitern  und  wissenschaftlich  zu  vertiefen.  Der  klassische  äußere 
Ausdruck  für  diese  harmonische  Durchdringung  wissenschaftlicher  und 
künstlerischer  Elemente  war  die  Kuppel  des  Domes  von  Florenz,  in  dem 
die  sieghafte  Überwindung  statischer  Schwierigkeiten  zugleich  einer  un- 
übertrefflichen künstlerischen  Form-  entspricht.  Wieweit  freilich  geniale 
Intuition  hier  von  der  Empirie  und  wissenschaftlicher  Erkenntnis  zu  trennen 
ist,  wird  niemals  entschieden  werden  können.  Das  bauliche  Geschick  Brunel- 
lescos beruht  wohl  doch  zum  größeren  Teil  auf  »praktischer  Aktualität«,  die 
er  während  seiner  Studienzeit  in  Rom  und  beim  Entwurf  der  Kuppel  ent- 
faltet hat.  Jedenfalls  ist  auch  bei  Brunellesco  — und  das  ist  der  hier  nicht 
genug  zu  betonende  springende  Punkt  — die  Statik  noch  mehr  oder  minder 
identisch  mit  der  »schönen«  Proportion.  Eine  statische  Berechnung  aller 
Bauglieder  ist  unter  Einwirkung  des  Eisens  und  der  Trennung. von  Ingenieur 
und  Architekten  eigentlich  erst  in  unserem  bezw.  dem  vorigen  Jahrhundert 
allgemein  üblich  geworden.  Darin  liegt  vielleicht  überhaupt  eines  der  tiefsten 
Probleme  der  Baukunst  begründet,  daß  eine  Sehöpfung  wie  die  Kuppel  von 
Santa  Maria  del  Fiore  aus  einem  fein  ausgeprägten  statischen  Instinkt 
hervorgegangen  ist,  der  aber  dabei  auch  notwendig  das  Künstlerische  zu- 
gleich treffen  mußte.  Konstruktion  und  Dekoration  durchdringen  sich 
nicht  nur,  sondern  sind  überhaupt  ein  und  dasselbe.  Man  lese  nur  die  Be- 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


203 


gründung,  die  Brunellesco  für  die  Doppelkuppelform  angibt.  Der  Größe  der 
Tat  Brunellescos  wird  man  sich  aber  erst  dann  voll  bewußt,  wenn  man  sich 
klarmacht,  daß  er  gleichzeitig  mit  souveräner  Sicherheit  die  antike  Form 
in  den  Dienst  seiner  Ideen  stellt.  Man  könnte  sich  wohl  denken,  daß  diese 
Zeit  auch  ohne  Vitruv  zu  dem  gekommen  wäre,  zu  dem  sie  gekommen  ist, 
insofern  eben  die  Statik  oder  besser  die  konstruktiven  Probleme  einer  theo- 
retischen Festlegung  bedurften,  die  aber  zugleich  auch  eine  theoretisch- 
aKademische  Fixierung  der  Proportionen  sein  mußte.  Daß  Brunellesco 
die  grundlegenden  Gesetze  der  Mechanik  kannte,  hat  damit  wenig  zu  tun. 

Brunellesco  muß  spätestens  im  Jahre  1435  mit  den  Schriften  Vitruvs 
bekannt  geworden  sein,  da  ihm  Leo  Battista  Alberti  die  in  diesem  Jahre  fertig: 
gestellte  Schrift  »della  pittura«  widmet,  die  die  Kenntnisse  eines  Teiles  der 
Bücher  Vitruvs  voraussetzt.  Daß  Brunellesco  selbst  die  Schrift  Vitruvs  schon 
vorher  gekannt  habe,  ist  mit  Rücksicht  auf  dessen  beschränkte  Sprach  - 
kenntnisse,  wie  Fabriczy  nachgewiesen  hat 4),  unwahrscheinlich,  und  deshalb 
hat  auch  dessen  Lehre  erkennbaren  Einfluß  auf  ihn  nicht  ausgeübt,  trotzdem 
er  gewissen  Tendenzen  des  Buches  durch  die  Art  seiner  Kunstübung 
schon  verwandt  gewesen  sein  mußte.  Aber  dieser  Konnex  von  Künstler - 
und  Literatentum,  von  Theoretikern  und  Praktikern  ist  bezeichnend  für  die 
damalige  Zeit,  und  aus  diesem  Zusammenhang  erklärt  sich  die  wunderbare 
Logik,  mit  der  sich  die  künstlerische  Blüte  hier  auf  allen  Gebieten  entfaltet, 
erklärt  sich  aber  auch  der  Erfolg,  den  Leo  Battista  Alberti  mit  seinem  wesent- 
lich auf  Vitruv  fußenden  Buche  »ordini  architettonici«  nun  in  ganz  Italien 
erzielen  konnte.  Was  Wunder,  daß  man  nun,  nachdem  man  in  Brunel- 
lescos Bauten  die  Antike  neuverjüngt  aus  dem  Schutte  hatte  erstehen  sehen, 
d i e Antike,  in  der  das  rasch  erstarkte  Nationalitätsgefühl  so  gerne  die 
eigentliche  Heimatkunst  der  verhaßten  deutschen  Gotik  gegenüber 
erblickte,  mit  wahrer  Gier  sich  auf  ein  Buch  stürzte,  das  die  Geheimnisse 
antiker  Kunstschönheit  in  klar  gefaßten  Regeln  zu  offenbaren  schien. 

Damit  begann  mit  den  schwachen  Anfängen  in  Cennino  Cenninis 
Schriften  die  erste  Spaltung  zwischen  Theorie  und  Praxis, 
das  erste  Zeichen  zum  Kampfe  zwischen  nüchternem,  erwägendem  Verstände 
und  freier,  individualistischer  Entfaltung  künstlerischer  Instinkte,  ein  mit 
Notwendigkeit  in  bestimmten  Perioden  der  Kunstgeschichte  auftretender 
Gegensatz,  der  von  da  ab  für  die  Geschichte  der  italienischen  Kunst  be- 
sondere Bedeutung  gewinnt.  Aber  indem  Alberti  Vitruv  sich  zum  Muster 
nimmt,  unterscheidet  er  sich  doch  prinzipiell  von  dessen  Anschauungen. 
Alberti  müßte  nicht  der  Sohn  der  Renaissance  gewesen  sein.  Ist  er 
doch,  wie  Voigt  sagt,  gleichsam  das  geistige  Produkt  einer  Ahnen- 


4)  Fabriczy,  Brunellesco. 


204 


Fritz  Burger: 


reihe,  die  seit  zwei  Jahrhunderten  die  florentinische  Luft  geatmet. 
Mit  Vitruv  erkennt  Alberti  die  ästhetischen  Grundlagen  der  Architektur 
in  der  Geometrie,  Optik  und  Mechanik.  Es  ist  merkwürdig  zu  sehen, 
daß  inmitten  der  bunten,  in  Farben  und  Formen  schwelgenden  Pracht 
des  Quattrocento  ein  Theoretiker  mit  geometrischen  Ornamenten  als 
den  Symbolen  der  »reinen«  Philosophie,  die  Wände  dekoriert  sehen 
will.  Schon  hierin  gibt  sich  deutlich  genug  der  Einfluß  des  Vitruv 
zu  erkennen..  Wie  dieser,  so  weist  auch  Alberti  immer  und  immer  wieder 
den  Baumeister  auf  die  Natur  hin,  beide  verlangen  Universalität  des 
Wissens  und  Könnens  und  bei  beiden  nimmt  der  Künstler  die  höchste  soziale 
Stufe  ein.  Vitruv  meint,  indem  er  das  regelmäßige  und  unregelmäßige 
Mauerwerk  vergleicht,  das  erstere  sei  allein  das  schöne,  und  wenn  der  Palazzo 
Rucellai  wirklich  von  Alberti  ist,  dann  war  er  der  erste,  der  analog  den  Regeln 
des  Vitruv  an  Stelle  der  unbändigen,  gewaltigen  Blöcke,  die  Brunellesco  in 
den  Mauern  des  Palazzo  Pitti  aufeinandertürmte,  regelmäßige,  geschliffene, 
von  feinen  Pilastern  gegliederte  Quadern  setzte,.  Der  Verstand  begann 
hier  schon  ernüchternd,  freilich  auch  klärend,  auf  die  junge,  über- 
schäumende Kunst  einzuwirken.  Durch  den  Einfluß  des  Vitruv  tritt  der 
Akademismus  in  seinen  ersten  schwachen  Anzeichen  zweifellos  schon 
bei  Alberti  auf,  beide  eifern  ja  auch  gegen  jeden  Überschwang  und 
jedes  Protzentum  in  der  Baukunst.  Nur  durch  die  zügelnde  Macht  des  Ver- 
standes ist  die  Eurhythmie  des  Gebäudes  zu  erreichen.  Dagegen  sind  bei 
Alberti  Ausführungen  über  Form  und  Proportionon  der  Räume  viel  um- 
fangreicher. Er  geht  auf  das  Problem  der  Raumgruppen,  die  verschiedenen 
Konfigurationen  von  Räumen  sehr  detailliert  ein,  das  Bewußtsein, 
daß  Architektur  Kunst  des  Raumes  und  der  körperlichen  Massen  ist, 
kommt  hier  viel  energischer  zum  Durchbruch  5).  Aber  Alberti  bleibt, 
und  das  ist  der  nicht  genug  zu  betonende  Grundunterschied  in  der  An- 
schauungsweise der  beiden  großen  Theoretiker,  streng  noch  in  der  natio- 
nal florentinischen  Kunst  befangen,  während  das  Auge  des  Schriftstellers 
der  römischen  Kaiserzeit  über  die  Welt  hinschweift.  Vitruv  ist  Kosmopolit. 
Alberti  konnte  das  nicht  sein,  denn  er  stand  eben  noch  teilweise  auf 
dem  Boden  des  »Quattrocento«,  trotzdem  er  in  seinen  Bauten  die  Hoch- 
renaissance einleitet  und  der  eigentliche  Vater  der  »vitruvianischen  Aka- 
demie« des  16.  Jahrhunderts  gewesen  ist.  Daher  auch  manches  Ungegorene 
und  Widerspruchsvolle  in  seinen  Schriften.  Obwohl  er  gegen  alles  Barocke 
eifert  und  in  Zahlen  die  Ordnungen  und  Regeln  antiker  Kunstweisen 
aufstellen  will,  meint  er  doch,  erst  vom  Maler  habe  der  Baumeister  seine 

5)  Daß  es  sich  hier  mehr  um  das  Postulat  eines  Gedankenbildes  handelt,  ist 
klar.  S.  Burckhardt,  a.  a.  O.  89.  Palladio  hat  diese  Ideen  theoretisch  und  praktisch 
fortgebildet. 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


205 


Säulen  und  Gebälke  kennen  gelernt,  während  Vitruv  die  Malerei  zur  Hilfs- 
kunst der  Architektur  herabdrückt.  Hier  treffen  die  Gegensätze  des  freien, 
malerischen,  individualistischen  Stiles  und  der  strengen,  akademischen  Regel 
in  einer  Person  aufeinander.  Symmetrie  fordert  Vitruv;  einer  freieren 
malerischen  Auffassung  huldigt  Alberti.  Er  meint:  Nicht  eine  Linie 

soll  das  Ganze  beherrschen,  da  gewisse  Teile  schöner  seien,  wenn  sie 
groß,  andere  wenn  sie  klein  sind,  die  einen,  wenn  sie  in  geraden 
die  anderen,  wenn  sie  in  geschwungenen  Linien  verlaufen.  Daher 
kann  Alberti  sich  auch  ein  Bauwerk  nur  in  der  entsprechenden  land- 
schaftlichen Umgebung  denken.  Seine  Bauwerke,  die  Vertreter  der 
Praxis,  strafen  freilich  seine  Theorie  Lügen.  Dagegen  hat  er  dem  theo- 
retisch geforderten,  proportionellen  Rhythmus,  seiner  berühmten  »con- 
cinnitas«,  derzufolge  man  ohne  Schaden  für  die  Wirkung  des  Bauwerkes 
nichts  hinzu-,  nichts  hinwegnehmen  dürfe,  auch  in  der  Praxis  Rechnung 
getragen.  — Alberti  verlangt  eine  malerische  Stadtanlage  unter  Ver- 
meidung geradliniger  Straßenzüge  genau  wie  in  unserem  individua- 
listischen Zeitalter.  »Die  Stadt  wird  größer  (!)  erscheinen,  die  Häuser 
sich  allmählich  und  abwechselnd  dem  Auge  darbieten,  der  Schatten 
nie  ganz  fehlen,  der  Wind  gebrochen,  die  Verteidigung  gegen  die  Feinde 
leichter  sein.«  Vitruv  verlangt  nach  dem  Vorgänge  des  Hippödamos  von 
Milet  eine  regelmäßige  Anlage  der  Stadt  nach  den  Himmelsrichtungen 
und  zwar  so,  daß  die  Winde  durch  die  Häuser  abgehalten  werden.  Das 
Technische  hat  bei  ihm  also  hier  den  Vorzug  gegenüber  dem  Ästhe- 
tischen. Mit  überraschender  Schärfe  ist  in  Vitruvs  baukünstlerischen 
Anschauungen  auf  die  anthropomorphen  Grundlagen  des  architektonischen 
Schaffens  hingewiesen6),  stellenweise  versucht  er  sich  sogar  zu  einer 
universellen  Ästhetik  durchzuringen,  indem  er  auf  die  Gemeinsamkeit  der 
Künste  und  der  Natur  hinweist,  ein  Standpunkt,  der  von  Alberti 
nur  äußerlich  übernommen  wurde.  Nicht  minder  überraschend  ist  Vitruvs 
Rationalismus  in  der  Baukunst,  wie  er  sich  nicht  annähernd  bei  Alberti 
findet.  Das  Material,  das  die  Örtlichkeit  aufweist,  soll  nach  Vitruv 

den  Bau  und  damit  den  Stil  bestimmen  und  das  Klima,  riecht 
minder  der  Zweck  des  Ganzen  berücksichtigt  werden,  der  zugleich 
(und  hier  erscheint  uns  Vitruv  als  ein  ganz  moderner  Ästhetiker)  in  dem 


6)  Ähnliches  findet  man  dann  später  sehr  energisch  und  freilich  allzu  gegen- 
ständlich ausgedrückt  bei  dem  Biographen  Brunellescos  Antonio  di  Puccio  Manetti,  der 
jm  Grundriß  der  Basilika  die  Gestalt  eines  am  Boden  ausgestreckten  Menschen  wieder- 
zuerkennen glaubt,  auch  bei  Filarete  wird  dann  von  der  Verwandtschaft  der  Gebäude 
mit  dem  menschlichen  Leib  gesprochen.  Francesco  di  Giorgio  Martini  sagt  im  4.  Kap. 
des  4.  Buches  seines  Architekturtraktates  „che  le  proporzioni  dei  templi  sono  dedotte 
da  quell’  uomo“. 


20Ö 


Fritz  Burger: 


Äußeren  des  Werkes  gleichsam  psychisch  zum  Ausdruck  kommen  soll. 
Für  das  Heiligtum  des  Mars  und  Herkules  fordert  er  nämlich  dotischen  Stil, 
für  Venus  und  Proserpina  korinthischen,  während  Juno  und  Diana  durch 
einen  jonischen  Bau  geehrt  werden  sollen.  Bei  Alberti  findet  sich 
naturgemäß  nichts  von  dieser  universellen,  kosmopolitischen  Ästhetik 
des  Vitruv. 

Auch  von  einem  streng  historischen  Standpunkt,  wie  ihn  Vitruv  in 
dem  sehr  lesenswerten  Vorwort  zum  7.  Buche  einnimmt,  worin  er  auf  die 
Beachtung  des  in  der  Vergangenheit  auf  theoretischem  und  praktischem 
Gebiete  Geleisteten  hinweist,  kann  bei  Alberti  keine  Rede  sein.  Vitruv 
betont  damit  die  Entwicklung  der  Kunst,  die  Tradition.  Bei  Alberti 
sind /die  Bauformen  gesetzlos  und  wandelbar,  wie  es  jedem  beliebt. 
Ja,  er  empfiehlt  direkt  den  Bruch  mit  der  Tradition,  was  sich  bei  ihm  als 
Quattrocentisten  wohl  begreifen  läßt.  Auch  hier  trifft  sich  der  indivi- 
dualistische, freiheitliche  und  der  akademische  Standpunkt,  wie 

andrerseits  die  national  eng  umschriebene  Renaissancekunst  und  die 
kosmopolitische  römische.  Für  Vitruv  liegt  die  Schönheit  in  den 

zahlenmäßigen  Verhältnissen;  Aiberti  übernimmt  dies  wohl,  aber  mit 
dem  wichtigen  Zusatz,  daß  ein  unergründliches  Etwas  erst  das  Künstlerische 
ausmache;  Quid  piam,  quod  quäle  ipsum  sit,  non  requiro!  Ist  ja  auch  das 
Urteil  nach  ihm  eine  »soluta  et  .vaga  opinio«.  Von  den  zeitgenössischen 
Architekten  Vitruvs,  von  all  den  genialen  Baumeistern  des  Pantheons,  der 
Konstantinsbasilika  wissen  wir  nichts.  Bei  Alberti  ist  der  ganze  Zweck  des 
Bauens  eine  Verherrlichung  des  Baumeisters,  und  er  selbst  wünscht,  daß,  wer 
auch  immer  von  ihm  lerne,  ihn  durch  sein  Portrait  an  seiner  Schöpfung  zum 
Danke  verewigen  soll.  Außerordentlich  interessant  ist  daher  auch  der  Tadel, 
den  Alberti  über  das  gotische  Kircheninnere  ausspricht.  Denn  die  hervor- 
gerufene andächtige  Stimmung  hindere  den  Beschauer,  auf  die  Schönheit 
des  Baues  und  die  Verdienste  des  Architekten  zu  achten.  Wer  das  Innere 
der  Pazzikapelle  in  Florenz  mit  offenen  Augen  betritt,  begreift,  woher 
diese  Anschauungen  kommen.  Die  ornamentale  Überladung  mit  Heiligen- 
bildern, Teppichen  usw.  hatte  man  bis  zum  Überdruß  satt,  aber  nicht 
nur  der  Sache,  sondern  auch  (und  das  ist  eben  bezeichnend)  der  Person 
wegen.  Hier  kommt  die  ganze,  unersättliche  Ruhmessucht  der  Renaissance, 
der  natürliche  Ausfluß  der  freien,  individualistischen  Tendenzen  der  Zeit 
elementar  zum  Durchbruch.  Alberti  war  der  Florentiner  Renaissance - 
Aristokrat,  der  vom  Schreibtische  aus  den  Baumeistern  seine  Pläne  dik- 
tierte; den  Bau  selbst  auszuführen,  war  unter  seiner  Würde.  Nach  seiner 
Meinung  ist  der  Baumeister  eine  über  alles  erhabene  Künstlernatur,  wie  er 
selbst  sagt,  ein  Staatsweiser,  und  wer  die  Kuppel  Brunellescos  oder 
Michelangelos  besteigt,  der  gibt  Alberti  recht. 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


207 


Vitruv  blieb  auch  in  dieser  Beziehung  rationalistisch.  Er  weiß  von 
dieser  Vergötterung  des  Künstlers  nichts.  Er  legt  Gewicht  auf  die  Kon- 
ventionalstrafe und  die  Einhaltung  der  Baukosten,  für  die  der  Baumeister 
mit  der  Einlage  des  Vermögens  haften  soll.  Ganz  im  modernen  Sinne  fällt 
Künstler-  und  Unternehmertum  bei  ihm  schon  zusammen.  Nicht  uninter- 
essant ist  auch  das  Verhältnis  beider  Schriftsteller  zu  den  Leibesübungen.. 
Hier  der  Widerwille  des  Römers  gegen  die  verrohte  Gladiatoren-Athletik  — 
eine  die  christliche  Askese  vorbereitende  Erscheinung  — dort  das  ganze  jugend- 
liche Kraftbewußtsein  des  Quattrocento  mit  seiner  Sehnsucht  nach  dem 
vollendet  durchgebildeten  nackten  Körper  und  den  Heroen  giechischer  Pa- 
lästra.  Zu  dem  ästhetisch-wissenschaftlichen  Element  des  Vitruv  kommt 
bei  dem  Humanisten  A 1 b e r t i zugleich  das  ethische,  der  schöne 
Leib  beherberge  auch  eine  schöne  Seele,  einen  scharfen  Geist,  einen  sittlichen 
Willen.  Ethik  und  Ästhetik  bedingen  sich  bei  Alberti  gegenseitig.  Vitri^v 
bleibt  hier  nur  am  äußerlichen  Eindruck,  am  Ästhetischen  der  Form 
stehen.  — Der  »ratio  formitatis,  utilitatis,  venustatis«  des  Vitruv  entspricht 
die  »Formitas,  salubritas,  convenitas«  des  Alberti,  die  beide  bei  der 
Anlage  eines  Bauwerkes  fordern. 

Der  Eindruck  des  Buches  Albertis  in  Italien  schien  doch  sogleich  ein 
ungeheurer  gewesen  zu  sein,  und  schon  Ugolino  begrüßte  in  seinem  Buche 
de  illustratione  urbisflorentiae  Alberti  mit  dem  passendsten  Verse:  »Nec  minor 
Euclide  est  Albertus  vincit  ipsum  Vitruvium«,  noch  Rabelais  stellt  ihn 
als  gleichbedeutend  neben  Vitruv.  Der  Einfluß  Albertischer  Ideen  macht  sich 
natürlich  theoretisch  wie  praktisch  sogleich  in  Florenz  selber  geltend. 
Zunächst  sind  die  sei’s  mittelbar  oder  unmittelbar  mit  Alberti  zusammen- 
hängenden Bauten  wie  der  Palazzo  Rucellai  zu  nennen,  dessen  mutmaßlicher 
ausführender  Architekt  Bernardo  Rossellino  die  Papststadt  Pienza  ganz  im 
Geiste  jener  neuen  Theorien  erbaute,  wobei  die  Säule  das  Grundmotiv  der 
Dekoration  auch  für  die  Kirchenfassade  bilden  sollte.  In  der  Theorie  hat  der 
Florentiner  F i 1 a r e t e die  Gedanken  Albertis  aus  der  klaren  Luft 
sachlicher  Theorien  in  die  nebelhafte  Sphäre  einer  märchenhaften  Phantasie 
geführt  und  sein  Buch  in  ein  novellistisches  Gewand  gekleidet.  Er  ist  zwar 
ein  »Gesinnungsgenosse«  Brunellescos  und  Albertis,  aber  er  bleibt  doch  mehr 
auf  der  Oberfläche  haften,  wie  er  ja  selbst  die  fruchtbaren  Gedanken  praktisch 
nicht  zu  verwerten  verstand,  ein  rechtes  Kind  seiner  Zeit,  das  sich  dem 
Wirrsal  der  Anschauungen  nicht  zu  entwinden  vermochte. 

Bezeichnenderweise  am  frühesten  fanden  die  Albertischen  Ideen  in  Rom 
Eingang.  In  Italien  hatte  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  sich  die  individua- 
listisch-malerische und  die  akademisch -klassizistische  Richtung  zu  zwei 
Extremen  herausgebildet,  und  es  war  nur  Logik  der  Entwicklung,  wenn 
Alberti  in  dem  Francesco  Polifilo  der  Antipode  erstand,  der  in  seinem  archi- 


208 


Fritz  Burger: 


tektonisch -allegorischen  Roman  Hypnerotomachia  einer  märchenhaften 
Phantastik  das  Wort  redete 7),  die  auch  in  den  Gemälden  der  Zeit  und  teil- 
weise einer  Reihe  dekorativ  architektonischer  Schöpfungen,  wie  etwa  denen 
Benedetto  da  Majanos  ihre  Triumphe  feierte.  In  seiner  Mediceerkapelle 
redet  Michelangelo  in  der  Architektur  wie  Plastik  eine  ganz  persönliche 
Sprache.  Er  hat  wie  keiner  vor  ihm  der  Architektur  den  Stempel  der 
Persönlichkeit  aufzudrücken  verstanden.  Sie  ist  nur  Dienerin  seines 
Willens,  das  gefügige  Wachs  in  den  eigensinnigen  Händen  des  Genius.  Aber 
das  scheinbar  Willkürliche,  Regellose  trägt  doch  noch  das  Gesetz  in  sich. 
Michelangelo  war  der  Antipode  der  Vitruvianer,  aber  doch  einer,  der  Vitruv 
mit  der  Achtung  des  Meisters  vor  dem  Meister  gegenübergestanden  hat. 
In  einem  Briefe  vom  7.  Dezember  1532  schreibt  der  Kanonikus  Giovanni 
Norchiati  an  Michelangelo,  daß  er  mit  seiner  Vitruv -Übersetzung  beschäftigt 
sei  und  nach  Rom  zu  gehen  beabsichtige,  um  die  antiken  Bauten  für  seinen 
Kommentar  zu  studieren.  Michelangelo  hat  ihn  hierbei  unterstützt*  8). 
Und  wer  Michelangelos  kapitolinischen  Bau  aufmerksam  betrachtet,  wird 
finden,  daß  er  in  der  Durchführung  der  Säulen  durch  beide  Geschosse  und  der 
beherrschenden  Stellung  des  bekrönenden  Gebälkes  in  der  Gesamtlage  mit 
Palladianischen  Bauten  nicht  allzusehr  kontrastiert. 

Am  nachdrücklichsten,  zugleich  am  faßbarsten,  machen  sich  die  Wir- 
kungen Vitruvianischer  Lehren  an  Bramantes  Kunst  geltend.  Das  darf 
freilich  nicht  mißverstanden  werden.  Die  Einwirkungen  Vitruvs  sind  in 
ihrer  Art  bei  Alberti  und  Bramante  zum  Teil  sehr  verschieden.  Das  lag  in  der 
Natur  der  Sache. 

Man  wird  finden,  daß  die  Künstler  der  Renaissance,  die  von  Vitruv  bezw. 
Alberti  ausgehen,  eine  Reihe  von  Eigentümlichkeiten  in  ihrer  Kunst  auf- 
weisen, durch  die  sie  bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  Gegensatz  zur  Früh- 
renaissance treten.  Zunächst  werden  die  Formen  kräftiger,  monu- 
mentaler, die  Proportionen,  namentlich  in  den  Gesimsen  feiner  und 
richtiger  abgewogen.  Dazu  kommt  eine  Vorliebe  für  die  Säule.  Die  Be- 
deutung, zugleich  aber  auch  die  Gefahr  der  Vitruvianischen  Lehren,  wird 
durch  nichts  deutlicher  als  durch  einen  Vergleich  der  Fassade  der  Pazzi- 
kapelle  Brunellescos  in  Florenz  mit  der  von  Sant’  Andrea  in  Mantua,  die 
Alberti  entworfen  hat.  Hier  die  feinsinnige,  vom  Zweck  geborne  Anlage, 
freilich  nicht  ganz  frei  von  proportioneilen  Fehlern  und  jener  zauberischen, 
kindlichen  Befangenheit  der  erwachenden  Kunst;  dort  eine,  wie  Burckhardt 
sich  ausdrückt,  erzwungene,  griechische  Tempelfront,  der  mit  ihren  Säulen 

7)  S.  Burckhardt,  Gesch.  d.  Renaissance  in  Italien,  1891,  46  ff. 

8)  Siehe  Thode : Michelangelo  und  das  Ende  der  Renaissance,  I.  424.  Frey,  Briefe 
334.  Bemerkenswert  ist,  daß  Michelangelos  Marmortechnik  auffallend  immer  mit  der 
Lehre  Albertis  übereinstimmt.  Quellenschrift  f.  Kunstgesch.,  Bd.  XI,  S.  XXXIV. 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


209 


und  Giebeln  jeder  rationale  Bezug  zur  drei -schiff igen  Anlage  der  Kirche 
fehlt.  Man  sieht  deutlich,  wie  Vitruv  von  Alberti  mißverstanden  wurde. 
Verlangte  doch  der  Römer,  daß  der  Zweck  die  Form  geben  soll,  daß 
die  Art  des  Inneren  im  Äußeren  sich  auszudrücken  habe.  Bei  Alberti  war 
eben  noch  die  klassizistische  Form  die  Hauptsache,  und  als  Quattrocentist 
zerbricht  er  sich  über  den  inneren  Organismus  des  Bauwerkes  nicht  den  Kopf 
und  dies  trotz  des  klar  ausgesprochenen  Strebens  nach  einer  strengen, 
organischen  Einheit  der  Fassade. 

Bramante  dagegen  ist  nicht  nur  künstlerisch,  sondern  auch  in  seinem 
Verhältnis  zu  Vitruv  ein  anderer.  Der  Tempietto,  den  er  im  Aufträge  des 
spanischen  Königs  auf  San  Pietro  in  Montorio  errichtete,  erscheint  wie  ein 
freies  Gedicht  in  Marmor  auf  die  Prosa  Vitruvs  im  achten  Kapitel  des  vierten 
Buches,  in  dem  er  über  die  Peripteroi  der  Rundbauten  spricht.  Zum  ersten- 
mal erscheint  die  dorische  Ordnung  des  Gebälkes  hier  in  reiner  Form, 
nachdem  sich  das  ganze  Quattrocento  von  den  eigensinnig  steilen  Linien  des 
Triglyphenfrieses  mit  auffälliger  Scheu  ferne  gehalten  hat.  Durch  die  Ein- 
wirkung des  Vitruv  begann  man  in  der  Verwertung  antiker  Vorbilder  kritisch 
zu  werden,  und  jene  wundersamen  architektonischen  Dekorationen,  die  die 
Architekturen  des  Marzuppini -Grabmals  in  Santa  Croce  zierten,  wurden  nun 
durch  den  historisch-kritizistischen  Geist  verdrängt.  Zu  diesen  hierin 
epochemachenden  Persönlichkeiten  gehört  Bramante.  Doch  darf  man 
gerade  bei  ihm  den  Einfluß  vitruvianischer  Ideen  nicht  überschätzen. 
Bramante  hat  in  seinen  Arbeiten  in  Mailand,  voran  in  San  Satiro  dem 
volkstümlichen  Geiste  norditalienischer  Renaissance-Architekturen  reich- 
liche Konzessionen  gemacht.  Allgemein  gesprochen  ist  freilich  in  diesem 
Einleben  des  Urbinaten  in  eine  ihm  doch  relativ  fremde  Formensprache,  eine 
Überschreitung  der  nationalen  oder  besser  lokalen  Grenzen  der  Kunst  zu 
erkennen.  — In  dieser  Hinsicht  ist  ihm  nun  derjenige,  der  zumeist  als  Bra- 
mantes  Schüler  gilt,  Lionardo  da  Vinci,  durchaus  verwandt. 

Als  Lionardo  sich  um  das  Kuppelprojekt  des  Mailänder  Domes  bewarb, 
hat  er  nicht,  wie  die  zeitgenössischen  und  späteren  Baumeister  in  naiver 
oder  wenn  man  will,  roher  Weise,  neben  den  Formen  der  Vergangenheit, 
rücksichtslos  und  unvermittelt,  die  eigenen  baulichen  Absichten  in  seinem 
Kuppelbau  verwirklicht,  sondern  der  gotischen  Architektur  sich  bedient,  und 
die  Form  nur  mit  Rücksicht  auf  die  Umgebung  erdacht.  Wie  so  vieles, 
hat  Lionardo  auch  einen  Traktat  über  die  Architektur  geplant.  Leider 
ist  dies  fast  das  einzige,  was  wir  darüber  wissen.  Immerhin  können  wir  aus 
der  Tatsache,  daß  Lionardo  in  fast  all  seinen  Traktaten  von  Alberti  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  abhängig  ist,  schließen,  daß  er  auch  in  der  Theorie 
der  Baukunst  Albertis  Ansichten  nahe  stand.  Doch  hätte  er  sicherlich  in 
seiner  Bau-Ästhetik  den  historischen  Standpunkt  ähnlich  wie  Vitruv  mehr 


2 10 


Fritz  Burger: 


betont;  denn  als  Forscher  wollte  Lionardo  nicht,  wie  Alberti,  den  Bruch 
mit  der  Vergangenheit. 

Lionardo  war  Architekt  und  er  rühmt  sich  dessen  wiederholt.  Von 
einer  wissenschaftlichen  Disputation  vor  dem  Herzog  von  Mailand  heißt  es, 
daß  ihr  »der  scharfsinnigste  Architekt  und  Ingenieur  und  neuer  Sachen 
kundige  Erfinder  Lionardo  beigewohnt  habe«. 

Von  Lionardos  Architekturtheorien  wissen  wir  freilich  nichts.  Daß  die 
in  den  einzelnen  Codices  in  Mailand,  Paris  und  London  erhaltenen  Skizzen 
die  engste  Verwandtschaft  mit  den  Skizzen  Bramantes  besitzen,  will  deshalb 
nicht  viel  sagen,  weil  es  sich  hier  zumeist  um  mailändische  Bauten  handelt, 
bei  denen  die  traditionellen  Formen  berücksichtigt  erscheinen.  Dazu  sind 
die  Zeichnungen  zumeist  so  flüchtig  und  klein,  daß  wir  von  Detail  und  Propor- 
tionen keine  Vorstellung  erhalten.  Immerhin  nahe  genug  muß  er  als  Archi- 
tekt Bramante  gestanden  haben.  In  einer  seiner  flüchtig  hingeworfenen 
Notizen,  in  denen  er  durch  Worte  ein  Historiengemälde  zu  skizzieren  scheint, 
kennzeichnet  er  die  Architektur  mit  den  Worten  »Gebäude  des 
Bramante«. 

Da  wenige  Jahre,  nachdem  Vitruvs  Bücher  im  Drucke  erschienen,  der 
Freund  Lionardos,  Luca  Pacioli,  nach  dem  Muster  des  Römers,  sein  Werk:  »De 
divina  proportione«  herausgibt,  kann  jedenfalls  kein  Zweifel  darüber  bestehen, 
daß  Lionardo  mitVitruv  bekannt  war  und  auch  von  seinen  Theorien  beeinflußt 
wurde.  Wie  weit,  entzieht  sich  zunächst  noch  unserer  Kenntnis.  Wie  Vitruv, 
so  macht  auch  Lionardo  Vorschläge  zu  Stadtanlagen,  und  wie  bei  diesem, 
beherrscht  das  praktisch -technische  Moment  ganz  seine  Ideen.  Von  den 
malerischen  Stadtanlagen  des  Alberti  hören  wir  nichts  mehr.  Aber  von 
Trottoirs,  Kanalisierung,  Gruppierung  der  Häusertrakte  nach  der  praktischen 
Seite  usw.,  und  wenn  Lionardo  seine  Ideen  hätte  verwirklichen  können,  wäre 
ein  Städtebild  entstanden,  das  der  modernsten  deutschen  oder  ameri- 
kanischen Stadt  recht  ähnlich  hätte  sehen  müssen.  Freilich  Schematismus 
und  Akademismus  wies  Lionardo  weit  von  sich. 

Weit  mehr  als  dieser  Riesengeist  gehört  Raffael  dem  Kreise 
jener,  von  Vitruv  ausgegangenen,  theoretisierenden,  antikisierenden  Rich- 
tung an.  Er  muß  mit  Bramante  als  der  eigentliche  Klassiker  der  freieren 
Richtung  derselben  betrachtet  .werden.  Der  Tempietto,  der  ebenso  wie  auf 
der  analogen  Schöpfung  Peruginos,  auf  dem  Sposalizio  Raffaels  im  Hinter- 
gründe erscheint,  geht  möglicherweise  auf  die  Intentionen  Luciano  da 
Lauranas  zurück,  mit  dessen  Kunst  dieses  noch  etwas  zierliche  Bauwerk  die 
innigste  Verwandtschaft  hat  9). 


9)  In  die  Anschauungen,  die  am  urbinatischen  Hofe  über  baukünstlerische 
Probleme  herrschten,  ist  der  bekannte  Brief  Federigos  vom  Jahre  1468  bezeichnend: 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


211 


Erst  in  Rom  kommt  Raffael  ganz  unter  den  Bann  Bramantes  des 
großen  Schülers  Lucianos.  In  der  Predigt  Pauli  in  Athen  kopiert  er  fast  den 
Tempietto  des  Bramante  und  in  der  wundervollen  Halle  der  Schule  von 
Athen  in  denStanzen  des  Vatikans  läßt  er  mit  dem  Pinsel  die  Ideen  Bramantes 
für  Sankt  Peter  vor  unseren  Augen  erstehen.  Ähnliches  gilt  natürlich  auch  von 
seinen  Palästen,  voran  der  Fassade  des  ehemaligen  Palazzo  dell’  Aquila  in 
Rom.  Er  war  der  erste  Generalkonservator  der  antiken  Monumente  Roms, 
die  man  bis  dorthin  mit  unglaublichem  Vandalismus  behandelt  hat. 
Die  wissenschaftliche  Schätzung  der  in  Trümmer  geschlagenen  Kunst- 
werke ging  mit  der  Wertschätzung  und  dem  Studium  der  theoretischen 
Schriften  des  Vitruv  Hand  in  Hand.  In  einem  Briefe  führt  Raffael  selbst  an, 
was  er  dem  römischen  Schriftsteller  verdanke.  Es  war  kein  Zufall,  daß 
dieser  Brief  aus  dem  Jahre  1514  an  den  Grafen  Castiglione,  den  Theoretiker 
des  gesellschaftlichen  Lebens  gerichtet  war.  »Ich  möchte  gerne  die 
schönen  Formen  der  antiken  Gebäude  wiederfinden,  weiß  aber  nicht,  ob  mein 
Flug  nicht  ein  Icarus-Flug  sein  wird;  Vitruv  gibt  mir  viel  Licht,  aber  nicht 
so  viel  als  genug  wäre I0).«  Wie  uns  Calcagnini  berichtet,  hat  sich  Raffael  von 
Fabio  Calvi  den  Vitruv  übersetzen  lassen,  wobei  es  in  den  daran  sich 
knüpfenden  Disputationen  trotz  aller  Begeisterung  freilich  auch  nicht  an 
Widersprüchen  gefehlt  hat.  Raffael  fühlte  sich  eben  noch  stark  auf  dem 
Boden  eigener  Kunst. 

P e r u z z i plante  eine  Herausgabe  der  antiken  Denkmäler  Roms  und 
nach  Vasari  entwarf  er  den  Dom  von  Carpi  nach  den  Regeln  des  Vitruv. 

Inzwischen  war  die  Kunst  in  Italien  allerorts  zur  höchsten  Blüte  ge- 
langt. Rom  war  das  Erbe  der  florentinischen  Kunst  zugefallen  und  der 
Glanz  der  ewigen  Stadt  überstrahlte  zum  zweitenmal  die  Welt.  Das  mußte 
in  erster  Linie  die  lokale  Kunst  büßen,  an  der  Italien  im  Quattrocento  so 
unendlich  reich  war. 

Rom  zog  alle  Künstler  an,  und  von  Rom  aus  zogen  sie  mit  römischen 
Ideen  wieder  hinaus.  Die  Kunst  war  ebenso  wie  das  Denken  kosmo- 
politisch geworden.  Im  Jahre  i486  hatte  Pico  della  Mirandola  noch  in 
Rom  seine  denkwürdige  Rede  von  der  Würde  des  Menschen  gehalten.  Der 
Mensch  in  seiner  Schönheit  und  Würde  stand  im  Mittelpunkt  der  Betrachtung, 
und  noch  in  Lionardo  klingt  diese  berauschende  Lehre  von  einem  antiken 
Gottmenschentum  nach.  »Der  Mensch  kann  alles  aus  seiner 


»Die  Architektur  ist  gegründet  auf  Arithmetik  und  Geometrie,  welche  zu  den  vor- 
nehmsten unter  den  sieben  freien  Künsten  gehören,  weil  sie  den  höchsten  Grad  von 
Gewißheit  in  sich  haben.«  Gaye,  Carteggio,  I,  214  vgl.  274. 

10)  »Vorrei  trovare  le  belle  forme  degli  edifizi  antichi,  ne’  so  se  il  volo  sara 
d’  Icaro.  Me  ne  porge  una  gran  luce  Vitruvio,  ma  non  tanto  che  basti, « Bottari, 
lettere  pittoriche,  I,  52. 


2 12 


Fritz  Burger: 


K r a f t.«  Nun  weitet  sich  der  Blick  und  Geist,  man  erkennt  die  großartige 
Einheit  des  Universums,  die  Unbegrenztheit  von  Raum  und  Zeit.  Durch  die 
Entdeckung  des  Kopernikus  tritt  die  Erde  und  mit  ihr  der  Mensch  aus  der 
ihr  zugewiesenen  Stellung  heraus.  Die  alte  Weltanschauung  stürzt  und 
Giordano  Bruno  ist  der  erste,  der  die  ästhetische  Harmonie  des  nun  zum 
Unendlichen  erweiterten  Weltganzen  erkennt.  In  ihm  erhält  der  Neuplato- 
nismus der  römischen  Kaiserzeit  eine  neue  Form.  Über  die  Individuen  und 
die  Nationen  hinweg  schreitet  der  Kosmopolitismus,  und  wie  Wissen- 
schaft und  Philosophie,  nahm  auch  die  Kunst  ein  kosmopolitisches 
Gepräge  an,  für  das  naturgemäß  das  geistige  und  künstlerische  Zentrum 
der  Welt,  Rom,  tonangebend  blieb.  Man  ging  vom  Humanismus  zur 
Wissenschaft  über  und  in  diesem  Augenblick  wird.  Vitruv 
zum  Dogma  erhoben. 

Der  Zeitgeist  drängte  von  selber  dazu,  nach  einer  allgemeinen,  fest- 
stehenden Formel  für  die  Kunst  zu  suchen.  Im  »Cortigiano«  wurde  die  Norm 
für  Anstand  und  Sitte  gefunden.  Wie  in  der  Philosophie  auf  Plato  und 
Aristoteles,  so  griff  man  auch  auf  dem  Gebiete  der  Baukunst  zu  dem 
Vorbild,  das  ja  ohnedies  seit  langem  die  Geister  beschäftigt  hatte,  Vitruv. 
Auf  dem  Gebiet  der  Baukunst  tat  man  das  gleiche  wie  in  der  Dichtkunst, 
indem  man  von  der  mehr  individuellen  Reproduktion  zur  Imitation 
überging. 

Ins  Jahr  1521  fällt  die  Übersetzung  Vitruvs  von  Cesare  Cesariani,  1536 
folgte  die  von  Giambatista  Caporali.  Im  Jahre  1542  endlich  erfolgte  die 
Gründung  der  vitruvianischen  Akademie,  in  der  nun  bezeichnenderweise 
nicht  die  Künstler,  sondern  Gelehrte  und  Humanisten  die  führende 
Rolle  spielten.  Wie  Claudio  Tolomei  berichtet,  war  beabsichtigt, 
nicht  nur  die  antiken  Bauten  Roms,  sondern  ganz  Italiens  neu  aufzunehmen. 
Mit  der  dogmatischen  Verehrung  der  Schrift  ging  notwendigerweise  auch 
die  der  Kunst  Hand  in  Hand,  und  dies  antiquarische  historische  Interesse 
schmiedete  den  Dolch,  der  der  nationalen  Kunst  den  Todesstoß  versetzen 
mußte.  Der  vitruvianische  Text  ist  Gesetz  geworden,  von  dem  abzuweichen 
man  für  Sünde  hält.  Hand  in  Hand  damit  geht  das  Erwachen  des  historisch  - 
philologischen  Geistes.  Man  hat  Vergleiche  darüber  anzustellen  be- 
schlossen, inwieweit  die  antiken  Bauten  mit  den  Lehren  Vitruvs  tatsäch- 
lich übereinstimmen.  Freilich  war  man  naiv  genug,  zu  glauben,  daß  diese 
Riesenarbeit  in  drei  Jahren  vollendet  sein  könnte.  Grollend  erhebt  da 
Michelangelo  sein  Haupt.  Er  ist  aus  anderem  Gusse.  Dem  individualisti- 
schen Gewaltmenschen,  der  über  das  Erbe  Donatellos  wachte,  war  dies 
Treiben  ein  Greuel.  Er  wollte  mit  seiner  Faust,  wie  er  sagt,  die  Ketten  und 
Schlingen  wieder  zerreißen,  welche  man  hier  der  Baukunst  anzulegen  sich 
bemühte.  Denn  er  für  seine  Person  halte  sich  weder  auf  ein  antikes  noch 


Vitrüv  und  die  Renaissance. 


213 


auf  ein  modernes  Gesetz  verpflichtet Ix).  Aus  ihm  spricht  nicht  nur 

der  Renaissance-Mensch,  sondern  auch  der  Vater  des  Barock,  und 
siegreich  hat  sich  seine  Richtung  in  dem  kommenden  Jahrhundert 
und  bei  weitem  großartiger  neben  oder  besser  gegen  die  akademische 
durchgesetzt.  Er  befreite  freilich,  wie  zuerst  Burckhardt  meinte,  die 
Kunst  mehr  als  gut  war. 

S e r 1 i 0 ist  der  erste,  der  Vitruv  als  die  unantastbare  Bibel  behandelt, 
die  immer  recht  hat,  selbst  gegen  die  Antike  und  auch  dann,  wenn  Augen- 
schein und  Erfahrung  dagegen  sprechen.  Der,  der  anderer  Meinung  ist,  ist 
Ketzer,  und  es  ist  höchst  bezeichnend,  daß  Serlio  am  Schlüsse  seines 
Buches  dell'  architettura  alle  Vitruvianer  mit  Namen  aufführt.  In  Rom 
konnten  die  Vitruvianer,  trotzdem  die  Akademie  dort  gegründet  wurde, 
nur  wenig  Boden  fassen.  Der  Geist  Michelangelos  breitete  noch  ein  Jahr- 
hundert lang  seine  schützenden  Fittiche  über  die  ihm  heilig  gewordene 
Stätte  seiner  Wirksamkeit,  und  im  römischen  Barock  redet  man  noch  lange 
seine  freilich  nun  zu  laut  gewordene  Sprache.  Auch  Florenz  blieb  von  dem 
Akademismus  verschont. 

Anders  im  Norden  Italiens! 

Die  Phantasie  und  der  schrankenlose  Individualismus  hat  sich  nirgends 
stärker  ausgetobt  wie  hier.  Man  mag  deshalb,  des  Formenüberschwanges 
satt,  nur  um  so  rascher  ernüchtert  worden  sein  und  doppelt  gerne  die  ein- 
fachen kühlen  Formen  der  Vitruvianer  begrüßt  haben.  Dazu  kommt  noch, 
daß  hier  das  antiquarische  Interesse  stärker  und  früher  auftritt  als  selbst  in 
Rom  und  Florenz,  und  daß  außerdem  die  Künstler  bei  weitem  zahmer  als 
die  Gewaltmenschen  der  Arnostadt,  seit  langem  erstaunlich  objektive  Be- 
trachter antiker  Reste  waren.  Ich  verweise  nur  auf  die  Zeichnungen  des 
Jacopo  Bellini  im  Codex  Vallardi  in  Paris.  Selbst  Mantegna  beobachtet  und 
verwertet  die  antiken  Formen  mit  einer  für  eine  solche  individualistische 
Kraftnatur  ganz  erstaunlichen  Objektivität.  — Die  Säule  wurde  mehr 
als  je  das  dekorative  Grundelement  der  vitruvianischen  Renaissancekunst; 
sie  galt  aber  auch  am  Gebäude  als  der  Inbegriff  höchster  dekorativer  Pracht 
und  dies  nirgends  mehr  als  in  Venedig,  wovon  schon  die  Portale  an  San  Marco 
ein  Lied  zu  singen  wissen.  — Nirgendwo  in  Italien  wurde  daher  der  neue 
vitruvianische  Stil  stärker  und  nachhaltiger  verwandt,  nirgends  war  er  von  so 
grundlegender,  alles  andere  ausschließender  Bedeutung  wie  in  der  Lagunen- 
stadt. Hier  und  in  der  Umgebung  von  Venedig  ist  deshalb  auch  das 
Zentrum  der  vitruvianischen  Renaissancekunst  gewesen.  Der  erste,  der  sich 
als  ausgesprochener  Vitruvianer  rühmt,  war  freilich  ein  Florentiner  Jacopo 
Tatti  genannt  Sansovino.  Jakob  Burckhardt  hat  ihm  das  nicht  vergeben 


II)  Siehe  auch  Burckhardt,  Geschichte  der  Renaissance  in  Italien,  42. 


214 


Fritz  Burger: 


können,  am  allerwenigsten,  daß  er  sich  dabei  zu  starken  Konzessionen  an 
den  heimischen  Geschmack  hat  hinreißen  lassen  und,  er  meint  deshalb,  es 
müsse  ihm  bei  großen  Gaben  des  Geistes  doch  an  wahrem  Stolz  gefehlt  haben. 

In  seiner  Biblioteca  gegenüber  dem  Dogenpalast  hat  er  zweifellos  den 
prächtigsten  Bibliotheksbau  der  Welt  geschaffen,  und  es  ist  bezeichnend  für 
Geist  und  Richtung  der  Zeit,  daß  bei  Herstellung  der  Ecke  des  dorischen 
Gebälkes  sich  »das  ganze  antiquarische  Italien  aufregte«  und  der  Sekretär 
der  vitruvianischen  Akademie  sein  Gutachten  abgehen  mußte“).  Die 
Schönheit  wird  unter  Kuratel  gestellt.  Fast  zur  selben  Zeit,  da  das 
Papsttum,  alle  Kräfte  zusammenfassend,  ein  neues  großartiges,  die  Welt 
umklammerndes  dogmatisches  System  gegen  die  individualistischen  Ten- 
denzen der  protestantischen  Kirche  errichtete,  begegnen  uns  auch  in  der 
Kunst  diese  starken  Gegensätze,  hier  die  dogmatisierende  vitruvianische 
Akademie  mit  ihrem  kosmopolitischen  Klassizismus,  dort  der  schrankenlose, 
nur  auf  seine  eigene  Kraft  vertrauende  Individualismus  des  Michelangelo. 
Die  eigentlichen  Klassiker  der  vitruvianischen  Renaissance,  deren 
Namen  immer  in  Verbindung  mit  dem  des  Vitruv  genannt  werden  müssen, 
sind  von  Geburt  Norditaliener,  P a 1 1 a d 1 o aus  venetianischem  Land, 
in  Vicenza  geboren,  und  Giacomo  Barozzi,  nach  seinem  Heimatsort 
Vignola  bei  Modena  genannt. 

Erst  jetzt,  kann  man  sagen,  wurde  die  Theorie  des  Vitruv  mit  all  ihren 
guten  und  schlechten  Konsequenzen  in  die  Praxis  übersetzt,  und  ebenso  wie 
durch  ihre  Werke,  so  haben  die  beiden  Meister  durch  ihre  Schriften 
im  Sinne  Vitruvs  auf  Jahrhunderte  gewirkt. 

Der  Trattato  degli  ordini  des  Vignola  hat  zwei  Jahrhunderte  die  Archi- 
tektur beherrscht  und  Palladios  Regola  degli  cinque  ordini  d'architettura  hat 
noch  Goethe  zum  Verständnis  der  antiken  Ordnungen  erworben.  Am  19.  Sep- 
tember 1786  schreibt  er  aus  Vicenza  von  Palladios  Schöpfungen:  »Wenn 

man  diese  Werke  gegenwärtig  sieht,  so  erkennt  man  erst  den  großen  Wert 
derselben;  denn  sie  sollen  ja  durch  ihre  Größe  und  wirkliche  Körper- 
lichkeit das  Auge  füllen,  und  durch  die  schöne  Harmonie  ihrer  Dimen- 
sionen nicht  nur  in  abstrakten  Aufrissen,  sondern  mit  dem  ganzen  perspekti- 
vischen Vordringen  und  Zurückweiciien  den  Geist  befriedigen;  und  so  sag  ich 
von  Palladio:  er  ist  ein  recht  innerlicher  und  von  innen  heraus  großer 
Mensch  gewesen.« 

Der  Grieche  tritt  in  ihm  mit  einer  ehrenden  Anerkennung  vor  den  Epi- 
gonen. Freilich  sind  wir,  die  wir  unmittelbaren  Stimmungswerten  gegen- 
über allen  »schönen«  Formen  den  Vorzug  geben,  die  wir  das  Kämpfen  und 
Ringen  einer  erwachenden  Kunst  lieber  belauschen  als  uns  der  göttlich 
sichern  Ruhe  der  fertigen  Kunst  erfreuen,  geneigt,  den  absoluten  künstleri- 


,a)  Burckhardt,  a.  a.  O. 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


215 


sehen  Wert  Palladianischer  Fassaden  niedriger  einzuschätzen.  (Übrigens 
ist  auch  der  »absolute«  Wert  dieser  Schöpfungen  ein  geringerer  als  man 
in  Vicenza  zumeist  in  vielfacher  Hinsicht  anzunehmen  geneigt  ist.  Für 
ein  feinsinniges  Architektenauge  muß  Vicenza  eine  Enttäuschung  sein.) 
Durch  Palladio,  erklärt  Goethe,  sei  ihm  Vitruv  nähergebracht  worden. 

Auch  V i g n o 1 a scheint  dem  ersten  großen  Vitruvianer  des  Quattro- 
cento, Alberti,  zu  folgen  und  ein  Vergleich  der  Fassade  der  Kirche  del  Gesü 
in  Rom  mit  Leo  Battista  Albertis  Fassade  von  Santa  Maria  Novella  in  Florenz 
macht  die  Verwandtschaft  der  beiden  Werke,  zugleich  aber  auch  den  ganzen 
künstlerischen  Fortschritt  klar.  Vignola  klammert  sich  auch  bei  weitem 
nicht  mit  derselben  Energie  an  die  antiken  Formen  wie  Palladio.  Seine 
Formenwelt  ist  weniger  pathetisch,  feiner  und  zierlicher,  und  seine  Säulen- 
gallerien  geraten  deshalb  weit  weniger  in  Widerspruch  mit  der  Mauerfläche 
als  in  manchem  der  Privatpaläste  Palladios  in  Vicenza,  die  in  ihrer  zu  starken 
Betonung  der  Säule  und  der  allein  durch  sie  erstrebten  Monumentalität  fast 
an  das  Groteske  streifen.  Im  Teatro  Olimpico  fühlte  schon  Goethe  den 
tragischen  Widerspruch  zwischen  den  ins  Grandiose  gehenden  Absichten 
und  der  erreichten  Wirkung  heraus.  Von  ähnlichen  Widersprüchen  ist  auch 
Vignolas  Hoffassade  der  Villa  des  Papa  Giulio  nicht  frei,  deren  weit  ausge- 
dehnte Mauerflächen  dimensional  in  keinem  Verhältnisse  zu  der  viel  zu 
schwachen  architektonischen  Gliederung  stehen. 

Kühl  und  nüchtern  geht  die  Wirkung  vitruvianischer  Akademiebauten 
zumeist  von  hart  gezogenen  und  ineinandergeschobenen  Linien  der  Archi- 
tekturen aus.  Immerhin  sind  Werke  wie  der  kleine  Palazzo  Spada  in  Rom,  der 
Rundhof  vonCaprarola  oder  der  Palazzo  Thiene  in  Vicenza  bewundernswerte 
Schöpfungen  von  überraschender  Schönheit  und  nur  eines  großen  Meisters 
würdig.  In  Vignolas  Akademismus  erwacht  auch  stärker  die  historische 
objektive  Betrachtung  vergangener  Stilepochen.  Es  würde  hier  zu  weit 
führen,  um  die  weitere  Entwicklung  der  Akademie  in  Italien  und  ihr  Ende 
bis  über  die  Renaissance  hinaus  zu  verfolgen.  Wir  müssen  uns  begnügen  nur 
noch  die  Namen  von  Scamozzi,  Giacomo  della  Porta,  Martino  Lunghi, 
Mascerino  zu  nennen,  die  teils  theoretisch,  teils  praktisch  den  Bahnen  der 
vitruvianischen  Akademie  gefolgt  sind.  Mit  der  Kunst  der  Renaissance, 
die  nun  ihren  Siegeszug  über  ganz  Europa  antrat  und  mehr  als  ein  Jahr- 
hundert mit  ihren  Ideen  befruchtend  wirkte,  begann  auch  die  vitruvi- 
anische  Akademie  in  Theorie  und  Praxis  ihren  Einfluß  allerorts  auszuüben. 
Schon  Fra  Giocondo  las  in  Frankreich  einem  Seigr:-r  Philibert  Vitruv 
vor,  und  Budaeus  rühmt  sich,  Vitruv  als  Meister  gehabt  zu  haben  I3). 

J3)  S.  Baschet,  Les  archives  de  la  serenissime  republique  de  Venise.  Souvenirs 
d’une  mission,  Paris  und  Venedig,  1870.  Geymüller,  Die  Baukunst  der  Renaissance  in 
Frankreich,  1898,  40. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII.  *6 


Fritz  Burger: 


i 16 

Durch  Francesco  di  Giorgio  ist  Philibert  de  l'Orme  mit  Vitruvs  Lehren 
bekannt  geworden,  und  die  Vorliebe  für  die  theoretischen  Schriften  der 
italienischen  Renaissance  hat  hier  nicht  wenig  zur  Blüte  der  Baukunst 
beigetragen  J4). 

Gleich  unser  größter  Maler  Albrecht  Dürer  wurde  durch  Vermittlung 
des  Jacopo  de  Barbari  mit  den  Theorien  des  Vitruv-Übersetzers  Luca 
Pacioli  1S)  vertraut,  und  die  zahlenmäßige  Festsetzung  des  »göttlichen  Werkes« 
hat  ihn  nicht  nur  sein  Lebtag  beschäftigt,  sondern  sie  ist  auch  eine  wichtige 
Grundlage  seiner  Kunst  geworden.  In  den  Worten:  »das  was  von  den 

meisten  als  schön  gehalten  wird,  das  wollen  wir  machen«,  steckt  schon 
ein  starker  Ansatz  zu  einem  theoretischen  Akademismus.  Solche  Ideen 
haben  freilich  bei  den  phantasiebegabten  Landsleuten  um  so  weniger  auf 
einen  fruchtbaren  Boden  fallen  können,  als  er  ja  selbst  ihrer  Verwirklichung 
so  ferne  als  nur  möglich  stand.  Was  die  Baukunst  der  Renaissance  in  Deutsch- 
land im  speziellen  anbelangt,  so  war  sie  noch  zu  jung,  um  sich  solche  Fesseln 
schmieden  zu  lassen.  Überhaupt  setzte  man  hier  nicht  so  leicht  Theorien 
in  die  Praxis  um.  Wie  wenig  theoretische  Erwägungen  praktischen  Erfolg 
hatten,  zeigen  die  Schriften  des  Erasmus  von  Rotterdam,  und  wie  unpraktisch 
die  Vertreter  religiöser  Theorie  verfuhren,  zeigt  das  Leben  Martin  Luthers. 
In  der  Bibliothek  des  deutschen  Baumeisters  fehlten  zwar  Vitruv,  Palladio 
und  die  Bücher  der  Renaissancearchitekten  nicht,  aber  sie  wurden  mehr  zum 
Studium  der  Geometrie  und  Perspektive  oder  zur  Entlehnung  einzelner  Bau- 
formen  benutzt16).  Erst  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  macht  sich  die 
Einwirkung  der  Lehren  der  vitruvianischen  Akademie  allgemeiner  geltend, 
in  erster  Linie  an  dem  hervorragendsten  Architekturwerk,  das  auf  deutschem 
Boden  steht,  dem  Friedrichsbau  in  Heidelberg.  Hier  kommt  die  Nüchtern- 
heit und  Einfachheit  palladianischer  Kunst,  freilich  mit  der  bei  einer  so  stark 
entwickelten  germanischen  Formenphantastik  gebotenen  Einschränkung, 
ziemlich  deutlich  zum  Ausdruck.  Die  Pilaster,  das  Hauptmotiv  der 
Dekoration,  ziehen  sich  in  einer  geraden  Linie  durch  die  drei 
Geschosse  hin.  Die  Vergröberung  und  Kühle  der  Details,  die  vertikale 
Tendenz  und  der  auffallend  strenge  Organismus  der  Fassade  sind 
alles  Einwirkungen  des  italienischen  Akademismus,  der  freilich  in  einer  im 
Grund  so  durch  und  durch  ganz  aus  dem  Volkstümlichen  herausgewachsenen 
Kunst  auch  hier  nur  in  bedingter  Weise  zum  Durchbruch  kam.  Reiner  und 


*♦)  Geymüller,  a.  a.  O.,  45. 

>5)  Siehe  Heyd,  Handschriften  und  Handzeichnungen  Schickhardts,  1902,  S.  335  f. 
Baum,  Charakterisierung  der  deutschen  Renaissancebaukunst.  Zeitschrift  f.  bildende  Kunst, 
N.  F.  XX.  H.  7 S.  151. 

,6)  Siehe  Hans  Klaiber,  Beiträge  zu  Dürers  Kunsttheorie,  1904. 


Vitruv  und  die  Renaissance. 


217 

nachhaltiger  dringen  die  Ideen  Palladios  und  Vignolas  erst  im  17.  Jahr- 
hundert in  unser  deutsches  Vaterland  ein. 

Nirgends  aber  in  Europa  fanden  die  Palladianischen  Formen 
weiteren  und  tieferen  Eingang  als  in  Holland,  das  im  17.  Jahrhundert 
in  religiöser  wie  politischer  Hinsicht  sich  seine  Selbständigkeit  errungen  hatte. 

Ich  muß  mir  hier  versagen,  auf  das  interessante  Kapitel  der  Ein- 
wirkung vitruvianischer  Ideen  auf  die  holländische  Baukunst  wie  die  Bedeu- 
tung der  vitruvianischen  Akademie  für  die  französische  Renaissance  ein- 
zugehen. Schon  unter  Franz  I.  sind  die  Künstler  Frankreichs  mit  Vignolas 
und  mit  Vitruvs  Baukunst  sehr  vertraut  geworden *  I7). 

Auch  für  die  Baukunst  unseres  Jahrhunderts  ist  Vitruv  eine  Zeitlang 
der  Eideshelfer  gewesen.  In  dem  Empire  erscheint  nach  den  Orgien  des 
Barock  und  Rokoko  der  Geist  Vitruvs  in  neuer  Gestalt,  eben  zu  derselben 
Zeit,  als  Napoleon  seine  Adler  über  ganz  Europa  führte  und  nach  einem 
europäischen  Einheitsstaat  strebte,  die  kosmopolitischen  Tendenzen  in 
der  deutschen  und  französischen  Literatur  sich  wiederum  breit  machten,  und 
Hogarth,  Burke,  Mengs  u.  a.  ihre  neuen  Theorien  der  Linie  entwickelten. 
Noch  einmal  stimmt  die  Antike  ihren  Sirenengesang  an.  Die  Wirkung  war 
nicht  von  allzu  langer  Dauer.  In  den  Stürmen  der  Revolution  sind  auch 
schließlich  diese  Fesseln  wieder  abgestreift  worden.  Diese  Renaissance  des 
19.  Jahrhunderts  stand  auf  den  tönernen  Füssen  des  Gedankens.  Sie  war 
nur  ein  Lasttier,  um  die  Säcke  der  Weisheit  tragen  zu  helfen,  eine  bildliche 
Exemplifikation  kunsttheoretischer  Probleme.  Das  Bildungsphilisterium 
hatte  die  Vormundschaft  über  die  Künste  übernommen  und  die  im  18.  Jahr- 
hundert so  wonnig  einherrauschenden  Wogen  in  altväterlicher  Fürsorge  ge- 
glättet, um  die  nach  einem  neuen  Laufe  drängenden  Fluten  wenigstens  für 
einige  Zeit  in  das  ausgefahrene  sichere  Bett  der  Vergangenheit  zu  leiten. 
Vitruv  war  das  Kompendium  des  Neoklassizismus  auf  dem  Gebiete  der  Bau- 
kunst geworden.  Das  neunationale  und  individualistische  Geschlecht  aber 
hat  ihn  dann  wohl  für  immer  entthront. 

Vitruv  ist  in  der  Geschichte  der  Kunst  immer  eine  Art  Mene-Tekel  des 
Zeitenwandels,  dessen  Verlauf  die  Idee  des  Kosmopolitismus  sei’s  auf  künstle- 
rischem oder  politischem  Gebiete,  sowie  der  erwachende  historische  Geist 
bestimmt.  Den  wunderbaren  unfaßbaren  Zauber  der  antiken  Kunst  durch 
das  Nadelöhr  des  Gedankens  zu  ziehen,  war  das  heiße  Verlangen  vergange- 
ner Jahrhunderte,  die  den  ewigen  Schatz  der  Antike  zu  einem  Allgemeingut 
auf  dem  Wege  der  Theorie  sich  zu  machen  bemühten.  Das  war  der  große 
Irrtum  der  Zeiten,  vor  dem  wir  heute  für  immer  bewahrt  sind.  Die 
nebelhaft  romantische  Hülle,  die  die  antike  Kunst  umgab,  ist  seit  den  Tagen 
Lord  Eigins  vor  den  griechischen  Originalen  durch  die  kunsthistorische 

*7)  Siehe  Willich,  Vignola,  Straßburg,  1906. 

1 6* 


2l8 


Fritz  Burger:  Vitruv  und  die  Renaissance. 


Wissenschaft  zerrissen  worden.  Durch  die  Klarlegung  der  Geschichte  der 
Entwicklung  dieser  Kunst  haben  wir  gelernt,  daß  auch  diese  Kunst  Blüte 
und  Verfall  kennt,  daß  auch  sie  nicht  unfehlbar  ist,  gewissermaßen  ihre 
sterbliche  Seite  hat.  Der  historisch-kritische  Geist  sieht  auch  in  der  antiken 
Kunst  nur  den  ewigen  Wechsel  individuellen  Geschmackes  persönlichen 
Gefühls,  sieht  im  ganzen  den  charakteristischen  Ausdruck  einer  Weltan- 
schauung, einer  Weltanschauung  von  grandioser  Einseitigkeit,  die  aber  um 
dessentwillen  nicht  die  seine  sein  kann.  Die  Antike  ist  uns  heute  eine  zwar 
gewaltige  Epoche,  aber  eben  nur  eine  Epoche  in  der  Geschichte  der  Mensch- 
heit. Wir  fühlen  uns  mit  ihr  verbunden  wie  die  Frucht  mit  der  Blüte.  Indem 
wir  in  das  tiefste  Geheimnis  ihres  Wesens  eingedrungen  sind,  bewahrten  wir 
unsere  eigene  Kunst  vor  einer  Veräußerlichung  ihrer  Formen.  Das  gilt 
wie  für  die  Antike  auch  für  die  Renaissance.  Noch  Boucher 
hielt  es  für  nötig,  seinen  Schüler  Fragonard  vor  Raffael  und  Michelangelo 
zu  warnen  und  wie  viele  Künstler  am  Anfang  des  19.  Jahrhunderts,  die  in  der 
Renaissance  nur  die  Vollendung  antiken  Kunstwollens  sahen,  haben  sich  an 
der  italienischen  Kunst  die  Finger  verbrannt.  Wir  suchen  nicht  mehr  nach 
einer  begrifflich  erfaßbaren  Schönheit,  sondern  wir  versuchen  das  i n d i v i - 
duelle  Leben  der  Menschheit  in  seinen  tausendfachen  Schattierungen 
zu  erfassen  und  das  Ewige  von  dem  zeitlich  Bedingten  zu  sondern,  um  die 
Sprache  der  eigenen  Zeit  verstehen  zu  lernen.  Wir  wissen,  bei  den  Toten 
ist  der  Schlüssel  zu  suchen,  der  zum  klaren  Verständnis  der  Kultur  der 
Lebenden  führt.  Deshalb  brauchen  wir  nicht  wie  Odysseus  die  Ohren  vor 
der  fremden  Schönheit  zu  verstopfen,  wir  können  heute  Augen  und  Ohren 
vielmehr  nicht  weit  genug  aufmachen. 


Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  in  der  Königl. 
Graphischen  Sammlung  zu  München. 

Von  A.  von  Beckerath. 

Als  ich  im  vorigen  Oktober  in  München  war,  besuchte  ich  wie  immer 
das  Kgl.  Kupferstichkabinett  (die  jetzige  Kgl.  Graphische  Sammlung) 
und  war  sehr  erstaunt  und  erfreut,  im  zweiten  großen  Ausstellungsraum 
eine  nach  den  neuesten  Ansprüchen  wohlgeordnete  Ausstellung  alter 
italienischer  Zeichnungen  zu  finden. 

Viele  liebe  Bekannte  sah  ich  wieder,  aber  auch  vieles,  das  ich  nicht 
kannte,  oder  das  meinem  Gedächtnis  entschwunden  war.  Im  ganzen  eine 
stattliche  Anzahl  klassischer  Zeichnungen. 

Die  Ausstellung  war  durch  den  Konservator,  Herrn  Dr.  Weigmann, 
mit  vielem  Geschmack  und  mit  Kenntnis  gemacht  worden.  Herr  Dr.  Weig- 
mann war  so  freundlich,  mich  bei  der  Besichtigung  zu  begleiten,  meine 
vielfachen  Fragen  zu  beantworten  und  mir  einige  Zeichnungen  herauszu- 
nehmen,  was  sehr  erwünscht  war. 

Denn  diesem  neuen  Ausstellungssaal,  wenn  er  Raum  genug  hat,  fehlt 
es  an  genügender  Beleuchtung,  weil  er  das  Licht  erst  aus  zweiter  Hand  erhält. 

Der  weitgrößte  Teil  der  graphischen  Sammlung  stammt  aus  Mann- 
heim. Zur  Feier  der  vor  150  Jahren  stattgehabten  Übersiedlung  nach 
München  hat  Herr  Direktor  Pallmann  eine  Geschichte  der  Sammlung  ge- 
schrieben, die  eben  veröffentlicht  worden  ist. 

Ich  nahm  mir  vor,  über  das  erfreuliche  Ereignis  dieser  Ausstellung 
etwas  zu  schreiben,  in  Ergänzung  des  Aufsatzes,  den  Dr.  Weigmann  über 
die  Ausstellung  schreiben  wollte  (der  mittlerweile  im  ersten  Heft  1909  der 
Leipziger  Monatshefte  für  Kunstwissenschaft  publiziert  worden  ist). 

Zitiert  in  meinem  Aufsatz  sind: 

Wilhelm  Schmidt,  Publikation  der  Münchener  Zeichnungen; 

Morelli,  die  Münchener  Galerie  1891; 

Frey,  Zeichnungen  Michelagniolos; 

Knapp,  Perugino; 

Ferri,  Katalog  der  alten  Zeichnungen  in  den  Uffizien; 

Berenson,  Florentine  Drawings; 


220 


A.  v,  Beckerath: 


Weigmann,  Leipziger  Monatshefte; 

Meder,  Albertina -Publication. 

Michelangelo. 

Echte  Zeichnung  Michelangelos  aus  seiner  frühesten  Zeit,  nach  dem 
Petrus  in  Masaccios  Fresko  Christus  und  die  Apostel  in  der  Brancacci- 
Kapelle,  Feder  und  Rötel,  nicht  gut  erhalten,  oben  und  unten  rechts  je  ein 
nackter  Arm  von  späterer  Hand,  Berenson  Nr.  1544,  Schmidt  453,  Frey 
Tafel  II. 

Morelli  p.  1 5 1 schreibt,  daß  die  in  München  Michelangelo  und  andern 
großen  Künstlern  zugeteilten  Blätter  wenig  Vertrauen  erwecken.  Zu  Tafel  I 
Frey,  dem  schönen  Blatt  im  Louvre  aus  der  gleichen  Frühzeit  wie  das  in 
München,  wird  bemerkt:  Nach  Morelli,  Kunstchronik  1891/92  nicht 

von  Michel  Angelo  »Wertlos«. 

Diese  Lapsusse  des  großen  Kritikers  bez.  klassischer  Handzeichnungen 
sind  Berenson,  der  sonst  alle  derartigen  vielfachen  Irrtümer  seines  ver- 
ehrten Lehrers  mit  Andacht  in  seinem  großen  Werke  notiert  hat,  leider 
entgangen. 

Angeblich  Raffael. 

Schmidt:  mit  dem  Silberstift  vorgezeichnet,  mit  der  Feder  nachge- 
zeichnet. 

Auf  der  Vorderseite  des  Blattes,  Studie  zu  dem  hl.  Ambrosius  in  der 
Disputa.  Während  auf  dem  Fresko  der  rechte  Arm  des  Heiligen  auf  einem 
Buche  ruht  und  die  leicht  erhobene  rechte  Hand  die  mehr  erhobene  linke 
Hand  in  adorierender  Bewegung  akkompagniert,  ruht  auf  der  Zeichnung 
der  rechte  Arm  auf  dem  Knie  und  hält  ein  Buch  in  geschlossener  Hand. 

Im  Fresko  hält  der  neben  Ambrosius  sitzende  hl.  Augustinus 
geradeso  Arm,  Hand  und  Buch. 

Im  Fresko  ist  die  linke  Seite  des  Ambrosius  durch  den  neben  ihm 
sitzenden  Antonius  verdeckt.  In  der  Zeichnung  ist  Ambrosius  nur  so  weit 
skizziert,  wie  er  im  Fresko  erscheint.  Die  linke  Seite  fehlt  also. 

Aus  diesem  Umstand  allein  kann  man  wohl  schließen,  und  mit  Fug 
und  Recht,  daß  die  Zeichnung  nicht  für,  sondern  nach  dem  Fresko  ge- 
macht worden  ist. 

Den  oben  angeführten  Umstand,  »die  Veränderung  des  rechten  Arms«, 
könnte  man  eventuell  zugunsten  der  Originalität  der  Zeichnung  geltend 
machen. 

Aber  zuungunsten  der  Zeichnung  sprechen  laut  die  leblosen  Umrisse 
der  Figur,  die  schlecht  gezeichnete  ausgestreckte  Hand  und  die  ungelenken 
Schraffierungen,  die  Raffael  nicht  zuzutrauen  sind. 

Die  Zeichnung  ist  sehr  schlecht  erhalten,  durch  Überzeichnungen 
entstellt,  unten  links  beschnitten. 


Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  usw. 


221 


Morelli  hält  beide  Zeichnungen  von  »Raffael«  mit  Kohle  vorgezeichnet 
und  von  einer  etwas  späteren  Hand,  wie  es  scheint,  mit  der  Feder 
übergangen  und  entstellt,  beide  Zeichnungen  sind  als  verloren  zu  be- 
trachten. 

Mit  der  Zeichnung  auf  der  Rückseite,  die  einen  knienden,  betenden 
jungen  Mann  darstellt,  ist  es  jedenfalls  so  schlimm  nicht,  wie  mit  derZeichnug 
auf  der  Vorderseite.  Diese  Federzeichnung  ist  ganz  gut  erhalten  und  in  jeder 
Beziehung  besser  wie  die  andere,  nicht  ohne  Frische  und  Lebendigkeit; 
sie  erinnert  an  Raffaels  Zeichnungsmanier  zu  dem  Parnaß,  aber  ohne  des 
großen  Künstlers  Gefühl  und  Können. 

Eine  Vorzeichnung  mit  Silberstift  (nach  Schmidt),  oder  eine  solche 
mit  Kohle  (nach  Morelli)  im  Zusammenhang,  so  daß  danach  die 
Autorschaft  Raffaels  zu  beurteilen  ist,  kann  ich  auf  beiden  Seiten  nicht 
entdecken. 

Der  Ambrosius  ist  nach  Raffael,  der  Jüngling  von  einem  Schüler 
Raffaels  gezeichnet  worden. 

Gaudenzio  Ferrari. 

Engelglorie,  Teilentwurf  (Segment)  für  die  Ausschmückung  einer 
Kuppel,  interessante,  bedeutende  Zeichnung  (weißgehöhte  Federzeichnung). 

Im  Novemberheft  der  Rassegna  d’  arte  1908  bespricht  Herr  Frizzoni 
ausführlich  und  mit  gewohnter  Kompetenz  diese  Zeichnung;  er  hält  sie 
für  eine  primitive  Studie  für  die  berühmte  Dekoration  der  Kuppel  in  Saronno. 
Das  kann  ja  sein,  ich  möchte  nur  bescheidentlich  dagegen  einwenden,  daß 
der  Umstand,  daß  die  Zeichnung  für  eine  Dekoration  in  Segmenten  gemacht 
worden  ist,  während  in  der  Kuppel  in  Saronno  die  Engelglorie  ohne  jede 
Einschränkung  hin-  und  herwogt,  doch  schwerer  ins  Gewicht  fällt,  als 
Frizzoni  anzunehmen  geneigt  ist.  Auch  kann  ich  die  einzige  annähernde 
Ähnlichkeit  zwischen  der  Gruppe  der  drei  Engel,  die  singend  zusammen 
in  ein  Buch  sehen,  die  Frizzoni  anführt,  nicht  für  gleich  erheblich  halten. 

Weshalb  soll  der  Künstler  vorher  eine  Einteilung  in  Segmenten  machen, 
wenn  er  sie  in  der  Ausführung  nicht  beibehalten  hat? 

Francesco  Morone. 

Stehender  Apostel  (?)  mit  langem  Bart,  die  rechte  Hand  dozierend 
erhoben,  in  der  linken  ein  Buch. 

Weißgehöhte  Tuschzeichnung.  Ich  glaube,  daß  diese  Zeichnung  von 
Francesco  Morone  sein  kann.  Zum  Vergleich  beziehe  ich  mich  auf  di«  zwei 
stehenden  Figuren  in  Rötel  in  der  Albertina,  Meder  Nr.  181,  und  auf  das 
Bild  im  Kaiser  Friedrich-Museum  Nr.  46  B;  die  Zeichnung  ist  mehr  Modell 
als  Charakterstudie. 

Giuliano  Bugiardini  (unter  Franciabigio),  weißgehöhte  Sepiazeich- 
nung. Madonna  mit  Kind.  Auf  der  Rückseite  ältere  Aufschrift  »Bugiardini«. 


222 


A.  v.  Beckerath: 


Dieser  Künstler,  von  dem  so  viele  Bilder  existieren,  ist  als  Zeichner 
fastintrouvable  (siehe  meinen  Artikel  gegen  Berenson,  Repertorium  1905  p.  1 12). 

Diese  Zeichnung,  die  sein  Wesen  vollständig  wiedergibt,  halte  ich  für 
eine  echte,  charakteristische  Zeichnung  des  »amico  di  Michel  Angello«  breit 
und  routiniert. 

Raffael  di  Montelupo,  Federzeichnung  (unter  Michelangelo). 

Eine  bekleidete  und  eine  nackte  Figur,  Berenson  Nr.  1647.  Echte 
Zeichnung  Montelupos. 

Die  Zeichnungen  der  Venetianischen  Schule  in  München  sind  nicht 
von  Bedeutung,  obgleich  die  großen  Namen  der  Schule  vertreten  sein 
sollen.  Der  hübsche  Studienkopf  unter  »Kreis  Paul  Veronese«  ist  vielleicht 
von  Qiuseppe  Salviati. 

Der  andere  Studienkopf  unter  »Veronese«  vielleicht  von  Carletto 
(Veronese)  Cagliari. 

Vorzüglich  ist  der  Kopf  eines  Imperators  von  Jacopo  Tintoretto 
und  ganz  hervorragend 

Jacopo  Tintoretto. 

Kämpfender  Krieger  zu  Pferd  heransprengend,  den  blanken  Säbel 
in  der  Rechten,  in  der  Linken  den  Schild,  sich  nach  links  herüberbeugend. 
Reiter  und  Pferd  wie  aus  einem  Stück,  groß  und  machtvoll,  von  momen- 
tanster Wirkung,  worin  der  Meister  unübertrefflich  ist.  Unten  zwei  Beine 
eines  liegenden  Kriegers.  Schwarze  Kreidezeichnung.  In  den  Schlachten- 
bildern im  Dogenpalast  habe  ich  das  Motiv  dieser  Zeichnung  nicht  finden 
können. 

Angeblich  S o d o m a. 

Krönung  der  Jungfrau  in  einer  Lünette. 

Weißgehöhte  Federzeichnung. 

Ich  möchte  diese  schöne  Zeichnung  bis  auf  weiteres  für  eine  echte 
Zeichnung  Sodomas  halten,  sie  ist  ganz  in  seiner  Art,  wenn  auch  etwas 
trocken. 

Vielleicht  gehört  sie  zu  dem  Fresko  der  Krönung,  auf  der  großen  Treppe 
in  Monte  Oliveto  Maggiore. 

S 0 d 0 m a. 

Vermählung  der  hl.  Katharina. 

Karton,  Kohlenzeichnung. 

Ist  ein  famoses  großes  Stück,  trotz  seiner  mangelhaften  Erhaltung, 
neue  Erwerbung. 

S o d o m a. 

Skizzenblatt,  Federzeichnung. 

»Angeblich  Mariotto  Albertinelli.«  »Altarbild  der  Heimsuchung,  darunter 
Petrus  heilt  einen  Kranken;  Rückseite  Altarentwurf  mit  Verkündigung.« 


Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  usw. 


223 


Die  Heimsuchung  mit  Elisabeth  kann  nicht  dargestellt  sein,  denn  die  Figur 
links  ist  ein  Mann  mit  Bart  und  Stab.  Ich  vermute,  daß  die  Begegnung 
an  der  goldenen  Pforte  (letztere  fehlt  allerdings)  dargestellt  sein  soll.  Der 
eben  angekommene  Joachim  reicht  der  hl.  Anna,  die  zwischen  zwei  Be- 
gleiterinnen steht,  beide  Hände.  (Eine  vortreffliche  Skizze.)  Oben  in  der 
Ecke,  ganz  klein,  sitzt  Joachim  am  Altar;  nachdem  er  geopfert  und  gebetet 
hat,  erscheint  der  Engel  und  gebietet  ihm,  zu  Anna  zurückzukehren.  Der 
Rückweg  ist  sogar  mit  einigen  Strichen  angedeutet. 

Ob  die  ausdrucksvolle  Skizze  unter  der  Begegnung,  eine  Kranken- 
heilung und  sogar  eine  solche  durch  Petrus  darstellen  soll,  entzieht  sich 
meiner  Beurteilung.  Man  könnte  auch  an  Loth  und  seine  Freunde  denken. 
Auf  der  Rückseite  befindet  sich  in  der  Altarnische  die  Verkündigung,  der 
Rahmen  des  Altars  ist  reich  mit  Heiligen  in  Nischen,  Tondi  mit  Halb- 
figuren, oben  mit  zwei  Propheten  dekoriert.  Darunter  ist  die  Verkündigung 
kleiner  und  anders  komponiert,  wiederholt,  zur  Seite  links  sitzt  ein  treff- 
lich skizzierter  hl.  Hyronimus.  Die  Fülle  der  geistreichen  und  phantasievollen 
Entwürfe  auf  beiden  Seiten  des  kleinen  Blattes  lassen  auf  einen  großen 
und  begabten  Künstler  schließen,  die  Art  der  flüchtigen  Skizzierung,  die 
Typen,  Sodoma  als  Autor  vermuten. 

Ich  stütze  mich  namentlich  auf  die  vielen  flüchtigen  Federskizzen 
in  den  Uffizien.  Die  Zeit  wird  die  der  Fresken  in  S.  Anna  in  Kreta  und  in 
Monte  Oliveto  Maggioro  sein,  der  besten  und  fruchtbarsten  des  Künstlers, 
von  unerschöpflicher  Phantasie. 

Nachträglich  finde  ich,  daß  die  Skizze  zu  einem  Zyklus  von  Geschichten 
der  Jungfrau  gehört,  die  Sodoma  in  monochromen  Darstellungen  in  S.  Anna 
in  Kreta  ausführte. 

Drei  gut  erhaltene  Geschichten  sind  von  Lombardi  photographiert, 
die  andern  sind  verletzt  und  fast  zerstört.  Diese  Photographien  stellen  dar: 

»Die  Zurückweisung  des  Opfers  Joachims.« 

»Christi  Abschied  von  seiner  Mutter.« 

»Die  Geburt  der  Jungfrau.« 

Fra  Bartolommeos  Zeichnungen  sind  bekanntlich  in  München  reich 
an  Zahl  und  vortrefflich  in  Qualität  vertreten.  Weigmann  7 und  8 hat 
über  die  Blätter  der  mittleren  und  späteren  Zeit  ausführlich  geschrieben. 
Auch  aus  der  früheren  Zeit  des  Meisters  sind  schöne  Zeichnungen  vorhanden. 

Mariotto  Albertinelli. 

Unter  Fra  Bartolommeo,  Federzeichnung. 

Die  Madonna  sitzend  mit  dem  Kind  zwischen  hl.  Lucia  und  hl.  Seba- 
stian (?).  Ich  halte  diese  höchst  reizende  kleine  Zeichnung  für  eine  Jugend- 
zeichnung Albertinellis,  sie  erinnert  mich  lebhaft  an  das  kleine,  entzückende 
Flügelaltärchen  im  Museo  Poldi  in  Mailand.  Der  Typus  der  Madonna  ist 


224 


A.  v.  Beckerath: 


fast  derselbe  und  weicht  von  dem  des  Frate  ab.  Auch  die  Schraffierungen 
stimmen  mit  denen  des  Frate  nicht  ganz  überein  und  nähern  sich  mehr  den 
in  den  Uffizien,  Albertinelli  zugeschriebenen  Zeichnungen,  Ferri  547  und  550. 

Berenson  Nr.  453  very  sweet  and  early. 

Rosso  Fiorentino. 

Musikanten  auf  einer  Tribüne  sehr  frisch  und  lebendig,  aus  seiner 
späteren  Zeit. 

Weißgehöhte  Kreidezeichnung. 

Niccolo  dell'  Abbate. 

Zwei  Träger  mit  Bahre. 

Weißgehöhte  Tuschzeichnung. 

Vortrefflich  und  kräftig,  in  effektvollem  Chiaroscuro. 

Bartolommeo  Montagna. 

Madonna  mit  ausgebreiteten  Armen,  zwischen  zwei  Engeln  auf  Wolken 
stehend,  Tuschzeichnung. 

Echte,  seltene  Zeichnung  des  großen  Künstlers,  in  der  Mache  stimmt 
sie  ganz  mit  dem  bedeutenden  Blatt  in  Lille  überein.  Thronende  Madonna 
mit  dem  Kinde. 

In  den  Verhältnissen  ist  die  Madonna  m München  nicht  gerade  glück- 
lich, sie  ist,  im  Vergleich  zu  den  Engeln,  zu  lang  geraten,  was  durch  ihren 
kleinen  Kopf  noch  empfindlicher  wird.  Die  Engel  sind  vortrefflich,  ganz 
venetianisch. 

Ich  habe  mich  umsonst  bemüht,  ein  Bild  nach  dieser  Komposition 
ausfindig  zu  machen.  Morelli  p.  153. 

D.  Ghirlandajo. 

Ein  Bischof  tauft  einen  jungen  Mann  in  einer  Basilika. 

Bekannte,  vorzügliche,  echte  Zeichnung.  Bisterzeichnung.  Berenson 
Nr.  885,  Morelli  p.  153. 

Derselbe. 

Zwei  Männer  im  Gespräch. 

Vortreffliche,  schöne  Zeichnung,  aber  ob  von  Domenico  selber? 

Silberstift  weißgehöht. 

Domenico  Puligo. 

Unter  Franciabigio,  Rötel,  »Modellstudie  eines  stehenden  Mannes«, 

Dieser  Mann  ist  offenbar  ein  San  Rocco,  mit  seiner  Linken  zeigt  er 
auf  die  Wunde  am  Bein,  dann  trägt  er  das  Kostüm  eines  Ritters.  Hübsche 
Zeichnung  im  Geschmack  Andrea  del  Sartos,  aber  für  ihn  selber  viel  zu 
schwach.  Ich  glaube,  daß  Puligo  der  Autor  ist,  was  auch  Berensons  An- 
sicht. Er  führt  die  Zeichnung  indessen  unter  Franciabigio  Nr.  754  auf, 
annehmend,  daß  es  eine  der  Figuren  im  Bild  »ein  Tempel  des  Herkules« 
von  Franciabigio  sein  könne,  was  nicht  der  Fall  ist.  Berenson  erkennt 


Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  usw. 


225 


nicht,  daß  der  Mann  ein  S.  Rocco  ist  und  beschreibt  die  Zeichnung:  »Study 
perhaps  from  the  Model  of  a Gentleman  in  a short  cloak,  looking  up.« 

Schule  Lorenzo  di  Credis. 

Unter  Lorenzo  di  Credi,  kniender  Jüngling,  weißgehöht,  Silberstift. 
Hübsche,  sorgfältig  ausgeführte  Zeichnung,  aber  für  Credi  selber  doch  zu 
schwach  und  namentlich  in  der  Zeichnung  des  Kopfes  gänzlich  von  ihm 
abweichend. 

Berenson  Nr.  742. 

Auf  die  ganz  vorzügliche  Zeichnung  Andrea  del  Sartos,  welche  die 
Münchener  Sammlung  besitzt,  hat  Dr.  Weigmann  f.  8 mit  beredten  Worten 
hingewiesen. 

Schule  A.  Pollajuolos. 

Sitzender  älterer  Mann  nach  links. 

Tusch-  und  Federzeichnung.  Weigmann  p.  8. 

Der  frühere  Konservator  des  Kupferstichkabinetts  in  den  Uffizien, 
Herr  Carlo  Pini,  hatte  in  seinem  Bureau,  in  Schubladen,  etwa  100  Zeich- 
nungen von  ein  und  derselben  Hand  pele-m£le  durcheinander  liegen.  Herr 
Pini  behandelte  diese  Zeichnungen  mit  Geringschätzung,  wofür  schon  die 
Aufbewahrungsart  bezeichnend  war. 

Durch  den  Einfluß  Morellis  kamen  diese  Zeichnungen  zu  Ehren,  sie 
wurden  zum  großen  Teil  in  den  Ausstellungsraum  nach  oben  gebracht  und  als 
Schule  Pollajuolos,  in  einzelnen  Fällen  selbst  als  echte  Pollajuolos  ausgestellt. 

Sie  haben  in  der  Tat  den  Charakter  von  Kopien  im  Geschmack  Polla- 
juolos. Die  Umrisse  sind  hart,  dick  und  roh.  Die  Modellierung  aquarelliert, 
es  kommen  aber  auch  andere  Techniken  vor.  Nach  meinen  Erfahrungen 
sind  diese  Zeichnungen  in  der  zweiten  Hälfte  des  Quattrocento  nachPollajuolo 
und  andern  Künstlern  der  Zeit  gemacht  worden.  In  Qualität  sind  sie  ver- 
schieden, trotzdem  sind  sie  durch  das  Gemeinsame,  das  sie  haben,  leicht 
zu  erkennen.  Die  besten  Blätter  wird  Herr  Bonnat  in  Paris,  in  dem  so- 
genannten Skizzenbuch  von  Pollajuolo,  besitzen.  Mit  Vorliebe  werden 
Naturstudien  nach  nackten  oder  bekleideten  Figuren  behandelt. 

Einzelne  dieser  Zeichnungen  in  den  Uffizien  haben  die  Aufschrift  Maso 
Finiguerra  von  späterer  Hand.  Diese  bezeichneten  Blätter  unterscheiden 
sich  in  keiner  Weise  von  den  vielen  andern  nicht  bezeichneten. 

Maso  Finiguerra  war  von  1458 — 1464  mit  Antonio  Pollajuolo  assoziert. 
Dokumentierte,  authentische,  existierende  Werke  von  ihm  sind  die  Intar- 
sien in  der  Sakristei  im  Florentiner  Dom  und  in  der  Dom  Opera,  nach  seinen 
Zeichnungen  von  Giuliano  da  Majano  gemacht.  Diese  Zeichnungen  waren 
Maso  von  der  Dom  Opera  bestellt  worden. 

Die  Intarsien  sind  bedeutende  stilvolle  Werke,  die  nichts  mit  den  Zeich- 
nungen mit  der  Aufschrift  Maso  Finiguerra  zu  tun  haben. 


22Ö 


A.  v.  Beckerath: 


Herr  Colvin  hat  nicht  beweisen  können,  in  seinem  Prachtwerk  Florentine 
Picture  Chronicle  by  Maso  Finiguerra,  London  Quaritch  1898,  daß  die  Zeich- 
nungen in  dieser  Chronik,  wie  er  behauptet,  von  Maso  Finiguerra  sind, 
noch  daß  die  Zeichnungen  in  Florenz,  auf  die  er  sich  bezieht,  von  diesem 
Meister  sind.  Eine  treffliche  Kritik  von  Dr.  Paul  Kristeller  über  das  Werk 
von  Herrn  Colvin  erschien  im  Repertorium  1899  p.  1 33. 

Ferner  von  Berenson  eine  solche  in  einer  Anmerkung  Vol.  I p.  31. 

In  Anbetracht  des  Meeres  von  Ungewissenheiten,  auf  dem  wir  nur 
zu  häufig  schiffen  müssen,  um  die  Autoren  alter  Zeichnungen  zu  eruieren, 
soll  man  alten  Aufschriften,  auch  wenn  sie  nicht  aus  der  Zeit  der  Entstehung 
der  Zeichnung  sind,  alle  gebührende  Achtung  zugestehen,  ohne  indessen 
die  eigene  Kritik  in  die  Tasche  zu  stecken. 

Im  vorliegenden  Fall  kommt  die  Hand,  welche  die  Aufschrift  Maso 
Finiguerra  geschrieben  hat,  noch  in  Aufschriften  bei  andern  Zeichnungen 
in  den  Uffizien  vor. 

Ich  vermute,  daß  der  ursprüngliche  Besitzer  dieser  Zeichnungen,  viel- 
leicht weil  er  von  dem  Zusammenhang  von  Maso  mit  Pollajuolo  gehört  hatte, 
oder  weil  er  Vasaris  Phantasien  über  den  Ruhm  Masos  gelesen  hatte,  diese 
Aufschriften  gemacht  hat. 

Sollte  man  mir  diese  Konjekturen  vorwerfen,  so  antworte  ich,  sie  be- 
zwecken nichts  anderes,  als  die  Sachlage  aufzuklären  und  verhindern  jeden- 
falls keinen  Besserwissenden,  in  dem  Reich  der  Möglichkeiten  weiter  zu 
forschen. 

Schule  A.  Pollajuolos,  Federzeichnung. 

Kreuzigung  Christi. 

Umständliche  Darstellung  mit  vielen  Figuren  und  lebhaft  erzählten 
Einzelheiten,  nicht  ohne  Ausdruck  und  Phantasie.  Der  Totaleindruck 
leidet  aber  durch  die  Überfüllung  und  durch  den  Mangel  an  Konzentration. 
Dann  handelt  es  sich  um  ein  kindliches,  im  Wachstum  zurückgebliebenes 
Geschlecht.  Die  Perspektive  ist  mangelhaft. 

Die  Manier  ist  wohl  die  Pollajuolos  aber  in  einem  primitiven  Zustand. 

In  den  Uffizien  sind  vier  Zeichnungen,  die  Kreuzigung,  die  Abnahme 
vom  Kreuz  resp.  die  Beweinung  darstellend,  von  derselben  Hand,  dieAlessio 
Baldovinetti  zugeschrieben  werden,  jedenfalls  mit  Unrecht,  denn  an  diesen 
bedeutenden  Künstler  reichen  sie  bei  weitem  nicht  heran. 

Die  Münchener  ist  wohl  die  beste  von  diesen  Zeichnungen. 

Antonio  Pollajuolo. 

Studie  zu  dem  Reiterdenkmal  Francesco  Sforzas,  angeblich  früher 
in  Vasaris  Besitz,  Bisterzeichnung  auf  dunklem  gefärbtem  Grund,  schlecht 
erhalten. 

Morelli  p.  1 5 1 , Berenson  Nr.  1908. 


Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  usw. 


227 


Echte  Zeichnung  des  Meisters  von  großer,  monumentaler  Auffassung. 
Das  Pferd  erinnert  sehr  an  die  Pferde,  die  im  Hintergrund  des  Sebastian- 
bildes in  London  heransprengen. 

Pietro  Perugino. 

Ein  gefesselter  Jüngling,  wird  vor  einen  Richter  geführt. 

Silberstiftzeichnung  auf  präpariertem  Papier,  weißgehöht. 

Diese  schöne  Zeichnung  veranlaßt  mich  zu  einem  kurzen  Exkurs  über 
Perugino. 

Über  die  Frühzeit  Peruginos  bis  1480,  also  bis  zu  seinem  34.  Jahre, 
wissen  wir  weniger,  als  über  die  Frühzeit  irgendeines  andern  großen  ita- 
lienischen Quattrocentisten. 

1446  geboren,  kam  er  jung  nach  Perugia  in  die  Lehre,  es  ist  zweifelhaft 
zu  wem;  von  Fiorenzo  mag  er  beeinflußt  worden  sein. 

1472  schreibt  er  sich  in  Florenz  in  der  compagnia  dei  pittori  ein,  also 
als  Meister. 

1475  malt  er  Fresken  im  Pal.  Publico  in  Perugia,  die  untergegangen  sind. 
1478  führt  er  einen  Freskenzyklus  in  Cerqueto  aus,  wovon  bloß  das  Frag- 
ment eines  hl.  Sebastian  erhalten  ist. 

1480  wird  er  mit  den  berühmtesten  Malern  Italiens  nach  Rom  berufen, 
um  die  Cappella  Sistina  mit  Fresken  auszuschmücken.  Er  erhält  den  größten 
Auftrag  auf  sechs  Fresken.  Vor  den  andern  berühmten  Künstlern  wurde 
er  also  besonders  ausgezeichnet. 

Von  den  drei  erhaltenen  Fresken  führte  er  bloß  die  Schlüsselübergabe 
eigenhändig  aus,  die  Ausführung  der  beiden  andern  überließ  er  seinem 
Schüler  Pinturrichio.  Die  Schlüsselübergabe  ist  das  erste  und  auch  das 
größte  Meisterwerk  Peruginos. 

Den  großen  Florentinern,  Botticelli  und  Ghirlandajo  und  selbst  seinem 
Landsmann  Signorelli  (der  Feuer  aus  dem  Stein  schlug)  gegenüber,  ist 
Perugino,  wenn  nicht  ein  größerer,  so  doch  ein  anderer  großer  Künstler. 

Mit  ihm  ist  die  umbrische  Kunst  eine  Großmacht  geworden,  die  durch 
seinen  Schüler  Raffael  die  Welt  erobern  sollte,  mit  und  gegenüber  dem  größten 
Florentiner,  Michelangelo. 

Im  Vergleich  mit  den  überfüllten  unruhigen,  bunten  Fresken  der  andern 
Quattrocentisten  in  der  Sistina  ist  Peruginos  Fresko  übersichtlich  ge- 
gliedert, ruhig  und  klar,,  gleich  für  den  Beschauer  verständlich,  von 
strahlender  Farbenpracht.  Und  letztere  hat  sich  bis  zum  heutigen  Tage 
erhalten. 

Die  eigentliche  Schlüsselübergabe  in  Christus  und  Petrus  ist  schlicht 
und  eindringlich  geschildert. 

Die  gehaltene,  seelenvolle  Stimmung  und  Feierlichkeit  geht  auf  die 
Apostel  über. 


22  8 


A.  v.  Beckerath: 


An  sie  schließen  sich  an  beiden  Seiten  vornehme  Männer  und  Künstler 
in  schöner  Gewandung  an,  mit  ausdrucksvollen,  sinnenden  Köpfen,  die  zu 
den  schönsten  des  ganzen  Quattrocento  gehören  und  wegen  ihres  intimen 
Reizes  nicht  genug  gepriesen  werden  können. 

Die  lange,  vordere  Figurenreihe  ist  nicht  florentinisch  komponiert, 
man  könnte  den  Mangel  an  Konzentration,  die  paarweise  Aufmarschierung 
der  Protagonisten,  tadeln.  Perugino  ist  hier  ganz  Quattrocentist,  nur  auf 
das  Einzelne  bedacht,  es  so  genau  charakteristisch  wie  möglich  zu  machen. 

Viel  weniger  im  Bann  seiner  Zeit,  vielmehr  ihr  voraus,  ist  sein  Raum- 
gefühl, die  malerische  Vereinigung  der  Figuren  mit  dem  Hintergründe. 

Die  vorderen  Figuren  stellt  er  vor  einem  Mittelgrund,  einer  großen 
hellen  Bodenfläche,  der  durch  Hintergrundarchitekturen  und  Landschafts- 
ausschnitte rhythmisch  begrenzt  wird. 

Von  dieser  hellen  Bodenfläche  hebt  sich  die  Figurenreihe  in  wohl- 
tuender Klarheit  und  Weichheit  ab. 

Eine  Menge  kleiner  (eigentlich  zu  kleiner)  Figürchen  spazieren,  laufen, 
gehen  auf  dem  Mittelgrund  und  unterhalten  den  Beschauer  aufs  ange- 
nehmste, dem  bei  ihrem  Anblick  ein  Gefühl  der  Freiheit  überkommt. 

Noch  habe  ich  nicht  von  der  Zeichnung,  dem  Hauptgrund  aller  bilden- 
den Kunst,  gesprochen. 

Die  Zeichnung  Peruginos  in  der  Schlüsselübergabe  ist  höchst  vortreff- 
lich, wahrhaftig,  lebenschaffend,  von  höchster  Schärfe  und  Bestimmtheit. 
Bei  aller  natürlichen  Anlage  konnte  Perugino  seine  Ausbildung  als  Zeichner 
nur  in  Florenz,  der  Kapitale  der  wissenschaftlichen  und  praktischen  Kunst- 
ausübung erhalten,  im  Verkehr  mit  den  dortigen  großen  Künstlern  (um 
1465 — 1480)  oder  als  Lehrling  derselben. 

Vasari  sagt,  daß  er  in  der  Werkstatt  Verrocchios  mit  Leonardo  und 
Lorenzo  di  Credi  gelernt  habe,  ferner  daß  er  in  Arezzo  Geselle  Piero  della 
Francescos  gewesen  sei. 

Genaues,  Gewisses  ist  uns  darüber  nicht  bekannt. 

Indem  ich  hiermit  den  Exkurs  über  Perugino  schließe,  welcher  eines- 
teils bezweckte,  dem  geneigten  Leser  ins  Gedächtnis  zurückzurufen,  welche 
hohe  künstlerische  und  historische  Bedeutung  das  Fresko  der  Schlüssel- 
übergabe hat,  was  heute  vielfach  verkannt  wird;  andernteils  zu  rekapitu- 
lieren, wie  wenig  uns  über  den  Werdegang  des  Künstlers  bis  1480  bekannt 
ist,  glaube  ich  das  Interesse  angeregt  zu  haben  für  die  schöne  Zeichnung 
der  Graphischen  Sammlung,  die  ich  Perugino  zuschreibe  und  ungefähr 
um  1470 — 1480  datiere. 

Nichtreligiöse  Stoffe  hat  Perugino  nur  selten  behandelt,  dazu  gehören: 
die  Decke  des  Cambio,  die  Bilder  im  Louvre,  Kampf  zwischen  Liebe  und 
Keuschheit,  Apollo  und  Marsyas  und  unsere  Zeichnung. 


Über  einige  altitalienische  Zeichnungen  usw. 


229 


Das  Sujet  zu  letzterer  mag  er  Antonio  Pollajuolo  verdanken. 

Im  Britischen  Museum  befindet  sich  eine  Kopie  einer  Zeichnung 
Pollajuolos  »ein  gefesselter  Gefangener  vor  einen  Richter  gebracht«,  acht 
nackte  Figuren  (Berenson  Nr.  1906,  mein  Artikel  im  Repertorium  1906  p.  120). 

Eine  ganz  ähnliche  Komposition  befindet  sich  in  dem  Sebastianbild 
A.  Pollajuolos  in  London,  dort  als  Relief  in  einem  Rund  gemalt,  an  dem 
Triumphbogen  links. 

Schmidt  meint,  daß  der  Mann  zu  äußerst  rechts  auf  der  Zeichnung 
eine  freie  Nachahmung  der  Zeichnung  A.  Pollajuolos  im  Louvre  sei.  Das 
kann  sein  (die  resp.  Zeichnung  im  Louvre  wird  von  der  neuern  Kritik, 
Berenson  Nr.  1949,  in  die  Schule  Pollajuolos  verwiesen,  eine  echte  Zeich- 
nung ist  sie  jedenfalls  nicht),  denn  eine  derartige  Stellung  nackter  Männer 
in  gespreizter  Beinstellung,  vom  Rücken  gesehen,  ist  pollajuolesk,  sie  kommt 
aber  auch  früh  mit  Vorliebe  bei  Signorelli  vor. 

Die  Darstellung  der  Vorführung  des  Gefesselten  bei  Pollajuolo  ist  eine 
leidenschaftliche,  dramatische,  aufgeregte,  in  vollem  Gegensatz  zu  der 
Peruginos,  der  mehr  ein  intimes  Seelengemälde  gibt,  bloß  der  vom  Rücken 
gesehene  Wächter  zeigt  mehr  körperliche  Bewegung. 

Ebenso  macht  Perugino  in  seinem  Louvrebild,  Apollo  und  Marsyas, 
aus  dem  dramatischen,  antiken  Stoff  ein  heiteres  Idyll. 

Schmidt  erinnern  Kopf,  Charakter  und  Beinstellung  des  Gefesselten 
an  Perugino,  das  ist  ja  offenbar,  ebenso  die  Übereinstimmung  desselben 
mit  dem  Apollo  (Zeichnung  Peruginos  zu  Apollo  und  Marsyas  in  Venedig). 

Da  sind  der  Typus  des  Gesichts,  Arrangement  der  Haare  mit  den 
Locken  (natürlich  ohne  den  Lorbeerkranz)  fast  identisch. 

Nicht  weniger  peruginesk  ist  der  Richter  mit  seiner  Kopfbedeckung, 
letztere  kommt  im  Cambio  ganz  ähnlich  vor. 

Die  Körper  aller  vier  Figuren,  Gesicht,  Arme,  Beine,  Bewegung, 
Ponderation  sind  peruginesk,  was  sich  durch  Konfrontierung  mit  dem 
Oeuvre  des  Meisters  beweisen  läßt. 

Die  Köpfe  der  zwei  Männer,  die  den  Jüngling  festhalten,  weichen 
etwas  ab,  sie  sind  wohl  Reminiszenz  an  Pollajuolo. 

Noch  wesentlicher,  eigentümlicher,  bestimmender  sind  das  .innerliche 
Sentiment,  die  Innigkeit  des  sinnenden  Ausdrucks,  das  harmonische  Linien- 
gefühl, das  Raumgefühl. 

Der  Gefesselte  selber,  obgleich  körperlich  gut  entwickelt,  macht 
einen  etwas  femininen  Eindruck;  ohne  Bedrücktheit  ist  er  nicht,  aber  seine 
Schuld  kann  nicht  groß  sein.  Er  wird  sicher  freigesprochen  werden,  wie 
aus  dem  wohlwollenden,  wenn  auch  forschenden  Blick  des  Richters,  einem 
Manne  von  vornehmem  Äußern,  im  besten  Mannesalter,  hervorgeht.  Mit 
nobler  Armbewegung  spricht  er  zu  dem  Angeklagten. 


230 


A.  v.  Beckeratlf: 


Der  erste  Wächter  sieht  sehr  gelassen  drein,  er  erwartet  keine  schlimmen 
Sachen. 

Der  andere  Wächter  (im  Kontrast)  ist  teilnahmsvoller,  neugierig  er- 
wartet er,  was  kommen  wird.  Ein  Rhythmus,  ein  wohltuendes  Raumgefühl 
waltet  über  der  Komposition. 

Der  hölzerne  Thron,  auf  dem  der  Richter  sitzt,  nimmt  vielleicht  etwas 
zuviel  Platz  in  Anspruch,  er  ist  aber  mit  ausgesucht  feinem  Geschmack 
entworfen,  resp.  gezeichnet  und  sehr  charakteristisch  für  Perugino;  ähnliche 
Throne,  Tabernakel,  Profilierungen  finden  sich  in  den  Bildern  im  Vatikan, 
in  Cremona,  München,  im  Louvre. 

Große  Analogien  bestehen  zwischen  unserer  Zeichnung  und  dem 
Bild^  im  Louvre,  Apollo  und  Marsyas  und  der  Zeichnung  zu  diesem 
Bilde  in  Venedig,  wie  oben  schon  bemerkt. 

Das  herrliche  Bildchen  im  Louvre  trägt  den  Namen  Raffael  und  ist 
seiner  wohl  würdig,  es  ist  aber  sicher  von  Perugino  gemalt. 

Knapp  datiert  es  um  1505,  was  meines  Erachtens  viel  zu  spät  ist, 
ich  möchte  es  um  ein  Jahrzehnt  früher  datieren,  im  Bereich  der  Glanzzeit 
des  Meisters,  wozu  es  der  Qualität  nach,  ja  zweifellos  gehört. 

Die  Zeichnung  in  Venedig  müßte  dann  auch  um  1495  etwa  zu  datieren 
sein.  Ein  Vergleich  dieser  Zeichnung  mit  der  Münchener  ist,  um  meine 
Vermutung  zu  beweisen,  daß  letztere  vor  1480  zu  datieren  ist,  sehr  wesentlich. 

Die  Formgebung  auf  der  Münchener  Zeichnung  ist  von  metallischer 
Härte  und  Schärfe,  von  größter  Bestimmtheit  bis  in  jedes  Einzelne,  echt 
quattrocentistisch,  dagegen  ist  auf  der  venetianischen  Zeichnung  die  Linien- 
führung viel  weicher  und  rundlicher,  Härten  sind  ganz  vermieden,  die 
Schwellungen  der  Körper  sind  zart  und  flüssig,  lebensvoller,  aber  auch 
flüchtiger. 

Schmidts  Klagen  über  den  schlechten  Erhaltungszustand  der  Zeich- 
nung halte  ich  nicht  für  gerechtfertigt.  In  Anbetracht  ihres  hohen  Alters 
ist  die  Zeichnung  vortrefflich  erhalten. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto 

Bonfigli. 


Von  Walter  Bombe. 

(Schluß.) 

Obgleich  die  Gonfaloni  meist  datiert  sind,  bieten  sie  in  stilkritischer 
Hinsicht  keine  Handhabe.  Eine  Entwicklung  des  Künstlers  an  diesen 
Schöpfungen  aufzuzeigen,  die  ihrer  Entstehung  nach  einen  Zeitraum  von 
18  Jahren  umspannen,  ist  nicht  möglich,  da  das  Maß  der  aufgewendeten 
Sorgfalt  ein  zu  verschiedenes  ist.  Das  von  der  Tradition  vorgeschriebene 
Thema,  das  die  Darstellung  einer  Menge  heterogener  Dinge  auf  verhältnis- 
mäßig kleinem  Raum  bei  mehrfach  wechselndem  Maßstab  voraussetzte,  er- 
schien ihm  wohl  zu  steril,  als  daß  es  ihn  zu  individuellerer  Gestaltung  hätte 
verlocken  können.  4°) 

In  der  Hauptsache  nach  den  alten  Kompositionsprinzipien  ist  der 
Gonfalone  von  S.  Domenico  in  Perugia  aufgebaut,  der  1494  auf  Ver- 
anlassung der  Beata  Colomba  für  20  fl.  von  einem  Schüler  Peruginos 
gemalt  wurde. 

Ganz  oben  thront  Christus  mit  drei  Pfeilen  in  der  Rechten.  Mit  ihm 
in  gleicher  Reihe  knien  links  die  Jungfrau  Maria,  S.  Giuseppe  und  S.  Seba- 
stiano,  rechts  der  Täufer,  S.  Lorenzo  und  S.  Ercolano.  In  der  zweiten,  mitt- 
leren Zone  des  Bildfeldes  versendet  links  ein  Engel  die  verderbenbringenden 
Pfeile,  ein  anderer,  rechts,  stößt  sein  Schwert  in  die  Scheide,  während  ein 
dritter  in  der  Mitte  eine  Tafel  mit  der  Inschrift  trägt:  »Parce  Domine,  parce 
populo  tuo«.  Unten  eine  Ansicht  von  Perugia,  und  befremdend  archa- 
istisch, im  Sinne  der  umgekehrten  Perspektive  des  Trecento,  dahinter  die 
viel  zu  großen  Gestalten  der  Betenden.  S.  Domenico  und  S.  Caterina  da 
Siena  empfehlen  die  Gemeinde  der  himmlischen  Gnade. 


4°)  Die  folgenden  Bemerkungen  über  Gonfalonebilder  anderer  Meister  sind  aus 
einem  Aufsatz  des  Verfassers  in  der  Zeitschrift  Augusta  Peru«'*  1907  p.  1 — 7 zu- 
sammengestellt und  hatten  den  Zweck,  die  bei  Gelegenheit  der  Peruginer  Mostra  1907 
auf  seine  Veranlassung  dort  vereinigten  Gonfalonebilder  alter  Zeit  zu  illustrieren.  Da 
diese  Ausführungen  wohl  nur  wenigen  Lesern  des  Repertoriums  vor  Augen  gekommen 
sind,  erscheint  ihr  Wiederabdruck  am  Platze. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXIL 


17 


232 


Walter  Bombe: 


Daß  auch  sonst  umbrische  Maler  des  Cinquecento  das  alte  Kompo- 
sitionsschema gelegentlich  übernahmen,  zeigt  ein  Gonfalone  des  Perugino- 
schülers  Berto  di  Giovanni  im  linken  Seitenschiff  des  Doms  zu 
Perugia. 

Oben  sehen  wir  Christus  mit  Blitzen  und  gezücktem  Schwert.  Die 
Jungfrau  Maria  ist  vor  ihm  in  die  Knie  gesunken  und  hemmt  seinen  Arm. 
Seitwärts  bittend  S.  Giuseppe  und  S.  Costanzo.  Ein  Engel  mit  einem  Cartello 
in  der  Hand,  auf  das  die  Madonna  hinweist,  trennt  den  himmlischen  Vorgang 
von  dem  irdischen.  Auf  dem  Cartello  stehen  die  Worte:  »Quomodo  enim 
sustinere  potero  necem  et  interfectionem  populi  mei?«  Unten  erblickt  man 
eine  Ansicht  von  Perugia  und  davor  viel  gläubiges  Volk.  Einer  aus  der 
Menge  hält  ein  Schriftband  mit  dem  Motto:  »Salus  nostra  in  manu  tua 
est,  et  nos  et  terre  nostre  tui  sumus«.  Das  Bild  stammt  aus  dem  Jahre  1526. 

Erinnerungen  an  die  alte  Form  verwertet  auch  Perugino  in  seinem 
Gonfalone  della  Giustizia,  von  1498.  Hier  sind  Himmel  und  Erde 
noch  streng  geschieden : Oben  die  Jungfrau,  umgeben  von  Engeln  und  Seraphim. 
Auf  der  Erde  knien  S.  Francesco  und  S.  Bernardino.  Die  Mitglieder  der 
Brüderschaft  sind  auch  hier  in  winzigem  Maßstabe  dargestellt;  doch  hat 
Perugino  sie,  um  ihre  Kleinheit  zu  motivieren,  in  den  entfernteren  Hinter- 
grund gerückt.  Ganz  in  der  Ferne,  der  übliche  Landschaftsstreifen  mit 
der  Ansicht  von  Perugia. 

Auf  Peruginos  Gonfalone  der  Brüderschaft  di  S.  Pietro  Martire, 
gleichfalls  von  1498,  vollzieht  sich  der  himmlische  Vorgang  auf  gleicher 
Ebene  mit  dem  irdischen.  Maria  sitzt,  von  zwei  Engeln  begleitet,  das  seg- 
nende Kind  auf  dem  Schoße,  in  sonniger  Abendlandschaft.  In  der  Ferne, 
betend,  die  weißgekleideten  Mitglieder  der  Brüderschaft. 

Alter  umbrischer  Tradition  folgt  auch  Benozzo  Gozzoli  in  einem 
großen  Freskobilde,  das  er  1464  nach  dem  Erlöschen  einer  furchtbaren  Pest 
für  die  Kirche  S.  Agostino  in  S.  Gimignano  gemalt  hat.  Zentralfigur  ist 
der  Pestheilige  Sebastian,  der  auf  einem  Postament  steht  und  unter  dessen 
von  zwei  Engeln  gehaltenem  Mantel  sich  das  Volk  von  S.  Gimignano  zu- 
sammendrängt, links  Männer  und  Knaben,  rechts  Frauen  und  Mädchen. 
Von  oben  schleudert  Gottvater  Pfeile  herab.  Zahlreiche  Engel  neben  ihm 
werfen  gleichfalls  Pfeile,  die  an  dem  Mantel  des  Heiligen  abprallen  und 
von  anderen  Engeln  zerbrochen  werden.  Etwas  tiefer  als  Gottvater  knien 
Christus  und  Maria. 

Der  zürnende  Gottvater  findet  sich  bei  Benozzo  Gozzoli  schon  früher, 
auf  dem  Fresko  in  S.  Francesco  zu  Montefalco,  das  die  Begegnung  zwischen 
S.  Domenico  und  S.  Francesco  darstellt  (nach  1452).  Noch  früher  auf  Fra 
Angelicos  Darstellung  des  gleichen  Gegenstandes  in  einem  Täfelchen  des 
Kaiser  Friedrich-Museums.  Benozzo  wie  Fra  Angelico  haben  das  Motiv 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


233 


des  zürnenden  Gottes  sicherlich  in  Umbrien  kennen  gelernt.  Daß  aber  auch 
sonst  der  toskanischen  Kunst  dieses  umbrische  Motiv  nicht  fremd 
ist,  beweist  ein  merkwürdiges  Votivbild  von  der  Hand  des  Filippino 
Lippi  in  der  Pittigalerie.  Im  Vordergründe  sehen  wir  einen  zu  Boden 
gesunkenen  Jüngling,  um  dessen  Leib  sich  eine  Schlange  windet,  und 
der  verzweifelt  die  Arme  aulsstreckt.  Von  ihm  führt  zu  dem  im  Mittel- 
gründe rechts  unter  einem  Baume  sitzenden  Gottvater,  der  auf  dem  Schoße 
mit  beiden  Händen  Blitze  hält,  eine  Inschrift,  welche  lautet:  »Nulla  deterior 
pestis  quam  familiaris  inimicus«.  Vor  Gottvater  steht,  die  Arme  nach  ihm 
ausstreckend,  ein  dem  im  Vordergründe  ähnlicher  Jüngling,  dessen  Beine 
von  einer  Schlange  umwunden  sind,  und  zu  dem  ein  weißes  Wiesel,  das 
Wappentier  der  Florentiner  Familie  Vecchietti,  den  Kopf  emporhebt.  Im 
Hintergründe  erscheint  Florenz  mit  dem,  Domkuppel  und  Türme  über- 
ragenden, Monte  Morello. 

Wie  ein  Künstler  des  Nordens  das  Thema  des  zürnenden  Gottvaters 
behandelt,  zeigt  uns  Hans  Holbeins  des  Älteren  Votivbild  für  den 
Bürgermeister  Ulrich  Schwartz  in  Augsburg,  das  1508  gemalt  ist.  Unten  der 
Stifter  mit  seiner  zahlreichen  Familie,  3 Frauen,  17  Söhnen  und  14  Töchtern. 
Christus  links  oben,  weist  auf  seine  Seitenwunde: 

»Vatter,  sich  an  mein  Wunden  rot 
Hilf  den  Menschen  aus  aller  Not 
Durch  meinen  bittern  Tod.« 

Die  Jungfrau  Maria  zeigt  auf  ihre  entblößte  Brust: 

»Her  thun  ein  dein  schwert 
Des  du  hast  erzogen 
Und  sich  an  die  Brust 
Die  dei  Sun  hat  gesogen.« 

Gottvater  steckt  sein  Schwert  in  die  Scheide  mit  den  Worten- 
»Barmherzigkait  will  ich  allen  den  erzaigen 
Die  da  mit  wahrer  Reu  von  hinnen  schaiden.« 

Anordnung  der  Komposition  und  Text  der  Spruchbänder  erinnern  in  ganz 
überraschender  Weise  an  umbrische  Gonfalonebilder. 

Daß  auch  die  freiesten  Individualitäten  unter  den  Renaissancekünstlern 
sich  nicht  ganz  dem  Banne  mittelalterlicher  Tradition  zu  entziehen  ver- 
mochten, wenn  es  sich  um  Darstellung  sakraler  Vorgänge  handelte,  beweist 
Raffaels  Madonna  di  Foligno.  Auf  leichtem  Gewölk  herausschw'ebenu, 
neigt  sich  die  Gottesmutter  herab  zu  dem  von  Hieronymus  empfohlenen  Stifter. 
Links  blickt  S.  Francesco  empor,  der  mit  einer  hiridubueutenden  Hand- 
bewegung gleichsam  die  ganze  gläubige  Gemeinde  in  seine  Fürbitte  ein- 
schließt. Ein  Engelknabe,  der  ein  Cartello  trägt,  ist,  wie  auf  den  Gonfaloni, 
•das  Bindeglied  zwischen  Erde  und  Himmel.  An  Stelle  des  Landschafts- 


17' 


234 


Walter  Bombe: 


Streifens  eine  ideale  Ansicht  von  Foligno.  Doch  überbietet  Raffael  seine 
umbrischen  Vorgänger  durch  eine  Vielseitigkeit  und  Tiefe  der  geistigen 
Kontraste,  die  jede  Vergleichbarkeit  aulhebt. 

Auf  bedeutsame  Zusammenhänge  zwischen  der  bildenden  Kunst  und 
der  lebendigen  Kultur  der  Zeit  führen  uns  diese  merkwürdigen  Gonfalone- 
bilder.  Liturgie,  Predigt  und  Mysterienspiel  sind  nach  Anton  Springer  die 
hauptsächlichsten  Quellen,  aus  denen  der  Künstler  des  Mittelalters  schöpft. 
Die  Figur  des  zürnenden  Christus  mit  ihrer  Umgebung  von  Engeln,  welche 
die  Marterinstrumente  halten,  ist  dem  alten  Weltgerichtsszenarium  des 
dreizehnten  Jahrhunderts  entlehnt.  Die  Gottesmutter  hatte  Anteil  am 
Erlösungswerke,  und  die  mittelalterlichen  Hymnen  gedenken  ihrer  als  Helferin 
am  Tage  des  jüngsten  Gerichts.  Zugleich  mit  der  Jungfrau  werden  die 
heiligen  Schutzpatrone  angerufen.  Auch  die  Dialoge  zwischen  der  Madonna 
und  den  Heiligen  finden  wir  in  den  Mysterienspielen  wieder,  die  besonders 
in  Umbrien  ihre  Heimstätte  hatten.  Und  ist  das  lange  Gedicht  auf  dem 
Gonfalone  von  S.  Fiorenzo  nicht  eine  getreue  Wiedergabe  des  Sermons 
eines  jener  Bußprediger,  die  damals  Italien  durchwanderten?  Weber  in 
seinem  Buche:  »Geistliches  Schauspiel  und  kirchliche  Kunst«  hat  nach- 
gewiesen, daß  das  kirchliche  Schauspiel  in  zahlreichen  Fällen  die  Grund- 
lage für  die  Auswahl  und  Zusammensetzung  des  Portalschmuckes,  nament- 
lich der  gotischen  Kathedralen  gewesen  ist.  Vielleicht  ist  es  nicht  zu  kühn, 
wenn  wir  die  Vermutung  aussprechen,  daß  die  Gonfaloni  nur  eine  getreue 
Wiedergabe  der  Szenen  sind,  die  auf  der  Bühne  im  Innern  der  Kirche  oder 
auf  dem  Platze  vor  derselben  vor  den  Augen  der  Beschauer  sich  abspielten. 

Die  Fresken  in  der  Kapelle  der  Prioren. 

Die  Kapelle  der  Prioren,  im  Obergeschoß  des  Palazzo  Pubblico  gelegen, 
ist  heute  ein  Bestandteil  des  städtischen  Museums.  Sie  stellt  sich  dar 
als  ein  hoher  Raum  mit  fast  quadratischem  Grundriß.  Durch  zwei 
an  der  Ostseite  angebrachte  Fenster  empfängt  sie  unzureichendes  Licht. 
Die  ursprüngliche  flache  Balkendecke  ist  1907  durch  eine  Kassettendecke 
ersetzt  worden.  Deir  Altar  ist  entfernt.  Als  Altartafel  diente  Peruginos 
jetzt  in  Rom  befindliche  Madonna  mit  den  vier  Schutzpatronen  von  Perugia. 
Das  Chorgestühl  ist  mit  Hülfe  der  bis  vor  kurzem  im  Universitätsmuseum 
aufbewahrten  Fragmente  des  alten  Gestühles  durch  Wenceslao  Moretti  er- 
gänzt worden.  Über  die  Entstehung  und  die  Geschichte  der  Fresken  ist 
das  Wichtigste  schon  oben  gesagt. 

Die  Reihe  von  Erzählungen  aus  der  Legende  des  heiligen  Ludwig 
nimmt  auf  dem  engen  Raum  zwischen  Fenster  und  Südwand  ihren  Anfang. 
Gegenstand  der  Darstellung  ist  die  Bischofs  weihe  des  Heiligen,  welche 
1296  in  Rom  durch  Papst  Bonifaz  VIII.  erfolgte.  In  einem  von  Säulen 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


235 


getragenen  Saal  mit  kassettierter  flacher  Decke  geht  die  feierliche  Zeremonie 
vor  sich.  Rechts  sitzt  (nach  links  gewandt)  auf  einem  durch  drei  Stufen 
erhöhten  Thron  der  Papst,  den  apostolischen  Segen  erteilend.  Zu  den  Seiten 
des  Papstes,  etwas  niedriger,  zwei  Kardinäle.  Ein  Prälat  hält  sich, 
den  Hut  in  der  Hand,  im  Hintergründe.  In  der  Mitte  steht  in  Franziskaner- 
kutte der  zweiundzwanzigjährige  Ludwig,  die  Hände  erhebend  und  den  Blick 
zu  Bonifaz  emporgerichtet.  Ein  Franziskanermönch  wendet,  vor  dem  Heiligen 
stehend,  dem  Beschauer  den  Rücken  und  verneigt  sich  tief  vor  dem  Papste. 
Links  wird  der  Kopf  eines  etwa  fünfzigjährigen  Mannes  sichtbar,  welcher  an 
dem  Vorgang  keinen  Anteil  zu  nehmen  scheint.  Nach  alter  Tradition  hätte 
hier  der  Maler  sich  selbst  porträtiert,  was  aber  wohl  durch  das  Alter  der 
dargestellten  Persönlichkeit  ausgeschlossen  ist. 

Dieses  erste  Bild  der  Freskenreihe  erweckt  sofort  eine  günstige  Meinung 
von  dem  Können  des  Meisters.  Die  Ausführung  offenbart  eine  der  Fresko  - 
technik  kundige  Hand.  In  den  perspektivisch  richtig  verkürzten  Raum 
sind  die  Figuren  mit  Geschick  hineinkomponiert.  Möglicherweise  hat  ein 
Fresko  des  Fra  Angelico  in  der  Nikolauskapelle  im  Vatikan,  welches  die 
Ernennung  des  heiligen  Stephanus  zum  Diakon  schildert,  die  Anregung  zu 
Bonfiglis  Fresko  gegeben.  Doch  ist  die  Komposition  des  Umbrers  im 
Gegensinn  angeordnet  und  die  Charakteristik  der  einzelnen  Personen  dessen 
geistiges  Eigentum.  Die  runden  Kopfformen  des  heiligen  Ludwig  und 
des  Prälaten  im  Hintergründe  und  die  Proportionierung  der  Gestalten 
erinnern  an  Filippo  Lippi.  Das  architektonische  Beiwerk  zeigt  ein  Gemisch 
von  gotischen  und  Renaissanceformen.  Die  achteckigen  Säulen,  welche  die 
Decke  tragen,  sind  gekehlt  und  ausgewinkelt.  Sie  bestehen  aus  ab- 
wechselnd weißen  und  roten  Marmorschichten  (dem  bekannten  Material, 
das  für  Assisi  und  Perugia  der  Monte  Subasio  lieferte)  und  schließen  ab 
mit  einem  gotischen  Blätterkapitäl.  Die  Täfelung  der  Decke  und  die  Türen 
an  der  Rückwand  zeigen  wiederum  Renaissanceformen.  Das  Kolorit  ist 
gedämpft;  der  Zustand  der  Erhaltung  ist  ein  verhältnismäßig  guter. 

Auf  der  Südwand  der  Kapelle  sind  zwei  weitere  Geschichten  aus  der 
Legende  des  heiligen  Ludwig  dargestellt.  Es  folgt  zunächst  das  Wunder 
des  Kaufmanns  von  Marseille.  Die  Legende,  welche  der  Dar- 
stellung zugrunde  liegt,  ist  in  den  Acta  Sanctorum  4*)  erzählt:  Ein  Kauf- 
mann verliert  während  eines  Seesturmes  die  mit  Geld  gefüllte  Börse,  welche 
sein  ganzes  Vermögen  enthielt.  In  seiner  Not  bittet  er  den  heiligen  Ludwig 
um  Beistand.  Dieser  erhört  seine  Bitte,  und  in  den  Eingeweiden  eines 
auf  dem  Markte  gekauften  Fisches  findet  der  Kaufmann  die  verlorene  Börse 
wieder. 


41)  Acta  Sanctorum,  Aug.  III,  p.  795^- 


236 


Walter  Bombe: 


Diese  Geschichte  hat  Bonfigli  auf  der  linken  Hälfte  der  Südwand  in 
einem  umfangreichen  Breitbilde  erzählt.  Ein  Schiff  treibt  mit  windgeschwell- 
ten Segeln  auf  die  Stadt  Marseille  zu,  welche  sich,  vom  Meere  aus  ansteigend, 
auf  steiniger  Küste  erhebt.  Über  dem  Schiff  erscheint  in  einer  runden  Glorie 
die  Gestalt  des  heiligen  Wundertäters.  An  dem  felsigen  Meeresufer  sitzt 
ein  halbnackter  Fischer  mit  der  Angelrute.  Ein  zweiter,  nur  mit  schmalem 
Lendentuch  und  kurzem  Mantel  bekleideter  Fischer  trägt  auf  dem  Rücken 
mehrere  große  Fische  und  empfängt  von  dem  links  herzut'retenden  Kaufmann 
eine  Zahlung.  Rechts  hat  sich  vor  einer  von  drei  Bogen  getragenen  Halle, 
welcher  eine  Laube  vorgebaut  ist,  das  Wunder  vollzogen.  Auf  einer  rohen 
Bank  liegt  der  geschlachtete  Fisch,  und  neben  ihm  steht  die  rote  Börse. 
Mönche  und  Laienbrüder  schauen  betroffen  auf  das  Wunder.  Rechts  kniet 
der  fromme  Kaufmann  und  faltet  die  Hände  zum  Dankgebet. 

Die  einzelnen  Vorgänge  der  Handlung  sind  klar  und  verständlich  zum 
Ausdruck  gebracht.  Lebhafte  Farben  hat  der  Meister  auch  hier  vermieden, 
wenngleich  zugegeben  werden  muß,  daß  das  Kolorit  von  seiner  ursprüng- 
lichen Frische  viel  eingebüßt  hat.  Das  Ultramarin  des  Himmels  ist  auf- 
gezehrt, und  an  einzelnen  Stellen  hat  das  Bild  durch  Abblättern  von  Farbe 
gelitten.  Der  Akt  des  Fischers  ist  überraschend  gut  und  erinnert  an  Piero 
della  Francesca  4*).  Die  Gruppe  der  dem  Wunder  zuschauenden  Männer 
ist  sehr  lebendig,  die  Gewandbehandlung  breit  und  flott.  Mit  großer  Liebe  ist 
der  steinige  Vordergrund  ausgeführt.  Zu  der  turmreichen  Stadt  im  Hinter- 
gründe hat  Perugia  die  Anregung  gegeben.  Wir  erblicken  hier  mit  gering- 
fügigen Änderungen  den  gewaltigen  Finestrone  von  S.  Domenico  und  den 
schlankeh  Campanile  von  S.  Pietro. 

Auf  der  rechten  Hälfte  der  Südwand  hat  der  Künstler  ein  anderes 
Wunder  aus  der  Legende  des  heiligen  Ludwig  zur  Darstellung  gebracht. 
Leider  entzieht  sich  der  dargestellte  Vorgang  unserer  Kenntnis,  da  die  ganze 
Mitte  und  die  obere  Hälfte  des  Bildes  zugrunde  gegangen  sind.  Auch  die 
Schriftquellen  über  den  heiligen  Ludwig  geben  keinen  Aufschluß. 

Ort  der  Handlung  ist  ein  freier  Platz  vor  dem  römischen  Konstantins- 
bogen. Wir  erblicken  im  Vordergründe  links  eine  Gruppe  von  etwa  zehn 
Personen,  welche  einem  Wunder  beiwohnen,  das  sich  in  der  zugrunde  ge- 
gangenen Mitte  des  Bildes  zuträgt.  Der  Vorderstein  der  Reihe  der  Zuschauer 
zeigt  mit  der  Rechten  auf  die  Stelle,  wo  sich  das  Wunder  vollzieht,  und  wendet 
sich  mit  lebhafter  Geberde,  zu  den  Begleitern,  in  deren  Gesichtern  sich  Er- 
staunen und  Betroffensein  ausdrücken.  Oben  erscheint,  von  einer  runden 
Strahlenglorie  umflossen,  die  Gestalt  des  segnenden  Heiligen.  Auf  der  fast 
gänzlich  zugrunde  gegangenen  rechten  Hälfte  des  Freskos  führen  drei  Stufen 

4J)  Vgl.  den  Sebastian  auf  dem  Misericordienaltar  in  San  Sepolcro  und  die  Akte 
auf  dem  Fresko  in  San  Francesco  in  Arezzo,  welches  den  Tod  Adams  darstellt. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


237 


zu  einer  von  kannellierten  Pilastern  getragenen  Halle,  welche  durch  ein 
niedriges  metallenes  Geländer  abgeschlossen  ist.  Von  den  hier  dargestellten 
Personen  sind  nur  noch  die  Gestalten  eines  Mannes  und  einer  Frau  sichtbar. 

In  dem  architektonischen  Hintergründe  hat  Bonfigli  aus  Phantasie  und 
Wirklichkeit  ein  reizvolles  Ensemble  geschaffen.  Der  mit  bewunderungs- 
würdiger Treue  wiedergegebene  Bau  des  Konstantinbogens  ist  eine  Remi- 
niszenz des  Meisters  an  seinen  römischen  Aufenthalt.  Hinter  der  Mittel- 
öffnung des  Bogens  wird  ein  phantastisches  Gebäude  mit  Bogenhalle  und 
gotischen  Spitzgiebeln  sichtbar.  Wir  sehen  den  Bogen  rechts  und  links 
von  Häusern  und  Türmen  umgeben.  Wieweit  der  Maler  hier  der 
Wirklichkeit  gefolgt  ist,  läßt  sich  nicht  mehr  entscheiden,  da  bei  der  unter 
Clemens  XII.  im  Jahre  1733  erfolgten  Ausgrabung  und  Freilegung  des  Kon- 
stantinsbogens die  anstoßenden  Häuser  niedergerissen  wurden. 

Wir  wissen  nicht  mit  absoluter  Bestimmtheit,  ob  Bonfiglis  Arbeit  im 
Jahre  1461,  als  Filippo  Lippi  die  erste  Hälfte  der  Fresken  abschätzte,  nur 
bis  hierher  gediehen  war,  oder  noch  das  folgende  Fresko,  die  Totenmesse 
für  den  heiligen  Ludwig,  umfaßte.  Doch  bezieht  sich  Filippo  Lippis  Gut- 
achten ausdrücklich  nur  auf  die  dem  alten  Palazzo  Pubblico  zugewandte 
Seite  der  Kapelle  43),  wo  die  Malereien  damals  nahezu  vollendet  waren 43a), 
Mit  einer  Schilderung  der  Totenmesse  des  heiligen  Ludwig  im 
Franziskanerdom  zu  Marseille  (Westseite  der  Kapelle,  gegenüber  der  Fenster- 
wand) schließt  die  Reihe  der  auf  diesen  Heiligen  sich  beziehenden  Fresken. 
Der  Raum,  in  welchem  die  Totenmesse  stattfindet,  ist  eine  dreischiffige 
Basilika,  deren  Mittelschiff  das  altertümliche  Sparrendach  aufweist  und 
durch  je  sieben  korinthische  kannellierte  Säulen  getragen  wird.  Die  Seiten- 
schiffe sind  durch  kannellierte  Pilaster  mit  korinthisierenden  Kapitellen 
gegliedert,  zwischen  denen  ein  dreigeteiltes  einfaches  Gebälk  entlang  läuft. 
Der  Chor  zeigt  gotische  Formen. 

Im  Mittelschiff  ist  die  Leiche  in  weißem,  mit  den  goldenen  angiovini- 
schen  Lilien  besätem  Gewände  aufgebahrt.  Auch  die  Decke  der  Bahre  zeigt 
reichen  Goldschmuck.  Die  Leiche  umstehen  im  Halbkreise  trauernde 
Franziskanermönche,  welche  Lichter  in  den  Händen  halten  und 
ihre  Litanei  singen.  Ein  Bischof  liest  aus  einem  Meßbuche,  das  ihm 
ein  kniender  Chorknabe  hinhält,  die  Sterbegebete.  An  der  Vorder- 
seite der  Bahre  kniet  mit  dem  Rücken  nach  dem  Beschauer  ein 
blonder  Jüngling  in  rotem  Kleide  und  mit  goldener  Halskette,  wahr- 
scheinlich Ludwigs  jüngerer  Bruder  Robert,  der  ihm  die  Krone  von 
— 

43)  »Prout  nunc  sunt  ille  depictte  et  factte  figure  per  ipsum  Benedictum  in  pariete 
dicte  capeile  versus  Palatium  veterem«  (Ann.  Decemv.  1461  c.  83. 

43a)  »De  medietate  dicte  capeile  quasi  jam  depictte«  (Ann.  Decemv.  1461  c.  83). 


238 


Walter  Bombe: 


Neapel  verdankte 44).  In  den  Seitenschiffen  der  Kirche  hat  sich  leid* 
tragendes  Volk  versammelt,  links  Männer,  rechts  Frauen. 

Die  Raumbehandlung  (der  Künstler  hat  die  gerade  Ansicht  von  vorn 
gewählt),  zeugt  von  einer  guten  Kenntnis  der  Perspektive,  die  Bonfigli 
wahrscheinlich  dem  Piero  della  Francesca  verdankt,  während  die  Typen  der 
Mönche  (runde,  etwas  gedrückte  Kopfform,  kurzer  Hals,  kurze  Nase,  breiter 
Mund)  und  ihre  untersetzten  Körper  stark  an  Gestalten  Filippo  Lippis 
erinnern.  Das-  Motiv  des  sich  mit  dem  weiten  Ärmel  das  Gesicht  verhüllen- 
den Mönches  und  seiner  trauernden  Nachbarn  ist  entnommen  aus  dem 
Predellenbilde  Fra  Angelicos  für  S.  Domenico  in  Perugia,  welches  die  Toten- 
klage um  den  heiligen  Nikolaus  schildert  45).  Das  Motiv  des  Mönches,  der 
sich  mit  dem  Ärmel  der  Kutte  über  das  Gesicht  fährt,  um  sich  die  Tränen 
abzuwischen,  findet  sich  ein  zweites  Mal  bei  Fra  Angelico  in  der  Toten- 
klage um  den  heiligen  Franz  (Cortona,  Chiesa  del  Gesu).  Der  von  Ulmann, 
Williamson,  Supino  und  anderen  vertretenen  Ansicht,  daß  Bonfiglis  Fresko 
dem  Filippo  Lippi  bei  seiner  Beisetzung  des  heiligen  Stephanus  im  Dom 
zu  Prato  als  Vorbild  gedient  habe,  muß  widersprochen  werden.  Die 
Komposition  Filippo  Lippis  ist  doch  von  der  des  Peruginer  Meisters  recht 
Verschieden.  Man  wird  von  dem  Gedanken  einer  Anleihe  des  großen  Floren- 
tiner Meisters  bei  dem  Umbrer  absehen  müssen  und  besser  annehmen,  daß 
der  Frate,  wie  Benozzo  Gozzoli,  Ghirlandajo  und  viele  andere,  seine  Bei- 
setzungsszene in  freier  Anlehnung  an  Giottos  Exequien  des  heiligen  Franz 
in  der  Cappella  Bardi  in  S.  Croce  geschaffen  habe  46). 

Die  Fresken  mit  Darstellungen  aus  der  Legende  des  heiligen 
Herkulanus  schließen  sich  unmittelbar  an  die  Ludwigsfresken  an  und 
bedecken  die  rechte  Hälfte  der  Westseite,  die  ganze  Nordseite  und  einen 
schmalen  Streifen  an  der  Fensterwand  (Ostseite)  der  Kapelle. 

Die  Legende  des  heiligen  Herkulanus  ist  auf  das  engste  mit  einem 
Ereignis  aus  Perugias  Geschichte  verknüpft:  Ais  der  Gotenkönig  Totila, 

so  berichtet  die  Ortslegende  47),  im  Jahre  547  nach  Chr.  mit  großer  Heeres- 
macht Perugia  belagerte,  leitete  der  Bischof  Herkulanus  die  Verteidigung 

44)  Simone  Martini  hat  die  Krönung  Roberts  auf  einem  Altarbilde  in  S.  Lorenzo 
Maggiore  zu  Neapel  dargestellt.  (7.  Kap.  rechts.) 

45)  Weisbach  nimmt  für  dieses  Bildchen  die  Urheberschaft  des  Pesellino  in  An- 
spruch (Weisbach,  Pesellino  p.  41). 

46)  Die  Komposition  der  Totenfeier  des  heiligen  Stephanus  kehrt  ganz  ähnlich 
wieder  in  dem  Bilde  der  Bestattung  Marias  im  Dom  zu  Spoleto.  Auch  der  Tod  des  heiligen 
Bernhardin  von  Filippo  Lippi  im  rechten  Querschiff  des  Doms  zu  Prato  geht  auf  Giottos 
Darstellung  zurück. 

47)  »Anno  vero  septimo  nondum  finito  obsessa  urbe  (Perusia)  Gothorum  exercitus 
intravit.  Tune  comes  qui  eidem  exercitui  praeerat  ....  venerabilem  virum  Herculianum 
Episcopum,  super  urbis  murum  deductum  capite  truncavit,  ejusque  cutem  jam  mortuo  a 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


239 


der  Stadt.  Durch  den  Verrat  eines  Priesters  aber  fiel  Perugia  schließlich 
nach  langem  Widerstand  in  die  Hände  des  Feindes,  und  der  heilige  Herku- 
lanus  wurde  das  erste  Opfer  der  Rache  des  erzürnten  Barbarenfürsten. 
Totila  ließ  ihn  enthaupten,  der  Leiche  die  Haut  abziehen  und  den  Körper 
über  die  Stadtmauer  werfen.  Fromme  Bauern  bestatteten  heimlich  die 
Leiche  ihres  Bischofs,  und  um  die  Stelle  wiederzufinden,  legten  sie  an  seine 
Seite  die  Leiche  eines  Kindes.  Als  man  vierzig  Tage  nach  dem  Tode  das  Grab 
öffnete,  war  das  Haupt  des  Heiligen  so  vollkommen  mit  dem  Körper  ver- 
wachsen, daß  Spuren  der  geschehenen  Enthauptung  nicht  mehr  zu  finden 
waren.  Die  Leiche  des  Kindes  aber  war  in  Verwesung  übergegangen.  Im 
Jahre  1378  wurde  der  Körper  des  Heiligen  in  feierlicher  Prozession  zunächst 
in  den  Dom  überführt  und  später  nach  San  Pietro.  Einen  Teil  seiner  Reli- 
quien setzte  man  1609  in  der  ihm  zu  Ehren  erbauten  Kirche  Sant'  Ercolanobei. 

Die  Belagerung  von  Perugia. 

Zum  Verständnis  der  hier  dargestellten  Vorgänge  muß  noch  einiges 
vorausgeschickt  werden:  Totila,  durch  den  hartnäckigen  Widerstand  der 
Peruginer  entmutigt,  hatte  den  Entschluß  gefaßt,  mit  seinem  Heere  ab- 
zuziehen. Um  ihn  in  diesem  Gedanken  zu  bestärken,  griffen  die  Peruginer, 
deren  Not  aufs  höchste  gestiegen  war,  zu  einer  Kriegslist.  Sie  schlachteten 
einen  Ochsen,  füllten  den  Leib  des  Tieres  mit  Getreide  und  warfen  ihn  nachts 
über  die  Mauer  in  das  feindliche  Lager.  Ein  Priester  aber,  heißt  es  in  der 
Legende,  verriet  dem  Gotenkönige  die  bedrängte  Lage  der  Stadt,  und  dieser 
ließ  sofort  einen  Sturm  auf  Perugia  unternehmen,  der  zur  Eroberung  der 
Stadt  führte. 

Dieser  Vorgang  ist  in  der  Mitte  und  auf  der  linken  Seite  des  Freskos 
dargestellt.  Wir  sehen  hier  drei  Soldaten  damit  beschäftigt,  den  Körper 
des  Ochsen  zu  zerhauen.  Vor  dem  Barbarenfürsten,  der  links  in  übergroßer 
Gestalt,  von  Kriegsleuten  umgeben,  in  der  Nähe  seiner  Zelte  auf  goldenem 
Sessel  thront,  Reichsapfel  und  Szepter  in  den  Händen,  steht  der  junge 
Priester,  der  den  Betrug  enthüllt.  Im  Hintergründe  sehen  wir,  wie  der 
Befehl  des  Königs  vollzogen  wird:  Tubabläser  rufen  zum  Kampf,  mit  Sturm- 
leiter und  Schilddach  wird  ein  Angriff  auf  die  Stadt  von  der  Seite  der  Porta 
Marzia  her  unternommen. 

Die  heimliche  Bestattung  des  Bischofs  hat  der  Künstler  auf  der  rechten 
Seite  desselben  Freskos  geschildert.  Entgegen  dem  Wortlaut  der  Legende 
wird  der  Heilige  vor  der  seinen  Namen  tragenden  Kirche  bestattet.  Ein 

vertice  usque  ad  calcaneum  incidit  ut  ex  ejus  corpore  corrigia  sublata  videretur, 
moxque  corpus  illius  extra  muros  projecit.« 

Acta  et  miracula  integra  S.  Herculiani  seu  Herculani,  auctore  anonymo  perusino 
bei  Pez  in  »Thesauri  anecd.  noviss.«  T.  II  u.  III,  p.  127 


240 


Walter  Bombe: 


Mann,  der  dem  Beschauer  halb  den  Rücken  wendet,  hält  in  der  Hand  noch 
die  Hacke,  mit  der  er  das  Grab  geöffnet.  Zwei  kniende  Männer  legen  behutsam 
die  Leiche  in  die  Grube,  in  welcher  sich  schon  der  Körper  des  Kindes  be- 
findet. Rechts  liegen  dicht  unter  der  Stadtmauer  der  Kopf  und  die  ab- 
gezogene Haut  des  Heiligen. 

Mehr  Interesse,  als  diese  zum  Teil  mit  naivem  Ungeschick  vorgeführten 
Szenen  darf  der  architektonische  Hintergrund  des  Ganzen  in  Anspruch 
nehmen.  Den  Künstler  hat  hier  eine  umfangreiche  Darstellung  des  mittel- 
alterlichen Perugia  gegeben  und  mit  staunenswerter  Treue  Häuser,  Tore, 
Türme  und  Kirchen  seiner  Vaterstadt  aufgenommen.  So  sieht  die  etrus- 
kische Porta  Marzia  ,noch  heute  aus,  und  die  Kirche  Sant’  Ercolano  hat 
Bonfigli  in  ihrer  ursprünglichen  Anlage  festgehalten  48). 

Einen  Entwurf  zu  diesem  Fresko  bewahrt  die  Handzeichnungssamm- 
lung der  Uffizien  49).  Es  ist  eine  sorgfältige,  weißgehöhte  Silberstiftzeichnung 
auf  dunkelrotbräunem  Papier.  Die  hier  gegebene  Fassung  ist  später  ver- 
worfen worden.  Links  hat  vor  seinem  Zeit  der  Gotenkönig  Platz  genommen. 
Vor  ihm  kniet  der  junge  Priester.  Soldaten  hören  zu.  In  der  Ferne  wird 
ein  Angriff  auf  die  Porta  Marzia  ausgeführt.  Auch  das  Zerhauen  des  von 
der  Stadtmauer  herabgeworfenen  Ochsen  ist  in  die  Ferne  verlegt.  Die  Ansicht 
von  Perugia  ist  von  einem  mehr  nördlichen  Punkte  aus  aufgenommen. 
Rechts  wird  der  enthauptete  Leichnam  des  Heiligen  von  der  Mauer  herab - 
geworfen.  Alle  diese  Einzelheiten  müssen  mehr  erraten  als  herausgelesen 
werden.  Durch  Nebensächliches,  wie  z.  B.  zwei  in  gemessenem  Schritt 
vorbeitrabende  Reiter  im  Vordergründe  wird  die  Aufmerksamkeit  von  Wich- 
tigerem abgelenkt.  Ein  Vergleich  der  Skizze  mit  dem  ausgeführten  Bilde 
lehrt,  daß  die  endgültige  Fassung  gegenüber  dem  Entwurf  an  Klarheit  der 
Disposition  bedeutend  gewonnen  hat. 

Die  Überführung  der  Leiche  des  heiligen  Herku- 
lanus  in  den  Dom  und  nach  S.  Pietro. 

Im  Jahre  1378  beschlossen  die  Peruginer,  die  Leiche  ihres  heiligen 
Schutzpatrons  in  feierlicher  Prozession  nach  dem  Dom  überzuführen.  Der 
Schilderung  dieser  Prozession  hat  Bonfigli  die  ganze  Nordwand  der  Kapelle 
Vorbehalten.  Durch  den  Korso,  am  Palazzo  Pubblico  vorbei,  geht  der  Leichen- 
zug auf  den  Domplatz  zu.  Trommler  und  Pfeifer  gehen  voran;  ihnen  folgt, 
von  acht  Männern  in  geistlicher  und  weltlicher  Kleidung  getragen,  die  Bahre, 

*8)  Die  Kirche  war  ursprünglich,  wie  aus  Bonfiglis  Wiedergabe  und  aus  Dokumenten 
hervorgeht,  eine  Doppelkirche  wie  San  Francesco  in  Assisi.  Auch  die  Lageverhältnisse 
sind  San  Francesco  ähnlich.  Der  Umbau  von  Sant  Ercolano,  welcher  die  Beseitigung  der 
Oberkirche  zur  Folge  hatte,  ist  im  16.  Jahrhundert  ausgeführt  worden. 

49)  Saal  der  Zeichnungen,  Nr.  333.  Phot.  G.  Brampton  Philpot,  Florenz,  Nr.  576. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedelto  Bonfigli. 


241 


auf  welcher  die  Leiche  des  Heiligen  ruht.  Dominikanermönche  und  allerlei 
Volk  schließen  sich  an.  Der  mächtige  Bau  des  Stadthauses  bildet  einen 
wirkungsvollen  Hintergrund  für  die  Prozession.  Auf  der  dem  Dome  zu- 
gewandten Seite  des  Palazzo  Pubblico  haben  sich  noch  Spuren  der  alten 
Außentreppe  erhalten,  welche  für  die  neuerdings  erfolgte  Rekonstruktion 
der  Treppe  von  Bedeutung  wurden  5°).  Die  linke  Hälfte  des  Freskos  ist 
fast  gänzlich  zerstört,  was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  bei  der  Gewissen- 
haftigkeit Bonfiglis  in  der  Wiedergabe  architektonischer  Einzelheiten  hier 
wichtige  Aufschlüsse  über  die  ursprüngliche  Gestalt  der  palästereichen 
Hauptstraße  von  Perugia  zu  erlangen  gewesen  wären. 

Ein  ähnlich  umfassendes  Stadtbild  ist  der  architektonische  Hinter- 
grund des  letzten  Freskos,  in  welchem  die  zweite  Überführung  der-Reste  des 
heiligen  Herkulanus  nach  S.  Pietro  geschildert  wird.  In  der  Mitte  präsen- 
tiert sich  das  seltsame  Oktogon  von  S.  Ercolano  und  die  Kirche  S.  Domenico 
mit  ihrem  gewaltigen  Finestrone  und  mit  der  schönen  Turmpyramide,  die 
durch  den  Brand  des  Jahres  1614  vernichtet  wurde.  Rechts  wird  S.  Pietro 
mit  seinem  schlanken  gotischen  Campanile,  in  der  ursprünglichen  Gestalt, 
sichtbar  51).  Ganz  in  der  Ferne  ragt  der  Palazzo  Pubblico  empor.  Ein  buntes 
Gewirr  von  Häusern  und  Türmen  vervollständigt  das  malerische  Stadtbild. 
Der  Leichenzug  geht  an  S.  Ercolano  vorbei  nach  S.  Pietro,  wo  die  Reste 
des  Heiligen  ihre  Ruhestätte  finden  sollten.  Männer  geistlichen  und  welt- 
lichen Standes  tragen  die  Leiche  und  folgen  dem  Zuge.  Rechts  knien  tief 
verschleiert  Frauen,  welche  dem  Heiligen  ihre  Ehrfurcht  bezeugen.  Vor  der 
Kirche  S.  Ercolano  hat  sich  ein  Wunder  zugetragen:  Ein  totes  Kind  ist 
zum  Leben  erweckt  worden. 

Da  Bonfigli  die  Fresken  nicht  ganz  vollendet  hat,  so  muß  die  Frage 
aufgeworfen  werden,  wieweit  der  Meister  selbst  an  der  Ausführung  dieses 
letzten  Freskos  beteiligt  gewesen  ist.  Wenn  auch  die  Architektur  des  Hinter- 
grundes unzweifelhaft  von  ihm  selbst  entworfen  ist,  so  verraten  doch  mehrere 
Figuren  in  dem  Leichenzuge  eine  fremde  Hand;  andere  wieder  sind  durch 
ungeschickte  Retouchen  späterer  Zeiten  bis  fast  zur  Unkenntlichkeit  ver- 
dorben. Der  Name  des  Künstlers,  der  Bonfiglis  Lebenswerk  vollendete, 
ist  uns  nicht  bekannt. 

Die  Fresken  in  der  Kapelle  der  Prioren  sind  die  bedeutendste  Leistung 
der  quattrocentistischen  Monumentalmalerei  in  Perugia  und  zugleich  das 


5°)  Siehe  Bellucci:  L’Opera  del  Palazzo  del  Popolo  di  Perugia,  in  Vol.  VII  des 
Bollettino  Umbro  und  mein  Referat  im  Repertorium  Bd.  24,  Heft  6,  p.  465 — 466. 

51)  Der  jetzige  Kreuzgang  von  S.  Pietro  ist  ein  Werk  des  16.  Jahrhunderts.  Die 
vier  orientalischen  Granitsäulen,  welche  auf  dem  Fresko  die  Vorhalle  tragen,  sind  jetzt  an 
den  vier  Ecken  des  Kreuzganges  angebracht.  Auf  dem  Campanile  des  Freskos  das  rätsel- 
hafte Datum:  M Quatro. 


242 


Walter  Bombe: 


Lebenswerk  des  Meisters.  Fast  42  Jahre  lang  hat  er,  allerdings  mit  großen 
Unterbrechungen,  an  der  Ausmalung  der  Kapelle  gearbeitet.  Am  30.  November 
1454  Unterzeichnete  er  den  Rontrakt,  und  am  8.  Juli  1496,  als  er  starb, 
war  das  Werk  noch  nicht  vollendet. 

Es  scheint,  als.  ob  sich  Benedetto  von  vornherein  mit  der  Arbeit  nicht 
sonderlich  beeilt  habe,  denn  erst  am  4.  Juli  1457,  fast  drei  Jahre  nach  Unter- 
zeichnung des  Kontraktes,  empfing  er  die  erste  Zahlung  von  15  fl.  für  die 
begonnene  Arbeit.  Weitere  vier  Jahre  vergingen  bis  zur  Vollendung  der 
ersten  Kapellenhälfte  52). 


52)  Zahlungen  für  die  Fresken  in  der  Kapelle  der  Prioren: 

1454,  30.  November: 

Instrumentum  inter  Comune  Perusii  et  Mag.  Benedictum  pictorem  de  pictura 
Capelle  Palatii  (Boll.  della  R.  Dep.  di  Storia  Patria  per  l’Umbria  1900  Vol.  VI, 

р.  307ff.).  Ann.  Decemv.  1454  c.  127  t. 

1457,  4.  Juli: 

Zahlung  von  15  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ann.  Decemv.  1457  c.  91. 

1459,  29.  Oktober: 

Zahlung  von  10  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ann.  Decemv.  1459  c.  137. 

1459,  26.  November: 

Zahlung  von  12  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ibidem,  c.  752  t. 

1460,  27.  Dezember: 

Zahlung  von  11  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ibidem  1460  c.  134. 

1460: 

Zahlung  von  10  fl.  und  von  16  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Computisteria  comunale 
Libro  M,  Nr.  420  c.  38. 

1461,  1.  April: 

Zahlung  von  10  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ann.  Decemv.  1461  c.  29. 

1461,  ix.  September: 

Laudum  et  declaratio  mag.  fratris  Filippi  Fratris  ordinis  Carmenitarum  de 
Florentia  super  picturis  factis  in  Capelia  M.  D.  P.  per  Benedictum  Bonfigli.  Ann. 
Decemv.  1461,  c.  83.  (Boll.  della  R.  Dep.  di  Storia  Patria  per  l’Umbria  Vol.  VI, 
.1900,  p.  309  ff.) 

1461,  11.  September: 

Instrumentum  factum  cum  Benedetto  Bonfigli  super  perfectione  Capelle. 
Ann.  Decemv.  1461  c.  83  t.  (Boll.  della  R.  Dep.  di  Storia  Patria  per  l’Umbria 
Vol.  VI,  1900,  p.  3iiff.) 

1461,  11.  September: 

Zahlung  von  11  fl.  20  Soldi  an  »Mastro  Filippo  Frate  del  Carmine  per  parte 
del  lodo«.  Computisteria  comunale  Libro  M,  Nr.  420  c.  38. 

1461,  11.  September: 

Zahlung  von  42  Soldi  und  3 Denari  an  Benedetto  Bonfigli.  Ibidem,  c.  38. 

1461,  3.  Oktober: 

Zahlung  von  2 fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ibidem,  c.  38. 

1462,  31.  Januar  und  1.  Februar: 

Anweisung  und  Zahlung  von  50  fl.  an  Benedetto  Bonfigli.  Ann.  Decemv.  1462 

с.  7 t. 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


243 


Die  von  Bonfigli  bisher  bewiesene  Unpünktlichkeit  veranlaßte  die 
Prioren,  in  den  zweiten  Kontrakt  vom  II.  September  1461  die  Klausel  auf- 
zunehmen, daß  der  Meister  in  jedem  Semester  eine  Geschichte  fertigzustellen 


1462,  4.  April: 

Zahlung  von  4 fl.  40  Soldi.  Comput.  Com.  Libro  M,  Nr.  420  c.  38. 

1462,  1.  Juli: 

Zahlung  von  3 fl.  60  Soldi.  Ibidem,  c.  38. 

1462,  6.  November: 

Zahlung  von  90  Soldi.  Ibidem,  c.  38. 

1463,  22.  Januar: 

Zahlung  von  1 fl.  80  Soldi.  Ibidem,  c.  38. 

1463,  17.  März: 

Zahlung  von  2 fl.  10  Soldi.  Ibidem,  c.  38. 

1463,  August: 

Zahlung  von  9 fl.  Ibidem,  c.  38. 

1463,  26.  September: 

Zahlung  von  14  fl.  71  Soldi.  Ibidem,  c.  38. 

1463,  23.  Dezember: 

Zahlung  von  4 fl.  90  Soldi.  Ibidem,  c.  38. 

1464,  28.  April: 

Zahlung  von  45  fl.  Ann.  Decemv.  1464  c.  42. 

1464: 

2 Zahlungen  von  insgesamt  2 fl.  84  Soldi.  Comput.  Com.  Libro  M,  Nr.  420  c.  38. 
1464,  17.  Juli: 

Zahlung  von  1340.  4 Soldi  6 Denari.  Ibidem,  c.  38. 

1469,  5.  Dezember: 

Zahlung  von  80  fl.  aus  einem  Guthaben  der  Stadtgemeinde  bei  dem  Merciaio 
Bartolomeo  di  Gregorio.  Ann.  Decemv.  1469  c.  249. 

1477,  1.  Juli: 

Zahlung  von  180  fl.  durch  denselben  Bartolomeo  di  Gregorio.  Ann.  Decemv. 
1477  c.  246. 

1469,  7.  November: 

Provisio  quod  solvantur  mag.  Benedicto  Bonfigli  pictori  de  pictura  Capelle 
M.  D.  P.  400  fl.  Mariotti,  Lett.  pitt.  p.  134 — 135. 

1469,  17.  November: 

Lex  2a  quod  mag:  Benedicto  Bomfilgli  pictori  satisfiat  de  pecuniis  debitis  a 
Bartholo  Gregorii  pro  pictura  Capelle  M.  D.  P.  Ann.  Decemv.  1469  c.  III. 

1469,  10.  Dezember: 

Provisio  tertia  ut  mag.  Benedicto  Bonfilgli  pro  pictura  Capelle  M.  D.  P.  con- 
signetur  nomen  debitoris  Bartolomei  Gregorii.  Ann.  Decemv.  1469  c.  130. 

1469,  10.  Dezember: 

Electio  X Camerariorum  super  expendio  negocio  Mag.  Benedicti  Bonfigli  juxta 
formam  etc.  legis  edite  sub  presenti  millessimo  et  die  7 Novembris.  Ann.  Decemv. 
1469  c.  132. 

1469,  10.  Dezember: 

Conventio  facta  inter  comune  Perusii  et  mag.  Benedictum  Bonfilgli  super 
pictura  Capelle  M.  D.  P.  Ann.  Decemv.  1469  c.  132  t. 


244 


Walter  Bombe: 


habe  und  daß  den  Prioren  das  Recht  zustehe,  einen  anderen  Meister  mit 
der  Fortsetzung  der  Arbeit  zu  betrauen,  falls  Bonfigli  sich  säumig  zeigen  sollte. 

Wenn  trotzdem  noch  Jahrzehnte  vergingen,  ohne  daß  die  Arbeit 
beendet  wurde,  so  darf  die  Schuld  nicht  ausschließlich  auf  seiten  des 
ausführenden  Künstlers  gesucht  werden.  War  Meister  Benedetto  ein  säumiger 
Arbeiter,  so  waren  die  Herren  Prioren  gelegentlich  auch  säumige  Zahler. 
Am  7.  November  1469  beschwerte  sich  Bonfigli  bei  den  Prioren  über  un- 
pünktliche Zahlung  des  ausbedungenen  Lohnes  und  drohte,  die  Arbeit  ein- 
zustellen. Die  Beschwerde  scheint  nicht  unberechtigt  gewesen  zu  sein,  denn 
mit  44  Stimmen  gegen  2 wurde  Bonfiglis  Forderung  bewilligt.  Die  Prioren 
spendeten  ihm  ein  hohes  Lob  53)  und  forderten  nochmals,  daß  hinfort  in 
jedem  Semester  eine  Geschichte  fertiggestellt  werde,  vorausgesetzt,  daß  nicht 
Krankheit  den  Künstler  verhindere,  und  keine  gefährliche  Epidemie  in 
Perugia  herrsche.  Danach  hätte  die  Arbeit  in  weniger  als  zwei  Jahren 
beendigt  sein  müssen.  Sie  war  aber  noch  unvollendet,  als  der  hochbetagte 
Meister  am  8.  Juli  1496  starb.  Wir  wissen,  daß  er  in  seinem  Testament 
einen  Zuschuß  ausgesetzt  hat  zur  Vollendung  dessen,  was  er  selbst  nicht 
mehr  zu  Ende  zu  bringen  vermocht  hatte  54). 

Als  Benedetto  Bonfigli  den  ehrenvollen  Auftrag  erhielt,  die  Kapelle 
der  Prioren  auszumalen,  war  er  etwa  fünfunddreißig  Jahre  alt  und  im  Voll- 
besitz seiner  künstlerischen  Mittel.  Wenn  in  den  Jahren  vor  1450  sein  künst- 
lerisches Schaffen  eng  mit  Sieneser  Traditionen  verknüpft  war,  so  hat  sich 
offenbar  während  des  Aufenthaltes  in  Rom  eine  große  Wandlung  in  ihm 
vollzogen.  In  Rom  war  er  zu  Fra  Angelico  und  Benozzo  Gozzoli,  vielleicht 
auch,  wenn  wir  Vasaris  Angaben  Glauben  schenken  dürfen,  zu  dem  großen 
Lehrmeister  der  Perspektive,  Piero  della  Francesca,  in  persönliche  Beziehung 
getreten.  Von  wie  nachhaltigem  Einfluß  auf  ihn  der  Verkehr  mit  diesen 
großen  Meistern  gewesen,  das  bekunden  seine  Fresken  in  der  Kapelle  der 


53)  »Picturam  dictae  Capellae  cedere  in  ornatum  et  decorem  totius  Civitatis  et 
Palatii:  attenta  potissimum  pulcritudine  picturarum,  et  fama,  et  ingenio  dicti  Mag.  Bene- 
dicti:  et  si  res  ipsa  non  deducatur  ad  finem,  redire  in  ignominiam  totius  Reipublicae  Peru- 
sinae.  Ann.  Decemv.  1469  c.  105. 

54)  Item  judicavit  et  reliquit  quod  Bartholomeus  Gregorii  de  Perusio  debeat  per- 
ficere  seu  perfici  facere  cappellam  palatii  Magnif.  D.  D.  Priorum  Civit.  Perus,  quam 
dictus  Bartholomeus  accepit  ad  perficiendum  ab  ipso  Testatore  per  tempus  unius  anni 
proximi  futuri.  S.  Mariotti,  Lett.  pitt.  p.  135,  Note  1. 

Die  Prioren  hatten  Benedetto  am  5.  Dezember  1469  einen  Kredit  von  370  Gulden 
zediert,  den  sie  bei  dem  oben  genannten  Bartolomeo  di  Gregorio  besaßen.  Hiervon  wurden 
ihm  am  1.  Juli  1477  180  Gulden  ausgezahlt.  Da  er,  wie  es  scheint,  vor  seinem  Tode  den 
ganzen  Betrag  erhalten  hatte,  war  er  genötigt,  einen  Teil  der  Summe  an  den  Geldgeber 
zurückzuzahlen.  Als  Vollender  der  Fresken  ist  Bartolomeo  di  Gregorio  (wie  Manzoni 
annahm)  gewiß  nicht  aufzufassen,  da  er  ein  Merciaio  war 


Die  Tafelbilder,  Gonfaloni  und  Fresken  des  Benedetto  Bonfigli. 


245 


Prioren.  Wenn  er  bei  der  Schilderung  der  Bischofsweihe  des  heiligen  Ludwig 
sich  durch  eine  ähnliche  Darstellung  Fra  Angelicos  anregen  ließ  und  in  der 
Totenklage  um  den  heiligen  Schutzpatron  von  Perugia  ein  wichtiges  Motiv 
von  dem  Frate  entlehnte,  so  zeigt  sich  in  der  Behandlung  des  Nackten 
(Wunder  des  Kaufmanns  von  Marseille),  der  sorgsamen  und  doch  nicht 
kleinlichen  Wiedergabe  des  Vordergrundes  und  in  der  vorzüglichen  Archi- 
tekturmalerei der  Einfluß  des  Piero  della  Francesca. 

Seine  Innenräume  (Saal  im  vatikanischen  Palast,  Dom  von  Marseille) 
erwecken  einen  wirklichen  Tiefeneindruck.  Die  breite  und  flotte  Gewand- 
behandlung  und  die  Längen-  und  Breitenverhältnisse  der  Köpfe  zeigen  eine 
gewisse  Verwandtschaft  mit  Fra  Filippo  Lippi.  In  der  Darstellung  .der 
menschlichen  Figur  lassen  sich  beträchtliche  Fortschritte  gegenüber  der  noch 
befangenen  und  unfreien  Auffassung  in  den  Tafelbildern  erkennen.  Die 
Gestalten  erscheinen  breiter,  die  Proportionen  gedrungener,  das  Stehen  wird 
fester.  In  der  FarBengebung  ist  eine  große  Vorliebe  für  satte,  braune  Lokal- 
töne zu  konstatieren,  welche  auch  die  Madonna  mit  vier  musizierenden 
Engeln  und  die  gleichfalls  einer  späteren  Schaffensperiode  angehörigen 
Gonfaloni  kennzeichnen. 

Offenbaren  die  Fresken  so  die  Vorzüge  seiner  an  dem  Studium  der 
großen  Zeitgenossen  gewachsenen  Kunst,  so  lassen  sie  uns  doch  auch  ihre 
Mängel  und  Schwächen  erkennen.  Bonfigli  wird  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  der  Formen  völlig  Herr.  Wenn  eine  bewegte  Aktion  darzustellen 
ist,  versagt  seine  Kraft.  So  wird  er  im  Fresko  der  Belagerung  von  Perugia 
unleidlich  und  maniriert.  Im  ruhigen  Existenzbilde  und  in  der  Darstellung 
glänzender  Prozessionen  leistet  er  Hervorragendes.  An  Bestimmtheit  und 
Prägnanz  der  Menschenauffassung  stehen  die  Ludwigsfresken  entschieden 
über  der  Herkulanusfolge.  Dafür  entschädigt  der  Künstler  in  letzterer 
wieder  durch  vortreffliche  Behandlung  der  architektonischen  Hintergründe. 
Hier  gibt  er  etwas  völlig  Neues:  Er  füllt  die  Hintergründe  seiner  Fresken 
mit  genauen  Aufnahmen  von  Monumentalbauten  und  entrollt  bisweilen 
ganze  umfangreiche  Städtebilder.  Bescheidene  Rivalen  dieser  Veduten  sind 
die  kleinen,  aber  meist  sehr  getreuen  Städteansichten  auf  seinen  Gonfaloni. 
Zu  dem  späteren  großartigen  Aufschwung  der  umbrischen  Landschafts- 
malerei geben  Bonfiglis  Veduten  den  ersten  Anstoß.  Einen  gewaltigen 
Schritt  über  Bonfigli  hinaus  tat  später  Perugino,  indem  er  die  Landschaft 
auf  seinen  Bildern  zur  Resonanz  der  Figurenkomposition  machte. 

Rückblick. 

Wir  sahen  Bonfigli  im  Anfang  seines  künstlerischen  Schaffens  eng  mit 
der  sienesischen  Tradition  verknüpft.  Ein  Kolorit  von  intensiver  Buntheit, 
durch  reichliche  Aüflage  von  Gold  zu  noch  größerem  Glanz  gesteigert,  kenn- 


246 


Walter  Bombe: 


zeichnete  seine  früheste  uns  erhaltene  Schöpfung,  die  Anbetung  der  Könige 
aus  S.  Domenico.  Aus  dem  Charakter  dieses  Frühwerkes  darf  der  Schluß 
gezogen  werden,  daß  Bonfigli  die  Anfangsgründe  seiner  Kunst  in  der  Werk- 
stätte eines  der  aus  sienesischer  Schulung  hervorgegangenen  Meister  erlernt 
habe,  welche  damals  in  Perugia  ansässig  waren.  Durch  das  Studium  der 
Werke  des  Domenico  Veneziano  und  seines  großen  Schülers  Piero  della 
Francesca,  sowie  ‘des  Filippo  Lippi  lernt  er,  sich  auf  das  Wirkliche  zu  kon- 
zentrieren und  den  Anforderungen  der  Perspektive  zu  entsprechen.  Erst 
in  reiferen  Jahren  macht  er  (wahrscheinlich  in  Rom  um  1450)  die  persönliche 
Bekanntschaft  des  Fra  Angelico,  von  dem  er  schon  in  Perugia  Werke  gekannt 
hat.  Er  ist  ihm  und  seinem  Schüler  Benozzo  Gozzoli  für  manche  Anregung 
zu  Dank  verpflichtet.  Nach  des  Meisters  Rückkehr  aus  Rom  tritt  eine 
weitere  Stilwandlung  ein.  An  die  Stelle  der  intensiven,  fast  bunten  Lokal- 
farben treten  gedämpfte  braune  Lokaltöne.  Dieser  Übergang  zu  warmen, 
braunen  Lokaltönen  zeigt  sich  in  dem  Tafelbild  der  Madonna  mit  vier 
musizierenden  Engeln,  in  den  Gonfalonen  und  den  Fresken. 

Im  allgemeinen  aber  hält  der  mehr  für  das  Anmutige  als  für  die  Dar- 
stellung kräftiger  Aktion  begabte  Meister  an  der  älteren  lokalen  Richtung 
fest  und  verbindet  nur  einzelne  Züge  der  Formenauffassung  der  Neuzeit 
mit  der  heimischen  Kunstweise.  Mit  der  Vervollkommnung,  welche  die 
Kunst  Perugias  in  den  letzten  Dezennien  des  Jahrhunderts  durch  Fiorenzo 
di  Lorenzo  und  namentlich  durch  Perugino  erfuhr,  vermochte  er  nicht 
Schritt  zu  halten.  Die  ältere  Lokalkunst  Perugias  schließt  mit  Bonfigli  ab, 
und  der  eigentliche  Vermittler  zwischen  Florentiner  und  umbrischer  Kunst- 
weise ist  nicht  Benedetto  Bonfigli,  sondern  Fiorenzo  di  Lorenzo.  Ihm  war 
es  Vorbehalten,  der  Wegweiser  der  jungen  Künstlergeneration,  eines  Perugino 
und  Pinturicchio  zu  werden. 


Un  Documento  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana. 


Di  Piero  Misciattelli. 

II  documento  inedito  che  mi  e dato  qui  di  pubblicare  figura  nel  catalogo 
privato  e fuori  di  commercio  di  libri  stampati  e manoscritti,  disegni,  in- 
cisioni  ed  acquerelli  riguardanti  Innocenzo  XII  (Pignatelli)  raccolti  e posse- 
duti  dal  principe  Diego  Pignatelli  di  Cavaniglia  (Roma)  e reca  questa 
indicazione  a pagina  28.  «Esposto  di  servigi  resi  alla 
Camera  (Apostolica)  dal  cav.  Carlo  Fontana  archi- 
tetto camerale  succeduto  al  Bernini  dal  1664  a 
tutto  il  i°  Dicembre  1702  — M.  S.  in  --4  del  secolo 
XVIII  di  pagine  16  n.  n.  delle  quali  l’ultima  bianca» 
Nel  margine  superiore  della  prima  pagina  si  legge  la  firma  autografa  di 
Carlo  Fontana. 

II  compilatore  del  catalogo  awerte  come  vi  sieno  notati  i lavori  fatti 
sotto  il  Pontificato  di  Papa  Innocenzo  XII  ma  non  si  b reso  conto  che 
Timportanza  di  questo  documento  consiste  particolarmente  nel  fatto  che 
il  Fontana  ci  offre  nel  medesimo  non  solo  una  lista  di  pagamenti  da  lui 
ricevuti  per  servigi  resi  al  pontificato  romano,  ma  un  elenco  per  noi  ancora 
piu  prezioso  delle  opere,  e con  i relativi  pagamenti,  compiute  dal  suo  prede- 
cessore  rivale,  il  famoso  Bernini.  La  lista  delle  paghe  avute  dal  Bernini 
egli  contrappone  con  arte  alla  propria  per  dimostrare  alla  Reverenda 
Camera  Apostolica  quanto  minori  fossero  state  le  retribuzioni  avute  dalla 
Casa  Fontana  per  i servigi  resi  alla  Sede  Apostolica  in  confronto  a quelle 
riscosse  dalla  Casa  Bernini. 

In  un  prospetto  rapido  ed  ordinato  ci  si  rivela  in  questo  singolare 
documento  le  somme  vistose  che  furono  profuse  dai  pontefici  Urbano  VIII 
ed  Innocenzo  XII  in  opere  destinate  all’  abbellimento  di  Roma:  si  ris- 
contra  in  esso  per  la  prima  volta  la  somma  totale  spesa  dalla  Reverenda 
Fabbrica  durante  56  anni  di  servigio  prestati  dal  Bernini  e dal  paragone 
delle  due  liste  ci  e dato  di  osservare  come  al  regime  del  fasto  barberiniano 
e chigiano  seguissero  nella  Chiesa  delle  ristrettezze  finanziarie  che  obbli- 
garono  l'ultimo  pontefice  del  Seicento  a serrare  non  poco  i cordoni  alla 
borsa  del  pubblico  erario,  cosl  che  bene  si  comprendono  le  lagnanze  del 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


248 


Piero  Misciattelli: 


Fontana  che  a malincuore  rassegnavasi  a vedersi  lesinate  e diminuite 
le  paghe. 

II  cav.  Carlo  Fontana  il  quäle  fu  1'ultimo  arcniietto  del  Seicento, 
e che  degnamente  chiude  un  secolo  di  straordinaria  attivitä  edilistica  per 
l’urbe,  appartiene  alla  famiglia  comasca  onde  usri  nel  1543  Domenico 
Fontana,  il  famoso  architetto  che  lavorö  sotto  Sisto  V ed  al  quäle  si  deve 
l'innalzamento  degli  obelischi  di  San  Pietro,  di  S.  Maria  Maggiore,  di  S.  Gio- 
vanni in  Laterano,  di  Piazza  del  Popolo,  e la  fabbrica  del  palazzo  pontifi- 
cio  sul  Quirinale.  Domenico  Fontana  morl  nel  1607,  ed  ebbe  a fratello 
l’architetto  Giovanni  Fontana  che  fu  valente  ingegnere  e restaurö  gli 
acquedotti  di  Augusto,  ed  a nipote,  Carlo  Maderna  (1556 — 1639)  al  quäle 
si  detfe  la  facciata  del  tempio  di  S.  Pietro. 

Il  nostro  Carlo  Fontana  nacque  a Bruciato  nel  territorio  di  Como 
l'anno  1634;  seguendo  l’esempio  dei  suoi  maggiori,  venne  a cercare  lavoro 
in  Roma  (vedasi  piü  sotto  la  nota  delle  principali  fra  le  sue  opere)  ove  seppe 
competere  e farsi  notare  in  mezzo  alle  contese  del  Bernini  e del  Borromino 
ed  accaparrarsi,  vivente  il  Bernini,  la  sua  successione  come  aiutante,  ed 
al  fine  installarsi  nel  suo  ufficio  di  architetto  della  Rev.  Camera  Apostoiica, 
ciö  che  al  grande  scultore  sembra  rincrescesse  molto,  quantunque  fosse 
nella  grave  etä  di  settanta  anni. 

Il  Fontana  mori  a Roma  nel  1714  dopo  aver  lasciate  oltre  a parecchi 
lavori  architettonici  le  seguenti  opere  stampate: 

Il  tempio  Vaticano  e sua  origine  con  gli  edifici  piü  cospicui  antichi 
e moderni  — Roma  1694. 

L’anfiteatro  flavio  descritto  e delineato  — Aja  1725. 

Trattato  delle  acque  correnti  — Roma  prim.  ediz.  1694  — seconda 
ed.  1696. 

Descrizione  della  Cappella  del  fonte  battesimale  nella  Basilica  Vati- 
cana — Roma  1697. 

Discorso  sopra  il  monte  Citorio  — Roma  prima,  ed.  1694,  2°  ed.  1608. 

Discorso  sopra  le  cause  delle  Innondationi  del  Tevere  antiche  e moderne 
a danno  della  citta’  di  Roma  — Roma  1696. 


Opere  compiute  dall’  architetto  cav.  Carlo  Fontana  e ricordate  da 
Filippo  Titi,  contemporaneo  dell’  architetto,  nel  libro  »Descrizione 
delle  Pitt  11  re,  Sculture  earchitettureesposteal 
pubblico  in  Roma«  — Ediz.  1763. 

pag.  9:  Deposito  della  regina  di  Svezia  in  S.  Pietro  ordinato  dalla  S.  M. 
d’Innocenzo  XII,  fatto  poi  perfezionare  dalla  S.  M.  di  Clemente  XI 
con  disegno  del  cav.  Carlo  Fontana. 


Un  Documento  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana. 


249 


pag.  20:  (in  S.  Pietro)  L’ultima  cappella  e senza  altare,  perche  serve  per 
fonte  battesimale.  E’  notabile  la  sterminata  urna  di  porfido  che  fu 
sepolcro  di  Ottone  II.  II  coperchio  di  bronzo  dorato  b disegno  del 
cav.  Fontana. 

pag.  43:  (chiesa  di  S.  Margherita)  . . . . fu  architetto  e della  chiesa  e 
della  facciata  il  cav.  Fontana. 

pag.  46:  (chiesa  di  S.  Maria  in  Trastevere)  Aveva  questa  chiesa  un  portico 
molto  deforme,  con  semplice  tetto  tutto  aperto  e rozzamente  fatto, 

dal  che  mossa  la  S.  M.  di  Papa  Clemente  XI fece  di  nuovo 

rifar  detto  portico,  e ferrarlo  con  cancelli  di  ferro;  e con  tale  occasione 
decorö  il  mosaico  sopra  con  ornamenti  di  stucco,  che  fanno  anche 
finimento  alla  facciata,  il  tutto  con  disegno  e direzione  del  cav.  Carlo 
Fontana. 

pag.  70 : (Chiesa  di  S.  Sebastiano)  La  cappella  di  S.  Fabiano,  che  siegue, 
spettante  alla  Casa  Albani,  fu  fatta  con  disegno  di  Carlo  Maratta,  e 
seguito  dal  cav.  Carlo  Fontana,  da  Alessandro  Specchi  e dal  Barigioni. 
pag.  125:  (Chiesa  Nuova)  La  cappelletta  che  segue,  sotto  l’organo,  che 
e dei  signori  Spada  architettata  dal  cav.  Carlo  Fontana, 
pag.  137:  (Chiesa  di  S.  Andrea  della  Valle)  La  prima  cappella  a man 
destra,  entrando  in  chiesa,  e stata  fatta  dai  Signori  Ginnetti  con 
l'architettura  del  cav.  Carlo  Fontana, 
pag.  170:  (Chiesa  di  S.  Marta)  La  chiesa  fu  rimodernata  ultimamente  con 
buona  e vaga  architettura  dal  Cav.  Carlo  Fontana  a spese  d’una 
monaca  di  Casa  Boncompagni. 

pag.  187:  (Chiesa  di  S.  Biagio)  S.  Biagio  ristorato  modernamente  con 
capriccioso  disegno  del  Cav.  Carlo  Fontana, 
pag.  285:  (S.  Maria  degli  Angeli  alle  Terme)  Le  vastissime  Terme  di 
Diöcleziano  rimasero,  come  tutte  le  altre,  dal  tempo  e dalla  barbarie 
guaste,  ma  la  loro  stessa  vastitä  ne  fece  rimanere  in  piedi  una  parte  in 
qua  e in  lä,  che  rispetto  al  tutto,  furon  piccola  cosa,  ma  considerate  da 
per  se,  ciascuna  di  esse  rendeva  meraviglia,  e faceva  fede  dell’  antica 
magnificenza.  Una  di  queste  parti  fu  ridotta  a granaj  d’una  prodigiosa 
estensione,  che  rimangono  dirimpetto  al  convento  della  Vittoria. 
Dipoi  un’  altra  parte  attaccata  al  giardino  del  principe  Strozzi,  al 
tempo  di  Clemente  XI,  col  disegno  di  Carlo  Fontana,  fu  ridotta  pari 
mente  allo  stesso  uso. 

pag.  321:  (Chiesa  di  S.  Marcello)  La  facciata  fu  fatta  a spese  di  Mons 
Castaldi  Boncompagni  con  l'architettura  del  cav.  Fontana, 
pag.  327:  (Chiesa  dell’  Umilitä)  La  facciata  b disegno  di  Carlo  Fontana, 
pag.  419:  (Chiesa  dei  S.  S.  Faustino  e Giovita)  Della  Chiesa  fatta  ultima- 
mente ne  fu  architetto  il  cav.  Carlo  Fontana. 


iS* 


250 


Piero  Misciattelli: 


pag.  430:  (Chiesa  di  S.  Maria Traspontina)  L’altare  maggiore  fu  racconciato 
ultimamente  col  disegno  del  cav.  Carlo  Fontana,  dove  sono  molti 
angeli  di  stucco  che  sostengono  un'  immagine  di  Maria  Vergine. 
pag.  464:  (Chiesa  Spirito  Santo  dei  Napoletani)  Questa  chiesa  racconcia 
col  disegno  di  Carlo  Fontana. 

pag.  484:  (Palazzo  Bigazzini)  Giovanni  Antonio  Bigazzini  vi  fabbricö 
un  palazzo  con  disegno  del  Cav.  Carlo  Fontana. 

La  precedente  lista  ricavata  dall’  opera  del  Titi  deve  essere  com- 
pletata  con  le  seguenti  opere  di  Carlo  Fontana: 

Palazzo  della  Curia  Innocenziana  a Montecitorio.  (si  vedano  i primi 
disegni  originali  che  verranno  da  me  pubblicati  nel  fascicolo  Luglio 
1909  nella  Rivista  senese  «Vita  d’  arte».) 

(Chiesa  di  S.  Andrea  della  Valle)  Abside:  altare  maggiore,  archi- 
tettura  di  Carlo  Fontana. 

(Chiesa  dei  SS.  Apostoli)  Nel  1702  Clemente  XI  riedifico  dai  fonda- 
menti  la  Basilica  ed  i lavori  di  questa  riedificazione  furono  diretti  da 
Carlo  Fontana. 

(Chiesa  di  S.  Marco)  Nel  secolo  XVII  l'ambasciatore  della  Re- 
pubblica  Veneta  Sagredo  la  ridusse  nello  stato  attuale  coi  disegno  di 
Carlo  Fontana. 

(Chiesa  di  S.  Mafgherita)  Nel  1680  fu  restaurata  per  cura  de 
Cardinale  Castaldic  on  architettura  di  Carlo  Fontana,  a cui  appartiene 
anche  la  facciata. 

(Chiesa  di  S.  Maria  dell'  Assunzione)  Fu  edificata  verso  la  metä 
del  secolo  XVII  coi  disegni  di  Carlo  Fontana. 

(Chiesa  di  S.  Maria  dei  Miracoli)  Nel  1664  Alessandro  VII  ordinö  a 
Carlo  Rainaldi  di  edificare  la  chiesa  la  quäle  rimasta  incompiuta  fu 
terminata  a spese  del  Cardinale  Castaldi  con  l’aiuto  del  Bernini  e del 
Fontana. 

(Chiesa  di  S.  Maria  ad  Nives)  Fu  ceduta  nel  1607  alla  Confraternita 
dei  Rigattieri  che  la  fecero  piü  tardi  riedificare  con  architettura  di 
Carlo  Fontana. 

(Chiesa  di  S.  Maria  del  Popolo)  La  seconda  cappella  della  navata 
di  destra  fu  edificata  verso  la  metä  del  secolo  XVII  dal  cav.  Carlo 
Fontana. 

(Chiesa  di  S.  Teodoro)  Nel  1705  Clemente  XI  fece  scavare  la  terra 
intorno  alle  pareti  di  questa  Chiesa  ed  ordinö  che  fosse  fatta  la  piazzetta 
semicircolare  della  quäle  b autore  Carlo  Fontana. 

Ed  ora  ecco  pubblicato  integralmente  il  documento  dell’  architetto 
Carlo  Fontana: 

Firma  autografa  del  Cav.  Carlo  Fontana. 


Un  Documento  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana. 


25  1 


Esposto  primo  per  la  Rev.  Camera. 

Si  notifica  con  il  presente  esposto  di  quello  che  ha  goduto  e gode 
il  Cav.  Carlo  Fontana  per  il  prestato  servizio  alla  Rev.  Cam.  Apostolica  sin 
dall'  anno  1664  a tutto  il  presente  giorno  I.  Dicembre  1702. 

Deila  San.  mem.  d’Alessandro  VII  fu  dichiarato  con  special  chiro- 
grafo  in  vita  per  uno  delli  misuratori  della  Rev.  Camera  con  la  provisione 
di  scudi  5 il  mese,  e scudi  2,20  per  la  solita  parte  in  dispensa  di  palazzo, 
e con  li  soliti  emolumenti  di  scudi  2 per  cento  per  la  tara  de’  conti  che 
pagono  li  artisti,  quali  scudi  2 si  dividono  per  metä  per  ciaschedun  misu- 
ratore. 

Attesa  la  vecchiaja  del  cav.  Bernino  fu  imposto  dal  Sommo  Ponte- 
fice  e Ministri  Camerali  al  cav.  Fontana  che  dovesse  come  coadiutore 
esercitare  anche  la  carica  d'architetto  come  fece,  indi  intentionato  nella 
futura  successione  sl  della  carica  come  delle  provisioni  dopo  1a.  morte  del 
detto  Bernino  e con  tale  speranza  operö  con  ogni  puntualitä  e diligenza 
sino  alla  morte  del  prefato  cavaliere. 

Morto  che  fu  il  suddetto  Bernino  non  mancö  il  Fontana  di  far  istanza 
per  la  surrogazione,  e pagamenti  che  portava  la  medesima  carica  promessali 
consistenti  in  scudi  trenta  il  mese  con  le  parti  doppie  ascendenti  ad  altri 
scudi  4 il  mese. 

Oltre  di  che  li  venivano  pagati  tutti  li  disegni  e viaggi  a parte  come  il 
tutto  si  riconosce  et  apparisce  da  mandati  spediti  dall’E.  mo  Camerlengo 
esistenti  nella  computisteria  del  Sig.  Bondi,  oggi  Leonori.  Di  piü  in 
occasione  dell'  esilio  di  Luigi  Bernino,  che  occupava  la  carica  di  Soprain- 
tendente dei  Palazzi  Apostolici,  che  subentrö  Gio.  Antonio  de’  Rossi,  quäle 
fu  poi  levato,  e fu  appoggiata  questa  carica  di  Sopraintendente  al  mede- 
simo  cav.  Fontana,  quäle  ha  esercitato  sino  al  presente  senza  pagamento 
veruno,  quäl  pagamento  consisteva  in  scudi  10  il  mese,  e scudi  3 per  la 
parte,  oltre  le  medaglie  d’oro  e pensioni. 

In  tempo  che  segul  la  morte  del  cav.  Bernino  suddetto  e per  alcuni 
anni  susseguenti  con  reiterate  instanze  alli  tesorieri  pro  tempore,  et  a Mons. 
Pilastri  commissario  gerente  si  domandavano  con  suppliche  li  detti  paga- 
menti soliti,  ma  invece  d’avere  il  rescritto  favorevole,  li  fu  risposto  in  voce, 
che  Sua  Santitä  conosciuta  l’abilitä  del  cavaliere  abile  a poter  fare  tutte  le 
carte,  aveva  abolito  e soppresso  le  due,  cioe  di  architetto  e sopraintendente, 
ma  che  non  si  sarebbe  mancato  alle  giuste  richieste  per  le  recognitioni  che 
meritava  il  cavaliere;  onde  in  luogo  d’essa  paga  averebbe  Sua  Santitä 
assegnata  provisione  congrua  quäle  non  effettuatasi  e dilungandosi  si  prese 
motivo  dalla  benignitä  dei  tesorieri  Ginnetti,  Negroni,  et  Imperiali,  si 
avessero  per  mandati  camerali  alcune  piccole  recognitioni,  tenui  rispetto 


252 


Piero  Misciattelli: 


alle  fatiche,  ma  furono  pro  una  vice  tantum  si  che  non  essendosi  effettuato 
mai  l’assegno  di  detta  provisione,  li  e rimasta  la  sola  fatica  di  tutte  le 
cariche. 

Volle  poi  Mons.  Pilastri,  commissario  gerente,  credendosi  di  far  bene, 
aggiungere  alli  due  misuratori  il  terzo  per  sminuir  la  fatica  e vi  fu  posto 
frate  Giuseppe  Paglia  domenicano;  e che  delli  scudi  io  il  mese  che  avevano 
tra  tutti  due  li  misuratori  se  ne-fecero  tre  porzioni  che  venivano  ad  essere 
scudi  3,33  il  mese  per  ciaschedun  misuratore.  Riconosciuta'-'i  poi  pregiu- 
diciale  alla  Rev.  Camera  la  giunta  del  terzo  misuratore  e per  altre 
particolaritä  che  si  tacciono,  fu  licenziato  il  frate  Paglia  dal  servizio, 
e ritorno  in  pristino  alli  due  misuratori  ma  non  fu  mai  restituito  il 
pieno  delli  scudi  cinque  alli  detti  misuratori  e da  allora  sino  al  presente 
si  continua  con  li  soli  scudi  3,33  il  mese  in  Camera,  e a Palazzo  scudi 
2,20  il  mese. 

Onde  il  cav.  Fontana  supplica  di  riflettere  e commettere  in  consi- 
deraz:one  che  esso  ha  esercitato  et  esercita  le  due  cariche  d’architetto  e 
sopraintendente  senza  provisione  e parte  veruna  dall’  anno  1666  in  qua 
sino  al  i°  dicembre  1702  et  invece  d’essergli  accresciute  le  paghe,  si  trova 
diminuito  nella  propria  di  misuratore  per  la  causa  come  segue. 

Si  notifica  che  le  paghe  delle  tare  non  hanno  che  fare  con  quelle  delF 
architetto  e sopraintendente  ma  tutte  attinenti  alla  carica  di  misuratore  come 
cantano  li  Brevi  speditigli  e taluni  credono  siano  di  qualche  somma  conside- 
rabile  e si  prega  a far  riconoscere  tutta  la  somma  delli  lavori  che  si  spediscono 
anno  per  anno.  Dal  che  si  vedrä  esser  questi  emolumenti  molto  tenui  e che 
dopo  pagati  li  giovani  non  resta  nelle  mani  dei  misuratori  che  il  sessanta  in 
circa  per  cento. 

SI  che  il  cav.  Fontana  esercita  presentemente  la  carica  d’ Architetto 
della  Rev.  Camera  e dei  Palazzi  in  tutte  le  occorrenze  si  dei  disegni  come 
dei  viaggi  fuori  di  Roma,  quali  non  appartengono  alla  carica  di  misuratore 
et  esercita  presentemente  anche  la  carica  di  sopraintendente  dei  Palazzi  giä 
suppressa  quali  cariche  unite  con  quelle  dell’  architetto  avevano  di  provisione, 
cioe:  all’  architetto  scudi  34,  al  sopraintendente  scudi  13. 

Oltre  vi  erano  li  pagamenti,  recognitioni  di  medaglie,  mandati  a parte, 
e pensioni  ben  note  alla  casa  Bernini. 

Onde  di  presente  li  vengono  nuovamente  diminuiti  li  pochi  emolumenti 
delle  misure  a causa  dell’  aggiunto  terzo  misuratore  in  Camera  Sig.  Bufalini 
il  quäle  ritiene  il  terzo  delle  misure  il  quäl  terzo  lo  godeva  in  comune  il  Fon- 
tana e Contini,  si  che  pagati  li  giovani  restono  gli  utili  ad  una  tenuitä  forsi 
non  creduta. 

Et  a cio  si  riconosca  quello  che  ha,  il  cavaliere  pone  qui  sotto  le  paghe 
mestruali  mese  per  mese  e prima  cioe: 


Un  Documenta  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana. 


253 


Come  architetto  della  Rev.  Fabbrica scudi  10 

Come  architetto  dell’acqua  Paola  scudi  5 

Come  misuratore  di  Camera  invece  delli  scudi  5 

ridotto  scudi  3,30 

Come  misuratore  di  Palazzo  scudi  2,20 

Sommano  in  tutto scudi  20,50 


Con  essergli  levate  le  parti  che  godevano  li  suoi  antecessori. 

Fa  noto  anche  il  Cavaliere  le  piü  particolari  opere  grandiose  che  ha  fatto 
finora  per  la  S.  Sede  senza  aver  avuto  verun  premio  delle  sue  fatiche 
e prima: 

La  condotta  dell’acqua  nuova  Paola  applicativi  di  sua  assistenza  anni 
18  continui  senza  veruna  paga  sino  che  fu  dichiarato  architetto  solo,  una  volta 
scudi  100  datigli  da  Mons.  Litta. 

L’opera  del  fontanone  a S.  Pietro  Montorio. 

L'opera  del  nuovo  porto  d’Anzio  di  tante  piante  e modelli. 

L’opera  della  condotta  dell’  acqua  di  Civitavecchia. 

Non  si  espongono  l’altre  infinite  opere  e fatiche  perche  sarebbe 
un  lungo  catalogo,  basta  il  dire  che  per  lo  spazio  di  circa  40  anni 
ehe  sempre  e stato  in  moto  continuo  nel  servizio  della  Rev.  Camera 
quasi  gratis. 

Sl  che  con  la  sola  paga  di  misuratore  di  5,50  diminuita  viene  il  mede- 
simo  ad  esercitare  tutte  le  cariche  che  ascendevano  prima  alla  somma  di 
scudi  47  il  mese  senza  l’altre  recognitioni.  Perciö  si  supplica  riflettere  e 
riguardare  con  occhio  benigno  le  giuste  ragioni  che  si  sono  addotte  di  sopra 
acciö  resti  consolato  con  un  giusto  e doveroso  provvedimento  che  se  ne  spera 
dalla  somma  clemenza  di  Nostro  Signore. 

Restö  favorito  Don  Gasparo  Fontana  figlio  del  suddetto  Cavaliere  dall’ 
infinita  pietä  d’Innocenzo  XII  d’un  beneficio  di  S.  Giovanni  Laterano  carico 
di  pensioni  per  scudi  70  e si  dichiarö  S.  S.  averglielo  dato  ad  invito  del  fratello 
cav.  Francesco  che  glielo  chiese  per  le  fatiche  fatte  dal  medesimo  per  l’ere- 
zione  ed  assistenza  della  fabbrica  della  Dogana  di  terra. 

Il  cav.  Fontana  stante  le  sue  diligenti  applicazioni  et  operazioni  levö 
d’impegno  la  Rev.  Camera  di  due  gran  spese  giä  cominciate  dal  cav.  Bernino 
in  Civitavecchia,  et  una  fu  il  principiato  Bagno  per  le  ciurme  in  tempo  di 
Clemente  IX  ascendente  in  scudi  350  incirca,  l’altra  fu  del  modo  che  principiö 
detto  Bernino  per  il  riparo  dell’  Antemurale  in  tempo  di  Clemente  X ascen- 
dente alla  spesa  di  scudi  ^ incirca  che  dalle  diverse  congregazioni  dei 

200 

Camerali  furono  sospesi  a causa  delle  ragioni  addotte  dal  Cav.  Carlo  Fontana 
a favore  della  Camera. 


254 


Piero  Misciattelli: 


Esposto  secondo  per  la  Rev.  Fabbrica  di  S.  Pietro. 

Ristretto  di  quanto  ha  ricavato  il  cav.  Bernino  dalla  Rev.  Fabbrica 
per  il  suo  prestato  servizio  come  Architetto  che  entrö  nell'anno  1624  e durö 
sino  l’anno  1680,  cio&  anni  56  di  servizio,  come  costa  pubblicamente. 

Pagamenti  segulti. 

Scudi 

Per  provisione  della  sopraintendenza  di  metallo  del  Ciborio  dalli  15  di 
Giugno  1624  per  tutto  Marzo  1624  a scudi  IOO  il  mese  come  a 

libro  mastro  36  e 57  montano  4722 

Per  provvisione  d'aprile  1627  per  tutto  giugno  1633  a ragione  di  scudi 

250  il  mese  come  al  libro  dei  manuali  29  e libro  de'  manuali  8. . 15750 

Per  recognizione  sino  all’  anno  1627  come  al  libro  mastro  84 3850 

Per  donativo  d’ordine  della  S.  memoria  di  Papa  Urbano  VIII  l’anno 
1633  come  per  pagamento  20  agosto  di  detto  anno  in  libro  dei 

manuali  nell'  ultimo 10000 

Per  il  modello  della  statua  di  S.  Longino  come  al  libro  dei  manuali  42  450 

Per  la  statua  come  al  libro  dei  manuali  17 3300 

Per  il  campanile  per  la  sua  provvisione  straordinaria  dalli  25  febbraio 

1638  a tutti  li  29  agosto  1642  a scudi  100  il  mese 5500 

Per  le  4 statue  di  stucco  sopra  il  campanile  come  al  libro  de'  manu- 
ali 17  1200 

Per  il  bassorilievo  di  Pasee  oves  meas  come  al  libro  dei  manuali  . . . 3000 

Per  recognizione  di  detta  opera  200 

Per  la  statua  di  Costantino  a conto  come  al  libro  dei  manuali  17 1 ...  900 

Per  la  sopraintendenza  dei  portici  dal  1°  agosto  1657  per  tutto  luglio 

1662,  sono  anni  cinque  a scudi  60  il  mese 3600 

Per  la  sopraintendenza  dell'  opera  della  cattedra  per  mesi  40  a ragione 

di  scudi  200  il  mese  come  al  Libro  dei  manuali  178 8000 

Per  provvisioni  ferme  di  scudi  200  l’anno  dall’anno  1629  a tutto 

l'anno  1665,  sono  anni  37  (Sic)  7400 

Per  li  due  terzi  delli  due  per  cento  sopra  scudi  3,655,580  monta,  come 
per  ristretto  fattone  dal  computista  antecedente  che  importa 
no  le  stime  e misure  dei  lavori  e conti  saldati  a diversi  dal  sud- 

detto  cavaliere  dall'anno  1624  a tutto  gennajo  1661 4873 

E per  detti  due  terzi  sopra  scudi  115618,50  e per  le  misure,  stime  e 

conti  di  diversi  per  tutto  l’anno  1665  1 54 1 

E per  detti  due  terzi  sopra  scudi  230,138  per  le  misure  e stime  dei 

scalpellini  e rauratori  appaltati  3068 

Il  retroscritto  ristretto  e stato  copiato  du  un  libro  dove  sono  diversi 
originali  di  disegni,  note,  ristretti  et  altro  fatto  fare  dalla  Santa 


Un  Documento  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana. 


255 


memoria  di  Papa  Alessandro  VII  esistente  ora  detto  libro  nella 
libreria  dell’Ecc.mo  principe  Chigi  e questa  nota  6 stata  auten- 
ticata  dal  computista  della  rev.  Fabbrica  di  quel  tempo  e rin- 

contrata  con  le  partite.  Di  piü  ebbe  scudi  — 1 di  legato  per  il 

3 

disegno  et  assistenza  del  Ciborio  esistente  entro  la  Cappella  del 

SS.  Sacramento 3000 

Onde  ascende  la  somma  che  ha  ritratta  il  Bernini  per  via  di  mandati 

a scudi  80354 

E piü  s’aggiunga  nella  detta  somma  quello  che  ne  ha  ritratto  dalla  detta 
fabbrica  Luigi  Bernini  fratello  del  Cavaliere  come  Deputato 
considerato  con  li  regali  e pagamenti  di  misure  scudi  20  il  mese, 
ciok  scudi  240  l’anno  per  anni  50,  sino  che  fu  bandito  da  Roma, 

quali  ascendono  a scudi  12000 

E piü  nella  detta  somma  si  deve  aggiungere  li  utili  ricavati  dalli  cano- 
nicati  di  Santa  Maria  Maggiore  e S.  Pietro  concedutoli  da  i Papi 
considerati  di  rendita  per  scudi  60  il  mese,  che  ascendono  l'anno 
a scudi  720,  che  in  anni  60,  che  segul  la  morte  del  fu  Mons.  Bernini 

importa  la  somma  di  scudi  43200 

E piü  si  deve  aggiungere  scudi  30  il  mese  che  aveva  il  cav.  Bernini 
di  paga  ferma  dalla  rev.  Camera  che  ascendono  l’anno  a scudi  360 

che  in  anni  56  montano  a scudi  20160 

E piü  scudi  8 il  mese  come  Prefetto  Architetto  dell’acqua  Felice  che 

fanno  scudi  96  l'anno,  montano  per  anni  56  a 537^ 

E piü  scudi  5 il  mese  che  aveva  Luigi  Bernini  come  architetto  del’- 

lacqua  Paola  che  sono  scudi  60  l’anno  che  per  anni  30  che  servl  1800 
E piü  per  la  carica  di  spolverare  il  Ciborio  scudi  5 il  mese  che  aveva 

uno  di  detti  fratelli  importa  scudi  60  l'anno  che  in  anni  56  monta  3360 
E piü  scudi  IO  il  mese  ch’ebbe  Luigi  Bernini  come  sopraintendente  dei 

palazzi  che  sono  scudi  120  l'anno  che  per  anni  30  che  servi  monta  3600 
Nella  sopradetta  somma  vi  si  comprendono  molti  regali  annuali  di 
medaglie  d’oro,  d'argento,  pensioni,  benefici  per  gli  ecclesiastci, 
parti  doppie  e molti  altri  legati  da  considerarsi  altri  scudi  IO  il 

mese  cio&  scudi  120  l’anno  ascendono  a scudi  6720 

SI  che  ristrette  tutte  le  dette  somme  avrä  ritratto  la  Casa  Bernini 
dalla  Fabbrica  e Camera  scudi  Centosettantaseimila  e Cinque- 
cento settanta,  cioe  scudi  tremila  centocinquanta  l’anno  incirca 
che  viene  ad  essere  circa  260  il  mese  nello  spazio  di  56  anni  mon- 
tano scudi 176570 

E’  da  riflettersi  anche  la  Dignitä  Prelatizia  che  ha  avuta  detta  Casa 
con  diverse  cariche  che  non  si  mettono  a calcolo. 


256 


Pi  er  o M isciattelli : 


Si  deve  considerare  che  nelli  detti  anni  56  dal  detto  prestato  servizio 
di  Bernini  ha  speso  la  Rev.  Fabbrica  un  milione  cento  ottanta- 
seimila  scudi  di  fabbriche  attinentialla  magnificenza  et  orna- 
mento  del  Tempio  come  si  verifica  da  vari  conti  spediti  in 
Fabrica. 

Esposto  Terzo 

Di  minorazione  di  Spese  che  riceve  la  rev;  Fabbrica  dal  Prestato 
servizio  del  Cav.  Carlo  Fontana  dall’anno  1684  sino  al  presente 

1703.  (sic.) 

II  Cav.  Carlo  Fontana  architetto  della  Rev.  Fabrica  che  ha  servito 
gratis^come  deputato  revisore  da  Clemente  X sino  ad  Alessandro  VIII,  cioe 
circa  anni  18  nel  quäl  tempo  ha  composta  l’opera  stampata  del  Tempio 
Vaticano,  et  anche  per  ordine  di  Mons.  Vespignani  ridusse  li  esorbitanti 
prezzi  nel  modo  che  comunemente  si  osserva  nella  cittä  di  Roma,  e fatico 
molto  tempo  a fare  i processi  contro  i delinquenti  artisti,  muratori  et  altri, 
e fece  restituire  alla  rev.  Fabrica  dai  medesimi  molti  denari  esorbitantemente 
pagati  e dai  Pontificato  d’ Alessandro  VIII  sino  al  presente  giorno  ha  fatti 
infiniti  modelli  e disegni  per  il  fonte  battesimale  e Deposito  della  regina  di 
Svezia  senza  verun  pagamento  solo  che  li  seguenti: 

Scudi 

Riceve  il  Cav.  Fontana  per  anni  10  incirca  avanti  l’anno  1697  dalla 
Rev.  Fabrica  scudi  10  il  mese  concessigli  da  Alessandro  VIII  come 
Deputato  e Revisore  della  Fabrica  che  sono  scudi  120  l’anno  che 

in  anni  IO  monta  a scudi  1200 

E piü  dall’anno  1697  nel  Pontificato  d’Innocenzo  XII  ha  ricevuto  li 
medesimi  scudi  10  il  mese  come  Architetto  dichiarato  da  Papa 
Innocenzo  XII,  che  fanno  scudi  120  l'anno  che  per  anni  5 mon- 

tano  a 600 

E piü  altri  scudi  io  il  mese  concessi  et  accresciuti  da  Innocenzo  XII 
al  Cav.  Francesco  Fontana  come  Revisore  Deputato  in  luogo  del 
padre,  che  costituiscono  scudi  120  l’anno  cominciando  dall’anno 

1697  a tutto  l’anno  1702.  Monta  a 600 

E piü  il  fruttato  delle  misure  di  fabriche  fatte  per  la  Fabrica  sotto  la 

m 

direzione  e disegno  del  Cav.  Fontana  ascendenti  circa  scudi  — 

65 

che  sono  incirca 800 

E piü  ha  ricavato  il  Cav.  Fontana  dalla  sua  carica  di  misuratore  della 
Camera  tra  paghe  ferme  e frutto  di  misure  circa  scudi  10  il  mese 
che  sono  scudi  120  l'anno  essendo  anni  40  che  possiede  detta 
carica,  che  montano  a scudi  4800 


Un  Documento  inedito  dell’  Architetto  Carlo  Fontana.  257 

E piü  altri  scudi  5 il  mese  concessigli  l’anno  1690  da  Alessandro  VIII  per 


la  carica  d’Architetto  dell’Acqua  Paola  che  sono  scudi  60  che 

sino  all’anno  1702,  cioe  anni  12,  monta  a J20 

E piü  scudi  8 il  mese  al  cav.  Francesco  Fontana  per  la  carica  di  Pre- 
fetto  Architetto  dell’acqua  Felice  concessigli  l’anno  1697  che 

montano  a scudi  69  l’anno  per  anni  5 480 

E piü  scudi  300  incirca  per  conto  di  recognizione  da  i Camerali  a conto 

d’infinite  fatiche 30C> 

E piü  per  il  fruttato  d’un  beneficio  di  S.  Giovanni  Laterano  concesso 


da  Innocenzo  XII  l’anno  1696  a Don  Gasparo  Fontana  parimente 
figlio  del  cav.  Carlo  suddetto  che  detrattone  scudi  70  di  pensione 
gli  resta  scudi  14  il  mese  cioe  scudi  168  l’anno  per  anni  6 sino  al 
presente  1702  1008 

Si  che  tutto  quello  che  ha  ricavato  nel  corso  d’anni  40  la  Casa  Fon- 
tana sino  al  presente  anno  1702  ascende  circa  a scudi  10508  che 
sono  ragguagliatamente  un  anno  per  l’altro  circa  scudi  262  che 
viene  ad  essere  al  mese  circa  scudi  22. 

Correndovi  di  diferenza  scudi  238  il  mese  di  piü  che  ha  ricavato  la 
Casa  Bernini. 

Il  tutto  si  e esposto  per  sperarne  merito  e non  demerito  come  da  taluni 
che  non  informati  parlano  al  vento. 

Questo  dl  i°  Dicembre  1702. 


Zur  Datierung  von  Dürers  Paumgartneraltar. 

Von  Heinz  Braune. 

In  einer  handschriftlichen  »Beschreibung  der  Reichsstadt  Nürnberg« 
aus  dem  17.  Jahrhundert,  die  in  der  Bibliothek  des  Germanischen  Museums 
aufbewahrt  wird,  findet  sich  bei  den  Aufzeichnungen  über  die  Kirche  des 
Katharinenklosters  auf  S.  452  der  Eintrag:  »Hernach  Ao.  1498  sind  von 

Albrecht  Dürer,  einem  berühmten  Mahler,  Stephan  Baumgärtner,  samt 
seinen  Bruder  Lukas,  an  dieses  Altars  Tafel,  einer  in  der  Bildnis  S.  Georgens, 
der  ander  S.  Eustachii  contrafaictet  worden.  Diese  Tafel  hat  man  Ao.  1614 
Herzog  Maximilian  in  Bayern  in  seine  Kunstkammer  abfolgen  lassen,  doch 
eine  Copey  davon  behalten  und  in  erstgedachten  Altar  gesezet.« 

Die  Notiz  scheint  mir  in  der  Dürerliteratur  übersehen  worden  zu 
sein,  obwohl  sie  doch  die  einzige  ist,  die  ein  bestimmtes  Datum  für  die 
Entstehungszeit  des  Paumgartneraltars  in  der  Pinakothek  angibt.  Es  muß 
nun  geprüft  werden,  wieweit  sie  Glauben  verdient.  Sicher  zwar  hat  sie  nicht 
die  unerschütterliche  Bedeutung  einer  Urkunde,  aber  sie  kann  sehr  wohl  auf 
eine  dem  Schreiber  damals  noch  zugängliche  Urkunde  oder  doch  auf  eine 
gute  Tradition  zurückgehen.  In  jedem  Falle  gibt  sie  Anlaß,  die  bisher  an- 
genommene spätere  Datierung  des  Altares  einer  Revision  zu  unterwerfen.  — 
Da  der  Paumgartneraltar  das  bedeutendste  Malwerk  Dürers  vor  seiner 
zweiten  italienischen  Reise  ist,  hat  man  ihn  gewöhnlich  möglichst  nahe  an 
diese  heranzusetzen  versucht,  und  wenn  einige  Forscher,  wie  Wölflin  und 
Weisbach  ihn  dem  Florentiner  Dreikönigsbild  von  1504  unmittelbar  voran- 
gehen lassen  ( — Valentin  Scherer  setzt  ihn  direkt  »um  1504«  an — ),  andere 
wie  Thausing  »nicht  weit  über  das  Jahr  1500  herab«  wollen,  so  stimmen  doch 
alle  darin  überein,  daß  sie  ihn  für  ein  Werk  des  beginnenden  16.  Jahrhunderts 
halten.  Die  an  sich  nieht  beweiskräftige  Notiz  der  Nürnberger  Handschrift 
findet  aber  eine  Stütze  in  der  Familiengeschichte  der  Stifter  des 
Altares.  Der  Konservator  am  bayer.  Nationalmuseum,  Friedr.  H.  Hof- 
mann, hat  im  1.  Jahrgang  der  »Christlichen  Kunst«,  1904,  sehr  ausführlich 
über  die  Stifter  gehandelt,  und  aufs  sorgfältigste  zusammengetragen, 
was  über  die  einzelnen  Personen  zu  erfahren  war.  Daraus  ergab  sich,  daß  der 
Altar  eine  Stiftung  der  engeren  Familie  des  alten,  schon  1478  verstorbenen 
Martin  Paumgartner  und  seiner  Ehefrau,  einer  Volckamerin,  war.  Ihre  und 


Zur  Datierung  von  Dürers  Paumgartneraltar. 


259 


ihrer  vier  Kinder  Bildnisse  trägt  das  Mittelstück.  Wahrscheinlich  also  hatten  die 
Eltern  ein  Legat  für  den  Altar  ausgesetzt,  und  die  Kinder' lösten  die  testamen- 
tarisch übernommene  Schuld  mit  der  Bestellung  des  Altarwerkes  ein. 
Daraus  erklärt  sich  dann  das  Fehlen  des  Hans  Reich,  an  den  Barbara  Paum- 
gartnerin  seit  3.  Juli  1497  verheiratet  war,  ohne  daß  man  annehmen  muß, 
er  sei  damals  bereits  gestorben  gewesen:  er  gehörte  nicht  zu  der  Nachkommen- 
schaft des  alten  P.,  und  somit  nicht  zur  eigentlichen  Familie.  Überdies  ist 
Barbara  Reich  in  nichts  als  Witwe  charakterisiert.  So  darf  man  die  oberste 
Grenze  der  Entstehüngszeit  gewiß  bis  1497,  dem  Jahr  der  Verheiratung 
Barbaras,  hinaufrücken,  während  Dr.  Hofmann  1499,  das  Todesjahr  Reichs, 
annahm.  Wichtig  aber  wird  besonders  ein  Umstand,  den  Dr.  Hofmann 
erwähnt:  Im  Jahre  1498  zog  Stephan  Paumgartner  mit  Herzog  Heinrich 

von  Sachsen  ins  heilige  Land.  Liegt  da  die  Vermutung  nicht  nahe,  Stephan 
P.  habe  vor  Antritt  einer  so  weiten  Reise  das  Seine  ordnen  und  seine  Ver- 
pflichtungen dem  Andenken  der  Eltern  gegenüber  erfüllen  wollen?  Auch  die 
Eigentümlichkeiten  der  Kostüme  sprechen  mindestens  nicht  gegen  die  frühe 
Datierung.  Dabei  ist  die  Perspektive  so  viel  unbeholfener  als  in  dem 
Florentiner  Bild,  die  Raumentwicklung  so  viel  ängstlicher  und  beschränkter, 
daß  der  Abstand  zwischen  beiden  doch  nicht  zu  gering  angenommen 
werden  darf.  Der  quattrocentistische  Aufbau  des  Mittelstückes  in  München 
entspricht  dem  von  vielen  Nürnberger  Bildern  des  letzten  Viertels  des 
15.  Jahrhunderts.  Das  Florentiner  Bild  vertritt  deutlich  eine  jüngere  Zeit. 
Die  Haltung  der  Figuren  — nicht  nur  im  Mittelbild,  sondern  auch  auf  den 
Flügeln,  scheint  mir  eher  zu  Dürers  früheren  Stichen  zurückzuweisen  als 
zu  dem  Florentiner  Bild.  Immerhin  ist  es  gefährlich,  in  solchen  Dingen 
allzusfcharf  sehen  zu  wollen,  und  die  Zeitdifferenz  ,um  die  es  sich  handelt, 
ist  schließlich  klein  genug.  Dem  Maler  des  Krelbildnisses  aber  wird  man 
eine  Leistung,  wie  den  Paumgartneraltar,  als  schon  vollbracht  wohl 
Zutrauen  dürfen. 


Zwei  bisher  unbekannte  Briefe  von  Lucas  Cranach  dem 
Jüngeren  aus  dem  Jahre  1579. 

Ein  Beitrag  zur  Cranach-Literatur. 

Von  C.  von  Bardeleben.  Generalleutnant  z.  D. 

Markgraf  Georg  Friedrich  von  Brandenburg-Ansbach  und  Bayreüth, 
Sohn  Georg  des  Frommen  von  Ansbach  hatte  nach  dem  Tode  seiner  ersten 
Gemahlin  unter  den  vielen  ihm  zu  einer  neuen  Ehe  vorgeschlagenen  fürst- 
lichen Töchtern  diejenige  des  Herzogs  Wilhelm  von  Braunschweig-Celle 
auserkoren.  Es  war  die  noch  nicht  ganz  16jährige  Herzogin  Sophie,  welche 
ihre  Erziehung  am  Hofe  des  Kurfürsten  August  von  Sachsen  genoß.  Als 
Georg  Friedrichs  Werbung  im  Frühjahr  anno  1579  erfolgte,  weilte  die  säch- 
sische Familie  auf  Schloß  Annaburg  unweit  Torgau.  Der  Markgraf  traf  am 
Osterabend  daselbst  ein,  und  schon  am  Osterdienstag,  dem  21.  April,  fand  die 
feierliche  Verlobung  statt.  Der  glückliche  Bräutigam  ließ  in  seiner  Freude 
über  die  gut  getroffene  Wahl  gleich  danach  den  beim  Kurfürsten  von  Sachsen 
in  hoher  Gunst  stehenden  Maler  Lucas  Cranach  den  Jüngern,  Sohn  des  zur- 
zeit schon  verstorbenen  Altern  gleichen  Namens,  aus  dem  benachbarten 
Wittenberg  nach  Annaburg  kommen,  um  ein  Bild  seiner  holden  Braut  in 
Lebensgröße  und  in  der  Kleidung,  welche  sie  bei  dem  Verlöbnis  getragen 
hatte,  anzufertigen.  Dem  kunstsinnigen  Fürsten  Georg  Friedrich,  der 
Gelehrte  und  Künstler  gern  um  sich  versammelte,  mag  wohl  der  berühmte 
Meister  Lucas  persönlich  bekannt  gewesen  sein,  stammt  doch  höchst  wahr- 
scheinlich von  ihm  die  schöne  Handzeichnung,  Georg  den  Frommen  dar- 
stellend, jetjzt  in  der  Dresdner  Galerie  befindlich. 

Georg  Friedrich  bestellte  außer  dem  Bild  seiner  Braut  bei  Meister 
Lucas  noch  ein  größeres  seiner  ersten  Gemahlin  Elisabeth,  Tochter  des  Mark- 
grafen Johann  von  Küstrin,  welche  im  vergangenen  Jahr  verstorben  war  J). 
Auch  sollte  der  Künstler  noch  mehrere  kleine  Bilder,  die  zu  Geschenken  be- 
stimmt waren,  anfertigen.  Es  bestand  schon  zu  jener  Zeit  die  Sitte,  daß  Fürst- 
lichkeiten ihre  Bilder  in  großer  Zahl  verschenkten,  den  Künstlern  erwuchs  aller - 

1)  Elisabeth  hatte  sich  auf  der  Reise  nach  Warschau,  zur  Feier  der  Belehnung 
hres  Gemahls,  bei  der  strengen  Kälte  eine  Krankheit  zugezogen,  der  sie  nach  kurzer 
Zeit  erlag.  Sie  starb  in  einem  Dorfe  bei  Warschau,  ihr  Leichnam  wurde  mit  fürstlicher 
Pracht  nach  Königsberg  i.  Pr.  geleitet  und  daselbst  in  der  Kneiphöfschen  Domkirche 
beigesetzt. 


Zwei  unbekannte  Briefe  von  Lucas  Cranach  dem  Jüngeren  aus  dem  Jahre  1579.  261 


dings  ein  großer  Vorteil  hierdurch,  aber  die  Kunst  litt  unter  solcher  Massen- 
bestellung. Wir  ersehen  aus  den  noch  vorhandenen  Geschenklisten  des  mark- 
gräflichen Hofes,  daß  sämtlichen  oberen  Beamten  Ketten  mit  Bildern  des 
Markgrafen  zum  Einzug  des  jungen  Paares  auf  der  Plassenburg  verliehen 
wurden. 

Cranach  hatte  versprochen,  die  Bilder  der  beiden  Gemahlinnen  und  der 
Mutter  Georg  Friedrichs  recht  bald  zu  liefern,  wir  erfahren  aus  seinem  eigen-' 
händigen  Brief  an  den  Markgrafen,  der  sich  im  Königl.  Hausarchiv  zu  Char- 
lottenburg befindet,  daß  er  große  Mühe  und  Fleiß  auf  die  Bilder  verwendet 
hatte  und  andere  Arbeit  ruhen  ließ,  um  sie  zum  Einzug  der  Neuvermählten 
fertig  zu  haben.  Das  Schreiben  lautet: 

»Durchlauchtigster  hochgeborener  Fürst  gnedigster  Her.  Ever 
fürstlich  gnaden  sein  meiner  vnterthenigen  Dienste  zuvorn.  Gnediger 
Fürst  vnd  Her. 

Auff  Ever  fürstlich  gnaden  befhel  zur  annaburgk.  etzliche  Conterfakt 
halber  so  ich  auffs  förderlichste  machen  soll,  weil  ich  dan  an  mir  nichts 
habe  wollen  er  müden  lassen,  andere  arbedt  in  dan  gesatzt  (andere  Arbeit 
hintangesetzt)  vnd  frühe  vnd  spaden  (spät)  an  solchen  Conterfakten  gearbet, 
wie  auch  Ev.  furstl.  gn.  sehen  werden,  dan  sie  viel  arbet  gehabt,  bitt  ich 
Ever  furstl.  gn.  wo  es  was  Lage  sein  mocht,  kein  ungenehmes  gefallen 
thragen  (verübeln),  verhoff  sie  werden  ach  so  (auch  so)  gemalt  sein 
da  ob  Ev.  furstl.  gn.  hin  gnediges  gefallen  haben  werden,  Erst- 
lichen  zwei  grosse  Conterfekt  Ev.  f.  gn.  itziges  gemahel.  Das  ander 
Ev.  f.  gn.  foriges  gemahel,  hochloblichen  milden  gedechtnus,  welchs 
E.  f.  gn.  in  preussen  schicken  werden,  das  das  zum  epithafium 
darnach  gemacht  werde.  Dan  ich  solchs  in  der  Kleidung  so  ihre  fstl. 
gn.  gethragen.  es  könnt  auch  darnach  solchs  Conterfakt  auf  ein 
ramen  Eingefasst  werden  . . das  es  zum  epithafium  oder  wozu  solchs 
E.  fstl.  gn.  ferner  gebrauchen  wollen.  Darnahen  (daneben)  sein  drej 
kleine  Ev.  fstl.  gn.  frav  mutter,  drej  kleine  Ev.  fstl.  gn.  itziges  gemahel. 
Darnach  drej  des  forigen  gemahel  seiger  milder  gedechtnus  weilhe 
(welche)  ich  Ev.  fstl.  gn.  in  unterteniket  (Untertänigkeit)  übersende  mit 
einen  Eigen  botten  (Boten)  f ersehe  mich  werden  mit  gottes  hulffe  ohne 
schaden  zu  körnen,  welchs  ich  aus  vnterthenigsten  gehorsam  Ev.  fstl.  gn. 
nicht  verhelen  sollen,  vnd  wünsche  von  gott  dem  almechtigen  Ev.  fstl. 
gn.  derselbigen  zukünftigen  gemahel  gottes  gnedigen  segen.  Erbar'Landt 
vnd  Leuten  zu  freuden  vnd  allerglückseligen  Wolfardt  amen  vnd  Eine 
fröhche  (fröhliche)  Heimfardt. 

Dat.  Wittenbergk  am  thage  Himelfardt  welcher  ist  der  27  mey  1579 
Ever  fürstlichen  gnaden  vnderthenigster  Diner 
Lucas  Cranach  Ma.« 


2Ö2 


C.  von  Bardeleben: 


Adresse:  »Dem  Durchlauchtigsten 

hochgeborenen  Fürsten  vnd  Hern  Heren 
Georg  Friderich  Marggraffen  zu  branden - 
burgk  jun  preussen  zu  Stettin  pommern. 

Der  Cassuben  vnd  wenden  auch  in  Schle- 
sien zu  gegerndorf  Herzogh,  burggraff  zu 
nurenbergk  vnd  furst  zu  rügen.« 

Eingangsvermerk  der  markgräflichen  Kanzlei  auf  der  Adresse:  »An  Blaß- 
berg  4 Juni  An.  79.  Lucas  Kranach,  Mahler  vberschickt  die  fürstlichen 
Contrafacturen.« 

Ein  zweiter  Originalbrief  Cranachs,  an  den  Markgräflichen  Kanzler 
hiosemann  gerichtet,  ist  gleichfalls  noch  im  Hausarchiv  aufbewahrt;  auch 
dem  Kanzler  versichert  er,  daß  er  die  Bilder  mit  großer  Sorgfalt  gemalt  habe. 
Er  spricht  sich  ferner  eingehend  über  das  Bild  der  ersten  Gemahlin  Elisabeth 
aus.  Es  sei  in  der  Tracht  und  dem  Schmuck,  wie  sie  beides  getragen,  genau 
ausgeführt  worden.  Es  könne  sehr  gut  eins  davon  dem  Bildhauer  für  das 
Epitaph  in  der  Kneiphöfschen  Domkirche  dienen  oder  als  Vorlage  für  ein 
Grabdenkmal.  Die  erwähnten  drei  kleinen  Bilder  der  Mutter  sollten  wohl 
als  Geschenke  Verwendung  finden.  Georg  Friedrichs  Mutter  war  Emilie,  die 
dritte  Gemahlin  Georg  des  Frommen,  Tochter  Herzog  Heinrichs  von  Sachsen, 
geboren  1516  und  gestorben  am  19.  April  1591  zu  Ansbach. 

Ich  lasse  den  Brief  hier  im  "Wortlaut  folgen: 

»Mein  freuntlchen  Dinst  zuvorn,  Ernvester  Achbar,  hochgelarter 
Her  Doctor  vnd  Canzler  freuntliche  libe  her  swager.  auff  Ever  an  mich 
gethanes  schreiben,  hab  ich  mit  muhe  v.  grossen  fleis  di  Conterfakten  so 
mein  gnediger  füst  v.  her  bestellet  gefercht  (gefertigt),  diselbigen  himit 
vberschicke,  der  hoffnung  sollen  wol  ankomen  vnd  ist  deme  also.  Das 
m.  g.  f.  vnd  herr  wolt  habe  sein  itzige  neves  gemahl  in  ihre  grossen  (Größe) 
v.  der  kleidung  wie  si  das  mahl  zur  annenburgk  gewesen. 

Darnach  das  forige  gemahl  in  ihrer  Kleidung  vnd  schmuck  wie  si 
zur  Zeit:  gangen  v.  weil  das  bilde  zum  Epithafium  solt  in  dem  Habit  gemacht 
werden,  so  ist  es  fonnotten  (nötig)  dem  bildhaver  eins  zu  schicken,  welchs 
dan  auch  kont  bey  das  begrebnus  gebrucht  werden,  dan  es  mit  sonderlichen 
fleis  gemacht  vnd  sich  wol  zum  gedechnuhs  schicken  (zum  Gedächtnis 
eignen).  Darnach  hab  ich  sollen  der  Frav  mutter  drej  kleine  machen  v. 
der  itzigen  jungen  Fürstin  auch  drej  v.  der  forigen  auch  drej.  das  ich  si 
al  solte  zusammen  vberschicke.  vnd  weil  darneben  auch  Ein  forzeichnus 
mitschicke,  was  solche  arbet  alle  kostet,  bin  ich  der  Zufersicht  mein  gnediger 
furst  vnd  herr  werden  mihr  solche  bezolung  thun  lassen,  vnd  den  botten 
for  beschirm  zu  stallen  (unter  Schutz  nehmen),  wiwol  ichs  bedenken  habe 
den  botten  zu  ferthraven  auff  der  Strassen  es  konte  aber  mir  der  her  darin 


Zwei  unbekannte  Briefe  von  Lucas  Cranach  dem  Jüngeren  aus  dem  Jahre  1579.  263 


dienen  v.  mit  denen  von  Dresen  nach  Dresen  schicken.  Das  ichs  zu  Dresen 
bekomen  mocht  in  m.  gn.  hem  des  Churfürsten  Kamer.  kennt  ihr 
mir  das  itzunt  wider  schreiben  bey  wehme  ich  solchs  mocht  abfordern 
lassen.  Ich  forsehe  mich  der  her  werde  sich  meines  Dinstes  nicht  be- 
schweren. vber  das  das  ihr  sonsten  fil  (viel)  zu  thun  werden  haben  . . . vnd 
thun  wider  was  euch  lieb  ist  damit  Gott  dem  almechtigen  befohlen. 

Dat.  in  Wittenbergk  den  28  mey  1579  Lucas  Cranach  Mahl.« 

Diesem  Brief  ist  die  Rechnung  für  die  Bilder  beigefügt,  in  ihr  haben 
die  Angaben  der  Preise  das  meiste  Interesse,  sie  lautet: 

»Verzeichnus  der  arbett  so  ich  mein  gnedgen  Fürsten  vnd  hern  hem 
Georgen  Friderich  Marggraffen  zu  Brandenburgkh  iz  gemacht  hab  als 
nemlchen  (nämlich)  für  die  zvej  grosse  Conterfakte  bey  der  Gemahlen  der 
itzigen  vnd  die  foriger,  seliger  gedechnus.  welchs  ein  ides  40  Thal,  werde, 
aber  wil  si  E.  f.  gn.  eins  für  30  Thal,  lassen,  ferner  seint  neven  kleine  Conter- 
fakte für  ein  ides  4Thaler,  so  habe  ich  do  ih  zu  E.fstl.  gn.  nach  der  annen- 
burgk  gefordertt  fhure  zerung  auff  thäge  (die  Anzahl  der  Tage  ist  leider  nicht 
ausgefüllt)  mit  zweien  Pferden  »fazeit  samt  den  furthen  5 Thal.  20  gr. 
nemlichen  3 Thal.  8 g.  speisung  31)  Thal,  fuhrthen  welchs  nun  alles  in  summe 
macht  101  Thal.  20  g.  60 

12  — 24 

89  — 20  — 5 

Ever  fürstlichen  gnaden  vnderthenichster  Diner 
Lucas  Cranach  Mahl.« 

Aufschrift: 

»Den  Ernvesten  Achbaren,  hochge- 
larten David  Hosman  fürstlichen  bran- 
denburgkischen  Canzler  zu  onotzpach 
(Ansbach)  mein  günstigen  Hern  Schwä- 
gern zu  henden.« 

Vermerk  der  Kanzlei:  »Lucas  Cra- 
nach schikt  die  Contrafacturen  Abwe- 
sen des  H.  Hosman  H.  Andres  zu  er- 
brechen od.  H.  Hobe.« 

Beide  Briefe  sind  recht  unleserlich  mit  flüchtiger  Handschrift  ge- 
schrieben, manche  Sätze  erst  nach  langer  Prüfung  zu  verstehen,  oft  sind 
Worte  in  ihren  Silben  auseinandergezogen,  was  das  Lesen  sehr  erschwert. 
Cranach,  der  Bürgermeister  der  gelehrten  Stadt  Wittenberg,  nimmt  es,  wie 
die  Briefe  zeigen,  mit  der  Rechtschreibung  und  der  Anwendung  der  Satz- 

')  Bedeutet  die  Hälfte,  also  1 Thal.  12  gr. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


19 


264 


C.  von  Bardeleben: 


Zeichen  nicht  sehr  genau,  besonders  fällt  dies  in  dem  Schreiben  an  Hosemann 
auf.  Die  Briefe  sind  durch  die  noch  wohlerhaltenen  mit  Papier  bedeckten 
Oblatensiegel  verschlossen  gewesen.  Das  Cranachsche  Wappen,  von  einem 
kleinen  Siegelring  aufgedrückt,  ist  deutlich  auf  beiden  zu  erkennen:  Die 

geflügelte  Schlange  mit  der  Krone  auf  dem  Kopf  und  dem  goldenen  Ring 
im  Maul  windet  sich  wagerecht  durch  den  Schild.  Rechts  und  links  vom 
Helm  stehen  die  beiden  Buchstaben  L.  C. ; auch  der  ältere  Cranach  schrieb 
sich  mit  C,  nicht  K. 

Cranach  fügt  seiner  Unterschrift  immer  den  Stand  als  Maler,  abgekürzt, 
hinzu.  Die  Ansicht  einiger  Schriftsteller,  daß  die  Familie  vormals  zu  Kra- 
nach  nicht  den  Namen  Müller,  sondern  Sünder  geführt  hat,  halte  ich  für 
richtig.  Über  die  Geschlechtsfolge  der  Cranachs  hat  Max  Senf  zu  Witten- 
berg sehr  eingehende  Forschungen  gemacht  und  dieselben  in  dankenswerter 
Weise  in  der  Vierteljahrschrift  des  deutschen  Herold  veröffentlicht.  Der 
fleißige  Genealoge  hat  viele  Irrtümer  in  früheren  Werken  über  die  Familie 
Cranach  aufgedeckt.  U.  a.  auch  festgestellt,  daß  der  jüngere  Lucas  in  Witten- 
berg und  nicht  in  Weimar  gestorben  und  begraben  ist.  — 

Die  von  Cranach  hergestellten  Bilder  kamen  auch  richtig  zum  Einzug 
des  neuvermählten  Paares  auf  der  Plassenburg  an,  der  Wunsch  des  Meisters 
»einer  recht  fröhlichen  Heimfahrt«  war  in  Erfüllung  gegangen.  Die  Trauung 
hatte  schon  zu  Dresden  am  Sonntag  Misericord.  Domini  (am  3.  Mai)  in  aller 
Stille  stattgefunden,  wir  wissen  nur,  daß  dem  Hofprediger  Mirus,  welcher  die 
Rede  dabei  hielt,  dafür  ein  silbernes  Geschirr  im  Werte  von  20  Gulden  verehrt 
wurde  und  daß  die  Schauspieler,  welche  an  einem  der  nächsten  Abende  eine 
Tragödie  aufführten  »zur  Ergötzlichkeit  ihrer  gehabten  Mühe  und  Kosten 
mit  einer  Verehrung  beglückt  wurden«  und  zwar  im  Betrage  von  5 Gulden. 
Man  sieht,  daß  die  Bühnenkünstler  zu  dieser  Zeit  nicht  verwöhnt  waren. 

Über  die  Cranachschen  Bilder  erfahren  wir  weiteres  durch  eine  zur 
Zeit  dieser  Feierlichkeiten  aus  der  markgräflichen  Kanzlei  an  den  Maler 
Lucas  abgesandte  Antwort,  welche  noch  im  Entwurf  vorhanden  ist,  folgenden 
Inhalts: 

»Georg  Friedrich  p.  p. 

Unsern  Grus  zuvorn.  Erbar  lieber  besonders.  Wir  haben  die  bey 
eignen  botten  vns  von  Dir  vberschickten  beide  große  Contrafacturen  vnserer 
seligen  vnd  itzigen  f.  geliebter  Gemahlin  samt  den  9 kleinen  Contrafacturen 
jüngst  In  Blassenberge  .woll  entpfangen  vnd  darauff  gnedigen  Befehlich 
gethan,  das  dir  vnser  Kontor  zu  Leipzig  Werchow  vor  die  beide 
grosse  Conterfact  die  begerte  60  Thaler  vnd  dan  vor  6 kleine  jedes 
4 Thal.,  samt  5 Thlr.  20  gr.  Zehrung  vnd  Fuhrlohns  vnd  also  In  allen 
89  Thal.  20  gr.  entrichten  solle,  die  dir  von  Ihme  zu  entpfahen  lassen 
werdest 


Zwei  unbekannte  Briefe  von  Lucas  Cranach  dem  Jüngeren  aus  dem  Jahre  1579.  265 


Was  dan  die  vbrigen  drej  kleinen  Stufcklein  anlangt,  di  weill  dieselben 
vnserer  f Gemahlin  nicht  fast  ehnlich  oder  gleich  sehen,  thun  Wir  Sie 
Dir  hineben  wieder  hin  senden,  do  du  aber  dieselben  nochmals  dermaßen 
verbessern  würdest,  das  Sie  Ihrer  fstl.  Gn.  gleich  sehen,  wollen  wir  solche 
stucklein  alsdan  auch  behalten  vnd  zahlen,  wollten  wir  dir  gnedig  nicht 
bergen  vnd  seind  dir  mit  Gnaden  geneigt 
Datum  (nicht  ausgefüllt) 

An  Lucas  Mahler 
zu  Wittenberg.« 

Vorerst  wird  also  hier  die  Höhe  und  Art  der  Zahlung  abgemacht, 
dann  werden  die  kleinen  Bilder  der  zweiten  Gemahlin  besprochen.  Sie  haben 
den  Beifall  des  Markgrafen,  höchstwahrscheinlich  auch  den  ihrigen  und  den 
der  anwesenden  Gäste  nicht  gefunden.  Weil  die  Bilder  der  Markgräfin  nicht 
»gleich  sehen«,  erfolgt  keine  Bezahlung  dafür,  und  sie  wandern  wieder  in  die 
Künstlerwerkstatt  zurück.  Leider  schließt  mit  diesem  markgräflichen 
Schreiben  der  Briefwechsel.  Man  weiß  nicht,  ob  Cranach  sich  daran  gesetzt 
hät,  die  Konterfeis  der  jungen  Frau  ähnlich  zu  »verbessern«  und  ob  sie  hierauf 
vom  Markgrafen  angenommen  und  bezahlt  wurden.  Ein  beim  Tode  Markgraf 
Christian  von  Bayreuth  (1655)  im  Schlosse  zu  Bayreuth  aufgenommenes 
Inventarium  seines  Nachlasses  weist  Bilder  Georg  Friedrichs  und  seiner 
Gemahlin  auf,  ob  das  von  letzterer  eins  von  Cranach  gemaltes  ist,  kann 
nicht  angegeben  werden. 


19’ 


Literaturbericht. 


Architektur. 

August  Grisebach.  Das  deutsche  Rathaus  der  Renais- 
sance. 162  Seiten  mit  50  Abbildungen  nach  Federzeichnungen. 
Berlin  1907. 

Der  vorliegenden  Arbeit  wurde  von  der  Friedrich-Wilhelms-Universität 
zu  Berlin  der  Hermann -Grimm-Preis  bei  einer  Konkurrenz  des  Jahres  1905 
zuerteilt.  Wie  die  Aufgabe  gestellt  war,  zerfällt  die  Arbeit  in  zwei  Haupt- 
teile, die  Beschreibung  der  einzelnen  Rathäuser  und  in 
eine  Darstellung  der  allgemeinen  Entwicklung  des  Rathauses 
sowie  seiner  lokalen  Sonder  Charaktere.  Zu  Beginn  sei  gleich 
bemerkt,  daß  das  Thema  in  seiner  ganzen  Problematik  leider  nicht  erschöpft 
wurde. 

Das  Einleitungskapitel,  welches  die  Bedeutung  des  Rat- 
hauses im  Stadtbilde  schildern  will,  ist  nach  dem  Material,  das  für 
es  herangezogen  wurde,  und  formal  nach  der  Menge  städtebaulich  hier 
interessierender  Untersuchungsfragen  zu  mager  ausgefallen.  Auch  die  gute 
Gelegenheit  zu  einer  wenigstens  andeutenden  Geschichte  des  deutschen 
Marktplatzes  und  seiner  so  wichtigen  sachlichen  und  ästhetischen  Entwick- 
lung ist  ungenützt  vorbeigelassen;  ein  Mangel,  dem  auch  durch  die  kurze 
Erwähnung  der  jedesmaligen  Situation  des  betreffenden  Rathauses  nicht 
wesentlich  abgeholfen  wird.  Des  weiteren  hätte  die  künstlerische  Ausbildung 
und  die  Placierung  der  typischen  öffentlichen  Denkmäler  vor  dem  deutschen 
Rathause,  der  Rolandssäulen  und  der  Marktbrunnen,  des  mancherorts 
üblichen  Prangers,  in  ihrer  historischen  Entwicklung  wenigstens  skizziert 
werden  sollen. 

Der  erste  Teil  des  Buches,  die  statistische  Beschreibung,  ist  viel  ge- 
ringer an  Wert  als  der  zweite  der  stilgeschichtlichen  Darstellung.  Es 
haftet  ihm  etwas  Ermüdendes  und  Unzusammenhängendes  an.  Auch  besitzt 
er  nicht  diese  Intensität  lebendiger  künstlerischer  Anschauung,  die  den 
zweiten  Teil  durchgehends  erfüllt.  Die  Gruppenbildung  in  seiner  Disposition 
zeigt  nur  selten  ein  stärkeres  Eingehen  auf  das  Beziehungs  volle  ini 
Monumentenmaterial,  für  das  sich  doch  in  dem  Schlußkapitel  »Die  lokalen 
Sondercharaktere«  so  viel  Verständnis  offenbart.  Bei  dieser  scharfen  Tren- 


Literaturbericht. 


267 


nung  nämlich  in  I.  Süddeutschland,  zu  welchem  Franken  gehört,  und  2.  Nord- 
deutschland, dem  Grisebach  Obersachsen  zurechnet,  geht  die  höchst  wichtige 
Verbindungslinie  durch  die  thüringisch-fränkische  Rathäusergruppe  Alten- 
burg, Schweinfurt,  Rothenburg  verloren,  welche  ja  vom  Verfasser  selbst  auf 
S.  150  in  der  Beschreibung  der  lokalen  Sondercharaktere  ausdrücklich  fest- 
gestellt wird.  Auch  sonst  fallen  die  geographischen  Gruppen  Grisebachs 
nicht  ganz  mit  den  tatsächlichen  Stilprovinzen  der  deutschen  Renaissance 
zusammen,  und  vor  allem  kommt  das  niederländische  Einflußgebiet,  das 
die  Küstenländer  der  Nord-  und  Ostsee  vollständig,  Niedersachsen  mindestens 
zum  großem  Teile  beherrscht,  nicht  klar  zur  Erscheinung.  Dann  ist  die 
anhangsweise  behandelte  Gruppe  der  Fachwerkrathäuser  m.  E.  nicht  ein- 
gehend genug  differenziert  worden:  Schwaben  hat  hier  seine  ganz  eigene 
Formensprache,  die  sich  von  allem  unterscheidet,  was  nördlich  wie  westlich 
von  ihm  im  Holzbau  geschaffen  wurde  (Markgröningen,  Backnang).  Auch 
der  niedersächsische  Ständerbau  hätte  wohl  eine  individuelle  Charakteristik 
verdient. 

Noch  wären  besser  vielleicht  die  schönsten  der  Renaissance  anbauten 
an  älteren  gotischen  Rathäusern,  wie  die  zweistöckige  Halle  in  Köln,  die 
Erker  in  Lemgo,  die  Bogenhalle  und  Treppe  in  Lübeck,  ebenfalls  unter 
die  ausführlichen  Beschreibungen  des  ersten  Teils  aufzunehmen 
gewesen:  Bemerkt  doch  August  Grisebach  selbst  sehr  richtig  von  diesen 
Anbauten,  »das  Besondere  des  neuen  Stils  erscheine  nirgends 
klarer  und  wirkungsvoller,  als  in  solch  unmittelbarem  Kontakt  mit  einem 
andersartigen  Wesen  früherer  Zeit«. 

Von  wichtigen  Rathausbauten  der  Renaissance  fehlen  in  der  Monu- 
mentenbeschreibung  des  ersten  Teils:  Das  Rathaus  von  Konstanz  von 
1592,  dessen  interessanter  Arkadenhof  bereits  bei  Lübke  I,  S.  295,  Fig.  140 
und  bei  Bezold  S.  52,  Fig.  41  publiziert  ist.  Das  Rathaus  von  Ganders- 
heim (Braunschweig),  von  1581 — 1588  erbaut:  Abbildungen  bei  Ort- 
wein XXX,  Bl.  1 — 5 (von  Bohnsack  gezeichnet)  und  photographisch  repro- 
duziert bei  K.  E.  0.  Fritsch,  12.  Lieferung.  Die  einfache,  rein  niederländische 
Hinterfront  des  Rathauses  zu  Münster  in  Westfalen,  noch  von  etwa 
1560:  Ortwein  XXVIII,  Bl.  31.  Die  kraftvoll  schöne  Spätrenaissancefront 
des  Würzburger  Rathauses,  welche  weit  hinter  der  gotischen  Rat- 
hausflucht in  der  Tiefe  zurückliegt,  von  Wolff  Beringer  aus  Freiburg  im 
Breisgau  (1659 — 1660):  Abbildung  bei  Bezold  S.  54,  Fig.  43  nach  Fritsch. 
Der  höchst  wertvolle,  köstliche  Frührenaissancetreppenaufgang  Wendel 
Roßkopfs  von  1537  am  Rathause  zu  Görlitz:  Abbildung  bei  Fritsch, 
Lübke  I,  S.  203,  Fig.  295.  Ortwein  LIII,  Bl.  51,  52.  Die  reizende  Laternen- 
krönung des  rechtsstädtischen  Rathausturmes  in  Danzig  von  1559  bis 
1561:  Abbildung  bei  Bezold  S.  145,  Fig.  134,  nach  Ortwein  XXXVIII, 


268 


Literaturbericht. 


Bl.  i,  2.  Ebenso  hätte  auch  das  grandiose  Hochzeitshaus  in 
H a m e 1 n von  1610,  welches  tatsächlich  »nicht  bloß  für  die  Hochzeitsfeste 
der  Bürger,  sondern  auch  für  alle  andern  öffentlichen  Zwecke 
und  Versammlungen  bestimmt  war«,  noch  dem  Material  einbe- 
zogen werden  müssen:  Veröffentlicht  ist  es  sowohl  von  Fritsch  wie  von 
Ortwein  XII,  2.  Heft,  Bl.  i — 8. 

Wie  weit  noch  in  den  einzelnen  Stilprovinzen  Deutschlands  kleinere 
Gemeindebauten  der  Renaissance  vorhanden  sind,  welche  in  dieser  Rat- 
hausmonographie zu  erwähnen  vergessen  worden,  kann  nur  die  lokale 
Kunstforschung  bestimmen.  In  dem  Ref.  am  besten  vertrauten  Elsaß 
fehlen  die  hübschen  Rathäuser  von  Ammerschweier  von  1552  und 
Kaysersberg  von  1604  (Kraus,  Kunst  und  Altertum  in  Oberelsaß, 
S.  18  und  Fig.  6,  S.  202,  203). 

Dadurch,  daß  Grisebach  keines  der  beiden  Schweizer  Rathäuser, 
Luzern,  1602 — 1606  von  Antony  Ysemann  erbaut,  und  Zürich  von 
1694  — ein  Datum,  das  allerdings  schon  außerhalb  der  vom  Verfasser  be- 
handelten Periode  fällt: — nennt  (Abbildungen  bei  Lübke  I,  S.  251,  Fig.  125, 
S.  261,  Fig.  128),  verzichtet  er  freiwillig  auf  eine  stilistisch  inten- 
sivere Verbindung,  wie  sie  gerade  die  Schweizer  Architektur  zwischen 
der  italienischen  Mutter-  und  der  deutschen  Tochterkunst  darstellt.  Der 
kraftvolle  und  für  nordische  Verhältnisse  eminent  architektonische  Luzerner 
Bau  wenigstens  hätte  namhaft  gemacht  werden  müssen.  Schließlich  ist 
noch  ein  hochinteressantes  Denkmal,  welches  aus  demselben  Grunde  der 
Stilverknüpfung  Deutschlands  mit  Italien  unsere  volle  Aufmerksamkeit  ver- 
dient, der  Arbeit  Grisebachs  entgangen,  die  Fassade  des  1567  erbauten, 
1770  abgebrochenen  alten  Rathauses  von  Pasqualini  in  Jülich  an  der  Ruhr 
(Regierungsbez.  Aachen),  das  man  getrost  der  andern  großen,  rein  italie- 
nischen Rathausfassade  auf  deutschem  Boden,  dem  Posener  Hallenbau  des 
Giovanni  Battista  di  Quadro  aus  Lugano  (1550 — 1555),  an  die  Seite  stellen 
darf.  Edmund  Renard,  der  dieses  Meisterwerk  in  der  Fassade  des  jetzt  eben- 
falls schon  niedergelegten  Jülicher  sogenannten  Archivgebäudes  wieder  ent- 
deckt hat,  nennt  die  alte  Jülicher  Rathausfassade  »eines  der  wertvollsten 
Zeugnisse  für  die  von  Jülich  ausgehende  Verbreitung  der  Renaissance  am 
Niederrhein«.  Genau  so  wie  das  Renaissanceschloß  in  Jülich  (Chor  der 
Schloßkapelle)  scheint  sie  durch  niederländische  Vermittlung  mit  der  ober- 
italienischen Baukunst,  Veronas  und  Mantuas  etwa,  zusammenzuhängen. 
Vgl.  Kunstdenkmäler  der  Rheinprovinz  VIII,  Bd.  I.  Die  Kunstdenkmäler 
des  Kreises  Jülich,  S.  138,  Taf.  VI.  Lübke  II,  S.  449,  Fig.  367. 

In  dem  durchweg  trefflichen  zweiten  Teil  der  Grisebach- 
schen  Monographie,  die  allgemeine  Entwicklung  des  Rathauses  und  die 
lokalen  Sondercharaktere,  ist  vorzüglich  die  psychologisch  fein  erklärte  Ent- 


Literaturbericht. 


269 


wicklung  des  Rathausgrundrisses,  die  in  Parallele  zu  der  des  Aufbaus  gesetzt 
wird,  zu  loben:  Der  Grundriß  wird  im  Gegensätze  zu  Stiehls  materialistischem 
Verfahren,  welches  so  denkbar  unhistorisch  wie  nur  möglich  ist,  nicht  aus  dem 
Bedürfnisse  der  Stadtverfassungen  in  seinen  Formen  analysiert,  da  ja 
ein  materieller  Inhalt  an  sich  noch  gar  nichts  über  die  hiervon  gänzlich 
unabhängige  ästhetische  Formulierung  aussagen  kann,  sondern  als 
einen  Ausdruck  künstlerischen,  raumschöpferischen  Strebens  gewürdigt1).  Und 
sein  Schlußkapitel  über  die  lokalen  Sondercharaktere  des  deutschen  Re- 
naissancerathauses weist  direkt  glänzende,  höchst  feinsinnige  Beobachtungen 
auf  in  der  Darstellung  der  Gegensätzlichkeit  von  farbig  flächenhaft 
empfindender  niederdeutscher  und  der  entschieden  plastischen 
oberdeutschen  Baukunst,  wobei  gelegentlich  die  sehr  treffende  Parallele  mit 
dem  architektonischen  Kontrast  in  Italien  zwischen  Florenz  hier,  Venedig 
dort  gezogen  wird. 

Es  ist  schade,  daß  August  Grisebach  nun  gar  nichts  über  das  kon- 
krete Verhältnis  der  Denkmäler  der  deutschen  Renaissance  zu 
Italien  ausgesagt  hat.  Eine  Klärung  der  genauen  Beziehungen 
zu  dem  Mutterlande  aller  Renaissance  — seien  diese  nun  direkte  odei  indi- 
rekte: für  die  ganze  norddeutsche  Tiefebene  unter  der  Vermittlung  Hollands, 
für  das  Rheingebiet  von  Mainz  an  abwärts  durch  Vermittlung  Flanderns  — 
ist  für  einen  solchen  Importstil,  wie  ihn  die  deutsche  Renaissance 
darstellt,  mehr  als  von  relativer  oder  nur  historischer  Bedeutung.  Diese 
in  den  einzelnen  Werken  durchaus  variable  Proportion  zu  der 
fremden  höheren  Kunst  wird  den  Stil  stets  auch  in  seinem  absoluten,  indi- 
viduellen Werte  zu  charakterisieren  vermögen.  — 

Materiell  ist  zu  dem  ersten  Kapitel  des  zweiten  Teils  der  allgemeinen 
Entwicklung  des  Rathauses  hinzuzufügen,  daß  die  auf  S.  1 1 7 zu  skizzieren 
begonnene  Entwicklungsgeschichte  des  Rathausturms  auch  noch  auf  den 
als  Glockentürmchen  dienenden  Dachreiter  auszudehnen  ist,  wie  man 
ihn  äußerst  häufig  besonders  bei  den  kleineren  südwestdeutschen  Rat- 
häusern im  Elsaß,  in  Schwaben  usw.  antrifft  als  eine  in  der  Mitte  oder  an 
einem  Ende  des  Dachfirstes  obenaufsitzende  Turmspitze  oder  Laterne,  welche 
die  großen  Hochbauten  der  gotischen  Zeit  ersetzen  soll. 

J)  Es  ist  für  den  mit  der  architektonischen  Tatsächlichkeit  vertrauten  Historiker 
unbegreiflich,  daß  ein  derart  kompliziertes  und  keinesfalls  in  irgendeiner  Periode  je  ge- 
festigtes Rechtskonglomerat  wie  die  mittelalterliche  Stadtverfassung  sich  deutlich  und 
individuell  im  Grundrisse  eines  Rathauses  abzeichnen  soll:  jene  ist  doch  etwas  Juristisches, 
also  ganz  und  gar  Abstraktes,  dieser  etwas  äußerst  Sinnliches,  Räumliches.  Eine  solche  über 
jede  bestehende  Kategorie  des  menschlichen  Denkens  sich  souverän  hinwegsetzende  Über- 
tragung erscheint  sicher  nicht  viel  anders,  als  wenn  man  etwa  aus  der  staatsrechtlichen 
Verfassung  des  Deutschen  Reiches  den  Grundriß  des  Wallotschen  Reichstagsgebäudes 
ableiten  wollte! 


270 


Literaturbericht. 


Auch  sind  für  ein  bauhistorisches  Thema  aus  der  deutschen  Renaissance 
einer  Gesamtschilderung  der  Entwicklung  der  Fassade  in  ihrer  Übersicht, 
wie  sie  uns  Grisebach  in  drei  stilgeschichtliche  Perioden  zerlegt  (1.  Die 
Fassade  bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrh.  2.  Die  Fassade  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrh.  3.  Die  Fassade  von  1600 — 1620),  auf  S.  in — 130  seines 
Buches  trefflich  vörführt,  noch  monographische  Detailunter- 
suchungen über  die  sich  wandelnde  Ausbildung  des  Tores,  des  Fensters, 
des  Erkers  u.  ä.  mehr  nach  dem  höchst  nachahmenswerten  Vorgehen  Gustav 
von  Bezolds  an  die  Seite  zu  stellen:  Wie  charakteristisch  für  den  Geist 
deutscher  Renaissancebaukunst  gerade  die  Ausbildung  solcher  kleinarchitek- 
tonischer Teilorganismen  der  großen  Gesamtfassade  stets  gewesen,  ersieht 
man  aus  Grisebachs  eigenem  schönen  Sonderkapitel  (S.  1 5 1 — 158)  über  die 
Entwicklung  und  lokale  Differenzierung  der  Formen  des  Giebels  in  Ober- 
und Niederdeutschland. 

Ebenso  erscheint  die  Innenausstattung  der  Rathäuser  als  so  wichtig, 
daß  ihre  Hauptbeispiele  zum  mindesten  nicht  von  vornherein  aus 
dem  Programm  ausgeschlossen  werden  durften,  wie  der  berühmte  Rats- 
saal  in  Lüneburg,  der  1566 — 1578  von  Albert  von  Soest  ausgeschmückt 
wurde,  die  Kriegsstube  im  Rathause  zu  Lübeck  von  1572 — 1578,  der 
schöngetäfelte  Friedenssaal  im  Rathause  zu  Münster  von  1587  und  die 
Prachtgemächer  des  D a n z i g e r rechtsstädtischen  Rathauses,  vor  allem 
die  Sommerratsstube  des  Vredeman  de  Vries  von  1596.  Die  Innendekoration 
des  Augsburger  Rathauses  wird  vom  Verfasser  selbst  schon  auf  S.  31,  32 
beschrieben:  Galten  doch  diese  Prachträume  genau  so  als  öffentliche 
Repräsentanten  kommunalen  Bürgerstolzes  wie  die  Außenfassaden  der 
Stadthäuser  selber.  — 

Von  Einzelheiten  ist  noch  zu  monieren,  daß  eine  Bezeichnung  schlecht- 
hin des  Elias  Holl  als  des  »größten  unter  den  deutschen  Palla- 
d i a n e r n«  (S.  143),  die  übrigens  durch  Bezold,  S.  120,  1 2 1 seiner  Bau- 
kunst der  Renaissance  in  Deutschland,  aufgekommen  zu  sein  scheint,  geeignet 
ist,  eine  falsche  Vorstellung  vom  Wesen  seiner  Kunst  zu  erwecken:  vgl. 
Julius  Baum.  Die  Bauwerke  des  Elias  Holl,  S.  90 — 98. 
Die  bei  Grisebach  unter  Abb.  8 und  9 angeführten  Modelle  erscheinen  viel- 
mehr als  echt  Venezianisches,  an  Jacopo  Sansovinos  Bibliotheca 
di  S.  Marco  etwa  erinnernd,  wenn  auch  im  Detail  — wie  z.  B.  in  den  nach 
der  Tiefenrichtung  verdoppelten  Säulen  — manches  mit  Palladio  Zusammen- 
treffen mag.  Die  Rathausausführung  ist  nur  in  der  idealen  Symmetrie  ihres 
Grundrisses  von  Palladio  beeinflußt,  während  sich  die  Fassade  ganz  im  Sinne 
des  römischen  Barocco  gestaltet,  wie  ja  auch  Grisebach  in  Anm.  2 
zu  S.  143  selbst  ausführt.  Bei  den  Türmen,  die  »dem  Bau  in  und  außer  der 
Stadt  ein  heroischeres  Ansehen  geben  sollten«,  möchte  man  am  ehesten 


Literaturbericht. 


271 


noch  an  Sanmicheli  denken.  Auch  bei  der  mächtig  horizontalisierenden 
Fassade  des  Nürnberger  Rathauses  wird  eher  auf  V i g n o 1 a s Stil,  als 
auf  Rafael  zu  raten  sein. 

Schließlich  sei  von  Unkorrektheiten  noch  angemerkt,  daß  stets  der 
Ausdruck  »Dacherker«,  welcher  nur  für  die  Dachaufbauten  der  Nürnberger 
lokalen  Architektur  seine  sinngemäße  Bedeutung  als  zeltdachgekröntes 
Türmchen  hat  (Abbildung  bei  Bezold  S.  39,  Fig.  28),  an  Stelle  des  die  Sache 
tatsächlich  bezeichnenden  Wortes  »Zwerchhaus«  angewandt  ist  Auch  die 
Ornamententerminologie  erscheint  nicht  stets  präzis:  so  findet 
sich  des  öftern  statt  Beschlag  Bandwerk,  Rollwerk  statt  Beschlag  Hier 
richte  man  sich  am  besten  nach  dem  von  Gustav  von  Bezold  in 
der  Baukunst  der  Renaissance  in  Deutschland,  2.  Aufl.,  auf  S.  252  ff.  auf- 
gestellten klaren  Schema. 

Die  Strichzeichnungen  Hellmuth  Grisebachs 
lassen  sehr  im  Gegensätze  zu  denen  Friedrich  Schönes  in  bezug  auf  lebens- 
volle, suggestive  Wirkung  zu  wünschen  übrig.  Die  impressionistische  Farbig- 
keit der  niederdeutschen  Rathäuser,  das  Architektonisch -Plastische  der 
oberdeutschen  kommt  in  diesen  dünnen  Skizzen  wenig  zum  Ausdruck. 

Straßburg  i.  E.  Fritz  Hoeber. 


Bernhard  Patzak.  Die  Villa  imperiale  in  Pesaro.  (Die 
Renaissance-  und  Barockvilla  in  Italien.  Bd.  III.)  Leipzig,  Klinkhardt 
und  Biermann,  1908. 

Es  gibt  kaum  ein  brillanteres  Thema  als  die  Geschichte  de*  .calienischen 
Villa.  Die  Heiterkeit  des  Stoffes;  die  Exaktheit  der  Da  Stellung,  die  alle 
Architekturhistorie  (als  Möglichkeit  wenigstens)  vor  Malerei  und  Plastik 
voraushat;  eine  Typengenealogie,  die  sich  durch  Jahrhunderte  hindurch 
verfolgen  läßt  — was  für  ein  Buch  muß  sich  da  gestalten  lassen!  Die  Arbeit 
Patzaks  entspricht  nicht  ganz  dieser  Erwartung.  Sie  gibt  sich  als  Band  III 
einer  umfassenden  Geschichte,  allein  man  merkt  sehr  bald,  daß  erst  aus  den 
Studien,  die  der  Einzelfall  der  Villa  imperiale  notwendig  gemacht  hatte, 
dem  Verfasser  der  Gedanke  sich  ergab,  nun  gleich  das  ganze  Gebiet  aufzu- 
arbeiten. In  wieviel  Bänden  das  geschehen  soll,  wird  nicht  mitgeteilt.  Dieser 
3.  Band  hat  jedenfalls  einen  ganz  monographischen  Charakter  und  wird  sich 
schwer  einer  Entwicklungsgeschichte  einfügen,  wenn  das  Ganze  nicht  überhaupt 
bloß  als  eine  Folge  von  Monographien  gedacht  ist.  Die  Architektur  ist  hier 
nicht  einmal  die  Hauptsache:  die  weitaus  größere  Hälfte  des  Buches  beschäf- 
tigt sich  mit  den  Malereien  der  Villa,  und  nur  170  von  430  Seiten  behandeln 
das  Speziell-Architektonische. 


272 


Literaturbericht. 


Zu  Ehren  des  Verfassers  sei  gesagt,  daß  er  sich  seine  Aufgabe  nicht 
leicht  gemacht  hat.  Überall  ist  das  redliche  Bemühen  sichtbar,  den  Dingen  als 
Historiker  beizukommen,  sie  in  ihren  Zusammenhang  hineinzustellen  und 
ihnen  wo  immer  möglich  noch  einen  nachträglichen  Geburts-  und  Taufschein 
zu  besorgen.  Mit  welchem  Erfolg  das  für  die  Fresken  geschehen  ist,  wird 
man  nach  den  Abbildungen  des  Buches  kaum  beurteilen  können.  Es  sind 
(nach  des  Verfassers  eignen  Worten)  zum  größten  Teil  übermalte  oder  ver- 
witterte Bilder,  als  deren  Urheber  relativ  wenig  bekannte  Künstler  zu  gelten 
haben:  Girolamo  Genga,  Francesco  Menzocchi  da  Forll,  Raffaellino  dal 

Colle,  die  Brüder  Luteri,  Camillo  Mantovano.  Unter  vielfacher  Polemik 
gegen  Thodes  Aufstellungen  gibt  der  Verf.  seine  Ansicht  kund,  wie  das  vor- 
handene Werk  an  die  überlieferten  Namen  aufzuteilen  sei,  wobei  die  Breite 
der  Darstellung  dem  künstlerischen  Wert  der  Dinge  nicht  ganz  angemessen 
ist.  Wertvolle  Einzelnotizen  wird  man  in  den  kurzen  biographischen  Ab- 
schnitten finden.  Übrigens  hat  der  Verfasser  auch  hier  von  seinen  Studien 
sich  weiter  führen  lassen  und  stellt  noch  eine  Bibliographie  der  nachvasari- 
schen Kunstschriftstellerei  (S.  226),  ein  Spezialwerk  über  Giov.  und  G.  B. 
Dossi  (S.  244)  und  eine  umfassende  Geschichte  der  Innendekoration  (S.  435) 
in  Aussicht.  Wir  wollen  das  Beste  hoffen. 

Im  architektonischen  Abschnitt  zerfällt  der  Stoff  von  selbst  in  zwei 
Teile:  die  stark  verschiedenen  Gruppen  des  Sforzabaues  einerseits,  dessen 

Gründung  auf  die  Mitte  des  15.  Jahrh.  fixiert  wird,  und  des  Roverebaues,  des 
Meisterwerkes  Gengas,  andererseits.  Nach  einer  gründlichen  Baubeschreibung 
folgt  eine  entwicklungsgeschichtliche  Betrachtung.  Der  erste  Bau  wird  mit 
toskanischen  Villen  verglichen,  der  zweite  mit  Schöpfungen  der  römischen 
Hochrenaissance.  Bei  aller  Anerkennung  des  aufgewendeten  Fleißes  kann  ich 
nicht  leugnen,  daß  das  Buch  noch  etwas  Schülermäßiges  hat.  Die  Beibringung 
von  Beispielen  zur  Geschichte  des  Palladiomotivs  (S.  144  ff.)  würde  sich  in 
einer  Seminararbeit  ganz  gut  machen,  aber  v/as  sollen  solche  Specimina 
eruditionis  hier?  Und  das  Zurückgehen  auf  der  Linie  des  toskanischen 
Villenbaus  bis  auf  die  mittelalterlichen  Typen  (alles  mit  reichlicher  Illustrie- 
rung) — warum  muß  das  gerade  bei  der  Villa  imperiale  geschehn  ? Wird  der 
Verf.  nicht  in  Verlegenheit  kommen,  wenn  er  bei  jeder  Gelegenheit  die  ganze 
Geschichte  aufrollt?  Mit  mehr  Disposition  würde  sich  die  Entwicklung  der 
Villa  viel  klarer  und  schlagender  geben  lassen  Ob  für  den  Roverebau  der 
Hinweis  auf  den  herzoglichen  Palast  von  Gubbio  als  spezielles  Vorbild  not- 
wendig war,  bleibt  mir  zweifelhaft  (vgl.  namentlich  S.  170!).  Für  den 
Villenterrassenbau  im  allgemeinen  wird  als  antike  Form  der  Fortunatempel 
von  Palestrina  genannt,  eine  Anlage,  von  der  sich  schon  Bramante  in  seinem 
Vatikanischen  Hof  habe  inspirieren  lassen.  Wölfflin. 


Literaturbericht. 


273 


Max  Deri.  Das  Rollwerk  in  der  deutschen  Ornamentik 
des  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhunderts. 
97  S.  Berlin  1906. 

Die  sehr  feinsinnige  Schrift  stellt  eine  empirisch-psycholo- 
gische Ästhetik  der  mit  dem  alten  Namen  »Rollwerk«  [»Das  Ver- 
sterben und  Verlieren  unten  und  oben  am,  Werk  mit  Geröll.«  Vredemann  de 
Vries.  Deutsche  Ausgabe  seiner  Architektura.  Antwerpen  1565)  bezeich- 
neten  Ornamentgattung  der  deutschen  Renaissance  dar,  d.  h.  also  eine 
künstlerisch -analytische  Untersuchung  auf  Grundlage  des  geschichtlichen 
Denkmälerbestandes.  Sie  zerfällt  in  drei  große  Kapitel,  Spätgothik  und 
Humanismus,  das  Rollwerk  und  das  Knorpelwerk. 

Im  ersten  Kapitel  wird  das  Rollwerk  als  die  nationale  »Reaktion 
zum  Gothischen«  im  Bereiche  des  von  Italien  eingeführten,  fremden  Huma- 
nismus definiert.  Das  Rollwerk  knüpft  da  an,  wo  die  Spätgothik  in  ihrer 
Entwicklung  des  Ornamentes  aufgehört  hatte:  Das  spätgothische  Ornament 
ist  Lineament  der  Bewegung.  Ihm  eignet  »der  laufende  Aufmerk- 
samkeitspunkt«, im  Gegensatz  zu  dem  Renaissanceornament  der  italieni- 
schen Daseins  kunst,  welches  die  Einstellung  der  Aufmerksamkeit 
auf  einen  bestimmten  Mittelpunkt  oder  auf  eine  feste  Achse  ver- 
langt. Und  solche  nordische  stetige  Bewegung  kann  sich  außer  in  der  Zwei- 
dimensionalität  auch  in  die  Tiefe  fortsetzen,  indem  sie  den  klassischen 
Reliefgrund  negiert. 

In  dieses  reine  Rassenprodukt  tritt  nun  nach  Deri  der  »intellektuelle« 
Faktor  des  italienischen  Humanismus  ein,  das  bislang  nur  Gefühlsmäßige 
der  Ornamentik  rationalisierend:  Das  spätgothische  Laubwerk  wird  dör 
symmetrischen  Anordnung  unterworfen  und  der  Ornamentgrund  wird 
deutlich  festgelegt.  Der  italienische  Einfluß  beginnt  sich  in  den  ersten  drei 
Jahrzehnten  des  16.  Jahrhunderts  durchzusetzen.  Am  reinsten  erscheint 
er  in  der  deutschen  Frührenaissance  der  dreißiger  und  vierziger  Jahre. 
Die  folgenden  fünfzig  Jahre  gelten  einer  innerlichen  Verschmelzung  beider 
Richtungen,  so  daß  man  sagen  kann,  um  1580  habe  das  spätgothische, 
germanische  Ornamentgefühl  wieder  die  äußere  italienische  Invasion  besiegt. 

Nun  ist  freilich  zu  fragen,  ob  die  Annahme  des  Verfassers  des  spezi- 
fisch rationalistischen  Charakters  der  italianisierenden  Periode 
in  der  deutschen  Renaissance  psychologisch  stichhaltig  ist.  Da- 
gegen läßt  sich  nämlich  prinzipiell  einwenden,  daß  auf  dem  Wege  bewußter 
Verstandesüberlegung  niemals  ein  ganzer  Zeitstil  geworden  ist;  es  sei 
denn,  daß  der  Ration  ein  durchaus  spontanes  Gefühl,  eine  adäquate  »Stim- 
mung« im  gesamten  zeitgenössischen  Kunstwollen  vorausgegangen.  Auch 
das  italienische  Quattrocento  ist  in  seinem  antiquarischen  Suchen  nach 
den  Formen  des  Altertums  nicht  frei  von  Vernunftmäßigem  und  doch  läßt 


274 


Literaturbericht. 


sich  diese  Frührenaissance  keineswegs  als  eine  rückblickende  Verstandes- 
tätigkeit analysieren,  sondern  als  das  Resultat  innerlich  voraus- 
bedingter kunstgeschichtlicher  Entwicklung.  Ließe  sich  da  nicht 
auch  für  die  deutsche  Frührenaissance  eine  andere,  autonome  Erklärung 
finden  als  die  gewiß  außerästhetische  der  intellektuellen  Rezeption?  Ließe 
sie  sich  nicht  etwa  als  den  entwicklungsgeschichtlich  logischen  Umschwung 
des  spätgothi'schen  Barock  in  eine  entgegengesetzte,  völlig  klassizistische 
Stilrichtung  begreifen?  Der  Ausspruch  des  Luca  Pacioli:  Nihil  est  in  in- 
tellectu,  quin  prius  sit  in  sensu , hat  vor  allem  seine  regelmäßige  Geltung 
für  die  Ableitung  der  Inhalte  kunsthistorischer  Epochen. 

Ähnliche  Einwürfe  werden  nun  auch  gegen  eine  Antithese  zu  erheben 
sein,  die  Max  Deri  in  seiner  Einleitung  aufstellt:  Plastik  und  Malerei  seien 
gefühlsmäßig  und  individuell,  Architektur  und  Ornament  aber  gedanken- 
mäßig und  sozial.  Als  ob  sich  eine  »gedankenmäßige  Kunst«  in  der  Wirk- 
lichkeit überhaupt  ausdenken  ließe,  und  als  ob  der  etwaige  Gegensatz  von 
individuell  und  sozial  zwischen  bildenden  Künsten  und  tektonischen,  ein 
prinzipieller  und  nicht  vielmehr  höchstens  ein  gradueller 
wäre:  in  den  Bildkünsten  kennt  man  doch  auch  Schulen  wie  Schulgruppen 
ganz  unindividuellen  Charakters,  und  wieviel  Architekturen  oder  Orna- 
mente offenbaren  dem  näher  Zuschauenden  einen  »höchst  individuellen« 
Stil.  Es  ist  augenscheinlich,  auf  welche  Gedankenreihe  unser  Autor 
hier  zurückgreift:  Georg  Simmel,  den  er  ja  auch  einmal  zitiert,  spricht 
in  einer  Abhandlung  von  dem  »Einzelwert«  und  dem  »Allgemeinwert«  eines 
Stücks  Kunstwerk.  Aber  diese  Gegensätze  sind  teleologisch  genommen, 
d.  h.  für  die  Wirkung  bestimmt,  und  soziologisch,  d.  h.  in  ihren  Beziehungen 
zu  dem  Publikum.  Doch  für  die  Produktion  selber  beanspruchen  sie  gar 
keine  Geltung. 

Das  mittlere  Kapitel,  der  Hauptteil,  zeichnet  die  einzelnen  Phasen 
in  der  ästhetischen  Entwicklung  des  Rollwerks:  Um  1540  besteht  im 
deutschen  Renaissanceornament  noch  eine  Uneinheitlichkeit,  die  der 
Hauptsache  nach  in  den  beiden  Formgruppen  des  Rankenwerks  einerseits, 
der  Maureske  andererseits  — nur  selten  kommt  die  ganz  italienisch  ge- 
bliebene Groteske  vor  — ihren  Ausdruck  findet.  Bald  aber  macht  sich 
im  weiteren  künstlerischen  Verlauf  eine  gesamte  Tendenz  geltend,  welche 
auf  die  Bildung  der  typisch  deutschen  Ornamentform  des  Rollwerks  mit 
konsequenz  hinauswill.  Lichtwark  charakterisiert  das  Rollwerk  als  »die 
Bewegung  der  Fläche  in  so  allgemeiner  Form,  wie  die  Spirale  die  der  Linie 
darstellt«.  Deri  bringt  mehrere  Belege  hierzu  aus  dem  15.  Jahrhundert, 
in  Bandmotiven,  in  Tartschen,  in  den  Rollen  des  Parchemin  plie,  und  bei 
Albrecht  Dürer,  Kapitellvoluten  als  botanisch  ausgedeutete  gerollte  Bänder 
von  dem  Triumphbogen  für  Kaiser  Maximilian. 


Literaturbericht. 


275 


Die  ersten  fünfzig  Jahre  ist  das  Rollwerk  nichts  mehr  als  gerollte 
Randform.  Sachlich  verkörpert  es  sich  in  friesartigen  Bildungen  und 
in  dem  herumgeführten  Rahmen,  der  Kartusche,  die  sich  aus  dem 
Gegensätze  einer  geometrisch  abgegrenzten  Innenform  und  einer  losgelösten 
aktiven  Randform  entstanden  erklärt.  Indem  das  Material  des  Rollwerks 
mit  der  Eigenschaft  dicker  Körperlichkeit  ausgestattet  wird,  lösen  sich 
aus  der  Ebene  Zungen  los,  die  durch  parallele,  seitliche  Einschnitte  in  den 
Rand  hergestellt  wurden.  Anfangs  erscheint  die  Tiefenabsicht  des  Roll- 
werks  in  einem  bloßen  Biegen  des  Randes  nach  vorwärts  oder  nach  rück- 
wärts und  die  Zungen  geben  sich  noch  einfach  klar  gelagert.  Bald  aber 
schneidet  man  quadratische  oder  rechteckige  Löcher  in  den  Rahmen,  und 
ein  zweiter  wird  hinter  den  ersten  gesetzt,  der  die  mannigfaltigsten  Be- 
ziehungen in  Verflechtungen  und  Überbiegungen  zu  dem  vorderen  eingeht: 
so  stecken  sich  die  Zungen  des  hinteren  Rahmens  durch  die  Löcher  des 
vorderen  usw. 

Deri  will  das  wichtige  Motiv  zweier  von  hinten  über  die  vordere  Fläche 
sich  neigender,  spiraliger  Zungen,  die  durch'  einen  Steg  miteinander  ver- 
bunden sind  (Beispiel  Handzeichnung  des  Wenzel  Jamnitzer  von  1546 
in  der  Berliner  Ornamentstichsammlung:  Maureske  in  Verbindung  mit 
Rollwerk,  abgebildet  bei  Lichtwark,  Ornamentstich  Fig.  2)  von  der  Akan- 
thusranke  über  der  Rosette  des  korinthischen  und  Kompositkapitells  histo- 
risch ableiten.  Allein  dieses  kleine  klassische  Detail  kann  hier  nur  als  eine 
Parallele  gelten,  da  eine  innere  Ähnlichkeit  so  gut  wie  nicht  vorhanden 
ist  und  die  sich  überbeugende  Spiralranke  am  besten  als  psychologisch 
in  sich  bedingte,  embryonale  Erscheinung  jener  Rollwerkspezies,  welche  sich 
später  zu  der  zweifachen  Flächendurchdringung  ausbaut,  zu  verstehen  ist, 
so  daß  man  von  einer  gar.  sachlich  wirkenden  Abhängigkeit  hier  füglich 
niemals  reden  darf. 

Die  Weiterentwicklung  des  Rollwerkornaments  charakterisiert  sich 
durch  die  Bereicherung  mit  dem  — zumeist  angehängten  — Figurenwerk 
der  Groteske,  mit  deren  Tieren,  Früchten,  Tüchern  oder  Geräten,  und  einer 
verstärkten  Kräftigung  im  Sinne  des  Barocco:  Ein  mächtiges  »Wühlen 
und  Wogen  der  Formen«  setzt  ein,  die  sich  häufig  gar  auf  drei  hinterein- 
ander gestellte  Rahmen  verteilen.  Höchst  malerische  Effekte  treten  seit 
Mitte  des  Jahrhunderts  hinzu,  indem  der  Schatten  die  Aufgabe  erhält 
zu  modellieren,  aber  auch  die  Formen  zu  verwischen.  Dem  entspricht  eine 
scharf  einseitige  Beleuchtung  im  Ornamentstich. 

In  dem  vorletzten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts  erobert  das  Roll- 
werk zu  der  Randform,  die  es  als  Kartuschenrahmen  ausgebildet  hatte, 
die  Innenform:  Es  wird  Grund  mit  Füllung.  Gewiß  noch  vor  dem 
Rollwerk  lieferte  in  Deutschland  das  Beschlagwerk,  diese  eckige, 


276 


Literaturbericht. 


wie  mit  der  Laubsäge  ausgeschnittene  reine  Flachform,  das  hauptsächliche 
Füllmaterial.  Hier  kann  man  Deri  nicht  verstehen,  wenn  er  den  Beschlag 
als  die  unter  niederländischem  Einfluß  entstandene  stereometrisch  wie 
planimetrisch  reduzierte  Ableitung  aus  dem  Rollwerk  definiert. 
Ist  der  Beschlag  doch  mindestens  so  alt  wie  das  Rollwerk,  eher 
älter,  und  ist  er  doch  auch  schon  vor  der  niederländischen  Invasion  in 
Deutschland  allenthalben  anzutreffen,  was  ein  genaueres  Eingehen  auf 
die  Denkmälerstatistik  sofort  darlegen  wird.  Und  auch  der  ganzen  stil- 
psychologischen  Reihe  des  Verfassers  selbst  würde  die  Entwicklung  des 
Rollwerks  aus  einem  nun  dreidimensional  bewegten  Beschläge,  wofür  es 
sehr  viele  vermittelnde  Beispiele  gibt,  statt  umgekehrt  ebenfalls  weit  besser 
entsprechen,  eine  Ansicht,  die  z.  B.  auch  Gustav  von  Bezold  vertritt.  Hin- 
gegen erklärt  sich  die  Primitivität  dieses  typischen  Steinornaments  des 
Beschlags  in  seinem  Ursprung  als  die  Umdeutung  der  spätgotischen 
naturalistischen  ornamentalen  Flachplastik  in  den  abstrakten  rechteckigen 
und  volutenförmigen  Renaissancekontur:  Beiden  ist  auch  die  Buntfärbung 
oder  zum  mindesten  die  Aufrauhung  der  Grundfläche,  wodurch  das  pla- 
stisch erhaben  ausgeschnittene  Ornament  in  seiner  präzisen  Silhouetten - 
Wirkung  sehr  gesteigert  wird,  gemein. 

Außer  dem  Beschlag  scheint  um  diese  Zeit  auch  die  Ornamentgattung 
der  Maureske  in  den  großen  Strom  des  Rollwerks  noch  einzumünden; 
die  Maureske,  die,  hauptsächlich  für  Metall-  und  Holzeinlagen  handwerk- 
lich bestimmt,  die  andere  Hauptfüllungsform  der  deutschen  Renaissance 
darstellt.  Ihr  Organismus  besteht  aus  einem  durchaus  silhouettenmäßigen, 
kurvilinearen  Bandwerk  mit  dazwischen  angeordneten  feingliederigen  Blüten - 
ranken.  Unter  Einwirkung  der  Rollwerkornamentik  tritt  hierin  jetzt  eine 
lokale  Zersetzung  ein,  indem  die  Bänder  den  Rahmen  nach  außen 
herzustellen  haben,  während  die  Füllung  aus  der  reinen  Ranke 
gebildet  wird. 

Zu  solcher  materiellen  Bereicherung  des  Rollwerks  dieser  Epoche 
tritt  eine  formale  totale  Umbildung  im  großen  wie  im  einzelnen:  Der  Rand 
scheint  teilweisd  von  außen  nach  innen  zu  wachsen,  so  daß  »Begrenzungs- 
form« und  »Füllungsform«  nicht  mehr  unterschieden  werden  kann.  Und 
die  Bänder  biegen  sich  sowohl  an  ihren  Rändern  rillenförmig  zusammen, 
als  auch  sind  sie  nicht  mehr  von  einheitlicher  Breite,  sondern  verdicken 
sich  aus  schmalem  Anfang  gegen  ihre  wuchtigen  Enden  hin.  Solchen  ein- 
seitig verdickten,  gerollten  Bändern  der  reifen  Rollwerkflächenfüllung  gibt 
Deri  den  Namen  »Keulenschwünge«  und  läßt  sie  als  Vorläufer  der  Elementar- 
formen des  Ohrmuschelstils  gelten. 

Das  Schlußkapitel  der  Derischen  Abhandlung  ist  der  logischen  Kon- 
sequenz der  Rollwerkentwicklung,  dem  sogenannten  Knorpel  - oder 


Literaturbericht. 


277 


Ohrmuschelwerk  gewidmet.  In  einer  psychologisch  äußerst  fein- 
sinnigen Einleitung  verteidigt  der  Verfasser  es  gegen  die  ungerechten  Urteile 
anderer  Ornamenthistoriker,  welche  in  ihm  nicht  »das  Symbol«  eines  spezi- 
fischen Zeitgefühls  sehen  wollen,  sondern  es  falscherweise  mit  konkreten 
Objekten  von  unästhetischem  Aussehen  (Gedärmen,  Knorpeln,  der  Ohr- 
muschel usw.)  in  ihren  Gedanken  assoziieren. 

Üm  1600  bestehen  in  der  deutschen  Ornamentik  folgende  drei  Abarten 
in  der  Rollwerkentwicklung  nebeneinander:  das  Rahmenrollwerk,  der 

Beschlag  und  die  Keulenschwungflächenfüllung.  Eine  durchgängige  plasti- 
sche Erweichung  der  Bildung,  die  jede  Architektur  von  vorn- 
herein negiert  und  zu  obiger  Assoziation  lebendiger  Formen  ver- 
führt hat,  wandelt  diese  Arten  in  entsprechende  Gattungen  des  Knorpel- 
ornaments, also  in  das  Rahmenknorpelwerk,  in  das  Beschlagknorpelwerk 
und  die  »Schweifgroteske«  um,  letztere  die  Derivation  des  seit  etwa  1590 
aufgekommenen  Keulenschwungs.  In  der  zu  Anfang  noch  gleichmäßig 
fluktuierenden,  schwammigen  Masse  des  Knorpelwerks  macht  sich  allmäh- 
lich eine  Differenzierung  in  Hauptsträhnen  mit  immer  stärker  durchlochten 
Zwischentälern  bemerkbar.  Ja  bald  werden  diese  Längsbahnen  in  klein- 
teilige  Knorpelchen  zerlegt,  bis  etwa  ums  Jahr  1660  ein  Abebben  des  ganzen 
Bewegungstemperaments  eintritt.  Dies  ist  der  Übergang  in  das  anfangs 
allerdings  auch  noch  sehr  weichlich  durchgebildete  antike  Laubwerk 
Louis  XIV,  der  in  Norddeutschland  unter  französischem,  in  Süddeutsch- 
land unter  italienischem  Einfluß  stattfindet.  Wie  dann  dieser  Akanthus 
im  18.  Jahrhundert  wiederum  erweicht  und  verkleinlicht  zu  den  Formen 
der  Muschel,  der  Höhlung,  zu  Rippen  und  Zackenrändern  wird,  zeigt  sich 
in  der  Entwicklung  zum  Rokoko.  Deri  spricht  von  dessen  »bald  wieder 
verfliegendem  Kleinaffekt«,  oder  daß  das  Große  hier  nichts  anders  sein 
konnte  als  nur  »die  Summierung  von  Teil  affekten«.  — 

Soweit  die  psychologische  Entwicklung  des  ganzen  Rollwerkes,  wie 
sie  Max  Deri  beschrieben.  Was  noch  zu  wünschen  übrig  bleibt,  ist,  daß 
der  Verfasser  uns  auch  eine  Geschichte  des  Rollwerks  schenkt,  die 
mit  möglichst  präzisen  chronologischen  Zeitspannen  und  Daten 
für  die  Ornamentgattungen  und  ihre  Evolutionen  operiert.  Dadurch  würde 
sich  gewiß  mancher  Fehler  geben  wie  z.  B.  der  oben  gerügte  der  verkehrten 
Ableitung  des  Beschlags  aus  dem  Rollwerk.  Und  weiterhin  wird  vielleicht 
die  sehr  zu  erhoffende  Neuauflage  Illustrationen  in  wenigen  charakteristi- 
schen Beispielen  aus  dem  ganzen  Ornamentstichmaterial  bringen,  das  Deri 
erfreulicherweise  in  so  äußerst  reichlichem  Maße  seinen  Ausführungen 
zugrunde  gelegt  hat. 

Und  was  das  Prinzipielle  in  dieser  ganz  trefflichen  Arbeit 
schließlich  noch  angeht,  so  sei  der  Verfasser  nur  gewarnt  vor  zu  weit 


278 


Literaturbericht. 


gehenden  Assoziationen  aus  dem  Gebiete  allgemeiner 
Kulturerscheinungen,  der  wissenschaftlichen  und  religiösen  Zeitstimmung, 
als  von  Bedeutung  für  die  Analyse  kunstgeschichtlicher  Formen.  Es  sei 
hier  auf  das  Schlußkapitel  aus  Wölfflins  Prolegomena  zu  einer  Psychologie 
der  Architektur , Prinzipien  der  historischen  Beurteilung,  verwiesen,  das  ver- 
langt, allgemeine  geistige  Stimmungen  nur  insofern  zu  berücksichtigen, 
als  sie  sich  auf  spezifische,  präzise  K ö r p e r gefühle  umdeuten  lassen, 
Straßburg  i.  E.  Fritz  Hoeber. 


Skulptur. 

Adolf  Gottschewski,  ÜberdiePorträtsderCaterinaStorza 
und  über  den  Bildhauer  Vincenzo  Onofri.  Mit 
45  Abbildungen.  Sträßburg,  Heitz.  64  S. 

Der  Verf.  bietet  einen  ersten  Beitrag  zur  Geschichte  der  Bologneser 
Plastik  im  Quattrocento;  das  Vorwort  verheißt  für  später  eine  vollständige 
Darbietung  der  Geschichte  dieser  romagnolischen  Skulptur.  Es  ist  erfreulich, 
daß  man  jetzt  allenthalben  die  außerflorentinische  Plastik  mit  derselben 
Gewissenhaftigkeit  vornimmt,  mit  der  bisher  nur  die  Kunst  am  Arno  ver- 
folgt wurde;  Vasaris  einseitiger  Bericht  darf  die  Forschung. nicht  irreleiten, 
als  sei  alles  Heil  beim  cupolone  zu  suchen.  Freilich  verdanken  die  Romagna, 
die  Marken  und  Umbrien  den  zugewanderten  Florentinern  viel;  Agostino  di 
Duccio,  Francesco  di  Simone,  Benedetto  daMaiano,  Ciuffagni,  die  Robbiaha- 
ben  ihren  Überfluß  über  die  Berge  getragen.  Bologna  verdankt,  was  den  Stein 
betrifft,  in  der  Frülueit  das  Wichtigste  einem  ebenfalls,  aber  nicht  aus 
Florenz,  sondern  aus  Apulien  zugewanderten  Plastiker,  Niccolö  da  Bari, 
der  seit  1463  in  Bologna  bis  zu  seinem  Tod  1494  nachweisbar  ist.  Dieser 
und.  nicht  Guido  Mazzoni  ist  nach  G.  der  Lehrer  Vincenzo  Onofris,  dem  das 
zweite  Kapitel  des  Buches  nachspürt.  Nach  m.  A.  ist  aber  die  Nachwirkung 
des  Grabmals  Tartagni  von  Francesco  di  Simone  (1477)  noch  entscheidender 
für  Onofri  gewesen;  auch  fehlt  diesem  stark  reservierten  Bildner  der  Zug 
zum  Pathetisch -Schweifenden,  zum  Üppig-Phantastischen,  den  der  Süd- 
italiener überall  bekundet.  Dafür  tritt  bei  Onofri,  wie  G.  richtig  hervorhebt, 
eine  antikisierende  Tendenz  zutage.  Die  Hauptwerke  sind  eine  Tongruppe 
der  Pietä,  in  sieben  Figuren  (Bologna,  S.  Petronio),  die  ein  gedämpftes 
Echo  des  starken  Passionsakkordes  ist,  den  Niccolö  in  Sa.  Maria  della  Vita 
angeschlagen  hatte;  ferner  ein  1503  datierter  Altar  in  S.  Maria  dei  Servi 
in  Bologna,  das  Grab  des  1504  verstorbenen  Cesare  Nacci  in  S.  Petronio, 
das  folglich  nicht  schon  um  1480  (wie  der  Cicerone  annimmt)  gearbeitet 


Literaturbericht. 


279 


sein  kann,  das  Grab  des  Antonio  Busi  in  Persiceto,  die  Kriegerbüste  der 
früheren  Sammlung  Hainauer,  die  Marmorbüste  des  Filippo  Beroaldo  in 
Sa.  Maria  magg.  in  Bologna,  die  Tonbüste  des  sog.  Karl  VIII.  im  Bargello 
und  der  Caterina  von  Siena  im  Louvre,  endlich  das  Grab  Canonici  im  museo 
civico  in  Bologna  und  die  Tonbüste  eines  Jünglings  in  der  Münchener 
Glyptothek.  Dazu  kommt  ein  im  Besitz  des  Verf.  befindlicher  weiblicher 
Kopf,  der  als  ein  Porträt  der  Caterina  Sforza  erkannt  wird.  Das  gibt  Anlaß, 
im  ersten  Kapitel  die  sämtlichen  Porträts  (Büsten,  Medaillen,  Tafelbilder, 
Fresken)  der  Caterina  aus  dem  Quattrocento  und  der  späteren  Zeit  zusammen- 
zustellen. Eine  besondere  Würdigung  erfährt  das  schöne  Bild  in  Alten- 
burg, in  dem  schon  Schmarsow  Caterina  Sforza  erkannte.  Wahrend  dieser 
Forscher  es  auf  Botticelli  taufte,  möchte  G.  es  Piero  di  Cosimo  geben  — 
m.  E.  mit  Unrecht;  Berensons  Taufe  auf  Mainardi  ist  viel  plausibler.  In 
der  Bronzebüste  einer  alten  Frau  des  Bargello,  die  bisher  Donatello  zu- 
geschrieben wurde,  sieht  G.  mit  Recht  eine  Totenmaske;  selbst  das  Kopf- 
tuch ist  abgegossen.  Ob  in  ihr  wirklich  Caterina  dargestellt  ist,  bleibt  m.  E. 
doch  zweifelhaft.  Das  bekannte  Mädchenbildnis  in  Forli  von  Lorenzo  di 
Credi  hat,  wie  G.  richtig  sah,  mit  Caterina  sicher  nichts  zu  tun.  Das  Profil- 
bildnis der  Caterina  im  dritten  Korridor  der  Uffizien  wird  hier  nicht,  wie 
von  vielen,  einem  Vlamen  gegeben;  sicher  ist  es  das  Vorbild  für  Vasaris  Fresko 
im  Pal.  vecchio  gewesen.  Es  dürfte  in  der  Schule  Pontormos  entstanden 
sein  auf  Grund  einer  Medaille  oder  einer  andern  Profildarstellung.  Nicht 
aneignen  kann  ich  mir  G.s  Bemerkungen  über  den  Frauenkopf  auf  Rossellis 
Bergpredigt  im  Vatikan.  Die  Halslinie  entspricht  durchaus  der  Gepflogen- 
heit der  Ghirlandajogruppe  und  will  sicher  nichts  Individuelles  geben.  — 
Die  Tonbüste  im  Berliner  Museum,  die  Francia  genannt  wird,  möchte  G. 
ebenso  wie  das  schöne  Reiterrelief  des  Annibale  Bentivoglio  in  S.  Giacomo 
magg.  in  Bologna  (1458)  Niccolö  da  Bari  zuweisen.  Aber  einmal  ist  Niccolös 
Anwesenheit  in  Bologna  erst  seit  1463  nachweisbar;  und  ferner  weist  der 
Stil  des  Reiterreliefs  doch  wohl  auf  einen  Ober-  und  nicht  einen  Süditaliener. 
Sicher  hängt  das  Relief  mit  dem  Gattamelata  zusammen.  Die  saubere 
Detailbehandlung  läßt  an  die  Baroncelli  denken.  Das  kleine  Marmorrelief 
des  Giovanni  II.  Bentivoglio  von  1497  in  derselben  Kapelle  wird  der  Werk- 
statt Onofris  zugewiesen. 

Die  Darstellung  ist  bisweilen  auffallend  knapp,  aber  ebenso  oft  eigen- 
artig und  der  Verf.  hat  manchen  guten  neuen  Ausdruck  geprägt.  Wenn 
er  prinzipiell  wird,  verfällt  er  in  einen  etwas  schulmeisternden  Ton.  Caterina 
Sforzas  »Spielende  Geburt  von  acht  Kindern«  erfrischt  gleich  auf  der  ersten 
Seite;  eine  unnötige  captatio  benevolentiae.  Wir  wünschen  uns  von  dem 
Verf.  eine  baldige  Fortsetzung  der  Bologneser  Studien;  wer  das  Glück  ge- 
nießt, in  Settignano  zu  wohnen,  der  ist  verpflichtet.  Paul  Schubring. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


20 


28o 


Literaturbericht. 


Philipp  Maria  Halm.  Stephan  Rottaler,  ein  Bildhauer 
der  Frührenaissance  in  Altbayern.  München.  Georg 
D.  W.  Caliwey.  1908.  M.  8. 

Die  Geschichte  der  Plastik  in  Bayern  ist  von  Halm  bereits  um  eine 
Anzahl  nützlicher  Beiträge  bereichert  worden.  Er  hat  Wolfgang  Leb  und 
Matthäus  Kreniss  in  die  Kunstgeschichte  eingeführt  und  hat  neuerdings  die 
Selbständigkeit  des  letzteren,  gegen  einen  Meister  Huber,  den  man  ihm 
substituieren  wollte,  glücklich  verteidigt.  Auf  Grund  von  ein  paar  be- 
zeichneten  Grabplatten  in  Regensburg  und  in  Burghausen  konnte  er  den 
Joerg  Gärtner  als  einen  tüchtigen  Porträtplastiker  der  ausgehenden  Ritter- 
herrlichkeit vorstellen.  Die  jüngste  umfassendere  Studie  Halms  ist  einem 
bisher  Unbekannten,  Stephan  Rottaler  gewidmet,  den  er  als  den 
besten  und  letzten  Repräsentanten  der  Frührenaissance  Altbayerns  zu 
charakterisieren  sucht. 

Halms  Studie  zerfällt  in  zwei  Teile.  Der  erste  Teil,  die  stilkritische 
Untersuchung,  geht  aus  von  vier  mit  dem  Monogramm  S.  R.  signierten 
Skulpturen,  dem  Marolt-Altar  im  Domkreuzgang  zu  Freising  und  einigen 
Grabplatten  in  Landshut,  in  Freising  und  Ingolstadt  — Arbeiten  in  Stein, 
deren  Entstehung  in  den  Jahren  von  1513  bis  1522  liegt.  Ihnen  werden 
als  stilverwandt  angeschlossen  eine  größere  Anzahl  Steinbildwerke,  die  das 
Werk  des  Monogrammisten  bis  auf  das  Jahr  1527  erweitern,  ohne  eine 
wesentliche  Stilwandlung  aufzudecken.  Auch  hier  handelt  es  sich  meist 
um  im  ganzen  handwerksmäßige  steinerne  Grabmonumente,  die  wie 
dasjenige  des  Alexander  Lebenskircher  in  der  Pfarrkirche  zu  Gerzen 
zeigt,  mit  einer  wirkungsvollen  Renaissanceumrahmung  prunken.  Bei 
einem  andern  Grabmal,  bei  dem  des  Ritters  Hans  von  Klosen  in  Arns- 
torf,  ist  die  Umrahmung  durch  spätere  Änderungen  arg  entstellt.  Um 
so  eindrucksvoller  ist  die  Figur  des  Ritters,  sie  offenbart  einen  gesunden 
Realismus  und  in  der  Stellung  des  Geharnischten  natürliche  Frische. 
Halm  schreibt  dem  Meister,  denn  als  ein  Meister  erscheint  ihm  der 
Monogrammist  in  den  bisher  genannten  Werken,  noch  zwei  Sandsteinreliefs 
zu,  von  denen  die  Zugehörigkeit  des  einen  Reliefs  zu  seinem  Werk  nicht 
ohne  weiteres  einleuchtet.  Halm  motiviert  seine  Zuschreibung  damit,  daß 
S.  R.  in  diesem  Salvatorrelief  (vielleicht  dem  Rest  eines  Altaraufbaues) 
im  Sighart-Museum  zu  Freising  — Szenen  der  Verkündigung,  des  Sünden- 
falls, mit  Putten,  die  die  Leidenswerkzeuge  Christi  tragen  u.  a.,  aber  von 
Arabesken  umgeben  — abhängig  war  von  fremden  Vorbildern.  Für  den 
Rahmen  gelang  ihm  der  Nachweis,  daß  der  Künstler  sowohl  einen  Holz- 
schnitt der  Mailänder  Schule  um  1500:  Das  Wunder  der  hl.  Martha  wie  ein 
Blatt  aus  Dürers  Marienleben  benutzt  hat.  Die  stattliche  Figur  des  Erlösers  ver- 
gleicht Halm  mit  den  Nischenfiguren  in  den  Flügeln  des  Freisinger  Maroltaltars. 


Literaturbericht. 


281 


Ob  die  Stilverwandtschaft  so  zwingend  ist,  läßt  sich  nach  den  Abbildungen 
nicht  nachprüfen.  Namentlich  aber  bei  dem  andern  Werk,  einem  Sand- 
steinepitaph für  Hans  und  Dorothea  Esterreicher  in  Ingolstadt,  mit  der 
prächtigen  Darstellung  des  Gnadenstuhls  will  uns  die  Zugehörigkeit  zu 
der  Gruppe  der  etwas  handwerksmäßigen  mit  S.  R.  signierten  Werke 
nicht  ohne  weiteres  einleuchten.  Aber  abgesehen  von  diesen  beiden  an  sich 
höchst  beachtenswerten  Arbeiten  erscheint  das  von  Halm  zusammen- 
gestellte Werk  des  Steinbildhauers  S.  R.  mannigfaltig  genug.  Daß  der 
Meister  gelegentlich  den  Meißel  mit  dem  Schnitzmesser  vertauschte  und 
holzgeschnitzte  Altäre  geschaffen  habe,  die  zu  Beginn  des  16.  Jahrhun- 
derts in  Altbayern  vorwiegend  in  Betracht  kommen,  ist  eine  einschmeichelnde 
Vermutung.  Halm  glaub  t die  Hand  seines  Meisters  an  den  Resten  eines  freilich 
arg  veränderten  Altars  in  Reisbach  nachweisen  zu  können,  indem  er  ver- 
wandte Züge  besonders  in  den  Flügeln  erkennt.  Nicht  überzeugender  er- 
scheint uns  der  Hinweis  auf  einige  Reliefs  im  Historischen  Verein  zu 
Landshut,  wie  das  der  Taufe  Christi.  Dies  und  andere  Reliefs  von  1524  sind 
in  der  Tat  vorzügliche  Schnitzarbeiten,  von  individuellerem  Gepräge  als 
die  meisten  anderen  dem  S.  R.  zugeschriebenen  Werke.  Bleibt  die  Zu- 
weisung an  unseren  Monogrammisten  aber  zu  Recht  bestehen,  dann  läßt 
sich  die  Reihe  seines  Werkes,  das  auch  in  seinem  Stil  weitergreift,  noch 
mehr  erweitern.  Von  kleineren  Arbeiten  abgesehen,  wird  genannt  eine  Stifter- 
figur in  Maximiliansrüstung  im  Bayrischen  Nationalmuseum,  der  köstliche 
Standrahmen  (mit  dem  Bilde  Ludwigs  X.  von . Bayern)  ebenda,  der  hl. 
Florian  der  Sammlung  Böhler  und  anderes  mehr.  Aber  damit  kommen 
wir  vom  klar  Bestimmten  immer  weiter  in  Unbestimmtes,  und  anstatt  uns 
der  Person  des  Künstlers  zu  nähern,  scheint  sie  uns  wieder  zu  entschwinden. 
Nun  ist  es  Halm  gelungen,  das  Monogramm  S.  R.  zu  lösen.  An  den 
Laubenstützen  im  Residenzhof  zu  Freising  fand  er  das  S.  R.  des  Marolt- 
aitars  und  der  Grabplatten  wieder  als  Meisterzeichen,  und  als  er  dann  in 
dem  Kammerbuch  Herzog  Ludwigs  X.  unter  dem  Jahre  1517  nachschlug, 
entdeckte  er  Eintragungen,  die  sich  auf  einen  Schnitzer  Stephan  Rottaler 
beziehen,  und  bekunden,  daß  der  Meister  mannigfach  in  Freising  beschäftigt 
gewesen  ist.  Damit  haben  wir  wieder  etwas  festen  Grund  unter  den 
Füßen. 

Die  derart  gewonnenen  Resultate  verarbeitet  Halm  im  zweiten  Teil 
sei  1er  Studie.  Er  versucht  da  den  Meister  Stephan  Rottaler  in  seiner 
Eigentümlichkeit  zu  charakterisieren  und  seine  Stellung  im  Kreise  der  Kunst 
seiner  Zeit  zu  skizzieren.  Es  wird  die  Entwicklung  der  Skulptur  Landshuts, 
dem  Sitze  Rottalers,  und  Niederbayerns  geschildert  und  gezeigt,  daß  Rot- 
taler,  wieviel  er  auch  den  Anregungen  anderer  dankte,  doch  eine  selb- 
ständige, im  Vergleich  zu  den  Genossen  wie  Leinberger,  eine  entschieden 


20’ 


282 


Literaturbericht. 


maßvollere  Richtung  verträte.  Auch  im  Porträt,  das  er  vortrefflich  gibt, 
sei  er  ruhiger,  inniger  als  Joerg  Gärtner,  der  Schilderer  ritterlicher  Drauf- 
gänger. Im  Ornamentalen  sei  Rottaler  ein  Repiäsentant  der  deutschen 
spielenden  Frührenaissance,  gotische  Reminiszenzen  habe  er  schnell  abge- 
streift, geschickt  hantiere  er  mit  den  Putten  italienischer  Abkunft.  » Er 
war  der  fruchtbarste  und  vielseitigste  Vertreter  der  Frührenaissance  Alt- 
bayerns«,  wenn  Halm  überall  richtig  gesehen  hat.  Auch  wenn,  wie  wir 
meinen,  das  nur  zum  Teil  der  Fall  ist,  und  eine  Nachprüfung  das  »Werk« 
Rottalers  wieder  einschränken  wird,  bietet  die  Studie  Halms  eine  Menge 
nicht  nur  lokal  wichtiges  Material,  das  von  der  Forschung  bisher  zuwenig 
beachtet  worden  ist.  Richard  Graul. 


Malerei. 

Ludwig  Zottmann.  Zur  Kunst  der  Bassani.  Zur  Kunstge- 
schichte des  Auslandes  Heft  57.  Straßburg,  Heitz  & Mündel,  1908.  70  S. 

Über  die  vielschaffende  Künstlerfamilie,  die  man  gewohnt  ist,  nach 
ihrem  Heimatsorte  die  »Bassani«  zu  nennen,  war  seit  dem  Buch  von  G.  B. 
Verci,  Notizie  intorno  alla  vita  e alle  opere  de'  Pittori  ....  di  Bassano,  das 
im  Jahre  1775  in  Venedig  erschien,  nichts  zusammenfassendes  geschrieben 
worden.  Erst  in  der  jüngsten  Zeit  hat  das  Boilettino  del  Museo  Civico  di 
Bassano  beachtenswerte  Beiträge,  die  über  das  Schaffen  dieser  Künstler 
Aufschluß  geben,  veröffentlicht;  das  Wichtigste  aber  brachte  uns  G.  Gerola 
in  seinem  Aufsatz  »Per  1’  elenco  delle'  opere  dei  pitton  da  Ponte«,  der  in 
den  Atti  del  R.  Istituto  Veneto  1906  erschien.  Von  demselben  Autor  haben 
wir  einen  zusammenfassenden  Artikel  im  dritten  Bande  Thieme- Becker  zu 
erwarten. 

Nicht  sowohl  neue  urkundliche  Forschungen  als  Zusammenfassung  und 
kritische  Sichtung  des  gewaltigen  Bildermaterials  bietet  uns  die  vorliegende 
Schrift.  Und  zwar  beschränkt  sich  der  Verf.  mit  Recht  auf  die  eigentlichen 
Mitglieder  der  Familie,  welche-  den  Ruhm  der  Schule  begründet  haben: 
den  Ahnherrn  Francesco,  dessen  Sohn  Jacopo  und  die  beiden  Enkel  Fran- 
cesco und  Leandro,  während  Jacopos  jüngere  und  weit  unbedeutendere  Söhne, 
Gerolamo  und  Giambattista,  mit  ein  paar  Worten  abgetan  werden. 

Bei  dem  älteren  Francesco,  den  man  nur  in  und  um  Bassano  kennen 
lernen  kann  (datierte  Bilder  1518 — 1530),  erbringt  Verf.  den  Beweis,  daß 
er  nicht  sowohl  Schüler  des  Gio.  Bellini  als  des  Montagna  gewesen  ist;  aller 
dings  blieb  er  von  der  Kunstweise  Bellinis  nicht  ganz  unberührt,  wie  eben 
kein  Meister  der  Terra  ferma  vom  Beginn  des  Jahrhunderts. 

Jacopo  dagegen  hat  in  der  Werkstatt  des  Bonifazio  gelernt  (natürlich 
ist  der  Name  Bonifazio  Bembo  S.  2 ein  lapsus  calami) ; das  beweisen  die 
Frühbilder,  wie  das  »Gastmahl  in  Emaus«  (Kirche  in  Cittadella).  Daneben 


Literaturbericht. 


283 


scheint  mir  in  der  ganz  frühen  »Flucht  nach  Ägypten«  im  Museum  von 
Bassano  (Abb.  Tafel  II)  der  Einfluß  der  Paduaner  Fresken  Campagnolas 
unverkennbar.  Später  aber  hat  er  mit  geschmeidiger  Art  von  der  großen 
venezianischen  Trias  — Tizian,  Veronese,  Tintoretto  — gelernt.  In  seinen 
Bildnissen  wird  er  leicht  mit  Tintoretto  verwechselt. 

Jacopo  ist  der  große  Meister  der  Stadt  und  der  Familie;  daher 
ist  ihm  der  Hauptteil  des  Buches  gewidmet  und  ein  Versuch  gemacht,  die 
verschiedenen  Perioden  seiner  Kunst  zu  charakterisieren  und  gegeneinander 
abzugrenzen.  Freilich  bleibt  der  Forschung  hier  noch  einiges  zu  tun;  klafft 
doch  zwischen  der  ersten  und  zweiten  Periode  eine  Lücke  von  mehr  als 
zwanzig  Jahren.  Um  das  Material  einigermaßen  übersichtlich  zu  machen, 
hat  der  Verf.  im  folgenden  die  Gruppierung  nach  Stoffen  gewählt  und  hier 
stets  die  Hauptexemplare  jeder  Komposition  hervorgehoben.  Denn  die 
Schwierigkeit  für  den  Kritiker  besteht  besonders  darin,  daß  dieselbe  Kom- 
position öfters  in  der  Werkstatt  wiederholt  ist,  daß  gelegentlich  Vater  und 
Sohn  gemeinsam  Bilder  malten  und  signierten,  daß  die  Söhne  zum  Teil 
sehr  geschickt  die  viel  begehrten  Arbeiten  des  Vaters  zu  imitieren  wußten. 
Man  hat  hier  mit  einem  Material  zu  operieren,  dem  an  Umfang  in  der  ganzen 
Renaissance  wenigstens  sich  nichts  vergleichen  läßt. 

Der  Verf.  brachte  für  diese  Aufgabe  nicht  nur  Hingebung  mit,  die  in 
erster  Linie  dazu  gehört,  sondern  auch  ausgesprochene  Anlage.  So  ist  es 
wirklich  erfreulich  zu  finden,  daß  er  in  der  von  Teniers  kopierten  Schäfer- 
szene (Abb.  Tafel  XIII)  »Anklänge  an  giorgioneske  Stimmung«  heraus- 
gefühlt hat;  tatsächlich  hat  der  Meister  sich  in  der  Figur  des  Hirten  an 
das  bekannte  Blatt  von  Giulio  Campagnola  angeschlossen.  Nicht  genügend 
gerecht  wird  er  vielleicht  Jacopo  als  Maler  von  Porträts;  steht  dieser  doch  an 
einfacher  Auffassung  und  in  der  Kraft  der  Pinselführung  hier  nicht  selten 
unmittelbar  neben  Tintoretto. 

Recht  interessant  und  beachtenswert  ist  auch  der  Hinweis,  daß  Jacopo 
in  dem  Freskenzyklus  an  der  Casa  Michieli  in  Bassano  Stiche  von  B.  Beham 
benutzt  hat;  übrigens  charakteristischerweise  die  durchaus  italienisierenden 
Schlachtkompositionen. 

Aus  äußeren  Gründen  hat  der  Verf.  leider  seinen  Forschungen,  die 
gerade  in  einigen  an  Bildern  der  Schule  reichen  Sammlungen  benutzt 
werden  müßten,  keinen  Ortsindex  beigegeben,  was  bei  der  Unübersichtlich- 
keit des  Materials  an  sich  (durch  die  Zugehörigkeit  sehr  ähnlicher  Arbeiten 
an  verschiedene  Personen)  die  Benutzung  erschwert.  Doch  auch  so  ist  dieses 
Buch  eine  gute  und  brauchbare  Zusammenfassung,  auf  Grund  deren  es  leichter 
gemacht  wird,  das  Fazit  dieser  streng  abgeschlossenen  Malergruppe  und 
deren  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  Naturbeobachtung  zu  ziehen. 

G.  Gr. 


284 


Literaturbericht. 


Hugo  Schmerber,  Betrachtungen  über  die  italienische 
Malerei  im  17.  Jahrhundert.  Straßburg,  Heitz  & Mündel, 
1906.  230  S. 

Nichts  scheint  mir  für  dieTeilnahmlosigkeit,  welche  sich  die  italienische 
Kunst  des  1 7.  Jahrhunderts,  besonders  die  Malerei  dieser  Epoche,  hat  ge- 
fallen lassen  müssen,  charakteristischer  als  die  Tatsache,  daß  dieses  Buch 
seit  dem  Erscheinen  des  dritten  Bandes  von  Dohmes  »Kunst  und  Künstler« 
(1879)  das  erste  Werk  ist,  welches  sich  eingehend  und  ernsthaft  mit  den 
Problemen  befaßt,  die  das  Studium  dieser  Kunstentwicklung  stellt.  War 
vor  etwa  fünfzig  bis  sechzig  Jahren  das  Interesse  an  der  bolognesischen  und 
römischen  Malerei,  wenn  auch  längst  nicht  mehr  so  lebendig,  als  am  Anfang 
des  Jahrhunderts,  doch  nicht  erloschen,  so  ging  nun  rapide,  parallel  mit 
dem  wachsenden  Interesse  für  die  primitive  Kunst,  das  Verständnis  für  diese 
Meister  und  ihre  Bestrebungen  völlig  verloren. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  die  (mindestens  vom  historischen  Standpunkt 
aus  betrachtet)  Torheit  dieses  systematischen  Sich -Verschließens  gegen  eine, 
räumen  wir  selbst  ein,  uns  Modernen  vielfach  unsympathische  Richtung  dar- 
zutun, die  doch  Großes  und  Bleibendes,  weil  über  Jahrhunderte  Nach- 
wirkendes geschaffen  hat.  Mit  Genugtuung  aber  beobachten  wir  die  sich  mehren- 
den Anzeichen,  daß  allmählich  ein  Wandel  beginnt,  und  daß  man  anfängt, 
den  Meistern  des  späten  Cinquecento  und  des  Seicento  ernsthafte  wissenschaft- 
liche Beschäftigung  zu  widmen.  Besonders  die  treffliche  Wiener  Schule 
Franz  Wickhoffs  geht  hier  voran  und  hat  in  H.  Tietzes  großem  Aufsatz  über 
die  Fresken  Carraccis  im  Palazzo  Farnese  eine  ausgezeichnete  Arbeit  getan, 
während  von  W.  Kallabs  Studien  über  Caravaggio  leider  nur  ein  Fragment 
hat  veröffentlicht  werden  können.  Auch  auf  L.  von  Bürkels  Aufsatz  über 
Furini  kann  in  diesem  Zusammenhang  hingewiesen  werden. 

Aus  diesem  Grund,  als  Zeichen  erwachender  Anteilnahme  an  der 
späteren  italienischen  Malerei,  sei  auch  das  vorliegende  Buch  willkommen  ge- 
heißen. Der  Verfasser  hat  den  Titel  vorsichtig  gewählt;  auf  diese  Weise, 
indem  er  nur  Betrachtungen  anstellte,  keine  Geschichte  der  Kunst  geben 
wollte,  konnte  er  persönlicher  und  willkürlicher  verfahren.  »Der  Gang  der 
Untersuchung«,  heißt  es  in  der  Einleitung,  »ist  ein  doppelter:  die  erhaltenen 
Kritiken  (Rezensionen,  Briefe,  Aussprüche)  und  die  Parallelerscheinungen 
auf  andern  Gebieten  bilden  die  eine,  die  vorhandenen  Kunstwerke  die  andere 
Linie.  Die  erste  Reihe  liefert  das  Material,  das  uns  die  Fähigkeit  verleihen 
soll,  bei  den  Schöpfungen  der  Zeit  das  Auge  auf  dasjenige  einzustellen,  was 
den  Seicentisten  daran  interessierte;  und  vereinen  sich  beide  Linien,  so  wird 
sich  manches,  was  heute  paradox  und  unfaßbar  erscheint,  einfach  und  un- 
gesucht erklären.«  Und  weil  nach  Ansicht  des  Verfassers  »das  allgemeine 
Bild  der  Kunst  bis  etwa  1640  klarer  zu  übersehen  ist,  als  später«,  so  will  er 


Literaturbericht.  285 

das  Hauptgewicht  auf  diese  erste  Periode,  vom  Auftreten  der  Carracci  und 
des  Caravaggio  an,  legen. 

Nun  beginnt  er  freilich  nicht,  wie  man  erwarten  sollte,  mit  einer  Dar- 
legung der  allgemeinen  Anschauungen,  die  die  Kunst  dieser  Epoche  beein- 
flußten, mit  einer  Aneinanderreihung  zeitgenössischer  Urteile  über  die 
Kunstwerke  und  einer  Erörterung  der  Theorien,  welche,  aus  Kunstwerken 
abgeleitet,  sofort  wieder  zu  Forderungen  an  die  Schaffenden  wurden,  was 
doch  das  Verständnis  außerordentlich  erleichtert  haben  würde.  Vielmehr 
ist  im  ersten  Teil  von  den  Hauptkünstlern,  die  für  diese  Epoche  in  Betracht 
kommen,  die  Rede:  und  zwar  mit  Übergehung  von  Annibale  Carracci  und 
Caravaggio,  über  die  später  gehandelt  wird,  von  Albani,  Domenichino,  Reni, 
Sacchi,  Cagnacci,  Varotari  und  Liberi,  Furini  und  Dolci,  Sassoferrato  und 
Maratta,  Guercino,  dann  über  die  neapolitanische  Schule  in  ihrem  größten 
Repräsentanten,  Salvator  Rosa.  Von  jedem  dieser  Künstler  ist  das  Haupt- 
werk — oder  die  Hauptwerke  — beschrieben  und  gewürdigt;  Zeitstimmen 
werden  mitgeteilt,  die  uns  lehren,  was  man  daran  bewunderte  oder  tadelte : aber, 
offen  gestanden,  wird  einem  nicht  immer'die  Auswahl  klar  und  ganz  gewiß  nicht 
die  Entwicklung,  die  die  Gesamtheit  dieser  Maler  darstellt  oder  darstellen  soll. 

Nun  folgt  im  zweiten  Teil  die  Darlegung  der  allgemeinen  Kunstan- 
schauungen, mit  denen  Verf.  sein  Buch  hätte  anfangen  lassen  sollen.  An 
einigen  Beispielen  wird  dargetan  (S.  44  ff.),  wie  man  dem  Schaffen  der  Ver- 
gangenheit ohne  Verständnis  gegenübersteht,  nur  das  noch  begreift,  worin 
sich  »ein  Anklang  an  das  eigene  Fuhlen  heraushören  läßt«.  Das  Verhältnis  zu 
den  großen  Meistern,  Raphael  namentlich,  wird  gestreift,  dann  wie  man 
Dürer,  Rubens,  van  Dyck  beurteilte,  und  wie  über  sie  alle  Correggio  die 
meiste  Bewunderung  genoß.  Das  gibt  dem  Verfasser  Gelegenheit  zu  dem 
wichtigen  Abschnitt  über  den  Begriff  der  »grazia«,  das  meist  gebrauchte 
Wort  in  aestheticis  zu  jener  Zeit,  von  Italien  dann  in  die  französische  Kunst- 
schriftstellerei übergehend  (De  Brosses'  Buch  ist  voll  davon)  und  für  noch 
ein  Jahrhundert  die  ganze  Welt  beherrschend.  Es  folgen  einige  Daten  über 
den  Einfluß  literarischer  Ideen  auf  das  Kunstschaffen,  über  die  Bedeutung, 
die  man  der  »invenzione«  beimaß,  und  die  Rücksicht  auf  das  »decoro«,  die 
man  zu  nehmen  anfing.  Weiter  geht  der  Verfasser  auf  die  Ursachen  ein, 
weshalb  wir  in  den  Werken  des  Seicento  meist  einen  Mangel  an  seelischer 
Vertiefung  spüren:  er  findet  sie  in  dem  Haften  am  einzelnen  und  der  »scha- 
blonenhaften Auffassung  der  Wirkungen  seelischer  Affekte  auf  den  Körper.« 
Die  Zeitgenossen  empfanden  das,  was  uns  als  unwahr  erscheint,  nicht  so, 
weil  ihre  Bildbetrachtung  »vom  einzelnen  ausging  und  den  Gesamteindruck 
kaum  in  Rechnung  zog«. 

Im  allgemeinen  herrscht  in  dieser  Periode  eine  feminine  Tendenz  vor, 
die  alles  Schroffe  meidet,  entsprechend  der  aufgestellten  Forderung  der 


286 


Literaturbericht. 


grazia;  das  Schroffe,  Kraftvolle  (crudo)  wird  in  Farbengebung,  Beleuchtuig, 
Faltenwurf  ängstlich  gemieden.  Den  Fragen  des  Kostüms  ist  ein  besonders 
Interesse  zugewendet. 

Indem  der  Verfasser  uns  auf  diese  Weise  durch  eine  Besprechung  cer 
allgemeinen  Anschauungen  vorbereitet  hat,  geht  er  im  dritten,  dem  Haupttül, 
auf  die  einzelnen  Meister  ein.  Zuerst  auf  den  Führer  der  Naturalisttn, 
Caravaggio.  Nicht  das  Einfache  in  der  Natur  lag  diesem  Geschlecht,  sondern 
das  Gesteigerte;  die  in  einsam-aristokratischer  Höhe  thronende  Kunst  miß 
dem  Irdischen  möglichst  fernstehen.  Man  kann  diese  Scheu  vor  der  »nalu- 
ralezza«  besonders  auch  an  den  Bildnissen  jener  Zeit  studieren;  nur  sthr 
wenige  sind  gemalt  worden,  die  einfach  aufgefaßt  und  frei  von  Pose  sird; 
selten  gelingt  die  flotte  Wiedergabe  einer  kraftvollen  Persönlichkeit.  In 
dieser  ganzen  Periode  entsteht  kein  monumentales  Bildnis.  Nach  diestm 
Exkurs  kehrt  Verfasser  zu  Caravaggio  zurück,  dessen  Auftreten  in  Rom  ene 
Revolution  bedeutete,  schon  allein  wegen  der  Themata,  die  er  vielfach  le- 
handelte,  wegen  der  naturalistischen  Einzelheiten  auf  seinen  Bildern,  le- 
sonders  aber  wegen  der  Wiedergabe  des  Lichteinfalls,  worin  ihm  in  Italen 
niemand  gleichkam.  Doch  sind  die  Nachfolger  vereinzelt:  als  Lichtmaer 
ist  besonders  Domenico  Feti  zu  beachten.  Im  Formalen  ist  die  Vorliebe  :ür 
derbe  Typen,  daneben  der  Hang,  das  Menschliche  so  wahr  als  möglich  dir- 
zustellen  (man  könnte  sich  gelegentlich  an  Jordaens  erinnert  fühlen)  charak- 
teristisch für  ihn.  Er  findet  vereinzelt  Nachahmung  (gelegentlich  G.  Reii) 
und  Nachahmer,  wie  Saraceni  und  Lionello  Spada.  Sehr  lehrreich,  wie  lie 
Zeitgenossen  über  diese  große  und  originelle  Persönlichkeit  urteilten  (S.  137L). 
Volle  Anerkennung  fanden  die  »Grablegung«  in  der  Chiesa  nuova  (jetzt  m 
Vatikan)  und  die  — leider  fast  nicht  mehr  erkennbaren  — Bilder  in  4er 
Matthäuskapelle  in  S.  Luigi  de'  Francesi.  Man  bewunderte  an  Caravag'io 
doch  hauptsächlich  das  Kolorit. 

Stellt  die  Kunst  Caravaggios  eine  in  seiner  Zeit  abseits  sich  entwickelte 
Erscheinung  dar,  so  macht  uns  das  Studium  der  Werke  des  Annibale  Carraxi 
mit  der  Hauptströmung,  welche  die  ausgehende  klassische  Kunst  mit  cen 
Bestrebungen  des  Seicento  verbindet,  vertraut.  Hier  beobachtet  der  V;r- 
fasser  sehr  richtig,  wie  oft  dieser  Künstler,  und  viele  andere  mit  ihm,  duich 
die  bewußte  Nachahmung  Correggios  in  Widerstreit  mit  ihrer  derben  Natir- 
anlage  gerieten;  infolgedessen  empfinden  wir  häufig  den  Widerspruch  zwisclen 
dem  Wollen  dieser  Meister  und  ihrem  innern  Wesen. 

Das  bewußte  und  gewollte  Streben  nach  »grazia«  erklärt  so  vieles  \on 
dem,  was  uns  an  der  Kunst  dieser  Zeit  unsympathisch  ist;  es  tritt  selbst  >ei 
Künstlern  hervor,  deren  Temperament,  wie  bei  Albani,  nach  dieser  Richting 
hin  ging.  Ausnahmen  sind  Künstler,  wie  Sacchi,  Lomi,  namentlich  Furni, 
Padovanino,  Cagnacci  u/a.  An  zahlreichen  Beispielen  wird  ferner  dargetin, 


Literaturbericht. 


287 


wie  das  Bestreben,  psychische  Vorgänge  in  starken  Bewegungen  anschaulich 
zu  machen,  an  so  vielen  unerfreulichen  Leistungen  die  Schuld  trägt;  ist  dieses 
schon  bei  Einzelfiguren  — bei  Magdalena  z.  B.  — der  Fall,  wieviel  mehr  in 
Gruppenbildern  und  den  zahlreichen  Martyriumsdarstellungen.  Oftmals 
bewirkt  gerade  hier  das  gesuchte  Streben  nach  Anmut  besonders  auffallende 
Dissonanzen. 

Die  Ursache,  warum  uns  die  Werke  des  Seicento  vielfach  überladen 
und  gesucht  erscheinen,  findet  der  Verfasser  darin,  daß  diese  Künstler  es 
nicht  verstanden,  das  Wesentliche  auszuwählen  und  das  übrige  als  minder- 
wertig zu  behandeln;  man  wollte  möglichst  viele  Eindrücke.  Man  muß  daher 
die  Unruhe  und  Unklarheit,  die  wir  Modernen  in  diesen  Bildern  empfinden, 
als  »Konsequenz  eines  bestimmten  Ideals«  auffassen.  Es  läßt  sich  dies  aus 
den  urteilenden  Stimmen  der  Zeitgenossen  heraushören.  Eine  Folge  solcher 
»Einzelwertung«,  wie  Verfasser  es  nennt,  ist  das  übermäßige  Hineinbringen 
von  Gestalten  in  die  Komposition,  die  mit  dem  Thema  in  keinem 
Zusammenhang  stehen  (typisch  Baroccios  Abendmahl  in  S.  Maria  sopra 
Minerva). 

Es  ist  daher  falsch,  sagt  der  Verfasser  zutreffend,  wenn  wir  die  großen 
Fresken  jener  Zeit  von  unserem  Standpunkt  aus  nur  dekorativ  fassen,  in 
ihrem  Zusammenwirken  mit  dem  Raum;  denn  die  Künstler  dieser  Periode 
»träumten  gedankenvolle  Werke  zu  schaffen«.  Geht  man  nun  auf  das  einzelne 
ein,  so  findet  man  hier,  wie  sich  an  den  Mythologien  der  Decke  des  Palazzo 
Farnese  dartun  läßt,  den  gleichen  Gegensatz  zwischen  »Concetto«  und  dem 
Können;  gerade  wo  Annibale  die  beste  Gelegenheit  hätte,  im  Sinne  Correggios 
zu  schaffen,  versagt  er. 

Verfolgt  man  die  Entwicklung  nach  dem  siebzehnten  Jahrhundert 
weiter,  so  kann  man  den  Fortschritt  feststellen,  der,  im  modernen  Sinn, 
Guercino  gegenüber  Guido  Reni  bei  einem  ähnlichen  Motiv  gelang  (dessen 
»Aurora«  im  Casino  Ludovisi) : freie  Bewegung  in  weitem  Raum  gegenüber 
reliefartiger,  bewegter  Komposition  bei  Guido.  Auch  bei  Pietro  da  Cortona 
läßt  sich  von  einer  neuen  Stimmung  sprechen,  obschon  das  Neue  schwer 
faßbar  ist,  da  es  sich  um  Nuancen  im  Frauentypus,  Mienenspiel,  der  Farben- 
gebung handelt.  Die  gleiche  Tendenz,  wie  sie  dessen  Fresken  im  Palazzo 
Pitti  erkennen  lassen,  läßt  sich  aus  den  Fresken  des  Giovanni  da  San  Giovanni 
und  des  Furini  in  der  Silberkammer  ebendort  herauslesen.  Hier  und  in 
Arbeiten  von  Volterrano  und  Luca  Giordano  finden  wir  Symptome,  die  man 
»als  Vorboten  des  Rokoko«  betrachten  darf.  Mit  einer  Besprechung  der 
Hauptwerke  Pozzos  werden  diese  Betrachtungen  zu  Ende  geführt.  — 

Vielleicht  ist  dem,  der  sich  die  Mühe  gegeben  hat,  dem  Ref.  bis  hierher 
zu  folgen,  aufgefallen,  was  ohne  Zweifel  der  stärkste  Fehler  des  Buches  ist: 
die  nicht  glückliche,  z.  T.  direkt  verfehlte  Anlage.  Ich  meine,  es  hätte  sich 


288 


Literaturbericht. 


diese  folgerichtig  aus  dem  Wunsch  des  Verfassers,  die  Kunst  des  Seicento 
besser  verstehen  zu  lehren,  ergeben  müssen:  nämlich  allgemeine  Anschau- 
ungen und  deren  Einfluß  auf  das  Schaffen,  Charakteristik  der  Meister  der 
Hauptströmung,  dann  der  besonderen  Bestrebungen  der  Caravaggiogruppe. 
Das  ist  mehrfach  auf  den  Kopf  gestellt,  durchzogen  mit  allerhand  an  sich 
wertvollen,  aber  den  Gedankengang  unterbrechenden  Ausführungen;  und 
da  kein  Kapitel  eine  Überschrift  trägt,  hat  der  Leser  Mühe,  sich  zu  orientieren. 

Ich  bedauere  dieses  im  Interesse  des  Buches,  das  durch  die  äußere  Form 
weiterer  Verbreitung  sich  versagt,  weil  die  Tendenz  gut  ist  und  das  Ganze 
mindestens  von  dem  regen  Interesse  des  Autors  an  dem  Gegenstand  und  von 
langer  Vorbereitung  zeugt.  Dagegen  habe  ich  nicht  — oder  nur  selten  — den 
Eindruck,  daß  ihm  selbst  vor  den  Kunstwerken  das  Herz  aufgegangen  sei, 
daß  er  schrieb,  weil  er  sich  durch  inneres  Ergriffensein  berufen  fühlte,  deren 
Herold  zu  werden.  Und  ein  bißchen  Enthusiasmus,  selbst  etwa  auf  Kosten 
absoluter  historischer  Exaktheit,  tut  jedem  kunstgeschichtlichen  Buch  gut, 
das  nicht  nur  Tatsachen  darlegen  oder  Gedankenreihen  entwickeln  will;  nur 
so  kann  es  Proselyten  machen  und  andere  zu  eigner  Betrachtung  anregen. 

Der  Verfasser  macht  einmal  (S.  1 77)  die  Bemerkung:  »Wer  das  Ganze 
(L.  Carraccis  Transfiguration)  betrachtet,  wendet  sich  unbefriedigt  ab;  wer 
jede  Gestalt  für  sich  wertet,  wird  dem  gerecht,  was  der  Maler  beabsichtigte.« 
Das  ist  doch  aber  das  A und  0 historischer  Betrachtungsweise  der  Kunst, 
daß  man  die  Intentionen  des  Künstlers  zu  ergründen  sucht  und  gewisser- 
maßen mit  seinen  Augen  das  Werk  anschaut;  wie  sollte  sonst  der  nach 
Jahrhunderten  Geborene  überhaupt  ein  Werk  der  Vergangenheit  begreifen, 
ganz  wenige  ausgenommen  ? Hierin,  in  diesem  oft  entsagungsvollen  Einleben 
in  fremde  Individualität  liegt  ja  die  Stärke  des  Kunsthistorikers  gegenüber 
dem  Selbst- Schaffenden. 

Um  auf  einzelnes  zu  kommen:  vieles,  was  Verfasser  von  den  Anschau- 
ungen und  der  Kunst  des  Seicento  sagt,  ist  nicht  allein  diesem  eigentümlich; 
es  paßt  z.  T.  wörtlich  auf  die  vorhergehenden  Epochen,  was  ja  dem  Verfasser 
selbst  nicht  ganz  entgangen  ist  (S.  174).  Seine  Charakteristik  der  Evange- 
listen von  Domenichino  (S.  161)  könnte  ebenso  mutatis  mutandis  auf  Correg- 
gio angewendet  werden  (vgl.  auch  die  Tafel  VI);  die  Beurteilung,  die  Cara- 
vaggio  in  seiner  Zeit  findet  (S.  137),  wolle  man  mit  der  Schilderung  ver- 
gleichen, die  Tintorettos  Kunst  durch  Vasari  erhält;  und  könnte  der  Tadel, 
den  er  (S.  166)  gegen  Martyrienbilder  von  Domenichino  und  Guercino  aus- 
spricht, nicht  z.  B.  auch  gegen  Tizians  Laurentius  erhoben  werden? 

Ferner:  wie  erstickt  nicht  das  spätere  Quattrocento  den  Hauptvorgang 
oft  durch  die  Fülle  der  Assistenz;  ich  erinnere  an  den  Zyklus  der  Sixtinafresken, 
an  Gozzoli.  Man  denke  bei  der  Lektüre  dieser  Seiten  (174/5)  auch  an 
Tintoretto,  Veronese.  Der  Ref.  stößt  sich  (S.  1 70/1 ) an  der  schönen  Pose 


Literaturbericht. 


289 


des  Isaak  bei  Domenichino : wie  würde  er  die  Haltung  des  Knaben  bei  Ghiberti 
nennen?  Das  Seicento  hatte  kaum  noch  Verständnis  für  die  Vorläufer  der 
klassischen  Kunst;  aber  die  Vorboten  dieser  Auffassung  kann  man  schon 
bei  Vasari  finden,  so  wenn  er  gelegentlich  auf  die  Bellini  das  Wort  »maniera 
crudetta,  tagliente  e secca«  anwendet  (V,  104;  cf.  VII,  427 f.)  Die  Kostüm- 
frage (S.  80)  spielt  schon  weit  früher  eine  große  Rolle;  wie  oft  spricht 
Vasari  nicht  von  den  abbigliamenti,  hebt  er  nicht  Kopfputz  und  schön 
geordnetes  Haar,  selbst  Schuhwerk  hervor  (ich  verweise  hier  als 
Beispiele  auf  die  Stellen  im  Leben  des  Rosso,  V,  159/160,  und  des  Salviati, 

VII, 41). 

Wenn  Verfasser  von  der  Überschätzung  des  »concetto«  im  Bilde  und 
von  dem  »wissensprotzigen  Zug  ...  in  dem  Wirken  vieler  Künstler« 
spricht  (S.  59),  so  schlägt  er  vielleicht  den  Einfluß,  den  das  Publikum  auf  das 
Schaffen  hat  — als  Besteller — , zu  gering  an,  das  gewiß  (und  gerade  in  Italien) 
in  der  Kostümfrage  bei  den  Bildnissen,  die  man  bestellte,  dezidierte  Wünsche 
zu  erkennen  gab  (S.  93  ff. ; die  wichtige  Beobachtung  S.  103).  Aber  auch 
für  diese  Erscheinungen  kann  man  doch  viel  früher  Analoga  finden:  ich 
erinnere  an  die  Bilder  für  Isabella  d’Estes  Camerino  (die  sind  doch  gewiß 
»wissensprotzig«!),  an  den  Zyklus  aus  Philostrats  Gemälden,  den  sich  Alfonso 
von  Ferrara  malen  ließ,  um  wieder  nur  ein  paar  Beispiele  zu  nennen.  Ein 
Musterbeispiel  ferner  Annibale  Caros  Programm  für  die  Fresken  des  Schlaf- 
zimmers in  Caprarola. 

Die  Liste  der  »wenigen  sympathischen  Werke  der  Bildniskunst«  würde 
sich,  glaube  ich,  unschwer  vermehren  lassen:  mir  fallen  gerade  ein  das  wunder- 
volle Knabenbild  von  Carlo  Dolci  im  Pal.  Pitti,  das  man  diesem  nicht  leicht 
zutraut,  das  eminente  Porträt  des  jugendlichen  Domenichino  in  Darmstadt 
oder  das  kleine  weibliche  Porträt  von  Furini  in  der  Cenacolo  di  Foligno- 
Galerie  in  Florenz,  gemalt  wie  ein  Vermeer. 

Wenn  Verfasser  S.  8 von  Baroccio  sagt,  er  sei  als  Erscheinung  zu  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  von  Interesse,  direkte  Anregungen  fehlen  später,  so 
darf  ich  u.  a.  an  Maratta  erinnern,  der  ohne  jenen  kaum  zu  denken  ist.  Dann 
ein  Einzelurteil,  das  ich  ganz  unbegreiflich  finde:  ,,was  Caravaggio  an  land- 
schaftlicher Szenerie  bei  figuralen  Darstellungen  bietet,  wie  etwa  in  der  Ruhe 
auf  der  Flucht  (Gal.  Doria),  sei  nicht  beachtenswert  (S.  1 13).«  Ja  w7o  findet 
man  denn  überhaupt  eine  stimmungsvollere  Landschaft,  als  diese,  das  Stück- 
chen Wiesengrund  am  Fluß,  den  Ausblick  aufs  jenseitige  Ufer  mit  der  schönen 
Baumgruppe  und  auf  die  Hügellinie?  Dabei  ein  so  liebevolles  Eingehen  auf 
die  einzelnen  Pflanzen,  die  dem  Boden  entsprießen,  daß  man  sich  an  den 
Wiesenhaag  in  Botticellis  »Frühling«  erinnert  fühlt.  Ich  habe  nie  die  römische 
Galerie  besucht,  ohne  stets  von  neuem  durch  dieses  liebliche  Naturabbild 
bewegt  zu  sein.  — 


290 


Literaturbericht. 


Völlig  verkennt  Verf.  die  Aufgabe  des  Historikers,  wenn  er,  Guercino 
charakterisierend,  sagt  (S.  155) : »was  trieb  Guercino  dazu,  sanft  und  anmutig 
sich  zu  gebärden?  Für  den  Historiker  war  er  auf  Bahnen  zu  schönen  Zielen, 
was  veranlaßte  ihn,  es  einem  Guido  Reni  gleichzutun?«  Es  muß  eben  doch 
wohl  ein  innerer  Drang  dagewesen  sein;  der  Historiker  hat  die  Aufgabe, 
solche  Wandlungen  des  künstlerischen  Stils  zu  beobachten,  zu  begreifen,  zu 
erklären;  aber  er  kann  nicht  verlangen,  daß  der  Schaffende  sich  nach  ihm, 
dem  Urteiler  ferner  Jahrhunderte,  richtet.  — Das  heißt  denn  doch  die  Dinge 
auf  den  Kopf  stellen. 

Endlich  eine  kleine  tatsächliche  Anmerkung;  der  »unbekannte  Ver- 
fasser« des  Discorso  della  pittura,  den  Gualandi  gedruckt  hat  (S.  91),  ist 
Giulio  Mancini. 

Ich  würde  den  »Betrachtungen«  Schmerbers  nicht  eine  so  ausführliche 
Anzeige  gewidmet  haben,  wenn  ich  ihnen  nicht  als  dem  ersten  Versuch,  sich 
mit  der  Kunst  des  Seicento  wieder  ernsthaft  auseinanderzusetzen,  eine  größere 
Bedeutung  beimäße.  Auch  würde  es  unbillig  sein,  nicht  anzuerkennen,  daß 
der  Verf.  den  Monumenten  dieser  Epoche  ein  eingehendes  und  sorgfältiges 
Studium  hat  angedeihen  lassen,  daß  er  die  Quellenschriftsteller  gut  kennt 
und  wohl  anzuwenden  weiß.  Aber  wenn,  wie  ich  fürchten  muß,  dieses  Buch 
nicht  dazu  führen  wird,  für  das  Seicento  über  den  kleinen  Kreis  unabhängig 
Kunst  Betrachtender  hinaus  Sympathien  zu  erwecken,  so  liegt  die  Haupt- 
ursache darin,  daß  von  dem  Verf.  selbst  gilt,  was  er  in  der  Einleitung  von  der 
Gegenwart  generell  sagt:  »ein  sympathisch -kongeniales  Mitempfinden  ist 

nicht  vorhanden.«  Nur  einer,  in  dem  diese  Kunst  neu  lebendig  geworden  ist, 
wird  berufen  sein,  als  ihr  Prophet  aufzutreten.  G.  Gr. 


Der  G e m ä 1 d e z y k 1 u s der  Galerie  der  Maria  von  Me- 
dici von  Peter  Paul  Rubens  von  Karl  Großmann. 
Heft  XLV  zur  Kunstgeschichte  des  Auslandes,  Heitz  und  Mündel,  Straß - 
bürg,  1907. 

Vorliegendes  Buch  ist  aus  einer  Leipziger  Seminararbeit  hervorgegangen 
und  verdient  als  Erstlingswerk  sicherlich  alles  Lob.  Die  17  Seiten  lange 
geschichtliche  Einleitung,  die  sich  im  wesentlichen  auf  ein  Exzerpt  aus  den 
bekannten  größeren  Rubensmonographien  beschränkt,  hätte  freilich  etwas 
beschnitten  werden  können.  Überhaupt  hätte  die  Arbeit  sicher  durch  ent- 
sprechende Kürzung,  etwa  als  größerer  Aufsatz,  sehr  gewonnen,  da  dann  das, 
wmrauf  es  dem  Verfasser  ankam,  wirksamer  in  Erscheinung  getreten  wäre. 
Großmann  versucht  vor  allem  eine  künstlerische  Analyse  der  Gemälde  zu 
geben,  und  man  liest  seine  Darlegungen  mit  Freude  und  Nutzen,  um  so  mehr- 
als  der  Verfasser  hier  im  Gegensatz  zu  den  meisten  kunsthistorischen  Arbeiten 


Literaturbericht. 


291 


auch  auf  die  Farbe  näher  einzugehen  versucht.  Daß  er  hierbei  freilich 
über  eine  Deskription  des  Einzelnen  nicht  hinausgekommen  ist  und  die  hier 
zu  behandelnden  Probleme  nicht  von  systematischen  Gesichtspunkten  aus 
betrachtet,  wird  man  bei  einem  Erstlingswerk  verzeihlich  finden.  Die  Vor- 
arbeiten auf  diesem  Gebiete  sind  ja  ohnedies  spärlich  genug.  Scharfsinnig 
und  treffend  sind  auch  die  formalen  Analysen,  nur  darf  man  sich  hier  nicht 
an  den  mancherlei  barocken  Satzwendungen  stoßen,  die  durch  allzueifrige 
Verwendung  der  Terminologie  des  Lehrers  des  Verfassers  entstanden  sind. 
»Aus  der  Region  der  elementaren  Kraftentfaltung  und  der  Körpernähe,  der 
physischen  Betätigung,  die  den  Stimmungsgehalt  des  Ereignisses  oben  in 
Formen  und  Linien  ausdrückt,  gewinnt  der  Blick  mit  dem  Schiff  den  raum- 
schaffenden Körper,  auf  dessen  Oberfläche  sich  die  Szene  abspielen  kann«  usw. 
würde  sich  doch  sicherlich  einfacher  ausdrücken  lassen.  Der  Verfasser  sieht 
für  mein  Gefühl  überhaupt  etwas  zu  »klassisch«,  zu  formal. 

In  diese  spanischen  Stiefel  läßt  sich  Rubens’  Geist  nicht  ohne  Not 
zwingen,  trotzdem  er  einen  so  unendlich  fein  ausgeprägten  Sinn  für  formale 
Probleme  und  die  proportioneilen  Differenzierungen  der  Massen  gehabt  hat, 
wie  das  vor  allem  sein  Verhältnis  zu  Raffael  beweist.  Aus  diesem  Grunde 
hätte  man  auch  in  dem  Schlußkapitel  über  so  manchen  Punkt  mit  dem  Ver- 
fasser zu  rechten.  Rubens  ist  hier  zu  sehr  unter  dem  Gesichtswinkel  römischer 
Renaissance  gesehen.  Seine  Persönlichkeit  und  vielleicht  auch  die  Kritik 
kommt  dabei  wohl  zu  kurz.  Der  Verfasser  meint  beispielsweise  von  der 
Krönung  Marias  in  St.  Denis,  daß  Rubens  hier  ein  Repräsentationsbild 
geschaffen  habe,  »das  als  eines  der  mächtigsten  und  lebendigsten  Denkmäler 
der  Kulturgeschichte  der  Zeit  angesehen  werden  muß,  dem  nicht  leicht 
ähnlich  Großes  und  Vollkommenes  an  die  Seite  gestellt  werden  kann«.  Was 
diesem  Gemälde  von  Rechts  wegen  an  die  Seite  gestellt  werden  müßte,  ist 
Tizians  Tempelgang  der  Maria  in  der  Akademie  von  Venedig. 
Rubens  Bild  ist  eine  frei  impressionistische  Umdichtung  der  Tizianschen 
Komposition.  Wenn  der  Verfasser  diesen  vielfach  nur  nach  dem  Gedächtnis 
verwerteten  italienischen  Vorbildern  näher  nachgegangen  wäre,  hätte  er  sich 
die  Charakteristik  der  Bilder  entschieden  erleichtert  und  er  wäre  dann  auch 
wohl  von  selber  zu  einer  mehr  kritischen  Behandlung  der  Lösung  der 
künstlerischen  Probleme  in  Rubens  herrlichem  Gemäldezyklus  getrieben 
worden.  Fritz  Burger. 


Heinrich  Höhn.  Studien  zur  Entwickelung  der  Münche- 
ner Landschaftsmalerei  vom  Ende  des  18.  und  vom 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts.  (Studien  zur  deutschen  Kunst- 
geschichte, Heft  108,  Straßburg,  Heitz,  1909.) 


292 


Literaturbericht. 


In  der  anregend  geschriebenen  Einleitung  schildert  der  Verfasser  das 
Erwachen  des  Naturgefühls,  wie  es  sich  vom  Beginn  des  18.  Jahrhunderts 
ab  besonders  in  Literatur  und  Musik  bemerkbar  macht.  An  den  Anfängen 
der  realistischen  Landschaftsmalerei,  die  Ende  des  18.  Jahrhunderts  einsetzt, 
hat  München  wesentlichen  Anteil  genommen.  Eine  Skizze  Münchener 
Kunstverhältnisse  um  diese  Zeit  leitet  die  Schilderung  ein;  die  Überführung 
der  Mannheimer  Galerie  nach  der  bayrischen  Hauptstadt  wird  entsprechend 
gewürdigt.  Die  1808  unter  staatliche  Verwaltung  gestellte  Zeichnungs- 
akademie brachte  unter  Langer  den  Klassizismus  zur  Geltung  und  bekämpfte 
den  frischen  Zug  zu  realistischer  Auffassung,  die  besonders  das  Studium 
der  alten  Niederländer  pflegte,  mit  wahrem  Despotismus.  Es  ist  interessant, 
von  den  mannigfachen  kritischen  Äußerungen  jener  Zeit,  dem  Hin  und  Her 
der  Parteien  zu  lesen:  erinnert  das  alles  doch  lebhaft  genug  an  manche 

Kontroverse  unserer  Tage.  Die  Ansicht  von  der  sekundären  Bedeutung 
der  Landschaftsmalerei,  die  in  erster  Linie  Cornelius  vertrat,  hat,  wie  die 
Aufzeichnungen  des  Grafen  Schack  beweisen,  noch  lange  genug  nachgewirkt. 

Einer  der  ersten  bayrischen  Künstler,  die  mit  schwachen  Kräften,  aber 
mit  herzlicher  Heimatsliebe  landschaftliche  Aufgaben  zu  lösen  suchten,  war 
J.  G.  Wintter.  Wesentlich  bedeutender  erscheint  Ferdinand 
K o b e 1 1 , der  sich  durch  stetes  Naturstudium  sowie  durch  Beschäftigung 
mit  den  Altniederländern  bildete.  Der  Verfasser  verteidigt  den  Künstler 
gegen  den  Vorwurf  Pechts,  einzig  ein  Nachahmer  Claude  Lorrains  und  ver- 
schiedener Niederländer  gewesen  zu  sein,  und  betont  Kobells  frischen  Natur- 
sinn, der  sich  mehr  noch  in  seinen  graphischen  Arbeiten  als  in  seinen  Bildern 
zeigt.  Seine  Kunst  wird  vom  Verfasser  dahin  präzisiert,  daß  sie  die  »end- 
gültige Loslösung  der  deutschen  und  damit  auch  der  Münchener  Landschafts - 
malerei  vom  Manierismus  vollzieht«.  Als  Fortsetzer  der  Kobellschen  Tra- 
dition ist  Georg  von  Dillis  anzusehen,  der  auch  persönlich  durch 
seine  Beziehungen  zum  bayrischen  Kronprinzen  und  als  Teilnehmer  an  dessen 
Italienreise  Interesse  gewinnt.  — Wilhelm  von  Kobell,  der  Sohn 
Ferdinand  Kobells,  schließt  sich  zunächst  eng  an  Claude  an;  allmählich  erst 
bildet  er  sich  an  Aufgaben,  die  ihm  die  nähere  und  weitere  Umgebung 
Münchens  bot,  zu  einer  unmittelbareren  Landschaftsauffassung  heran.  Bei 
der  Besprechung  der  Radierungen  des  Künstlers  erwähnt  der  Verf.  als  von 
Andresen  nicht  aufgenommen  sechs  Ansichten  bayrischer  Gegenden,  die  nach 
seiner  Ansicht  zweifellos  von  Kobell  herstammen.  In  den  Gemälden  geht 
Kobell  über  seinen  Vorgänger  Dillis  ebenso  wie  über  die  gemeinsamen  nieder- 
ländischen Vorbilder  hinaus:  aus  seiner  »Belagerung  von  Kosel«  von  1808 
(jetzt  Armee-Mus.  München)  spricht  eine  durchaus  eigne  Naturauffassung, 
besonders  ist  das  Lichtproblem  mit  neuen  Mitteln  gelöst.  — Max  Joseph 
Wagenbauer  gelangt  von  den  klassizistischen  Kompositionen  seiner 


Berichtigung. 


293 


Frühzeit  zu  einem  »schlichten  Realismus«.  Seine  Landschaftsbilder  sind 
um  so  bemerkenswerter,  als  sie,  mehr  wie  die  Tierszenen,  dem  niederländischen 
Urbild  fernbleiben  und  als  wirklich  originale  Landschaftsschöpfungen  des 
19.  Jahrhunderts  gelten  können.  — Der  letzte  der  behandelten  Künstler, 
Joh.  Jakob  D o r n e r der  Jüngere,  macht  sich  allmählich  von  seinen 
Vorbildern  Everdingen  und  Ruysdael  los  und  dringt,  mit  starkem 
koloristischem  Sinn  begabt,  zu  einer  liebevollen  Naturbetrachtung 
durch,  die  aus  allen  seinen  sehr  ungleichmäßigen  Werken  spricht.  — 
Mit  einem  Ausblick  auf  die  Kunst  Bürkels,  auf  die  Höhn  nicht  eingeht, 
weil  sich  in  ihr  bereits  die  »Stimmungslandschaft«  darstellt,  und  einer 
kurzen  Inhaltsreplik  schließt  der  Verfasser.  Die  Künstler,  denen 
er  mit  anerkennenswerter  Sorgfalt  und  aufrichtiger  Begeisterung  nach- 
gegangen ist,  haben  als  erste  im  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  durch 
ihr  Naturstudium  der  Landschaftsmalerei  die  Wege  gewiesen:  auf 

dem,  was  sie  erreichten,  konnten  Männer  wie  Rottmann  und  Schleich 
weiterbauen. 

Es  ist  nicht  leicht,  dieses  Buch  zu  lesen.  So  dankenswert  die  große 
Materialfülle  ist,  die  der  Verfasser  bringt,  so  wenig  fruchtbar  erscheint  es 
für  den  Leser,  die  lange  Reihe  der  Beschreibungen  von  Gemälden,  Zeich- 
nungen usw.  durchzuarbeiten:  eine  katalogmäßige  Behandlung  wäre  da 
besser  gewesen.  Am  bedenklichsten  ist  aber  das  Fehlen  jeglichen  Registers, 
ohne  das  ein  Nachschlagen,  überhaupt  ein  Befragen  des  Buches  fast  zur 
Unmöglichkeit  wird.  Und  das  ist  um  so  bedauerlicher,  als  durch  die 
warmherzig  und  geschmackvoll  geschriebene  Arbeit  gewiß  manche  Lücke 
ausgefüllt  wird.  J.  Sievers. 


Berichtigung? 

Herr  Dr.  Hans  Tietze  in  Wien  schreibt  mir,  ich  hätte  in  meiner 
Besprechung  der  beiden  ersten  Bände  der  Österreichischen  Kunsttopo- 
graphie (Repert.  XXXII  S.  192  ff.)  zwei  Irrtümer  begangen,  die  er  mich 
zu  berichtigen  bittet.  Selbstverständlich  komme  ich  einem  solchen 
Wunsche  entgegen  soweit  als  möglich.  Es  handelt  sich  um  die  Domini- 
kanerkirche in  Krems  und  die  Michaelskirche  in  Heiligenstadt. 
Ich  hatte  sie  als  Beispiele  dafür  angeführt,  daß  mir  die  Baubeschreibungen 
des  Verf.  zur  Gewinnung  eines  anschaulichen  Bildes  öfters  nicht  genügten. 
Was  nun  die  Kremser  Kirche  betrifft,  so  fühlt  sich  der  Verf.  .dadurch 
gerechtfertigt,  daß  er  geschrieben  habe,  sie  sei  im  Grundriß  der  Steiner 
Bettelordenskirche  ähnlich.  In  der  Tat,  dieser  Satz  kommt  in  dem  Bande 
vor  und  ist  von  mir  übersehen  worden.  Aber  wo  steht  er?  Nicht  unter 


294 


Berichtigung. 


Krems,  sondern  234  Seiten  von  diesem  Artikel  entfernt  in  der  kunstgeschicht- 
lichen Übersicht  des  Bezirks!  Es  ist  doch  eine  starke  Zumutung  an  den 
Benutzer  des  Inventars,  daß  derselbe,  um  die  Baubeschreibung  eines  Denk- 
mals zu  verstehen,  im  Kopfe  haben  muß,  was  an  einer  ganz  anderen 
Stelle  davon  ausgesagt  ist.  Aber  auch  damit  wäre  dem  Leser  im  vor- 
liegenden Fall  nur  wenig  geholfen.  Denn  er  erfährt  aus  der  »Übersicht« 
von  der  Ähnlichkeit  des  Grundrisses  mit  einem  anderen  Grundriß, 
aber  immer  noch  nichts  — was  ich  vornehmlich  vermißt  hatte  — von  dem 
Aufbau  des  Querschnitts.  In  seiner  brieflichen  Erläuterung  sagt  der  VerL 
nur,  das  Wegbleiben  einer  allgemeinen  Charakteristik  der  (in  den  Einzel- 
heiten ziemlich  genau  beschriebenen)  Kirche  sei  ein  Versehen,  das  nur 
dieses  eine  Mal  vorkomme.  — Leider  muß  ich  sagen,  daß  auch  der  zweite 
Fall  nicht  wesentlich  anders  liegt.  Wer  bei  Tietze  den  »Pfarrkirche  zum 
hl.  Michael«  überschrieben  Artikel  liest,  kann  nichts  anderes  glauben,  als 
daß  die  Beschreibung  von  einem  noch  bestehenden  Gebäude  handele.  Dem 
ist  aber  nicht  so.  Sie  bezieht  sich  auf  das  1894  abgetragene  Gebäude. 
Wunschgemäß  trage  ich  diese  Berichtigung  nach.  Die  Abtragung  ist  aller- 
dings vom  Verf.  erwähnt  worden,  aber  auch  wieder  an  einer  anderen,  als 
der  allein  ihr  zukommenden  Stelle.  Im  übrigen  ändert  die  Aufklärung 
dieses,  wie  man  sieht  für  den  Leser  unvermeidlichen,  Irrtums  nichts  daran, 
daß  die  gegebene  Beschreibung  unzulänglich  ist. 

So  vermag  ich  beim  besten  Willen  von  meinem  ursprünglichen  Ur- 
teil nichts  abzuziehen;  eher  noch  müßte  es  verschärft  werden!  Die 
wissenschaftliche  Leistung  Tietzes  hat  mir  Achtung  eingeflößt.  Zu  den 
Pflichten,  die  der  Verf.  einer  Kunsttopographie  übernimmt,  gehört  aber 
auch  diese,  bei  jedem  Satze,  den  er  niederschreibt,  sich  in  die  Lage  des 
mit  dem  Gegenstände  noch  gänzlich  unbekannten,  nach  schneller  und 
sicherer  Auskunft  verlangenden  Benutzers  hineinzudenken.  Dehio. 


Der  Palast  des  Braccio  Baglioni  in  Perugia 
und  Domenico  Veneziano. 

Von  Walter  Bombe. 

Braccio  il  Magnifico,  der  Sohn  des  älteren  Malatesta  Baglioni,  General 
der  Kirche  unter  den  Päpsten  Calixtus  III.,  Paul  II.  und  Sixtus  IV.,  hat 
sich  nicht  nur  als  Söldnerführer,  sondern  auch  als  Förderer  der  Künste 
ausgezeichnet.  Er  war  es,  der  1473  die  ersten  deutschen  Drucker,  Johann 
Vydenast  und  Stefan  aus  Mainz  nach  Perugia  rief  und  ihnen  die  Mittel  gab, 
eine  Druckerei  zu  errichten,  aus  der  ganz  vorzügliche  Arbeiten  hervor- 
gegangen sind.  Sein  Palast,  der  bei  Errichtung  der  Fortezza  Paolina  zu- 
gleich mit  den  anderen  Palästen  der  mächtigen  Familie  der  Baglioni,  mit 
zwei  Klöstern,  elf  Kirchen  und  über  dreihundert  Häusern  des  Borgo  S.  Giu- 
liana  zerstört  wurde,  soll  das  schönste  Privathaus  der  ganzen  Stadt  gewesen 
sein.  Über  die  Lage  des  Palastes  geben  die  Zeichnungen  des  Antonio  und 
Aristotile  da  Sangallo  für  die  Fortezza  Paolina,  in  den  Uffizien,  einigen 
Aufschluß.  Seine  Westfassade,  an  der  sich  ein  starker  Turm  erhob,  lag  an 
der  Piazza  dei  Servi,  der  Kirche  gegenüber,  in  der  sich  Braccio  147 1 eine 
Kapelle  mit  dem  Aufwande  von  120  Dukaten  hatte  künstlerisch  aus- 
schmücken lassen.  Im  Süden  grenzte  er  an  die  alten  Stadtmauern,  im  Nord- 
westen an  das  Gebäude  der  Sapienza  Nuova,  im  Osten  an  die  Piazzetta  dei 
Baglioni,  wo  die  Paläste  des  Ridolfo  und  des  Gentile  Baglioni  lagen,  letzterer 
prächtig  dekoriert  und  durch  zwei  Türme  verteidigt,  von  denen  einer  in 
der  unterirdischen  Straße  unter  dem  Palazzo  Provinciale,  dicht  an  der 
Porta  Marzia,  noch  heute  deutlich  in  den  Fundamenten  erkennbar  ist. 
An  dieser  Seite  hatte  der  Palast  Braccios  einen  zweiten  Turm.  Das  Haus 
enthielt  einen  Säulenhof  und  war  vom  Erdgeschoß  bis  zum  Dach  mit 
Malereien  geschmückt.  Im  ersten  Saal,  gleich  hinter  dem  Eingänge,  hatte 
Braccio  die  Wände  mit  einem  Freskenzyklus  berühmter  Helden  des  Geistes 
und  des  Schwertes  bemalen  lassen.  Dieser  Zyklus  wird  auf  Grund  einer 
Notiz  bei  Vasari,  welche  lediglich  besagt,  daß  Domenico  Veneziano  in  einem 
Hause  der  Baglioni  in  Perugia,  das  schon  zur  Zeit  Vasaris  zerstört  war, 


Repertorium  für  Kunstwisienschaft,  XXXII. 


21 


296 


W alter  Bombe: 


Malereien  ausgeführt  habe  1),  traditionell  von  allen  Forschern,  die  sich  je 
mit  Domenico  Veneziano  beschäftigt  haben,  dem  großen  Freilichtmaler  zu- 
geschrieben.  Ferner  haben  alle  Späteren,  Milanesi  folgend,  der  in  einer 
Note  die  Vermutung  ausspricht,  daß  Domenico  diese  Fresken  im  Jahre  1438 
gemalt  habe,  da  er  am  I.  April  d.  J.  von  Perugia  an  Piero  dei  Medici 
einen  Brief  richtete,  in  welchem  er  diesen  um  den  Auftrag  zu  einem  Altar- 
bilde bat *  *),  das  Jahr  1438  als  Entstehungsdatum  akzeptiert.  Ebenso 
wird  allgemein  angenommen,  diese  Fresken  seien  völlig  zugrunde  gegangen. 
Nun  befindet  sich  aber  im  Magazin  der  Peruginer  Pinakothek  doch  wenig- 
stens ein  bescheidenes,  bisher  unbeachtetes  Bruchstück  dieses  Zyklus,,  die 
zweimallebensgroße  Gestalt  eines  gepanzerten  Ritters,  und  unter  derselben 
sind  die  Versenden  seines  Epitaphs,  die  Silbe  »ore«  und  das  Wort  »con- 
quassato«  zu  lesen.  Der  traurige  Erhaltungszustand  der  Figur  macht  es 
unmöglich,  ein  Urteil  über  ihren  künstlerischen  Wert  abzugeben  oder  fest- 
zustellen, ob  sie  von  Domenico  Veneziano  herrührt  oder  nicht.  Zu  bedauern 
ist,  daß  vor  50  Jahren,  als  die  Peruginer  in  patriotischem  Übereifer  die 
päpstliche  Zwingburg  bis  auf  die  Fundamente  zerstörten  und  dabei  dieses 
Freskenbruchstück  freilegten,  kein  Fachmann  zugegen  war,  der  wenigstens 
an  dieser  Stelle  rechtzeitig  der  Zerstörung  Einhalt  geboten  hätte.  Von  den 
Epitaphien,  die  unter  jeder  Figur  zu  lesen  waren,  haben  sich  vierzehn  in 
einem  Kodex  der  Biblioteca  Comunale  zu  Perugia  erhalten  und  Ariodante 
Fabretti  hat  sie  in  einer  Note  des  letzten  Bandes  seiner  Capitani  Venturieri 
delU  Umbria  3)  unvollständig  und  fehlerhaft  publiziert,  weshalb  wir  sie 
am  Schluß  noch  einmal  in  korrekter  Lesung  abdrucken.  Nach  den 
beiden  noch  erhaltenen  Versenden  zu  schließen,  müßte  das  Fragment  in  der 
Pinakothek  den  Condottiere  Ruggiero  Cane  deiRanieri  darstellen,  dessen  Züge 
uns  ein  Ölbild  im  Lesesaal  der  Biblioteca  Comunale  zu  Perugia  vorAugen  führt. 

Der  ganze  Zyklus  umfaßte  eine  thronende  Perusia  und  folgende  23 
»Uomini  illustri«:  Eulistes  aus  Troja,  den  sagenhaften  Begründer  Perugias, 
ferner  die  Condottieri  Braccio  Fortebracci,  Jacopo  Piccinini,  Vinciolo,  Rug- 
giero Cane,  Peruccio  Nero  de'  Montesperelli,  Jacopo  degli  Arcipreti,  Fran- 
cesco Piccinini,  Biordo  Michelotti,  Boldrino  da  Panicale,  Niccolo  Forte- 
bracci, Niccolo  Piccinini,  Carlo  Fortebracci,  Messer  Borgaro  da  Marsciano, 
Oddo  Fortebracci,  Rodolfo  degli  Oddi,  Fabrizio  Ranieri,  Ranieri  (?)  del 
Frogia,  Ciccolino  Michelotti,  dann  die  Juristen  Bartolo  Alfani  und  Baldo, 
Piero  und  Angelo  Baldeschi.  Die  Lobsprüche  in  Ottaverime  unter  den 
Bildnissen  waren  von  Francesco  Maturanzio  verfaßt,  wie  sich  aus  einem 

l)  Vasari-Milanesi  II,  p.  674. 

*)  Gaye,  Carteggio  I,  p.  136. 

3)  Note  e Documenti  raccolti  e pubblicati  che  servono  ad  illustrare  le  biografie  di 
Capitani  venturieri  dell’  Umbria,  Montepulciano,  1842. 


Der  Palast  des  Braccio  Baglioni  in  Perugia  und  Domenico  Veneziano. 


297 


Briefe  ergibt,  den  Jacopo  Antiquari  aus  Mailand  an  Maturanzio  richtete: 
»Memini  quidem  puer  uno  aut  altero  anno  te  majorem  natu,  elogia  atque 
epigrammata  in  Baliono  illo  tarn  nobilissimo  atrio  viris  fortibus  et  clarissimis 
depictis,  qui  vel  in  re  militari  fuerunt  egregj  duces,  vel  in  philosophia  aut 
jure  civili  principes  sunt  habiti,  adscripsisse  ceu  in  base,  expressisseque 
eorum  virtutes  et  laudes,  ita  ut  jam  inde  appareret  tal  idoneum  fore  qui 
historiam  aliquando  componere  posses.«4) 

Eine  kurze  Beschreibung  des  Zyklus  findet  sich  in  der  Chronik  des 
Frollieri  aus  dem  16.  Jahrhunderts):  »Braccio  di  Malatesta  Baglioni  uomo 
nell'  etä  sua  di  grande  animo  e molto  prudente,  essendo  il  primo  cittadino 
di  Perugia  edificö  per  sua  abitazione  una  nobilissima  e splendida  casa, 
facendo  nella  prima  intrata  di  quella  una  sala  molto  ampla  e bella  e di 
bellissime  pitture  ornata,  nel  capo  della  quäle  sopra  un  alto  e ornato  tribu- 
nale  fece  dipingere  una  donna  di  venerabile  presenza  e piena  di  maestä, 
avendo  sopra  il  capo  lettere  che  dicevano  P e r u s i a,  E da  uno  de'  lati 
della  sala  vi  erano  dipinti  i famosi  capitani  e condottieri  discesi  da  quella; 
e dall'  altro  lato  i celebratissimi  e onorati  dottori,  alli  piedi  delli  quali 
vi  era  brevemente  annotato  il  nome  e gesta  di  ciascuno.« 

In  einem  anderen  Kodex  des  Cinquecento,  den  die  Biblioteca  Comunale 
in  Perugia  bewahrt* * * 6),  ist  eine  ähnliche  Beschreibung  der  Fresken  »in  casa 
de'  Baglioni«  zu  lesen:  »Per  essere  lui  (Braccio  di  Malatesta  Baglioni) 
persona  magnanima,  et  cupido  de  honore  e gloria  edificö  in  Perugia  per  sua 
habitatione  una  nobilissima  e splendida  casa  overo  palazzo,  dove  tutte  le 
stantie  di  esso  erano  di  diversi  suoi  concetti  perfectamente  istoriate  e dipinte, 
et  infra  le  altre  stantie  nel  primo  ingresso  della  detta  casa  fece  una  sala  molto 
ampla  spaciosa  e bella,  in  capo  della  quäle  fece  depingere  uno  alto,  et  ornato 
tribunale,  dove  che  in  esso  a seggio  vi  stava  una  donna  de  venerabile  aspetto 
et  apparentia,  grande  et  venusta,  et  sopra  alla  testa  di  essa  vi  era  scripto 
PERVSIA.  Et  dal  lato  dextro  della  pariete  vi  erano  depinti  li  conduttieri, 
e capitani  famosi  difusi  della  Cita  de  Perugia,  con  le  loro  insegne  Ordinate, 
et  da  l'altra  banda  li  celebratissimi  Doctori,  sotto  alli  piedi  di  essi  erano  epi- 
taffii,  dove  era  scripto  il  nome  de  ciascuno,  et  con  breve  annotatione  li  fatti 
et  gesti  loro,  se  benchö  per  la  fabrica  della  nova  Citadella  in  tale  luogo  edi- 
ficata  per  comissioni  et  opera  de  Papa  Paulo  III.  fusseno  tal  figure  scancel- 
late  e guaste,  il  piu  proximo  al  tribunale  predicto  si  era  Euliste  Troiano, 
doppo  lui  seguiva  Venciolo  Citadin  perugino,  seguiva  poi  Petruccio  nero, 

4)  Lib  I Epist.  23,  Bib.  Perus.  Cosmus  Veronensis.  MDXIX. 

5)  Memoria  di  alcune  cose  spetanti  alla  Cittä  di  Perugia  Ms.  de  Bibi.  Com. 

Perug.  zitiert  nach  Fabretti  Vol.  III  p.  20 — 21. 

6)  Antonio  Grisaldi,  Raccolta  di  cose  memorabili  di  Perugia,  Ms.  der  Comunale 
I,  110,  49- 


298 


Walter  Bombe: 


e cosi  de  mano  in  mano  tutti  li  famosi  huomini  de  perugia  difusi  vi 
erano  depenti.« 

Auch  in  der  Chronik  des  Maturanzio  wird  das  Haus  des  Braccio  Baglioni 
erwähnt:  »e  aveva  assai  piü  bella  casa  lui  solo,  che  non  avevano  tutti  li 
altri;  dove  era  una  sala  nella  quäle  erano  pente  tutti  li  capitanee  che  mai 
ebbe  Peroggia  sino  a quel  dl,  e similmente  tutti  li  dottore  famoso,  ciascuno 
de  propio:  e era  tutta  quella  casa  penta  dentro  e de  fora,  da  la  cima  insino 
a terra,  cum  doi  torre,  commo  ve  disse  de  sopra;  e stava  appicciato  cum  la 
Sapientia  Nova.«  Die  Tatsache  aber,  daß  er  selbst  die  Epitaphien  unter 
den  Bildnissen  gedichtet  habe,  verschweigt  der  Chronist  7). 

Aus  dem  Briefe  Jacopo  Antiquaris  ergibt  sich,  daß  der  berühmte 
Humanist  die  Verse  in  jüngeren  Jahren  verfaßt  hat.  Wir  wissen  ferner, 
daß  Maturanzio  um  1443,  Braccio  Baglioni  um  1420  geboren  wurde,  und 
daß  von  den  dargestellten  Uomini  illustri  Ruggero  Cane  1441,  Niccolo  Picci- 
nini  1444,  Francesco  Piccinini  1449,  Jacopo  Piccinini  1465  und  Carlo 
Fortebracci  gar  erst  1479  gestorben  ist.  Somit  muß  die  Entstehungszeit 
der  Fresken,  welche  Milanesi  und  die  meisten  späteren  Forscher  um  1438 
annehmen,  um  mindestens  zwei,  ja,  vielleicht  drei  Jahrzehnte  hinaufgerückt 
werden,  und  es  ist  nicht  nur  möglich,  sondern  sogar  in  hohem  Grade  wahr- 
scheinlich, daß  Domenico  Veneziano,  der  im  Mai  1461  in  Florenz  starb, 
als  Autor  dieses  Freskenzyklus  ausscheidet. 

* * 

* 

Die  Epitaphien  des  Francesco  Maturanzio  unter  den  Dar- 
stellungen der  Uomini  illustri  in  Casa  Baglioni.  (Nach  Cod. 

562,  Fl.  47,  der  Biblioteca  Comunale  zu  Perugia,  c.  143  f . — 145 -) 

El  pathaphio  de  Eulistio  hedificator  de  Perosia  No.  1. 

Eulistes  trojano,  inclito  e forte 
Benche  partito  dal  trojan  valore 
Dopo  le  guerre  e tanto  acerbe  morte 
Che  fero  i Greci  sopra  a mio  Signore, 

Italia  volse  per  divina  sorte 
E fui  de  questa  el  primo  fondatore, 

Peruscia  la  chiamai  nel  monte  toro 
Che  fu  poj  madre  de  tutti  costoro. 

El  pataphio  della  ciptä.  de  Perusia  No.  2. 

Fra  le  Italiche  eletta  a tanto  honore 
Peruscia  eulistea  io  son  che  degna 
M’  anno  fatta  i miei  figlioli  in  gran  valore 
Ove  scientia  e vertu  d’arme  regna, 


7)  Cronaca  del  Matarazzo,  Arch.  Stör.  It.  XVI  Pars  II,  p.  104. 


Der  Palast  des  Braccio  Baglioni  in  Perugia  und  Domenico  Veneziano. 


299 


De  Troja  venne  el  primo  fondatore, 

E nei  miei  tempi  so  stata  una  insegna 
D’Apollo  e Marte  sopra  al  monte  toro, 

Como  dimostrano  1’  opre  de  costoro. 

El  pataphio  de  Braccio  signor  de  Perosia  No.  3. 

[Braccio  Fortebracci.] 

Amator  de  virtü,  maestro  in  guerra 
Braccio  so’  io  tra  mej  quasi  el  magiore; 

La  fama  mia  ogn’  altra  quasi  serra. 

La  spada  e ’l  senno  me  fe  grande  honore, 

Digno  Signor  mi  fe  della  mia  terra: 

Roma  aquistai  per  forza  e per  valore, 

E relevai  lu  mio  perduto  stato, 

Capua  tenni  col  suo  principato. 

El  pataphio  del  Conte  Jacomo  [Piccinini]  No.  4. 
Unico  so’  io  honor  della  mia  terra 
Iliustre  conte  Jacomo  chiamato, 

Favor  della  mia  patria  in  ogni  guerra, 

E da  un  altro  Marte  generato: 

L’animo  excelso  mio  viltä  non  serra, 

Chi  m’a  con  seco  e bene  acconpagnato 
Osservator  de  fede  a cui  prometto, 

Et  de  conbatter  solo  e ’l  mio  diletto. 

El  pataphio  de  Vinciolio  [Vincioli]  No.  5. 

Io  son  quel  franco  Venciolo  perugino 
Cavalier  degno  d’onorata  sede, 

Exenplo  e specchio  a ciascon  ciptadino; 

Nell’  alta  impresa  como  che  se  vede 
Mortal  nimico  al  popol  Saracino 
Per  ampliar  la  mia  cristiana  fede, 

Dove  alle  Smirre  [Smirne]  combattendo  armato 
Sparsi  il  mio  sangue  e fui  martirizato. 

El  pataphio  de  Roger  dal  Cane  No.  6. 

[Rugg'ero  Cane  dei  Ranieri.] 

Roger  so’  io  che  per  avere  honore 
Fidel  fui  sempre  al  mio  promesso  stato: 

Nel’  armi  capitan  senza  timore, 

In  guerra  un  drago,  in  pace  humiliato, 

Ebbi  victorie  dallo  Imperadore, 

EI  vincitor  fo  vinto  e conquassato; 

E raquistai  lo  stato  venitiano, 

Ch’  era  perduto,  e fui  Ior  capitano. 

El  pataphio  de  Peruccio  Nero  [Montesperelli]  No.  7. 
Perugin  so’,  e foj  Peruccio  Nero 
Che  per  la  patria  molto  adoperai, 

Io  ebbi  al  ben  comun  1’  animo  intero 
Tanto  ch’  el  Laco  e ’l  Chiusi  li  aquistai. 


3°° 


Walter  Bombe: 


Ai  mej  nemici  io  fui  crudele  e fero, 

E infinite  ingiurie  vendicai. 

La  Republica  mia  tenni  in  istato, 

Ciptadin  grande  onde  io  ne  so  exaltato. 

El  pataphio  de  Jacomo  [Arcipreti]  No.  8 
Degli  Arcipetri  Jacomo  chiamato 
In  fatti  uno  homo  sempre  de  core. 

El  Signor  Braccio  prima  me  fo  dato 
Fratel  per  fede  e poj  me  fo  signore: 

Fui  grande  appogio  al  mio  gentile  stato; 

Colla  mia  spada  mostrai  gran  valore, 

Strenuo  nel  seguir  de’  fatti  d’arme, 

Onde  mia  fama  non  pö  piu  mancarme. 

El  pataphio  de  Francesco  Picinino  No.  9. 
Francesco  Piccinin  justo  e gagliardo 
So  de  parte  Braccescha  honore  e lume, 

Che  dove  io  misi  el  filice  stendardo 
Fici  col  mio  nom  tremare  i fiumi: 

A mie  imprese  non  fui  lento  ne  tardo, 

Giamai  pigritia  fu  mio  costume: 

Amai  con  tutto  el  cor  sempre  mia  terra 
Cortese  in  pace  e crudo  nella  guerra. 

El  pataphio  de  Biordo  [Michelotti]  No.  10. 
Inmagin  so’  di  quel  magno  Biordo 
Che  al  mondo  se  sugiugo  tante  ciptade, 

De  ventidui  stendardi  io  me  ricordo 
Venirlli  inseme  in  gran  solennitade; 

Ai  soi  nimici  el  vivar  misc  in  ordo, 

Tenendo  el  proprio  nido  in  libertate 
E fici  si  per  piani  e monti  e rive 
Che,  polver  gli  ossa,  il  nome  ancora  vive. 

El  pataphio  de  Boldrino  [da  Panicale]  No.  11. 
Io  son  quel  degno  capitan  famoso 
Boidrin  nell’  armi  aventurato  e forte. 

In  tutti  i fatti  miei  victoriuso 
E per  mio  senno  e per  celeste  Sorte; 

E fui  si  caro  al  mio  stil  valuruso 
Che  le  mie  genti  dopo  la  mia  morte 
Tre  anni  il  corpo  a triumpho  portaro 
Tanto  che  la  mia  morte  vendicaro. 

El  pataphio  de  Nicolö  Forte  braccie  No.  12. 
Nicolö  Forte  braccio  io  son  quel  degno 
D’eterna  fama  che  mortal  non  doma; 

E fu  di  tal  virtü  l’inclito  ingegno 
Che  ’l  Vicario  di  Dio  cacciai  di  Roma: 


Der  Palast  des  Braccio  Baglioni  in  Perugia  und  Domenico  Veneziano.  30 1 

Io  son  collui  che  giunsi  quasi  al  segno 
De  somma  gloria  e io  misi  la  soma 
Sempre  co’  golpi  a chi  mi  fu  contraro 
Dando  alli  mei  nemici  stato  amaro. 

El  pataphio  del  primo  Nicolö  Picinino  No.  13. 

Nicolö  son  quil  primo  Piccinino 

Ch’  ebbi  nell’  armi  ingegno  forza  e arte, 

Lume  de  fedeltä  nel  mio  camino, 

Un  fulgur  di  battaglia,  un’  altro  Marte; 

Provö  mia  forza  el  popol  Fiorentino 
Ed  a Venetia  assai  tolsi  de  parte: 

E fo  de  tal  virtü  mia  armata  mano 
Che  tolsi  el  nome  a ciascon  capitano. 

El  pataphio  del  Conte  Carlo  [Fortebracci]  No.  14. 
Frutto  d’excelso  seme,  inclito  e franco, 

De  Signor  nato  e non  de  ciptadino 
Son  Conte  Carlo  e non  di  vita  stancho, 

In  fatti  d’arme  un  altro  paladino; 

Prima  ch’io  fatto  sia  canuto  e bianco 
Spero  d’alzarme  al  mio  lungo  camino; 

E colla  spada  in  man  fama  aquistare 
Che  me’glior  fructo  non  se’  de  cercare. 

Messer  Borgaro  da  Marsciano,  El  Conte  Oddo  [Fortebracci?],  Ro- 
dolfo  delli  Oddi,  FabritioRanieri,delFrogia,  Cicholino  [Michelotti], 
Messer  Bartolo,  Messer  Baldo,  Messer  Piero,  Messer  Angel o. 

Quisti  capitani  e docturi  scripti  disopra  sonno  dipinti  nelle 
case  de  Braccio  in  Peroscia. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III. 
im  St.  Peter  in  Rom. 

Von  Konrad  Escher. 

Es  nimmt  heute  die  Nische  zur  Linken  der  Cattedra  Petri  ein  und 
erhebt  sich  somit  unmittelbar  gegenüber  demjenigen  Urbans  VIII.  Daß 
es  aber  ursprünglich  nicht  hier  stand,  und  daß  auch  seine  Gestalt  nicht  der 
ursprünglichen  entspricht,  ist  schon  längst  bekannt.  »Zuerst  stand  es  unter 
der  großen  Kuppel,  unweit  dem  Pfeiler  der  heil.  Veronika.  Es  war  ursprüng- 
lich für  einen  freistehenden  Ort  bestimmt,  wo  es  von  allen  Seiten  gesehen 
werden  konnte,  und  hatte  daher  an  der  Rückseite  noch  zwei  andere,  die 
beiden  jetzt  fehlenden  Kardinaltugenden  vorstellende  Figuren,  welche  bei 
der  Versetzung  des  Monumentes  an  seinen  gegenwärtigen  Platz  im  Jahre 
1628  weggenommen  und  in  den  Palast  Farnese  gebracht  wurden.«1)  (Be- 
schreibung der  Stadt  Rom  von  Platner,  Bunsen,  Gerhard  und  Rösteil, 
Stuttgart  und  Tübingen  1832.  II.  1.  p.  191.)  Auch  die  modernen  Reise- 
führer haben  diese  Tatsache  in  die  Beschreibung  der  Peterskirche  auf- 
genommen. (So  Gsell-Fels,  Rom  und  die  Campagna,  in  Meyers  Reise- 
büchern, 6.  Aufl.)  H.  Thode  hat  den  Anteil  Michelangelos  an  dem  Werke 
des  Fra  Guglielmo  della  Porta  eruiert  und  damit  einen  Teil  der  ein- 
schlägigen Literatur  bekannt  gemacht  (Michelangelo,  Kritische  Unter- 
suchungen zu  seinen  Werken.  II.  S.  235fr .)  und  zuerst  in  Übereinstimmung 
mit  Schreiber  dieser  Zeilen  auf  die  Verwandtschaft  der  Entwürfe  und  Modelle 
mit  denjenigen  für  Michelangelos  Julius -Grab  hingewiesen.  Der  Klar- 
legung der  Geschichte,  soweit  möglich,  und  der  Interpretation  des  Pauls- 
grabes sind  folgende  Ausführungen  gewidmet. 

Vasari*)  erzählt  in  der  Vita  des  Lione  Lioni  »und  anderer  Bildhauer 
und  Architekten«,  Fra  Guglielmo  della  Porta  habe  sich  im  Jahre  1537  nach 

*)  Wahrscheinlich  haben  die  Verfasser  die  Notiz  dem  Werke:  Della  sacrosanta 

ßasilica  di  S.  Pietro  in  Vaticano,  libri  due,  In  Roma  1750,  entnommen,  ohne  es  aber  nam- 
haft zu  machen.  Der  Verfasser  sagt:  »II  primo  (sepolcro)  e di  Paolo  III.  quivi  trasportato 
ncll’anno  1628,  occupando  per  lo  innanzi  quel  sito  ove  di  presente  e la  Statua  della  Veronica,« 
was  leicht  zu  einem  Mißverständnis  bezüglich  der  Placierung  des  Grabmals  Anlaß  gibt.  s.  u. 

a)  ed.  Milanesi  VII.  p.  545  f. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom. 


3°3 


Rom  begeben,  sei  daselbst  von  seinem  Oheim  Giovan  Jacomo  dem  Maler 
Sebastiano  del  Piombo  empfohlen  worden,  lind  dieser  habe  ihn  wieder,  wie 
es  seine  Gewohnheit  war,  an  Michelangelo  Buonarroti  empfohlen.  Dieser 
habe,  als  er  Portas  Arbeitseifer  kennen  gelernt,  sich  seiner  angenommen 
und  ihn  vor  allem  Antiken  des  Hauses  Farnese  restaurieren  lassen,  ihn 
hernach  in  den  Dienst  des  Papstes  gestellt.  In  jener  Zeit  habe  Porta  ein 
Grabmal  für  den  Bischof  Sulisse  oder  de  Solis  gefertigt,  und  zwar  größten- 
teils aus  Metall,  mit  Figuren  und  Geschichten  in  Flachrelief,  nämlich  die 
Kardinaltugenden  und  andere,  die  er  mit  großer  Feinheit  ausgeführt,  außer- 
dem noch  die  Statue  des  Bischofs  selbst,  die  nachher  nach  Salamanca  kam. 
Während  sich  Porta  vorab  mit  der  Restaurierung  der  farnesischen  An- 
tiken befaßte,  starb  im  Jahre  1547  Sebastiano  del  Piombo,  und  jener  wußte 
es  mit  allen  Anstrengungen  beim  Papst  und  mit  Hilfe  Michelangelos  und 
anderer  dazu  zu  bringen,  daß  er  Sebastiano  im  Amt  nachfolgte,  und  zu- 
gleich den  Auftrag  für  das  Grabmal  Pauls  III.  (f  1549)  erhielt.  In  der  Vita 
Michelangelos3)  ergänzt  Vasari  den  obigen  Bericht.  »Im  Jahre  1549  starb 
Papst  Paul  III.  Infolgedessen  ließ  der  Kardinal  Farnese  nach  der  Wahl 
Papst  Julius’  III.  für  Papst  Paul  ein  großes  Grabmonument  errichten  und  zwar 
gab  er  Fra  Guglielmo  den  Auftrag  dazu.  Dieser  ordnete  an,  es  müßte  im 
St.  Peter  unter  den  ersten  Bogen  der  neuen  Kirche,  unter  die  Tribuna  zu 
stehen  kommen,  wo  es  aber  auf  dem  ebenen  Boden  der  Kirche  nur  hinder- 
lich war  und  tatsächlich  nicht  an  seinem  richtigen  Platze  stand.  Und  weil 
Michelangelo  sehr  treffend  bemerkte,  hier  könne  und  dürfe  es  nicht  stehen, 
so  nahm  ihm  der  Frate  dies  sehr  übel  auf,  in  der  Meinung,  Michelangelo 
täte  es  ihm  nur  aus  Neid  an.  Dann  aber  sah  er  ein,  daß  jenfer  recht  gehabt 
und  daß  der  Fehler  auf  seiner  Seite  gewesen,  weil  er  die  Gelegenheit  wohl 
gehabt,  aber  trotzdem  das  Grabmal  nicht  ausgeführt  habe,  wie  anderorts 
berichtet  werden  soll.  Ich  kann  es  bezeugen,  weil  ich  mich  im  Jahre  1550 
auf  Befehl  Papst  Julius’  III.  nach  Rom  in  seine  Dienste  begab,  und  um  die 
Gesellschaft  Michelangelos  zu  genießen,  stellte  ich  mich  einer  solchen  Auf- 
forderung zufolge  gern  zur  Verfügung.  Michelangelo  wünschte  nun,  daß 
das  Grabmal  in  einer  der  Nischen  aufgerichtet  würde,  wo  heute  die  »Säule 
der  Besessenen«4)  (Colonna  degli  spiritati)  steht,  wo  auch  sein  Platz  war, 
und  ich  hatte  mich  dafür  verwendet,  daß  sich  Julius  III.  dazu  entschloß, 


3)  ed.  Milanesi  VII.  p.  225. 

4)  Die  Säule  gehörte  einst  zu  den  zwölf  columnis  vitineis,  welche  vor  der  Konfession 
von  St.  Peter  standen  und  welche  Kaiser  Konstantin  aus  dem  salomonischen  Tempel 
hierher  gebracht  haben  soll.  »Earum  autem  uni  tantam  Christus  Dominus  adhaerendo,  dum 
praedicabat,  virtutem  contactu  ipso  impressit,  ut  immundos  illico  spiritus,  vel  reprimeret, 
vel  fugaret  (Ciampini  de  sacris  aedificiis  a Constantino  magno  constructis  synopsis  historica. 
Sectio  IV.  p.  51). 


304 


Konrad  Escher: 


in  Übereinstimmung  mit  jenem  Grabmal  das  seinige  in  der  andern  Nische 
aber  von  gleicher  Art  wie  dasjenige  Pauls  III.  errichten  zu  lassen.  Der 
Frate,  der  dies  falsch  verstand,  trug  dann  die  Schuld,  daß  sein  Grabmal 
nie  vollendet  wurde,  und  daß  man  dasjenige  des  andern  Papstes  überhaupt 
nicht  errichtete;  all  dies  hatte  Michelangelo  vorausgesagt.«  Den  Auftrag 
zum  Grabmal  Pauls  III.  erhielt  della  Porta  vom  Kardinal  wohl  im  Früh- 
jahr des  Jahres  1 5 505) ; wie  aus  den  schriftlichen  Zeugnissen  hervorgeht, 
sind  Kommission  und  Künstler  im  folgenden  Jahre  vollauf  beschäftigt. 
Im  Jahre  1551  sandte  Annibale  Caro,  der  hervorragenden  Anteil  am  Zu- 
standekommen des  Monumentes  hatte,  zwei  Entwürfe  an  den  Kardinal  von 
Sta.  Croce  ein,  und  begleitete  sie  mit  einem  langen  Schreiben,  worin  er  beide 
erläutert  und  kritisiert;  der  Adressat  möge  zwischen  beiden  wählen5 6 7).  Fra 
Guglielmo  hatte  damals  sein  Modell  schon  gebaut;  denn-  Annibale  Caro  be- 
merkt zu  der  ersten  Zeichnung:  »II  colorito  (disegno)  b quello  che  rap- 
presenta  il  modello  fatto  da  fra  Guglielmo  e conferito  (come  egli  dice)  con 
Michelagnolo7).  — Die  andere  Zeichnung,  die  nur  in  Aquarellfarben  skizziert 
ist,  stammt  von  einem  tüchtigen  Mann,  der  sich  aber  nichts  daraus  macht, 
mit  Namen  genannt  zu  werden,  da  er  sich  aus  purer  Bescheidenheit  nicht 
in  die  Angelegenheit  der  andern  mischen  will,  und  der  die  Zeichnung  des- 
halb nur  auf  Betreiben  des  Kardinals  Farnese  angefertigt  hat.«  Den  aus- 
führlichen Inhalt  des  Briefs  hat  Thode  in  Übersetzung  wiedergegeben.  Da 
dem  Brief  , auch  die  Entwürfe  beigegeben  waren,  so  ist  es  begreiflich,  daß 
jener  nicht  alle  Teile  des  Grabmals  gleichmäßig  erörtert,  sondern  nur  die- 
jenigen, in  denen  beide  Entwürfe  voneinander  abwichen,  und  wo  dem  Ver- 
fasser Verbesserungen  notwendig  schienen.  Ein  anderer  mutmaßlicher 
Grund  zu  der  Unvollständigkeit  des  Berichts  ist  aus  dem  Folgenden  zu 
ersehen. 

DerEntwurf  Portas  setzt  ein  F r e i g r a b voraus.  Ein  großer 
Steinwürfel,  ursprünglich  von  Porta  und  Michelangelo  massiv  gedacht,  ent- 
hält die  geräumige  Grabkammer  in  Form  eines  kleinen  Tempels,  in  welcher 
der  »schöne«  Sarkophag  mit  dem  Leichnam  steht.  Da  sich  nämlich  diese 
Grabkammer  ohnehin  nicht  zum  Schmuck  mit  Stukkaturen,  Malereien  und 
Mosaik  eignete,  verzichteten  die  Künstler  anfangs  darauf,  überhaupt  einen 
Eingang  anzugeben;  die  Türe  wurde  erst  nachträglich  eingezeichnet,  be- 
friedigte aber  trotzdem  nicht.  (Wie  die  Stelle  zu  deuten  sei,  sie  habe  nicht 
die  Majestät,  die  dem  Werke  entspräche,  und  von  der  Architektur  gefordert 
werde,  insofern  namentlich,  als  man  von  außen  hinab  — und  von  innen 
emporsteigt,  ist  zunächst  nicht  zu  entscheiden.)  Acht  Termini  vollziehen 

5)  H.  Thode,  Michelangelo  und  das  Ende  der  Renaissance  I.  p.  450. 

6)  Bottari,  Lettere  pittoriche.  Milano  1822.  III.  p.  21 1.  Nr.  XCVII. 

7)  Michelangelo,  Kritische  Untersuchungen,  loc.  cit. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom. 


305 


die  Vertikalgliederung.  An  den  beiden  Seitenfluchten  steht  je  ein  Sarko- 
phag, der  das  abschließende  Horizontalgesimse  durchbricht.  Über  den 
Termini  (Thode  scheint  mir  mit  der  Übertragung  in  den  Begriff  »Pfeiler« 
nicht  das  Richtige  getroffen  zu  haben),  welche  die  Ecken  bezeichnen,  stehen 
Piedestale  für  andere  Figuren,  und  diese  Sockel  werden  von  Kartuschen 
überschnitten,  die  »über  die  Architektur  hinausgehen«.  Caro  spricht  nur 
von  due  carteile;  nimmt  man  an,  die  Zeichnung  habe  nur  den  Aufriß  des 
Grabmals  gegeben  und  zwar  die  Front,  so  waren  allerdings  nur  die  zwei 
vorderen  Eckkartuschen  sichtbar.  Vorgesehen  waren,  auf  Grund  eines  noch 
zu  Lebzeiten  Papst  Pauls  III.  geäußerten  persönlichen  Wunsches  desselben, 
acht  Allegorien,  nämlich  die  vier  Jahreszeiten  und  vier  Kardinaltugenden. 
So  der  Bericht  des  Annibale  Caro. 

Dazu  kommt  eine  Anzahl  von  ihm  nicht  erwähnter  Bestandteile;  ab- 
gesehen von  den  vier  Bronzeputti  an  den  vier  Ecken  mit  den  Kartuschen 
(s.  o.)  zeigte  das  Modell  Geschichten  und  die  Figuren  der  theologischen  und 
Kardinaltugenden,  die  er  schon  alle  für  das  Grabmal  des  Bischofs  Solis  an- 
gefertigt hatte;  die  Bekrönung  des  Ganzen  sollte  die  Statue  Pauls  III.  in 
Bronze  sein  »in  atto  di  pace«.8)  Das  Nähere  gibt  zudem  ein  Brief  des  Anni- 
bale Caro  an  Marc' Antonio  Elio  da  Capo  d'Istria,  Bischof  von  Pola,  datiert 
den  5.  August  1551 9).  Annibale  Caro  berichtet,  die  Entwürfe  für  das  Pauls- 
grab seien  an  den  Kardinal  von  Sta.  Croce  abgeschickt  worden,  damit  dieser 
sich  für  einen  derselben  entschließe.  Momentan  stehe  nur  das  Modell  Fra 
Guglielmos  zur  Verfügung,  und  dieser  habe  die  Zeichnungen,  aus  Furcht 
vor  Plagiaten,  nur  sehr  ungern  herausgegeben,  und  es  habe  der  ausdrück- 
lichen Versicherung  des  Schreibers  bedurft,  der  Kardinal  hätte  die  Entwürfe 
nur  zur  Beratung  mit  den  andern  Mitgliedern  der  Kommission  eingefordert. 
Darauf  habe  er  (der  Schreiber)  Vom  Künstler  auch  noch  mündliche  Informa- 
tionen über  Maße  und  Gegenstände  eingeholt,  und  die  Sache  stünde  jetzt 
folgendermaßen.  »All  das,  was  zu  machen  ist,  hat  sich  genau  nach  dem  zu 
richten,  was  schon  gemacht  ist,  und  dies  ist  nämlich  erstens  eine 
Bronzebasis  mit  Geschichten,  die  der  Frate  für  den  toten  Bischof  Solis  ange- 
fertigt, und  welche  der  Papst  noch  bei  seinen  Lebzeiten  gekauft,  da  er  sie  als 
seines  Grabmals  würdig  erachtete.  Diese  ist  41/*  Palmen  hoch,  13  Palmen 


8)  Vasari,  ed.  Milanesi  VII,  p.  546  f.  Die  erwähnten  theologischen  und  Kardinal- 
tugenden sind  identisch  mit  denen,  die  Vasari  schon  als  zum  Grabmal  des  Bischofs  Solis 
gehörig  anführt;  daß  sie  aber  zum  Paulsgrab  verwendet  werden  sollten,  ist  ein  Irrtum, 
der  auf  einer  Verwechslung  beruht  und  sich  nur  dadurch  erklären  läßt,  daß  Vasari  die 
betreffende  Vita  erst  lange  nach  den  Vorbereitungen  für  den  Grabmalsbau  zusammenfaßte 
und  sich  dabei  auf  ungenaue  mündliche  Mitteilungen  verließ.  Daß  sich  seine  Arbeitsweise 
übrigens  keineswegs  durch  Sorgfältigkeit  auszeichnet,  ist  eine  allgemein  bekannte  Tatsache. 

9)  Vasari  ed.  Guglielmo  dclla  Valle.  Siena.  1793.  X.  p.  331.  Note. 


3°6 


Konrad  Escher: 


breit,  und  18  lang,  und  auf  sie  sollte,  wie  S.  Heiligkeit  noch  selbst  be- 
schlossen, eine  Bronzestatue  gesetzt  werden,  wofür  der  Frate  auf  seinen 
Befehl  das  Modell  machte.  ..Hierauf  wurde  sie  mit  großen  Unkosten  ange- 
fertigt (im  Modell)  und  nach  der  Gießerei  ins  Belvedere  gebracht,  und  es  kam 
auch  das  zum  Guß  nötige  Metall  von  Genua  an,  und  es  besteht  diese  Statue 
aus  einem  Koloß,  darstellend  den  Papst  sitzend,  mit  der  Gebärde  des  Friedens- 
stifters, iS1/ 2 Palmen  hoch.  Die  beiden  Sachen,  welche  schon  so  gut  wie 
gemacht  sind,  können,  wie  vorauszusetzen  ist,  nicht  mehr  rückgängig  ge- 
macht werden,  weil  sie  schon  Hunderte  von  Scudi  kosten  und  nach  Fug  und 
Recht  dem  Fra  Guglielmo  nicht  aus  den  Händen  gerissen  werden  dürfen. 
Es  bleibt  also  nur  übrig,  darauf  zu  sinnen,  wie  man  sie  fertig  bringt,  und 
deshalb  hat  man  zu  berücksichtigen,  daß  ja  noch  ein  alter  sehr  schöner 
Sarkophag  vorhanden  ist,  den  der  Papst  selbst  zur  Aufnahme  seines  Leich- 
nams bestimmt  hatte,  und  daß  man  schließlich  die  Marmorblöcke,  die  man 
zu  diesem  Zweck  mit  großen  Unkosten  von  Carrara  hat  kommen  lassen, 
nicht  wegwerfen  darf,  nämlich  16  Stücke,  von  denen  acht  für  Liegestatuen 
bezeichnet  und  zu  diesem  Zwecke  schon  abbozziert  sind,  vier  derselben  zehn 
Palmen  hoch  und  die  vier  andern  neun,  während  die  acht  andern  Blöcke 
für  die  Termini  bestimmt  sind,  von  denen  nachher  die  Rede  sein  wird.  Dann 
wurden  auch  für  die  Ornamente  viele  buntfarbige  Steinsorten  mit  großem 
Kostenaufwand  gekauft,  und  dies  ist  das  ganze  Material  für  das  Grabmal. 
Da  ich  Euch  bezüglich  des  Aussehens  von  hier  die  Zeichnungen  nicht 
schicken  kann,  so  will  ich  Euch  jetzt  klar  machen,  auf  wie  viele  Arten  es  bis 
jetzt  dargestellt  wurde. 

Fra  Guglielmo  machte  sein  erstes  Modell  folgendermaßen:  Er 

setzte  die  Statue  und  die  obengenannte  Basis  auf  acht  Marmortermini  samt 
dem  übrigen  architektonischen  Zubehör,  und  auf  die  Seiten  des  »Vierecks«10) 
setzte  er  je  einen  Sarkophag  mit  je  zwei  Liegestatuen.  An  den  Fronten  des 
»Vierecks«  brachte  er  je  eine  große  Kartusche  an  (Cartellone),  und  über 
jeder  zwei  Liegestatuen,  und  so  waren  die  Liegestatuen  und  die  Zusammen- 
setzung der  Architektur  aus  Marmor,  die  Särge  unterhalb  der  Statuen  aus 
Bronze,  und  alles  übrige  setzte  sich  aus  buntem  Material  zusammen.  Das 
Viereck  erhielt  solche  Dimensionen,  daß  im  Innern  ein  Hohlraum  wie  eine 
Kapelle  übrig  blieb,  in  deren  Mitte  man  den  alten  Sarkophag  mit  dem  Leich- 
nam des  Papstes  stellte,  und  hiervon  hat  der  Kardinal  das  Holz -Modell 
gesehen. « 

Beide  Briefe  Annibale  Caros  sprechen  von  einem  fertigen  Modell, 
beide  sind  im  Jahre  1551  geschrieben,  nun  bleibt  aber  die  Frage  offen,  ob 
sich  beide  mit  demselben  Zustand  des  Grabmalentwurfs  beschäftigen,  d.  h. 


,0)  Der  Ausdruck  im  Text  lautet  quadro. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom. 


307 


absolut  gleichzeitig  sind,  ob  der  erst  zitierte  früher  oder  später  anzusetzen 
ist  als  der  vom  August  datierte,  ob  dieses  eventuelle  Zeitintervall  einen  Fort- 
schritt in  der  Angelegenheit  bedeutet,  und  welchen. 

Im  erstgenannten  Brief  erläutert  Caro  dem  Kardinal  von  Sta.  Croce 
eine  Kopie  des  Modells  Guglielmos,  woraus  resultiert,  daß  der  Kardinal 
das  Modell  noch  nicht  gesehen  habe,  während  er  im  zweiten  Brief  als  mit 
der  Angelegenheit  vollauf  beschäftigt  erwähnt  wird.  Der  erstgenannte  Brief 
verschweigt  den  oberen  Teil  des  Grabmals  völlig,  er  sagt  nichts  von  der 
reliefierten  Bronzebasis  und  nichts  von  der  Paulsstatue;  über  die  Liege- 
figuren ist  man  vollends  unschlüssig:  acht  Statuen  hatte  der  Papst  ge- 
wünscht, sie  sind  auf  dem  anderen  Blatte,  dem  des  Anonymus,  verzeichnet; 
nun  wünscht  aber  Caro,  nachdem  er  auch  die  Meinung  des  Bischofs  von 
Spoleto  gehört,  daß  die  Jahreszeiten  durch  andere  Allegorien  mehr  lehr- 
haften Charakters  ersetzt  würden,  für  den  Fall,  daß  man  dem  Entwurf  des 
Anonymus  zufolge  acht  Statuen  anbringen  wolle.  Entscheidend  für  die 
Frage  der  Zeitfolge  ist  vollends  folgende  Stelle:  »Um  aber  zu  einem  festen 
Entschluß  bezüglich  der  Statuen  zu  gelangen,  muß  erst  die  Form  der  Archi- 
tektur, in  welcher  sie  verteilt  werden  soll,  bestimmt  sein.«  Man  berück- 
sichtigt immer  noch  den  Entwurf  des  Anonymus.  »Der  andere  Entwurf 
scheint  allem  gerecht  zu  werden  und  nicht  viel  mehr  zu  kosten,  obgleich 
er  vier  Statuen  mehr  enthält,  es  gehen  die  acht  Termini  ab,  welche  in  jener 
ersten  Zeichnung  (Portas)  sind.  Euer  Hochwürden  hat  zu  entscheiden, 
welcher  von  beiden  feineres  Verständnis  zeigt,  und  zu  sagen,  welche  weitern 
Wünsche  sie  hat.  — Sollte  der  zweite  Entwurf  gefallen,  so  hieße  es  an  vier 
weitere  Statuen  denken,  die  hinzukommen,  und  an  ihre  Darstellungsweise, 
wozu  später  noch  Zeit  ist.«  In  demselben  Brief  findet  Annibale  Caro  die 
Sarkophage  außen  an  den  Längsseiten  überflüssig,  und  bemerkt,  es  mißfalle, 
daß  sie  das  Gesims  durchschneiden,  ebenso  hat  er  an  den  Eckkartuschen 
Aussetzungen  zu  machen.  Letztere  beiden  Punkte  werden  im  zweiten  Brief 
nicht  mehr  berührt,  Porta  muß  also  das  Modell,  das  ja  Caro  selbst  in  Er- 
mangelung der  Skizzen  beschreibt,  korrigiert  und  zugleich  fertig  ausgebaut 
haben;  ein  zweites  kommt  hier  nicht  in  Frage,  denn  Annibale  Caro  sagt  aus- 
drücklich: »il  primo  modello«.  Das  Modell  zeigt  aber  noch  die  zwei  Sarko- 
phage außen.  Caro  schreibt  nun  an  Pola  (Brief  vom  5.  August  1551):  »Der 
Kardinal  hat  das  Holzmodell  besichtigt  und  dann  gefunden,  man  könnte 
es  noch  verbessern;  da  nämlich  für  das  Grabmal  nur  ein  Leichnam  da  sei, 
so  schienen  zwei  Sarkophage  außen  und  einer  drinnen  überflüssig.  Da  ferner 
der  (eigentliche)  Sarkophag  sehr  schön  und  der  Raum  der  Kapelle  weit  ist, 
wie  ich  schon  gesagt,  wünschte  man,  nicht  nur  einen  Eingang  dazu,  sondern 
auch  Schmuck  in  Form  von  Malerei  und  Mosaik.  Und  auf  diesem  Entwurf 
(es  ist  wohl  das  Modell  damit  gemeint)  war  kein  Platz  für  den  Eingang, 


3°8 


Konrad  Escher: 


und  obschon  man  es  sich  auf  alle  Arten  überlegte,  wie  es  zu  machen  wäre, 
ließ  er  sich  nur  schlecht  anbringen.« 

Offenbar  konnte  man  sich  über  die  verschiedenen  Fragen  nicht  einigen. 
Auf  Veranlassung  Caros  fertigte  nun  Paciotto  einen  eigenen  Entwurf 
an,  der  allgemein  gefiel.  Davon  macht  jener  in  demselben  Brief  an  den 
Bischof  von  Pola  Mitteilung.  »Mit  einer  andern  Architekturordnung  setzte 
er  den  ganzen  bronzenen  Bestandteil  auf  gewisse  Doppelpilaster,  und  an 
jeder  Fronte  brachte  er  eine  vergitterte  Türe  an,  so  daß  man  den  Sarkophag 
und  den  Schmuck  in  der  Kapelle  drinnen  sehen  konnte.  Außen  an  den 
Seiten  nahm  er  die  Sarkophage  weg,  und  setzte  an  deren  Stelle  Würfel 
(d.  h.  würfelförmige  Steinpostamente)  mit  ihren  Leuchtern  und  mit  zwei 
»aufgestützten«  (Liege-) Statuen  auf  einem  jeden  dieser  Würfel,  und  an 
jeder  Ecke  des  Vierecks  stellte  er  vor  die  Pilaster  auf  zwei  Piedestale  eine 
aufrechte  Statue.«  Caro  berichtet  weiter,  Porta  habe,  aus  Furcht,  der  Auf- 
trag könnte  ihm  entrissen  werden,  erklärt,  an  seinem  Modell  alle  Mängel 
verbessern  zu  können,  was  wieder  zu  langen  Verhandlungen  zwischen  den 
beteiligten  Kardinälen  Anlaß  gab,  ohne  daß  je  etwas  beschlossen  worden 
wäre,  »weil  jemand  ist,  der  nicht  will,  daß  das  Werk  vorwärts  geht,  und 
dadurch  immer  neue  Entwürfe  nährt  und  die  Platzfrage  in  Zweifel  zieht«. 

Bis  zum  August  1551  war  also  folgendes  geschehen.  Nachdem  Gu- 
glielmo  della  Porta  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  155°  den  Auftrag  erhalten, 
hatte  er  sich  sofort  mit  Michelangelo  beraten  und  unter  Berücksichtigung 
schon  vorhandener  Grabmalsrequisiten  und  der  persönlichen  Wünsche 
Pauls  III.  das  Modell  gebaut,  davon  eine  Kopie  angefertigt,  welche  durch 
Vermittelung  des  Annibale  Caro  an  den  Kardinal  von  Sta.  Croce  gelangte, 
gleichzeitig  mit  dem  Entwurf  des  Anonymus;  dies  geschah  im  Jahre  1 5 5 1 , 
aber  man  war  sich  noch  gar  nicht  über  alle  Punkte  klar.  Jedenfalls  sollte 
es  ein  Freibau  mit  einem  Hohlraum  für  den  Sarkophag  und  mit  Statuen 
werden.  Porta  sah  eine  Gliederung  mit  Termini  vor,  ähnlich  dem  Juliusgrab 
Michelangelos;  er  brachte  an  den  beiden  Längsseiten  Sarkophage  an,  be- 
krönte die  Ecken  mit  Statuen  und  Kartuschen  und  dachte  sich  als  Statuen - 
schmuck  vier  Allegorien,  wobei  aber  nicht  gesagt  wird,  ob  liegende  oder 
stehende.  Der  obere  Teil  stand  von  vornherein  fest:  es  war  die  reliefierte 
Bronzebasis  vom  Solisgrab  und  die  Statue  Pauls  III.,  wie  es  der  Verstorbene 
gewünscht  hatte. 

Der  Entwurf  des  Anonymus  wich  insofern  von  demjenigen  Portas  ab, 
als  die  Termini  in  Wegfall  kamen,  die  Zahl  der  Statuen  dagegen  acht  statt 
vier  betrug;  er  hatte  sich  nämlich  genau  an  des  Papstes  Wunsch  bezüglich 
Art  und  Zahl  der  Allegorien  gehalten.  Die  seitlichen  Sarkophage  und 
Kartuschen  waren  besser  komponiert,  das  übrige  offenbar  überein- 
stimmend. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom.  309 

Wie  aus  dem  Inhalt  des  zweiten  Briefs  Caros  hervorgeht,  muß  der 
erste  an  den  Anfang  des  Jahres  1551  gesetzt  werden.  Offenbar  entschloß 
man  sich  recht  bald  für  eine  bestimmte  Form,  man  ließ  die  Blöcke 
aus  Carrara  kommen  und  schon  abbozzieren.  Das  Modell  Portas  war 
verbessert,  vielleicht  ausgebaut  worden  und  präsentierte  sich  folgender- 
maßen: Die  Statue  des  Papstes  und  die  Basis  ruhen  auf  dem  großen 
viereckigen  Grabbau,  den  acht  Termini  gliedern;  ein  Hohlraum  im  Innern 
enthält  als  Grabkapelle  den  Sarkophag  mit  dem  Leichnam;  an  den 
Längswänden  steht  je  ein  Bronzesarg  mit  je  zwei  Liegestatuen;  an  den 
beiden  Fronten  befindet  sich  je  eine  große  Kartusche  und  je  zwei  Liege- 
statuen. Die  Kartuschen,  etwaige  bekrönende  Eckfiguren,  Inkrustationen 
bestehen  aus  farbigem  Material,  das  laut  Angabe  in  reichlichem  Maße  zur 
Verwendung  kommen  sollte.  Ein  Freibau  mit  acht  Liegefiguren,  je  zwei 
mit  einem  Sarkophag  und  je  zwei  mit  einer  Kartusche  gruppiert;  eine  Grab- 
kapelle; achtTermini;  eine  reliefierte  Bronzebasis;  eine  bekrönende  Statue  des 
Papstes.  Wie  vierlerlei  Bestandteile  sind  hier  vereinigt!  Der  Freibau,  dessen 
Wände  Termini  gliedern,  und  der  einen  Hohlraum  für  den  Sarkophag  ent- 
hält, läßt  in  erster  Linie  an  den  frühesten  Entwurf  des  Juliusgrabmals 
Michelangelos  denken,-  was  sich  bestätigt,  wenn  man  aus  der  von  Annibale 
Caro  an  den  Kardinal  abgeschickten  Zeichnung  Portas  die  Eckfiguren  auf 
Piedestalen  auch  hier  ergänzt.  Michelangelo  dachte  sich  zwei  Zugänge  zur 
Grabkapelle,  die  nach  Art  eines  Tempels  gebildet  war,  in  ovaler  Form,  und 
in  deren  Mitte  der  Sarkophag  stand,  in  dem  der  Leichnam  des  Papstes  bei- 
gesetzt werden  sollte.  Man  tadelte  an  Portas  Entwurf  und  Modell,  daß 
keine  Eingänge  vorhanden  waren,  und  als  man  sie  anbringen  wollte,  konnte 
es  nicht  in  befriedigender  Weise  geschehen,  weil  das  Grabmal  nicht  einheit- 
lich konzipiert  war.  Auch  der  obere  Abschluß  des  Paulsgrabes  erinnert  an 
den  ersten  Entwurf  für  das  Juliusgrab,  von  dem  Condivi  sagt,  er  habe  den 
ganzen  Bau  »so  emporsteigend«  in  einer  Plattform  endigen  lassen,  was  Vasari 
in  der  zweiten  Ausgabe  seiner  Vita  weiter  ausführt:  »Oberhalb  des  Ge- 
simses stieg  der  Bau  empor,  stufenweise  sich  verjüngend  mit  einem  Fries 
von  Bronzedarstellungen  und  anderen  Figuren  und  Platten  und  Ornamenten 
ringsum.«  (Übersetzung  von  Thode,  Kritische  Untersuchungen.  I.  S.  165.) 
Im  wesentlichen  stimmt  Portas  Modell  damit  überein,  nur  mag,  da  es  sich 
nur  um  eine  Basis,  nicht  einen  Stufenbau  handelte,  das  Aussehen  des  oberen 
Teils  noch  mehr  an  das  Grabmal  Sixtus’  IV.  erinnert  haben. 

Seitlich  waren  Sarkophage  angebracht,  ähnlich  wie  an  den  ersten  Ent- 
würfen für  die  Medicigräber,  die  in  einem  Freibau11)  vereinigt  werden  sollten; 
das  Maßgebende  aber  sind  natürlich  die  mit  ihnen  komponierten  Liege- 


n)  Vgl.  Fritz  Burger,  Geschichte  des  florentinischen  Grabmals.  Taf.  XXXII,  Fig.  I. 


3io 


Konrad  Escher: 


figuren.  Solche  aber  über  einer  Kartusche  zu  gruppieren,  war  ein  Ver- 
legenheitsmittel, und  diese  Frontgruppen  können  es  allein  gewesen  sein, 
die  eine  glückliche  Anbringung  der  Eingänge  zur  Grabkapelle  verhinderten. 
Beim  Juliusgrab  war  Marmor  und  Bronze  zusammen  verwendet  worden; 
jedenfalls  aber  sind  unter  den  für  das  Paulsgrab  angekauften  »mischij«- 
farbige  Steinsorten  zu  verstehen,  deren  Verwendung  in  der  Folgezeit  ja  die 
Regel  wurde.  Die  Statue,  welche  den  ganzen  Aufbau  zu  bekrönen  hatte, 
war  die  erste  dieser  Art;  in  die  Nische  hatte  sie  Michelangelo  eingeführt. 
Die  Auffassung  als  Triumphalstatue,  die  Verwendung  der  seit  dem  Mittel- 
alter  gebräuchlichen  Porträtstatuen  von  Päpsten  als  bekrönenden  Ab- 
schluß eines  groß  gedachten  Grabbaus,  war  wohl  der  Gedanke  Pauls  III. 
selbst  gewesen. 

Für  die  Bronzestatue  hatte  della  Porta  das  Modell  gemacht,  Genua 
das  Metall  geschickt,  und  in  der  Gießhütte  im  Belvedere  sollte  der  Guß  vor 
sich  gehen;  aus  den  folgenden  Zeilen  von  Caros  zweiten  Brief  ist  nun  zu 
entnehmen,  daß  er  noch  bevorsteht. 

Vor  dem  August  1551  war  das  Modell  fertig,  die  Marmorblöcke  voll- 
zählig da  und  schon  abbozziert,  der  Guß  der  Papststatue  vorbereitet,  und 
man  könnte  meinen,  die  Sache  käme  rasch  zu  Ende.  Da  trat  aber,  wie  Anni- 
bale Caro  dem  Bischof  von  Pola  berichtet,  Michelangelo  dazwischen  (s.  0.) 
und  bringt  die  Arbeit,  lediglich  der  Platzfrage  wegen,  ins  Stocken.  »Er  riet 
diesen  Kardinälen,  welche  sich  über  Einzelheiten  nicht  einigen  konnten, 
daß  nur  eine  Nische  gemacht  würde,  um  diese  Statue  aus  Bronze  mit  ihrer 
Inschrift  hineinzustellen,  und  nichts  anderes,  damit  sie  als  ein  giudice 
di  Campidoglio11)  erscheine.  Das  hieß  allerdings,  das  große,  mit 
seiner  eigenen  Hülfe  vorbereitete  Projekt  Portas  völlig  Umstürzen;  offen- 
bar hatte  ihn  dessen  Hartnäckigkeit  bezüglich  der  Platzfrage  erbittert, 
und  er  wollte  der  Sache  rasch  ein  Ende  machen.  Soviel  wenigstens  gelang 
ihm,  daß  er  die  Angelegenheit  neuerdings  ins  Stocken  brachte.  Annibale 
Caro  benützte  die  Pause  und  die  Unschlüssigkeit  der  Kardinäle,  um  seiner- 
seits einen  Vorschlag  zu  machen.  »Das,  was  meines  Erachtens  mehr  als 
alles  andere  gefallen  dürfte,  wäre  das,  daß  die  Statue  und  die  Basis  nicht 
mehr  auf  den  ganzen  Bau  gesetzt  würde,  der  ja  doch  so  hoch  ist,  sondern 
nur  auf  einen  Teil  des  Marmors  und  der  bunten  Steine,  der  sich  nicht  höher 
über  den  Fußboden  erheben  sollte,  als  es  brauchte,  um  der  Statue  Raum 
zu  schaffen  (wohl  so  zu  verstehen:  nicht  mehr  als  die  Höhe  der  Statue  selbst 
beträgt),  und  da  es  euch  ja  doch  nicht  gelingt,  Raum  für  die  Kapelle  und 
für  den  Sarkophag  zu  schaffen,  so  werdet  ihr  auch  keine  Eingänge  und  Ge- 


»)  Das  Grabmal  Urbans  VII.  besteht  nur  aus  Postament  und  Statue.  (Sta.  Maria 
sopra  Minerva.) 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom.  ^ 1 1 

simse  mehr  anbringen  müssen,  und  man  wird  den  Platz  für  das  Grabmal 
viel  leichter  finden,  weil  nur  seine  Höhe  Bedenken  erweckt,  es  im  St.  Peter 
aufzurichten«. 

Annibale  Caro  schlägt  also  vor,  den  großen  Freibau  mit  Grabkapelle, 
Termini,  Sarkophagen  und  Liegefiguren  auf  ein  massives  Postament  aus 
Marmor  und  andere  Teile  aus  buntem  Stein  zu  reduzieren;  von  den  Liege- 
statuen sagt  er  nichts;  aus  dem  folgenden  geht  aber  hervor,  daß  er  sie  bei- 
behalten will,  und  zwar  in  der  Vollzahl  von  acht.  Was  er  dem  Bischof  Pola 
mitteilt,  ist  kein  angeführtes  Projekt,  sondern  nur  ein  Gedanke,  den  er  bei 
dieser  Gelegenheit  äußert,  weil  er  sich  ja  doch  einmal  so  eingehend  mit  der 
Sache  beschäftigt.  »Überlegt  euch  all  diese  Punkte,  fährt  Annibale  Caro 
fort;  der  Kardinal  mag  sich  mit  diesen  Herren  darüber  beraten  und  sie  aus- 
wählen lassen,  dann  aber  sich  zum  Besten  in  beiderlei  Hinsicht  entschließen 
und  Befehl  geben,  daß  die  Arbeit  fertig  werde,  damit  nicht  noch  die  Bosheit 
der  Leute  ein  so  schönes  Werk  verhindere.  — Wenn  ihr  die  Zeichnungen 
haben  wollt,  so  könnt  ihr  auf  alle  Fälle  darum  zum  Kardinal  von  Sta.  Croce 
schicken,  an  den  ich  überdies  noch  eine  Weisung  bezüglich  dessen,  was  es 
zu  dieser  Zeit  noch  alles  braucht,  gesandt  habe,  und  es  wird  gut  sein,  wenn 
ihr  ihn  außer  den  Zeichnungen  auch  darum  ansucht;  denn  es  gibt  auch  noch 
irgendwelche  anderen  Erwägungen  darüber,  deren  ich  mich  nicht  entsinne,  aber 
speziell  über  die  historische  Darstellung,  über  die  schon  viel  hin  und  her  geredet 
worden  ist.  Noch  zu  Lebzeiten  des  Papstes  beschloß  man,  an  den  beiden 
Längsseiten  je  zwei  (Statuen),  nämlich  die  Gerechtigkeit  und  die  Klugheit,  den 
Frieden  und  den  Überfluß,  und  an  den  Schmalseiten  die  vier  Jahreszeiten 
anzubringen,  welch  letztere  mir  nie  gefallen  haben,  da  sie  keine  kirchlichen 
oder  belehrenden  Gegenstände  bilden,  und  an  ihrer  Stelle  wurden  vier  andere 
ausgemachte),  und  das  sind  die  Religion  und  die  Beständigkeit,  und  zwei 
andere,  an  die  ich  mich  nicht  erinnere:  und  alle  diese  habe  ich  beschrieben, 
wie  die  Alten  sie  darstelltenM).  Auch  di.es  könnt  ihr  beim  Kardinal  von  Sta. 
Croce  erfragen,  da  ich  jetzt  nicht  finden  kann,  wo  die  Beschreibungen  bei 
mir  sein  möchten.  Nun,  bis  daß  die  Komposition  und  die  Statuen  beschlossene 
Sache  sind,  und  da  ja  die  Kolossalstatue  und  die  Basis  bereits  feststehen, 
und  da  ferner  die  ganze  Ausgabe  dafür  geleistet  ist,  und  weil  schließlich  die 
Gießform  und  das  Metall  in  Ordnung  sind,  wird  es  gut  sein,  wenn  der  Kar- 
dinal dem  Frate  den  Auftrag  zum  Guß  erteilen  läßt;  denn  mir  scheint,  ich 
sehe  voraus,  daß  ihm  irgend  ein  unglücklicher  Zufall  noch  dieses  Metall  aus 
den  Händen  reißt.  Aber  jetzt  genug  davon«. 


J3)  Vgl.  den  Schluß  des  Briefs  an  den  Kardinal  von  Sta.  Croce. 

J4)  Annibale  Caro  an  M.  Fulvio  Orsino.  Bottari  Lettere  pittoriche  V.  p.  279  ff. 
Nr.  XCIV. 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


22 


312 


K onrad  Escher: 


Der  Guß  der  Papststatue  kann  also  erst  im  Herbst  des  Jahres  1551 
vor  sich  gehen.  Man  denkt  an  acht  Allegorien,  trotz  der  reduzierten  Archi- 
tektur, ein  Punkt,  den  sich  Annibale  Caro  in  diesem  Briefe  offenbar  noch 
nicht  überlegt  hat.  Über  ein  historisches  Relief  wird  noch  disputiert;  es 
kann  sich  nur  um  die  Ergänzung  des  Reliefschmucks  der  Bronzebasis  handeln. 
Bis  gegen  Ende  des  Jahres  1553  machte  die  Grabmalsangelegenheit  erfreu- 
liche Fortschritte;  am  25.  November  dieses  Jahres  schrieb  Annibale  Caro 
an  den  Kardinal  Farnese^),  es  hätte  zwar  jemand  versucht,  die  Ausgaben 
für  das  Monument  zu  hintertreiben,  und  wäre  mit  immer  neuen  Vorwänden 
dazwischengetreten,  es  sei  aber  dem  Bischof  von  Pola,  sobald  er  den  wahren 
Grund  erkannt  habe,  gelungen,  jene  Künste  zu  vereiteln,  und  mit  Ein- 
willigung der  Kardinäle  Sta.  Croce  und  Sta.  Fiora  habe  man  an  Fra  Gug- 
lielmo  della  Porta  die  Bezahlung  für  die  Statuen  und  an  Giovanni  Angelo 
diejenige  für  das  Architektonische  entrichtet,  nachdem  Messer  Curtio  mit 
ihm  wegen  des  Preises  dafür  übereingekommen  sei16).  Fra  Guglielmo  habe 
zudem  eine  Statue  schon  ziemlich  fertig  gemacht,  welche  die  allgemeine 
Bewunderung  errege,  weil  er  sie  nicht,  wie  es  die  andern  tun,  zuerst  abbozziert, 
sondern  die  Glieder  fertig  aus  dem  Marmor  herausarbeite,  so  daß  man  meinen 
könnte,  eine  nackte  Frau  käme  aus  dem  Schnee  heraus.  Bis  jetzt  seien 
Carpi,  Crispo  und  St.  Angelo  und  viele  andere  Herren  dort  gewesen,  um 
sie  zu  besichtigen,  und  ohne  Zweifel  werde  man  innerhalb  Jahresfrist  mehr 
als  die  Hälfte  fertig  sehen.  Die  bronzene  Papststatue  sei  ganz  fertig  und 
sehr  schön.  Den  Platz  für  das  Grabmal  hätte  der  Kardinal  von  Sta.  Croce 
zusammen  mit  Michelangelo  ausgesucht,  nämlich  die  Kapelle  des  Königs 
(von  Frankreich)1?),  zur  linken  Hand,  wobei  nach  ihrem  Plan  dem  Paulsgrab 
gegenüber  dasjenige  eines  anderen  Papstes  zu  errichten  sei.  Der  Bischof 
von  Pola  habe  die  Arbeit  wiederholt  besichtigt  und  werde  dem  Adressaten 
darüber  Bericht  erstatten. 

Die  Tatsache,  daß  sich  von  155 1 ab  Annibale  Caro  im  Auftrag  des 
Kardinals  Farnese  in  nachdrücklicher  Weise  der  Sache  angenommen,  be- 
stätigt Vasari18).  Sein  Bericht  kann  jedoch  nicht  gleichzeitig  abgefaßt  sein, 
denn  er  trennt  die  Bestandteile,  die  vom  Solisgrab  übernommen  wurden, 
und  diejenigen,  welche  neu  hinzukamen,  nicht.  Die  Bronzestatue  sah  er 

*5)  Vasari,  ed.  della  Valle.  X.  p.  335.  Note. 

l6)  Auch  hier  gebraucht  Caro  den  Ausdruck  quadro.  Gemeint  kann  nur  der  vier- 
eckige Steinwürfel  sein,  auf  dem  die  Papststatue  thronen  soll. 

x7)  Gemeint  ist  der  südliche  Kreuzarm  von  St.  Peter;  dieser  nimmt  den  Raum  der 
alten  französischen  oder  Petronillakapelle  ein;  Ciampini  sagt  darüber:  tota  Ecclesia 
B.  Petronillae  solo  aequata,  in  nova  Basilica  inclusa  fuit,  fornicibusque  pavimentum  eiusdem 
Basilicae  sustinentibus  concamerata,  et  Christifidelium  sepulcris  addicta.  (Ciampini,  De 
sacris  aedificiis  p.  89.  Nr.  162  und  163). 

l8)  ed.  Milanesi  VII.  p.  546. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  Hl.  im  St.  Peter  in  Rom. 


3*3 

schon  vollendet  und  unter  den  ersten  Bogen,  welche  die  Tribuna  von  St.  Peter 
tragend),  aufgerichtet.  Nach  Portas  Zeichnung  handelte  es  sich  um  ein 
Freigrab,  und  zu  diesem  sollten  vier  Marmorfiguren  kommen,  schön  aus  - 
gedacht  »secondo  che  gli  fu  ordinato  da  messer  Annibale  Caro,  che  ebbe 
di  ciö  la  cura  dal  papa  e dal  cardinale  Farnese«.  Er  macht  namhaft  die 
Justitia,  Prudentia,  Abundantia  und  die  Pax,  und  außerdem  eine  historische 
Darstellung,  rein  aus  Metall,  und  nach  Anweisung  des  erwähnten  Caro  mit 
zwei  Flußgöttern,  von  denen  der  eine  einen  See,  der  andere  einen  Fluß  dar- 
stellte, die  sich  beide  im  farnesischen  Staat  befanden.  Dazu  kam  noch 
»un  monte  pieno  di  gigli  con  l’arco  vergine«  (Iris).  Die  historische  Dar- 
stellung ist  wohl  identisch  mit  derjenigen,  von  welcher  Annibale  Caro  dem 
Bischof  von  Pola  berichtet,  daß  schon  viel  darüber  diskutiert  worden  sei, 
die  Flußgötter  dagegen  sind  eine  neue,  aber  völlig  zeitgemäße  Zutat.  Auf 
Annibale  Caros  Rat  hin  war  aber  die  Zahl  der  Allegorien  auf  die  Hälfte 
reduziert  worden;  dies  wird  in  der  langen  Zwischenzeit  der  Jahre  1552  und 
1553  stattgefunden  haben,  denn  wenn  Caro  am  25.  November  1553  na  den 
Kardinal  Farnese  schreibt,  Fra  Guglielmo  habe  eine  der  Siegesstatuen  fast 
vollendet,  und  innerhalb  Jahresfrist  werde  mehr  als  die  Hälfte  fertig  sein, 
so  ist  dies  nur  bei  einer  beschränkten  Zahl  von  Figuren  möglich,  um  so  mehr 
als  ja  der  Schreiber  des  Briefes  ausdrücklich  bemerkt,  der  Künstler  mache 
keinen  Abbozzo,  sondern  er  hole  die  Statuen  fertig  aus  dem  Blocke  heraus. 
Wenn  er  aber  früher  bemerkte,  die  Marmorblöcke  für  Statuen  und  Termini 
seien  abbozziert,  so  läßt  sich  der  Widerspruch  zwischen  beiden  Aussagen 
nur  so  lösen,  daß  die  Blöcke  ungefähr  im  nötigen  Umfang  behauen  waren, 
also  doch  ein  ganz  rudimentärer  Abbozzo  bestand,  denn  in  einem  Brief  des 
Jahres  1554  (s.  u.)  berichtet  Caro  sodann,  die  zweite  Statue  sei  abbozziert, 
die  Blöcke  für  die  zwei  andern  in  die  Werkstätte  geschafft;  Guglielmo  machte 
also,  wie  es  übrigens  unerläßlich  notwendig  ist,  einen  Abbozzo  für  seine 
Statuen,  nur  führte  er  ihn  nicht  so  weit  aus,  wie  es  die  anderen  Künstler 
taten,  sondern  ging  von  einer  gewissen  rudimentären  Stufe  sogleich  zur 
Ausführung  aller  Details  über. 

Der  erwähnte  Brief  des  Jahres  15542°),  datiert  vom  6.  April  und 
wieder  an  den  Bischof  von  Pola  gerichtet,  beschreibt  ein  vorgeschrittenes 
Stadium  der  Angelegenheit.  Die  erste  Statue  ist  fast  vollendet,  die  zweite 
abbozziert,  die  Blöcke  für  die  dritte  und  vierte  sind  in  die  Werkstätte  ge- 
schafft, und  das  große  Viereck,  d.  h;  das  Postament  mit  Sockel  wird  mit 
solchem  Eifer  fortgeführt,  wie  damals,  als  der  Adressat  abreiste.  Die  bunten 
Steinsorten  werden  zersägt  »con  furia«  und  innerhalb  zwei  oder  drei  Mo- 


*9)  Gemeint  sind  damit  die  südlichen  Gurtbogen. 

,0)  Vasari,  ed.  della  Valle.  X.  p.  336.  Note. 

22* 


3i4 


Konrad  Eschcr: 


naten  muß  man  soweit  sein,  die  Fundamente  zu  legen.  Bald  hernach  wird 
Vasari  das  Werk  gesehen  haben:  die  Papststatue  ist  aufgestellt,  die  Liege- 
statuen und  die  Bronzebasis  aber  noch  nicht;  er  schließt  seinen  Bericht 
über  das  Grabmal  mit  der  Bemerkung:  »ma  il  tutto  non  fu  poi  messo  in 
Opera  per  le  cagioni  che  si  son  dette  nella  Vita  di  Michelangelo«21).  Damit 
stimmt  auch  der  Schluß  von  Annibale  Caros  Brief  von  1554  überein.  Man 
hofft,  innerhalb  zwei  oder  drei  Monaten  die  Fundamente  für  das  Grabmal 
legen  zu  können  und  unterdessen  Zeit  zu  gewinnen,  die  neuen  Schwierig- 
keiten zu  besiegen,  die  Michelangelo,  der  widerwärtige  Störefried,  voraus- 
sichtlich bereite.  Der  Adressat  habe  gut  getan,  die  Hoffnungen  Fra  Gug- 
lielmos  zu  bestärken,  damit  er  »sein  Rößlein  antreibe«. 

Michelangelo  suchte  mit  allen  Mitteln  das  Zustandekommen  des  Frei- 
grabes  zu  verhindern,  offenbar  weil  er  es  als  Hindernis  und  Raumstörung 
betrachtete.  Im  Jahre  1553  hatte  er  mit  dem  Kardinal  von  Sta.  Croce  den 
Platz  ausgemacht;  es  handelte  sich  um  die  Nische  des  südöstlichen  Kuppel- 
pfeilers, in  der  heute  der  heil.  Andreas  des  Duquesnoy  steht;  denn  der  Brief 
besagt:  in  der  Kapelle  des  Königs,  beim  Eingang  zur  1.  Hand,  wo  dann  gegen- 
über ein  anderes  Grabmal  errichtet  werden  sollte  (s.  u.).  Vasari  sah  die 
Paulsstatue  »unter  deh  ersten  Bogen,  welche  die  Kuppel  tragen«,  auf  ge- 
stellt, also  offenbar  frei.  Daß  nun  Fra  Guglielmo  und  mit  ihm  die  Kom- 
mission nicht  vom  Freigrab  mit  den  vier  allegorischen  Liegestatuen  abzu- 
bringen  waren,  verursachte  Michelangelos  Erbitterung.  Vasari  gibt  aber 
die  Schuld  natürlich  dem  Guglielmo  della  Porta  (s.  o.). 

Solange  Michelangelo  lebte,  und  bis  Vasari  seine  Viten  vollendet  hatte, 
blieb  die  Sache  liegen.  Wann  sie  aber  wieder  in  Fluß  kam,  ist  gegenwärtig 
in  Ermangelung  der  nötigen  Dokumente  nicht  genau  festzustellen.  Ciam- 
pini22),  der  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  seine  Beschreibung  der  mittel- 
alterlichen Denkmäler  Roms  verfertigte,  erwähnt  ein  vollendetes  Grabmal 
für  Paul  III,  bei  Anlaß  der  Wand,  die  der  genannte  Papst  hatte  errichten 
lassen,  bis  die  Fassade  der  Peterskirche  vollendet  wäre.  Sie  fiel  erst  1615, 
als  Madernas  Langhaus  fertig  war.  »Kehren  wir  zu  der  oben  erwähnten 
großen  Wand  zurück,  die  von  Paul  III.  gebaut  wurde  und  in  der  in  einem 
primitiven  seitlichen  Grab  der  Leichnam  dieses  Pontifex  so  lange  lag,  bis  auf 
Veranlassung  und  aus  den  Mitteln  des  Kardinals  Alexander  Farnese,  Bischofs 
von  Ostia,  der  heil,  römischen  Kirche  Kardinal  und  Vizecancellarius  und 
der  Vatikanischen  Basilika  Archipresbyter  und  Nepoten  des  Papstes,  ein 
herrliches  Grabmal  mit  einem  Schmuck  von  bronzenen  und  marmornen 
Statuen  gebaut  war,  das  heute  in  der  Tribüne  der  Basilika,  auf  der  Evan- 
gelienseite des  Altars,  der  sich  unter  der  Kathedra  befindet,  zu  sehen  ist«. 


2I)  ed.  Milanesi  VII.  p.  548. 
M)  de  sacris  aedificiis  p.  63 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom. 


315 


In  Vasaris  Werk  konnte  das  vollendete  Grabmal  nicht  mehr  aufge- 
nommen werden;  daß  der  Ausbau  wirklich  stattfand,  dafür  ist  Jacomo 
Grimaldi33)  Gewährsmann,  dessen  Sammelwerke  für  die  römische  Kunst- 
geschichte unschätzbaren  Wert  besitzen.  Seit  1581  in  Rom  ansässig,  stieg 
er  unter  Paul  V.  bis  zur  Würde  des  Archivars  des  Vatikans  empor,  und 
schloß  seine  Sammelwerke  um  1620  ab.  Somit  sah  er  noch  vieles  und  konnte 
vieles  wenigstens  im  Bilde  festhalten,  womit  noch  zu  seinen  Lebzeiten  und 
später  mehr  oder  minder  gründlich  aufgeräumt  wurde.  Ihm  verdankt  die 
Wissenschaft  die  Kenntnis  der  weiteren  Geschichte  des  Paulsgrabes,  die  im 
Codex  Vatic.  Barber.  lat.  2733  aufgezeichnet  ist.24) 

»Dieses  herrliche  Grabmal  wurde  vor  der  Gregorianischen  Kapelle 
mitten  im  Kirchenschiff,  auf  allen  Seiten  isoliert,  aufgestellt,  und  zwar  auf 
einem  großen  Sockel,  und  die  Marmorstatuen  wurden  unterhalb  der  Kolossal- 
statue Pauls  je  zwei  vorn  und  je  zwei  hinten  placiert;  da  das  Grabmal  aber 
in  der  Kirche  ein  Hindernis  bedeutete,  so  wurde  man  anderer  Meinung  und 
stellte  es  am  gegenwärtigen  Orte  auf.« 

Als  Freigrab  wurde  es  also  trotzdem  später  noch  errichtet,  nur  suchte 
man  ihm  einen  andern  Platz  aus,  in  der  Meinung,  es  sei  dort  weniger  hinder- 
lich als  zwischen  zwei  Kuppelpfeilern.  Zu  Füßen  des  Papstes  wurden,  ohne 
Sarkophage,  die  Allegorien  angebracht,  wobei  natürlich  wegen  der  Vierzahl 
ein  unangenehmer  Zwiespalt  unvermeidlich  war. 

»Pauls  III.  Leichnam  war  in  einem  seitlichen  Grabmal  hinter  der 
Orgel  bestattet  worden,  wurde  aber  unter  Gregor  XIII.  in  ein  prachtvolles 
Mausoleum  übertragen.«  Stand  nun  das  Monument  zur  Zeit  der  Überführung 
der  Leiche  noch  vor  der  Gregorianischen  Kapelle  oder  war  es  schon  an  den 
neuen  Ort  versetzt  worden?  Es  ist  das  letztere  anzunehmen,  denn  die  un- 
mittelbar an  jene  Notiz  Grimaldis  anschließende  Beschreibung  des  Grab- 
mals erwähnt  es  bereits  am  neuen  Orte;  daß  es  einmal  vor  der  Gregoriani- 
schen Kapelle  gestanden,  erwähnt  Grimaldi  erst  ganz  am  Schluß  seiner 
Ausführungen,  gleich  als  ob  er  sich  erst  nachträglich  daran  erinnerte  und 
die  Tatsache  erst  durch  nachträgliche  Mitteilung  anderer  erfahren  hätte. 
Während  oder  vor  Gregors  XIII.  Regierung  wurde  also  das  Monument 
zum  erstenmal  vollständig  zusammengesetzt  und  vor  der  Gregorianischen 

J3)  H.  Grisar,  Die  alte  Peterskirche  zu  Rom.  Römische  Quartalschrift  IX.  p.  266  ff. 
Recherches  sur  l’ceuvre  arch^ologique  de  Jacques  Grimaldi,  ancien  archiviste  de  la  Basi- 
lique  du  Vatican,  par  Eugene  Muentz.  Bibliotheque  des  6coles  frangaises  d’Athenes  e de 
Rome;  fase.  1.  1877.  P-  225  ff.  Publiz.  als  Analecta  zu  »fitude  sur  le  liber  pontificalis« 
par  M.  l’abbe  L.  Duchesne. 

*4)  Der  Verfasser,  der  leider  den  Kodex  selbst  zu  konsultieren  nicht  Gelegenheit 
fand,  verdankt  die  Abschrift  der  betreffenden  Stelle  Herrn  Dr.  Kreplin,  Volontär- 
assistenten am  preußischen  historischen  Institut  in  Rom  und  die  Kollationierung  der- 
selben Herrn  Prof.  Dr.  C.  Schellhass  in  Rom. 


316 


Konrad  Escher: 


Kapelle  aufgestellt,  dann  aber  »in  loculamento  apsidiato  magnae  parastatae 
summae  Tholi  e regione  Maioris  altaris«,  in  einer  runden  Nische  eines  der 
großen  Kuppelpfeiler  außerhalb  des  Gebietes  des  Hochaltars,  d.  h.  in  seinem 
Umkreis,  aufgerichtet.  Somit  hat  sich  die  Notiz  Ciampinis,  der  Leichnam 
Pauls  III.  sei  erst  bei  der  Niederlegung  jener  Abschlußwand,  also  1615,  in 
das  Grabmal  übertragen  worden,  als  unrichtig  erwiesen,  ebenso  die  Ansicht, 
er  sei  in  das  heutige  Grabmal  übertragen  worden.  Dagegen  erteilt  er  genauen 
Aufschluß  darüber,  in  welchen  der  vier  Kuppelpfeiler  das  Grabmal  zu  stehen 
kam25),  nämlich  in  den  südöstlichen,  und  zwar  in  die  Nische,  welche  heute, 
wie  oben  gesagt  wurde,  der  heil.  Andreas  des  Duquesnoy  füllt.  »Inter  hoc 
et  supra  memoratum  Altäre  Sti  Martialis,  ubi  nunc  una  ex  magnis  quatuor 
parastatis  est,  quae  tholum  sustentant,  prima  videlicet,  quae  ad  sinistrum 
latus  ingredientibus  occurrit,  in  absidula,  seu  loculamento  in  quo  ad  praesens 
est  simulacrum  S.  Andreae,  inibi  eximium  marmoreum,  deauratumque 
erat  sepulcrum,  cujus  locum  numerus  53 26)  indicat,  cum  Statua  aenea 
Pauli  III.  Pont.  Max.  quod  postea  Urbani  VIII.  jussu  ad  absidem  majorem, 
idemque  sinistrum  latus,  ut  modo  visitur,  translatum  fuit.«  Die  erwähnte 
Nummer  53  bezeichnet  nun  auf  dem  von  Ciampini  beigegebenen  Übersichts- 
plan der  alten  Basilika  mit  den  Umrissen  des  neuen  Zentralbaus  genau  die 
Stelle  der  Andreasnische.  Diese  hatte  auch  Michelangelo  für  das  reduzierte 
Grabmal  vorgesehen,  und  für  dasjenige  Julius’  III.  war  demnach  die  Vero- 
nika-Nische bestimmt. 

Die  abermalige  Versetzung  des  Paulsgrabes  fand  im  Jahre  1628,  also 
einige  Jahre  nach  Grimaldis  Tod  (1623)  statt;  wenn  er  also  das  Monument 
in  der  Nische  des  südöstlichen  Kuppelpfeilers  beschreibt,  so  beruhen  seine 
Aussagen  auf  Autopsie,  und  dem  entspricht  auch  die  Ausführlichkeit  der 
Schilderung2?).  Kardinal  Alexander  Farnese,  der  Nepot  Pauls  III.  und 
Archipresbyter  von  St.  Peter  trug  die  Sorge  und  die  Kosten  dafür.  Fünf 
herrliche  Statuen  bilden  den  Schmuck,  vier  davon  sind  aus  Marmor  und 
zwei  stellen  Kardinaltugenden  dar.  Die  Klugheit  allein  ist  alt  aufgefaßt, 
mit  einem  Spiegel  und  einem  Buch,  auf  dem  man  den  Namen  des  Bildhauers: 
Gulielmus  della  Porta  Mediolanensis  faciebat,  lesen  kann.  Die  drei  übrigen 
sind  alle  junge  Frauen,  und  die  Gerechtigkeit  ist  ganz  nackt  mit  den  Kon- 
sularfaszen, eine  symbolische  Ermahnung  an  die  Richter,  sie  sollten  nur 
an  das  Recht,  das  sie  zu  sprechen  hätten,  denken,  und  von  Leidenschaft 
frei  sein.  Aber  da  sich  dies  für  einen  heiligen  Ort  sehr  profan  ausnahm, 
befahl  Clemens  VIII.  bei  einem  Besuch  in  der  Peterskirche,  Brust  und 
Unterleib  der  Statue  mit  einer  metallenen  Verhüllung  zu  decken.  Die  Statue 

25)  op.  cit.  p.  662.  Nr.  53. 

l6)  Auf  dem  Plan  von  St.  Peter,  ib.  Taf.  VII. 

*7)  op.  cit.  fol.  341V 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom, 


317 


Pauls  III.,  welche  auch  der  Koloß  genannt  werden  könnte,  sitzt,  mit  dem 
päpstlichen  Mantel  bekleidet,  und  mit  entblößtem  Haupt  zu  oberst  auf  dem 
Grabmal  und  ist  ganz  aus  Erz.  Das  marmorn^  Grabmal  selbst  besteht  aus 
verschiedenartigen  Steinen.  Ganz  in  der  Art  der  Plattform  eines  großen 
Grabmals  wird  es  ringsum  durch  Gesimse,  Stufen,  historische  Darstellungen 
in  Flachrelief,  eherne  Statuen  von  kleinen  Engeln  oder  Knaben  geschmückt, 
und  unten  liegen  die  Figuren  von  Gerechtigkeit  und  Klugheit  ausgestreckt. 
Unmittelbar28)  zu  Füßen  der  Papstfigur  befindet  sich  ein  großer  schwarzer 
Stein  mit  der  Namensinschrift  in  goldenen  Buchstaben.  Unter  der  Statue 
liegt  der  Leichnam  (im  Monument  drin)  in  einem  großen  länglichen,  gut 
erhaltenen  Sarkophag  aus  schwarzem  lydischem  Marmor  bestattet,  der  im 
Jahre  1544  gefunden  wurde,  und  zwar,  wie  Alpharanus  versichert,  mit  dem 
Leichnam  der  Kaiserin  Maria,  der  Gattin  des  Honorius29).  Der  Sarkophag,' 
nicht  viel  über  menschliche  Größe,  stand  in  einem  andern  von  14  Palmen 
drin,  und  damals  soll  Paul  III.  von  dem  herrlichen  Sarkophag  gesagt  haben: 
»Er  wird  einmal  zur  Aufnahme  unseres  Leichnams  dienen.«  Als  Nachtrag 
erwähnt  Grimaldi3°)  noch  die  vier  historischen  Darstellungen  in  Bronze- 
relief, deren  Wahl  auf  Fulvius  Ursinus  oder  Annibale  Caro  zurückgehen 
mögen.  Die  Rundung  und  Wölbung  der  Nische,  in  der  das  Grabmal  steht, 
sind  mit  vergoldeten  Stuckfiguren  und  den  Einhörnern,  dem  Wahrzeichen 
der  farnesischen  Familie  geschmückt,  und  am  Scheitel  befinden  sich  die 
Wappen  Pauls  III.  aus  Marmor  und  mit  Inkrustationen  — et  aliae  due 
statuae  stratae  sedentes  supradictae.  Wie  ist  diese  Stelle  zu  deuten?  Am 
Rande  links  von  fol.  34 iv,  wo  die  Beschreibung  des  Ganzen  beginnt,  be- 
merkt Grimaldi,  wohl  als  Nachtrag:  »Von  diesen  vier  Marmorstatuen  da, 
befinden  sich  zwei  unten,  nämlich  Gerechtigkeit  und  Klugheit,  zwei  oben, 
Liebe  und  Überfluß.  Liebe  und  Klugheit  sind  als  alte  Frauen 3* *),  Gerechtig- 
keit und  Überfluß  jung  und  sehr  schön  dargestellt.  Die  Justitia  hält  die 
fasces  consulares,  die  Abundantia  trägt  das  Füllhorn  und  den  Ährenkranz.« 
Man  wird  diese  Stelle  nur  so  deuten  können,  daß  sich  die  beiden  ersteren 
Allegorien  fast  zu  ebener  Erde,  die  beiden  andern  etwas  höher  auf  einem 
Sockel  befunden  haben,  aberallevierander  Fronte,  denn  eine 
rückwärtige  Aufstellung  war  bei  einem  Nischengrab  selbstredend  ausge- 
schlossen. Befriedigend  konnte  die  Komposition  keinesfalls  gewirkt  haben, 


*8)  fol.  3421-. 

*9)  Von  Grimaldi  wird  auf  fol.  56  verwiesen. 

3°)  fol.  469  und  470. 

31)  Auffallend  ist  der  Widerspruch  in  der  Beschreibung  der  Statuen.  Im  Text 
werden  drei  junge  und  eine  alte  Frau  genannt,  in  der  Randbemerkung  zwei  junge  und 
zwei  alte.  Diese  Randbemerkung  ist  aber  Nachtrag  und  in  Bezug  auf  die  Gestalt  der 
Allegorien  vielleicht  eine  Korrektur,  eine  Frage,  die  sich  durch  Autopsie  entscheiden  läßt. 


Konrad  Escher: 


318 

denn  alle  Teile,  die  für  ein  Freigrab  berechnet  waren,  mußten  sich  der  Auf- 
stellung in  einer  Nische  anbequemen.  Zwei  der  Liegefiguren  wurden  über- 
flüssig, und  von  den  viel  gepriesenen  Reliefs  der  »Basis«  war  eines  überhaupt 
nicht  mehr,  zwei  andere  nur  noch  mit  Mühe  zu  sehen.  Es  liegt  daher  nahe 
zu  glauben,  Grimaldi  habe  das  Grabmal  noch  als  Freibau  gesehen,  wo  er 
alle  Einzelheiten  bequem  studieren  konnte.  Dann  müßte  die  Versetzung 
in  die  Pfeilernische  und  die  Translation  in  den  letzten  Regierungsjahren 
Gregors  XIII.  stattgefunden  haben,  nämlich  zwischen  1581,  in  welchem 
Jahre  Grimaldi  in  Rom  eintrifft  und  1585,  dem  Todesjahr  des  Papstes;  nur 
kraft  persönlicher  Erlaubnis  desselben  hatte  die  Exhumation  und  Trans- 
lation der  Leiche  Pauls  III.  stattfinden  dürfen.  Nachdem  der  Sarkophag 
im  neuen  Monument  beigesetzt  war,  erhielt  er  einen  neuen  Verschluß  durch 
eine  weiße  Marmorplatte,  und  darauf  wurde  dann  der  eherne  Koloß  gesetzt. 

Der  letzte  Ortswechsel,  den  Urban  VIII.  veranlaßte,  bedeutete  eine 
höchst  bedauerliche  Reduktion  und  Verstümmelung;  so  verschwand  die 
Bronzebasis  mit  den  Reliefdarstellungen,  verschwanden  auch  zwei  der 
Bronzeputti.  Am  wenigsten  vermißt  man  dagegen  die  zwei  Statuen  der 
Caritas  und  Abundantia.  Das  Monument  präsentiert  sich  rein  reliefmäßig. 
Auf  dem  Sockel  lagern  zu  beiden  Seiten  einer  Art  Kartusche,  auf  Voluten, 
Justitia  und  Prudentia,  ohne  die  ursprünglich  dazu  gedachten  Sarkophage 
kaum  verständlich.  Vom  obern  Teil  ist  außer  den  zwei  Putti  auf  den  Eck- 
voluten nur  die  Inschrifttafel  geblieben,  die  Steinbasis  für,  die  Papststatue 
erweckt  den  Eindruck  des  notdürftig  Zusammengebauten.  So  wie  sich  das 
Grabmal  Pauls  III.  heute  präsentiert,  ist  es  das  unbefriedigende  Produkt 
eines  langen  Prozesses  und  darf  daher  in  der  Entwicklungsreihe  der  Papst- 
gräber nicht  als  vollgültiger  Faktor  angesehen  werden.  Aber  es  bedeutete 
einmal  das  letzte  Freigrab  der  römischen  Kunst;  in  den  ersten  Stadien 
vereinigte  es,  unter  den  Auspizien  Michelangelos,  Motive  und  Gedanken  der 
Grabmäler  Julius'  II.  und  der  Medizäer  — ob  mit  Glück,  bleibt  fraglich. 

Um  sich  aber  einen  Begriff  davon  zu  machen,  wie  sich  der  obere  Auf- 
bau mit  seinem  reichen  Reliefschmuck  gestaltet  haben  möchte,  heißt  es 
außeritalienische  Monumente  konsultieren.  Ideen,  von  wandernden  Künst- 
lern in  Länder  getragen,  die  von  fremden  Einströmungen  leben,  erhalten 
sich  dort  oft  besser  als  in  der  Heimat,  wo  rasch  eine  Mode  die  andere  ablöst. 
Man  mag  in  unserem  Falle  an  das  Monument  König  Ferdinands  und  Isa- 
bellas, von  Fancelli  und  Ordonoz  in  der  königl.  Kapelle  zu  Granada  denken, 
ebenso  an  das  Philipps  des  Schönen  und  Juanas,  welche  alle  den  Gedanken 
des  Grabmals  Sixtus’  IV.  ins  Monumentale  übertragen  zeigen32). 

3»)  Burger,  Geschichte  des  florentinischen  Grabmals  Abb.  161  und  C.  Justi,  Mis- 
cellaneen  aus  drei  Jahrhunderten  spanischen  Kunstlebens.  I.  Kap.  IV:  Bartolome  Ordofiez 
und  die  Königsgräber  zu  Granada. 


Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom. 


319 


Zusammenfassung.  Der  Hergang  der  Geschichte  des  Pauls- 
grabes war  also  folgender: 

1.  Periode.  1550  bis  I.  Hälfte  1551.  Fra  Guglielmo  della 
Porta  erhält  von  Kardinal  Alessandro  Farnese  den  Auftrag  für  das  Grab- 
mal; er  berät  mit  Michelangelo  den  Entwurf,  und  fertigt,  im  Laufe  des 
Jahres  1550  ein  Modell  an,  von  welchem  Annibale  Caro  eine  Kopie  an  den 
Kardinal  von  Sta.  Croce  schickt.  Das  Modell,  für  ein  Freigrab  berechnet, 
sah  einen  großen  Steinblock  mit  einer  Grabkammer  für  den  Sarkophag, 
außen  zwei  bronzene  Kenotaphe,  vier  allegorische  Marmorfiguren,  vier  Eck- 
statuen und  Kartuschen,  acht  Termini  vor.  Dazu  kam  als  oberer  Abschluß 
nach  dem  Wunsch  Pauls  III.  eine  relifierte  Bronzebasis,  die  Guglielmo 
schon  früher  für  das  Grabmal  des  Bischofs  de  Solis  gefertigt  hatte, 
und  die  bronzene  Kolossalstatue  des  Papstes.  Porta  wünschte  das 
Grabmal  frei  aufzustellen,  wohl  unter  der  südlichen  Quertonne  von 
St.  Peter.  Michelangelo  sieht  darin  ein  Hindernis  für  den  freien  Ver- 
kehr in  der  Kirche  und  verlangt  Aufstellung  in  einer  Nische.  Diese 
Differenzen  ziehen  sich  durch  die  folgenden  Jahre  hindurch.  Gleich- 
zeitig mit  Porta  hatte  ein  Anonymus  einen  Entwurf  gefertigt,  der 
keine  Termini,  aber  dem  Wunsche  Pauls  III.  gemäß  acht  Allegorien 
zeigte.  Man  ist  noch  über  einzelne  Punkte  unschlüssig.  Den  Aufschluß 
über  den  ganzen  Hergang  gibt  nebst  den  kurzen  und  erst  später  nieder- 
geschriebenen Nachrichten  Vasaris  der  Brief  des  Annibale  Caro  an  den 
Kardinal  von  Sta.  Croce. 

2.  Periode.  1.  Hälfte  bis  5.  August  1551.  Die  Sache  ist 
im  Gang,  aber  noch  sind  nicht  alle  Schwierigkeiten  gehoben.  Angeschafft 
sind  die  16  Marmorblöcke  für  acht  Termini  und  acht  Allegorien  (deren  Aus- 
wahl aber  noch  nicht  feststeht),  die  Bronze  für  die  Papstfigur,  deren  Modell 
fertig  ist,  der  bunte  Marmor  für  die  architektonischen  Teile.  Guglielmo  hat 
sein  Modell  entweder  ausgebaut  oder  verbessert,  muß  aber  doch  noch  ver- 
schiedene Aussetzungen  anhören,  ja  die  definitive  Gestaltung  der  archi- 
tektonischen Teile  steht  noch  nicht  fest.  Die  acht  Allegorien  waren  so  ver- 
teilt, daß  je  zwei  derselben,  mit  den  beiden  Sarkophagen  an  den  Längs- 
seiten, je  zwei  mit  einer  Kartusche  an  den  beiden  Fronten,  alle  als  Liege- 
figuren komponiert  werden  sollten.  — Gleichzeitig  hat  Paciotto  ein  Modell 
mit  nur  vier  Allegorien  gemacht;  die  Fronten  erhalten  vergitterte  Eingänge 
zur  Grabkapelle,  die  den  Sarkophag  enthält.  Michelangelo  tritt  wieder 
dazwischen  und  stört  den  Gang  der  Angelegenheit,  indem  er  das  ganze 
Grabmal  auf  Postament  und  Statue  reduziert  und  in  die  Andreasnische, 
d.  h.  die  Nische  des  südöstlichen  Kuppelpfeilers  gesetzt  haben  will.  Auch 
Annibale  Caro  macht  während  dieser  Pause  im  Gang  der  Arbeit  einen.  Re- 
duktionsvorschlag, möchte  aber  doch  die  acht  Allegorien  beibehalten  und 


320 


Konrad  Escher:  Zur  Geschichte  des  Grabmals  Pauls  III.  im  St.  Peter  in  Rom. 


nur  die  Auswahl  etwas  ändern.  Gleichzeitig  diskutiert  man  noch  über  ein 
Relief  mit  historischer  Darstellung. 

3.  Periode.  5.  August  1551  bis  25.  November  1553- 
Wahrscheinlich  begann  noch  im  Herbst  1551  der  Guß  der  Statue  Pauls  III., 
die  dann  unter  dem  Bogen  aufgestellt  wurde,  der  das  südliche  Kuppel- 
pfeilerpaar miteinander  verbindet.  Bezahlungen  werden  an  Fra  Guglielmo 
für  das  Figürliche,  an  Giovanni  Angelo  für  die  architektonischen  Teile  ent- 
richtet. Eine  Allegorie  (die  Justitia?)  ist  in  der  Vollendung  ziemlich  weit 
vorgeschritten;  im  übrigen  ist  jetzt  die  Zahl  der  Liegefiguren  endgültig  auf 
vier  reduziert.  Michelangelo  scheint  mit  seiner  Ansicht  zu  siegen;  denn 
er  bestimmt  den  Kardinal  von  Sta.  Croce  dazu,  das  Grabmal  dereinst  in  der 
Andreasnische  aufstellen  zu  lassen.  Dies  bedingte  den  Wechsel  von  einem 
Freigrab  zu  einem  Nischengrab,  und  darauf  wird  die  Reduktion  der  Zahl 
der  Liegefiguren  auf  die  Hälfte  zurückzuführen  sein.  Zu  den  an  der  Bronze- 
basis schon  vorhandenen  historischen  Darstellungen  soll  noch  eine  weitere 
kommen  nebst  zwei  Flußgöttern. 

4.  Periode.  25.  November  1553  bis  6.  April  1554.  Das 
Material  für  die  architektonischen  Teile  wird  bearbeitet,  auch  die  Arbeit 
an  den  Liegestatuen  macht  Fortschritte,  so  daß  man  hofft,  innerhalb  ganz 
weniger  Monate,  also  etwa  bis  Juni  oder  Juli  15 54,  die  Fundamente  legen 
und  zugleich  die  neuen  Quertreibereien  Michelangelos  beschwichtigenzu  können. 

5.  Periode.  1554  bis  1581.  Das  Grabmal  wird  vollendet, 
aber  der  Zeitpunkt  ist  nicht  bekannt.  Am  Ende  dieser  Periode  stand  es 
(ob  von  Arifang  an?)  als  Freigrab  vor  der  Gregorianischen  Kapelle.  Zu 
Füßen  der  Papstfigur  lagern  am  Postament  die  vier  Allegorien  und  zwar 
je  zwei  an  der  Vorder-  und  je  zwei  an  der  Rückseite. 

6.  Periode.  I58ibisi58  5.  Der  Leichnam  Pauls  III.  wird  samt 
seinem  Sarkophag  aus  der  provisorischen  Bestattungsstelle  in  das  neue 
Monument  übertragen,  kraft  eines  päpstlichen,  von  Gregor  XIII.  ausge- 
stellten Dispenses.  Vielleicht  war  das  Grabmal  etwas  vorher  in  die  Andreas- 
nische im  südöstlichen  Kuppelpfeiler  übertragen  worden,  weil  es  als  Freigrab 
nur  hinderlich  war.  Die  Aufstellung  in  der  Nische  bedingt  eine  Anordnung 
der  Allegorien  übereinander.  Dazu  gehören  noch  vier  bekrönende  Eck- 
figuren, die  relifierte  Bronzebasis,  ohne  das  geplante  Relief  nebst  den  Fluß- 
göttern,  welches  alles  nie  zur  Ausführung  kam,  und  die  bronzene  Kolossal- 
statue Pauls  III. 

7.  Periode.  1585  bis  1628.  Das  Monument  bleibt  in  der  be- 
sagten Nische.  Im  Jahre  1628  läßt  es  Urban  VIII.  in  die  linke  Nische  der 
Chortribuna  von  St.  Peter  übertragen.  Dabei  werden  Abundantia  und 
Pax,  die  Bronzebasis  und  zwei  Eckfiguren  entfernt. 


Die  vierte  Lieferung  der  Vasari  Society  für  die 
Reproduktion  von  Zeichnungen  alter  Meister. 

Von  A.  von  Beckerath. 

Diese  Lieferung  ist  vorzüglich  gelungen,  die  beste  der  bisher  erschienenen, 
sowohl  wegen  des  reichen  Inhalts  als  wegen  der  Reproduktionen  selber,  die 
wenig  zu  wünschen  übrig  lassen  und  sich  den  musterhaften  Reproduktionen 
der  Oxforder  Zeichnungen  nähern. 

Wenn  ich  den  billigen  Preis  dieser  Veröffentlichung  hinzunehme, 
i Guinee  = M.  21,50  für  35  alte  Zeichnungen  mit  sachgemässen  Beschrei- 
bungen und  kunsthistorischen  Erklärungen  erster  Autoritäten,  so  sehe  ich 
darin  einen  großen  Schritt  vorwärts,  für  das  Studium  und  für  die  Popu- 
larisierung der  Zeichnungen  alter  Meister. 

Die  verschiedenen  Hauptschulen  sind  vertreten. 

Ich  hebe  hervor: 

Zwei  bedeutende  Zeichnungen  von  van  Dyck. 

Eine  pikante  Studie  von  Rubens. 

Das  aparte  Blatt  der  niederländischen  Schule  um  1530,  einen 
Contre-Tanz  darstellend. 

Das  ausgeführte,  signierte  und  datierte  Knabenporträt  von  J.  G.  Cuy  p. 

Die  zwei  Zeichnungen  monogrammiert  HB,  sind  ganz  in  der  Art  Lucas 
Cranach's,  der  h.  Petrus  kommt  fast  tale  quäle,  nur  kleiner  und  anders  aqua- 
relliert, in  einer  Zeichnung  des  Berliner  Kupferstichkabinetts,  wieder. 

Die  zwei  bedeutenden,  Burgkmai  r zugeschriebenen  Zeichnungen 
kommen  mir  nicht  so  zweifellos  für  diesen  Meister  vor  wie  Herrn  Campbell 
Dodgson. 

Die  treffliche  Zeichnung  Fra  Bartolommeos,  Kopf  eines  kleinen 
Kindes,  und  die  zwei  flüchtigen,  wie  aus  dem  Handgelenk  gezeichneten  Studien 
Filippinos  zu  einer  Pietä,  die  äußerst  charakteristisch  für  diesen  großen 
Künstler  sind,  für  seine  Leichtigkeit  im  Schaffen,  für  seine  regsame  Phantasie. 

Diese  drei  Zeichnungen  im  Besitz  von  Herrn  Charles  Loeser  in  Florenz. 

Die  bekannte  prachtvolle  Zeichnung  von  Ercole  Grandi  und  die 
im  Jahrbuch  der  Preußischen  Sammlungen  publizierte  Santa  conversazione 
von  Carpaccio. 


322 


A.  v.  Beckerath: 


Beide  im  Besitz  von  Herrn  Gathorne  Hardy  in  London. 

Zu  ausführlicheren  Erörterungen  veranlassen  mich  die  folgenden  Blätter: 

Nr.  8.  Ve n e t i an i s ch e Schule. 

Bildnis  eines  Mannes,  der  Dürer  gleicht.  Originalgröße  39/9X31/3. 
Schwarze  Kreidezeichnung  in  der  Reproduktion  reduziert.  Sidney  Colvin 
weiß  den  Autor  dieser  Zeichnung  nicht  zu  bestimmen.  »Obgleich  sicher  ein 
Werk  der  venetianischen  Schule  um  1500 — 1510,  liegt  die  Schwierigkeit  darin, 
daß  der  Dargestellte,  außer  seiner  Kleidung,  nichts  Venetianisches  an  sich  hat. 
Es  wird  schwer,  wenn  nicht  unmöglich  sein,  die  Art,  wie  er  Haare  und  Bart 
trägt,  in  irgendeinem  venetianischen  Bildnis  der  Zeit  wiederzufinden; 
dagegen  ist  sie  charakteristisch  deutsch,  sogar  spezifisch  charakteristisch  für 
A.  Dürer  selber,  in  der  Zeit  seines  zweiten  Aufenthalts  in  Venedig  1506 
bis  1507.« 

»Ebenso  wird  man  bei  fernerem  Studium  Ähnlichkeit  mit  Dürer  finden 
in  Form  und  Ausdruck  der  Augen,  in  den  Augenbrauen,  im  Kontur  der 
Wange.  Wenn  die  Nase  weniger  zu  einer  römischen  Krümmung  geneigt 
erscheint  als  die  seine,  so  ist  gerade  diese  Stelle  der  Zeichnung  verletzt,  so 
daß  man  die  Form  nicht  genau  erkennen  kann.« 

»Im  ganzen  wird  man  kaum  der  interessanten  Folgerung  widerstehen 
können,  daß  wir  hier  möglicherweise  ein  Porträt  Dürers  in  venetianischer 
Kleidung  vor  uns  haben,  welches  von  einem  seiner  italienischen  Freunde 
(unbestimmt  von  welchem)  um  1506 — 1507  gemacht  worden  ist.« 

Soweit  Herr  Colvin. 

Ich  kann  der  Vermutung  Herrn  Colvins  nicht  zustimmen  und  will  an 
Hand  der  authentischen  Selbstbildnisse  Dürers  beweisen,  daß  sie  nicht  zu- 
treffend sein  kann. 

Das  stattliche  Selbstporträt  in  München  wird  von  der  neueren  Forschung 
(Wölfflin,  Justi)  für  falsch  signiert  und  für  falsch  datiert  gehalten  und  in  die 
Epoche  1506 — 1507  gestellt. 

Und  gewiß  mit  Recht. 

Ich  beziehe  mich  auf  das,  was  Wölfflin  in  seinem  Dürerbuch  S.  136 
darüber  geschrieben  hat: 

Wölfflin  meint  : »obgleich  dies  Bild  unsere  Vorstellung  von  Dürer 
durchaus  beherrscht,  habe  man  immer  gefunden,  daß  dem  Kopfe  im  Vergleich 
mit  älteren  Selbstporträts  das  individuelle  Gepräge  fehle.  Er  malte  sich  nicht 
wie  er  war,  sondern  wie  er  sein  wollte.  Die  großen  Augen  hat  er  nicht  gehabt, 
die  seinigen  waren  klein  geschlitzt,  sie  lagen  flach,  die  Brauen  gingen  in  hohen 
Bogen  darüber  hin.  Hier  ist  alles  im  Sinn  des  Bedeutenden  umgeändert.« 

Es  wird  dabei  wohl  hauptsächlich  auf  den  Vergleich  mit  dem  Selbst- 
porträt von  1498  in  Madrid  exemplifiziert  und  dasselbe  als  Normalbild 
in  Bezug  auf  Ähnlichkeit  hingestellt,  was  ja  richtig  sein  wird. 


Die  vierte  Lieferung  der  Vasari  Society  usw. 


323 


Aber  dem  Vorwurf,  daß  Dürer  im  Münchener  Selbstbildnis  sich  gemalt 
habe,  wie  er  sein  wollte  und  nicht  wie  er  war,  möchte  ich  doch  nicht  zu- 
stimmen. 

Die  Verschiedenheit  des  Eindrucks  liegt  in  der  Verschiedenheit  der  Dar- 
stellung. 

Wölfflin  sagt  weiter:  »Und  nun  wirkt  sehr  stark  die  Einstellung  des 

Kopfes  in  die  reine  Vertikale,  mit  reiner  Frontansicht.« 

Vergleiche  ich  mit  dem  Selbstbildnis  in  Erlangen,  so  finde  ich  die  großen 
Augen,  dieselben  Brauen  im  Münchener  Bilde  und  ganz  verschieden  von  dem 
Madrider  Selbstbildnis. 

Der  Unterschied  kommt  daher,  daß  man  in  den  beiden  ersteren  Bildern 
die  weit  geöffneten  Augen  des  Dargestellten  unmittelbar  vor  sich  hat  und  von 
ihnen  intensiv  fixiert  wird. 

Alle  Selbstbildnisse  Dürers  (auch  das  kleine  in  der  Albertina)  haben 
die  Nase  mit  leicht  gebogenem  Rücken  und  etwas  aufgerichteter  Spitze, 
kurze  Nasenflügel  (bei  dem  Münchener  Bild  ist  das  wegen  der  reinen  Front- 
ansicht weniger  sichtbar),  starke  Säcke  unter  den  Augen,  das  Kinn  etwas 
zurücktretend,  den  Mund  mit  schön  geschwungener  Oberlippe  und  fleischiger 
Unterlippe. 

Schon  die  länglich  ovale  Form  des  Gesichts  von  Dürer  weicht  wesentlich 
von  der  des  obigen  venetianischen  Porträts  äb,  ebenso  Form  und  Ausdruck  der 
Augen.  Bei  Dürer  sinnend  und  gedankenvoll,  sind  sie  bei  dem  Venetianer 
feurig,  listig,  klug.  Wenn  die  Form  der  Nase  des  letzteren  in  der  Zeichnung  ver- 
rieben ist,  so  läßt  sich  doch  erkennen,  daß  der  Nasenrücken  gerade  ist,  die 
Nasenflügel  gehen  unten  breit  auseinander,  die  Lippen  sind  auffallend  dünn 
und  fest  geschlossen.  Wie  anders  ist  der  schöne  Mund  Dürers! 

Da  das  Münchener  Porträt  uns  zeigt,  wie  Dürer  in  Venedig  1506 — 1507 
Haar  und  Bart  getragen  hat,  so  brauche  ich  darauf  im  Vergleich  mit  dem 
venetianischen  Porträt  nicht  weiter  einzugehen. 

Ist  nun  auf  diesem  Porträt  Dürer  nicht  dargestellt,  so  ist  nicht  daran 
zu  zweifeln,  daß  der  Porträtierte  Venetianer  ist,  denn  er  trägt  venetianische 
Amtstracht,  und  seine  Haar-  und  Barttracht  spricht  durchaus  nicht  dagegen, 
daß  er  Italiener  ist. 

Zur  Zeit  der  großen  Ausstellung  italienischer  Zeichnungen  im  Print 
Room  im  British  Museum  vor  10 — 15  Jahren  glaubte  ich  als  Autor  des  resp. 
Bildnisses  Marco  Marziale  bestimmen  zu  können  und  zwar  hauptsächlich 
nach  Konfrontation  mit  dem  Bilde  dieses  Malers  in  der  Nationalgalerie 
Nr.  804,  das  signiert  und  1507  datiert  ist  »Thronende  Madonna  mit  Heiligen«. 

Diese  Attribution  kommt  mir  auch  heute  beim  Vergleiche  mit  der 
großen  Braunschen  Photographie  des  resp.  Bildes  plausibel  vor.  Haar-  und 
Barttracht  der  Heiligen  stimmen  mit  der  des  gezeichneten  Bildnisses  überein. 


324 


A.  v.  Beckerath: 


Besonders  Johannes  der  Täufer  hat  dieselbe  Nase  mit  ausgebreiteten  Flügeln, 
dieselben  Lippen,  denselben  Typus. 

Wie  das  großartige  Selbstbildnis  in  München  unsere  Vorstellung  von 
Dürer  beherrscht,  uns  durch  seine  geistige  Bedeutendheit  erfreut  und  erhebt, 
so  geben  uns  die  Darstellungen  in  ganzer  Figur,  unter  dem  Hellerschen  Altar- 
bild und  im  Dreifaltigkeitsbild  den  vorteilhaftesten  Eindruck  seiner  äußer- 
lichen Totalerscheinung. 

Daß  der  Künstler  sich  seiner  vorteilhaften  äußeren  Erscheinung  bewußt 
war,  zeigt  der  Wert,  den  er  auf  seine  Kleidung  in  den  Selbstbildnissen  legt. 

Zudem  drückt  er  seine  Freude  über  seine  schmucke  Erscheinung  »in 
welschem  Rock  und  französischem  Mantel«  in  einem  Briefe  an  Pirkheimer 
aus  Venedig  aus. 

Nr.  9.  Bartolommeo  Montagna. 

Der  hl.  Sebastian.  Federzeichnung. 

Kräftig,  aber  noch  unfein,  wohl  aus  frühester  Zeit. 

Cavalcaselle  notiert  als  frühestes  Bild  des  Künstlers,  um  1487,  die 
Madonna  zwischen  dem  hl.  Sebastian  und  dem  hl.  Rocco  zu  Bergamo. 

Hier  ist  die  Körperbildung  der  Heiligen  schon  feiner,  die  Haartracht 
ist  wie  auf  der  Zeichnung,  das  Gesicht  des  hl.  Rocco  gleicht  dem  hl.  Sebastian 
auf  derselben. 

Das  Berliner  Kupferstichkabinett  besitzt  die  Zeichnung  eines  hl.  Sebastian 
von  Montagna  aus  späterer  Zeit,  um  Anfang  des  Cinquecento,  Studie  zu 
dem  Bilde  aus  San  Bartolommeo  »Madonna  mit  vielen  Heiligen«,  jetzt  in 
der  Galerie  von  Vicenza. 

Hier  ist  die  Körperbildung  der  Heiligen  viel  vollkommener  als  auf 
obiger  Zeichnung  dargestellt. 

Nr.  6.  Giovanni  Bellin i. 

Ein  stehender,  lesender  Heiliger. 

Federzeichnung. 

Sidney  Colvin  schreibt: 

»Meisterwerk  eines  venetianischen  Künstlers  unter  dem  Einfluß  Man- 
tegnas  um  1460 — 1470.  Authentische  Zeichnungen  Giovanni  Bellinis  sind 
kaum  zu  finden,  aber  diese  Zeichnung  ist  so  ganz  im  Charakter  seines  frühen 
religiösen  Werks,  in  Würde  und  Haltung,  in  Intensivität  des  Gefühls,  in  Wurf 
und  Zeichnung  der  Gewandung,  im  Typus  des  Kopfs  und  der  Hände,  daß  sie 
ihm  mit  genügender  Zuverlässigkeit  zugeschrieben  werden  kann.« 

Ich  gestehe,  daß  diese  vorzügliche  Zeichnung  mich  lebhaft  interessiert 
hat  und  um  so  lebhafter,  als  ich  sie  noch  nicht  kannte  und  mir  ihr  Autor 
unbekannt  ist. 

Ich  will  sie  in  meinem  Sinn  beschreiben:  Das  Standbein  des  Heiligen 
ist  das  wenig  akzentuierte  linke  Bein,  das  Spielbein  ist  dem  Standbein  sehr 


Die  vierte  Lieferung  der  Vasari  Society  usw. 


325 


nahe,  der  Zwischenraum  zwischen  beiden  Knien  ist  gering.  Um  dem  dadurch 
entstehenden  wenig  festen  Stand  der  Figur  Gegengewicht  zu  geben,  dreht 
sich  der  Oberkörper  nach  rechts,  die  rechte  Hand  hält  das  Buch,  die  linke 
berührt  dasselbe  kaum. 

Die  Figur  macht  gewissermaßen  eine  schraubenartige  Bewegung,  die 
mehr  oder  weniger  kompliziert  und  künstlich  ist  und  vor  allem  an  Mantegna 
erinnert,  z.  B.  an  Johannes  den  Täufer,  im  Altarbild  in  S.  Zeno  in  Verona 
(in  umgekehrter  Stellung)  jedenfalls  nicht  an  Giovanni  Bellini,  der  in  dem 
stehenden  Heiligen  seiner  Frühzeit  bis  etwa  1475  immer  einfach  und  natürlich 
bleibt,  aber  voll  Empfindung  ist. 

Die  frühen  Bilder  Giovannis,  die  in  Frage  kommen  können,  sind: 

Die  Verklärung  in  Museo  Correr  in  Venedig. 

Die  Verklärung  in  Neapel. 

Das  Bild  in  Pesaro. 

Das  schöne  Bild  »Christus  "m  Ölberg«  in  London,  weil  die  Figuren  des- 
selben nicht  stehen,  sondern  knien  oder  liegen,  scheidet  aus. 

Der  hl.  Georg  auf  der  Säule  in  einer  Predelle  des  Bildes  in  Pesaro  ist 
vielleicht  die  komplizierteste  Figur  dieser  Frühwerke,  sie  hat  etwas  Floren- 
tinisches,  das  an  Donatello  erinnert,  sie  steht  aber  natürlich  und  fest,  ganz 
anders  wie  der  gezeichnete  Heilige. 

Und  nun  die  Gewandung  bei  letzterem:  sie  ist  höchst  absonderlich 

und  kompliziert.  Die  Figur  ist  nicht  wie  die  Figuren  Giovanni  Bellinis,  der 
nur  immer  Rock  und  Mantel  zur  Drapierung  nötig  hat,  drapiert,  sondern  mit 
Gewandstücken  behängen,  die  an  die  spät  antike  römische  Tracht  erinnern. 

Ich  glaube  daher  nicht,  daß  die  resp.  Zeichnung  von  Giovanni  Bellini 
sein  kann. 

Einige  der  von  Morelli  (Galerie  Doria  Pamfili  f.  355)  s*  Z.  angeführten 
Zeichnungen  haben  meiner  Meinung  nach  mehr  Anspruch,  von  diesem  großen 
Künstler  zu  sein.  Glücklicherweise  braucht  mein  Artikel  nicht  mit  diesem 
negativen  Resultat  zu  schließen. 

1879  in  der  Ausstellung  alter  Zeichnungen  in  der  Ecole  des  beaux  arts  in 
Paris  war  unter  Giovanni  Bellini  Nr.  1 8 1 eine  Zeichnung  ausgestellt,  damals 
im  Besitz  des  Marquis  de  Chenneviöres,  die  seit  langer  Zeit  in  den  Besitz  des 
Berliner  Kupferstichkabinetts  übergegangen  ist. 

Diese  Zeichnung  wurde  in  Heft  VII  des  Handzeichnungswerks  des 
Königl.  Kupferstichkabinetts  publiziert: 

Venetianische  Schule,  XVI.  Jahrhundert. 

»Der  hl.  Marcus  heilt  zu  Alexandrien  den  durch  den  Stich  seiner  Ahle 
verwundeten  Schuster  Anianus.« 

Trotz  vieler  Bemühungen  s.  Z.  des  Herrn  Geheimrats  Lippmann  war  der 
Autor  dieser  Zeichnung  nicht  zu  ermitteln. 


326 


A.  v.  Beckerath:  Die  vierte  Lieferung  der  Vasari  Society  usw. 


Ich  glaube  nun,  daß  diese  Zeichnung  und  die  im  British  Museum  von 
demselben  Autor  sind,  wenn  auch  nicht  aus  derselben  Epoche  des  resp. 
Künstlers. 

Jedenfalls  sind  die  Übereinstimmungen  beider  Zeichnungen  größer  als 
die  Differenzen. 

Beiden  Zeichnungen  ist  der  Charakter  großer  Lebendigkeit  eigen. 
Übereinstimmend  sind  Beleuchtung  und  Schattengebung,  die  kurzen  Nasen, 
der  Mund,  die  Haare,  das  merkwürdige  Hängen  der  Gewandung. 

Den  Künstler  beider  Zeichnungen  zu  benennen,  bin  ich  leider  nicht 
imstande. 


Der  Kodex  Burlington  in  der  Royal  Academy  of  British 
Architects  in  London. 

Von  Fritz  Burger. 

Einer  der  eifrigsten  Palladioforscher  des  18.  Jahrhunderts,  Lord  Bur- 
lington, hat  in  Vicenza  seinerzeit  alle  Palladiozeichnungen,  deren  er  habhaft 
werden  konnte,  aufgekauft  und  gesammelt.  Er  plante  ein  großes  Werk  über 
Palladio  und  hatte  auch  bereits  begonnen,  einen  Teil  der  von  ihm  zusammen - 
gebrachten  Originalzeichnungen  des  Palladio  in  einem  großen  Bande  zu 
publizieren  *),  der  die  von  Palladio  aufgenommenen  Pläne  und  Rekon- 
struktionen der  antiken  Thermenanlagen  enthält.  Doch  hat  der  Tod  die 
Fortsetzung  des  Werkes  verhindert  Burlingtons  Sammlung  kam  in  den 
Besitz  des  Herzogs  von  Devonshire  in  Chatsworth,  der  sie  dann  der  Bibliothek 
der  Royal  Academy  of  British  Architects  in  London  als  Leihgabe  überließ, 
wo  der  aus  17  Bänden  bestehende  Kodex  bis  heute  ein  recht  stilles  Dasein 
führte.  Die  Wissenschaft  — und  das  gilt  für  Archäologie  wie  neuere  Kunst- 
geschichte in  gleichem  Maße  — hat  sich  um  ihn  so  gut  wie  gar  nicht  ge- 
kümmert, obwohl  doch  wertvolles  Material  genug  in  ihm  steckte. 

An  der  Echtheit  des  weitaus  größten  Teiles  der  Zeichnungen  kann  gar 
kein  Zweifel  sein.  Die  ersten  7 Bände  enthalten  die  von  Burlington  publi- 
zierten Thermenaufnahmen  Palladios  (die  Thermen  des  Agrippa,  des  Antoni- 
nus,  Diokletians,  Titus,  Konstantins  und  Vespasians). 

Auch  die  folgenden  Bände  weisen  in  loser  Aufeinanderfolge  eine  Reihe 
kunstgeschichtlich  sehr  interessanter  Skizzen  auf.  Ich  beschränke  mich  dabei 
im  folgenden  vorläufig  auf  die  Hervorhebung  des  Wichtigsten,  soweit  es  für 
die  Beurteilung  des  wissenschaftlichen  Wertes  des  Kodex  vonnöten  ist. 

Neben  Aufnahmen  antiker  Triumphbögen,  wie  des  Titusbogens,  der 
Porta  Borsari,  des  Bogens  des  Flavius  Noricus  und  des  Konstantinsbogens 
(Bd.  XIV,  Bl.  7,  8,  9),  enthält  der  Kodex  eine  Reihe  Originalentwürfe  für 
Palastbauten  Palladios,  wie  z.  B.  für  den  Palazzo  Thiene,  Trissino,  Chiericato, 
Valmarana,  Giuseppe  de'  Porti.  Vor  allem  zahlreich  sind  die  Skizzen  für  die 


J)  Burlington;  Palladio,  1770. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


328 


Fritz  Burger: 


Palladianischen  Renaissancevillen.  Für  die  Villa  Pisani 
in  B a g n o 1 o s)  sind  allein  vier  Originalentwürfe  vorhanden,  die  erkennen 
lassen,  daß  die  Grundrißidee  den  Thermen  des  Hadrian  entnommen  ist. 
Desgleichen  geht  aus  den  Skizzen  hervor,  daß  die  R o t o n d a (Villa  des 
Mario  Capra)  ihrer  Grundrißanlage  nach  auf  die  Caracallathermen  ebenso  wie 
ihre  Vorgänger  bei  Serlio  3)  und  Giuliano  da  Sangallo  4)  zurückgeht. 

Weiter  finden  sich  in  dem  Kodex  kunstgeschichtlich  sehr  wichtige 
Skizzen  für  die  Villen  Palladios  5)  inCampiglia,  Piombino  Pojana,  Maser  und 
Marocco.  Besonders  interessant  ist  eine  Serie  prachtvoller  Rekonstruktions- 
zeichnungen des  großen  Fortunatempels  in  Praeneste  (Bd.  9, 
Bl.  1,  2 u.  3),  mit  Grundriß,  Schnitt  und  Aufrißzeichnungen,  zweifellos  die 
umfassendste  Aufnahme  dieses  großartigen  pyramidal  an  einem  Hügel 
märchenhaft  sich  auf  türmenden  antiken  Baukomplexes  aus  der  Renaissance - 
zeit  6).  Als  die  gewichtigsten  Argumente  für  die  Echtheit  des  Kodex  haben 
aber  jedenfalls  eine  Reihe  von  Federskizzen  zu  dienen,  die  als  Stechervorlagen  7) 
für  Palladios  berühmtes  Buch  gedient  haben.  Sie  sind  sämtlich  im  Gegensinn 
gegeben  und  in  Originalgröße  mit  genauen  Maßangaben  versehen. 

Bd.  XI,  Bl.  15  des  Burlingtonkodex  stellt  eine  Vorzeichnung  für  Palla- 
dios Buch  Lib.  IV,  S.  119  u.  120  dar. 

Bd.  XI,  Bl.  15  für  Palladio  Lib.  IV.  S.  IOO  u.  101. 

Bd.  XI,  Bl.  20  für  Palladio  Lib.  IV,  S.  126  u.  129. 

Bd.  XI,  Bl.  21  für  Palladio  Lib.  II,  S.  16. 

Bd.  XIII,  Bl.  19  für  Palladio  Lib.  IV,  S.  32  und  die  Rückseite  derselben 
Skizze  für  Palladio  S.  48. 


*)  Siehe  Andrea  Palladioi,  quattro  libri  dell’  architettura,  Venetia  1570,  librosecondo 

p.  47. 

3)  Siehe  Geymüller,  Die  Architekten  Toskanas,  Giuliano  da  Sangallo. 

4)  Sebastiano  Serlio,  libro  dell’  architettura.  1540. 

5)  Palladio  a.  a.  0.  S.  51,  53,  58,  61,  66. 

®)  Diese  werden  demnächst  in  Hirschs  Zeitschrift  für  Geschichte  der  Architektur 
publiziert.  Die  Villenentwürfe  werden  in  einer  bei  Klinkhardt  und  Biermann  erscheinenden 
Sonderpublikation  der  Renaissancevillen  Palladios  eingehender  behandelt  werden.  Die 
Rekonstruktionszeichnungen,  die  wir  vom  Tempel  in  Praeneste  besitzen,  sind  sämtlich 
recht  unscheinbar  gegenüber  dieser  Aufnahme.  Eine  Zeichnung  des  Giuliano  da  Sangallo 
Codex  Vaticanus  lat.  4424,  die  anderen  beiden  neuerdings  von  Delbrück  (hellenistische 
Bauten  in  Latium,  Straßburg  1907,  S.  52)  publizierten  Entwürfe  aus  der  Vaticana  gehen 
wahrscheinlich  auf  Piero  Ligori’o  zurück,  eine  Replik  bei  Egger,  Kritisches  Verzeichnis 
d.  S.  architektonischer  Handzeichnungen  d.  k.  k.  Hofbibliothek,  Wien  1903.  Keinem  der 
beiden  Autoren  sind  die  Zeichnungen  im  Burlingtonkodex  bekannt  gewesen.  Die  beste 
neuere  Aufnahme  des  Tempels  bei  Blondel,  4tat  actuel  des  ruines  du  temple  de  la  fortune, 
M&anges  d’arch^ologie  et  d’histoire  1882  p.  198. 

7)  Der  Stecher  hat  sich  an  diese  insofern  nicht  immer  genau  gehalten,  als  er  Maß- 
bruchteile fortläßt  und  nach  oben  oder  unten  oft  des  Raummangels  wegen  abrundet. 


Der  Kodex  Burlington  in  der  Royal  Academy  of  British  Architects  in  London.  329 

Bd.  XIII,  Bl.  10  für  Palladio  Lib.  II,  Bl.  14  u.  15. 

Bd.  XVII,  Bl.  4 für  Palladio  Lib.  II,  S.  8. 

Bd.  XVII,  Bl.  14  für  Palladio  Lib.  II,  S.  16. 

Bd.  VIII,  Bl.  1 enthält  zwei  Originalkonzepte  Palladios8)  für  seine  Ab- 
handlungen über  die  korinthischen  und  ägyptischen  Säle  in  seinem  libro 
dell'  architettura  S.  38  u.  41.  Der  Buchtext  der  ersteren  stimmt  mit  dem 
Manuskript  bis  auf  die  Schlußsätze  überein,  die  deshalb  zum  Vergleiche 
hier  wiedergegeben  werden: 

1.  Druck:  La  lunghezza  di  questa  sale  sarebbe  molto  bella  di  un 

quadro,  e due  terzi  della  larghezza. 

2.  Manuskript:  La  longhezza  di  queste  sale  per  mio  p a r e r e (!) 
seria  stato  molto  bella  di  un  quadro  e due  terzi  della  larghezza.  L'ho 
disegnato  (!). 

Die  Überschrift  lautet  nicht  wie  im  Drucke  »Delle  sale  corinthie«,  sondern 
»De  gli  seci  corinthii  cap«  (Nummer  freigelassen). 

Der  zweite  Teil  des  Manuskriptes  ist  das  Konzept  für  S.  41  des  Palla- 
dianischen Buches  über  die  ägyptischen  Säle.  Ich  gebe  im  folgenden  den 
Wortlaut  des  Manuskripts  und  verzeichne  in  Klammern  die  Differenzen  mit 
dem  gedruckten  Text  9). 

De  gli  Seci  egyptii,  Cap.  . . (delle  sale  egittie,  Cap.  X.). 

II  disegno  che  segue  e [de  gli]  (delle)  [seci]  (sale)  [egyptii]  (egittie)  i (le) 
quali  erano  molto  simili  alle  basiliche,  cioe  luochi  oue  si  rendeua  ragione  delle 

quali  si  dirö  [piü  disotto]  quand(o)  si  trattera  delle  piazze 

perciöcche  (in-queste  sale)  vi  si  faceva  un  portico  facendosi  le  colonne  di 
dentro  [ma]  lontane  dal  muro  come  alle  (nelle)  basiliche  e sopra  (le)  colonne 
u'erano  gli  architraui  [freggi]  (ifregi)  e (le)  cornici.  [II]  (lo)  spazio  fra  le 
colonne  e (il  muro)[m]  era  coperto  da  un  pauimento  il  quäle  (e  questo  paui- 
mento)  era  scoperto  e faceua  [corrador-o]  (corritoro)  o [poglo]  (poggiuolo) 

intorno sopra  le  dette  colonne  u’era  muro  continuato  con  mezze 

colonne  di  dentro  [ma]  la  quarta  parte  minori  delle  gia  dette  e fra  gli  inter- 
colunnii  u’erano  le  fenestre  (che  dauano  lume  alla  sale)  e per  le  quali  dal 
detto  pauimento  scoperto  si  poteuva  ueder  nella  sala  (in  quella)  [alla  quäle 
esse  dauano  il  lume]  e douevano  hauer  queste  sale  una  grandezza  mirabile 
[si  per  le  colonne]  (si  per  l’ornamento  delle  colonne)  si  anche  [per  l'altezza 
loro]  (per  la  sua  altezza)  perciöcche  il  soffitto  andaua  sopra  la  cornice  del 

8)  Das  Konzept  befindet  sich  auf  der  Rückseite  des  Blattes,  die  Vorderseite 
zeigt  eine  Originalaufnahme  Palladios  von  dem  Tempietto  in  Tivoli  und  dem  in  Porto 
S.  Sebastiano,  entsprechend  den  Reproduktionen  auf  Seite  91,  92  bzw.  89  in  seinem 
libro  dell’  architettura. 

9)  Der  Text  in  eckigen  Klammern  deutet  die  vom  Druck  abweichende  Lesart  an,  die 
in  runden  Klammern  stehenden  Worte  geben  den  analogen  Wortlaut  des  Buchtextes  an. 


23' 


Fritz  Burger:  Der  Kodex  Burlington  in  der  Royal  Academy  usw. 


secondo  ordine  e douevano  riuscir  molto  commode,  quando  uisi  faceuano 
feste  o conuiti  — 

Der  Vergleich  der  beiden  Texte  läßt  deutlich  erkennen,  daß  wir  in 
dem  Manuskript  tatsächlich  das  Konzept  für  den  Text  des  Buches  vor  uns 
haben,  das  dannn  für  den  Druck  noch  zurechtgefeilt  wurde. 

Die  Freude  an  dem  Fund  ist  freilich  nicht  ganz  ungetrübt.  In  den 
Kodex  sind  eine  Reihe  von  Blättern10)  eingeschmuggelt,  die  nicht  von  Palladio 
stammen,  teilweise  erst  im  17.  Jahrhundert  wenn  nicht  noch  später  entstanden 
sind.  Einige  stammen  von  dem  Venezianer  Vicentino.  Ein  Blatt  trägt  die 
gefälschte  Inschrift:  Rafacle  da  Urbino  Inventor.  Eine  Reihe  von  Blättern 
lassen  sich  in  Beziehung  zu  den  von  Scamozzi  publizierten  Bauten  bringen 
und  sind  wohl  Schulgut  Palladianischer  Richtung.  Darunter  einige  Zeich- 
nungen für  Bauten  (Bertesina  u.  a.)  die  Palladio  zugeschrieben  werden,  ihm 
jedoch  nicht  gehören.  Eine  exaktere  wissenschaftliche  Durcharbeitung 
des  gesamten  Materials  hoffe  ich  im  nächsten  Jahr  hier  folgen  lassen 
zu  können. 

I0)  Mehrere  Blätter  geben  Jahreszahlen  an:  ein  Plan,  Bd.  XV.  Bl.  6 für  S.  Ambrogio 
bei  S.  Catena  ist  1637,  ein  anderer  Bd.  XV,  Bl.  7 1650  datiert. 


Zur  Genesis  des  Auferstehungsfreskos  von  Piero  della 
Francesca  im  Stadthause  zu  Sansepolcro. 


In  einem  Kodex:  Statuta,  sive  Jura  Municipalia  Civitatis  Burgi 
S.  Sepulcri  von  1571,  welchen  das  Stadtarchiv  zu  Sansepolcro  unter  der 
Signatur  F.  F.  4 bewahrt,  findet  sich  folgende  Notiz,  welche  im  Hinblick 
auf  das  Auferstehungsfresko  des  Piero  della  Francesca  ein  gewisses  Interesse 
beanspruchen  darf. 

Archivio  del  Comune  di  Sansepolcro. 

Statuta,  sive  Jura  Municipalia  Civitatis  Burgi  S.  Sepulcri. 

De  Vexillo  et  Sigillo  Comunis.  Cap.  XXXVIII. 

c.  63  t.  Habeat  Comune  Civitatis  Burgi  vexillum  depictum  ad  Imma- 
ginem  Sancti  Sepulcri,  cum  Christo  resurgente,  et  insignis,  et  armis  Sermi 
Magni  Ducis  Hetrurie  dominantibus,  et  ipsius  Comunis  cum  Campo  Albo 
a parte  inferiori,  et  nigro  a parte  superiori.  Quod  vexillum  custodiatur 
in  Cancelleria  Diebusque  festivis  et  solemnibus  ponatur  cum  Tubiis  clangen- 
tibus  in  honorem  Dei  Resurgentis,  et  Civitatis  Conditoris  sub  ejus  Sanctissimi 
Sepulcri  Nomine  in  Verrone,  et  loco  solito  Palatii  Residentie  Dominorum 
Conservatorum,  qui  per  illius  traditionem  una  cum  insignis  Sericis  de  quibus 
alias  dictum  est  eorum  officium  tenentur  deponere. 

Habeatque  dictum  Comune  Sigillum  Magnum  sculptum  ad  eandem 
immaginem  cum  ipso  Christo  Resurgente  circundatum  his  litteris  = Sub 
Umbra  Alarum  Tuarum  cum  quo  sigillentur  omnes  littere,  que  mitterentur 
ad  Sernum  Magnum  Ducem  Hetrurie  Dominantem,  vel  ad  Sernum  Prin- 
cipem  Dominantem,  imo  = Gubernantem  = vel  ad  Alios  ad  quos  dare 
Litteras  sic  sigillatas,  si  deceret,  vel  ex  gravitate  rei,  de  qua  ageretur  vel 
ex  qualitate,  et  condecentia  gradus  et  dignitatis  illorum  quo  sigillo  utantur 
Domini  Conservatores  etiam  in  Legalitatibus,  et  aliis  Scripturis  faciendis 
in  fidem  a dictis  Dominis. 

Habeat  quoque  alterum  sigillum  aliquanto  minus  eodem  modo  sculp- 
tum, et  eisdem  Litteris  sculptum,  imo  — Circundatum  — cum  quo  sigillentur 
omnes  littere  que  ad  aliquem  Magistratum  Civitatis  Florentie  et  Aliquam 
privatam  Persönam  mittantur. 


332 


Walter  Bombe:  Zur  Genesis  des  Auferstehungsfreskos  usw. 


Item  tertium  sigillum  habeat  representans  insigna  et  arma  ipsius 
Comunitatis  a parte  superiori  nigra  et  inferiori  alba  cum  quo  Cancellarius 
teneatur  et  debeat  sigillare  Apotissus  etLibros,  si  quos  signandos  ab  Eo  aliquo 
Statuto  disponeretur,  illudque  penes  se  in  Cancelleria  continuo  tenere  et 
custodire  teneatur;  alteri  vero  stent,  et  stari  et  custodiri  debeant  in  Capsa 
clausa  tribus  clavibus  quarum  unam  habeat  dictus  Vexillifer  Justitie, 
alteram  vero  Caput  officii,  tertiam  Cancellarius  dicti  Comunitatis,  et  con- 
tinuo capsa  predicta  cum  dictis  sigillis  stet,  et  servetur  in  Audientia  Palatii 
Dominorum  Conservatorum,  nec  Aliquis  audeat,  vel  presumat  cum  dictis 
sigillis,  vel  altero  illorum  sigillare  aliquas  literas,  vel  scripturas,  nisi  scri- 
bantur  nomine  ipsius  Comunis,  a dictis  Conservatoribus  et  sigillentur  illis 
aut  saltem  tribus  illorum  presentibus,  et  consentientibus,  pena  contra- 
facienti  Librarum  Centum  Denariorum  Florentinorum  parvorum  Fisco, 
et  Magne  Camere  Ducali  applicandarum  et  privatione  officiorum  et  Bene- 

fkiorum  Comunis  predicti  x). 

* * 

* 

Es  ist  bekannt,  daß  dem  Redentore  in  der  Kirche  Santa  Chiara  zu 
Sansepolcro  schon  in  alten  Zeiten  eine  Kapelle  gewidmet  war  mit  einem 
großen  vielteiligen  Altarwerk,  das  im  Mittelfelde  die  Auferstehung  Chiisti 
von  der  Hand  eines  Sieneser  Trecentomeisters  zeigt.  In  Erinnerung  an  den 
alten  Kultus  des  Redentore  als  Gründers  der  Stadt,  dessen  auch  die  Chroniken 
von  Sansepolcro  gedenken,  hat  Großherzo'g  Cosimo  I.  die  Verordnung  er- 
lassen, das  Bild  des  auferstehenden  Christus  als  Wahrzeichen  auf  der  Standarte 
und  den  Siegeln  der  Stadt  anzubringen  und  diese  Fahne  an  Festtagen  auf 
dem  »Verone«  des  Stadthauses  aufzupflanzen,  in  dessen  Hauptsaal  sich 
das  Fresko  des  Piero  della  Francesca  befindet.  Die  kleine  archivalische 
Notiz  gibt  somit  eine  Erklärung  für  die  Wahl  gerade  der  Darstellung  des 
auferstandenen  Christus  als  Protektors  der  Stadt  in  der  Sala  dei  Conservatori 
zu  Sansepolcro.  Walter  Bombe. 

J)  Dieses  Exemplar  der  Statuten  von  Sansepolcro  ist  »per  Dominum  Nicolaum 
de  Janis  1571,  Indictione  XIV,  Die  24  Mensis  Decembris,  Pio  V.  Pontefice  Maximo  et 
SerüHE  Cosmo  Medice  Hetrurie  Magno  Duce«  zu  Ende  geschrieben  worden.  Es  sind  fünf 
Bücher,  in  deren  erstem:  »De  Regimine  Civitatis«  sich  die  oben  mitgeteilte  Notiz  findet. 

Den  Abdruck  eines  der  in  den  Statuten  erwähnten  Stadtsiegel  hat  vielleicht  um 
1600  der  Kompilator  eines  Wappenkodex  gesehen,  den  das  Kunsthistorische  Institut  in 
Florenz  besitzt.  Auf  dem  Wappen  der  Stadt,  dem  schwarz-weißen  Feld  mit  Sarkophag 
auf  dem  schwarzen  Felde  ist  der  Sarkophag  fortgelassen,  dagegen,  gleichsam  als 
Impresa,  die  Figur  des  auferstandenen  Christus  mit  der  Kreuzesfahne  zugefügt. 


Heinrich  Lang,  der  Hausbuchmeister. 


Vor  geraumer  Zeit  schon,  als  ich  das  mittelalterliche  Hausbuch  (her- 
ausgegeben von  Essenwein)  wegen  der  Zuweisung  einer  neuen  Federzeichnung 
an  den  Hausbuchmeister,  die  demnächst  im  Jahrbuch  der  Kgl.  preuß. 
Kunstsammlungen  ihre  Veröffentlichung  finden  wird,  durchzuarbeiten  hatte, 
war  es  mir  klar  geworden,  daß  Name  und  Herkunft  dieses  Meisters  eben 
nur  durch  sein  Hausbuch  entdeckt  werden  könnten:  doch  hatte  ich  dies 
damals  auf  dieselbe  Weise  wie  Flechsig1)  zu  erreichen  versucht,  nämlich 
mittels  der  Wappen.  Natürlich  kam  ich  damit  zu  keinem  erheblich  ab- 
weichenden Resultate,  da  das  meiste,  was.  gesagt  werden  konnte,  eben  schon 
von  Flechsig  geleistet  worden  war;  höchstens  stellte  ich  dabei  endgültig  fest, 
daß  das  sogenannte  »Wappen  der  Familie  Goldast-Konstanz«  (Hausbuch 
p.  2 a und  34b)  nicht  das  Wappen  dieser  Familie  war1). 


Als  ich  nun  vor  wenig  Tagen  mir  zufällig  das  Hausbuch  wieder  einmal 
betrachtete,  fielen  mir  besonders  die  rätselhaften  Buchstaben  der  Pferde- 

l)  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  VIII,  N.  F.  (1897)  p.  8 ff. 

*)  Vgl.  das  badische  Geschlechterbuch  von  J.  Kindler  von  Knobloch  p.  453  f.  ; 
ferner  die  Konstanzer  Ratslisten,  herausgegeben  von  Konrad  Beyerle,  aus  denen  sich  ergibt, 
daß  1419  das  Geschlecht  zum  letzten  Male  genannt  wird  und  bald  darauf  ausstirbt.  Zum 
»Goldastwappen«  vgl.  noch  den  Donaueschinger  Wappenkodex,  Die  Wappenrolle  der 
Gesellschaft  zur  Katze,  Siebmachers  Wappenbuch  (V,  p.  192  Nr.  12)  und  die  Züricher 
Wappenrolle  Nr.  368. 


334 


Helmuth  Th.  Bossert:  Heinrich  Lang,  der  Hausbuchmeister. 


decke  auf  Seite  21  a,  die  beistehend  in  einer  von  mir  herrührenden  Skizze 
gegeben  sind,  auf.  Schon  seinerzeit  konnte  ich  mir  dieselben  nicht  genügend 
erklären,  und  auf  Befragen  des  Genealogen  Roller- Karlsruhe  wurde  mir 
der  Bescheid,  daß  diese  Zeichen  mit  Heraldik  nichts  zu  tun  hätten;  auch 


_ g— » — — 

Was  sollte  das  aber  alles  bedeuten?  — Sofort  begann  ich  an  der  Enträtselung 
zu  arbeiten,  und  siehe,  sie  gelang  wider  Erwarten;  auf  der  Pferdedecke  stehen 
folgende  Buchstaben:  NEH/HCI  H/GNA  JF  ./.  Mit  einigen  Umstellungen 
und  mit  Zuhilfenahme  des  Spiegels  ist  deutlich,  ungezwungen  und  unwider- 
leglich zu  lesen:  HENRICH  • LANG  • F[ECIT?]4).  Weiteres  habe  ich  vorläufig 
nicht  hinzuzufügen,  sondern  kann  auf  meine  demnächst  erfolgende  Ver- 
öffentlichung der  diesbezüglichen  urkundlichen  Belege  schon  jetzt  verweisen  5) . 

Helmuth  Th.  Bossert  - Karlsruhe. 


3)  Da  wir  auf  der  Hausbuchmeisterzeichnung  im  Kgl.  Kupferstichkabinett  zu 
Dresden  ebenfalls  ein  bekröntes  E vorfinden,  wird  man  jetzt  doch  nicht  umhin  können, 
es  für  das  Monogramm  Heinrich  Längs  zu  erklären.  Vgl.  Lehrs,  Jahrb.  d.  Kgl.  preuß. 
Kunstsamml.  XX  (S.  180,  Anm.). 

4)  Herr  Prof.  Dr.  Max  Wingenroth-Freiburg,  der  die  Liebenswürdigkeit  besaß, 
meine  Entdeckung  nachzuprüfen,  schreibt  mir:  »Mir  scheint  die  Sache  überzeugend  und 
undiskutierbar.* 

5)  Max  Lehrs-Dresden  hatte  die  Güte,  mir  noch  folgendes  mitzuteilen:  „Ferner 
möchte  ich  Sie  auf  die  Kopie  nach  dem  Jüngling  aus  „Tod  und  Jüngling“  in  unserem 
Kabinett  aufmerksam  machen,  die  ich  in  meiner  Publikation  der  Stiche  des  Hausbuch- 
Meisters  unter  Nr.  58  a angeführt  habe  und  die  unten  den  bisher  ungedeuteten  Namen 
„hinrich“  trägt.  Sollte  sie  vielleicht  von  einem  versteckten  Kunsthistoriker  des 
15.  Jahrhunderts  herrühren?“ 


Literaturbericht. 


Kunsttheorie. 

Hans  Cornelius.  Elementargesetze  der  bildenden  Kunst. 

Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubner,  1908. 

Man  hat  es  Hildebrand  oft  nahe  gelegt,  sein  »Problem  der  Form« 
illustriert  herauszugeben,  mit  Musterbeispielen,  wo  die  schwer  zu  über- 
sehenden allgemeinen  Sätze  an  Einzelfällen  verdeutlicht  würden.  Er  hat 
sich  nie  dazu  entschließen  können  I).  Nun  bringt  Cornelius  ein  Buch  von 
bescheidenem  Umfang,  reich  mit  Bildern  versehen  und  lesbar  für  alle  ge- 
schrieben, das  wohl  als  ein  »illustrierter  Hildebrand«  gelten  könnte,  wenn 
man  damit  nicht  der  Selbständigkeit  des  Verfassers  unrecht  täte  und 
andererseits  die  etwas  engere  Fragestellung  verschwiege. 

Im  Hildebrandschen  Sinn,  aber  mit  eignem  Ausdruck  definiert  der 
Verf.  künstlerische  Gestaltung  als  »Gestaltung  für  das  Auge«:  Daß  es  darauf 
ankomme,  der  Sichtbarkeit  das  Schwankende,  Unbestimmte,  schwer  Faßliche 
zu  nehmen  und  es  durch  einfache,  unmittelbar  klare,  bestimmt  wirkende 
optische  Verhältnisse  zu  ersetzen.  Er  beschränkt  das  Problem  auf  das 
Körperlich -Räumliche  der  Erscheinung,  verfolgt  es  dann  aber  in  allen 
Äußerungen,  in  Bildern  und  Skulpturen,  in  der  Architektur  und  nament- 
lich im  Kunstgewerbe.  Das  Buch  ist  für  die  Praxis  geschrieben  und 
aus  Vorträgen  an  einer  Kunstgewerbeschule,  also  in  unmittelbarem  Kontakt 
mit  dem  praktischen  Unterricht  entstanden.  Über  die  (sehr  gesunde)  Kritik 
vieler  moderner  Unarten  zu  referieren,  liegt  hier  kein  Anlaß  vor;  da  die  Kunst- 
geschichte aber  anfängt,  sich  auf  ihre  ästhetischen  Grundlagen  zu  besinnen, 
sei  das  Buch  nach  seinem  allgemeinen  Inhalt  auch  Historikern  als  nützlich 
empfohlen.  An  Widerspruch  wird  es  freilich  nicht  ganz  fehlen  und  nicht 
nur,  weil  der  Historiker  von  vornherein  die  Dinge  anders  zu  begreifen 
gewöhnt  ist. 

Prinzipiell  möchte  ich  glauben,  daß  Cornelius  zu  vieles  aus  bloßen 
Forderungen  des  Auges  erklärt.  Die  Unschönheit  gewisser  Figuren  (vgl. 
die  Gefäße  S.  108)  kann  nicht  daher  stammen,  daß  sie  der  Auffassung  des 

J)  Die  englische  Ausgabe  des  Werkchens  ist  mit  vom  Verf.  ausgewählten  Illu- 
strationen versehen.  D.  R. 


336 


Literaturbericht. 


Auges  zu  wenig  entgegenkommen,  d.  h.  optisch  nicht  einheitlich  genug  gestaltet 
sind,  sondern  daß  sie  in  ihrer  »funktionellen«  Erscheinung  widerspruchsvoll 
sind.  Die  Bauanlagen,  die  mit  der  Landschaft  zusammen  komponiert  sind 
(vergl.  S.  iio),  gefallen,  nicht  weil  es  dem  Auge  leicht  ist,  dem  einheitlichen 
Formenzug  zu  folgen,  sondern  weil  man  solche  Dinge  als  gewachsen  empfindet, 
als  Produkte  einer  einheitlichen  Triebkraft.  Das  Entscheidende  liegt  auch 
hier  in  der  »funktionellen«  Wirkung,  nicht  in  dem  Grad  der  Klarheit  der 
Erscheinung. 

Es  scheint  mir  aber  überhaupt,  daß  der  Begriff  der  »Klärung  für  das 
Auge«  zu  einseitig  gehandhabt  sei.  Die  munteren  Gitterfüllungen  der 
Lübecker  Marienkirche  (S.  144)  kann  man  meinetwegen  als  »Beispiele  leicht 
faßlicher  Teilungen«  bezeichnen,  aber  wer  wird  zugeben,  daß  die  künstlerische 
Absicht  dabei  in  erster  Linie  die  war,  die  einfache  Gesamtform  durch  Teilungen 
»noch  mehr  zu  klären«?  Ich  weiß:  es  handelt  sich  nur  um  »Elementar- 
gesetze«; trotzdem  vermisse  ich  hier  den  Gegenbegriff  der  reizvollen  Ver- 
unklärung.  Das  Auge  will  Schwierigkeiten  überwinden.  Man  soll  ihm 
lösbare  Aufgaben  stellen,  ja;  aber  die  ganze  Kunstgeschichte  ist  ein  Beweis, 
daß  die  »Klarheit«  von  heute  morgen  langweilig  ist  und  daß  die  bildende 
Kunst  auf  partielle  Verdunkelungen  der  Form,  momentane  Irreführungen 
des  Auges  so  wenig  verzichten  kann  wie  die  Musik  auf  die  Dissonanzen,  Trug- 
schlüsse u.  dgl.  Daß  in  Plakaten  diese  Kunstmittel  bis  zum  Extrem  ver- 
folgt werden,  liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Diese  frechen  Düpierungen 
des  Auges  verfolgen  ja  aber  auch  meist  nur  eine  Augenblickswirkung.  Eben 
darum  dürfen  sie  nicht  mit  seriösen  Bildwerken  auf  eine  Linie  ge- 
bracht werden.  Cornelius  macht  einen  überreichlichen  Gebrauch  von 
diesen  wie  Blitzlichter  wirkenden  Kompositionen  als  abschreckenden 
Beispielen  »uneinheitlicher  Raumgestaltung«  und  was  dergleichen  Fehler 
mehr  sind. 

Das  Buch  ist  rein  dogmatisch,  nicht  historisch  Das  ist  kein  Vorwurf 
für  den  Verfasser,  aber  manches  würde  er  doch  überzeugender  herausgebracht 
haben,  wenn  seine  Darlegungen  auf  dem  Standpunkt  stünden,  daß  auch  das 
Sehen  eine  Geschichte  hat.  Und  wenn  z.  B.  das  Prinzip  der  klar  sichtbar 
zu  machenden  Vorderfläche  in  Bildern  durch  Botticellis  Geburt  der  Venus 
illustriert  wird  (S.  97),  so  finde  ich  das  Beispiel  nicht  gut,  weil  das  Bild  uns 
durchaus  altertümlich  befangen  vorkommt,  während  die  Aufgabe  die  wäre, 
zu  zeigen,  inwiefern  auch  in  der  ganz  freien  Kunst  das  Gesetz  noch  verbindlich 
wirkt.  Einen  »historischen  Hildebrand«  — wer  wird  uns  den  einmal  schreiben  ? 

Wölfflin. 


Literaturbericht. 


341 


Paul  Wilhelm  von  Keppler,  Bischof  von  Rottenburg.  Aus  Kunst 
und  Leben.  III.  verb.  Aufl.  Freiburg  i.  B.,  Herder.  1908. 

Das  Buch  ist  eine  Gelegenheitsschrift.  Es  vereinigt  eine  Reihe  von 
Aufsätzen  teils  historischer  teils  feuilletonistischer  Natur  zu  einem  Zweck, 
den  der  Verfasser  am  Schluß  angibt:  der  Erlös  soll  dem  Rottenburger  Dom- 
baufonds zufließen.  Der  Verfasser  wendet  sich  an  ein  weiteres,  künstlerischen 
und  kunsthistorischen  Fragen  fernstehendes  Publikum;  schon  aus  diesem 
Grunde  ist  ein  kritischer  Maßstab  vom  wissenschaftlichen  Standpunkt  an 
diese  Dilettantenarbeit  nicht  anzulegen.  — Aber  einige  Punkte  sind  in  der 
Schrift  enthalten,  die  über  den  Kreis  der  bischöflichen  Herde  hinaus  all- 
gemeinere Interessen  berühren:  ich  meine  die  schon  vielbesprochene 
Stellung  der  katholischen  Kirche  zur  Kunst,  besonders  zur  modernen.  Je- 
der weiß,  wie  traurig  es  um  die  Produkte  »moderner  Kunst«  in  katholischen 
Kirchen  bestellt  ist,  auch  Bischof  Keppler  ist  nicht  ganz  mit  diesen  Dingen 
zufrieden,  trotzdem  empfiehlt  er  »nachdem  die  moderne  Kunst  der 
Volksseele  sich  entfremdet  hat«  die  »von  bewährten  katholischen  Firme  n« 
hergestellten  religiösen  Bilder!  Welche  bedauernswerten  Folgen  ein 
solcher  Standpunkt  zeitigen  kann,  wenn  ihn  Leute  einnehmen,  in  deren 
Händen  wichtige  künstlerische  Entscheidungen  ruhen,  zeigt  die  im  Schluß- 
kapitel behandelte  Frage  des  Domneubaues  für  Rottenburg.  »Wie  soll  gebaut 
werden?  So  hat  noch  keine  Zeit  fragen  müssen,  außer  der  unsrigen.  Daß 
wir  so  fragen  müssen,  ist  ein  beschämender  Beweis  unserer  Schwäche.  Das 
sollen  die  nicht  vergessen,  die  gar  so  fortschrittselig  sind  und  nicht  genug 
rühmen  können,  wie  herrlich  weit  wir  es  gebracht  haben.  Wir  haben  keinen 
Baustil,  und  alle  Versuche,  einen  zu  erfinden,  sind  bisher  fehlgeschlagen  (!) 
usw.  usw.  So  sind  wir  genötigt  zu  Zwangsanlehen  bei  der  Vergangenheit, 
wir  müssen  in  einem  Stil  der  Vorzeit  bauen.  In  welchem?  Soweit  ich  da 
ein  Wort  habe,  werde  ich  mit  aller  Entschiedenheit  für  den  romanischen 
Stil  eintreten.«  — Also  romanisch.  Über  die  Tatsache,  daß  in  unserer  Zeit 
an  allen  Ecken  und  Enden  unseres  deutschen  Vaterlandes  höchst  beachtens- 
werte Leistungen,  nicht  in  einem  »neuerfundenen  Stil«,  sondern  in  einem 
neuen  Sinne  auf  architektonischem  Gebiet  entstehen,  über  die  Tatsache, 
daß  in  nächster  Nähe  von  Rottenburg,  nämlich  in  Stuttgart,  ein  Mann  wie 
Theodor  Fischer  die  kirchliche  wie  die  profane  Baukunst  zu  neuem  Leben 
erweckt  hat,  geht  der  Herr  Bischof  mit  den  oben  zitierten  Sätzen  hinweg. 
Er  sollte  nur  andere  Kräfte  heranziehen,  als  jenen  Baukünstler,-  der 
den  geist-  und  blutleeren  aber  romanischen  Dom  entworfen  hat,  den  die 
Abbildung  zeigt:  dann  würde  er  sehen,  daß  unsere  Zeit  nicht  um  Baumeister 
verlegen  zu  sein  braucht,  die  wahrhaft  kirchliche  Bauten  in  der  Sprache 
unserer  Tage  zu  schaffen  verstehen.  7-  Sievers. 


342 


Literaturbericht. 


Malerei. 

Die  italienische  Malerei  des  15.— 18.  Jahrhunderts.  Jahresbericht  19061). 

I.  Allgemeines. 

1.  K.  Woermann,  Die  italien.  Bildnismalerei 
der  Renaissance.  Eßlingen.  (Führer  zur  Kunst  4.) 
Wesentlich  15.  u.  16.  Jht.,  schließt  mit  Tizian  ab. 

2.  A.  Venturi,  Les  »triomphes  de  P6trarque« 
dans  l'art  repräsentativ  Revue  de  l’art  ancien 
et  moderne  XX,  S.  209.  Über  Pesellino,  florent.  Tondo  in  Turin, 
Costa  in  S.  Giacomo  Maggiore,  Bologna;  P.  della  Francesca. 

3.  R.  Förster,  Laokoon  im  Mittelalter  und  in 
der  Renaissance.  Jahrb.  d.  preuß.  Kstslgn.  27,  S.  149. 
Miniaturen  im  Virgil  der  Riccardiana,  Zeichnung  von  Filippino,  ferner 
Niccolo  Abate,  G.  Romano. 

4.  C.  von  Fabriczy,  Memorie  sulla  chiesa  di 

S.  Maria  Maddalena  de’Pazzi  ä Firenze  e sulla 
Badia  di  S.  Salvatore  ä Settim  o.  L' Arte  IX,  S.  255. 
Aus  den  Aufzeichnungen  des  D.  Ignazio  Signorini  (sec.  XVII);  bes.  über 
Ghirlandajo,  Rosselli,  Perugino  und  Credi  (vgl.  ebendort'  X,  S.  225). 

5.  A.  V(enturi),  Corriere  Fiorentino.  Ebendort 
S.  62.  Bilder  von  Tura,  Costa;  Porträt'  von  Mantegna,  Pal.  Pitti. 

6.  L.  Dimier,  Les  origines  des  collections  de 
peinture  duLouvre.  AFontainebleau  sousFran^oisI. 
et  sous  Henri  IV.  Musees  et  monuments  de  France  I, 
S.  52.  Die  bekannten  Werke  von  Raphael,  Sarto,  Leonardo,  Tizian  u.  a.,. 
alle  in  den  drei  Cham'bres  de  repos,  kamen  unter  Heinrich  IV.  in  den  Pavillon 
des  peintures;  an  Stelle  der  Originale  Kopien  (zwei  davon  jetzt  in  der  Kapelle 
von  Trianon-sous-Bois). 

7.  M.  Besnier,  La  collection  Campana  et  les 
Musees  de  province.  Revue  ArcheologiquelV  Serie, 
t.  VII,  S.  30.  Von  den  646  Bildern  des  Katalogs  kamen  1863  318  an 
67  Provinz-Museen.  Später  kamen  noch  andere  zur  Verteilung.  [Sehr 
wichtig  zur  Identifizierung  vieler  Bilder  der  Campana  Sammlung.]  Eben- 
dort S.  423  über  Bilder  dieser  Provenienz  in  den  Museen  der  Normandie. 

8.  A.  Ratti,  La  risurrezione  di  un  Museo  Mila- 
nese. Rendiconti  d e 1 1 ’ Istituto  Lombardo,  S.  II 
t.  XXXIX,  S.  ioii.  Zur  Geschichte  des  Museo  Settala. 


1)  Mit  Ausschluß  der  Lombardei  und  Piemonts. 


Literaturbericht. 


343 


9.  A.  Chiti,  Tommaso  Puccini.  Bullettino  storico 
Pistojese  VIII,  S.  179.  Aus  Briefen  des  Jahres  1783  über  Bilder  in 
Galerien  und  Kirchen  in  Neapel  (u.  a.  Galerien  della  Torre,  Santobuono, 
Stigliano,  Capodimonte  (Fortsetzung  ebendort  IX,  S.  I : Puccini  als  Direktor 
der  Uffizien). 

10.  Don  Fastidio,  La  quadreria  del  Principe 
di  Salerno.  Napoli  nobilissima  XV,  S.  92.  War  1840—1860 
im  Museo  Borbonico  und  kam  dann  an  den  Herzog  von  Aumale.  Wieder- 
abdruck der  Guida  von  1842,  die  102  Bilder  aufführt. 

11.  C.  de  Bildt,  Cristina  di  Svezia  e Paolo  Gior- 
danoll.  duca  di  Bracciano.  Archivio  della  Societä 
Romana  di  storia  patria  t.  XXIX,  S.  25.  Aus  Briefen  von 
1652:  die  Königin  sendet  Miniaturkopie  von  Cooper  nach  Tizian;  über  ihre 
italienischen  Bilder,  alle  aus  Prag  stammend.  Der  Herzog  berichtet  aus 
Rom  u.  a.  über  P.  da  Cortona,  Bernini  und  Algardi  [cf.  Fanfulla  d.  domenica 
1891,  475.  Oktober]. 

12.  C.  Ricci,  La  pittu  ra  antica  alla  mostra  di 
Macerata  (II.  Artikel).  Emporium  t.  XXIII,  März,  S.  200. 
U.  a.  die  Venezianer : Jacobello  del  Bonomo;  Teile  eines  Polyptychons, 
Pausula,  von  Antonio  Vivarini;  Polyptychon  von  Andrea  de  Bologna 
(Fermo);  Bilder  von  Innocenzo  da  Imola,  Gio.  di  Paolo  (Assunta,  San- 
severino)  u.  a. 

13.  Od.  H.  Giglioli,  Nuovi  acquisti  della  Gal- 
leria  degli  Uffizi.  Ebendort  S.  231.  Bilder  von  Melozzo, 
Tura,  Costa,  Niccolo  da  Guardiagrele,  Jac.  Bellini. 

14.  C.  Ricci,  Gli  Ultimi  ritratti  d'  artisti  entrati 
nella  Galleria  degli  Uffizi.  Illustratore  fiorentino 
per  l’anno  1906,  S.  13 1.  Porträts  des  Galli  Bibbiena,  Girol.  da  Castello, 
G.  M.  Terreni. 

15.  Gerspach,  La  Galerie  Corsini  ä Florence. 
L e s A r t s Nr.  52,  April,  S.  12.  Einige  Angaben  über  Provenienz 
der  Bilder. 

16.  F.  Mason  Perkins,  Note  su  alcuni  quadri* 
del  Museo  Cristiano  nel  Vaticano.  Rassegna  d'arte 
VI,  S.  106  u.  121.  Außer  Bildern  des  Trecento,  bes.  über  die  Sienesen: 
Gio.  di  Paolo,  Sano  di  Pietro,  Sassetta,  Matteo  di  Giovanni.  Ferner  Fra  An- 
gelico  und  Schule,  Francesco  di  Gentile  da  Fabriano  etc. 

17.  O.  Sirdn,  Quadri  sconosciuti  nel  Museo 

Cristiano  Vaticano.  L’Arte  IX,  S.  321.  Von  S.  332  über  Bilder 
des  15.  Jhts.:  Sassetta,  Masolino  (Tod  der  Maria  und  Kruzifixus),  Predellen 
von  Gentile  da  Fabriano,  vom  Altar  von  S.  Niccolo  [dies  gewiß  richtig!], 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


24 


344 


Literaturbericht. 


Triptychon  des  Giovanni  del  Ponte  1437;  Bartolo  di  Maestro  Fredi;  Fra 
Angelico;  Gio.  di  Paolo. 

18.  A.  V e n t u r i , La  Galleria  S t e r b i n i in  Roma. 

Saggio  illustrativ  o.  Rom,  Verlag  der  Arte.  Erst 
Trecento,  dann  Siena  (guter  Beccafumi),  Florenz:  zwei  interessante 

Heiligenlegenden  von  Filippino  [!],  Credi,  Magdalena  von  Engeln  empor- 
getragen, in  der  Art  des  Boutgeois-Morgan- Bildes,  Bacchiacca,  Vision 
d.  hl.  Bernhard  (hübsch,  peruginesk);  Umbrien;  Art  des  Parenzano; 
Venedig  (sehr  schwache  Bilder;  hübscher  Girol.  Santa  Croce);  Dosso, 
gutes  Porträt;  Zaganelli. 

19.  O.  F.  Tencajoli,  La  Villa  Visconti  di  Sali- 

ceto  in  Cernusco  sul  Naviglio.  Ars  et  Labor  Nr.  9, 
S.  777;  Nr.  IO,  S.  880.  Außer  Lombarden  Bilder  von  Bartol.  Veneto, 
G.  Romano,  Albani,  Longhi  (Porträt  des  Conte  Alinari,  in  ganzer  Figur). 

20.  P.  Schubring,  Notizie  di  Berlin  o.  L’Arte 

IX,  S.  384.  Vier  Heilige  von  Masaccio,  Predella  von  Fra  Filippo;  Bilder 
von  Bellini,  Sassetta,  Gio.  di  Paolo,  Parentino.  Botticelli,  Sammlung  Simon. 

21.  R.  Graul,  Die  Ausstellung  des  K.  Friedrich- 

Museumsvereins.  Z e i t s c h r.  f.  b i 1 d.  Kunst  N.  F.  XVII, 
S.  133.  Bes.  gut  vertreten  Fr.  Guardi  (7  Bilder).  Schönes  männl.  Porträt 
von  Bronzino,  Sammlung  Simon. 

22.  Th.  von  Frimmel,  Aus  der  steiermärkischen 

Landesgalerie  zu  Graz.  Blätter  f.  Gemälde  künde 
III,  I (Mai),  S.  IO.  Gutes  Porträt  von  Tintoretto,  Bronzino,  Tiepolo; 
verdorbener  Marco  di  Tiziano.  Bedeutender  Dosso;  D.  Pellegrini,  signierter 
Theod.  Ghisi,  Kopien  nach  Mantegna. 

23.  G.  Bernardini,  La  quadreria  Sandor  Lederer 
a Budapest.  L’  Arte  IX,  S.  96.  Schulen  von  Verona  (Caroto)  und 
Bergamo;  Romanino,  signierter  Rocco  Marconi;  Puligo,  Rosso,  Beccafumi, 
P.  da  Cortona,  Elis.  Sirani. 

24.  Vgl.  Tresors  d'  art  en  Russie  VI,  Heft  1/2.  Schidone 
und  Tintoretto  (geistvolle  Kopie  der  Hochzeit  zu  Cana  in  d.  Salute),  Grand 

*Palais  de  Pavlovsk;  Domenichino,  Kommunion  eines  Heiligen,  Sammlung 
Netchaieff -Malzoff. 

25.  G.  Frizzoni,  Appunti  critici  intorno  alle 

opere  delle  scuole  italiane  nella  Galleria  del 

Louvre.  L’Arte  IX,  S.  401.  Für  die  Attribution  der  Madonna  mit 
Stifter  an  Jacopo  Bellini;  Antonio  Vivarini,  hl.  Ludwig;  Botticini,  Baldovi- 
netti,  Sellajo,  Bartol.  di  Giovanni,  Pier  di  Cosimo,  Girolamo  di  Benvenuto, 
Franciabigio,  Bacchiacca,  Fra  Bartolommeo,  Leonardo.  Bellini-Schule, 
(Madonna  nicht  Rondinelli),  Carotto  (Madonna),  Parentino,  Meister  derBern- 


Literaturbericht. 


337 


Krapf.  Das  Problem  der  Bindung  in«der  bildenden 

Kunst.  Straßburg,  Ed.  Heitz  1908.  127  S.  mit  24  Abb.  u.  20  Taf. 

Ich  fragte  unlängst  einen  meiner  streitbarsten  Kollegen,  ob  sich  denn 
nicht  ein  allgemeiner  Grundsatz  aufstellen  ließe,  nach  dem  man  Bücher, 
die  man  für  schlecht  halte,  besprechen  solle.  Ich  bekam  die  Antwort,  man 
solle  dies  proportional  dem  Schaden  tun,  den  das  Buch  möglicherweise  an- 
richten  könne. 

Dieser  dürfte  hier  nur  klein  sein,  die  Besprechung  kann  sich  also  kurz 
halten.  Das  Buch  ist  um  einen  guten  Einfall  herumgeschrieben,  um  ein 
ausgezeichnetes  Wort,  das  sich  in  der  Sprache  der  Kunsthistoriker  wohl 
einbürgern  dürfte:  »Bindung«  vermag  kräftig  und  bildhaft  so  manches 

bei  Kunstwerken  auftretende  Phänomen  zu  bezeichnen.  Aber  das  Unmög- 
liche des  Büchleins  steckt  in  dem  Unternehmen,  überall  dort,  wo  irgend- 
eine  zusammenfassende  Tätigkeit  des  Sehens,  ja  sogar  der  all- 
gemeinen Denkfunktionen  (z.  B.  bei  der  Bildung  eines  Begriffes  S.  5 7 u.  60) 
vorliegt,  nun  das  Wort  Bindung  einzuführen,  und  für  die  Vielfältigkeit  der 
Sonderfälle  statt  der  alten,  im  Gebrauche  langher  erprobten,  neue  Be- 
nennungen zu  erfinden  (Bindeelement,  eigentliche  und  uneigentliche  Bindung, 
Bindemittelpunkt,  blicklenkende,  erklärende,  störende  Bindungen,  Neben- 
bindungen usw.).  Der  allgemeine  Vorgang  der  teils  trennenden,  teils  zu- 
sammenfassenden Arbeit  menschlicher  Geistestätigkeit  ist  ja  seit  mehr  als 
zwei  Jahrtausenden  beobachtet,  und  in  neuerer  Zeit  seit  dem  Erstarken 
der  beschreibenden  Psychologie  durch  alle  möglichen  Stadien  durchverfolgt 
worden.  Und  auch  daß  gerade  im  Kunstbereiche  das  Zusammenfassen,  das 
Binden  von  Einzelelementen  (und  worauf  diese  Bindung  sich  gründe: 
Ähnlichkeit,  Anordnung,  Farbenhaltung  usw.)  oft  zum  Wichtigsten  gehört, 
ist  bereits  in  jedem  Lehrbuch  der  Psychologie  zu  finden.  Die  Kunsthistoriker 
schon  gar  haben  sich  längst  mit  diesen  Dingen  vertraut  gemacht.  So  daß  der 
Hinweis  auf  eine  Diagonalkomposition  bei  Rubens  als  Beispiel  der  »Unge- 
bundenheit als  Empfindungserreger«  nicht  besser  wirkt  als  die  Analyse 
der  Kirchenfassaden  und  ihrer  verschiedenen  Bindungsmöglichkeiten  durch 
die  Türme.  Im  Grunde  bleibt  nichts  übrig,  als  die  Aufforderung  an  den  Kunst- 
historiker, überall  wo  er  bisher  »zusammen«  oder  »con-«  oder  »syn-«  gesagt 
hat,  wo  er  Worte  wie  Ecklösung,  Auswiegen  des  Schwerpunktes,  gesprengte 
Gruppierung,  Zeitstil  (als  »gegebene  Gebundenheit  des  Zeitcharakters«),  und 
dergleichen  anwendete,  nun  »Bindungsarten«  zu  unterscheiden. 

Als  Probe  ein  Beispiel  aus  dem  Buche,  Seite  1 1 7,  Mitte:  »Denken 
wir  uns  in  einer  größeren  Architekturgebundenheit  die  Gleichheit  etwa  in 
der  Vollerscheinung  der  Häuser  als  gleichhoher,  gleichgerichteter,  meist 
gleichfarbiger  Rechteckformen,  wie  dies  beim  Großstadtstraßenbild  gewöhn- 
lich der  Fall  ist,  gegeben,  so  muß  das  Einzelhaus  zweifellos  an  Wirkung  ver- 


33& 


Literaturbericht. 


lieren,  denn  es  stellten  Verbindung  mit  den  übrigen  Häusern  eine  eigent- 
liche Gebundenheit  vor,  innerhalb  welcher  höchstens  das  uneigentlich  ge- 
bundene Detail  sich  auszuleben  vermag.  Da  nun  aber  gerade  die  Hausform 
als  solche  zur  Geltung  kommen  muß,  soll  anders  die  Architektur  als  eigene 
Kunst  nicht  ihre  Bedeutung  verlieren,  so  ergibt  sich,  daß  die  Bindung  nicht 
durch  jene  selbst  geschaffen,  sondern  lediglich  durch  Gleichheit  neben- 
sächlicher Erscheinungsfaktoren,  etwa  der  Farbe,  erzeugt  werden  darf, 
wenn  das  Haus  imstande  sein  soll,  als  solches  in  Wechselwirkung  zu  den 
übrigen  Häusern  des  Nebeneinanders  zu  treten  und  damit  die  Eigenheit 
speziell  seiner  Gesamterscheinung  zu  steigern.  Je  mehr  nebensächliche 
Erscheinungsfaktoren  wir  einander  gleich  halten,  und  je  charakteristischer 
wir  im  übrigen  die  individuelle  Form  bestimmen,  um  so  lebhafter  und  ein- 
dringlicher kann  der  eigentliche  Hauscharakter  im  Straßenbilde  empfunden 
werden.  Als  die  fruchtbarste  Gestaltungsweise  erkennen  wir  im  allgemeinen 
jene,  bei  welcher  die  relative  Gebundenheit  sich  als  eine  Bruchzahl  darstellt, 
in  deren  Zähler  die  Summengebundenheit  aller  unwesentlichen  Erscheinungs- 
faktoren und  in  deren  Nenner  die  absolute  Gebundenheit  steht;  es  ist  dies 
jene  Gestaltungsweise,  welche  auf  dem  Boden  der  größten  Einheit  die 
höchste  Mannigfaltigkeit  der  Charakterwerte  entwickelt.«  Ebenso  unzweifel- 
haft richtig,  wie  längst  bekannt.  Nur  daß  man  bisher  kürzer,  einfacher  und 
klarer  sagte:  das  Miethaus  soll  bei  möglichster  Eigenart  das  Gesamt- 

Straßenbild  nicht  stören.  — 

Gerade  derjenige,  der  sich  für  Psychologie  interessiert,  der  zwar  nicht 
die  kindische  Ansicht  hegt,  die  Kunstgeschichte  müsse  nun  mit  Hilfe  jener 
jüngsten  Wissenschaft  von  Grund  aus  verändert,  wiedergeboren  werden 
— der  aber  glaubt,  daß  von  psychologisch  orientierten  Kunsthistorikern 
sehr  wohl  gewisse  Gebiete  der  Kunstgeschichte  so  behandelt  werden  können, 
daß  sie  auch  den  strengen  Historiker  interessieren:  gerade  der  muß  über 
Büchern  wie  dem  vorliegenden  besonders  mißmutig  werden.  Denn  sie  sind 
nicht  nur  überflüssig;  sie  schaden  direkt  der  im  Kern  guten  Sache.  Deri. 


Archi  tektu  r. 

P.  Eichholz.  Das-  älteste  deutsche  Wohnhaus,  ein 
Steinbau  des  IX.  Jahrhunderts.  (Studien  zur  deutschen 
Kunstgeschichte,  H.  84.)  Straßburg  i.  E.  1907. 

Der  zunächst  etwas  reklamehaft  ausschauende  Titel  des  Büchleins 
darf  nicht  hindern,  daß  sich  die  Forschung  ernsthaft  mit  seinem  Inhalt  aus- 
einandersetzt. Es  handelt  sich  um  das  bereits  öfter  behandelte  graue  Haus 


Literaturbericht. 


339 


in  Winkel  im  Rheingau.  In  der  Volkstradition  galt  das  Häuschen  als  Woh- 
nung des  Rabanus  Maurus,  also  für  ein  Werk  des  9.  Jahrhunderts.  Dem 
widersprach,  wie  zunächst  jeder  eine  solche  Tradition  mit  wohlwollendem 
Lächeln  auf  sich  beruhen  zu  lassen  geneigt  sein  wird,  die  große  Mehrheit 
derer,  die  sich  mit  dem  Bau  beschäftigt  hatten;  Eichholz  tritt  dagegen  für 
den  karolingischen  Ursprung  von  neuem  ein,  nachdem  Konr.  Plath  bereits, 
wenn  auch  noch  nicht  völlig  abschließend,  die  dieser  Auffassung  günstigen 
Tatsachen  hervorgehoben  hatte.  Er  geht  von  den  Einzelformen  aus,  die 
zum  größten  Teil  in  Abbildungen  und  Aufnahmen  gebracht  werden. 

Den  Hauptanstoß  gab  bisher  ein  kleines  monolithes  gekuppeltes  Fenster 
im  Obergeschoß,  das  ein  Würfelkapitell  in  freilich  stark  überhöhter  Segment- 
form zeigt.  Zum  Beweise  dafür,  daß  diese  Form  des  Kapitells  nicht  erst  im 
IO.  Jahrhundert  (Essen)  auftritt,  verweist  Verfasser  auf  einen  in  Forch- 
heimer-Strzygowskis  Byzantin.  Denkmälern  abgebildeten  altchristlichen 
Sarkophag  in  Ferrara.  Eine  gewisse  Ähnlichkeit  ist  nicht  zu  verkennen 
und  gewiß  ließen  sich  noch  mehr  Analogien  beibringen,  vor  allem  aus  der 
Kleinkunst.  Wenn  einmal  erst  das  ganze  Material  der  spätantiken  bis 
romanischen  Kapitellformen  durchgearbeitet  sein  wird,  wird  sich  eher 
mit  Sicherheit  über  solche  Dinge  urteilen  lassen.  (Übrigens  kommt  in  der 
Abbildung  die  starke  Verjüngung  des  Säulenschaftes  nicht  genügend  zur 
Geltung.) 

Daß  man  im  12.  Jahrhundert  »so  kleine  Öffnungen  nicht  mehr  rund- 
bogig  schloß,  sondern  mit  einem  geraden  Sturz  überdeckte«,  ist  in  dieser  Aus- 
dehnung für  Deutschland  gewiß  nicht  richtig;  die  meisten  Beispiele,  die  an- 
geführt werden,  gehören  dem  westlichsten  Deutschland  — wo  übrigens  auch 
zahlreiche  rundbogig  schließende  Öffnungen  begegnen  — und  besonders 
Frankreich  an,  wo  sich  eine  von  deutschen  Gewohnheiten  abweichende  Vor- 
liebe für  die  Horizontale  ausgebildet  hat.  (Vgl.  meine  Studien  zum  roman. 
Wohnbau,  Straßburg  1902,  S.  159.) 

Dagegen  hat  die  sonstige  sparsame  Ornamentik  nichts  mit 
Romanischem  zu  tun:  eingeritzte  Schleifen,  Linien  in  Form  eines  an- 
steigenden Giebels  mit  kreisrunden  Akroterien.  Besonders  schlagend  ist 
ein  direktes  Kerbschnittmuster  am  Mittelpfosten  und  zwischen  den  Bogen 
eines  gekuppelten  Fensters,  das  Eichholz  gefühlsmäßig  lieber  für  karo- 
lingisch als  romanisch  ansehen  möchte.  Gerade  dafür  haben  wir  aber  ein 
wichtiges  Gegenstück  im  südlichen  Giebel  der  Lorscher  Torhalle,  wo  die 
Kerbschnittverzierung  in  völlig  gleicher  Weise  wiederkehrt.  Die  einfache 
Übertragung  der  Zimmermannsgewohnheiten  auf  die  Steinbearbeitung 
zeigt  sich  auch  in  einem  ausgegründeten  Kreuz,  für  dessen  Form  ich  zum 
Vergleich  auf  ein  fränkisches,  aus  Abenheim  stammendes  Schmuckstück 
im  Mainzer  Römisch-Germanischen  Zentralmuseum  hinweisen  möchte 


340 


Literaturbericht. 


(Nr.  1371).  Ebenso  wichtig  für  die  Datierung  ist  ein  Gesimsstück  mit  einer 
Stabverzierung,  wie  sie  von  merowingisch-fränkischen  Sarkophagen  be- 
kannt ist.  Auch  die  Eigentümlichkeit  sicher  karolingischer  Bauten,  daß 
die  Profile  der  Kämpfer  nur  nach  der  Leibungsseite  ausladen,  begegnet  hier; 
ebenso  der  Wechsel  von  roten  Ziegeln  und  hellen  Sandsteinen  in  den  Bogen. 

Es  bleibt  nichts  aaderes  übrig,  als  anzuerkennen,  daß  alles  auf  karo- 
lingische, nichts  auf  spätere  Entstehungszeit  schließen  läßt,  denn  auch  die 
Einfügung  der  sämtlichen  frühen  ornamentierten  Teile  in  einen  späteren 
Bau  ist  in  keiner  Weise  wahrscheinlich.  Dabei  ist  aber  nicht  zu  verkennen, 
daß  noch  innerhalb  der  karolingischen  Epoche  Umgestaltungen  mit  dem 
Hause  vorgenommen  worden  sind;  der  Urbau  bestand  jedenfalls  nur  aus 
einem  zweigeschossigen  Hauptbau  mit  gleichfalls  zweigeschossigem  Ora- 
torium im  Westen.  Ein  Kamin,  kein  »Hochsitz«,  an  der  Südostwand;  eine 
Freitreppe  wohl  westlich  im  Winkel  der  beiden  Bauteile. 

Noch  in  karolingischer  Zeit  wurde  südlich  ein  Erweiterungsbau  ange- 
fügt, bei  dem  zum  Teil  Stücke  des  ursprünglichen  Baues  pietätvoll  ver- 
wendet, Monolithe  dagegen  offenbar  nicht  mehr  neu  hergestellt  wurden. 
Weiter  wurde  südlich  der  Kapelle  eine  Küche  angelegt,  deren  Herd  an  die 
Stelle  der  Freitreppe  kam.  Die  späteren  Veränderungen  interessieren  hier 
nicht  weiter. 

Die  Untersuchung  ist  bis  hierher  durchaus  überzeugend,  sorgfältig 
und  nüchtern;  es  folgen  Kombinationen,  die  für  sicher  anzunehmen  niemand 
gezwungen  ist. 

Der  Bauherr  war  zweifellos  ein  wohlhabender  Mann,  gewiß  ein  Geist- 
licher, jedenfalls  klassisch  gebildet.  Das  beweist  die  bisher  unbemerkt  ge- 
bliebene Einhaltung  der  Lehre  Vitruvs  bei  dem  — nach  Eichholz  — ur- 
sprünglichen Bau,  den  Grundriß  I : 2 zu  gestalten;  bekanntlich  zeigt  die 
Ingelheimer  Pfalz  dasselbe  Verhältnis.  Winkel  liegt  nahe  bei  Mainz,  un- 
willkürlich lockt  der  Gedanke,  in  Rabanus  Maurus,  dem  Erzbischof  selbst, 
den  Erbauer  und  Bewohner  des  Hauses  zu  sehen. 

Seine  umfassende  Bautätigkeit  für  Fulda  ist  bekannt;  andererseits 
steht  fest,  daß  er  in  Winkel  ein  Haus  besessen  und  bewohnt  hat.  Auch  der 
Erweiterungsbau  würde  in  der  Geschichte  seines  Lebens  seine  Erklärung 
finden:  bei  einer  Hungersnot  (850)  soll  er  täglich  Hunderte  bei  sich  ge- 
speist haben.  Auch  sonst  ist  Eichholz  glücklich  in  der  Heranziehung  der 
literarischen  Quellen.  Abschließend  ist  auch  seine  Arbeit  nicht;  so  vermißt 
man  einen  genauen  Grundriß  des  Vorhandenen;  Eichholz  bringt  nur  einen 
Lageplan  des  Ganzen  und  Grundrisse  des  Urbaus  als  Wiederherstellungs- 
versuch. Auch  die  Arbeit  seiner  Vorgänger  tritt  zu  Unrecht  stark  zurück; 
manches  in  seinen  Untersuchungen  war  bereits  von  anderen  vor  ihm  aus- 
gesprochen oder  wenigstens  angebahnt  worden.  Karl  Simon. 


Literaturbericht. 


349 


schreibt  A.  Madonna  mit  zwei  Engeln  derselben  Galerie  zu  [was  nach  Abb. 
nicht  ganz  überzeugt], 

58.  L.  Cu  st  u.  H.  Cook,  »The  Lovers«  at  Bucking- 
ham Palace.  Ebendort  IX,  No.  38,  Mai,  S.  71.  Aus  Samm- 
lung Karls  I.  (schon  1625),  sehr  schlecht  erhalten,  Tizian  oder  Giorgione 
früher  zugeschrieben.  Nach  Cust  die  Komposition  von  Giorgione,  das 
Buckingham-Pal.-Bild  von  Tizian  (vgl.  Salome,  Doria  Pamfili).  Cook  hält 
das  Bild  der  Casa  Buonarroti  möglicherweise  für  Original  von  Giorgione, 
das  vielleicht  von  Sebastiano  vollendet  ist;  das  Londoner  Bild  für  Bordone. 
Über  Bilder  von  Bordone  in  England;  Kopie  von  Tizians  »Alfonso  d'Este 
und  Laura  Dianti«  bei  Earl  Spencer,  Althorp.  Porträt  der  Paula  Visconti 
im  Besitz  des  Königs  von  Portugal. 

59.  Zu  Giorgione  vgl.  Kunstchronik  XVII,  No.  16, 
Sp.  249  (Bilder  der  Sammlung  Conway)  und  No.  31,  Sp.  502  (Vermehren 
über  das  Konzert  des  Pal.  Pitti). 

60.  H.  Cook,  Notes  on  the  study  of  Titian.  Burl. 
Magazine  X,  No.  44,  November,  S.  102.  Der  kleine  Cupido, 
Wien,  Akademie,  sei  Original  von  Tizian;  nicht  von  T.  dagegen  der  »Tam- 
burinspieler« der  K.  Galerie.  Cornaro-Familie  in  Alnwick,  um  1560.  Bild 
des  Francesco  Vecellio  bei  Sir  W.  Farrer,  aus  S.  Giuseppe  in  Belluno 
(Beziehung  zu  Giorgionebild  bei  Lord  Allendale)  und  über  andere  Bilder 
desselben.  • 

61.  E.  Petersen,  Zu  Meisterwerken  der  Renaissance. 
4.  Tizians  »Amor  sacro  e profano«.  Zeitschr.  f.  bild. 
Kunst  N.  F.  XVII,  S.  182.  Das  Relief  am  Brunnen  sei  Tizians  Er- 
findung, müsse  Bestrafung  der  carnal  amore  auf  Geheiß  der  Venus 
sein.  Das  Bild  stellt  den  Gegensatz  zwischen  irdischer  und  himmlischer 
Schönheit  dar,  beruht  auf  platonischen  Ideen. 

62.  L.  Ozzola,  Venere  ed  Elena  (Amor  sacro 
e Amor  profano).  L’A  r t e IX,  S.  298.  Venus  überredet  Helena, 
dem  Menelaus  zu  folgen.  Das  Pferd  des  Sarkophags  sei  das  trojanische, 
rechts  die  Tötung  des  Deiphobus,  Gemahls  der  Helena,  durch  Menelaus; 
links,  wie  Venus  den  Paris  vor  Menelaus  schützt. 

63.  P.  Kristeller,  II  trionfo  della  fede.  Graphi- 
sche Gesellschaft.  I.  Veröffentlichung.  Berlin. 

64.  E.  Male,  L’A  rt  symbolique  ä la  fin  du  moyen 
äge.  Revue  de  hart  ancien  et  moderne  XIX,  S.  in. 
Kopie  nach  Tizians  Holzschnitt  des  Triumphes  Christi  im  Fenster  der  Kathe- 
drale von  Brou. 

65.  Trento,  La  vendita  di  un  Tizian  o.  Rassegna 
d'  a r t e VI,  November,  zweite  Umschlagsseite.  Porträt 


35° 


Literaturbericht. 


Madruz^os,  von  Baron  Salvadori  nach  Amerika  verkauft  [Sammlung 
Stillmann]. 

66.  G.  Gronau,  Zwei  tizianische  Bildnisse  der 
Berliner  Galerie.  Jahrb.  d.  preuß.  Kunstsamml.  27, 
S.  3.  Bildnisse  des  Ranuccio  Farnese  und  der  Tochter  des  Roberto  Strozzi 
(vgl.  Nachtrag  von  C.  Sachs,  ebendort  S.  142). 

67.  H.  von  Kilenyi,  Ein  wiedergefundenes  Bild 
des  Tizian.  Budapest.  »Toilette  der  Venus«  aus  der  Sammlung 
Erzherzog  Leopold.  Wilhelm,  dann  in  Preßburg  und  Ofen,  1856  versteigert, 
in  Privatbesitz  [des  Verfassers].  Komposition  mit  einem  Putto;  ein  zweiter 
kam  bei  Reinigung  zum  Vorschein. 

68.  J.  Guiffrey,  La  collection  du  baron  de 

Schlichtin  g.  LesArts  No.  50,  Februar,  S.  I.  Darin  Porträt 
von  Tizian,  A.  Doria,  etwa  1557 — 1560,  aus  der  Sammlung  Morris  Moore 
[seither  als  Porträt  des  Vinc.  Cappello  erkannt]. 

69.  Roth:  Vesal,  Estienne,  Tizian,  Leonardo. 
Arch.  f.  Anatomie  u.  Physiologie,  No.  1 (nach  Internationaler 
Bibliographie  der  kwiss.  Literatur  1906,  No.  2570). 

70.  Zu  Tizian  vgl.  Rassegna  d'arte  VI,  Januar, 
zweite  Umschlagsseite.  Porträt  des  Dogen  Seb.  Venier,  Halb- 
figur, bei  Antiquar  in  Görz,  vielleicht  aus  T.s  letzter  Zeit,  1577  [sic!]. 

71.  Archivio  storico  Messinese  VII,  S.  246:  dem  T. 
zugeschriebenes  Bild  im  Museum  von  Messina,  aus  S.  Maria  delF  Alto  (Corte- 
Cailler). 

72.  Art  Journal,  N.  S.  45,  Oktober,  S.  301,  angeb- 
liches Porträt  des  Lorenzo  de  Medici  [?],  von  Tizian,  verkauft  in  London, 
früher  Foot's  Cray  Place  (vgl.  dazu  Athenaeum  No.  4099,  19.  Mai:  all- 
gemein Autor  und  Name  des  Dargestellten  bezweifelt). 

73.  Vittorio  (Conegliano).  — Un  Tiziano  apo- 
crifo.  Rassegna  d'arte  VI,  Juli,  zweite  Umschlags- 
seite. Die  Madonna  im  Dom  von  Vittorio  sei  nach  Dokumenten  Kopie 
des  Originals,  das  im  17.  Jahrhundert  verkauft  wurde. 

74.  D.  Buratti,  Un  opera  ignota  del  Tiziano. 
II  ritratto  di  Andrea  Doria.  Marzocco  XI,  No.  41, 
14.  Oktober.  Im  Besitz  des  Marchese  E.  Doria  di  Cirie,  in  Cirie  del 
Canavese.  Vgl.  Rasse, gna  d'arte  VI,  November,  2.  Umschlagsseite. 

75.  Un  quadro  del  Tiziano  invendita?  Rassegna 
d'arte  No.  II.  Batseba,  im  Besitz  der  Conti  di  Conversano  bei  Bari. 

76.  R.  Fry,  Some  recent  acquisitions  of  the 
Metropolitan  Museum,  New  York.  Burl.  Magazine 
IX,  No.  38,  S.  136.  Männl.  Porträt  von  Lotto  [?]. 


Literaturbericht. 


351 


77.  Gerspach,  La  vie  d'un  peintre  venitien  au 
XVI  e s i b c 1 e.  Lor.  Lotto.  Revue  de  l'art  chretien 
V . Serie,  t.  II,  S.  158  u.  233  [wertlos]. 

78.  Zu  B o r d o n e vgl.  Kunstchronik  XVII,  No.  32, 
Sp.  521.  Venus  mit  Amor  bei  Dr.  Herbst,  Bremen. 

79.  A.  J.  Rusconi,  A.  P.  Bordone  in  the  Vatican 
Gallery.  Connoisseur  t.  XVI,  No.  61,  S.  28.  Der  hl.  Georg,  mit 
falscher  Signatur  des  Pordenone. 

80.  G.  Arenaprimo  di  Montechiaro,  II  ptttore 
veneto  Francesco  Stetera  in  Messina.  Arte  e Storia 
XXV,  S.  IOO.  Zahlung  an  ihn  1572;  Verkündigung  in  der  Badia  vecchia 
in  Novara  di  Sicilia ; Kopie  in  einer  Kirche  in  Palermo.  Signiert,  datiert  1570. 

81.  P.  Molmenti,  Un  contratto  fra  il  Comune 
di  Salo  e i pittori  Palma  il  Giovane  e Antonio  Vassi- 
lacchi.  Atti  d.  R.  Istituto  Veneto  di  seien  z e t.  LXVI, 
p.  II  (1906/7),  S.  395.  Die  beiden  Maler  übernahmen  Ausmalung  des  Chors 
und  vier  Bilder  für  die  Orgeln  von  S.  Maria  Annunziata  in  Salb  1602;  sie 
waren  im  folgenden  Jahr  fertig.  Beschreibung  derselben. 

82.  G.  B.  Cervellini,  Marino,  Emanuele  e Costan- 
tino  Zane.  Nuovo  Archivio  Veneto  N.  S.  t.  XII  p.  II, 
S.  307.  Künstlerfamilie  aus  Retimo.  Von  Emanuele  Zane  Bilder  von  1636 
bis  1686;  von  Costantino  1677  und  1682. 

83.  Sugli  affreschi  del  Tiepolo  di  villa  Duodo 
e del  palazzo  Onigo.  Marzocco  XI,  No.  46,  18.  November. 
Die  Regierung  hat  Fresken  aus  Villa  Duodo  gekauft;  zwei  Soffitti  aus  Pal. 
Onigo,  Treviso,  im  Handel  in  Mailand.  Vgl.  ebendort  No.  47,  25.  November 
(Molmenti):  die  Fresken  von  Giandomenico  Tiepolo;  die  aus  Casa  Onigo 
von  einem  Nachahmer,  vielleicht  del  Canal.  Vgl.  auch  Kunstchronik  XVIII 
No.  6,  S.  94. 

84.  Zu  Tiepolo  vgl.  Kunstchronik  XVIII,  No.  7,  S.  108: 
Skizze  der  Kreuztragung  in  S.  Alvise,  für  Berlin  erworben;  ebenso  Guardi. 

85.  Oct.  Uzanne,  Les  deux  Canaletto.  Paris. 

86.  Fournier-Sarlovbze,  Les  peintres  de  Stanis- 
laus Auguste.  Revue  de  l’art  ancien  et  moderne 
XX,  S.  1 1 3.  S.  122:  über  Bellottos  Aufenthalt  in  Warschau  1756/8;  er 
läßt  sich  dort  1768  nieder.  Bilder  im  Besitz  des  polnischen  Adels. 

87.  C.  A.  Simonson,  Guardi  e Longhi.  Burl.  Maga- 
zine X,  No.  43,  0 k t 0 b e r , S.  53.  Bild  von  Guardi,  Maskerade  im 
Ridotto,  etwa  1760,  Sammlung  Kann;  Replik  von  Pietro  Longhi,  Venedig 
Museo  Correr,  wahrscheinlich  Kopie  des  Guardi.  Kann  hat  das  Gegenstück 
von  Guardi. 


35  2 


Literaturbericht. 


III.  Die  Terraferma. 

Zur  Malerei  des  Friaul  vgl.  Bibliographie  1905  No.  89/90. 

88.  G.  Gerola,  Catalogo  dei  dipinti  del  Museo; 
Sezione  bassanese.  Bollettino  d.  Museo  Civico  di 
B a s s a n o III,  S.  105.  Katalog  von  106  Bildern,  mit  Provenienzen  und 
Literaturangaben. 

89.  G.  Chiuppani,  Di  alcuni  pittori  sconosciuti 
(s  e c.  XV/XVI).  Ebendort  S.  69.  In  der  Vorrede  über  die  Nasocchi, 
Dario  da  Treviso  (Zahlung  1462).  Zahlung  an  B.  Montagna  1487,  an  Gio. 
da  Crema  1476.  Dann  Liste  von  unbekannten  Malern  mit  Dokumenten, 
u.  a.  über  Francesco  fu  Cristoforo  da  Vicenza,  1488,  der  gelegentlich  mit 
Francesco  da  Ponte  verwechselt  worden  ist,  welcher  aus  Gallio  in  den 
Sette  communi  stammte. 

90.  G.  B.  Cervellini,  Ancora  per  Pelenco  delle 
opere  della  scuola  pittorica  bassanese.  Ebendort 
S.  135.  Liste  der  sicheren  Werke  von  Giulio  und  Luca  Martinelli,  Giac. 
Apollonio,  Giac.  Guadagnini,  Antonio  Scaiaro  und  dessen  Söhnen.  Bis  auf 
die  zwei  ersten  alles  Nachkommen  des  Giac.  da  Ponte. 

91.  A.  Frova,  Una  casa  dipinta  a Fossalunga. 
Ebendort  S.  15.  Casa  Sernagiotti,  16.  Jahrhundert,  mit  Anklängen 
an  die  Fresken  Bassanos  an  Casa  Michiel  und  an  der  Piazzetta  dell7  Angelo. 

92.  Gli  stucchi  di  Ca’R^zzonico  e la  pittura 

decorativa  in  Bassano.  Arte  ital.  decorativa  e 

industriale  XV,  S.  3 7.  Fresken  der  Bassani  ; in  Thiene,  Pal.  Conti 
Porro,  klassische  Szenen  von  P.  Veronese  und  Zelotti. 

93.  V.  Lazzarini,  Nuovi  documenti  su  Mantegna, 
Squarcione,  Marco  Zoppo,  Schiavone  etc.  Ras- 
segna  d’arte  VI,  September,  2.  Umschlagseite  [für 
die  Paduaner  Malerschule  von  grundlegender  Bedeutung.  Jetzt  ganz  er- 
schienen im  Nuovo  Archivio  Veneto,  Jahrg.  1908]. 

94.  S.  de  Kunert,  Una  cappella  distrutta  nella 
Basilica  di  S.  Antonio  in  Padova.  L'  Arte  IX,  S.  52. 
Die  Kapelle  de  Lazara,  zerstört  wahrscheinlich  1532,  gemalt  von  Pietro 
Calzetta  (Vertrag  von  1466:  Ausmalung  der  Kapelle;  Altarbild  nach  Ent- 
wurf von  Pizzolo  auf  Grund  einer  Zeichnung  von  Squarcione.  Skizze  des 
Altarbildes,  reproduziert).  . 1552  malt  Stefano  dall’ Arzere  das  Bild  der  Auf- 
erstehung (noch  dort). 

95.  L.  Serra,  Andrea  Mantegna  (nel4°centenario 
della  sua  morte).  Natura  ed  arte  XVI,  Nr.  I,  I.  De- 
zember, S.  32. 


Literaturbericht. 


345 


hardinslegende,  Perugino  (Apoll  und  Marsyas) ; Johannes  d.  T.  dem  Raphael 
zurückgegeben;  G.  Romano  (nicht  Bagnacavallo),  Beschneidung  Christi. 

2 6.  G.  Frizzoni,  Intorno  a due  dipinti  di  scuole 
italiane  nel  Museo  di  Digione.  Rassegna  d'  arte  VI, 
S.  1 86.  Holbein  zugeschriebenes  Frauenporträt  ist  früher  Lotto,  vgl.  Porträt 
Neapel  und  Bild  bei  Graf  Puszlowsky  [vgl.  auch  sog.  Barbarj,  Wien]. 
Bacchiacca,  Auferstehung,  zum  Teil  nach  Perugino  im  Vatikan. 

27.  The  National  Gallery.  Athenaeum  No.  4114,  1. 
September.  Kurze  kritische  Noten,  bes.  zu  Bildern  der  Sammlung 
Salting.  Vgl.  No.  4131,  29.  Dezember. 

28.  Ellen  Duncan,  The  National  Gallery  of  Ir.  e - 
land.  Burlington  Magazine  X,  No.  43,  Oktober,  S.  7. 
Tizian,  Eccehomo,  spät;  Mantegna,  Judith;  Moroni,  Mann  m.  zwei  Kin- 
dern [?];  männl.  Porträt,  Cossa  oder  Roberti  zugeschr. ; Costa,  hl.  Familie; 
Altarbild  von  Palmezzano,  1513  (früher  Sammlung  Hercolani  und  Fesch); 
Zanobi  Macchiavelii,  Madonna  m.  Heiligen;  männl.  Porträt,  Solario  zu- 
geschr. [?  nach  CI.  Phillips  von  Pacchia] ; Signorelli;  Raphael- Schule, 
zwei  Kartons;  Predelle  von  Fra  Angelico;  Mainardi;  Carpaccio;  Bissolo 
und  Bellini;  Oliverio  (zwei  Bilder);  die  Vedutenmaler. 

29.  E.  Gregory,  Earl  Brownlow’s  collection  of 
pictures  at  Ashridge  Park.  The  Connoisseur  t.  XIV, 
No.  53,  S.  3.  Replik  der  Mona  Lisa;  Fra  Bartolommeo;  Tizian,  hl.  Katharina 
(aus  Pal.  Corner);  Tintoretto,  Heilung  d.  Gichtbrüchigen;  Cima;  Spagna. 

30.  Vente  Lord  Grinthorpe,  London.  Rassegna 
d’ a r t e VI,  S.  123.  Bilder  der  Schule  Botticellis,  männl.  Porträt  von 
Tizian  etc. 

31.  B.  Berenson,  Le  pittu  re  italiane  nella  rac- 
colta  Yerkes  lasciate  di  recente  al  Metropolitan 
Museum  di  Nuova  York.  Ebendort  S.  33.  P.  F.  Fiorentino, 
Madonna;  Botticelli-Kopie;  Pontormo,  Porträt;  drei  Bilder  von  Guardi; 
Cordegliaghi,  signierte  Madonna  m.  Stifter;  Bild  der  Schule  von  Lucca, 
Sammlung  Lathrop,  New  York. 

32.  New  York.  Altre  opere  italiane  passate  al 
Metropolitan  Museum.  Ebendort,  März,  zweite 
Umschlagsseite.  Zwei  Heilige  von  Crivelli,  aus  Sammlung  Ashburton. 
Vgl.  Burl.  Magazine  VII,  No.  36,  März,  S.  443. 

33.  W.  Rankin,  Cassone  fronts  in  American  col- 
lection s.  Burlington  Magazine  IX,  No.  40,  J u 1 y , S.  288. 
Zusammenstellung  der  Werke  in  den  Sammlungen  Gardner,  Johnson,  Jarves, 
Metrop.  Museum  und  New  York  Histor.  Society.  Ferner  Falconetto,  Matteo 
de’Pasti  bei  Miss  Bludgett,  New  York. 


24' 


346 


Literaturbericht. 


34.  F.  J.  Mather,  Recent  additions  to  the  Col- 
lection of  Mr.  John  G.  Johnson,  Philadelphia.  Eben- 
dort Nr.  41,  August,  S.  351.  Predellen  von  Neri  di  Bicci;  Ver- 
kündigung, vielleicht  Michelino;  Bilder  von  Pesellino  (Schule),  Botticini, 
Sellajo,  P.  F.  Fiorentino;  Fra  Bartolommeo,  Adam  und  Eva,  unvollendet 
(dazu  H.  Horne,  ebendort,  No.  42,  S.  425:  das  Bild  kommt  in  dem  Dokument 
der  Trennung  zwischen  ihm  und  Albertinelli,  1512,  vor);  Bronzino,  Portr. 
d.  Carlo  Pitti  (dazu  Horne  a.  a.  0.;  wahrscheinlich  gemalt  nach  1575,  nach 
Bronzinos  Tod;  dagegen  Mather  ebendort  X,  S.  137:  Datum  zweifellos 
1546).  Predella  von  Bartolo  Fredi;  Madonna  Gio.  Bellini;  signierter  Lean- 
dro  Bassano;  Schule  von  Verona  u.  a. 

35.  F.  Malaguzzi-Valeri,  I disegni  della  R.  Pina- 
coteca  di  Brera.  Mailand.  Abb.  von  94  Blättern  aller  Schulen, 
mit  kurzem  kritischen  Verzeichnis. 

36.  E.  Jacobsen,  Nachtrag  zu  meinem  Artikel 
»Handzeichnungen  in  den  Uffizien«.  Repertorium 
XXIX,  S.  27.  Savoldo,  Verocchio,  M.  Angelo,  Tintoretto. 

37.  G.  Frizzoni,  Opere  di  maestri  antichi 
a pr.oposito  d.  pubblicazione  dei  disegni  di  Oxford. 
P.  IV.  L’Arte  IX,  S.  241.  Leonardo  und  Schule,  Filippino,  M.  Angelo, 
Raphael-Viti,  Correggio  (vgl.  auch  C.  Ricci,  Rassegna  d' arte  VI,  S.  140). 

38.  Tresors  d’art  en  Russie,  VI,  No.  3/4:  angebliches 
Kartonfragment  der  Farnesinafresken;  Correggio,  Kopf  der  Madonna  der 
Krönung,  farbig  [sieht  gut  aus];  G.  Romano,  Baroccio  [Kopie],  Ebendort 
Nr.  6/7,  S.  109:  Collection  A.  Prachoff,  Dessins  de  maitres  anciens. 

II.  Venedig. 

39.  H.  Cook,  L'Esposizione  del  Burlington  F.  Arts 
Club.  L’Arte  IX,  S.  143.  Lotto,  Madonna  mit  Stiftern,  und  Susanna, 
1517  (beides  Neuerwerbungen  der  Sammlung  Benson),  Danae  (Conway); 
Palma,  Porträt;  Giorgione,  Porträt,  Col.  Kemp  (früher  Doetsch);  Giorgione- 
Schule,  Triumphzug  (Cook,  Richmond;  ein  zweites  Stück  bei  Lord  Darnley, 
Cobham  Hall).  Das  Novellenbild  von  Tizian  aus  Buckingham  Palace. 
Vgl.  auch  Magazine  of  Fine  Arts  I,  No.  4,  Februar,  S.  255. 

40.  H.  Cook,  Some  Venetian  Portraits  in  Eng- 
lish  possession.  Burl.  Magazine  VIII,  No.  35,  Februar, 
S.  338.  Giorgione,  Col.  Kemp;  Basaiti,  Sir  Spencer  Maryon-Wilson,  Charlton 
Park;  Dom.  Caprioli,  Bowes  Museum,  Barnard  Castle,  datiert  1528  (dabei 
über  andere  Bilder  des  Meisters);  Cariani,  Chatsworth. 

41.  Don  Fastidio,  Dipinti  ignorati  di  Antonio 
Vivarini.  Napoli  nobilissima  XV,  S.  144-  Im  Archivio 


Literaturbericht. 


347 


Capitolare  der  Kathedrale  von  Polignano  a Mare  (Bari)  fünf  Teile  eines 
Polyptychons  (Madonna  mit  vier  Heiligen),  mit  Resten  der  Signatur,  datiert 
I445- 

42.  V.  de  Golube  ff,  Carattere  e contenuto  del 
libro  di  schizzi  di  Jac.  Bellini  a Londra.  Marzocco 
XI,  30.  29.  Jul  i.  Charakteristik  des  künstlerischen  Gehalts. 

43.  C.  Ricci,  Una  Madonna  di  Jac.  Bellini. 

R i v i s t a d’  a r t e IV,  S.  22.  Neuerwerbung  der  Uffizien,  mit  reicher 
Bibliographie.  Vgl.  auch  Marzocco  XI,  No.  n.  18,  März  (Cantalamessa), 
Rassegna  d’arte  VI,  S.  59  (C.  Gamba),  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  N.  F.  XVII, 
S.  266  (Gronau);  Art  Journal  N.  S.  45,  Mai,  S.  157. 

44.  A.  Segarizzi,  UlisseAleotti  rimatore  Vene- 
ziano del  sec.  XV.  Giornale  storico  della  letteratura 
i t a 1 i a n a t.  47,  S.  41  ff.  S.  65 : Verfasser  der  Sonette  auf  Ja*\  Bellini 
und  auf  den  Wettstreit  in  Ferrara,  sowie  auf  A.  Mantegna. 

45.  Ch.  Diehl,  La  peinture  orientaliste  en  Italie. 
Revue  de  l'art  ancien  et  moderne,  t.  XIX,  S.  5 u.  143. 
Gentile  Bellini  (türkische  Bauten  des  Brerabildes) ; Empfang  in  Kairo  1512, 
im  Louvre;  Carpaccio,  St.  Georg  mit  Drachen  (gibt  den  Haram  es  Cherif 
wieder).  Einfluß  des  Florentiner  Konzils  von  1438  auf  die  Künstler. 

46.  J.  R.  Martin,  A portrait  by  Gentile  Bellini 
in  Constantinople.  Burl.  Magazine  IX,  No.  39,  S.  148. 
Sitzender  junger  Mann,  schreibend,  Miniatur  in  Wasserfarben,  in  einem 
Album  orientalischer  Miniaturen,  in  Konstantinopel  erworben.  Hinweis 
auf  Gentiles  Zeichnungen  im  British  Museum  [überzeugt  unbedingt]. 

47-  Fr.  Sarre,  Eine  Miniatur  Gentile  Bellini’s, 
gemalt  1479/80  in  Konstant  inopel.  Jahrb.  d.  preuß. 
K u n s t s 1 g n.  27,  S.  302.  In  Besitz  von  Dr.  Martin;  ein  Page,  in 
türkischer  Tracht  der  Zeit  Mohammeds  II. 

48.  C.  Cavazzana,  Cassandra  Fedele,  erudita 
Veneziana  del  Rinascimento.  AteneoVenetoA.  XXIX, 
t.  II,  S.  73ff.  S.  86/7  über  das  Porträt  der  Cassandra  von  Gio.  Bellini, 
verloren,  war  später  im  Haus  des  Cancellier  grande  A.  Frigerio  (S.  372). 
Verse  der  Dichterin  darauf. 

49.  D.  F.  Platt,  Una  Pietä  del  Crivelli.  Rassegna 
d'  a r t e VI,  S.  30.  Sehr  zerstörtes  Bild  der  Sammlung  Rev.  Nevin,  Rom, 
aus  Sammlung  Caccialupi  in  Macerata.  Zu  Crivelli  vgl.  No.  32  u.  146/7. 

50.  Zu  Lazaro  Bastian  i:  Ebendort  VI,  April, 

zweite  Umschlagsseite.  Madonna,  der  National  Gallery  geschenkt. 

51.  G.  Ludwig- P.  Molmenti,  Vitt.  Carpaccio. 
Mailand,  Hoepli  (vgl.  Emporium  t.  23,  März,  S.  187). 


348 


Literaturbericht. 


52.  P.  Molmen  ti,  Di  alcuni  quadri  custoditi 
nella  cittä  di  Zara,  e attribuiti  al  Carpaccio.  Em- 
porium 23,  April,  S.  266.  Sechs  Tafeln  in  der  Sakristei  des  Doms, 
ursprünglich  am  Altar  des  heiligen  Martin;  darstellend  St.  Martin  und 
Heilige,  Mittelbild  trägt  Signatur  (die  zweifelhaft  ist);  gestiftet  angeblich 
1480,  dann  Carpaccios  .frühestes  Werk  [?;  vgl.  Berliner  Grablegung].  Car- 
paccio soll  für  S.  Domenico  einen  hl.  Vincenzio  Ferrer  gemalt  haben  (ver- 
loren). Angeblich  von  Carpaccio  eine  Mater  misericordiae  in  S.  Francesco 
(nach  anderen  Schule  Palmas)  und  eine  andere  im  Convento  dei  frati  minori 
delle  Paludi  in  Spalato. 

53.  L.  Serra,  Nota  sugli  affreschi  dell’  ex-con- 
vento  dei  SS.  Severino  e Sossio  a Napoli.  L’  Arte 
IX,  S.  106.  Dem  Antonio  Solario  zuerst  von  D'Engenio  (Napoli  sacra  1624) 
zugeschrieben.  Caravita  (I  Codici  ...  di  Montecassino)  hat  die  Angabe, 
daß  Zingaro  1518  in  Monte  Cassino  Malereien  ausführte,  die  noch  1610 
vorhanden  waren.  Über  zwei  Bilder  des  Solario  von  1495  und  1508.  Das 
ihm  früher  zugeschriebene  Bild  aus  S.  Pietro  ad  Aram,  jetzt  Museo  Nazionale, 
von  dem  Bolognesen  Ant.  Rimpacta.  Der  venezianische  Charakter  in  den 
besten  der  Fresken;  einiges  darin  von  Quartararo,  1491  in  Neapel  nach- 
weisbar. Zwei  Fresken  später. 

54.  C.  Grigioni,  Antonio  Solario  detto  lo  Zin- 
garo nelle  Marche.  Arte  e Storia  a.  XXV,  S.  1 77  (vgl. 
Rassegna  bibliografica  d.  arte  italiana  IX,  S.  109).  Giacomo,  Sohn  des 
Vittorio  Crivelli,  überträgt  1502  Vollendung  des  Polyptychons  in  Fermo 
an  Antonius  Joannis  pieri  de  soleriis  de  Venetiis  habitator  firmi.  Altarbild 
in  S.  Francesco  in  Osimo,  schon  1893  von  A.  Anselmi  als  Werk  des  Vene- 
zianers Antonio  di  Giovanni  di  Piero  nachgewiesen;  1506  von  Giuliano 
Presutti  aus  Fano  vollendet.  Das  Bild  aus  Serrasanquirico  (jetzt  Brera) 
könne  nicht  von  Solario  sein. 

55.  Zu  Antonio  Solario  vgl.  Napoli  nobilissima 
XV,  S.  78  (Madonna  mit  Stifter,  erworben  für  Galerie,  Neapel). 

56.  P.  J.  Sebastiano,  Sulla  vera  patria  di  An- 
tonio Solario  detto  lo  Zingaro.  Rivista  Abruzzese 
XXI,  S.  639.  S.  sei  in  Ripateatina  bei  Chieti  geboren  [ganz  plantastisch; 
ohne  Kenntnis  der  neuen  Forschungen;  Hauptquelle  der  Fälscher  de  Domi- 
nicis] . Dagegen  G.  deCaesaris,  ebendort  XXII,  S.  50;  Hinweis 
auf  ein  dem  S.  zugeschriebenes  Bild  Gottvaters  in  S.  Domenico  in  Penne; 
Replik  ebendort  S.  603,  ohne  Wert. 

57.  Sir  W.  Armstrong,  Alessandro  Oliverio.  Burl. 
Magazine  X,  No.  44,  November,  S.  126.  Männl.  Porträt,  signiert, 
aus  Sammlung  Hamilton,  gehört  zum  Palma-Kreis.  Demselben  Autor 


Literaturbericht. 


353 


9 6.  A.  M.  H i n d , The  engravings  of  A.  Mantegna. 
The  Connoisseur  XIV,  Nr.  56,  S.  213;  XVI,  Nr.  62,  S.  93.  Versuch 
einer  Klassifikation  und  Datierung. 

97.  A.  M.  H(ind),  Note  su  Mantegna  e Pollajuolo. 
L'  A r t e IX,  S.  303.  Der  Stich  des  G.  Antonio  da  Brescia  — Herkules 
und  der  Löwe  von  Nemea  — geht  nicht,  wie  Bartsch  annahm,  auf  Pollajuolo, 
sondern  auf  Mantegna  zurück. 

98.  Zu  P a r e n t i n o vgl.  Blätter  f.  Gemäldekunde 

III,  2,  S.  45:  Bildchen  Sammlung  Weinberger,  Wien. 

99.  Zu  Lauro  Padovano  vgl.  Kunstchronik  XVII, 
Nr.  31,  Sp.  501. 

100.  G.  Biadego,  La  cappella  di  S.  Biagio  nella 
c h i e s a d e i SS.  Nazaro  e Celso  in  Verona.  Nuovo 
Archivio  Veneto,  N.  S.  t.  XI,  p.  II,  S.  91.  Von  größter  Wichtigkeit 
für  die  Veroneser  Malerei,  besonders  Falconetto,  Francesco  Morone  (zu- 
gleich irrige  Daten  über  Cavazzola  berichtigt),  Montagna,  Cavazzola, 
Bonsignori  und  Girolamo  dai  Libri,  Antonio  Badile.  Mocettos  Name  kommt 
nicht  vor. 

101.  Zu  Buonsignori  vgl.  A.  Luzio,  Isabella  d’Este 
ne’  primordi  del  papato  di  Leone  X.  Arch.  stör, 
lombardo  S.  IV,  t.  VI,  S.  135.  B.  wird  1514  beauftragt,  das  Porträt 
des  Luigi  Gonzaga  zu  malen;  später  malt  er  auch  das  Porträt  des  Ferrante 
Gonzaga.  Die  Bilder  sind  im  Juni  in  Rom.  Endlich  soll  er  auch  Federigo  G. 
malen. 

102.  G.  Frizzoni,  La  pala  di  G.  Francesco  Carotto 
nel  Duomo  di  Trent  o.  Archivio  Trentino  a.  XXI, 
S.  129.  Bild  am  Altar  der  S.  Massenza,  signiert,  wahrscheinlich  aus  dem 
ersten  Dezennium. 

103.  A.  Sacchetti  Sassetti,  Del  »Giudizio  Uni- 
versale« di  Rieti  e de’  suoi  autori.  Bollettino  d. 
Deputazione  di  storia  patria  per  TUmbria  t.  XII, 
S.  549.  Von  Lorenzo  und  Bart.  Torresani  aus  Verona,  vollendet  1554.  Die 
Maler  von  1525 — 1555  in  Rieti  nachweisbar.  Lorenzo  malt  die  Sebastians- 
kapelle in  S.  Agostino  in  Narni,  wo  er  1541  und  1547  nachweisbar  ist;  Barto- 
lommeo  zwei  Fresken  im  Dom  1547. 

104.  II  quadro  di  Maffeo  da  Verona.  Marzocco 
XI,  No.  10,  II.  März.  Bild,  von  Signor  Geiger  erworben,  nach  Zanetti 
die  »Leiden  der  Verdammten«;  in  den  Mosaiken  von  S.  Marco  kopiert. 

105.  D.  Canavesi,  Un  dipinto  di  Girol.  Romanino. 
Bollettino  storico  piacentino  I,  S.  76.  Madonna,  das  Kind 
anbetend,  im  Besitz  des  Verf. 


Literaturbericht. 


3 54 


106.  Zu  Romanino  vgl.  A.  Annoni,  II  Castell  o del 
Buonconsiglio  in  Trent  o.  Arte  ital.  decorativa  e 
industriale  XV,  S.  95. 

107.  L.  Angelini,  Un  polittico  di  scuola  berga- 
masca.  Rassegna  d'arte  VI,  S.  62.  Transfiguration  mit  Heiligen, 
vielleicht  von  Gio.  Giacomo  Gavasio  de  Poscante  (um  1512  tätig)  in  der 
Chiesetta  von  Ama  bei  Albino  (Valle  Seriana). 

108.  G.  Frizzoni,  Nuove  rivelazioni  intorno  a 
Ja  c.  Palma  il  Vecchio.  Ebendort  S.  1 13.  Schwierigkeiten 
der  Chronologie.  Zwei  echte  Bilder  in  der  Gal.  Borromeo,  Mailand;  zwei 
unbekannte  Bilder  (eines  aus  Sammlung  Erzherzog  Leopold  Wilhelm)  aus 
Wien  an  Crespi  und  Frizzoni.  Madonna  bei  Visconti  Venosta.  Altarbilder 
in  Serina,  Peghera  und  Dossena.  Beziehung  d.  Santa  Conversazione  in 
Venedig  zu  Bild  von  Tizian  in  Paris. 

IV.  Emilia,  Romagna. 

109.  C.  Gamba,  Lorenzo  Leonbruno.  Rassegna 
d'arte  VI,  S.  65  u.  91.  Biographie,  Zusammenstellung  der  Werke,  dar- 
unter die  dokumentarisch  beglaubigten  Fresken  der  Scalcheria  in  Mantua 
(1523).  Schüler  des  Costa,  später  in  Rom  ausgebildet. 

110.  E.  Scatassa,  Di  Antonio  di  Guido  Alberti 

da  Ferrara,  pittore.  Rassegna  bibliografica  d'arte 
ital.  IX,  S.  56.  Dokumente  1423 — 1465.  Fahne  in  Urbino  1438,  ebendort 
Polyptychon  aus  S.  Bernardino;  Fresken  in  Talamello  1449. 

111.  H.  Yates  Thompson,  The  most  magnificent 
book  in  the  world?  Burl.  Magazine  IX,  No.  37,  April, 
S.  16.  Aristoteles,  2 Bände,  gedruckt  in  Venedig,  mit  Miniaturen  der  ferraresi- 
schen  Schule  [?  erinnern  an  Parentino]. 

1 1 2.  Gerspach,  Deux  peintures  de  Cos.  Tura, 

Revue  de  l'art  chretien,  V s6r.  t.  II,  S.  54.  Dominikus  in  den 
Uffizien,  S.  J acopo  della  Marca  in  der  Gail.  Borghese. 

1 1 3.  A.  V(enturi),  Due  quadri  di  Francesco  del 

Cossa  nella  raccolta  Spiridion  ä Parigi.  L'Arte 
IX,  S.  139.  Zwei  Heilige,  Lucia  und  Liberale,  Halbfiguren. 

114.  CI.  Phillips,  An  unknown  Dosso  Dossi.  Art 
Journal  N.  S.  45,  Dezember,  S.  353.  Beweinung  Christi  im 
Besitz  des  Verf.  (vgl.  die  Circe,  Sammlung  Benson). 

11 5.  V.  Maestri,  Una  residenza  feudale  della 

fine  del  XVIII0  sec.  Erudizione  e Belle  arti  N.  S.  III, 
S.  129.  Kastell  von  S.  Martino  in  Rio,  den  Roberti  gehörig.  Decken  und 
Friese  aus  der  Zeit  Filippos  I.  Estense,  um  1570,  erhalten,  von  Modeneser 


Literaturbericht. 


355 


Malern,  wie  Gio.  Taraschi  u.  a.  (S.  147/8).  Beschreibung  derselben  mit  Angabe 
der  Motti  und  Imprese  (S.  170). 

1 1 6.  Arch.  storico  per  le  provincie  Parmensi 
N.  S.  t.  VI,  S.  226:  über  Fresken,  zum  Teil  15.  Jahrhundert,  in  S.  Antonio 
del  Viennese  bei  Borgo  San  Donnino. 

117.  D.  Ettore  Firelli,  Cristo  deposto  dalla 
Croce,  affresco  nella  chiesa  del  SSm0  Crocifisso  in 
Carpi.  Erudizione  e Belle  arti  N.  S.  III,  S.  14.  Schon 
erwähnt  1664,  daher  nicht  von  Bonav.  Lamberti  (wie  Tiraboschi  annahm). 
Vielleicht  von  Bart.  Ranzani,  tätig  um  1630,  der  von  älteren  Autoren  ge- 
nannt ist.  Stich  des  Freskos,  wahrscheinlich  von  Pietro  Monaco  nach 
Zeichnung  von  Gio.  Maria  Barbieri  aus  Carpi. 

11 8.  T.  Sturge  Moore,  Correggio.  London,  Duck- 
worth. 

1 19.  A r n.  B a r i 1 1 i , L*  Allegoria  d e 1 1 a v i t a u m a n a 
nel  dipinto  correggesco  della  camera  di  S.  Paolo 
in  Parma.  Parma.  Die  Puttenszenen  repräsentieren  Jagd,  Ackerbau, 
Zivilisation  und  Krieg.  Die  Lünettenserie  beginnt  mit  den  Parzen,  endet 
mit  dem  Tempel.  Hauptquelle  war  wohl  Ovid  [die  Theorie  ist  unhaltbar; 
die  Darstellungen  in  den  Lünetten  sind  zum  Teil  den  Reversen  römischer 
Münzen  entnommen].  Vgl.  Rassegna  d'arte  VI,  S.  143. 

120.  Th.  von  Frimmel,  Bemerkungen  zu  Cor- 
reggio. Blätter  f.  Gemäldekunde  III,  4,  S.  65.  Über  Farben- 
gebung und  Erhaltung  der  Madonna  della  Scodella;  Untersuchung  der 
Bilder  in  Parma  auf  Technik. 

1 2 1 . C.  Ricci,  Documenti  su  Fr.  Maria  Rondani 
e Michelangelo  Anselm  i.  Rivista  d'arte  IV,  S.  31. 
Die  Fresken  in  der  Cappella  della  Concezione  bei  S.  Francesco  in  Parma, 
1532—1534. 

122.  P.  N.  Ferri,  Di  un  recente  incremento  alla 
raccolta  dei  disegni  di  antichi  maestri  negli  Uffizi. 
Ebendort  S.  124.  Sammlung  Marchesi  Malvezzi  in  Bologna,  gesammelt 
vom  Kardinal  Vincenzo  M.  (18.  Jahrhundert),  wesentlich  bolognesische 
Schule  16.  bis  18.  Jahrhundert. 

123  U.  Santini,  Cenni  statistici  sulla  popo  - 
lazione  del  quartiere  di  S.  Procolo  in  Bologna  nel 
1496.  Atti  Memorie  d.  R.  Deputazione  di  storia  patria 
per  1 e p r o v.  di  R o m a g n a III  S.,  t.  XXIV,  S.  327.  Darin  S.  334 
einige  Malernamen  mit  Katasterangaben. 

124.  Rassegna  d'  arte  VI,  Mai,  2.  Umschlagsseite: 
Bilder  der  bolognesischen  Schule,  Vendita  Gozzadini,  Bologna. 


356 


Literaturbericht. 


125.  H.  Tietze,  Annibale  Carraccis  Galerie  im 
Pal.  Farnese  und  seine  römische  Werkstätte.  Jahrb. 
d.  AH.  Kaiserhauses  XXVI,  Heft  2,  S.  49.  Auch  über  die  Schüler 
Inn.  Tacconi,  Albani,  Domenichino,  Lanfranco,  Badalocchio. 

126.  Imola.  Quadro  di  Lod.  Carracci  restaurato. 
Rassegna  d'arte  VI,  Oktober,  1.  Umschlagsseite. 
S.  Orsola  in  S.  Niccolo. 

127.  Un  Centenario  ä Bracciano.  II  Rosario, 
Memorie  Domenicane  A.  XXIII  (S.  II,  t.  X),  S.  502.  Altar  des 
Rosario,  gestiftet  von  Duchessa  Caterina  Galletti-Orsini,  mit  Anbetung 
des  Rosenkranzes,  mit  Porträts  der  Familie  der  Stifterin,  aufgestellt  Juli 
1606,  von  Domenichino. 

128.  F.  Malaguzzi-Valeri,  Guercino  disegnatore. 
Ars  et  labor  (giä  Musica  e Musicisti)  I,  S.  3.  Mit  Ab- 
bildungen verschiedener  Blätter  in  der  Brera. 

129.  A.  Bacchi  della  Lega,  Sulla  vita  e le  opere 
di  M.  Ant.  Franceschini  pittore  bolognese  del  sec.  XVII.  Atti 
Memorie  di  storia  patria  p.  le  prov.  di  Romagna 
S.  III,  t.  XXIV,  S.  590.  Referat  über  Vortrag.  Fr.  lebte  1648 — 1729;  über 
seine  Bilder  in  Bologna. 

130.  C.  Gamba,  Una  tavola  di  Melozzo  da  Forli. 
Rassegna  d'arte  VI,  S.  44.  Orgelflügel  mit  Verkündigung  und 
auf  den  Rückseiten  Bischof  und  S.  Beriedetto,  für  die  Uffizien  erworben. 
Vgl.  Kunstchronik  XVII,  Sp.  276  u.  407. 

1 3 1 . C.  Astolfi,  Rivendicazione  d’un  quadro  del 
Palmezzano  esistente  a Treia.  Rivista  Marchi- 
giana  illustrata  I,  S.  310.  Praesepe  im  Besitz  des  Grafen  N. 
Grimaldi,  ausgestellt  in  Macerata;  identische  Komposition,  wie  Pal- 
mezzano in  Grenoble,  ferner  auf  Predellen  in  der  Galerie  in  Ravenna  und 
der  Brera. 

132.  G.  Petrini,  Un  presepe  della  pinacoteca 
reatina.  Rassegna  d'arte  VI,  S.  190.  Anbetung  der  Hirten, 
aus  dem  Ex-Convento  S.  Francesco;  nach  Guardabassi  »Schule  Peruginos« 
[Nachahmer  Palmezzanos]. 

133.  Fr.  Ravagli,  Carpi.  Salone  di  Mori.  Erudi  - 
zione  e Belle  arti  N.  S.  A.  III,  S.  259.  Fresken  im  Castello  dei  Pio, 
überweißt,  jetzt  in  Restauration,  können  nur  von  Gio.  Sega  von  Forli  sein, 
der  1506 — 1527  in  Carpi  lebte. 

134.  C.  Ricci,  Un  gruppo  di  quadri  di  G.  B.  Utili. 
Rivista  d'arte  IV,  S.  137.  Dokumente  in  Faenza  1505  u.  1 5 1 5 • 
Altarbild  in  der  Pinakothek  dort  zeigt  stark  toskanischen  Einfluß.  R.  schreibt 


Literaturbericht. 


357 


ihm  eine  Gruppe  von  Madonnenbildern  und  Altarbild  in  S.  Francesco  in 
S.  Casciano  zu. 

V.  Die  Marken. 

135.  C.  Astolfi,  Gli  antichi  centri  pittorici  delle 
Marche  e l’Esposizione  d'arte  di  Macerata.  Rivista 
Marchigiana  illustrata  I,  S.  18.  Die  Schulen  von  Sanseverino, 
Camerino,  Ascoli,  Urbino,  Caldarola,  Ancona  [wichtig]. 

136.  F.  Mason  Perkins,  Note  s u 1 1’  esposizione 
d’  arte  Marchigiana  a Macerata.  Rassegna  d'arte 
VI,  S.  49.  Alegr.  Nuzi,  Franc,  di  Cicco,  über  Gentile  und  Antonio  da  Fabriano 
(signierter  Kruzifix  1452),  Polyptychon  des  Gerolamo  di  Gio.  Boccati  (1473), 
Lorenzo  II.  da  Sanseverino,  Carlo  und  Vittore  Crivelli,  P.  Alemanni,  Folchetti, 
Cola  d'Amatrice,  Lotto,  Pagani,  ferner  Perugino  (Fano)  und  Gio.  di  Paolo. 

137.  C.  Ricci,  La  pittura  antica  alla  mostra  di 
Macerata.  Emporium  t.  XXIII,  Februar,  S.  99.  Schulen 
von  Fabriano  und  Sanseverino,  die  Crivellesken,  Cola  d’Amatrice  und  Pagani. 
Wichtige  Bibliographie  am  Schluß,  reiche  Abb.  (der  2.  Artikel  s.  o.  Nr.  12). 

138.  Ard.  Colasanti,  Gli  affreschi  di  Gentile 
da  Fabriano  nella  Basilica  Lateranense.  Riv. 
Marchigiana  illustrata  I,  S.  268.  Zusammenstellung  der  be- 
kannten Notizen.  Nach  Zeugnis  des  Loverano  waren  die  Fresken  1630 
noch  vorhanden;  wahrscheinlich  der  Restauration  durch  Borromini  (seit 
1644)  geopfert. 

139.  A.  Venturi,  Un  nuovo  dipinto  di  Gentile 
da  Fabriano.  L’Arte  IX,  S.  222.  Madonna  mit  Heiligen  in  Fabriano 
[später  von  anderen  richtig  als  Werk  des  Bicci  di  Lorenzo  erkannt].  Vgl. 
Riv.  March,  illustr.  I,  S.  146;  Rass.  d’arte  VI,  April,  I Umschlagsseite. 

140.  A.  Colasanti,  La  Chiesa  farfense  di  S.Vit- 
toria  in  Mantenano  e i suoi  affreschi.  Emporium 
t.  XXIII,  J a.n  u a r , S.  20.  Die  Fresken  in  der  Kapelle  der  alten  Bene- 
diktinerkirche (bei  Fermo)  können  nicht  die  frühesten  Arbeiten  Gentiles 
sein.  Sie  erinnern  an  ein  Triptychon  des  Vatikans,  irrig  dem  Gentile  zu- 
geschrieben, von  einem  unbekannten  Folignaten  [jedenfalls  ist  an  Gentile 
nicht  zu  denken]. 

141.  E.  Calzini,  A proposito  del  pittore  degli 

affreschi  di  S.  Vittoria  in  Montenano.  Marzocco 
XI,  No.  13,  1.  April.  Derselbe  Meister  hat  in  S.  Francesco  in  Ripa- 

transone  gearbeitet,  wo  Reste  eines  Freskos  der  Pieta.  Ebenso  L’Arte  IX, 
228:  die  Fresken  seien  später  als  Anfang  des  15.  Jahrhunderts;  ebendort 
S.  302:  Hinweis  auf  Bild  von  Orlandus  Perusinus,  1401,  in  Macerata  Feltria. 


358 


L iteraturbericht. 


142.  Ans.  Anselmi,  Due  ignoti  pittori'  Fabria- 
nesi  del  Quattrocento.  Riv.  Marchigiana  illustrata 
I,  S.  190.  Costantino,  Dokumente  1420  und  1447;  Pierfrancesco  1480. 

143.  E.  Calzini,  Di  un  affresco  del  sec.  XV  recen- 
temente  scoperto  in  Urbin  0.  Rassegna  biblio- 
grafica  d.  arte  ital.,  IX,  S.  106.  Kreuzigung  in  S.  Maria  della  Bella, 
um  1450  (nicht  Fra  Carnevale,  den  1467  für  die  Kirche  eine  Geburt  Christi 
malte). 

144.  B.  Feliciangeli,  Opere  ignorate  di  Giovanni 
Boccati.  Ebendort  S.  1.  Bilder  in  Beiforte,  S.  Maria  di  Seppio; 
Rom,  Dr.  Newin  (zwei  Bilder  aus  Sammlung  Caccialupi,  Macerata); 
Budapest,  Galerie  (aus  Kap.  S.  Savina,  Orvieto);  Ajaccio,  Galerie  und 
bei  B.  Berenson.  Im  ganzen  zwölf  Bilder. 

145.  B.  Feliciangeli,  Sulla  vita  di  G.  Boccati 
da  Camerino,  pittore  del  XV.  Sanseverino  Marche. 
Katalog  seiner  Bilder;  Abdruck  der  Dokumente  (1445 — 1480). 

146.  G.  Gavasci,  Sarnano  e i suoi  monti.  Riv. 
Marchigiana  illustrata  I,  S.  313.  Madonna  von  Vitt.  Crivelli 
(stehend  ganze  Figur,  das  Kind  ihr  zu  Füßen,  mit  zwei  musizierenden 
Engeln). 

147.  C.  Grigioni,  Notizie  biografiche  ed  artisti- 
che  intorno  a Vittorio  e Giacomo  Crivelli.  Rassegna 
bibliogr.  d.  arte  ital.  IX,  S.  109.  Tätigkeit  Vittorios  in  Montelparo, 
Fermo,  Monte  Santo,  Osimo,  1481 — 1501.  Das  Bild  für  S.  Francesco  in 
Osimo  nach  seinem  Tod  von  Ant.  Solario  übernommen  (April  1502).  In 
Fermo  1 5 1 1 ein  Ercole  di  Franco  aus  Venedig,  1513  Gio.  Pagani. 

148.  D.  Spadoni,  La  scoperta  d’un  affresco  ä. 
Macerata  e la  rivelazione  d’un  pittore  Marchigiano 
d e 1 1500.  Riv.  Marchigiana  i 1 1 u s t r.  I,  S.  1 12.  Fresko  der 
Madonna  in  der  Präfektur,  i486,  vielleicht  von  Maestro  Pietro  ( 147 1 er- 
scheint ein  Pietro  teutonico  in  Macerata,  vielleicht  P.  Alamanni).  1520 
Auftrag  auf  Madonna  in  der  Loggia  an  M.  Lorenzo  alias  Juda.  Notizen 
über  diesen  (1514 — 1550). 

149.  D.  Spadoni,  Ancora  di  »Giuda«  pittore  edi 
altri  artisti  dei  sec.  XV  e XVI.  Ebendort  S.  147.  Außer 
Judas  ein  Johannes  Stefani  pictor  Venetus;  andere  aus  Fabriano,  Recanati. 

150.  Zu  Timoteo  Viti  vgl.  Rassegna  d'arte  VI, 
Januar,  2.  Umschlagsseite.  Fresko  im  Pal.  Arcivescovile  zu 
Fossombrone,  Christus  und  Heilige  mit  Bischof  Santucci. 

1 5 1 . C.  Lagomaggiore,  Spiriti  e forme  dell’  arte 

raffaellesca.  Padova-Verona:  [Vortrag]. 


Literaturbericht. 


359 


1 5 1 a.  G.  U r b i n i , R a f f a e 1 1 e n e 1 Y U mb  ria.  Rassegna 
nazionale  XXVIII,  t.  147,  I.  J a n u a r , S.  37  [Vortrag]. 

152.  L.  Beltrami,  Disegni  di  Raff.  Sanzio  nella  Biblioteca 
Ambrosiana.  Milano.  Nozze  Gavazz  i - Pirelli.  I.  Zeichnung  im 
Band  Resta,  Vorderseite  Madonna  der  Disputa,  Rückseite  Entwurf  der 
oberen  Gruppe  der  Disputa.  2.  Studie  für  den  Kopf  des  Archimedes,  den 
B.  für  Bramante  hält.  3.  Kartonfragment  der  Konstantinsschlacht. 

153.  E.  Durand -Grevi  Me,  Les  portraits  de  la 
famille  d' Urbin  par  Raphael.  Extrait  d’  Angers» 
Artist  e.  Angers  [nicht  von  mir  gesehen] . 

154.  Zu  Raphael  vgl.  Arch.  storico  lombardo  S.  IV, 
t.  VI,  S.  135,  R.  kopiert  1514  Porträts  von  Buonsignori.  S.  .163  über  das 
Bild,  das  R.  für  Isabella  d'Este  machen  sollte,  und  das  wohlmie  fertig  ge- 
worden ist  (Luzio,  vgl.  Nr.  101). 

155.  H.  Cook,  The  Nations  new  Raphael.  Burl. 
Magazine  X,  No.  43,  Oktober,  S.  29.  Mackintosh  Madonna 
oder  Madonna  della  torre,  1856  in  der  Vente  Rogers;  nach  Cook  etwa  1512 
gemalt.  Über  Kopien  der  Bilder.  Zur  Geschichte  des  Bildes  vgl.  auch 
Athenaeum  4111,  11.  August. 

156.  E.  J a c o b s e n , Die  »Madonna  Piccola  Gonzaga« 
Straßbürg. 

157.  Th.  von  Frimmel,  Zu  Raphaels  »Madonna 
piccola  Gonzaga«.  Blätter  f.  Gemäldekunde  III,  3, 
S.  54.  Vorsichtiges  Urteil  über  die  Broschüren  und  das  Bild. 

158.  G.  Bechi,  Come  feci  la  conoscenza  con  un 
supposto  bozzetto  di  Raffaello.  Marzocco  XI,  No.  22, 
3.  J u n i.  Im  Besitz  von  Cav.  A.  Lo  Schiavo  in  Radicena  di  Calabria. 
Aquarell  in  Sepia,  Constantinsschlacht. 

159.  Kunstchronik  XVII,  No.  32,  Sp.  521:  Freskenreste 

der  Raphael -Schule  (Wappen  Leos  X.  und  Ornamente)  im  Vatikan;  über 
Madonna  del  divino  amore.  — Ebendort  No.  33,  Sp.  541 : Grottesken,  im  Stil 
des  Gio.  da  Udine,  in  einer  Loggetta  der  dritten  Loggia,  vielleicht  die  Uccel- 
leria’  Julius  II. 

160.  Fr.  de  Amicis,  R.  Sanzio  da  Urbino  e la  sua 
Madonna  della  Missione  che  si  conserva  in  Asolo  • 
Veneto  nella  raccolta  Bertold  i.  Genova.  (Vgl.  Rassegna 
d'arte  VI,  Oktober,  2.  Umschlagsseite  und  S.  173.)  Madonna  mit  Johannes 
knaben  und  Elisabet,  »opera  indiscutibile  di  R.  S.«  [vgl.  dazu  Poggi,  Monats- 
hefte f.  Kunstwissenschaft  I,  1908,  S.  275,  wo  die  Komposition,  die  in 
mehreren  Exemplaren  vorkommt,  als  Werk  Bacchiaccas  erwiesen  wird, 
dem  schon  Morelli  das  Bild  in  Asolo  zuschrieb]. 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


25 


360 


Literaturbericht. 


161.  E.  Calzini,  Di  due  quadri  di  Cola  d’Amatrice. 
Rassegna  bibliograficad.  arte  ital.  IX,  S.  53.  In  den 
Kirchen  von  Colle  Bigliana  und  des  Castello  di  Fulignano. 

162.  V.  Paoletti,  Cola  d’Amatrice  e la  sua  casa 
in  Ascoli  Piceno.  Ebendort  S.  188.  Dokument  von  1523. 

163.  E.  Calzini,  Una  vecchia  tavola  di  Cola 
d'Amatrice.  L’Arte  IX,  S.  229.  Signierte  heil.  Familie  1522. 

164.  C.  Grigioni,  Notizie  inedite  intorno  ai  pit- 
tori  Pagani.  Rass.  bibliogr.  d.  arte  ital.  IX,  S.  153.  Über 
Giovanni  Pagani  1513  in  Fermo,  1517  in  Ripatransone;  Vincenzo  seit  1517 
in  Ripatransone,  Lattanzio  ebendort  1535/9. 

165.  L.  Centanni,  Opere  di  Vincenzo  Pagani  nella 
Pinacoteca  di  Brera.  Rass.  d’arte  VI,  S.  75.  Große  Krönung 
Mariä  mit  Heiligen,  aus  der  Chiesa  della  Maddalena  in  Ripatransone  (vgl. 
S.  112). 

1 66.  C.  Grigioni,  Per  una  tavola  di  Vinc.  Pagani 
nella  Pinacoteca  di  Brera.  ArteeStoria  XXV  S.  86 ; 
vgl.  S.  III.  Dokument  von  1517,  wodurch  Pagani  das  Bild  für  das  Kloster 
della  Maddalena  bei  Ripatransone  übernimmt,  vollendet  1518.  Seitentafeln 
verloren.  Das  früheste  sichere  Bild  von  ihn. 

167.  C.  Grigioni,  Giuliano  Presutti  da  Fano  pit- 
tore  del  sec.  XVI.  Rass.  bibliogr.  d.  arte  ital.  IX,  S.  122. 

168.  C.  Astolfi,  Due  dipinti  ignoti  di  Gio.  Andrea 
da  Caldarola.  Ebendort  S.  1 19.  Beide  in  S.  Francesco  bei 
Massa  Fermana,  1542.  Über  andere  datierte  Bilder  1543 — 1555.  Dokument 
über  Durante  Nobili  1578. 

169.  E.  Calzini,  La  scuolabaroccesca.  Alessandro 
Vital  i.  Ebendort  S.  181.  Geboren  wahrscheinlich  1580,  gestorben 
1640.  Über  seine  Werke  in  den  Marken,  besonders  in  Urbino. 

G.  Gronau. 


Luigi  Serra.  Domenico  Zampiero  detto  il  Domenichino. 

Roma  1909. 

Domenichino  ist  nach  Burkhardts  Ausspruch  der  »gewissenhafteste« 
unter  den  Schülern  der  Carracci.  Serra  bestrebt  sich,  in  einer  Monographie 
von  13 1 Seiten  etwas  mehr  aus  seinem  Helden  heraus  zu  holen  als  diese  recht 
magere  und  im  Grunde  nichtssagende  Charakteristik.  Mit  Recht  rückt  er 
die  großen  Freskenwerke  des  Meisters  in  den  Brennpunkt  von  dessen  Tätig- 
keit und  analysiert  besonders  eingehend  die  innere  Ausmalung  von  S.  Andrea 
della  Valle  in  Rom.  Ich  nehme  gleich  vorweg,  daß  S.  bedauerlicherweise 


Literaturbericht. 


361 

nicht  die  34  Mappen  mit  Studien  zu  den  Hauptwerken  Domenichinos  kennt,  die 
in  der  Royal  Library  zu  Windsor  aufbewahrt  werden.  Hier  wären  besonders 
die  Mappen  8 — 9 für  S.  Andrea,  10  für  S.  Carlo  ai  Catinari,  11  für  S.  Luigi 
de*  Francesi  und  14  für  Grottaferrata  in  Betracht  gekommen.  Zur  Erkennt- 
nis des  Schaffensprozesses  hätte  die  Kenntnis  dieses  reichen  Materials  an 
Gesamtskizzen  und  Vorstudien  natürlich  außerordentlich  beigetragen. 

Auch  für  die  Analyse  der  zahlreichen  Ölgemälde  des  Domenichino 
wären  die  Zeichnungen  in  Windsor  von  außerordentlichem  Nutzen  gewesen; 
manche  unklaren  Punkte  wie  besonders  die  Jugendentwicklung  des  Künst- 
lers hätten  sich  so  mit  größerem  Erfolg  aufhellen  lassen,  als  es  dem  Verfasser 
gelungen  ist.  Die  Scheidung  der  Hände  in  der  Galleria  Farnese  war  schon 
von  Tietze  in  einer  äußerst  gründlichen  und  verdienstlichen  Arbeit  vorge- 
nommen worden,  und  wenn  es  auch  dahingestellt  bleiben  mag,  ob  alle  Auf- 
stellungen Tietzes  sich  halten  werden,  so  geht  es  doch  nicht  an,  so  kurz 
darüber  hinwegzugehen,  wie  es  S.  tut,  der  zumal  das  Material  an  Zeichnungen 
nicht  halb  so  gut  wie  Tietze  kennt. 

Mit  sehr  anerkennenswertem  Eindringen  in  Einzelheiten  bemüht  sich 
S.  um  die  Darstellung  der  künstlerischen  Erziehung  seines  Meisters.  Die 
Beeinflussung  durch  Annibale  Carracci  wird  naturgemäß  stark  betont, 
ebenso  die  Beziehung  zu  Albani  wenigstens  angedeutet,  andere  Meister 
wie  Guido  Reni,  Tizian,  Ludovico  und  Agostino  Carracci,  ganz  zu  Anfang 
auch  Calvaert,  spielen  hinein.  Irrtümlich  ist  dagegen,  was  S.  über  Bezie- 
hungen zu  Caravaggio  sagt.  Das  Konzert  im  Louvre,  das  S.  als  Domenichino 
anführt,  ist  bekanntlich  nicht  von  diesem  Meister,  sondern  zweifellos 
dem  Lionello  Spada  zuzuweisen,  den  auch  der  Katalog  längst  als  Urheber 
nennt.  S.  scheint  das  Bild  nur  aus  dem  Umrißstiche  bei  Landon  zu  kennen. 
Mithin  kann  aus  dem  unverkennbar  caravaggesken  Charakter  dieses  Ge- 
mäldes für  Domenichino  nichts  gefolgert  werden.  Ebensowenig  existieren 
Beziehungen  zwischen  Caravaggios  Rosenkranzmadonna  in  Wien  und  der 
entsprechenden  Darstellung  in  Bologna;  die  von  S.  auf  S.  66  reproduzierte 
Zeichnung  scheint  mir  außer  Zusammenhang  mit  dem  Bologneser  Bilde  und 
überhaupt  kaum  von  der  Hand  Domenichinos.  Auch  das  Helldunkel  auf 
der  Befreiung  Petri  in  S.  Pietro  in  Vincoli  genügt  m.  E.  nicht,  um  einen 
Einfluß  der  lombardischen  Naturalisten  auf  den  zahmen  Bologneser  zu  be- 
weisen. 

Es  gehört  zu  den  Verdiensten  des  Buches,  daß  in  Italien  wenigstens 
sehr  sorgfältig  zwischen  echten  und  Schulbildern  geschieden  wird.  Man 
wird  den  Resultaten  S.s  im  allgemeinen  hier  beistimmen  dürfen,  so  mangel- 
haft andererseits  seine  Informationen  über  die  transalpinen  Galerien  sind. 
Einige  Irrtümer  möchte  ich  als  besonders  störend  berichtigen.  Das  große 
Bild  in  der  Münchener  Pinakothek  »Herkules  und  Omphale«,  dessen  Gegen- 


362 


Literaturbericht. 


stück  S.  sonderbarerweise  gar  nicht  erwähnt,  hat  nicht  Domenichino,  sondern 
Alessandro  Turchi  gen.  l’Orbetto  zum  Urheber,  unter  dessen  Namen  es 
auch  der  Katalog  längst  richtig  eingeordnet  hat.  Eine  »h.  Agnes«,  die  S. 
als  »vielleicht  heute  in  Windsor«  aufführt,  befindet  sich  dort  in  der  Tat  und 
ist  nicht  nur  im  Baedeker  von  London  und  Umgebung  genannt,  sondern 
von  Braun  photographiert  worden.  Mithin  hätte  S.  nicht  nötig  gehabt, 
das  Gemälde  im  Index  unter  jenen  aufzuführen,  von  denen  er  nicht  weiß, 
»ob  und  wo  sie  existieren«. 

Unberücksichtigt  blieben  im  Auslande  u.  a.  die  folgenden  wichtigen 
Gemälde,  die  dem  Meister  teils  mit  Sicherheit  zuzuweisen  sind,  teils  ihm 
nahestehen:  ein  Opfer  Abrahams  im  Prado  (phot.  Braun),  eine  hl. Cäcilie  im 
Escorial,  eine  hl.  Magdalena  inAlthorp  House,  eine  bedeutende  Kreuztragung 
Christi  in  der  Bridgewater  Gallery  und  die  Fresken  beim  Grafen  Lancko- 
ronski  in  Wien  (aus  Villa  Adobrandini).  In  Italien:  zu  Savona  im  Santuario 
della  Misericordia  die  Darstellung  im  Tempel  (fot.  Alinari  15427).  Ab- 
gesehen hiervon  zahlreiche  dem  Künstler  zugewiesene  Gemälde,  wie  die 
sehr  schöne  »Caritas«  in  Dresden,  die  ihm  freilich  recht  fern  steht,  eine 
Venus  mit  Faunen  in  Braunschweig  u.  a. 

Man  kann  dem  Verfasser  den  Vorwurf  nicht  ersparen  in  der  Zusammen- 
stellung und  Behandlung  der  Werke  im  Auslande  durchweg  zu  flüchtig  ver- 
fahren zu  sein.  Allein  die  Einleitung  betont  mit  Recht,  daß  eine  vollständige 
Monographie  über  einen  Künstler  des  Seicento  heute  mit  großen  Schwierig- 
keiten verbunden  ist,  und  daß  es  sich  deshalb  von  selbst  verbietet,  schon 
jetzt  ein  abgeschlossenes  Bild  vom  Schaffen  des  Meisters  zu  geben. 
Nützlich  sind  S.s  Angaben  über  die  Nachfolge  Domenichinos  sowie  jene  über 
die  Beurteilung  des  Künstlers  durch  Zeitgenossen  und  Spätere.  Einige 
Urteile  über  andere  Maler  jener  Tage  erwecken  Widerspruch,  insbesondere 
was  S.  über  die  Bedeutung  des  Belisario  Cosenzio  sagt,  die  er  bei  weitem 
überschätzt.  Umgekehrt  ist  die  Stellung  Massimo  Stanzionis  entschieden 
nicht  genügend  herausgehoben. 

Die  Ausstattung  des  Buches,  die  der  Verleger  des  Bolletino  d’Arte, 
E.  Calzone,  besorgt  hat,  verdient  wegen  der  Fülle  an  Abbildungen  Lob, 
nicht  so  wegen  des  Papieres  und  der  geschmacklosen  Titelvignetten,  die 
man  in  einem  wissenschaftlichen  Werke  von  heute  nicht  mehr  anzutreffen 
erwarten  würde.  Hermann  Voss. 


Hans  Hildebrandt.  Die  Architektur  bei  Albrecht  Alt- 
d o r f e r.  Mit  23  Abb.  auf  17  Lichtdrucktafeln.  Studien  zur  Deutschen 
Kunstgeschichte  Heft  99.  Straßburg  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  & Mündel). 
114  S. 


Literaturbericht. 


3 63 


Das  glücklich  gewählte  Thema  ist  sauber  begrenzt.  Die  eingehende 
Prüfung  der  Baulichkeiten  in  Altdorfers  Bildern,  Kupferstichen,  Holz- 
schnitten und  Zeichnungen  bringt  historisch  interessante  Dinge 

ans  Licht.  Nicht  nur  zur  Kenntnis  des  Meisters,  der  ja  auf  seinem  Grab- 
steine Baumeister  genannt  wird,  sondern  auch  zur  Geschichte  der  deutschen 
Renaissance  im  allgemeineren.  Wie  die  Renaissanceformen  nach  Deutsch- 
land kamen,  beobachten  wir  weniger  an  ausgeführten  und  erhaltenen  Bau- 
werken als  an  Ornamentstichen  und  Entwürfen  aller  Art,  die  den  Malern 
zu  danken  sind,  — gewiß  auch  an  Bauphantasien  in  Gemälden.  Das  meiste 
von  deutscher  Renaissance  blieb  auf  dem  Papier,  und  die  Maler  eilten  keck 
der  schwerfälligen  Heermasse  der  Baumeister  voran. 

In  Hildebrandts  Darstellung  erscheint  Altdorfers  Leistung  sehr  erheb- 
lich. Der  Regensburger  ist  einer  der  ersten  und  eifrigsten  Propagandisten 
für  südliche  Architektur  und  Ornamentik.  Mit  der  Gotik  nicht  so  eng  ver- 
wachsen wie  die  meisten  seiner  Lands-  und  Zeitgenossen  (die  Bauten  in 
A.s  ersten  Arbeiten  erscheinen  überwiegend  romanisch),  findet  er  mit  seinem 
dem  Heiteren  und  Farbigen  zugeneigten  Sinn  verhältnismäßig  leicht  den 
Eingang  zur  italienischen  Formenwelt. 

H.  hat  sich  mit  dem  »Werke«  A.s  wohl  vertraut  gemacht,  einen 
klaren  Überblick  über  des  Meisters  Entwickelung  gewonnen  und  datiert 
die  inschriftlich  nicht  datierten  Arbeiten  sehr  zutreffend.  Bei  der  Datierung 
des  Augsburger  Gemäldes  mit  der  Geburt  Mariae  widerspricht  er  mir  mit 
vollem  Recht.  In  der  Tat  habe  ich  dieses  Bild  viel  zu  spät  angesetzt  und 
glaube  jetzt  wie  er,  daß  es  ziemlich  gleichzeitig  mit  der  Quirinsfolge  ent- 
standen ist. 

Im  Verhältnisse  des  Meisters  zur  Renaissance  tritt  um  1520  eine 
Wandlung  ein.  H.  markiert  dies  scharf,  vielleicht  etwas  zu  scharf.  Von  dieser 
Zeit  an  erscheint  A.  als  »Kleinmcister«  im  engeren  Sinne  des  Begriffes,  neben 
den  Beham  und  Jörg  Benz.  H.  betont  sehr  richtig,  daß  A.  seit  dieser  Zeit 
glücklich  im  Sinne  der  oberitalienischen  Renaissance  gestaltet,  z.  B.  in  dem 
Holzschnitte  mit  dem  großen  Altäre  der  »Schönen  Maria«. 

H.  meint,  A.  sei  kurz  vor  1523  in  Oberitalien  gereist  und  habe  zumal 
in  Verona  und  Venedig  starke  und  tiefe  Anregungen  empfangen.  Dies  die 
eigentliche  These  des  Buches.  Dies  das  Neue,  da  ich  in  meiner  Altdorfer- 
Monographie  der  Frage  eines  italienischen  Aufenthaltes  aus  dem  Wege 
gegangen  bin.  Mir  scheint,  daß  die  Demonstrationen  H.s  die  Reise  sehr 
wahrscheinlich  machen.  Der  Verf.  bemüht  sich  aber  die  Reise  zu  »beweisen« 
und  hat  seine  ganze  Arbeit  dieser  Beweisführung  gewidmet.  In  doppelter 
Art  führt  er  seine  Sache.  Er  glaubt  alle  Anregungsquellen,  die  dem  Regens- 
burger in  der  Heimat  zur  Verfügung  standen,  prüfen  zu  können,  und  schließt, 
als  ob  ihm  nichts  entgangen  sein  könnte:  daraus  konnte  A.  nicht  gewinnen, 


364 


Literaturbericht. 


was  er  ersichtlich  gewonnen  hat.  Diese  negative  Beweisführung  erscheint 
mir  etwas  bedenklich.  Irgendeine  von  hundert  Möglichkeiten,  hypothetisch 
angenommen,  wirft  diesen  »Beweis«  um.  Abgesehen  davon,  daß  von  den 
Renaissancebauten  auf  deutschem  Boden  vieles  vernichtet  ist,  ich  setze 
den  Fall,  ein  italienischer  Architekt  sei  mit  gefüllter  Mappe  nach  Regens- 
burg gekommen  und  habe  dem  Stadtbaumeister  Aufnahmen  oder  Entwürfe 
gezeigt,  oder  ein  deutscher  Baumeister  sei  nach  einer  Italienfahrt  zu  ihm 
gekommen.  Selbst  was  italienische  Drucke  an  Formen  dem  Regensburger 
übermitteln  konnten,  ist  für  uns  schwer  zu  übersehen.  H.  spricht  nur  von 
dem  Bekanntesten  und  ist  allzu  optimistisch  in  dem  Glauben,  alle  Mög- 
lichkeiten erschöpft  zu  haben. 

Der  positive  »Beweis«,  also  die  Prüfung  der  oberitalienischen  Bauten 
führt  gewiß  zu  interessanten  und  bemerkenswerten  Beobachtungen.  H. 
verfolgt  die  Reise  des  Meisters  nach  Verona,  Padua  und  Venedig  und  zeigt 
auf  die  Bauten  und  Schmuckformen,  die  A.  betrachtet  haben  »mag«.  Einige 
Male  sagt  er,  dies  oder  das  »muß«  A.  gesehen  haben. 

In  keinem  Falle  kann  man  bei  vorsichtiger  Prüfung  das  Gefühl  der 
Notwendigkeit  teilen.  Man  kommt  nur  so  weit,  wie  die  Wahrscheinlichkeits- 
rechnung führt.  Eine  Bauindividualität  in  Oberitalien,  die  A.  gekannt 
haben  müßte  — eine  solche  zu  finden,  war  das  Streben  des  Verf.  — wird 
nicht  gezeigt,  wohl  aber  glückt  der  Nachweis,  daß  der  Regensburger  sich 
mit  der  typischen  oberitalienischen  Formenwelt  vertraut  gemacht  hat. 

Friedländer. 


Curt  Glaser.  Hans  Holbein  d.  Alt.  Kunstgeschichtliche  Mono- 
graphien XI  bei  Hiersemann,  Leipzig  1908,  219  S.,  48  Abb. 

Der  Verfasser  hat  sich  einer  großen  Aufgabe  mit  großem  Fleiß  gewidmet 
und  das  Buch  wird  wohl  noch  lange  unentbehrlich  bleiben,  da  es  schon 
lange  Bedürfnis  war.  Es  bedeutet  einen  entschiedenen  Fortschritt  über 
Woltmann  hinaus,  nicht  nur  dadurch,  daß  das  Material  mit  größerer  Voll- 
ständigkeit zusammengetragen  ist.  Bei  der  Beurteilung  der  Arbeiten  sind 
auch  die  neueren  Gesichtspunkte  in  Betracht  gezogen.  In  der  Einleitung 
wird  kurz  das  wenige,  was  wir  über  Holbeins  Leben  wissen,  zusammen - 
gestellt.  Es  folgt  die  Beschreibung  der  Werke,  -getrennt  davon  eine  Schilde- 
rung von  Holbeins  Kunstentwicklung,  dann  im  Anhang  einige  Exkurse, 
über  die  Schulbilder,  Israel  von  Meckenem  und  Sigmund  Holbein,  endlich 
ein  wertvolles  Verzeichnis  der  Handzeichnungen. 

In  der  Beschreibung  der  Werke  möchte  man  mehr  Positives  erfahren, 
über  Erhaltungszustand,  Kolorit  usw.  und  weniger  Urteile:  »Auf  dem  dunkel- 
blauen Grund  baut  sich  die  Farbengebung  auf.  Aus  dem  geheimnisvoll 


Literaturbericht. 


365 


tiefen  Dunkel  leuchten  die  schweren  und  reichen  Töne  kräftig  hervor.  Die 
Beschränkung  auf  wenige  starke  Farben  ist  das  charakteristische.«  Dies 
ist  vom  Katharinenaltar  von  1512  gesagt  (S.  91),  es  gilt  für  fast  alle  Gemälde 
der  vorausgegangenen  Zeit,  was  es  aber  für  Farben  sind  in  dem  einzelnen 
Fall,  erfährt  man  nicht.  Es  ist  oft  schwer,  sich  durch  solche  Beschreibungen 
durchzuarbeiten. 

Sonst  ist  die  Darstellung  in  dankenswerter  Weise  klar  und  übersicht- 
lich und  im  ganzen  auch  schlicht  uud  sachlich. 

Grobe  Verstöße  wird  man  wenige  in  dem  Buche  finden.  Manche  neue 
Beobachtung  vervollständigt  das  Bild,  das  wir  von  Holbein  besitzen. 

Der  Haupteinwand,  der  gegen  die  Arbeit  zu  erheben  ist,  ist  der,  daß 
eine  Reihe  von  wichtigen  Fragen,  die  im  Buche  gelegentlich  besprochen  werden, 
nicht  den  eigentlichen  Ausgangspunkt  der  Untersuchung  bilden.  Es  scheint, 
daß  nicht  die  Verwunderung  über  einzelne  Symptome,  die  in  ihrer  Verein- 
zelung unerklärlich  sind,  den  Verfasser  geführt  hat,  nicht  der  Zweifel  und 
der  Trieb,  die  Fragen  zu  beantworten,  vielleicht  auch  hat  der  Verfasser 
angesichts  der  sich  erhebenden  Schwierigkeiten  erst  auf  die  Lösung  der  wich- 
tigsten Probleme  verzichtet. 

Holbein  ist  aber  ein  Künstler,  der  mehr  wie  andere  Rätsel  aufgibt 
und  zum  Nachspüren  reizen  sollte.  Es  wären  da  Probleme  zu  lösen  gewesen, 
die  von  allgemeinem  Interesse  sind  für  den  damaligen  Kunstbetrieb,  für 
die  deutsche  Kunst,  ja  für  das,  was  Kunstentwicklung  überhaupt  ist. 

Die  Arbeiten,  die  aus  Holbeins  Atelier  hervorgegangen  sind,  zeigen 
wohl  bis  zu  einem  gewissen  Grade  einen  einheitlichen  Charakter,  sie  unter- 
scheiden sich  von  denen  der  Vorgänger,  von  denen  aller  Zeitgenossen  in 
Ober-  und  Niederdeutschland  sehr  deutlich,  auch  von  denen  der  Zeitgenossen 
in  Augsburg  und  Ulm.  Aber  in  der  Durchführung  verraten  die  Bilder  große 
und  auffallende  Unterschiede,  gelegentlich  auch  schon  in  der  Komposition. 
Es  gleicht  auch  hier  und  da  das  Frühere  dem  Späteren,  während  das  Gleich- 
zeitige sehr  verschieden  aussieht. 

Am  altertümlichsten  ist  vielleicht  die  Marienbasilika  von  1499  in  der 
Augsburger  Galerie,  »die  Historie  mit  einer  Glocke«.  Wohl  würde  man 
dieses  Bild,  auch  ohne  das  Datum,  als  zwischen  1480  und  1500  entstanden 
bezeichnen  können.  Aber  die  Darstellung  der  Gebäude,  der  Landschaft, 
der  dunkle  mit  Sternen  besäte  Grund  und  die  gotisch  gedrechselten  Locken 
des  Joseph  und  des  Schergen,  der  die  Dorothea  enthauptet,  die  rundlichen 
Formen  und  selbst  das  Karnat  der  weiblichen  Gestalten  zwingen  zu  der 
Annahme,  daß  der  Künstler,  der  das  Bild  ausgeführt  hat,  von  den  Errungen- 
schaften der  zwei  letzten  Generationen,  d.  h.  der  Zeit  eines  Lukas  Moser 
und  der  Schongauerzeit  nur  gelegentlich  etwas  in  sich  aufgenommen  hat. 
Als  eine  Vermutung  von  vielen,  die  möglich  sind,  könnte  man  etwa  an- 


366 


Literaturbericht. 


nehmen,  daß  die  Arbeit  von  einem  alten  Gesellen  ausgeführt  wurde,  der 
bei  einem  Meister  in  der  Art  des  Hamburgers  Franke  gelernt  hat.  Auch 
dieser  scheint  mir  ein  Schwabe  und  ein  naher  Kunstverwandter  des  Lukas 
Moser  zu  sein.  Jedenfalls  zeigt  das  Gesicht  der  heiligen  Dorothea  einen 
Typus,  der  mit  den  sonst  üblichen  weiblichen  Heiligen  des  Künstlers  nichts 
gemein  hat.  Weit  weniger  altertümlich  sind  die  frühesten  erhaltenen  Bjlder, 
die  Tafeln  des  Weingartner  Altars  im  Augsburger  Dom.  Mit  diesen  läßt 
sich  eine  spätere  Gruppe  wie  die  Donaueschinger  und  die  drei  Augsburger 
Passionstafeln,  der  Kaisheimer  Altar,  die  Paulusbasilika  und  die  Prager 
Tafeln  noch  leidlich  vereinigend  Aber  auch  hier  sind  die  Unterschiede  sehr 
erheblich,  noch  größer  sind  sie  zwischen  diesen  beiden  Gruppen  und  den 
dazwischenliegenden  Bildern,  dem  Afraaltar  und  dem  Pariser  Marientod. 

Eine  Gruppe  für  sich  bilden  dann  wieder  das  Epitaph  des  Bürger- 
meisters Schwarz  von  1508,  die  Flügel  des  Katharinenaltars  in  Augsburg 
von  1512  und  die  Hauptbilder  des  Sebastiansaltars  von  1515/6. 

Glaser  nimmt  an,  daß  die  Prager  Bilder  1508 — 1510,  also  nach  dem 
Epitaph  des  Bürgermeisters  Schwarz,  entstanden  sind.  Nehmen  wir  nun 
aber  auch  das  Gegenteil  an,  daß  diese  Bilder  vorher  zwischen  1504  und  1508 
entstanden  seien,  was  mir  wahrscheinlicher  dünkt,  und  daß,  wie  bisher, 
angenommen,  die  Bilder  von  1508,  1512  und  1515  einfach  die  weitere  Ent- 
wicklung des  Stiles  bedeuten,  den  wir  aus  dem  Kaisheimer  Altäre  kennen, 
so  bleibt  doch  die  selbst  auf  den  Photographien  leicht  zu  erkennende  Tat- 
sache, daß  die  Außenseiten  des  Sebastiansaltars  nicht  diesen  späteren 
Schöpfungen,  sondern  weit  mehr  den  früheren  der  Paulusbasilika  nahe 
stehen  und  zwar  nicht  etwa  in  der  Pinselführung,  sondern  in  dem  Geschmack, 
der  sich  in  der  Anordnung,  in  der  Wahl  der  Tracht  und  der  Farbentöne  zeigt. 

Die  Marienbasilika  von  1499  ist  bezeichnet  Hans  Holbain,  die  Kaisheimer 
Tafeln  Hans  Holbon  und  Johannes  Holbain,  die  Prager  Tafeln : Hans  Holbain, 
das  Epitaph  des  Bürgermeisters  Schwarz  H.  H.  Der  Katharinenaltar  von 
1512:  Hans  Holba....  Die  Paulusbasilika  war  nach  Sandrart  mit  vollem 
Namen  bezeichnet,  sie  und  der  Sebastiansaltar  enthalten  das  Bildnis  des 
alten  Holbein.  Das  Bildnis  auf  dem  letzteren  Altäre  geht  auf  eine  Zeichnung 
zurück,  die  sich  etwas  von  den  anderen  Zeichnungen  zum  Sebastians- 
altar und  von  der  Mehrzahl  der  anderen  Silberstiftzeichnungen  des  alten 
Holbein  unterscheidet  und  die  Beischrift  »Holbein  der  alt  maler«  trägt. 
Diese  Beischrift  scheint  von  derselben  Hand  zu  sein  wie  die  Porträtstudie, 
ist  nicht  die  des  Sohnes,  kommt  aber  auf  den  Silberstiftzeichnungen  häufig 
vor  und  gilt  als  die  des  alten  Holbein.  Mehr  weiß  man  nicht.  So  viele  Beob- 
achtungen, so  viele  Anlässe  zu  neuen  Zweifeln. 

Aus  alledem  ergibt  sich  aber  mit  genügender  Sicherheit,  daß  aus  der 
Werkstatt  Holbeins  Gemälde  verschiedener  nicht  unbedeutender  Maler 


Literaturbericht. 


367 


hervorgegangen  sind,  die  mit  dem  Namen  des  Vorstehers  der  Werkstatt 
bezeichnet  sind.  Es  gibt  dann  noch  außerdem  Schöpfungen,  die  von  Holbein 
entworfen  sein  können,  aber  von  roheren  Gesellen  ausgeführt  sind,  und 
Schulbilder.  Das  eine  oder  das  andere  mit  Hans  Holbeins  Namen  oder 
Monogramm  bezeichnete  Werk  muß  in  allen  wesentlichen  Teilen  von  einem 
anderen  ausgeführt  worden  sein  und  ist  doch  nicht  als  Gesellenarbeit  in  dem 
gewöhnlicheren  herabsetzenden  Sinne  des  Wortes  zu  bezeichnen.  Der 
Marientod  in  Paris  aus  den  neunziger  Jahren  ist  mit  dem  Namen  des  Wolf- 
gang Prew  und  dem  Holbcins  bezeichnet.  Hier  kann  immerhin  der  erste 
Name  den  Bildhauer  bezeichnen,  der  die  zum  Altäre  gehörenden  Skulpturen 
geschaffen  hat.  Seit  dem  Beginne  des  Jahrhunderts  aber  war  der  Bruder 
Sigmund  Holbein  als  Maler  in  der  Werkstatt  tätig,  und  in  Frankfurt  scheint 
außerdem  noch  Leonhard  Beck,  der  später  einen  größeren  Ruf  als  Künstler 
errang,  Holbeins  Gehilfe  gewesen  zu  sein. 

Ein  Werk,  das  den  allgemeinen  Charakter  der  Holbeinschen  Werkstatt 
teilt  und  mit  einer  Gruppe  von  Holbeinschen  Gemälden  besonders  genau 
übercinstimmt,  ist  außerdem  noch  S.  HOLBEIN  bezeichnet.  Freilich 
auf  einem  Papierstreifen,  der  aus  einem  Buche  heraushängt  in  der  Art, 
daß  man  sich  die  ersten  Buchstaben  des  Namens  Hans  als  im  Buch  versteckt 
vorstellen  kann.  Die  epigraphischen  Gewohnheiten  schließen  es  aber  durch- 
aus nicht  aus,  daß  damit  Sigmund  gemeint  ist,  wie  früher  behauptet  wurde, 
und  da  Hans  Holbein  sich  doch  auch  gesagt  haben  kann,  daß  S.  Holbain 
auf  Sigmund  gedeutet  werden  könne,  so  ist  es  bei  weitem  das  naheliegendste, 
anzunehmen,  daß  mit  dem  »S«  nicht  der  letzte  Buchstabe  von  Hans,  sondern 
der  erste  des  Wortes  Sigmund  gemeint  sei.  Es  wäre  auch  denkbar,  daß 
Sigmund,  abhängig  von  Hans,  genötigt  oder  verpflichtet  war,  seine  Arbeiten 
mit  dem  Signum  der  Werkstatt  zu  versehen,  und  sich  bei  einem  Werkchen, 
das  ihm  besonders  lieb  war,  durch  eine  zweideutige  Bezeichnung  verraten 
wollte. 

Es  weist  nun  aber  nicht  nur  das  Gesamtwerk  verschiedene  Hände  auf, 
die  Künstlern  verschiedener  Generationen  angehören,  es  zeigt  auch  der 
Stil  jedes  einzelnen  Werkes  Eigentümlichkeiten,  nah  beieinander  wohnend, 
die  man  nur  bei  Künstlern  verschiedener  Generationen  erwarten  sollte. 
Das  eine  ist  im  Sinne  der  damals  Stärksten  unter  den  jüngeren  Meistern, 
wie  Dürer  und  Grünewald,  ein  schreiender  Mangel,  das  andere  kann  man 
wieder  auch  in  jener  großen  Zeit  als  einzigartigen  Vorzug  bezeichnen. 

In  der  Fähigkeit,  den  Raum  räumlich  darzustellen  und  kraftvolle 
Körperbewegung  wiederzugeben,  steht  Holbein  d.  Ä.  nicht  bloß  hinter 
Dürer  und  Grünewald,  sondern  auch  hinter  Schongauer  und  Pacher,  die 
ihm  doch  vorausgingen,  zurück.  Er  ist  nicht  nur  in  der  eigentlichen  Per- 
spektive, der  Darstellung  der  Gebäulichkeiten,  des  Fußbodens  und  der  Art, 


368 


Literaturbericht. 


wie  die  Leute  darauf  stehen,  befangener,  sondern  auch  in  der  Darstellung 
der  Verkürzungen  und  in  der  Schilderung  der  Landschaft.  Dies  ermöglichte 
es  auch,  daß  ein  Werk  von  so  hochaltertümlichem  Gepräge  wie  die  Marien- 
basilika nach  einer  Skizze  des  Meisters  ausgeführt  werden  konnte  und  sich 
nicht  allzu  auffällig  im  Werke  des  Meisters  ausnimmt.  Holbein  ist  ein 
Künstler,  der  immer  und  immer  wieder  den  Auftrag  erhielt,  das  Leiden 
des  Herrn  darzustellen,  'und  sich  auch  in  der  Schilderung  heftiger  Leiden- 
schaften mit  sichtlichem  Interesse  erging,  dem  aber  das  berechtigt  Pathetische 
fast  ebenso  wie  einem  Fra  Angelico  versagt  blieb,  wenigstens  das  Pathetische 
in  lebendiger  Bewegung.  Er  war  lange  Zeit  nicht  imstande,  einen  Menschen 
fest  auf  seinen  Füßen  stehend  darzustellen.  In  den  Porträtstudien  löst  er  schwie  - 
rige  Verkürzungen  spielend,  sogar  mit  einer  gewissen  Virtuosität.  In  der  Dar- 
stellung einer  ganzen  Figur,  einer  Gruppe  hat  er  me  die  Befangenheit  der  frü- 
heren Generation  ganz  abgestreift.  Wo  er  eine  Figur  darzustellen  hat,  steht  er 
auf  der  Stufe  des  frühen  Rogier  van  der  Weyden.  Bei  seinen  Bildnisstudien 
geht  er  in  gewissem  Sinne  über  Dürer  hinaus.  Es  gibt  Leute,  die  seine  Bildnis- 
studien als  moderner  als  die  seines  berühmten  Sohnes  empfinden. 

Holbein  erschöpft  in  diesen  Studien  auch  eine  große  Stufenleiter  des 
Ausdrucks;  er  kennt  in  diesen  Köpfen  jenes  Kraftbewußtsein,  das  wir  sonst 
in  den  Gestalten  der  jüngeren  Generation  bewundern.  Er  charakteri- 
siert dies  Gefühl  der  Ehrenfesten  und  Gestrengen,  die  er  in  Augsburg  vor 
sich  sah,  nicht  ohne  Geist  und  kaum  ohne  Absicht.  Er  muß  eine  Empfindung 
dafür  gehabt  haben. 

Aber  diese  Empfindung  belebt  und  durchdringt  nie  eine  ganze  Gestalt. 
Während  er  doch  von  Jahr  zu  Jahr  die  prächtigsten  kraftstrotzenden  martiali- 
schen Gestalten  durch  die  Kunst  verewigt  aus  den  Ateliers  seiner  Kollegen 
Burgkmair  und  auch  Dürer  hervorgehen  sah.  Ihm,  dem  Zeichner  sonder- 
gleichen, ist  es  nicht  gelungen,  etwas  Ähnliches  zu  schaffen.  Eine  breitspurig 
dastehende  Gestalt  kommt  gelegentlich  vor,  z.  B.  ist  eine  solche  die  des 
Henkers  der  heiligen  Katharina  auf  dem  Katharinenaltar  von  1512,  allein 
sie  ist,  wie  Glaser  bemerkt  hat,  von  Dürer  entlehnt,  die  Schergen  auf  dem 
Sebastiansaltar  stehen  wieder  weniger  sicher  auf  ihren  Füßen,  und  es  fehlt 
überall  jenes  Hurrah,  das  die  anderen  unterstrichen  haben. 

Diese  Tatsache  ist  sehr  merkwürdig  und  sollte  zu  denken  geben. 

Man  kann  nicht  einmal  sagen,  daß  Holbein  eben  nur  das  Ruhende, 
Unbewegte  der  Natur  abzulauschen  verstand.  Es  sind  aus  seinem  Atelier 
wirkliche  Idealgestalten  von  einer  solchen  Anmut  und  Zartheit  auch  in  der 
Bewegung  hervorgegangen,  wie  sie  Dürer  nicht  beschieden  waren.  Eine 
liebenswürdige  Eigenart  der  Nation  hat  sich  in  diesen  Werken  in  unüber- 
troffener Weise  geäußert.  Dürer  ist  immer  um  vieles  derber;  nur  der  Bild- 
hauer Riemenschneider  und  der  Meister  des  Blaubeurener  Hochaltars,  der 


Literaturbericht. 


369 

übrigens  auch  in  Augsburg  tätig  gewesen  zu  sein  scheint,  kommen  da  neben 
Holbein  auf. 

Endlich  ist  Holbein  ein  Kolorist  ersten  Ranges,  der  größte  seiner  Zeit 
in  Oberdeutschland  neben  Grünewald. 

Holbein  den  Älteren  bearbeiten  heißt  unseres  Erachtens  die  Bilder  auf 
ihren  Erhaltungszustand  genauer  als  bisher  untersuchen,  die  Hände  der 
Restauratoren,  Schüler,  roheren  Gesellen  ausscheiden,  die  Entwicklung 
des  Hauptmeisters  der  Werkstatt  und  eventuell  auch  der  besten  Mit- 
arbeiter aufweisen.  Es  müßte  dies  mit  Hilfe  der  Studien  und  großer  De- 
tailaufnahmen dann  auch  plausibel  dargestellt  werden.  Daran  haben  sich 
die  Fragen  nach  der  Herkunft  des  Stils  und  über  die  Eigenart  der  Mit- 
arbeiter zu  schließen. 

Es  sollte  u.  a.  damit  begonnen  werden,  zu  eruieren,  ob  die  zahlreich 
erhaltenen  Kopfstudien  zu  erhaltenen  Gemälden  in  verschiedenenSchöpfungen 
nicht  sehr  verschieden  benützt  sind. 

Das  Abbildungsmaterial,  das  Glaser  gibt,  leistet  gute  Dienste,  aber 
für  diese  Fragen  nicht.  Da  sind  Köpfe  in  allen  Reproduktionen  nach  Ge 
mälden  viel  zu  klein. 

Die  Verschiedenheit  der  Ausführung  der  einzelnen  Werke  ist 
Glaser  nicht  verborgen  geblieben,  er  gibt  sie  zu  und  betont  sie  gelegent- 
lich. Er  sieht  auch  die  großen  Unterschiede  zwischen  Werken,  die 
zeitlich  nahe  beisammen  liegen,  und  erwähnt  selber,  daß  weiter  auseinander- 
liegende Arbeiten  oft  mehr  Berührungspunkte  haben.  Wollte  man  boshaft 
sein  und  die  etwas  übertreibenden  Ausdrücke,  mit  denen  der  Verfasser  die 
Unterschiede  der  einzelnen  Jahre  schildert,  alle  wörtlich  nehmen,  so  könnte 
man  schon  daraus  die  Beweise  herleiten,  daß  keine  Gruppe  von  Bildern  von 
demselben  Kopf  geschweige  von  derselben  Hand  sein  kann  wie  die  andere. 
Von  dem  Afraaltar,  der  nach  Glaser  1495  datiert,  also  wenige  Jahre  nach 
dem  Weingartneraltar  (1493)  entstanden  ist,  heißt  es:  »Sicher  ist,  daß  viel 
von  der  persönlichen  Eigenart  des  ersten  Werkes  verloren  ward«.  Von  den 
folgenden  um  1499  entstandenen  Werken:  »Den  Meister  des  Weingartner- 
altars mag  man  nur  schwer  noch  in  diesen  Gemälden  erkennen«.  Von  der 
Donaueschinger  Passion  sogar:  »Ein  rechtschaffener,  schwäbischer  Meister 
ist  er  geworden,  der  derb  und  tüchtig  ein  Werk  anzufassen  weiß«.  Vom 
Frankfurter  Altar  von  1501 : »Stürmischer  Aufruhr  tritt  an  die  Stelle  sicherer 
Gelassenheit«.  Dann  von  den  unmittelbar  1502  folgenden  Arbeiten  in  Augs- 
burg: »Erst  in  der  Heimat  wieder,  in  einer  neuen  Zeit  ruhigen  Schaffens 
glätten  sich  die  Wogen«.  »Alle  Fäden,  die  die  Frankfurter  Passion  noch 
mit  der  in  Donaueschingen  verbanden,  sind  nun  durchschnitten.« 

So  entwickelt  man  sich  nicht,  so  entwickeln  sich  nur  jene  Geister, 
die  sich  nicht  entwickeln.  Auch  wenn  man  alle  Übertreibungen  in  der  Aus- 


370 


Literaturbericht. 


drucksweise  Glasers  abzieht,  so  muß  man  annehmen,  wie  mir  scheint,  daß 
derselbe  von  dieser  schlichten  feinfühligen  und  offenbar  übelgebetteten 
Künstlernatur  eine  Vorstellung  hatte,  die  psychologisch  unmöglich  ist. 
Ein  großer  Künstler  bleibt  sich  erstaunlich  treu.  Jene  Generationen,  die 
in  der  Furcht  vor  Gott,  der  Obrigkeit,  vor  Krieg,  Türkennot  und  Pestilenz, 
vor  dem  Teufel  und  den  Höllenstrafcn  aufwuchsen  und  gelegentlich  für  eine 
Nuance  des  Glaubensbekenntnisses  selbst  den  Martertod  nicht  scheuten, 
waren  keine  modernen  Ästheten,  die  heute  »ganz  Böcklin«,  morgen  »ganz 
Impressionismus«  sind.  Die  schöpferischen  Kräfte  sind  es  heute  noch  nicht. 
Man  sollte  denken,  daß  der  Reiz,  den  das  Verfolgen  einer  künstlerischen 
Entwicklung  bietet,  doch  eben  im  Erkennen  der  Konsequenz  bei  allem 
Reichtum  der  Erscheinungen,  in  dci  Einheitlichkeit  bei  allem  Wechsel  be- 
ruhe. Denn  nur  das  Beharrende  verdient  ein  tieferes  Interesse. 

Die  Beobachtungen  aber,  die  zu  diesen  übertreibenden  Ausdrücken 
geführt  haben,  drängen  sich  jedem  auf.  Eine  psychologisch  mögliche 
und  zugleich  durch  Tatsachenreihen  festgegründete  Entwicklung  zu 
entrollen,  wird  man  in  solch  schwierigem  Falle  von  einer  Rezension 
nicht  verlangen.  Ich  vermute  noch  immer,  daß  sich  von  den  beiden 
Nürnberger  Madonnen  aus  zwei  Entwicklungsreihen  bis  zu  den  letzten 
Werken  aufweisen  lassen. 

Es  sei  den  Ausführungen  des  Verfassers  nur  so  viel  an  positiven  Be- 
hauptungen entgegengestellt. 

Tatsache  scheint  mir,  daß  am  Sebastiansaltar  drei  Hände  gearbeitet 
haben,  die  zweier  älteren  und  die  eines  jungen  mit  Holbein  d.  J.  mindestens 
äußerst  verwandten  Künstlers.  Glaser  betont  die  Unterschiede  in  der  Kom- 
positionsweise zwischen  dem  Sebastiansaltar  und  dem  späten  Holbein 
einerseits  und  der  Kreuztragung  des  jungen  Holbein  in  Karlsruhe  anderersits 
nicht  anders  als  auf  Grund  der  Ausführungen  in  meiner  Habilitationsschrift, 
er  bestreitet  dagegen,  daß  das  Gesicht  der  heiligen  Elisabeth  in  der  Malerei 
mit  den  frühesten  Arbeiten  des  jungen  Holbein  Ähnlichkeit  zeigt  und  von 
diesem  hineingemalt  sein  kann.  Der  Unterschied  im  Farbenauftrag  zwischen 
dem  Gesicht  der  heiligen  Elisabeth  und  anderen  Köpfen  derselben  Tafel 
und  desselben  Altars  ist  aber  ein  sehr  großer.  Die  Ähnlichkeit  des  Ge- 
sichtes der  heiligen  Elisabeth  und  des  Kopfes  des  älteren  Holbein  mit 
den  beiden  Basler  Heiligenköpfen  und  den  Gesichtern  der  Kreuztragung 
in  Karlsruhe  ist  auch  zwingend.  Was  im  Gesicht  der  Elisabeth  nicht  in  der 
Art  des  jungen  Holbein  ist,  erklärt  sich  leicht  aus  der  fremden  Vor- 
zeichnung. 

Die  Außenseiten  der  Flügel  mit  der  Verkündigung  verraten  zwar 
einen  Meister  der  älteren  Generation,  aber  Linienführung,  Anordnung,  Typen 
zeigen  einen  feinen,  zarten  und  ganz  anderen  Geschmack  als  der  Altar  von 


Literaturbericht. 


371 


1512  und  auch  als  das  stark  restaurierte  Mittelbild  des  Sebastiansaltars. 
Ebenso  sehe  ich  nicht  ein,  was  die  von  Dan.  Burckhardt  entdeckte  und 
publizierte  Madonnenzeichnung  in  Basel  gegen  die  Autorschaft  des  Sigmund 
Holbein  bei  dem  größeren  mit  S.  Holbein  bezeichneten  Madonnenbildchen 
in  Nürnberg  beweisen  soll.  Alles  was  Burckhardt  und  nach  ihm  Glaser 
anführen,  beweist  doch  nur,  daß  die  beiden  Nürnberger  Madonnenbildchen 
und  die  Zeichnung  von  Malern  stammen,  die  sich  persönlich  und  künstlerisch 
nahestanden.  Daß  das  Nürnberger  Bild  von  der  Zeichnung  abhängig  ist, 
hat  Burckhardt  freilich  nachgewiesen,  aber  die  Art  der  Abhängigkeit  würde 
in  späteren  Epochen  die  Identität  der  Hand  geradezu  ausschließen  und 
sie  beweist  auch  im  16.  Jahrhundert  nichts  für  dieselbe. 

Naturgemäß  ist  nun  auch  die  Scheidung  zwischen  Meister-  und  Ge- 
sellenarbeit, die  Glaser  vornimmt,  nicht  ganz  überzeugend. 

Das  Bild  der  Sammlung  Weber  hat  sicher  etwas  für  Holbein  Befremden- 
des und  das  Befremdende  ist  auch  nach  meiner  Ansicht,  daß  die  Figuren 
mehr  Raum  als  sonst  bei  Holbein  haben,  aber  das  ist  bei  dem  Marientod 
in  Paris,  der  mit  dem  Namen  Wolfgang  Prew  und  Hans  Holbein  bezeichnet 
ist,  auch  der  Fall.  Der  Schmerzensmann  des  Landesmuseums  in  Zürich 
und  das  schöne  Bild  eines  Augsburger  Patriziers  in  der  Sammlung  Lancko- 
ronsky  in  Wien  stehen  den  feinsten  Arbeiten  Holbeins  sicher  näher  als  diese 
Werke  und  die  Apostelmartyrien. 

Diese  Martyrien  und  der  Marientod  werden  im  Werk  Holbeins  d.  Ä. 
angeführt,  die  Darstellung  im  Tempel  der  Sammlung  Weber  unter  den 
Schulbildern  und  die  beiden  anderen  gar  nicht.  Das  Bild  des  Landesmuseums 
ist  im  Katalog  als  Holbein  bezeichnet.  Es  dürfte  auf  meinen  Vorschlag  hin 
geschehen  sein,  da  ich  seinerzeit  die  Direktion  einmal  auf  den  Autor  auf- 
merksam machte.  Das  Gemälde  der  Sammlung  Lanckoronsky  gilt  schon 
lange  als  Holbein  und  wird  Glaser  bekannt  gewesen  sein. 

Unter  den  Zeichnungen  fehlen  die  beiden  Bildnisstudien,  die  im  Louvre 
als  Werke  des  jungen  Holbein  ausgestellt  sind.  Beide  Zeichnungen  sind 
von  Mantz  (H.  Holbein),  die  eine,  fälschlich  1520  datierte,  auch  von  Ganz 
(Handzeichnungen  von  Hans  Holbein  d.  J.,  Berlin  Jul.  Bard  1908)  als 
vom  Sohne  stammend  publiziert.  Die  Autorschaft  des  alten  Holbein  steht 
bei  dieser  zweiten  außer  Zweifel,  bei  der  anderen  könnte  man  an  eine  moderne 
Fälschung  nach  Holbein  d.  Ä.  denken. 

Von  den  von  Glaser  angeführten  Zeichnungen  ist  Nr.  197  eine  Ein- 
tragung des  jungen  Holbein  in  das  Skizzenbuch  des  Vaters.  Das  Fugger- 
porträt in  Kopenhagen  (Glaser  139,  His,  Handzeichnungen  XLVI)  ist  doch 
wohl  von  Hans  Burgkmair.  Der  Kopf  eines  Mönchs  in  Bamberg  (Glaser 
125,  His  IV)  und  eines  Kriegers  (Glaser  199,  His  XXVIII)  zeigen  beide 
ganz  unverkennbar  den  Stil,  der  Frühzeit  um  1502  und  nicht  wie  Glaser 


372 


Literaturbericht. 


will  den  von  1508 — 1512.  Im  allgemeinen  ist  der  chronologischen  Anord- 
nung des  Verfassers  zuzustimmen. 

Der  Verfasser  verzweifelt  auch  daran,  die  Herkunft  des  Rolbein'schen 
Stiles  aufzuweisen.  Hier  ist  es  aber  möglich,  auf  die  wichtige  Frage  eine  be- 
stimmte Antwort  zu  geben.  Holbeins  künstlerische  Vorfahren  waren  neben 
Roger  van  der  Weyden  und  Bouts  die  Augsburger  Altarplastiker.  Auch  in 
diesem  Falle  entgingen  dem  Verfasser  wichtige  Einzelbeobachtungen  nicht.  Er 
betont  mehrmals,  wie  sehr  die  Darstellung  an  die  Hochreliefs,  besser  Figuren- 
gruppen, in  den  Schreinen  der  spätgotischen  Altäre  erinnert,  sie  ist  aber 
geradezu  identisch.  Es  fehlt  nur  noch,  daß  die  Gewänder  der  Figuren  ver- 
goldet wären.  Nun  ist  aber  der  Stil  Holbeins,  namentlich  der  Gewandstil, 
der  ihn  doch  sehr  deutlich  von  Nürnberg,  Ulm,  von  Schongauer  und  dem 
Hausbuchmeister  unterscheidet,  auch  noch  in  der  erhaltenen  Augsburger 
Steinplastik  im  Domkreuzgange  und  an  anderen  Orten  schon  in  den  siebziger 
Jahren  des  15.  Jahrhunderts  völlig  ausgebildet  vorhanden. 

Die  Altarplastik  freilich  ist  an  Ort  und  Stelle  nicht  mehr  zu  finden 
und  aus  der  Diaspora  noch  nicht  rekonstruiert,  aber  das  wenige,  was  bekannt 
ist,  unterstützt  die  Annahme  oder  wiederspricht  ihr  doch  nicht.  Die  Holz- 
plastiker waren  ja  auch  vielfach  zugleich  Steinplastiker,  und  die  Ähnlichkeit 
der  Steinfiguren  der  sechziger  und  siebziger  Jahre  mit  denen  Holbeins  ist 
mitunter  so  groß,  daß  man  an  denselben  Künstler  denken  könnte.  Das 
erklärt  sehr  viel,  was  merkwürdig  ist  in  Holbeins  Kunst.  Die  Art,  wie  die 
dekorative  Wirkung  vereinfacht  ist,  den  dunklen  Hintergrund,  den  schiefen 
nach  vorn  abfallenden  Boden  seiner  Darstellungen,  die  abbreviaturartige 
Darstellung  des  Raumes.  Wenn  Holbein  eine  Figur  Roger  van  der  Weydens 
kopieit,  vereinfacht  er  ungefähr  so  viel  wie  die  Schöpfer  der  Epitaphien 
des  Augsburger  Domkreuzganges  in  ihrem  Material,  ihrem  Format  und 
für  ihre  Zwecke  vereinfachen  hätten  müssen,  wenn  sie  einen  Roger  kopiert 
hätten. 

Die  Schwaben  sind  für  den  Verfasser  im  15.  Jahrhundert  die  Zurück- 
gebliebenen. Er  denkt  da  neben  Holbein  d.  Ä.  in  erster  Linie  an  Zeitblom, 
und  für  diese  stimmt  es  wenigstens  in  mancher  Hinsicht.  Im  allgemeinen 
waren  sie  die  beweglicheren.  In  der  zweiten  Generation  des  Jahrhunderts, 
den  Jahren  1420 — 1450  waren  sie  die  Bahnbrecher,  in  den  siebziger  Jahren 
übernahm  der  aus  Augsburg  stammende  Schongauer  die  Führung.  Von 
der  schwäbischen  Kunst  ist  sicher  auch  der  Hausbuchmeister  ausgegangen, 
für  Grünewald  war  der  Schwabe  Holbein  so  viel  wie  für  Dürer  der  von  Augs- 
burg stammende  Schongauer.  In  der  Plastik  überragt  noch  am  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  der  Schöpfer  der  Berliner  Madonna  und  des  Blaubeurener 
Hochaltars  die  Nürnberger,  und,  was  Vöge  ebenfalls  mit  Recht  vermutet, 
auch  Riemenschneider  geht  auf  die  schwäbische  Kunst  zurück;  in  Dürers 


Literaturbericht. 


373 


letzten  Lebensjahren  übernimmt  wieder  ein  geborener  Augsburger  das 
Prinzipat  in  der  oberdeutschen  Kunst. 

In  tausend  Wechselfällen  vollzieht  sich  eben  die  Kunstgeschichte 
eines  Stammes,  und  nur  das  begabte  Individuum  ist  konsequent  in  seiner 
Entwicklung. 

Das  Buch  ist  ein  sehr  gut  zu  gebrauchendes  Nachschlagewerk  für 
spätere  Forschungen.  H.  A.  Schmid. 


Hand  Zeichnungen  von  Hans  Holbein  d.  J.  ln  Auswahl  heraus- 
gegeben von  Paul  Ganz.  Berlin  1908,  Jul.  Bard. 

Fünfzig  Abbildungen  von  Zeichnungen  aus  allen  Epochen  des  Künst- 
lers in  der  Größe  von  ungefähr  12  : IO  cm  und  74  Seiten  Text.  Der  Ver- 
fasser gibt  erst  einen  kurzen  Überblick  über  das  Leben  und  die  Bedeutung 
des  Künstlers  und  bespricht  dann  die  einzelnen  Blätter  und  verwandte 
Leistungen.  Es  ist  ein  hübsches  Buch  mit  Abbildungen,  die  sehr  vertrauens- 
erweckend aussehen  und  zum  Teil  wirklich  ausgezeichnet  sind,  auch  die 
Schweizerischen  Handzeichnungen,  die  vom  selben  Verfasser  herausgegeben 
werden,  verdienen  ja  dieses  Lob.  Zu  bedauern  ist  nur,  daß  die  Bilder  auf  ein 
Papier  von  unangenehm  rotem  Ton  aufgeklebt  sind,  und  noch  mehr  die  Ver- 
kleinerung, welche  die  meisten  Zeichnungen  erfahren  mußten.  Neben  Ent- 
würfen, die  in  Originalgröße  reproduziert  sind,  erscheinen  Werke  von 
monumentalem  Charakter  ebenfalls  klein  und  man  könnte  sagen  ins  Zier- 
liche karikiert,  dabei  sind  sie  mit  allem  Raffi  cment  der  Tecknik  wieder- 
gegeben. Man  erhält  dadurch  ein  überzeugendes  aber  nicht  ganz  richtiges 
Bild  und  die  flauen  Abbildungen  bei  Knackfuß  sind  im  Grunde  weniger 
stillos,  weil  sie  gar  nicht  vorgeben,  getreu  zu  sein.  Diese  Nachteile  hätten 
wesentlich  gemildert  werden  können.  Es  hätte  der  breite  Rand  gelegent- 
lich ausgenützt  werden  müssen. 

Den  Textangaben  beizustimmen  ist  unmöglich.  Mit  besonderen 
Lobsprüchen  werden  die  Frauengestalten  auf  dem  Entwurf  zum 
Triumphe  des  Reichtums  im  Louvre,  Abb.  31,  gegenüber  den  Baseler 
Frauentrachten  bedacht.  Die  Zeichnung  selber  ist  nicht,  echt,  sie  ist 
entweder  eine  Kopie,  eine  Fälschung  oder  ein  stark  überarbeitetes 
Original. 

Noch  weniger  ist  den  Datierungen  der  durch  äußere  Anzeichen 
oder  die  bisherige  Literatur  noch  nicht  genauer  bestimmten  Werke 
beizupflichten. 

Eine  große  Zahl  der  abgebildeten  fünfzig  Blätter  sind  durch  äußere 
Anzeichen  für  eine  bestimmte  Epoche  oder  für  ein  bestimmtes  Jahr  gesichert. 


374 


Literaturbericht. 


Wie  die  Arbeiten  für  Heinrich  VIII.,  die  Entwürfe  für  die  Baseler  Rathaus- 
malereien, die  Studien  zu  den  Bildnissen  von  Erasmus,  zur  Darmstädter 
Madonna,  der  Lady  Souch  usw.  Eine  andere  Reihe  habe  ich  in  einem  Auf- 
sätze der  Graphischen  Künste  von  1900  festgelegt.  Ganz  schließt  sich  diesen 
Datierungen  bei  Abb.Nr.  8 und  15,  der  Folge  von  Heiligen  und  der  Madonna 
mit  dem  Ritter  an.  Den  Rest  fast  bis  aufs  Jahr  festzulegen,  ist  auf  Grund 
des  Holzschnittwerkes,  dessen  Chronologie  durch  Koeglers  und  meine 
Studien  in  der  Hauptsache  festgestellt  ist,  keine  hohe  Kunst  mehr.  Ganz 
aber  datiert  die  wichtigsten  Bestandteile  der  Baseler  Sammlung  in  einer 
Weise  falsch,  als  ob  es  ihm  darauf  angekommen  wäre,  das  Unmögliche  zu 
beweisen.  Arbeiten,  die  , eine  ' lange  Entwicklung  voraussetzen,  wie  der 
Fassadenentwurf  mit  Karl  dem  Großen  und  das  Haus  zum  Tanz,  ein 
Werk,  das  Holbein  selber  als  seine  beste  Baseler  Arbeit  erklärt  hat,  werden 
an  den  Anfang  der  Entwicklung  gesetzt,  die  Trachtenbilder,  welche  wegen 
ihres  Raffinements  längst  aufgefallen  sind,  werden  als  steife  Arbeiten  des 
19jährigen  hingestellt. 

Indessen  besitzen  wir  eine  Reihe  von  Handhaben  zur  Datierung, 
die  dem  subjektiven  Ermessen  immerhin  etwas  mehr  entrückt  sind,  als 
die  Beurteilung  der  Qualität. 

Die  Formgebung,  nicht  bloß  gelegentliche  Motive  und  Stimmungen 
ist  nach  dem  Luzerner  Aufenthalt  von  Dürer  beeinflußt.  Ganz  betont 
den  Einfluß  Grünewalds  in  den  Jahren  1521 — 1522  und  hat  selber  einen  neuen 
Beleg  zu  dieser  längst  ausgesprochenen  Beobachtung  gefunden.  Der  Einfluß 
Dürers  ist  aber  erheblicher  und  auch  wichtiger.  Dieser  Einfluß  kam 
nicht  auf  dem  Umwege  über  Baidung;  die  Freiburger  Bilder,  die  in  diese 
Zeit  fallen,  enthalten  Entlehnungen  nach  Dürerschen  Stichen,  andere  Werke 
enthalten  auch  greifbare  Anlehnungen.  Holbeins  Stil  ist  in  dieser  Zeit  derb, 
massig  und  etwas  knorrig.  Er  wird  stets  und  konsequent  eleganter  trotz 
kleiner  Schwankungen.  Die  Zeichnung  wird  straffer  und  bestimmter.  Die 
Konturen  nach  dem  Luzerner  Aufenthalt  noch  in  vielfachen  Krümmungen 
sich  ergehend,  wie  bei  der  Zeichnung  von  1519  (Taf.  6)  und  der  Folge  von 
Glasgemälden  aus  derselben  Zeit  (Taf.  8)  werden  glätter,  der  Faltenwurf 
wird  einfacher.  Auch  die  Gesichter  werden  mit  einfacheren  Mitteln  charak- 
terisiert. Die  plastischen  Hauptformen  treten  mehr  heraus,  unplastische 
Einzelheiten  wie  Stoppelbärte  verschwinden  mehr  und  mehr. 

Endlich  sind  für  bestimmte  Epochen  auch  bestimmte  Motive,  Archi- 
tekturformen, Ornamentformen  und  Gewohnheiten  charakteristisch,  deren 
Aufnahme  natürlich  mit  dem  Wechsel  des  Geschmackes  und  der  genaueren 
Kenntnis  der  antiken  Formen  und  der  Hochrenaissance  in  Zusammenhang 
steht,  aber  nicht  notwendig  "mit  der  größeren  Reife  verbunden  war.  Wir 
kennen  diese  Gewohnheiten  und  ihren  Wechsel  aus  den  Holzschnitten. 


Literaturbericht. 


375 


Danach  gehören  die  Baseler  Frauentrachten  (angeblich  um  1515  entstanden), 
der  heilige  Michael  (angeblich  um  15 19),  der  Fassadenentwurf  mit  Karl  dem 
Großen,  das  Haus  zum  Tanz  (beide  angeblich  um  1520),  die  Passionsfolge 
(angeblich  um  1523)  alle  in  die  reife  Zeit  nach  1523,  fast  alle  in  die 
Zeit  des  dritten  Baseler  Aufenthaltes,  zum  Teil  an  den  Schluß  dieser  Epoche. 
Die  neuesten  Entdeckungen  von  Koegler  bestätigen  diese  bei  mir  längst  fest- 
stehende Annahme  in  auffallender  Weise.  Nicht  nur  die  künstlerische  Reife, 
nein  auch  die  Formgebung,  die  Führung  der  Feder,  die  Knappheit  der 
Draperie  und  manche  Einzelheiten  der  Architektur  und  Dekoration  be- 
weisen übereinstimmend  die  Richtigkeit  dieser  Datierung.  Der  Unter- 
schied der  figürlichen  Kompositionen  vor  und  nach  1523  ist  nun  aber 
nicht  allzuschwer  zu  erkennen,  da  in  dieser  Zeit  der  Stil  des  Meisters  im 
wesentlichen  sein  Gepräge  erhielt.  Erst  im  Einzelnen  und  später  wird  die 
Frage  schwierig.  Schon  aus  den  Abbildungen  des  Buches  selber,  die 
für  solche  Beobachtungen  manchmal  zu  klein  sind,  sieht  man,  dass  der 
hl.  Michael  Taf.  5 und  der  Scheibenriss  Taf.  7 nicht  in  dieselbe  Zeit  wie  die 
Zeichnungen  Taf.  6 und  8 gehören.  Annähernd  richtig  ist  das  Bildnis  des 
jungen  Mannes  mit  großem  Hut  mit  1526  datiert,  doch  spricht  die  Verwandt- 
schaft mit  den  Bildnissen  des  ersten  englischen  Aufenthaltes,  die  von  Ganz 
mit  Recht  angeführt  wird,  mehr  für  1528  als  für  1526.  Wieder  eine  ganz 
unbegreifliche  Datierung  findet  sich  dann  bei  Nr.  40,  dem  Entwurf  zu  einem 
Schweizer  Dolch,  der  vom  Verfasser  1523  angesetzt,  die  Eigenart  der 
Spätzeit  und  die  Verwandtschaft  mit  dem  »Parnass«  deutlich  an  der 
Stirn  trägt. 

Auch  die  Bemerkungen  über  menschliche  Verhältnisse  müssen  Kopf- 
schütteln erregen.  Neben  dem  Titel  wird  das  angebliche  Selbstbildnis  in 
Basel  wiedergegeben  und  an  letzter  Stelle  im  Texte  als  Selbstporträt  aus 
der  Zeit  um  1520  hingestellt.  Das  Bild  stellt,  wie  wir  aus  den  Darstellungen 
der  Spätzeit  und  aus  der  Zeichnung,  die  der  Vater  von  dem  Knaben  gemacht 
hat,  ersehen,  Holbein  nicht  dar.  Die  Formen  von  Nase  und  Stirn  zeigen 
wohl  eine  gewisse  Ähnlichkeit,  aber  dahinter  schaut  ein  anderer,  viel 
harmloserer  Mensch  hervor.  Es  ist  vor  allem  kein  Selbstbildnis.  Es  stellt 
keinen  Maler,  sondern  ehereinen  Kaufmann,  und  nicht  einen  Dreiundzwanzig- 
jährigen,  sondern  einen  erheblich  älteren  Mann  dar.  Es  ist  auch  nicht  in  der 
Art  gezeichnet,  daß  man  vermuten  könnte,  daß  Holbein  das  Bild  schon 
vor  1523  gemacht  habe,  ich  vermute,  daß  es  zwischen  1526  und  1532  ent- 
standen ist.  Vergleichsmaterial  gerade  für  Werke  vor-  dieser  Ausführung 
gibt  es  nicht  viel,  doch  dürfte  die  ruhige  gesammelte  Stimmung  eher  für  die 
Zeit  um  1532  als  um  1526  sprechen. 

Wenn  ferner  von  der  Solothurner  Madonna  gesagt  wird,  daß  der 
Künstler  da  die  Züge  seiner  Frau,  wie  man  sie  auf  der  Studie  im  Louvre 

26 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


376 


Literaturbericht. 


sieht,  »stark  idealisiert«  habe  »durch  Verlängerung  des  Ovals«,  so  muß 
dem  entgegengehalten  werden,  daß  man  gar  nicht  mehr  feststellen  kann, 
wie  dieser  Kopf  ehemals  ausgesehen  hat.  Dann  soll  die  adelige  Dame 
Taf.  3 dasselbe  Modell  wie  die  Lais  vorstellen. 

Lobend  sei  hervorgehoben,  daß  wenigstens  die  Zeichnungen  fast  alle 
echt  und  von  Holbein  sind. 

Allein  das  Bildnis  eines  jungen  Mannes  im  Louvre  (Nr.  9)  ist  eine 
Zeichnung  des  Vaters,  aus  der  Zeit  um  1510.  Eine  Ähnlichkeit  mit 
den  Studien  des  Sohnes  aus  der  Zeit  von  1516 — 22  ist  schon  vorhanden, 
aber  das  Lineament  ist  zu  steif.  Der  Sohn  und  gegen  die  Mitte  des 
zweiten  Jahrzehnts  auch  der  Vater  gibt  das  Fleisch  fleischiger. 

Das  Format  des  Buches  hätte  den  Gedanken  eingeben  können,  die 
kleinen  Arbeiten  Holbeins,  etwa  das  sogenannte  englische  Skizzenbuch  oder 
alle  kleinen  kunstgewerblichen  Entwürfe  kleinen  Formates  zu  publizieren, 
damit  wäre  der  Forschung  und  dem  Liebhaber  ein  wirklicher  und  ein 
großer  Dienst  erwiesen  worden,  auch  mit  einer  Ausgabe  der  Skizzenbücher 
des  Vaters,  die  wirklich  wie  Ganz  andeutet  Eintragungen  des  Sohnes  ent- 
halten, wäre  dies  geschehen.  H.  A.  Schmid. 


E.  W.  Moes.  Frans  Hals.  Sa  vie  et  son  oe  u v r e.  Bruxelles, 
van  Oest  & Cie. 

J.  G.  Veldheer,  C.  J.  Gönnet  en  F.  Schmidt  Degener.  Frans  Hals 
in  Haarlem.  van  Looy,  Amsterdam. 

Frans  Hals  (Les  grands  artistes)  par  Andre  Fontainas,  Henri  Laurens, 
Paris. 

Nachdem  vor  nun  schon  mehr  als  30  Jahren  Bode  sein  grundlegendes 
Werk  über  Hals  herausgab,  später  noch  einmal  vervollständigt  in  seinen 
»Studien  zur  holländischen  Malerei«,  erschien  nur  ein  größeres,  englisches 
Buch  über  ihn  (von  Gerald  S.  Davies.  1902).  Jetzt  auf  einmal  drei 
neue  Studien,  jede  in  ihrer  Art  gut  und  anregend,  aber  dennoch  grund- 
verschieden. 

Moes  gibt  uns  die  gewissenhafteste  Biographie,  die  eingehendste 
Besprechung  vieler  Werke,  die  reichste  Zahl  von  Abbildungen,  zum  Teil 
von  weniger  bekannten  Bildern,  Werke  seines  Lehrers  van  Mander,  seiner 
Söhne  usw.  Schmidt  Degener  faßt  sich  am  kürzesten.  Nur  18  Seiten  gibt 
er  uns  (das  übrige  schrieb  der  Archivar  von  Haarlem,  Herr  Gönnet),  aber 
darin  mit  das  schönste,  richtigste,  geistvollste,  was  je  über  den  Meister 
geschrieben  wurde. 


Literaturbericht. 


377 


Fontainas  schrieb  eine  populäre  Monographie  über  den  Künstler, 
aber  darin  befinden  sich  einige  Seiten  mit  trefflichen  und  sehr  klar 
ausgesprochenen  Bemerkungen  über  die  Kunst  des  großen  Haarlemer 
Malers. 

Betrachten  wir  zuerst  das  umfangreichste  Buch  von  Moes. 

Die  Abbildungen  sind  leider  zum  Teil  nur  mäßig.  So  wäre  von  dem 
Schützenstück  von  1633  eine  bessere  Reproduktion  zu  geben;  ebenfalls 
von  dem  schönen  Kavalier  bei  Wallace  u.  a. 

Das  erste  Bild,  welches  Moes  als  frühestes  Werk  gibt,  das  reizende 
kleine  Porträt  der  Sammlung  Knaus,  ist  meines  Erachtens  ein  feiner  früher 
Th.  de  Keyser.  Bode  hat  es  als  Hals  seinerzeit  eingeführt,  ich  bezweifle 
aber  stark,  daß  er  noch  an  dieser  Attribution  festhält.  Besonders  die  Hände 
sind  überzeugend  nicht  von  Hals ; das  Bild  hat  höchstens  j ene  fernen  Analogien, 
die  manche  Arbeiten  de  Keysers  mit  denen  des  Hals  haben:  einen  breiten 
Vortrag,  schön  gemalten  Atlas,  elegante  Pose.  Das  Bildnis  der  Emerentia 

von  Beeresteyn  hätte  fehlen  können.  Es  ist  doch  ein  öffentliches  Geheimnis, 

* 

daß  dieses  höchst  anziehende  Kinderporträt  eine  charakteristische  Arbeit 
von  Hendrick  Pot  ist.  Zum  Vergleich  bitte  ich  nur  das  prächtige 
Schützenstück  von  Pot  im  Haarlemer  Museum  und  das  sehr  Hals'sche  Bild 
des  Rotterdamer  Museums  zu  studieren.  Moes  selbst,  der  sich  sogar  zuerst 
dazu  versteigt,  es  den  schönsten  Arbeiten  des  Velazquez  gleichzustellen, 
sagt  im  Nachtrag,  daß  das  Bild  »trahit  la  collaboration  d'un  autre  maitre«, 
den  er  nicht  kennt.  Ich  glaube,  das  Bild  ist  ein  Werk  aus  einem  Guß, 
und  zwar,  wie  auch  die  meisten  Hals-Kenner  schon  längst  eingesehen  haben, 
von  Pot.  Die  Hals'sche  pikante  Pinselführung  fehlt  durchweg;  aber  das 
hindert  nicht,  daß  dieses  Bild  ein  Meisterstück  der  holländischen  Malerei 
bleibt  ! Pot  ist  noch  immer  nicht  genug  gewürdigt.  Ich  mache  aufmerksam 
auf  ein  lebensgroßes  in  Rot  gekleidetes  Mädchen,  lachend,  mit  Tambourin 
in  der  Hand,  bei  der  Douairi&re  van  Alphen  im  Haag.  Ganz  Hals-artig  in 
der  Auffassung,  auch  des  Lachens.  Dann  ist  es  auch  wohl  endlich  aus  mit 
der  Zuschreibung  der  allzu  berühmten  Familiengruppe  der  Beeresteyns 
im  Louvre;  auch  diese  Hals-ähnliche  Malerei  ist  schon  längst  von  Bode, 
de  Groot  u.  a.  als  Arbeit  des  Hendrick  Pot  erkannt.  Moes  hält  bloß  die 
Zuschreibung  an  Hals  für  zweifelhaft  und  glaubt,  es  könne  eine  Kopie  sein. 
Für  eine  Kopie  ist  aber  die  Malerei  viel  zu  bestimmt  und  entschieden.  Da- 
gegen verrät  meines  Erachtens  jeder  Kopf  den  Pinsel  Pot’s.  Er  hat  oft  ein 
eigentümliches  Rosa  in  den  Fleischpartien  und  das  Virtuose  von  Hals’  Malerei 
geht  ihm  ab. 

Moes  erzählt  uns  vieles  Neue  über  die  Familie  des  Meisters.  Es  scheint, 
daß  die  Genealogie,  welche  van  der  Willigen  in  seinen  »Peintres  de  Harlem« 
zusammengestellt  hat,  total  unrichtig  ist.  Moes  hat  festgestellt,  daß  Frans 


26* 


378 


Literaturbericht. 


Hals  einen  Frans  Hals  zum  Vater  gehabt  hat,  und  nichts  mit  der 
alten  Patrizier-Familie  Hals  zu  tun  hat.  Unser  Maler  hatte  nicht 
weniger  als  sechs  Söhne,  welche  gemalt  haben.  Moes  gibt  Bilder  von  Herman, 
Frans  Ir,  Claes,  Johannes  und  Reynier  Hals  in  Abbildungen  sowie  von 
seinem  Schwiegersohn  Roestraten.  Auch  das  Hauptstück  seines  Bruders 
Dirck  (im  Ryks  Museum)  fehlt  nicht.  Sehr  dankenswert  ist  auch  die  Ab- 
bildung einer  Bauernkirmeß  seines  Lehrers  van  Mander  (Sammlung  Semenow, 
Petersburg).  Das  recht  derbe  Bild  war  auch  schon  durch  einen  Stich  bekannt. 
Man  sieht,  daß  van  Mander  die  Tradition  des  alten  Pieter  Brueghel  fort- 
setzte; und  derb  ist  Frans  Hals  selbst  auch  wohl  manchmal  gewesen.  Da 
haben  wir  z.  B.  schon  das  lustige  Quartett  der  Sammlung  Altmann  in 
New  York,  mit  dem  vielsagenden  »Stilleben«,  ein  Werk,  das  Moes  mit  Recht 
in  die  Frühzeit  des  Meisters  setzt. 

In  chronologischer  Form  bespricht  Moes  sodann  das  Leben  und  Werk 
des  Hals  in  angenehmer  Abwechslung;  die  noch  nicht  sehr  zahlreichen 
Dokumente  gibt  er  lobenswert  in  genauester  Übersetzung. 

Manches  schöne,  weniger  bekannte  Werk  des  Malers  wird  uns  hier 
vorgeführt,  so  das  herrliche  Porträt  des  Predigers  Middelhoven,  1626  gemalt 
(Sammlung  Schloß,  Paris),  ein  herrlicher,  urwüchsiger  Kopf,  und  das  seiner 
Frau  (Kronberg,  Sammlung  de  Ridder),  ein  schönes  männliches  Porträt 
aus  Buckingham  Palace  von  1630,  die  neuentdeckten  Gruppenbildnisse 
in  der  National  Gallery  und  das  (weit  schönere)  des  Colonel  Warde  in  Wester- 
ham, den  grimmigen  Joseph  Coymans  von  Mr.  Drummond  in  Montreal 
und  das  Bildnis  des  Malersohnes  Härmen  Hals  im  Art  Institute  in  Chicago. 
Wie  viele  schöne  Sachen  muß  man  schon  in  Amerika  zitieren  ! Am  Schluß 
des  Werkes  schrieb  Moes  eine  sehr  lesenswerte  Betrachtung  über  sein  Werk,, 
über  seinen  Wert  als  Künstler  und  seinen  Einfluß  auf  seine  Schüler  und 
Nachfolger. 

Eine  sehr  richtige  Bemerkung  ist  die,  daß  es  merkwürdig  wenig  Kopien 
nach  Hals  gibt,  weil  seine  virtuose  geistreiche  Malerei  eben  so  sehr  schwer 
nachzuahmen  ist. 

Ein  kurzgefaßtes  Oeuvre  schließt  das  verdienstvolle  Buch.  Noch 
nicht  ganz  zu  300  Bildern  bringt  es  der  Verfasser.  Wenn  man  bedenkt, 
daß  Rembrandts  Oeuvre  neben  all  den  Radierungen  und  Zeichnungen  über 
600  Bilder  umfaßt,  während  Hals  IO  Jahre  länger  gemalt  hat,  sollte  man 
glauben,  daß  dieser  weniger  fleißig  war,  trotzdem  viele  seiner  Porträts  aus- 
sehen,  als  wären  sie  in  wenigen  Stunden  hingeworfen.  Vergessen  wir  nicht, 
daß  Hals  ein  einseitiger  Künstler  und  Porträtmaler  war,  und,  wenn  (wie 
am  Ende  seines  Lebens)  die  Bestellungen  ausblieben,  gab  es  nichts  zu  malen  ! 
Seine  »Pochades«,  lustige  Trinker  und  Hille  Bobbes  (Babbe  sollen  wir  sagen, 
sagt  Moes)  brachten  ihm  kaum  ein,  was  Leinewand  und  Farbe  kosteten. 


Literaturbericht. 


379 


Ich  hoffe  später  manches  Neue  über  das  Leben  von  Hals  bringen  zu 
können.  Eine  Neuigkeit  will  ich  hier  verraten:  wo  Rembrandt  bei  seinem 
einzigen  Schützenstück  ioo  Gulden  erhielt  für  jeden  Schützen,  bekam 
Hals  bei  einem  seiner  Doelenstücke  66  Gulden.  Wir  haben  noch  keine  Doku- 
mente gefunden,  die  uns  erzählen,  wie  man  seine  Einzelporträts  bezahlte. 
Man  schätzte  sie  aber  nicht  sehr  hoch  ! In  einem  Amsterdamer  Inventar 
von  etwa  1660  oder  1670  wurden  Bilder  des  Frans  Hals  auf  15  Gulden  taxiert, 
eine  Kopie  nach  de  Heem  auf  30  Gulden.  Und  im  Sterbehaus  des 
Jan  Miense  Molenaer  standen  die  Porträts  des  Verstorbenen  und  der 
Judith  Leystar,  beide  Schüler  von  Hals,  ohne  Rahmen  auf  dem 
Boden. 

Aus  dem  schönen  Buche  Schmidt  Degeners  möchte  ich  nur  hier  und 
da  zitieren,  übersetzen.  Wenn  mir  das  nur  gelingt ! 

Nie  wird  eine  Figur  von  Hals  uns  zwingen  zu  ernstem  Nach- 
sinnen, zum  Eindringen  in  das  Wesen  der  abgebildeten  Persönlichkeit. 
Wir  wissen  es  im  voraus:  seine  grenzenlose  Offenherzigkeit  hat  uns  nichts 
zu  verbergen.  Hals  ist  kein  Psychologe  wie  Holbein,  kein  Anatom,  der  kühl 
den  gegebenen  Charakter  analysiert,  dessen  Lebensgesetze  uns  offengelegt 
werden;  viel  weniger  ein  weithin  reichender  Geist  wie  Rembrandt  in  seiner 
Spätzeit,  der  seine  Modelle  wunderbar  vertiefte  und  sie  leben  läßt  in  seiner 
geheimnisvollen,  fast  überirdischen  Welt.  Wer  Hals  genießen  will,  muß 
etwas  anderes  suchen.  Er  ist  der  Virtuose  des  flüchtigen  Ausdrucks  im 
menschlichen  Antlitz.  Den  Ausdruck  verborgenen  Leidens,  den  viele  Groß- 
meister des  Bildnisses  gemeinsam  haben  und  bei  dem  Modell  ein  gelebtes 
Leben  vermuten  lassen,  . . . .bei  Hals  ist  das  nicht  zu  finden.  Bei  ihm  ist 
alles  wechselnd,  spontan.  Ein  bleibender  Gemütszustand,  wie  Melancholie, 
wird  bei  ihm  »norsche  mistroostigheid«  J).  Seine  Kunst  beschränkt  sich  — 
aber  in  wie  reicher  Abwechslung  ! — auf  die  Übergänge  von  Lächeln,  Lachen, 
lautem  Gelächter,  Ernst,  Galgenhumor,  Verdrossenheit.  Wo  es  gilt,  diese 
Übergänge  zu  schildern,  steht  Hals  hoch  über  allen,  in  vollkommenster  Meister- 
schaft. Seine  Technik  scheint  ganz  dazu  angelegt  zu  sein,  diese  Nuancen 
festzuhalten  — den  flüchtigen  Ausdruck  vorübergehender  Stimmungen. 
Und  in  dem  Besitz  dieser  Technik  liegt  das  Unvergleichliche  des  Künstlers 
Frans  Hals. 

Etwas  weiter: 

Dank  seiner  Technik  kann  Hals  jede/ Laune  seines  beweglichen  Tem- 
peramentes in  der  unmittelbarsten  Weise  zur  Darstellung  bringen.  »La 
touche  est  moyen  comme  un  autre  de  contribuer  ä rendre  la  pens6e  dans 
la  peinture«,  so  lautet  ein  Ausspruch  von  Delacroix.  Die  lustige,  prickelnde 


*)  Soll  man  das  übersetzen  mit:  mürrische  übele  Laune? 


380 


Literaturbericht. 


Ausführung  in  seinen  ausgelassenen  Momenten  — man  denke  nur  an  die 
Stickereien  und  Zierate  mit  in  Gelb  getauchtem  Pinsel  gemalt,  wie  kurze, 
jauchzende  Fiorituren  — sie  findet  einen  ergreifenden  Kontrast  in  seiner 
Malerei  von  etwa  1650,  wo  sein  Gemüt  schmerzlich  niedergeschlagen  war. 
Es  gibt,  besonders  in  Privatbesitz,  kleine  Bildnisse  mit  mürrischen  Ge- 
sichtern, worin  Hals  seiner  bitteren  Stimmung  den  freien  Lauf  läßt  durch 
wüste  Pinselbehandlung  und  scharfe,  bösartige  Strichelchen  — fast  eine 
Beleidigung  für  den  Abgebildeten.  Man  staunt,  daß  trotz  dieser  Technik 
der  Ausdruck  so  sicher,  von  einer  so  verblüffenden  Wahrheit  bleibt. 

Die  späten  Bilder  von  1664: 

An  einem  Tische  sind  vier  Frauen  vereint,  nicht  jung  mehr,  streng 
in  Schwarz  und  Weiß^  gekleidet.  Man  glaubt  sie  zu  unterscheiden:  diese  ist 
Witwe,  jene  Hausmutter,  die  dritte  alte  Jungfer.  Eine  alte  Dienerin  kommt 
von  rechts  angelaufen,  steinrot  im  Gesichte,  dumm  der  Ausdruck,  einen 
Brief  in  der  Hand,  voller  niedriger  Dienstfertigkeit.  Was  hat  diese  Unglück- 
lichen bewogen,  sich  diesem  verbitterten  Künstler  zu  überlassen,  der  nichts 
schenkte  von  aller  Armseligkeit,  welche  dieses  diffizile  Kollegium  ihm 
offenbarte. 

Welke  Haut,  dürre  Herzen,  das  ist  alles,  was  Hals  gesehen  hat.  Da 
sitzen  sie,  der  Reihe  nach,  die  vertrocknete  Grazie,  die  mürrische  Haus- 
hälterin, die  »preutsche  maltentigheid«1).  Seine  Abkehr,  seinen  Haß  sogar, 

wie  weiß  Hals  sie  auf  den  Zuschauer  überzutragen Man  lese  selbst 

die  meisterhafte  Schilderung  dieser  letzten  Arbeiten  weiter. 

Am  Schluß  (Hals  und  Rembrandt) : 

Schon  in  seinem  frühesten  Werk  steht  Hals  vor  uns  wie  der  geborene 
Virtuose,  der  Maler  von  Gottes  Gnaden.  Bei  Rembrandt  dagegen  ist  der 
Anfang  schwer  und  ungeschmeidig,  spricht  alles  von  ernstem,  mühevollem 
Studium.  Aber  nirgends  offenbart  sich  der  Unterschied  zwischen  den  beiden 
Künstlern  deutlicher  als  am  Schluß  ihres  Lebens.  Hals,  der  einst  die  hellsten 
Farben  gekannt,  taucht  zum  Schluß  seine  Modelle  in  ein  trauriges  Grau; 
sein  Lachen  wurde  Haß  und  Spott,  und  zum  Schluß,,  nach  einem  letzten, 
desperaten  Versuch,  überlebt  er  seine  Kunst.  Rembrandt,  von  einer  tonigen 
Malerei  ausgehend,  genießt  erst  in  seinem  Alter  von  der  majestätischen 
Gewalt  der  dreisten,  offenen  Farben;  er  stirbt  mit  dem  Pinsel  in  der  Hand 
und  seine  letzten  Schöpfungen  sind  lauter  Liebe  und  Vergeben.  Ist  es  nicht 
schmerzlich,  zu  wissen,  daß  Hals  nach  jenem  letzten  Regentenbilde  noch 
zwei  Jahre  leben  mußte,  alt,  bedürftig,  von  seiner  Kunst  verlassen  in  einer 
Umgebung,  die  er  haßte,  in  einer  Welt,  woraus  jene  Freunde  verschwunden 
waren  ? 


J)  Etwa:  lächerliche  alte  Jungfer. 


Literaturbericht. 


381 


Man  hat  Rubens  Rembrandts  Antipoden  genannt.  Ein  Irrtum;  Rem- 
brandts  wirklicher  Antipode  ist  Frans  Hals.  Wie  universell  Rembrandt, 
so  beschränkt  war  Hals.  Hals  spontan  und  offen,  ohne  jede  Philosophie, 
Rembrandt  rätselvoll,  überlegend,  spekulierend.  Die  beiden  müssen  wohl 
fremd  sich  gegenüber  gestanden  haben.  Wir  hören  wohl  von  einem  Besuch 
van  Dycks  bei  Hals,  nichts  von  einer  Begegnung  von  Hals  mit  Rembrandt. 
Dennoch  malt  Rembrandt  Haarlemer  Bürger,  Hals  Amsterdamer  Schützen. 
Beide  malten  den  Prediger  Swalmius:  Rembrandt  voller  Salbung  und  Würde, 
Hals  malt  ihn  wie  einen  lustigen  alten  Faun.  Rembrandt,  wiewohl  er  die 
Realität  beherrscht  und  gerne  durchforscht,  macht  sie  seiner  Imagination, 
seiner  eigentlichen  Domäne  unterwürfig.  Das  Reich  des  Porträtmalers  Hals 
ist  ausschließlich  die  Wirklichkeit.  Für  den  einen  war  sie  Mittel,  für  den 
anderen  Zweck.  Darin  liegt  das  Wesentliche  ihrer  Verschiedenheit.  Jeder 
ist  auf  seinem  Gebiet  der  Erste. 

Aber  ich  möchte  am  liebsten  das  Ganze  übersetzen  und  dazu  fehlt 
Zeit  und  Raum.  Moes  und  Schmidt  Degener  haben  beide  als  Selbstbildnis 
von  Hals  das  Porträt  aus  der  Sammlung  Porges  reproduziert.  Meines  Er- 
achtens ist  das  Exemplar,  das  einst  bei  Heineman,  dann  in  der  Sammlung 
Kirchheim  war,  das  einzige  Original  dieses  Bildnisses.  Im  Schmidt  Degener- 
schen  Buch  sind  vortreffliche  Stücke  über  das  alte  Haarlem  und  eine  ge- 
wissenhafte Biographie  von  Hals  zu  lesen  von  der  Hand  des  gelehrten 
Archivars  C.  J.  Gönnet.  Die  Zeichnungen  von  Veldheer  sind  eine  anziehende 
Zugabe. 

Fontainas,  ein  Dichter,  betrachtet  den  Künstler  in  ähnlicher  Weise 
wie  Schmidt  Degener.  Er  scheint  aber  nur  wenig  von  ihm  gesehen  zu  haben. 
Die  kleinen  Abbildungen  sind  meist  recht  gelungen.  Leider  bildet  er 
noch  das  Familienbild  aus  dem  Louvre  ab  und  einen  lachenden  Mann 
der  Sammlung  Schloß,  wohl  kein  Frans  Hals,  eher  ein  Härmen  oder 
Jan  Hals. 

Sehr  lesenswert  sind  die  Hauptstücke  über:  Les  qualit^s  de 
mutier.  Bei  der  Beschreibung  der  alten  Regentinnen  trifft  uns  eine 
ähnliche  Auffassung  als  die  von  Schmidt  Degener: 

Pas  une  ceuvre  qui,  au  XVII  si&cle,  exprime,  avec  une  justesse 
aussi  adäquate,  Tarne  etrange . de  vielles  femmes,  d’une  compassion 
attendrie,  presque  douloureuse,  d’une  volont6  6troite,  d'une  bont6  s&che 
et  mesquine,  d’une  soumission  paisible  ä un  monde  inexorable  de 
prejug^s. 

Une  seule,  qui  n’a  pas  abdique  encore  son  orgueil  ancien  de 
coquette  surannee,  tient  un  eventail  ferm£  et  des  gants;  toutes  sont 
volontaires  et  tetues.  Au  doigt,  avec  ostentation,  eiles  portent  Tanneau 
nuptial. 


382 


Literaturbericht. 


Ce  qui  se  trouve  en  ce  chef  d’oeuvre  d’un  ordre  si  particulier,  nul  ne  le 
peut  deviner  s'il  n'en  a pas  subi  le  prestige  surprenant.  Une  methode,  ici 
intuitive,  a suggere  de  ne  pas  tout  exprimer,  du  moins  directement,  mais 
de  laisser  l’imagination  en  suspens,  pour  suppleer  ä ce  qui  manque.  Ainsi 
une  ferveur  s’emeut  et  opfere  sans  qu’on  le  veuille,  sans  qu’on  le  sache.  A cet 
fegard,  le  travail  des  mains  divers,  prfecieux  et  ferme  dans  ses  elisions  meme, 
tient  du  prodige.  Les  articulations,  la  peau  ridee,  sfeche,  toute  l’ossature 
sont  construites  dans  leur  mouvement  propre;  on  y pergoit  comme  une 
fifevre  moite;  le  resultat  ainsi  obtenu  ne  peut  se  comprendre;  ledessin  a tremble, 
la  couleur  s'fetale  avec  d'improbables  rehauts;  mais  tout  palpite,  tout  vit; 
l’analyse  seule  reste  en  dfefaut. 

Am  Schluß  führt  er  aus,  wie  Hals  seine  besten  Schüler  erst  im  19.  Jahr- 
hundert gehabt.  Courbet,  Manet,  Monet,  Whistler,  Fantin  Latour  u.  a. 
Der  Einfluß  des  großen  Haarlemers  wirkte  befruchtend  auf  die  ganze  moderne 
Malerei. 

Die  drei  Werke  dürfen  nicht  fehlen  in  den  Bibliotheken  derer,  die 
den  großen  Haarlemer  Künstler  bewundern  und  verehren. 

A.  Bredius. 


Skulptur. 

Robert  Corwegh.  Donatellos  Sängerkanzel  im  Dom  zu 
Florenz.  Berlin,  Bruno  Cassirer,  1909. 

Der  Verfasser  erklärt  vier  Bronzen  zu  Donatellos  Cantoria  zugehörig, 
zwei  männliche  Köpfe  (Florenz,  Bargello)  und  zwei  leuchterhaltende  Putten 
(Paris,  Mad.  Andrfe).  Wer  nur  die  Abbildung  mit  den  eingefügten  Bronzen 
auf  S.  2 sieht,  wird  schon  ernstlich  daran  zweifeln,  daß  jene  Stücke  wirk- 
lich zur  Kanzel  gehören.  Die  Köpfe  sind  zu  schwer  und  groß,  diePutti  viel 
zu  klein  und  unbedeutend  für  die  ihnen  angewiesenen  Plätze.  Die  Argu- 
mente im  Text  sind  dann  keineswegs  der  Art,  daß  sie  jene  Zweifel  ver- 
scheuchen könnten.  Im  Gegenteil: 

Vasari  erwähnt  auf  der  Brüstung  von  Luca  della  Robbias  Kanzel  als 

Arbeiten  Lucas  »due  figure  di  metallo  dorate;  ciofe  due  Angeli  nudi « 

Corwegh  stellt  nun  die  sonderbare  Hypothese  auf,  Vasari  habe  Donatellos 
Kanzel  mit  derjenigen  Lucas  verwechselt,  — »die  beiden  Kanzeln  müssen 
sehr  wenig  Licht  gehabt  haben.«  Jene  beiden  Bronzeengel  befanden  sich 
also  auf  Donatellos,  nicht  auf  Lucas  Cantoria,  waren  Donatellos,  nicht 
Lucas  Werk. 

Diese  Behauptung  stützt  Corwegh  auf  Aussagen  Bocchis  und 
Del  Migliores,  die  im  Gegensatz  zu  Vasari  Donatellos  Kanzel  über 


Literaturbericht. 


383 


den  Eingang  zur  Neuen  Sakristei,  diejenige  Lucas  über  die  Tür  der 
Alten  Sakristei  setzen.  Dabei  übersieht  Corwegh  ganz,  daß  seine 
beiden  Gewährsmänner  mit  Lucas  Cantoria  auch  die  Bronzeengel  über 
die  Sagrestia  vecchia  versetzen.  Damit  ist  jene  Hypothese  bereits 
gerichtet. 

Ferner  sind  Bocchis  und  Del  Migkores  Angaben  der  Standorte  der 
Kanzeln  sicher  irrig.  Vasari  hatte  recht.  Wie  kann  man  annehmen,  daß 
Vasari,  der  sich  ausführlicher  als  irgendein  anderer  älterer  Schriftsteller 
über  die  beiden  Cantorie  äußert,  wegen  ungenügender  Beleuchtung  beide 
Werke  verwechselt  haben  soll.  Er  spricht  eingehend  von  der  besseren  Wir- 
kung der  nur  bozzierten  Figuren  Donatellos  im  Gegensatz  zu  dem  schwäche- 
ren Effekt  der  sauber  ausgeführten  Reliefs  Lucas.  Wie  paßt  übrigens  der 
angebliche  Lichtmangel  zu  Corweghs  schwärmerischer  Ausmalung  (S.  20) 
der  ehemaligen  Wirkung? 

Vasari  steht  in  vollem  Einklang  mit  älteren  Autoren,  mit  Antonio 
Billi  und  dem  sogenannten  Anonymus  des  Codice  Magliabechiano,  die  beide 
merkwürdigerweise  von  Corwegh  ignoriert  werden.  Vasari  steht  auch  in 
vollem  Einklang  mit  einer  Urkunde,  die  von  Corwegh  mitgeteilt  wird,  um 
die  irrtümlichen  Angaben  Bocchis  und  Del  Migliores  zu  kräftigen.  Es  ist 
das  Auftragsdokument  an  Donatello  vom  10.  Juli  1433:  »...  ad  faciendum 
novum  pergamum  de  marmore  in  secunda  sagrestia  seu  super  porta  secunde 
nove  sagrestie  in  loco  designato  ......  Nach  Corweghs  Ansicht  ist  damit 

bewiesen,  daß  sich  Donatellos  Kanzel  über  der  Tür  zur  Neuen  Sakristei 
befand.  Keineswegs.  Das  nove  ist  hier  kein  unterscheidendes  Merkmal. 
Corwegh  zitiert  bereits  auf  der  nächsten  Seite  die  Auftragsurkunde  der 
beiden  bronzenen  Sakristeitüren  an  Donatello  vom  21.  Februar  1436.  Hier 

heißt  es:  » duas  portas  de  Bronzo  duabus  novis  Sagrestiis  ......  Beide 

Sakristeien  werden  also  als  neu  bezeichnet.  Ganz  natürlich,  der  Dom  wurde 
ja  erst  am  25.  März  1436  geweiht.  Aber  das  secunda  ist  ein  sicheres  Unter- 
scheidungsmerkmal. In  einer  ganzen  Reihe  von  Domurkunden  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  wird  zwischen  prima  und  secunda  sacrestia 
unterschieden.  So  wird  in  der  Urkunde,  welche  die  Bronzetür  der  später 
sogenannten  Neuen  Sakristei  Michelozzo,  Luca  della  Robbia  und  Maso  in 
Auftrag  gibt,  von  der  sacrestia  prima  gesprochen;  Lucas  Himmelfahrts- 
lünette über  der  Tür  der  Alten  Sakristei  wird  für  den  Türbogen  der  sacrestia 
secunda  bestellt x).  Identisch  sind  also  prima  und  die  spätere  nuova,  secunda 
und  die  spätere  vecchia.  Das  Dokument  vom  10.  Juli  1433  beweist  also 
das  Gegenteil  der  Behauptung  Corweghs,  bestätigt  Vasari:  Donatellos 

Kanzel  befand  sich  über  Lucas  Himmelfahrtslunette,  über  dem  Eingang 


!)  Die  Urkunden  bei  Rumohr,  Ital.  Forschungen  II.  S.  364  ff. 


3§4 


Literaturbericht. 


zur  Alten  Sakristei  2).  Für  die  Annahme,  daß  auf  der  Brüstung  dieser  Kanzal 
Bronzeengel  angebracht  waren,  fehlt  jeglicher  dokumentarische  oder 
literarische  Hinweis. 

Nun  zu  den  Bronzeköpfen  des  Bargello.  Eine  Urkunde  vom  12.  Ok- 
tober 1439  wird  mitgeteilt,  laut  der  Donatello  300  Pfund  Bronze  erhalten 
soll  »per  quadam  texta  quae  debet  fieri  in  pergamo  per  eum  facto  ex  parte 
posteriori  in  quadam  bucha  sive  foramine  subtus  dictum  perghamum,  prout 
est  una  alia  texta.«  Corwegh  übersetzt,  wie  allerdings  auch  Semper  hier 
tat,  texta  mit  Kopf.  Das  Latein  der  Urkunde  ist  ja  freilich  kein  cicero - 
nianisches,  aber  daß  hier  texta  für  caput  stehen  soll,  kann  ich  so  ohne 
weiteres  nicht  glauben.  Warum  nicht  dann  das  rein  italienische  testa.  Ich 
gestehe,  daß  mir  die  Bedeutung  des  Wortes  nicht  recht  klar  ist,  meine  aber, 
daß  es  von  texere  abzuleiten  ist,  und  möchte  am  ehesten  an  ein  Bronze - 
geflecht  denken,  ähnlich  jenem  Gitter  über  Verrocchios  Medicäergrab  in 
S.  Lorenzo.  Und  dann  ein  Kopf  von  300  Pfund  Bronze.  Hat  der  Verf. 
die  Köpfe  des  Bargello  nachgewogen?  Schließlich,  falls  wirklich  texta 
caput  heißt,  falls  wirklich  jeder  der  Bargello -Köpfe  300  Pfund  wiegt  und 
wirklich  von  Donatello  stammt,  ist  dann  wirklich  mit  »ex  parte  posteriori« 
die  von  Corwegh  bezeichnete  Stelle  gemeint?  — Der  Verf.  durfte  sich 
nicht  mit  der  bloßen  Mitteilung  und  zum  mindesten  sehr  freien  Über- 
setzung der  keineswegs  selbstverständlichen  Urkunde  begnügen.  Hier  war 
eine  gründliche  Exegese  erforderlich. 

Corwegh  unterscheidet  in  dem  großen  Puttenfries  mehrere  ausführende 
Hände.  Ein  Stück,  das  tatsächlich  die  andern  in  der  Qualität  übertrifft, 
soll  eigenhändige  Arbeit  Donatellos  sein.  Die  übrigen  Teile  werden  Buggiano, 
Michelozzo  und  einem  Anonymus,  dem  Verfertiger  des  Grabmals  Lombardi 
in  S.  Croce  zugewiesen. 

Corwegh  versucht  ferner,  etwas  über  den  »literarischen  Inhalt«  der 
Cantoria  Donatellos  auszusagen.  Wie  den  Reliefs  Lucas  der  150.  Psalm, 
soll  hier  der  149.  Psalm  zugrunde  liegen.  Hingewiesen  wird  besonders  auf: 
»Laudent  nomen  ejus  in  choro:  in  tympano  et  psalterio  psallant  ei.«  Gewiß, 
das  paßt  allenfalls.  Aber  bei  gutem  Willen  läßt  sich  für  alles  und  jedes 
irgendein  Bibelvers  finden.  Ähnlich  steht  es  mit  der  Ausdeutung  der  orna- 
mentalen Elemente.  Die  Vasen  der  oberen  Hohlkehle  sollen  Symbole  des 
irdischen  zerbrechlichen  Lebens  sein,  die  Muscheln  auf  die  Wanderung  in 
die  ewige  Heimat  deuten.  Daß  die  frühchristliche  Kunst  diese  Dinge  sym- 
bolisch auffaßte,  beweist  noch  nicht,  daß  Donatello  sie  so  verstanden  wissen 

2 ) Auch  der  ursprüngliche  Standort  von  Lucas  Kanzel  ist  Vasaris  Angaben  völlig 
entsprechend  urkundlich  bezeugt:  Luca  erhielt  am  28.  August  1438  Restzahlung  für  den 
»perghamo  del  marmo,  ch’e  posto  e murato  nella  chiesa  maggiore  sopra  l’uscio  della 
sagrestia  diuerso  i Serui.“  Frey,  Cod.  Magi.  p.  311. 


Literaturbericht. 


385 


wollte.  Und  wenn  auch.  Zum  Verständnis  der  Kunst  Donatellos  sind  solche 
Bemerkungen  doch  nur  ein  sehr  kleiner  Beitrag.  Ein  Beitrag,  der  sicherlich 
in  gar  keinem  Verhältnis  steht  zu  der  ungeheuren  Prätension,  mit  der  Cor- 
wegh  seine  Schrift  beginnt  und  endigt  3).  H adeln. 

3)  Nach  erfolgter  Korrektur  dieser  Besprechung  erschien  bei  Cassirer  G.  Poggis 
Duomo  di  Firenze.  Hier  sind  zum  ersten  Mal  sämtliche  Urkunden  über  die  Cantoria 
veröffentlicht.  Aus  ihnen  geht  hervor,  daß  tatsächlich  Bronzeköpfe  an  dem  Werk  an- 
gebracht waren.  Libras  versieht  Poggi  mit  einem  Fragezeichen,  wodurch  ein  weiteres 
der  oben  geäußerten  Bedenken  gehoben  wird.  Corweghs  Identifikation  dieser  Köpfe 
mit  denen  des  Bargello  weist  Poggi  zurück. 


Franz  Wickhoff. 

Von  Gustav  Glück. 

Franz  Wickhoff,  das  Haupt  und  der  eigentliche  geistige  Begründer 
der  Wiener  kunstgeschichtlichen  Schule,  ist  am  6.  April  d.  J.  in  Venedig 
gestorben.  Der  Tod  hat  ihn  in  der  Stadt  ereilt,  die  er  so  sehr 
geliebt  und  deren  Kunst  er  mit  solchem  Eifer  und  Erfolg  erforscht  hat, 
und  auch  der  6.  April  ist  ein  bedeutsames  Datum  als  der  Todestag  Raffaels, 
dessen  Studium  den  verstorbenen  Gelehrten  so  viele  Zeit  seines  Lebens 
beschäftigt  hat. 

In  Franz  Wickhoff  hat  die  Kunstwissenschaft  einen  ihrer  hervor- 
ragendsten Vertreter  verloren.  Wenigen  Forschern  auf  diesem  Gebiete 
sind  eine  so  tiefe  Bildung,  ein  so  gründliches  Wissen,  eine  solche  Vielseitigkeit, 
eine  so  lebendige  und  selbständige  Auffassung,  ein  so  feines  Verständnis 
für  Kunst  und  Literatur  eigen  gewesen,  wie  dem  Verstorbenen.  Noch 
wenigeren  kann  man  eine  solche  Fülle  fruchtbarer  geistiger  Anregung  nach- 
rühmen, wie  sie  Wickhoff  nach  allen  Seiten  hin  verschwenderisch  ausgestreut 
hat.  Obwohl  er  kein  glänzender  oder  bestechender  Redner  gewesen  ist, 
gehört  er  doch  sicherlich  zu  den  Universitätslehrern,  die  auf  ihre  Schüler 
den  größten  Einfluß  gewonnen  haben,  und  ohne  Zweifel  werden  sich  manche, 
die  seine  Vorträge  nie  gehört  haben,  allein  aus  der  Lektüre  seiner  Schriften 
heraus  dankbar  als  seine  Schüler  bekennen. 

Bei  der  Betrachtung  von  Wickhoffs  ausgebreiteter  literarischer  Tätig- 
keit fällt  uns  vor  allem  anderen  der  weite  Blick  auf,  mit  dem  er  das  ganze 
Gebiet  der  Geschichte  der  alten  wie  der  neueren  und  neuesten  Kunst  zu 
umfassen  vermochte.  Es  ist  höchst  bewundernswert,  wie  er  die  Entwick- 
lungsgeschichte des  Stiles  von  der  Kunst  des  Altertums  an  bis  zu  den  künstleri- 
schen Erzeugnissen  unserer  Tage  verfolgt  hat.  Der  höchst  fruchtbare  und 
eigenartige  Grundgedanke  von  einigen  seiner  wichtigsten  Arbeiten  ist  die 
von  ihm  zuerst  aufgestellte  Lehre  von  der  Einheitlichkeit  der 
gesamten  Kunstentwicklung.  Bisher  hatte  man  sich  den 
Verlauf  der  Geschichte  der  Kunst  ähnlich  vorgestellt  wie  das  Wachstum, 
die  Blüte  und  den  Verfall  einzelner  Pflanzen.  Wickhoff  hat  mit  dieser 
Anschauung  gebrochen.  In  den  bisher  sogenannten  Zeiten  des  Verfalls  der 


Nekrolog. 


387 


Kunst  erkennt  er  ein  neues,  frisches  Leben,  ein  frohes  Wachstum,  das  immer 
wieder  neues  fördert,  und  es  scheint  seine  Grundanschauung  gewesen  zu 
sein,  daß,  wie  in  der  Natur  kein  Atom  verloren  geht,  so  auch  in  der  Kunst 
keine  Regung,  kein  Versuch  ganz  umsonst  und  wirkungslos  sein  kann.  Von 
diesem  großen  Gesichtspunkte  aus  hat  er  — in  seinem  Hauptwerke,  der 
Einleitung  zu  der  von  ihm  und  Wilhelm  von  Hartei  besorgten  Ausgabe  der 
Wiener  Genesis  (Wien  1895 ) — , der  römischen  Kunst  der  sogenannten 
Verfallszeit  gänzlich  neue  Seiten  abgewonnen  und  aufgezeigt,  daß  wichtige 
und  bis  auf  die  neueste  Zeit  wirksame  künstlerische  Taten  in  dieser  angeb- 
lichen Zeit  künstlerischer  Erschöpfung  vollbracht  worden  sind.  Ähnliche 
Absichten  verfolgt  er  in  einigen  kleineren  inhaltsreichen  Arbeiten,  wie  in 
denen  »über  die  historische  Einheitlichkeit  der  gesamten  Kunstentwicklung« 
(Festgaben  für  Büdinger,  Innsbruck  1898)  und  »über  die  Einteilung  der 
Kunstgeschichte  in  Hauptperioden«  (Kunstgeschichtliches  Jahrbuch  der 
Zentralkommission.  Wien  1908). 

Geben  gerade  solche  Studien  den  Beweis  dafür,  daß  Wickhoff  immer 
das  Ganze,  das  Wesentliche  seines  Arbeitsgebietes  vor  Augen  hatte,  so  hat 
er  es  doch  keineswegs  verschmäht,  sich  mit  jenen  Einzelheiten  zu  be- 
schäftigen, deren  Erforschung  für  die  Erkenntnis  der  großen  allgemeinen 
Entwicklung  die  unentbehrliche  Grundlage  bilden  muß.  Auch  auf  dem 
Gebiete  der  S t i 1 k r i t i k hat  er  Ausgezeichnetes  geleistet;  er  verfügte, 
besonders  auf  dem  Felde  der  italienischen  Malerei,  über  eine  hervorragende 
Kennerschaft,  die  er  weiterzubilden  nicht  müde  wurde.  Hier  hat  er  sich 
besonders  Giovanni  Morelli  angeschlossen  und  eine  Reihe  von  Bestimmungen 
italienischer  Bilder  beweist,  wie  sehr  jene  intuitive  Gabe  der  Kennerschaft 
auch  einem  weitblickenden  Gelehrten,  wie  Wickhoff  es  war,  eigen  sein  konnte. 
An  den  Gemälden  der  Wiener  Galerie  hat  er  in  seinem  inhaltsreichen  Aufsatze: 
»Les  ecoles  italiennes  au  musöe  imperial  de  Vienne«  (Gazette  des  Beaux-Arts 
1893)  wichtige  und  anregende  Kritik  geübt.  Die  große  Bedeutung  der 
Handzeichnungen  für  die  Bestimmung  der  Gemälde  hat  Wickhoff,  ebenfalls 
im  Anschlüsse  an  Morelli,  immer  wieder  hervorgehoben;  er  selbst  war  einer 
der  besten  Kenner  der  italienischen  Handzeichnungen,  wovon  sein  Katalog 
der  italienischen  Zeichnungen  der  Albertina  (Jahrbuch  der  kunsthistori- 
schen Sammlungen  des  Ah.  Kaiserhauses  Bd.  XII  und  XIII),  sein  Bericht 
»über  die  Anordnung  von  Raffaels  Handzeichnungen«  (Sitzungsberichte 
der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien,  1903)  und  eine  Studie 
über  einige  italienische  Handzeichnungen  im  British  Museum  (Jahrbuch 
derkönigl.  preußischen  Kunstsammlungen  1899)  ein  glänzendes  Zeugnis  geben. 

Eine  besondere  Rolle  spielt  in  Wickhoffs  Schaffen  die  sach- 
liche Erklärung  von  Gemälden  und  Zeichnungen.  Hier  kam 
ihm  seine  ganz  ungewöhnliche  Belesenheit  auf  dem  gesamten  Gebiete 


388 


Nekrolog. 


der  Weltliteratur  sehr  zustatten.  Bei  der  Erklärung  von  alten  Kunstwerken 
auf  ihren  stofflichen  Inhalt  hin  vertrat  er  den  ohne  Zweifel  richtigen  Stand- 
punkt, daß  jeder  Darstellung  ein  bestimmter  Inhalt  und  auch  eine  be- 
stimmte Quelle  zugrunde  liegen  muß,  und  die  meisten  Stoffe  fand  er  in  der 
antiken  und  spätantiken  Literatur,  wenn  nicht  in  der  Bibel,  die  er  kannte, 
wie  kaum  ein  anderer  Kunstgelehrter.  Ein  Meisterwerk  unter  diesen  Unter- 
suchungen über  den  gegenständlichen  Inhalt  der  Kunstwerke  ist  seine 
Studie  über  die  Bibliothek  Julius’  II.  (Jahrbuch  der  königl.  preußischen 
Kunstsammlungen  1893);  hier  wird  der  Stoff  der  Fresken  der  Camera  della 
Segnatura  in  vollendeter  Weise  aus  den  geistigen  Anschauungen  von  Raffaels 
Zeit  erklärt  und  die  Deutung  ist  ebenso  einleuchtend  als  ungezwungen. 
In  ähnlicher  Weise  hat  Wickhoff  eine  ganze  Anzahl  von  florentinischen  und 
venezianischen  Bildern  zu  erklären  und  ihre  literarischen  Quellen  nach- 
zuweisen versucht  (z.  B.  in  den  Aufsätzen:  »Giorgiones  Bilder  zu  römischen 
Heldengedichten«,  »Venezianische  Bilder«  und  »Die  Hochzeitsbilder  Sandro 
Botticellis«,  ebenda  1895,  1902  und  1906).  Auch  eine  wertvolle  Studie 
über  »die  Gestalt  Amors  in  der  Phantasie  des  italienischen  Mittelalters« 
(ebenda  1890)  gehört  in  dieses  Gebiet.  Endlich  hat  Wickhoff  mit  seinen 
Schülern  eine  Reihe  von  Zeichnungen  Rembrandts  vorgenommen,  um  sie 
nach  ihrem  biblischen  Inhalt  zu  erläutern  (Einige  Zeichnungen  Rembrandts 
mit  biblischen  Vorwürfen,  Innsbruck  1906).  Alle  diese  Erklärungen  und 
Erklärungsversuche  scheinen  uns  von  großer  Bedeutung  für  die  Erkenntnis 
und  däs  Verständnis  alter  Kunst.  Und  wenn  auch  nicht  in  allen  Fällen 
die  Richtigkeit  der  Deutung  als  völlig  gesichert  betrachtet  werden  kann, 
so  wird  doch  immer  der  wichtige  Grundsatz  bestehen  bleiben,  daß  wir  in  den 
Kunstwerken,  die  bis  zum  16.  Jahrhundert,  ja  zum  größten  Teil  noch  in 
denen,  die  bis  zum  17.  Jahrhundert  geschaffen  worden  sind,  nie  Stimmungs- 
bilder im  modernen  Sinne  zu  erkennen  haben,  sondern  Kunstwerke  mit 
einem  ganz  bestimmt  umgrenzten  literarischen  Inhalt,  Neuere  Forschungen, 
wie  z.  B.  Karl  Giehlows  Erklärungen  Dürerscher  Schöpfungen,  haben  ja 
auch  auf  anderen  Gebieten  die  Richtigkeit  von  Wickhoffs  Grundanschau- 
ung bestätigt. 

Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  Wickhoffs  Schaffen  in  seiner 
ganzen  Vielseitigkeit  erschöpfend  darzustellen.  Ein  Verzeichnis  seiner 
sämtlichen  Arbeiten  wird  von  anderer  Seite  vorbereitet  und  wir  hoffen  auch, 
daß  eine  Gesamtausgabe  sämtlicher  kleinerer  Schriften  des  großen  Gelehrten 
bald  vorliegen  wird.  Hier  wird  man  sehen  können,  wie  groß  sein  Arbeits- 
gebiet gewesen  ist;  er  ist  nicht,  wie  so  viele  Forscher,  an  einem  Spezialfach 
hängen  geblieben.  Mochte  er  von  antiker  oder  altchristlicher  Kunst  handeln, 
von  der  Kunst  des  Ducento  und  des  Trecento,  von  Raffael,  Michelangelo, 
Marc  Anton,  von  venezianischer  Malerei,  von  Dürer,  vom  Meister  der  weib- 


Nekrolog. 


389 


liehen  Halbfiguren  und  französischer  Kunst,  von  der  rätselhaften  Wachs- 
büste in  Lille,  immer  hatte  er  etwas  Neues  und  Anregendes  zu  sagen.  Und 
selbst  aus  seinen  Irrtümern,  die  er  später  oft  bereitwillig  eingestand,  haben 
wir  gelernt. 

Ebenso  schätzbar  wie  seine  Vielseitigkeit  war  seine  schriftstellerische 
Begabung,  die  die  Lektüre  seiner  Schriften  zu  einem  Genuß  macht.  Er  hat 
alle  seine  Forschungen  in  eine  feine  literarische  Form  gekleidet,  wie  wir  sie 
nur  selten  bei  wissenschaftlich  ernsten  Arbeiten  finden.  Alles,  was  er  ge- 
schrieben hat,  zeugt  von  einem  vortrefflichen  literarischen  Geschmack,  der 
sich  an  Goethes  Werken  gebildet  hat.  Seine  vertraute  Beschäftigung  mit 
Goethe,  den  er  sein  Leben  lang  nicht  nur  verehrte,  sondern  auch  wirklich 
las,  verrät  sich  in  einem  seiner  feinsinnigsten  Aufsätze,  der  den  Titel  führt: 
»Der  zeitliche  Wandel  in  Goethes  Verhältnis  zur  Antike  dargelegt  am  Faust« 
{Jahreshefte  des  österreichischen  archäologischen  Instituts  I). 

Trotz  dieser  literarischen  Neigungen  war  Wickhoff  nichts  weniger 
denn  ein  Schöngeist.  Als  Schüler  Theodor  von  Sickels,  als  den  er  sich  dankbar 
bekannte,  war  er  durch  und  durch  Historiker  und  jedem  Dilettantismus 
abhold.  Nichts  war  ihm  verhaßter,  als  das  salbungsvolle  Geschreibsel,  das 
heute  leider  in  der  kunstgeschichtlichen  Literatur  so  häufig  wissenschaftlich 
ernste  Arbeit  verdrängt.  Weil  Wickhoff  Historiker,  nicht  unklare  und 
seichte  Kunstästhetiker  erziehen  wollte,  hat  er  die  Verbindung  seiner  kunst- 
historischen Lehrkanzel  mit  dem  Institut  für  österreichische  Geschichts- 
forschung für  höchst  wichtig  gehalten  und  seinen  Schülern  historische, 
diplomatische  und  paläographische  Studien  fast  als  eine  Art  von  Zwang 
auferlegt.  Damit  wollte  er  erreichen,  daß  selbst  auch  aus  den  weniger  be- 
gabten unter  seinen  Schülern  keine  seichten  Schwätzer,  sondern  tüchtig 
geschulte,  wissenschaftlich  denkende  Arbeiter  würden,  an  denen  es  ihm  in 
unserer  Wissenschaft  oft  mehr  zu  fehlen  schien  als  an  Begabungen.  Ein 
Beispiel,  wie  er  selbst  die  historische  Quellenkritik  zu  handhaben  wußte, 
hat  er  in  der  meisterhaften  Kritik  der  literarischen  Nachrichten  über  die 
Biographie  Cimabues  in  seiner  Arbeit  über  die  Zeit  des  Guido  von  Siena 
(Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung  X,  1889) 
gegeben,  und  sicherlich  ist  es  der  von  ihm  ausgehenden  Anregung  zu  danken, 
daß  sich  manche  von  seinen  Schülern  den  in  der  Kunstwissenschaft  noch 
so  wenig  üblichen  und  doch  so  wichtigen  quellenkritischen  Studien  .zuge- 
wendet haben,  unter  denen  besonders  die  Untersuchung  des  hoch- 
begabten,  früh  verstorbenen  Wolfgang  Kallab  über  die  Quellen  Vasaris 
ganz  im  Sinne  seines  Lehrers  gewesen  ist,  der  ihm  nun  bald  im  Tode 
nachgefolgt  ist. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  Stilkritik  hat  Wickhoff  von  seinen  Schülern 
verlangt,  daß  ihre  Bestimmungen  nicht  auf  Grund  unklarer  Empfindungen, 


39° 


Nekrolog. 


sondern,  nach  dem  Vorbilde  des  naturwissenschaftlich  geschulten  Morelli, 
mit  Hilfe  ganz  bestimmter  Merkmale  der  künstlerischen  Schrift  erfolgten. 

Durch  solche  Mittel  hat  er  versucht,  der  noch  jungen  Kunstwissen- 
schaft eine  feste  Grundlage  zu  geben  und  sie  ihren  älteren  Schwestern,  der 
Archäologie  und  der  Geschichte,  an  die  Seite  zu  stellen.  Auch  den  Gedanken 
des  Corpus  hat  er  von  diesen  Wissenschaften  übernommen  und  mit  der  von 
ihm  begründeten  Herausgabe  eines  beschreibenden  Verzeichnisses  der 
illuminierten  Handschriften  Österreichs  den  Anfang  gemacht,  von  dem 
schon  drei  von  seinen  Schülern  in  gewissenhafter  Weise  bearbeitete  Bände 
vorliegen. 

Mit  diesen  seinen  Bestrebungen  hängen  auch  die  »Kunstgeschicht- 
lichen Anzeigen«  zusammen,  eine  Schöpfung  seiner  letzten  Lebensjahre. 
Hier  wollte  er  auch  die  Kritik  der  kunstwissenschaftlichen  Erscheinungen 
auf  einen  festen  Grund  stellen,  statt  der  üblichen  Gelegenheits-  und  Gefällig- 
keitsbesprechungen ernste  Erörterungen  bringen  und  auch  neben  positiv 
Neuem,  das  bei  solchen  Gelegenheiten  vorgebracht  werden  kann,  die  Aufgabe 
durchführen,  die  Spreu  vom  Weizen  zu  sondern.  Daß  es  hierbei  zu  einem 
Kampfe  kommen  mußte,  wußte  er  sehr  wohl,  und  er  war  auch  nicht  der 
Mann,  der  den  Kampf  aufzunehmen  sich  gescheut  hätte.  So  scharf  und 
persönlich  manche  Angriffe  Wickhoffs  erscheinen  mögen,  so  weiß  doch  jeder, 
der  ihn  gekannt  hat,  daß  es  ihm  nie  um  Personen  zu  tun  war,  sondern  nur 
um  die  Sache.  Um  diese  hat  er  freilich  ehrlich  gekämpft  und  kräftige  Mittel 
gebraucht,  wenn  sie  ihm  nötig  schienen. 

Durch  Wickhoffs  frühes  Hinscheiden  — er  ist  nicht  ganz  56  Jahre 
alt  geworden  — haben  wir  manche  Arbeiten  verloren,  die  ein  anderer  kaum 
so  hätte  durchführen  können  wie  er:  unter  anderem  bereitete  er  ein  Corpus  der 
Handzeichnungen  Raffaels  und  ein  Buch  über  Giorgione  vor.  So  empfind- 
lich auch  dieser  Verlust  ist,  so  betrauern  wir  doch  noch  weit  mehr  den  Verlust 
des  Mannes  selbst,  dessen  Wesen  sich  in  dem,  was  er  geschaffen  hat,  schon 
voll  ausdrückt,  der  in  allen  seinen  Arbeiten  und  Handlungen  eine  echte 
Persönlichkeit,  ein  ganzer  Mann  war,  als  hätte  er  sich  jenen  von  einem 
anderen  streitbaren  Geiste,  wie  es  Lichtenberg  war,  gebilligten  Grundsatz 
des  Spectator  zu  eigen  gemacht:  »The  whole  man  is  to  move  together«. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der 
Augustinerkirche  zu  Konstanz. 


Von  J.  Gramm. 

Die  entwicklungsgeschichtliche  Kunstbetrachtung  der  heutigen  Zeit 
läßt  uns  all  jene  Epochen  der  Menschheitsgeschichte  als  besonders  interessant 
erscheinen,  in  denen  sich  ein  allgemeiner  Wandel  der  Kunstanschauungen 
vollzieht,  in  denen  neue  oder  bisher  zurückgehaltene  Kulturmächte  ans 
Licht  empordrängen.  Wie  in  den  Gärungszeiten  des  ausgehenden  Mittel- 
alters die  Kunst  aus  erträumten  Idealfernen  in  die  lebensfrische  Wirk- 
lichkeit hinübertritt,  das  hatte  man  schon  lange  in  der  Geschichte  der  alt- 
niederländischen  Malerei  an  ihren  großen  Pfadfindern,  den  Gebrüdern 
van  Eyck  erkannt.  Erst  der  neueren  Forschung  jedoch  ist  der  Nachweis 
gelungen,  daß  diesem  gewaltigen  Umwandlungsprozeß  in  der  nordischen 
Kunst  ein  ähnlich  bedeutungsvoller  in  der  süddeutschen  Malerei  gegen- 
übersteht. Konstanz  und  Basel,  die  beiden  altehrwürdigen  Konzils - 
städte,  erschienen  mehr  und  mehr  als  Brennpunkte  der  künstlerischen  Kultur 
jener  bewegten  Zeit.  Vor  allem  war  es  die  Frage  nach  der  künstlerischen 
Herkunft  des  K.  Witz,  die  seit  D.  Burckhardts  interessanter  Hypothese 
die  Aufmerksamkeit  in  erhöhtem  Maße  auf  die  Konzilsstadt  am  Bodensee 
gelenkt  hat.  Wenn  wir  an  der  Hand  der  Richenthalschen  Konzilschronik 
und  der  anderen  Quellen1)  uns  das  bunte  internationale  Leben  mit  seinem 
augenblendenden  Festgepränge  vergegenwärtigen,  so  legt  sich  ganz  von  selbst 
der  Gedanke  an  eine  dementsprechend  reiche  und  üppige  Kunstentfaltung 
nahe.  Entsandte  doch  ganz  Europa  hochangesehene  Persönlichkeiten,  vor- 
nehme Würdenträger  geistlichen  und  weltlichen  Standes  nach  Konstanz, 
die  gewiß  auch,  sei  es  aus  Devotionsbedürfnis,  sei  es  aus  Ruhmessinn  für  die 
Kunst  eine  offene  Hand  hatten.  Gehen  wir  jedoch  die  Denkmäler  dieser  Zeit 
in  der  Bodenseemetropole  und  ihrer  näheren  Umgebung  durch,  so  sehen 
wir  uns  in  unseren  Erwartungen  getäuscht.  Trotz  der  zahlreichen  erhaltenen 

*)  Eine  treffliche  Übersicht  über  das  Leben  und  Treiben  in  Konstanz  während  der 
Konzilszeit  bietet  H.  Finke,  Bilder  vom  Konstanzer  Konzil.  Neujahrsblätter  der  Badischen 
Historischen  Kommission.  N.  F.  6.  Heidelberg  1903. 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


27 


392 


J.  Gramm: 


Werke  spätmittelalterlicher  Kunst  im  Seekreis  findet  sich  kaum  ein  namhaftes 
Werk,  das  mit  Sicherheit  der  Konzilszeit  zugewiesen  werden  kann.  Auch 
in  den  Schriftquellen  treffen  wir  kaum  Hinweise  auf  bedeutendere  künst- 
lerische Produkte  aus  der  Zeit  der  Kirchenversammlung2)  — eine  Tatsache, 
die  uns  befremden  muß,  da  sich  bei  solchen  festlichen  Gelegenheiten  ein- 
heimischen und  fremden  Künstlern  ein  dankbares  Arbeitsfeld  zu  eröffnen 
pflegte.  Da  ist  es  denn  doppelt  zu  begrüßen,  daß  uns  in  der  Augustiner- 
kirche zu  Konstanz  ein  künstlerisch  wie  kunsthistorisch  hoch - 
bedeutender  Doppelzyklus  von  Wandgemälden  aus  der  Konzilszeit  unter 
der  Tünche  erhalten  blieb,  der  anläßlich  der  in  den  letzten  Jahren  vorge- 
nommenen Restauration  unter  der  kundigen  Leitung  von  Stadtpfarrer 
Dr.  Groeber  und  Professor  Wingenroth  freigelegt  wurde.  Über  den  Inhalt 
der  Darstellungen  und  ihre  hohen  künstlerischen  Qualitäten  orientieren 
Wingenroths  und  Gröbers  feinsinnige  Ausführungen  in  der  Zeitschrift  des 
Breisgauvereins  »Schauinsland«  3),  auf  die  hier  verwiesen  werden  muß. 

Es  handelt  sich  darnach  um  zwei  Zyklen  von  Wandbildern,  die  über- 
einander die  Hochwände  des  Mittelschiffs  der  Augustinerkirche  schmückten. 
Dicht  unter  dem  Fenster  läuft  ein  friesartiger  Streifen  um  das  Mittelschiff 
herum  und  über  die  Triumphbogenwand.  Die  hier  angebrachten  Eremiten - 
bilder  wurden  jedoch  anläßlich  der  Erweiterung  des  Triumphbogens  in 
der  Barockzeit  bis  auf  geringe  Reste  zerstört.  Der  sich  anschließende  Streifen 
der  Südwand  gliedert  sich  in  18  durch.  Säulenarkaden  geteilte  Felder,  die 
Darstellungen  von  hl.  Eremiten  und  Mönchen  verschiedener  Orden  enthalten, 
von  denen  die  letzteren  gruppenweise  je  eine  stehende  Mönchs-  o<Jer  Bischofs  - 
gestalt  (S.  Augustin?)  umgeben.  Der  Heilige  scheint  ihnen  seine  Regel 
zu  übergeben;  darauf  deutet  das  Buch  in  seiner  Linken  und  das  Spruch- 
band in  der  anderen  Hand,  das  die  Mönche  mit  dem  Ausdruck  ehrfürchtigen 
Dankes  kniend  empfangen.  Wingenroths  Deutung  zufolge  hätte  man  in 
diesen  sich  14-  rcsp.  iömal  wiederholenden  Szenen  eine  Darstellung  des 
Stammbaumes  der  Augustinereremiten  zu  erkennen.  Die  Schilderung  setzt 
sich,  nur  wenig  variiert,  an  der  Westwand  fort.  Trotz  einer  gewissen  Mono- 
tonie, wie  sie  die  häufige  Wiederholung  des  schlichten  Themas  mit  sich 
brachte,  ist  doch  die  Einzelcharakterisierung  der  Gestalten  vorzüglich 
gelungen.  In  Stellung,  Gebärden-  und  Mienenspiel  weiß  der  Künstler  stets 
eine  neue  Note  zu  geben.  Mit  großer  Geschicklichkeit  ist  das  Verlangen, 
Staunen  und  dankende  Empfangen  der  Mönche  variiert.  Besondere  Be- 
achtung verdienen  die  trefflich  individualisierten  Gestalten  der  greisen 
Eremiten. 

l)  Wie  mir  Herr  Geh.  Hofrat  Finke  freundlichst  mitteilte,  sollen  sich  nur  einige 
Notizen  über  anonyme  spanische  Schildmaler  gefunden  haben. 

3)  Jahrg.  35  (1908),  S.  69  ff. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz.  393 

Ähnlich  waren  die  Darstellungen  auf  dem  leider  sehr  stark  zerstörten 
Nordfries  gehalten,  nur  vereinigen  sich  hier  eine  größere  Anzahl  kniender 
Mönche  zu  teilweise  gegeneinander  gerichteten  Gruppen.  Unter  den 
dazwischen  befindlichen  stehenden  Heiligen  möchte  man  den  einen  stig- 
matisierten in  brauner  Kutte  als  den  hl.  Franz  von  Assisi  deuten,  während 
sich  der  andere,  als  Abt  charakterisierte,  vorläufig  nicht  näher  bestimmen 
läßt.  Mit  diesem  oberen  Fries  gehören  stilistisch  auch  die  beiden  ver- 
stümmelten Hochbilder  zusammen,  die  sich  unter  den  Eremitengestalten 
an  der  Triumphbogenwand  befinden.  Eine  einigermaßen  einleuchtende 
Deutung  der  Gemälde  konnte  bisher  noch  nicht  gefunden  werden.  Ver- 
suche in  dieser  Richtung  auf  Grund  eingehender  Beschreibung  der  Fragmente 
findet  man  in  Wingenroths  Aufsatz4). 

Von  einer  anderen  Hand  dürfte  der  zweite,  weit  interessantere  Bilder- 
zyklus herstammen,  dem  wir  uns  nunmehr  zuwenden.  Er  umfaßt  die  unter- 
halb des  Frieses  freibleibenden  Zwickel  der  Mittelschiffarkaden.  Über  den 
Stützen  sind  in  doppelter  Lebensgröße  thronende  Heiligengestalten  darge- 
stellt. Sie  sitzen  auf  vielfach  durchbrochenen  fialen-  und  krabbenbesetzten 
Gestühlen  mit  baldachinartigem  Aufbau.  Die  Hintergründe  sind  abwechselnd 
rot  und  blau  gehalten.  Die  Figuren  selbst  heben  sich  in  ihren  kräftigen, 
durch  das  Durchkommen  des  feurigen  Malgrundes  noch  verstärkten  Farben 
von  dem  rötlichen  und  grauen  Gestühl  prächtig  ab.  Der  farbige  Gesamt- 
eindruck ist  bei  aller  Leuchtkraft  der  Efnzeltöne  doch  überaus  harmonisch. 
Dabei  muß  man  allerdings  in  Betracht  ziehen,  daß  die  Gestalten  der  Süd- 
seite in  der  Renaissancezeit  eine  mehr  oder  minder  starke  Restauration  resp. 
Übermalung  erfahren  haben.  Doch  genügen  die  Proben  der  nicht  über- 
malten Nordwand,  um  ein  Urteil  über  den  erlesenen  Farbengeschmack  der 
Meister  zu  gewinnen.  Bezüglich  der  Bedeutung  der  Figuren  kann  man  aus 
der  Gewandung,  den  Kopfbedeckungen,  den  Attributen  und  nicht  zuletzt 
aus  den  Inschriftfragmenten  wichtige  Anhaltspunkte  gewinnen.  In  einzelnen 
Fällen  freilich  läßt  die  allzustarke  Zerstörung  kein  sicheres  Urteil  mehr  zu. 
So  hätten  wir  nach  Wingenroths)  in  den  thronenden  Einzelgestalten  h 1. 
Bischöfe,  Könige,  Fürsten  (resp,  Kurfürsten)  und  Herzoge  zu 
erblicken.  Dazu  gesellen  sich  noch  zwei  Frauengestalten,  deren  Deutung 
auf  größere  Schwierigkeiten  stößt.  Die  unter  drei  Figuren  der  Südseite 
angebrachten  Wappen  weisen  zweimal  auf  Ungarn,  einmal  auf  Österreich. 
Ziehen  wir  noch  die  allerdings  aus  der  Renaissancezeit  stammenden 
Inschriftfragmente* * 6)  in  Betracht,  so  ergibt  sich  die  Deutung  zweier  Ge- 
stalten als  S.  Ladislaus  und  S.  Wilhelm  von  Aquitanien. 

4)  Wingenroth,  S.  y2  ff. 

5)  Wingenroth,  S.  99. 

6)  »S.  LADISLAVS.  REX«.  — ». . . MVS  DVX  AQV«. 


27 


394 


J.  Gramm: 


Wie  aber  kamen  die  Augustinermönche  zu  einer  solchen  Auswahl 
ungarischer  und  österreichischer  hl.  Könige  und 
Fürsten  ? Bereits  Wingenroth  hat  diese  Frage  aufgeworfen  und  er 
spricht  die  Vermutung  aus,  es  möchte  die  Entstehung  der  Gemälde  mit 
der  Anwesenheit  Kaiser  Sigismunds,  des  Königs  von  Ungarn  und  Böhmen, 
auf  dem  Konzil  in  irgendwelcher  Beziehung  gestanden  haben.  Hatte  sich 
der  Luxemburger  doch  mehrfach  den  Augustinern,  seinen  Gastwirten, 
erkenntlich  gezeigt.  So  würde  die  sonst  kaum  verständliche  Auswahl  von 
ungarischen  und  österreichischen  Heiligen  ihre  natürlichste  Erklärung 
finden. 

Indessen  sollte  sich  Wingenroths  Vermutung  glänzend  bestätigen. 
Der  beste  Kenner  der  Konstanzer  Konzilszeit,  Geh.  Hofrat  Finke  hatte  die 
Güte,  den  Verfasser  dieses  Aufsatzes  auf  Urkunden  im  Fürstlich  Hohen  - 
loheschen  gemeinschaftlichen  Hausarchiv  (Weinsberger  Archiv)  von  Öhringen 
hinzuweisen,  aus  denen  mit  vollster  Sicherheit  hervorgeht,  daß  Kaiser 
Sigismund  die  besprochenen  Wandgemälde  der  Konstanzer  Augustiner- 
kirche stiftete.  Durch  eine  Quittung  der  Maler  erfahren  wir  zugleich  die 
Namen  der  ausführenden  Meister  und  die  Höhe  ihres  Honorars.  Bei  der 
Durchsicht  des  Öhringer  Materials  fanden  sich  außerdem  einige  für  die 
Baugeschichte  der  Augustinerkirche  interessante  Notizen,  die  uns  zunächst 
hier  beschäftigen  sollen. 

Das  Konstanzer  Augustinerkloster,  eine  Gründung  des  13.  Jahr- 
hunderts, erreichte,  durch  mehrfache  Schenkungen  begünstigt,  im  Ver- 
laufe des  folgenden  Säkulums  seine  höchste  Bedeutung?) . Es  ward  eine 
Pflegstätte  der  Gelehrsamkeit,  besonders  nachdem  1394  das  Generalstudium 
hierher  verlegt  worden  war.  Mochten  Kirche  und  Kloster  durch  das  große 
Brandunglück  von  1399  auch  schwer  mitgenommen  worden  sein,  so 
begannen  doch  bald  wieder  bessere  Zeiten,  als  die  glänzende  Kirchenver- 
sammlung in  den  Mauern  der  Bodenseestadt  tagte.  Der  damalige  Prior 
Schwarz  stand  in  Beziehung  zu  den  angesehensten  Persönlichkeiten  der 
abendländischen  Welt,  und  Kaiser  Sigismund  bekundete  seine  Sympathien 
für  das  Kloster  schon  dadurch,  daß  er  in  seinen  Mauern  Wohnung  nahm 
und  mit  dem  geistig  hochbedeutenden  Provinzial  Graf  gelehrte  Unter- 
redungen pflog.  Später  aber  brachen  trübe  Zeiten  über  das  Kloster  herein, 
die  zu  seiner  Auflösung  in  der  Reformationszeit  führten.  Nach  dem  Wieder- 
einzug der  Mönche  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  begann  ein  neuer 
Aufschwung  des  klösterlichen  Lebens  und  der  gelehrten  Bildung.  In  den 
Wirren  des  Dreißigjährigen  Krieges  hatte  die  Niederlassung  so  stark  gelitten, 
daß  ein  Neubau  des  Klosters  nötig  ward.  Damals  wurde  auch  die  Kirche 


7)  Wingenroth,  S.  78,  80,  83. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz.  395 

einer  gründlichen  Renovation  unterzogen.  Mit  der  Josephinischen  Periode 
brach  dann  die  traurigste  Zeit  für  das  Kloster  an,  das  sich  schließlich 
genötigt  sah,  seine  Baulichkeiten  dem  Konstanzer  Spital  abzutreten.  Die 
Kirche  selbst  blieb  in  ihrer  verzopften  Umgestaltung  dem  Gottesdienst 
erhalten  und  gelangte  erst  wieder  durch  die  mit  größter  Umsicht  und  feinem 
künstlerischem  Verständnis  vorgenommene  Restauration  des  jetzigen  Stadt- 
pfarrers, Dr.  Groeber  zu  Beachtung.  Bei  der  Instandsetzung  wurden  auch 
die  hochinteressanten  Wandmalereien  zutage  gefördert,  an  die  unsere  Be- 
trachtungen anknüpfen. 

Fassen  wir  zunächst  den  Kirchenraum  selbst  etwas  näher  ins  Auge. 
Es  handelt  sich  um  eine  schlichte  dreischiffige  basilikale  Anlage  ohne  Quer- 
schiff mit  geradlinig  geschlossenem  Chor  und  ehemals  durchweg  flacher 
Eindeckung.  Achteckpfeiler  tragen  die  Langhauswände,  die  in  ihren  oberen 
Partien  von  Rundfenstern  durchbrochen  waren.  Den  Spitzbogenarkaden 
entsprachen  große  breite  Spitzbogenfenster  in  den  Seitenschiffmauern.  Ein 
tief  herabreichendes  Mittelfenster  teilte  die  Westwand  über  dem  Haupt- 
portal. Durch  Seitenfenster  von  ähnlichen  Abmessungen  wurde  der  Chor 
erhellt.  Seine  Ostwand  konnte  keine  Lichtöffnungen  enthalten  haben,  da 
hier  das  Kloster  anstieß.  Der  eigentliche  Ausbau  der  Kirche  mag,  wie 
Wingenroth  vermutet,  erst  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  erfolgt  sein8). 
Für  den  heutigen  Eindruck  sind  die  Umgestaltungen  maßgebend,  die  der 
Bau  im  17.  und  18.  Jahrhundert  erfahren  hat.  1740  wurden  rundbogige 
Fenster  in  den  Hochwänden  des  Mittelschiffs  und  den  Seitenschiffmauern 
eingebrochen;  man  verbreiterte  und  erhöhte  den  Triumphbogen  und  mauerte 
die  Lichtöffnungen  im  Chor  und  an  der  Westwand  in  ihren  unteren  Teilen 
zu.  Aus  dieser  Zeit  stammt  auch  das  Spiegelgewölbe  und  die  reiche  Stuck- 
verzierung an  Decken  und  Wänden,  die  Pfeiler  erhielten  zugleich  breit- 
ausladende verogldete  Stuckkapitelle.  Die  namentlich  für  die  ältere  Periode 
überaus  dürftigen  Nachrichten  über  die  Baugeschichte  der  Kirche  haben 
nun  durch  den  neuen  Urkundenfund  im  Öhringer  Archiv  eine  nicht  unwesent- 
liche Bereicherung  erfahren.  Es  mögen  hier  die  beiden  einschlägigen  Stellen 
auszugsweise  im  Wortlaut  folgen: 

1417.  19.  Mai,  Constanz.  »Ich,  Heinrich  Gunterswylr 

zu  disen  tzyten  bawmeister  und  burger  zu  Costentz 
veriche  und  bekenne  mich  offenlich  mit  disem  brieff  ....  daß  mir  der  wol- 
geborn  her  Conrad  herre  zu  Winsperg  des  heiligen  Römischen  Riehes  Erb- 
kamerer  myn  gnediger  herre  gegeben  und  bezalt  hat  sechs  hundert 
Rinische  gülden  von  wegen  in  namen  und  an  statt  myns  gnedigen 
herren  des  Römischen  und  zu  Ungern  etc.  Kunigs  . . .«  (Fürstl.  Hohen- 


8)  Wingenroth,  a.  a.  O.  S.  83. 


3 96 


J.  Gramm: 


lohesches  Gemeinsch.  Hausarchiv,  Abteilung  Weinsberger  Archiv, 
D.  i.  k.  4.) 

Die  Bedeutung  dieser  Urkunde  für  unsere  Frage  ergibt  sich  erst  durch 
eine  Notiz,  die  Konrad  von  Weinsberg  in  sein  Verzeichnis  der  Ausgaben  und 
Einnahmen  von  14 179)  eigenhändig  eintrug.  Darin  findet  sich  den  Stutt- 
garter Regesten  des  Weinsberger  Archivs  zufolge  die  Stelle:  »Item  an 

freitag  von  sant  Michelstag  da  reit  ich  gen  Nürnberg  von  der  halben  iuden- 
stüher  wegen,  als  die  Rudolf  Sassen  und  Hanssen  Hübnern  für  achthundert 
gülden  verschrieben  sin,  die  ich  meins  herren  dez  künigs  gnaden  entlehet 
zu  sant  Veltinstag;  der  200  Gulden  wurden  graff  Hansen  von  Salmen  vnd 
600  Gulden9 10)  dem  buwmeister  zu  Costentz,  damyt  er  die 
kirchen  zu  den  Augustiner  vnd  die  schieff  machen  solt...« 

Da  sich  die  betreffende  Stelle  in  dem  »eigenhändigen  Verzeichnis« 
Konrads  von  Weinsberg  nicht  auffinden  ließ,  so  muß  ich  mich  hier  auf  den 
in  den  Stuttgarter  Regesten  zitierten  Wortlaut  stützen,  dessen  Richtigkeit 
jedoch  durch  nachfolgenden  eigenhändigen  Vermerk  Konrads  in  seinem 
Ausgabenverzeichnis  von  1417  S.  9 erwiesen  wird:  »Nota  so  entlehett  ich 
unem  herren  dem  küng  umb  die  nürenberger  800  gülden  uff  die  iüdischeit  . . . 
tem  der  sin  worden  dem  büwmeister  600  gülden  Item  dem 
graffen  von  Salmen  sind  worden  die  überygen  200  gülden.« 

Der  Zusammenhang  zwischen  diesen  beiden  urkundlichen  Berichten 
liegt  auf  der  Hand.  Sigismund  läßt  dem  Stadtbaumeister  von  Konstanz, 
Heinrich  Gunterswyler,  für  Arbeiten  an  der  Augustinerkirche 
daselbst  600  Gulden  auszahlen.  Den  Empfang  dieser  Summe  durch  Konrad 
von  Weinsberg  bestätigt  Gunterswyler  in  der  obigen  Urkunde,  der  er  unter 
ausdrücklichem  Vermerk  sein  Siegel  beifügte11).  Es  frägt  sich  nur,  was 
jener  Ausdruck  »die  kirchen  . . . und  die  schieff  machen«  besagen  will..  Dem 
Sprachgebrauch  der  Konstanzer  Urkunden  zufolge  waren  unter  »schieff« 
nicht  etwa  speziell  die  Nebenschiffe  zu  verstehen,  sondern  die  drei  Schiffe 
im  allgemeinen111).  Es  kann  jedoch  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die 
Kirche  damals  bereits  in  ihrer  dreischiffigen  Grundform  bestand;  sie  war 
auch  laut  Richenthals  Konzilschronik  wiederholt  zu  kirchlichen  Veran- 
staltungen, Belehnungen-  und  dergl.  im  Gebrauch.  Schon  deshalb  wird  man 
an  einen  Neubau  nicht  denken  dürfen.  Dagegen  spricht  auch  die  unverhältnis- 
mäßig geringe  Summet).  So  kann  es  sich  wohl  nur  um  eine  Restauration 

9)  Fürstl.  Hohenlohesches  gemeinschaftl.  Hausarchiv  D.  24  k.  3. 

10)  Der  Verfasser  der  Regesten  hat  sich  in  der  Wiedergabe  der  Zahl  versehen  (er 
schrieb  89  statt  600  !)  wie  aus  der  zweiten  Notiz  Konrads  hervorgeht. 

n)  Das  Wappen  zeigt  einen  Y-förmigen  Gegenstand  zwischen  zwei  Stern"" 

IS)  Gütige  Mitteilung  des  Herrn  Stadtpfarrers  Dr.  Groeber. 

*3)  Wir  haben  keinen  Grund,  die  600  Gulden  als  Abschlagszahlung  aufzufassen, 
da  von  weiteren  Teilzahlungen  nichts  verlautet. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz.  397 

des  durch  den  Brand  von  1399  geschädigten  Außenbaues  (»die  kirchen«) 
und  eventuell  um  Ausbesserung  und  Zurichtung  der  Schiffe  (»die  schieff«) 
für  die  von  Sigismund  geplanten  Wandgemälde  handeln,  zumal  diese  eine 
Woche  nach  Ausstellung  der  Quittung  Gunterswylers  über  den  Empfang 
der  600  Gulden  in  Aüftrag  gegeben  wurden. 

Der  Name  Gunterswyl  (e)  r begegnet,  in  etwas  variierter  Schreib- 
weise, seit  1376  mehrfach  in  den  Konstanzer  Ratslisten^).  Es  dürfte  sich 
dabei  jedoch  um  den  Johannes  Gunterswyler  gehandelt  haben, 
der  in  einer  Konstanzer  Ratsurkunde  von  1396  (Karlsruhe,  G.  L.  A.  5.  Spec. 
204)  genannt  wird* *5).  Dagegen  tritt  1410  ein  Heinrich  Gunters- 
wyler in  den  Konstanzer  Ratsbüchern  als  Bürgermeister  auf16)  und  wird 
1415 — 1424  als  Ratsmitglied  resp.  Bürgermeister  genannt1?).  Wir  dürfen 
ihn  jedoch  nicht  mit  unserm  Baumeister  identifizieren,  denn  Heinrich  Gunters- 
wyler, der  Bürgermeister,  »was  ain  schuchmacher«18).  Archivalische  Nach- 
forschungen haben  leider  keinen  Aufschluß  über  die  Persönlichkeit  und 
weitere  Tätigkeit  des  Meisters  gebracht,  so  daß  wir  uns  damit  bescheiden 
müssen,  den  Namen  des  Architekten  zu  kennen,  der  die  Augustinerkirche 
zur  Aufnahme  der  von  Sigismund  gestifteten  Gemäldezyklen  instand  setzte. 

Interessanter  als  diese  baugeschichtliche  Tatsache  sind  die  urkund- 
lichen Aufschlüsse  bezüglich  der  Wandmalereien  der  Augustiner- 
kirche und  ihrer  Meister.  In  einer  Urkunde  vom  27.  Mai  1417  (Fürstl.  Hohen- 
lohesche  Gemeinsch.  Hausarchiv,  Abteilung:  Weinsberger  Archiv,  D.  8)  weist 
Sigismund  Konrad  von  Weinsberg  an  »Item  so  sollen  wir  den  malern 
daz  sie  die  kirchen  zu  den  Augustinern  ußrichten 
und  ußbereitten  nach  unserm  fürgeben  vierzehen- 
hundert guldin  geben«.  Damit  ist  die  Vermutung  Wingenroths1?) 
zur  Gewißheit  erhoben  worden:  Kaiser  Sigismund  ist  der  Stifter  der  umfang- 
reichen Zyklen  von  Wandmalereien  in  der  Augustinerkirche.  Er  mochte 
auf  diese  Weise  den  Augustinern,  deren  er  sich  u.  a.  auch  durch  Schenkung 
einer  neuen  Orgel  erkenntlich  zeigte,  seine  Dankbarkeit  erweisen  für  die 
gastliche  Aufnahme,  die  sie  ihm  während  seiner  Anwesenheit  beim  Konzil 
(seit  1415)  in  ihren  Klostermauern  gewährt  hatten.  Der  Auftrag  lautete 
auf  1400  Gulden  — nach  damaligem  Geldwert  eine  recht  beträchtliche 
Summe  — und  erfolgte  demnach  eine  Woche  nach  Entlohnung  des  Konstanzer 


*4)  C.  Beyerle,  Die  Constanzer  Ratsnsten  des  Mittelalters.  Heidelberg  1898,  S.  95, 

96,  98,  113,  ”5»  n6. 

*5)  Beyerle,  a.  a.  0.  S.  120. 
l6)  Ebenda,  S.  123. 

J7)  Beyerle,  a.  a.  O.  S.  125 — 130. 
l8)  Ebenda,  S.  123. 

*9)  Wingenroth,  a.  a.  0.  S.  99. 


398 


J.  Gramm: 


Stadtbaumeisters  Gunterswyler,  der  die  Kirche  zur  Ausmalung  instand 
gesetzt  hatte.  Schon  in  Anbetracht  der  Größenverhältnisse  des  Baus  mußten 
mehrere  Meister  für  die  farbige  Ausschmückung  beigezogen  werden;  die 
Urkunde  spricht  denn  auch  von  »den  malern«.  Wer  aber  waren  diese? 
Wir  brauchen  uns  glücklicherweise  keinen  Vermutung’en  hinzugeben,  da  uns 
eine  Öhringer  Urkunde  vom  4.  Juli  1417  (D.  I.  k.  9)  hierüber  aufklärt. 

»W  ir  Heinrich  grübel  Caspar  sunder  und  Johans 
lederhoser  alle  drye  maler  und  burger  zu  Costentz 
veriehen  und  bekennen  uns  offenlich  mit  diesem  brieff  vor  allermenglich 
für  uns  und  unße  erben  als  uns  der  allerdurchluchtigste  fürste  und  herre 
her  Sigmund  Römischer  und  zu  Ungern  etc.  Kunig  unser  gnediger 
herre  verdinget  hat  zu  malen  gentzlichen  miteinander  die  kurchen 
zu  den  Augustinern  umb  virtzehenhundert  guter 
Rinischer  gülden  daz  uns  daran  der  wolgeborn  herre  her  Conrad 
herre  zu  Winsperg  des  heiligen  Römischen  Richs  Erbekamerer  gegeben 
und  bezalt  hat  von  wegen  in  namen  und  anstatt  desselben  unß  gnedigen 
herren  des  Römischen  und  zu  Ungern  etc.  Kunigs  zweyhundert  gut  er 
Rinischer  gülden  uff  hut  dato  diß  brieffs  . . .« 

»Des  zu  urkund  so  ich  obgenannter  Heinrich  grübel myn  eigen 

insigel  gedruckt  zu  rucke  uff  disen  brieff.« 

Die  Ausmalung  der  Augustinerkirche  lag  demnach  in  den  Händen 
von  drei  in  Konstanz  ansäßigen  Malern:  Heinrich  Grübel,  Kaspar 
Sunder  und  Johans  Lederhoser.  Wir  haben  hier  einen  der 
seltenen  Fälle  in  der  Geschichte  der  spätmittelalterlichen  Malerei  am  Ober- 
rhein, wo  sich  ein  kunsthistorisch  bedeutungsvolles  Werk  mit  bestimmten 
Künstlerpersönlichkeiten  in  einen  urkundlich  gesicherten  Zusammenhang 
bringen  läßt.  Wie  zu  erwarten  stand,  besagt  die  Quittung  nichts  über  den 
Anteil  der  einzelnen  Meister  an  dem  Gesamtwerk.  Dagegen  scheint  es  höchst 
wahrscheinlich,  daß  Heinrich  Grübel  die  Oberleitung  des  Auftrags  über- 
nommen hatte,  da  er  seinen  Namen  an  die  Spitze  stellt  und  die  Urkunde 
mit  seinem  Siegel  versieht20).  Die  bedungene  Akkordsumme  in  Höhe  von 
1400  Gulden  wurde  durch  Konrad  von  Weinsberg  ratenweise  ausbezahlt. 
Den  Empfang  von  200  Gulden  bestätigen  die  Maler  in  der  oben  mitge- 
teilten Quittung.  Eine  weitere  Abschlagszahlung  in  Höhe  von  400  Gulden21) 
scheint  später  erfolgt  zu  sein,  denn  auf  der  Rückseite  dieser  Quittung  lesen 
wir  folgenden  eigenhändigen  Vermerk  Konrads  von  Weinsberg:  »Quidanz 

20)  Das  Wappenschild  enthält  zwei  mit  den  Stielen  gekreuzte  Hämmer;  die  Um- 
schrift ist  undeutlich. 

21)  Da  weitere  Quittungen  der  Maler  fehlen,  so  bleibt  es  freilich  zweifelhaft,  ob  in 
der  ausbezahlten  Summe  von  400  Gulden  nicht  jene  200  Gulden  bereits  enthalten  waren, 
über  die  die  Maler  quittieren. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz.  39g 


umb  400  Gulden  von  den  mallern  die  ich  bezalt  han  die  ist  man  mir  noch 
schuldig  uff  samstag  nach  exaltationis  santi  kruzi  anno  dom.  1417«  (18.  Sep- 
tember). Damit  stimmt  ein  weiterer  Vermerk  in  Konrads  eigenhändigem 
Ausgabenverzeichnis  von  1417  (D.  24.  k.  3.  S.  9)  überein:  »Item  zu  dem 
ersten  den  mallern  die  da  malten  zu  den  Aug(e)nst(e)iner  denen  han  ich 
versprochen  1400  gülden.  Item  den  han  ich  400  gülden  bezalt«22).  In  Anbe- 
tracht der  Höhe  der  Akkordsumme  wird  man  annehmen  dürfen,  daß  der 
Gemäldezyklus  von  namhaften  Meistern  ausgeführt  wurde;  diese  Ver- 
mutung wird  aber  angesichts  der  hochbedeutenden  künstlerischen  Quali- 
täten^) der  Wandbilder  zur  Gewißheit.  Um  so  interessanter  erscheint  denn 
die  Aufgabe,  den  ausführenden  Künstlerpersönlichkeiten  etwas  nachzugehen. 
Leider  haben  archivalische  Forschungen2«)  nur  für  zwei  der  genannten 
Meister  nähere  Anhaltspunkte  ergeben.  Wie  mir  der  Konstanzer  Archivar, 
Herr  Dr.  Maurer  freundlichst  mitteilte,  ist  für  die  Familie  G r ü b e 1 die 
Konstanzer  Herkunft  gesichert.  Auch  Sünder  scheint  einer  Konstanzer 
Familie  zu  entstammen,  doch  läßt  sich  dies  vorläufig  noch  nicht  mit  voller 
Sicherheit  nachweisen.  Der  Name  Lederhoser  endlich  soll  in  späterer 
Zeit  wiederholt  in  Konstanzer  Urkunden  begegnen. 

Heinrich  Grübel  wird  in  dem  ältesten  Konstanzer  Steuer- 
buch (von  1378 — 1445)  nicht  erwähnte),  er  müßte  demnach  bereits  vor 
1378  in  Konstanz  Bürger  gewesen  sein.  Diese  Vermutung  mag  sich  auf  einen 
Eintrag  des  ältesten  Konstanzer  Ratsbuchs  stützen.  Da  finden  wir  (Beyerle, 
Ratslisten,  S.  1 13)  im  Jahre  1389  einen  »Grübel«  nach  dem  dritten 
Zunftaufstand  unter  den  neugewählten  Zünftigen.  Zur  Identifizierung  mit 
unserm  Maler  Heinrich  fehlt  freilich,  wie  so  häufig,  der  Vorname.  Jedenfalls 
kann  es  sich  nicht  um  den  »Uli  Grübel«  handeln,  da  dieser  in  dem 
gleichen  Zunftver^eichnis  (von  1389)  aufgeführt  wird.  Im  Konstanzer 
Steuerbuch  von  1418  tritt  dann  weiterhin  eine  »G  r ü b 1 i n«  auf,  die 
400  lb.  h.  Liegendes  und  400  lb.  h.  Fahrhabe  versteuert.  Leider  können 
wir  nicht  mehr  feststellen,  ob  es  sich  hier  um  die  Frau  des  Uli  oder  Heinrich 
handelt.  Falls  letzteres  zutrifft,  wäre  Heinrich  Grübel,  da  er  noch  am 
4.  Juli  1417  die  Quittung  über  200  Gulden  Abschlagszahlung  für  die  Malereien 
in  der  Augustinerkirche  unterzeichnet,  im  folgenden  Jahre  aber  nicht  mehr 
genannt  wird,  während  eine  »Grüblin«  als  Steuerzahlerin,  also  als  Witwe 


**)  Ob  hier  wirklich  eine  weitere  Abschlagszahlung  vorliegt,  läßt  sich  nicht  ent- 
scheiden. 

*3)  Diese  lassen  sich  freilich  aus  den  Reproduktionen  nur  sehr  ungenügend  erkennen. 
*4)  Zu  aufrichtigem  Dank  für  gütige  Förderung  meiner  Studien  bin  ich  Herrn  Dekan 
Maisch  in  Öhringen  und  Herrn  Archivar  Dr.  Maurer  in  Konstanz  verpflichtet. 

*5)  Bei  dem  häufigen  Wechsel  der  Namensbezeichnungen  wäre  es  freilich  auch 
denkbar,  daß  Grübel  gelegentlich  als  »Heinrich  der  maler«  aufgeführt  wurde. 


400 


J.  Gramm: 


auftritt,  in  der  Zwischenzeit  bis  zum  nächsten  Steuertermin,  mithin  Ende 
1417  oder  Anfang  1418  verstorben.  Über  das  Alter  des  Malers  läßt 
sich  leider  kein  sicherer  Anhaltspunkt  gewinnen;  er  mag  frühestens  in  den 
60  er  Jahren  des  14.  Jahrhunderts  geboren  sein,  da  er  sich  1418  noch  der 
schwierigen  Malarbeit  auf  hohen  Gerüsten  unterzieht.  Gegen  ein  späteres 
Geburtsdatum  spräche  andererseits  die  bereits  1389  erfolgte  Aufnahme 
Grübels  unter  die  Zünftigen  im  Rat,  sofern  wir  überhaupt  geneigt  sind, 
den  Protokolleintrag  auf  unsern  Maler  beziehen  zu  wollen. 

Im  Jahr  1418,  zur  Zeit,  da  Grübel  wohl  bereits  verstorben  war,  tritt 
»Caspar  Sünder  vnd  sin  bruder«  im  Konstanzer  Steuerbuch 
auf.  Kaspar  versteuert  1701b.  h.  Fahrhabe,  dagegen  keine  liegenden  Güter. 
Indessen  läßt  sich  dem  Konstanzer  Gebrauch  zufolge  daraus  noch  nicht 
ohne  weiteres  schließen,  daß  Kaspar  Sünder  kein  Haus  zu  eigen  gehabt 
habe.  Er  wohnte  mit  seinem  jedenfalls  jüngeren  Bruder  zusammen,  der 
seinerseits  nur  mit  60  lb.  h.  Fahrhabe  im  Steuerverzeichnis  von  1418  ein- 
getragen ist.  Hier  finden  wir  auch  eine  »Sünderin  vnd  i r s o n«, 
offenbar  die  Mutter  des  Kaspar.  Sie  versteuert  300  lb.  h.  Liegenschaften 
und  760  lb.  h.  Fahrnisse,  während  der  Sohn  als  minderjährig  noch  nicht 
als  Besitzer  auftritt.  Beide  wohnten,  wie  die  Reihenfolge  der  Steuerein- 
träge erkennen  läßt,  nicht  bei  Kaspar  und  seinem  Bruder,  sondern  in  einer 
anderen  Stadtgegend  (wohl  heutige  Wessenbergstraße).  Da  nun  der  jüngste 
Sohn  der  »Sünderin«  1418  noch  minderjährig  ist,  also  etwa  um  1400  geboren 
wurde,  so  dürfte  das  Geburtsdatum  seiner  Mutter  kaum  vor  den  60  er  Jahren 
des  14.  Jahrhunderts  angesetzt  werden.  Kaspar  der  Maler  endlich  könnte 
dann  nicht  vor  den  80  er  Jahren  geboren  sein.  Ein  Vergleich  der  mutmaß- 
lichen Lebensdaten  des  Kaspar  Sünder  und  Heinrich  Grübel  ergibt  einen 
Altersunterschied  von  etwa  20  Jahren.  So  dürfen  wir  Sünder  wohl  der 
neuen  Generation  zurechnen. 

Für  den  dritten  Meister,  Johans  Lederhoser  *6),  ließen  sich 
bisher  leider  gar  keine  urkundlichen  Belege  beibringen.  Da  Träger  seines 
Namens  jedoch  in  späteren  Konstanzer  Materialien  begegnen,  so  möchte 
man  in  ihm  gleichfalls  einen  Vertreter  der  vorgerückten  Kunst  erblicken. 

26  ) Mit  Jonans  Lederhoser  ist  uns  ein  Maler  des  Vornamens  Hans  für  das  Jahr  1417 
in  Konstanz  bezeugt,  der  sehr  wohl  noch  1424  am  Leben  gewesen  sein  mag,  als  jener  »Hans 
von  Constanze  in  den  Urkunden  auftritt,  den  D.  Burckhardt  ohne  weiteres  mit  Hans  Witz 
identifiziert.  Der  Vorname  allein  reicht  dazu  keineswegs  aus,  zumal  in  jenen  Tagen  auch 
andere  Maler  des  gleichen  Vornamens  in  Konstanz  gelebt  haben  mögen.  Im  übrigen  sind 
die  Berührungspunkte  der  älteren  Konstanzer  Kunst  mit  der  des  KonradWitz  doch  sehr 
geringfügig.  Erst  in  dem  1445  datierten  Wandgemälde  der  Margarethenkapelle  des  Kon- 
stanzer Münsters  — einer  Kreuzigung  und  Madonna  in  Scheinarchitektur  — macht  sich 
die  Kunstweise  des  K.  Witz  und  seines  Kreises  auffallend  bemerkbar.  Ich  behalte  mir  vor 
auf  diese  Beziehungen  bei  anderer  Gelegenheit  zurückzukommen. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  im  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz. 


401 


Doch  wir  wollen  uns  nicht  mit  unsicheren  Spekulationen  aufhalten.  Da 
wir  die  Stileigentümlichkeiten  der  einzelnen  Maler  vorläufig  nicht  kennen, 
so  läßt  sich  der  Anteil  der  drei  Meister  an  den  Gemäldezyklen  natürlich  nicht 
feststellen.  Immerhin  wird  man  kaum  fehlgehen  in  der  Annahme,  daß  die 
dem  Stil  nach  altertümlich  anmutenden  Teile  des  Zyklus  wie  etwa  der 
Augustinusfries  von  Heinrich  Grübel,  dem  Vertreter  der  älteren  Generation, 
herrühren.  Hatte  dieser  als  Senior  des  Malertrios  nicht  nur  die  geschäft- 
lichen Obliegenheiten,  sondern  auch  die  künstlerische  Oberleitung  des  Auf- 
trags übernommen,  was  immerhin  wahrscheinlich  ist,  so  dürfte  der  Gesamt- 
plan der  Malereien  von  ihm  festgelegt  sein.  Die  thronenden  Gestalten  in 
den  Zwickeln  der  Nordwand  verraten  gleichfalls  noch  altertümliche  Züge, 
allein  der  Gesamteindruck  ist  doch  ein  anderer,  so  daß  hier  wohl  eine  andere 
Hand  mit  im  Spiele  war.  Es  scheint,  als  ob  dieser  Künstler  sich  durch 
gewisse  Schranken  der  Tradition  in  seiner  Formgebung  gebunden  fühlte, 
als  habe  ihm  irgendein  älteres  Vorbild  zugrunde  gelegen,  das  er  nun  mit 
neuem  Leben  zu  erfüllen  bestrebt  war,  ohne  dabei  auf  die  hergebrachte 
noch  stark  ans  Hochgotische  anklingende  Formensprache  zu  verzichten. 
Als  Vorbilder  mögen  vor  allem  böhmische  Malereien  in  Betracht  kommen, 
die  der  Künstler  in  Prag  oder  auf  dem  Schlosse  Karlstein  kennen  gelernt 
haben  mochte.  Bereits  Wingenroth37)  hat  auf  diese  Spur  hingewiesen. 
Er  macht  auf  die  thronenden  Sibyllen  im  Südflügel  des  Emausklosters  zu 
Prag  aufmerksam.  Hier  begegnen  die  eng  um  den  Körper  geschlungenen, 
gleichsam  nassen  Gewänder  mit  ihren  Schlängelsäumen,  wie  sie  an  den 
Konstanzer  Zwickelgestalten  der  Nordseite  Vorkommen.  Auch  für  die  eigen- 
artigen Throne  finden  sich  auf  dem  Sibyllen-  und  Judithbild  von  Emaus 
Parallelen38).  Doch  ist  die  Formgebung  im  ganzen  noch  weit  altertüm- 
licher als  in  Konstanz.  Etwas  nähere  Beziehungen  zu  den  Zwickelgestalten 
verraten  manche  der  thronenden  Einzelfiguren  des  Luxemburger  Stamm- 
baums, auf  den  gleichfalls  Wingenroth  hingewiesen  hat39).  Leider  sind 
wir  durch  den  Untergang  der  Originalgemälde,  die  Karl  IV.  in  seinem 
Schlosse  Karlstein  ausführen  ließ,  auf  die  Nachbildungen  des  16.  Jahr- 
hunderts angewiesen^),  die  jedoch  den  ursprünglichen  Stil  noch  einiger - 

*7)  Wingenroth,  a.  a.  0.  S.  98  u.  100. 

*8)  Vgl.  J.  Neuwirth,  Die  Wandgemälde  im  Kreuzgang  des  Emausklosters  zu  Prag. 
Prag,  1898,  Taf.  IV,  VII.  Man  vergleiche  hierzu  auch  die  thronartigen  Gestühle  auf  böh- 
mischen Miniaturen,  z* *  B.  bei  der  Verkündigung  aus  dem  Mariale  des  Erzbischofs  Ernst 
von  Pardubitz.  Abgeb.  bei  Neuwirth,  Prag,  S,  88.  Auffallender  jedoch  als  hier  ist  die  Ver- 
wandtschaft der  Throne  in  den  Miniaturen  eines  Psalters  des  Herzogs  von  Berry  (Paris,  Bibi. 
Nat.),  abgeb.  bei  Fierens-Gevaert,  La  renaissance  septentrionale.  Brüssel  1905,  S.  61  u.  64. 

*9)  Wingenroth,  a.  a.  S.  100. 

3°)  Wien,  Hofbibliothek,  Handschr.  Nr.  8330.  Vgl.  Neuwirth, ' Der  Bildercyclus 
des  Luxemburger  Stammbaumes  aus  Karlstein.  Prag  1897. 


402 


J.  Gramm: 


maßen  erkennen  lassen.  Vergleicht  man  etwa  den  an  der  Nordwand  der 
Augustinerkirche  über  der  Brüstung  der  Orgelempore  thronenden  Königs1), 
der  Zepter  und  Reichsapfel  trägt,  mit  einzelnen  Königen  des  Stamm- 
baumes (Neuwirth  a.  a.  O.  Taf.  IX,  i,  2,  XI,  2,  3,  XV,  3,  XVI,  1),  so  ergibt 
sich  namentlich  bei  letzterem  eine  unverkennbare  Verwandtschaft,  die  sich 
hier  sogar  auf  den  Gesichtstypus,  auf  Haar-  und  Barttracht  erstreckt.  Allein 
wieviel  freier  und  hoheitsvoller  ist  die  Haltung  der  Konstanzer  Königs- 
figur! Der  prächtige  porträtartig  durchgearbeitete  Kopf  zeugt  von  unmittel- 
barer Lebensbeobachtung  des  Meisters.  Nicht  so  überzeugend  wirkt  der 
Vergleich  der  Frauengestalt  auf  der  Nordseite  mit  den  Königinnen  des 
Stammbaumes,  die  nur  in  der  Anordnung  der  Gestalten  eine  gewisse  Ähnlich- 
keit mit  jener  aufweisen.  Dagegen  erinnert  das  langgestreckte,  im  Kinn 
spitz  zulaufende  Gesichtsoval  mit  den  hochgezogenen  Brauenbogen  und  den 
weitgeöffneten  staunenden  Augen  an  böhmische  Typen,  wie  etwa  auf  dem 
Wenzelsbilde  der  KLeinseitener  Nikolauskirche  zu  Prag3*),  in  dem  wiederum 
Züge  an  flandrisch-burgundische  Kunst  anklingen33).  Auch  für  den  thronen- 
den Heiligen  mit  der  Kurfürstenmütze  (?)  an  der  Westwand  ließe  sich 
allenfalls  ein  flandrisches  Werk  zum  Vergleich  heranziehen.  Es  ist  ein 
gewirkter  Teppich  des  14.  Jahrhunderts  aus  der  Antwerpener  Kathedrale. 
Da  sehen  wir  eine  sitzende  männliche  Gestalt  unter  einem  reichausgestalteten 
architektonischen  Baldachin  (Abbildung  bei  Fierens-Gevaert,  a.  a.  O.  zu 
S.  40).  Hier  fließt  die  dünne  Gewandung  ganz  ähnlich  wie  auf  dem  Konstanzer 
Bilde  in  weichen  Wellenlinien  über  den  Körper  zur  Erde  nieder;  die  Figur 
ist  nahezu  in  derselben  Haltung,  nur  im  Gegensinne  aufgefaßt.  Endlich 
bietet  die  Baldachinarchitektur  mit  den  perspektivisch  verschobenen  Kreuz- 
rippengewölben mancherlei  Vergleichspunkte.  Von  irgend  welchem  Ab- 
hängigkeitsverhältnis kann  ja  wohl  nicht  die  Rede  sein.  Es  sollte  nur  auf 
die  zeitliche  Gemeinsamkeit  der  Kunstbestrebungen  in  den  verschiedenen 
Ländern  hingewiesen  werden.  Überdies  mochten  derartige  Baldachin- 
architekturen, wie  sie  sich  vermutlich  von  Italien  her  über  Avignon  nach 
Frankreich  und  in  die  Niederlande  verpflanzten,  teils  direkt  im  südlichen 
Deutschland  Aufnahme  gefunden  haben,  teils  durch  die  böhmische  Zentrale 
dahin  gelangt  sein. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  thronenden  Gestalten  der  Süd- 
wand der  Augustinerkirche,  so  gewahren  wir  zunächst  bedeutende  Unter- 
schiede im  Typus,  in  der  Körperbildung  und  der  Gewandbehandlung,  die 
durch  die  starke  Übermalung  der  Renaissancezeit  ihre  Erklärung  finden. 

31)  Wingenroth,  Taf.  II  Nr.  3. 

3*)  Abgebildet  bei  Neuwirth,  Prag.  Leipzig- Berlin  1901,  S.  84. 

33)  Vgl.  die  Malouel  oder  Broederlam  zugeschriebene  Madonna  der  Kollektion  Aynard 
in  Lyon,  abgebildet  u.  a.  in  »Les  Arts«  1904  Nr.  28,  S.  6. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz.  403 

An  einzelnen  besser  erhaltenen  Teilen  jedoch  läßt  sich  deutlich  wahrnehmen, 
daß  wir  es  hier  mit  einer  anderen  Hand  als  auf  der  Südseite  zu  tun  haben. 
Bereits  Wingenroth  wies  auf  die  schlankeren  Proportionen  und  die  breiteren, 
volleren  Detailformen  hin;  die  Gewandung  zeigt  einen  Fortschritt  vom 
Flächig- Gestrafften  zum  Breiten,  Rundlichen.  Freilich  begegnen  auch 
hier  noch  die  altmodischen  Glocken-  und  Schlängelfalten,  besonders  bei  der 
großartig  aufgefaßten  weiblichen  Gestalt  an  der  Westwand.  Die  treffliche 
Erhaltung  dieser  in  warmen  orangeroten  und  blauen  Tönen  gehaltenen 
Frauenfigur  läßt  »die  weiche  Behandlung  der  Fleischteile,  das  volle  Gesicht 
mit  dem  starken,  etwas  wulstigen  Mund«,  den  »kräftigen  Hals  und  Arm«34) 
erkennen,  lauter  Merkmale,  die  für  die  böhmische  Kunst  bezeichnend  sind35). 
Allein  alle  diese  Berührungspunkte  sind  doch  nicht  ausreichend,  um  unsere 
Meister  als  Zugehörige  zur  böhmischen  Schule  erweisen  zu  können.  Immerhin 
legt  sich  die  Vermutung  nahe,  daß  die  drei  von  Sigismund  beschäftigten 
Meister  in  seiner  Gefolgschaft  die  böhmische  Kunst  an  der  Quelle  studierten 
und  die  dort  empfangenen  Anregungen  in  ihrer  Weise  zu  verwerten  suchten. 
Die  Friesgestalten  zeigen  verhältnismäßig  am  wenigsten  Anklänge  an 
Böhmisches36).  Man  könnte  höchstens  eine  gewisse  Verwandtschaft  der 
bärtigen  Gestalt  auf  einem  der  Wandbilder  des  Emausklosters  zu  Prag 
(Neuwirth,  Taf.  XII,  1 rechts)  mit  dem  einen  Eremiten  des  Frieses  (Wingen- 
roth, Fig.  7 links)  konstatieren.  Auf  den  verstümmelten  Bildern  der  Triumph- 
bogenwand erinnern  die  Frauen  der  linken  Szene  in  der  Schlankheit  der 
Proportionen,  der  Verhaltenheit  der  Gebärde  und  der  Gewanddisponierung 
mit  dem  engen  weißen  Gebände  an  die  Witwe  von  Sarepta  und  die  Sunamitin 
der  Emausbilder  (Neuwirth,  Taf.  XXV). 

Daß  böhmische  Stilelemente  der  karolinischen  Kunstepoche  gelegent- 
lich in  die  oberrheinische  Kunst  eindrangen,  ist  genugsam  bekannt.  Es 
sei  nur  an  den  offenbar  von  einem  in  Prag  geschulten  deutschen  Meister 
gefertigten  Altar  von  Mühlhausen  a.  N.  erinnert  (Stuttgarter  Galerie  Nr.  94)37) 
Der  längst  vermutete  böhmische  Einfluß  auf  die  Wandgemälde  der  Burg 
Zwingenberg  a.  N.  erscheint  durch  die  überraschende  Verwandtschaft  der 


34)  Wingenroth,  a.  a.  0.  S.  97. 

35)  Vgl.  J.  Neuwirth,  Mittelalterliche  Wandgemälde  und  Tafelbilder  der  Burg  Karl- 
stein in  Böhmen.  Prag  1896,  Taf.  VIII. 

36)  Der  Gesichtstypus  des  hl.  Augustin  erscheint  vielmehr  als  eine  Weiterbildung 
der  Bischofstypen  des  um  1410  tätigen  Meisters  der  Nikolauslegende  der  Konstanzer 
Münsterschatzkammer,  dessen  schönlinige  Figurenauffassung  auch  in  den  Mönchsgestalten 
des  Frieses  noch  nachklingt.  Vgl.  J.  Gramm,  Spätmittelalterliche  Wandgemälde  im  Kon- 
stanzer Münster.  Straßburg  1905,  Taf.  XIII,  XX. 

37)  Vgl.  Studien  aus  Kunst  und  Geschichte,  Friedrich  Schneider  zum  70.  Geburtstage 
gewidmet.  Freiburg  1906,  S.  419  ff. 


404 


J.  Gramm: 


Verkündigung  3»)  mit  der  gleichen  Szene  im  Emauskloster39)  soviel  wie 
gesichert.  Aber  auch  für  die  Wandgemälde  des  Meisters  der  Nikolauslegende 
in  der  Schatzkammer  des  Konstanzer  Münsters4°)  lassen  sich,,  wie  ich  glaube, 
vereinzelte  Vergleichsmomente  beibringen.  Man  beachte  auf  dem  ersten 
Bilde  der  Konstanzer  Pilgerlegende4i)  den  Gesichtstypus  des  Mordgesellen 
mit  der  niedern  Stirn,  der  dicken,  überhängenden  Nase,  dem  abstehenden 
Vollbart  und  dem  zurückgestrichenen  Haar.  Er  kehrt  ganz  ähnlich  wieder 
bei  Josef  auf  der  Geburt  Christi  des  Emausklosters4*),  oder  bei  den  im 
Profil  gegebenen  Begleitern  des  siegreichen  David  ebenda43).  Der  gleiche 
Typus,  ins  Groteske  gesteigert,  kehrt  endlich  in  der  selben  Szene  beim 
Haupte  Goliaths  wieder.  Auch  beim  Vergleich  einzelner  Männertypen  der 
Nikolausszenen44)  mit  solchen  auf  dem  Kreuzigungsbilde  des  Emaus- 
klosters45)  ergibt  sich,  namentlich  in  der  Bildung  von  Augen,.  Nase  und 
Mund  eine  gewisse,  freilich  nur  oberflächliche  Ähnlichkeit  Im  übrigen 
liegt  es  mir  fern,  irgendwelchen  direkten  Zusammenhang  des  Meisters  der 
Nikolauslegende  mit  böhmischer  Kunst  und  speziell  mit  den  Wandbildern 
im  Emauskloster  hersteilen  zu  wollen,  schon  deshalb,  weil  ich  die  Prager 
Bilder  nur  aus  Abbildungen  kenne.  Es  sollte  hier  nur  die  Frage  nach  den 
eventuellen  Beziehungen  der  oberrheinischen  Malerei  zur  böhmischen 
neuerdings  wieder  angeregt  werden.  Wie  sich  in  dieser  Hinsicht  die  Meister 
der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  verhielten,  haben  wir  bereits 
oben  angedeutet.  Sie  scheinen  die  weit  überlebensgroßen  thronenden 
Gestalten  im  Anschluß  an  böhmische  Vorbilder  geschaffen  zu  haben.  Die 
damals  noch  erhaltenen  Wandbilder  mit  der  Ahnenreihe  der  Luxem- 
burger auf  Schloß  Karlstein  mochte  für  die  Anordnung  und  Auswahl 
der  Gestalten  vorbildlich  gewesen  sein.  Es  könnte  sich  freilich  nur  um 
einen  vorübergehenden  Aufenthalt  der  Maler  in  Prag  gehandelt  haben, 
da  ihre  Namen  in  den  Listen  der  Malerzeche  nicht  Vorkommen.  Die 
Meister  hätten  dann  ihre  Eindrücke  selbständig  verarbeitet,  v/obei  sie 
sich  den  heimischen  Traditionen  anschlossen,  wie  z.  B.  in  der  Beibe- 
haltung der  farbigen  Streifengründe,  die  bereits  in  den  Oberzeller 
Wandbildern  begegnen,  sowie  in  der  Bevorzugung  der  von  den  Nikolaus- 


38)  L.  Leutz,  Die  Wandgemälde  in  der  Burgkapelle  Zwingenberg  a.  N.  Darmstadt 
1893,  Taf.  23. 

39)  J.  Neuwirth,  a.  a.  O.  Taf.  VIII. 

4°)  J.  Gramm,  a.  a.  O.  Taf.  XIX. 

41)  Gramm,  a.  a.  O.  Taf.  XIX. 

4*)  Neuwirth,  Taf.  IX. 

43)  Ebenda,  Taf.  V. 

44)  Gramm,  Taf.  XIV. 

45)  Neuwirth,  Taf.  I. 


Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  in  der  Augustinerkirche  zu  Konstanz.  405 

Wandbildern  und  dem  Sposalizio  des  Roßgartenmuseums4<>)  her  bekannten 
Knollenkapitellen. 

Was  aber  stellten  die  Bilderzyklen  der  Konstanzer  Augustinerkirche  dar  ? 
Wingenroth  und  Gröber  geben  bereits  eine  trefflich  begründete  Antwort  auf 
diese  interessante  Frage 47).  Es  mag  daher  hier  auf  ihre  scharfsinnige  Unter- 
suchung verwiesen  werden.  Sigismund  scheint  bei  seinem  Auftrag  den 
Malern  eine  doppelte  Aufgabe  gestellt  zu  haben.  Sie  sollten  einmal,  der 
Bestimmung  der  Kirche  entsprechend,  die  Entwicklung  des  Mönchtums, 
mithin  die  Vorgeschichte  des  Augustinerordens  schildern.  Es  geschah  dies 
in  friesartig  angeordneten  Gruppen  von  Einsiedlern  und  Ordensstiftern,  die 
ihre  Genossen  um  sich  versammeln.  Bezüglich  der  Deutung  der  einzelnen 
besonders  kenntlich  gemachten  Gestalten  wird  man  Wingenroth  beipflichten 
dürfen,  nur  vermag  ich  nicht  anzunehmen,  daß  S.  Augustinus  immer  wieder- 
kehrend dargestellt  ist.  Sollten  wir  in  diesen  freilich  sehr  verwandten  Ge- 
stalten nicht  vielmehr  die  Stifter  von  Zweiggenossenschaften  der  Augustiner 
oder  anderer  Orden  erblicken  dürfen?  Die  rätselhaften  Bilder  der  Triumph- 
bogenwand scheinen  zu  den  Friesdarstellungen  in  irgendeinem  Zusammen- 
hang 'gestanden  zu  haben.  Der  Vermutung,  daß  es  sich  um  Fragmente 
eines  Kalpharienberges  handelt,  kann  ich  nach  eingehender  Besichtigung 
der  Bilder  nicht  teilen.  Wie  mir  Herr  Stadtpfarrer  Dr.  Groeber  mitteilt, 
sollen  sich  in  der  Mitte  des  Bogens  Reste  eines  kirchenartigen  Gebäudes 
befunden  haben,  zu  dem  Pferde  hinaufstrebten.  Vielleicht  handelte  es  sich 
um  eine  Schilderung  der  Freuden  und  Vergnügungen  dieser  Welt,  die  durch 
den  Einfluß  des  höllischen  Widersachers  (der  Affe  auf  der  Schulter  des 
einen  Mannes  als  böses  Prinzip  gedeutet)  den  Menschen  nicht  zu  wahrem 
innerem  Glücksempfinden  gelangen  lassen.  Im  Gegensatz  dazu  die  innere 
Ruhe,  der  in  Gott  gefestigte  Seelenfrieden,  wie  ihn  das  Mönchstum  der  Kirche 
bietet.  Der  Ideengang  wäre  dann  ein  ähnlicher  wie  auf  dem  »Triumph  des 
Todes«  im  Camposanto  zu  Pisa.  Doch  das  sind  natürlich  alles  nur  müßige 
Vermutungen,  solange  es  nicht  gelingt,  das  Gegenständliche  der  Fragmente 
zu  enträtseln. 

Die  zweite  Aufgabe,  die  Sigismund  den  Malern  stellte,  betraf  vermut- 
lich die  Verherrlichung  seines  Hauses  und  der  Familie  seiner  Gemahlin 
Maria  von  Ungarn.  Dem  Stammbaum  der  Mönchsorden  sollte  der  Stamm- 
baum der  Luxemburger  und  Aquitanier  an  die  Seite  treten.  Der  heilige 
Ort  freilich  bedingte  eine  Auswahl  jener  beiderseitigen  Vorfahren,  die  der 
Ehre  des  Altares  teilhaftig  geworden  waren.  So  gewinnen  Wingenroths 
Deutungen  der  einzelnen  Zwickelgestalten  sehr  an  Wahrscheinlichkeit. 


46)  Abbildung  hei  Wingenroth,  a.  a.  0.  S.  73. 

47)  Wingenroth  S.  99  f. 


40Ö  J.  Gramm:  Kaiser  Sigismund  als  Stifter  der  Wandgemälde  usw. 

Wenn  man  den  aus  der  Renaissancezeit  stammenden  Beischriften  Glauben 
beimessen  darf,  so  wäre  das  eine  Mal  der  hl.  Ladislaus,  ein  Vorgänger  Sigis- 
munds auf  dem  Königsthron  dargestellt,  während  eine  andere  Gestalt  sich 
nach  Wingenroths  Ergänzung  der  verstümmelten  Inschrift  als  der  hl. 
Wilhelm  von  Aquitanien,  mithin  als  Ahne  der  Gemahlin  Sigismunds,  Maria 
von  Ungarn  aus  dem  Hause  Aquitanien  erweist.  Inwieweit  die  im  übrigen 
vorgeschlagenen  Deutungen  zutreffen,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden;  sie 
dürften  sich  jedoch  dem  Gesamtplan  nicht  übel  einfügen.  Mag  man  immerhin 
diesen  Deutungsversuchen  skeptisch  gegenüberstehen,  so  wird  man  einen 
gewissen  Zusammenhang  der  in  den  Zwickelbildern  dargestellten  Persön- 
lichkeiten mit  dem  kaiserlichen  Stifter  Sigismund  nicht  verkennen  wollen. 
Andererseits  erscheint  es  selbstverständlich,  daß  ein  so  umfangreicher 
Auftrag  des  hohen  Gönners  der  Augustinerkirche  nicht  beliebigen  Meistern 
anvertraut  wurde.  Es  werden  vielmehr  Meister  von  hoher  Tüchtigkeit 
und  begründetem  Ansehen  gewesen  sein,  die  ihr  Bestes  aufboten  zur  Ver- 
herrlichung des  Mönchtums  und  des  erlauchten  Hauses  ihres  kaiserlichen 
Auftraggebers.  Diese  Auffassung  aber  findet  ihre  vollste  Bestätigung  durch 
die  hervorragenden  künstlerischen  Qualitäten  der  Wandgemälde  selbst,  in 
denen  sich  die  hohe  Kunstblüte  der  oberrheinischen  Malerei  zur  Zeit  des 
Konstanzer  Konzils  aufs  glänzendste  dokumentiert. 


Der  angebliche  Malername  Hans  Peurl  auf  Nürnberger 
Tafelgemälden  des  15.  Jahrhunderts. 

Von  Max  Bach. 

Carl  Gebhardt  hat  in  seiner  verdienstvollen  Studie  über  die  Anfänge 
der  Tafelmalerei  in  Nürnberg  (Straßburg  1908)  den  Künstlername^  Peuerl 
auf  mehreren  kirchlichen  Gemälden  in  Nürnberg  nachzuweisen  gesucht. 
Dieser  Name,  auch  Pevrl,  Peverle,  Peuerlein,  Peurlin  geschrieben,  kommt 
zwar  in  Nürnberger  Urkunden  öfter  vor  (1404 — 1 500) » auch  ein  Hans  Peurl 
im  Bürgerbuch  von  1402  und  ein  anderer,  mit  dem  vorigen  wohl  nicht 
identisch,  zwischen  1463  und  1473;  doch  passen  diese  Namen  nicht  zu  den 
zu  besprechenden  Gemälden,  ebensowenig  der  Freskomaler  Hans  Peuerlein, 
welcher  im  Kreuzgang  des  Predigerklosters  1493  malte. 

Zunächst  ist  es  das  sog.  Ehenheimische  Epitaph  in  St.  Lorenz,  ein 
Votivbild  mit  dem  Schmerzensmann,  dessen  Königsmantel  auf  der  Borte 
des  Halsausschnitts  hebräisierende  Buchstaben  enthält,  aus  welchen  Geb- 
hardt den  vollen  Namen  Hans  Peurln  fjAßg  TTE21RAN  herauslesen 
will.  In  Wirklichkeit  sind  es  folgende,  genau  nach  der  Photographie  auf 
Tafel  29  des  genannten  Buches  gezeichnete  Schriftcharaktere: 

foKsyii 

Gebhardt  liest  an  der  linken  Seite  HANS  und  sagt:  die  letzten 
drei  Buchstaben  seien  ohne  Schwierigkeit  zu  lesen;  der  erste,  der  etwas 
einem  M ähnelt,. darf  wohl  als  ein  H gelesen  werden,  dessen  erster  Vertikal- 
strich  verkürzt  und  dessen  Horizontalstrich  mit  einem  Anhängsel  verziert 
ist.  Wie  man  das  herausfinden  kann,  ist  mir  unbegreiflich,  denn  alle  vier 
Buchstaben  haben  nicht  die  geringste  Ähnlichkeit  nm  lateinischer  Lapidar 
oder  gotischer  Majuskelschrift.  Ganz  ungeheuerlich  ist  aber  die  Deutung 
des  Namens  PEURLN;  es  gehört  wirklich  eine  starke  Phantasie  dazu, 
hier  den  Namen  des  Künstlers  in  versteckter  Form  herausbuchstabieren  zu 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


28 


408 


Max  Bach: 


wollen,  mit  Ausnahme  des  E-ähnlichen  Zeichens  ist  auch  kein  einziger 
Zug  der  übrigen  Schriftcharaktere  in  irgendeinem  Alphabet  unterzubringen, 
auch  nicht  im  hebräischen,  mit  dem  diese  Phantasieschrift  am  meisten 
Ähnlichkeit  hat.  Offenbar  wollte  der  Künstler  nur  die  Borte  mit  Stickereien 
verzieren,  ohne  an  bestimmte  Namen  oder  Worte  zu  denken,  oder  gar  sein 
Signet  damit  auszudrücken. 

Die  andere  Schrift,  welche  sich  am  Tucherschen  Altar  in  der  Frauen- 
kirche auf  dem  Flügel  mit  dem  auf  erstandenen  Christus  befindet,  be- 
spricht Gebhardt  folgendermaßen: 

#AAjrA?m 

Auf  dem  Gewandsaum  des  schlafenden  Grabwächters  rechts  finden 
wir  zwei  Worte  in  sehr  augenfälliger  Schrift,  Schwarz  auf  Gelb,  von  denen 
das  erste  aus  vier,  das  zweite  aus  fünf  Zeichen  besteht.  Fraglich  ist  das 
erste  Wort.  Der  zweite  Buchstabe  ist  A,  der  vierte  N,  der  erste  könnte  wohl 
als  ein  spielerisch  verstelltes  H,  der  dritte,  der  einer  2 gleicht,  als  Buch- 
staben am  ehesten  als  ein  3 gedeutet  werden,  Die  vier  ersten  Buchstaben 
des  zweiten  Wortes  sind  unzweideutig  (!!);  der  fünfte,  von  dem  nur  der 
Anfangstrich  sichtbar  ist,  kann  kaum  anders  als  ein  R ergänzt  werden. 
Die  ganze  Inschrift  hieße  dann:  RA3N  APGfY3ft  (??).  Auch  diese 

Deutung  halte  ich  für  ganz  ausgeschlossen;  es  ist  nichts  als  eine  Phantasie- 
schrift, wie  solche  im  ganzen  15.  Jahrhundert  auf  Gewandsäumen  bei  alt- 
und  neutestamentlichen  Figuren  sehr  häufig  Vorkommen,  in  der  Regel 
aber  nur  Verzierungen  vorstellen.  Die  Beispiele,  welche  Gebhardt  anführt, 
sind  nicht  als  Analogon  zu  verwerten.  Der  Künstlername  des  Pfenning 
befindet  sich  auf  der  Schabracke  eines  Reiters,  in  auffälliger  deutlicher  Schrift, 
ebenso  der  Name  Laib  am  Harnischkragen  eines  Ritters;  der  Name  »Hans 
Peurlin«  auf  dem  Reichenau -Epitaph  des  Augsburger  Bildhauers  Hans 
Peurlin  im  Dom  zu  Eichstedt  ist  auf  der  mir  vorliegenden  Photographie 
nicht  sichtbar.  Jedenfalls  ist  aber  die  von  Redslob  (Mitteil.  d.  germanischen 
Nationalmuseums  1907  S.  65)  mitgeteilte  Inschrift  deutlich  und  auf  keinem 
Gewandsaum  angebracht.  Ich  habe  schon  in  meinem  Artikel  über  ein  Altar- 
werk in  Weingarten  (Archiv  f.  christl.  Kunst  1898  Nr.  6)  darauf  aufmerksam 
gemacht,  wie  vielfach  die  Sitte  der  damaligen  Zeit,  Buchstaben  auf  Gewand- 
säumen als  Dekorationsmittel  anzubringen,  die  Forscher  irregeführt  hat, 
oder  gar,  wie  z.  B.  von  Eigner  nachgewiesen  ist,  Künstlernamen  oder  Mono- 
gramme geradezu  gefälscht  wurden. 

So  halte  ich  vor  allem  die  Inschrift  auf  dem  Gürtel  der  Jungfrau 
auf  dem  Bilde  der  Darstellung  im  Tempel  des  Weingartner  Altarwerks  im 
Dom  zu  Augsburg  für  gefälscht.  Ich  habe  dafür  bis  jetzt  keine  Zustimmung 


Der  angebliche  Malemame  Hans  Peurl  auf  Nürnberger  Tafelgemälden  des  15.  Jahrh.  409 

erhalten,  auch  nicht  von  Glaser  in  seinem  neuesten  Buche  über  Holbein 
den  Ältern.  Besonders  ist  mir  Dr.  Schröder  im  Repertorium  1898  S.  51  ff. 
entgegengetreten.  Die  Inschrift  lautet  nach  Woltmann  .folgendermaßen : 

»Michel.  Ehrhart.  Pildhaver.  1493.  Hanns  Holbein.  Maler.  0 mater. 
miserere  nobis.«  Die  älteste  Aufzeichnung  darüber  finde  ich  in  Naglers 
Monogrammisten  III,  Bd.  1863,  sie  lautet:  »Paul.  Erhärt.  Pilthauer.  1495. 
Hanns  Holbein.  Maler.  O Mater.  Miserere.  Nobis.  Hier  ergeben  sich  schon 
starke  Varianten;  Woltmann  liest  Pildhaver,  Nagler  Pilthauer,  derselbe 
schreibt  anstatt  Michel,  Paul;  die  Jahreszahl  wird  1493  und  1495  gelesen. 
Da  das  Bild  als  Altartafel  dient  und  ziemlich  hoch  hängt,  so  kann  man 
nicht  recht  beikommen,  und  es  ist  unmöglich,  eine  Pause  von  der  Schrift 
zu  nehmen,  doch  konnte  ich  soviel  konstatieren,  daß  die  Inschrift  aus 
römischen  Unizialbuchstaben  besteht,  wie  solche  auch  sonst  auf  Holbein- 
schen  Bildern  vorkommt.  Die  A und  E sind  in  mittelalterlicher  Majuskel- 
form. Hiervon  eine  Probe1): 

AMCH  € L €RHHRT^PILOH7TV€  R 199; 

Die  Jahreszahl  ist  nicht  mehr  ganz  deutlich,  am  Schlüsse  des  Namens 
Holbein  ist  wieder  ein  Trennungszeichen  in  Form  eines  Laubes  mit  je  drei 
Punkten  :•  dann  folgt  MALER  und  schließlich  die  Fürbitte  an  die 
Jungfrau.  Die  Trennungsornamente,  wie  ein  solches  auch  vor  und  nach 
dem  Namen  MALER  steht,  wurden  irrtümlicherweise  für  Monogramme 
erklärt,  in  jener  Zeit,  wo  man  überall  Monogramme  witterte  und  auch  Zeit- 
blom  ein  solches  zuschrieb. 

Wenn  nun  auch  die  Schriftformen  an  sich  kein  Mißtrauen  erwecken, 
so  kommen  aber  doch  noch  andere  Merkmale  in  Betracht,  die  Zweifel  an  der 
Echtheit  der  Schrift  aufkommen  lassen.  Einmal  die  Fassung  der  Inschrift, 
wie  solche  an  Holbeinschen  Bildern  sonst  nicht  vorkommt;  er  schreibt 
gewöhnlich:  »Hans  Holbein  de  Augusta  me  fecit«  oder  »Depictum  per 
magistrum  Johannem  Holpain«.  Den  meisten  Zweifel  erweckt  aber  der 
Name  des  Bildhauers  Michel  Erhärt.  Diesen  Namen  schöpfte  Eigner  aus 
Ulmischen  Urkunden,  wo  ein  Michel  Erhärt  »Bildhover«  in  den  Zinsbüchern 
der  Frauenpflege  vorkommt,  und  damit  weiter  in  Verbindung  bringt;  eine 
Nachricht  aus  der  Kaisheimer  Klosterchronik,  wo  die  Bildschnitzer  Gregor 
Erhard  und  Adolph  Davher  und  der  Maler  Hans  Holbein  genannt  seien, 
welche  für  den  Abt  »Görg«  im  Jahre  1502  ein  Altarwerk  geschaffen  haben. 
Nun  ist  aber  dort  keineswegs  ein  Bildhauer  Erhärt,  sondern  nur  ein  »Pild- 
hauer  Maister  Gregori«  und  ein  Schreinermeister' Adolf  Kästner,  nebst  dem 
Maler  Hans  Holpain  genannt* *).^  Ein  Bildhauer  Michel  Erhärt  ist  also  mit 

*)  Die  Schriftzeichnung  verdanke  ich  Herrn  Professor  Dieterlen  in  Ulm. 

*)  Vgl.  meine  Ausführungen  im  Archiv  f.  christl.  Kunst  1902  S.  54. 

28* 


4io 


Max  Bach: 


Holbein  nicht  in  Verbindung  zu  bringen  und  wird  in  den  Augsburger  Künstler* 
registern  vergeblich  gesucht. 

Die  weitere  Frage,  ob  das  ehm.  Weingartner  Altarwerk  für  eine 
Arbeit  Holbeins  d.  Ält.  zu  halten  ist  oder  nicht,  dürfte  erst  entschieden 
werden,  wenn  die  Bilder  einer  sachgemäßen  Restauration  unterzogen  werden. 
Stilistisch  und  chronologisch  lassen  sich  die  Bilder  gut  in  das  Werk  Hol- 
beins d.  Ält.  einfügen,  und  ich  zweifle  auch  keineswegs  an  der  zweimal  auf 
dem  Bilde  angebrachten  Jahreszahl  1493,  denn  urkundlich  steht  fest,  daß 
unter  den  Äbten  Kaspar  Schiegg  und  Hartmann  von  Burgau  1477 — 1520 
die  Weingartner  Klosterkirche  neu  hergestellt  und  ausgeschmückt  wurde. 
Eine  neue  Weihe  fand  1487  statt  und  Abt  Hartmann,  welcher  1491  zur 
Regierung  kam  und  als  Klosterschüler  im  Jahre  1477,  durch  Unvorsichtigkeit, 
den  Brand  des  Klosters  verursacht  haben  soll,  fühlte  sich  verpflichtet, 
durch  Stiftung  des  Altars  auch  seinerseits  etwas  beizutragen.  Noch  wenig 
beachtet  ist  übrigens  auch  der  Porträtkopf,  welcher  sich  auf  demselben 
Bilde,  hinter  dem  hl,  Joseph  befindet,  es  ist  ein  junger  Mann  von  etwa 
28 — 30  Jahren  und  könnte  wohl  das  Selbstbildnis  Holbeins  vorstellen. 
Zeitblom  kann  es  nicht  sein,  da  derselbe  schon  im  Jahr  1497  ein  älterer 
Mann  war,  wie  sein  Selbstporträt  auf  dem  Herherger  Altar  zeigt.  Entgegen 
meiner  früheren  Ansicht,  welche  das  Werk  entschieden  dem  Barth.  Zeit- 
blom zuwenden  möchte,  halte  ich  jetzt  die  allgemeine  Annahme,  daß  wir 
in  den  Augsburger  Dombildern  Werke  Holbeins  d.  Ält.  vor  uns  haben,  für 
wahrscheinlich,  keinesfalls  aber  für  gesichert. 

Ganz  verfehlt  ist  ferner  das  Beispiel  eines  Künstlermonogramms  in 
Form  eines  Steinmetzzeichens  auf  dem  Basler  Altarwerk  des  Conrad  Witz; 
hier  befinden  sich  nämlich  auf  dem  Gemälde  mit  der  Figur  des  Hohenpriesters 
an  den  Pfeilern  der  Architektur  Steinmetzzeichen,  wie  solche  öfter  an 
Malereien  dieser  Zeit  Vorkommen,  aber  niemals  als  Signete  des  Malers 
aufzufassen  sind3).  Die  Inschrift  des  Multscher  an  seinem  Ulmer  Marien- 
altar ist  nicht  als  Kuriosum  anzusehen.  Man  findet  derartige  Schriftformen 
in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  häufig,  besonders  in  der  Plastik. 

PCRMC  • I(MHH£M  • MVLTSChEREH  • H7TCI0HIS  • D£RICh£HhOF£H 

Auch  die  gemalte  Schrift  auf  dem  Bilde  des  Pfingstfestes  vom  Berliner 
Multscheraltar  von  1437  ist  genau  dieselbe  wie  in  Ulm;  H steht  für  N,  die 
H und  E haben  noch  Majuskelform,  das  D ist  ein  verkehrt  gestelltes  C — 
ein  Beweis,  daß  beide  Werke  aus  einer  Werkstatt  hervorgegangen  sind. 
Klemm,  der  bekannte  Steinmetzenforscher4)  dachte  an  eine  spätere  Änderung 

3)  Vgl.  z.  B.  den  Kupferstich  des  Meisters  E S,  die  Madonna  von  Einsiedeln  vom 
Jahr  1466. 

4)  Württ.  Baumeister  u.  Bildhauer  S.  79. 


Der  angebliche  Malername  Hans  Peurl  auf  Nürnberger  Tafelgemälden  des  15.  Jahrh.  41  j 


resp.  Ergänzung  des  Ulmer  Steinbildwerks,  indem  er  sich  darauf  stützt, 
daß  die  Künstlerinschrift  in  kleineren  Buchstaben  unter  der  Dedikations- 
inschrift  des  Konrad  Karg  eingehauen  ist  und  er  dieselben  Schriftcharaktere 
häufig  erst  ums  Jahr  1500  an  Denkmälern  angetroffen  habe.  Nach  meinen 
Beobachtungen  trifft  das  doch  nicht  ganz  zu;  von  einer  Nacharbeitung 
kann  keine  Rede  sein,  denn  dieselben  Schriftformen,  nur  in  Relief,  finden 
sich  an  der  oberen  Inschrift  des  Denkmals,  welche  eine  Anrufung  der  aller- 
seligsten Jungfrau  ausdrückt. 

Ein  wahres  Quodlibet  von  Schriftformen  bietet  der  5)  bekannte  Altar 
des  Lukas  Moser  von  Tiefenbronn,  er  ist  ein  Unikum,  nicht  allein  als  einzig 
bekanntes  Werk  des  Künstlers,  Sündern  auch  wegen  seiner  originellen 
Inschriften  und  der  Klage  des  Künstlers:  »Schrie  . Kunst  . schrie  und  klag 
dich  . ser,  din  . begert  . jecz  . Niemen  . mer  . so  . o . we  . 1431.«  Diese 
Inschrift  ist  in  einer  verschrobenen  Minuskel,  der  Name  des  Künstlers  in 
einer  anderen  Variante,  wie  folgt,  geschrieben,  während  die  Dedikations- 
inschrift  in  einer  ähnlichen  Majuskelschrift  wie  bei  Multscher  aufgemalt  ist. 


© 


Merkwürdig  ist  die  in  k.einer  deutlicher  Minuskelschrift  gegebene 
Transkription  unter  der  schwierig  lesbaren  Schrift;  wahrscheinlich  geschah 
das  von  anderer  Hand  in  späterer  Zeit,  um  dem  Publikum  die  Schrift  zu 
erläutern. 

Was  schließlich  die  angebliche  Inschrift  am  Passionsaltärchen  der 
St.  Johanniskirche  auf  dem  Nürnberger  Friedhof  anbelangt,  so  sehe  ich 
hierin  nichts  anderes  als  Steinmetzzeichen;  darunter  Buchstaben  zu  wittern, 
ist  überaus  gesucht,  ganz  und  gar  ausgeschlossen  ist  aber  daraus  den  Namen 
Peurl  zu  kombinieren.  Die  große  Übereinstimmung,  die  Gebhardt  mit  den 
anderen,  dem  Meister  Peurl  zugeschriebenen  Werken  findet,  kann  ich  nicht 
finden.  Das  Altärchen  hat  etwas  fremdartig  Italienisches  und  kann  unmöglich 
von  demselben  Meister  geschaffen  sein,  welcher  die  Außenseiten  des  Tucher- 
altars  malte,  am  ehesten  Übereinstimmung  finde  ich  mit  dem  Ehenheim- 
Epitaph  in  St.  Lorenz,  doch  läßt  sich  ohne  Vergleich  mit  dem  Original 
nichts  Bestimmtes  sagen.  Die  schon  besprochene  Inschrift  auf  dem  Gewand- 
saume des  schlafenden  Grabwächters,  woraus  Gebhardt  ebenfalls  den  Namen 
Peurl  lesen  will,  auf  Grund  dessen  er  das  Bild  dem  Meister  zuschreibt, 
beweist  gar  nichts.  Der  Altar  ist  durchaus  aus  einem  Guß,  sein  Stil  ist  von 
demjenigen  des  Johannesaltärchens  so  weit  entfernt,  daß  es  unmöglich  ist, 
an  ein  und  denselben  Meister  zu  denken. 


5)  Vgl.  Pfleidererr,  Das  Münster  zu  Ulm  S.  52  mit  guter  Photographie. 


Die  Chronologie  der  Werke  Grünewalds. 

Von  H.  A.  Schmid. 

Mit  meiner  Rekonstruktion  des  Aschaffenburger  Altars  glaube  ich 
bewiesen  zu  haben,  daß  das  Freiburger  Bild  zu  diesem  gehört  und  also  um 
1519  entstanden  ist.  Ein  neues  wichtiges  Datum  scheint  mir  den  letzten 
Winter  festzustellen  gelungen  zu  sein,  gegen  alles  Erwarten  hat  sich  heraus - 
gestellt,  daß  das  Stuppacher  Bild  nun  doch,  wie  Lange  und  ich  früher  arg- 
wöhnten, auf  den  Aschaffenburger  Altar  gehört.  Den  vollständig  zwingenden 
Beweis  hoffe  ich  noch  diesen  Winter  zu  bringen.  Das  Gemälde,  das  so  manches 
enthält,  was  an  Colmar  erinnert,  ist  also  das  erste  nach  Isenheim  entstandene 
Werk,  das  noch  erhalten  ist. 

Ein  weiteres,  noch  wichtigeres  Datum  glaube  ich  aus  Grünewalds  Schul- 
zusammenhange  herleiten  zu  können.  Der  Künstler  hat  zweifellos  starke 
Anregungen  von  den  Niederländern,  ferner  selbst  solche  von  Dürer  und  der 
eindringenden  Renaissance  erhalten;  der  richtunggebende  Lehrer  war  Holbein 
der  Ältere.  Diejenigen  Werke  nun  Holbeins,  mit  denen  Grünewald  die  größte 
Verwandtschaft  aufweist,  sind  nicht  die  frühsten  erhaltenen,  sondern  der 
Altar  in  Frankfurt  von  1501  und  die  unmittelbar  darauf  folgenden  Bilder, 
namentlich  die  Paulus- Basilika  und  die  drei  Tafeln  mit  Kreuzigung,  Kreuz- 
abnahme und  Grablegung  in  Augsburg. 

Hiermit  ist  aber  mit  einem  Schlage  auch  die  ganze  Entwicklung  des 
Künstlers  klargelegt,  um  so  mehr,  da  aus  Weizsäckers  sorgfältigen  Studien 
sich  zu  bestätigen  scheint,  daß  die  Frankfurter  Bilder  wirklich  zum  Dürer- 
schen  Altar  gehörten.  Es  ergibt  sich  dann  folgender  Lebenslauf: 

F r ü h z e i t. 

Geburt  vermutlich  erst  nach  1480,  um  1483/5. 

1501  Schüler  Holbeins  d.  Ä.  in  Frankfurt  und  wohl  auch  noch  1502 
und  1503  in  Augsburg. 

Um  1505  das  Bruchstück  eines  Altarwerkes : die  Kreuzigung  in  Basel. 
Auf  der  Rückseite  der  erhaltenen  Tafel  ist  die  Vorzeichnung  einer  Ein- 
fassung erst  begonnen,  aber  die  Löcher  von  Scharnieren  beweisen,  daß  der 
Flügel  im  Gebrauch  war,  und  das  Brett  die  obere  Hälfte  eines  linken  Flügels 


Die  Chronologie  der  Werke  Grünewalds. 


413 


war.  Die  untere  Hälfte  des  Flügels  enthielt  also,  wohl  die  Kreuzabnahme 
oder  Grablegung,  die  andere  Seite  Auferstehung  und  Noli  me  tangere  oder 
Christus  und  Thomas,  das  Mittelbild  vermutlich  Christi  Höllenfahrt. 

Mittlere  Zeit. 

Ausgezeichnete  Studie  zu  einem  Kruzifixe,  in  Karlsruhe,  von  Koelitz 
in  einer  mir  früher  nicht  zugänglichen  Mappe  aufgefunden.  Original  der 
besseren  der  beiden  Basler  Kruzifixzeichnungen.  Studie  zu  einer  Ver- 
spottung Christi  (höhnendem  Pharisäer)  in  Berlin. 

Frankfurter  Bilder;  diese  wohl  um  1509.  Altarwerk  in  Colmar. 
Studien  dazu  in  Göttingen. 

In  Colmar  fällt  in  die  Zeit  nach  den  Frankfurter  Tafeln  der  Abschluß 
des  Ganzen,  die  beiden  Einzelfiguren,  die  beiden  Landschaftsbilder  mit  der 
Versuchung  des  Antonius  und  dem  Besuch  beim  hl.  Paulus  und  wohl  auch 
die  Predella.  Das  Engelskonzert  hat  die  meiste  Verwandtschaft  mit  den 
Tafeln  in  Frankfurt.  Das  ganze  Werk  ist  aber  die  Arbeit  von  mehr  als  zwei 
Jahren.  Die  Verkündigung  ist  einmal  und  die  Kreuzigung  mindestens 
dreimal  umgeändert  worden,  noch  während  der  Arbeit  auf  der  Bildtafel! 
Die  Maria  hatte  hier  erst  eine  ähnliche  Haltung  wie  auf  dem  Basler  Bilde! 
Die  frühsten  Teile  der  Kreuzigung  sind  das  Älteste  am  ganzen  Werke  und 
vielleicht  vor  den  Frankfurter  Tafeln  entstanden. 

Es  ist  die  Zeit  der  äußersten  Sorgfalt  in  der  Durchbildung  aller  Natur- 
formen. Oberflächliche  Anlehnungen  an  den  Stil  der  Dürer- Schule  nur  in 
dieser  Zeit.  Anlehnung  an  eine  antike  oder  antikisierende,  das  heißt  Renais- 
sancefigur beim  Sebastian.  Aufkommen  der  Renaissanceformen. 

Anderseits  bei  Dürer  1508 — 1516  die  Stiche,  Radierungen  und  Holz- 
schnitte, die  sich  besonders  durch  Helldunkelwirkungen  auszeichnen! 

1512— 1517. 

1.  Vermutlich:  Studie  zu  einer  Krönung  der  Maria  in  Berlin. 

2.  Die  verschollene  Kreuzigung,  die  im  Stich  von  Sadeler  erhalten 
ist.  Sie  ist  sicher  nach  der  Isenheimer  (Colmarer),  sicher  vor  der  Tauber- 
bischofsheimer  (Karlsruher)  Kreuzigung  entstanden. 

3.  Verschollene  Arbeiten  in  Seligenstadt  1514. 

4.  Verschollene  Arbeiten  in  Oberissigheim  (nicht  Uissigheim). 

S p ä t z e i t. 

Altar  in  Aschaffenburg  mit  der  Madonna  in  Stuppach,  dem  Flügel 
in  Freiburg  und  vermutlich  dem  Traum  des  Patriziers  und  der  Erscheinung 
der  Madonna  in  den  Wolken  auf  dem  verschollenen  linken  Flügel.  Die 
Erscheinung  auf  dem  erhaltenen  Flügel  spätere  Übermalung.  Stärkere  Kon- 
zentration der  Komposition  als  früher.  Kenntnis  altchristlicher  römischer 
Bauten.  Freie  und  sehr  willkürliche,  aber  ausschließliche  Verwendung  der 
Renaissanceformen. 


414 


H.  A.  Sehmid: 


Um  1522  Kreuzigung  und  Kreuztragung  in  Karlsruhe.  Weicherwerden 
der  Konturen,  breitere  Pinselführung.  Freieres  Schalten  und  Walten  mit 
den  Formen  des  Körpers  als  früher. 

Zwischen  1519  und  1525  Übersiedelung  nach  Mainz.  In  dieser  letzten 
Zeit  das  eingezogene  Leben,  die  Verdüsterung  der  Stimmung.  1524- — 1525 
Aufenthalt  in  Halle.  Predella  in  Aschaffenburg  und  das  Münchener  Bild 
Mauritius  und  Erasmus.  Aus  der  Spätzeit  ferner:  Initialen  für  Schöffer. 
Zeichnung  in  Oxford.  Charakteristisch  für  die  beiden  spätesten  Gemälde: 
die  äußerste  Ausnutzung  der  Bildfläche,  das  Zurücktreten  der  Landschaft, 
auffallende  Willkürlichkeiten  der  Komposition,  noch  großartigere  Auf- 
fassung der  Form  als  in  den  Karlsruher  Bildern. 

Zum  Teil  schon  vor  1525  vermutlich  die  Bilder  für  den  Mainzer  Dom. 
Um  1529  Tod. 

Von  den  beiden  urkundlichen  Notizen,  nach  denen  ein  Meister  Mathis 
im  Jahre  1489  Aufträge  in  Aschaffenburg  erhielt,  bezieht  sich  die  eine  auf 
eine  Anstreicherarbeit  und  die  andere  ist  nicht  mehr  aufzufinden  und  wahr- 
scheinlich unrichtig. 

Ist  aber  Grünewald  erst  um  1485  geboren  und  ein  Schüler  Holbeins 
d.  Ä.,  so  erklärt  sich  auch  seine  Verwandtschaft  mit  Burgkmair  und  Schaffner, 
das  Fehlen  jeglicher  Arbeiten  aus  einer  bisher  angenommenen  fünfzehn- 
jährigen Frühzeit  von  1489 — 1503  und  auch  das  rasche  Weiterschreiten 
selbst  in  den  letzten  Jahren,  die  wir  verfolgen  können.  Es  ist  der  Isen- 
heimer  Altar  dann  in  einem  Lebensalter  geschaffen,  in  dem  Dürer  seine 
Apokalypse  und  Holbein  seinen  Totentanz  schuf. 

Noch  bemerke  ich,  daß  meine  von  Bock  angezweifelten  Angaben  über 
meine  früheren  Beobachtungen  an  der  Stuppacher  Madonna  einfach  richtig 
sind.  Es  wachsen  aus  der  Hydra  der  Grünewaldforschung  genug  unechte 
Bilder  hervor,  ich  werde  mich  schwer  hüten,  Bilder  und  Studien,  die  mich 
aus  irgendeinem  Grunde  an  Grünewald  erinnern  und  auf  meinem  Schreib- 
tisch liegen,  dem  Fachgenossen  Bock  mitzuteilen.  Dagegen  habe  ich  schon 
in  Berlin  (vor  1900)  in  meinen  kunsthistorischen  Übungen  die  später  von 
Friedländer  im  Repertorium  dem  Meister  zugewiesene  Louvrezeichnung  als 
unzweifelhafte  Arbeit  Grünewalds  besprochen,  ohne  daß  Bock  davon  Kunde 
erhielt  oder  sie  selbständig  entdeckte. 

Die  neuste  Entdeckung  von  Heinz  Braune  .scheint  meiner  Annahme 
günstig  zu  sein  und  sie  sogar  endgiltig  zu  beweisen. 


Fortleben  der  religiös-dogmatischen  Kompositionen 
Cranachs  in  der  Kunst  des  Protestantismus. 


Von  Dr.  Karl  Ernst  Meier. 

I.  Die  Cranachschen  Typen. 

Der  Einfluß  der  Reformation  auf  die  bildende  Kunst  bedeutete  im 
großen  und  ganzen  weder  eine  Bereicherung  an  künstlerischen  Motiven, 
noch  eine  Vertiefung  der  religiösen  Betrachtungsweise.  Vielmehr  hatte 
der  Protestantismus  etwas  Kunstfeindliches  insofern,  als  er  dem  Bilde  die 
hervorragende  Eigenbedeutung,  die  es  in  der  alten  Kirche  besaß,  nahm. 
Nicht  das  Bild  als  solches  heischte,  indem  es  das  Urbild  lebhaft  vergegen- 
wärtigte, Verehrung  und  Anbetung,  nicht  mehr  sollte  der  Gläubige  in 
frommer  Andacht  hinknien  vor  die  »Schmerzensreiche«,  nicht  den  bittren 
Leidensweg  des  Heilandes  teilnehmend  nachwandeln,  sondern  er  sollte 
Religionsunterricht  in  Bildern  bekommen,  sollte  über  die  Hauptstücke 
seines  Glaubens  aufgeklärt  werden.  So  wendet  sich  denn  insbesondere 
der  neue,  von  Lukas  Cranach  geschaffene,  im  Kreise  der  Reformatoren 
geborene  Bilderkreis,  der  das  Thema  »Gesetz  und  Gnade«  behandelt,  weniger 
an  das  Gefühl,  als  an  den  Verstand  des  Betrachters.  Die  Hauptsache  sind 
eigentlich  die  zahlreich  beigefügten  Bibelstellen,  die  illustriert  werden  sollen. 
Haben  nun  auch  diese  dogmatischen  »Illustrationen«  als  Ganzes  etwas  ver- 
standesmäßig Nüchternes  und  Gefühlsfremdes,  so  fesselt  neben  der  Lebendig- 
keit des  Vortrags  manche  originelle  Einzelheit.  Daß  aber  diese  Bilder  auf 
die  Zeitgenossen,  die  weniger  »ästhetisch«  waren,  als  wir,  tief  und  nach- 
haltig gewirkt  haben,  das  beweist  die  bedeutende  Anzahl  meist  unbekannter 
oder  unbeachteter  Nachahmungen  und  Ausstrahlungen  jenes  von  Cranach 
geschaffenen  Typus,  mit  denen  bekannt  zu  machen  der  Zweck  dieser  Unter- 
suchung ist. 

Von  Lukas  Cranach  und  seinen  Gesellen  ist  das  Thema  »Gesetz  und 
Gnade«  oder  »Sündenfall  und  Erlösung«  oder  »Alter  und  Neuer  Bund« 
seit  dem  Jahre  1529  wiederholt  behandelt  worden.  Es  lassen  sich  drei 
Haupttypen  unterscheiden : 


416 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


I.  Der  Prager  Typus;  einziges  Beispiel  das  Bild  im  Rudol- 
finum  zu  Prag  vom  Jahre  1529. 

II.  Der  Königsberger  Typus.  Seine  reichste  Ausgestaltung 
zeigt  das  Königsberger  (im  Stadtbesitz  befindliche)  Bild  von  1532; 
seine  frühste  Entwicklungsstufe  das  Gothaer  von  1529  (in  der  Herzog- 
lichen Galerie);  spätere  einander  sehr  ähnliche  Variationen  sind:  das 
Schneeberger  Altarbild  der  St.  Wolfgangskirche  von  1 5391),  das 
auf  zwei  Tafeln  verteilte  im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg 
(Nr.  266  und  267)  und  der  Titelholzschnitt  der  Bibel  Joh. 
Friedrichs  vom  Jahre  15432),  endlich  das  friesartig  in  die  Länge  gezogene, 
einst  auf  der  Wartburg  hängende  Gemälde  des  Weimarer  Museums 
(Nr.  7). 

III.  Der  Weimarer  Typus  wird  vertreten  durch  das  berühmte 
Altarbild  der  Stadtkirche  von  1555  und  ein  Epitaphgemälde  in  der 
Nikolaikirche  zu  Leipzig  von  1557  (jetzt  im  städtischen  Museum  Nr.  46). 

Die  unterscheidenden  Hauptmerkmale  sind  folgende 3).  Der  Königs- 
b e r g e r Typus,  der  von  Cranach  und  seiner  Werkstatt  am  meisten  wieder- 
holte, teilt  das  Bild  in  zwei  Teile  durch  den  vom  unteren  Rande  aufragenden 
Baum,  dessen  Äste  auf  der  linken  Seite  verdorrt,  auf  der  rechten  belaubt 
sind.  Auf  der  Seite  des  alten  Bundes  sind  dargestellt:  I.  im  Mittelgründe 
der  Sündenfall,  2.  rechts  dahinter  das  Zeltlager  der  Juden  mit  der 
ehernen  Schlange  — diese  Szene  ist,  dem  eigentlichen  Sinn  der 
Komposition  widersprechend,  auf  allen  Bildern,  mit  Ausnahme  der  beiden 
ersten  von  1529,  des  Prager  und  Gothaer  Gemäldes,  auf  die  rechte  Seite 
gerückt  — , 3.  in  einer  Wolkenglorie  Christus  als  W e 1 1 r i c h t e r , 4.  im 
Vordergründe  Tod  und  Teufel,  den  nackten  Menschen  zum 
rauchenden,  oft  bevölkerten,  Höllenpfuhl  treibend,  5.  am  Stamm  des  Baumes 
eine  Gruppe  von  4 oder  5 Männern:  Moses,  der  den  Menschen  mit 
unbarmherziger  Geberde  auf  die  Gesetzestafeln  hinweist,  neben  ihm  David 
in  königlicher  Tracht,  stets  mit  dem  Ausdruck  schmerzlichen  Bedauerns, 
hinter  ihnen  2 oder  3 Propheten,  meistens  mit  turbanartiger  Kopf- 
bedeckung. Diesen  Gruppen  entspricht  auf  der  rechten  Seite  des  Baumes: 
I.  wiederum  der  nackte  Mensch,  von  Johannes  dem  Täufer 
auf  den  (2.)  Kruzif  ixus  hingewiesen,  aus  dessen  Seitenwunde  das 

*)  Bau-  und  Kunstdenkmäler  d.  Kgr.  Sachsen,  VIII.  Beilage  XI. 

*)  Kunstdenkmäler  d.  Prov.  Sachsen.  Jena,  S.  143. 

3)  Fragmentarisch  erhaltene  Werke  lasse  ich  unberücksichtigt.  Auf  Einzelheiten 
kann  ich  um  so  eher  verzichten,  als  im  nächsten  Schlesischen  Jahrbuch  V.  Band  1909 
eine  ausführliche  Einzelbesprechung  der  Cranachschen  Kompositionen  und  einiger  gemalten 
und  geschnittenen  Nachahmungen  erscheinen  wird:  Die  Bildnisse  von  Johann  Hess  und 
Cranachs  »Gesetz  und  Gnade«.  Da  der  Verfasser,  Herr  Prof.  Dr.  Foerster,  mir  einen  Abzug 
freundlichst  zur  Verfügung  stellte,  so  konnte  ich  alle  Wiederholungen  vermeiden. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  41 7 

sühnende  Blut  auf  den  Sünder  herabspritzt.  3.  Dem  Höllenpfuhl  und  dem 
siegreichen  Tod  korrespondiert  der  Auf  erstandene  vor  der  Grabes- 
höhle, der  mit  der  gläsernen  Kreuzesfahne  Tod  und  Teufel  überwindet. 
4.  Neben  dem  Kreuze  steht  in  der  Regel  das  Lamm  mit  Fahne.  (Auf  dem 
Gothaer  Bilde  tritt  das  Lamm  auf  Tod  und  Teufel,  während  Christus  über 
der  Gruft  gen  Himmel  schwebt.)  5.  Im  Mittelgründe  die  Verkündigung 
an  die  Hirten;  dort,  wo  die  eherne  Schlange  nicht  auf  die  rechte 
Seite  gebracht  ist,  entspricht  ihr  im  Hintergründe  eine  mittelalterliche 
Stadt,  Jerusalem.  6.  Sodann  ist  auf  einigen  Bildern  die  Empfängnis 
der  Maria  hinzugefügt;  sie  steht  oder  kniet  betend  auf  einem  Berge, 
während  das  Christkind  mit  einem  Kreuz  über  der  Schulter  aus  einer  Wolken- 
glorie zu  ihr  herniederschwebt.  7.  Am  oberen  Bildrande  werden  die  Füße 
und  ein  Stück  des  Gewandes  des  gen  Himm'l  fahrenden 
Christus  sichtbar.  (Die  beiden  letzten  Gruppen  fehlen  auf  dem  Gothaer 
Bilde.) 

Der  Weimarer  Typus  unterscheidet  sich,  abgesehen  von  den 
hinzutretenden  Porträts,  vornehmlich  dadurch,  daß  an  die  Stelle  des  Baumes 
der  Gekreuzigte  in  das  Zentrum  des  Bildes  gerückt  ist.  Dadurch  ist  die 
strenge  Scheidung  in  alten  und  neuen  Bund  aufgegeben,  die  Gruppen  sind 
durch  den  ganzen  Mittelgrund  verstreut.  Weggefallen  ist  die  Himmelfahrt, 
die  Empfängnis  und  auf  dem  Weimarer  Bilde  auch  der  Sündenfall. 

Das  unterscheidende  Merkmal  des  Prager  Typus  ist  die  nur 
einmalige  Darstellung  des  Menschen  am  Fuße  des 
Baumes.  Er  sitzt,  ein  gänzlich  unbekleideter,  bartloser  Jüngling  mit 
abfallenden  Schultern,  breit, er  Brust  und  spitzem  Knie  auf  einem  Baum- 
stumpf. Die  Hände  krampfhaft  zum  Gebet  gefaltet,  wendet  er  das  angst- 
volle Antlitz  um  zu  dem  Täufer,  der  ihn  tröstend  auf  die  Erlösungstat 
des  Herrn  hinweist;  wobei  ihn  auf  der  anderen  Seite  der  P r o p h e t , ein 
Greis  in  silbernem  Bart  und  Haar,  mit  eindringlicher  Gebärde  unterstützt. 
Diese  pyramidal  aufgebaute  Gruppe  zeichnet  sich  durch  eine  bei  Cranach 
seltene  Geschlossenheit  des  Ausdrucks  aus  und  verbindet  beide  Teile  der 
Tafel,  die  beim  Königsberger  Typus  ganz  auseinanderfallen,  glücklich  zu 
einer  Einheit.  Von  jener  Mosesgruppe  ist  also  nur  der  Prophet  übrig- 
geblieben; Moses  selbst  aber  erblicken  wir,  wie  er  links  auf  einer  Anhöhe 
kniend  die  hellglänzenden  Tafeln  aus  den  Händen  Gottes  empfängt,  die  sich 
aus  finsteren  Wolken  herabsenken,  von  Feuerstrahlen  und  Funken  umzuckt. 
An  der  Stelle  von  Tod  und  Teufel  sehen  wir  ein  offenes  Grab  und  darin 
liegend  einen  in  weiße  Laken  gehüllten  Toten.  Die  übrigen  Teile  der 
Komposition  gleichen  im  wesentlichen  dem  Königsberger  Typus,  doch  ist 
die  Anordnung  klarer,  die  Korrelation  genauer.  Dem  Toten  gegenüber 
steht  der  Auf  erstandene,  dem  Kreuz,  neben  dem  das  Lamm 


418 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


steht,  der  Sündenfall,  eine  fast  genaue  Kopie  des  Gothaer.  Hinter 
dem  Baum  der  Erkenntnis  steigt  steil  der  Sinai  empor,  auf  dem  Moses 
kniet.  Auf  einem  gleichartigen  Berge  gegenüber  steht,  ein  genaues  Pendant, 
Maria,  das  Haupt  umgeben  von  einem  länglich  gezogenen,  mit  Engels - 
köpfen  dicht  besetzten  Wolkenkranz.  Aus  einem  ähnlichen  Wolkenkranz, 
durch  den  man  in  den  lichten  Himmel  selbst  zu  schauen  meint,  schwebt 
das  Christkind  herab.  Der  Hintergrund  stellt  Zeltlager  und  Stadt, 
eherne  Schlange  und  Verkündigung  an  die  Hirten  gegen- 
über. Die  Beischriften  der  einzelnen  Gruppen  werden  unten  (S.  421)  auf- 
gezählt  werden. 

Ehe  wir  den  Nachahmungen  der  Komposition  im  einzelnen  nachgehen, 
fragen  wir  nach  ihrem  Ursprung  und  Sinn.  Das  Thema  war  nicht 
neu.  Unter  der  Allegorie  der  Synagoge  und  Ekklesia4)  oder  auch  des  Lebens - 
baumes5)  war  es  bereits  von  der  mittelalterlichen  Kunst  bearbeitet.  Wie 
kam  nun  Cranach  zu  der  Auswahl  gerade  dieser  Szenen?  Bei  den  neu- 
testamentlichen  ist  der  Gesichtspunkt  sogleich  einleuchtend;  sie  umfassen 
die  bedeutsamsten  Momente  der  Heilsgeschichte  und 
scheinen  sich  an  den  zweiten  Artikel  des  Glaubensbekenntnisses  bewußt 
anzulehnen:  Verkündigung,  Empfängnis  (an  Stelle  der  Geburt),  Kreuzigung, 
Auferstehung,  Himmelfahrt.  Für  die  alttestamentlichen  Szenen  bot  sich 
eine  so  geschlossene  Folge  nicht  von  selbst  an.  Der  Gegensatz 
bestimmte  die  Wahl.  Der  Kreuzigung  entspricht  der  Sündenfall,  dessen 
Sühnung  sie  darstellt.  Die  Sünde  hatte  den  Tod  und  die  Verdammnis 
des  Sünders  zur  Folge.  Der  Tod  findet  sein  Gegenstück  in  der  Auferstehung 
und  Überwindung  des  Todes.  Der  Hauptgegensatz  von  Gesetz  und  Gnade 
wird  illustriert  durch  Moses  einerseits  und  die  Verkündigung  und  Empfängnis 
anderseits.  Dem  »letzten  Propheten«  Johannes  stehen  die  Propheten  des 
alten  Bundes  gegenüber;  beide  kündigen  den  Erlöser  an.  Der  Weltrichter 
als  Hinweis  auf  die  letzte  Konsequenz  des  Gesetzes  schließt  den  Kreis 
passend  ab.  Zu  erklären  bleibt  noch  die  eherne  Schlange.  Sie  bedeutete, 
wie  die  Opferung  Isaaks,  in  der  Typologie  des  Mittelalters  einen  symbolischen 
Hinweis  auf  die  Kreuzeserhöhung  Christi.  Auf  unseren  Bildern  scheint 
sie  mehr  zu  bedeuten  als  ein  bloßes  Symbol.  Der  alte  Bund  des  Gesetzes 
sollte  als  der  Menschheit  Verderben  bringend  bezeichnet  werden.  Daher 
die  Gruppe  des  zur  Hölle  Gejagten,  oder  die  Darstellung  des  Toten  im 
Grabe.  So  scheint  auch  die  Bestrafung  der  murrenden  Israeliten  durch  die 
feurigen  Schlangen  als  ein  besonders  kräftiges  Beispiel  für  die  Folgen  der 
Gesetzesübertretung  gewählt  zu  sein. 

4)  Vgl.  P.  Weber:  Geistliches  Schauspiel  und  kirchliche  Kunst. 

5)  Vgl.  H.  Bergner:  Der  Lebensbaum.  Monatsschr.  f.  Gottesd.  und  kirchl.  Kunst. 
1898,  S.  333. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  419 

Die  gesamte  Szenenfolge  stellt  eine  zusammenhängende 
Predigt  dar,  vorgetragen  durch  eine  Reihe  von  Bibelstellen,  die  den 
meisten  Bildern  als  zusammenhängender  Text  beigegeben  sind;  darunter 
auch  der  Kernspruch  des  Luthertums  Röm.  3,  28  von  der  sola  fides. 

II.  Nachahmungen  in  Tafelmaleiei  und  Holzschnitt. 

Unter  den  zahlreichen  Cranachschen  Kompositionen  ist  der  im  Prager 
Bilde  geschaffene  Typus  derjenige,  auf  den  die  meisten  von  den  zahlreichen 
Nachahmungen  in  Farbe,  Holz  und  Stein  zurückgehen.  Als  Vorbild  wird 
den  meisten  Nachahmern  nicht  das  Prager  Gemälde,  sondern  ein  nach 
diesem  gearbeiteter  Holzschnitt  gedient  haben,  wie  wir  deren  mehrere 
kennen,  z.  B.  das  Titelblatt  für  die  Lübecker  Bibel  von  1533, 
eine  niederdeutsche  Übersetzung  der  Lutherschen.  Den  Grund  der  Bevor- 
zugung des  Prager  Typus  möchte  ich  in  der  Geschlossenheit  und  Klarheit 
der  Anordnung,  die  ihn  vor  den  übrigen  entschieden  auszeichnet,  erblicken. 

1.  Eine  Verschmelzung  des  Prager  und  Weimarer  Typus,  doch  mit 
starkem  Überwiegen  des  ersteren,  liegt  vor  in  dem  von  der  Cranachforschung 
bisher  nicht  beachteten  Bilde  der  St.  Stephanskirche  zu  Aschersleben, 
das  sicherlich  aus  Cranachs  Werkstatt  stammt6 *).  Es  unterscheidet  sich  von 
dem  Prager  Bilde  einmal  durch  die  umgekehrte  Anordnung,  rechts  alter, 
links  neuer  Bund,  außerdem  durch  die  abweichende  Stellung  des  Ge- 
kreuzigten, der  vor  dem  Baume  angebracht  den  Mittelpunkt  des  Ganzen 
bildet,  wie  auf  dem  Weimarer  Bilde.  Im  übrigen  hat  es  ähnliche  Sprüche 
und  Beischriften  wie  das  Prager7).  In  manchen  Einzelheiten  — der  Tod  als 
hockendes  Gerippe  mit  Glaskugel  in  der  Hand  dargestellt,  die  Schlange 
endigt  vorn  in  einen  Frauenleib,  der  Sünder  trägt  die  Unterschrift  Adamita  — 
weicht  es  ab. 

2.  Der  Schule  des  jüngeren  Cranach  entstammt  ein  Gemälde  der 
Thomaskirche  zu  Leipzig8),  das  jetzt  im  Kirchenarchiv  aut- 
bewahrt  wird.  Es  stammt  vom  Denkmal  eines  1554  verstorbenen  Barthol. 
Helmut.  Die  Gruppenverteilung  lehnt  sich  eng  an  das  Prager  Bild  an; 
hinzugefügt  ist  der  auf  der  rechten  Bildhälfte  links  vom  Kreuz  in  Wolken 

6)  Zuerst  veröffentlicht  durch  Brinkmann,  Kunstdenkm.  d.  Pr.  Sachsen,  25,  S.  49 
bis  51,  Abb.  Taf.  14,  der  es,  ohne  zwingende  Gründe,  dem  älteren  Lukas  selbst  zuschreibt. 
Auch  für  die  Behauptung,  in  dem  Propheten  habe  der  Künstler  sich  selbst  dargestellt, 
bleibt  er  jeden  Beweis  schuldig.  Die  liebliche  Sündenfallgruppe,  auch  der  Adamita,  könnten 
auf  Cranach  führen;  die  steifen  Gestalten  des  Moses,  des  Propheten,  der  Maria  sind  nicht 
von  seiner  Hand. 

7)  Auf  diesem  steht  über  dem  herabschwebenden  Christkind  das  Wort  Emanuel. 
Es  steht  auch  hier  in  den  Wolken,  findet  sich  aber  sonst  nur  noch  auf  dem  Toryschen 
Holzschnitt  [S.  421]. 

8)  Bau-  und  Kunstd.  d.  Kgr.  Sachsen,  17,  S.  73. 


420 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


erscheinende  Gottvater,  der  die  Rechte  segnend  erhebt  und  in  der 
Linken  die  Weltkugel  hält.  Maria  steht  nicht  auf  einem  Berge,  sondern 
Gebäude  (Tempel?).  Die  drei  Personen  der  Mittelgruppe  stehen  »auf  brett- 
artigen, glatt  am  Boden  liegenden  Tafeln«,  welche  gleiche  Inschriften  tragen, 
wie  das  Prager  Bild,  nämlich  unter  dem  Propheten  »Propheten«,  unter 
dem  nach  Erlösung  verlangenden  Menschen  »Mensch  ohne  Gnad«  9),  unter 
dein  Täufer  »Anzeiger  Christi«;  auf  einer  weiteren,  auf  den  Kruzifixus  zu 
beziehenden  Tafel  »unser  Rechtfertigung«. 

3.  Zum  ersten  Male,  nämlich  schon  im  Jahre  1547 — 1549,  für  ein 
Epitaph  verwandt  ist  die  Komposition  nicht  von  Cranach  selbst,  sondern 
von  einem  selbständigen,  eine  eigene  Sprache  sprechenden  Künstler,  von 
dem  Meister  des  Johann-Hess-Epitaphs  in  der  Maria-Magda- 
lenenkirche  zu  B r e s 1 a u10).  Es  geht  auf  den  Königsberger  Typus  zurück. 

Zwei  weitere,  nicht  aus  der  Cranachschen  Werkstatt  stammende 
Nachbildungen  aus  dem  späten  16.  Jahrhundert  oder  gar  aus  noch  späterer 
Zeit  weist  R.  Foerster  in  seiner  bevorstehenden  Arbeit  nach,  ein  auf  den 
Königsberger  Typus  zurückgehendes  Bild  der  Sammlung  S u m i n s k i 
und  ein  andres  im  Märkischen  Museum  zu  Berlin;  letzteres  durch 
wesentliche  Abweichungen  und  eine  großartige,  von  Cranach  ganz 
abweichende  Formensprache  bemerkenswert. 

4.  Als  die  bedeutendste  und  künstlerisch  das  Original  weit  über- 
treffende Nachbildung  des  Prager  Typus  ist  ein  außerdeutsches  Kunstwerk 
anzusehen,  der  Holzschnitt  des  französischen  Meisters  G e o f r o y 
Tory11).  Da  er  1533  gestorben  ist  und  die  ersten,  uns  bekannten,  Dar- 
stellungen des  Themas  vom  Jahre  1529  stammen,  so  ist  anzunehmen,  daß 
er,  der  das  Prager  Original  kaum  gesehen  haben  dürfte,  einen  Holzschnitt, 
wahrscheinlich,  wie  sein  eigner  Entwurf,  das  Titelblatt  einer  Bibel  (wie  wir 
deren  auch  von  Cr.  einige  haben)  vor  Augen  gehabt  hat12).  Die  Abhängigkeit 
erhellt  schon  aus  einer  Vergleichung  der  Beischriften.  Die  Anordnung 
entspricht  dem  Prager  Bilde.  Unter  der  ausdrucksvollen,  von  der  Cranach- 
schen Steifheit  weit  entfernten  Sündenfallgruppe  — Eva  reicht  mit  scham- 

9)  Schon  diese  Beischrift  hätte  Lehfeldt  (a.  a.  0.)  belehren  können,  daß  seine 
Deutung  des  nackten  Menschen  als  »der  nackte  Täufling  Christus«  falsch  ist.  Auch  schwebt 
der  Engel  der  Verkündigung  nicht  auf  Jerusalem  herab,  sondern  auf  die  allerdings  winzige 
Gruppe  der  Hirten;  der  Auferstandene  tötet  auch  nicht  »den  Drachen  des  Unglaubens«, 
sondern  überwindet  Tod  und  Teufel,  d.  h.  die  Sünde  und  ihre  verderblichen  Folgen. 

10)  Dies  Bild  behandelt  ausführlich  Foerster  a.  a.  0. 

")  Abgebildet  bei  Hirth-Muther  »Meisterholzschnitte  aus  4 Jahrhunderten«,  1893, 
S.  38,  Taf.  163,  wo  von  Cranach  seltsamerweise  keine  Rede  ist. 

I2)  Bergner  »Kirchl.  Kunstaltertümer  in  Deutschland«  S.  548  möchte  als  das 
Original  aller  Cranachschen  Darstellungen  »ein  noch  nicht  wieder  ermitteltes  Flugblatt 
der  Reformationszeit«  in  der  Art  des  Jenaer  Holzschnitts  ansehen. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  421 

hafter  Gebärde  dem  sitzenden,  bedenklich  zurückweichenden  Adam  den 
Apfel  herab  — liegt  der  Tod  als  Gerippe  ausgestreckt  auf  einem  klassischen 
Renaissance-Katafalk.  (Ein  ähnlicher,  einfacherer  begegnet  auf  dem  schon 
genannten  Titelblatt  der  Lübecker  Bibel  von  1533.)  Daran  die  Inschrift 
la  mort,  bei  Cr.  Todt.  Über  dem  knienden  Moses  steht  in  Wolken  la  loy, 
bei  Cr.  Gesecz,  unter  der  Sündenfallgruppe  p6che,  bei  Cr.  Sünder.  Die 
Szene  mit  der  ehernen  Schlange  ist  meisterhaft  komponiert;  eine  Gruppe 
betend  auf  die  Knie  gesunkener  Frauen  und  Kinder,  daneben  in  mannig- 
fachster Bewegung  die  mit  den  Schlangen  Ringenden,  und  dazwischen 
der  ruhig  aufgerichtete  Moses.  Bei  Cr.  sind  die  Menschen  in  der  Regel  — 
das  Weimarer  Altarbild  ist  eine  Ausnahme  — reihenweise  hingemäht,  und 
die  Schlangen  kriechen  zwischen  ihnen  herum.  Der  Cranachschen  Beischrift 
Figur  der  Rechtfertigung  entspricht  hier  similitude  de  la  iustification. 
Ebenso  entsprechen  sich  Propheten  — le  prophete,  Mensch  an  Gnad  — 
Thomme.  Anzeiger  Christi  (bei  dem  Täufer)  — l'enseigneur  de  Christ,  unser 
Rechtfertigung  (beim  Kreuz)  — nostre  iustice,  unsre  Unschuld  (beim 
Lamm)  — nostre  innocence,  bei  Maria  Gnad  — grace,  Emanuel  — Emanuel 
dieu  avec  nous,  unter  dem  Auferstehenden  unser  Überwindung  — nostre 
victoire.  Neu  hinzugefügt  hat  Tory  auf  der  Seite  des  alten  Bundes  Jerusalem 
terrestre,  das  hinter  dem  Zeltlager  sichtbar  wird,  auf  der  anderen  Seite 
Jerusalem  celeste  neben  dem  auf  dem  Regenbogen  thronenden  Weltrichter. 
Außerdem  hat  er  Hagar  mit  ihrem  Ismael  der  glücklicheren  Sarah  mit 
Isaak  gegenübergestellt;  zwei  liebliche  Gruppen,  besonders  die  erste  im 
Ausdruck  mütterlicher  Sorge  und  kindlicher  Hilfsbedürftigkeit.  Die  Ab- 
hängigkeit ist  offenbar,  ebenso  der  ungeheure  Abstand  unseres  Cranach 
von  diesem  Franzosen,  der  stolze  Kraft  und  Anmut  in  der  Vordergrund- 
gruppe mit  großer  Mannigfaltigkeit  der  Bewegung  und  des  Ausdrucks  in 
den  figurenreichen  Szenen  des  Mittelgrunds  vereinigt.  Das  Blatt  ist  so 
meisterhaft,  daß  man  es  für  das  Prototyp  aller  andern  halten  möchte,  wenn 
es  nicht  an  sich  sehr  wahrscheinlich  wäre,  daß  gerade  diese  Predigt  von 
dem  alleinseligmachenden  Glauben  unter  Luthers  Augen  entstand. 

III.  Holzschnitzwerke. 

Der  Einfluß  der  Cranachschen  Werkstatt  reichte  weit  über  die  sächsi- 
schen Grenzen  hinaus  bis  nach  Preußen  und  Friesland,  ja,  wie  wir  sahen, 
bis  nach  Frankreich  hinein.  Im  ganzen  nördlichen  und  mittleren  Deutsch- 
land ward  aber  in  jener  Zeit  die  Malerei  weniger  geübt,  als  die  Holzschnitzerei. 
Da  ist  es  nun  für  die  konkurrenzlose  Vorherrschaft  der  biblischen  Stoffe 
und  ihre  völlige  Durchdringung  der  bürgerlichen,  handwerksmäßigen  Kunst 
bezeichnend,  daß  die  Mehrzahl  der  bildnerischen  Vorwürfe  auch  an  dem 
Profanmobiliar,  an  Schränken,  Truhen,  Kaminen,  Ofenplatten  der  biblischen 


422 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


Geschichte  entnommen  sind.  So  hat  man  denn  auch  ein  so  eminent  theolo- 
gisches Thema,  wie  das  unsre  ist,  zur  Verzierung  des  Hausrats  verwandt. 
Unter  den  fünf  Hoiztafeln,  die  mir  bekannt  geworden  sind  — gewiß  gibt  es 
deren  noch,  mehrere  — sind  vier  Truhenfronten,  die,  einander 
sehr  ähnlich,  eine  Gruppe  bilden.  Die  fünfte  Tafel  steht  durch  die  Be- 
sonderheit der  Gruppierung,  zugleich  durch  ihre  künstlerische  Überlegenheit 
für  sich  da.  Wir  beschreiben  sie  zuerst. 

i.  Im  Kgl.  Grünen  Gewölbe  zu  Dresden  (Wappenzimmer  Nr.  26) 
hängt  eine  mäßig  große  Holztafel,  etwa  40  cm  im  Quadrat,  deren  ursprüng- 
liche Bestimmung  unbekannt  ist.  Verfasser  und  Zeit  sind  nicht  vermerkt. 
Die  Stilformen  der  Schrifttafeln  und  einrahmenden,  im  Kapitell  etwas 
verballhornten,  Balusterhalbsäulen  scheinen  auf  das  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts oder  auf  noch  spätere  Zeit  hinzuweisenx3).  Die  Ähnlichkeit  mit  dem 
Prager  Gemälde  leuchtet  auf  den  ersten  Blick  ein,  die  genauere  Vergleichung 
aber  ergibt  eine  ganze  Reihe  dort  fehlender,  originaler  Züge.  Die  Gruppen - 
Verteilung  entspricht  im  ganzen  der  Cranachschen,  nur  ist  der  Mensch  unter 
dem  Baum  nicht  sitzend,  sondern  ganz  in  der  Haltung  des  Königsberger 
Typus  stehend  dargestellt.  Abweichend  von  diesem  ist  er  mit  einem  weiß- 
getönten Lendenschurz  bekleidet.  Abweichend  ist  auch  der  Prophet  gebildet, 
in  der  Tracht  des  Hohenpriesters  mit  hoher,  prächtiger  Mithra,  in  einen 
weiten,  pelz  verbrämten  Mantel  gehüllt,  unter  dem  das  feingefältete  Unter - 
gewand  hervorsieht.  Der  Tod  unter  der  Sündenfallgruppe  fehlt,  doch  darf 
vielleicht  das  hinter  ihr  sichtbare  mit  weißem  Laken  bedeckte  Gestell  als 
Gruft  gedeutet  werden.  Die  Schlankheit  der  Eva  erinnert  an  Cranach. 
Eigentümlich  ist  die  übertriebene  Kleinheit  des  neben  ihr  sitzenden,  lang- 
gelockten und  recht  kindlich  blickenden  Adam,  dem  zu  dem  dicken  Apfel, 
den  er  bereits  hält,  noch  ein  zweiter  angeboten  wird.  Die  Schlange  hat  einen 
Frauen-  oder  Kinderkopf.  Neben  Adam  kauert  ein  Hund,  wie  er  ähnlich 
auch  auf  Cranachschen  Paradieses-  und  Sündenfallbildern  vorkommt.  Die 
Schlangenszene  weicht  von  der  Cranachschen  ab  — am  Fuße  des  Stammes, 
eines  Kreuzes,  winden  sich  die  nackten  Opfer  der  Schlangen  — dagegen 
stimmt  Moses  mit  dem  Stabe  in  Haltung  und  Kleidung  (vielleicht  zufällig) 
mit  dem  auf  dem  Weimarer  Bilde  von  1555  überein,  nur  daß  er,  wie  auf 
dem  Berge  im  Hintergründe,  seltsamerweise  bartlos  gebildet  ist.  Die  Zelte 
tragen  an  der  Stirnseite  zum  Teil  Wappenschilder.  In  dem  Johannes  hat 
sich  der  Künstler,  indem  er  die  Rückenansicht  wählte,  eine  schwere,  nicht 


*3)  Herr  Prof.  Sponsel  teilt  mir  freundlichst  mit,  daß  »die  Tafel  eine  auffallende 
Verwandtschaft  mit  zwei  anderen  Holzreliefs  im  Grünen  Gewölbe  hat;  diese  sind  signiert 
P D bez.  P D 1529«.  Danach  könnte  also  die  Tafel  um  dieselbe  Zeit  entstanden  sein, 
wie  die  Cranachschen  Bilder. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  423 

ganz  gelöste  Aufgabe  gestellt;  offenbar  hatte  er  seine  Freude  an  schwierigen 
Stellungen;  das  beweist  auch  der  in  verzwickter  Verkürzung  gesehene  Engel 
der  Verkündigung  — in  seiner  Haltung  dem  herabschwebenden  Genius 
auf  Veroneses  »triumphierender  Venezia«  sehr  ähnlich  — , das  zeigt  ferner 
die  Maria  auf  dem  Berge,  die,  mit  lang  wallendem  Haar  und  Gewand,  die 
Arme  in  lebhafter  Bewegung  dem  Christkind  entgegenstreckt.  Dieses 
schwimmt  auf  einem  breiten  Lichtstrahl  hernieder  aus  den  Wolken,  über 
denen  Gottvater  mit  erhobener  Rechten,  in  der  Linken  die  Weltkugel, 
erscheint.  Diese  Gruppe  ist  klein  und  technisch  nicht  einwandfrei  gebildet, 
aber  groß  gedacht  in  dem  Faltenwurf  des  weitärmeligen  Mantels  und  dem 
zur  Seite  gewehten  Bart.  Groß  empfunden  ist  auch  der  Auferstandene. 
Auf  dem  noch  mit  dem  Leichentuch  bedeckten  Rande  der  Gruft  steht  er, 
von  einem  vom  Winde  in  viele  Wellen  aufgeblähten  Mantel  umflattert, 
in  der  Linken  die  Kreuzesfahne,  auf  der  Weltkugel,  darauf  Sonne  und  Mond 
über  einer  hohen  Stadt  sichtbar  werden.  Diese  Welt  war  dem  Tode  über- 
liefert, auf  dessen  Bauch  sie  ruht;  aber  er  ist  nun  überwunden  und  stütz, 
den  müden  Schädel  in  die  aufgestützte  Hand,  gräßlich  anzusehen,  denn 
Fetzen  von  Fleisch  hängen  noch  hier  und  da  an  seinen  Gebeinen,  und  die 
Schlange  der  Sünde  umwindet  ihn.  Dieses  Relief  ist  keine  Handwerker- 
arbeit. Befangen  freilich  und  steif  ist  die  Haltung  der  Eva,  des  Propheten; 
Maria  ist  von  rührender  Unbeholfenheit.  Aber  sorgfältiges  Studium 
nach  der  Natur  bekunden  die  schlanken  Gestalten  des  Jünglings  und 
des  Auferstandenen,  besonders  in  der  Bildung  der  Haare,  der  Füße, 
des  Prophetenkopfes,  der  Bäume;  echt  künstlerische  Freude  an  Formpro- 
blemen der  Bewegung  verbindet  sich  hier  mit  großer  Innigkeit  des 
Empfindens. 

Zahlreiche  Inschriften -Täfelchen  hängen  teils  vom  oberen  Rande  in 
die  Bildfläche  hinein,  teils  sind  sie  auf  den  unteren  Rand  aufgesetzt,  teils 
endlich  werden  sie  vom  Propheten  und  Täufer  getragen.  Des  letzteren 
Tafel  zu  enträtseln,  ist  mir  nicht  gelungen,  auch  trägt  die  oberhalb  Christi 
auf  einer  Erhöhung  liegende  Platte  zwar  lesbare,  aber  geheimnisvolle  Ziffern : 
IHCBIL 

FE  GE  Ob  das  fe(cit)  auf  den  Verfasser  hindeutet?  Die  übrigen  Bibel- 
stellen stimmen  auffallend  genau  mit  denen  des  Prager  Bildes  überein, 
selbst  eine  Beischrift  des  Gemäldes  »Figur  der  Rechtfertigung«  kehrt  hier 
auf  der  zur  Schlange  gehörigen  Tafel  wieder. 

2.  Die  außerordentlich  große  Verbreitung  des  von  Cranach  geschaffenen 
Bilderkreises  wird  durch  nichts  besser  erläutert,  als  durch  vier  nieder- 
deutsche Holztafeln  des  16.  Jahrhunderts,  die  alle  an  ver- 
schiedenen, weit  auseinander  liegenden  Stellen  Deutschlands  entstanden 
sind  und  dabei  so  auffallende  Ähnlichkeiten  zeigen.  Eine  von  diesen  Tafeln 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


29 


424 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


ist  im  Besitz  des  Prussiamuseums  in  Königsber  g*4),  eine  zweite, 
aus  Braunschweig  stammende,  ist  Eigentum  des  Generalleutnants 
v.  Gerstein  auf  Lüdershof  in  Lippe,  ciie  beiden  andern  hängen  in  der  Privat- 
sammlung Roettgen  in  Bonn  (die  nach  dem  kürzlich  erfolgten  Tode  des 
Besitzers  ihrer  Zersplitterung  durch  Auktion  entgegensieht);  die  größere 
von  beiden  stammt  aus  F r i e s 1 a n d.  Alle  vier  sind  Truhenfronten 
von  verschiedener  Größe,  aber  gleichen  Verhältnissen;  die  Breite  der  Bild  - 
fläche  übertrifft  die  Höhe  um  etwas  mehr  als  das  Doppelte.  Sie  weichen 
also  im  Format  von  den  Cranachschen  Bildern,  die  sich  meistens  vom  Quadrat 
nicht  weit  entfernen,  beträchtlich  ab.  Dadurch  allein  werden  mehrere 
Abweichungen  bedingt.  Damit  alle  Szenen  wiedergegeben  werden,  wird  die 
ganze  Bildfläche  mit  Figuren  gefüllt;  der  Cranachsche  Hintergrund,  die 
noch  auf  der  Dresdener  Tafel  wiederkehrende  Gebirgskette,  ist  weggefallen. 
Auch  vom  Mittelgründe  kehrt  nur  das  Zeltlager  wieder,  die  Stadt  Jerusalem 
nur  auf  der  Braunschweigschen  Tafel.  Da  ferner  das  spröde  Material  eine 
so  feine  Miniaturzeichnung,  wie  sie  bei  Cr.  in  den  Darstellungen  des  Zelt- 
lagers und  der  Verkündigung  an  die  Hirten  vorliegt,  nicht  gestattete,  so  sind 
die  Opfer  der  Schlangen  verringert,  aber  größer  dargestellt  als  dort;  ebenso 
die  Hirten  und  Herden.  So  wird,  da  die  Nebenfiguren  den  Hauptfiguren 
an  Größe  nur  wenig  nachstehen,  der  Unterschied  von  Haupt-  und  Neben- 
gruppen beinah  aufgehoben,  beide  treten  hart  nebeneinander,  die  Figuren 
drängen  sich,  das  Ganze  wird  unübersichtlich. 

Eng  verwandt,  auf  ein  gemeinsames  Vorbild  hinweisend,  sind  die  ersten 
drei  der  genannten  Tafeln.  Die  tüchtigste  Schnitzarbeit  zeigt  die  Braun- 
schweigsche,  deren  Urheber  in  der  mit  liebevoller  Sorgfalt  gebildeten  Hirten- 
szene eine  durchaus  über  das  Handwerksmäßige  sich  erhebende,  aus  eigner 
Beobachtung  erwachsene  Mannigfaltigkeit  der  Form  und  Bewegung  offen- 
bart. Die  Inschriften  sind  sehr  beschränkt;  auf  der  letztgenannten  Tafel 
weist  der  Prophet  auf  ein  am  Baume  angebrachtes  Schild  mit:  su  an  dat 
lam,  auf  der  Königsberger  Tafel  haben  nur  der  Prophet  und  der  Täufer 
Schriftbänder,  jener:  su  dat  is  dat  lam,  dieser:  he  drecht  unser  kreuz.  Auf 
dem  Schriftband  der  Engel  die  Worte:  es  to  huldi  (Euch  zur  Huld). 

Die  andere  in  der  Bonner  Privatsammlung  hängende  Truhenfront  ist 
die  weitaus  größte  der  Gruppe  (70  X 1 55)  und  die  rohestgeschnitzte,  zu- 
gleich die  einzige  mit  Jahreszahl,  1556,  versehene.  Sie  stammt  nach  dem 
handschriftlichen  Vermerk  des  Sammlers  aus  Friesland.  Die  Figuren  sind 
grobknochig,  Eva  und  Maria,  letztere  auch  in  der  Tracht,  rechte  Bauern- 
dirnen. Der  Prophet  ist  riesenhaft  gebildet,  der  nur  mit  einem  weiten  Laken 


*4)  Abb.  in  dem  von  H.  Ehrenberg  besorgten  Katalog  des  Prussiamuseums,  1900, 
S.  20  (Teil  III). 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  425 

behängte  Täufer  hat  die  Haltung  eines  Seiltänzers.  Der  Auferstandene 
entsteigt,  von  allen  Darstellungen  abweichend,  eben  der  Gruft,  auf  deren 
Rand  mit  der  Rechten  sich  stützend,  und  pflanzt  die  dreiwimpelige  Kreuzes- 
fahne senkrecht  in  den  Bauch  des  Todes.  Diese  Gruppe  könnte  dem  Titel- 
blatt der  oben  erwähnten  Lübecker  Bibel  direkt  entnommen  sein,  so  genau 
stimmt  sie  mit  ihm  überein.  Bemerkenswert  sind  einige  Besonderheiten: 
zur  Maria  schwebt  nicht  das  Christkind  mit  Kreuz,  sondern  ein  Engel 
mit  Lilienstengel  herab,  in  bekannter  Andeutung  der  unbefleckten 
Empfängnis.  Hinter  der  erhöhten  Schlange  steht  ein  Tisch  mit  Bibel 
und  Kelch.  Diese  echt  protestantische  Betonung  von  Schrift  und  Abend- 
mahl begegnet  sonst  nicht.  Zahlreiche  kleine  nackte  Anbeter  sind,  z.  T. 
willkürlich  und  sinnlos,  über  die  Tafel  verstreut.  Von  Humor  zeugt  ein 
an  einem  trockenen  Ast  baumelnder  Sünder.  Auf  Schriftbändern  mit  selt- 
sam tutenförmig  gerollten  Enden  zahlreiche  Beischriften:  de  doot,  sondare 
(Sünder)  usw. 

Längere  Bibelsprüche  tragen  nur  die  Königsberger  und  Braunschweiger 
Tafel.  Diese  den  Spruch:  Also  hat  Gott  die  weit  geliebt  usw.,  jene  auf  der 
oberen  Randleiste:  Dat  Gesette  is  dorch  Mosen  gegeven,  de  Gnade  unde 
Warheit  is  dorch  Jhesum  Christ  geworden  ne  . . .,  und  unten:  (Denn  de 
Dot)  is  der  Sunde  Solt,  overst  de  Gave  Gades  is  dat  ewige  Levent  in  Christo 
Jh(esu  unsern  Herren),  wobei  ich  das  Eingeklammerte  ergänzt  habe,  da 
die  dafür  bestimmten  Stellen  unbeschrieben  geblieben  sind. 

Neben  den  Truhenfronten  birgt  die  Roettgensche  Sammlung  einen 
Schrank  von  1562,  dessen  Schnitzwerk  den  Gekreuzigten  und  die  Schlan- 
generhöhung gegenüberstellt  und  in  der  Darstellung  des  Gesetze  empfangen- 
den Moses  über  der  Sündenfallgruppe  bestimmt  auf  den  Cranachschen 
Typus  des  Prager  Bildes  zurückgeht. 

3.  Den  Holzschnitzwerken  sei  die  Gravierung  eines  silber- 
nen Bucheinbandes  angefügt,  die  als  im  ganzen  getreue  Über- 
tragung des  Holzschnittes  anzusehen  ist,  der  als  Titelblatt  vorangestellt 

war  der  , »Auslegung  der  Epistel  und  Evangelien  — D.  Martin  Luthers 

Wittenberg,  1544.«  Die  Gravierung  ist  im  Jahre  1555  von  H.  Kösler 

angefertigt  15).  Die  auf  vier  Felder  verteilte  Darstellung  schließt  sich  eng 
an  das  Prager  Gemälde  an  und  trägt  dieselben  Beischriften  in  wenig  ab- 
weichender Schreibung.  Auch  die  einzelnen  Gruppen  zeigen  nur  unbedeu- 
tende Abweichungen:  die  Verkündigung  an  die  Hirten  fehlt,  Adam  und 
Eva  halten  sich  umschlungen,  der  Tod  hockt  unter  einem  Gewölbe  in  ähn- 
licher Haltung  wie  auf  dem  Aschersiebener  Bilde,  neben  Moses  erscheint 
Gottvater;  im  übrigen  ist  gerade  diese  Szene  in  der  Bildung  der  den  Wolken 

JS)  Abgebildet  und  besprochen  bei  Schwenke  und  Lange:  Die  Silberbibliothek  d. 
Herzogs  Albrecht  v.  Preußen.  1894,  S.  17,  Taf.  3. 


29 


42Ö 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


entströmenden  Strahlen  und  eines  Funkenregens  — dem  ich  sonst  nur  noch 
auf  der  Aschersiebener  Tafel  begegnet  bin  — eine  genaue  Kopie  des  Prager 
Typus. 

IV.  Übertragungen  auf  Stein. 

I.  Sahen  wir  an  den  zuletzt  genannten  Nachbildungen  der  Cranach- 
schen  Komposition  deren  starke  Wirkung  auch  auf  die  Profankunst,  so 
dürfen  wir  bei  dem  religiös -dogmatischen  Charakter  der  Erfindung  von 
vornherein  erwarten,  sie  auch  in  ihrem  ursprünglichen  Kreise  nachgeahmt 
zu  finden.  Cranach  malte  seine  Bilder  für  Altäre  oder  Epitaphien,  jedenfalls 
für  Kirchen.  So  finden  wir  die  Komposition  auch  später  verwandt.  Hier 
bot  sich  für  die  umfangreiche  Gruppenbildung  ja  auch  die  beste,  man  sollte 
meinen,  einzige  Möglichkeit  der  Darstellung.  Daß  ein  Künstler  von  Er- 
findung aber  auch  auf  weit  weniger  günstigem  Felde  imstande  war,  einer 
so  komplizierten  Komposition  einigermaßen  Herr  zu  werden,  zeigt  eine 
Kanzelbrüstung  aus  Sandstein,  die  offenbar  auf  unseren 
Typus  zurückgeht.  Von  der  ehemaligen  Kanzel  zu  Heldburg,  einem 
dem  Cranachschen  Wirkungskreise  nahegelegenen  Städtchen  in  Sachsen- 
Meiningen  l6),  sind  vier  Platten  erhalten.  Die  Form  der  Brüstung  zwang 
den  Bildhauer  die  Komposition  zu  zerlegen.  Er  tat  das  mit  Verständnis 
für  die  Gruppeneinheiten.  »Zwischen  Eckpilastern  mit  Renaissancefüllungen 
sind  in  den  Flächen  größere  Reliefs  ausgeführt,  darunter  in  den  Sockelteilen 
einfachere  Darstellungen  zwischen  den  Postamenten  der  Eckpilaster.«  Die 
erste  Platte  faßt  die  Mittelgruppe  zusammen  ohne  den  hier  überflüssigen 
Baum:  in  der  Mitte  der  sitzende  Mensch,  bärtig,  sonst  ganz  in  der  Haltung 
des  Prager  Bildes,  zwischen  dem  turbangekrönten  Propheten  und  dem  Täufer, 
der  die  Rechte  dem  Menschen  auf  die  Schulter  legt  — dieselbe  Geste  auf 
der  Prussia-Tafel  — und  mit  der  Linken  nach  dem  Kreuze  weist,  das  erst 
auf  der  übernächsten  Tafel  erscheint.  Im  Sockel  ein  sitzender  Kindengel 
mit  einem  Kreuz  in  der  Hand.  Darüber  ist  das  Wort  Genad  nur  aufgemalt 
— offenbar  ein  Nachhall  der  Empfängnisgruppe,  bei  der  dasselbe  Wort 
nicht  weit  von  dem  kreuztragenden  Christkind  erscheint.  Die  zweite  Platte 
gibt  die  Sündenfallgruppe  wieder.  Adam  sitzt  neben  einem  Hirsch, 
Eva  holt,  den  rechten  Arm  um  seine  Schulter  gelegt,  mit  der  Linken  einen 
Apfel  vom  Baum.  Über  der  Gruppe:  Su(nde).  Diese  Anordnung  findet 
sich  auf  keiner  der  Cranachschen  Kompositionen  unseres  Themas,  sie  stimmt 
dagegen  genau  überein  mit  einem  Cranachschen  Kupferstich  von  1509  der 
Münchener  Sammlung1?).  »Nach  Kraus  hatte  das  Relief  noch  die  Über- 
schrift: Anfang  der  Welt.«  In  dem  Sockel  unter  der  Gruppe  ist  auch  der 

l6)  Bau-  und  Kunstd.  Thüringens.  Heft  31,  S.  268.  Daselbst  auch  eine  aller- 
dings unzulängliche  und  unvollständige  Abbildung. 

J7)  Abb.  bei  Kirchner:  Die  Darstellung  des  ersten  Menschenpaares.  S.  135. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  427 

Tod,  abweichend  von  Cranach,  als  ein  im  offenen  Sarge  hockendes  Gerippe 
gebildet;  Überschrift:  Todt.  Weggefallen  ist  das  Zeltlager  und  der  Gesetze 
empfangende  Moses,  doch  erinnert  an  diesen  noch  ein  über  der  Mittelgruppe 
schwebendes  Schriftband,  das  nach  Kraus  die  Inschrift  trug:  Moses  giebt 
Gesetz.  Wie  auf  der  Seite  des  alten  Bundes  die  eherne  Schlange,  so  ließ 
der  Künstler  auf  der  andern  Seite  die  Verkündigung  an  die  Hirten,  beides 
figurenreiche  und  zum  Verständnis  des  Ganzen  entbehrliche  Nebengruppen, 
fort.  Außerdem  fehlt  das  Lamm,  und  von  der  Empfängnis  blieb  nur  die 
Sockelfigur  des  Engels  mit  Kreuz  übrig.  So  faßt  denn  die  dritte  Platte 
den  neuen  Bund  zusammen  in  den  beiden  Hauptgruppen  der  Kreuzi- 
gung und  der  Auferstehung  und  Überwindung  des  Todes,  ganz 
nach  der  Cranachschen  Vorlage.  Darüber  das  Wort:  Erlösung.  Der  Sockel 
zeigt  in  einer  Kartusche  des  Bildhauers  Namensbuchstaben  B F und  Zeichen. 
Die  vierte  Platte  mit  einer  Aussendung  der  Apostel  und  Christus  mit  der 
Weltkugel  geht  nicht  auf  unsere  Komposition  zurück.  Im  Gebälk  der  dritten 
Platte  ist  in  einer  herzförmigen  Kartusche  die  Jahreszahl  gemeißelt:  1536. 
Wir  haben  es  also  mit  einer  recht  frühen  Übertragung  des  Cranachschen 
Musters  zu  tun. 

2.  Die  zweite  mir  bekannte  Übertragung  auf  Stein  istdasEpitaph 
des  Moritz  von  Donop  in  der  Nikolaikirche  zu  Lemgo  in  Lippe. 
Es  ist  an  der  Zeit  dieses  bisher  fast  unbekannte,  in  Abbildung  niemals  ver- 
öffentlichte Denkmal  seiner  Verborgenheit  zu  entreißen,  um  so  mehr,  als 
auf  eine  illustrierte  Inventarisation  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des 
Fürstentums  einstweilen  nicht  zu  hoffen  ist. 

Das  durch  moderne  Bemalung  leider  entstellte  Epitaph  (4,20  X 1,70) 
hängt  an  einem  Pfeiler,  ist  ihm  vielmehr  eingemauert.  Der  Aufbau  ist  ver- 
hältnismäßig streng,  da  seitliche  Ausbauschungen,  wie  sie  an  gleichzeitigen 
Epitaphien  üblich  sind,  fehlen.  Auf  unten  sich  ein  wenig  verjüngenden, 
oben  in  volutengekrönte  Karyatiden -Hermen  endigenden  Eckpilastern  ruht 
ein  klassisches  Renaissancegebälk  mit  vorspringendem,  auf  Konsolen  ruhen- 
dem Gesimse.  Der  breite  Architrav  trägt  die  lateinische  Widmung  und  die 
Jahreszahl  1587.  Darüber  erhebt  sich  ein  kleinerer,  dem  unteren  gleich- 
artiger Aufbau  mit  dreieckigem  Giebelfelde.  Fünf  blumen-  oder  halbmond- 
tragende  Obelisken  krönen  den  Giebel  und  stehen  als  obere  Fortsetzung 
der  Pilaster  auf  den  Gesimsen.  Unter  dem  Hauptbilde,  von  den  Eckpfeilern 
noch  miteingerahmt,  zählt  ein  breites  Feld  die  Tugenden  und  Taten  des 
Verstorbenen  in  10  wohlgebauten  Distichen  auf;  eine  kleinere  Tafel  mit 
Rollwerkornament  wiederholt,  etwas  abgekürzt,  in  deutschen  Lettern  und 
deutschen  Versen  die  Hauptdaten.  Löwen-  und  Teufelsmasken  mit  Ringen 
hängen  als  Kragsteine  unter  den  Eckpilastern,  an  deren  Seitenwänden  sich 
wiederholend.  16  Ahnenwappen  sind  über  die  Pfeiler  und  den  Aufbau  ver- 


428 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


streut.  Die  Tafel  zeigt  die  Merkmale  der  niederländischen  Stilart.  Der 
Meister  ist  unbekannt. 

Moritz  von  Donop i8)  entstammt  einer  dem  Protestantismus  sehr 
ergebenen  Familie.  Sein  Vater  war  eifriger  Förderer  der  neuen  Lehre  in 
Lippe,  er  selber  kämpfte  als  holländischer  Rittmeister  unter  Ludwig  von 
Nassau  gegen  die  Spanier.  Es  geschah  also  nicht  von  ungefähr,  daß  für  das 
Denkmal  dieses  Mannes  jene  typisch  gewordene  bildliche  Darstellung  des 
neuen  Dogmas  gewählt  wurde. 

Der  Bildhauer  formte  die  Cranachsche  Komposition,  die  ihm  aus 
Holzschnitten  oder  Holzschnitzereien  — die  oben  genannte  Braunschweig- 
sche  Holztafel  stammt  von  einem  Donop  — bekannt  sein  mochte  J9),  seinen 
besondren  Aufgaben  gemäß  um.  Er  mußte  den  Verstorbenen  mit  seiner 
Gattin  in  das  Bild  hineinbringen  und  wollte  doch  die  Vordergrundsgruppe 
des  Prager  Typus  nicht  aufgeben.  Er  teilte  nun  die  ganze  Bildfläche  durch 
zwei  Querleisten  in  drei  längliche  Felder  ein.  Dadurch  gewann  er  die  Mög- 
lichkeit, die  einzelnen  Gruppen  aus  dem  Hintergrund  hervorzuholen  und 
zu  verselbständigen.  Nur  der  Baum  ragt  durch  alle  drei  Felder  hinauf. 
Das  untere  Feld  zeigt  den  nackten  Menschen  auf  einem  (Grab-?) 
Kasten  sitzend  mit  betend  vor  die  Brust  gehaltenen  Händen  und  zu  Johannes 
gewandtem  Kopf.  Der  Kasten  trägt  die  Worte  — meine  Ergänzungen  in 
Klammern  — : ego  miser  homo  quis  iibera(vit)  me  de  corp(ore)  mort(is). 
Der  Prophet  zur  Linken  trägt  über  einem  Untergewande  einen  falten- 
reichen Mantel,  aber  keine  Kopfbedeckung;  in  der  erhobenen  Rechten  hält 
er  eine  Tafel:  ecce  virgo  conci(piet)  e(t)  pa(riet)  fil(ium).  Esa.  Johannes 
der  Täufer,  ein  muskulöser  Mann  im  Schafpelz  und  darüberhängendem 
Mantel,  trägt  in  der  Linken  ein  Buch  und  weist  den  Menschen  mit  der  Rechten 
auf  eine  Tafel  hin  mit  der  Inschrift:  ecce  agnu(s)  dei  qui  tol(lit)  pec(cata) 
mu(ndi).  Joa  I.  In  demselben  Felde  werden  gegenübergestellt  der  Sünden- 
fall mit  dem  Tod  im  Grabkasten  darunter  und  die  Auferstehung  des 
Heilands  und  seine  Überwindungvon  Tod  und  Teufel;  dieser 
umklammert  die  Weltkugel.  Hinter  dem  Auferstandenen  erscheint  eine 
Stadt.  Das  zweite  Feld  stellt  den  Gekreuzigten  und  sein  Symbol, 
die  eherne  Schlange,  gegenüber.  Diese  Szene,  bei  Cranach  meistens 
miniaturartig  in  den  Hintergrund  gedrängt,  ist  hier  besonders  reich  aus- 

l8)  Genaue  Kenntnis  seines  Lebens  verdanke  ich  der  großen  Zuvorkommenheit 
des  Herrn  Bankdirektors  Henkel  in  Kassel,  des  Archivars  der  Familie,  der  selbst  das 
Genealogische  der  Tafel  auseinandergelegt  hat  im  »Deutschen  Herold«  30,  Nr.  8,  1899. 
S.  115  fr. 

*9)  Bei  Hirth-Muther  a.  a.  O.  sucht  Jordan,  ohne  Cranach  zu  erwähnen,  das  Epitaph 
als  eine  direkte  Übertragung  des  Toryschen  Holzschnitts  nachzuweisen.  Das  ist  nicht 
ausgeschlossen,  aber  bei  der  großen  Verbreitung  des  Typus  in  Deutschland  sehr  unwahr- 
scheinlich. 


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Dr.  Karl  Ernst  Meier. 


geführt.  Moses  in  langwallendem  Mantel  weist  mit  erhobener  Rechten  auf 
die  Schlange  hin,  dasselbe  tut  hinter  ihm  Aaron,  der  durch  eine  Mithra 
als  Hoherpriester  kenntlich  gemacht  ist.  Rings  umher  knieen  Betende, 
z-  T.  gruppenweise  sich  umschlungen  haltend,  und  wälzen  sich  Gebissene, 
darunter  vorn  ein  Mann  in  römischer  Tracht.  Am  Baum  daneben  eine 
Inschrifttafel:  Num(eri)  21.  Joa.  3.  sicut  Moses  exaltavit  serpentem  in 
(desertis,  ita  etc.). 

Auf  der  andern,  neutestamentlichen  Seite  steht  als  genaues  Pendant 
das  Kreuz  mit  dem  Heiland  — leider  seit  kurzem  aus  dem  Bildwerk  heraus  - 
gebrochen  und  verschwunden  — , darunter  das  Lamm  mit  Fahne,  im 
Hintergrund  Jerusalem,  mit  offenbarer  Bemühung  um  orientalische 
Formen  gebildet,  darüber  die  H i r t e n a u f dem  Felde.  Vom  Himmel 
schweben  zwei  Engel,  der  eine  auf  seinem  Spruchband:  ecce  evangeli,  der 
andere:  vobis  gaudium  a (deo?).  Unter  dem  aus  Raumrücksichten  klein, 
aber  sorgfältig  gemeißelten  Kreuz  knien  einander  gegenüber  auf  üppigen 
Kissen  »der  trewe  Heit  Welchen  der  snöde  Todt  gefeit«  in  voller  Rüstung, 
an  der  Seite  den  Streitkolben,  vor  sich  den  Helm,  und  seine  Gattin  in  schlich- 
tem Gewände.  Das  obere  bedeutend  schmalere  Feld  zeigt  links  oben  Moses, 
wie  er  auf  dem  rauchenden  Berge  die  Tafeln  empfängt.  Im  Gezweige  des 
Baumes  die  Inschrift:  Joan.  1.  lex  per  Mousen  data  est  Gratia  et  veritas 
(a  Christo  Jesu).  An  die  Stelle  der  Empfängnis  Mariä  hat  der  Bildhauer 
die  Verkündigung  durch  den  Engel  treten  lassen.  Dabei  er- 
laubte ihm  die  völlige  Isolierung  der  Szene  die  Beibehaltung  des  üblichen 
Interieurs.  An  ihrem  Betstuhl  kniet  Maria  vor  ihrem  Bett.  Die  Tiefe  des 
Zimmers  hat  der  Künstler  durch  die  perspektivische  Zeichnung  des  Decken- 
gebälks und  der  Fußbodenplatten  sehr  glücklich  herausgebracht. 

In  dem  Aufsatz  ist  das  jüngste  Gericht  dargestellt;  ein  auf 
Epitaphien  sehr  gewöhnlicher  und  auch  durch  Cranachs  Weltrichter  auf 
den  Bildern  des  Königsbet ger  Typus  nahegelegter  Abschluß  des  Ganzen. 
Die  Auffassung  weicht  von  der  üblichen  nicht  ab;  rechts  der  als  Raubtier- 
rachen gebildete  Höllenschlund,  links  die  Stufen  zur  Himmelstür.  In  der 
Mitte  eine  liebliche  Gruppe:  ein  Engel  hilft  einer  Frau,  die  des  neuen  Lichts 
ungewohnt  die  Augen  mit  der  Hand  schützt,  aus  der  Erde  empor20). 

Das  Ganze  ist  weniger  das  Bekenntnis  einer  eigenartigen  Künstler- 
natur, als  das  Zeugnis  für  eine  fertige,  mit  Virtuosität  und  Geschmack 
ausgeübte  Technik.  Das  zeigt  neben  der  klugen  Anordnung  des  Ganzen 
die  Einzelausführung.  Die  in  kräftigem  Relief  vorspringenden  Figuren 
haften  kaum  noch  an  der  Bildfläche  und  nähern  sich  bisweilen  der  Rund- 

20)  Die  ganze  Darstellung  ist  typisch,  hat  aber  doch  auffallende  Ähnlichkeit  mit 
einem  Epitaphbilde  des  westfälischen  Bildhauers  Johann  Beldensnyder  in  Osnabrück 
vom  Jahre  1561.  Vgl.  darüber  Born:  Die  Beldensnyder.  1905,  S.  53,  Taf.  14. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  431 

plastik.  Sie  sind  durchweg  — mit  Ausnahme  des  schlanken  Kruzifixus  — 
von  kräftigem,  untersetztem  Körperbau  und  haben  große  Hände  und  Füße. 
Ihre  Haltung  ist  fest  und  sicher,  manchmal  ein  wenig  steif  und  des  Wechsels 
entbehrend;  Standbein  und  Spielbein  gleichförmig  wiederholt,  stets  en  face- 
Ansicht.  Das  Haar  ist  gewandt,  aber  schematisch  behandelt.  Die  Gesichter 
sind  in  viele  Falten  gelegt,  aber  gleichwohl  leer  im  Ausdruck;  besonders 
blöde  glotzend  der  Blick  bei  dem  Auferstandenen.  Vortrefflich,  fast  raffiniert 
ist  dagegen  die  Ausarbeitung  der  überaus  kräftigen,  schon  an  Rubens  er- 
innernden Muskulatur,  besonders  prachtvoll  bei  Adam  und  dem  Auferstan- 
denen, sorgfältig  aber  auch  bei  den  kleinen  und  plumpen  Figuren  des  jüngsten 
Gerichts.  Der  Gegensatz  des  männlichen  und  weiblichen  Körpers  bei  Adam 
und  Eva  und  dem  Karyatidenpaar  ist  glücklich  betont;  an  letzterem  ist  außer- 
ordentlich fein  durchgearbeitet  die  Muskulatur  und  das  Geäder  der  Arme 
und  Hände. 

So  verdient  dieses  Denkmal  nicht  nur  wegen  seiner  ikonographischen 
Eiftzigartigkeit  Interesse,  sondern  auch  um  seiner  künstlerischen  Qualitäten 
willen  einige  Beachtung. 

V.  Entferntere  Ausstrahlungen  und  Ab- 
kürzungen. 

Die  eminent  dogmatische  Bedeutung  des  Cranachschen  Themas  »Gesetz 
und  Gnade«  erklärt  seine  außerordentliche  Beliebtheit  und  Verbreitung  über 
alle  protestantischen  Gebiete  Deutschlands,  ja  über  Deutschlands  Grenzen 
hinaus.  Es  ist  aber  ohne  weiteres  einleuchtend,  daß  die  Weitschweifigkeit 
und  der  Gruppenreichtum  der  Komposition  auf  die  Nachahmung  vielfach 
hemmend  wirken  mußte.  Ohne  weiteres  verständlich  war  diese  Interpre- 
tation der  protestantischen  Rechtfertigungslehre  auch  nicht.  Wir  können 
es  daher  verstehen,  daß  man  sich  um  eine  knappere  Zusammen- 
fassung ihrerHauptgedanken  bemühte.  Diese  Hauptgedanken 
liegen  in  dem  Gegensatz  von  Gesetz  und  Gnade,  von  Sünde  und  Erlösung 
einbeschlossen,  und  zu  ihrer  Verdeutlichung  konnten  die  korrespondierenden 
Gruppen  von  Sündenfall  und  Kreuz,  von  Moses  als  dem  Vertreter  des  alten 
Bundes  und  Johannes  als  dem  Einleiter  des  neuen  als  hinreichend  erschei- 
nen 2I).  Die  persönliche  Stimmung  des  Betrachtenden  aber  fand  einen 
dramatischen  Ausdruck  in  dem  um  Erlösung  flehenden,  auf  der  Scheide 

2I)  Auf  die  knappste  Formulierung  gebracht  ist  der  Gegensatz  z.  B.  auf  einer  im 
Museum  der  Stadt  Bielefeld  befindlichen  Türfüllung  aus  dem  16.  Jahrh.  (Bau-  und  Kunstd. 
Westfalens.  Bielefeld,  S.  25).  In  der  Mitte  der  Baum  der  Erkenntnis,  links  Adam  und 
Eva,  rechts  das  Kruzifix.  Noch  kürzer  auf  dem  oben  erwähnten  Beldensnyderschen 
Epitaph,  das  im  Aufsatz  die  Sündenfallgruppe  zeigt,  Adam  und  Eva  links  und  rechts 
vom  Baume,  und  neben  Adam  im  Boden  das  Schwert  des  Gerichts,  auf  der  anderen 
Seite  ein  kniendes  Lamm. 


432 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


des  alten  und  neuen  Bundes  stehenden  Menschen.  Diese  packende  Gruppe 
ist  deshalb  auch  da  beibehalten,  wo  man  glaubte,  der  Nebengruppen,  be- 
sonders der  Darstellung  des  Todes,  der  Verkündigung  an  die  Hirten,  der 
Empfängnis,  der  Überwindung  des  Todes  (die  ja  eigentlich  schon  in  der 
Kreuzigung  vollzogen  ward)  entbehren  zu  können. 

Wiederum  auf  einem  Epitaphbilde  begegnet  uns  die  erste  abgekürzte 
Darstellung  unsres  Themas. 

1.  In  der  Schloßkirche  zu  R h e d e n , Amt  Gronau,  hängt  das  Epitaph 
eines  1572  verstorbenen  Hinrich  von  Reden  22).  Den  Mittelpunkt  der  Malerei 
bildet  der  Gekreuzigte,  vor  dem,  wie  so  häufig  auf  Epitaphien,  der 
Verstorbene  nebst  Familie  kniend  dargestellt  ist.  Im  Hintergrund  sind 
kleinere  Figuren  sichtbar,  links  Adam  und  Eva  und  Moses  mit  den 
Gesetzestafeln.  Rechts  der  fast  unbekleidete  Sünder  mit  betend  er- 
hobenen Händen,  den  Johannes  auf  das  Kreuz  hinweist.  Bei  letzterem 
ein  Spruchband  mit  seiner  bekannten  Predigt : Siehe  das  lamb  usw.  Daß 
dies  Denkmal  auf  Cranach  zurückgeht,  wer  weiß,  durch  welche  Vermittlung, 
ergibt  sich  schon  aus  der  Gruppe  des  Sünders  und  Johannes. 

2.  ■ Wieder  in  Cranachs  Heimat  zurück  führt  uns  ein  Epitaphgemälde 
in  der  Johanniskirche  zu  Leipzig,  das  dem  Hans  Meyer,  der  Agathe 
und  dem  Wolf  Perger  im  Jahre  1616  errichtet  worden  ist *  23).  Als  Maler 
ist  Johann  von  der  Perre  vermerkt.  Das  mittlere  Hauptgemälde  zeigt  in 
der  Mitte  den  von  Sündenschuld  bedrückten  Menschen  stehend  in  der 
bekannten  Haltung;  er  ist  bis  auf  den  Lendenschurz  nackt  und  ein  schöner 
Jüngling.  Hinter  ihm  ragt  der  links  trockene,  rechts  belaubte  Baum 
empor.  Links  steht  neben  dem  Menschen  Moses,  im  rechten  Arm 
die  Gesetzestafeln  haltend,  auf  die  er  mit  der  Linken  hinzeigt.  Rechts  weist 
der  Täufer  mit  der  rechten  Hand  über  seine  linke  Schulter  nach  dem 
Gekreuzigten,  der  oben  in  der  rechten  Ecke  erscheint.  Ihm  gegen- 
über, ebenfalls  klein  im  Hinteigrunde,  Adam  und  Eva.  Also  wiederum 
eine  auf  das  Wesentliche  sich  beschränkende  Abkürzung  des  Themas.  Sie 
geht  in  der  Darstellung  des  Moses  auf  den  Königsberger  Typus  zurück, 
erinnert  aber  durch  die  einmalige  Darstellung  des  Sünders  auch  an  das 
Prager  Bild.  Über  dem  Menschen  ist  an  den  Baum  ein  Zettel  geheftet  mit 
der  Inschrift:  0 ich  elender  Mensch  usw.  Die  Härte  des  Gesetzes  wird  der 
Rechtfertigung  gegenübergestellt  in  zwei  Inschriften,  die  sich  um  das  Bild 
herumziehen:  Verflucht  sey  wer  nicht  alle  wort  dieses  Gesetzes  erfüllet, 
das  er  darnach  thue.  Deut.  27.  und  Speculum  iustificationis.  (Erinnert 


22  ) Mitthoff:  Kunstdenkmale  und  Altertümer  Hannovers,  3,  216. 

23)  Bau-  und  Kunstd.  d.  Kgr.  Sachsen,  17,  167,  Fig.  113. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  433 

an  das  Cranachsche:  Figur  der  Rechtfertigung.)  Siehe  das  ist  Gottes  lamb 
das  der  Welt  sunde  tregt.  Johan.  1. 

3.  Ebenfalls  schon  in  das  17.  Jahrhundert  fällt  eine  Cranachsche 
Ausstrahlung,  die  wir  in  dem  Altargemälde  der  Marienkirche  zu  Eilen- 
b u r g J4)  in  der  Provinz  Sachsen  zu  erkennen  haben.  Das  Hauptbild  zeigt 
den  Gekreuzigten.  Aus  seiner  Seitenwunde  spritzt  ein  Blutstrahl 
auf  einen  betenden  Mann  herab;  wie  bei  den  Cranachschen  Bildern 
des  II.  Typus.  Links  verweist  Moses  den  Sünder  auf  die  Gesetzestafeln, 
von  der  rechten  Seite  tritt  Johannes  der  Täufer  hinzu;  vor  ihm  liegt 
das  Lamm  mit  der  Fahne.  Er  weist  tröstend  auf  den  Erlöser  hin,  indem 
er  dessen  Fuß  berührt.  Die  übrigen  Gruppen  fehlen. 

4.  Cranachscher  Einfluß  läßt  sich  noch  an  einer  leider  verloren  ge- 
gangenen Kanzel  aus  dem  Münster  in  Hameln  nachweisen  25).  Mitthoff 
teilt  in  den  »Kunstdenkmalen  und  Altertümern  im  Hannoverschen«  (B.  I — 3 
unter  Hameln)  eine  der  Sprengerschen  Chronik  von  Hameln  entnommene 
Beschreibung  mit.  »Die  1619  errichtete  Kanzel  zeigte  Schnitzarbeit  und 
feine  Malerei.«  In  der  Tür  erblickte  man  Luther  und  Melanchthon  ab- 
gebildet und  im  untersten  Fache  am  Stamme  des  Baumes  den  sündigen 
Menschen  zwischen  Johannes  d.  T.,  der  in  der  Linken  ein  Buch  mit  dem 
Lamm  darauf  hielt,  und  Moses  mit  den  Tafeln.  Die  Abhängigkeit  von 
Cranach,  auch  in  den  beigeschriebenen  Bibelsprüchen,  ist  offenbar. 

5.  Vielleicht  schon  dem  18.  Jahrhundert  gehört  eine  Malerei  der  Kirche 
zu  Unterrenthendorf  in  Sachsen-Altenburg  an 26).  Es  ist  eine 
ganz  minderwertige  Anstreicherarbeit.  Zu  beiden  Seiten  des  Baumes 
werden  gegenübergestellt  Sündenfall  und  Auferstandener 
(ohne  Tod  und  Teufel),  eherne  Schlange  und  Kreuz.  Zu  Füßen 
des  Baumes  sitzt  der  betende  Mensch,  zwischen  Moses  und  J o - 
h a n n e s 27). 

6.  Nicht  überall  liegt  die  Nachwirkung  der  dogmatischen  Malerei 
Cranachs  so  klar  zutage,  wie  an  den  besprochenen  Denkmalen.  Der  barocke 
Hochaltar  der  protestantischen  St.  Walpurgiskirche  zu  Helmstedt 
vom  Jahre  1679  28)  trägt  ein  größeres  Gemälde,  welches  in  e i n e m Rahmen 
und  auf  demselben  Hintergrund  zwei  Kreuze  vereinigt,  an  deren  einem 


24)  Kunstd.  d.  Prov.  Sachsen,  16,  88. 

*5)  Herr  Generalmajor  Köhler  teilt  mir  freundlichst  mit,  daß  über  den  Verbleib 
der  Kanzel  keinerlei  Nachrichten  vorliegen  und  erneute  Nachforschungen  erfolglos 
geblieben  sind. 

26)  Bau-  und  Kunstd.  Thüringens,  II,  55. 

27)  Lehfeldts  Deutung  auf  Versucher,  Eva,  Gottvater  ist  unglaublich. 

2* *)  Baudenkmäler  Braunschweigs,  1,  76  mit  Abbildung. 


434 


Dr.  Karl  Ernst  Meier: 


Christus,  von  den  Seinen  umgeben,  an  deren  andrem  die  eherne 
Schlange  hängt;  darunter  Moses  mit  dem  Stab.  Zur  Linken  und  Rechten 
dieses  Bildes  stehen  in  säulenumrahmten  Nischen  als  Rundplastiken  Moses, 
auf  die  Gesetzestafeln  weisend  und  Johannes  d.  T. 
mit  dem  Lamm.  Hier  haben  wir  die  pendantartige  Gegenüberstellung 
der  beiden  Kreuze  in  derselben  Weise,  wie  bei  Cranach  und  vor  allem  seinen 
Nachahmern.  Wie  bei  Cranach  erscheint  außerdem  auf  der  Seite  des  alten 
Bundes  Moses,  auf  der  des  neuen  Johannes.  Diese  beiden  Figuren  finden 
sich  nun  bekanntlich  in  derselben  Weise  angebracht  bei  einer  überaus  großen 
Anzahl  von  Altar-  und  Kanzelbauten  der  Barockzeit  in  Mittel-  und  Nord- 
deutschland, besonders  in  Thüringen  29).  Alle  diese  Gegenüberstellungen 
von  Moses  und  Johannes  auf  Cranach  zurückführen  zu  wollen,  scheint  gewagt, 
so  viel  aber  ist  gewiß,  daß  das  In-Mode-kommen  derselben  durch  den 
Einfluß  der  Cranachschen  Bilder  stark  gefördert  wurde. 

Wir  sahen  auf  den  meisten  Cranachschen  Kompositionen  die  eherne 
Schlange,  im  Grunde  genommen  widersinnig,  auf  die  rechte  Seite  der 
Tafel,  in  unmittelbarer  Nähe  des  Kreuzes,  gebracht.  Diese  Nebeneinander- 
stellung des  Kreuzes  und  seines  Symbols  wird  seit  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts so  häufig,  daß  man  notgedrungen  nach  dem  Vorbild  fragt.  Dieses 
erblicke  ich  in  Cranachs  Kompositionen.  Die  Denkmäler  sind  zahlreich, 
aber  ausschließlich  auf  evangelische  Kirchen  beschränkt,  und  zwar 
vornehmlich  in  den  Gegenden,  deren  starke  Beeinflussung  durch  Cranach 
ohnehin  feststeht.  Ich  nenne  einige,  leicht  zu  vermehrende  Beispiele  von 
Epitaphien. 

B r i e g.  1559  3°) : Christus  am  Kreuz,  kleiner  im  Hintergründe  — 
also  ganz  wie  bei  Cranachs  Bildern  des  Königsberger  und  Weimarer  Typus  — 
die  eherne  Schlange. 

G o 1 d b e r g.  1566  31).  Dem  vorigen  sehr  ähnlich. 

Essen  in  Hannover.  1614.  Relief  3*).  Zeigt  wiederum  die  eherne 
Schlange  mit  dem  Kreuze  vereinigt  und  in  den  Hintergrund  gerückt. 

Jena.  Kollegiatkirche.  163433).  Ebenfalls  Kreuz  und  Schlangen- 
erhöhung in  einem  Rahmen.  Zu  beiden  Seiten  Moses  und  Johannes  als 
Rundfiguren. 


29)  Allein  aus  Thüringen  nenne  ich  die  Kanzeln  der  Kirchen  zu  Leutenthal,  Kraut- 
heim, Großneuhausen,  Buttstädt,  Wickenstedt,  Langenschade,  Burgau,  alle  aus  dem 
18.  Jahrh. 

3°)  Lutsch:  Kunstdenkmäler  d.  Prov.  Schlesien,  2,  314. 

31)  Lutsch,  3,  297. 

31)  Mitthoff:  Kunstdenkmale  und  Altertümer  im  Hannoverschen,  6,  43. 

33)  Bau-  und  Kunstd.  Thüringens,  1,  107. 


Fortleben  d.  religiös-dogmat.  Kompositionen  Cranachs  i.  d.  Kunst  d.  Protestantismus.  435 

Überhaupt  wird  die  symbolische  Gegenüberstellung  des  Gekreuzigten 
und  der  ehernen  Schlange  — auf  besonderen  Tafeln  — , die  in  der  altchrist- 
lichen Kunst  gar  nicht,  in  der  Frühkunst  des  12.  bis  14.  Jahrhunderts  ziem- 
lich häufig  vorkommt,  darnach  aber  fast  gänzlich  verschwindet,  von  der 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  an  auf  Denkmälern  protestantischer  Kunst 
geradezu  modern.  Daß  dazu  die  zahlreichen  Vorbilder  Cranachs  und  seiner 
Schule  in  hohem  Maße  mitgewirkt  haben,  wenn  sie  nicht  überhaupt  die 
entscheidende  Anregung  gaben,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 


Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte. 

Von  Robert  Hedicke. 

I. 

Zur  Periodenbildung  in  der  Zeit  des  Übergangs  vom 
Mittelalter  zur  Neuzeit. 

Man  pflegt  in  der  Geschichte  der  niederländischen  Kunst  das  14.  und 
15.  Jahrhundert  als  Spätgotik,  das  16.  Jahrhundert  als  Renaissance  zu 
periodisieren.  So  klassifizieren  die  wichtigsten  zusammenfassenden  Dar- 
stellungen der  Architektur  und  Skulptur,  wie  Schayes,  Schoy,  Jean  Rousseau, 
Marchal.  In  der  Malerei  läßt  man  die  Renaissance  meist  mit  den  Eycks 
beginnen. 

Wer  auf  Grundlage  der  heutigen  Denkmalskenntnis  und  Kritik  an  eine 
feinere  Periodisierung  der  niederländischen  Kunst  herantritt,  erkennt  bald 
das  Unbefriedigende,  sogar  Unmögliche  dieser  Einteilung. 

Mag  der  Hegelsche  Entwicklungsgedanke:  „Jeder  Stil  lebt  sich  in  drei 
Phasen  aus,  Frühzeit,  Reifezeit,  Spätzeit“  für  seine  Zeit  ein  fruchtbarer 
und  führender  gewesen  sein,  heute  hat  vertiefte  und  erweiterte  Denkmals- 
kenntnis gelehrt,  daß  dieser  Gedanke  unhaltbar  ist.  Neue  Erkenntnis  zeigt 
uns,  daß  vielmehr  die  großen  Kunststile,  wenn  sie  zur  Reife  gelangt  sind, 
schnell  in  ihrem  innern  Kern  absterben,  daß  neue  Gedanken  die  alten  Formen 
noch  eine  Zeitlang  forttragen  und  zersetzen,  bis  neue  Formen  auch  diese 
verdrängen.  So  folgt  auf  den  reifromanischen  Stil  im  Heimatlande  Frank- 
reich die  Frühgotik  und  die  kurze  Periode  der  Reifgotik.  Was  man 
heute  Spätgotik  nennt,  zeigt  viele,  der  Gotik  konträre  neue  Gedanken  in 
den  altgewohnten  Formen:  eine  neue  Kunst  in  altgotischem  Gewände.  Die 
Bezeichnung  Spätgotik  hindert  die  Erkenntnis  ihres  Wesens.  Deutsch- 
land springt  vom  reifromanischen  Stil  direkt  zur  klassischen  Gotik  Frank- 
reichs über  und  verläßt  sie  bald  wieder,  um  neue  zeitgemäße  Gedanken 
des  14.  und  15.  Jahrhunderts  in  den  altgotischen  Formen  auszudrücken. 
Auch  hier  ist  die  Bezeichnung  Spätgotik  — wenn  man  darunter  Verfall  der 
Gotik  versteht  — der  Erkenntnis  hinderlich.  Der  italienische  Renaissancestil 
geht  von  der  kurzen  klassischen  Höhe  in  Rom  direkt  zu  einer  neuen 


Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte. 


437 


Kunst  in  Hochrenaissanceformen  über:  zum  Barock.  Die  Bezeichnung 
Spätrenaissance  ist  meist  nichtssagend.  In  Oberitalien  ist  sie  verspätete 
Hochrenaissance. 

Wie  soll  man  diese  neu  erkannten  Phänomene  fassen?  Soll  man  das 
Neue,  das  neben  der  Breitbewegung  der  Gotik  auftritt,  als  gotisches  Barock 
neben  Spätgotik  bezeichnen?  Es  mehren  sich  die  Stimmen,  die  dies  ver- 
langen. Darnach  soll  Barock  eine  seit  der  hellenistischen  Zeit  ruhende, 
jetzt  wieder  hervortretende  Grundströmung  der  Kunst  sein,  welche  die 
germanischen  Völker  besonders  in  sich  tragen  und  welche  mit  Michelangelo 
auch  auf  Italien  übergreift.  Sie  tritt  in  der  Zeit  der  sog.  Spätgotik  wieder 
hervor,  wird  im  Norden  durch  den  Einfluß  der  italienischen  Hochrenaissance 
kurze  Zeit  zurückgedrängt,  um  dann  endgültig  beherrschend  sich  auszu- 
breiten. Eine  Definition  des  Barock  ist  schwierig,  wohl  unmöglich  wegen 
der  Verschiedenheit  der  Phänomene,  aber  unbedingt  notwendig.  Barock 
ist  Freiheit,  Willkür  bis  zur  Sinnlosigkeit  der  Formen,  um  eine  gewollte 
Idee  auszudrücken,  eine  gewollte  Wirkung  zu  erzielen.  Barock  ist  unab- 
hängig von  einem  bestimmten  Stil,  ist  kein  Stil,  sondern  eine  Geistesver- 
fassung, kann  die  Formen  verschiedener  Stile  übernehmen *  *)• 

Soviel  über  die  sog.  Spätgotik  und  die  sog.  Spätrenaissance  und  ihr 
Verhältnis  zum  Barock.  Was  die  Bezeichnung  Renaissance  anlangt, 
so  haben  wir  an  anderem  Orte  ausgeführt,  daß  dieser  Stilbegriff  nur  für 
Italien  gilt,  daß  im  Norden  nur  italienische  Einflußerscheinungen  als  Re- 
naissance vorliegen,  wenn  man  überhaupt  etwas  Faßbares  unter  Renaissance 
verstehen  will  *). 

Wir  lassen  unerörtert,  wie  die  Periodisierung  der  Übergangszeit  vom 
Mittelalter  zur  Neuzeit  in  Deutschland  und  Frankreich  3)  vorzunehmen  wäre, 
und  wenden  uns  nach  diesen  Präliminarien  den  Niederlanden  zu. 
Wir  betrachten  zunächst  gesondert  die  Periodenbildung  in  der  Architektur, 
Malerei,  Skulptur  und  Dekoration. 

In  der  Architektur  wird  die  Gotik  spät  von  Frankreich  über- 
nommen und  hat  vom  14.  Jahrhundert  an  die  Tendenz,  frei  zu  schalten. 
Strenge,  oppositionelle  und  barocke  Richtungen  entstehen  nebeneinander. 
Die  Aufnahme  der  Säule,  die  asymmetrisch  gruppierende  Kompositions- 
weise, Netz-  und  Sterngewölbe,  Hallenbau,  asymmetrische  Innendekoration 

*)  Dehio,  Jb.  preuß.  KS.  1909  über  Backofen. 

*)  Um  nicht  mißverstanden  zu  werden,  fügen  wir  hinzu,  daß  wir  vorläufig  die  Be- 
zeichnungen »Spätgotik«  und  »Renaissance  im  Norden«  nicht  abschaffen  wollen,  sondern 
nur  mit  neuem  Sinn  erfüllt  und  enger  begrenzt  sehen  möchten. 

3)  In  Frankreich  bleibt  die  Gotik  strenger,  es  ist  wenig  barocke  Neigung  und  strengere 
Renaissancebildung  im  Anschluß  an  Italien  zu  bemerken.  Deutschland  zeigt  Verwandt- 
schaft mit  den  niederländischen  Phasen,  zeitweise  Beeinflussung  durch  die  Niederlande, 
neben  selbständigen  Richtungen. 


438 


Robert  Hedicke: 


u.  a.  lösen  einerseits  den  Organismus  auf,  bedeuten  andererseits  neues  Leben, 
neue  Baugedanken,  neuen  Reichtum.  Dieser  Zustand  dauert  bis  etwa  1540. 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  beginnen  die  italienischen  Einflußerscheinun- 
gen, die  um  1550  gesiegt  haben  als  alter  Geist  in  neuer  Form.  Der  daraus 
entstehende  neue  Geist  ist  zuerst  streng  und  wird  bald  barock.  Wir  würden 
also  der  herrschenden  Einteilung  folgen  und  die  gotische  Periode  mit  einer 
»Periode  der  sog.  Spätgotik  und  des  gotischen  Barocks«  schließen  (14.  und 
15.  Jahrhundert),  das  16.  Jahrhundert  »Periode  der  Renaissance  oder  des 
italienischen  Einflusses«  nennen  und  die  fortlebenden  spätgotischen  und 
barocken  Richtungen  unter  dieser  Bezeichnung  mit  einbegreifen. 

In  der  Malerei  wäre  das  Mittelalter  ohne  Rücksicht  auf  Romanisch 
und  Gotisch  in  früh-,  reif-  und  spätmittelalterlichen  Perioden  etwa  bis  zum 
Beginn  des  15.  Jahrhunderts  zu  behandeln,  dann  eine  »Periode  des  Realis- 
mus« einzuschieben  (15.  Jahrhundert)  und  das  16.  Jahrhundert  als  »Periode 
des  italienischen  Einflusses  (Renaissance)«  zu  begreifen.  Daß  daneben  eine 
vom  italienischen  Einfluß  unabhängige,  realistisch-indigene  Richtung  (Land- 
schaft, Porträt,  Bruegel  usw.)  fortläuft  und  die  italianisierenden  Richtun- 
gen vorwiegend  barock  sind,  könnte  in  dieser  Periodenbezeichnung  ebenso- 
wenig zum  Ausdruck  kommen,  wie  die  phantastische  Richtung  des  H.  Bosch 
in  der  realistischen  Periode. 

In  der  Plastik  wäre  entsprechend  die  »Periode  des  Realismus« 
mit  Claus  Sluter  am  Ende  des  14.  Jahrhunderts  zu  beginnen,  die  bis  zum 
Beginn  des  16.  Jahrhunderts  (Schnitzaltar,  Borman,  Meister  von  Lombeek) 
dauert.  Also  hier  wäre  Höhepunkt  am  Beginn,  Tiefstand  in  der  Mitte, 
Durchschnittsindustrie  am  Ende.  Die  „Periode  des  italienischen  Einflusses 
(Renaissance)«  (16.  Jahrhundert)  deckt  sich  zuerst  mit  dem  Realismus, 
diesen  von  1540  an  überwindend  4). 

Die  Dekoration  schließt  sich  in  der  gotischen  Zeit  der  Archi- 
tektur eng  an  und  ist  in  der  sog.  »Spätgotik«  streng,  oppositionell  und  barock 
wie  diese.  In  der  »Periode  des  italienischen  Einflusses  (Renaissance)« 
(16.  Jahrhundert)  geht  sie  der  Architektur  voraus,  wird  zeitweise  Führerin 
der  Entwicklung,  ist  zuerst  streng  und  barock,  wie  die  Spätgotik  (Altar 
von  Hai,  Blondeei,  Bos,  Floris),  dann  nur  streng  (Florisstil),  bis  das  Barocke 
allmählich  wieder  siegt. 


4)  Ausdrücklich  möchten  wir  die  Periodenbezeichnung  »style  hispano-flamand« 
einiger  belgischer  Schriftsteller  ablehnen.  Es  sind  nur  einige  vereinzelte  architektonische 
Erscheinungen  spanischen  Einflusses  in  Brügge,  Antwerpen,  Lüttich  vorhanden,  welche 
vielleicht  auch  bei  näherer  Betrachtung  sich  als  bodenständig  erweisen  könnten.  Was 
Marchal  in  diesem  Abschnitt  aneinanderreiht,  zeigt  nur,  daß  es  keinen  spanischen  Stil  in 
den  Niederlanden  gibt. 


Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte. 


439 


Fassen  wir  das  Ergebnis  für  die  Niederlande  folgendermaßen  zusammen: 
Architektur:  Malerei  Plastik  Dekoration 

14.  Jahrhundert  spätgotisch  spätmittelalterlich  spätmittelalterlich  spätgotisch 

15.  Jahrhundert  spätgotisch  realistisch  realistisch  spätgotisch 

16.  Jahrhundert  Italienischer  Einfluß  oder  Renaissance:  barocke  und  strenge  Richtungen 

17.  Jahrhundert  Barock  : strenge  und  barocke  Richtungen. 

Die  Übergänge  und  Irregularitäten,  die  oben  skizziert  wurden,  müssen 
dabei  wohl  beachtet  werden,  können  aber  — ohne  Begriffsverwirrung  hervor- 
zurufen — in  den  grundlegenden  Periodenbezeichnungen  nicht  zum  Aus- 
druck kommen. 

II. 

Zwei  H a u p t r i c h t u n g e n der  Ornamentik 
des  16.  Jahrhunderts. 

Die  niederländische  Dekoration  des  16.  Jahrhunderts  ist  nur  einmal 
bisher  — in  Grauls  heute  veralteter  Jugendarbeit  — Gegenstand  eines 
Darstellungsversuches  gewesen.  Vielleicht  darf  ein  vorläufiger  Versuch, 
zwei  ornamentale  Richtungen  zu  fassen,  auf  das  Interesse  der  Fachgenossen 
hoffen. 

An  den  Anfang  der  Periode  des  italienischen  Einflusses  oder  der  Re- 
naissance möchten  wir  zwei  Erscheinungen  stellen:  den  Stecher  Meister  S 
mit  seinen  vier  Passionsumrahmungen  und  seiner  Radierung  mit  den  Toten- 
köpfen und  die  Bilder  des  Lancelot  Blondeel  von  Brügge.  Beide  verraten 
das  Bestreben,  barockes,  gotisches  Maß -Ast-  und  Rankenwerk  in  arabeskes, 
barockes  Rankenwerk  überzuführen. 

Diese  Versuche  erweitern  sich  zu  einer  arabesken  Richtung  mit 
zwei  Gruppen,  einer  nord-  und  einer  südniederländischen.  Die  nordnieder- 
ländische Gruppe  wird  geführt  von  Lukas  van  Leyden,  der  an  die  neuen 
Ornamentbildungen  des  Dürerkreises  anknüpft,  und  sie  bleibt  im  Banne 
des  deutschen  Ornaments.  Den  vortrefflichen  feinen  Meister  G I und  den 
Nachstecher  Allaert  Claes  und  einige  Anonyme  möchten  wir  hierhin  stellen. 
Aus  diesem  Kreise  zieht  die  plastische  nordniederländische  Dekoration  ihre 
ersten  Anregungen.  Unabhängig  hiervon  ist  eine  von  italienischen  Ein- 
flüssen befruchtete  Gruppe  im  Süden  zu  beobachten,  welche  im  Altar  von 
Hai  und  in  den  Audenarder  Rathausschnitzereien  ihre  besten,  stark  italiani- 
sierenden  Arbeiten  liefert. 

Inzwischen  scheint  sich  Ende  der  dreißiger  und  Anfang  der  vierziger 
Jahre  in  Rom  eine  andere  Gruppe  niederländischer  Meister  getroffen  zu 
haben,  welche  aus  dem.  Studium  der  Loggien  Rafaels  und  im  Umgänge 
mit  den  Stechern  der  Rafaelschule,  besonders  Agostino  Veneziano  und  Enea 
Vico,  Anregungen  zu  einer  neuen,  stark  barocken  Ornamentik  schöpft. 
Vielleicht  schwebte  diesen  Künstlern  ein  italianisierendes  Ornament  mit 


Repertorium  fiir  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


30 


440 


Robert  Hedicke: 


ausgeprägtem,  niederländisch-vlamischem  Nationalcharakter  vor.  Es  waren 
dies  Cornelis  Bos,  Jacob  Collyns  und  Cornelis  Floris.  Möglich  — aber  un- 
wahrscheinlich — ist,  daß  auch  Peter  Coecke  van  Aelst  damals  Rom  berührte. 
Wer  von  diesen  Meistern  zuerst  die  neuen  Gedanken  gefaßt  habe,  läßt  sich 
mit  Sicherheit  nicht  aussprechen.  Vielleicht  war  es  Cornelis  Bos,  der  in 
Rom  bis  zu  seinem  Tode  (1560)  blieb,  und  von  dem  die  frühesten  Stiche 
dieser  Richtung  erhalten  sind  (1538,  Kartuschenserie  Anfang  der  vierziger 
Jahre  (?),  Hauptmasse  1546—1554).  Collyns  arbeitet  seit  1543  für  uns 
sichtbar  in  Utrecht  und  soll  IÖOI  gestorben  sein.  C.  Floris  scheint 
um  oder  kurz  vor  1546  nach  Antwerpen  zurückgekehrt  zu  sein  und  hier 
P.  Coecke  für  diese  Richtung  gewonnen  zu  haben.  Doch  findet  sich  eine 
Umrahmung  dieses  Stils  schon  in  Coeckes  IV.  Buche  Serlios  von  1542.  Wäre 
dann  Floris  früher  zurückgekehrt?  Oder  hätte  Coecke  schon  früher  die  An- 
regung zu  diesem  Stiel  erhalten,  in  Rom  oder  daheim  durch  Nachrichten 
oder  Zeichnungen?  Das  bleibt  vorläufig  ungewiß.  Doch  kann  man  ihm 
hach  einer  Umrahmung  nicht  für  Antwerpen  die  F.ührerrolle  geben,  da 
überdies  seine  übrigen  — dazu,  trotz  Manders  Begeisterung,  nicht  exakt 
beglaubigten  — Leistungen  erst  um  1549  einsetzen,  und  er  1550  stirbt.  So 
werden  wir  vorläufig  Coecke  als  von  dem  heimkehrenden  C.  Floris  inspiriert 
annehmen  müssen.  Das  Neue  dieser  Gruppe  ist  nun  die  barocke  G rot- 
te s k e , welche  die  Grotteske  des  Rafaelkreises,  besonders  Venezianos, 
ins  Viamische  übertreibt.  Daran  schließt  sich  eine  Fortentwicklung  des 
Rollwerks,  der  Rollwerkkartusche  und  der  Maske  in  phantastischem,  ex- 
tremem, barockem  Geiste  in  Anknüpfung  an  gewisse  gotische  Barock- 
erscheinungen. Bos  scheint  der  Anreger,  Floris  der  Hauptträger,  Coecke 
der  Mitkämpfer  zu  sein.  Collyns  etabliert  eine  Filiale  in  Utrecht.  Bos  ent- 
wickelt den  Stil  in  einem  reichen  Stichwerk  von  Kartuschen,  Grottesken, 
Trophäen,  Hermen.  Floris'  Werke  von  1546 — 1550  sind  Initialen,  Gefäße, 
Grottesken,  Grabmäler,  Masken.  In  der  plastischen  Praxis  benutzt  er  seine 
gestochenen  Vorlagen  selten  und  wird  seit  1549  streng  italianisierend.  Coecke 
wendet  den  Stil  beim  Privathaus  an.  Collyns  überträgt  ihn  in  die  plastische 
Praxis  in  Kamin,  Grabmal,  Gestühl,  vielleicht  auch  aufs  Privathaus.  Seine 
Grotteske  ist  maßvoller  und  mit  Arabeske  vermischt.  Er  ist,  wie  der  spätere 
Floris,  auf  das  Allgemeingültige,  Klassische  gerichtet,  hat  jedoch  mehr 
Charakter  als  der  Antwerpener  Meister.  Neben  Terwens  Gestühlsdekoration 
von  Dordrecht  wird  sein  Ornament,  gemäßigt,  das  führende  in  Holland. 
Eine  Aufnahme  dieses  Stils  im  Großen  tritt  nur  in  der  Rollwerkkartusche 
ein,  wo  Battini,  Jacob  Floris  und  Hans  Vredeman  de  Vries,  der  uns  immer 
mehr  in  seinen  Anfängen  als  Florisschüler  sich  erwiesen  hat,  mit  einer 
Tätigkeit  einsetzen,  die  weithin  im  Buchdruck  Verbreitung  findet.  Vredeman 
ist  noch  eine  Zeitlang  Träger  der  grottesken  Ornamentrichtung,  die  mit 


Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte. 


441 


ihm  verschwindet.  Für  Antwerpen  ist  das  Beispiel  des  Cornelis  Floris  be- 
stimmend, der  seit  1549  entschieden  in  einer  ausgedehnten  Praxis  in  Plastik 
und  Architektur  zu  einer  strengen  und  maßvollen,  italianisierenden  Orna- 
mentik übergeht  und  in  den  südlichen  Niederlanden  die  strenge  Richtung 
zum  Siege  führt.  Alles  übrige  schließt  sich  diesen  Führern  an.  Die  Kriege 
unterbrechen  im  Süden  die  Entwicklung,  im  Norden  gelangt  im  letzten 
Viertel  des  Jahrhunderts  unter  dem  Einfluß  Vredemans  eine  schwerere, 
nüchterne,  derbere,  streng  antikisierende  Ornamentrichtung  zur  Annahme. 

Die  beiden  Hauptrichtungen  der  Ornamentik,  die  wir  hier  skizzieren 
wollten,  möchten  wir  die  arabeske  und  die  grotteske  Richtung 
nennen.  Beide  sind  barocke  Strömungen.  Die  erste  wird  getragen  von 
Blondeel,  Lukas  van  Leyden  und  seiner  Umgebung  und  einigen  plastischen 
Schulen.  Sie  ist  bodenständig  oder  von  Deutschland  beeinflußt  und  lebt 
bis  etwa  1540.  In  Holland  bleibt  die  Arabeske  bis  gegen  Ende  des  Jahrhun- 
derts in  der  Holzschnitzkunst  dauernd  in  Übung.  Die  zweite  Richtung  geht 
von  Rom  aus,  wird  geführt  von  Bos,  Floris,  Collyns  und  hat  ihre  Blütezeit 
ungefähr  von  1546 — 1556.  In  der  Folgezeit  erringt  die  strenge  Richtung 
des  Floris  (1549 — 1575)  den  Sieg.  In  Holland  gewinnt  von  den  sechziger 
Jahren  an  allmählich  diejenige  des  Vredeman  die  Führung.  Jene  schafft 
ein  streng  italianisierendes,  heiter-graziöses  Ornament,  diese  ein  streng 
antikisierendes,  däftig-nüchternes  Ornament.  Beide  sind  strenge  Renais- 
sancerichtungen, während  die  arabeske  und  grotteske  Richtung  barocke 
Strömungen  waren.  In  der  Person  des  Floris  vereinigen  sich  die  arabeske, 
die  grotteske  und  die  strenge  Richtung.  Er  ist  zuerst  barocker  Ornamentist, 
dann  Renaissancemeister. 

III. 

Der  holländische  Barockturm  und  seine  Vorbilder. 

Man  hat  bisher  angenommen,  daß  der  holländische  Barockturm,  wie 
er  in  Leyden,  Amsterdam  und  Haarlem,  auf  vielen  Rathäusern,  wie  Boisward, 
Franeker  usw.,  zu  sehen  ist,  im  wesentlichen  eine  bodenständige  Schöpfung 
sei  und  etwa  von  Hendrik  de  Keyzer  oder  Lieven  de  Key  herrühre.  Daß 
hier  nur  reichere  Ausbildung  vorhandener  Elemente  vorliegt,  lehrt  ein  Blick 
in  die  südniederländische  sog.  Spätgotik  und  frühe  Renaissance,  wo  alle  Ele- 
mente der  Komposition  vorhanden  sind,  wenn  auch  in  unausgebildeter  Form 
und  in  gotischer  Gestalt. 

Die  wichtigsten  Elemente  sind  folgende:  der  Übergang  vom  vier- 
eckigen zum  achteckigen  Turm,  die  Balustradengalerie  mehrfach  wieder- 
holt, mit  und  ohne  Obelisken  auf  den  Ecken,  auf  Konsolen  ruhend  oder 
direkt  übergeleitet,  ferner  die  offene  Laterne  meist  mehrfach  verwendet, 
konkave,  konvexe  oder  konkav -konvexe  Überleitungen  auf  polygonalem 
Grundriß,  der  zwiebel-  oder  rettigförmige  Abschluß. 


30' 


442 


Robert  Hedicke: 


Der  Übergang  vom  Viereck  zum  Achteck  findet  sich  z.  B.  in  den  Rat- 
haustürmen von  Brüssel  upd  Audenarde.  Die  Balustradengalerie  mit 
Maßwerkfüllung  ist  dem  gotischen  Turm,  Kirchturm  und  Stadtturm,  ver- 
traut. Die  Vorkragung  erfolgt  meist  auf  profilierter  Leiste.  Auf  Ecken 
und  Zwischenpfeilern  stehen  gotische  Fialen,  welche  dem  späteren  Obe- 
lisken recht  ähnlich  sehen.  Die  offene  Laterne,  auch  mehrfach  übereinander, 
die  Überleitungen,  die  polygonale  Bedachung,  sogar  die  Zwiebelbildung 
findet  sich. 

Lassen  wir  einige  Türme  an  uns  vorüberziehen.  Der  Turm  von 
Brüssel  (1448  von  Jean  van  Ruysbroeck  nach  Ysendyck  ie  s6rie  H 9) 
zeigt  den  Übergang  vom  Viereck  ins  Achteck,  die  vorgekragte  Balustrade 
dreimal,  die  Fialen  auf  den  Eckpfeilern  und  drei  offene  Geschosse.  L ö w e n s 
(von  Mathieu  de  Layens,  Grundstein  1447 — Ys.  H n)  sechs  kleine  Türme 
sind  ganz  achteckig,  haben  drei  stark  vorgekragte  Maßwerkbalustraden  und 
zwei  offene  Geschosse.  Am  wichtigsten  ist  Audenarde  (1525 — 1530 
von  Jean  van  Pede — Ys.  H 10).  Dort  findet  sich  der  Übergang  vom  Viereck 
zum  Achteck,  dreimal  wiederholte  Maßwerkbalustrade  mit  Fialen  5),  zwei 
offene  Geschosse  und  — zwiebelförmiger,  polygonaler  Abschluß,  durch- 
brochen, mit  Rippenbildung.  Füllt  man  diese  Rippen  aus,  so  erhält  man 
die  spätere  Form* * 6).  Die  Zwiebel  ist  also  als  barocke  Form  der  Spätgotik 
entstanden.  Das  Konkave,  Konvexe  und  Konkav -Konvexe  ist  aus  spät- 
gotisch-barocken Maßwerkformen  abgeleitet  und  von  der  Dekoration  auf 
die  Architekturform  übertragen. 

Diese  Zwiebelform,  polygonal  und  ausgefüllt,  findet  sich  im  Vierungs- 
turm der  Kathedrale  von  Antwerpen  (Ys.  Ic  sörie  T 31,  Hauptturm 
vollendet  1518  — Stich  des  Verlags  Plantin  bei  Guicciardini),  wo  auch  die 
Überleitungen  sich  auszubilden  beginnen.  Ganz  deutlich  ist  diese  Entwicklung 
im  Börsenturm  von  Antwerpen  zum  Abschluß  gelangt  (nach 
Schayes  IV  59  erbaut  1531  — Stich  des  Verlags  Plantin  bei  Guicciardini). 
Der  Turm  zeigt  die  rohesten  Formen.  Aus  der  Hausfassade  wächst  ein 
Achteck,  geht  in  ein  Rund  über,  wird  konkav-konvex  polygonal  bedacht 
und  erhält  eine  offene,  auf  einer  Art  Säulen  ruhende  Laterne,  die  in  derselben 
Weise  gedeckt  ist.  Die  Zwiebel  darüber  ist  gleichsam  eingeschnürt  und 
besteht  aus  einem  runden  polygonalen  Unterteil  — etwa  wie  ein  Granat- 
apfel — und  einer  rettigartigen  Spitze.  Ein  kleinerer  Turm  daselbst  hat 
ein  konvexes  Dach  erhalten.  Hier  in  Antwerpen  scheint  die  Geburtstätte 
des  neuen  Typus  zu  liegen.  Aus  dem  gotischen  Barockturm  wird  der 


5)  Der  Turm  von  Veere  (Keldermans  1474  — Ys.  H 7)  hat  fast  schon  Obelisken, 

doch  scheinen  sie  wohl  später  oder  restauriert  zu  sein. 

6)  Konvexität  und  Laterne  in  Brügge,  Just'zpalast  1523  — Ys.  ie  s£rie  T 29. 


Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte. 


443 


Renaissance- Barockturm,  und  der  Börsenturm  ist  das  erste  Werk,  in 
welchem  der  Übergang  vollzogen  ist63). 

An  diesen  Börsenturm  und  die  Vorgänger  der  Spätgotik  knüpft 
Cornelis  Floris  an  in  seinem  Turm  des  Hanseatenhauses 
(1564 — 1568 — Stich  bei  Guicciardini).  Ein  einfacher  viereckiger  Turm  erhebt 
sich  über  der  Mitte  des  Hauptbaus.  Ganz  unitalienisch-barock,  aber 
malerisch  wirkungsvoll  ist  eine  Ordnung  auf  Sockel  frei  herumgelegt  mit 
Sockel-  und  Krönungsbalustrade.  So  sind  zwei  Turmbalustraden  erzielt, 
aber  die  Idee,  den  Turm  in  der  Mitte  zu  verdicken,  wirkt  barock.  Eine 
viereckige  Verjüngung  besteht  aus  einer  Ordnung,  die  aber  noch  nicht 
durchbrochen  ist.  Das  Dach  ist  konkav-konvex  quadratisch  gedeckt  mit 
Luken,  zwei  Zwiebeln  sind  übereinander  gestellt,  fast  kürbisförmig,  mit 
Zwischenstegen  und  recht  ungeschickt,  Drechslerarbeit  ähnlich.  Die  Obelisken 
findet  man  am  Antwerpener  Rathaus* * 7). 

Dem  Hanseatenturm  schließt  sich  derjenige  der  Londoner  Börse 
an  (erbaut  von  Thomas  Gresham  15 66 — 1569  nach  zwei  Stichen  des  Brüsseler 
Kupferstichkabinetts),  welche  auf  den  Typus  der  Antwerpener  Börse  den 
Stil  des  Cornelis  Floris  anwendet.  Der  viereckige  Turm  erhält  zwei  vor- 
kragende Balustraden  ohne  verbindende  Ordnung,  die  Verjüngung  Ordnung 
und  Nische,  das  Dach  konvex-konkav-konvexe  Form  auf  quadratischem 
Grundriß.  Die  beiden  Zwiebeln  von  Rettigform  werden  durch  ein  Flach- 
polster getrennt. 

Der  Turm  der  Amsterdamer  Börse  (Stich  Visscher  von 
1612  im  Brüsseler  Kupferstichkabinett)  verrät  mit  Balustrade,  Obelisken 
und  Zwiebel  seine  Antwerpener  Abkunft.  Auch  das  Innensystem  der 
Börse  knüpft  an  Floris  an. 

Der  Haager  Rathaus  turm  (1565  — Ys.  I*  s6rie  H 5)  leitet 
mit  Balustrade,  zwei  offenen,  konkav  gedeckten  Laternen  und  durch- 
brochener Zwiebel  zu  der  bekannten  holländischen  Gruppe8)  über,  von 
der  wir  ausgingen. 

Wir  sehen  also  hier  eine  geschlossene  und  direkte  Turmentwicklung 
vor  uns,  die  sich  um  den  Wechsel  der  Formen  nur  wenig  kümmert  und 
leicht  von  den  gotischen  zu  italianisierenden  Details  übergeht:  eine  Barock- 
entwicklung: Freiheit  und  Willkür  bei  Durchführung  eines  bestimmten 
Gedankens  in  verschiedenen  Stilformen. 


6a)  Vgl.  Denkmalpflege  1909  über  die  Waghemakere. 

7)  Obeliskenverwendung  am  Turm  in  der  italienischen  Renaissance  z.  B.  bei  Ma- 

donna di  San  Biagio  bei  Montepulciano  von  A.  da  Sangallo  d.  Ä. 

8)  Vgl.  die  Türme  bei  Ysendyck  u.  Ewerbeck  oder  bei  Dehio,  Kunstgesch.  in  Bildern 
IV  S.  64  f. 


444 


Robert  Hedicke:  Beiträge  zur  niederländischen  Kunstgeschichte. 


Man  hat  schon  die  Beobachtung  gemacht,  aber  bisher  nicht  erklären 
können,  daß  etwa  zur  gleichen  Zeit  in  Schlesien  ein  sehr  verwandter 
Typus  des  Barockturmes  im  Anschluß  an  spätgotische  Gebäude  auftaucht. 
Schlesien  muß  damals  Beziehungen  zu  den  Niederlanden  gehabt  haben  — 
die  wir  heute  noch  nicht  kennen,  aber  vielleicht  einmal  erkennen  werden  — , 
da  auch  das  kleine  Florisepitaph  in  Schlesien  in  sehr  verwandter  Gestalt 
auftritt  (z.  B.  Breslau,  Barbarakirche). 

Falls  also  diese  Erklärungs-  und  Verknüpfungsversuche  sich  als  richtig 
bewähren  sollten,  so  wäre  der  holländische  Barockturm  aus  dem  südnieder- 
ländischen, spätgotischen  Turm  hervorgegangen  und  hätte  in  Antwerpen 
seine  Formelemente  erhalten,  die  sich  nach  England,  Holland  und  Schlesien 
etwa  gleichzeitig  weiter  verbreiten.  Für  die  Geschichte  der  Typenbildung 
und  Typenverbreitung,  zugleich  für  die  Art,  wie  Spätgotik  und  Renaissance, 
wie  15.  und  16.  Jahrhundert  sich  im  Barock  verknüpfen,  endlich  wie 
Barock  entsteht  und  was  er  ist:  dürfte  diese  Turmentwicklung  ein  lehr- 
reicher Beitrag  sein 9). 

9)  Soeben  kommt  Dammann,  Der  Ursprung  des  Haubenturms:  Ztschr.  f.  Gesch. 
der  Arch.  II  1909  S.  179  zu  meiner  Kenntnis.  — Vgl.  die  Türme  bei  Mertens  en  Torffs, 
Geschiedenis  van  Antwerpen  IV  122  (Ansicht  von  1556)  und  IV  495  (Huis  van  Aken). 


Ein  mittelalterlicher  Kanon  des  menschlichen  Körpers. 


Unter  den  mannigfaltigen  Fragmenten  mittelalterlicher  Gelehrsamkeit, 
die  sich  in  den  Werken  der  hl.  Hildegard  von  Bingen  finden,  sind  die  Spuren 
eines  Kanons  des  menschlichen  Körpers  bis  jetzt  gänzlich  übersehen  worden. 
Sie  sind  uns  in  dem  Buche  »von  den  göttlichen  Werken«  (Liber  divinorum 
operum  simplicis  hominis,  Migne,  Patrologia  latina,  t.  197  col.  741  ff.)  auf - 
bewahrt,  das  man  wohl  eine  mystische  Kosmologie  nennen  könnte. 
Das  Weltall  (der  Makrokosmus),  der  menschliche  Körper  (der  Mikrokosmus) 
und  das  Leben  und  Weben  der  Menschenseele  werden  hier  in  Parallele  gesetzt 
und  als  die  harmonische  Verwirklichung  einer  großen  Schöpfungsidee 
aufgefaßt.  Diese  Anschauung  führt  dazu,  Mikrokosmus  und  Makrokosmüs 
zuweilen  in  die  engste  Beziehung  zu  bringen  und  gibt  der  geistreichen  Ver- 
fasserin auch  Gelegenheit,  von  den  Normalmaßen  des  menschlichen  Körpers 
zu  sprechen.  Hier  soll  nur  auf  die  interessanten  natur-  und  kunstwissenschaft- 
lichen Lehrsätze  aufmerksam  gemacht  werden.  Zum  Studium  des  Problems 
wird  man  sich  an  den  bei  Migne  gebotenen  lateinischen  Text  wenden 
müssen. 

Der  Begründer  der  Beuroner  Kunstschule,  P.  Desiderius  Lenz  0.  S.  B., 
der  nach  selbständigen  Messungen  und  Berechnungen  einen  Kanon  auf- 
gestellt hat,  war  so  gütig,  sich  auf  meine  Bitte  hin  über  die  Angaben  der 
rheinischen  Seherin  zu  äußern.  Bei  denjenigen  Maßen,  die  mit  seinen  Er- 
gebnissen übereinstimmen,  werde  ich  das  besonders  bemerken. 

Auf  folgende  Stellen  bei  Migne  a.  a.  0.  sei  vor  allem  hingewiesen: 

Col.  815.  XVII.  »Am  Kopfe  des  Menschen  sind  die  drei  obern  Ele- 
mente angedeutet,  nämlich  von  der  Höhe  des  S c h e i t e 1 s bis  zur  Stirn 
das  leuchtende  Feuer  mit  dem  darunter  liegenden  schwarzen  Feuer.  Von 
der  Stirn  bis  zur  Nasenspitze  der  reine  Äther  und  von  der  Nase 
bis  zur  Kehle  der  feuchte  Äther.  Und  alle  diese  Teile  befinden 
sich  in  gleichem  Abstande  voneinander. 

Col.  816.  XVIII.  »Die  Ober-  und  Unterlippe...  . am 
Munde  des  Menschen  haben  gleiches  Maß.  Ebenso  ist  das  Maß  von 
einem  Ohre  des  Menschen  zum  andern  Ohre  — rückwärts  um  die 


446 


P.  Ildefons  Herwegen: 


Kopfrundung  gemessen  — und  von  den  O h r 1 ö c h e r n bis  zu  den 
Schultern,  sowie  von  den  Schultern  bis  zum  Ende  der  Kehle 
das  gleiche.« 

Col.  819.  XXII.  »Von  der  obersten  Höhe  der  Hirnschale  (vasis 
cerebri)  bis  zur  untersten  Linie  der  Stirne  des  Menschen  ergeben  sich  sieben 
Stellen,  die  gleichmäßig  voneinander  entfernt  sind,  durch  welche  die 
sieben  Planeten,  die  am  Firmamente  in  gleichem  Abstande  voneinander 
stehen,  angedeutet  werden.« 

Col.  831.  XXXIII.  »Wie  kein  sichtbares  Ding  ohne  Namen  (d.  h. 
wohl  ohne  sein  eigenes  Wesen,  das  durch  den  Namen  ausgedrückt  wird) 
ist,  so  auch  keines  ohne  (sein  bestimmtes)  Maß.  So  haben  auch  die  beiden 
Augen  des  Menschen  das  gleiche  Maß  und  die  Augenhöhlen  (specu- 
lativa  vasa)  sind  in  ihren  Kreisen  gleich.« 

Col.  843.  LIII.  »Vom  Scheitel  des  menschlichen  Hauptes  bis 
zum  Ende  d e r K e h 1 e (d.  h.  wohl  bis  zur  Halsgrube),  vom  Ende  der 
K e h 1 e bis  zum  Nabel,  vom  N a b e 1 bis  zum  Orteder  Ausschei- 
dung ergibt  sich  das  gleiche  Maß.«  Mit  Ausschluß  der  letzten  Angabe 
stimmen  diese  Maßverhältnisse  mit  dem  Beuroner  Kanon  überein. 

Col.  844.  LV.  »Aber  auch  von  beiden  Schultern  bis  zu  beiden 
Ellenbogen  und  von  beiden  Ellenbogen  bis  zur  äußersten  Spitze 
des  Mittelfingers  ergibt  sich  das  gleiche  Maß.«  Diese  Maße  decken 
sich  ebenfalls  mit  denen  des  Beuroner  Kanon. 

»Die  Hand  wiederum  hat  von  ihrem  G e 1 e n k e an  bis  zur  äußersten 
Spitze  des  Mittelfingers  dasselbe  Maß,  das  vom  Knöchel 
bis  zum  Ende  der  großen  Zehe  besteht. 

Col.  845.  LVI.  »Das  Maß  von  einem  Oberschenkel  zum  andern 
hinüber  beträgt  ebensoviel,  als  vom  N a b e 1 bis  zur  Stelle”  der  Aus- 
leerung.« Die  gleichen  Proportionen  weist  der  Beuroner  Kanon  auf. 

Col.  869.  XCII.  »Von  den  Knien  bis  zum  Knöchel  besteht  das- 
selbe Maß,  wie  vom  Orte  der  Ausscheidung  oder  vom  Ober- 
schenkel bis  zum  K n i e.«  Auch  diese  Verhältnisse  stehen  mit  dem 
Kanon  des  P.  Lenz  im  Einklang. 

Die  Bestimmung  der  Herkunft  dieses  von  der  hl.  Hildegard  über- 
lieferten Kanonfragmentes  und  dessen  Wertung  muß  ich  — selbst  unkundig 
auf  diesem  Gebiete  — Kennern  der  Geschichte  des  Kanons  überlassen. 

P.  Ildefons  Herwegen.  O.  S.  B. 


Literaturbericht. 


Malerei. 

Andreas  Aubert.  Die  malerische  Dekoration  der  San- 
Francesco-Kirche  inAssisi,  ein  Beitrag  zurLösung 
der  Cimabuefrage.  Mit  80  Abbildungen  in  Lichtdruck  auf 
69  Tafeln.  Aus  dem  Norwegischen  übersetzt  von  Cläre  Greverus  Mjöen. 
Kunstgeschichtliche  Monographien  VI.  Leipzig  1907.  Karl  W.  Hiersemann. 
Adolfo  Venturi.  La  Basilica  di  Assisi.  Illustrazione  storico- 
artistica  con  30  zincotipie  tratte  da  disegni  di  Gino  Venanzi  e con  6 fototipie 
e 4 fotoincisioni.  Roma.  Casa  editrice  de  »L’Arte«  1908. 

Gibt  es  überhaupt  eine  »Cimabuefrage«?  die  einer  Lösung  harrte; 
aus  der  ungeahnter  Gewinn  für  die  wissenschaftliche  Erkenntnis  entspränge; 
für  die  demnach  jeder,  und  sei  es  der  kleinste  Beitrag,  auf  Dank  und  Aner- 
kennung zu  rechnen  hätte?  Und  worin  besteht  dieses  Cimabueproblem ? 
Wird  etwa  die  Existenz  dieses  Malers  überhaupt  bestritten?  Oder  können 
sich  moderne  Kunstkritiker  nur  nicht  über  Quantität  und  Qualität  sowie 
über  die  Genesis  seines  Oeuvre  einigen?  Solche  Fragen  stiegen  mir  auf, 
als  ich  den  Titel  des  Buches  von  A.  Aubert  las.  Und  eine  gewisse  Ent- 
täuschung stellte  sich  dann  ein,  als  ich  an  Stelle  einer  umfassenden  Erörterung 
der  Quellen  seines  Lebens  und  seiner  Kunst,  an  Stelle  eines  methodischen 
Aufbaues  seines  künstlerischen  Schaffens  oder  wenigstens  des  Versuches  zu 
einem  solchen,  nur  eine  Studie  in  Buchform  über  den  ältesten  Bildschmuck 
und  die  älteste  Dekoration  der  beiden  Kirchen  von  San  Francesco  di  Assisi 
mit  der  Zuspitzung  auf  Cimabue  und  seinen  wirklichen  oder  vermeintlichen 
Anteil  an  diesen  Fresken  fand.  Nun  kann  sich  gewiß  ein  jeder  Autor  das 
Thema,  über  welches  er  arbeiten  will,  nicht  nur  nicht  wählen,  sondern  auch 
bestimmen,  innerhalb  welcher  Grenzen  er  es  behandeln  will.  Ich  gestehe 
Aubert  unbedingt  die  Befugnis  zu,  den  Bildschmuck  in  Assisi  aus  der  Ge- 
samtentwicklung der  italienischen  Malerei  des  Ducento  und  aus  ihm  wieder 
Cimabues  Tätigkeit  herauszuheben  und  kritisch  zu  zergliedern;  nur  muß 
alsdann  verlangt  werden,  zumal  wenn  es  sich  nicht  um  gelegentliche  Auf- 
sätze in  Zeitschriften  handelt,  sondern  um  ein  Buch,  also  um  ein  größeres 


448 


Literaturbericht. 


planmäßig  angelegtes  Ganzes,  daß  das  einmal  gewählte  Thema  aus  seinen 
speziellen  Voraussetzungen  heraus,  genetisch  klar,  erschöpfend  und  über- 
zeugend, in  übersichtlicher  Weise  und  vor  allem  in  logischem  Aufbau  ent- 
wickelt werde.  In  dieser  Beziehung  weist  aber  das  Buch  sowohl  prinzipielle 
wie  relative  Mängel  auf. 

Als  Cimabue  in  Assisi  malte,  hatte  er  bereits  eine  Entwicklung  hinter 
sich.  Die  Fresken  in  Assisi  waren  nicht  sein  erstes  Werk.  Geht  nun  Aubert 
den  Spuren  dieses  Meisters  in  Assisi  nach,  — und,  um  dies  gleich  zu  sagen, 
er  hat  dies  mit  Liebe  und  mit  rührender  Geduld  getan  — , so  bedurfte  es 
einmal  vorher  einer  Darlegung  seines  speziellen  Entwicklungsganges  bis  zu 
diesem  Zeitpunkte,  unter  kritischer  Analyse  der  Quellen  (zu  denen  ich  die 
Werke  in  erster  Linie  rechne),  über  sein  Leben  und  Tun;. und  sodann  einer 
Untersuchung  der  Baugeschichte  dieses  ehrwürdigen  Monumentes,  in 
welches  sich  Cimabues  Malerei  einfügt,  vor  allem  einer  möglichst  gesicherten 
Chronologie,  die  nicht  nur  für  San  Francesco,  sondern  in  weiterer  Folge 
für  die  Malerei  des  Ducento  in  Rom  und  Toskana  unerläßliche  Vorbedingung 
ist.  Indem  Aubert  darauf  verzichtet,  indem  er  allein  den  malerischen 
Schmuck  und  nur  den,  nicht  auch  die  übrige,  vor  allem  die  plastische 
Dekoration  in  Assisi,  auf  stilistische  Unterschiede  analysiert,  aus  ihm  einen 
bestimmten,  anscheinend  auf  eine  Künstlerindividualität  zurückgehenden 
Bestandteil  heraushebt  und  seinen  Verfasser,  den  »großen  Unbekannten« 
(w'ie  A.  ihn  nennt),  schließlich  mit  Cimabue  identifiziert,  verfährt  er  einmal 
nicht  methodisch,  gibt  weiter  keine  einwandsfreien  Resultate  und  löst 
somit  die  Aufgabe  nicht,  die  er  sich  gestellt,  so. scharfsinnig  einzelne  seiner 
Beobachtungen  sein  mögen,  und  so  sehr  speziell  ich  geneigt  bin,  mich  seiner 
Führung  anzuvertrauen. 

Die  Frage  nach  dem  Wesen  und  Wert  Cimabues  und  der  Malerei 
seiner  Zeit  ist  eng  verknüpft  mit  der  Quellenanalyse  Vasaris,  im  speziellen 
Falle  sowohl  wie  allgemein.  Sie  würde  kaum  bestehen,  sie  würde  überhaupt 
nicht  so  viele  heterogene  Ansichten,  ja  einen  derartigen  Tiefstand  negativer 
Kritik  gezeitigt  haben,  wie  er  in  dem  Verdikte  Langton  Douglas’  über 
Cimabue  entgegentritt,  der  Wickhoff  und  J.  P.  Richter  übertrumpfend, 
in  der  Neubearbeitung  von  Crowes  und  Cavalcaselles  history  of  painting 
in  Italy  a 1903,  I,  !93  schreibt:  »that  to  scientific  criticism  Cimabue  as  an 
artist  is  an  unknown  person«,  — wenn  man  zeitiger  begonnen  hätte,  die 
Tradition,  wie  sie  vornehmlich  von  Vasari  kodifiziert  worden  ist,  mit  Hilfe 
einer  soliden  historischen  Methode  in  ihre  gleichsam  individuellen  Bestand- 
teile aufzulösen,  das  Echte  und  Begründete  darin,  den  Kern  von  den  Zu- 
sätzen und  Fabeleien  zu  lösen,  wenn  man  untersucht  hätte,  wTie  speziell 
Vasaris  Vita  Cimabues,  die  ja  doch  unsere  einzige  schriftliche  Quelle  über 
diesen  Meister  ist,  zusammengekommen  ist,  und  wenn  dann  erst  mit  der 


Literaturbericht. 


449 


so  gewonnenen  historischen  Grundlage  eine  strenge,  von  persönlichen  Velle- 
itäten  möglichst  freie  Formenanalyse  verbunden  worden  wäre.  In  efsterer 
Beziehung  versagt  auch  Auberts  Werk.  Quellenanalyse  und  historische 
Kritik  fehlen  so  gut  wie  ganz.  Verfasser  ist  nur  zu  sehr  geneigt,  auf  diesem 
Felde  allerlei,  meist  selbstgewählten,  Autoritäten  ohne  Angabe  der  Gründe 
und  meist  mit  einem:  »ich  glaube,  meine«  usw.  zu  folgen.  Dagegen  hat 
es  in  bezug  auf  die  Formenanalyse  — Aubert  nennt  das,  nicht  eben  scharf 
und  philosophisch  distinguierend,  bald  »die  künstlerische«,  bald  »die  ästhe- 
tische Wertschätzung«  — unleugbare  Verdienste  aufzuweisen. 

Die  Hauptschwäche  dieses  Buches  liegt  in  seiner  Zusammenhangs- 
losigkeit; doppelt  befremdlich  bei  einem  Autor,  der,  wie  Aubert,  ständig 
»einer  strengeren  und  methodischeren  Untersuchung«  das  Wort  redet  und 
von  der  Heilskraft  der,  wie  er  meint,  von  ihm  neu  erfundenen  »Methode 
der  zwei  parallelen  Linien«  Wunders  für  Erfolge  sich  verspricht.  Ja.  Aubert 
hat  wohl  überhaupt  noch  nicht  systematisch  zu  produzieren  gelernt  oder 
die  Fähigkeit  gewonnen,  die  einzelnen  Ergebnisse  seiner  Forschungen  und 
Beobachtungen  zusammenzufassen  und  organisch  zu  entwickeln;  äußerst 
bedauerlich  bei  seiner  großen  Begabung  und  seinem  Fleiße.  Durch  diese 
Eigenschaft  kommt  leider  sein  Buch  auch  in  eine  bedenkliche  Nähe  von 
der  modernen  kunstgeschichtlichen  Massenproduktion,  die  meist  in  unreifem 
Zustande,  zum  Schaden  der  Wissenschaft,  auf  den  Markt  geworfen  -wird, 
und  gegen  die  vom  Standpunkte  des  Universitätslehrers,  so  undankbar 
und  unerfreulich  diese  Aufgabe  sein  mag,  nachdrücklich  protestiert  werden 
muß.  Gewiß,  Aubert  hat  aufs  eifrigste  mit  dem  so  spröden  Stoffe  gerungen. 
Wie  Jakob  um  Rahel,  hat  er  um  Assisi  jahrelang  gedient,  sich  mit  offen- 
sichtlicher »Liebe  und  Begeisterung«  in  die  monumentale  Dekoration  von 
San  Francesco  vertieft,  den  Wechsel  in  der  Auffassung  wie  Formensprache 
nach  Ursache  und  Wirkung  festzustellen  und  die  Hände  zu  scheiden  ver- 
sucht; die  Ergebnisse  seiner  Forschung,  von  denen  er  bereits  einiges  früher 
(a.  1899  in  der  Z.  f.  b.  Kunst)  veröffentlicht  hat,  geduldig  immer  von  neuem 
geprüft,  um  möglichst  Gesichertes  zu  bringen.  Ich  wünschte,  ich  könnte 
diese  rühmenswerten  Eigenschaften  allein,  so  nachdrücklich  wie  möglich 
und  ohne  tadelnden  Beisatz  hervorheben;  denn  ich  weiß  wohl,  jeder,  auch 
noch  so  berechtigte . Tadel  hinterläßt  ein  bitteres  Gefühl,  namentlich  da, 
wo  ernste  Arbeit  vorliegt.  Aber  indem  der  Verfasser  sich  nicht  zu  einer 
straffen  beweiskräftigen  Darlegung  entschließen  konnte,  hat  er  sich  selbst 
teilweise  um  die  Früchte  und  den  Segen  seiner  Mühen  gebracht.  Man  merkt 
auf  Schritt  und  Tritt  das  Unvermittelte  und  Aneinandergeleimte  seiner 
Ausführungen.  Vielfach  nimmt  er  die  Resultate  seiner  Beweisführung 
vorweg,  packt  wichtige  Dinge  in  Noten  und  Exkurse,  eine  Folge  der  zu  engen 
Fassung  seines  Themas;  und  der  Mangel  an  scharfer  Formulierung  der 


450 


Literaturbericht. 


jeweiligen  zu  beweisenden  Probleme,  an  klarer  Disponierung  und  Redigierung 
des  Stoffes  bewirkt  ein  beständiges  Abspringen  und  Wiederanknüpfen,  ein 
Hin-  und  Herwogen  in  den  Darlegungen  sowie  zahllose  Weitschweifigkeiten 
und  Wiederholungen,  die  den  Leser  ermüden.  Ich  gestehe,  selten  soviel 
Mühe  gehabt  zu  haben  wie  mit  der  Lektüre  dieser  125  Druckseiten  — nur 
soviel  beträgt  nämlich  der  Umfang  der  eigentlichen  Untersuchung,  die  bei 
strafferer  Zusammenfassung  leicht  noch  auf  die  Hälfte  hätte  reduziert 
werden  können;  die  noch  folgenden  20  Seiten  sind  für  Nachträge  und  Exkurse 
bestimmt.  Schließlich  legt  man  das  Buch  mit  dem  Gefühle  aus  der  Hand, 
daß  der  Verfasser  seinen  Resultaten  selbst  nicht  recht  traut.  »Es  könnte 
auch  anders  sein.«  Wenn  z.  B.  die  Madonna  Trinitä  Cimabues  (heute  in  der 
Accademia  zu  Florenz),  wie  er  S.  103  gesteht,  der  Mittelpunkt  seiner 
Untersuchungen  seit  »der  ersten  Stunde  seiner  Cimabuestudien«  gewesen  ist, 
»als  ein  Leitfaden  durch  das  Labyrinth  seiner  Stilanalyse«  — ja  wahrlich, 
ein  Labyrinth  ist  diese  Stilanalyse!  — so  hätte  er  das  Bild  einmal  genau 
nach  Form  und  Inhalt  besprechen,  eingehender  wenigstens,  als  es  geschehen 
ist,  und  sodann  zum  Ausgangspunkt  seines  Thema  probandum  machen 
müssen.  So  hinkt  es  nach.  Nun  aber  kommt  Aubert  mit  San  Francesco 
di  Assisi  nicht  aus.  Beständig  muß  er  auf  den  Cimabue  in  Rom,  Florenz 
und  Pisa  rekurrieren  und  Verwandtes  heranziehen.  Endlich,  die  stilkritischen 
Untersuchungen  des  Verfassers  erscheinen  doch  nicht  mit  der  Schärfe  und 
Akribie  durchgeführt,  die  man  gerade  von  ihm,  seinen  Ausführungen  im 
ersten  Kapitel  des  Buches  zufolge,  erwarten  sollte. 

Aubert  weist  auf  die  Divergenz  und  Einseitigkeit  in  den  Urteilen 
über  Wesen  und  Wert  von  Kunstwerken  und  Meistern  im  Laufe  der  Zeiten 
hin.  Er  findet,  daß  der  Stilkritik  stets  ein  subjektives  Element  anhafte,  ja 
anhaften  müsse,  und  versteigt  sich  zu  dem  etwas  dunklen  Ausspruche,  daß  die 
»Kunstgeschichte  als  Wissenschaft  von  den  künstlerischen  Strömungen  der 
Zeit  abhängig  sei,  mehr  vielleicht,  als  die  meisten  bemerken«.  »Die  Richtungen 
und  Ideale,  die  die  Kunst  der  Zeit  leiten,  prägen  sich  auch  in  ihrer  Kunst  - 
forschung  aus.«  Ein  falsches  Axiom,  dazu  nicht  logisch  entwickelt  und  bis 
zu  Ende  gedacht!  Verhüte  der  Himmel,  daß  in  unserer  Kunstwissenschaft 
sich  auch  noch  die  Sympathien  und  Antipathien  sowie  die  Modetorheiten 
modernen  Kunstbetriebes  spreizen!  Das  traf  vielleicht  für  die  Zeit  zu, 
da  die  Beschäftigung  mit  der  Kunst  vergangener  Zeiten  und  Völker  vor- 
nehmen Dilettanten  Vorbehalten  zu  sein  schien,  als  es  noch  keine  Kunst - 
Wissenschaft  gab,  die  auf  Universitäten  gelehrt  und  betrieben  wurde, 
als  ihr  Gebiet  anderen  Wissensdisziplinen  gegenüber  unabgegrenzt,  ihre 
Methode  und  ihre  Hilfsmittel  unausgebildet  waren.  Wäre  Auberts  Ansicht 
richtig,  welchen  Tiefstand  nähmen  alsdann  die  moderne  Kunstwissenschaft 
und  die  ihr  verwandten  Disziplinen  ein!  Ich  hätte  doch  gewünscht,  daß 


Literaturbericht. 


451 

Aubert  einmal  den  Beweis  für  die  Richtigkeit  seiner  Behauptung  unter 
spezieller  Applikation  auf  Cimabue  und  San  Francesco  di  Assisi  erbracht 
hätte.  Was  haben  denn  der  Idealismus,  Naturalismus  oder  Verismus,  die 
Neoromantik  oder  ihr  Gegenteil,  der  Warenhausstil,  der  sich  auch  in  der 
modernen  Malerei  und  Plastik  breit  zu  machen  beginnt,  die  Vorliebe  für 
malerisch  dekorative  Wirkung,  wie  die  Abwesenheit  des  monumentalen 
Sinnes  und  des  echten  Pathos  in  der  Gegenwartskunst  usw.  usw.  — mit 
diesen  Dingen,  Zeiten  und  Meistern  zu  tun?  Auberts  persönliche  Kunst- 
neigung, die  vielleicht  aus  seinem  nordischen  Milieu  zu  erklären  ist  und 
die  Wahl  seines  Themas  oder  besser  den  Angriffspunkt  bestimmt  hat,  von 
dem  aus  er  an  San  Francesco  in  seinem  Buche  herangegangen  ist,  kommt 
hier  nicht  in  Betracht  oder  ist  genau  so  berechtigt,  wie  wenn  ein  anderer 
Gelehrter  von  den  Bildern  der  beiden  Kirchen  ausgeht.  Hier  gebührt  der 
Sieg  dem,  der  die  beste  Methode  besitzt  und  mit  ihrer  Hilfe  die  richtigsten 
Resultate  herausbringt.  Wenn  dann  den  Verfasser  »die  ganze  Stimmung 
des  Gebäudes  (der  Unterkirche)  auf  die  Knie  zwingt«,  so  ist  das  ein  Senti- 
ment, das  ich  verstehe  und  achte.  Welcher  moderne  Mensch,  der  noch  nicht 
völlig  in  den  Bann  des  Alltagsutilitarismus  geraten  ist,  sondern  mit  offenem, 
empfänglichem  Sinne  für  das  Wirken  der  Heroen  in  der  Menschheitsentwick- 
lung, am  Grabe  des  heiligen  Franz,  dieses  edlen  Apostels  werktätiger  christ- 
licher Liebe  geweilt  hat,  hätte  sich  nicht  willig  dem  Schauer  wie  dem  Zauber 
weihevoller  Andacht  hingegeben,  den  eine  große  Vergangenheit  gerade  in 
diesem  Ambiente  ausübt?  Aber  w'enn  ich  an  die  Erforschung  eines,  dieses 
wissenschaftlichen  Problemes  gehe,  unterlasse  ich  alle  romantisch  sentimen- 
talen Kniebeugungen,  stecke  die  schönen  Gefühle  in  die  Tasche  und  suche 
allein  den  Dingen  auf  den  Grund  zu  kommen,  und  sei  es  auch  nur,  indem 
ich  vorerst  die  Tatsachen  in  ihrer  einfachsten  und  übersichtlichsten  Fassung 
festzustellen  mich  bemühe.  Das  ist  allein  Ziel  der  Wissenschaft,  insonderheit 
der  Kunstgeschichte,  klare  Erkenntnis  einer  Erscheinung  an  sich  wie  im 
Zusammenhänge  mit  anderen  nach  Ursache  und  Wirkung.  Das  Bemühen 
eines  Gelehrten  muß  sein,  so  gewissenhaft  wie  möglich,  ich  möchte  fast  sagen, 
auf  dem  Grunde  eines  besonders  lebendigen  Verantwortlichkeitsgefühles, 
jenes  kleine  unscheinbare  subjektive  x,  das  in  seiner  Person  an  das  zu 
erforschende  Objekt  herantritt,  zwar  nicht  zu  eliminieren,  aber  auf  sein 
berechtigtes  Maß  einzuschränken,  frei  von  Prädilektionen,  vorgefaßten 
Meinungen,  Stimmungen  und  wie  all  die  inkommensurablen  Faktoren 
heißen,  die  die  Schärfe  der  Beobachtungen  und  die  Richtigkeit  der  Ergeb- 
nisse zu  gefährden  geeignet  sind;  und  da,  meine  ich,  wird  der  am  weitesten 
kommen,  der  die  schärfsten  Augen  zugleich  mit  dem  kühlsten  Kopfe  besitzt. 
Aubert  sieht  scharf,  aber  er  sieht  mir  nicht  eingehend  genug  und  sieht  auch 
vielfach  mit  fremden  Augen. 


45  2 


Literaturbericht. 


Die  Franziskuskirchen  von  Assisi  sind  ein  einheitliches  Ganzes,  hervor - 
gegangen  zwar  aus  ihrem  zeitlichen  und  lokalen  Milieu,  zugleich  aber  auch 
geschaffen  unter  dem  Enthusiasmus  und  von  der  Gefühlsmacht  einer  naiven 
Gläubigkeit,  die  die  Stoffe  und  Ausdrucksmittel  der  vorhandenen  Kunst 
sich  nicht  nur  dienstbar  zu  machen,  sondern  für  ihre  speziellen  Aufgaben 
und  Zwecke  auch  zu  steigern,  zu  läutern  und  zu  neuer  fruchtbarster  Ent- 
wicklung weiterzuführen  verstanden  hat.  Dieses  »ästhetische«  Wunder, 
das  am  letzten  Ende  der  Poverello  von  Assisi  gewirkt,  hat  auch  Aubert 
scharf  erkannt.  Nach  Art  und  Vorbild  der  Byzantiner  ist,  wenigstens 
ursprünglich,  bei  der  ersten  Anlage  die  Architektur,  der  malerische  Dekor 
dieser  Architektur  und  der  sich  ihr  einfügende  Bildschmuck  unter  einem 
Gesichtspunkte  konzipiert  worden  (was  in  der  Folgezeit  Unterbrechungen 
und  Trübungen  nicht  ausschloß).  Das  ist  ein  Charakteristikon  gerade  der 
Mönchs-  und  der  von  ihr  abhängigen  Laienkunst,  das  sich  weit  ins  Trecento 
hinein  in  Toskana  verfolgen  läßt;  und  es  wäre  ein  dankbares  Thema,  zu 
untersuchen,  in  welchem  Verhältnisse  die  spätere  du-  und  trecentistische 
Kirchendekoration  zu  der  älteren  in  Italien  (San  Marco,  sizilianische  Monu- 
mente, Baptisterien  u$w.)  wie  im  Oriente  (besonders  in  Byzanz)  steht. 
Daher  ist  es  nur  zu  loben,  wenn  Aubert  sich  vornimmt,  die  architektonische 
Dekoration,,  wie  er  sagt,  das  monumental  Dekorative  neben  den  bildlichen 
Darstellungen  zu  zergliedern.  Das  ist  seine  »Methode  der  beiden  parallelen 
Linien«.  Lasse  sich,  wie  er  ausführt,  in  beiden  Linien  ein  Stilwandel  zu 
gleicher  Zeit  nachweisen,  so  bestehe  die  Möglichkeit,  die  Absätze  wie  die 
Verbindungen  in  dem  malerischen  Schmucke  nicht  nur  an  sich,  sondern 
auch  in  ihrer  chronologischen  Reihenfolge  zu  präzisieren.  So  glaube  ich 
wenigstens  Auberts  Absicht  und  Gedankengang  (S.  16  f.)  verstehen  zu  dürfen. 
Gegen  diesen  Schluß  ist  a priori  auch  nichts  einzuwenden.  Wie  aber,  wenn 
in  praxi  sich  die  Sache  anders  stellt?  Wenn  Dekorations-  und  Fresken- 
malerei nicht  unter  einen  Hut  zu  bringen,  zu  »parallelisieren«  sind?  Er 
deutet  ja  selbst  die  Möglichkeit  an  (S.  14),  daß  der  »monumentale  Geist«  — 
eine  inkommensurable  Größe.  — und  der  dekorative  Sinn  zu  einer  Zeit 
hoch  stehen  können,  die  große  Formenkunst  aber  über  »kindliches  Tasten« 
noch  nicht  hinausgekommen  sei.  Und  den  Nachweis  der  parallelen  Ent- 
wicklung in  Assisi  bleibt  er  schuldig.  Gewiß  hat  Aubert  das  Verdienst, 
zwar  nicht  zum  ersten  Male,  aber  doch  nachdrücklicher,  als  es  bisher  aus 
Mangel  an  Abbildungen  — ‘denn  wer  kann  und  mag  sich  monatelang  in 
dieses  Nest  hinsetzen  — geschehen  ist,  die  Dekoration  in  beiden  Kirchen 
beobachtet  zu  haben.  Diesem  Vorgehen  verdankt  er  z.  B.  das  hübsche 
Resultat,  daß  das  Eingangsjoch  in  der  Unterkirche  ein  späterer  Zusatz, 
eine  Erweiterung  der  ursprünglichen  Anlage  ist.  Das  ist  nun  auch  nichts 
Neues.  Schon  andere  vor  ihm  (z.  B.  Papini)  haben  dies  beobachtet.  Aber 


Literaturbericht. 


453 


Aubert  hat  dies  doch  besser  begründet,  ohne  freilich  wieder  die  daraus 
sich  ergebenden  Konsequenzen  in  bautechnischer  und  bauhistorischer 
Hinsicht  zu  verfolgen,  die  allerdings  eine  durchgreifende  Umdisponierung 
seiner  Arbeit  bedingt  hätten.  Nun  aber  ist  die  Art,  wie  er  das  tut,  für  seine 
Arbeitsweise  charakteristisch:  Er  führt  seine  Beobachtung  im  Texte  (S.  22  f.) 
an,  hebt  »die  vielen  dunklen  Fragen  in  der  Geschichte  des  Bauwerkes« 
dabei  hervor  (ohne  ihre  Präzisierung  oder  gar  Lösung  zu  versuchen)  und 
setzt  endlich  in  die  Anmerkung  die  Hauptsache,  nämlich,  daß  auch  aus  der 
Beschaffenheit  des  Mauerwerkes  die  »spätere  Erweiterung  des  Bauplanes« 
sich  ergebe.  Dazu  noch  das  Datum  dieses  glücklichen  Fundes:  ,, Assisi 
20.  Mai  1899“.  Also  Aubert  hat  sich  nicht  entschließen  können,  innerhalb 
der  sechs  Jahre  bis  zur  Beendigung  seines  Buches  (dessen  Schlußwort  trägt 
das  Datum  3.  Juli  1905)  diesen  Passus  in  seine  Darstellung  hineinzuarbeiten 
und  auszuführen.  Ich  bedaure  diese  geringe  Rücksichtnahme  auf  den  Leser 
und  wundere  mich  nur,  daß  die  ernsten  Forscher,  denen  Aubert  sein  Manu- 
skript vor  der  Drucklegung  zur  Lektüre  vorgelegt  hat,  W.  von  Seydlitz 
und  A.  Goldschmidt,  von  denen  der  erstere  dem  Buche  auch  noch  eine 
empfehlende  Besprechung  in  einer  Zeitschrift  zum  Geleite  mitgegeben  hat, 
ihn  nicht  auf  das  in  litteris  Unzulässige  und  Unwissenschaftliche  derartigen 
Verfahrens  aufmerksam  gemacht  zu  haben;  Weiter  aber:  So  verdienstlich 
die  Betrachtung  der  malerischen  Dekoration  ist,  so  vermisse  ich  doch  wieder 
eine  detaillierte  Analyse  desselben,  z.  B.  eine  Ableitung  ihrer  Motive.  Und 
endlich:  Aubert  verspricht,  die  »Methode  der  beiden  parallelen  Linien« 
anzuwenden,  verliert  jedoch  im  Laufe  der  Arbeit  diesen  Gesichtspunkt 
fast  aus  den  Augen.  Der  Bildschmuck  kommt  zu  kurz.  Hier  hätte  die 
Mühe  nicht  gescheut  werden  dürfen,  Bild  für  Bild  nach  Komposition, 
Formenbehandlung,  Ausdruck,  Technik  usw.  eingehend  zu  analysieren. 

So  unfertig  das  Buch  nach  Anlage  und  Darstellung  ist,  so  möchte 
ich  zum  Schluß  doch  wieder  seine  guten  Seiten  hervorheben.  Die  Fülle 
richtiger  und  anregender  Bemerkungen,  die  es  bietet,  trägt  doch  wesentlich 
dazu  bei,  Cimabues  Kunst  und  Persönlichkeit  näher  zu  rücken.  Der  Nach- 
weis, Wickhoff  gegenüber,  daß  Cimabue  in  Assisi  gemalt  habe,  und  zwar 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  im  Chore  und  Querschiffe  der  Oberkirche  wie 
auch  die  Madonna  in  Trono  im  rechten  Querarme  der  unteren,  ist  ihm 
gelungen,  und  Aussprüche  wie  der  obenerwähnte  Langton-Douglas’  gehören 
nunmehr  als  kunsthistorische  Kuriosa  der  Vergangenheit  an.  Auberts 
Resultate,  nicht  zum  mindesten  durch  vorsichtige  Kritik  der  Ansichten 
anderer  Forscher  wie  Thodes,  Strzygowskis,  Suidas  usw.  erreicht,  bilden 
Ausgangspunkt  wie  Grundlage  für  das  weitere  Studium  der  Assisaner 
Malereien.  Seine  Auffassung  stimmt  im  großen  und  ganzen  mit  der  überein, 
die  ich  mir  vor  mehr  als  25  Jahren  vor  den  Fresken  gebildet  habe,  und  zwar 


454 


Literatuibericht. 


bevor  die  unglückselige  »Restauration«  der  Oberkirche  unter  Cavalcaselles 
Oberaufsicht  ihr  Aussehen,  ihre  Formen  und  Farben  von  Grund  aus  verändert 
hat.  In  der  Bewertung  des  einzelnen,  in  der  Ausscheidung  und  Bestimmung 
der  Flände  weiche  ich  allerdings  von  Aubert  ab.  Worin  diese  Unterschiede 
bestehen,  kann  ich  hier  aber  nicht  auseinandersetzen.  Ich  verweise  vielmehr 
in  der  Beziehung  auf  die  Kommentare  zu  den  Vite  Cimabues  wie  Arnolfos 
in  meiner  neuen  Vasari- Ausgabe  Band  I und  bekenne  mit  Dank,  daß  mir 
Auberts  Buch  zur  Präzisierung  meiner  Ausführungen  von  Nutzen  gewesen 
ist,  wenn  auch  meist  in  negativer  Weise.  Da  ich  des  Norwegischen  nicht 
mächtig  bin,  vermag  ich  über  den  Wert  der  deutschen  Übersetzung  nicht 
zu  urteilen.  Dem  Anscheine  nach  liegt  eine  recht  gelungene  Übertragung 
vor.  Vorzüglich  ist  auch  die  Ausstattung  des  Werkes.  Das  bezieht  sich 
nicht  nur  auf  Äußerlichkeiten  wie  Druck  und  Format,  sondern  vornehm- 
lich auf  das  reiche  Bildmaterial  in  Lichtdrucken  (69  Tafeln),  das  in  dankens- 
wertester Weise  die  Nachprüfung  gestattet  und  in  seiner  Auswahl  von  der 
Sorgfalt  und  dem  Verständnisse  des  Verfassers  wie  des  Verlegers  das 
beste  Zeugnis  ablegt. 

Hat  sich  Aubert  den  malerischen  Schmuck  von  San  Francesco  di 
Assisi  zum  Gegenstand  der  Forschung  genommen,  so  behandelt  das  Büchlein 
A.  Venturis  die  ganze  Basilika  des  Heiligen.  Ausgehend  von  der  Lebens - 
geschichte  des  hl.  Franz,  die  in  ihren  Hauptzügen,  soweit  sie  für  das  Ver- 
ständnis des  Monumentes  in  Betracht  kommt,  und  nach  den  besten  Quellen 
erzählt  wird,  schildert  es  in  großen  Zügen  die  Baugeschichte  der  beiden 
Kirchen,  ihre  allmähliche  Ausschmückung  von  den  ältesten  Fresken  der 
Unterkirche  bis  zu  Giotto  und  seinen  Nachfolgern,  um  mit  einer  Beschreibung 
zu  schließen,  die  eine  Reihe  stilistischer  Hinweise  und  Winke  enthält.  Das 
Schriftchen  erscheint  als  .ein  Vademekum  für  den  Gläubigen  wie  Kunst - 
befliessenen,  der  nach  Assisi  pilgert.  Es  verfolgt  populäre  Zwecke  und  gibt 
sich  als  einen  kurzgefaßten,  stellenweise  getreuen  Auszug  aus  der  großen 
monumentalen  Storia  dell*  Arte  Italiana  des  Verfassers  Bd.  IV  und  V, 
als  eine  Relation  über  seine  Forschungen  und  Ansichten,  die  aber  nicht 
immer  allgemeinen  Beifall  finden  dürften.  So  möchte,  um  nur  eines  hervor- 
zuheben, Venturis  »Entdeckung«,  daß  Fra  Giovanni  da  Parma  der  Erbauer 
der  Oberkirche  gewesen  sei,  auf  Widerspruch  stoßen.  Auch  Fra  Filippo 
da  Campello  kommt  als  Architekt  nicht  in  Betracht  (vgl.  über  die  Bau- 
meister dieser  Kirche  meinen  Vasari  I Beilage  3 E).  Das  Büchlein  weist 
die  Vorzüge  und  Schwächen  des  gelehrten  und  unermüdlich  tätigen  Ver- 
fassers auf,  seine  außerordentliche  Materialkenntnis,  eine  Folge  seiner 
beständigen,  jahrzehntelangen  Beschäftigung  mit  den  Monumenten  Italiens 
zum  Teil  in  leitender  Stellung,  aber  auch  die  unzulängliche  Kraft  zu  dis- 
ponieren, übersichtlich  zu  erzählen,  scharf  zu  analysieren  und  die  leitenden 


Literaturbericht. 


455 


Gesichtspunkte  hervorzuheben.  Die  Orientierung  ist  nicht  immer  leicht. 
Wer  Assisi  nicht  schon  kennt,  wird  sich  mit  diesem  Führer,  wie  ich  fürchte, 
auch  nicht  zurechtfinden.  Und  der  Kunstgelehrte  wird  sich  mit  dem  monu- 
mentalen Werke  Venturis  in  erster  Linie  auseinandersetzen,  so  wenig  in 
diesem  die  Architektur  berücksichtigt  ist.  Eine  Reihe  kurzer  Anmerkungen 
enthält  die  wesentlichen  Literaturangaben  und  auch  Hinweise  auf  die 
Ansichten  anderer,  namentlich  deutscher  Kunstgelehrter.  Einige  Abbil- 
dungen und  Pläne  erleichtern  die  Benutzbarkeit  des  Buches. 

Karl  Frey. 


Die  italienische  Malerei  des  15.— 18.  Jahrhunderts.  Jahresbericht  19061). 

VI.  Florenz. 

170.  A.  von  Beckerath,  Kritische  Bemerkungen 
über  die  in  dem  Werke  von  B.  Berenson  »The  dra- 
wings  of  the  Florentine  painters«  reproduzierten 
Zeichnungen.  Repertorium  XXIX,  S.  I. 

171.  O.  H.  Giglioli,  Empoli  artistica  (La  Toscana 
i 1 1 u s t r a t a II).  Florenz.  Notizen  über  Rossello  Franchi,  Bicci  di 
Lorenzo  (Teile  eines  Triptychons  1423) , Lorenzo  Monaco,  P.  Francesco 
Fiorentino,  Botticini  (Dokumente);  Jacopo  da  Empoli,  Cigoli,  Vannini. 
In  der  Umgebung  Hauptbild  des  Sogliani  in  Madonna  a Ripa;  Bilder  Pon- 
tormos  in  Pontormo.  Reiche  Bibliographie  und  Dokumente. 

172.  I nuovi  dipinti  nel  Museo  di  San  Marc  o. 
Arte  e Storia  XXV,  S.  158.  Bilder  von  Fra  Paolino,  Michele  di 
Ridolfo,  Bugiardini,  Jacopo  da  Empoli,  Sogliano  u.  a.,  aus  den  Depots. 
Ebendort  S.  174:  über  Bilder  des  14.  und  15.  Jahrhunderts:  Lorenzo 
Monaco,  Neri  di  Bicci  etc. 

173.  C.  Gamba,  Di  alcune  pitture  poco  cono- 
sciute  della  Toscana.  Rivista  d’arte  IV,  S.  45-  Madonna 
und  Heilige  von  Matteo  di  Giovanni,  Montepascoli;  Grablegung  von  Rosso, 
Borgo  S.  Sepolcro,  S.  Lorenzo;  Bilder  von  Sogliani  und  Puligo  in  der  Colle- 
giata  von  Anghiari.  Vgl.  Arte  e Storia  XXV,  S.  141. 

174.  A.  Groner,  Zur  Entstehungsgeschichte  der 
sixtinischen  Wandfresken.  Zeitschr.  f.  christliche 
Kunst  XIX,  S.  165,  192  u.  229.  Interpretation  der  Urkunden  von 
1481/2  [unhaltbar]:  die  vier  Maler  hätten  sich  zu  den  acht  Historien 
verpflichtet  und  hatten  am  17.  Januar  1482  vier,  also  die  Hälfte,  fertig. 
Der  Untergang  Pharaos  als  Ganzes  von  Ghirlandajo,  mit  Beihilfe  des 
Piero  di  Cosimo. 

*)  Mit  Ausschluß  der  Lombardei  und  Piemonts. 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


31 


45  6 


Literatürbericht. 


175.  C.  Gamba,  Un  altro  quadro  di  Rossel  Io  di 
Jacopo  Franchi.  Rassegna  d’  arte  VI,  S.  144.  Signiertes 
Bild  von  1439,  früher  Toscaneili,  dann  Ch.  F.  Murray.  Es  ist  der  von  Sir6n 
»Compagno  di  Bicci«  getaufte  Meister. 

176.  H.  P.  Hör  ne,  Giovanni  dal  Ponte.  Burl. 
Magazine  IX,  Nr.  41,  August,  S.  332.  Verzeichnis  der  Denunzie 
1427 — 1433)  zusammen  mit  Smeraldo.  Chronolog.  Übersicht  über  sein 
Leben. 

177.  C.  Gamba,  Ancora  di  Giovanni  dal  Ponte. 
Rivista  d’  arte  IV,  S.  163.  Nachträge  zu  dem  früher  aufgestellten 
Katalog.  Dazu  H.  Horne:  Appendice  di  documenti  su  Gio.  d.  Ponte. 

178.  Un  antico  affresco  all'  Istituto  di  Belle 
Arti.  Arte  e Storia  XXV,  S.  1 59-  Fragmente  eines  Abendmahls, 
vielleicht  von  Stefano  d'Antonio  Vanni,  der  viel  im  alten  Hospital  von 
S.  Matteo  (jetzt  Akademie)  gemalt  hat. 

179.  Firenze.  Una  scoperta  artistica.  Rassegna 
d’arte  VI,  S e p t ember,  1.  Umschlagseite.  Fresko  in 
S.  Maria  in  Campo,  15.  Jahrhundert,  vielleicht  Fra  Filippo  oder  Sellajo. 
Vgl.  Arte  e Storia  XXV,  S.  126:  mittelmäßiges  Werk. 

180.  O.  H.  Giglioli,  La  cappella  di  S.  Fredia.no 
nella  chiesa  di  S.  Felicitä  e la  tavola  d'altare  di 
Bicci  di  Lorenz  o.  Illustratore  fiorentino  f.  1906, 
S.  147.  Zahlung  1442  an  den  Maler  für  Altarbild  und  Malereien,  aus  dem 
Ausgabenbuch  des  Donato  Barbadori. 

181.  (G.  Carocci),  Un  dipinto  di  Neri  di  Bicci 
nella  Chiesa  di  S.  Verano  ä Piccioli  (Pisa).  Eben- 
dort S.  31.  Noch  dort;  nach  dem  Tagebuch  des  Malers  1464  abgeliefert. 
Ebendort  S.  63:  Neri  di  Bicci  besaß  Häuser  am  Canto  alla  Cuculia; 
Bild  und  Reliquiar  von  ihm,  früher  in  S.  Monaca,  verloren. 

182.  V.  Leonardi,  La  tavola  della  Madonna  della 
Neve  nel  Museo  Nazionale  di  Napoli.  Siena.  Nozze 
Bindi  - Sergardi=Bonci-Casuccini.  Darlegung  der  Streit- 
frage. K.  Sigismund  ist  nicht  auf  dem  Bilde;  ob  der  Papst  Martin  V. 
oder  Eugen  IV.,  nicht  zu  sagen.  Das  Bild  kam  1760  als  Fra  Angelico 
nach  Neapel.  Martin  V.  wohnte  oft  in  S.  Maria  Maggiore,  wo  die  Familie 
Colonna  vier  Altäre  hatte,  einer  der  Madonna  della  Neve  geweiht.  Das 
Bild  muß  in  S.  Maria  Maggiore  gemalt  sein;  die  Landschaft  gibt  den 
Blick  vom  Campanile  nach  Südost  wieder  (vorn  Porta  Asinaria),  wo  die 
Colonna  ihren  Besitz  hatten.  Das  Typische  in  den  Figuren,  wie  in  den 
Fresken  der  Katharinenkapelle.  Da  schon  kurz  nach  1422  in  Riofreddo 
bei  Rom  Fresken  in  der  Art  Masolinos  von  einem  Lokalmaler  für  die 


Literaturbericht. 


457 


Colonnesen  gemalt  werden,  schließt  L.,  daß  das  Bild  um  1422  entstanden  ist. 
Dessen  Schwächen  weisen  auf  Masolino. 

183.  W.  Sufda,  L' Altäre  di  Masaccio  giä  nel  Car- 
mineäPisa.  L’Arte  IX,  S.  125.  Nachweis  der  das  Ganze  bekrönen- 
den Tafel  in  der  Galerie  in  Neapel.  Versuch  einer  Rekonstruktion  des 
Altarwerks. 

184.  H.  Cochin,  Le  bienheureux  Fra  Gio.  Angelico 
da  Fiesoie.  Paris. 

185.  H.  Wingenroth,  Fra  Angelico.  Künstler- 
monographien LXXXV. 

186.  G.  Sortais,  Le  maitreet  1'  6 1 & v e.  Paris  (Fra 
Angelico  e Gozzoli). 

187.  G.  P(oggi),  Di  due  tavole  di  Fra  Filippo 
Lippi  nella  raccolta  Cook  di  R i c h m o n d.  Rivista 
d’  a r t e IV,  S.  39.  Hl.  Bernhard  und  Michael,  Stücke  des  Triptychons 
für  König  Alfons  von  Neapel,  1457. 

188.  Unquadro  ignorato  di  Fra  Filippo.  Mar- 
z o c c o XI,  Nr.  43,  28.  0 k t o b e r.  Madonna,-  aus  Castel  Pucci  ins  Hospital 
von  S.  Bonifazio,  dann  nach  S.  Salvi.  Vgl.  Kunstchronik  XVIII,  No.  5, 
Sp.  77  und  No.  8,  Sp.  113* 

189.  Cassone  fronts  in  American  collect  io  ns  II. 
Pesellinos  six  triumphs  of  Petrarca.  Burl.  Maga- 
zine X,  No.  43,  Oktober,  S.  57  u.  131.  Geschichte  der  Bilder,  jetzt 
Mrs.  Gardner,  Boston.  Einfluß  von  Fra  Angelico  und  Üccello. 

190.  A.  Chiappelli,  Per  Andrea  del  Ca-stagno. 
Marzocco  XI,  No.  19,  13.  Mai.  Referat  über  Hornes  Artikel  (Burl. 
Mag.  1905) ; vgl.  G.  Poggi,  Del  luogo  di  nascitä  di  Andrea 
d.  Castagno,  ebendort  Nr.  23,  IO.-  Juni.  NachweiSj  daß  er 
aus  S.  Martino  al  Castagno,  am  Abhang  der  Falterona,  stammt;  der  Vater 
Bartolo  di  Simone  (Dokumente)  war  Waldhüter. 

191.  G.  Poggi,  Degli  affreschi  di  Andrea  del 
Castagno  nella  cappella  di  S.  Giuliano  della 
SS.  Annunziata.  Rivista  d'arte  IV,  S-  24.  Erstmalige  Re- 
produktion des  Freskos;  Dokumente. 

192.  L.  Testi,  Note  d’arte.  Arch.  storico  ital. 
V.  s e r i e , t.  37,  S.  365.  Beachtenswerte  Kritik  von  Giglioli,  Emporium, 
Februar  1905. 

193.  E.  Jacobsen,  Fresken  von  Castagno  und 
seiner  Schule  in  Florenz.  Reper  t o r i u m XXIX,  S.  101. 
Hl.  Hieronymus  in  S.  Miniato;  Fresken  im  Vorhof  der  Annunziata  [sic  !]. 

194.  E.  Londi,  La  data  della  nascita  di  Al.  Bal- 


31 


458 


Literaturbericht. 


dovinetti.  Rivista  d'arte  IV,  S.  191.  Milanesis  Angabe  — 
14.  Oktober  1427  — auf  Grund  der  Denunzia  des  Vaters  von  1430  und  der 
Angabe  des  Franc.  Baldovinetti  auf  1425  zu  berichtigen. 

195.  0.  H.  Giglioli,  La  cappella  del  Cardinale  di 
Portogallo  nella  chiesa  di  S.  Miniato  al  Monte  e le 
pitture  di  Al.  Baldovinetti.  -Ebendort  S.  89.  Die  Fresken 
an  der  Decke  und  die  Verkündigung  1466. 

196.  Ch.  Diehl,  Les  maitres  d'  a r t.  Botticelli. 
Paris. 

197.  E.  Gebhart,  Botticelli  et  son  £ p o q u e.  Paris. 

198.  D.  von  Hadeln,  Botticellis  heil.  Sebastian 
aus  S.  Maria  Maggiore  zu  Florenz.  Jahrb.  d.  preuß. 
Kunstsamml.  27,  S.  282.  Nachweis,  daß  das  Berliner  Bild  aus  S.  Maria 
Maggiore  stammt;  die  Pietä,  die  ebendort  war,  sei  das  Bild  im  Museo  Poldi 
Pezzoli. 

199.  F.  J.  M(ather),  Botticellis  Lucretia.  W.  Ran- 
kin, The  later  work  of  Botticelli.  Burl.  Magazine 
IX,  No.  40,  Juli,  S.  291.  Die  Lucretia,  früher  Ld.  Ashburnham,  sei 
kurz  vor  1500  entstanden. 

200.  W.  Bode,  Eine  Verkündigung  Botticellis 
in  der  Sammlung  Huldschinsky  in  Berlin.  Jahrb. 
d.  preuß.  Kunstsamml.  27,  S.  245.  Stammt  aus  der  Galerie 
Barberini. 

201.  F.  Wickhoff,  Die  Hochzeitsbilder  S.  Botti- 
cellis. Ebendort  S.  198.  Die  Primavera  stelle  die  Vision  des  Fulgen- 
tius  von  der  Hochzeit  des  Dichters  mit  der  Satire  dar. 

202.  F.  Laban,  Ein  Bildnis  Botticellis.  Zeitschr. 
f.  b i 1 d.  Kunst  N.  F.  XVII,  S.  213.  Jetzt  bei  Ed.  Simon,  Berlin. 
Zuerst  nachweisbar  1822,  Sammlung  von  Lassalle,  München;  dann  Galerie 
Leuchtenberg.  Nach  L.  Jugendwerk  Vor  1480;  Beziehungen  zum  Berliner 
Sebastian. 

203.  Zu  Botticelli  vgl.  Rassegna  d’arte  VI,  S.  in: 
Madonna  mit  zwei  Engeln  bei  Miethke  in  Wien  (aus  Rom). 

204.  M.  Cruttwell,  Un  disegno  del  Verrocchio 
per  la  Fede  nella  Mercatanzia  di  Firenze.  Ebendort 
S.  8.  Der  Entwurf  Verrocchios,  der  1469  refüsiert  wurde,  ist  in  einer  Zeich- 
nung der  Uffizien  erhalten. 

205.  F.  Malaguzzi  • Valeri,  Torino  — Un  quadro 
di  scuola  fiorentina  del  Rinascimento.  Ebendort 
S.  158.  Anbetung  in  S.  Tecla  in  Torno  (Comersee);  aus  der  Schule 
Verrocchios. 


Literaturbericht. 


459 


206.  E.  Kühnei,  Francesco  Botticini.  Straßburg. 

207.  J.  Mesnil,  Encore  le  Tobie  et  les  Archanges 
de  l'Acad^mie  des  Beaux-Arts.  Rivista  d’arte  IV, 
S.  13.  Kritik  der  Botticini-Theorie.  Das  aus  der  Badia  stammende  Bild 
in  der  Akademie  sei  für  die  Familie  Doni  1480  gemalt.  Aus  stilkritischen 
Gründen  gehöre  das  Bild  dem  Verrocchio. 

208.  F.  J.  M(ather),  The  New  Haven  Pollajuolo. 

Burl.  Magazine  VIII,  No.  36,  März,  S.  440.  Herkules  und  Nessus. 
Vgl.  ebendort  IX  Nr.  37,  April,  S.  52;  nach  Cassone  der  Samm- 
lung Cook  müsse  das  Bild  vor  1467  datiert  werden,  ebenso  der  Herkules 
mit  Hydra  (Cook).  Ferner  ebendort  S.  63:  Zusammenhang  von 

Dürers  Herkules  in  Nürnberg  mit  Pollajuolo  (B.  Howland). 

209.  A.  V(enturi),  II  paliotto  di  Sisto  IV.  n e 1 1 a 
basilica  d’  Assisi  disegnato  da  Ant.  Pollajuolo. 
L'  A r t e IX,  S.  218.  Mittelstück,  das  den  Papst  vor  Franz  knieend  dar- 
stellt, sei  von  P.  entworfen. 

210.  A picture  by  Piero  Pollajuolo.  The  C 0 n - 
n o i s s e u r XVI,  Nr.  64,  S.  263.  Weibliches  Profilporträt,  Sammlung 
Hainauer,  bei  Duveen  (farbig  reprod.). 

2 1 1 . J.  Mesnil,  Portata  al  Catasto  del  padre  e 

delT  avo  del  Ghirlandajo.  Riv.  d'arte  IV,  S.  64.  145 1 

bis  1480;  Angaben  über  die  drei  Brüder  (wichtig  für  Benedetto). 

212.  G.  Poggi,  I ristauri  agli  affreschi  del  Ghir- 
landajo. Marzocco  XI,  Nr.  51,  23.  D e z e m b e r.  Angaben 
über  frühere  Restaurationen;  Notwendigkeit  der  Reinigung. 

213.  G.  Gronau,  Eine  deutsche  Kopie  nach  Dom. 
Ghirlandajo  im  Münchener  Nationalmuseum.  Mün- 
chener Jahrbuch  d.  bild.  Kunst  I,  S.  109.  Porträts  von 
vier  Philosophen,  kopiert  aus  dem  Fresko  in  S.  Maria  Novella. 

214.  H.  Egger,  Codex  Escurialensis.  Ein  Skizzen- 
buch aus  der  Werkstatt  Ghirlandajo  s.  Wien.  Schlüssiger 
Nachweis,  daß  die  Zeichnungen  des  berühmten  Kodex  zu  Werken  Ghir- 
landajos  in  engem  Zusammenhang  stehen  und  im  gleichen  Stil  gezeichnet 
sind,  wie  er  ihn  anwandte. 

215.  U.  Dorini,  La  casa  di  Mino  e i disegni 
murali  in  essa  recentemente  scoperti.  Rivista 
d'  a r t e IV,  S.  48.  Interessante  Kohlenzeichnungen  in  einem  Haus  der 
Via  Pietrapiana,  das  Mino  1464  kaufte,  seit  1480  bewohnte. 

216.  0.  H.  Giglioli,  L' antica  cappella  Nenti  nella 
chiesa  di  S.  Lucia  dei  Magnoli  a Firenze  e le  sue 
pitture.  Ebendort  S.  184.  Mittelbild  von  P.  Lorenzetti,  zwei  Tafeln 


460 


Literaturbericht. 


der  Verkündigung  von  Sellajo  (Dokument  von  1473),  der  Filippo  di  Giuliano 
als  Mitarbeiter  hat. 

217.  Di  alcuni  quadri  sconosciuti  di  Pier  Fran- 
cesco Fiorentino.  Ebendort  S.  136.  Bilder  der  Galerie  in 
Gubbio  und  Collegiata  in  Sinalunga  (beide  irrig  Neri  di  Bicci  zugeschrieben), 
Anbetung  des  Kindes  in  Dijon,  Altarbild  in  Empoli,  Bilder  in  Cambridge, 
Fogg  Museum  und  Florenz,  Privatbesitz. 

218.  P.  Bacci,  I pittori  fiorentini  Donnino  e 
Agnolo  di  Donnino  a Pistoja.  Ebendort  S.  I.  Donnino 
geb.  1460;  Daten  über  seine  Tätigkeit.  1496/7  malt  er  mit  seinem  Bruder 
Fresken  im  Palast  der  Opera  di  S.  Jacopo.  Diese  und  andere  Arbeiten 
zugrunde  gegangen;  erhalten  die  Fresken  der  Kuppel  von  S.  Chiara,  1499 
(unter  der  Tünche). 

219.  M.  Bori,  »L'Annunziazione«  di  Piero  del 
Donzello  inuna  cappella  Frese  obaldi  nella  chiesa 
di  S.  Spirit  o.  Ebendort  S.  1 17.  Zahlungen  dafür  1498/9  [wichtig, 
weil  Nachwerk  eines  sicheren  Werkes]. 

220.  E.  Bertaux  et  G.  Birot,  Le  Missei  de  Thomas 
James,  EvSque  de  Dol.  Revue  de  l'art  ancien  et 
moderne  XX,  S.  129.  Das  Manuskript,  1483/4  entstanden,  wurde  um 
1847  verkauft  und  kam  an  den  Erzbischof  von  Lyon;  bei  dessen  Tod  1869 
an  die  Kathedrale  dort.  Signiert  und  datiert  1483.  Fünf  Blätter  fehlen. 
Von  Attavante  selbst  Frontispiz  und  Anfangsblatt  des  Kanon.  Über  das 
Missale  des  M.  Corvinus  in  Brüssel;  eines  der  fehlenden  Blätter  im  Mus6e 
de  Havre  (Prachtblatt  mit  Kreuzigung),  ganz  von  Attavantes  Hand.  Im 
Rand  unten  die  Taufe  Christi  von  Verrocchio  wiedergegeben. 

221.  P.  Toesca,  Dipinti  nella  Galleria  Estense 
di  Modena  e nel  Museo  Kircheriano  di  Roma.  L' Arte 
IX,  S.  373.  Verkündigung  in  Modena  von  Monte  di  Giovanni,  Bruder  des 
Gherardo  Miniatore,  und  über  Codices  der  Brüder.  Ein  Triptychon  des 
Museo  Kircheriano  von  einem  Oberitaliener. 

222.  CI.  Phillips,  Two  paintings  by  Filippino 
Lippi.  Art  Journal  N.  S.  45,  Januar,  S.  I.  Moses  schlägt 
Wasser  aus  dem  Felsen  und  Anbetung  des  goldenen  Kalbes,  London,  bei 
Sir  Henry  W.  Samuelson.  Aus  Filippinos  letzter  Periode,  1496 — 1502  etwa. 
Im  Nachwort  Hinweis  auf  Stelle  b.  Vasari,  daß  Filippino  zwei  Bilder  an 
M.  Corvinus  sandte,  auf  deren  einen  er  ihn  nach  Medaille  porträtierte;  es  muß 
im  September  1488  gewesen  sein  [eine  Ähnlichkeit  des  betr.  Kopfes  mit  der 
Medaille  des  Corvinus  besteht  tatsächlich].  Gegen  diese  Identifizierung 
spreche  das  Datum.  Vgl.  Kritik  von  Poggi,  Rivista  d'arte  IV,  S.  106:  die 
Bilder  für  Corvinus  waren  Madonnen. 


Literaturbericht. 


461 


223.  G.  Cagnola,  Intorno  a due  dipinti  di  Filip- 
pino  Lippi.  Rassegna  d'arte  VI,  S.  41.  Gegen  die  Ansicht 
von  Phillipps,  daß  die  Bilder  für  Corvinus  gemalt  sein  könnten. 
Publiziert  zwei  Zeichnungen,  ehemals  Habich  in  Kassel:  die  eine,  Moses 
schlägt  Wasser  aus  dem  Felsen,  vielleicht  Studie  zu  einem  Bild;  die 
andere:  Moses  und  Tochter  Pharaos. 

224.  M.  Lab  6,  Note  dolenti.  Ebendort  S.  61.  Über 
den  traurigen  Zustand  des  Altarbildes  mit  Sebastian  und  Heiligen;  1503 
für  Napoleone  Lomellini  gemalt,  aus  S.  Teodoro  in  Genua  1892  in  den  Palazzo 
Bianco  gelangt. 

225.  J.  Mesnil,NotessurFilippinoLippi.  Rivisra 
d'  a r t e IV,  S.  100.  Zahlungen  für  die  Anbetung  der  Könige  in  den  Uffizien, 
aus  S.  Donato  ä Scopeto,  1496. 

226.  L.  C.  Hind,  The  drawings  of  Leonardo  da 
Vinci.  London, 

227.  C.  L.  Hind,  A note  on  the  drawings  of  Leo- 
nardo daVinci.  The  Magazine  of  fine  arts  I,  Februar, 
S.  260.  [Abb.  von  acht  Blättern,  von  denen  sieben  nicht  von  L.  sind.] 

228.  E.  Mc.  Curdy,  The  note  books  of  Leonardo 
d.  V.  London. 

229.  Le  vicende  del  Cenacolodi  L.  d.  V.  nel  sec.  XIX. 
Uffizio  regionale  per  la  conversazione  dei  monu- 
menti  d.  Lombardia.  Mailand.  Dokumentierte  Darstellung 
von  allem,  was  seit  der  napoleonischen  Zeit  an  für  das  Abendmahl  getan 
worden  ist;  besonders  wichtig  für  die  totale  Restauration  1854/5. 

230.  G.  Frizzoni,  II  presunto  ritratto  di  Bea- 
trice d'Este  attribuito  ä L.  d.  V.  Rassegna  d'  arte 
VI,  S.  17.  Gegen  Beltrami:  das  Profilporträt  der  Ambrosiana  stelle 
Beatrice  d'  Este  nicht  dar  und  sei  ein  Werk  von  A.  de  Predis. 

231.  G.  Frizzoni,  Discussioni  artistiche.  Lette ra 
aperta  all’  amico  pittore  Ernesto  de  Li  p hart  di 
Pietroburg  0.  Marzocco  XI,  Nr.  40,  7.  Oktober.  Die  Madonna 
Litta  habe  als  Prototyp  die  Silberstiftzeichnung  in  Turin,  die  ihr  weit  über- 
legen ist.  Morellis  Attribution  an  Conti  ist  verfehlt.  Über  das  Londoner 
Exemplar  der  Vierge  aux  rochers. 

232.  Steinmann-Pogatscher,  Daten  zu  den  Fres- 
ken Michelangelos  in  der  Sixtina  und  Paolina. 
Repertorium  XXIX,  S.  398.  Enthüllung  des  jüngsten  Gerichts 
31.  Oktober  1541;  Besichtigung  der  Paolinafresken  durch  Paul  III. 
12.  Juli  1545. 


462 


Literaturbericht. 


233.  B.  Nogara,  Restauri  degli  affreschi  di 
Michelangelo  nella  cappella  Sistina.  L’Arte  IX, 
S.  229.  Über  Restaurationen  von  1565 — 1903. 

234.  G.  Gronau,  Andrea  del  Sarto.  Magazine  of 
fine  a r t s II,  Nr.  10,  August,  S.  259. 

235.  Lo  studio  di  Andrea  d.  Sarto  e di  Fed. 
Zuccheri  in  Via  del  mandorlo.  Illustratore  fioren- 
t i n 0 S.  58.  Andrea  kauft  das  Terrain  1520,  baut  das  Haus  an  der  Ecke 
Via  S.  Sebastiano;  das  Studio  war  hinten,  Via  d.  mandorlo.  1577  durch 
Andreas  Stiefsohn  an  F.  Zuccaro. 

236.  Zu  Sarto  vgl.  Kunstchronik  XVII,  Sp.  221:  Testa- 
ment des  Bischofs  Minerbetti  1529,  dem  Sarto  für  seine  Kapelle  S.  Maurizio 
in  Fiesoie  ein  Bild  malen  soll  (vgl.  Sp.  501).  Ebendort  Sp.  396:  über  das 
Doppelporträt  im  Pal.  Pitti. 

237.  G.  Gronau,  Una  lettera  inedita  di  Giorgio 
Vasari.  Rivista  d' arte  IV,  S.  62.  Brief  vom  15.  August  1572 
über  die  Fresken  der  Domkuppel  u.  a.  — Brief  an  ihn  1574  über  die  Arbeiten 
in  Pisa. 

238.  C.  0.  Tosi,  Una  correzione  al  Gaye.  Arte  e 
Storia  a XXV,  S.  123.  Brief  des  P.  F.  Riccio  (Gaye  II,  329);  über 
Porträt  des  Don  Giovanni  und  Anfrage,  ob  die  drei  anderen  Kinder  gemalt 
werden  sollen.  Am  Rand  steht:  no. 

239.  H.  Geisenheimer,  Due  cenacoli  di  Aless. 
Allori.  Rivista  d'arte  IV,  S.  41  (vgl.  S.  102).  Im  Carmine  in 
Florenz  und  in  der  Akademie  in  Bergamo,  aus  der  Badia  d' Astino,  1582; 
inspiriert  durch  Sartos  Abendmahl. 

240.  H.  Geisenheimer,  Di  alcuni  arazzi  nel  duomo 
di  Como  su  cartoni  di  Aless.  Allori.  Ebendort  S.  109. 
Fünf  Teppiche,  gewebt  in  der  Arazzeria  Medicea,  1595 — 1598. 

241.  M.  Bori,  Notizie  sulla  cappella  Neri  in 
Cestello.  Ebendort  S.  193.  Testament  des  Neri  di  Jacopo  Neri 
1598:  das  Bild  soll  von  Passignano,  die  Fresken  von  Poccetti  gemalt 
werden. 

242.  L.  von  Bürkel,  Gio.  da  San  Giovanni.  Mün- 
chener Jahrb.  d.  bild.  Kunst  I,  S.  138.  Über  die  Fresken  der 
Silberkammer  des  Pal.  Pitti. 

VII.  Siena  und  Umbrien. 

243.  R.  L.  Douglas,  Burl.  F.  Arts  Club.  Exhibition 
of  pictures  of  the  school  of  Siena.  London.  (Illustrierter 
Katalog.) 


Literaturbericht. 


463 


244.  L.  Coletti,  Arte  Senese.  Treviso.  Wesentlich 
über  d.  Trecento,  aber  auch  Franc,  di  Giorgio,  Peruzzi,  Matteo  di  Giovanni, 
Pacchia  usw.  (vgl.  die  Rezension  an  F.  M.  Perkins,  Rassegna  d'arte  VI, 
Juni,  2.  Umschlagseite). 

245.  F.  Giordani,  Impressioni  artistiche  Senesi. 
Arte  e Storia  a.  XXV,  S.  129. 

246.  C.  A.  Nicolosi,  Opere  d'arte  Senese  nella 

Galleria  di  Bergamo.  Rass.  d'arte  Senese  II,  S.  87. 

Über  Werke  von  Matteo  di  Giovanni,  Neroccio,  Sodoma  und  Taddeo  di 
Bartolo. 

247.  G.  Cagnola,  Una  g i t a ä Grosset  o.  Rass.  d'arte 
VI,  S.  109.  Dom:  Glasfenster  von  Girol.  di  Benvenuto,  Bilder  von  Matteo 
di  Giovanni,  Sassetta,  Pacchiarotto.  Municipio:  Madonna  von  Girol.  di 
Benvenuto.  In  Montepascoli  großes  Altarbild  von  Matteo  di  Giovanni. 

248.  Pienza.  Due  tavole  d'autore  nella  catte- 
drale.  Ebendort  April,  1.  Umschlagseite.  Bilder  von 
Vecchietta  und  Bartolo  di  Mo.  Fredi  aus  d.  Chiesa  dello  Spedaletto. 

249.  V.  Lusini,  Siena.  Di  alcuni  affreschi  che 
ritornano  in  luce.  Rass.  d'arte  Senese  II,  S.  93.  Über 
Freskenreste,  wahrscheinlich  von  Niccolo  di  Naldi  1410. 

250.  M.  Logan-Berenson,  A picture  by  Taddeo 
di  Bartolo  in  the  M u s 6 e Crozatier  at  Le  Puy.  Rev. 
arch^ologique  IV  s.,  t.  VII,  S.  236.  Madonna.  Über  seine  Arbeiten 
in  Siena,  Volterra,  Badia  di  Isola  und  in  Frankreich  (Louvre,  Grenoble- 
Triptychon  von  1390  — , in  Nantes  und  Aurillac). 

251.  F.  Hermanin,  Un  trittico  di  Sano  di  Pietro 
a Bolsena.  Rass.  d’arte  Senese  II,  S.  47.  Madonna  mit  vier 
Heiligen,  Predella  in  der  Sakristei  von  einem  Schüler,  vermutlich  aus  S. Giorgio 
in  Bolsena.  Hinweis  auf  Bilder  in  Acquapendente,  Viterbo  und  Tivoli. 

252.  F.  B.  P.  Monteriggioni-Uopini.  Ebendort 
S.  98.  Fragment  eines  Triptychons,  gute  Arbeit  von  Sano  di  Pietro,  in 
S.  Marcellino. 

253.  F.  Mason  Perkins,  Su  certi  quadri  scono- 
sciuti  di  Neroccio.  Ebendort  S.  83.  Bilder  bei  B.  Berenson, 
G.  Cagnola,  Dr.  Nevin  in  Rom  (2)  und  Sammlung  Noseda. 

254.  F.  Mason  Perkins,  Alcuni  Sassetta  inediti. 
Rass.  d’arte  VI,  S.  31.  Vier  Bilder  im  Museo  Cristiano  d.  Vatikans. 

255.  G.  Cagnola,  Un  dipinto  inedito  del  Sassetta. 
Ebendort  S.  63.  Diptychon  der  Sammlung  Trivulzio  in  Mailand,  mit 
Geburt  der  Maria,  verwandt  dem  Bild  in  Asciano. 


464 


Literaturbericht. 


256.  Th.  von  Friramel,  ZurFarbendrucktafel  nach 
dem  altitalienische  p Bilde  der  Sammlung  Figdor. 
Blätter  f.  Gemäldekunde  III,  4,  S.  64.  Vision  des  hl.  Gregor, 
sienesisch  um  1400,  nach  Douglas  Gio.  di  Paolo  [ja;  als  Bild  kaum  vor  1450]. 

257..  Zu  Gio.  di  Paolo  vgl.  Burl.  Magazine  IX,  No.  3 7, 
April,  S.  67.  Zwei  Heilige  im  Metropol.  Museum,  New  York. 

258.  F.  Mason  Perkins,  Un  dipinto  dimenticato 
del  Vecchietta.  Rass.  d’  arteSenese  II,  S.  52.  Hl.  Ansanus, 
Fresko,  in  S.  Ansano  in  Castelvecchio,  in  seiner  ersten  Manier. 

259.  L.  Olcott,  Una  »annunciazione«  di  Ben  • 
venuto  di  Giovanni.  Rass.  d'arte  VI,  S.  73.  In  S.  Bernardino 
in  Sinalunga;  über  andere  Arbeiten  des  Meisters. 

260.  R.  H.  Hobart  Cust,  G.  A.  Bazzi,  hitherto  called 
» i 1 Soddoma«.  London. 

261.  G.  Carocci,  II  pavimento  del  Duomo  di 
Siena.  Arte  ital.  decorativa  e industriale  XV,  S.  7 
und  18.  Über  die  Stücke  von  Beccafumi. 

262.  A.  Liberati,  Notizie  artistiche  3 u 1 1’  orato- 
rio  della  Compagnia  di  S.  Caterina  in  Fontebranda. 
Bulle  ttino  Senese  di  storia  patria  a.  XIII,  S.  475.  Die 
Malereien  1564  an  G.  B.  Sozzini  übergeben,  dann  Beschluß,  bis  zur  Rück- 
kehr des  Riccio  zu  warten,  der  1567  die  Arbeiten  übernimmt.  Notiz  über 

A.  Casolani  1593  und  Vanni,  der  1591  die  neue  Bahre  übernimmt. 

263.  A.  Cinquini,  Pier  della  FrancescaaUrbino 
e i ritratti  degli  Uffizi.  L'Arte  IX,  S.  56.  Gedicht  des 
Karmeliters  Ferabö,  der  1466  in  Urbino  war,  auf  das  Porträt  Federigos.  Die 
Porträts  wahrscheinlich  um  1465. 

264.  U.  Tavanti,  Scoperta  di  affreschi  di  Piero 
d.  Francesca  ad  Arezzo.  Ebendort  S.  305.  Fresken  aus 
der  Geschichte  des  S.  Donato,  in  einem  Raum  neben  S.  Maria  delle  Grazie, 
sehr  zerstört,  zum  Teil  Schülerarbeit  (Lorentino)  [es  sind  die  Arbeiten 
Lorentinos,  die  Vasari  erwähnt]. 

265.  Arezzo.  — Una  tavola  di  Fra  Bartolommeo 
della  Gatta?  Rass.  d’arte  VI,  November,  2.  Um- 
schlagseite. In  einer  Kapelle  bei  S.  Pier  Piccolo  Altarbild  mit 

B.  Jacopo  Filippo  da  Faenza,  wohl  das  von  Vasari  erwähnte  Bild,  das  ver- 
schollen war.  Vgl.  L'Arte  IX,  S.  388. 

266.  G.  M.  Un  autografo  di  Luca  Signorelli.  La 
Bibliofilia  a.  VIII  (Januar,  Februar  1907),  S.  383.  Quittung 
betreffend  das  Bild  in  Foiano,  vom  14.  Juli  1523  (Gaye  II,  t.  II,  aut.  50). 
Die  Schrift  verrät  die  Unsicherheit  der  Hand. 


Literaturbericht. 


465 


267.  L.  D i n i , Due  quadri  di  Giovanmaria  T o 1 0 - 
sani.  Miscellanea  storica  d.  Valdelsa  a.  XIV,  S.  .33$ 
Pietä  mit  Heiligen  in  der  Kirche  von  Campiglia  bei  Colle,  1536  aufgetragen, 
und  Fresko  im  Oratorio  de'  Taviani  bei  Colle,  aufgetragen  1537  (Doku- 
mente). 

268.  G.  Bernardini,  Le  Gallerie  comunali  dell' 
Umbria.  Bollettinoufficiale  d.  Ministero  d.  pubblica 
Istruzione  Nr.  29.  Allgemeine  Einleitung,  dann  über  die  Galerien 
von  Perugia,  Assisi,  Fabriano,  San  Severino,  Gualdo,  Gubbio,  Trevi,  Spoleto, 
Montefalco,  Cittä  di  Castello,  Arezzo,  Borgo  S.  Sepolcro,  Terni,  Orvieto, 
Narni,  Bettona  (vgl.  Augusta  Perusia  I,  S.  154). 

269.  G.  Sordini,  Notizie  sui  monumenti  dell’ 
Umbria.  Bollett.  d.  Deputazione  di  storia  patria 
per  1’ Umbria  XII,  S.  529.  Restaurationen  in  Kirchen  von  Spoleto, 
Aufdeckung  von  Fresken  in  S.  Gregorio  Maggiore  und  S.  Salvatore. 

270.  A.  Beliucci,  II  Castello  di  Coldimancia. 
Augusta  Perusia  I,  S.  106.  Darin  über  Fresko  in  der  Kapelle  im 
Pal.  del  Podesta,  wahrscheinlich  von  Mezzastris;  Freskenreste  in  der  Madonna 
del  latte,  von  einem  Antonellus  i486. 

271.  Per  la  tutela  de’  monumenti  a Montone. 
Ebendort  S.  29.  Zustand  der  Fresken  und  Bilder  in  S.  Francesco. 

272.  M.  Faloci-Pulignani,  Del  palazzo  Trinci  in 
Foligno.  Bollett.  d.  R.  Deput.  di  storia  patria  per 
P Umbria  t.  XII,  S.  133.  Kurze  Beschreibung  der  Fresken  von  Otta- 
viano  Nelli. 

273.  A.  Beliucci,  I quadri  di  Ben.  Bonfigli  s e - 
condo  un  recente  libro  tedesco.  Arte  e Storia  XXV, 
S.  5.  Anzeige  der  Dissertation  von  W.  Bombe. 

274.  G.  Cristofanti,  Un’  opera  ignorata  di  F i 0 - 
renzo  di  Lorenz  o.  Augusta  Perusia  I,  S.  40.  Ziborien- 
türchen  bei  d.  Conti  Salvatori  in  Perugia. 

275.  Preziosi  affreschi  pericolanti.  Ebendort. 
S.  46.  Zwei  Fresken  in  Abbazia  Monte  l’Abate,  Fiorenzo  zugeschrieben. 

276.  R.  Schneider,  Un  Perugin  au  Mus£e  de  Tou- 
louse. Ebendort  S.  5.  Linker  Flügel  eines  Triptychons,  rechter 
Flügel  in  Lyon:  aus  der  Sakristei  der  Augustiner  in  Perugia. 

277.  F.  Briganti,  Un  autografo  del  Pinturicchio. 
Ebendort  S.  17.  Ganz  eigenhändiges  Billet  vom  13.  Mai  1510  an  den 
Vizeprior  von  S.  Maria  del  Popolo,  dem  er  Balken  des  Gerüstes  der  Kapelle 
des  Kardinals  Ascanio  überläßt.  [Wichtig  zur  Datierung  der  Fresken 
im  Chor.] 


466 


Literatubericht. 


278.  Zu  Bernardino  di  Mariotto  vgl.  ebendort 
S.  153:  Altarbild  in  S.  Francesco  di  Acquapendente  ihm  zugeschrieben. 

279.  G.  Urbini,  Eusebio  da  San  Giorgio,  eben- 
dort S.  33,  49  u.  65.  Zusammenstellung  des  dokumentarischen  und  Bild- 
materiales. Gehülfe  Pinturicchios  an  dem  Bilde  für  S.  Andrea  in  Spello. 
Zeichnung  im  venezianischen  Skizzenbuch  (zwei  Reiter)  kommen  auf  der 
Anbetung  der  Könige  von  Eusebio  in  der  Mitte  vor  (S.  65);  daher  Frage, 
ob  er  der  Autor  sei  [die  Übereinstimmung  nicht  vollkommen,  doch  wahr- 
scheinlich]. Eine  Tochter  Pinturicchios  heiratet  einen  Eusebio  di  Giovanni 
da  Perugia,  vielleicht  Versehen  des  Notars.  Reiche  Bibliographie  [wichtiger 
Beitrag  zur  Geschichte  der  umbrischen  Malerei]. 

280.  L.  Lanzi,  II  Convento  di  S.  Francesco  presso 
Stroncone.  Ebendort  S.  II.  Im  Oratorium  von  S.  Antonio 
da  Padova  Madonna  mit  vier  Heiligen,  1509,  vielleicht  das  Meisterwerk 
des  Tiberio  d’ Assisi;  ähnliche  Komposition  in  S.  Damiano  in  Assisi,  acht 
Jahre  später  gemalt. 

281.  P.  Perali,  Notizie  miscellanee  di  topo  • 

grafia  e d’  arte.  Bollett.  d.  Deput per  l'Umbria 

t.  XII,  S.  XXXII  (Fase.  III).  Darin  über  die  Maler  Cristoforo  da  Marsciano 
und  Eusebio  da  Montefiascone,  die  in  S.  Rocco  in  Orvieto  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  tätig  waren. 

282.  Viterbo.  Quadro  d’autore  trasportato  nella 
Pinacoteca.  Rass.  d’  arte  VI,  November,  2.  Umschlag- 
sei t e.  Madonna  mit  Engeln  aus  S.  Clemente,  vielleicht  von  Antonio  da 
Viterbo. 

VIII.  Rom. 

283.  Rieti.  La  scoperta  di  un  affresco  nella 
Cattedrale.  Rass.  d’arte  VI,  Oktober,  1.  Umschlags- 
sei t e.  Thronende  Madonna,  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  Antoniazzo 
zugeschrieben.  Vgl.  L'Arte  IX,  S.  388. 

284.  E.  Jacobsen,  Neue  Werke  von  Antoniazzo 
Romano.  Repertorium  XXIX,  S.  104.  Sebastian  mit  zwei 
Stiftern,  Rom  Gal.  Corsini  (das  Melozzo  zugeschriebene  Bild  !)  und  Madonna 
mit  Petrus  und  Paulus;  Kapitol.  Galerie,  Fresko -Madonna;  Pantheon, 
Madonna  u.  Verkündigung. 

285.  F.  Hermanin,  Le  pitture  della  cappella  d e 1 1* 
Annunziata  a Cori  presso  Roma.  L’Arte  IX,  S.  45.  Aus 
verschiedenen  Perioden,  die  besten  unter  Masolinos  Einfluß,  1446 — 1453. 

286.  A.  Luzio,  II  Palazzo  del  Te  a Mantova.  Rass. 
bibliografica  d.  arte  ital.  IX,  S.  137.  Über  Giulio  Romano, 
Fermo  da  Caravaggio  und  Rinaldo  Mantovano. 


Literaturbericht. 


467 


287.  M.  Labö,  Un  dipinto  inedito  di  Perino  del 
Vaga.  L'  Arte  IX,  S.  3 77.  Genua,  S.  Maria  della  Consolazione,  Fresko 
der  Grablegung,  zuerst  erwähnt  von  Soprani. 

288.  A.  Melani,  Logge  Vaticane.  Arte  ital.  deco- 
rativa  e industriale  XV,  S.  13.  Gute  Abb.  der  Inschrifttafeln 
d.  Carte  geografiche.  Vgl.  oben  Nr.  159. 

289.  R.  Lanciani,  Pirro  Ligorio  pittore.  Ausonia 
I,  S.  101.  Dokument  von  1542,  wodurch  er  für  den  Erzbischof  von  Benevent 
eine  Loggia  mit  Grottesken  zu  bemalen  übernimmt;  es  war  der  Palast  von 
Urbino  in  Via  lata. 

290.  Zu  T.  Zucchero  vgl.  Tresors  d'art  en  Russie 
VI,  Nr.  5:  Porträt  des  Kardinals  Aless.  Farnese,  Rötelzeichnung,  Sammlung 
A.  Prachoff  [sieht  spät  aus]. 

291.  G.  Natali,  II  Collegio  Borromeo  a Pavia. 
Natura  ed  arte  XV,  15.  Februar,  S.  393.  Fresken  von 
Fed.  Zuccaro:  Carlo  Borromeo  von  Pius  IV.  zum  Erzbischof  gemacht,  datiert 
1604,  und  von  Cesare  Nebbia  ausOrvieto:  Prozession  des  S.  Carlo  während 
der  Pest. 

292.  W.  Kallab,  Caravaggio.  Jahrb.  d.  Samml. 
d.  AH.  Kaiserhauses  XXVI,  S.  272.  Fragment. 

293.  V.  Saccä,  Michelangelo  da  Caravaggio.  Arch. 
storico  Messinese  VII,  S.  40.  I.  Die  Biographen.  2.  Chronolog. 
Streitfragen  (diskutiert  nur  die  letzten  Lebensjahre  und  Todesdatum). 
3.  Über  Selbstporträts  des  Malers  (nicht  echt  das  Bild  der  Uffizien,  weil  zu 
alt  aussehend;  gut  beglaubigt  Bild  in  Pest;  auf  Bildern  in  Siena  und  Messina. 
Hier  auf  S.  68  Anm.  die  Angabe,  daß  in  den  Taufregistern  von  Caravaggio 
— seit  1569  — kein  Michelangelo  Merisi  vorkommt).  Fortsetzung  VII T 
(1907),  S.  41.  4.  Die  Kunst  C.s.  5.  Die  Schule  der  »tenebrosi«.  Appendix 
S.  63 : Caravaggio  in  Messina  und  Dokumente.  Ferner  über  die  Bilder 
von  C.  in  Messina  (die  Auferweckung  des  Lazarus  1608/9).  S.  76  Anhang: 
Über  ein  Selbstporträt  im  Privatbesitz  in  Messina.  Die  Forschungen  in 
Porto  Ercole,  betreffend  das  Todesdatum,  waren  vergeblich. 

294.  A.  Lancelloti,  Villa  Falconieri.  Natura  ed 
arte  XV,  S.  728.  Über  die  Fresken  von  Ciro  Ferri  und  P.  L.  Ghezzi.  Vgl. 
auch  Emporium  23,  Januar,  S.  63. 

295 . F.  Hermanin,  Un  ritratto  d.  Galleria  nazio- 
n a 1 e di  Roma.  U A r t e IX,  S.  127.  Männliches  Porträt,  früher 
v.  Dyck,  dann  italienische  Schule  des  17.  Jahrhunderts,  durch  Vergleich 
mit  Porträt  in  Berlin  Nr.  426  A als  Maratta  bestimmt. 

296.  A.  Tarducci,  Gaetano  Lapis  pittore  da 
C a g 1 i.  C a g 1 i (nach  L’  A r t e IX,  S.  480).  Schüler  d.  Seb.  Conca. 


4-68 


Literaturbericht. 


297.  L.  Ozzola,  Lettere  inedite  del  pittore  Gas- 
pare  Landi.  Rassegna  nazionale  a.  XXVIII,  t.  150, 
1.  August,  S.  545.  Geb.  1756  in  Piacenza,  Schüler  des  Battoni.  Später 
(1817)  Präsident  der  Akademie  von  S.  Luca.  Briefe  von  1783— 1788. 

298.  Rieti.  Per  salvare  una  pittura.  Rass.  d'arte 
VI,  Oktober,  I.  Umschlagseite.  Jüngstes  Gericht  im  Oratorio 
di  S.  Pietro  Martire,  irrtümlich  dem  Jacopo  Siciliano  zugeschrieben.  Vgl. 
L'Arte  IX,  S.  389. 

IX.  Unter-Italien  und  Sizilien. 

299.  F.  Niccolini,  Dalla  Porta  Reale  al  Palazzo 
degli  Studj.  Napoli  nobilissima  XV,  S.  52.  In  S.  Domenico 
Soriano  Bilder  von  M.  Preti,  F.  Santafede,  L.  Giordano.  S.  80:  In  der 
Madonna  deir  Assunta:  Solimena. 

300.  Paolo  S.treusi  di  Napoli  pittore.  Rass. 
bibüogr.  d.  arte  ital.  IX,  S.  34.  Dokument  von  1508. 

301.  Don  Fastidio,  Opere  d’  arte  ä Solofra.  Napoli 
nobilissima  XV,  S.  127.  Bild  von  Gian  Bernardo  Lama,  1598,  in 
S.  Michele. 

302.  Fr.  di  Palma,  Un  arMsta  dimenticato:  Paolo 
Gamba.  Arte  e Storia  XXV,  S.  89.  Schüler  des  F.  Solimena, 
1712 — 1782.  Fresken  in  S.  Elia  in  Pianisi  1740,  Lünetten  daselbst  1746; 
Arbeiten  in  Ripabottoni. 

303.  A.  Perotti,  Tricase.  Rivista  stör.  Sälen  • 
tina  III,  S.  80.  Beschreibung  von  Tricase  im  17.  Jahrhundert.  Bilder 
von  G.  Andrea  Coppola  und  Donatus  Antonius  Orlandus. 

304.  G.  Laneri,  Di  un  artista  Leccese  poco  cono- 
sciuto.  Ebendort  S.  320.  Über  Cesare  Calense,  von  dem  ein  Bild 
in  S.  Maria  della  Rosa  in  Neapel.  Lebensdaten  unbekannt.  Hier  auch  Geburt 
Riberas  in  Gallipoli  (prov.  di  Lecce)  behauptet. 

305.  F.  Nicotera,  Dizionario  illustrato  dei  Co  • 
muni  Siciliani.  Anzeige:  Arch.  storico  Messinese 
VII,  S.  141.  Über  verschiedene  Maler  des  17.  Jahrhunderts.  In  Agira, 
Chiesa  del  Salvatore,  Bild  des  S.  Filippo,  Antonello  zugeschrieben. 

306.  G.  Borghese,  Novara  di  Sicilia  e le  sue  opere 
d'  arte.  Ebendort  S.  223.  Für  die  Annunciata  malt  Antonino  Campolo 
aus  Messina  ein  Banner  (1504/5;  Dokument).  In  S.  Gio.  Battista:  Kreuz- 
tragung von  Antonio  Catalano  aus  Messina,  1598;  in  S.  Venera  Madonna 
von  Franc.  Cardile,  1607.  Zahlreiche  Ausgaben  für  die  Hauptkirche,  Kunst- 
werke des  17.  und  18.  Jahrhunderts. 


Literaturbericht. 


469 


307.  L.  Venturi,  La  pala  cTAntonello  da  Messina 
a Palazzolo  Acreide.  L'Arte  IX,  S.  4$2.  Kontrakt  1474- 
Das  Bild  ganz  unvenezianisch,  so  daß  Antonello  vorher  nicht  in  Venedig 
gewesen  sein  kann.  Ein  von  Cook  (L’Arte  1905,  S.  130)  publiziertes  Bild 
bei  Salting  nicht  von  Antonello,  sondern  spanisch. 

308.  G.  Arenaprimo,  Un  quadro  di  Antonello 
da  Messina.  Arch.  stör.  Messinese  VII,  S.  230.  Madonna 
Annunziata,  Halbfigur,  aus  dem  Nachlaß  von  Vinc.  di  Giovanni  ins  Museum 
von  Palermo  gelangt,  ist  besser,  wie  das  gleiche  Bild  in  Venedig,  dessen 
•Inschrift  spätere  Zufügung  ist. 

309.  F.  Allmayer,  Per  un  quadro  di  Ant.-  da  Messina. 
Marzocco  XI,  No.  52,  30.  Dezember.  Die  Madonna  Annunziata 
in  Palermo  zeigt  Verwandtschaft  mit  Arbeiten  der  Antonello  da  Saliba. 
Reste  von  dessen  Signatur  auf  dem  Buch  der  Madonna.  Das  Bild  in  Venedig 
ist  Kopie  danach. 

310.  V.  Saccä,  Per  una  pretesa  tavola  di  Ant. 
da  Messina.  Ebendort  S.  131.  Das  Bild,  das  Grosso  Coccapardo 
1853  im  Museo  von  Andrea  Gallo  gesehen  hat,  in  Messina  bei  Cav.  Vincenzo 
Atanasi.  Das  Bild  stellt  vier  Heilige  dar  und  ist  dasselbe,  das  nach  C.  D.  Gallo, 
Annali  di  Messina,  die  Königin  Maria,  Gattin  von  König  Alfons,  dem  Placido 
Gio.  Gallo  schenkte;  mit  einem  Privileg  1443  auf  der  Rückseite  (dies  tat- 
sächlich auf  dem  Bild  bei  Cav.  Atanasi).  Sehr  restauriert,  in  Öl  gemalt; 
scheine  nicht  niederländisch  zu  sein.  Ebendort  S.  133  Anm.  über  angeb- 
liches Bild  d.  Antonello  (später)  bei  Baron  Gius.  Arenaprimo,  Porträt  der 
gran  cameriera  der  Königin,  ebenfalls  von  Gallo  erwähnt. 

3 1 1 . G.  d i M a r z 0 , Di  un  quadro  di  Antonello  in 

Ragusa  inferiore.  La  Sicile  i 1 1 u s t r 6 e , 1/2,  S.  6 (nach 

Arch.  stör.  Messinese  VII,  S.  255).  Sitzende  Madonna,  früher  in 
Messina  bei  Ing.  Arena,  jetzt  bei  Donna  Ma.  Marullo  Manganello  in  Ragusa 
Inferiore. 

312.  E.  Brunelli,  Pietro  da  Saliba.  L'Arte  IX, 
S.  357.  Daten  1497:  Gonfalone  für  S.  Lucia  del  Mela,  und  1501:  Bild  für 
Genua.  Er  hatte  Werkstatt  mit  Leonoro  dell’  Aquila.  Zwei  signierte  Bilder 
von  »Petrus  Messaneus«:  Budapest,  Kopie  des  Christus  von  Antonello,  und 
Venedig,  S.  Maria  Formosa.  Die  Identität  des  Pietro  da  Messina  und  des 
Pietro  da  Saliba  wahrscheinlich;  nicht  sicher  diejenige  mit  »Pino  da  Messina« 
(Abkürzung  von  Jacopo  oder  Giuseppe).  Zwei  andere  signierte  Bilder  des 
Pietro  verloren.  Über  verschiedene  Bilder  der  Antonello -Schule.  Dem 
Pietro  schreibt  B.  den  Sebastian  bei  Frl.  Hertz  zu. 

313.  A.  d'Amico,  Cenni  storici  su  Merk.  Arch. 
stör.  Messinese  VII,  S.  263.  In  d.  SS.  Annunziata  Bild  von  Ant. 


47° 


Literaturbericht. 


Catalano  1603  und  Bilder  der  Schule  von  Messina  des  17.  Jahr- 
hunderts. 

314.  G.  La  Corte  Cailler,  L'incendio  della  Par- 
rocchia  del  villaggio  Gesso.  Ebendort  S.  235.  Ab- 
gebrannt 23.  Dezember  1906:  verbrannt  ein  S.  Antonio  16.  Jahrhundert, 
Bild  von  Ant.  Catalano.  Erhalten  Bilder  von  Onofrio  Gabrielle  (Notizen 
über  ihn,  1619 — 1706)  und  Gio.  Tuccari  (1667 — 1743). 

315.  B.  Bontempo,  Memorie  patrie  di  Alcara  di 
F u s i.  Palermo.  Anzeige  ebendort  S.  242.  Fresken  von  Guasto 
aus  Regalbuto  (1632);  Bild  von  Gius.  Tommasi,  1667. 

316.  P.  M.  Rocca,  Un’  illustrazione  degli  affreschi 
del  Duomo  di  Alcamo,  scritto  nel  sec.  XVIII.  Arte 
e Storia  XXV,  S.  21,  42,  58,  71,  93  u.  105.  Ursprünglich  dem  Olivio 
Sozzi  aus  Catania  übertragen,  wurde  die  Arbeit  dann  von  dem  Vlamen 
G.  Borremans  ausgeführt  (1736 ff.).  Über  Bilder  von  Mariano  Smeriglio  aus 
Palermo  (1606),  Gasp.  Balsano  (1612)  und  andere  Palermitaner  Maler  des 
18.  Jahrhunderts. 


Zur  Baugeschichte  des  Ulmer  Münsters. 

Von  Hans  Klaiber. 

I. 

Der  dritte  Münsterbaumeister. 

Bereits  die  älteren  Ulmer  Forscher  neigten  zu  der  Ansicht,  daß  in  den 
ersten  Anfängen  des  Ulmer  Münsterbaues  die  Baumeisterfamilie  der  Parier 
beteiligt  gewesen  sei.  Die  Auffindung  eines  Grabsteines  mit  dem  bekannten 
Parlerschen  Meisterzeichen  schien  diese  Ansicht  zu  bestätigen,  und  man 
sprach  ihn  als  »Gedenkstein«  für  die  drei  ersten  Meister  des  Baues  an.  Der 
erste,  Heinrich  d.  Ä.,  der  in  einer  Kirchenpflegrechnung  von  1387  als 
verstorben  genannt  wird,  soll  Heinrich  Parier,  der  Erbauer  der  Hei- 
ligkreuzkirche in  Gmünd  sein,  Meister  Michael  sein  Sohn,  und  der  jün- 
gere Meister  Heinrich,  der  laut  dieser  Urkunde  im  Jahre  1387  zu  dem 
Werke  bestellt  worden  ist,  wird  mit  dem  in  Prag,  Brünn  und  Mailand 
genannten  Heinrich  von  Gmünd  identifiziert.  Was  die  beiden  ersten 
Meister  betrifft,  so  bewegen  wir  uns  auf  dem  unsicheren  Boden  der  Hypo- 
these. Zwar  ist  es  wohl  möglich  oder  gar  wahrscheinlich,  daß  der  in  dem 
Anniversarbuche  der  Gmünder  Pfarrkirche  erwähnte  magister  Hainricus 
arctitector,  dessen  Grabstein  in  der  Kirche  war,  wirklich  Heinrich  Parier 
der  Vater  des  Prager  Dombaumeisters,  gewesen  ist.  Aber  die  Annahme, 
daß  er  als  Greis  noch  an  den  Münsterbau  berufen  und  dann  wieder  in  die 
Heimat  zurückgekehrt  sei,  hat  wenig  für  sich;  es  ist  glaubhafter,  daß  er  dem 
Gmünder  Kirchenbau  bis  zu  seinem  Tode  vorgestanden  und  in  dem  1372 
in  Gmünd  genannten  Meister  Johannes  seinen  Nachfolger  gefunden  habe. 
Jedenfalls  erhielt  ein  in  der  Gmünder  Pfarrkirche  beigesetzter  Baumeister 
keinen  Grabstein  im  Ulmer  Münster.  Doch  mag  das  auf  sich  beruhen;  über 
den  ersten  Münsterbaumeister  läßt  sich  ohne  weitere  urkundliche  Aufschlüsse 
keine  Sicherheit  gewinnen,  ebensowenig  über  seinen  Nachfolger,  Meister 
Michael.  Etwas  besser  steht  es  mit  dem  an  dritter  Stelle  genannten  Heinrich 
d.  J.,  über  den  sich  nun  tatsächlich  einiges  ermitteln  läßt.  Im  Jahre  1378 
wird  in  den  Wochenrechnungen  des  Prager  Doms  ein  Heinrich  von  Gmünd 
genannt.  Als  markgräflicher  Baumeister  erscheint  er  1381  am  Hofe  zu  Brünn 
unter  dem  Namen  magister  Henricus  de  Gemunden  iapicida,  1384  wird  er 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


32 


472 


Hans  Klaiber: 


wieder  erwähnt;  1387  begibt  er  sich  nach  Köln  mit  einem  vom  22.  September 
datierten  Schreiben  des  Brünner  Rates,  worin  dieser  bittet,  dem  Steinmetzen 
in  seiner  Geldangelegenheit  behilflich  zu  sein,  damit  er  so  schnell  als  möglich 
binnen  kurzer  Zeit  nach  Brünn  zu  seiner  Herrschaft  zurückkehren  könne. 
(Vgl.  die  Nachweise  bei  Neuwirth,  Peter  Parier  von  Gmünd.)  Dieser  Bau- 
meister des  Markgrafen  von  Mähren  soll  nun  der  dritte  Münsterbaumeister, 
Heinrich  d.  J.,  sein.  Dagegen  erhebt  sich  eine  chronologische  Schwierigkeit. 
Die  Ulmer  Kirchenpflegrechnung  stammt  vom  17.  April  1387  und  bucht 
bereits  eine  Zahlung  an  den  nunmehr  zum  Werk  bestellten  Meister  Heinrich. 
Damals  aber  befand  sich  Heinrich  von  Gmünd  noch  in  fester  Stellung  in 
Brünn;  soll  er  doch  von  der  Kölner  Reise  im  Spätherbst  1387  wieder  »nach 
Brünn  und  zu  seiner  Herrschaft«  zurückkehren;  er  stand  also  damals  noch 
im  Dienste  seines  Herrn  und  hat  von  den  Ulmer  Kirchenpflegern  sicher  keine 
Zahlungen  erhalten.  Die  Identifizierung  der  zwei  Meister  ist  deshalb  nicht 
angängig.  Gleichwohl  läßt  sich  wahrscheinlich  machen,  daß  der  Ulmer 
Heinrich  zu  der  weitverzweigten  Gmünder  Baumeisterfamilie  (oder  waren 
es  deren  verschiedene?)  gehört  und  ein  und  dieselbe  Person  ist  mit  dem  am 
Mailänder  Dombau  tätigen  Enrico  da  Gamodia.  Im  Jahre  1391  wünschte 
man  in  Mailand  für  den  Dombau  einen  deutschen  Meister  zu  gewinnen. 
Darum  wird  Hans  von  Fernach  nach  Deutschland  ausgesandt,  um  von  dort 
einen  Meister  (quendam  magistrum  pro  optimo  inzignerio  approbatum)  von 
Ruf  mitzubringen.  Gegen  Schluß  des  Jahres  trifft  ein  deutscher  Baumeister, 
Enrico  da  Gamodia,  Heinrich  von  Gmünd,  in  Mailand  ein.  Am  27.  November 
kommt  er  mit  einem  Genossen  an  und  nimmt  seine  Herberge  bei  Adam 
Teutonicus,  hospes  ad  hospitium  spatae  Mediolani.  Er  tritt  am  12.  Dezember 
seine  Stellung  an  und  hat  sie  bis  12.  Mai  1392  inne;  am  16.  Mai  heißt  er  bereits 
olim  inzignerius  fabricae.  Die  erste  Zahlung  wird  für  ihn  am  20.  Dezember 
gebucht  als  mag.  Henricho  de  Gamundia  inzignerio  fabricae;  eine  weitere 
drei  Tage  später  als  magistro  Henricho  de  U 1 m o inzignerio  fabricae. 
Da  nun  sein  Name  offenbar  Heinrich  von  Gmünd  war,  so  kann  die  Bezeich- 
nung Meister  Heinrich  von  Ulm  wohl  nur  besagen,  daß  er  von  Ulm  nach 
Mailand  gekommen  ist.  (Vgl.  die  urkundlichen  Belege  in  den  Jahrbüchern 
der  Mailänder  Dombauhütte  Vol.  append.  I,  166.)  Und  das  stimmt  sehr 
gut  zur  Chronologie  der  Ulmer  Münsterbaumeister.  Der  in  der  Rechnung 
von  1387  erwähnte  Meister  Heinrich  muß  eben  im  Laufe  des  Jahres  1 39 1 
seinen  Ulmer  Posten  verlassen  haben,  den  dann  Ulrich  von  Ensingen  ein- 
nimmt. Es  ergibt  sich  also  mit  großer  Wahrscheinlichkeit,  daß  der  Ulmer 
Münsterbaumeister  Heinrich  d.  J.  zwar  mit  dem  in  Böhmen  und  Mähren 
genannten  Heinrich  von  Gmünd  nicht  identisch  ist,  wohl  aber  mit  dem  in 
Mailand  nachzuweisenden  Henrichus  de  Gamundia.  Der  Grabstein  im  Ulmer 
Münster  könnte  sich  darum  auf  den  dritten  Baumeister  nicht  beziehen,  da 


Zur  Baugeschichte  des  Ulmer  Münsters. 


473 


dieser  1 39 1 den  Bau  verlassen  hat  und  später  nicht  mehr  an  ihn  zurück - 
gekehrt  ist.  Die  Tatsache  aber,  daß  wir  gleichzeitig  zwei  Meister  desselben 
Namens,  den  einen  in  Böhmen,  den  andern  in  Ulm  und  Mailand  nachweisen 
können,  mag  uns  vor  voreiligen  Identifizierungen  lediglich  auf  Grund  des 
Namens  warnen. 

II. 

Hallensystem  und  Wölbungsprojekte. 

Die  besondere  Art  und  Weise  der  mittelalterlichen  Bauführung,  das 
ruckweise  Fortschreiten,  die  häufigen  Wechsel  der  Bauleitung,  die  lange 
Dauer  größerer  Unternehmungen,  all  das  bringt  es  mit  sich,  daß  in  der  Bau- 
geschichte  unserer  Dome  und  Münster  dunkle  Stellen  sind,  über  die  zwar 
Vermutungen  genug  anzustellen  sind,  aber  um  so  weniger  Sicherheit  zu  er- 
langen ist.  Beim  Ulmer  Münster  ist  es  von  jeher  die  Frage  der  Wölbungs- 
projekte, deren  Spuren  noch  nachweisbar  sind,  gewesen,  die  die  Forscher 
beschäftigt  hat.  Unsere  Figur  zeigt  dieselben  im  Schnitt  durch  die  östliche 
Seite  des  Nordschiffes.  Und  zwar  sind  die  heutigen  Gewölbe  mit  a bezeichnet. 
Sie  stammen  erst  aus  dem  Anfänge  des  16.  Jahrhunderts,  von  Burkhard 
Engelberg,  dessen  Meisterzeichen  samt  Jahreszahl  an  der  östlichen  Abschluß - 
wand  zu  sehen  ist.  Während  die  Engelbergschen  Gewölbe  das  Seitenschiff 
in  zwei  Hallen  zerlegen,  bemerkt  man,  wenn  man  unter  das  Dach  steigt, 
an  der  Ostwand  des  Nordschiffes,  etwas  tiefer  liegend  als  die  heutigen  Ge- 
wölbe, eine  die  ganze  Breite  der  Abseite  überspannende,  nunmehr  abge- 
spitzte Schildrippe;  sie  trägt  in  unserem  Querschnitt  den  Buchstaben  c. 
Auch  sie  ist  durch  Jahreszahl  und  Meisterzeichen  mit  Bestimmtheit  zu  da- 
tieren und  stellt  den  letzten  Rest  der  im  Jahre  1452  von  Matthäus  Ensinger 
unternommenen  Wölbung  des  Nordschiffes  dar,  von  der  auch  noch  einige 
Kämpferansätze  an  den  Pfeilern  der  Nordseite  zeugen.  Daß  der  von  dieser 
Rippe  überspannte  Raum  einst  ins  Innere  der  Kirche  einbezogen  und  von 
dort  aus  sichtbar  war,  erhellt  auch  daraus,  daß  der  Verputz  sich  bis  zu  ihrem 
Scheitel  erstreckt.  Eine  Rekonstruktion  dieser  Wölbung  ergibt  ungefähr  die 
Höhe  der  Vorhallengewölbe,  die  gleichfalls*von  Matth.  Ensinger,  und  zwar 
im  Anschluß  an  die  Seitenschiffwölbung,  erbaut  wurden.  (In  dem  Tafelwerk 
von  R.  Pfleiderer,  Das  Ulmer  Münster  und  seine  Kunstdenkmale,  ist  in  der 
erläuternden  Unterschrift  dieses  Schnittes  ein  Druckfehler  stehen  geblieben, 
der  die  ohnehin  komplizierte  Frage  noch  mehr  verwirrt  und  Unheil  gestiftet 
hat.  Es  sind  nämlich  die  Buchstaben  b und  c verwechselt  und  die  in  ziem- 
licher Höhe  über  den  heutigen  Gewölben  eingezeichnete  Rippe  dem 
Matthäus  Ensinger  zugeschrieben.  Wie  aus  den  Ausführungen  des  Textes  und 
aus  der  der  Figur  zugrunde  liegenden  Zeichnung  des  Münsterbauamts  hervor- 
geht, ist  das  nur  ein  Druckversehen;  auch  Pfleiderer  will,  entsprechend  der 


474 


Hans  Klaiber: 


vom  Münsterbauamt  vertretenen  Ansicht,  tatsächlich  die  unter  den 
Engelbergschen  Gewölben  eingetragene  Rippe  dem  Matthäus  Ensinger  zu- 
weisen,  und  auf  diese  nur  kann  sich  die  beigesetzte  Jahreszahl  1452  beziehen). 
Nun  befindet  sich  aber  an  den  östlichen  Abschlußwänden  der  Seitenschiffe 
die  Spur  einer  dritten,  zum  mindesten  projektierten  Wölbung  in  Gestalt 
einer  gleichfalls  die  ganze  Breite  der  Abseite  überspannenden  Schildrippe  — 
auf  der  Figur  die  Rippe  b — , deren  Scheitel  2,46  m über  dem  der  heutigen 


Gewölbe  liegt.  Ein  ebenso  profilierter,  steil  ansteigender  Schildbogen  ist 
an  der  Nordwand  des  Nordschiffes  erhalten,  während  an  der  gegenüberliegen- 
den Südwand  desselben  Seitenschiffes  nur  spärliche  Überreste  desselben 
Profiles,  und  zwar  in  etwas  tieferer  Lage,  festzustellen  sind,  beides  je  im 
östlichsten  Joche.  Im  südlichen  Seitenschiffe  ist  der  entsprechende  Schild - 
bogen  an  der  östlichen  Abschlußwand  wohl  erhalten,  Spuren  von  solchen 

Anm.  Das  Clich4,  nach  einer  Zeichnung  von  Münsterwerkmeister  Lorenz,  wurde 
mit  frdl.  Erlaubnis  vom  Verfasser  und  Verleger  aus  dem  Werke  von  Rud.  Pfleiderer, 
Das  Münster  zu  Ulm,  Stuttgart,  Konr.  Wittwers  Verlag,  1905  entnommen. 


Zur  Baugeschichte  des  Ulmer  Münsters. 


475 


an  der  Südwand  im  ersten  bis  dritten  und  achten  Joch,  an  der  Nordwand 
nur  im  ersten  Joch  je  von  Osten  aus  gerechnet.  Daß  diesen  Schildbögen 
der  beiden  Abschlußwände  niemals  wirkliche  ausgeführte  Gewölbe  ent- 
sprachen, kann  für  sicher  gelten.  Schon  das  Fehlen  eines  Mauerverputzes 
spricht  dafür,  daß  der  über  den  Gewölben  von  1452  liegende  Raum  niemals 
im  Innern  sichtbar  war.  Ferner  hätte,  wenn  entsprechende  Gewölbe  je  be- 
standen hätten,  ihre  Beseitigung  durchgreifende  Veränderungen  im  ganzen 
System  des  Aufbaues  mit  sich  geführt,  von  denen  Spuren  zu  sehen 
sein  müßten *).  Nun  fragt  sich  nur,  aus  welcher  Zeit  diese  unbenutz- 
ten Schildrippen  stammen.  Nach  der  in  dem  genannten  Werke  von 
Pfleiderer  vorgetragenen  Ansicht  des  Münsterbauamtes  wären  diese 
Schildbogen  gleichzeitig  mit  den  Osttürmen  noch  unter  den  drei 
ersten  Baumeistern  versetzt  worden  und  sollen  beweisen,  daß  die 
heutige  Breite  der  Kirche  nicht  erst  eine  Planerweiterung  des  Ulrich 
von  Ensingen,  sondern  von  Anfang  an  vorgesehen  war.  Danach  wäre  das 
Urprojekt  eine  Hallenkirche  gewesen  von  der  Breite  und  Länge  des  heutigen 
Münsters  und  etwa  2I/a  m höher,  als  die  jetzigen  Seitenschiffe  gewölbt  sind. 
Nun  hat  man  aber  schon  oft  darauf  hingewiesen,  daß  die  keineswegs  außer- 
ordentlichen Dimensionen  des  Chores,  des  frühesten  Teiles  der  Kirche,  auch 
ein  in  mäßigen  Verhältnissen  gedachtes  Langhaus  voraussetzten.  Daß  man 
keine  Fundamente  von  einem  solchen  kleineren  Langhaus  gefunden  hat, 
hat  nichts  zu  sagen.  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  daß  man  sich  zunächst  mit 
der  Grundlegung  des  Chores  begnügt  hat  und  die  Behauptung,  daß  bei 
jedem  Bau  zuerst  Abmessung  und  Fundamentierung  des  Ganzen  vollzogen 
werde,  mag  zwar  für  heutige  Verhältnisse  zutreffen,  aber  nicht  für  die  mittel- 
alterliche Bauweise.  Auch  die  Notiz  in  Fabris  Chronik  vom  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts, daß  man  bei  der  Grundsteinlegung  die  ganze  Länge  und  Breite 
des  nachmaligen  Baues  abgemessen  habe,  will  nichts  bedeuten,  da  er  von 
einer  zwölf  Jahre  nach  dem  Baubeginn  vollzogenen  Planänderung  nichts 
zu  wissen  brauchte.  Der  Chor  ist  nicht  viel  größer  als  der  von  Heiligkreuz 
in  Gmünd,  und  so  darf  man  sich  das  Langhaus  etwa  in  den  Größenverhält- 
nissen dieser  Kirche  vorstellen.  Es  mag  wohl  als  Hallenkirche  gedacht 
gewesen  sein,  da  ja  dieser  Typus  seit  den  dreißiger  Jahren  des  14.  Jahr- 
hunderts im  Lande  eingebürgert  und  in  Herrenberg,  Gmünd  und  Eßlingen 
an  hervorragenden  Werken  in  Erscheinung  getreten  war.  (Wenn  auf  dem 
Gründungsrelief,  die  Kirche  vielleicht  nur  der  Vereinfachung  wegen,  mit 
einem  Dach,  als  Hallenbau,  dargestellt  ist,  so  ist  daraus  allein  noch  kein 
sicherer  Schluß  zu  ziehen,  da  diese  Modelle  keine  archäologische  Treue 
beanspruchen.)  Aber  ein  Hallenbau  in  den  angenommenen  Verhältnissen 


I)  Vgl.  v.  Arlt,  Württ.  Vierteljahrshefte  I,  S.  46  ff. 


476 


Hans  Klaiber: 


stünde  einzig  da.  Eine  so  außerordentliche  Breite  und  Länge  zieht  auch  ent- 
sprechende Höhenausdehnung  nach  sich,  sonst  ergäbe  sich  ein  ganz  selt- 
samer Raumeindruck.  Dazu  stelle  man  sich  das  Dach  vor,  das  diesen  Raum 
überdecken,  die  Stütz-  und  Strebevorrichtungen,  die  den  Schub  der  drei 
nach  außen  drückenden  Gewölbe  aufnehmen  sollten.  Aus  allgemein  kunst- 
geschichtlichen  Gründen  ist  noch  immer  wahrscheinlicher,  daß  erst  Ulrich 
von  Ensingen,  geleitet  von  seinem  Streben  ins  Kolossale,  die  ursprünglich 
mäßig  geplanten  Verhältnisse  der  Pfarrkirche  ins  außerordentliche  gesteigert 
hat.  Und  damit  scheint  sich  auch  die  Frage  der  unbenutzten  Schildrippen 
zu  vertragen.  Wie  weit,  d.  h.  bis  zu  welcher  Schicht  die  drei  ersten  Bau- 
meister ihr  Werk  gefördert  haben,  kann  niemand  genau  angeben.  Es  ist 
deshalb  auf  Grund  des  Baubefundes  nichts  dagegen  einzuwenden,  wenn  wir 
die  Ausführung  der  unbenutzten  Schildrippen  der  ersten  Zeit  des  Ulrich 
von  Ensingen  (1392 — 1419)  zuweisen.  Im  Gegenteil;  wie  ein  Blick  auf  die 
von  Klemm  (Ulmer  Münsterblätter  II,  S.  33  ff.)  besprochenen  und  in  Gruppen 
geteilten  Steinmetzzeichen  am  Münster  zeigt,  finden  sich  an  diesen  Schild- 
bogen Zeichen,  die  an  den  Bauteilen  wiederkehren,  welche  man  ohne  Wider- 
spruch der  Periode  des  ersten  Ensinger  zuschreibt.  Und  wenn  man  auch  den 
Steinmetzmarken  an  sich  wenig  Beweiskraft  beilegen  wird,  so  darf  man  aoch 
wenigstens  ihr  gruppenweises  Vorkommen  als  Hilfsmittel  zur  Datierung 
der  verschiedenen  Bauteile  beiziehen.  Sieht  man  sich  die  Zeichen  daraufhin 
an,  so  scheinen  sie  von  den  Vollendungsarbeiten  im  Chor  bis  in  das  erste 
Jahrzehnt  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  zu  führen,  nämlich  in  die  Zeit, 
da  man  bereits  am  Westturm  baute,  die  Arkadenpfeiler  aufführte,  am  nörd- 
lichen Chorturm  schon  die  Höhe  der  Galerie  erreicht  war  und  am  sogenannten 
Othmarspfeiler  gearbeitet  wurde,  der  gleichzeitig  mit  den  prächtigen  Kon- 
solen der  Arkadenpfeiler,  d.  h.  zu  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  erstellt  ist. 
Daß  sich  Ulrich  von  Ensingen  im  Detail,  z.  B.  in  der  Wahl  der  Profile,  gelegent- 
lich an  vorhandene,  vom  Vorgänger  benutzte  Formen  hielt,  wissen  wir  von 
der  Eßlinger  Liebfrauenkirche  her.  So  könnte  er  auch  hier  ein  schon  von 
seinen  Vorgängern  benutztes  Profil  verwendet  haben.  Nach  diesem  Vorschlag 
würden  also  die  unbenutzten  Schildbogen  (in  der  Figur  Bogen  b)  schon  aus 
der  Zeit  stammen,  da  man  — vornehmlich  dem  riesigen  Westturme  zu- 
liebe — das  Hallensystem  aufgegeben  und  die  basilikale  Anlage  gewählt 
hatte;  sie  wären  für  die  von  Ulrich  von  Ensingen  geplanten  Seitenschiff- 
wölbungen  gedacht  gewesen*).  Seinen  Nachfolgern  aber  wäre  die  projek- 

*)  Seltsam  bleibt  auch  bei  dieser  Erklärung  der  Umstand,  daß  die  Rippen  an  den 
südlichen  Längswänden  beider  Seitenschiffe,  wie  aus  den  Resten  ihrer  Schlußsteine  zu  ersehen, 
im  Scheitel  erheblich  tiefer  lagen,  als  die  Schildbogen  gleichen  Profiles  an  den  beiden  öst- 
lichen Abschlußwänden  der  Nebenschiffe;  jedoch  auch  nicht  so,  daß  man  sie  etwa  mit 
der  Einwölbung  von  1452  in  Zusammenhang  bringen  könnte. 


Zur  Baugeschichte  des  Ulmer  Münsters. 


477 


tierte  Höhe  zu  kühn  erschienen,  sie  hätten  darum  im  weiteren  Aufbau 
keine  Rücksicht  darauf  genommen,  und  als  man  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts so  weit  war,  wirklich  an  die  Ausführung  der  Einwölbung  zu  gehen, 
da  wurde  sie  erheblich  tiefer  gelegt,  wie  jener  abgehauene,  durch  Jahreszahl 
und  Meisterzeichen  datierbare  Bogen  des  Matthäus  Ensinger  beweist. 


III. 

Der  Entwurf  des  jüngeren  Syrlin  für  den 
Münsterturm. 

Bekanntlich  sind  von  den  alten  Rissen  für  den  Westturm  des  Ulmer 
Münsters  verschiedene  teils  in  Original  teils  in  Kopie  erhalten.  Der  älteste 
wird  ziemlich  allgemein  auf  Ulrich  von  Ensingen  zurückgeführt;  ein  etwas 
jüngerer  Entwurf  darf  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  seinem  Sohne  Mat- 
thäus zugeschrieben  werden;  der  dritte  ist  durch  Meisterzeichen  und  Auf- 
schrift als  geistiges  Eigentum  des  Matth.  Böblinger  gesichert.  Über  das  Ver- 
hältnis dieser  Projekte  untereinander  soll  andernorts  berichtet  werden; 
hier  möge  uns  der  vierte  erhaltene  Entwurf,  der  in  der  Sammlung  vater- 
ländischer Altertümer  in  Stuttgart  aufbewahrt  wird,  etwas  beschäftigen. 
Er  gilt  als  ein  Konkurrenzprojekt,  das  Syrlin  d.  J.  gegen  den  Entwurf  Böb- 
lingers  ausgearbeitet  habe,  denn  er  trägt  ein  Meisterzeichen,  das  nach  ver- 
schiedenen älteren  Nachrichten  dem  jüngeren  Syrlin  zugehörte.  Zunächst 
will  es  uns  etwas  seltsam  erscheinen,  daß  ein  Bildhauer  und  Kunstschreiner 
sich,  wenigstens  auf  dem  Pergament,  als  Turmbaumeister  produziert.  Ver- 
setzen wir  uns  aber  in  den  von  architektonischen  Motiven  und  Ideen  ganz 
durchdrungenen  kunstgewerblichen  Betrieb  der  Spätgotik,  erinnern  wir  uns, 
daß  man  damals  kein  Bedenken  trug,  den  Entwurf  für  ein  gewaltiges  Stein - 
tabernakel  bei  einem  Goldschmied,  Visierungen  für  plastische  Arbeiten  bei 
Malern  zu  bestellen,  so  kann  man  nicht  von  der  Hand  weisen,  daß  ein  künst- 
lerischer Großunternehmer  wie  Syrlin  d.  J.  auch  einmal  seine  Kunst  an 
einem  Turmriß  gewiesen  haben  soll.  Gibt  man  das  zu,  so  muß  man  den  Ver- 
such auch  ernst  nehmen.  Der  Plan  ist  nicht  ganz  31/-  m lang  und  exakt 
gezeichnet  und  dürfte  seinem  Urheber  nicht  wenig  Zeit  und  Mühe  gekostet 
haben;  es  ist  kaum  anzunehmen,  daß  er  lediglich  als  Zeichenübung  ent- 
standen sei.  Betrachten  wir  ihn  etwas  näher ! (Abbildung  bei  Paulus,  Die 
Kunst-  und  Altertumsdenkmale  des  Königreichs  Württemberg;  Textheft 
zum  Donaukreis.)  In  den  zwei  untersten  Geschossen,  der  Vorhalle  und 
dem  ersten  Vierecksstockwerk,  folgt  der  Plan  im  ganzen  der  Ausführung, 
die  um  1470  bis  zum  Ende  des  ersten  Vierecksgeschosses  gelangt  war.  In 
der  Wiedergabe  der  figürlichen  Ausschmückung  wahrt  er  sich,  hier  ver- 
mehrend, dort  vereinfachend,  eine  gewisse  Freiheit.  Die  Änderungen  be- 


478 


Hans  Kl aiber: 


ginnen  mit  dem  zweiten  Vierecksgeschoß.  Abgesehen  von  kleineren  Neuerun- 
gen gegenüber  den  andern  Plänen,  so  in  der  Horizontalteilung  der  Fenster,  in 
der  Gliederung  des  Mittelpfeilers,  ist  das  Wichtigste  die  Führung  der  Treppen- 
türme. Auf  Ulrichs  Plan  treten  die  das  erste  Achteck  begleitenden  Schnecken 
beim  Beginn  des  zweiten  Achtecks  an  den  Turmkern  zurück  und  nehmen 
so  durch  ihren  Rücksprung  an  der  Verjüngung  der  Gesamtsilhouette  teil. 
Dieses  Motiv  übernimmt  unser  Plan  und  verwendet  es  gar  zweimal,  indem 
er  die  Wendeltreppentürmchen  im  zweiten  Vierecksgeschoß,  dann  noch 
einmal  im  Achteck  zurückspringen  läßt.  Indem  er  sie  ohne  Absetzung  vom 
Viereck  ins  Achteck  weiterführt,  gewinnt  er  eine  treffliche  Verschleierung 
des  Überganges.  Demselben  Zweck  dient  die  Staffelung  und  Auflösung  der 
äußeren  Teile  in  Fialentürme  in  der  oberen  Hälfte  des  zweiten  Vierecks- 
geschosses, sodaß  der  plattformartige  Absatz,  auf  dem  nach  den  übrigen 
Plänen  das  Oktogon  mit  dem  Helm  aufruht,  hier  wegfällt.  Das  alles  geschieht 
freilich,  wie  man  sich  nicht  verhehlen  darf,  auf  Kosten  der  Mauerstärke  und 
Tragfähigkeit  der  unteren  Geschosse.  Die  Wendelstiege  muß  man  sich 
offenbar  nach  ihrer  Umsetzung  in  den  Kern  des  Vierecks  eingebaut  denken, 
da  sie  sich  sonst  am  Achteck  nicht  in  gleicher  Ebene  fortsetzen  könnte.  Das 
»Gebrüste«  des  Vierecks  ist  beim  Übergange  nicht  mehr  viel  breiter  als  am 
Achteck  und  enthält  noch  die  Schnecken;  ob  dabei  für  die  Übergangskon- 
struktion noch  die  nötige  Sicherheit  geboten  wird,  scheint  uns  zweifelhaft. 
Das  Achteck  ist  in  ein  Geschoß  zusammengezogen,  ebenso  wie  auf  dem  Plane 
von  Böblinger,  während  die  Ensinger  wie  in  Straßburg  zwei  Oktogongeschosse 
planten.  Die  Schnecken  enden  unterhalb  des  Achteckumganges,  sodaß  man 
diesen  erst  durch  Laufstege  erreichen  könnte.  Die  hohe  Lage  des  Umganges 
hängt  damit  zusammen,  daß  das  Achteck  über  den  Fenstern  noch  stark  in 
die  Höhe  gezogen  ist,  sodaß  der  Helm  einen  sehr  kurzen,  etwas  verkümmerten 
Eindruck  macht.  In  der  Organisation  ist  die  Pyramide  eine  leicht  modi- 
fizierte Nachbildung  von  Ensingers  Erfindung:  dieselben  drei  hohen  Felder, 
die  senkrechten  Fialen  an  den  Durchkreuzungspunkten  der  Rippen,  die 
Umgänge  am  Ende  des  dritten  Feldes  und  unter  der  Kreuzblume,  die  Laub- 
bossen  am  oberen  Verlauf  der  Längsgurten.  Nur  die  Füllung  der  Felder 
steht  wieder  dem  Plane  Böblingers  näher,  sofern  sie  in  der  Art  hoher,  luftiger 
Fenster  gedacht  ist. 

Das  Verhältnis  unseres  Planes  zu  denen  der  Ensinger  ist  leicht  zu  be- 
stimmen: er  setzt  die  Kenntnis  der  Ensingerschen  Risse  durchweg  voraus, 
arbeitet  mit  ihren  Motiven,  die  er  in  freier  Weise  verwertet,  vermehrt  und 
ornamental  bereichert.  Sein  künstlerisches  Hauptverdienst  liegt  in  der  all- 
mählichen, wohlvorbereiteten  Verjüngung  des  Umrisses  und  der  Verhehlung 
der  Übergänge,  wobei  freilich  der  erhobene  Einwand  bestehen  bleibt.  Daß 
der  Entwurf  aus  einer  Bildschnitzer-  und  Schreinerwerkstatt  hervorgegangen 


Zur  Baugeschichte  des  Ulmer  Münsters. 


479 


ist,  scheint  sehr  wohl  möglich.  Denn  wo  die  architektonischen  Vorlagen 
verlassen  sind,  tritt  eine  ausgesprochene  Neigung  zu  den  Kunststücken 
der  »Schreinergotik«  zutage.  Motive  wie  die  geflochtenen  Schäfte  im  Stab- 
werk  des  Oktogons,  die  schrägen  Brücken  von  den  Wendelstiegen  zum 
Kranze,  die  balancierende  Stützfigur  am  Mittelpfeiler  des  zweiten  Vierecks  - 
geschosses,  das  Maßwerk  an  der  Horizontalteilung  des  Achtecks  fallen  ent- 
schieden aus  dem  tektonisch  gedachten  Formenkreise  der  übrigen  Pläne 
heraus  und  tragen  einen  kunstgewerblichen  Charakter.  Turmartige  Gebilde 
waren  ja  in  den  Bildhauer-  und  Bildschnitzerwerkstätten  für  Sakraments - 
häuser,  Kanzeldeckel  und  Baldachine  aller  Art  sehr  beliebt,  und  an  solchen 
Zierstüken  waren  wohl  Formen  und  Motive  zulässig,  die  sich  an  einem 
Riesenturm  in  hundert  Metern  Höhe  als  unpassende  Spielerei  und  kleinliche 
Künstelei  ausnehmen  würden.  Schwieriger  ist  die  Frage,  in  welchem  Ver- 
hältnis unser  Projekt  zu  Böblingers  Plan  steht.  In  der  Entwicklung  der  spät- 
gotischen Ornamentik  stehen  die  beiden  ungefähr  auf  gleicher  Stufe  und 
mögen  denn  auch  ziemlich  gleichzeitig,  etwa  zwischen  1470  und  1480  ent- 
standen sein.  Gegenüber  den  Ensingerschen  Plänen  haben  beide  das  einheit- 
liche Achteck  und  die  fensterartige  Füllung  in  den  durchbrochenen  Feldern 
der  Pyramide  gemein;  im  übrigen  schließt  sich  der  Syrlinsche  Plan  sichtlich 
an  die  der  Ensinger  an.  Man  kann  das  so  erklären,  daß  Syrlin  den  Böb- 
lingerschen  Plan  gekannt,  von  ihm  auch  die  zwei  genannten  Stücke  herüber- 
genommen, sonst  aber  bewußt  an  die  ältere  Tradition  der  Bauhütte  ange- 
knüpft habe.  Oder  aber,  und  diese  Deutung  will  uns  fast  mehr  Zusagen, 
kannte  Syrlin  nur  die  Risse  der  Ensinger  und  baute  auf  diesem  Grunde 
weiter;  und  aus  seinem  Plane  hätte  dann  Böblinger  die  beiden  glücklichen 
Neuerungen  übernommen.  Jedenfalls  liegt  der  Syrlinsche  Plan  nicht  auf 
der  geraden  Linie,  die  von  den  zwei  älteren  Rissen  zu  Böblinger  führt,  sondern 
etwas  abseits.  Auch  das  würde  dazu  stimmen,  daß  er  nicht  von  einem  der 
berufsmäßigen  Werkmeister  der  Hütte,  sondern  von  einem  Außenstehenden, 
der  freilich  die  Vorlagen  der  Bauhütte  genau  kannte,  gefertigt  ist.  Einen 
Mann  von  gutem  künstlerischem  Blick  darf  man  in  seinem  Schöpfer  jeden- 
falls sehen. 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 

Von  Fritz  Rupp. 

Als  der  Münchner  Kunsthistoriker  Karl  Voll  im  Jahre  1900  mit  einer 
kritischen  Studie x)  über  Jan  van  Eycks  Werke  herausgekommen  war,  wurde 
ihm  vielseitige  Anerkennung.  Allein  Bode  griff  ihn  im  Jahrbuch  der  Königl. 
Preuß.  Kunst-Sammlungen *  2),  anknüpfend  an  eine  neue  Berliner  Erwerbung 
(Jan  van  Eycks  Bildnis  eines  burgundischen  Kammerherrn),  an.  Zu  einer 
Einkehr  scheint  Bodes  polemische  Entgegnung  Voll,  wie  er  in  seiner,  sechs 
Jahre  darauf  erschienenen  »Altniederländischen  Malerei  von  Jan  van  Eyck 
bis  Memling«  zeigt,  nicht  veranlaßt  zu  haben.  Lediglich  die  Ausführungen  zu 
dem  Londoner  Bildnis  des  Mannes  mit  dem  Turban  unterzieht  der  Münchner 
Gelehrte  einer  kurzen  Modifikation.  Konnte  er  in  seiner  ersten  Schrift 
nichts  als  eine  starke  Übereinstimmung  in  dem  Kontur  mit  dem  Arnolfini- 
Bild  in  Berlin  wahrnehmen,  so  entgeht  ihm  nun  die  »auffallende  Familien- 
ähnlichkeit« 3)  mit  dem  Porträt  von  Eycks  Frau  nicht.  Auch  die  Annahme 
eines  verschollenen  Originals  taucht  auf.  Bodes  recht  zutreffende  Bemerkung 
über  das  gleiche  Spiel  der  Augen  in  dem  Bildnis  des  Mannes  mit  dem  Turban 
und  dem  der  Frau  van  Eycks  ließ  sich  doch  nicht  ganz  übergehen.  Zu  einer 
Umkehrung  seines  eingenommenen  Standpunktes  kam  Voll  aber  wie  gesagt 
nicht.  Nach  wie  vor  scheidet  für  ihn  der  kleine  Bilderkreis,  der  sich  an 
das  epochemachende  Porträt  des  Mannes  mit  dem  Turban  anschließt,  wie 
der  Jan  de  Leeuw  in  Wien  und  der  Mann  mit  den  Nelken  in  Berlin  aus 
dem  Oeuvre  des  Meisters  aus.  Die  für  alle  diese  Werke  angefochtene  Kreuzung 
von  Blick  und  Haltung  des  Kopfes  ist  ein  künstlerischer  Vorwurf,  der  erst 
mit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  eine  ausgebreitete  Anwendung  findet. 
Aber  er  kommt  auch  bei  Petrus  Christus,  Dierick  Bouts  und  dem  Meister 
der  Perle  von  Brabant  vor,  während  er  bei  Memling,  soweit  uns  dessen  Werk 
bekannt  ist,  fehlt.  Ein  Kriterium  zur  späteren  Datierung  strittiger  Werke 
van  Eycks  kann  darin  nicht  gefunden  werden.  Wieweit  nun  Voll  zur  Ab- 

J)  Karl  Voll,  Die  Werke  des  Jan  van  Eyck.  Straßburg  1900. 

2)  Jahrbuch  der  Königl.  Preuß.  Kunstsammlungen.  Bd.  22,  1901,  S.  115  ff. 

3)  Karl  Voll,  Die  altniederländische  Malerei  von  Jan  van  Eyck  bis  Memling. 
Leipzig  1906,  S.  43. 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


481 


spräche  einer  Reihe  von  Eyckschen  Meisterwerken  berechtigt  ist  oder  nicht, 
soll  der  Gang  dieser  Untersuchung  lehren. 

In  der  »National  Gallery«  zu  London  befindet  sich  das  Bildnis  eines 
alten  Mannes  mit  rotem  Turban.  Es  ist  datiert,  und  die  In- 
schrift trägt  das  für  Eyck  charakteristische  Motto  »als  ikh  kan«,  nicht  ge- 
schrieben »als  ihk  kan«,  wie  bei  Voll  wiederholt  zu  lesen  ist.  Die  Inschrift 
soll,  da  sie  nicht  kalligraphisch  genug  ist,  zu  Bedenken  Veranlassung  geben. 
Bode  hat  diesen  Einwurf  in  dem  erwähnten  Aufsatz  überzeugend  zurück - 
gewiesen.  Wie  verhält  es  sich  aber  mit  dem  Charakter  der  Inschrift?  Gleich- 
falls in  der  »National  Gallery«  befindet  sich  das  so  hoch  gepriesene  und 
glücklicherweise  auch  bezeichnete  Timotheos-Bild.  Prüfen  wir  doch  einmal 
etwas  eingehender  die  beiden  Inschriften  und  wir  erkennen,  auch  ohne 
beeidigter  Schreibsachverständiger  zu  sein,  daß  die  Übereinstimmung  der 
Schnörkel,  so  bescheiden  die  Verzierungen  bei  dem  Turbanträger  angewandt 
sind,  die  scharfe  Betonung  der  Kanten  und  die  in  den  schweren  Strichen 
ungleiche  doch  sichere  Pinselführung  keine  Spuren  einer  unterschiedlichen 
Hand  zeigen.  Doch  wir  haben  noch  zuverlässigere  Kriterien.  Die  ange- 
fochtene  Inschrift  weist  in  dem  Worte  »ALS«  hinter  dem  Buchstaben  L an 
Stelle  des  Kapitalen  S ein  eckiges,  der  griechischen  Schrift  entlehntes  Zeichen 
auf.  Das  darf  nicht  übersehen  werden,  kann  es  sich  doch  bei  Eyck  nur 
um  eine  unbewußte  Anwendung  handeln.  Das  gleiche  griechische  Zeichen 
findet  sich  auch  in  der  gotischen  Minuskel"- Inschrift  auf  dem  Verlöbnis- Bild 
des  Arnolfini  und  dem  Porträt  des  Timotheos  in  London.  Von  größerer 
Bedeutung  aber  für  die  angefochtene  Inschrift  ist  das  Vorkommen  in  dem 
Worte  »OKTOBRIS«.  Also  auch  hier  setzt  die  Gewohnheit  nicht  aus.  Oder 
sollte  ein  Fälscher  so  umsichtig  gewesen  sein,  den  seltsamen  Buchstaben 
im  Anschluß  an  einen  spezifisch  Eyckschen  und  nur  vereinzelt  auftretenden 
Gebrauch  in  der  Inschrift  zu  verwenden?  Wir  können  es  nicht  glauben, 
selbst  wenn  wir  es  mit  der  Kopie  eines  Bildes  des  Meisters  zu  tun  hätten. 
Und  welch  eine  eigentümliche  Form  hat  das  C in  dem  Worte  fecit!  Es 
nimmt  eine  Mittelstellung  ein.  Der  aufgestellte  Fälscher  müßte  also  scharf 
hingesehen  und  geradezu  eine  einzigartige  Übung  in  der  Nachahmung  von 
Inschriften  gehabt  haben.  Erwähnen  wir  noch  für  die  Porträts  des  Turban- 
trägers und  des  Timotheos  die  Übereinstimmung  des  an  die  alte  Unzial- 
schrift  sich  stark  anlehnenden  E — es  fehlt  für  den  schmucklosen  Buch- 
staben der  für  das  Gotische  so  charakteristische  vertikale  Teilungsstrich  — 
so  genügt  nach  unserer  Überzeugung  diese  Beweisführung,  um  die  Annahme 
einer  unechten  oder  verdächtigen  Inschrift  in  das  Reich  der  unbegründeten 
Hypothesen  zu  verweisen.  Wie  eine  Fälschung  oder  Korrektur  Eyckscher 
Inschriften  aussieht,  kann  man  an  dem  Christusbilde  »Rex  Regum«  in 
dem  Kaiser-Friedrich-Museum  zu  Berlin  entnehmen.  Wir  halten  die  drei 


482 


Fritz  Rupp: 


Worte  »ALS  IKH  KAN«  für  unecht  oder  doch  leichtfertig  ergänzt,  ohne 
uns  heute  über  das  Bild  selbst,  da  wir  nicht  alle  Wiederholungen  gegenwärtig 
haben,  zu  entscheiden.  Es  hätte  Voli,  der  unseres  Erachtens  eine  sehr  richtige 
Deutung  der  gefälschten  Buchstaben  gibt,  nicht  entgehen  dürfen,  wie  groß 
trotz  der  Entstellung  die  Ähnlichkeit  mit  der  gleichen  Inschrift  auf  dem 
Londoner  Bilde  des  Turbanträgers  oder  der  Brunnenmadonna  zu  Antwerpen 
ist.  Wo  hier  die  Fälschung  oder  schlimme  Verbesserung  und  wo  die  Original  - 
inschrift  ist,  ergibt  sich  auch  bei  flüchtigster  Betrachtung  auf  den  ersten 
Blick. 

In  der  Gesamtauffassung  des  Porträts  macht  sich  eine  ausgesprochene 
Hinneigung  zu  plastischer  Darstellung  geltend.  Das  hat  man  schon  früh 
beobachtet.  Licht  und  Schatten  sind  die  neuen  Mittel,  womit  der  Künstler 
arbeitet.  Es  ist  die  Sprache  des  Spätgotikers,  Zeitstil  im  vollsten  Sinne 
und  doch  seinem  innersten  Wesen  nach  so  grundverschieden  von  den  Werken 
der  Zeitgenossen  und  nachfolgenden  Generationen.  An  die  Meister  des 
Barocks  mahnt  die  große  Kunst  Jan  van  Eycks.  Wie  dort  ein  plastischer 
und  ein  malerischer  Stil  nebeneinander  hergehen  und  der  Form  und  Kon- 
zeption fortgesetzt  neue  Nahrung  zuführen,  so  kreuzen  sich  die  gleichen 
Einflüsse  zur  Blütezeit  der  gotischen  Kunst.  Nicht  ohne  innere  Gründe 
zieht  der  Altarschmuck  jener  Zeit  die  Plastik  so  ausgiebig  heran.  Davon 
blieb  auch  die  reine  Tafelmalerei  nicht  unberührt.  Die  exponierte  Stellung 
der  Plastik  im  Gotteshause  war  vorbildlich.  Eyck  ist  noch  einmal  auf  das 
Problem  scharfer  Lichtverteilung  im  Porträt  zurückgekommen,  in  dem 
Vermählungsbilde  des  Arnolfini  zu  London  aus  dem  folgenden  Jahre. 

Wiederholt  ist  auf  die  prächtige  Modellierung  der  rechten  Gesichts  - 
hälfte  des  Turbanträgers  hingewiesen  worden.  Die  technische  Sicherheit, 
mit  der  es  dem  Künstler  gelungen  ist,  den  Kontur  mit  hellen  und  dunklen 
Tönen  zu  fixieren,  wird  von  Kennern  der  altniederländischen  Malerei  immer 
bewundert  werden.  Der  Eindruck  des  organischen  Ineinandergreifens  aller 
Einzelheiten  nimmt  den  Beobachter  gefangen,  und  man  wird  sich  bewußt, 
wie  der  ausübende  Meister  immer  die  ganze  Persönlichkeit  sinnlich  gegen- 
wärtig hatte.  Nicht  das  Auge  allein  ist  es,  was  das  Porträt  so  anziehend 
macht.  Wie  es  aus  dem  Antlitz  mit  der  schlanken  und  doch  kräftigen  Nase, 
dem  leise  eingekniffenen  Mund  schaut,  das  läßt  die  innere  Zusammengehörig- 
keit so  klar  erkennen.  Hierin  liegt  auch  das  eminent  Charakteristische 
dieses  Porträts  und  nicht  in  der  sorgfältigen  Herausholung  der  geheimsten 
Hautfältchen.  Aus  den  Ohren,  die  Eyck  wie  alle  Details  des  Kopfes  stets 
mit  größter  Sorgfalt  behandelt,  können  wir  nicht  auf  seine  Hand  schließen; 
sie  sind  von  dem  Turban  bedeckt.  Die  Behauptung,  daß  dieser  Umstand 
gegen  die  Autorschaft  des  Meisters  spreche,  muß  ernstlich  zurückgewiesen 
werden.  Ganz  abgesehen  davon,  daß  eine  solche  Annahme  dem  Künstler  eine 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


483 


gewisse  Unfreiheit  seinem  Objekte  gegenüber  insinuieren  heißt,  trifft  sie  über- 
haupt für  das  ganze  Oeuvre  Eycks  nicht  zu.  Schon  auf  dem  Genfer  Altar 
bedeckt  die  Rise  in  dem  Bild  der  Stifterin,  der  Isabella  Vydt  die  Ohren,  und 
auf  dem  Vermählungsbilde  des  Arnolfini  treten  diese  als  charakteristisches 
Merkmal  völlig  in  den  Hintergrund.  Dagegen  läßt  die  Ausführung  der  Nasen- 
flügel auf  die  Hand  des  Meisters  schließen.  Kein  Maler  des  15.  und  16.  Jahr- 
hunderts, auch  Memling  nicht,  der  hierin  Eyck  noch  am  nächsten  kommt,  pflegt 
ihre  Darstellung  mit  gleicher  Sorgfalt.  Offenbar  reizten  den  Künstler  die 
schweren  Schatten  der  Nasenhöhlen  in  ihrem  Kontrast  zu  den  lichten  Fleisch - 
tönen,  und  man  darf  sagen  — der  Meister  übertreibt.  Das  Urteil  gilt  ebenso 
von  der  andern  Gruppe  von  Bildnissen  wie  des  Kanonikus  van  der  Paele,  des 
Kardinals  della  Croce  usf.,  ja  für  die  Darstellung  des  Menschen,  in  welchem 
Werke  Eycks  sie  auch  immer  anzutreffen  ist,  überhaupt.  Nicht  weniger  be- 
denklich als  die  Kritik  der  Ohren  ist  es,  von  dem  bewegten  Faltenwurf  des 
Turbans  auf  die  Hand  eines  fremden  Künstlers  zu  schließen.  Wem  die 
französisch -burgundische  Mode  jener  Zeit  auch  nur  flüchtig  bekannt  ist,  wird 
an  dem  Gefältel  des  Turbans  keinen  Anstoß  nehmen.  Wie  geschaffen  schien 
die  Gugel,  als  eine  eigenartige  Kopfbedeckung  bei  lästiger  Hitze  getragen  zu 
werden.  Man  wird  nicht  behaupten  können,  daß  der  Mann  mit  dem  Turban 
durch  Formlosigkeit,  die  dem  Künstler  ein  Recht  zum  Widerspruch  gegeben 
hätte,  verletzt.  Man  kann  ganz  andere  Gebilde  der  damals  herrschenden 
Geschmacklosigkeit  antreffen,  und  ist  es  nicht  überhaupt  fraglich,  ob  der 
Besteller  sich  in  so  wichtigen  Dingen  Vorschriften  machen  ließ?  Und  wich- 
tiger als  zu  irgendeiner  Zeit  erschien  dem  damaligen  Geschlecjit  die  Frage 
der  Mode.  Doch  der  alte  Herr  in  unserem  Bilde  macht  den  Eindruck,  als 
sei  er  über  die  Schwäche  jugendlicher  Eitelkeit  hinaus.  Wir  halten  den 
Hinweis  auf  den  Genfer  Altar  an  dieser  Stelle  nicht  für  besonders  glücklich. 

Ob  der  Farbenton  des  Porträts,  wie  Voll  urteilt,  kühl  ist,  wollen  wir 
nicht  allein  entscheiden.  Kaemmerer  findet  den  Fleischton  »warmrötlich«  4), 
und  wir  stimmen  ihm  aus  voller  Überzeugung  bei.  Angesichts  eines  solchen 
Widerspruches  müßte  man  bezweifeln,  ob  es  überhaupt  angängig  ist,  von 
kühlen  und  warmen  Tönen  zu  sprechen.  Wir  glauben  doch  und  halten  die 
Lösung  der  Schwierigkeiten  überall  da  für  möglich,  wo  man  imstande  ist, 
in  eine  reinliche  Scheidung  von  physischen  und  seelischen  Eindrücken  ein- 
treten  zu  können. 

Neben  den  Vorzügen  besitzt  das  Bildnis  auch  die  Nachteile  Eyckscher 
Kunst.  Die  Linie  der  Augenbrauen  verläuft  in  einer  stark  gerundeten  unge- 
brochenen Kurve,  die  sich  über  das  Nasenbein  hin  fortsetzt  und  keine  sichere 
Hand  in  der  Scheidung  so  wichtiger  Gesichtspartien  verrät.  Mit  nicht  gerin- 

4)  Ludwig  Kaemmerer,  Hubert  und  Jan  van  Eyck.  Bielefeld  und  Leipzig  1898, 


S.  62. 


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Fritz  Ru  pp: 


gerer  Schärfe  trifft  der  gleiche  Tadel  das  so  laut  gepriesene  Porträt  des 
Timotheos  in  London;  auf  dem  Bilde  des  Mannes  mit  den  Nelken  in  Berlin 
muß  er  wieder  ein  Kriterium  für  die  Unechtheit  des  Werkes  abgeben.  Alles 
in  allem  bleiben  wir  bei  der  Behauptung,  daß  das  Porträt  des  Mannes  mit 
dem  Turban  von  dem  Meister  herrührt  und  eine  Leistung  von  historischer 
Bedeutung  ist.  Wir  würden  keinen  Anstand  nehmen,  das  Werk,  wenn  es 
unbezeichnet  .wäre,  dem  Jan  van  Eyck  zuzuschreiben.  Ein  unbekannter 
Meister  kommt  unseres  Erachtens  nicht  in  Frage.  Die  Zeit  war  an  wirklich 
starken  Talenten  arm,  und  an  dem  Hofe  der  verschwenderischen  Herzoge 
von  Burgund  blüte  auch  der  Weizen  unbedeutender  Künstler.  Der  Schöpfer 
des  besprochenen  Werkes  brauchte  zu  einer  Fälschung  nicht  zu  greifen, 
dazu  steht  die  Qualität  des  Bildes  zu  hoch. 

In  dem  Kaiser-Friedrich-Museum  zu  Berlin  hängt  das  Porträt  des 
Mannes  mit  den  Nelken.  Das  Bildnis  ist  bekannt  und  mit  Recht 
berühmt.  Mit  unvergleichlicher  Sicherheit  ist  es  dem  Künstler  gelungen, 
in  dem  greisen  Kopf  den  letzten  Rest  von  Ausdrucksfähigkeit  zu  vermitteln. 
Wässerige  Augen  schauen  uns  prüfend,  aber  nicht  »krankhaft  angespannt 
und  blöde«  5)  an.  Der  aufmerksame  Blick  steht  in  innerstem  Zusammenhang 
mit  der  emporgehobenen  linken  Hand,  die  uns  absolut  nicht  so  überflüssig 
vorkommt.  Mit  plumper  Beweglichkeit  sucht  sich  der  alte  Herr  zu  enga- 
gieren, und  die  Meisterschaft,  womit  Eyck  dem  unerfreulichen  Modell  gegen- 
über seine  Aufgabe  gelöst,  hat  die  Bewunderung,  die  dem  Werke  seither 
zuteil  wurde,  wohl  verdient. 

Die  Ähnlichkeiten  in  der  Ausführung  mit  dem  Bilde  des  Kardinals 
della  Croce  sind,  wie  Voll  sehr  richtig  bemerkt,  »so  schlagend,  daß  für  die 
allgemeine  Bezeichnung  zunächst  nur  der  Name  Eyck  übrig  bleibt«.  In 
dieser  Überzeugung  werden  wir  nach  Prüfung  der  Einwände,  die  zu  einem 
andern  Resultate  führen  sollen,  noch  lebhaft  bestärkt:  Die  Aufgabe  des 

Künstlers  war:  einen  alten  Herrn  naturgetreu  nachzubilden.  Mehr  zu 
sagen  ist  uns  nicht  erlaubt,  und  die  Behauptung,  daß  der  Porträtierte  eckige, 
harte  Züge  gehabt  habe,  ist  das  genaue  Gegenteil  von.  dem,  was  jeder  ein- 
sichtsvolle Beobachter  aus  dem  Bilde  herausliest.  Wenn  ein  bündiger  Schluß 
erlaubt  ist,  so  deuten  die  fleischigen  Faltenmassen,  die  hohen  Augenbogen 
und  die  zurücktretenden  Backenknochen  auf  runde  Züge.  Vollkommen 
ist  das  Porträt  des  Mannes  mit  den  Nelken  ebensowenig  wie  die  übrigen 
Kunstwerke  des  Meisters,  und  wir  sehen  die  berüchtigte  »nervlose,  runde 
Linie«  auf  sämtlichen  Bildnissen,  nicht  zum  letzten  auf  dem  ganz  unbegreif- 
lich überschätzten  Porträt  des  Timotheos.  Wie  dem  auch  sei,  jedenfalls 


5)  Ohne  besondere  Angabe  beziehen  sich  die  folgenden  Belegstellen  immer  auf 
Volls  Studie  über  Jan  van  Eyck. 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


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können  wir  uns  über  die  Eyckschen  Schwächen  hinweg  das  Modell  zu  dem 
Manne  mit  den  Nelken  sehr  gut  denken.  Wir  finden  in  dem  angestrengt 
prüfenden  Blick,  der  uns  bei  anhaltender  Betrachtung  in  leichte  Unruhe 
versetzt,  ein  vorzügliches  Kennzeichen  jener  Kunst,  die  allein  der  Persön- 
lichkeit ohne  Rücksicht  auf  den  Beifall  nachgeht.  Der  alte  Herr  ist  mit 
einer  Sicherheit  getroffen,  die  des  Elindruckes  nicht  verfehlt.  Man  beachte 
nur  einmal  die  staunenswerte  Behandlung  der  Details,  wie  mühelos  alles 
ineinandergeht  und,  von  innerlichem  Leben  erfüllt,  dem  Werke  zu  seiner 
bleibenden  Wirkung  verhilft.  Noch  treten  die  Knochen  nicht  mit  voller 
Schärfe  hervor;  fleischige  Hautfalten,  die  Überreste  längst  entschwundener 
Körperfülle  verhüllen  in  leichter  Rundung  das  starke  Gefüge.  So  sind  in 
der  Linienführung  des  Konturs  weniger  scharfe  Ecken  unausbleiblich.  Die 
nur  schwache  Wölbung  des  Schläfenbeines,  die  schweren  Augenlider  und 
Tränensäcke,  alles  mit  großer  Sicherheit  hingeworfen,  lassen  die  Augen- 
höhlen flach  erscheinen,  und  das  kräftige  zahnlose  Gebiß,  dessen  der  alte 
Herr  sich  rühmen  darf,  bildet  mit  den  Muskeln  im  Winkel  des  gewiß  nicht 
kleinen  Mundes  einen  fleischigen  Wulst,  der  energisch  Wange  und  Kinn 
scheidet.  Was  einer  so  einfachen  Erscheinung  gegenüber  das  Fehlen  einer 
»Betonung  der  Knochen«  und  die  Hervorhebung  von  »unbeholfenen  kon- 
vexen Zügen«  heißen  soll,  ist  unklar.  Das  Bild  hat  unser  medizinisches 
Interesse  immer  in  hervorragender  Weise  erregt.  Es  wäre  ein  fruchtloses 
Bemühen,  in  der  altniederländischen  Malerei  ein  Werk  zu  suchen,  das  mit 
gleichem  anatomischen  Verständnis  die  Struktur  eines  Schläfenbeines  oder 
die  unter  der  Cutis  lagernden  Fettreste  des  Unterhautzellgewebes  erkennen 
ließe.  Wir  glauben,  daß  Eyck  die  Grenze  des  Erreichbaren  gestreift  hat. 
Eine  meisterhafte  Sicherheit  in  der  Verteilung  von  Licht  und  Schatten 
verrät  sich  auch  auf  der  linken  Gesichtshälfte  des  Dargestellten.  Hier  bot 
die  Wechselwirkung  eines  faltenreichen  Gesichtes  und  der  scharf  überzogenen 
Knochen  dem  Künstler  nicht  gewöhnliche  Schwierigkeiten;  Eyck  hat  sie 
scheinbar  spielend  überwunden.  Kein  noch  so  schüchterner  Übergang  zur 
Stilisierung  verdirbt  uns  die  reine  E'reude  an  der  Arbeit.  Der  Mann  mit 
den  Nelken  hat  sich  unter  der  Hand  des  Meisters  nicht  verschönert  und 
verdankt  seinen  Ruhm  der  naturalistischen  Treue,  die  vor  nichts  zurück- 
schreckte. Was  nun  di&  Starrheit,  den  gerügten  Hauptfehler  des  Bildes, 
anbetrifft,  so  rühren  wir  hiermit  an  eine  Stileigentümlichkeit,  die  ein  untrüg- 
liches Merkmal  des  Naturalismus  in  der  spätgotischen  Kunst  überhaupt  ist. 
Hier  war  die  Aufgabe  nur  insofern  erschwert,  als  der  alte  Herr  zu  einer 
outrierten  Darstellung  geradezu  verführte.  Die  Eyckschen  Porträts  machen 
fast  ausnahmslos  den  Eindruck,  als  wären  sie  aus  einer  Handlung  heraus- 
geschnitten. Dem  Beobachter  wird  es  immer  leicht  werden,  sich  in  innere 
Beziehung  zu  dem  Bildnis  zu  setzen.  Einen  Mangel  an  Beherrschung  der 


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Fritz  Rupp: 


Form  können  wir  hierin  nicht  erblicken.  Das  Befremdende  liegt  vielmehr 
in  einer  gewissen  Unfreiheit,  die  auch  ein  so  großer  Künstler  wie  Eyck  nicht 
ganz  überwand.  Am  unabhängigsten  erscheint  uns  der  Meister  in  dem 
Porträt  des  Kardinals  della  Croce.  Es  könnte  seiner  inneren  Auffassung 
nach  einer  späteren  Zeit  angehören,  ein  Gedanke,  den  wir  aber  aus  jedem 
andern  Grunde  weit  von  uns  weisen.  Ernst  zu  nehmen  sind  die  Ausstände 
an  den  Händen,  Mängel,  die  unschwer  zu  bemerken  sind.  Der  Daumen 
der  linken  Hand  ist  gründlich  verzeichnet;  die  Ausführung  einiger  Finger 
darf  geradezu  als  gelenklos  verurteilt  werden,  so  insbesondere  des  Mittel- 
fingers der  rechten  Hand.  Doch  kommen  Inkorrektheiten  auch  in  andern 
und  beglaubigten  Werken  von  Eyck  vor.  Man  beachte  nur  die  Mittelglieder 
der  Finger  an  der  linken  Hand  des  Kanonikus  van  der  Paele  auf  dem  Bilde 
zu  Brügge,  die  dünnen  Finger  an  der  rechten  Hand  des  Engels  der  Ver- 
kündigung in  St.  Petersburg,  vor  allem  die  abstoßende  Häßlichkeit  des 
langen  Daumens,  der  gleiche  Übelstand  auf  dem  Vermählungsbild  des 
Arnolfini,  nicht  ganz  so  abschreckend  auf  den  Außenflügeln  des  Genter 
und  des  Dresdener  Altars.  Man  sieht,  die  langen  Daumen  sind  charak- 
teristisch für  den  Meister.  Auch  auf  dem  Bildnis  des  de  Leeuw  in  Wien, 
das  freilich  nicht  echt  sein  soll,  sind  die  Glieder  der  Finger  gelenklos  und 
in  den  Proportionen  falsch.  Die  gerügten  Mängel  fallen  bei  der  Frage  nach 
der  Echtheit  des  Berliner  Bildnisses  nicht  bestimmend  in  die  Wagschale. 
Derartige  Ausstände  lassen  sich  auch,  um  einen  alten  Meister  von  unbe- 
zweifeltem  Ruf  zu  nennen,  bei  Matthias  Grünewald  machen,  so  z.  B.  an 
den  Grisaille- Bildern  der  beiden  Heiligen  Lorenz  und  Cyriacus  im  Städtischen 
Historischen  Museum  zu  Frankfurt  a.  M.  »Und  wie  viel  unproportionierte 
Gliedmaßen  finden  wir  bei  Rubens,  welche  Verzeichnungen  bei  Hans  von 
Maries!  Nicht  immer  liegen  die  Dinge  so  einfach  wie  bei  dem  gewissenhaften 
Dürer  und  seinem  innigen  Streben  nach  Wahrheit  in  der  Zeichnung.  Eyck 
war  vor  allem  andern  Kolorist.  Einem  solchen  Künstler  kommt  man  mit 
kritischen  Tüfteleien  nicht  näher. 

Zu  allen  Zeiten  wurde  die  Durchbildung  des  weit  abstehenden  linken 
Ohres  hervorgehoben.  Können  wir  auch,  rein  malerisch  betrachtet,  nicht 
ganz  in  das  Lob  einstimmen,  so  sehen  wir  doch  nicht  ein,  daß  das  Ohr  so 
etwas  wie  »flach  gestrichen«  erscheint.  Ohne  diesen  Umstand,  der  bei  dem 
eminent  plastisch  durchgebildeten  Organ  unseres  Erachtens  noch  nicht  einmal 
scharf  genug  hervorgehoben  ist,  würde  man  nicht  der  Illusion  eines  ab- 
stehenden Ohres  verfallen,  noch  könnte  das  andere  über  die  Wange  hervor- 
ragen. Wir  finden  vielmehr,  daß  das  linke  Ohr  ungleich  besser  eingesetzt 
ist  als  auf  dem  Bilde  des  Timotheos  in  London.  Fiele  hier  nicht  die  grüne 
Sendelbinde  zum  Teil  verhüllend  herab,  so  würde  der  unorganische  Zu- 
sammenhang mit  der  Gesichtshälfte  noch  schärfer  auffallen,  als  dies  ohnehin 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


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schon  der  Fall  ist.  - — Nicht  immer  gelingt  es  aber  dem  Meister,  die  Per- 
spektive der  Augen  der  Haltung  des  Kopfes  richtig  anzupassen.  Auf  dem 
Porträt  des  Mannes  mit  den  Nelken  und  dem  des  Londoner  Turbanträgers 
ist  die  Verkürzung  an  den  Augen  ungewöhnlich  scharf  herausgekommen; 
der  .Timotheos  in  London  und  Jan  de  Leeuw  in  Wien  lassen  von  diesem 
Fehler  nichts  erkennen.  So  mischen  sich  in  anerkannten  und  bezweifelten 
Werken  Mängel  und  Vorzüge  untereinander. 

Das  Kolorit  des  Mannes  mit  den  Nelken  ist  greisenhaft  oder,  wie 
Voll  will,  auch  kühl.  Das  ist  bei  dem  alten  Herrn  kein  Werturteil  für  die 
Farbengebung  selbst.  Man  muß  vor  den  Werken  eines  Künstlers  wie  Eyck 
sehr  vorsichtig  mit  solchen  Begriffen  sein.  Auch  darf  der  Porträtierte  mit 
dem  Kardinal  della  Croce  trotz  mancher  äußeren  Übereinstimmung  nicht 
in  einem  Atem  genannt  werden.  Der  Unterschied  ist  mit  Händen  zu  greifen 
und  spricht  sich  in  Konzeption  und  Farbe  unverkennbar  aus.  Schlaue 
Äuglein  leuchten  aus  dem  Antlitz  des  Kardinals,  und  die  frische  Farbe  des 
rundlichen  Gesichtes  läßt  vermuten,  daß  die  Askese  nicht  nach  dem  Ge- 
schmack des  Italieners  war.  Wie  ganz  anders  tritt  uns  der  Mann  mit  den 
Nelken  entgegen.  Tiefe  Furchen  haben  die  Züge  des  Greises  verhärtet,  und 
die  dumpfe  Luft  trüber  Geschäftsräume  hat  schon  lange  das  letzte  Rot 
auf  den  Wangen  erstickt.  Und  doch  ist  noch  Leben  in  dem  alten  Manne, 
wenn  auch  nicht  blühend  und  warm.  Die  übertriebene  Bezeichnung  des 
Kolorits  als  »kalt«  ist  schon  darum  nicht  richtig,  weil  die  charakteristischen 
blauen  Töne  fehlen,  und  »unrein«  ist  die  Farbengebung  ebensowenig.  Dazu 
ist  alles  zu  konsequent  und  klar  durchgeführt.  Wir  hätten  mehr  Verständnis 
für  einen  Vorwurf  gehabt,  der  das  Gegenteil  besagt.  Noch  bedenklicher 
sind  die  Epitheta  »hart  und  gefühllos«.  Wir  meinen  nicht  die  Ausdrucks- 
weise selbst  und  erkennen  gern  ihre  Berechtigung  als  Bezeichnung  eines 
Empfindungsvorganges  analog  den  Tönen  in  der  Musik  an.  Wir  glauben 
nur,  daß  man  unter  dem  Eindruck,  den  der  alte  Herr  auf  uns  macht,  den 
Blick  für  die  rein  malerische  Beurteilung  verloren  hat.  Härte  und  Gefühl- 
losigkeit scheinen  Charaktereigenschaften  des  Dargestellten  gewesen  zu 
sein.  Ganz  unverständlich  ist  es  uns,  wie  man  das  Kolorit  der  Kirchen - 
madonna  neben  das  des  Mannes  mit  den  Nelken  halten  kann.  Eine  solche 
Betrachtungsweise  ist  keine  Methode  mehr  und  trägt  dazu  bei,  die  Schwierig- 
keiten beharrlich  zu  vermehren.  In  einem  bewußten  Gegensatz  zu  Voll  stehen 
wir  mit  unserer  Meinung,  Eycks  Bemühung,  die  erschlaffende  Tätigkeit 
der  Arterien  unter  der  Epidermis  durch  eine  diskrcL  Abtönung  wieder- 
zugeben, fordere  geradezu  den  Vergleich  mit  der  Kunst  eines  Denner  heraus. 
Einen  üblen  Beigeschmack  des  Paradoxen,  wie  man  dem  Turbanträger 
gegenüber  will,  hat  diese  Erinnerung  nicht,  im  Gegenteil,  wir  lassen  uns 
gerne  darüber  belehren,  wo  die  Grenze  zwischen  der  virtuosen  Technik 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


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Fritz  Rupp: 


des  Hamburgers  und  dem  Streben  des  Niederländers  nach  Naturwahrheit 
zu  ziehen  ist.  Eyck  hat  nicht  nur  in  der  Technik,  sondern  auch  in  der  Kom- 
position die  Vergangenheit  überwunden,  und  eine  nachfolgende  Generation 
schon  hat  es  verstanden,  das  Neuerworbene  als  festen  Besitz  zu  erweitern. 
Im  Louvre  befindet  sich  das  Bildnis  eines  Mannes  mit  einem  Weinglas, 
früher  im  Besitz  des  Grafen  Wilczek,  ein  Werk,  das  entgegen  manchen  äußeren 
Vorzügen  an  innerem  Leben  weit  seinem  Vorbilde,  dem  Manne  mit  den  Nelken, 
nachsteht.  Man  unterlasse  nicht,  das  Bildnis  einer  sorgfältigen  Beobachtung 
zu  unterziehen.  Alsdann  wird  man  erkennen,  wie  unrecht  Voll  hat,  alle 
angefochtenen  Werke  einfach  einer  späteren  Zeit  zuzuweisen. 

Einer  scharfen  und  vernichtenden  Kritik  unterliegt  auch  das  Bildnis 
des  JandeLeeuwim  Wiener  Hofmuseum.  Es  hängt  in  unmittelbarer 
Nachbarschaft  des  Kardinals  della  Croce,  und  das  ist  gut.  Das  Porträt 
des  hohen  geistlichen  Herrn  soll  alle  Züge  der  Eyckschen  Urheberschaft 
tragen,  und  man  wagt  nicht,  die  Echtheit  anzuzweifeln.  Dagegen  findet  man 
bei  dem  Jan  de  Leeuw  das  Ohr  »unnatürlich  hoch«  am  Kopfe  und  »flau 
und  flüchtig«  behandelt.  Diese  Art  der  Kritik  ist  neu.  Was  hat  die  mehr 
oder  weniger  normale  Lage  eines  Organs  mit  der  Frage  nach  der  Echtheit 
eines  Bildes  zu  tun?  Man  kennt  ja  die  Porträts,  den  Louis  de  Gongora 
im  Prado  und  den  Papst  Innozenz  X.  im  Palazzo  Doria  zu  Rom,  beide 
von  Velasquez,  oder  im  Wiener  Hofmuseum  den  Filippo  Strozzi  und  den 
Kurfürsten  Johann  Friedrich  von  Sachsen  von  Tizian,  Beispiele,  die  sich 
ohne  Schwierigkeit  vermehren  ließen.  Sie  mögen  genügen,  zu  beweisen, 
wie  die  Lage  des  Ohres  ein  Kriterium  zur  Bestimmung  des  Künstlers  nicht 
sein  kann,  noch  sein  darf.  Eyck  hat  keine  Idealbildnisse  gemalt. 

Die  Technik  des  Farbenauftrages  ist  in  beiden  Meisterwerken  des 
Wiener  Hofmuseums,  soweit  die  Übermalungen  ein  Urteil  gestatten,  die 
gleiche  vertriebene  Art.  Was  mit  der  »flachen«  Behandlung  des  Mundes 
auf  einem  Porträt  gemeint  ist,  das  in  der  Wirkung  »wohl  von  jeher  auf 
einen  uneyckischen  Gegensatz  von  hell  oder  dunkel  gestellt  ist«,  will  uns 
wenig  verständlich  erscheinen.  So  »uneyckisch«  ist  dieser  Gegensatz,  wie 
wir  oben  gezeigt  haben,  nun  einmal  ganz  und  gar  nicht.  Warum  sollten 
dem  Spätgotiker  Licht  und  Schatten  gleichgültige  Dinge  sein?  Die  Be- 
leuchtung des  Ohres,  das  etwas  unvermittelt  aus  der  Wange  hervortritt, 
die  scharf  umränderten  dunklen  Nasenflügel,  die  von  dem  mächtigen  Augen - 
bogen  an  dem  breiten  Nasenrücken  herabgleitenden  unbelichteten  Partien, 
das  alles  findet  sich  auch  auf  andern  Werken  des  Meisters,  ebenso  ist  uns 
das  Inkarnat  von  der  Paele-Madonna  in  Brügge  und  dem  Arnolfini -Porträt 
in  Berlin  her  nicht  fremd.  Wie  auch  immer  wir  das  Porträt  des  Jan  de 
Leeuw  prüfend  betrachten,  sei  es  auf  die  vertriebene  Technik,  sei  es  auf 
die  Vorliebe  für  warme  Farbentöne  oder  auf  die  eindrucksvolle  Konzeption 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


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hin  und  mit  beglaubigten  und  unbezweifelten  Werken  Eycks  vergleichen, 
wir  kommen  stets  zu  dem  gleichen  Ergebnis:  greifbare  Unterschiede,  um 
das  Bildnis  dem  Meister  abzusprechen,  lassen  sich  nicht  auffinden.  Wir 
haben  das  Werk  auch  auf  die  Übermalung  hin  untersucht  und  stimmen 
mit  Voll  darin,  daß  ihnen  ein  bedeutender  Umfang  zugesprochen  werden 
muß,  nicht  überein.  Eine  Restauration  des  Bildes  wird  überhaupt  kaum 
ratsam  sein.  Die  Übermalung  zeigt  nicht  die  tupfende  Manier  eines  berüch- 
tigten Korrektors,  und  wir  ziehen  das  Bild  in  seinem  jetzigen  Zustand  der  völ- 
ligen Verderbnis,  der  es  bei  einer  forcierten  Wiederherstellung  vielleicht 
ausgesetzt  ist,  vor.  Herr  Hofrat  Schaeffer,  der  Direktor  der  Gallerie,  ver- 
sichert, daß  seit  dem  Jahre  1881  bestimmt  nichts  an  dem  Werke  geschehen 
sei,  und  glaubt  daher,  daß  die  Übermalungen  wahrscheinlich  mehr  als  50  Jahre 
alt  seien.  Protokolle,  die  uns  einen  Aufschluß  geben  könnten,  sind  leider 
nicht  vorhanden. 

Wie  verhält  es  sich  nun  mit  der  Inschrift?  Voll  hat  versucht,  zwei 
Chronostichen  glaubhaft  zu  machen,  und  die  nicht  völlige  Übereinstimmung 
einer  zweiten  Hand  zuzuschreiben.  Der  Versuch  muß  als  mißlungen  be- 
zeichnet werden.  Für  die  beiden  ersten  Verse  wäre  der  Buchstabe  D aus- 
zuschalten, was  nicht  ohne  Willkür  ist,  und  für  die  Schlußzeile  müßte  eine 
ursprüngliche  Schreibweise  des  Namens  Eyck  mit  einfachem  I vorausgesetzt 
werden.  Ebenso  wäre  das  J in  blijct  mit  einzurechnen,  was  sich  allerdings 
mit  Rücksicht  auf  graphische  Ausführung  rechtfertigen  ließe;  die  Buch- 
staben I und  J gleichen  sich  in  der  Inschrift  vollständig.  Alsdann  ergäbe 
sich  folgendes  Bild: 

?AN  DE  (Löwe)  OP  SANT  ORSELEN  DACH 
DAT  ULAER  EERST  MET  OGHEN  SACH  . 1401 
GHECONTERFE/T  N U HEEFT  Ml  JAN, 

FAN  EICK  WEL  BLIICT  JFANNEERT  BEGAN . 1436 
Bode  hält  nun  die  Schreibweise  des  Namens  Eyck  mit  einfachem  I nach 
den  vlämischen  Gesetzen  für  unmöglich.  Das  ist  ein  Irrtum,  denn  ein  solches 
vlämisches  Gesetz  gibt  es  nicht.  Aus  dem  germanischen  Diphthong  ai  ist 
sehr  wahrscheinlich  der  lange  Vokal  6 entstanden,  der  in  geschlossener 
bilbe  schon  sehr  bald  durch  den  doppelten  Buchstaben  ee  bezeichnet  wurde. 
Daneben  taucht  auch  die  Schreibweise  ei  sowie  ey  auf,  ferner  erscheint 
unter  dem  Einfluß  des  Hochdeutschen  im  14.  Jahrhundert  die  Konsonanten- 
verdoppelung im  Auslaut,  und  es  tritt  ck  für  ein  einfaches  k ein.  So  läßt 
sich  die  Entwicklung  des  Namens  Eyck  aus  dem  alten  Worte  6k  =*  Eiche 
zwanglos  verfolgen.  Irgendwelche  Schwierigkeiten  bietet  die  Etymologie 
des  Wortes  nicht.  Wie  wenig  sich  aber  jene  Zeit  an  eine  bestimmte  Schreib- 
weise hielt,  geht  aus  einer  Zusammenstellung,  den  von  de  Laborde  veröffent- 
lichten Akten  der  Herzoge  von  Burgund  entnommen,  hervor.  Dort  finden 


49° 


Fritz  Rupp: 


wir  folgende  Variationen  in  der  Schreibart  des  Namens  Eyck:  Eick,  Eych, 
Eicke,  Eecke,  Heile,  Heick,  Deyk,  Deik  und  Deick.  Wir  haben  diese  Klar^ 
Stellung  auf  Bodes  Einwand  hin  unternommen;  für  unsere  Untersuchung 
ist  sie  bedeutungslos,  da  die  Schreibweise  des  Namens  Eyck  mit  einfachem 
i schon  nach  Lage  der  einzelnen  Buchstaben  ausgeschlossen  ist.  — Doch 
nehmen  wir  an,  es  verhielte  sich  mit  der  Inschrift  so,  wie  man  im  Interesse 
der  Annahme  einer  Fälschung  wünschen  mag,  was  folgt  hieraus?  Bild  und 
Rahmen  sind  die  Arbeit  eines  Fälschers,  eine  andere  Erklärung  gibt  es  nicht. 
Daß  der  Kopist  den  Eyckschen  Rahmen  benutzt  haben  soll,  ist  eine  zu 
gewagte  Annahme,  als  daß  sie  überhaupt  aufgeworfen  werden  kann.  Jedoch 
alt  ist  die  Inschrift,  und  Spuren  einer  zweiten  Hand  sind  auch  zu  beob- 
achten. Wer  hat  nun  die  beiden  Chronostichen  verdorben  oder  nicht  ver- 
standen? Gewiß  beide  nicht,  weil  überhaupt  keine  vorhanden  waren.  Wie 
sollte  der  Fälscher  oder  der  spätere  Restaurateur,  die  sich  in  alle  Details 
mit  so  großer  Treue  verlieren,  dazu  kommen,  etwas  so  Wesentliches  wie  die 
Hervorhebung  der  Chronostichen  zu  eliminieren?  Oder,  mit  welchem  Recht 
machen  wir  einen  der  beiden  Anonymen  zu  einem  solchen  Ignoranten, 
daß  er  die  Inschrift  nicht  versteht?  Wir  tun  gut,  uns  auf  so  kühne  Kom- 
binationen, die  schließlich  aus  einer  Summe  von  Unwahrscheinlichkeiten 
die  Möglichkeit  einer  Fälschung  ableiten,  nicht  einzulassen.  Auch  die  Hand- 
schrift selbst  ist  unverdächtig;  auf  sie  kommen  wir  noch  bei  Besprechung 
des  Dresdener  Reisealtärchens  zurück. 

Die  Persönlichkeit  des  Porträtierten  als  eines  Zeitgenossen  des  Jan 
van  Eyck  ist  festgestellt,  also  geht  das  Bildnis  auch  ikonographisch  mit 
unserem  Künstler  zusammen.  Aber  noch  könnte  ein  Maler-Genius  von 
gleicher  Potenz  gelebt  haben,  der  bis  zur  Stunde  dem  scharfen  Auge  der 
archivalischen  Forschung  entgangen  ist.  Eine  solche  Annahme  hat  wenig 
Wahrscheinlichkeit  für  sich,  das  weiß  auch  Voll,  also  bleibt  ihm  keine  andere 
Wahl,  als  einfach  die  zweifelhaften  Werke  einer  späteren  Zeit  zuzuteilen. 
Daß  eine  so  schwerwiegende  Behauptung  eingehender  Begründung  bedarf, 
unterliegt  keinem  Zweifel.  Doch  glauben  wir,  daß  ein  jeder  Versuch  in 
diesem  Sinne  auf  den  schärfsten  Widerspruch  stoßen  wird.  Denn  etwas 
ist  dem  gesamten  Porträtwerke  Eycks  eigen,  eine  monumentale  steife  Ruhe 
unter  Vermeidung  größeren  Beiwerks.  Sie  wirkt  geradezu  plastisch,  gleich 
groß  in  Formensprache  und  seelischem  Ausdruck.  Die  Nachfolger  des 
Künstlers  ziehen  die  Landschaft  in  weitem  Umfange  heran.  Diese  ist  als 
belebendes  Element  gedacht.  Noch  vermag  sie  aber,  von  einigen  Arbeiten 
des  Memling  und  Bouts  abgesehen,  den  Eindruck  einer  geschlossenen  Kom- 
position weder  der  Anlage  noch  der  Farbe  nach  zu  erwecken.  Auch  mit 
der  raumlosen  Tiefe,  wie  sie  von  Eyck  in  die  Porträtkunst  eingeführt  wurde, 
vermag  die  jüngere  Generation  nichts  anzufangen.  Wo  sie  sich  findet,  fördert 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


491 


sie  entweder  die  dumpfe  Ausdruckslosigkeit  wie  bei  Petrus  Christus  oder 
hebt  die  Übertreibung  des  Charakteristischen  wie  bei  dem  Meister  von 
F16malle  aufdringlich  hervor.  Es  ginge  zu  weit,  auf  alle  Einzelheiten  einzu- 
gehen; wir  sind  überzeugt,  daß  jede  Bemühung,  Analogien  zwischen  den 
bezweifelten  Werken  und  Arbeiten  der  nacheyckischen  Zeit  aufzufinden, 
erfolglos  bleiben  wird. 

Absichtlich  haben  wir  uns  jeder  Meinungsäußerung  über  den  Eindruck, 
den  das  Bildnis  des  Jan  de  Leeuw  auf  uns  macht,  enthalten,  können  jedoch 
nicht  unterlassen,  der  Vollschen  Beobachtung  von  »sehr  leeren  Formen 
mit  dem  unreellen  Effekt  des  allzu  scharf  blickenden  Auges«,  die  Worte 
Kaemmerers:  »wenige  Bildnisse  Jans  enthüllen  so  viel  seelisches  Leben 
wie  dies«  6)  gegenüberzustellen.  Die  beiden  Urteile  sagen  so  ziemlich  das 
Schlechteste  und  Beste,  was  sich  kurzerhand  ausdrücken  läßt.  Die  Wahrheit 
liegt  nicht  etwa,  wie  versöhnliche  Geister  glauben  mögen,  in  der  Mitte; 
sie  ist  auf  dem  Wege  subjektiver  Bewertung,  die  sich  von  Gegensätzen  nährt, 
überhaupt  nicht  erreichbar. 

In  der  Königlichen  Gemäldegalerie  zu  Dresden  zieht  ein  Flügel- 
altärchen  der  Familie  Giustiniani,  als  Reisealtärchen  Karls  V. 
weithin  bekannt,  seit  langer  Zeit  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  sich. 
Es  trägt  keine  Bezeichnung,  und  seine  Provenienz  ist  nicht  bekannt.  Wahr- 
scheinlich wurde  das  wertvolle  Stück  unter  König  August  III.  in  Paris 
erworben,  indessen  geben  die  Akten  des  Archivs  der  Galerie  keinen  Auf- 
schluß. Zum  ersten  Male  taucht  es  im  Jahre  1765  in  dem  »Catalogue  des 
tableaux  de  la  Galerie  electorale  de  Dresde«  unter  dem  Namen  Albrecht 
Dürers  auf.  Lange  Zeit  hindurch  blieb  es  bei  dieser  Taufe,  bis  daß  seit  dem 
Jahre  1846  das  Altärchen  als  eine  Eycksche  Arbeit  unbestrittene  Aner- 
kennung gefunden  hat.  Auch  Voll  spricht  dem  Meister  nur  die  Flügel  ab, 
ohne  jedoch  bei  seiner  Beweisführung  sonderlich  überzeugend  zu  sein. 

Der  erste  Eindruck,  den  das  Auge  vor  dem  Altärchen  erhält,  ist  der 
einer  unbedingten  Zusammengehörigkeit  von  Mittelbild  und  Flügel.  Die 
bis  dahin  noch  von  keinem  Meister  erreichte  Verteilung  von  Licht  und 
Schatten  in  dem  Binnenraum,  die  in  den  hellen  Partien  stark  durchleuch- 
tende braune  Untermalung,  die  schweren  grauen  Töne  des  Schattens,  der 
gleichmäßige  und  feinvertriebene  Farbenauftrag,  das  Spiel  des  Lichtes 
auf  dem  Ornament  des  Kapitäls,  alles  zeigt  eine  so  klare  Übereinstimmung 
in  den  einzelnen  Teilen  des  Altars,  daß  auch  das  geübteste  Auge,  in  der 
Technik  einen  Widerspruch  nicht  zu  erblicken  vermag.  Allein  in  der  Kon- 
zeption macht  sich  ein  Unterschied  geltend.  Mehr  Licht  durchflutet  den 
Raum  des  rechten  Flügels.  Es  strömt  durch  das  geöffnete  Fenster  herein, 


6)  Ludwig  Kaemmerer,  a.  a.  0.  S.  74. 


492 


Fritz  Rupp: 


in  dessen  unmittelbarer  Nähe  die  hl.  Katharina  ihren  Standort  hat.  Kräftig 
leuchtet  der  Surcot  mit  seinem  satten  Ultramarinblau  auf.  Er  ist  in  üppiger 
Verschwendung  mit  Hermelin  besetzt  und  verleiht  der  zarten  Gestalt  einen 
licht-  und  farbenfrohen  Akzent,  über  den  die  Madonna  des  Mittelbildes 
nicht  verfügt.  Von  koloristischer  Wirkung  sind  auch  die  Flügel  des  Erz- 
engels Michael,  und  sein  Inkarnat  ist  frischer  als  dasjenige  des  Donators. 
Das  alles  ist  nicht  ohne  künstlerische  Absicht  geschehen  und  hebt  auch  das 
linke  Flügelbild  der  Farbe  nach  hervor.  Die  Aufgabe  für  den  Künstler 
war  in  den  Flügeln  eine  andere  als  in  dem  Mittelbilde.  Dort  ist  die  Persön- 
lichkeit das  Dominierende,  hier  interessiert  den  Künstler  vor  allem  das 
Problem  der  Raumverteilung.  Über  diesen  Gegensatz  kam  Eyck  noch  nicht 
hinaus.  Die  menschliche  Gestalt  hat  es  ihm  angetan  und,  erfüllt  von  dem 
Streben,  das  individuelle  Leben  mit  größter  Treue  wiederzugeben,  verliert 
er  den  sicheren  Blick  für  die  Gesamtkomposition.  Darunter  leidet  der  Dres- 
dener Altar,  wie  auch  das  Bild  des  Kanonikus  Paele  und  vor  allem  die  kleine 
herrliche  Schöpfung  der  Kirchenmadcnna.  Eyck  überwindet  die  Vergangen- 
heit nur  schrittweise,  und  wenn  sich  bei  dem  Gotiker  der  Einfluß  seiner 
Vorgänger  in  der  Wiedergabe  des  Menschen  am  längsten  erhält,  so  entspricht 
dies  einer  inneren  stilgerechten  Entwicklung.  In  der  Tafelmalerei  erwies 
sich  die  Tradition  am  zähesten  und  büßte  auch  einem  Meister  wie  Eyck 
gegenüber  ihre  Widerstandsfähigkeit  nicht  völlig  ein.  In  der  Gotik  des 
14.  Jahrhunderts  duldete  der  Mensch  keine  Pflege  des  Beiwerks,  und  Eyck 
nahm  ihm  nichts  von  seiner  Bedeutung  für  die  religiöse  Malerei.  Woher  sollte 
da  eine  sprunghafte  Entwicklung  kommen?  Das  hätte  auch  in  innerlichem 
Widerspruch  mit  der  gesunden  und  klaren  Kunst  des  Meisters  gestanden. 
Aus  der  Miniaturmalerei  ging  diese  Kunst  nicht  hervor,  und  wir  neigen 
dazu,  mit  Voll  eine  Beeinflussung  seitens  der  Miniatoren  außerhalb  der 
Landschaft  nicht  anzunehmen. 

Prüfen  wir  die  malerische  Konzeption  im  einzelnen,  so  fällt  die  Über- 
einstimmung des  Interieurlichtes  mit  dem  der  Lucca-Madonna  in  Frankfurt 
a.  M.  auf.  Auch  die  Töne  der  Seitenflügel  sind  nicht  »lebloser  und  kälter«, 
und  wenn  ohne  Rücksicht  auf  den  dimensionalen  Unterschied  eine  Neben- 
einanderstellung gestattet  ist,  so  blicke  man  auf  die  Farbe  der  Madonna 
des  Kanonikus  Paele  in  Brügge,  um  sich  des  inneren  koloristischen  Zu- 
sammenhanges bewußt  zu  werden.  Eine  vielseitige  Bewunderung  haben 
wir  stets  für  das  Altärchen  gehabt,  so  für  das  Brillantgrün  des  Mantels, 
worein  der  knieende  Donator  gehüllt  ist.  Ebenso  glauben  wir  in  den  weißen 
Lichtern  des  Inkarnates  die  Hand  Eycks  zu  erkennen.  Der  sichere  Auftrag, 
die  klare  Anordnung  schließt  für  den  Erzengel  Michael  die  Annahme  der 
Arbeit  eines  fremden  Künstlers  geradezu  aus.  Man  halte  doch  einmal  das 
Berliner  Bild  »Maria  mit  dem  Kinde  vor  dem  Karthäuser«  daneben  und 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


493 


lerne  hieraus,  wie  sich  bei  gleicher  Technik  die  Genialität  des  Schöpfers 
von  der  erstaunlichen  Virtuosität  eines  Schülers  unterscheidet.  Neben  einer 
hervorragenden  Detailbehandlung  und  Perspektive  erscheinen  die  kalte 
Farbe,  die  Ausdruckslosigkeit  und  die  röhrenförmigen  Hälse  geradezu 
abstoßend.  Eine  eingehende  Betrachtung  dieses  rätselhaften  Werkes  kann 
für  die  Eyck-Forschung  nicht  warm  genug  empfohlen  werden,  und  wir 
bezweifeln,  ob  Tschudi,  hätte  er  seinerzeit  die  Kartäuser-Madonna  un- 
mittelbar mit  dem  Dresdener  Triptychon  verglichen,  so  ungewöhnliche 
Worte  des  Lobes  7),  die  zurückzunehmen  ihm  gewiß  nicht  leicht  geworden  ist, 
gefunden.  Aber  auch  in  die  Nähe  des  Petrus  Christus,  wie  man  heute  in 
Berlin  will,  gehört  das  Bildchen  nicht.  WTir  denken  vielmehr  an  den  jungen 
Memling.  Darüber  mag  an  anderer  Stelle  gesprochen  werden.  Der  engen 
Beziehungen  wegen,  die  das  kleine  Werkchen,  was  Technik  und  Anlage 
anbetrifft,  zu  dem  Dresdener  Altar  hat,  mußte  es  erwähnt  werden. 

Wir  kommen  zur  Besprechung  der  Mängel  des  berühmten  Triptychons. 
Sie  sind  hier  ebensogut  wie  bei  anderen  Schöpfungen  des  Meisters  zu  finden. 
Nicht  um  dem  Werke  zu  schaden,  heben  wir  sie  hervor,  hoffen  vielmehr, 
daß  unsere  Kritik  dazu  beitragen  wird,  einer  einseitigen  Beurteilung  die 
überzeugende  Kraft  zu  nehmen.  In  dem  Mittelbilde  ist  der  Gegensatz  des 
hellen  und  dunklen  Seitenschiffes  nicht  klar  zum  Ausdruck  gebracht,  und 
auf  die  augenfällig  fehlerhafte  Perspektive  kommen  wir  noch  zurück.  Die 
Stufenerhöhung  des  Thrones,  worauf  die  Madonna  sich  niedergelassen  hat, 
ist  durch  den  Teppich  recht  ungeschickt  wiedergegeben.  Der  Künstler 
versucht  die  Schwierigkeit  der  Verkürzung  durch  einen  nachlässigen  Hin- 
wurf zu  heben,  konnte  aber  die  Abschattung  ebensowenig  festhalten  wie 
den  notwendigen  Bruch  in  der  Linienführung.  Auf  dem  rechten  Flügel 
des  Altärchens  schwebt  der  Mantelwurf  des  Donators  in  der  Luft,  und  in 
dem  Erzengel  Michael  kehrt  das  perückenartige  Haar  des  Engels  der  Ver- 
kündigung von  dem  Genter  Altar  wieder.  Spuren  der  Flüchtigkeit  sind 
auf  der  Säule  im  Vordergrund  des  Flügels  mit  der  hl.  Katharina  sichtbar, 
während  der  Zustand  des  Surcots  auch  auf  die  schlechte  Erhaltung  des 
Bildes  zurückgeführt  werden  kann.  Alles  in  allem  sind  das  Ausstände,  die 
mit  Zweifeln  an  die  Urheberschaft  Eycks  nichts  zu  tun  haben.  Schwerer 
wiegt  dagegen  jener  Vorwurf,  der  sich  auf  die  Perspektive  in  dem  Mittelbilde 
und  den  Flügeln  beruft * *  8).  Könnte  sich  die  Richtigkeit  eines  solchen  Ein- 
wandes  erweisen  lassen,  so  müßte  die  Echtheit  des  Werkes  der  fehlenden 
Einheitlichkeit  in  dem  Entwurf  wegen  erheblichen  Bedenken  unterliegen. 

7)  Jahrbücher  der  Königl.  Preuß.  Kunstsammlungen.  Bd.  X,  1889,  S.  154  ff.  und 

Bd.  XV,  1894,  S.  65  ff. 

8)  Karl  Voll,  Die  altniederländische  Malerei  von  Jan  van  Eyck  bis  Memling 
Leipzig  1906,  S.  41. 


Königl.  Gemälde-Galerie  zu  Dresden. 


494 


Fritz  Rupp: 


Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


495 


Daß  Eyck  verschiedene  Augenpunkte  für  die  einzelnen  Begrenziingsebenen 
angenommen  hat,  darf  man  als  bekannt  voraussetzen.  Suchen  wir  nun  die 
Bodenbegrenzungsebene  des  Mittelbildes  durch  Orthogonalen,  paarweise 
vom  Rande  aus  in  gleicher  Entfernung  gezogen,  zu  bestimmen,  so  ergeben 
sich  zwei  Augenpunkte  d und  e (s.  Abb.),  die  nicht  einmal  auf  dem  gleichen 
Horizont  liegen.  Der  Boden  der  Kirche  steigt  rechts  an,  was  sich  von  einem 
geübten  Auge  auch  ohne  lineare  Aufteilung  erkennen  läßt.  Für  die.  Flügel 
fehlt  es  auf  der  rechten  Seite  an  der  geeigneten  Bodenzeichnung,  auf  der 
linken  lagert  sich  der  Augenpunkt  in  f zwischen  die  Höhen  von  d und  e ein. 
Die  Augenpunkte  der  Höhenbegrenzungsebenen,  an  Orthogonalen  in  tun- 
lichst weitem  Abstand  gemessen,  ergeben  im  einzelnen  die  Schnittpunkte 
A,  B und  C.  Die  Unterschiede  sind  für  die  verschiedenen  Begrenzungs- 
ebenen so  gering,  daß  man  mit  Recht  die  hohe  Kunst  in  der  freien  Behand- 
lung der  Perspektive  bewundert.  Die  Konzeption  verweist  mit  großer  Sicher- 
heit auf  eine  ausführende  Hand  für  das  ganze  Triptychon. 

Noch  hat  uns  die  Inschrift  auf  dem  Rande  zu  beschäftigen.  Sie  zieht 
sich  in  gleicher  Weise  fortlaufend  um  Mittelbild  und  Flügel,  und  ihre  enge 
Übereinstimmung  mit  der  Bezeichnung  auf  dem  besprochenen  Wiener 
Porträt  des  Jan  de  Leeuw  fällt  sofort  in  die  Augen.  Hier  wie  dort  haben 
wir  es  mit  einem  alten  Rahmen  zu  tun,  auf  beiden  Werken  sind  die  teilweise 
gotischen  und  lateinischen  Buchstaben  gelb  gehöht,  und  ist  der  Grund 
in  einem  schweren  van  Dyck- Braun  ausgeführt.  In  der  Kalligraphie  lassen 
sich  auch  bei  der  schärfsten  Untersuchung  keine  zwei  Hände  unterscheiden. 
Prüfen  wir  die  Buchstaben  im  einzelnen.  Neben  dem  H der  Kapitalschrift 
findet  das  gotische  Zeichen  häufige  Anwendung.  Ebenso  verhält  es  sich 
mit  dem  Buchstaben  C;  er  wechselt  ganz  willkürlich  mit  dem  griechischen 
Zeichen  des  S,  das  uns  von-  dem  Londoner  Timotheosbild  her  wohlbekannt 
ist.  Ein  innerer  Zusammenhang  der  beiden  Werke  oder  ihrer  Vorlagen 
scheint  somit  zu  bestehen.  Eine  weitere  Beobachtung  wird  auch  die  letzten 
Bedenken  zerstreuen.  Auf  dem  Bildrande  des  Jan  de  Leeuw  in  Wien  hat 
der  Künstler  in  dem  Worte  »gheconterfeit«  den  Buchstaben  C in  Form 
der  alten  G-Unziale  wiedergegeben,  in  der  Inschrift  des  Flügelaltärchens 
findet  sich  das  Zeichen  wiederholt.  So  wenig  diese  Schreibweise  als  eine  aus- 
schließliche Eigenheit  Eycks  angesehen  werden  kann  (wir  sind  auch  in 
Handschriften  und  anderen  Bildwerken  darauf  gestoßen),  so  macht  doch 
eine  so  auffallende  Erscheinung  wie  das  einmalige  Vorkommen  des  ab- 
weichenden Buchstabens  auf  dem  Wiener  Bilde  gewiß  nicht  den  Eindruck 
einer  bestellten  Arbeit.  Fassen  wir  daher  alle  schriftartlichen  Analogien 
sowie  die  Übereinstimmung  in  der  Ausführung  zusammen,  so  glauben  wir 
mit  Recht  eine  einzige  Hand  in  den  Randinschriften  erkennen  zu  dürfen. 
Allein  damit  wäre  die  Annahme  einer  Fälschung  für  beide  Fälle  noch  nicht 


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Fritz  Rupp:  Die  angefochtenen  Bilder  des  Jan  van  Eyck. 


aus  der  Welt  geschafft.  Es  könnte  ja  ein  Fälscher  — usum  transcribendi  — 
die  Eycksche  Hand  bis  zur  vollendeten  Täuschung  nachgeahmt  haben. 
Warum  fehlt  alsdann  die  so  Nichtige  Namensbezeichnung  auf  dem  Dresdener 
Altar?  Wir  haben  keine  Erklärung  dafür.  Eyck  hat  überwiegend  seine 
Bilder  bezeichnet;  er  hat  es  auch  unterlassen,  wie  es  zu  einer  Zeit,  da  man 
in  der  Hauptsache  auf  feste  Bestellung  hin  arbeitete,  üblich  war.  Ein  Be- 
trüger konnte  sich  diesen  Luxus  nicht  erlauben.  Ohne  die  namentliche 
Inschrift  hätte  er  keinen  angemessenen  Preis  für  den  Altar  erhalten  und 
die  ganze  mühsame  Arbeit  keinen  Sinn  gehabt.  Auch  die  Annahme  einer 
Vollendung  des  Werkes  durch  einen  Schüler  ruft  nur  Schwierigkeiten  hervor. 
Was  soll  in  diesem  Falle  mit  dem  Wiener  Bildnis,  dessen  engen  Zusammen- 
hang mit  dem  Dresdener  Altar  wir  oben  festgestellt  haben,  geschehen? 
Dort  ist  der  Name  des  Künstlers  voll  ausgeschrieben.  Wir  sehen,  wie  die 
Verwirrung  durch  etwaige  Zweifel  an  die  Echtheit  des  Bildes  immer  größer 
wird.  Aber  auch  aus  rein  äußeren  Gründen  vermögen  wir  uns  nicht  zu 
entschließen,  das  Mittelbild  des  Werkchens  allein  als  echt  anzuerkennen. 
Kommt  einem  Schüler  Eycks  das  Verdienst  der  Vollendung  zu,  weshalb 
verbirgt  sich  der  Meister  hinter  der  Anonymität?  Wir  besitzen  nicht  die 
Naivität,  einem  jungen  Künstler  so  gleichmütig  die  mühevolle  Arbeit  der 
Nachahmung  des  Eyckschen  Stiles  zuzuschreiben.  So  billig  war  der  Lorbeer 
zu  jener  Zeit  nicht,  und  der  Beruf  eines  Wappen-  und  Standartenmalers 
nicht  so  verlockend,  um  die  übertriebene  Pietät,  wie  sie  die  Ausschaltung 
der  eigenen  Person  darstellt,  glaubhaft  zu  machen.  Das  prachtvolle  Tri- 
ptychon kann,  wie  es  auch  immer  entstanden  sein  mag,  unter  dem  Mittelgute 
jener  Zeit  nicht  untergebracht  werden.  Von  dem  Vollender  des  Altars  wäre 
ebenso  wie  von  dem  großen  Unbekannten  der  übrigen  angezweifelten  Bild- 
nis^ mehr  auf  uns  gekommen.  Haben  wir  es  aber  mit  einer  systematischen 
Fälschung  Eyckscher  Bilder  aus  einem  späteren  Jahrhundert  zu  tun 
— seit  1765  ist  das  Werk  mit  Sicherheit  nachgewiesen  — so  ist  das  Fehlen 
der  Bezeichnung  für  den  Dresdener  Altar  noch  rätselhafter.  Begnügen 
wir  uns  also  damit,  daß  das  Triptychon  auch  von  dem,  der  einer  objektiven 
stilkritischen  Untersuchung  nicht  immer  zugängig  ist,  aus  rein  äußeren 
Gründen  dem  großen  Meister  nicht  abgesprochen  werden  kann. 


Eine  gereimte  Erzählung  auf  den  Maler  Konrad  Witz. 

Von  Helmuth  Th.  Bossert. 

Welche  Berühmtheit  der  von  Burckhardt x)  entdeckte  oberrheinische 
Künstler  Konrad  Witz  bei  seinen  Zeitgenossen  erlangte,  geht  von  neuem 
aus  einem  Gedicht,  dessen  Zusammenhang  mit  diesem  Maler  kürzlich  von 
mir  erkannt  wurde,  hervor.  Dasselbe,  leider  nur  als  Bruchstück  auf  uns 
gekommen,  findet  sich  in  der  Karlsruher  Papierhandschrift  Nr.  408  *),  die 
auf  191  Blättern  poetische  Erzählungen  enthält.  Der  Verfasser  desselben 
ist  uns  unbekannt,  war  aber  sicher  nach  der  Mitteilung  des  Herrn  Dr.  Rieser- 
Karlsruhe  in  der  Gegend  des  Oberrheins  wohnhaft;  die  Schrift  weist 
meines  Erachtens  ungefähr  auf  die  Jahre  1460 — 1480  hin.  In  dem  Manuskript 
sind  die  Blätter  103,  133,  134,  135,  187  ausgerissen,  wovon  gerade  die  Blätter 
133  f.  auf  unser  Gedicht  entfallen.  Ein  Besitzer  der  Handschrift  am  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  nennt  sich  auf  der  inneren  Deckelseite:  Heinrich 
All;  später  kam  sie  in  die  Bibliothek  des  Ernst  Ludwig  Posselt,  aus  der  sie 
in  die  Karlsruher  Hof-  und  Landesbibliothek  gelangte. 

Wenngleich  auch  der  Stoff  der  unten  zum  Abdruck  gebrachten  Er- 
zählung nicht  für  völlig  historisch  zu  erachten  ist,  so  sind  uns  doch  durch 
den  anonymen  Dichter,  der  jedenfalls  ein  späterer  Zeitgenosse  von  Witz 
war  und  gut  in  Basel  gewesen  sein  konnte,  zahlreiche  wichtige  Tatsachen 
überliefert,  die,  da  sie  für  den  eigentlichen  Gang  der  Erzählung  nichts  be- 
deuten, um  so  höher  zu  werten  sind.  So  vor  allem,  daß  Witz,  in  Basel  mit 
einer  schönen  Frau  3)  verheiratet,  auch  Holzschnitzer  war  und  eine  größere 
Werkstatt  unterhielt.  Wer  würde  ferner  bei  den  Versen  15 — 18  nicht  an 
das  liebliche  Bild  (hl.  Katharina  u.  hl.  Magdalena)  in  den  Straßburger  Samm- 
lungen erinnert,  auf  dem  wir  im  Hintergründe  deutlich  einen  Bilderladen 
gewahren!  Könnte  dieser  nicht  ein  getreues  Abbild  des  Witzschen  Ladens 
in  Basel  sein? 

J)  Vgl.  D.  Burckhardt:  Studien  zur  Geschichte  der  altoberrheinischen  Malerei. 
Jahrb.  27  (1906)  S.  179  ff.  u.  d.  Festschrift  zur  Basler  Bundesfeier  1901. 

2)  Über  die  Handschrift  selbst  vgl.  den  Katalog  d.  Gr.  bad.  Hof-  und  Landesbibliothek 
von  Wilhelm  Brambach  (1896)  S.  66  ff.;  ferner  das  Verzeichnis  altdeutscher  Handschriften 
von  Adelbert  v.  Keller,  herausgegeb.  von  Eduard  Sievers  (1890)  S.  2 ff. 

3)  Bekanntlich  hieß  die  Frau  des  Konrat  Witz  Ursula  und  war  eine  geb.  Dreyger 
von  Wangen  ; sie  starb  bald  nach  dam  Tode  ihres  Gatten. 


498 


Helmuth  Th.  Bossert: 


Zur  Edition  des  Gedichtes  bemerke  ich  noch:  Die  Handschrift  ist  von 
mir  sehr  genau  durchgesehen  worden,  und  zeigt  untenstehender  Abdruck 
dieselbe  Orthographie  wie  das  Original.  Wo  ich  mir  textkritische  Ab- 
weichungen erlaubte,  sind  sie  angemerkt.  K.  bedeutet  die  Ausgabe  des 

Gedichtes  von  Adalbert  v.  Keller  in  seinen  Erzählungen  aus  altdeutschen 
Handschriften  (1855).  H.  = Originalhandschrift.  Die  zahlreichen  Ab- 
kürzungen sind  im  Sinne  des  Schreibers  aufgelöst;  die  betreffenden  Buch- 
staben sind  jedoch  im  Texte  kenntlich  gemacht.  Die  Interpunktion  stammt 
von  mir. 

Text. 

Von  dem  inoler  mit  der  schon  frawen. 

pag.  CXXXII  recto:  Eyns  merleins  wil  ich  euch  gewern, 

Das  ist  wor  vn(d)  hörst  ir  gern, 

Das  in  ein(er)  s t a t geschach 
Bey  dem  rein,  als  man  jach. 

5 Do  was  ey(n)  maler  wiczen, 

Der  kond  moln  vn(d)  s n i c z e n , 

Er  was  burg(er)  in  eyn(er)  stat, 

Der  schonste(n)  weyb  er  eins  hat, 

Die  man  kond  find(e)n  do 
10  Oder  jndert  anders  wo, 

Mit  suzze(n)  sitte(n)  gemeit. 

Sie  lebte(n)  mit  wirdikeit. 

Sein  knecht  molten  vn(d)  s n i t e n 
Bild  noch  meist(er)lich(e)n  syten. 

15  Der  het  [er]  in  d(er)  kamm(er)  weyt 
Beyde  hin  vn(d)  her  g e 1 e y m t 
Mit  silber  vn(d)  mit  golde, 

Als  ers  v(er)kauffen  wolde. 

Nu  was  ey(n)  münch  abtru(n)nig  word 
20  Vo(n)  ey(m)  swarcz(e)n  orden, 

Den  der  teuffei  dar  zu  bracht, 

Daß  er  anleyt  w(erl)tlich  war 
Durch  seyn  vppigen  sin. 

Er  kam  zu  der  selb(e)n  stat  hin, 

25  Do  der  moler  was  gewon 

Mit  sein(er)  my(n)necklich(en)  kon. 

Er  wart  do  pferer. 

Nymat  west,  das  er  ey(n)  münch  wer, 

Wan  got  vn(d)  sein  wißen. 

30  Auch  het.  er  sich  geflizzen, 

Daß  er  dor  an  v(er)richtig  waß, 

Was  man  sang  oder  laß. 

pag.  132  verso:  Nu  zwanck  jn  die  my(n)n  dor  zue, 

Daß  er  spot  vn(d)  frue 
35  Warpp  mit  seine(m)  synne 
Vmb  die  molerynne. 


Eine  gereimte  Erzählung  auf  den  Maler  Konrad  Witz. 


499 


Ging  sie  zer  kirch(e)n  od(er)  zu  straß(e)n, 

Er  wolt  sie  nit  erlaß(e)n; 

Sie  ne(m)  sein  red  ver  guet. 

40  Nu  het  sie  weyplich(e)n  muet: 

Sie  wert  sich  seins  werben. 

Sie  gedacht  gar  v(er)derb(e)n 
An  trewen  vn(d)  an  eren. 

Dor  an  wolt  er  sich  nit  ker[e]n 
45  Der  tvmme  pfarer. 

Des  wart  der  frawe(n)  swer. 

Die  red  ich  kurcz(e)n  wil. 

Er  pot  ir  pfennig  vil, 

Die  er  ir  wolt  geb(e)n. 

50  Nu  gedacht  sie  ir  eb(e)n, 

Wie  sie  mit  eren  wurd, 

An  die  großen  burd, 

Die  der  pfar(r)er  wolt  lad(e)n 
Auf  ir  ere  vn(d)  irn  *chad(e)n, 

55  Eines  nachtes  sie  do  lack 

Bey  ire(m)  man  vn(d)  der  my(n)ne  pflack, 
Vn(d)  er  ir  lieb  mit  lieb  galt, 

Do  w(ar)t  ir  red  manigfalt. 

Sie  kosten  mit  ey(n)and(er)n 
60  Vn(d)  retten  ein  vnd  and(er)n. 

Do  sp(ra)ch  die  molerin  guet 
Auß  getrewlichem  muet: 

»Liber  freünt  vn(d)  wirt  mey(n), 

»Mag  es  mit  hulde(n)  gesein, 

65  »So  wil  ich  dir  ey(n)  teyl  v(er)ieh(e)n, 

»Daß  icht  schad(e)n  do  vo(n)  gescheen 
»Beyde  dort  vn(d)  auch  hie.«  — 

Er  sp(ra)ch:  »fraw,  sagt  an,  wie, 

»Das  wir  den  schad(e)n  vnt(er)stan. 

70  »Hat  vns  ymat  icht  getan 

»Oder  wil  vns  schad(e)n  yman. 

»Daß  soltu  mich  wißen  lan.«  — 

Sie  sprach:  »d(er)  pferer,  d(er)  hie  ist, 

»Der  lost  kein  frist 
75  »Mit  seine(m)  werb(e)n  on  not. 

»Nu  hon  ich  jm  lang  gedrot, 

»Ich  wolt  dirs  w(er)lich  sagen 
»Vn(d)  sein  werb(e)n  nit  v(er)dagen, 

»Daß  er  vff  my(n)  ere  tuet.«  — 

80  Er  sp(ra)ch:  »libe  frau  guet, 

»Ich  traw  dein(er)  weypheit  wol. 

»Sein  gewerb  ich  vnt(er)farn  sol, 

»Vn(d)  solt  es  mir  koste(n)  leyb  vn(d)  leb(e)n. 
»Was  beut  er  dir  zu  geb(e)n  ?«  — 


[jOO  Helmuth  Th.  Bossert:  Eine  gereimte  Erzählung  auf  den  Maler  Konrad  Witz. 

85  Sie  sp(ra)ch:  »daß  tut  er  geringe, 

»Vierczick  pfünt  pfennige 
»Vnd  ev(n)  pelcz  veh(e)n 
»Jerlich(e)n  zu  leh(e)n, 

»Daß  ich  sein  will(e)n  tue. 

90  »Here,  nu  rat  selber  zue, 

»Daß  wirs  mit  ern  w(er)d(e)n  an, 

»Vn(d)  daß  dor  vmb  icht  w(er)d  gethan 
»Im  an  seine(m)  leib.«  — 

Do  riet  er  dem  weyb, 

95  Daß  sie  jm  also  deten, 

Daß  sein  ere  werd  v(er)tret(e)n 
Vnd  ir  lob  wurd  vesten. 

Nu  fugt  sich  zum  leczsten, 

Daß  der  pfa(r)er  ab(er)  v(mb)  die  my(n)ne  bat. 

100  Die  fraw  geviel  jn  ey(n)  rat 

Vn(d)  sp(ra)ch,  das  er  die  pfe(n)nig  brecht. 

So  wurd  sein  sach  siecht. 

Die  pfe(n)nig  er  mit  ym  nam, 

Verholn  er  zu  der  frawe(n)  kam. 

105  Die  bracht  jn  tauge(n)  jn  ein  g a d ( e ) n , 

Daß  was  mit  pild(er)n  vb(er)lad(e)n. 

Dar  jn  stund  ey(n)  betstat 


5 K.  vermutet  falsch  »mit  witzen«;  H.  nur  »wiczen«.  6 K.  maln.  7 H.  hat  »Es« 
= Schreibfehler.  9—10  K.  hat  »da«  und  »wa«.  13.H.  hat  »mogten«  mit  übergeschriebenem 
»ch«.  14  H.  hat  »meinsterlichen«.  15  Der  = Schreibfehler  für  »die«  (K.);  »er«  ergänzt. 

16  H:  »geleymt  wyd(er)streit«,  was  keinen  guten  Sinn  gibt.  28  K.falsch  »Nymant«;  ferner 
falsch  »munich«.  31  K.  »dar«.  33  K.  »in«  und  »dar«.  34  K.  »spat«.  36  K.  »molerinne«. 
39  K.  »gut«.  44  K.  »dar«  44  H.  »kern«.  58  K.  »ward«.  62  K.  »mut«.  75  K.  »an<<-  76  K. 
»han«.  82  H.  »Dein«  = Schreibfehler.  86  K.  »pfunt«.  92  K.  »dar«.  95  K.  »im«.  98  K. 
»letzsten«.  103  K.  »pfening«. 

Nachbemerkung : Zweifelsohne  haben  wir  in  dem  hier  mitgeteilten 
Texte  nicht  die  Originalniederschrift  zu  sehen,  wie  aus  verschiedenen 
Mißverständnissen  und  auch  aus  der  kritischen  Betrachtung  der  übrigen 
Teile  der  Handschrift  ergeht;  sie  ist  lediglich  eine  von  einem  Schreiber 
veranstaltete  Abschrift.  Das  Originalgedicht  könnte  also  sehr  wohl  bald 
nach  dem  Tode  des  Konrat  Witz,  zirka  1450,  in  Basel  oder  in  der  Umgegend 
verfaßt  sein,  eine  Tatsache,  die  mir  für  die  historische  Bewertung  des 
Textes  außerordentlich  wichtig  erscheint.  — 

Eine  nochmalige  genaue  Untersuchung  des  Straßburger  Bildes  ergab, 
daß  in  dem  Bilderladen  nicht  nur  Gemälde,  sondern  auch  zwei  Holz- 
statuetten,  worunter  eine  Madonna  mit  dem  Jesuskindlein  deutlich  erkenn- 
bar, zur  Ausstellung  gebracht  sind. 


Ein  Bild  von  Mathias  Grünewald. 

Von  Heinz  Braune. 

Im  letzten  Heft  des  Repertoriums  hat  H.  A.  Schmid  am  Schluß  seines 
Aufsatzes  über  die  Chronologie  der  Werke  Grünewalds  auf  eine  »Entdeckung« 
von  mir  hingewiesen,  und  ich  muß  diese  geheimnisvolle  Andeutung  nun  wohl 
aufklären.  Da  sei  es  zunächst  erlaubt,  das  gerade  in  unseren  Tagen  so 
stark  diskreditierte  Wort  »Entdeckung«  gegen  ein  anderes  einzutauschen; 
handelt  es  sich  doch  auch  gar  nicht  um  eine  solche,  da  das  Bild,  von  dem  die 
Rede  sein  wird,  längst  bekannt  ist,  sondern  lediglich  um  eine  Reihe  von 
Beobachtungen,  die  an  ihm  gemacht  wurden. 

Die  „Verspottung  Christi“,  um  die  es  sich  handelt,  ist  hier  abgebildet. 
Das  Bild,  mäßiger  Größe  und  offenbar  zu  einer  Folge  von  Passionsdarstellun- 
gen gehörig,  befindet  sich  in  der  Münchener  Universität,  in  die  es  vor  mehr 
als  IOO  Jahren  (—  damals  noch  nach  Landshut  — ) von  der  Zentralgemälde- 
galerie abgegeben  worden  war.  Weiter  zurück  finden  wir  es  1803  im  Karme- 
literkloster zu  München,  wo  es  der  Galeriedirektor  v.  Männlich  in  der  Liste  der 
bei  der  Säkularisierung  für  die  Staatssammlungen  zu  requirierenden  Kunst- 
schätze aufführt.  Entstanden  ist  es,  laut  Inschrift,  im  Jahre  1503.  Als  ich 
vor  einiger  Zeit  das  mir  längst  bekannte  Bild  von  neuem  betrachtete,  wurde 
ich  betroffen  nicht  nur  von  seiner  hohen  Qualität,  sondern  noch  mehr  von  den 
zahlreichen  Analogien  zu  den  gesicherten  Bildern  Grünewalds,  die  sich 
meinem  Auge  aufdrängten.  Ich  gewahrte  eine  Farbe,  warm  und  schimmernd, 
kräftig  und  zart  zugleich,  sah  eine  unerhört  malerische  Behandlung  der 
Formen,  eine  Komposition,  ähnlich  unserem  Erasmus-Mauritiusbilde  in  der 
Pinakothek,  und  fand  hinter  all  diesem  eine  Auffassung  und  eine  stark 
persönliche  Psychologie,  die  mir  von  nirgend,  als  von  Grünewald  her  be- 
kannt war. 

Das  höchst  anziehende  Problem,  die  Stellung  eines  so  bedeutenden 
Bildes  zu  fixieren,  führte  mich  zu  genaueren  Vergleichen,  die  anzustellen  mir 
um  so  leichter  waren,  als  mir  die  Freundlichkeit  und  Unterstützung  Herrn 
Prof.  Riehls  es  ermöglichten,  das  Bild  für  mehrere  Tage  von  seinem  bis- 
herigen Standort  in  die  Pinakothek  zu  überführen,  um  es  dort  in  hellem 
Licht  und  neben  dem  Mauritiusbild  sorgsamer  untersuchen  und  photo- 


M.  Grünewald,  Verspottung  Christi. 


502 


Heinz  Braune: 


Ein  Bild  von  Mathias  Grünewald. 


503 


graphieren  lassen  zu  können.  Die  Resultate  seien  im  folgenden  kurz 
niedergelegt: 

Die  eindrucksvolle  Komposition,  die  — wie  fast  alle  Kompositionen 
Grünewalds  schon  ikonographisch  etwas  Einzigartiges  darstellt,  baut  sich 
in  Kontrasten  auf:  Links  vorn,  sitzend,  ganz  leidend,  »passiv«  im  vollsten 
Sinne,  sitzt  Christus,  ein  wenig  nach  vorn  (nach  der  Bildmitte  zu)  geneigt, 
der  eigentliche  Schwerpunkt  des  Bildes,  auf  den  von  3 Seiten  lebhafteste 
Aktionen  hinlenken:  Links  der  Trommel-  und  Flötenspieler,  von  oben  der 
Faustschläger,  rechts,  als  der  Bedeutendste,  der  Scherge  mit  dem  Strick, 
der  wiederum  in  doppelter  und  kontrastierender  Aktion  befindlich  ist:  mit 
dem  einen  Fuß  nach  rechts  ausschreitend  und  Christus  am  Strick  mitzerrend, 
mit  dem  Kopf  aber  nach  links  zurückgewandt  und  ebenso  mit  der  Rechten 
zum  Schlage  nach  links  ausholend.  Den  umgekehrten  Rhythmus  zeigt  die 
hintere  Reihe.  Hier  links  die  starke  Bewegung  des  Faustschlägers  gedämpft 
durch  die  ruhige  Figur  des  Kurzgeschorenen  rechts  und  die  beschwichtigende 
Gebärde  des  diesem  die  Hand  auf  die  Schulter  legenden  Mannes.  — Findet 
sich  ein  ähnlicher  Parallelismus  der  Aktion  in  Vordergrund  und  Mittelgrund 
bei  der  Disputation  des  heiligen  Erasmus  und  Mauritius,  so  ähneln  sich  beide 
Bilder  doch  mehr  noch  in  der  ganzen  Gruppierung,  die  die  Bildfläche  mit  den 
Figuren  nahezu  völlig  bedeckt,  ohne  doch,  — wie  es  in  solchen  Fällen  im 
r5-  Jahrhundert  so  oft  zu  finden  ist,  — eine  Reliefordnung  zu  bilden.  Grüne- 
wald liebte  es  nicht,  die  Schauplätze  seiner  Darstellungen  durch  reiche 
Linearperspektiven  zu  kennzeichnen,  noch  überhaupt  sie  exakt  realistisch  zu 
schildern.  Ihm  waren  die  handelnden  und  leidenden  Menschen  die  Haupt- 
sache, und  es  ist  für  sein  Temperament  sehr  bezeichnend,  daß  er  das  Raum- 
problem  von  der  konstruktiven  Seite  kaum  kennt,  wo  Dürer  sich  mit  Messun- 
gen und  Berechnungen  zeitlebens  plagt.  Dürer  strebt  nach  Erkenntnis, 
Grünewald  ringt  um  Ausdruck  für  sein  Gemüt.  So  schildert  er  den  Raum, 
den  sein  Auge  malerisch  erfaßt,  zwar  an  sich  oft  reicher  und  überzeugender 
als  Dürer,  aber  er  vermeidet  es  gern,  ihn  als  reale,  fest  bestimmte  Örtlichkeit 
zu  charakterisieren.  Beim  Erasmusbild  schließt  die  Szene  hinten  ein  Vor- 
hang ab,  bei  unserem  Bild  einfach  dunkler  Grund.  Man  fragt  auch  nicht  nach 
Gebälk,  Wölbungen  oder  Wandflächen,  wo  eine  Szene  sich  abspielt,  wie 
diese.  Der  Raum  besteht  für  Grünewald  meist  nur,  so  weit  Figuren  zu 
Figuren  gestellt  sind;  was  darüber  ist,  das  interessiert  nicht  mehr.  Kein 
Künstler  vor  Rembrandt  hat  es  so  verstanden,  die  vorderen  Figuren  im  Licht 
zu  halten  und  dahinterstehende  in  Dämmer  zu  tauchen,  um  sie  mit  den  vor- 
deren räumlich  desto  fester  zu  verbinden.  Bei  unserem  Bild  wreise  ich  nur 
auf  die  untere  Partie  hin,  wo  das  immer  tiefer  abgestufte  Grau  die  Füße  der 
hinten  Stehenden  in  weiche  Schatten  hüllt,  wie  bei  dem  Erasmusbild,  und  auf 
die  Köpfe  der  letzten  Reihe  und  die  zarten  Töne  der  Stangen  und  Lanzen,  die 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


34 


Gränewald,  Details  aus  der  Verspottung  Christi. 


5°4 


Heinz  Braune: 


Ein  Bild  von  Mathias  Grünewald. 


505 


aus  dem  Dunkel  des  Hintergrundes  sanft  herüberklingen,  wie  beim  Erasmus- 
bild und  wie  auf  der  Kreuzschleppung  in  Karlsruhe.  Je  mehr  wir  ins  Ein- 
zelne dringen,  um  so  deutilcher  werden  die  Analogien.  Grünewald  hat  eine 
ganz  bestimmte  Art,  seine  Menschen  hinzustellen,  in  Ruhe,  handelnd  oder 
redend.  Die  letzte  besonders  kennen  wir  von  dem  Colmarer  Johannes 
unterm  Kreuz  oder  von  dem  heiligen  Mauritius  der  Pinakothek  her.  Nun 
betrachten  wir  den  barhäuptigen  Dicken  rechts  im  grauen. Kittel.  Er  steht 
da,  mit  dem  nach  vorn  gerichteten  linken  Fuß  und  dem  so  charakteristisch 
durchgedrückten  und  Vorgesetzten  rechten  Bein,  — Zug  um  Zug  gleich  — 
wie  der  Mauritius;  er  spricht,  und  die  Gebärde  des  Sprechens  ist  die 
gleiche,  wie  die  des  frommen  Mohren,  nur  etwas  zaghafter,  weniger  frei; 
weniger  entwickelt,  — zwei  Jahrzehnte  trennen  beide  voneinander! 

Nichts  vielleicht  aber  ist  charakteristischer  bei  Grünewald,  als  die 
Hände.  Wo  immer  er  eine  bildet,  bis  in  die  späteste  Zeit,  ist  sie  unverkennbar 
Grünewaldisch.  Er  reißt  sie  auseinander,  läßt  die  Finger  in  den  divergierend  - 
sten  Richtungen  spielen,  faßt  die  Hand  nicht  als  Masse  auf,  sondern  als  das 
beweglichste  und  in  der  Bewegung  mannigfaltigste  Organ  des  menschlichen 
Körpers.  Man  wird  nicht  leicht  eine  engere  Verwandtschaft  finden,  als 
zwischen  Händen,  wie  etwa  denen  der  Engel  bei  der  heiligenNacht  in  Colmar 
und  jenen  des  Flötenspielers  auf  der  Münchener  Verspottung  Christi.  Wenn 
bei  Grünewald  einer  nur  ein  Buch  faßt,  — wie  differenziert  er  die  Kraft- 
leistung der  Hand  in  den  Fingern  (vergl.  den  heiligen  Laurentius  in  Frank- 
furt a.  M.) ; ähnlich  hier  bei  der  Hand  ganz  rechts,  die  sich  auf  die  linke 
Schulter  des  Kurzhaarigen  legt.  Oder  man  vergleiche  die  geballte  Faust 
des  Zuschlagenden  links  etwa  mit  jener  des  Zuschlagenden  rechts  auf  der 
Kreuzschleppung  in  Karlsruhe.  — Muß  ich  noch  auf  die  gebogenen  Finger 
auf  Grünewalds  Bildern  hinweisen  ? Und  auf  die  unvergleichliche  Schönheit 
der  Hände  Christi  auf  unserem  Bilde,  die  im  Verein  mit  dem  Strick,  der 
mit  so  sensiblem  Schönheitsgefühl  um  und  durch  die  Hand  des  Knechtes 
geschlungen  ist,  ein  wundervolles  rhytmisches  Spiel  bilden? 

Es  ist  vielleicht  mißlich,  von  der  Farbe  eines  Bildes  zu  reden,  ohne  daß 
dem  Betrachter  der  farblosen  Reproduktion  die  Nachkontrolle  der  Beobach- 
tungen ermöglicht  wird,  noch  dazu  bei  der  unüberwindlichen  Schwierigkeit,  die 
Farbtöne  der  Einbildungskraft  des  Lesers  durch  Worte  hinreichend  deutlich 
vorzustellen.  Bei  Grünewald  ist  es  unerläßlich,  vielleicht  aber  auch  leichter, 
als  in  anderen  Fällen.  Wer  Grünewald  kennt,  trägt  die  Farben  seiner  Bilder 
in  seinem  Gedächtnis.  Grünewald  hat  ein  bestimmtes,  unverkennbares,  tief- 
glühendes Rot,  das  an  Karmin  streift.  Es  findet  sich  be:  dem  auferstehenden 
Christus  in  Kolmar,  bei  dem  Johannes  unterm  Kreuz  usw.,  — und  ein  anderes 
ebenso  unverkennbares  Rot,  heller,  mehr  ziegelartig,  — wie  etwa  bei  dem 
anderen  Johannes,  der  Maria  stützt.  Beide  finden  sich  auf  unserem  Bild, 


34 


5°6 


Heinz  Braune: 


Das  erste  glüht  aus  dem  Grau  der  zugenestelten  Jacke  des  Barhäuptigen 
rechts  zwischen  den  Schnüren  hervor  und  findet  sich  an  dem  Untergewand 
des  gelben  Trommlers;  das  zweite  schmückt  die  Jacke  des  Faustschlägers 
links.  Auch  das  charakteristische  Blaugrün  ist  da,  und  der  Mantel  Christi 
hat  dieselbe  Färbung  wie  jener  auf  der  Kreuzschleppung  in  Karlsruhe.  Kein 
deutscher  Maler  aber  hat  soviel  mit  Grau  gearbeitet,  um  farbigen  Reichtum 
zu  erzielen,  als  Grünewald.  Er  modelliert  mit  Grau,  er  arbeitet  damit  in 
die  tiefsten  und  prächtigsten  Farben  hinein,  um  sie  zu  nuancieren  und  um  sie 
schimmern  zu  machen.  So  ist  auf  unserem  Bild  das  Rot  und  Blau  behandelt, 
ist  die  Jacke  des  Dicken  rechts  in  ihrer  reichen  Abstufung  und  in  ihrem 
sanften  Licht  eine  Vorstufe  zur  Rüstung  des  heiligen  Mauritius,  wie  sein 
Gesicht  eine  Vorahnung  von  dem  des  alten  Begleiters  des  heiligen  Erasmus 
ist,  oder  der  Strick  eine  der  Perlstickerei  auf  jenem  Bild;  der  Stab  rechts  ist 
bewundernswert  breit,  frei  und  reich  behandelt,  als  hätte  ihn  Rubens  gemalt 
(analog  dem  Kreuzesbalken  in  Karlsruhe).  Wundervoll  endlich  ist  auch 
das  Changieren  von  Blau  und  Gelb  auf  dem  breiten  Rücken  des  vorderen 
Knechtes  rechts,  und  das  blühende  Rot  seiner  Beinlinge.  — Nebenbei  noch 
sei  eine  Morellische  Beobachtung  verzeichnet:  Grünewald  hat  seltsamer- 

weise höchst  selten  Ohren  gemalt.  Meist  sind  sie  durch  das  Haar  oder 
durch  die  Kopfbedeckung  unsichtbar  gemacht.  Nur  dreimal  hat  er  uns 
ihren  Anblick  gegönnt:  in  Kolmar  bei  dem  Christuskind,  in  Karlsruhe  bei 
der  Kreuzschleppung  und  bei  dem  Mauritius  in  München.  Die  Form  ist 
überall  die  gleiche.  Die  Muschel  stark  eingesäumt,  des  Ohrläppchen  lang 
gezogen.  Auch  bei  dem  Münchener  Bild  ist  ein  Ohr  sichtbar;  es  hat  aufs 
Haar  die  gleiche  Gestalt. 

Ist  es  noch  nötig,  von  dem  menschlichen  Gehalt  des  außerordentlichen 
Bildes  zu  reden?  Ich  fürchte,  jedes  Wort  könnte  den  Eindruck  des  Bildes 
nur  abschwächen.  Eins  nur  sei  erwähnt,  was  man  auf  der  Abbildung  nicht 
wahrnehmen  kann;  unter  dem  Tuch  hervor,  das  die  grauenvollen  Spuren  des 
Leidens  auf  Christi  Antlitz  mild  zu  verdecken  sucht,  und  aus  der  Nase 
quillt  das  Blut  über  das  Gesicht.  Es  ist  wie  der  Choral:  »Oh  Haupt  voll 
Blut  und  Wunden,  voll  Schmerz  und  voller  Hohn  . . . . « Tönt  er 
mächtiger  noch  aus  einem  anderen  Bild  heraus,  außer  vielleicht  aus  der 
Kreuzschleppung  in  Karlsruhe?  — Genug  und  übergenug!  Niemand  wird 
zweifeln,  daß  unser  Bild  in  die  nächste  Nähe  Grünewalds  gehört,  daß  es 
aufs  engste  verknüpft  ist  vor  allem  mit  dem  Erasmusbild  in  München  und 
der  Karlsruher  Kreuzschl'eppung.  Nur  weniger  entwickelt,  weniger  frei 
und  großartig  ist  es,  als  diese,  zu  denen  es  sich  verhält,  wie  die  Knospe 
zur  Blüte.  An  einen  Nachahmer  oder  Schüler  zu  denken,  verbietet  allein 
schon  die  Datierung  des  Bildes:  Links  unten  steht,  unter  der  Erneuerung 
deutlich  sichtbar,  die  alte,  echte  Inschrift:  Anno  M D III  die  XXIII  De- 


Ein  Bild  von  Mathias  Grünewald. 


507 


cembris.  Stünde  sie  nicht  da,  wir  müßten  das  Bild  auch  infolge  der 
Trachten  um  1500  ansetzen,  früher  also,  als  alle  bisher  bekannten  Werke 
Grünewalds.  Kann  ein  Schüler  oder  Mitschüler  Werke,  die  20  Jahre  später 
vom  Meister  geschaffen  wurden,  so  vorahnen?  — Wir  wollten  nichts  ande- 
res, als  Beobachtungen  mitteilen.  Den  Schluß  daraus  zu  ziehen,  scheint  fast 
überflüssig.  Der  spezielleren  Grünewald -Forschung1)  liegt  es  nun  ob,  nach- 
dem man  in  letzter  Zeit  so  viele  fernab  liegende  Bilder  aus  dem  Kreise  des 
Hausbuchmeisters,  Schongauers  usw.  irrtümlich  als  Jugendwerke  des  rätsel- 
vollen Künstlers  ausgegeben  hat,  den  Fall  weiter  zu  behandeln. 

Der  Erhaltungszustand  des  Bildes  ist  ungleichmäßig.  Einige  Köpfe 
der  hinteren  Reihe  wurden  im  19.  Jahrhundert  von  einem  Restaurator  rück- 
sichtslos übermalt;  andere  Partien,  von  denen  hauptsächlich  die  Rede  war, 
sind  gut  erhalten.  — In  der  erwähnten  Liste  v.  Mannlichs  der  im  Karmeliter- 
kloster zu  München  für  die  Staatssammlungen  vorgemerkten  Bilder  ist,  — 
ohne  Angabe  der  Maße  — , noch  eingetragen,  eine  »Kreuzigung,  mit  der 
Jahreszahl  1 543>  scheint  jedoch  älter  zu  sein  und  vielleicht  von  Hans  Bai- 
dung«, setzt  Männlich  hinzu.  Dieses  Bild  ist  seither  verschollen.  Vielleicht 
trug  es  ursprünglich  die  Jahreszahl  1503  (durch  mißverstehende  Restauration 
später  in  1543  verändert)  und  war  ein  Gegenstück  zu  unserer  Verspottung 
Christi.  Konnte  man  doch  1803,  als  der  Name  und  die  Kunst  Grünewalds 
noch  unbekannt  war,  für  eine  Kreuzigung  dieses  Meisters  gewiß  keinen 
besseren  Namen  finden,  als  den  Hans  Baidungs,  der  unter  Grünewalds  Ein- 
fluß gestanden  hat.  — Über  die  Geschichte  des  Bildes  haben  wir  noch 
nichts  Weiteres  in  Erfahrung  gebracht.  Die  Karmeliter  sind  erst  im 
17.  Jahrhundert  nach  München  gekommen,  so  daß  aus  dieser  Provenienz 
für  den  Entstehungsort  des  Bildes  nichts  gefolgert  werden  kann.  Woher  die 
Karmeliter  nach  München  kamen,  wie  und  wann  das  Bild  in  ihren  Besitz 
gelangt  ist,  konnte  bisher  nicht  erfunden  werden. 


0 A.  Schrnid  u.  a.  haben  die  Autorschaft  Grünewalds  seither  anerkannt. 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 

Von  August  L.  Mayer. 

Nordwestkastilien,  d.  h.  das  Gebiet  der  Provinzen  Leon,  Palencia> 
Zamora  und  Salamanca,  ist  von  jeher  als  Sitz  alter  christlicher  Kultur 
berühmt.  Fast  stets  hat  sich  dieser  Teil  Spaniens,  der  Kern  des  ehemaligen 
Königreichs  Leon,  von  den  Mauren  freigehalten,  von  hier  aus  ist  einer  der 
Hauptvorstöße  gegen  die  Maurenherrschaft  unternommen  worden. 

Man  weiß,  daß  sich  hier  ebenso  wie  in  Galizien  und  Asturien,  die  ja 
mit  zu  Leon  gehörten  eine  große  Anzahl  höchst  interessanter  frühromani- 
scher Kirchen  erhalten  hat;  man  kennt  auch  »la  pulchra  Leonina«,  die 
gotische  Kathedrale  von  Leon,  das  schönste  spanische  Bauwerk  des  14.  Jahr- 
hunderts, man  würdigt  die  Plastik,  die  in  der  romanischen  wie  in  der  goti- 
schen Periode  hier  reiche  Pflege  gefunden  hat  — aber  von  Werken  der  Malerei 
in  diesem  Gebiete  hört  man  auffallend  wenig. 

Von  Carl  Justi,  der  wie  kein  zweiter  ganz  Spanien  durchforscht  hat, 
sind  nur  zwei  Niederländer,  die  in  Palencia  gearbeitet  haben,  dem  allgemeinen 
Interesse  nähergerückt  und  die  interessante  Persönlichkeit  des  Fernando 
Gallegos  einzig  in  der  kunsthistorischen  Einleitung  zu  Bädeckers  »Spanien« 
kurz  gewürdigt  worden. 

Nun  hat  jüngst  der  treffliche  Lyoner  Kunsthistoriker  Emile  Bertaux 
in  seiner  Würdigung  spanischer  Quattrocentokunst  in  der  Histoire  de  l’Art 
von  E.  Michel  auch  dieses  Gebiet  in  Betracht  gezogen,  zum  Teil  gestützt  auf 
die  interessanten,  bisher  noch  unveröffentlichten  Nachforschungen  des 
Grenadiner  Universitätsprofessors  D.  Manuel  Gomez  Moreno  *).  Auf  die 
Ausführungen  von  Bertaux  wird  noch  des  öfteren  zurückzukommen  sein. 
Er  hat  vor  allem  den  italienischen  Einfluß  in  diesem  Gebiete  betont.  Daneben 
aber  macht  sich  in  höchst  interessanter  Weise  nordischer  Einfluß  bemerkbar 
und  verschiedene  bedeutende  Werke,  vor  allem  der  große,  bisher  ganz  un- 
bekannte Retablo  von  Fromista,  werden  uns  beweisen,  daß  sich  die  manera 
flamenca  nicht  zuerst  und  allein  in  Katalonien  und  Valencia  Geltung 
verschafft  hat,  sondern  mindestens  gleichzeitig  auch  in  der  Gegend  von 
Palencia  und  Leon  festzustellen  ist. 


!)  Michel,  Histoire  de  l’Art  III,  2,  S.  743  ff. 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nord westkastilien. 


5°9 


Leon  besitzt  in  den  Wand-  und  Deckenmalereien  im  Pantheon  de  los 
Reyes  der  Colegiata  de  S.  Isidoro  die  hervorragendsten  monumentalen  Ge- 
mälde des  spanischen  Mittelalters,  denen  an  Bedeutung  nur  die  umfang- 
reichen, ein  Jahrhundert  später  entstandenen  Malereien  im  Kapitelsaal  und 
der  Kirchenapsis  des  Johannesklosters  von  Sijena  in  Aragon  gleichkommen. 
Unter  den  Wandgemälden  von  S.  Isidoro  sind  noch  die  Verkündigung  und 
der  »Calvario«  gut  zu  erkennen.  Die  sechs  Gemälde  der  Decke,  die  von  zwei 
Säulen  getragen  wird,  stellen  dar:  die  Apokalypse,  die  Geschichte  Josefs, 
den  thronenden  Chris  us,  das  Abendmahl,  die  Verkündigung  an  die  Hirten 
und  den  bethlehemitischen  Kindermord. 

Die  Malereien  sind  höchstwahrscheinlich  in  Tempera  ausgeführt  und 
stammen  aus  dem  Anfänge  des  13.  Jahrhunderts.  Trotz  der  »byzantinischen 
Gestalten«  macht  das  Ganze  den  Eindruck,  als  habe  der  Maler  sein  Werk 
in  Anlehnung  an  spätrömische-frühchristliche  Dekorationskunst  geschaffen. 

Der  Realismus,  den  man  in  den  großen  Gemälden  hier  und  da  bemerkt, 
kommt  vor  allem  in  den  Malereien  eines  Zwischenbogens  zur  Geltung,  die 
die  zwölf  Monate  in  den  Hauptbeschäftigungen  der  Menschen  darstellen. 
Besonders  gelungen  sind  die  drei  letzten  Bilder:  Im  Oktober  schüttelt  man 
die  Eicheln  vom  Baume,  um  die  Schweine  zu  mästen,  die  man  dann  im  No- 
vember schlachtet.  Im  Dezember  trinkt  man  und  wärmt  sich  die  Füße  am 
Feuer.  Die  übrigen  Zwischenbogen  sind  meist  mit  rein  ornamentaler  Malerei 
ausgeschmückt. 

Nicht  ganz  150  Jahre  nach  der  Entstehung  dieses  Werkes  beauftragte 
das  Domkapitel  den  Maestro  Nicolas,  die  Innenseite  der  Eingangswand  der 
Kathedrale  (von  der  Spitze  des  Haupttores  bis  zur  Triforiengalerie)  mit 
einer  Darstellung  des  jüngsten  Gerichtes  zu  schmücken.  Der  Meister,  über 
dessen  Herkunft  nichts  näheres  bekannt  ist,  erhielt  am  24.  August  1452  die 
Summe  von  15  000  Maravedis,  ferner  800  Maravedis  für  eine  Reise  nach 
Salamanca.  Denn  das  Kapitel  wünschte,  daß  Nicolas  vor  Beginn  der  Arbeit 
sich  das  »jüngste  Gericht«  in  der  dortigen  Kathedrale  ansehe.  Dieses  Wand- 
gemälde nun,  das  die  Leoner  Domherren  ihrem  Maler  als  Muster  empfahlen, 
war  kurz  vorher  erst  vollendet  worden.  Sein  Ruhm  muß  sich  also  rasch  ver- 
breitet haben:  Am  15.  Dezember  1445  hatte  das  Kapitel  der  Kathedrale 
von  Salamanca  mit  dem  Italiener  Dello  di  Nicola  den  Kontrakt  für  das 
Fresko  des  »jüngsten  Gerichts«  in  der  Apsis  des  Altarhauses  abgeschlossen. 
Dieser  Dello  war  1403  geboren  und  erscheint  1432  als  eingeschriebener  Meister 
der  Florentiner  Malergilde.  Bald  darauf  ging  er  nach  Spanien.  Vielleicht 
war  er  zunächst  in  Avila  tätig,  wo  sein  Bruder  Samson  ein  Atelier  besaß. 
Samson  wird  noch  1466  erwähnt,  er  schloß  in  diesem  Jahre,  am  13.  April 
1466,  einen  Vertrag  mit  einem  Lehrling  ab.  Auch  als  Mitarbeiter  des  Fray 
Pedro  de  Salamanca  wird  er  erwähnt.  In  Salamanca  war  Dello  di  Nicola 


August  L.  Mayer: 


510 

wohl  schon  Anfang  der  vierziger  Jahre  tätig,  denn  von  seiner  Hand  rührt 
höchst  wahrscheinlich  das  große,  53  Kompartimente  umfassende  Altarwerk 
in  der  Catedral  vieja  her.  Es  schildert  rnit  größter  Ausführlichkeit  das  Leben 
Marias  und  ihrer  Vorfahren.  Bertaux  bemerkt  mit  Recht,  daß  das  Werk 
im  Masolinostil  gehalten  ist.  Das  große  Fresko  des  jüngsten  Gerichts  zeigt 
einen  andern  Schwung  als  die  kleinen  Tafelbilder,  namentlich  Christus  und 
die  Auferstandenen  entbehren  nicht  einer  gewissen  Monumentalität.  Die 
Aktdarstellung  wie  die  zahlreichen  Verkürzungen  sind  nicht  übel  gelungen. 
Daß  der  Maler  nicht  ganz  aus  dem  alten  Stil  heraus  konnte,  zeigt  die  Schar 
der  Auserwählten  und  die  kniende  Jungfrau.  Dello  kehrte  1446,  also  nach 
der  Vollendung  des  »jüngsten  Gerichts«,  für  kurze  Zeit  nach  Hause  zurück, 
kam  aber  dann  wieder  nach  Spanien,  wo  er  bis  etwa  1460  blieb. 

Aus  den  Werken  dieses  Künstlers  nun  schöpfte  Meister  Nicolas  seine 
Kenntnis  Florentiner  Quattrocentokunst.  Sein  »jüngstes  Gericht«,  das  vor 
1460  vollendet  war,  ist  uns  leider  nicht  mehr  erhalten.  Der  Grund  des  Unter- 
ganges des  Leoner  Gemäldes  ist  bekannt.  Es  soll  auf  verschiedene  fromme 
Leute  einen  ähnlichen  Eindruck  gemacht  haben,  wie  nicht  ganz  hundert  Jahre 
später  Michelangelos  berühmtes  Fresko  auf  eine  ganze  Reihe  allzu  prüde; 
Seelen:  Man  war  nämlich  entsetzt  über  die  vielen  nackten  Figuren,  die 
Meister  Nicolas  angebracht  hatte. 

Am  5.  März  1460  begann  Nicolas  den  großen  Wandgemäldezyklus  im 
Kreuzgange  der  Kathedrale  von  Leon.  Ende  April  1461  erhielt  er  IOOO 
Mrs.  für  seine  Arbeiten  im  vergangenen  Jahre.  Es  war  ihm  nicht  ver- 
gönnt, diese  Arbeit  zu  vollenden,  denn  1467  oder  1468  ist  er  gestorben. 
Unter  denen,  die  sein  Werk  fortführten,  wird  Lorenzo  de  Avila  genannt, 
der  1521  für  die  Disputation  im  Tempel  6000  Mrs.  erhielt. 

Die  Gemälde,  in  Tempera  ausgeführt,  erhielten  sich  schlecht.  Wiederholt 
wurden  sie  restauriert,  so  in  den  Jahren  1561/1562  fünf  von  ihnen.  Heute 
ist  der  umfangreiche  Zyklus  eine  traurige  Ruine;  vieles  ist  überhaupt  nicht 
mehr  zu  erkennen,  anderes  nur  noch  bruchstückweise,  so  die  Verkündigung, 
die  nur  in  der  Zeichnung  erhalten  ist.  Es  folgt  an  der  Seite  links  vom  Eingänge 
die  Vermählung,  bei  der  das  Stabzerbrechen  auf  die  verschiedenste  Weise 
wiedergegeben  ist,  was  von  der  Erfindungsgabe  des  Meisters  zeugt.  Tempel- 
gang und  Begegnung  Joachims  und  Annas  sind  in  einem  Bogenfelde  dar- 
gestellt. Sehr  gelungen  ist  die  Ausgießung  des  hl.  Geistes,  besonders  schön 
namentlich  die  beiden  großen,  vom  Rücken  gesehenen  Gewandfiguren  in  der 
Mitte.  Recht  gut  erkenntlich  ist  noch  der  bethlehemitische  Kindermord. 
Es  folgt  dann  die  Passion. 

Der  italienisch-toskanische  Einfluß  ist  unverkennbar.  Die  beiden  er- 
haltenen Einzelfiguren  des  hl.  Andreas  und  hl.  Bartholomäus  zeigen  An’äufe 
zu  einem  monumentalen  Stil.  Im  allgemeinen  sind  die  Kompositionen  sehr 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


5 1 1 


figurenreich.  Die,  freilich  oft  sehr  mangelhafte,  Architektur  ist  stark  mit 
herangezogen.  Überall  sieht  man  Häuser  und  Türme.  Auffallend  ist  die 
häufige  Verwendung  von  Blau. 

Von  Lorenzo  rühren  vielleicht  auch  die  beiden  stark  zerstörten  Wand- 
malereien, S.  Leandro  und  S.  Eugenio  darstellend,  her. 

Seiner  Zeit  gehört  auch  die  »Beweinung  Christi«  (etwa  1500)  hinter 
dem  Hochaltar  im  Umgang  auf  der  Epistelseite  an,  ein  flaues  Wandgemälde, 
das  eine  wohl  etwas  früher  entstandene  sehr  figurenreiche  Darstellung  des 
Ecce  Homo  zum  Gefährten  hat.  Die  Gestalt  Christi  ist  in  ganz  schauder- 
hafter Weise  übermalt.  Die  Szene  ist  in  einer  Art  Säulenhalle  gedacht,  vorn 
stützen  zwei  sehr  dünne  Säulchen  die  Halle.  Gegen  Ausgang  des  15.  Jahr- 
hunderts sind  auch  die  Heiligen  Marcellus  und  Victorianus  (?)  entstanden, 
sehr  männliche  Gestalten  in  Goldbrokat  gekleidet  und  gegen  Goldhimmel 
gestellt.  Beide  werden  von  Engeln  gekrönt.  Der  eine  hält  ein  Buch  mit 
einem  Stein  darauf  und  ein  Kreuz,  der  andere  Kreuz  und  Pfeile.  Bei  diesem 
erblickt  man  die  Kathedrale  und  die  Stadtmauer  von  Leon  im  Hintergründe. 
Die  Faltengebung  ist  hart. 

All  das  tritt  aber  weit  hinter  die  Bedeutung  der  Gemälde  des  Hoch- 
altars der  Kathedrale  zurück,  der  seine  jetzige  Gestalt  seit  1906  besitzt; 
seine  etwas  komplizierte,  sehr  lehrreiche  Geschichte  ist  in  kurzem  folgende  »): 

Der  ursprüngliche  Hochaltar  mußte  1740  wie  

so  viele  andere  seiner  Gefährten  einer  großen  Ma-  1 

schine  mit  vielen  gewundenen  Säulen  und  schlech- 
ten Heiligenfiguren  weichen,  die  ein  Verwandter 
des  berühmten  Autors  des  Toledaner  Trasparente 
Narciso  Tom6  zur  großen  Befriedigung  des  Kapi- 
tels ausgeführt  hatte.  Da  erbat  sich  der  Pfarrer  von  Oncina  bei  Leon  für  den 
Hochaltar  der  zu  seinem  Bezirk  gehörenden  Kirche  von  La  Aldea  einige 
Stücke  des  alten  Retablo  aus.  Bereitwillig  trat  ihm  das  Kapitel  die  vier 
Tafeln  mit  dem  Tempelgang  Mariä  und  den  drei  Szenen  aus  dem  Leben 
des  hl.  Froilan  ab  (V  und  II — IV),  die  Tafel  mit  der  Szene  aus  der  Santiago - 
legende  (I)  blieb  in  einem  Winkel  der  Kathedrale.  Alle  übrigen  Stücke  des 
einstigen  Retablo  sind  leider  verloren  gegangen,  denn  man  darf  sicher  an- 
nehmen, daß  er  mindestens  zehn  große  Tafeln  zählte.  Die  übrigen  nun  mit 
den  fünf  glücklich  geretteten  Stücken  stammen,  wie  wir  noch  näher  sehen 
werden,  von  andern  Händen,  zierten  aber  einst  gleichfalls  Altäre  der  Kathe- 
drale. Mit  Ausnahme  der  Geburt  Christi  und  des  Marientödes  schmückten 
sie  später  die  Pfarrkirche  von  Palanquinos,  bis  sie  1904  zurückerworben 
wurden.  Die  beiden  zuletzt  erwähnten  Gemälde  kamen  schließlich  1906 


IV 

m 

6 7 

II 

V 

13  8 12 

9 10  xi 

*)  Juan  Eloy  Diaz-Jimenez:  Catedral  de  Leon,  el  Retablo.  Madrid  1907. 


512 


August  L.  Mayer: 


aus  der  Kirche  Sa.  Maria  del  Mercado  von  Trobajo  del  Camino  zu  den  andern 
hinzu. 

Der  ursprüngliche  Altar  mayor  ist,  wie  die  fünf  erhaltenen  Gemälde 
beweisen,  sicher  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  entstanden. 
Außer  den  stilistischen  Momenten  kommt  auch  noch  die  Tatsache  in  Be- 
tracht, daß  in  den  sehr  genau  geführten  Sitzungs-  und  Rechnungsbüchern 
des  Kapitels  von  1400—1423  und  1442  ff.  nirgends  des  Altar  mayor  gedacht 
wird.  Die  Bücher  der  Jahre  1424 — 1441  sind  leider  nicht  mehr  auf  uns  ge- 
kommen. Man  darf  aber  wohl  mit  Sicherheit  annehmen,  daß  das  Werk  in 
diesem  Zeitraum  entstanden  ist.  Auch  sei  noch  der  Umstand  erwähnt,  daß 
der  bereits  oben  näher  gewürdigte  Meister  Nicolas  1450  die  Summe  von 
1454  Mrs.  erhielt,  um  die  Tafeln  des  altar  menor  zu  malen,  woraus  bereits 
Diaz-Jimenez  mit  Recht  schließt,  daß  damals  doch  der  Altar  mayor  beendet 
gewesen  sein  muß.  Bertaux  3)  setzt  die  Entstehungszeit  des  Altars  gegen 
1450  an  und  weist  ihn,  allerdings  mit  einem  Fragezeichen,  dem  Meister 
Nicolas  zu. 

Die  Tafel  oben  in  der  Mitte  des  Altars  (I)  stellt  die  wunderbare  Auf- 
findung und  Überführung  der  Gebeine  des  spanischen  Nationalheiligen  San- 
tiago von  Iria  Flavia  nach  dem  Berge  Libredon  dar. 

Ein  Ochsenkarren  mit  zwei  mächtigen  Steinrädern,  Mühlsteinen  ähnlich, 
hält  vor  einer  Kirche.  Er  trägt  die  mit  kostbaren  Seidenstoffen  bedeckte 
Lade.  Die  zwei  Stiere  des  Karrens  werden  von  zwei  Geistlichen  in  prunk- 
vollen Palmatiken  gehalten,  während  zwei  andere  ebenso  gekleidete  Kleriker 
ein  anderes  Stierpaar  hinter  dem  Karren  bändigen.  Es  soll  damit  das  Wunder 
dargestellt  werden,  wie  die  wilden  Stiere,  die  die  Heidin  Lupia  gegen  die 
Jünger  des  Apostels  losgelassen  hatte,  von  diesen  gezähmt  und  vor  den 
Wagen  gespannt  wurden.  Die  Kirche,  in  deren  Inneres  man  durch  das 
geöffnete  Tor  blickt,  soll  unzweifelhaft  die  Kathedrale  von  Santiago  de 
Compostela  vorstellen:  Man  sieht  einen  Pilger  seine  Spende  auf  einen  Altar 
mit  der  Statue  des  hl.  Jacobus  maior  nahe  beim  Eingänge  der  Kathedrale 
niederlegen,  die  mit  den  burgundischen  Haspelkreuzen,  den  deutschen 
schwarzen  Kruzifixen  sowie  den  Wappen  und  Fahnen  aller  möglichen  Na- 
tionen und  Länder  reich  geschmückt  ist. 

Im  Hintergründe  ist  in  weiter  Landschaft  die  wunderbare  Auffindung 
der  Reliquien  angedeutet:  Die  Schäferin  und  der  Schäfer,  der,  die  Augen  mit 
der  Hand  beschattend,  scharf  nach  der  Grotte  blickt,  die  in  der  Schlucht 
zwischen  zwei  Bergen  sichtbar  wird,  sollen  auf  die  Entdeckung  des  Ortes 
(S.  Felix  de  Solobrio)  hinweisen,  wo  die  Gebeine  des  Heiligen  500  Jahre 
lang  nach  seiner  heimlichen  Beisetzung  ruhten.  Das  Schloß  und  die  Mönchs- 


3)  Histoire  de  l’Art  II,  2,  S.  758. 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


513 


kirche  auf  der  Felsenhöhe  erinnern  daran,  daß  Teodomir,  der  Bischof  von 
Ira,  von  hier  aus  der  himmlischen  Lichterscheinung  folgte,  wodurch  die 
Entdeckung  der  Gebeine  möglich  wurde,  ferner  daß  das  Mönchskloster  die 
Stätte  war,  wo  von  dem  Abt  Ildefred  die  Gebeine  Santiagos  zuerst  verehrt 
wurden.  Schließlich  weisen  die  weißen  Steine  rings  um  das  Kreuz  auf  der 
Höhe  auf  die  Sitte  der  Pilger  hin,  die  am  Ziele  angelangt,  stets  einen  Stein 
zum  Bau  der  Kathedrale  von  Santiago  selbst  herbeitrugen. 

Der  alte  Altar  zeigte  wohl  mehrere  Szenen  aus  der  Geschichte  des 
hl.  Jacobus,  vielleicht  noch  die  Überführung  der  Leiche  zur  See  nach  der 
Enthauptung.  In  der  Sammlung  von  D.  Pablo  Bosch  in  Madrid  sieht  man 
die  beiden  Szenen  auf  zwei  trefflich  erhaltenen  Tafeln  aus  der  gleichen  Zeit, 
die  jedoch  von  der  Hand  eines  katalanischen  Künstlers  herrühren.  Die  Szene 
des  Transportes  auf  dem  Ochsenkarren  zeigt  viel  Verwandtschaft  in  der 
Darstellung  mit  der  Hauptgruppe  der  Leoner  Tafel.  Andere  Gemälde  der 
geschilderten  Szene  aus  dieser  Zeit  sind  uns  nicht  bekannt. 

Ebenso  wie  die  Santiagotafel  wird  auch  die,  welche  den  »Tempelgang 
Mariä«  darstellt  (V),  ursprünglich  einige  Begleiterinnen  besessen  haben,  die 
uns  noch  andere  Szenen  aus  dem  Leben  der  hl.  Jungfrau  zeigten. 

Der  Maler  ist  kein  besonderer  Meister  der  Perspektive.  Er  legt  vor 
allem  Wert  auf  die  Klarheit  der  Darstellung.  So  hat  er  in  höchst  naiver  Weise 
beim  Tempelgange  die  vordere  Pfeilerreihe  einfach  abgemäht  und  die  Stümpfe 
wie  Stoppeln  stehen  lassen,  damit  man  die  Treppe  mit  der  kleinen  Maria 
besser  sehen  kann.  Die  Gestalten  sind  recht  voll  gebildet,  in  weite  Gewänder 
von  zarten  Farben  mit  sehr  weiten  Falten  gekleidet. 

In  den  übrigen  Tafeln  mit  Darstellungen  aus  dem  Leben  des  hl.  Froilan 
hält  sich  der  Meister  genau  an  das,  was  Juan  Diaconus  von  diesem  Heiligen 
erzählt  hat,  der  900— 905  Bischof  von  Leon  gewesen  ist.  Auf  Tafel  II  er- 
blicken wir  den  Heiligen  in  schwarzem  Ordensgewand  auf  jenem  Spazier- 
gange, der  ihn  von  seiner  göttlichen  Sendung  überzeugte.  Auf  seinen  Schultern 
sitzen  zwei  Tauben,  eine  weiße  und  eine  rote.  Sie  sollen  dann,  erzählt  die 
Legende,  als  Sendboten  des  heiligen  Geistes  in  seinen  Mund  geflogen  sein 
und  die  rote  Besitz  von  seinem  Herzen,  die  weiße  von  seinem  Gehirn  ge- 
nommen haben.  Der  König  Alfons  III.  el  magno  hörte  von  dem  heiligen 
Manne  und  wünschte  ihn  einmal  an  seinem  Hofe  in  Oviedo  zu  sehen.  Der 
Künstler  zeigt  uns  auf  Tafel  III  die  Gesandtschaft  des  Königs,  die  den  Hei- 
ligen in  seinem  Kloster  Vesco  auf  dem  Berge  Curueno  aufgesucht  hat. 

Gewählt  ist  der  Augenblick,  in  dem  ein  vornehmer  Herr  am  Tore  des 
Klosters  dem  im  Eingänge  stehenden,  den  Kopf  demütig  geneigt  haltenden 
Mönch  in  seiner  schwarzen  Kutte  die  Rechte  drückt  und  sich  dabei  zu  seinen 
Gefährten  umwendet. 


5i4 


August  L.  Mayer: 


Schließlich  ist  von  den  Darstellungen  aus  dem  Leben  des  hl.  Froilan 
die  Tafel  der  Bischofsweihe  erhalten.  Der  sitzende  Heilige  trägt  über  dem 
schwarzen  Ordensgewande  des  S.  Benito  ein  kostbares  Pluviale,  auf  dessen 
großer  Spange  man  in  gotischen  Lettern  den  Namen  Froilamimus  liest. 
Mit  seiner  Rechten  greift  er  nach  dem  Bischofsstab,  den  ihm  ein  Geistlicher 
reicht,  während  ein  Bischof,  rechts  hinter  ihm  stehend,  den  Heiligen  mit 
der  Mitra  krönt.  Sein  Haupt  wendet  S.  Froilan  nach  rechts  einem  weiteren 
Geistlichen  zu,  der,  zu  seinen  Füßen  kniend,  auf  einer  Schüssel  die  goldene 
Binde  und  das  Salbölfläschchen  trägt.  Der  Kopf  dieses  Klerikers  ist  sehr 
markant.  Mehr  im  Hintergründe  erblickt  man  den  Gefährten  des  Heiligen, 
S.  Atilano.  In  Weiß  gekleidet,  das  Evangelienbuch  auf  die  Brust  pressend, 
wartet  er,  bis  an  ihn,  den  neugewählten  Bischof  von  Zamora,  die  Reihe  kommt. 

Diese  Tafel  nun  ist  der  Clou  des  ganzen  Altars.  Es  waltet  hier  eine 
Freude  an  lichten,  zarten,  bunten  Farben.  Weiß,  Rosa  und  Rot  herrschen 
im  Vordergründe  vor,  im  Hintergründe  kommen  Grün  und  Grau  dazu.  Man 
wird  lebhaft  an  Werke  der  Kölner  Schule  erinnert,  namentlich  an  die  Loch- 
ners,  an  dessen  Art  auch  der  eigenartige  Größenunterschied  der  Figuren 
gemahnt,  indem  nämlich  die  Kleriker  des  Gefolges  im  Vordergründe  viel 
kleiner  als  die  Hauptfiguren  gebildet  sind. 

Leider  wissen  wir,  wie  schon  gesagt,  gar  nichts  über  die  Person  des 
Meisters.  Jedenfalls  war  er  nicht  nur  mit  den  lokalen  Heiligenlegenden, 
sondern  auch  mit  den  Sitten  und  Gebräuchen  des  Landes  wohl  vertraut, 
wie  aus  der  getreuen  Wiedergabe  des  Ochsenkarrens,  der  Tracht  der  beiden 
plaudernden  Frauen  im  Grunde  links  auf  der  Bischofsweihe,  des  Dudelsack- 
bläsers auf  der  Botschaft  des  Königs  an  S.  Froilan  deutlich  hervorgeht.  Als 
Himmel  sieht  man  stets  gemusterten  Goldgrund.  Die  Tierdarstellung  ist 
dem  Meister  sehr  gut  gelungen,  weit  weniger  die  Architektur.  Hier  verrät 
sich  oft  große  Hilflosigkeit;  beachtenswert  ist  aber,  daß  sich  der  Künstler 
auch  in  der  Architektur  an  nordische  Vorbilder  anschließt.  Trotz 
all  der  fremden  Einflüsse  aber  glaube  ich  doch,  daß  der  Maler  ein  Spanier 
gewesen  ist. 

Alle  andern  Gemälde  des  Altar  mayor  stammen  aus  späterer  Zeit, 
so  die  beiden  Tafeln  mit  je  drei  Aposteln,  die  früher  die  Predella  eines  Re- 
tablo  in  der  Kirche  von  Palanquinos  schmückten. 

Wichtiger  als  diese  Apostel  sind  die  kleinen  Tafeln  mit  Szenen  aus  dem 
Marienleben,  die  heute  die  Predella  des  Hochaltars  bilden.  Von  ihrer  Pro- 
venienz war  schon  weiter  oben  die  Rede.  Dargestellt  sind  Verkündigung  (8), 
Geburt  Christ  (9),  Anbetung  der  Könige  (10),  Darbringung  im  Tempel  (n), 
Ausgießung  des  hl.  Geistes  (12),  Tod  Mariä  (13).  Die  Tafeln  stammen  nicht 
von  einer  Hand.  Die  besten  sind  die  Verkündigung  und  die  Ausgießung 
des  hl.  Geistes.  Namentlich  bei  dem  letztgenannten  Gemälde  fällt  die  gute 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


5*5 


Faltenbehandlung  im  Gegensätze  zu  der  harten,  ungeschickten  Falten- 
gebung  der  meisten  übrigen  sehr  auf.  Entstanden  sind  diese  Tafeln  zu  Aus- 
gang des  15.  Jahrhunderts,  vor  allem  die  mit  der  Darstellung  des  Todes 
Mariä,  denn  diese  ist  nichts  weiter  als  eine  freie  Kopie  nach  dem  berühmten 
Schongauerschen  Stiche.  Dieses  Blatt  war  ja  auch  in  Spanien  sehr  bekannt, 
in  der  Sakristei  der  Leoner  Kathedrale  selbst  hängt  eine  fast  lebensgroße, 
ziemlich  genaue  Kopie  des  Stiches  aus  dem  Anfänge  des  16.  Jahrhunderts. 
Andere  Kopien  sieht  man  im  Prado  und  in  der  Sacristia  de  los  Calices  der 
Sevillaner  Kathedrale. 

Eine  sehr  tüchtige  Leistung  ist  die  große  Beweinung  Christi,  links  vom 
Hochaltar.  Auch  diese  Tafel  ist  wohl  nur  ein  Bruchstück  von  einem  großen 
Altarwerk,  das  ein  unter  Roger  van  der  Weydens  Einfluß  stehender  Künstler 
gegen  1500  geschaffen  hat.  Ganz  außerordentlich  gut  ist  die  Darstellung 
von  Marias  Ohnmacht  gelungen.  Jedoch  verwundert  einen  im  Gegensatz 
zu  der  tüchtigen  Formengebung  und  dem  guten  Ausdruck  der  bekleideten 
Figuren  die  archaistische  Körperbehandlung  bei  dem  toten  Christus.  Die 
Modellierung  ist  recht  ungeschickt,  die  Bauchhöhle  auffallend  stark  markiert. 
Dazu  erinnern  die  langen  Röhrenfalten  des  Bahrtuches  an  Arbeiten  goti- 
scher Bildhauer. 

Auf  der  andern  Seite  des  Hochaltares  sieht  man  ein  kleines  Altarwerk 
aus  dem  Anfänge  des  16.  Jahrhunderts.  Dargestellt  ist  die  »Disputation  im 
Tempel«,  der  sehr  weiträumig  gestaltet  ist,  sowie  die  Messe  des  hl.  Gregor, 
bei  der  der  Renaissancecharakter  der  Architektur  noch  stärker  hervortritt. 
Über  diesen  beiden  größeren  Tafeln  sieht  man  zwei  kleinere  mit  je  zwei 
Apostelhalbfiguren,  und  als  Predella  dienen  zwei  Tafeln,  die  eine  Anbetung 
der  Könige  und  eine  Beweinung  Christi  zeigen.  Der  niederländische  Ein- 
schlag dieses  Altarwerkes  kommt  namentlich  in  der  »Anbetung«  stark  zum 
Durchbruch:  die  Madonna  wie  das  Kind  erinnern  noch  lebhaft  an  die 
bekannten  Typen  des  Dirck  Bouts. 

Von  nicht  geringerer  Bedeutung  als  die  fünf  Gemälde  des  alten  Hoch- 
altars der  Kathedrale  von  Leon  sind  die  28  Tafeln  des  Retablo  Mayor  von 
Sa.  Maria  de  Castillo  in  Fromista,  einem  Dorfe  34  km  nördlich  von  Pa- 
lencia,  die  fast  gleichzeitig  mit  den  Leoner  Gemälden  entstanden,  den  frühe- 
sten Einfluß  Eyckischer  Kunst  in  Kastilien  zeigen.  Dargestellt  sind: 

Oberste  Reihe:  Sündenfall,  Austreibung,  Verkündigung  an  Joachim. 
Begegnung  an  der  goldenen  Pforte,  Geburt  Mariä,  Verkündigung  Mariä. 

Zweite  Reihe:  Heimsuchung,  Geburt  Christi,  Anbetung  der  Könige, 
Darstellung  im  Tempel,  Flucht  nach  Ägypten,  Bethlehemitischer  Kindermord. 
Disputation  im  Tempel,  Taufe. 

Dritte  Reihe:  Abendmahl,  (Ölberg),  Gefangennahme,  Geißelung,  Kreu- 
zigung, Beweinung,  Niederstieg  zur  Hölle,  Auferstehung. 


August  L.  Mayer: 


5*6 

Unterste  Reihe:  Verklärung,  (Noli  me  tangere),  Ausgießung  des  hl. 
Geistes,  David,  Salomo,  Tod  Mariä,  Bestattung  Mariä,  Himmelfahrt  Mariä. 

Die  hier  eingeklammerten  beiden  Darstellungen  »Ölberg«  und  »Noii  me 
tangere«  fehlen  heute.  Ich  glaube  kaum,  daß  die  beiden  verlorenen  Tafeln 
etwas  anderes  zum  Inhalt  hatten,  als  was  hier  angegeben  ist.  Die  beiden 
Tafeln  waren,  wie  man  sieht,  auf  der  linken  Seite  an  der  zweiten  Stelle 
übereinander  angebracht  und  sind  heute  durch  eine  schlechte,  bekleidete 
Statuette  des  Christkindes  unter  hohem  gotischem  Wimperg  ersetzt. 

Zu  den  einzelnen  Darstellungen  ist  folgendes  zu  bemerken.  Der  »Sünden- 
fall« ist  von  besonderem  Interesse,  da  diese  Szene  in  der  spanischen  Malerei 
äußerst  selten  wiedergegeben  worden  ist.  Von  früheren  Darstellungen  kennt 
Verf.  nur  die  im  Zyklus  der  Wandgemälde  des  Kapitelsaales  des  Convento 
de  S.  Juan  von  Sijena,  ein  Werk  des  14.  Jahrhunderts. 

Auf  unserer  Tafel  zeigt  sich  der  niederländische  Einfluß  besonders  stark. 
Der  dunkellockige  Adam,  dreiviertel  Rückenfigur,  von  rötlicher  Karna- 
tion,  hat  etwas  zaghaft  die  Rechte  ausgestreckt,  um  den  Apfel  zu  empfangen. 
Eva,  mit  rötlichem  Haare,  zeigt  einen  viel  helleren  Fleischton  (vgl.  Eyck, 
Masaccio  usw.)  und  vorstehenden  Unterleib,  also  die  gleiche  Körperbildung 
wie  die  Eycksche  Gestalt.  Die  Schlange  hat  einen  Menschenkopf,  oben  im 
Baume  wird  Gott  Vater  sichtbar. 

Die  »Verkündigung  an  Joachim«  erinnert  sehr  an  Bouts,  Man  blickt  in 
eine  sehr  weite  Landschaft,  in  der  Joachim  reich  gekleidet  sitzt,  einen  Stock 
in  der  Linken,  vor  ihm  ein  Hund.  Bei  der  »Begegnung«  hat  sich  der  Meister 
nur  auf  die  beiden  Hauptfiguren  beschränkt,  die  vor  eine  große,  geschlossene, 
goldene  Tür  gestellt  sind.  Bei  der  »Geburt«  erscheint  Maria  als  Wickelkind. 
Eine  Frau  wärmt  vorn  ein  Tuch.  Rechts  bringt  eine  vornehme,  in  Gold- 
brokat gekleidete  Frau  etwas  herbei,  an  italienische  Quattrocentogestalten 
erinnernd.  Bei  der  »Verkündigung«  sitzt  Maria  reich  gekle  det  vor  einem 
Goldbrokatvorhange.  Auch  bei  der  Begegnung  trägt  sie  kostbare  Gewandung, 
ebenso  wie  ihre  Begleiterinnen.  Sie  faßt  nach  Elisabeths  Leib.  Die  weite 
Landschaft  ist  hier  nicht  so  gut  gelungen  wie  bei  der  Verkündigung  an 
Joachim. 

Bei  der  »Geburt  Christi«  ist  der  Marientyp  des  Malers  am  besten  zu 
studieren.  Rotblond,  mit  breitem  Gesicht,  etwas  stark  vortretenden  Backen- 
knochen und  ziemlich  spitzem  Kinn,  ziemlich  langer  Nase  und  kräftigem, 
zuweilen  etwas  breitem  Munde  zeigt  sie  einen  etwas  derben  Typus,  dem  aber 
oft  ein  sehr  lieblicher  Ausdruck  verliehen  ist. 

Die  Anbetung  der  Könige  offenbart  den  Sinn  des  Meisters  für  kleine 
Spielereien,  wie  sie  auch  seine  größeren  nordischen  Kollegen,  u.  a.  Schon- 
gauer,  lieben:  Joseph  greift  an  seine  Mütze,  der  Mohr  lüftet  sie,  der  mittlere 
König  hebt  den  Deckel  vom  Goldgefäß.  Maria  selbst,  wie  stets  in  Goldbrokat 


Studien  zur  Quattrocenton\alerei  in  Nordwestkastilien. 


517 


und  blauem  Mantel,  sitzt  auf  einem  Thronsitze  vor  einem  Goldbrokat- 
teppich. Bei  der  »Disputation«  hat  sich  der  Künstler  auf  drei  Schriftgelehrte 
beschränkt.  Gut  sind  die  beiden  Vordergrundsfiguren:  die  eine  redet  auf 
die  andere  ein,  die,  den  Kopf  auf  die  Hand  gestützt,  zuhört.  Maria  ist  in 
anbetender  Haltung  wiedergegeben,  Joseph  (?)  als  aufmerksamer  Zuhörer. 

Das  »Abendmahl«  ist  als  .Zentralkomposition  gedacht.  Selbstverständ- 
lich fehlt  der  Goldbrokatwandteppich  nicht.  Auch  viele  Apostel  sind  in  Gold- 
brokat gekleidet.  Judas  sitzt  als  Rückenfigur,  Kopf  im  Profil  nach  links, 
ganz  vorn,  in  Blau  gekleidet,  den  gelben  Geldbeutel  auf  dem  Rücken  haltend. 

Bei  der  »Kreuzigung«  fällt  vor  allem  die  Gestalt  der  Magdalena  auf, 
die  großen  Schwung  in  ihrer  Haltung  zeigt  und  sehr  preziös  mit  der  Linken 
ihr  Kopftuch  faßt,  dagegen  malt  sich  bei  der  »Beweinung«  auf  den  Zügen- 
aller  ein  ergreifender,  stummer  Schmerz.  In  den  Schlußbildern  des  Maria- 
lebens macht  sich  wieder  eine  reiche  Verwendung  von  Goldbrokatstoffen 
geltend.  Beim  »Begräbnis«  wird  Maria  in  ringsum  offener,  nur  mit  einem 
goldbrokatstoffverkleideten  Deckel  überwölbter  Lade  getragen.  Auf  der 
Lade  sieht  man  die  abgehauenen  Hände  des  in  Rot  gekleideten,  vorn  am 
Boden  liegenden  bestraften  Spötters,  mit  rotem,  glattem  Gesicht. 

Interessant  sind  die  beiden  Halbfiguren  von  David  und  Salomon,  beide 
sehr  reich  gekleidet  vor  eine  Backsteinmauer  gestellt,  David  vollbärtig, 
Salomon  bartlos,  rotlockig,  ein  Spruchband  haltend. 

Von  dem  etwas  derben  Marientyp  war  schon  die  Rede.  Auch  die 
Apostel  sind  stark  bäuerliche  Typen.  Sie  zeigen  fest  gebaute  Schädel,  manch- 
mal aufgeworfene  oder  knollige  Nasen.  Ebenso  ist  Christus  nicht  allzu  edel 
gebildet.  Die  Falten  sind  hart  und  streng,  oft  röhrenartig.  Die  Komposition 
sucht  der  Künstler  fast  stets  möglichst  zu  vereinfachen  (Begegnung,  Dis- 
putation). Goldbrokat  verwendet  er  sehr  reichlich  und  liebt  bunte  Farben. 
Bei  der  Würdigung  des  Altarwerkes  darf  man  aber  nicht  vergessen,  daß  es 
1863  gründlich  restauriert  wurde. 

Der  Retablo  ist  wohl  sicher  vor  1450  entstanden.  Wer  sein  Autor 
ist,  vermögen  wir  nicht  zu  sagen.  Das  kleine  Fromista  besaß  selbst  in  jener 
Zeit  Künstler  unter  seinen  Söhnen.  Wir  wissen  von  einem  Maestro  Juan 
Sanchez  de  Fromista,  der  1427  als  Maler  und  Bildhauer  für  die  Kathedrale 
von  Burgos  tätig  war  4).  Ob  man  aber  in  diesem  Meister  den  Maler  des 
besprochenen  Retablo  erblicken  darf,  erscheint  sehr  fraglich. 

Mit  dem  Altar  Mayor  von  Sa.  Maria  de  Castilla  in  Fromista  sind  wir 
schon  in  die  Nachbarschaft  der  Kunstschätze  von  P c.  1 e n c i a gerückt. 
Das  älteste  hier  erhaltene  Gemälde  ist  eine  Himmelfahrt  Mariä  aus  den 
ersten  Jahren  des  15.  Jahrhunderts,  hinter  der  Capilla  de  los  Reyes  im 
Chorumgang  der  Kathedrale. 


*)  D.  Manuel  Martinez  y Sanz : Historia  del  templo  Catedral  de  Burgos,  Burgos  1866. 


August  L.  Mayer: 


Erheblich  später,  aus  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  jedoch 
noch  immer  von  stark  altertümlichem  Charakter  ist  ein  kleines  Altarwerk 
an  der  rechten  äußeren  Wand  des  Chores,  die  Heiligen  Johannes,  Andreas, 
Lorenz  und  Stephan  sowie  die  Heimsuchung  darstellend.  Die  Heiligen  sind 
gegen  Goldgrund  gestellt.  Andreas  beschirmt  den  Stifter. 

Auf  der  »Heimsuchung«  sieht  man  nur  die  beiden  Frauen,  schlanke 
Gestalten  mit  herben,  länglichen  Gesichtern.  Die  Faltengebung  ist  überall 
sehr  brüchig.  Auch  hier  ist  wie  bei  der  Beweinung  von  Leon  die  Röhren- 
form sehr  beliebt. 

In  der  Lünette,  oberhalb  des  eigentlichen  Altarwerkes,  liest  man 


Die  Hauptwerke  der  Palencianer  Kathedrale,  die  Gemälde  des  Hoch- 
altars von  Juan  de  Flandes  sowie  den  Altar  desTrascoro  von  Juan  de  Holanda 
hat  bereits  Carl  Justi  eingehend  gewürdigt  5).  Es  bleibt  mir  nur  wenig  zu 
seinen  Ausführungen  hinzuzufügen.  Für  die  holländische  Abkunft  des  an 
zweiter  Stelle  genannten  Meisters  spricht  auch  die  außerordentlich  feine 
Behandlung  des  zerstreuten  Lichtes  bei  dem  Interieur  der  Disputation  im 
Tempel.  Bei  der  »Flucht«  ist  das  Christkind  als  Wickelkind  wiedergegeben, 
das  während  des  Rittes  an  der  Mutterbrust  trinkt.  Die  Pflanzen  sind  stets 
sehr  sorgfältig  im  einzelnen  behandelt.  Das  weibliche  Karnat  ist  auffallend 
hell,  namentlich  bei  der  Beweinung  und  Grablegung. 

Wenn  auch  Juan  de  Flandes  die  Gemälde  des  Altar  Mayor  bereits 
1506  in  Auftrag  gegeben  wurden,  so  hat  er  sie  doch  kaum  vor  1509  ausge- 
führt — denn  von  1505 — 1508  war  er  in  Salamanca  tätig* 6);  er  hatte  sich 
ja  auch  drei  Jahre  Arbeitszeit  ausgehalten. 

Das  Dispositionsschema  der  Gemälde  bei  Justi  ist  irre- 
führend. Die  Tafeln  sind  heute  folgendermaßen  angeordnet: 


Die  fehlenden  beiden  kleinen  Tafeln  der  Kreuzabnahme  und  Klage 
sowie  die  große  der  Kreuzigung  hängen  heute  in  der  Capilla  de  S.  Fernando 
bzw.  im  Kapitelsaale. 

5)  Miscellaneen  aus  drei  Jahrhunderten  spanischen  Kunstlebens  I,  322  ff.,  329  ff. 

6)  Gomez  Moreno,  Un  tresor  de  pintures  inMites  du  XVe  siede.  Gazette  des  Beaux 
Arts.  1908,  II,  308. 


joanes  auillö 
. . p9  fieri  . . . . 


D» 


1.  Heimsuchung,  2.  Verkündigung,  3.  Ecce 
homo,  4.  Epiphanie,  5.  Geburt  Christi,  6.  Noli 
me  tangere,  7.  Gethsemane,  8.  Christus  vor  Kaiphas, 
9.  Kreuztragung,  10.  Grablegung,  1 1.  Auferstehung, 
12.  Emmaus. 


7 8 


9 


IO 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


519 


Diese  drei  waren  ursprünglich  wohl  sicher  für  den  Altar  Mayor  be- 
stimmt, es  scheint  mir  aber  fraglich,  ob,  wie  Justi  annimmt,  sie  jemals  dort 
angebracht  gewesen  sind.  Denn  für  alle  drei  bleibt  in  der  untersten  Reihe 
nicht  genügend  Raum.  Ein  Triptychon,  wie  man  in  Palencia  meint,  haben 
sie  ebensowenig  gebildet,  denn  unter  der  »Kreuzigung«  sieht  man  als  starke 
Predella  ein  großes  Estofadorelief  mit  einer  Beweinung,  das  nicht  viel  später 
als  das  Gemälde  entstanden  sein  kann.  Auch  ist  es  recht  zweifelhaft,  ob 
die  Tafeln,  die  den  Hochaltar  schmücken,  ursprünglich  anders  angeordnet 
waren.  Die  Schwierigkeit  liegt,  bei  der  richtigen  chronologischen  Anordnung, 
in  der  Unterbringung  des  »Noli  me  tangere«. 

Eine  Erklärung  für  alle  diese  Dinge  ist  bald  gefunden,  wenn  man  be- 
denkt, daß  ja  der  Retablo  selbst  erst  in  jenen  Jahren  entstand,  dem  Maler 
der  endgültige  Plan  gar  nicht  vorlag  sondern  ihm  nur  so  und  soviel  große  und 
kleine  Tafeln  in  Auftrag  gegeben  wurden.  Ferner  hat  der  Meister  vielleicht 
eine  ganze  Reihe  der  Gemälde  gar  nicht  an  Ort  und  Stelle  ausgeführt.  Wohl 
hatte  er  den  Auftrag  1506  erhalten  und  sich  verpflichtet,  sein  Werk  bis  1509, 
innerhalb  dreier  Jahre,  fertigzustellen,  aber  wir  wissen  ja,  daß  er  von  1505 
bis  1508  vornehmlich  in  Salamanca  tätig  war,  wo  er  unter  anderem  die  Ge- 
mälde für  den  Hochaltar  der  Universitätskapelle  schuf. 

Wie  schon  Justi  bemerkt,  sind  die  Gestalten  des  Juan  de  Flandes 
oft  schmächtig  und  hager,  die  Gewandbehandlung  sehr  sorgfältig  und  sein 
Erzählungs-  wie  Kompositionstalent  sehr  beträchtlich.  An  Gerard  David 
erinnern  nicht  nur  einzelne  Typen  und  die  Zartheit  der  Färbung, 
sondern  auch  der  sehr  kühle  Gesamtton  des  Kolorits,  zu  dessen  Belebung 
der  Meister  gern  die  Gewandung  einer  oder  mehrerer  Personen  brennend  rot 
färbt.  All  diese  Eigenschaften  weisen  auch  die  sieben  Tafeln  in  S.  Lazaro 
zu  Palencia  auf,  die  Justi  nur  kurz  erwähnt,  Reste  eines  großen  Altarwerkes. 
Sechs  (Verkündigung,  Geburt  Christi,  Erweckung  Lazari,  Ölberg,  Verklärung, 
Ausgießung  des  hl.  Geistes)  sind  in  den  heutigen  Retablo  Mayor  eingelassen, 
dessen  Mitte  eine  Replik  einer  Madonna  mit  dem  Christkind  und  dem  hl. 
Johannes  d.  T.  von  Andrea  del  Sarto  ziert.  Die  siebente  Tafel  mit  einer 
Darstellung  der  Heimsuchung  befindet  sich  in  der  Sakristei.  Maria,  stets 
in  Schwarz  gekleidet,  besitzt  einen  sehr  vornehmen  Typus.  Die  Erweckung 
Lazari  und  der  Ölberg  sind  weniger  gelungen.  Gut  dagegen  und  sehr  lebhaft 
bewegt  ist  die  Ausgießung  des  hl.  Geistes,  eine  Zentralkomposition.  Die 
Verkündigung  und  der  Ölberg  sind  den  Darstellungen  am  Hochaltar  der 
Kathedrale  sehr  verwandt. 

Nicht  von  Juan  de  Flandes  stammten,  wie  ich  nach  wiederholten 
eingehenden  Prüfungen  versichern  kann,  die  ihm  von  Justi  zugewiesenen 
Tafeln  des  Hochaltars  der  Johanneskirche  von  Marchena  (Provinz  Sevilla) 
Daß  ihr  Autor  aber  ein  von  der  Brügger  Schule  abhängiger  Meister  ist,  hat 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


35 


520 


August  L.  Mayer: 


bereits  Justi  in  seiner  Spanischen  Kunstgeschichte,  hier  ohne  Zuweisung  an 
einen  bestimmten  Künstler,  richtig  bemerkt.  Es  ist  leider  bisher  nicht 
möglich  gewesen,  seinen  Namen  festzustellen. 

1519  wird  in  einem  Palencianer  Dokument  die  Witwe  des  Künstlers 
sowie  ein  Sohn  gleichen  Namens  und  Berufes  erwähnt.  Diesem  jüngeren 
Juan  glaube  ich  zwei  Werke  zuweisen  zu  dürfen,  die  in  Typen  wie  Kolorit 
des  Meisters  Abhängigkeit  von  seinem  Vater  zeigen,  jedoch  auch  zuweilen 
den  Einfluß  jenes  rätselhaften  Juan  de  Holanda  verraten.  Das  eine  Tafel- 
bild befindet  sich  in  dem  Hospital  de  S.  Antolin  zu  Palencia  und  stellt  eine 
Beweinung  Christi  dar.  Links  im  Vordergründe  kniet  der  Stifter  in  weißem 
Chorhemd,  eine  stolze,  selbstbewußte  Erscheinung  mit  kräftigen,  fast  etwas 
derben  Gesichtszügen.  Vor  ihm  liegt  ein  aufgeschlagenes  Gebetbuch  und 
seine  Mütze.  Eine  nicht  minder  markante  Erscheinung  ist  der  in  reinem 
Profil  nach  links  zu  Christi  Füßen  kniende,  mit  der  Linken  das  Bahrtuch 
und  mit  der  Rechten  die  Zange  haltende  Joseph  von  Arimathias.  Sicher  ein 
Porträt.  Er  ist  sehr  vornehm  gekleidet,  trägt  einen  Hut  mit  Goldme- 
daillon und  eine  reiche  goldene  Kette  über  dem  weißen  Pelzkragen  seines 
Gewandes.  Es  ist  ein  Mann  jenseits  des  Lebens  Mitte  mit  vollen,  feinen 
Zügen  und  nachdenklichem  Blick.  Die  Haare  sind  sehr  lang  gehalten, 
das  Ohr  blickt  zwischen  ihnen  heraus.  Spanisch  ist  der  Typ  nicht.  Ich 
hege  stark  die  Vermutung,  daß  wir  hier  ein  Porträt  des  Vaters  des  Künst- 
lers, des  älteren  Juan  de  Flandes,  vor  uns  haben. 

Das  Wappen  des  Stifters  fehlt  nicht:  Drei  schwarze  Längsbalken  in 
goldenem  Felde,  das.  ein  Rahmen  mit  sechs  Haspelkreuzen  umgrenzt. 

Das  andere  Werk  des  jüngeren  Juan  birgt  die  Sakristei  der  Pfarrkirche 
von  Santoyo,  einem  armseligen  Dorfe  etwa  8 km  östlich  von  dem  weiter  oben 
genannten  Fromista.  Die  Pfarrkirche  bietet  den  denkbar  schärfsten  Kon- 
trast zu  den  dürftigen  Bauernhäusern.  Sie  ist  (in  ihren  ältesten  Bestand- 
teilen noch  romanisch)  eine  dreischiffige  Hallenkirche,  in  reichstem,  spät- 
gotischem Stil  erbaut  und  von  äußerst  schlanken  Verhältnissen.  Die  Seiten- 
schiffe sind  äußerst  schmal.  Das  mächtige  Eingangsportal  auf  der  Südseite, 
zu  dem  eine  Freitreppe  hinaufführt,  ist  in  platereskem  Stil  gehalten.  Neben 
einem  ausgezeichneten  spätgotischen  Chorpulte  (facistol)  und  dem  im 
gleichen  Stile  gehaltenen  Grabe  des  15 1?  verstorbenen  Benefiziaten  Andres 
Perez  schmückt  die  Kirche  ein  mächtiger  Retablo  von  der  Hand  des  Juan 
de  Juni  (zwischen  1570  und  1583  entstanden),  mit  Szenen  aus  dem  Leben 
des  Täufers  und  dem  Heinigang  Marias. 

Das  Altarwerk  in  der  Sakristei  zeigt  als  Kern  fünf  Tafeln: 
Verkündigung  Christus  mit  allen  Heimsuchung 
Heiligen 


Geburt  Christi 


Heimgang  Mariä. 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


521 


Darunter  eine  Predella  mit  weiteren  fünf  Gemälden:  Darstellung  im  Tempel, 
Disputation,  Kreuztragung,  Kreuzigung,  Beweinung.  Diese  zehn  Tafeln 
stammen  von  Juan  d.  J.  Zu  ihnen  sind  später  nochmals  fünf  gekommen,  eine 
Himmelfahrt  Mariä  oberhalb  des  Allerheiligenbildes,  Antonius  von  Padua 
mit  dem  Christkind  und  die  hl.  Katharina  auf  dem  linken  Flügel  und 
S.  Bartholomäus  mit  dem  gefesselten  Teufel  sowie  eine  sitzende  Anna  selbdritt 
auf  dem  rechten  Flügel.  Die  letztgenannten  Gemälde  sind  ungefähr  1550 
entstanden. 

Der  thronende  Christus  auf  dem  Allerheiligenbilde  ist  dem  Palencianer 
Typ  des  älteren  Juan  sehr  verwandt,  ebenso  der  Marientyp.  Auch  hier 
ist  Maria  fast  stets  in  Schwarz  gekleidet,  die  belebende  rote  Farbe  (bei 
der  Heimsuchung  das  Gewand  der  Elisabeth,  bei  der  Geburt  das  des  hl. 
Joseph)  ist  jedoch  bei  Juan  d.  J.  bedeutend  heller.  Von  den  Predellenbildern 
ist  nur  das  der  Kreuzigung  von  den  Werken  des  Vaters  beeinflußt.  Der 
Krieger  in  Rüstung  mit  der  roten  Fahne  ist  dem  Bilde  im  Kapitelsaale  der 
Palencianer  Kathedrale  entnommen.  Sonst  lehnt  sich  hier  der  Maler  auf- 
fallend stark  an  Juan  de  Holanda  an,  namentlich  bei  der  Darstellung  und 
Disputation  hat  er  starke  Anleihen  bei  dem  Altar  am  Trascoro  der  Palen- 
cianer Kathedrale  gemacht:  Joseph  mit  dem  Taubenkörbchen  ist  ganz 
genau  kopiert.  Die  Disputation  zeigt  ähnliche  Anordnung  und  Tendenz, 
aber  die  Wiedergabe  des  zerstreuten  Lichtes  ist  lange  nicht  so  gut  ge- 
lungen. Der  jüngere  Juan  war  eben  ein  wenig  selbständiger  Geist.  Wenn 
auch  sein  Können  nicht  unansehnlich  war,  so  zehrte  er  doch  vor  allem 
vom  Gute  seines  Vaters. 

Von  den  Werken  des  Florentiners  Dello  di  Nicolo  in  dem  dritten  Kunst- 
zentrum, Salamanca,  war  schon  weiter  oben  die  Rede.  Von  der  Hand  spani  - 
scher  Meister  des  15.  Jahrhunderts  birgt  der  alte  Kapitelsaal  der  Kathedrale 
eine  Anzahl  Tafelgemälde,  so  eine  Verkündigung  und  ein  Triptychon  mit 
drei  Heiligen,  der  zur  Rechten  als  hl.  Antonius  von  Padua  erkenntlich. 
Die  beiden  äußeren  Gestalten  sind  gegen  roten  bzw.  blauen  Grund  gestellt, 
der  mit  großen,  goldenen  Blättern  gemustert  ist,  bei  dem  mittleren,  der  in 
Weiß  und  Blau  gekleidet,  gegen  eine  architektonisch  gebildete  Wand  gesetzt 
ist,  hat  der  Meister  dieses  Blattmuster  auf  der  Gewandung  angebracht. 
Die  Falten  sind  recht  hart,  die  Gestalten  sehr  gedrungen. 

Von  großer  Wichtigkeit  sind  zwei  Tafeln,  die  auch  zu  einem  großen 
Katharinenaltare  gehörten.  Die  eine  ist  sehr  figurenreich  und  stellt  die 
Disputation  der  Heiligen  mit  den  Gelehrten  vor  dem  Könige  dar,  die  andere 
die  Grablegung  der  Heiligen  durch  drei  Engel.  Der  Maler  dieser  Tafeln 
scheint  kein  anderer  als  der  Lehrer  des  Fernando  Gailegos  gewesen  zu  sein, 
an  den  die  derben  Frauentypen,  namentlich  die  der  Engel,  das  Kolorit  wie 
die  Faltenbehandlung  lebhaft  erinnern,  nur  ist  alles  primitiver. 


35! 


522 


August  L.  Mayer: 


Mit  Fernando  Gallegos  nun  sind  wir  zu  dem  einzigen  uns  mit 
Namen  bekannten  spanischen  Tafelmaler  des  15.  Jahrhunderts  aus  Nord- 
westkastilien gekommen,  von  dem  sich  auch  noch  Gemälde  erhalten  haben. 
Die  Hauptwerke  des  Künstlers  bergen  die  Kathedralen  von  Zamora  und 
Salamanca,  S.  Lorenzo  von  Toro  und  die  Pfarrkirche  von  Arcencillas. 

Über  die  näheren  Lebensumstände  des  Meisters  sind  wir  schlecht  unter- 
richtet. Er  nennt  sich  auf  mehreren  seiner  Gemälde  Fernandus  Galecus. 
Zwischen  1440  und  1445  dürfte  der  Maler  geboren  sein,  denn  sein  großes 
Altarwerk  in  der  Ildelfonskapelle  der  Kathedrale  von  Zamora,  das  sicher 
nicht  später  als  1467  entstanden  ist,  gehört  zweifelsohne  der  Jugendzeit  des 
Meisters  an.  Am  23.  Februar  1473  weilte  er  in  Coria  bei  Plasencia.  Dort 
sollte  er  sechs  Retablen  malen  und  der  Preis  von  Fray  Pedro  de  Salamanca, 
Garcia  del  Barco  oder  einem  andern  berühmten  Maler  festgesetzt  werden. 
1507  vollendete  er  die  »Tribüne«  der  Universitätskapelle  zu  Zaragoza.  Nach 
Cean  Bermudez  soll  er  erst  15  5°  gestorben  sein.  Dies  bezweifelte  schon 
Passavant  mit  Recht,  der  auch  bereits  die  Ansicht  vertrat,  Gallegos  müsse 
früher  gelebt  haben. 

Wenig  klärend  wirkt  die  von  Moreno  gefundene  Notiz  im  Kathedral- 
archiv  zu  Salamanca,  daß  für  den  ganz  im  reifen  Stile  des  Meisters  gehaltenen 
großen  Katharinenaltar  ein  Francisco  Gallegos  zweimal  im  Jahre  1500 
Zahlungen  erhalten  hat.  Nach  Moreno  sollen  auch  die  beiden  viel  primi- 
tiveren Tafeln  mit  der  Kreuztragung  und  Pietä  am  Hochaltar  der  alten 
Kathedrale  von  Salamanca  von  diesem  Francisco  gegen  1500  ausgeführt 
sein.  Es  wäre  dies  nicht  unmöglich,  denn  wenn  die  Datierung  durch  die  Rech- 
nungsbücher unwiderleglich  ist,  müssen  die  Tafeln  von  einem  jungen,  noch 
nicht  sehr  geübten  Schüler  des  Fernando,  vielleicht  seinem  Söhne,  her- 
rühren. Sollte  dieser  aber  auch  den  Katharinenaltar  kurz  danach  gemalt 
haben,  so  hätte  dieser  Francisco  in  kürzester  Zeit  ganz  unglaubliche  Fort- 
schritte gemacht.  Bis  zur  weiteren  Klärung  seien  all  diese  Werke  im 
folgenden  ohne  Trennung  der  beiden  Meister  besprochen. 

Ob  Gallegos  ein  Schüler  des  Petrus  Christus  war,  wie  Passavant  gemeint 
hat,  scheint  mir  ebenso  fraglich  wie  die  Richtigkeit  der  Vermutung  von  Cean 
Bermudez,  nach  dessen  Meinung  Gallegos  bei  dem  älteren  Berruguete  in  die 
Lehre  gegangen  ist.  Den  nordischen  Einschlag  in  des  Gallegos'  Werken  hat 
man  stets  erkannt,  darum  nannte  man  ihn  anfangs  in  Spanien  einen  Schüler 
des  Alberto  Durero.  Der  Name  jedoch,  der  sich  einem,  namentlich  bei  dem 
großen  Ildefons -Altar,  unwillkürlich  auf  die  Lippen  drängt,  ist  der  des 
Dirck  Bouts.  Aber  es  hat  hier  gar  keinen  großen  Wert,  auf  diesen  oder  jenen 
Meister  hinzuweisen,  es  genügt  die  Feststellung  der  Tatsache,  daß  die  Kunst 
des  Fernando  Gallegos  sehr  stark  und  fast  ausschließlich  von  den  Schöpfungen 
der  alten  Niederländer  beeinflußt  ist. 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


523 


Sein  erstes  großes  uns  erhaltenes  Werk  ist,  wie  der  bereits  erwähnte 
Retablo  der  Ildefons -Kapelle  in  der  Kathedrale  von  Zamora,  wie  die  Kapelle 
selbst  eine  Stiftung  des  Kardinals  Juan  de  Mella.  Dieser  Kirchenfürst  war 
ein  Sohn  der  Stadt.  Er  hatte  in  Salamanca  studiert,  sich  dort  den  Doktorhut 
erworben  und  als  ein  »celeberrimo  letrado«  selbst  dort  als  Professor  gewirkt. 
In  Rom  verteidigte  er  den  Erzbischof  Diego  de  Anaya  von  Sevilla  und 
erhielt  von  Johann  II.  das  Bistum  Zamora  verliehen.  Doch  blieb  er  ständig 
in  Rom,  wo  er  Papst  Eugen  IV.  gute  Dienste  leistete  und  ihn  gegen  die 
Bedrückungen  der  Colonnas  verteidigte.  Calixtus  III.  ernannte  ihn  dann 
1456  zum  Kardinal.  1458  wurde  er  Erzbischof  von  Sigirenga  und  starb 
am  13.  Oktober  1467  in  Rom.  Die  Mella  waren  eine  sehr  angesehene  Familie. 
Ein  Namensvetter  des  Kardinals,  der  auch  in  der  Ildelfons-Kapelle  ruht, 
war  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  Regidor  von  Zamora. 

Das  große  Altarwerk  dürfte  wohl  zwischen  1456  und  1467  entstanden 
sein.  Es  ist  auf  der  »Kaselverleihung«  bezeichnet  FERNAD9  GALECVS. 
Dargestellt  ist  in  der  oberen  Reihe  die  Taufe,  Kreuzigung  und  die  Hinrich- 
tung Johannis.  In  der  unteren  die  Erscheinung  der  hl.  Leocadia,  die  Ver- 
leihung der  Kasel  an  den  hl.  Ildelfons  und  die  Überreichung  eines  Reliquien - 
kästchens. 

Bei  der  Taufe  fällt  die  weite  Landschaft  auf,  doch  die  drei  Figuren 
stehen  noch  ganz  vorn  in  einer  Linie.  Der  Engel  in  Rosa  ist  eine  sehr  lieb- 
liche Erscheinung.  Der  Christus  der  Kreuzigung  zeigt  einen  sehr  hageren, 
dürren  Körper.  Das  Haupt  hat  er  gesenkt.  Von  den  drei  Frauen  sind  die 
beiden  vorderen  in  Blau  und  Gelb  gekleidet,  die  hintere  in  Rot  ist  ganz  in 
ihren  Mantel  eingehüllt,  nur  die  Augen  sehen  heraus.  Alle  drei  sitzen.  Jo- 
hannes trägt  rotbraune  und  blaugrüne  Gewandung.  Die  Hinrichtung  des 
Täufers  spielt  sich  in  einem  Hof  ab,  der  Henker  übergibt  gerade  Salome  das 
Haupt. 

Die  Leocadienerscheinung  bezieht  sich  auf  eine  Toledaner  Legende, 
nach  der  diese  Toledaner  Märtyrerin  dem  hl.  Ildefons,  dem  eifrigen  Ver- 
teidiger der  reinen  Jungfrau  Maria,  in  Gegenwart  des  Königs  Receswinth 
erschienen  sein  soll.  Der  Erzbischof  habe  rasch  mit  einem  Schwerte,  das 
ihm  der  König  reichte,  ein  Stück  des  grünen  Kopftuches  der  Heiligen  abge- 
schnitten, das  als  kostbare  Reliquie  verwahrt  worden  sei.  Die  Szene  spielt 
in  einer  Kirche  mit  reich  gemustertem  Fußboden.  Auf  der  linken  Seite 
knien  die  Priester,  auf  der  rechten  der  König.  Ildefons  hat  mit  der  Linken 
das  Kopftuchende  der  knienden  Heiligen  erfaßt  und  wendet  sich  nun  (vom 
Rücken  gesehen,  den  Kopf  nach  rechts)  zum  Könige,  der  ihm  sein  kurzes 
Schwert  reicht. 

Der  König,  in  Rot  und  Goldbrokat  gekleidet,  zeigt  ein  wenig  edles 
Gesicht.  Seine  Nase  ist  sehr  lang.  Verzeichnet  wirkt  die  Figur  rechts  von 


5 24 


August  L.  Mayer: 


ihm  in  dem  langen  gelben  Mantel.  Die  Priester,  von  denen  einer  in  reicher 
Capa  vorn  kniet,  sind  besser  gelungen.  Oben  im  Chor  der  Kirche  sieht  man 
einen  Flügelaltar,  dessen  Mitte  eine  Kreuzigung  bildet.  Eine  Erinnerung 
an  des  Meisters  flämische  Vorbilder. 

Die  Gestalt  des  links  im  Profil  knienden,  in  Weiß  und  Rot  gekleideten 
Ildefons  auf  der  »Kaselverleihung«  ist  scheußlich  übermalt.  Ebenso  die 
beiden  Engel  in  Blau  hinter  ihm,  von  denen  einer  seine  Mitra  hält,  sowie  die 
Fensterausschnitte  mit  dem  Himmelsblau  und  die  Wolken  über  Maria. 
Diese  sitzt  auf  einem  Thron  in  vornehmem,  dunkelgrünem  Kleid  und  roten 
Schuhen  und  blickt,  das  Gewand  überreichend,  nieder,  jedoch  nicht  zu 
Ildefons.  Rechts  kniet  der  hl.  Hieronymus  im  Profil  in  Kardinalstracht, 
sein  Hut  liegt  am  Boden.  Der  Purpurmantel  zeigt  einen  außerordentlichen 
Faltenreichtum,  doch  sind  die  Falten  zum  Teil  .hart  gebrochen.  Hinter 
Hieronymus  steht  ein  in  Weiß  und  Blau  gekleideter  Engel  in  reicher  goldener 
Capa,  der  die  Linke  auf  dem  Rücken  des  Heiligen  mit  der  Rechten  auf  Maria 
weist.  Neben  dem  gotischen  Thronsessel  erblickt  man  die  hl.  Katharina  mit 
Schwert  und  offenem  Buche,  die  zu  dem  hl.  Ildefons  niederschaut.  Ihr 
dunkelgrünes  Gewand  ziert  ein  sehr  •breiter  Goldsaum.  Alle  Frauen  haben 
frische  Landmädchengesichter,  die  beiden  rechts  sogar  einen  ziemlich 
derben  Typ. 

Die  letzte  der  großen  Darstellungen  bezieht  sich  wohl  auf  die  frühere 
Überführung  der  Reliquien  des  Heiligen  nach  Zamora.  Ein  hagerer,  in  Rot 
gekleideter  Mann,  vom  Rücken  gesehen,  weist  rechts  auf  eine  kleine,  rosa- 
farbene Kapelle  hin,  den  Aufbewahrungsort  der  Reliquien. 

Auch  diese  Szene  spielt  in  einer  Kirche.  Hinten  in  der  Mitte  sitzt  der 
Erzbischof,  von  drei  Leuten  seines  Gefolges  umgeben,  und  überreicht  einem 
in  braunem  Mantel  vor  ihm  knienden  ein  Kästchen,  das  wohl  die  Reliquie 
des  Heiligen  enthält.  Links  sieht  man  anbetende  Frauen,  Bettler  und  Kinder, 
rechts  eine  Gruppe  von  Männern,  die  zum  Teil  einen  sehr  verwunderten  Aus- 
druck zeigen.  Besonders  auffallend  ist  der  im  Vordergründe  heranrutschende, 
in  Gelb  und  Rot  gekleidete  Bettler  mit  kleinen  Holzstühlchen  in  den  Händen. 

Als  Predellenbilder  sieht  man  den  hl.  Kirchenvater,  Gregor  in  reicher 
perlengestickter  Mitra  und  ebenso  kostbarem  Gewand,  einen  übermalten 
Petrus,  das  Schweißtuch  der  Veronika  und  den  hl.  Hieronymus  als  Brust- 
bild; die  Nase  ist  auffallend  lang,  der  Mund  leicht  geöffnet,  so  daß  man  die 
Zähne  sieht.  In  der  erhobenen  Rechten  hält  er  die  Feder,  in  der  Linken 
das  Buch. 

Auf  den  einrahmenden  schmalen  Außenseiten  sieht  man  auf  beiden 
Seiten  oben  das  Wappen  des  Kardinals,  einen  Adler,  von  drei  goldenen  Balken 
wagerecht  durchkreuzt  und  von  acht  kleinen  goldenen  Löwen  in  schwarzem 
Feld  umrahmt,  darunter  links  Eva  mit  der  Spindel,  eine  echt  gotische  Gestalt 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


525 


in  Tanzschritt,  rechts  Adam  in  gespreizter  Stellung  mit  einer  Harke  in  der 
Rechten  und  der  verhängnisvollen  Frucht  (auch  hier  als  Feige  gebildet) 
in  der  Linken. 

Es  folgt  dann  wieder  auf  beiden  Seiten  das  Wappen  und  darunter  links 
die  Gestalt  der  Kirche  und  rechts  die  der  Synagoge.  Diese  vier  seitlichen 
Darstellungen  sind  als  Grisaillen  auf  rotgoldbrokatenem  Grund  aus- 
geführt. 

Als  Seitenteile  der  Predella  endlich  sieht  man  links  den  Engel  des 
Matthäus  und  den  Adler  des  Johannes,  rechts  Jacobus  maior. 

Der  Altar  zeigt  uns  den  Meister,  wie  schon  gesagt,  noch  nicht  auf  der 
Höhe.  Abgesehen  von  den  derben  Typen,  bei  denen  vor  allem  die  langen 
Nasen  auffallen,  findet  man  wiederholt  recht  ungeschickte  Verkürzungen 
(der  Leichnam  Johannis,  der  Begleiter  des  Königs  bei  der  Leocadienerschei- 
nung,  der  Bettler  bei  der  Reliquienübergabe).  Die  oft  sehr  langen  Falten  sind 
meist  hart  gebrochen,  manche  sind  röhrenförmig,  was  ja  ein  Charakteristikum 
der  nordwestkastilischen  Schule  zu  sein  scheint;  namentlich  der  Mantel  des 
Johannes  bei  der  Kreuzigung  ist  genau  so  behandelt,  als  sei  er  ein  Entwurf 
für  eine  Skulptur. 

Derselben  Zeit  wie  diese  Schöpfung  gehört  das  zweite  bezeichnete  Werk 
des  Gallegos  an,  die  Reste  eines  Retablo  in  der  Antonius-Kapelle  der  Kathe- 
drale von  Salamanca,  auf  dem  Mittelfelde  rechts  unten  FERNADVS 
GALECVS  bezeichnet.  Passavant  sah  es  in  der  Clemens -Kapelle,  wo  man 
außer  den  heute  leider  stark  restaurierten  und  gefirnißten  Tafeln  mit  der 
Madonna,  dem  hl.  Andreas  und  S.  Christoph  »noch  ein  paar  Zwickel  des  alten 
Retablo,  den  König  David  und  einen  andern  Propheten  darstellend,  sah«. 

Bei  dem  Mittelbilde,  das  eine  thronende  Madonna  darstellt,  fühlte  sich 
Passavant  mit  Recht  an  das  Frankfurter  Bild  des  Petrus  Christus  erinnert. 
»Die  Behandlungsweise  ist  ganz  Eyckisch.  Die  Schatten  der  Karnation  haben 
einen  lichtbräunlichen  Ton  . . Weder  die  hl.  Jungfrau  noch  das  Christkind 
sind  schön  zu  nennen.«  Über  dem  dunkelbraunen  Gewände  trägt  Maria 
einen  hellroten  Mantel,  bei  dem  die  reiche  Faltengebuhg  auffällt,  doch  sind 
die  Falten  hart  gebrochen.  Auch  der  Saum  des  Kleides  ist  unten  hart  be- 
handelt. Das  Kind  steht  in  durchsichtigem  Hemdchen  auf  dem  linken  Knie 
Marias  und  greift  nach  einer  weißen  Rose,  die  die  Jungfrau  in  ihrer  Rechten 
hält.  Ist  Maria,  wie  Passavant  sagt,  auch  nicht  schön,  so  ist  sie  doch  recht 
lieblich  zu  nennen. 

Auf  fler  Tafel  links  ist  Andreas  dargestellt,  der,  weißbärtig,  in  rosa 
Gewand  und  dunklem  Mantel,  von  vorn  gesehen  in  der  Linken  ein  offenes 
Buch,  in  der  Rechten  das  Kreuz  hält.  Im  Hintergründe  sieht  man  eine  Stadt 
und  Schneeberge.  Passavant  bemerkt  von  dem  Heiligen : »Der  Kopf  hat  etwas 
sehr  Würdiges  in  der  Art  der  Eyckischen  Auffassungsweise.  Die  Füße  wie 


526 


August  L.  Mayer: 


auch  bei  Peter  Christophsen  ohne  rechtes  Verständnis  gezeichnet..  Die  Land- 
schaft hat  einen  sehr  bräunlichen,  den  Spaniern  eigentümlichen  Ton.« 

Der  hl.  Christophorus  zur  Rechten  ist  in  Blau  und  Rot  gekleidet.  Die 
Linke  eingestemmt,  blickt  er  zu  uns  heraus.  Das  Bemerkenswerteste  ist  die 
weite,  sorgfältig  behandelte  Landschaft. 

Nicht  bekannt  sind  mir  die  15  dem  Meister  zugewiesenen  Gemälde 
in  Arcencillas.  Es  war  ürsprünglich  ein  großer  Retablo  mit  Darstellung  des 
Lebens  und  der  Passion  Christi,  von  der  Verkündigung  bis  zur  Himmelfahrt. 
Gleichfalls  unbekannt  sind  mir  im  Original  die  Tafeln  vom  Hochaltar  in 
S.  Lorenzo  zu  Toro.  Die  Stifter  des  Altars  waren  D.  Pedro  de  Castilla  und 
Dona  Beatriz  de  Fonseca.  Der  Gatte  starb,  nach  seiner  Frau,  im  Jahre  1492. 
Erhalten  sind  noch  acht  Tafeln  sowie  die  Predella  und  die  Krönung  des 
Ganzen.  Die  mittlere  Partie  wurde  im  18.  Jahrhundert  durch  eine  Schnitz- 
arbeit im  Churriguera-Stil  ersetzt.  Es  befand  sich  da  ein  Gemälde,  das 
Christus  in  der  Glorie  zwischen  Kirche  und  Synagoge  zeigte  (jetzt  bei 
M.  Kleinberger,  Paris).  Die  großen  Tafeln  enthalten  vier  Szenen  aus  der 
Kindheit  Christi  und  vier  aus  der  Lorenzgeschichte. 

Von  den  beiden  Tafeln  am  Hochaltar  der  alten  Kathedrale  von  Sala- 
manca  war  schon  weiter  oben  kurz  die  Rede.  Bei  der  Kreuztragung  fallen 
die  knittrigen,  scharf  gebrochenen  Röhrenfalten,  namentlich  bei  dem  dunklen 
Gewände  Christi,  auf,  der  große  Verwandtschaft  mit  dem  Bouts’schen  Christus- 
typ besitzt.  Die  figurenreiche  Handlung  ist  ganz  in  den  Vordergrund  ge- 
schoben und  lebhaft  bewegt.  Dahinter  erstreckt  sich  eine  weite  Landschaft, 
in  der  die  Marien  erkenntlich  sind,  die  mit  zahlreicher  Begleitung  aus  dem 
Stadttor  herauskommen.  Der  Christus  der  Beweinung  zeigt  einen  sehr 
hageren  Körper,  namentlich  die  Gliedmaßen  sind  sehr  dürr.  Magdalena 
fällt  durch  die  Lebhaftigkeit  ihrer  Klage  auf.  Eine  der  Marien  hat  ähnlich 
wie  in  Zamora  ihr  Kopftuch  weit  über  die  Stirn  herabgezogen.  Auch  hier 
spielt  die  weite  Landschaft  eine  große  Rolle. 

Beweisen  diese  beiden  Tafeln  mehr  als  die  andern  Werke,  daß  Gallegos 
seine  Lehrzeit  bei  dem  »Meister  des  Katharinenaltars«  in  Salamanca  zuge- 
bracht hat,  so  zeigen  ihn  uns  die  Tafeln  seines  Katharinen-Altars  in 
der  Sala  capitular  der  Catedral  vieja  in  Salamanca  auf  der  Höhe  seines 
Könnens. 

Auf  der  großen  Mitteltafel  erblicken  wir  die  hl.  Katharina  frontal 
sitzend  auf  einfachem  breiten  gotischen  Sitz.  Als  Grund  dient  ein  Teppich, 
der  oben  als  Baldachin  gebildet  ist  und  auf  dessen  beiden  Seiten  das  große 
Marterrad  der  Heiligen  hervorblickt.  Gekleidet  ist  die  Heilige  in  ein  gold- 
brokatenes  Untergewand  mit  roten  Ärmeln  und  blaues  Obergewand  sowie 
roten  Mantel,  der  die  Ärmel  des  blaue'n  Kleides  freiläßt  und  einen  überaus 
großen  Faltenreichtum  zeigt.  Eine  Krone  auf  dem  Haupt,  eine  doppelte 


Studien  zur  Quattrocentomalerei  in  Nordwestkastilien. 


527 


Perlenkette  um  den  Hals,  hält  sie  in  der  Rechten  das  Schwert  und  in  der 
Linken  ein  offenes  Buch.  Ihr  Gesicht  ist  ziemlich  voll  gebildet,  die  Augen 
groß  und  offen,  das  Kinn  spitz,  der  Mund  ziemlich  breit.  Sie  sitzt  in  einem 
Zimmer  mit  Fliesenboden,  das  in  seiner  Behandlung  niederländischen  Einfluß 
verrät.  Links  liegt  ein  Buch  auf  einer  Brüstung,  rechts  steht  Glas  und  Flasche 
auf  der  Fensterbank.  Das  Fenster  selbst  ist  geöffnet  und  gewährt  Ausblick 
in  eine  Landschaft. 

Auf  der  schmäleren  Tafel  links  ist  das  Radwunder  dargestellt.  Katha- 
rina in  blauem,  gelb  gefüttertem  Kleid  und  rotem,  wiederum  äußerst  falten- 
reichen Mantel,  eine  Korallenkette  um  den  Hals,  kniet  im  Gebet.  Unter  den 
gestürzten  Henkern,  in  deren  Kleidung  Blau  vorwiegt,  jedoch  auch  Gelb 
ziemlich  stark  vertreten  ist,  herrscht  lebhafteste  Bewegung.  So  sehr  sich 
der  Künstler  auch  Mühe  gegeben  hat,  die  schwierige  Kunst  der  Verkürzung 
beherrscht  er  in  einigen  verwickelten  Fällen  immer  noch  nicht  ganz.  Mit  am 
interessantesten  ist  eine  Gestalt,  die  vorgebeugt  sitzend  den  völlig  gesenkten 
Kopf  in  beide  Hände  genommen  hat. 

Auf  der  rechten  schmäleren  Tafel  sieht  man  die  Enthauptung  der 
Heiligen.  Sie  ist  ganz  ähnlich  wie  beim  Radwunder  gekleidet.  Ihr  Haupt, 
erst  zur  Hälfte  vom  Rumpfe  getrennt,  ist  auf  die  Seite  geneigt.  Die  Augen 
sind  bereits  gebrochen.  Der  Henker,  eine  hagere  Gestalt,  in  Grau  und  Grün 
gekleidet,  holt  zu  einem  zweiten  Streich  aus,  um  sein  grausiges  Werk  zu 
vollenden.  Rechts  stehen  einige  Zuschauer,  gleichfalls  sehr  schlanke 
Gestalten. 

Der  Boden  besteht  aus  weißen  und  grünen  Fliesen.  Im  Hintergründe 
wird  durch  eine  Art  Fensteröffnung  die  Disputation  der  Heiligen  mit  den 
Schriftgelehrten  sichtbar,  eine  weitere  Fensteröffnung  zeigt  einen  Ausblick 
in  eine  Landschaft. 

Über  den  drei  großen  Tafeln  sind  drei  kleinere  mit  Halbfiguren,  die 
gegen  Goldgrund  gestellt  sind,  angebracht.  In  der  Mitte  Petrus  und  Paulus, 
einander  zugekehrt;  links  der  hl.  Gregor  mit  Kreuz,  Calix  und  Hostie,  rechts 
der  hl.  Hieronymus  in  Kardinalstracht  mit  Feder  und  Buch,  niederblickend. 

Ein  Spätwerk  des  Meisters,  das  schon  den  Geist  der  Renaissance  atmet 
und  zu  gleicher  Zeit  in  verschiedener  Hinsicht  stark  an  Memling  erinnert, 
ist  das  Gemälde  am  Trascoro  der  Kathedrale  von  Zamora,  ein  Allerheiligen- 
bild. Vor  allem  sind  hier  die  Typen  bedeutend  edler.  Christus  sitzt  als 
Salvator  mundi  auf  einem  reichen  Renaissancethron,  der  mit  den  sitzenden 
Statuetten  der  Kirche  und  der  Synagoge  geschmückt  ist.  Links  vom  Thron 
erblickt  man  Maria  in  Schwarz,  die  Hände  auf  der  Brust  gekreuzt,  ferner 
Magdalena  in  Gelb,  Katharina  in  Rot  und  andere  weibliche  Heilige;  rechts 
von  Christus  Johannes  d.  T.,  Petrus  in  Grünlichweiß,  Johannes  Ev.  in  Rot. 
Ganz  vorn  in  der  Mitte  sitzt  der  junge  St.  Michael  mit  Schwert  und  Schild. 


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August  L.  Mayer: 


Er  erinnert  besonders  lebhaft  an  Memlingsche  Gestalten.  Links  von  ihm 
musizieren  drei  Engel,  am  besten  ist  der  flötenblasende  gelungen;  rechts 
von  ihm  singen  drei  andere  aus  einem  Buch.  Oben  in  den  Lüften  sieht 
man  kleine  Putten.  Die  Faltenbehandlung  ist  etwas  weicher,  aber  die 
alten  Gepflogenheiten  des  Meisters  sind  immer  noch  deutlich  erkennbar. 

Ein  Hauptwerk  aus  dem  Kreise  des  Künstlers  ist  der  große  Altar  von 
Ciudad  Rodrigo,  jetzt  in  der  Sammlung  Cook  zu  Richmond,  der  23  größere 
Tafeln  und  3 Predellenstücke  umfaßt.  Er  enthält  die  Welthistorie  vom 
Chaos  bis  zum  jüngsten  Gericht.  Gailegos  selbst  darf  man  vielleicht  12  Tafeln 
zuweisen. 

Neben  Gailegos  arbeiteten  noch  zwei  andere  Künstler  an  diesem  Werke. 
Den  bedeutenderen  nennt  Bertaux  mit  Recht  le  maitre  aux  armures.  In 
der  Kunst  der  Waffenmalerei  erinnert  er  lebhaft  an  Konrad  Witz.  Doch  ist 
er  lange  nicht  so  bedeutend.  Seine  Akte  sind  recht  mager,  seine  Verkürzungs- 
kunst ziemlich  gering.  Auffallend  ist  sein  sehr  melancholischer  Christustyp. 

Aus  dem  Kreise  des  Gailegos  stammt  ferner  der  Retablo  in  der  Cap. 
Sa.  Barbara  der  Kathedrale  von  Salamanca,  nach  1500  entstanden.  Am 
meisten  zeigt  die  Tafel  mit  der  »hl.  Barbara  vor  dem  Könige«  von  seiner 
Eigenart.  Sonst  sieht  man  noch  die  »Kreuztragung«,  »Golgatha«,  »Bewei- 
nung« (schlecht  zu  erkennen)  und  eine  erst  später  hinzugefügte  »Enthauptung 
der  hl.  Katharina«.  Der  Kreuzgang  der  Kathedrale  enthält  schließlich 
noch  drei  mäßige,  schlecht  erhaltene  Retabeln  aus  der  gleichen  Zeit,  der 
späteste  zeigt  niederländischen  Einfluß. 

Im  1 6.  Jahrhundert  löste  Valladolid  die  alten  Kunststätten  Leon  und 
Salamanca  ab.  Die  bedeutendsten  Malereien  aus  der  ersten  Hä'fte  dieses 
Jahrhunderts,  die  Salamanca  aufzuweisen  hat,  stammen  von  der  Hand  des 
vor  allem  als  Bildhauer  berühmten  Alonso  de  Berruguete,  der  die  größte 
Zeit  seines  Lebens  in  Valladolid  gewirkt  hat.  1529  schuf  er  den  Retablo 
mayor  für  das  Colegio  del  Arzobispo  in  Salamanca,  Szenen  aus  dem  Marien- 
leben enthaltend,  eines  seiner  interessantesten  Frühwerke  und  seine  bedeu- 
tendste malerische  Arbeit  überhaupt. 


Noten  für  den  Illuminator. 

In  der  Reichenauer  Handschrift x)  XXVII  der  Großh.  Hof-  und  Landes- 
bibliothek zu  Karlsruhe  sind  uns  — eine  ziemliche  Seltenheit  — am  Rande 
des  Manuskriptes  Anmerkungen  des  Schreibers  für  den  Miniateur  erhalten, 
die  uns  so  recht  gestatten,  in  die  Werkstatt  der  damaligen  Künstler  einen 
Einblick  zu  tun.  Rudolf  Kautzsch  hat  in  seinen  einleitenden  Erörterungen 
zu  einer  Geschichte  der  deutschen  Handschriftenillustration  (1894)  die  Art 
der  Herstellung  der  Handschriften  und  ihrer  Bilder  eingehend  dargelegt 
und  hat  auf  Seite  63  Anm.  I Noten  aus  dem  Cod.  palat.  germ.  3 36  mitgeteilt; 
ich  brauche  das  dort  Gesagte  deshalb  nicht  zu  wiederholen,  sondern  wende 
mich  zu  unsern  Noten  selbst.  Die  Miniaturen  erscheinen  mir  ziemlich  hand- 
werksmäßig und  geben  bei  weitem  kein  Bild  von  der  damals  in  Konstanz 
blühenden  Malerei;  die  Handschrift,  1335  jedenfalls  in  dieser  Gegend  ent- 
standen, also  nur  kurz  nach  der  Herstellung  der  berühmten  Richenthaler 
Originalhandschrift,  weist  29  Miniaturen  auf,  und  zwar  auf  Seite  I,  5,  6, 
35,  58,  73  b,  95,  115,  H5b,  129,  144,  146,  147,  152,  166b,  200,  216b,  217, 
232b,  252b,  253b,  259b,  268b,  278b,  284b,  292b,  301b,  318,  332. 
Die  meisten  Noten  zu  diesen  Miniaturen  sind  völlig  ausradiert  und 
unlesbar. 

Note  zu  Seite  58.  »Da  kvmpt  ain  bischo[ve]  vn(d)  lect  für  vff  [den] 
altar,  vn(d)  grift  aine(m)  bokk  vff  da[s]  hvpt.«  Samuel  Berger,  der  einen 
Teil  dieser  Noten  in  den  »M^moires  de  la  Soci6t6  Nationale  des  Antiquaires 
de  France«  (1893)  veröffentlicht  hat,  liest:  Da  kumpt  ain  bischo[ve]  unn 
lect  für  uff  [ain]  altar,  unn  grift  (?)  ainen  bokk  uff  dem  hupt. 

Note  zu  Seite  166  b.  »Da  kvmpt  ain  gewabeter  vo(n)  dem  strit  zuo 
kvnig  dauid.«  Samuel  Berger:  Da  kumpt  ain  gewapeter  von  dem  feit  (?) 
zuo  kunig  David. 


*)  Biblia  cum  duobus  prologis  Hieronymi,  I.  = Vetus  Testamentum,  bis  Parabole 
Salomonis,  mit  Esdrae  III,  in  zwei  Kolumnen,  ohne  die  Psalmen.  402  Blätter  (385  X 282) 
aus  Pergament.  Auf  Seite  401  b steht:  Iste  liber  est  magistro  Johanni  Spenlin.  Zu  diesem 
Kodex  gehört  als  zweiter  Band  Reichenau  XXVIII,  der  jedoch  keine  Noten  enthält. 
Auf  Seite  402  steht:  in  Nomine  Domini  Explicit  Liber  Apocalipsis.  Anno  Domini 
M.  CCCC.  XXXV.  Vgl.  den  Katalog  der  Reichenauer  Pergamenthandschriften  von  Alfred 
Holder  (1906)  S.  106  u.  107. 


530 


Noten  für  den  Illuminator. 


Note  zu  Seite  200.  Dieselbe  ist  sehr  stark  radiert  und  kaum  lesbar: 
»Ain  kvnig  lit;  sein  hvptman  beet;  zuo  [ihm]  kvmpt  ain  p(ro)phet  vn(d) 
strafet  den  kvnig.«  Samuel  Berger  liest  die  Note  nicht. 

Note  zu  Seite  217.  »obne(n)  adam,  eua  vn(d)  juden;  vnde(n)  velt 
ain  kvfnig]  i(n)  sin  swert.«  Samuel  Berger:  Obenn  Adam  Eva  unn  juden. 
Unden  velt  ain  ku[nig]  in  seim  swert. 


Helmuth  Th.  Bossert- Karlsruhe. 


Zu  Paris  Bordone. 


Das  umstehend  abgebildete  männliche  Porträt  verdankt  ohne  Zweifel 
dem  Pinsel  des  Paris  Bordone  seine  Entstehung.  Ich  bringe  die  Nachbildung 
hier,  weil  das  Original  auch  zur  Frage,  ob  das  männliche  Porträt  von  1523 
in  der  Münchener  Pinakothek  (Rebers  Katalog  Nr.  1120)  von  Bordone  sei, 
immerhin  einen  Beitrag  liefert. 

Das  Porträt,  Brustbild  in  Lebensgröße,  stellt  einen  vornehmen  Herrn 
vor;  die  Beleuchtung  kommt  von  links  und  ist  mit  großer  Kenntnis  der 
Lichtwirkung  durchgeführt.  Mit  psychologischer  Feinheit  prägen  sich  in 
dem  Gesichte  die  Wirkungen  einer  Krankheit,  anscheinend  der  Lungen,  aus; 
Blick  und  Ausdruck  zeigen  schwärmerischen  Charakter.  Das  Gewand  ist 
dunkel,  ebenso  Haar  und  Bart  und  die  Farbe  der  Augen.  Ich  sah  das  Bild 
schon  vor  längerer  Zeit  bei  dem  Münchener  Kunstantiquar  Julius  Böhler, 
der  es  dann  auch  in  der  großen  Münchener  Ausstellung  des  Jahres  1908 
sehen  ließ.  Gegenwärtig  gehört  es  Seiner  Exzellenz  Herrn  Grafen  Andreas 
von  Maltzan  zu  Militsch  in  Schlesien. 

Ich  sagte  oben,  es  werfe  ein  Licht  auf  die  Frage,  ob  das  Münchener 
Porträt  von  1523  von  Bordone  sei.  Diese  Frage  ist  insofern  nicht  uninter- 
essant, als  man  damit  das  frühest  datierte  Werk  des  Trevisaners  vor  sich 
hätte.  Crowe  und  Cavalcaselle  hatten  es  zuerst  demselben  zugeteilt,  und 
auch  ich  habe  dies  immer  für  richtig  gehalten  (vgl.  auch  Helbing,  Monats- 
berichte, München,  II,  1902,  S.  355,  mit  Abbildung,  und  III,  1903,  S.  3). 
Nun  schrieb  es  G.  Frizzoni  in  der  Zeitschrift  L’Arte  1900,  III,  p.  74,  gestützt 
auf  das  Kniestück  Nr.  221  der  kaiserlichen  Sammlung  zu  Wien,  Bildnis  des 
Prokurators  von  San  Marco  Ottaviano  Grimaldi,  dem  Bernardino  Licinio 
zu.  Daß  das  letztere  — ein  bezeichnetes  Bild  — in  der  Kopfhaltung  und 
Augenstellung  eine  Verwandtschaft  mit  dem  Pinakothekbilde  hat,  ist  zuzu- 
geben,  abes  es  gleichen  sich  die  Venezianer  jener  Zeit  überhaupt,  und  man 
muß  bedenken,  daß  Bernardino  ein  unselbständiger  Maler  war,  der  auch 
von  andern,  besonders  von  Palma  vecchio,  inspiriert  «var.  Der  Vergleich 
ist  also  einseitig,  und  ebenso  kann  man  nicht  zugeben,  daß  das  Gesichtsrot 
in  der  Münchener  Leinwand  dem  des  Licinio,  der  ein  gleichmäßig  verteiltes, 
etwas  ziegeliges  Rot  liebte  (aber  auch  nicht  überall  anwandte),  entspricht, 


532 


Wilhelm  Schmidt: 


vielmehr  ist  es  überall  in  der  Manier  Bordones  gehalten.  Jedes  rötliche  Ge- 
sicht ist  denn  doch  schließlich  nicht  von  Bernardino.  Die  Gleichheit  der 


Behandlung  und  des  Ausdruckes  kann  man  ja  in  München  bequem  an  dem 
Gemälde  Nr.  1 1 2 1 , Mann  und  Mädchen,  studieren.  (Ein  Licinio  fehlte  in  der 
Galerie;  der  Meister  ist  aber  jetzt  durch  das  kürzlich  aus  Augsburg  herüber- 


Zu  Paris  Bordone. 


533 


genommene,  zuerst  durch  Otto  Mündler  bestimmte  Brustbild  einer  Vene- 
zianerin vertreten,  worin  auch  das  »Rot«  des  Malers.)  Auch  das  Werk  in 
Militsch  hat  eine  gleiche  Behandlung  und  beweist  für  Nr.  1120  die  Herkunft 
von  Paris,  wenngleich  es  ebenso  wie  Nr.  1121  etwas  später  gemalt  sein 
dürfte.  L.  Bailo  und  G.  Biscaro  haben  in  ihrem  schönen  Werke:  Deila 
Vita  e delle  Opere  di  Paris  Bordon,  Treviso  1900,  auf  Frizzoni  gestützt, 
das  frühest  datierte  Werk  ihres  Landsmannes  zu  Unrecht  weggelassen. 

Ich  füge  hinzu,  daß  das  Militscher  Bild  im  allgemeinen  gut  erhalten 
und  nur  von  einem  etwas  trüben  Firnis  bedeckt  ist.  Wilhelm  Schmidt. 


Zu  Wolf  Huber. 


Rudolf  Riggenbach  erwähnt  in  seiner  Inaugural-Dissertation  über 
W.  Huber  (Basel  1907)  auf  S.  72  einer  Schlachtenzeichnung  in  der  Münchener 
Graphischen  Sammlung.  Dieses  große  und  figurenreiche  Blatt  hatte  ich 
vor  Jahren  unter  den  »Unbekannten«  vorgefunden  und  als  W.  Huber  ein- 
gelegt. Riggenbach  erkennt  die  Bestimmung  als  richtig  und  knüpft  daran 
die  Frage,  ob  Huber  nicht  aueh  einen  Auftrag  von  Herzog  Wilhelm  IV. 
von  Baiern  für  seine  bekannte  Schlachtenserie  erhalten  habe.  Das  ist  leicht 
möglich,  auffallend  ist  ja  eine  solche  Zeichnung  bei  dem  Künstler  immerhin, 
aber  das  Gemälde  ist  dann  wohl  nicht  zur  Ausführung  gelangt.  Bei  dieser 
Gelegenheit  möge  auch  auf  die  Studien  von  Ph.  M.  Halm  hingewiesen  werden: 
»Zu  Wolf  Huber  und  der  Kunst  des  Donaustiles«  in  der  Zeitschrift  Die 
christliche  Kunst  V,  1908,  S.  65  f.,  und  »Zu  Wolf  Huber«  in  den  Monats- 
heften für  Kunstwissenschaft  II,  1909,  S.  H22,  die  mit  Scharfsinn  und 
ikonographischer  Kenntnis  die  Fragen  erörtern.  Bei  der  Beurteilung  des 
Meisters  dürfen  sie  nicht  übersehen  werden.  Wilhelm  Schmidt. 


Literaturbericht. 


Architektur. 

A.  Hahr.  Die  Architektenfamilie  Pahr.  Straßburg.  E.  Heitz. 

1908.  8°.  129  S.  m.  46  Abb.  im  Text. 

Für  das  Eindringen  italienischer  Schmuckformen  in  die  Architektur 
des  deutschen  Nordostens  um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  sind 
wir  bisher  auf  spärliche  und  unzusammenhängende  historische  Nachrichten 
angewiesen.  Wir  müssen  annehmen,  daß  zahlreiche  »muratori«  aus  Ober- 
italien, besonders  aus  der  Lombardei,  die  ja  seit  dem  Mittelalter  bereits  auf 
dem  Gebiete  der  Backsteinbaukunst  rege  Betriebsamkeit  entfaltete  (maestri 
Comacini),  über  die  Alpen  wanderten  und  mit  ihrem  Handwerk  die 
frohe  Botschaft  welscher  Zierlust  nach  Böhmen,  Sachsen,  Schlesien, 
Posen  und  Mecklenburg* trugen.  Sie  wanderten  meist  in  ganzen  Kolonnen, 
mit  werktätigen  Verwandten  und  Gesellen,  traten  in  den  Dienst  von 
Fürsten  und  Gemeinden,  wurden  weiter  empfohlen  und  schließlich  auch 
über  das  Meer  nach  Schweden  verschlagen.  Selten  nur  sahen  sie  ihre  Heimat 
wieder;  die  meisten  endeten  als  fürstliche  oder  städtische  Baumeister  im 
Norden.  So  Giovanni  Battista  de’Quadri,  die  Niuron,  Lynar,  Chiaramela, 
della  Torre  u.  v.  a.  Für  Schlesien  hat  zuerst  E.  Wernicke  die  Nach- 
richten über  welsche  Maurer  gesammelt,  auch  E.  C z i h a k in  seinen  Bei- 
trägen zur  Geschichte  der  Renaissancebaukunst  in  Schlesien  gibt  dankens- 
werte Aufschlüsse,  und  der  Registerband  von  Lutsch’s  schlesischem 
Denkmälerinventar  verzeichnet  sorgfältigst  alle  Notizen  über  die  vielen 
italienischen  Architekten  unter  ihrem  Namen. 

Sehr  erfreulich  ist  es  nun,  daß  ein  schwedischer  Forscher,  der  Dozent 
der  Kunstgeschichte  an  der  Universität  Lund,  August  Hahr  die  Ge- 
schicke einer  dieser  Künstlerfamilien,  deren  Namen  in  den  deutschen  Ur- 
kunden in  wunderlicher  Abwandlung  bald  Bavor,  Baar,  Barr  Bahr, 
Boer,  Paar,  Pahr  und  Par  geschrieben  wird,  zum  Gegenstand  eingehender 
Untersuchung  gemacht  hat.  Vermag  er  auch  über  die  Tätigkeit  der  Pahrs 
in  Brieg,  Hainau,  Schwerin  und  Güstrow  nicht  wesentlich  Neues  zu  be- 
richten, so  werden  ihm  um  so  mehr  Alle,  die  sich  für  die  Schicksale  dieser 
Wanderkünstler-  und  Sendboten  interessieren,  dankbar  sein  für  die  sorg- 

36 


Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII. 


536 


Literaturbericht. 


fältigen,  durch  Abbildungen  erläuterten  Nachrichten  von  ihren  Kunsttaten 
im  Lande  der  Wasa. 

Johann  Baptista  Pahr,  der  sich  durch  seine  Arbeiten  am  Hof 
Herzog  Johann  Albrechts  den  Titel  eines  herzoglich  mecklenburgischen 
Hofbaumeisters  erworben  hatte,  wurde  zunächst  als  Festungsingenieur  1572 
nach  Kalmar  berufen  und  holt  bald  darauf  seine  Brüder  Dominicus  und 
Franziskus  nach  seiner  neuen  Heimat  herüber.  Das  Schloß  in  Kalmar 
mit  seinen  vornehm  schlichten  Portalen,  dem  zierlichen  Brunnenhäuschen 
im  Hof  und  den  reich  stukkierten  Festsälen  legt  beredtes  Zeugnis  ab  von 
dem  reifen  Können  der  Mailänder  Architekten,  obwohl  sie  natürlich  für  die 
Ausführung  zahlreiche  • — meist  niederländische  — Hilfskräfte  heranziehen 
mußten.  Die  Bauleitung  des  Wasaschlosses  in  B o r g h 0 1 m lag  in 
Händen  von  Dominikus  Pahr;  geschickt  hat  Hahr  den  Anteil 
der  Brüder  an  der  Arbeit  aus  den  zahlreichen  Umbauten  des  heute  in 
Ruinen  liegenden  gewaltigen  Baus  herausgeschält  und  aus  den  Bau- 
rechnungen  auch  die  einheimischen  Hilfskräfte,  wie  Hamson  und  Hakon 
Björnsson  eruiert.  Gestützt  auf  die  archivalischen  Untersuchungen  von 
K j e 1 1 b e r g war  es  ihm  auch  möglich,  die  Baugeschichte  des  Schlosses 
von  Upsala,  soweit  sie  mit  den  Pahrs  zusammenhängt,  klarzustellen. 
Der  hier,  wie  in  Kalmar  mehrfach  genannte  Heinerichvon  Coelen 
könnte  vielleicht  mit  dem  1531 — 35  in  Danzig  (Autushof)  tätigen  Hein- 
rich Holzapfel  identisch  sein,  obwohl  letzterer  besonders  als  Bau- 
tischler in  Danzig  beschäftigt  war.  Auch  ein  schlesischer  Künstler,  der 
in  seiner  Heimat  fast  ganz  unbekannt  ist,  Antofiius  Watz,  wird  in 
Upsala  mehrfach  erwähnt. 

Es  wäre  zu  wünschen,  daß  die  verdienstliche  Arbeit  des  schwedischen 
Gelehrten  der  deutschen  Forschung  erneuten  Anlaß  böte,  die  Wanderungen  der 
lombardischen  Künstler  vom  Süden  über  Österreich,  Böhmen  und  Schlesien 
nach  Mecklenburg  und  damit  das  Eindringen  der  neuen  Bauformen  in 
Nordostdeutschland  näher  zu  verfolgen.  Die  Hauptstationen  dürften  in 
Wien,  Olmütz,  Krakau,  Neiße,  Brieg,  Breslau  im  Osten,  Prag,  Dresden, 
Meißen,  Posen  im  Westen  zu  suchen  sein.  Ludwig  Kaemmerer. 


Skulptur. 

Edmund  Hildebrandt.  Leben,  Werke  und  Schriften  des 
Bildhauers  E.-M.  Falconet  (1716 — 1791).  Mit  39  Abbildungen 
auf  21  Lichtdrucktafeln.  Straßburg.  Ed.  Heitz  1908.  Zur  Kunstge- 
schichte des  Auslandes,  Heft  63. 

Ein  ausgezeichnet  geschriebenes  Buch  über  einen  der  interessantesten, 
lange  vergessenen  Künstler  Frankreichs  im  18.  Jahrhundert  zu  lesen  ist 


Literaturbericht. 


537 


ein  Hochgenuß!  Der  Bildhauer  und  Kunstschriftsteller  Falconet  war  ein 
großer  Künstler  und  ein  originaler  Geist.  Einer  jener  reizvollen,  in  unserer 
Zeit  fast  undenkbaren  Menschen,  in  deren  Natur  sich  mit  dem  kultiviertesten 
Geschmack  und  Können  ein  großer  und  tiefer  Geist  verbindet.  Ein  Mensch, 
der  mit  der  gleichen  Innerlichkeit  für  die  Sevres -Manufaktur  die  entzückend- 
sten Nippes  schafft,  in  Petersburg  in  dem  Monument  Peters  des  Großen 
eine  Denkmalsidee  verwirklicht,  die  eines  Lionardo  würdig  gewesen  wäre, 
und  der  in  seinen  Briefen  an  seine  kaiserliche  Auftraggeberin,  Katharina  II., 
einen  im  schönsten  Sinne  des  Wortes  mannhaften  Charakter  offenbart. 
Wundervoll  ist  dieser  Briefwechsel  Falconets  mit  Katharina  II.,  aus  dem 
Hildebrandt  leider  nur  wenige  Proben  geben  kann,  die  aber  den  lebhaften 
Wunsch  entfachen,  es  möchte  bald  geschehen,  daß  dieser  »für  das  Thema 
Kunst  und  Fürstengunst«  so  außerordentlich  wertvolle  Briefschatz  gehoben 
würde,  der  seit  1876  in  dem  Magazin  der  kaiserlich  russischen  historischen 
Gesellschaft  ein  unbeachtetes  Leben  führt. 

Nachdem  er  Falconets  Leben  und  Schaffen  im  ersten  Teile  des  Buches 
aufgebaut,  gibt  H.  im  zweiten  Teile  Auszüge  aus  Falconets  originellen  Streit- 
schriften, die  in  der  Originalausgabe  von  1781  sechs  Bände  füllen.  In  diesen 
Schriften  kämpft  Falconet,  der  seit  dem  Jahre  1780  nur  noch  Schriftsteller 
war,  einen  wilden  Kampf  gegen  die  seines  Erachtens  dilettantischen  Kunst- 
urteile der  Herren  Cicero,  Plinius,  Voltaire,  Winckelmann,  Lessing,  Goethe  u.a. 

Alle  diese  Andeutungen  können  natürlich  nur  den  Zweck  haben,  zu 
zeigen,  wie  interessant  der  Gegenstand  des  Hildebrandtschen  Buches  ist. 
Daß  es  in  seinem  wissenschaftlichen  Gehalt  ebenso  wertvoll  sich  erweist, 
ist  bei  einem  so  ernsten  und  bewährten  Forscher  ohne  weiteres  anzunehmen. 
Daß  aber  dieses  Buch  auch  literarisch  wertvoll  ist,  das  macht  es  dem  Rezen- 
senten zur  angenehmen  Pflicht,  auf  dieses  Buch  als  auf  ein  seltenes  Werk 
hinzuweisen.  Schon  in  seinem  ersten  Buch  »Friedrich  Tieck«  erwies  sich 
H.  als  ein  feiner  Schriftsteller.  Dieses  zweite  übertrifft  das  erste  an  künst- 
lerischer Qualität,  trotzdem  auch  in  ihm  die  schwierige  Frage  nach  dem 
ob  und  wie  der  Anmerkungen  nicht  durchaus  befriedigend  gelöst  ist.  H. 
gehört  zu  den  wenigen  deutschen  Kunstschriftstellern,  die  den  Mut  und  die 
Fähigkeit  haben  zur  großen,  langsam,  mit  feinstem  Bedacht  reifenden,  die 
vorgenommene  Materie  erschöpfenden  Arbeit.  Kaesbach. 


Malerei. 

Katalog  der  Gemäldesammlung  des  Germanischen 
Nationalmuseums  in  Nürnberg.  IV.  Auflage.  Nürnberg. 
Verlag  des  Germanischen  Museums.  1909. 

Eine  Neubearbeitung  des  Katalogs  der  Gemälde  im  Germanischen  Mu- 
seum war  schon  seit  langen  Jahren  ein  dringendes  Erfordernis.  Der  letzte 


538 


Literaturbericht. 


Katalog,  den  noch  Reber  und  Bayersdorfer  besorgt,  stammte  aus  dem 
Jahre  1893  und  war  schon  seit  langem  vergriffen.  Die  Aufgabe,  diesen 
Katalog  aufzufrischen,  hatte  Direktor  Stegmann  übernommen.  Nach  seiner 
Abberufung  wandte  sich  Nürnberg  an  München,  und  Dr.  Braune  wurde 
mit  der  schwierigen  und  verantwortungsvollen  Aufgabe  betraut.  Braune, 
der  seine  Aufgabe  in  überraschend  kurzer  Zeit  gelöst  hat,  ist  mit  großer 
Gewissenhaftigkeit  und  Gründlichkeit  zu  Werke  gegangen;  er  hat  sich  bei 
seiner  Neubearbeitung  nicht  damit  begnügt,  die  inzwischen  erschienene 
Literatur  für  den  Katalog  nutzbar  zu  machen,  sondern  hat  aus  eigenem 
manches  neue  Material  hinzugegeben,  so  daß  es  sich  rechtfertigt,  wenn  hier 
auf  die  wichtigeren  neuen  Zuschreibungen  hingewiesen  werden  soll. 

Die  kölnische  und  die  niederländische  Schule  haben 
keine  tiefgreifende  Umgestaltung  erfahren.  Die  Madonna  mit  der 
Erbsenblüte  (4)  wird  als  Fälschung  abgelehnt,  und  zur  näheren  Be- 
gründung dieser  Ablehnung  wird  auf  eine  demnächst  erscheinende  Unter- 
suchung von  Dr.  Redslob  in  den  Mitteilungen  des  Germanischen  Museums 
verwiesen.  Im  Oeuvre  des  Sippenmeisters  wird  in  etwas  anderer 
Weise  zwischen  Meister-  und  Schularbeit  unterschieden.  Die  Versuchung 
Christi  (44)  ist  als  Meister  von  L i n n i g bestimmt,  das  Bildnis 
des  Kardinals  von  Bourbon  (101)  dem  Bourbonenmeister  zu- 
gewiesen. 

Die  Allegorie  des  Lebens  und  des  Todes  (109),  die 
sich  schon  die  mannigfaltigsten  Zuschreibungen  hat  gefallen  lassen  müssen, 
heißt  weiter  allgemein  »Oberdeutsch  unter  flandrischem  Einfluß  um  1490«. 
Von  Wichtigkeit  ist  der  Hinweis,  daß  das  jüngste  Gesicht  (110),  um  das 
sich  bisher  niemand  gekümmert  hatte,  zusammen  mit  diesen  Allegorien  ein 
Triptychon  gebildet  hat,  wie  es  denn  auch  gemeinsam  mit  diesem  vom 
Fürsten  Wallerstein  erworben  wurde. 

Von  ziemlich  einschneidender  Art  sind  die  Neubestimmungen,  welche 
die  fränkische  Schule  erfahren  hat. 

Dem  Meister  des  Imhof -Altares  gibt  der  neue  Katalog 
zwei  Werke,  den  Schmerzensmann,  der  die  Rückseite  des  Imhofschen  Altares 
gebildet  hat,  und  das  Epitaph  der  Walpurg  Prünsterin.  Diese  letztere  Be- 
stimmung scheint  mir  nicht  richtig.  Ein  Typus  wie  der  des  hl.  Joseph  ist 
mit  dem  Typus  des  bärtigen  älteren  Mannes  auf  den  sicheren  Werken  des 
Imhof-Meisters  (Imhof-Altar,  Deichsler-Altar,  Imhof-Rothflasch-Epitaph  in 
St.  Sebald)  unvereinbar,  auch  die  Maria  zeigt  einen  wesentlich  anderen 
Typus  als  die  Maria  jenes  Meisters.  Der  Stil  des  Ganzen  ist  fortgeschrittenei, 
die  Technik  weiter  entwickelt. 

Eine  Neuerwerbung  des  Museums  bilden  die  Gregorsmesse  ( 1 54)>  vier 
Flügel  mit  Heiligen  (13; — 140)  und  zwei  Predellenstücke  mit  je  drei  weib- 


Literaturbericht. 


539 


liehen  Heiligen  (120  und  121).  Auf  eine  Anfrage  nach  der  Provenienz  dieser 
beiden  letzten  Stücke  erhielt  ich  seinerzeit  von  Direktor  Stegmann  die  Aus- 
kunft, er  habe  diese  zusammen  mit  den  andern  vorgenannten  Tafeln  in 
einem  gemeinsamen  und  zusammenhängenden  gotischen  Rahmenwerk  aus  dem 
15.  Jahrhundert  gefunden,  und  dieser  Altar  sei  früher  in  der  Frauenkirche  in 
Nürnberg,  zuletzt  auf  dem  Speicher  der  dortigen  Elisabethenkirche  gewesen;  das 
Rahmenwerk  habe  seiner  Morschheit  wegen  nicht  beibehalten  werden  können; 
der  hl.  Dominikus  und  der  hl.  Thomas,  die  das  Museum  schon  länger  besaß, 
seien  ursprünglich  gleichfalls  Teile  dieses  Altarwerkes  gewesen.  Ich  hatte 
keinen  Grund,  diesen  Angaben  Mißtrauen  entgegenzubringen,  und  nahm 
(in  meinem  Buche  über  die  Anfänge  der  Tafelmalerei  in  Nürnberg,  S.  95  ff.) 
an,  da  die  einzelnen  Stücke  sehr  verschiedenen  Stil  zeigten,  daß  hier  mehrere, 
nicht  derselben  Generation  angehörende  Künstler  zusammengearbeitet 
hätten,  und  daß  zumal  die  weiblichen  Heiligen,  die  ich  allein  zu  untersuchen 
hatte,  von  einem  älteren  Maler  als  dem  Mitarbeiter  eines  vorgeschritteneren 
gefertigt  seien.  Dagegen  wendet  sich  Braune  insofern,  als  er  die  einzelnen 
Stücke  für  unabhängig  voneinander  entstanden  erklärt.  Damit  hat  er,  wie 
ich  mich  jetzt  überzeugt  habe,  im  wesentlichen  recht.  Als  Waagen  und 
Rettberg  vor  einigen  60  Jahren  die  Frauenkirche  besuchten,  sahen  sie  dort  drei 
verschiedene  Werke:  I.  die  Gregorsmesse  mit  den  hl.  Lorenz  und  Sebald 
auf  den  Flügeln  im  linken  Seitenschiffe,  2.  einen  Altar  mit  holzgeschnitztem 
Mittelstück  und  je  drei  weiblichen  Heiligen  auf  den  Predellenflügeln  im 
rechten  Seitenschiffe,  3.  die  hl.  Dominicus  und  Thomas,  an  zwei  Säulen 
befestigt  (Waagen,  Kunstwerke  und  Künstler,  I,  1843,  S.  258  f.,  260  f., 
Rettberg,  Nürnberger  Briefe,  1848,  S.  80,  147  f.).  Immerhin  ist  auch  der 
Katalog  dahin  zu  berichtigen,  daß  die  Gregorsmesse  (154)  und  die  Flügel 
mit  den  Heiligen  (137 — 140)  ursprünglich  zusammengehört  haben.  Übrigens 
habe  ich  nicht,  wie  der  Katalog  angibt,  die  hl.  Dominicus  und  Thomas 
(129  und  130),  sondern  die  beiden  Predellenflügel  mit  den  weiblichen  Heiligen 
(120  und  12 1)  dem  Meister  des  Hallerschen  Altars  in 
St.  Sebald  zugeschrieben. 

Dem  Hans  Pleydenwurff  läßt  der  Katalog  kein  Stück  un- 
bezweifelt.  Das  Bildnis  des  sog.  Canonicus  Schönborn  (und  damit  wohl 
auch  die  aus  Würzburg  stammende  Kreuzigung  mit  dem  gleichen  Canonicus 
als  Stifter)  möchte  er  auf  Grund  der  Farbbehandlung  einem  Künstler  des 
Mainkreises  zuweisen;  die  andren  von  Thode  dem  Meister  zugeschriebenen 
Bilder,  Verkündigungs-Maria,  Anbetung  der  Könige  und  Vermählung  der 
Katharina,  gibt  er  seiner  Schule.  Von  Wolgemuth  erkennt  er  nur  zwei 
Werke  an,  die  Bildnisse  des  Perckmeister  (135)  und  des  Rosenthaler  (136); 
alles  andere  teilt  er  zwischen  seiner  Werkstatt  und  seiner  Schule.  Ich  möchte 
hier  nicht  näher  auf  diese  Fragen  eingehen,  da  ich  sie  in  einem  Buche  über 


540 


Literaturbericht. 


Pleydenwurff  und  Wolgemuth  demnächst  im  Zusammenhang  zu  behandeln 
haben  werde. 

Bedeutungsvoll  und,  wie  mir  scheint,  sehr  einleuchtend  ist  die  Identi- 
fikation des  einen  Mitarbeiters  am  Peringsdörfer  Altar,  der  R.  F. 
signiert  hat,  mit  dem  jüngeren  Ruland  Frühauf.  Der  größere  Teil 
der  Darstellungen  des  Altars  ist,  was  der  Katalog  nicht  klar  zum  Ausdruck 
bringt,  aber  anzunehmen  scheint,  nicht  von  diesem;  ich  halte  es  immer  noch 
für  sehr  plausibel,  daß  der  Gehilfe,  dem  Wolgemuth  fast  die  ganze  Arbeit 
überließ,  sein  Stiefsohn  Wilhelm  Pleydenwurff  gewesen  ist. 

Die  Ulmer  Schule  bereichert  Braune  um  zwei  Werke,  das  Noli  me 
tangere  (227)  und  das  Porträt  des  Hans  Wurm  von  1487  (24 1 ) . Zwei  homines 
novi  erscheinen  zum  ersten  Male  in  einem  Kataloge,  Jörg  Ziegler, 
der  Meister  von  Meßkirch,  und  Martin  Hess,  der  Frankfurter  Dürer- 
schüler. Dem  letzteren  werden  zwei  neue  Werke,  die  früher  im  Kirchenraume 
ziemlich  unsichtbar  hingen,  ein  Schmerzensmann  und  eine  Schmerzens- 
mutter, zugeschrieben;  der  hohe  Standort  des  Bildes  macht  auch  jetzt  die 
Prüfung  schwierig,  doch  scheint  die  Bestimmung  sehr  wahrscheinlich, 
namentlich  ist  auch  das  Rankenornament  ganz  das  des  Frankfurter  Bildes. 
Das  jüngste  Gericht,  das  früher  'Grünewald  zugeschrieben  wurde, 
reiht  der  Katalog  (auf  Vorschlag  von  Dr.  Buchheit)  der  Schule  Martin 
Schaffners  ein. 

Die  Abbildungen,  die  die  dritte  Auflage  des  Kataloges  hatte,  fehlen 
in  der  vierten.  Wünschenswert  wäre  es,  daß  zu  den  einzelnen  Bildern  nicht 
nur  die  käuflichen  Photographien  angegeben  würden,  sondern  auch  die  Ab- 
bildungen, die  in  wissenschaftlichen  Werken  und  Zeitschriften  erschienen  sind. 

Erfreulicherweise  ist  die  Benennung  der  Gemälde  nicht  nur  im  Katalog, 
sondern  auch  in  der  Galerie  selbst,  in  der  man  bisher  pietätvoll  den  Stand 
der  Kunstwissenschaft  von  1870  beibehalten  hatte,  einer  Revision  unter- 
zogen worden.  Hoffentlich  ist  die  Zeit  nicht  mehr  fern,  in  der  sich  durch 
eine  Erweiterung  der  Räume  die  Galerie  aus  einem  Gemäldemagazin  in  ein 
Museum  verwandelt.  Carl  Gebhardt. 


Ludwig  Justi.  » G i o r g i o n e «.  Zwei  Bände.  Verlegt  bei  Julius  Bard. 

Berlin  1908. 

Wenn  das  Wirken  eines  Menschen  mit  seinem  Tode  nicht  beschlossen 
ist,  wenn  wir  Spätgeborenen  es  noch  lebendiger  als  das  vieler  Lebenden 
empfinden,  so  preisen  wir  den  Begnadeten,  dem  solche  Macht  über  das 
Grab  hinaus  innewohnte,  als  einen  »Unsterblichen«.  Analysiert  man  nun 
die  besonderen  Arten  dieses  Unsterblich -Seins,  so  gelangt  man  zu  drei  typi- 
schen Grundformen,  »come  l’uom’  s’eterna«:  der  Schöpfer  und  das  Geschaffene 


Literaturbericht. 


541 


bilden  eine  unlösbare  Einheit,  — der  normale  Fall.  Oder:  ein  .Künstler 
verschwindet  hinter  seinem  Werke  wie  Homer,  wie  Shakespeare,  wie  der 
Sänger  des  Nibelungenliedes,  wie  die  Meister  mancher  Fresken  des  Tre- 
cento.  Drittens  endlich:  die  Persönlichkeit  eines  Schaffenden  leuchtet,  los- 
gelöst von  seinem  Werke,  durch  die  Jahrhunderte.  Nur  in  solchem  Sinne 
können  die  meisten  Gewaltigen  der  Weltgeschichte  unsterblich  heißen;  denn 
was  sie  schufen  — man  denke  an  den  mazedonischen  Alexander  oder  an 
den  Staufer  Friedrich  — , hörte  bisweilen  schon  mit  ihrem  letzten  Atemzuge 
zu  bestehen  auf;  so  wird,  um  nur  von  künstlerischen  Individualitäten  hier 
zu  sprechen,  Lord  Byron  fortleben,  nicht  in  seinen  Dichtungen,  sondern  in 
seiner  strahlenden  Menschlichkeit,  so  war  es  auch  lange  Jahrhunderte  hin- 
durch um  den  Nachruhm  des  G i o r g i o n e bestellt.  Noch  mußten  viele 
Venetianer  den  Klang  seiner  Stimme  im  Ohre  haben,  und  doch  wurde  in 
den  Palästen  schon  gestritten,  wer  von  einem  Bilde  des  Giorgione  das  Original 
besitze,  Messer  Antonio  Pasqualigo  oder  Messer  Zuane  Ram1);  zu  Vasaris 
Tagen  wußten  die  Leute  bereits  nicht  mehr,  ob  der  Christus  mit  dem  Kreuze 
in  der  Chiesa  di  San  Rocco  ein  Gemälde  Tizians  oder  des  Giorgione  sei  *), 
und  den  Sinn  seiner  Fresken  am  Fondaco  de'  Tedeschi  hat  kein  Einheimi- 
scher dem  Gaste  aus  Florenz  zu  deuten  vermocht.  Desto  mehr  aber 
konnten  sie  von  dem  Menschen  Giorgione  erzählen,  von  der  Anmut 
seines  Wesens,  von  seinem  Lautespiel,  das  die  Frauen  verrückt  gemacht, 
und  wie  er  von  den  Lippen  einer  pestkranken  Geliebten  sich  den  Tod  ge- 
küßt habe,  den  frühen  Tod  der  Götterlieblinge.  . . . Daß  Giorgione  die 
schönen  Frauen,  die  sein  freskengeschmücktes  Haus  bei  San  Silvestro  be- 
traten, nicht  bloß  umarmt,  sondern  auch  gemalt  hatte,  daß  er  durchglüht 
war  von  dem  Arbeitsfuror  der  Genies  (die  nur  in  Romanen  immer  faul  sind), 
daß  er  eine  neue  Maltechnik  geschaffen  und  der  Kunst  neue  Inhalts-,  besser 
neue  Stimmungswerte  geschenkt,  — all'  dies  wurde  beinahe  oder  ganz  ver- 
gessen, so  sehr  blendete  die  Lichtgestalt  des  Menschen  Giorgione,  leuchtend 
im  Schimmer  des  Geheimnisvollen,  die  Augen  der  Spätgeborenen.  »Lo  cerco 
nel  mistero  della  nube  ignea  che  lo  circonfonde«  3)  ruft  d’Annunzio.  So  taten 
manche  vor  und  neben  ihm,  suchten  Giorgione  »nel  mistero«  — und  waren 
im  Grunde  froh,  ihn  dort  nicht  zu  finden,  gleich  sensitiven  Träumern,  die 
den  feinsten  erotischen  Reiz  aus  der  Furcht  ziehen,  ihre  Geliebte  könnte  mit 
eigener  ahnungsloser  Hand  jenes  Kultbild  zertrümmern,  das  sie  der  Ange- 
beteten im  Sanctuarium  der  Seele  aufgestellt.  Und  diese  Angst  der  allzu 
Sensiblen  war  nicht  unberechtigt.  Denn  was  für  Gemälde  waren  nicht  schon 

0 Vgl.  Den  »Anonimo  Morelliano«,  ed.  Frimmel.  Wien  1896.  S.  78. 

2)  S.  Vasari,  ed.  Milanesi  IV.  S.  97  u.  VII.  S.  437.  Auch  Ridolfi,  Le  Maraviglie  I. 
S.  203  f.  gibt  dieses  Werk  dem  Tizian. 

3)  d’Annunzio,  L’Allegoria  dell’autunno.  In  Milano.  S.  34. 


542 


Literaturbericht. 


auf  den  Namen  Giorgione  getauft  worden  ! Die  Erinnerung,  daß  Giorgione 
in  die  venetianische  Malerei  das  Heidnisch-Weltfrohe,  das  Musikalisch- 
Amoureuse  gebracht,  war  ja  niemals  verloren  gegangen,  aber  man  verlernte 
bald,  das  Allgemein-Giorgioneske  vom  Spezifisch-Giorgionehaften  zu  sondern, 
verwechselte  die  Begriffe  »Stimmung«  und  »Inhalt«  miteinander  und  »Gior- 
gione« hieß  schließlich  alles,  was  etwa  zwischen  Bellini  und  Tizian  zu  liegen 
schien,  und  was  irgendwie  mit  Musik,  Landschaft  oder  Frauenschönheit 
zu  tun  hatte«.  Nein,  der  küssende  und  singende  Giorgione  war  entschieden 
»interessanter«  als  die  oft  so  schlechten  Bilder,  die  seinen  Namen  trugen! 

Crowe  und  Cavalcaselle  waren  wohl  die  ersten  gewesen,  die  nicht  den 
Menschen  Giorgione  im  goldenen  Dämmerdunkel  der  Legende,  »nella  nube 
ignea«,  sondern,  ohne  um  Illusionen  zu  bangen,  den  Künstler  in  seinem 
Werke  suchten.  Man  weiß,  mit  welchem  Erfolge.  Nur  elf  Bilder  konnten 
vor  ihrem  Richterauge  als  Schöpfungen  Giorgiones  bestehen,  zu  vieren  wurde 
ein  Fragezeichen  gefügt,  den  Rest  — will  sagen,  hundertundfünfzig  Gemälde 
etwa  — haben  sie  aus  dem  Oeuvre  des  Meisters  gestrichen.  Morelli  ließ  zwar 
neunzehn  Bilder  als  eigenhändige  Arbeiten  Giorgiones  gelten,  aber  da  er 
»die  Mehrzahl  der  frühen  und  der  späten  Gemälde  verurteilte«,  hat  er  doch 
die  Vorstellig  eingeengt,  die  »wir  von  dem  Meister  haben,  von  seiner 
Entfaltung  und  historischen  Bedeutung«.  Und  dabei  blieb  es  zunächst. 
Denn  Berenson  und  Gronau  haben  die  Liste  Morellis  zwar  im  einzelnen 
modifiziert,  im  Großen  und  Ganzen  jedoch  beibehalten;  d.  h.  Berensons  Ver- 
zeichnis der  eigenhändigen  Werke  Giorgiones  umfaßt  siebzehn  Bilder,  von 
denen  fünfzehn  bereits  Morellis  »Placet«  empfangen  hatten,  während  von 
den  achtzehn  Gemälden,  die  Gronau  als  »unbezweifelbare«  Schöpfungen 
Giorgiones  anerkennt,  auch  wiederum  sechzehn  schon  vor  Morelli  Gnade 
fanden.  Gegen  diese  gar  zu  strenge  Auslese,  die  nach  seiner  Ansicht  ebenso 
durch  Crowe  und  Cavalcaselle  wie  von  den  Kennern  der  Morelliänischen  Ob- 
servanz getroffen  wurde,  wandte  sich  dann  Herbert  Cook,  der  in  seinem 
»Giorgione«  fünfundvierzig  Bilder  als  eigenhändige  Werke  Giorgiones  an- 
führen konnte,  weil  er  den  Notizen  alter  Inventare,  namentlich  des  seicento 
und  der  rhetorischen  vita  Ridolfis  weniger  Mißtrauen  entgegenbrachte  als 
seine  Vorgänger.  Als  Cooks  revolutionäres  Buch  erschien  — es  war  im 
Jahre  1900  — , ist  die  Kunstgeschichte  mit  leisem  Lächeln  daran  vorbei- 
gegangen; heute  wirkt  es  in  mancher  Hinsicht  wie  eine  Studie  für  den 
»Giorgione«  Ludwig  Justis.  Nur  der  Prolog  zu  einem  »Tizian« 
sollte  nach  dem  Plane  des  Autors  dieses  Werk  sein,  aber  die  Einleitung 
gedieh  zur  selbständigen  Arbeit,  und  die  Wissenschaft  hat  dabei  nur  ge- 
wonnen — nämlich  die  erste  nach  streng  historischen  Gesichtspunkten  an- 
gelegte und  auf  den  Fundamenten  einer  ebenso  vorurteilslosen  wie  sicheren 
Kennerschaft  erbauten  Monographie  über  den  Meister  aus  Castelfranco, 


Literaturbericht. 


543 


Justi 

Crowe 
u.  Cav. 

Morelli 

Beren- 

son 

Gronau 

Wick- 

hoff 

Cicerone 
9.  Aufl. 

Cook 

W. 

Schmidt 

U m 1495. 

Auffind.  d.  Paris  lSamml.Con- 

— 

— 

— 

C talentlos. 
1 Nach- 

— 

— 

Giorg. 

— 

Überg.  d.  Paris  j way,  Lond. 

— 

— 

— 

1 ahmung 

— 

— 

Giorg. 

— 

Urteil  Salomonis.  Uffizien  .... 
Madonna  in  der  Landschaft. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

ferrares. 

Giorg. 

Giorg. 

Zu  den  folgenden 

überleitend. 

Auffind,  des  Paris.  Budapest 

— 

Kopie 

Kopie 

Kopie 

Kopie 

— 

Kopie 

Schlechte 

Kopie 

Feuerprobe  d.  Moses.  Uffizien 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

zu  gering 
f.Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Bis  etwa  1503  oder  1504. 
Epiphanie.  London.  Nat.-Gall. 

Giorg. 

Catena 

Catena 

Catena  ? 

_ 

Giorg. 

Catena 

Heilige  Familie.  London. 

— 

1 — 

Catena 

Catena  ? 

— 

— 

Giorg. 

Catena 

Sammlung  Benson. 

Thronszene  London.  National- 

— 

— 

— 

Giorg.- 

— 

— 

Giorg. 

Catena 

Gallery. 

Schule 

Aeneas,  Euander  u. Pallas. Wien 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

— 

Giorg. 

Giorg. 

Kopie 

Kopie 

Kopie 

Giorg. 

Vermutl. 

Catena 

od.Orig. 

Madonna  in  trono  Castelfranco 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Anbetung  d.  Hirten.  London. 

Giorg. 

— 

Catena  ? 

Catena  ? 

— 

— 

Giorg. 

— 

Lord  Allendale. 

Jünglingsbildnis.  Berlin 

— 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Sebast. 

— 

Giorg. 

— 

Um  1505.  Eindringen 
der  florentinischen 

Tendenzen. 

Hypsipyle  u.  Adrast.  Venedig, 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giovanelli. 

Bis  etwa  1 508.  Weite- 
res Herausgehen  aus 

dem  Quattrocento 

Venus.  Dresden  

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Jugendlicher  David.  Wien  . . 

Kopie 

— 

Kopie 

Kopie 

f Giorg. 

— 

Kopie  ? 

Wahr- 

od.  Or. 

[Original 

— 

Kopie 

Hirtenknabe.  Hamptoncourt 

*) 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

— 

— 

Torbido 

Torbido 

Mad.  mit  Heil.  Prado 

Fr.  Ve- 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Tizian 

Urteil  Salomonis.  Kingston- 

Giorg. 

— 

Seba- 

Seba- 

— 

— 

Giorg. 

— 

Lacy. 

stiano 

stiano  ? 

»L’Adultera«.  **)  Glasgow  . . 

Cariani 

— 

Seba- 

stiano 

Provinz- 

maler 

— 

* 

Giorg. 

D.  Cam- 
pagnola 

*)  Auf  Giorg.  zurückgehend.  **)  J.  P.  Richter:  D.  Campagnola 


544 


Literaturbericht. 


Cr  owe 

Beren- 

Wiek- 

Cicerone 

W. 

Justi 

’i.  Cav. 

Morelli 

son 

Gronau 

hoff 

9.  Aufl. 

Cook 

Schmidt 

Porde- 

Beca- 

Nachflg. 
d.  Pord. 

none 

ruzzi 

Damenbildnis.  Gal.  Borghese  . 

— 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

— 

Art  des 
Ber. 
Licinio 

Giorg. 

— 

Männliches  Bildnis.  Temple 

— 

— 

— 

Tizian 

— 

— 

Giorg. 

— 

Newsam 

1 508.  Nach  Urkunden. 
Fresken  amFondaco  de’Tedeschi 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

— 

Zwischen  1508 — 1510. 
Freieste  Arbeiten. 

»Bravo«.  Wien 

Stilver- 
wandtsch. 
m.  Cariani 

Cariani 

Cariani 

— 

Cariani 

— 

— 

— 

Konzert.  Pal.  Pitti 

Giorg. 

Tizian 

Tizian 

Tizian 

D.  Cam- 

Giorg. 

Giorg. 

Tizian 

pagnola 

Fete  champetre.  Louvre  .... 

Nach- 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

D.  Cam- 

— 

Giorg. 

Tizian 

Sebastiano 

pagnola 

Mad.  mit  Heil.  Louvre 

Peüegrino 
de  San 

Nach- 
ahmer des 

Cariani 

— 

— 

— 

Giorg. 
(vollend,  v. 

Cariani 

Daniele 

Giorgione 

Sebast.f) 

Sturm.  Venedig.  Accademia 

Bordone 

Giorg. 

Giorg. 

Bordone 

Bordone 

zu  beschä- 
digt, um 
ein  Urteil 
zu  gestatt. 

Palma 

Bildnis  »Broccardo«.  Budapest 

— 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

— 

— 

Giorg. 

Bern. 
Licinio  «) 

Sog.  »Fugger«.  München  . . . 

Palma 

Cariani 

Cariani 

— 

— 

— 

— 

Palma 

Selbstbildnis.  Braunschweig 

— 

— 

— 

als  Ruine 

— 

— 

— 

— 

lassen 

Nicht  Giorgione. 

Malteserritter.  Uffizien  ..... 

Giorg.  ? 

Giorg. 

Giorg. 

Giorg. 

— 

Giorg.  ? 

Giorg. 

Charakte- 

Palma 

Drei  Menschenalter.  Pal.  Pitti 

Lotto 

Giorg. 

— 

— 

— 

Lotto  ? 

Giorg. 

! — 

Christus.  Boston.  Sammlung 
Gardner. 

Des  Giorg. 
würdig 

— 

Giorg. 

— 

— 

irrthüml. 
Giorgione 
zu  g. 

Giorg. 

— 

Christus.  Venedig.  Chiesa  di 

Giorg. 

— 

Giorg. 

Giorg. 

— 

Tizian 

Giorg. 

Tizian 

San  Rocco 

od.  Tiz. 

*)  Desgl.  Venturi. 

diesen  Johannes  den  lauter  der  modernen  Malerei.  Auch  Justi  stellt,  wie 
Cook,  den  Inventaren  und  besonders  dem  vielgeschmähten  Cavaliere  Ridolf 
eine  umfassende  Ehrenerklärung  aus,  und  wennschon  er  nicht  sämtliche 
Attributionen  seines  englischen  Vorgängers  billigt  und  sogar  von  der  kleineren 
Morellischen  Liste  der  Bilder  Giorgiones  noch  »Die  drei  Menschenalter«  des 
Palazzo  Pitti  als  ein  Gemälde  des  Morto  da  Feltre  und  den  »Malteserritter« 
der  Uffizien  als  eine  Schöpfung  des  jungen  Tizian  streicht,  so  erreicht  doch 


Literaturbericht. 


545 


sein  chronologisches  Verzeichnis  der  Werke  Giorgiones  die  stattliche  Ziffer 
von  dreiunddreißig  Bildern,  wobei  die  Cassone-Malereien  und  die  »zwischen 
Giorgione  und  Tizian  strittigen  Porträts«,  kurz  alle  Gemälde,  über  deren 
Autorschaft  Justi  »keine  hinreichend  sichere  Ansicht  hat«,  nicht  einmal 
mitgerechnet  wurden.  Dieser  Katalog  sei  hier  abgedruckt,  weil  man  besser 
als  durch  ein  langatmiges  Referat  aus  ihm  ersieht,  wie  Justi  sich  die  Ent- 
wicklung Giorgiones  denkt,  und  aus  dem  Vergleich  seiner  Attributionen  mit 
denen  einiger  hervorragender  Giorgione-Kenner,  die  ich  zur  Bequemlichkeit 
der  Leser  beifüge,  erhellt  zugleich  Justis  Standpunkt  gegenüber  seinen 
Vorgängern. 

Aus  diesem  Wirrwarr  der  Meinungen  und  Namen  erhellt,  daß  die 
soziale  Frage  vielleicht  noch  früher  erledigt  sein  wird  als  der  Streit  um 
Giorgione,  und  gerade  Justis  Kampfkapitel,  »reaktionär«  in  den  Attributionen 
und  bisweilen  polemisch  im  Tone,  bedeutet  alles  eher  als  eine  Lösung  des 
verzwickten  Problems.  Schon  seine  nicht  immer  unbedenkliche  Chronologie 
der  Werke  Giorgiones  wird  dem  Buche  manchen  Gegner  erstehen  lassen. 
Allem  Debattieren  entrückt  hat  Justi  vielleicht  nur  das  Braunschweiger 
Jünglingsporträt,  das,  wie  aus  seinem  glänzend  geführten  Nachweis  hervor- 
geht, ein  Selbstbildnis  Giorgiones  ist,  während  das  angebliche,  von  pracht- 
vollster Leidenschaft  durchglühte  »Selbstporträt«  Palmas  in  München  un- 
möglich diesen  nicht  gerade  von  übermäßigem  Temperament  erfüllten 
Meister  darstellen  kann;  ob  sich  nun  jedoch  alle  gleich  mir  von  Justi  werden 
überzeugen  lassen,  daß  uns  in  dem  Münchener  Gemälde  eine  Schöpfung 
Giorgiones  und  zwar  das  verloren  geglaubte  Bildnis  eines  Fugger,  erhalten 
sei,  bleibt  billig  abzuwarten.  Jeder  sieht  am  Ende  doch  nur,  was  er  sehen 
kann,  und  die  objektiven  Belege  für  subjektive  Meinungen  vermag  selbst 
eine  so  brillante  advokatorische  Beredsamkeit  wie  die  Justis  nicht  zu  ersetzen. 
Exempla  docent.  Justi  bringt  tausend  Gründe,  um  Giorgione  die  Autor- 
schaft an  dem  »Urteil  Salomos«  in  Kingston  Lacy  zu  sichern,  und  doch 
hat  Roger  Fry  vor  wenigen  Wochen  erst  mit  ebensoviel  Feuer  die  Rechte 
Catenas  an  diesem  Bilde  verteidigt,  — und  die  Behauptungen  beider  sollen 
in  der  »Qualität«  des  Werkes  eine  Stütze  finden.  Die  »Qualität«!  Ist  das 
nicht  vielleicht  auch  nur  ein  Wort  wie  andere  mehr?  Justi  z.  B.  bewundert 
das  »Konzert«  im  Palazzo  Pitti  als  die  herrlichste  Offenbarung  der  Kunst 
Giorgiones,  während  Wickhoff  und  Hadeln  in  diesem  »mäßigen«  Bilde  eine 
Arbeit  des  Domenico  Campagnola  erkennen.  »Quid  est  veritas?«  Zum 
Glück  bedeutet  Justis  Buch  mehr  als  eine  Summe  von  diskutierbaren  At- 
tributionen, und  was  ihm  — zum  mindesten  in  meinen  Augen — seinen  hohen 
Rang  unter  den  Publikationen  unserer  Wissenschaft  anweist,  sind  nicht  die 
Neubestimmungen;  sondern  seine  mit  nie  versagender,  man  möchte  gern 
schreiben  familientraditioneller  Wortkunst  durchgeführten  Analysen  der 


546 


Literaturbericht. 


Kunst  Giorgiones,  deren  Bedeutung  für  die  Gesamtentwicklung  der  euro- 
päischen Malerei  hier  zum  ersten  Male  ins  rechte  Licht  gesetzt  erscheint, 
deren  Wurzeln  bioßgelegt,  deren  »Ausstrahlungen«  bis  zu  Rembrandt  und 
van  Dyck,  hin  verfolgt  werden;  und  zur  Grundlage  dieser  Unter- 
suchungen machte  Justi  mit  klugem  Bedacht  nur  solche  Werke  Giorgiones, 
an  die  sich  kein  Zweifel  mehr  heranwagt,  die  über  dem  Streit  einander 
widersprechender  Meinungen  stehen. 

Den  meisten  ist  Giorgione  »der  letzte  Ritter  des  Quattrocento«,  der 
Künstler  alles  »Subtilen  und  Zarten«,  für  Justi  bedeutet  er  »die  Erfüllung 
Bellinis,  die  Voraussetzung  Tizians«.  Die  Tendenzen  des  alternden  Bellini, 
»die  Vereinfachungen  in  Flächen  und  Bewegungen  an  Stelle  des  Zerrissenen 
und  Gespreizten,  die  Kultur  der  Farbe  und  des  Lichtes,  insbesondere  der 
warmen  Farbe  und  der  gedämpften  Helligkeit,  die  träumerische  Stimmung«  — 
»all  dies  führt  genau  auf  Giorgiones  Castelfranco-Altar«.  Gerade  jenes 
Hauptwerk  des  jungen  Giorgione  birgt  aber  noch  mancherlei  — Einflüsse 
wäre  ein  viel  zu  grobes  Wort!  — , was  ihm  nicht  von  Bellini  kam,  sondern 
von  Pietro  Perugino,  der  ja  im  Dogenpalaste  tätig  wär,  als  Giorgione  in  dem 
aufnahmefähigen  Alter  von  etwa  neunzehn  Jahren  stand.  Die  Schlachten - 
gemälde  des  Umbriers  dort  werden  ihn  kaum  entzückt  haben,  aber  der 
Anblick  von  Peruginos  Madonnenbildern  mochte  schlummernde  Seelenfähig- 
keiten des  Jünglings  wecken  und  »die  weichklingende  Stimmung,  der 
schwärmerische  Blick  seiner  Heiligen,  der  stille  Abendfrieden  seiner  Land- 
schaften, die  vollendete  Rhythmik  seiner  Massenverteilung  — diese  feine, 
zarte  Kunst  hat  bei  Giorgiones  Meisterwerk  in  Castelfranco  Pate  gestanden«. 
Entscheidender  noch  für  den  Werdegang  Giorgiones  waren  die  Anregungen, 
die  er  aus  Florenz  her  empfing,  durch  Leonardo,  von  dem  Giorgione,  als  der 
Florentiner  in  Venedig  weilte,  laut  Vasari  »alcune  cose«  sah,  »molto  fumeggiate 
ed  cacciate . . . terribilmente  di  scuro«4),  und  späterhin  mochte  Fra  Bartolommeo 
»durch  seine  Kunst  oder  seine  Kritik  die  letzte  Entwicklung  Giorgiones  in 
das  Großartige«  gefördert  haben.  Das  florentinische  Element  in  Giorgiones 
Kunst,  das  Chiaroscuro  und  die  Neigung  für  das  Kolossale  und  Bewegte, 
trat  wohl  in  den  zerstörten  Fresken  des  Fondaco  am  deutlichsten  zutage, 
wie  Justi  das  aus  alten  Berichten  über  die  Wandmalereien  des  Fondaco 
und  den  dürftigen  Stichen  Zanettis  mit  überzeugender  Deduktionskraft 
nachweist.  Immerhin  erfüllen  auch  Giorgiones  Tafelbilder  genugsam  jene 
Forderungen  des  Florentiner  Cinquecento,  die  hier  mit  Justis  Schlagworten 
angedeutet  seien:  die  Bewegung  der  Einzelfigur  — der  Kontrast  in  der 
Komposition — , das  Zusammenschließen  und  die  freie  Disposition' — , endlich 
eine  Steigerung  des  Ausdrucks;  dieser  neuen  Rhythmik,  dieser  neuen  »Archi- 


4)  Vasari  IV.  S.  92. 


Literaturbericht. 


547 


tektur  alles  Formalen«  gesellen  sich,  besonders  in  der  Gestaltung  des  Nackten, 
leise  Anklänge  an  die  Antike,  und  zur  dem  allen  kommt  die  Weiterbildung 
der  auf  das  Koloristische  gerichteten,  spezifisch  venezianischen  Tendenzen: 
»der  Farbkörper  ist  bei  Giorgione  noch  nicht  aufgelöst  in  selbständige  Pinsel- 
striche«, wie  später  von  Tizian,  »sondern  besteht  noch  aus  einzelnen  Farb- 
flächen«,  die  aber  nicht  mehr  quattrocentistisch  hart,  sondern  »weich  gegen- 
einander grenzen«  und  öfters  von  »farbigem  Kleinwerk  überrieselt  sind. 
Auftrag  und  Farbe  vermitteln  zwischen  Quattrocento  und  Cinquecento«. 
Das  sind  also  die  einzelnen  Elemente,  in  die  sich  Giorgiones  Kunst  auflöst; 
aber  Bilder  sind  keine  chemischen  Verbindungen,  und  namentlich  ein  Ge- 
mälde Giorgiones  bedeutet  mehr  als  eine  Addition,  als  die  Summe  des 
Venezianischen  plus  dem  Florentinischen  plus  einem  Zehntel  Antike. 
Das  Bestimmende  und  Entscheidende  ist  schließlich  doch  der  Einsatz 
der  Individualität,  die  Fähigkeit  des  Genies,  tausend  fremde  Dinge  zu 
einer  neuen  Einheit  zusammenzuschweißen,  oder  wie  Justi  das  for- 
muliert: »Alles  geht  durch  den  persönlichen  schöpferischen  Geschmack 
des  Meisters  hindurch,  so  daß  der  flüchtige  Beobachter  den  Ursprung  gar 
nicht  bemerkt.« 

Ein  Künstler  von  so  »persönlichem  schöpferischen  Geschmack«  konnte 
seinen  Schaffenstrieb  unmöglich  von  Kontrakten  und  traditionellen  Vor- 
schriften einschnüren  lassen,  unmöglich  nach  Handwerkerart  nur  malen, 
was  Kirche  und  Gläubige  gemalt  haben  wollten,  sondern  mußte  sich,  allein 
seinem  Dämon  gehorchend,  die  Freiheit  erkämpfen  gegenüber  seinen 
Stoffen,  gegenüber  seinem  Publikum,  kurz,  die  Freiheit  des  modernen 
Künstlers.  In  solchem  Sinne  ist  Giorgione  einer  der  ersten  l’art  pour 
l’art  - Schaffenden  gewesen.  Den  Inhalt  seiner  Freske  ließ  er  sich  von 
keinem  klügelnden  Humanisten  vorschreiben,  sondern  schenkte  den  er- 
staunten Venetianern  »una  fantasia  a suo  modo«,  und  seine  Profanbilder 
sind  nach  Justi,  der  hierin  mit  Gronau  übereinstimmt,  »nicht  als.  Illustra- 
tionen gedacht,  keine  korrekten  Verbildlichungen  literarischer  Stoffe«, 
sondern  Fantasien  über  mythologische  Motive.  Gelehrte  Freunde  mögen 
ihn  mit  antiken  Themen  bekannt  gemacht  haben,  »und  das  eine  oder  andere 
gab  dem  Meister  dann  den  Anlaß  zu  einer  köstlichen  Schöpfung.  Und 
wegen  ihrer  Köstlichkeit  fand  sie  Käufer,  der  Inhalt  war  weniger 
wichtig  . . .«  Bilder  solcher  Art  wird  Giorgione  seltener  »im  Auftrag«  als 
»auf  Vorrat«  gemalt  und  seine  gesellschaftlichen  Verbindungen  dann  benutzt 
haben,  um  den  Kindern  seiner  Schaffenslaune  einen  vermögenden  Adoptiv- 
vater zu  sichern.  Denn  »Giorgione  musizierte  und  causierte  gewiß  nicht  bloß 
aus  gesellschaftlichem  Ehrgeiz,  sondern  scheint  hierin  der  Ahne  mancher 
moderner  Künstler,  »die,  nutzbringende  Beziehungen  anknüpfend«,  sich 
durch  die  schweren  Diners  der  haute  finance  durchessen  . . .« 


548 


Literaturbericht. 


An  Wendungen  ähnlicher  Natur  ist  Justis  Buch  nicht  gerade  arm, 
und  Fachgenossen,  die  ein  gütiges  Schicksal  mit  jenem  Sinn  für  Feierlichkeit 
begnadete,  den  der  alte  Fontane  bei  sich  so  schmerzlich  vermißte,  haben  sich 
über  die  Tonart  dieses  »Giorgione«  baß  entrüstet.  Warum  eigentlich?  Solche 
»Schnodderigkeiten«,  wie  man  in  Berlin  sagt,  machen  allerdings  das  Buch 
nicht  besser,  aber  doch  auch  nicht  schlechter  und  ganz  gewiß  sehr  unterhalt- 
sam. Freilich,  wenn  dieser  Stil  von  Leuten  ohne  Justis  Talent  nachgeahmt 
würde,  dann  , . . Noch  aber  dämmert  dem  »wissenschaftlichen  Ernst«  oder 
was  sich  dafür  ausgibt,  nicht  das  Ende,  noch  braucht  man  nicht  mit  Schillers 
Questenberg  zu  zittern,  daß  »dieser  Geist  der  allgemeine  ist«  — unsere  ganze 
neuere  kunsthistorische  Literatur  könnte  darüber  auch  die  ängstlichsten 
Gemüter  beruhigen  — , und  darum  dürfen  wir  uns  ohne  Gewissensbisse  auch 
an  den  »Frivolitäten«  dieses  vom  Verlage  in  schlechthin  mustergültiger 
Weise  ausgestatteten  Buches  erfreuen,  dessen  ganze  Art,  alles  in  allem  ge- 
nommen, am  besten  jene  Worte  charakterisieren,  die  sein  Verfasser  einem 
giorgionesken  Cassonebilde  des  Paduaner  »museo  civico«  widmet:  es  ist 
»sehr  meisterlich,  originell,  amüsant  und  ohne  alle  Beschwerlichkeit . . .« 

Emil  Schaeffer. 


Kunsthandwerk. 

Erzeugnisse  islamischer  Kunst.  Teil  II.  Seldschuki- 
sche  Kleinkunst.  Herausgegeben  von  Friedrich  Sarre.  Mit 
25  Tafeln  und  38  Textabbildungen.  Leipzig  1909.  Verlag  von  Karl 
W.  Hiersemann. 

Der  erste  Teil  dieser  Publikation,  »Metall«,  erschien  vor  drei  Jahren 
und  behandelte  katalogisch  die  orientalisch-islamischen  Metallobjekte  der 
Sammlung  Sarre.  Dieses  neue  Heft  bietet  eine  zusammenfassende  Dar- 
stellung der  Objekte  seldschukischer  Kleinkunst,  die  sich  zumeist  in  Konia 
befinden,  und  soll  einer  allgemeineren  Betrachtung  der  Kunstgeschichte  des 
Islam  zur  Unterlage  dienen.  Die  Arbeit  wird  diesen  Zweck  m.  E.  erfüllen, 
schon  wegen  ihrer  vielen  guten  Abbildungen.  Was  die  wissenschaftlichen 
Erklärungen  und  Anmerkungen  betrifft,  so  weiß  sich  zwar  der  Rezensent 
mit  dem  Verfasser  im  ganzen  eins,  variiert  doch  aber  im  Detail  bisweilen 
und  denkt  auch  anders  über  die  Herkunft  des  »seldschukischen  Stiles«. 

Strzygowski  hat  in  seinem  »Kleinasien,  ein  Neuland  der  Kunstge- 
schichte« Sarre  den  Vorwmrf  gemacht,  daß  er  den  persischen  Ursprung  des 
seldschukischen  Stiles  nicht  erkannt  habe.  Diesem  Vorwurf  ist  Sarre  in 
dieser  Publikation  nicht  entschieden  begegnet  und  hat  auch  sonst  vermieden, 
auf  dieses  Problem  einzugehen.  Da  nun  anderseits  mehrfach  auf  Beziehungen 


Literaturbericht. 


549 


zu  persischen  Werken  der  Kleinkunst  hingewiesen  wird,  so  muß  diese  Arbeit 
der  Strzygowskischen  Hypothese  Vorschub  leisten. 

Es  ginge  über  den  Rahmen  einer  Anzeige  weit  hinaus,  wollte  man  den 
Beweis  einer  gegenteiligen  Ansicht  umfassend  begründen.  Es  sei  daher  nur 
auf  die  entscheidenden  Punkte  hingewiesen. 

Die  Werke  der  Kleinkunst  bieten  vor  den  Resten  alter  Architektur 
den  Vorteil,  daß  man  sie  ohne  Geschichtskonstruktionen  betrachten  und 
nach  dem  Augeneindruck  klassifizieren  kann.  Stellt  man  so  die  Frage  nach 
der  Klassifikation  des  seldschukischen  Ornamentes  im  13.  Jahrhundert,  so 
wird  man  m.  E.  mit  Notwendigkeit  auf  die  nahe  Verwandtschaft  mit  dem 
gleichzeitigen  Ornament  in  Ägypten  kommen  müssen,  während  man  nicht 
den  fünften  Teil  so  vollkommener  Analogien  für  Persien  finden  möchte. 

Ich  halte  mich  in  erster  Linie  an  die  Kunstwerke  aus  Holz,  die  Sarre 
in  reicher  Auswahl  im  Bilde  bringt.  Hier  ist  die  Verwandtschaft  mit  ägypti- 
schen Arbeiten  zuweilen  so  groß,  daß  es  wohl  schon  eines  aufs  Feinste 
gehenden  Studiums  des  seldschukischen  Ornamentes  bedarf,  um  überhaupt 
einen  Unterschied  zu  erkennen.  Man  betrachte  Abbildung  24  mit  dem 
Datum  1155  oder  Abbildung  26,  27  von  1258. 

Mit  einigem  Recht  könnte  man  bei  den  Gebetnischen  aus  Fayence- 
mosaik auf  ihre  persischen  Schwestern  hinweisen.  Doch  erkennt  man  gerade 
hier  an  der  stilistischen  Differenz,  wie  falsch  man  geht,  wenn  man  die  seld- 
schukische  Kunst  vom  12.  bis  14.  Jahrhundert  aus  der  persischen  zu  ent- 
wickeln sucht.  Das  Ornament  bewahrt  auch  hier  seine  auf  Syrien  und 
Ägypten  hinweisende  geometrische  Tendenz,  und  auch  hier  versagen  die 
persischen  Analogien. 

Es  gibt  in  der  Geschichte  nichts  Absolutes;  und  so  hieße  es  auch  das 
Kind  mit  dem  Bade  ausschütten,  wollte  man  überhaupt  jeden  Zusammen- 
hang zwischen  seldschukischer  und  persischer  Kunst  leugnen.  So  scheint 
mir  dieser  für  die  figürliche  Sternfliese  (Sarre  Tafel  19)  wahrscheinlich. 
Zwar  kommen  auch  in  Ägypten  ähnliche  figürliche  Darstellungen  auf  Fayencen 
vor.  Aber  bei  unseren  Fliesen  ist  der  Eindruck  mehr  persisch;  auch  die 
Technik  ist  nicht  ägyptisch,  wenn  auch  den  ägyptischen  Fayencen  verwandter 
als  den  persischen.  Wir  haben  es  also  hier  mit  einer  selbständigen  Fabrika- 
tion zu  tun,  aber  mit  einem  Zeichner,  der  einer  persischen  oder  mesopotami- 
schen  Malschule  entstammt. 

In  Abbildung  io  gibt  Sarre  ein  Steinrelief  — Einhorn,  eine  Antilope  ver- 
folgend — , dem  er  eine  hellblau  glasierte  persische  Relieffliese  mit  einer  ähn- 
lichen Darstellung  (Abb.  11)  gegenüberstellt.  Die  Verwandtschaft  in  den 
Typen  kann  wohl  nicht  geleugnet  werden;  die  stilistischen  Überein- 
stimmungen gehen  aber  m.  E.  über  das  durch  den  Zeitstil  Erklärbare 
nicht  hinaus. 


550 


Literaturbericht. 


Bei  der  Reliefplatte  mit  Tierfiguren  (Abb.  20,  21)  scheint  mir  die  An- 
nahme einer  früheren  Entstehung  für  die  Kehrseite  mit  dem  Kreuz  nicht 
wahrscheinlich.  Es  gibt  doch  auch  manche  Übereinstimmungen  in  der 
stilistischen  Behandlung  der  beiden  Seiten,  und  das  Befremdende  liegt  mehr 
in  der  ungewohnten  Darstellung.  Das  Relief  ist  wegen  der  Übereinstimmung 
mit  ägyptisch -syrischen  Arbeiten  aus  fatimidischer  Zeit  kaum  später  als 
ins  12.  Jahrhundert  zu  setzen.  Mir  scheint,  daß  einer  so  späten  Datierung 
auch  für  die  »spätbyzantinische«  Seite  nichts  im  Wege  steht.  Ich  habe 
zurzeit  nur  Analogien  aus  Mittel-  und  Südrußland  zum  Vergleich.  Doch  sieht 
man  — um  bei  datierten  Stücken  zu  bleiben  — in  der  Uspenskij  Kathedrale 
zu  Wladimir  bei  Nishnij -Nowgorod  ein  Kreuz  mit  genau  so  gestaltetem, 
altertümlich-rohem  Stufenberge.  Da  diese  Kirche  von  Andrei  Bogoljubskij 
(1169 — 1174)  erbaut  wurde,  so  steht  auch  unserer  Datierung  der  Kreuzseite 
des  obigen  Reliefs  ins  12.  Jahrhundert  nichts  entgegen. 

In  einer  zusammenfassenden  Darstellung  der  Erzeugnisse  seldschuki- 
scher  Kleinkunst  hätte  vielleicht  auch  der  seldschukischen  Stoffe  gedacht 
werden  müssen.  Wir  sind  glücklicherweise  durch  den  im  Museum  zu  Lyon 
befindlichen  Löwenstoff  mit  dem  Namen  eines  seldschukischen  Sultans  des 
13.  Jahrhunderts  im  Besitze  eines  vortrefflichen  Ausgangspunktes  für  weitere 
Bestimmungen.  Dieser  Stoff  weist  durchaus  die  uns  aus  andern  Kunstarten 
bekannten  Charakteristiken  des  seldschukischen  Ornamentes  auf  und  ist 
deshalb  für  die  Stoffkunde  des  islamischen  Mittelalters  von  der  größten  Be- 
deutung. 

Zusammenfassend  sei  über  die  seldschukische  Kunst  folgendes  gesagt. 
Das  seldschukische  Ornament  hat  seinen  besonderen  Stilcharakter,  der  von 
der  persischen  Kunst  unabhängig,  aber  der  syrisch-ägyptischen  sehr  ver- 
wandt ist.  Man  wird  daher  bei  einer  allgemeinen  Betrachtung  der  Kunst 
des  Islams  die  seldschukische  Kunst  an  die  syrische  anschließen  müssen. 
Da  aber  durch  die  überwiegende  Mehrzahl  ihrer  Monumente  ein  gemein- 
samer charakteristischer  Zug  geht,  so  ginge  man  zu  weit,  wollte  man  von 
einem  syrisch-ägyptischen  Kunst  i m p 0 r t reden.  Es  besteht  eben  eine 
innere  Verwandtschaft. 

Bei  Heyd,  Levantehandel,  findet  sich  am  Ende  des  ersten  Bandes  eine 
Notiz,  die  hier  im  Auszuge  wiedergegeben  sei: 

An  der  Südküste  Kleinasiens  wurde  — wie  dies  bei  allen  seldschuki- 
schen Fürsten  Kleinasiens  das  natürlichste  ist  — der  stärkste  Verkehr  mit 
Ägypten  gepflogen.  Es  war  dies  der  natürliche  Rückhalt  zuerst  gegen  die 
mächtigen  Mongolen,  dann  gegen  die  kühn  aufstrebenden  Osmanen.  Anderer- 
seits freuten  sich  dessen  die  ägyptischen  Sultane,  die  von  Kleinasien  Sklaven 
als  Soldaten,  Schiffsbauholz  und  Pech  bezogen.  Darum  sagt  Sanuto  mit 
Recht:  wolle  die  Christenheit  dem  Sultan  von  Ägypten  seine  Hilfsquellen 


Literaturbericht. 


551 


abschneiden,  so  müsse  sie  auch  das  türkische  Kleinasien  als  Feindesland 
betrachten. 

Ferner  ebenda  Seite  329:  Kaufleute  aus  Syrien  und  Mesopotamien 
(Mossul)  brachten,  durch  das  Seldschukengebiet  ans  Schwarze  Meer  vor- 
dringend — oder  über  Trapezunt — , nach  dem  südlichen  Rußland  wollene 
und  seidene  Zeuge  und  Gewürze.  Den  umgekehrten  Weg  gingen  feines 
Pelzwerk  und  Sklavinnen. 

Seite  333:  Über  Konia  ging  die  Verkehrsstraße  von  Syrien  nach  Kon- 
stantinopel, von  Antiochien  her. 

Dies  sind  Exzerpte,  die  ich  mir  in  einem  andern  Zusammenhänge 
notierte  und  die  sich  bei  systematischer  Durchsuchung  der  Quellen  sicherlich 
leicht  vermehren  ließen.  Doch  werden  sie  für  unseren  Zweck  genügen. 

Strzygowski  mag  mit  seiner  Hypothese  für  das  frühere  Mittel- 
alter  recht  haben  — was  hier  nicht  zu  untersuchen  ist  — ; jedenfalls  kann  sie 
für  die  seldschukische  Periode  Kleinasiens  nicht  gelten,  und  später  natürlich 
erst  recht  nicht. 

Vollkommene  Klarheit  über  die  seldschukische  Kunst  wird  allerdings 
erst  zu  gewinnen  sein,  wenn  über  die  mesopotamischen  Monumente  der  Zeit 
genügende  Publikationen  vorliegen,  weil  dann  erst  der  syrische  Kunstkreis 
feste  Grenzen  und  darum  feste  Gestalt  annehmen  kann. 

Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  Sarre  das  Material,  über  das  er  hier 
verfügt,  auch  bald  veröffentlichte.  Eine  solche  Publikation  würde  die  viel- 
fachen Anregungen  der  vorliegenden  Arbeit  in  dankenswerter  Weise  steigern. 

Wendland. 


Dr.  Viktor  Roth.  Geschichte  des  deutschen  Kunstge- 
werbes in  Siebenbürgen.  Mit  75  Abbildungen  auf  33  Licht- 
drucktafeln. Straßburg,  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  und  Mündel)  1908. 
Ladenpreis  14  M. 

Als  104.  Heft  der  »Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte«  hat  Viktor 
Roth,  dem  wir  schon  die  in  demselben  Verlage  erschienenen  Darstellungen 
der  deutschen  Baukunst  und  Plastik  Siebenbürgens  zu  verdanken  haben, 
diesen  nunmehr  auch  eine  eingehende  Schilderung  des  siebenbürgisch- 
deutschen  Kunstgewerbes  folgen  lassen. 

Ein  fast  unbekanntes  Gebiet  wird  weiteren  Kreisen  damit  erschlossen. 
Denn  die  vom  Vereine  für  siebenbürgische  Landeskunde  veröffentlichten 
Abhandlungen  wurden  bisher  zu  wenig  beachtet,  und  die  in  Ungarn  er- 
schienenen bedienen  sich  der  magyarischen  Sprache,  was  ihre  Verbreitung 
behindert.  Und  doch  hat  sich  hier  im  äußersten  Osten  seit  dem  12.  Jahr- 
hundert inmitten  fremder  Völker  und  sprunghafter  Entwicklungen  eine 

Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  XXXII.  -37 


55« 


Literaturbericht. 


kleine  Kulturwelt  für  sich  ausgestaltet  und  erhalten,  ebenso  bemerkenswert 
durch  ihre  selbständigen  Leistungen  wie  in  der  Spiegelung  fremder  Vor- 
bilder, die  sie  unter  auswärtigen  Einflüssen  verarbeitete. 

Es  ist  die  eigentliche  Volkskunst,  die  hier  tonangebend  bleibt.  Fürst- 
licher Auftrag  spielte  keine  Rolle.  Aber  Stadt  und  Land,  Bürger  und  Bauer 
lernen  von  einander  Kleidung  und  Schmuck  und  die  Freude  an  der  Farbe. 

Noch  heute  webt  sich  die  sächsische  Bäuerin  ihr  Leinen  selbst,  und 
noch  immer  wird  es  mit  eingewebten  Mustern  zumeist  nach  alter  Über- 
lieferung und  Stickereien  verziert,  letztere  zum  Teil  nach  dem  Vorbilde 
anatolischer  Teppiche.  Selbst  in  das  Altargerät,  wie  in  das  Hermannstadter 
Kelchtuch  von  1615,  haben  sich  türkische  Motive  eingeschlichen.  Seit  dem 
15.  Jahrhundert  bis  zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts  galt  hier  die  Sitte,  der 
Kirche  orientalische  Teppiche  zu  schenken;  die  schwarze  Kirche  in  Kron- 
stadt besitzt  ihrer  allein  noch  1 16  Stück.  Auch  die  Vorliebe  für  buntgefärbtes 
Leder  zu  Stiefeln,  Pferdegeschirren,  Gürteln  und  Feldflaschengehängen  stand 
offenbar  unter  türkischem  Einflüsse.  Von  1526  bis  1680  war  ja  Siebenbürgen 
ein  türkischer  Vasallenstaat.  Da  der  Islam  tönerne  Gefäße  bevorzugte, 
scheint  die  Annahme  naheliegend,  daß  auch  die  Keramik  Siebenbürgens 
davon  ihren  Nutzen  zog.  Leider  bleibt  uns  V.  Roth  die  Antwort  auf  diese 
wichtige,  wenn  auch  schwer  zu  lösende  Frage  schuldig.  Er  weicht  ihr  aus, 
obwohl  sie  über  die  Grenzen  Siebenbürgens  hinaus  von  besonderer  Bedeutung 
ist.  Denn  Siebenbürgen  war  seit  dem  Ausgange  des  Mittelalters  das  Ein- 
fallstor orientalischer  Kunst. 

Eine  Besonderheit  der  siebenbürgischen  Keramik,  die  Sgraffiten  auf 
Kobaltglasur,  finden  dagegen  eine  sehr  willkommene  eingehende  Schilderung; 
Roth  schreibt  sie  in  der  Hauptmasse  einem  namenlosen  Meister  in  der  Zeit 
von  1780 — 1815  zu.  Älter  sind  die  von  ihm  als  Nelkenkrüge  bezeichneten, 
die  bis  über  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zurückreichen.  In  Torenburg 
(Torda),  das  aber  schon  außerhalb  des  Sachsenbodens  liegt,  in  Sommerburg 
und  Draas  befanden  sich  die  Stammsitze  der  Töpfer,  während  eine  eigent- 
liche Faiencefabrik  erst  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  in  Kronstadt  und 
zwar  von  dem  Italiener  Perotti  eingerichtet  worden  ist.  Porzellan  ist  in 
Siebenbürgen  nie  erzeugt  worden. 

Das  Hauptgewicht  legt  deshalb  V.  Roth  auf  die  umfassende  Dar- 
stellung der  Goldschmiedewerke,  deren  Blütezeit  in  das  16.  Jahrhundert  fällt. 
Die  Zunftregulation  von  1376  nennt  noch  keine  Zunft  der  Goldschmiede, 
da  sie  ihr  Gewerbe  noch  frei  ausübten.  Für  die  Hermannstädter  hat  sich  die 
Regulation  vom  Jahre  1539  erhalten.  Gerade  unter  den  Goldschmieden 
war  die  Wanderung  eine  starke:  Siebenbürger  trifft  man  in  Wien,  Nürn- 
berger dagegen,  Krakauer,  Stettiner  und  Halberstädter  in  Siebenbürgen. 
Die  Arbeit  gilt  in  erster  Linie  der  Kirche.  Als  ältester  Abendmahlskelch 


Literaturbericht. 


553 


wird  jener  in  Markt -Schelken  genannt,  der  dem  Ende  des  14,  Jahrhunderts 
angehört.  Der  schon  spätgotische  des  Stolzenburger  Kirchenschatzes  zeigt 
die  hochentwickelte  Technik  der  Filigranschmelzarbeit  in  trefflicher  Weise, 
die  zwar  nicht  ungarische  Erfindung,  aber  schon  im  ersten  Viertel  des  15.  Jahr- 
hunderts (sächsisches  Kurschwert  in  Dresden  um  1425)  in  Ofen  geübt  worden 
ist  und  sich  nebst  andern  italienischen  Anregungen  auch  nach  Siebenbürgen 
verbreitet  hat.  Eine  Eigenart  siebenbürgischer  Goldarbeit  ist  dagegen  der 
Gürtel,  wenngleich  die  ältesten  erhaltenen  Stücke  nicht  über  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  zurückreichen.  Der  Gürtel  gehört  zur  Volkstracht  der 
sächsischen  Frau  und  wird  in  Kronstadt  noch  heute  in  alter  Weise  hergestellt. 
Die  weltlichen  Geräte  der  Renaissance  stehen  dagegen  ganz  unter  dem  Ein- 
drücke der  Nürnberger  Ornamentstecher,  deren  Blätter  ihren  Weg  bis  in 
den  äußersten  Osten  fanden.  Der  Flauptmeister  des  17.  Jahrhunderts  ist  der 
1644  in  Leutschau  geborene  Goldschmied  Sebastian  Hann,  von  dem  sich 
noch  25  bezeichnete  Werke  nachweisen  lassen. 

Glücklicherweise  hat  ja  der  Reichtum  der  Kirchen  an  Kunstschätzen  und 
der  zähe,  stammesbewußte  Sammeltrieb  vom  alten,  einst  freilich  weit  größeren 
Vermögen  dieses  emsigen  Volkes  eine  noch  immer  sehr  stattliche  Zahl  alter 
Kulturzeugen  (auch  in  Bronzeguß,  Eisen,  Kupfer,  Zinn  und  Möbeln)  in  die 
Museen  gerettet.  Das  Bruckenthalsche  Museum,  die  Sammlung  E.  Sigerus 
und  das  Siebenbürgische  Karpathen -Museum  in  Hermannstadt,  die  Samm- 
lungen A.  Resch  und  Julius  Teutsch  in  Kronstadt,  das  Alt-Schäszburger 
Museum,  das  Siebenbürgische  Museum  in  Klausenburg  u.  a.  m.  sind  in 
Zeiten  unverständiger  Mißachtung  wahre  Horte  für  das  stark  entwickelte, 
bisher  zu  wenig  geschätzte  Kunstgewerbe  Siebenbürgens  gewesen.  Der 
Verf.  hat  aus  ihren  reichen  Beständen,  dann  aus  der  Rüstkammer  des  Her- 
mannstädter Rathauses  und  den  Kirchenschätzen  der  evangelischen  Ge- 
meinden von  Meeburg,  Groß -Schenk,  Heltau,  Kreisch,  Marktschelken. 
Stolzenburg,  Klein -Schelken,  Deutsch-Kreuz,  Mediasch,  Birthälm,  Hermann- 
stadt u.  a.  75  gute  Lichtdruckabbildungen  von  den  merkwürdig  becher- 
förmigen Taufbecken,  von  Rüstungen  und  Geschirren  aus  Kupfer  und  Zinn, 
dann  namentlich  von  den  zahlreichen  Abendmahlskelchen  und  -kannen, 
Leuchtern,  Pokalen  und  Zunftbechern,  Kleiderhefteln  und  Gürteln,  den 
Bauernfaiencen  und  Ofenkacheln,  Bauernstuben,  Stickereien  und  Kleidungs- 
stücken in  lehrreicher  Auswahl  gegeben,  die  einen  trefflichen  Überblick 
gewährt. 

Es  ist  nur  zu  wünschen,  daß  es  Viktor  Roth  vergönnt  sein  möge,  als 
Abschluß  seiner  dankenswerten  Untersuchungen  uns  bald  auch  eine  Ge- 
schichte der  siebenbürgischen  Malerei  zu  bescheren. 

Brünn.  Julius  Leise  hing.