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I
REPERTORIUM
FÜR
KUNSTWISSENSCHAFT
REDIGIERT
VON
HENRY THODE,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT IN HEIDELBERG
UND
HUGO VON TSCHUDI,
DIREKTOR DER KÖNIGLICHEN NATIONALGALERIE IN BERLIN
XXVIII. Band.
BERLIN W. 35
DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER
1905
PHOTOMECHANISCHER NACHDRUCK
WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN 1968
Arohiv-Nr. 3848680
©
1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösohen’sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuch-
handlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13.
Printed in the Netherlanda
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Geneh-
migung des Verlages Ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Telle daraus auf photomechanischem Wege
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THE J. PAUL GETT'' CENTER
LIBRARY
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano. Von Alfred Möller I
Der Meister des Paradiesesgartens. Von Carl Gebhardt 28
Die deutsche Passionsbühne und die deutsche Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts
in ihren Wechselbeziehungen. Schluß. Von K. Tscheuschner-Btxn 35
Augsburger Urkunden. Von Wilhelm R. Valentiner • • • 59
Kurfürst Ottheinrich und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses. Von Friedrich
H. Hof mann ^3
Zu den Nachrichten über die Ecclesia Portuensis in Clermont-Ferrand (Urbs Arverna).
Von Felix Willing 101
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler im königl. Kupferstichkabinett in
Berlin. Von A. v. Beckerath 104
Donato Veneziano. Ein Beitrag zur Geschichte der venezianischen Malerei. Von
Hans Ankwicz I27
Peter Strauss (alias Trünklein) von Nördlingen, der Schnitzer des Peters- und
Paulsaltars in Kloster Heilsbronn. Von Albert Gümbel 135
Notiz zu Lorenzo di Credi. Wilhelm Schmidt 143
Albert van Ouwater? Karl Simon *44
A Note on Dürer. Conway >47
Ein kunstgewerblicher Entwurf Altdorfers. Ludwig Lorenz 149
Notizen zu Rembrandts Radierungen. A. M. Hind 150
Rembrandt und Tizian. Hermann Voss 156
Zu Salomon Köninck. F. Koch • ■ , *63
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«. Von Georg Graf Vitzthum 199
Archivalische -Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte: I. Otto Voß..
II. Die Familie Praun-Löblich. Von Albert Gütnbel 227
Der Formschneider der Holzschnitte in dem Breslauer Drucke der Hedwigslegende
vom Jahre 1504. Von W. Molsdorf . . . 244
Zwei Orley-Schüler. Won Wilhelm R. Valentiner 252
Zu der Rekonstruktion der Namatiuskirche in der Stadt der Arverner (Clermont-
Ferrand). Felix Witting • • 263
Francisco de Hollanda und Donato Giannottis Dialoge und Michelängelo. Von
Hans Tietze 295
Leonardo da Vincis Stellung in der Geschichte der Physiognomik und Mimik.
Von Hans Klaiber . 321
Konrad Witz und die Biblia Pauperum. Von A. Schmarsow 340
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen. I. und II. Von Christian
Geyer ■..■ 35 *» 495
Dürers Dresdener Skizzenbuch. Bemerkungen zu der Ausgabe von Dr. Bruck.
Von Ludwig Justi 3^6
IV
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo. Von A. Schmarsow 391
II memoriale di Baccio Bandinelli. Di Arduino Colasanti 406
Unbekannte Fresken des Paolo Veronese. Mitteilungen zum Kapitel »Venezianische
Freskomalerei«. Von Bernhard Patzak 444
Archivalisches zur fränkisch-schwäbischen Kunstgeschichte: I. Eichstädter und
Ottinger Meister in Kloster Heidenheim. II. Peter Strauss und Sebastian Dayg
in Kloster Heilsbronn. Von Alb . Gümbel 448
Die Flügel des Landauer Altars. Von I. Beth 457
Das Gothaer Liebespaar. Von Carl Gebhardt 466
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers. 3. Von Paul Kalkoff 474
Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom. Von Karl Lange 486
Ein wiederentdeckter Landschaftsmaler. Von Ernst Sigismund 512
Zur Geschichte der Nürnberger Malerfamilie Praun-Löblich. Ein Nachtrag. Gümbel. 516
Neues für Jan Mostaert. Friedländer 517
Zu Nicolaus von Neufchatel. Wilh. Schtnidt 522
Literatur.
Beissel, Stephan S. J. Kunstschätze des Aachener Kaiserdomes. O. v. F. . . 180
Berteaux, Emile. L’Art dans l’Italie meridionale. C. v. Fabriczy 265
Brüning, Adolf und Wilhelm Behncke, Max Creutz und Georg
Swarzenzki. Europäisches Porzellan des 18. Jahrhunderts. Katalog der
1904 im kgl. Kunstgewerbemuseum zu Berlin ausgestellten Porzellane. Ernst
Zimmer mann 1 8 1
Burger, Fritz. Zur Geschichte des florentinischen Grabmals. C. v. Fabriczy.. 523
Colvin, Sidney. Selected drawings from old masters in the University Galleries
and in the library at Christ Church Oxford. Friedländer 531
Cruttwell, Maud. Luca and Andrea della Robbia and their successors. Paul
Schubring 83
Drexler, K. Der Verduner Alter. O. v. F. 178
Dülberg, Franz. Frühholländer. II. Altholländische Gemälde im erzbischöf-
lichen Museum zu Utrecht. IV. P. Valentiner 175
Eisenmann, O. Die Gemäldegalerie zu Cassel 91
Ferrari, Giulio. La Iconografia. C. v. F. 376
Ganz, Paul. Handzeichnungen schweizerischer Meister des 15. bis 18. Jahr-
hunderts. H. IV. 90
Haupt, Albrecht. Peter Flettner, der erste Meister des Otto Heinrichsbaues zu
Heidelberg. Friedländer 81
Italienische Architektur und Skulptur. Jahresbericht 1903. C. v. Fabriczy 274
Justi, Ludwig. Dürers Dresdener Altar. //. Wölfflin 87
Kehrer, Hugo. Die »Heiligen drei Könige« in der Legende und in der deutschen
bildenden Kunst bei Albrecht Dürer. Friedländer 373
Kern, G. J. Die Grundzüge der linearperspektivischen Darstellung in der Kunst
der Gebrüder van Eyck und ihrer Schule. Frida Schottmüller 173
Laban, Ferdinand. Heinrich Füger der Porträtminiaturist. Friedländer 536
Lefevre-Pontalis, Eugene. L’architecture gothique dans la Champagne
meridionale au XIIIe et au XVIe siede. Vöge 374
Lorenz, Ludwig. Die Mariendarstellungen Albrecht Dürers. Friedländer ... 378
Migeon, Gaston. Cnefs-d’ouvre d’Art japonais. W. v. Seidlitz 384
Inhaltsverzeichnis. V
Seite
Pracliow, Adrien. Les Tresors d’Art en Russie. James von Schmidt 77
Prokop, August. Die Markgrafschaft Mähren in kunstgeschichtl. Beziehung.
Julius Lcisching 386
Schottmüller, Frida. Donatello. C. v. Fabriczy 379
Supino, D. B. Arte Pisana. Swarzenski 164
Tlii eie, Georg. Der illustrierte lateinische Aesop in der Handschrift des Ademar
Codex Vossianus lat. Oct. 15. Fol. 195—205. Jaro Spritiger 528
Vitry, Paul, et Gaston Briere. Documents de sculpture frangaise du moyen-
äge. Vöge 171
Ausstellungen.
Die Porzellanausstellungen im Jahre 1904. Ernst Zimmer mann 92
Mitteilungen über neue Forschungen.
Zu Luciano Laurana. G. Gr 95
Zu Tizians Bildnis einer österreichischen Prinzessin. G. Gr 95
Giovanni di Bartolo, il Rosso und das Portal von S. Niccolo zu Tolentino in
den Marken. C. v. F. , . , 96
Ein neues Werk Fra Ambrogios und Fra Matthias della Robbia. C. v. Fabriczy. 98
Die Wiederauffindung eines seither verschollenen Werkes des piemontesischen
Malers Macrino d’Alba. C. v. F. 185
Zur Kunstgeschichte von Pistoja bezw. Siena. C. v. F. 186
Onofrio Giordano della Cava. C. v. F. 188
Eine bisher unbekannte Arbeit Giulianos da Sangallo. C. v. F. 190
Pietro di Martino da Milano in Ragusa. C. v. F. 192
Domenico Gaggini in Neapel. C. v. F. 193
Die Fresken der Antoniazzo Romano. C. v. F. 286
Pistojas Kunstschätze. C. v. F. . , 287
Neue Daten zur Biographie Benozzo Gozzolis. C. v. F. 538
Boltraffios h. Barbara im Berliner Museum. C. v. F. 539
Aus dem Gedenkbuch Francesco Baldovinettis. C. v. F. 539
Erwiderung. Paul Schubring 196
Berichtigung. Firmcnich-Richartz 197
Nekrolog. Gustav Ludwig. Georg Gronau 294
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
1)
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
Neue Beiträge zur Niccolo -Pisano-Frage.
Von Dr. Alfred Möller.
Noch immer sind die Rätsel, die Niccolo Pisano der kunstgeschicht-
lichen Forschung aufgibt, nicht gelöst; nicht das Rätsel seiner Abstammung,
nicht das seiner künstlerischen Persönlichkeit. Wir enfmern uns der
Kanzel zu Pisa und die Vorstellung von der Macht antiker Einflüsse auf
den Künstler drängt sich uns auf. Wir kennen auch genug der zweifellos
benutzten Vorbilder. Niccolo erscheint uns als Plastiker, der im späten
Mittelalter stehend, sehnsüchtig hinüberblickt in das Land der klassischen
Kunst. Wir erinnern uns der Kanzel zu Siena, sehen einen anderen
Geist in ihr, können an Niccolo Pisano als Schöpfer kaum glauben und
denken an seinen Sohn, der der »neuen Zeit«, der Gotik, voll Hingabe
seine Opfer brachte. Wir möchten ihn für den Schöpfer halten, der den
Vater und seine Ideale verdrängte. Aber wir müssen auch des Sarko-
phages des heil. Dominikus in Bologna achten, der Arbeit, die Niccolo
dort nach zweifellos zuverlässigen schriftlichen Quellen leistete, und wir
werden wieder irre. Die Reliefs an S. Martin in Lucca erscheinen der
kunstgeschichtlichen Forschung bald als Anfang bald als spätes Werk
Niccolo Pisanos und sein künstlerisches Charakterbild schwankt trotz der
reichen Arbeit, die diesem Meister und der Erforschung seines Wesens
seit langem zugewendet wird, noch immer.
Für die meisten älteren Forscher ist Niccolo Pisano als Schöpfer
der Kanzel zu Pisa nur der begeisterte Nachahmer der Antike. Bei
solcher Auffassung ist ein Verständnis für die Zeit seiner späteren Schöp-
fungen fast ausgeschlossen. Man tut noch am besten, wenn man (wie
z. B. Fr. X. Kraus) unter solchen Voraussetzungen eine Wandlung der
künstlerischen Ideale des Meisters zwischen der Schöpfung der Kanzel
zu Pisa (1260) und der zu Siena annimmt, will man diese nicht — mit
unhaltbaren Gründen, wie unten ausgeführt werden soll — aus seinem
Lebenswerk ausschließen und gegen alle Zeugnisse dem Giovanni Pisano
allein zuschreiben. Will man aber die zweifellosen naturalistischen
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. X
2
Dr. Alfred Möller:
Züge in den späteren Werken des Meisters der Kanzel zu Pisa verstehen
so gibt es kein anderes Mittel als eine bis in die letzten Einzelheiten
gehende genaue Untersuchung der Reliefs zu Pisa, eine Untersuchung,
die dort, in voller Anerkennung der antiken Einflüsse, die sich geltend
machen, doch auch die Frage nach eigenen Beobachtungen des Künstlers,
nach solchen, die mehr der Natur als klassischer Stilisierung zuneigen,
aufwirft und vorurteilslos zu beantworten sucht.
Das erste Relief an der Kanzel zu Pisa stellt die »Geburt Christi«
dar. Auf den ersten Blick fühlt man sich ohne Bedenken zur Ent-
scheidung gedrängt; hier herrschen Pose und Pathos; wo wäre da nur
eine Spur liebevoller, selbständiger Naturbeobachtung zu finden, die wir
an Giovanni Pisano so bewundern müssen? Hier herrscht die Form, und
zwar das, was Niccolo Pisano als die »schöne Form« erschienen sein
mag, ausschließlich. Wenige Figuren, starke, grobknochige, untersetzte
Gestalten in dick gebauschten Gewändern ohne Verhältnis zueinander,
ja gegen die Gesetze der Perspektive angeordnet und gemessen. Keine
Spur eines Versuches den Darstellungen zu folgen, die die Schrift gibt.
Maria wuchtig, mit riesigen Händen verleugnet durch ihre Erscheinung
alles Demütige, das ihr dort beigelegt wird. Wie stolz steht sie, die
»Magd des Herrn« vor dem Engel! Dazu herrscht ein wahrer horror
vacui. Die Figuren, gering an Zahl, füllen mit unförmlichen Gliedern
(man vgl. die dicken, schweren Flügel des Engels, seinen unförmlichen
Bauch!) den Raum in aufdringlicher Weise. Die Gestalt Josefs zeigt
auch, wie wenig der Künstler die christliche Idee des Vorganges be-
rücksichtigen wollte. Erscheint er in seinem starren Trotz nicht wie
ein antiker Heros?1) Zeigt sich nun in diesem Rahmen nichts, das aus
der eisernen Schwere dieser Darstellung herausfällt, weichere Züge enthält
und ein klein wenig Naturgefühl verrät? Unser Blick fällt auf die iiere:
auf die Widder neben der Lagerstatt der Maria, auf den Hundeleib, der
auf ihrer Decke ruht. Seltsam! Da gibt es bisher unbeachtet gebliebene
Motive von überaus frischer, natürlicher Art, ungekünstelt und von
echtestem Leben erfüllt. Wie naturalistisch ist das Fell behandelt, mit
welcher Sicherheit ist das Charakteristische im Wesen der einzelnen Tiere
wiedergegeben. z) Da nehme man doch einmal Whrk um Werk Giovannis,
des viel gerühmten Sohnes vor! Er erreicht in der Darstellung der lieie
nirgends ähnliches! Daß dem Hunde der Kopf fehlt, bedauert man kaum.
Eine solche Treffsicherheit, eine so liebevolle Darstellung verrät eine
außerordentliche Naturbeobachtung, die so, von allem Anfang an, neben
i) Crowe u. Cavalcaselle, Geschichte d. ital. Malerei, Leipzig 1859, I., S. 104.
*) Sie würden heute noch unabhängig von der Kanzel überall mit Ehien bestehen!
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
3
anderen, auffälligeren Einflüssen deutlich genug hervortrat. Die Tiere
sind eigentlich das einzige »Christlich-Traute«, das wir an Krippen-
darstellungen gerne sehen. Denn das Bademotiv hat bei Niccolo nichts
von dem reizvoll-intimen Zug, den Giovanni später mit hoher künst-
lerischer Kraft aufnahm; bei ihm prüft eine der Wärterinnen sorglich
die Wärme des Wassers. Der kleine Recke, den Niccolo ins Badebecken
stellte, bedarf so zarter Sorgfalt nicht. Es ist eine Art »negativer An-
passung«, die Niccolo im ersten und zweiten Relief befolgt, indem er
gewisse Motive, die er trotz ihres unheroischen Charakters beibehalten
muß, mit einem möglichst gleichgültigen Zug ausstattet. So paßt unter
seine Figuren, ein von Gram und Sorgen gequälter Mensch, wie Josef
es nach Schrift 3) und künstlerischer Tradition4) sein mußte, nicht. Niccolo
gibt ihm einen Zug von Mildheit und Trotz. Von den herkömmlichen
Schilderungen des Bademotives wählt er die, in der Christus am wenigsten
als pflegebedürftiges Kind, seine Wärterinnen im geringsten besorgt er-
scheinen. Dennoch stellen sie noch das Weichste im ganzen Relief dar.
Ihre Haare sind ohne Bohrer gebildet, die Köpfe und Gestalten kleiner
und ebenmäßiger, besser in den Verhältnissen als die der übrigen
Figuren, die Gesichter nicht so markiert, die Augäpfel nicht so glotzig
hervorgedrängt, sondern weicher von den Lidern umschlossen. Die
Hände zeigen eine verständliche Sprache, individuelles Leben. 5) In den
Nebenfiguren, gewissermaßen hinter den Kulissen, beginnt Niccolos
erste Arbeit, unabhängig von spröder Nachahmung klassischer Vorbilder.
Dort zeigt sich zuerst ein Entfalten selbständigster Kraft. Seine Maria,
sein Christus, seine Könige und Priester erscheinen noch lange als
Heroen. In ihrer Umgebung aber tritt das Menschliche, die schlichte
Natur, schon frühe stärker und stärker hervor.
Es folgt die »Anbetung«. Huldigende Könige, Pferde, der kleine
Christus segnend, die thronende Maria — alles so durch die Vorschrift
gegeben, hat nichts, um einem Künstler, der in der Antike Vorbilder
zu suchen liebt, auf eigene Wege zu leiten. In der Tat ist auch die
3) Wd- Matthäus I, 18, 19.
4) Über den Joseftypus: Schmidt, Die Darstellung der Geburt Christi, (Stutt-
gart 1890) S. 66, 81, 110, 118. Außerdem ebenda Abb. 24, 36. S. auch Dobbert,
Über den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung, München 1873, S. 39. Schließ-
lich H. Brockhaus, Die Kunst der Athosklöster, Leipzig 1891, S. 183 f.
5) Über das Bademotiv, seine Herkunft und Verwendung in der Kunst, s. Seroux
d’Agincourt, Sammlung der vorzüglichsten Denkmäler v. 4. — 16. Jahrh. Deutsche Aus-
gabe v. Quast (Frankfurt a. M.). In Betracht kommt der 2. Bd. ; Architektur und Skulp-
tur. (Tafel XIV, 10; XII, 14) u. G. Rohault de Fleury, La Ste. Vierge (Paris 1878)
Bd. I, Tafel 15, 20. Schmidt a. a. O. S. 14fr. (Abb. 22 u. 23). Dobbert, a. a. O. S. 38 ff.
Im Malerbuch vom Berge Athos S. 1 74 f.
I
4
Dr. Alfred Möller:
Maria hier fast Zug um Zug der Phädra vom Phädrasarkophage im
Campo Santo (Kopfputz, Gewandmotiv, Stuhlform) nachgebildet.6 7) Die
Figuren zeigen den Habitus des ersten Reliefs: breitschulterig, kräftig,
untersetzt. Die Figurenzahl ist auf das Notwendigste beschränkt. Der
meistens vorkommende Mann, der die Pferde hält, fehlt. Es erscheinen
viel weniger Menschen und Tiere als im ersten Relief (sieben gegen zwölf;
drei gegen acht). Der horror vacui besteht fort. An den Königen mit
ihrem unverkennbaren römischen Imperatorentypus zeigen sich gleichwohl
Anklänge an das Zeitkostüm in der Fußbekleidung mit den hoch an-
gesetzten Stachelsporen. 7) Als negative Anpassung muß auch die Hin-
6) Vgl. Vasari (deutsche Ausgabe v. Schorn, Stuttgart, 1832) I. ßd. S. 62 fr.
Ferner Dobbert a. a. O. S. 48 b u. Dültschke, Die antiken Bildwerke des Campo Santo
in Pisa, Leipzig 1874, S. 20.
7) Der Fehler, der fast immer bei Anführung der antiken Vorbilder des Niccolo
besteht, ist, daß man auch seine Gewandbildung als antik in den Kauf nimmt. Das
ist sie ganz und gar nicht 1 Auf den römischen Sarkophagen (auch an dem benützten
Phädrasarkophag !) erscheinen die Gewänder dünn, fein gefaltet und von höchster
Schmiegsamkeit, so daß die Formen durch sie deutlich wie durch nasses deinen »durch-
sprechen«. Hans Sempers Bemerkung (»Über die Herkunft von Niccolo Pisanos Stil«
Zeitschr. f. bildend. Kunst 1871 S. 263), daß die schwerfällig gebauschten dicken Ge-
wänder mit ihren starren harten Falten und scharfen, groben Brüchen lombardischer Ab-
kunft seien, blieb so gut wie unbeachtet. Sie ist auch nicht ganz richtig; es sollte
eben romanisch schlechtweg heißen, man vgl. u. a. nur die Statuen des Freiburger
Münsters damit! — aber immerhin hätte sie denen, die Niccolo ganz im Antiken be-
fangen sehen, genügen sollen. Auch die untersetzte Bildung der Figuren weist denselben
Weg ins Mittelalter! Hier überhaupt ein Wort über Niccolos Verhältnis zur Antike!
Zweifellos muß des Künstlers deutliche Zuneigung zur Antike, seine Kühnheit diese
Neigung selbst bei einem so rein christlichen Thema zum Ausdruck zu bringen, mit
staunender Anerkennung begrüßt werden. Aber sein Verhältnis zur Antike krankt an
einer großen Äußerlichkeit. Er ahmt Figuren nach, versucht aber nicht einen Einklang
der gewählten Form, mit dem Inhalt zu erreichen. Er braucht eine sitzende Maria, und
er wählt die Phädra vom gleichnamigen Sarkophag. Das geht leidlich. Aber diese
Wahl nach dem Motiv bringt, wie wir sehen werden, oft unleidliche Härten mit sich.
Hätte Niccolo nur allegorische Gestalten zu schaffen gehabt, seine Verehrung für schöne
Formen und ihre Herübemahme in der grobzügigen Weise hätte ihm zeitlebens genügen
können. Das christliche Thema aber verlangte gebieterisch eigene Formen. Die
unveränderte Benutzung mächtiger Gestalten mit ihrem Zufälligen genügte allenfalls für
Geburt, Anbetung, Darstellung. Aber bei den zwei letzten Tafeln (Kreuzigung, Welt-
gericht) fehlte es an passenden Vorbildern. Hier verlangte der Stoff Ausdruck der völlig
zum Inhalt paßte und da greift Niccolo nicht mehr mit schwerfälliger Hand in ein klassisches
Werk, an dem ihm eine Gestalt gefiel, er beginnt dem Sinne des Themas, nicht nur
der eigenen Freude nachzugehen. Die Freude an der Form tritt zurück über der Freude
am Ausdruck. Man hat sich bisher nur viel zu wenig mit den zwei letzten Tafeln be-
faßt, suchte immer nach antiken Anklängen und beachtete nicht, was neben und nach
diesen stärker und stärker in Erscheinung trat. Heute freilich ahnt man schon, daß
man gutzumachen hat, und es gibt Forscher, die Niccolo nun wieder geradezu zum
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
5
Weglassung einiger freundlicher Züge zugunsten des Heroischen erscheinen.
Er gibt nicht — wie üblich — einen »greisen König« unter den An-
betenden. Er läßt keinen derselben mit abgenommenem Kronreif die
Verehrung darbringen. Es sind durchaus kraftvolle, stolze Gestalten, von
dem bekannten gedrungenen, vierschrötigen Körperbau, die hier vor dem
Christkinde knien. Anatomisch sind sie nicht durchaus wohlgeraten.
Sie könnten kaum stehen, ohne , daß sich bedeutende Unterschiede in
der Länge der Beine ergäben. Auch im Josef ist hier wieder mit Freude
ein echt antiker Kopf gebildet.* * * * * * * 8 *) Beachtenswert ist der Kopf des bart-
losen Königs. Dieses Antlitz ist durchgeistigter als es Niccolos Köpfe
bisher waren. Man fühlt sich dabei an den geradezu seelenvollen Kopf
des Engels mit der Kreuztafel von einer der Kanzelecken erinnert. 9)
Niccolo hat ihn hier vorgeahnt. Der Engel dagegen, der sich auf einen
Stab stützt, und mit der Rechten auf Christus weist, hat nichts besonderes
an sich.10) Dagegen fällt unser Blick wieder auf die Tiere! Hier zeigt
Naturalisten stempeln wollen (vgl. Ernst Polaczeks Aufsatz »Zwei Selbstbildnisse des
N. Pisano« i. d. Zeitschr. f. bild. Kunst v. 15, III. 1903). Aber daß auch ältere Forscher
in Niccolo schon mehr sehen, als bloß den Vertreter der Protorenaissance, sehen wir bei
Bode. Man vergleiche nur seine Ausführungen über Niccolo in der »Ital. Plastik« (Berlin
1893, S. 16 f.) mit denen in Burkhardts »Cicerone« (7. Aufl., von Bode besorgt, S. 17).
Sehr richtig bemerkten schon Crowe u. C. a. a. O. I. S. 106, daß Niccolos Imitation
der Alten innerhalb des gegebenen Stoffes äußerlich, unvollkommen und steif erscheint,
(ähnlich Grimm, »Künstler und Kunstwerke« 1865, I. Bd. S. 5 2 ff.). Schubring (»Pisa«;
Leipzig, E. A. Seemann) empfindet das nicht. Er hat kein Auge für das Unfreie im
Schaffen Niccolos, solange er mit im großen und ganzen unverändert in seine Reliefs
eingestellten antiken Figuren arbeitet. Er sieht ihn »hingerissen« und »berauscht vom
Schönheitssinn der Antike«. Aus solcher glühenden Betrachtungsweise ergibt es sich
ganz natürlich, daß er die Unfähigkeit Niccolos das Bewunderte weniger äußerlich nach-
zubilden, übersieht. Er findet darum, daß die Maria der Geburtsdarstellung mit Nasen-
flügeln, die »in heiliger Erregung vibrieren« dargestellt sei. In Wahrheit ist es über-
haupt Niccolos Art — wie schon eine flüchtige Betrachtung zeigt — große Frauenköpfe
mit geblähten Nasenflügeln zu bilden. Auch sonst verfallen die, welche Niccolos Nei-
gung zur Antike allzu hoch einschätzen, leicht in den Fehler, Mängel und Unfertigkeiten
für besonders feine Züge zu erklären. Man halte sich dann aber vor Augen, wie wenig
selbst in der Gewandung, in den Körperverhältnissen die Antike durch den vor einer
großen Aufgabe stehenden Meister erreicht wird, und wie ihm alle Leichtigkeit und
Freiheit, gerade da er in den Spuren der Antike wandelt, fehlt.
8) Schnaase (a. a. O. V. Bd. S. 267 unten) beschreibt ihn mit »bewundernd ge-
neigtem« Haupte. Man wird das wohl als hineingedeutet empfinden müssen.
9) Eine Abbildung davon bei Schubring, a. a. O. S. 47.
10) Kugler (»Kunstgeschichte« 3. Aufl. II. Bd. 273) bringt um dieses Engels
willen Niccolo in Zusammenhang mit der nordischen Kunst. ». . . Seine meteorgleicht
Erscheinung dürfte nur durch die Voraussetzung eines Anschlusses an die sächsische
Schule zu erklären seien.« Dieses Motiv findet man aber schon auf der »Anbetung«
im Vatikanischen Menologium S. 272. Vgl. auch Dobbert a. a. O. S. 41.
6
Dr. Alfred Möller:
sich in interessanter Weise, wie steife Anlehnung an die Antike und
frische eigene Beobachtung bei Niccolo dicht nebeneinander auftreten
können. Bis zur Unförmlichkeit ist die Leibesfülle zweier Pferde oben
übertrieben. Der Kopf erscheint an den dicken Hälsen sehr klein, die
Mähnen zerfallen in wollartig aussehende Büschel. Die Nüstern sind
stark gebläht, die Augen von feurig-wildem Ausdruck. Prachtrosse, Ab-
kömmlinge des »Urpferdes«, nur übertrieben. Sie verhalten sich zu den
edlen antiken Pferdedarstellungen wie Niccolos ungeschlachte menschliche
Nachschöpfungen zu den edlen, klassischen Urbildern. Und nun das
dritte Pferd! Nichts von Übernatur, von ins Äußerste übertriebener Ideali-
sierung. Man sehe die liebevolle Behandlung des Haares! Wie bei den
Tieren auf der Geburtsdarstellung, bei denen Niccolo in gleicher Weise
eigene Wege mit Sorgfalt und stillem Vergnügen ging! Dieses dritte
Pferd ist ganz Natur. Dabei stehen Kopf und Hals in schönstem Ver-
hältnis zueinander. Nichts daran ist in so fieberhafter Spannung wie
bei den Pferden oben. Es hat einen friedlichen Ausdruck.11) Dabei
neigt es den Kopf und schnuppert suchend — ein reizvolles Motiv! —
auf der Erde. Der eine Fuß ist scharrend gegeben, die Verkürzung dabei
sehr gelungen. Ein Steigbügel hängt vor dem Reliefrahmen nieder.
Dieses Können überrascht. Bode gibt einmal, in bezug auf N. Pisano,
zu:12) »Die strenge Abhängigkeit von der Antike verhindert ihn, sich zu
wirklichem Naturverständnis durchzuarbeiten.« Ganz richtig! Man achte
aber nur darauf, wo er sich von dieser Abhängigkeit frei macht!
Auch auf der »Darstellung« fehlt es noch nicht an getreu nach-
geahmten Vorbildern aus der Antike, so daß man sie leicht nach-
weisen kann. Es ist der indische Bacchus von der Vase Nr. 52 im
Campo santo zu Pisa, der hier als Priester erscheint, sowie die Amme
vom Phädrasarkophag, die als Hannah auftritt. Wer die Hannah un-
befangen ansieht, ist erstaunt über die Wahl. Ein altes, häßliches
Weib, das mit zurückgeworfenem Kopf und verzerrtem Antlitz einher-
schreitet. Warum wählte sie Niccolo? Hier hätte er doch leichter seiner
»schönen Form« Opfer bringen können? Schrift und Tradition verlangen
alles eher als eine solche Hannah, und Niccolo hätte wohl reichlichst
passendere Frauengestalten finden können. Was ließ ihn dennoch eine
solche Wahl treffen? Doch wohl nicht die Freude an schönen Formen,
sondern ein anderer geradezu entgegengesetzter Hang: die Freude am
Ausdruck, x3) die wir schon an dem jugendlichen Könige oben wahr-
”) Semrau läßt doch in der Neubearbeitung von Lübkes »Grundriß« von drei
feurigen Pferden ohne Unterschied die Rede sein !
Ia) a. a. O. S. 16.
*3) Schubring (a. a. O. S. 51) scheint mir wieder zu weit zu gehen. Er empfindet
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
7
nahmen, freilich nicht in dieser leidenschaftlichen Weise. Und nun der
Bacchus! Auf dem Original ergreift neben dem mächtigen Ernst der
Gestalt wohl auch die schöne Form. Aber hier? Niccolo hat den nackten
Knaben des Originals, den der Gott führt, bekleidet. Er paßt sich
damit dem Stoff zum ersten Male in positiver Weise an. Der Bacchus
ist außer dem des Urbildes so dünn bekleidet, daß Glutäen und Nabel
deutlich durch das in schönen Falten fallende Gewand durchschimmern.
Niccolo gibt ihn in wuchtig nachschleppendem Kleid mit schwerfälligen
Faltenbrüchen und unförmlichen Bauschen. Es wird geradezu ein Gegen-
stück zu dem schönen Urbild der Vase! Niccolo bekleidet ihn ganz
nach eigenem Ermessen und geht dabei wie beim Knaben weit über
das Notwendige hinaus. *4) Nichts bleibt von der ursprünglichen form,
dagegen steigert er den Ausdruck im Gesichte des bärtigen Riesen
durch Vertiefung der Gesichtszüge von mildem Ernst zu wildem Irotz,
so daß man ihn wohl für Herodes halten könnte — wie Schubring will —
wenn man eben nicht lieber — und wohl richtiger! — wie bei der
Hannah nur reine Freude an starkem Ausdruck als Grund zur Einführung
nehmen will. Freilich erscheint dieser (auch hier noch!) unabhängig
vom Stoff und Inhalt. Noch anderes läßt Niccolos stets stärker werdende
Freude am Ausdruck erkennen: In den ersten Reliefs zeigt sich äußerste
Beschränkung der Figurenzahl. Er drückt die wenigen Figuren gewisser-
maßen auseinander, putzt sie überreich mit Gewandstoffen, gibt nur das
Notwendigste an Gestalten. Und hier? Fünf Personen sind auf Dar-
stellungsszenen üblich, und Niccolo gibt sechzehn — also um elf mehr als
nötig! Sie sind seine Zutat, sind freie Erfindung des Künstlers. Wir
sehen etwas an Niccolo, das er bisher in der Darstellung von Menschen
nicht zeigte: reiche Fantasie neben (freierer) Nachahmung von Vor-
bildern. Die Köpfe der Vielen — an der Handlung allerdings Un-
beteiligten — sind überaus reich an Ausdruck, wirklich aus dem Leben
gegriffen. Das reiche Innenleben der Figuren wird um so deutlicher,
die reine Freude daran, um so augenfälliger, als all dieser Reichtum
noch ohne Beziehung zur Handlung, nur um seiner selbst willen gegeben
erscheint. Es beachtet ja niemand den Vorgang außer einem, der (links
in der Ecke) sich auf die Zehenspitzen stellt, um sehen zu können.
die Gestalt nicht als eine, die aus dem Relief herausfällt. Ihn erinnert die »Ekstase«
der Hannah »an die eleusinischen Mysterien«, durch die nun Niccolo — Absicht?
»die großmächtige Ruhe Simons und Marias doppelt« wirken lassen kann.
m) Man hätte wahrscheinlich gegen ein nacktes Knäblein vom kirchlichen Stand-
punkte nichts einzuwenden gehabt. Vgl. u. a. die allegorischen Figuren an der Kanzel!
Außerdem war sich N. doch von Anfang an darüber klar, was ihm von der »schöner
Form« bei reicher Bekleidung bleiben würde: allein der Kopf.
8
Dr. Alfred Möller:
Unter diesen Köpfen ist nichts von steifer Imitation der Antike. Wie
weich sind die Gesichter gebildet, welch träumerischer Ausdruck liegt
zum Teil auf ihnen (man vergleiche damit die spröde, kalte Madonna der
Anbetung)! Oder man sehe sich den Prachtkopf rechts oben in der Ecke
an! Wie viel Können zeigt sich da! Man sehe sich daneben den der
Antike »abgelauschten« kläglichen Dionysosknaben an! Wie schlecht
nimmt sich Niccolo damit aus, wie unreif und ungeschickt! Da aber
Hölzernes und so Lebendiges so dicht nebeneinander auftritt, muß man
nicht zu dem Ergebnis kommen, daß die Antike dem Künstler geradezu
hinderlich war, sich zu entfalten? Wenn dort auch sein Wollen lag,
(wenngleich in unserem Relief das Selbständige mehr Liebe verrät), sein
Können wenigstens ist höher (nicht nur wegen des besseren Einklanges
zum Stoff!), wenn er das Antike beiseite läßt (einen Mittelweg ging
N. nie) und aus Eigenem schöpft. Da gibt es dann packendes Leben
in seiner Kunst! Auch sonst zeigt dieses Relief eine Fortentwicklung:
Die Einordnung in den Raum ist glücklicher, die Verhältnisse der Figuren
sind harmonischer; keine Gestalt klebt mehr mit dem Scheitel am oberen
Bildrand.
In der »Kreuzigung« ist zum erstenmal Einklang zwischen Form
und Inhalt erreicht. Die Freude am Ausdruck erscheint nicht mehr um
ihrer selbst willen, sondern paßt sich dem Inhalt an. Hier fügt sich
der Meister vollends dem christlichen Thema. Keine Figur tritt mehr
fremdartig und plump, wie der Bacchuspriester und der Knabe in der
»Darstellung« in den heiligen Kreis. Außerdem erscheint hier der Aus-
druck nicht mehr bloß in der Ruhestellung des Körpers, nicht mehr nur
im Gesicht (die »Zuschauer« auf der Darstellung!), er ergreift den ganzen
Körper; jedes Glied nimmt durch lebendige Sprache an den Vorgängen
des Inneren teil (Maria! Longinus).^) Merkwürdig ist es, daß hier so
wie bei allem, was unseren Meister betrifft, die Urteile wieder schart
auseinandergehen. Schnaase16) findet die Gewandbehandlung härter als
in allem Vorhergehenden, das Anatomische »roh und verfehlt«. Schmar-
sowJ7) hingegen bemerkt: »Selbst die Juden noch .... spielen gar un-
erlaubt auf seiner Kreuzigung eine prächtige Figur.« Jedenfalls darf man
nicht mit Schubring annehmen, daß N. Pisano die Vielheit der Figuren
*5) Vgl. zur Darstellung der »Kreuzigung« , Rockbauer, Kunstgeschichte des
Kreuzes (Schaffhausen 1870) S. 165, 166. Ferner Fr. X. Kraus, Realenzyklopädie der
christlichen Altertümer II, S. 238 fr., Dobbert, a. a. O. S. 82, 90. Ferner derselbe:
»Zur Entstehungsgeschichte des Kruzifixes«. Jahrb. d. königl. preuß. Kunstsammlungen I, 1
(Berlin 1890).
,6) a. a. O. V, S. 278.
*7) »Italienische Forschungen« S. 134.
Das Naturgefühl bei Niecolo Pisano.
9
unangenehm empfand. Er zeigte sich uns auf der vorhergehenden Tafel
als ein Künstler, auf den Dürers »inwendig voller Figur« nicht übel zu-
trifft. Hat er da doch mit Freude eine Anzahl von Personen ohne alle
Notwendigkeit eingeführt, wie es scheint nur, um Eindrücke loszuwerden,
die ihm eine Anzahl von Charakterköpfen gemacht hatten. Jedenfalls
kann man nicht übersehen, daß die »Kreuzigung« viele Flüchtigkeiten
aufweist, Einzelheiten erscheinen vernachlässigt und zwar, — und damit
ist, glaube ich, der Grundzug des Reliefs gekennzeichnet18) — zum ersten-
mal der Gesamtwirkung zuliebe.
Betrachten wir nun den »Gekreuzigten« und hüten wir uns, zu
schnell mit dem Wörtchen »antik« zur Hand zu sein. Bei der Not-
wendigkeit eine nackte Gestalt zu bilden, lag für Niccolo, der schon
öfter klassische Gestalten in seine Werke einführte, ein ähnliches Vor-
gehen nahe. Aber man darf doch nicht gleich (vgl. dazu unten!) von
einem »Herkules« reden, da nur eine von Niccolos echten gedrungenen
Figuren (man erkennt das am besten, wenn man sich die Gestalt auf
die Erde gestellt denkt!) am Kreuze hängt. Jedenfalls ist, wenn hier
schon antike Erinnerungen mitspielen sollten, kein Vergleich mehr mit
der »antiken Art« des Meisters aus den früheren Tafeln zu ziehen!
Dieser Christus hat zumindest sehr eingreifende Änderungen erfahren;
noch viel reichere als der Bacchus und der Bacchusknabe oben! Wohl
erscheint Christi Körper in einer Fülle kraftvollen Fleisches. Die Ver-
hältnisse aber haben gar nichts von antiker Schönheit: die Arme sind
zu lang; der Brustkasten ladet nach oben unschön (trichterförmig) aus.
Dazu kommt ein häßlich kurzer, dicker Hals. Der Schwerfälligkeit des
Leibes ist der schwere Querbalken des Kreuzes und der in Gestalt eines
schweren metallenen Tellers gebildete Heiligenschein angepaßt. Dagegen
überrascht die feine Beobachtung an vielen Einzelheiten: wie treu und
richtig ist das Durchscheinen der Rippen durch die Haut gegeben, wie
kommt der Verlauf des Brustbeins (Sternums) und des unteren Rippen-
bogens daran zum Ausdruck! Die einzelnen Muskelbündel an der rechten
Wade und an den Armen sind auf Grund sehr treuer Beobachtung mit
anatomischer Richtigkeit gegeben. Kann da auch im allgemeinen allen-
falls die Erinnerung an eine Herkulesdarstellung mitgewirkt haben, so
lassen die Feinheiten der eben angeführten, leicht kontrollierbaren De-
tails doch auch ganz gewiß auf ein selbständiges Naturstudium schließen.
Der Ausdruck des Gesichtes schmiegt sich dem Inhalt an: der Schmerz
des Gekreuzigten ist an den leicht herabgezogenen Mundwinkeln, an den
,8) Förster a. a. O. II. S. n) sagt kurzweg von der Kreuzigung: »Hier hören
fast alle antiken Anklänge auf.«
IO
Dr. Alfred Möller:
geschlossenen Augenlidern deutlich zu erkennen. *9) Förster20) sagt sehr
treffend: »In bezug auf die Ausführung muß uns der Körper des Ge-
kreuzigten um so mehr auffallen, da Niccolo für diesen sich weder
in den christlichen Traditionen, noch in der Antike Rats erholen konnte«.21)
An allen Köpfen bemerkt man überrascht — fast durchwegs gelungene —
Versuche zu einen zum Stoff und Inhalt durchaus passenden Ausdruck!
Es ist Logik in der Arbeit, und alle angeschlagenen Töne klingen hier
harmonisch zusammen. Der Hauptmann (als römischer Offizier durch
das Schwert gekennzeichnet) ist geschickt nach den Anweisungen des
Malerbuches gegeben (» . . . schaut auf Christus, hält seine Hand erhoben und
preist Gott«), mit einem einfachen, aber vielsagenden Gesichtsausdruck,
der dort nicht vorgesehen ist. Der Mann mit dem langen Bart greift
mit der einen Hand darnach, mit der anderen fährt er erschreckt an den
Leib. Wie hier das Spiel aller Hände sich reich und richtig zeigt, so
ist auch die Stellung des Mannes (er schreitet, wie um zu fliehen,
nach rechts aus) bezeichnend. Alle diese Figuren sind Erscheinungen
ohne Widerspruch zur Umgebung noch in sich, während auf den ersten
Tafeln Widersprüche selbst bei den Hauptfiguren nicht selten waren.
Man beachte auch die übrigen Figuren rechts: einer reckt den Hals, um
zu sehen; alle Hände reden zu uns von den Gefühlen ihrer Träger,
Stefaton, der Soldat, der den Schwamm reicht, ist im Hintergründe sicht-
bar. Der Mann, rechts an der Bildkante, schielt nur scheu auf Christus.
Ohne jede Rücksicht auf Schönheit verzerrt Johannes (links!) in na-
turalistisch gegebenem Schmerz das Gesicht.
Die Frauen, welche der Maria beistehen, blicken mitleidig auf Maria.
Diese ist freilich sehr ungeschickt abgebogen (so steif wie die Liegende
auf der Geburt! Beide erinnern in den spröden, rechtwinkligen Bie-
gungen an die Gestalten auf etruskischen Särgen). Für eine Ohnmächtige
*9) Über den schmerzlichen Ausdruck in der Darstellung des Crucifixus vgl.
Stockbauer, a. a. O. S. 221.
20) a. a. O. S. 121.
21) Interessant ist es, auch hier wieder die Urteile zu vergleichen. Schmarsow
findet (a. a. O. S. 134), daß hier der »Sohn der Jungfrau unversehens (?) zum Sohne
des Jupiter geworden ist«. Crowe u. C. a. a. O. (S. 103) sehen einen »Herkules«,
aber — in verständiger Würdigung des Gesichtsausdruckes — doch nur einen »leidenden«.
Dobbert setzt (wohl durchaus mit "Recht!) die »von der antikisierenden Richtung nur
wenige Spuren enthaltende Kreuzigung« den übrigen »ausdrucksloseren« Tafeln
(Geburt, Anbetung, Darstellung) vor (S. 51). Ebenso Schnaase, a. a. O. V. S. 297
unten. Förster (a. a. O. S. 121), Dobbert, Schnaase (S. 279) erkennen an dieser Tafel
tüchtigstes (»mit Erfolg belohntes« — Förster) Studium des Nackten (bei den früheren
Tafeln merkte man keine Spur davon! Hier erkennt man schon voll den künftigen
Meister der Kanzel von Siena).
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
1 1
sind ihre Glieder zu wenig gelöst. Trotzdem aber alle Gesichter groß
sind, erscheinen die Wangen nicht mehr so sehr als wüste Flächen wie
an den ersten Tafeln. Ein inniger Ausdruck erfüllt alle, auch die Engel
oben. Die »Kirche« ist stolz gegeben, aber nicht mehr auf dem Wege
zur Antike gefunden wie die Juno-Maria aus der »Geburt«. Die Synagoge
hat einen charakteristisch-verdrossenen Ausdruck. Die Falten sind nirgends
mehr so hartbrüchig, plump und schwerfällig wie am Bacchus, nirgends
mehr so steif wie an der Maria der ersten Tafel. Die Körper von
»Kirche« und »Synagoge« erscheinen sogar geschmeidig umhüllt; der
Leib ist nicht mehr unter Bauschen ganz versteckt. • Auch das Auf-
treten von Besatzstreifen an den Gewändern, wie es auf der Kanzel zu
Siena fast durchgehends erscheint, beginnt hier schon (der Hauptmann
usf.). Diese Tafel, an der keine Figur aus der Gesamtdarstellung mit
dem Anspruch auf Selbständigkeit herausfällt, bildet den schönen Über-
gang zu der Darstellung der letzten Tafel.
Das »Weltgericht« bringt die schöne Erfüllung, das Endergebnis
alles Naturstudiums, das sich bei Niccolo bisher zeigte. Die Freude am
Ausdruck, die in den ersten Reliefs fehlte, tritt ungehemmt auf, herrscht
über die »schöne Form auf Kosten des Ausdruckes« vollständig. Hier
finden wir den bedeutsamsten Fingerzeig für Niccolos Fortentwicklung.
Wer an der Kanzel zu Siena als seiner Schöpfung zweifelt, muß auch
hier schon »Gehilfenarbeit« sehen. Schon äußerlich ist eine Ähnlichkeit
mit Siena durch die größere Zierlichkeit der Figuren gegeben.22) Die
Bewegungen sind überaus mannigfaltig, die steife Gebundenheit der ersten
Reliefs ist vergessen. Was Niccolos eigentliches Element ist, wo seine
Neigung und sein Können sich berühren, zeigt sich an dem »Gericht«
deutlich. Die gesicherten Heiligen oben sind ohne besonderes indivi-
duelles Leben, wenngleich Mitleid, Milde u. a. gut in den Gesichtern les-
bar ist. Erst wo die Verzweiflung beginnt, entwickelt sich ein Reich-
tum an Motiven. Körperliche Qual, Angst, Vernichtungsgefühl — das
alles spricht sich in Gesichtern, Händen, Körpern lebendig aus. Christus
erscheint ganz gleichgültig. In den Körperverhältnissen aber ist er —
wie im Anatomischen — über den Heiland in der Kreuzigung zu stellen.
Am Brustkorb, an den Armen (man beachte die Durchbildung der Mus-
kulatur) stört nichts mehr in hohem Grade das Ebenmaß. Die Ge-
wandung ist weich gebildet (wie auf den kleinen Figuren schon früher!),
wie die Füße und ihre Knöchel, die darunter hervorkommen. 25 Köpfe
fehlen. Man freut sich dessen fast, denn das Leben in den Körpern
ai) Wo Niccolo die Gestalten klein bildet — in seiner Neigung zur Antike ver-
meidet er das, wohl in einer Verwechslung von »groß« und »großartig« ! — ist er
stets gefälliger, natürlicher. Vgl. die kleinen Figuren auf allen 5 Tafeln!
12
Dr. Alfred Möller:
wird dadurch um so auffälliger. (Man beachte daraufhin Maria, an der
Seite Christi.) Alles Körperliche ist sinn- und stoffgemäß durchgeistigt.
Man denke an den Dionysosknaben und stelle nun Figuren aus den
unteren Reihen des letzten Reliefs daneben. Was hat Niccolo seitdem
gelernt! Man suche bei Giovanni Pisano nach ähnlichen Prachtstücken!
Mit den schwierigsten Stellungen spielt der Meister. Man achte auf das
hockende Weib links, beachte wie Frauen- und Männerkörper sich durch
Bau und Fleischbildung unterschieden zeigen. Giovannis Relief in Pistoja
ist hier übertrofifen. Der Vater braucht nicht beschämt hinter den
Sohn zurückzutreten. Wie fein ist das Unschlüssige gegeben, wie treffend
die Auffassung jener, die aus dem langen Schlaf emporgeschreckt, sich
befangen und befremdet abtasten. (Das Motiv erinnert übrigens an ein
ähnliches bei Benedetto Antelami a. d. Taufkapelle in Parma.23) So
finden wir an Niccolo Pisano so viel Naturgefühl, so viel Liebe für kühn-
naturalistische Motive (besonders an der letzten Tafel, der Schmarsow,
Schubring u. a. bei aller Ausführlichkeit über die ersten Reliefs keine
Zeile — Schubring auch von dieser allein keine Abbildung — widmen),
daß wir in der Arbeit zu Siena und weiterhin in den Arbeiten Giovanm
Pisanos keine Gegensätze zu den letzten Stücken der Kanzel zu Pisa
sehen. Diese erscheint in ihrem Ausklang als Vorbereitung und Vor-
schule dazu.
Schon durch dieses Negieren gewisser Teile der Pisaner Kanzel auf
Kosten anderer, die mit antiken Ausschnitten beladen sind, erhält man
ein falsches, d. h. unvollständiges, Bild des Meisters. Nun gehen viele
Autoren aber noch weiter. Sie nehmen dieses unvollständige künstlerische
Charakterbild, als hätte N. sonst nichts mehr geschaffen, ruhig her und
arbeiten es noch auf den Gegensatz zu Giovannis Arbeiten zu. An und
für sich sind solche Gegenüberstellungen schon Ungerechtigkeiten, da sie
stets nur einseitige Bilder geben, gewisse Seiten auf Kosten anderer her-
vorheben. Höchstens der volkstümlichen Kunstschilderung sollten sie
erlaubt sein. Dort ist Anschaulichkeit (anschauliche Schilderung ist immer
und überall einseitig, unvollständig) das Wichtigste, Genauigkeit, weil sie
ermüdend wirkt, als größeres Übel zu unterlassen. Schmarsow in seinem
an scharfen Beobachtungen reichen Buche kommt bei Hervorhebung
dessen, was Giovanni an Ausdruck über seinen Vater leistet, in einen
subjektiv-hochpathetischen Ton, während er bei Niccolo es an nüchternem
Konstatieren genug sein läßt (a. a. O. S. 146 — 47 unten). »Nichts ist
lehrreicher, den völlig anderen Geist zu fassen, der diesen Gotiker be-
seelt, als ein »vergleichender (ein »Vergleichen«, bei dem nur der
2 3) Vgl. Zimmermann, Obental. Plastik, Leipzig 1897, S. 128.
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
13
Unterschiede gedacht wird! !) Blick« auf die Kreuzigungsdarstellung bei
beiden Meistern (Taufkapelle zu Pisa K. 60; S. Andrea zu Pistoja v. 1301).
»Welch ein Unterschied in allen Teilen! Der Christus seines (Giovannis)
Vaters war ein Göttersohn, eine Hünengestalt, die man aus Kreuz
genagelt, ohne ihre Schönheit, ihre Manneswürde zu verletzen, und
ein König 23) bleibt er, der gestorben . . . .« Wie der Schmerz in den
Frauen, an den Juden zum Ausdruck kommt wird übergangen, als hätte
die Kreuzigung nichts als die antike »Schönheit« und »Manneswürde«
des Heilands, nichts als große Ruhe gezeigt, als wäre der nirgends Aus-
druck gegeben worden. Erst bei Giovanni Pisano soll man sehen, daß »Ent-
setzen« die Juden erfaßt. »Wie vom Sturm gejagt, stürzen sie hin-
aus .... Drüben aber .... erhebt sich der Schmerz in seiner ganzen
Stärke. Wie ein schneidig Schwert durchdringt er die Mutter
Bebenden Leibes sinkt sie in die Knie. Johannes faßt ihre Hand . . .
aber das eigene Weh verzerrt sein Antlitz (bei N. P. nicht weniger stark!).
Lauter denn alle jammert Magdalena « usf. Diese überaus
lebendige Schilderung schädigt die Sachlichkeit der Betrachtung. Auch
bei G. P. darf niemand sehen, daß die Juden »wie vom Sturm gejagt«
abstürzen. Sie ducken sich nur (wie bei Niccolo); nur bei einem wird
man die Bewegung als Enteilen deuten dürfen. Wenn Schmarsow nach
dem Ausruf »welch ein Unterschied in allen Teilen!« auch den Longinus
anführt (oben nicht zitiert), so ist das eine besondere Ungerechtigkeit.
In der Bewegung seiner rechten Hand, in der stärkeren Zurückbiegung
seines Oberleibes liegt sogar mehr Erschrecken und Bekennen als bei
Giovanni ! Noch weiter gehen die Vertreter der süditalischen Hypothese.
Diesen (vgl. besonders Schubring a. a. O.) kommt es vor allem darauf an,
das Antike bei Niccolo zu sehen und zu erklären. Dabei übergehen sie
alles andere. Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Stelle bei Förster
(a. a. O. II, S. 120 ff.). Er bewundert an der Kreuzigung nur den Christus.
Er legt ganz allein einen Maßstab (Schönheitsforderungen) auch an die
übrigen Figuren und tut sie nun mit folgender klassischer Verurteilung
ab: »Weit ist der Abstand dieser häßlichen, verzeichneten kurzen Ge-
stalten mit .... verfehltem (?) Ausdruck . . . von der sprechenden, voll-
endeten Erscheinung Christi . '...« usf. Ber Giovanni Pisano lobt man,
was man an Niccolo nicht beachtet, oder, wenn dessen doch gedacht
wird, tadelt (den Ausdruck).
Bedarf es nun schon großer Einseitigkeit und einer gewissen Hart-
näckigkeit, um Niccolo Pisano als einen nur von einem Drang erfüllten
Künstler hinzustellen, so muß man sich geradezu wundern, mit welchen
l3) Die Unterstreichungen stammen nicht von Schmarsow.
14
Dr. Alfred Möller:
Hilfen man weiter dazu gelangt, ihm sein zweites Hauptwerk (allerdings
nur in konsequenter Weise) einfach abzusprechen und seinem Sohne
(dem Knaben Giovanni) sowie seinem Gesellen zuzuteilen.
Aus dem Vertrag, 24) den Niccolo Pisano mit den Bauherrn von
Siena zur Errichtung der Domkanzel abschließt, sind die Lohnverhältnisse
festgesetzt. Es wird unter Aufstellung hoher Geldstrafen festgesetzt, daß
Niccolos Gesellen pünktlich eintreffen müssen, es wird des Meisters und
der Gehilfen Lohn bestimmt und endlich von dem Willen Niccolos ab-
hängig gemacht, ob er seinen Sohn Giovanni nach Siena mitbringen
wolle. Es wird ausdrücklich Erlaubnis dazu und Duldung des Knaben
bei der Arbeit erwähnt, doch muß er um geringeren Lohn als die Ge-
sellen arbeiten. Das wäre eine Beleidigung gewesen hätte Giovanni das
Alter der Gesellen besessen; hier erscheint es — wie sich aus dem
gnädigen Ton, in dem die Stelle gehalten ist, erkennen läßt — als be-
sondere Güte. Aber selbst, wenn jener Vertrag nicht erhalten wäre,
mußte man doch sich folgendes vor Augen halten: die Sieneser sind von
der Domkanzel in Pisa entzückt gewesen (vgl. u. a. die bezüglichen
Stellen bei Vasari), sie schließen mit Niccolo ab, sie verlangen ausdrtick-
lichst seine Anwesenheit während der ganzen (dreijährigen) Arbeitszeit,
kurze besonders festgesetzte Urlaube ausgenommen. Sie wollen sich also
völlig versichern, ein Werk des Meisters selbst zu erhalten. Was Förster
zur Entscheidung des Arbeitsanteiles noch am Brunnen zu Perugia (voll-
endet 1280, also mehr als 10 Jahre nach der Kanzel zu Siena, 20 nach
der zu Pisa) anführt, das hat natürlich hier, wo Giovanni noch ein Knabe
ist, doppelte Gültigkeit: 25) ». . . . und da wohl der Sohn dem Vater als
Gehilfe beigegeben sein kann . . . nicht so leicht aber der hoch berühmte
Vater dem Sohn Gesellendienste geleistet haben mag, so müssen
wir in dem Brunnen von Perugia ein Werk des Niccolo . . .« usf. Es
würde unbegreiflich scheinen, daß Urkunden und Vernunftgründen zum
Trotz noch andere Meinungen über die Urheberschaft der Kanzel zu
Siena bestehen können, wenn nicht auch hier wieder eines Aufklärung
brächte: die einseitige Betrachtungsweise der Kanzel zu P. läßt die zu S.
als kühne Neuerung erscheinen. So unterscheidet denn Reymond un-
vermittelt zwei »Manieren« an Niccolo.26) Schubring findet sie nicht
erklärbar aus Niccolos Kunstschaffen, gibt aber doch zu, daß Giovanni
H) Im Wortlaut bei Rumohr, Ital. Forschungen, II, S. 145.
*5) Förster, a. a. O. S. 129.
*6) Reymond, La sculpture florentine S. 72. » l’oeuvre de N. de Pise
comprend deux manieres, toutes les deux fort belles, quoique fort differentes l’une de
l’autre. La premiere maniere est representee par la Chaire de Pise (1266) et la
seconde par la Chaire de Sienne (1265 — 68).
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
*5
nicht als Schöpfer bezeichnet werden dürfe. Er erscheint ihm dazu be-
dingungslos als »zu jung«. Aber im übrigen drängt es ihn doch zur
Frage (a. a. O. S. 67): »ob Vater und Sohn den Gegensatz, der so
riesenhaft zwischen ihnen durchbrach«, wohl empfanden. Ihm geht es
zwischen den beiden scharf wie ein Messerschnitt durch. Hier »Antike«,
hier »Naturalismus«, so lauten ihm die knappen Kennworte für Niccolo
und Giovanni. Bode in der »Ital. Plastik« führt unter dem Tadelns-
werten der Kanzel zu Siena auch den Mangel an klassischen Er-
scheinungen an. Doch gesteht er dem Werk mit Anerkennung erhöhte
Ausdruckskraft, Lebendigkeit und Wahrheit der Darstellung zu, nach
unserer Meinung ein ebenso bemerkenswerter wie voller Ersatz für
»äußerliches Nebeneinander von antiker Form und modernem Gehalt«
(Dobbert). Auch Bode betont im »Cicerone«, daß es wegen der Jugend
des Giovanni »unstatthaft« sei, die Kanzel zu Siena in ihrer reicheren
und lebendigeren Gestaltung »dem rückwirkenden Einflüsse des Sohnes
auf den Vater zuzuschreiben«, und als der Erste und Einzige macht "er
scharfen Blickes das Zugeständnis, daß die in Siena »hervortretende Rich-
tung des Niccolo für den Sohn von Einfluß war, daß dieser sich an ihr
entwickelte und aus dem dort Gegebenen allmählich seinen eigenen Stil
herausbildete.« 27) Doch rechnen Bode wie Kraus (a. a. O. 2. S. 95) den
»neuen Stil« Niccolos erst von Siena an, während wir ihn schon an den
Schlußtafeln der Kanzel von Pisa nachweisen konnten. Bei inniger Be-
schäftigung mit den Werken N. Pisanos wird das Antike daran in seiner
unselbständigen Weise nach Burckhardts früherem Ausspruch als »geschicht-
liches Kuriosum« erscheinen, nicht so sehr als Kunst, und mit der
geringeren Bewertung des Einen wird man den zweiten wesentlichen
Faktor in Niccolos Schaffen, sein Streben nach Ausdruck, sein Natur-
gefühl gerechter beurteilen und immer höher stellen. Nicht erst in
seinem Sohne, in ihm schon vollzieht sich, wie wir sahen, die Wandlung
zum Gotischen, Lebensvollen der Kunst und zwar schon in seinem ersten
großen Werke.
Am weitesten geht Frey in kühner Entscheidung über die Urheber-
schaft in Siena (»Codice Magliabechiano« — Berlin 1892, S. 327).
Ihm ist Niccolo Pisano der »Entrepreneur« der Arbeit, der Mann, der
»Kontrakte« abschloß, über empfangene Geldsummen quittierte. Zu
welchem kläglichen Schatten schrumpft der Meister damit ein! Er soll
keinen Wunsch gehabt haben, nachdem sein Ehrgeiz durch das Angebot
der Herrn aus Siena aufgestachelt war, sich der neuen Aufgabe würdig
*7) In der »Ital. Plastik« wird im Gegensätze dazu alles Neue an der Kanzel zu
Siena noch als »wesentlich mitbedingt durch die verschiedenen Mitarbeiter Niccolos«
hingestellt und nicht aus Wandlungen im Kunststreben des Meisters selbst erklärt.
1 6
Dr. Alfred Möller:
zu zeigen! Er soll nicht Verlangen getragen haben, seinen Ruhm zu
vermehren, sondern müßig, die Hände im Schoß, andere für sich haben
arbeiten lassen, Gesellen das Lob vor sich überlassend! Der Meister,
der in seinem eigenartig-wuchtigen Anschluß an das Antike, wie später
im Kampf nach treffendem, lebendigem Ausdruck gleiche Bewunderung
fordert, der so kühn über alles kleinliche »Vorher« hinwegschritt, soll
in der Kanzel von Siena als Werksleiter ein Werk erstehen haben lassen,
das nicht nur von anderen, sondern von diesen anderen auch gegen
seine künstlerische Art geschaffen wurde? Kann man ernsthaft glauben,
daß ein Meister von der machtvollen Eigenart und dem Selbstbewußtsein
Niccolos, das in seiner Kühnheit und Gradheit christliche Vorwürfe ganz
nach eigenem Ermessen zu gestalten, zum Ausdruck kommt, es geschehen
läßt, daß seine Schüler, die von ihm abhängigen Gesellen, ein Evangelium
predigen, das seinen Kunstideen zuwider ist, ihm widerspricht? Und wie
will man weiter, in so einseitiger Betrachtung Niccolos befangen, ihm nach
Bologna folgen? An Niccolo erkennt ein aufmerksamer Beobachter
Wandlungen, aber — da wir auch die Brücken dazu sehen (Zwang des
Stoffes, angeborne Kraft zu ausdrucksstarkem Gestalten) — keine Wider-
sprüche; in Giovanni nicht seinen Antipoden, sondern seinen gelehrigen
Nachfolger, dem nur das Suchen erspart blieb, das Niccolo zuerst das
Finden des besten Weges erschwerte, und der so leichter auf dem Pfade
vorschritt, der dem Vater erst durch klassische Typen verstellt war. Die
Kanzel zu Siena als Gesellenarbeit zu erklären, verbietet sich endlich auch
aus stilkritischen Gründen. Ihre — allgemein erkannte — Einheitlichkeit
weist auf einen Urheber. Zwischen allen klein gebildeten Figuren der
Kanzel zu Pisa besteht zu denen in Siena eine auffällige Ähnlichkeit.
Der antike Einfluß ist nicht ganz ausgelöscht, aber das Antike erweist
sich hier nicht als Hindernis auf dem Pfade zur Natur, sondern es wird
im Sinne reifen, eigenen Naturerkennens frei benutzt, nicht mehr in eng-
herzigster, grob-auffälliger Art nachgemacht. Die letzten Errungenschaften
zu Pisa, das mühsam Erworbene wird hier in liebenswürdigerer, leichterer
Art verwertet. Die Motive sind im großen und ganzen dieselben.
Nirgends aber werden sie ängstlich gegeben, wie es Schüler tun würden,
die ein Thema zum erstenmal behandeln. Überall erkennt man die
sichere erfahrene Hand des Meisters. Zielbewußt angebrachte Ver-
besserungen sind reichlich zu erkennen. Trotzdem in Siena die Tafeln
größer sind als in Pisa, sind die Figuren nun doch zahlreicher. Wir
sehen dieselbe Erscheinung in Pisa. Sobald das ängstliche Ringen nach
Vorbildern vorbei ist, zeigt sich auch dort ungehemmt und in reicher
Entwicklung eine überraschende Phantasietätigkeit. Die Figuren sind hier
von allem Anfänge an klein, weil sie sonst der reicheren Gestaltung des
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
17
Stoffes, den vielen Zutaten im Wege wären und die Erzählungslust des
Meisters behindern würden. Den leeren Raum liebte er nirgends. Immer
gestaltet er große Figuren zu magerem Inhalt, oder kleine zu reichem. Die
ungeschickt gebauschten Gewänder zur Raumdeckung, die puppenartig
großen Köpfe kommen hier nicht mehr vor. Wer würde sich aber
dessen wundern? Ist doch das alles schon in Pisa überwunden
worden! In Siena packt Niccolo überall sicher an; wo er es nicht tut,
darf man Gehilfenarbeit annehmen, und ich glaube, daß ein (erster!)
Versuch, die Hände von Meistern und Gesellen zu scheiden, doch nicht
so aussichtslos ist, als die meisten (vgl. bei Frey a. a. O.) meinen. Wer
einmal den Meister in Siena als Hauptschöpfer erkennt, ihn höher ein-
zuschätzen weiß als die Gesellen, wird ihre Hände gerade dort vermuten,
wo sich nicht eine Art freier Fortführung des in Pisa Begonnenen zeigt,
sondern wo gewisse Motive von dort, hölzern nachgeahmt, steif abge-
zeichnet herübergenommen erscheinen.
Wie frisch zeigte sich z. B. Niccolo gerade in der Beobachtung
der Tierwelt zu Pisa schon in den ersten Tafeln! Hier zeigen sich nun
gerade die Tiermotive aus der ersten Tafel von Pisa auf der entsprechen-
den in Siena gewissermaßen »wörtlich« übernommen. Aber die Aus-
lührung ist flacher, matter geworden. Das Beste von dort erscheint nun
hier schwächlich, während alles Verbesserungsbedürftige aus Pisa, hier
frisch angepackt, in Siena vollendet erscheint.
Der Meister hätte wohl kaum als ein so frischer Beobachter des
Pierlebens an so glattem Abdruck (an Stelle neuer Beobachtungen) Freude
gehabt.28) Es ist aber verständlich, daß die Gesellen spontan oder auf Befehl
des Meisters, der sich Größeres zu selbständigem Gestalten suchte, die
reizvollen Motive zu wiederholen hatten. Auch die Hirtenszenen machen
diesen Eindruck. Hier hatte der Meister wohl auch nichts Neues, über
Pisa Hinausgehendes zu sagen. Und er ließ die Gesellen arbeiten, die,
ohne Erfindungsgabe oder ohne Erlaubnis zu eigenen Änderungen, einfach
das in Pisa Gegebene kopieren. Im Hirten links zeigt sich eine Abweichung
von der Hirtendarstellung der ersten Tafel zu Pisa. Sie weist aber erst
recht auf eine Gesellenhand hin. Hier ist in unverkennbarer Deutlichkeit
in der Bildung des Kopfes, in der Beinstellung, in der Geberde (wie er den
Mantel mit der linken Hand ergreift^) der Longinus aus der »Kreuzigung«
zu Pisa nachgebildet, — ein Vorgehen, das bei dieser Nebenfigur dem phan-
tasiereichen Meister gewiß nicht in den Sinn gekommen wäre! Was kann
man an dem ersten Relief zu Siena noch der Urheberschaft nach bestimmen?
l8) Die meisten Künstler vermeiden auch gelungene Wiederholungen. Goethe
griff schon verwendete Themen auch zu Verbesserungen nur ungern wieder auf, Lionardo
freute sich vor allem des Entwurfes, der völligen Neuheit einer Idee u. dgl. m.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 2
i8
Dr. Alfred Möller:
Ich verweise auf die dort gegebene Heimsuchung. Wie die Blicke der
Frauen ineinandertauchen, ist sehr schön gegeben. Der Altersausdruck
im Kopf der Frau rechts ist sehr charakteristisch. Man denke an die
Freude, die Niccolo an gehaltvollen Köpfen (»Darstellung« zu Pisa)
bekundete, und man wird hier nicht unsicher urteilen. Die Körperver-
hältnisse sind n.un freilich gefälliger, der Faltenwurf aber noch der
charakteristische Niccolos, nur sind die Stoffe jetzt (wie schon in den
letzten Reliefs zu Pisa) feiner, weicher, nicht mehr so lodenartig schwer
und steif. Das Körperliche geht bei aller Trefflichkeit aber doch nirgends
mehr über die Errungenschaften, die sich am Weltgericht der Kanzel
von 1260 zeigten, hinaus. Der Reichtum und das Geschick von dort
wird nirgends mehr überboten. Übertrieben bauschige Umhüllungen zu
Raumfüllungszwecken (wie am Verkündigungsengel zu Pisa) weichen
eleganterer Umkleidung der Figuren. Neue Figuren vertreten die Stelle
dieser ehemaligen Gewandungetüme. Die Badefrauen hier unterscheiden
sich wenig von denen zu Pisa. Sie sind auch dort von kleiner Statur
gewesen, und kleine Figuren gerieten dem Meister immer gut.
In der Anbetung fällt ein Reiter auf, der keck sein Pferd wendet.
Ein echt Niccolosches Tiermotiv. 29) Man beachte auch das Windspiel,
das sich unter den Hufen der Pferde duckt! Es ist ganz ähnlich der Art,
davon eines auf dem Lager der Maria zu Pisa zu sehen ist. Aber ein
neues Motiv ist bier gegeben. Kameele, wie sie hier erscheinen, fand
Niccolo in der Antike nicht. Muß er nicht gerade diese Tiere mit be-
sonderer Freude gebildet haben? Eine freudlose Wiederholung des
grasenden Pferdes aus Pisa fällt daneben — freilich nur im Vergleich
zu dem gelungeneren Vorgänger — ab. Wir wissen, wem wir solch flaues
Kopieren Zutrauen dürfen. Das Bein ist hier schwer geworden, der Hals
zu dick. Neben den Fortschritten ringsum ein gewiß auffälliger Rück-
schritt. Der eine der Könige (links vom bellenden Hund, zu Pferd), er-
innert an den Josef der »Geburt« zu Pisa. Da sind der starre Blick, die
dicken Lippen. Die rechte Schulter ist hier wie dort (aber hier nur in
leerer Nachahmung, völlig unmotiviert) emporgezogen, das Sitzen auf
dem Pferde ist unklar, in schülerhafter Weise gegeben. Das lier selbst
ist sehr beachtenswert. Ich glaube mit Recht Schüler und Meister hier
dicht nebeneinander erkennen zu dijrfen. Das Gesicht des bartlosen
Königs ist noch feiner und durchgeistigter geworden als in Pisa. Die
Landschaft ist reicher, verrät Natursinn. Nur die Madonna hat einen
griesgrämigen Ausdruck. Darum allein darf man sie nicht den Gesellen
a9) Crowe u. Cavalcaselle rechnen die Anbetung in Siena zu dem Besten, was
das 13. Jahrhundert hervorgebracht hat. Mit Recht!
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
r9
geben. Vieles deutet auch auf Niccolo selbst. Die Figur ist ihm aber
mißlungen. Die »Flucht und Darstellung« zeigt wieder derbere Ver-
hältnisse der Körper. Vielleicht fällt ihre Ausführung in die kontraktlich
festgestellte Urlaubszeit, vielleicht erhielt der Meister eine Verlängerung
zur Ausführung des Sarkophagschmuckes in Bologna, jedenfalls ist sie nicht
so gelungen wie die eben genannten Tafeln. Auch das, was hier von
Niccolo stammen dürfte, ist schwächer. Die Hannah ist wohl sicher
wieder eine matte Nachahmung durch Schülerhände; dagegen ist das
erschreckte Zurückbeugen des Kindes ein gelungener Zug. Das Pferd,
auf dem Maria sitzt, wäre dem Meister auch besser gelungen. Der Alte,
der sich in den Bart greift, erinnert (in glücklicherer Weise als die oben
erwähnten Nachbildungen) an eine ähnliche Erscheinung auf der »Kreuzi-
gung« zu Pisa. Aon Äußerlichkeiten erinnert auch hier eine sehr an
Pisa: die bartlosen Köpfe sind beiderseits stets größer gebildet als die
bäitigen. Der »Kindermord« wird mit seinen naturalistisch-grimas-
sierenden Köpfen nicht so verblüffen, wenn man sich des Johannes aus
der »Kreuzigung« zu Pisa erinnert. Niccolo versteht es, wilde Schmerzens-
ausbrüche ohne Rücksicht auf Schönheit naturwahr zu geben. Dagegen
dürften die klagenden Mütter an den Rändern nicht vom Meister sein.
Wehmütigen, stillen Schmerz versteht er schon in Pisa besser darzu-
stellen. 3°) Man denke an die » Myrrhen trägerinnen« der »Kreuzigung«,
an viele Gestalten voll stummer Verzweiflung im »Weltgericht«. Im
Gegensatz zu Crowe u. Ca., die Christus in Siena schlechter proportio-
niert finden als in Pisa, betonen wir das Gegenteil ! Gerade dieses ist
hier allein zutreffend. In Pisa sind die Hände fast so lang wie die
Unterarme, der Hals zu kurz, die Schultern zu hoch, der Kopf zu groß.
Auch hängt dort der Leib nicht an den Armen, sondern diese sind nur
an den Balken angelegt. In Siena sind sie steiler gestellt, die Muskeln
sind wirklich gespannt. Besonders die Stellen, wo der Armmuskel in
die Schulter übergeht, sind zu vergleichen, denn hier zeigt sich (in Siena)
der auffällige Fortschritt gegenüber Pisa im Studium des Nackten. In
Pisa sind die Arme hölzern und unlebendig eingesetzt; in Siena kommen
an der hochgehobenen Achsel der Deltamuskel und die sehnigen Ansätze
am Brustkorb und am Schlüsselbein vorzüglich heraus. Am rechten
Oberarm erscheint der zweiköpfige Muskel in richtiger Plastik unter der
straff gespannten Haut, man sieht die Sehnen in der Armbeuge und am
3°) Crowe u. C. (a. a. O. S. 223), die die Kanzel zu Siena als »unzweifel-
haft Niccolos eigenes Werk« erklären, finden dort »bei aller Vorzüglichkeit« doch »nur
kalt-klassische Schönheit«. Wie weit fassen da die Autoren wohl diesen Begriff, wenn
sie das hier so allgemein — also auch dem »Kindesmord« und »Weltgericht« gegen-
über — behaupten !
20
Dr. Alfred Möller:
Handgelenk ansetzen usf. Der Rumpf, den Cr. u. C. besonders tadeln,
ist bedeutend besser proportioniert als in Pisa. In den Beinen ist frei-
lich auch noch in S. mehr ein Aufstehen mit gespannten Muskeln als
ein richtiges Hängen gegeben. Doch ist die treffliche Naturbeobachtung,
die sich an der 'Bildung der Kniescheibe und deren Umgebung zeigt,
beachtenswert. Der freie Anschluß an Pisa, die geniale V^eiteifiihrung
ist nirgends zu verkennen. Nur wer sich ausschließlich der eisten »an-
tiken Versuche« Niccolos freut und seine Wendung zur Natur mit Be-
dauern sieht, kann so harte Urteile über Siena fällen, wie Cr. u. C. es tun.
Auch die sichere Schilderung der Ohnmacht der Maria verrät den stets
fortschreitenden Meister. Ebenso ist die Innigkeit des Soldaten, der
Christus den Schwamm reicht — schon in Pisa eine sehr gute Leistung
hier noch gesteigert. Die Engel über dem Kreuz sind in Pisa bessei ge-
lungen. Auch die »Kirche« hat in Siena ein mehr ausdruckslos teigiges
Gesicht, das hinter Pisa zurückbleibt.
Am »jüngsten Gericht« ist es besonders schwer zu unterscheiden,
was vom Meister, was von den Schülern ist. Auffallend sind die vielen
Mönchsgestalten. Es ist fein beobachtet, wie alle diese Figuren eine
leichte Beugung des Hauptes zeigen, einen Zug von zur Gewohnheit ge-
wordener Demut der Haltung, wie man sie auch später auf der Aica
des hl. Dominikus reichlich sieht. 31) Neben peinlich genauen Wieder-
holungen von Motiven aus dem »Weltgericht« zu Pisa (so z. B. die Nach-
bildung eines Verdammten, der in den Höllenrachen geworfen wird)
finden sich viele Erweiterungen und Vervollkommnungen des in Pisa Ge-
brachten.
Wenn man Niccolo in seiner doppelten Wesenheit erfaßt, wenn
man erkannt hat, daß »zwei Seelen« in seiner Künstlerbrust wohnen, so
erscheint die Area di S. Domenico zu Bologna eine so selbstverständliche
Folge seines Schaffensdranges, daß man hier den deutlich genug spre-
chenden Urkunden nicht mehr mit Gegengründen zu begegnen sucht.
Was an diesem Werk dem Guglielmo, was dem Niccolo gehört, das zu
entscheiden soll hier nicht unternommen werden. Wir wenden uns
einem Werk zu, das bald in die Früh-, bald in die Spätzeit von Niccolos
Schaffen gelegt wird.
Wir meinen die Darstellungen an St. Martin in Lucca.
»Als früheste Arbeit des Niccolo kennzeichnen sich die Skulpturen
an einem Seitenportal von S. Martino in Lucca«, sagt Bode im »Cicerone«
(S. 17 unten). Er nimmt aber nicht das Jahr 1233, das Vasari leicht-
fertig angibt, als Datum für die Entstehung an, sondern denkt — ohne
3*) Vgl. Schnaase, a. a. O. V. S. 282 f.-
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
2 I
sich bestimmter auszusprechen — an ein späteres, natürlich aber doch
vor der Arbeit in Pisa (die Kanzel in der Taufkapelle v. J. 1260)
gelegenes. 32) Schmarsow spricht sich bedingungslos für Niccolo Pisano
als Schöpfer der Reliefs aus, nur setzt er ihre Vollendung nach der
Kanzel zu Pisa, »etwa um das Jahr 1263« an. 33) Schmarsow gewinnt
dieses Jahr 1263 vorerst (S. 110 — 03) aus der Baugeschichte von
S. Martino in Lucca. Er zitiert nach Ridolfi (L’ arte in Lucca studiata
nella sua cattedrale 1882) einen Beschluß v. J. 1261, der »pro reforma-
tione et reparatione Campanilis ecclesie S. Martini Lucani« gefaßt wird.
Daraus schließt Schmarsow, daß damals, da sich die Sorge der Bauherren
anderen Teilen der Kathedrale zuwendete, die Vorhalle schon vollendet
oder die Arbeit doch schon vergeben, der Meister für sie schon gefunden
worden sei; daß also die Arbeiten keinesfalls lange vor diesem Beschlüsse,
also nicht lange vor 1261 zu setzen seien. Das Jahr, das die Inschrift,
das Vasari nennt — 1233 — , ist damit freilich ausgeschlossen, nicht aber,
ob die Reliefs nicht doch noch vor der Kanzel zu Pisa, also vor 1260
geschaffen seien. Das aber gerade ist überaus wichtig. Da reichen die
baugeschichtlichen Vermerke, die Schmarsow bringt, nicht aus. Auch er
geht daher zu einer stilistischen Untersuchung als letztem und ver-
läßlichstem Rettungsmittel über, zu einem Vergleich mit der Kanzel in
Pisa. Dabei findet er, daß die Reliefs in Lucca mehr Kunst verraten
31) Vasari folgt in seinen Angaben (Ed. Le Monnier I, S. 263) lediglich der
Zahlenangabe, die seitwärts an einer Wand der Vorhalle — also nicht unter oder
neben den, über der linken Pforte angebrachten, hier in Betracht kommenden zwei
Reliefs — auch heute noch sichtbar, steht. Dort heißt es: »Hoc opus cepit fieri Abe-
lenato et Aldibrando operariis A. D. MCCXXIII.« Nun ist es natürlich jedem unbe-
nommen, bei »Hoc opus« an die Vorhalle selbst, an eines der Reliefs oder an beide —
Darstellung der Geburt und Kreuzabnahme — zu denken. Förster spricht freilich (»Bei-
träge« S. 16) von diesen Reliefs als von Arbeiten, die »urkundlich« Arbeiten des
Niccolo seien. Nun aber erfahren wir von ihm selbst (Ital. Kunst, 1870; 2. Bd. S. 108),
welche »Urkunden« er im Auge hatte. Er sagt: »Ich habe als Quelle .... in meinen
Notizen aufgezeichnet: Memorie e Documenti per servire all’ istoria del ducato di Lucca
1822 T. VIII, leider ohne die betreffende Stelle zu zitieren und ohne sie
aufsuchen zu können, da die »Memorie« hier nicht zur Hand sind.« Die »be-
treffende Stelle« aber, deren sich Förster nicht entsinnt, ist wieder nur die — Inschrift
aus der Vorhalle (vgl. auch Schnaase, Gesch. d. bildend, Künste, Bd. V, S. 285 f., An-
merkung 2). Wir müssen am besten auf das bauen, was sich in gewissenhaftem Prüfen
und Vergleichen aus stilistischen Eigentümlichkeiten zur Feststellung der Künstlerhand
gewinnen läßt.
33) S. Martin in Lucca, S. 1 1 1 ff. Man findet eingehende . Auseinandersetzungen
über die verschiedenen Hypothesen, nach denen die Reliefs bald früher, bald später
angesetzt, bald dem Niccolo, bald dem Guglielmo u. dgl. m. zugewiesen werden, bei
Dobbert S. 62 Anmerkung 3 ff. ; bei Schmarsow S. uff.; bei Schnaase in den An-
merkungen V. S. 285 f.
Dr. Alfred Möller:
2 2
als die genannte Kanzel, daß sie aber doch noch vor der Kanzel von
Siena anzusetzen sind. So wird schließlich das Jahr 1263 als ungefährer
Zeitpunkt der Entstehung der Reliefs von S. Martin zu Lucca angesetzt.
Die Schlüsse, die Schmarsow aus dem urkundlich gegebenen Be-
schluß von 1261 zieht — der Übergang des Interesses der Bauherren auf
den Turm setze voraus, daß die Vorhalle durchaus vollendet (seit wann
denn?!) oder doch alle Arbeit dafür vergeben gewesen sei — , haben in
ihrer Abgrenzung nach oben (frühestes Datum) nichts durchaus Unan-
fechtbares und Beweisendes. Zur Feststellung aber, daß die Reliefs in
Lucca erst nach der Kanzel zu Pisa entstanden sein können, dazu sind
die stilistischen Anhaltspunkte, die ein gewissenhafter Vergleich beider
ergibt, von weit überzeugenderer Wirkung und darum viel wertvoller als
alle Vermutungen und Annahmen, die sich an die urkundlich feststehen-
den Einzelheiten, wie sie Schmarsow zitiert, knüpfen lassen. Das »sichere«
schriftliche Zeugnis, das dem Laien immer so sehr imponiert, muß der
Kunstgelehrte oft weit hinter die anderen Hilfsmittel seiner Forschung
stellen, gerade so wie der scharfsinnige Arzt eine selbst durchgeführte
Untersuchung am Kranken verläßlicher finden wird als dessen genaueste
Angaben über das, was er fühlt und leidet. Sie werden ihn lediglich
bei seiner Aufnahme unterstützen, aber sehr oft wird er ihre Bedeutung
auf Kosten eigener Beobachtung schmälern und tiefer stellen müssen.
Gehen wir nun gleich in medias res und setzen wir uns vorerst
mit der Annahme Försters, Bodes u. a. auseinander. Dabei möge — da
die Reliefs der »Kreuzabnahme« und der »Geburt« durchaus nicht ohne
/
Verschiedenheiten in Technik und Auffassung sind — vorerst nur die
erstere Berücksichtigung finden. Kann nun:
1. die »Kreuzabnahme« in Lucca das Erstlingswerk des Niccolo
Pisano sein? Ich glaube nicht, daß es viel Fragen im Gebiete der
Kunstwissenschaft gibt, auf die man sicherer und ruhiger mit »nein«
antworten dürfte, als auf diese. Wir haben gesehen, wie Niccolo
Pisano auf der Kanzel zu Pisa erst mühsam den Weg suchte, um Inhalt
und Form einander anzupassen, wie er erst darnach rang, für die ihm
durch sein Studium und durch seine Neigung von Anfang an geläufigen
Formen den entsprechenden passenden Ausdruck zu geben ; wie er ihn
erst vergebens sucht, ungeschickt verfehlt, indem er fast unverwandelt
oder schlecht geändert in kalter, nüchterner Nachbildung antike Figuren
kurzweg in seine Darstellung herübernimmt. Wir haben gesehen, wie er
erst im Verlaufe des Werkes den Weg zu ungezwungener Darstellung ent-
deckte, wie er erst auf den letzten Reliefs den längst erstrebten Einklang
zwischen Inhalt und Ausdruck erreicht, indem er direktes Naturstudium
über ängstliche Nachahmung der Alten setzte.
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
2 3
Und nun hier? Da ist von einer willkürlichen Entlehnung einzelner
zur Nachahmung besonders reizender antiker Gestalten nichts zu finden.
Keine Figur fällt aus dem Umkreis der übrigen in dem Maße heraus,
wie es in Pisa nicht nur dem Ausdruck, sondern auch den Körperformen
nach der Fall war. Während dort z. B. auf der »Geburt« als dem in
Anordnung und perspektivischer Sicherheit am tiefsten stehenden Werke
die Körpermaße ohne Rücksicht auf das Ferner und Näher zum Auge des
Beschauers gegeben erscheinen, sucht man hier vergeblich nach so über-
aus auffälligen Unregelmäßigkeiten. In dieser Beziehung zeigt sich also
wie auch in der größeren Gleichmäßigkeit und Einheit der Stimmung
und des Ausdruckes ein starkes Hinauswachsen über die Kanzel zu
Pisa. Kein Tasten und Suchen mehr, sondern ein sicheres Vorgehen
spricht daraus. Und das Werk sollte vor der Kanzel zu Pisa ent-
standen sein?
2, Gehört dieses Werk überhaupt dem Niccolo Pisano an? Es
ist auf den ersten Blick klar, daß lebhafte Beziehungen zwischen der
Kreuzabnahme und dem Werke zu Pisa herrschen, trotzdem das Relief
durch Überschmieren mit dunkler Farbe u. dgl. arg beschädigt und
teilweise entstellt ist. Beiderseits finden wir — das »Weltgericht« und
zum Teil auch die »Kreuzigung« ausgenommen! — dieselben derben,
groben Körperverhältnisse, die starkknochigen, etwas untersetzten Gestal-
ten mit den großen Köpfen. Wir finden den massigen, scharf brüchigen
Faltenwurf (dieser ähnelt am meisten dem in der »Darstellung«), die
schleppenden Gewänder, die oft in Zipfeln ein- und ausschlagenden
Gewandenden. Auch die Angst vor dem leeren Raume zeigt sich viel-
fach und wird zum Teil ganz ähnlich wie bei der Verkündigung in Pisa
durch Gewandbauschen ungeschickt verhüllt (vgl. u. a. die Verkündigungs-
szene am ersten Relief zu Pisa). Ein Hinausgehen über die ersten Reliefs
an der Kanzel im Baptisterium zu Pisa zeigen hier aber sogar kleine
Einzelheiten. So setzt z. B. das Vorkommen von Besatzstreifen, die in
Pisa erst an der »Kreuzigung« erscheinen, wohl diese wie das folgende
Weltgerichtsrelief voraus. Nebst alldem zeigen sich aber auch manche
Unterschiede zwischen Pisa und Lucca, Unterschiede, die an der An-
nahme genauester Kenntnis der Pisaner Kanzel für den Schöpfer der
»Kreuzabnahme« zwar nichts ändern, dagegen aber deutlich von Niccolo
Pisano als Urheber weg auf eine andere Hand weisen. So verraten alle
Köpfe wohl deutliche Anklänge an die Art des Meisters, aber zugleich
auch deutliche Abweichungen. Sie sind durchwegs teigiger, voller, weich-
licher gebildet als dort. Ein Kopf wie der der Knienden links wäre
dem Niccolo Pisano auch vor der Fertigung der Kanzel zu Pisa nicht
recht zuzutrauen. Sein Gesichtstypus ist ein so ausgeprägter, daß man
24
Dr. Alfred Möller:
eine solche Abweichung wie hier bei ihm nicht vermuten kann. Immer
tritt bei ihm das Knochengerüst des Schädels — vor allem der Backen-
knochen deutlich unter der fleischigen Hautdecke durch; die Züge
sind in bestimmter Weise markiert (Einziehung an den Mundwinkeln, an
den Nüstern usf.). Hier findet sich eine solche nur an einer Stelle
und zwar an einer, an der sie bei Niccolo nie erscheint: im Kinne.
Lippen-, Nasen- und Augenbildung weichen ganz von des Meisters Art
ab. Auch der unförmliche, schwammige, vorne aufgetriebene Hals findet
sich niemals bei Niccolo. Daß der Johannes im Ausdruck an den der
Kreuzigung zu Pisa anschließt und wieder hinter diesem zurückbleibt,
statt ihn, wie man erwarten sollte, zu übertreffen, erkennt man auch
leicht; ebenso das Abweichen seiner Kopftorm von der entsprechenden
zu Pisa. Der Leib Christi erinnert (selbst mit seinen schlechten Seiten,
Armen und Schultern) an den des Gekreuzigten zu Pisa. Aber auch er
ist hier weichlicher, teigiger als dort gebildet. Noch aus einem anderen
Umstand ergibt sich, daß das Werk hier die vollständige, vollendete
Kanzel zu Pisa durchaus voraussetzt. Die Gewandbildung erinnert zum
Teil noch an die der »Darstellung«, ist aber nicht mehr so hart und
eckig wie z. B. an der Maria der »Geburt« in Pisa. Die Brüche sind
weicher, biegsamer und, wie schon gesagt, mit Details versehen, die erst
auf den letzten Pisaner Reliefs — »Kreuzigung« und »Weltgericht« —
auftauchen.
Die Frage: »Wer ist der Meister?« läßt sich nur dahin beantworten,
daß es sich nicht um Niccolo selbst handeln kann, sondern daß das
Relief eine Schülerarbeit ist. Hans Semper hat an Guglielmo gedacht
und stützt seine Ansicht durch einen Vergleich mit dem Werke des Fraters
zu Pistoja. 34) Nun ist aber gerade Guglielmos Ausdrucksfähigkeit —
schon im allgemeinen nicht sehr bedeutend — an seiner Kanzel zu
Pistoja weit hinter dem hier genannten Relief zurückbleibend, und Dobbert
hat völlig recht, wenn er schon wegen der »Innigkeit«, die das Relief
in Lucca zeigt, von Guglielmo absieht. 35) In Lucca stehen ja die Figuren
nicht nur nicht mehr so steif und drahtpuppenartig nebeneinander wie
auf den ersten Tafeln zu Pisa, sie sind nebstbei durch ein gemeinsames
Band — den Schmerz — wundersam zusammengehalten. Und diese
Kunst ist dem Frater nicht zuzutrauen. Guglielmos Kanzelreliefs in
Pistoja muten nüchtern, kühl, fast leer an.
Das Relief unter der Abnahme vom Kreuze stellt die »Geburt«
und die »Anbetung durch die Könige« dar. Die reichere Anordnung,
34) Zeitschrift f. bildend. Kunst 1871, VI. Bd. S. 365.
35) a. a. O. S. 65 f.
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
25
die größere Leichtigkeit in den Bewegungen, die zartere Bildung der
Gestalten, der zum Teil viel feinfaltigere Wurf der Gewänder, die
dünneren Stoffe lassen sofort an Siena denken. Tatsächlich sprechen
sich die meisten Autoren sogleich bei Erwähnung des Reliefs dahin aus,
daß dieses der Kanzel zu Siena näher stehe, als der zu Pisa. An letztere
erinnert aber hier doch etwas sehr deutlich: die Verkündigung. Man
beachte sie im ganzen und in den Einzelheiten genau und vergleiche.
Diese Verkündigungsszene eben suchte der Schüler in Siena vergebens.
Er mußte daher, wohl oder übel, seinem Vorbild nach Pisa folgen. Er
nimmt von dort die Haltung des Engels und der Madonna (wie er
vorne das Gewand faßt! wie sie die Spindel trägt!) und behält sogar
ein echt schülerhafter Zug! — bei, wie hinter dem Engel überflüssiges
Gewand sich bauscht und rücksichtsvoll den Reliefgrund verdeckt. Da-
bei bleibt er aber noch hinter dieser schlechten Art eines Ausweges,
dem Freilassen von Raum zu entgehen, zurück. Der Meister hat in Pisa
— selbst an seinen Anfangsleistungen sind solche plumpe Folgen des
horror vacui vereinzelt — auf seiner ersten Tafel das doch • immer
noch viel geschickter gemacht. Hier in Lucca haben die Bauschen und
die sich stauenden Falten keinen Haltpunkt und ihre Lage ist so nicht
einmal in ärmlicher Weise begründet. Auffallenderweise aber deutet
ein Zug dicht daneben nicht nur über Pisa, sondern auch über Siena
hinaus, ein Zug, dessen Erklärung Schmarsow bei seiner Annahme schul-
dig bleiben muß: die ausgesprochen gotische Architektur im Hinter-
gründe rechts von Maria mit den Spitzbogen und der von zierlichem
Maßwerk durchbrochenen und gelösten Wand. Man halte sich einmal
die »Geburt« und »Anbetung« der Kanzel zu Siena daneben, beachte
die wesentlich romanischen baulichen Gebilde daselbst und man wird
sich der oben ausgesprochenen Ansicht, daß wir hier Einwirkungen einer
späteren Zeit haben, nicht verschließen können. Im übrigen erinnert der
Faltenwurf (selbst bei der »Verkündigung« bemerkt man in dieser Be-
ziehung — dünnere Stoffe! — eine Wandlung gegenüber Pisa) durch-
aus an Siena. Wenig ist mehr von dem Massigen, Schwerfälligen, Scharf-
brüchigen der ersten Reliefs von Pisa zu finden. Der Faltenwurf ist zier-
licher, knitteriger, weicher geworden. Wenn schon die »Kreuzabnahme«
durch eine geringere Wucht der Auffassung des Körperlichen, dagegen
durch reichere Beseelung von der »Geburt« und »Anbetung«, der »Dar-
stellung« und selbst der »Kreuzigung« in Pisa abwich, so ist hier alles
zur größeren Zierlichkeit und Feinheit der Sieneser Kanzel gemildert. Die
Köpfe sind — wie dort dem Verhältnisse der Körper entsprechend —
kleiner geworden. Auch im übrigen ist ein Ebenmaß gewonnen, das
stark an das zweite Kanzelwerk Niccolos erinnert (die kleinen Hände!
2 6
Dr. Alfred Möller:
Man vergleiche die beiden Marien daraufhin mit der zu Pisa). Die
Art, wie Maria lagert, erinnert trotz der abweichenden Stellung auffallend
an Siena (das Lager selbst! die Anordnung des Gewandes!). Daß wir
dabei einen Künstler vor Augen haben, der für das Zarte und Innige
Sinn und selbständigen Ausdruck hat, wurde schon anläßlich der »Kreuz-
abnahme« bemerkt. Er gibt der Madonna (der Kopf fehlt leider!)
einen Niccolo in den ersten Reliefs völlig fremden Zug von inniger,
mütterlicher Liebe, der übrigens nicht gegen die Überlieferung ist. 36)
Maria hat die linke Hand auf die Krippe des Kindes gelegt und zieht
vom Kopf des Kleinen kosend eine Hülle zurück.
Als ein schlechter Schüler Niccolos verrät sich uns der Schöpfer
des Reliefs von Lucca durch die Bildung der Tiere. Diese gelingen
ihm, im auffallendsten Gegensatz zum Geschick und der Art Niccolo
Pisanos für diese Dinge, in keiner Weise. So zeigen sich an den
Pferden rechts neben dem Bestreben, Motive des Meisters genau zu wieder-
holen (das grasende Pferd mit Beinen wie aus Holz oder Ton!), eine
starke Unfertigkeit und mangelndes Verständnis für die Organisation des
Tierleibes. Auch die Widder unten — wie trefflich sind die Tiere auf
der ersten Tafel in Pisa! — sind trotz aller Anlehnung an die Arbeiten
in Siena und Pisa (der Hund auf der Decke!)' schwächliche und unge-
schickte Leistungen, die ebenfalls dem Meister nicht zuzutrauen wären.
An Siena erinnern auch die Besatzstreifen am Lager der Maria, über
dem Kinde usf.
Wann sind demnach die Reliefs anzusetzen? Bei allen Verschieden-
heiten — diese erklären sich völlig ausreichend durch die verschiedenen
Vorbilder: Pisa für die »Kreuzabnahme«, Siena für die »Geburt und An-
betung« — weisen in vielen gemeinsamen Zügen mit Bestimmtheit auf
eine Hand. In beiden erscheint ähnlich der Typus der Köpfe und der
Gesichter, die ety/as teigige Behandlung des Fleisches an Antlitz und
Armen der Gestalten, die Wiedergabe der Falten, d. h. ihrer Brüche, mit
den eigentümlich scharfen, schmalen, gegen den Beschauer gerichteten
Graten, wie sie bei Niccolo gar nicht, bei Guglielmo in bedeutend
schwächerer Ausprägung auftreten. Das alles ist oben wie unten in un-
verkennbarer größter Ähnlichkeit gegeben.
Man wird die »Kreuzabnahme« nicht unmittelbar nach Vollendung
der Pisaner Kanzel ansetzen dürfen, denn die freiere selbständige Ver-
arbeitung des dort Gesehenen setzt voraus, daß die von dort über-
nommenen Eindrücke längere Zeit auf den Künstle? von Lucca ein-
36) Er findet sich unter anderem in ähnlicher Weise schon im griechischen
Evangeliar der Vaticana Nr. 2. Vgl. Schmidt a. a. O. S. 21 (mit Abbildung).
Das Naturgefühl bei Niccolo Pisano.
27
gewirkt haben, ehe er sie so umgeformt verausgaben konnte. Die »Geburt
und die Anbetung« dürften aber dann doch bald auf die »Kreuzabnahme«
gefolgt sein, denn ihre Eindrücke scheinen beim Künstler noch von
frischerer, mehr äußerlicher, weniger verarbeiteter Wirkung als die aus
Pisa. Die letzteren sind aber immerhin sehr deutlich. Erinnerungen
daran klingen durch das zweite Relief durch und behaupten sich einen
Platz neben den reicheren, deutlicheren Anlehnungen an Siena. (Nicht
nur in der »Verkündigung«, sondern auch im Kopf des bartlosen Königs,
der unverkennbar auf Pisa, nicht auf Siena zurückgeht, in einigen Tier-
motiven, wie der Hund auf der Decke u. a. m.). Streng genommen setzt
das zweite Relief von Lucca in seinen Motiven usf. nur die Kenntnis
der ersten Tafeln auf der Kanzel von Siena voraus; nur der Spitzgiebel
weist um einiges darüber hinaus, wenn auch immer nur eine Zeit anzu-
nehmen bleibt, die die Erinnerungen an Niccolos Werk zu Pisa noch
nicht verblassen und durch nichts Neues verdrängen ließ. Wir werden
also folgendes annehmen können: Das Werk zu Lucca kann von 1264
an entstanden sein. 1270 konnte es vollendet sein. In diesen Grenzen
ist die Zahl, die die Begrenzung nach unten gibt — das Jahr 1264 — ,
mit viel größerer Sicherheit zu nennen, als die nach oben. Besondere
Umstände könnten ja die Ausführung des Werkes, seinen ruhigen Fort-
gang u. dgl. um einige Zeit verschleppt und die Vollendung verzögert
haben. Immerhin ist als Zeit der Ausführung die Zeit von 1264 — 1270
mit ziemlicher Gewißheit zu nehmen, alle früheren Angaben jedenfalls
als falsch zu verwerfen, und das Werk als Arbeit eines talentierten
Nachahmers Niccolo Pisanos, nicht als das des Meisters zu betrachten.
Mit der Beachtung des reichen Natursinnes bei Niccolo Pisano
wird auch der Weg zum Verständnis seiner Herkunft nicht mehr zweifel-
haft sein können. Die byzantinische Ausdruckslosigkeit der südlichen
Kunst kann nicht Pathe bei seinen Werken gestanden haben. Die Ver-
schiedenheit zwischen den antiken Arbeiten aus Apulien mit seinen Ge-
stalten erscheint nicht mehr verwunderlich. 37) Im Norden aber, wo ein
Benedetto Antelami schuf, finden sich reiche Vorbereitungen auf die
ausdrucksvolle Darstellung, die Niccolo Pisanos Werke dem unbefangenen
Auge zeigen. Seine künstlerische Heimat war Toskana. Seine wirkliche
zu finden, mag dem Historiker reizvoll sein. Dem Kunsthistoriker wird
es genügen, die erstere zu erkennen und nachzuweisen.
37) Viel eher sind antike Gestalten wie die sog. Madonna Chinsica in Pisa (bei
Schubring, a. a. O. Abb. 5) in ihrer Verwandtschaft zu seinen Typen zu beachten.
Der Meister des Paradiesesgartens.
Von Carl Gebhardt.
Wer sich in der Einsamkeit jenes kleinen schwäbischen Dorfes in
die gemütvolle und naturfreudige Kunst des Lucas Moser liebevoll
versenkte, in dem mußte mit Notwendigkeit die Frage entstehen, woher
denn diese Kunst ihren Ursprung genommen habe. Sollte man mit
Janitschek (Geschichte der deutschen Malerei S. 245) annehmen, daß
Lucas Moser auf seiner Wanderung auch nach Köln gekommen sei
und von der Schule Meister Wilhelms die bestimmenden Eindrücke emp-
fangen habe? Dagegen spricht, daß der Zusammenhang mit kölnischer
Art durchaus nicht ein so inniger ist, wie Janitschek meinte. Sollte
man gar mit Schmarsow (Die oberrheinische Malerei und ihre Nach-
barn um die Mitte des 15. Jahrhunderts) die Datierung des Tiefenbronner
Altars 1451 statt 1431 lesen und in Moser einen Schüler der Nieder-
länder und zwar des Meisters von Fl e malle erblicken? Dagegen
spricht wieder, abgesehen von der meines Erachtens ganz unzweideutigen
Jahreszahl 1431, daß sich Beziehungen zu den Niederländern da, wo
man sie am ehesten erwarten sollte, in der Technik gar nicht zeigen,
und daß die Landschaft durchaus von der niederländischen verschieden
ist. So scheint es denn am besten, anzunehmen, worauf Reber (Stil-
entwicklung der schwäbischen Tafelmalerei S. 368 — 370) hinweist, daß
Moser mit der Miniaturkunst in Beziehung gestanden sei und seine
Schule am Oberrhein durchgemacht habe. Dann mag er als ein Künstler,
der bereits seine eigene Sprache besaß, nach Oberitalien gekommen sein
und aus der Werkstatt Pisanellos sich seine Technik geholt und an
den Werken dieses Meisters seinen Sinn für die Auffassung der Land-
schaft gebildet haben. Welcher Art die Kunst war, die vor der Zeit,
da Lucas Moser seinen Altar schuf, in den Gegenden des Oberrheins
blühte, darüber können uns zwei Werke belehren, in denen ich die Hand
eines und desselben und zwar eines hochbedeutenden Künstlers zu er-
kennen glaube.
Im Städtischen Museum zu Frankfurt befindet sich ein kleines,
mit feinem Pinsel in leuchtenden Farben ausgeführtes Bild, der sog.
Der Meister des Paradiesesgartens.
29
Paradiesesgarten. In der traulichen Stille des hortus conclusus, in-
mitten der herrlichsten Blumen aller Art sitzt die Madonna, in ihrem
Gebetbuche lesend; zu ihren Füßen läßt sich das Christkind von der
heiligen Caecilia im Zitherspiele unterrichten, heilige Jungfrauen pflücken
Kirschen oder schöpfen Wasser aus dem Brunnen, während unter einem
Baume St. Georg und St. Michael, denen sich ein dritter Ritter gesellt,
alle in feiner, modischer Tracht, sich niedergelassen haben. Dieses Bild,
das neuerdings wieder auf der Düsseldorfer Ausstellung die Aufmerksam-
keit auf sich lenkte, war bezüglich seiner Herkunft von jeher Gegenstand
lebhafter Kontroverse. Janitschek (Geschichte der deutschen Malerei
S. 212) sieht es als ein kölnisches Werk aus der Schule Meister Wilhelms
an, in Übereinstimmung mit den älteren Beurteilungen von Kugler, Hotho,
Schnaase und Woltmann -Woermann; Aldenhoven (Geschichte der Kölner
Malerschule S. 113 f., 342) verlegt es gar nach Westfalen, während
Reber und Bayersdorfer (im Klassischen Bilderschatz Bl. 1653) es der
mittelrheinischen Schule zuschreiben.
Das zweite Werk, das nach meiner Ansicht die Hand und den
Geist desselben Künstlers zeigt, ist die Madonna in den Erdbeeren
im Museum der Stadt Solothurn. Durch die kunsthistorische Ge-
sellschaft für photographische Publikationen (1903, Tafel V) der Forschung
zugänglich gemacht, ist dieses Gemälde von Schmarsow (Die ober-
rheinische Malerei etc. S. 82 — 85) ausführlich besprochen und für das
Werk eines oberrheinischen Meisters nicht vor 1440 — 1450 erklärt wor-
den. Burckhardt dagegen sah darin ein Werk der alten oberrheinischen
Schule aus dem Anfänge des 15. Jahrhunderts,1) und in Übereinstimmung
mit dieser Ansicht datiert es der Solothurner Katalog um das Jahr 1420.
Es zeigt die Madonna auf einem Erdbeerbeete sitzend, auf ihren Knieen
ein aufgeschlagenes, mit hebräischen Lettern bedecktes Gebetbuch haltend,
wie sie dem ihr zur Seite am Boden sitzenden Kinde mit der rechten
Hand eine weiße Rose hinreicht. Der Knabe hält mit der Rechten
einen glasierten Krug an sich, in dem die Beschreibung des Solothurner
Katalogs vielleicht mit Recht ein Tränenkrüglein vermutet; mit der
Linken will er die Gabe der Mutter empfangen, nach der er Kopf und
Augen hinwendet. Rechts unten kniet der kleine Stifter, die gefalteten
Hände wie in Bewunderung des lieblichen Anblicks öffnend. In reichster
Fülle blühen allenthalben Blumen, und ein Spalier mit weißen und roten
Rosen, von Vögeln belebt, gleich einem Vorbild von Schongauers
Rosenhag, bildet den Abschluß nach dem Hintergrund.
*) Nach der Angabe der Festschrift des Kunst- Vereins der Stadt Solothurn,
1902, S. 58.
30
Carl Gebhardt:
Stellen wir diese beiden, im Formate zwar sehr verschiedenen
Werke (das Frankfurter ist 24 X 31 cm groß, das Solothurner 14 1 X 85 cm)
nunmehr vergleichend gegeneinander, so spricht zu uns aus beiden der-
selbe Geist lebendiger Naturfreude, wie er sich gar nicht genugtun kann
in der liebevollsten Schilderung der Pflanzen und Vögel, derselbe zarte,
poetische Sinn, der aber durchaus nicht wie in der frühen kölnischen
Malerei der Wirklichkeit fremd ist. Aber auch derselbe mystische Geist,
der die Heiligen im Paradiesesgarten zusammengeführt und ihnen ihre
bedeutsamen Handlungen zugewiesen hat, er hat auch auf dem anderen
Bilde der Madonna die todverkündende weiße Rose in die Hand ge-
geben und dem Kinde das Tränenkrüglein. Auch die Formensprache
scheint mir in beiden Werken die gleiche zu sein, obschon sie im Para-
diesesgarten wohl noch etwas altertümlicher ist. Der Kopf der Madonnen
zeigt eine sehr breite und hohe Stirn, gerade Nase, kleinen, feingeschwungenen
Mund; im Gegensatz zu dem mehr ovalen Kopftypus Hermann Wyn-
richs spitzt der Kopf sich hier nach dem Kinne zu. Das Kopftuch,
das die Madonna in der kölnischen Kunst getragen hat, ist verschwunden,
während die Krone, am reichsten gebildet auf dem Solothurner Gemälde,
noch ganz den kölnischen Typus zeigt. Das Haar, erst nach vorne
gewunden, dann über die Ohren zurückgelegt, wallt frei über den Rücken
herab und begleitet die Linie des Mantels. Die Zeichnung des Halses,
die Kleidung, das Buch, die übermäßig mageren Hände, die als ein Ru-
diment älterer Kunstübung dem Wirklichkeitssinne des Meisters sehr
widersprechen, alles stimmt genau überein. Während das Kind auf den
Bildern Wynrichs am Oberkörper unbekleidet war, ist es hier, wo es als
älter dargestellt und vom Schoße der Maria gelöst wird, ganz gewandet.
Wiederum stimmt alles überein: die Kopfbildung, das gelockte Haar,
das Strahlenkreuz, die Art des Kleidchens, ja selbst die noch etwas ver-
zeichnete Art des Sitzens. Auch in den Farben scheinen die Bilder
in gleicher Weise übereinzustimmen.2) Auf beiden ist das Haar der
Madonna und des Kindes goldig blond, der Mantel der Madonna von
leuchtendem Blau, der Einband des Buches in hellem Zinnoberrot, das
Röckchen des Kindes weiß. Ähnlich ist ferner der Aufbau der beiden
Bilder mit der blumenreichen Wiese im Vordergründe, an die sich dann
ein erhöhtes, von Brettern eingefaßtes Beet anschließt. Im Solothurner
Bild sitzt die Madonna auf diesem mit Erdbeeren bestandenen Beete, im
Paradiesesgarten sitzt sie auf einem großen Kissen davor. Auch im
*) Ich verdanke die Farbenangaben, da mir das Original der Madonna in den
Erdbeeren unbekannt ist, Herrn F. A. Zetter-Collin, Präsidenten der Kunstkommission
des städtischen Museums in Solothurn, der mich in liebenswürdigster Weise mit Material
unterstützte.
Der Meister des Paradiesesgartens.
31
Detail herrscht eine bis ins einzelne gehende Übereinstimmung, wenn
auch die Mannigfaltigkeit der botanisch genau zu bestimmenden Pflanzen
auf dem Frankfurter Bild eine größere ist. Alle Blumen des Solothurner
Bildes blühen auch im Paradiesesgarten, die Maiglöckchen und Schnee-
glöckchen, die Veilchen und Erdbeeren, und selbst der Rosenstrauch des
Hintergrundes findet hier sein Vorbild. Dieselben Vöglein, die dort die
Rosenlaube beleben, haben sich hier, von der Weihe des Ortes beschützt,
in die Nähe der Heiligen begeben. Ein entzückendes Motiv ist beiden
Bildern gemeinsam: ein Vöglein, das gerade den Schnabel öffnet, um
eine vor ihm sitzende Fliege zu verspeisen, auf dem Frankfurter Bild
links oberhalb des Kopfes der Madonna, auf dem Solothurner auf der
mittleren Längsstange des Spaliers. Auch die Form der hebräischen
Buchstaben in den beiden Gebetbüchern, unter die sich in dem der Solo-
thurner Madonna vereinzelte gotische Zeichen mischen, stimmt genau
überein; ich weise namentlich auf die auffällige Form des hin, die
mehr der hebräischen Kursivschrift als der Quadratschrift entspricht. So
ergibt die Vergleichung der beiden Werke, wie ich glaube, mit Bestimmt-
heit, daß wir hier einen und denselben Künstler vor uns haben — der
bedeutende Geist, der beide beseelt, läßt den Gedanken, daß das eine
etwa von einem Nachahmer herrühre, als völlig ausgeschlossen erscheinen.
Wir werden diesen Künstler, um nicht nur sein Werk, sondern auch
seine Art zu bedeuten, am besten füglich den Meister des Paradieses-
gartens nennen dürfen.
Fragen wir nun nach seiner Heimat, so bietet uns das Frank-
furter Bild zu ihrer Bestimmung keinen äußeren Anhalt. Das Städtische
Museum erhielt es mit der Sammlung des kunstliebenden Zuckerbäckers
Prehn in Frankfurt, der im Anfang des vorigen Jahrhunderts allerlei Bilder
kleinen Formates sammelte. Genauer sind wir dagegen über die Pro-
venienz der Madonna in den Erdbeeren unterrichtet. Der Kunstverein
von Solothurn erwarb das Bild 1865 aus dem Besitz der Salesianernonnen
des dortigen St. Josephsklosters. Nun erzählt die Klostertradition der
Salesianerinnen, die die Nachfolgerinnen der mittelalterlichen Beghinen
sind: das Gemälde sei während des Bildersturmes zur Reformationszeit
mit noch anderem Kirchenschmuck die Aare herabgeschwommen, heraus-
gefischt und den Beghinen zur Aufbewahrung übergeben worden 3). Ich
bin geneigt, dieser Tradition wenigstens insofern Glauben zu schenken,
als ich annehme, daß das Gemälde tatsächlich zur Zeit des Bildersturmes
in den Besitz des Beghinenhauses kam; denn vor seiner Restaurierung
durch den Kgl. Galeriekonservator Andreas Eigner in Augsburg (1865)
3) Festschrift des Kunstvereins etc. S. 41.
3 2
Carl Gebhardt:
zeigte es an Kopf und Brust der Madonna Schußlöcher, in denen noch
die Kugeln staken; auch waren die Edelsteine aus der Krone ausge-
brochen.4) Wo auch das Bild vor jener Zeit gewesen sein mag — Herr
Zetter-Collin hält es für wahrscheinlich, daß es aus dem Vincentiusmünster
zu Bern stamme — , gewiß ist jedenfalls, daß wir den Wirkungskreis des
Meisters des Paradiesesgartens, wenn auch nicht ausschließlich, im
Gebiet der Aare und des Oberrheins zu suchen haben.
Innere Gründe, die dieser Annahme widerstreiten würden, vermag
ich nicht zu erblicken. Wohl sind namentlich auf dem Frankfurter Bilde,
das ich darum auch für das frühere halten möchte, die Beziehungen
zu der Kunst Hermann Wynrichs und seiner Schule noch ersichtlich,
so daß man es sogar dieser zuschreiben konnte. Manche Züge scheinen
geradezu Kölnischen Bildern entnommen zu sein, wie beispielsweise der
Kopftypus des heiligen Georg, der mit dem Kopf des Bettlers neben der
heiligen Elisabeth auf dem Berliner Flügelaltärchen (Katalog von 1883
Nr. 1238) in Umriß und Ausdruck genau übereinstimmt, welcher seiner-
seits wieder zurückgeht auf Typen wie den Bettler des Nürnberger Bildes
der heiligen Elisabeth (Germanisches Museum, Katalog von 1893 Nr. 89,
dort fälschlich als »Fränkisch um 1400« bezeichnet). Aber solche Über-
einstimmungen, die sich weiter verfolgen ließen, können doch nicht dar-
über täuschen, daß die' Kunst unseres Meisters eine ganz anders geartete
ist als die des großen Kölners. Denn ohne die Gefahr allzu großer
Kühnheit darf man wohl behaupten: der Meister des Paradieses-
gartens ist der erste große Künstler in Süddeutschland auf dem Gebiet
der Tafelmalerei, wenigstens soweit uns bis jetzt bekannt ist, der sich
vollbewußt dem Studium der Natur zuwendet und damit eine neue
Phase in der Kunst seiner Zeit und seines Landes eröffnet.
Möglich, daß er Anregungen dazu von der Miniaturmalerei empfing.
Jedenfalls aber weiß er mit einer bisher noch nie erreichten Glaubhaftig-
keit, namentlich im Solothurner Werk, seine Gestalten vor uns hinzu-
stellen. Mit großer Sicherheit weiß er schon den Raum zu gestalten,
und ein lebhafter Wirklichkeitssinn spricht aus der Detaildarstellung.
Mit der gleichen Freude am Kleinen, mit welcher er den Tisch neben
der Madonna im Paradiesesgarten malt und dabei die Schüssel mit
Äpfeln, den Becher und die geschälte Frucht nicht vergißt, mit der-
selben Freude hat uns auch Lucas Moser die Tafel auf seinem Gast-
mahl geschildert. Und bei allem Sinne für das Reale verleugnet er
doch nicht ein hohes Schönheitsgefühl in den Formen und in den zarten,
graziösen Bewegungen.
i) Ebend. S. 58 f.
Der Meister des Paradiesesgartens.
33
Aber haben wir wirklich das Recht, den Meister des Para-
diesesgartens an den Anfang einer ganzen Kunstentwicklung zu stellen?
Müssen wir nicht vielmehr, wie Schmarsow es tut, wenn er das Solo-
thurner Gemälde nicht vor 1440 — 145° datiert, in ihm nur eine Er-
scheinung unter so manchen gleichartigen gewahren? Meines Erachtens
haben wir, um seine Zeit zu bestimmen, einen terminus a quo in den
Werken des Meisters der Madonna mit der Bohnenblüte (Hermann
Wynrich), von denen er seinen Ausgang genommen hat, und einen
terminus ante quem in dem Tiefenbronner Altar Lucas Mosers, der
einen unzweifelhaft weiter entwickelten Stil aufweist. Da nun einer-
seits Hermann Wynrich im Winter 1413 auf 1414 gestorben ist,
und wir keinen Grund haben, solche Werke wie die Madonna mit
der Bohnenblüte oder die Madonna mit der Erbsenblüte, auch wenn
sie nicht von ihm selbst herrührten, in eine spätere Zeit zu ver-
legen, und da wir andererseits, bis zwingendere Gründe dagegen er-
bracht werden, an der Datierung des Tiefenbronner Altars von 1431
festhalten müssen, so ergibt sich für die Zeit des Meisters des
Paradiesesgartens ungefähr das Jahr 1420, in welcher Bestimmung
sowohl der Düsseldorfer Katalog bezüglich des Paradiesesgartens als
auch Burckhardt bezüglich der Madonna in den Erdbeeren mit mir
übereinstimmen.
Weitere Werke des Meisters vermag ich zurzeit noch nicht anzu-
geben. Nun weist der Paradiesesgarten in seinem Stoff und in der Aus-
führung darauf hin, daß der Meister aus der Miniaturmalerei hervor-
gegangen ist, und auch die Madonna in den Erdbeeren widerspricht in
der minutiösen Durchführung des Details nicht dieser Annahme. Will man
das Werk des Meisters weiter verfolgen, so wird man gut tun, auch
unter den Miniaturen Umschau zu halten. Ob es freilich gelingen wird,
noch andere Tafelbilder von ihm zu finden, kann fraglich erscheinen;
denn nirgends hat ja der Bildersturm der Reformationszeit so gründlich
sein Werk verrichtet wie gerade in der Schweiz und am Oberrhein.
Ebensowenig ist es bis jetzt möglich, dem Meister einen bestimmten
Künstlernamen zuzuweisen, solange die uns überlieferten wie etwa Jo-
hann Hirtz, Hans Tieffenthal, Meister Lauwlin eben bloß Namen sind.
Immerhin sei beiläufig darauf hingewiesen, daß von einem der älteren
Künstler, dem »Maler und Goldarbeiter« Hans Tieffenthal, berichtet
wird, daß er, ehedenn er sich 1433 in Straßburg niederließ, vielfach
außerhalb des Elsaß und besonders auch in der Schweiz tätig gewesen
sei; ferner wissen wir von ihm, daß er mit einem kölnischen Künstler,
dem 1402 in der Karthause von Dijon tätigen Meister Hermann de Cou-
logne (Hermann Wynrich?) in irgend welchen Beziehungen gestanden
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 3
34
Carl Gebhardt: Der Meister des Paradiesesgartens.
ist. 5) Aber selbst wenn es einstweilen nicht gelingen sollte, diese höchst
bedeutende Künstlerpersönlichkeit aus dem Dunkel, das sie noch umgibt,
hervortreten zu lassen, so werden sich doch schon organische Zusammen-
hänge innerhalb der deutschen Kunst da vermuten lassen, wo uns bis-
lang nur abrupte Erscheinungen entgegentraten, wenn anders diese An-
nahme eines großen, aus der Miniaturkunst hervorgegangenen,
von der kölnischen Malerei beeinflußten und am Oberrhein
wirkenden Meisters zu Recht besteht. Dann wird nicht nur die bisher
so unerklärbare Kunst Lucas Mosers in ihren Wurzeln klar vor uns
liegen, sondern es wird auch möglich sein, die immer noch offene Frage
zu entscheiden, »ob Meister Stephan Lochner die Wege der alten
kölnischen Schule fortsetzt, oder ob er nicht vielmehr neue Elemente
(schwäbische?) ihr zugegeführt und dadurch sie umgestaltet hat« (Springer
im Repert. f. Kunstw. XIII, S. 318).5 6) Und nicht zum letzten wird auch
die große Kunst Martin Schongauers, die wir gewohnt sind, in ihren
niederländischen Beziehungen zu betrachten, dann auch in ihrem deutschen
Bestände uns klarer entgegentreten.
5) Vgl. Bruck, die Elsässische Glasmalerei S. 99 f., woselbst der Versuch gemacht
wird, dem Tieffenthal Glasmalereien in Schlettstadt, die burgundischen Einfluß zeigen
und dem Moser verwandt sind, zuzuschreiben.
6) Mit Recht sagt Burckhardt (Basels Bedeutung für Wissenschaft und Kunst
im 15. Jahrhundert, Malerei, 1901, S. 3°7): »Stephan Lochner, der aus Meersburg
bei Konstanz gebürtige, zu Ende der 1430er Jahre in Köln eingewanderte Meister, läßt
selbst in seinem Hauptwerk, dem Dombilde, noch erkennen, daß er einst von einem
oberdeutschen Realisten in der Art des Witz geschult worden war, bevor er der
Einwirkung des anmutigen altkölnischen Archaismus unterlag.«
Die deutsche Passionsbühne
und die deutsche Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts
in ihren Wechselbeziehungen.
Von K. Tscheuschner-Bern.
(Schluß.)
In der Brixener Passion treten zwischen den einzelnen Leidens-
szenen Christi abwechselnd David, Jesaias und Jeremias auf und teilen
dem Publikum mit, unter genauer Namhaftmachung der betreffenden
Stellen, daß sie das Leiden Christi ganz genau so, wie es sich hier ab-
gespielt, ihrer Zeit bereits vorausgesagt haben. So sagt etwa Jeremias
nach der Geißelung:
(v. 1952) Ich hab zuvor am 52. Capitl geschriben,
Das Cristum sein leyden nit ist ausbeliben etc. . . .
Bisher waren derartige Intermezzi nur am Schluß oder zu Beginn
einer Szene eingeschoben, die Verfasser geistlicher Spiele scheuen sich
jedoch auch nicht, gelegentlich eine Handlung durch eine derartig er-
bauliche Ansprache an das Publikum mitten auseinander reißen zu lassen.
Am weitesten geht hierin wohl das Augsburger Passionsspiel bei der Vor-
führung der Gefangennahme Christi, wo das Auftreten des Proklamators
direkt komisch gewirkt haben muß. Ich lasse die Szene folgen:
Als ihesus das spricht, so vallend die iuden all nider zu rugk vnd
Judas jnit in. Vnd als sy ain weil ligen, so stand die iudem widerumb
auf. So spricht der herr Salvator wie vor:
(v. 613) Ir iuden, sagt: wen suchend ir?
das solt ir yetz sagen mir!
Antwurt jud Nathan wie vor:
Wir suchen hie zu diser frist
von nazareth den ihesum crist.
Saluator antwurt:
Ich bin der selb, den ir da sucht;
ich will leiden, was ir gerucht.
Darnach vallend die iuden aber all zu rugk nider vnd ligend still,
bis der proclamator sein reim auß spricht. (!)
3
36
K. Tscheuschner:
Proklamator:
Secht, wie der iuden gesellschaft
traissam wäpner vnd ritterschaft i
Ain claine stimm der iuden schar
hat geschlagen, vnd zerstrayet gar.
Si ligend da, im schaden nit:
doch pfligt der herr nit weychens sytt.
Er will sich willig gen in tod,
vns ledigen auß aller nott.
Das nempt zu hertzen ir cristen leut
vnd merkend was ferrer werd bedeut!
Judas stat auf vnder der schar der iuden, vnd bleibt mitten vnder
der schar stan vnd spricht also:
Wolauf, ir herren, schnall und bald!
ey, das auch sein der teufel walt!
Wölt ir an im also verzagen?
ich wen, ir sölt euch wol behagen.
Nun trett ain wenig bas her zu !
laßt vns schawen, wie man im thu!
Saluator spricht zu den iuden, so sy widerumb aufgestanden sind:
Sagend mir; wen sucht ihr noch?
so will ich in euch zaigen doch.
Da schreyen All iuden in der gemain:
Ihesum genant von nazareth
sucken wir doch an diser stet . . .
Es liegt meines Erachtens nur zu nahe, daß die bildenden Künstler
von diesen Freiheiten, oder, besser gesagt, Ungehörigkeiten, an die sie
von den Vorführungen def' Passionsspiele her gewöhnt waren, nun ge-
legentlich der Abfassung ihrer eigenen Kompositionen ebenfalls leichter,
als dies wohl sonst geschehen wäre, einmal Gebrauch machten. Im
übrigen hat nicht nur Dürer sich dieser Intermezzotechnik bedient, wir
finden dieselbe auch bei anderen Künstlern, so beispielsweise bei Burgk-
mair, in dessen schon oft genannten Leben und Leiden Christi, wo nicht
weniger als vier derartige Intermezzi, nämlich ein Blatt mit dem Mono-
gramm Christi, die Tafel mit der in drei Sprachen abgefaßten Aufschrift
des Kreuzes, die Gestalt der Mater dolorosa und endlich ein Blatt mit
der Darstellung der fünf Wundmale, den ruhigen Fortgang der Handlung
unterbrechen.
Sowie der Zug der Kreuztragung auf Golgatha angekommen ist,
wird Christus von den Kriegsknechten entkleidet. Im Passions-
spiel wird auch dieser Akt mit der üblichen Roheit vollzogen; im
Brixener Spiele sagt der fünfte Ritter zu Jesus:
(v. 2449) Ich wil dier so grausam dein Rockh ab ziechen,
Das sich das pluet aus den wunden mues schmiegen.
Die deutsche Passionsbuhne usw.
37
Bonaventura hat dieses Motiv der Entkleidung des Heilandes durch
die Kriegsknechte wieder etwas weiter ausgesponnen; er sagt im 67. Ka-
pitel seiner Vita Christi: Spoliatus autem et nudus est coram tota mul-
titudine etiam nunc tertia vice. Renovantur fracturae, propter pannos
ad carnem applicatos et adhaerentes.37) Nunc respicit mater filii sui sic
corpus tractari: dolore mentis aff ligitur : et supra modum tristatur cum
rubore: quod eum videt totaliter nudum: quod nec femoralia dimiserunt
ei. Accelerat mater et approximat filio et amplexatur et cingit eum
velo capitis sui
Einzelne Passionspiele haben dieses Motiv verwertet. Im Ais-
felder Spiele heißt es nur ganz kurz (v. 6089): Hic Maria portat pannum
Salvatori ipsum cooperiendo. Ausführlicher gibt die Szene das Heidel-
berger Spiel. Dort heißt es:
Darnach zcygennt sie Ihesum nacket vß. Maria gett für Ihesum
vnnd sprichtt:
(v. 5221) O we, o we mir armenn mit wehe!
O we, o we mir itzundt vnnd ymmer mehe !
Was sehenn jch herczleides nun?
O we, o we, liebes kindtt, wie siezest du
Sünder cleyder, nackett vnnd bloß?
Ach, ymmer we, wye jst alßo groyß
Mein herczleydtt kencktt mich sere.
O we, o we mir hewdt vnnd ymmer mere !
Maria bindt Ihesu einn duch vmb vnd seeztt sich vndenn ann das
creücze.
Das Egerer Spiel gibt die Szene wieder in anderer Auffassung. —
Maria tritt hier zu einem der Kriegsknechte heran und sagt zu ihm:
(v. 6208) Ich pit dich, lieber freünt mein,
Nim von mir das klein schläirlein
Und pindt im das umb sein schoß,
Das er nit so jemerlich blos
Stee so gar an alles kleidt.
O we meins großen herzen leitl
Octavus miles Tritinklee summit peplum dicens:
Leich her den schleir, du altes weib,
Ich wil im verpintten seinen leib . . .
Auch die bildende Kunst hat diese Szene der Entkleidung, wenn
auch nur höchst selten, dargestellt. Auf der 27. Figur der Holzschnitt-
illustrationen Heinrich Vogthers zu dem bei Johann Grüninger in Straß-
burg 1527 erschienenen Neuen Testament sehen wir Christus gänzlich
37) Wir sehen also, daß auch die eben zitierte Stelle des Brixener Passionsspiels
auf den Bericht des Bonaventura zurückgeht.
38
K. Tscheuschner:
nackt (auch ohne Lendenschurz) in der Mitte der ihn verspottenden
Knechte sitzen. — Auf einem Blatte des Urs Graf, Postilla Guillermi,
Ausg. v. 1509, ist der Moment dargestellt, wie einer der Kriegsknechte
Christus das Gewand auszieht (Christus trägt hier unter dem Gewände
einen Lendenschurz). — Auf einem Blatte des vom Meister E. S. beein-
flußten unbekannten Meisters, den Lehrs in seinem Katalog der im Ger-
manischen Museum befindlichen deutschen Kupferstiche des XV. Jahr-
hunderts unter Nr. 285 aufführt (ebendort auch abgebildet), sehen wir
endlich dargestellt einmal die Kriegsknechte, die Christus das Gewand
ausziehen und zu gleicher Zeit Maria, die ihrem Sohne den Lendenschurz
umbindef.
In der Regel werden im geistlichen Spiele die beiden Schächer
zuerst gekreuzigt. Offenbar sparte man sich aus Gründen der drama-
tischen Steigerung die Kreuzigung Christi bis zuletzt auf. Es kommt
allerdings zuweilen das umgekehrte vor, so im Heidelberger und Ais-
felder Passionsspiel. — Mag die Reihenfolge der Kreuzigung nun aber
sein, welche sie will, stets wird im Gegensatz zu der Kreuzigung Christi,
die, wie wir weiter unten sehen werden, immer mit größter Ausführlich
keit gegeben wird, die Kreuzigung der Schächer mit möglichster Kürze
behandelt und zwar wohl in der ausgesprochenen Absicht, die Aufmerk-
samkeit der Zuschauer möglichst wenig vom Hauptgegenstand der Dar-
stellung abzulenken, und, wie schon eben erwähnt, überall da, wo die
Kreuzigung Christi an zweiter Stelle erfolgt, in der Absicht, sich den
Hauptclou bis zum Schlüsse aufzusparen. In einzelnen Spielen erfolgt
die Kreuzigung der Schächer ohne jedes Wort förmlich in einem Augen-
blick. So etwa im Frankfurter Spiel, wo dieselbe mit der kurzen Be-
merkung abgetan wird (v. 3694): Interim quod deponatur Christi tunica,
debent duo latrones crucifigi ab uno milite Beckart. — Zuweilen sind,
um Zeit zu sparen, die Kreuze der beiden Schächer bereits aufgerichtet.
Die Verurteilten müssen dann auf Leitern hinaufsteigen. Diese Auffassung
zeigt die Donaueschinger und die Heidelberger Passion. In der ersteren
heißt es (v. 3214): Nu louft Boos und recht leitern, die stützt er an die
schächercrütz, und bringt Barrabas die zwen Schacher . . . . ; in der
letzteren ist dies noch deutlicher ausgesprochen:
Der erst Jude spricht zcum erstenn schecher:
(v. 537 1) Geselle, sey nitt verdrossenn,
Steige mir noch dysse sprossenn,
Loyß dich nach keinem lebenn verlangen,
Wann an diessem creücze mustu hangen.
Der erst schecher spricht vff der leytternn:
Die deutsche Passionsbühne usw.
39
Darnach spricht der erste Judde zcum anderen schecher:
(v. 5379) Geselle, rüst dich willig vff die bann,
Wann du must auch her ann.
Kom her vnnd steyge mir noch,
Zcu dem galgenn sey dir joch.
Der ander schecher sprichtt uff der leittern:
Ferner wurden durchgängig aus gleichen Gründen der Zeitersparnis
(und ebenfalls im Sinne der dramatischen Steigerung) die Schächer nicht
wie Christus mit Nägeln an das Kreuz geschlagen, sondern nur mit
Stricken in aller Eile daran gebunden. Diese Abweichung muß um so
sonderbarer erscheinen, als ja Christus und die beiden Schächer aus-
drücklich zum gleichen Tode verurteilt sind. Der Verfasser der Ster-
zinger Passion war sich dieser Ungehörigkeit auch bewußt; er stellt die
Szene deshalb so dar, als ob die verschiedene Art und Weise der Kreu-
zigung von der augenblicklichen Laune der Kriegsknechte, ja von einem
gewissen Bedürfnis derselben nach Abwechslung bei Ausübung ihres Ge-
schäftes abhängig gewesen sei. Nachdem nämlich die beiden Schächer
angebunden sind, läßt er den zweiten Kriegsknecht im Hinblick auf
Christus sagen:
(v. 2094) Nempt auch den pöswicht hin
Und versuecht ain anderen syn,
Last in sein sündt also püessen:
Hefftet in mit henden und mit füssen
Grawsamlich an das krewtz,
Das aller weit ab im schewtz.
Werden die beiden Schächer nur an das Kreuz gebunden, so
mußte ihr Tod in anderer Weise herbeigeführt werden, als bei Christus,
wo derselbe infolge des großen Blutverlustes eintrat; ihre Leiber wurden
zu diesem Zwecke gewaltsam verrenkt. Am anschaulichsten (und zugleich
auch am brutalsten) ist dieser Vorgang wieder in der Sterzinger Passion
geschildert, wo es heißt:
Primus miles dicit ad latrones:
(v. 2076) Ich wil die pöswicht plenten
Und wil sy offenlich schentten :
Ich wil in ir gesicht verpintten
Und wil sy darnach über die krewtz winten
Und dar ein lierttikleych flechten,
Das genueg geschech dem rechten.
Darumb leicht her den tzewg,
Das ich den tzwm ersten pewg.
Ich wil in wol pald machen,
Das im alle seine gelider krachen.
40
K. Tscheuschner.:
Tune apponit illum cruci.
Et clicit secundo latroni idem miles:
VVol her auch dw, mörder,
Dich sol an heben dein schwär!
Ich wil dir das versprechen,
Das ich dir dein ripp wil prechen;
Dir sol auch noch dein pauch
Als ain platter werden gelaucli;
Dungel und leber mues dir zw varen
Das mag ich dir nit lenger sparen.
Die bildende Kunst hatte keinerlei Veranlassung, bei der Dar-
stellung der Kreuzigung einen Unterschied zwischen der Kreuzigung
Christi und der der Schächer zu machen; wenn sie dies trotzdem tat —
überaus häufig sehen wir im Bilde, genau wie im Passionsspiel, die
Schächer nur mit Stricken an die Kreuze gebunden, während Christus
regelrecht gekreuzigt ist — so zeigt dies nur von neuem, wie weit die
bildende Kunst zuweilen in ihrer Anlehnung an die Passionsbühne ging.
— Daß die Künstler von dem andern Motiv der Passionsbühne, die
Körper der Schächer an den Kreuzen nach Möglichkeit gewaltsam zu
verrenken und zu verzerren, nur zu gern Gebrauch machten, ist begreif-
lich, gab dasselbe ihnen ja doch Gelegenheit, sich nach Herzenslust in
anatomischen Bravourstücken zu ergehen. Nur zu oft sind die Künstler
hier allerdings zu weit gegangen, indem sie sich im Übereifer, ihre ana-
tomischen Kenntnisse zu zeigen, bis zur Darstellung des direkt Ab-
stoßenden hinreißen ließen. So liebt es beispielsweise Baidung Grien,
die Stricke, die um Arme und Beine, vor allem aber um den Leib der
Schächer geschlungen sind, so straff anzuziehen, daß sie sich tief in den
Körper einschneiden, resp. da, wo zwei Stricke nebeneinander zu liegen
kommen, dicke Fleischwülste herauspressen. Grien ist überhaupt beson-
ders groß in allen möglichen Verrenkungskünsten und qualvollen Auf-
hängungsarten der beiden Schächer, mit denen er das von ihm so bevor-
zugte Thema der Kreuzigung zu variieren weiß. Als Belege hierfür seien
genannt seine Darstellungen der Kreuzigung im Berliner Museum, im
Museum zu Basel, im Freiburger Münster und im Kgl. Schloß zu Aschafifen-
burg. Im letzteren Gemälde ist der eine Schächer mit den Armen gar
nicht an das Querholz des Kreuzes gebunden, sondern baumelt an
Stricken, die zu beiden Seiten vom Querholz herabhängen und tief ins
Fleisch einschneiden, frei in der Luft. — Weit übertroffen werden jedoch
alle diese Darstellungen Griens durch ein Blatt des Monogrammisten
lüW höl
den Passavant Bd. IV, p. 40, Nr. 2 anführt und
hier der Schule des älteren Cranach zuweist; auf diesem Blatte ist der eine
Die deutsche Passionsbühne usw.
41
der Schächer mit den Füßen hoch oben am Stamm des Kreuzes angenagelt
sein Körper ist sodann rückwärts über das Querholz des Kreuzes her-
übergebogen, die Hände an das Querholz oben angenagelt und der Ober-
körper auf der anderen Seite gewaltsam wieder so heruntergezogen und
mit einem Strick fest an den Längsstamm des Kreuzes gebunden, so
daß der Kopf tiefer als die Fußspitzen gegenüber zu liegen kommt. Es
ist dies eine der ungeheuerlichsten Verrenkungen des menschlichen Körpers,
die man sich überhaupt nur denken kann.
Daß den Schächern bei ihrer Hinrichtung mit einem Tuch die
Augen verbunden werden, wie dies in der oben angeführten Stelle aus
der Sterzinger Passion angegeben ist, kommt im Bilde ebenfalls öfters
vor; so beispielsweise zweimal bei Israel von Meckenem (B. 18 und 19)
und in der Kreuzigung des Viktor und Heinrich Dünwegge, Münchener
Pinakothek Nr. 63 (allerdings ist hier nur der eine der beiden Schächer
mit verbundenen Augen dargestellt).
Auch noch in anderen Punkten ist analog der Auffassung der
Passionsbühne in der bildlichen Darstellung der Kreuzigungsszene ein
Unterschied zwischen der Kreuzigung Christi und der der Schächer ge-
macht, wir wollen hierauf jedoch erst etwas weiter unten ausführlicher
zu sprechen kommen.
Die Kreuzigung Christi wird, wie bereits bemerkt, im geist-
lichen Schauspiel ungemein breit mit Vorführung aller Einzelheiten und
mit grausamstem Realismus vorgeführt. — Zunächst werden mit einem
Bohrer Löcher in das Kreuz gebohrt. In der Donaueschinger Passion
heißt es hierauf bezüglich :
Israel facht an und spricht zu Malcho:
(v. 3239) Was fulen knechten sind ir doch?
Malche, nim ein nepper und bor ein loch.
. . . und erwüscht Malchus ein nepper und facht an ein arm in boren
und spricht zu Mosse:
(v. 3245) Das wil ich tun, von hertzen gern,
Mosse, du solt ouch nit enbern,
sunder uff der ander siten born.
kein Unglück ist an im verlorn,
bor die löcher ungemessen,
wir wend dem lugner nit vergessen.
Nu stat Mosse uff den andern arm und boret und spricht zu Jesse:
Yesse, mach dich zu den füssen,
das wir din nit warten müssen,
bor das loch mitem füg
das es werde nider gnüg.
42
K. Tscheuschner:
wir wend uns mit im wol ergeilen
und in zerstrecken mit den seilen.
Christus wird sodann gewaltsam aufs Kreuz geworfen. Das Als-
felder Passionsspiel schreibt vor (v. 5593): Hic iactant eum super crucem;
— genau so das Donaueschinger Spiel (v. 3272). — Im Aisfelder Spiele
haben die Kriegsknechte, bevor es an die eigentliche Kreuzigung geht,
noch eine ganz besondere Marter ersonnen, sie heben das Kreuz mit dem
Heilande auf und lassen dasselbe dann mehrere Male hintereinander mit
ihm wieder zur Erde fallen:
Malchus dicit:
(v. 5574) Ir herren, raidet, wie griffen merß nu an,
das mer getoden disßen man?
darzu soln mer gedancken fynden :
ab ymmant zu synem sinnen
konde fynden dotlicher martel viel,
die solde hie lyden an ziel I
Annas dicit:
Den raid kan ich fynden woil:
uff das crucz man en legen sail
hie an disser erden!
darnach mer zu raide werden:
mer heben uff das crucze widder
und loisßen en fallen donidder!
ßo ernuwen sich die wonden synn:
ßo wird gemeret auch syn pynn !
Um seine Qualen zu vermehren, wird er mit stumpfen Nägeln an
das Kreuz geschlagen. Im Donaueschinger Spiele werden die Nägel auf
offener Bühne erst direkt bei der Kreuzigung stumpf gemacht.
Israhel sagt zu Malchus:
(v. 3242) dis nagel sind doch vil zc spitz,
ich wil sv etwas stumpfer machen,
des selb mag Ihesus nit gelächen.
Nu nimpt Israhel die negel und schmidet dar an. — — — —
In der Egerer Passion wird Christus auf den Befehl des Pilatus
hin mit stumpfen Nägeln gekreuzigt; Pilatus sagt daselbst in seinem
Urteilsspruch:
(v. 5602) An ein creuz sol man dich liencken,
Drei stump nagel durch hendt und fueß sencken . . .
Jeder einzelne Nagel wird nun mit großem Geschrei und Getöse
eingeschlagen ; die Kriegsknechte haben die Löcher in zu weitem Ab-
stande voneinander gebohrt, sie zerren deshalb mit Seilen den Körper
des Heilandes gewaltsam in die Länge, um nicht frische Löcher bohren
zu müssen; dazu kommen die unflätigen Scherze und Hohnworte, mit
Die deutsche Passionsbühne usw.
43
denen sie alles, was sie tun, begleiten. — Ich führe hier die betreffende
Szene aus dem Donaueschinger Spiel an, die uns die ganze ungeheuer-
liche Roheit, mit der die Kreuzigung des Heilandes auf der Bühne dar-
gestellt wurde, am besten vor Augen führt:
In dem erwüschend sy den Salvator und werfent in uff daz crütz
und zertün im die arm und facht Malcho an und spricht:
(v. 3273) Wir hand die locher gehöret ze wit,
doch an dem selben nit vil lit.
Mosse, gedenck an dise schand,
nim in by der rechten hand,
so bringt dir Israhel ein nagel,
den müstu mit kreften dur hin slahen.
Dar uff erwüscht Mosse den Salvator die rechte hand und (legt)
ims uff das loch und spricht zu Israhel: ■
Israhel, bring ein nagel har
und nim des lochs wol eben war,
trib in mit dem grossen hamer,
das er wirt schreven ach und jamer,
des acht ich nit als umb ein har,
streck din arm wol frischlich dar!
Nu kumpt Israhel und bringt ein nagel und hamer und facht an
slachen und spricht:
Mosse, heb redlich, lieber gesell,
lüg, ob er sich rümpfen well,
die nagel sind erst worden recht.
Jesse, du bist ein fuler knecht,
setz dich an den linggen arm,
streck in, das dir werde warm,
da mit du mögest daz loch erholen,
Pilatus hat uns daz enpfolen.
Nu kumpt Jesse zu dem lincken arm und streckt den mit der
hand zum loch und spricht:
Manasses, büt mir bald ein zangen,
ich mag das loch hie nit erlangen
und bring ein seil, ich muß in strecken,
da mit die hand daz loch müg decken;
so muß im Israhel ein nagel schlahen,
daz in das crütz dest bas mag tragen.
Jecz kumpt Manasses und bringt zangen, hamer und seil, wirft die
Jesse dar und spricht:
Ich bring dir zang und seil,
ob mir der büt wurd ouch ein teil.
mag ich niena körnen dar zü,
da mit ich ouch ein Zeichen tü
mit minem hamer? der ist groß
ich muß im dennocht geben ein stoß !
44
K. Tscheuschner:
Hie mit stost Manasses den Salvator mit eim fuß und leit im Jesse
das seil an arm und streckt, den kumpt Israhel mit nagel und hamer
aber in ze schlachen und spricht:
Heb fast Yesse, du tust im recht,
du bist ein ümer stolzer knecht.
disen nagel wil ich hin in triben,
das kein fleich alda muß beliben.
Malchus bistu yecz erstochen,
hestu dich gnug an im gerochen?
leg im an die fuß ein seil
verdien ouch an dem rock ein teil.
Hie mit louft Malchus knüwt zu den füssen und spricht:
Wol har so wil ich zu den fussen
da mit wir im sin hoffart bSssen,
er hatz getrieben lange zit.
nu ist dis loch hie ouch ze wit,
doch wil ich in hie machen heil.
Mosse, nimm dis lang seil,
so wend wir in ussem andern ziehen,
ich mein, er mog nu nit me fliehen.
Ufif daz louft Mosse und Yesse beid hin zu und erwüschend das
seil und ziechent fast, den facht Mose an und spricht:
Bis frisch, wir wellen redlich strecken»
und im sin wunden all erwecken,
wir achtend nit, tut es im we.
wiltu gern, so ziechen wir me;
ist es gnug, so laß das bliben.
Israhel, du solt den nagel in triben.
Nu kümpt aber Israhel mit dem dritten nagel und gat hin zu den
in zeschlachen und spricht:
Ich loben üch ir stoltzen man
hebent vast und land nit gan.
die warheit wil ich in leren gigen,
ich mein, er werd nu schwigen;
der nagel schlecht im die fuß zu rump,
er ist da vornan groß und stump.
Hie mit schlecht Israel den nagel in
Die Frankfurter Passion leistet sich noch etwas ganz Besonderes,
indem sie mitten in die Kreuzigung eine Trinkszene einschiebt.
Die bildliche Darstellung hält sich bei der Schilderung der
Kreuzigungsszene wiederum Zug um Zug an das Vorbild der Passions-
bühne: ja, wir werden Darstellungen der Kreuzigung, wie wir sie etwa
bei Dürer, Kleine Passion und Grüne Passion, Altdorfer, Sündenfall und
Erlösung des Menschengeschlechts und Israel von Meckenem (B. 18)
Die deutsche Passionsbühne usw.
45
finden, nur dann voll und ganz in ihrer unendlichen Roheit begreifen
können, wenn wir mit den parallel laufenden Szenen der Passionsspiel-
literatur vertraut sind.
Im Übrigen darf man nicht ungerecht sein und alles das, was einem
an unmenschlich grausamen Zügen gerade bei der Darstellung der Kreuzi-
gung in so besonders hohem Maße begegnet, ohne weiteres allein der
blutrünstigen Phantasie der Verfasser der Passionsspiele zur Last legen.
So findet sich beispielsweise dasjenige Motiv, das uns als das ver-
abscheuungswürdigste erscheint, nämlich das gewaltsame Ausrenken des
Körpers Christi (sowie auch einige andere rohe Details, die wir auf der
Passionsbühne angetroffen haben) bereits bei Bonaventura im 67. Kapitel
seiner »Vita Christi«. Im Hinblick auf diese Tatsache möchte ich meine
bereits früher gemachte Bemerkung noch einmal aufnehmen, die dahin
lautete, daß wir nämlich wohl richtiger gehen, wenn wir alles das, was
wir sowohl auf der Passionsbühne als auch in den Darstellungen der
bildenden Kunst, an brutalen Zügen antrefifen, nicht so sehr auf die
Gemütsroheit der damaligen Zeit zurückzuführen suchen, als vielmehr aut
das Bestreben, das Leiden des Heilandes und die Pflicht der Dankbarkeit,
die wir ihm dieserhalb schulden, dem Beschauer möglichst anschaulich
vor Augen zu stellen.
Die Aufrichtung des Kreuzes, die im Bilde äußerst selten dar-
gestellt ist (beispielsweise bei Altdorfer, Sündenfall und Erlösung des
Menschengeschlechts), hält sich wieder ganz und gar an das Vorbild der
Passionsbühne. Im Aisfelder Spiele heißt es:
(v. 5658) nu kommet her alle
und rieht das crucz uff myt schalle !
seczet an spere und Stangen
und beydet des nit lange!
Ganz ähnlich ist die Szene im Donaueschinger Spiel gegeben
(v. 3340 ff.).
Ich hatte schon zuvor betont, daß ähnlich wie im Passionsspiel
auch in der bildlichen Darstellung ein durchgreifender Unterschied zwischen
der Kreuzigung der Schächer und der Kreuzigung Christi gemacht wird.
Während nun aber im geistlichen Spiele dieser Unterschied sich mehr
auf den Akt des Gekreuzigtwerdens bezog, betrifft derselbe in den
Darstellungen der bildenden Kunst mehr die bereits vollzogene Kreuzi-
gung, und während dieser Unterschied im Passionsspiel mehr nach der
Richtung hin zum Ausdruck gebracht wurde, daß uns im Gegensatz zu
den Schächern das Leiden und die Marter Christi recht nachdrücklich
vor Augen geführt wurde, legt die bildliche Darstellung Wert darauf,
diesen Unterschied in der Art zu formulieren, daß sie die Gestalt Christi
46
K. Tscheuschner:
sich in jeder Weise an Hoheit und Würde von den Gestalten der beiden
Schächer neben ihm abheben läßt. Fast immer ist so Christus im
Bilde bei der Kreuzigung eine besondere Rolle zugeteilt; bald sind die
Schächer ihm zur Seite mit verrenkten Gliedern dargestellt (vergl. die oben
namhaft gemachten Beispiele), bald tragen die Schächer gemeine unan-
sehnliche Gewänder, während er in edler Nacktheit dargestellt ist (Lukas
van Leyden B. 74), bald sind ihnen die Augen verbunden, während sein
schmerzerfülltes Antlitz unverhüllt auf uns herniederblickt (Israel von
Meckenem, B. 18), bald ist das Kreuz Christi über die Kreuze der
Schächer erhöht (Urs Graf, Text des passions oder leidens Christi usw.,
Blatt 20) usw. ... — Verhältnismäßig sehr selten kommt es vor, daß
abgesehen nur etwa von dem verschiedenartigen Ausdruck der Gesichter
zwischen den drei Gekreuzigten sonst keinerlei Unterschied gemacht
wird. Lukas Cranach hat dies zuweilen getan, so z. B. auf seiner
Kreuzigung in der Münchener Pinakothek (Nr. 280) und seinem Kreu-
zigungsbilde in Frankfurt a. Main, ferner auf einem Blatte seiner
Passionsfolge (B. 6 — 20). Man sieht, daß der Künstler bei diesen Dar-
stellungen sich die Gelegenheit nicht wollte entgehen lassen, drei schöne
Akte darzustellen.
Wenn wir zuweilen im Bilde neben den Nägeln, mit denen Hände
und Füße Christi, resp. der Schächer, an das Kreuz geschlagen sind,
außerdem die betreffenden Stellen noch mit Stricken umbunden sehen —
ein Motiv, das stets höchst unschön wirkt — , so zeigt dies nur, wie
sklavisch viele Künstler in ihren Bildern einfach das nachzeichneten, was
sie auf der Passionsbühne vor sich sahen. Auf der Bühne waren diese
Stricke unvermeidlich ; das Einschlagen der Nägel konnte hier ja natür-
lich immer nur fingiert werden und so bediente man sich denn not-
gedrungen noch obendrein der Stricke, um die Körper der Verurteilten
überhaupt an den Kreuzen befestigen zu können. Für den bildenden
Künstler existierte, wie gesagt, eine derartige Nötigung nicht, und wenn
er also trotzdem in seiner Darstellung außer den Nägeln noch die
unschönen Stricke anbrachte, so dokumentierte dies eben nur seine
Gedankenlosigkeit.
Über die nun folgenden einzelnen Episoden der Kreuzigungsszene,
sowie die Auferstehung, die Befreiung der Voreltern usw. glaube ich hier
kürzer hinweggehen zu dürfen, da C. Meyer gerade über diese Szenen
ausführlicher gehandelt hat. 38) Ich führe hier nur das an, was ich in
Meyers Abhandlungen vermißt habe.
38) Vergl. C. Meyer, Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst S. 370 ff. — in
L. Geigers Vierteljahrsschrift flir Kultur und Literatur der Renaissance, Jahrg. 1886.
Die deutsche Passionsbühne usw.
47
In Dürers Kleiner Passion sehen wir Maria mit den heiligen Frauen
und Johannes bald dicht unter dem Kreuze stehen, bald mehr nach dem
Hintergründe zu. Auch dieses Motiv, das sich für den bildenden Künstler
besonders fruchtbar erwies, indem es die wünschenswerte Abwechslung
in den Gruppenaufbau brachte, geht ebenfalls auf das Vorbild der Passions-
bühne zurück. Im Aisfelder Passionsspiel lautet die betreffende Szene:
Johannes dicit:
(v. 6138) Maria, liebe mutter myn,
nu swig und loiß dyn schreyen syn!
din schreyen und dyn weynen
das hilfft dich gar cleyne!
ach Maria, des gang mit mer!
nicht lenger wol mer bliben hyer,
wan mer syn hie zu elende!
des loiß uns gehen uff eyn ende !
von dissem gedrenge wirdestu krangk,
want das jamer ist leyder langk!
des stant uff, Maria woil gethan!
mer woln eyn wyle von hynnen gan,
bys das mer gesehen, liebe mutter myn,
wie eß ergehe dem kynde dyn!
Maria et Johannes parum procedunt .... Post hoc Maria stat
modicum. Salvator cantat:
Helv, hely, lamazabathani ....
Maria audita voce Christi plangit acuta voce .... et dicit:
(v. 6175) O we! ich hört eyn ruff:
das was myn kynt Ihesus, das mich geschuff!
eynen ruff alßo krenglich!
ach, liebe Johannes, ich bidden dich,
das du uns widder losßest gehen
mit jamer vor das crucze stehen
zu mynem lieben kynde,
ab ich eß möge lebendigk fynden?
Et sic appropinquat cruci ....
Wir finden im Bilde bei der Kreuzigung zuweilen Maria dargestellt
mit einem großen Schwert, das ihr ins Herz dringt (beispielsweise
Schäuffelin, Nr. 260 a, Münchener Pinakothek). Es ist ja nun ohne
weiteres klar, daß diese Darstellung zurückgeht auf die Worte, die im
Lukasevangelium der greise Simeon bei der Darstellung Christi im
Tempel an Maria richtet: Et tuam ipsius animam pertransibit gladius.39)
Daß nun aber einzelne bildende Künstler kein Bedenken trugen, diese
köstliche symbolisierende Redewendung des Evangelientextes sich ins
39) Luk. 2, 35.
48
K. Tscheuschner:
Grobsinnliche umzudeuten — die Darstellung der Maria mit dem
Schwert im Herzen gehört in ihrer unglaublichen Plumpheit mit zu dem
Unkünstlerischesten, was mir je begegnet ist — diese Tatsache zeigt
wieder einmal so recht den ungünstigen Einfluß, den die Vorführungen
der Passionsspiele in so mancherlei Beziehung auf die bildende Kunst
ausübten. Die Künstler hätten sich wohl kaum je aus eigenem Antriebe
zu einer derartig banalen, vor allem aber, wie schon eben betont, auch
so durch und durch unkünstlerischen Ausdeutung dieses Motives ver-
leiten lassen, wären sie dieselbe nicht bereits von den Aufführungen der
Passionsspiele her gewohnt gewesen. Das Alsfelder Spiel hält sich noch
im Anfang auf der Grenze; das Schwert wird hier noch nicht in natura
vorgeführt, aber es wird bereits in so sinnfälliger Weise von demselben
gesprochen, daß wir uns gar nicht wundern würden, wenn wir dasselbe
plötzlich zu sehen bekämen. Maria sagt mitten in ihren Klagen:
(v. 6088) des stichet mich zu disser stund
eyn swert durch mynes herczen grünt I
und gleich darauf noch einmal:
(v. 6090) Symeonis grymmig swert
das hot mich wol befunden ....
Etwas später, wie die Marienklage nach der Longinusszene noch
einmal einsetzt, erscheint nun aber wirklich Johannes mit einem Schwert,
das er der Maria ans Herz setzt: Hic Johannes ponit ei gladium ad
pectus et Maria plangit:
Hercze brich, swert nu stich vnnd loiß mich myt em sterben!
ader ich muß hie under eine ßo jemmerlichen vorterben ....
Noch weiter geht die Haller Passion, diese läßt nämlich an die
Stelle des Johannes den alten Simeon selbst treten, von dem, wie oben
bemerkt, die Prophezeiung von dem Schwert, das Maria durch die Seele
gehen wird, herrührt. Die Bühnenbemerkung an der in Frage kommenden
Stelle lautet (v. 1119): Simeon venit cum evaginato gladio et ponit ad
pectus Marie. Das persönliche Erscheinen des längst verstorbenen Si-
meon, das uns anfänglich höchst sonderbar berührt, wird uns erklärlich,
wenn wir erfahren, daß nach dem Bericht des Nikodemusevangeliums
Simeon unter der Zahl derjenigen war, die beim Tode Christi den
Gräbern entstiegen. 4°) Einen Irrtum hat der Verfasser dieses Spieles
sich dennoch zu schulden kommen lassen, indem er nämlich Simeon
mit dem Schwert unter das Kreuz treten läßt, schon bevor Christus ge-
storben ist. —
Im Bilde sehen wir dann auch zuweilen Maria mit mehreren
Schwertern dargestellt (in diesem Falle allerdings wohl stets allein), so
4°) Ev. Nikod. cap. XVII ed. Tischendorf S. 368.
Die deutsche Passionsbühne usw.
49
etwa in Schäuffelins Via felicitatis (Augsburg 1513), wo wir sie sitzend
dargestellt finden, das Haupt von fünf Schwertern umgeben, oder bei
Burgkmair, Leben und Leiden Christi, wo sieben Schwerter ihr das Herz
durchdringen. Für diese Darstellungen ist das Passionsspiel nicht vor-
bildlich. Im ersteren Fall schwebten dem Künstler offenbar die fünf
Wundmale Christi vor Augen und im letzteren Falle war es ihm darum
zu tun, mit seiner Darstellung auf die bekannten sieben Schmerzen der
Maria: die Beschneidung, Flucht nach Ägypten, Christus unter den Schrift-
gelehrten im Tempel, Kreuztragung, Kreuzigung, Kreuzabnahme und Grab-
legung, hinzuweisen.
Wie dies zu erwarten ist, läßt sich das geistliche Schauspiel die
Gelegenheit nicht entgehen, Freunde und Feinde Christi unter dem
Kreuze aneinander geraten zu lassen. Bald sind es nur die Kriegsknechte,
die Johannes und die Frauen vom Kreuze gewaltsam vertreiben wollen
— im Frankfurter Spiel nimmt der Jude Joselin dem Johannes seinen
Mantel weg, gibt ihm denselben auf den Rat seiner Gefährten jedoch bald
wieder zurück, um nicht bei Hannas als Räuber verklagt zu werden — ,
bald ist es Kaiphas selbst, der sie vertreibt und der sich auch hier
wiederum in ganz besonders ungünstigem Lichte zeigt. Im Egerer
Passionsspiel unterbricht er beispielsweise die herzzerreißenden Klagen
der Maria mit den groben Worten:
(v. 6877) Joannes, du vil teretter man,
Wan wiltu doch dein klaffen lan?
Du schreist und klaffest also vil,
Das michs die leng verdriessen wil:
Ich mags von dir nicht mer h8rn,
Ich wil dein redt zu storn.
Heb dich nun dar van gar schir
Und nimb auch das weib mit dir,
Oder ich gib dir einen schlag
Das du nit über lebst den heutigen tag.
Derartige Versuche, die Freunde Christi vom Kreuze mit Gewalt
zu vertreiben, finden wir im Bilde ziemlich häufig dargestellt; ein anderes
Motiv, das das Aisfelder Spiel gibt, — die Juden umtanzen hier singend
und johlend das Kreuz — , habe ich in der bildlichen Darstellung hin-
gegen nirgends angetroffen. —
Im Donaueschinger Passionsspiel treten unten den Personen, . die
sich um den Stamm des Kreuzes scharen, zum Schluß auch Christiania
und Judea als die allegorischen Repräsentanten des Christentums und
des Judentums auf (v. 3545 ff.). Das geistliche Spiel verwendet derartige
allegorische Gestalten, die redend und handelnd in den Gang des Spieles
eingreifen, nicht selten. Die Frankfurter Dirigierrolle läßt Ecclesia und
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 4
5o
K. Tscheuschner:
Synagoga als Vertreterinnen der beiden feindlichen Religionen auftreten.
Im Alsfeld er Spiele erscheint bei der Auferweckung des Lazarus der Tod
und beim Tode Christi treten in dem nämlichen Spiele der Mond und die
Sterne auf, die den Heiland mit wohlgesetzten Worten anreden. So
häufig in der Plastik derartig allegorische Gestalten — die beliebtesten sind
Ecclesia und Synagoga — auftreten, ebenso selten sind dieselben in der
Malerei. Vollends gehören aber Darstellungen, in denen analog der
Auffassung der Passionsbühne, allegorische Gestalten in eine Szene der
Passionshandlung selbst verwickelt auftreten, zu den größten Seltenheiten.
Mir ist überhaupt nur ein einziger derartiger Fall bekannt, es ist dies
ein Blatt des der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts angehörigen Mono-
mit der Siegesfahne als der Überwinder des Todes und des Teufels dar-
gestellt. Er steht vor dem geschlossenen Grabe und setzt den einen
Fuß auf ein Totengerippe, den anderen auf eine sich krümmende Teufels-
gestalt.
Um zu zeigen, wie eng sich die bildenden Künstler bei der Dar-
stellung der Longinusszene an das, was sie auf der Bühne sahen,
hielten, zitiere ich den betreffenden Passus der Augsburger Passion, der
in fast allen Spielen wiederkehrt:
Longinus kompt vnd spricht:
(v. 1845) Ich bin ain blinder armer man.
Yetz sticht Longinus ihesum am creitz, vnd so das blut herab
rinnt, bestreicht sich damit . . .
grammisten
(Nagler I, i486 Nr. 18). Hier ist Christus
möchte ich ain knecht gehan,
Der mich weißte zu ihesu leben,
ich w8lt seiner marter end geben.
Ich will dir gutten Ion geben,
weis mich nun recht vnd eben,
Das ich im treff das hertze sein 1
ich h8r in leiden grosse pein,
Das ich im danon helffen will
vnd richten auf des todes zil.
Solan zu longino:
Herr, ich will euch eben weisen.
naigend den spieß mit dem eysenl
An sein hertz will ich in setzen,
das ir in wol mugend letzen
Vnd in in die seyten stechen
vnd im also sein hertz brechen.
Die deutsche Passionsbühne usw.
51
Wenn wir neben diese Szene beispielsweise die Darstellung der
Longinusepisode in Burgkmairs Leben und Leiden Christi halten, so sehen
wir, daß beide Zug um Zug übereinstimmen.
Den Schächern werden im Passionsspiel regelmäßig Arme und
Beine gebrochen, um ihren Tod zu beschleunigen. Im Bilde finden wir
dieselben nie mit gebrochenen Gliedern dargestellt und zwar wohl aus
ästhetischen Gründen. Zuweilen bringen die bildenden Künstler an
Armen und Schenkeln klaffende Wunden an, die jedoch höchstens durch
einen Schwerthieb, nie aber durch einen Keulenschlag entstanden sein
können.
Die Regel ist dann ferner im geistlichen Spiel, daß beim Tode
der Schächer ein Engel die Seele des guten Schächers, ein Teufel die
des bösen in Empfang nimmt und in den Himmel resp. in die Hölle
entführt. Die Seelen wurden als kleine menschliche Figuren dargestellt.
Die Art und Weise, in der diese ganze Szene auf der Bühne vorgeführt
wurde, veranschaulicht die folgende szenarische Bemerkung aus dem
Donaueschinger Passionspiel :
(v. 3454) In dissem sol jeglicher Schacher ein bildly im mull han,
als ob es ein sei were. den nimpt der engel des güten Schachers sei und
gat in himel, und der tüfifel des andern sei und loufft mit grossem geschrey
in die hell. — Es kommen indessen in der Passionsspielliteratur auch
andere Auffassungen dieser Szene vor. So läßt etwa die Brixener Passion
schon vor dem Tode der Schächer Engel und Teufel an die Kreuze
herantreten; der Engel lobt den guten Schächer für seinen Glauben und
verheißt ihm die ewige Seligkeit, und der Teufel redet seinerseits auf
den bösen Schächer ein, damit dieser sich nicht . etwa noch im letzten
Augenblick bekehren lasse und ihm so verloren gehe (v. 2627 ff.). —
Eine ganz und gar abweichende Darstellung dieser Szene gibt das Egerer
Passionsspiel (v. 7045 ff.). Hier werden nämlich nicht nur die Seelen
der Schächer entführt, sondern ihre Leichname werden von den Engeln,
resp. Teufeln von den Kreuzen abgenommen und sie müssen nun, ob-
gleich man ihnen schon zuvor die Beine gebrochen hat (v. 6934),
selbst nach ihrem Bestimmungsort im Jenseits laufen. Noch sonderbarer
gestaltet sich die Wirkung der Szene dadurch, daß nämlich beide Schächer,
nachdem sie vom Kreuz abgenommen sind, eine längere Rede halten. —
Im Bilde finden wir die erstere der hier beschriebenen Darstellungs-
arten sehr häufig; Engel und Teufel nehmen die Seelen der Schächer,
die als kleine menschliche Figuren gebildet sind und aus dem Munde
der Sterbenden hervortauchen, in Empfang. — Urs Graf läßt auf dem
22. Blatt seines »Text des passions oder leidens Christi etc.« die Qualen
des bösen Schächers bereits hier beginnen ; er zeigt uns den Teufel, der
4
52
K. Tscheuschner:
auf dem Querbalken des Kreuzes steht, die Seele des ungläubigen
Schächers am Schopfe hält und dieselbe mit einer stacheligen Rute
durchpeitscht.
Bezüglich der Darstellung des Todes Christi möchte ich zudem
bereits von Meyer Gesagten noch folgendes hinzufügen. In den Spielen
der Frankfurter Gruppe (dem Frankfurter, Alsfelder und Heidelberger
Spiel) tritt beim Tode Christi der Teufel auf, in der Hoffnung, die Seele
des Herrn für die Hölle gewinnen zu können. Ich führe die betreffende
Stelle des Alsfelder Spieles an:
(v. 6267) Tune Sathanas successive ascendit crucem ad sinistram
et angelus secundus ad dexteram manum etc.
Salvator canit:
Consummatum estl
Tune Ihesus inclinat caput (Et fit motus terre personum terribi-
lem). Angelus secundus stat in cruce a dextris et mittit columbam albam
volare. Dyabolus etiam stat in cruce a sinistris, scilicet Sathanas, et
Luciper infra crucem venit respiciendo sursum et dicit ad Sathanam :
Wer ist dit? wer ist das?
Sathanas respondit:
Herre Luciper, ich byn dyn knecht Sathanas !
Lucifer dicit:
Was gehestu dar stan!
Sathanas:
Herre Luciper, ich wel disßes mentsclien scle han !
Luciper :
Hoistu dan auch deyl daran?
Sathanas :
Ich hoffe, hie solle mer nit entgan!
etc. etc. . . .
Es ist mir gelungen, dieses Motiv auch in der bildlichen Dar-
stellung aufzufinden und zwar auf dem Crucifixus des Daniel Hopfer
(B. 12). Maria und Johannes stehen unter dem Kreuz, das zahlreiche
Cherubim im Kreis umflattern; oben am Querholz des Kreuzes rechts
hat sich ein Teufel festgekrallt und lauert mit gierigen Blicken auf die
Seele des Heilandes.
Die Kreuzabnahme, wie wir sie im Bilde dargestellt finden,
schließt sich wieder bis zu den kleinsten Details hinab der Auffassung
der Passionsbühne an. Es zeigt sich dies sofort, wenn wir etwa an die
Luzerner Grablegung von Matthias Gundelfinger zurückdenken:
Joseph ad Nicodemum:
(v. 125) Nicodeme, diner hilf ich beger,
hais uns bringen zu laiter her,
Die deutsche Passionsbuhne usw.
53
dar zu ain hamer und ain zangen,
das wirn vom crütz herab langen.
Nicodemus ad servos:
Ihr lieben brieder, nu bytent nit lang,
bringt uns ain, hamer und ain zang,
dar zu zwü laitern in rechter leng,
da mit mir raichent die hend,
und auch die fieß des wauren Crist,
der an dem crütz gestorben ist.
Unus ex servis ad Nicodemum :
Nicodeme, das wöll wir gern thon,
wir wollen auch helfen darzü schon,
das Jesus kom vom creütz herab
und werd gelegt in das grab.
(v. 155) Tune applicent servi scalas et linteum sternant, et ascen-
dat Nicodemus a tergo crucis et in sumitate crucis intuens corpus cru-
cifixi moveat caput alta et lamentabili voce dicens. . . .
v. 172) Deinde corpus crucifixi circumdet et liget mappa et cla-
vos extrahens de manibus dicat Nicodemus.
Joseph, getrüwer geselle min,
lauß dir Jesum empfolchen sin,
zuich den nagel aus den fußen,
und thü in in die arm schließen,
biß das ich stig zu dir hinab,
so wöl wir legen in ain grab.
Interim cum Nicodemus legit praescriptum rigmum, Joseph scalam
ex opposito locatam ascendant et clavos extrahat de pedibus, et corpore
suscepto ab ambobus dicat Joseph etc. etc.
Eine sehr eigentümliche und in ihrer Art wohl auch völlig einzig
dastehende Abweichung bei der Kreuzabnahme bringt die Sterzinger
Passion, die (v. 2687) vorschreibt: et hic inclinatur crux, — also das
Kreuz zum Zwecke der Abnahme des Leichnams Christi umlegen läßt.
In einzelnen Spielen wird die Grablegung so dargestellt, daß man,
offenbar in Anlehnung an die damals üblichen Begräbnisgebräuche, den
Leichnam Christi in feierlicher Prozession zu Grabe trägt. Diese Auf-
fassung zeigt die Frankfurter Passion (v. 4408) und noch ausführlicher
die Luzerner Grablegung von Matthias Gundelfinger, die die folgende
Anweisung enthält (v. 261): Fiat processio. primo procedens unus mas-
culus bajulans crucem, deinde quatuor angeli portantes tres clavos et coro-
nam, deinde quatuor cum cereis, deinde Joseph et Nicodemus et duo servi
bajulantes corpus crucifixi, deinde iterum quatuor angeli cum cereis,
deinde Maria virgo cum Johanne deinde tres Mariae et ultimo duo servi
portantes unguentum, et in circuitu pergant ad sepulcrum etc, . , ,
54
K. Tscheusclincr:
Die deutsche bildende Kunst bevorzugt bei der Darstellung der
Grablegung den Moment, in dem der Leichnam Christi in den Sarkophag
hinein versenkt wird, die Darstellung des Zu-Grabe-Getragen-Werdens
findet sich bedeutend seltener (etwa einmal auf der bekannten Hand-
zeichnung Dürers im Besitze William Mitchels, Ephrussi 311).
Die Zahl der Wächter am Grabe Christi ist durchaus nicht immer
vier; die Sterzinger Passion führt sechs Wächter an, die Egerer Passion
acht und Dürer hat in seiner Großen Passion deren sogar nicht weniger
als zwölf. —
Die Wächter placieren sich im Spiel dann gewöhnlich an die vier
Seiten des Grabes. Im Augsburger Passionsspiel heißt es beispielsweise:
Der vierd scherg Pylati:
(v. 2117) Ich leg mich zu den fassen sein.;
Der erst scherg Pylati:
(v. 21x9) So leg ich mich oben zu dem grab.
Der ander scherg Pylati:
(v. 2123) Ich will mich an die seytten legen.
Der drit scherg Pylati:
(v. 2127) So schmu ich mich her an den ort.
Im Redentiner Osterspiel (v. 125 ff.) weist Pilatus den Wächtern
ihre Plätze nach den vier Himmelsrichtungen an. — Die bildende Kunst
hat wohl zumeist absichtlich von dieser starren symmetrischen Anordnung
Abstand genommen.
Daß die Grabwächter nun so bald einschlafen, wird in den Passions-
spielen in verschiedener Weise motiviert. In der Donaueschinger Passion
trinken sie Wein, in Sebastian Wilds Passionsspiel ist es, wie schon früher
erwähnt, die schwüle Abendstimmung, die sie müde macht. Zuweilen
schlafen sie aber überhaupt nicht von selbst ein, sondern werden erst
durch den Engel, der kommt, um Christus aus dem Schlaf zu rufen, in
Schlaf versenkt. Dieses letztere Motiv leitet dann bereits zur Auf-
erstehungsszene über.
In der Wiener, St. Galler und Sterzinger Passion streckt der Engel
die Wächter mit dem Schwerte nieder. Hierbei scheint man sich dann
zuweilen auf der Bühne eines Feuerwerkeffektes bedient zu haben. In
der Sterzinger Passion heißt es nämlich (v. 3143): Tune venit angelus
percutiens cum gladeo igneo, und eine Bühnenanweisung der Egerer Passion
spricht sich noch deutlicher hierüber aus (v. 7397): sub illo venit angelus
cantans Gabriel, tenens gladium in manu plenum parvis cornis ardentibus. —
Die deutsche Passionsbühne usw.
55
Die Auferstehung selbst geht im Spiele auf zweierlei Art vor sich.
Ich führe als typische Beispiele für beide Auffassungen die Donau-
eschinger Passion und Sebastian Wilds Passionsspiel an. Die Donau-
eschinger Passion schreibt vor (v. 3858): Und in dissem sol ein tonnerklapf
mit buchsen gemacht werden, und in dem stost der Salvator das grab
uff; und in Wilds Passionsspiel heißt es (v. 1327): Zwen Engel kommen,
decken das Grab auff, gehn wider ab. — Die erstere Auffassung, daß
Christus selbst das Grab aufstößt, findet sich begreiflicherweise in der
bildlichen Darstellung nicht, um so häufiger jedoch die letztere. Wir
sehen Engel, die den Stein vom Grabe schieben u. a. bei Martin Schon-
gauer (B. 20), Albrecht Glockenton (B. 17), Wenzel von Olmütz (B. 15)
und Israel von Meckenem (B. 20).
Bei einzelnen Künstlern, wie etwa Martin Schongau er (B. 20) und
Israel von Meckenem (B. 20), ist die Auferstehungsszene so gegeben, daß
Christus soeben aus dem Grabe steigt und zwar mit dem einen Fuß
bereits draußen steht und den andern soeben nachzuziehen im Begriffe
ist. Dieses Motiv, das im Bilde im höchsten Grade ungeschickt wirkt,
geht auf das Passionsspiel zurück, das diese Stellung des Heilandes bei
der Auferstehung wiederholentlich ganz ausdrücklich vorschreibt. In der
Donaueschinger Passion heißt es (v. 3858): und in dem stost der Salvator
das grab uff und stat uffrecht mit einem föß uß her ze stigen; und
noch deutlicher ist Sebastian Wilds Passionsspiel, wenn es vorschreibt
(v. 1327): Christus ersteht vnd spricht, weyl er den einen Fuß noch im
Grab hat vnd mit dem anderen heraussen steht
Noch geschmackloser wirkt es allerdings im Bilde, wenn Christus
wie bei Altdorfer, Sündenfall und Erlösung des Menschengeschlechts, auf
der schmalen oberen Kante des Grabes balanciert, oder gar nach seiner
Auferstehung zwischen den schlafenden Wächtern gemächlich auf der
Grabplatte sitzt, wie wir dies auf Hans Multschers Altar von 1437 im
Berliner Museum zu sehen bekommen. Für diese beiden letzteren
Geschmacklosigkeiten glaube ich nun allerdings die Passionsbühne nicht
verantwortlich machen zu können.
Endlich ist noch ein letztes Moment zu erwähnen. Zumeist macht
die Gestalt des Auferstandenen im Bilde auf uns den Eindruck (vor
allem weist die gestikulierende Rechte darauf hin), als habe der Künstler
denselben sprechend darstellen wollen. Auch dieses Motiv geht auf die
Passionsbühne zurück, wo der Heiland regelmäßig im Augenblick der
Auferstehung sein »Resurexi« singt und dann meistens auch noch ein
weiteres in gebundener Rede hinzufügt.
Die Szene, wie Christus nach seiner Auferstehung seiner Mutter
erscheint, findet sich im Bilde (beispielsweise in Dürers Kleiner Passion
56
K. Tscheuschner:
und in Hans Wechtlins Leben und Leiden Christi (P. 46) öfters so dar-
gestellt, daß in dem Augenblick, in dem Christus an sie herantritt, Maria
in ihrer Kammer unter dem Baldachin vor ihrem Betpuite kniet. Die
Darstellung erinnert in dieser Auffassung ganz auffällig an die Ver-
kündigungsszene. — Auch hier scheint die Passionsbühne mir die Erklärung
für die Tatsache dieser sonderbaren Übereinstimmung beider Darstellungen
zu bieten. Im Alsfelder Passionsspiel sagt nämlich Christus, bevor er seiner
Mutter erscheint, zu Gabriel:
(v. 7706) Ein engel lobesam Gabriell,
zu myner mutter gangk gar snell:
myne frolich ufferstehunge thu ir uffinbar,
der du er vorkyndigest myn mentschwerdunge zcwar!
Hier ist in zweifacher Weise — einmal dadurch, daß gerade Gabriel
an Maria abgesandt wird und zweitens durch die Worte des Heilandes
selbst — mit solcher Bestimmtheit auf die Verkündigungsszene hinge-
wiesen, daß man nur zu leicht begreifen kann, wie dem bildenden
Künstler, dem diese Szene von den Aufführungen der Passionsbühne her
bekannt war, bei der Abfassung seiner Komposition ganz unwillkürlich
das Kompositionsschema der Verkündigungsszene vor Augen trat.
Über die Erscheinung Christi vor Mafia Magdalena sagt
das Johannesevangelium: Una autem sabbati Maria Magdalene venit
mane, quum adhuc tenebrae essent, ad monumentum.4i) Das Passions-
spiel spinnt die Bemerkung, daß es noch früh am Morgen ist, gern
weiter aus. Im Alsfelder Spiele sagt beispielsweise Christus zu Maria
Magdalena:
(v. 7736) Was suchestu in dissem garten
ader was wyltu warten
ßo frue ane disßer Stadt?
gangk heyme! das ist myn raidt.
eß ist nicht recht, das frauwen
ßo frue gehen in dem tauwe !
Dürer hat in seiner Kleinen Passion durch das Anbringen der auf-
gehenden Sonne im Hintergründe eine köstliche Wirkung erzielt.
Das Johannes-Evangelium sagt dann weiter (v. 15): Dicit ei Jesus:
Mulier, quid ploras? quem quaeris? Ula, existimans quia hortulanus
esset, dicit ei: Domine, si tu sustulisti eum, dicito mihi, ubi posuisti eum,
et ego eum tollam. — Magdalena glaubt also nur einen Augenblick,
daß er der Gärtner sei, der ihr begegnet. Das Passionsspiel läßt sich
natürlich die Gelegenheit nicht entgehen, aus dieser Andeutung eine
ganze realistisch ausgeführte Gärtnerrolle zu entwickeln. Im Wiener
41) Joh. cap. 20, 1.
Die deutsche Passionsbühnc usw.
57
Osterspiel sagt Christus zu Maria Magdalena (Hoffmann von Fallersleben,
Fundgruben II, S. 327, v. 7 ff.):
Ich kan dein ja nicht gewarten,
Ich muß graben meinen garten;
Ich bereite meinen pastarnack,
Und stopfe den in meinen sack
Und wil damite zu markte laufen
Und mir des brotes kaufen,
Das ich ernere meinen leip
Gein diser österlichen zeit.
Das Egerer Passionsspiel ist noch viel derber; hier sagt Christus:
(v* 7985) Du verderbst mir das gras:
Ich sag dir das an allen has,
Du hast mirs an allen Stetten
In die erdt nider getretten;
Darumb las dirs nit wider farn,
Oder ich wolt dir die streich nit sparn.
Auf diese breite realistische Ausgestaltung der Gärtnerszene in den
Passionsspielen haben wir es wohl zurückzuführen, daß Christus im Bilde
so häufig mit Gärtnerhut und Grabscheit dargestellt wird.
Christi Himmelfahrt wurde auf der Bühne zumeist in der Weise
veranschaulicht, daß Christus mit den Aposteln an den erhöhten Ort
ging, der den Himmel vorstellte und sodann zu demselben hinaufstieg.
Genauere Angaben über die Art und Weise, in der dies geschah, sind
nicht erhalten. — In späterer Zeit hat man sich dann auch zuweilen
einer Flugmaschine bedient, so beispielsweise bei den Passionsaufführungen
in Bozen, wo die Rechnungsbücher der Kirchenpröpste uns hierüber
Aufschluß geben. In der Rechnung vom Jahre 1494 heißt es: Dem
Wagenrieder, maler .... die sprewsl körb, dar inn der Salvator unnd
die enngl auff sein gefarn .... 42); ganz ähnlich lautet die Notiz vom
folgenden Jahre. — Die bildenden Künstler konnten sich im Gegensatz
zur Bühne hier natürlich ganz und gar frei bewegen und haben wohl
auch immer von dieser Freiheit Gebrauch gemacht.
Im Alsfelder Spiele wird Christus von Gott-Yater im Himmel emp-
fangen. Pater in divinis suscipit eum (Jesum):
(v. 7892) Bis wilkomme, lieber sone,
inne dynes hymmels trone!
du hoist dyne noit uberwunden
und den thufel gebunden
und erleßet von helleqwal
alle mentschen uberalle,
die dienen willen thunl
bys wilkomme, lieber sonel
41) Vergl. J. E. Wackerncll. Altdeutsche Passionsspiele aus Tirol. S. XLVIII.
58
K. Tsclieusckner: Die deutsche Passionsbüknc usw.
Das gleiche Motiv findet sich auf dem Titelblatt des »Schatzbehalters
oder Schreins der wahren Reichtümer des Heils und ewiger Seeligkeit«,
Nürnberg, Anton Koburger. Gott-Vater sitzt hier unter einem Baldachin
und hat eine Krone in der Linken, die er soeben im Begriff ist, seinem
vor ihm knienden Sohne aufzusetzen; neben Christus am Boden liegen
das Kreuz mit der Dornenkrone, Rute und Geißel, auf die derselbe mit
der Rechten hinweist.
Bei der bildlichen Darstellung des Jüngsten Gerichtes sehen
wir in der Regel Maria und Johannes mit bittend erhobenen Händen
vor dem Heiland knien. — Näheren Aufschluß über den Sinn dieser
Darstellung gibt uns das Rheinauer Spiel vom Jüngsten Tage. Christus
ruft hier, nachdem auf den Schall der vier Posaune blasenden Engel die
Toten sich aus ihren Gräbern erhoben haben, Maria und die zwölf
Apostel an seine Seite, um ihm richten zu helfen. Er verflucht die
Bösen; die Verdammten bitten fünfmal um Gnade, jedoch vergebens;
Christus befiehlt Lucifer, sie in die Hölle zu führen. Nun heißt es weiter
(v. 686): Denn wirt unser liebe frow bewegt mit erbermd und stät uf,
und nimpt die helgen 12 potten, und stät für unseren heren und spricht
zu irem vil lieben kind, und bitt für den sunder, also hie nach staut . . .
Das gleiche tut etwas später Johannes (v. 724): Dar nach bitt s. Johans
and spricht denn also zu gott ....
Daß, wie hier, Maria, Johannes und die zwölf Apostel um Gnade
für die Sünder bitten, findet sich im Bilde verhältnismäßig selten (bei-
spielsweise einmal bei Altdorfer, Sündenfall und Erlösung des Menschen-
geschlechts), um so häufiger ist jedoch die Darstellung mit Maria und
Johannes allein als Fürbittenden. Diese findet sich u. a. im Seelen-
wurzgarten, Ulm, Conrad Dinkmuth 1483; in Hartmann Schedels Neuer
Weltchronik, Nürnberg, Anton Koburger 1493; in Schäuffelins Via feli-
citatis, Augsburg 1513, und in Dürers Kleiner Passion. — Aber auch
die Darstellung des Weltgerichtes ohne Maria und Johannes als Für-
bittende findet sich in der bildenden Kunst, so beispielsweise in Hans
Wächtlins »Leben Jesu Christi«.
Augsburger Urkunden.
Von Wilhelm R. Valentiner.
Die folgenden Urkunden aus den im Stadtarchiv in Augsburg be-
findlichen Gerichts- und Einigungsbüchern sind von Dr. E. Gritzner in
Weimar aufgefunden und mir freundlichst zur Veröffentlichung übergeben
worden. Die auf Hans Holbein d. Ä. bezüglichen wurden schon zum
Teil von Chr. Meyer in der Augsburger Allg. Ztg. No. 226 vom 14. Aug. 1871
(Wiederabdruck in Zahn’s Jahrbüchern f. Kunstw. IV, 267 ff.) publiziert,
und zwar die vom 12. Januar 1517, vom 20. Januar und letzten Februar
1521 (diese mit einer kleinen Abweichung) im Wortlaut, während auf
die vom »aftermontag post Anthony, 20. Jan. 1517« kurz hingewiesen
wird. Sie ergeben die zerrütteten Vermögensverhältnisse des Künstlers,
einen Streit mit seinem Bruder Sigismund, einen Hinweis auf die Wan-
derung nach Issenheim im Elsaß (»Eyßnen«), in dessen Kloster er nach
einer späteren Baseler Urkunde eine Altartafel ausführte. Der seiner Zeit
gegebenen Besprechung W. Schmidts in den Holbeiniana, Zahns Jahr-
bücher V. S. 54 ff., ist nichts weiter hinzuzufügen, da die bisher noch un-
bekannte Gerichtsverhandlung vom 28. Juni 1515 nichts wesentlich
Neues lehrt. Der Vollständigkeit wegen werden die in der vorliegenden
Abschrift nicht vorhandenen Urkunden vom Jahre 1503, vom 10. Mai 1515,
Februar und November 1516 noch einmal nach dem Text Chr. Meyers
und W. Schmidts abgedruckt. — Auf die Notizen über Holbein d. Ä.
folgen in chronologischer Anordnung einige wenige über andere Augs-
burger Künstler aus der Zeit von 1504 — 1553»
1503. »uff mitwoch post Felicii: • Item der Holbain maler ist zu
Paulsen Mair geschlachtgwannder, wie daz er sich unterstanden und im
durch sein eigen gewalt und furnemen ein prett naher grissen und im
sein hus in sein abwesen geöffnet hab mit . . . .« (das Folgende un-
leserlich).
1515. 10. Mai: »Ludwig Smid metzger hat alle recht erlangt ann
Holbain maler pro 1 fl.«
1515. Actum 28. Juni [fol. 88b] : »Item Hanns Lutz, goldschlager,
geit seinen vollen gewallt Hannsen Staucher wider und gegen Hanns
6o
Wilhelm R. Valentiner:
Holbain um sein clag furaußhin im rechten zu hanndien und sonst
gegen allen und yeden seinen gelltern und Schuldnern clag zu tun, gegen-
clag zu antwurten den aid für geverde und ein yeden zimblichen aid in
sein sei zu sweren und sonst alles ander in Sachen nach der bestimmten
form fürzunemen, zu tun und zu lassen, was not ist oder sein wirtt zu
gewin, zu Verlust und allen rechten vor des vogtz gewalthaber«.
i5i6- 19. Febr. : »Item Hr. Jörg Langenmantel vnnd Hr. Jheronimus
Imhoft als Pfleger Warmundt Illsungs geben jr volmacht Hr. Zimbrecht
breyher, das Holbain maler über verfallen Zinss zurechtuertigen nach der
stat recht jn der besten Form jngemain verlust vnd zu allem Recht«.
1516. 12. Nov. »Item Jörg Lotter lederer hatt Alle Recht Erlangt
an Holbain maler 32 kr.«
1517. »Montag post Erhardi episcopi« [12. Jan., fol. 2 a] »Item auf
obgenannten tag ist Sigmund Holbain vor gericht erschinen und im
auf sein begeren und anruff ain erber gericht disen underschid geben,
erstlich das Sigmund Holbain eingeschrieben werde, das in 4 wuchen
den nechsten Hanns Holbain, sein bruder, an Sigmunden, als
er furhielt, nit begert hat, mit im gen Eyßnen zu tz*iehen laut der
urtl, für aims. — Fürs andere, dieweil die 34 fl. verrechnetz geltz laut der
handtschrift ain verwetete bekantliche schuld ist, so latz ain erber gericht
mit dem nach gewetz bietten bey dem alten gerichtzbrauch, wie es von
alt herkomen ist, beleyben. — Fürs 3. gibt ein erber gericht Sigmund
Holbain zu underschid der dreyer fl. gewettete schuld hab, die er muge
mit dem burggraven erkunden auch nach diser stat recht«.
1517. »afftermontag post Anthony 20. Januarius« [fol. 3a]. »Item
Sigmund Holbain hat alle recht erlangt an Hanßen Holbain, sein
Bruder per 3 fl. verwetet«.
1517. »afftermontag post purificationis Marie den 3. tag February«
[fol. 16]. »Sigmund Holbain hat alle recht erlangt an Hanns Holbain,
seinen bruder«.
1521. »Actum afftermontag post Conversionis Pauli den 29. tag
January« [fol. 14a]: »Item Hanns Kemlin vischer clagt Holbain maler
per 40 creutzer«.
1521. »Donnerstag post Reminiscere den letzten tag February«
[fol. 32a]: »Item Hanns Kemlin hatt alle recht erlangt an Hanns Holbain
maler per 2 fl. — (Zusatz) nit geantwurt«.
I5°3 [f°l* 242b]: »Item Conrat Burckmair, waibel,1) hatt uff
heut den erpettenen beruflf getan über sein eeliche hußfrau, wie daz sy on
x) Dieser Waibel Conrat Burckmair kommt mit seiner Frau noch im Gerichtsbuch
1505 fol. in und allein in dem von 1506 vor.
Augsburger Urkunden.
61
sein worden vnd wissen schulden mache vnd im zu verderben reichte,
das ir fernerhin niemands niht borge noch ankauf geben, dan er des
on entgelt vertruß gein wolle«.
1504 [fol. 17a]: »Item Han ns Burckmair der junger geyt gewalt
Conraten Burckmair dem elltern seinem vatter wider maister
Jorgen Statt, Wundarzt omb sein clag vnd worden zu rechtvertigung nach
dem stattrecht vor des vogtz boten zu gewin, zu Verlust vnd allem recht«.
— [fol. 109b]: »Uff afftermontag post Cantate [Mai 7.] Item Oswald
Göldner hatt verganntett nach dem stattrecht mit namen ain hauß, hof-
sach vnd geseß hie zu Augspurg an der Schmidtgassen gelegen,
stoßt ein halb an Hansen Burgmayrs des malers hauß, ein halb . . .«
— [fol. 192b]: »Item Hanns Burckmayr der maler geit seinen
vollen gewalt Jörigen Gessler wider vnd gegen ainen genannt Ells bj
der Lechnerin von wegen ains haußzins zu verhandlen vnd ze tryben,
nach dem stattrecht vor des vogtz anwalt zu gewin, zu verlust vnd zu
allem recht.«
1522 [Fol. 35] zum März 17. wird genannt Leonhartt Beck,
maler.
1523 [fol. 67] zum Juli 6. wird genannt Leonhartt Beck, maler,
der Vollmachtsbrief ausstellt. — [fol. 108]: zum December 11. Schuld-
brief des »Jorg Lutz, maler, und Ottilia sein eeliche wirtin«.
1527. [fol. 85] Aug. 5. ein Vollmachtbrief von »Lienhart Peckh
maler«.
1545. [fol. 6b]: »Actum dornstag den i2tag February Anno etc. 45.«
»Item Hanns Sieß, Malergesell von Nürnberg, bekennt in diß
Gerichtsbuch, das er recht und redlich schuldig sey und gelten soll dem
erbern Hannsen Burckhmayr maler, burger alhie, fünff guldin,
die soll und will er ime bezahlen auff Ostern schiristkünftig und darumb
ist bürg Jacob Lindenmair bildhauer auch burger alhie ob-
genannts Hannß Sießen Schwager, der sich dann seiner gethonen
burgschafft hieneben auch in das gerichtsbuch bekennt. Und sind all
drey obgenannt personen beym einschreyben geweßt.
1546. [fol. 57b] 4. September. Schuldbrief von »Jerg Schlecht,
maler, burger alhie und Susanna sein eewirtin«.
Die folgenden Urkunden stammen aus den Augsburger Einigungs-
büchern.
1546 — 1549- [iol. 165b]: »Actum sambstag 22. January Ao. 1547.
Otilia, Hansen Burckmairs malers eewirtin, hat globt Hansen
Zeiler 3 fl. 20 kr., dergestalt zu betzalen nemlich auf Lichtmeß jungst
1 fl., volgends auf Ostern 1 fl. und den rest auf pfingsten zu entrichten,
verfellt nach der Ordnung«.
6 2
Wilhelm R. Valentinen Augsburger Urkunden.
1551 — 1553* [fol. 151b]: »Actum sambstag den 17. Septembris
Anno 1552. Jörg Lutz maler bekent schuldig sein Georgen Prech-
eisen, schmid zu Vischach i4I/z patzen, die verspricht er einehalb in
14 Tagen den nechsten und den andern halben tail über 14 Tag dar-
nach zu bezalen vermug der Ordnung«. — [fol. 152b] (am selben Tag):
»Hanns Burckmair maler hat globt N., Hansen Aigners Schneiders
seligen nachgelassen wittib an den 5 fl. per resto umb etlich Faß-
nachtkleider herruerend, all monat bis zu völliger bezalung 30 kr.
zu entrichten laut der Ordnung«. — »Nota: Hanns Burckmair hat
an diser summa die ersten 2 fristen, nemlich 1 fl. erlegt und ist ime uff
heuer 17. Januar Ao. 53 umb die andern 2 fristen mittagzahlung ver-
schafft worden per Keler«. — [fol. 205b] »Actum Dornstag, den 26. Ja-
nuary Ao. 53. Wolff Neumair hat globt Hansen Burckmair malern
24. oder 26. fl. schuld ungefarlich, in 14 tagen zu bezalen vermug der
Ordnung.
Kurfürst Ottheinrich
und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses.
Von Friedrich H. Hofmann.
Noch immer ist das Schicksal des Heidelberger Schlosses, vor allem
des Ottheinrichsbaues nicht entschieden. Und wie die Zukunft des
Gebäudes, so liegt auch seine Vergangenheit noch immer im Unklaren.
Was auch schon über die Baugeschichte und die Ableitung des Stil-
charakters des Schlosses geschrieben worden ist — ein abschließendes,
einwandfreies Endresultat ist bis heute noch nicht erzielt worden.
Auch die neueste Veröffentlichung über die »schwebenden Fragen«
von B. Kossmann »Der Ostpalast, sog. »Otto Heinrichs-Bau« zu Heidel-
berg«, in dem rührigen Verlag von J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) in
Straßburg erschienen (1904), kann kaum geeignet sein, Licht und Aufklärung
und die erhoffte, endgültige Entscheidung zu bringen; im Gegenteil, sie
wird die Verwirrung, die bis jetzt schon angerichtet ist, voraussichtlich
nur noch um ein gut Teil vergrößern. Schon aus diesem Grunde dürfen
m. E. diese neuen Behauptungen nicht unwidersprochen bleiben.
Am Schlüsse seines Buches (S. 49) stellt K. zehn Sätze als »Er-
gebnisse« seiner Untersuchungen zusammen. Vorläufig soll jedoch hier
nur die Widerlegung der ersten dieser Behauptungen versucht werden;
anderweitigen Ausführungen mag es Vorbehalten bleiben, der oft disku-
tierten Frage der Baugeschichte des Ottheinrichsbaues — mit neuem
wissenschaftlichen Material — neue Seiten abzugewinnen!
Als erstes und für die Allgemeinheit wohl überraschendstes »Er-
gebnis« wird der Satz aufgestellt:1)
*) Kossmann führt da einen Gedanken weiter aus, zu dem vor allem Haupt
(Zur Baugeschichte des Heidelberger Schlosses, Frankfurt a. M. 1902) die Anregung
gegeben. ' Nachdem mein Versuch einer Widerlegung dieser Ansicht K.s längst abge-
schlossen war, ist soeben eine neue Publikation von Haupt erschienen (Peter Flettner,
der erste Meister des Otto Heinrichs-Baues zu Heidelberg; Leipzig 1904; Kunst-
geschichtliche Monographien I), in der die ursprünglich schüchterne Vermutung bereits
als vollendete Tatsache — der »Flettner«-Theorie zuliebe — ausgegeben wird. Ich
werde auf Haupts Arbeit an anderer Stelle eingehend zurückkommen.
6 4
Friedrich H. Hofmann :
»Der Heidelberger Schloß-Ostpalast (sog. Otto Heinrichs-
Bau) ist eine Schöpfung des Kurfürsten Friedrich II., der
jedoch die Vollendung desselben nicht erlebte.«
Als Beweisgründe für diese These werden (S. 6 ff.) angegeben:
a) Carl Neumanns Hinweis, daß sich zwei Porträts, bezeichnet
»Albertus Rom: 1554« und »Caspar Fischer: 1556«, im Jahre 1685
in der Heidelberger Schloßgalerie befanden.2)
b) Die Andeutungen des Heidelberger Architekten und Professors
Thoms Allfried Leger, der im Jahre 1815 einen »Führer für Fremde durch
die Ruinen des Heidelberger Schlosses« herausgab, 3) über die Absicht
Friedrichs II., den jetzt sog. Gläsernen Saalbau und den Trakt Ludwigs V.
durch einen »Hauptflügel« zu verbinden. Die betreffende Stelle bei
Leger, auf die K. vor allem seine Behauptung gründet, lautet wörtlich:
»Nächst seinem Eingänge (sc. des sog. neuen Hofes, jetzt Gläsernen Saal-
baues) im Schloßhofe ließ Friedrich ein kleines, achteckiges Treppen-
thürmchen dem Treppenthürmchen an dem östlichen Palaste Ludwigs V.
gegenüber errichten, in der Absicht, beide Werke durch einen Haupt-
flügel gegenseitig zu verbinden. Zu welchem Ende er auch hinter diesem
Pallaste den runden Thurm mit vielen Fenstern erbaute, die Bibliothek
darin aufstellte und bereits die Verbindung durch Gründung dieses
Hauptflügels bewirkte«.
c) Der Satz desselben Leger: »Die zarten Bildnereyen, die schon
Friedrich II., Ottheinrichs Oheim, aus dem Süden Europas herbeirief, ließ
er (sc. Ottheinrich) gleich Blumen des Frühlings in üppiger Fülle auf
Heidelbergs Boden hervorsprossen«.
d) Ein von Leger in der 2. Auflage seines »Führers« (1819) mit-
geteilter Brief Friedrichs II. vom Jahre 1555, aus dem hervorgeht, daß
es damals für den Kurfürsten »eine große Angelegenheit war, die ange-
fangenen Gebäude baldmöglichst vollendet zu sehen«.
e) Die Bemerkung Legers, die »Hinterseite von Otto Heinrichs
schöner Pfalz« sei noch »von den Werken seines (d. h. Ottheinrichs)
Vorfahrers übrig«.
f) Die Tatsache, daß die Südmauer des »Ostpalastes« im Keller-
und Erdgeschoß nicht in einer Flucht läuft, sondern einmal geknickt
und dadurch auf einer Seite um ein Stückchen weiter hinausgerückt ist.
Schon beim Überlesen dieser Beweise wird man finden, daß sie
keineswegs so sicher und schlagend sind, um ohne weiteres im stände
*) Mitteilungen zur Geschichte des Heidelberger Schlosses, IV, 158.
3) Führer für Fremde durch die Ruinen des Heidelberger Schlosses, Heidelberg
1815, S. 35. Im folgenden ist, wenn nicht ausdrücklich anders bemerkt, diese 1. Auf-
lage zitiert.
Kurfürst Ottheinrich und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses.
65
zu sein, jahrhundertealte Traditionen plötzlich über den Haufen zu
werfen.
Was zunächst das Vorhandensein der beiden Porträts, des »Albertus
Rom:« vom Jahre 1554 und des Caspar Fischer von 1556, in der fürst-
lichen Galerie im Jahre 1685 betrifft, so leuchtet wohl ein, daß diese
Tatsache nichts weniger als eine Grundlage sein kann für die Idee, daraus
eine rege Bautätigkeit unter Kurfürst Friedrich II. zu folgern. Denn
einmal müssen die Bilder, die 1685 in der Heidelberger Galerie vor-
handen waren, nicht zwingend auch schon unter Kurfürst Friedrich II.
dort gewesen sein. Ferner ist durch absolut gar nichts erwiesen,
oder auch nur angedeutet, daß dieser Albertus ein Architekt oder über-
haupt ein Künstler gewesen sein muß. Es ist sogar eher wohl das Gegen-
teil anzunehmen!
Denn wenn dieser schemenhafte Albertus Romanus — das abge-
kürzte Wort »Rom:« ist wohl sicher mit Romanus aufzulösen — tat-
sächlich ein Künstler gewesen sein sollte, so müßte es wohl ein be-
deutenderer Meister gewesen sein und als solcher käme für diese Zeit
wohl nur der bekannte Albertvs Alberti von San Sepolcro in Rom
(geb. * I525> gest- i598) in Betracht. Die Existenz dieses Meisters scheint
K. allerdings entgangen zu sein. Es ist jedoch auch nicht anzunehmen,
daß Alberti für Kurfürst Friedrich tätig war, geschweige denn, daß er
der Architekt des sog. Ostpalastes in Heidelberg gewesen. Dagegen
sprechen schon längst klargelegte stilistische Gründe überzeugend genug.
Daß der sog. Ostpalast ganz und gar nichts mit römischer Hochrenaissance
zu tun hat, ist so einleuchtend, daß hier kein Wort mehr darüber ver-
loren werden soll. Da könnte man ja ebensogut wieder auf die alte
Sage zurückkommen, die Michelangelo den Entwurf der Fassade zu-
schreibt! Übrigens war ja Alberto Alberti auch vornehmlich Festungsbau-
meister. Was jedoch gegen eine Beschäftigung dieses Meisters in Diensten
Friedrichs II. überhaupt spricht, ist vor allem die Tatsache, daß Alberti
selbst ein Verzeichnis seiner Bauten und sonstigen Arbeiten zusammen-
gestellt hat. 4) Daß der Italiener dabei eine etwaige Arbeit für den
deutschen Kurfürsten, und sei sie auch noch so geringfügig gewesen,
nicht vergessen hätte zu erwähnen, bedarf doch wohl kaum eingehender
Begründung! In Alberto Alberti’s »Memorie« jedoch ist davon kein Wort
zu finden!
Oder soll man bei dem »Albertus Rom.« am Ende gar an den
jüngeren Bruder eben dieses Architekten Alberto Alberti, den Maler
4) Gualandi, Memorie originali Italiane, risguardanti le belle arti, VI, Bologna
i845, p. 50 ff.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
5
66
Friedrich H. Hofmann :
Romano Alberti denken, denselben, dem wir den bekannten »Trattato
sopra- la nobilitä della pittura« (Roma 1585) verdanken? Mit Kurfürst
Friedrich II. bezw. dessen angeblichem Ostpalast allerdings hätte der Mann
dann wohl ebenfalls nichts zu tun. Auch würden hier die zeitlichen
Verhältnisse nicht mehr stimmen.
Und selbst wenn man als erwiesen erachten würde, das der rätsel-
hafte Albertus Romanus ein Künstler gewesen ist, daß weiterhin das
Porträt desselben bereits zur Entstehungszeit 1554 in der Heidelberger
Galerie vorhanden war, und daß es — was auch dann nicht absolut not-
wendig ist — auf Veranlassung des damaligen Kurfürsten Friedrich II.
gemalt worden, selbst dann dürfte noch nicht ohne weiteres Beweis-
material auf eine Beteiligung dieses Künstlers an einer Bautätigkeit
Friedrichs II. geschlossen werden.
Das mit »Caspar Fischer: 1556« bezeichnete Porträt vollends ist
wieder ein Beweis gegen die neue Theorie. Auch ich akzeptiere gerne
Neumanns naheliegende Vermutung, in diesem Porträt ein Bildnis des in
dem bekannten Heidelberger Kontrakt von 1558 genannten Baumeisters
Caspar Vischer (Fischer) zu sehen. 5)
Wenn das Bild aber, wie aus der Inschrift hervorgeht, 1556 ent-
standen ist, so dürfte weit eher anzunehmen sein, es sei unter Ottheinrich
als unter Friedrich II. gemalt worden. Denn bereits am 26. Februar 1556
kommt Ottheinrich in Heidelberg zur Regierung; es sprechen also zehn
Monate gegen zwei. Was ist hier übrigens näher liegend als die An-
nahme, Vischer sei eben als Ottheinrichs Architekt 1556 mit diesem nach
Heidelberg gekommen? Noch im gleichen Jahre wäre dann sein Porträt
für die fürstliche Galerie (nebenbei bemerkt wohl von dem damaligen
Hofmaler Hans Besser) gemalt worden. Mit Friedrich II. hat also
auch wohl Caspar Vischer — wenigstens in diesem Zusammenhänge
nichts zu tun.
Zum zweiten Beweis gegen Ottheinrich (b)! Es ist richtig, Legers
Darstellung ist derart, daß aus ihr ganz logisch gefolgert werden muß,
er sei »persönlich überzeugt« gewesen, Ottheinrich habe bei seinem
Regierungsantritt »einen Plan für ein Gebäude in der ganzen Ausdehnung,
welche der gegenwärtige Ostpalast hat«, sowie »die bereits angefangene
Ausführung dieses Bauplanes« vorgefunden. Was in aller Welt aber ist
5) Eine Anfrage über das Porträt in der »Kunstchronik«, 1904, Nr. 19, Sp. 319
blieb leider bis heute ohne Resultat. Über Caspar Vischer und seine Identität mit
dem gleichnamigen Erbauer der Plassenburg bei Kulmbach, einer der bedeutendsten
Schöpfungen der deutschen Renaissance, habe ich eingehend gehandelt in meiner
Schrift: Die Kunst am Hofe der Markgrafen von Brandenburg, fränkische Linie; Studien
zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 32, Straßburg 1901, S. 15 ff.
Kurfürst Ottheinrich und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses.
67
damit nun gewonnen? In erster Linie frägt es sich doch: Woher hat
Leger diese Behauptung, wie begründet er sie und inwieweit verdient er,
bezw. seine Darstellung Glaubwürdigkeit? Die erste Frage zu beant-
worten wird schwer oder wohl gar unmöglich sein, denn einmal gibt
Leger selbst keine Quelle an, andererseits läßt sich auch sonst nirgends
in der Literatur ein Beweis dafür auffinden, denn Leger ist der erste,
der diese Behauptung aufstellt. Auch ist nicht anzunehmen, daß Leger
aus Archivalien geschöpft hat, denn das einzigemal, wo er es tut (in der
2. Auflage von 1819), verkündet er es mit einer gewissen breitspurigen
Genugtuung. Da also aus dem vorhandenen wissenschaftlich brauchbaren
Material, das Leger sicher noch viel weniger kannte als wir heute nach
fast 100 Jahren eifriger historischer Forschung, absolut garnichts als
Quelle oder Beleg für Legers Behauptung sich nachweisen läßt, da weiter-
hin weder wahrscheinlich, noch kaum möglich ist, noch aus dem Text
Legers hervorgeht, daß ihm tatsächlich uns unbekanntes Material Vor-
gelegen habe, so bleibt kaum etwas anderes übrig als der Schluß, Leger
habe seine Idee von der »Planung« Friedrichs II. schlechthin aus der Luft
gegriffen. Beweis wenigstens für dieselbe hat er nicht erbracht. Sei dem
übrigens wie ihm wolle, so viel steht auf jeden Fall fest, die moderne
Forschung darf unter keinen Umständen Schlüsse und Behauptungen,
»Ergebnisse«, auf dergleichen vagen Äußerungen aufbauen, die noch dazu
nicht etwa im Verlaufe gründlicher wissenschaftlicher Untersuchungen
gemacht wurden, sondern lediglich in einem »Führer für Fremde« zum
besten gegeben werden. Welche Ansprüche an derartige Arbeiten im
allgemeinen gemacht werden dürfen, ist ja zur Genüge bekannt!
So ist auch Leger an anderen Stellen keineswegs frei von Irr-
tümern. Er sagt z. B. in eben dem Absatz, dem einzigen, aus dem K.
die Beweise für seine Behauptung schöpft, daß Friedrich II. hinter dem
Ludwigsbau »den runden Turm mit vielen Fenstern erbaute und die
Bibliothek darin aufstellte«. Nun ist aber augenscheinlich, und das hätte
auch der Architekt Leger erkennen müssen, daß dieser Turm — später
Apothekerturm genannt — anderen Bauperioden angehört. Er ist noch im
15. Jahrhundert entstanden6 7) und nachmals unter Kurfürst Friedrich IV.
(r583 — 1610) von Grund aus umgestaltet worden. 7) Friedrich II. hat
hier nichts gebaut. Auch über die Aufstellung der Bibliothek ist sich
Leger durchaus nicht im klaren; er verwechselt zudem hier immer den
Glockenturm mit dem Apothekerturm. Weiterhin hält er auch, um nur
noch dies hier anzuführen, die Buchstaben D.C.V., die sich an ver-
6) Koch und Seitz, Das Heidelberger Schloß, Darmstadt 1891, S. 23.
7) Ebenda S. 12 1. Vgl. dazu Mitteilungen III, 157.
5
68
Friedrich H. Hofmann :
schiedenen plastischen Arbeiten im Heidelberger Schlosse finden, für
den »Namen« eines Bildhauers, während sie doch den bekannten Wahl-
spruch Friedrichs II. »De coelo victoria« darstellen. Andererseits ist
ihm das Künstlermonogramm C. F. der Name des Kurfürsten Friedrich II.,
ein Irrtum, den er übrigens mit vielen anderen Autoren teilt. Der-
artige Versehen und Fehler hätten doch wenigstens an der absoluten
Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit Legers Bedenken aufkommen lassen
sollen ! —
Der Beweis c stützt sich wiederum auf eine Behauptung Legers.
Hier ist die Beiziehung eines solchen Gewährsmannes noch unverständ-
licher als in den übrigen Fällen. Die Phrase Legers — und »die zarten
Bildnereyen, die gleich Blumen des Frühlings auf Heidelbergs Boden her-
vorsproßen«, sind weiter nichts als eine Phrase! — findet doch ihre ein-
fache Erklärung in der Tatsache, daß bei Arbeiten, die unter Friedrich II.
ausgeführt wurden (z. B. Gläserner Saalbau, Kamin im Ruprechtsbau)
eben Renaissanceformen Verwendung fanden. K. allerdings folgert daraus:
»ferner wußte Leger (mindestens nahm er solches an), daß Friedrich II.
in künstlerischer Hinsicht Beziehungen mit dem Süden hatte« (S. 9).
Und aus diesem Satz werden dann schließlich wieder direkte Verbin-
dungen Friedrichs II. mit italienischen Architekten, speziell mit dem sagen-
haften Albertus Romanus konstruiert.
Der vierte Beweis (d) endlich ist ein Brief des Kurfürsten Fried-
rich II. an die Straßburger Bauhütte vom 23. September 1555, den bereits
Leger in der 2. Auflage seines Führers erwähnt und den K. »zum ersten
Male in extenso« abdruckt (S. 53). Auch dieser angebliche Beweis läßt
sich wieder als Gegenbeweis verwenden. Der Brief hat an der einzigen
hier wichtigen Stelle folgenden Wortlaut: ». . . . unsere gebeuw, die wir
ihme (sc. dem Werkmeister Jakob Heider) noch bey dissen wettertagen,
so lang die wneren, auszufhueren und one Verzug zuverrichten . . • •«
Aus dem Text dieses Schreibens ergibt sich nun meines Erachtens klipp
und klar, daß damals nicht am sog. Ostpalast gebaut worden sein kann,
denn dieser ist ja — wie durch den bekannten Kontrakt mit Colins un-
antastbar feststeht — im Jahre 1558 noch nicht viel über das Erd-
geschoß hinaus gediehen.8) Man konnte also drei Jahre vorher (15 5 5)
ganz unmöglich daran denken, gerade dieses Gebäude »noch bey dissen
wettertagen« d. h. bei dem eben herrschenden günstigen Herbstwetter zu
vollenden. Daraus ergibt sich der einfache Schluß, daß eben 1555 etwas
anderes gebaut worden sein muß, als der sog. Ostpalast.
8) Vgl. auch Haupt, Zur Baugeschichte des Heidelberger Schlosses, Frankfurt a. M.
1902, S. 16. Dazu Mitteilungen III, 140.
Kurfürst Ottheinrich und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses. 69
Was gegen die unter b angeführte Behauptung Legers gesagt wurde,
kann in gleicher Weise gegen die mit e bezeichnete Aufstellung des-
selben Autors, daß nämlich »die Hinterseite von Otto Heinrichs schöner
Pfalz noch von den Werken seines Vorfahrers übrig« sei, geltend gemacht
werden. Vor allem liegt hier ein Widerspruch, der bis jetzt allerdings
anscheinend gar nicht bemerkt wurde. Ist nämlich tatsächlich die Hinter-
seite des sog. Ostpalastes — also doch wohl die ganze Ostmauer —
noch von einem Bau Friedrichs II. »übrig«, wie kann Leger dann über-
haupt von »Otto Heinrichs Pfalz« reden? Um das zu erklären, müßte
man entweder annehmen, der ganze Bau, also auch die Westfassade (Hof-
seite) sei von Friedrich II. analog und zugleich mit der Ostmauer (»Hinter-
seite«) errichtet worden und Ottheinrich habe von diesem durch seinen
Vorgänger errichteten Gebäude die Westmauer niederreißen lassen und
durch eine neue Fassade nach seinem Geschmacke ersetzt, oder aber
man muß gar auf den Gedanken kommen, in Heidelberg habe man damals
so geschickt gebaut, daß der eine Bauherr die Rückwand eines Palastes
errichtet, der andere das noch fehlende auf den übrigen Seiten hinzu-
gebaut habe!
Legers Behauptung — das wird dem, der unbefangen die Dinge
ansieht, sofort klar werden — ist weiter nichts als eine leichthin gesagte
Spezialisierung der Tatsache, daß die Ostmauer des Ottheinrichsbaues auf
älteren Substruktionen aufsitzt, d. h. auf der äußeren Wallmauer, deren
Überreste bis etwa zur Brüstungshöhe der Fenster im Erdgeschoß gehen.9)
Auch damit ist also wenig genug anzufangen!
Seinen letzten Beweis (f) schöpft K. aus dem Gebäude selbst. Aber
auch hier wird man ihm nur schwer folgen können. An der Südmauer
des vielumstrittenen Baues ist im Erdgeschoß ein Stück etwas weiter
hinausgerückt, zweifellos um eine Verbindung mit dem sogenannten
Apothekerturm zu ermöglichen. Wie man aber diese Tatsache als Beweis
für Legers Behauptung, Friedrich II. habe bereits die Verbindung dieses
Turmes mit dem sogenannten Gläsernen Saalbau »durch Gründung dieses
Hauptflügels (sc. des sog. Ostpalastes) bewirkt«, ist schlechterdings un-
verständlich. Denn diese Absicht kann doch gerade so gut Ottheinrich
bei der Erbauung seines Palastes gehabt haben. Inwiefern sich da
»Bericht und Gebäude ergänzen sollen«, wie Iv. gemeint hat, ist nicht
einzusehen, wenigstens nicht in bezug auf die versuchte Beweisführung.
Gewiß, mit der Tatsache der zwischen Turm und Palast hergestellten
Verbindung stimmt Legers Bericht vollständig überein, aber dadurch ist
doch, wie gesagt, noch nicht im geringsten bewiesen, daß auch Friedrich II.
9) Koch und Seitz, S. 70.
7o
Friedrich H. Hofmann :
und nicht Ottheinrich diese Verbindung hergestellt hat. Und gerade
das war doch zu beweisen! Daß diese Verbindung tatsächlich vorhanden
ist, wird ja Niemand einfallen in Abrede zu stellen! K. jedoch
meint, nachdem sich so »Bericht und Gebäude ergänzen«, sei an der
»Planung und Begründung des Ottheinrichsbaues durch Kurfürst Friedrich II.
nicht mehr zu zweifeln«. Ich muß gestehen, die Logik dieser Beweis-
führung ist mir bis heute noch nicht aufgegangen! Gerade umgekehrt,
wie K. zu glauben scheint, wird sich die Sache verhalten! Nicht aus
Archivalien und anderen geheimnisvollen Dokumenten, die jetzt ver-
schollen sein sollen, hat der Autor des »Führers« seine Angaben über
die »Verbindung« gewonnen, die jetzt durch den Befund am Gebäude
bestätigt werden soll. Dem unbefangenen Urteil dürfte viel einleuchtender
sein, daß der Architekt Leger eben das Vorhandensein dieser Verbindung
am Gebäude selbst erkannt hat — wozu übrigens kein besonderer Scharf-
sinn nötig war — und diese Tatsache dann kurzerhand durch nichts
berechtigt mit seiner durch nichts bewiesenen Idee von der »Planung
und Gründung des Hauptflügels« durch Friedrich II. in Zusammenhang
gebracht hat.
Was »das Gebäude uns aber sonst noch mehr sagt«, spricht gerade
wieder gegen K.s Annahme. Die Tatsache, daß die Ostmauer des Ott-
heinrichsbaues (über der äußeren Wallmauer) deutlich ungefähr in der
Mitte — entsprechend der Ausdehnung des Kaisersaales — eine Mauer-
ecke zeigt,10) daß ferner, wie längst festgestellt, der nördliche Unterbau
der Hoffassade ältere Hausteine mit gleichen Steinmetzzeichen wie am
Gläsernen Saalbau (bzw. aus der Zeit Ludwigs V.) enthält, daß weiterhin
die Freitreppe »offensichtlich« erst nachträglich dieser Mauer angeklebt
ist, daß endlich die Fassadenfenster des Kaisersaales — und nur diese !
— im Innern genau dieselbe Profilierung aufweisen wie das Sockelfenster
der Hoffassade oder wie die zweiteiligen Fenster der Ostmauer des Kaiser-
saales — aus allen diesen Feststellungen, meine ich, folgt fast bis zur
Gewißheit gerade das Gegenteil von dem, was K. beweisen will. Daraus
ist wohl mit Sicherheit zu entnehmen, daß Friedrich II. nichts weniger
als die Absicht hatte, ein großes Gebäude mit einer einheitlichen Fassade
in der Ausdehnung des heutigen Ostpalastes zwischen den beiden Treppen,
türmen zu schaffen. Er hat vielmehr lediglich einen Bau errichten wollen
bezw. errichtet, der den Platz zwischen den beiden Türmen nur zum
'1 eil ausfüllte, der also im Grundriß etwa dem heutigen Kaisersaal ent-
sprach. Hier scheint nämlich ehemals in der Tat ein selbständiges Ge-
,0) Kossmann, S. 14 ff. K. erkennt wohl hier ebenfalls das Vorhandensein eines
selbständigen Gebäudes, zieht jedoch durchaus keine Konsequenzen aus dieser Fest-
stellung für die Baugeschichte des »Ostpalastes«.
Kurfürst Ottheinrich und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses. 7 1
bäude gestanden zu haben, das in letztem Betracht dann Ottheinrich
den Gedanken zur Errichtung seines Schlosses eingegeben haben mag.
Die Umfassungsmauern von dem Bau Friedrichs II. wurden dann selbst-
verständlich, soweit sie sich verwerten ließen, in den Neubau einbezogen.
Es wäre an Ort und Stelle durch genaue Untersuchungen, die
mir leider augenblicklich unmöglich sind, festzustellen, ob die Vermutung,
auf dem Platze des heutigen Kaisersaales einen selbständigen Bau
Friedrichs II. zu suchen, auch nach allen Richtungen hin durch das
Gebäude bestätigt wird. Die Tatsache, die aus dem Vertrag von 1558
hervorgeht, daß damals der Kaisersaal noch nicht eingewölbt ist, spricht
nicht gegen meine Annahme; denn dieser Raum kann sehr wohl ur-
sprünglich flach gedeckt gewesen sein, mit Holzgebälk, das auf steinernen
Trägern auflag, genau so wie es sich bis heute im Gläsernen Saalbau
erhalten hat.11) Meine Vermutung erklärt vielleicht auch die »auffallende
Vernachlässigung« der östlich vom Treppenturm gelegenen Südfassade
des Gläsernen Saalbaues, sowie die gleichfalls „unklare“ Erscheinung,
daß eben dieser Treppenturm erst in bedeutender Höhe die Achtecks-
seiten zeigt.12)
Mit der Annahme, Friedrich II. habe hier, lange bevor man an
den jetzigen Ostpalast dachte, ein kleineres selbständiges Gebäude er-
richtet, läßt sich auch eine gesicherte, aber bis jetzt durchwegs falsch
gedeutete Baunachricht in Verbindung bringen. Leodius, der getreue
Sekretär und Biograph Ottheinrichs, berichtet von den Bauten seines
Herrn u. a. folgendest): »Et in bibliothecae usum elegantem et maximam
cameram aedificare fecit; summitatem vicinae turris a fratre dudum con-
structam demoliri fecit.t) Quod aedificium postquam consumavit, mutata
sententia de bibliotheca in usum computationum convertit et maximam
campanam in praedicta turri appendere fecit«.
Wo diese »elegans et maxima camera in bibliothecae usum« ge-
legen, ist noch nicht festgestellt; man scheint sich bisher überhaupt nicht
sonderlich viel um diesen Bau gekümmert zu haben. Legers Auffassung,
") Vgl. dazu Koch und Seitz, S. 62.
J1) Ebenda S. 66.
*3) Annalium de vita ct rebus gestis illustrissimi principis Friderici II., electoris
palatini, libri XIV, Frankfurt a. M. 1624, p. 294. — Der Autor hieß eigentlich Hubert
Thomas aus Lüttich (Leodius). Ich folge jedoch dem allgemeinen Gebrauch und schreibe
ebenfalls Leodius, wennschon Mays ausdrücklich das ungenaue dieser Bezeichnung
tadelt. Vgl. Mays, Erklärendes Verzeichnis der städtischen Kunst- und Altertümer-
Sammlung in Heidelberg, Heidelberg 1892, S. 37.
14) Dieser von Ludwig V. (1508—1544) erbaute, von Friedrich II. umgebaute
Turm ist der heute sog. Glockenturm hinter dem Gläsernen Saalbau, den Leger, wie
oben erwähnt, immer mit dem Apothekerturm hinter dem Ludwigsbau verwechselt.
72
Friedrich H. Hofmann:
»Friedrich II. richtete in dem sog. neuen Hof einen großen Saal zur
Aufstellung der Büchersammlung ein«* läuft dem Text des Leodius, der
doch die Quelle bildet, schnurstracks zuwider. Ohne weiteres dürfte klar
sein, daß hier mit der Bibliothek ein selbständiges Gebäude gemeint
sein muß, denn den »neuen Hof«, jetzt Gläsernen Saalbau, behandelt
Leodius vollständig gesondert von der »Bibliothek «.J5) Die Art, wie
Leger hier und an anderen Stellen mit dem Text seiner Quelle um-
springt, hätte wohl ebenfalls zur Vorsicht mahnen sollen der absoluten
Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit seiner weiteren Angaben gegenüber.
Auch die Erklärung von Koch und Seitz, »die elegante und sehr
große Kammer für die Bibliothek ist das unterste Geschoß des acht-
eckigen Teiles im Glockenturm«, trifft durchaus nicht das Richtige.
Denn es geht ja aus der Mitteilung des Leodius unzweideutig hervor,
daß auch der Glockenturm und die Bibliothek zwei verschiedene Ge-
bäude waren.
Ich halte nun dafür, daß wir diese »elegans et maxima camera«
in dem Bau sehen dürfen, der die Stelle des jetzigen Kaisersaales ein-
nahm, bezw. der hier in den Neubau Ottheinrichs einbezogen wurde.
Und dies kann schließlich auch recht gut das Gebäude sein, das
Friedrich II. im Jahre 1555 »noch bey dissen wettertagen auszufhueren
und one Verzug zuverrichten« bemüht war. K. übersetzt »camera« allerdings
mit Gewölbebau; ein solcher würde dem Wortlaut des Vertrags von
1558 nicht entsprechen, da damals erst von der Herstellung der Ge-
wölbeträger im Kaisersaal dje Rede ist. Aber einerseits muß nach den
Sprachgepflogenheiten des mittelalterlichen Latein camera noch nicht
zwingend gerade einen gewölbten Raum bedeuten,16) andererseits könnten
ja bei dem Umbau dieser camera durch Ottheinrich neue Gewölbe
eingezogen worden sein.J7)
Es scheint mir, daß durch die vorstehenden Ausführungen genugsam
dargetan sein dürfte, auf wie schwachen Füßen die Behauptung von der
»Planung« und teilweisen Ausführung des Ostpalastes durch Kurfürst
Friedrich II. steht, und daß die beigebrachten Gründe nichts weniger
als geeignet sind, die bisherige Annahme auf einmal umzustoßen. Schon
allein also durch die kritische Würdigung der sogenannten Beweise, die
K. ins Feld führt, muß seine Theorie wankend werden. Fallen vollends
muß sie, wenn sich auch noch anderweitige, gewichtige Gründe gegen
sie geltend machen lassen. Und solcher gibt es mehrere!
x5) Übersetzung der hier wichtigen Stelle des Leodius bei Kossmann S. 52.
l6) Vgl. z. B. Du Cange, Glossarium, I, 699.
!7) Für meine Hypothese finde ich auch in der obenerwähnten neuesten Schrift
Haupts S. 19 mehrfache Unterstützung.
Kurfürst Ottheinricli und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses.
73
Da ist in erster Linie der bereits genannte Leodius ! Bei ihm
suchen wir vergeblich nach einer Mitteilung oder nur Andeutung über
die großartige »Planung«. Kann man im Ernste glauben, der gewissenhafte
Sekretär und Biograph seines Fürsten, der in dem Kapitel über die
Baulust Friedrichs IL keines der zahlreichen kleinen Lustschlößchen von
nur ephemerer Bedeutung, die der Kurfürst errichtet, wie Fürstenwald,
Heinsburg, Hirschwald usw., zu erwähnen vergißt, habe es unterlassen,
der Nachwelt auch Kunde von dem großartigen Bauplan Friedrichs II.
zu geben und seinem Bedauern Ausdruck zu verleihen, daß es seinem
Herrn nicht vergönnt war, den großen Gedanken auch vollständig zur
Ausführung zu bringen? Wäre die Errichtung des »Ostpalastes« doch
eine künstlerische Tat gewesen, die alle übrigen Bauunternehmungen
Friedrichs II. weit in den Schatten gestellt hätte. So aber schweigt
Leodius! Und dieses Schweigen des Zeitgenossen, sollte man meinen,
spricht lauter und eindringlicher als die scharfsinnigste Deduktion oder
vage Behauptungen eines unkritischen Epigonen, wie Leger es war!
Vollends unhaltbar aber wird K.s Aufstellung durch die Tatsache,
daß vollständig einwandfreie gleichzeiti ge Quellen vorliegen, die klipp
und klar aussprechen, daß Ottheinrich den Bau begonnen bezw. aus-
geführt hat. Am 28. Juni 1559, also wenige Monate nach dem Tode
Ottheinrichs, richtet der englische Gesandte Dr. Mundt an Sir William
Cecil einen offiziellen Bericht über die Ankunft des Kurfürsten Friedrich III.
in Augsburg, in dem es u. a. heißt: »Otto Henry had begun at Heidel-
berg a magnificent and sumptuous building, for which he assembled from
all parts the most renowned artists, builders, sculptors and painters.«18)
Damit, daß nach K.s Ansicht (S. 32) »der Herr Kavalier, der so turm-
hoch über dem fahrenden Volk der Künstler stand, in diesem für ihn
nebensächlichsten Punkt eben nicht gut unterrichtet war«, läßt sich die
klare Fassung des Berichts, bezw. ihre einzig mögliche Deutung doch
wohl nicht hinwegdisputieren! Zudem kennt auch Colins Sohn selbst
in seinem Bericht über die Tätigkeit seines Vaters in Heidelberg nur
Ottheinrich als Bauherrn. O)
Weiterhin schreibt am 3. Dezember 1562 die Gemahlin Maria des
Kurfürsten Friedrich III., des Nachfolgers von Ottheinrich, daß der
römische König, der zu Besuch nach Heidelberg kommt, »in dem neuen
Bau wohnen soll, den der Stiefvater (also Ottheinrich) gemacht hat«.
Auch diese gleichzeitige Mitteilung von einem Mitglied des pfälzischen
Fürstenhauses selbst läßt an Klarheit und Deutlichkeit nichts zu wünschen
l8) Huffschmid, Zur Geschichte des Heidelberger Schlosses; Neues Archiv für
Geschichte der Stadt Heidelberg, III, 30.
J9) Mitteilungen II, 60. Anm.
74
Friedrich H. Hofmann :
übrig.20) Man hat jedoch beliebt, sie — wenigstens in diesem Zusammen-
hänge — mit Stillschweigen zu übergehen!
Eine derartige Behandlung gleichzeitiger Quellen, die noch dazu
in so innigem Zusammenhänge mit den handelnden Persönlichkeiten
selbst stehen, schlägt doch jeder historischen Methode geradezu ins
Gesicht! Ja, wenn authentische spätere Nachrichten mit aller Gewißheit
und Entschiedenheit gegen die gleichzeitigen Berichte sprächen,21) dann
wäre es vielleicht gestattet, gegebenen Falles diese gleichzeitigen Mit-
teilungen in Zweifel zu ziehen bezw. als irrtümlich abzuweisen. Wenn
aber die sekundären Quellen so trüb und träge fließen, wie hier Legers
unsichere und unbewiesene Äußerungen, dann kann es schlechterdings
nicht gestattet sein, zugunsten derselben die primären, gleichzeitigen,
offiziellen Berichte mit ein paar kurzen Worten abzumachen oder gar
vollständig zu ignorieren!
Nach dieser mehr historischen Deduktion noch ein — ich möchte
sagen — praktischer Beweis! Gegen einen Baubeginn unter Friedrich II.
spricht, ebenso wie das geschichtliche Quellenmaterial und die Tradition,
auch die gesamte zeitliche und technische Ökonomie des Baues. Nehmen
wir einmal mit K. (S. 31) dem Albertus Romanus von 1554 zuliebe an,
der Plan zu dem neuen Schloß wäre tatsächlich bereits 1554 entstanden.
Was soll dann bis 1558, wo wir, wie erwähnt, so ziemlich über den
Zustand des Gebäudetorsos unterrichtet sind, gebaut worden sein? Nichts
als höchstens das Erdgeschoß? Das ist selbst dann nicht recht glaublich,
wenn wir voraussetzen, diq Störung durch die Bauhütte in Straßburg im
September 1555 wäre so bedeutend gewesen, daß Friedrich II. auf einmal
alle Arbeiten hätte einstellen müssen. Aber das war ja keineswegs der
Fall, denn spätestens im Januar 1556 war die Irrung, wie feststeht,
schon wieder beigelegt.22)
Es ist also wohl anzunehmen, daß bis März 1558 mehr als das
Erdgeschoß des Gebäudes errichtet gewesen sein müßte, einen Baubeginn
im Jahre 1554 vorausgesetzt. Besonders wenn noch, wie oben aus-
geführt, bereits stehende Bauteile mit eingebaut werden konnten.
Und weiter! Was hätte dann wiederum Ottheinrich gebaut von
seinem Regierungsantritt im Februar 1556 bis März 1558, dem Zeitpunkt
des Colinsschen Vertrags? Wenn K.. Recht behalten soll, gar nichts!
IO) Huffschmid S. 31.
2I) Zwei neuere Angaben, die auch für einen Baubeginn unter Friedrich II. zu
sprechen schienen, sind in meinem Aufsatz »Vom Ottheinrichsbau« (Mitteilungen IV,
144) verzeichnet. K. hat sie wohl nicht der Erwähnung wert erachtet; sie dürften
allerdings auch nicht imstande sein, stichhaltiges Beweismaterial abzugeben.
2I) Mitteilungen III, 187.
Kurfürst Ottheinrich und der »Ostpalast« des Heidelberger Schlosses.
75
Denn damals (1558) ist, wie gesagt, kaum mehr als das Erdgeschoß
gebaut. Dieses wäre aber dann schon vier Jahre vorher begonnen worden !
Dabei ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, wenn nicht überhaupt
undenkbar, daß Ottheinrich die Ruine des angefangenen Gebäudes zwei
volle Jahre — von seinem Regierungsantritte bis zum Vertrage mit
Colins — unberührt habe liegen lassen, daß er die Bauhütte und alle
die Unbequemlichkeiten und Unzuträglichkeiten des Bauplatzes zwei volle
Jahre mitten in seinem Schloßhof, unmittelbar vor den Fenstern seiner
Residenz geduldet habe, ohne nur daran zu gehen, dem unhaltbaren
Zustande ein Ende zu machen.
Nimmt man dagegen an, Ottheinrich habe unmittelbar, nachdem
er im Februar 1556 die Regierung übernommen, im gleichen Frühjahr
noch begonnen, nach einem neuen Plan Friedrichs II. Bibliotheksbau
umzubauen und die beiden Treppentürme durch eine einheitlich ange-
legte Fassade zu verbinden, so ergibt sich ganz natürlich nicht nur die
Möglichkeit, sondern wohl auch die Notwendigkeit, daß bis zum Früh-
jahre 1558, also in genau zwei Jahren, der Neubau ungefähr bis zum
Abschlußgesims des Erdgeschosses gediehen war. Bis zum Tode Ott-
heinrichs am 12. Februar 1559, also in einem weiteren Jahre, wird das
Gebäude im Rohbau so ziemlich fertiggestellt gewesen sein können.
Wenn, wie feststeht, der Bildhauer Colins schon mit zwölf Gesellen,
zweifellos Landsleuten, arbeitete,1 23) so darf auch eine ziemliche Anzahl
anderer Arbeitskräfte angenommen werden. Dies geht ja auch schon aus
der großen Zahl an Steinmetzzeichen hervor, die sich an dem Gebäude
finden. Man dürfte an die 30 verschiedene Zeichen feststellen können, muß
also auf ebensoviele deutsche Steinmetze schließen. Die eigentlichen Maurer
und die sonstigen Arbeiter sind dabei natürlich noch nicht eingerechnet.
Da ist denn doch die Fertigstellung des Gebäudes in drei Jahren gewiß
keine außergewöhnliche Leistung, sondern eine ganz normale Lösung.
Übrigens liegt bereits für das Frühjahr 1560 wieder ein gleich-
zeitiger Bericht vor, aus dem hervorgeht, daß mindestens damals das
Schloß im Rohbau vollendet war. Am 16. März 1560 schreibt Kur-
fürst Friedrich III., daß er gern die Hochzeit seines Sohnes in Heidel-
berg abgehalten hätte, aber »das neue Haus ist noch nicht ausgemacht«. 2-t)
Das Wort »ausmachen« hat nun nicht, wie man wohl geglaubt hat, die
Bedeutung von »ausbauen«, »zu Ende bauen«, sondern es bedeutet
lediglich »ausschmücken», »auszieren«, 25) bezieht sich also nur auf die
13) Mitteilungen II, 60.
M) Mitteilungen III, 31.
2 5) Grimm, Deutsches Wörterbuch, wo z. B. der Ausdruck »schön ausgemachte
Zimmer«.
76
Friedrich H. Hofniann: Kurfürst Ottlieinricli usw.
Innenausstattung. Auch die Jahreszahl 1563, die man an einer Tür-
laibung zusammen mit den Initialen 0. H. P. C.26) (Otto Henricus Palatinus
Comes; Ottheinrich starb 1559!) gelesen haben will27), beruht auf einem
Versehen. Die angebliche 3, aus der dann 1563 konstruiert wurde,
hat sich als ein in der Form einer 3 auslaufendes Band herausgestellt!28)
Soviel also über das erste der zehn »Ergebnisse«! Über die übrigen
ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen.* 2 * * *9) Eines aber will mir
jetzt bereits scheinen, daß es nicht notwendig ist, in die zwar dürftigen,
aber klaren historischen Quellen allerlei Erklärungen und Auslegungen
»hineinzugeheimnissen» ; vielmehr dürfte einleuchtend sein, daß sie, ohne
Vorurteil gewürdigt, sich alle ungezwungen und harmonisch in einen
unzweideutigen Beweis zusammenschließen für den Satz: Der soge-
genannte Ostpalast des Heidelberger Schlosses ist keineswegs
ein Werk des Kurfürsten Friedrich II., sondern eine Tat seines
Nachfolgers Otto Heinrich; das Gebäude trägt also auch nicht
zu Unrecht den Namen »Ottheinrichsbau «.
l6) Nicht »Otto Heinrich, Pfalzgraf Churfürst«, wie man meist lesen kann.
*7) Haupt, Zur Baugeschichte, S. 30. Für das auffallende Datflm wird die Er-
klärung gegeben : „ 1 563 that hier der letzte dänische Bildhauer den letzten Meisselschlag
zu Ehren seines todtcn Bauherrn Otto Heinrich“ !
*8) Mitteilungen III, 141. Vgl. auch Kossmann S. 33.
29 ) Nach Abschluß der Arbeit finde ich einige archivalischc Notizen über die
Baugeschichte des Ottheinrichsbaues, die mit der oben angedeuteten Schilderung des
Baubetriebs aufs befriedigendste Ubereinstimmen; sie sollen nächstens an gleicher Stelle
veröffentlicht werden.
Literaturbericht.
Kunstgeschichte.
L es Tresors d’ArtenRussie (Chudöshestwennyja Ssokröwistscha Rossli).
Publication mensuelle de la Societe Imperiale de l’encouragement des
Beaux-Arts en Russie. Anne'es Ille etIVe. Directeur: Adrien Prachow.
Saint-Petersbourg 1903 et 1904. in-4.
Seit die beiden ersten Jahrgänge der Tre'sors d’Art en Russie hier
besprochen wurden (1903, S. 239 ff.), ist in der Leitung der Publikation
Alexandre Benois durch Prof. A. Prachow abgelöst worden. Der Inhalt
der neuen Bände ist, soweit er allgemein wissenschaftliches Interesse be-
sitzt, nicht so mannigfaltig, wie der der beiden ersten; dieses beruht auf
der größeren Geschlossenheit der einzelnen Hefte, die durchgehends an-
gestrebt, aber leider nicht konsequent durchgeführt wird. Im Prinzip
soll wohl jedes Heft eine geschlossene Gruppe von Denkmälern bringen;
nun finden wir aber häufig nicht das ganze einschlägige Abbildungsmaterial
in einem solchen Hefte beisammen, denn Nachzügler folgen oft erst nach
Monaten, und andrerseits werden als Lückenbüßer in die Nummernfolge
des Hauptteils Tafeln eingeschoben, die mit dem Titel des betreffenden
Heftes nichts zu tun haben. Würden die einzelnen Sammlungen
gleichmäßiger auf die Hefte verteilt, so würde die Zusammenfassung
mehrerer (bis zu fünf) Lieferungen in einem Hefte besser motiviert
erscheinen und die großen Abstände der Termine des Erscheinens er-
träglicher sein, die gegenwärtig die Berechtigung des Untertitels »publi-
cation mensuelle« ziemlich problematisch erscheinen lassen. Der Text
ist im Verhältnis zu den früheren Jahrgängen gewachsen; er würde ge-
winnen, wenn in ihm die ästhetische Würdigung des Materials stärker
hervorträte und weniger die archäologische und biographische Seite der
Erläuterung betont würde. Gegen die Aufnahme von ganzen Aufsätzen,
die von dem Bildermaterial unabhängig sind, können manche Bedenken
geäußert werden, wenn es sich auch um einen so bemerkenswerten Bei-
trag zur Kunstpsychologie handelt, wie Prachows Artikel: Ȇber die
Stellung der Kunst im allgemeinen Lebenshaushalte und den Zweck von
78
Literaturbericht.
Kunstsammlungen«. Leider Hegt dieser Aufsatz nur im russischen Ori-
ginale vor und ist nicht mit einer französischen Übersetzung versehen,
wie sie nunmehr auch dem Hauptteil des Textes beigegeben wird, während
sie früher nur für die kurzen Erläuterungen zu den Abbildungen üblich
war. Diese Neuerung wird die Brauchbarkeit der Publikation für das
Ausland erhöhen, doch darf nicht verschwiegen werden, daß seitens der
Redaktion nicht genügend auf eine korrekte Übertragung aus dem Rus-
sischen geachtet wird. Auch eine größere Aufmerksamkeit bei der Durch-
sicht der Unterschriften ist dringend zu wünschen: Verkehrungen wie
holländisch in flämisch, Pordenone in Giorgione und Verwechselungen
von Kirchen des 15. und des 17. Jahrhunderts werden in Zukunft hoffent-
lich nicht mehr anzutreffen sein. Die Erläuterungen zu den einzelnen
Tafeln werden, wie es früher auch üblich war, besser von den Bearbeitern
der Haupttexte abzufassen und zu signieren sein; dadurch würde eine
strikte Kongruenz von Text und Erläuterung gewährleistet und gelegent-
lich der Anschein vermieden werden, als spräche derselbe Autor an ver-
schiedenen Stellen ganz divergente Ansichten aus. Für die Chronik, die
jedem Hefte beigegeben wird, scheint das Muster der Chronique des
Beaux-Arts immer mehr maßgebend zu werden; es bleibe dahingestellt,
wie weit eine solche Beilage dem Charakter eines Tafelwerkes entspricht,
wie es die Tre'sors d’Art laut Programm sein sollten.
Der dritte Jahrgang begann, noch unter Benois’ Leitung, mit zwei
dem Zeitalter Peters d. Gr. gewidmeten Heften (Lief. 1 — 3). Sehr vieles
von ihrem Inhalte hat nur lokales Interesse, manches nur den Wert
historischer Kuriosität. Unter den Porträts sind das Doppelbildnis der
Prinzessinnen Anna und Elisabeth (S. 17) und ein weiteres Jugendbildnis
der letzteren (S. 50) von Louis Caravacque bemerkenswert, besonders
aber ein 1717 von J. M. Nattier d J. im Haag gemaltes Bildnis der
Kaiserin Katharina I. (T. 15). Der älteste Repräsentant russischer Porträt-
malerei Andreas Matwejew (f 1758), ein Schüler von Karel de Moor,
ist durch zwei Bildnisse eines fürstlich Golfzynschen Ehepaares vertreten
(S. 25). Unter den von Peter d. Gr. erbauten Schlössern in der Umgebung
von Petersburg zeichnen sich Katharinenhof (T. 12; S. xo), und die
Pavillons Ermitage und Marly in Peterhof (T. 4, 5, xo, 21; S. 9, 10) x)
durch große Anspruchslosigkeit aus. Prächtiger, wenn auch von über-
ladenem Prunke weit entfernt, ist Schloß Katharinental bei Reval (T. 28 — 3 1 ;
S. 51, 53, 63). Von den verschwundenen Schlössern Dälnije Dubki und
Podsörny in der Nähe von Petersburg, das erste von des Wael, das zweite
von demselben und van Zuyten erbaut, geben uns nur einige Abbil-
x) Für die Bauten in Peterhof vgl. auch Jahrg. II.
Literaturbericht.
79
düngen Kunde (T. 25; S. 51). Das Sommerpalais Peters ist glücklicher-
weise mit seiner ganzen gut bürgerlichen Einrichtung erhalten (T. 19,
20; S. 7, 43, 47, 52, 65, 67); dieser kleine Bau kann gegenwärtig umso-
mehr Interesse beanspruchen, als P. Walle keinen geringeren als Andreas
Schlüter für seinen Schöpfer erklärt hat; ob mit Recht, bleibt noch frag-
lich. Mit größerer Sicherheit wäre an eine Verbindung mit Schlüter bei
den Holzschnitzereien im Treppenhause des Palais zu denken, die hier
recht unwahrscheinlich als Arbeit N. Pineaus bezeichnet werden (S. 53).
Das Aussehen des Sommergartens, in dem das Palais steht, zur Zeit Peters
veranschaulicht ein Plan auf S. 65. Der damalige Garten war aller Wahr-
scheinlichkeit nach von J. B. Al. Leblond angelegt; seine heutige Gestalt
erhielt er unter Katharina II.
Das folgende Heft (Lief. 4 — 8) schildert Kaiser Alexander III. als
Förderer russischer Nationalkunst. Die Abbildungen geben zum größten
Teile Werke des 19. Jahrhunderts wieder, die hier nicht in Betracht
kommen. Von älteren Gemälden finden wir eine Giov. Bellini benannte
Madonna, ein auf N. Maes getauftes Frauenporträt, zwei Bilder von
Platzer und drei Veduten von Hubert Robert (T. 55 — 58; S. 136, 138),
an kunstgewerblichen Gegenständen vier Gobelins (T. 75 — 80), zwei
japanische und eine persische Bronzevase (T. 81; S. 155, 195). Sehr
beachtenswert ist das Gebäude des Alexander-Museums in Petersburg,
das in reinstem Empire unter de Rossis Leitung erbaut wurde. Leider
ist der prächtige Bau in allerjüngster Zeit durch Niederlegung eines Flügels
verunstaltet worden; die ursprüngliche Ansicht ist auf T. 82 zu sehen,
Interieurs finden wir auf T. 83 und S. 158, 161, 196, 197. Den Schluß
des Heftes bildet ein Artikel von A. Spiliotti über die 1716 von Peter
d. Gr. gegründete Teppichmanufaktur, der durch einige Proben aus den
Anfangszeiten des Betriebes illustriert wird (T. 74, 100 — 102; vgl. auch
T. 2 1 u. 99).
Das letzte Heft des dritten Jahrganges (Lief. 8 — 12) brachte den
.herrlichen Lieblingssitz Kaiser Pauls: Schloß Pawlowsk, ein Musterbeispiel
für die strenge Pracht des Klassizismus. Es beherbergt eine solche
Menge erstklassiger Stücke an Möbeln und Dekoration, daß es zu weit
führen würde auch nur das Beste vom Guten in der Auswahl der Tresors
d’Art aufzuzählen. Im Texte ist eine wichtige Quelle für die Geschichte
des Schlosses abgedruckt: die französische Beschreibung der Haupträume,
die die Kaiserin Maria, Gemahlin Kaiser Pauls, 1783 niedergeschrieben
hat. Eine ganze Reihe von ergänzenden Tafeln folgten erst im vierten
Bande, obgleich in dem Hefte selbst doch noch Platz für die Gemälde
des Grafen Golem'schtschew - Kutüsow vorhanden war. Unter diesen
war eine Enthauptung der hl. Katharina von einem Niederländer des
8o
Literaturbericht.
16. Jahrhunderts das interessanteste; für eine Paradiesszene war die Be-
stimmung des Textes »Nachahmer des Roelant Savery und des Sämmet-
brueghel« im zweiten Teile anscheinend gerechtfertigt; sie ist Ph. M.
signiert und angeblich unleserlich datiert. Vom Reste sind eine Grisaille
und eine »lombardische« Madonna so verdorben, daß ihre Wiedergabe
überflüssig war; zwei weitere Bilder haben mit Cranach und dem »Meister
des Todes Mariae« nichts zu tun; das Opfer Abrahams gehört schwerlich
Patinier und eine Zeichnung sicher nicht Dürer; ob eine kleine Land-
schaft mit Recht Sal. Ruisdael heißt, kann nach der Abbildung nicht
ermittelt werden.
Der vierte Jahrgang begann mit der von Alexander Neuströjew
bearbeiteten Galerie des Herzogs Georg von Leuchtenberg. Leider wurde
sie in zwei ungleiche Teile zerrissen, indem die wenig zahlreichen Nieder-
länder im ersten Hefte (Lief, i) gesondert erschienen. Unter die Italiener
im zweiten Hefte (Lief. 2 — 4) sind nicht' weniger als vier Ansichten einer
herzlich langweiligen Vestalin von Clodion eingestellt, der eine mit ihr
nur durch den Gegenstand zusammenhängende Vestalin der Brüder Collini
aus Schloß Pawlowsk folgt; ebendort befindet sich das Porträt der Kaiserin
Maria von Roslin, das erst hier als farbige Beilage zum dritten Jahr-
gange erschien. Über die italienischen Bilder der Galerie hat Neuströjew
eine kritische Studie in der Arte (1903, p. 329 — 346) veröffentlicht und
dort auch den größten Teil des Abbildungsmaterials publiziert. Die Tafeln
der Tresors d’Art sind den Reproduktionen der Arte ihres größeren For-
mates und gelegentlich größerer Exaktheit wegen vorzuziehen; neu sind
unter ihnen eine heilige Familie eines Ferraresen des 16. Jahrhunderts
und das italienische Männerbildnis, das in der Sammlung als Velasquez
zählt. Tafel 31 bringt die Herodias, die E. Modigliani in der Arte (1903,
p. 380 s.) für B. Pordenone in Anspruch genommen hat. Auf derselben
Tafel figuriert ein sehr mittelmäßiger holländischer Hühnerhof, dessen Er-
scheinen mitten unter Werken von Bordone, L. Lotto, B. Pordenone, Moretto
um so verwunderlicher ist, als Neuströjews Text seiner nirgends, auch
nicht unter den Niederländern, erwähnt. Wo sonst nur Bilder alter Meister
gegeben wurden, erscheint Karl Brüllows stark erotisch angehauchte
Endymionszene wenig in den Rahmen der Lieferung passend. Es ist zu
hoffen, daß Neuströjew auch die niederländischen Gemälde der Galerie in
ähnlicher Weise kritisch bearbeiten wird, wie er es mit den italienischen
bereits getan hat. Unter ihnen sind die interessantesten Stücke »Christus
und Johannes d. T. mit dem Stifter« von Dirk Bouts und ein Spinola-
porträt von Rubens; ihnen reihen sich an ein guter Teniers, ein mäßiger
Jan Steen, ein ebensolcher Pieter de Hoogh, ein vorzüglicher Metsu,
ferner Bilder von W. v. Mieris, P. Codde, J. v. Ruysdael, J. v. Ostade,
Literaturbericht.
81
L. van Valckenborch, G. B. Weenix, CI. Berchem, Ph. Wouverman,
Hondecoeter und Huysum. Den Niederländern folgen ein französisches
Frauenbildnis aus dem 15. Jahrhundert und ein Männerporträt aus der
Schule Holbeins.
Auf ein ganz anderes Gebiet führt uns Lieferung 5, die das Kloster
St. Sabas von Storoshy bei Swenigorod (in der Nähe von Moskau) bringt.
Leider hat eine Verwechselung von Unterschriften, die erst im folgenden
Hefte korrigiert wurde, viel Verwirrung in die Lieferung gebracht. Die
im Wladimirschen Stile um die Wende des 14. Jahrhunderts erbaute
Kathedrale von Swenigorod ist irrtümlich als die Klosterkathedrale zur
Verklärung Christi von 1693 bezeichnet. Diese, von der Schwester
Peters d. Gr. Sophia (Reichsregentin 1682 — 1689) erbaut, ist auf S. 95
zu sehen und als späteres Erzeugnis ohne weiteres kenntlich; die Unter-
schrift dieser Abbildung »palais du tzar Alexis Mikhailovitch« gehört zur
Abbildung S. 94, wo neben der alten Klosterkathedrale zur Geburt der
Mutter Gottes vom Anfang des 15. Jahrhunderts der Palast des Zaren
Alexei (1645 — 1676) zu sehen ist, den er sich am Ziele häufiger Pilger-
fahrten erbauen ließ. Das lebhafte Interesse des Zaren für das Kloster
bezeugen außerdem noch das Zaren- oder Schöne Tor in der Umfassungs-
mauer, der Ikonostas der Kathedrale zur Geburt Mariae und zahlreiche
Paramenten und Kirchengeräte. Ihnen fügte sein ältester Sohn und
Nachfolger Zar Feodor III. (1676 — 1.682) den Schrein des heiligen
Sabas hinzu.
Mit der sechsten Lieferung, die auch einige Lückenbüßer, wie eine
römische Frauenbüste und Zeichnungen von Claude Lorrain und Prima-
ticcio aus der Ermitage enthält, begann die Publikation der kunst-
gewerblichen Schätze, die auf der großen historischen Ausstellung des
vorigen Frühjahres in Petersburg zu sehen waren. Auf sie des Näheren
hier einzugehen verbietet sich und so darf denn dieser Bericht schon
mit der fünften Lieferung des laufenden Jahrgangs schließen.
James v. Schmidt.
Architektur.
Albrecht Haupt. Peter Flettner der erste Meister des Otto-
Heinrichsbaus zu Heidelberg. Leipzig, Karl W. Hiersemann 1904.
Kunstgeschichtliche Monographien I. Mit 15 Tafeln und 33 Abb. im
im Text. 99 S.
Der Kampf um das Heidelberger Schloß, wie er auch ausgehen
möge, scheint mittelbar Gutes zu stiften, indem er die historische Er-
kenntnis fördert. Mancher, der sich über die Restaurierungsfrage ein
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 6
82
Literaturbericht.
Urteil bilden will, betrachtet vielleicht zum ersten Male mit kritischem
Blick das öfter besungene als studierte Gebäude. Die Kontroverse über
die Restaurierung ist schließlich ein Streit um historische Dinge, und die
Parteien wafifnen sich mit Kenntnis von dem Gewordenen.
Etwas vom Geräusch des Tages klingt hinein in die inhaltreiche
Schrift Haupts mit dem überraschenden Titel. Flettnef ist der als Flötner
bekannte Nürnberger Kleinmeister, dessen Person neuerdings gewaltig
anschwillt. Die Arbeit Haupts ist lebhaft und mit viel Beredsamkeit
geschrieben, von dem begreiflichen Wunsch angetrieben, eine neue These
möglichst rasch bekanntzumachen. Der Text ist reich an Pleonasmen und
übertreibenden Wendungen.
H. analysiert den sog. Otto -Heinrichsbau, um festzustellen, was
im Jahre 15 58 fertig gewesen sei. Aus diesem Jahre besitzen wir als
wichtiges Dokument den Vertrag mit Alexander Colins, dem Bildhauer
aus Mecheln. Die Dekorationsstücke niederländischen Charakters, die der
Verf. als Arbeit des Colins aussondert, sind ihm unorganische Zutaten
zu dem vorher Geplanten und teilweise Ausgeführten. Eine Rekonstruktion
des ursprünglichen Planes wird versucht, wobei sich ein einheitliches
geistreiches Fassadensystem im Stile der oberitalienischen Frührenaissance
ergibt. Otto-Heinrich, nach dem der berühmte Bau benannt ist, wäre
nach H.s Auffassung als der erste Zerstörer der Fassade anzusehen. Unter
der Herrschaft seines Vorgängers Friedrichs II., der 1544 auf den Thron
kam, wäre der Plan festgestellt und in der Hauptsache auch schon aus-
geführt worden. Peter Flettner starb am 23. Februar 1546, kann also
unter Friedrich II., nicht aber unter Otto-Heinrich, der 1556 zur Herr-
schaft gelangte, als Zeichner der Fassade in Betracht kommen. So hängen
die beiden Thesen des Verfassers zusammen. Und die temperamentvolle
Argumentation über das Datum ist eingegeben von dem Wunsche, die
berühmteste deutsche Renaissancefassade in das unglaublich buntscheckige
»Werk« des Nürnberger Meisters einzuschieben.
Der von Zusätzen gereinigte Palast, wie H. ihn rekonstruiert, unter-
scheidet sich von dem vorhandenen hauptsächlich durch die Fenster-
gliederung und sieht aus wie ein konsequent durchgeführter oberitalienischer
Backsteinbau. Man erwartet die Vermutung, Friedrich II. habe sich eines
italienischen Bauleiters bedient, dessen Absichten deutsche und niederlän-
dische Werkmeister mit halbem Erfolge verwirklicht hätten, und ist einiger-
maßen erstaunt, Peter Flötner als den Zeichner präsentiert zu bekommen.
Was H. nach Reimers und Lange über Flötner mitteilt, ist skizzen-
haft, enthält aber aufregende Andeutungen von neuen Funden und
Studienergebnissen, die, wie wir hören, bald im Jahrbuch der kgl. preu-
ßischen Kunstsammlungen, erscheinen werden.
Literaturbericht.
83
Die neue Datierung des Otto-Heinrichsbaus hat H. bereits 1902
in seiner Schrift zur Baugeschichte des Heidelberger Schlosses (Frank-
furt a M.) zu begründen versucht. Koßmann hat diese Umdatierung mit
anderen Argumenten befürwortet (1903, Der Ostpalast zu Heidelberg,
Straßburg, Hertz). Bestritten wird die These von Friedrich H. Hofmann
in diesem Hefte (S. 63 ff.).
Beim Aufbau seiner Hypothese, die den Erfinder der ursprünglichen
Fassade betrifft, stützt sich H. namentlich auf eine Vergleichung der Orna-
mentstücke mit Zeichnungen und Holzschnitten Flötners, im besonderen
mit den Abbildungen in der Nürnberger Vitruv-Ausgabe von 1548.
Friedländer.
Skulptur.
Maad Cruttwell. Luca and Andrea deila Robbia and their suc-
cessors. With over 150 illustrations. London, J. M. Dent. New-
york, E. P. Dutton. 1902. Gr. 40. 362 S.
Die Verfasserin dieser breit angelegten Robbia-Monographie hat mit
großem Fleiß die Resultate der Forschung aufgearbeitet, die durch W.
Bode, A. Marquand, Cavalucci, Molinier, Perkins, Carocci und Reymond
gefunden sind; sie hat ferner eine die Vorarbeiten überbietende, voll-
ständige Zusammenstellung aller Dokumente, die hier in Frage kommen
und von 1427 — 1566 (45 Nummern) reichen, gegeben und mit pein-
licher Gewissenhaftigkeit eine Liste aller heute noch vorhandenen und
zum Teil so stark versprengten Robbiastiicke (es sind immerhin noch
1170!) aufgestellt. Durch diese Liste, die freilich in der Verteilung der
einzelnen Nummern auf die verschiedenen Robbiameister nicht allseitigen
Beifall finden wird, ist unser Robbiainventar wohl definitiv festgelegt;
die Zusammenstellung geht über die Angaben bei Cavalucci und dem
Cicerone und namentlich über die rührende Liste der Marchesa Burla-
macchi weit hinaus. Wer selbst einmal im Getümmel der Alinarischen
Robbiaphotographien gestanden hat, weiß, wie schwer eine Scheidung
dieser Scharen zu erreichen ist, die selbst vor den Originalen nicht immer
gelingt. Freilich sollten wir jetzt bei Luca allmählich zu einer Über-
einstimmung kommen; mögen Datierungsfragen offen bleiben, die Attri-
butionen können, nachdem Bode die Merkmale so klar bestimmt hat,
nicht mehr fraglich bleiben. Der Rückgang, den die. Forschung über die
Robbia erlebt hat, ist durch Marcel Reymond verschuldet, der sich dog-
matisch an einige Sätze gebunden hat, die leider Gottes falsch sind.
In bezug auf die Marmor- und Bronzearbeiten Lucas herrscht jetzt
wol allgemeine Übereinsiimmung, bis auf das von M. Cr. um 1520 da-
6*
84
Literaturbericht.
tierte Oxford-Tondo, das die Verfasserin nur dem Atelier geben will und
daher aus der kleinen Zahl der Frühwerke Lucas streichen muß. Dagegen
setzt bei der Glasur die Differenz der Forscher schroff ein; in dem Be-
streben, die Jugendzeit Lucas, die seine ersten dreißig Jahre umspannt,
mit Arbeiten zu schmücken, möchte M. C. die Madonna im Rosenhag,
(Bargello), die Madonna Frescobaldi (Berlin) und die Innocenti-Madonna
in die Zeit zwischen 1420 — 30 rücken. Ich habe an anderer Stelle nach-
zuweisen versucht, daß die ganze Glasurtechnik Lucas eist nach 144®
einsetzt ; aber auch wenn wir dies nicht wüßten, wäre es sehr verwegen,
aus den gotisierenden Formen der Madonna bei Luca auf eine so frühe
Entstehung zu schließen. Denn Luca bleibt überhaupt in gewissem Sinne
gotisch bis in die späteste Zeit; und dann ist geiade das lhema dei
Madonna nicht geeignet, um Datierungsfragen an ihm zu diskutieren,
weil es das konservativste aller Quattrocentothemen ist. Fällt aber die
frühe Ansetzung dieser drei Madonnen, so muß die ganze Reihe dei
Madonnen revidiert werden. Richtig erscheint es mir, mit d. Vf. die zeitliche
Einheit der drei Wappen an Or San Michele anzunehmen, so daß also
auch das Wappen der medici e speciali (mit der Madonna im Taber-
nakel) erst um 1463 entstanden wäre. Weder die gotisierenden können
noch die Polychromie (die übrigens auch bei der von Reymond kürzlich
aufgefundenen Madonna Corsini wiederkehrt) zwingen zu früherem Datum,
da es sich hier nicht um eine freie Komposition, sondern um Heraldik
handelt. Endlich ist der Glasur die absichtlich breite Faltengebung, die
Betonung der Lagen und die hohe Giirtung der Kleider, wie sie die
Gotik liebt, so sehr willkommen, daß es auch hieraus sich erklärt, warum
Luca auch in den Arbeiten der sechziger Jahre nicht zu den Fort-
geschrittenen gehört. Die Verfasserin hat mit Recht die lonskizze dei
Thomasgruppe bei Herrn von Beckerath in Berlin für Luca in Anspruch
genommen. Diese kann erst nach 1459 entstanden sein und verrät doch
noch viel Gotik.
Es gilt heut in gewissen Kreisen für kritisch, den Berliner Stücken
Lucas gegenüber die Bedenken zu teilen, die M. Reymond zuerst formu-
liert hat; so läßt auch M. C. der Berliner Sammlung nur zwei Arbeiten
des Meisters: die Madonna Frescobaldi und den Jünglingskopf. Weder
die bemalte Stucco-Madonna, die der glasierten in den Innocenti so nahe
steht, noch die glasierte Apfelmadonna finden Gnade vor ihren Augen,
von all den andern Reliefs zu schweigen. Ob die Verfasserin durch
solche Zweifel sich den Beifall der kompetenten Beurteiler zuziehen wird,
bezweifle ich; es gibt eine Vorsicht, die dielochter der Unkenntnis ist.
Viele von uns, die seit Jahren die Berliner Sammlung studieren, haben
anfangs manche Zuschreibung nicht verstanden; aber mit der Zeit ver-
Literaturb ericht. 85
deutlichte sich vieles und wir empfanden beschämt, daß unser Zweifel
töricht war.
Es darf sich bei diesen Fragen nicht länger um »Hie Welf, hie
Waibling« handeln; wir müssen unbekümmert auf die Objekte losgehen
und hier zu einer Übereinstimmung zu kommen suchen. Die Kontrolle
technischer Besonderheiten, die Güte der Vitrine, die Augen- und
Brauenbehandlung, auf welche Dinge A. Marquand immer wieder als Unter-
scheidungsmerkmale hingewiesen hat, führt leider nicht zu definitiven Er-
kennnungszeichen ; ich habe mich wenigstens zwei Jahre lang vergeblich
daran abgemüht. Auch ist A. Marquands These, Luca setze das Kind
stets rechts, Andrea links, nur in der zweiten Hälfte richtig (bis auf den
auch sonst so widerspruchsreichen Altar der Medicikapelle in Sa Croce);
bei Luca lassen sich immerhin neun Ausnahmen nachweisen. Die viel
diskutierte Madonna Bertello in San Gaetano in Florenz gibt M. Cr.
Andrea, wie mir scheint mit Recht. Sie stimmt mit Andreas Kissen-
Madonnen (Bargello, Palermo, Hamburg) leidlich überein, bis auf den
sonst bei Andrea nie fehlenden Heiligenteller, wenn sie auch strenger
und herber ist. Andrea nähert sich hier (etwa um 1470) auffallend An-
tonio Rossellino.
Die große Gruppe der Visitazione in Pistoia hat M. Cr. Luca ge-
lassen. Darin herrscht heute wohl Übereinstimmung, daß Andrea sie
nicht gemacht haben kann. Sie muß entweder von Luca sein oder aus
dem Cinquecento stammen, auf das auch der alte Name Fra Paolino
hinwies. Ich glaube einen Beweis für Lucas Autorschaft darin gefunden
zu haben, daß ein Altar in Lamporeggio aus der Spätzeit diese Gruppe
im Mittelteil wiederholt und verrät, wie man im Cinquecento das "Vorbild
umgeformt hat. Die Großzügigkeit und Freiheit der Faltenbehandlung bei
der Pistojeser Gruppe erklärt sich aus den Dimensionen der überlebens-
großen Figuren; für das viel diskutierte Kopftuch Marias bildetdas Frauen-
porträt P. Pollaiuolos bei Frau Heinauer in Berlin ein Vergleichstück.
Der Oxfordtondo, welcher auf der Rückseite bekanntlich das Datum
17. Januar 1428 trägt, ist so leidenschaftlich diskutiert worden, daß man
meinen sollte, ein Resultat müßte jetzt gefunden sein. M. Cr. wiederholt
hartnäckig Reymonds Behauptungen und stößt das Stück in das begin-
nende Cinquecento, »more Raffaellesque than early quattrocento in type«.
Die Wiederholung des Tondo im Louvre (Nr. 424) ist von der Verfasserin
nicht als modern erkannt. Natürlich werden auch die nach einer Bronze
geformten Tondi des Louvre und der Sammlungen Beckerath und Mond
Luca abgesprochen. Paris besitzt nach M. Cr. nur in den beiden Tu-
genden des Musee Cluny eigenhändige Arbeiten Lucas — diese gerade
aber sind Nachbildungen nach der Decke in San Miniato! Die Anbetung
86
Literaturbericht.
des Kindes in Crefeld, bei Foule und beim Fürsten Liechstenstein
(letztere nicht erwähnt) finden sich ebenfalls in diesem Lucakatalog
nicht, das Crefelder Stück wird Andrea gegeben. — In bezug auf die
Evangelisten der Pazzikapelle wird der Vorschlag Ed. von Lipharts wieder
aufgenommen, Brunelleschi habe sie modelliert. Ich halte diese Stücke
mit Bode für das Früheste, was Luca für die Pazzikapelle gearbeitet
hat, kann aber freilich nicht in die 30er Jahre zurückgehen, sondern
datiere diese dondi um 1444. Reymond bleibt auch neuerdings (Ri-
vista d arte III, 5) wieder bei dem alten Trotz, diese Evangelisten seien
der Polychromie wegen späte Arbeiten um 1470. Solchen Repetitionen
gegenüber muß immer wieder versichert werden, daß Luca sich nicht
mehr und mehr in das Farbenquintett hineinarbeitet, sondern daß er aus
der Vielfarbigkeit allmählich in das blau-weiße Duett retiriert — wo
nicht, wie bei der Wappenmadonna, andere Gründe mitsprechen.
Mir scheint wenig Aussicht vorhanden, daß durch archivalische
lunde die oben berührten Streitfragen geschlichtet werden könnten; die
Dokumente der Pazzikapelle, des Domes etc. sind größtenteils schon auf-
gearbeitet, in Pistoia hat man vergebens gesucht, das Mediciinventar
gab keine Aufschlüsse. So arbeitet die stilistische Kritik.
Andrea ist man jetzt geneigt höher einzuschätzen als früher; schon
quantitativ ist sein CEuvre eindrucksvoll. Die wichtige Frage, ob Andrea
auch marmorarius gewesen, bejaht M. Cr. mit dem alten Hinweis auf
den Altar in Sa Maria delle Grazie in Arezzo. Ich halte es für ganz
unwahrscheinlich, daß wir von Andrea, hätte er den Stein bearbeiten
können, nur das eine Stück besitzen könnten. Gewiß hat er die Guir-
lande in Arezzo gemacht; das andere muß von Bened. da Maiano oder
einem Genossen desselben stammen. Die Sache liegt hier ähnlich wie
in San Giobbe in Venedig, wo Andrea ebenfalls die Marmorarbeit des
Altars einem andern (Francesco di Simone oder Ambrogio da Milano)
überließ. Man bedenke, daß der 1436 geborene Andrea bei dem Onkel
gerade in dem Augenblick in die Lehre kam, wo dieser dem Marmor
Valet gesagt hatte. Zudem hatte die Glasur den Vorzug des Monopols,
sie wird in Lucas 1 estament nicht ohne Grund ars satis superlucrativa
genannt. — Schwer zu erklären bleibt es ja allerdings, weshalb Andrea
in der Lünette des Monte di Pieta in Florenz den Cristo morto des
Altars in Arezzo ohne Umstände kopiert hat; hier mag der Wunsch des
Bestellers maßgebend gewesen sein.
Manches Neue und Vervollständigende bringen die Kapitel über
die dritte Robbiageneration; namentlich der Abschnitt über Girolamos
Arbeiten in Frankreich und der über Bened. Buglione ist wichtig. Die
ins Massenhafte gehende Herstellung entzieht sich vielfach dem einzelnen
Literaturbericht. 8 7
Autorennachweis; das ist aber nicht schmerzlich bei Arbeiten, die nicht
mehr individuelles Gepräge haben und nur technisch entwickelt sind.
Die Illustrationen sind gut ausgesucht und nicht unklug gehäuft.
Hätten aber nicht gerade die strittigen Stücke abgebildet werden sollen,
wozu das IX. Kapitel (Works attributed to Luca) Gelegenheit bot? Eine
Abbildung von Girolamos Chateau de Madrid nach Ducerceau hat die
Verfasserin nachträglich in der Gazette d. b. a. gegeben.
Paul Schubring.
Malerei.
Dürers Dresdener Altar. Von Ludwig Justi. Mit 7 Abbildungen.
Leipzig. Verlag von E. A. Seemann. 1904. 80. 41 S. M. 1.50.
Ich habe im Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen (1904, 3. Heft)
auseinanderzusetzen versucht, wie wenig man berechtigt ist, den Dres-
dener Altar ohne weiteres dem Werk Dürers einzureihen, wie das Mittel-
bild gar keine gesicherten Analogien hat, und wie auch die Flügelfiguren,
die überzeugender aussehen, in verdächtiger Begleitung erscheinen. Auf
diesen Aufsatz antwortet Ludwig Justi in eingehender, von warmem
Sachinteresse getragener Antikritik. Der Dresdener Altar ist ihm nicht
nur ein durchaus sicheres Stück Dürers, sondern geradezu das wertvollste.
Die erhobenen Schwierigkeiten sucht er zu beseitigen, indem er sie einer-
seits aus dem jetzigen Zustand der Bilder erklärt, andrerseits sie nicht
anerkennt und Tugenden aus Mängeln macht.
Ein entschiedenes Verdienst hat sich mein geehrter Gegner von
vornherein erworben, indem er zum erstenmal das Triptychon aus Glas
und Rahmen nehmen ließ und dabei die wichtige Tatsache feststellte,
daß die rahmenden Pfeiler des Mittelbildes nicht nur in der Farbe auf-
gefrischt sind, sondern als Gesamtform neu sein müssen, da sie nur bis
zum jetzigen obern Abschluß des Bildes reichen und auf dem umge-
schlagenen Rest der alten (größeren) Leinwand keine Fortsetzung haben.
Diese Pfeiler waren aber ein wesentliches Moment gegen die Dürersche
Autorschaft. Die Quadratur des Bodens und die Deckenzeichnung des
Hinterraumes hält Justi dann ebenfalls für neu, und auch das Gebetbuch
mit dem langweiligen Tuch darunter. An allem andern nimmt er keinen
Anstoß. Das Mittelbild sei ein Bild, wie Os in die Zeit nach 1495 voll-
kommen passe, und die Flügel, die unverkennbar einen späteren Stil
zeigen, seien »ausgezeichnet erhaltene« Werke aus der Meisterzeit von
1508 — 1 5 1 5-
Was mir am Mittelbild bedenklich schien, der Mangel der tempera-
mentvollen großen Linie Dürers, die Kahlheit der Flächenfüllung, die
88
Literaturbericht.
dekorative Unsicherheit in der Art, wie (in auffallendem Gegensatz zu
der großen Anlage des Hauptmotivs) peinlich ausgeführte Details ver-
einzelt und wirkungslos vorgebracht sind, nimmt Justi nicht schwer. Auf
die Zeichnung geht er wenig ein, die auffallende Flächenfüllung möchte
er durch ein stoßweises, nicht von Anfang an überlegtes Arbeiten Dürers
annehmbar machen und bezüglich des letzten Einwands meint er sogar,
daß ich wohl aus cinquecentistischer Voreingenommenheit heraus urteile.
Ich kann aber versichern, daß ich nicht mit dem Maßstab des Fra Bar-
tolommeo gemessen habe, sondern mit dem des jungen Dürer, dessen
Arbeiten überall den ganz überzeugenden dekorativen Zusammenhang
haben, auch zusammengetragene Kompositionen, wie der Stich der sog.
»Eifersucht«, auf den sich Justi wiederholt bezieht. Es ist nicht richtig,
daß Dürer für das »Zusammen« der Figuren hier kein Gefühl gehabt habe:
sie sind in derselben strengen Weise dem Dreieck untergeordnet wie das
im »Männerbad« und in den Beweinungen der Münchener Pinakothek
und in der großen Passion geschehen ist.
Daß das Motiv eines großen, verkürzt gesehenen Kopfes für Dürer
wohl paßt, gebe ich gerne zu. Sollte am Ende das Störende alles nur
durch Restauration hineingekommen sein? In der Tat: ich habe seit-
her das Bild auch außer Glas und Rahmen gesehen und mich überzeugt,
daß die Übermalungen noch einen weiteren Umfang haben als Justi wohl
annimmt. Es ist ja an sich unwahrscheinlich, daß nur die Fußboden-
quadratur hinzugemalt worden wäre und Einzeldinge wie die Decken-
balken des Hinterraums : von dem undekorativen Kleinzeug ist vieles neu,
die Fensterbrüstung, das Beschlägwerk, die Türe, die Werkstatteinrich-
tung usw. *) und auch in den Hauptfiguren ist stellenweise eine spätere
Hand der Zeichnung nachgegangen und hat sie kleinlicher gemacht. Es
bliebe also die Frage, ob so viel abgeschält werden kann, daß der Kern
ohne weiteres mit Diirerischer Art zusammenschießt? Vielleicht, aber so
wie die Dinge sich jetzt geben, geht es nicht. Wer kennt denn ein Kind
wie dieses Christuskind, zusammengebacken und lahm im Umriß, wo doch
Dürer überall die Linie gliedert und reich macht. Und wie das Kind
so sind die betenden Hände der Mutter, Hände, die im Motiv nirgends
eine Analogie haben, so umfangreich das Vergleichungsmaterial ist. Usw.
Als Dekoration mag die Engelgarnitur ursprünglich (d. h. ohne die
Konkurrenz großer Architekturmotive) weniger schlecht ausgesehen haben.
Ich habe gewiß kein besonderes Interesse, irgend jemanden in seinem
Glauben irre zu machen, nur bitte ich um das Zugeständnis, daß die
*) Die fatalen reinemachenden Engelchen werden von kundiger Seite wiederholt
für den alten Bestand in Anspruch genommen.
Literaturbericht.
89
Dürerattribution eine Sache ist, die erst bewiesen werden muß. Dieser
Beweis kann nur geführt werden durch Aufzeigung von Analogien, und
nach dem bisher vorgebrachten will es mir scheinen, daß es immer noch
leichter sein möchte, die Unzugehörigkeit als die Zugehörigkeit der Dres-
dener Maria zum Werk Dürers wahrscheinlich zu machen. —
In bezug auf die Flügelbilder möchte eine Einigung leichter zu
gewinnen sein. Es ist nicht wahr, daß sie tadellos erhalten sind; aber
es ist nicht schwer, die Zutaten wegzudenken und dann bleibt ein Rest,
für dessen Originalität auch ich ohne weiteres eintreten könnte. Daß
die Sachen nicht ganz in Ordnung sind, lehrt schon eine genauere
Analyse des Stofflichen: der Mantel des Sebastian fällt in vertikalen
Falten über die Brüstung, durch das Wasserglas wird die Fläche in eine
horizontale umgedeutet, das eine oder das andere ist also falsch; ein
Engel beim Antonius sticht mit einer Lanze in der linken (!) Hand auf
eine unmögliche Weise über einen Kollegen hinweg, ein andrer drüber
hat die Flügel hinter den Ohren und einen Federschopf auf dem Kopf
usw. Die »zahmen« Ungeheuer sind sicher größernteils auch in der
Form neu, nicht nur in der Farbe. Auch die Hauptfiguren sind in
wichtigen Partien alteriert.
Für die Hände des Sebastian hatte ich auf eine parallele Zeich-
nung hingewiesen, die Dürer 1508 bei Anlaß des Heller -Altars machte,
und ich benutzte das als einen Grund gegen die Dürersche Herkunft
des Bildes. Das möchte ich zurücknehmen, zumal es sich doch nicht
um eine ganz wörtliche Wiederholung handelt. Und damit verliert auch
das Datum als terminus post quem seine Verbindlichkeit, und wenn die
Flügelbilder datiert werden sollen, so würde ich sie, im Gegensatz zu
Justi, nicht nach, sondern vor 1508 setzen, noch vor die große italienische
Reise. Für die Meisterjahre sind sie doch zu altertümlich.
Damit genug. Es erfährt gewiß selten eine These eine so sorg-
fältige Kritik, wie Justi sie der meinigen gewidmet hat. Merkwürdig,
daß trotzdem nicht mehr Zwingendes vorgebracht worden ist. So wenig
ich ihn überzeugt habe, so wenig hat er mich überzeugt. Ist das kunst-
kritischer Beweisführung überhaupt versagt? »Den viehischen Gedanken
nehmen wir nicht an«, antworte ich mit Dürers Worten. Wer sich für
die Angelegenheit näher interessiert, der sei auf eine ausführlichere Dar-
legung im ersten Bande des Dresdener Jahrbuchs, einer demnächst er-
scheinenden neuen Kunstpublikation, verwiesen, wo mit neuem kritischen
Material die Frage einer hoffentlich endgültigen Lösung zugeführt wer-
den soll. II Wölßlin.
9o
Literaturbericht.
Hand Zeichnungen schweizerischer Meister des 15. — 18. Jahr-
hunderts. Unter Mitwirkung von Professor D. Burckhardt und Professor
H. A. Schmid, herausgegeben von Dr. Paul Ganz, Konservator der öffentl.
Kunstsammlung zu Basel. — Basel, Verlag von Helbing & Lichtenhahn.
In dem Moment, wo die verbreitete Albertina-Publikation die Geduld
der Abonnenten durch die Dürftigkeit ihrer Gaben auf eine harte Probe
stellt, beginnen die Baseler Kunsthistoriker, unter Führung von Paul Ganz,
ein neues Handzeichnungswerk, das sich eine viel kleinere Aufgabe stellt,
nur die allemannisch-schweizerische Kunst darstellen will, aber jedenfalls
den Vorzug hat, aus jungfräulichen Schächten schöpfen zu dürfen. Die
reichen Bestände der Basler Sammlung sollen publiziert werden, dazu
was sonst in der Schweiz ist und was in ausländischen Kabinetten dem
Kreise angehört. Das Format ist etwas größer als das der Albertina-
zeichnungen und die Technik der Reproduktion wechselt nach Bedürfnis.
Die erste Lieferung mit 15 Blättern macht einen vortrefflichen Eindruck.
Meister E. S., Urs Graf, Niclaus Manuel, Hans Baidung, Hans Holbein
geben den Ton an. Dazwischen erscheint ein baslerischer Anonymus des
15. Jahrhunderts; ein Hans Funk von Bern, wahrscheinlich der Vater des
Monogrammisten H F (signierte Zeichnung aus München); Hans Leu;
und über Tobias Stimmer geht die Linie weiter bis ins 18. Jahrhundert
zu Sigmund Freudenberger. Ein bei gelegter Text gibt eine sehr genaue
fachmännische Orientierung. Fast sensationell wirkt die Notiz von Ganz
zu Holbeins großer Schlachtzeichnung (»1532«): »der Komposition liegt
eine regelrechte geometrische Konstruktion zugrunde, über welche ich
andern Ortes eingehend belachten werde«. Es scheinen nicht nur Spuren
der Konstruktion vorhanden zu sein, sondern es hat sich noch in Kopie
der Rest der Zeichnung gefunden, der das Gesetz erst ganz bestätigt.
Daß die Bildtafeln von allem Text außer den Künstlernamen befreit
wurden, läßt sich verstehen, und doch möchte man etwas immer gleich
mit der Anschauung zusammen erfahren: wie die Reproduktion in der
Größe sich zum Original verhält. Der Text gibt dann wohl die Zahlen,
aber auch noch nicht das Verhältnis. Man muß also erst einen Maßstab
holen und das werden wenige tun. Und doch ist es bei einer Zeich-
nung von primärer Wichtigkeit, zu wissen, ob der Strich in dieser Größe
gezogen worden ist oder nicht. Stark verkleinerte Zeichnungen haben
überhaupt nur noch ein geringes Stilinteresse. Es ist höchst wertvoll,
daß Holbeins Schlacht auf einer Doppeltafel in Originalgröße reproduziert
worden ist. Einmal sollte man jedem Zeichner diese Gunst zuteil werden
lassen. Warum ist bei der weiblichen Halbfigur des Urs Graf (Taf. 4)
das Format nicht ausgenutzt worden? H. IV.
Literaturbericht.
9 1
Die königliche Gemäldegalerie zu Cassel. Einleitung: Zur Ge-
schichte der Galerie von Dr. O. Eisenmann. München. Franz Hanf-
staengl. M. 150.
Die schöne Publikation, die 72 nach neuen Aufnahmen hergestellte
ausgezeichnete Photogravuren in der Bildgröße von 20X25 cm enthält,
reiht sich würdig den großen Galeriewerken Hanfstaengls an. Die Aus-
wahl ist sehr verständig und dem Charakter der Sammlung, in der die Hol-
länder und Vlamen des 17. Jahrhunderts vorherrschen, entsprechend. Zu
bedauern wäre höchstens, daß von den 21 Rembrandts nur 12 aufgenommen
wurden. Sie bilden doch den Glanz und Ruhm der Casseler Galerie.
Eisenmanns Einleitung schildert lebendig die Entstehung der Galerie und
deren weitere Schicksale, die bewegter waren als die irgend einer andern
großen höfischen Sammlung. Aus den mitgeteilten Briefen des Gründers,
Landgraf Wilhelm VIII., an seinen künstlerischen Berater Oberst von Häckel
gewinnt man einen unterhaltenden Einblick in die Leiden und Freuden
eines fürstlichen Sammlers und die dilettantische Art des Kunsthandels
im 18. Jahrhundert. Endlich interessiert es zu hören, daß es bei einem
Betriebs- und Anschaffungsfonds von jährlich nur 3000 M. (!) der Ge-
schicklichkeit und Ausdauer des trefflichen Direktors geglückt ist, der
Sammlung noch mehrere wertvolle Erwerbungen zuzuführen.
Ausstellungen.
Die Porzellanausstellungen im Jahre 1904.
Das Jahr 1904 wird unzweifelhaft für die kunstgewerbliche For-
schung als das der Porzellanausstellungen bestehen bleiben: nicht weniger
als drei größere Ausstellungen dieser Art sind in deutsch redenden
Ländern veranstaltet worden. Das ist mehr, als in der ganzen Zeit vor-
her, zugleich ein neuer Beweis für die Tatsache, daß das Porzellan des
18. Jahrhunderts augenblicklich im Mittelpunkt des kunstgewerblichen
Studiums steht, nachdem es freilich lange genug als ein Aschenbrödel
der Kunstwissenschaft behandelt worden ist. Es ist zugleich aber auch
ein neuer Beweis für das wachsende Interesse des Publikums für diese
Kunst, da der Besuch dieser Ausstellungen und überhaupt das für sie
bekundete Interesse zum Teil alle Erwartungen übertroffen hat. So ist
denn auch der Nutzen dieser Ausstellungen ein doppelter gewesen. Sie
haben einerseits durch das Zusammenbringen eines reichen, sonst völlig
zerstreuten und zum Teil schwer zugänglichen Materials an einem Punkte,
dem Forscher ein unübertreffliches Vergleichsmaterial zur Hand gegeben,
das überall mit Eifer studiert worden ist und unser Wissen über dies
umfangreiche Gebiet stark vermehrt hat. Sie haben anderseits die Nei-
gung des Publikums für diese Kunst stark vermehrt und ihr neue Kreise
gewonnen, die hoffentlich nun ihre Ansprüche auch der keramischen Kunst
der Gegenwart gegenüber steigern werden, was nur der jetzigen kera-
mischen Produktion zum Vorteil gereichen kann.
Diejenige Porzellanausstellung, die unzweifelhaft unter allen dreien
das größte Interesse erregt hat, war die im Frühjahre im Lichthof des
Berliner Kunstgewerbemuseums veranstaltete. Sie hatte sich das größte
und schönste Programm gesetzt: die ganze europäische Porzellankunst
des 18. Jahrhunderts in mustergültigen Beispielen vorzuführen. Sie hat
damit ein Gesamtbild dieser eigenartigen Kunst gegeben, wie es bisher
noch nirgends gezeigt worden war und sich auch so "bald nicht wieder
darbieten wird. Sie ist eine völlige Rehabilitation dieser Kunst gewesen,
für den wenigstens, der einer solchen noch bedurfte. Freilich bot sie
in erster Linie eine Vorführung jener reizvollen Kleinplastik, die zu
Ausstellungen.
93
dem Originellsten gehört, was die deutsche Kunst des 18. Jahrhunderts
geschaffen hat, bisher aber in die allgemeine Kunstgeschichte noch kaum
aufgenommen worden ist. Dafür war die Gefäßbildnerei bedeutend
schwächer vertreten; hier ist eine Lücke geblieben, die später einmal
ausgefüllt werden könnte. Von ganz besonderer Bedeutung jedoch war,
daß diese umfangreiche Ausstellung nur aus Privatbesitz zusammengebracht
war und zwar, wenn man absieht von einem freilich recht bedeutenden
Münchener Sammler, lediglich aus Berliner. Das ist ein weiteres erfreu-
liches Zeichen für das große Interesse, das man dieser Kunst jetzt ent-
gegengebracht hat, um so erfreulicher, da nun dem Ausland, das dies
Interesse viel früher gezeigt und uns schon seit langem fleißig dieser
heimischen Kunstwerke beraubt, nun wenigstens an einer Stelle mit
allem Nachdruck Konkurrenz gemacht wird. Schade nur, daß diese
Freude durch die auf dieser Ausstellung stark zutage getretene Beob-
achtung sehr gedämpft wird, daß das Porzellan dank der durch seine
augenblickliche Hausse stark sich mehrenden Fälscher ein so gefährliches
Gebiet geworden ist, daß bloße Liebhaberei oder ein mehr oder weniger
dilettantisches Studium vor argen Enttäuschungen nicht bewahrt. Sind
doch einige Gebiete des Porzellans heute in dieser Beziehung bereits so
schwierig, daß selbst berufsmäßige Kenner sich auf diesen kaum noch
auskennen. Dringend kann daher nur empfohlen werden, daß, wer ernst-
haft Porzellan sammeln will, engere Fühlung mit den Museen gewinnt
und zugleich sich selbst den eifrigsten Studien hingibt. Zusammenge-
bracht war die Ausstellung in erster Linie vom Direktorialassistenten des
Museums Dr. Brüning. Dieses hat auch soeben eine größere Publika-
tion darüber herausgegeben, die die gewonnenen Eindrücke und Resul-
tate dauernd festhalten soll.
Die zweite Ausstellung fand, gleichfalls im Frühjahr, im öster-
reichischen Museum für Kunst und Industrie statt. Sie hatte sich ein
weit engeres Thema gestellt: sie wollte nur die Entwicklung einer ein-
zigen größeren Porzellanmanufaktur, die von Wien selber, vorführen, aber
so umfassend und lückenlos wie möglich, was um so erwünschter war,
da bisher in keinem österreichischen Museum diese Manufaktur auch nur
einigermaßen befriedigend vertreten war. Der Privatbesitz mußte daher
auch hier aushelfen und er konnte es, in erster Linie dank den präch-
tigen Beständen, die hier in Österreich sich noch im Besitz des damals
das Beste dieser Erzeugnisse für sich gewinnenden reichen Adels bis
auf den heutigen Tag erhalten haben, und die zum Teil für die Aus-
stellung gewonnen werden konnten. Eine Hauptfolge dieser Austeilung
war die Hebung des Rufes dieser Manufaktur, der bisher nicht allzu
hoch stand: die Frühzeit, das Barock, als die Manufaktur noch Privat-
94
Ausstellungen.
unternehmen war, erwies sich als weit selbständiger, das Rokoko als
weit höher stehend an Qualität, als man bisher vermutet hatte, und die
Sorgenthalsche Periode der Zopf- und Empirezeit gab sich als ein Ab-
schluß, wie ihn glänzender keine Porzellanmanufaktur des 18. Jahrhunderts
erlebt hat. Nur die Figurenplastik konnte, von einigen bewundernswerten
Ausnahmen abgesehen, kaum höher als bisher bewertet werden. Es fehlte
hier fast immer schon der Farbengeschmack. Diese Ausstellung war das
Werk des Kustos der keramischen Abteilung dieses Museums, des Regie-
rüngsrates Folnesisc und des Direktors des Troppauer Museums Dr. Braun.
Auch sie gedenken eine Publikation dieser Ausstellung herauszugeben.
Die dritte Porzellanausstellung veranstaltete das Grassi-Museum zu
Leipzig, um gleichfalls ein dunkles, ja wohl das bisher noch dunkelste
Gebiet in der Geschichte des deutschen Porzellans aufzuhellen, das des
Thüringer Porzellans, das in der Mitte des 18. Jahrhunderts mit so kleinen,
aber zahlreichen Anfängen beginnt, um sich im folgenden Jahrhundert
zu einer der bedeutendsten keramischen Industrien der Welt auszuwachsen.
Man wußte bisher herzlich wenig Zusammenhängendes über die Erzeug-
nisse dieser Thüringer Fabriken im 18. Jahrhundert. Man traute ihnen
nicht viel zu, und in der Tat hat das mit ungewöhnlicher Mühe zu-
sammengebrachte Material nur bestätigt, daß hier ein mittleres Kunst-
niveau nur selten überschritten worden ist. Dafür jedoch hat sich das
künstlerische Leben weit reger erwiesen, als man erwartet hat. Man
hielt zum größten Teil auf Qualität, bewies Selbständigkeit und Charakter
und warf sich mit Eifer auch auf die Figurenplastik. Freilich setzt hier
in Thüringen daneben zum ersten Male das Bestreben ein, das Porzellan
zu demokratisieren, indem man es wohlfeiler, aber auch schlechter macht.
Damit wird die Porzellankunst des 18. Jahrhunderts zur Porzellanindustrie,
die nichts mehr mit jener zu tun hat, ein Los, dem bekanntlich im 19. Jahr-
hundert so ziemlich das ganze Porzellan erlegen ist. Auch für diese
Ausstellung ist durch Direktor Graul und Dr. Kurzwelly eine umfang-
reiche Publikation in Arbeit, die die gewonnenen Resultate, die eine
wirkliche Lücke ausgefüllt haben, dauernd festhalten soll. Allen drei
Museen ist man aber zu großem Dank verpflichtet, daß sie die Auf-
merksamkeit auf ein Kunstgebiet hingelenkt, dessen historische Bedeu-
tung wie auch künstlerischer Wert solches durchaus einmal verlangte.
Stellt sich doch immer mehr heraus, daß das Porzellan des 18. Jahrhunderts
zu dem originellsten und schönsten gehört, was dieses Jahrhundert hervor-
gebracht hat, und daß namentlich wir Deutsche hier eine Erfindungsgabe
und einen Geschmack an den Tag gelegt haben, den auf diesem Gebiet
damals kaum ein anderes Land wieder erreicht hat. Das sollte uns diese
Kunst doppelt wert machen! Ernst Zimmermann.
Mitteilungen über neue Forschungen.
Zu Luciano Laurana. Im Zusammenhang mit dem Hinweis, den
v. Fabriczy in B. XXVII, S. 189 des Repertoriums gegeben hat, wird viel-
leicht eine kurze Notiz aus den urbinatischen Papieren des Florentiner
Staatsarchivs nicht ohne Interesse sein. Etwa zu Anfang des siebzehnten
Jahrhundert wurden von den »Erben des Velluti« dem Herzog von Urbino
einige Bilder angeboten, darunter das folgende Stück : »Una Prospettiua in
tauola lunga palmi 13 Incirca et alta palmi 3. di mano (di) F. Carnevale
pittore celebre d’Urbino, et anticho in prospettiua.«*) Das Vorkommen
eines so seltenen Künstlernamens in einem relativ frühen Inventar läßt ver-
muten, daß er auf guter Tradition beruhe. So würde denn für die er-
haltenen Architekturbilder (Urbino und Berlin) neben Piero und Laurana
auch Fra Carnevales Name zur Diskussion gestellt werden müssen.
G. Gr.
Zu Tizians Bildnis einer österreichischen Prinzessin. Im B. XXVII,
S. 187 dieser Zeitschrift ist über, einen Artikel von Diego Sant’ Ambrogio
referiert, in welchem dieser Autor die Entdeckung eines unbekannten Bild-
nisses von Tizian bekannt gibt. Mir liegt von dem Bild eine kleine und
matte Reproduktion vor, die ich der Güte meines Freundes Dr. G. Frizzoni
verdanke; immerhin aber ist sie nicht zu schlecht, um nicht darzutun,
daß das Bild weder von Tizian selbst noch von einem seiner Schüler
oder auch Nachahmer, ja überhaupt nicht im sechzehnten Jahrhundert
und wahrscheinlich nicht in Italien gemalt worden ist. Vielmehr trägt
das Werk vlämischen Stilcharakter und möchte zu Beginn des siebzehnten
Jahrhunderts entstanden sein (eventuell wäre ein unter vlämischem Ein-
fluß stehender Italiener als Autor möglich). Aber um nicht nur zu be-
haupten: man prüfe die Inschrift des Werks »Ego Titianus Vecelli
imaginem hanc de supremo Imperatoris mandato diebus IX perficere debui.
MDLIII«. Ein wahres Monstrum von Inschrift, für das man bei Tizian
gewiß kein Seitenstück wird beibringen können. Nun hat ja Tizian in
der Tat junge Prinzessinnen gemalt; es waren die Töchter König Ferdinands,
die in Innsbruck lebten; nur war nicht der Kaiser der Auftraggeber,
sondern eben sein Bruder, der König (s. Jahrbuch der Sammlungen d. Kaiser-
*) Carte d’ Urbino. CI. II Div. A. Fa. III.
96
Mitteilungen über neue Forschungen.
hauses XI, 2, Regest 6408). Nicht 1553 hat Tizian sie gemalt, sondern
1548, als er von Augsburg heimkehrte, nicht neun Tage hat er gebraucht,
sondern vom 4. bis 21. Oktober ist er zu diesem Zwecke in Innsbruck
geblieben und hat auch dann noch die Porträts unvollendet nach Venedig
mitgenommen, um daheim das Letzte daran zu tun. Nun hat wirklich
Tizian für den Mantuaner Hof das Bildnis eines der Prinzessinnen —
Katharina, Braut Francesco Gonzagas — wiederholt; das war aber bereits
1549 (s. Luzio im Archivio storico dell’ arte III, 1890, p. 209 fr.). Diese
Inschrift erweist sich demnach in allen Teilen als Fälschung, wobei der
Verfertiger von dem tatsächlich Geschehenen noch unbestimmte Kunde
mag gehabt haben. Ich denke nicht, daß man mir seriös entgegensetzen
wird, daß Tizian noch 1553 Wiederholungen der Porträts für die Königin
Maria von Ungarn zu malen gehabt hat (Jahrbuch der Sammlungen des
Kaiserhauses XI, 2, Regest 6459); auch damit wird die Inschrift mit all’
ihren Fehlern nicht besser. Es verhält sich aber mit diesem Tizianfund
des Herrn Sant’ Ambrogio fast noch schlimmer wie mit der Madonna
von Afifori, die von ihm »urbi et orbi« als Original Leonardos verkündet
worden ist; dieses Bild hat doch insofern mit Leonardo etwas zu tun,
als es Kopie des Londoner Exemplars der »Vierge aux rochers« ist,
während es niemandem gelingen wird, in jenem andern den entferntesten
Stilzusammenhang mit Tizian aufzufinden. Ich wäre demnach auch gar
nicht auf diese Torheit eingegangen, wenn nicht eben an dieser Stelle
davon die Rede gewesen wäre und vermutlich wenige durch Augenschein
von dem wahren Sachverhalt sich haben eine wahre Vorstellung bilden
können. G. Gr.
Giovanni di Bartolo, il Rosso und das Portal von S. Niccolö zu
Tolentino in den Marken. Dies Werk wird dem genannten florentiner
Bildhauer auf Grund der Inschrift zugetheilt, die sich an den Sockeln
der beiden äußeren Pilaster desselben befindet und wie folgt lautet:
Am linken Sockel:
Qui Florentinos Papamque Ducemque triumphis
Reddidit illustres fieri spectabile jussit
Hoc opus ille ducum ductor Nicolaus amenum
Quem Tholentinum genuit sub menibus altis.
MCCCCXXXII.
Am rechten Sockel:
Sed postquam petiit celum mens alma potentis
Hos Baptista memor frater quod jusserat olim
Transferri lapides Veneto de climate fecit.
Mitteilungen über neue Forschungen.
97
Composuit Rubeus decus hoc lapicida Johannes
Quem genuit celsis Florentia nota tropheis.
MCCCCXXXV.
Allein die Inschrift besagt nur, daß der bekannte Condottiere
Niccolo da Tolentino aus der Familie Mauruzi (den die Florentiner in
dem Fresko Andrea Castagnos in S. Maria del fiore verewigten) den
Auftrag zur Herstellung des Portals gab (fieri jussit), daß nach seinem
Tode dessen Bruder die Bestandteile des Portals von Venedig herunter-
bringen ließ und daß Giovanni Rosso das Monument zusammenfügte.
Dies ist nämlich die Bedeutung von »composuit«, im Gegensatz zu
»fecit«, womit in den Künstlerinschriften der Renaissance der Schöpfer
eines Werkes stets bezeichnet wird. In der Tat gewinnen wir aus der
genaueren Prüfung des in Rede stehenden Denkmals die Überzeugung,
daß nur ein kleiner Teil davon dem Rosso angehört, während es in der
Hauptsache ein reiches Prachtstück der venezianischen dekorativen Bildnerei
vom Beginn des Quattrocento ist. Am nächsten kommt es, in der Haupt-
idee, den auch von Venedig beeinflußten Portalen von S. Domenico (1390)
und S. Agostino (1412) zu Pesaro, nur daß diese im Spitzbogen ihrer
Öffnung und den Tabernakeln der seitlichen Pilaster durchaus die Gotik
zur Schau tragen, während sie im Portal von Tolentino, entsprechend
seiner späteren Entstehung, schon mit einzelnen Elementen der Früh-
renaissance gemischt erscheint. Diesem sich mit Spiralsäulchen und
glatten Halbpfeilern nach innen vertiefenden, rundbogig geschlossenen
eigentlichen Portal gab nun Rosso seinen seitlichen Abschluß durch An-
fügung von zwei breiten Pilastern, die er über glattem Sockel (s. oben)
durch je drei Flachnischen, mit Heiligengestalten in Halbrelief darin,
gliederte und oben mit einem über dem Halbrund der Portalöffnung
durchlaufenden halb gotischen, halb antikisierenden Gesims abschloß.
Das Gesims krönte er über den beiden Seitenpfeilern mit je einer jugend-
lichen Heiligengestalt und — über der Portalöffnung mit einem als
gotische Blattwerkkehle gestalteten Lünettenbogen, in dessen vertieftem
Felde er die Statuen der Madonna und zweier Heiligen anbrachte.
Namentlich sie, aber auch die beiden jugendlichen Heiligen über den
Seitenpilastern verraten in den schweren Gewändern den Donatelloschüler
und gehen mit seinen florentiner Campanilestatuen gut zusammen. Viel
schwächer sind die Halbrelieffiguren an den Seitenpilastern; zeigten nicht
einzelne davon die gewissen Gewandmotive, — ihre physiognomischen
Typen ließen stark an ihrem florentinischen Ursprung zweifeln. — Über
dem Lünettenbogen wurde — kaum mehr von Rosso — eine jetzt nur
noch fragmentarisch bestehende Platte mit einem in Hochrelief ge-
arbeiteten S. Georg, der über den Drachen sprengt, in die Wand ein-
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
7
98
Mitteilungen über neue Forschungen.
gelassen und seitlich durch mit Nischen gegliederte obeliskenartige Pfeiler,
nach oben aber durch einen venezianischen sogenannten Eselsrückenbogen
eingerahmt bezw. abgeschlossen. Der letztere trug auf seiner Spitze die
Statue Gottvaters (?), die jetzt an der im 17. Jahrhundert neuerrichteten
Fassade über dem Gesims steht, das ihre beiden Geschosse bezw. Haupt-
teile scheidet. — Das ganze Portal macht trotz seinem Synkretismus in
Aufbau und Verhältnissen einen nicht unbedeutenden Eindruck.
C. v. F.
Ein neues Werk Fra Ambrogios und Fra Mattias della Robbia
für die Marken kommt zu den von ihnen dort seither nachgewiesenen
Arbeiten (s. Repertorium XIII, 190; XIV, 504, XVIII, 407 und XIX,
393) neuerdings hinzu. Es handelt sich um die Errichtung einer Kapelle
samt Altar, die Fra Mattia im Verein mit seinem Bruder Fra Ambrogio für die
angesehene Familie Ricci in der Franziskanerkirche zu Macerata auszu-
führen unternahm. Laut dem von Carlo Astolfi (in dem Macerateser
Wochenblatte L’Unione vom 27. Mai 1903) nach dem Original im Ar-
chivio Prioriale des genannten Ortes veröffentlichten Vertrag vom 7. No-
vember 1527 sollte die Kapelle sein »tota sculta de lapidibus coptis
(coctis) et demum colorata et aurata, et quod sit de toto relevo et cum
coloribus bonis colorata et invitriata et ad oleo, et figure sint magne et
perfecte stature in locis suis, secundum quod designatum est in carta
quam ideo monstrat dat et assignat«. Die Figuren sollen nach der folgenden
Vorschrift ausgeführt werden: »In quatro [quadro, dem Hauptfeld] erunt
infrascripte figure: In primis Beata virgo cum puero et appareat in aerem
cum 4 tor angelis eam coronantibus. Inferirus sancta Maria Magdalena,
sancta Julia, sanctus Sebastianus, sanctus Joannes Baptista, sanctus Fran-
ciscus et sanctus Amicus, et haec predicta Capelia erit ornata cum Om-
nibus infrascriptis ornamentis: Cioe uno scabello [predella] storiato con
storie corrispondenti alli soprascripti Santi con le sue colonne quadre
storiate de tucta la vita de santa maria magdalena come appare nel de-
segno. Item de li pedi e li stalli siano ornati con le arme del patrone
con doi spiritelli [Engelputten] e de relevo come l’altro lavoro. Et le
colonne quadre con le sue base et capitelli et de sopra col suo archi-
travo frisio et cornicione intagliato come appare nel desegno: de sopra
al cornicione uno mezo tondo storiato con le infrascripte figure, cioe
santa maria magdalena assumpta da diversi angeli in cielo, et intorno al
detto arco un coro de cherubini con li archi proporzionati : et tucti
questi ornamenti invetriati ad foco secondo la qsuetudine [sic] de decta
arte, et dicte figure siano colorite ad oleo. Et prenotata cappella pro-
mette farla frate Ambrosio et frate Mactia per cento sedici ducati doro
Mitteilungen über neue Forschungen.
99
larghi, de cui fiorini cinquanta de moneta corrente per arra et parte de
pagamento si sborsano loro subito, e l’altra meza parte delli denari et
pretio predicto se pagera quando conducto serrä dicto lavoro in S. Fran-
cesco de Macerata, et l’ultimo pagamento, compito decto lavoro et finito
de tucto punto. Et perche in simile opera & qsueto [sic] mettere oro, che
dicto oro paghe la metade dicto Sebastiano [Ricci, der Besteller] et l’altra
metade dicto magistro Ambrosio. Per la securtä, per li denari cinquanta
che si pagano adesso, decto frate Ambrosio promette et dalli securtä
una sua casa posta in Montesanto«. Als Zeitraum für die Herstellung
werden 1 Jahre vom Abschluß des Vertrages gerechnet, festgesetzt.
Es ist das erstemal, daß hier die beiden wenigst bekannten Söhne
Andreas della Robbia, beide Dominikaner und begeisterte Anhänger Sa-
vonarolas, urkundlich an einer gemeinsamen Arbeit nachgewiesen werden;
Fra Ambrogio scheint aber dabei in erster Reihe gestanden zu haben.
In einem Zahlungsvermerk vom 16. November 1527 heißt es: frater Am-
brosius de Florentia pictor abuit et recepit a Sebastiano Amici de Ma-
cerata florenos quadraginta duos pro parte mercedis capelle per fratrem
Ambrosium laborandam et construendam.
Laut einem zweiten Vermerk vom 19. September 1528 bezahlt der
Neffe Pierantonio des inzwischen verstorbenen Bestellers »volens adim-
plere voluntatem Sebastiani sui patrui« neuerdings 42 Gulden an »Frater
quondam fratris Ambrosij« und am 14. Oktober des gleichen Jahres er-
hält »frater Mathias florentinus constructor pro parte pretii dicte capelle«
von Pierantonio 10 weitere Goldgulden. Zu der gleichen Zeit arbeitete
Fra Mattia am Altar für Montecassiano (er erhält urkundlich am 24. Mai
und 4. Juli 1528 Abschlagszahlungen für dieses Werk, und ist noch im
Februar 1529 daran beschäftigt); es ist somit mehr als wahrschein-
lich, daß er auch die Kapelle für Macerata in Montecassiano verfertigt
habe, wo ihm »in aedibus Comunitatis prope macellum« Werkstätte und
Brennofen eingerichtet worden war. Und hier ist sein Bruder Ambrogio
auch laut obigen Zeugnissen zwischen dem 16. November 1527 und
19. September 1528 verstorben.
Leider ist dies bedeutende Werk (das nach dem Vertrag 16 rö-
mische Fuß breit und verhältnismäßig hoch sein sollte) 1754 bei einer
völligen Umrestaurierung der (übrigens seit 1810 niedergelegten) Kirche
S. Francesco zugrunde gegangen. — Der Verfasser vermutet, es könnten
drei Predellenszenen, von denen die eine (mit der Szene der Fußsal-
bung durch Maria Magdalena) sich in seinem Besitze befindet, die beiden
andern im Museum zu Ripatransone bewahrt werden, dem in Rede
stehenden Altar angehört haben. C. v. Fabriczy.
7
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
Beissel, Stephan, S. J. Fra Angelico da Fiesoie. Sein Leben und
seine Werke. Zweite vermehrte und umgearbeitete Auflage. Mit
5 Tafeln und 89 Textbildern. Freiburg i. B. Herdersche Verlags-
handlung. M. 8.50.
Burckhard, Rudolf. Cima da Conegliano. Ein venezianischer Maler
des Übergangs vom Quattrocento zum Cinquecento. Mit 31 Abbil-
dungen. Leipzig. Karl W. Hiersemann.
Geisberg, Dr. Max. Verzeichnis der Kupferstiche Israhels van
Meckenem f 1503. Mit 3 Tafeln. Straßburg. J. H. Ed. Heitz.
M. 22.
Justi, Ludwig. Dürers Dresdener Altar. Mit 7 Abbildungen. Leipzig.
E. A. Seemann.
Prokop, August. Die Markgrafschaft Mähren in kunstgeschicht-
licher Beziehung. Grundzüge einer Kunstgeschichte dieses
Landes mit besonderer Berücksichtigung der Baukunst. 4 Bände
mit einer Karte, über 1600 Textillustrationen, genealogischen
Tabellen, chronologischen Baudaten etc. Wien. R. Spies & Co.
Schapire, Dr. Rosa. Johann Ludwig Ernst Morgenstern. Ein Bei-
trag zu Frankfurts Kunstgeschichte im 18, Jahrhundert. Mit
2 Tafeln. Straßburg. J. H. Ed. Heitz. M. 2.50.
Zu den Nachrichten über die Ecclesia Portuensis
in Clermont-Ferrand (Urbs Arverna).
Von Felix Witting.
Die Prüfung der Nachrichten, welche uns über die ältere Anlage
der Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand erhalten sind, läßt an mehr
als einer Stelle Unklarheiten empfinden, deren Beseitigung für unsere Ein-
sicht in die Geschichte der auvergnatischen Kirchenbaukunst nicht ohne
Belang ist. Der anonyme Autor der Nachrichtensammlung De sanctis,
ecclesiis et monasteriis Claramontanis1) berichtet mehrere Male über eine
durch den Bischof Avitus im sechsten Jahrhundert gegründete Marien-
kirche. Sanctissimus iterum Avitus ... in urbe Averna, .qua ....
domino annente Cathedram Pontificalem susceperat, in locum, qui ab
antiquis Portus vocabatur, in bonore S. Dei Genetricis et Virginis Mariae
Ecclesiam eleganter construxit, quam et multis Sanctorum reliquiis dili-
genter adornavit, lautet der ausführlichste Bericht.2) Weiterhin spricht
er von einer Ecclesia S. Mariae principalis, quam Avitus Pontifex-Clara-
montensis condidit, wobei er sich auf eine betus Historia S. Aviti (mscc.
ex vet. lib. Portuensis Ecclesiae) beruft, 3) und zitiert aus einem andern
Manuskript die Verse: Hoc templum sanctus primo fundavit Avitus j
Inclytus antistes nobilis et genere. Diese von Avitus erbaute ecclesia
in locum constructa, qui ab antiquis Portus vocabatur, ist offenbar die-
selbe, welche nach dem Kompilator der Bischof Sigo (8 Ö3[?] 868) re-
staurierte: S. Sigo qui Portuensem Ecclesiam a Normannis primum
eversam reparavit, und welche a. 959 der Bischof Stephanus in einem
Scriptum beneficiale als ecclesia S. Mariae, quae dicitur principalis be-
zeichnet.* *) Eine Kirche ähnlichen Titels in Clermont-Ferrand begegnet
weiterhin bei Helgaldus Floriacensis (ii. Jahrh.), dessen Vita Roberti
Regis 5) den Passus enthält: Caput autem ipsius Monasterii (d. h. von
*) De sanctis, ecclesiis et monesteriis Claramontanis libelli duo, auct. anonym!,
qui vixit circa annuni DCCCL, bei Labbe bibl. nova mscr. ed. Paris. MDCLVII, vol. II,
p. 707 sqq., wo eine ältere durch Notizen erweiterte Ausgabe durch Jo. Savero (1608)
erwähnt wird, die dem Text bei Labbe zugrunde liegt.
*) 1. C. p. 71 1. — 3) 1. c. — 4) 1. c.
5) Epitoma vitae Roberti regis, ex alte'rius monachi scriptis (Pithou, SS. XI,
59 — 79, Migne CXLI, 903 — 936, Labbe, 1. c. p. 710).
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 8
102
Felix Witting:
Saint-Aiguan in Orleans) fecit (sc. Robertus rex) miro opere in similitu-
dinem Monasterii S. Mariae Matris Domini et SS. Agricolae et Vitalis in
Claramonte constituti. Hier finden wir indes, im Titel neben der Gottes-
mutter die hl. Agricola und Vitalis genannt, von denen der Kompilator
hinsichtlich des Avitusbaues nichts weiß. Er berichtet nur kurz, daß die
Reliquien der genannten beiden Heiligen von Bischof Namatius (446 — 462)
aus Bologna nach der Stadt der Arverner kommen gelassen seien, ohne
anzugeben, für welche Kirche. Das führt uns weiter auf Überlieferungen
älterer Zeit, welche uns bei Gregor von Tours erhalten sind. Dieser
berichtet Hist, eccles. Francorum lib. II, cap. 16:6) Sanctus vero Namatius
post obitum Rustici episcopi apud Arvernus in diebus illis VIII erat
episcopus. Hic ecclesiam, qui nunc constat et senior intra murus civitatis
habetur, suo studio fabricavit Exactum ergo in XII ° anno beatus
pontifex edificium, Bononiae civitatum Italiae sacerdotes dirigit, ut ei
reliquias SS. Agricolae et Vitalis exhibeant, — und In gloria Martyrum
c. 43:7) Horum (SS. Agricolae et Vitalis) reliquias Namacius Arvernorum
episcopus devota expetiit, ut scilicet eas in ecclesia, quam ipse construxerat,
colloceret Congregatis vero civibus cum magus gaudio atque
devotione sanctam ecclesiam bis inlustratam pignoribus dedicavit. Hier
erfahren wir also von einer Ecclesia des Bischofs Namatius, in welche
dieser die Reliquien der hl. Agricola und Vitalis aufnahm.
Überschauen wir diese Berichte, so ergibt sich zunächst, daß die
bei dem Kompilator vorkommenden Titel: Ecclesia S. Dei Genetricis et
Virginis Mariae, Ecclesia S. Mariae principalis (quae dicitur principalis),
Ecclesia Portuensis sich auf eine und dieselbe Anlage beziehen. Die
Notiz des Helgaud de Fleury muß für sich allein genommen werden, da
sie auf einen Neubau des 11. Jahrhunderts geht. Hier ist nur eine teil-
weise Gemeinsamkeit des Titels mit dem des Avitusbaues vorhanden. Ist
nun aber die von Bischof Namatius erbaute Ecclesia der hl. Agricola
und Vitalis, welche der genannte Helgaud de Fleury in den Titel mit
einbezieht, identisch mit der Marienkirche des Avitus? Was der Chronist
des 11. Jahrhunderts, Helgaud, berichtet, ist noch nicht maßgebend für
frühere Zeiten. Es ist sehr wohl möglich, daß die Verschmelzung der
beiden Titel erst für den Neubau des 1 1. Jahrhunderts vollzogen wurde.
Zunächst weist nichts darauf hin, daß der Namatiusbau und der Avitus-
bau identisch waren. Und selbst wenn der Kompilator berichtet, daß
Avitus seine Anlage mit den Reliquien von Heiligen schmückte, so
kann das mit der Nachricht von der Sendung von Reliquien auf Antrieb
des Namatius nicht zusammengebracht werden: der Kompilator spricht
6) Mon. Germaniae, SS. Mer. I, p. 82. — 7) 1. c. p. 517.
Zu den Nachrichten Uber die Ecclesia Portuensis.
103
von multae sanctorum reliquiae, Gregor von Tours nur von zwei Heiligen.
Die Marienkirche des Avitus war eine neue Anlage zu den bereits vor-
handenen Kirchen in der Arvernerstadt. Auffallen muß hier nun aller-
dings, daß Gregor von Tours nirgends von dieser Gründung Notiz nimmt.
Da Avitus der Lehrer Gregors von Tours gewesen war und Gregor sich
sonst auf Grund seiner Familienbeziehungen schon über die Vorgänge in
der Stadt der Arverner recht gut unterrichtet zeigt, so dürfte man er-
warten, daß er ein gewiß bedeutsames Ereignis wie die Gründung einer
Kirche durch den 571 zum Bischof der Arverner erhobenen Avitus nicht
übergangen haben würde. Statt dessen berichtet er8 *) nur, daß Avitus
bei dem Einsturz der Antolianuskirche in Arvern sich um Anordnung
von Vorsichtsmaßregeln verdient gemacht habe, und erwähnt dagegen
eine Kirchengründung desselben in Thiers. 9) Das auffallende Schweigen
Gregors könnte vielleicht dadurch motiviert werden, daß man auf die
Überarbeitung der Historia Francorum nach erstem vorläufigen Schlüsse
seitens Gregor hinwiese, wobei die Erwähnung des Avitusbaues in Arvern
keine Aufnahme mehr fand. Aus welchem tiefem Grunde sonst etwa,
könnte nur eine eingehendste Untersuchung der Gesamtverhältnisse klar-
legen. Auf der andern Seite ist an der Glaubwürdigkeit des Kompilators
nicht ohne weiteres zu zweifeln.10) Nach unserer jetzigen Kenntnis wäre
das Bestehen eines Namatiusbaues und eines Avitusbaues das durchaus
Glaubhafte. Eine Verschmelzung der beiden Anlagen fand, so läßt die
Notiz des Helgaldus erkennen, wohl im 11. Jahrhundert erst statt, und
auf dem Platze welcher der beiden ältern Kirchen aus dem 5. bezw.
6. Jahrhundert der Neubau errichtet wurde, dürften die Nachrichten klar
erkennen lassen. Daß dabei wie im Titel so auch in der baukünstlerischen
Konzeption eine Beziehung zum Namatiusbau gewahrt wurde, ist nach
Ausweis der Überlieferung wie des noch heute bestehenden Baues aus
dem 11. Jahrhundert wohl durchaus einleuchtend.
8) In Gloria Martyrum c. 64 (M. G. SS. Merov. I. p. 532).
9) 1. c. cap. 66 (bezw. p. 533).
10) Auffallende Bestandteile in dem bei Labbe zum Abdruck gebrachten Texte
wie z. B. die Anführung der oben herbeigezogenen Notiz des Helgaldus Floriacensis
aus dem n. Jahrhundert sind wohl Einschiebsel des ersten Herausgebers der Sammlung.
Einzelne Nachrichten, wie z. B. die über eine dem hl. Michael geweihte vetus ecclesia
(bei Labbe 1. c. p. 7ioi), deuten darauf hin, daß der Kompilator in der Tat Über-
lieferungen alter Zeit benutzte. Er selbst macht, wie oben erwähnt, eine historia mscr.
S. Aviti und einen andern über, mscr., wie es scheint, metrischer Form, namhaft. Viel-
leicht lagen ihm auch auvergnatische Annalen vor, wie sie Arndt als teilweise Grund-
lage für Gregors von Tours Schriften vermutet.
8*
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler
im königl. Kupferstichkabinett in Berlin.
Von A. v. Beckerath.
In dem vor kurzem herausgekommenen Werke »The drawings of
the Florentine painters« hat der Verfasser, Herr Bernhard Berenson, auch
Zeichnungen im Königl. Kupferstichkabinett in Berlin seiner Beurteilung
unterzogen.
Da ich in vielen Fällen mit Herrn Berenson nicht übereinstimmen
kann, will ich versuchen, in folgendem meine abweichende Meinung dar-
zulegen und zu motivieren.
Ich führe die Zeichnungen unter den Namen der Künstler auf,
denen sie im Königl. Kabinett zugeschrieben sind und lasse im Anschluß
daran die veränderte Attribution des Katalogs Berenson folgen.
Sandro Botticelli. I. Studie zu einem Gottvater. I91/* X 26lj2>
Silberstiftzeichnung. Berenson: Compagno di Pesellino. Plate 39.
B. bringt diese Zeichnung in Verbindung mit dem Gottvater in
dem Bilde der Trinität von Pesellino in der Nationalgallery und sagt
»now if this Trinity were by Pesellino, this sketch would be by him
also«. Nach seiner Ansicht ist aber die Trinität von einem Nachfolger
Pesellinos, den Frau Mary Logan im Juli- und Oktoberheft der Gazette
des beaux arts 1901 als Compagno di Pesellino konstruiert hat und so
wird diesem die Zeichnung gegeben. Bisher schon war die Autorschaft
keines Bildes des Quattrocento besser durch Dokumente beglaubigt, als die
dieser Trinität; nach den nun neuerdings in der Rivista d’Arte von
Peleo Bacci publizierten Dokumenten ist gar kein Zweifel mehr möglich,
daß Pesellino der Autor des Bildes ist. Logischerweise muß B. nun
die Zeichnung Pesellino geben, was amüsant ist und Frau Logan fühlt
sich vielleicht veranlaßt, ihre radikalen Ansichten über die Trinität zu
modifizieren; in ihrem Artikel über den Compagno hatte sie den Mut, das
noble Bild bete und ennuyeux zu nennen! Beim Vergleich der beiden
alten gekrönten Männer in der Trinität und in der Zeichnung ist eine
gewisse äußerliche Ähnlichkeit vorhanden, aber ebenso klar ist es, daß
die Zeichnung nur einer ca. 25 Jahre späteren Epoche angehören kann,
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw. 105
als das Bild. (Pesellino starb am 29. Juli 1457). In der Zeichnung läßt
die Gewandung alle wesentlichen Teile des Körpers hervortreten, den
sie in freien und schwungvollen Falten umgibt. In dem Bilde bedeckt
die Gewandung mit ihren eckigen Falten und tiefen Brüchen die Formen
des Körpers und läßt sie kaum erraten. B. wird eine Zeichnung in
gleicher Technik und Entwicklung der Gewandung, wie die Berliner, die
um 1457 ca. sicher zu datieren ist, nicht nachweisen können. Die schöne
Zeichnung einer Mater dolorosa, British Museum, plate 35, ist nicht von
Fra Filippo, sondern von einem späteren Meister; wie Fra Filippo in
seinen letzten Jahren zeichnete (um 1463 begann er die Stefano -Ge-
schichten in Prato zu malen), sehen wir an der Zeichnung in Hamburg,
plate 34, sie ist weit altertümlicher in Technik und Gewandung, wie die
Londoner und Berliner Zeichnungen. Letztere bitte ich nun mit den
alten bärtigen Männern auf den Bildern Botticellis: Madonna mit den
beiden Johannes, Berlin, und den beiden großen Nr. 85 und 73 in der
Akademie in Florenz, vergleichen zu wollen und man wird Übereinstim-
mung in Typen, Extremitäten und Gewandung finden. Haare und Bart
sind mit der Botticelli eigentümlichen Meisterschaft gegeben. Die Technik
ist die des Meisters, in Qualität steht die Zeichnung auf der Höhe seiner
Kunst. Von Compagno, einem geringen Nachahmer Pesellinos, existieren
überhaupt keine Zeichnungen, um so verwegener war es, demselben eine
solche Meisterzeichnung zuschreiben zu wollen.
Sandro Botticelli. II. Das kanaanitische Weib und die Apostel.
143/4 X iö1/^ Federzeichnung. Berenson : Amico die Sandro. Reprodu-
ziert f’50, Berliner Renaissance-Ausstellung 1898.
Ich kann in dieser Zeichnung nur Botticelli sehen. Die überaus
leidenschaftlich bewegte Frau, die lebhaft gestikulierenden Apostel, deren
Typen, die schwungvoll hart und scharf gebrochenen Draperien, kommen
übereinstimmend mit den Bildern des Meisters um 1490 vor. Die Studie
zu einem hl. Thomas in der Ambrosiana, die B. unter Nr. 569 als echte
Botticelli-Zeichnung beschreibt, stimmt in jeder Beziehung mit der Ber-
liner Zeichnung.
Die Zeichnung in Florenz, Auferweckung eines Jünglings, die B.
auf f. 7 1 in Beziehung zur Berliner Zeichnung bespricht, mag von seinem
Amico sein, von Botticelli ist sie nicht. Es ist ein Irrtum, wenn B. sie
für ein Pendant der Berliner Zeichnung hält.
Benozzo Gozzoli. Studie zu Engelköpfen. i43/4 X 24. Federzeich-
nung in Bister. Berenson: Schule Benozzos.
Herr Berenson gibt keinen Grund an, weshalb er diese Zeichnung
nicht anerkennt und der Schule zuschreibt. Ich halte die Zeichnung für
io6
A. v. Beckerath:
eine Originalzeichnung. Die Übereinstimmung in den Typen mit den
Engeln in der Kapelle des Palazzos Riccardi ist schlagend.
Ich benutze die Gelegenheit, um einige Worte über die Zeichnung
in Windsor zu sagen, welche Herr Berenson auf plate 3 gibt und welche
er Fra Angelico läßt. Der unwiderstehliche Drang, von dem Herr
Berenson beseelt ist, alle traditionellen Werte umzuwerten, hat vor der
Schönheit dieser Zeichnung, mit Unrecht, Halt gemacht. Diese Zeich-
nung nach dem Typus und nach der vorgeschrittenen Technik, ist von
Benozzo und nicht von Angelico.
Schlimmer ist, was Herr Berenson über die Federzeichnungen auf
der Rückseite dieses Blattes (plate 4) sagt. Er hält sie für Originalskizzen
Angelicos für die Fresken in der St. Nikolauskapelle im Vatikan.
Das ist nicht möglich, denn die drei Figuren kommen in zwei ver-
schiedenen Fresken tale quäle wieder. Nach aller Logik können sie nur
nach den Fresken, nicht für dieselben gemacht worden sein. Auch
diese Federzeichnungen sind von Benozzo, die Hand ist dieselbe wie
auf den auf plate 7 und 8 wiedergegebenen Zeichnungen desselben.
Noch bedenklicher erscheint mir der lange Exkurs über Form und
Linie in seiner bekannten geistreichen Weise (auf plate 4 und 5), zu
dem sich Herr Berenson durch diese Zeichnungen veranlaßt findet.
Da die Zeichnungen nicht von Fra Angelico . sind, nicht von ihm
sein können, so fällt das Kartenhaus zusammen.
Die Zeichnung des Propheten David auf plate 2 ist viel zu schwach
für einen so großen Künstler, wie Fra Fra Angelico, sie ermangelt durch-
aus seines unfehlbaren Liniengefühls. Der Prophet sitzt gar nicht ordent-
lich, die Draperien sind zu gering für Angelico. Diese Zeichnung wird
von irgend einem Miniaturmaler sein.
Fra Bartolommeo. Heilige Familie mit Johannes. Kohlenzeichnung.
39 X 2 7 1(z. Berenson: Fra Paolino. Lippmann, Zeichnungen alter
Meister.
Bei der ausgesprochenen Antipathie Herrn Berensons gegen Fra
Bartolommeo wird es ihm schwer, das Zeichnungswerk des Künstlers ge-
recht beurteilen zu können. Er ist sogar geneigt, Fra Paolino auf Kosten
Fra Bartolommeos zu überschätzen. Schließlich wird er aber doch zu-
gestehen müssen, daß Fra Bartolommeo der große Meister bleibt, und
daß Fra Paolino, als »a painstaking pupil, a slavish imitator« richtig von
ihm charakterisiert worden ist.
Bei Gemälden wird man bezüglich der Autorschaft dieser beiden
Künstler heute keine Zweifel mehr haben; dasselbe muß aber auch bei
Zeichnungen der Fall sein. Die Qualitätsunterschiede des Meisters und
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
107
des Schülers müssen sich auch in ihren Zeichnungen mit Leichtigkeit
herausfinden lassen.
Herr Berenson will das allerdings nicht zugeben, er gesteht, daß
es ein Problem sei, eine sorglos und skizzenhaft gemachte Zeichnung des
Meisters von der des Schülers zu unterscheiden, f. 143 sagt er: »that is
not to besettled easily, I have done, what I could to decide, but I feel no
great confidence in my conclusions.« Herr Berenson irrt sich nun nicht
allein bei sorglos und skizzenhaft gemachten Kohlenzeichnungen, sondern
gerade bei ausgeführten Kohlenzeichnungen. Bei jeder ausgeführten Kohlen-
zeichnung ist ihm die Autorschaft Fra Bartolommeos verdächtig und er
ist geneigt, sie Fra Paolino zu geben, so bei vielen Zeichnungen in den
Uffizien, die bisher immer und mit Recht Fra Bartolommeo zugeschrieben
waren und bei der prächtigen großen Kohlenzeichnung des Berliner Ka-
binetts. Zeichnungen, die Fra Paolino »on his own account« gemacht hat,
findet Berenson »in every way of very good quality.« Zu diesen rechnet
er die Studie in den Uffizien, für die Anbetung der Magier, die Paolino
1526 für S. Domenico in Pistoja gemacht hat, »Paolinos masterpiece«.
Der Typus der Madonna in dieser Zeichnung gibt ihm genügenden Be-
weis, um zu behaupten, daß die große Zeichnung in Berlin von Paolino
und nicht von Fra Bartolommeo ist!
Wie kann man zwei Zeichnungen, die in künstlerischer Qualität so
verschieden sind wie diese, auf eine und dieselbe Künstlerhand zurück-
führen? In der Komposition geht die Berliner Zeichnung mit den Meister-
werken Fra Bartolommeos, den hl. Familien bei Lord Cowper und in der
Corsiniana zusammen.
In technischer Beziehung, im Ausdruck, in Bestimmtheit der Kon-
turen zeigt sie den Meister at his best.
Das »masterpiece« Paolinos offenbart dagegen in allem den »pains-
taking pupil«, den »slavisch imitator« Fra Bartolommeos, ohne jede
Freiheit und Bestimmtheit in den Konturen.
Domenico Ghirlandajo. Unter den unbekannten Zeichnungen im
Königl. Kupferstichkabinett entdeckte Herr Berenson eine Zeichnung von
D. Ghirlandajo, die er unter Nr. 864 (16 x 13) seines Katalogs, als eine
der charakteristischsten Skizzen des Meisters mit Triumph beschreibt.
Diese Zeichnung ist nicht von Ghirlandajo, sondern von einem unbe-
kannten bolognesischen Künstler, von dessen Hand noch vier andere
Zeichnungen mit der von Berenson entdeckten Ghirlandajo-Zeichnung
zusammenlagen und zusammenliegen. Aus meiner Sammlung sind
seitdem noch zehn Zeichnungen dieses Künstlers in das Kabinett ge-
kommen. Wären alle diese Zeichnungen von D. Ghirlandajo, so würde
io8
A. v. Beckerath:
Berlin der erste Ort in der ganzen Welt für Ghirlandajos Zeichnungen
geworden sein! Im Besitz von Herrn Carlo Prayer in Mailand befanden
sich 40 — 50 Zeichnungen dieser Hand, die, wenn auch aus verschiedenen
Epochen stammend, alle auf ein und denselben Künstler zurückgingen.
In der Ausstellung alter Zeichnungen in Mailand 1880 waren viele dieser
Zeichnungen ausgestellt; bald darauf kamen sie in den Handel. Daß der
von Berenson neu entdeckte Ghirlandajo nicht von diesem Meister sein
kann, sieht jeder Sachverständige auf den ersten Blick, wie konnte einem
Kenner wie Berenson dieser große Irrtum passieren? Der Autor dieser Zeich-
nung steht im Bann von Costa und Francia und gehört zur bolognesischen
Schule. Die überlangen, hageren Figuren, deren Physiognomien und Ex-
tremitäten, die Draperien haben absolut nichts mit Ghirlandajo zu tun.
Die langen Betrachtungen, die Berenson an die echte Gewandstudie
Domenicos, welche das Königl. Kabinett besitzt, knüpft (ich habe die-
selbe vor vielen Jahren in einem Konvolut gefunden), kann ich nicht für
zutreffend erachten. Er hält dieselbe für eine Studie zu der Madonna
in der Anbetung der Hirten in der Akademie Florenz.
Sehr unglücklich ist Berenson mit Zuweisung der auf plate 67 und
68 publizierten Porträtstudien an Ghirlandajo.
Der vortreffliche, energische Kopf, plate 68, ist sicher nicht vOn
Ghirlandajo, er weicht in Auffassung, Form und Technik vollständig von
ihm ab; irgend eine Ähnlichkeit mit den Köpfen der älteren Männer auf
dem Fresko in S. Gimignano, wie Herr Berenson meint, vermag ich nicht
zu entdecken.
Ich glaube nicht, daß diese schöne Zeichnung von einem Floren-
tiner gemacht worden ist, ich halte sie für norditalienisch, wahrscheinlich
ist sie venetianisch.
Die Bemerkung auf f. 114 über diese Zeichnung ist sehr bezeich-
nend für des Autors Selbstgefühl und Überhebung.
Zu der Frau, zu äußerst links, auf dem Fresko der Geburt der
Jungfrau von Domenico in S. Maria Novella, gibt es eine Studie in
Chatsworth, die zu den kapitalsten Leistungen des Meisters gehört.
Zu der Matrone neben dieser Frau, glaubt Herr Berenson eine
Studie in einem Kopf in Windsor plate 67 entdeckt zu haben. Ich will
darüber hinweggehen, daß man im Zweifel sein kann, ob in diesem Kopf
eine Frau oder ein Mann dargestellt ist — ich denke, es ist ein Mann —
jedenfalls handelt es sich um eine junge Persönlichkeit, die mit der Ma-
trone auf dem Fresko auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit hat. Zu-
dem ist die Zeichnung in Windsor ganz verschieden von Domenicos
Art und Weise, die sich in der schönen Zeichnung in Chatsworth in
normalster Qualität manifestieren.
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw. 109
Die Windsorzeichnung steht Lorenzo di Credi nahe und ist wahr-
scheinlich von ihm.
Daß Ghirlandajo in den Fresken in S. Maria Novella die Herren und
Damen von Florenz (seine Zeitgenossen) dargestellt hat, melden die alten
Autoren. Die Damen, in dem Fresko der Geburt der Jungfrau, welche
gratulieren kommen, sind augenscheinlich nach dem Leben porträtiert. Die
Matrone, die zweite zu äußerst links, wird davon keine Ausnahme gemacht
haben. Hätte aber Ghirlandajo sich bei ihr des verzwickten Modus, den
Berenson zugunsten der Verwertung des jugendlichen Kopfs in Windsor
erdichtet hat, bedient, so wäre die Dame eben nicht nach dem Leben
porträtiert, was aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall sein muß.
Michel Angelo Buonarroti. I. Männlicher Akt. Federzeichnung in
Bister. 21 X 29. Berenson: Schule M. Angelos.
Daß Berenson diese Zeichnung nicht als Originalzeichnung Michel
Angelos anerkennen will, bedauere ich für ihn, bisher ist sie meines
Wissens noch von keinem Kenner bezweifelt worden.
Von Schattengebung kann ich auf der Zeichnung nichts entdecken,
Michel Angelo hat die Federzeichnung über eine Vorzeichnung in Kohle
gemacht, welche letztere stehengeblieben ist.
Die schön aufgebauschte Hypothese, daß R. da Montelupo der
Autor der Zeichnung sei, weil die Schatten von links nach rechts gehen,
fällt mit der Schattenlosigkeit.
Mir erscheint der Rhytmus in der Bewegung allein für die Autor-
schaft Michel Angelos zu sprechen.
Seine Art und Weise zeigen sich darin, wie die Figur konstruiert
und balanziert ist. Die momentane Wendung des Kopfes ist vorzüglich
mit wenigen Strichen ausgedrückt.
Auf der Rückseite der Zeichnung sind nicht wenige Worte bloß,
sondern die ganze Seite ist voll geschrieben.
Es handelt sich, nach Milanesi, um ein Ricordofragment von Aus-
lagen, die Michel Angelo 1519 in Carrara für die Fassade von S. Lorenzo
gemacht hat, wahrscheinlich von der Hand seines Gehilfen Pietro Urbano.
Wenn sich Herr Berenson die Zeichnungen, die er beurteilt, doch
etwas genauer ansehen wollte!
Michel Angelo Buonarroti. II. Entwurf zu dem Grabmal Julius II
vom Jahre 1513. Federzeichnung. 41 X 56. Auf der Rückseite
Zeichnung von Beinen und Knien. Berenson: School of Michel
Angelo.
Auf den erbitterten Vernichtungskampf gegen den Entwurf zu dem
Grabmal Julius II., den Herr Berenson auf sieben Seiten seines volumi-
I IO
A. v. Beckerath:
nösen Werkes, in der ihm eigentümlichen extremen, nervösen Ausdrucks-
weise und in ermüdendster Länge führt, gehe ich nicht weiter ein.
Seitdem Herr Professor Schmarsow 1884 in einer vorzüglichen Ab-
handlung im Jahrbuch der Königl. Preußischen Kunstsammlungen diesen
Entwurf bekannt gemacht hat, sind nun zwanzig Jahre verflossen.
In dieser langen Zeit ist der Entwurf von den ersten Kunstkennern
und Kunstschriftstellern des In- und Auslandes als authentisches Werk
Michel Angelos anerkannt worden, was Berenson zu seinem Schmerz zu-
gestehen muß.
Wenn Berenson die Zeichnung ein tattered and forlorn sheet nennt,
so stimme ich dem zu, die Zeichnung ist in der Tat in einem traurigen
Zustand der Erhaltung.
Was kann aber mehr für diesen Entwurf sprechen, als daß, trotz
der mangelhaften Erhaltung, die darin zur Darstellung gekommene Idee
des Grabmals, als diejenige Michel Angelos vom Jahre 1513, allgemeine An-
erkennung gefunden hat. Die Zeit wird lehren, ob Herr Berenson daran
etwas ändern wird.
Ich beschränke mich auf einige Bemerkungen. Die Zeichnung
stammt angeblich aus dem Besitz Papst Paul IV. Carafifa. Dessen Samm-
lung wurde von seinen Nachkommen, Anfang der achtziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts, an einen römischen Kunsthändler verkauft.
Einige meiner schönsten und wertvollsten italienischen Zeichnungen
stammen aus dieser Sammlung.
Die dem Originalentwurf des Grabmals beiliegende Kopie desselben
ist jedenfalls im Cinquecento gemacht worden. (Wahrscheinlich wegen des
damals schon schlechten Zustandes des Originals.)
Diese Kopie hat folgende Unterschrift:
»questo disegno e di mano di Michel Angelo Buonarota havuto da
M. Jacomo Ronchetti pittore suo discepolo.«
Jacomo Ronchetti war ein römischer Maler des Cinquecento.
Die Federzeichnungen von Beinen und Knien auf der Rückseite
der Zeichnung haben auch gelitten, aber viel weniger, als die Zeichnung
auf der Vorderseite.
Daß diese Federzeichnungen der Rückseite Originalzeichnungen
Michel Angelos sind, kann durch Konfrontation mit anderen echten Zeich-
nungen vollkommen bewiesen werden, vorausgesetzt, daß man sehen kann
und sehen will.
Auf Seite 192 rühmt Berenson von sich, daß er sich zwölf Jahre
lang mit dem Studium Michel Angelos beschäftigt habe. (Ich bitte den
Passus nachzulesen, er ist für den Autor sehr charakteristisch.)
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
III
Ja, wenn man mit Fleiß und Eifer ein unfehlbarer Beurteiler in
Sachen Michel Angelos werden könnte! Dazu gehören aber noch viele
andere Eigenschaften, die Herr Berenson augenscheinlich nicht besitzt.
Daß Berenson nicht fähig ist, den wirklichen Michel Angelo zu
begreifen, sondern nur seinen eigenen (after his own feeling), dafür möge
das Folgende vorläufig als Beispiel dienen.
Die endlosen, langatmigen Auseinandersetzungen über die Berliner
Zeichnung unterbricht Berenson ex abrupto, durch einen Angriff auf den
Giovannino, diesen Schatz der Königl. Museen in Berlin, den er für
nur Michelangelesque erklärt.
Ich dächte, die Akten über den Giovannino seien längst geschlossen
und kein Sachverständiger zweifele mehr an der Authentizität dieser herr-
lichen Statue.
Nun kommt Berenson, post festum, noch mit seinem Zweifel!
Gegen die pilasterartig fungierenden Termini an der Außenwand
des Grabmals Julius II., vor denen die Sklaven gefesselt stehen, hat
Berenson eine wahre Idiosynkrasie, er nennt sie a Hindu contrivance.
Daß dieses eigentümliche Motiv auf Michel Angelo zurückgehen soll,
sind ihm stupid assumptions! (Immer diese extremen Kraftausdrücke!)
Nach den Nachrichten, die über das Grabmal auf uns gekommen
sind, kann gar kein Zweifel obwalten, daß dieses absonderliche Motiv
Michel Angelos eigenste Schöpfung ist.
Justi nennt es »ganz aus Michel Angelos Kopf entsprungen«.
Yol. II S. 97 schreibt Berenson: All Contemporary accounts speak
of the slaves as Standing against pilasters crowned with hermae.
Wer möchte zweifeln, daß in den Sklaven im Louvre, im Boboligarten,
in den 6 prigioni auf der Zeichnung in Oxford* dieses Motiv vorausgesetzt ist?
Berenson bemerkt: Michel Angelo was appearently capable of much
that shocks our taste and sense of fittness.
In diesem vorliegenden Fall hat sich Michel Angelo augenschein-
lich nicht nach dem taste und sense of fittness des Herrn Bernhard
Berenson gerichtet!
Warum hat Berenson das vorzügliche, höchst anregende Buch von
Justi über Michel Angelo nicht gelesen, das ihm ein vortrefflicher Pfad-
führer in Sachen des divino maestro gewesen wäre?
Auf Seite 223/224 dieses Buches findet er eine ausführliche Er-
klärung dieser Termini bei Michel Angelo.
Die Termini sind aus antiken Reminiszenzen, trotz ihrer nicht an-
tiken Anwendung, zu erklären.
»Durch die Hermen wird den übermütigen Triumphator — Sym-
bolen am Grabmal, das »Memento mori« zugefügt.«
I I 2
A. v. Beckerath:
Gegenüber der großartigen umfassenden Darstellung der Tragödie
des Grabmals Julius II., die Justi in seinem Michel Angelo gibt, erscheint
recht dilettantisch, was Berenson darüber sagt.
Und nun das schlimmste Beispiel der Verkennung Michel Angelos,
die Degradierung des herrlichen Kartons der Madonna mit dem säugen-
den Kinde in der Galleria Buonarroti! Dieses bewundernswerte Kunst-
werk soll nach Berenson — horribile dictu — von dem Simpel Bugiar-
dini sein! (Die Abbildung dieser Madonna auf plate 15 1.)
Für Berensons Autorität in Sachen Michel Angelos ist das ein
schwerer Schlag!
Wie soll man sich mit ihm verständigen, wenn er höchste Leistungen
der Kunst so verkennen kann.
Berenson schreibt: This drawing is of course ascribed to Michel
Angelo and this attribudon has never been disputed, nor indeed has the
drawing ever received much attention.
Aber ich bitte, in der Casa Buonarroti, die jeden Tag geöffnet ist
und Tausende von Besuchern im Jahre empfängt, ist diese Zeichnung an
hervorragender Stelle aufgehängt, im Gsell Fels und im Bädecker steht
sie mit einem Stern bezeichnet!
Und da soll diese Zeichnung bisher wenig beachtet worden sein?
Dringt denn der Menschheit Stimme nicht zu Herrn Berenson, ob-
gleich er in Florenz wohnt!
Wie oft habe ich in den letzten dreißig Jahren allein und mit
Fachgenossen bewundernd vor dieser Zeichnung gestanden!
Ich beginne mit den äußerlichen Gründen, die Berenson gegen die
Zeichnung ausführt:
certainly the drawing is not by Michel Angelo. It is not only in
quality altogether unworthy of him, but the materials, black and red
chalk with much white, are to my knowledge never again found in
any existing work of that master and the Child besides being modelled
in a way that is not Michel Angelos not even of his type.
Auch ich kenne keine Zeichnung Michel Angelos, die mit denselben
Materialien, wie hier bei dem Kinde, ausgeführt worden ist, aber ist dies
ein hinreichender Grund, die Autorschaft Michel Angelos zu bestreiten,
wenn sonst alles unzweifelhaft auf ihn hinweist?
Der Karton wird für ein Mamorrelief bestimmt gewesen sein und
es hat dem Meister gefallen, daraufhin das Kind in besonderer Weise
zu behandeln.
Da alle Kartons Michel Angelos, bis auf den im British Museum,
verloren gegangen sind, können wir uns freuen, daß dieser uns erhalten
geblieben ist. Die Behandlung des Kindes, abgesehen von dem Unter-
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
113
schied in den Materialien, ist nun genau so, wie die der Körper im
Bargello-Tondo und im Doni-Tondo. Die Konturen sind hart, dick, fast
brutal, das Fleisch erscheint dadurch wie eingedämmt und quillt quasi
hervor, es ist weich und zart, wie wirkliches Fleisch, die Rundung des
Körpers ist vollkommen gelungen.
Licht, Schatten, Halbschatten sind so, wie auf den obenerwähnten
Tondi.
Neben der Madonna in Casa Buonarroti hängt (Nr. 73 in Cart. 16)
eine frühe, herrliche Federzeichnung, »ein junger Mann vom Rücken ge-
sehen«, zu dem Karton von Pisa gehörig.
Von der Verschiedenheit des Materials abgesehen, ist auch hier die
Behandlung dieselbe.
Die roten Schraffierungen rechts am Körper des Kindes, um den
Kontur hervorzuheben, finden sich auf dem Bargello-Tondo, ganz analog
im Marmor.
Berenson schreibt weiter: The Virgins right hand resting on the
Childs shoulder is peculiar in that the index finger is drawn away as
lar, as it will go from the others.
Berenson findet diesen singulär mannerism in this exact degree, bei
Bugiardini und Franciabigio und schließlich findet er, daß wegen der
nahen Verbindung Bugiardinis mit Michel Angelo Bugiardini der Autor
des Kartons in Casa Buonarroti ist!!!
Atmen wir auf!
Merkwürdigerweise hat Berenson ganz übersehen, daß dieser sin-
gulär mannerism bei Michel Angelo selber sehr häufig vorkommt, z. B.
bei den Madonnen in der Pietä und im Londoner Tondo, bei dem
Sklaven in Paris, bei dem Christus in der Minerva, bei dem Jeremias
in der Sistina, also kann dieser mannerism bei der Madonna in Casa
Buonarroti, nicht gegen Michel Angelo sprechen, sondern spricht gerade
für ihn ! 1
Das einzige Beispiel für Bugiardinis peculiar hand, welches
Berenson anführt (in dem Bilde des Täufers in Bologna) paßt nun’ un-
glücklicherweise und merkwürdigerweise gar nicht, denn hier um-
faßt die Hand die Trinkschale und hält sie naturgemäß mit den ausge-
streckten Fingern.
Die Pointe ist aber, daß die Hand mit den ausgestreckten Fingern
aufliegt, wie in der rechten Hand der Madonna in Casa Buonarroti, von
der Herr Berenson ausgegangen ist.
In der Modellierung kann ich zwischen dem Kinde auf dem Karton
und dem auf dem Altarbild Bugiardinis in Bologna nicht die entfern-
teste Ähnlichkeit entdecken.
A. v. Beckeratli:
114
Herr Berenson kennt nur zwei Zeichnungen von Bugiardini.
Derjenigen bei Herrn Loeser kann ich mich nicht mehr entsinnen;
dagegen habe ich die in den Uffizien genau geprüft. Diese Zeichnung ist
gering, ich halte sie nicht für eine Originalzeichnung, die Aufschrift des
Künstlernamens rührt aus späterer Zeit.
Diesem brillanten Zeichnungsoeuvre Bugiardinis wird nun der
Karton in Casa Buonarroti beigefügt!
Was Herr Berenson über diesen Karton sagt, möge der geneigte
Leser auf Seite 250 nachlesen. Alles scheint mir total verkehrt, a rovescio
wie der Italiener sagt.
Wegen des wichtigen Falles und in Anbetracht des bedeutenden
Kunstwerks, um das es sich handelt, will ich meine Beurteilung dagegen
geben.
Der Karton in der Galleria Buonarroti ist für die Ausführung in
Marmor gemacht, er soll für die Madonna Medici bestimmt gewesen sein.
Das Kind ist ja gewissermaßen schon ein Vorgedanke des Kindes dort,
aber die Komposition tut der Natur viel weniger Zwang an und ist an-
spruchsloser.
Die Art, wie das Kind von der Mutter umfaßt wird, erinnert an
ähnliche Kompositionen unter den Vorfahren Christi in den Lünetten der
Sistina.
Es wird wohl erlaubt sein, anzunehmen, daß der Karton um diese
Zeit zu datieren ist.
Die Madonna sitzt nach rechts; dadurch, daß die rechte Schulter
zurücksteht, während die linke Schulter vorsteht, wird die räumliche
Tiefe akzentuiert, ähnlich wie beim h. Mathäus, aber dort umgekehrt.
Ihr Haupt ist nach links gewandt, der Blick scheint durch etwas
außerhalb der Komposition gefesselt, ebenso blicken die Madonnen im
Bargello-Tondo und die »an der Mauer« in die Weite.
Der linke Arm, die linke Hand sind Wunder der Zeichenkunst.
Die Überschneidung des rechten Armes ist von erstaunlicher Genauigkeit.
Von besonderer Schönheit und zarter Empfindung ist, wie die rechte
Hand herauskommt und das Kind umfaßt.
Gegenüber der gelassenen Passivität der Madonna, steht im wir-
kungsvollsten Kontrast die stürmische Wucht und Gewalt, mit der sich
das Kind an die Brust der Mutter wirft; der Körper des Kindes ist ganz
von diesem Bewegungsmotiv durchzittert.
Und nun die Formen des Kindes, die Modellierung desselben!
Man betrachte die Hüften, die Bauchpartien, den großen Bauchmuskel,
den rechten Arm mit dem vorzüglich verkürzten Oberarm, das ausge-
streckte Bein mit dem zierlichen kleinen Fuß!
Uber einige Zeichnungen florentinisch'er Maler usw. 115
Wo soll man aufhören zu bewundern! Wie fest sitzt das Kind
auf dem Knie der Mutter, wie liebevoll wird es von ihr umfaßt, wie
geschlossen ist die Gruppe von Mutter und Kind, welchen Rhythmus
hat sie!
Michel Angelo ist es selten wieder gelungen, das intime Verhältnis
von Mutter und Kind in kunstvoller Komposition so rein und natürlich
zu gestalten.
Antonio Pollajuolo. I. Herkules den Bogen spannend. Bisterzeich-
nung. 26,5, x 39. Berenson: School of A. Pollajuolo. Copy
with shlight variations after the Herkules only, in Antonios Her-
kules & Nessus of the Jarves Collection at New Haven. That this is
a copy treated in an almost frivolous, decorative spirit, will have to
be admitted, by all who know Antonio in general, who know the
painting in question and who have a feeling for line both as function
and as rhytm!
Diese Zeichnung ist ein hervorragendes Meisterwerk und eine der
vorzüglichsten Zeichnungen Antonios, die auf uns gekommen sind, sie
läßt das außerordentliche Vermögen des Künstlers in der Darstellung
körperlicher Kraftanstrengung erkennen. Die Präzision in der Wieder-
gabe der einzelnen Körperteile kann nicht übertroffen werden.
Vor allem hebe ich hervor den Rhythmus der Figur, die volle
Lebendigkeit des Körpers, die anatomische Durchführung und doch ma-
lerische Behandlung des Rückens, dessen Fleischigkeit man vor Augen
zu haben glaubt.
Auf meine Veranlassung schickte das Königl. Kupferstichkabinett
eine Photographie dieser Zeichung an den Direktor der Jarves-Collection
in New Haven, mit der Bitte, ihm eine Photographie des in deren Besitz
befindlichen Bildes von Antonio Pollajuolo Herkules und Nessus, einzu-
senden.
Der Direktor, Herr John F. Weir, hatte die Freundlichkeit, diese
Bitte zu erfüllen, und ich bin dadurch imstande, anbei mit der Abbildung
der Berliner Zeichnung eine Abbildung des resp. Gemäldes geben zu
können.
Herr Direktor Weir wird mir erlauben, den wichtigsten Inhalt seines
Briefes hier wiederzugeben, da das Verhältnis der Zeichnung zu dem Bilde
nicht schlagender geschildert werden kann:
It is quite evident, that the sketch of Herkules (in the act of killing
Nessus) is by the same hand that pruduced the painting. The figure
of Herkules is identical whith the exception of some slight changes
in the accessories of drapery and the placing of the quiver which slight va-
1 16
A. v. Beckerath:
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
117
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
9
1 18
A. v. Beckerath:
riations to the end to identify the sketch as being of the same hand.
The touch and handling is likewise the same while the figures are of
exactly the same size. Doubt-less the sketch was used as a study for
the painting.
Da die Figur des Herkules in dem Gemälde dieselbe Größe wie
in der Zeichnung hat, ist letztere, deren Umrisse für die Übertragung
durchstochen sind, also der Karton für das Gemälde.
Besser kann die Authentizität einer Quattrocentozeichnung nicht
bewiesen werden, als in diesem Fall.
Die Berliner Zeichnung ist von außergewöhnlicher Grösse; kann
mir Herr Berenson eine Quattrocentokopie nach einer Quattrocento-
zeichnung in dieser Größe nachweisen? Mir ist niemals eine solche vor-
gekommen.
Das Wasserzeichen des Blattes ist eine Glockenblume mit zackigen
Rändern zwischen zwei stilisierten Blättern.
Seite 24 erklärt Herr Berenson das Bild in der Jarves-Collection
für ein authentisches Bild Pollajuolos »a gern of Florentine painting, the
structure and the action of the Herkules as he draws his bow are not
surpassed eise where in Antonios best work«.
In seinem Katalog der School of Pollajuolo, führt Herr Berenson
unter 1916, 1938 — 1940 Zeichnungen in Florenz auf, as perhaps or
probably of the same hand as die Berliner Zeichnung.
Es sind dies Zeichnungen von dem bekannten Quattrocentokopisten
aus der Schule Pollajuolos, von denen so viele sich in Florenz und auch
in anderen Sammlungen befinden.
Daß Herrn Berensons Kenntnis der Zeichenkunst alter Meister, sein
künstlerisches Empfinden, selbst gegenüber dieser Meisterzeichnung ver-
sagen würden, nimmt mich nicht wunder, nachdem ich weitere Studien
in seinem neuen Werk gemacht habe.
Antonio Pollajuolo. II.
Mit- und Nachwelt haben Antonio Pollajuolo als ersten Zeichner
seiner Zeit gerühmt.
B. Cellini schließt sein Lob des großen disegnatore mit den Worten:
»questo uomo fece poche altre cose, ma solo disegnö mirabilmente ed
a quel gran disegno sempre attese.«
Gegenüber diesem Ruhm sind wir in großer Verlegenheit, wenn
wir die wenigen echten Zeichnungen des Meisters, die auf uns gekommen
sind, betrachten.
Die eigenhändigen Malereien Antonios und gewiß auch seine Skulp-
turen, bestätigen seine Superiorität als gran disegnatore.
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
119
Ich bin aber geneigt, anzunehmen, daß sein Ruhm in dieser Be-
ziehung, vor seinen Zeitgenossen, durch seine Kupferstiche entstanden
ist. Der von ihm bezeichnete Kupferstich »Der Kampf der nackten
Männer« und das nach seiner Komposition gestochene Blatt »Herkules
im Kampf mit den Giganten«, verschafften seiner Zeichenkunst andauernd
allgemeine Anerkennung und weiteste Verbreitung.
Diese Kupferstiche sind wahre Meister- und Bravourstücke und
zeigen die Kunst Antonios in ihrer Quintessenz und in ihrer ganzen
Eigentümlichkeit. Sein außerordentliches Vermögen, die menschlichen
Körper in ihrer Struktur und Muskulatur in größter Bewegung, An-
strengung und Leidenschaft exakt und geistreich darzustellen, in kompli-
zierten, aber vorzüglich abgerundeten Kompositionen.
Etwas von diesem großen Zug, dieser außerordentlichen Kraft,
diesem souveränen Können, muß sich in einer echten Zeichnung Antonios
wiederfinden.
Ich will hiernach die Zeichnungen, die Herr Berenson in seinem
Katalog als echte Zeichnungen Antonios aufführt, einer kurzen Kritik
unterwerfen. Echt sind :
Florenz: Der Karton der Caritas, plate 15.
„ Die Zeichnung eines Weihrauchgefäßes.
London: Die Zeichnung des Herkules und der Hydra, plate 13.
Letztere Zeichnung ist vortrefflich im Ausdruck des spontanen
Lebens, der rapiden Bewegung. Das Lob, welches Herr Berenson dieser
Zeichnung spendet, scheint mir aber doch übertrieben, von Rembrandt
gibt es viele gleichwertige Zeichnungen dieser Art.
Die Studie zu dem Monument Fr. Forzas, in München, befindet sich
in schlechtem Zustand, wird aber echt sein.
Die übrigen Zeichnungen, die Herr Berenson aufführt, kann ich
nicht als echte Zeichnungen Antonios gelten lassen.
Lege ich die fragmentierte Zeichnung in Wilton Höuse (Publikation
Wilton House durch Herrn Strong) neben den Stich »Herkules und die
Giganten«, so wird es sofort klar, daß diese Zeichnung nur Kopie sein
kann. Den Körpern der Männer fehlt jede Muskulatur- und Struktur-
angabe, wie sie im Stich gegeben ist, wie der Gegenstand sie erfordert.
Die Umrißlinien sind dünn und timide, die Zeichnung der Körper und
Extremitäten unsicher und fehlerhaft. Hier ist nichts von dem großen
Zug und der Leidenschaft im Stich.
Ich bemerke noch, daß im Stich der Körper des äußersten Mannes
rechts durch den Rand des Stiches halbiert ist; in der Zeichnung ist
ein Zwischenraum zwischen dem vollständigen Körper dieses Mannes
und dem Rand.
9
I 20
A. v. Beckerath:
Herr Berenson nennt diese Zeichnung »a perfect companion to the
magnificent drawing in the British Museum«.
Dieses große Blatt »a prisoner brought before a judge« ist nun
gewiß keine echte Zeichnung Antonios, plate, 18.
Die gleichmäßigen dürftigen Umrißlinien, ohne Rücksicht auf Licht
und Schatten, der Mangel an jeder Andeutung von Muskulatur und
Struktur, nehmen den Männern jede Körperlichkeit, jedes eigentliche
Lebensgefühl, ganz entgegen der Art des Meisters und lassen sie wie
Gespenster oder Schemen erscheinen, wofür der dargestellte Gegenstand,
die stark bewegte Männergruppe hinter dem Gefangenen, doch keinen
Grund abgibt.
Auffällig ist auch die Schlankheit der Körper, die sonst nicht vorkommt.
Die fast gleiche Komposition befindet sich bekanntlich in einem
Rund, am Triumphbogen im Sebastiansbild Pollajuolos in der National-
gallery und ist dort als Relief ausgeführt und nicht als Schattenspiel.
Dazu kommen die offenbaren Verzeichnungen resp. Zeichenfehler,
die nur auf Rechnung des Kopisten oder Imitators zu setzen sind.
Der Körper des zweiten Mannes rechts mit ausgebreiteten Armen ist
von hinten dargestellt, trotzdem dreht er seinen Kopf nach vorne, als
wenn er von vorn dargestellt wäre. Diese Kopfwendung nach vorn,
während der Körper von hinten gesehen ist, ist unmöglich.
Der rechte Arm des Mannes neben dem Gefangenen ist viel zu
tief angesetzt, was faktisch nicht richtig ist.
Daß Herr Berenson die Studie zu einem hl. Sebastian bei Herrn
Frizzoni (durch den letzteren als im Besitz Morellis publiziert) als echte
Zeichnung Antonios aufführt, kann ich nur als sacrifizio d’inteletto aus
Pietät gegen den von ihm so hochgeschätzten Senator Morelli ansehen,
der die Zeichnung als von Antonio Pollajuolo kreierte.
Die Zeichnung ist ganz geringes Machwerk, ich kritisiere sie mit
dem von Herrn Morelli so oft und mit Vorliebe gebrauchten Lapidar-
ausdruck »wertlos«.
Die Zeichnung in der Albertina (abgebildet in Wickhoffs Katalog
der Albertina) »two men conversing«, ist zu gering für Antonio.
Die Figuren haben nicht die lebensvollen Umrisse Antonios. Die
Gewandung ist zu unruhig, roh und primitiv, ganz entfernt von der sorg-
sam intentionierten, gezirkelten Art (an den Goldschmied erinnernd), wie
die Draperien z. B. an den Figuren in den Stickereien in der Opera del
Duomo zu Florenz disponiert sind.
Die Umrißlinien werden fortwährend unterbrochen, das Körperliche
der Männer kommt nur unvollkommen heraus. Die ganze Behandlung
ist mehr malerisch, als plastisch.
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
12 I
Herr Professor Wickhoff hat diese Zeichnungen Andrea Castagno
zugeschrieben. Für diesen Meister sind die Körper der Männer nicht ge-
streckt genug und zu gedrückt. Die Gewandfalten und deren Brüche
setzen bei Castagno immer einen dicken Wollstoff voraus und sind nie-
mals scharfkantig und eckig gebrochen, wie hier.
Adam und Eva in den Uffizien, plate 16 und 17.
Diese beiden Zeichnungen waren unter dem Konservator, Herrn
Carlo Pini gesegneten Angedenkens, nicht ausgestellt. Bei der Neuordnung
der ausgestellten Zeichnungen 1893, hat sie der jetzige verdienstvolle
Inspektor Herr P. Nerino Ferri aus dem Depot heraufgeholt und ausge-
stellt. Die ursprüngliche Attribution war Signorelli, die durch Morelli
in Antonio Pollajuolo umgeändert wurde.
Ich glaube, daß diese Zeichnungen auf Antonio zurückgehen, kann
sie aber nur als Kopien nach ihm, keineswegs als Originalzeichnungen
gelten lassen. (Eine zweite Kopie des Adam ist im Depot der Uffizien.)
Die Manieriertheit der Formgebung hat mich immer an den Stecher
Robetta erinnert, der ja mehrere Kompositionen Antonios zu seinen
Stichen benutzt hat. Er könnte diese Kopien gemacht haben.
In Qualität sind diese Zeichnungen weit unter Antonio. Die ma-
geren Umrißlinien, die dürftigen Angaben der Muskulatur und der
Struktur geben keinen Eindruck einer plastischen Körperlichkeit.
Man vergleiche den kleinen Esau, ein wahres Monstrum, mit dem
Kinde im Arme der Caritas. Die Hände der beiden Figuren mit den
Händen der Caritas, und man wird den Abgrund ermessen können, der
diese Zeichnungen von einer echten Antonios trennt.
Die Landschaften sind mit dem Kohlenstift angelegt, schattiert und
laviert, das kommt sonst bei Antonio nicht vor.
Bei der Überschlagung der Beine des Adams, sind die Konturen
des verdeckten linken Unterbeines stehen geblieben, ich habe niemals
eine Quattrocentooriginalzeichnung gesehen, wo das der Fall gewesen wäre.
Dieser Umstand allein spricht dafür, daß diese Zeichnung Kopie ist.
Der Kopf eines alten Mannes, der in Chantilly als Mantegna gilt
und der Morelli s. Z. als Kopie erschien, ist eine geringe Zeichnung
eines Oberitalieners. Es ist . mir unbegreiflich, wie Herr Berenson diese
Zeichnung für eine Originalzeichnung Antonios halten kann.
Der Täufer in den Uffizien, plate 14, wurde früher Giorgione zu-
geschrieben, dann auf Veranlassung von Morelli und Frizzoni, A. Pollajuolo
gegeben.
Der Hauptgrund, wenn nicht der einzige Grund dafür, waren die
Hände. Die kralligen Hände auf . der Zeichnung haben allerdings Ähn-
lichkeit mit den Händen Antonios, es sind aber trotzdem nicht dieselben.
122
A. v. Beckerath:
Ich bitte, die Hände des Täufers mit den Händen der Caritas
und mit denen des rechts am Boden liegenden verwundeten Mannes in
dem Stich des Kampfes der nackten Männer zu vergleichen und man
wird sich des Unterschiedes bewußt werden.
Die Zwischenräume der Finger bei Antonio sind niemals so stark
beschattet, wie auf der vorliegenden Zeichnung.
Daß ein Zeichner, wie Antonio, auf einem Blatt wie hier, dreimal
die rechte, dreimal die linke Hand und zweimal die Beine zeichnet, ist
gewiß auffallend.
Allein die Unsicherheit in den Konturen der Schultern und der
Arme des Täufers hätte vor der Zuschreibung der Zeichnung an Antonio
bewahren sollen.
Da ist nichts von dem genauen, bestimmten Formgefühl Antonios,
das ohne Umschweife sofort das richtige trifft, sondern ein ängstliches
Suchen und Tasten.
Die vorliegende Zeichnung, sicher eine Originalzeichnung, hat in-
dessen ihre Qualitäten, die aber mehr nach Seiten des Malerischen und
des Ausdrucks, als nach Seiten der Formgebung gravitieren.
Ich halte daher die Zeichnung für norditalienisch, selbst venetianisch
und glaube nicht an ihren florentinischen Ursprung.
Der Täufer stützt sich auf den linken Arm und auf das ausgestreckte
rechte Bein, dadurch wird das linke Bein entlastet, diese Entlastung wird
aber durch das Anhaften des linken Fußes am Boden nicht anschaulich ge-
macht. Die Folge ist, daß der Täufer nicht recht im Gleichgewicht steht.
Das ist nicht florentinisch konstruiert. Ich bitte, mit diesem Täufer die
vielen Täufer auf den Stickereien in der Opera del Duomo in Florenz zu
vergleichen, wie leicht und fest und im Gleichgewicht stehen die letzteren !
Daß die Schrift auf dieser Zeichnung Autograph Antonios sein soll,
ist eine äußerst kühne Behauptung; würde Herr Berenson nicht in Ver-
legenheit geraten, wenn ich um den Beweis für diese Behauptung ersuchte ?
Links steht »Giovanni«, unten »Ser Salvestro di Jachopo«. Die
echte Schrift Antonios auf dem Blatt mit dem Weihrauchgefäß (diese
Zeichnung liegt neben der des Täufers) sieht ganz anders aus.
Stelle ich diese zwölf Zeichnungen, die Herr Berenson in seinem
Katalog als echte aufführt, zusammen, so ergibt sich ein krauses Durch-
einander der verschiedensten Hände und der verschiedensten Fähigkeiten.
Ob sich Herr Berenson dessen bewußt gewesen ist?
Filippino Lippi I. Studie zu dem Kopf der großen Madonna mit
vier Heiligen, 1485, in den Uffizien i83/4 x 22x/a. Bisterzeichnung.
Berenson R. del Garbo.
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
123
Herr Berenson glaubt, daß diese Studie eine Kopie Garbos nach
dem Kopf der obenerwähnten Madonna Filippinos sei, den Garbo zu
seiner Madonna in der Pietä in München benutzt habe, was mir ge-
sucht und kompliziert erscheint. Bei dem Vergleich des Berliner Kopfes,
mit dem Filippinos in den Uffizien, plate 54, wird man nicht bezweifeln
können, daß beide auf denselben Meister zurückgehen. Die Umschrei-
bung der äußeren Form ist scharf und charaktervoll, hat echt quattro-
centistisches Sentiment. Die weißen Schraffierungen akzentuieren die innern
Formen auf das Genaueste, die Technik in beiden Zeichnungen ist
dieselbe. Konfrontiere ich nun diese Zeichnung mit den von Berenson
auf plate 60 und 61 wiedergegebenen Zeichnungen Garbos, so finde ich
bei letzteren eine viel weichere, unsichere, verschwommene Umschrei-
bung der Formen, die Schraffierungen sind ganz malerisch und gehen
der Form nicht nach.
Die Kopfform der Madonna Garbos auf pla.te 61, auf dem Berliner
Tondo, in der Pietä München, sind total verschieden von derjenigen der
Madonnen Filippinos. Der kleine Mund und die vollem Lippen der Berliner
Studie, die Berenson an der Madonna Filippinos von 1485 vermißt, fin-
den sich genau so bei den Madonnen des Künstlers in der Anbetung
in den Uffizien 1496 und in der Madonna mit zwei Heiligen, London.
Gerade zu diesem letzten Bilde paßt die Berliner Zeichnung vorzüglich,
namentlich im Arrangement der Haare und des Kopfputzes; im Ausdruck
ist diese Madonna allerdings älter und leidvoller.
Filippino Lippi II. Kopf eines Jünglings. Silberstiftzeichnung.
12,2 x i8r/2. Berenson: Amico di Sandro.
Es tut mir leid, auch hier Herrn Berenson widersprechen zu müssen.
Die Zeichnung hat gewiß viel von der Anmut seines Amico, trotzdem
muß ich an der Attribution an Filippino festhalten. Ich kann nicht
finden, daß die Eigentümlichkeit Amicos, bei der Darstellung junger
Leute die dicht gekräuselten, lockigen Haare, die perückenartig das
Haupt bis in die Stirn hinein bedecken und hinten bis über den Hals
hinuntergehen, der große Mund, die heruntergezogenen Mundwinkel,
sich auf dieser Zeichnung wiederfinden. Ich verweise auf Konfrontierung
mit den jungen Leuten auf Amicos Anbetung der Könige in London.
Zu dem von Herrn Berenson mit Passion kreierten Zeichnungsoeuvre
seines Amicos habe ich folgendes zu bemerken. Der auf plate 49 publi-
zierte Kopf einer Frau im Louvre, ist zweifellos eine Fälschung, als
solche ist mir diese Zeichnung schon vor 20 Jahren erschienen und seit-
dem immer, so oft ich sie wiedergesehen habe. Eine Quattrocentopinsel-
zeichnung in dieser Mache und mit so rohen Konturen, ist mir niemals
124
A. v. Beckerath:
in meiner langjährigen Praxis vorgekommen. Die Zeichnung, welche
nach dem Stempel aus der Sammlung des j Ungern Vullardo stammt,
wird eine Fälschung des vorigen Jahrhunderts sein.
Herr Berenson wird sich noch des weiblichen Profils erinnern, das
der Senator Morelli in Florenz kaufte und für ein Werk Leonardos hielt.
So viel mir bekannt ist, weilt der Autor dieser hübschen Fälschung heute
noch unter den Lebenden in Florenz!
Die auf plate 50 wiedergegebene Zeichnung des Tobias mit den
Engeln, steht in Beziehung zu dem Bilde in Turin, ein Original ist sie
aber sicher nicht, sondern nur ein Ricordo oder eine Kopie; sie kann nur
nach dem Bilde nicht für das Bild gemacht worden sein; so zeichnet
ein Künstler wie Amico nicht, den Berenson mit Recht »in his paintings
prompt, vivacious, charming« findet. Leider nennt Berenson diese geringe
Zeichnung »Amicos perhaps finest, certainly most interesting drawing«!
Ich bedauere, gerade zwei Zeichnungen aus der Sammlung His
Lassalle so ungünstig beurteilen zu müssen. Diese Sammlung ist bezüglich
italienischer Zeichnungen eine der ersten und reichsten, die im vorigen
Jahrhundert geschaffen worden sind.
Paollo Uccello. Skizzenblatt auf grauem > Papier, Bisterzeichnung.
31 X 20. Berenson: School of Uccello.
Dieser Zeichnung und vier anderen in den Uffizien, von derselben
Hand und identisch in Technik und Qualität, hat Herr Berenson die
traditionelle Zuschreibung an P. Uccello, nach meinem Dafürhalten ohne
Grund, genommen.
Diese vorzüglichen Zeichnungen sind zweifellos Originalzeichnungen.
Nach dem uns zu Gebote stehenden Vergleichsmaterial, wie spärlich es
auch ist, halte ich die Autorschaft Paolo Uccellos für möglich.
Florentinische Zeichnungen, deren Entstehung mit Wahrscheinlich-
keit in die erste Hälfte des Quattrocento zu setzen ist, sollten wegen ihrer
großen Seltenheit mit besonderer Rücksicht behandelt und ihnen die
traditionelle Bezeichnung ohne schwerwiegende Gründe, bis auf weiteres,
nicht genommen werden.
Luca Signorelli. Kopf eines älteren Mannes. Kohlenzeichnung.
1 5 V2 X 2 3 1 /s»,. Berenson: Pier di Cosimo.
Berenson schreibt diese Studie, sowie die vortreffliche Kopfstudie
in den Uffizien, Nr. 1850 seines Katalogs, welche bisher unbestritten
Signorelli attribuiert waren, Pier di Cosimo zu. Diese neuen Attributionen
involvieren, weil es sich um Meisterzeichnungen handelt, welche die
Qualitäten des resp. Meisters, des Luca Signorelli, auf das ausgiebigste
repräsentieren, einen Mangel an Unterscheidungsvermögen. Die Leben-
Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
125
digkeit, die Natürlichkeit, die Frische, die Formauffassung des großen
Cortonesen, haben wir in diesen Köpfen unmittelbar vor uns.
»Queste teste traspirano l’intensa vitalitä e spontaneitä del sommo
artista« urteilte ein bekannter Italiener, dem ich sie zeigte. Pier di
Cosimo war eine Individualität und ein bedeutender Maler, es wird ihn aber
niemand zu den großen Zeichnern des Quattrocento rechnen. Beide Zeich-
nungen in der gewöhnlichen Technik Signorellis ausgeführt, sind in allen
Teilen durch Konfrontation mit dessen Bildern und Fresken zu belegen.
Auch die zwei Köpfe in der Corsiniana, von denen er einen auf
plate 82 produziert, gibt Berenson dem Piero di Cosimo. Diese Zeich-
nungen waren zuerst Melozzo, dann Signorelli und sind jetzt B. della Gatta
zugeschrieben; es war Herrn Berenson Vorbehalten, deren florentinischen
Ursprung zu entdecken, woran bisher mit Recht noch niemand gedacht
hatte. Ebenso gibt Berenson die Kopfstudie plate 83 dem Piero di
Cosimo, obgleich Morelli schon nachgewiesen hat, daß diese Zeichnung
von Lorenzo di Credi ist.
Herr Berenson, der den Senator Morelli anscheinend aufs glühendste
verehrt, hat demselben in seinem Buch ein ganzes Sündenregister von
falschen Zeichnungsbestimmungen mit rührender Sorgfalt zusammengestellt.
Mit Unrecht schreibt Herr Berenson dem Piero di Cosimo fünf Feder-
zeichnungen zu, es sind nach seinem Katalog:
1859b Studienblatt im British Museum Lorenzo di Credi zuge-
schrieben;
1859a Joachim im Tempel in Lille D. Ghirlandajo zugeschrieben;
Diese fünf Federzeichnungen von ein und derselben Hand, sind von
Lorenzo di Credi, dem das Londoner Blatt immer zugeschrieben war.
Die Typen, die Kompositionsart in diesen Blättern ist die Lorenzos.
Ausschlaggebend sind aber die architektonischen Hintergründe, die nur
bei ihm so und ähnlich, wiederholt Vorkommen, aber keineswegs bei
Piero di Cosimo oder Filippino. Der Hintergrund ist meistens dreigeteilt,
drei Türen oder eine Türe zwischen zwei Fenstern, darüber runde Ober-
lichter. In den Bildern in London, Paris, Dresden, eine Nische zwischen
zwei Fenstern, gleich groß, oben abgerundet.
Andrea del Verrochio. Zwei Engelsköpfe. 16 X t.8. Silberstiftzeich-
nung. Berenson: Verrochio-Schule.
Was Berenson auf den Seiten 37 und 38 seines Werkes über diese
Zeichnungen sagt, scheint mir widersprechend und nicht ganz klar.
1850a Joachim im Tempel
1851 Joachim im Tempel
1852 Anbetung der Hirten
den Uffizien Filippino zuge-
schrieben.
12 6 A. v. Beckerath: Über einige Zeichnungen florentinischer Maler usw.
Berenson gibt vollständig zu, daß diese Zeichnungen in engster Verbin-
dung stehen mit dem schönen Bilde der Nationalgallery Nr. 276, Ma-
donna und zwei Engel, von dem die neuere Kritik annimmt, daß es
unter Beihülfe von Verrochio entstanden ist, was auch Berensons An-
sicht ist.
Er sagt, abgesehen von den unvermeidlichen Differenzen zwischen
einer flüchtigen Kohlenskizze und der Ausführung im Bilde, sind die
Engel in diesem und in der Zeichnung identisch. Das Bild ist aber von
so viel besserer Qualität und zeigt einen solchen Fortschritt im Ausdruck,
daß wir schließen können, daß die Zeichnungen früher gemacht worden
sind, als der resp. Maler seine Vollkraft noch nicht erreicht hatte.
Was hat denn nun Verrochio an dem Londoner Bilde gemacht,
was der Gehülfe ? warum ist der Gehülfe der Autor der Zeichnungen,
warum ist es Verrochio nicht? Wem anders, als Verrochio, sind die
höhere Qualität, der Fortschritt im Ausdruck, die Typen in diesem Bilde
zu verdanken? Wird das geleugnet, warum wäre man dann auf Verrochio
gekommen? Was der Gehülfe »ohne Verrochio« leistet, sehen wir an
dem Tobiasbilde in der Nationalgallery, welches ja neben dem Madonnen-
bilde hängt. Beim Vergleich der beiden Bilder sagt Berenson »leave
quality out of consideration and they almost are identical«.
Die Berliner Zeichnungen können nicht von einem unbekannten
Gehülfen sein, in Qualität und in Originalität sind sie durchaus würdig
als echte Zeichnungen Verrochios angesehen zu werden. Durch ihre
Verbindung mit dem vorzüglichen Londoner Bilde, werden sie doppelt
interessant, sie manifestieren trotz ihrer Flüchtigkeit, die jugendliche
Holdseligkeit ebenso, wie sie Verrochio in seinen Bronzearbeiten, dem
Knaben mit dem Fisch und dem David, wiedergegeben hat.
Die viel umstrittene Zeichnung eines Engelkopfes in den Uffizien
wird Verrochio wohl nicht länger zugeschrieben werden können. Wahr-
scheinlich ist diese Zeihnung von Botticini.
Donato Veneziano.
Ein Beitrag zur Geschichte der venezianischen Malerei.
Von Hans Ankwicz.
In der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien
befindet sich ein großes Ölgemälde, die Kreuzigung Christi darstellend,
das noch im letzten Galeriekatalog1) einem Maler des venezianischen
Quattrocento, dem Donato Veneziano, zugeschrieben wurde. Diese Zu-
schreibung2 3) erfolgte auf Grund einer Erwähnung des Bildes bei Boschini3),
wo es folgendermaßen beschrieben ist: »Isola di S. Giorgio in Alga,
Refettorio: La passione di Christo, con le Marie, soldatesche, e molto
numero di astanti, quadro grande, £ opera con tutta diligenza fatta da
Donato Veneziano.« Daß unser Bild mit dem von Boschini beschriebenen
identisch ist, unterliegt keinem Zweifel, da man die Geschichte des
Gemäldes bis nach S. Giorgio in Alga (einer der Laguneninseln bei
Venedig), zurückverfolgen kann. Ungewiß ist es dagegen, ob es ursprüng-
lich für S. Giorgio gemalt worden sei. Da Boschini im selben Werke
noch drei andere Bilder des Donato Veneziano verzeichnet, von denen
das eine das Datum 1459 trug, so war es naheliegend auch für das
Wiener Bild ungefähr die Mitte des 15. Jahrhunderts als Entstehungszeit
anzunehmen.
Nun ist aber die Forschung auf Grund stilkritischer Untersuchung
der unter dem Namen des Donato Veneziano bekannten Werke zu neuen
Resultaten über diesen Meister gelangt, und so wäre es, bevor wir näher
auf das Wiener Bild eingehen, vielleicht am Platze, die einschlägigen
Fragen zu erörtern. Eine übersichtliche, aber nicht ganz vollständige
Zusammenstellung der Werke Donatos findet sich bei Crowe und Caval-
1) Katalog der Gemäldegalerie der k. k. Akademie der bildenden Künste in
Wien. Herausgegeben von J. Dernjac und E. Gerisch, Wien 1900. Unter Nr. 90
(Kreuzigung): »Donato Veneziano. In Bildern aus den Jahren 1438 — 1460 nachweisbar;
mutmaßlich Gehilfe des Jacobello del Fiore.«
*) Das Gemälde selbst trägt weder den Malernamen noch das Datum.
3) Boschini, Rieche Minere della pittura Veneziana 2. A. 1674, Sestier della
Croce S. 62.
128
Hans Ankwicz:
caselle4); im folgenden gebe ich eine Aufzählung, die, wenn sie auch
vielleicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, doch die
Crowesche Zusammenstellung, sowie die übrigen bisher gebotenen, noch
um einige Werke übertrifft. Da die wenigsten Gemälde datiert sind, so
konnte eine chronologische Reihenfolge nicht durchaus eingehalten werden.
1. Taufe Christi, in S. Marina im Sestier di Castello, Venedig. 1438
entstanden, gegenwärtig nicht mehr nachweisbar. 5)
2. Madonna, 1452 für die Padri in S. Elena (Sestier della Croce,
Venedig) gemalt, jetzt verloren.4 5 6 7)
3. Der Löwe von S. Marco, rechts und links davon der hl. Augustinus
und der hl. Hieronymus, bezeichnet mit: »Donat. Venetus depi...a..
(1459); auf Leinwand in Tempera gemalt, zeigt jetzt Ölübermalung.
Ursprünglich für die Avogaria bestimmt, nach der Wiederherstellung der
Avogaria wieder am alten Platze. 7)
4. Die Madonna mit dem hl. Jacob, Hieronymus, Victor und
Nicolaus. 1460 für S. Samuelle in Venedig (Sestier di S. Marco) gemalt,
nicht mehr auffindbar.8 9)
5. St. Petrus und Nicolaus als Hüter des Wappens der Republik
Venedig, Leinwandgemälde; früher im Magistrato de’ Cattaveri, dann im
Magazin des Dogenpalastes. Dem Stile nach ähnelt es den Bildern
Donatos, ist aber durch Übermalung verändert. Die Jahreszahl 1504 von
späterer Hand hinzugefügt. 9)
4) Crowe und Cavalcaselle, Gesch. der italien. Malerei, 1873, V. Bd. S. 11, 12.
5) Erwähnt bei Sansovino, Venezia descritta 1581 S. 12a; Crowe und Cavalcaselle
1. c. ; Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen IV (Akademie).
6) Sansovino 1. c. S. 78a: »Vi dipinse anco nel Refettorio una Madonna, Donato
Vinitiano, che fu l’anno 1452«; Ridolfi, Maraviglie dell’ arte I, 49, 2. A. 1835; Crowe
u. Cavalcaselle 1. c.
7) Boschini 1. c. ; Sestier di S. Marco S. 50: »sopra il Tribunale un Leone alato
di Donato Veneziano.« Zanetti, della pittura Veneziana, Venezia 1771 S. 23; Zanotto,
Pinacotheca Veneta, 1834, Nr. 8; Crowe u. Cavalc. 1. c. ; Frimmel 1. c. ; G. Ludwig,
Jahrbuch d. preuß. Kunstsammlungen 24. Bd. Beiheft S. 23 ff. »Archivalische Beiträge
zur Geschichte der Venezian. Malerei.« Die Jahreszahl 1459, die jetzt nicht mehr
sichtbar ist, bei Ridolfi, Maraviglie dell’ arte I, 49, daselbst auch genaue Beschreibung
des Bildes. Zanetti konnte bereits 1771 die Zahl nicht mehr sehen.
8) Sansovino 1. c. S. 46 a: »In questo luogo Donato Vinitiano l’anno 1460. dipinse
una nostra Donna nella nicchia di mezzo, un San Jacomo & San Hieronimo nella
nicchia alla destra, & un San Vittorio & San Nicolö con la Nuntiata di sopra nel
sinistro . . .«; Zanotto 1. c.; Crowe u. C. 1. c. ; Frimmel 1. c.
9) Crowe u, Cavalcaselle 1. c. ; Zanetti 1. c. S. 23 (Anmerkung) berichtet: »Altri
quadri simili a quello (der Löwe v. S. Marco, Nr. 3 unserer Reihe) si veggono in alcuni
Magistrati, che si attribuiscono ad esso Donato«. Unter diesen »dem Marcuslöwenbild
ähnlichen« Gemälden mag sich wohl auch das oben erwähnte Gemälde mit St. Petrus
und Nicolaus (Nr. 5) befunden haben.
Donato Veneziano.
129
6. Stigmatisation des hl. Franciscus, früher im Refektorium von
S. Niccolö de’ Frari (Sestier di S. Polo) in Venedig, verloren.10)
7. Hieronymus in der Wüste, auf Holz, in der Galerie Manfrin in
Venedig; roh in der Ausführung und keinem der übrigen Bilder Donatos
ähnlich.11)
8. Madonna mit dem Christuskind, hl. Joseph und die hl. Katharina,
in der Pinakothek zu Padua.12)
9. Kreuzigung. Christus am Kreuz, Maria, Magdalena, Johannes,
Franz v. Assisi und Bernhard v. Siena, aus der Kirche S. Niccolö dei
Frari in Venedig (Sestier di S. Polo), jetzt in der Akademie zu Venedig
(Nr. 98). i3)
10. Kreuzigung. Christus am Kreuz mit den beiden Schächern,
Maria, Magdalena, Johannes .... auf Leinwand in Öl gemalt, aus
dem Kloster S. Giorgio in Alga (Sestier della Croce) bei Venedig, dann
in der Commenda di Malta, seit 1838 in der Akademiegalerie in
Wien, ruhte lange Zeit im Magazin der Galerie, * *4) erst in neuerer Zeit
aufgestellt. *5)
11. Pietä. Der Leichnam Christi von Maria und Johannes gestützt
Leinwand, Öl. In der Akademie zu Venedig. Ist eine Kopie nach
G. Bellinis Pietä in der Berliner Galerie (Kaiser Friedrichsmuseum,
Kabinett 43 Nr. 28).16)
,0) Boschini 1. c. ; Sestier di S. Polo S. 56. S. Niccolö de’ Frari, detta della
Latuca: »Nell’ Antisala del Refettorio San Francesco, che riceve le Stimmate pure di
Donato Veneziano«. Crowe u. Cavalcaselle 1. c.
") Crowe u. Cavalcaselle 1. c.
n) Basilio Magni, Storia dell’ arte Italiana, Roma 1901, II 250.
>3) Boschini 1. c. Sestier di S. Polo, Chiesa S. Niccolö de’ Frari S. 56: »Nel
Capitolo de detti Padri, una Tavola, con nostro Signore in Croce, la Beata Vergine,
Santa Maria Maddalena, San Giovanni, San Francesco, San Bernardino, e un bei Paese,
di mano di Donato Veneziano«; Zanetti 1. c. S. 22; Zanotto, Pinacotheca Veneta, daselbst
auch Abbildung (Nr. 8, Tom. I); Zanotto, Storia della Pittura Veneziana C. II. S. 70
(Pinacoth. Tom. III); Moschini, Guida di Venezia II 507; Fil de Boni, Biografia degli
artistici 1840; Crowe u. Cavalcaselle 1. c.; Frimmel 1. c.; B. Magni 1. c. ; G. Ludwig,
Jahrb. der preuß. Kunstsammlungen 24. Bd., Beiheft S. 23 ff. ; ebenderselbe im Jahrb.
d. Kunsts. d. allerh. Kaiserh. 22. Bd. (1901), II. Teil, XIV; Katalog der Akademie zu
Venedig von Prof. Paoletti, 1903 unter Nr. 98.
*4) Daher konnten Crowe u. C. 1. c. das Gemälde für verschollen halten.
>5) Boschini 1. c. vgl. Anm. 3; Zanetti 1. c. S. 23; Zanotto 1. c.; Victor C^resole,
La v£rit6 sur les deprddations autrichiennes a Venise, Venise 1867, S. 96; Frimmel 1. c.;
Demjac u. Gerisch, Katalog d. Akademiegalerie, Nr. 90; G. Ludwig, Jahrbuch der Kunst-
sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 22. Bd., II. Teil: Dokumente über Bilder-
sendungen von Venedig nach Wien in den Jahren 1816 und 1838. S. XIV; Jahrbuch d.
preuß. Kunstsammlungen, 24. Bd., Beiheft S. 23 ff.
l6) Crowe u. C. 1. c. V. Bd. S. 11 u. S. 146, Anm. 17; B. Magni 1. c. ; Frimmel 1. c.
130
Hans Ankwicz:
12. Pietä. In der Galerie zu Padua. Kopie nach dem genannten
Bilde Giov. Bellinis in Berlin. Dicker Farbenauftrag, düstere Schattierung.1?)
13. Pietä. Im Besitze der Frau Baronin Stummer -Tavarnok in
Wien. Ebenfalls Kopie nach der Pietä Bellinis in Berlin.18)
Dies also sind die Werke, die den Namen Donato Veneziano tragen.
Das Beste unter den uns noch erhaltenen Bildern dieser Reihe ist
unstreitig die Kreuzigung in der Akademie zu Venedig. Als Francesco
Zanotto in den dreißiger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts in seiner
Pinacotheca Veneta eine Abbildung dieses Gemäldes veröffentlichte,
unterzog er es im begleitenden Text einer stilkritischen Würdigung
und stellte bei dieser Gelegenheit alles zusammen, was sich in der
Literatur über Donato Veneziano finden ließ. Demzufolge war dieser
als Schüler des Jacobello noch ein Vertreter der altertümlichen Trecento-
malerei. Aber diese Angaben stimmten nicht mit dem überein, was sich
aus dem Bilde selbst über den Maler ableiten ließ. Denn diese Kreuzi-
gung mußte ja, nach Zanottos Urteil, bereits zu Palmas Zeiten entstanden
sein, wenn man das Kolorit in Betracht zog. Und wie kam dieser alte
Donato, fragte Zanotto, zu einer so vorgeschrittenen Öltechnik, wie sie
das genannte Gemälde aufweist? Um diese Widersprüche zu lösen,
schlug er vor, einen jüngeren Donato Veneziano, der bereits der Zeit
Bellinis angehört, als Maler der Kreuzigung anzunehmen. Die spätere
Forschung hat dann dieser Annahme beigepflichtet. Denn indem man
die einzelnen Donatos Namen tragenden Bilder genauer untersuchte und
miteinander verglich, fand man, daß sie nicht alle von einer Hand her-
rühren können, da sich zu, auffallende Unterschiede zwischen den ein-
zelnen Werken bemerkbar machen.
Während z. B. das als Donato Veneziano sicher beglaubigte Bild
von 1459 noch steif und befangen ist und deutlich in die byzantini-
sierenae Richtung des Jacobello weist, zeugen andere Werke, wie die
beiden Kreuzigungen in Venedig und Wien, bereits von einer technischen
Reife, welche die Schule des Gian Bellini voraussetzt. So ist denn,
nach dem Vorgänge Zanottos, die kunstgeschichtliche Forschung genötigt
gewesen, die Werke des Donato Veneziano nach zwei zeitlich verschiedenen
Stilperioden zu scheiden und, wenn man schon am Namen Donato für
die Schöpfer beider Bilderkategorien festhalten wollte, einen älteren und
einen jüngeren Donato anzunehmen.1 9)
r7) Crowe u. Cavalcaselle 1. c.
r®) Theodor v. Frimmel: Verzeichnis der Gemälde im Besitze der Baronin Stummer
Tavarnok (Galerie Winter), Nr. 40. Wien 1895.
*9) Nach Naglers Künstlerlexikon 3. Bd. S. 442 (München 1836) wäre noch an
einen dritten Donato Veneziano zu denken, der um 1660 in Venedig gelebt hätte.
Donato Veneziano.
131
D.er ältere Donato gehört noch zu den Zöglingen des venezianischen
Trecento, steht also noch im Banne der byzantinischen Traditionen; in
seinen Werken (soweit sie uns erhalten sind) spricht sich noch eine
starke Unfähigkeit in der Behandlung der menschlichen Gestalt aus.
Doch läßt sich z. B. dem Bilde mit dem Markuslöwen (nach Crowe u. C.)
ein »Anflug von Großartigkeit« nicht absprechen.
Die Art des jüngeren Donato dagegen ahmt, wie bereits gesagt,
die koloristische Manier eines Bellini oder Palma Vecchio nach. Gustav
Ludwig, dem wir die eingehendste Charakteristik dieses jüngeren Meisters
verdanken,40) leitet ihn seinem Stile nach aus der Schule des Girolamo
und Francesco da Santa Croce her, zu deren hervorstechendsten Merk-
malen es gehört, in ihren Bildern Entlehnungen aus fremden, besonders
deutschen Meistern anzubringen. So weist Ludwig z. B. bei der Kreuzi-
gung in Venedig, die er dem jüngeren Donato Veneziano zuschreibt,
nach, daß der Hintergrund aus Breydenbachs Pilgerfahrt nach dem
h. Lande (gedruckt: Mainz i486) stamme,41) daß ferner Entlehnungen aus
Bellini, Bonifazio und Lucas van Leyden in dem Werke Vorkommen.
Welche der angeführten Werke sind nun dem älteren Donato zu-
zuweisen und welche dem jüngeren?
Die Teilung würde sich ungefähr in folgender Weise durchführen
lassen: dem älteren Meister kommt mit ziemlicher Bestimmtheit das
datierte Bild von 1459 (3) und das denselben Charakter zeigende Gemälde
mit dem Wappen der Republik und den zwei Heiligen (5) zu; über die
jetzt verlorenen Gemälde (1, 2, 4, 6) besitzen wir keine näheren An-
gaben, welche eine sichere Zuweisung zuließen, doch mögen sie, da uns
bei dreien davon das Datum überliefert ist (1: 1438, 2: 1452, 4: 1460),
wenigstens der Entstehungszeit nach zu schließen, dem älteren Donato
angehören; bei Nr. 6 (Stigmatisation des Franciscus) entbehren wir auch
dieses Anhaltspunktes, und so läßt sich über dieses Werk kaum etwas
sagen. Nr. 7 (Hieronymus in der Wüste) ist nach Crowes Ansicht44)
überhaupt aus der Reihe der Donatobilder auszuschalten, da es weder
mit den Werken des älteren noch des jüngeren Donato irgendeine Ver-
wandtschaft aufweist. Nr. 8 (Madonna mit Christuskind etc. in Padua)
würde, wenn man aus der Beschreibung bei Magni43) einen Schluß ziehen
dürfte, eher dem älteren als dem jüngeren Donato zukommen. Dagegen
werden die beiden Kreuzigungen (Nr. 9 und 10) bereits mit voller Be-
IO) Im Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen an der erwähnten Stelle, vgl.
Anm. 13 u. 15.
ai) Der Hintergrund (Jerusalem) nach der Gesamtansicht Jerusalems beiBreydenbach.
21) Crowe u. Cavalcaselle 1. c. V. Bd. S. 1 1 unten.
23) B. Magni, Storia dell’ arte Italiana 1901.
132
Hans Ankwicz:
stimmtheit für den jüngeren Donato in Anspruch genommen. Die drei
Pietädarstellungen schließlich (n, 12, 13) gehören jedenfalls der jüngeren
Periode an, wenn es auch strittig sein mag, ob diese drei Kopien wirk-
lich alle von derselben Hand herrühren.
Nun noch ein Wort über die Persönlichkeit des Donato Veneziano
des Jüngeren. Se ien Werken nac.h24) muß er in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts tätig gewesen sein, und G. Ludwig hat es versucht, ihn
mit einem gewissen Alvise Donato aus Piazza Brembana im Brembotal
zu identifizieren, dessen Name in der Zeit von 1528 — 15 50 in den
Akten der Republik vorkommt. Daß er der Schule der Santa Croce
angehört haben dürfte, wurde bereits erwähnt.
Nach diesen Darlegungen, die »Donatofrage« betreffend, wollen
wir zum eingangs erwähnten Wiener Kreuzigungsgemälde zurückkehren
und einige bisher unbekannte Tatsachen mitteil en, welche geeignet
scheinen, die Kenntnis des Bildes zu erhöhen.
Unser Bild ist in sehr großen Dimensionen gehalten (H. 4, 1 1 ;
Br. 7, 66), auf Leinwand mit Ölfarben gemalt. In der Mitte sehen wir
die drei Kreuze aufgerichtet, das Kreuz Christi umklammert Magdalena
mit leidenschaftlicher Gebärde. Unterhalb der Kreuze die gebräuchlichen
Gruppen, die ohnmächtige Maria mit Johannes und den weinenden
Frauen, ferner die Gruppe der würfelnden Soldaten, eine Anzahl Reiter
in römischer, türkischer und zeitgenössischer Kleidung. In der rechten
und linken Ecke weitere Soldatengruppen; unterhalb des rechten Schächer-
kreuzes ein kleiner Junge, anscheinend Christum verspottend. Im Vorder-
gründe rechts liegt ein Löwe, der im Verhältnis zu den Figuren des
Bildes viel zu klein geraten ist; vorne drei weiße Hasen, zwei be-
schnuppern sich gegenseitig, der dritte schlüpft eben in ein Erdloch.
Überall im Bilde herrscht ein starker Anachronismus: so hält ein Soldat
eine Fahne mit den Buchstaben S. P. Q. R. darauf (übrigens im Spiegel-
bild, also: JI. £). H. 3.), ein anderer aber einen Schild mit dem Doppel-
adler im gelben Feld. Der Hintergrund zeigt kulissenartig rechts und
links eine Stadt auf einem Berge, in der Mitte ist eine Stadt mit Kirche
an einem Fluß zu sehen, auf dem eine venezianische Gondel ge-
rudert wird.
Die Farbengebung ist recht lebhaft und zeigt in den Gewändern
oft den Glanz, der nur venezianischen Gemälden eigen ist. Der Ein-
druck des Ganzen ist nicht harmonisch. Wiewohl die Komposition
der Landschaft und die Disposition der Gruppen ganz geschickt durch-
»4) Auf dem Kreuzigungsgemälde in Venedig findet sich eine Entlehnung aus
Bonifazios »Nachtmahl in Emmaus« (jetzt in der Brera), das nach G. Ludwig 1534 zu
datieren ist.
Donato Veneziano.
I33
geführt ist, frappiert den Beschauer doch die Ungleichmäßigkeit in
der Gestaltung der einzelnen Partien des Gemäldes. Im Vordergründe
einige recht ausdrucksvolle und lebenswahre Figuren, andere dagegen,
besonders im Hintergründe (die den 'Berg hinansprengenden Reiter etc.)
zeugen von einem ziemlich mittelmäßig zu nennenden Können. Die Er-
klärung dieser Erscheinung aber liegt, wie ich gleich zeigen werde, darin,
daß nicht alle Gestalten des Bildes geistiges Eigentum Donatos sind, daß
er vielmehr eine ganze Reihe von Figuren und Motiven, und zwar gerade
diejenigen, die uns als die besten erscheinen, einem anderen und größeren
Meister entlehnt hat, nämlich Albrecht Dürer.
Als ich im Herbste 1904 das Bild besichtigte, fiel mir die Ähn-
lichkeit des kleinen Jungen unterhalb des rechten Schächers mit dem
Jungen auf dem Ecce homo-Blatt der großen Holzschnittpassion Dürers
auf. Und als ich das nächste Mal mit der Dürerschen Passion in der
Hand vor das Bild trat, entdeckte ich, daß noch eine ganze Anzahl von
Figuren der Dürerschen Passion entnommen sind. Freilich ist bei Donato
vieles ins Malerische übersetzt, die Härten der Dürerschen Zeichnung
sind verwischt, der krause Dürersche Faltenwurf fehlt, aber sonst ist alles
fast vollkommen getreu kopiert und zwar stets im Gegensinn zu Dürers
Figuren; wir haben also deren Spiegelbild vor uns.
Von der rechten Ecke des Bildes ausgehend ergeben sich folgende
Entlehnungen :
Der schreitende Soldat rechts im Vordergrund mit der Lanze auf
der Schulter stammt aus der »Gefangennahme« der großen Passion
(Bartsch 7, Retberg 177, V. Scherer, Dürer 25) Nr. 246), nur trägt er
bei Dürer ein Beil statt einer Lanze. Der erwähnte spottende Junge ist
eine getreue Kopie des Jungen auf dem Ecce homo-Blatt der gr. Passion
(B. 9, Ret. 179, Sch. 248). In der Gruppe der ohnmächtigen Maria
rührt die Gestalt der Maria selbst aus der »Beweinung Christi« der gr.
Passion (B. 12, Ret. 182, Sch. 251) her, die Gestalt des Johannes aus
dem Blatte »Christus am Kreuz« (B. 11, Ret. 181, Sch. 250), die weib-
liche Gestalt, die Mariens linke Hand in der ihrigen hält, aus der »Grab-
legung« (B. 13, Ret. 183, Sch. 252). Die weinende Frau, die sich das
Tuch vor’s Gesicht hält, erinnert an dasselbe Motiv in der »Kreuztra-
gung«, ganz links (B. 10, Ret. 180, Sch 249) oder im Blatte »Christus
am Kreuz« (B. 11, Ret. 181, Sch. 250). Die Magdalena, die das Kreuz
umklammert, ist ein gewöhnliches Motiv, sodaß man nicht gerade
an eine Entlehnung zu denken braucht. Dagegen begegnet uns der
35) Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben IV, Dr. Valent. Scherer: Dürer (Ge-
mälde, Stiche, Holzschnitte).
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. IO
134
Hans Ankwicz: Donato Veneziano.
Reiter in ritterlicher Kleidung, dessen Pferd eine rote Kopfbedeckung
trägt, bis auf die Haltung des rechten Armes im Blatte der gr. Passion
»Christus am Kreuz« (B. n, Ret. 181, Sch. 250). Die Gruppe der
linken Ecke aber mit dem dicken alten Mann2^) und dem auf seine
Lanze gestützten Landsknecht 27) ist vollständig dem Ecce homo-Blatt der
gr. Passion (B. 9, Ret. 179, Sch. 248) entnommen. Schließlich glaube
ich noch in den drei Hasen des Vordergrundes eine Reminiszenz an
Dürers Holzschnitt »Die hl. Familie mit den drei Hasen« (B. 102, Ret. 26,
Sch. 163) erblicken zu dürfen; es ist dieselbe Anordnung: zwei spielende
Häschen und ein drittes, das eben in ein Erdloch schlüpfen will.
Aus der Benützung der Dürerschen Holzschnittpassion ergibt sich
ein Anhaltspunkt für die Datierung des Bildes. Wenn auch nicht ein
bestimmtes Datum, so doch wenigstens der terminus a quo: nämlich
15 11, da in diesem Jahre die erwähnte Passion gedruckt wurde. Unser
Bild muß also nach 1511 entstanden sein.
Donato Venetiano d. J. soll aus der Schule der Santa Croce her-
vorgegangen sein; ein Charakteristikum derselben aber sind die Entleh-
nungen aus fremden Meistern. Was wir in bezug auf das Wiener Bild
Donatos gefunden haben, scheint also die Annahme seiner Zugehörigkeit
zu jener Schule zu bekräftigen.
l6) Diese Gestalt, die bei Dürer einen Pharisäer vorstellt, hielt Zanotto 1. c. für
den Maler des Bildes selbst, der Galeriekatalog von Dernjac u. Gerisch für ein Porträt.
*7) Damit wird die Annahme G. Ludwigs (Jahrb. d. preuß. Kunstsammlg. und
Jahrb. d. Kunstsammlungen d. A. H. K. 1. c.) den Landsknecht betreffend hinfällig.
Ludwig hält ihn nämlich für eine Kopie nach dem Dürerstich »Die 3 Ritter« (B. 88,
Ret. 4, Sch. 85).
Peter Strauss (alias Trünklein) von Nördlingen,
der Schnitzer des Peters- und Paulsaltars in
Kloster Heilsbronn.
Von Albert Gümbel.
Von den überaus zahlreichen Altären, mit welchen der Kunstsinn
der Äbte oder fürstliche Huld die Münsterkirche des Klosters Heilsbronn,
die ehrwürdige Begräbnisstätte der fränkischen Hohenzollern, der Ahn-
herren unseres Kaiserhauses, schmückten — Stillfried1) zählt deren nicht
weniger als 29 auf — , haben sich nur einige wenige bis zur Gegenwart
erhalten, unter diesen der heute an der östlichen Abschlußwand des süd-
lichen Seitenschiffes der Kirche zur Aufstellung gelangte St. Peters- und
Paulsaltar, errichtet in den Jahren 1510 — 1518 von dem Abte Sebald
Bamberger. Malerei und Schnitzkunst haben sich zu seinem Schmucke
vereinigt. Die beiden feststehenden Flügel, sowie die Außenseiten der
zwei beweglichen Flügel sind bemalt2 3 4) und zeigen Darstellungen aus dem
Leben der beiden Apostel Petrus und Paulus, dagegen blieb der übrige
Schmuck des Altares, nämlich die Innenseiten der beiden beweglichen
Flügel, Schrein und Reliquienschrein der Predella, dem Messer des
Schnitzers Vorbehalten. Da es sich in den nachfolgenden Mitteilungen
ausschließlich um diese Schnitzereien handelt, möge zunächst eine nähere
Beschreibung gegeben sein. 3)
Den durch eine Mittelsäule und Bogenöffnungen in zwei Abteilungen
gegliederten Altarschrein nehmen die Rundbilder der beiden Apostel-
fürsten, denen der Altar gewidmet war, ein. 4) Die Schnitzereien der
>) Stillfried, Kloster Heilsbronn. Ein Beitrag zu den Hohenzollerischen For-
schungen. Berlin 1877.
*) Ebenso die Türchen des Predellaschreines. Außen: die Verkündigung. Innen:
links der hl. Otto, rechts der Abt Sebald Bamberger.
3) Abbildung des Altares bei Stillfried a. a. O. Photographien (20 : 25 cm) sind
entweder durch den Photographen Herbert in Rothenburg a. T. oder durch Kirchner
Beigel in Heilsbronn zu beziehen.
4) Höhe der beiden Figuren 1,35 m. Die Altarflügel sind 1,95 m hoch und
0,74 m breit.
10
136
Albert Gümbel:
Innenseiten der beiden beweglichen Flügel zeigen links oben Petrus im
Gefängnis, unten dessen Kreuzigung, rechts oben Pauli Enthauptung,
unten dessen Bekehrung vor Damaskus; das Innere des Predellaschreines
nimmt eine Darstellung des Fischzuges Petri ein, in dem üppigen Blätter-
gerank und Fialenschmuck des Aufsatzes erscheinen unter Baldachinen
die Gestalten des Bischofs Bernhard in der Mitte, des Bischofs Otto von
Bamberg (?) rechts und des hl. Benedikt (?) links.
Über den Meister dieser Schnitzereien besitzen wir bei Stillfried
und Muck eine übereinstimmende, aus den Rechnungsbüchern des Klosters,
den sog. libri computationum, geschöpfte Angabe, welche besagt, daß
ein gewisser »Petrus pildsnitzer in Nordlingen« im J. 1510 für die Fer-
tigung des Altares neben dem Schreiner 26 fl. erhielt. 5) Stillfried macht
keine weitere Anmerkung über die Person dieses Schnitzers; Muck sagt:5 6)
Dieser [Bildschnitzer] ist vielleicht der auch anderwärts genannte Bild-
schnitzer Peter von Nürnberg, ein Zeitgenosse des Veit Stoß. Auf wen
sich diese Notiz beziehen soll, ist nicht klar, es handelt sich zudem
auch nicht um einen Nürnberger, sondern einen Nördlinger Bildschnitzer.
Verfasser glaubt auf Grund der nachfolgenden Ausführungen diesen
Meister des Peters- und Paulsaltares aufs bestimmteste identifizieren zu
dürfen mit einem Bildhauer oder Bildschnitzer Peter Strauss (auch
Peter Trünklein genannt), welcher während der Jahre 1497 — 1522
in Nordlingen erscheint und dessen ganz spezielle Beziehungen zu Kloster
Heilsbronn noch weiterhin urkundlich beglaubigt sind.
5) Die von Stillfried (a. a. O. pag. 70, Anm. 3) wiedergegebenen Rechnungsein-
träge über den Altar lauten: Expensae tabulae altaris beatorum Petri et Pauli anno
domini 1510 in die Georgii papae. Scrinitori Hans Schmid et Petro pildsnitzer in
Nordlingen 26 fl. eisdem pro sumptibus in via 5 t[alenta], seratori pro laboribus 6 t.,
pro vectura 2 fl., 6 t. 12 d[enarios], item 2 t. 24 d. für leym und eysen negelein,
scrinitori Johanni Paldauff 4 fl. pro laboribus, eidem iterum pro laboribus 6 t. 6 d. et
duobus filiis propina 2 t. 3 d., dem Jorg Schlosser 2 t. für 3 eysene schrauben zu der tafel.
Summa 35 fl. 6 t. 9 d. — 1518: ad incorporandam coloribus tabulam Petri et Pauli 45 fl.;
1519 imaginem s. Bernhardi circa altare apostolorum Petri et Pauli zu schneiden und
malen 9 fl. 1 ortt (= */4 fl.). Daraus geht zunächst hervor, daß der Altar nicht an Ort
und Stelle in Heilsbronn, sondern in Nordlingen entstand, sonst würde sich die große
Ausgabe für den Transport (pro vectura) kaum erklären lassen, sodann scheint die Be-
malung der Altarflügel erst 1518 erfolgt zu sein. Dieser letztere Umstand ist des-
halb wichtig, weil er die Möglichkeit offen läßt, daß andere als Nördlinger Maler an
den Darstellungen aus dem Leben der beiden Apostelfürsten beteiligt sind. Leider
wird kein Name genannt.
6) Geschichte von Kloster Heilsbronn von der Urzeit bis zur Neuzeit. Nörd-
lingen 1879 1. Bd. pag. 226. Muck giebt auch noch einige weitere interessante De-
tails über die Aufbringung der Kosten des Altars und über dessen Schicksale (Restau-
rierungen) in neuerer Zeit.
Peter Strauss (alias Trünklein) von Nördlingen, usw.
137
Das wichtigste biographische Material über diesen Meister liefern
uns die heute im Nördlinger Stadtarchiv verwahrten Steuerbücher und
Stadtrechnungen der alten Reichsstadt Nördlingen. 7)
Hier begegnet uns in den 60 er Jahren des 15. Jahrhunderts ein
Schneider Hans Trunk oder Trünklin,8) dessen Handwerk ein seit 1493
in den Nördlinger Steuerlisten erscheinender Caspar Trünklin, wohl
sicherlich ein Sohn des ersteren, fortsetzt. Der Name unseres Meisters
erscheint erstmals im Jahre 1497 und zwar auffallenderweise in doppelter
bezw. korrigierter Form. Er wird unter den Steuerzahlern, welche »die
lange Gassen hinab« wohnen, als »Peter Strauss« (ohne Handwerks-
bezeichnung) und zwar mit einer Steueranlage von 7 ft>. 4 dn. aufgeführt.
Sodann aber ist der Name »Strauss« gestrichen und darüber »Truncklin«
gesetzt. In den beiden folgenden Jahren wird der Meister als »Peter
Trunncklin, pildhawer« (1498) und »Peter Truncklin, pildhfawer]« (1499)
jeweils mit einem Steuerfuß von 1 fl. vorgetragen. Merkwürdigerweise
taucht aber 1500 wieder der Name Peter Strauß auf, und zwar genau
an der gleichen Stelle der Steuerlisten, mit der gleichen Nachbarschaft
und der nämlichen Anlage wie 1498 und 1499, so daß kdn Zweifel an
der Identität entstehen kann. 9) Mit dieser Namensform als Peter Strauss,
anfangs (bis 1508) ohne Handwerksbezeichnung, dann mit dem Zusatz
»byldschnitzer« (1509) oder »byldhawer« (seit 1510) läuft er nun in den
Jahren 1500 — 1521 ununterbrochen durch die Nördlinger Steuerlisten.
7) Für alle mir bei Benützung der reichen Schätze des Nördlinger Stadtarchives
gewordene Förderung spreche ich auch an dieser Stelle Herrn Hofrat Ch. Mayer meinen
herzlichen Dank aus.
8) Diese Namensform scheint auf einen schweizerischen Ursprung der Familie zu
deuten, wie wir denn auch später ein Glied derselben in Bern finden.
9) Ich führe zur Vergleichung die Namen der Nachbarn in den fraglichen
Jahren auf:
1496 Hanns Heldelein
Lorentz Kelhaimerin
Lorentz Schopper
Stephan Weyrer
Hanns Praun
1497 Hanns Heldelin
Lorentz Kelhametin
Peter Truncklin (korrigiert aus Strauss)
Lorentz Schopper
Hanns Prawn
1498 Hanns Heldelein
Lorentz Kelhamerin
Peter Trunncklin pildhawer
Lorentz Schopper
Hans Prawn
Albert Glimbel:
138
Auch die Nördlinger Stadtrechnungen, deren Einträge noch zu erwähnen
sein werden, kennen ausschließlich die Namensform Peter Strauss, dagegen
nennt ihn eine gleichfalls noch zu erwähnende Urkunde vom Jahre 1507
wiederum »Petter Trüncklein Bildhawer vnnd burger zu Nördlingen«. Be-
merkenswerterweise taucht dann letztere Bezeichnung auch in den Nörd-
linger Steuerlisten nach seinem Tode bei Nennung seiner Witwe und
Kinder wieder auf. Einen Anhaltspunkt für die Erklärung dieses Wechsels
in der Namensform bietet uns ein in den Nördlinger Stadtrechnungen unter
den Einnahmen aus der Nachsteuer erscheinender Vortrag vom Jahre 1523,
welcher lautet: Item Caspar Trinckli gab nachsteur von wegen StefFan
Straus von Bern, seines Stiefbruders, von aller hab, so er von seiner
Schwester, der Praunegkerin ererbt hat. Fol. 130. 5 guld. 3 <ü>. 10 dn.
Ein ähnlicher Eintrag kommt schon im Jahre 1508 vor: Steffan Strauss,
ein Byldhawer, gab nachsteur von aller seiner hab, [die] er von seinen
vater und mutter selig ererbt hat, von 60 fl. tut 6 fl. actum montag post
palm[arum]. Unzweifelhaft war der hier genannte Bildhauer Stephan
Strauss, der seinen Wohnsitz dauernd außerhalb Nördlingens gehabt zu
haben scheint,10) ein leiblicher Bruder unseres Bildhauers Paul Strauss
und dieser somit gleichfalls ein Stiefbruder des oben von uns erwähnten
Schneiders Caspar Truncklin.
Die Sachlage war wohl diese, daß der, wio oben gesagt, in den
60 er Jahren des 15. Jahrhunderts in den Nördlinger Steuerbüchern vor-
1499 Hanns Heldelin
Lorentz Kelhamerin
Peter Truncklin pildh[awer]
Lorentz Schopper
Hanns Prawn
1500 Hanns Heldelin
Lorentz Kelhamerin
Peter Strauss
Lorentz Schopper
Hanns Praun
1501 Ebenso.
Dazu sei bemerkt, daß einerseits 1498 kein Peter Strauss, andererseits 1500 kein
Peter Trünklein in den Steuerlisten vorkommt. Die Nachbarn von 1496 wurden aus
einem gleich zu erörterndem Grunde aufgeführt.
I0) Dies scheint aus der zweimaligen Leistung der Nachsteuer in den Jahren 1508
und 1523 hervorzugehen. Bekanntlich verstand man unter letzterer die in Prozenten zu
leistende Abgabe von einem durch Erbschaft, Heirat, Wegzug etc. aus dem Lande ge-
henden und damit aus der Steuergewalt eines Gebietsherrn ausscheidenden Vermögens;
sie sollte einen Ersatz für den drohenden Verlust an Steuerkraft darstellen. Soweit
übrigens Verfasser die Sache verfolgte, ist ihm auch ein Bildhauer Stephan Strauss in
den Nördlinger Steuerlisten nicht begegnet. Ebensowenig kommt etwa ein Stephan
Trünklin vor.
Peter Strauss (alias Trünklein) von Nördlingen, usw. 139
kommende Hans Trünklein der Vater des Schneiders Caspar Trünklein
war und in zweiter Ehe eine Nördlinger Witwe namens Strauss11) ge-
heiratet hatte, welche ihm zwei Söhne, eben unseren Peter und den wohl
jüngeren Stephan, zubrachte. Während sodann der letztere in die vermut-
liche Heimat der Trünklinschen Familie, die Schweiz, übersiedelte, blieb
Peter in Nördlingen und wird bald nach dem Stiefvater, in dessen Haus
er aufgewachsen sein mochte, bald nach der Mutter genannt.
Über die Werkstätte, in welcher er lernte, wissen wir nichts, wir
müßten denn gerade Wert auf den allerdings auffälligen Umstand legen,
daß unser Meister in den Steuerlisten seit 1497 genau an der Stelle,
also wohl als Besitznachfolger, vorkommt, an welcher in den Jahren 1495
und 1496 der verdienstvolle letzte Baumeister der 1505 vollendeten
St. Georgskirche in Nördlingen, Stephan Weyrer, erscheint.12) Es wäre
also denkbar, daß er die Ausbildung für eine allerdings urkundlich nicht
weiter zu belegende Tätigkeit als Steinbildhauer. — so müßten wir dann
wohl das »byldhawer« der Quellen ergänzen — jenem Meister verdankte
und nach dessen Übersiedlung in eine andere Wohnung dessen Werk-
stätte übernahm. J3) Da Weyrer aber erst 1495 nach Nördlingen kam,
wir auch von weiteren Beziehungen zwischen beiden nichts hören, dürfte
es sich eher um einen reinen Besitzwechsel am Hause und den Werk-
räumen handeln. Von gleichzeitigen Bildschnitzern käme als sein
Lehrmeister etwa jener Schnitzer Ludwig Grönenbach in Betracht, welchen
die Nördlinger Steuerbücher in den 90 er Jahren anführen (seit 1496 in
unmittelbarer Nähe Friedrich Herlins). Über seine künstlerische Tätig-
keit in Nördlingen selbst, sei es als Steinbildner, sei es als Schnitzer,
besitzen wir keine weiteren Angaben. Die Nachrichten, welche die
Nördlinger Stadtrechnungen seit 1508 bis 1521 bieten, betreffen nur
Untergeordnetes wie Bezug von Arbeitsmaterial (Lindenholz), Steuer-
nachzahlung etc.1* *)
") Dieser Name erscheint in den Nördlinger Steuerbüchern häufig.
1 *) Vgl. Anmerk. 9. Bezüglich Stephan Weyrers siehe die Ausführungen über
die Baugeschichte der St. Georgskirche bei Mayer, Christ. Die Stadt Nördlingen, ihr
Leben und ihre Kunst im Lichte der Vorzeit, Nördlingen 1876, nebenbei bemerkt wohl
einer unserer gelungensten deutschen Städtegeschichten voll gewinnendsten Zaubers der
Darstellung.
*3) In Nördlingen schreibt man Stephan Weyrer das am sog. Neuen Tanzhause
gegenüber dem Rathause befindliche Steinbild Kaiser Maximilians mit der darauf be-
findlichen Jahreszahl 15x3 zu, was die Stadtrechnungen zu bestätigen scheinen. Stadt-
rechn. v. J. 1513, pag. 50b, Gemain ußgeben: Zalt mayster Steffan von dem stainen
kayser an dem neuen danntzhauß zu hawen 16 gülden).
I4) Diese Einträge seien nachstehend wiedergegeben:
1508. Gemain einemen, pag. 41b: Peter Strauss gab für lindenholtz ... 2 tt. 15 dn.
140
Albert Gtimbel:
Wichtiger als diese letzteren Notizen scheint eine im K. Kreis-
archive Nürnberg befindliche Urkunde vom 15. November 1507,15) in
welcher sich Peter Trünklein mit dem Abt Sebald Bamberger und dem
Konvente des Klosters Heilsbronn über die zukünftige Erhaltung eines
an den Garten des Bildschnitzers grenzenden Zaunes beim St. Emmerams-
kirchlein bei Nördlingen verträgt. Bisher hatte das Kloster für dessen
Instandhaltung gesorgt, nunmehr trat es dem Meister zwei Schuh Acker-
landes ab, wogegen dieser sich zur Bestreitung aller künftiger Reparatur-
kosten verpflichtet. Eine Verschreibung ganz desselben Inhalts hatte
Caspar Trünklein, Schneider und Bürger zu Nördlingen, schon unter dem
8. Februar 1507 ausgestellt.16) Die beiden Stiefbrüder besaßen den
Garten also gemeinsam. Erstere Urkunde ist deshalb von Wert, weil
sie Zeugnis für anderweitige zwischen dem Kloster und dem Meister
bestehende Beziehungen ablegt und es damit zur Gewißheit macht, daß
mit jenem 1510 als Schnitzer des Peter- und Paulsaltars genannten Peter
von Nördlingen kein anderer gemeint ist als eben unser Peter Trünklein.
Es könnte nun auffallen, daß wir gerade einen Nördlinger Meister
in so engen persönlichen und künstlerischen Beziehungen zu dem örtlich
so entlegenen fränkischen Kloster sehen, doch erklärt sich dies aus dem
ganz besonderen Verhältnis, in welchem Nördlingen beziehungsweise das
dortige Kirchenwesen zu dem Kloster Heilsbronn stand. Letzteres besaß
nämlich seit dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts durch Schenkung
Kaiser Heinrichs VII. das Patronatsrecht über die Nördlinger Pfarrkirche des
hl. Georg mit 14 Kaplaneien, ferner erhob sich in der Stadt der sog. Heils-
bronner Pfleghof als Mittelpunkt für die Verwaltung der reichen Einkünfte
aus der Stadt und dem Ries. So ergaben sich mannigfache Beziehungen
zwischen der dortigen Bevölkerung und den Heilsbronner Mönchen, zu-
meist freilich nicht sehr freundlicher Natur, da dem Nördlinger Bürger-
stolze das fremde Patronat eine dauernde Quelle des Ärgernisses war; der
Verlust dieses Rechtes seitens des Klosters (1523) war dann auch die
erste Folge der sich in der Stadt regenden neuen religiösen Ideen.
1509. Gern, ein., pag. 42 b: Peter Strauss, byldschnitzer gab vmb ain Rynner(!)
. . . 2 4t. 20 dn.
1511. Gern, ein., pag. 45b: Peter Strauss, byldschnitzer, gab für ein Karfol
(= Karrenvoll) deckzewg vnd 1 bret ... 1 17 dn.
1521. Alt einbracht Schuld, fol. 1: Item Peter Strauss, byldhawer, gab an seiner
schuld laut des schuld registers anno 1520 am 18. blat ... 44t..
1521. Gemain einemen, pag. 40b: Peter Strauss gab für lynden holtz . . . 2 4L
•5) Urkunden des Klosters Heilsbronn Tit. X: Nördlingen, Nr. 13 (XVII
In dorso: Nr. 129 berurend den zaun bey sant Heymrat 1507.
,6) Das vollständige Datum lautet: Geben auff Manntag nach sant Doretheenn tag
der hayligen Jünckfrawenn etc. 1507.
Peter Strauss (alias Trünklein) von Nördlingen, usw. 141
Der Wortlaut des Vertrages zwischen unserem Meister Bildschnitzer
und dem Kloster nun ist folgender:
Ich Petter Trünklein, bildhauer und burger zu Nördlingen, bekenn
offenlich für mich und alle mein erben und thun kunt allermengclich
mit disem brief: nachdem die erwürdigen und gaistlichen herren herr
Sebolt, apt, und convent des gotzhaus Haylssprung, mein genädig herren,
die zau[n]statt bei Sant Haymerant auf die linken hand, so man zu
S. Haimrandtnkirchen hinuf geet,1?) an meinem garten an irem acker da-
selbst gelegen und anstoßend, bisher gemacht und zu machen schuldig
gewest sein, also und so mir die benannten mein genadig herren von
Haylsprun durch herren Bonifacium Albleyn, iren hofhalter hie zu Nörd-
lingen, als irem volmächtigen gewalthaber, in gegenwurtikait und ver-
gunsten der erbern weisen Hannsen Hollers, des rats, Hannsen Fridels,
genant Peuchelschmid, Jacoben Heinrichs und Liennharten Toschen, als
feldmaister, von dem obgenanten irem und ires gotzhauß acker bei
zwaien schuchen felds zu dem obgenanntem meinem garten gegeben, also
hab ich in dagegen zu ergetzlikait versprochen und verhaißen und thun
das in craft ditz briefs dermaß, das ich und mein erben auch künftig
innhaber gemeltes meines garten die gemelten zau[n]stat, so die beßerung
und machens notturftig sein wurd, nu hiefüran ewiglichen beßern und
machen und sol macht haben den zaun zu dornen oder nit, wie es mich
gut ansicht auf mein aigen costen und on des obgenannten abts und
convents und irs gotzhaus auch ires hofhalters alhie zu Nördlingen und
irer nachkomen zuthun on schaden, des alles zu warem und offem ur-
kunde hab ich mit vlis erpeten die ersamen weisen Paulßen Ainküren
und Hansen Röttinger, baide burger und des alten rats zu Nördlingen,
das die ir aigne insigel, doch in und iren erben on schaden offenlich
gehangen haben an diesen brief, der geben ist am montag nach Sannt
Martins des hailigen bischofs tage (15. November) nach Cristi gepurt
tausend fünfhundert und in dem sibenden jaren. — Original, Pergament
mit anhängenden, gut erhaltenen Siegeln.
Mit dieser Urkunde und den Rechnungsnotizen vom Jahre 1510
über den Peter- und Paulsaltar erschöpfen sich die Nachrichten, welche uns
die Heilsbronner Archivalien über unseren Meister bieten. Obwohl noch
bis 1522 tätig, wird er in den Rechnungsbüchern des Klosters nicht
*7) Gemeint ist das St. Emmeram geweihte Friedhofskirchlein auf einer Anhöhe
vor dem Bergerthor, das 10 Jahre nach Ausstellung der Urkunde durch eine Windhose
zerstört, dann notdürftig wieder aufgebaut wurde und im 30jährigen Kriege von neuem
seinen Untergang fand. Das schmucke Kirchlein, das heute den einen hübschen Blick
auf das Ries bietenden Friedhofshügel ziert, wurde erst in neuerer Zeit wieder erbaut.
Mayer a. a. O. p. 68 ff.
142
Albert Gttmbel : Peter Strauss (alias TrUnklein) usw.
mehr genannt. Doch schließt das nicht aus, daß er gleichwohl auch
nach 1510 für dieses tätig war, denn bedauerlicherweise bleiben uns
die Heilbronner Rechnungsaufzeichnungen dieser Zeit die Namen der
Maler und Schnitzer durchgehends schuldig; daß 1510 unser Peter von
Nördlingen genannt wird, ist eine glückliche Ausnahme. Ich möchte vor
allem auf die Schnitzereien des heute im nördlichen Chorschiffe der Heils-
bronner Kirche aufgestellten Ursulaaltares hinweisen, der aus dem Jahre
1513 stammt und seine Entstehung gleichfalls dem Abte Sebald Bam-
berger verdankt.18) Auch außerhalb Heilsbronns dürfte eine Umschau in
den Kirchen seiner Vaterstadt und des Rieses noch auf manches Werk
seiner Hand führen.
Verstorben ist Peter Strauss zu Nördlingen im Jahre 1522. Noch
1521 finden wir ihn in den dortigen Stadtrechnungen erwähnt, die Steuer-
listen von 1522 dagegen lassen erkennen, daß er in diesem Jahre ge-
storben ist. Dabei tritt wieder die schon eingangs erwähnte Namens-
unsicherheit auf. Er wird in dem letztgenannten Jahre aufgeführt zu-
nächst als »Peter Strauss, byldhawer«, dann folgt hinter seinem Namen
eine Notiz, welche auf einen anderen Eintrag weiter unten verweist. Auf
der nächsten Seite findet man dann beim Buchstaben T: »Petter Trinck-
lins, bildhawer, witib«. Die Vormundschaft über die hinterlassenen
Kinder des Meisters übernahm der Stiefbruder Caspar Trünklein, sefne
Ehefrau finden wir schon zwei Jahre nach seinem Tode an der Seite
eines anderen Mannes. —
Es ist sicherlich kein Künstler ersten Ranges, den wir in Peter
Strauss kennen lernen — am glücklichsten erscheint er noch in seinen
Rundfiguren — , gleichwohl dürfte es für die Geschichte der schwäbischen
Schnitzerschule nicht ganz ohne Interesse sein, das Wirken dieses Meisters
nunmehr zeitlich und örtlich schärfer umgrenzen zu können.
l8) Abbildung bei Stillfried, a. a. O., Photographien bei den in Änm. 2 an-
gegebenen Bezugsquellen. Über die Malereien dieses Altares vgl. Thode, Die Maler-
schule von Nürnberg, pag. 216. Thode bezeichnet diese Schnitzereien als sehr klein-
lich und im Gegensatz stehend zu den »einer gewissen Großartigkeit nicht entbehrenden«
Malereien.
Notiz zu Lorenzo di Credi.
E. Jacobsen spricht in seinem belehrenden und reichhaltigen Auf-
sätze: die Handzeichnungen der Uffizien usw., Repert. XXVII S. 428,
von der Zeichnung mit dem Jesuskind des Lorenzo di Credi und meint,
es sei noch nicht bemerkt worden, daß dieses Blatt mit dem sog. Leo-
nardo der Münchener Pinakothek übereinstimme. Ich habe jedoch
schon in meinem Artikel der Zeitschr. f. bildende Kunst, Neue Folge,
Jahrg. 1893, S. 140, 141, dies Verhältnis erwähnt. Bei der Beurteilung
des Münchener Bildes darf man nie vergessen, daß es in üblem Zu-
stande, schmutzbedeckt, mit herausgebrochenen Stellen usw. war und
demgemäß stark restauriert werden mußte. Die Zeichnung mit dem
Kind hatte ich Mai 1891 in Florenz durch Alinari auf meine Kosten
photographieren lassen. Ich muß hierbei noch bemerken, daß ich
das Gemälde schon beim Ankäufe 1889 für einen Credi hielt und nicht
etwa durch die Zeichnung erst dazu veranlaßt worden war. Die Be-
kanntschaft mit derselben diente mir bloß zur Bekräftigung meiner An-
sicht. Vergl. auch Zeitschr. f. b. K., Neue Folge, Jahrg. XV, 1904; Kunst-
chronik, Sp. 403.
Wilhelm Schmidt.
Albert van Ou water?
Aus dem Jahre 1690 stammt ein Inventar der vor der Westseite
des Domes in Glogau sich erhebenden Kapelle zu St. Anna (capella S.
crucis et S. Annae), das von dem Kanonikus der Kollegiate zu Glogau,
Daniel Thalwentzel, damals Propst zu St. Anna, angelegt ist. In dem
sehr ausführlichen Inventar erregt eine Notiz besondere Aufmerksamkeit.
Nachdem unter Imagines, quae sunt extra Altaria. Sculptae. eine
Anzahl von Plastiken aufgezählt sind, folgt unter Pictae: Auf Holz
Depositio Christi Dni de Cruce . . . (unausgefüllt) eien hoch, so von
dem weldberimbten Mahler Albert Anno 1476. gemahlt worden, und
von alters aufn großen Altar gestanden. Christi Dni in monte oliveti,
capti, flagellati et coronati auf 2 Tafifeln, so vorzeiten die Flügel ge-
wesen des großen Altars, und von einem Mahler zu einer Zeit gemahlt
worden. Christi Resurgentis auf 3 Taffein, so auf einem Lateral-Altar
gestanden usw.1)
Also eine Kreuzabnahme von einem »weltberühmten« Maler Albert,
datiert 1476. Es steht jedem frei, in dieser Weltberühmtheit eine
wackere schlesische Lokalgröße2) zu sehen, deren Ruf sich bis 1690
herunter gerettet hat. Nimmt man dagegen die Notiz so, wie sie sich
gibt, so darf man vielleicht daran erinnern, daß es um die genannte
Zeit wirklich einen derartigen Maler Albert gab, — van Ouwater, dessen
einzig sicheres Werk die Auferweckung des Lazarus in Berlin ist.
Von Ouwaters Leben wissen wir urkundlich aus einer Notiz der
Kirchenbücher von St. Bavo nur, daß 1467 für seine Tochter Anna ein
Grab in der Kirche geöffnet und die Salvatorglocke geläutet wurde.
(Van der Willigen: Les artistes de Harlem p. 49.) Nach van Mander
J) S. Knötel: die Kapelle zum hl. Kreuz und zu St. Anna in Gr.-Glogau und
drei Inventare derselben. Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift. Bd. IV. (1888) S.
629 h Vgl. Lutsch, Kunstdenkmäler Schlesiens Bd. III, S. 31.
a) Von Breslauer Malern kämen etwa dafür in Betracht Olbricht hazenspruug,
moler, (1484) und Albrecht Weiszeler, ein maller (1493) (Schultz, Urk. Gesch. der
Breslauer Maler-Innung S. 78, 80). Sonst kommt der Name in der ganzen Zeit in
Breslau nicht vor.
Karl Simon: Albert van Ouwater?
M5
reich te.Ouwaters Tätigkeit noch in die Zeit Jan van Eycks hinein. Schon
Hymans weist darauf hin, daß die Art seiner Berechnung auf schwachen
Füßen steht. Jedenfalls steht nichts der Annahme im Wege, daß Albert
bedeutend jünger als Jan van Eyck gewesen ist. In keinem Falle ist es
unmöglich anzunehmen, daß er um 1476 ein größeres Altarwerk ge-
schaffen habe. Wie alt die Tochter war, die 1467 gestorben ist, wissen
wir nicht, doch scheint es — den gewöhnlichen Lauf der Dinge an-
genommen — , daß sie unverheiratet war, was wiederum möglicher-
weise anzunehmen gestattet, daß sie in jüngerem Alter gestanden hat.
Andererseits läßt die, wie es scheint, größere Begräbnisfeierlichkeit nicht
an ein Kind denken. Nehmen wir ihr Alter als etwa zwanzigjährig an,
so würden wir die Geburt des Vaters etwa um 1420 ansetzen können.
Freilich sind das nur Vermutungen ohne sichern Halt. Entsprächen sie
ungefähr den Tatsachen, so würde ein Altarwerk um 1476 durchaus noch
in Alberts rüstiges Mannesalter fallen, während man bei Bodes Chrono-
logie (Albert Schüler von Jan van Eyck während dessen Aufenthalt im
Haag 1424 — 1426) diese Möglichkeit schon weniger gut diskutierbar
finden wird, trotzdem sie durchaus nicht ausgeschlossen ist.
Bedenken wird zunächst auch der Umstand einflößen, daß ein um-
fangreiches Altarbild in den Niederlanden bestellt oder wenigstens von
dort nach Glogau geschafft sein solle. Indessen bestanden doch sehr
rege Handelsbeziehungen zwischen Schlesien und den Niederlanden, aus
denen besonders feinere Tuche und Seidenstoffe bezogen wurden. (Grtin-
hagen: Geschichte Schlesiens I. S. 401.) Auch sonst scheinen nähere
Beziehungen gewöhnlich gewesen zu sein. So hatte ein gewisser Joachim
Girnth in Holland die Schleierweberei erlernt, die er um 1470 in Hirsch-
berg einführte (Grünhagen a. O. I. 399). Für den Transport auch größerer
Altarwerke über weite Strecken liegen ja genügend Beispiele vor.
Sehen wir uns die Notiz nun noch ein wenig genauer an. Es ist
also eine Kreuzabnahme von Holz, die auf dem großen Altar, also dem
Ha\ptaltar, gestanden hat. Daß sie das Hauptbild gewesen ist, erhellt
auch noch aus dem Titel der Kirche S. Crucis. Auch dieser Stoff als
Hauptbild würde durchaus gut auf die Niederlande als Entstehungsart
passen. In Deutschland ist die Darstellung früher nicht häufig. Abge-
sehen von dem Kölner Klarenaltar und dem Flügel des Bamberger Altars
von 1429 (München, Nationalmuseum) wird sie in der großen Kunst
häufiger erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts.
In der altniederländischen Malerei hat Roger van der Weyden
Epoche für die Kreuzabnahme bez. Beweinung gemacht, mit der er auf
Deutschland aufs stärkste einwirkte. Eine lange Reihe von Darstellungen
der Kreuzabnahme bez. Beweinung kennzeichnet die niederländische
146
Kar] Simon: Albert van Ouwater?
Malerei der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Rogier und seine Schule,
Memling, Goes, Petrus Cristus; nicht zu vergessen Geertgen tot. St. Jans,
Ouwaters Schüler, mit seiner Wiener Kreuzabnahme! Gerade dies Thema
würde also gut für ein Bild niederländischer Provenienz sprechen. Für
Deutschland scheint eine Kreuzabnahme als Mittelbild ungewöhnlich
zu sein.
Auf den Flügeln befanden sich der Ölberg, die Gefangennahme,
Geißelung und Dornenkrönung. Wie die Anordnung war, ist mit Sicher-
heit kaum zu sagen; doch scheint der Wortlaut darauf hinzudeuten,
daß es zwei Tafeln mit je zwei Szenen übereinander waren. Auch das
kommt ja gerade in den Niederlanden und am Niederrhein häufiger
vor (Bouts, P. Cristus; Köln: Aldenhoven Taf. 5, Schule Meister Wilhelms
ebda Taf. 16, Darmstädter Altar Meister Wilhelms; allerdings auch beim
Breslauer Barbara-Altar von 1447).
Die Quelle für Thalwentzel ist wohl ein älteres Inventar gewesen,
dem er die Nachricht über den Maler entnommen hat. Es will schon
viel sagen, daß nicht bei Albrecht der Name Dürer ergänzt worden ist.
Die ganze Vermutung hängt freilich in der Luft, und auch wenn
die Notiz mit Sicherheit auf Ouwater bezogen werden könnte, fehlte uns
immer noch das Werk selbst. Über die späteren Schicksale der inneren
Ausstattung der Kapelle hat sich leider nicht das Geringste ermitteln
lassen. Einen großen Brand (1488) hat das Werk überdauert; auch
nachdem die Kapelle als Stall gedient und es von seinem Platz ent-
fernt worden war (1656), war es also 1690 noch erhalten. Von da ab
verschwindet jede Spur. Vielleicht ist es doch möglich, sie eines Tages
wieder aufzunehmen. Karl Simon.
A Note on Dürer.
About the middle of his visit to the Netherlands, probably in
January, 1521, Dürer obtained a supply of purple-tinted paper, or toned
it for himself. Perhaps the first drawing he made on it was a study of
the man who was ninety-three years old, and who may be the model
referred to in the diary as having been paid 3 st. for sitting about the
1 1 th of January. On other sheets of the same paper he made more
studies for the St. Jerome picture, which he presented in the month of
March to Roderigo of Portugal (three drawings in the Albertina). On
the same paper he drew the Berlin portrait of a gentleman (L. 66), the
British Museum portrait of a monk (L. 289), the Bremen head of a
youth (L. 127), and perhaps the two weeping cherubs at Berlin (L. 446)
and the Louvre (L. 325).
The same paper, if I mistake not, was used for the drapery-study
at Berlin (L. 67) and certainly for the study of a draped female figure
seen from behind (at the Albertina), which is identical in style with the
Jerome studies. It seems that Dürer acquired about this time a piece
of stufif which feil into folds of a kind that pleased him. He took it
home with him to Nürnberg and made much use of it in his Studio in
after years. The purple paper was used for Dürers portrait drawing of
his wife, »when they had been married twenty-seven years«. This did
not happen tili July 7 th, 1521. On that day Dürer and his party were
stopping at Brussels on their way home, so that the drawing was prob-
ably done there, as a wedding- day memorial. It could hardly have
been done after the party left Brussels on their way home.
Arrived home in or about August, 1521, Dürer set to work to
design a great picture of the Virgin and Child surrounded by Saints
and angels. This proposed picture occupied his mind and was not aban-
doned tili some time in 1522, probably early in the year. The Chantilly
drawing (L. 343) seems to have been the first idea. It was supplanted
by the Louvre drawing (L. 324), and that by the Bonnat drawing (L. 364).
Mr. Heseltine’s cherubs (L. 170) represent a stage of the idea for the
foreground. The work progressed so far that models were called in,
from one of whom the Berlin (L. 65) and Louvre (L. 326) female busts
were drawn. The same model sat for the profile study in the Louvre
(L. 327) and Herr Ludwig Lorenz seems quite justified in associating
it with the 1522 design for this same picture. The crossed hands on
148
Conway: A Note on Dürer.
the same sheet of paper appear to be intended to rest on the top of
a walking-stick. Such hands, beheld from another poirit of view, are
found in the 1521 design, bul they may have been intended to be used
for the tall-hatted saint on the right in the 1522 design.
The Ambrosiana head (Dürer Society, vii. 9) was done at this time,
and so was Mr. Heseltine’s cherub (L. 171) which is a full-size study
for the Standing piping cherub in the above-mentioned pen-and-ink sketch
(L. 171) in the same collection.*)
The 1521 design (L. 364) shows that Dürer intended to introduce
into his picture, as a saint’s head, the portrait of the monk above
referred to as drawn in the Netherlands on the purple paper. This head
seems to have impressed itself upon his mind. He was probably thinking
0f it _ not of the old Hellerbild drawing, als Thausing suggested (Vol.
II. p. 276) — when he drew a design for a Temptation of St. Anthony
in 1521 (Albertina). The female figure in that drawing was certainly a
Suggestion from the antique and has no connection with the very doubtful
silver-point drawing (L. 92) in the British Museum. St. Antony’s head is
but slightly indicated, the purpose of the drawing being the study of the
drapery. In this respect. it groups naturally with the Reading Virgin in the
Albertina and the Holy Women (L. 381) in the Robert-Dumesnil Collection.
Four drapery studies pure and simple belong to this date and were
all done, no doubt, in rapid succession, the same piece of stuff being
used for them all and for the other drapery studies of this period. The
four in question are at Berlin (L. 54), Hamburg (L. 161), Bremen (L. 128)
and in the Blasius Collection (L. 154). It is clear that they are connected
with the design of the great picture, from the occurrence in some of
them of steps of the same kind as were to be introduced these beneath
the throne. In the earliest of them the steps are replaced by broken
ground such as the Heseltine cherubs also (L. 170) stand or sit on.
The proposed shape of the picture was changed early in 1522,
being now made an upright instead of a horizontal oblong. This involved
a rearrangement of the figures and the omission of many, as we see
in the successive designs in the Bonnat collection (L. 362 and 363).
The two angels which were at the extreme right and left in the original
Chantilly design (L. 343), were now brought together into the midst of
the foreground. It was for the picture in this stage, as already stated,
that the Louvre head (L. 327) and perhaps the crossed hands were drawn.
Conway.
*) The hydrocephalous Dresden baby heads (L. 84, 85) may have been connected
with this altar-piece, but they more closely resemble de Ufffzi Madonna of 1526. I
cannot believe them to be of date 1518.
Ein kunstgewerblicher Entwurf Altdorfers.
Im Kupferstichkabinett der alten Pinakothek zu München befindet
sich die Federzeichnurfg eines gotischen Pokals mit der Darstellung des
Sündenfalles. (Abgebildet auf Tafel 14 1 der Schmidtschen Publikation
von Handzeichnungen des Münchener Kabinetts als »Altdeutsche Schule
gegen Ende des 15. Jahrhunderts«). Ich glaube in diesem Blatte einen
Entwurf Altdorfers zu erkennen; für seine Urheberschaft sprechen zu-
nächst die flott skizzierende Behandlung und die kecke, etwas ober-
flächliche Wiedergabe des nackten Körpers, sodann das Profil Evas mit
der stark gewölbten Stirn und dem halb geöffneten Mund, wofür die
weibliche Gestalt auf dem Satyrbilde in Berlin zu vergleichen ist, ferner
das Antlitz Adams mit der scharf vorspringenden Nase und dem strähnig
behandelten Haar. Der den Pokal bekrönende Ritter findet seines-
gleichen in zahlreichen Reitergestalten des Gemäldes der Schlacht von
Arbela. Mit den radierten Pokalen des Meisters teilt der zeichnerische
Entwurf die schlanke Form und die unperspektivische Auffassung, die
mangelhafte Körperlichkeit und den stark bewegten Umriß. Einen Ritter
als Bekrönung zeigt überdies das Gefäß B 83. Da aber der Pokal der
Federzeichnung noch in rein gotischen Formen gehalten ist, muß das
Blatt früher entstanden sein als die radierten Entwürfe, welche nach
Friedländer in die dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts fallen. Wiederum
deuten die verhältnismäßig richtigen Proportionen des nackten Körpers
darauf hin, daß die Zeit der Berliner Satyrfamilie schon weit zurückliegt.
So wird man diesen Entwurf, der die radierten Pokale an origineller
Erfindung übertrifft, mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Jahre 1515
bis 1525 verlegen dürfen.
Ludwig Lorenz.
1 1
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIIL
Notizen zu Rembrandts Radierungen,
In der letzten Zeit bin ich amtlich beauftragt worden, einen Katalog
der im Print Room des British Museum befindlichen Radierungen Rem-
brandts zusammenzustellen. Im vorliegenden Artikel werde ich versuchen,
ein paar kleine Notizen über Datierung, Zustände usw., welche zum
größten Teil dieser Arbeit ihren Ursprung verdanken, niederzuschreiben.
Wenn meine Meinung nicht immer die richtige ist, wird sie doch hoffent-
lich auf Schwierigkeiten hindeuten, die andere besser imstande sein
werden zu lösen.
Was die Unterscheidung der Zustände betrifft, so kann man gewiß
nie hoffen auf ganz sicherem Grund zu stehen, obgleich ein monumen-
tales Werk wie Rovinskis mit seinem Atlas viel dazu beigetragen hat:
trotzdem aber hört man mit Recht nicht auf, einer gewissen Vollkommen-
heit immer näher zu streben. Immerhin sind diese Bestrebungen nur
dann ganz gerechtfertigt, wenn sie so weit wie möglich alles unwesent-
liche fortlassen und das wesentliche auf die einfachste Weise betonen,
was das besondere Verdienst von Herrn v. Seidlitz ist. Die Unsicherheit
der chronologischen Ordnung — der ich im obengenannten Werk im
Anschluß an Herrn Colvins Ausstellungs-Katalog von 1899 gefolgt bin
— werde ich auch nicht verleugnen. Ist es aber hier verständiger, wie
im vorigen Fall, die praktischen Ergebnisse der Forschung, soweit sie
bisher fortgeschritten ist, aufzugeben, weil man gewiß nie zur voll-
kommenen Sicherheit gelangen kann, und dadurch dem rationellen
Studium der Entwickelung eines Meisters gewissermaßen im Weg zu
stehen ?
Wenn ich mir erlaube, in meinen Bemerkungen dann und wann
auf kleine Fehler in den besten Katalogen aufmerksam zu machen, halte
ich das für die leichteste Aufgabe eines Ikonographen, aber immerhin
für diejenige, wodurch der Leser eines wissenschaftlichen Buches dem
Verfasser seine Dankbarkeit am besten erweisen kann.
Der barmherzige Samariter (B. 90). Blanc ist verantwortlich für
den Bericht, den Rovinski und Seidlitz bedauerlicherweise wiederholen,
daß auf einem Abdrucke seines 2. Zustandes (S. I.) in Amsterdam Rem-
A. M. Hind: Notizen zu Rembrandts Radierungen. i^i
brandt f. cum privil. 1632 von der Hand des Meisters geschrieben sei.
Die Inschrift steht aber auf einem Abdruck seines 3. Zustandes (S. II.
der Schweif schattiert), und rührt, glaube ich, obschon wohl von einem
Zeitgenossen, nicht von Rembrandt selbst her. Das Datum ist auch
nicht 163:2, sondern 1633 wie später radiert worden ist.
Der Goldschmied (B. 123). Middleton hat als erster das Datum
1655 bemerkt. Der Katalog der Burlington-Ausstellung las dagegen
1651 und Seidlitz schließt sich dieser letzteren Meinung an. Vielleicht
aber hat er nur ziemlich schwarze Abdrucke notiert, denn auf einem
abgenutzten im British Museum ist 1655 deutlich zu lesen. Auch im
Stil steht diese Komposition den vier Darstellungen für ein spanisches
Buch von demselben Jahre am nächsten.
Der Stier (B. 253). Das Datum ist bisher als 164 — gelesen
worden. Middleton und Seidlitz sind geneigt, die Radierung so spät wie
möglich in den vierziger Jahren zu setzen. Ich schlage vor, daß man
die letzte Ziffer eher 5 als 4 lesen dürfte. Die Behandlung der Bäume
kommt auch wohl näher den badenden Männern (von 1651) und
dem Jan Antonides van der Linden.
Titus van Ryn (B. 11). Wenn die Hypothese, wie ich glaube,
über Titus richtig ist, kann dieses Porträt kaum schon im Jahre 1652 —
wie Middleton, Rovinski und Seidlitz angeben — entstanden sein. Man
vergleiche bloß das Gemälde bei Herrn R. Kann in Paris (1655 datiert):
— ich will das gleichzeitige Gemälde von Earl Crawford nicht anführen,
da dieses wahrscheinlich der Phantasie des Künstlers seine Abweichungen
verdankt. Die Radierung kann unmöglich drei Jahre früher sein als das
Pariser Bild; sie könnte sogar etwas nach 1655 gemacht worden sein.
Die zwei kleinen Löwenjagden (B. 115, 116). Die kleine
Löwenjagd (mit zwei Löwen) B. 115 stimmt in der freien Behandlung
der Landschaft im Hintergrund und in einigen Figuren (z. B. dem
reitenden Bogenspanner) mit der großen Jagd von 1641 so nahe überein,
daß sie fast sicher — wie Seidlitz meint — derselben Zeit angehört.
Die rohe Wirkung des Vordergrundes scheint auch den Zweck zu haben,
die Spuren früherer Arbeit auf der nicht vollkommen gereinigten Platte
besser zu verbergen. Zu B. 116 möchte ich mich dagegen der Meinung
von Dr. H. de Groot anreihen, der diese kräftige, ja fast rohe Manier
des Ätzens mit dem großen Selbstbildnis (B. 338) und mit dem Petrus
und Johannes (B. 95) in Verbindung bringt. Die Gruppe in B. 116
steht den Mittelfiguren auf dem Münchener Bilde von Rubens nicht
ferne; sie steht auch im Gegensinne dem Stich von S. a. Boiswert nahe,
den Rembrandt möglicherweise als das unmittelbare Vorbild für die
Radierung benutzt hat.
i52
A. M. Hind:
Selbstbildnis mit gesträubtem Haar (B. 8). Rovinski gibt
in seinem Atlas Nr. 37 einen Abdruck des British Museum als den
4. Zustand wieder. Seine Beschreibung dieses Zustandes (»die Schatten
verstärkt«) scheint Seidlitz auch angenommen zu haben. Ich muß da-
gegen die Reihenfolge Middletons aufrechthalten. Auf R IV (Brit. Mus.)
sind weniger Vertikalstriche im Haar (über der Nase) wie in R III zu
bemerken. Obschon R IV eine starke Überarbeitung (auf Mund und
Nase) zeigt, ist die Form der Nase noch wie im 2. Zustande, und auf
R III sind noch einige Horizontalstriche auf dem unteren Teil der Nase
hinzugefügt, was, wie ich meine, diesen zu einem späteren Zustande als
R IV macht.
Selbstbildnis im Oval (B. 12). Die Unterscheidung der Zu-
stände scheint mir nicht genügend begründet. Vielleicht ist die Platte
nie verkürzt worden. Das Exemplar im British Museum (welches Rovinski
als II angibt) könnte sowohl wie das im Amsterdamer Kabinett (M II)
ein beschnittener Abdruck sein.
Selbstbildnis zeichnend (B. 22). Ich möchte hier vorschlagen,
daß man den Zustand S IV, B III, M V, R VII fortlasse, da die Be-
schreibung nur von abgenutzten Abdrucken von S V abhängig zu sein
scheint. Auf einem Abdruck im British Museum, der als M V gilt, und
sicher mit R IX übereinstimmt, sind alle die in S V, R VIII (Atlas 85)
zugefügten Schraffierungen (d.h. starke Horizontalstriche auf dem Kleid usw.)
zu bemerken, obgleich diese sehr schwach im Druck sind (z. B. kommt
die Falte in der Mitte des Einbandes des Buches, welche die neuen
Linien in S V zuerst verborgen hatten, wiederum klar durch). Auf dem
obengenannten Abdrucke im British Museum ist auch der Umriß der
rechten Backe etwas überarbeitet (siehe kleine Vertikalstriche im
Hintergrund in dessen Nähe), so daß wir wenigstens in diesem Falle
einen späteren Abdruck als S V vor uns haben.
Rem br an dt lachend (B. 316). Das British Museum besitzt einen
Abdruck (M I), der zu einer weiteren Unterscheidung der Zustände auf-
fordert. Der Umriß der Schärpe ist noch nicht vollständig ausgefüllt
worden, sondern noch unter der Schulter unterbrochen; eine der Horizontal-
linien auf der Büste (dicht bei dem unteren Rande) ist noch wie in
R I, und reicht noch nicht bis zur rechten Seite der Platte (R II).
Dieser Abdruck kommt also zwischen R I und II.
Auch zu einem anderen Bildnis des Künstlers — von J. G. v. Vliet
B. 19 — möchte ich hier eine Bemerkung hinzufügen. Es ist nach
dem Kasseler Gemälde (Bode II) und nicht nach dem Bilde in Gotha
(wie sicher aus Versehen in Bodes Katalog angegeben ist). Das letztere
bietet aber das Vorbild zu B. 332, einer Radierung, die ich Jan Lievens
Notizen zu Rembrandts Radierungen.
153
zuschreiben möchte (man bemerke z. B. die Schraffierung im Hintergrund
und auf dem Kleid). Demselben Künstler gehört auch wahrscheinlich
die alte Frau mit um das Kinn geschlungenem Kopftu ch(B. 358).
Zu einer anderen Radierung der Schule Rembrandts (B. 297 Mann
mit struppigem Bart und wirrem Haar) werde ich nur bemerken,
daß der angebliche erst seit Middleton verzeichnete 1. Zustand (vor der
Bezeichnung), in Cambridge nicht zu finden ist.
Alte Bettlerin (B. 170). Von den vielen als R I geltenden Ab-
drucken mit dem Grat, die ich gesehen habe (R. Atlas 482), scheinen
alle (mit Ausnahme der mit der kalten Nadel zugefügten Striche) ziemlich
abgenützt zu sein. Ich bin geneigt den reinen Ätzdruck (R II Atlas 483)
für den 1. Zustand zu halten.
Nackte Frau auf einem Erdhügel (B. 198). Die von Rovinski
eingeführte Spaltung der Zustände, hat Seidlitz mit Freude aufgenommen.
Nur sind die Zustände von Beiden umgekehrt ange-
geben! Ich sah nämlich viele Abdrücke von RI, die
ganz abgenutzt aussahen. Da ich auf allen verspüren
konnte, wo die in R II »zugefügten« Linien aus-
geschliffen worden waren, mußte ich eine falsch an-
gegebene Reihenfolge vermuten. Man bemerke nur die
Horizontalstriche auf der Schulter in R I, welche in
R II noch nicht da sind; es wird jedermann sicher zu-
geben, daß der 1. Zustand der mit der Schraffierung
auf dem linken Oberschenkel ist, die im 2. abge-
wischt wird. Wegen dieser Frage hatten Herr Prof.
Dr. H. W. Singer in Dresden und Mons. Frangois Courboin in Paris
die Güte an mich zu schreiben, daß sie von diesem Irrtum auch über-
zeugt seien.
Der Kahn unter den Bäumen (B. 231). Wir besitzen im
British Museum einen Abdruck, der große Schwierigkeiten bietet. Bisher
ist er (auch yon Rovinski selbst) als Rov. II angenommen worden. Man
findet im Schatten hinter dem Kahn Vertikalstriche, von denen man
keine Spuren in R I— III (nach seinem Atlas) bemerken kann. Ist dieser
Abdruck vielleicht eine spätere Überarbeitung von R III?
Der Engel vor der Familie des Tobias verschwindend
(B. 43). Obschon die Merkmale der Spaltung der Zustände I und II
(wie sie bei Rovinski und zuerst — aber in umgekehrter Weise — von
de Claussin angegeben wird) bloß auf Verschiedenheiten des Druckes
begründet sind, sind dennoch einige regelmäßige Parallelstriche an dem
oberen Rande links zu bemerken, welche die von Middleton und Seidlitz
nicht angenommene Spaltung sicher bestätigen.
R.R.
*54
A. M. Hind:
Die große Auferweckung des Lazarus (B. 73). Die Stellung
von Rovinskis 9. Zustand (Atlas 230) erscheint mir fraglich. Eigentlich
dürfte dieser Abdruck früher als Rovinski VIII sein, da er die regel-
mäßige Überarbeitung an Brust und Ärmel der Frau mit den aus-
gebreiteten Armen noch nicht zeigt. Im allgemeinen glaube ich auch,
daß für die hiesigen Zustände die weiße Stelle unter dem Taschentuche
der Frau keine genügende Grundlage für die Spaltungen, d. h. vor der
Überarbeitung von Basan (R. Atlas 237) bietet. Und wenn die
Schraffierung auf den Gesichtern der beiden kleinen Köpfe hinter dem
entsetzten Manne in R VI ganz weggeschliffen sein soll, dann glaube
ich, daß zwischen R VII und VIII noch ein Zustand zu setzen ist, wo
diese Köpfe aufs neue schraffiert sind — nicht wie in R IX, sondern
mit feinen Vertikalstrichen auf dem Manne links.
Es ist bemerkenswert, daß dasselbe Modell, wie hier für den
Lazarus, in der Kreuzabnahme in Petersburg (von 1634, Bode Nr. 126)
zur Maria benutzt ist. Auch im Vordergrund desselben Bildes
kommt fast dieselbe Figur (aber gegenseitig), wie die im 5. Zustand der
Radierung zugefügte, vor. Während ich glaube, daß die Radierung
schon um 1631 — 32 entstanden ist (wie Bode und de Groot: vgl. Bild
in der Yerkes Sammlung, Bode 45, und Zeichnung von 1630 im British
Museum) könnte diese Änderung doch wohl erst 1634 gemacht worden,
und vom Bilde abhängig sein.
Nach denkend er Mann bei Kerzenlicht (B. 148) (Rembrandt-
Schule). Im British Museum sind drei Abdrucke, alle wahrscheinlich
von demselben Zustande (wie in Seidlitz II mit verbreiteter Mütze, jetzt
19 mm), welche Middleton als I, II und III beschrieben hat. Wir
haben noch einen weiteren Zustand worauf die kleine Flamme einen
klareren Umriss erhalten hat, und das Gesicht, die Hände usw. stark
überarbeitet sind. Fs scheint mir also letzterer Abdruck sicher einen
3. Zustand zu bedingen. Wenn ein Zustand mit spitzer Flamme und
noch nicht verbreiteter Mütze (wie in R V, B II angegeben ist. Dutuit?)
überhaupt existiert, muß man vielleicht noch einen 4. hinzufügen.
De Claussin hat gewiß einige schöne Kopien der Radierungen
Rembrandts gemacht, doch verdient er nicht den Platz, den ihm Rovinski
in seinem Atlas Nr. 412 zugeteilt hat. Diese Reproduktion der »Petite
Figure Polonaise« (B. 142) ist, wie Rovinski angibt, nach dem
Berliner Abdruck aufgenommen worden. Hoffentlich verhält es sich hier
nicht anders wie bei B. 362 (Lesende Frau mit Brille) und der von
Rovinski (Atlas 943) publizierten Reproduktion derselben, die in seinem
Katalog als der Londoner Abdruck gilt, aber tatsächlich nur eine recht
schlechte Kopie ist. Wenn man von dieser Reproduktion ein Urteil zu
Notizen zu Rembrandts Radierungen.
155
fällen wagt, ist natürlich nichts dagegen einzuwenden: ich glaube, daß
Blanc auch von derselben Kopie seine Illustration gefertigt hat, obgleich
in diesem Falle die Radierung durch den Stecher im Gegensinn repro-
duziert ist. Der Londoner Abdruck ist dagegen so feinsinnig gedacht,
mit solcher meisterlichen Naturtreue ausgeführt, daß ich nicht weiß, wem
man diese Studie zuschreiben könnte, wenn nicht dem Meister selbst.
(Die Autotype Company hat eine Reproduktion unseres Abdrucks ge-
macht, die neuerdings auch in dem von Herrn Dodgson herausgegebenen
Werke erschienen ist. Der Abdruck in Amsterdam stimmt mit diesem
überein.)
Noch eine angezweifelte Radierung (den Schlittschuhläufer
B. 156) sollte man m. E. keinem minderen Künstler als Rembrandt zu-
teilen. Man vergleiche nur den »Tod dem Liebespaar erscheinend«
(B. 109) voii 1639, wo fast dieselbe zarte Handhabung der kalten Nadel,
dieselbe dünne aber höchst sympathische Linienführung zu bemerken ist.
A. M. Hind.
Rembrandt und Tizian.
Unter den Kunstfreunden unserer Tage hat sich schon seit längerer
Zeit die Auffassung festgesetzt, Rembrandts psychologisch vertiefte Kunst-
anschauung stehe zu der »Empfindungsarmut« der Italiener in einem
unlösbaren Gegensatz. Zugleich verbindet sich mit dieser nicht un-
richtigen, aber einseitigen Vorstellung wie selbstverständlich eine andre,
als habe sich Rembrandt als Vertreter eines angeblich ursprünglich
nordischen, umfassenden Kunstideals mit vollem Bewußtsein von italienischer
Art abgewendet.
Diese die Empiänglichkeit germanischen Wesens mißkennende Auf-
fassung ist wiederholt schon widerlegt worden. Seit Jahrzehnten wissen wir,
daß Rembrandt einer der besten Kenner seiner Tage auf dem Gebiet
italienischer Kunst und eifriger Sammler war. Was aber weit wichtiger
ist: mehrere Kunstforscher, vor allem Hofstede de Groot, *) haben uns
nachgewiesen,, daß er häufig nach ihren Werken kopiert und Mancherlei
zu eigenen Zwecken verwandt hat. Es braucht nun nicht weiter be-
gründet werden, wie wenig diese Erkenntnis eine Entwürdigung seines
Genies bedeutet: mit staunenswerter Schnelligkeit vollzieht sich gerade
bei ihm der Prozeß der Verarbeitung des Fremden. Darum wird es für
den Liebhaber ebenso anziehend sein wie es für den Forscher selbst-
verständliche Pflicht ist, seinen Entlehnungen mit möglichster Sorgfalt
nachzugehen.
Eine besonders wesentliche «Seite in den Beziehungen des Meisters
zur italienischen Kunst bildet sein Verhältnis zu den Werken Tizians,
das ich hier im Zusammenhang darzutun versuche. Bevor ich jedoch
zu dem eigentlichen Thema übergehen kann, gebe ich noch einen kurzen
Hinweis auf die Quellen, aus denen er seine Kenntnis geschöpft hat.
Zunächst finden wir in seinem Inventar unter den »Kunstboeken« er-
wähnt »een dito, zeer groot, met mest alle de wercken van Titiaan«,
offenbar eine Mappe, in der er Stiche aller Art, die ihm von dem
venezianischen Meister zu Gesichte kamen, gesammelt hat. Eine
') Im Jahrbuch der königl. preußischen Kunsts. 1894.
Hermann Voss: Rembrandt und Tizian.
157
andere Stelle des Inventars lautet: »een dito, vol contrefijtsels van
Miereveit, Titiaan en andere meer«. Aber gewiß hatte Rembrandt auch
Gelegenheit außer diesen graphischen Wiedergaben originale Werke von
ihm oder doch gute Kopien kennen zu lernen. Denn es ist, wie Vosmaer
sagt, der sich hierbei auf reichliches Material stützt, unglaublich, was
Holland damals an italienischen Bildern und Zeichnungen besaß. Und
gerade in Amsterdam war der Zentralpunkt des Kunsthandels, hier fanden
die großen Auktionen statt, an denen auch Rembrandt, mitsteigernd oder
zuschauend, teilnahm. Besonders in den 40er Jahren, als wieder eine
neue Künstlergeneration, die Asselijn, Both, Berchem u. a. aus Italien
zurückkehrten, erzeugte die Bewegung eine neue Welle, und es ist auch
aus später zu besprechenden Gründen der künstlerischen Entwickelung
Rembrandts wahrscheinlich, daß er unter den von ihnen mitgebrachten
italienischen Herrlichkeiten Kopien nach Tizians Gemälden kennen lernte.
Auch bei seinem Vetter, dem Bilderhändler Gerard Uilenberg, kann er
dergleichen öfters gesehen haben.
Nun zu den Werken selbst. Die erste Entlehnung glaube ich in
der »Diana« von c. 1631 (Rembrandtwerk 47), sowie in der etwa gleich-
zeitigen Radierung (B. 201) und der Zeichnung (Kleinm. III, 49) zu er-
kennen, und zwar ist es die Gestalt einer die Kallisto stützenden Nymphe
aus Tizians Dianabilde der Bridgewater Gallery, die hier als Vorbild
diente. Das eigentümliche Bewegungsmotiv, die Drehung des sitzenden
Körpers nach links, verbunden mit dem Übergreifen des vorderen Armes,
interessierte Rembrandt offenbar und veranlaßte ihn bei Studien nach
der Natur dazu, seinem Modell die gleiche Stellung zu geben. In welcher
Reihenfolge er dann die drei erhaltenen Darstellungen schuf, geht uns
hier nichts an; Bodes Ansicht erfährt man auf Seite 21 des ersten
Rembrandtbandes. Kleine Abweichungen, wie die veränderte Haltung
der Arme oder die leichte Achsendrehung des Körpers in eine annähernde
Profilstellung, ergaben sich vor dem lebenden Modell ganz natürlich;
man braucht an ihnen keinen Anstoß nehmen. Dagegen sind noch zwei
unzweifelhaft ins Gewicht fallende übereinstimmende Züge zu erwähnen:
einmal das Hineintauchen der Füße ins Wasser, das an sich doch für
Rembrandts Naturstudie sehr fern liegen mußte, dann überhaupt die
Charakterisierung seiner Figur als Diana, also der Heldin seines Vorbildes.
Wenige Jahre später, in dem 1635 entstandenen figurenreichen
Bilde »Diana, Aktäon, Kallisto« (Rembrandtw. 196) bezieht sich der
Künstler noch einmal auf das Gemälde der Bridgewater Gallery. Während
er sich jetzt für die Hauptgruppe durch einen Caraccischen Stich anregen
läßt, finden wir bei einer sitzenden Figur zu äußerst rechts in der
Kallistogruppe eine Anlehnung an die bei Tizian vorn rechts sich auf-
Hermann Voss:
158
stützende Nymphe, deren wohlklingende schräge Rückenlinie hier wieder-
holt wird. Im übrigen freilich entspricht die immerhin zurückhaltende
Behandlung der Szene durch den Italiener Rembrandts Humor nicht;
er schafft hier etwas gänzlich Neues und in seiner Ursprünglichkeit Un-
vergleichliches.
Daß das Motiv des mit erhobenen Armen gen Himmel fahrenden
Christus2) aus der Münchener Passionsfolge (Rembrandtw. 127) in offen-
barer Erinnerung an die Geste der Maria in der »Assunta« der Akademie
entstanden ist, hat Dr. Valentiner erkannt, dessen Ansicht ich mich durch-
aus anschließe. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß uns die betr. Be-
wegung in Rembrandts Werk ziemlich geläufig ist, aber doch stets als
Ausdruck des höchsten Staunens oder Erschreckens; hier, wo damit die
Wonne des leichten Getragenseins verkörpert wird, berührt sie uns fremd-
artig und fast unangenehm italienisierend. Auch die Gurtung möchte auf
italienische Vorbilder zurückgehen.
Noch fünf weitere, unter sich verwandte Bilder aus den dreißiger
Jahren (Rembrandtw. 186, 187, 188, 189, 190), davon zwei bloße Kopien,
sind in ihrem Sujet wohl auf eine Anregung durch Tizian zurückzuführen,
„und zwar ist es in jedem der Fälle ein jugendliches Mädchen mit
Saskias Zügen, das, mit Blumen reich geschmückt, nach einer eigenen
Notiz des Künstlers die Blumengöttin verkörpern soll. Schon Bode
(VI. Rembrandtb. S. 1 1) ließ eine gleiche Darstellung, aus den fünfziger
Jahren von der Flora der Uffizien angeregt sein, eine Bemerkung, die
ich nur noch auf die früheren fünf Bilder erweitern möchte. Denn wenn
auch die vereinfachte Tracht des späteren Bildes, die veränderte Be-
wegung der Hände in der Tat auf engere Beziehungen hinweisen, so
weicht hier doch auf der anderen Seite die Drehung des Kopfes ins
Profil sowie seine phantastische Bedeckung vom Vorbilde ab. Richtig
ist, daß der allgemeine künstlerische Charakter dieser letzten Darstellung
dem italienischen Meister näher steht, doch ließe sich diese Tatsache, ab-
gesehen davon, daß sie für die spätere Periode überhaupt bezeichnend ist,
etwa durch die Annahme erklären, daß ihm damals eine Kopie seines Vor-
bildes bekannt war, während er seine frühere Kenntnis lediglich aus Stichen
geholt hatte. Auch der eigentümliche Farbencharakter des Bildes, »das
einfache helle Tageslicht, das fast gleichmäßig über die ganze Figur fällt,
und die hellen Farben des Kostüms: neben dem trübweißen, als Taille
getragenen Hemd ein hellgelber Rock und ein wenig sichtbarer hellbräun-
licher Überwurf« (Bode) würde somit eine ungezwungene Lösung finden.
*) Auch die unterhalb schwebenden Putten, die sonst bei der Darstellung von
Christi Himmelfahrt nicht gebräuchlich sind, sind wohl übernommen.
Rembrandt und Tizian.
*59
Eine ähnliche Anlehnung an den Gegenstand der Darstellung scheint
bei dem etwas später, um 1634 — 35 entstandenen Selbstbildnis des
Künstlers mit seiner Gattin im Buckingham Palace (Rembrandtw. 158)
vorzuliegen. Das hier gebrachte Motiv der weiblichen Toilette hat ja
in Venedig seine eigentliche Heimat. Auch von Tizian gibt es mehrere
Gemälde der Art; so die Toilette der Venus in der Bridgewater Gallery
und in Petersburg, vor allem aber die sogenannte »Laura Dianti« im
Louvre. Besonders mit dem letzten Bilde hat Rembrandts Darstellung
viel Ähnlichkeit; daß hier wenigstens ein Zusammenhang besteht, ist
also wahrscheinlich. Nebenbei möchte ich den Hinweis geben, daß in-
sonderheit das Motiv des Ohrringeanlegens vielleicht auf Vorbilder wie
die fälschlich Tizian zugeschriebene »Vanitä« im Casino Rospigliosi in
Rom zurückgeht.
Daß sich Rembrandt zu seinen Darstellungen von Heiligen durch
die italienische Kunst hat inspirieren lassen, wird uns schon durch den
Gegenstand, aber auch (wie z. T. schon erkannt worden), durch die Be-
handlung nahegelegt. So stimmt mit Tizians heiligem Hieronymus im
Louvre die Federzeichnung Lippmann 132 in der (im Gegensinne ge-
brachten) Komposition überein. Das auffallendste Merkmal ist hierbei
der bei Rembrandt an der entsprechenden Stelle wiederkehrende doppelt
geteilt emporsteigende Baumstamm und die gleichfalls kompositioneil
übereinstimmend gebrachte Gestalt des Büßers. Diese selbst freilich be-
seelt er trotz der wenigen, die Erscheinung nur eben andeutenden Striche
mit ganz anderer Empfindung und gibt uns die Illusion eines unglück-
lichen, abgezehrten Asketen, wo sich der Italiener den durch Anspannung
der Muskeln hervorgerufenen Eindruck eines in vielfachen Kontrasten
bewegten Leibes zur Aufgabe setzte. Und freilich, auch in den ganzen
Raumverhältnissen leuchtet noch ein Abglanz dieser gegensätzlichen Auf-
fassungen auf. Scheint uns bei Tizian der mächtige Fels des Vorder-
grundes, der in den Mittelgrund gestellte geteilt emporschießende Baum,
die in wuchtigen Formkontrasten komponierte Landschaft, gewissermaßen
ein Nachklang des Körperlichen in seinem Hieronymus zu sein, so finden
wir bei Rembrandt nur ein flaches Relief, gebildet durch den ganz vorn
knienden Büßer, den gleich in derselben Fläche stehenden gedoppelten
Baumstamm und das als Abschluß nach hinten zu dienende Laub des
Waldes. Aber verklärend stürzt von oben her durch das Bild ein breiter
Lichtstrom herab.
Gleich noch an dieser Stelle sei der Hinweis gegeben, daß in einer
anderen Darstellung desselben Heiligen, dem sogenannten »Hieronymus
in Dürers Geschmack« (B. 104) von 1652 Blanc (S. 84) in der Landschaft
eine ziemlich genaue Kopie nach einer Tizianschen Zeichnung aus der
i6o
Hermann Voss :
Sammlung Welbsley entdeckte, sowie daß S. Haden auf der verwandten
Radierung des heiligen Franziskus von 1657 im Landschaftlichen gleich-
falls italienischen Einfluß gewahrt und die Namen Campagnolas und
Tizians nennt.
Einen sehr bedeutsamen Anschluß Rembrandts an den venezianischen
Meister, auf den vor mir schon Herr Dr. Valentiner aufmerksam geworden
war, haben wir in den verschiedenen Darstellungen der »Jünger von
Emmaus« seit 1648 zu erkennen. Da sich beide zunächst miteinander
zu vergleichenden Bilder im Louvre befinden, so ist es verwunderlich,
daß auf die so sinnfällige Beziehung nicht schon längst aufmerksam ge-
macht worden ist. Schon in den dreißiger Jahren hatte Rembrandt das
Thema in dem ungestümen Sinne seiner damaligen Auffassung mehrfach,
vor allem aber in einem Gemälde und einer Radierung ergriffen, die
man gut tut sich neben der späteren Behandlung zu vergegenwärtigen,
um den großen Abstand zu ersehen. Das, Kühne und Unruhige der
früheren Anordnung ist der symmetrischen Zentralkomposition gewichen
(die Rembrandt zuerst, wie Hölzel und Valentiner beobachteten, unter
dem Eindrücke von Lionardos Abendmahl in seiner »Hochzeit Simsons«
(Dresden) gebracht hatte), die Gebärden der Jünger sind gedämpft und
aus dem Zauberer, als der Christus auf dem frühen Bilde erschien, ist
eine unendlich milde, leidende Erscheinung geworden. Kurz, die seelische
und künstlerische Sprache hat einen völligen Wandel vollzogen, der, aus
innerer Notwendigkeit geboren, nun doch einer Einwirkung italienischer
Kunst sich entschieden günstig erweist. So scheinen denn nach Bildern
wie dem »Ungetreuen Knecht« (R. 339) in der Wallace Collection, dem
»Rock Josephs« (R. 340) in der Ermitage und der noch weiterhin zu
erwähnenden »Ehebrecherin vor Christus« 3) (R. 338) bei Weber in
Hamburg die halbfigurigen Darstellungen der Venetianer ihm Führer zu
der erstrebten größeren Gestaltung der Figuren innerhalb des Bildrahmens
gewesen zu sein. — Trotzdem ist bei ihm auch hier, rassenpsychologisch
interessant genug, der ganze räumliche Bau von dem holländischen Ge-
fühl für die Klarheit kubischer Körper durchdrungen. — Wollen wir
auch auf dem Gebiete der Bildnismalerei den Unterschied der früheren
und späteren Epoche an einem Beispiel erkennen, so können wir etwa
das Portrait der Hendrickje von c. 1658 (Berlin, Mus.) dem der Saskia
von c. 1634 in Kassel entgegenhalten. Wie die Auffassung der Figur
mehr Größe und Ruhe in Linien und Flächen erhalten hat, so ist auch
an Stelle der dünnen, schillernden Tinten der Besatz- und Perlenmalerei
die tiefleuchtende Farbe des weichen und wolligen Tuches getreten.
3) Von Bredius wird die Echtheit bestritten.
Rembrandt und Tizian.
161
Noch zwei Fälle eines direkten Anschlusses an Tizian glaube ich
in dieser letzten Periode konstatieren zu können. Das c. 1649 ent_
standene Reiterporträt beim Earl Cowper in Panshanger wiederholt
ziemlich getreu (im umgekehrten Sinne) die Haltung des Rosses auf
Tizians Karl V. in Madrid. Daß sich Rembrandt bei der Ausführung
des offenbar für ihn ehrenvollen Auftrages an ein älteres Vorbild an-
lehnte, braucht uns nicht zu verwundern; auf ein genaues Studium des
Pferdes hatte er wenig Mühe verwandt und kommt auch hier über eine
gewisse Hölzernheit4) nicht hinweg.
Das 1651 entstandene Gemälde »Christus und Maria Magdalena«
in Braunschweig (R. 333) geht auf eine der Darstellungen der gleichen
Szene durch Tizian, das sog. »Noli me tangere« in der Londoner National
Gallery zurück. Eine Federzeichnung Rembrandts, die das Kupferstich-
kabinett in Stockholm besitzt, 5) beweist das. Sie gibt im umgekehrten
Sinne, also nach einem Stich, die Haltung des Auferstandenen, seine
Gesten, aber ohne den Stab, und vor allem die weiche Rückenlinie im
wesentlichen wieder; die Gewandung zeigt zwar in ihrer größeren Völlig-
keit den nordischen Künstler, doch erkennt man unterhalb des rechten
Ellenbogens die Unterzeichnung eines mit der betreffenden Stelle des
Londoner Bildes übereinstimmenden Gewandzipfels. Auch in der
Architektur des Hintergrundes, der auf einem Hügel gelegenen Stadt
mit Turm und Tor, klingt das Tiziansche Vorbild durch, wogegen die
Figur der Magdalena rembrandtisch anmutet;* * 6) viele Gestalten ihres-
gleichen kommen in seinen Werken vor. Der Stockholmer Zeichnung
gegenüber bringt dann das ausgeführte Bild die Komposition im Gegen-
sinne. Hier erscheint nun auch die Gestalt des Heilandes in wichtigen
Bezügen verändert. Wie auf der Studie seine rechte Hand aus der Ge-
samtsilhouette herausschoß, konnte man ihr noch anmerken, daß ursprüng-
lich nicht die Gebärde, sondern das Aufstützen des Stabes ihr Amt ge-
wesen sein mußte; jetzt wird der Umriß der Figur wieder geschlossen,
indem die Funktionen der Hände miteinander vertauscht werden. Dabei
geht dann freilich die Flüssigkeit der Rückenlinie und die Zusammen-
fassung der Figuren zum guten Teil verloren, aber Rembrandt wünschte
hier eben um jeden Preis den Ausdruck möglichst restlos zu geben.
Hiermit ist die Aufzählung der wesentlichen Analogien beendet.
Wenn ich nun noch das beim Konsul Weber in Hamburg befindliche
Bild »Christus und die Ehebrecherin« (Rembrandtw. 338) erwähne, ist
4) Auch nach Bodes Urteil.
5) Bei Michel abgebildet.
6) Ihre Geste hat freilich mit T.s »Mater dolorosa« ziemlich viel Ähnlichkeit,
doch schwanke ich, ob für das kleine Bild zwei Vorbilder angenommen werden können.
I 6 2
Hermann Voss: Rembrandt und Tizian.
es nur, um zu bemerken, daß der italienische Einfluß sich hier nicht
weiter als auf die Wahl der halbfigurigen Darstellung erstreckt, welche
die venezianische Kunst für diesen Stoff bevorzugte. Einzelheiten, die
mit einem bestimmten Bilde, etwa Rocco Marconis, Palma Vecchios oder
Tizians selbst übereinstimmten, sind nicht zu finden. Das ganze Ge-
mälde ist überhaupt nur eine freilich von Venedig her angeregte Be-
arbeitung der Hauptgruppe aus der älteren Darstellung in der National
Gallery zu London (Rembrandtw. 247). Die im Texte des Rembrandt-
werkes abgebildete Radierung Picarts nach einer Kompositionszeichnung
des Meisters, die zu dem früheren wie dem späteren Bilde Bezüge hat,
legt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen beiden fest. Daß die
letzte Darstellung dem italienischen Geiste näher steht als jene frühere,
bleibt darum doch bestehen und stimmt mit der allgemeinen Ent-
wickelung durchaus überein. Hermann Voss.
Zu Salomon Köninck.
Im Wallraf-Richartz-Museum zu Köln befindet sich das Brustbild
eines jungen Mannes, das der alte Niessensche Katalog dem Karl Fabritius
zuschrieb, während der neue Katalog es schlechthin »Schule des Rem-
brandt van Ryn« bezeichnet (No. 709). Es ist eine treffliche, weiche
Malerei, voll des köstlichsten Helldunkels. Der Dargestellte, halb nach
links gewendet, blickt den Beschauer an. Sein Mund ist leicht ge-
öffnet, sein langes, blondes Haar vorne in die Stirne gekämmt. Die
Gesichtsfarbe hat einen krankhaft gelben Ton, die Nase ist etwas ge-
rötet und auf der Oberlippe macht sich ein leiser Anflug von Schnurr-
bart bemerkbar. Der junge Mann trägt ein weinrotes Sammetkostüm,,
das auf der Brust ein schlichtes, weißes Hemd sichtbar werden läßt.
In den Ohien hat er goldene Ringe und über dem Gewände eine
goldene Kette.
Ein Knabenbildnis im Museum ziv Antwerpen (No. 657) ist von
derselben Künstlerhand. Es zeigt im großen und ganzen die gleiche
Anordnung und Farbenwahl, wie das Kölner Bild. Selbst die goldene
Kette über dem roten Sammetgewande fehlt dem blondhaarigen Jungen
dort nicht. Man könnte fast an dieselbe Persönlichkeit auf beiden
Stücken denken. Das Antwerpener Bild wird im Katalog als Salomon
Köninck aufgeführt. Ist diese Benennung richtig, dann dürfte auch für
das Kölner Bild der Künstlername gefunden sein. F. Koch.
Literaturbericht.
Kunstgeschichte.
J. B. Supino. Arte Pisana. Firenze, Alinari 1904.
Eine Geschichte der pisanischen Kunst von Supino darf ohne wei-
teres zu den Büchern gezählt werden, an die man hohe Erwartungen
knüpft. Seine zahlreichen Einzeluntersuchungen zu diesem Thema zeich-
neten sich stets durch Fleiß und Gewissenhaftigkeit aus, und durch eine
große Vertrautheit mit der Geschichte der Denkmäler hat er unsere Kennt-
nis dieses Kunstgebiets so wesentlich bereichert, daß ihm stets die For-
schung dafür Dank wissen wird. Das vorliegende Buch teilt diese Vorzüge
mit jenen bekannten älteren Arbeiten des Verfassers; es vereinigt die
Resultate der früheren Untersuchungen und bringt zudem einige neue
Funde, manche Berichtigung und auch neues, zum Teil sehr wichtiges
Abbildungsmaterial. Aber es bietet doch nur quantitativ mehr und ent-
täuscht, wenn man das erwartet, wodurch sich eine zusammenfassende
Darstellung von einer Reihe nützlicher Einzeluntersuchungen unterscheiden
soll. Die Klarlegung der entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhänge, die
Fixierung der einzelnen Stilstufen, eine Feststellung der Einflußsphären,
die hierbei im Spiele sind, ist für die ältere Zeit kaum versucht und
auch für das Trecento nicht so durchgearbeitet, wie es möglich und ge-
boten wäre. Denn nirgends läßt sich vielleicht in Italien der Werde-
gang einer mittelalterlichen Schule so deutlich verfolgen wie in Pisa.
Freilich hätte hierfür zunächst der Begriff der Schule bestimmt werden
müssen; denn die pisanische Kunst ist nicht nur die Kunst in Pisa, und
wie es nur selbstverständlich ist, bei den späteren bekannten Künstler-
persönlichkeiten die an anderen Orten erhaltenen Arbeiten ihrer Hand
für die Bestimmung ihres Stiles zu verwerten, so hätten auch für die
frühere Zeit die pisanischen Arbeiten außerhalb der Stadt in die Be-
trachtung eingezogen werden müssen. Hierbei handelt es sich natürlich
nicht um den Vorwurf der mangelnden Vollständigkeit — denn diese ist
vom Verfasser kaum angestrebt — , aber es ist doch zunächst schon ganz
prinzipiell für unser Verständnis von dem Charakter und der Bedeutung
der Schule keineswegs gleichgültig, ob z. B. die im Gebiete von Lucca
Literaturbericht.
165
und Pistoia erhaltenen Arbeiten Erzeugnisse selbständiger Lokalschulen
sind, oder ob sie eben jener pisanischen Schule angehören. Und da bei
einer schärferen Betrachtung entschieden das letztere sich beweisen läßt,
wäre die Darstellung auf diese Weise nicht nur reicher, sondern vor
allem exakter und richtiger geworden. So kommt es leider gar nicht
zu einer wirklichen Feststellung dessen, was man nun als pisanische Stil-
eigentümlichkeiten anzusehen hat; und während sonst die Autoren in der
Verliebtheit in ihr Thema eher zu weit gehen, gewinnt man hier den
Eindruck, als sei sich der Verfasser gar nicht recht bewußt geworden, welch
außerordentliche Bedeutung, welch erstaunliche Produktion die pisanische
Kunst bereits in der Frühzeit auszeichnet, wie konsequent und eigen-
artig sie sich entwickelt. Und doch hätte S. hierauf das größte Inter-
esse verwenden müssen, da es sich auch für ihn darum handelt — und
mit Recht, wie ich meine — die Kunst Niccolos mit dieser Schule zu
verknüpfen.
Am empfindlichsten sind diese Mängel in den der Architektur und
der romanischen Plastik gewidmeten Abschnitten. Bei der Besprechung
der romanischen Bauten in Pisa zeigen allerdings S.’s Ausführungen ge-
genüber den älteren Untersuchungen eine viel höhere und durchweg ver-
ständigere Kritik, und die chronologischen Ansätze sind in der Ver-
wertung der Dokumente und der Beurteilung der Denkmäler zuverlässig.
Aber es fehlt eine zusammenfassende Charakteristik dieses Architekturstils,
eine sorgsame Angabe dessen, was nun als das Lokale, schulmäßig Be-
sondere (gegenüber dem Zeitstil) anzusetzen ist, und vor allem vermißt
man eine Klarlegung des Verhältnisses zur florentinischen und ober-
italienisch-lombardischen Schule. Freilich glaube auch ich nicht, daß
man hier auf Grund des rein Architektonischen, der Grundrißbildung
und der maßgebenden Merkmale der Konstruktion zu weiteren Ergeb-
nissen kommen kann; aber durch ein sorgsames Studium der dekorativen
Formen wäre unsere Kenntnis dieses Kunstgebietes sehr wesentlich ge-
fördert worden. So ist z. B. der Anteil der plastischen Arbeit in der
Dekoration und Durchbildung der Bauglieder, der Übergang von den
einfachen, rahmenden Portalpfosten zu abgestuften Gewänden, das Zu-
sammenfassen der Blendarkaden am Untergeschoß zu größeren, breiteren
Bildungen nicht nur für eine schärfere Gruppierung der Denkmäler im
Einzelnen zu verwerten, sondern auch für die chronologische Entwicklung.
So vermißt man auch eine eigentliche Darstellung der Rezeption gotischer
Motive und der Entwicklung des pisanisch-gotischen Stils, da der Verfasser
die betreffenden Bauwerke mehr in Rücksicht auf die Künstlergeschichte
als in ihrem baugeschichtlichen Zusammenhänge untersucht. Auch hätte
die Vorgeschichte des pisanischen Dekorationsstiles einer Untersuchung
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. I 2
i66
Literaturbericht.
bedurft; denn wenn S. mit Recht es energisch ablehnt, in jeder Kirche,
deren Gründung in einer früheren Zeit nachweisbar ist und deren gegen-
wärtige Architektur eine Verwandtschaft mit dem Dome zeigt, ohne
weiteres eine Vorstufe zu diesem zu sehen, so sind doch tatsächlich
zahlreiche Fragmente des älteren, sog. langobardischen Stiles erhalten
(z. B. in S. Pietro a Grado), deren Berücksichtigung wichtige Schlüsse
ergeben hätte. Denn auch hier, auf dem Mutterboden der Renaissance,
und schon jetzt, in dieser primitiven Epoche, bedeutet das Auftreten
antiker Formen etwas anderes als ein fait accompli, das keiner Erklärung
bedürfe, sondern es ist der Ausdruck bestimmter künstlerischer Absichten
und das Resultat einer geschichtlichen Entwicklung. Deshalb wäre auch
die chronologische Seite dieser Frage möglichst rigoros zu stellen, um so
mehr, als ein festes frühes Datum, wie es z. B. die Fassade von Empoli für
den florentinischen Dekorationsstil bietet, den pisanischen Denkmälern fehlt.
Nichts liegt näher, als diesen denkwürdigen, ersten Klassizismus,
der in der pisanischen Architektur einen Kompromiß mit den Gepflogen-
heiten der lombardischen Schule eingeht, in Zusammenhang zu setzen
mit dem üppigen Aufschießen der plastischen Tätigkeit in dieser Zeit.
Die plastische Durchbildung der Bauglieder im Sinne der Antike, die
plastisch ausdrucksvolle antike Ornamentik statt der linearen Formen des
früheren mittelalterlichen Flächenstils, — das ist die Parallelerscheinung
zu dem, was diese Epoche für die engere Geschichte der toskanischen
Plastik bedeutet. Wie wunderlich, daß S. in einer Geschichte der pisa-
nischen Kunst es versäumen konnte, eine Darstellung dieser pisanischen
Bildhauerschule der romanischen Zeit zu geben! Ja, es kommt gar nicht,
wie schon gesagt, zu einer deutlichen Aussprache, daß hier eben eine
Schule arbeitet mit ihren eigenen Gesetzen und Gewohnheiten, mit ihren
Meistern und Gehilfen, mit einer klaren Entwicklung und einer bestimmten
örtlichen Ausdehnung. So geht die Darstellung hier nicht über das her-
aus, was Schmarsow bereits in einem ersten Versuche über diese Dinge
gesagt hat, wenn auch einige Denkmäler mehr berücksichtigt sind. Eine
wie geringe Systematik hier S. erstrebte, erhellt schon daraus, daß er
zwei der brauchbarsten Ausgangspunkte für die Beurteilung der Schule
in dieser Frühzeit, die Cagliareser Kanzel (natürlich von 1162!) und die
Fragmente der alten Domkanzel, nur ganz beiläufig — bei Fra Guglielmo
resp. Giovanni P. ! — erwähnt. I)
Tatsächlich widmet S. diesem interessanten Kapitel der pisanischen
Kunstgeschichte nur eine ganz summarische Betrachtung, und zwar sub
') Man vermißt u. a. besonders den großen Relieffries mit der Rainerlegende im
Camposanto. Ihrer Wichtigkeit wegen sei hier auch auf die imposanten, überlebens-
großen Fassadenskulpturen der Ritterkirche in Altopascio hingewiesen.
Literaturbericht.
167
specie Niccolo. Im Grunde sogar nicht einmal dies, da es zu einem
Nachweis der charakteristischen Stileigentümlichkeiten der Kunst N.’s in
der älteren pisanischen Plastik gar nicht kommt, sondern alles nur auf
das eine hinzuzielen scheint, die antiken Elemente bei N. in der lokalen
Tradition zu belegen. Dabei weiß S. sehr wohl, daß die Antike allein
gar nicht die einzige Quelle von N.’s Stil ausmacht, und vor allem ist
es ja gerade dieses Element seiner Kunst, das doch unbestreitbar
auch in Süditalien nachgewiesen ist. Also auf diese Weise kann jeden-
falls der Nachweis der stilistischen Herkunft N.’s aus der pisanischen
Schule nicht erbracht werden, und gerade nachdem nun glücklich Bertaux
zum ersten Male die Frage einer exakten Methode unterworfen hat,
müssen es die Gegner der apulischen Theorie sehr bedauern, daß S. sich
nicht bemüht hat, positive Punkte nachzuweisen. Und diese sind nach-
zuweisen. Denn die pisanischen Arbeiten aus der ersten Hälfte und
Mitte des 13. Jahrhunderts stehen im Stile, besonders im Gewandstile —
wie verschieden ist gerade hierin alles Süditalische! — der Komposition,
Ikonographie und im Dekorativen N. unendlich näher, als irgend etwas,
was bisher an süditalischen Arbeiten bekannt wurde. Dies könnte alles
bei einer exakten Durchvergleichung der Motive bewiesen werden, wofür
freilich eine gründliche Untersuchung und Darstellung der pisanischen
Kunst vor Niccolo die unumgängliche Voraussetzung bildet. Es hätte
gezeigt werden müssen, wie nach den kärglichen Anfängen in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts, um 1150 eine intensive plastische Tätigkeit
sich entwickelt, wie jetzt — das führende Atelier vermutlich Guglielmo —
die Kompositionstypen, Technik und Stil sich fixieren, die Gestalten sich vom
Grunde lösen und die Antike in ganz bestimmtem Sinne sich zu äußern
beginnt, wie dann im letzten Viertel des Jahrhunderts die Bewegung reicher,
die Anordnung gedrängter, der Reliefstil komplizierter wird (die Figuren
z. B. schräg zum Reliefgrund geschichtet — wie die Sardinen in der
Büchse — , wie noch bei Niccolo, wie niemals in Süditalien), wie gleich-
zeitig unter oberitalienischem Einfluß der Gewandstil eine Umbildung
erfährt im Sinne einer klareren Gliederung, des Ausdrucks der Bewegung
und Körperform. Das Entscheidende dann, seit ca. 1200, der durch-
greifende byzantinische Einfluß: das Hauptwerk die Skulpturen am Haupt-
portal des Baptisteriums. Diese sind zwar von S. erwähnt, aber wie er
ihre Entstehungszeit nur im allgemeinen — erste Hälfte 13. Jahrhunderts
— angibt, so ist auch die außerordentliche Bedeutung dieses Ateliers
für die Stilbildung in der pisanischen Plastik nicht erkannt. Was die
Datierung anbelangt, so ergibt sich diese aus den unbeachteten Skulpturen
in S. Michele degli scalzi bei Pisa mit der überlebensgroßen Büste (!)
eines segnenden Christus im Tympanon und der Darstellung der Engels-
i68
Literaturbericht.
chöre an der Schräge des Türsturzes, die auf 1204 datiert sind2) und
die gleiche Meisterhand zeigen, wie die besten Arbeiten am Baptisterium. 3)
Die Bedeutung dieses Ateliers, dessen führender Meister nicht aus der
pisanischen Schule hervorging, sondern entweder aus Süditalien oder
direkt aus Byzanz stammt, ist eine außerordentliche. Jede Arbeit von
Wert, die jetzt in Pisa entsteht, ist hiervon beeinflußt. Ganz befremdlich
nun, daß S., nachdem er die früheren Arbeiten wenigstens summarisch
herangezogen hat, jetzt, wo die Sache akut wird, versagt. Es handelt
sich ihm um die Ableitung N.’s aus der pisanischen Schule, und er sagt
kein Wort über die Arbeiten gerade der Generation, die — auf den
Schultern jenes halbbyzantinischen Ateliers stehend — den Stil der pisa-
nischen Plastik unmittelbar vor N. bestimmt. Selbst so bekannte Arbeiten,
wie die des Guido da Como sind nicht erwähnt, obgleich auch sie zum
mindesten im Gewandstil N. näher stehen, als irgend etwas Süditalisches
aus dieser Zeit. Und es ist ja gar keine Frage, daß dieser Meister, der
als greifbare Persönlichkeit direkt vor N. ein Interesse beansprucht (ob-
gleich es wichtigeres gibt!), schlechterdings der pisanischen Schule ange-
hört und mit der oberitalienischen Plastik einfach nichts zu tun hat. (Jeder
Kenner würde jedes — echte — Stück von Guido ohne weiteres als
pisanische Arbeit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bestimmen
müssen. Vermutlich hat Schmarsows unglückliche Comasken- Theorie,
die ihm selbst die besten Resultate seiner Arbeit zerstört, auch S. ver-
wirrt gemacht. Es liegt hier nicht anders als bei Niccolo: Selbst wenn
man dessen Taufschein in Apulien fände, — sein Stil könnte doch nur
aus Pisa abzuleiten sein. In Como hat übrigens ganz gewiß keine Schule
gesessen, und von einer Beziehung des Comasken zu den nachweisbaren
1 ,
Zentren der oberitalienischen Plastik ist gar keine Rede. Auch sei ganz
prinzipiell, natürlich nicht als Beweis, bemerkt, daß auch in dem früh-
reifen Italien die lokale Tradition, die »Schule« in dem spezifisch mittel-
alterlichen Sinn — vgl. Vöge! — , die ausschlaggebende Macht bedeutet,
die stärker ist als die ursprüngliche, frühere Schulung des betr. Meisters.)
Unter diesen Gesichtspunkten wäre auch ein Eingehen auf einen andern,
ius Oberitalien stammenden Künstler interessant gewesen, da man an
•.einen Werken verfolgen kann, wie sich die Stilentwicklung bei einem
ilteren, in Toskana tätigen Zeitgenossen N.’s gestaltet, dessen Stil zu-
lächst unabhängig von dem großen Pisaner ist: Giro Ido da Lugano.
)enn außer den bekannten Werken dieses Meisters am Baptisterium in
2) Anno dni 1204 Montaniano Cecchia dedit hoc o’libras CII
3) Merkwürdig die Steinmetzeninschrift links neben dem Portal (mit Verwendung
iechischer Buchstaben), wie sie ähnlich auch an SS. Cosma-Damiano und S. Frediano
Pisa vorkommt.
Literaturbericht.
169
Volterra — 1251, mit Kleeblattbögen (!) und gotischer Typenbil-
dung — und dem stattlichen Taufbecken in Massa Marittima sind
von dem Künstler weitere Arbeiten gerade in dem Bereich der pisa-
nischen Schule nachzuweisen: in Montepiano bei Prato 4) und in S.
Miniato al tedesco. 5)
Für die Genesis des Stils bei N. ist, wie gesagt, das byzantinische
Element von S. übersehen worden; dagegen ist der Anteil der gotischen
Entwicklung richtig betont, was bei einem patriotischen Italiener immer
anzuerkennen ist. Nur scheint es, daß S. hierbei mehr an die Architektur-
formen, als an die Plastik denkt; auch wäre bei der Wichtigkeit der
Frage mehr ins Detail zu gehen und vor allem die ikonographische Seite
ins Auge zu fassen. Für die architektonische Tätigkeit ist es auch S.
leider nicht gelungen einen brauchbaren urkundlichen Beleg zu finden.
Die Sichtung des literarischen Materials für diese Frage ist sehr gewissen-
haft, und dankenswert ist es auch, daß S. es verzog, eine negative Kritik
zu üben, als durch unüberlegte Behauptungen die Frage zu verwirren.
Immerhin wären z. B. durch eine Analyse der in den Reliefs dargestellten
Architekturen einige Punkte von prinzipieller Bedeutung festzustellen; um-
gekehrt wäre auch eine Zusammenstellung der Ducentobauten, deren
plastische Dekoration in Beziehung zu N. steht, möglich und wünschenswert
gewesen. So glaubte ich eine Reihe der figurierten Kapitelle im Langhaus
des Sieneser Doms dem engsten Wirkungskreise N.’s direkt Zuschreiben
zu können, so daß es sehr wohl möglich ist, daß N. hier, vor seiner
Kanzel, als Architekt gearbeitet hat.
Die Beurteilung der einzelnen Werke N.’s durch S. gibt kaum zu
Diskussionen Anlaß. So ist es sicher richtig, wenn er die durch Venturi
berühmt gewordenen Zwickelköpfe am Baptisterium für relativ späte
Werkstattarbeiten erklärt, deren Wert überdies durch starke Überarbeitung
fast illusorisch ist. Jedenfalls bieten sie nichts für die Entstehungs-
geschichte seines Stiles. Das gleiche gilt aber auch für das Relief mit dem
Grabesengel in Florenz, das irrtümlich vor N. angesetzt ist. Den Anteil
des Meisters an der Area di S. Domenico denkt sich S. größer, als die
neuere Forschung zumeist annimmt; aber entschieden ist hier doch ge-
rade auch die Komposition (nicht nur die Ausführung) von den ge-
sicherten Arbeiten N.’s in wesentlichen Dingen abweichend. Dagegen
sehe ich keine Veranlassung, in der Ausführung des Luccheser Architravs
die Hand Giovannis zu erkennen.
4) An der Rückseite des Altars der Badia. Thronende Madonna mit Kind nebst
Weihrauch spendendem Engel, Petrus, Paulus und dem dedizierenden Abt Benvenuto.
5) Marmorrelief der Verkündigung im Dom. Die zugehörige Inschriftplatte im
Taufraum der Kirche eingemauert.
170
Literaturbericht.
Die den Nachfolgern N.’s gewidmeten Kapitel schließen sich so
eng an die bekannten älteren Arbeiten des Verfassers an, daß hierauf
nicht näher einzugehen ist. Der wichtigste neue Fund ist die literarische
Beglaubigung der Pisaner Kanzelstützen Giovannis; freilich konnte es
auch ohne dem nicht zweifelhaft sein, daß die Zuschreibung dieser Ar-
beiten an Tino unmöglich ist, wie schon L. Justi früher betont hat. — Was
man an all diesen inhaltvollen Abschnitten vermißt, ist, wie gesagt, die
Darstellung der kunstgeschichtlichen Zusammenhänge. Es sind fleißige,
gewissenhafte Beiträge zur Künstlergeschichte des Trecento; aber sie er-
geben keine geschichtliche Darstellung der pisanischen Kunst. Die um-
sichtigen, aber oft sehr gleichgültigen Zusammenstellungen des literarischen
Materials, nicht nur der Urkunden, sondern auch der rein schriftstellerischen
Ergüsse von Vasari bis Reymond, nehmen größeren Raum in Anspruch,
als die formalen Analysen, und auch aus anderen Gründen wirkt die
Darstellung sehr ungleichmäßig und in der Auswahl des Materials sogar will-
kürlich. So ist von den in Pisa erhaltenen Denkmälern fast alles, aber von
den außerhalb der Stadt bewahrten pisanischen Arbeiten nur wenig erwähnt.
Und da S. von der Künstlergeschichte ausgeht und folglich die Meister,
die er behandelt, von allem falschen Ballast befreien muß, sieht er sich
oft genötigt, die unbedeutendsten Arbeiten, die irgendwie einmal einem
Meister angehängt wurden, eingehend zu besprechen, während andere,
anonyme Arbeiten nur kurz oder gar nicht erwähnt werden, obwohl ihre
Betrachtung für die Erkenntnis der Stilentwicklung oft lehrreicher ist,
als manche bezeichnete Arbeit. Denn man weiß ja, wie lückenhaft unsere
Kenntnis der Künstlergeschichte jener Zeit ist. Aber auch abgesehen
hiervon, ist es für jeden, der sich die Dinge methodisch ansieht, unbe-
friedigend, wenn in einer Geschichte der pisanischen Kunst z. B. Tino
ein großes Kapitel erhält, während Giovanni di Balduccio kaum erwähnt
wird. Besonders ist es zu bedauern, daß die eigentliche Spätzeit des
Trecento viel zu kurz gekommen ist. Die pisanische Holzskulptur hätte
hier eine eingehende Würdigung beansprucht, und nicht nur diese, son-
dern auch manche wertvolle Marmorarbeit, z. B. in Pietrasanta, u. a. m.
Der Schluß des Buches, der der Malerei gewidmet ist, zeigt die-
selben Vorzüge und Mängel, wie die vorhergehenden Abschnitte. So
verwendet S. z. B. einen umständlichen Beweis dafür, daß die Camposanto-
Fresken nicht von den Lorenzetti und Bernardo Daddi sein können —
was selbstverständlich ist! — und daß ihre Zuweisung an Buffalmäco
nur eine Hypothese ist. Aber es kommt nicht zu einer klaren erschöp-
fenden Analyse, die deutlich und zusammenfassend sagt, was diese Ar-
beiten eben von der ganzen sienesischen und florentinischen Schule tat-
sächlich unterscheidet. Deshalb bleibt auch bei seiner bekannten Zu-
Literaturbericht.
171
Weisung der berühmten Fresken an Traini von vornherein der Einwurf
bestehen, daß die verwandten Züge, die er zu den Bildern dieses Meisters
konstatiert (besonders wichtig die inedita des Seminario), eine mehr schul-
mäßig-lokale als individuell-künstlerische Bedeutung und Ursache haben.6)
Auch wären einige Bemerkungen über den Einfluß der pisanischen Plastik
auf die Malerei des Due- und Trecento angebracht gewesen. — Für
die ältere Zeit sind besonders die Abbildungen der Fresken in S. Pietro
a Grado dankenswert, da man bisher bei der Beurteilung dieser wichtigen
Arbeiten auf die alten Stiche angewiesen war. Schade nur, daß die
meisten Abbildungen nicht besser sind, als man es von Autotypien ver-
langen kann, wenn sie dem vornehmen Aussehen des Buches zuliebe
auf ungekreidetes Papier gedruckt sind. Swarzenski .
Skulptur.
Documents de sculpture frangaise du moyen-äge publ. sous la
direction de Paul Vitry et Gaston Briere. Recueil de 140 planches
contenant 940 documents. Paris, Ateliers photome'caniques. D. A. Lon-
guet, 250 Faubourg Saint-Martin.
Seit wir das Trocadero-Museum haben, sind Publikationen über die
ma. Plastik Frankreichs an der Tagesordnung; sie geben fast immer eine
Auswahl der dort vereinigten Abgüsse. Es sind Photographen- und Ver-
legerunternehmungen, sehr löblich gewiß, aber ohne persönliches wissen-
schaftliches Verdienst.
Das vorliegende Werk bringt eine sehr erfreuliche Variation in das
Thema. Offenbar ist die Idee hier nicht von Unternehmern, sondern
von den gelehrten Herausgebern und ihrem Kreise ausgegangen; von
jenen Rüstigen und Begeisterten, die dem Studium der französischen
Plastik mit so gutem Erfolge zugewendet sind. So wird denn eine Fülle
wichtigen Materials hier beigebracht, das bisher nicht veröffentlicht und
zum Teil selbst denen nicht bekannt ist, denen diese Dinge am Herzen
liegen. Es konnten besonders für das 14. und 15. Jahrhundert Auf-
nahmen benutzt werden, die L. Courajod s. Z. hat machen lassen (jetzt
in der Louvrebibliothek); viele andere stammen von den Herausgebern,
besonders von Vitry, dessen leidenschaftliche Hingabe an die französische
Kunst und Art gelegentlich seines »Michel Colombe« auch hier schon
belobt ist. A. Michel, C. Enlart, R. Koechlin, J. J. Marquet de Vasselot
haben weiteres beigesteuert. Obwohl kritische Bemerkungen nicht ein-
6) Vgl. schon Thode in dieser Zeitschrift XX, 1897, S. 68 f.
172
Literaturbericht.
gestreut sind, so ist doch durch die sachkundige Einordnung das Neue
richtig beleuchtet und an Verwandtes angeknüpft.
Die merkwürdige Statuensäule aus dem Kreuzgang von Comminges
findet man neben den Portalfiguren von Valcabr£re, mit denen sie in
dasselbe Atelier gehört (Taf. 28). Interessant ist Taf. 35 die Zusammen-
stellung der Tympanen von St. Benoit-sur-Loire und St. Pierre-le-Moutier.
Die (nicht mitabgebildeten) Prophetenstatuen des ersteren Portals schienen
mir immer im Stil den bekannten Königsstatuen des Transeptportals in
Saint-Denis sehr nahe; es scheinen sich auch ähnliche Bordürenmotive
hier und dort zu finden; auch kommen, irre ich nicht, jene eigentüm-
lichen Kapitellbildungen, die in Saint-Benoit links vom Türsturz sich
zeigen, in Saint-Denis ähnlich vor. Es wäre wichtig, das weiter zu ver-
folgen, zumal das Portal eins der frühesten unter den Prophetenportalen
mit Statuengruppen ist. — Taf. 36 bietet verwandte Skulpturen von
Laon und Braisne nebeneinander, auch das weitaus merkwürdigste Stück
der ganzen Gruppe, das große Fragment eines Jüngsten Gerichts im
Hotel de ville zu Soissons. — Taf. 61 bringt neben den reichge-
schmückten Portalgewänden der Kathedrale von Rouen (Westfass.ade) die
älteren von Mantes. Es sei bei der Gelegenheit darauf hingewiesen, daß
sich in Rouen ein Motiv findet, das mir sonst in Frankreich nur selten
wieder begegnet ist, am südlichen Seitenportal von Notre-Dame-en-Vaux
in Chalons und in Avallon: die am unteren Basenwulst der Säulen hin-
kriechenden Tiere. In Avallon auch schon die steigenden Akanthus-
blätter zwischen den Säulen. Es deutet das auf einen Zusammenhang
mit der burgundisch-champagnischen Kunst, worauf auch die üppig orna-
mentierten Archivolten zu weisen scheinen. Die sogen, großen Kathe-
dralen sind im ganzen am wenigsten gut gefahren; dankenswert die
Zusammenstellung der in Bourges und Paris zerstreuten Fragmente des
Bourger Lettners (Taf. 73). Eine Perle unter den Grabstatuen des späteren
13. Jahrhunderts scheint die Sainte-Ozanne in Jouarre zu sein (Taf. 80).
Reich und interessant ist, was für das 14. und 15. Jahrhundert geboten
wird, u. a. auch der wundervolle Madonnenkopf aus dem Palais de Justice
in Laon (Taf. 96), meines Wissens das lieblichste Madonnenantlitz, welches
das frühe 14. Jahrhundert — man könnte selbst noch an das späte 13.
hier denken — im Norden geschaffen hat. — Zusammen mit der Grab-
statue des Herzogs von Berry werden die zum Grabmal gehörigen Pleureurs
aus der Sammlung des Marquis de Vogüe und dem Bourger Museum
abgebildet.
Gewiß wird der vortreffliche Band der französischen Plastik neue
Freunde werben. Vöge.
Literaturbericht.
*73
Malerei.
Dr. G. J. Kern, Die Grundzüge der linear-perspektivischen Dar-
stellung in der Kunst der Gebrüder van Eyck und ihrer
Schule. I. Die perspektivische Projektion. Leipzig, Seemann,
1904, 37 S. u. 14 Taf.
Der moderne Künster sieht in der Theorie der Kunst häufig seinen
Feind. Der wirklich große Meister aber ist ihr in Wahrheit nie erlegen.
Er hat zu allen Zeiten die »Hilfswissenschaften« seiner Kunst — seines
Handwerks — studiert, zu nutzen gewußt, ja oftmals gefördert.
Zum wichtigsten in dem Gebiet der Kunsttheorie gehört die Lehre
von der Perspektive, ist doch die Darstellung des Raumes ein Haupt-
problem der Malerei. Bei Jan van Eyck, dem größten Raumeroberer
des Nordens im 1 5. Jahrhundert, ward dieser wichtige Punkt bis heute
nur gestreift; seine Biographen kommen dabei zu sehr verschiedenen Re-
sultaten. Deshalb hat Joseph Kern es unternommen, die Linear-Perspek-
tive Jan van Eycks im einzelnen zu untersuchen. Er verzichtet freiwillig
auf das Nachbargebiet der Luft- und Farbenperspektive und auf die Frage
nach Raumkomposition, ein Problem, das»Dvoräk in den Mittelpunkt
seiner jüngst erschienenen Arbeit gestellt hat. — Kern geht von den ge-
malten Architekturen Jans und seines Schülers Petrus Cristus aus. Denn
nur an solchen läßt sich der Umfang perspektivischen Wissens klar er-
kennen. Vom Genter Altar, dem Gemach Arnolfinis in London und der
Verkündigung in S. Petersburg führt er den Leser zu den Madonnen-
bildern Jans in Dresden, Berlin und Paris, zur Verkündigung des Cristus
in Berlin und seiner Madonna im Städelschen Institut. Die Detail-
erkenntnisse, die sich bei scharfer Analyse scheinbar von selbst ergeben,
werden zunächst schlicht aneinander gereiht. Dann wächst aus der Zu-
sammenfassung des gesammelten Materials das Resultat, die Umgrenzung
altniederländischen Wissens auf perspektivischem Gebiet. Eine Fixierung
des schon im Mittelalter hiervon Bekannten und ein Vergleich mit den
Erkenntnissen des Florentiner Zeitgenossen Filippo Bruneleschi bestimmen
die historische Stellung des Theoretikers Jan van Eyck.
Dies ist der Weg. Mit kurzen Worten ist auch das Resultat der
knappen, inhaltreichen Arbeit zu umgreifen. — Bereits Euklid hat eine
Reihe der wichtigsten Gesetze der perspektivischen Projektion gekannt.
Er wußte von der Konvergenz von Parallelen im Hintergrund, vom
scheinbaren Ansteigen der Ebenen unter dem Horizont, vom scheinbaren
Fallen der über ihm gelegenen; auch von der Verkürzung einer Ebene
eines Kreises — zur einfachen Linie (in Horizontalhöhe). Doch ist es
1 74
Literaturbericht.
unsicher — nach Kern höchst unwahrscheinlich, daß das Altertum den
Fluchtpunkt als Zentrum aller Parallelen im Raume gekannt hat.
Das Mittelalter erfuhr die Lehren des Euklid durch Alhazen und
seinen »Opticae thesaurus.« In Vitellios Übersetzung und in Johannes
Peckhams gekürzter Bearbeitung ward dieser im nördlichen Europa weit
bekannt. — Wahrscheinlich hat Jan van Eyck für die ihm wichtigsten
Darstellungsprobleme die antiken Schriftquellen direkt um Rat gefragt.
Ein Zitat aus Facius spricht dafür, mehr noch die Vorliebe Jans und
seiner Schule, die malerische Erscheinung von Hohlspiegeln im Bilde zu
fixieren. Obwohl er von der neuen Lehre Bruneleschis unbeeinflußt blieb
und von dem in Florenz damals bereits erkannten Distanzpunkt und seiner
Bedeutung für die Konstruktion nichts gewußt hat, ist doch in seinem
Werk die Zunahme perspektivischen Wissens zu erkennen.
Schon am Genter Altar läßt Jan die parallelen Linien einer Ebene
stellenweise nach einem Fluchtpunkt konvergieren. Für die verschiedenen
Ebenen hingegen nimmt er verschiedene Zentren1) und verschiedene Ho-
rizonte an. Besonders deutlich wird dieses Prinzip im Arnolfinibilde und
der Verkündigung in Petersburg. Auch an der Brügger Madoqna des
Pala (1436) findet es sich. — Als aber der niederländische Meister das
Bild für den Kanzler Rollin« (heut im Louvre) schuf, wußte er wahr-
scheinlich um die Bedeutung des Augpunktes als Fluchtzentrum aller Pa-
rallelen im Raum. Zwar sind auch hier mehrere Fluchtpunkte und
Horizonte nachgewiesen, doch vereinen sie je Parallelen aus hori-
zontalen und vertikalen Ebenen; zudem sind sie dichter zusammen-
geschoben als je zuvor. — Von späteren Bildern des Jan enthält nur eins
gemalte Architektur, die umstrittene Karthäuser-Madonna in Berlin. Das
zentralperspektivische Prinzip ist an ihr nahezu vollkommen durchgeführt.
Nach einem Fluchtzentrum sind alle Parallelen des offenen Halle orien-
tiert; nur für den Turm S. Barbaras und für die Landschaft gilt das nicht.
Mit des Cristus’ Verkündigung in Berlin und der Madonna im
Städelschen Institut endet die Untersuchung Kerns. Sie sind wie der
Schlußstein eines Gebäudes. Das zentralperspektivische System kommt
endlich fast zu seinem Recht. Ein Horizont und ein Fluchtzentrum für
alle Parallelen. Die Kenntnis des Distanzpunktes fehlt freilich auch hier.
Wir wissen nicht, wann sie — von Italien aus? — in den Niederlanden
Einlaß fand. Erstaunlich ist es, daß Jan auch ohne solche das Boden-
muster des Rollinbildes fast mathematisch richtig gezeichnet hat. —
Andere Konstruktionsfaktoren kommen für die einfachen Frontalansichten
der Eyckschen Schule nicht in Betracht.
') Es ist unter Zentrum nicht immer Fluchtpunkt zu verstehen, wie Kern betont.
Literaturbericht.
175
Die Durchführung des perspektivischen Prinzips findet sich in den
Bildern des Petrus Cristus zum erstenmal; auch die Karthäuser Madonna
ward von namhaften Gelehrten diesem Meister zuerkannt. Und doch
wäre es verfehlt, den letzten Schritt auf jeden Fall als das Verdienst des
Cristus zu bezeichnen. Der hat sich bei künstlerischen Problemen fast
durchgängig als geschickter Imitator — nicht nur des Jan van Eyck —
erwiesen. Auch können wir heute noch nicht ermessen, wie viele Bilder
Jan van Eycks verschollen sind, und höchstens vermuten, daß unter den
verlorenen auch gemalte Architekturen seiner letzten Jahre waren. Das
Badezimmer-Interieur, das Facius beschreibt, wird auch von Kern zitiert.
Wahrscheinlich ist es, daß Jan, nicht Cristus, die umfassende Bedeutung
des Augpunktes erkannt hat. Es ist dies zwischen 1436 und 1452 ge-
schehen.
Sehr fein sind einzelne Hinweise, wie der künstlerische Instinkt
des Jan mitunter die Grenzen seines Könnens verschleiert. Bei der An-
betung des Lammes schafft das Strahlenbündel der heiligen Taube —
den drei Horizonten zum Trotz — räumliche Wirkung. Die unbequemen
Grenzlinien von zwei Ebenen, an welche zwei verschiedene Fluchtzentren
(vergl. die Petersburger Verkündigung) ein Anrecht geltend machen,
werden durch Staffage zugedeckt oder durch Halbdunkel verschleiert.
Die Figuren sind im Verhältnis zu ihrer Umgebung in allen Bildern
Jan van Eycks zu groß. Hier wird die Farbe zum Vermittler. Die künst-
lerische Einheit harmonischer Tonwerte läßt den Beschauer den Mangel
an Einheit in den Proportionen übersehen. Frida Schottmiiller.
Franz Dülberg: Frühholländer II: Altholländische Gemälde im erzbischöf-
lichen-Museum zu Utrecht. 25 Tafeln mit 19 Seiten Text; H. Klein-
mann & Co. Haarlem 1904.
Die gute photographische Wiedergabe der lehrreichsten frühhollän-
dischen Gemälde des Utrechter erzbischöflichen Museums, deren Publikation
sich an die der Leidener Werke des Engelbrechtsen und Lucas von
Leiden anschließt, wird bei der problematischen Natur der meisten dieser
Bilder jedem willkommen sein, der sich mit der älteren niederländischen
Malerei befaßt. Aber auch ein allgemeines ästhetisches Bedürfnis wird
wenigstens bei einigen Werken wie dem monumental empfundenen Ecce
homo des Geertgen, dem sensiblen und geistvollen Triptychon des Engel-
brechtsen und den eindringlich klaren Porträts des Scoorel vollauf
befriedigt. Die Einleitung bringt in gewählter Ausdrucksweise klug er-
dachte Charakteristiken und gibt in einem gewiß nicht trocken wissen-
176
Literaturbericht.
schaftlichen Gewände kritisch begründete Resultate. Einige Ausstellungen,
die gemacht werden können, betreffen nurmehr Einzelheiten.
So erscheint es nicht berechtigt, das Bild Geertgens anzuzweifeln,
dessen strenge Größe, bedeutende Komposition und Tiefe der Empfin-
dung kein Nachfolger erreicht hat, so nah ihm einige derselben kommen.
Die allerdings marklose Zeichnung der Hände kehrt ähnlich auf dem
Sippenbild in der Kirche wieder. Auch bei der kleinen Madonna der
Ambrosiana, die Dülberg in diesem Zusammenhang erwähnt, ist an der
Eigenhändigkeit festzuhalten. Das Bildchen ist von Durand-Greville und
auch von mir unabhängig von Friedländer, der es zuerst in seinem Auf-
satz im Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsamml. erwähnt, als Geertgen er-
kannt worden. Bei dem Stammbaum Christi in der Sammlung Stroganoff,
der von anderer Seite diesem selbst zugeschrieben wird und mir nur
aus einer ungenügenden Reproduktion bekannt ist, darf an eine Stelle in
den Urkunden erinnert werden. Die in dieser Zeit häufig genannten
Brüder Mouwerijn und Claes Simonsz erhalten im Jahre 1490 den Auf-
trag auf einen »Baum Jesse« (v. d. Willigen S. 52). Allerdings entspricht
das Format des Bildes nicht dem einer Predeile, auf welche die Be-
stellung zu lauten scheint. — Zum Vergleich zieht der Verfasser das be-
kannte Hauptblatt des Stechers W. mit dem Schlüssel heran und bezeichnet
dabei diesen als burgundisch-holländischen Künstler. Die Benennung
»holländisch« dürfte kaum am Platze sein, da der Stil des Künstlers
flandrisch ist und auch die Verwertung seines Stammbaumes Christi für
ein drittes Werk gleichen Gegenstandes von G. David nach Brügge
weist. Auch wird es gut sein, die Bezeichnung Allard Claeszoon von
Utrecht für den Stecher A fallen zu lassen, weil der Meister gleichfalls
aller Wahrscheinlichkeit nach Vlame war, die Identifikation unbegründet
und die Lesart Utrecht auf einem seiner Stiche fragwürdig ist.
Um Geertgen gruppiert Dülberg einige Nachfolger. Von dem Mei-
ster der Anna selbdritt (Taf. V) wird die reizvolle hl. Familie in Dresden
sein (Nr. 840), während sich von der Madonna auf der Rasenbank (Taf. III)
wenigstens aussagen läßt, daß die Komposition auch in der Werkstatt
des Meisters vom Tode Mariä bekannt war. Denn dessen Gemälde mit
der Ruhe auf der Flucht in München (Nr. 59) und in Brüssel geben
Maria genau in derselben Haltung im Gegensinn wieder. Der Zusammen-
hang der Frankfurter Kreuzigung mit dem Kruzifixus im Museo Correr
in Venedig ist richtig erkannt worden. Nur ist dieses Werk keinesfalls
von Hugo van der Goes, wie Dülberg angibt, sondern von dem Meister
der Frankfurter Kreuzigung selbst. — Von dem naiven, munteren aber
ungeschickten Künstler des Naardener Kalvarienberges lassen sich noch
drei andere Werke namhaft machen, die Marter der h. Lucia im Rijks-
Literaturb ericht.
177
museum, die man kaum mit Recht neuerdings wieder Geertgen selbst
geben will, die Kreuzabnahme bei Figdor in Wien, die schon Friedländer
mit dem Amsterdamer Bild zusammengestellt hat, und eine Kreuzi-
gung in Gent. Unter den Schülern Geertgens läßt sich die Persönlich-
keit dieses sklavisch von seinem Lehrer abhängigen Meisters am deut-
lichsten fassen, abgesehen von jenem ungleich bedeutenderen Maler der
Kreuzigungen bei Glitza und in den Uffizien (zu der letzteren existiert
eine Vorstudie in Darmstadt), der auch mit der Plastik in Beziehung
steht, wie eine seinen hl. Frauen im Rijksmuseum nahestehende hl. Anna
selbdritt ebenda beweist.
Mit den Zuweisungen an Jacob Cornelisz ist der Verfasser nicht
sehr glücklich gewesen, zum mindesten nicht bei der Anbetung der Könige,
da dieser Künstler in zeitlich früher entstandenen Gemälden gleichen
Gegenstandes oder selbst in dem Neapeler Werk schon auf einer höheren
Stufe zeichnerischer Vollendung steht.1) Dagegen ist Engelbrechtsen,
dessen Werk in den letzten Jahren dank der Forschungen Friedländers
beträchtlich erweitert worden ist, durch das zweifellose Triptychon mit
Passionsdarstellungen glücklich vertreten. Der kühlen Farbengebung und
der leicht an Scoorel gemahnenden Vereinfachung der Landschaft und
Architektur nach mag es etwas später entstanden sein, als Dülberg an-
gibt — etwa gleichzeitig mit dem kleinen Kreuzigungsbildchen bei
v. Kauffmann und in Amsterdam — , falls man, wie es gewöhnlich geschieht,
annimmt, daß die Beweinung in Leiden kurz vor 1526 entstanden ist.
Denn der Abstand in der Farbengebung und Ornamentik, die dort noch
spätgotisch, hier Renaissancestil zeigt, ist beträchtlich. In den lang aus-
gezogenen Formen der Rahmenverzierung kann man den Einfluß des
Lucas von Leiden bemerken, der sonst merkwürdigerweise wenig auf
seinen preziösen, aber gestaltungsreichen Lehrer zurückgewirkt hat; nur
etwa einige Figuren auf dem Abschied Christi von seiner Mutter im Rijks-
museum dürfte man als Beleg für einen Zusammenhang anführen.
Nach Geertgen ist Engelbrechtsen der zweite große schulbildende
Meister in Holland. Van Mander nennt zwei Söhne des Künstlers,
sowie Lucas und Aertie von Leiden als dessen Schüler, und das vor-
") Beiläufig erwähne ich, daß man neuerdings auch nach Jacob Cornelisz
fälscht. So befindet sich im Besitz des Pastors vom Begijnehof in Amsterdam eine
kleine Truhe aus Holz, die das bekannte Monogramm und die Jahreszahl 1518 trägt.
Die von gotischem Schnitzwerk umgebenen figürlichen Darstellungen zeigen in mehreren
Abteilungen das Amsterdamer Hostienwunder. Der Imitator, der alte Bestandteile be-
nutzte und seinem geschickten Kunstprodukt mit Hilfe einer Schrotladung und anderen
Mitteln ein altertümliches Ansehen gab, benutzte den Holzschnitt, der das Titelblatt der
Succincta enarratio miraculorum bildet.
178
Literaturbericht.
handene Bildermaterial läßt auf einen noch größeren Wirkungskreis
schließen. Aertie ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Verfertiger
der Annagelung ans Kreuz (Taf. XVI), wie ich an anderer Stelle aus-
führlicher zu begründen suche. Das Bild ist vom Verfasser gut als ein
Spätling der Leidener Schule eingeordnet worden.
Auch der Meister der Utrechter Adoration ist möglicher Weise ein
Leidener von Herkunft, wenngleich die meisten seiner Werke deutliche
Beziehung zu Orley zeigen. Eins derselben befindet sich noch jetzt im
St. Annahofje in Leiden, für das es gestiftet wurde. Auf den Zusammen-
hang mit dem Triptychon im Haag hat Dülberg mit Recht hingewiesen,
während ein zweites angeführtes Werk in Bologna wenig mit dem Meister
zu tun hat, vielmehr dem gewöhnlich als Herri met de Bles bezeichneten
Künstler näher steht.
Nach einem Ausblick auf den nicht in jeder Hinsicht verderblichen
Einfluß der italienischen Kunst in Spätwerken Scoorels bildet die letzte
Tafel der Publikation mit den Jerusalemsfahrern und der Darstellung der
Geburtsstätte Christi in Bethlehem in holländischer Auffassung einen
hübschen Abschluß. Stellt man neben dieses Blatt noch einige andere
wie die Vision des h. Dominikus während des Chordienstes, die ein Bild
der Kircheneinrichtung der Zeit gibt, und die des hl. Bernhard, auf der
man die Mönche im Chorgestühl sitzen, in der Kirche wandeln sieht (in
den Typen erinnert dieses Bild an das Wörlitzer Gemälde des Frank-
furter Meisters), so darf man sagen, daß auch eine kulturgeschichtliche
Betrachtung manche Belehrung aus dem Werke gewinnen kann. Wem
es aber mehr um Entwicklungsgeschichte zu tun ist, der wird in den
zahlreichen Kircheninterieurs die Anfänge der holländischen Architektur-
malerei und der Kunst, schummeriges Binnenlicht zart und weich wieder-
zugeben, mit Freuden begrüßen. W. R. Valentiner.
Kunsthandwerk.
Der Verduner Altar. Ein Emailwerk des 12. Jahrhunderts zu Kloster-
neuburg. Text von K. Drexler, Verlag M. Gerlach u. Co., Wien 1903.
Das großartige Klosterneuburger Schmelzwerk des Nikolaus von
Verdun ist schon vor langen Jahren durch Camesina veröffentlicht worden,
zuerst 1844 in farbigen Tafeln mit Text von Arneth, später in stark ver-
kleinerter schwarzer Wiedergabe mit einer Beschreibung von G. Heider.
Beide Werke beruhten auf freihändigen Aufnahmen und können den
"heutigen Ansprüchen an eine für wissenschaftliche Zwecke brauchbare
Reproduktion längst nicht mehr genügen. Sie waren zeichnerisch un-
Literaturbericht.
179
genau, namentlich in dem ungemein kunstvollen, oft geradezu klassischen
Faltenwurf des Verduner Meisters; die Farbentafeln von 1844 gaben
außerdem ein ganz unrichtiges Bild der Schmelztechnik und Wirkung, da
sie die ganze Farbenreihe auf die zwei Hauptfarben Blau und Rot redu-
zierten. Die ornamentale Umrahmung der 5 1 figürlichen Schmelztafeln,
obwohl sie von größter Wichtigkeit ist für die Erkenntnis der stilistischen
und technischen Eigenart der Maasschule, war ganz fortgelassen.
Der Altar gehört nun ohne Frage zu den allerbedeutendsten Denk-
mälern, welche die zeichnende Kunst des 12. Jahrhunderts hinterlassen
hat. Durch die unglückliche Aufstellung in einer engen Kapelle des
Klosterneuburger Stifts, deren Licht auf die Rückseite des Altares fällt,
wird aber das Studium und der Genuß des herrlichen Werkes an Ort
und Stelle sehr erschwert, und man darf wohl behaupten, daß es selbst
in Fachkreisen nicht so bekannt ist, wie es nach seinen künstlerischen Qua-
litäten verdient. Die neue, auf Kosten der k. k. Unterrichtsministeriums
hergcstellte Publikation von K. Drexler leistet daher der kunstgeschicht-
lichen Forschung, dem Unterricht und allen Freunden romanischer Kunst
einen großen Dienst. Sie bringt das ganze Werk, die Bildtafeln mit-
samt der Umrahmung, auf 5 2 ganz vortrefflichen Lichtdrucken nach Photo-
graphien des Klosterneuburger Klerikers Strommer. Außerordentlich
dankenswert ist die Zugabe von drei Farbentafeln, welche die Schmelz-
technik, die ornamentalen Emailplatten und die sonstigen Verzierungen
so klar veranschaulichen, daß man mit ihrer Hilfe die verlorenen Spuren
des Nikolaus von Verdun auch in den zwei Jahrzehnten zwischen der
Vollendung des Altars (1181) und des Marienschreins in Tournai (1205)
auffinden können wird. Die sehr getreue Reproduktion läßt jetzt mit
voller Sicherheit erkennen, daß Arneth recht hatte, als er die sechs Tafeln
XXII — XXIV und XXVIII — XXX als eine Zutat der im Jahre 1329 be-
endeten Wiederherstellung des Altars bestimmte. Was Drexler gegen
diese Ansicht vorbringt, das Vorkommen von Waffenformen und
Trachten des 12. Jahrhunderts, erklärt sich wohl dadurch, daß dem
Wiener Meister des 14. Jahrhunderts die ursprünglichen, durch den
Brand beschädigten Tafeln des Nikolaus noch als Vorbild Vorlagen. Es
ist an den Abbildungen dieser sechs Tafeln sowie mehrerer Zwickel-
platten höchst interessant zu sehen, wie dieser geschickte Wiener Meister
bemüht war, den Stil seines Vorgängers festzuhalten, ohne doch den
Gotiker verleugnen zu können.
Einen seltsamen Irrtum Drexlers kann ich nicht unerwähnt lassen.
Er nennt als das Jahr der Vollendung des Altars 1191, obwohl er selbst
den Widerspruch bemerkt hat, daß damals der Stifter Werner nicht Propst
von Klosterneuburg gewesen ist. Die richtige Datierung auf 1x81 muß
i8o
Literaturbericht.
der Leser des Drexlerschen Textes dem Wortlaut der alten Inschrift selbst
»anno milleno centeno septuageno nec non undeno« entnehmen. O, v- F.
Kunstschätze des Aachener Kaiserdomes. Text von Stephan
Beissel S. J. 35 Lichtdrucke, Druck und Verlag von B. Kühlen,
M.-Gladbach 1904.
Das vergangene Jahr hat in kurzer Aufeinanderfolge eine Reihe von
Publikationen gebracht, die durch ihr reiches Abbildungsmaterial eine
ganz wesentliche Förderung für das Studium des mittelalterlichen Kunst-
handwerks bedeuten. Das vorliegende Buch enthält auf 35 Foliotafeln
die wichtigsten Denkmäler des Aachener Münsterschatzes vom 10. bis
zum 16. Jahrhundert. Die Lichtdrucke sind durchgängig nach neuen
Aufnahmen von der Kunstanstalt Kühlen, die auch die Tafeln der neuen
Veröffentlichung des Essener Schatzes geliefert hat, in musterhafter Schärfe
und Klarheit hergestellt. Die beiden umfangreichsten Hauptstücke des
Aachener Schatzes, der Karlschrein und der Marienschrein, sind nicht
nur von allen vier Seiten aufgenommen, sondern es sind auch noch De-
tailtafeln beigefügt, die ein genaues Studium der Einzelheiten des Email-
schmuckes und der plastischen Ausstattung ermöglichen. Das ist um so
dankenswerter, als die Originale in Aachen nur von einer Seite sichtbar
sind. (Diese Tafeln der großen Schreine finden sich auch in den gleich-
zeitig erschienenen »Deutschen Schmelzarbeiten des Mittelalters« von
Falke und Frauberger; die photographischen Aufnahmen, welche in beiden
Fällen als Vorlage gedient haben, sind aber speziell für das Beisselsche
Buch gemacht worden.) Der Text Beissels bringt kurze Beschreibungen
und historische Erläuterungen, die durch eine ausführlichere Besprechung
derselben Denkmäler in Beissels »Aachenfahrt« vom Jahre 1902 ergänzt
werden. Die vorsichtigen Bestimmungen von Herkunft und Entstehungs-
zeit der Kunstwerke treffen fast in allen Fällen das Richtige. Nur gegen
die Besprechung des Karlschreines möchte ich eine abweichende Ansicht
vertreten. Nach Beissel ist dieser Schrein von dem Verfertiger des großen
Kronleuchters Wibert kurz nach 1165 begonnen und von seinem . Sohn
oder Nachfolger 1215 vollendet worden (S. 6 und 8). Die Autorschaft
Wiberts spricht Beissel zweimal als sichere Tatsache aus, obwohl dafür
keinerlei historische Beglaubigung existiert und ebensowenig irgendeine
stilistische Begründung versucht oder erbracht wird. Sie würde sich auch
nicht erbringen lassen, denn der Kronleuchter Wiberts steht der Maas-
schule nahe, während der Karlschrein, wie Beissel selbst bemerkt hat
(S. 7), mit den Kölner Schreinen viele Berührungspunkte hat. Diese
Verwandtschaft mit den Kölner Werken ist noch viel enger, als Beissel
Literaturbericht.
181
annimmt. Der Karlschrein ist nach seinem Bau- und Dekorationssystem
eine Wiederholung des in Köln kurz vor 1200 gefertigten Benignusschreins
in Siegburg und des Oberbaues des Kölner Domschreines, der nicht vor
1200 fertiggestellt sein kann. Dazu kommen zahlreiche technische und
stilistische Analogien mit dem Benignusschrein (vgl. Deutsche Schmelz-
arbeiten d. M. A., S. 53, 98, 99), die in Verein mit dem gleichen Bau-
system beweisen, daß der Meister des Benignusschreins, der noch am
Domschrein Mitarbeiter war, danach erst der leitende Künstler des Karl-
schreins gewesen ist. Die daraus resultierende Datierung, welche den
Beginn des Karlschreines nicht nach 1165, sondern nach 1200 setzt,
schließt ebenso wie der Stil einen Anteil Wiberts aus. Bei der Be-
sprechung einer aus der Maasschule stammenden Schmelzplatte (T. XIII)
kommt Beissel durch Aufzählung einiger verwandter Werke zu dem sehr
richtigen Ergebnis, daß der Meister dieser Maaswerke für die Herstellung
des Heribertschreines nach Deutz berufen worden ist. Nur irrt er darin,
wenn er demselben Künstler noch den Maurinusschrein, den Ursulaschrein
in Köln und den Gregoriustragaltar in Siegburg zuweist. Hier liegt nur
eine Beeinflussung eines Kölner Künstlers durch den Heribertschrein vor.
Ich brauche darauf nicht näher einzugehen, da ich an anderer Stelle die
Scheidung zwischen den Werken des Maasmeisters Godefroid de Claire
und des Kölners Friedrich durchgeführt habe. Schließlich möchte ich
im Interesse einer exakten Terminologie des Kunstgewerbes von dem
Ausdruck »Braunes Maleremail« abraten, den Beissel regelmäßig für den
braunen Ölfirnis auf Kupfer gebraucht, analog dem französischen »Email
brun«. Die Kunst, Leinöl auf Kupfer zu einer braunglänzenden Schicht
aufzudörren, hat weder technisch mit Email oder gar Maleremail irgend
etwas zu tun, noch auch ist ihre Wirkung dem Email ähnlich. O. v. F.
Europäisches Porzellan des 18. Jahrhunderts. Katalog der
vom 15. Februar bis 30. April 1904 im Lichthofe des Königl.
Kunstgewerbe-Museums zu Berlin ausgestellten Porzellane
von Adolf Brüning, in Verbindung mit Wilhelm Behncke, Max
Creutz und Georg Swarzenski. Berlin 1904. Verlag von Georg Reimer.
Vorliegendes Werk ist die erste jener zu erwartenden Publikationen
der Porzellanausstellungen des vergangenen Jahres, die in der letzten
Nummer dieser Zeitschrift besprochen worden sind. Sie ist im Gegen-
satz zu den beiden anderen, die durch die ganz anders gearteten Aus-
stellungen abgeschlossene Monographien darstellen werden, in erster Linie
ein Katalog der damaligen, das ganze Gebiet des Porzellans umfassenden
Ausstellung. Sie gibt hierbei ihre wichtigsten Stücke in Abbildungen
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
13
182
Literaturbericht.
und vermehrt dadurch wesentlich das auf diesem Gebiet noch gar nicht
so reiche Abbildungsmaterial. Sie fixiert schließlich — wohl als bleibender
Teil dieser Arbeit — die auf Grund dieses bisher beispiellos reichen
Materials gewonnenen wissenschaftlichen Resultate und vermehrt dadurch
das gleichfalls noch gar nicht so reichlich Festgestellte auf diesem Gebiet,
namentlich hinsichtlich der Erzeugnisse selber, die nur zu oft vor billiger
Aktenweisheit vergessen zu werden pflegen. Alle diese Aufgaben sind
in diesem Werke mit großer . Gewissenhaftigkeit durchgeführt worden:
eine bedeutende Menge Fleiß und Beobachtung steckt darin. Vielleicht
sind Porzellane noch niemals mit so viel Liebe und Sorgfalt behandelt
worden, wie hier.
Den Hauptteil des Werkes füllt der Katalog. Durchführung und
Anordnung können als mustergültig gelten. Die Gegenstände sind zu-
nächst nach Fabriken gruppiert, innerhalb dieser nach der Zeitfolge, dann,
wo genügend Material vorhanden war, wie bei Meißen und Berlin, nach
den Dekortypen, deren Bezeichnungen vielfach den im 18. Jahrhundert
gebräuchlichen entlehnt sind, die hoffentlich in Museum- und Sammler-
kreisen zur Ersparung vieler unnützer, sich wiederholender Beschreibungen
sich immer mehr einbürgern werden. Hierbei ist alles getan, die Orien-
tierung möglichst zu erleichtern. Die Kopfleiste trägt den Namen der
Fabrik, die Bezeichnung der Dekorgruppen findet sich am Rande. Maße
und Besitzer stehen links, sämtliche Marken und die Zeitbestimmung
rechts unter jedem Stücke. Zwei Markentafeln bringen zwar kaum etwas
Neues, durften aber der Vollständigkeit halber nicht fehlen. So verliert
der Katalog möglichst den Charakter eintöniger Aufzählung und läßt das
Wesentliche jedes Stückes rasch erkennen.
Die wissenschaftliche Einleitung ist reich an neuen oder bisher nicht
publizierten Ergebnissen. Sie verzichtet — für diese Stelle äußerst ver-
ständig — auf eine Darstellung der Geschichte der verschiedenen Fa-
briken, die, falls nicht neue Studien gemacht wurden, doch nur bereits
Gedrucktes hätte wiedergeben können; sie hält sich ausschließlich an die vor-
liegenden Erzeugnisse selber, sucht diese, wo es irgend ging; chronologisch
voneinander abzusondern und zu Typengruppen zusammenzufassen. Vor
allem jedoch sind hier — und darin besteht ein Hauptverdienst dieses
Buches, das das Studium des Porzellans um ein bedeutendes Stück weiter
bringt — mit aller Energie die Beziehungen des Porzellans zur großen Kunst
der Zeit aufzudecken versucht, die teilweisen Vorbilder für seine Malereien
und plastischen Werke, für die man bisher fast nur auf Vermutungen und
sporadische Funde angewiesen war. Die systematische Durchsicht der
damaligen Bilderstecher hat hier namentlich für das Meißener, Berliner
und Frankenthaler Porzellan zu sehr interessanten Ergebnissen geführt,
Literaturbericht.
183
die wohl auch späterhin noch manches der vermeintlichen absoluten
Selbständigkeit der Porzellanmanufakturen des 18. Jahrhunderts rauben,
als Ersatz dafür aber die Bewunderung des künstlerischen Geschicks setzen
werden, mit dem derartige Vorlagen in ein ganz anders geartetes Material
oder auch andere Kunst z. B. Malerei in Plastik, übertragen worden sind. Die
Ergebnisse aller dieser wissenschaftlichen Forschungen sind natürlich sehr
ungleich ausgefallen. Am reichsten, dank dem umfangreichen Material,
das zur Verfügung stand, für Meißen und Berlin, sowie für Frankenthal,
dessen Porzellan für den Hauptverfasser Gegenstand langjährigen Studiums
gewesen ist. Vollständigkeit konnte auch hier naturgemäß nicht erzielt
werden. Auch wird, wer eigene Studien auf dem Gebiet des Porzellans
gemacht hat, wohl noch nicht gleich alle hier an sich mit anerkennenswerter
Vorsicht niedergelegten Resultate unterschreiben können. Hauptsache
jedoch war, daß diese einzige Gelegenheit zur Forschung ausreichend be-
nutzt ward, und das ist hier in der Tat in dankenswerter Weise geschehen.
Noch ein Wort zur Illustrierung! Die Reproduktion des Porzellans
ist der wunde Punkt bei aller wissenschaftlichen Bearbeitung desselben.
Es gibt auch schwerlich viele andere Gebiete der Kunst, die in dieser
Beziehung dieselbe Sorge machen: die Wiedergabe der Farbe, die beim
Porzellan eigentlich unerläßlich ist, bildet hier die eigentliche Aufgabe.
Photographische Wiedergaben ohne Farben, namentlich durch die billige
Autotypie, wirken immer garstig: verschwommen und wulstig fällt dabei
aus, was in der Natur klar und zierlich ist; das Stoffliche des Porzellans
verliert jeglichen Reiz. Derartige Darstellungen sind kaum geeignet, für
das Dargestellte Sympathie zu erwecken. Doch auch die farbige Wieder-
gabe wird durch die Lebhaftigkeit der Farben des Porzellans erschwert.
Die Farbe ist ja hier nicht bloß Farbe, sondern auch Licht, das das
stumpfe Papier von vornherein nicht wiedergeben kann. Dennoch muß,
da Farbe beim Porzellan, wie bei aller entwickelten Keramik, künst-
lerisch alles ist, nach farbigen Wiedergaben mit allen Mitteln gestrebt
werden und diesen der Vorzug gegeben werden, selbst wenn billige Repro-
duktionsweisen noch keine ganz befriedigenden Resultate liefern. Man
hat daher bei der Wiedergabe von Porzellan vielfach die Anwendung der
farbigen Photomechanik vulgo Dreifarbendruck versucht, ohne indessen
hier schon oft zu befriedigenden Resultaten gelangt zu sein. Die besten
Arbeiten dieser Art dürften auf dem Gebiet der Keramik bisher wohl in
England zutage gekommen sein. Auch in vorliegendem Werk ist dies Ver-
fahren mehrfach herangezogen worden, und der Verfasser dieses weiß, welche
Mühe man sich hier mit dessen Anwendung gegeben hat. Daß hierbei
die Resultate schon ganz befriedigend und gleichmäßig ausgefallen sind,
wird kaum ein Kenner alten Porzellans sagen können. Ein solches Re-
13
184
Literaturbericht.
sultat war bei der Schwierigkeit dieses Verfahrens auch kaum zu erwarten.
Wir stehen auf diesem Gebiet noch zu sehr in den Anfängen., um dieses
Reproduktionsverfahren schon ganz in unserer Gewalt zu haben. Auch
kann man dem Verleger eines derartigen, an sich schon mit einem ge-
wissen Risiko verknüpften, Werkes nicht auch noch die Ausgabe für lang-
wierige vorbereitende Experimente zumuten. Hier wäre eine schöne
Aufgabe für die deutsche Reichsdruckerei, für deren baldige Durchführung
die ganze Wissenschaft der Keramik derselben zu großem Danke ver-
pflichtet sein würde. Emst Zimmermann.
Mitteilungen über neue Forschungen.
Die Wiederauffindung eines seither verschollenen Werkes des
piemontesischen Malers Macrino d’ Alba wird neuerdings dem Eifer
Dr. Diego Sant’ Ambrogios verdankt (s. Lega Lombarda vom i. Juli und
Avvenire di Monferrato vom 5. Juli 1904). Es ist das 1,50 m breite
1,45 m hohe Triptychon, das ursprünglich für den Hauptaltar der Zister-
zienserabtei von Lucedio bei Trino in Piemont gemalt, sich jetzt in der
Kapelle des bischöflichen Palastes zu Tortona befindet. Im mittleren
Abteil sehen wir die Madonna in trono, in der Linken das Buch der
heiligen Schriften haltend, mit der Rechten das in ihrem Schoße sitzende
segnende Christkind stützend. Zwei Engel halten über ihrem Haupte die
Krone, zwei andere zu ihren Füßen entlocken der Mandoline bezw. dem
Dudelsack (!) Melodien. Ein zwischen ihnen gemaltes Cartellino trägt
die Inschrift: Macrinus d’Alba faciebat 1499. In den Arabesken, die den
Sockel des Thrones schmücken, kommen wiederholt die zu einer Sigle
verschlungenen Buchstaben H, N und B (Hannibal) vor. Auf dem rechten
Flügel ist der Täufer im härenen Gewände mit Kreuz und Inschriftsband
dargestellt, ganz ähnlich, wie ihn auch das große Altarbild Macrinos in
der Turiner Galerie vom Jahre 1498 zeigt. Auf dem linken Flügel hin-
gegen sehen wir den dem Dominikanerorden angehörenden hl. Augustin,
Bischof von Trau in Dalmatien, wie er die in den violettroten Mantel
der apostolischen Protonotare gekleidete knieende Gestalt des Donators
der himmlischen Jungfrau empfiehlt. Dieser letztere nun ist Hannibal
Paleologo, aus dem Geschlechte der Markgrafen von Monferrato, von dem
es geschichtlich feststeht, daß er 1485 Komtur der Abtei von Lucedo
ward. Daß er das Triptychon für die letztere ausführen ließ, berichteten
— wie wir aus Iricos Storia di Trino, 1735, erfahren — die auf dem
seither verlorenen ursprünglichen Rahmen der Tafel verzeichneten
Distichen:
Hannibal illustris Ferrati Montis et ingens
Commendatarius nobile fecit opus
Hoc fieri, pictor Macrinus natus in Alba
Auxilium pinxit contribuente Deo
1499 V. Septembris.
i86
Mitteilungen über neue Forschungen.
Was die Erhaltung unseres Triptychons betrifft, so sind die beiden
Flügel unberührt; das Mittelbild dagegen zeigt die Spuren späterer Über-
malung und Firnissung; doch hat sich die erstere glücklicherweise vor-
zugsweise auf den blauen Mantel der Madonna beschränkt, und die
übrigen Teile nur unwesentlich alteriert. Die Übertragung der Tafel
nach Tortona erfolgte wahrscheinlich durch den Bischof Fassati (1728 bis
1817), zur Zeit als die Zisterzienser die Abtei Lucedo verlassen mußten
(1792), oder als diese endgiltig aufgehoben (1801) und ihre Güter ver-
kauft wurden. C. v. F.
Zur Kunstgeschichte von Pistoja bezw. Siena veröffentlicht Dr. Peleo
Bacci einige interessante Urkunden aus den dortigen Archiven, indem er
sie mit wertvollen Kommentaren begleitet (Cinque documenti per la storia
dell’ arte senese del XIII al XV secolo, raccolti e annotati da Peleo Bacci.
Per nozze. Pistoja 1903. 8°. 27 S.). Die erste Urkunde bezieht sich auf
die im September des Jahres 1265 erfolgte Übernahme der von dem
sieneser Goldschmied Pace di Valentino im Verein mit vier Gehilfen
verfertigten silbernen, vergoldeten und reich mit kostbaren Steinen ge-
schmückten Deckel für ein Evangeliar (testavangelo, rectius »tetravangelo«),
sowie für einen Kelch samt Patene, beide für die Cappella di S. Jacopo
im Dom zu Pistoja bestimmt (vgl. hierüber auch L. Zdekauer, La bottega
di un orefice del Dugento, Siena 1903 und Ga et. Beani, La Cattedrale
Pistojese, Pistoja 1903). Auf der Vorder- und Rückseite der Buchdeckel
waren in getriebener Arbeit eine Maestä und ein Crucifixus mit der
Madonna und Johannes dem Evang. dargestellt. Die beiden kostbaren
Stücke lassen sich in den Inventaren bis 1777 verfolgen, wo auf Befehl
des Großherzogs Pietro Leopoldo der gesamte Aktiv- und Passivbesitz
der Opera di S. Jacopo der Komune von Pistoja überwiesen wurde. Seit-
her sind sie beide leider verschwunden. — Die zweite Urkunde gibt den
Vertrag, den die Erben Cinos da Pistoja (nicht wie man seither annahm
die Kommune seiner Vaterstadt) mit Cellino di Nese im Jahre 1337 be-
treffs der Ausführung des Grabmals Cinos abschlossen. Es heißt darin,
daß dieses hergestellt werden soll »seconda uno disengnamento il quäle
fecie il Maesto di Siena e questi medesimo de’ lavorare lo detto
marmo«. Also nicht Cellino, wie immer angenommen wird, sondern der
sieneser Bildhauer, dessen Name der Vertrag verschweigt, ist der Meister
des gedachten Grabmals. Es bleibt ungewiß ob wir G010 di Gregorio,
Maestro Agostino oder Agnolo als solchen anzusehen haben; ausgeschlossen
bleibt auf alle Fälle aus stilkritischen Gründen Andrea Pisano, dem Va-
sari das Werk zuschreibt. Cellino di Nese aber war nur der Unter-
Mitteilungen Uber neue Forschungen.
187
nehrner desselben. Ob er Sienese gewesen sei, ist auch zweifelhaft; viel-
mehr scheint Pistoja seine Heimat zu sein, wo er 1334 — 40 nachweisbar
ist (1339 wird ihm die Verkleidung des dortigen Baptisteriums über-
tragen). 1349, 1360 — 62 und 1368 — 74 arbeitet er in Pisa am Cam-
posanto und am Baptisterium.
Das dritte Dokument, ein Inventar des Kirchenschatzes von S. Maria
♦
fortis portae aus dem Jahre 1372 wiedergebend, macht uns mit einem bis-
her unbekannten sieneser Goldschmiede Maestro Duccio di Donato, als
dem Verfertiger eines an Knauf und Fuß mit Email geschmückten Kelches
bekannt. Er mag wohl ein Zeitgenosse seines Landsmannes Maestro Toro
gewesen sein, den uns jüngst Dr. R. Davidsohn als im Jahre 1320 am
päpstlichen Hofe von Avignon tätig enthüllt hat (s. Bullettino storico
senese 1901). Die Kirche S. Maria fortis portae aber ist dieselbe, über
deren Ruinen 1494 die Madonna dell’ Umiltä errichtet wurde. — Die
folgende Urkunde enthält die Verleihung des pistojesischen Bürgerrechts
an den Maler Niccolö di Mariano aus Siena unterm 4. März 1478, unter
der Bedingung, daß er im zweiten Saale des Palazzo pubblico binnen
zwei Monaten ein Wandgemälde mit dem ungläubigen Thomas ausführe;
in der letzten endlich wird dem Genannten der Termin für die Vollendung
besagten Werkes unterm 4. Mai 1478 um einen Monat verlängert. Da
dieses untergegangen ist, so läßt sich über die künstlerische Bedeutung
seines Schöpfers um so weniger urteilen, weil sonst weder über seine
Person noch seine Arbeiten etwas bekannt ist, außer daß er sich im
Jahre 1491 verpflichtet, für die Kirche S. Pietro di Vicopetroso in der
Gemeinde Vinci ein Altargemälde zu liefern (welches auch nicht mehr
existiert, s. Milanesi, Nuovi documenti per l’arte toscana, Firenze 1901
P- 159)-
Eine zweite Publikation widmet P. Bacci dem Maler G. B. Volpini,
lo Scalabrino (1489 — 1561), sowie einigen andern mit ihm gleichzeitigen
pistojesischen Malern (Signoraccio, Fra Paolino Gerino, Bern. Detti und
Panciatichi; s. Bulletino storico pistojese, 1903 fase. 4). Der Genannte ist
zu unterscheiden von dem Sienesen Michelangelo Anselmi, Scalabrino,
einem Schüler Sodomas und Nachahmer Correggios. Bacci rekonstruiert
auf Grund des Urkundenmaterials die Biographie des Meisters, und macht
von seinen vielen Arbeiten als einzig noch erhaltene die eine Seite einer
Prozessionsfahne in S. Giuseppe, den hl. Josef mit dem Christkinde im
Arme darstellend (1509) und zwei Presepiobilder namhaft — das eine
im Palazzo Comunale, das andere im Empfangssaal des Conservatorio di
S. Giovanni Battista. Eine Reihe von acht urkundlichen Belegen gibt
der Arbeit Baccis besonderen Wert für die Geschichte der Malerei Pistojas
im Cinquecento. C. v. F.
i88
Mitteilungen über neue Forschungen.
Onofrio Giordano della Cava. Der berühmte neapolitanische Architekt
und Ingenieur dieses Namens ist uns bekannt als Restaurator des Rektoren-
palastes zu Ragusa nach dem Brande von 143 5, J) als Erbauer der Wasser-
leitung dieser Stadt (wo an dem Brunnen bei Porta Pile eine Inschrift
seine Verdienste verewigt),1 2 3) endlich auch als einer der Künstler, die von
Alfons I. beim Bau des Castel Nuovo Verwendung fanden. 3) Daß die
Verbindung zwischen ihm und Ragusa nach Vollendung der eben ange-
führten Arbeiten nicht aufhörte, daß im Gegenteil Rektor und Rat der
Stadt seine Dienste auch später wiederholt in Anspruch nahmen,
davon geben die folgenden Urkunden im ragusaner Archiv Zeugnis. Die
erste ist ein Geleitsbrief, der dem Meister für eine in Aussicht stehende
Reise nach Ragusa unterm 4. November 1450 ausgestellt wird.. Er lautet
(in der zurückbehaltenen Kopie des Originals):
Rector et Consilium Civitatis Ragusij. Circumspecto viro Magistro
Honofrio della Caua Ingeniario, veniendi ex quocunque loco ad
Civitatem nostram Ragusij eiusque districtum: Ibique standi, morandi,
pernoctandi, cum Omnibus et singulis eius Armis, Arnisijs, Valisijs et
rebus: Indeque discedendi pro eius libito voluntatis: amplam et omnimo-
dam licentiam et facultatem cum pleno libero validoque Salvoconductu
omni prorsus dolo et suspicione carente valituro mensibus tribus a die
quo Ciuitatem ipsam applicuerit futuris: Tenore presentium damus, con-
cedimus, et impartimus. Datum Ragusij die Illjo novembris MCCCC°L.
(Arch. Comunale, Lettere e Commissioni di Levante 1451-52 filza 12,
p. 174.)
Es handelte sich in diesem Falle um die Begutachtung oder den
Entwurf von Befestigungen der Stadt und um den Guß von Geschützen,
wie ein Passus des folgenden, fünf Jahre später an König Alfons von
Neapel gerichteten Schreibens ersichtlich macht, das die neuerliche Über-
lassung des Meisters aus solchem Anlaß für drei Monate erbittet:
Regi Aragonum.
Serenissime Princeps. Impetus turcorum, quos in dies magis ac
magis inualescere vidimus contra cristianos ipsorum eorum cristianorum
negligentia, faciunt ut res nostras in tuto positas non arbitremus nisi
1) Als solchen nennt ihn die gleichzeitige Chronik des Filippo de Diversis, her-
ausgegeben von Brunelli.
2) Ihren Wortlaut s. unter anderm bei Gius. Gelcich, Dello sviluppo civile di
Ragusa considerato nei suoi monumenti istorici ed artistici, Ragusa 1884 pag. 54.
3) Cam. Riccio, Alcuni fatti di Alfonso I. (Arch. stör, napoletano VI, pag. 421)
publiziert aus den Cedole di tesoreria (vol. 24, fol. 167) ein Regest, wonach ihm und
zwei Genossen 1453 dreihundert Dukaten für Arbeiten gezahlt weiden, die sie am Turm
(maschio) des Castel Nuovo ausgeführt hatten.
Mitteilungen über neue Forschungen.
189
urbicum nostrum talibus menijs cingimus quibus hostem quem iam satel-
litibus suis urbem ipsam prius provexisse sentimus, et repellere, et arcere
possimus. Res igitur nostra agitur paries dum proximus ardet. Quap-
piam cum alias experti sumus industriam magistri honofrij
della Caua in construendis huiusmodi propugnaculis, attentissime
supplicamus, ut de gratia speciali dignetur ipsum magistrum honofrium
quanto prius fieri potest per trimense concedere, prout ipsi (folgen zwei
unlesbare Abkürzungen) pro predicta de (ein Wort unlesbar) comunem
nostrum, cui super hac causa opportuit scripsimus destructus (?) parte
nostra supplicabitur.
die VHIj Julij 1455
(1. c. filza 14, anni 1454 — 1460, a pag. i99r.)
Die Missive an den Gesandten, der dies Schreiben dem König über-
bringen, und Onofrio oder in seiner Verhinderung einen andern bewährten
Kriegsbaumeister für den angegebenen Zweck verpflichten sollte, datiert
vom gleichen Datum und lautet wie folgt:
die VHIj Julij 1455.
Rector de Ragusi cum el suo consiglio allo prouido Giucho de
marco guerchoni (?) dilecto Citadino nostro salutem. Acomettemoui che
col nome de dio et del glorioso martire messer san ßiasio confalonier
et protector nostro ve debiate partir de qua et andar alla dretura piu
presto porete alla via de napoli. Et li sendo trouereto maestro hono-
frio della chaua Ingegnero, cum lo quäle parlerete per parte della
segnoria nostra et pregeretelo et conforteretolo che uoglia vignir a ragusi
per tre mesi, ouer per doi, ouer almancho per uno mese che hauera bono
partito con noj Et uolendo lui vegnir col nome de dio, Et se pur dicesse
non posser vignir senza licentia della maesta del segnor Re, allora voi ve
apresenterete alla maesta del ditto sognor Re, et dareteli la nostra
lettera, et suplichereteli humelmente chel se degni concederne lo detto
maestro honofrio. Et se per caso lo ditto maesto honofrio non volesse
ouer non potesse vignir, allora consiglio del ditto maestro honofrio
trouerete uno altro maestro Inzegnero de quäle sufficientia ö lo detto
maestro honofrio, alqual prometterete vignando a Ragusi hauere bono
partito della signoria nostra. Et vignendo lo ditto m° honofrio, ouer
altro inzegnero con consiglio del detto m» honofrio, ouer non vignendo
trouereti uno bono et sufficiente maestro bombardero, el quäl bene et
sufficientemente sapia far bomb ar de et zitar cingude al quäl pro-
metterete vignendo lui con voj a Ragusi hauera bono partito cum la
signoria nostra. Et sei detto m° honofrio volendo vegnir, ouer non vig-
nendo lui, 1’ altro maestro inzegnero, ouer el detto bombardiero ve doman-
dasseno denarj per spese ve damo duc. cinquanta li quali debiate dar
190
Mitteilungen über neue Forschungen.
aqueli, facendoui dar bona et sufficiente plezner (plegium, Bürgschaft)
de vignir cum voi a Ragusi. Et sendo in accordio cum noj, li denari
li dareti li se metteremo aconto del salario loro, Et non sendo in achordio
con noj, sia in nostra liberta a provederli per spese quelo parera anoj.
Et a voj damo duc. X. Et sendo della via Informereti delle nauelle et
per uostra lettera ne auisereti.
(loc. cit. filza 13 dal 1448 al 1488, a fol. i68v.)
Ob Onofrio der Berufung gefolgt sei, oder welch’ weiteren Verlauf
die Angelegenheit genommen, darüber konnten wir im ragusaner Archiy
keine urkundliche Aufklärung auffinden. C. v. F
Eine bisher unbekannte Arbeit Giulianos da Sangallo wird uns
durch das folgende Zeugnis enthüllt:1)
i486.
Messer Francesco di Giovanni,2 3 4 5) nostro priore [ha] ollogato [a]
Antonio di Francesco di Bartolo3) legnaiuolo uno adornamento della
tavola faciän fare per la nostra chiesa a Domenic.o di Tomaso del Gril-
landaio, come n’ e copia in questo, carte 158, el quäle adornamento
detto Antonio debbe fare a sue spese di legnami e altre cose apartenenti,
e debbi esser nel modo e forma come per disegno dato per detto Antonio
di sopra, intagliato e lavorato secondo 1’ adornamento della tavola ch’ 6
al presente nella chiesa degl’ Ingiesuati all’ altare maggiore,4) e perche
in detto disegno di detta tavola v’ e dua agnoli che adorano, che detti
agnoli si sbattono a detta allogagione, conservando ogni altra cosa che
in detto disegno apare, cioe:
tabernacolo per Corpo di Cristo
candellieri [arabeskierte Pilaster zur Seite] da lato,
e ’l cornicione o con mensole o sanza, a beneplacito di messer
Francesco nostro e di fra Bernardo frate di Ingiesuati. 5)
') Da das interessante Dokument, in einer Gelegenheitsschrift per nozze veröffent-
licht, (Gius. Gatteschi e Gaet. Bruscoli, L’ adorazione dei Magi di Dom. del Ghirlandajo
negli Innocenti. Firenze 1902), den meisten nichtitalienischen Fachgenossen unzugänglich
bleiben dürfte, erscheint seine Wiedergabe an dieser Stelle berechtigt.
2) Tesori, bis Februar 1484 Rektor von S. Maria degli Ughi, seither bis an seinen
Tod im Jahre 1497 Prior des Innocentiahospitals.
3) Es ist der jüngere Bruder Giulianos da Sangallo.
4) Gemeint ist die Altartafel Ghirlandajos, die bei der Niederlegung des Klosters
S. Giusto alle Mura aus Anlaß des Assedio von 1529 gerettet wurde und jetzt in den
Uffizien bewahrt wird. Ihre Umrahmung jedoch, auf die in obigem bezug genommen
wird, ist verloren.
5) Es ist dies derselbe Klosterbruder der Gesuati, der einige der gemalten Glas-
Mitteilungen über neue Forschungen.
191
E detto adornamento debbe dare fatto alla nostra chiesa, e per
essa a messer Francesco di Giovanni nostro priore per tutto il mese di
giugno 1487 prossimo che debbe venire.
E avere per detto adornamento di sua fatiche e legname e altre
cose apartenenti a detto adornamento, fiorini cinquanta larghi d’oro in
oro, che cosi sono rimasti d’ acordo questo dj vj di giugno 1486, e per
fede di ciö e’ sopradetti si soscriveranno qui da pi£ di lor propria mano.
E piü £ rimasto d’ acordo che si paghi per lui, cio£ per detto An-
tonio di Francesco legnaiuolo, fiorini dieci larghi d’oro in oro a mona
Mechera di Giovanni da Carmignano nostra comessa, a libro comessi A,
carte 340.
Io Antonio di Francesco nominato sono contento a quanto di sopra
si contiene, e per dette cose oservare mi sono soscritto di mia propria
mano ogi questo dj detto di sopru.
Io M. Franc0 di Giovanni priore del sopradetto Spedale son contento
a quanto di sopra si contiene ogi questo dj sopradetto, e per chiareza
del vero mi sono soscritto di mia propria mano.
(Archivio degli Innocenti, Libro di ricordi dal 1484 al 1489, a
carte i58v.)
Obwohl der vorstehende Vertrag für die Lieferung der reichge-
schnitzten Umrahmung des Anbetungsbildes Ghirlandajos in der Kirche
der Innocenti mit dem Bruder Giulianos da Sangollo abgeschlossen wurde,
so führte die Arbeit doch Giuliano aus. Zeugnis dessen der folgende
Vermerk, der die Ausgabenliste für das in Rede stehende Altarbild in
den Rechnungsbüchern des Hospitals abschließt:
E a dj detto [22 marzo 1489] fiorini 56 d’oro in oro e barilj i°
d’olio e catasta 1 xj2 di legne, faciän buoni a Giuliano di Francesco da
San Gallo per sua fatica d’intagliatura e legname della detta tavola e
tabernacolo e candelieri ä fatto d’acordo, posto' in questo carte 388 a
spese, cio£ debbi avere L. 385.13
Es ist bekannt, daß Giuliano namentlich in seiner Jugend als Holz-
bildhauer sich betätigte, sowie auch, daß er eine Zeitlang mit seinem
jüngeren Bruder eine gemeinsame Holzschnitzerwerkstätte hielt (vgl. unsern
chronologischen Prospekt zu seinem Leben im Beiheft des Jahrbuchs der
k. preußischen Kunstsammlungen, Jahrgang 1902, zu den Jahren 1480 bis
1482). Leider existiert die Arbeit, um die es sich hier handelt, nicht
mehr: sie fiel wahrscheinlich der 1615 erfolgten Umwandlung des Altars
der Innocentikirche in seine heutige Gestalt zum Opfer. C. v. F.
fenster des Florentiner Doms nach Zeichnungen Ghirlandajos, Uccellos, und Andrea del
Castagnos ausführte (s. G. B. Uccel li , II convento di S. Giusto alle Musa c i Gesuati.
Firenze 1865, pag. 105).
192
Mitteilungen über neue Forschungen.
Pietro di Martino da Milano in Ragusa. In unserem Artikel:
»Neues zum Triumphbogen Alfonsos des I.«, den wir im Jahrbuch der
Königlich preußischen Kunstsammlungen (1902, S. 3 — 16) veröffentlichten,
hatten wir betreffs der Richtigkeit des Datums des dort (S. 4) mitge-
teilten Schreibens Alfonsos an den Rat von Ragusa, womit er diesen
um Überlassung des in dessen Diensten stehenden Meisters Pietro da
Milano ersuchte, Zweifel ausgesprochen. Ein Aufenthalt in Ragusa im
Frühjahr dieses Jahres hat uns nunmehr Gelegenheit gegeben, Klarheit
in die Sache zu bringen. Das Original des königlichen Schreibens ist
im Archiv von Ragusa nicht mehr vorhanden; was wir (a. a. O.) als
solches irrtümlich abdruckten, ist vielmehr dessen Konzept oder Kopie,
die von Dr. Nehez den im Staatsarchiv von Barcelona aufbewahrten
Regestenbüchern der Krone Aragon entnommen worden war (es erklärt
sich somit die von ihm angegebene Provenienz: Arch. de la C[orona] de
Afragon]). Wenn wir somit auch im ragusaner Archiv das Datum des
fraglichen Dokumentes nicht feststellen konnten, so haben wir dort doch
die folgenden beiden Vermerke gefunden, die jeden Zweifel an der
Richtigkeit des in der Kopie enthaltenen Jahresdatums 1452 beheben:
Die terzio Maij 1452.
Prima pars [der zur Abstimmung in der Ratsversammlung vor-
gelegten Anträge] est de dando libertatem dnö Rfectori]. et eius
parvo Consilio- ad contemplationem Majestatis dni Regis Aragonum
de liberando familiam et avere et raubas [ital. robe] Magri petri
lacipide de Mediolano quod possint libere ire et portare ubi
voluerint [der Antrag wird mit 33 gegen 3 Stimmen angenommen],
(Arch.del Comune, Consilium Rogatorum, filza 13, anni 1452 — 1453,
Pag- 3V0
Die s[ecund]o Junij 1452.
Prima pars est de franchando plegios [die Bürgen] Magri petri
lacipide de Mediolano occasione laborerij quod ipse promiserat
facere comuni nostro seu procuratoribus sancti blasii, et occasione
denarorum habitorum pro quibus ipsi plegii [sic!] promiserat pro
tempo [sic! angenommen mit 33 gegen 6 Stimmen].
(loc. cit. a pag. 2 2r).
Aus dem ersten dieser Vermerke ergibt sich, daß der Rat von
Ragusa schon auf das erste Schreiben Alfonsos hin (worauf in seinem
Briefe vom 3. Juni 1452 Berufung geschieht) das Sequester auf die Habe
und Familie Pietros da Milano aufgehoben und ihm gestattet hatte, die
Stadt zu verlassen. Der zweite, einen Monat später gefaßte Beschluß
entbindet die Bürgen, die in betreff des von Pietro empfangenen Vor-
schusses für ihn gutgestanden waren, ihrer Verpflichtung.
Mitteilungen über neue Forschungen.
193
Beide Vermerke aber liefern den Beweis, daß Pietro in der ersten
Hälfte des Jahres 1452 in Ragusa weilte (über den Zeitpunkt seiner
Berufung dahin haben wir leider keine urkundliche Nachricht auffinden
können), und daß somit jener Petrus Johannis de Como, der von
x449 — 1453 am Dombau von Orvieto beschäftigt war, mit ihm nicht
identisch sein könne, wie wir früher angenommen hatten (s. unsere Studie
über den Triumphbogen Alfonsos im Jahrbuch der Kgl. preuß. Kunst-
sammlungen 1899, S. 9, Anm. 3 und S. 161 ff.). Ebenso wird es nun-
mehr sehr zweifelhaft, daß der Maestro Pietro di Giovanni da Va-
rese, der von der zweiten Hälfte 1452 bis 1455 in Rom arbeitet, (siehe
a. a. O. S. 11 und 152), und Pietro da Milano ein und dieselbe Person
gewesen sei. Dies wäre nur unter der Annahme möglich, König Alfonso
hätte den im Laufe des Juni 1452 nach Neapel gekommenen Pietro da
Milano nur wenige Monate — keinesfalls länger als bis gegen Ende
*45 2 x) — verwendet, und dieser wäre sodann zur letztgenannten Frist
nach Rom übersiedelt, woher er erst anfangs 1455 2U bleibendem Auf-
enthalt wieder nach Neapel zurückkehrte. Indes hat eine solche An-
nahme wenig Wahrscheinliches; denn der dringende Ton, in dem der
König in seinem Schreiben die Überlassung des Meisters fordert, drängt
zu der Folgerung, er habe nicht bloß eine ganz vorübergehende Ver-
wendung desselben beabsichtigt, namentlich da Pietro infolge der Be-
rufung nach Neapel eine wohl längere Zeit dauernde Beschäftigung in
Ragusa aufgeben mußte.
Aus dem Vorstehenden folgt ferner auch, daß sich der von uns
(im Jahrbuch d. pr. K. 1902, S. 6) mitgeteilte Vertrag zwischen Pietro di
Giovanni da Como und Francesco di Stefano da Siena einerseits und
einem Barkenbesitzer aus Lastra andererseits, betreffs der Verfrachtung
einer bestimmten Menge Marmors aus Carrara nach Palermo, nicht auf
Pietro da Milano bezieht, sondern auf jenen Pietro di Giovanni da
Como, der 1449 — 1453 Verein mit Francesco di Stefano am Dom-
bau zu Orvieto nachweisbar ist. C. v. F.
Domenico Gaggini in Neapel. G. di Marzo und E. Mauceri hatten
in ihrem Aufsatze (L’Arte 1903, S. 147 ff.), worin sie die Tätigkeit des
*) Unsere a. a. O. S. 152 Anm. 1 gegebene Zeitbestimmung für den Beginn der
Tätigkeit Pietros di Giov. da Varese in Rom (1452 Ende Juni) muß richtiger lauten:
»zwischen Juli und Dezember 1452«, denn der Vermerk, der im Libro di Riscussioni etc.
dem auf ihn bezüglichen undatierten folgt, trägt das Datum des 31. Dezembers,
so daß für die Datierung des letzteren der Zeitraum vom 29. Juni bis 31. Dezember
1452 zur Verfügung steht.
194
Mitteilungen über neue Forschungen.
Meisters in Sizilien behandeln, die Vermutung ausgesprochen, er könnte
in den Jahren, die zwischen seinem Wegzug aus Genua (1456 oder 1457)
und seinem Auftauchen in Palermo (1463) liegen, an den Bauten im
Castel Nuovo zu Neapel beschäftigt gewesen sein, wußten aber für diese
Annahme keinen anderen Beweisgrund anzuführen, als daß der Name
eines Domenico Lombardo unter den am Triumphbogen Alfonsos ar-
beitenden Künstlern in zwei Rechnungsvermerken vom Beginn des Jahres
1458 vorkomme. Wir sind nun in der Lage, jene Annahme durch
stilistische Gründe stützen, wo nicht zur Tatsache erheben zu können.
Emile Bertaux hat zuerst (Archivo storico per le province napoletane
1900, pag. 27 ff.) und wir haben nach ihm (Jahrbuch d. Kgl. preuß. Kunst-
sammlungon 1902,8. n) eine Abbildung des Portals im Prunksaal des
Castel Nuovo veröffentlicht, wobei wir die Attribution an Pietro da
Milano, die Bertaux für dies Werk aufgestellt hatte, bestritten, und statt
ihrer die an Domenico Lombardo vorschlugen, da uns dasselbe ent-
schieden eine lombardische Hand zu verraten schien. Daß wir damit
das Richtige getroffen hatten (freilich ohne den Meister damals noch mit
Gaggini zu identifizieren), beweist nun der Vergleich der Portalskulpturen
mit denen an der äußeren Oberwand der Kapelle des Täufers im Dom
zu Genua, deren Ausführung Domenico Gaggini durch Vertrag vom
4. Mai 1448 übernommen, und die er im Verein mit seinen Gehilfen
(seinem Neffen Elia und Giovanni di Bissone) in den folgenden Jahren
vollendet hatte. Vor allem entspricht die Formbehandlung der die Relief-
tafeln zu seiten des mittleren Arkadenbogens einrahmenden Akanthus-
ranken (Phot. Alinari No. 149 10), wie sie uns in gleich ungeschlachter
Nachahmung altrömischerf Vorbilder in der ganzen Renaissanceskulptur
nur noch an Filaretes Bronzepforte von S. Peter begegnet, durchaus der-
jenigen an den Gewänden des neapler Portals, und ebenso die ganz aus
dem Maßstab der übrigen ornamentalen Elemente fallenden enormen
Akanthusblätter im Zwickel des Arkadenbogens zu Genua der krausen
Riesenpalmette über dem Giebel des Portals (auch hier wieder der gleiche
Fehler im angewandten Maßstab!). Ferner sind die aus Eichen- und
Lorbeerblättern gewundenen Kränze, die in Neapel die liegende Nymphe
im Fries sowie die beiden Büsten über dem Giebel des Portals um-
schließen, ganz analog mit dem Bandgeflecht im Arkadenbogen zu Genua;
ja, es kehrt sogar die dünne Platte mit dem Pfeifenornament, die in
Genua über den Säulen der beiden Seitenöffnungen das unterste Glied
der Oberwand bildet, gleicherweise am unteren Abschluß des Triumph-
reliefs des neapler Portals wieder. Endlich zeigen an letzterem die Adler
in den beiden oberen Ecken der Akanthusbordüre und die Greifen zu
seiten des (für Domenico wieder charakteristischen, so ärmlichen) Blatt-
Mitteilungen über neue Forschungen.
*95
motives im Giebel die gleiche Flügelform mit dem am Schulteransatz
tief eingebuchteten Kontur und der in eine Schneckenwindung aus-
laufenden Schwungfeder, wie sie auch an den zahlreichen Engelputten
in den Akanthusranken zu Genua ganz gleich immer wiederkehrt. Wir
werden somit das Portal im Saal des Castel Nuovo sowie die Büsten
Alfonsos und Ferdinands über demselben (mit Ausschluß jedoch des
Gebälkes und Giebels, welch ersteres auch an den Wänden des Saales
weiterläuft, und für das wrir unsere frühere Zuschreibung an einen der
toskaner Meister aufrecht halten) als ein Werk Dom. Gagginis und ihn
als den in den Rechnungsvermerken vorkommenden Domenico Lombardo
fortan zu erkennen haben. Ob er außerdem — wie aus der ebenange-
zogenen Quelle hervorzugehen scheint — auch am Triumphbogen mitge-
arbeitet hat, bleibt zweifelhaft; wir vermöchten ihm daran aus stilistischen
Gründen höchstens die ornamentalen Füllungen an den Pilastern des
I orbogens und der Arkade des oberen Geschosses zuzuteilen.
C. v. F.
Erwiderung.
Die »Rassegna d’arte« hat im Februar- Heft meine Besprechung
der sieneser Mostra im Repertorium angegriffen und einige Punkte nam-
haft gemacht, bei denen ich mich geirrt haben soll. Daß ich die fünf
Holzstatuen in San Martino für die Arbeiten zweier Meister halte und
daß Jacopo della Quercia selbst hier nicht in Betracht kommt, ist nicht
nur meine persönliche Überzeugung, sondern die vieler Fachgenossen.
Daß einer der Ignoti Giov. Francesco da Imola ist, habe ich keineswegs
bestimmt behauptet. Das Bild des hlg. Georg aus S. Cristoforo wird
jetzt von Berenson Sano di Pietro zugeschrieben; auch ich glaube jetzt,
daß es sienesisch ist, habe aber in der Besprechung die oberitalienische
Herkunft auch schon nur hypothetisch ausgesprochen. Die Terrakotta-
Maddalena stammt also nicht, wie ich vermutete, aus der Osservanza,
sondern aus So. Spirito. Darum ist sie aber doch nicht von »Neroccio,
fine del XVI sec.«, sondern von Cozzarelli und an der Gruppe der
Osservanza hat eine andere Maddalena gekauert, die ihr aufs Haar ent-
sprochen haben muß. Dagegen stammt der Johannes allerdings von der
Osservanza, was der Katalog verschwieg. Doch ich will mich bei diesen
Einzelheiten nicht aufhalten. Ich bin mir bewußt, schwere Vorwürfe
ausgesprochen zu haben über die Art, wie die sieneser Mostra vorbereitet,
aufgestellt und katalogisiert war. Eine Rechtfertigung ist von keiner
Seite versucht worden. Ich habe aber ausdrücklich erklärt, die Vorwürfe
nur deshalb formuliert zu haben, damit bei späteren Veranstaltungen
rechtzeitig Hand angelegt wird. Ungern sagt man dem Land und den
Leuten, denen man so unendlich viel verdankt, etwas Unangenehmes.
Aber wer solch einen Katalog wie den der sieneser Mostra verfaßt, der
muß es sich gefallen lassen, abgelohnt zu werden. Hoffen wir, daß bei
der nächsten Ausstellung die Erfahrungen der sieneser Mostra beherzigt
werden; dann ist der Zweck meines Berichtes erreicht.
Paul Schubring.
Berichtigung.
In dem Bericht über die Kunsthistorische Ausstellung zu Düssel-
dorf 1904 »Zur Kritik einiger holländischer Bilder« Repertorium XXVII
573 spricht Corn. Hofstede de Groot »ernste Bedenken« gegen die beiden
Stilleben des Abraham van Beyeren aus, welche Freiherr von Brenken
in Wewer dargeliehen hatte (Nr. 280, 281). Wenn der Katalog auf die
unzweifelhafte Künstlerbezeichnung eines der Stücke (Nr. 281) hinweist, so
vermutet der Berichterstatter »eine Verwechslung mit dem anerkannten
Meisterstück aus der Sammlung von der Heydt«. Es ist kaum verständ-
lich, wie einem so fleißigen eindringlichen Betrachter »trotz wiederholtem
langem Suchen« eine so deutliche Signatur entgehen konnte, die fast
mitten im Bilde, in dunkler Farbe (A B verbunden) am Krugdeckel steht.
Diese Bezeichnung stimmt in den Schriftzügen auch genau mit der Sig-
natur des Abraham van Beyeren überein, welche G. Glück im Jahrbuch
der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses XXIV
abbildete und so fehlt jeder Anlaß, dies Stilleben dem Meister abzu-
sprechen. — Ebenso sind die Figuren auf dem Gemälde »die Ankunft
des holländischen Gesandten in Münster« Nr. 390 als Arbeit des Gerard
ter Borch durch die echte alte Bezeichnung hinreichend beglaubigt.
Firmenich-Richartz.
Druckfehlerberichtigung.
Im 6. Heft des XXVII. Bandes des Repertoriums:
S. 540 Z. 17 von oben: »flüssige« statt »fleißige«;
S. 547 Z. 14 von unten: »steht bei 177« statt »bei 177 steht«;
S. 564, Anm. 51: Die Inschriften sind in Minuskeln wiederzugeben;
S. 570 erste Z. von unten: »Voll: gehört« statt »Voll gehört«.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
14
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
Bruck, Robert. Das Skizzenbuch von Albrecht Dürer in der Kgl.
öffentlichen Bibliothek zu Dresden. Straßburg. J. H. Ed. Heitz.
M. 50.
Bryam. Dictionary of Painters and Engravers. New Edition
revised and enlarged under the supervision of George C. Willi-
amson. Litt. D. With numerous illustrations. Vol. V. S — Z.
London. George Bell and Sons. 21/ — .
Dalton, O. M. The Treasure of the Oxus with other objects
from ancient Persia and India. With XXIX Plates. London.
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Ruettenauer, Benno. Der Kampf um den Stil. Aussichten und Rück-
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Schmerber, Hugo. Die Schlange des Paradieses. Mit 3 Tafeln.
Straßburg. J. H. Ed. Heitz. M. 8.
Valentiner, Wilhelm R. Rembrandt und seine Umgebung. Mit
7 Lichtdrucktafeln. Straßburg. J. H. Ed. Heitz. M. 8.
Von den Quellen des Stils im „Triumph des Todes“.
Von Georg Graf Vitzthum.
Zunächst die Vorfrage über das Verhältnis des berühmten Fresko an
der Südwand des Camposanto zu Pisa zu den nächstverwandten Fresken
der Süd- und Ostwand und zu Traini: für jene nennt die Tradition vier
Künstlernamen: Buffalmaco für die Ostwand, Orcagna für den Triumph,
Gericht und Hölle, Pietro Lorenzetti für die Einsiedler, Simone Martini
für die Madonna über der Tür. Die Wissenschaft hat verschieden über
die Zusammengehörigkeit geurteilt; und in der Frage nach dem Verhältnis
der Fresken zu den Tafeln des Pisaner Meisters Francesco Traini schwankt
sie zwischen unbedingter Zuschreibung an ihn und der Leugnung aller
Beziehungen.1) Keinem Zweifel kann es unterliegen, daß die großen
Fresken der Südwand vom Triumph bis zu den Einsiedlern einer Hand
angehören: Gericht und Triumph weisen volle Übereinstimmung in Typen,
Gewand- und Bewegungsmotiven auf, die Hölle schließt sich in den Akten
an den Triumph, in den Köpfen an das Gericht aufs engste an (für
letztere vgl. z. B. den Mann mit dem klagend geöffneten Mund in der
obersten Reihe der Hölle mit den zwei Köpfen der Verdammten in der
vierten Reihe von unten), und bei den Einsiedlern sind die Greisen typen,
die Felsen, Bäume und Häusqj, im besonderen noch die Haare bei
Menschen und Tieren in der gleichen Weise wie beim Triumph gezeichnet.
Die Madonna über der Tür ist stark restauriert. Ihre enge Ver-
wandtschaft zu den eben genannten Fresken ist aber noch deutlich zu
erkennen in der eigenartigen Zeichnung der Mandorla, in dem Arrange-
ment des Mantels über den Knien, in Kostümen und Flügeln der Engel.
Ebenso stehen die kräftigen Köpfe mit den kleinen Nasen den Engeln
des Gerichtes sehr nahe. Aber im ganzen ist doch ein andersartiger
Charakter nicht zu verkennen. Der Kopf der Maria und der Christi
vor allem, die Hände mit den langen dünnen Fingern, die sehr lang und
>) Von der neueren Literatur ist zu erwähnen: Dobbert, Rep. f. Kw. IV, S. i ff. und
Andrea Orcagna in Dohmes Kunst und Künstler. Thode, Rep. f. Kw. XI, S. 1 3 ff. Supino,
Archivio storico dell’ Arte VII, 1894, p. 21 ff. Ders., II Camposanto di Pisa, Firenze 1896.
Schubring, Pisa, Leipzig 1902. Supino, Arte Pisana, Firenze 1904, p. 265 ff. Rothes, Die
Blütezeit der sienesischen Malerei, Heitz 1904, S. 92 ff.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
>5
200
Georg Graf Vitzthum:
straff gezogenen Falten zeigen ein entschiedenes Streben nach Zierlichkeit
und Schlankheit, für das dann die feine Gotik des Thrones im Gegensatz
zu den schweren Bauformen auf den Fresken ein besonders treffendes
Beispiel gibt. Ich glaube, man darf am wenigsten in dieser Madonna das
früheste Werk des Camposanto sehen, vielmehr zeigt sie eine Verwendung
der im Triumph (diese Bezeichnung gelte fortan für sämtliche vier Fresken
der Südwand) geschaffenen Formen in einer ausgesprochenen Tendenz
auf das Harmonische und Helle.
Von größerer Bedeutung ist das Verhältnis zu den Fresken der Ost-
wand. Die meisten zu vergleichenden Elemente vereinigt die Kreuzigung
in sich. Die Typen der Männer und Frauen sind im allgemeinen wohl
denen auf dem Triumph nahe verwandt — aber sie zeigen einen wesent-
lichen Unterschied: sie sind bei weitem verschiedener untereinander, sie
haben nicht den strengen typischen Zug, der dort in allen Köpfen auch
bei verschiedenartigstem Gefühlsausdruck herrscht. In den acht Frauen
am linken Rand ist eine Fülle der abweichendsten Proportionen und
Einzelformen zu bemerken, wie sie im Gericht etwa beispiellos ist. Und
drüben in den Soldaten treten sogar Typen auf, die von vorn gesehenen
mit den platten Nasen, die kaum mehr mit denen im Triumph
in Einklang zu bringen sind. — Wesentlich verschieden sind die Akte:
dort eine stark schattende Modellierung mit einer sichtlich an schon
bestehende künstlerische Gestaltung sich anlehnenden schematischen
Sonderung der einzelnen Körperteile, hier bei viel gleichmäßigerer Be-
lichtung eine auf unmittelbarer Naturanschauung beruhende Wiedergabe
des Leibes in erstaunlicher Präzision und organischem Fluß des Konturs. —
Auffallend ist der Engeltypus: die Kleinheit der Köpfe unterscheidet ihn
wesentlich von den Engeln auf dem Triumph. — Fast übereinstimmend
ist die Darstellung der Pferde; um so verschiedener sind die Reiter: in
diesen derben, untersetzten Kriegern, die schwer auf ihren Tieren lasten,
ist nichts von jener hohen Leichtigkeit und Eleganz, die wir in den Rittern
des Jagdzuges bewundern.
Damit kommen wir zur Auffassung der ganzen Gestalt. Engste
Beziehungen sind da offenbar. Der Pharisäer, der uns den Rücken wendet,
kehrt bis zu den Gewandfalten übereinstimmend in dem Greise links aus
der untersten Reihe der Verdammten wieder. Aber es gibt auch hier
einen Unterschied, schwer im einzelnen nachzuweisen, leicht beim Über-
blick über alle Gestalten zu empfinden. Faßlicher vielleicht ist er an
den Händen klarzumachen. Diese sind auf dem Triumph sehr schematisch,
aber ungemein bestimmt und korrekt gezeichnet; auf der Kreuzigung
sind sie geradezu häßlich, lange, knochenlose Finger; aber ein viel größerer
Reichtum der Formen und Proportionen, wie wir es schon bei den
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
201
Köpfen fanden. Und so nun ist es auch in den Gestalten. Im Triumph
alle nach einerlei Maß, alle mit der gleichen Bestimmtheit des Umrisses,
der gleichen Detailierung und wohlabgewogenen Beziehung der Glieder,
auf der Kreuzigung alles ungleichmäßiger, sorgloser. Was sind das für
Verschiedenheiten in dem Verhältnis von Kopf zum Körper bei den
Soldaten und bei den Pharisäern, wo ist ein einheitliches Gefühl für Länge
und Stärke der Arme, und wo — das ist schon eine Frage der Komposition
— das dort so wesentliche Interesse für die gleichwertige Behandlung der
Körper und die entschiedene Absetzung der zusammengehörigen Gruppen?
Das hängt alles zusammen mit dem, was eine Verschiedenheit der
Werke am entschiedensten begründet: die viel freiere Verteilung der
Figuren in dem zu beträchtlicher Tiefe wenn auch nicht ausgestalteten,
so doch vorgestellten Raum, statt der strengen Begrenzung des Bildraumes,
der dichten Reihung und Übereinanderordnung der Körper im Triumph.
Daß dabei die Felsen mit geringerer Sorgfalt behandelt sind, kann nicht
wundernehmen, doch ist zu bemerken, daß, wo sie sich zu festen Formen
gestalten wie im Hintergründe rechts, diese denen auf dem Triumph
nicht entsprechen.
Bei dem inhaltlichen Reichtum und dem fließenden Formcharakter
der Kreuzigung ist es nicht ganz leicht, ihr Verhältnis zu den drei viel
einfacheren und gleichmäßiger durchgearbeiteten Szenen daneben, Auf-
erstehung, Erscheinung an die Jünger und Himmelfahrt, zu beurteilen.
Der Abweichungen bieten diese genug. Sehr verschieden sind die
Engel, die mit ihren hochgewölbten Stirnen auch zum Triumph nicht
passen wollen. Im großen und ganzen jedoch überwiegt das Gemeinsame,
und man darf das "V erhältnis der Ostwand zum Triumph so zusammen-
fassen: der gleiche Stil, aber in einer anderen Version, primitiver im
Formalen, reicher in der Komposition, auf alle Fälle in minderer Strenge
und Folgerichtigkeit, aber darum frischer, ursprünglicher.
Wie stehen nun die Fresken zu Trainis Kunst? Zum Vergleiche
haben wir die Tafel aus S. Domenico vom Jahre 1344/45, deren Mittel-
stück im Museo Civico, die Seitenteile im Seminario Vescovile zu Pisa
aufbewahrt werden, und die Glorie des Thomas von Aquin in S. Caterina.
Für deren Datierung fehlt ein Anhalt. Cavalcaselles Ansetzung vor 1341
ist willkürlich, jedoch macht der weichere, unbestimmtere Formencharakter
eine Entstehung vor dem Dominikus höchst wahrscheinlich. Diese Ver-
schiedenheiten der Arbeit, die übrigens selbst an dem gleichen Werke
in Einzelheiten Vorkommen — vgl. die Hände des Dominikus mit denen
des Christus darüber und mit allen anderen des Altars — fallen gewißlich
für eine Zuweisung der Fresken ins Gewicht. Traini hat Wandlungen
durchgemacht und diese scheinen in einer immer größeren Präzision der
»5*
202
Georg Graf Vitzthum:
Zeichnung und einem Streben nach Klärung des Organischen zu bestehen.
Eine solche Entwicklung konnte im strengen Stil der Fresken ihr Ende
finden. Die Fülle der Berührungspunkte ist offenbar. Das auffallendste
gemeinsame Motiv ist gewiß die Gruppe der Bettler an des Heiligen
Bahre und derer, die den Tod ersehnen. Auch die formalen Überein-
stimmungen sind sehr groß. Für die Typen sind vor allem die Dominikus-
tafeln und das Gericht zu vergleichen: die Propheten in den Giebeln
und die Apostel um Christus, allgemein die eingesunkenen Nasenrücken
und das vorgeschobene Kinn, die Bärte der Alten, die häufig vorkommenden
aufblickenden Köpfe. Ferner die Falten, besonders bei den auf den
Boden aufstoßenden Gewändern.
Trainis Tiere stehen denen auf dem Triumph besonders nahe: der
seelenvolle Kopf des Pferdes ist ja eine hervorstechende Eigentümlichkeit
des Jagdzuges, der Hund auf dem Bett der Mutter des Heiligen ist mit
all der Regelmäßigkeit gezeichnet wie der sitzende Hase dort. Im Land-
schaftlichen sind die Bäume ebenso verschieden, wie die Felsen und
Architekturen aufs engste verwandt sind. Auch zu der Ostwand liegen
Beziehungen vor: der auferstehende Christus daselbst steht in der Gesamt-
form wie in den Einzelheiten des Gesichts und der Handbildung dem
Thomas sehr nahe. Das Rankenwerk seines Gewandes finden wir auf
dem Zelt des schlafenden Papstes und auf den Mänteln der Bischöfe an
der Bahre des Dominikus wieder, im Spiel der Hände sind die Frauen
der Kreuzigung den kleinen Bildern verwandt, auf denen auch die Kinder
wie auf jenem Fresko erscheinen. Zwei so ähnliche Figuren wie die zu
Füßen des Schächerkreuzes liegende und die klagende Frau bei der loten-
erweckung sind sehr bemerkenswert.
Es genüge dieser Hinweis auf das, was die Fresken mit Traini
gemein haben. Zu einer Zuschreibung an ihn reicht alles, was noch
angeführt werden kann, nicht aus. Die Bedingungen für das monumentale
Fresko und die miniaturartig fein gearbeiteten Tafeln sind zu verschieden;
und man wird stets von neuem daran gemahnt, wie schwierig ein rein
stilkritisches Urteil ist einem Stil gegenüber, der so wie der des Trecento
an der Wende steht zwischen typischem und persönlichem Gestalten,
zwischen einer Logik der regelmäßigen Formentwicklung und des will-
kürlichen, individuellen Sichentfaltens eines Künstlers. Die Hauptsache
aber ist klar: Traini ist der allernächste der uns bekannten Künster, mit
dem ungreifbaren Buffalmaco brauchen wir nicht zu operieren, alle die
hier in Rede stehenden Werke dürfen als eine fest .zusammen-
hängende lokal-pisanische Gr uppe angesehen werden, und die
Frage nach der Besonderheit und nach den Quellen des Stils
ist für sie alle eine und dieselbe.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
203
I.
Soweit man bisher nach den Zusammenhängen der Fresken mit der
vorangehenden und gleichzeitigen Kunst gefragt hat, hat man sich im
wesentlichen an die durch die Überlieferung an die Hand gegebenen
Namen Orcagna und Pietro Lorenzetti gehalten. Die Annahme einer
Abhängigkeit von Orcagna gründete sich nicht so sehr auf Stilvergleichung
als auf Schlüsse aus der Künstlergeschichte; die Zurückführung der Kunst
auf Lorenzetti und Siena überhaupt geschah jedoch ausschließlich auf
dem Wege der Stilkritik. Ersteres ist leicht zu korrigieren, das zweite
erfordert eine sehr eingehende Analyse.
Daß Beziehungen zwischen den Fresken und Orcagna bestehen, ist
stets betont worden. Die historische Begründung für die allgemeine
Auslegung dieser Beziehungen auf eine Abhängigkeit Pisas von dem
Florentiner Meister, die Supino früher versuchte, ist durch die Erwägungen
hinfällig geworden, die Supino selbst in seinem neuesten Werk auf Grund
der Studien Chiapellisa) und Simoneschis 3) anstellt. Trotzdem scheint es
nötig, noch einmal mit Entschiedenheit darauf hinzuweisen, daß von
einer Herkunft des pisanischen Stils von Orcagna keine Rede sein kann,
daß aber nicht nur ein aus gleicher Schulung herzuleitender Parallelismus
vorliegt (wie Simoneschi meint), sondern daß Andrea 4) von Pisa ab-
hängig ist. Diese Behauptung gründet sich auf folgende allgemeine Er-
wägung: In Pisa sehen wir uns einem völlig ausgebildeten Stil gegenüber,
der alle Elemente in einer durchaus verständlichen notwendigen Einheit
verbunden zeigt. Die Rauheit der Gesichter (es kommen hier vor allem
die Verdammten in Betracht) entspricht dem schweren Fall der Gewänder
mit den heftigen Brüöhen zu den Füßen, den energischen Umrissen,
den in tiefster Innerlichkeit erfaßten und in rücksichtsloser Entschieden-
heit wiedergegebenen Geberden, der kalten Färbung. Menschen und
Tiere, Felsen und Häuser, ringelnde Schlangen und lohende Flammen,
alles stimmt zueinander, ja Selige und Verdammte sind vom gleichen
Schlag. — Ganz anders in S. Maria Novella. Hier fallen die verzerrten
Köpfe, die wenigen heftigen Geberden sehr entschieden aus dem Stil des
*) Bulletino stör. Pistojese II, 1900, p. 2.
3) Notizie intomo a Franc. Traini, Pisa 1898.
4) Wir halten der Einfachheit halber an dem Namen Andrea auch für die
Fresken der Strozzikapelle trotz ihrer gewiß richtigen Zuschreibung an Nardo durch
Suida (Flor. Maler um die Mitte des 14. Jahrhunderts, Heitz 1905, S. 4 ff.) fest. Die
Verschiedenheiten der Brüder kommen für die vorliegende Frage nicht in Betracht.
Und Andreas Tafel weist Züge auf, die auch für ihn Beziehungen zu Pisa unzweifelhaft
erscheinen lassen. — Auch Suida nimmt die Priorität der Pisaner Fresken an (a. a. O.
S. 23).
204
Georg Graf Vitzthum :
Ganzen heraus. Viel gröber sind die Verdammten gegen die Göttlichen
oben und die Seligen abgesetzt und sie wirken darum nicht wie in Pisa
als natürliche Ergebnisse der hier waltenden Kunst, sondern als von außen
importiertes fremdes Gut. Die Gruppen der Seligen und Verdammten
stellen viel mehr eine Verflachung als eine Vorbereitung des Pisanischen
dar. Diese Behauptung scheint wohl subjektiv, aber zu oft hat sich das
Schauspiel wiederholt, daß auf eine große stilschafifende Konzentration
eine alles auflösende Dezentralisation gefolgt ist, als daß wir nicht aus
jeder solcher Erscheinung einen historischen Schluß ziehen dürften. Und
wenn wir daneben im großen Paradiesfresko die Pisanische Gerichts-
komposition in einer so gänzlich widersinnigen aber doch entschieden
fortschrittlichen Veränderung wiederfinden, so ist das eine Bestätigung
unserer Ansicht.
Leider fehlen feste Grundlagen für die Datierung der Fresken, so-
wohl in Pisa wie in Florenz. Aber die allgemeinen Verhältnisse sprechen
für die Priorität des Camposanto. Wir werden für diesen an der tra-
ditionellen Ansetzung um 1350 festhalten müssen. Der gleich nach 1272
begonnene Bau ist 1349 erst bis zu den Steinmetzarbeiten (gewiß denen
der fenster mit den Köpfen und Masken zwischen sich; denn unter den
zahlreichen picchiapietre finden wir einen Bildhauer wie Cellino di Nese)
und den Dachbalken vorgeschritten. 5) Auf der anderen Seite lassen die
I37I — 7 2 entstandenen hresken des Francesco da Volterra in der völligen
Veränderung des Bildideals die Annahme einer viel weniger als 20 Jahre
früheren Entstehung unserer Malereien nicht zu. Die oben festgestellten
Berührungspunkte mit Traini müssen für die Datierung in Betracht ge-
zogen werden. Schubring stützt außerdem seine Ansetzung des Arbeits-
beginns »gleich nach 1351« mit dem Hinweis auf die (nicht näher an-
gegebenen) Daten der Grabsteine unter den Bildern.6) — Für S. Maria
Novella aber liegt gar kein Grund vor, die Fresken vor das 1357 gemalte
Altarbild zu datieren.
So scheidet Orcagna aus den Quellen der Pisaner Kunst aus. Um
den Umtang der Einwirkungen, die von Siena kamen, in aller Genauigkeit
festzustellen, sind wir genötigt, Punkt für Punkt der Herkunft der Motive
und der Formen nachzuforschen.
Das Urelement der Landschaft, die eckigen Felsen mit den
schieferartig gebrochenen Oberflächen, sind altes byzantinisches Erbgut,
wie Giotto und Duccio es verwerten. Doch ist zu bemerken, daß schon
in Giottos späteren Arbeiten, wie auch bei seinen nächsten Nachfolgern
Daddi und Taddeo Gaddi, desgleichen bei Simone Martini eine wesent-
5) Supino, II Camposanto S. 4fr. 6) a. a. O. S. 75.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
205
liehe Milderung der schroffen Formen eintritt, die erst bei den Lorenzetti
wieder etwas stärker vortreten. Baumdarstellungen sind in Siena auffallend
selten. Stets jedoch (z. B. Ambrogio Lorenzettis Folgen des guten Re-
giments) gehen sie auf eine kräftige unregelmäßige Silhouette aus, wie
wir sie auch noch bei Traini finden. Die völlig dekorative, dabei aber
die botanischen Besonderheiten wohl beachtende Bildung findet sich viel
ähnlicher bei Taddeo Gaddi, ist aber in Pisa viel bedeutender als je
bei ihm : so etwas wie die Ranke hinter den Bettlern im Triumph und die
kleinen Pflänzchen am Felsboden finden sich überhaupt nirgends in Italien.
Die Architekturen entsprechen den sienesischen vollkommen. Auf
Trainis Tafeln sind sie auch in der Anordnung denen auf der Tafel in
Sant Agostino am ähnlichsten, die Gebäude auf den Fresken erinnern
an Pietro Lorenzetti. Die Tiere sind in der Wiedergabe der Formen
denen auf Pietros Umilitatafel und auf Ambrogios Fresken im Palazzo
Pubblico verwandt. In Florenz sind Tierdarstellungen nicht beliebt, um
so wunderbarer, daß hier das einzige Beispiel für die wichtigste Be-
sonderheit der Camposantofresken zu finden ist: das genrehaft verwertete
Tier: der Hund auf dem Mahl des Benedikt im Refektorium von Santa
Croce. Doch kann er auch hier zur Geschichte gehören: die Hunde
dürfen von den Brosamen essen, die von des Priesters überreichem Tische
fallen, während der Diener des Herrn Hunger leidet. Auf alle Fälle
bleibt die genrehafte Tierdarstellung ein fast ebenso einzig dastehendes
Moment im Triumph des Todes, wie die Beseelung des Tieres mit aller-
individuellstem Ausdruck.
Unter den Menschendarstellungen fallen zunächst die kleinen
nackten Leiber der Engel und Seelen durch ihre hervorragende Zeich-
nung auf. Doch liegt hier nichts eigentlich Neues vor. Es ist die
byzantinische Tradition, die schon die früheste florentinische Trecento-
malerei zu so ausgezeichneten Akten wie in Giottos Hölle, auf der
Cecilientafel in den Uffizien oder auf dem Palast in Daddis Stephanus-
fresko befähigte. Dort im Giebelfeld finden wir auch das Motiv der
schwebenden Engel mit dem Schriftband, das u. a. auch Arnolfo di Cambio
kennt. Für die wie erwähnt ganz andersartige Auffassung der Akte in
der Kreuzigung könnte man auf die Kreuzigung in der Unterkirche zu
Assisi verweisen, wenn deren Datierung einigermaßen gesichert wäre.
Die bekleideten Engel im Triumph und Gericht stammen aus den kla-
genden Chören der Kreuzigungs- und Beweinungsbilder. In der Haar-
tracht stehen sie florentinischen nahe, ebenso ist die Form der Flügel
mit dem kräftig übergebogenen Knochen am ehesten mit Daddi zu ver-
gleichen. Das Eingehen auf die Zeichnung der Federn aber ist wieder
völlig sienesisch. Simones Geschmack klingt hier an.
206
Georg Graf Vitzthum:
Kommen wir nun zu den Menschen selbst, so ist eines vor allem
zu betonen, der unendliche Reichtum der Physiognomik und der
Mimik — ein Reichtum, der einer Ableitung von irgend einem fest zu
bestimmenden Punkte fast zu spotten scheint. Auf dem Gericht die
wetterharten Apostel, denen dieser Tag des Triumphes ihres Herrn doch
nur ein Tag unerklärten Grauens scheint, die Verdammten in allen Ab-
stufungen von plötzlichem Schrecken, Gegenwehr, schreiender Klage,
schmerzvollstem Erkennen, stummer Reue und Resignation, die Mutter-
gottes droben in schamhafter Schöne, die Seligen, uralte Greise und zarte
Frauen entzückt im Schauen, fest im Glauben, zweifelnd nur an ihrer
Würdigkeit und zwischen allem Toben entgegengesetztester Gefühle der
Engel des Gerichts mit dem unverrückt geradeaus schauenden Antlitz. Und
daneben auf dem Triumph die in reinster Daseinsfreude milde und ge-
heimnisvoll lächelnden Gesichter der Kinder dieser Welt, 7) die harten, ganz
aller Kraft und Fülle entkleideten, fast fratzenhaften Köpfe der Armen,
dazwischen die im Tod Erstarrten, und weiter die vornehmen Reiter in
allen Abwandlungen von Alter und Fülle, mit allen Zeichen von Neu-
gier, Schrecken, Ekel und Schmerz, endlich die Greise voll unerschütter-
lich ewigem Ernste — welche Fülle von Form, von Ausdruck!
Aber doch läßt sich in allen ein einheitlicher, klar zu beschrei-
bender und darum, so dürfen wir hoffen, auch abzuleitender Typus fest-
stellen: die Stirnen breit und niedrig, meist in flacher Rundung nach
Kopf und Schläfen zu verlaufend, nach unten im Brauenbogen jedoch
scharf und gerade abgeschnitten. Die Nase setzt zwischen den nach der
Mitte etwas hochgezogenen Brauen energisch an, ist schmal, mit niedrigem,
etwas eingesenktem Rücken, mehr oder weniger hervorgetriebener Spitze
und in die Höhe gezogenen Flügeln. Die dicht unter der Stirn liegen-
den Augen schmal, geschlitzt, kräftig umrandet, mit kleinen, meist in die
Ecke gedrehten Pupillen; so sind die Wangen nach allen Seiten ent-
schieden abgesetzt; voll bei den jugendlichen Köpfen, bei den älteren
scharfe Falten als Reste früherer Fülle zurücklassend, umrahmen sie den
meist schmalen Mund, der wieder von dem vorspringenden Kinn durch
die etwas vorhängende Unterlippe getrennt ist. Mit besonders gleich-
mäßiger Kraft ist die untere Kinnbackenlinie gezogen über dem langen,
säulenartigen Hals. Also im ganzen genommen kleine Einzel formen, die
7) Dobbert bekämpft mit Recht Hettners Ansicht (Ital. Studien S. 124 ff.), daß
in diesen Gestalten die erlösten Seligen zu sehen seien. Die drohende Todesgöttin
spricht dagegen. Freilich die »Kinder der Welt« sind auch links im Jagdzug, aber es
sind eben zwei Paare : rechts die irrenden Reichen und die »verblendeten« Armen, links
die bekehrten Großen und die einzig wahrhaft erlösten Armen im Geiste.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
207
durch die Entschiedenheit, mit der sie voneinander abgesetzt sind, zu
einer kräftigen Gesamterscheinung sich verbinden.
Den Ursprung dieses Typus in der italienischen Kunst der ersten
Hälfte der Trecento zu entdecken, scheint schwer. Gleich fremd sind
die vollen, wesentlich aus runder Grundform mit breiten Einzelteilen ge-
arbeiteten Köpfe Giottos und seiner Nachfolger — mögen diese nun das
Ideal mehr nach der Seite des Schweren und Gedrungenen abwandeln
wie Taddeo Gaddi, oder nach dem Regelmäßigen wie Daddi und Maso
— und die Köpfe der Sienesen, die auf Duccios Idealtypen mit den
hochgeschwungenen Brauen, großen Augen, der gewölbten Stirne und der
gekrümmten Nase beruhen.
Nur eines Meisters Köpfe scheinen schließlich für einen Vergleich
in Betracht zu kommen: des Ambrogio Lorenzetti. Zwar kann man
hier nichts generalisieren. Ambrogio ist seinem ganzen Temperament
wie seiner Entwicklung nach nicht der Mann des konsequenten Stils.
Er ist zu reich, leicht und schmiegsam, als daß er nicht um einer
neuen Aufgabe willen fallen ließe, was er eben im Verfolg entgegen-
gesetzter Ziele gefunden. Bei ihm zu allererst und vorläufig auch allein
beruht die Einheitlichkeit des Schaffens nicht in der Kontinuität des
Problems, sondern in der Identität der Persönlichkeit. So kann man
denn auch bei ihm sehr bemerkenswerter Weise von einem festen Typus
seiner Menschen nicht reden. Er hat schon nach den ersten Lehrjahren
in Siena starke Eindrücke in Florenz erhalten und daraus ergaben sich
Verschiebungen des Ideals, ja Verschmelzungen und harmloses Nebenein-
ander. Man betrachte sein »gutes Regiment« und frage, ob es möglich
sei, für diese in wesentlich neutraler Stimmung dargestellten Köpfe eine
so allgemeine Formel zu finden, wie für die von so entgegengesetzten
Gefühlen belebten Gesichter in Pisa. Dabei ist von einem Individuali-
sieren nicht die Rede — die zum Porträt anregenden Köpfe der Bürger
zeigen den gleichmäßigsten Typus — der Künstler hat nur aus einem
reichen Schatz von ihm geläufigen Formen ausgestreut, so viel er mochte.
Unter diesen Formen nun weisen einige eine beachtenswerte Ver-
wandtschaft mit Pisa auf. Vor allem die Köpfe der Prudentia, Fides und
Pax. Auf sie läßt sich die oben angegebene Analyse der pisanischen
Köpfe fast wörtlich anwenden; das Auffälligste ist die Zeichnung der
Nase. Dieser Typus scheint ein Rest von Ambrogios Jugendstil zu sein,
sofern wir wirklich berechtigt sind, die im Grunde doch recht wenig be-
deutenden und — das gilt vor allem für die Marterszene — in der fast
kalligraphisch routinierten Art der Zeichnung mehr wie Werkstattarbeit
als wie Erstlingsleistungen eines so leicht begabten Künstlers wirkenden
Fresken in S. Francesco zu Siena als Jugendwerke Ambrogios anzusehen.
208
Georg Graf Vitzthum :
Jedenfalls hätte er sich dann wesentlich dem Lippo Memmi (San Gimi-
gnano) und einer auch vielleicht unter I/ippos Einfluß erwachsenen, doch
nur vorübergehenden Stilrichtung seines Bruders (Umilitä) angeschlossen.
Die Typen dieser Umilitätafel des Pietro, über deren Datierung Zweifel
herrschen8), die jedoch wohl sicher als Jugendwerk anzusehen ist, scheinen
schließlich das einzige, was die Fresken mit dem stets als ihre Haupt-
quelle gerühmten Stil Pietros verbindet. Aber auch hier ist bei der
größeren Unbestimmtheit der Formgebung und bei dem zeitlichen Ab-
stand kaum an eine direkte Nachwirkung dieser Typen auf Pisa, vielmehr
an eine Vermittelung durch Ambrogio, den Meister klarer Zeichnung, zu
denken.
Überhaupt aber ist der Pisaner Typus hiermit nicht erklärt. Zu
einer so urwüchsigen Ausbildung mochte er nur auf Grund vereinzelter
Vorbilder kaum gelangen. Willkommen müßte es sein, ihn bei einem
Meister oder in einer Schule wirklich herrschend zu finden.
Und er findet sich in der Tat, nicht in Toskana, sondern jenseits
des Apennin, in der Schule der Romagna.9) Es sind vor allem die
Köpfe von den Fresken in Colalto, die allernächste Analogien zum
Camposanto bieten, am deutlichsten zum Gericht. In den Aposteln
erkennen wir die zu den Füßen des zwölfjährigen Jesus sitzenden Pharisäer
wieder; und nicht allein in den Gesichtsformen und im Ausdruck, sondern
in den wesentlich gleichen, wenn auch weit entschiedener durchgebildeten
Motiven des Sitzens, der gegenseitigen Beziehung, der Gesten. Noch
größer ist die Übereinstimmung zwischen den Seligen und Verdammten
und den Typen in Colalto. Erscheint z. B. die Frau in der obersten
Reihe der Erlösten wie das gealterte Ebenbild der Maria vom Bilde des
Zwölfjährigen, so tritt die Verwandtschaft in den beiden Prosdocimus-
bildern noch allgemeiner zutage. Da sind Profilköpfe in betendem
Aufblick mit erhobenen Händen, die sogleich eintreten könnten in die
Reihen in Pisa. Colalto mit seinem sicheren terminus ante, 1350, und
seinen engen Beziehungen zum nordischen Boden kann von Pisa nicht
8) Die Inschrift auf dem Florentiner Bilde ist erneuert. Das Datum 1316 kann
auf keinen Fall richtig sein; denn die Beatifikation der Heiligen fällt etwas später
(Meyenburg, Ambrogio Lorenzetti S. 7). Schubring (Z. f. ehr. K. 1902, S. 375) will
1341 lesen, dagegen tritt Suida (Rep. XXVII, S. 387) für die schon von Thode (Rep. XI,
S. 7) stil kritisch bewiesene frühe Entstehung ein. Einen Anhalt für die Datierung kann
ein Vergleich mit der sehr verwandten Bicchernen-Tafeln- von 1329 (Lisini tav. XVI)
gewähren.
9) Brach, Giottos Schule in der Romagna. Heitz 1902; des Verf. Vortrag in der
Berliner kunstgeschichtl. Gesellschaft 10. März 1905. Zu diesem ist nachzutragen eine
mit der Tafel bei Stroganoff auf der Auktion Corvisieri 1900 verkaufte Tafel mit sechs
Passionsdarstellungen, die stilistisch und ikonographisch fest in diesen Kreis gehören.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
209
empfangen haben. Es bleibt nur der Zweifel zwischen einer zufälligen
Analogie und Beeinflussung Pisas durch die Romagna. Das letztere ist
durchaus nicht so unwahrscheinlich, wie man glauben möchte. Es
handelt sich ja nicht um eine kleine Lokalschule, sondern um die von
Colalto am Fuß der Alpen bis Tolentino in der südlichen Mark Ankona
herrschende Kunst. Und diese scheint auch auf ein größeres Zentrum
nicht ohne Einfluß gewesen zu sein: »De Ravenna Magister Johannes«
nennt sich der Schreiber einer um 1360 in Neapel entstandenen Bibel,10)
und der Maler, der sie schmückte, muß entweder durch seine Herkunft
oder durch seinen Genossen am Werk Kenntnis gehabt haben von jener
Kunst an der Adria, die die Jugend- und Leidensgeschichte Christi in
Fresken und reichen Tafelwerken unzählig oft und seit Jahrzehnten schon
dargestellt hatte. Es sind hier besonders die Kompositionen, die solche
Beziehungen wahrscheinlicher machen, als ein Zurückgreifen auf die dreißig
Jahre früher in Neapel entstandenen Arbeiten Giottos.
Aus einer Berührung mit dieser Schule dürften wir also die Grund-
form des herrschenden Typus, aus dem Anschluß an Ambrogio Lorenzetti
die Kraft und Klarheit der Zeichnung herleiten. — Aber damit ists
nicht genug, nun handelt es sich um den Geist, den diese Formen um-
schließen. Wo sind die Quellen des inneren Reichtums, der Mannig-
faltigkeit des Ausdrucks, der tiefen seelischen Charakteristik? Wo ist in
diesen Tagen eine Kunst, die auf dem gleichen Grunde erschuf die
grobe Fratze des Bettlers und die süße Holdseligkeit des im Blütenhain
wundersame Weisen spielenden Weibes? In Florenz? Klein und beschränkt
erscheint mit solchem Maß gemessen seine Kunst. In Siena? Tiefstes
seelisches Leben ist der Zauber seines Schaffens. Aber wir müssen uns
fragen, ob das Bedeutsame daselbst, die Glut und Tiefe der Empfindung,
der reiche Schatz der Formen und Gestalten wirklich sich deckt mit
dem, was in Pisa vorliegt. Und wir kommen nahe daran, es als das
gerade Gegenteil zu erkennen. Pietro und Ambrogio verbinden eine nur
aus persönlichster Inspiration zu erklärende Tiefe seelischen Ausdrucks
mit einem Erfassen allerindividuellster, vorübergehendster Erscheinungen
der Haltung und Bewegung, wie sie sich nur dem unablässig das Tun
und Regen der Menschen umher beobachtenden Blick erschließen kann.
So gewinnen sie ein bedeutendes Material von Erscheinungsformen —
aber sie ordnen dieses den' bestimmten Tendenzen ihres künstlerischen
Temperaments unter. Und dieses hat bei aller Wucht und Tiefe nur
eine beschränkte Modulationsfähigkeit: die trübe in die Weiten schweifenden
,0) Berlin, Kupferstichkabinett, Hamilton 85, s. Graf Erbach, Vortrag in der
Berliner kunstgeschichtlichen Gesellschaft 30. 3. 1900 und L’ArJe 1905, fase. 1. Zum
Vergleich mit »Ravenna« kommen vor allem fol. 367 r. und 400 v. in Betracht.
2 10
Georg Graf Vitzthum :
Augen der Pax sind die der Madonna, die des Sohnes Tod bedenkt,
der dienende Knabe, der dem Joachim die Kunde von der Geburt der
Tochter bringt, wird zum Christuskinde, das jenem geheimnisvollen
Blick der Mutter forschend begegnet, hoffnungslose Bekümmernis und
staunendes Erbeben vor dem neuen Glück klingen in einem Ton
(Umilitä Berlin Nr. 1077), die Herrin hoch zu Roß, die Jungfrauen, die
sich im Reigen drehen, sind durch nichts ausgezeichnet vor der Bauern-
magd, die ihre Gemüse und Eier zum Markte trägt (Folgen des guten
Regiments). Kein größerer Gegensatz scheint denkbar, als der Triumph
des Todes, wo hart und unvermittelt die zu höchter Schärfe gesteigerten
Kontraste nebeneinander stehen.
In dieser Erkenntnis hat man endlich noch auf Neapel verwiesen,
dort die Anregungen besonders zu den »höfischen« Figuren gesucht.11)
Ich kann weder in der sienesisch beeinflußten Monumental- noch in der
mehr giottesken Miniaturmalerei irgend eine der besonderen pisanischen
Eigentümlichkeiten entdecken. In der Incoronata vor allem ists vielmehr
die reiche Schilderlust eines gewiß vom angiovinischen Hofleben ange-
regten Malers, der mehr Auge hat für äußere Pracht als für das ver-
borgene Spiel der Seelen.
Der Unterschied wird am klarsten, wenn wir uns vom Ausdruck
der Köpfe zu der Auffassung der ganzen Gestalt wenden. Den Reichtum,
der hier in den Fresken vor Augen steht, zu erfassen, sei dem Betrachter
überlassen. Das Besondere sind weniger die großen Gesten, als die
Lebensäußerungen der ruhigen Gestalten. Die sitzende Madonna, der in
lebhaft ausgeschwungener Haltung stehende Michael, der leicht vorwärts-
schreitende Erlöste rechts, die Frauen, die in stiller Lust die Köpfe
neigen, und dann die Reiter, wie sie im Sattel sitzen, sich vor- und
rückwärts neigen, sie alle zeigen eine Durchdringung des ganzen Menschen
mit einheitlichem Lebensgefühl, dabei eine Eleganz und einen dekora-
tiven Reiz, wie solcher in ganz Italien nicht seinesgleichen hat.
Und nicht allein die einzelnen Gestalten, sondern auch die Gruppen.
Als die reinste Blüte eines hochgebildeten Geschmacks erscheint der
Reiterzug. Der einzige, der hier zu nennen wäre, ist wieder Ambrogio
Lorenzetti. Aber selbst dem Maler des guten Regiments könnten wir
trotz aller Anmut seiner Kunst eine solche Leistung, in der höchster
Verstand gewaltet, nicht Zutrauen. Die Vorzüge dieser Gruppe, geschlossene
Wirkung bei stärkster Differenzierung, zeigt auch die Bettlerschar. In
der vorderen Linie die durchgehende Tendenz nach vorn, in die Höhe,
stärkstes Verlangen, dahinter die Gestalten leicht im Kreise geordnet,
“) Schubring a. a. O. S. 78.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
2 I I
und in ihnen stumpfe Leblosigkeit, ja in allem Sehnen grauenvolles
Widerstreben! Nur in den Toten können wir den Anschluß an ein
italienisches Vorbild nachweisen. Eine kleine Tafel der Sieneser Akademie,
eine Allegorie des Kreuzes, zeigt genau die gleiche Gruppe. Wir lassen
es dahingestellt, ob wirklich Pietro Lorenzetti der Maler dieses Bildes
sei. I2) Es ist sicher sienesisch und gehört sicher in die erste Hälfte
des Trecento. Sehr interessant ist es nun, zu beobachten, wie der
Pisaner Meister das Motiv in seinem Sinne abwandelt. Die mit sicht-
licher Vorliebe senkrecht zur Bildfläche hingelegten Leiber läßt er weg,
nur eine Papstfigur zeichnet er so, doch ohne jede Betonung. Und
während die Gruppe unter dem hohen Horizont auf der weiten Fläche
in freiem Umriß auslief, schließt sie im Rahmen der reliefmäßigen Kom-
position in einfachem, großzügigem Kontur.
Zusammenfassend können wir sagen: Ein unbedingter Anschluß an
eine bestimmte italienische Schule ist für den Triumph des Todes nicht
nachzuweisen. Der Meister hat Anregungen von Siena, Florenz und
wohl gar von der Romagna her empfangen. Siena steht an erster Stelle
und zwar nicht allein für die Motive, sondern für das Technische: in
der klaren Kraft, dem freien Fluß der Zeichnung, der entschiedenen
Plastik der Gestalten zeigt sich Ambrogio Lorenzettis Lehre. Aber
vieles in den Einzelheiten (Pflanzen, Tiere) und das Wichtigste
in den Grundlagen des Stiles (Physiognomik, Bewegungs-
motive, Gruppenbildung) ist überhaupt aus Italien nicht
herzuleiten. Wir müssen die Quellen dafür weiter suchen.
II.
Die Fresken der Ostwand, für die wir oben einige nicht un-
wesentliche Besonderheiten nachweisen konnten, gewähren nun gerade
in diesen einen Anhalt, um die Zusammenhänge der Pisaner Kunst nach
anderer Seite zu suchen: sie weisen Beziehungen zu den Fresken
im Papstpalast von Avignon auf. — Für diese ist man bisher über
allerdings ausgezeichnet gründliche und ergebnisreiche dokumentarische
Untersuchungen x3) kaum hinausgekommen. Man hat sie als Ableger der
sienesischen Schule auf ihren besonderen künstlerischen Charakter zu
untersuchen kaum der Mühe wert gehalten. Und doch fallen in ihnen
von der Entwicklung in Siena selbst sehr verschiedene Eigentümlichkeiten
>* *) Perate in »Melanges Paul Fahre«; Rothes a. a. O.
*3) E. Müntz im Bulletin monumental 1884 und Gazette archeologique 1885 bis
1888. — Eberle, Historia bibliothecae Romanorum Pontificum I, p. 608 — 632. Vgl.
A. Gosche, Simone Martini S. noff.
212
Georg Graf Vitzthum:
auf, deren Feststellung uns um so wichtiger erscheinen würde, wenn wir
eine Rückwirkung auf die Fresken in Pisa annehmen müßten.
Doch vergleichen wir erst und versuchen darnach die Schluß-
folgerung:
Die Erscheinung Christi an die Jünger mag wegen der wenigen
aber sehr charakteristischen Motive voranstehen. Den obersten, ein
wenig geneigten Kopf halten wir neben den, der unmittelbar über
Johannes auf der Auferweckung der Drusiana in der Chapelle S. Jean1*)
sichtbar ist: die Haltung sehr ähnlich, nur in Pisa ein wenig mehr ins
Profil gedreht, der Gesamtumriß gleichartig, völlig übereinstimmend die
Formen : Stirn, Nase, Mund, Wangen (nur die Linie an der Nase in Pisa
etwas schärfer), in erster Linie die Augen, sowohl der Sitz der Pupille,
die Bildung von Ober- und Unterlid, die Einbettung zwischen Wange,
Schläfen und Brauenbogen. Haar- und Barttracht sowie der breite Über-
gang vom Hals zum Torso scheint, soweit man in Avignon noch darüber
urteilen kann, sehr ähnlich.
Neben jenem Kopf steht in Avignon einer in reinem Profil, ein
zweiter links vom Evangelisten, drüben auf der Seite der Frauen noch
zwei, ein jüngerer und ein älterer. Die Umrisse sind mit festem Willen
und mit einer großen Kraft gezogen, der Absatz zwischen Stirn und
Nase ist nach dem Alter verschieden scharf, aber stets bestimmt gekenn-
zeichnet, die Nase gebogen, in scharfer Spitze endigend, dann grade
zurückgeführt und in festem Kreis der Nasenflügel eingezeichnet. Die
Wangenfalte ist auch bald mehr, bald weniger energisch gezogen, doch
stets sind die Wangen gegen sie und die Augen deutlich abgesetzt. Die
Augen wieder in starkem Kontrast von Schwarz und Weiß zwischen den
breiten Lidern. Im Mund sind die beiden Lippen getrennt, auch wo er
nicht geöffnet ist. Die Unterlippe tritt etwas, über das Kinn vor, das
kräftig, straff herausspringt und in geringer Rundung zur Kinnlade über-
geht. Genau die gleichen Merkmale zeigen nun die beiden Jüngerköpfe
unter dem zuerst betrachteten in Pisa. Die Augen sind kleiner, geschlitzter,
das ist der einzige Unterschied. Er ist gewiß nicht unbedeutend; denn
in Avignon ist das große Profilauge im Gegensatz zum geschlitzten Auge
in Vorderansicht allgemein. Aber der Effekt ist hier und dort derselbe.
Ferner vergleiche man das Haar des jüngeren Apostels und das der
Frauen, das Ohr des Alten und das Johannis (Detail Robert 5820), seinen
ganzen Kopf und den vordersten der Juden bei der Predigt des Täufers
(R. 5812). Vielleicht ist man indessen schon auf etwas anderes auf-
merksam geworden: die Hände! Die Finger, die sich in Jesu Wunden
*4) Phot. Robert 5828 (zu beziehen durch J. Kuhn, Paris, Rue de Rivoli).
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
213
legen und die des auferweckenden Johannes, die anbetend erhobenen
Hände der Drusiana und die des tief sich beugenden Jüngers, ja alle,
auch wenn sie nicht in der gleichen Stellung zu sehen sind, in ihrer
ganzen Plumpheit, im groben Zuge der Umrisse, in der Zeichnung der
Nägel, in dem Temperament des Gestus. Auch droben in der Kapelle
des Martial finden wir Analogien (anbetende Frau hinter der Säule bei
der Heilung des Sohnes der Nerva [Robert 5809] gleich dem alten
Apostel, selbst bis zur Zeichnung des fast verborgenen Daumens). Dort
aber lenkt uns vom Vergleich der Hände ein Wichtigeres ab: Wir sehen
da in dem Feld zu Häupten der Imago Christi im Schlußstein (R. 5814),
Petrus und Martial schreiten? stehen? kaum ist es zu unterscheiden,
aber wir sehen ihre großen, platten Füße breit voneinander gestellt,
und den Saum des Gewandes über sie hingehen und sehen, wie die
Gewänder, oben dicht um die Schulter gezogen, in langen weichen
Falten den ganzen Leib mitsamt den Armen einhüllen; und alles finden
wir wieder im stehenden Jünger in Pisa. Dabei ist der greise Petrus
ja doch der alte Jünger, der seine Hand zur Wunde an Christi Füßen
führt. —
Die Architektur gibt, soweit sich in Pisa noch über sie urteilen
läßt, eine Bestätigung der allerengsten Beziehungen, die endlich auch in
den Heiligenscheinen (sehr wichtigen Indizien im Trecento, denn un-
endlich reich sind dafür die Formen) zum Ausdruck kommen.
Die Auferstehung ist sehr übermalt, den alten Typus aber bewahrt
in voller Reine der Herr. Fänden wir den in Avignon wieder? Über
den beiden vorhin herangezogenen Figuren des Petrus und Martial steht
ein Kopf in voller Vorderansicht. Ein dünner Schnurrbart umrahmt den
Mund und gibt ihm etwas Trübes, um die Tonsur auf dem Scheitel
wächst das Haar dicht und voll herab. Doch ohne diese beiden Züge
ist er das Ebenbild, das wir suchen: der runde Umriß des Gesichtes,
die niedere, breite Stirn, der ganz besondere Zug der Brauenbögen, der
Ansatz der gerade herabgehenden breiten Nase, der Mund mit den scharf
geschnittenen Lippen, die groß geradeausblickenden Augen hier wie dort.
Die Nasenflügel gehen in Avignon ein wenig mehr nach oben. Das
kehrt dort an allen Köpfen in gerader Vorderansicht wieder. Die
leichte Untensicht, wie in Pisa, erscheint dort, wo sie motiviert ist, z. B.
in der aufblickenden Frau bei der Drusiana. — Für Christi großen Fuß
ist auf die oben angeführten Beispiele zu verweisen. Die Hand scheint
etwas feiner, »sienesischer«. In Avignon kommen auch ähnlich gute
Hände vor, aber wir wollen, wie bisher, allein auf das verweisen, was
nur in Avignon vorkommt. Dafür bieten die Engel nichts Ausschlag-
gebendes.
Georg Graf Vitzthum:
214
Jetzt muß es sich für den Leser schon entschieden haben, ob wir
auf dem rechten Wege sind. Darum nur noch weniges: Der auffahrende
Christus teilt mit der schon erwähnten Fräu auf dem Drusianabild den
wichtigen Zug der etwas verkürzten Augen mit den nach oben geschobenen
Pupillen; desgleichen die von unten gesehene, kurz unterschattete Unter-
lippe. Den Kopf des in die Höhe weisenden Engels halte man neben
den des alten Klerikers auf dem an die Erweckung der Drusiana
anstoßenden Fresko (Robert 5830). Für die knieenden in die Höhe
blickenden Jünger vergleiche man die Magdalena am Kreuz (Robert 5808).
Wie hier in der Verkürzung das Auge, Pupille und Weißes, noch zu seinem
Recht kommt, ist erstaunlich und ohne Analogie. Zwei ähnlich verkürzte
Köpfe mit dem gleichen Vorzug auf der Segnung Martials durch Christus
(R. 5814). Die auffallend guten lang- und zartfingerigen Hände sind
restauriert, das viermal wiederkehrende Motiv der nur ganz leicht mit den
Spitzen aneinander gelehnten Hände ist für Avignon eigentümlich (in der
besonderen Stellung der Finger zueinander vgl. den Jünger zuäußerst
links in der oberen Reihe mit der einen Figur auf Martials Totenerweckung
(Robert 5809)).
Für die Kreuzigung ergaben sich uns schon oben einige Abweichungen
von den bisher herangezogenen Fresken; vor allem die Köpfe der Engel.
Für diese finden sich auch in Avignon keine Vejgleichsobjekte. Auch
die Gruppe der Frauen zur Linken zeigt eine Durcharbeitung der stark
variierenden Typen, der sich in Avignon nichts an die Seite stellen läßt.
Trotzdem ist auch hier der Zusammenhang nicht zu verkennen. In der
vordersten der Frauen, deren Kopf ein Tuch bedeckt, wird man unschwer
die Züge jener wiedererkennen, die auf dem Fresko der Heilung der
Tullia (Robert 5817) aus der Tür tritt. Und wenn man denselben Kopf
mit dem der Nachbarin zur Rechten und in Betracht der Linienzüge von
Brauen, Nase und Mund etwa mit den beiden Söhnen des Zebedäus auf
der Darstellung ihrer Berufung (Robert 5821) vergleicht, so wird man
die große Übereinstimmung der künstlerischen Auffassung inne. Diese
tut sich in dem Ausdruck aller Köpfe, in der ruhigen Haltung der Leiber
mit den langen, leicht etwas schräg gereckten Hälsen, in Haltung und
Formung der Hände (Zeigefinger!) kund. Für den Gewandstil bieten
die Gestalten darüber Vergleichsmaterial: die am Boden Liegende und
die vom Rücken gesehenen sitzenden Männer bei der Segnung Martials
durch Christus; die eigentümlichen kleinen Falten an der Hüfte und die
breiten Partien daneben von merkwürdig lederartiger Wirkung. Die
Rückenpartie dieses einen der Sitzenden und die des stehenden Pharisäers
in Pisa sind in Umriß, Breite der Schultern, Heraustreten des Ellenbogens,
ganz verwandt. Und hier sind es nun vor allem die Typen; diese groben
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
215
stumpfnäsigen Gesellen gehören . zueinander, man vergleiche doch nur den
Profilkopf in Pisa mit dem untersten der zur Seite Sitzenden. Bis zum
Überstehen der Brauen haben sie Zug um Zug gemeinsam. Wichtig ist
endlich der gleiche Mangel an festem Proportionssinn, wie er sich in
Avignon überall, in Pisa bei dem Arm der Pharisäer links zeigt.
Damit halten wir den Nachweis engster Beziehungen für geliefert.
Nur für die Ostwand? Oder liegen sie auch im Triumph des Todes
selbst oder bei Traini vor?
Höchst auffallende Erscheinungen auf dem Fresko und auf den
Dominikustafeln, die eine Herleitung aus einer italienischen Quelle durchaus
nicht gestatten wollten, waren die Fratzen der Bettler. In Avignon sind
ihre Ebenbilder. Vergleichen wir für den am Boden sitzenden den Kopf
zuäußerst links vom Prozessionsfresko der Johanneskapelle (R. 5S30) mit
der in gleicher Weise vorgeschwungenen Nase, dem offenen Mund, den
in die Höhe blickenden Augen; für das alte Weib mit der kurzen breiten
Nase, dem bösen Blick, den kräftigen Falten am Nasenansatz den Kahl-
kopf über Johannes bei der Erweckung der Drusiana oder die Frau links
in der Gruppe bei der Beschneidung Johannis in Villeneuve-l£s-Avignon
(abgeb. Bull. mon. 1884), der andrerseits der Ncmne in der zweiten Reihe
von unten bei den Seligen des Gerichts eng verwandt ist, für den Profil-
kopf des bartlosen Alten, wenigstens was Stirn und Nase anlangt, den
vordersten der Pharisäer auf Johannis Taufe, für den Schwarzen die
sitzenden Jünger bei der Weihung Martials, vor allem aber den einen
stehenden Mann auf der Namengebung des Täufers in Villeneuve-l&s-
Avignon, der auch wieder mit Köpfen im Gericht völlig übereinstimmt.
Die Haltung des sitzenden Bettlers wiederholt sich in den wichtigen
Linien des Rückens und der Schenkel in dem Vater Martials auf der
ersten Geschichte der Legende (Gosche, Taf. VII). — Doch wir können
auch den reinen Gegensatz zu diesen rohen Fratzen betrachten, das junge
Frauenantlitz, das am Ende des Jagdzugs gerade aus dem Bilde heraus-
schaut: da haben wir die heilige Anna von der Decke der Chapelle
S. Jean (Gaz. archöol. 1886 pl. 33) oder die Frau hinter Martials Mutter
auf dem zuletzt erwähnten Fresko. Und drüben die Kinder der Welt,
halten wir sie z. B. neben die Köpfe auf der Heilung der Tullia (R. 5817)
oder auf der Beschneidung in Villeneuve, so werden wir auch ohne ein-
gehendere Vergleichung sehen, daß hier die Grundlagen der Gestaltung
die gleichen sind; die Hände bezeugen dasselbe.
Vor allem aber finden wir in Avignon nun wirklich den Typus als
den herrschenden, den wir eingangs als den Urtyp der Pisaner Fresken
und Trainis analysierten.
Aber an eine Einheit der Hand ist in keinem Falle zu
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
16
Georg Graf Vitzthum:
216
denken. Nähern sich die Einzelformen häufig bis zu völliger Überein-
stimmung, so ist das Niveau des künstlerischen Strebens ein durchaus
anderes. Die meisterhafte Durchbildung der Gestalten und ein großer
Wille zur Klarheit, zur Gliederung hebt die Schöpfungen von Pisa weit
über Avignon hinaus und gewinnt dann vor ihnen eine bedeutende Höhe
wirklich organischer Verbindung.
Wie ist dann das Verhältnis zu verstehen? Die Lage ist schwierig:
1344/45 sind Trainis Tafeln entstanden. Für die Fresken müssen wir
an dem Datum 1350 festhalten. Nun, die Martialskapelle ist genau in
den gleichen Jahren 1344 — 45 ausgemalt, die Johanniskapelle wahrschein-
lich etwas früher; und die Fresken in Villeneuve sind zwischen dem
2. Juni 1356 und dem 12. September 1362 entstanden. Damit scheint
jede Möglichkeit einer direkten Beeinflussung ausgeschlossen: Matteo di
Giovanni da Viterbo kann nicht an den Pisaner Fresken gelernt, Traini
kann die Malereien in Avignon nicht gekannt haben. — Zur Lösung
dieses Problems holen wir noch einmal weiter aus.
III.
In dem zweiten Kapitel ist die Schlußfrage des ersten noch nicht
gelöst. Alle engsten Beziehungen zu Avignon konnten uns ja das
Problematische der Pisaner Malereien nicht erklären. Dafür muß nach
anderen Quellen gesucht werden. Und denen sind wir nahe, wenn uns
der Weg nach Avignon geführt.
Was war Avignon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts? War
es das Exil der römischen Kurie, ein Stück Italien im fremden Land?
t
Es war das Gegenteil: »Die Päpste waren Franzosen, ihr Hofleben war
französisch«,1 5) und damit war auch die Kunst und Kultur eine wesentlich
französische. Für die Architektur und Malerei ist dies durch doku-
mentarische Forschungen16) festgestellt. Dvoräk hat daraufhin ein so
klares Bild davon gegeben, daß nur auf seine Darstellung verwiesen werden
kann. Ebenso wichtig aber erscheinen die Tatsachen, die durch die
Untersuchungen FauconsU) und Ehrles18) über die Bibliothek bekannt
geworden sind.
5) s. Dvorak, Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt. Jahrb. d. Kunsts. d.
a. h. Kaiserhauses XXII, Wien 1901, S. 69.
,6) Faucon, Les arts ä la cour d’Avignon sous Clement V et Jean XXII, in den
Melanges d’archeologie et d’histoire der Ecole fran^aise de Rome 1882, p. 44-ff. u. 1884.
p. 61 ff. und Müntz, Bulletin monumental 1884, p. 752 — 755.
*7) La librairie des papes d’Avignon 1886 — 87.
**) a. a. O. vgl. auch Labande, Catal. g4n£ral des Manuscrits des Bibi. Publ. de
France, vol. XXVII.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
217
Bezeichnend ist Schon einer der ersten Käufe Johanns XXII., von
dem wir Kunde haben; im Februar 1317 wird der Bibliothek eine Bibel
einverleibt, »empta in partibus Francie« für den enormen Preis von
60 flor. auri, sicherlich also ein ausgezeichnet geschriebenes, wahrschein-
lich mit Miniaturen geschmücktes Werk. Ebenso rein französischen und
zwar älteren Ursprungs muß die Bibel gewesen sein, die 1318 vom Abt
von S. Remy gekauft wurde. Verwaltet wird die Bibliothek in den ersten
Jahren von dem Dominikaner Guillaume de Broa. — Um 1320 tritt eine
bedeutsame Neuerung ein. Neben dem Ankauf von Büchern wird ein
fester »scriptor« angestellt, als erster Philippe de Revest, Prior der Kirche
von Girgonian, an den in den nächsten Jahren Zahlungen verzeichnet
sind. Auch das Einbinden der Bücher wird von einem Franzosen be-
sorgt, »maitre Pierre de Paris« ist 1328 zu diesem Zweck in Avignon.
Dann werden wieder nur Ankäufe von Franzosen erwähnt, bis sich 1331
der Italiener Nerio Vitalis als libraius curie Romane niederiäßt. Doch
schon im nächsten Jahre finden wir die päpstliche Schreibstube um fünf
französische »scriptores« vermehrt. Dies bleibt unter Benedikt XII., dem
ehemaligen Cisterzienserabt Jacques Fournier (1334 — 42), bestehen. Ja
nun tritt der erste »il lum inator« ein: in den ersten Monaten des
Jahres 1337 wird Andre de Beauvais, ein Nordfranzose, bezahlt, frei-
lich noch nicht für große Miniaturen. Bald wächst sein Ruhm und seine
Tätigkeit; schon am 31. Juli 1338 wird ihm eine bedeutende Summe für
den Einband eines alten Passionale und die Ausschmückung zweier
Schriften Benedikts bezahlt. Und in den Jahren 1340, 1341, 1342, also
während Simones Anwesenheit, malt er mehrere Bücher mit Bildern
größeren Umfanges aus, erhält Aufträge für Einbände und kleineren Buch-
schmuck. Neben ihm ist der Schreiber Firmin Barthtdemy tätig, Biblio-
thekare sind Jean Engilbert, dann Pierre, der Bischof von Grasse. Außer
für den Papst arbeitete Andre schon für Pierre Rogier, Erzbischof von
Rouen, den nachmaligen Papst Clemens VI. Dieser vermehrt bei seinem
Regierungsantritt 1342 die päpstliche Bibliothek durch die seinige. Dann
allerdings läßt das Anwachsen der Bibliothek wesentlich nach. Das Ge-
samtresultat ist, daß während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an
dem französischen Papsthof französische Architekten, Maler und Bildhauer,
französische Schreiber und Buchbinder und ein nord französischer Miniaturist
beschäftigt sind und daß die Leitung des wichtigsten Mittelpunktes des
Geisteslebens in Händen von Franzosen liegt.
Wir hatten in Avignon das der pisanischen Kunst nächstverwandte
Zentrum gefunden, es blieben uns jedoch auch hier einige der auf-
fallendsten Züge dieser Kunst unerklärt, für die wir in ganz Italien keine
Analogien finden konnten. Sollten wir da nicht die Spur weiter verfolgen
16*
2 I 8
Georg Graf Vitzthum:
und fragen, ob in dem rein französischen Kunstbetrieb in Avignon, sei
es der monumentalen Kunst bis um 1340, sei es der Buchkunst eine
Lösung des Rätsels zu finden sein?
Eine Untersuchung der besonderen Verhältnisse in Avignon behalte
ich mir noch vor. Aber mit aller Entschiedenheit glaube ich schon jetzt
darauf hinweisen zu müssen, daß der pisanische Stil ohne einen
wesentlichen Einfluß der französischen Malerei nicht erklärt
werden kann, und zwar der Malerei, wie sie in der Miniaturenkunst
von ca. 1250 bis 1350 erhalten ist.
Hier nun halten wir uns in erster Linie an das Hauptwerk, den
Triumph des Todes selbst. Hier fanden wir die eigentümlich fremden
Züge am schärfsten ausgeprägt, in den Kindern der Welt, den Bäumen
und Tieren, im Zug der Reiter erkannten wir sie. Daß für den letzteren
eine inhaltliche Beziehung zu Frankreich vorliegt, ist längst erkannt; am
genauesten sind die Quellen von Hettner1*?) zusammengestellt. Hingegen
weiß ich nicht, ob schon darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß
sich auch die bildliche Darstellung der drei Reiter und der drei Toten
in Frankreich vorfindet: In dem Psautier de la Reine Bonne, der sich
im Besitz Firmin-Didots befand und 1882 versteigert wurde, sehen wir
auf zwei gegenüberstehenden Blättern Fol. 320 v. und 321 r. (abg. im
Katalog PI. 2) links die Reiter, rechts die Toten. *9») Die ersteren erinnern
stark an das Fresko. Das vorderste Pferd beugt den Kopf zur Erde und
dreht ihn ein wenig zurück. Der Reiter ist in lange flatternde Gewänder
gehüllt und trägt eine Krone; er wendet sich voll Grauen um und legt
die Hände übereinander. Hinter ihm wird der zweite sichtbar mit einem
Hut gleich dem des sich vorneigenden Herrn im Fresko; er hält den Mantel-
bausch vor die Nase und weist mit der Rechten geradeaus. Der stark be-
wegte Kopf seines Pferdes ist ganz von vorn gesehen. Endlich am
weitesten links der dritte, ein Jüngling in höfischer Kleidung mit einem
Falken auf der Linken. Sein Pferd streckt den Kopf weit vor, schaudernd
vor dem Modergeruch, den die drei ausströmen, die auf dem anderen
Blatte aufrecht in Reihe stehen, in den drei Stadien zwischen Tod und
voller Verwesung. Die Haltung und vor allem die Physiognomie des
*9) Ital. Studien S. 13 1 ff. siehe auch Histoire litteraire de Ia France Vol. 23,
p. 278h Ferner Thode, Franz von Assisi, S. 557 ff. — Daß der Gedanke der Vie
mondaine und Vie penitente und die Nebeneinanderstellung im Bild französisch ist, be-
weist eine bei Bastard, II, pl. 103 abgebildete Darstellung.
s9a) Zu Dobberts (Rep. f. Kw. IV, 5. 8 ff.) Liste der Darstellungen ist außer dieser
Miniatur eine Zeichnung der Hamburger Kunsthalle, holländ. 16. Jahrh., nachzutragen,
die durch eine veränderte Fassung interessant ist: ein fürstlicher Jagdzug hält vor einer
Grube, in der ein Mann mit Schädel und Knochen in den Händen steht und auf die
Gebeine zu seinen Füßen hinweist.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«. 219
dritten Pferdes kehrt in dem berühmten Pferd des Camposanto wieder.
Aber dies ist nicht der einzige Vergleichspunkt. Vielmehr erkennen wir
in der Anordnung der drei Reiter, in ihrer Kleidung und Haltung, in
dem Sitz vor allem, dem gespannten bei dem hintersten, dem lockeren
bei dem ersten, die oben hervorgehobenen Besonderheiten der pisanischen
Auffassung wieder. Dabei ist ihnen der steinige Boden mit den spär-
lichen Gewächsen gemeinsam. Es ist nicht möglich, die beiden Dar-
stellungen unabhängig voneinander, zum mindesten von einer gemein-
samen Quelle zu denken. Und die Priorität Frankreichs steht dabei
außer Zweifel. Die Handschrift zeigt das Wappen der Königin Bonne,
der Gemahlin des Jean II. von Frankreich, muß also vor ihrem Tode 1349
entstanden sein. Dies bestätigt der Stil der Figuren und Gewänder, des
reichen mit Tieren belebten Dornblattrankenwerks und die Schrift, die
alle auf das engste mit den Heures de Jeanne II. de Navarre bei H. Y.
Thompson verwandt sind.20) Mehr aber als die durch das Datum sicher-
gestellte Priorität des Psalters ist für das Verhältnis der pisanischen zur
französischen Darstellung die Tatsache von Wichtigkeit, daß sich -die
eigentümliche Darstellung des Pferdes mit dem vorgestreckten Kopf, den
hochgezogenen Nüstern und scharf von unten heraufblickenden Augen
sehr viel weiter in Frankreich zurückverfolgen läßt: im berühmten Psautier
de S. Louis (Paris. Nat. lat. 10525) blicken die Rinder, die Abraham er-
beutet mit sich führt, ehrfürchtig zu Melchisedek auf,21) und der Künstler
entnahm der Natur grundsätzlich die gleichen Formen der Äußerung der
Tierseele, in denen etwa 100 Jahre später der Franzose und der Pisaner
das Schaudern der Kreatur vor dem Tode ausdrticken sollte. Der Zu-
sammenhang liegt hier tiefer als in einer Herübernahme von Einzelformen.
Es ist hier *wie dort der Geist der französischen Zeichenkunst, deren
Wesen es ist, seelischen Ausdruck in einer stark betonten Bewegungs-
linie darzustellen. Daß dieser Geist, der in dem Psautier de S. Louis
eine wundervollste Blüte getrieben hat, bis weit in das 14. Jahrhundert
hinein den Charakter der Malerei bestimmt, ist unverkennbar. Das beweist
beispielsweise ein Vergleich der Miniaturen in der oben erwähnten Hand-
schrift bei Mr. Thompson mit dem Ludwigspsalter. Trotz aller Fortschritte in
der Modellierung, aller wesentlichen Veränderung der Proportionen, der
Bildbedingungen durch Einführung von architektonischen und landschaft-
lichen Bestandteilen bleiben die Auffassung der Figur und die Formen
des Ausdrucks, die Typen und vor allem die Zeichnung und Haltung von
*°) H. Y. Thompson, Thirty two miniatures from the book of Hours of Joan II.
queen of Navarre. London, 1899.
*') s. Omont, Reproduction de 86 miniatures du ms. lat. 10525. Paris 1902, pl. IV.
2 20
Georg Graf Vitzthum:
Armen und Händen völlig in Kontinuität mit der Tradition des 13. Jahr-
hunderts. Und auch die erwähnten Veränderungen sind keineswegs nur
auf Einflüsse von außen zurückzuführen, vielmehr beruhen sie auf einer
geradlinigen Fortentwicklung,22) analog der Plastik. Darum ist es historisch
durchaus berechtigt, wenn wir zur Erklärung und Herleitung der frag-
lichen Erscheinungen bis auf so weit frühere Arbeiten zurückgreifen.
Neben den Tieren erschienen uns die Reiter von Pisa und jener
französischen Handschrift verwandt; auch für sie läßt sich der echt
französische Charakter aus dem Psautier nachweisen. Joseph bei der
Einrichtung der Kornspeicher (Omont XXIII): man vergleiche die Haltung
der bis über die Waden in den eng anliegenden Strümpfen gezeigten
Beine, die Linien des Oberschenkels bis zum Hüftgelenk mit dem halb
von der Sattellehne verdeckten Gesäß, die Lage des Rockes daneben.
Das lose Sitzen mit herabhängenden Beinen, wie es der Ritter auf dem
Schimmel neben der soeben verglichenen Beinhaltung seines Vorder-
mannes zeigt, ist im Psautier bei Bileam (Omont XXXIX) vorgebildet.
Besonders charakteristische Beispiele für die Formen des Reitsitzes zeigen
die Darstellungen der Jäger auf französischen Elfenbeinreliefs des 13. und
14. Jahrhunderts. Und hier sind auch die Zusammenhänge der Kom-
position unverkennbar. Meist drei Reiter schräg hintereinandergeschoben,
die Tiere geradeaus schreitend, die Jäger mit ihren Falken im Gespräch
einander zugewandt; dabei das leichte sich Vor- und Rückwärtsneigen
der Leiber, das in Pisa so reiche Bewegung in die Gruppe bringt.
Eine der auffälligsten Figuren des Fresko ist der Mann mit dem
Hund. Seine Haltung ist von Grund aus unitalienisch: nicht allein der
starke Schwung, sondern vor allem die Art des Stehens, ja schon die
Tatsache, daß er im Gefolge dieses von rechts nach links sich hin-
bewegenden Zuges auf einmal in völliger Vorderansicht ohne eine Spur
des Schreitens oder des Haltenbleibens dasteht. Er ist erklärt, wenn
wir das Motiv genauer prüfen, die Haltung des linken Armes, sein Ver-
hältnis zu Schulter und Brust, die ganz merkwürdige Behandlung des
Gewandes, das in unglaublichem Realismus hier die Formen des Körpers
durchfühlen läßt, daneben wieder in breiter Fläche oder scharfer Falte
ganz den Gesetzen des Stoffes gemäß sich formt. Das alles ist aus
französischen Handschriften wohlbekannt. Der Geiger aus dem Hochzeits-
zuge im Miroir historial der Bibliothek zu Leyden Nr. 62 23) hat die
22) Für die Wandlung der Modellierung, des Kolorits und selbst der räumlichen Vor-
stellungen ohne jeden äußeren Einfluß ist sehr lehrreich ein Vergleich der beiden
Hände in dem großen Gratian der Kgl. Bibliothek zu Berlin (Ham. 279), derum 1300
anzusetzen ist. Der fortgeschrittenen Hand gehörte die einheitliche Lage Fol. 86 — 99.
*3) Abg. Gazette archeologique 1886, pl. 14.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
221
Stellung, die Haltung des Armes und sein Verhältnis zur Brust, er und
viele andere Figuren der Handschrift den Gewandstil mit jenem Jäger
gemein. Und auch hier können wir das Motiv und die Einzelheiten der
Formgebung bis zum Psautier de S. Louis zurückverfolgen : man sehe
den Joseph bei der Verführung durch Potiphars Weib, die Stellung der
Beine, des Unter- und Oberkörpers, den herabhängenden linken Arm, bis
auf die Proportionen fast kongruent mit dem Pisaner. Und ist der Geist
des Gewandes nicht ganz der gleiche dort und hier bei Potiphars Weib,
deren Rock sich an die Formen der Brust anschmiegt und doch
seinen eigenen Zusammenhang darüber beibehält? — Nun werfe man
einen Blick von den unten sich stauchenden Falten an jenem Rock
auf das Gewand des Bettlers in Pisa zunächst rechts von unserer Figur,
und man wende um im Psalter und sehe den träumenden Bäcker und
vergleiche die Linien des Rückens, der Beine, die Falten an dem Knie
mit dem sitzenden Bettler (für den wir gerade in diesen Zügen Nächst-
verwandtes in Avignon fanden): das läßt sich nicht unabhängig vonein-
ander denken.
Die Übereinstimmung der Formen mit Französischem erklärt auch
die Haltung des Knechts: Es ist charakteristisch für die ganze franzö-
sische Zeichenkunst in dem in Rede stehenden Zeitraum, daß sie un-
fähig ist, ein Schreiten darzustellen. Ganz im Gegensatz zu dem
feierlich weichen Wallen in Giottos heiligen Gestalten, zu dem lebhaft
fersenhebenden Schritt der Bürger von Siena, wie ihn Ambrogio Lorenzetti
uns zeigt, umgeht die französische Kunst die Darstellung des Gehens
fast ganz; dafür gibt sie die Gestalten in jener ausgeschwungenen Haltung,
die in entsprechendem Zusammenhang gar wohl die Suggestion einer
Bewegung, zum mindesten eines Bewegungsbeginns oder -endes erwecken
kann, weil der Schwerpunkt völlig labil ist. Muß sie wirklich ein
Schreiten in Seitenansicht darstellen, dann wirds ein schiefes oder ein
plump-plattfüßiges Stehen, dessen gröbste Auswüchse in Avignon sichtbar
sind. Da ist es nun wichtig, daß auf allen Pisaner Fresken ein Schreiten
kaum vorkommt. Wie es im Triumph in der analysierten Weise ver-
mieden ist, so ist es auf dem die Felsstufen herabkommenden Mönch
etwa in der Mitte des Einsiedlerbildes zu einem hier fast den Eindruck
des Rutschens erweckenden Stehen auf parallelen Beinen erstarrt.
Sehr ähnlich wie der Mann im Jagdgefolge stehen die Engel im
Gericht da und wollen mit ihrer leichten Eleganz durchaus nicht in
den traditionellen Ernst * italienischer Gerichtsdarstellungen passen. —
Droben in der Höhe noch eine Figur, die höchst fremd anmutet. Nicht
nur, daß das Motiv der Maria neben Christus ikonographisch nicht nach-
weisbar ist: die ganze Gestalt ist nicht für diese Szene, ist nicht in Pisa
222
Georg Graf Vitzthum:
erschaffen. Es könnte eine Krönungsmadonna sein, es ist eine Ver-
kündigungsmadonna, so wie sie sehr verwandt in den Heures de Jeanne II
erscheint (fol. 39, pl. XIV). Im Sitz, der zurückgeschwungenen Haltung des
Oberkörpers, dem dagegen vorgeneigten Kopf und der Anordnung des
Gewandes über den Knien findet sie ihre nächsten Parallelen in französi-
schen Handschriften, wie etwa den Coutumes de Beauvaisis der Berliner
Bibliothek, Hamilton 193, vom Jahre 1283 (passim).
Zwei Dinge blieben uns bei dem Versuch, die einzelnen Formen
der Fresken aus Italienischem herzuleiten, unerklärt: die Bäume und die
Tiere. Auch für diese finden wir Aufschluß in der französischen Hand-
schriftenmalerei. Die Bäume sind denen in den Heures de Jeanne II
am ähnlichsten. Zwar stehen auch diese in den vollen Umrissen der
dichten Kronen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der stark
auf einzelne Ranken und Zweige hin arbeitenden früheren Kunst. Eher
wären in der Tapisserie Vorbilder zu suchen. Jedenfalls aber ist die
Priorität der Handschrift für Pisa ausschlaggebend. Das eigenartige
Gewächs hinter den Bettlern bezeugt den Zusammenhang hoch stärker.
Völlig an die Traditionen der französischen Illuministen schließt
hingegen die Tierdarstellung an; in Motiven wie Formen. In jenem
reichen Band- und Rankenwerk, das sich auf den mit Miniaturen und
Zierbuchstaben geschmückten Seiten der Handschriften um die Kolonnen
des Textes legt, treiben .allerlei Lebewesen, Menschen, Vierfüßler und
Vögel, und Zwittergestalten in unerschöpften Variationen ihr Spiel. Unter
den Vierfüßlern stehen Hund und Hase obenan. Der graue Windhund,
der ventre ä terre dem schnellfüßigen Hasen nacheilt, kehrt allenthalben
wieder, und es kommt dem Maler nicht darauf an, auch einmal das
Spiel umzukehren und den Hasen dem Hunde nachjagen zu lassen. 24)
Lieber aber noch sitzt jener friedlich in einer Ecke des Rankenbandes
oder unter einem Baum im Initial. Und wo das Band wirklich zum
Zweige sich wandelt, da sitzen Vögel regelmäßig gereiht oder einzeln,
stets mit großer Bestimmtheit gezeichnet, und zwar betonen frühere
Handschriften ausdrücklich den festen Umriß des Vogelleibes statt des
freieren Spieles des Gefieders später.
Beides, die Art der Anbringung, locker auf dem geraden Streifen
hin verteilt oder ganz für sich, wie vor allem der Stil der Zeichnung
kehrt nun bei den Tieren des Triumphes in einer Weise wieder, die
ohne jede Einschränkung französisch genannt werden muß. Die drei
Hunde unten, ganz bezeichnend der große ohne jede Beziehung zu seinem
*4) s. Brabantini über naturalis, datiert 1295. Berlin, kgl. Bibi. Hamilton 114,
fol. 154 V.
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
223
Führer völlig dekorativ, wie unmittelbar einer Handschrift ent-
nommen, der kleine in der Hand der vordersten Frau, die Jagdvögel
auf der Hand der Falkoniere, der Fasan am Felsrand, vor allem der
sitzende Hase verleugnen ihren Ursprung keinen Augenblick.
Die fratzenhaften Köpfe der Bettler und der Greise des Gerichts,
die wir in Avignon wiederfanden, lassen sich auch bis nach Frankreich
verfolgen: im Breviaire de Belleville z. B. sehen wir einen auf der von
Delisle, Notize de douze livres royaux pl. XVII abgebildeten Kalender-
seite, und die Hirten auf fol. 53 des erwähnten Livre d’heures bei
Thompson (pl. XVI) stehen den Bettlern in den Grundlagen der Typen,
in der Art zu sitzen und die Hände zu bewegen sehr nahe. — Die
Hände! das ist das Letzte, sehr Wichtige. Auch hier war Avignon das
Nächste und auch hier müssen wir weitergehen bis Frankreich. Die
eigentümlichen Handbildungen des Triumphes: das Herauswachsen aus
dem dicht anschließenden Ärmel und die Stellung und Bildung der
Finger, die entweder gabelförmig ohne Unterschied der Länge mit
beträchtlichen Zwischenräumen gerade nebeneinander stehen oder sich
dicht einrollen, so daß nur der Zeigefinger in auffallender Länge und
ohne jede knochige Gliederung sichtbar bleibt; als Zwischenstufe die
Hände des sitzenden Bettlers, wo alle Finger parallel zu dem nach außen
sich biegenden kleinen Finger stehen: dies alles kommt in französischen
Handschriften besonders um die Wende des Jahrhunderts vor. Eine
Hand wie die Linke der zitherspielenden Frau • könnte man für genaue
Kopie halten. Neben den Formen sind es aber vor allem die Verwendung,
die Haltung, die Geberden. Die mit ausgestrecktem Zeigefinger hin-
weisenden, die erschreckt geöffneten, schmerzlich übereinandergelegten,
leicht nur greifenden, still niederhängenden, 25) das ganze Register der
lyrischen Mimik auf dem Triumph, der dramatischen auf dem Gericht
ist französisch. Man wende nicht ein: Giotto! Er kennt das Geheimnis
der Hand, aber er verwaltet es mit der Ökonomie, die ihm in allem
eigen ist: das Höchste mit wenigstem zu geben. Wie viele Figuren,
bei denen die Hände gar nichts sagen, wohl ganz verborgen sind, und
wie beschränkt die Variation der Gesten! Nur das Ganze, dem sie sich
einordnen, macht sie neu. Und die Sienesen? Schön sind ihre Hände,
üppig und voll, wert, mit allem Eifer hervorgezogen, liebevoll stets in
neuen Lagen gezeigt zu werden. Aber sinds Gesten? solche, die aus
dem aktiven Zusammenhang mit dem Ganzen des Körpers fließen; ists
Spiel der Hände, das im flüchtigsten Bild die Tiefen der Seele enthüllt?
25) Wichtig auch die »rechnenden« Hände der Frau auf der Kreuzigung, ein vor
allem in Rechtsbüchern ungemein häufiges Motiv.
224
Georg Graf Vitzthum :
Da stehen wir vor dem Letzten, Fraglichsten: dem Ethos der
Menschen, dem Blick der Augen, dem Gebaren des Leibes, dem Innersten
in der Persönlichkeit und im gegenseitigen Sichbegegnen, Ausdruck, Körper-
bewegung, Gruppierung. Als die Höhepunkte wieder die Kinder der
Welt und der Jagdzug. Des Rätsels Lösung ist nur Frankreich, französische
Gotik, wo immer man sie fassen mag. Für das Lächeln des Weibes ist
wieder der Ludwigspsalter das reinste Vorbild. Im innigsten Zusammen-
hang mit den leicht sich schmiegenden Körpern ist es da nicht irgendwie
stilistische Besonderheit, die wir uns modern deuten, sondern tiefste Ein-
sicht in die Regungen der Seele. Das beweisen die lächelnde Sara
(Omont VII), Potiphars Weib (O. XIX), die Söhne vom Stamme Benjamin
(O. LXVI).
Wie liegen nun die Verhältnisse bei Traini? Seine großen Heiligen
haben nichts, was nicht aus italienischer Schulung erklärt werden könnte.
Anders die kleinen Dominikustafeln. Wenn wir die Figuren darauf
leichthin charakterisieren wollten, so könnten wir wohl sagen, sie stünden
zwischen Siena und Florenz mitten inne, zeigten sienesische Bewegungs-
und Gewandmotive in florentinischen Proportionen und florentinischem
Zeichenstil. Aber es scheint fraglich, ob wir nicht (auch abgesehen von
den Bettlern im letzten und dem Hunde im ersten Bild, für die dasselbe
zu gelten hat, wie für die Armen und Tiere im Fresko) weiter Umschau
halten müssen. Die ungeheuere Präzision der Zeichnung in Gesichtern,
Händen und in den mit den leichtesten Mitteln erstaunlich scharf in die
weit aufgehellten Flächen der Gewänder eingetragenen Faltengraten hat
selbst bei Technikern wie Ambrogio Lorenzetti und Bernardo Daddi nicht
ihresgleichen. Und die Auffassung der Formen und Bewegungen hat
sichtlich etwas Fremdes. Das liegt vor allem in den frei und stets in
leichter Drehung auf den Körpern aufsitzenden Köpfen und in den
Extremitäten mit der außerordentlichen Mannigfaltigkeit und Innerlichkeit
der Innervation. Als eine Figur, die völlig fremd anmutet, sei ins-
besondere der Pferdeknecht bei dem Erweckungswunder erwähnt. Auch
ohne bestimmten Beleg ist an anderen als französischen Ursprung dieser
preziösen Gestalt nicht zu denken.
Auf Zusammenhänge mit der älteren französischen Buchmalerei deuten
auch die ornamentalen Motive. Die Flächen zwischen den Vierpässen
und den rechteckigen Hauptrahmen sind mit gepreßten Blattmustern gefüllt.
Den Baldachin des träumenden Papstes schmücken zarteste Ranken mit
dünnen, spitzen Blättern. Sie stimmen überein mit den Mustern des
Mantels Christi auf dem Auferstehungsfresko. Reich dekorierte Gewänder
und Stoffe sind in Italien, in Siena besonders, durchaus keine Seltenheit.
Simone bringt sie in Fülle. Aber unter allen ist uns ein derartiges Ranken-
Von den Quellen des Stils im »Triumph des Todes«.
225
muster nicht begegnet. Mit Ausnahme der eckigen Zweige auf des
Guidoriccio Gewand und Pferdedecke finden sich bei ihm nur geo-
metrische Motive gleichzeitig — italienischen oder vorderasiatischen Ur-
sprungs. Pflanzliche Motive zeigt Ambrogio Lorenzettis Madonna in der
Akademie zu Siena (Phot. Lombardi 781), jedoch nur in Reihung, nicht
in fortlaufender Ranke. Hingegen ist das allernächst Verwandte zu dieser
pisanischen Form in dem Ludwigspsalter zu finden (Omont 25 — 28, 43,
45> 47 — 5°> 52~ 7 8 und die Psalteranfänge, merkwürdig abweichend von
den schweren Ranken der übrigen Blätter).
Die hier aufgewiesenen sehr vereinzelten Symptome eines französischen
Einflusses bei Traini können die richtige Wertung erst in Verbindung mit
den Ergebnissen für die Fresken finden. Und so versuchen wir zusammen-
zufassen.
Wir fanden drei Gruppen pisanischer Malereien: Ostwand, Südwand,
Trainitafeln mit nicht fest erweisbarem persönlichen, jedoch ganz über-
zeugendem lokalen Zusammenhang. Das zeitliche Entstehungsverhältnis
ist nicht völlig gesichert. Aller Wahrscheinlichkeit nach steht Trainis
Dominikus 1345 voran, die Fresken folgen in einem Abstand von etwas
mehr als fünf Jahren; der qualitative Unterschied zwischen Ost- und
Südwand kann einer relativen Datierung nicht zugrunde gelegt werden.
Die geringeren Fresken derOstwand stehen in engstem Zusammen-
hang mit Fresken, die 1345 in Avignon vollendet sind. Dies ist in jedem
Falle durch Priorität dieser und wahrscheinlich durch persönliche Anwesen-
heit des pisanischen Künstlers in Avignon zu erklären. Denn die
Besonderheiten des avignonensischen Stils sind durch seine Ausbildung
auf nicht-italienischem Boden bestimmt.
Vereinzelte Beziehungen zu Avignon weist auch die Kunst Trainis
sowie des Triumphes auf. Daneben machen sich auf diesem sehr weit-
gehende, bei Traini nicht so unmittelbare Einflüsse der französischen
Buchmalerei und Elfenbeinplastik von dem Ende des 13. und der ersten
Hälfte des 14. Jahrhunderts geltend.
Diese erfordern an sich die Anwesenheit der Maler in Frankreich
nicht. Sie sind durch Werke der Kleinkunst vermittelt, die in Pisa ein-
geführt sein könnten. Hingegen machen die Avignonensischen Motive —
die größtenteils unabhängig vom Meister der Ostwand, also nicht von
ihm genommen sind — einen persönlichen Aufenthalt daselbst wahr-
scheinlich. Für Traini, der zwischen 1322 und 1337, 1337 und 1341
oder endlich noch zwischen 1341 und 1344, wo Nachrichten über ihn
fehlen, am Papsthof gewesen sein könnte, blieben die Formen seiner
Berührung mit der dortigen Kunst allzu hypothetisch. Der Meister des
Triumphes aber hat gewiß in naher Beziehung zu den französischen
22Ö
Georg Graf Vitzthum: Von den Quellen des Stils usw.
Künstlern gestanden und hat vor allem auch die Gelegenheit zum Studium
der in der päpstlichen Bibliothek reich vertretenen älteren und gleich-
zeitigen französischen Buchmalerei genützt. Durch und durch italienisch,
im besonderen Anschluß an Ambrogio Lorenzetti geschult, hat er sich
nicht mit einer allgemeinen Modifizierung seines Stiles begnügt. Er hat
sich vielmehr ohne Zweifel eine reiche Sammlung von Skizzen nach
französischen Motiven (z. B. Jagdzug, Meutenführer, Tiere, Bäume,
Musikanten, sitzende Figuren, Köpfe, Hände) angelegt; Diese benutzte
er bei dem großen Werke, zu dem man ihn in (seiner Vaterstadt?)
Pisa berief.
Aus solcher Tatsache sind nicht nur der Figurenstil, die Formgebung
wie die Grundlagen der Empfindung, sondern vor allem die Eigen-
tümlichkeiten der Komposition zu erklären. Diese beruht ja im
Grunde auf einer höchst losen Aneinanderreihung von einzelnen, z. T.
nachweislich ganz von außen übernommenen Gruppen. Die erstaunliche
Einheitlichkeit der Wirkung ist demgegenüber gewonnen aus der festen
Orientierung aller Teile zu dem nahen, für das Gefühl völlig* kontinuier-
lichen Grunde. Will sich »die räumliche Tiefe nirgends ergeben, um
Höhe und Breite miteinander auszugleichen, wie nur sie es vermag«,26)
so erklärt sich dies als natürlichste Folge der Basierung der Komposition
auf die völlig auf das Figürliche beschränkten Motive der französischen
Kunst.
Der Mangel einer höheren Instanz ist es, wodurch sich die Kunst
des Triumphes gleich stark abhebt von dem Stil in Siena, der mit allem
Reichtum des Räumlichen schaltet, und dem Florentinischen, der in den
feinsten Abwägungen der Massen alles zu einem Organismus eint. Gerade
in den beiden Fresken, die eine Lösung nach florentinischem (Gericht)
oder nach sienesischem Ideal (Einsiedler) so nahe legten, zeigt sich die
Selbständigkeit, deren Fundamente im Triumph zutage liegen. In diesen
Folgen erst erweist sich ihre Wucht. Die durch (und in) Avignon ver-
mittelte Einwirkung französischer Elemente bedeutet nun nicht nur ein
auf den einen, persönlich bedingten Fall beschränktes Aufnehmen fremder
Form- und Gefühlsideale, sondern die Ausprägung eines neuen Bildideals,
das für die Folgezeit nicht ohne Wirkung geblieben ist.
*6) Schmarsow, Masaccio-Studien S. HO.
Archivalische Beiträge
zur älteren Nürnberger Malereigeschichte:
I. Ott Voß. II. Die Familie Praun-Löblich.
Von Albert Gümbel.
In dem Vorwort zu seiner grundlegenden Darstellung der Nürnberger
Malerei im 14. und 15. Jahrhundert hat Thode es beklagt, daß für
diese Zeit einer Menge anonymer Bilder, deren Meister wir nicht kennen,
auf der anderen Seite eine gleichfalls nicht unbeträchtliche Fülle von
Malernamen gegenübersteht, ohne daß es, abgesehen von ganz vereinzelten
Fällen, möglich ist, eine Brücke zwischen hüben und drüben zu schlagen.
Auch den nachstehenden Mitteilungen könnte man den Vorwurf
der Einseitigkeit machen, da sie nur neues biographisches Material
über einige zwar mit Namen bekannte, nach ihrer Bedeutung aber
mangels beglaubigter Werke nicht abzuschätzende Meister beibringen,
somit nur die von Thode bemerkte Fülle der historischen Daten ver-
mehren. Gleichwohl ist Verfasser der Überzeugung, daß auch Arbeiten
dieser Art nicht ganz ohne Verdienst sind und nicht unterbleiben dürfen,
denn abgesehen davon, daß jeder Tag einen glücklichen Fund, eine neue
Nachricht bringen kann, die den einen oder anderen Meisternamen in
den Vordergrund rücken kann, haben wir doch in allen diesen Wein-
schröter, Landauer, Voß, Pleydenwurff, Schön usw. die Männer vor uns,
die den Boden bereiteten für eine spätere, über alle Erwartung köstliche
Ernte, für die dürerische Kunst.
Von diesem Gesichtspunkt aus mögen auch die nachstehenden
archivalischen Notizen freundliche Aufnahme finden!1)
') Vor dem Eintritt in mein heutiges Thema möchte ich eine nachträgliche Be-
merkung zu meinen Aufsatze: Meister Berthold von Nürnberg ein Glied der Familie
Landauer (Rep. f. Kunstwissenschaft Bd. 26) machen, welche geeignet scheint, künftiger
Irrtümern vorzubeugen. Gleichzeitig mit dem Maler lebte nämlich in Nürnberg ein
Berthold Landauer, welcher das angesehene und wichtige Amt des Ratsschreibers be-
kleidete. Ob er in verwandtschaftlicher Beziehung zu dem Meister stand, ist nicht fest-
zustellen, aber sehr wahrscheinlich. Der bekannte Nürnberger Annalist Johannes
Müllner, der selbst Ratsschreiber war, stellt in seinen Jahrbüchern (Konzept und Abschrift
im Kreisarchiv Nürnberg), bei der Schilderung des Nürnberger Stadtregiments eine Liste
2 28
Albert Gümbel:
I. Ott Voß.
Die Familie dieses Meisters dürfte keine einheimische gewesen sein,
sondern nach Nürnberg zugewandert. Vielleicht war er der Sohn des im
Jahre 1416 in Nürnberg als Neubürger aus den Handwerkern auf-
genommenen Ott Voß, eines Taglöhners im Drahtziehergewerbe,* 2 3 4 5) oder
eines 1410 Bürger gewordenen Leinewebers Eberhart Voß.3) Vor dem
letzteren Jahre konnte ich Glieder dieser Familie in Nürnberg bisher
nicht finden. Unser Meister wird erstmalig 1427 als »Ott Voß maler«
in der Losungs- oder Steuerliste der Sebalder Stadtseite genannt, und
zwar wohnte er in dem Häuserviertel, welches umschrieben wird mit den
Grenzen: Des Pairrewterseck hinumb für den Kolditzer mitsampt der
mittelgassen vnd für den Fürrer bis zu dem Ledertiirlein vnd bey der
mawr wider herab vntz an daz molertor.4) Murr in seinen Malerlisten
aus den Nürnberger Steuerbüchern 5) nennt ihn 1427 — 1430 auf der
Sebalder Stadtseite neben Berthold Landauer und einem »Endres Moler«
und erwähnt ihn dann nicht mehr, doch ist sein ständiger Aufenthalt in
Nürnberg während der nächsten achtzehn Jahre urkundlich bezeugt. So-
wohl das »Grabenbuch«6) voll 1430, wie die Sebalder Steuerlisten von
1433, 1438 und 1440 führen ihn, bald als Ott Maler (1430 und 1433)
bald als Ott Voß (1438 und 1440) auf. Aus dem Jahre 1433 besitzen
wir sodann eine Strafverfügung des Nürnberger “Rates gegen ihn, er
mußte sich, wohl wegen häuslicher Händel, die zum öffentlichen Ärgernis
geworden waren, einer Strafhaft von acht Tagen unterziehen, seine Ehefrau
seiner Amtsvorgänger auf und setzt die Tätigkeit Berthold Landauers in die Jahre 1410
bis 1419. Man sollte annehmen, daß Müllner für sein Namenverzeichnis genügendes,
urkundliches Material zur Verfügung stand, gleichwohl liegt aber ein Irrtum des
Annalisten vor, indem jener Ratsschreiber Landauer bereits im Jahre 1413 verstorben
war. Dies geht mit aller Bestimmtheit aus einem Eintrag in einem Nürnberger Bürger-
buch (Abschrift in der Kgl. Bibliothek zu Bamberg Ms. hist, in fol. Nr. 62) hervor, wo
sich unter den im Jahre 1413 als Bürger aus dem Stande der Nichthandwerker Aufge-
nommenen — für diese, jährlich meist nur wenige Namen umfassende Gruppe existierten
eigene pergamentene Bürgerbücher — genannt findet: »Kathrey des Bertold Landawers,
vnsers Schreibers, wittib.«
а) Kgl. Kreisarchiv Nürnberg. Bürgerbuch Nr. 233, pag. 156b: Ott Voß, T[ag-
werker] auf drotziehen, dedit 2 gülden.
3) Ebenda pag. 147a: Eberhard Voß, Leinweber, dedit 2 gülden.
4) Das Moler (Maler, Müller)thor, so genannt nach den benachbarten Kloster-
mühlen von St. Katharina, erhob sich am Ausgang der heutigen Ebnersgasse zwischen
dieser und dem Heugäßlein. Mummenhoff, Mitteil, des Ver. f. Gesch. d. Stadt Nbg.
XIII, 253.
5) Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur, Bd. XV.
б) Über dieses siehe meinen Aufsatz »Meister Berthold etc.« 1. c.
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte.
229
erhielt einen viertägigen Hausarrest. 7) Seit dem Beginne der vierziger Jahre
fließen die biographischen Quellen etwas reichlicher, doch bieten sie an
Nachrichten über das künstlerische Schaffen des Meisters, die uns am
wichtigsten wären, nur eine Notiz, und diese von sehr bescheidenem
Werte. Das übrige archivalische Material betrifft des Künstlers Familienleben
und ist, wie schon die Strafsentenz vom Jahre 1433 ahnen läßt, sehr
unerfreulicher Natur. Die verschiedenen Szenen dieses Familiendramas: Ent-
führung der Tochter des Meisters, Kuppelei und Ehebruch zeigen uns weder
das Haupt noch die Glieder der Familie in besonders vorteilhaftem Lichte.
Es möge nun zunächst die Nachricht über eine Tätigkeit des
Meisters für eine Kirche in der Nähe Nürnbergs folgen. Im Jahre 1443
erhob laut Manuale des kaiserl. Landgerichts des Burggraftums Nürnberg7 8 *)
»Ott Maler von Nuremberg« am 5. September genannten Jahres vor dem
in Nürnberg tagenden Landgerichte Klage gegen die Gotteshauspfleger
der Kirche zu Zirndorf9) auf Bezahlung von 26 groschen »umb zwelf-
boten« die er dem Gotteshause um diesen Preis »gemacht« oder nach
dem Ausdruck der Urteilsbücher »dafür zu kaufen geben« hatte. Ob es
sich bei dieser Darstellung der zwölf Apostel um ein Tafelgemälde,
Glasmalereien, Fresken oder Schnitzwerke handelte, ist aus diesen kurzen
landgerichtlichen Protokollen nicht zu ersehen, doch dürften hier Skulpturen
gemeint sein, sonst würde wohl die Bezeichnung »tafel« gebraucht sein,
auch die Ausdrücke »kaufen« und »machen« scheinen besser hierzu zu
stimmen. Bei der Niedrigkeit des Preises können wir uns freilich diese
Schnitzereien, selbst wenn es sich nur um einige wenige Apostelgestalten
handelt, in bezug auf Umfang und künstlerische Qualitäten nur als recht
bescheiden vorstellen.10)
Der Eintrag im Gerichtsmanuale hat folgenden Wortlaut:
Judicium in Nuremberg feria quinta post Egidii (= 5. September)
anno domini MoCCCC°XLo tercio etc.
7) K. Kr.-Archiv Nürnberg. M. S. 326, fol. 30: Foß maler promisit 8 tag supra
versperrt tum. uxor eius promisit 4 tag in irem haus zu seyn umb Verhandlung (= üble
Handlung, Vergehen).
®) Über Geschichte und Wesen dieses kaiserlichen Landgerichtes, sowie die hier
in Betracht kommenden Archivalien vgl. die gut orientierenden Bemerkungen bei Rieder,
Landgericht an dem Roppach in neuer urkundlicher Beleuchtung mit Exkursen über
andere Landgerichte, insbesondere das des Burggraftums zu Nürnberg (57. Ber. Uber
Bestand und Wirken des histor. Vereins zu Bamberg, 1896).
9) Ein ehemals Ansbachisches Pfarrdorf bei Fürth, bekannt als ein Stützpunkt
des Wallensteinschen Lagers vor Nürnberg, Sommer 1632.
10) Möglicherweise dürfen wir aber auch an Tonbildwerke denken, in der Art
der Kalchreuther Apostel. Vgl. Pückler-Limpurg, Die Nürnberger Bildnerkunst um die
Wende des 14. und 15. Jahrhunderts, Teil II, Kap. III: Die Schule der Tonbildwerke.
230
Albert Giimbel :
Ott Maler von Nurjemberg] [klagt] ad Cuntz Kötzler, ad Frits
Weyler, ad Cuntz Zwinger zu Zirndorff pro debito 26 grosch, die im ir
voriger pfarrer seligen von derselben pfarre wegen schuldig beliben ist
umb zweitboten, die er dann in das genant gotzhus darfur gemacht hat,
die ihm langst bezalt solten sein worden, das aber nit geschehen ist;
darumb so hofft er, das die genanten gotzhusmeister deseiben gotzhus
im die billichen und von recht an dez gemelten pfarrers seligen statt
von der kirchen wegen ausrichten und bezalen sollen, dez konn er on
gerfichts] hilf nit bekfumen]. damnum 4 flor.
Der betreffende Vortrag im Urteilsbuch lautet:
Judicium in Nuremberg feria quinta post Egidii anno etc. XLIIIcio
Ott mal er von Nuremberg [klagt] ad Cuntz Kötzler, ad Fritz
Weyler, ad Cuntz Zwingei zu Zierndorff pro debito 26 grosch, die sie
im schuldig worden seint von dez gotzhus wegen daselbst umb zwelf-
boten, die er ine als gotzhusmeistern der genanten kirchen und pfarr
darfur ze kaufen geben, die im langzit von in unbezalt ausgestanden sint
und standen im noch aus und verziehen im die ferlich mit gewalt on
r[echt]. dampnum 3 flor.
Das Urteil dürfte nicht im Sinne der Klage ausgefallen sein; die
Kirchenmeister scheinen den Nachweis geliefert zu haben, daß sie den
Kaufpreis bereits bezahlt hätten. Das Urteilsbuch hat nämlich am Rande
die Bemerkung: Nota sie habens dem pfarrer zu K[adolzburg?] geben.
Dieser Pfarrer war wohl der Testamentsvollstrecker seines verstorbenen
Zirndorfer Amtsbruders. Weiteres wird über den Handel nicht berichtet.
Was nun das übrige urkundliche Material betrifft, so ist dieses, wie
schon bemerkt, rein biographischer Natur und gewährt uns einen keines-
wegs erfreulichen Blick in das private und Familienleben des Malers.
Die erste hierher gehörige Urkunde ist der Urfehdebrief eines Schlossers
Heinrich Hewnfelt vom 12. Dezember 1442 nach seiner Entlassung aus
dem Gefängnis, in das ihn der Nürnberger Rat hatte legen lassen, weil
er, obwohl verheiratet, die Tochter des Meisters entführt und mit ihr in
fremden Landen herumgezogen war.11) Drei Jahre später kam der
Meister selbst wieder wegen eines Rauf handeis, wobei er vom Leder
gezogen und gemeinsam mit einem Bäckerknechte den Nachtwächter
mißhandelt hatte, in Konflikt mit den öffentlichen Gewalten. Diesmal
fiel die Strafe nicht so glimpflich aus, wie vor zwölf Jahren, der Maler
wurde zu einer vierwöchentlichen Haft in einem finsteren Kämmerlein
und zum Stadtverweis auf zwei Jahre verurteilt, doch sollte ihm das
") K. Kreisarchiv Nürnberg. Urk. des siebenfarbigen Alphabets S. V *9/i Nr. 2189.
Vgl. Beilage I.
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte.
231
zweite Jahr der Verbannung im Gnadenwege erlassen werden können.12)
Dies scheint denn auch geschehen zu sein, denn schon Ende des Jahres
1446 finden wir unseren Meister wieder in Nürnberg anwesend und —
in neue böse Händel verwickelt, die zur Trennung seiner Ehe führten.
Es scheint freilich, als ob hier der größere Teil der Schuld auf weiblicher
Seite zu sehen sei, jedenfalls spielt die Ehefrau in der ganzen Angelegen-
heit eine sehr schlimme Rolle.
Soweit sich die Sache auf Grund von Beschlüssen, Korrespondenzen
und Strafverfügungen des Rates überblicken läßt, war der Hergang folgen-
der: die Frau scheint des ehelichen Zusammenlebens mit dem Manne in
solchem Maße überdrüssig geworden zu sein, daß sie zur Erzwingung
der Scheidung zu dem schändlichen Mittel griff, ihrem Ehemanne durch
eine alte Gelegenheitsmacherin eine Frauensperson zuführen zu lassen.
Dieser Plan scheint nur allzu gut gelungen zu sein, und die Ehe wurde
»aus Verschulden des Mannes« durch die bischöflich Bambergische Kurie
getrennt. Kunigunde Voß begab sich selbst zur Betreibung des Schei-
dungsprozesses nach Bamberg und hatte überdies jene Verführerin zu
veranlassen gewußt, sie dorthin zu begleiten und ihre entscheidende Aus-
sage vor dem Bamberger Official abzulegen. Doch die schlimmen
Machenschaften der Ehefrau wurden in Nürnberg ruchbar und der Rat
griff mit scharfen Strafen ein. Eis Ambergerin, die sich zur Rolle der
Verführerin hergegeben hatte, wurde ins Gefängnis geworfen und nach
ihrer Entlassung drei Jahre aus der Stadt verbannt ;T3) Kunigunde Voß
n) Ebenda. Ratsbuch 1 b, fol. 146a: Item dem peckenknecht, der mitsampt dem Ott
Fuß den nachtwachter geslagen hat, nachstellen.
Otten Fuß, maler, und den nachtwachter gen einander hören und denselben Ottcn
sein puß geloben lassen.
Ebenda. Manuskript 326, fol. 92b: Ott Fuß, maler, ist gestraft worden vier wochen
in einem vinstern kemerlein und zwei jar 3 mail von hinnen zu sein, halb auf gnade
und halb on gnade, und von dem werzucken und beuderlingen (I), so er über Frittzen
Beyer, nachtwachter, getan hat, daz gelt zu geben on gnad. und wer ez, daz er den
nachtwachter gewundet hatte, soll er das gelt von der wunden und dem richter sein
recht geben auch on gnade, actum feria quarta post Erhardi (= 13. Januar) anno [1 4]45-
Terminus in die puß zu geen und daz gelt zu geben hie zwischen und ostern
und in 14 tagen darnach soll er sich von hinnen machen und das gelt von werzucken
und beuderling soll er geben hie zwischen und ostern und die büß hat er also ge-
schworen ze halten und das geld zu geben, juravit für die fünf feria sexta post
Sebastiani et Fabiani m. (= 22. Januar) [1445].
>3) K. Kreisarchiv Nürnberg. Manuskript 415, fol. 100 b: Eis Ambergerin von
Gostenhof, als die durch ain alte kuplerin, nemlich Margareth Hanns Schwebin, dem
Voßen maler zugefurt und mit im süntlich zugehalten, das sie den desselben Voßen
malers weib, die dann von demselben irem man gelaufen und sich von im schaiden
wolt, unbezwungenlicli hie und darüber mit ir gein Bamberg zogen ist und solchs
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 1 7
232
Albert Gümbel:
blieben fortan die Tore Nürnbergs verschlossen. Gegenüber ihren Bitten
um freies Geleit nach und von Nürnberg, um sich zu verantworten, ihr
Hab und Gut zu veräußern und sich vermögensrechtlich mit ihrem ge-
schiedenen Manne auseinander zu setzen, bestand der Rat unerbittlich
darauf, daß sie sich erst der ihr wegen ihrer Verfehlungen zugedachten
Strafe unterziehen bezw. das freie Geleite sich auf diesen Punkt nicht
erstrecken solle. I4) Vergebens war die Intervention des Bischofs Antonius
von Bamberg und seines Offizials Michael Ludwici, vergebens auch die
Verwendung der Stadt Prag, wohin sich die Ehefrau von Bamberg be-
geben zu haben scheint. Der Rat wollte auf ihre Bestrafung nicht ver-
zichten und versprach nur die Bitten ihrer Gönner beim Strafausmaße zu
berücksichtigen (Beilagen II — IV).
Das Antwortschreiben des Nürnberger Rates an die Prager Altstadt
vom April 1448 ist das Letzte, was wir über diesen Handel und unseren
Meister überhaupt hören. Ob er etwa auch der verheerenden Seuche
des Jahres 1449 zum Opfer fiel oder wann und wo er starb, ist heute
noch nicht möglich zu sagen.
II. Die Familie Praun-Löblich.
Der Begründer dieser in Nürnberg während des 15. Jahrhunderts
durch mindestens vier urkundlich bezeugte Glieder vertretenen Maler-
familie scheint der im Jahre 1416 dorthin eingewanderte und als Bürger
aufgenommene »Prawn Löblich Moler« gewesen zu sein. *5) Zum zweiten
Male erscheint derselbe urkundlich in den anläßlich der Hussitengefahr
1429 angelegten Stammrollen der über 18 und unter 60 Jahren alten
Bürger16) im Barfüßerviertel als »Prawn moler«. Er muß damals eine
größere Werkstatt besessen haben , da er mit zwei Gesellen arbeitet.
daselbst zu Bamberg vor dem official auch bekannt hat, dardurch dieselben zwei eeleut,
die dann vor lange zeit hero bei einander heuslich gesessen, von einander geschaiden
worden sein, darumb sie zu fängknus körnen ist: juravit urphed von der fängknus wegen
im loch und mit der stat leuten und gutem ut in forma und darzu umb solch ir Ver-
handlung drei jahre drei meil von hinnen zu sein auf gnade, actum feria sexta post
Lucie (= 16. Dezember) anno ut supra (d. h. 1446).
•4) Nürnberger Ratsbuch ib, fol. 183b: Als die Voßin dem rat aber schrieb und
bat ir gelait her zu geben, also ward irem boten geantwort: wöll sie einr straf beim
rat beieiben, so ward ir gelait gegeben, als dem bischof von Bamberg von iren wegen
auf söllich mainung auch zugeschrieben ist. act. sabato post Künigundis (= 21. März
1447). Vgl. auch Beilage IV.
J5) K. Kreisarchiv Nürnberg. Bürgerbuch Nr. 233, Neu burger oder burgerin nach
dem neuen rat. Vrbani anno Mmo CCCCmo XVImo, fol. 1576 Prawn Löblich Moler
dedit 1 gülden. Der Vorname Prawn — Bruno erscheint auch sonst in den Nürnberger
Bürgerlisten.
*6) Ebenda. Akten des siebenfarb. Alph. Alt Grün B.
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte.
233
Die Nürnberger Steuerbücher, die freilich nur lückenhaft erhalten sind,
führen ihn zuerst im Jahre 1430 als »Prawn Löblich« auf der Lorenzer
Stadtseite und im gleichen Jahre das »Grabenbuch«1?) unter den Ein-
gesessenen der Lorenzer Pfarre als »Prawn Moler« auf. Die Lorenzer
Steuerlisten von 1433 und 1438 tun seiner als »Prawn Löblich« und »Prawn
Moler« an gleicher Stelle wie 1430 Erwähnung. Die nächsten urkundlichen
Notizen datieren schon aus seinem Todesjahre 1441 und zwar ist uns zunächst
eine gegen ihn ergangene Strafsentenz des Nürnberger Rates überliefert, wodurch
er wegen der gegen einen gewissen Wolfsteiner ausgestoßenen Schmähungen
zu einer achttägigen Turmhaft verurteilt wurde,18) sodann kennen wir
die Inschrift seines in der Lorenzerkirche befindlich gewesenen Toten-
schildes oder Grabsteines. Darnach ist der Maler am Sonntag nach
St. Johannis des Täufers Tag (25. Juni) 1441 gestorben. Daß er mit
einer gewissen Margaretha verheiratet war, zeigt uns der gleichfalls früher
in der Lorenzerkirche vorhanden gewesene Totenschild der Ehefrau,
welche acht Jahre nach ihm, am 8. August 1449, in Nürnberg starb. J9)
Im gleichen Jahre 1449 erscheint zum ersten Male, jedoch auf der
Sebalder Stadtseite, ein Fritz Prawn Maler in den Murr’schen Meister-
listen, den wir in den Steuerregistern bis zum Jahre 1480 verfolgen
können. Daß er in verwandtschaftlichem Zusammenhang mit dem obigen
Prawn Löblich stand, also wohl sein Sohn war, beweist der in der
Steuerliste von 1465 bei seinem Namen gemachte Zusatz »alias Löblich«.
Auffälligerweise nennt ihn Murr nur 1449 und dann bis 1463 nicht
'7) Vgl. oben Anmerkung 6.
l8) Kreisarchiv Nürnberg. Manuskript 326, fol. 69: Prawn maler promisit
8 tag uf ein thurn, vier tag uf gnade von freveler wort wegen, die er dem Wolfsteiner
mitteilt hat.
T9) Hilpert, Die Kirche des hlg. Laurentius, Nürnberg 1831, sagt (pag. 26):
Ehedem waren auch Schilde von folgenden Familien aufgehängt, die aber weggenommen
wurden: . . . Löblich (1441 und 1449). Die Aufschriften sind uns mehrfach über-
liefert z. B. auch in einem von dem Nürnberger Arzte Dr. Mich. Rötenbeck verfaßten
Manuskript des Kreisarchives Nürnberg mit der Beschreibung der Lorenzer Kirche, be-
titelt: Monumenta et inscriptiones quae in templo s. Laurentii .legentium oculis ob-
jiciuntur (M. S. Nr. 1106). Darnach lauteten sie:
Anno Domini 1441 am Sonntag nach St. Johannis deß Tauffers tage starb
Praim (!) Loeblich, ein Maler, dem Gott ein fröliche auflferstehung geruhen wolle.
Anno 1449 auflf Freytag vor St. Lorentzen tag, da starb Margareth Praim (!)
Löblichin, sein Ehliche Wirthin, der Gott genedig sey.
Schöne Beispiele solcher lotenschilde (auch vieler Nürnberger) gibt Gerlach,
Todtenschilder und Grabsteine. Übrigens ist es, trotz Hilperts Notiz, nicht notwendig,
an zwei eigentliche 1 otenscbilde (der üblichen runden Form) zu denken; die Inschriften
können recht wohl auf einer (viereckigen) Holztafel (mit Wappen) oder einem Grabsteine
untereinander gestanden haben; die Ausdrucksweise macht dies sogar wahrscheinlicher'.
«7'
234
Albert Gümbel:
mehr, in den Jahren 1464- 66 führt er ihn als »Fritz Prawn mal er«
auf der Sebalder Stadtseite, 1474, 1476 und 1477 als »Friedrich Prawn
Moler« und »Fritz Prawn Moler« auf der Lorenzer und schließlich 1480
zum letztenmal und zwar auf der Sebalder Stadtseite20) auf.
Zu diesen Murrschen Zeugnissen tritt nun noch ein im Reichs-
archiv in München verwahrter Lehensbrief21) Sebald Pfinzings des Älteren
zu Lichtenhof22) für einen »Fritz Löblich, Prawn Maler genant«, Anna,
dessen Ehefrau und »ir beider erben, die sie miteinander gewinnen«,
über sechs Tagwerk Wiesen und einen Acker in Lichtenhof. Der nicht
ganz gewöhnliche Zusatz von den Erben, »die sie miteinander gewinnen«
sollen, macht es einigermaßen zweifelhaft, ob der in diesem Lehensbrief
genannte »Prawn Maler« identisch ist mit dem seit 1449 genannten
Maler Fritz Praun, denn er scheint doch eher auf jüngere, vielleicht
eben vermählte Eheleute zu passen. Möglich, daß wir schon die obigen
Murrschen Notizen auf zwei gleichnamige Maler bezw. auf Vater und
Sohn verteilen müssen und etwa in dem seit 1474 (nach längerer Pause)
genannten Friedrich Praun den Pfinzing’schen Lehensmann zu erblicken haben.
Dazu scheint zu stimmen, daß bei Murr im Jahre 1463 als Sohn
des von uns angenommenen älteren Fritz Prawn ein »Georg filius« ge-
nannt wird, der aber schon zehn Jahre später (am 28. Februar 1473)
in Nürnberg starb.* 23) Es wäre dies also ein Bruder des jüngeren Fritz
Praun gewesen.
Wir haben bisher vier Glieder der Familie Praun-Löblich kennen
gelernt; je nach der Auslegung, welche wir einer nicht ganz zweifels-
freien Angabe des Salbuches der Kirche von St. Sebald vom Jahre 1493
geben wollen, müßten wir diesen noch ein fünftes, einen »Jakob Prawn
maler« anfügen, welcher zwei Häuser (ein Vorder- und Hinterhaus) bei
dem inneren Frauentor in der St. Lorenzerpfarrei besaß.
In dem auf Veranlassung des Kirchenmeister Sebald Schreyer im
Jahre 1493 angelegten Salbuch von St. Sebald befindet sich nämlich
u. A. ein Verzeichnis der aus Grundstücken und Häusern in der Stadt
selbst fließenden Zinsen. Darunter ist (pag. 305 b) vorgetragen:
»Item ain egkhaus in s. Lorenntzen pfarr, zunechst bei dem innern
Frawenthor 24), gegen der Waltstromeyr haus über, den weg an Adam
*0) Doch mag hier ein Versehen Murrs vorliegen.
Il) Ansbacher Lehensbriefe Nr. 3194- Vgl. Beilage VII.
**) Pfinzingscher Herrensitz bei Nürnberg.
23) Großtotengeläutbuch von St. Lorenz, fol. 26 a: Mer leut [man] an demselben
tag (d. h. am suntag an der herren vaßnacht = 28. Februar) dem jungen Prawn maller.
Desgl. in dem von St. Sebald: Jörg Praun maler.
»4) Stand (bis c. ^98) im Zuge der heutigen Königsstraße bei dem Belreimschen,
1498 — 1502 erbauten neuen Kornhaus (jetzige Mauthalle).
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte. 235
Siegels hause und an dem Goldengeßlein gelegen, . . . [Folgen noch
Nachrichten über die Eigenzinse aus dem Hause und Schenkung des-
selben an St. Sebald durch Gerhaus, Franz Hubers Witwe] . . .
. . . Und solich hause haben etwen inngehabt Herman Nagel und
Anna, seine eeliche wirtin, eine die Jegrin genannt, Hanns Humel und
Kungund, sein eliche wirtin, Heinrich von Kulmach und Anna, sein
eliche wirtin, Hartmann Pilgreim, Contz Fugei und nach im sein eeliche
wirtin, ainer genannt der Schleyffer Jacob Prawn maler und jetzo Peter
Tunker.«
Die Frage ist nun, ob das vor dem Malernamen stehende »Jacob«
zu diesem oder etwa zum vorausgehenden »ainer genant der Schleyffer«
gehört, die Interpunktion gibt keinen Anhaltspunkt.
Aus der gleichen Eckbehausung bezog auch die Lorenzer Kirche
einen Eigenzins von 30 hl., sowie einen Zins von Ij2 tl hl. aus dem
daran stoßenden Hinterhaus »im gollengeßel«, doch bietet der auf dieses
Verhältnis bezügliche Eintrag im Lorenzer Salbuch von 1460 (mit Nach-
trägen aus späterer Zeit) ebenfalls nur den Namen »der Praun moller«.
Gleiches ist leider schließlich auch in einer Urkunde25) der Fall,
welche den,* im Sebalder Salbuche oben angedeuteten Besitzwechsel des
Eckhauses betrifft. Im Jahre 1480 wurde nämlich der Kirchenpfleger
von St. Sebald, Hanns Haller, wegen der Behausung, »bei dem innern
Frawentor am eck gelegen, darinnen der Prawn Maler und sein weib
wonhaftig weren gewesen«, beim Nürnberger Stadtgericht klagbar. Der
Maler sollte nach Angabe des Klägers das Erbrecht an diesem Hause
verkauft haben, ohne es, wie das Nürnberger Stadtrecht gebot, vorher
dem Eigenherrn, nämlich der Kirche des hlg. Sebald, zum Kaufe an-
geboten zu haben. Das Stadtgericht erkannte zu Recht, daß der Kirche
die Eigenschaft und 5 Eigenzinses zustehe, aus dem Hinterhause ge-
bühre der Kirche von St. Lorenz 1/2 tt. weniger 4 hl., dem Hanns Mayr
(den Praun als Eigenherrn anerkennen wollte) 6 fl. St. W.
Also auch diese Urkunde bringt uns keine volle Aufklärung, und
bis auf weiteres können wir den uns schon bekannten Gliedern der
Familie auch diesen Jacob Praun anreihen.
Nun drängt sich zum Schlüsse naturgemäß noch 'die Frage auf:
sind uns irgendwelche Spuren der künstlerischen Tätigkeit des alten
Praun Löblich oder seiner Söhne und Enkel erhalten oder wenigstens
Nachrichten hierüber? Das Erste muß leider verneint werden, auch an
direkten Nachrichten fehlt es durchaus, aber vielleicht bietet uns eine
anderweitige urkundliche Notiz über einen Freskoschmuck, welchen die
*5) Kreisarchiv Nürnberg. Urk. von St. Sebald, L. 66 Lädlein 1 1, Nr. 2.
236
Albert Glimbel:
St. Sebaldskirche bezw. der sie umziehende Kirchhof im Jahre 1470 er-
hielt, einen freilich recht unsicheren Anhaltspunkt zur Beantwortung
dieser Frage wenigstens für ein Glied dieser Malerfamilie. Im genannten
Jahre ließ nämlich Ludwig Pfinzing aus dem bekannten Nürnberger
Geschlechte zum Andenken an seine verstorbene Ehefrau Margaretha,
einer geborenen Voit, »auf s. Sebolts kirchhofe, zunächst bei der eethür
derselben kirchen am neuen sagerer . . . ein bildnus s. Gregorius er-
scheinung« nebst seinem eigenen, seiner Ehefrau und seiner Söhne und
Töchter Bildnissen malen.16) Ludwig Pfinzing war ein Brudersohn des im
obigen Lehenbriefe von 1466 genannten Ritters Sebald Pfinzing des Älteren
zum Lichtenhof, so liegt denn die Vermutung nahe, daß eben jener in
der Lehensurkunde genannte Fritz Löblich Prawn Maler mit diesem Ge-
mälde in Zusammenhang zu bringen ist.
Freilich würde auch die etwaige Bestätigung unserer Annahme nur
mehr von theoretischem Interesse sein, da von jenem Gemälde heute
nichts mehr vorhanden ist; es bedarf also noch weiterer Zeugnisse oder
glücklicher Funde, um uns ein Bild von der künstlerischen Eigenart
dieser Maler und ihrer Bedeutung für den Werdegang der Nürnberger
Malerei machen zu können. —
Beilagen.
I.
Urfehdebrief des Schlossers Heinrich Hewnfelt für den Nürnberger
Rat. 1432, 12. Dezember.
Ich Heinrich Hewnfelt, sloser, bekenn mit disem offen brief vor
allermenclich: als ich vor etlichen jaren meister Otten des molers,
burgers zu Nüremberg, tochter hiedan entfurt, mit ir in fremde lande
gezogen, daselbst süntlich mit ir zugehalten und mein aigen eelich weib
hie zu Nüremberg hab elentlich laßen sitzen, meiner sele und dem ge-
nanten meinem eelichen weibe zu merclichem schaden und wann ich nu
darumb in der fursichtigen, ersamen und weisen meiner gnedigen herren
des rats zu Nüremberg fenknuß körnen pin und darumb ein merclich
straf wol verdient hett, haben doch dieselben mein herren aus besundern
gnaden barmherzikeit an mich gelegt und mich gnediclich aus fenknuß
gelassen, also daz ich ein rechte urfehde getan und ein gelerten eide zu
got und den heiligen gesworn habe, sollich fenknuß und alles, das sich
davon und darunter verloffen und ergangen hat, gegen den vorgenanten
meinen gnedigen herren des rats, ir stat Nüremberg, deinen der iren
l6) Urk. im Kgl. allg. Reichsarchiv zu München; Ansbacher Lehensbriefe Nr. 3236.
Siehe Beilage VIII und die dort gegebenen sachlichen Erklärungen.
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte. 237
noch jemants anderm, die darunter verdacht und gewant sein, in arg
nimmermer zu andten, zu rechen, zu efern noch ze melden, in dhein
weise ewiclich, sunder ich sol noch wil auch mein leib noch gut hiedann
in Nuremberg nicht empfremden noch entfüren on willen, wißen und
wort der vorgenanten meiner herren von Nuremberg on alle geverde und
argliste und des zu urkunde und beßer Sicherheit hab ich gepeten die
erbern und vesten Micheln von Ehenheim und Vlrichen von Augspurg,
daz sie ire insigele zu gezeuknuße der obgeschriben Sachen, in selbs
und iren erben on schaden, an disen brief gehengt haben, des wir jetz-
genant Michel von Ehenheim und Vlrich von Augspurgk also bekennen.
Geben am mitwochen vor sant Lucien tag der junkfrauen nach Crists
gepurt vierzehnhundert und in dem zwaiundvirzigistem jare.
Or. Perg.' mit 2 anh. gut. Siegeln.
II.
Der Rat der Stadt Nürnberg schreibt an Bischof Anton von Bam-
berg über die Ehescheidung der Kunigunde Voß von ihrem Ehemanne,
dem Maler Ott Voß in Nürnberg, 1447, 31. Januar. (Kgl. Kr.-Arch.
Nürnberg, Ratsbrief bücher, Nr. 18, pag. 152 b.)
Bischof zu Bamberg.
Gnediger herre! als uns eur hoheit verschriben hat, Küngunden
Vößin, die von irem hauswirt, Otten Voßen, unserm bürger, von eebruchs
wegen mit gaistlichen rechten geschiden und darumb sie gen uns verclagt
und dargeben sei, gelaite zu, bei und von uns zu geben, sich zu ver-
antwurten etc., das haben wir wol vernomen und bedunkt uns dieselb
sache sei euern gnaden nach der vorgenanten Küngund Vößin bestem
anbracht, darauf wir eur fürstenl. gnade bitten zu wißen, daz bei etlichen
zeiten rede an uns gelanget, wie die obgenant Kungund durch etliche
frauen bestellt und geschickt hat, damit der egenant Ott Voß zu eebruch
bracht und körnen were, daz uns swaer bedaucht, also ließfen] wir den-
selben dingen fleißig bei uns nachgeen und wir haben das also erfunden
und etliche frauennamen öffenlich bei uns darumb gestraft, darnach hat
uns dieselb Kungund mit Schriften angelangt, ir gelait zu uns zu geben,
ir rede zu hören, darauf haben wir müntlich antwurten laßen: well sie
einr strafe in denselben Sachen bei uns beieiben, so wellen wir ir gelait
zu uns geben und ir rede hören, doch daz sie söllich gelait an der straf
nicht fürtrage, bei derselben antwurt laßen wir es noch beleihen; das
well eur hoheit gnediclich von uns vernemen, denn wo wir euern fiirsten-
lichen gnaden dienst und wolgefallen etc. dat. ut supra (d. h. eritag vor
purificacionis = 31. Januar) 1447.
238
Albert Gtimbel:
III.
Schreiben desselben an Michael Ludwici, Offizial in Bamberg, in
gleicher Sache. 1447, 20. Februar. (Ebenda, pag. i73b.)
Hern Micheln Ludwici, licenciat und offizial zu Bamberg.
Wirdiger lfieber] herre! als ir uns von Offen Voßen, malers,
unsers burgers, straf wegön verschroben] und euch verantwurt habt,
wie ir im ein absolucion ganz umsust habt senden laßen etc., das haben
wir wol vernommen und nach allen ergangenen dingen, so ist je unser
biirger vorgenant darumb pillich geabsolviert worden, wir vernemen aber
wie die absolucion denselben unsern burger gelt gecost hab und als ir
meldt, daz ir uns gern dienst und beheglichkeit taetet, das nemen wir
gern zu gut. und von der reformacion des geistlichen gerichts zu Bam-
berg etc. ist je wol pillich, daz die also furgenomen werde, damit wir,
unser burger und die unsern söllicher unpillicher anlangung, cöst, mü
und scheden, darzu wir und die unsern mit den geistlichen gerichten
umb lauter werntlich (= weltliche) sach und spräche vorher bracht sein
worden, ninfur vertragen sein und beleihen, als ir dann in einr zettel ge-
meldt habt, wie euch die Vößin, maierin, anlauf, ir zu helfen als von
des guts wegen etc., mugt ir wol versteen, daz wir von des guts wegen,
unsere burger und die unsern antrefifend, selb zu richten haben und der
Vößin und andern, die darumb rechts bedürfen und begern, rechts bei
uns furderlich und gern helfen und widerfaren laßen, so wir darumb
besucht werden; darumb ir derselben Sachen pillig müßig steet, und als
ir meldt, wie die Voßin ir recht gern tet für die inzicht (= Bezichtigung)
der flauen etc., mainen wir, das ein söllichs nach ergangenen dingen
auch nicht pillich geschähe, wan es uns doch nicht pünde. denn wo
wir euer ersamkeit lieb oder etc. dat. ut supra (d. h. feria secunda post
dominicam Esto mihi = 20. Februar 1447.)
IV.
Schreiben desselben an Kunigunde Voß in gleicher Sache. 1447,
2. Juni. (Ebenda, pag. 251 a.)
Küngunden Vößin maierin.
Kiingund Vößin! als du uns in langen Worten verschriben und da-
runter ein aufgebung, so dir Ott Voß, maler, unser burger, vor des
rjeichs] gericht bei uns getan hab, auch ein teyding (= gütlicher Vertrag),
die zwischen im und dir zu Bamberg still geschehen sein, gemelt, darauf
du gelaits zu uns begert hast etc., das haben wir vernomen und haben
den genanten Otten, deinen man, söllichen deinen brief hören und mit
im davon reden lassen, so steet sein rede gar ungleich gen deinr Schrift.
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte. 239
wie darumb,27) so haben wir dir vormals, do du auch gelaits zu uns be-
gert hast, antwurten laßen, wellest du einr strafe in denselben Sachen
bei uns beieiben, so wölten wir dir gelaite zu und von uns geben und
dein rede hören, doch daz dich söllich gelait an der straf nicht für-
tragen sülle, sölliche antwurt haben wir darnach unserm gnedigen herren
von Bamberg auch also zugeschriben, dabei laßen wir es aber (= aber-
mals) beieiben, gibst du dich denn also darein, so macht du alsdenn
dein Sachen bei uns gen deinen mann und sust selbs rechtlich erfordern,
ist dir aber das noch aber nicht zu willen, so hast du wol gewalt
deinen machtboten zu uns zu schicken, dein Sache und notdurft rechtlich
bei uns fürzunemen und zu handeln, dem wellen wir vor des heilfigen]
rfeichs] richter und gericht bei uns zu Nürfemberg] rechtz nach desselben
r[eichs] gerichtes recht und herkomen helfen und widerfaren lassen un-
geverlich. dat. sub sigillo Mathie Ebner, magistri civium, feria sexta ut
supra (d. h. ante festum Penthecost. = 2. Juni 1447).
V.
Schreiben desselben gleicher Adresse wie III., 1447» 19* September.
Ebenda, pag. 348 b.
Hern Micheln Ludwici, licenciat in geistlichen rechten,
offizial zu Bamberg.
Würdiger l[ieberj herre! als ir uns von Otten Voßen, malers,
unsers burgers, wirtin wegen verschriben und in lengern Worten gebeten
habt, ir als einer fremden person gelaite zu uns zu geben, heuser und
hausrat selbs bei uns zu verkaufen, dem vorgenanten Otten herauszugeben,
daz im gebürt, und die schuldiger zu bezalen etc., das haben wir wol
vernomen und wenn sie in den nechsten 14 tagen darumb zu uns körnen
wil, so soll sie umb euern willen zu, bei uns und von uns, für uns und
die unsern on geverde 14 tag gelait haben, den dingen in vorgemelter
weise nachzugeen, denn wo wir eurer ersamkfeit] lieb etc. dat. ut supra
(d. h. in vigilia Mathei apostoli et ewangeliste = 20. September 1447).
VI.
Schreiber desselben an die Altstadt Prag in gleicher Sache. 1448,
11. April. (Ratsbrief biicher, Nr. 19, pag. i2b.)
Der großem stat zu Prag unsern etc.
Lieben f [reund] ! als uns eur fürsich[tigkeit] von der Küngunden des
Ottern Voßen, malers, unsers burgers, hausfr[auen] wegen verschriben und
17) = damit mag es sich nun verhalten, wie immer.
240
Albert Gümbel:
gebeten hat etc., das haben wir wol vernomen und tun eurer weish [eit] zu wissen,
daß sich dies[elb] Küngund bei etlichen Zeiten, merklich und swaerlich bei
uns verhandelt, darumb sie seid unser stat gemieden hat und der hoch-
wirdig furst und herre, herr Anthony, bisch[of] zu Bamberg, hat uns zu
merermmalen verschriben und fleißig gebeten, ir söllich sache zu be-
geben, wan wir aber ein merklich maenig Volks bei uns haben, so sein
wir notdürftig, daz wir arge ding, die sich bei uns ergeen, strafen, als
eur ersamkfeit] auch wol versteet. wie darumb, wil sich dieselb Kün-
gund in ein strafe geben, so sol sie eurer fursichtigkeit bet genießen,
daz wir die straf dest beschaidenlich gen ir fürnemen wollen, denn wo
wir euer Weisheit lieb oder etc. dat. ut supra (d. h. feria quinta post do-
minicam Misericordia domini = n. April 1448).
VII.
Lehenbrief Sebald Pfinzings des Älteren für Fritz Löblich Prawn
Maler über sechs Tagwerk Wiesen in Lichtenhof.
Ich Sebolt Pfintzing der Elter zum Liechtenhove bekenne und thun
kund offenlich mit dem brief, das ich verlihen hab und verleihe in
craft dits briefs Fritzen Löblich Prawn Maler genant, Anna, seiner
elichen wirtin, und ir beider erben, die sie miteinander gewinnen, 3 tag-
werk wisen, die stoßen an Hannsen Ortolffs und Endresen von Wats
wisen, und aber mer 3 tagwerk wisen und ein acker, darangelegen, stoßen
an Peter Fügels und des Awers wisen, davon sie mir und meinen erben
sie und ir erben alle jar jerlich zinsen und raichen sullen von den vor-
genanten 6 tagwerk wisen und dem acker sibenzehen pfunt (je dreißig
pfenning für ein pfunt tyuremberger müntz) halb zu sant Walburgen tag
und halb zu Sant Michelstag, als alles gelegen ist auf der fürreut.28) die-
selben egenanten wisen und den acker sullen dieselben obgenante Prawn
Maler und die obgenant sein hausfrau und ir erben von mir und meinen
erben zu erbe haben, verzinsen und nutzen und nießen und von mir und
meinen erben als irem eigenherren emphahen und davon thun und
hantlon geben, so sie solichs erbrecht verkaufen, nach erbs recht und ge-
wonheit on geverde. und des zu warem urkunde hab ich mein eigen in-
sigel an diesen brief gehangen, geben am sampstag von Sant Dyonisien
tag, als man zalt nach Crists gebürt vierzehenhundert und sechs und
sechzig jare. — Or. Perg. mit anh. gutem Siegel des Ausstellers.
VIII.
Protokoll des Notars Bernhard Hammerschlag über die auf Wunsch
Sebald Pfinzings am 15. April 1521 vorgenommene Besichtigung des im
l8) Frisch gerodetes, der Kultur neu zugeführtes Land.
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte.
241
Jahre 1470 von Ludwig Pfinzing dem Jüngeren an die neue Sakristei
der St. Sebadlskirehe gestifteten Freskogemäldes.29)
In dem namen des herren amen, durch dises offen instrument
und urkunde seie allen denjenen, die das ansehen, lesen oder hören lesen
allermenigklich wissend, kunt und offenbar, das, als man zalt nach Christi,
unsers lieben herren, gepurt 1500 und im 21. jare etc.3°), mir dem
notarien hernachbeschriben der fursichtige, erbere und weise herr Sebolt
Pfintzing, bürgere und des klaineren rats zu Nuremberg, Bamberger bistums,
und daselbst auf sant Sebolts kirchhofe, zunächst bei der eethür derselben
kirchen, am neuen sagererS1), erstlichen mir allain angezaiget und gewisen
hat ain gemalte bildnus sant Gregorius erscheinung mit etlichen
wappen, bilden, verschidungsschrift und anderem gemalet, so etwann
29) Der ganze Vorgang dürfte mit der damals vom Nürnberger Rate durch-
geführten Auflassung der Friedhöfe im Innern der Stadt (an deren Stelle der St. Johannis-
und Rochuskirchhof traten) und dem Verbot des Begrabens der Toten in den Kirchen
Zusammenhängen.
Unser, wie schon oben bemerkt, heute verschwundenes Fresko haben wir
nach den in der Urkunde gegebenen Anhaltspunkten an der größeren Sakristei von
St. Sebald, in unserem Augenscheinsprotokoll im Gegensatz zu der gegenüber der alten
Schau befindlichen die »neue« genannt, zu suchen. Der Ausdruck »zunächst an der
Ehetür« ist nicht ohne Absicht gebraucht, denn an der gleichen Wand und zwar
unmittelbar rechts neben dem heute noch vorhandenen, seine Hand in die Wunden-
male legenden, fast lebensgroßen Christus mit dem Rieterschen Wappen an der Konsole
(in dem Rieterschen Stammenbuch des Nürnberger Stadtarchivs aus dem Jahre 1596
als »Unsers Herrn Barmherzigkeit« beim Rieterschen Begräbnis »vor der Ehetüre am
Eck am Sagerer« beschrieben) befand sich ein gleichfalls von der Rieterschen Familie
gestiftetes Fresko »von Wasserfarben«, unbekannten Gegenstandes und Stiftungsjahres
(vgl. Stammenbuch, fol. 10b). Das Pfinzingsche mußte also weiter rechts näher gegen
die Ehetüre hin gelegen sein. Und in der Tat lassen sich noch heute nicht nur vom
Rieterschen sondern auch von unserm Pfinzingschen Fresko, bei dem ersteren deutlicher,
bei letzterem schwächer, Spuren des alten Putzuntergrundes erkennen, welche uns eine
ungefähre Vorstellung von dem Umfange der Bilder gewinnen lassen. Den Platz des
letzteren nimmt allerdings heute zum Teil ein kleines, in die Sakristei führendes
Pförtchen ein. Man vergleiche z. B. die Abbildung bei Ree, Nürnberg, S. 34, wo
man die links neben der Ehetüre liegende Sakristei mit dem Rieterschen Christus sieht,
auch erkennt man dort die unmittelbar links neben der Ehetüre befindliche, erst später
in den Ostchor eingebaute sogen. Pfinzingsche Emporkirche, nach außen durch zwei
Fenster mit Wimpergen markiert.
Übrigens finden sich solche auf frühere Fresken deutende Putzflächen noch an
verschiedenen Stellen der Sakristeiwände, z. B. nicht weniger als drei an der Nordwand.
Der unbefriedigende Kontrast, der sich für den heutigen Beschauer aus der unmittel-
baren Nachbarschaft des steinernen Spitzenwerkes der herrlichen Brauttüre mit den
nüchternen Flächen der Sakristei ergibt, wurde also vordem durch' den bunten Fresken-
schmuck erheblich gemildert.
3°) Folgen entbehrliche Formalien.
3») =Sakristei.
242
Albert Gümbel:
Ludwig Pfintzing, der jünger, Margrethen, seiner verstorben hausfrauen
seligen, die vom geschlecht ain Voytin gewest were, zu gedachtnus dahen
hette malen lassen etc., mit bite und begeren, das ich dieselben in bei-
sein und sehen glaubhaftiger zeugen, so ich darzu nemen solt, besichtigen,
circumscribiren, die wappen daran und besunder Ludwigen Pfintzings
hausfrauen seligen abmalen lassen und solichs alles ime in ain offen
instrument ziehen, bringen und machen und dasselbige ime also und
dermassen darüber, sich desselben zu seiner notdurft haben zu geprauchen,
raichen und geben wolte etc. dem allem nach und in ansehung seiner
erberen weishait, zimliches bitten und begeren, so hab ich darauf in
beiwesen hernachbestimpten glaubwirdigen zeugen am montag, dem 15. tage
des monats Aprilis, alles obbestimpts jars, die obberiirten figur, bilde,
wappen, verschidung- oder todesanzaigen und -schrift und sunst anders
daran besichtigt und die, inmaßen hernachbeschriben und die wappen
hernach gemalet stend^1) erfunden: zum ersten dieselben sant Gregorii
erscheinung, wie man die gewonlichen pfligt zu malen, 33) mit vier bilden,
unser lieben frauen, sant Johannis, aines pabsts und eines bischofs, dar-
nach und darunter die bildnus sein Ludwigen Pfintzings und zwaier seiner
sune34) auf ainer und ansehens auf der linken und auf der gerechten
seiten seiner hausfrauen Margrethen und ainer irer tochter35) bildnus, wie
man die auch pflegt von vater und muter zu malen, find auf ir jedes
orte aines jeden Wappens schilte und auf sein Pfings (!) schilt oben ain
reimenspatium und im selben drei buchstaben, von ainander getailt,
PSA, dabei ain kenndelein mit dreien dreifachen darin ausgepraiten
lilien und ain greifen mit ainem offnen Schnabel und zwaien aufgeworfnen
flügeln, als wölte er fliegen, gemalet. 36) und zwischen den obgenanten
ir beder wappen stund ir der Pfintzingin todes- oder verschidungschrift
32 3 * *) Am unteren Rande der Urkunde, rechts und links von der »verschidungsschrift«.
33) Gemeint ist wohl die sogen. Messe des hl. Gregor, ein damals, wie auch
unsere Notiz erkennen läßt, sehr beliebter Vorwurf. Auch Dürer hat ihn in einem Holz-
schnitt vom Jahre 1511 behandelt, vgl. Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben, Bd. IV,
Dürer S. 258. Die Dürersche Darstellung hat die Gestalten der Maria und des
Johannes nicht, dagegen erscheinen beide auf der Volkamerischen Gregoriusmesse des
Germanischen Museums (Katalog der Gemälde 1893, Nr. 129), wo sie den auf dem
Altäre vor dem Papste auftauchenden Schmerzensmann rechts und links stützen. So
dürfen wir sie uns auch auf unserem Fresko denken.
3t) Hanns (früh verstorben) und Ludwig.
35) Nach der Mutter Margaretha genannt.
36) Buchstaben, Kännlein und Greif sind die Insignien des Kannenordens
(ordre du Vase de la Sainte-Vierge), im Jahre 1410 in Spanien zur Bekämpfung der
Mauren gestiftet. Die Buchstaben der Devise scheinen auf unserem Fresko nicht mehr
gut lesbar gewesen zu sein, denn anstatt S sollte es richtig L heißen, die Ordensdevise
lautete nämlich: Por los amor (cf. Müller und Mothes, Archäol. Wörterbuch, Leipzig,
Archivalische Beiträge zur älteren Nürnberger Malereigeschichte.
243
geschriben, wie hernachgesehen, vermerkt und geschriben ist in instrumente,
von buchstaben zu buchstaben und zeilen, die man wol noch sehen und
lesen mocht. geschehen seind dise ding alle in jar, indition, monat,
tag und anderm, wie obstat, in beiwesen der erberen und weisen Jacoben
Föderers und Wolffganngk Bickels, notarien, Sigmunden Hubers und Johann
Birgers auch Hannsen Storchs, malers,37) alle laien und bürgere
ze Nüremberg, zu gezeugen darzu' sunderlichen ervordert Und gepeten.
Die verschidung oder todesschrift hat gelautet, wie die
zwischen den wappen hernachgemalt verlaut:
Anno domini MCCCCLXX° jar an sannt prisca tag da ver-
schide die Erberig fraw Margreth ludwig Pfintzingin die jünger,
die da begraben ligt. Der Gott genadig sei.
Or. Pgt. mit Unterschrift und Handzeichen des Notars Berhardin
Hammerschlag.
1878, sub v. Kannenorden). Eine Vorstellung von der (auf dem Frescobilde fehlen-
den) Ordenskette gibt das Dürersche (?) Wappen des Florian von Waldauff (Abbild, in
Klassiker der Kunst a. a. O. S. 333). Man sieht sie hier rechts oben (links vom Be-
schauer), aus lauter Kannen mit daraus hervorsprießenden Lilien zusammengesetzt, daran
hängt der Greif. Ob nicht auch die auf dem Dürerschen »Wappen mit den drei
Löwenköpfen« (Abbild, a. a. O. S. 307) oben links vom Beschauer erscheinende, von
zwei Händen gehaltene Vase die gleiche Bedeutung hat?
37) Über diesen Maler besitzen wir einige Nachrichten, welche bis 1492 zurück-
reichen. In diesem Jahr schwört »Hanns Storch, maler«, daß er auf eine Appelation
in seinem Streite mit Marx, dez Onspachs, verbers, son verzichtet. So wenigstens
scheint die Notiz bei Hampe, Nürnberger Ratsverläse, Bd. I, Nr. 481 zu erklären zu sein.
1504 (7. Febr.) setzt er sich mit seiner Mutter Katharina über zwei aus dem Nachlaß
seines Vaters stammende und von diesem geschnitzte Kruzifixe auseinander (Stadtarchiv
Nürnberg, Konservatorium VII, fol. 118a). In gleicher Eigenschaft, wie in unserer
Urkunde, nämlich als Sachverständigen, finden wir ihn 1515 in einem Urteil des Stadt-
gerichtes (Konserv. XXIX, fol. 159 b), das interessant genug ist, um wörtlich mitgeteilt
zu werden: »In Sachen Lienhart Hohenperger contra herrn Niclasen Haller haben Hanns
Storch und Hanns Platner geschworn und angesagt, das si das gemelde zu Frauen
Auracb in dem creuzgang sechzehen materi, so Lienhart Hochenperger obgemelt gemacht
hat, besichtigt, und er hab an ainer jeden materi ain gülden verdient, doch soll er ain
textschrift darunter machen, was geschlecht sich die Haller zum adel verheiratet haben
zu den wappen. ist darauf ertailt: die urtailer laßen es bei der ansag der verstendigen
maler bleiben, actum sexta post Galli, den 19. octobris 1515.« (Über den Maler Hanns
Platner vgl. Hampe, a. a. O. Nr. 1323 u. Anm.) Wahrscheinlich ist unser Hanns Storch
auch der bei Hampe Nr. 1354 am 14. Juli 1522 genannte Storch. ■ Die »Schurstabin,
malerin« ebenda ist Agnes Sch., Witwe des Malers Lienhart Sch.
Der Formschneider der Holzschnitte in dem Breslauer
Drucke der Hedwigslegende vom Jahre 1504.
Von W. Molsdorf.
Daß die Illustration ■ des Breslauer Buchdruckes von dem Leben der
Landespatronin ihren Ausgang nahm, ist aus mehr als einem Grunde er-
klärlich. Als der seit 1503 in Breslau ansässige Drucker Konrad Baum-
garten mit finanzieller Unterstützung seitens des Stadtschreibers Gregorius
Morenberg und des Bürgers Heinrich Steinmetz1) die Herausgabe der
1504 bei ihm erschienenen »Legenda der hailigsten frawen S. hedwigis«
übernahm, konnte er bei dem allgemeinen Interesse, das der Gegenstand
voraussetzte, auf einen starken Absatz des Buches hoffen. Sodann ward
die Illustrierung gerade dieses Druckes durch den Umstand wesentlich
erleichtert, daß in den Federzeichnungen der 1451 von dem Breslauer
Virdungschreiber Peter Freytag aus Brieg hergestellten Handschrift der
Hedwigslegende2) die denkbar günstigste Vorlage für die Holzschnitte
vorhanden war.
Leider muß man dem Formschneider das Zeugnis ausstellen,
die Kompositionen in recht unvollkommener Weise wiedergegeben zu
haben, so daß der hohe künstlerische Wert der Federzeichnungen bei
seiner Arbeit nicht zum Ausdruck kommt. Der Abstand, der sich zwischen
Vorlage und Kopie geltend macht, mag Luchs 3) zu dem harten Urteil
veranlaßt haben, daß die Holzschnitte an Trockenheit und künstlerischer
Armut nicht leicht ihresgleichen finden. »Die Figuren sind alle kurz,
breit und unbeholfen ; die Köpfe fast ohne Ausnahme ohne Empfindung
») Vergl. G. Bauch im Zentralblatt für Bibliothekswesen 15. Jahrg. 1898.
S. 243 ff.
*) Cod. ms. IV, Fol. 192 der Königl. u. Univ.-Bibliothek Breslau. Von älteren
Illustrationen zum Leben der h. Hedwig sind anzuführen die Miniaturen des Schlacken* *
werther Codex von 1353 (hrsg. v. A. v. VVolfskron, Wien 1846), die die mittelbare
Vorlage für die Zeichnungen der Breslauer Handschrift bilden, sowie die in der Bres-
lauer Bernhardinkirche befindliche Hedwigstafel aus der Mitte des 1 5. Jahrh.; der Baum-
gartensche Druck lehnt sich jedoch im Text wie in den Abbildungen aufs engste an
die Handschrift von 1451 an.
3) Über die Bilder der Hedwigslegende. Breslau 1861 (Festschrift zum sojähr.
Jubiläum der Universität). S. 26 f.
Der Formschneider der Holzschnitte in dem Breslauer Drucke usw.
245
und die Bewegungen eckig, so daß die Motive sehr selten zum Aus-
druck gelangen. Der Faltenwurf im handwerksmäßig rohen Stil der Zeit
scharf, brüchig, schwülstig, willkürlich. Die Umrisse überall in der sog.
Holzschnittmanier stark und ungelenk. Die Zeichnung sehr oft ganz ver-
fehlt.« Trotz manchem zutreffenden Tadel enthält die Kritik keine
gerechte Beurteilung der xylographischen Leistungen. Eine Vergleichung
von Holzschnitten mit Federzeichnungen, insbesondere so außerordentlich
feinen, wie sie die Breslauer Handschrift aufweist, wird immer zuun-
gunsten der ersteren ausfallen. Aus den Schranken, die einem Dar-
stellungsverfahren gesetzt sind, darf jedenfalls gegen den Künstler ein
Vorwurf nicht abgeleitet werden, und auch wegen der Geschmacklosig-
keit, die einer ganzen Periode eigen war, wie der oben erwähnte schwülstige
Faltenwurf, ist er als Kind seiner Zeit zu entschuldigen. Übrigens bildet
die Besprechung der Illustrationen des Baumgartenschen Druckes der
Hedwigslegende bei Luchs den schwächsten Teil seiner sonst senr ver-
dienstvollen Arbeit. Nicht zutreffend ist z. B. der Einwand gegen die
Darstellung der Szene: »Alhy wescht S. hedwick dy houpt den kyndern
yres sones aus dem wasser do dy Schwestern yre fusse gerenygeten und
sich seihest wusch« (Bl. C 3), 4) daß nämlich die sich selbst waschende
Heilige gänzlich fehle. Allerdings hat der Zeichner hier wie auch sonst
die Szene gegenüber der Darstellung in der Handschrift wesentlich ver-
einfacht, aber soweit ist er dabei doch nicht gegangen, daß er das
wesentlichste Moment übersehen hätte. Mit dem Auflegen der linken
Hand auf ihr Gesicht soll natürlich die Heilige den Vorgang des Waschens
zum Ausdruck bringen.
Will man den Holzschnitten des Baumgartenschen Druckes gerecht
werden, so kann ihre Beurteilung nur ausgehen von der Stellung, die
sie in der gleichzeitigen Buchillustration einnehmen, und hiernach er-
scheint das von Luchs gefällte Urteil jedenfalls zu hart. Die Bilder
verdienen zwar nicht das Prädikat »sehr gut«, das ihnen Muther5) zu-
weist, sie bleiben aber hinter den Durchschnittsleistungen des xylo-
graphischen Buchschmuckes jener Zeit doch auch nicht wesentlich zurück.
Muther hat seinem Urteil die Bemerkung hinzugefügt, daß die Holzschnitte
mit Nürnberger Arbeiten verwandt seien, eine Begründung dieser Ansicht ist
jedoch nicht gegeben. Bei dem Interesse, das der Baumgartensche Druck
der Hedwigslegende als das erste illustrierte Werk des Buchdruckes
4) Da der Druck der Hedwigslegende keine Blattzählung enthält, zitiere ich nach
den Signaturen.
5) Die deutsche Buchillustration der Gothik und Frührenaissance. München
1884. S. 96.
246
YV. Molsdorf:
aus dem Osten des Reiches beanspruchen kann, lohnt sich wohl der
Versuch, den Spuren des Stechers nachzugehen.
Keinem der 68 Holzschnitte, die einen durchaus einheitlichen
Charakter tragen, hat der Formschneider sein Monogramm beigesetzt.
Zwar findet sich in der Darstellung der Mongolenschlacht bei Liegnitz
(Bl. I 6) auf dem Schilde eines Ritters ein W, doch weist dieser Buch-
stabe, wie auch Luchs annimmt, eher auf eine Verherrlichung Breslaus
(Wratislavia) hin als auf einen darin verborgenen Stechernamen. Ganz
«ähnlich verhält es sich mit dem IV im unteren rechten Schenkel der den
Anfang des Buches schmückenden Initiale A, das nur als Geschäftsmarke
aufgefaßt werden kann, und zwar gleichfalls mit Beziehung auf Breslau.6)
Somit sind wir für unseren Versuch lediglich auf die Eigentümlich-
keiten des Stiles der Holzschnitte angewiesen, soweit sich dieselben nicht
auf ihre Vorlage zurückführen lassen. Schon bei einem oberflächlichen
Durchblättern des Baumgartenschen Druckes muß die eigenartige Gestal-
tung der Steine, die meist die einzige Unterbrechung auf dem sonst recht
eintönig behandelten Erdboden bilden, auffallen. Der Schatten, der von
ihrer ziemlich abgerundeten Form ausgeht, fällt fast ausnahmslos nach
links in einer höchst charakteristischen Weise, indem auf eine die untere
Seite des Steines tangierende Linie mehrere fast halbkreisförmige Striche
nach oben zu aufgesetzt sind, so u. a. in den Darstellungen auf Bl. B5,
G3, H3, H4. Dieselbe eigentümliche Form findet sich noch viel häufiger
in den Illustrationen des 1491 zu Nürnberg von Anton Koberger ge-
druckten Schatzbehalters ; ich begnüge mich besonders auf die Figuren
16, 21, 24 und 44 aufmerksam zu machen. Auch die aus derselben
Druckerei stammende Hartmann Schedelsche Chronik zeigt in vielen
Holzschnitten eine ganz ähnliche Behandlung der Steine, nur nehmen
Jiier die Schattenlinien für gewöhnlich eine mehr wagerechte Stellung ein
(Bl. 6b, 103b, 105a, 106b u. ö.).7)
Eine weitere auffallende Erscheinung in den Holzschnitten der
Hedwigslegende sind die kahlen Bäume. Auf sämtlichen Bildern, deren
landschaftlicher Hintergrund für diese Betrachtung in Frage kommen
kann, ragt entweder ein abgestorbener Baum gen Himmel, oder es finden
sich wenigstens ein paar blätterlose Zweige, die aus den belaubten
Stämmen hervorstehen (Bl. D 5, H 4, I 4, I 5, K 3, K 4, M 5). Luchs
bemerkt zu dieser Eigentümlichkeit bei der Erwähnung des Bildes (Bl. D 5):
Alhy hat s. Hedwick ym wytter dy kyrchen besucht barfuß
6) Eine andere derartige Marke in Form eines Kreuzes findet sich in der Initiale
S am Anfänge des Baumgartenschen Druckes des Hortulus elegantiarum Magistri Lau-
rentii Corvini. Wratisl. 1503.
7) Den Zitaten liegt die deutsche Ausgabe von 1493 zugrunde.
Der Formschneider der Holzschnitte in dem Breslauer Drucke usw. 247
hier »und auch sonst ist der Winter sehr verständig durch nackte Bäume
bezeichnet«.8) Diese Anerkennung, übrigens die einzige, die Luchs
unserem Stecher zuteil werden läßt, mag für die genannte Darstellung
berechtigt sein, für die übrigen hierher gehörigen Bilder kommt sie
jedoch nicht in Betracht, denn einmal ist aus dem Text nicht zu ent-
nehmen, daß die betreffenden Vorgänge ausschließlich in die Winterzeit
fallen, was ja auch an sich schon sehr unwahrscheinlich ist, und zum
anderen stehen die zugleich vorkommenden belaubten Zweige damit in
Widerspruch. Vielmehr haben wir es hier mit einer Stileigentümlichkeit
zu tun, der man auch sonst wohl begegnet, jedoch in so ausgeprägter
Weise nur in den Illustrationen der Wolgemutschen Formschneiderschule,
wie sie uns nachweislich in den beiden bereits erwähnten Kobergerschen
Drucken vorliegen. 9) In der Schedelschen Ghronik findet sich der
charakteristische Baum auf den meisten Städtebildern, aber auch im
Schatzbehalter trifft man ihn so häufig, daß sich die Anführung bestimmter
Beispiele erübrigt. Auch der Baumstumpf, der sich in den Ansichten
der Chronik meist im Vordergründe recht bemerkbar macht (z. B. Bl. 139,
153, 2 7 3), fehlt nicht in unserem Drucke (Bl. M 5). Noch in anderer
Beziehung zeigt das Landschaftsbild der Hedwigslegende eine merk-
würdige Verwandtschaft mit jenen Nürnberger Arbeiten, nämlich in der
Form der Felspartien, die aus aneinander gestellten, immer höher
werdenden Schollen bestehen (Bl. D 5, I 5, M 5, EE 3).
Solche unverkennbare Übereinstimmungen legen es nahe, auch in
weniger in die Augen springenden Berührungspunkten mehr als eine Zu-
fälligkeit zu erblicken. Jedoch bei dem großen Abstand, der in künst-
lerischer Beziehung die Holzschnitte des Baumgartenschen Druckes von
den Nürnberger Leistungen trennt, kann sich diese Betrachtung vor-
nehmlich nur auf die stecherische Ausführung erstrecken, deren Eigen-
tümlichkeiten eben mit Vorliebe in der Behandlung des Beiwerkes
zum Ausdruck kommen. In dieser Hinsicht verdient jedenfalls die
wellenförmige Schraffierung Beachtung, die infolge häufiger Unter-
brechung der Linienführung recht starke Unregelmäßigkeiten zeigt, z. B.
bei dem Gewände der Hedwig auf Bl. A und G 4 sowie dem Rocke
des knienden Mannes auf Bl. F oder auf dem Schilde eines Tartaren
(Bl. I 5). Zu diesen Beispielen, die sich leicht vermehren ließen, bieten
die Illustrationen des Schatzbehalters ganz verwandtes, ich begnüge mich
auf die Kleidung Josefs sowie des Mose und Aaron in der 14. und
15. Figur aufmerksam zu machen.
*) a. a. O. S. 27.
9) Vgl. V. v. Logau: Beiträge zum Holzschnittwerk Michel Wolgemuts im Jahr-
buch d. Kgl. preuß. Kunstsamml. 16. Bd. 1895. S. 236 h
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. j8
248
YV. Molsdorf:
Eine mehr als nur auf den Einfluß der Mode zurückzuführende
Übereinstimmung scheint mir in einigen Stücken des Tischgerätes zu
liegen. Dieses zeigt naturgemäß die Stilart, die um die Wende des
15. Jahrhunderts üblich war, und hat daher in allen drei hier in
Rede stehenden Bildergruppen viel Ähnlichkeit. Auffallend wirkt sie
jedoch bei der Form des Trinkgefäßes mit den drei Füßchen, das wir
mehrfach in der Hedwigslegende (Bl. G 4, G 6) und im Schatzbehalter
(Fig. 26, 41, 47, 65, 86) antreffen, sowie bei dem Kühleimer, von dessen
Seitenwand drei kurze Beine auslau fen (Hedwigsleg. Bl. D; Schatzb.
Fig. 26, 86; Chronik Bl. 94b). Auch die Anwendung der ringelförmigen
Vertiefung bei den Mauersteinen auf Bl. H 5 der Hedwigslegende und
in mehreren Figuren des Schatzbehalters (35, 54, 64, 69) dürfte wohl
ebensowenig auf Zufall beruhen wie das Vorkommen des hebräischen
Buchstaben w, den wir in beiden Drucken als Bannerverzierung finden
(Hedwigsl. Bl. I 5 ; Schatzb. Fig. 58, 73 und 1 7 (?))-
Ich möchte diese Betrachtungen nicht beschließen, ohne einen
kurzen Hinweis auf die Darstellung der menschlichen Körperformen in
unseren Holzschnitten, bei denen sich der Abstand von ihrer Vorlage
am größten zeigt. Zwar ist die Zeichnung der Personen in der Breslauer
Handschrift der Hedwigslegende auch keine ganz einwandfreie, sie hätte
aber für unseren Formschneider ein recht gutes Vorbild abgeben können.
Indessen hat man den Eindruck, daß es gar nicht in der Absicht des
Stechers lag, die Gestalten zu kopieren; sie zeigen vielmehr eine so auf-
fallende Ähnlichkeit untereinander, daß man annehmen muß, er verwandte
hier einen Typus, der ihm bereits zu einem gewohnheitsmäßigen geworden
war. Leider ist dieses wenig befriedigend, und man findet kaum ein
Bild, auf dem sich nicht die gröbsten Verzeichnungen, namentlich bei
den Extremitäten in recht unangenehmer Weise bemerkbar machten. Es
wäre nun freilich sehr gewagt, solche Figuren unseres Formschneiders
mit denen des Schatzbehalters und der Chronik in Parallele stellen zu
wollen, immerhin muß aber auf die Tatsache hingewiesen werden, daß
sich gerade in der Wolgemutschen Schule bei der Darstellung des
menschlichen Körpers ein recht auffallender Mangel an anatomischen
Kenntnissen bemerkbar macht, ganz besonders in den »verrenkten Glied-
maßen und den grundschlecht gezeichneten Füßen«.10)
Aus den angestellten Vergleichungen ergibt sich jedenfalls das eine
mit Sicherheit, daß der Formschneider des Bilderschmuckes der Hedwigs-
legende aus der Wolgemutschen Stecherschule hervorgegangen ist.
Die Herstellung so umfangreicher illustrierter Werke wie des Schatz -
\
I0) Vergl. v. Logau a. a. O. S. 232.
Der Formschneider der Holzschnitte in dem Breslauer Drucke usw.
249
behalters und insbesondere der Schedelschen Chronik, die mit ihren
1809 Holzstöcken in der Geschichte der Buchillustration eine ganz einzig-
artige Stellung einnimmt,11) ließ sich nur mit Hilfe eines sehr zahlreichen
Stecherpersonales ermöglichen, zumal die Zeit, innerhalb deren diese
Massenproduktion erfolgte, eine für die damaligen Verhältnisse außer-
ordentlich kurze war. Am 29. Dezember 1491 wurde der Vertrag mit
Wolgemut und Pleydenwurff wegen Übernahme der Illustrationen zur
Chronik abgeschlossen,12) und am 12. Juli 1493 — also bereits nach
anderthalb Jahren — verließ die lateinische Ausgabe die Presse. Nach
dem Erscheinen dieser Drucke trat in Nürnberg ein erheblicher Rückgang
der Buchillustration ein, der einen Teil der Stecher genötigt haben wird,
sich an anderen Orten nach Beschäftigung umzusehen. Aus diesem
Grunde dürfte unser Formschneider seine Schritte nach dem Osten gerichtet
haben und zwar, wie es scheint, zunächst nach Mähren.
Die Hedwigslegende ist das einzige illustrierte Werk, das Baum-
garten herausgegeben hat; was sich sonst an xylographischen Leistungen
in seinen Drucken findet, beschränkt sich auf Initialen, Druckerzeichen
und einige Titelholzschnitte. Daß ein so dürftiges Material für Ver-
gleichungen nur geringe Anhaltspunkte bieten kann, ist selbstverständlich;
gleichwohl möchte man geneigt sein, die sich bereits in den Olmützer
Drucken Baumgartens findenden Holzschnitte demselben Stecher zuzu-
schreiben, der die Bilder zur Hedwigslegende lieferte. Sowohl der Holz-
schnitt mit der Gegenüberstellung des päpstlichen und des Olmützer
Episkopalwappens J3) bestärkt uns in dieser Annahme, noch mehr aber
die Darstellung der drei Frauen unter dem Kreuze Christi auf dem
Titelblatt der »Stigmiferae virginis Luciae de Narnia facta admiratione
digna« (Olomucz 1501 per Conr. Baumgarten), x4) wo die Übereinstimmung
in der stecherischen Ausführung mit den Illustrationen der Hedwigslegende
unverkennbar ist.
Unser Interesse nehmen jedoch vor allem zwei Holzschnitte in
Anspruch, die Baumgarten mehrfach während seiner Olmützer Tätigkeit
benutzte, nämlich das Druckerzeichen mit dem zwei Schilde haltenden
Engel und die Darstellung des h. Wenzel. Der erstgenannte Formschnitt
zeigt mit denjenigen der Hedwigslegende eine Verwandtschaft, die wohl
ir) L. Baer: Die illustr. Historienbücher des 15. Jahrh. Straßb. 1903. S. 172.
I2) H. Thode: Die Malerschule von Nürnberg im 14. u. 15. Jahrh. Frankf. a. M.
1891. S. I56f. u. S. 239 ff.
*3) Findet sich zuerst im Tractatus de secta Waldensium des Augustinus de Olomutz
vom J. 1500.
H) Im Besitze der k. k. Hofbibliothek zu Wien, der ich auch an dieser Stelle
für die gütige Verleihung des Exemplares den verbindlichsten Dank ausspreche.
iS* *
250
W. Molsdorf:
schwerlich auf Zufall beruhen dürfte; wir haben hier die gleichen starken
Umrißlinien der Zeichnung, dieselbe Behandlung des Faltenwurfs und in
der Gestalt des Engels offenbare Einwirkungen der Nürnberger Schule.
Auch Alwin Schultz hat sich über dieses Signet, das sich nur mit abge-
ändertem Wappen gleichfalls in den von ihm in Breslau entdeckten Frag-
menten des Baumgartenschen Druckes des Computus totius fere astronomiae
findet, dahin geäußert, daß der Holzschnitt ganz in der Weise Wolgemuts
gearbeitet ist.1 5) Dieselben Einflüsse verrät auch der in zweifacher Aus-
führung vorkommende h. Wenzel, dessen feinere Linienführung jedoch in
der Hedwigslegende nur ausnahmsweise in der figurenreichen Darstellung
des Tartareneinfalls (Bl. I 5) angetroffen wird. Für unsere Untersuchung
hat der Holzschnitt aber noch eine ganz besondere Bedeutung, weil der
Stecher dieser Arbeit sein Monogramm H^F hinzufügte. Soweit unsere
Kenntnis reicht, läßt sich sowohl das Signet mit dem Engel wie auch
der h. Wenzel bis zum Jahre 1499 zurückverfolgen. Wir begegnen beiden
zuerst in dem von Konrad Stahel zu Brünn gedruckten Psalterium secundum
ritum ecclesiae Olomucensis, l6) wo das neben dem Haupte des Engels
befindliche Band die angeführte, später aus dem Holzstock entfernte
Jahreszahl trägt. Aus diesem gleichzeitigen Vorkommen der beiden Holz-
schnitte kann man wohl auf einen gemeinsamen Ursprung schließen und
somit auch das Druckerzeichen demselben Monogramlnisten zuschreiben.
Im Jahre 1499 erlosch die Ausübung der Buchdruckerkunst in Brünn;
gleichzeitig begann sie aber in Olmütz, wohin der frühere Genosse Stahels,
Mathias Preunlein, seine Druckerei verlegt hatte.1 7) Aber schon im
folgenden Jahre überließ er den Ort der Wirksamkeit Baumgartens, der
auf diese Weise in den Besitz jener beiden, zuerst in Brünn benutzten
Holzstöcke gekommen sein mag. Die bereits angeführte Verwandtschaft
dieser ältesten Formschnitte, vor allem jenes Druckerzeichens mit den
späteren xylographischen Beigaben der Baumgartenschen Presse legt jedoch
die Vermutung nahe, daß auch der Holzschneider mit dem Zeichen Hdö F bei
Verlegung des Buchdrucks von Brünn nach Olmütz seinen Aufenthaltsort
wechselte und hier mit Baumgarten geschäftliche Beziehungen anknüpfte,
die er dann in Breslau beim Drucke der Hedwigslegende fortsetzte.18)
*5) Zeitschrift des Ver. f. Geschichte u. Altertum Schlesiens, 14. Bd. 1878. S. 243.
Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es sich bei diesem Druckerzeichen nicht
um einen Nachschnitt handelt, vielmehr benutzte Baumgarten auch hier den ursprüng-
lichen Stock nur mit Abänderung des Wappens.
l6) Vgl. die eingehende Beschreibung der Inkunabeln Böhmens und Mährens von
A. Schubert im Zentralbl. f. Bibliothekswesen. 16. Jahrg. 1899. S. 182 f.
>7) Vgl. A. Schubert a. a. O., S. 54 f.
,8) Für die Annahme einer Fortdauer dieser Beziehungen auch während der
Druckertätigkeit Baumgartens zu Frankfurt a. O. fehlen sichere Grundlagen. Mehrfach
Der Formschneider der Holzschnitte in dem Breslauer Drucke usw.
251
Leider ist die Person unseres Formschneiders in Dunkel gehüllt,
und vergebens sucht man sein Monogramm in den Künstlerverzeichnissen.
Das Schicksal eines bewegten Lebens, das er vielleicht mit Baumgarten
teilte, mag Schuld daran sein, daß seine Person schon früh der Ver-
gessenheit anheimgefallen ist.
haben Initialen in Drucken aus jener Zeit ein Monogramm H M. Dagegen findet sich
in einem der Breslauer Univ. -Bibliothek gehörigen Exemplare des 1499 zu Mainz ge-
druckten Missale Vratislaviense ein mit einer ankerförmigen Marke bezeichneter Holz-
schnitt des Breslauer Stadt- und Bistumswappens vorgeheftet, der im Zusammenhang
mit der Werkstatt des Formschneiders der Hedwigslegende stehen dürfte.
Zwei Orley- Schüler.
Von Wilhelm R. Valentinen
Noch besteht keine Ikonographie der Epiphanienbilder in der älteren
niederländischen Kunst, wie sie für die der deutschen und florentinischen
Malerei zusammengestellt wurde. Sicher ergäbe die freilich mühselige
Arbeit wertvolle Resultate. Die Entwicklung der primitiven Kunst in
Holland und Belgien könnte fast allein an diesen Darstellungen dargelegt
werden, deren Zahl die der entstandenen Adorationen in Deutschland und
Italien während der Renaissancezeit noch übertrifft. Auch ließen sich eine
Reihe anonymer Künstler sondern, wie beispielsweise der Meister der
großfigurigen Anbetungen in den Uffizien (Nr. 585 van Eyck), in Stuttgart
(Nr. 121) und in Antwerpen (K. Fyoll) — vielleicht der Meister von
Frankfurt1) — , der holländische Maler des Meißner Dombildes, welcher
jenem Künstler sowie dem Verfertiger der bedeutenden Epiphanie in Utrecht
(Dülberg, Frühholländer II 7) nahesteht und das Gemälde des Bosch
im Prado vielleicht aus einem Stich kannte, die zwei oder drei Künstler
der Herri met de Blesgruppe, derjenige des kleinen Antwerpener Trip-
tychons (als »L. v. Leiden«), welcher ihr halb und halb angehört und
eine Beweinung in Karlsruhe (Nr. 136 »Kölnisch«) und vielleicht ein
ähnliches Bild der Versteigerung Ruffo de Bonneval (Nr. 9 J. v. Schoorel)
geschaffen hat.
In Belgien sind ungleich mehr Adorationen entstanden als in Hol-
land, aber doch hat sich auch in dem nördlichen Gebiet jeder bedeu-
tendere Künstler ein oder mehrere Mal in diesem Motiv versucht, von
Dirk Bouts und Geertgen an bis zu Plngelbrechtsen (nach v. Mander),
Lucas v. Leyden, Jan Mostaert, Jan Swart und Jan Scoorel. Gerard
David verpflanzt ein Kompositionschema nach Brügge, welches dort von
Nachfolgern weitergebildet wird. Jacob Cornelisz andrerseits scheint sich
in Holland wieder mit einer Epiphanie (Neuwied, datiert 1517) einzuführen,
falls er 1516 von Antwerpen zurückkehrte.2) In der Scheldestadt aber
1) Das Antwerpener Bild schreibt Dr. Friedländer dem Meister von Frankfurt zu.
Nach ihm befindet sich eine freie Wiederholung in Wien.
2) Es darf wol als sicher angenommen werden, daß Jacob Cornelisz identisch
ist mit dem von 1507 — 1516 in Antwerpen erwähnten Jacob von Amsterdam, der
Zwei Orley-Schüler.
253
leistete man das Erstaunlichste, bedenkt man allein, was die Werkstatt
des Meisters vom Tode Mariä und die des Herri met de Bles an An-
betungsdarstellungen hervorbrachte. Doch stand auch Brüssel mit Orley
und seinen zwei im Folgenden beschriebenen Schülern nicht zurück,
Frägt man sich, welche Faktoren für die Künstler bestimmend
waren, wenn sie sich wieder und wieder mit demselben Stoffe beschäf-
tigten, so darf einmal auf einen kulturellen hingedeutet werden. Wie
man nachgewiesen hat, nahm der Marienkult mit der Veräußerlichung
der Religion vor und noch während der Reformationszeit zu. Die Hol-
länder, die stärker von dem neuen Geist erfaßt wurden, gaben schon
jetzt ihr Bestes in Darstellungen der Passion und des Alten Testa-
mentes, während in Belgien, irre ich mich nicht, der Zahl und der Be-
deutung nach diejenigen religiösen Stoffe voranstehen, welche mit dem
Kult der Maria oder weiblicher Heiligen Zusammenhängen. — Daneben
kommen künstlerische Momente in Betracht. Die Dreikönigsdarstellung
bot Gelegenheit, die Kenntnis der neuerdings in Italien erworbenen
Architekturperspektive zur Anwendung zu bringen. Man konnte im Sinne
des Renaissancegeschmackes Ruinen aufbauen mit anstoßenden weiten
Bogenhallen, die von seltsam gezierten Säulen und grotesk ornamentierten
Pilastern gestützt wurden. Herrlicher Reichtum von prächtigen Brokat-
und Schillerstofifen, von flatternden Seidenbändern, von glitzernden Rü-
stungen, Waffen und Helmen, an deren Verzierungen die Niederländer
ihre Freude am Messingschmuck betätigten, ließ sich entfalten. Dazu
konnte der Künstler dartun — vor allem der Antwerpener Herri met
de Bles verstand dies — , wie der Raum nicht nur mit Lineal und Zirkel
exakt gebildet werden müsse, wie er auch durch zahlreiche immer kleiner
werdende Figurengruppen, die in bestimmten Abständen angeordnet
wurden, bis in weite Tiefen hinein kontinuierlich verdeutlicht werden
könne. Alle diese neuen Weisheiten und zuletzt noch die von Massys
begründete Kunst einer Farbenkomposition, bei der zarte gebrochene
Töne in bisher ungekannter Differenzierung geistreich auf der Fläche
verteilt wurden, konnte bei dem dankbaren Stoffe zur Geltung gebracht
werden. — Endlich mag gerade in der verschwenderischen Handelsstadt
Antwerpen, welche eine eigene sensible Luxuskunst pflegte, die Mode
die armselige Begleiterin des Reichtums Herrscherin gewesen sein und
mehrere Schüler annahm. Scheibler, der zuerst auf die Stelle in den Liggeren auf-
merksam machte, drückt sich, wie ich glaube, zu vorsichtig aus. Das Altarwerk in
Neapel ist offenbar während seines Aufenthaltes in dieser Stadt entstanden: die nieder-
ländischen Gemälde der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in süditalienischen Samm-
lungen scheinen alle Antwerpner, höchstens Brüsseler, nicht aber holländischer Abkunft
Antwerpen stand auf der Höhe seines Exporthandels.
254
Wilhelm R. Valentiner:
im Bunde mit der Ateliertradition die häufige Wiederholung derselben
Kompositionen verlangt haben.
Gewiß sind die äußerlichsten Motive bei den zwei Malern be-
stimmend gewesen, deren Werk ich kurz zusammenzustellen versuche.
Es sind Meister zweiten Ranges, die an ihren Lehrer Orley — der
selbst kein genialer Künstler war — nicht heranreichen, die nur dazu bei-
tragen, das unklare Bild der niederländischen Malerei in den zwanziger
und dreißiger Jahren des sechsz'ehnten Jahrhunderts zu verwirren. Sie
gehören zu den Naturen, welche immer mit denselben dürftigen eigenen
Ideen oder mit denen anderer prunken und durch eine nicht geringe
Fruchtbarkeit das Niveau der Kunsthöhe der Zeit herunterdrücken. Ihre
Haupttätigkeit bestand darin, Anbetungsdarstellungen anzufertigen. Von
dem einen sind mir sechszehn, von dem andern sieben bekannt, sicher
nur ein Teil selbst der erhaltenen Werke.
Ich zähle zunächst die Gemälde des ersten, der schon seinen Namen
besitzt, des Meisters der Utrechter Adoration, auf.
1. Blaschkow (in Böhmen) Sammlung Gaston de Mallmann: Ver-
kündigung. Rechts kniet Maria vor einem Lesepult, von links kommt
der Engel mit dem Schriftband.
2. Brüssel, Museum, Nr. 591: Anbetung der Könige. Mittel-
tafel eines Triptychons, Kniestück; Wiederholung der Komposition des
großen Utrechter Altarwerkes mit kleinen Veränderungen. Nach Dülberg
(Frühholländer II, S. 16) südniederländische Nachbildung des Utrechter
Originals.
3. — Nr. 578: Triptychon, in der Mitte die Anbetung der Könige
mit seitlicher Anordnung, rechts Maria und Joseph, links die drei Könige,
der eine den Hut schwenkend; auf den Flügeln links die Anbetung des
Kindes, rechts die Flucht nach Ägypten. Ganze Figuren.
4. Gent, Museum: Fragment einer Anbetung der Könige. Links
ist noch das Kind sichtbar und Joseph. Von rechts kniet der erste
König, neben dem der zweite steht. Im Mittelgrund packen zwei Männer
einen Koffer aus.
5. Haag, Mauritshuis, Nr. 433: Triptychon mit dem Götzendienst
Salomons in der Mitte, dem Besuch der Königin von Saba auf dem
einen, der Erscheinung Jehovas vor Salomon auf dem andern Flügel.
Stiftung von W. S. Maertensz und A. C. Eeuwoutsz; der erstere in St.
Gudule in Brüssel begraben.
6. Hannover, Kestnermuseum, Nr. 31: Anbetung der Könige. Rechts
Maria und Joseph, von links nahen die drei Könige.
7. Heidelberg, Privatbesitz (Prof. Lossen): Anbetung der Könige.
Mittelstück eines Triptychons. Maria sitzt in der Mitte, rechts kniet
Zwei Orley-Schüler.
255
der älteste König, dahinter der Mohr; von links naht der zweite König;
einer vom Gefolge trägt eine sternbesäte Fahne; links hinten ein Knecht
im Stall. Nicht sehr gut erhalten.
8. Karlsruhe, Gemäldegalerie, Nr. 145 (Art der Frühzeit des Herri
met de Bles): Anbetung der Könige. Zentrale Anordnung. Datiert 1519.
Mittelstück eines Triptychons. Die Flügel in Basel Nr. 110 und in;
auf dem einen die Anbetung des Kindes, auf dem andern die Flucht
nach Ägypten. 3)
9. Leiden, im Besitz von Herrn Archivar Overvoorde, leihweise in
der Lakenhai ausgestellt: Kreuzigung. Links vor den Kreuzen Maria,
Johannes und zwei Frauen. Dahinter Longinus und ein Reiter. Rechts
der Hauptmann zu Pferd, zwei Soldaten und zwei andere Männer. Mag-
dalena umfaßt das Kruzifix.
10. Leiden, St. Annahofje: Triptychon mit der Anbetung der Kö-
nige. In der Mitte rechts Maria, links der erste König kniend, neben
ihm der zweite stehend; auf dem linken Flügel der Mohr, auf dem rechten
Joseph. Ganze Figuren.
11. München, Pinakothek, Nr. 162 — 164: Triptychon mit der
Epiphanie. Wiederholung des Utrechter Hauptwerkes mit Veränderungen.
Kniiestück.
12. Utrecht, erzbischöfl. Museum: Triptychon mit der Anbetung
der Könige, die auf die drei Tafeln verteilt ist. In der Mitte vier
Figuren, links der Mohr, rechts Joseph. Kniestück. (Dülberg, Früh-
holländer II.)
13. — Kleineres Triptychon mit der Adoration in der Mitte, rechts
die Flucht .nach Ägypten, links Anbetung des Kindes. Ganze Figuren.
Fraglich, etwas abweichende Typen.
14. — Sippenbild.
15. Wien, Czernin: Zwei Flügel, auf dem einen der Mohr, auf dem
anderen Joseph. Wiederholung der Seitenteile des großen Utrechter Trip-
tychons mit anderer Landschaft, mit veränderten Kostümen; der Mohr
hält den Szepter nach oben statt wie dort nach unten.
16. Wörlitz: Replik des Utrechter Hauptwerkes nach Dülberg, Früh-
holländer II S. 16, mir nicht bekannt.
17. Versteigerung Ruffo de Bonneval de la Fare in Brüssel, 23. Mai
1900, Nr. 7 (»Orley«): Anbetung der Könige. Halbfigurige Breitkom-
position auf einer Tafel.
3) Hymans (C. v. Mander I, 1 1 1) schreibt die Bilder Jacob Cornelisz zu, viel-
leicht, wie der Baseler Katalog vermutet, auf Grund des Triptychons im Haag, das eine
Zeitlang diesem mit Unrecht gegeben wurde.
256
Wilhelm R. Valentiner:
18. Dieselbe Versteigerung Nr. 8 (»Orley«): Anbetung der Könige,
Triptychon. In der Mitte im Dreiecksaufbau rechts Maria, links der
älteste König, dazwischen Joseph. Auf dem linken Flügel der zweite
König, auf dem rechten der Mohr. Ganze Figuren.
19. Versteigerung bei Fred. Müller in Amsterdam in einem der
letzten Jahre, Auktionskatalog Nr. 46 : Anbetung der Könige, Triptychon.
Veränderte Wiederholung des vorigen.
20. Dieselbe Versteigerung Nr. 47: Anbetung der Könige, Halb-
figuren. Triptychon. In der Mitte im Dreiecksaufbau Maria, der älteste
König und Joseph. Rechts und links die zwei anderen Könige.
21. Versteigerung bei Helbing in München 1901 (»Jan Swart«),
(Reproduktion in Helbings Monatsberichten I, Heft 5, Taf. 5): Anbetung
der Könige auf einer nahezu quadraten Tafel, ganze Figuren. Rechts
Maria und Joseph, links die drei Könige und zwei Männer vom Gefolge.
22. Versteigerung Gräfin Rümerskirch (Salzburg) bei Helbing in
München, 23. März 1903 Nr. 99 und 100 (»Utrechter Schule«):
a) Die Gefangennahme Christi. Links der Judaskuß, rechts vorn
Petrus und Malchus, links hinten Christus am Ölberg.
b) Die Auferstehung. Christus steht mit dem Kreuzesstab in der
Hand auf dem geschlossenen Sarkophag, den fünf Bewaffnete umgeben.
Rechts hinten die drei Kreuze. (Vorher oder später noch einmal bei
Helbing versteigert als »Meister der Anbetung der hl. drei Könige«.)
23. Zeichnung in der Albertinasammlung in Wien (Schönbr. u.
Meder 635): Madonna auf einem Thron mit zwei weiblichen Heiligen,
links hinten Joseph. Fraglich.
Nach Diilberg gibt es in »italienischen Museen bis na,ch Palermo
ftin« Wiederholungen des Utrechter Hauptbildes. In Oberitalien sind
mir nur Werke des gleich zu besprechenden zweiten Orleyschiilers, der
leicht mit dem Meister der Utrechter Adoration zu verwechseln ist, be-
gegnet. Die Esthergeschichte in Bologna, die Diilberg in diesem Zu-
sammenhang erwähnt, zeigt wohl in der Dekoration (man vergleiche auch
die Albertinazeichnung) einige Beziehungen, die mir aber für eine Zu-
weisung an den Künstler nicht entscheidend genug scheinen.
Sollte die Zusammengehörigkeit der aufgereihten Werke begründet
werden, so wäre mit den Tafeln in Utrecht, München, Wien, Brüssel,
Wörlitz zu beginnen. Da sie unter sich fast identisch sind, so ist
n.ur darauf hinzuweisen, daß sich dabei nicht Kopien von andrer Hand
befinden, wie man bisweilen annimmt, vielmehr die Werke, nach der
gemeinsamen Technik zu urteilen, im Einzelnen veränderte Wieder-
holungen eines und desselben Meisters sind. Ebenso ist der Zusammen-
hang der zweiten Gruppe von Adorationen, der Kompositionen in ganzer
Zwei Orley-Schüler.
257
Figur, mit den Bildern der Versteigerung bei Helbing, in Hannover, im
St. Annahofje in Leiden evident. Einige Figuren sind fast wörtlich
wiederholt, wie der älteste König auf dem Leidener Bild und dem
bei Helbing, der zweite auf letzterem und dem in Hannover. Der
Künstler hat ein gewisses Repertoire von Gestalten, die er mit kleinen
Variationen in den Kostümen bald hier bald da aufstellt, so daß der
Nachweis der Gemeinsamkeit einer Gruppe und dieser wieder mit einer
anderen recht leicht gemacht ist. Wiederholt der Künstler die ganze
Komposition, wie bei dem Triptychon der Auktion de Ruffo Nr. 8
und dem der Amsterdamer Versteigerung Nr. 46, so sind die Verände-
rungen im Detail doch wieder so selbständig, daß unmöglich an einen
Kopisten gedacht werden kann. Die beiden anderen Werke, die auf
diesen Auktionen vorkamen, beides Darstellungen in Dreiviertelfiguren,
die unter sich in der Stellung des Kindes übereinstimmen, vermitteln
zwischen der ersten und zweiten Gruppe, indem der Joseph der Auktion
bei Fred. Müller Nr. 47 mit seiner lehrhaft vorgestreckten Rechten und
seinem Strohhut auf dem Kopfe ganz der des Leidener Altarbildes
ist und andrerseits der Typus der Maria, die Bildung ihrer Hände
auf dem von Ruffo verkauften Bild gut mit dem Utrechter Hauptwerk
zusammengeht.
Etwas mehr Interesse als diese Reihe von wenig inhaltsvollen Ado-
rationen gewinnen uns die fünf Darstellungen mit anderen Motiven ab,
das Iriptychon im Haag, das Bild von Overvoorde, die zwei Tafeln der
Versteigerung Gräfin Rümerskirch, die Albertinazeichnung. Die Leidener
Kreuzigung, ein relativ frühes, noch mit einiger Sorgfalt ausgeführtes
Werk, ist in der gedämpften dumpfen Farbstimmung, aus der hie und
da ein paar kräftige Töne hervorleuchten, in der reich gegliederten und
doch geschlossen komponierten Landschaft ein recht annehmbares Ge-
mälde, obgleich der Künstler in dem anerkennenswerten Bestreben zu
charakterisieren mehrfach in die Karrikatur verfällt. Ähnlich, wie auf
den zeitlich nahestehenden Passionsszenen der Auktion bei Helbing, die
sich gut zum Vergleich eignen! Kehrt doch das abschreckende Profil
der Magdalena und des berittenen Hauptmannes mit der hängenden
Nase und dem vorgeschobenen Kinn fast genau bei dem Christus der
Gefangennahme wieder, während der Gekreuzigte auf dem Leidener Bild
die gleiche merkwürdige Zeichnung der Beine wie dort der Auferstandene
aufweist. Andere Vergleichspunkte bilden Longinus hier, der schlafende
Wächter links am Grab dort, der Landsknecht mit dem Spitzbart rechts
vorn auf der Kreuzigung, dessen Typus auf der Gefangennahme vor-
kommt, die seltene Form des aufgerollten Schildes, die Augenfalten der
Gewänder, die Landschaft. Auch die seltsame Ohrbildung, an der ein
25B
Wilhelm R. Valentinen
berühmter italienischer Gelehrte seine Freude gehabt hätte, ist für den
Meister charakteristisch.
Diese gab wohl zuerst Veranlassung, das Haager Triptychon mit
der großen Utrechter Adoration zusammenzustellen. 4) Fast wäre die
groteske Ohrform schon allein Grund genug, um diese zwei Werke
demselben Künstler zuzuweisen. Denn sie wiederholt sich bei keinem
Meister der Zeit, obgleich eine Anregung zu der Bildung vielleicht
in Engelbrechtsens breiten Ohrmuscheln gegeben war. Da man neuer-
dings aber wieder Zweifel an der Zusammengehörigkeit ausgesprochen
hat, 5) so weise ich noch auf einige Merkmale des Künstlers, die sich
an den meisten seiner Werke, und so auch an den Haager Tafeln be-
obachten lassen. Dazu gehört vor allem die Bildung des Mundes:
Er ist klein, rundlich, fischähnlich geformt, gewöhnlich leicht geöffnet,
so daß die Köpfe einen geistlos lächelnden Ausdruck erhalten. Die
Finger haben, wie Dülberg schon bemerkte, besonders lange Nägel. Die
mehrfach vorkommende Handhaltung, bei der die vier Finger horizontal
ausgestreckt sind und der Daumen anliegt (Haag, Karlsruhe, Versteige-
rung in Amsterdam) könnte er von Herri met de Bles übernommen haben,
dem er auch das Motiv des Hutltiftens in der Anbetungsdarstellung absah.
Den Kapuzenmann, der im Hintergrund des Haager Triptychons und ganz
in demselben schmutziggelben Kostüm auf der Anbetung im St. Anna-
hofje vorkommt, kennt ebenfalls der Antwerpener Meister, wenngleich
der Künstler ihn auch Engelbrechtsen entlehnt haben könnte. Ein
Typus, der des alten Königs auf dem Utrechter Hauptbild und auf der
Karlsruher Anbetung und des alten Mannes rechts auf dem Mittelbild
des Haager Werkes, wird auf ein wirkliches Modell zurückgehen.
Sonst sind die Gestalten in der Gesichtsbildung, wie schon bemerkt,
recht schematisch und einförmig. Mehr Geschick beweist der Künstler
im Entwerfen von Ornamenten, im Komponieren phantastischer Archi-
tekturen und kunstgewerblicher Gegenstände, wie der Gefäße der drei
Könige, obgleich dem Künstler der Sinn für organische Durchbildung,
für feine Ausführung vollkommen mangelt. Auch ist er ein schwacher
Zeichner und versteht es nicht, kreisförmige Gebilde korrekt wiederzu-
geben, was um so verwunderlicher ist, als er es liebt, Ringe an seinen
Säulen oder Szeptern oder Prunkgegenständen anzubringen. An seinen
Dekorationen läßt sich gut das Eindringen der Renaissance beobachten.
Die 15x9 datierte Anbetung der Könige in Karlsruhe steht mitten im Übergang.
4) C. Hofstede de Groot hat schon vor mehreren Jahren erkannt, daß die beiden
Werke von einer Hand herrühren. Neuerdings hat wieder Dülberg darauf hingewiesen.
5) W. Martin in »De Nederlandsche Spectator«, 1904 Dez., gelegentlich der Be-
sprechung von Dülbergs Frühholländern Bd. II.
Zwei Orley-Schiiler.
259
Die zeitliche Anordnung der übrigen Werke ist nicht ganz leicht,
wenngleich sich sagen läßt, daß die Haager Tafeln, die Karlsruher und
die Utrechter Anbetung, sowie die Albertinazeichnung, vielleicht auch das
Gemälde in Hannover, in derselben Periode entstanden sein müssen.
Es ist die Zeit, in welcher der Künstler am stärksten unter dem Einfluß
des Bles stand, vielleicht eine Übergangsphase zwischen einer Nachfolge
des Engelbrechtsen und des Orley, ein Aufenthalt in Antwerpen zwischen
einem solchen in Holland und in Brüssel. Da der Meister für Leiden
und vermutlich auch für Utrecht tätig war und zudem holländisches
Temperament und holländische Formensprache aus seinen Gemälden
spricht, so könnte man annehmen, daß er Holländer von Abstammung
war, vielleicht Leidener; denn der Stifter der kleinen Kapelle des St. Anna-
hofjes wird sich für die Herstellung des Altargemäldes vermutlich an
einen einheimischen Künstler gewandt haben; auch die andere kleine
Tafel der Kapelle, die dreißig Jahre später geschenkt wurde, ist das Werk
eines Leidener Künstlers, wie ich glaube, Aerties von Leiden. Freilich
darf nicht verschwiegen werden, daß der Annahme einer Entwicklung
von holländischen Stileigentümlichkeiten nach denen des Antwerpener
und Brüsseler Künstlers hin die Schwierigkeit im Wege steht, daß bereits
die Werke, welche den Einfluß des Engelbrechtsen verraten wie die
Leidener Kreuzigung, die Tafeln mit den Passionszenen die Kenntnis
des Orleystiles vorauszusetzen scheinen , wie denn überhaupt dieser
Meister in erster Linie vorbildlich für unseren Künstler wurde. Ihm
entnahm er das Schema seiner Anbetungskompositionen, die niedrigen
gedrungenen Verhältnisse seiner Figuren, die Vorliebe für Waffen, Rüstungen,
kriegerisches Gefolge, das Bestreben nach vereinfachender dekorativer
Gestaltung, das ihn wie Orley gelegentlich dazu führte in lebensgroßem
Maßstab zu entwerfen. Dem gegenüber äußern sich die Beziehungen
zu Engelbrechtsen in unwesentlicheren Dingen. So scheint der Aufbau
der Landschaft auf den Passionsbildern, der Wechsel von mäßig an-
steigenden Höhen und einzelnen schroffen Felsen, von still verborgenen
Bauernhütten, vor denen eine vereinzelte dichtbelaubte hohe Baumgruppe
aufragt, und einer in der vordersten Talsenkung sich breit ausdehnenden
Stadt, dem Hintergrund der Werke des Leidener Hauptmeisters, etwa
dem Beweinungsaltar entnommen. Auch die mageren Gesichter mit vor-
tretenden Backenknochen auf diesen Bildern, eine Einzelheit wie die,
daß die Schächer im Gegensatz zu Christus an unbehauenen Kreuzen
hängen, die eigentümliche Verkürzung des Kopfes der links stehenden
weiblichen Heiligen auf der Albertinazeichnung, erinnert an ihn.
War der Künstler Leidener Herkunft, so braucht man sich nicht
lange nach dem Grund zu fragen, der ihn bestimmt haben könnte, nach
2 6o
Wilhelm R. Valentiner:
Belgien zu ziehen. Van Mander erzählt von Cornelis Cornelisz Kunst,
dem einen Sohn des Engelbrechtsen, daß er sich für einige Jahre nach
Brügge begeben habe, da in der Heimatsstadt nichts zu verdienen war.
Dessen Lebenszeit muß mit der des Meisters der Utrechter Adoration
zusammenfallen. Doch wäre es verwegen, auf Grund unsicherer Hypo-
thesen an eine Identifizierung denken zu wollen.
Eine Kreuzung von Elementen des Stiles des Orley und Bles
charakterisiert auch den Zwillingsbruder dieses Künstlers, den ich nach
einem seiner besseren Werke den Meister des Dresdener Trip-
tychons nenne. Folgende Werke scheinen mir von seiner Hand:
1. Brüssel, Museum Nr. 119: Triptychon mit der Anbetung der
Könige in der Mitte, links die Verehrung des Kindes, das auf einem
Pilastersockel liegt, rechts die Darstellung im Tempel.
2. Dresden, Gemäldegalerie, Nr. 809: Triptychon, Mitte: Anbetung
der Könige, links Verehrung des Kindes durch Maria, das Kind liegt
am Boden auf dem Mantel der Maria; rechts Darstellung im Tempel.
3. Genua, Pal. Bianco (als Q. Massys): Anbetung der Könige in
der Mitte, links Verkündigung, rechts Ruhe auf der 'Flucht. Das Mittel-
bild veränderte Wiederholung der Dresdener Adoration.
4. Gotha, Museum: Triptychon, in der Mitte Anbetung der Könige,
links Anbetung des Kindes durch Maria, rechts Beschneidung. Viel-
leicht vom Meister der Utrechter Adoration.6)
5. Mailand, Brera: Anbetung der Könige, Mittelstück eines Tripty-
chons. Wiederholung der Dresdener Komposition.
6.. München, Nationalmuseum: Dreiteiliger Flügelaltar in der Mitte
die Kreuzigung, links die Kreuztragung, rechts die Grablegung.
7. Schleißheim: Triptychon mit der Anbetung der Könige in der
Mitte (Wiederholung der Dresdener Komposition), der Verkündigung auf
dem linken, der Ruhe auf der Flucht auf dem rechten Flügel.
8. Worms, Freiherr v. Heyl: die Verkündigung, Düsseldorfer Aus-
stellung 1904 Nr. 175.
9. Versteigerung in Köln (Lempertz) in einem der letzten Jahre:
Triptychon, Mitte: Anbetung des Kindes durch Maria, Hirten und Engel,
links Verkündigung an Maria, rechts Beschneidung.
6) Die Unterschiede der beiden Künstler waren mir, als ich das letzte Mal in
Gotha war, noch nicht ganz klar. Ich schrieb das Werk damals derü Meister des
Dresdener Triptychons zu. Nach meinen Notizen muß aber das Mittelbild fast identisch
sein mit dem Bild bei Lossen in Heidelberg, das sicher von dem Künstler des Utrechter
Werkes herrührt.
Zwei Orley-Schliler.
261
Einen allgemeinen Zusammenhang mit dem Stil des Künstlers
zeigen noch die Anbetung der Könige in Groß-Kochberg (Erfurter Aus-
stellung), die Madonna bei Schulte in Berlin (Düsseldorfer Ausstellung),
eine Verkündigung in der Sammlung Hoogendijk im Haag. An Nr. 9
erinnert in einigen Punkten die altertümlichere Anbetung des Kindes
durch die Hirten auf der Versteigerung de Ruffo de Bonneval de la
Fare, Brüssel 1900 Nr. 2 (»Engelbrechtsz«).
Ohne weiteres ist ersichtlich, daß die Werke in Dresden, Genua,
Mailand, Schleißheim von derselben Hand herriihren. Es sind freie
Wiederholungen der gleichen Komposition, bei denen Änderungen allein
in der Stellung der Figuren zu einander, in den Hintergrundsgestalten,
in der Architektur vorgenommen sind. Das Brüsseler Triptychon erscheint
dem Dresdener überlegen, die Figuren sind gestreckter, geistreicher und
sensibler gezeichnet, der Stil steht dem des Bles noch näher als in jenem
Werk. Ein näherer Vergleich, der sich bei der Wiedergabe derselben
Darstellungen auch auf den Flügeln leicht anstellen läßt, erweist aber
doch die gleiche Hand in der Ausführung. Schon die allgemeine An-
ordnung wie die Formen der Architektur sind sehr verwandt: die ge-
drückten Rundbogen, von denen hie und da konstruktiv sinnlose halb-
gotische Steinornamente hängen, die Rosette am Ende der Renaissancehalle,
der von dicken Säulen getragene Tisch auf der Darstellung im Tempel,
über dem hoch oben ein Baldachin schwebt. Aber auch einzelne Typen
ergeben Vergleichspunkte, wie die Frau auf dem rechten Flügel, die mit
der Kerze in der Hand in Gedanken versunken zum Altar schreitet,
der Kopf des ältesten Königs, der Engel mit dem Band auf der linken
Tafel, welcher den längst am Ziel angelangten Hirten erscheint. Mit dem
Brüsseler Werk ist auch der Übergang zu dem der Kölner Versteigerung
gewonnen, das nach der Datierung in den zwanziger Jahren entstanden
ist und mit jenem zusammen zu den geschicktesten Kompositionen des
Künstlers gehört. Die Architektur, in deren Formen er ebenso wie der
ihm verwandte Künstler mannigfaltiger als in seinen Gestalten ist, macht
einen reichen und anmutigen Eindruck (der Erker an der Säulengalerie
kehrt ähnlich auf dem Bild in Genua wieder). Im Mittelbild ist der
stürmische Jubel über die Geburt des Kindes in den exzentrisch ver-
zückten Gesten, den rauschend flatternden Gewändern der Engel, die wie
von einem Wirbelwind in Scharen getrieben werden, in dem eilig herbei-
laufenden Joseph, der vor Aufgeregtheit die schützende Hand viel zu
hoch über die Kerze hält, lebendig empfunden.
Es wäre zwecklos, viele Worte über den Künstler zu verlieren.
Über ihn wie über seinen Geistesgenossen, der ihm manchmal so nahe
kommt, daß man versucht sein könnte ihn mit jenem zu identifizieren.
2Ö2
Wilhelm R. Valentinen Zwei Orley-Schüler.
Beide sind von der Natur ebenso weit entfernt wie von einem dekora-
tiven Phantasiestil, um den sie sich mühen. Kleine Erfolge in dem
Streben nach geschlossener Flächenkomposition — der Utrechter wendet
gelegentlich den italienischen Dreiecksaufbau an — nach Stimmungstönen
in der Landschaft, die diesem bisweilen glücken, oder sprechendem
Mienenspiel, das die Gestalten des Vlamen manchmal auszeichnet, wiegen
nicht den Mangel an guter gesetzmäßig sich entwickelnder Raum-
disposition, an mannigfaltiger Charakteristik der Typen, selbst nur an
korrekter Zeichnung und solider Mache auf. Die zierliche Beweglichkeit
der Gestalten des Bles wird zur angelernten Manier und abgezirkelten
Pedanterie, das kriegerische Gepränge des Orley zum unwürdigen Auf-
putz. Wo die Künstler zusammen vertreten sind, wie in der Brüsseler
Galerie, fallen sie mit einigen anderen Geistesverwandten unter dem Zug
würdig feierlicher Primitiven und dem feinsinniger vlämischer Renaissance-
künstler, die einen raffinierten Dekorationsstil für Kunstaristokraten er-
sannen und schwierigste Probleme virtuos und stets reizvoll lösten, durch
ungehobeltes Benehmen auf. Sie verdienen kaum den Namen: hand-
werksmäßige Künstler, da sie vom Handwerker wenig, vom Künstler
noch weniger in sich trugen.
Inzwischen ist mir noch je ein Werk des einen und des anderen
Künstlers bekannt geworden. Das eine nur durch eine Phot'" j.aphie.
Es ist ein Triptychon in Palermo, welches in der Mitte eine Anbetung
des Kindes durch Maria und Engel, links eine Verkündigung, rechts
die Madonna mit dem Kiiyde an der Brust in einer Landschaft zeigt.
Den besprochenen Werken des Meisters des Dresdener Triptychons wäre
es als Nr. io anzufügen.
Das andere, eine Arbeit des Meisters der Utrechter Adoration (als
Nr. 24 der Liste) befindet sich im Museum von Alkmaar und stammt aus
dem katholischen Waisenhaus der Stadt. Die Herkunft weist also wie
die einiger anderer Werke auf Holland als Heimat des Künstlers. Dar-
gestellt ist in der Mitte eine Anbetung der Könige in gänzen Figuren,
welche die Komposition in Hannover nur wenig variiert, auf dem linken
Flügel eine Verehrung des Kindes (einer der Zuschauer in gelber Kapuze),
auf dem rechten die Flucht nach Ägypten. Bei der Rohheit der Aus-
führung kann kein Bedauern aufkommen über den ruinösen Zustand der
Tafeln.
Zu der Rekonstruktion der Namatiuskirche in der Stadt
der Arverner (Clermont-Ferrand).
Für unsere Kenntnis frühgallischer Kirchenbaukunst sind wir
heute noch zum größten Teil auf Beschreibungen und gelegentliche
Erwähnungen bei Schriftstellern angewiesen, die nicht immer den Vor-
zug sofortiger Klarheit und Eindeutigkeit haben. Sind es Stellen aus
Dichtungen, welche zugrunde zu legen sind, so ist die Rechnung mit
poetischer Lizenz von vornherein an die Hand gegeben. Aber selbst
Gregors von Tours auf archivalischem Material und exakter Maßangabe
beruhende Berichte sind nicht frei von diskutierbaren Unklarheiten. So
bietet die Beschreibung, welche er uns von der im 5. Jahrhundert
durch den Bischof Namatius in der Stadt der Arverner erbauten »Kirche«
hinterlassen hat, der Interpretation an zwei Stellen besondere Schwierig-
keiten. Gregor berichtet einmal, daß der Bau inante absidam rotun-
dam, ferner, daß er ab utroque latere ascellas eleganti constructas opere
besitze. Zum Verständnis des Ausdruckes inante zunächst ist die Kenntnis
von Gregors Gesamtbericht unerläßlich:1) Hic (seil. Namatius episcopus)
ecclesiam, qui nunc constat et senior intra murus civitatis habetur, suo
Studio fabricavit, habentem in longo pedes CL, in lato pedes LX, id
est infra capso, in alto usqne cameram pedes L: inante absidam rotun-
dam habens, ab utroque latere ascellas eleganti constructas opere, totumque
aedeficium in modum crucis habetur expositum. Habet fenestras XLII,
columnas LXX, ostia VIII. Terror namque ibidem Dei et clarita magna
conspicitur; et vere plerumque inibi odor suavissimus aromatum quasi
advenire a religiosis sentitur. Parietes ad altarium opere sarsurio et
multa marmorum genera exornatos habet. Zur Lokalisierung des inante
ist es von Bedeutung, daß Gregor an erster Stelle Rücksicht auf das
Langhaus nimmt, indem er dessen Maße verzeichnet. Danach sollte man
aber vermuten, er habe seinen Standpunkt hier genommen und spreche
in diesem Sinne von einer inante befindlichen Apsis. Dann läge diese
nach vorn zu, vom Beschauer aus in üblicher Weise gerechnet, als Ziel-
punkt für den im Langhaus weilenden Beschauer. Gregor hält diesen
Standpunkt auch weiterhin dann noch fest, indem er den Weihrauchduft
*) i. Mon. Germ. hist. SS. rer. Merov. I. p. 82, bei J. von Schlosser, Quellen-
buch zur Kunstgeschichte des abendländischen Mittelalters, 1896, S. 43.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
19
264 Felix Witting: Zu der Rekonstruktion der Namatiuskirche usw.
von den religiosi herankommen läßt. Daß nur eine Apsis vorhanden
war, dafür spricht auch der Passus: Parietes ad alterium opere sarsurio
et multa marmorum genera exornatos habet.
Was den Ausdruck ascella anlangt, so darf wohl v. Schlossers
Übersetzung mit Latte2 3 4 *) zurückgewiesen werden, vielmehr Quicherats
Ansicht, 3) es seien damit bras en saillie gemeint, als die plausibelste
Interpretation gelten. Ähnlich äußern sich auch die Herausgeber der
Monumenta Germaniae, welche das Wort ascella an dieser Stelle in
Gregors Schriften mit ala wiedergeben. 4) Ursprünglich ist ascella gleich
axilla und finden sich zur Bezeichnung dieses Körperteils wiederholt bei
Gregor. So historia Francorum lib. III. cap. 18 :5) Nec mora, adpraehensum
Chlothacharius puerum seniorem brachium elesit in terra defixumque
cultrum in ascella crudeliter interfecit; lib. IV. cap. 31 :6 *) Nam nascente in
ingenere aut in ascella vulnus; lib. IV. cap. 33:7) et erant alii usque ad
cingulum, alii vero usque ascellas (seil, im Wasser); lib. VII. cap. 30 :8 *)
cumque Claudius et ille non signiter sub ascella illius pugionem
defixisset. Auch de virtutibus S. Martini III, 149) kehrt der Ausdruck
wieder: duobus in ascellis fustibus additis incurvus agebat gressum. Die
Übertragung dieses Ausdrucks auf einen Teil eines architektonischen Ge-
bildes kann gerade beim christlichen Kirchenbau nicht befremden. Fin-
den wir doch gelegentlich z. B. das Hauptschiff einer Basilika als
gremium bezeichnet.10) Die Übersetzung mit Querhausarme fügt sich
auch in den Zusammenhang am günstigsten ein. Gregor erwähnt erst
die Apsis, auf beiden Seiten derselben fallen ihm die ascellae auf, die
ihn dann veranlassen, den Bau als in modum crucis erbaut zu bezeichnen,
zu welcher Formation gerade Querhausarme unerläßlich sind. In diesem
Sinne scheinen auch Hugo Graf,11) Franz von Reber12) F. X. Kraus *3)
zu interpretieren, wenn sie auch den Ausdruck ascella nicht ausdrücklich
herbeiziehen, und an dreischiffiger Formation des Langhauses ihnen gegen-
über jedenfalls festzuhalten sein wird. Felix Witting.
*) a. a. O. S. 396.
3) Restitution de la basilique de St. Martin, Revue archeol. XIX (1869) bezw.
M^langes d’archeologie, 1886.
4) SS. rer. Merov. I. p. 935. — 5) Mon. Germ. 1. c. p. 128.
6) 1. c. p. 168. — 7) 1. c. p. 169. *) 1. c. p. 310. — 9) 1. c. p. 635.
IO) Liber pontificalis Romanus c. 34 (bei J. von Schlosser, a. a. O. S. 61 u. 62)/
") Die Entstehung der kreuzförmigen Basilika (opus francigenum), 1878, S. 449,
S. 66 und Neue Beiträge zur Entstehungsgeschichte der kreuzförmigen Basilika IV, in
Repertorium für Kunstwissenschaft, XV (1892), S. 461.
,a) Kunstgeschichte des Mittelalters, 1885, S. 184.
>3) Geschichte der christlichen Kunst, I, S. 600. — Vgl. die Rekonstruktion bei
Hübsch, die altchristlichen Kirchen, Karlsruhe, 1859 — 63.
Literaturbericht.
Kunstgeschichte.
Emile Bertaux. L’Art dans l’Italie meridionale. Tome I. De la
fin de l’empire romain ä 'la conqu£te de Charles d’Anjou. Ouvrage
accompagne de 404 figures dans le texte, 38 planches hors texte en
photo typie et deux tableaux synoptiques. Paris, Albert Fontemoing
1904. gr. in-40 de XIV et 835 pages.
Vor fünfzig und mehr Jahren unternahm es ein deutscher Forscher,
den Süden Italiens für die Kunstgeschichte zu entdecken. Während
eines zehnjährigen Aufenhaltes im Lande hatte H. W. Schulz mit nicht
genug zu würdigender Ausdauer und Hingebung das Material zusammen-
gebracht, auf dessen Grundlage er die Geschichte der Kunst Süditaliens
verfassen wollte. Man kennt die Umstände, die ihn an der Ausführung
seines Vorhabens hinderten; man weiß, daß die nach seinem Tode er-
schienenen »Denkmäler der Kunst des Mittelalters in Süditalien« bloß
das von befreundeten Händen gesichtete und auf die im Titel angege-
bene Zeitepoche eingeschränkte Material topographisch angeordnet in
möglichster Vollständigkeit enthalten, wie solche bei der damaligen Zu-
gänglichkeit des Landes und der Urkundenquellen dem Verfasser zu er-
reichen möglich war. Die Aufgabe, die Entwicklung der Künste (u. z.
nicht bloß im Mittelalter, sondern bis in die Renaissance herab) syste-
matisch zu schildern, dabei die Fabeln namentlich der gewissenlosen
neapolitanischen Fälscher des 18., sowie blinder Enthusiasten des 19. Jahr-
hunderts wohl endgültig auszurotten, aber doch dem Süden — gegen-
über dem seither einseitig bevorzugten übrigen Italien — zu seinem
guten Rechte zu verhelfen, diese Aufgabe blieb nach wie vor zu lösen.
Selbstverständlich war dabei nicht bloß der gesamte vorliegende Stoff
einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen; es mußte auch alles sonstige
Material herangezogen werden, das entweder seit den Zeiten von Schulz
schon erschlossen worden war, oder dessen Gewinnung sich auf dem
Wege neuerlicher örtlicher und urkundlicher Durchforschung noch er-
reichen ließ, — alles dies unter Nutzbarmachung der vielfältigen Hilfs-
quellen, die die Forschung der letzten Dezennien an Vergleichsmaterial'
19'
206
Literaturbericht.
zum Zweck möglichster Klarlegung der Zusammenhänge bezw. Gegen-
sätze zur Verfügung stellte. Selbstverständlich mußte die Untersuchung
möglichst vollständig auf alle Produkte des Kunstschaffens ausgedehnt
werden.
Unser Verfasser, jetzt Lehrer der Kunstgeschichte an der Univer-
sität Lyon, ist vor zehn Jahren als Zögling der Ecole de Rome im vollen
Bewußtsein ihrer Schwierigkeit an diese Aufgabe herangetreten. Wieder-
holt hatten wir während dieser Zeit Gelegenheit im persönlichen Ver-
kehr mit ihm seine jugendliche Begeisterung, die alle Kräfte einsetzte,
ebensowohl wie die soliden Grundlagen seiner Bildung, den weiten Um-
fang seiner Kenntnisse zu beobachten, — Faktoren, die uns mit voller
Zuversicht für das Gelingen seines Unternehmens erfüllten.
Er hat unsere Erwartungen nicht getäuscht, vielmehr seine Auf-
gabe — soweit das Urteil sich auf den vorliegenden ersten Band gründen
darf — geradezu in mustergültiger Weise gelöst. Das physische Maß
der Arbeit, die er daran gesetzt, erregt dabei ebensosehr unser Staunen,
wie ihre geistige Bewältigung unsere Befriedigung. Wer jene Teile
Italiens auch nur auf den durch die spärlichen Bahnlinien gewiesenen
Wegen je durchreist hat, weiß, daß ein derartiges Unternehmen nicht gerade
unter die Rubrik der Vergnügungstouren einzureihen ist. Und doch er-
scheint es als solches im Vergleich zu den Mühen der methodischen
Durchforschung bis in die entlegensten Winkel des Landes, wie sie der
Verfasser vornehmen mußte! Welch neidenswerten Vorrat an Jugend-
kraft, an Begeisterung und Opfermut setzt nur der Kampf mit all den
materiellen Entbehrungen und Hindernissen voraus; und welchen Auf-
wand von geistiger Arbeit erfordert es dann, um eine solche Summe von
Beobachtungen und Anschauungen zu einem wissenschaftlichen Ganzen
zu gestalten! Wir beneiden den Verfasser um jenen, während wir ihn
aus vollem Herzen zu diesem beglückwünschen. Tritt in letzterer Be-
ziehung schon formell die klare Disposition des Stoffes und der einheit-
liche Geist der Darstellung wohltuend in Erscheinung, so kann, was den
wissenschaftlichen Wert des Inhalts betrifft, zuversichtlich behauptet wer-
den, daß wir nunmehr eine Geschichte der Kunst Süditaliens besitzen
(wir antizipieren hier das binnen Jahresfrist in Aussicht stehende Er-
scheinen des abschließenden zweiten Bandes), wie sie in gleicher Aus-
führlichkeit, Vollständigkeit und Erstreckung auf alle Zweige für keine
andere Kunstprovinz des Landes, weder für Toskana, noch für die Lom-
bardei oder Venedig vorliegt.
In der folgenden Inhaltsübersicht, wenngleich sie sich in anbetracht
der Fülle des Stoffes notwendig nur auf die Hervorhebung des Bedeu-
tendsten beschränken muß, wird sich Gelegenheit bieten, im besonderen
Literaturbericht.
267
auf jene Punkte hinzuweisen, deren Klarlegung dem mit erstaunlicher
Beherrschung des Stoffes bis in seine verborgensten Einzelheiten verbun-
denen Scharfsinn des Verfassers, seiner glücklichen Kombinationsgabe
und nicht zuletzt der genauen autoptischen Kenntnis nicht bloß der
Monumente Zentraleuropas, sondern namentlich auch der Kunst des
byzantinischen und griechischen Orients verdankt wird. Vorher möge
aber noch der äußeren Form gedacht sein, in die der reiche Inhalt ge-
faßt ist; wiewohl man ja bei einem Werke, das als Publikation dei
Ecole frangaise de Rome unter den Auspizien des Unterrichtsministeriums
erscheint, von vornherein das beste zu erwarten berechtigt ist. In der
Tat entsprechen Format, Papier, Typen und Druckanordnung in ihrer
einfachen Gediegenheit den besten Traditionen des französischen Buch-
verlags, während der Reichtum und die Qualität der bildlichen Beigaben
sich wohl nur unter dem erwähnten Doppelpatronat erreichen ließ. Die
Vorlagen zu den Illustrationen wurden zu großem Teile vom Verfasser selbst
sowohl in zeichnerischen Aufnahmen (worin sich sein Stift als ebenso
gewandt beweist, wie seine Feder im Texte), als auch in Photographien
geliefert; im übrigen sind sie den Vorräten der Firmen Alinari und
Moscioni entnommen. Die Druckherstellung sämtlicher Illustrationen,
besonders der phototypischen Sondertafeln läßt durchweg nichts zu
wünschen; selbst bei den Zinkätzungen sind die Nachteile dieser Repro-
duktionsart soweit möglich überwunden.
Von den fünf Büchern, in die Bertaux den Stoff eingegliedert hat,
umfaßt das erste den Zeitraum vom Untergange des römischen Reichs
bis zur Invasion der Sarazenen. Im ersten der fünf Kapitel, in die es
zerfällt, werden die Katakomben und Basiliken Neapels und Nolas (die
berühmten Schöpfungen des h. Paulinus!) behandelt, wobei das an den
alten Dom der ersteren Stadt angebaute Baptisterium als eine Schöpfung
des 5. Jahrhunderts und als der erste christliche Bau nachgewiesen wird,
bei dem der Übergang von dem .Quadrat des Grundrisses zur Kuppel-
wölbung mittels halbrunder Zwickelnischen (tromples d’angle), einem der
charakteristischen Konstruktionselemente der sassanidischen Baukunst, be-
wirkt ist. Ähnliches kommt auch an S. Vitale zu Ravenna vor, — und
es ist damit die Übertragung gewisser Bauelemente aus dem Orient nach
Italien schon zu so früher Zeit erwiesen.
Das zweite Kapitel, den vorjustinianeischen Mosaiken Kampaniens
gewidmet, weist in denselben nebeneinherlaufend frühchristlich-römische,
sodann vorzugsweise ravennatische und endlich auch direkt orientalische
Einflüsse neben Motiven auf, die der lokalen Tradition (Pompeji und
Neapler Katakomben) entnommen sind. Im dritten Kapitel wird die Kunst des
Herzogtums Neapel seit seiner Wiedereroberung durch Belizar, sowie die
268
Literaturbericht.
der byzantinischen Städte Süditaliens vor dem io. Jahrhundert als durch-
aus vom Orient (Byzanz, Persien) bedingt, — im vierten die überaus spär-
lichen Zeugnisse einer Kunstübung in den lombardischen Herzogtümern
Süditaliens als entartete Nachbildungen geometrischer Dekors von orien-
talischem Ursprung erkannt. Im fünften Kapitel erörtert der Verfasser
die Anfänge der Benediktinerkunst in den Abteien von Montecassino und
an den Quellen des Volturno, wobei die in den achtziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts entdeckten Fresken der Laurentiuskapelle in der
letzteren Abtei zuerst eine in jeder Beziehung mustergültige, durch reiche
Illustration unterstützte Analyse finden. Sie führt zu dem Ergebnis,
wonach dies einzig übrige, um 830 entstandene Denkmal der frühesten
Benediktinerkunst sein Vorbild in gewissen römischen Fresken des 8. und
9. Jahrhunderts hatte (Oratorium Papst Johanns VII. in S. Peter, S. Maria
antiqua, Unterkirche S. Clemente), die eine Mischung von frühchristlich-
römischen und byzantinischen Motiven aufweisen, welch letztere ihre Über-
tragung in den Okzident der Herrschaft der 13 Päpste orientalischer
Herkunft im 7. Jahrhundert, und ihre Verbreitung bis über die Alpen
den Opfern des Bilderstreites verdanken.1)
Das zweite Buch behandelt die Kunst der Basilianer- und Benedik-
tinermönche vom 10. bis zum 13. Jahrhundert. Während die erstere in
der seit Ende des 9. Jahrhunderts den Sarazenen wieder entrissenen, bis
zur Eroberung durch die Normannen um die Mitte des 1 1. Jahrhunderts
unter der Herrschaft von Byzanz stehenden Hälfte Süditaliens aus dieser
Epoche keine, und auch aus der Zeit der Normannenherrschaft nur
wenige (völlig byzantinische) Denkmäler hinterlassen hat, sind in den
Oratorien und Kapellen der durch Kalabrien, die Basilicata und die
Terra d’Otranto verstreuten Grottenansiedlungen der Basilianer zahlreiche
Wandgemälde erhalten, deren Entstehungszeit bis über das 14. Jahr-
hundert herabreicht. Wir können der Analyse, die der Verfasser davon
gibt, nicht näher folgen, wenden uns vielmehr dem viel wichtigeren Teil
dieses zweiten Buches zu, worin in sieben Kapiteln die Schule der nach
den Sarazenenschrecken seit 950 wieder neuerstandenen Abtei von
Montecassino in ihren mannigfachen künstlerischen Manifestationen unter-
sucht wird (S. 155 — 308). Ihre Blüte verdankt sie bekanntlich dem
großen Abt Desiderius, der im Mutterkloster ausgedehnte Arbeiten aus-
führen läßt, deren Wiedererweckung wenigstens in der Vorstellung uns
die Beschreibung des gleichzeitigen Chronisten Leo von Ostia gestattet.
Während diese letztere (sowie die wenigen erhaltenen Monumente, z. B.
x) Neuerdings hat P. Toesca im Bullettino dell’istituto storico italiano, Roma,
1904 Nr. 25 die in Rede stehenden Fresken auch zum Gegenstand einer ausführlichen
Untersuchung gemacht.
Literaturbericht.
269
S. Angelo in Formis) uns lehrt, daß die Architektur dem okzidentalen
Basilikentypus folgte, erkennt man in den Resten ihres Dekorations-
schmuckes (Fußboden in Montecassino, Evangeliar des Alfanus [f 1182]
zu Capua) sofort die Hand der von Desiderius aus Byzanz verschriebenen
Künstler oder ihrer unmittelbaren Schüler. Dagegen offenbart sich in
den Motiven der Mosaiken, die aus den Werkstätten der letzteren her-
vorgingen, ein Zurückgehen auf die römischen und kampanischen Kom-
positionen der frühchristlichen Zeit, keineswegs auf die Ikonographie,
die sich in Byzanz seit dem 9. Jahrhundert entwickelt hatte; nur das
Formen- und Farbenkleid für die ersteren wird aus der Kunst des Orients
herübergenommen. Für die Beurteilung des Stils der Wandmalereien
der Schule ist das heute noch einzig erhaltene Monument dieser Gattung
in S. Angelo in Formis maßgebend (die Fresken in Ausonia und F010
Claudio kommen als direkte Kopien verlorener byzantinischer Vorbilder
nicht in Betracht). Ihre Analyse führt unseren Verfasser zu folgendem
Urteil: »Dem Stile nach sind sie durchaus byzantinisch; ihre Vorbilder
sind Fresken, Mosaiken, Miniaturen entlehnt; ihr theologisches Programm
ist, im ganzen genommen, okzidentalisch ; ihre Ikonographie teils rein
byzantinisch, teils lateinisch, teils nordisch-germanisch (das Jüngste Ge-
richt!). Die karolingische Tradition der Rheinlande verbindet sich mit
der lateinischen und byzantinischen zu dem in seiner paradoxen Kom-
plexität einzigen Ganzen des Freskenschmucks von S. Angelo in Formis.
Zu den vorstehenden Feststellungen führt den Verfasser nicht allein
die Prüfung der monumentalen Kunst der Schule; ein gleich eingehen-
des Studium widmet er ihren Miniaturen, die in einer reichen Zahl von
Codices und Exultetrollen aus der Zeit vor und nach Desiderius vor-
liegen. Dabei kommen selbstverständlich auch die anglosächsischen und
karolingischen Elemente derselben zu entsprechender Würdigung; sie
leiten zu dem Schluß, daß die byzantinischen Künstler in den Miniaturen
auf Montecassino einen Dekorationsstil schon vorfanden, der sich daselbst
seit karolingischer Zeit ausgebildet und vielfach mit Elementen ihrer
Kunst durchsetzt hatte. Der die Exultetrollen behandelnde Exkurs ist
eine völlige Neuheit der Kunstliteratur;2) die ihm beigegebenen synopti-
schen Tabellen mit der vergleichenden Ikonographie sämtlicher Rollen
ermöglichen die sofortige Übersicht der Varianten und die Bestimmung
der Einflüsse, die darin zur Geltung gelangen. Als Ergebnis kann Ber-
taux feststellen, daß die Ikonographie der Exultetrollen (die wohl auf
ein byzantinisches Vorbild zurückgehen) in der karolingischen Kunst
2) D. Augustin Latil, einer der gelehrten Mönche von Montecassino, ist seit 1899
mit der Herausgabe einer zusammenfassenden Arbeit über den Gegenstand befaßt, die
von sehr getreuen und vollständigen Reproduktionen in Farbendruck begleitet ist.
270
Literaturbericht.
wurzelt und ihre wesentlichen Themen dem Bilderschmuck der Sakra-
mentarien entnimmt.
Nachdem der Verfasser in einem Schlußkapitel noch die Einflüsse
der Benediktinerkunst auf die Malerei in der Provinz Salerno und Rom,
sowie in den Abruzzen erörtert (wobei wir z. T. zuerst mit einigen
Freskenzyklen dieser letzteren bekannt gemacht werden, die sich nicht
bloß durch Stil und Gegenstand, sondern in einem Falle sogar durch
die Signatur ihres Schöpfers Armanino de Modena als Arbeiten nord-
italischer, wenn nicht gar französischer Hände vom Ende des 12. und
Verlauf des 13. Jahrhunderts entpuppen) geht er im dritten Buch auf die
Kunst unter der Normannenherrschaft über, wie sie sich in ihren ver-
schiedenen Zweigen in Apulien und Kampanien bis zum Ausgang des
12. Jahrhunderts entwickelte (S. 310—508). Es geschieht hier zum
erstenmal, daß uns die Fülle der einschlägigen Monumente in histori-
schem Zusammenhang vorgeführt wird, der sich aus ihrem eingehenden
Studium und der vergleichenden Analyse ergibt. Von der Grab-
kapelle Boemunds zu Canosa, der eine muselmännische Grabstätte
zum Vorbilde gedient hatte, werden wir durch die Gründungen nor-
männischer Fürsten und Bischöfe in Kalabrien und Kampanien (Gerace,
Salerno, Capua, Sessa, Caserta vecchia), französischer Cluniacenser und
Cistercienser am Monte Vulture und in der Terra d’Otranto (Venosa,
Accerenza, Aversa,3) S. Nicola e Cataldö zu Lecce), zu S. Niccolö in
Bari geleitet, dem einzigen Bau in Süditalien, worin sich der direkte
Einfluß der heimischen normannischen Architektur nachweisen läßt. Er
wird maßgebend für die Sakralmonumente Apuliens. Sie entstehen in
reicher .Folge unter Modifikation und Ausbildung ihres Vorbildes als
Schöpfungen provinzieller und munizipaler Opferfreudigkeit, die auf der
Grundlage der materiellen Vorteile einer überaus günstigen topographischen
Lage erwächst (Dome von Barletta, Trani, Bari und die davon abhän-
gigen kleineren Kirchen). Unabhängig davon, ganz für sich steht der
Dom von Troja da, dessen Derivation von den Basiliken Pisas (und
Luccas) Bertaux — gegenüber der jüngst wieder vorgebrachten gemein-
samen, aber voneinander unabhängigen Ableitung von byzantinischen
Vorbildern (s. Venturi, Storia dell’Arte italiana III, 499 ff.) — u. E. sieg-
reich durch den Hinweis darauf verficht, daß die analogen Bauten auf
Sardinien auch gerade nur aus der Zeit der Herrschaft Pisas über die
Insel stammen. Ein eigenes Kapitel behandelt die mehrkuppligen Kir-
3) Bertaux Ausführungen erlauben nunmehr keinen Zweifel betreffs der späteren Ent-
stehung des Chors der Kathedrale von Aversa. Damit entscheidet sich die Kontroverse
über die Abhängigkeit zwischen ihr und der Abtei von Venosa (s. Repertorium XXVII,
375) zugunsten der letzteren, also des französischen Ursprungs.
Literaturbericht.
271
chen der Terra di Bari zu Canosa, Molfetta, Trani, Bisceglie, die in ihrer
Anlage kein Analogon im Orient finden. Unser Verfasser bringt sie in
Zusammenhang mit jenen ländlichen Kuppelbauten der apulischen „Trulli ,
deren von den geologischen Besonderheiten der Gegend bedingter Ur-
sprung auf vorhistorische Zeiten zurückreicht; er stützt seine Annahme
außer mit kulturhistorischen auch mit technisch-konstruktiven Argumenten.
Aus dem Inhalt des folgenden Kapitels, das die Bronze- und Elfenbein-
werke der in Rede stehenden Zeitepoche umfaßt, wollen wir — unter
Übergehen der den Bronzepforten gewidmeten Ausführungen — nur auf
die hier zuerst in durchaus befriedigender Weise erfolgte Rekomposition
der Platten des Elfenbeinantependiums im Dom zu Salerno hinweisen.
Bertaux sieht darin das Werk einer einheimischen Bildnerschule vom Ende
des 11 Jahrhunderts (von der unsere Museen außerdem noch etwa ein halbes
Dutzend Arbeiten bewahren), das den Traditionen byzantinischer Ikono-
graphie, wie sie um die genannte Zeit im Orient feststanden, nicht durch-
weg folgt, sich im Gegenteil an älteren archaischen Vorbildern syrischen
oder alexandrinischen ■ Ursprungs aus dem 7. Jahrhundert inspiriert zu
haben scheint. Drei weitere Kapitel handeln von der Ausstattung der
Kirchen durch Bronze-, Holz- und Marmorarbeiten, wobei der bekannt-
lich ungewöhnliche Reichtum Kampaniens und Apuliens an Bischofs-
thronen, Kanzeln, Ambonen, Ziborien u. dgl. nach Ursprung, Stil und
Dekoration im einzelnen Würdigung erfährt; ferner von der Monumental-
skulptur an Säulen, Portalen und Fenstern, worin zwei Strömungen
byzantinischen und lombardischen Ursprungs nebeneinander herlaufen;
endlich von den Mosaiken der historiierten Fußböden, deren Arbeit
durchaus von dem in Montecassino nach byzantinischen Mustern ge-
schaffenen fälschlich sogenannten Opus alexandrinum abweicht, und für
die sich am wahrscheinlichsten lombardische Herkunft geltend machen
läßt. Das Schlußkapitel des 4. Buches führt uns die dekorativen Mosaiken
Kampaniens am Ausgang des 12. Jahrhunderts vor (Salerno, Amalfi,
Ravello, La Cava). In ihnen erscheint jene Verbindung zweier Dekora-
tionssysteme, des byzantinischen und arabischen, wie sie zuerst in den
Palatinalkirchen zu Palermo und Monreale auftritt, auf das Festland
herübergebracht (was außer stilistischer Analogie auch durch historische
Zeugnisse nachweisbar ist).
Das vierte Buch macht uns mit der Kunst der Grafschaft Molise,
der Basilicata und der Abruzzen im n. — 13. Jahrhundert bekannt. Es
zeichnet sich vor den übrigen durch eine Fülle von neuem und merk-
würdigem Materiale aus, das die unermüdete Forschung Bertaux’s der
Wissenschaft erobert hat. Während die beiden ersteren Provinzen nur
eine Anzahl nicht eben bedeutender Baudenkmäler aufweisen, können
2^2
Literaturbericht.
sich die Abruzzen einer viel reicheren Entfaltung nicht bloß der Architektur,
sondern namentlich auch der dekorativen Bildnerei rühmen. Für die
erstere legen die Basiliken von Alba Fucese, S. Giovanni in Venere,
S. Clemente in Casauria und al Vomano, S. Maria in Valle — um nur
die hervorragendsten zu nennen — glänzendes Zeugnis ab. Bezüglich
der letzteren aber ist auf die reichverzierten Kanzeln, Ziborien und
Ambonen in Stuck, Kalkstein und Marmor, der eben genannten und
anderer Kirchen, sowie auf die merkwürdigen hölzernen Pforten und Lettner
in Alba Fucese, Carsoli, S. Maria in Valle hinzuweisen, — alles Schöpfungen
einheimischer Meister, die sich in Gruppen wonicht Schulen sondern,
yon seltsam synkretistischer Konzeption und vielfach roher Ausführung —
wie sie sich aus der abgeschlossenen Lage jener Gebirgsgegenden erklären — ,
aber gerade durch ihren Ursprung und die unverbrauchte Kraft der
Phantasie, die sie offenbaren, interessant. Sehr dankenswert ist es, daß
Bertaux diesen Teil seiner Arbeit reich mit vortrefflichen Illustrationen
nach eigenen Aufnahmen ausgestattet hat, die nunmehr authentischen
Einblick in eine bisher nur fragmentarisch bekannte Kunstübung gewähren.
Neben dieser mannigfachen dekorativen Bildnerei tritt die Monumental-
skulptur zurück: sie enthüllt die Schranken, innerhalb deren sich die
Begabung der von den leitenden Kunstströmungen abgeschlossenen
Meister bewegte.
Hatten wir schon im Verlaufe der bisherigen Darstellung die Hin-
gabe des Verfassers an seinen Stoff zu bewundern, so erreicht sie im
letzten Buch ihren Höhepunkt. Jede Zeile enthüllt die Wärme, die er der
Schilderung der hier behandelten Epoche und ihres großen Protagonisten
Friedrich II. entgegenbringt. Nicht als ob er den Bahnen, die die macht-
volle Persönlichkeit des Kaisers auch der Kunst gewiesen, in blinder
Begeisterung folgte; selbst ihm gegenüber wahrt er die Objektivität der
Tatsachen, und seiner Beurteilung derselben das feine Maß, die nach allen
Seiten vorsichtig abwägende Unparteilichkeit der Kritik, die den Leser
so wohlthuend durch das ganze Werk begleitet. So wird denn geradezu
dieser Teil des Buches zu dessen glänzendster Partie.
In der ersten, der Provinzialkunst Kampaniens und Apuliens gewid-
meten Hälfte schildert Bertaux vorerst die sizilisch-kampanische Kunst
des 13. Jahrhunderts, wie sie sich in weiterer Entwicklung der im Schluß-
kapitel des vorigen Buches beschriebenen Anfänge — ohne Beeinflussung
durch den persönlichen Geschmack Friedrichs II. - — einerseits im deko-
rativen x Marmor- und Mosaikschmuck namentlich der Kathedralen von
Sessa und Ravello (neben Caserta vecchia, Capua, Cälvi, Fondi, bis hinauf
nach Terracina), andrerseits in den Baudenkmälern Amalfis, Ravellos,
Casertas und Gaetas offenbart. Sodann analysiert er die Architektur und
Literaturbericht.
273
Skulptur Apuliens; beide behalten die auf den durch die Schöpfungen der
Normannenzeit statuierten Grundlagen unter Aufnahme von Anregungen
aus dem französischen und deutschen Norden und in ihrem Gefolge in
mannigfacherer Ausbildung von Konstruktions-Typen und -Formen, sowie
dekorativer Details, auch in dieser Epoche — gegenüber dem deko-
rativen Charakter der Kunst Kampaniens — ihren struktiven Charakter.
Vereinzelte Versuche, auch die Antike — wiewohl nur im Ornament — ■
wieder zu Wort kommen zu lassen, bleiben jedoch ohne Folge, bis die
mächtige Initiative des Kaisers in den von ihm selbst errichteten Denk-
mälern der klassischen Strömung zum Durchbruch verhilft. Sie, die
»kaiserliche Kunst«, von Friedrich unter der Ägide jener des römischen
Weltreichs, als seines politischen und kulturellen Vorbildes ins Leben
gerufen, wird uns in der zweiten Hälfte des 5. Buches vorgeführt.
Zwar in den zahlreichen Schloßbauten, die der Kaiser in den ersten
Dezennien seiner Herrschaft über seine Lande verstreut, folgen die ein-
heimischen Baumeister auch noch dem heimischen Stil. Aber später,
am Brückentor zu Capua (seit 1233) und im Burgbau von Castel del
Monte (beg. 1240), zwingt der Kaiser den eigenen Willen gleichsam
seinen Künstlern auf und schafft dort unter dem Impuls seiner Vorliebe
für die Antike eine Bildhauerschule, die seine eigene Herrschaft über-
dauert, 4) — läßt hier, wohl durch französische Hände, den ersten Profan-
bau entstehen (dem andere, wenn auch weniger bedeutende folgen), der
sich bewußt an der fränzösischen Gotik inspiriert, doch auch für manches
Detail auf die Nachahmung der Antike zurückgreift. 5) Während so der
neue Stil des Nordens während der letzten Regierungszeit des Kaisers
der offiziellen Kunst ihr Gepräge gibt, verpflanzt ein Genius, in den
Werkstätten des Südens erzogen, jene anderen auch von Friedrich aus-
gestreuten Keime einer »Renaissance der Antike« über die Zeit und die
örtlichen Grenzen seiner Herrschaft hinaus nach jenem Teil Italiens, der
fortan die Führung in der Kunstentwicklung des ganzen Landes zu über-
nehmen bestimmt ist. Niccolö Pisano, für dessen süditalische Herkunft
Bertaux neben dem anzweifelbaren bezw. zweideutigen urkundlichen Zeugnis
bisher übersehene merkwürdige Analogien zwischen der Architektur von
4) Es gewährt dem Berichterstatter Genugtuung, daß seine vor einem Vierteljahr-
hundert ausgesprochene Ansicht betreffs des friderizianischen Ursprungs der Capuaner
Bildwerke, die dazumal von verschiedenen Seiten angefochten wurde, nunmehr zu all-
gemeiner Geltung gelangt ist.
5) Seine ursprüngliche Hypothese hinsichtlich der Übertragung dieser Inspiration
aus dem lateinischen Orient (s. Repertorium XXI, 242), hält der Verfasser nicht mehr
aufrecht. Er gibt die Möglichkeit der Verpflanzung aus Frankreich — direkt oder auf
dem Umweg über Deutschland — ebenfalls zu. Selbstverständlich hat er damit auch
die Meinung, Philippe Chinard sei der Schöpfer von Castel del Monte aufgegeben.
274
Literaturbericht.
Castel del Monte und der Kanzel von Pisa aufzuführen in der Lage ist,
erweist in diesem seinen Meisterwerke nicht bloß die Überlegenheit der
Kunst des Südens über die des übrigen Italiens um die Mitte des
13. Jahrhunderts; er bereichert sie durch Aufnahme von Faktoren, die er
in den Arbeiten gleicher Art lombardischer Meister in Toskana vor-
gefunden, sowie solcher, die er aus der Kenntnis von Originalwerken
römischer und byzantinischer Herkunft geschöpft, ja selbst eines Motivs,
das ihm eine — nicht nachweisbare Schöpfung — nordischer Kunst
geboten haben müßte (Jüngstes Gericht!) und führt so die italienische
Skulptur auf diejenigea Wege, die sie zu weiterer Entwicklung beschreiten
mußte. C. v. Fabriczy.
Italienische Architektur und Skulptur. Jahresbericht 1903.
L’Arte bringt in ihrem VI. Jahrgang (1903) die folgenden hierher-
gehörigen Beiträge.
A. Venturi (Le primizie del Caradosso a Roma, p. 1 ff.) schreibt
die beiden Bronzereliefs an der Konfession in S. Pietro in Vincoli vom
Jahre 1477 dem Caradosso zu, der sie bei einem ersten Aufenthalte zu
Rom (für den übrigens kein urkundliches Zeugnis besteht) als Jugend-
arbeit ausgeführt habe. Er stützt diese Attribution auf den Vergleich
der dekorativen Partien an den Reliefs mit dem Stil der Ornamente
(namentlich auch der männlichen Büste) an dem bekannten Bronzekästchen,
das dem Meister — jedoch auch ohne authentisches Zeugnis — zuge-
teilt wird.
M. Reymond bestreitet in seinem Artikel: La tomba die Onofrio
Strozzi nella chiesa della Trinita in Firenze (p. 7 ff.), die Möglichkeit des Ent-
stehens fraglichen Grabmals im Jahre 1418, setzt es erst nach 1430, und
gibt ihm das Monument der Eltern Cosimo Medicis in der alten Sakristei
von S. Lorenzo zum Vorbild. Das bekannte urkundliche Zeugnis dafür,
daß Piero di Niccolö das Strozzigrabmal 1418 in Auftrag erhielt (s. Reper-
torium XXV, 168) sucht Reymond durch die Annahme zu entkräften, es
habe sich dabei nur um eine einfache Grabplatte gehandelt, die später
durch das gegenwärtige Grabmal ersetzt worden sei. Die ziemlich faden-
scheinigen Argumente des Verfassers finden ausführliche Widerlegung in
einem Schriftchen Giov. Poggis: La Capelia e la Tomba di Onofrio Strozzi,
Firenze 1903, worin unter Beibringung urkundlicher Zeugnisse dargetan
wird, daß 1423 der 1418 begonnene Bau der Kapelle und ihre Aus-
stattung, samt Gent, da Fabrianos Altarbilde vollendet war. Und nur die
Hauptsache — das Grabmal — um derentwillen sie gestiftet war, sollte
gefehlt haben?
Literaturbericht.
275
D. Scano (Scoperte artistiche in Oristano, p. 15 fr.) gibt Kunde von
einigen Bildwerken in den Kirchen von Oristano auf der Insel Sardinien:
einer Bischofsstatue von Nino Pisano (bez.) in S. Francesco, wahrscheinlich
dem Rest eines Grabmals, sowie figürlicher Reliefs einer Kanzel in der
Kathedrale im Charakter der Schule Andrea Pisanos, endlich zweier
Chortransennen des 8. — 9. Jahrhunderts aus dem alten Dom zu Tarros.
Fr. La Grassa-Patti (Opere dei della Robbia in Sicilia, p. 3 7 ff.)
führt uns vier Arbeiten Andreas della Robbia vor, die sich in Kirchen
von Trapani, Messina, Palermo, sowie im Museum der letztgenannten
Stadt befinden.
G. Fogolari (Sculture in legno del secolo XII, p. 49 ff.) beschreibt
die skulpierten Holztüren in den Abruzzen: die sehr mitgenommene in
Carsoli vom Jahre 1132 mit Szenen aus dem Marienleben nach dem
Vorbild von Miniaturen komponiert und ursprünglich bemalt; diejenige
an S. Pietro in Alba Fucese, die dem Vorbild der Bronzepforten Süd-
italiens in der Ornamentation und dem Gegenständlichen folgt; endlich
die Flügel eines Altarschreins in S. M. maggiore zu Alatri (gleichfalls mit
Szenen des Marienlebens), der eine noch Vorhände Madonnenstatue aus
Holz von byzantinischem Typus umschloß, — beides Werke desselben
Meisters vom Ende des 12. Jahrhunderts, an denen sich die alte Bemalung
noch erhalten hat (an der Madonna unter späterer Vergoldung).
G. Biscaro (Un bastone pastorale del tesoro della cattedrale di
Treviso, p. 91 ff.) macht uns mit dem prachtvollen, reichskulpierten Bischofs-
stäbe zu Treviso bekannt, woran er die Hand eines in Venedig ansässigen
toskanischen Goldschmiedes vom Ende des 14. Jahrhunderts erkennen zu
können meint.
A. Moscatelli gibt interessante Notizen (samt bildlichen Beilagen)
über die bisher so wenig beachtete Abtei von S. Antimo am Monte
Amiata, einer Stiftung französischer Benediktiner vom Jahre 1118.
G. di Marzo und E. Mauceri machen mehrere, bisher nicht be-
achtete Bildwerke Domenico Gagginis in Palermo und anderen Städten
Siziliens bekannt (S. 147 ff.); Ant. Salinas bespricht ein Weihwasserbecken
des i2. Jahrhunderts und einen Reliquiendeckel byzantinischer Arbeit in
Lentini sowie Reste des Grabmals Speciale in Noto, möglicherweise ein
Werk Dom. Gagginis.
L. Testi polemisiert in einem weitläufigen Artikel (Intorno ai
Campanili di Ravenna, p. 165 ff.) gegen O. Gardeila, der die Entstehung
der ravennatischen Glockentürme erst ins IX. und X. Jahrhundert gesetzt
wissen will (s. Rassegna d’Arte 1902, S. 16 1 ff.), und beweist mit historischen,
künstlerischen und technisch-konstruktiven Argumenten, daß Glockentürme
in Ravenna schon im VI. Jahrhundert existierten (S. Apollinare in Classe).
Literaturbericht.
276
Die Polemik findet Fortsetzung in einem zweiten Artikel Testis (L’Arte
IV, 27 1), den er in Erwiderung der Antwort Gardelias auf seinen ersten
Artikel (s. Rassegna d’ Arte III, 1 5 2) schreibt, worin indes keine neuen
Argumente beigebracht werden.
P. Piccolomini bespricht in einer, den Bildnissen Pius II. gewid-
meten Mitteilung auch die im Appartamento Borgia aufgestellte Büste
aus Villa Pia und spricht ihr strenge Porträtähnlichkeit ab (p. 198).
L. Fiocca berichtet über die Ausgrabungen an S. Maria della Vittoria
bei Scurzola, der Votivstiftung Karls von Anjou nach seinem Sieg über
Konradin (p. 201), und gibt die- Abbildung einer Madonnenstatue, die
aus jener Kirche stammt und eine Arbeit deutschen Meißels aus dem
14. Jahrhundert zu sein scheint.
Pietro Toesca gibt in seinen »Ricordi di un viaggio in Italia «
(p. 225) Reproduktionen einer reizenden Holzstatue der Madonna aus
dem vorgeschrittenen Quattrocento, die sich in S. Maria del Sässo bei
Bibbiena findet, sowie eines Stuckreliefs des h. Martin zu Pferde vom
Jahre 1436, im Museo civico zu Verona, einer interessanten Arbeit, die
dem Kreis der Meister der Pellegrinikapelle und der Denkmäler Brenzoni
und Sarego angehört.
Gius. Sordini (La Cappella delle reliquie nel duomo di Spoleto,
p. 251 ff.) macht uns mit dem in der ehemaligen Sakristei des Spoletaner
Domes befindlichen Tabernakel und der sich daran schließenden Wand-
vertäfelung unter Mitteilung von Abbildungen derselben bekannt. Es ist
eine reich mit dekorativen und figürlichen Skulpturen ausgestattete Arbeit
zweier einheimischen Holzschnitzer vom Jahre 1546» des G. Andrea ser
Moscati und Damiano Mariotti, von denen sonst nichts bekannt ist.
G. Bertüzzi gibt einige Notizen über die Architektur der Abtei
von Chiaravalle della Colomba, um sodann näher auf die dort jüngst
aufgedeckten Fresken einzugehen (p. 306 fr.)
P. Egidi bringt Nachrichten über die Monumente von Soriano in
den ciminischen Bergen, die Kirche S. Giorgio, einen Bau des 11. Jahr-
hunderts (?), und ein Hostientabernakel der Bottega von Andrea Bregrio
in der Kirche S. Eutizio, sowie ein späteres aus dem Cinquecento in
S. Maria del Piano (p. 321fr.)
D. Scano berichtet über einige Monumente Sardiniens (S. Domenico
in Cagliari, S. Pantaleone in Martis, S. Mäddaleha bei Oristano und ein
gotisches Palastfenster in Sassari (p. 324).
G. Bacile gibt die Geschichte der Errichtung der Rocca zu Perugia
durch Paul III. unter Heranziehung der Zeichnungen Ant.’s da Sangallo dazu
in den Uffizien, und Mitteilung anderer Illustrationen des 1848 bezw. 1860
zerstörten imposanten Werkes (p. 347).
Literaturbericht.
277
Der Berichterstatter teilt in einem Briefe des Arztes Fr. Castelli an
die Herzogin Eleonora von Ferrara und einer Urkunde des Florentinei Staats-
archivs zwei bisher unbekannte gleichzeitige Berichte über Bau und Anlage
des- von Giuliano da Sangallo erbauten Augustinerklosters vor Porta
Sangallo in Florenz mit (p. 381 ff.).
Die neue Florentiner Monatsschrift Miscellanea d'Arte bringt in
ihrem ersten Jahrgang (1903) folgende Beiträge:
M. Reymond bespricht in seinem Artikel: La porte de la chapelle
Strozzi ä l’eglise de la Trinita (p. 4 ff.) dies Werk als eines der frühesten
Zeugnisse des Renaissancestils (neben dem Ospedale degli Inocenti und
dem Tabernakel der Arte del Cambio an Or S. Michele) und hebt daran
das zeitlich früheste Vorkommen von kannelierten Säulen hervor.
E. Calzini handelt über die Arbeiten Francescos di Simone in
Forli. Außer den ihm schon seither zugeschriebenen Werken (Büste Pino
Ordelaffis, Grabmal der Barbara Manfredi) sieht er Francescos Hand in
den Kapitellen des Porticus am Palast der Manfredi und in der Madonna-
lunette, die von der Seitentüre des Domes in die Pinakothek übertiagen
wurde. Die letztere ist aber viel eher als Arbeit seines Vaters Simone
anzusprechen (der um 145° 1 ernpio Maletestiano zu Rimini be
schäftigt war).
J. B. Supino nimmt (p. 41 ff.) eine in zwei Exemplaren im Museo
Nazionale vorhandene, seither dem G. Bologna gegebene kleine Bronze-
gruppe (als Herkules und Cacus oder Samson und die Philister gedeutet)
für Daniele da Volterra in Anspruch, indem er in dessen Gemälde des
bethlehemitischen Kindermordes in den Uffizien eine völlig analoge Gruppe
nachweist. Die Attribution Supinos erhält ihre Bestätigung durch eine
Anzahl Skizzen Danieles zu dem in Rede stehenden Werke, die P. N. Ferri
mitteilt (p. 64). E. Jacobsen endlich (p. 103) weist nach, daß Daniele
sich zu seiner Arbeit als Vorbild einer Tonskizze Michelangelos bediente,
die er für seine beabsichtigte Gruppe des Herkules und Cacus entworfen,
und die in Casa Buonarroti (6. Saal, 4. Schrank) vorhanden ist.
P. Papa veröffentlicht aus einem Notizenbuch im Archiv der Familie
Frescobaldi die Zahlungsvermerke, die sich auf die Vermietung einer
Bottega in dem den Frescobaldi gehörenden Hause im Fondaccio di
S. Spirito an Donatello während der Jahre 1421 — 1426 beziehen (p. 49
und 50).
G. Poggi bringt (p. 57 — 64) Urkundliches zum Bau der Kirche
S* Bartolomeo des Olivetanerklosters bei Florenz und über die für sie
gemalten, heut in den Florentiner Sammlungen befindlichen Gemälde
Lorenzo Monacos und Raff, del Garbos.
278
Literaturbericht.
Der Berichterstatter gibt urkundliche Zeugnisse aus dem Florentiner
Archiv über Holzbildhauerarbeiten Baccios da Montelupo (Kruzifix für
S. Maria dei Servi, Bildwerke iür die Badia von S. Godenzo), sowie einer
Wachsbüste Giuliano Medicis (für die erstgenannte Kirche).
G. Poggi veröffentlicht (p. 98 — 103) die urkundlichen Belege (Ver-
träge und Zahlungsvermerke) über Minos da Fiesoie Arbeiten für die
Badia von Florenz, die — in weniger getreuer Form — schon von
E. Müntz (L’Art ä la Cour des Papes I, 251 n. 4) gedruckt worden waren.
Derselbe Autor bringt im nächsten Hefte (p. 105 fr.) urkundliche Zeugnisse
für die Autorschaft Bern. Rossellinos an dem kleinen Sakramentstabernakel
im Chor von S. Maria Nuova, und den Text des Vertrags (p. 146 fr.),
womit dem Meister die Ausführung eines Teils der inneren Kuppelgallerie
des Domes im Jahre 1442 übertragen wird.
A. Canestrelli beschreibt, unter Beigabe von Abbildungen, die
interessante romanische Kirche zu S. Quirico im Orciathale bei Siena
(p. 197 fr.), J. Mesnil endlich stellt urkundlich für das Tabernakel der
Madonna der Maestri di pietre e di legnami im Museo nazionale das
Datum 147 5 fest, wonach es somit das älteste Werk Andrea della Robbias
von sichernachweisbarer Entstehungszeit wäre.
In der Mailänder Rassegna d'Arte für 1903 finden sich die folgenden,
unsern Gegenstandskreis betreffenden Mitteilungen:
Der Berichterstatter veröffentlicht zwei Briefe des florentinischen
Gesandten Niccolini am Hofe Lodovico Moros an Piero de Medici, die
von dem Modelle für einen Palast handeln, das Giuliano da Sangallo
entworfen und nach Mailand gebracht hatte, wo der Bau aufgeführt werden
sollte (p. 5 ff.)
G. Sordini (p. 6 ff.) beschreibt den Palazzo della Signoria zu Spoleto,
einen mächtigen Bau des Trecento, der bisher der Aufmerksamkeit der
Fachkreise entgangen war.
E. Caviglia schildert (p. 51—57) die Ruinen der Abteikirche
S. Maria della Roccella bei Squillace, die er dem 5. — 6. Jahrhundert
zuschreibt, während der Bau dem Ende des 12. angehört, wie E. Bertaux
(L’Art de l’Italie möridionale I, 128) jüngst nachgewiesen hat. Pag. 105
findet sich eine auf den gleichen Bau bezügliche Notiz des Münchener
Architekten Dr. Julius Groeschel, worin er dem Ende des 11. Jahrhunderts
zugewiesen wird (s. auch weiter unten zu: Zeitschrift für Bauwesen, 1903,
S. 429 ff.)
Fr. Malaguzzi macht einige Skizzen zu der von Pellegrino pro-
jektierten und z. T. auch 1580 ausgeführten Kirche S. Raftaello in Mailand
bekannt, die er im dortigen Staatsarchiv auffand (p. 5 7 ff.).
Literaturbericht.
279
A. Bellucci gibt (p. 66 ff.) urkundliche Notizen über die 1439 — 58
bei dem Wiederaufbau der Stadtmauer von Rieti beschäftigten lombardischen
Meister (zumeist von Varese).
Graf Carlo Gomba macht (p. 82) ein Stuckrelief der Madonna in
Villa Castello bei Florenz bekannt, eine Arbeit Agostinos di Duccio, die
Replik des Reliefs, das jüngst aus der Kirche von Auvilliers in den Louvre
gelangte.
G. B. Rossi teilt Abbildungen der beiden Robbiaarbeiten in Marseille
mit, der Pietä von Giovanni in der Kirche de la Major und der späteren
Verkündigung in Notredame de la Garde (p. 104).
L. Marinelli bespricht den Palast Riario-Sforza in Imola, den 1483
wahrscheinlich Giorgio Marchisi aus Settignano als verkleinerte Replik
von Pal. Riccardi-Medici in Florenz für Catarina, die berühmte Gattin
Girol. Riarios erbaute (p. 154).
In Napoli Nobilissima XII (1903) veröffentlicht Ant. Filangieri-
Candida eine Studie über die Büste der Sigilgaita in Ravello, die im
Repertorium XXVII, 377 resümiert wurde; G. Abatino gibt eine kurze
Besprechung der Cattolica in Stilo und der Kathedrale von Minturno;
F. Laccetti eine solche des Kastells von Monte Serico in der Basilicata.
E. Bern ich stellt die Behauptung auf, der Entwurf für den Triumphbogen
Alfonsos rühre von L. B. Alberti her, und seine Ausführung hätten Pisanello(!)
und Pietro da Milano geleitet; allein was er zu ihrer Stütze anführt,
beruht nicht auf objektiven Gründen, sondern nur auf seinen subjektiven
Ansichten. Über die der Vollendung nahen Wiederherstellungsarbeiten
am selben Monumente berichtet G. Muralt: II restauro all Arco di
Castelnuovo. Die Stadtmauern und Tore Neapels bespricht Ville sur-
Yllon: Le mura e le porte di Napoli. P. Piccirilli beschreibt einige
der hervorragendsten Denkmäler Marsiens (S. Lucia in Magliano, S. Maria
in Valle bei Rosciano, S. Maria in Moscufo, S. Pietro in Alba Fucese,
S. Mafia in Cugnoli, samt den in den vier letzten befindlichen Kanzeln
und Ambonen, endlich S. Cesidio in Trasacco mit zwei reichen Portalen
aus dem Trecento).
In der Rivista ligure X.XV (1903) p. 127 ff. bespricht A. Romualdi
den zur Niederlegung bestimmten romanischen Kreuzgang von S. Andrea
zu Genua und weist auf Grund neuerlicher Ausgrabungen nach, daß die
schon früher demolierte Doppelkirche in ihrem unteren Geschoß aus dem
10. oder 11. Jahrhundert stammte, während die Oberkirche anfangs des
16. Jahrhunderts errichtet wurde.
In Band XXII (1903) der Florentiner Wochenschrift Arte e Storia
bringt G. Carocci in einer Reihe von Artikeln wertvolle historische und
Repertorium für Kunstwissenschaft. XXVIII. 20
28o
Literaturbericht.
künstlerisch beschreibende Mitteilungen über mehrere weniger bekannte
Abteien Toskanas. Es sind dies die Badia von Agnano (p. 1 1) in Val
d’Ambra, vor xooo gegründet; die Abtei von Falesia (p. 28) am Meer-
busen von Piombino, 1022 gegründet, aber schon zu Beginn des 13. Jahr-
hunderts wegen ihrer ungesunden Lage verlassen (ihre Stelle bezeichnet
heut nur noch eine kleine Kapelle); die zwischen 862 und 882 als
Nonnenkloster gegründete, seit 1003 von Camaldulensern innegehabte
Badia della Berardenga im Sienesischen (p. 41); endlich die altberühmte
Abtei S. Salvatore am Monte Amiata, vom Longobardenkönig Rachis
(744 — 49) gegründet, von deren ursprünglichem Bau heut nur noch die
Krypta der Kirche vorhanden ist (p. 125).
L. Porciatti macht das Taufbecken im Dom zu Grosse.to bekannt,
1470 von einem sonst unbekannten Ser Ghino gearbeitet, bei der letzten
Restauration des Baues (1860) leider in seine Bestandteile zerlegt und
seither noch immer der Rekomposition harrend (p. 35).
D. Sant’ Ambro gio gibt eine historische Notiz über das Chor-
berrnstift S. Maria in Rivalta d’ Adda bei Treviglio (p. 43), zwischen 1090
und 1100 gegründet, zu Beginn des 12. Jahrhunderts ausgebaut, der Anlage
von S. Ambrogio in Mailand folgend (durchaus kreuzgewölbt bis auf das
Tonnengewölbe des Presbyteriums) und in den letzten Jahren verständnis-
voll in seiner ursprünglichen Gestalt wieder hergestellt. Noch eingehender
hat derselbe Autor den gleichen Gegenstand in zwei Nummern der Lega
Lombarda (vom 6. und 8. Februar 1903) behandelt.
A. Ansei mi berichtet (p. 145) über ein Altarwerk, das die Brüder
Ambrogio und Mattia della Robbia für eine Kapelle in S. Francesco zu
Macerata in den Marken 1527 — 29 ausführten. Vgl. unsere ausführliche
Mitteilung darüber im Repertorium XXVIII, 98.
C. Cipolla endlich beschreibt die Kirche S. Severo in Bardolino
am Gardasee, einen Bau des 1 x. Jahrhunderts (p. 155).
Über die im Archivio storico lodigiano 1903 p. 59 ff. veröffentlichte
Entdeckung eines in Holz geschnitzten Altarwerkes des Bongiovanni di
Lodi vom Jahre 1480 durch D. Sant’ Ambrogio wurde im Repertorium
XXVII, 378 des näheren berichtet; desgleichen über das von demselben
Autor in der Lega Lombarda vom 1. Juni 1903 zuerst bekannt gemachte
Maraiorrelief G. Ant. Omodeos im Bischofspalast zu Pavia (a. a. O. S. 188).
Auf das von ihm zuerst in der Lega Lombarda vom 3. Februar 1900
besprochene Grabmal Cameri im Dom zu Volpedo bei Tortona (s. Reper-
torium XXIII, 261) kommt dessen Entdecker D. Sant’ Ambrogio noch-
mals ausführlicher unter Beifügen einer figürlichen Darstellung zu sprechen
im Monitore tecnico von Mailand (20. April 1903).
Literaturbericht.
281
Über die schöne Entdeckung Supinos (die er in der kleinen
Schrift: L’incoronazione di Ferdinande» d’ Aragona, Firenze 1903 ver-
öffentlichte), durch die das vielumstrittene Krönungsrelief des Bargello
nunmehr als eine Arbeit Ben. da Majanos bestimmt ist, haben wir im
Repertorium XXVI, 262 berichtet.
L. Beltramis Schrift: Leonardo da Vinci negli studi per il tiburio
della catedrale di Milano. Per nozze. Milano 1903, gibt einleitend die
Geschichte des Kuppelbaues, um daran die Mitteilung von elf Dokumenten
zu schließen, welche sich auf das von Leonardo gelieferte Modell dazu
beziehen. Im Anfänge werden weitere 29 urkundliche Belege über den
Verlauf der betreffenden Arbeiten von 1467 — 1498 abgedruckt. Desselben
Autors: Bramante e la ponticella di Lodovico il M010 nel castello di
Milano. Milano 1903, gibt Notizen über Ursprung und Wiederherstellung
der dem urbinatischen Meister zugeschriebenen Brückenverbindung
zwischen zwei Teilen des Kastells vor Porta Giovia.
G. Agnellis Schriftchen: Il palazzo di Lodovico il M010 in Ferrara,
Ferrara 1903, trägt die Nachrichten über den der Tradition nach von
Lod. Sforza erbauten späteren Palazzo Calcagnini gia Costabili, den
schönsten Privatbau Ferraras zusammen.
C. Mariottis: Cenni storici ed artistici sul palazzo del Popolo in
Ascoli Piceno gibt über diesen wenig bekannten Bau Notizen.
Die in den letzten Jahren in nicht durchaus einwandfreier Weise
restaurierte Kirche S. Savino in Piacenza, eine frühromanische Pfeiler-
basilika findet eingehende Beschreibung in dem aus diesem Anlaß von
verschiedenen Lokalforschern zusammengestellten Schriftchen: La regia
Basilica di S.. Savino in Piacenza. Piacenza 1903. Und über die in der-
selben Stadt im Herbst 1902 stattgehabte Ausstellung namentlich kostbarer,
wenig gekannter kirchlicher Ausstattungsstücke berichtet in Katalogform:
G. Ferrari, Ricordo della mostra d’arte sacra a Piacenza nel settembre-
ottobre 1902. Piacenza 1903 pp. 53 con 32 fotoincisioni.
Darüber, was P. Bacci in seiner Schrift: Cinque documenti per la
storia dell’ arte senese del XIII e XIV secolo. Per nozze. Pistoja 1903,
pp. 27 in-8°, zur Entstehung des Grabmals Cinos da Pistoja im Dom dieser
Stadt ausführt, wurde im Repertorium XXVIII, 186 des näheren berichtet.
In nArte italiana decorativa e industrielle <t, anno 1903 bringt B. Lava
in seinem Artikel: Facciate dipinte nel Rinascimento a Oderzo (p. 9fr.)
Beispiele dieser Dekorationsart im genannten Orte; M. Morasso berichtet
(p. 35 ff.) in zwei reich illustrierten Beiträgen über die dekorative Aus-
stattung und namentlich auch über den kostbaren Kirchenschatz der
Scuola di S. Rocco in Venedig; G. Carotti gibt in seiner durch einige
20'
282
Literaturbericht.
Nummern sich fortsetzenden Studie: Le cariatidi nel medio evo (p. 5 8 ff.)
unter anderem die Abbildung des bisher kaum beachteten Ambonen in
der Kirche zu Groppina bei S. Giovanni Valdarno, eines rohen aber
interessanten, weil ältesten Spezimens der durch lombardische Meister
nach Toskana gebrachten frühmittelalterlichen Skulptur. E. Signori, Un
opera di Ben. da Briosco (p. 64), bespricht die für S. Tommaso in Cremona
gearbeitete Area der hh. Marcellinus und Petrus unter Mitteilung des Vertrags
vom Jahre 1506, womit die Arbeit Briosco übertragen wird. Bei der 1606
erfolgten Versetzung in die Krypta des Domes wurde die ursprüngliche
Anordnung geändert, indem der übrigens erst 1533 — 38 von G. B. Maglio
gearbeitete Sarkophag secentistische Zusätze erhielt. Nach Grassel lis
Abecedario p. 199 soll er überhaupt nicht der für die Reliquien der
hh. Marcellinus und Pietrus bestimmte Sarkophag, sondern die von Crist.
Pedoni um dieselbe Zeit gearbeitete Urne des h. Arealdus sein. A. Melani,
Ornamenti nel Palazzo ducale di Urbino (p. 90 ff.), schreibt die dekorative
Ausstattung dieses Baues ausschließlich Ambrogio da Milano und seiner
Bottega zu. Daß ein beträchtlicher Teil davon Dom. Rossel li angehört,
davon weiß dieser Herr nichts! A. Luxoro, Reliquiari nel tesoro della
Cattedrale di Genova (p. 96 ff.) bespricht unter Beigabe von Abbildungen
vor allem die gotische Silberarca der Asche des Täufers, inschriftlich 1438
durch Teramo di Daniele aus Porto Maurizio begonnen (von ihm der
Entwurf und die Ausführung des Architektonischen), von Simone Caldera
aus Siena 1441 und in den folgenden Jahren vollendet (von ihm rühren
die Reliefs und zahlreichen Einzelfiguren her). Sodann die Cassa für die
h. Hostie bei der Prozession des Frohnleichnamfestes, 1553 von Fr. Rocchi
aus Mailand und Agostino Groppi aus Venedig entworfen und in dem
konstruktiven Gerüst ausgeführt; in dem reichen figürlichen und Relief-
schmuck vollendet von einigen kunstgewandten flämischen Söldnern in
Diensten der Republik (Utpheten, Foes, Martinez und einem Arrigo).
Im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen, Bd. XXIV (1903) ver-
öffentlicht der Berichterstatter seine Studie über Adriano Fiorentino
(S. 71 — 98). Völlig neu ist der auf urkundlicher Grundlage erbrachte
Nachweis, daß der Meister sich nicht bloß als Bronzebildner, sondern
auch als Medailleur betätigt hat. Die Zahl der vom Berichterstatter
als seine Arbeiten erkannten sechs Medaillen hat W. Bode seither um
zwei vermehrt (s. Zeitschrift f. bild. Kunst XV, 1903, S. 41).
E. v. Ubisch und O. Wulff besprechen (S. 208 — 241) einen lango-
bardischen Helm im kgl. Zeughaus zu Berlin, der aus dem Fund von
Giulianova im Jahre 1896 stammt und für das Eindringen germanischer
Bildtypen und Kunstanschauung nach Italien zeugt.
Literaturbericht.
283
L. Justi versucht in seiner Studie: Giovanni Pisano und die toskanischen
Skulpturen des XIV. Jahrhunderts im Berliner Museum (S. 247 bis 283) die
Chronologie der Werke des Meisters aufzustellen und schließt daran eine
Würdigung der Arbeiten seiner Schüler, wie des späteren Trecento überhaupt.
W. Bode reproduziert und bespricht kurz Antonios della Porta Büste
des Acellino Salvago, die kürzlich als Geschenk der Erben der Kaiserin
Friedrich dem Berliner Museum einverleibt wurde (S. 318 — 319).
Der Berichterstatter gibt in seinem Artikel: Giuliano da Majano
in Siena (S. 320 — 334), Kunde von Lisinis urkundlichem Nachweis, wonach
Palazzo Spanocchi nach dem Entwurf des Meisters erbaut wurde, und
führt einige andere Paläste Sienas (Pal. Del Vecchio, Refugio di S. Galgano)
auf den Einfluß dieses Vorbildes zurück.
Im Beiheft zu vorliegendem Bande des Jahrbuchs endlich ver-
öffentlicht derselbe die chronologischen Prospekte zum Leben und Werke
von Giul. da Majano und Pagno di Lapo mit reichen Erläuterungen und
Urkundenbelegen (S. 119 — 154).
In der Zeitschrift für bildende Kunst, Bd. XIV (1903) beschäftigt
sich ein Artikel R. Delbrücks: Ein Porträt Friedrichs II. von Hohenstaufen
(S. 17 — 21) mit der Büste am Giebel der Kathedrale von Acerenza, die
von ihm mit den Skulpturen vom Brückenkopf zu Capua in eine Reihe
gestellt wird. Dagegen erhebt ebendort (S. 86) F. Philippi seine Stimme,
sich auf die Siegelporträts Friedrichs II. stützend. Ebenso (S. 246 — 255)
J. R. Dieterich unter Heranziehung des gesamten numismatischen und
sigillographischen Materials.
Ernst Pollaczek: Zwei Selbstbildnisse des Nicola Pisano (S. 143
bis 146) glaubt in den Reliefs der Kanzeln von Pisa und Siena zwei
Porträts des Meisters nachweisen zu können.
E. Steinmann stellt (S. 147 — 157) zuerst das CEuvre des Bild-
hauers Michele Marini zusammen, indem er von dessen Sebastianstatue
und Madonnenrelief in der Kapelle der Maffei in S. Maria sopra Minerva
zu Rom ausgeht, Arbeiten, von denen wenigstens die erstere durch Vasari
als Werk Marinis beglaubigt ist. Auf Grund von Stilanalogie mit
diesen werden dem Meister die Grabmäler Agostino und Benedetto Maffeis
ebendaselbst, dasjenige Filippos della Valle in Araceli und das Lorenzo
Cibos, jetzt in S. Cosimato, ferner die Ponzettiepitaphien in S. Maria
della Pace, endlich die liegende Grabstatue des Erzbischofs von York
in S. Tommaso degli Inglesi zugeteilt, u. E. , mit vollem Recht.
Die Berliner Zeitschrift für Bauwesen (1903) enthält folgenden
Beitrag von J. L. Heiberg: Die Kanzel von Moscufo und verwandte
mittelalterliche Kanzeln in den Abruzzen (S. 275 ff.). Was er Geschieht-
284
biteraturbericht.
liches und Stilkritisches über diese Denkmäler des n. — 13. Jahrhunderts
ausführt, ist wohl durch die eingehende Behandlung, die ihnen Bertaux
in seinem monumentalen Werke Über die Kunst Süditaliens angedeihen
läßt, überholt; dagegen behalten die ganz vorzüglichen illustrativen Bei-
gaben von Heibergs Aufsatz ungeschmälert ihren Wert. Ferner bringt
die gleiche Zeitschrift eine ausführliche Studie Dr. Julius Groeschels
über S. Maria della Roccella (S. 429—448; vgl. oben zu Rässegrtä d’ Arte
p. 51 — 57), deren Ergebnis darin gipfelt, daß der Verfasser diese heut in
Ruinen liegende kreuzförmig gewölbte Basilika für eine Gründung süd-
französischer Mönche vom Ende des n. Jahrhunderts, nach dort heut
noch bestehenden Vorbildern, erklärt. Dies bestreitet Strzygowski: Der
angebliche Stillstand der Architekturentwicklung von Konstantin bis auf
Karl d. Gr. (S. 630 — 634), indem er für die in seinem Buche; »Kleinasien,
ein Neuland der Kunstgeschichte« gewonnenen Ergebnisse eintritt, und
die Analogien zwischen S. M. della Roccella und ihr nahestehenden
Anlagen in Südfrankreich daraus erklärt, daß er sie auf die beiden gemein-
same orientalische (kleinasiatische) Quelle zurückführt, die schon in der
Zeit zwischen Konstantin und Justinian die gewölbte Kreuzbasilikä äüf-
weist. Er sieht sonach in dem süditalienischen Bau eine Gründung
orientalischer (Basilianer) Mönche aus der Zeit zwischen Konstantin und
Karl d. Gr.
Band XXIV (igoj) des Jahrbuchs der Kunstsammlungen des öster-
reichischen Kaiserhauses enthält J. von Schlossers Artikel: Über einige
Antiken Ghibertis (S. 125 — 159). In der bei ihm gewohnten geistvollen
und anregenden Weise behandelt er im ersten Teil seiner Studie das
sogenannte »Bett des Polyklet«, — worin er eines jener hellenistischen
Totenmalreliefs nachweist, die man jetzt mit dem Heroenkultus in Ver-
bindung bringt, während man ihnen in den Kreisen der Sammler und
Gelehrten der Renaissance einen stark erotischen Sinn unterschob. Mit
Hilfe synchroner Zeugnisse wird die Geschichte der vier Exemplare jenes
Reliefs, wovon uns Kunde überliefert ist, rekonstruiert und dabei das —
wahrscheinliche — Ergebnis gewonnen, das Exemplar Ghibertis sei durch
die Sammlungen Gaddi, Bembo, Alfons I. von Ferrara in jene Rudolfs II.
gelangt, wo seine Spur sich verliert. Der zweite Artikel beschäftigt sich
mit der »Venus des Lysipp, d. h. jener Statue, die — wie uns Ghiberti
in seinen Kommentarien berichtet — in Siena aufgefunden und als
Krönung des Stadtbrunens aufgestellt, aber nach kurzer Zeit wieder ent-
fernt wurde, »cum inhonestiim videatur«, wie es in der Begründung des
Ratsbeschlusses vom 7. Nov. 1357 lautet. Schlosser frägt sich nun, ob
die Statue nicht Anregung und Vorbild zu der seltsamen und ganz unge-
wöhnlichen Verkörperung der Klugheit gegeben habe, die wir in der
Literaturbericht.
285
Gruppe der von den Kardinaltugenden umgebenen Verkörperung der Stadt
Pisa, die einst einen Bestandteil der Domkanzel Giov. Pisanos bildete,
sehen und die in Stellung und Gebärde durchaus an die Venus von Medici
erinnert. Es wäre dies ein Faktum von nicht geringem Wert für die
Erkenntnis der künstlerischen Psyche im 1 recento. — Im Schlußteil seiner
Studie bringt unser Verfasser den Kolossaltorso eines herkulisch gebauten
Satyrs der Uffizien, den man jetzt der pergamenischen Schule zuweist, und
der 1778 aus dem Besitze der Gaddi erworben wurde, mit der Isakfigur auf
Ghibertis bekanntem Konkurrenzrelief in Verbindung, mit der er eine gewisse
Verwandtschaft aufweist. Freilich steht es nicht mit Sicherheit fest, daß der
Torso einst wirklich im Besitz des Meisters war, aber unwahrscheinlich
ist dies keinesfalls. Im Verfolg seiner höchst interessanten Ausführungen
geht dann Schlosser auf den Unterschied in der Auffassung der Antike
näher ein, der sich in ihrer Nachahmung, bei dem Meister der Venus von
Pisa und bei Ghiberti kundgibt: für jenen liefert sie nur das »Exemplum«,
d. h. das mittelalterliche Erinnerungsbild, — Ghiberti eignet sie sich
nicht mehr äußerlich, stofflich, phantastisch an, sondern als eine innere
Erfahrung, die ihm die rechten Wege zum eigenen Kunstschaffen weist
und lehrt, weil ein Funke ihres Geistes auch in ihm lebt.
Band X (1903) der Monuments et Mimoires, Fondation Engine Piot
enthält einen Artikel Andrö Michels über Agostinos di Duccio Marmor-
relief der Madonna mit Engeln, das unlängst aus der Schloßkapelle von
Auvilliers (Oise) in den Besitz des Louvre übergegangen ist. Ein Mitglied
der Familie de Bonni£res, das in Italien unter Bonaparte diente, hatte
es zu Anfang des 19. Jahrhunderts dorther mitgebracht und an den
genannten Ort, der in seinem Besitz war, gestiftet. Jüngst wurde in der Villa
von Castello bei Florenz eine fast ganz identische Stuckreplik des Louvre-
reliefs aufgefunden (s. Rassegna d’ arte, Julinummer 1903), dessen Entstehung
der Entdecker Graf Gamba für die Jahre 1465 — 68 festlegen konnte. Nun
steht der Typus der Madonna und der Engel im Castellorelief demjenigen der
Figuren des zweiten Reliefs des Meisters, das etwas früher durch Schenkung
Adolph Rothschilds in den Louvre kam, näher, als dem des Auvilliersreliefs, und
da dies letztere namentlich in den beiden Stiacciatoengeln des Hintergrundes
die größten Analogien mit ähnlichen von Duccio in Rimini gemeißelten
Gestalten besitzt, so läßt sich die Reihenfolge der in Rede stehenden
Arbeiten festlegen: das Rothschildrelief entstand — nach 1450 — zuerst,
dann — zwischen 1465 u. 1468 — det Stuck in Villa Castello und danach
später das Marmorrelief aus Auvilliers. Da dies letztere abei demjenigen
im Museo dell’ Opera del Duomo ganz stilähnlich ist, so muß auch dies
in die Spätzeit des Meisters gesetzt werden. C. v. Fabnczy.
Mitteilungen über neue Forschungen.
Die Fresken des Antoniazzo Romano im Sterbezimmer der h.
Katharina von Siena zu S. Maria sopra Minerva in Rom macht uns zuerst
Adolf Gottschewski nicht nur als Arbeiten des genannten Meisters, sondern
überhaupt in einer bei Heitz in Straßburg erschienen, mit trefflichen
Reproduktionen ausgestatteten Publikation bekannt. Denn wenige, selbst
unter den Fachgenossen, werden in die dunkle, hinter der Sakristei der
Minerva gelegene Kapelle, die die fraglichen Wandbilder birgt, gedrungen
sein. Außer dem größten Hauptbild der Kreuzigung und einer Verkündigung
sind es zehn Einzelgestalten von Heiligen. Ihre Bestimmung auf Antoniazzo
begründet der Verfasser durch die stilistische Analogie mit der in der-
selben Kirche befindlichen Tafel der Verkündigung, und noch schlagender
mit der Kreuzigung am Tabernakel über dem Hochaltar von S. Giovanni
in Laterano, die die größte Ähnlichkeit in Formen, Gewandbehandlung,
Art der Komposition mit der Minervakreuzigung aufweißt. Die Lateran-
kreuzigung wurde wohl bisher dem Bonfigli. und Fiorenzo di Lorenzo
gegeben; aber Gottschewski weist die absolute Gleichheit zwischen
mehreren ihrer Figuren mit solchen auf bezeichneten Bildern Antoniazzos
nach und rechtfertigt somit die Zuteilung der Tabernakelbilder an
Antoniazzo und somit auch die der Minervafresken an denselben
Meister. Des weiteren bietet der Verfasser einen sorgfältigen Prospekt
über Leben und Werke Antoniazzos und charakterisiert ihn als »ein
wirtschaftliches Talent«, der.es verstand, mit der Kurie in stete Verbindung
zu gelangen, das Wasser ihrer Bestellungen auf seine Mühle zu treiben
und von den Beamten sein Geld einzukassieren — Dinge, die in Rom
wichtiger waren als anderswo. Endlich gibt Verfasser auch Apercus zur
Charakterisierung der Künstlereigenart seines Helden. Seine Kunst
ist einfach, ernst, streng, seine Gestalten würdevoll und feierlich, von
einer gesteigerten Körperlichkeit und Wucht, wie sie dann voll erst in den
Schöpfungen des Cinquecento erreicht wird. In ihm tritt etwas Neues in
die Geschichte der Malerei: Rom. Ein Verzeichnis der authentischen
und attribuierten Werke des Meisters1), sowie eine Bibliographie der sich
’) Seither ist eine weitere Arbeit von ihm, eine Freske der Verkündigung im
Pantheon (erste Kapelle rechts vom Eingang) aufgedeckt worden (s. Giornale d’ Italia
vom io. -Juli 1904).
Mitteilungen über neue Forschungen.
287
mit ihm beschäftigenden Schriften und Artikel schließen die wertvolle,
mit Sorgfalt und Liebe gearbeitete Studie unseres Verfassers. C. v. F.
Pistojas Kunstschätze hat jüngst ein junger florentinischer Forscher zum
Gegenstand eingehenderer Darstellung und kritischerer Betrachtung gemacht,
als sie die bisherigen Guide» und Lokalhistoriker (Ciampi, Tolomei, Tigri)
boten (Odoardo H. Giglioli, Pistoja nelle sue opere.d’ arte, Firenze 1904,
176 S. gr. 8° mit 42 Illustrationen). Schon daß der Verfasser seine Arbeit
mit sorgfältigen Inhaltsverzeichnissen der Werke, Künstler und urkund-
lichen Belege, sowie einer Bibliographie der von ihm benutzten einschlägigen
Publikationen einleitet, erweckt von vornherein für sie günstige Erwartungen,
die sich bei näherer Bekanntschaft durchaus rechtfertigen. Giglioli beginnt
mit einer Übersicht der Architektur an Kirchen und Palästen, behandelt
dann in chronologischer Folge die Werke der Skulptur (mit Einschluß
der Ho}zde^orationen und Goldschmiedearbeiten) und schließt mit der
Schilderung der Fresken und Tafelbilder. Der Verfasser hat sich mit
seinem Gegenstände genau vertraut gemacht; er gibt allemal zuerst die
Ansichten seiner Vorgänger, wägt sie sorgfältig und begründet daraufhin
sein eigenes Urteil. Daß er die Forschungen, die dank dem Eifer einiger
für die Vergangenheit ihrer Vaterstadt begeisterten Männer, in dem kürzlich
begründeten Bolletino pistojese auch für die Kunstgeschichte interessante
Aufschlüsse ergeben haben, durchaus kennt und berücksichtigt, versteht
sich von selbst. Aber auch Giglioli selbst hat dies urkundliche
Material durch glückliche Entdeckungen in den Florentiner und Pistojeser
Archiven zu vermehren vermocht (s. z. B. das Statut der Arte de’ Legnaiuoli,
S. 110, den Vertrag über die Anfertigung der Domtüren, S. 114 u. a. m.).
Auch die Würdigung und teilweise Reproduktion der kürzlich, dank
namentlich dem Eifer der Brüder Chiappelli, in S. Francesco aufgedeckten
Fresken gibt Giglioli hier zuerst; gleicherweise ist ihm die erste ein-
gehendere Beschreibung der Wandbilder (sowie die Wiedergabe eines
davon) in Casa Tonini (ehemals Kloster der Frati del T) zu danken;
ihre Zuschreibung an Antonio Vite zieht der Verfasser in Zweifel, und
hofft durch weitere Forschungen im Pistojeser Archiv die Frage endgültig
lösen zu können. So vielem Wertvollen gegenüber kommen kleine Aus-
lassungen und Versehen kaum in Betracht. So ist z. B. des Verfassers
Zweifel an der Autorschaft Ben. Bugliones für die Krönungslunette am
Ospedale del Ceppo durch unsere Mitteilung eines Zahlungsvermerks
dafür widerlegt (s. Rivista d’ Arte II, 139), und das Auferstehungsrelief
in S. Francesco auch als sein Werk nachgewiesen (1. c. p. 56). Das
Madonnenrelief im Pal. comunale, von Giglioli nur allgemein als Arbeit
288
Mitteilungen über neue Forschungen.
eines Minoschülers bestimmt, haben wir schon in der 8. Auflage des
Cicerone, als dem »Meister der Marmormadonnen« gehörig aufgeführt.
Leider kennt Giglioli die neuesten Ciceroneausgaben nicht, sondern zitiert
stets die veraltete französische Übersetzung der fünften Auflage, und mit
ihr manche seither berichtigten irrtümlichen Angaben der letzteren (s. z. B.
S. 76 über das Taufbecken von S. Giovanni fuorcivitas). Die Angabe
S. 46, man habe behauptet, Giov. Pisano sei in Apulien geboren, beruht
selbstverständlich auf einer Verwechslung mit seinem Vater, die andere
S. 109, das Imbriachiatelier habe in Florenz bestanden, auf einem Irrtum,
v. Schlossers schöne' Arbeit über den Gegenstand scheint unserem Verfasser
entgangen zu sein; in der Bibliographie ist sie nicht angeführt. Ebenso
fehlen darin Fioravantes »Vacchettone«, Burckhardts »Baukunst der Re-
naissance«, Venturis Aufsatz über Francesco Ferrucci im Archivio storico
dell’ Arte, unsere Brunelleschimonographie, und sind bei Anführung von
Zeitschriftenartikeln die Titel nicht angegeben. — Endlich wäre die
häufige Anführung der Angaben von Mothes’ durchaus kritikloser »Bau-
kunst des Mittelalters in Italien« besser weggeblieben. C. v. F.
Nekrolog.
Gustav Ludwig.
In Gustav Ludwig, der am 16. Januar 1905 zu Venedig, im Cappello
nero, wo er seinen Wohnsitz ein Jahrzehnt hindurch gehabt hat, ver-
schied, hat die deutsche Kunstwissenschaft ihren namhaftesten Vorkämpfer
auf italienischem Boden verloren. Durch eine Vereinigung aller Eigen-
schaften, deren der Forscher bedarf, unermüdlichen Fleiß und Zähigkeit,
Spürsinn (den Vorläufer des Finderglücks) und die weitesten Gebiete
umfassende Kenntnisse, hat er sich, obschon nicht »vom Fach«, in wenigen
Jahren eine in Deutschland und Italien gleich hervorragende, ja einzige
Stellung erworben.
Wie er eigentlich dazu gekommen ist, sich diesem speziellen
Forschungsgebiet zuzuwenden, hat keiner auch der ihm nahestehenden je
genau erfahren, wie er denn überhaupt mit Mitteilungen über sein
Leben äußerst sparsam war. Nur daß er, aus Hessen gebürtig, etwa
zwanzig Jahre hindurch als Arzt in London tätig gewesen ist, hat er
gelegentlich erzählt. In Beziehung zu dem Sammler Henry Doetsch, hat
er sich mit Bildern zu beschäftigen angefangen. Es heißt, daß der Zufall,
da er über irgend ein Bild etwas im Staatsarchiv zu Venedig zu erfragen
wünschte, ihm unbekanntes, reiches Material in die Hand spielte und
sein Interesse rege machte.
Die venezianische Kunstgeschichte war nun freilich nicht in dem
Maße von der Forschung vernachlässigt worden, als man es gelegentlich
aussprechen hört. Schon im achtzehnten Jahrhundert hatte Zanetti urkund-
liche Nachrichten über die Maler mitgeteilt, im letzten Jahrhundert ver-
öffentlichten die beiden Geistlichen Jacopo Morelli und Giannantonio
Moschini viel wertvolles Material. In Emanuele Cicogna, dessen Haupt-
werk, die »Iscrizioni veneziani« (sechs Bände 1823 — 1854), leider Fragment
geblieben ist, hat die venezianische Forschung auf allen Gebieten der
Historie einen Repräsentanten von unvergänglicher Bedeutung gehabt
Lorenzi, in seinen Monumenti per servire alla storia del Palazzo Ducale
(nur Band I erschienen, 1868) übergab eine Fülle wichtiger Daten zur
Geschichte der drei Schwesterkünste der Öffentlichkeit. Vielerlei Material
erschien in dem Archivio Veneto, wo unter anderm der Archivdirektor
290
Nekrolog.
Cecchetti Mitteilungen über venezianische Maler machte, während
P. G. Molmenti das kulturelle Leben der Stadt in seiner »Storia di
Venezia nella vita privata« (zuerst 1879) in großen Zügen darstellte.
In der neuesten Zeit bewiesen die Publikationen Paolettis, die
zwei Hefte der Documenti inediti per servire alla storia della pittura
Veneziana (Padua 1894/95), dann das monumentale Werk — Architettura
e scultura di Venezia (Venedig 1893) — , wieviel für den Forscher trotz
so namhafter Vorgänger zu tun übrig geblieben war.
Kurze Zeit nachdem Paolettis Arbeiten erschienen waren, setzte
Ludwigs Forschertätigkeit ein. Er erkannte, was vor allem not tat, um
Resultate von bleibender Bedeutung zu gewinnen: die planmäßige Durch-
arbeitung aller Abteilungen des venezianischen Archivs. Er bewies
hierbei eine Klarheit des Vorgehens, ein organisatorisches Talent, die
zum Teil den glänzenden Erfolg seines Wirkens begreiflich erscheinen
lassen. Bereits in einem seiner ersten Aufsätze, den er publizierte — in
dieser Zeitschrift vor nunmehr sechs Jahren — hat er seine Grundsätze
niedergelegt: er beherrschte und übersah das weite Gebiet schon damals
vollkommen.
Er setzte überall dort ein, wo die frühere Forschung gar nicht oder
unvollkommen wirksam gewesen war.
Es ist bekannt, daß die napoleonische Epoche mit ihren gewalt-
samen Umwälzungen den Kunstbesitz von Kirchen, Klöstern, Brüderschaften
frei machte, der jahrhundertelang wenigen Veränderungen unterworfen
gewesen und in zahlreichen Handbüchern (Guiden) aufgezeichnet worden
war. Seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts aber war der Faden
der Tradition abgerissen. . Ludwig durchforschte die Papiere des Dele-
gaten Edwards, dem die Ordnung des Bildbestandes Venedigs anvertraut
worden war, und es gelang ihm nachzuweisen, wo die überall hin ver-
streuten Kunstwerke ursprünglich sich befunden hatten. Damit war dann
die Basis für die weitere Forschung gegeben.
Gleichzeitig wurden die verschiedensten Abteilungen des Archivs,
die Notariatsakten vorzüglich, Steuerangaben, Serien der Behörden und
was sonst, systematisch durchgesehen und es trat eine alle überraschende
Fülle unbekannten Materials zutage. Große und kleine hat er mit
gleicher Liebe behandelt, es schien ihm nichts unwesentlich, ob nun die
größten Meister oder bescheidene Kunsthandwerker in dieser Weise
unserer Erkenntnis näher gebracht wurden. Dieses weite und breite
Forschungsprinzip führte ihn frühzeitig auf kulturelle Dinge im allge-
meinen, und er legte jene große Sammlung von Inventaren des Privat-
besitzes an, die der Wissenschaft nutzbar zu machen ihm selbst nicht
beschieden gewesen ist.
Nekrolog.
291
Daneben hat er einzelne Meister mit besonderem Interesse behandelt
und in große, zum Teil verworrene Gebiete Klarheit und Ordnung
gebracht. Seine Aufsätze über Bonifazio berichtigten nicht nur einen
alten Irrtum, der auf Moschini und Bernasconi zurückgeht, bezüglich der
Person ; sie behandelten auch das ganze Bildmaterial des Künstlers und
seiner Werkstatt und rekonstruierten die Staatsräume, für die jene Gemälde
einst geschaffen worden waren. Für Carpaccio hatte er eine besondere
Vorliebe; ihm war sein erster Aufsatz gewidmet; dann hat er in seinem
Werke über die Scuola di Sant’ Orsola seines Meisters Hauptwerk
erschöpfend behandelt (zusammen mit Molmenti). In der Vorbereitung
zu einem abschließenden Buch über Carpaccio hat ihn der Tod abge-
rufen und dem italienischen Mitarbeiter die verantwortungsvolle Aufgabe
hinterlassen, aus Andeutungen und Illustrationen dasjenige herzustellen,
was Ludwig vorgeschwebt hat.
Endlich ging er dem Inhalt einzelner Bilder nach, um deren
Deutung man sich bis dahin vergebens gemüht hatte. Mit Zähigkeit
eroberte er sich auch hier ein weites Gebiet; er ging zurück auf die uns
so fernliegende Anschauungsweise des späten Mittelalters und fand in
französischen Miniaturen die Vorbilder wieder, aus denen sich die
Elemente von Bellinis Bild der »Madonna am See« zusammensetzen.
Und so deutete er desselben Meisters Allegorien in der venezianischen
Akademie und hatte ebenso das Material für die Erklärung von Tizians
»Himmlischer und irdischer Liebe« zusammengestellt. Vor etwa sechs
Jahren hat er es mir einmal vorgelegt und erläutert; aber der Aufsatz
ist nie geschrieben worden und es ist zweifelhaft, ob sich mehr als die
Illustrationen im Nachlaß finden werden.
Denn er arbeitete alles im Kopfe aus, bis zum letzten, hatte das
Material abgeschlossen und musterhaft geordnet bereit; in kürzester Zeit
war er dann imstande die Niederschrift vorzunehmen. Was für ihn das
Selbstverständliche war, bedeutet nun, da er nicht mehr seine Truppen
kommandieren kann, für die Wissenschaft einen schweren Verlust. Mit
ihm sind Schätze zu Grabe getragen worden, die zu heben ein anderer
kaum imstande sein wird.
Was er geleistet hat, davon gibt bessern Begriff, als es die Worte
selbst tiefster Verehrung vermögen, das Verzeichnis seiner Schriften, das
am Schluß folgt. Ein Wort aber sei von dem Menschen gesagt, der in
gewissem Sinne noch mehr war als der Forscher. Eine Gestalt, wie die
Ludwigs, ist in einer Zeit, wo wissenschaftliches Arbeiten als Selbstzweck
leider selten geworden ist, doppelt vorbildlich. Seine Bescheidenheit
war ebenso groß, als sein Wissen. Er lehnte stets jeglichen Dank ab,
auch wenn er mit beispielloser Freigebigkeit unpubliziertes Material einem
292
Nekrolog.
andern zur Verfügung stellte. Keiner, hat über venezianische Kunst ge-
arbeitet, dem er nicht mit Dokumenten, mit Photographien, die er oft
mit bedeutenden Kosten herstellen ließ, unterstützt hätte. Und wie mit
Rat während der Arbeit, so förderte er mit gütigster Anerkennung die
Leistung der Jüngeren und suchte sie so zu mutigem Vorwärtsstreben zu
ermuntern.
Doch hat er eines beklagt und schmerzlich empfunden: daß er mit
seinen Bestrebungen allein dastand, daß aus Deutschland, trotz der stetig
wachsenden Zahl der Kunsthistoriker, sich ihm keine Hilfskräfte zur
Verfügung stellten. Er empfand es doppelt, wo schweres Leiden ihn
einen Teil des Jahres ans Krankenlager fesselte.
Wie er durch sein gütiges Wesen auch in Venedig sich aller Sym-
pathie gewonnen hat, das hat die Beisetzung in vollem Umfang bewiesen.
Als einen um die Stadt Hochverdienten, hat man ihn in San Marco auf-
gebahrt; Venedigs Stadthaupt mit dem klangvollen Patriziernamen, die
Spitzen der wissenschaftlichen Institute haben in dieser letzten Stunde
die Bewunderung ausgesprochen, die er im Leben stets von sich
bescheiden zurückgewiesen. Dann hat man ihn zur letzten Ruhestätte nach
San Michele geleitet, der Toteninsel auf dem Weg nach Murano, deren
künstlerischen Schmuck er erläutert hat, und die er selbst charakterisierte
als den »Wallfahrtsort der Venezianer, welche dort die Gräber ihrer Toten
schmücken und in stiller Abgeschiedenheit der Rückerinnerung mit ihnen
leben«. Georg Gronau.
Verzeichnis der Schriften G. Ludwigs.
1897. Vittore Carpaccio. I. La scuola degli Albanesi in Venezia. Archivio storico dell
arte. Serie II, anno III, S. 405.
1899. Neue archivalische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei. (Zu-
sammen mit P. Paoletti). Einleitung. Die Vivarini und die Muranesen.
Repertorium Bd. XXII, S. 87, 255, 427.
1900. Neue archivalische Beiträge usw. Über die Malerfamilie Bastiani. Repertorium
Bd. XXIII, S. 173, 274.
1901. Bonifazio di Pitati da Verona, eine archivalische Untersuchung I./II. Jahrbuch
der preußischen Kunstsammlungen, Bd. XXII, Heft II und III.
Dokumente über Bildersendungen von Venedig nach Wien in den Jahren 1816
bis 1838 aus dem Archivio di Stato zu Venedig. Sammlungen d. AH.
Kaiserhauses Bd. XXII, 2. Teil, S. 1.
Contratti fra lo stampador Zuan di Colonia ed i suoi socii e inventario
di una parte del loro magazzino. Pubblicato a spese del Comune di Venezia
in occasione della V. Riunione della Societä Bibliografica Italiana (dann in
Miscellanea di storia Veneta, 2. Serie, Vol. VIII, 1902).
1902. Bonifazio di Pitati usw. III. Jahrbuch, Bd. XXIII, Heft I.
Nekrolog.
293
Giovanni Bellinis sogenannte Madonna am See in den Uffizien, eine religiöse
Allegorie. Jahrbuch Bd. XXIII, Heft IIJ/IV.
Antonello da Messina und deutsche und niederländische Künstler in Venedig
Jahrbuch a. c., Beiheft S. 43.
1903. Vittore Carpaccio et la Confr^rie de Sainte Ursule a Venise. (Zusammen mit
P. G. Molmenti.) Florenz, R. Bemporad.
Die Altarbilder der Kirche S. Michele di Murano und das Auferstehungsbild des
Giovanni Bellini in der Berliner Galerie. (Zusammen mit W. Bode.) Jahrbuch
Bd. XXIV, Heft II.
Archivalische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei. I. Die Berga-
masken in Venedig. Jahrbuch, Beiheft S. 1.
Neue Funde im Staatsarchiv zu Venedig (Sebastiani Luciani. lizians Hoch-
zeit). Jahrbuch S. 110.
1904. La patria dei pittori Carpaccio. (Zusammen mit P. G. Molmenti.) Emporium
Bd. XIX, S. m, Februar-Heft.
La Madonna degli Alberetti (ebenso). Emporium Bd. XX S. 109, August-Heft.
In Vorbereitung:
Archivalische Beiträge usw. II. Erscheint im diesjährigen Beiheft des Jahr-
buchs.
Venezianischer Hausrat zur Zeit der Renaissance.
Restello, Spiegel und Toilettenutensilien in Venedig zur Zeit der Renaissance
(herausgegeben von Dr. Rintelen).
In: Italienische Forschungen, herausgegeben vom Kunsthistorischen Institut.
Band 1.
Carpaccio (veröffentlicht von P. G. Molmenti).
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
Anderson, W. J. und R. Phene Spiers. Die Architektur von Griechen-
land und Rom. Fünf Lieferungen mit 185 Abbildungen, darunter
43 Tafeln. Leipzig. Karl W. Hiersemann. Jede Lieferung M. 3.
Cherbuliez, Victor. Die Kunst und die Natur. I. Übersetzt von
H. Weber. Ascona. C. v. Schmidtz. M. 2.35.
Chl§dowski, Casimir. Siena. Erster Band. Berlin. Bruno Cassirer.
Dryhurst, A. R. Raphael. Little Books on Art. London. Methuen
& Co. 2/6.
Frey, Adolf. Die Kunstform des Lessingschen Laokoon mit
Beiträgen zu einem Laokoonkommentar. Stuttgart und Berlin.
J. G. Cottasche Nachfolger. M. 3.
Haseloff, Arthur. Die Kaiseri nnen gr aber in Andria. Ein Beitrag
zur apulischen Kunstgeschichte unter Friedrich II. Mit q Tafeln
und 25 Textabbildungen. Rom. Loescher u. Co. M. 4.50.
Herders Bilderatlas zur Kunstgeschichte. Erster Teil. Altertum
und Mittelalter. 76 Tafeln mit 720 Bildern. Freiburg i. B. Herdersche
Verlagshandlung. M. 8.
Laban, Ferdinand. Heinrich Friedrich Füger, der Porträt-
miniaturist. Mit 78 auf 13 z. T. farbigen Lichtdrucktafeln und
in den Text gedruckten Abbildungen. Berlin. G. Grote. M. 15.
Lafenestre, G. et E. Richtenberger. Rome, Les Musees, les Collections
particulidres, les Palais. Ornd de cent reproductions photo-
graphiques. Paris. Librairies-Imprimeries, Reunies. Fr. 10.
Leitschuh, Franz Friedrich. Flötner-Studien. I. Das Plakettenwerk
Peter Flötners in dem Verzeichnis des Nürnberger Patriziers
Paulus Behaim. Mit 20 Tafeln. Straßburg. L. Beust. M. 14.
Mackowsky, Walter. Giovanni Maria Nosseni und die Renaissance
in Sachsen. Berlin. E. Wasmuth. M. 5.
Ostwald, Wilhelm. Kunst und Wissenschaft. Vortrag, gehalten zu
Wien am 27. November 1904. Leipzig. Veit & Comp. M. 1.
Schmid, Max. Kunstgeschichte nebst einem kurzen Abriß der
Geschichte der Musik und Oper von Clarence Sherwood. In
20 Heften zum Preis von je 30 Pfg. Neudamm. J. Neumann.
Francisco de Hollanda und Donato Giannottis Dialoge
und Michelangelo.
Von Hans Tietze.
Durch Jakob Burckhardts meisterhafte Darstellung der Kultur der
Renaissance hat diese Periode für uns ein eigenes selbständiges, organi-
sches Leben gewonnen; ihre Anfänge, Blüte, Verfall erscheinen wie los-
gelöst von der übrigen Entwicklung und die ganze Epoche wie ein
farbenfrohes Zwischenspiel, das erst völlig verklingen muß, ehe ein neues
Kapitel anhebt. In den Nachwirkungen dieser unhistorischen Auffassung
befangen, werden wir oft der kulturellen Bedeutung des italienischen
Cinquecento nicht genügend gerecht. Wir sind eher geneigt, es als ein
glänzendes Abendrot zu betrachten, legen mehr Gewicht auf die Rich-
tungen, die sich in ihm totlaufen, auf die Bestrebungen, die es um-
wandelte oder negierte, auf all das, was nicht zur Reife gelangte; darüber
verkennen wir leicht das Neue und Fruchtbare, das es enthält, die Über-
gangsformen, die vom fahrigen Individualismus des Quattrocento zu neuen,
großen, sozialen Gruppierungen führen, übersehen die Ansätze moderner
Staatswirtschaft, die religiöse Vertiefung, die Antänge naturwissenschaft-
licher Betrachtungsweise.1) Auch anderweitig zeigen sich lebenskräftige
Übergangsformen; die großen Entdeckungen und Erfindungen, die uns
veranlassen, an der Wende des 15* und 16. Jahrhunderts eine konventio-
nelle Scheide zweier Zeitalter anzunehmen, haben die Geister mächtig
aufgerührt; auf dem literarischen Gebiete, das uns hier beschäftigt, hat
naturgemäß in erster Linie die Erfindung der Buchdruckerkunst diese
befruchtende Wirkung hervorgebracht. Hier zeigt das 16. Jahrhundert
eine wahre Umwälzung; ein völlig neuer Faktor, das literarische Publikum,
wird in die geistige Kultur eingeführt Im Mittelalter hatte das literarische
Produkt keinen kaufmännischen Wert; der Autor, der für eine beschränkte
Anzahl von Individuen schrieb, war genötigt, sich anderweitig die wirt-
schaftlichen Grundlagen seiner Existenz zu verschaffen; war er kein Geist-
licher, so war er gezwungen, in den Dienst eines Herrn zu treten, von
dem er in jeder Beziehung abhängig war. Auch die neue Erfindung
1) Vergl. im allgemeinen hierüber: Francesco Flamini : II Cinquecento, Milano.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 2 1
296
Hans Tietze:
änderte dies Verhältnis nur nach und nach; einerseits war sie zunächst
völlig in Anspruch genommen, die unmittelbarsten geistigen Bedürfnisse
religiöser und weltlicher Natur zu befriedigen, also zur Drucklegung der
kirchlichen und weltlichen Klassiker; anderseits galt das gedruckte Buch
noch lange für minder vornehm als das geschriebene, und wie vornehme
Mäcene von der Art des Herzogs von Urbino oder des Matthias Corvinus
eine Handschrift unbedingt dem gedruckten Buch vorzogen, so ver-
zichteten bis tief ins Cinquecento viele Autoren darauf, ihre Werke
drucken zu lassen. Manche der klassischen Werke dieser Zeit wurden
von ihren Verfassern nur deshalb dem Drucke übergeben, weil durch
eine Indiskretion von befreundeter Seite verstümmelte und fehlerhafte
Abschriften in Umlauf kamen und zu befürchten war, daß eine solche
gedruckt werden könnte.2) Unter diesen Umständen vollzieht sich die
Emanzipation des Autors nur sehr langsam; Dichter wie Ariost und Tasso
schreiben zunächst für ihre Mäcene, an deren Hof sie leben. Aber da-
neben lockert sich das Verhältnis doch allmählich; der Schriftsteller
schafft selbständig; da indes das Publikum nicht kaufkräftig genug ist,
ihm eine unabhängige Stellung zu verschaffen, muß er durch umständ-
liche und zahlreiche Dedikationen möglichst viele einzelne Individuen
für sein Werk interessieren, und diese Art des Mäcenatentums ist im
16. Jahrhundert und auch noch später die übliche. Aber der Autor weiß,
daß er in der öffentlichen Meinung eine mächtige Waffe hat, und spielt
den Appell an das Publikum gegen das einzelne Individuum aus. So
wird aus der untertänigen Bitte eine trotzige Drohung und aus dem
demütigen Bittsteller ein unverschämter Erpresser. Literarische Erschei-
nungen wie der Aretino oder Anton Francesco Doni sind das Widerspiel
des in Blüte stehenden Mäcenatentums; der Autor, der dem gutwillig
Zahlenden eine relativ wohlfeile Unsterblichkeit garantierte, drohte dem
Widerspenstigen bei Mit- und Nachwelt den übelsten Ruf zu verschaffen.3)
Ziel und Endergebnis .dieser ganzen Entwicklung war, daß die
literarische Produktion einen neuen Herrn anerkannte. An Stelle des
fürstlichen Brotherrn, der engen Gemeinde klösterlicher Leser, tritt die
vielköpfige, entindividualisierte Menge; galt es früher, dem »milden Herrn«
zu schmeicheln, so hieß es jetzt; die Gunst dieser Menge gewinnen. Und
2) Castiglione, 11 Cortegiano, 1528. Aus der Dedikation an Don Michel de
Silva: . . . essendo d’ Italia avvisato, che la signora Vittoria dalla Colonna, marchesa
di Pescara, alla quäle io gia feci copia del libro, contra la promessa sua ne avea fatto
trascrivere una gran parte . . . etc.
3) Arturo Graf, Attraverso il Cinquecento, Torino 1888 (Un processo a Pietro
Aretino), p. ioqff. ; Bertana, Un Socialista del Cinquecento im Giornale Ligustico 1892,
P- 33fiff-i Doni, Seconda Libraria, 1551, p. 8.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo. 297
dies um so mehr, als die Produktion anfing, gar sehr ins Breite zu gehen. 4)
Mit allen früheren Zeiten verglichen war die Menge des Gebotenen un-
geheuer, verwirrend, und der Schriftsteller mußte alles aufbieten, sich
in diesem Chaos Aufmerksamkeit zu erzwingen. Doni, der amüsante
Schwätzer, der in seiner Flachheit immer getreulich die Meinung des
Durchschnittes wiedergibt, erzählt uns aus eigener Erfahrung von diesen
Nöten des Schriftstellers: »Egli si bisogna . . . piü strolagare il cervello
a mettergli un titolo bizarro, acciö che tu lo pigli in mano e ne legga
due parole, che a compor 1’ opera«, oder: »Se il nostro Gello, volendo
insegnare mille belle cose di filosofia utile al cristiano non diceva Capricci
del Bottajo, non sarebbe stato uomo che gli avessi presi in mano.« 5)
Aber nicht nur der Titel hat dem Sensationsbedürfnis zu dienen;
auch der Inhalt muß so vorgebracht werden, daß er den Leser möglichst
wenig ermüde, und das trockenste Thema wird durch allerhand Mittel
mundgerecht gemacht.4 5 6 7) Um den ungeduldigen Leser zu fesseln, werden
Aktualitäten eingeflochten, und dem vergrößerten Publikum entspricht die
größere Seichtigkeit in der Behandlung aller Fragen. Aus diesem Be-
streben erklärt sich zum Teil die unerhörte Blüte des Dialogs in dieser
Zeit: denn in dieser Form konnte selbst der undankbarste Stoff noch
einigermaßen annehmbar’ gestaltet werden; dadurch, daß rein theoretische
Fragen in ein halb historisches, halb dramatisches Gewand gehüllt wurden,
vermochten sie auch den oberflächlichsten Leser festzuhalten. Einer Zeit,
die so gern theoretisierte, konnte der eminente didaktische Vorteil dieser
Form nicht entgehen, die in platonischen und ciceronianischen Vorbildern
ja ihren Adelsbrief besaß. So ist der Dialog im 16. Jahrhundert die
beliebteste Prosaform; seine Regeln und Gesetze hat am besten der große
Historiker Carlo Sigonio formuliert.
Sollte der Dialog die angestrebte Wirkung nicht verfehlen, so durfte
vor allem kein Zweifel darüber aufkommen, daß er wirklich stattgefunden
habe; ut qui audiunt, non nos loqui putent, sed illum ipsum quem
nobis delegimus imitandum. 7) Darum müssen in erster Linie die
4) Vgl. auch Graf, Petrarchismo e Antipetrarchismo nel Cinquecento in Nuova
Antologia 1886. »Cid si vede in especial modo nel Cinquecento, nel quäle la mania
di passare per letterato, d’ imbrattar fogli e di stampar libri assume il carattere di una
vera e propria epidemia.« Doni pflegt in Selbstironie zu sagen, daß seine Bücher früher
gelesen als gedruckt und früher gedruckt als verfaßt würden.
5) Anton Francesco Doni, I Marmi, Firenze 1863, Parte II, Ragionamento della
stampa, p. 207 ff. (Erste Ausgabe Venedig 1552/53.)
6) Vgl. Abd-el-Kader Salza, Luca Contile uomo di lettere e di negozi del secolo XVI,
Fir. 1903, p. 108, über die Einführung von Frauen in die Dialoghi spirituali des Contile
(Rom 1543), auch Flamini a. a. O. p. 384.
7) Caroli Sigonii, De Dialogo Liber. Johan. Jessenii a Jessen . . . opera luci
21
298
Hans Tietze:
näheren Umstände der Unterredung, besonders Ort und Zeit, in einer
Weise beschrieben werden, die jeden Zweifel an der Wirklichkeit aus-
schließt. Mea igitur sententia, qui ad scribendum dialogum aggredietur,
is huc in primis aciem mentis et rationis intendet, ut in ipso quasi
vestibulo qui, et quales sint, quos induxerit, et quo tempore, et quo in
loco et qua ratione ad eam disputationem pervenerint, planum faciat.* * * * 8 *)
Bei der Auswahl und Beschreibung gehe man mit Bedacht zu Werke;
man wähle bekannte und angesehene Personen, einerseits um den Anschein
der Wahrheit zu erhöhen, anderseits um durch die Autorität jener die
pädagogische Wirkung zu steigern: Plurimum autem interest, mortuos ne,
an viventes homines inducamus: in iis illustris quaedam auctoritas, in
his earum rerum, de quibus disputent, testata eruditio et scientia postu-
latur.9) Hat man wirkliche Personen gewählt, muß man darauf achten,
daß man ihnen nichts Unschickliches oder ihrem Charakter Widerstreitendes
in den Mund lege: Deinde vero ad officia, quae unicuique eorum in
colloquio tribuemus, pro decora distribuenda omnis noster animus est10)
und: Ut enim non quicumque homo quamcumque rem agit, sic non
est verisimile, quemcumque hominem in quocumque sermone versari etc.11)
Überhaupt sind Einleitung und Einkleidung von entscheidender Wichtig-
keit: Ut quo anno, quo mense et si ferri possit quo die et quo in loco
ea sit disputatio instituta, in ipso dialogi vestibulo patefaciamus. Huius
enim praeteritio officii incredibile est, quantum ei sermoni adimat auctori-
tatis, et fidei, ut cum ea legas, quae nec temporis nec loci habeant
commemorationem, prorsus ut sunt, falsa et ficta esse existimes. sin autem
rem cum personis, locis, temporibus consentire intelligas, mirabiliter Om-
nibus iis, quae dicantur, quaecumque agantur, assentiaris. I2) An diese
Regeln haben sich die Dialogschreiber gehalten; Beschreibung und Cha-
rakterisierung der sprechenden Personen, die Schilderung des Ortes, die
redditus, Lipsiae 1596; vgl. Cicero, Tuscul.: Sed quo commodius disputationes nostrae
explicentur, sic eas exponam, quasi agatur res, non quasi narretur; oder Läel.: Quasi
ipsos induxi loquentes ne inquam et inquit saepius interponeretur. atque id eo feci‘, ut
tamquam a praesentibus coram haberi sermo videretur.
8) Sigonius p. 64 b
9) Sigonius p. 64fr., auch Cicero, Cato: Omnem sermonem tribuimus non Tithono
ut Aristo Cius, — parum enim esset auctoritatis in fabula, — sed M. Catoni seni,
quo maiorem auctoritatem haberet oratio.
10) Sigonius, daselbst.
“) Siognius p. 58.
ia) Sigonius p. 82; siehe auch die Einleitung von Ciceros de oratore; L’ Arte
Poetica del Sig. Antonio Minturno (1563) p. 3; Torquato Tasso, Prose diverse, Firenze
de Monnier 1875» vol. P- 239fr. Discorso dell’ Arte del Dialogo am Schluß: Non
imita solamente la disputa, ma il costume di coloro che disputano etc.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo. 299
Bestimmung der Zeit sind mit so genauen Details durchgeführt, daß es uns
schwer ist, an die Nichtwirklichkeit der erzählten Unterredungen zu
glauben; als klassisches Beispiel sei hier nur der Cortegiano genannt;
andere vereinzelte Beispiele aus der Überfülle des Materials werden später
heranzuziehen sein.
Uns mag dieses Verschwimmenlassen der Grenzen zwischen histo-
rischer und dramatischer Darstellung befremdlich erscheinen; für jene
Zeit aber überwog das pädagogische Moment zu sehr das historische,
als daß sie daran hätte Anstoß nehmen können. Im Cinquecento war
es noch nicht Beruf der Geschichtschreibung, wahrheitsgetreu und leiden-
schaftslos über Geschehenes zu berichten; noch überwog die Auffassung
der Humanisten, nach der sie eine Lehrmeisterin war, die die Vergangen-
heit selbst auf Kosten der Wahrheit zum moralischen Nutzen der Gegen-
wart darstellen sollte. D) Daß diese Anschauung eine volkstümliche war,
erfahren wir aus einem Dialog des Leonardo Salviati.
Deti: Ma non tengo giä si gran conto, ch’una Storia sia vera, o no.
Lasca: E di che altro nella Storia s’ha egli a tener conto?
D.: Ch’ella sia utile, cioö faccia prudenti quei che la leggono etc.
Und weiter
L.: Volete dunque che faccia lo Storico il simigliante, e che
c’inganni, e persuadaci la bugia?
D.: Si, quando la bugia ci sia piü utile che la veritä non sarebbe.
L.: In breve voi volete, che dallo Storico, si come dal Poeta si
raccontino le cose, come esser dovrieno accadute.
D. : Si quando sicuramente il puö fare.
L.: Se cosi ö, non sarä meglio, che in vece di Storia, a compilar
poesie tutti si rivolgano gli scrittori?
D.: Non secondo 1’ avviso mio.
L.: E perchö?
D.: Perciocchö dal poema quel profitto non puö venire, che nascer
suol dalla Storia.
L. : Per quäl cagione?
D.: Perchö la Storia si crede cosa vera, ed il poema si tien
per funzione.H)
Was hier für die Geschichte ausgesprochen ist, gilt in noch höherem
Maße für die Dialoge; auch hier ist die Belehrung der Zweck, dem alle
anderen Gesichtspunkte sich unterordnen müssen. Dunque si come nelle
Comedie varie persone vengono in Seena e molte di esse non molto
•3) Voigt, Wiederbelebung II, 494 b
14) Il Lasca, Dialogo: Cruscata ovvero Paradosso d’ Ormamozzo Rigogoli rivisto
e ampliato da Panico Granacci etc., Firenze 1584-
300
Hans Tietze:
buone, ma tutti quanti a buon fine . . . quindi avviene, che l’autor
del Dialogo messo in silentio la sola e propria sua voce, riempie quello
di varii nomi et costumi etc.1 5) Auch andere Theoretiker haben dem
Dialog einen Platz in der Nähe der Komödie angewiesen, so Tasso16):
Due saran, dunque, i primi generi dell’ imitazione: Tun dell’ azione, nel
quäl son rassomigliati gli operanti (Comoedie) 1’ altro delle parole, nel quäle
sono introdotti i ragionanti (Dialog). Im ganzen Großen ist der Platz
des letzteren zwischen der epischen und der dramatischen Darstellung, je
nachdem der Autor die Personen einführt und den Gang der Unterredung
mit all ihren Zwischenfällen schildert1?) oder von Anfang an das Wort
seinen Personen überläßt.18) Der ersteren Form gehören die Dialoge des
Francisco de Hollanda, der letzteren die des Donati Giannotti an.
Die beiden Dialoggruppen, die uns hier beschäftigen, haben erst
im 19. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Kunstforschung auf sich
gelenkt; die vier Gespräche des Hollanda erschienen 1848 in einer von
dem Maler Roquemont hergestellten französischen Übersetzung in des
Grafen A. Raczynski Les Arts en Portugal;1^ seitdem wurden sie mehr-
mals neu publiziert und liegen jetzt in einer vorzüglichen, kommentierten,
von Joaquim de Vasconcellos besorgten Ausgabe vor,20) nach der ich
im folgenden zitiere. Die beiden Dialoge des Donato Giannotti, die der
Danteliteratur wenigstens dem Namen nach schon früher bekannt waren,21)
wurden 1859 auf Kosten des Fürsten Baldassare Buoncompagni aus dem
vatikanischen Kodex 6528 publiziert.22) Hier und dort ist Michelangelo
als Hauptteilnehmer an den Gesprächen eingeführt: wichtige Äußerungen
über viele die Kunst berührende Fragen, über seine politischen Ansichten
sind ihm in den Mund gelegt; mehr noch mochte die Milieuschilderung
als dankenswerte Bereicherung unserer Kenntnisse über den großen
’5) Dialogi del Signor Speron Speroni, Ven. 1596. Apologia dei dialoghi.
,6) Tasso 1. c. p. 240.
'7) . . . quando 1’ autore stesso cortesemente quasi loro hoste, par che le meni
con esso seco nel suo Dialogo, Speroni 1. c. ; . . . come istorico narra quel che disse
il tale e ’l cotale, Tasso 1. c. p. 239. Vorbilder dieser Art waren die Dialoge Xenophons
und Ciceros.
l8) Nach Muster der Dialoge von Plato, Lukian, auch Plutarch.
J9) Comte A. Raczynski, Les Arts en Portugal, Paris 1896.
20) Francisco de Hollanda, Vier Gespräche über die Malerei, herausgegeben von
Joaquim de Vasconcellos, Wiener Quellenschriften für Kunstgeschichte usw., Wien 1899.
21) De Batines, Bibliografia dantesca II, 659.
”) De’ Giorni che Dante consumö nel cercare P infemo e ’l purgatorio, dialogi
di Messer Donato Giannotti. Firenze 1859.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo.
301
Meister willkommen sein; lagen doch hier über die Art seines Verkehrs
mit Vittoria Colonna und mit den Florentiner Fuorusciti direkte Zeug-
nisse, detaillierte Schilderungen aus der Feder von Augenzeugen und
vertrauten Freunden vor. Der Wunsch, in diesen Dialogen wirklich
reichfließende Quellen vertrauenswürdiger Nachrichten zu besitzen, war
mächtiger als der sich von Anfang an regende Zweifel an ihrer Glaub-
würdigkeit. Anderseits jedoch waren einige Unrichtigkeiten zu hand-
greiflich, um völlig ignoriert zu werden. So entstand eine eigentüm-
liche Unklarheit in der Beurteilung der Dialoge; die einen gaben alle
Details preis, um die Gesamtstimmung zu retten, die anderen räumten
ein, daß die Unterredungen fingiert seien, hielten aber daran fest, daß
die Ansichten Michelangelos sinngemäß wiedergegeben seien, und setzten
so die Dialoge, die sie im Prinzip verwarfen, durch Anerkennung der
Details wieder in ihre vollen Rechte ein. So sagt Thode: Eine Bestätigung
dessen bringen Aussprüche des Meisters selbst, die Francisco de Hollanda
1538 von ihm gehört und in seinen Gesprächen über die Malerei dem
Inhalt nach gewiß richtig wiedergegeben hat (Michelangelo I, 89). Oder:
Hier sind Gespräche verzeichnet, die an einem Tage des Jahres 1545 von
Luigi del Riccio, Antonio Petreo, Donato Giannotti und Michelangelo geführt
wurden (II, 121). Und: Der Portugiese entwirft in der Einleitung zu
seinen, ihm selbst, Michelangelo und einigen anderen in den Mund
gelegten Abhandlungen über die Kunst ein anschauliches Bild von der
Art solchen Zusammenseins und dem Verhältnis des Künstlers zu der
Marchesa . . . (II, 393). Woran dürfen wir uns also halten? Haben wir
es mit dem Inhalt nach richtig wiedergegebenen Aussprüchen Michelangelos
oder mit Abhandlungen des Hollanda zu tun, die dem Meister und
einigen anderen in den Mund gelegt wurden? Auch der Herausgeber
der Gespräche über die Malerei drückt sich nicht klar aus, was er für
echt, was für apokryph hält. »Bestrebt, die Heilswahrheiten, die er aus
dem *Munde Michelangelos gehört hat, ehrfurchtsvoll und wahrheitsgetreu
wiederzugeben, konnte und wollte er hier seinen Stoff nicht systematisch
ordnen. Darum bietet er ihn in Form von Gesprächen, so wie der Zufall
ihn in Wirklichkeit gestaltet hat . . . oder gestaltet haben könnte. Nicht
wörtlich, wie er sie vernommen und in seinem Tagebuch in loco et
tempore skizziert haben wird, aber doch offenbar nach solchen Auf-
zeichnungen, unter Weglassung des Unwichtigen und Auswahl der für
Portugal wichtigsten ästhetischen und kunstgeschichtlichen Fragen. Daran,
daß er die fremden Gedanken und besonders die persönlichen Ansichten
Buonarrottis immer in völliger Reinheit aufgefaßt hat, kann man zweifeln.
Doch schwebt immerhin über dem Ganzen, dem weitaus Bedeutendsten,
was Hollanda geschrieben, ein Hauch vom Geiste des gewaltigen Floren-
3° 2
Hans Tietze:
tiners. « a3) Das kann uns nicht genügen, besonders wenn im einzelnen
keine Kritik an den Aussprüchen geübt wird. Die Frage ist ia wichtig
genug, um eine klarere Stellungnahme zu erheischen. Denn wie wir uns
die Erkenntnis des Künstlers Michelangelo nicht durch Anerkennung
falscher Werke dürfen trüben lassen, so müssen wir uns auch sein Bild
als Mensch von falschen Zügen freihalten und dürfen ihm nicht Aus-
sprüche und Meinungen zuschreiben, für die andere verantwortlich sind.
Schon die völlige Übereinstimmung mit den anderen zeitgenössischen
Dialogen, deren Regeln wir kennen gelernt haben, muß uns a priori die
Vermutung nahelegen, daß auch diese Gespräche keine Ausnahme bilden
und so wie die anderen nur fingiert sind. Vielleicht wird die Diskussion
der Dialoge im einzelnen imstande sein, unser Mißtrauen durch mancherlei
Argumente zu bestärken.
Francisco de Hollanda war, wie der Name zeigt, einer aus Holland
stammenden Familie entsprossen; sein Vater Antonio, Miniaturmaler von
Beruf, stand im Dienste des portugiesischen Hofes, an dem der junge
Francisco aufwuchs und seine Erziehung genoß; 1537, im Alter von etwa
zwanzig Jahren, verließ er die Heimat und reiste über Spanien und
Frankreich nach Italien; seine Skizzenbücher und zerstreute Angaben in
seinen Schriften ermöglichen uns, ihm auf seinen Fahrten zu folgen. Im
Spätsommer des Jahres 1538 scheint er nach Rom gekommen zu sein,
wo er mit Feuereifer Studien aller Art betrieb; über die Art und die
Ziele seiner Tätigkeit gibt er in der Einleitung zu den Gesprächen
Rechenschaft. Um seine' Kenntnisse zu erweitern, suchte er die in Rom
lebenden Künstler auf, vor allem Michelangelo, dessen Bekanntschaft den
tiefsten Eindruck auf ihn machte. Wer diese Bekanntschaft vermittelte,
ist nicht zu erkennen; vermutlich Lattanzio Tolomei, den Hollanda in
seinem Brief an Michelangelo »mein teurer Schutzherr und Euer sehr
lieber Freund« nennt.* *4) Vielleicht wollte Hollanda durch Nennung des
einstmaligen Mittelsmannes dem Meister den längst vergessenen kunst-
beflissenen Jüngling ins Gedächtnis rufen. Aus demselben Brief, der über
konventionelle Komplimente und Redensarten kaum hinausgeht, erhellt
auch, daß die Bekanntschaft Hollandas mit Michelangelo eine sehr flüch-
tige gewesen sein muß. Dafür spricht auch der Umstand, daß der
Portugiese weder von einem der Biographen Michelangelos, noch auch
in dessen umfangreicher Korrespondenz in irgendeiner noch so flüchtigen
Weise erwähnt ist und ebensowenig in dem zum guten Teil vorliegenden
Briefwechsel der Vittoria Colonna genannt wird.25) Daß Michelangelo
*3) 1. c. Einleitung LXXXV.
*4) 1. c. CLVI.
*5) Carteggio di Vittoria Colonna, ed. Ferrero e. G. Müller. Torino 1889.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo.
303
die Zeichnungen Hollandas, die nach Justis Urteil nicht gerade einen
Zeichner ersten Ranges verraten,26) belobt hat, wie in den Gesprächen
berichtet wird, ist leicht möglich; es würde das ganz der weltmännischen,
höflichen Art Michelangelos und seiner . Freundlichkeit besonders gegen
junge Künstler entsprechen. Man denke an seine gütigen Urteile über
Benvenuto Cellini und Baroccio27) oder an fast überschwengliche Lob-
sprüche wie die, die er dem Valerio Vicentino erteilte: die Todesstunde
der Kunst sei nun gekommen, denn schöneres als das Werk jenes könne
man nicht sehen.28) Sicher war der Eindruck der Bekanntschaft mit
Michelangelo ein sehr nachhaltiger; die Begegnung mit ihm blieb für
den Portugiesen das große Ereignis seines Lebens und hat gewiß auch
seine weitere Entwicklung bestimmt. Stolz darauf, dem von seiner Zeit
vergötterten Meister nähergetreten zu sein, wollte er, in die Heimat
zurückgekehrt, daraus Ansprüche für sich erheben, er wollte nichts
weniger sein als der Michelangelo Portugals. Und die daraus ent-
springende Selbstüberhebung hat, wie es scheint, nicht wenig dazu bei-
getragen, ihn in seiner Heimat unbeliebt zu machen. 29) Etwa im Jahre
1545 war Hollanda nach Portugal zurückgekehrt, wo sich während seiner
Abwesenheit manches verändert hatte. Die Renaissancekunst und -kultur,
deren Verkündiger er werden wollte, hatte auch ohne seine Mithilfe ihren
siegreichen Einzug in Portugal gehalten. Schon das mußte für Hollanda
eine große Enttäuschung sein, aber noch schwerere folgten. Die großen
Bestellungen, auf die er gerechnet und die man ihm versprochen hatte,
blieben aus; er fand weder Beschäftigung noch Anerkennung; dazu
kommt, daß er sich durch sein absonderliches Wesen sowie durch seine
Selbstüberhebung viele persönliche Feindschaften zugezogen zu haben
scheint. Im Vaterlande erntete er nichts als Anfeindungen und Spott,
und sein Versuch, in Spanien Beschäftigung zu finden, blieb gleichfalls
ohne Erfolg. So war sein Leben seit seiner Heimkehr eine Kette von
Enttäuschungen, und diese Verhältnisse, die ihn in eine verbitterte
Resignation trieben, geben die Erklärung für seine Schriften.
Als Hollanda sein Hauptwerk De Pintura Antigua, deren zweiten
Teil die vier Gespräche von der Malerei bilden, verfaßte, war er noch
nicht zu dieser Resignation gelangt, und die Schrift ist voll von polemi-
l6) Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen IX, p. 139 h Die Stelle bei Hollanda
1. c. p. 9 und 1 1 .
*7) Bellori, Vite 1728, p. 100 f.
l8) Vasari, Opere, Sansoni V, 385 f.
a9) Gespräche, 1. c. LI, Anmerkung. »Wer darauf ausginge, könnte aus Hollandas
Schriften leicht ein Dutzend kleiner Züge zusammenlesen, durch welche er sich bewußt
oder unbewußt als Nachahmer des Meisters erweist.«
304
Hans Tietze:
sehen Zügen. Denn wie Vasconcellos3°) überzeugend nachgewiesen hat,
erfolgte die Abfassung nicht unmittelbar nach Hollandas Rückkehr, son-
dern erst 1547 bis 1549. Die Enttäuschungen und Anfeindungen, die
sein ferneres Leben verbittern sollten, begannen ihre Wirkung auszuüben;
aber noch hoffte der Künstler, seine Feinde besiegen und den Platz, der
ihm gebührte, erringen zu können. Und seine Schrift sollte dazu das
Ihrige beitragen.
Es war nicht im geringsten Hollandas Absicht, seine Dialoge als
einen historischen Bericht, als getreue Wiedergabe wirklicher Unterredungen
darzustellen; in der Vorrede zu den Gesprächen ist ja ihr Zweck deutlich
ausgesprochen. »Dennoch aber, weil etliche vermeinen, ich schämte mich,
ein Maler zu sein — wiewohl ich mir in Wahrheit keinen größeren
Stolz, noch Ehre (außer meinem Christentum) weiß, als den Wunsch,
solch einer zu sein — , hab’ ich den Entschluß gefaßt, in diesem zweiten
Buch zu zeigen, was für eine bedeutsame und erhabene und zugleich
schwere Sache es ist, ein Maler zu sein, und zu was allem die vornehme
und so notwendige Wissenschaft des Zeichnens im Staate dient und
nützt, gleichwie in Zeiten des Friedens, so auch im Kriege, und ferner
ihren Wert und Preis auch anderen Orts. Solches aber soll geschehen
in Form eines Gespräches (entendo de mostrar . . . por maneira de um
dialogo).« 31) Der Dialog ist also ausdrücklich als eine willkürlich
gewählte Kunstform bezeichnet. Dazu kommt der schwerwiegende Um-
stand, daß Hollanda, der in seinen anderen Schriften immer wieder
Michelangelo anführt, mit keiner Silbe auf diese angeblichen Unterredungen
zurückkommt. Für seine momentanen polemischen und agitatorischen
Zwecke mochte ihm der Dialog als die wirkungsvollste Form erscheinen,
und er gestaltete ihn genau nach den Regeln, die in Italien und ander-
wärts die üblichen waren. 3-)
Der Autor soll Ort, Zeit, Teilnehmer, nähere Umstände des Dialogs
genau und lebenswahr darstellen, so daß kein Zweifel an ihrer Wirklich-
keit aufkommen kann ; nach diesen Regeln ist Francisco vorgegangen.
An drei Sonntagen im Oktober und November des Jahres 1538 hätten
die Unterredungen stattgefunden. Die Datierung ergibt sich daraus, daß
3°) Daselbst XLIIf.
3l) Daselbst p. 5.
31) Es ist wohl statthaft, Franciscos schriftstellerische Leistungen im Zusammen-
hang mit der italienischen Literatur ins Auge zu fassen. Mit dem Schrifttum seines
Vaterlandes war er überhaupt wenig vertraut, und der lange Aufenthalt in Italien hatte
ihn sogar seiner Muttersprache entfremdet. Übrigens ließen sich auch aus der portu-
giesischen und spanischen Literatur genug Dialoge aufzählen, auf die die Gesetze der
italienischen passen.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo.
305
am Tage der dritten Unterredung nach Angabe Franciscos die Hochzeit
Ottavio Farneses mit Margaretha von Österreich gefeiert wurde. Nun
fand diese Feier allerdings nicht an einem Sonntag, wie Francisco
berichtet, sondern Montag den 4. November statt; der Fehler mag
belanglos sein, immerhin zeigt er, daß es der Verfasser mit der Genauigkeit
der Datierung nicht allzu genau nahm und das Hauptgewicht darauf legte,
der Schilderung durch ungezwungene Anlehnung an ein allgemein bekanntes
Ereignis einen höheren Schein von Wahrheit zu geben. Auch auf die
Charakterisierung des Ortes ist viel Aufmerksamkeit verwendet. Francisco
wäre von. Lattanzio Tolomei, den er bisweilen Sonntags besuchte, nach
S. Silvestro am Quirinal beschieden worden, wo Vittoria Colonna einer
Auslegung der Episteln des heiligen Paulus beiwohnte; nach der Vor-
lesung läßt die Marchesa auch Michelangelo holen und in einer Kapelle
von S. Silvestro findet die erste (sowie die nächste) Unterredung statt.
Die Genauigkeit dieser Charakterisierung — das muß immer wieder be-
tont werden — braucht uns nicht wunder zu nehmen, denn sie entspricht
den Erfordernissen eines kunstgerechten Dialogs. 33)
Ein feiner Zug Hollandas ist es, daß er die Gespräche unter der
Ägide Vittoria Colonnas vor sich gehen läßt; auch von anderen Seiten
ist der außerordentliche Einfluß bezeugt, den die Marchesa auf ihre
Umgebung ausübte; . . . dove ella interviene o in presenza o in norne,
33) z. B. Sperone, Dialogo della Vita attiva e Contemplativa, in dem lauter
bekannte Persönlichkeiten als Sprecher auftreten wie Gasparo Contarini, Luigi Priuli,
Bern. Navagero, Antonio Broccardo, Valerio, Cardinal Hercole d’Este: »Dico adunque che
1 anno di Christo x 529 dovendo il Papa Clemente VII Carlo V di Spagna coronare
a 1 imperadore in Bologna; parve al Priuli, al Navagero, et al Broccardo con esso,
i quali a quel tempo iö dimorava in Vinegia, che tutti insieme vedessimo celebrare
cotal rara solennitä’ ; quivi dimorando, et le piii volte alloggiando in casa di M. Gasparo
Contarini, all’ hora ambasciadore della Signoria di Vinegia, un giorno tra gli altri
avvenne, che’ 1 Cardinal di Mantova, come quello che per disio d’ imparare alcuna volta il
facea, venne a vederlo, et il Valerio con lui, tra li quali poscia che le accoglienze furon
finite, posti a sedere, volto il Cardinale all’ Ambasciadore in tal modo a parlar gli
comminciö etc. Siehe auch von demselben den Dialogo del Giuditio di Xenofonte,
den Dialogo d’ Amore (mit Bernando Tasso und Molza), den Dialogo delle lingue etc.
Dialogi del Signor Speron Sperone, Venetia 1596. — Siehe auch Camillo Pellegrino,
Del Concetto poetico (herausgegeben von Angelo Borselli. Nap. 1895); Pierfrancesco
Giambullari, Il Gello 1546 (Passeggiando a giorni passati ne nostri chiostri di
S. Lorenzo : come non meno per servire alla sanitä del corpo, che alla recreatione della
mente, molte volte son consueto: sopraggiunse Carlo Lenzoni. Al quäle faccendomi
incontra: et dopo le solite salutationi, volendomene entrar con lui ne nostri usati
ragionamenti : interrompendomi egli le parole mi disse: Il nostro Gello e qui in Chiesa
con un amico suo forestiero etc.); Carlo Lenzoni, In difesa della lingua fiorentina et
di Dante. Fior. 1556; L’ Arte Poetica del Sig. Antonio Minturno; Duc dialogi di
M. Giovanni Andrea Gilio da Fabriano, Camerino 1564 und zahllose andere.
3°6
Hans Tietze:
tutto quello £ cosa sacra e degna di grande onore, e di somma
reverenza,34) schreibt Claudio Tolomei am 21. Mai 1543 an Cav. Gandolfo
und Luca Contile 1541 nach seiner ersten Begegnung mit ihr an den
Grafen Ettore die Carpegna . . . . e non mi sono potuto partir da
lei. 35) So ist ihr Vorkommen in den ersten zwei Unterredungen als
eine Huldigung für die vornehme und edle Frau anzusehen, die ja zur
pyrenäischen Halbinsel zahlreiche Beziehungen hatte und an die Hollanda
gewiß empfohlen war. Dagegen ist die Teilnahme Michelangelos, dem
gerade die Erörterung der für Hollanda wichtigsten Fragen in den Mund
gelegt wird, eigentlich ganz selbstverständlich. Denn wo immer in
ähnlichen kunsttheoretischen Diskussionen Fragen der Malerei, Bild-
hauerei und Architektur berührt werden, wird immer Michelangelo als
höchste Autorität, ja oft als der einzige genannt, der überhaupt über
alle drei Schwesterkünste ein maßgebendes und entscheidendes Urteil
fällen könne. So heißt es zum Beispiel im zweiten Teil des Disegno
des Doni: Pino: Questo huomo vorrei che fosse stato chiamato da loro
(Natura e 1’ Arte) et da esso fosse stato dato la sentenza della nobiltä
dell’ una et dell’ altra professione. Silvio: Certo che non c ö huomo
che la possi terminare se non Michel Agnolo; per possedere il disegno,
esser padrone della scoltura et parimente della pittura etc. 36) und auch
im Ercolano des Varchi wird, wo von höchsten Autoritäten die Rede
ist, für die bildenden Künste Michelangelo genannt, denn er ist »fuori
d’ ogni rischio e pericolo ävendo vinto 1’ invidia«. 37)
Das Meritorische des Gesprächs setzt mit einer längeren Aus-
lassung über den Charakter des Malers ein; es ist die Erwiderung
Hollandas auf Vorwürfe, vielleicht Anschuldigungen, die ihm die Ab-
sonderlichkeiten seines Charakters und Benehmens eingetragen hatten;
daß er es ist, der verteidigt werden soll, ist ja sogar ausdrücklich im
Gespräch betont, denn Michelangelo sagt, er spreche im eigenen Namen
34) Lettere, Napoli 1821, I p. 141 ff.
35) Lettere, Pavia 1564, I 23vf.; siehe auch Salza, Luca Contile, Fir. 1903, p. 105.
36) Disegno del Doni, Ven 1549, f. 11.
37) Auch sonst werden Autoritäten als Teilnehmer am Gespräch eingeführt; so
wählt Giannotti in seinem Libro de la Republica de Venetiani (Rom 154°) als Haupt-
sprecher Trifone Gabriele, que la purete de ses moeurs et son immense savoir avaient
fait surnommer par ses contemporains le Socrate de son temps (Charles Tassin,
Giannotti. Sa vie, son temps et ses doctrines, Paris 1869). Giambullari in der Einleitung
zum Gello (s. o.): Nel quäle e massime nel principio ho introdotto a parlare il nostro
Giovanbatista Gelli, si, perche egli e molto virtuoso, et tanto amico mio che dal
cognome suo voglio chiamare questa opera il Gello; et si anchora perche bisognandomi
pure scrivere de la antichitä di Firenze, havendone giä scritto egli, et volendo iö piü
tosto augmentare et accrescere le cose sue, che detrar loro in parte alcuna.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo.
307
und in dem einiger anderen Maler, die in gleicher Lage sind — zu
denen übrigens ja auch der hier gegenwärtige Messer Francisco gehört,
(p. 21.) Daß manches, was letzterem vorgeworfen wird, sich auch auf
Michelangelo beziehen muß, erscheint selbstverständlich, wenn wir be-
denken, daß Hollanda bestrebt war, sein großes Vorbild möglichst getreu
zu kopieren und daß ihm das bei Äußerlichkeiten naturgemäß am besten
— oder eigentlich einzig und allein — gelungen sein mag. 38) Ähnlich
lag auch das folgende dem Portugiesen am Herzen und immer wieder
kam er darauf zurück: der Unterschied zwischen der sozialen Stellung des
Künstlers in Italien und in Portugal; dieser Vergleich war für Hollanda
ein sehr schmerzlicher, und er ist in diesem Punkte auch ungerecht
gegen seine Landsleute geworden. (Gespräche XCVIff.) Durch eine
Frage der Marchesa wird das Gespräch auf die vlämische Malerei ge-
bracht und Michelangelo gibt ein längeres Gutachten über sie ab; diesen
Passus hat Justi richtig erklärt: »Stolz darauf, einem solchen Riesen wie
Buonarrotti nahegetreten zu sein, wollte er vielleicht, der als Ausländer
zuweilen scheel angesehen wurde, den Portugiesen zu verstehen geben,
daß sie ihn mit seinen stammverwandten dunkleren Kollegen nicht ver-
mengen dürften. Im Jahre 1538 hat die altniederländische Malerei
schwerlich die Italiener mehr aufgeregt; noch weniger wahrscheinlich ist,
daß Michelangelo sich gegen sie ereifert hat, besonders so weitschweifig,
wie in diesen an die Adresse der Portugiesen gerichteten Auslassungen.« 39)
Um die Absicht noch deutlicher zu machen, läßt der Autor Michelangelo
nach der Lobpreisung der italienischen Malerei hinzufügen: also daß wir
auch ein gutes, in Flandern entstandenes Werk, oder in Spanien, wo
man uns, wie gesagt, am nächsten kommt — ein italienisches nennen (33).
Nicht nur Italiener sind also berechtigt, die höchsten Ansprüche zu
stellen, sondern auch Ausländer, die sich die einzig wahre Kunst zu
eigen gemacht haben, wie etwa Francisco de Hollanda.
Das Gespräch soll am nächsten Tage fortgesetzt werden, aber erst
am folgenden Sonntag kommen die Teilnehmer wieder zusammen. Der
Hauptinhalt ist diesmal eine Aufzählung der wichtigeren Malereien in
Italien, und zwar fällt es Michelangelo zu, das Verzeichnis der in den
verschiedenen Städten außer Rom zerstreuten Kunstwerke anderer Künstler
vorzutragen, während Vittoria Colonna die in Rom befindlichen und
Hollanda die Werke des Meisters bespricht. Eine Diskussion dieses
Teiles erscheint mir überflüssig, denn es ist nur ein flüchtiges Ver-
zeichnis der Kunstschätze Italiens, soweit sie Hollanda interessierten,
38) Siehe S. 26 Anm. 29.
39) Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen IX, 139 f.
3°8
Hans Tietze:
willkürlich auf die drei Teilnehmer des Gespräches verteilt; ähnliche
Aufzählungen kommen ja auch sonst vor, z. B. in einem Brief des Doni
an Messer Simon Carnesecchi. 4°) Den Schluß des Gespräches bildet
eine lange Erörterung Hollandas über die Zeichnung, die mit seinen
Auseinandersetzungen im XVI. Capitel des ersten Buchs der Pintura
Antigua übereinstimmen und in der all die Anekdoten aus der Antike
nicht fehlen, die in den Kunsttraktaten der Renaissance immer wieder-
kehren.
Das dritte Gespräch findet in Abwesenheit der Marchesa im Kloster-
garten statt; auch diesmal kommt Hollanda auf das Thema zu sprechen,
das ihm so sehr am Herzen liegt, auf den Unterschied der Wertschätzung
der Malerei in den beiden Ländern, wobei auch die finanzielle Seite
der Frage nicht vergessen ist. »Natürlich wird hier wie im folgenden
Dialog die Taktik befolgt, den Italienern die Angriffe und Anklagen,
Hollanda aber die Verteidigung der Hispanier in den Mund zu legen«
(Gespräche LXXXVII), die bequemste Art zu sagen, was man denkt und
doch den Schein eines guten Patrioten zu wahren. Was hier Michelangelo
in weitschweifigster Art vorbringt, ist nichts als was Hollanda im I. Teil
seines Werkes allgemein bespricht und was in den kunsttheoretischen
Schriften der Renaissance immer und immer wieder vorkommt. Ob der
am Schluß des Dialogs (121) durch gesperrten Druck hervorgehobene
Satz, daß das mit größtem Aufwand von Arbeit und Studien Geschaffene
den Anschein erwecken soll, daß es mit größter Leichtigkeit hingeworfen
sei, wirklich direkt auf Michelangelo zurückgeht, läßt sich kaum mit
Bestimmtheit sagen. Da er mit einem bei Condivi überlieferten Aus-
spruch Michelangelos fast wörtlich übereinstimmt, ist es ja viel einfacher,
wir halten uns an die letztere, unverdächtige Fassung.
Wir wissen, daß Michelangelo es nicht liebte, Erörterungen über
seine Kunst zu geben und derlei Discussionen im allgemeinen für über-
flüssiges Geschwätz hielt. Als ihn Vasari mit der Frage belästigte, ob
er der Malerei oder der Skulptur den Vorrang einräume, lachte er
höhnisch . und sagte: La Sculptura et Pittura hanno un fine medesimo
dificilmente operato da una parte e dall’ altra. Und dem Varchi
antwortete er auf dieselbe Frage mit einem Brief voll feiner Ironie
und meinte: si puö far fare loro una buona pace insieme, e lasciar
tante dispute, perche vi va piü tempo che a far le figure.4*) Man hat
die Redseligkeit des Künstlers in diesen Gesprächen mit dem Einfluß
Vittoria Colonnas erklären wollen. Ich will diesen gewiß nicht in Abrede
4°) Im Anhang zum Disegno, 1549, f. 51 f.
4‘) Beide Antworten in Due Lezioni di M. Benedetto Varchi, Fiorenza, Lorenzo
Torrentino 1549.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannotis Dialoge u. Michelangelo.
309
stellen, aber daß die Marchesa Michelangelo veranlassen konnte, seiten-
lang Anekdoten aus Plinius und Plutarch wiederzugeben, das kann ich
nicht glauben. —
Die beiden Dialoge des Donato Giannotti unterscheiden sich schon
in der Form von denen des Hollanda; ohne sich mit einer Schilderung
des Milieus und der näheren Umstände aufzuhalten, führt Giannotti den
Leser gleich in medias res ein und überläßt von Anfang an den Teil-
nehmern am Gespräch das Wort. 42) Luigi del Riccio und Antonio
Petreo sind in einen Streit darüber geraten, ob die Berechnung im
Commentar Landinos, wie lange Dante in der Hölle und im Purgatorium
geweilt habe, richtig sei und mit den eigenen Angaben des Dichters
übereinstimme; Antonio bestreitet die Richtigkeit, während die Autorität
des Landino von Luigi verteidigt wird. In diesem Augenblick kommen
Michelangelo und Donato Giannotti hinzu und werden als berühmte
Dantekenner um Entscheidung der strittigen Frage gebeten; und nachdem
Giannotti aus Bescheidenheit jede Intervention abgelehnt hat, erläutert
Michelangelo in ausführlicher Auseinandersetzung die fraglichen Punkte.
Auch diese mehr dramatische Form der Einkleidung eines Dialogs ist
eine durchaus übliche; so sei auf den oben zitierten Lasca, auf den
Aretino des Lodovico Dolce, auf die Viten des Baglione etc. hin-
gewiesen. Eine ganz auffallende Übereinstimmung zeigt die Schrift
Giannottis mit einem andern Dialog über Dante vom Ende des 16. Jahr-
hunderts; es ist das »Ragionamento tra il signor Cav. Furio Carandino
ed il Signor Gaspare Prato intorno ad alcune cose notate nel XII canto
dell’ inferno di Dante,« 43) das Alessandro Tassoni 1597 geschrieben hat.
Car. Vi servite voi del Landino per ispositore? Prato: Per la
maggior parte.
C. E come vi sodisfa egli ? P. Assai in molti luoghi; ma poco
sopra questo duodecimo. Und hier knüpft dann die Diskussion an. In
der an Don Alessandro d’ Este gerichteten Dedikation vom 25. No-
vember 1597 setzt Tassoni ausdrücklich auseinander, weshalb er diese
Schrift verfaßt habe; es handle sich um die Ehrenrettung mehrerer Von
Dante Verunglimpfter, besonders um den Vorfahren seiner Gönner, der
Este, Obizzo VI. Tassoni denkt also keinen Augenblick daran, daß man
in diesem Dialog etwas anderes sehen könnte als sein literarisches
41) Da der Dialog ziemlich selten geworden ist, sei hier auch auf die Auszüge
bei Wilhelm Lang, Transalpinische Studien, Leipzig 1875, I, und Gotti, Vita di M. B.,
Firenze 1876, I 250 — 254 hingewiesen.
43) Nach der Handschrift in derBiblioteca Estense in Modena von Oreste Raggi 1867
per le nozze Bastogi-Carandini herausgegeben. Vergl. auch Giorgio Rossi, Studi e
Ricerche Tassoniane, Bologna 1904, I. Lo Studio di Dante in Alessandro Tassoni.
3 10
Hans Tietze:
Produkt, und die Einführung der Teilnehmer ist offenbar nichts als eine
Courtoisie gegen verehrte Freunde, besonders die in Tassonis Heimat
Modena so angesehene Familie der Carandini. Aus demselben Grund
hat auch Giannotti die Teilnehmer an dem Dialog aus dem Kreis seiner
persönlichen Freunde gewählt. Seit dem Ende des Jahres 1539 44)
weilte er mit seinem Gönner, dem Kardinal Ridolfi, in Rom und stand
in freundschaftlichem Verkehr mit Michelangelo und anderen dort
lebenden Florentinern. Darüber ist uns ja vielfach berichtet; Condivi 45)
nennt Giannotti unter den vertrauten Freunden seines Meisters, und Varchi
sagt in der Leichenrede auf Michelangelo, daß dieser gewöhnt war, mit
Giannotti »di praticare e discredersi in tutte le cose, come si fa tra
gl’ Amici domestici familiarissimamente.« 46) Besonders in literarischen
Dingen waren sie einander Berater. Michelangelo schreibt am 14. März 1546
an Luca Martini über den Kommentar, den Varchi 47) über das Sonett
»Non ha 1’ ottimo artista alcun concetto« verfasst hatte: . . . e veramente
ö cosa mirabile, non dico al giudizio mio, ma degli nomini valenti;
e massimamente di messer Donato Giannotti, il quäle non si sazia di
leggerlo ed a voi si raccommanda. Und Giannotti schreibt zu einem
Sonett den Vermerk: Magnifico Messer Luigi. Poi che io v’ hebbi scritto,
mi venne pur fatto un Sonetto. Io ve lo mando tale quäle egli t.
Mostratelo a Michelagnolo, come e censore. 48) Das erwähnte Sonett galt dem
eben verstorbenen Cecchino dei Bracci, dem Freund Luigi del Riccios. * * 4 *9)
Michelangelo schickte aus diesem Anlaß an Luigi, der übrigens seit dem
Tode Angiolinis sein geschäftlicher Beistand war, die bekannten Grab-
schriften und sollte auch ein Grabmal entwerfen. Messer Michelagnolo
mi fa il disegno d’ uno onesto sepulcro di marmo, et voi vi degnierete
di fare lo epitaffio, et mandarmelo con una epistola confortatoria etc. 5°)
Der letzte Teilnehmer am Gespräch ist in einem Brief Giannottis an
Lorenzo Ridolfi vom 9. August 1550 in Zusammenhang mit Michelangelo
genannt: Dite al Petreio, che io sono addosso e Michelagniolo e che io
44) Vergl das Itinerar Giannotis bei Frey, Die Dichtungen des M. B. p. 529.
45) Cap. 54.
46) Orazione funerale di M. Benedetto Varchi fatta e recitata da lui pubblicamente
nell’ essequie di M. B Fir. 1564 p. 43.
47) Due Lezioni di M. Benedetto Varchi, nelle prima delle quali si dichiara un
Sonetto di M. M. B. etc. Fir. 1549.
48) Opere politiche e letterarie di Donato Giannotti precedute da un discorso
di Atto Vannucci, Firenze 1850, II p. 381; der autographe Vermerk in dem
Magliabechiano num.° 38 Palchetto VIII.
49) Über Riccio, der bei der Güterteilung zwischen Donato und Giannotto Giannotti,
1540 als Schiedsrichter fungiert hatte, vergl. Frey a. a. O. p. 528.
5°) Opere politiche di D. G. p. 381.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannottis Dialoge u. Michelangelo. 3x1
spero fargli fare un disegno per quella scala di S. Lorenzo; se lo
potrö havere glielo manderö etc. 51)
Der Dialog setzt der Freundschaft, die alle seine Teilnehmer ver-
band, ein Denkmal; zugleich aber ist er eine Huldigung für die Dante-
kennerschaft des größten unter ihnen. Condivi sagt (c. 56), Michelangelo
habe Dante beinahe ganz auswendig gekannt, und zu allen Zeiten finden
wir Michelangelos Interesse für den größten Florentiner vor ihm bestätigt.
Schon als er 1494 in Bologna war, pflegte er seinem Gastfreund, dem
Gian Francesco Aldovrandi, aus Dante vorzulesen (Condivi c. 13), und
der bekannte Streit, den er in jungen Jahren mit Leonardo hatte, beweist,
daß er schon damals für einen gründlichen Kenner der Komödie galt.52)
Als die Florentiner Akademiker am 21. Oktober 1519 eine Bittschrift an
Leo X. richteten, um die Übertragung der Gebeine Dantes nach Florenz
zu erwirken, unterzeichnet auch Michelangelo und bietet sich an, dem
göttlichen Dichter ein seiner würdiges Grabmal zu machen. 53) Ein von
Bottari in seiner Vasariausgabe erwähntes Exemplar des Landinokommen-
tars mit angeblichen Handzeichnungen Michelangelos, das im Besitz des
Bildhauers Montauti gewesen und durch einen Schiffbruch zugrunde
gegangen wäre, dürfte allerdings in das Reich der Fabel gehören. 54)
51) Alcune Lettere di D. G. nuovamente trovate nell’ Archivio Centrale di
Firenze (G. Milanese) 1863.
51) Frey, II Codice Magliabechiano p. 115.
53) Io Michelangelo schultore, il medisimo a Vostra Santitä supplicho, ofiferendomi
al Divin Poeta fare la sepultura sua chondecente, e in loco onorevole in questa Cictä.
Fattori, Michelangelo e Dante. Fir. 1875, p. 10.
54) Vasari, Vite, Rom 1760, III, p. 252, n. 2; dazu Kraus, Dante 618. Über
Einflüsse Dantes auf Michelangelo vgl. Wolfgang Kallab, Die Deutung von Michel-
angelos Jüngstem Gerichte in Beiträge zur Kunstgeschichte. Franz Wickboff gewidmet.
Wien 1903, p. 138 ff. — Auch sonst ist der Name Michelangelos oft mit dem Dantes
in Zusammenhang gebracht worden; lag doch von Anfang an der Gedanke nahe,
zwischen den beiden Gipfeln des italienischen Geistes eine direkte Brücke zu schlagen,
unter der die breite Straße der Renaissancekultur durchführen konnte. So zog man
schon zu Michelangelos Lebzeiten Parallelen zwischen ihm und Dante (Carlo Lenzoni,
In difesa della lingua fiorentina et di Dante, Fir. 1556, in dem von Pierfrancesco
Giambullari im Namen des indessen verstorbenen Autors an Michelangelo gerichteten Dedi-
kationsschreiben), und dieses Thema gab auch späterhin immerfort Anlaß zu meist recht
hohlen Deklamationen. Z. B.: Andrea Rubbi in der Ausgabe der Div. Com, Venedig,
Zatta, 1784, III; Domenico Valeriano, M. und D. in der Antologia di Fossombrone,
1843; Lafayard de Calemard, Dante, Michelange et Machiavel, Par. 1852; Ettore Fattori,
M. e D., Fir. 1875; Giovanni Franciosi, Alcune Lezioni su Dante, Torino 1882; Gabriel
Thomas, M. A. Poete, Paris-Nancy 1892; A. Mataloni, D. e M., Camerino 1899; das
meiste sind mehr schöngeistige, weitschweifige Schwärmereien als begründete Parallelen.
Beliebt war auch die Zusammenstellung von Michelangelo und Dante einer- und Raffael
und Petrarea anderseits; im römischen Kreise des Mengs wurde dieser Vergleich dann
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
22
312
Hans Tietze:
Überhaupt wurden das Studium und der Kult Dantes im Cinque-
cento mit besonderem Eifer betrieben 55) und die Komödie, die seit
diesem Jahrhundert den Beinamen der Göttlichen führt, wird den Werken
der griechischen und lateinischen Klassiker gleichgestellt, ja vorgezogen.56)
Schon deshalb wäre zu vermuten, daß auch Giannotti in der Erklärung
des Danteschen Gedichtes nicht ganz unbewandert war und daß Aus-
sprüche wie: Non avete giä ragione a dir di me, che io sia Dantista;
Et mi fate grandissima ingiuria attribuendomi quello che non e mio
(Dialog p. 4) oder Sequitate di gratia, Mes. Michelagnolo; per che io
sono cosi di questa materia come di tutte l’altre, il piü bello ignorante
del mondo (daselbst p. 9) nur als Ausdrücke der Bescheidenheit auf-
zufassen sind.
Eine Bestätigung dieser Vermutung finden wir in seinen Schriften,
wo er an zahlreichen Stellen auf Dante Bezug nimmt; auch andere Ver$e
der Komödie haben ihm Bedenken erregt, die nur nach und nach
schwanden. »Io mi soleva giä grandemente maravigliare, che Dante poeta
in molti luoghi della opera sua, chiamasse i Fiorentini lupi ; ma
poi ch’io ho letto diligentemente le nostre istorie ho conosciuto
chiaramente, che tutti quelli cittadini che allora venivano ed ora ven-
gono in grandezza nella Cittä, si possono meritamente chiamare lupi.« 57)
Giannotti erzählt uns ja im Dialog selbst, wann er sich mit Dante be-
schäftigte (p. 12): Io non lessi mai Dante, se non in quel tempo, che
io stetti prima in Villa et poi a Bibbiena .. . .; et non presi mai fatica
di vedere come s’ habbiano ad intendere alcune cose molto difficili, le
quali in questo Poeta si leggono. Zur Zeit seiner Internierung in Bibbiena
also hatte er Gelegenheit zu gründlicheren Dantestudien, und wir wdssen ja
auch sonst, daß er gewöhnt war, die Stunden der ihm aufgezwungenen Muße
zu allerhand Studien zu benützen. 58) Damals erwarb er sich wohl auch die
zu Tode gehetzt; vgl. Lettere del consigliere G. L. Bianconi sopra il libro del Canonico
Luigi Crespi intitolato Felsina Pittrice, Milano 1802.
55) Siehe Barbi, Deila Fortuna di Dante nel sec. XVI in Annali della R. Scuola
normale superiore di Pisa, XIII; den Namen Divina führt die Komödie zum erstenmal
in der Ausgabe von 1555 (Giolito).
56) So Varchi im Ercolano Quesito IX, was den Widerspruch des Ridolfo Castra-
villa und eine lange Kontroverse hervorrief.
57) Della Repubblica Fiorentina libri IV, 2. Buch, Kap. 11 und 12; in der Aus-
gabe von 1850 T. I, 131; andere Beziehungen auf die Komödie daselbst II, 18 mit
Bezug auf Purg. VI, 136 — 15 1, III, 3, Purg. VII, 121 — 123 u. a.
58) Z. B. Brief an Varchi aus Bologna vom 26. Nov. 1537: Qui e arrivato l’Alciato,
e comincerä a leggere fra pochi giorni; ed io l’andrö ad udire; oder den Brief an
Antonio Michieli vom 30. Juni 1533 aus Comiano (Lettere Inedite in Atti dell’ Istituto
Veneto, ser. VI, tom. III, p. 1580/81); siehe auch Enrico Zanoni, D. G. nella vita e
negli scritti. Roma 1900, p. 47.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannottis Dialoge u. Michelangelo.
313
astrologischen Kenntnisse, die der Autor der Dialoge gehabt haben muß,
die aber bei Michelangelo etwas befremdlich erscheinen müßten. Gian-
notti hat sich für astrologische Berechnungen interessiert und erwähnt
solche mehrmals in seinen Briefen. »Ho chiesto al Zucchetta la Nativitä
et ve la manderö per questo altro spaccio; et voi mi mandarete quella
che fa Fra Giuliano59) che harö caro di vederla, non havendo mai
veduto cosa alcuna di suo« (an Lorenzo Ridolfi von Rom 18. Mai 1549);
und viel später einmal: vi mando la Nativitä del vostro nipote, la quäle
ho calculata con le tavole d’Alfonso; et se io leggessi piü, come solevo,
questi autori che insegnano giudicare, io harei anco fatto un poco di
iudicio; ma egli ö tanto che io non gli ho letti, che anco ho dimenti-
cato quel poco che io ne sapevo. Costi so che solevano essere buoni
astrologi; servitevi di questa figura, acciö habbiamo a durare men fatica.
Non lascierö perö di dire che, a giudicare cosi alla grossa, io ci veggo
poco di buono; ma non mi fido del mio giudicio per la cagione detta«
(29. Oktober 1563).60) So mochte wohl Giannotti imstande sein, diesen
astrologischen Kommentar zu verfassen, der, wie so manche seiner Zeit,
die topographischen und chronologischen Umstände der Reise Dantes
ins Auge faßt.61) Für uns ist gerade dieser Hauptteil von geringerem
Interesse; wichtiger ist der Schluß des zweiten Dialogs (p. 54 ff.), wo
über die Frage gesprochen wird, warum Dante Brutus und Cassius in
den innersten Kreis der Hölle versetzt habe (Inf. XXXIV, 65). Denn
die hier vorgebrachten Äußerungen sind immer als bezeichnend für die
politischen Anschauungen Michelangelos herangezogen worden.62)
Brutus war für die Renaissance eine der faszinierendsten Erschei-
nungen des Altertums, das verehrte Vorbild aller Tyrannenstürzer. Als
Boscoli im Jahre 1513 wegen Teilnahme an der Verschwörung gegen
die Medici auf das Schaffot geführt wird, ruft er verzweifelt seinem Be-
gleiter zu: Deh! Luca cavatemi dalla testa Bruto, acciö ch’io faccia questo
passo interamente da cristiano.63) Sein Name war es, der allen Ver-
schwörern wie eine Vision vorleuchtete; an ihn dachten Olgiati und Lam-
59) Fra Giuliano Ristori, Carmelitaner und berühmter Astrolog.
6°) Alcune lettere di D. G. 1. c. L. 37 bezw. 48.
6l) z. B. Pierfrancesco Giambullari, Del Sito, Forma et Misure dello Inferno di
Dante . . . Fir. 1544 oder von demselben eine Lezione del Sito del Purgatorio, 1551;
das Astronomische aus dem Dialog des Giannotti ist exzerpiert bei Francesco Longhena,
Itinerario Astronomico di Dante Al. Milano 1861, und P. Bartolomeo Sorio, Misure
generali del tempo e luogo nell’ itinerario infernale di Dante, Milano 1863; siehe auch
Barbi a. a. O. 1 3 1 ff.
6i) Vgl. Thode I, 122 ff.
63) Narrazione del caso di P. P. Boscoli e di Agostino Capponi, fatta da Luca
della Robbia, latinista e storico di quel tempo in Archivio Stör. Italiano. Vgl. auch
22'
314
Hans Tietze:
pugnani, als sie sich 1476 gegen Galeazzo Maria Visconti verschworen,
an seinen unvergänglichen Ruhm bei der Nachwelt Olgiati, wenn er mit
den Worten starb: Mors acerba, fama perpetua.* * * * * 64) Von besonderer Ak-
tualität aber war die Gegenüberstellung von Brutus, dem Freiheitshelden,
und Cäsar, dem Tyrannen, gerade zur Abfassungszeit des Dialogs. Am
6. Januar 1537 war Alessandro di Medici von seinem Verwandten Loren-
zino ermordet worden, und auf dieses Ereignis beziehen sich viele durch-
sichtige Anspielungen des Dialogs. Wie kein zweiter ist Lorenzino als
neuer Brutus gepriesen worden. Giovambattista Strozzi schreibt am
21. Januar 1537 an Filippo Strozzi, den Führer der Florentiner Patrioten :
Se mai la V. S. pensb farmi cosa grata, mi raccomandi cento milla volte
al giorno al glorioso Lorenzo di Medici, il cui atto magnanimo avanza
Bruto, e quanti ne furono simili a lui etc. 65)
Auch der Historiker Jacopo Nardi nannte ihn den neuen Brutus66)
und Varchi war nicht weniger überschwenglich ; er preist ihn z. B. mit
folgenden Versen:
Cum iuvenis destra iuvenem cecidisse Tyrannum
Immitem audisset Brutus in Elysiis;
Et forte inciderat de Caesare victi
Tot viri ab uno, inquit, iam sumus, et puero.
Überhaupt gibt uns Varchi im XV. Buch seines großen Geschichts-
werkes die beste Vorstellung von der Stimmung unter den Verbannten ;67)
aber außerhalb dieses engen Kreises wurde die Tat ganz anders beurteilt.
Gleich nach ihrem Bekanntwbrden protestierte Pietro Aretino dagegen, daß
ein gemeiner Verbrecher derartig verherrlicht werde; »Cicerone esaltö con
lo stesso entusiasmo Cesare e Bruto« und so sei es auch jetzt.68) Vasari
Ferruccio Martini, Lorenzino de’ Medici e il Tiranniccido nel Rinascimento. Firenze 1882,
besonders p. 48 fr.
64) Vgl. Pasquale Villari, Niccolö Machiavelli e i suoi tempi. Milano 1897, Ein-
leitung. Diese Auffassung der Ermordung Casars ist übrigens nicht die einzige ; so
heißt es in der volkstümlichen Aquila Volante des Leonardo Bruni L. IV, c. 22: Sapiate
che Cesaro fo lo piü valente homo del mondo et Imperatore che havesse mai Roma,
et tenne la dignitä dello Imperio a grande stato anni IV e mesi sei, poi per astutia
e per invidia Bruto Cassio et molti altri consiglieri piü di XL a gran tradimento in su
lo palazzo de Campo Martio dove se tenea la rasone etc.
65) Arch. Stör. Ital. Prima ser. vol. VII, Appendice p. 266/267.
66) L. A. Ferrai, Lorenzino di Medici e la Societä Cortigiana del Cinquecento.
Milano 1891, p. 1.
67) Storia Fiorentina. lib. XV. § XXIII.
68) Primo libro delle lettere di Pietro Aretino. Milano 1864, I, p. 117; Brief an
Valerio Orsini vom 10. Februar 1537; in einem Brief an Bembo daselbst, I, p. 103,
zeigt er sich noch mehr in klassischen Vorurteilen befangen.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannottis Dialoge u. Michelangelo. 315
spricht in einem Brief vom 10. Januar 1537 an Don Antonio Vasari von
der Grausamkeit und Mißgunst Lorenzinos, die die Motive der Tat ge-
wesen seien. 69) Gewichtiger als die Stimme eines Günstlings der Medici
mag die Francesco Guicciardinis sein, der die Tat nach den Folgen be-
urteilte: Lorenzino, schreibt er, riusci a tutt’ altro fine da quello che si
era proposto. Denn das Joch Cosimos war schwerer abzuschütteln als
das Alessandros. 7°) Aber auch bei den Verbannten war die ursprüng-
liche Begeisterung bald verraucht und aus der Bildsäule, die Jacopo
Sansovino für Lorenzino hätte machen sollen, ist nichts geworden. 71)
Sein Charakter war nicht darnach angetan, ihm Freunde zu gewinnen
oder die festzuhalten, die seine Tat ihm erworben hatte. Schon als er
nach der Ermordung Alessandros zu Silvestro Aldobrandini nach Bologna
kam, wollte dieser dem unheimlichen Mann nicht glauben7*) und so ging
kostbare Zeit verloren. Aus Furcht vor den Deutschen und Spaniern
sah sich Guicciardini gezwungen, rasch Cosimo zu proklamieren, und
nachdem dieser energische und verschlagene Fürst einmal die Gewalt
an sich gebracht hatte, war die Herrschaft der Mediceer gesicherter denn
je. Die Mißstimmung gegen Lorenzino nahm immer mehr zu; 73) man
zweifelte an der Lauterkeit seiner Motive und beschuldigte ihn zumindest,
sich die Folgen seiner Tat durchaus nicht klargemacht zu haben. Loren-
zino sagt selbst in seiner Apologie: Io confesso che non mi venne mai
in consideratione che Cosimo de Medici dovesse succedere ad Ales-
sandro. 74)
Aus dieser Mißstimmung gegen den neuen Brutus ist der Dialog
des Giannotti zum Teil zu verstehen. Die Begründung dafür, warum
Dante den Mörder Cäsars in den innersten Kreis der Hölle versetzt
habe, 75) ist einerseits die imperialistische Gesinnung Dantes, anderseits sind
69) Opere VIIJ, p. 269.
7°) Vgl. L. Domenichi, Istoria varia. Venezia 1565. L. XII, p. 752.
7>) Bottari, Lettere pittoriche, 1822, V, p. 220.
7») Vgl. den Brief an Fil. Strozzi vom 8. Januar 1537 in Niccolini, Fil. Strozzi,
p. 212.
73) Briefe des Vincenzo Ridolfi an Pietro Strozzi vom 26. März 1537 und des
Antonio Berardi an Andrea Rinieri vom 21. August desselben Jahres; vgl. Ferrai 1. c.
p. 277, Anmerkung.
74) Apologia, Rom 1891, p. 71/72; auch Doni führt in seiner langausgesponnenen
Parallele zwischen Alessandro und Cäsar und Lorenzo und Brutus diesen Mangel an
Vorbedacht an. La Fortuna di Cesare, Ven. 1550*
75) Auch Tassoni hat in dem oben zitierten Dialog an der Verurteilung des Brutus
Anstoß genommen und erklärt sie als den gröbsten Verstoß Dantes ». . e quello che mi par
piü enorme Bruto e Cassio uccisori d’un tiranno, occupator della patria, sono posto da
lui egualmente et in un medesimo luogo tormentati col traditore di Christo redentore
nostro«. a. a. O. p. 45.
3l6
Hans Tietze:
es die unglücklichen Folgen der Tat; während Cäsar vielleicht später, wie
einst Sulla, auf die Herrschaft verzichtet hätte, war durch seinen Tod
und die Thronbesteigung des Augustus die Tyrännis erst recht gesichert
und gefestigt.
Die Erklärung der fraglichen Infernostelle aus Dantes Stellung zum
Imperium hat Trifone Gabriele in seinen Annotazioni sul Dante fatte in
Bassano gegeben, deren Manuskript sich in der vatikanischen Bibliothek
befindet: 76) Ebbe gran torto il poeta et a porre Celestino nello inferno
per lo rifiuto, e Bruto e Cassio per la morte di Cesare, che in veritä,
come dice il Landino sono per quel conto da esser posti ne piü alti
scanni del Paradiso, ma fu troppo imperiale e troppo vuol’ adulare a
quella parte (Cod. Vat. 3193, f. 25). Trifone Gabriele gehörte aber zu
den persönlichen Bekannten Giannottis, wie er in der Einleitung seines
Buches de la Repubblica de Venetiani (Rom 1540) berichtet, dessen Aus-
führungen sogar größtenteils dem Trifone in den Mund gelegt sind.
Was die andere Begründung anbelangt, so hatte — soweit es sich
hier um eine Anspielung auf das Ereignis von 1537 handelt — Michel-
angelo keinen besonderen Grund zu dieser Stellungnahme; von allen
Medici war ihm Alessandro besonders verhaßt, und er betrachtete es als
eine Fügung Gottes, daß er zur Zeit, als Clemens VII. starb, nicht in
Florenz war. 77) So groß war sein Argwohn gegen Alessandro; mit
Cosimo aber, der ihn immer mit besonderer Auszeichnung behandelte,
ist er zeitlebens in einem leidlichen Verhältnis gestanden. 78)
Anders verhält es sich aber mit Giannotti. Mehr als irgend ein
anderer hat er in Brutus sein Ideal gesehen. Zur Zeit seines Exils
dachte er sogar daran, seinen Lieblingshelden durch ein Drama zu ver-
herrlichen und legte dem Lorenzo Strozzi den Plan dazu vor. 79) In
seinen, politischen Schriften vollends kommt der Name immer wieder von
Ausdrücken schwärmerischer Bewunderung begleitet vor. So z. B. Deila
Rep. Fior. (1531) II, Cap. IX . . . siccome noi vediamo, che nessun fu
mai tanto scellerato o stolto, che non esaltasse Bruto in sino al
cielo, per averlo ammazzato e renduto alla patria la libertä. Anderseits
heißt es mit direkter Beziehung auf Florenz in der Dedikation desselben
Werks : Fra tutte le imprese, Monsignor mio, le quali per universale
benefizio degli uomini si prendono, il liberare le Cittä dalla Tirannide
76) ct. Luigi Maria Rezzi, Lettera a Giovanni Rosini sopra i nianoscritti barberiani
commenti alla D. C. di D. A. Rom 1826 und Barbi a. a. O. p. 245.
77) Condivi, c. 40.
78) Siehe z. B. Cellini, Vita. Fir. 1852, p. 434 und verschiedene Stellen bei
Vasari.
79) Alcune lettere 1. c. ; p. 5; Comiano 29. März 1533.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannottis Dialoge u. Michelangelo. 3 1 7
ö reputata, per due cagioni, grande e maravigliosa. Die Tat Lorenzinos
aber mußte er mißbilligen. Als Politiker mochte er urteilen wie Guicciar-
dini, mit dessen Ideen die seinen ja so oft übereinstimmen; vor allem
mußte ihm der Mangel an Vorbedacht bei Lorenzino sehr tadelnswert
erscheinen. Sein Buch Deila Repubblica Fiorentina hatte er geschrieben,
um seiner Vaterstadt, sobald sie frei würde, eine Verfassung bieten zu
können; immer wieder hatte er betont, daß es sich nicht nur darum handle,
Tyrannen zu stürzen, sondern auch darum, die Freiheit des Vaterlandes
sicher und dauernd zu gestalten. Einmal werden sogar Brutus und
Cassius als Beispiele übereilter und unbedachter Tyrannenstürzer ange-
führt Bruto e Cassio, dopo la morte di Cesare, la quäle felice-
mente succedette, furono poi nel difendere la repubblica da tante diffi-
cultä oppressi, che finalmente con quella ruinarono (1. c. IV, 8). Donato,
dem »mite repubblicano«, wie er gelegentlich genannt worden ist,80) war
der Gedanke an die eventuelle freiwillige Abdankung des Machthabers ein
besonders lieber; la dove appresso agli antichi Romani maggior
gloria recava il deporre la dettatura, che pigliarla (1. c. II, 9), und an
einer anderen Stelle lobt er sogar wie im Dialog den Sulla wegen seines
freiwilligen Verzichts auf die Herrschaft und erörtert und verneint die
Frage, ob auch Cäsar so gehandelt hätte. E se bene Silla depose la
dettatura, avendo primo ingiuriato tanti cittadini, e visse poi sempre si-
curo; e da considerare che questo esemplo e rarissimo e maraviglioso e
non ö da giudicare ch’un altro l’abbia ad imitare; si come noi vediamo
che Cesare non pensö mai di deporre la potenza sua (1. c. IV, c. 8).
Derartige Stellen mochten Giannotti nun kompromittierend erscheinen,
denn es lag ihm daran, die mächtigen und von Tag zu Tag mächtiger
werdenden Mediceer nicht allzusehr vor den Kopf zu stoßen. Aus der
in der Marucelliana befindlichen Handschrift der Repubblica Fiorentina
kann man ersehen, daß Giannotti an der ursprünglichen Fassung manches
geändert und allzu scharfe Ausdrücke durch mildere ersetzt hat. So hieß
es an einer Stelle statt: »quantunque l’abbia liberata« früher »uno habbia
morto o cacciato il Tyranno« oder »uccisione di Cesare« wird in »morte«
abgeschwächt. Ein langer Absatz, der von der Möglichkeit handelt, die
Mediceer aus Florenz zu vertreiben, ist ähnlichen Opportunitätsgründen
zum Opfer gefallen.81) Aus derartigen apologetischen Gründen ist auch
der Schluß unseres Dialogs geschrieben; denn das Gespräch wird ganz
unvermittelt und mit augenfälliger Absichtlichkeit auf Brutus und seine
verdiente Strafe gebracht.
80) Ferrai in Atti dell’ Istituto Veneto, ser. VI, tom. III. 1569.
81) Opere, 1. c. S. 280 Anmerkung und S. 282 Anmerkung.
Hans Tietze:
318
So weit es sich also um den Hauptinhalt des Dialogs, um die
Kommentierung der in Diskussion stehenden Stellen der Komödie han-
delt, ist Giannotti allein für Inhalt und Form verantwortlich. In dieser
Hinsicht steht sein Dialog mit dem des Francisco auf einer Stufe.
Anders aber verhält es sich, wenn wir den allgemeinen Ton prüfen; hier
finden wir so viele mit anderweitig beglaubigten Aussprüchen Michel-
angelos übereinstimmende Sätze, daß wir annehmen können, Giannotti
habe in diesen zur schärferen Charakteristik dienenden Nebenumständen
den verehrten und vertrauten Freund getreulich gezeichnet. Wenn Michel-
angelo z. B. durch die Lobsprüche, die seinen Gedichten gespendet wer-
den, in größte Verlegenheit gerät, so erinnern wir uns der Bescheiden-
heit und Freude, mit der er in dem oben zitierten Brief an Luca Martini
über die ihm von Varchi durch Kommentierung seines Sonetts bereitete
Ehrung spricht. Auch die Erörterung der Freundschaft ' in platonischem
Sinn am Ende des ersten Dialogs (p. 3 1 ff.) wird durch sonst von Michel-
angelo geäußerte Ansichten bestätigt; denn gründlicher als die meisten
seiner Zeit hatte der Meister platonische Ideen in sich aufgenommen.
Berni sagt von ihm : Ich habe einige seiner Dichtungen gesehen, ich bin
ein Ignorant, aber doch würde ich behaupten, sie alle in Platons
Schriften gelesen zu haben.82) Und gerade zur Abfassungszeit der
Dialoge mögen Michelangelo die platonischen Ideen über Freundschaft
und Liebe besonders beschäftigt haben; in einem Brief vom 19. April 1544
spricht Claudio Tolomei, der gleichfalls zum engeren Freundeskreise des
Künstlers gehörte, von einer neuen Übersetzung des Convivio,* * * * 83) und so
können gerade damals diese Gedanken eine gewisse Aktualität besessen
haben. Auch der Satz, der dieser philosophischen Erörterung zugrunde
liegt, die Begründung der Weigerung Michelangelos, am Mahl seiner
Freunde teilzunehmen, macht den Eindruck der Echtheit: Ferche quando
io mi trovo in queste brigate, come avverebbe se io desinassi con voi,
io mi rallegro troppo, et io non mi voglio tanto rallegrare (p. 31). Im
Mai 1525 hatte Michelangelo an Sebastiano del Piombo geschrieben:
»Gestern Abend hatten unser Freund Cujo und gewisse andere Edelleute
die Güte zu wünschen, daß ich mit ihnen zu Abend speiste; hierüber
hatte ich die größte Freude, denn ich kam dadurch etwas aus meiner
Melancholie oder vielmehr Verrücktheit heraus« (Lett. Milanesi 397).
Zwischen beiden Äußerungen liegen 20 Jahre, die hart für Michelangelo
8l) Über Michelangelos Verhältnis zu den platonischen Ideen siehe Thode,
Michelangelo, II, Der Dichter und die Ideen der Renaissance, II. Schauen, I. Die
Philosophie des Künstlers, S. i9iff. und II. Die Liebe als Verlangen nach Schönheit,
S. 222 ff.
83) Venezia 1547, f. 88v, Brief an Giov. Bat. Grimaldi.
Francisco de Hollanda u. Donato Giannottis Dialoge u. Michelangelo.
319
gewesen waren und ihm das Beste, was er an Plänen und Hoffnungen
besaß, zertrümmert hatten. 1525 hatte ihn der fröhliche Kreis seiner
Freunde noch aus seiner Melancholie herausreißen können, jetzt aber
war er voll von Bitterkeit und wollte von solchen Ablenkungen nichts
wissen. Sein Leben war einsam und traurig, auch die ehrfurchtsvolle
Liebe der Freunde konnte ihm die Freudlosigkeit seines einsamen Alters
nicht auf hellen; egli £ pur vecchierello, et ha bisogno di cosi fatti offici,
sagt Donato Giannotti (p. 64).
Ehrfurchtsvolle Liebe spricht aus jeder Zeile von Giannottis Dia-
logen; und dieselbe Ehrfurcht finden wir überall, wo bei Zeitgenossen
von Michelangelo die Rede ist. Auch als die beginnende Reaktion an
seinem Jüngsten Gerichte mancherlei auszusetzen fand, als man bedauernd
konstatieren mußte, daß er in seiner Auffassung nicht immer den Lehren
der sacri dottori gefolgt sei, hat man nicht anders als mit tiefster Ehr-
erbietung von ihm gesprochen.8^ Wer immer mit Michelangelo zu tun
hatte, den faßte eine Ahnung von seiner Größe. Hier liegt der Haupt-
unterschied zwischen den Dialogen Donato Giannottis und denen des
Francisco de Hollanda. Die burschikose Art, mit der der Portugiese
mit Michelangelo spricht, zeigt, daß er für das Pathos der Distanz
zwischen dem Miniaturmichelangelo Portugals und dem göttlichen Meister
nicht das geringste Gefühl besaß und daß er nicht der Mann war,
Michelangelos Ideen in irgendeiner Form der Nachwelt zu übermitteln.
Können wir also in Giannottis Dialog ein Denkmal sehen, das der
Florentiner Staatssekretär dem Dantekenner und dem großen Freunde
ehrfurchtsvoll gesetzt hat und über dem doch ein Hauch vom Geiste
Michelangelos schwebt, so behält das Werk des Hollanda wohl nur seinen
Wert als wichtigste Quelle für die Kenntnis der portugiesischen Kunst
und Kunstauffassung. 85)
In einer Untersuchung wie der vorliegenden wird sich kaum je ein
direkter Beweis erbringen lassen und auf Grund eines bloßen Indizien-
beweises in einer doch recht wichtigen Frage ein abschließendes Urteil
fällen zu wollen, mag manchem unstatthaft erscheinen. Immerhin sprechen
so viele Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der untersuchten Dialoge,
daß erhöhtes Mißtrauen anzuraten ist. Die sachlichen Erörterungen ge-
hören in beiden Dialogen völlig den jeweiligen Autoren an; die Milieu-
84) z. B. Due dialogi di M. Giovanni Andrea Gilio da Fabriano. Nel secondo
si ragiona de gli errori de Pittori circa 1’ historie. Con molte annotationi fatte sopra il
Giuditio di Michelangelo ed altre figure, tanto de la vecchia, quanto de la nova Cap-
pella, et in che modo vogliono esser dipinti le Sacre Imagini. Camerino 1564. f. 93 v-
85) Justi im Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen IX, S. 139 h
320
Hans Tietze : Francisco de Hollanda usw.
Schilderung und die zur Charakterisierung verwendeten kleinen Züge sind
bei Donato Giannotti, dem vertrauten Freunde, echt, beim flüchtigen Be-
kannten Hollanda unecht, zumindest nur in Fällen vollständiger Über-
einstimmung mit anderen Quellen verwendbar, also jeglichen selbstän-
digen Wertes bar. Jedenfalls hat man diesen Dialogen, besonders dem
des Hollanda, zuviel Vertrauen geschenkt, und vielleicht hat das dazu
beigetragen, daß in neuerer Zeit manche weichliche Züge in Michel-
angelos Bild gekommen sind. Wir werden vielleicht gern darauf ver-
zichten, uns Michelangelo als redseligen, galanten alten Herrn zu denken,
der an schönen Sonntagsnachmittagen mit müßigen Literaten zusammen-
kam, um schöngeistiger Unterhaltung zu pflegen; wir werden ihn uns
lieber so vorstellen, wie ihn Berni gerade im Gegensatz zu seiner Um-
gebung in einer Zeile so meisterhaft gezeichnet hat: Ei dice cose e voi
dite parole. Denn Michelangelo war nicht redselig und die Worte, die
ihm Giannotti in den Mund legt (S. 36), könnten wie ein Vorwurf gegen
Dialogschreiber klingen, die ihn derartig darstellen: Voi mi havete fatto
et fate fare una cosa, la quäle io non feci mai piü in tutta la vita mia;
percioch£ qualunche volta io mi sono trovato dove di simili cose si sia
ragionato, io sono stato sempre molto volentieri degli altri ascoltatore.
Hoggi voi havete voluto che io sia l’ascoltato, et voi havete voluto esser
gli ascoltatori.
Leonardo da Vincis Stellung in der Geschichte der
Physiognomik und Mimik.
Von Hans Klaiber.
Wer sich etwa die Aufgabe stellte, in den Werken der großen
Meister der Malerei über künstlerische Mimik und Physiognomik sich
Rats zu erholen, würde wohl ohne viel Besinnen sich in erster Linie an
Leonardo da Vinci wenden. Auch den Laien ist er ja durch sein
Abendmahlsbild als Darsteller der Gebärden »der Verkündiger der
Seelenbewegungen«, wie er sie selbst nennt, als Erfinder von ausdrucks-
vollen Charakterköpfen bekannt, und in der Tat ist das Thema, das sich
Leonardo in jenem Gemälde gestellt hat, die psychologisch differenzierte
Wirkung der Worte Christi: »Einer unter euch wird mich verraten!« zum
Ausdruck zu bringen, ein durch und durch mimisch-physiognomisches
und nur auf Grund scharfer Beobachtung und gründlicher Kenntnis der
sinnlichen Erscheinungsformen des Vorstellungs- und Gefühlslebens der
Menschen zu lösen. Wer nun aber dem Künstler näher steht, der weiß,
in wie reichem Maße beides bei ihm vorhanden war, und ein Blick in
seine Handzeichnungen und Manuskripte bestätigt uns, daß unter den
vielseitigen , Interessen dieses wunderbaren Geistes das physiognomisch-
mimische in erster Reihe steht und herrliche Erzeugnisse zutage gefördert
hat. — Diese Seite seiner Kunst ist denn auch von allen, die in alter
und neuer Zeit sein Leben oder seine Werke behandelt haben, eingehend
besprochen und gewürdigt worden. Dagegen soll im folgenden der
Versuch gemacht werden, seine Anschauungen über diese für einen
Künstler so wichtigen Gebiete aus seinen Aufzeichnungen zu entnehmen,
und die gewonnenen Gesichtspunkte zur Erläuterung seiner hierher-
gehörigen Studienzeichnungen zu verwerten — hierzu hat Ant. Springer
in seiner Dürermonographie und in den »Bildern aus der neueren Kunst-
geschichte« die Anleitung gegeben — , endlich durch Vergleichung mit
den Lehren der älteren und modernen Physiognomik ihm seine Stellung
in der Geschichte dieser Wissenschaft anzuweisen.
Die Geschichte der Physiognomik (vgl. Wundt, Deutsche Rund-
schau 1877) läßt sich in drei Hauptperioden einteilen, von denen die
322
Hans Klaiber:
zwei ersten durch die Namen Aristoteles einerseits, Lavater anderer-
seits charakterisiert werden, während die dritte sich nicht mehr mit dem
Namen einer einzelnen Autorität deckt. Die erste uns erhaltene metho-
dische Behandlung erfuhr der Stoff in den Physiognomonica, einer Schrift,
die wenn auch nicht auf Aristoteles selbst, so doch auf seinen Kreis zurück-
geht. Daß schon von früherer Zeit Abhandlungen, jedenfalls Theorien
darüber vorhanden waren, beweist der Anfang der Schrift, in der ver-
schiedene Methoden oder Prinzipien aufgeführt werden, wonach sich die
Wissenschaft behandeln lasse. Das erste könnte man als Theorie der
nationalen Charakterdifferenzen bezeichnen, sofern die Verschiedenheit
der Menschen aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Völkern oder
Rassen erklärt und ausgelegt wird. Eine andere Methode, die psycho-
logische, halte sich an die Eindrücke, die Leidenschaften und Gemüts-
bewegungen im Äußeren des Menschen hinterlassen. Die dritte, haupt-
sächliche, wäre kurz gesagt die zoologische: die Vergleichung von
Menschen und Tieren. Dabei soll man sich nicht durch eine beliebige,
zufällig ins Auge fallende Ähnlichkeit zu einem voreiligen Schluß ver-
führen lassen, sondern systematisch zu Werke gehen: man sucht durch
Zusammenstellung der Ähnlichkeiten bei gleich gearteten Tieren und
durch Ausschließung der für den betreffenden Fall unwesentlichen Züge
die äußeren Merkmale des Charakters und achtet nun darauf, welche
von diesen bei einem Menschen sich vorfinden. Diese Kennzeichen der
inneren Beschaffenheit findet man keineswegs nur im Gesicht oder in
den Bewegungen, sondern in Körperbau, Knochen, Fleischbekleidung,
Stärke und Art der Behaarung, Farbe der Haut, der Augen, Form und
Größe der einzelnen Gliedmaßen: z. B. Leute mit feurigen Augen sind
frech wie die Hunde, solche mit spitzen Nasen jähzornig wie die Hunde,
mit dünnen Lippen gemein wie die Schweine, mit stumpfen Nasen groß-
mütig wie die Löwen usw. Über den wissenschaftlichen Wert solcher
Phantasien braucht man kein Wort zu verlieren: schon die Grundlage,
die Voraussetzung rein menschlicher Eigenschaften wie Gerechtigkeit,
Großmut, Prahlerei bei den Tieren erinnert an die Fabeleien des Phy-
siologus. Unter dem Schatten der aristotelischen Autorität hat sich
diese physiognomische Disziplin jahrhundertelang in Geltung erhalten;
ja sie ist noch mehr auf das Niveau der Trugwissenschaften herab-
gesunken, als sie mit der Temperamentslehre — diesbezügliche An-
deutungen hat schon Pseudo-Aristoteles — , Astrologie und Chiromantie
in Beziehung gesetzt wurde. Das bekannteste Lehrbuch der Physiognomik
im aristotelischen Sinn ist die humana Physiognomonia des Johann Bap-
tista Porta vom Jahre 1593, als Kuriosität öfters zitiert und wohl auch
hin und wieder gelesen oder doch durchgeblättert. Das Wunderliche und
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik.
323
Phantastische der vergleichenden Methode wird in den Illustrationen
besonders deutlich und die Zusammenstellung der natürlich entsprechend
ins Tierische abgeänderten Menschenköpfe mit Löwen-, Ochsen-, Hirsch-
und Adlersköpfen wirkt lächerlich wie Karikaturen. Ein anderes Werk
mag noch angeführt werden, das der Zeit Leonardos näher steht und
das vielleicht seltener ans Tageslicht gezogen wird: die Introductiones
Apotelesmaticae (= astrologische Einleitungen) elegantes in Chyromantiam,
Physiognomiam, Astrologiam naturalem, Complexiones hominum, Naturas
planetarum. Cum periaxiomatibus de faciebus Signorum et canonibus de
aegritudinibus, nusquam fere simili tractata compendio, von Johannes ab
Indagine, 1522 in Straßburg erschienen. Es ist eine Zusammenstellung
des astrologisch-physiognomischen Aberglaubens, der mit Berufung auf
antike und mittelalterliche Größen, ja auch auf biblische Autoritäten
verteidigt wird. Da er nur ein »Compendium« geben will, keine »com-
mentarii«, verzichtet der Verfasser durchweg auf Begründung seiner Urteile
und führt nur unter Beifügung einiger Illustrationen die Merkmale mit
den Eigenschaften, auf die sie deuten, vom Kopf bis zu den Füßen der
Reihe nach an. Vergleicht man das Buch mit Portas Werk, so findet
man, daß beide im gleichen Geist arbeiten, aber bei der Mannigfaltigkeit
der benutzten Quellen im einzelnen ebenso oft zusammen-, wie ausein-
andergehen. Dasselbe gilt von der sonstigen Literatur über Astrologie
und Temperamentslehre: es sind immer die gleichen Elemente, die aber
in wechselnden Kombinationen erscheinen. Die Phantasie hatte eben
freien Spielraum, wo ein fester, auf wirklichen Regeln und Gesetzen
beruhender Untergrund fehlte. — Will man nun wissen, wie Leonardo
da Vinci zu den physiognomischen Anschauungen seiner Zeit sich stellte,
inwieweit sie zur Erklärung seiner eigenen hergehörigen Studien bei-
gezogen werden dürfen, so ist von einer Grundstelle im trattato della
Pittura (Artikel 292), »Quellenschr. f. Kunstgesch.« 15 — 16, auszugehen, an
der er sich über »fisonomia e chiromanzia« folgendermaßen äußert: »Über
die betrügerische Physiognomik und Chiromantik werde ich mich nicht
verbreiten, es ist keine Wahrheit in ihnen und das ist offenbar, denn
diese Chimären haben kein wissenschaftliches Fundament. Es ist wohl
wahr, die Züge des Gesichts zeigen uns zum Teil die Natur der Menschen*
ihre Laster und ihre Geistes- und Gemütsanlage. Aber (das geschieht
ganz natürlicher Weise), die Linien, die zwischen Wangen und Lippen
und den Nasenflügeln und der Nase eingefurcht oder um die Augen-
höhlen her gezeichnet sind, sind sehr deutlich bei lustigen Leuten, die
oft lachen. Und diejenigen, bei denen diese Linien nicht stark gezeichnet
sind, sind Leute, die das Nachdenken betreiben. So sind die, deren
Gesichtsteile stark ausladen und tief markiert sind, viehische und zum
324
Hans Klaiber:
Zorn geneigte Menschen von wenig Vernunft, und die, welche zwischen
den Augenbrauen tiefe Falten haben, sind zornig, sowie die, deren
Stirn in die Quere tieflinierte Furchen zeigt, an geheimem oder offen-
barem Jammer reiche Leute sein werden. Und so kann man ähnliches
aus noch vielen Teilen schließen. — Aber aus der Hand? Da wirst Du
finden, es seien große Heerscharen von Männern zur selbigen Stunde
unter dem Messer umgekommen, bei deren keinem die Zeichen in der
Hand mit denen der anderen die entfernteste Ähnlichkeit hatten und so
auch beim Schiffbruch.« Die Wahrsagerei aus den Handlinien wird
also gänzlich als schwindelhaft abgelehnt, das Erraten des Charakters
aus dem Äußeren des Menschen auf das psychologisch-mimische Prinzip
reduziert. Demnach sind nun auch seine bekannten physiognomischen
Zeichnungen, die Karikaturen, nicht mit den Illustrationen zeitgenössi-
scher Physiognomiker zusammenzustellen, da sie nicht wie diese die
Merkmale der geistigen Anlagen und Eigenschaften bildlich vorführen
wollen. Sie stammen aus verschiedenen Quellen und scheiden sich
darnach in verschiedene Gruppen, die schon Springer auseinandergehalten
hat. Es sind einmal Porträtzeichnungen nach auffallenden Originalen,
mit Übertreibung der eigentümlichen Züge — also richtige Karikaturen.
Die Namen der Dargestellten finden sich zum Teil beigeschrieben. Die
zweite Hauptklasse sind die von Leonardo frei erfundenen Köpfe. Der
Sinn dieser Schöpfungen erklärt sich aus jener Mahnung, die wie ein
Leitmotiv den Trattato durchzieht: Varia quanto piü puoi!
Die größte Gefahr, vor der der Künstler immer und immer wieder
gewarnt wird, ist nach Leonardo das Arbeiten nach dem Schema. Dabei
ist es noch eine besondere Klippe, daß so viele geneigt sind, ihre eigenen
Gesichter und Körperformen in ihren Bildwerken figurieren zu lassen,
und mögen sie auch noch so wenig den Anforderungen der Schönheit
entsprechen. Das beste Mittel dagegen ist es, den Blick auf die zahllosen
individuellen Variationen in der Natur zu richten. Dies geschieht z. B.
im III. Teil des Trattato, Artikel 288: »Von den Teilen und Unter-
scheidungsmerkmalen der Gesichter«. In diesem und den folgenden
Artikeln sind die vielen Möglichkeiten, nach denen z. B. die Nase in
ihren verschiedenen Teilen vom Ansatz bis zur Spitze variieren kann,
ebenso der Übergang von der Nase zu den Augenbrauen, die Form der
Stirn, des Mundes, des Kinns aufgezählt. Dergleichen Dinge soll der
Kunstjünger fleißig nach der Natur zeichnen, in ein Merkbüchlein ein-
tragen und im Gedächtnis sammeln, um sie jederzeit parat zu haben.
Wer nun über den nötigen Vorrat verfügt, der kann in schöpferischem
Wetteifer mit der Natur das Spiel der Variationen nachahmen und kann
so z. B., indem er, von einem Gesichtsteil ausgehend, die anderen damit
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik. 325
in Zusammenhang bringt und entsprechend formiert, menschliche oder
tierische Köpfe erfinden. Denn nicht bloß Menschenköpfe mit vor- und
zurückgeschobenem Profil, mit hochgebuckelter oder aufgeworfener Nase,
vor- oder zurücktretendem Kinn, breitem oder schmalem Zwischenraum
zwischen Nase und Oberlippe finden sich unter den Karikaturen, auch
Tierköpfe müssen sich dem Spiel der gestaltenden Phantasie fügen und
rücken dadurch in die Nähe der Phantasie- oder Fabeltiere. (Vgl. die
Löwenköpfe mit hornartigen Auswüchsen, herabhängenden oder aufge-
bogenen Gesichtsteilen auf Handzeichnungen aus Windsor bei Müller-
Walde, Leonardo da Vinci, Abbildung 24.) Ein den vergleichenden
Physiognomikern naheliegender Gedanke ist die Zusammenstellung eines
möglichst schönen und eines abstoßenden Gesichts, wie sie ein bekanntes
Louvreblatt aufweist (Müller -Walde Abbildung 10): Die Hauptdarstellung
ist ein Jünglingskopf von jenem weichen und sehnsuchtsvoll träumerischen
Ausdruck, den eben Leonardo so bezaubernd zu geben weiß, von Locken
umwallt, wie es im Trattato empfohlen wird (III. Teil, Artikel 404): »So
laß also an deinen Köpfen die Haare mit einem Luftzug, der zu gehen
scheint, um die jugendlichen Gesichter spielen und sie in vielfältigem
Geringei anmutsvoll zieren!« Unmittelbar daneben eine Karikatur mit
knochiger Stirn, unförmigem Mund und vorstehendem Kinn.
Die dritte Gruppe wären endlich die eigentlich-mimischen, die
Studien über den Ausdruck von Gemütsbewegungen. Auch hierbei
kommen uns die Biographen zu Hilfe mit ihren Erzählungen, wie z. B.,
daß Leonardo Bauersleute mit sich in sein Haus nahm, mit Speise und
Trank bewirtete und dazu mit lustigen Possen und tollen Schwänken
unterhielt, um an diesen Naturkindern die unverfälschten, durch keinen
Zwang der Konvention beeinträchtigten Kundgebungen der Stimmung
und Gemütsverfassung zu beobachten. Eine reinliche Scheidung unter
den drei Gruppen ist natürlich nicht durchführbar, da diese letzte auch
in die zwei erstgenannten Jhineinspielt. Zu ihr möchte man von einem
berühmten Blatt (Windsor, Müller -Walde, Abbildung 16) das grinsende alte
Weib und die dahinter befindliche Figur, die den Mund aufreißt, als wollte
sie sich vor Lachen ausschütten, rechnen. Interessant ist ein anderes
Blatt derselben Sammlung (Müller-Walde, Abbildung 25, vgl. auch 49)
mit Tierstudien, und zwar deshalb, weil es eine Erinnerung an die
Physiognomik aristotelischer Richtung sein könnte; wir sehen da nämlich
eine Vergleichung von Pferde-, Löwen- und Drachenköpfen mit einem
menschlichen Profil. Wenn die Anregung auf die zeitgenössische Phy-
siognomik zurückginge, so wäre sie jedenfalls durchaus im Geist der
mimischen Theorie umgedacht. Denn es soll offenbar nicht irgend eine
Gleichheit in der Gesichts- oder Kopfbildung, sondern eine gewisse
326
Hans Klaiber:
Ähnlichkeit im Ausdruck der wilden Erregung konstatiert werden (vgl.
Müller -Walde, S. 61 im Text). So interessant und bezeichnend für
Leonardos künstlerisches Schaffen nun die Karikaturen auch sind, so
tragen sie doch in ihrem oft etwas seltsamen Wesen das echt leonardeske
Gepräge des Phantastischen, so daß man die Anschauungen ihres Schöpfers
über Mimik nicht mit Sicherheit aus ihnen herauslesen könnte. Da kommt
uns nun wieder der Trattato zu Hilfe, indem wir an verschiedenen, ent-
sprechend dem Notizencharakter dieser Aufzeichnungen, ganz zerstreut
liegenden Stellen, wertvolle Winke über künstlerische Mimik finden, die
im folgenden zusammengestellt und in Zusammenhang gebracht sind.
Die Bewegungen des menschlichen Körpers interessieren unsern
Meister in doppelter Hinsicht, vom naturwissenschaftlich-anatomischen und
vom künstlerisch-mimischen Standpunkt aus. Von jenem gibt er Analysen
der Bewegungen, zerlegt eine Bewegung in ihre Stadien, gruppiert und
klassifiziert sie nach dem Gesichtspunkte der Richtung, unterscheidet
einfache und kombinierte, sucht die durch Bewegungen hervorgerufene
Volumenverschiebungen mit Hilfe geometrischer Figuren zu bestimmen.
Dieses Studium der Mechanik des menschlichen Körpers befähigt ihn
dann auch, die mimischen Bewegungen im Gesicht und die Gebärden
auseinanderzuhälten und anschaulich zu beschreiben. Die Frage, was
für den Maler wichtiger sei, die Kenntnis der Licht- und Schattengebung
oder die Vertrautheit mit den Ausdrucksbewegungen, entscheidet der
Artikel 122 zugunsten der letzteren: »Das allerwichtigste, das sich in der
Theorie der Malerei finden mag, sind die für die Seelenzustände eines
jeden lebenden Wesens paßlichen Bewegungen, wie für Verlangen, Ver-
schmähen, Zorn, Mitleid und ähnliches.« Das Urteil über einen Künstler
soll geradezu hiervon abhängen, vgl. Artikel 294: »Mache die Figuren in
solchen Gebärden, daß diese zur Genüge zeigen, was die Figur im Sinn
hat. Wo nicht, so ist deine Kunst nicht lobenswert.« Oder Artikel 296:
»Entspricht die Bewegung nicht dem Zustand, in dem die Seele der Figur
sein soll, so zeigt diese Figur, daß ihre Glieder ihrem Urteil nicht folgen
und das Urteil des Werkmeisters kein gesundes ist.« — Wie verschafft
man sich nun aber die erforderliche Kenntnis der Ausdrucksbewegungen?
Da sie zum großen Teil unwillkürliche Handlungen sind, können sie nicht
etwa vom Modell auf Bestellung vorgeführt werden, wenn sie nicht
künstlich und gemacht erscheinen sollen, sie müssen vielmehr im unbeob-
achteten Augenblick nach dem Leben studiert werden; vgl. Artikel 127:
»Ein Maler, der von seinem Werke Ehre haben will, soll allezeit die
lebendige Unmittelbarkeit der Bewegungen an den natürlichen Stellungen
studieren, die von den Leuten unversehens ausgeführt werden und aus
der mächtigen Erregung der Wirklichkeit entspringen. Von diesen soll
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik.
327
er sich kurze Erinnerungen in seine Skizzenbücher machen und sie nachher
zu seinen Zwecken verwenden, indem er dann einen Menschen in derselben
Aktion Modell stehen läßt, um die Qualität und die Ansichten der Glied-
maßen zu studieren, die gerade zu selbiger Aktion verwendet werden.«
Artikel 173 rät, auf Spaziergängen die Leute zu beobachten, wenn sie
miteinander reden, streiten, lachen oder raufen und ebenso auf das Ver-
halten der Umstehenden zu merken. An zwei anderen Stellen, Artikel 179
und 327 fällt der Hauptnachdruck darauf, daß die Beobachteten nichts
merken dürfen; sonst würde ihr Interesse von der Sache, die sie erfüllt
und bewegt, abgelenkt auf die zuschauende Person und die Gestikulation
verlöre von ihrer ursprünglichen Wildheit (ferocita). »Und erwarte nicht
(Artikel 327), daß dir einer den Akt des Weinens zum Schein und ohne
daß er ernsthafte Ursache zum Weinen hat, vormache und du denselbigen
danach abzeichnen könntest. Denn da dieser Akt so nicht aus einem
wirklichen und unvorhergesehenen Anlaß hervorgeht, so wird er nimmer-
mehr weder unmittelbar lebendig noch natürlich ausfallen.« In seinem
»Wissenschaftlichen System der Mimik und Physiognomik« zitiert Piderit
S. i2 diese Ratschläge und meint, sie seien schwer zu befolgen, weil die
Gelegenheiten, Menschen im Zustand des Affekts zu beobachten, selten
und flüchtig seien, weshalb es angeblich nur wenigen großen Künstlern
gelungen sei, die Sprache des Affekts nachzuahmen. Die Flüchtigkeit
dürfte die größere Schwierigkeit sein — doch wird sie einigermaßen
ausgeglichen durch die Auffassungsfähigkeit des künstlerisch geschulten
Auges und Gedächtnisses. Ein unschätzbares Hilfsmittel für die Fixierung
momentaner Bewegungen und damit die Möglichkeit einer exakten Zer-
legung einer komplizierten Bewegung hat man heutzutage an der Photo-
graphie. Sie hat bei der Ausbildung der wissenschaftlichen Mimik —
wir denken z. B. an die Aufnahmen in Darwins »Ausdruck der Gemüts-
bewegungen« — wichtige Dienste geleistet. —
Für die Wiedergabe der Ausdrucksbewegungen seien zunächst zwei
allgemeine Forderungen vorangestellt: sie müssen eindeutig sein. Art. 298:
»Die Bewegungen und Stellungen der Figuren sollen just den Seelen-
zustand dessen, der sie ausführt, zeigen, derart, daß sie nichts anderes
bedeuten können.« Zum zweiten sollen sie angemessen sein, d. h. ver-
schieden nach Alter, Geschlecht, Rang, Würde und Lebenstellung des
Darzustellenden, und zwar verschieden an Intensität und Qualität. Dieses
Thema kehrt verschiedenfach variiert wieder mit entsprechenden Beispielen:
Ein Greis oder ein Kind haben nicht die Gewandtheit und Spannkraft,
wie sie die Bewegungen des Jünglings zeigen (Artikel 299), Frauen und
Mädchen dürfen (auch in der Erregung) keine Stellungen und Haltungen
einnehmen, die der weiblichen Zucht widersprechen (Artikel 387), hoch-
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
23
328
Hans Klaiber:
gestellte Persönlichkeiten sollen nicht die Gestikulation eines Menschen
aus dem niederen Volke zeigen (Artikel 299); endlich soll die Heftigkeit
der Bewegung der Intensität des vorausgesetzten Affekts entsprechen
(Artikel 359).
Für die Darstellung der einzelnen Affekte und Gemütsstimmungen
gibt nun Leonardo leider keine systematische Anweisung. Er verspricht
zwar eine solche im Artikel 368: ». . . es soll hier weiter unten von etlichen
Gemütsbewegungen gesprochen, und sollen dieselben dargestellt werden,
nämlich von der Bewegung des Erzürntseins, des Schmerzes, der Furcht,
des plötzlichen Schrecks, des Weinens, der Flucht oder Hast, des Verlangens,
des Befehlens, der Trägheit, der Emsigkeit und ähnlicher.« Und ver-
heißungsvoll klingt die nächste Überschrift: »Von der Darstellung eines
Zornigen und in wieviel Teile dieser Zustand eingeteilt wird.« Aber es
ist eine Überschrift ohne nachfolgende Ausführung und man muß sich
damit begnügen, die im Text zerstreuten Notizen zusammenzusuchen, da
der Verfasser selbst nicht zu einer zusammenhängenden Behandlung des
Stoffes gekommen ist.
Zunächst die Veränderungen der Miene und deren wichtigste, das
Lachen und das Weinen! Die verschiedenen Bewegungen des Menschen
im Antlitz zählt Artikel 286 auf: »Da ist einer, der lacht, ein anderer
weint, einige freuen sich, andere sind bekümmert; die zeigen Zorn,
jene Mitgefühl, der bewundert, der andere steht entsetzt, die sehen
dumm und albern drein, jene gedankenvoll und vorschaulich (grübelnd).«
Natürlich will Leonardo damit nur eine Auswahl, nicht eine vollständige
Herzählung geben. Bei den Ausführungen über das Lachen und Weinen
ist der notizenhafte Charakter besonders ausgeprägt; für sich genommen
sind die einzelnen Aussprüche darüber geradezu unrichtig. So zitiert
z. B. Piderit eine der Äußerungen Leonardos (Artikel 385) als Beweis
dafür, wie unbestimmt und verkehrt die Ansichten der Künstler über den
Unterschied des lachenden und weinenden Gesichts seien. (Mimik und
Physiognomik S. 103.) Das Urteil fällt vielleicht etwas milder aus, wenn
wir die verschiedenen Notizen zusammenstellen und aus einander zu erklären
suchen. Im Artikel 285 »von den Bewegungen der Gesichtsteile« heißt es:
»Reden wir zuerst vom Lachen und Weinen, daß sie einander im Zuge
des Mundes und der Wangen wie im Gekniffensein der Augen äußerst ähnlich
sehen und sich nur durch das verschiedene Verhalten der Augenbrauen
und des Zwischenraums derselben voneinander unterscheiden. Und von
alledem soll seinesorts die Sprache sein, nämlich von den verschiedenen
Gebärden, die das Gesicht annimmt oder Hände und ganze Person
für jede der oben erwähnten Gemütszustände (Lachen, Weinen, Zorn,
Angst, Jammer usw.) machen.« Lediglich der Mimik des Lachens und
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik. 329
Weinens sind Artikel 384 und 385 gewidmet; sie lauten: Artikel 384
»Vom Lachen und vom Weinen und von deren Unterschied. In Augen,
Mund und Wangen ist zwischen einem der lacht und einem der weint,
kein Unterschied. Nur die Starrheit der Augenbrauen unterscheidet sie,
welche sich bei Weinenden zusammenziehen, während sie bei dem, der
lacht, in die Höhe gehen. Bei einem der weint, fügt man auch noch
hinzu, wie er sich mit den Händen die Kleider zerreißt und die Haare
rauft oder sich mit den Nägeln die Haut im Gesicht zerkratzt, lauter
Dinge, die beim Lachen nicht Vorkommen«. Endlich Artikel 385 »Vom
Nämlichen. — Mache das Gesicht des Weinenden nicht mit denselben
Bewegungen, wie das eines Lachenden, denn sie sehen einander oft ähnlich,
aber die wahre Art besteht darin, sie zu unterscheiden, wie ja der Zustand
des Weinens ein ganz anderer ist als der des Lachens. Beim Weinen
variieren die Augenbrauen und der Mund nach den verschiedenen Ursachen
des Weinens. Der eine weint zornig, der andere voll Furcht, manche
aus Zärtlichkeit oder vor Freude, andere wieder aus mißtrauischer Ängst-
lichkeit oder vor Schmerz und Qual, oder auch aus Mitleid und vor
Schmerz um verlorene Verwandte und Freunde. Und in allen diesen
verschiedenen Arten des Weinens zeigt sich der eine verzweifelt, der
andere gemäßigt, einige vergießen nur Tränen, andere schreien, die wenden
das Gesicht gen Himmel und recken die Arme mit gefalteten und
gerungenen Händen zur Erde, andere wieder stehen furchtsam mit zu
den Ohren in die Höhe gezogenen Schultern da und so weiter je nach den
erwähnten Ursachen des Weinens. Der Weinende zieht die Augenbrauen,
wo sie Zusammenkommen, in die Höhe und preßt sie gegeneinander, er
zieht die Stirne über und zwischen ihnen in Falten; die Mundwinkel
zieht er herab. Der Lachende zieht die Mundwinkel in die Höhe und
hat die Augenbrauen offen und weit auseinander«. Die Behauptung, die
in den zwei ersten Stellen ganz ohne Einschränkung aufgestellt, ist,
zwischen dem Gesicht eines Lachenden und eines Weinenden sei kein
Unterschied, außer in der verschiedenen Haltung der Augenbrauen ist
zunächst sehr befremdlich und in dieser allgemeinen Fassung offenkundig
falsch. Denn in den meisten Fällen ist nichts leichter, als Lachen und
Weinen auseinanderzuhalten und gerade in der Mimik des Mundes,
daneben auch der Nase und Stirne, spricht sich die Verschiedenheit aus.
Leonardo hat das natürlich so gut gewußt wie einer, und hat es in seinen
Zeichnungen und Gemälden bewiesen; wird es doch niemand einfallen,
das Lächeln auf den Gesichtern seiner Jünglings- oder Frauenköpfe als
Weinen oder Ausdruck einer verdrießlichen Stimmung zu deuten. Er hat
es auch nicht für nötig befunden, noch eine weitere Gebärde gleichsam
als Hilfsaktion zu der Gesichtsbewegung zuzufügen, um eine Verwechslung
23*
330
Hans Klaiber:
unmöglich zu machen. Annehmbarer klingt der Satz in Artikel 385
»daß das Gesicht eines Lachenden und eines Weinenden einander häufig
ähnlich sehen«. Dies ist der Fall, wenn das Lachen heftig und dadurch
schmerzhaft wird. Und so werden wir wohl die beiden zuerst angeführten
Bemerkungen in dem Sinne zu verstehen haben, daß Leonardo dabei
unausgesprochen immer an den Spezialfall des heftigen Lachens denkt,
bei dem die Erschütterung des Zwerchfells Unlust bereitet und so die
Mimik des Schmerzes im Gesicht bewirkt, nämlich senkrechte Stirnfalten
und Entblößung der unteren Zahnreihe durch Herabziehen der Unterlippe,
während für das mäßige Lachen das Hinaufziehen der Oberlippe ebenso
charakteristisch ist wie das Herabhängenlassen der Unterlippe für das
Weinen. Da ferner bei starkem Weinen und Lachen die Nasenlippenfalte,
von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln sich bildet, und die Augen
zusammengedrückt werden, so nähert sich der Gesichtsausdruck des
heftigen Gelächters auffallend dem des Weinens. Mit Beziehung darauf
rät nun Leonardo, eine so zweideutige Mimik zu vermeiden — ent-
sprechend seiner oben angeführten Grundthese: die Gebärden seien ein-
deutig! — und einen Gesichtsausdruck zu wählen, bei dem es unzweifelhaft
ist, welchen Affekt er anzeigen soll. So soll der Weinende die herab-
gezogenen Mundwinkel, die »Kummerfalten« und die schrägen Brauen,
der Lachende die aufwärtsgezogenen Mundwinkel und die offenen und
auseinandergezogenen Brauen als unverkennbare Merkmale zeigen. Die
Brauen werden offen oder weit, wenn die Stirn sich glättet und bei einem
plötzlichen Übergang aus schlechter, gedrückter in frohe und heitere
Stimmung, beim Umschlagen eines mäßigen Weinens in mäßiges Lachen
sieht man die Augenbrauen aus ihrer zusammengezogenen Lage förmlich
auseinanderfahren. Darwin (Ausdruck der Gemütsbewegungen, S. 185)
erinnert an das lateinische exporrigere frontem (heiter werden), das den
Vorgang gut beobachtet wiedergibt. Wenn nun aber Leonardo den
mimischen Unterschied zwischen Lachen und Weinen lediglich auf diese
Haltung von Stirn und Brauen hinausspielen will, so ist das allerdings
irrtümlich. Denn gerade in dem Zustand, in dem das Lachen dem
Weinen in der Mimik am nächsten kommt, bleibt weder die Stirn glatt
noch sind die Brauen weit auseinander, sondern es bietet infolge der
Anstrengung die Partie über dem Nasenansatz das Bild des Schmerzes.
Zu völliger Klarheit hätte er theoretisch nur dadurch kommen können,
daß er die Mimik des mäßigen und des heftigen Lachens unterschied. —
Feine Beobachtungsgabe zeigen dann wieder die Andeutungen über die
Arten des Weinens, das je nach der Intensität des Affekts und der Ursache
desselben verschieden darzustellen ist. Die Stärke der Gemütsbewegung
kommt zum Ausdruck durch gesteigerte Gestikulation, die Ursache kann
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik.
331
durch Kombination verschiedener Ausdrucksbewegungen kundgetan werden.
Dabei handelt es sich nicht nur um die Sprache des Gesichts — von Mund,
Stirn und Blick, sondern auch, wie beim furchtsam Weinenden, um
Stellung und Körperhaltung. Beim Weinen aus Mitleid oder aus Schmerz
um verlorene Verwandte und Freunde dagegen läßt sich das Motiv
unmöglich durch mimische Mittel allein versinnlichen, sondern muß aus
den Beziehungen erschlossen werden, die wir auf Grund von Vorkennt-
nissen in eine Figur hineintragen — so etwa bei einer trauernden Maria —
oder ist es, falls wir eine größere Darstellung vor uns haben, aus der
Anordnung und Komposition zu entnehmen. Figuren aus einer »Historie«
waren es wohl auch, die dem Künstler dabei vorschweben. —
In Artikel 370 — 373 macht Leonardo einen Versuch, Ordnung und
System in die Behandlung der Gemütsbewegungen und der entsprechenden
Gebärden zu bringen. Danach hätte man eine dreifache Wirkung der
Affekte auf den Körper zu unterscheiden: zum ersten eine alle Bewegung
hemmende, also erstarrende oder erschlaffende, dann eine Bewegung
erzeugende, und eine dritte, die teils lähmt, teils Bewegung auslöst. Eine
Klasse für sich bilden die Bewegungen, die nicht unter sich zusammen
stimmen. Sie beweisen entweder, daß der Geist die Herrschaft über den
Körper verloren und die Fähigkeit eingebüßt hat, die Gliedmaßen und
Körperteile die dem jeweiligen Zweck entsprechenden Lageveränderungen
vornehmen zu lassen, d. h. sie werden von Verrückten ausgeführt, oder
sie sollen komische Wirkung erzielen, wie die Bewegungen der »Possen-
reißer bei ihren Mohrentänzen«. Die Ausscheidung dieser Gruppe von
Bewegungen hat gewiß gute psychologische Berechtigung. Die Ausführung
des Gedankens sucht man freilich wieder vergebens. Übrigens hätte es
bei der Beschaffung von Beispielen der ersten Kategorie Schwierigkeiten
gegeben: denn wenn man das Mienenspiel, wie billig, zu den Bewegungen
rechnet, so wird man sehr selten konstatieren können, daß unter dem
Einfluß irgend eines Affektes »alles, was am Körper Leben zeigt«, be-
wegungslos ist. — Psychologisch interessant ist die Beobachtung, daß
Gemütsbewegungen, bei denen der erregende Gegenstand im Geiste ist
(in Form einer Vorstellung), leichtere und bequemere, d. h. weniger heftige
Gebärden zur Folge hat, als wenn ein äußerer Gegenstand der Erreger ist;
von den Fällen der extremen Gemütserregung ist dabei natürlich abzusehen,
da in solchen Mienenspiel und Gestikulation, mag auch die Veranlassung
rein innerlicher Art sein, sehr heftig werden kann. Den wahren Grund
der Erscheinung konnte übrigens Leonardo nicht finden: er meint, der
Geist sei in solchen Fällen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um starke
Bewegungen des Körpers zu veranlassen. Die richtige Erklärung kann
erst auf Grund der modernen psychologischen Bearbeitung der Mimik
332
Hans Klaiber:
gegeben werden. Viele Gebärden, insbesondere die Gestikulation von
Händen und Armen, ferner die Veränderungen der Körperhaltung, lassen
sich als Bewegungen deuten, durch die man sich zu einem tatsächlich
existierenden oder nur von uns aus unserer Vorstellungswelt nach außen
projizierten Gegenstand in Beziehung setzt. So wehren wir eine schreck-
hafte Vorstellung ab, indem wir sie wie einen konkreten sinnlichen
Gegenstand von uns mit den Händen fernhalten, einen widerwärtigen und
peinlichen Gedanken schieben wir weg, von einem Vorschlag kehren wir
uns bei der Verneinung ab, einer Bitte neigen wir uns zu bei der Be-
jahung usw. So ist es leicht verständlich, daß unsere Gestikulation im
allgemeinen lebhafter ausfällt, wenn wirklich sinnliche Gegenstände uns
zur Abwehr, zum zugreifen auffordern oder unsern Blick nach einer be-
stimmten Richtung lenken. Für die künstlerische Gebärdensprache ist
die Beobachtung bedeutsam, daß man, wenn sich ein Gegenstand plötzlich
und unvermutet darbietet, ihm den »Sinn, der am meisten nottut«, das
Auge zukehre, und dabei Schenkel, Hüften und Knie dreht, ohne daß
die Füße ihren Standort wechseln (Artikel 372). Es kommt nun in Wirklich-
keit allerdings vor, daß bei dem plötzlichen Ruck der Bewegung auch die
Fußstellung sich ändert, aber der Künstler durfte diesen Fall mit bestem
Recht ignorieren. Denn er denkt bei seinen mimischen Ausführungen immer
an die künstlerische Praxis und für sie existiert nur der erstere Fall.
Eine vorangegangene, momentan eingetretene Bewegung läßt sich nur so
in den bildenden Künsten darstellen, daß der bewegte Körper eine
zwiefache Haltung zeigt; die vor der momentanen Bewegung eingenommene
muß irgendwie noch sichtbar sein neben der neuen durch die Bewegung
bewirkten. Im vorliegenden Beispiel erschließen wir aus der Stellung der
Füße die frühere Haltung, die vor der plötzlichen Drehung eingenommen
wurde. — Hätte Leonardo sein Versprechen erfüllt, daß »über derartige
Zustände noch eingehend die Rede sein soll«, so wäre er vielleicht auch
darauf zu sprechen gekommen, wie fruchtbar die Kombination von Blick
und Körperhaltung für die Darstellung der Gemütsstimmung gemacht werden
kann. Er hätte ja nur davon auszugehen brauchen, welche Gemütsverfassung
z. B. bei dem, dem sich ein unerwarteter Anblick präsentiert, sich einstellt,
um so zur Darstellung der Überraschung zu kommen und zu finden, daß
»der Ausdruck des Blickes durch mancherlei Bewegungen nicht nur der
Augen, sondern auch des ganzen Kopfes, ja schließlich des ganzen Körpers
bedingt wird« (Henke, Vorträge über Mimik, Plastik und Drama, S. 62).
Endlich zu den »erklärenden Gebärden« ! Da gibt Artikel 361 die
Anweisung, beim Hinweis auf Gegenstände, die zeitlich oder örtlich nahe
sind, den Sprechenden nur eine mäßige Handbewegung ausführen, bei
örtlich oder zeitlich fernliegenden dagegen die Hand weit ausstrecken
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesell, d. Physiognomik u. Mimik.
333
zu lassen. Gerade für diese hinweisenden oder malenden Gebärden wird
man sich den Rat Leonardos gern gefallen lassen, die Gebärdensprache
der Stummen zu studieren. »Man kann« — so heißt es im Artikel 1x5 ■ —
»die menschlichen Gebärden gut erlernen, wenn man die Bewegungen der
Stummen nachahmt, die mit Händen, Augen und Augenbrauen und der
ganzen Person sprechen, wenn sie den Gedanken ihrer Seele ausdrücken
wollen. Und lache mich nicht aus, daß ich dir einen Lehrmeister ohne
Sprache vorschlage, damit er dich in der Kunst unterrichte, die er selbst
nicht auszuüben versteht. Denn er wird dich durch die Tat besser
unterweisen, als alle anderen mit Worten. Verachte den Rat nicht, denn
jene sind die Meister der Gestikulation und verstehen von weitem, was
einer sagt, wenn er die Handbewegungen den Worten nach macht.« —
Zum Schluß noch die Anweisungen, wie man einen Zornigen, einen Ver-
zweifelten, einen Redner, der inmitten mehrerer Personen spricht, eine
Gruppe aufmerksamer Zuschauer darstellt. Wir stellen sie ans Ende, weil
sie nicht mehr der Mimik allein angehören, sondern z. T. schon in das
Kapitel der Historienkomposition schlagen. Schon in einzelnen bisher
zitierten Stellen blickt der Gedanke an das Historienbild durch, aber sie
lassen sich auch für sich allein betrachten. Im folgenden erscheint nun
die Figur zwar als Typus einer bestimmten mimischen Haltung, aber in
den Komplex eines größeren Gemäldes hineingedacht. Höchstens die
Figur des »Verzweifelten« (Artikel 382) ließe sich davon ausnehmen:
»Einen Verzweifelten lässest du sich eines mit dem Messer versetzen und
lässest ihn mit den Händen seine Kleider zerrissen haben. Und eine
Hand sei dabei, die eigene Wunde aufzureißen. Mit den Füßen machst
du ihn stehend, aber in den Beinen etwas geknickt und ebenso mit der
ganzen Person erdwärts geneigt, das Haupthaar zerrauft und in Verwirrung.«
Man bemerkt, daß hier nur die Körperhaltung und die Tätigkeit, die
eine Folge, bezw. ein symbolischer Ausdruck der Verzweiflung ist, be-
schrieben wird ohne Rücksicht auf das Mienenspiel. Der »Zornige«
(Artikel 381) ist offenbar als eine Figur in einem Historienbild gedacht:
»Eine Figur im Zorn lässest du einen bei den Haaren festhalten, ihm
das Haupt zur Erde drehend und ihm ein Knie in die Rippen setzend.
Mit dem rechten Arm lässest du ihn den Dolch hochheben. Seine Haare
in die Höhe, die Augenbrauen herab- und zusammen gezogen, die Zähne
aufeinandergebissen und die Mundwinkel auf beiden Seiten in Bogen
gekrümmt. Der Hals sei dick angeschwollen und vorn, wegen des Nieder-
neigens auf den Feind, voller Runzeln.« Man wird nicht fehlgehen, wenn
man die so beschriebene Gruppe als Bestandteil eines Kampfbildes auffaßt
und mit der berühmten Schilderung einer Schlacht (in Artikel 148a u. b)
zusammennimmt. Dies ist nun die regelrechte Beschreibung eines Historien-
334
Hans Klaiber:
bildes mit genauen Angaben über die Landschaft und ihre Details, die
Spuren des Kampfes auf dem Schlachtfeld, die verschiedenen Gruppen
von Kämpfern, Reservetruppen, Siegern, Gefallenen oder Verwundeten,
flüchtenden Soldaten und Pferden. Die Schilderung der mit fliegenden
Haaren und Gewändern und grimmigen Gesichtern einherstürmenden
Sieger, hauptsächlich aber der Besiegten enthält auch mimische Züge.
»Die Besiegten und Geschlagenen machst du bleich, ihre Augenbrauen,
wo sie aneinanderstoßen, in die Höhe gezogen, und das Fleisch darüber
ganz voller schmerzlicher Falten. Auf dem Nasenrücken seien einige
Runzeln, die im Bogen von den Nasenflügeln her aufsteigen, um beim
Anfang des Auges auszulaufen. Die Nasenflügel sind hochgezogen, daher
diese Runzeln. Die im Bogen gekrümmten Lippen lassen die oberen
Zähne sehen, und die Zähne sind geöffnet, wie beim Schreien und Weh-
klagen. Die eine Hand deckt die angstvollen Augen, die Innenhand
gegen den Feind gekehrt, die andere stemmt sich an den Boden, den
halb erhobenen Rumpf zu stützen. Andere machst du laut aufschreiend,
mit weit aufgesperrtem Mund und im Fliehen; (wieder) andere machst du
im Sterben, wie sie mit den Zähnen knirschen, die Augen verdrehen,
die Fäuste auf die Brust pressen und die Beine krumm ziehen.« — Die
Beschreibung ist so anschaulich gehalten, daß einem dabei unwillkürlich
Werke aus der antiken Skulptur in Erinnerung kommen, wie z. B. der
Kopf des Laokoon bei der schmerzvollen Physiognomie des Unterliegenden.
Wenn auch natürlich nicht daran zu denken ist, daß Leonardo hier sich
auf bestimmte Bildwerke bezieht, so wäre es doch nicht unmöglich, daß
bei diesen Gebilden der künstlerischen Phantasie Erinnerungen an antike
Statuen hereinspielen: in seinem Relief der »Zwietracht« im Kensington-
Museum machen sich solche in deutlicher Weise geltend. Auch in dem
Artikel (146) wie man eine Nacht, d. h. ein nächtliches Historienbild
machen soll, fällt etwas für die Mimik ab: »Was die Gebärden (nämlich
der von dem nächtlichen Feuer beleuchteten Figuren) anlangt, so wirst
du die nahe beim Feuer stehenden sich mit Händen und Mänteln gegen
die übermäßige Hitze schirmen lassen und das Gesicht machst du ihnen
nach der anderen Seite gewendet, als wollten sie fort. Die weiter weg
Stehenden läßt du sich die Hände vor die vom Übermaß des Lichtglanzes
geblendeten Augen halten.« — Zuletzt die dem Leben förmlich abge-
lauschte Schilderung eines Volksredners und der aufmerksamen Zuschauer
und Hörer. Artikel 380 »Von der Darstellung eines, der inmitten mehrerer
Personen spricht. Um einen darzustellen, den du unter vielen Personen
willst sprechen lassen, pflegst du zuerst die Materie, von der er zu handeln
hat, in Betracht zu ziehen und nach dieser seine Gebärden, so daß sie
dazu passen, einzurichten. Ist der Inhalt seiner Rede Überredung zu
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik.
335
etwas, so seien seine Gebärden diesem Vorhaben angemessen. Handelt
es sich darin um die Klarlegung verschiedener Ursachen, Ansichten,
Gründe, so lassest du den Sprechenden mit zwei Fingern der rechten
Hand einen Finger der linken fassen, indem er dabei die beiden kleineren
Finger dieser letzteren eingeschlagen hat. Das Gesicht sei lebhaft gegen
die Menge gewandt, der Mund ein wenig geöffnet, als wenn er spräche.
Sitzt er, so sehe er aus, als wenn er sich ein wenig erhöbe, den Kopf
vorgestreckt. Machst du ihn auf den Füßen stehend, so lasse ihn sich
mit Brust und Kopf etwas gegen das Volk hin neigen. Dieses,
das Volk, nun stellst du schweigend und aufmerksam dar. Alle schauen
dem Redner ins Gesicht, mit ganz in Anstaunen verlorener Gebärde.
Lasse den einen oder anderen Alten vor Verwunderung über die ver-
nommenen Sentenzen den Mund fest geschlossen halten, indem dieser
Mund an seinen nach unten gezogenen Winkeln viel Wangenfalten nach
sich zieht; dazu seien die Augenbrauen, wo sie Zusammenkommen, hoch
in die Höhe gezogen und hierdurch viele Stirnfalten verursacht. Einige
aus dem Volk mögen dasitzen mit ineinander verschränkten Fingern der
Hände, in denen sie das müde Knie halten, andere ein Knie übers andere
geschlagen und darauf die Hand gelegt, die den Ellenbogen des andern
Armes in sich aufnehmen. Und dessen Hand stütze das bärtige Kinn,
das gehöre einem gebeugten Alten.« Die vorbereitenden Studienblätter
für die Anbetung der hl. Könige und das Abendmahlbild weisen ver-
schiedene von den hier beschriebenen Typen in Skizzen auf: So sehen
wir auf einem Pariser Skizzenblatt (Müller-Walde, Abb. 76) einen jungen
Mann, auf einem anderen in London (Müller-Walde, Abb. 77) einen
bärtigen Alten gedankenvoll das Kinn in die Hand stützen. Ein Studien-
blatt im Louvre (Müller -Walde, Abb. 73) zeigt den demonstrierenden,
mit malender Gebärde veranschaulichenden Erzähler und daneben den
lauschenden Zuhörer mit übergeschlagenem Bein, und auf einer Studie
zum Abendmahl (auf demselben Blatt) kehren die gleichen Haltungen
des legeren oder besinnlich-nachdenklichen Zuhörers wieder. Als eine
freie Illustration zu Leonardos Worten könnte man endlich ein Gemälde
Dürers vom Jahre 1506 bezeichnen, das, wie längst bekannt, unter sicht-
lichem Einfluß leonardesker Kunst entstanden, Jesus unter den Schrift-
gelehrten darstellt. Das Spiel der Hände, der Gesichtsausdruck des
Redners und der Zuhörer, deren Köpfe an die seltsamen Bildungen dei
Karikaturen gemahnen, erscheinen wie von unserer Stelle inspiriert. —
Noch einmal bespricht der Künstler die verschiedenen Arten, wie sich
die Teilnahme der Zuschauer und Zuhörer an einem Vorgang ausdrücken
kann, im Artikel 328 »Von der Aufmerksamkeit der Umstehenden, die
auf einen Fall acht haben. Alle, die bei irgend einem beachtenswerten
336
Hans Klaiber:
Fall zugegen sind, stehen mit verschiedenerlei Gebärden gespannter Auf-
merksamkeit da, wie z. B.' wenn die Gerechtigkeit die Übeltäter bestraft.
Und ist der Vorgang ein frommer, so richten alle Umstehenden ihre
Augen unter verschiedenartigen Gebärden der Andacht dahin, wie z. B.
wenn beim Meßopfer die Hostie gezeigt wird u. dergl. Ist der Vorfall
lachens- oder weinenswert, so ist es dann nicht nötig, daß alle Umstehenden
die Blicke auf ihn hingerichtet halten, sondern sie können diese in ver-
schiedenerlei Arten bewegen, und zum großen Teil lachen oder weinen
sie miteinander. Ist der Vorfall aber furchterregender Natur, so sollen
die erschrockenen Gesichter der Fliehenden große Furcht an den Tag
legen und große Hast zu entfliehen« ....
In welchem Sinn die letztangeführten Anweisungen zur Herstellung
von Historienbildern zu verstehen sind, das läßt sich schon aus dem
oben zitierten Wort Varia quanto piü puoi! erschließen. Leonardo will
damit kein Schema vorzeichnen oder behaupten, so und nicht anders
müsse man es angreifen, sondern lediglich einen Vorschlag machen, wie
seine gestaltende Phantasie sich das Thema ausgeführt denkt. Darum
sind auch die darin enthaltenen mimischen Andeutungen nicht als
Forderungen oder verbindliche Regeln zu betrachten. Vielmehr sollen
es Ratschläge sein, wie man mit Hilfe der . künstlerischen Mimik die
zwingende und anschaulich überzeugende Lebendigkeit der Darstellung
erreichen kann. Denn darauf zielt ja besonders in der Schlachten-
schilderung alles ab, daß möglichst viel Leben in das Bild hineinkommt,
jede Einzelheit in Beziehung zum Ganzen tritt und dadurch am Total-
eindruck in ihrem Teil mitarbeitet; Menschen und Tiere, Luft, Himmel
und Erde, Wasser und Land sollen das Schlachtgetümmel verkünden,
die »ganz bestialische Raserei«, wie Leonardo einmal den Krieg nennt.
Und wenn das allzu hartnäckige Eindringen in theoretische Forschungen
den Meister vielfach von der Ausübung seines Malerberufes abgehalten
hat, so dürfen wir diesmal das Gegenteil konstatieren: auch in den mehr
theoretisch gehaltenen Ausführungen über Physiognomik und Mimik ver-
liert er die künstlerische Praxis nie aus den Augen.
Suqhen wir nun noch Leonardo seine Stellung in der Geschichte
der Physiognomik und Mimik anzuweisen, so hat das allerdings seine
Schwierigkeiten. Was wir an Äußerungen aus dem Trattato anführen
konnten, hält sich fast durchweg in der Form von Notizen, Beobachtungen
und speziellen Ratschlägen: vergebens sucht man eine zusammenhän-
gende, methodische Behandlung — die vertröstende Verweisung auf
spätere, eingehende Ausführung des aufgeworfenen Problems ist geradezu
typisch für seine Arbeitsweise. Allein man hat sich damit eben einmal
abzufinden und hat das auch bereits gethan; ,so hat man z. B. aus den
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik.
337
zahlreichen maschinen technischen Versuchen und Entwürfen seine Kennt-
nisse auf dem Gebiete der Mechanik und des Maschinenbaues erschlossen.
Ebenso scheinen uns die zusammengestellten Beobachtungen über Phy-
siognomik und Mimik bedeutsam und inhaltsreich genug, um auf die
grundsätzliche Stellung des Meisters Schlüsse zuzulassen. Durch die Fest-
stellung des mimischen Prinzips als alleiniger Grundlage einer wissen-
schaftlichen Physiognomik ist Leonardo seiner Zeit weit vorausgeeilt und
steht ebenbürtig neben den modernen Forschern. Daß die Gemüts-
bewegungen ihre Spuren im Äußern des Menschen hinterlassen, ist ja
ein naheliegender Gedanke, der sich jedem Physiognomiker aufdrängen
sollte. Tatsächlich haben wir auch gesehen, daß bereits die pseudo-
aristotelische Schrift unter den verschiedenen Forschungsprinzipien auch
das mimische aufzählt; es wird aber beiseite gelegt, weil verschieden-
artige Erregungen dieselbe Mimik zur Folge hätten und weil die Gemüts-
zustände wechselnd seien, so daß z. B. ein zum Trübsinn neigender doch
auch immer wieder Momente der Aufheiterung habe. Der zweite Ein-
wand ist natürlich nicht stichhaltig, denn bleibende Eindrücke im Ge-
sicht werden eben die Ausdrucksbewegungen hinterlassen, die sich infolge
der Gemütslage des einzelnen besonders häufig wiederholen. Der erste
dagegen ist durchaus berechtigt und trifft die schwache Seite der Phy-
siognomik. Allein da gilt es eben sich zu bescheiden und lieber mit
wenigem sicher zu gehen als auf »Chimären ohne wissenschaftliches Fun-
dament« zu bauen. Jedenfalls bieten die abenteuerlichen Phantasien, die
jahrhundertelang nach Aristoteles Vorbild als Wissenschaft ausgegeben
wurden, keinen brauchbaren Ersatz. Und doch, wie fest sich diese Irr-
-tümer in die Köpfe festgesetzt haben, zeigt am besten die (nachgelassene)
Schrift des Malers Lebrun »Methode pour apprendfe ä dessiner les
passions«. Sie enthält zuerst eine illustrierte Abhandlung über die Mimik,
speziell des Gesichtes. So schematisch und unbrauchbar auch die psy-
chologische Begründung ist, so gewiß man an manchen Stellen die Richtig-
keit, mehrfach auch die Möglichkeit des mimischen Ausdrucks einer
Stimmung bestreiten wird, so muß man den Verfasser doch als guten
Kenner des Mienenspiels gelten lassen. Aber wie ist man über-
rascht, in dem »Abriß der Physiognomik«, der in demselben Büchlein
abgedruckt ist, diese mimischen Kenntnisse gar nicht verwendet zu
sehen; und man hat Mühe zu glauben, daß es derselbe Lebrun ist, der
da in engem Anschluß an Aristoteles von den Ähnlichkeiten und Unter-
schieden der Tier- und Menschengesichter fabuliert, und gar den Ver-
such macht, mit Hilfe geometrischer Linien, die die Gesichtsteile unter-
einander bezw. mit dem Herzen verbinden, den Charakter eines Tieres
zu bestimmen. —
338
Hans Klaiber:
Es ist ein unbestreitbares Verdienst Lavaters, daß er die Autorität
des Aristoteles in der Physiognomik gestürzt hat und man möchte
wünschen, daß er dieselbe Einsicht in der Aufstellung der eigenen An-
sichten gezeigt hätte. Doch da fehlt es freilich und die ganze Lavatersche
Physiognomik ist wissenschaftlich nicht diskutierbar. Denn anstatt Regeln
und Prinzipien zu geben, die man auf ihre Richtigkeit und Anwendbar-
keit prüfen könnte, beruft sich der Verfasser der »Physiogn. Fragmente«
immer nur auf das Gefühl, auf die Anlage, ohne die man es angeblich
nicht zur Kennerschaft bringen könne. Die »Physiognomik«, so prophezeit
er in seiner ekstatisch abgerissenen Redeweise — »wird werden die
Wissenschaft der Wissenschaften und dann keine Wissenschaft mehr sein,
sondern Empfindung, schnelles Menschengefühl ! Denn — Torheit, sie zur
Wissenschaft zu machen, damit man drüber reden, schreiben, Collegia
halten und hören könnte! Dann würde sie nicht mehr sein, was sie sein
soll! Wieviel Wissenschaften und Regeln haben den Genies, wieviel
Genies den Wissenschaften und Regeln ihr Dasein zu verdanken? Also
— was soll ich sagen? was soll ich tun? Physiognomik wissenschaftlich
machen? — oder nur den Augen rufen, zu sehen? die Herzen wecken,
zu empfinden ? — und dann hier und dort einem müßigen Zu-
schauer, daß er mich nicht für einen Toren halte, ins Ohr zu sagen:
Hier ist was, das auch du sehen kannst. Begreif nun, daß andere
mehr sehen!« — (II. Band, S. 55). Unter diesen andern, die mehr
sehen, denkt er natürlich an sich selbst und so legt er dem Leser in
den »physiognomischen Übungen zur Prüfung des physiognomischen
Genies« eine Anzahl Silhouetten vor, deren Charakter und Geistesanlagen
zu bestimmen sind. Wer dabei nicht mit seinen, Lavaters, Urteilen über-
einstimme, der könne daraus schließen, daß ihm die Befähigung zur
Physiognomik fehle, daß er »über den Zirkel seines Berufs und seiner Ta-
lente hinausgehe«. Dabei sind die als Muster aufgeführten physiogomischen
Antworten durchaus willkürliche, auf unkontrollierbare, subjektive Ein-
drücke gegründete Urteile. Lavater kennt zwar die Bedeutung der Ge-
bärden für den Stimmungsausdruck — sie werden im IV. Band aller-
dings sehr kurz besprochen — gründet aber seine Analyse keineswegs
auf die Mimik, sondern in erster Linie auf die Gestaltung der Gesichts-
teile, besonders der Nase — sie heißt bald treu oder gerecht, bald ein-
fältig und seelenlos — , ferner der Profillinien und der Schädelform.
Die moderne Physiognomik, wie sie hauptsächlich Darwin, Piderit,
Wundt u. a. begründet haben, steht in der Hauptsache auf dem von
Leonardo da Vinci eingenommenen Standpunkt. Sie hält die Ausbildung
mimischer Züge zu physiognomischen für den einzig möglichen wissen-
schaftlichen Ausgangspunkt der Physiognomik und legt den Hauptwert
Leonardo da Vincis Stellung i. d. Gesch. d. Physiognomik u. Mimik.
339
einmal auf die genaue Wiedergabe der Mimik in Wort und Bild, wozu
Momentphotographie bezw. Kinematographie gute Hilfsmittel bieten; mit
Hilfe der experimentellen Psychophysik ist man sogar dazu geschritten,
den Grund zu einer »objektiven« Physiognomik zu legen, bei der die
physischen Begleiterscheinungen der Gemütsbewegungen in objektiven
Werten ausgedrückt werden sollen. Das andere Hauptinteresse fällt auf
die psychologische Deutung der Ausdrucksbewegungen bezw. ihre Klassi-
fizierung nach psychologischen Prinzipien. Daß auch hierbei für den
Künstler etwas abfallen kann, haben wir bei den »demonstrativen Gebärden«
gesehen. Das Herauslesen des Charakters aus den individuellen Zügen
dagegen, dieses physiognomische Ratespiel ist mehr in den Hintergrund
getreten, weil sich seine Unzulänglichkeit aus verschiedenen Erwägungen
ergeben hat. Bei der Vieldeutigkeit der mimischen Bewegungen, die
assoziativ von einer Gemütsbewegung auf die andere übertragen werden,
ließen sich ja doch nur ganz allgemeine Urteile fällen, ganz abgesehen
davon, daß bei der Entwicklung der Physiognomie und Gestikulation
auch äußerliche, für den Charakter unwesentliche Faktoren mitwirken.
Als Folgerung für eine wissenschaftlich betriebene Physiognomik ergäbe
sich daraus die Forderung größter Zurückhaltung. Im täglichen Leben
erfüllen wir diese Forderung freilich nicht: wir urteilen da insgemein
sehr rasch auf Grund unserer persönlichen Eindrücke, wobei wir oft genug
aus ganz unwesentlichen, aber vielleicht auffallenden Erscheinungen im
äußeren Bild unsere Schlüsse ziehen und ferner durch unkontrollierbare
zufällige Anklänge und Erinnerungen beeinflußt werden. Dabei wissen
wir oder sollen es jedenfalls wissen, daß unsere Schlüsse gar häufig die
Probe nicht bestehen würden: es sind »Chimären ohne wissenschaftliches
Fundament«. —
Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
Von A. Schmarsow.
Bei einem Meister der deutschen Frührenaissance, der durch die
wenigen auf uns gekommenen Werke seiner Hand schon die Aufmerk-
samkeit der Forscher in so hohem Grade zu fesseln vermocht hat wie
Konrad Witz von Basel, wird jeder neue Beitrag willkommen sein. Um
so mehr, wenn sich die Möglichkeit eröffnet, die spärlichen Überreste
seiner Kunst zu vermehren, vielleicht gar auf unerwarteter Seite einen
Zuwachs zu gewinnen, der das Verständnis seiner bisher bekannten Lauf-
bahn wesentlich zu fördern vermöchte. Ich glaube durch eine glückliche
Entdeckung oder vielmehr Erkennung in der Lage zu sein, solchen Bei-
trag zu liefern, selbst wenn ich einen verlorenen Schatz, der mit Hilfe
des dargebotenen Schlüssels erst vollauf erschlossen werden könnte,
nicht im selben Augenblick wieder aufzufinden und in seinem ganzen
Reichtum vor die Augen der Kenner zu stellen vermag. Vielleicht glückt
auch das einmal don vereinten Nachforschungen der Fachgenossen, und
ich beeile mich deshalb, wenigstens die Nachricht mitzuteilen, wie weit
mir vorzudringen gelang, selbst wenn ich fürchten muß, wieder den Un-
willen der Spezialisten zu erregen, die sich immer persönlich verletzt
fühlen, sowie jemand anders in ihren Kram »hineinpfuscht«. Leider bin
ich diesmal sogar genötigt, zwei solchen Lagern, die sonst getrennte
Wirtschaft führen, zugleich mit meiner Neuigkeit zu nahe zu treten.
Es ist nun einmal meines Amtes, mich um beides zu kümmern; da lernt
man das Gemeinsame im Auge behalten. Und »Erkenntnis verpflichtet«,
denken wir alle.
Wir kennen Konrad Witz heute nur als Maler einer Reihe von
Tafelbildern, die meist zu größeren Altarwerken gehört haben, wie die
bezeichneten von 1444 in Genf und die Zeugen seiner Wirksamkeit in
Basel. Selbst ein versprengtes Stück, das nun nach Basel zurückgekommen,
und ein anderes in Straßburg, durch das er zuerst wieder bekannt ge-
worden, verlangen Ergänzung durch entsprechende Flügel. Es sind lauter
Beispiele einer vollendeten Meisterschaft. Nur das kleine Haus- oder
Reisealtärchen in Neapel, das Ad. Bayersdorfer als sein Eigentum erkannt
hat, weist auf den Übergang aus bescheideneren Verhältnissen zurück.
Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
341
Und diese Anfänge müßten wir uns, den Lebensnachrichten zufolge, im
Umkreise einer betriebsamen Werkstatt denken, wo die Tafelmalerei wohl
gar der Handschriftenillustration noch ganz vertraulich gesellt war. Die
Urkunden versetzen den jungen Ankömmling aus Rottweil in die Nähe
eines schwäbischen Landsmanns aus Tübingen, neben dem er 1434 in
Basel zünftig wird, und zeigen ihn später in dessen Verwandtschaft ein-
getreten. Seit 1442 Schwiegersohn einer Schwägerin des Nicolaus Reusch,
genannt Lawelin, ist er schon 1447 gestorben.1) Auf wenige Jahre drängt
sich das erfolgreiche Schaffen zusammen, mit dem er jenen »altväterischen«
Meister weit überflügelt und den Sieg einer neuen Richtung auch am
Oberrhein gesichert hat. Kein Fingerzeig deutet aus den erhaltenen
Gemälden hinüber zu der ursprünglichen Gemeinschaft mit Lawelin, unter
dessen Vorbild der schwäbische Malergesell doch aufgewachsen sein muß,
bis er sich selbst als Meister hervorwagen durfte. Die mittelalterlichen
Vorschriften für den Nachwuchs geübter Kräfte geben sogar die Wahr-
scheinlichkeit persönlicher Beziehungen an die Hand, auch wenn wir
nicht wissen, bei welchem Meister Konrad Witz in der Lehre gewesen
ist und in welche Werkstatt er eintrat, als er nach Basel kam. Sicher
stand Lawelin als der anerkannte und tonangebende Maler dem zuge-
wanderten Landsmann in der fremden Stadt vor Augen: ihm nachzu-
streben war das nächste Ziel eines praktischen Sinnes wie das letzte Gebot
der Standesehre.
Die fünf Tafeln eines Altarwerkes in Basel führen uns aber durch
die Darstellungen aus dem Alten Testament und der römischen Geschichte,
die sie enthalten, mitten hinein in den Zeitgeschmack, der in einem
vielteiligen Ganzen auch einen deutungsreichen Zusammenhang geistiger
Beziehungen' sucht. Es ist der typologische Bilderkreis, der uns in der
Buchmalerei wie in den wetteifernden Leistungen der Xylographie be-
gegnet. Die Verbindung einer Szene aus dem Neuen Testament oder
der christlichen Legende mit zwrei vorbedeutenden Szenen des Alten
Testaments ist das Thema der »Biblia Pauperum«, mit drei alttestament-
lichen oder gar heidnischen Geschichten das des Speculum humanae
salvationis und ähnlicher Erzeugnisse scholastischer Theologen und grü-
belnder Mystiker. Gehört das Basler Altarwerk in die letztere Klasse,
so wundern wir uns gewiß nicht mehr, wenn wir dem Meister Konrad
Witz auch auf dem anderen Wege begegnen, ja wenn wir ihn gar ge-
duldig bemüht sehen, seinem Namen Ehre zu machen.
Unter den Handschriften der Biblia Pauperum findet sich eine
durch die Größe ihrer Darstellungen besonders hervorragende. Sie ent-
*) Vgl. Dan. Burckhardt in der Festschrift von Basel 1901. II, 2, S. 275.
342
A. Schmarsow:
halt 24 Pergamentblätter mit 48 Bildtafeln von je 26 cm im Geviert,2)
mit Blei und Feder entworfen. »Die Zeichnung rührt von der Hand
eines tüchtigen Künstlers her«, urteilt der beste heute lebende Kenner
dieser Armenbibeln, W. L. Schreiber; »doch ist sie überaus flüchtig, so
daß man annehmen möchte, es handle sich nur um einen Entwurf, sei
es für eine Prachthandschrift, sei es für einen Gemäldezyklus. Diese
Vermutung gewinnt noch dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß bei einigen
Bildern Korrekturen von anderer Hand vorgenommen worden sind und
daß die Prophetensprüche teils deutsch, teils lateinisch sind, teils völlig
fehlen.« — »Anlage und Komposition verraten die Hand eines ideen-
reichen, selbständig schaffenden, seiner Aufgabe vollständig gewachsenen
Künstlers«, bezeugt die genaueste Würdigung des ganzen Originals, die
wir besitzen. »Seine Entwürfe sind in malerischer Freiheit und doch
sicher und verständig angelegt, die Zeichnung der Figuren enthält wenig
Konventionelles, sondern basiert auf aufmerksamer Beobachtung der Natur.
Die Figuren sind gut gruppiert und in ihren Handlungen lebendig und
wirksam aufgefaßt; an ihren Köpfen zeigt sich durchweg Streben nach
individueller Charakteristik. Daß dies Streben nicht stets zum vollen
Durchbruch kommt, ist unseres Erachtens weniger dem Unvermögen des
Künstlers, als der Art und Weise der Zeichnung zuzuschreiben.« . . . Die
erste Anlage der Bilder ist äußerst zart und fein mit dem Bleistift ge-
macht; dann aber sind sie mit der Feder übergangen und weiter aus-
geführt, die Umrisse fließender, wirksamer und haltbarer geworden, wenn
auch von ihrer ursprünglichen Feinheit und Zartheit verloren ging. »Zur
Bestimmnng des Entstehungsortes unserer Bilderhandschrift«, heißt es
weiter, »fehlen ups maßgebende Anhaltspunkte. Im Charakter der Dar-
stellung steht sie jedoch der Biblia Pauperum, welche aus den Nieder-
landen stammt, sehr nahe, und sie mag daher von einem Kölner oder
niederländischen Künstler entworfen sein.« Nicht ohne Befremden aber
liest man wenige Seiten vorher die Angabe: »Der begleitende Text ist
in oberdeutscher Sprache geschrieben.«
Wir haben diese Urteile sachverständiger Berichterstatter voran-
gestellt; denn wir sind heute nicht mehr in der Lage, das Werk selbst
in seiner Gesamtheit zu prüfen. Es handelt sich um den Bilderzyklus
zur Biblia Pauperum, der sich einst in der berühmten Sammlung T. O.Weigels
in Leipzig befand und bei Weigel und Z^stermann, »Die Anfänge der
Druckerkunst in Bild und Schrift«, Leipzig 1866, Bd. II, S. i29ff. unter
Nr. 268 beschrieben worden ist. Dort findet sich auch ein Faksimile der
*) Das Hauptbild mißt H. : 13, B.: 11,5, die unteren je H. : 10, B.: 11 cm. Inder
ersten Beschreibung steht die Angabe »in französischem Maß; 9 Zoll, 3 — 9 Linien«
für die ganze Bildgruppe.
Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
343
47. Bildgruppe mit der Krönung Marias oben zwischen den vier Pro-
phetenbüsten und zwei alttestamentlichen Vorbildern darunter: links
»Salomon ehrt seine Mutter Bathseba« und rechts »Esther wird von
Ahasver zur Königin erhoben«. Vorher hatte der Kunsthändler Rud.
Weigel in seinem Kunstlagerkatalog 1852 S. 94 die erste Nachricht von
dieser in seinen Besitz gelangten Handschrift gegeben und die »Dornen-
krönung« allein, ohne die zugehörigen Propheten und alttestamentlichen
Szenen, abgebildet. Auf der Auktion der Sammlung T. O. Weigels erstand
sie Eugen Felix in Leipzig. Er muß sich ihrer jedoch schon bei Leb-
zeiten wieder entäußert haben; denn in seiner Hinterlassenschaft hat sie
sich nicht mehr vorgefunden, und den Erben ist unbekannt, wohin sie
gelangt ist und wann sie wieder verkauft worden. 3)
Der Schatz, den wir heute für die Kunstgeschichte erst recht ver-
werten möchten, ist gegenwärtig verschollen, und angeblich wreiß niemand
mehr, wo er vergraben liegt oder wo er zu suchen ist. Die beiden ge-
nannten Abbildungen sind im Augenblick die einzige Handhabe für unser
Urteil über das Ganze, das von Weigel und Zestermann um 1460 — 1490
und von Schreiber, der auch nicht mehr davon gesehen hat als wir, ganz
ähnlich, auf 1460 — 1480, datiert wird.
Schon die einzige vollständige Abbildung genügt indes, nicht allein
die Zugehörigkeit der Handschrift zu einem bestimmten Typus (bei
W. L. Schreiber V) festzustellen, den einerseits eine etwas frühere Hand-
schrift in München (Cgm. 155) mit ebenfalls 48 Bildern auf Pergament
und deutschem Text, aus dem Kloster St. Ehrentrud in Salzburg, auf-
weist, andererseits die beiden typographischen Ausgaben Albrecht Pfisters
von Bamberg (um 1460) wiedergeben. Sie genügt, wie wir glauben,
auch die bisherige Datierung als eine zu spät angesetzte zu erweisen.
Denn das Werk gehört niemand anders als dem 1447 bereits verstorbenen
Meister Konrad Witz von Basel.
Auf seine oberdeutsche Heimat leitet schon die Mundart des hand-
schriftlichen Textes hin, die bisher im Widerspruch mit dem Charakter
des Bilderzyklus anerkannt wurde. Wenn man den Entstehungsort dieser
Arbeit dagegen oder die Herkunft des Künstlers, der sie geschaffen,
weitab vom Oberrhein, in Köln oder gar in den Niederlanden gesucht
hat, so geschah es auf Grund der damaligen Kenntnis ganz folgerichtig,
d. h. in Unkenntnis des Meisters Konrad Witz und seiner überraschend
frühen Ausnahmestellung in der oberrheinischen Schule. Die Annahme
Kölns war nur ein Kompromiß mit der deutschen Sprache des Textes.
3) Vgl. W. L. Schreiber in der Einleitung zur Heitzschen Ausgabe der 5oblätt-
rigen Biblia Pauperum, Straßburg 1903, S. 30, wo die Hs. unter Nr. 20 aufgefllhrt ist.
Repertorium fiir Kunstwissenschaft, XXVIII.
24
344
A. Schmarsow:
Mit der Zulassung dieses Entstehungsortes, wo sogar ein oberdeutscher
Maler wie Stefan I or.hner vom Bodensee den Schauplatz seiner glänzenden
Laufbahn gefunden hatte, ergab sich aber die Verschiebung des Datums
auf eine spätere Zeit, wo auch in Köln der niederländische Einfluß zum
Durchbruch kam. Wenn man den Künstler jedoch im Grunde vielmehr
als einen Niederländer ansah, so dachte jedermann damals an die »Schule
der van Eyck«. Bei dem Stande der Forschung zwischen 1852 und 1866
bedeutete diese Einsicht ein durchaus zutreffendes Urteil, nachdem Rud.
Weigel nur an die Art Schongauers oder des Kopisten b + 0 (kg?) ge-
dacht hatte. Mit der Ortsbestimmung Basel und dem Namen Konrad Witz
gewinnen wir sofort die richtige Verbindung: die Nachbarschaft von Burgund
und die Verwandtschaft mit der schwäbischen Malerschule des Oberrheins.
Doch nicht diese Kom-
binationen sind es, die mich
bestimmt haben, an Kon-
rad Witz als Urheber zu
denken, sondern der An-
blick des Faksimile bei Wei-
gel und Zestermann und
der Vergleich mit den au-
thentischen Werken des
mittlerweile in seiner gan-
zen Bedeutung bekannt ge-
wordenen Meisters, 4) die in
photographischen Aufnah-
men heute zur Hand sind.
Dieser Zeichner behandelt
seine annähernd quadrati-
sche Bildfläche wie Kon-
rad Witz seine große Altartafel und gleicht eben darin den Gebrüdern
van Eyck und ihren Gesinnungsgenossen in der monumentalen Malerei.
Sein Blatt sieht aus wie ein Entwurf zu einem mehrteiligen Flügelaltar
oder einem Aufbau von zwei Etagen, wie etwa die Außenseite des Genter
Hauptwerks sie darbot, oder das Abendmahl mit seinen vier Trabanten
von Dirk Bouts in Löwen. Genau so sind die Basler Tafeln von Konrad
Witz gedacht, wenn wir ihre typologische Entsprechung wiederherzustellen
versuchen und die zwei Stockwerke wieder aufbauen, wie sie ursprünglich
dastehen und Zusammenwirken sollten. Ja, die Vergleichung beider, der
4) Vgl. Dan. Burckhardt a. a. O. und Schmarsow, Die oberrheinische Malerei
und ihre Nachbarn um die Mitte des XV. Jahrhunderts. Leipzig 1903.
Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
345
Zeichnung hier, des aufgelösten Tafelwerkes dort, hilft zu gegenseitiger
Erklärung. Wie die Einzelfiguren der Synagoge und des jüdischen Priesters
fast statuarisch in einer Nische oder einem kastenähnlichen Raum stehen,
den der Maler mit seinen perspektivischen Künsten vertieft hat, so er-
scheinen hier die Propheten in Fensterluken und heben sich in voller
Körperlichkeit mit ihren Büchern und Schriftbändern von dem Grunde
ab. Sie bewegen sich energisch vorspringend in einer vorderen Raum-
schicht, die auch perspektivische Künste der Modellierung, der Schlag-
schatten usw. fordert, wie bei den Propheten und Sibyllen am Genter
Altar. Die nämliche, auf plastische Körperwirkung vor allem ausgehende
Ökonomie waltet in dem Hauptbilde. Die , Krönung Marias geschieht
unter einem rechtwinkligen Baldachin, dessen vier Stangen von knieenden
Engeln gehalten werden. Damit ist das kubische Raumvolumen klar
begrenzt wie der Schrein eines Schnitzaltares in der Mitte. Die beiden
Gestalten: der Erlöser in kaiserlichem Schmuck, mit Bügelkrone und
Reichsapfel, und seine Mutter, die demütig die Erhöhung zur Königin
des Himmels über sich ergehen läßt. Es sind gedrungene Figuren von
untersetztem Körperbau, und die breiten Gewandmassen, die von ihren
Knieen ab selbständig sich auf den Boden türmen, unterstützen den
wuchtigen Eindruck. Stoffliche Fülle bezweckt hier die feierliche
Wirkung zu erzielen, wie bei den großen Prophetenköpfen mit ihren
Turbanen, Sendelbinden und Zinkenkronen, so auch bei den kleinen
Engeln im Chorknabenkleid. Noch größer ist die Ähnlichkeit mit den
zweifigurigen Bildern in Basel bei den alttestamentlichen Szenen des
unteren Streifens. Die Körper sind paarweise einander gegenüber auf-
gereiht wie Holzskulpturen oder Steingebilde vor einer Schmuckwand,
als stünden sie wie einzelne Blöcke auf einer Borte droben. Der Bild-
rand ist architektonisch ausgestaltet, den dargestellten Innenraum einzu-
rahmen; aber dieser Innenraum selbst entwickelt sich kaum irgendwo über
die Vordergrundschicht hinein in die Tiefe. Dies ist gerade das charak-
teristische Wesen des Basler Altarwerkes von Konrad Witz, das nur durch
den Hinweis auf Burgund und die Niederlande erklärt werden kann; ein
bestimmtes Entwicklungsstadium in der Kunst dieses Malers, von dem
die Straßburger Tafel wie das Kirchen-Interieur in Neapel einerseits und
die landschaftlichen Darstellungen mit Christophorus in Basel und dem
Fischzug oder Petri Kleingläubigkeit in Genf andererseits abweichen.
König Salomo und seine Mutter Bathseba sitzen einander gegenüber wie
Ahasver und Esther in Basel, während wir bei der nämlichen, in der
Zeichnung ganz neu gestalteten Szene vielmehr an Julius Cäsar und
Antipater in Basel denken. Auch hier thront der Fürst zur Rechten,
und der Ankömmling kniet links ihm gegenüber. Bei der Erwählung
24’
346
A. Schmarsow:
Esthers vervollständigen nur ihre beiden Begleiter die Gruppe vor dem
Angesicht des Gebieters und erreichen durch ihre Schrägstellung vor der
Schwelle des Thrones die stärkste Tiefenkomposition, zu der sich der
Meister versteigt.
Alle drei Bilder dieses Blattes zeigen, daß auch ihr Erfinder ebenso-
wenig wie Konrad Witz über einen mannigfaltigen Reichtum der Motive
verfügt, daß auch er nicht sowohl die lebendige Durchdringung der
Geschichten nach ihrem poetischen Inhalt als seine Aufgabe ansieht,
sondern vielmehr die wirklichkeitsgetreue, doch ruhige Schilderung der
Situation mit allem prunkvollen Aufputz der Könige dieser Erde Auch
für die Verherrlichung der Himmlischen weiß er keine besseren Mittel
den Glauben seiner Gemeinde zu stärken, als durch den weltlichen Glanz
und die Pracht der Stoffe die Augen zu verblenden. Der Ausdruck
seelischen Lebens und die Gebärdensprache seiner Figuren beschränken
sich auf wenige wiederkehrende Züge; diese aber sind drastisch und
nachdrücklich genug, um die Phantasie des Beschauers von der Existenz
der Personen selbst da zu überzeugen, wo er auf seine wirksamsten
Bundesgenossen, Farbe und Beleuchtung, verzichten muß, wie in
diesen flüchtigen Entwürfen mit Blei und Feder auf rauhem Pergament.
Das liegt besonders an der Charakteristik seiner Köpfe und den Besonder-
heiten, mit denen er sie auszustatten weiß: wie hier der eine Prophet
rechts mit einer doppelten Flechte am Bart erscheint und mit großen
Augen herausschaut, während dort ein anderer im eifrigen Lesen die
Lider senkt oder triumphierend die geöffneten Seiten eines Codex hin-
hält, in dem geschrieben steht, was nun Erfüllung findet. Die abenteuer-
liche Kopfbedeckung mit einem Türkenbund hier und einer Krone darauf,
deren Zinken wie ein Rehgehörn abstehen, trägt nicht selten dazu bei,
den Eindruck zu erhöhen. Energisch, ja leidenschaftlich wirken einige
Gebärden, die auf der Zeichnung genau so wiederkehren, wie wir sie auf
den Tafelbildern des »magister conradus sapientis de basilea« kennen
gelernt haben. Man vergleiche nur bei den Händen die mit dem weit
abstehenden Daumen und den gestreckten Vorderfingern, dann die flehend
erhobenen oder betend gefalteten und die krallend übergreifenden, nebst
anderen Eigentümlichkeiten, die bei dem kleinen Repertoir sofort auffallen.
Es ist der Schematismus angelernter Haltungen des Konrad Witz, wie
seine Vorliebe für jüdische Gesichter mit langen Nasen und langen Bärten,
die er uns als König David mit seinen Helden oder als Melchisedek vor
dem ritterlichen Abraham vorstellt. Selbst die Gewandmotive lassen noch
in der flüchtigen Zeichnung des Entwurfes, den das Faksimile bei Weigel
und Zestermann wiedergibt, das eigentümliche Gemisch zweier verschiedener
Faltenbehandlungen erkennen, die wir einerseits auf die Steinplastik in
Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
347
Burgund und Deutschland, andererseits auf die gemalten Zickzackfalten
in den Prachtstoffen der Niederländer zurückgeführt haben. 5)
Für diese Mischung alter einheimischer und neuer burgundisch-
niederländischer Elemente ist wieder die vereinzelte, im Kunstlagerkatalog
von Rudolf Weigel 1852 abgebildete Komposition der Dornenkrönung
Christi sehr bezeichnend. Auch sie versucht einen Aufbau der sechs-
gliedrigen Gruppe in plastischer Geschlossenheit zu geben. Nur das
Andringen der spöttischen Verehrer rechts öffnet die ganze symmetrische
Anlage zu seitlicher Beziehung. Aber auch hier verrät sich wieder der
Plastiker, der alles in Körperbewegung übersetzt und nur mit Körpern
im Raume zu rechnen gewohnt ist, in der zentralen Komposition. Der
letzte von den Schergen, der mit dem Stecken dreinzuschlagen droht,
zeigt in seiner perrücken-
haften Haartracht wohl
geradezu burgundischen
Schnitt und modische
Rasierung über den Oh-
ren hin. Die Zuspitzung
des ganzen Bildes oben
über dem Haupte Christi
und das Niederstampfen
der Dornenkrone zwi-
schen den hochragenden
Pfosten der Sitzlehne
gibt den Anklang an
die damals beliebte
allegorische Darstellung
»Christus in der Kelter«.
Die edle Bildung des
Dulders erinnert an die Vorzüge schwäbischer Meister, wie auch Hans
Multscher von Ulm sie mitten zwischen abschreckenden Henkersknechten
noch zu bewahren weiß. So gewinnen wir mit dieser einzigen, im Weigel-
schen Katalog abgebildeten Szene aus der Passion einen wünschenswerten
Einblick in das Verhältnis des Konrad Witz zu jenem wichtigen Gebiet,
das sonst in seinen erhaltenen Gemälden so gar nicht vertreten ist, und
erkennen auch da den Unterschied von der später hereinbrechenden pathe-
tischen Art eines Rogier van der Weyden, zu der selbst Martin Schongauer
seine milder angelegte Natur eine Zeit lang aufzustacheln strebt.
5) Die oberrheinische Malerei und ihre Nachbarn. Abhandlungen d. philol.-
histor. Klasse der K. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. XXII, II. Leipzig,
B. G. Teubner, 1903.
34»
A. Schmarsow:
Von diesem Beispiel blicken wir am besten zurück auf die Tradition
der deutschen Buchmalerei oder Handschriftenillustration, in die sich der
Weigelsche Bilderzyklus vermöge seines Typus einordnet. Er teilt die
Besonderheit der Disposition, die beiden alttestamentlichen Szenen unten,
die neutestamentliche oben inmitten der vier Propheten, wie schon er-
wähnt ward, mit einer in München bewahrten Handschrift, die aus S. Ehren-
trud in Salzburg stammt. Auf dies Exemplar fällt durch die Erkenntnis
des Autors und der festen Datierung, die wir für den Weigelschen Zyklus
gewonnen haben, noch, ein willkommenes Licht, das dazu beitragen kann,
Ursprungsort und Entstehungszeit richtiger festzustellen, als es bisher ge-
glückt war. W. L. Schreiber, der die Münchener Handschrift (Cgm. 155)
als Nr. 19 unmittelbar vor dem ehemals in Leipzig bewahrten Schatze
(Nr. 20) aufführt, vermutet in dem aus S. Ehrentrud in Salzburg gekom-
menen Manuskript der Biblia Pauperum auch ein Erzeugnis jenes Salz-
burger Klosters selbst. Er datiert, es auf die Jahre 1450 — 65. Nun
besteht aber zwischen der Weigelschen Handschrift und der Salzburg-
Münchener trotz all ihrer Verschiedenheiten im Stil nicht nur die an-
erkannte Ähnlichkeit in der Anordnung und die Übereinstimmung in dem
gemeinsamen Typus der ganzen Reihe von zeitlich sehr verschiedenen
Handschriften (Sehr. Typus V), sondern es läßt sich auch ein Schul-
zusammenhang in der Zeichenweise beobachten. Das tabernakelartige
Gerüst der Bildergruppe hat in der Salzburger Handschrift sogar strengeren
Zusammenschluß, als die Leipziger Zeichnungen geben. Der Künstler
sparte sich bei seinen Entwürfen die Andeutung solches tektonischen
Rahmens offenbar, weil er für ihn eine selbstverständliche Voraussetzung
war: an Altargemälde und vielteiligen Aufbau gewöhnt, lag ihm nichts
an der zeichnerischen Wiedergabe der Schreinerarbeit, die ihm sonst von
anderer Hand geliefert ward. Der Zeichner des Salzburger Manuskriptes
führt dagegen diese Umrahmung mit besonderer Sorgfalt aus, aber nicht
gerade in monumentalem Sinn, nicht mit architektonischem Verständnis,
sondern in handwerklicher Kleinarbeit, im Sinne einer Drechslerwerkstatt
oder eines Möbelschreiners. Es ist eher ein Stück Gartenlaube oder eine
Schirmwand, deren tragende Teile wegen ihrer Schlankheit etwas zu
schwere Füße bekommen haben. Aber in den Bildkompositionen der
unteren Reihe ist die Verwandtschaft mit den Gewohnheiten des Zeich-
ners der Weigeliana trotzdem unverkennbar. Wenn das Hauptbild oben,
wie die Anbetung der Könige in dem bei Schreiber mitgeteilten Bei-
spiele, noch dieselbe luftige Architektur und die schlanken Körper zeigt
wie das Tabernakelgerüst, hinten aber in landschaftliche Motive aus-
mündet, die völlig den Buchmalern der süddeutschen Gegenden ent-
sprechen, so finden wir in den alttestamentlichen Vorbildern mit den
Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
349
Kindern Israel vor David und der Königin von Saba vor Salomo durchaus
die Kompositionsweise vorbereitet, die noch Konrad Witz in seinen
Altargemälden zu Basel befolgt. Die Tracht erinnert hier und da noch
an die bekannten Wandgemälde des Schlosses Runkelstein, geht aber bei
der Königin von Saba und ihrem Gefolge schon in die abenteuerlichen
Kostüme bei Konrad Witz über (vgl. Bathseba vor Salomo) und zeigt
die Kinder Israel, die David Gaben darbringen sollen, schon ganz in der
Art bürgerlicher Stifterbildnisse, die sonst in Heiligenbildern, ja selbst
in Kreuzigungen knieen, wenn auch in bescheidenerem Maßstab als die
Hauptfiguren. Ganz besonders ist es aber die Zeichnung der Kronen
mit ihren geweihähnlichen Zacken und die Haltung der Hände mit ihren
abstehenden Daumen und ihren langgestreckten Vorderfingern, die genau
so bei Konrad Witz wiederkehren.
Wenn wir mit der Erkenntnis des Meisters in dem Weigelschen
Faksimile nicht irre gegangen sind, sondern — wie wir fest überzeugt
sind — den augenblicklich verborgenen Schatz für Konrad Witz von
Basel gewonnen haben, so rückt zunächst auch das Datum der Salzburger
Handschrift von S. Ehrentrud auf die Zeit vor dem Tode des 1447 ver-
storbenen Konrad Witz, d. h. von »1450 — 1465«, wohl in die erste Hälfte,
genauer in das zweite Viertel des Jahrhunderts, etwa 1430—40, hinauf.
Bei der Verwandtschaft zeichnerischer und kompositioneller Eigen-
tümlichkeiten mit dem aus Rottweil gebürtigen, aber in Basel eingebür-
gerten Meister kommen wir jedoch zu dem weiteren Schluß, daß die
Salzburger Handschrift schwerlich in S. Ehrentrud entstanden sein dürfte,
sondern zur schwäbischen Schule zu rechnen ist, wenn nicht vollends zu
der oberrheinischen in Basel. Wir können kaum anders als in ihr einen
Lehrmeister des Konrad Witz erkennen. Und damit erhebt sich wieder
die Frage nach der betriebsamen Werkstatt seines Landsmannes Nikolaus
Reusch von Tübingen, genannt Lawelin. Nun meinen wir einen Blick in die
Schulung des Konrad Witz bei einem Buchmaler und Illustrationszeichner
zurückzutun, d. h. in die Anfänge, denen er auch auf der Höhe seiner
Entwicklung als Tafelmaler für monumental gedachte Altäre noch treu
blieb, indem er sich als Zeichner dem Bilderzyklus der Biblia Pauperum
in achtundvierzig blattgroßen Kompositionen auf Pergament widmete,
einer wahren Geduldsprobe für erfinderische Geister.
Sollten diese vierundzwanzig Pergamentblätter mit ihren dreiteiligen
Bildgruppen auf jeder Seite, also, abgesehen von den je vier Propheten-
köpfen, insgesamt hundertvierundvierzig Kompositionen, deren selbständige
und auch bei Wiederholung desselben Themas abwechslungreiche Erfindung
ausdrücklich gerühmt wird, für immer verschollen bleiben? Oder könnten
diese Zeilen dazu beitragen, die Auffindung des gewiß noch bei irgend-
35°
A. Schmarsow: Konrad Witz und die Biblia Pauperum.
einem Privatsammler des Auslandes geborgenen Schatzes zu beschleunigen?
Vielleicht verlohnt es sich, das ganze Verzeichnis der Bilder bei Weigel
und Zestermann wieder abzudrucken und die Aufmerksamkeit der Spezial-
forscher des Auslandes auf diesen Zyklus der Biblia Pauperum hinzulenken.
Vor allem würde die Hebung dieses vergrabenen Pfundes einen unschätz-
baren Gewinn für unsere Kunstgeschichte des 15. Jahrhunderts, einen
gewiß fruchtbaren Zuwachs für unsere deutsche Kunst in den Tagen der
Frührenaissance bedeuten.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
Von Dr. Christian Geyer in Nürnberg.
I.
Die Ketzel-Sage.
»Der Stifter der sieben Kreuzwegstationen war der angesehene
Bürger Martin Ketzel. Im Gefolge des Herzogs von Bayern soll er eine
damals recht beschwerliche Jerusalemfahrt unternommen haben, um die
Entfernung der denkwürdigsten Stätten, wo Christus beim Kreuztragen
vom Hause des Pilatus bis Golgatha niedergesunken war, nach Schritten
auszumessen. Nur sagenhaft, jedoch nicht unglaubwürdig ist die weitere
alte Sage, daß dieser fromme Mann noch einmal in das heilige Land
gepilgert sei, weil er die Maße verlegt hatte, und diese zweite Pilgerfahrt
muß, wenn es wahr ist, daß er diesmal im Gefolge des Herzogs von
Sachsen reiste, im Jahr 1476 erfolgt sein. Nach seiner Rückkehr ließ
Ketzel wahrscheinlich von einem nahe dem jetzigen Thiergärtnertor ge-
legenen Garten, der Besitztum seiner Familie war, die jetzige Burg-
schmiet- und Johannisstraße entlang bis zum Johanniskirchlein (!), das
damals schon von einem kleinen privaten Begräbnisplatze umgeben war,
die Strecken abmessen und dort von Adam Krafft Sandsteinpfeiler mit
Reliefs der sieben Fälle Christi aufrichten. Zwar ist das Jahr ihrer Auf-
stellung urkundlich nicht nachweisbar, aber sehr plausibel ist es dennoch,
daß Ketzel nach der Rückkehr von seiner zweiten Reise mit seiner be-
absichtigten Stiftung nicht länger gezögert haben wird, um die mühsam
erworbenen Maße gar noch einmal zu verlieren. Ende der achtziger
Jahre werden die Stationen vermutlich aufgestellt worden sein, wie auch
eine alte, leider nicht mehr auffindbare Notiz verbürgt haben soll.« So
lesen wir in der neuesten Monographie über Adam Krafft.1) Es dürfte
sich verlohnen, dieses Ineinander von offenkundiger Sage und angeblich
zuverlässiger Geschichte einmal genauer zu prüfen. An Quellen und
Hilfsmitteln dazu fehlt es nicht.
>) Daun, P. Vischer und A. Krafft. Künstler-Monographien, herausgegeben von
Knackfuß, Bd. LXXV. Bielefeld u. Leipzig 1905, S. 85 f.
352
Dr. Christian Geyer:
In der Heidelberger Bibliothek befindet sich eine handschriftliche
Reisebeschreibung Martin Ketzels, die in einer vielfach sehr interessanten
und anschaulichen Weise jene Pilgerfahrt vom Jahre 1476 schildert, an
der sich Albrecht der Beherzte von Sachsen als der vornehmste der etwa
200 Pilger beteiligte, die damals gleichzeitig Jerusalem besuchten. Wir
kennen diese Pilgerfahrt ziemlich genau, da sich außer der Ketzel sehen
Reiseschrift noch drei andere mehr oder weniger ausführliche Schilde-
rungen erhalten haben, die Peregrinatio, die Mencken aus einer Gamin-
ger Handschrift in sein Werk »Scriptores rerum Germanicarum« auf-
genommen hat,* 2 3 4 5) die ausführliche Schrift des Hans von Mergenthal 3) und
die Eybsche Pilgerschrift, die in dem Archiv des Bayreuther Historischen
Vereins4) vor etlichen Jahren abgedruckt worden ist. Auch die Ketzel-
sche Darstellung ist längst durch den Druck veröffentlicht worden. Sie
erschien in einer von Bothe und Vogler 1832 in Potsdam eröffneten
Revue, die den Titel führte »Altes und Neues für Geschichte und Dicht-
kunst«. Im ersten Heft findet sie sich, von Rhenanus bearbeitet,
S. 28 — 103. Dem verdienten Historiker der Nürnberger Pilgerfahrten,
Kamann, 5) ist diese allerdings recht selten gewordene Publikation leider
entgangen.
Der Schreiber oezeichnet sich gleich zu Anfang als »Martin Ketzel
von Augsburg«. Die heiligen Stätten, die er schildern wird, kennt er
teils aus eigener Erfahrung, teils hat er sich von den Barfüßern auf dem
Berg Sion in Jerusalem, die auch an den Orten gewesen waren, wohin
er nicht gelangen konnte »aygentlich und ganz warlich« berichten lassen.
»Solich haylig löblich Stett und auch den großen Antlas (Ablaß), den
man da entpfacht, hab ich aus besunder Untertänikeit und Begirt ver-
schriben dem durchleichtigen hochgebornen Fürsten und Herren Hern
Johannssen von Gottes Genaden Phaltzgrave bey Rein, Herzog in Bay-
renn, meinem gnedigen, als hernach geschriben stett«, lesen wir in der
Einleitung. Gemeint ist damit offenbar Johann I., Pfalzgraf am Rhein,
Herzog von Baiern-Simmern, der als Kunst und Wissenschaften liebender
Fürst — er regierte 1480 bis 1509 — gerühmt wird. Von diesem
Fürsten ist er zu Trident am 1. Mai 1476 geschieden, um nach Venedig
2) Pergrinatio seu passagium ad terram sanctam illustrissimi principis Alberti
ducis Saxoniae. Mencken II, 2103 — 2112.
3) Gründliche vnd warliafiftige Beschreibung DEr löblichen vnd Ritterlichen Reise
vnd Meerfart in das heilige Land . . . Gestehet durch . . . Hansen von Mergenthal.
Leipzig 1586.
4) Geyer, Die Pilgerfahrt Ludwigs des Jüngeren von Eyb nach dem heiligen
Lände (1476). Archiv für Gesch. u. Altertumskunde in Oberfranken, 21. Bd., 1902.
5) Kamann, Die Pilgerfahrten Nürnberger Bürger nach Jerusalem im 15. Jahr-
hundert. Mitteilungen des Vereins f. Gesch. der Stadt Nürnberg, 2. Heft, S. 82 ff. (1880).
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
353
zu reiten und von da über Meer zum heiligen Grab zu fahren, und diesem
gibt er nun ausführlichen Bericht über seine Fahrt und Widerfahrt.
Am 7. Mai war er nach Venedig gekommen. Da die einzige noch
verhandene »Galia«, ein Fahrzeug besserer Qualität, von dem Herzog
Albrecht von Sachsen bestellt war und dieser nur seine Landsleute und
»die er zu ihm gefordert het« in die Galia aufnahm, bestellten die an-
deren Edelleute aus Schwaben, Franken, Thüringen, Österreich und Welsch-
landen eine »Naffe«, ein schwerfälligeres und weniger bequemes Schiff,
das dem aus der Eyb sehen Pilgerschrift bekannten Patronen oder Schiffs-
eigentümer Antonio de Steffani gehörte. Jeder Pilger mußte ihm für
Fahrt und Verköstigung 34 Dukaten bezahlen, wozu später noch für
Tribut, Geleit und Eselsgeld im heiligen Lande 16 Dukaten kommen
sollten. Daß sich Ketzel so wenig als andere Pilger auf eine aus-
reichende Verköstigung durch den Patron verlassen wollte, zeigen uns
die umfangreichen Einkäufe von Viktualien, die sie machten. Am 24. Mai
fuhren die Galia des Herzogs Albrecht und die Naffe gleichzeitig ab.
Aus der Reisebeschreibung lernen wir Ketzel ziemlich deutlich
kennen. Er hat kriegerische ritterliche Interessen und verweilt mit an-
schaulicher Ausführlichkeit bei den notwendigen Vorbereitungen für den
Kampf mit Seeräubern, zu dem es jedoch schließlich nicht kam, weil
ein Sturm die feindlichen Schiffe trennte. Als später noch einmal ein
ähnlicher Kampf mit zwei Korsarenschiffen bevorstand und die Schiffs-
leute die Aussicht auf die Erbeutung eines der beiden Schiffe eröffneten,
bemerkt er »des ich meins Tayls nie froer was«. Auch sonst gab er
offenbare Beweise seines Mutes. Als sie von Zypern weggefahren waren,
wurden sie in der Nacht durch einen starken Gegenwind wieder zurück-
geworfen. »Da ging ich an das Land. Also warent Hayden da, die
wir da fungen«, berichtet er ganz trocken. Er ist ferner ein sprachen-
kundiger Mann. Als die Schiffspatrone nach der Ankunft in Jaffa ihre
Fahrgäste durch die Vorspiegelung eines in italienischer Sprache ge-
schriebenen Briefes, der schlechte Nachrichten enthalten sollte, bewegen
wollten, gar nicht ans Land zu gehen, sondern gleich wieder die Heim-
fahrt anzutreten, da war er es, der den Betrug entlarvte. Er verdeutschte
dem Herzog Albrecht die in seine Hände geratenen Briefe.
Es scheint mir, als ob an manchen Stellen ein gewisses kauf-
männisches Talent hervortrete. Er rechnet nach, was den Patronen ge-
zahlt werden müßte; er kümmert sich um die Landesprodukte der Inseln,
auf denen sie landeten, und um die Kaufmannswaren, namentliche Zeuge,
die da gefertigt wurden (S. 56). Nicht ohne Humor erzählt er, wie
die Heiden, die den Pilgern das Geleit nach Jerusalem gaben, ver-
sprachen, sie wollten ihnen gar gute Gesellschaft tun, als sie je Pilgern
354
Dr. Christian Geyer :
getan hätten und fährt fort: »Des ich meins tayll woll innenn ward,
wan ich altag rain und woll von ihn gestoßen und auch geschlagen
ward. Doch wolt ichs also haben, wan ich zu Jerus. nie recht einkam
und all Ding erfaren wolt, das die andren Bilgerim nit tetten.« In
Jerusalem gelüstet es ihn sehr, den Tempel zu sehen — bekanntlich
glaubte man im Mittelalter, die Omarmoschee sei eine getreue Nach-
ahmung des Salomonischen Tempels — »den haben,« so erzählt er, »die
Hayden in, und gar in großen Eren, und land (lassen) kain Cristen
darein gan (gehen), wan sy maynen, das die Cristen nit wirdig sind.
. . . Ich kam ainsmals darfür ... da kam ich unter die fiirsthupfen (Vor-
stufen) und wolt schawen, ob ich yendrett (irgend) hinein möcht sechen,
da kam ain Hayden, und gab mir gut Straich«.
Endlich ist er ein frommer Mann, ganz im Sinne seiner Zeit. Er
bucht überall den Ablaß, der an den heil. Stätten zu erhalten ist, berichtet,
ohne den leisesten Zweifel zu hegen, die wunderbarsten Mirakel, und
man kann bei der Lektüre seiner Schrift zweifelhaft sein, ob er mehr
die Pilgerfahrt unternommen hat, um den reichen Ablaß zu erwerben,
oder um Ritter des heiligen Grabes zu werden.
Ketzel hatte sich während der Pilgerfahrt als Knappe an einen
oder vielleicht an zwei adelige Herren angeschlossen : Heinrich von Pyla
und Hans von Goldacker. Da er zu Anfang seines Reiseberichtes in der
ersten Person erzählt und erst von dem Augenblick an, als die Nafife
bestellt wurde, das Pronomen »wir« gebrau'cht, ist anzunehmen, daß er
sich erst in Venedig in des Goldackers Gefolge begab, der mit seinem
thüringischen Landsmann Heinrich von Biela gemeinschaftlich reiste.
Ketzel erwähnt die beiden Namen erst, als er von der Landung bei
Jaffa erzählt hat. Sie waren — das nämliche berichtet auch Eyb von
sich und anderen — mit ihrem Patron Antonio de Steffani aus sehr
triftigen Gründen uneins geworden und fanden für die Rückreise Auf-
nahme in dem Schiffe des Herzogs Albrecht. Ketzel berichtet darüber:
»Item, zu Hand für ich auf des Herzogen Galya und dingt da Her
Hanssen von Goldacker, Her Heinrich von Bila und mich an den Patron,
uns wyder herüber zefuren, und gab ihm unsser ainer XVI Ducaten«.
Dazu stimmt nun ganz das Pilgerverzeichnis, das der mit Ketzel auf
dem gleichen Schiffe reisende Eyb seiner Schrift angefügt hat. Dort
lesen wir:6)
»Heinrich von Pyla
Hans von Goldacker
Martin Ketzel sein knecht.«
6) Geyer, a. a. O. S. 52.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
355
Die Tradition berichtet, daß Martin Ketzel zweimal ins heilige
Land gezogen sei und bringt seinen Namen in Verbindung mit den
Stationsbildern Adam Krafifts. Es ist zuzusehen, ob sich das uns vor-
liegende geschichtliche Dokument mit dieser Überlieferung in Einklang
bringen läßt oder nicht.
Hier ist vor allem eine wichtige Vorfrage zu entscheiden: Ist der
Martin Ketzel der Nürnberger Tradition identisch mit dem Martin Ketzel
aus Augsburg, dem Verfasser des Itinerars vor 1476.
Ich habe früher selber an dieser Identität gezweifelt,7) allein sie
steht mir nunmehr auf Grund archivalischer Nachforschungen unzweifel-
haft fest. Die Augsburger Steuerbücher des 15. Jahrh. und die Nürn-
berger Losungsbücher lassen erkennen, daß Glieder der nämlichen Fa-
milie Ketzel sowohl in Augsburg als in Nürnberg Steuern zahlten. Der
in Augsburg noch im Jahre 1435 steuernde Heinrich Ketzel der Ältere
ist, wie sein am nordwestlichen Außenportal der Sebalduskirche vor-
handener Grabstein ausweist, am 14. Sept. 1438 in Nürnberg gestorben.
Dazu stimmt, daß im Jahre 1439 im Augsburger Steuerbuch an Stelle
seines Namens seine »Bona« auftreten (1439 — 62). Von seinen drei
Söhnen Heinrich, Endres und Martin finden wir den ersteren, Heinrich
den Jüngeren in Nürnberg (Losungsbuch 1440. Die späteren Libri losun-
garum sind nicht mehr vorhanden). Nach dem Hallerschen Geschlechter-
buch von 1535 ist er 1453 gestorben und zwar, wie aus der Inschrift
des oben bereits genannten Leichensteins zu entnehmen ist, »am montag
nach der heiligen drey kunig dag im 1453 iar«, also, am 8. Januar 1453.
Die beiden anderen Söhne Endres und Martin sind in Augsburg ge-
blieben. Endres ist gegen 1466 gestorben, da in diesem Jahr sein »Erb«
im Steuerbuch steht. Martin steuert von 1432 bis 1462. Die Ketzlin,
die von 1463 — 66 im Steuerbuch erscheint, ist offenbar seine Witwe.
Unser Martin Ketzel ist ein Sohn dieses älteren Martin Ketzel. Die An-
gaben auf dem im Germanischen Museum zu Nürnberg aufbewahrten
(Wegweiser f. d. Besucher S. 117) nach 1594 angefertigten Stammbaume
der Familie Ketzel, wonach sich Heinrich Ketzel zu Augsburg mit einer
Ygelbrechtin vermählte und dessen Sohn Martin Ketzel der Ä. 1394 zu
Augsburg geboren sei, ist durchaus glaubwürdig. Martin Ketzel d. J.,
der Verfasser des Itinerars, steht nicht mehr in den Augsburger Steuer-
büchern, daß er aber in Augsburg geboren und erzogen worden, also
sich als »Martin Ketzel aus Augsburg« bezeichnen konnte, steht außer
Zweifel. Er wird, wie das die Regel war, die Pilgerfahrt als jüngerer,
noch nicht selbständiger Mann unternommen haben. Wo er sich nach
7) Geyer a. a. O. S. 9.
356
Dr. Christian Geyer:
seiner Rückkehr verheiratet und niedergelassen hat, ist nicht bekannt
Da seine Frau eine Haydnin aus Ulm gewesen, wird er wahrscheinlich
dort gelebt haben; jedenfalls läßt er sich später weder in Augsburg noch
in Nürnberg nachweisen. Daß drei Schwestern von ihm, Anna, Elsbeth
und Veronika in Augsburg verheiratet waren, erfahren wir aus dem
Hallerschen Geschlechterbuch. Die Ketzel waren — darin stimmen alle
erhaltenen Dokumente und Nachrichten überein — eine wohlhabende
sowohl in Augsburg als in Nürnberg seßhafte Kaufmannsfamilie. Das
war nichts Außergewöhnliches. Auch andere angesehene Familien, z. B.
die Baumgärtner und Imhoff waren in beiden Städten begütert. Nach
dem bereits erwähnten, im Germanischen Museum aufbewahrten Stamm-
baum und dem Hallerschen Buch war er ein Sohn Martin Ketzels d. Ä.
Seine Mutter war eine Ammederin (Haller) oder Anriederin (Stammtafel).
Seine Ehewirtin ist eine Heidnin aus Ulm gewesen, die nach der Stamm-
tafel »Eva« hieß. Beide Quellen berichten, daß er »kein Erben hinter
im gelassen«. Während Haller einfach anmerkt: »er ist zum heyligen
Grab gewest«, sind auf der Stammtafel zwei Abzeichen der Grabes-
ritterschaft mit den Zahlen 1468 und 1472 ; wir treffen hier auf die
Tradition, daß Martin Ketzel zweimal am heiligen Grab gewesen sei.
Also Haller (1535) weiß von dieser doppelten Pilgerfahrt noch nichts;
aber zu Ende des 16. Jahrhunderts ist die Erweiterung der Tradition
geschehen und wir begegnen ihr nun immer wieder. Neben dem Stamm-
baum hängt im Germanischen Museum eine am letzten August 1595 an-
gefertigte Ketzelsche Gedenktafel. Diese ist in zehn Felder geteilt;
die letzten beiden sind leer, die anderen acht enthalten Bilder und
Wappen jener Ketzel, die Pilgerfahrten nach Jerusalem unternommen
haben. Die dazu gehörigen Inschriften lauten:
»Heinrich Ketzel zug zum heyligen Grab und auf Sant Katherina
Pergk Synay 1389 Jar. Jorg Ketzel zug zum heyligen Grab mit Mark-
graf Friderich, Churfürst auß der Marek, 1453. Ulrich Ketzel für auf
dem Wasser auß dem Niderland zum heyligen Grab 1462 Jar. Mertein
Ketzel zug zwir zum heyligen Grab mit hertzog Ott von Bairn 1468 und
mit hertzog Albrecht von Sachsen 1472. Wolf Ketzel zug zum heyligen
Grab mit hertzog Friderich von Sachsen Churfürst und hertzog Christoff
von Bairn 1493 Jar. Jorg Ketzel zug zum heyligen Grab mit hertzog
Heinrich von Sachsen 1498 Jahr. Sebolt Ketzel zug auch mit herzog
Heinrich von Sachsen zum heyligen Grab 1498. Michel Ketzel zug zum
heyligen Grab mit Graf Herman von Henenpergk 1503 Jar.«
Daß wir es, was die Jahreszahlen der Ketzelschen Pilgerreisen be-
trifft, mit einer recht zweifelhaften Tradition zu tun haben, ist sofort er-
sichtlich. Denn Herzog Otto von Bayern, mit dem er die erste Fahrt
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
357
soll unternommen haben, war nicht 1468, sondern 1460 in Jerusalem.8)
Herzog Albrecht von Sachsen aber unternahm seine Pilgerfahrt nicht
1472, sondern wie wir wissen 1476. Die Tradition, einmal entstanden,
erhielt sich. So finden wir jetzt noch in der »Süden« (Betsal) ein kleines
Glasbild, das ein Allianzwappen und vier Ordenszeichen aufweist; dabei
steht »Mertha ketzell 1468 1472«.
Wann dieses Glasbild entstanden ist, wissen wir nicht, aber es ist
wohl möglich, daß es noch etwas früher angesetzt werden darf, als die
glücklicherweise datierte Gedächtnistafel. Das Bild gehörte zu einer
größeren Serie zum Stubenschmuck bestimmter Wappen; ein weiteres
(leider zerbrochenes) Stück findet sich in der »Süden« mit der Inschrift
Heinrich ketzell 1389, fünf ähnliche im Germanischen Museum (Kreuz-
gangflügel 48)
»Jorg ketzell 1453
Vlrich ketzell 1462
wolf ketzell 1493
Jorg ketzell 1498
Sebolt ketzell 1498«.
Ganz ähnliche an die Wand gemalte Allianzwappen der acht am
heil. Grab gewesenen Ketzel wurden im Jahre 1902 im Zimmer 29/30
des ersten Stockes im »Weinstadel« entdeckt und aus Versehen wieder
übertüncht. Es scheint, daß verschiedene Kirchen, Anstalten usw. be-
gründeten Anlaß hatten, das Andenken der 1588 ausgestorbenen Familie
in Ehren zu bewahren. So erklären sich die vielen, immer auf die
Gesamtfamilie sich beziehenden Gedächtnisbilder.
Will beschreibt in seinen »Münzbelustigungen« ein 1696 beim
Brand der Ägidienkirche zerstörtes »Rittergedächtnis« der Ketzel; da
lesen wir IV, 183 ff. übereinstimmend mit den eben geschilderten Denk-
mälern:
»Das vornehmste und seltenste von diesem Geschlechte ist, daß
ihrer so viele den Ritterstand geftihret, mit Fürsten und Herren große
Reisen getan und zum heiligen Grabe gezogen sind. Dieser Ritter Ge-
dächtnis war in der alten Egidien-Kirche, in einem Fenster daselbst auf
der Emporkirche an der Mittagsseite, und verdient, weil es A. 1696 mit
der Kirche abgebrannt ist, der Vergessenheit entrissen und auf bewahrt
zu werden. Es ist folgenden Inhalts:
1. Ich Heinrich Ketzel zug zum H. Grab und auf St. Catharinä
Berg A. 1389.
*) Röhricht u. Meisner, Deutsche Pilgerfahrten n. d. heil. Lande, 1880 S. 481.
358
Dr. Christian Geyer:
2. Ich Georg Ketzel zug zum H. Grab mit Marggraf Friedrich,
Churfürsten aus der Mark A. 1453.
3. Ich Ulrich Ketzel fuhr auf dem Wasser aus den Niederlanden
zum H. Grab A. 1462.
4. Ich Martin Ketzel zug zwier zum H. Grab, mit Herzog Ott von
Bayern A. 1468. und mit Herzog Albrecht von Sachsen A. 1472.
Bey ihm sitzt St. Hieronymus mit bloßem Haubte, rothem Cardinal-
Rocke, darunter ein weißes Gewand, auf seinem Pult ein Cruxifix, unter
und neben ihm liegt ein Löwe. St. Hieronymus schreibt in einem Buche.
Neben ihm kniet der Ketzel, als Ritter, hinter ihm das Wappen habend.«
Endlich finden sich mehrfach, offenbar auf dieses »Rittergedächtnis«
zurückgehende alte Kupferstiche der acht Ketzel, die Pilgerfahrten unter-
nommen haben. Martin Ketzel ist im Harnisch dargestellt. Oben zwei-
mal das Zeichen des Grabesritterschaft, unten die Embleme Blumentopf
und Schwert mit einem S-förmigen Band umwunden, jenes vielleicht das
Zeichen des Arragonischen Ritterordens der Blumentöpfe ödendes Navar-
raschen Ordens S. Maria von der Lilie (Will IV, 181), dieses das Ordens-
zeichen Equitum Ensiferorum Cypri. S = Silentium (Will IV, 180 f.)?
Unter dem Bild ist das Wappen und in einer von zwei Adlern
gebildeten Umrahmung die Schrift:
»Martin Kötzel zug zwey
mal zum Heiligen grab mit
Hertzog Ott von Bairn 1468.
und mit Hertzog Albrecht
von Sachsen 1472«.
Was ist also von der, wie Daun meint, »nur sagenhaften,
jedoch nicht unglaubwürdigen Sage« von der zweimaligen
Reise ins heilige Land zu halten? Da die Pilgerschrift Ketzels
davon auch nicht die leiseste Spur enthält, daß es sich im
Jahre 1476 um einen zweiten B.esuch des heiliger rabes
handle, da auch die zeitlich ihr am nächsten steheno Tradi-
tion (Hallersches Geschlechterbuch von 1535) noch nichts
von einer zweimaligen Pilgerfahrt weiß, offenbar gar nichts.
Diese Sage ist nicht nur »sagenhaft«, sondern auch »unglaub-
würdig«. Wir wissen in historisch ein wandsfi oder Weise ledig-
lich von einer Fahrt Martin Ketzels ins heilige Land, die im
Jahre 1476 stattfand.
Die Tradition bringt Martin Ketzel in Beziehung zu den Adam
Krafftschen Stationsbildern oder, wie die Alten sagten, zu den sieben
Fällen Christi. Diese von Daun für pure Geschichte genommene Über-
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
359
lieferung dürfte noch »sagenhafter« sein, als die Erzählung von den zwei
Reisen. Denn während diese wenigstens zu Ende des 16. Jahrhunderts nach-
weisbar ist, treffen wir erst ioo Jahre später auf die erste Spur jener. Gugel
bringt nämlich in seinem 1682 zu Nürnberg gedruckten Buche »Norischer
Christen Freydhöfe Gedächtnis« S. 310 zuerst folgende Geschichte:
»Im übrigen ist auch hierbey zu wissen, daß ein Uhraltes Adeliges
Geschlecht gewesen, die Kötzel genannt, deren 8. allein von ihnen nacher
Jerusalem gezogen, und Ritter des Catharinen Bergs und H. Grabes wor-
den seynd, darunter einer, Martin Kötzel genannt, sich in diesen H. Landen
umgesehen und alles fleissig observiret und notiret, auch sich bemühet,
von der Stadt Jerusalem die Schritt zu zehlen, wie weit von des Pilati
Hauß zu jedem Ort, da der HErr Christus in seiner Creutzigung und
Tode gew'andlet. Als nun aber inzwischen er wiederum hier angelangt,
und die Bemerckung verlohren, ist solcher de novo wieder hineingereist,
und solches nochmahlen abgemessen, und zur Gedächtnus diese in Stein
durch damahligen künstlichen Meister und Steinmetzen Adam Krafft ver-
fertigen und zurichten lassen, als noch vor Augen und zu sehen ist, an
unterschiedlichen Gärten-Wanden, bis hin an S. Johannis Kirchhof. Wiedann
obgedachter seel. herr Kötzel von dem damahligen Rietherischen, nach-
mals Topplerischen Hauß bey dem Thürgärtner Thor, sowie das zu HErrn
Christi Lebszeiten Pilati Hauß zu Jerusalem solle gelegen und gebauet
worden seyn, angefangen hinaus vor die Stadt zu rechnen, auch den An-
fang bei dem Rietherischen Garten genommen, daselbsten die Ausführung
Christi, und Begegnung seiner lieben Mutter, welche in Ohnmacht sinket,
zu sehen, mit dieser Unterschrift« usw.
Sehen wir zu, ob die Ketzelsche Pilgerschrift von 1476 etwas ent-
hält, was sich mit dieser Tradition in Zusammenhang bringen läßt.
Damit jedermann selber urteilen möge, sei die Beschreibung, die Ketzel
in seinem Itinerar von der Via dolorosa gibt, mitgeteilt.
»Item, des ersten kamen wir für den Tempel des hailigen Grabs,
und der Verg Calvaria ist, da Gott der Her worden ist gekreuzigot.
Aber wurdenn dismal nit darein gelassen; doch kniegten wir nider
und empfiengen Ablas.
Item, vor der Kirchenthür pey zechenn Schritt her dan ist die
Statt, da Gott der Her untter dem Creutz niedergesuncken ist. Er
hatt auch offt daselbst geruet, wan er fürgieng und da sach die Stat
Calvarie, da er für uns armen Sünder sterben wolt. Ablas f.
Item, ausserhalb for dem Tempell stund fier Capeln, die yetz die
Haydenn inhabent, und die Cristen kumen nit darein. Die ain ist ge-
weicht in der Eren der Muter Gottes und Sant Johanes Evangelisten.
Da ist Ablas f.
Repertorium Tür Kunstwissenschaft, XXVIII.
25
3Öo
Dr. Christian Geyer:
Item, die ander Capell ist geweicht in der Erenn aller hayligen
Engell. Da ist auch Ablas f.
Item, die drit Capell ist geweicht in der Erenn Sant Johannes des
Tauffers. Ablas f.
Item, die fiert Capell ist geweicht in der Eren der Liebhaberin
Santa Maria Magdalena. Ablas f.
Item, darnach gett man furbas, und get die Stat Jerus. abwärts,
so kumpt man des ersten zu Veronica Haus. Daselbst hat si unserm
Heren das Tuch geben, darein er sein hailiges Antlit drucket, als es
dan noch zu Rom ist. Ablas f.
Item, darnach kumpt man zu des reichen Mans Haus, der dem
armen Lasaro die Prossen versaget, die von seim Tisch hellen. Stett
noch gantz da, das ain Haid darinn want. Ablas f.
Item, darnach so schlecht man herum in der gelincken Hant, und kumptt
an ain Eg, gand drey Weg zusamen ; daselbst zwungen die Juden den Simonem
Ziraneum, das er unserm Heren must helffen das Creutz tragen. Ablas f.
Item, darnach ain klain Weg fiirbas kumpt man an die Statt, da
sich Cristus untter dem Creutz umbkert, und sprach zu den andechtigen
Frawen, die umb ihn wainten: Ir Töchtern von Syon, waint nit über
mich, sunder waint über euch und ewre Kinder u. s. w. Da ist Ablas f.
Item, darnach kumpt man zutz . ainer zerbrochen Kirchen ist unsser
Frawen Capell. Daselbst ist die Mutter Gottes gestanden, als si unsern
Heren hatt gesechen das Creutz tragen, und ist da for großem Hertzen-
layd in Unmacht nidergesuncken. Ablas f.
Item, darnach kumpt man furbas, da stett ain Schwibogen über die
Gassen, dardurch man gett; darinn stend zwen weis Stain, darauff ist
unser Her J. C. gestanden, als er ihn verurtaylt hatt, und als er ihn den
Juden zaigt, da er sprach ecce homo. Dieselben zwen Stain hatt Santa
Helena lassen hineinmauren zu ewigen Gedechtnüs, wobich (wo icht)
Cristen da furgand. Ablas f.
Item, darnach kumpt man zu der Schul, da unser liebe Fraw die
hayligen Geschrifft gelernot hat. Ablas f.
Item, darnach kumpt man zu des Gleisners Haus, da unsser lieber
Her Sant Maria Magdalena ir Sund vergeben hat. Ablas f.
Item, darnach kumpt man zu Pilatus Haus, stett zu der gelingen
Hand, darinn Got der Her gegaislot und zu dem Tod verurtaylt ward;
stett noch, aber es want Niemant darinn. Ablas f.«
Man vergleiche mit dieser Ketzelschen Via dolorosa die Unter-
schriften unter den Krafftschen sieben Fällen: 9)
9) r>aun, Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit. Berlin 1897, S. 65 — 69.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
361
»1. Hir begegnet Christus seiner wirdigen lieben Mutter die vor
großen herzenleit anmechtig ward II c schrit von Pilatus haws.
2. Hir ward Simon gezwungen Christo sein kreutz helfen tragen
IICLXXXXV (295) schrit von Pilatus Haus.
3. Hir sprach Christus Ir Dochter Jherusale’ nit weynt über mich
sunder über euch un’ ewre kinder IIPLXXX schritt vo’ pilat’ haws.
4. Hier hat Cristus sein heiligs angesicht der heiligen Frau Vero-
nica auf iren Slayr gedruckt vor irem Haws Vc (500) Sritt von Pilatus
Haws.
5. Hier tregt Christus das Creutz und wird von den Juden ser
hart geslagen VIICLXXX (780) Srytt von Pilatus Haus.
6. Hier feit Christus vor großer anmacht auf die Erden bei Mc
(iooo)10) Srytt von Pilatus haus.
7. Hier leyt Christus vor seiner gebenedeyten wirdigen muter, die
in mit großem Hertzenieyt und bitterlichen smertz claget und beweynet.«
Man sieht sofort, daß Angaben der Entfernungen der Stationen von
einander oder vom Haus des Pilatus, wie sie auf den Krafftschen Bild-
werken stehen, bei Ketzel vollständig fehlen. Da der Weg bei Ketzel
vom heiligen Grab zum Pilatushaus beschrieben ist, erscheinen die Sta-
tionen in entgegengesetzter Reihenfolge wie bei den sieben Fällen. Zwei
Stationen der Krafftschen Reihe, die siebente und fünfte, werden von
Ketzel nicht erwähnt. Während jene indes, wie begreiflich ist, bei der
Schilderung des Inneren der Grabeskirche noch genannt wird, ist von
dieser überhaupt nicht die Rede. Ja noch mehr; die aufgeführten und
beiden gemeinsamen Stationen erscheinen bei Ketzel in der Reihenfolge
6 — 4 — 2 — 3 — 1, die zweite und dritte Station haben den Platz
bei Ketzel und Krafft vertauscht. Kurz, die Differenz zwischen dem,
was wir der Tradition zufolge in einem Ketzelschen Itinerar erwarten
mußten und dem, was uns dieses in Wahrheit darbietet, könnte kaum
größer sein. Die Krafftschen Stationen haben offenbar mit Martin
Ketzel gar nichts zu schaffen und dieser weiß nichts von jenen-
Anstatt einer jungen und in sich widerspruchsvollen Tradition nachzu-
gehen und mit subjektiver Willkür zu bestimmen, was an derselben
glaubwürdig oder unglaubwürdig sein dürfte, empfiehlt es sich die Bahn
der Geschichte aufzusuchen und zuzusehen, was uns denn vor dem
Auftauchen der Ketzelsage über die Stationen berichtet wird.
*°) Soll heißen 1 100.
25
362
Dr. Christian Geyer :
II.
Geschichtliche Nachrichten über die Krafftschen Stationen.
Die älteste Nachricht über die Stationen verdanken wir dem be-
kannten Schreibmeister Neudörfer,11) in dessen »Nachrichten von Künst-
lern und Werkleuten aus dem Jahr 1547 folgender, von einem anderen
Autor herübergenommener Satz zu lesen ist:
»Vor dem Thiergärtner Thor, da hat er in Stein gehauen und auf-
gerichtet die sieben Fälle Christi bis hinaus ad montem Calvariae zu
der Capellen bei St. Johannis, dasselbige große Creuz, mit samt den
2 Schächern, auch die Bilder neben und gegen dem Kreuz, darnach die
Begräbniß im Capellein, samt den Bildern daselbst.«
Eine andere, etwas erweiterte und jüngere Leseart der nämlichen
Stelle lautet:12)
»Ao 1508 hat er vor dem Thiergärtner-Thor in Stein gehauen und
auffgericht die Siebenfäll Christi, welche man gemeinlich nennet bei den
sieben Kreuzen, bis hinaus ad montem Calvariae, zu den Capellein bei
St. Johannis, zu den heiligen Grab genanndt, dasselbig grosse Creuz, mit
samt den zween Schäger, auch die Bilder neben und gegen dem Creuz,
darnach die Begräbnuß im Capellein, samt den Bildern daselbst.«
Die in der Nürnberger Stadtbibliothek vorhandene, aus der Will-
schen Bücherei stammende, handschriftliche, undatierte »Kurtze Erzeh-
lung«T3) mit dem S. 9 beginnenden »Lob etlicher Künstler« ist eine
Entlehnung aus Neudörfer (oder dessen Vorlage?):
»Vorm Thiergärtner Thor hat Er in einem Stein gehauen, die 7 fäll
Christi, biß hinaus ad montem Calvariae, zum Capelle bey St. Johannes,
das selbe grose Creütz mit sampt den Zweyen Schechern, auch die
Bilder neben und gegen den Creüz über, darnach die Begräbnus in Ca-
pellein hat Er mit noch viel andrer Sach gemacht.«
Auf lange Zeit hinaus begegnen wir nur dieser nüchternen Neu-
dörferschen Tradition. Noch Sandrart schreibt im Jahre 1675:
»Vor dem Thiergärtner-Thor in Stein die so genannte sieben Fäll
Christi bis an den Berg Calvariae hinaus, zum S. Johannes Capellein,
wohin er auch das grosse Creuz mit den zweyen Schächern, und die
Bilder neben und gegen dem Creuz, samt der Begräbnis in dem Capellein
gemacht.«
") Lochner, Des Johann Neudörfer Nachrichten von Künstlern und Werkleuten
aus dem Jahre 1547. Wien 1875, S. ioff.
”) Wanderer, Adam Krafift und seine Schule. Nürnberg 1869, S. 3.
•3) Manuscr. Will III, 919.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
363
Das Charakteristische dieser ältesten Nachrichten über das Stationen-
werk ist 1., daß die sieben Fälle vom Tiergärtnertor bis zur Kapelle
bei St. Johannis, d. h. bis zu der sogen. Holzschuherkapelle, dem Ber-
gungsort der Krafftschen Grablegung, gehen; 2. daß die »Begräbniß im
Capellein«, also eben die von Krafft geschaffene Grablegungsgruppe in
der Holzschuherkapelle, mit zu dem Stationenwerk gerechnet wird, und
3. daß jede Beziehung auf Martin Ketzel als den Stifter des Kreuz-
wegs fehlt.
Um mit dem dritten Punkt zu beginnen, so ist das Schweigen über
den Stifter der Stationen um so merkwürdiger, als Neudörfer bei den
anderen Werken des Meisters fast immer angibt, in wessen Auftrag sie
gemacht worden seien. Die Neudörferschen Nachrichten sind mehrfach
abgeschrieben und ergänzt worden, worüber man Lochners Ausgabe nach-
sehen möge, aber eine den Stifter der Stationen betreffende Ergänzung
suchen wir vergebens. Schon zu Neudörfers Zeit war der Name
des Stifters vergessen, aber die Sage hatte sich des Gegen-
standes noch nicht bemächtigt, um irgend ein berühmtes Nürn-
bergisches Geschlecht mit den Stationen in Zusammenhang zu setzen.
Die ältesten Nachrichten bringen ferner die Stationen in Verbindung
mit der einstmals am St. Johannisfriedhof stehenden, später aber in den
auch nach dieser Seite erweiterten Begräbnisplatz nachträglich ein-
bezogenen Grabkapelle. Es ist dies selbstverständlich nicht das »Jo-
hanniskirchlein«, wie Daun anzunehmen scheint, sondern die sogenannte
Holzschuherkapelle. Dieselbe heißt auch die Kapelle zum heil. Grab,
nach den Nürnberger Fremdenführern wegen einer angeblichen Ähnlich-
keit mit dem heil. Grab in Jerusalem, von der ich allerdings auch nicht
die leiseste Spur habe entdecken können, in Wahrheit natürlich wegen
der in ihr geborgenen Grablegung Adam Kraffts. Dieses heilige Grab
ist im Jahre 1508 jedenfalls bereits aufgestellt gewesen, denn die dazu
gehörige Nischenmalerei trägt diese Jahreszahl. Ob das Grab anfangs
ebenso wie die Stationen im Freien stand und die Kapelle erst später
angebaut wurde, muß späterer Untersuchung Vorbehalten bleiben. Daß
die Grabesnische nicht harmonisch mit der Kapelle verbunden, sondern
ihr mehr angehängt ist, weiß ja jeder Besucher aus eigener Anschauung.
Sehr auffallend ist es, daß Daun den so natürlichen und not-
wendigen Zusammenhang der Stationen mit der Grablegung übersehen
hat, obwohl er selbst davon redet, daß die Holzschuhersche Kapelle
früher außerhalb des Kirchhofes stand. J5) Soviel mir bekannt ist, findet
n) Sandrart, Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste.
1675, S. 221.
15) Daun, Adam Krafft, S. 81.
264 Di'. Christian Geyer: Zur Gesch. der Adam Krafftschen Stationen.
jedes alte Stationenwerk seinen Endpunkt in einer Grablegung. So en-
digten beispielsweise die Görlitzer Stationen beim heiligen Grab in der
Kreuzkirche daselbst.16) Ebenso war es bei den alten Stationen in Rom,
Venedig und Antwerpen. Auch das von Daun angeführte Büchlein aus
dem Jahr 1521 (Daun, Adam Krafft, S. 72) »Die maynung diß büchleins,
die geystlich Straß bin ich genant Im leyden Christi wohl bekant«, das
sich vielfach an die Kraötschen Stationen anlehnt, hat als letztes Bild
eine Grablegung, zu der die Krafftsche Gruppe als Vorbild
diente.
Wir werden später sehen, daß ein besonders naher Zusammenhang
zwischen den Nürnberger und Bamberger Stationen obwaltet. Lediglich
die Tatsache, daß die Bamberger Stationen mit einer großen Grablegung
in der Kirche St. Getreu abschließen, hätte mindestens die Frage nahelegen
sollen, was denn in Nürnberg den Abschluß bildet, wenn nicht die Grab-
legung. Der Calvarienberg sicher nicht; denn nach ihm finden wir ja
erst die siebente Station, die Beweinung Jesu. Wer heute noch den
Kralftschen Stationen folgt und sich vorstellt, daß die Grablegung mit
der Holzschuherkapelle ehemals nicht von der Kirchhofmauer umschlossen
wurde, kann zu gar keinem anderen Ergebnis kommen, als daß hier, wo
der gekreuzigte Leib seine Ruhe findet, das Ende der Stationen sei.
Hätte Daun seinen Augen und der historischen Tradition getraut, statt
sich von einer ganz haltlosen und widerspruchsvollen Sage blenden zu
lassen, die er nicht auf ihren Ursprung verfolgte, so hätte er der Wahr-
heit über die Stationen näher kommen müssen, als es nunmehr ge-
schehen ist.
l6) Hoffmannus, Script, rer. Lusit 1719, Tom I, pars altera S. i6f. Vgl. den
Plan von Görlitz am Schluß der Introductio und die »Abbildung der Ausführung Christi
zu seinem schmertzl. Leyden, nebst Vorstellung des so genannten heil. Grabes und der
Creütz-Kirche in Görlitz 1719«.
(Schluß folgt.)
Dürers Dresdener Skizzenbuch.
Bemerkungen zu der Ausgabe von Dr. Bruck.
Von Ludwig Justi.
Während bisher nur wenige Blätter des Dresdener Skizzenbuches in
Photographien Vorlagen, ist jetzt bei Heitz in Straßburg eine umfassende
Ausgabe in vortrefflichen Reproduktionen erschienen, eine wertvolle Er-
gänzung zu dem Lippmannschen Werke. Den Tafeln geht ein Text von
Dr. Bruck voraus: ein beschreibendes Verzeichnis und eine Einleitung;
beide sind durchaus nicht so, wie sie sein sollten. Aus der langen Ein-
leitung kann man nichts lernen. Der Leser dürfte doch wohl erwarten,
in Kürze und Klarheit über das spezielle Gebiet dieser Zeichnungen,
vor allem Dürers Proportionsstudien, orientiert zu werden: welche Prin-
zipien darin sind, wie diese sich gruppieren und aufeinander folgen. In
dem Verzeichnis wäre die einzigartige Gelegenheit gewesen, den Leser
ohne Mühe in den Sinn dieser auf den ersten Blick so verworrenen
Bestrebungen des Meisters einzuführen. Wenn dem Herausgeber diese
Dinge nicht interessant genug waren, so hätte er doch lieber seinen Text
unterdrücken sollen, und wenn er glaubte, daß auch der Käufer des
Werkes sich nicht dafür interessiere, so hätte füglich die ganze Ausgabe
unterbleiben können.
I.
Daß sich der Herausgeber wirklich nicht für seine Materie inter-
essiert, zeigen zahlreiche Irrtümer. Es ist von niemandem zu verlangen,
daß er ein Kenner Dürerscher Proportionsstudien sein solle, namentlich
dieser späteren Zeit (wo sie mit seinem eigentlichen künstlerischen Schaffen
nichts mehr zu tun haben); wenn man aber, wie es für einen Heraus-
geber doch unvermeidlich ist, mehrere Stunden mit den Blättern hantiert,
so verraten derartige Irrtümer eine eminente Interesselosigkeit. Nur so
ist es zu erklären, daß Bruck Erscheinungen falsch deutet, die er an
anderen Stellen zu erkennen nicht umhin kann.
Auf Tafel 83 ist eine Profilfigur reproduziert. Die Maße sind, wie
gewöhnlich, in Bogen hineingeschrieben, die einen Punkt mit dem anderen
verbinden. Nun korrigiert Dürer diese Figur, verbreitert sie an einer
366
Ludwig Justi:
Seite, rechts, schreibt wiederum die Maße mit Bogen hinein; so treffen
an den Hauptstellen je zwei Bogen zusammen, von oben und unten:
Bruck hält das für Durchschnitte des Körpers! Wer freilich das Blatt
in die Hand nimmt, ohne je Dürersche Proportionsstudien gesehen zu haben,
der könnte das vielleicht auf den ersten Blick meinen, würde sich aber
sofort bedenken, wenn er die beigeschriebenen Maßzahlen läse, er würde
auch finden, daß die Bogen verschieden lang sind, den Zahlen entsprechend,
und schließlich daß Durchschnitte ganz anders aussehen müßten.
Ein anderes Beispiel.
Dürer zeichnet die Horizontalschnitte des Körpers an den wichtig-
sten Stellen; er zeichnet diese Schnitte alle nebeneinander; dann zeichnet
er sie auch an einer Stelle aufeinander, so daß der ganze Körper
in einer Art von Durchsicht erscheint (etwa wie ein Schulmodell eines
stereometrischen Körpers, bei dem nur die Kanten aus Metall gegeben,
die Flächen weggelassen sind); ein interessanter Versuch des Künstlers,
sich eine sozusagen dreidimensionale Vorstellung vom Körper zu ver-
schaffen. Während nun Bruck an zwei Stellen (61, 63) die Sache richtig
erklärt (wo sie freilich schon wegen der Beischriften nicht zu verkennen
ist), erklärt er sie ein andermal (Taf. 52) unbegreiflicherweise falsch.
Ein anderer Versuch, das Dreidimensionale klar zu stellen: Dürer
denkt sich die Hauptteile der menschlichen Figur in möglichst einfache
stereometrische Körper hinein; diese kann er dann gegeneinander ver-
schieben, wenn er die ganze Figur in reiche Bewegung bringen will: er
zeichnet die einzelnen stereometrischen Körper in Verkürzung, und dann
bringt er die irrationalen Kurven der menschlichen Figur hinein — ein
höchst interessanter Versuch, das praktische Naturstudium der Verkürzung
durch theoretische und umständliche Konstruktion zu ersetzen oder zum
mindesten zu sichern; theoretische Konstruktion und geduldiges Handwerk
sollen die Genialität des italienischen scorto reglementieren. Bruck sagt
hiervon nichts, er findet nur, die Figuren seien »gleichsam wie aus nach
bestimmten Massen behauenen Steinen aufeinander geschichtet«, Dürer
habe dabei an Steinmetzen gedacht (auf Grund einer nebenher von Dürer
gemachten Bemerkung). Bei der Seitenansicht der Figur erscheinen jene
stereometrischen Körper als Rechtecke u. dergl., und zwar fallen ihre
Grundlinien bei ruhiger Haltung der Figur zusammen; ist sie bewegt, so
bilden die Grundlinien Winkel miteinander, und die hier entstehenden
Schnittpunkte markiert Dürer mit kleinen Dreiecken; sie bezeichnen zu-
gleich anatomische Stellen entsprechender Funktion, Wirbelsäule und
Hüftgelenk. Bruck erklärt diese Dreiecke bei den bewegten Seitenfiguren
als Gelenke oder Hauptgelenkpunkte (64, 94), was mindestens unklar ist;
bei ruhigstehenden Seitenfiguren dagegen bezeichnet er sie als Wirbel-
Dürers Dresdener Skizzenbuch.
367
Säule (56, 58; bei 59 und 61 erwähnt er sie gar nicht); das trifft wiederum
für die unteren Punkte nicht zu, da doch die Wirbelsäule nicht mitten
durch die Gedärme läuft. Vor allem aber ist wieder der Zusammenhang
gleicher Erscheinungen nicht beachtet, dem Betrachter das Verständnis
nicht erleichtert.
In einer weiteren Gruppe von Studien macht Dürer einen anderen
Versuch, der Verkürzung durch Konstruktion beizukommen. Er zeichnet
die Vorderansicht einer bewegten, aber nicht verkürzten Figur; daneben
rechts gibt er dann die Seitenansicht, bei der nun verschiedene Ver-
kürzungen herauskommen, z. B. verkürzt sich der Kopf, indem er nach
vorn geneigt ist, während er bei der ersten Zeichnung im Profil gesenkt
erscheint, also in normalen Maßverhältnissen; Dürer findet nun die Ver-
kürzung, indem er von der linken zur rechten Figur Horizontalen zieht.
Bruck erkennt zwar nicht den Sinn dieser Konstruktion, aber er be-
zeichnet doch wenigstens einmal (96) die rechte als »dieselbe Figur«;
bei anderen Blättern jedoch bemerkt er selbst dies nicht einmal, ja er
bezeichnet die rechte Figur als »eine andere weibliche Figur« (97).
In allen diesen Fällen hätte es durchaus keines Scharfsinns bedurft,
da die Erklärungen am Wege liegen und außerdem auch noch durch die
gedruckte Proportionslehre gegeben sind. Die Irrtümer erklären sich aus
der Flüchtigkeit des Autors und der Interesselosigkeit für die Materie.
Wie flüchtig er gearbeitet hat, zeigt die Beförderung von Greifen zu
Adlern (139): auch für ornamentale Tiere scheint er sich leider nicht
zu interessieren, sonst hätte er wohl den »Lindwurmb« (130) als ein
Werk fremder Hand erkannt, derselben Hand, die den Arion zeichnete
(Lippmann 41 1).
Die auffallendste unter diesen Flüchtigkeiten ist die Wiedergabe
einer Dürerschen Aufschrift, Tafel 8. Zuweilen nämlich gibt Bruck
solche Aufschriften wieder, freilich ohne Prinzip in der Schreibweise wie
in der Auswahl. Strenge Richter würden die Wiedergabe aller Aufschriften
fordern, da sie oft schwer zu lesen sind; der Herausgeber hätte zweifellos
damit mehr Erleichterung verschafft als mit der Beschreibung von Be-
wegungen, die doch jeder ABC-Schütze erkennt. (Auch hätte er sich
und uns nicht damit bemühen sollen, dieselben Dinge, die stereotyp
wiederkehren, jedesmal anders zu beschreiben.) Also eine Aufschrift auf
Tafel 8 wird von Bruck wiedergegeben: »Proporz dick und dinn dy mag
man.« Was das heißen soll, kann freilich der arme Leser nur mit viel
Scharfsinn herausbringen; vor dem Original ist es schon leichter. Tafel 6 u. 8
stehen nämlich in dem Dresdener Buche nebeneinander (wie man aus den
bei Bruck eingeklammerten Seitenzahlen des Originals erforschen kann), und
über beide Blätter weg ist die Unterschrift gegeben: »Dz sind zweyerley
368
Ludwig Justi:
pporczn dick und dun dy mag man pign wy man wil.« Bruck gibt nur
die rechte Hälfte dieser Unterschrift! kaum begreiflich, da die Zusammen-
gehörigkeit der beiden schon durch ihre Farbigkeit auffallenden Zeich-
nungen in die Augen springt; auch die Absicht ihrer Zusammenstellung
springt in die Augen, so daß man den Sinn der Unterschrift schon bei-
nahe erraten könnte. Übrigens sind gerade diese Figuren und ihre
Unterschriften von besonderem Interesse in der Entwicklung der Dürer-
schen Proportionsstudien; diese ihre Stellung habe ich in meiner Schrift
über »Konstruierte Figuren und Köpfe unter den Werken A. Dürers«
S. 24 dargelegt; dort heißt es: »Beide Figuren geben schon, wie die
Unterschrift sagt, ,zweyerley proporczn dick und dün‘ — einer der ersten
Versuche in dieser Richtung: der bis jetzt einheitliche Kanon beginnt
sich zu zersplittern.«
II.
Es sei nun noch in Kürze dargestellt, was wir von der Entwicklung
der Dürerschen Proportionsstudien an den Dresdener Zeichnungen be-
obachten, nämlich den Übergang von der frühen zur späten Epoche
dieser Studien. Eine erschöpfende Darstellung, die hier natürlich nicht
am Platze ist, wäre m. E. die Aufgabe der Bruckschen Edition gewesen,
aber seine Einleitung (auf die wir gar nicht eingehen wollen) wie seine
Beschreibungen enthalten von allem, was im folgenden skizziert werden
soll, gar nichts; auch die Reihenfolge der Tafeln, die doch nach seiner
eigenen Angabe »das Zusammengehörige zueinander bringen« soll, zeigt
nur, wie unklar ihm ist, was eigentlich zusammengehört. Um so merk-
würdiger, als in meiner vorhin genannten Abhandlung (die von Bruck
mehrfach zitiert wird, wenn auch nicht mit den in Betracht kommenden
Seitenzahlen) schon auf die Hauptmomente jenes im Dresdener Skizzen-
buche vorliegenden Übergangs hingewiesen und seine Einstellung in die
Gesamtentwicklung der Dürerschen Proportionsstudien gegeben wird.
Anfang und Ende dieser Studien sind recht verschieden. Der An-
fang ist, daß Dürer seine Bemühungen unmittelbar in seinen Werken
verwertet. Er konstruiert nackte Figuren für seine Kupferstiche, z. T. ist
die Verwendung tatsächlich geschehen, z. T. ist es bei Vorbereitungen
geblieben. Die Figuren sind leicht bewegt, zumeist in der Haltung des
belvederischen Apoll. Das Schema ist geometrisch, arbeitet mit Kreisen
und Rechtecken; vielfach gibt die Konstruktion den Umriß des Körpers.
Die Hauptmaße sind nach Vitruv genommen.
Demgegenüber ist das Ende, in der gedruckten Proportionslehre
vorliegend, rein theoretisch: Dürer arbeitet nicht zur unmittelbaren Ver-
wertung in einzelnen Werken, sondern er will ein Lehrbuch geben. Die
Dürers Dresdener Skizzenbuch.
369
Haltung der Figuren ist völlig starr (Bewegungen müssen erst durch
Konstruktion abgeleitet werden). Statt der Rechtecke und Kreise finden
wir nur noch Angaben von Entfernungen, von rechts nach links und von
oben nach unten gemessen, also Bestimmung von Punkten; der Umriß
des Körpers soll frei zwischen den festgelegten Punkten gezogen werden.
Endlich handelt es sich nicht mehr um Ein Schema auf Grund der
Vitruvischen Maße, das ließe sich nur noch in der Aufstellung einer
Art von Normalgestalt finden; vielmehr sind eine ganze Fülle von Möglich-
keiten der Proportion gegeben, und es ist gar nicht die Reduzierung auf
einfache Maßverhältnisse angestrebt, diese sind vielmehr meist sehr kom-
pliziert, wahrscheinlich häufig am Modell ermittelt; und in der Einleitung
sagt Dürer, man könne auch andere Maße aufstellen. Die Umständlichkeit
und das Übermaß von Methoden erinnern, um etwas bekanntes zu zitieren,
an die Meistersinger.
Die frühe und die späte Epoche der Dürerschen Proportionsstudien
sind also völlig entgegengesetzt. Die erste umfaßt etwa die Jahre 1501
bis 1507; sie ist von unmittelbarer Wichtigkeit für die Beurteilung einer
ganzen Reihe Dürerscher Arbeiten. Die zweite Gruppe geht von 1513
bis 1528, sie hat mit Dürerschen Kunstwerken nicht unmittelbar zu tun,
dagegen gibt sie Einblick in seine Art zu denken.
Die Dresdener Zeichnungen nun stammen vielfach aus der Zeit des
Übergangs von der ersten zur zweiten Epoche. Die vorhin genannten
Momente, die für die zweite Epoche maßgebend sind, kommen natürlich
nicht alle auf einmal, aber seit 1513 sind sie alle da.
Geben wir den weiblichen Figuren den Vortritt. Die älteste
finden wir Tafel 70, um 1504 anzusetzen: das Schema stimmt im wesent-
lichen mit der Eva des Kupferstichs überein, in der geometrischen An-
lage wie in der Proportionierung, der Brustkorb ist durch ein Quadrat
aus Ü6 der Körperlänge bestimmt, also ziemlich breit und kurz.
Es folgt Tafel 74 eine (der Berliner Zeichnung Lippmann 38 sehr
ähnliche) Konstruktion, mit stärkster Benutzung von Zirkelschlägen für
die Formen des Körpers; die Proportionierung, die dort mit dem Schema
des männlichen Körpers nahezu übereinstimmte, ist jetzt stark differen-
ziert; der Brustkorb schmaler und höher, die Hüften verhältnismäßig
stärker ausladend, die Beine kürzer. (Näheres in der oben zitierten
Schrift S. x 5 ff.)
Während diese beiden Konstruktionen noch der ersten Epoche an-
gehören, führt Tafel 72 in die Zeit des Übergangs: man sieht noch den Zu-
sammenhang mit dem alten Schema, doch ist schon eine völlig starre Haltung
angenommen, die in einem Kunstwerk nicht zu brauchen wäre, also ein
Hinsteuern auf das Lehrbuch. Das Blatt dürfte 1507 zu datieren sein.
37°
Ludwig Justi:
Zu solchen Übergangserscheinungen gehört auch die (im Eindruck
der Verhältnisse recht unglückliche) Figur Tafel 91, in der man die
Auflösung des alten geometrischen Schemas beobachten kann. (Eine
ähnliche Erscheinung in einer Zeichnung des Londoner Codex, Abb.
Conway, Literary remains of A. D., S. 234.)
Ein Blatt von 1508, Tafel 79, gibt dann schon in mehreren
Momenten die Charakteristika der zweiten Epoche, des Lehrbuchs. Die
Haltung ist völlig schematisch (sie sei der Einfachheit halber als »Buch-
schema« bezeichnet): genaue Frontalansicht, die Füße nebeneinander ge-
stellt, der eine Arm nach unten ausgestreckt, die innere Handfläche nach
vorn, der andere Arm, weil entbehrlich, auf den Rücken gelegt — die
ganze Haltung ist also derart angeordnet, daß sich die Mäße möglichst
gut daran zeigen lassen. Des weiteren deutet auf die spätere Epoche
hin, daß es sich hier nicht mehr um eine Idealfigur handelt, höchstens
um eine Normalfigur, ein »dickes, bäurisches Weib«. Endlich drittens
wirkt das geometrische Schema nur noch vereinzelt nach, in der Haupt-
sache werden Entfernungen gemessen, freilich noch wenige und noch in
einfachen Verhältniszahlen.
Etwa auf derselben Stufe des Übergangs stehen zwei weibliche
Profilfiguren, Tafel 86 von 1507, Tafel 83 von 1509. Auf die spätere
Epoche weist vor allem die starre Haltung hin. (der Arm ist weg-
geschnitten); die Proportionen werden im wesentlichen durch Messen von
Entfernungen gegeben, doch beruhen diese noch auf einfachen Bruch-
teilen der Körperlänge, Reste eines geometrischen Schemas sind noch
vorhanden (die Figuren sind in ein Rechteck eingezeichnet, dessen
Breite I/s der Höhe ist, d. h. gleich Breite und Höhe des Kopfes).
Auf diese beiden Gruppen weiblicher Figuren, von denen also die
erste der »Apollogruppe«, die zweite dem Übergang zur »Lehrbuch-
gruppe« angehört, folgt nun eine dritte, sehr zahlreiche Reihe, der Lehrbuch-
gruppe selbst zugehörend; die Blätter sind 1513 und später zu datieren.
Die Folge von Konstruktionen männlicher Figuren bis 1513
entwickelt sich nicht ganz so einfach, ist aber darum nicht weniger
interessant.
Zunächst eine Gruppe, die etwa 1507 oder 1508 anzusetzen wäre.
Tafel 52 finden wir eine Figur in starrer Frontalansicht, doch noch nicht
genau in der seit 1513 festgelegten Haltung. Die Proportionierung ge-
schieht nach dem geometrischen Schema der Apollogruppe, mit den
Rechtecken und Umrißkreisen; nur sind die Rechtecke und Trapeze nicht
gegeneinander verschoben, wegen der kerzengeraden Haltung der Figur.
Damit verlieren sie auch ihre Selbständigkeit, ihre Grund- und Seiten-
linien werden so allmählich zu einfachen Maßlinien. Diese Entwicklung
Dürers Dresdener Skizzenbuch.
371
zeigen die vier folgenden Figuren auf den Tafeln 20, 46 und 48. Tafel 20
sieht man noch die Umrißkreise; die beiden Figuren auf Tafel 46 stehen
etwa auf einer Stufe mit den vorhin erwähnten weiblichen Figuren Tafel 91
und 79 (1508). Tafel 48 tritt das Konstruktive noch etwas weiter zurück
gegen das Messen, doch sind auch hier die Maßstäbe noch einfach.
Etwa gleichzeitig dürfte eine Reihe von Konstruktionen anzusetzen
sein, bei denen der Körper in ein Netz von Horizontalen und Vertikalen
einbeschrieben ist, deren Entfernungen in ganz einfachen Verhältnissen
stehen. Dürer folgt bei ihnen dem Vitruvischen Satz, daß die Entfernung
der Fingerspitzen bei ausgestreckten Armen gleich der Körperhöhe sein
solle. So Tafel 19 eine Figur von vorn und von der Seite, aus
*U> V6 un<^ x/8 der Körperlänge konstruiert; dasselbe Schema im Auszug
Tafel 103 rechts. In derselben Art sind die beiden zusammengehörigen
Figuren Tafel 1 (Vorderansicht) und Tafel 18 (Seitenansicht) konstruiert,
doch sind die Maße nicht Bruchteile der wirklichen Körperlänge, sondern
der Entfernung von den Augenbrauen zu den Knöcheln.
Nun folgt, hart vor der endgültigen Kristallisation des »Buch-
schemas«, eine Anzahl von Konstruktionen, in denen Dürer frei auf
Früheres zurückgreift, eine retrospektive Gruppe sozusagen. Eine von
1512 datierte Figur, Tafel 2, lehnt sich in Haltung und Konstruktion
an die Apollogruppe an, ähnlich Tafel n; man wird jedoch bei
genauem Studium finden, wie eng sich die Maße an die Figur Tafel 48
anschließen, also an die letzte aus der vorhin genannten, um 1508 zu
datierenden Gruppe. Noch stärker erinnert eine Figur von 1513, Tafel 9,
an die Apollogruppe, in Motiv und Konstruktion (doch weist der auf den
Rücken gelegte Arm schon auf das Buchschema hin).
Die beiden gegenübergestellten Figuren von 1513 (5 und 7, Durch-
zeichnungen 6 und 8, vgl. oben) entlehnen die Haltung von Kopf und
Beinen dem Adam, die Armhaltung entspricht bereits dem Buchschema.
Im Sinne des Lehrbuchs ist auch die Gegenüberstellung der »zweyerley
proporczn dick und dun«, wie Dürer selbst daraufschreibt, mit einem
gewissen Nachdruck. Vorher finden wir nur Eine Norm, während bei
den weiblichen Figuren schon 1508 eine Abweichung vom Idealtypus
auftaucht, ein »dickes bäurisches Weib« — ist es Zufall der Erhaltung,
oder hat sich ihm dieser weibliche Typus besonders aufgedrängt?
Wohl aus demselben Jahre 1513 stammen die drei Blätter 54, 50,
38, sie zeigen das letzte Stadium vor dem Fertigwerden des Buchschemas.
Dies finden wir dann in den drei von 1513 datierten Blättern 3, 15
und 27; das erste mit der bezeichnenden Aufschrift: »Den beschreib
der ist der pesser« — hier arbeitet nicht mehr der Künstler, sondern der
Dozent. — Damit sind wir also in den Kreis der gedruckten Proportions-
3 72
Ludwig Justi : Dürers Dresdener Skizzenbuch.
lehre eingetreten, die freilich erst 15 Jahre später erscheinen konnte. —
Die folgenden Gruppen und die Unterschiede in ihnen sind deshalb von
geringerem Interesse, da ja das Buch alles vollständig und deutlich gibt.
Zwei Gruppen wurden oben schon skizziert: die eine gibt eine Über-
tragung der Maße von der Figur in Vorderansicht zur Seitenansicht (32,
34, 95; 30, 97; datiert von 1519 die beiden Durchzeichnungen Tafel 35
und 31); die andere sucht der Verkürzung beizukommen durch Hinein-
bringen des Körpers in eine Anzahl einfacher stereometrischer Körper,
die dann gegeneinander verschoben werden können (ohne Verschiebung
und Verkürzung: Tafel 56 bis 59; mit Verschiebung, ohne Verkürzung:
Tafel 61, 64: mit Verkürzung, z. T. ganz skizzenhaft: Tafel 60, 62, 63,
65, 66, 1 o 1, 115. Kein Blatt datiert). Beide Methoden kennen wir aus
dem vierten Buch der Proportionslehre. Eine Gruppe endlich (36, 37, 55)
sucht der Vitruvischen Forderung zu folgen, daß ein Kreis, den man um
den Nabel durch die Fußsohlen (eigentlich die Zehenspitzen) schlägt,
auch durch die Fingerspitzen des ausgestreckten Armes gehen solle.
(Vgl. Proportionslehre, 2. Buch.)
Charakteristisch für die spätere Epoche der Dürerschen Prop.ortions-
studien ist auch, da sie eben für ein Lehrbuch gemacht wurden, ihr
systematischer Ausbau nach allen Seiten hin; auch dieser Ausbau beginnt
um 1513, zu der Zeit also, wo sich überhaupt die Prinzipien der späteren
Epoche durchsetzen. So findet sich auf einem Von 15 12 datierten Blatte (1 16)
der weibliche Kopf in systematischer Durcharbeitung. Und Tafel 99,
von 1513 datiert, zeigt die Konstruktion eines Kinderkörpers in der
Haltung des »Buchschemas«. Auf eine Erweiterung seines Lehrbuchs
in größerem Stile deuten dann noch zwei Datierungen von 1517: Tafel 128
Pferdezeichnungen, Tafel 107 anatomische Studien.
So bietet also das Dresdener Skizzenbuch ein reiches Material für
die Geschichte der Dürerschen Proportionsstudien, insbesondere deren
Entwicklung von der frühen zur späten Stufe; und diese Entwicklung zu
beobachten ist deshalb nicht ohne Interesse, weil man auch die Entwicklung
seiner ästhetischen Anschauungen dabei verfolgen kann: in der ersten
Epoche strebt er nach einem einzigen Idealtypus auf Grund der Antike,
in der zweiten stellt er zahlreiche Durchschnittsformen 'nebeneinander auf
Grund von Beobachtungen (vgl. in der obengenannten Abhandlung S. 25
und für das Folgende Anm. 36). Man muß sich jedoch hüten, diese Ent-
wicklung seiner ästhetischen Anschauungen einfach so zu denken, daß
ein klar formulierter Standpunkt dem anderen gefolgt sei; vielmehr bleiben
Reste der ursprünglichen Auffassung als Widersprüche stehen: Dürers
Denken hatte nicht die elegante Klarheit eines italienischen oder gar
französischen Kopfes.
Literaturbericht.
Kunstgeschichte.
Hugo Kehrer. Die »heiligen drei Könige« in der Legende und
in der deutschen bildenden Kunst bis Alb recht Dürer. Mit
3 Autotypien und 1 1 Lichtdrucktafeln — Studien zur deutschen Kunst-
geschichte. 53- Heft. Straßburg, I. H. Ed. Heitz (Heitz &■ Mündel)
1904. 132 S.
Diese ikonographische Arbeit besteht aus zwei Teilen. Im 1. Teil
untersucht der Verf. die literarische Tradition, wesentlich referierend
aus der theologischen Literatur, mit dankenswerter Gründlichkeit. Er
versteht es vortrefflich, den Kunstforschern das für sie Wesentliche von
den Ergebnissen der theologischen Forschung zu vermitteln. Deutlich
und höchst lehrreich zur Beurteilung der Monumente enthüllt sich das
Wachsen der Legende aus dem schwachen Keim im Matthäus-Evangelium.
Wir hören, wie allmählich die Magier zu Königen werden, wie ihre
Zahl festgestellt wird, wie sie Namen erhalten, wie die auslegende
Deutung die Legende immer breiter und beziehungsreicher werden läßt,
wie die anbetenden Könige nach und nach zu Repräsentanten des
Erdballs werden. Im 1 2. Jahrhundert etwa hatte die Legende feste
Form in der allgemeinen Vorstellung angenommen. Das Weitere ist
wesentlich die Ausgestaltung durch die Bildner.
Der 2. Teil des Buches beschäftigt sich mit den Monumenten,
zuerst mit der Entstehung der Komposition in der altchristlichen und
der byzantinischen Kunst, dann mit der Ausbildung in der deutschen
Malerei und Skulptur des Mittelalters. Der Verf. stellt eine Anzahl
charakteristischer Monumente aus jeder der aufeinander folgenden Perioden
zusammen. Mit dem 9* Jahrhundert beginnend, verfolgt er die Wander-
ungen der Komposition bis ins 16. Jahrhundert. Das Material ist
groß, wenn auch natürlich keineswegs vollständig und einigermaßen
durch den Zufall bestimmt, wie dem Verf. diese oder jene Publikation
zu Gesichte kam.
Im 2. Kapitel des 2. Teiles ist von der berühmten Anbetung
Rogers van der W^eyden in München ausführlich die Rede, deren Be-
374
Literaturbericht.
deutung und Wirkung auf die deutsche Kunst der Verf. hoch, aber
kaum zu hoch schätzt. Das 3. Kapitel beschreibt die deutschen Bilder
des 15. Jahrhunderts. Hier ist nicht viel Wichtiges übersehen. Das
vierte, verhältnismäßig magere Kapitel ist der Plastik desselben Zeitraums
gewidmet.
Auf Grund des historisch geordneten Materials wird eine ästhetisch
urteilende Schilderung der Entwicklung versucht, wobei die einzelnen
Motive, wie der Schauplatz, die Mutter, Joseph, der Stern, nacheinander
betrachtet werden.
Im Schlußkapitel wird in Dürers Anbetung, dem Gemälde von 1504
in Florenz, die Krönung der deutschen Bemühungen, die Lösung der
Aufgabe gefeiert. Der Verf. bleibt bei diesem einen Werke Dürers, er
hat sich nicht das interessante Thema gestellt, die Entwicklung der
Komposition in des Meisters Schaffen zu verfolgen. Friedlä?ider.
Architektur.
Eugene Lefevre-Pontalis. L’architecture gothique dans la Cham-
pagne meridio nale au XIIIe et au XVIe si^cle. Paris, Picard, rue
Bonaparte 82. 1904. 8°, 181 S., mit zahlr. Abb.
Die Champagne hat in romanischer Zeit keine eigene architektoni-
sche Schule gehabt und noch ihre Gotik war stark beeinflußt von den
Nachbarschulen der Bourgogne, der Ile-de-France und des deutschen
Ostens. Sind doch charakteristische Züge, z. B. das Festhalten am
Stützenwechsel in Verbindung mit dem gebundenen System — und
die Türme mit vier Giebeln germanischen Ursprungs. Dennoch war hier
seit etwa 1160 (Chorbau von Notre-Dame-en-Vaux in Chalons) bis zum Ende
des 13. Jahrhunderts ein wahrhaft klassischer Boden, von dem starke An-
regungen auf das Pariser Zentrum und bis an die Grenzen der abend-
ländischen Kultur ausgegangen sind. Ein Erkennungszeichen champa-
gnisch(-burgundischen) Einflusses: jene die ganzen Gebäude umziehenden
inneren Laufgänge unter den Fenstern der Abseiten und Chorkapellen.1)
Lefevre-Pontalis meistert sein Thema als der große Kenner, der er
ist. Sein Wort ist kurz und klar, sein Tempo schnell; im Vorbeigehen
werden zahlreiche Attributionen vorgenommen (S. 6, 11, 21, 28, 30, 35
*) Der Einfluß der champagnischen Plastik ist außer in Bamberg, von wo er
übrigens auf Magdeburg weitergewirkt zu haben scheint, auch in Metz und Mainz zu
spüren. In Mainz wird insbesondere die treffliche Statue eines Baumeisters (jetzt im
Kreuzgang des Doms, vom Ostlettner stammend) von Friedrich Schneider mit Recht mit
den Atlanten der Reimser Kathedrale in Verbindung gebracht.
Literaturbericht.
375
Anm. 2). Das wichtigste nach dieser Seite ist die früher2) von ihm be-
gründete Zuweisung des wunderschönen südlichen Querhauses von Soissons
(Kathedrale) an den Meister des Chores von Saint Remy in Reims. Mit
diesem ist dann wahrscheinlich wieder der Schöpfer des Chors von Notre-
Dame-en-Vaux in Chälons ein und dieselbe Person (vgl. L. Demaison, Les
chevets des eglises N.-D. de Chälons et St.-Remy de Reims, Extr. du Bull,
archeol. 1899, S. 8, 26, dazu Revue de l’art chretien 1903, S. 380).
Wenn übrigens der Chor von Chälons, wie Demaison aus den
Quellen folgern zu müssen glaubt, wirklich das älteste Werk dieser Reihe
und schon seit 1157 in Bau gewesen ist, so wäre das wichtig auch für die
Geschichte der Plastik. Denn wir haben ja ein Portal Chartreser Typs
an der Siidfassade dieser Kirche. Obwohl es zerstört ist, sieht man, daß
es in der feinen ziselierenden Art gearbeitet war, die für die ganze
Gruppe (Chartreser Westportal und was dahin gehört) charakteristisch
ist (Abb. der 1. Seite in dem schönen, viel neues Abbildungsmaterial
bietenden Werk Gabriel Fleurys, fitudes sur les' portails images du XIIe
siede, Marners, 1904, fol., S. 151).
Ist es nun wahrscheinlich, daß dieses noch ganz im Geiste des
gotischen Archaismus gearbeitete Portal viel späteren Datums ist als
der Chor, an dessen Kapitellen das frühgotische, ins Breite, Rundliche,
Ausgeglättete strebende Blattwerk bereits so auffallend hervortritt, wenn
auch das scharfzackige, dichtplissierte noch daneben steht?
Den genialen Schöpfer von Saint -Urbain in Troyes identifiziert
L.-P. mit Jean Langlois, jenem Johannes Anglicus, der schon in einer
Papstbulle von 1267 — 1263 begann erst der Bau! — als »quondam
magister fabrice ipsius ecclesie Sancti Urbani« bezeichnet wird (vgl. neuer-
dings Lefövre-Pontalis’ Aufsatz im Bull, monum. 1904, 93 ff.).
Der zweite Abschnitt des Buchs ist der Baukunst der Südchampagne
im 16. Jahrhundert gewidmet. Das Interesse dieser wertvollen Studie
liegt nicht zum wenigsten darin, daß überall die Verbindungslinien von
der glänzenden Spätkunst von Troyes zur Kunst des 11. — 14. Jahrhun-
derts gezogen sind (vgl. S. 42 und Anm. 2, 48, 5of., 53, 5 5 f., 59h, 61 f.,
68, 72, 76); insbesondere erscheint jener Johannes Anglicus als der Vor-
läufer des style flamboyant (S. 56).
Der gradlinige Chorschluß von St.- Jean, St.-Pantaleon und St.-
Nicolas in Troyes wird aus dem Platzmangel in den engen Quartieren
der großen Stadt erklärt.
Zum Schluß sei bedauert, daß die ausgezeichneten Schriften Lefevre-
2) In seinem für die Geschichte der Gotik grundlegenden Werke: L’architecture
religieuse des XI « et XII e siecles dans l’ancien diocese de Soissons, Paris 1894 — 98.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 26
376
Literaturbericht.
Pontalis’ bei uns so wenig bekannt sind; eine große Zahl von Aufsätzen
des Unermüdlichen sind in Zeitschriften vergraben, sogar eine gar statt-
liche Monographie de la cathedrale de Noyon (publ. in der Bibi, de
l’ecole des Chartes). Wärs nicht an der Zeit, daß L. seine kleinen
Schriften gesammelt herausgäbe? Vöge.
Giulio Ferrari, La Scenografia. Cenni storici dall’evo classico ai
nostri giorni. Con 16 incisioni e 165 tavole zincotipiche, in-120 di
XXIV e 326 pagine. Milano, Ulrico Hoepli 1902.
Das vorliegende Buch verdient in doppelter Hinsicht Beachtung:
weil es zuerst die Geschichte der Theaterdekoration in ihrer Entwicke-
lung bis auf die Gegenwart darzulegen unternimmt, und weil sein Ver-
fasser selbst durch praktische Betätigung in dem fraglichen Kunstzweige
mit dessen Erfordernissen durchaus vertraut ist. In den ersten beiden
Kapiteln, die der Verfasser gleichsam nur als Einleitung zu dem eigent-
lichen, die italienische Szenographie seit der Zeit der Renaissance be-
handelnden Gegenstand seiner Arbeit betrachtet, gibt er in aller Kürze
eine Übersicht der bekannten Nachrichten über die klassische Bühne,
sich dabei vorzugsweise auf Puchsteins Buch und Stracks Rekonstruk-
tionen stützend, ferner nach d’Anconas klassischem Werke „Le origini del
teatro italiano“ — eine Notiz über die Inszenierung der mittelalterlichen
Mysterienspiele. Erst mit der Renaissance, der das 3. Kapitel gewidmet
ist, beginnt die Entwicklung der modernen Szenographie, namentlich
unter dem Einfluß der von den großen Quattrocentomeistern begründeten
und ausgebildeten Linearperspektive. Hier macht uns Ferrari vor allem
mit den historischen Nachrichten bekannt, die Augenzeugen über die
frühesten theatralischen Aufführungen an den verschiedenen Fürstenhöfen
überliefert haben und schließt daran die schriftlichen und zeichnerischen
Anweisungen und Darstellungen der „Männer vom Fache“, — Architekten
vom Rufe eines Peruzzi, Serlio und Sabbadini von Pesaro (Verfassers
der frühesten Spezialschrift über den Gegenstand unter dem Titel: Pra-
tica di fabricare scene e machine nei teatri, Ravenna 1638). Wir er-
sehen aus letzteren, welche Fortschritte in der Struktur der Bühne, in
der Erzielung von Beleuchtungseffekten, in der Verfeinerung der Ver-
wandlungsmechanismen und Theatermaschinerien erzielt, und welche
künstlerische Vollendung der Dekorationen — dank der vollkommenen
Beherrschung und Handhabung der Perspektive — erreicht worden war.
Als einzige in Realität bestehende Zeugnisse dafür führt uns der Ver-
fasser am Schlüsse dieses Kapitels das olympische Theater Palladios,
Literaturbericht.
377
eine ’ Rekonstruktion der antiken tragischen Bühne nach den Regeln
Vitruvs, sowie Aleottis Teatro farnese in Parma vor, das letztere inso-
fern interessanter, weil es bei unleugbarer Abhängigkeit vom Baustil
Palladios, sich von jedem Gedanken einer Nachbildung antiker Muster
freihält und uns somit das Bild der Bühne der Renaissance auf dem
Kulminationspunkt ihrer künstlerischen und technischen Ausbildung vor
Augen führt.
Das 4. Kapitel schildert das goldene Zeitalter der architektonischen
Szenographie im 17. und 18. Jahrhundert. Die gesteigerten Forderungen
der Theateraufführungen bedingen eine radikale Umwandlung der Bühne
durch Einführung der beweglichen Kulissen und Yersatzstücke, zu deren
Handhabung die Erfindung ebenso sinnreicher wie komplizierter Mecha-
nismen nötig wurde, der sich Genies vom Schlage eines Bernini, Torelli
u. a. m. widmen. Der künstlerische Teil der Aufgabe findet seine be-
rufensten Meister in den großen Malerarchitekten, den sog. Prospekt-
malern, Quadraturisten, die ihre Kunst durch ganz Europa verbreiten.
Es genügt auf die Namen Andrea Pozzo, die Glieder der Familien
Ribbiena und Gallieri, G. Vigarini bis herab auf G. B. Piranesi, den
genialsten unter ihnen allen hinzuweisen, dessen Einfluß die Bühnen-
dekoration durch die ganze zweite Hälfte des Settecento bis in die 30er
Jahre des vorigen Jahrhunderts unterworfen war, und zwar weniger durch
direktes Eingreifen als durch das Vorbild seiner unzähligen, eine uner-
schöpfliche Phantasie bekundenden Kompositionen. Im folgenden Kapitel
gibt uns Ferrari einen durch reiche Illustration unterstützten Überblick
darüber, wie diese für flüchtige Augenblicke bestimmte Schöpfungen, von
der ersten hingeworfenen Skizze bis zum grandiosen, pompösen Dekora-
tionsstück ausreiften. Dabei weist er auf die malerischen Prospekte hin,
wie sie sich noch heute in manchen Städten Oberitaliens (Piacenza,
Parma, Modena, Ravenna), an die Rückwand des Hofes gemalt, durch
das offene Hausportal präsentieren, als den einzigen Rest, der sich von all
jener Pracht der Theaterprospekte erhalten hat, aber auch von Jahr zu Jahr
mehr verbleicht. — In den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts er-
obert der Neuklassizismus auch das Gebiet der szenischen Dekoration.
Der Meister, der in der letzteren die Wandlung hervorbringt, ist der
Venezianer P. Gonzaga, 1831 in St. Petersburg als kaiserlicher Hof-
dekorateur in hohem Alter verstorben. In seiner Richtung wirken in
Italien Fr. Fontanesi aus Reggio, P. Landriano in Mailand, A. Basoli in
Bologna, um nur die Häupter der Schulen zu nennen. Ihren Arbeiten,
sowie denen der Meister des Romantizismus, der den Neoklassizismus
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ablöst, eines Couhi und Solmi in
Bologna, Magnani in Parma, C. Ferrario in Mailand und Dom. Ferri
26*
378
Literaturbericht.
aus Bologna, der um 1850. in Paris mit seiner Kunst Triumphe feierte,
geht unser Verfasser im 6. Kapitel nach, während im folgenden neben
der Charakteristik der lebenden Hauptvertreter die alphabetischen Ver-
zeichnisse aller Künstler des Faches in den Schulen von Toskana (mit
Einschluß Roms), Bologna (samt Modena, Parma Reggio, Ferrara), Vene-
dig, Piemont, Mailand, und — als allerdings etwas dürftig ausgefallener
Anhang — ein Überblick der Szenographie des übrigen Europa und ihrer
vornehmsten Meister geboten wird. Eine Bibliographie der Werke über
Perspektive von Piero della Francesca bis auf die Gegenwart (warum
nicht auch jener über Szenographie?) schließt das Buch Ferraris, dem
die reiche Illustration besonderen Wert verleiht. Diesem wäre es übrigens
bei dessen durchaus ernsten Charakter nur zu statten gekommen, wenn
die Wiedergabe eines nicht geringen Teils der bildlichen Beilagen in
knalligem blauem und rotem Lichtdruck vermieden worden wäre.
C. v. F.
Malerei.
Ludwig Lorenz. Die Mariendarstellungen Albrecht Dürers. —
Studien zur deutschen Kunstgeschichte. 55. Heft. Straßburg, J. H.
Ed. Heitz (Heitz & Mündel) 1904. 86 S.
Der Verfasser reiht die Madonnen Dürers in historischer Folge an-
einander und vergleicht sie nach Typus und Bewegungsmotiv. Da der
Meister die Aufgabe im Gemälde, im Kupferstiche, Holzschnitt und in
der Zeichnung wieder und wieder, auf jeder Stufe löste, berührt der ver-
ständige Beurteiler fast alle Wendungen und Wandlungen in Dürers
Laufbahn. Und weil die Gleichheit des Vorwurfs die Aufmerksamkeit
auf die Abweichungen der Gestaltung konzentriert, überblickt der Leser
des anspruchslosen Textes recht bequem die Entwicklung der Auf-
fassung und der Formensprache. Im einzelnen enthält das Heft wenig
Neues, aber auch wenig, das zu Bedenken Anlaß geben könnte. In der
Hauptsache werden die in der jüngeren Literatur allgemein gewordenen
Anschauungen bestätigt. Nicht genügend, wie mir scheint, hat der Ver-
fasser die wichtigen Ermittlungen Ludwig Justis berücksichtigt. Dürers
Versuch, den Frauenkopf nach einem Kanon zu gestalten, hat doch
sein Madonnenideal hie und da, direkt und mittelbar bestimmt. Im
Schluß verwertet der Verfasser seine Erfahrungen bei der Prüfung einiger
zweifelhafter oder bezweifelter Holzschnitte. Friedländer.
Literaturbericht.
379
Skulptur.
Frida Schottmüller, Donatello. Ein Beitrag zum Verständnis
seiner künstlerischen Tat. München, F. Bruckmann A.-G., 140 S.
in gr. 8° mit 62 Abbildungen.
Unter den Arbeiten, die in letzter Zeit den großen Entdecker zum
Gegenstand der Betrachtung gemacht haben, gebührt der vorliegenden
ein ausgezeichneter Platz, — objektiv, weil sie Seiten des künstlerischen
Wesens Donatellos zu systematischer Darstellung bringt, die von seinen
bisherigen Biographen außer acht gelassen oder nur im Vorübergehen
gestreift waren, — subjektiv, weil unsere junge Kollegin gerade die für
ihre Klarlegung so wertvollen, ja entscheidenden Talente der feinen
Beobachtung, sinnigen Deutung und einfach schlichten Darstellung als
Erbteil ihres Geschlechts in ganz hervorragendem Maße in den Dienst
ihrer Aufgabe stellen konnte. In der Tat ist besseres zur Physiologie
(sit venia verbo!) und Psychologie der Schöpfungen des Meisters bisher
nicht gesagt worden. Was uns hier vom künstlerischen Werdegang
Donatellos, — von der progressiv verfeinerten Erkenntnis der Menschen-
gestalt nach formaler und geistiger Seite hin, von der Entwicklung der
Darstellungsprobleme sowohl in der Freifigur als im Relief, von dem
stetigen Ausreifen der Faktoren des Raumes und der Form in der Durch-
bildung des letzteren, von der organischen Präzisierung und der stofflichen
Differenzierung in der Behandlung der Einzelformen einerseits, — andrer-
seits von der, parallel mit der Vervollkommnung der formal-technischen
Ausdrucksmittel beständig wachsenden psychologischen Durchdringung
und Vertiefung der verschiedenen Typen und der im Zusammenhang mit
diesem Streben stattfindenden, rastlos immer wieder vorgenommenen Um-
bildung sowohl derselben als der kompositioneilen Gestaltung des Stoffes
auseinandergesetzt wird, gehört nicht bloß zum feinst Beobachteten und
Empfundenen, was wir bisher vernommen; es geht insofern darüber hinaus,
weil es in systematischen Zusammenhang mit der Entwicklung des Künstlers
gebracht ist, weil diese dadurch als eine völlig einheitliche, psychologisch
folgerichtige erwiesen wird, die in bewußtem, unablässigem Streben nach
Vervollkommnung, im heißen Suchen nach dem wurzelt, was er in der
Welt der äußeren Erscheinung und des inneren Erlebens als Wesentliches,
als Wahrheit erkannt hatte.
»Nicht künstlerische Erwägungen im engsten Sinne bestimmen
Donatello. Das Sichtbare, Charakteristische, Überzeugende wollte er in
der Kunst erobern; er wollte erzählen, so überzeugend, wie das Leben,
wie die Natur selbst. Dazu waren ihm die Erforschung von Raum,
Funktion und stofflicher Charakteristik die Hilfsmittel. Deshalb sind
380
Literaturbericht.
seine Werke immer von höchstem künstlerischen Gehalte, trotz formaler
Mängel am Detail.« — Diese Leitsätze werden von der Verfasserin an
die Spitze ihrer Darlegungen gestellt, auf sie hin wird des Meisters Werk
in seiner Entwicklung durchgeprüft. Das erste Kapitel behandelt seine
Reliefs. Schon im frühesten an der Nische der Georgsstatue, tritt er als
erster an das Problem der Raumdarstellung heran, vervollkommt sie im
Herodiasrelief (Siena), in der Marmorgeißelung (Berlin), der Madonna
bei Dr. Weisbach, bei Mr. Shaw, und in der Himmelfahrt am Brancacci-
grabmal durch die Mittel der vertieften Perspektive, der Verkürzung,
Überschneidung und der Richtungskontraste, bis er im Liller Herodias-
relief vollständige Raumillusion erreicht, die er in der Schlüsselverleihung
(South-Kensington) noch durch die Anwendung der Untensicht steigert, —
nicht als erster, denn Masaccio hatte ihr Prinzip schon in seinem Trinitäts-
fresko (S. Maria Novella) in die Kunst eingeführt.«1) Später — nach
seiner Paduaner Kampagne — steigert Donatello das »disotto in su«
noch weiter in einigen der Reliefmedaillons der Sakristei von S. Lorenzo.2)
Während sowohl die Paduaner Reliefs als die der Kanzeln von S. Lorenzo
für das Problem des Raumes keine neuen Hilfsmittel über die schon
erreichten ins Treffen führen, bieten sie dagegen für die psychologische
Interpretation der Sujets den Kulminationspunkt der Kunst unseres Helden
dar: die seelische Erregung flutet in diesen Spätwerken durch ganze
Menschenmassen, nicht mehr sind Einzelfiguren, im besten Falle kleine
Gruppen ihre Träger (wie in den Reliefs früheren Datums). Damit
') Florenz also, nicht Padua, wie gewöhnlich behauptet wird, ist seine Wiege;
nach Padua gelangt es erst durch P. Uccellos dortige (heut untergegangene) Arbeiten.
Ais frühestes datiertes Beispiel einer Darstellung in Untensicht, führt die Verfasserin
Paolos di Stefano thronende Madonna von 1426 im rechten Schiff von S. Miniato an.
2) Die Verfasserin scheint unsere Datierung derselben gelten zu lassen (Medaillons
mit den Johannesszenen nach, alles übrige vor Padua; vgl. L’ Arte VI, 375). Das
literarische Zeugnis, worauf wir uns a. a. O. berufen, findet sich in einigen Versen des
im Cod. Magliab. VII. 8, 1121 enthaltenen Lobgedichtes auf Florenz und die Medici
aus den Jahren 1459 — 1464, worin es von der alten Sakristei in S. Lorenzo heißt:
Vide la sagrestia chon magnitudine
Tal cli’ ammirarla avea nel chor piacere
Di chi 1’ a fatta et fa chon dolcitudine.
Mögen sich die Worte des letzten Verses auf den Bauherrn (was wahrscheinlicher ist)
oder auf die ausführenden Künstler beziehen, in jedem Falle besagen sie, daß zu jener
Zeit noch an dem Werke gearbeitet wurde. Da nun dessen Architektur lange vollendet,
ja selbst die dekorative Ausstattung noch zu Lebzeiten Brunelleschis weit vorgeschritten
war (s. unsere Brunelleschimonographie S. 161 und 194), so kann es sich nur um die
Vollendung der letzteren, die durch Donatellos Berufung nach Padua unterbrochen worden
war, und dabei — aus stilistischen Gründen — nur um die Reliefs mit den Geschichten
aus dem Leben Johannis d. Ev. handeln.
Literaturbericht.
38l
antizipiert der Meister Probleme des Cinquecento und erreicht — zum
mindesten in den Paduaner Reliefs — eine Klarheit der Darstellung, wie
sie jenes selten aufweist. In diesem Zusammenhang kommt die Verfasserin
auf die Tonskizze der Geißelung und Kreuzigung (South-Kensington) zu
sprechen, und weist zuerst nach, daß ihr ein drittes Feld rechts fehlt,
sowie daß ihre jetzige Umrahmung einer späteren Zeit angehört.
Ein folgender Abschnitt legt die Darstellung der einzelnen Gestalt
im Relief dar. Er ist besonders reich an feinen wie scharfen Appergus,
die den Leser in die intimen Geheimnisse donatellesker Kunst führen
und ihn zu weiterer Enthüllung derselben anregen. Ihr Ziel: »das ein-
heitliche Sehen des Ganzen in der klarsten Ansicht«, wird in der fort-
schreitenden Entwicklung seiner Werke dargelegt. Namentlich ist hier
die Analyse der Verkündigung, der Cantoriareliefs, der Bronzegeißelung
(im Louvre und in Berlin), der beiden Pietas in Padua und in South-
Kensington, sowie die Würdigung der Arbeiten für die Sakristei von
S. Lorenzo »als frappanter Ausdruck des neuen Renaissancegefühls
gegenüber den Gewölbemalereien der Gotik«, endlich der Nachweis
der stetig aufsteigenden Linie im Reichtum der verwendeten Motive
und in den Mitteln ihres Gebrauchs bis zu den Reliefs der Lorenzokanzeln
hervorzuheben.
Der zweite Hauptteil unseres Buches ist der Freifigur gewidmet.
Im einleitenden Abschnitt wird ihre allgemeine Entwicklung von der
relativen Gebundenheit der Statuen am nördlichen Domportal und an
Or S. Michele bis zur letzten Steigerung der freien und natürlichen Be-
wegung in den Täuferstatuen zu Venedig und Siena und der h. Magdalena
im Baptisterium von Florenz verfolgt. Hier findet auch die Judithgruppe,
»die schwerste Aufgabe kompositioneller Art, die Donatello gestellt worden
ist«, ihre Würdigung. Interessant ist die am Gipsabguß gewonnene
Feststellung, daß der Moment zwischen dem ersten und zweiten Schlag
dargestellt ist. Das Werk wird von der Verfasserin der letzten Florentiner
Epoche zugeteilt. Es sei uns gestattet, hier unsere abweichende Ansicht
kurz zu begründen. Die absolute Eliminierung des »Schönheits-Koeffizienten«
in den nachpaduanischen Arbeiten entscheidet u. E. für die Datierung der
Judith vor 1443. Bei ihr ist die »Linie« noch mitbestimmender
Faktor der Komposition; die Formenschönheit, das harmonische Abwägen
der Massen spielt hier noch mit; es fehlt ihr »die momentane Bewegung,
schäumend und zuckend bis zum Paroxysmus«, es fehlt das »Groteske«
der Schöpfungen nach 1453, — sie ist zu »monumental« für diese
Schaffensperiode. Auch das »wirksame Mittönen der Antike«, das die
Verfasserin an der Gruppe hervorhebt, ist nach 1453 nicht mehr denkbar,
ebensowenig die antikische Dekoration. Die schlanken, kleinköpfigen
382
Literaturbericht.
Putten am Sockel gehen mit denen der Evangelistentondi in der
Sakristei von S. Lorenzo, nicht aber mit den gedrungenen, großköpfigen
an den Kanzeln ebendort zusammen.
Im folgenden Kapitel wird das Verhältnis zwischen Körper und
Gewand in den Werken Donatellos analysiert. Nicht vom Aktstudium
kam er — und die übrigen Bahnbrecher des Quattrocento — zu der
natürlichen Bewegung der bekleideten Figur, sondern von der Antike her.
In den Lösungen der Aufgabe, zu denen ihn unablässiges Forschen führte,
offenbart sich sein Fortschritt, sowohl in der Charakterisierung der Motive
durch das Gewand, als in der des Stofflichen bei dem letzteren. Es ergibt
sich dies aus der Durchprüfung seiner einschlägigen Schöpfungen, von
den zwei Prophetenstatuetten am Domportal und dem Marmordavid im
Bargello an, durch den h. Marcus, den Ritter Georg, den E^ng. Johannes,
den h. Ludwig, bei dem zuerst »Ernst gemacht wird, mit der Forderung,
dem Gewand seine Selbständigkeit in räumlicher und stofflicher Hinsicht
zu gewähren«, den Täufer für Orvieto, worin das eben erwähnte Problem
nicht nur zuerst vollkommen gelöst, sondern auch zur Akzentuierung des
Bewegungsmotivs ausgenutzt erscheint, bis zu den gerade nach dieser
Richtung grandiosen Statuen des Zuccone und Jeremias und den das
Prinzip in abgeklärter Schönheit versinnlichenden Statuen im Santo zu
Padua. 3) Eine gleiche, stetig fortschreitende Vervollkommnung gilt auch
iür die Darstellung der Gewandfigur im Relief. Hier wird besonders der
plastische Schmuck für die Sakristei von S. Lorenzo hervorgehoben als
»erste ganz renaissancemäßige Reliefdarstellungen der bekleideten Figur, die
der Illusion des Stofflichen und der Klarlegung der Bewegung in gleichem
Maße gerecht werden«. Bei der Verkündigung in S. Croce wird an das feine
Urteil Vasaris erinnert, worin das Entscheidende, Neue — Klarheit der
Körperbewegung geeint mit Schönheit des Faltenwurfs — treffend betont
erscheint. Endlich werden noch die Madonnenreliefs auf das Streben, die
Formen sorgfältig durchzubilden, zu differenzieren, zu teilen durch-
3) Hier erwähnt die Verfasserin auch die vier Evangelisten (nicht Heiligenstatuen!),
deren Stuckmodelle, für die Ausführung in Bronze oder Marmor geschaffen, schon Billi
im Querschiff (nicht in der Vierung!) von S. Lorenzo anführt. Noch Burkhardt sah sie an
Ort und Stelle, denn in der ersten Auflage des Cicerone S. 598 sagt er darüber: »die
vier Stuckfiguren an beiden Enden des Querschiffs von S. Lorenzo (oben) erscheinen
wie flüchtige Improvisationen für einen Zweck des Augenblicks und dürfen unbeschadet
dem Ruhm Donatellos verschwinden«. Trotz dieses herben Urteils bleibt ihr Verlust
sehr zu bedauern — waren es doch Arbeiten des großen Meisters! Sie wurden — wie
wir aus dem Munde des seit fünfzig Jahren seines Amtes waltenden Prete sacrista von
S. Lorenzo erfuhren — bei Gelegenheit der letzten Erneuerung des Innern der Kirche
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus ihren Nischen entfernt und zerfielen bei
dieser in wenig sorglicher Weise vorgenommenen Operation in tausend Stücke.
Literaturbericht. 383
genommen; denn auch bei ihnen — namentlich den späteren — tritt
das Gewand als wesentlich mithestimmender Faktor in Wirkung.
Gegenstand des nächsten Abschnittes bildet der nackte Akt. Er
tritt im Werk des Meisters gegen die gewandete Figur zurück, nur vier
selbständige Arbeiten solcher Art (abgesehen von den kleinen Putten-
figuren) hat er geschaffen: die beiden Kruzifixe, den Bronzedavid und —
gemeinsam mit Rosso — den Isaak am Campanile. Die Verfasserin weist
bei den frühesten Akten in Proportion und Formbehandlung den unmittel-
baren Zusammenhang mit der Antike nach, wobei das Verhältnis des
Meisters zur letzteren durch eine Reihe tiefer Beobachtungen präzisiert
wird. Erst später gewinnen die Natureindrücke hier die Oberhand, wofür
der Vergleich der beiden Gekreuzigten lehrreich erscheint.4) Für die
Putten — namentlich die Sieneser — wird besonders fein hervorgehoben,
wie die Illusion des Lebens hier vielmehr auf der intimen Wiedergabe
der kindlichen Geste als der Präzisierung der Einzelform beruhe, und
wie — um die Illusion des kindlich Unentwickelten zu erreichen, mit
erstaunlichem künstlerischen Takt nur die Formen gegeben werden, die
für den Bewegungseindruck entscheidend sind. 5)
Raummangel verbietet uns leider darauf, was in einem folgenden
Kapitel ergänzend zu dem vorangehenden über die Aktdarstellung im
Relief und den Halbakt ausgeführt wird, einzugehen. Wir wenden uns
zum Schlußabschnitt der von »Formdurchbildung und donatellesker Psycho-
logie« handelt. Er bietet gleichsam eine Zusammenfassung von höherem
Standpunkt genommen; die »anschauliche Erkenntnis«, die der große
Pfadfinder im Laufe von sechs Dezenien erobert hat, und die in der
Präzisierung der Einzel form ihren Schwerpunkt findet, wird an der Reihe
seiner Schöpfungen nachgewiesen. Für die Durchbildung des männlichen
4) Wenn die Verfasserin behauptet, durch Zahlungsberichte sei die Mithilfe
Giov.’s da Pisa am Paduaner Kruzifixe erwiesen, so beruht dies auf einem Mißverständnis.
Jener »M°: Zuan so compagno« (Gloria, p. 4), der im Januar 1444 Metall für den Guß
des Werkes übernimmt, ist Giovanni Nani, 1443 — gleichzeitig oder etwas vor Donatello —
für die Ausführung der Steinhauerarbeiten am Chorlettner usw., nicht aber für die Mit-
arbeit an den Bronzewerken nach Padua berufen. Giov. da Pisa tritt erst anfangs 1446
mit den übrigen »garzoni« in Aktion (Gloria, p. XX) ; dazumal war aber das Kruzifix
schon vollendet, denn Mitte 1447 wird Giov. Nani für dessen vor einiger Zeit gearbeitetes,
aber erst jetzt in Gebrauch genommenes Piedestal bezahlt. In ihrem chronologischen
Prospekt hat die Verfasserin übrigens diese Daten richtig angegeben (s. S. 127).
5) Die Verfasserin — wie auch Bode im Jahrbuch d. preuß. Kunstsammlungen
1902, S. 77 — spricht von drei Putten Donatellos unter den fünf am Taufbrunnen.
In Wirklichkeit sind dort seit Jahren bloß vier vorhanden (zwei fehlen), und von diesen
nur zwei von Donatello — eben die mit den kranzumwundenen Muscheln als Basis
(die übrigen zwei unzweifelhaft von Turini). Der dritte Putto, den Donatello für das
Werk lieferte, wird wohl mit dem kürzlich ins Berliner Museum gelangten identisch sein I
384
Literaturbericht.
Typus in seinen verschiedenen Varianten war das Leben sein Vorbild und
Lehrmeister; für die Typen der Frau, des Jünglings und Kindes ist er —
in Körper und Kopf — mehr von der Antike abhängig. Der Grund
davon wird geistvoll dargelegt, die Tatsache namentlich an den Madonnen
treffend exemplifiziert. Den Gipfelpunkt der Formdurchbildung bezeichnen
die Arbeiten für Padua und die Statuen der Spätzeit (Täufer in Venedig
und Siena, h. Magdalena, Judith): die Formen sind bis ins Detail hinein
in ihrer Funktionsbedeutung erkannt, die Illusion des Stofflichen nach
jeder Richtung vollkommen erreicht, die psychologische Differenzierung
in Tiefe und Intensität des - Ausdrucks auf schier unglaubliche Höhe
gesteigert. (Erasmo di Narni!) Manches weniger befriedigende in den
Santostatuen ist auf Rechnung von Schülerhänden zu setzen.)6) Mit einer
feinsinnigen Darlegung der Um- bezw. Weiterbildung, die das Kind im
Verlaufe von Donatellos Entwicklung erfährt, und mit dem Nachweis der
seelischen Vertiefung bei d'er Behandlung erzählender Stoffe, wie der
immer wieder aufgenommenen Verkörperung bestimmter Typen (Täufer,
David) schließt dieser Abschnitt, dem die Verfasserin auf einigen Seiten
noch eine Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer Forschungen und eine
Würdigung der »Tat« ihres Helden folgen läßt.
Wir können von der ausgezeichneten Arbeit der Verfasserin nicht
Abschied nehmen, ohne noch mit Dank der sorgfältigen »chronologischen
Tabelle« im Anhang zu gedenken, wodurch nunmehr die vielfach lücken-
hafte in der letzten Vasariausgabe ersetzt wird. C. v. Fabriczy.
Kunsthandwerk.
Chefs-d’ceuvre d’Art Japonais par Gaston Migeon. Paris, Ateliers
photomecaniques D. A. Longuet (1905). Folio.
Die goldenen Zeiten für das Sammeln japanischer Kunstgegenstände
sind vorüber. Wer jetzt noch derartiges erwerben will — und die Staats-
museen werden sich dieser Pflicht nicht entziehen können, wenn sie das
Versäumte nachholen wollen — der muß auf einen harten Kampf gefaßt
sein. Das zeigte schon die Versteigerung Gillot im Jahre 1904. Dafür
aber beginnt sich auch endlich das Urteil über das, was wirklich wert-
voll an den japanischen Kunstwerken ist, zu klären, so daß die Gewähr
für eine gute Anlage des Geldes gestiegen ist.
6) Die Bestimmung der in diesem Zusammenhänge erwähnten Bronzebüste des
Bargello auf Contessina de’ Bardi, Gattin Cosimo Medicis, läßt sich nicht aufrecht erhalten,
da sie sieben Jahre nach Donatello starb. Neuerdings ist ihre Identifizierung mit Ginevra
Cavalcanti, der Gattin seines Bruders Lorenzo in Vorschlag gebracht worden.
Literaturbericht.
385
In dieser Hinsicht ist das vorliegende Werk geeignet, wesentliche
Dienste zu leisten. Denn da es auf seinen 100 Lichtdrucktafeln eine
Auswahl von über 1100 Gegenständen aus den verschiedensten Arten
des Kunstbetriebes vorführt, die durchaus mit feinstem Verständnis aus-
gewählt sind, und dabei durch den billigen Preis von 75 Franken jedem,
der sich mit Japan zu beschäftigen hat, leicht zugänglich ist, so vermag
nicht mehr die Entschuldigung zu ziehen, daß man sich eben unter
japanischer Kunst etwas ganz anderes denke, nämlich jene übertrieben
zierliche, wohl immer gedankenreiche, aber durch die zu starke Betonung
des Technischen handwerksmäßig gewordene Behandlungsweise, welche
die japanische Kunst wohl in Europa bekannt gemacht hat, doch aber
nur ein Erzeugnis der mit dem 18. Jahrhundert bereits beginnenden Ver-
fallzeit gewesen ist.
Wie der japanische Künstler der guten alten Zeit stets vor allem
auf eine kräftige, dabei im höchsten Grade persönliche Wirkung aus-
gegangen ist, seine unglaublich entwickelte Technik also nur als Mittel
für den Ausdruck ganz bestimmter künstlerischer Absichten benutzte, die
jedem Gegenstände sein ganz besonderes individuelles Gepräge verliehen,
das kann man hier in leichtem Überblick lernen. Jede solche Schöpfung
prägt sich ohne weiteres dem Gedächtnis ein und bekundet sich dadurch
als ein echtes Kunstwerk, dessen Bedeutung weit über die technischen
Vorzüge hinausgeht.
An den Anfang sind die Zeichnungen und Holzschnitte gestellt,
auf nicht weniger als 21 Tafeln, die 116 Gegenstände enthalten. Da
sind buddhistische Malereien des 11. und i2.Jahrh. (Nr. 4, 5), ein kraftvoller
Setzschirm von Keno Yeitoku (18), andere aus dem 17. Jahrh. (30, 31, 33,
38, 43, 44), die besonders zierlichen Blumendarstellungen Sotatsus (42,
57, 71), ein Schirm von Hokusai (73), eine Schneedarstellung von San-
setsu (76), eine Genreszene von Kiyonaga (96); unter den Holzschnitten
ein schöner Kiyonobu (84).
Die Holzskulpturen hätte man vielleicht noch zahlreicher gewünscht,
doch wird man dafür durch die Wiedergabe der großen frühen Kolossal-
figur aus dem Louvre (118) und das wunderbare Bildnis eines sitzenden
Priesters (142) entschädigt.
Dann folgen Masken, weiterhin Lacke. Unter den frühen sind die
Nrn. 214, 218, 230 hervorzuheben, ferner der Korin Nr. 279. Die Töpfe-
reien lassen natürlich am meisten die Farben vermissen; immerhin ist
es erwünscht, hier koreanische abgebildet zu finden (426, 431), sowie
schöne Kenzans (487, 500 fg). Das Porzellan spielt eine geringere Rolle.
Für die Kenntnis der Entwickelung des Stichblattes ist die hier
abgebildete Reihe (Nr. 564 — 685 auf 8 Tafeln) sehr belehrend. Unter
386
Literaturbericht.
den Bronzen befindet sich ein archaisches Stück (688); neben einem
chinesischen Spiegel (706) auch japanische (694 fg.) und die interessante
Reihe von kleineren Tieren aus dem Besitz von Ch. Haviland. Den Be-
schluß machen einige Waffen und eiserne Tiere mit beweglichen Glied-
maßen.
Reich ist die Zahl der Netskes aus Holz und aus Elfenbein, der
Schwertzieraten und der Messergiffe. Endlich ist auf den Tafeln 90 — 98
eine große Menge ausgewählter Stoffe abgebildet.
Mit Ausnahme zweier Stücke sind alle aus Pariser Sammlungen
entnommen. Freilich ist auch in dieser Stadt das Verständnis für den
eigenartigen Reiz und die besondere Schönheit der japanischen Kunst-
erzeugnisse zuerst gepflegt und unausgesetzt genährt worden.
W. v. Seidlitz.
Kunsttopographie.
Die Markgrafschaft Mähren in kunstgeschichtlicher Beziehung.
Grundzüge einer Kunstgeschichte dieses Landes mit beson-
derer Berücksichtigung der Baukunst. Von August Prokop. —
Druck und Kommissionsverlag von R. Spies & Co., Wien 1904. Vier
Bände mit einer Karte, 1660 Text- und Vollillustrationen, genealogischen
Tabellen, chronologischen Baudaten usf.
Österreich entbehrt trotz dem mehr als fünfzigjährigen Bestände
seiner, k. k. Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst-
und historischen Denkmale noch immer auch nur der Anfänge einer
wissenschaftlichen Kunsttopographie. An Vorarbeiten und zum Teil recht
verdienstlichen Anläufen fehlt es ja nicht. Aber ihre Ergebnisse liegen
in den zahlreichen Jahrbüchern und Mitteilungen jener Kommission, dann
der Altertumsvereine, in allen Zeitschriften der Kunst- und Weltgeschichte
zusammenhanglos verstreut, so daß es selbst dem Einheimischen schwer
wird, sich in kunsttopographischer Hinsicht ein verläßliches Bild seiner
nächsten Umgebung lückenlos zu verschaffen.
Der Fehler liegt darin, daß die amtlich bestellten Konservatoren
ihre viel zu weit ausgedehnten Bezirke nur im Nebenamt verwalten. Es
fehlt eben vor allem auch an Geld und hängt, so seltsam es in diesem
Falle klingen mag, von der privaten Wohltätigkeit und dem Opfermute
einzelner ab, um zu zeit- und kostspieligen Aufnahmen zu gelangen.
Daß unter solchen Umständen jede Arbeit, wie immer sie auch
beschaffen sein mag, als Vorstoß willkommen sein muß, ist klar. Denn
von Fehlern wimmelt es ja über österreichische Kunstverhältnisse in allen
Kunsthandbüchern, nicht zumindest auch z. B. in Ebes Cicerone. Mit
Literaturbericht.
387
Recht" hat man den in erster Linie dazu berufenen österreichischen For-
schern deshalb stets den Vorwurf gemacht, daß sie zu wenig über ihr
Heimatland selbst arbeiten und veröffentlichen.
Es ist deshalb immer zu begrüßen, wenn sich beherzte Männer
finden, welche die großen materiellen Schwierigkeiten einer solchen Arbeit
auf sich nehmen und kühn in die Bresche springen, wie es der Verf.
getan. Dazu kommen die unleugbar hohen Anforderungen, welche an
Werke wie etwa das vorliegende unbedingt gestellt werden müssen. Denn
bei den großen Kosten, die allein seine reiche Ausstattung erfordert, ist
eine Wiederholung eines derartigen Experimentes auf Jahre hinaus aus-
geschlossen. Wenn man überdies bedenkt, daß hierzu ebensosehr ein
genauer und verläßlicher Kenner aller archivalischen Quellen wie ein
technisch geschulter Praktiker und nicht zuletzt ein genauer, gewissen-
hafter Beobachter der fortschreitenden wissenschaftlichen Forschungen bis
in ihre letzten Ergebnisse unbedingt erforderlich ist, so wird man es von
vornherein für menschenunmöglich halten, daß ein einzelner ein ganzes
Land allein in gleichmäßiger Gründlichkeit zu durchforschen vermag.
Am allerwenigsten, wenn er wie der Verf. als Professor der technischen
Hochschulen (zuerst in Brünn, dann in Wien), zugleich eine Zeitlang
auch als Direktor des Mährischen Gewerbemuseums und vor allem als
ausführender Architekt auf vielen Gebieten gleichzeitig sich umfassend
betätigt hat.
In diesem jahrzehntelangen Fleiß, mit welchem der Verf. in zäher
Tatkraft seiner schwierigen Aufgabe nachging, in der darin ‘lebhaft
bekundeten Liebe zu seiner engeren Heimat liegt die Größe der Arbeit
und auch der Grund, warum sie jede eingehendere Kritik entwaffnet.
An einem Lebenswerke nörgelt man nicht, auch wenn man es anders
wünscht. Überdies ist sich der Verf. seiner Verantwortlichkeit vollkommen
bewußt und nennt dieses 1492 Druckseiten umfassende Werk ausdrücklich
bloß eine Studie und ein Nachschlagewerk. Diesen Anspruch kann es
erheben, wenngleich es betreffs der letzteren Absicht bedauert werden
muß, daß die vom Verf. selbst gewünschte Umarbeitung des Stoffes nicht
zustande kam.
Der erste Band dieses groß angelegten und ungewöhnlich reich
illustrierten Werkes behandelt das Mittelalter bis hinunter in die Vor-
geschichte, dann namentlich den romanischen Stil, den Burgenbau und
die bedeutenden Reste frühmittelalterlichen Kirchenbaues (Kloster Bruck
bei Znaim, Welehrad, Trebitsch, Tischnowitz) mit einer topographischen
Aufzählung aller Bauwerke und zahlreichen weitausgesponnenen Ver-
gleichen mit außermährischen Arbeiten, auch Seitenblicken auf Handel,
Gewerbe und Kunsthandwerk. Es liegt nun in der Natur eines der-
388
Literaturbericht.
artigen Unternehmens, dem staatlich unterstützte Ausgrabungen nicht von
Schritt zu Schritt zur Seite gehen, daß gerade für jene älteste Zeit jeder
Tag neue Überraschungen bringen und die besten Hypothesen Umstürzen
kann. So haben die jüngsten Nachforschungen in Welehrad, der heiß-
umstrittenen Grabstätte des hl. Methodius und der Residenz der groß-
mährischen Herrscher, neuerdings ergeben, daß der vom Yerf. seinerzeit
rekonstruierte Plan der alten Kirchenanlage einer Richtigstellung bedarf.
Mit noch größerer Spannung wird man den zweiten Band zur Hand
nehmen, der die Gotik behandelt. Gibt es da doch noch eine Unzahl
einschneidender ungelöster Fragen, deren Durchforschung von großer
Bedeutung wäre. Leider ist es auch dem Fleiße des Yerf. nicht gelungen,
die sagenhafte Beteiligung Heinrichs von Gmünd am Bau der Brünner
Jakobskirche auf sicheren Grund zu stellen. Ebenso bleibt die Gestalt
des hervorragendsten Brünner Steinmetzen Anton Pilgram verschwommener,
als man nach seiner so bedeutsamen Beteiligung an der Wiener Stephans-
kirche vermuten durfte. Der Verf. beklagt bei diesem Anlasse freilich
mit gutem Grunde das vorläufige Schweigen archivalischer Nachrichten
und den Zeitmangel, der ihm versagte, deren Spuren nachzugehen. Er
trifft sich darin mit unserer Anschauung, daß es infolgedessen eigentlich
verfrüht ist, eine Gesamtgeschichte zu schreiben, so lange es noch an
einer genügenden Zahl verläßlicher Monographien fehlt. Mähren ist einer-
seits an Bauwerken, andererseits an Archiven ja so reich, daß noch
manches Menschenleben an ihre Durchforschung gewendet werden muß.
Überdies kann die strenge Stilkritik mit der Beschränkung auf die Grenzen
eines Landes — das noch dazu den Charakter eines Durchzugslandes
trägt — sich nie zufrieden geben. Gerade diese Abhängigkeit aber von
der Entwicklung andernorts steigert die Schwierigkeiten, wenigstens für
den einzelnen, fast ins Unüberwindliche.
Der dritte Band ist der Renaissance, der vierte dem Zeitalter der
Barocke gewidmet, welch letzteres für Mähren wie für andere Teile
Österreichs die Glanzzeit bedeutet. Nie hat die Kirche und die große
Zahl reichbegüterter Adelsgeschlechter mehr getan als damals. Was die
Boskowitz, Bukuwka, Zierotin begonnen, setzen die Liechtenstein, Dietrich-
stein, Rottal, A Ith an u. s. v. a. fort. Es ist die Zeit der Fischer von
Erlach, Fontana, Gran, die neben anderen auch in Mähren wirken, das
bewundernswerte Ringen zwischen wälscher und deutscher Kunst, ein
wahrer Frühling für den Schloß- und Kirchenbau, der in Frain, Auster-
litz, Butschowitz usf., in Olmütz, Kremsier, Brünn, ja in allen Teilen
des Landes eine mächtige, früher nie beachtete Baubewegung zutage
fördert. Es ist das Verdienst dieses Werkes, ohne wesentlich neues bei-
zubringen, doch darauf zum ersten Male im Zusammenhänge hingewiesen
Literaturbericht.
38 9
zu haben. Zahlreiche, zum teil recht gute Abbildungen unterstützen hier-
bei die Beschreibung in zweckdienlicher Weise. Besonders willkommen
sind auch die Grundrißaufnahmen zahlreicher Gebäude.
Betrachtungen über die Malerei und Bildhauerei sollen das Bild
der Baukunst ergänzen. Hier wächst nun trotz der Nähe der Zeit die
Schwierigkeit ins ungemessene mit der Zahl der Arbeiten ohne Künstler-
namen und der Künstlernamen ohne Arbeit. Schon ein Blick in das
Namensverzeichnis überzeugt, daß es noch angestrengter Arbeit bedarf,
um die so umfassende Vorarbeit des Verf. in alle Einzelheiten zu ver-
folgen. Betreffs des bedeutenden Freskomalers Thaddäus Supper mag
deshalb nur nebenbei bemerkt werden, daß es einen Trebitscher Maler
dieses Namens nicht gab und es wohl auch nur ein Irrtum ist, anzu-
nehmen, dieser 1712 in Müglitz geborene Künstler sei schon mit vier
oder fünf Jahren in die Lehre gekommen.
Man müßte noch größere Arbeit wie der unermüdliche Verf. selbst
leisten, wollte man jede seiner Angaben in dieser Weise kritisch prüfen.
Sein Zweck war ja auch vielmehr, sagen wir, ein agitatorischer: er wollte
sein Heimatland, dessen Kunstschätze bisher viel zu wenig bekannt,
geschweige denn geschätzt waren, weiten Kreisen rühmen. Mit der Liebe
eines begeisterten Sohnes. Das ist ihm gelungen, und dafür gebührt ihm
Dank und Anerkennung. Julius Leisching (Brünn).
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
Ambrosoli, Solone. Atlantino di Monete Papali Moderne. Con
200 fotoincisioni. Milano. Ulrico Hoepli. L. 2.50.
Atti del Congresso inter nazionale di scienze storiche. (Roma,
1 — 9 Aprile 1903.) Volume VII. Atti della Sezione IV: Storia
dell’ Arte. Roma. Ermanno Loescher & Co. Fr. 12.
Bergner, Heinrich. Kirchliche Kunstaltertümer in Deutschland.
Mit 2 Tafeln in Farbendruck und Autotypie sowie über 500 Abb.
im Text. Lieferung 5 und 6 (Schluß). Leipzig. Chr. Herrn.
Tauchnitz. M. 5 und 3.
Brunn. Heinrich Brunns kleine Schriften. Gesammelt von Hein-
rich Bulle und Hermann Brunn. 2. Band. Zur griechischen
Kunstgeschichte. Mit 69 Abbildungen. Leipzig und Berlin.
B. G. Teubner.
Craig, E. Gordon. Die Kunst des Theaters. Berlin und Leipzig.
Hermann Seemann Nachfolger. M. 1.50.
Dresdener Jahrbuch 1905. Beiträge zur bildenden Kunst.
Herausgegeben von Karl Koetschau und Fortunat von Schu-
bert-Soldern. Mit Lichtdrucktafeln und Textabbildungen. Dres-
den. Wilhelm Baensch.
Hevesi, Ludwig. Rudolf von Alt. Variationen. Wien. Carl Konegen.
I Monasteri di Subiaco. I. P. Egidi, Notizie storiche. P.
Giovannoni, L’ architettura. F. Hermanin, Gli Affreschi.
II. Vincenzo Federici, La Biblioteca e 1’ archivio. Roma.
A cura e spese del Ministero della pubblica istruzione. Jeder Band
L. 15.
Petkowic, Wladimir. Ein frühchristliches Elfenbeinrelief im
Nationalmuseum zu München. Inauguraldissertation. Halle a. S.
C. A. Kaemmerer & Co.
Schmarsow, A. Grundbegriffe der Kunstwissenschaft am Über-
gang vom Altertum zum Mittelalter, kritisch erörtert und
in systematischem Zusammenhang dargestellt. Leipzig und
Berlin. B. G. Teubner.
Siren, Osvald. Don Loren zo Monaco. Mit 54 Lichtdruck tafeln. Straß-
burg. J. H. Ed. Heitz. M. 20.
Wehner, Heinrich. Über die Kenntnis der magnetischen Nofd-
weisung im frühen Mittelalter. Berlin. C. A. Schwetschke
& Sohn.
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro
bei Ferentillo.
Von August Schmarsow.
Von den gewohnten Wegen unsrer italienischen Studienfahrten etwas
abseits liegt an der Straße von Terni nach Spoleto, sechs Kilometer jen-
seits Ferentillo in Val Nerina die alte Abteikirche der Benediktiner
S. Pietro, deren Inneres sozusagen von oben bis unten mit Wandmalereien
aus verschiedenen Zeiten bedeckt ist. Nur wenige Forscher scheinen
sie überhaupt zu kennen, und das Urteil über die ältesten und wert-
vollsten Bestandteile ist, bis auf eine allzu rücksichtsvolle und deshalb
unbeachtet gebliebene Stimme, ein gänzlich verfehltes, das dringend der
Berichtigung bedarf. Erst eine zutreffende Zeitbestimmung des ursprüng-
lich das ganze Langhaus und wahrscheinlich auch das übrige erfüllenden
Bilderzyklus vermag den Überresten dieses umfassenden Denkmals der
Malerei ihre volle Bedeutung für die Geschichte der Kunst und ihren
Platz in der Entwicklung zu sichern.
Als im Laufe der sechziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts (?) die
Familie Ancajani, in deren Besitz die Abtei schon lange übergegangen
war, das Kirchendach erneuern ließ, um das Innere vor weiterem Ver-
derben zu schützen, kamen oben zwischen den Fenstern unter der Tünche,
die sie versteckt hatte, Wandmalereien zum Vorschein. Giovanni Battista
de Rossi hat wohl das Verdienst, ihre sorgfältige Freilegung veranlaßt zu
haben. Aber bei dem ersten Besuch interessierten ihn mehr die sechs
antiken Sarkophage, die hier und da zu christlichen Grabstätten verwertet
waren, — der eine zeigt die Eberjagd Meleagers, wenn auch nur zur
einen Hälfte leidlich erhalten, der andere, leider zerbrochene, schon jene
Genreszenen auf Segelboten spielender Eroten, wie sie auch altchristliche
Mosaiken in römischen Basiliken wiederholen, — und die Fragmente von
Reliefplatten mittelalterlicher Steinmetzarbeit, die zu einem Altaraufbau
gehört zu haben scheinen, den Hildericus Dagileopa, ein Longobarden-
fürst, gestiftet, und Magister Ursus als sein Werk bezeichnet hat1). Einer
jener antiken Sarkophage, mit Herkulesarbeiten und Einzelfiguren unter
') Bullettino di archeologia christiana 1875 p. 155 ff.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
27
392
August Schmarsow:
flachgehaltener Arkadenstellung, enthielt die Gebeine des Gründers der
Benediktinerabtei, Herzog Farualdus II. von Spoleto, der nach Angabe
der spät darüber gemalten Inschrift (XVII. Jh.) im Jahre 728 als Abt des
Klosters S. Pietro gestorben ist. Dieses Datum verleitete de Rossi zu der
Angabe, auch die Wandgemälde seien aus dieser Zeit. „Cette abbaye
fut construite au huiti£me si£cle par Faroalde, duc de Spoleto, et c’est
vers le meine temps que les murailles de l’eglise furent recouvertes de
fresques representant tout le. grand cycle biblique, de la Genese au
Nouveau Testament.“2)
Diese Datierung entstand also durch die Annahme, der Bau der
Kirche selbst sei noch der ursprüngliche, der Gründung des 728 hier un-
weit des Hochaltars bestatteten Farualdus. Aber schon dies ist ein Irrtum,
dem sich der heutige Stand der Forschung von vornherein wiedersetzt:
nur einzelne Bestandteile mit antiken Gesimsstücken oder antikisierendem
Skulpturenschmuck mögen bewahrt oder wiederverwertet sein. »L’eglise
a la forme oblongue des anciennes basiliques; eile se termine par une
abside«, heißt es freilich unter de Rossis Einfluß noch in einem folgen-
den Bericht von Descemet (8 Decbr 1878. Bullet, ed. fran§. Paris 1880.
p. 60 f.). Aber die weitere Beschreibung fügt hinzu: »eile est flanquee
de deux petites chapelles« — d, h. zu den Seiten der Chortribuna be-
finden sich zwei Nebenabsiden, die sich gegen die Kreuzflügel öffnen,
so daß die charakteristische Benediktineranlage mit zwei quadratischen
Kapellen neben dem Mittelquadrat des Querhauses entsteht. Und ferner:
»sur l’angle gäuche de l’edifice, vers l’extremite s’eDve un clocher qui
ne parait-pas anterieur au XD si£cle«. Ja, zur Bestätigung noch die
historische Notiz: »L’abbaye fut d’abord consacree ä l’apötre Pierre et
ä saint Gregoire, puis aux saints apötres Pierre et Paul«.
Wir können diesen Wechsel der Titulatur sofort chronologisch ver-
werten: das Seitenportal des Langhauses, der ursprüngliche Haupteingang
vom Klosterhof her, enthält links und rechts an den Pfosten die Ge-
stalten der Apostelfürsten: links Petrus mit dem Schlüssel, barfuß, rechts
Paulus mit dem Schwert, beschuht. Die kleinen, ungeschickt hoch und
hülflos angebrachten, vom Steinmetzen aus dem Werkstück herausge-
meißelten Figuren sind Zeugen einer, in diesen Gegenden vielleicht etwas
zurückgebliebenen, Skulptur des 1 2. Jahrhunderts, mit denen Beispiele zu
Spoleto verglichen werden können. Nun aber befindet sich eine andre
Reliefdarstellung des hl. Petrus, allem Anschein nach aus derselben Lom-
bardenwerkstatt, hoch oben am Glockenturm als Schmuckstück zwischen
l) Bulletin d’archeologie ehret. ed. frangaise, Paris 1879. p. 136 (IVe. Annee, seance
1 dec. 1878).
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo.
393
den Fenstern eingelassen. Und hier sind zu demselben Zweck, rein
dekorativer Art, in der bekannten nachlässigen, nicht streng symmetri-
schen Verteilung zwischen dem Ziegelmauerwerk zwei Arten von Marmor-
skulpturen verwertet: antike, wie z. B. die Hälfte einer Aschenurne, mit
Tür zwischen Säulen unter Guirlandengehänge, deren andere Hälfte im
Innern der Kirche eingelassen ist, — und sogenannte »longobardische«,
d. h. mit Bandgeschlinge in geometrischer Musterung aus ganz flacher
Reliefarbeit, deren Beziehung zu »byzantinischer« Tradition wohl nicht
mehr zweifelhaft sein kann, und deren Verbreitung hier in der Sabina
bis unmittelbar an die Tätigkeit der Cosmaten herabreicht. Es sind
ohne Zweifel Fragmente von Chorschranken, die beim Neubau der Kirche
wegfielen, und ganz verwandt ist mit ihnen noch die flache Arbeit der
Platten, die den Namen des Magister Ursus tragen; genauer eines Pfostens
mit seitlichen Rillen zum Einfügen der dünnen Platten, die dazwischen
die Schranken bildeten, und einer solchen Platte, mit dem Namen jenes
Longobardenherzogs Hildericus. Dieser Altar scheint (vielleicht als Laien-
altar) im vorderen Teil der Kirche seinen Stand gehabt zu haben, wo
in der Achse des Seiteneingangs vom Kloster her und der ursprünglich
gewiß kleineren Tür an der Frontseite noch heute Stumpfe antiker Säulen
aus dem Boden ragen und mit der Aufmauerung dazwischen die Stätte
bezeichnen mögen. Die ganze reich geschmückte und vielfach durch
brochene Anlage des Glockenturms bezeugt aber eine verhältnismäßig
späte Entstehungszeit im entwickelten romanischen Stil.
Für uns jedoch bleibt dieser Bestandteil ebenso weit außer Betracht,
wie die später veränderte Chorpartie und die erst im 15. Jahrhundert
eingewölbte Vierung, wo nur die Grenzpfeiler der ehemaligen Apsis und
ihre lichte Weite von nahezu fünf Metern noch einen Anhalt zur Rekon-
struktion des romanischen Baues gewähren. Für die Frage nach dem
Alter der frühesten Bilderreihen ist allein das Langhaus entscheidend: es
bildet einen einzigen großen Raum, ohne Säulen oder Pfeiler zur Trennung
eines Mittelschiffes und seiner Abseiten. Die Länge vom Eingang bis
an den Triumphbogen beträgt 27,34 Meter, die Breite von einer Um-
fassungsmauer zur anderen 7,94, also nahezu 8 Meter. Je sieben Fenster
durchbrachen einst die Obermauern in nicht ganz regelmäßigen Abständen.
Es ist also eine vereinfachte romanische Klosterkirche, die von Anfang
an für den Zyklus von Wandgemälden bestimmt gewesen sein muß, je
mehr sie weiterer Gliederung der Wände und der Arkaden in der Mitte
entbehrt.
Um so wichtiger ist die Tatsache, daß die Malerei selbst mit
bewußter Entschiedenheit die Aufgabe der rhythmischen Gliederung auf-
nimmt. Sie beginnt oben an der Längswand mit der Herstellung eines
27
394
August Schmarsow:
Bogenfrieses und ganz überraschender Ausfüllung der Lünetten, die dadurch
entstehen: jedes dieser Bogenfelder ist durch perspektivisch gemaltes Stab-
werk, wie etwa das Rohrdach einer Pergola von unten gesehen sich
ausnimmt, in einen eigenen luftigen Raum verwandelt, und darin steht
oder fliegt irgend ein Vogel, der sich dort oben im eigenen Element
ergeht. Diese Luftbewohner sind nicht so anspruchsvoll und ausführlich
gemalt, wie die stolzierenden Pfauen in der Renaissance, aber in schlichter
Färbung und summarischer Behandlung doch so sicher hingesetzt, daß
nur an die Nachahmung eines altererbten Dekorationsmotives gedacht
werden kann, für das wir heutzutage allein auf pompejanische Beispiele,
wieder allzu herausfordernden Wesens, verweisen können. Dieser Fries
in S. Pietro bei Ferentillo will keine perspektivisch-realistischen Bravour-
stücke auftischen, nicht das Auge des Beschauers vexieren #und die Raum-
phantasie zu unterhaltendem Spiel einladen, sondern nur der rhythmischen
Gliederung der Fläche dienen und zugleich der befreienden Wirkung, die
der Ausblick in die Luftregion droben über den ernsten Bildern gewähren
muß. Dies aber wird mit der ganzen idealen Unbefangenheit altchrist-
licher Katakombenkunst geleistet, indem sich zu der ersten Bogenreihe
noch eine zweite gesellt, diesmal kleiner und abwärts gerichtet, und
solcher Lage entsprechend nicht mit Luft, sondern mit Wasser gefüllt,
in dem sich delphinartige Fische bewegen. Mag jene obere Reihe den
Kenner der altchristlicher Kunst, wie Giovanni Battista de Rossi, an die
Deckenmalereien der Katakomben erinnert haben, so daß er das Alter
dieses ganzen Zyklus darnach möglichst früh, auf das achte Jahrhundert
bestimmte, diese zweite Reihe von schwimmenden, schnellenden, tauchenden
Fischen, in denen immer die Bogenlinie lebendige Gestalt gewinnt, belehrt
uns vielmehr, daß schon ein bewußter Fortschritt in der Entwicklung der
romanischen Kunst zugrunde liegt. Vergleichen wir den gemalten Bogen-
fries zunächst mit einer romanischen Arkadenreihe über den Säulen im
Mittelschiff oder in einer Empore, so schneiden die Platten der Säulen-
kapitelle jedesmal mit ihrer Horizontallage die Schwingung der Bogen-
linie unvermittelt ab. Es bleibt ein scharfer Gegensatz, ein harter Kampf
zwischen der Geraden und der Kurve, zwischen wagerechter Lage und
freibewegtem Umschwung bestehen. Eben dieser Widerspruch ist hier
aufgehoben oder doch vermittelt, indem die Bogenlinie sich durch die
Horizontale hindurch nach unten fortsetzt und in kürzerem Umschwung
wieder aufsteigend, abermals durch die Horizontale hindurchgeht. Die
größeren Bögen oben, die kleineren unter der Wagrechten, ergeben so
einen lebendigen Rhythmus, dessen fortlaufende Wellenlinie hier die
beiden Elemente, der Luft und des Wassers, miteinander verbindet.
Nehmen wir zu diesen ästhetischen Gedanken noch die spielende Herr-
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo.
395
schaft über die perspektivische Untensicht des ganzen Frieses, so kann
gar nicht daran gezweifelt werden, daß hier ein Erbteil aus der Spät-
antike vorliegt, zugleich aber eine eigene Erfindung der romanischen Kunst
auf italienischem Boden, die sonst gerade hier weniger Freiheit und
Reichtum des eigenen Schaffens aufzuweisen hat als im Norden, in
Frankreich oder in Deutschland.
Mit diesem gemalten Bogenfries aber ist die Gliederung der Wand
mittels vor- und zurückspringender Teile nur ganz oben eingeleitet, noch
nicht beendet. Unter ihm folgt die Fensterreihe und die erste Bilder-
reihe: acht Darstellungen und sieben Öffnungen. Auf der glatten, von
keinem Fenster mehr durchbrochenen Wandfläche, darunter solften noch
zwei Reihen von Bildern Platz finden, und zwar, soweit sich aus den
erhaltenen Szenen und aus dem übrigbleibenden Raum erschließen läßt,
jede Reihe zu elf oder gar zwölf etwas schmäleren Darstellungen. Diese
Verschiebung gegen die obere Reihe der Fensterregion wird künstlerisch
wieder ausgeglichen durch perspektivische Mittel. Unter den Fenstern
läuft ein Gesims mit Konsolen hin; dies wird zwischen den Bildfeldern
von vortretenden Säulen getragen, die in heller Marmorfarbe sich gegen
den dunkel gehaltenen Grund, die Schattentiefe, abheben. Ihre Stämme
sind teils senkrecht kanneliert, teils mit Spiralwindungen umzogen. Ver-
kröpftes Gebälk über den Kapitellen, in schräger Ansicht gemalt, wie
vorgekröpfte Postamente unter den Basen erhöhten diese kräftig gliedernde
Wirkung, die nur durch unverständiges Überschmieren von späterer Hand
hier und da veruntreut worden ist. Auch hier vermögen wir allein auf ähnliche
Erscheinungen in der pompejanischen Wandmalerei zurückzuweisen, wenn
auch zweifellos in byzantinischen Kirchen, wie z. B. im Hagios Demetrios
zu Thessalonike (vgl. Texier & Pullan, Byzantine Architecture, Taf. XVIIIf.)
das Fortbestehen der spätantiken Tradition im christlichen Kunstbetrieb
bezeugt wird. 3) Es ist wieder ein bezeichnendes Beispiel für die Pflege
der Malerei und aller ihrer Kunstmittel, bis in die Dekoration hinein,
bei den Klöstern des Benediktinerordens, als deren Mittelpunkt wir
Montecassino zu denken gewöhnt sind.
Als Schlußstück in dieser Reihe raumgliedernder Faktoren, die eine
wohlüberlegte Disposition des Bilderkreises in sich aufnehmen sollten,
3) Auf der anderen Seite empfangen die perspektivischen Bravourstücke im Licht-
gaden der Basilika S. Piero a grado bei Pisa durch unser Beispiel in Valnerina will-
kommene Erklärung. Vor allen Dingen aber leuchtet die Wichtigkeit der umbrischen
Wandgemälde mit perspektivischer Scheinarchitektur als Rahmengerüst eines Bilder-
zyklus ein, wenn man sich an den Versuch von O. Wulff erinnert, solches Verfahren in
der Oberkirche zu Assisi aus dem Vorbild von Miniaturen herzuleiten. Repert. XXVII
p. 239ff.
396
August Schmarsow :
muß endlich die Ausmalung des Triumphbogens hervorgehoben werden.
An den Mauerpfeilern begegnen uns die großartigsten Überreste einer
architektonisch-plastischen, meist grau in grau gehaltenen Malerei; die
ganze Üppigkeit der Formensprache und die Häufung der Motive, wie
die Spätantike sie darbot, tritt uns hier entgegen, so daß diese unteren
Fragmente mit ganzen und halben Figuren von Heiligen dazwischen
(Petrus rechts vom Altar zerstört, Paulus links erhalten) an die Bestre-
bungen eines Mantegna im späteren 15. Jahrhundert gemahnen. Darüber
in der Leibung des Bogens und an der Stirnseite außen erscheinen
Bestandteile, die keinen Zweifel über den Zusammenhang der romanischen
Kunst mit den damals noch zahlreich erhaltenen Monumenten altchrist-
licher und vielleicht auch karolingischer Zeit übrig lassen. An der Stirn-
seite perspektivisch gemalte Säulenarchitektur, deren tragende Glieder
schlank wie Kerzen gebildet sind, daß man meinen könnte, es seien die
sieben Leuchter der Apokalypse, durch die wir ins Allerheiligste hin-
durchschauten. Und in der Leibung der große, prächtig gefärbte, per-
spektivisch behandelte Mäanderfries, den wir auch in den Wandgemälden
der Reichenau wiederfinden, wie in der Apsis von S. M. la Libera bei
Carinola unweit Sessa, wo die Abhängigkeit von Monte Cassino ebenso
klar ist, wie in S. Angelo in Formis.
Nun aber befindet sich oben im Scheitel des Bogens ein Rund in
diesem Mäanderfries, wie ein Medaillon, ja eine Fensteröffnung gedacht,
und hier erscheint die große Hand des Allmächtigen, wie hineingestreckt
aus der Höhe. Und diese Rechte Gottes segnet in griechischer Form.
Das ist eine entscheidende Tatsache, die für den byzantinischen Urquell
dieser Überlieferung um so größere Beweiskraft erhält, als sie noch einmal
an wichtiger Stelle wiederkehrt: auf einem der letzten erhaltenen Bilder
der untersten Reihe der anderen Wand, beim Einzug Christi in Jerusalem,
wo das Antlitz des Herrn besonders groß und ganz von vorn gegeben
ist, wie in voller Majestät.
Darnach war der Maler Descemet, der für de Rossi Durchzeich-
nungen nach den aufgedeckten Malereien gefertigt hat, auf viel richtigerem
Wege als de Rossi selbst, wenn er aussprach: »Le peintre etait, je crois,
un des nombreux el£ves de l’ecole greco-latine, qui domina en Italie
jusqu’au XIVme si£cle; son procede technique le prouve amplement. 11
rappelle le faire des maitres mosa'istes, avec le formalisme hieratique des
anciennes oeuvres byzantines. — Les contours de toutes les figures sont
marquds par un large trait noir, comme sur les mosaiques anterieures au
Xffle si£cle.«
Noch entschlossener lautet das Urteil über das Fresko in der
Nebentribuna, vom Hochaltar aus links. Vor einem ausgespannten Teppich
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo. 397
thront überlebensgroß die Madonna mit dem Jesuskind in reich ver-
ziertem Kleide auf den Knien. Zu ihrer Rechten steht ein Erzengel mit
dem Szepter, zu ihrer Linken eine jungfräuliche Heilige mit Zweig
(Descemet hält auch sie für einen Engel) und zu ihren Füßen kniet,
unter dem Schutz dieser Patronin, in kleinem Maßstab die Figur des
Stifters der Kapelle, ein Abt des Klosters mit der Mitra auf dem Haupt
und einem roten Pluviale um die Schultern, in dem kreisrunde Medaillons
mit dem einköpfigen Adler in streng heraldischer Zeichnung eingewebt
sind. »Cette fresque par le style et l’execution semble remonter au XID
si£cle; eile est antdrieure ä l’ücole de Giotto.«
Damit sind wir an dem entscheidenden Punkt für die eigentlich
kunsthistorische Einordnung. Diese Malerei der Madonnenkapelle ist die
späteste- Zutat, die aus der ersten Periode der Ausmalung erhalten ist.
(Einige aufgereihte Heiligengestalten an der inneren Stirnwand des Triumph-
bogens im Chore sitzen zu hoch und sind so eingestaubt, daß man sie
kaum genügend erkennen kann; doch sind auch sie romanisch, mit
Namensinschriften in senkrechter Reihung der Buchstaben neben sich.)
Und diese thronende Madonna mit dem Abbas mitratus zu ihren Füßen
ist sicher aus dem 12., vielleicht gar aus dem Anfang des 13. Jahr-
hunderts. Sie ist nicht allein früher als die Schule Giottos, sondern auch
früher als Duccio und Cimabue, früher als Jacopo Torriti4) und seine
Genossen in der Oberkirche von S. Francesco zu Assisi. Nicht die
Beziehung zur altchristlichen Kunst, die Giovanni Battista de Rossi und
seine archäologischen Mitarbeiter suchten, sondern die Beziehung zu der
besser bekannten späteren Kunstperiode, zur Vorgeschichte Giottos ist das
bedeutsame Moment, auf das es hier ankommt. Die Wandgemälde im
Langhaus der Abteikirche von S. Pietro bei Ferentillo sind Werke des
reinsten romanischen Stiles auf italienischem Boden. Sie zeigen uns
jenen umfassenden Bilderzyklus von der Schöpfung der Welt bis zur Passion
Christi in einer früheren Redaktion als jene unter sich so ungleichartigen
Malereien in S. Francesco. Hier in der Benediktinerabtei bei Ferentillo
war der Madonna nicht die Chorapsis, sondern die Nebenapsis zur Linken
des Hochaltars geweiht, aus persönlicher Verehrung eines Abtes, noch
ehe der überschwängliche Madonnenkultus die vornehmste Stelle für sie
und ihren Lebenslauf in Anspruch nahm. Gerade deswegen besitzen
diese Überreste im Langhaus von S. Pietro in Valnerina eine so außer-
4) Der Ort Torrita, nach dem sich dieser römische Künstler wohl benennt, liegt
nicht, wie M. G. Zimmermann (Giotto, I 269,1) meint, in Toscana, unweit Montepulciano,
sondern im Patrimonium Petri, am Tiber, unweit Poggio Mirteto, d. h. in der Gegend
der Cosmaten um Civita Castellana und Fara Sabina.
39»
August Schmarsow:
ordentliche, fast einzigartige Wichtigkeit für die Geschichte der roma-
nischen Malerei in Italien.
Hoch oben in der Fensterregion beginnt an der Längswand, links vom
Laieneingang, die Schöpfungsgeschichte. Schon dies erste Bild (2,60 m br.)
ist ein Unikum ganz eigener Art. Zwei schwebende Engel mit großem
Schriftblatt zwischen sich geben unten vorn das Programm: I PRINCIPIO
I CELV ET TERRA(E) FECIS | SE FIGV| RAM. Hinter dem Schriftblatt
in der Mitte erheben sich zwei rote Stützen, die einen nach unten ge-
wölbten, ebenso roten Halbkreisbogen tragen. Hier erscheint die Gestalt
des bartlosen Schöpfers, in weißem Gewand, eine Schriftrolle in der
Linken, also der Logos. Er erhebt die Rechte weisend nach links und
blickt abwärts in die Tiefe. Innerhalb der Sphäre erscheinen die Sterne
und zwei größere Himmelskörper, die wir wohl als Sonne und Mond
ansprechen dürfen. Außerhalb des roten Bogens aber schwebt in dem
Blau des Äthers rechts ein grau in grau gemalter Ball, mit dem wir allein
auskommen müssen, da das entsprechende Objekt links zerstört ist, gerade
dasjenige, auf das sich die befehlende Handbewegung des Weltordners
richtet. Die Kreisform rechts zeigt uns das Innere einer Halbkugel.
Aus dem Zentrum der Kalotte gehen strahlenförmige helle Streifen bis
an die Peripherie und zwischen ihnen erscheint in der Mitte die eben-
falls licht gemalte Gestalt eines Jünglings mit erhobenen Armen, im
Laufschritt nach rechts hinaus. Das soll, dem Wbrtlaut der Inschrift
entsprechend, offenbar das Himmelsgewölbe sein, mit seinem Träger
darinnen, während wir leider nicht mehr zu sehen bekommen, wie der
Künstler die Gestalt der Erde, terrae figuram, wiedergegeben hat. Jede
andere Erklärung, wie etwa die Scheidung von Licht und Finsternis, die
Erschaffung der Himmelskörper usw. würde ja nicht mit dem Text des
Programms, das die Engel zeigen, in Einklang stehen; sonst könnte man
meinen, der Uranos sei schon durch die Sphäre mit Sternen, Sonne und
Mond, aus der die Gestalt des Schöpfers hervorkommt, hinreichend be-
zeichnet. Die Figur des Logos mit ovalem Antlitz und schlichter Ge-
wandung ist noch sehr klassisch resp. altchristlich, die schwebenden
Engel mit flatternden Zipfeln bezeugen jedoch den entwickelten roma-
nischen Stil so bestimmt, wie bei Niccolö Pisano an der Kanzel zu Pisa
tiotz aller Nachahmung der Antike ganz ähnliche Faltenmotive.
Das zweite Bild, zwischen dem ersten Fensterpaar, gibt die Schöp-
fung des Menschen, die G. B. de Rossi (Bull. IV. 1879 pl. XII.) publi-
ziert hat. Der ebenso bartlose Schöpfer mit Schriftrolle in der Linken
sitzt auf einer grün, rot, weiß geränderten Sphäre, deren Inneres wieder
blau ist wie der Grund der Bildfläche. Er erhebt die Hand gebietend,
und von seinen Lippen geht ein Strahl zum Munde des rechts auf einem
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Forentillo.
399
Erdhügel gelagerten Menschen, neben dem HADAM geschrieben steht.
Unterhalb dieser Gestalt liegen vier gewundene Muscheln, die nur die
Paradiesesströme bedeuten können. Hinter dem Erdklos und hinter dem
Schöpfer erhebt sich je ein kleiner Baum, in der Mitte zwischen den
beiden Hälften des Bildes wächst ein größerer mit braunem Stamm und
gelben Früchten zwischen den grünen Blättern, offenbar der verhängnis-
volle Baum, der hier schon zwischen beiden Parteien die Wage hält, ja
als Dominante das Gleichgewicht der beiden Bildhälften beherrscht Ganz
ähnlich ist die Komposition mit der Erschaffung Evas, unter der wir
lesen: f SIC PRIMOGENITI COSTA HEVA ... Aus der Seite des
schlummernd zurückgesunkenen Mannes geht die Büste des Weibes hervor,
mit erhobenen Händen der Gebärde des Schöpfers entsprechend. Da
die Bildfläche etwas größer war, ist nur der Baum zur rechten breiter
ausgeführt.
Noch breiter ist der Zwischenraum bis zum folgenden Fenster, der
einen ebenso seltenen wie charakteristischen Vorgang schildert: Die Namen-
gebung aller Tiere durch den Menschen. Adam steht nackt auf einem
Felsblock, der aus dem grünen Grunde hervorragt, wo einzelne rote und
weiße Blumen aufgereiht sind. Links kriecht die Schlange heran, gucken
die Köpfe von Pferd, Rind, Hirsch usw. herein, während das Schwein,
das soeben aufgerufen wird, wie aufrecht hängend unter der Hand des
Gebieters seine Stimme erschallen läßt. 5) Rechts der Widder, die Ziege,
das Dromedär, der Adler — rot, und fast einem Greifen ähnlicher, aber
doch ein Vogel, wie Gans, Reiher oder Kranich, die wir unter den großen
unterscheiden, während unter den kleinen von links wohl die Schnepfe
heranschießt.
Das fünfte Bild ist gänzlich zerstört, muß aber den Sündenfall dar-
gestellt haben; denn das folgende zeigt die Ertappung der Flüchtlinge
im Gebüsch. Gott schreitet gewaltig von links herein und streckt die
Hand gegen Adam und Eva aus, die zur Linken unter dem Baum im
Grünen kauern. Das siebente Bild gibt die Vertreibung aus dem Paradiese
sehr merkwürdig: die hohe Umfassungsmauer, über der hinten noch andere
Bauten hervorragen, erfüllt die Fläche und öffnet in der Mitte ein rot-
umrandetes Tor mit flachem Halbkreisbogen, in der Größe der wirklichen
Fenster der Kirche. In diesem Rahmen sehen wir die Ausstoßung: eng
gedrängt die drei Gestalten. Ernst und ältlich der Engel, Adam stark
bewegt im Schreiten, mit schmerzlichem Ausdruck in den Zügen, Eva voll
und üppig, in blonder, fast junonischer Schönheit, sich anschmiegend (nur
5) Vgl. die Rolle des Schweines in dem Monatszyklus, besonders in den Portal-
skulpturen der Comasken in Oberitalien und longobardischen Besitzungen sonst.
400
August Schmarsow:
die Büste ist erhalten, aber besonders wertvoll für den Stil Charakter). Das
letzte ganz zerstörte Feld muß die Arbeit der ersten Familie enthalten
haben; denn die zweite Reihe an derselben Wand setzt links mit d-em
Opfer des Brüderpaares Kain und Abel ein. Nur der Altarstein in der
Mitte mit der Flamme darauf und die vorderen Beine der links und
rechts knienden Jünglinge sind erhalten.
Außerordentlich lebhaft, wie ein Ausbruch des eigenen Tempara-
mentes einer wilderen Generation, ist die Darstellung des Brudermordes,
die zu den beiden notwendigen Personen noch einen entsetzten Zuschauer
fügt. Im Lauf von links her holt Kain mit dem Stecken aus; Abel ist
schon zu Boden gestürzt und hält kniend die Hand vor die Augen.
Auf den Stab gestützt steht der Dritte dabei, doch wohl ein Hirt, nicht
Adam selber, die Hand erhebend, aber nicht eingreifend, wie vom
Schreck gebannt. Künstlerisch betrachtet, ist dieser Lückenbüßer und
Eindringling sehr wichtig, als ruhiger Widerhalt gegen die stürmische
Bewegung und als Abschluß der Gruppe in ihrem festbegrenzten Rahmen. —
Auch diese roten Randstreifen sind perspektivisch behandelt, die Öffnung
in der Wandfläche zu betonen.
Daneben überrascht es, in der folgenden Metope nur eine einzige
mächtig große Gestalt zu sehen, die in weitem nachflatterndem Gewände
nach rechts ausschreitet und nach oben schaut. Es ist Noah, zu dem Jehova
redet. Er erhält, wie das folgende lehrt, den Befehl zum Bau der Arche.
Hier sitzt (XII) Noah links auf hohem Thron und leitet mit seinen
Angaben die Arbeiter, die Bretter zu behauen und die Pfosten zusammen
zufügen. Die Komposition verläuft wieder mehrfigurig der Grundlinieparallel.
Den Einblick in das Innere der Arche, wie in ein Gemach mit
Dachrand oben gewährt das XIII. Feld. Drinnen sitzt Noah mit seiner
Familie ganz von vorn gesehen am Tisch, wie es scheint, die Botschaft
der Taube empfangend.
Auf dem folgenden sehen wir Abraham vor den drei Engeln knien,
die ihm die langersehnte Verheißung bringen. Das XV. enthält die
Opferung Isaaks, wo wenigstens der Patriarch in seiner lebhaften, weit
ausholenden Bewegung noch deutlich erkennbar ist. Das nächste ist so-
weit zerstört, daß nur aus der Anordnung der in Resten erscheinenden
Figuren geschlossen werden kann, was es enthielt: wahrscheinlich Eleazar
mit Rebekka am Brunnen. Denn das XVII. gibt die Täuschung des
alten Isaak, der auf seinem Lager liegt, durch Jakob und Rebekka.
Außerhalb des Gemaches, das mit Marmorfries am Pfosten geschmückt
ist, kommt Esau der Jäger zum Vorschein. Der Rest bis zum Ende der
Wand, wo noch für zwei bis drei Darstellungen Platz wäre, ist völlig
abgefallen.
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo.
401
In der dritten Reihe darunter hat sich nur das eine Bild erhalten,
das den dritten Platz, unter Noah, innehat. Hier erkennen wir Joseph
in Ägypten mit seinen Brüdern, und zwar die Szene, wie Benjamin, mit
seinem Sack über dem geschulterten Stecken, beschuldigt wird, den
Becher gestohlen zu haben. Rechts sitzt Joseph auf dem Thron von
Zeugen umgeben, deren einer den Verdacht ausspricht und auf den
Jüngsten deutet, der allein von den Brüdern und auch nur als Halbfigur
erhalten ist.6)
Auf der andern Langseite, linker Hand vom Hochaltar aus, setzt
nicht, wie die bisherigen Berichterstatter angeben, sogleich das Neue
Testament ein, sondern zuoberst zwischen den Fenstern begann jedenfalls
die Geschichte der Könige. Das zweite Bild ist einigermaßen erhalten
und die Unterschrift hilft es zu bestimmen: SAMVHEL PPHA DAT. . .
lesen wir; es kann sich also nur um die Erwählung Sauls oder Davids
zum Könige handeln. Auf dem vierten Bilde erkennen wir noch zwei
Engel nach rechts schreitend.
Erst in der zweiten Reihe darunter, d. h. an vierter oder fünfter
Stelle dieses Streifens begegnet wieder ein erhaltenes Stück: die Ver-
kündigung an die Hirten. Es folgt die Reise oder das Zusammentreffen der
Könige aus Morgenland, und daneben die Anbetung der »Magier«, — wie
es scheint durch Herstellungsversuche entstellt, doch in üblicher Komposition
wenigstens die Gruppe rechts, Maria mit dem Kinde, noch zuverlässig.
Höchst charakteristisch und für die entwickelte romanische Kunst-
weise dieser Malereien entscheidend, besonders da, wo es sich um
freiere Erweiterung des althergebrachten und geheiligten Bilderkreises
handelt, ist die Rückkehr der Könige in ihre Reiche. Wir sehen
drei Tore, das mittlere ganz von vorn, die seitlichen schräg gestellt.
Links kommt der Reiter von innen heraus, in der Mitte reitet er dem
Tore parallel ruhig nach rechts; der letzte wird auf lebhaft sich bäumen-
dem Rosse von hinten gesehen, wie er durch das Tor nach links hinein-
sprengt. Das ist zweifellos eine germanische Abwandlung im Geschmack
des ritterlichen Lebens der Machthaber im Lande. An das 8. bis
10. Jahrhundert kann bei der exemplarischen Wahrheit dieser Schilderung,
— drei Momentaufnahmen in ganz bewußter Eroberung der Wirklichkeit,
nicht gedacht werden. Den Wurzeln dieses Strebens begegnen wir ja
schon in der karolingischen Kunst, wie im Codex aureus von St. Gallen;
aber wie weit ist es von jenen Anfängen bis zu dieser überraschenden,
wenn auch mehr leidenschaftlich outrierten als völlig durchgearbeiteten
6) Hier am Ende des Schiffes steht auf einem Altar die Kopie des Gemäldes
von Giov. Io Spagna, das sich in Berlin befindet und lange als Rafael galt, auch eine
Stiftung der Ancajani.
402
August Schmarsow:
Leistung. Wir müssen schon an die Reitergestalten in den Handschriften
der Apokalypse erinnern, um das erforderliche Vergleichsmaterial zu ge-
winnen, das hier in Betracht kommt
Von starker Heftigkeit, wenigstens in Einzelfiguren, scheint auch der
Kindermord gewesen, dessen Gesamtkomposition mir nicht zu erfassen gelang.
Über der Eingangstür ist aber ein breiteres Bildfeld der Taufe
Christi eingeräumt. Johannes schreitet weit ausholend von links heran,
die Engel beugen sich zur Rechten. Die Mitte ist verloschen.
Das letzte erkennbare Stück dieses Streifens war das Wunder der
Verwandlung von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana. Die
Machtgebärde, nicht das Festmahl, ist hier die Hauptsache gewesen.
In der dritten Reihe dieser Wand sind nur die letzten vier Dar-
stellungen erhalten, da die andern Teile durch Fresken des 15. Jahr-
hunderts bedeckt oder andern Veränderungen preisgegeben wurden. Nur
neben dem Triumphbogen in einer Pfeilernische ist noch ein Brustbild
des Erlösers hervorzuheben.
Unter der Anbetung der Könige befindet sich d^r Einzug in
Jerusalem, von dessen Christus schon die Rede war. Er ist ausschließ-
liche Hauptperson der Szene, ganz von vorn gesehen, während der Arm
sich seitwärts ausstreckt, — also wieder in byzantinischer Weise. Nur
drei Jünger folgen links dem Esel, auf dem der Herr reitet, während
rechts sich das Stadttor öffnet, aus dem wenige Gestalten in kleinerem
Maßstab mit lebhafter Gestikulation hervordrängen. Dies Mißverhältnis zum
Übrigen verrät, daß die Vorlage oder ihr byzantinisches Original stärker
perspektivisch in die Tiefe entwickelt war, durch Aufreihung aller Bestand-
teile im selben Vordergrund jedoch verschoben und sinnlos entstellt ward.
Daneben ist das Abendmahl als stille Feier gehalten: »celebrat
convivium Paschae cum discipulis suis« steht darunter, aber auf dem
gedeckten Tische liegt ein großer Fisch. In der offenen Pilasterhalle
mit rotem Dach und einer Giebelfront rechts sitzt Christus ganz zur
Linken mit Johannes an seiner Brust. Das stark ausladende Profil des
Meisters, wie die ausdrucksvollen, mit großen Augen dreinschauenden
Köpfe der Jünger verraten die griechische Schulung ganz deutlich. Wie
weit Judas als Verräter kenntlich gemacht oder gar zu Jesus in Beziehung
gebracht war, ist nicht mehr zu ersehen. Die ganze Partie unterhalb der
Tischfläche ist verdorben.
Bis an die Eingangstür vom Kloster her reicht dann die Szene der
Fußwaschung, die gleich dem Abendmahl an die reichen Kompositionen
in Duccios Altarwerk erinnert: Petrus und Christus rechts, die Gruppe
der übrigen Jünger lipks, also absichtlich im Gegensatz zu dem ruhigen
Mahl wieder als fortschreitende Handlung gegliedert.
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo.
403
Jenseits der Tür ist nur noch das letzte Stück der Wand mit der
Kreuztragung erkennbar, als deren Besonderheit sich nur, da die Köpfe
verloschen sind, die auffallende Tatsache feststellen läßt, daß Christus in
einer Reihe mit den beiden Schächern dahin schreitet. So kann kein
Zweifel bleiben: die Fortsetzung der Bilderreihe mußte rechts anschließen
auf der Schmalwand der Kirche, und der Platz über der Eingangstür
mochte für die Kreuzigung bestimmt sein. Sicheres läßt sich jedoch
darüber ebensowenig aussagen, wie über die andere Frage, die sich auf-
drängt, ob etwa die oberen Teile dieser Eingangswand dem Jüngsten
Gericht und der Glorie der Wiederkunft gewidmet waren. Die ganze
Schlußmauer wurde, wie die jetzige Größe der Tür, die Portaleinfassung
außen und deren Lünettenfresko darüber, sowie die Steinskulptur des
mächtigen Rundfensters bezeugen, um 1500 erneuert und verstärkt, wobei
nicht allein die Bemalung der Innenseite bedeckt, sondern auch ein Streifen
der anstoßenden Bilder auf den Längswänden geopfert ward. An der Innen-
seite, wo wir die weiteren Szenen des Ganges nach Golgatha erwarteten,
befindet sich ein Wandgemälde der Madonna mit Heiligen von einem
peruginesken, dem Spagna verwandten Meister mit der Jahreszahl 1513.
Über der Eingangstür außen war eine Steinplatte mit dem Wappen der
Ancajani angebracht, die ausgebrochen ist, doch im Hofe aufbewahrt wird
Sie beweist, daß dieses Herstellungswerk mit ähnlichen Arbeiten im Chor
der Kirche zusammenhängt, wo eine ganz verwandte Steinmetzenhand auf
einer skulpierten Seitentür das Datum 1499 eingegraben hat.
Beide Bestandteile, an der Front und im Chorhaupt gehören zu-
sammen, bezeichnen jedoch nur den Abschluß einer längeren Fürsorge der-
selben Familie. Das Wappen der Ancajani ist gemalt auch zu den Seiten
der Chortribuna zu erkennen und bezieht sich auf die Stiftung des Fresken-
schmuckes im Allerheiligsten. Ganz oben in den Zwickeln der Apsisöffnung
erscheinen die Figuren der Annunziata und des Engels Gabriel. In dem
Halbkuppelgewölbe ist ein kolossaler Christus stehend, von schwebenden
Engeln umgeben, dargestellt. An der halbzylindrischen Wand darunter ist
eine Madonna in trono zwischen zwei Engeln angebracht, daneben rechts
Petrus, links Paulus und je zwei andere Apostel in schmalen Einzelkom-
partimenten. Die noch lesbaren Teile der gemalten Inschrift lauten:
de Nobilibus de fabriano MCCCC liiij. Es ist ein etwas
zurückgebliebener Vertreter der Schule von Fabriano, den wir ohne die
sichere Datierung auf 1454 etliche Zeit früher angesetzt haben würden.7)
In der untersten Reihe thront S. Benedictus umgeben von S. Placidus und
7) Ricci, Memorie delle arti . . . della Marca, Macerata 1834, kennt nur einen
Maler Durante de Nobili da Caldarola aus dem 16. Jahrhundert. 1568. II, 155, 162.
404
August Schmarsow:
S. Maurus(?), weiterhin je drei andere Benediktinerheilige, wie Abbas Martialis,
Eleuterius, Lazzarus, Ysaccus und zwei andere zu den Seiten, Werke einer
spätem Hand, die wir schon dem 16. Jahrhundert zurechnen müssen.
Dagegen stoßen wir an den Pfeilern des Chores neben dem Hoch-
altar auf eine andere umbrische Schule des Quattrocento, die von Fuligno.
Der Art sind schon die Einzelgestalten des »Benedictus de Nursia, des
Petrus und Paulus, S. Lazarus Abbas, Sta. Scolastica«. Ganz besonders
aber ein Fresko mit der Beweinung des Gekreuzigten im Sakristeiraum,
dessen Magdalena dem Niccolö da Fuligno ganz nahe kommt.
Die kleine Nebenapside rechts vom Hochaltar, in der Nachbar-
schaft des Turmes, führt uns hingegen mit der Jahreszahl 1455 wohl zu
dem Meister de’ Nobili da Fabriano zurück. An die Art des Gentile da
Fabriano und des Ottaviano Nelli von Gubbio erinnert <Jie Madonna in
trono mit S. Petrus und S. Johannes, unter der zu lesen steht »hoc opus
fecit fieri frater laoren ....«, ganz besonders aber der schwebende Engel
in der Concha mit dem langen Schriftband voll gedrängter spätgotischer
Buchstaben, mit weiten wie ausgezaddelten Gewändern und dem rein
ornamentalen Schwung in der Haltung des Körpers.
Doch diese späten Zutaten erwähnen wir nur nebenbei, um über
den Ersatz der ursprünglichen Malereien durch andere Rechenschaft zu
geben, und kehren so schnell wie möglich zu den mittelalterlichen Wand-
gemälden im Langhaus zurück.
Es muß vor allen Dingen vermieden werden, die Zeitbestimmung
des großen Bilderzyklus ausschließlich auf die wenigen hergebrachten Dar-
stellungen der Schöpfungsgeschichte zu gründen, wie dies den christlichen
Archäologen nahe liegt, die sich bis dahin mit diesem Denkmal der
italienischen Malerei allein beschäftigt haben. Auch Descemets Ansatz
»depuis le IXme si£cle, — peut-etre!« — den M. G. Zimmermann
(Giotto 1,50 u. 272), ohne, wie ich gern annehme, das Werk selber gesehen
zu haben, wiederholt, ist um drei Jahrhunderte zu früh gegriffen. Diese
stets wiederkehrenden Szenen der Vorgeschichte des Erlösungswerkes werden
eben beibehalten, nach den überlieferten Vorlagen kopiert, nur je nach
dem Format der verfügbaren Bildflächen leise verschoben. Am Anfang
pflegt außerdem jede neue Redaktion befangen zu bleiben und respektvoll
den geheiligten Kanon zu bewahren. Im Verlauf aber erwächst dann die
Freiheit, und das Eigene drängt sich kühn zwischen die feststehenden
Kompositionen, wie z. B. der Brudermord, Noah, die Rückkehr der Könige
und ähnliches beweisen.8) Je lebendiger die Szenen sich unter der Hand
8) Soeben sehe ich, daß auch Guardabassi, Indice Guida dei Monumenti . . . .
dell’ Umbria, Perugia 1872, p. 72 diese Wandmalereien ins 12. Jahrhundert datiert, deren
Romanische Wandgemälde der Abteikirche S. Pietro bei Ferentillo.
405
des romanischen Malers gestalten, desto entschiedener tritt die Absicht
auf rhythmische Bewegung von links nach rechts, dem Vorüberschreiten
des Betrachters oder dem Dahingleiten des ablesenden Blickes entsprechend
hervor. Und eben durch diesen kontinuierlichen Fortschritt der Bilder-
reihen unterscheidet sich der Zyklus der Benediktinerabtei S. Pietro in
in Valnerina von dem späteren in der Oberkirche von Assisi, wo der
Strophenbau der großen gotischen Gewölbejoche den Verlauf unterbricht
und Gruppen enger zusammenzufassen zwingt, so daß immer ein Paar
von Szenen, links und rechts vom Fenster, auch als Gegenstücke wirken
können (wie in den rechteckigen Feldern unten) oder gar wirken müssen
(wie in den dreieckigen Bogenfeldern oben). Nehmen wir dazu noch
Duccios großes Altarwerk, — wo die horizontale Reihung auf der Mitteltafel
die vertikale, und zwar von unten nach oben aufsteigende, an den Eck-
pfosten^ miteinander kontrastieren, — so ergibt sich die Aufgabe, einmal
zusammenhängend zu untersuchen, wie weit die rhythmische Gliederung
der Bilderzyklen auch einen Wandel in der Komposition hervorgebracht
hat, die mit den Bedingungen und Absichten der raumschaffenden Archi-
tektur Hand in Hand gehen mußte, wo immer eine Einheit im Sinne des
herrschenden Stiles erreicht ward. Auch die Zurückführung der Fresken
und Tafelbilder auf Vorlagen der Buchmalerei kann nur befriedigen, wenn
sie diese Gesichtspunkte berücksichtigt, womöglich auch im höchsten Eifer
gegenwärtig hält. Auch Wandgemälde müssen ja durch Entwürfe in
kleinem Maßstab vorbereitet sein, so daß aus Residuen dieses kleineren
Formates allein in großen Bildern nicht schon auf ihren Ursprung aus
Miniaturen geschlossen werden darf. Die umbrische Tradition der Kirchen-
malerei steht angesichts dieses Denkmals im Tal der Nera ganz anders
da, als mit dem Miniaturisten Oderisi allein gesehen (wie Rep. XXVII, 248).
Die vollständige Publikation der Wandgemälde in S. Pietro bei
Ferentillo ist eine Ehrenpflicht der italienischen Forscher. Erst sie wird
der vergleichenden Untersuchung aller Einzelheiten ermöglichen, dies einzig-
artige Denkmal echt romanischer Malerei auf italienischem Boden vollauf
zu würdigen und chronologisch genauer einzuordnen, als es hier, ganz
ohne Vergleichsmaterial am Orte, versucht werden konnte. Mir genügt
es, die monumentale Gesamtdisposition des Zyklus, um die sich niemand
bekümmert hat, in ihr Recht wieder eingesetzt zu haben.
Bedeutung jedoch unterschätzt: »sembraci che questi dipinti emanino dalla scuola degli
alluminatori umbri fondata dai monaci che vennero d’Oriente.« Venturi erwähnt das
Werk in seiner Storia dell’ Arte italiana II und III garnicht.
9) Dies zur Rekonstruktion der getrennten Bilderreihen 1 Auch Nr. 61 gehört dazu.
II memoriale di Baccio Bandinelli
di Arduino Colasanti.
Solevano gli antichi, per uso quasi costante, tenere un libro nel
quäle registravano con esattezza minuta le loro entrate e spese, i loro con-
tratti e affari, i fatti di famiglia piü degni di memoria, gli onorevoli
uffici ottenuti e i piü notevoli avvenimenti della cittä. Fra i piü im-
portanti di questi libri di ricordanze si deve senza dubbio annoverare
quello in cui dal 1233 al 1261 vengono dichiarate le entrate, le spese
e le memorie di madonna Moscada, vedova di Spinello e tutrice de’ suoi
figliuoli Spinello, Aldobrando, Matasala e Ugolinella.1) Qui ancora la
parte piü importante del libro ü costituita dai ricordi della finanza do-
mestica e dalla esatta registrazione dei debiti e dei crediti, cosi che da
quelle pagine scaturisce la chiara visione dei bisogni, delle abitudini, dei
criteri economici di una famiglia toscana nella seconda metä del dugento.
Ma non mancano documenti, della stessa natura e allo stesso modo
antichi, in cui, vicino alle note della spesa e dell’ entrata, appariscono
notizie di avvenimenti familiaii e cittadini, veri accenni alla cronaca e,
quello che a noi piü importa, all’ autobiografia. Ci basti a questo
proposito di citare i ricordi di Guido di Filippo di Ghidone dell’ Antella,
che vanno fino all’ anno 1298, e le memorie di ser Cristofano di Gal-
gano Guidini da Siena.2) I primi conservano ancora una forma embrionale
e schematica e, in brevi capoversi, vi si notano fatti della vita del-
l’autore, riassunti di carte di negozi, nude e semplici notizie dei matri-
moni delle sorelle e delle morti dei parenti, i nomi delle serve, delle
balie e delle schiave, locazioni di botteghe e di poderi. Nelle memorie
di Cristofano Guidini, comprendenti un ragguardevole periodo della
seconda metä del secolo decimoquarto, la intenzione autobiografica
assume in vece carattere e forma di vera narrazione, che risale alle origini
della famiglia dell’ autore, si trattiene sulla giovinezza di lui e sulle
relazioni che egli ebbe con S. Caterina, di cui viene financo riportata
') N. Tommaseo-G. Milanesi, Ricordi di una famiglia senese del
secolo decimoterzo, in Archivio storico italiano, Appendice, v. V, Serie I.
2) F. Polidori, Ricordi di cose familiari scritti da varie persone,
in Arch. stör, it., ser. I, v. IV, p. 3 e segg.
Arduino Colasantk- II memoriale di Baccio Bandinelli.
407
una lettera, da conto particolareggiato di quanto si riferisce ai figli e
alla famiglia di messer Cristofano.
Piü tardi, vicino alle memorie di Bartolomeo di Michele vinattiere,
che si iniziano nel 1405 e giungono fino al 1438,3) vicino alle ricor-
danze di Luca drMatteo di messer Luca Firidolfi da Panzano,4) a quelle
di Tribaldo de’ Rossi, comprendenti un periodo di quindici anni, dal
,1484 al 1499,5) e alle altre di un anonimo mercante pisano,3 4 5 6 7) le quali
tutte si riferiscono piü speeialmente a partite di amministrazione domestica,
troviamo il libro in cui Giovanni Ruccellai, da sü o per mano di altri,
lasciö. scritti i ricordi della sua vita, della sua famiglia, dei suoi amici,
.registrö avvenimenti pubblici dei quali fu> testimone, descrisse Roma
durante il giubileo dei 1450, prese nota di quanto trovava di piü memo-
rabile nei libri che leggeva, palesö i pensieri e gli affetti propri con sem-
plicitä, espose il frutto della sua lunga esperienza in savie osservazioni.7)
Cosf a poco a poco si veniva determinando una vera e propria
forma autobiogralica, nella cui formazione gli elementi popolari non
hanno meno importanza di quelli letterari, perchü si vedono muovere da
puati diversi e poi confluire quelle correnti che risalgono da un lato
alla famosa lettera dei Petrarca ad Posteros, dälf altro a questi umili
scrittori di commentari domestici, di diari, di ricordi e di cronachette
familiari.8 9)
Fra gli autori di tali ricordanze, vicino a mercanti di ogni condizione,
figurano spesso artisti, per i quali ogni notizia di viaggi, di relazioni, di
acquisti e di contratti puö avere capitale importanza, quando serva a
lumeggiare meglio la loro attivitä, la cronologia delle opere e, sovente,
anche la ragione di alcuni speciali atteggiamenti dell’ arte loro, che
altrimenti riuscirebbero inesplicabili. Sono note, in tatti, le memorie di
Oderigo di Andrea di Credi, orafo fiorentino, che vanno dal 1405 al
1425,9) non. meno dei ricordi di Neri di Ricci conservati nella Galleria
3) Muratori, Rerum italicarum scriptores, v. XIX.
4) Carnesecchi, Un fiorentino del: secolo decimoquinto e le sue
ricordanze domestiche, in Arch. stör, it., s. V, v. IV, p. X45 e segg.*
5) P. Ildefonao di S. Luigi, inDelizie degli eruditi toscani, v. XXIII.
6) E. P.icpolom ini, Cronachetta pisana, Pisa 1877, per nozze Teza.
7) G. Temple Leader, in Arch. stör. it. s. III, v. XV; G. Marcotti, Un
mercante fiorentino e la sua famiglia nel secolo decimoquinto, Firenze,
Barbera, 1881. Per nozze Nardi-Amaldi.
8) Cfr. a questo proposito: Vita di Benvenuto Cellini, con introduzione e
note di O. Bacci,. Firenze, Sansoni, 1901, p. LXXIV; le osservazioni di S. Salvini
premesse alla Cronica di B. Pitti, Firenze, Manni, 1720; E. Leporati, B. Cellini
e la sua autobiografia, J1898.
9) F. Polidori, art. cit.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
28
408
Arduino Colasanti.
degli Uffizi, del giornale di Maso di Bartolomeo, scultore fiorentino,
pubblicato dall’ Yriarte,10) dei frammenti finora ritrovati delle ricordanze
di Alessio Baldovinetti11) e del diario di Jacopo Carrucci detto il Pon-
tormo, da noi recentemente illustrato.12)
Non £ qui il luogo di mostrare tutto il pregio singolare di queste
memorie, specialmente in rapporto con i grandi documenti, quali il codice
dell’ Anonimo .Gaddiano * *3), i Commentarii del Ghiberti *4), gli scritti del
Filarete e dell’ Anomino Morelliano^) e il libro di Antonio Billi, che non ci
iniziano ai segreti della vita privata dell’ artista. Ma, riferendoci a quanto
giä da altri e da noi fu scritto sull’ argomento, ci basta di far rilevare che
1’ importanza di tali scritture non solo 6 strettamente storica, ma psicologica,
e che, anche quando esse non ci forniscono notizie dirette su questa o su
quell’ opera di un maestro, chiariscono le condizioni morali e materiali,
1’ ambiente in cui quelle opere furono pensate e create, lumeggiando quei
fatti minuti, quelle piccole cause, onde spesso traggono origine le grandi
cose; anche quando non ci offrono materiali utili per risolvere i problemi
relativi allo svolgimento dell’ attivitä di un artista, ci aiutano mirabilmente
a ricostruire la sua personalitä interiore, mostrandoci 1’ uomo fra gli affetti,
i pensieri, le abitudini che egli ebbe familiari.
Questa speciale importanza nessuno vorrä ragionevolmente negare
al Memoriale di Baccio Bandinelli, che oggi per la prima volta esce
dall’ oblfo in cui fu tenuto per piü di tre secoli e mezzo.
Nelle cinquanta pagine dettate al figliuolo Cesare, il quäle tutte le
scrisse di sua mano, Baccio Bandinelli ci appare veramente quäle a noi fu
I0) Yriarte, Journal d’un sculpteur florentin. Livre de Souvenirs
de Maso di Bartolommeo dit Masaccio, in Arch. stör, it., s. V, v. XV, p. 391
e segg.
") H. P. Home, A newly-disco vered »Libro di ricordi« of Alesso
Baldovinetti, in Burlington Magazine, 1903, nn. 4 — 5, p. 22 e segg., 167
e segg.
I2) A. Colasanti, Il Diario di Jacopo Carrucci da Pontormo, in Bollet-
tino della Societä filologica romana, 1902, n. 2.
*3) C. De Fabriczy, Il codice dell’ Anonimo Gaddiano (cod. maglia-
bechiano, XVII, 17) nella biblioteca nazionale di Firenze, in Arch. stör,
ital. 1893, P- 35» C. Fry, Il codice magliab. CI. XVII, 17, contenente no-
tizie sopra 1’ arte degli antichi e quella dei fiorentini da Cimabue a
Michelangelo Buonarroti scritte da Anonimo fiorentino, Berlin, Grote, 1892.
J4) Vita di Lorenzo Ghiberti scultore fiorentino scritta da Giorgio
Vasari con i Commentari di Lorenzo Ghiberti herausg. von Carl Frey,
Berlin, Hertz, 1886.
*5) Jacopo Morelli, Notizia delle opere di disegno di un Anonimo,
ediz. del Frizzoni, Bologna Zanichelli, 1884.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
409
descritto con insuperabile vivezza dal Vasari,16) dal Cellini e dai versi di
Alfonso dei Pazzi. In un’ epoca nella quäle il concetto della personalitä
umana era tanto elevato che negli epistolari degli Umanisti e nei versi
dei poeti filologi assume spesso tutte le apparenze della vanagloria,1?) il
Bandinelli appare addirittura invasato dal desiderio di far rilevare l’im-
portanza della sua persona. Ricerca studiosamente e vanta la sua origine
nobile, ostenta ad ogni passo la protezione di cui gli era larga la casa
de’ Medici, pone in luce la benevolenza dimostratagli dall’ imperatore
Carlo V, col piü vivo compiacimento si dichiara amico di papi, di principi
e di ambasciatori, con falsa modestia finge di non voler parlare delle
proprie opere, ma le pone al di sopra di quelle della maggior parte
degli artisti dei suo tempo.
Questa presunzione che Baccio mise in ogni atto della sua vita e
che sembrö toccare il colmo quando egli, poco sapendo di architettura,
osö di offrire 1’ opera sua per la nuova fabbrica dei Palazzo mediceo di
Pisa,1^) questa insaziabile brama di voler sembrare sempre piü grande
dei vero, che nel Memoriale si rivela palesemente a ogni pagina, che
anzi fu 1’ impulso maggiore onde il Bandinelli fu tratto a dettare le ricor-
danze sue e quelle de’ suoi maggiori ai figliuoli, condussero a volte
1’ autore a esagerare alcuni fatti, a tacerne altri o ad alterare addirittura
la veritä. Cosi, a proposito della vantata cordialitä dei papa Clemente VII
a riguardo di lui, noi abbiamo sufficienti ragioni che c’ inducono a credere
come talvolta avvenisse precisamente il contrario. Sappiamo, in fatto, che
gli operai dei Duomo di Firenze avevano allogata nel 1514 ad Antonio
di Salvi e a Michelagnolo di Viviano, padre di Baccio, una croce d’ argento *
con alcune storie della passione di Cristo.^) Morto Michelagnolo, il
Bandinelli chiese al papa che desse a finire quell’ opera a Francesco
dei Prato, ma Clemente bruscamente ordinö che si saldasse il conto
e che gli Operai fondessero tutto 1’ argento, per servirsene ne; bisogni
della chiesa.20) Queste notizie ci furono tramandate dal Vasari, e
molto precisamente appariscono confermate in una lettera che lo stesso
Baccio il 29 dicembre dei 1528 indirizzö da Roma al Gonfaloniere
Niccolö Capponi.21)
*6) Vasari, Le Vite, ed. Sansoni, VI.
17) Burckhardt, La civiltä dei secolo dei Rinascimento in Italia,
Firenze, Sansoni, 1876, I, 193 e segg.
»*) Gaye, Carteggio inedito d’ artisti, III, p. 4.
19) Archivio dell’ Opera dei Duomo di Firenze, Deliberazioni dal 1507 al
1515, a c. 74.
*°) Vasari, op. cit. VI, p. 156 — 157»
ai) Gaye, op. cit. II, p. 175.
28*
4io
Arduino Colasanti:
Era naturale che tale esagerata vanitä, 1’ ambizione smodata e quel
suo andar vantando il favore e la protezione dei potenti, che sapeva
procacciarsi piü con 1’ abilitä delle parole che con 1’ eccellenza delle opere,'
suscitassero intorno al Bandinelli un grande numero d’ inimicizie e d’ in-
vidie, le quali trovarono sfogo da un lato nelle prose del Varchi, nei
giä citati sonetti satirici di Alfonso de' Pazzi e di altri rimatori e nel-
1’ autobiografia del Cellini, dall’ altro nel Memoriale di Baccio e in alcuni
suoi versi che, per riverenza all’ arte, non intendiamo di riesumare. Chi
vorrä ricordare tutti i particolari e rievocare la storia di questa banale
lotta di interessi colpiti, . di ambizioni deluse, di malignitä impotenti,
dovrä rifarsi dall’ episodio, narrato nel Memoriale, di un’ acerba critica
fatta dal Vasari a un disegno del Bandinelli, dalla tempesta d’ invidie e di
odi suscitati contro Baccio allorche dall’ imperatore Carlo V gli fu con-
ferita la dignitä di cavaliere di S. Jacopo, dalle controversie le quali
sorsero fra lo scultore toscano e gli Operai del Duomo di Firenze,
dalla tracotanza sfacciata onde lui, ignorante scalpellino, fu tratto a rim-
beccare il Varchi, in presenza del Duca, a proposito della interpretazione
di un passo di Tacito.
Ma a queste miserabili competizioni non avremmo noi neppure
accennato, se esse non ci aiutassero a comprendere meglio la natura
dell’ uomo, che tanto apertamente ci si manifesta nel Memoriale, e non
spiegassero il livore e la parzialitä di cui il Vasari non seppe spogliarsi
scrivendo la vita di Baccio.
A tacere del giudizio esageratamente severo dato sulla produzione
artistica del Bandinelli, la quäle, per quanto disuguale e meritevole troppo
spesso di biasimo, ha pur diritto qualche volta a una maggiore consi-
derazione, £ nostro fermo convincimento che non tutte le affermazioni
dello storico aretino, riguardanti il Bandinelli, possano accettarsi a öcchi
chiusi. Il Vasari, ad esempio, dopo avere rimproverato a Baccio di essersi
procacciata per mezzo di intrighi • la commissione di eseguire le tombe
di Leone X e di Clemente VII, afferma che lo scultore vi attese allst
peggio, sollecitando piu il riscuotere 1’ argento che il lavorare il marmo.
I cardinali Innocenzo Cibo e Giovanni Salviati gli avrebbero in particolar
modo raccomandato di modellare bene le statue dei due pontefici, ma
il Bandinelli, avendo giä riscosso tutto il suo, per mezzo del vescovo di
Cörtona avrebbe fatto pratiche di partirsi da Roma, per ottenere lavoro
dal duca Cosimo nella fonte di Cestello e nella sepoltura di Giovanni sua
padre.* 23) Il che 6 smentito dai fatti, perch6 da una lettera scritta nel
22) Cfr. Memoriale; Vasari, op. c}t VI, 175; Gaye, II, 498.
2 3) Vasari, op. cit., VI, pag. 167.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
4 II
marzo 1540, con la quäle Baccio, che stava in Roma, prega Cosimo I di
mandargli le misure esatfe dei marmi, si conosce che fino da allora egli
aveva preso a costruire il monumento di Giovanni delle Bande nere, la
cui formale allogazione gli fu data con contratto de! 26 maggio dello
stesso annoA4)
II fatto £ che il Bandinelli parti da Roma, lasciando incompiute le
statue di Leone X e di Clemente VII, e il Vasari aggiunge subito
malignamente che per questo fatto egli «ebbe per forza a rendere con
suo disagio i danari, i quali aveva sopmppresi per quelle statue e figure»A5)
Ma anche questa volta le parole. dell’ Aretino sono contraddette da
testimonianze meno sospette, dalle quali risulta che, allontanatosi Baccio
dalla cittä eterna, Baldassarre Turini si adöperö prima presso il cardinale
Innocenzo Cibo, poi presso Cosimo, perch£ lo scultore fosse inviato a
compiere il suo lavoro, e da Cosimo F ottenne, E, in vero, nell’ aprile
del 1541 il Bandinelli lavorava ai monumenti dei due papi con piena
soddisfazione dei committenti, come il suddetto Turini scrive da Roma a
Cosimo IA6) Piccole cose queste, ma che pur valgono a gittare una viva
luce sul complesso della biografia di Baccio Bandinelli e sui sentimenti
dai quali il Vasari doveva essere ancora ispirato nello scriverla.
Gon questo non iritendiamo contrapporre un nuovo Bandinelli di
maniera, a quello giä descritto dallo Storico dell’ arte italiana, come
non vogliamo scagionare Baccio da ogni accusa di indelicatezza, il che
sarebbe reso impossibile dallo stesso racconto che egli nel suo Memoriale
fa delle ragioni onde fu indotto a lasciare incompiuti a Genova i lavori
ottenuti per mezzo del cardinale Doria. Ma ci sembra innegabile che
il Vasari,. parlando del Bandinelli dopo la morte di lui, non seppe del
tutto spogliarsi di quell’ odio che, del resto, lo scultore gli aveva ricam-
biato fieramente.
Pur tuttavia sull’ autoritä e sulla fede del Vasari ancora si conti-
nuano ad affermare fatti, i quali, se fossero provati, dovrebbero condan-
nare alla ignominia il nome del Bandinelli. Vogliamo alludere all odio
feroce che Baccio avrebbe nutrito contro Michelangelo e che in due
-occasioni egli principalmente avrebbe dimostrato, quando, avuto fra le
mani il celebre cartone della battaglia di Anghiari, lo distrusse, e quando,
avendo fatto chiedere a Michelangelo, per mezzo del Duca, alcuni marmi,
trovö fra questi una statua condotta molto innanzi e varie bozze di
*4) Le condizioni di questo contratto furono pubblicate dal Milanesi nelle sue note
al Vasari (luog. cit.).
2 5) Vasari, op. cit. VI, p. 169.
l6) Gaye, op. cit. II, p. 286.
412
Arduino Colasanti:
figure e ogni cosa tagliö in pezzi e tritö, »parendogli in questo modo
vendicarsi e fare a Michelagnolo dispiacere«.a7)
Sembra a noi che cid si possa per lo meno revocare in dubbio.
Invero in tutto il Memoriale ogni volta che Baccio ha occasione di
nominare Michelangelo adopera parole di alto riguardo e di ammirazione,
si dichiara con ostentazione suo amico, lo chiama »il grande Buonaruoti«,
e il »buon Buonaruoti«, mostra di essere stato in relazione con lui allor-
quando si trattava di scegliere a Carrara i marmi per i sepolcri di Leone X
e di Clemente VII, riporta non solo i giudizi lusinghieri di lui come.
titolo di altissima lode, ma ascrive a suo onore il biasimo che talora ne
ebbe, scrivendo: »Mi occorre ancora dirvi, figlioli mia, come talvolta
ero biasimato da molti e particolarmente dal buon Buoniaruoti, il giuditio
del quäle stimavo sopra ogni altro, si perchd era intelligente, come perchd
non si moveva da animo malignio Una volta tanto, adunque,
la vanagloria di Baccio si inchinava umilmente dinanzi al genio sovrano
e alla rettitudine del terribile scultore.
Tutto cid d certo molto lontano dall’ odio mortale e dalT invidia
feroce di cui il Vasari vorrebbe mostrarci invasato il Bandinelli contro
Michelangelo, poichd non sapremmo davvero comprendere per quali
motivi Y uomo vanitoso, che parlava ai suoi figli e che non aveva
avuto nessun ritegno di dichiararsi avversario dello Zani, di Alfonso
de Pazzi, dello stesso Vasari e del Varchi, avrebbe doVuto a un tratto
mascherare fino a questo punto i suoi sentimenti. E, se le nostre
deduzioni sono giuste, crediamo che almeno sia ancora da invocare
un poco di luce su un fatto che, in base alla sospetta testimonianza
dello Storico aretino, fu dato come certo dai piü recenti biografi del
Buonarroti.
Il Memoriale di Baccio Bandinelli si conserva nella Biblioteca cen-
trale nazionale di Firenze, in un codice autografo del secolo decimosesto,
segnato: Palat. Bandinelli 12; cartaceo, di forma rettangolare e delle di-
mensiom di mm. 210 di larghezza per mm. 275 di altezza. Compongono
il codice cinquanta pagine numerate e ventuno carte non numerate,
divise in tre fascicoli di otto fogli ciascuno; le ultime due carte servono
da foglio di guardia. Il codice ha una rilegatura coeva in pergamena
e si chiude con due lacci di stoffa gialla. Sulla rilegatura si legge il
seguente titolo:
*7) Vasari, op. cit. VI, p. 168.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
413
MEMORIALE
DEL SIG. CA VAL. BAR-
TOLOMMEO BANDI-
NELLI
DELL’ ANNO MDL
SEG. B.
A FIGLIVOLI
evidente che questo titolo fu aggiunto al codice in epoca tarda,
perch£ la data 1550 non corrisponde al contenuto. Infatti due volte
nel Memoriale si parla della cappella che il Bandinelli aveva scelta per
tomba della sua famiglia nella chiesa dell’ Annunziata. Ebbene, noi sap-
piamo che il regolare contratto con i frati per la cessione di quella
cappella fu stipulato soltanto il 2 maggio del 1559 e che il 28 febbraio
dell’ anno antecedente Lelio Torelli scriveva al duca Cosimo, perch£ il
Bandinelli voleva togliere dalla chiesa dell Annunziata la tomba di un
soldato morto in duello, per collocarvi la sua Pie tä eseguita in marmo.
Al titolo sopra riportato segue un frontispizio con un giglio di
Firenze, rozzamente delineato a penna e colorito con matita rossa; quindi
nella carta seguente ha principio il Memoriale con le seguenti parole:
»Adi 18 di maggio 1552« e lo scritto continua fino alla metä della
pagina quarantesima sesta, dove termina con le parole che seguono:
»viviate lungamente felici e nel cielo co’ padri vostri nel secolo de’ secoli.«
Lungo il margine delle pagine corrono richiami posteriori e d’ altra
mano, contenenti un breve compendio del testo.
Insieme con altre filze di memorie e lettere e documenti, spettanti
alla famiglia Bandinelli, il codice contenente il Memoriale entrö nella
biblioteca fiorentina nel dicembre dell’ anno 1850, acquistato dal biblio-
tecario Francesco Palermo.
Trascrivendo il manoscritto abbiamo voluto scrupolosamente ripro-
dume il testo, rispettando 1’ ortografia dell’ autore. Solo, per agevolarne
1’ intelligenza, abbiamo creduto di aggiungere apostrofi, accenti e segni
di interpunzione, e di dividere le parole secondo 1’ uso moderno.
Quanto alle note, non abbiamo creduto di apporre che quelle le
quali ci sono sembrate assolutamente necessarie per togliere di mezzo
possibili equivoci e per la migliore lettura del testo.
* *
*
Adi 18 di maggio 1552
Al nome di Dio, della Gloriosa Madre; di S.o Giovambatista, e di
S.a Caterina da Siena miei avvocati. Questo libro chiamato Memoriale
segniato B, e di me Care Bartolomeo Bandinelli, nobile fiorentino, tenuto
414
ATduino Colasanti:
e scritto per le mani di Cesare miö figliolo, da me dettatogli, dove saranno
scritte piü e diverse memorie slcome hanno fatto Bartolomeo e Francescho
di Bandinello miei avoli; e tutto per inteligentia de’ miei successori, acciö
sappino chi sono e quanto devono bene portare, e tutto a Gloria de Dio.
Al nqme de Dio.
Memoria prima. Sapranno i mia discendenti, sicome troveranno per
diversi ricordi di Michelagniolo mio padre, Bartolomeo mio bisavolo e Fran-
cescho. di Bandinello mio archavolo, in un libro di ricordi in cartapecora
segniato A di loro propria mano e cominciato in Siena l’anno 1430, quäle
appresso di me si conserva, e raccomandolo a miei figlioli, qome la casa
nostra ha avuto origine da Bandinelli di Siena; e per loro inteligentia;
Da un conte Bandinello avolo di papa Alessandro III, il quäle
discendeva da un conte di Franchonia, ehe venne eon Carlo Magno
imperatore de Lamagnia, dal quäle riceve in Toschana castelli e signorie,
et, essendo de Grandi, i suoi discendenti si feciono cittadini di Siena,
dove dagli imperadori vegnenti furno fatti Vicari in Toschana e conti
di Siena: da questo Conte, dico, nacque lo conte Guido, quäle ebbe
per figliolo lo conte Aldobrandino, e questi Guido, che fu in Terra Santa
con molti Ciocisegnati, a quali comandava; et ebbe in suo retaggio pi Ci
castella, e fu padre di Bandinello, che vend£ quello d,ella Selva alla Si-
gnoria di Siena; lo quäle fu padre di messere Sozzo, cavre di Retaggio
e del Senato, quäle, fra gli altri figlioli, ebbe Francescho Senatore e cavre
molto famoso, ricco e splendido, eome si vede per un trionfo di un
Gentiluomo de’ Rossi mostratomi - in Siena da messere Belisario e messere
Niccholö Bandinelli di Siena, miei parenti, che lo conoscevano e me
ne hanno promesso copia, Dallo cavre Francescho nacque uno altro
Bandinello, che, imparentatosi con Madonna Claudia Forte Guerri, mori
giovane e lasciö trancescho suo figliolo, il quäle Francescho, avendo in
Siena pr .0 mA8), dal quäle nacque tre figlioli chiamati Bartolomeo. Ban-
dinello e Claudia; Bandinello mori in fasce, e Claudia si fece monaca
in Siena, hora Bartolomeo, diventato discolo e di una compagnia chia-
mata Chiassa,* 29) il padre lo mandö a Firenze, lo raccommandö alla
l8) preso moglie?
29) Allude evidentemente a qualcuna di quelle Compagnie godereccie di cui par-
lano G. Villani (Cronica, VII, 89) e Buoncompagno Gramatico (Cedrus) e che Dante
flagellö nei versi in cui parla di Folgore da S. Gemignano. Queste Compagnie di lieto
vivere, che parvero contrapporsi alle confraternite dei DiscipKnati, abbondarono in Siena,
dove furono celebri quelle della Consuma, dello Scricca, del Lano e altre, fra le quali
non ci e avvenuto di trovar notizia di questa »Chiassa« di cui parla il Bandinelli (Cfr.
la ricca bibliografia su Folgore. da S. Gemignano, e inoltre: Aqüarone, Dante in
Siena, Gati, 1865; Falletti-Fossati, Costumi senesi nella seconda meta del
II mcmoriale di Baccio Bandinelli.
415
protezione di Cosimo de’ Medici, che allora dominava quasi tutto lo
statö fiorentino, avendo i Bandinelli, per avere dato altre vuolte soccorso
a quella- Repubblicha, amicizia seco e con Giovanni suo padre, detto
Piccarda; ma Bartolomeo, pocho attendendo a’ ricordi del padre e alla
nobiltä. del sangue suo, si innamorö di una giovane de’ Ceccherini, Maria
addomandata, e presela per moglie senza saputa di nessuno, onde il padre,
venuto in collera ne acquietato alle persuasioni di Cosimo, che lo esor-
tava, da che il fatto era fatto, all' avere pazienza, si per questo come
per altre cagioni, vedendo le discordie della sua cittä, le private nimicizie
e il popolo avere tolto il maneggio a’ grandi 3°) se ne ando
per diverse parte del mondo, di Europa e di Asia, come si vede da’ ri-
cordi sopra nominati de detto Francescho e Bartolomeo, a carte 7 e 12,
e finalmente tornato, e vedendo essere nato un figliuolo a Bartolomeo,
chiamato Viviano, per 1’ anticho Viviano fratello di papa Alessandro 30
e di Oddo Bandinelli, alle preghiere di Cosimo venne ad abitare a f'irenze
intorno all’ anno 1450 et aperse casa tolta a pigione in via Larga; ebbe
Bartolomeo tre altri figlioli, Francescho, Fulgenzio e Bandino.
Fulgenzio studiö in Parigi, si addottrinö dalla Sorbona in utroque
jure e, tornato a Firenze, se ne ando a Siena dai suoi parenti Bandi-
nelli, e doppo alcuni mesi si fece e vesti in S. Tomm£ di Siena, dove
fatto professione; fu mandato a Milano, ove doppo alcuno tempo nel
Capitolo Generale fu fatto presidente di quell’ ordine: era homo di grande
scienzia, di buona vita, e compose molte opere in prosa, in rima, latine
e toschane, delle quali ne £ alcune in casa: e perch£ la religione e fra-
teria delli Humiliati era in quei tempi molto relassata per esservi molte
ricchezze, pochi conventi e molti de’ grandi scapestrati, volendola ridurre
all’ osservanza, vi pati molte persecutioni, e, volendo il papa a sue pre-
ghiere rimuoverlo e farlo vescovo, venne di relassatione a morte e fu
sotterrato in Braida: gli fu fatto un epitaffio dall’ Averoldo. Francescho
mori in fasce e Bandino ando in Francia, dove sotto il Capitano Brisso-
netto fu alfiere, chiamato da’ Francesi Bandino di Toschana. Si trova
del generale fra’ Leone una ode in Scherzo contro agli Humiliati etc.
Quanto a Viviano, primogenito di Bartolomeo, preso moglie in Roma
madonna Smeralda Donati, nobile fiorentina, ne ebbe due figlioli: Michela-
gniolo e Giovambatista, che fu, come si dirä, capitano in Francia, non
ebbe figlioli ne prese moglie; ma Michelagniolo, colta madonna Caterina
di Taddeo Ugolini, rnia amatissima madre, quäle ebbe me Bartolomeo,
secolo decimoquarto, Siena, 1882, p. 189; Zdekauer, Il giuoco in Italia nei
secoli decimoterzo e decimoquarto, in Arch. stör. ital. Serie IV, vol. XVIII,
20 — 74, XIX, 3 — 22).
3°) Lacuna di un quarto di riga nel testo.
416
Arduino Colasanti:
Ruberto, e Giovambatista e Lucretia, che, monacha in S° Vincentio di
Prato, fu chiamata suora Piera. Ruberto mori piccolo, Giovambatista,
cassiere della banca de’ Medici, venne a morte di 18 anni, et io, avendo
presa per moglie madonna Jacopa di Giovambatista Doni, ne ebbi Ce-
sare, Caterina prima, Caterina seconda, Scipione, Alessandro, Giulio,
Leonora e Michelagniuolo e Lucretia.
Tutto quanto e detto di sopra si prova et vede da’ sopra detti
ricordi e scritture private e pubbliche di Siena e di Firenze, älbore della
casa, testamenti appresso di me et a’ Bandinelli mia di Siena; con tutto
cid, per dare maggiore notizia della casa, facendoci da principio, rino-
veremo alla memoria alchuni particolari de’ principali sopra nominati,
rimettendo perö i mia successori al suddetto libro di ricordi tenuto am-
pliamente da detti Francescho, che cominciö la nostra Genealogia, e da
Bartolomeo suo figliolo.
Memoria II.
Quanto a Francescho, questo, come si detto, andö in Grecia, nel-
1’ Asia Minore e, ritornando in Europa, passö in Germania e in Francia:
quando venne a fermarsi a Firenze messe su la bancha de Medici, come
al loro libro grande segniato C. coregge rosse, carte 332, ducati cin-
quemila di suggello di piu beni venduti, come al suo libro di ricordi a
12 e testamento del figliolo Bartolomeo. Pariava piü linguaggi, cioe
latino, greco e schiavone, e fu grande amicho di Cosimo il Magnifico:
il resto vedasi a’ sua ricordi, per un contratto fatto nell’ Asia Minore
rogato 31) e per una Sanitä de’ Conservadori di Marsiglia
1’ anno 3a) scritture a presso di me.
Memoria III.
Quanto a Bartolomeo sopra detto suo figliolo, doppo la morte del
padre ritornato a Siena, vi stette circa a dua anni, di dove, fatta la
ritornata, volle ancora lui andare a vedere il mondo, et, arrivato in Ger-
mania, proccurö et ottenne da Federigo terzo imperatore un privilegio
dato in 33) per lo quäle Federigo, con-
siderando a’ favori fatti a’ suoi passati diversi Imperatori, e 1’ avere avuto
31) Lacuna di mezza riga nel testo. Questa e la maggior parte delle lacune che
seguono traggono origine da un fatto facilmente spiegabile. Citando nomi e date,
Baccio non ricordava con precisione I, e lasciö in bianco uno spazio che certo poi si
riprometteva di riempire, ma che in vece restö vuoto per ragioni a noi ignote.
31) Lacuna di un terzo di riga nel testo.
33) Lacuna di un quarto di riga nel testo.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
417
un Papa e tanti conti e Signiori, lo fece con tutti i, sua descendenti
per sempre Conte Palatino e cavre a sproni d’ oro, con potere di creare
giudici, notari, legittimare bastardi etc. Allorch£ fu anche favorito dal-
1’ arcivescovo di Colonia che aveva in Roma conosciuto, come si vede per
detti ricordi a 15 e per lo detto privilegio in pergamena ed uno stagnio
con 1’ arme imperiale (£ aquila d’ oro a due teste in cera rossa), e di
qui tornato a Firenze e stato alcuno tempo, se ne andö a Parigi, dove
era a Studio il suo figliolo Fulggenzio, dove, ammalato di male di fianco,
venendo a morte, fu sotterrato nella chiesa de 34) doppo
avere avuto tutti i santi sacramenti della chiesa e fatto testamento sotto
di — — 35), che il figliolo dottore Fulggenzio tornö a Firenze e
lo consegnö alla madre e a Viviano suo fratello, come si vede dal detto
etstamento e altre memorie.
Memoria IV.
Quanto a Viviano mio Bisavolo, e figliolo di detto Bartolomeo,
doppo la morte del padre, prese per moglie in Roma madonna Smeralda
Donati figliola di messere 36) ed avutone Michelagniolo mio
padre e Giovambattista mio zio, e vedendo come i sua danari lascia-
tegli dal padre o per dire meglio dall’ avolo Francescho in su il Bancho
de’ Medici erano assai diminuiti n£ piii restato da vendere in su il Sanese,
avendo fatto Bartolomeo del resto, deliberö di tentare la sua fortuna e,
raccomandatosi alla stessa ricca e potente casa de’ Medici, con quello
che aveva, con 1’ aiuto della stessa, de’ Donati sua parenti e altri amici,
caricö sopra la nave S° Giorgio, capitano Andrea da Sestri Genovese,
pannine, drappi e altre mercanzie, e, fatto vela, ne spedi parte in Costanti-
nopoli, e parte volendone spacciare in Bursia per farne maggiore guadagno,
ricev£ nella detta cittä un passaporto da Mustaffä figliolo di Zizimo,
nipote dell’ imperatore Amorasto, e questo perch£ fece alcuni presenti di
dammascho e rascie a due Bastagi, amati sua Eunuchi; che perö ebbe
accesso a lui, che gli piacque di discorrere seco per via di interprete;
e nel detto privilegio in lingua Turcha et sopra coperta Araba, Turcha
e Hebrea, che potessi andare, stare e nigotiare per tutto lo Imperio del
gran Turcho, come appare per detto privilegio, e di piü gli donö un
fanciullo castrato Persiano, quäle ritornando vend£ in Abido. Mentre
che gli era dimorato in Grecia et in Bursia fu scritto di Costantinopoli
che elli facendo del grande, donando, giocando e dandosi bei tempo
34) Lacuna di mezza riga nel manoscritto.
35) Lacuna come sopra.
36) Lacuna come sopra.
Arduino Colasanti:
418
aveva fatto poco bene, per cid gli interessati gli scrissono doppie lettere
che se ne dovessi tornare, protestandoli di ogni interesso e danno; mon-
tato adunque sopra una greca Rangea, chiamata il Delfino del Mare,
padrone Demetrio Candiotto, si imbarco con quanto aveva e, vicino a
Venezia fatto naufragio, infante e nudo se ne tornö a Firenze, ove, ancora
che avessi le sue fedi fatte in Venezia, fu messo prigione, di dove poi
cavato, trovando morta madonna Smeralda sua moglie e trovarsi in cattivo
stato, prese per seconda una certa Domenicha, ancora che erede di si
bassa conditione, che perde affattö la grazia de’ Medici, de’ sua parenti,
de’ Donati, e particolarmente i Bandinelli di Siena, che non ne vollero
piü intendere verbo: il fratello Fulggenzio, in collera piii di ogni altro,
che si trovava allora in Siena padre Umiliato in S° Tomm^, lo rinunziö
per fratello, gli scrisse mille obbrobri, lo rimö, e in particolare in quel
sonetto che comincia:
Parenti miei se alcun ce n’ £ restato etc.
Che si conserva fra’ mia sonetti. Hora Viviano, principale rovina
e äbbassamento della nostra casa come bene mi scrisse mio padre a Roma,
pieno di rabbia poco si curö di tutti, e, preso ad affitto dalli eredi di
Filippo De’ Ricasoli e Stefano di Antonio Cecherini, nelia villa di.Gaiole,
Podesteria di Prato, stette alcuni anni, dove cresciuti i dua sua figlioli
Michelagniolo e Giovambatista per mädre de’ Donati; i quali davano
mostra di buona indole, il primo tutto quieto a dilettarsj del disegno e
1’ altro di animo piü fiero alle cacce et all’ armi, se ne ritornö alla cittä
et andb ad abitare da Sa Lucia de’ Magnioli, e, vedendo persa la spe-
ranza mantenuta in sino allora di rimpatriare a Siena, si fece eittadino
fiorentino, ‘ e doppo alcuno tempo, stando il piü di quello in villa, an-
dato Giovambatista alla guerra in Francia, di una calda per andare alla
detta villa venne a morte: il resto delle sue aziohi, e quanto udiasi il
nome stesso nonch^ tutti i Bandinelli dato in anima e corpo a’ Ceche-
rini parenti materni, e quanto fussi amato e stimato da’ Bandinelli di Siena
e Donati suoi parenti per la moglie, vedesi per diverse scritture quali
si conservano appresso di me: et alla decima delle quali per — 37)
feci fare alla sua posta una aggiunta in margine.
Memoria V.
Quanto a Michelagniolo, morto il padre, essendo riuscito huomo di
valore nel disegnio, nelia cognizione delle gioie, de’ minerali, delle me-
daglie, curioso investigatore dell’ antichitä et inteligente della lingua
37) Lacuna di un quarto di riga nel manoscritto.
II memoriale di Baccio Bandinclli.
419
latina, rientrato in gratia della casa de’ Medici, cosi amato da Lorenzo
il Magnifico che lo prepose älla sua nobile Galleria n£ mai averebbe
mostrato che quella o altre raritä delle quali abbondava ad alcuno Prin-
cipe o Sigre segnialato dell’ Europa, che non vi fussi stato (si come io dissi
piü volte a bocca e scrissi al duca Cosimo) il detto Michelagniolo, che
con la eloquentia, pratica e dimostratione dava diletto maraviglioso, onde
Lorenzo il Magnifico, Piero 1’ amavano e reputavano fra i piii cari amici.
Prese per moglie madonna Caterina di Taddeo Ugolini nobile fiorentina,
della quäle, oltre a me Bartolomeo suo figliolo, ne ebbe tre altri, cio£
Ruberto, che mori piccolo, Giovambatista, che, andato alla guerra in Ger-
mania con Ottavio Bardini, mori sotto Francherale, e Lucrezia, la quäle
fece monacha in S.o Vincentio di Prato, chiamata suora Piera, e dove
10 per tale conto feci ancora una delle mia figliole. Trovandosi il detto
Michelagniolo non molto benestante, a cagione del padre come si e detto,
e volendolo i Medici e sua parenti aiutare, massime per conoscerlo attivo, •
di bello ingegno e cognitore, gli feciono aprire un bancho di gioie e altre
mercantie con gli interessi degli Ugolini e altri, ma particolarmente del
Magnifico Piero di Lorenzo de’ Medici, il quäle, avendo molti vasi, gioie
et anticaglie preziose, spendendo assai, desiderava per tale mezzo cela- *
tamente riuscirsene, onde Michelagniolo, facendo buono profitto, cominciö
a comprare e torre affitto de’ beni, e in particolare andato a Siena da’
sua Bandinelli, ebbe per mezzo loro dal cardinale Francescho Piccho-
lomini nel 1502 affitto certi beni che teneva il cardinale a Pinzi di Monte,
Podesteria di Prato, come si vede per una scritta di mano di messere
Bernardo Capacci, canonico di Siena, e per una ricevuta del detto Cardi--»
nale, in materia della vendita; il quäle cardinale fu poi Pio III; si come
ancora si vede la scritta del detto banco aperto, la copia della quäle
appresso di me si conserva. Abitö il detto Michelagniolo e facendola
molto bene, ancora che talvolta fussi aggravato di rimesse dal capitano
Giovambatista suo fratello. Avenne nel 27 la mutatione dello Stato e
Republica Fiorentina, e cacciato di Firenze, mentre era a Roma al ser-
vizio di Clemente VII, il detto Michelagniolo mio padre, come partiale de’
Medici, fü tormentato, et andato in esilio si ritiro sotto 1’ aiuto di detti
signiori da’ quali fu sempre favorito, come ancora da Lorenzo duca di
Urbino, il quäle se ne servi in diverse occorentie, come si vede per una
patente data dal campo. Finalmente ritornato, nell’ andare in villa, presa
una calda, stette 22 giorni ammalato e mori a 13 di agosto 1528. Fece ‘
testamento molti anni avanti sia nel 1491, rogato sere Carlo di Piero da
Firenzuola, lasciando suoi tutori testamentari Luca Ugolini, Gianozzo Pucci
e Lorenzo Benintendi, me suo erede universale et in defetto senza figliol:
11 capitano Giovambatista; non lasciando di dire che in quella rivolutiom
420
Arduino Colasanti:
di stato perde di molte robe, andorno male di molte scritture e sarebbe
andata peggio, se non fussino stati gli Ugolini suoi parenti, che da quel
popolo arrabbiato e tumultuoso gli difese: si come del tutto ne detti
piü volte conto al duca Cosimo, dimostrandoli quanto i mia avessino
servito et amato la sua casa.
Memoria VI.
Quanto al capitano Giovambatista mio zio, giä ve n’ho detto di sopra:
fu homo di gran valore, servi il re Francesco primo, dal quäle doppo
molti anni ebbe la condotta di 100 fanti, come si vede per le patenti
a presso di me, lo servi in diverse guerre, particolarmente in Piccardia
et a Fontenabbia, chiamato per l’ordinario da’ Franzesi Bandino e Bandino
di Toschana, equivocando da Bandino suo zio cosi chiamato, che vi guer-
reggiö et ebbe grado di alfiere sotto il capitano Bussonetto: duellö in
Leone contro a Monsii Claudio cavo. della Chartre, a cagione di Piero de’
Medici, del quäle aveva sparlato, e l’ammazzö; si come ancora fece molte
altre quistioni, e guerreggiö a Milano; fu in Tolosa grande amicRo e rico-
nosciuto per parente da Girolamo Bandinelli signore di Paulei, che era
venuto da Siena, e di Fulgentio, di Guido suo nipote; come si vede per
una proccura appresso di me per riscuotere a Roma: dove essendo andato,
e dove mi trovavo ancora io, venne a morte, e volle essere sotterato alla
Minerva, per divotione che aveva a San Domenicho e santa Caterina da
Siena; non fece testamento e gli trovai 570 scudi d’oro del sole, e presi
Arrigo suo servitore e stette meco 2 anni e poi ritornö in Francia. Mi
portö alcune lettere de’ Bandinelli di Tolosa, e, passando per Firenze, dette
alla mia moglie uno oriuolo di Parigi e dua ufitioli di quelle parti. Ottenne
dal Re Francescho per bene merito del suo servire, proccurandolo poi
ancora io di aggiungere all’ arme nostra, la quäle era in campo giallo
arabato, la palla azzurra col Cavaliere d'argento come hanno i nostri Bandi*
nelli di Siena e di Francia, e come si vede da’ sigilli o armi de’ mia
passati, alla quäle, fatto io Cav*e di Santo Jacopo, aggiunsi la croce,
ottenne, dico, di potere aggiungere i Gigli, come appare per il privilegio
del re Francescho, appresso di me, e per una memoria in rischi di morte
fatta dallo stesso Capitano e Michelagniolo suo fratello a Guidone Bandi-
nelli, che andö in Terra santa sotto all’ arme antica Bandinelli, che comin-
cia: »Guidoni comitis« etc. Fu ancora grande amico del magnifico Piero
de’ Medici, col quäle passavano molti negozi per via di lettere mandate
allo Spinelli sua gente38) in Lione e con una cifra fra di loro con questi
caratteri:
38) Suo agente.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
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La quäle ebbi delle sue mani doppo morte con molte scritture
lasciate a mia moglie in Firenze, pregandomi che dovessi per piü rispetti
abbruciarle, si come feci, Dio gli abbi dato requie: ed lasciando di dire
che Monsignore Paulo Giovio, del quäle ero grande amico e che mi fece
una impresa di uno monte di diaccio col suo motto, mi disse avanti al
sacco di Roma aveva fatto di esso capitano onoratissima mentione, ma
seppi poi che nello stesso sacco di Borbone erano andati male molti libri
delle sue storie ancora in penna.
Arduino Colasanti:
42 2
Memoria VII.
Quanto a me Bartolomeo vcstro padre averei mcltc ehe dire, ma,
perchö la mia opera e fatti sono piü nuovi, cercherö presto di spedirmi.
Siccome era mio padre di vivace ingegnio et attivo, cosi a pena
uscito dalle fasce che mi cominciö ad istruire, e vedendomi con disegni
su per fogli e con la neve e con la terra al solito de’ fanciulli formare
un leone, ora una figura, ora un’altra, dalle quali congetturando gli in-
centivi et inclinatione della natura, che, fomentati, rare volte falliscono,
cominciö ad insegniarmi a disegniare, e perchö voleva che io attendessi
alli studi delle lettere e particolarmente alla latina, quello che mancava
del giorno volera che io supplissi di notte, facendomi ancora insegniare
al Rustici la scultura: ebbi per maestro nella gramatica messere Francesco
Bartoli, et avendo fatto buono progresso nel disegnio, nella scultura e nelle
lettere, mi mandö a’ servizi di Clemente settimo 1’ anno primo del suo
pontificato, acciö che quivi m’impiegassi nella professione stabilita; et al
quäle Clemente, come figliuolo di antichi amici e servidori della casa, fui
raccolto cortesemente, dandomi la parte e stanze in Vaticano, e del quäle fui
tanto in gratia che col tempo mi diede titolo di cortigiano, una Commenda
e Cavalierato di S.o Piero, essendo giä nota la mia virtü non solo al Papa
ma a tutta Roma per 1’ opere giä fatte, e per un’altra volta ch’ io. ero
stato nella stessa Roma.
Quanto alle mie opere di scultura e disegno, essendo apparenti in
Francia, in Spagnia, in Germania, in Roma e particolarmente in Firenze
a’ tempi di Alessandro e di Cosimo, delle quali il Laocoonte39), fatto ad
instantia di Clemente, la Venere donata a Carlo V4°), l’Ercole di piazza 4*) e
altre di bronzi e marmi, lascerö lodarli a 1’ altrui penne ed alle lettere
che troverete scritte dalli accellentissimi Sign Duchi, Cosimo e Leonora,
che appresso di me si conservano, e di altri principi e particolari: di queste,
dico, non occorre che io parli, perchö sono apparenti in luoghi pubblici
e privati.
Dirö solo de’ gradi ottenuti e di altri mia studi particolari, a’ quali
sarei stato inclinatissimo, se mi fussi stato dato piü tempo, che posso dire
in ciö notturno e rubato, o la fortuna m’ avessi dato parte di quelle su-
stantie che giä troppo largamente spesono i mia passati e particolarmente
il cavre Francescho, che nel pigliare 1’ ordine usö piü tosto largheza e
mano regia che di privato cavre, si che, essendosi in Siena grossamente
39) Il Laocoonte si conserva nella Galleria degli Uffizi, fra le Statue antiche.
4°) Ne ignoriamo la sorte.
41) Si trova ancora in piazza della Signoria, dinanzi alla porta di Palazzo Vecchio,
dove fu trasportata il 1° maggio 1534, secondo annota il Settim anni- nelle sue
Memorie (cfr. Vasari, VI, 158; Gaye, II, 177).
11 memoriale di Baccio Bandinelli.
423
indebitato, fu buona chagione dello abbassamento della casa nostra, oltra
agli errori di Viviano, che gli dette quasi 1’ ultimo tracollo.
Desiderando io adunque e avendo intenso il desiderio di rendere
qualche splendore alla mia casa, presa 1’ occasione della venuta di Carlo V
in Italia, 1’ anno che in Bologna fu coronato da Clemente VII e fu resti-
tuito lo stato di Milano a Francescho Sforza, richiesi lo Imperadore che
mi volesse fare cav^e di So Jacopo, avendogli attestato il papa, quäle
in tale occasione, come suo cortigiano, aveva accompagniato, che io era
nato di antichissimo e nobilissimo sangue de’ Bandinelli di Siena, e
che papa Allessandro 30, quäle combattö con Federigo Barbarossa, era
stato della mia casa; ma perchö molti principi e signori che portavano
l’abito di S° Jacopo si opposero igniorantemente, dicendo come scutore
non lo meritassi, non considerando che la pittura e la scultura da’Fabij
ed altri nobili esercitata e che in un nobile ogni arte ö nobile, come
Epaminondo nobilitö in Tebe un vilissimo ofizio, esercitandolo; ma il
papa offerse a Carlo che io farei le debite provanze, conforme agli ordini,
onde lo imperadore mi disse: Si provereis que sois noble, os dare el avito:
e cosl comesse a Don Grazia Manriquez, suo cortigiano, che venissi a Firenze
e come cavre e Commendatore di S° Jacopo pigliassi le provanze, e, fatte,
gliene dovessi mandare, onde io, venuto seco a Firenze e ricevuto in casa
mia, la quäle avevo concesso a Antonio Francescho Doni mio grande
amico, che si tratteneva in Firenze, e non potendo andare a Siena per non
lasciare il detto Sign: Commendatore, scrissi caldamente a Siena a Niccolö,
Belisario ed altri de’ Bandinelli, acciö volessino fare pubblica attestazione
e scrittura come io ero, per Francescho di Bandinello che venne a Firenze,
disceso dal conte Bandinello e cosl del proprio e vero sangue loro,
et avendo pregato il detto messere Antonio Francescho Doni a volere por-
tarle e proccurarne la speditione, e cosl lo spedij a’ 10 di gennaio 1530,
dove, presentate in Siena le lettere e stato ivi alcuni giorni, i detti Sign
Bandinelli fecero la desiderata scrittura, provando come io ero de’ loro,
rogata da 42), con 1’ atestatione e validitä del Capitano
del popolo ed in forma, la quäle (avendone serbata copia) la detti al
sigre Don Grazia, e altre scritture acciö appartenenti, favorito anchora da’
Medici, il quäle Don Grazia restato chiaro ed apieno soddisfatto, ci partimo
insieme per Roma, e di quivi mandö le scritture all’ Imperadore, il quäle
con quei signori dell’ Ordine resi certi delle mie provanze e nobiltä; sua
Maestä Cesarea dal Tirolo e cittä d’Ispruch mi mandö il privilegio se-
gniato di sua mano, acciö mi fussi dato 1’ abito, avendo ritrovato in me
per sua commessione le naturalitä, cioe la mia nascita e sangue conforme,
4») Lacuna di un terzo di riga nel testo.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
29
424
Arduino Colasanti:
a che per giustizia i canoni dell’ ordine dispongono, commettendo ad
Pietro di Pina, frate dell’ ordine e cappellano di sua Maestä, che allora
si ritrovava assente per alcuni negozi cesarei in Roma; e cosi nella cappella
del sacro palazzo in Vaticano, presenti tre cardinali, Salviati, Ridolfi e
di Sa Maria in Portico, che mi volsono favorire, dicendo la messa il detto
Cappellano Cesareo, calzandomi gli sproni il suddetto sigre Don Gratia
Manriguez, cigniendomi la spada il sigre Don Ferrante Caracciolo, presente
il Sigre Jacopo Biusco ed altri cavri dell’ ordine di So Jacopo, mi diedono
1 abito, avendomi Sua Santitä mandato la Beneditione; ove, doppo le ciri-
monie, fatte con molta solenitä, il Cardinale di S. Maria in Portico mi
convitö a pranzo con gli altri Cavri che si trovorno a dare 1’ abito, ed in-
sieme banchettö i dua suddetti Cardinali, e doppo il pranzo il suddetto
Sigre Don Gratia, il quäle sapeva e aveva visto che io mi dilettavo della
poesia, mi .diede e lesse un sonetto in mia lode sopra 1’ abito, il quäle
comincia rp . . ,
lus mentos, virtud, y la noblica, etc.
al quäle poi risposi con uno altro
Grazia, con mia virtü, con egual merto
i quai sonetti fra gli altri mia si conservano.
L imperadore mi concesse poi per gratia che io non andassi a
Veles Ispagnia, ma facessi la professione in Roma, nella quäle cittä
ritrovandosi poi 1’ anno 1536 Imperadore Carlo quinto, et andato a baciare
la veste a sua Cesarea Maestä., mi disse: yo os 6 dado un avito y crux
de Principes: al che risposi: d vero, invittissimo Cesare, ma bisognia che
vostra Cesarea Maestä mi dia da poterla mantenere da principe; al che,
rivolto ad alcuni Sigri, ridendo replicö : Mucho sabe esto Cavallero. Con
tutto cid mai potetti nd allora nd poi avere da Siia Maestä, anchora che
me ne avessi data buona intentione, che don Gratia sopradetto, il Sigre
Don Francescho de los Covos, el Vescovo di Miscone, allora ambascia-
tore del Cristianissimo, 1’ avessino di cid supplicato, con tutto cid mai
potetti ottenere nd pensioni nd comende nd donativo alcuno per conto
dell’ abito: d bene vero questo che, avendoli fatto dono di una bellissima
Venere, stimata al pari di quella di Fidia, la quäle mandd in Germania,
e che gli fu carissima, mi diede, e di sua propria mano, un nicchio
tutto d’ oro smaltato e incastrato con pietre preziose e dentro rilevata la
Croce di Sto Jacopo con catenella d’ oro, stimato che valessi ducati 500,
che mi fu grato per venire da quella mano, il quäle lascio a voi, mia
figlioli, e prego i posteri in mia memoria a conservarlo.
Fui anchora da piü pontefici favorito: Monsignore Revmo Vescovo di
Cassana, Datario del Papa e Presidente dell Annona di Roma, grado che non
si dava se non a soggetti segnialati e volendo, come quello che aspirava
11 memoriale di Baccio Bandinelli.
425
al Cardinalato, per sgravarsi renuntiare il detto ofizio, il quäle dal Papa
mi fu concesso con tutti i soliti emolumenti e grazie solite, il quäle
ofitio, mentre io stetti in Roma, esercitai con molta soddisfatione, proc-
curando con i miei colleghi che la cittä stessi abbondante, e perciö
feci impresa di un Bue, schieroglifico, appresso gli antichi, di grassezza
et abbondantia, come si interpreta ancora nel sognio di Faraone, e gli
feci porre al collo delle spighe col motto: Ubertati. Sopra le quali
imprese, mi servii prima di quella del Giovio, che era un monte di
diaccio col motto: ex glacie neves, quasi volendo significare, come io
dissi al suo nipote messer Giulio, che, essendo fatto diaccio per la
fortuna e casi successi de’ miei passati, ero diventato neve per la can-
didezza delle mie virtü e gradi ottenuti; e poi nelle medaglie con la
mia effigie di bronzo posi dall’ altra parte — — — 43)
delle quai medaglie ne sono dieci con quelle del duca Cosimo
mio signore nel fondamcnto del coro di S. Maria del Ficrej da me
disegniato e tirato a fine con l’Addamo ed Eva 44) e bassirilievi etc. Hora
vedendo come le mia opere, le quali erano lodate da Michelagniolo,
come confessö al Cardinale di Sa Maria in Portico, come si vede per
un suo detto mandatomi dallo stesso Cardinale, e per lettere scritteci,
si come dagli altri intelligenti, con tutto cid, non mancando molti in-
vidiosi e maligni che, per mostrare di sapere, le biasimavano, come per
piü lettere scritte all’ Eccellentissimi Sigri Duchi Cosimo e Leonora e
43) Lacuna di un terzo di riga. La mancanza della leggenda impedisce di
identificare con assoluta certezza questa medaglia. Molto probabilmente perö si tratta
della medaglia cosi descritta dall’ Armand (Les Medailleurs italiens des
Quinzieme et seizieme siecles, Paris, Pion, 1883,1, 163): Dia. 41. »BACClVS-
BAN • SCVLP • FLO- — LEO« fy »CHANDOR- ILLESVS« Nel retto si vede il busto del
Bandinelli, vecchio, a capo scoperto, con lunga barba. Nel rovescio 1’ iscrizione e cir-
condata da una corona di alloro. Si osservi che la leggenda di questa medaglia richiama
quel concetto di bianchezza immacolata di cui il Bandinelli, con significazione morale,
parla nel Memoriale.
44) Sembra che piü volte il Bandinelli abbia tentato un gruppo di Adamo ed
Eva, ma, poco soddisfatto dell’ opera sua, mutö gli abitatori dell’ Eden in imagini di
Deitä pagane (Vasari, VI, 179 — 80). Finalmente riusci a collocare i due progenitori
della stirpe umana dietro 1’ altar maggiore di S. Maria del Fiore, ma le nuditä di quelle
figure sollevarono scandalo, cosi che, mentre lo scultore veniva fatto bersaglio di
mordaci poesie, un anonimo contemporaneo scriveva: »19 dimarzo 1549 si scopri le lor
de et sporche figure di marmo in S. Maria del Fiore, di mano di Baccio Bandinello,
che furono un Adamo et un Eva : della quäl cosa ne fu da tutta la cittä biasimato grande-
mente et con seco il Duca, comportassi una simile cosa in Duomo dinanzi a 1’ altare
e dove si posa il Santissimo sacramento« (Gaye, Carteggio ine dito,' II, 500). Le
Statue furono tolte dal loro luogo nel 1722, ma anche questo provvedimento forni
pretesto alla mania versaiuola di Giovan Battista Fagiuoli e di altri belli spiriti del
tempo. Attualmente le due imagini si conservano nel cortile del Bargello.
29'
42Ö
Arduino Colasanti:
loro risposte apparisce, per le quali mi scrissero piü volte e dissero a
bocca che io me ne dovessi burlare, essendo nota la mia virtü, che era
proprio de’ suggetti grandi di essere invidiato, e che la virtü di un homo
insigne aveva questo di male, che non era conosciuta, e massimo nella
patria, se non doppo morte: onde io per ultima impresa, la quäle con-
servai e conserverö insino a morte, feci una torre da venti combattuta
col motto : Nü per soffiare de’ venti, il quäle tolsi da Dante, dove dice:
Sta come torre ferma che non crolla
Giä mai la cima per soffiar de’ venti
e la feci gettare in bronzo, con la mia effigie da una parte con questa
inscrizione nella circonferentia :
»Baccius Eq. S. J. ex Com. Bandinellis« e nell’ altra 1’ impresa.45)
E perche, essendo chiamato dal Duca Cosimo per servirlo, ne
potendo assistere in Roma, godetti per gratia speciale molti anni titolo
di Presidenten) con i sua emolumenti, come si vede dalle riscossioni fatte
per me in Roma gli Strozzi, Altoviti e Benintendi.
Tornato adunque in Firenze, e preso per moglie Manna Jacopa di
Giovambatista Doni, nobile fiorentino, bene provvisionato ed accarezzato
da’ detti Sign Duchi, e servendoli in tutto quello che mi comandavano
nel disegno, scultura e altri importantissimi negozzi, essendo da loro tanto
familiarmente amato che piü volte si degniorno di venire alla mia casa
et alla mia villa delle Tre pulzelle, la sigm Duchessa a’ balli e colezioni,
gli supplicai, dico, che mi volessino concedere o di Siena o di Firenze
quei magistrati che avevano ricevuto i miei passati: ma il sigre Ducha,
che stimava assai 1’ opera mia, temeva (come disse piü volte alla sigra
Duchessa e Vescovo di Marsiche, che perciö mi pregorno ad avere un
pocho di pazzientia) temeva, dico, che con i gradi civili non abbando-
nassi 1’ opere e cosi gran frutto, andava renitente, pure, importunato, mi
concesse gli Otto 47), avendo voluto che io rinunziassi al foro ecclesiastico, e
permesso che nel magistrato, in cambio del lucco, portassi 1’ abito del-
l’ordine e sedessi doppo al Proposto, e cosl, avendomi poi concesso altri
nobili ofizzi, per 1’ ultimo m’ ha fatto Capitano di parte Guelfa e Ofizziale
de’ fiumi, a beneplacito, fidandosi totalmente in me, come intelligente per
i disordini che nascevano: e mi ha promesso e datone parola alla Sigra
Duchessa, non volendo piü affaticarmi e che io mi riposi giä fatto
vecchio, che doppo averö fatto il Gigante di piazza48) di volermi fare
45) Non trovasi registrata nell’ Armand, nello Heiss e nel Friedländer.
46) Ciae Presidente dell’ annona, come poco sopra ha detto.
47) Cioe degli Otto di Balia.
48) 11 Gigante non fu esegnito da Baccio, ma da Bartolomeo Ammannati, e si
trova ancora sulla fonte di piazza della Signoria.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
427
Quarantotto 49), siccome io lo supplicato, e dare al mio figliolo Giulio, che
attende alli studi, un veschovado, e a Ceseri un luogo in quello di Siena,
con titolo di Conte, per rinnovare la memoria de’ mia passati e riconoscere
in me e mia figlioli 1’ antica servitü che da Francescho di Bandinello, ceppo
del mio ramo, abbiamo fatto alla eccellentissima casa: piaccia a Dio che
io viva, cosi segua.
Mi occore ancora dire che sono stato, tornato e ritornato piü volte
a Roma, come quando il papa mi mandö a chiamare per una lettera
scrittami per lo Ambasciatore Galeotto de’ Medici, e, passando da Siena,
stetti in casa messere Belisario Bandinelli, dove da messere Giulio,
Niccholö e altri mi fu fatto mille carezze, come ancora loro erano stati
e piü volte sono venuti a casa mia, accarezzandoci come amati parenti,
non lasciando di dire che sempre ho amato quella cittä come patria
de’ mia passati, n£ ho mancato alle occasioni di favorirla appresso il
Sigre Duca, e massime quando, vinto Piero Strozzi, Monluc patteggiö coi
marchese di Marigniano5°), che perciö, essendo venuti per ambasciatori
di Siena 51) per patteggiare con Sua Excellentia,
fui con esso loro, dettigli da desinare e sa il Sigre Duca quello che io
facessi, e sempre mi sono servito di qualche sanese. Doppo la cacciata
de’ Medici di Firenze e mutatione dello Stato, volendo Clemente settimo
mandarmi a Firenze per alcuni negozi segreti e dicendoli io che temevo
non m’ intravenissi come a mio padre, essendo il popolo infuriato e
nobili di male animo, mi disse il papa: Montate sopra la mia mula,
andate a Firenze, ch£ temeranno di farmi dispiacere. E, fattomela dare
con la sella e fornimenti pontificij, venni a Firenze, negotiai e non mi
fu detto cosa alcuna; i fornimenti di velluto nero con le borchie e
ferramenti messi a oro si conservano ancora in casa, e prego i miei
successori a tenerne conto per memoria, si come anchora di un vaso
d’ agata che mi donö il Cardinale di Sa Maria in Portico, al quäle
1’ anno 1520 feci in Roma un lavoro stimato mirabile da tutta Roma.
Memoria VIII.
Ricordo, £ memoria a voi, figliuoli miei e successori, se a Dio pia-
cerä di darvene, come fonte di ogni bene a ricordarvi le grandi fatiche
che ha durate il padre vostro dall’ ora che nacque, per lasciarvi non
solo in buono stato, ma ridurvi in parte allo splendore de’ Sigd vostri
antenati, onde posso ben dire che, per voi felicitare, sia caduta in me la
49) E noto che quarantotto erano i componenti il Senato fiorentino istituito nel 1532.
5°) Biagio di Monluc, capitano dei francesi che erano a Siena in aiuto dei fuo-
rusciti. Jacopo de’ Medici, marchese di Marignano, comandante le forze di Cosimo.
51) Lacuna di due terzi di riga nel manoscritto.
428
Arduino Colasanti:
maledizione data nella Sacra Genesi al nostro primo padre: »in sudore
vultus tui, etc.«.
Fra le mie fatiche non tratterö di quelle che ne’ disegni, ne’ marmi,
ne’ bronzi e ne’ colori sono giä note al mondo e che forse doppo la
morte mia saranno fra gli inteligenti in quella estimatione che devono,
ma tratto di quelli che, in vece di riposo, ho rubato al sonno ed alla
quiete; perch£, non essendo io dedito a Cerere, Bacco e Venere, non
mi ricordo (assuefatto da piccolo col terrore di mio padre) avere mai
dormito, e questo nelle notti maggiori, piü di cinque ore, usando questo
termine e massime nel verno, conformandomi poi secondo i tempi; da
1’ una alle tre attendevo a leggere o istorie, fra le quali ho sempre
stimato Tito Livio, Tacito, Sallustio ed altri; in Erodoto stimavo piü lo
Stile che la materia: de’ poeti, quanto a’ latini Horatio e Vergilio erono
i miei amori; quanto a Homero, anchora che io avessi un poco di prin-
cipio della lingua greca, con tutto ciö non lo intendevo molto in greco,
n£ piacendomi le traduzioni latine nü avendo tempo da perdercci, poco
lo studiai; fra tutti i poeti vulgari Dante mi pareva amirabile, ma Fran-
cescho Petrarcha fu il mio amore, quäle ho cercato sempre di immitare,
e in vari tempi e vane occasioni ho composto da 200 sonetti, diciotto
canzoni e sei sestine e dua trionfi, uno sopra a Carlo Quinto nella
vittoria contro a’ principi protestanti e 1’ altro nella vittoria di Siena che
ebbe il duca Cosimo, e, se viverö, forse ne farö delli altri, avertendo che
i sonetti parte sono sacri, essendomi assai dilettato di leggere la scrittura
sacra ed alcuni de’ Santi Padri, perchü, avendo avuto a trattare co’
Principi, e in particolare con Ecclesiastici, dove continovamente assistono
grandi personaggi, ho voluto sempre potere in parte comparire, oltre
che la pratica importa, assai: parte sono morali, non mi essendo di-
lettato delli amorosi, poich£ il tempo e la natura non lo concedevano,
e di questi alcuni sono in dialogo. Tutti gli altri versano intorno a
lodi o ringratiamenti, come a Carlo V, al Duca Cosimo, a’ Bandinelli di
Siena, al Doni etc., ovvero contro al Zati provveditore dell’ opera, a
Benedetto Varchi, a Alfonso de’ Pazzi e Giorgio Vasari, non perchü'io
fussi d’ animo e lingua satiricha, ma perchü, come scrissi piü volte al
duca Cosimo, nacque fra Sforza e me grave inimicitia, perch£ mi voleva
usurpare 1’ acque che avevo ritrovate a Fiesoie nella mia villa delle Tre
pulzelle, onde tanto litigamo, e si ebbe a decidere con 1’ autoritä del
Sigr Duca, per mezzo dell’ auditore Torelli: e contro al Vasari, non
essendo abile nel disegno a sciormi le scarpe n£ essere mio discepolo,
voleva fare del saccente e del saputo, onde io piü volte gli mostrai la
sua buassaggine, e particolarmente, avendomi Sua Eccelentia chiesto un
disegno della fabbrica che voleva fare de’ Pitti, e mandatogliene per il
II memoriale di Baccio Bandinelli.
429
mio figliolo, Giorgio, che vi si abbatt£, poco intendendo, mi ebbe a
riprendere, onde io ne scrissi al sigre Duca, come si vede fra le mie
copie, e a bocca gliene parlai, mostrando che Giorgio in ciö non sapeva
dove si avessi il capo, e questo avenne ancora in altre occasioni, onde
mi odiava a morte, mi biasimava e detraeva, ma alla sfuggiasca, perch£
aveva paura di me. Contro al Varchi fu accagione di un luogo di
Tacito, il quäle, ancora che fussi dotto, gli dissi in presentia del Duca
che egli era piü poeta che istorico. Contro al Pazzi perchü era s opra
ogni altro satirico n£ 1’ averebbe perdonata a Dio52). Al Zati perch£ nel-
1’ opera mi faceva storiare e ritardava le provvisioni concesse dal Sigre
Duca a’ giovani che nella mia Academia particolare del disegno sotto
di me studiavano, come si vede in una carta da me disegniata e fatta
stampare in Roma con le parole : Academia Bacci ex Senariis comitibus
Bandinellis ; onde io fui forzato ricorrere al Duca, il quäle perciö ordinö
e passö per partito delli operai, che erono Lorenzo Strozzi, Lionardo
Ridolfi, Ugo della Stufa, a’ 6 di Dicembre 1540, rogato sere Francesco
Sacci, che il Provveditore et operai non potessino disporre cosa alcuna
senza licentia del sigre Duca e mia, massime intorno alla fabbrica di
S. Maria del Fiore, come apparisce da piü scritture a presso di me. 53)
Occorrendo di dire quanto a’ giovani della mia accademia, amai tutti
eggualmente, ma perchü non omnium est adire Corin tum, non tutti
fecero riuscita, si come la fece Vincentio de’ Rossi e Bartolomeo Am-
mannati; ma questo nell’ ultimo non si portö molto bene verso di me54)
5») Due di questi sonetti, crediamo inediti, abbiamo letti nel Codice Capponiano
n. 421 (Biblioteca nazionale centrale di Firenze); a c. 224 v.:
Bandinello, ha’ tu fatto quel gighante
e a c. 518 v.:
O Baccius faciebat Bandinello.
Dello stesso Alfonso de’ Pazzi, in un altro codice della Nazionale di Firenze, il Palatino
n. 248 , abbiamo trovato, a c. 80 r., un feroce epitaffio, che ancor esso crediamo inedito,
contro Baccio Bandinelli. Eccolo:
Al Bandinello,
Il mazzuol, ch’ e qui intorno, e lo scarpello
Mostran che qui sepolto e ’l Bandinello,
Di cui la fama assai si pregia e stima.
Felice a lui, se fosse morto prima!
53) Il Gaye (Carteggio inedito, II, 298) e il Milanesi nelle sue note al
Vasari (VI, 179) ricordano l’ordine dato dal duca Cosimo agli operai sotto la data del
24 novembre 1540.
54) I primi segni ben palesi della inimicizia fra il Bandinelli e Bartolomeo Am-
mannati si mostrarono nel 1555, quando l’Ammannati fu dal Vasari raccomandato al
Duca, che gli diede da lavorare in Palazzo Vecchio; 1’ odio fra i due artisti si accrebbe
di poi, quando essi entrarono palesemente in gara per 1' esecuzione del gigante, da
collocarsi sulla fonte di piazza della Signoria (Vasari, VI, 186 e segg.)
430
Arduino Colasanti:
Ancora Anfolso Rodriguez tolledano, che mi dette la sigra Duchessa,
riusci assai valente, come si vidde da una testa fatta di Carlo V molto
al vivo, raa parendoli di essere maestro avanti al tempo, se ne tornö
alla patria e di lä mi scrisse che faceva buono profitto. Ho composto
e scritto altre opere la maggior parte di mia mano, con tutto non avessi
buono carattere, o, per meglio dire, con il tempo 1’ avessi guasto, assi-
curandovi in coscientia mia, che, se non fussi stata, oltre la inclinatione,
la dura necessitä, averei auto molto piü gusto, che adoperando il ferro,
immortalarmi con la penna, come Studio veramente ingenuo e liberale.
Fra le altre cose, figlioli mia, che io vi lascio, sono prima alcuni Dialoghi
con Giotto sopra la scultura e disegno, quali cominciäno : Una gran lode
meritano quelli che dell’ arti preclari sono stati inventori etc. Un libro,
quäle sia piü nobile, la Pittura o la Scultura, con la dedicatoria al Duca
Cosimo Sigre Nostro, la quäle comincia: Perchü sei capacissimo di ogni
altra speculatione e sai quanto 1’ anime de’ mortali cerchino di sapere
per vivere sempre e farsi immortali etc. Un libro del disegno in 70 ca-
pitoli che comincia: Il disegno ü una superficie piana etcr Un altro
libro pure del disegno, il principio del quäle ü questo: Disegno ü una
disposizione di infinite e varie specie, formate in tanti e varii modi, come
la maestä della natura ci mostra di continuo, le quali specie e nelle
umane menti si formano etc. L’ Accademia, che comincia : 1’ uomo nasce
col desiderio di imparare per vivere e farsi immortale etc. Item della
Architettura, tömpi, colonne, colossi etc. Un libro della vera nobiltä
alla Sigra Duchessa Leonora, nel quäle, concludendo che non dal sangue
solamente, ma dalla virtü dipende, incidentemente gli dimostro la nobiltä,
de’ mia passati venuti da Sign Bandinelli di Siena, e quanto abbi
illustrato il mio ramo con 1’ ordine di S. Jacopo, del quäle si gloriö il
padre di Sua Eccellentia, con la dedicatoria che comincia: Si come io
pretendo il primo grado nell’ essere de’ piü obbligati servitori della
Eccellentia Vostra, cosi stimo di non avere 1’ inferiore nella Sua grazia etc.
Un raccolto di piü sermoni fatti in diverse Compagnie. Un raccolto di
lettere a diversi, e di diversi Principi e particolari, per le quali potete
vedere in che istimazione io fussi, e di molte opere da me fatte etc. E
perchü infino adesso mi e mancato il tempo di poterle ridurre a per-
fetione, ripulirle, rivederle e riscriverle, e Dio sa se 1’ averö per 1’ avvenire,
ritrovandomi giä vecchio e affaticato, vi prego, vi scongiuro, figliuoli miei,
per le viscere di Giesü Christo, per 1’ obbligo che mi avete come vostro
benefattore, per 1’ amore che dovete come a padre, che doppo la morte
mia e che sarö passato da questa valle di miserie, doviate e vogliate
ridurle insieme, farle riscrivere e rivedere a persone intelligenti della
professione che trattano, avertendoli che, essendo scritti la maggior parte
II memoriale di Baccio Bandinelli.
431
di mia mano, di prima penna, et avendo io come ho detto carattere
male agevole, di materie non volgari e parte non finiti, 1’ opera sarä
piü difficile di quello che vi potete immaginare: ma che non puö
1’ amore? Eseguite adunque il comandamento di vostro padre, e, ridottoli
a termine, conservategli in memoria mia, lassando in vostra libertä pubbli-
carli; e dovete maravigliarvi che fra tanti disegni, sculture, ofizi e altro,
abbi potuto scrivere tanto; perchü io, ritornando dove cominciai nel-
1’ istitutione della mia vita, in fino alle tre leggevo istorie, poeti escrittura
sacra, e doppo andavo a cena; doppo cena, ritiratomi mio oratorio,
ringratiavo Dio de’ benefizi ricevuti e lo pregavo a tenermi in capo la
sua Santa mano: intorno alle cinque ore (tratto del verno) dormivo insino
alle dieci, et alle dieci chiamato o dalla sveglia o da chi ne aveva il
carico, davo la mano per dua ore a comporre e scrivere sopra quello
che avevo prima determinato ; in su le dodici venivano i giovani et
insino al di si attendeva a disegniare, e doppo, udita messa, si andava
a 1’ opere, in casa, ne 1’ Opera o dove bisognava; e di piü la state
andavo spesso, come ancora vo, a’ capitani di Parte fuora del Magistrato,
e, chiamati i capo maestri, volevo da loro intendere e vedere i rapporti
e disegni delle fabbriche e ripari de’ fiumi, insegniavo loro e riprendevo
dove avessino errato, cosa molto grata a’ mia colleghi, molti de’ quali, per
la mutatione e varietä de’ traffichi, erano pochi esperti, e cosl era
gratissimo al Sigre Duca, come si vede per piü sue lettere e tutto a
gloria del S. Dio.
Memoria VIIII.
A’ miei figliuoli come essendomi in piü tempi et in diverse occa-
sioni valuto dall’ opera di Sa Maria del Fiore di piü legniami, marmi e
altro, non solo per servitio della chiesa, ma mio proprio e de’ giovani
che, per concessione di Sua Eccellentia, imparavano sotto la mia disci-
plina, come ü detto: perciö, se detti operai pretendessino cosa alcuna
contro a voi mie eredi per le suddette cose valsemi, avvertite che non
debbo loro cosa alcuna per una fine e supplica di Sua Eccelenzzia, come
potete vedere fra le mie scritture, ove anchora la sopra intendentia del-
Opera, come per partita de’ 6 di dicembre i54o: e fra dette scritture
e libri di quoio rosso e nero e bianco potrete vedere diversi accordi
fatti con principi, duchi e cardinali, a cagione dell’ opere, come per
esempio col Sigre Ducha nostro del coro di S. Maria del Fiore, del Sepol-
chro del Sigre Giovanni suo padre, quäle e in S. Lorenzo, la cui base ü
ridotta a perfetione, ma non la statua, per avere disegniato di metterla
in su la piazza di S° Lorenzo, ove prima voleva che andassi in una
capella, perö bisogna farlo in altra positura, e cosi imperfetto si conserva
Arduino Colasanti:
43 2
nell’ Opera. 55) Si come ancora l’accordo fatto co’ Sigri Genovesi, quali in
quel tempo governavano Genova, per farmi fare una statua di marmo
circa a quattro braccia con la effigie del Sigre principe Andrea Doria,
onde io, partendomi male volentieri dalla servitü di papa Clemente, che
dificilmente perciö mi dava licentia, a richiesta del cardinale Doria mi
condussi infino a Genova, dove, aspettando nü comparendo il principe,
anchora che il Sigre Cardinale mi avessi dato stanze nel suo palazzo e
per onorarmi come cavre la sua propria tavola, mi volli partire da Genova,
e andato a Carrara feci levare il marmo; in quel mentre mi mandö al
vivo r effigie del Principe et avendola cominciata e persistendo la Si-
gnoria e il Cardinale che io la dovessi fare condurre a Genova, venimo
in disparere, e richiamato segretamente dal Papa, la lassai cosi imperfetja
in Carrara, come anchora si puö vedere, e credo che si vedrä, perchü,
se bene avevo animo di finirla et ero in qualche obligo per una scritta
fatta in Genova fra il cardinale e me per mano di Luigi Alamanni, che
allora vi si ritrovava, e promesso darmene mille scudi, con tutto ciö la
servitü della gran casa de’ Medici et impedimenti di malättie non lo
premessono: e, se bene io avevo ricevuto da’ Signori Genovesi ducati
quattrocento, chi considererä senza passione le spese e le fatiche fatte
in sino allora troverä che io piü tosto sono creditore di detti Sigri, come
ne scrissi al Cardinale e si puö vedere per diverse lettere. 5&)
Trovarete anchora per conto de’ dua sepolchri per la memoria de’
Pontefici Leone e Clemente, in torno a’ quali mi soleva dire Clemente
che di mia mano gli avevo a fare se moriva avanti di me, e perö, sapendo
i cardinali Cibo, Medici, Ridolfi e Salviati, esecutori testamentarij di
Clemente 1 intentione del papa, vollero che col mio disegnio ed opera,
onde io volli una libera scrittura di fare quanto mi piacessi intorno al
quadro o intagli, istorie grande e piccole, con piena autoritä di fare
modelli e disegni, ordinäre, mettere e rinnovare operanti e maestri di ogni
sorte come a me pareva57) cosi ne feci molti disegni e modelli, et andato
a Carrara a levare i marmi, ebbi una nota anchora da Michelagniolo
Buoniaruoti, mio amico, di quanti volevano essere secondo il parere
suo, non molto distante dal mio; ove, cavati tutti i marmi, essendovi
55) La base servi ad uso di fontana fino all’ anno 1851, in cui vi fu collocata sopra
la statua di Giovanni dalle Bande Nere, che sino allora era stata nel salone di palazzo
Vecchio.
56) Il Vasari, a questo proposito, si diffonde in piü ampi particolari (VI,
p. 157 e 161 e segg.). Documenti relativi a questa statua allegorica di Andrea Doria,
la quäle verosimilmente fu allogata a Baccio nel 1523, furono pubblicati dal Milanesi
nelle sue note al Vasari (luog. cit., p. 157).
57) Il contratto originale, citato dal Milanesi, si conserva nell’ Archivio di Stato
di Firenze, fra le carte dei Bandinelli, filza 7, p. 309.
II memoriale di Baccio Bandinelli.
433
stato molti mesi, non perö sempre a Carrara, ma quando a Pisa e Firenze,
me ne tornai a Roma, onde trovai che tutti i sopradetti esecutori avevano
dato piena autoritä e rimessosi totalmente nel Cardinale Ridolfi, col
quäle avendo trattato, conforme ai miei disegni ordinai qualunque cosa, et
avendo ridotto il tutto a buon termine, per una grave indispositione, pregai
il cardinale Ridolfi che si consegniassi ad altri molte cose che restavono
a fare, vedendo non le potere finire cosi presto come desideravono.58)
Vedranno anchora diverse altre opere fatte da me per la Eccellentia
del Sigre Duca, la Pietä per il mio sepolcro, fatta in gran parte con
1’ aiuto di Clemente mio figliolo,59) il quäle Clemente, se fussi andato per
vita non ho dubbio che non avessi arrivato nella scultura alla fama de1
piü famosi Grecij, e cosi mi diceva, amirandolo, il grande Buonaruoti,
ch’ era venuto in tanta reputatione, etiandio che fussi naturale, la con-
tessa di Pietra, la quäle restata vedova e del disegnio si dilettava, me
lo chiese per marito, ma io ncn lo volli acconsentire perchd era troppo
giovane e si sarebbe deviato dalle virtü; ma Dio in Roma di febre e
catarro me lo volle levare; ora si riposi in cielo.
Avvertendovi ancora che se bene si veggono alchune pitture di
mia mano stimatissime, con tutto cid non ci sono stato molto dedico,
come piü volte lo dissi e scrissi a loro Eccellentie, e fra queste vi prego a
tenere conto del quadro che vi lascio in casa, ove col mezzo di una
spera dipinsi me stesso; conservandolo, di me vi ricordiate e preghiate
per 1’ anima mia.5 6°)
Tutto il mio intento era nel disegniare e nel quäle, al giudizio di
Michelagniolo, de’ nostri Principi e de’ migliori, tanto prevalsi: gran quan-
titä ne hanno loro Eccellenziej altri mandati in Germania et altri in
Francia, ed altri sparsi per 1’ Italia, alchuni dei quali so che si sono ven-
duti sino a dugento scudi: alchuni ancora sono stati stampati, come So
Lorenzo in Roma sopra la graticola, la Sconficcatione e altri; con tutto
cid ve ne lascio quasi pieno un cassone, quali terrete come tante gioie,
nd ve li lasciate uscire di mano, poi che verrä tempo che varranno tesori;
e Dio vi benedica; avvertendovi perd di uno errore che nacque nella
stampa di So Lorenzo, ove 1’ intagliatore, in cambio di intagliare Band.,
58) Circa 1’ incarico della esecuzione delle sepolture di Leone X e di Clemente VII,
che prima dovevano essere collocate nella basilica di S. Maria Maggiore in Roma e
poi furono invece poste nella chiesa della Minerva, il Vasari (VI, 162 e segg.) narra
che esso fu con male arti dal Bandinelli carpito ad Alfonso Lombardi ferrarese.
59) La Pietä si conserva ancora al suo luogo.
60) Che Baccio abbia dipinto' ci e attestato anche dal Vasari (VI, 139) e da un
documento publicato dal Milanesi (ibid. n. 1). L’ autoritratto si conserva nella
raccolta degli Uffizi.
434
Arduino Colasanti:
intagliö Brand., onde molti che non sapevano lo interpretavano per Brandi,
Brandini e Brandinelli, onde io ne feci ristampare un’ altra in piü piccola
e migliore forma, col nome finito Bandinelli.61)
Mi occorre ancora dirvi, figlioli mia, come talvolta ero biasimato
da molti e particolaremente dal buon Buoniaruoti, il giuditio del quäle
stimavo sopra ogni altro, si perch£ era intelligente, come perch£ non si
moveva da animo malignio, che cominciando e bene disegniando 1’ opere
piü irnportanti, vi facessi mettere le mani dal Rossi, dall’ Ammannati, da
Clemente e da altri: io non nego che in gran parte non avessi ragione,
perch£ talvolta 1’ opere non riuscivono di quella gran perfetione che sareb-
bono state con la mia mano, ma bisognia considerare che ebbi e ho
sempre auto molti disturbi, perch£, tralasciando le infermitä e la cura
familiäre della casa e figliuoli, gli studi ne erano buona parte cagione,
a’ quali, come giä vi ho detto, ero molto inchinato, e in varie occasioni
mi feci molto onore, particolaremente nelle istorie e poesia, come v’ ho
accennato, avendo fatto molte compositioni volgari e alcune ancora latine,
ma poche, come, verbigratia, al Sigre Don Pietro di Pina frate dell’ Ordine
e Capellano dell’ Imperadore Carlo, dal quäle ricevetti 1’ abito, che feci
in mia lode, doppo avere presa la santissima comunione, avanti all’ abito,
nel Inno che comincia:
Bacci, foelix et amplius etc.
Come ancora mi feci grande onore con le lingue, perch£ parlavo
mediocremente latino, leggevo un pocho di greco, parlavo bene la lingua
spagniuola et avevo qualche principio della franzese, tutte esercitate in
Roma: mi era ancora di grande impedimento 1’ avere assistere e corteg-
giare il papa, oltre a’ viaggi fatti seco a Bologna e in altre occasione,
oltre che la Presidentia e cura che la cittä di Roma e il popolo romano
impatiente e libero stessi abbondante, oltre 1’ occupationi datemisi, come
ne ebbi e ne ho non poche in Firenze, essendo impiegato dal Sigre Duca
ora per lo stato di Siena, ora per una cosa, ora per un’ altra, oltre a’
Capitani di Parte e altri ofizi che assai mi distoglievano; e non poco
talvolta i principi che da loro mi volevano, si che, aggiunto il disegniare,
che era il maggiore mio intento, non molto potevo attendere, aggiungesi
diverse indispositioni, piü di uno sdegnio e qualche inimicizia, intorno
alle quali fui piü di una volta forzato a pore le mani alla spada, la
quäle ebbi per uso non di portare, ma la facevo torre sotto il braccio
6l) L’ incisione del martirio di S. Lorenzo fu eseguita da Marcantonio Raimondi
e il Bandinelli se ne mostro molto malcoltento e ne mosse lagnanza col papa (cfr.
Vasari, op. cit. V), il quäle conobbe 1’ irragionevolezza di Baccio e la somma valentia
di Marcantonio. Circa 1’ errore del nome, anche il Vasari vi incorre, scrivendo che
prima il Bandinelli si faceva chiamare Brandini (VI, 195).
II memoriale di Baccio Bandinelli.
435
ad uno dei rniei servitori, che sempre mi seguiva, non volendo, come
Cavre e nobile, portare basto; ed oltre a due quistioni fatte in Roma, in
una delle quali restai ferito, e nell’ altra ebbi precetto dal Governatore
di Roma, sotto pena di mille ducati, di non mi partire di casa, la quäle
fu accomodata dal cardinale Salviati, 1’ insolenza dello Zati mi sforzö
ad assaltarlo su la piazza di S. Maria del Fiore, e, se non eramo sparti
da alcuni gentiluomini, qualcuno di noi vi restava morto, perch£ 1’ avevo
deliberato, ma il Sigre Duca 1’ accomodö e ci fece fare la pace, ripren-
dendo molto il Zati. E in questo immitavo il capitano Giovambatista
mio zio, il quäle fu cosi risentito che non solo per s£, ma per altri
ancora, e massime per gli amici e per la patria, soleva pigliare le brighe:
questa fu la cagione che, avendoli riferito Monsigre di Vidame come il
capitano Claudio della Ciart£ aveva in Lione in presentia del Senesciallo,
di esso Vidame e di altri sparlato di Piero de’ Medici e detto che era
un folle e a tutti disleale e nel progresso del parlare che in Firenze
non era vera nobiltä, perch£ quelli che vi erano chiamati nobili non
attendevano all’ arti liberali, ma alle meccaniche, come £ la lana, la seta
e la merchatura, tanto abborrita dalla nobiltä franzese e da tutti i veri
nobili dell’ altre nazioni, onde il capitano, difesa con vive ragioni la sua
patria e 1’ amico al sigre Vidame, venne in tanto sdegnio che gli mandö
questo cartello di disfida, da me tradotto dal Franzese: »Cavre Capitano
della Ciartre, se e vero quanto m’ ha riferito monsu Vidame, dell’ avere
voi al Senescial di Lione et ad altri Sigri detto e sparlato in pregiuditio
del Maco Piero de’ Medici e della patria mia, e lo vogliate mantenere,
avete tante volte mentito, mentite e mentirete quante parole vi sono
uscite, escono e di bocca a tale proposito esciranno, e, per mostrare a
tutti la malvagitä della vostra intentione, vi disfido a morte e per questo
cartello vi impegno la mia fede; eleggete l’armi, sarä il campo la pubblica
piazza di Lione, il tempo lunedi prossimo futuro.
Giovambatista Bandinelli
Capitano. Mano propria.«
La Ciastre, non potend o negare le parole che aveva dette pubblica-
mente e volendole mantenere, accettö la disfida: si condussero in campo
con spada e cappa al concorso di quasi tutta la cittä, e, come mi riferi
piü volte il sopra detto capitano mio zio, egli restö malamente ferito in
un braccio, ma La Ciastre, alla quinta stocchata passato da una parte
all altra, vi restö morto; e mi soleva dire che, quando lo vedde esangue
e spirato, si penti del suo furore, ne per uno tempo se lo pot£ levare
dal tardo pen timen to e fantasia: successe a me quasi il simile nella prima
quistione che feci in Roma, avendola fatta per Clemente settimo, tassato
per una estrema avaritia e 1’ avere venduto i cappelli rossi, con poco
4 36
Arduino Colasanti:
decoro della Chiesa, a piü offerenti; ma, vero o no, sempre si hanno a
difendere i padroni e gli amici. E il Capno ne ricevü da cittadini molti
ringratiamenti, ma particolaremente dal Magco Piero, una lettera del
quäle ancora si conserva, e io come ho gia detto continovi favori dal
papa mio benefe.02) Non ho mancato, dove ü stata forza, di vendicarmi
per altre strade, come sa il sigre Duca, che con la sua gratia vi ebbe a
mettere le mani.
Memoria VIIIII.
Come altre volte vi ho accennato, avendo piü volte scritto all’Am-
basciatore del Cristianissimo in Roma, acciö mi favorissi col capitano
Giovambatista mio zio che per me lo proccurava, da che tanti della mia
famiglia erano stati e sono in Francia servitori di loro Maestä, come il
Signore Girolamo di Paulel in Tolosa et i Signori di Figueret (se perö
sono de’nostri) e prima Bartolomeo Fulgentio, 1’ Alfiere Bandino e, piü di
ogni altro, il suddetto capitano Giovambatista, che di presente lo serve,
di potere aggiungere a 1’ arme nostra, ch’ ü come ho detto la palla azzurra
col cavre di argento, che acquistö Guido generale in Terra Santa per il
suo valore, di concedere, dico, che potessimo aggiungere i tre gigli, come
era stato concesso a molte famiglie illustri, onde potessimo dimostrare di
essere, sotto il loro patrocinio, servitori della reale casa, onde per ultimo
mi scrisse a’ cinque di aprile 1537 e, fra 1’ altre cose, dice: »Io ho scritto
alla corte e replicato per il caso vostro de’ Gigli, et ho scritto di modo
che doverrä essere secondo il vostro intento : non avendo altra commes-
sione, non partirö di questo paese che non sia fatto Puasqua, ma vi voglio
soggiungere che non vi affrettiate in questa cosa vostra, perchü il Cristia-
nissimo era in Normandia per 1’ ultima che ho veduto che ü a’ confini
d’ Inghil terra etc.« E la Sigra Ambasciatrice in carattere francese mi dä
nuova del capitano mio zio e promette favorirmi etc., data di Bagniara.
Ove poi, tornato in Francia, operö mediante i meriti del capitano, la
nobiltä della casa e la mia virtü con il Re, che mi concesse la grazia,
dandoci titolo di nobili, et il capitano meritevole di quella corona, come
si vede per privilegio in carta pecora di sua maestä, con il grande sigillo
di cera rossa de’ 3 gigli in stagno, dato in Parigi a’ 3 di marzo 153g,
il quäle potete vedere insieme con quello dell’ Imperadore Federigo 30 a
Bartolomeo di Francescho e quello di Carlo V a me concesso, ma in
foglio; che fu errore in Inspruck, fatto dal Commendatore di Leone don
Francescho de los Covos; ma fece errore, perchü simiglianti privilegii
devono essere fatti in cartapecora, per il pericolo che portano di non
rompersi; questo fu tanto piü facile ottenerlo, quanto il capitano Gio-
6l) Benefattore?
II memoriale di Baccio Bandinelli.
437
vambatista molti anni prima, cioü nel 1518, 1’ aveva ottenuto di moto
proprio dal re Francescho, ma per lui proprio, senza nominare me nü
miei discendenti; onde io poi, risentitomi col zio, mi lamentai seco e gli
ne scrissi, al che mi rispose non ci avere avvertito, e che mi aiutassi al
che sarebbe in mio favore; ma per allora non lo tentai per avere altre
occupationi, il che avendo poi fatto, mi riusci per la grazia di Dio e dei
miei avvocati, come giä vi ho detto, essendo nel privilegio concesso a
tutti i nostri discendenti, onde d’ allora in qua feci l’arme con la croce
di S. Jacopo nel mezzo le palle antiche de’ Bandinelli e li tre gigli rin-
quartata: ma voi, figlioli miei, doppo la morte mia, non essendo cavd di
S° Jacopo, non potrete usare le croce, ma vi consiglio, ritenendo il solito
campo giallo con arabeschi d’ oro, la palla azzurra col cavre di argento
che nella nostra arma antica che ü in un canto dell’-arme, a man dritta,
la mettiate nel mezzo, due gigli di sopra e uno di sotto, e cosi sarä una
bella arme. I nostri antichi messero la palla dal canto destro per dimo-
strare ch’ era uno aggiunto, poichü 1’ arme antica di quelli che vennero con
Carlo Magno dalla Francia orientale usorno per arme il semplice scudo
giallo con arabeschi d’oro; cosi l’usö nel 1040 il conte Bandinello e gli
altri conti della medesima casa, cosi papa Alessandro III, cosi gli altri
insino a Guido che andö in Terra Santa con le pubbliche bandiere e
comandö da 900 sanesi, segniati con la croce, il quäle per lesueopere illustri,
doppo la presa di Damiata, fu fatto dai Re e Principi della conquista
cav*e e datogli per segno della sua valentia la palla e il cavre, quasi
volessero dire che egli fussi allora uno dei piü valorosi cavalieri del
mondo, avvertendovi che i signori Bandinelli, si come si divisero in piü
colonelli, cosi alcuni di loro col nome mutaro 1’ arme, perchü, essendo da
principio che furno lasciati in Toschana da Carlo Magnio, dal quäle furno
fatti Signori di molte castella e terre e lasciati vicarii dell’ Imperio, ove
stettano piü secoli potenti e grandi, si ridussero al fine in Siena, ove,
connumerati fra’ grandi, illustrarono e resero lo splendore alla cittä, dove
col tempo, godendo pure i loro stati e signorie e il vicariato dello
imperio nella stessa cittä e suo dominio, nella quäle fabbricorno superbi
palazzi, torri, piazze e altri edefitii, in quella, dico, dalla antica patria
loro furno prima chiamati franzesi: questi si chiamorno poi Bandinelli
da due voci tedesche che denotano Banda veloce: et i Bandinelli si divi-
sero in piü consorterie; prima in Paparoni, da papa Alessandro III, onde
in Siena ü piazza Paparona; in Palazzesi, dal Palazzo che fabbricö il gene-
rale Guido, de’ quali propriamente siamo noi, Belisario e Niccholö di Siena
e quelli di Tolosa in Francia, avendo poi ripreso il nome antico Bandi-
nelli; in Cerretani, per la signoria di Cerreto Crampoli; in Muciatti etc.
I Paparoni, come si vede per 1’ arme di papa Alessandro, ritennero il
43^
Arduino Colasanti:
semplice scudo con arabeschi; i Cerretani, in cambio della palla col
cavaliere, un castello a man dritta, come gli altri ritengono la palla;
i Palazzesi e Bandinelli la suddetta palla, si come hanno ritenuto i mia
insino a me, che la mutai come giä vi ho detto.
Memoria XI.
A voi, carissimi et amatissimi figlioli, pregandovi di tenerlo a mente
non meno di quello che con tutto il cuore mi sono ingegniato lasciar-
velo scritto, cio£ che, considerando quanta fatica habbi durato il padre
vostro per farvi racquistare quanto in un secolo vi hanno fatto perdere,
parte per fortuna e parte per imprudenza i vostri antecessori, cerchiate
prima con il timore di Dio, perch£: initium Sapientiae est timor Domini,
e doppo con quel cauto modo economico di procedere, (il che sempte
aiuta) che a giovani nobili e di umana prudentia dotati si richiede: assi-
curandovi che quando in una casa manchano le facultä si finiscono ancora
gli onori, i gradi, gli amici e la reputatione, primo nervo, come scrive
Tacito, della stessa nobiltä, la quäle in quel modo che si acquista nello
stesso si perde.
Io vi lascio uno stato da potervi, se sarete savi, nobilemente man“
tenere, e che come da parte di Sua Eccellentia mi scrisse Monsre di
Marsico, pochi, ancora che nobilissimi, havevano; poich£ io vi lascio
tutrice vostra madre, le virtü e amore della quäle non ho termini da
esplicare, se non fussi talvolta guasta dal suo fratello;*vi lascio, dico, una
bella casa nella via de’ Ginori, una da So Michele Bisdomini, una in Pinti,
una in sul Renaio, un podere a Fiesoie con l'osterie e fonte con la mia
arme, detto le Tre pulzelle, un podere a So Gervasio detto Malcantone;
un podere alle Gualchiere a Remoli; due poderi a-So Lorenzo a Pinzi di
Monte con casa da Sigre, che fu abbruciata in parte .nello assedio di
Firenze* 63), con monti e piü case, un podere alla casa64) fuora della porta del
Prato, detta Gualdimari, una bella e comoda casa in Prato, döve tengo il
fattore generale, un fitto annuale di staia 116 di grano da’ frati delle Sacca,
i beni compri dalla mansione dell’ Altopascio per cinque mila scudi e
altri fitti e terre spezzate, come potete vedere per un libro in cartapecora
con coperte rosse ed uno nero in foglio ed altri, dove sono (oltre a molti
particolari, come testamenti, patenti, memorie e altro appartenenti a’mie
passati) tutti i contratti, conventioni e compre fatte da Michelagniolo mio
padre e da me in particolare, quai beni non mancano di bestiame, pre-
stite e ogni altra cosa necessaria, si come le case piene di mobili, ma
63) Lacuna di una parola nel testo.
64) Guasti, La villa Bandinelli a Pizzidimonte. Lettera al prof.
Antonio Marini, nel Calendario Pratese, 1828.
II memoriäle di Baccio Bandinelli.
439
in particolare quella di Firenze cosi ripiena che, se computerete i quadri,
le statue, la Sconficcatione che io tanto stimo, il Nicchio d’ oro e pietre
donatomi da Carlo Quinto, alcuni vasi d’ agate e ametisti, quali giä furno
del Maco Piero e restati in mano a Michelagniolo mio padre per un
credito che aveva seco di 800 ducati, et altri a me stati donati con
1’ argenterie et altri mobili, in parte fatti venire di Francia per via del
Sigre Girolamo Bandinelli, con quattro muli e tre cavalli in non poco
prezzo, troverete ascendere il tutto a piü di 5000 ducati. Io ho cercato
di legarvi al possibile con fidecommissi, acciö non sia nel potere vostro
dissipare le mie fatiche, come potete vedere dal testamento doppo la
morte mia, la quäle sia rimessa nelle mani della Infinita sapientia: ma
conosco, figlioli miei, con l’esempio di tante altre case, che, se da voi
stessi non vi legate, non ü cosa al mondo che vi possa ritenere dal
precipitio.
Di molti figlioli che ho auto, alchuni mi sono morti, ne’ quali
avevo grandissima speranza, ed in particolare di Clemente, il quäle,
ancora che fussi naturale et aquistato fuora di una legittima intemperanza,
onde posso dire col Profeta: »Delictos juventutis mee et ignorantias
meas ne memineris, Domine« era per riuscire di gran valore; ma, quando
io mi ricordo della morte di Alessandro, le lagrime mi vengono ägli occhi,
nü me lo posso levare dal cuore: era questo fanciullo dotato di tanta
bellezza, che mi ebbe a dire piü volte la signora Duchessa non avere
veduto un simile, e, quando fu alla mia villa di Fiesoie, lo volle sempre
da sü e piü volte lo baciö; perche, oltre essere bello, era ancora gratioso
et avendoli fatto insegniare tutto quello che poteva comportare 1’ etä, col
favore di Monsre Revmo di Mantova, lo mandai per paggio al Sigre Duca
Guglielmo, raccomandato ancora dalla Sigra Duchessa. Stette quivi dua
anni, attendendo ad imparare e ben servire, tanto amato da quella corte,
che piü non si poteva desiderare, quando Atropo maligna, troncando con
febbre acuta il filo della sua vita, la tolse a lui, ed a’ suoi genitori la
concetta speranza: dolse a tutta quella cittä e Corte a meraviglia. Che
egli fussi amato da quei principi vedesi non solo da una lettera del Sigre
Duca appresso di me, ma da un madrigale, fatto, mentre Alessandro era
infermo, dal Sigre Don Luigi Gonzaga che allora si ritrovava in Mantova,
mandatomi dal Maro de’ Paggi, di questo tenore:
Parca, deh!, di’ che fai?
A che cerchi eclissare
D’ Alessandro gentil gli umili rai?
Deh, perchü vuoi turbare
Con si maligno ardore
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
30
440
Arduino Colasanti:
Ove han seggio le gratie e Dio d’ Amore?
Sarä dunque trofeo. sarä tuo vanto
Di torre a Flora un giglio, a Rosa un manto?
Ebbe male quindici giorni; fu sotterrato in So Francescho di Man-
tova con tanto nostro dolore che la madre ne fu per uscire dal sentimento.
Fra gli altri che restarono se’ tu, Cesare, al quäle, come maggiore, ho
voluto fare scrivere queste memorie, acciö le tenga bene a mente. Ricor-
dati che, dopo averti fatto ammaestrare nelle scienze degne di gentilomo,
ti ho insegniato io proprio tanto della geometria, prospettiva e disegno
che nelle misure, nelle divisione, ne’ numeri, nelle proportioni e levare
le piante hai pochi che ti pareggino; conosco che sei di bello ingegnio,
ma nello spendere, se non fussi il timore che hai di me, poco conside-
rato. Veggo Giulio avere molto studiato, ma dalli studi avere tratta una
grande intemperanza nel gettare via, di Michelagniolo non ho che dire,
essendo cosi piccolo, e mi piace crederne ogni bene. Pregovi adunque
di essere accorti, nö vi paia di stare sopra di cavallo cosi grosso che, per
imprudenza vostra, non si possa trasformare in quello di Seiano, e vogliate
ricordarvi, come giä vi ho detto, dell’ esempio di alcuno de’ passati
vostri e in particolare del senatore Cavaliere Francescho, 1’ uve agreste
del quäle, cioö la superfluitä delle spese, avendo in un solo banchetto,
quando prese 1' ordine, a corte bandita posto de dieci a dodici mila
taglieri in tavola e dato mangiare fra questo e altri, oltre a’ forastieri,
quasi a tutta la cittä di Siena, onde si allegorno i denti a’ suoi figlioli
e a noi altri. Cosi di Viviano vostro bisavolo, il quäle, come soleva dire
mio padre, et io dico piü di lui, col mandare male, con lo stare in villa,
col secondo parentado, con 1’ odiare tutti i Bandinelli, col darsi in preda
a’ Cecherini, parenti suoi materni, fu la rovina e spiantamento della casa
nostra, onde io fui forzäto fare aggiungere in margine al libro delle
decime quanto mi pareva a tale effetto necessario; ö bene vero che nella
morte ne moströ un terribile pentimento; havendo, come si ö detto, cercato
di farvi riacquistare il tutto, cosi con la ricognitione de’ nostri Bandi-
nelli di Siena coli’ autentica, come per le provanze di nobiltä, cavalierato
illustre e altri nobilissimi gradi di presidentie, capitanati etc., solo ba-
stanti a dichiararvi nobili, e, se piacerä a Dio che io viva, ne accrescerö
delli altri senatorii e titolari.
Vi ho ridotto a memoria tutto questo, figlioli miei carissimi, ossa
dell’ ossa mie e scopo di ogni mia fatica acciö siate prudenti, temiate e
amiate Dio, obbedendo a’ suoi precetti, ricorriate per la intercessione alla
Vergine Santissima et abbiate per particolari avvocati So Giovambatista
protettore della cittä nostra e S. Caterina da Siena, avvertendovi che da
II memoriale di Baccio Bandinelli.
441
Francescho di Bandinello, dal cav. Francescho, dal cav. Sozzo etc., nostro
antenato e primo capo del nostro ramo di Firenze, ö sempre stato solito
ed inviolabilmente osservato di padre in figliolo che la vigilia di detta
Sa Caterina, in memoria della antica et amatissima patria nostra Siena,
tutta la casa digiuni in pane et acqua, e cosi vi comando di osservare,
ricordandovi di obbedire a’ precetti del padre vostro come nell’ antica
legge obbedirno i Recabiti a quelli del padre loro; e, se venissi presto
a morte, non trasgredite quelli della prudente madre vostra, acciö non
vi sommergiate in quello naufragio, ove tanti, per giusto giudizio di Dio,
periscono, ne dovete insuperbirvi delle ricchezze, perchö sono beni di
fortuna, che vanno e vengono, e che se il figliolo di Perseo, re di Mace-
donia, doppo la vittoria di Emilio, si ridusse in Roma a guadagniare il pane
sotto un notaio, come nota Ammiano Marcellino, et i figlioli di Giugurta,
re di Numidia, vinto da Silla, mendicörno il pane, che puö succedere
a voi, a paralello numero ed ombra? Dio ve ne guardi, figlioli miei.
Io, figlioli miei, averei voluto che tutti attendessi al disegno, perchö
t necessario a quäle si voglia professione, ed uno solo alla scultura, quello
che avessi veduto dalla natura inclinato, che perö feci bonissima elezione
di Clemente, perchö, avendo fatto di bonissimi suggetti stranieri, tanto
piü averei avuto caro che uno di voi avessi seguito i miei vestigij,
ma, morto Clemente e doppo Scipione, tu, Cesare, ci sei stato poco in-
clinato, Alessandro andö a servile e Giulio ho voluto che attenda alli
studi, avendolo perciö mandato all’ Universitä di Parigi, dove stette ancora
fra’ Leone. Ve lo tenni tre anni e piü ve 1’ averei tenuto, ma perchö
faceva del principe e spendeva piü che non erano le forze mia, fui for-
zato a farlo richiamare, acciö finisca i suoi studi od in Pisa, Bologna o
Padova, che rimetto in sua electione. Pigli il grado del dottorato ed
attenda alla prelatura, non vedendo mezzo piü efficace a pervenire che
il mezzo delle lettere o delle armi, non essendo 1’ arti abili a questo se
non dove ö qualche grado d’ eccellentia e principi che se ne dilettino,
come, fra gli altri, ha fatto e fa 1’ eccellentissimo Sigre Duca Cosimo
nostro, dal quäle sono stato sempre amato, stimato e continovamente bene
provvisionato infino alla somma di ducati 300 1’ anno; col quäle ho
sempre trattato e scritto con tanta famigliaritä, come se non fussi stato
mio principe e sigre, al quäle prego Dio che conceda ogni maggiore feli-
citä, perchö ö principe che in questo secolo per tante parti rarissimo,
che non ha alcuno paragone e forse non 1’ averä per molti secoli; al
quäle si accompagnia la Sigra Duchessa che amo e riverisco con tutto
il quore; e veramente che da lei e dal suo padre eccellentissimo e tutta
la casa Tolledo sono stato sempre favorito, avendomi per mezzo spa-
gniolo e per piü che cosa loro. Se piacessi a Dio di tirarmi presto a sö,
30
442
Arduino Colasanti:
in ogni vostro bisognio ricorrete alla loro clemenza e patrocinio, come
da Francesco di Bandinello in qua hanno sempre fatto tutti i nostri, con
ridurli a memoria la mia lunga servitü, e quanto abbi auto sempre a
quore la fama di esso Sigre Duca, essendo stato il primo che sotto la
sua testa, collocata sopra la porta della mia casa in via de’ Ginori, abbi
messo il titolo di Magnio, perch£ £ veramente e sarä sempre. Vi racco-
mando ancora Michelagniolo, mio ultimo figliolo, che apena e uscito
dalle fasce, che lo facciate istruire nelle arti liberali e col tempo lo indi-
riziate ove vedrete che abbi 1’ inclinazione, e sopra tutto avvezzatelo nel
timore de Dio, senza il quäle non £ possibile fare cosa buona.
Quanto alle mia figliole femmine e vostre sorelle, vi prego e scon-
giuro a tenerne conto come pupille degli occhi vostri, e, sopra tutto,
nel prenderne partito, dato che mi morissi avanti fussero allogate, di non
violentarle da quello che le chiama Dio e la loro inclinatione, come ho
fatto della Lucretia, la quäle, essendo molto bella et avendo partiti princi-
pali de’ Martelli e Pandolfini, vedendo esser disposta farsi monaca, la
volli contentare e farla in S° Vincentio di Prato, dove era Sigra Piera
mia zia, donna di gran santitä e non mediocre lettere. A quelle che si
vorranno maritare lascerö dota competente, e se alle qualitä de’ tempi e
de’ partiti non bastassi, supplite voi con la parsimonia delle entrate e in
tutti quelli migliori modi che vi parrä a proposito, rimettendomi in ciö
alla vostra prudentia e discretione. Se vorranno servire a Dio proccurate
di metterle in conventi che non abbino a mendicare il pane. Volendo
maritarsi, proccurate di darle a nobili pari vostri, perch£ nella nobiltä 6
naturalmente insita la virtü, la quäle impedisce a fare atti indegni del-
l’essere loro, e quando ne maritassi una a qualche nobile sanese, non mi
dispiacerebbe, n£, credo, ancora a’ signori Bandinelli di Siena, per conti-
novare la memoria della patria antica; e crediatemi, che, se il Sigre Duca
mi avessi fatto e facessi (come gli ho chiesto e voi potrete Vedere per
la copia di alcune lettere scritte a Sua Eccellentia) Senatore di Siena,
non so se io tornassi a rimpatriarmi; pregandovi e con lettere e con visite
e con ogni possibile dimostratione cerchiate mantenervi i suddetti sigri
cosi di Siena come« di Tolosa, perch£ non potrete se non acquistare, e,
come io, potresti ancora averne di bisogno.
Memoria XII.
Se avanti alla morte mia (la quäle sia rimessa nella bontä infinita,
la quäle per il Sangue sparso non voglia riguardare a’ commessi errori di
me misero peccatore, ma per sua pietä voglia condurmi alla eletta patria
de’ viventi) non avessi dato fine d’ ornare la capella nostra della Sma Non-
II memoriale di Baccio Bandinelli.
443
tiata, quäle era giä della nobile famiglia de’ Pazzi,65) vi prego e comando
di tirarla a fine col mettere sopra 1’ altare la Pietä, fatta a quest’ effetto
nell’ Opera, e collocare da man dritta il bellissimo S. Giovanni che per
questo ho condotto in casa mia, e da mano manca S. Caterina da Siena,
che sarä con la Pietä finita in breve, ornandola con le mie armi e con
quella inscritione che piü vi piacerä, non avendo il maggiore desiderio
che di finirla avanti al fine mio, ma sia rimesso il tutto nel Signore,
quäle (si come in terra io vi benedico) vi dia la Sua beneditione in cielo
e nella stessa terra, accio, vivendo bene et operando da nobilmente nati,
viviate lungamente felici e nel cielo co’ padri vostri nel secolo de’ secoli.
65) Circa 1’ epoca in cui il Bandinelli entrö in possesso della cappella nella chiesa del
1’ Annunziata, abbiamo una lettera del 28 febbraio 1558 in cui Lelio Borelli scriveva al
duca Cosimo che Baccio desiderava togliere da quella chiesa la sepoltura di un soldato
morto in duello, per collocarvi il suo gruppo della Pieta (Gaye, Carteggio ine-
dito, III, 14). Ma la convenzione con i frati del!’ Annunziata fu stipulata regolarmente
solo il 2 maggio dell’ anno seguente (Gaye, op. cit. II, 283 — 84).
Unbekannte Fresken des Paolo Veronese.
Mitteilungen zum Kapitel »Venezianische Freskomalerei«
von Bernhard Patzak.
Nicht weit ab vom Terraglio, jener prächtigen, mit venezianischen
Patriziervillen besetzten, von Treviso nach Mestre führenden Heerstraße,
liegt das Dörfchen Zerman, dessen Kirchlein noch heute einen trefflichen
Palma Vecchio besitzt.
In diesem stillen, weltabgeschiedenen Flecken schmückte Paolo
Veronese die Fassade und das Innere der Villa da Riva, welche dem
großen Künstler eine Zeitlang Zuflucht und Obdach vor gerichtlichen
Verfolgungen geboten haben soll.1) Diese heute der Familie Giuliani
gehörige Villa war nach Pietro Caliaris Mitteilung a) früher viel statt-
licher und erhob sich in einem Haine uralter Bäume, der eine Zierde
der Gegend war.
Die bauliche Anlage war weitläuftiger als jetzt Das Casino wurde
von zwei Flügelbauten (sogenannten barchesse) flankiert, die reich mit
Stuckornamenten und gemalten Wandfeldern dekoriert gewesen sein
sollen. Hinter dem Herrenhause zogen sich schattendunkle Buchenalleen
hin, deren Gezweig sich zu Laubgängen wölbte. Keine Spur von diesem
berühmten Park ist mehr vorhanden. Die malerischen, hundertjährigen
Baumriesen sind niedergeschlagen und als Nutz- oder Brennholz verkauft
worden. Auch das Casino wurde im Laufe der Zeit geschmacklos
modernisiert.
Doch hat man glücklicherweise an der Vorderfassade einige be-
deutende Freskenreste verschont. Nicht allzu lange dürfte es allerdings
währen und auch die letzten Spuren dieser gewiß ehemals prachtvollen
Gemälde werden durch Witterungseinflüsse ausgelöscht sein. Lorenzo
Crico, der die Bilder noch in unversehrtem Zustande gesehen hat, äußert
sich über sie folgendermaßen: 3)
0 Lettere sulle belle arti Trivigiane del Canonico Lorenzo Crico. Treviso MDCCC
XXXIII Seite 170. Lettera XIV.
a) Paolo Veronese, sua vita e sue opere, studi storico-estetici di Pietro Caliari.
Roma 1888. Seite 148.
3) op. cit. Seite 171.
Bernhard Patzak: Unbekannte Fresken des Paolo Veronese.
445
»Sehr schön sind die architektonischen Ornamente in Chiaroscuro-
manier, gelb in gelb; und in zwei großen Wandfeldern, die naturgemäß
zwischen den Säulen der Hauptordnung entstehen, malte Caliari zwei
schöne Vorgänge mit Figuren in natürlicher Größe und Farbe, die auf
die köstlichsten Vergnügungen des Landlebens anspielen . . . «
Von der Säulenarchitektur, welche also diese Darstellungen um-
rahmte, ist heute nichts mehr zu erblicken. Sie steckt jedenfalls unter
der dicken Übermalung. Die beiden von Crico erwähnten Bilder dagegen
sind leidlich erhalten.
Auf dem linken Wandfelde sieht man zwei liebliche Frauen in falten-
reicher Gewandung sich umarmen. Vielleicht haben wir in dieser Darstellung
die biblische Szene der Begegnung Mariens mit Elisabeth zu erkennen.
Auf dem andern Fresko erblickt man einen von einem weißen,
faltigen Mantel umwallten Patrizier in etwas gebeugter Haltung, als ob
er eine Treppe heraufsteige. Eine liebreizende, junge Frau, die auf einem
Sessel sitzt und eine Spindel zwischen den zarten Fingern dreht, scheint
ihn zu erwarten. Es handelt sich also hier offenbar um die »Heimkehr
des Gatten«. In der männlichen Gestalt soll sich Paolo selbst porträtiert
haben. Den Hintergrund bildet wie auf dem andern Gemälde eine Land-
schaft mit einer hochragenden, das Bild durchschneidenden Säulenarchi-
tektur im Mittelgründe.
Beide Fresken zeigen deutlich Paolos Eigenart bezüglich seiner
Kompositionsweise. Die Gestalten sind weit in den Vordergrund gerückt
und heben sich als malerische Silhouetten scharf vom Himmel ab, in den
sie, den tief genommenen Horizont überschneidend, in monumentaler Größe
hineinragen. Auf dem Bilde der Begegnung der beiden Frauen sind die
Figuren zwanglos in das ideelle Liniengefüge eines gleichschenkligen
Dreiecks hinein komponiert.
Auf dem Fresko »Die Heimkehr« wird die Bewegung des An-
kömmlings in der Diagonale zu der tiefer angeordneten, die Ruhe ver-
körpernden Frauengestalt hingeleitet. Die auf beiden Gemälden sicht-
baren Architekturen haben die Funktion von Kulissen, die den Blick
in die Tiefe lenken, also die Tiefenvorstellung erwecken sollen. Unter
der modernen, bossagenartigen Bemalung des Erdgeschosses schimmern
jetzt wieder zwei allegorische Frauengestalten hervor. Also ist auch
diese Wandfläche mit Figuren bemalt gewesen. Ein Blick auf die drei
zwischen den Luken des Mezzaninstockes befindlichen Wandfelder be-
lehrt einen sofort, daß sie mit reizenden Putten dekoriert waren. Am
mittleren Wandfelde sind noch ganz deutlich zwei dieser Flügelknaben
zu erkennen, die, einen Fuß auf einen Volutengiebel stützend, das Wappen-
schild des ehemaligen Villenbesitzers halten.
446
Bernhard Patzak:
Die früher jedenfalls sehr wertvollen Fresken des mittleren Saales
im ersten Stockwerk sind leider in geradezu barbarischer Weise dick
übermalt worden. Doch die schwungvollen Konturen verraten sich unter
dem Leichentuch der Tünche.
Der Plafond zeigt einen Putto mit Libellenflügeln, darüber eine
klora mit Blumenkörbchen, die von blütenstreuenden Engeln umringt ist.
Fingierte Bronzebüsten »a chiaroscuro« zieren die Türgiebel. Auf den
von einer Scheinarchitektur umrahmten Wandflächen erblickt man drollige
Kinderszenen, so: ein Mädchen, das mit einem kläffenden Hunde über
die Brücke eines malerischen Wiesenbaches schreitet Daneben ist ein
Bauernhof abgebildet, auf dem Kinder am Ziehbrunnen spielen. Ein
Hahn sieht dem muntern Treiben, auf dem Zaune sitzend, zu und kräht.
Auf einem andern Bildchen reiten Kinder auf einem Schweine, dem sie
ein weißes Tuch als Sattel übergelegt haben, und das sie mit einem an
die Ohren geknüpften Bande zügeln. Daneben erblickt man ein nacktes
Kind, das mit Schafen spielt. Auf der gegenüberliegenden Wand lehrt
ein Alter einem Putto Lautenspiel und Gesang. Das Notenblatt ist an
einem Baumast festgespießt. Hier zanken sich zwei Knaben an einem
Brunnen. Dort führen Kinder um eine bekränzte Bacchusherme einen
übermütigen Reigentanz auf, während andere, vom Weine trunken, am
Boden liegen. Daneben kämmen Kinder einen Hund. Leider sind all
diese heiteren Szenen aus der Kinderwelt, die gewiß früher wahre Kabinett-
stücke paolesken Humors waren, mit sehr pastosem und grellem Farben-
auftrag überklext. Das genannte Bildchen, welches das muntere Treiben
der Kleinen auf dem Hühnerhofe darstellt, zeigt Paolos Hand auch am
ursprünglichsten.
Die übrigen Zimmer der Villa sind weiß getüncht. Sie scheinen
aber ebenfalls ausgemalt gewesen zu sein; denn ein im städtischen
Museum zu Treviso befindliches Freskenfragment, eine anmutige Lauten-
spielerin, stammt, wie mir der Direktor der Pinakothek mitteilte, aus der
Villa da Riva. —
Paolo Veronese hat außerdem noch an der Fassade der Pfarrkirche
und an zwei Wegkapellen des genannten Dörfchens reizvolle Spuren
seiner Tätigkeit hinterlassen. So entdeckte ich auf der äußeren Sopra-
porte der Dorfkirche eine interessante heilige Helena.
Die mit faltenreicher Gewandung bekleidete Heilige scheint aus
einer Architekturnische herauszutreten, die ein von Pilastern getragenes
Giebelgebälk durchschneidet. Das von Helena gehaltene Kreuz über-
schneidet die Archivolte der Nische. Der trefflich beobachtete Schlag-
schatten der Gestalt läßt sie in plastischer Rundung erscheinen.
Im Innern der hinter der Kirche stehenden Wegkapelle wird unter
Unbekannte Fresken des Paolo Veronese.
447
der starken Übermalung der Umriß einer Pietä sichtbar, die sicher von
Paolo herrührt.
Die am Eingänge des Dorfes gelegene »Cappella del Capite'llo«
dagegen zeigt besser erhaltene Freskenreste von Veroneses Hand. An der
Hinterwand erblickt man im vertieften Felde eines Blendbogens den Ge-
kreuzigten, zu seinen Füßen Maria und Johannes. Die Heilandsgestalt
erinnert sehr an Paolos bekanntes Altarbild in San Sebastiano in Venedig.
In die Bogenzwickel der Kapellenrückwand hat der Künstler zwei präch-
tige, bärtige Prophetengestalten hineinkomponiert. Sie sind sitzend dar-
gestellt, stützen den einen Arm auf die Bogenarchitektur und rollen mit
der andern Hand Pergamentstreifen auseinander, auf denen sie lesen.
Auch diese beiden Figuren sind gute Beispiele für das Problem der »Über-
schneidung« : Köpfe und Arme ragen über die gemalte Architektur hinaus.
Das bekrönende, vertiefte Giebelfeld schmückt ein von Wolken umgebenes
Brustbild Gottvaters, der die Hände segnend ausbreitet.
Die eine Seitenwand der Kapelle zeigt einen heiligen Sebastian in
prächtigem, weichgerundetem nackten Akt und einen heiligen Bischof,
dessen Attribute ich nicht bestimmen konnte. Die der Wetterseite zu-
gekehrten Fresken sind bis auf zwei schöne Mönchsköpfe gänzlich ver-
blichen.
Das Innere der Kapelle war, wie mir zwei dick übermalte Domini-
kanergestalten nahelegten, ebenfalls von Paolo mit Freskenschmuck versehen.
Alle diese Freskenreste sind bezüglich ihrer Stilqualitäten verwandt
mit den Innendekorationen der Villa »Da Mula« in Romanziol, die ich
jüngst an anderer Stelle eingehend besprochen habe, und die, wie ich
glaube, um 1574 entstanden sind. 4) Die Fresken in Zerman sind zwar
nicht mit Paolos schönheitstrunkenen Schöpfungen in der Villa Fanzolo
und Mas£r zu vergleichen. Doch sind sie reizvoll und bedeutsam genug,
anziehende Züge zu dem Schaffensbilde des Freskomalers Veronese zu
liefern und damit auch wertvolle Ergänzungen zu dem kärglich bedachten
Kapitel über »venezianische Freskomalerei« darzubieten.
4) Vgl. »Die christliche Kunst«, München 1905. Jahrg. II. Heft 1. Seite 10 — 22
und Heft 2 Seite 14 — 18.
Archivalisches zur
fränkisch - schwäbischen Kunstgeschichte :
I. Eichstädter und öttinger Meister in Kloster Heidenheim.
II. Peter Strauß und Sebastian Dayg in Kloster Heilsbronn.
Von Alb. Gümbel.
I.
Dicht an der Grenzscheide des fränkischen und schwäbischen
Stammesgebietes, jedoch schon auf schwäbischem Boden, gründete im
Jahre 748 der erste Bischof des kurz vorher errichteten Bistums Eichstädt,
der hl. Willibald, das Benediktinerkloster Heidenheim und setzte zu dessen
erstem Abt seinen Bruder, den hl. Wunibald, ein. Zwölf Jahre später
entstand hier auch ein Nonnenkloster, dessen erste Vorsteherin die
Schwester des Bischofs, Walburgis, war, deren Gebeine später durch
Bischof Odgar von Eichstädt von hier nach seinem bischöflichen Sitze
überführt wurden. Einem allgemeinen Zuge der Zeit folgend, verwandelte
sich das Mönchskloster schon sehr bald in ein Chorherrenstift, mußte
aber um 1155 trotz heftigen Widerstandes die Regel des hl. Benedikt
wieder annehmen. Von der Blüte des Klosters und dem Bausinn der
Äbte geben uns noch heute die eindrucksvoll am Südrande 'des Hahnen-
kammes auf welligem Gelände gelagerten, die Stadt überragenden Bau-
lichkeiten des Klosters, dann deren Kirche mit schönem Chor eine ein-
dringliche Vorstellung; den Schmuck der Altäre im Innern der Kirche
hat freilich leider eine vor etwa 40 Jahren vorgenommene Restaurierung
allzu gründlich beseitigt; von Schnitzereien und Gemälden ist nichts
mehr erhalten, nur einige steinerne Grabdenkmäler von Mitgliedern der
Familie der alten Klostervögte, der Grafen von Hohentrüdingen, dann die
Grabdenkmäler des hl. Wunnibald und der hl. Walburgis aus dem Jahre
1483 und 1484 und einiger Äbte: Wilhelms von Vestenberg (reg. 1428 bis
1445), Eberhard Mülfingers (1446 — 1482) und eines älteren Albrecht
(c. 1418 — 1427)1), dann das Denkmal einer Agnes von Treuchtlingen (71349)
') Die Geschichte des Klosters liegt bisher noch ziemlich im argen; die ange-
führten Regierungszahlen ergeben sich auf Grund von Urkunden und einzelnen Akten-
stücken; die Mitteilungen über die in der Kirche noch vorhandenen Grabmäler verdanke
Alb. Gümbel: Archivalisches zur fränkisch-schwäbischen Kunstgeschichte.
449
sind noch vorhanden. Nachfolger der Grafen von Hohentrüdingen in
der Yogteiherrschaft waren die Burggrafen von Nürnberg bezw. die Mark-
grafen von Ansbach, welche im Jahre 1537 das Kloster säkularisierten.
Unter den heute im k. Kreisarchiv Nürnberg verwahrten Archiva-
lien des Klosters befinden sich nun eine Reihe von Rechnungsbüchern
der Abtei Heidenheim, welche uns über die wirtschaftlichen Verhältnisse
des stillen Benediktinersitzes im 15. und 16. Jahrhundert getreuen Auf-
schluß bieten und auch durch einzelne Notizen für den Kunsthistoriker
wertvoll erscheinen. Von den Einträgen dieser letzteren Art soll hier
die Rede sein. Sie entstammen den Einnahme und Ausgabebüchern aus
der Zeit der oben genannten Äbte Wilhelm und Eberhard (c. 1428 bis
1482) dann Peter Hagen (1482 — 1503) und Christoph (1503 — 1528).
Nachstehend seien diese zerstreuten, teilweise mit starken Abkür-
zungen geschriebenen Rechnungsposten, soweit sie kunstgeschichtliches
Interesse bieten, wiedergegeben.
Ausgaberegister der Abtei Heidenheim (kgl. Kr. Arch.
Nürnberg, Ansbacher Oberamtsakten Nr. 707), angefangen im
Jahre 1427.2)
fol. 103a (c. 1429). Item ich hab verliehen maister Jorigen,
moler von Aystet, die tafelen auf Sand Reychortz alter zu machen
umb 20 gülden.
Item und von 4 pilden an das gewelb3) zu machen gib ich im
10 gülden.
Item an dem allem hab ich im geben 6 gülden.
ich der Freundlichkeit des dortigen Herrn prot. Pfarrers Rutz, doch bedürfen die Lesung
der Jahreszahl auf den Grabmälern der Äbte Albrecht (1340) und Wilhelms (1346)
wohl einer Korrektur, letztere ist wohl bestimmt 1446 zu lesen. Die Zahlen 1483 und
1484 finden sich auf einer im k. Kreisarchive Nürnberg befindlichen alten Zeichnung
der Grabmäler des hl. Willibald und der hl. Walburgis.
*) Zu Eingang des Codex findet sich die Überschrift: Anno domini M° CCCCrao
vicesimo septimo in vigilia sanctorum apostolorum Phylippi Et Jacobi et sancte Wal-
purgis factum est hoc Registrum et continentur in eo omnia distributa .et omnes expense
tocius domus Abbacie Heydenheim.
3) Dieses »Gewölbe« war von dem Baum ei s ter Hanns Vischer von Weißen-
burg — so wird seine Heimat an anderer Stelle genannt — 1429 erbaut worden, wie
die folgenden, unter der Überschrift »Was alles pawen kostet« zum Jahre 1429 vorge-
tragenen Rechnungsposten erweisen:
Item maister Hansen Vischer hon ich geheysen von einem gewelb zu sand
Richartzaltar 25 flor.
Item daran hab ich im 3 flor. geben an des h. creutzs tag.
Item dedi sibi 3 flor. in vigilia assumptionis.
Item dedi sibi 20 flor. von dem gewelb und von dem venster und peleib im
noch 11 flor. (Unten wiederholt: Item ich gib maister Hannsen Vischer von einem
45°
Alb. Gümbel:
Einnahme- und Ausgaberegister der Kustorei der Abtei
Heidenheini (ebenda Nr. 704), angefangen im Jahre 1467.
föl. 47 a4). Nota anno domini M° CCCC° LXXX° primo.
Item ich hab gekauft drei kunig und ein mariapild von dem hafner
Vogel zu Dietfurt5) für 6 gülden und ist gar und ganz bezalt und den
letzten gülden hab ich im geben in foro Pasche anno etc. 81 in parva
stuba, quem tulit mihi der Gertner de Hohentruhdingen vom Rudolf
Port. (Am Rande: Est pagatum totum 81 in die Viti martiris).* * * 4 5 6 7)
Item Lienhar[t], maler von Ottingen,7) hat mir gemalt zwai pild
ad s. Katherinam, daran hat er 5 tt. in cena domini 81 in parva stuba
presentibus Behemo et aliis; et 10 d[enarios] dedi servo, qui portavit.
(Am Rande: Est pagatum totum Viti 81)
fol. 55a. Debita custodie anno domini etc. 79.
Item obligor cuidam civi de Nurmberga, nomine Pawls Hetzel,
an der Vischgass 1 aureum für ein stück debichs. Est pagatus per
dominum abbatem in capitulo Nurmbergensi.
Item obligor der maierin von Ottingen 4 Ifc. für wachs, direxi sibi
4 tt. bei einem boten von Ottingen in vigilia translacionis Wunibaldi.
gewelb zu Sant Reychartz alter und von sand Kathreyen venster 31 gülden, daran hab
ich im geben 20 gülden.)
Item dem maister Stenglen von Nordlingen han ich an dem grabstein
(für Abt Albrecht?) geben 9 flor.
Item obligor sibi adhuc 2 flor. er ist pezalt.
4) Ich gebe die Einträge nach der jetzigen Seitenzahl des Codex, dessen einzelne
Bestandteile zeitlich nicht streng geordnet sind.
5) Eine kleine, sö. von Heidenheim gelegene gräflich Pappenheimsche Ortschaft
an der Altmühl.
6) Unzweifelhaft die gleiche Angelegenheit ist gemeint mit einem weiter rück-
wärts (fol. 60 a) eingetragenen »Nota bene«:
Item ich hab recht (!) 3 kunig und ein mergen (1) pild von dem hafner Vogel
zu Dietfurt umb 6 gülden und sol mir die malen und fassen von olfarb nach aller notturft.
Item er hat daran 1 2 <tfc. geltz uf ein rechnung 79.
Item ich hab im geben 8 ft. 12 dn. quarta feria penthecostes 80.
Item ich bin schuldig aller rechnung dem hafner zu Dyettfurt 1 aureum, den
sol ich im geben hinein auf den summer oder wen ich mag. computatum [est] cum eo
in parva stuba infirmarie, do ich im gelt gab in ebdomada nativitatis Christi anno
eiusdem 81. Est pagatus ex toto anno 81.
7) Über die im folgenden genannten Öttinger Maler und Bildschnitzer vermochte
ich bisher weiteres nicht in Erfahrung zu bringen. Nach gfl. Mitteilung des mit Aus-
arbeitung einer Öttinger Chronik befaßten Herrn Justizrates Wörlein in Ottingen wurde
daselbst um die Jahre 1471 — 1480 die St. Sebastianskirche mit Turm erbaut und um
das Jahr 1490 die St. Jacobskirche einer größeren Reparatur unterworfen. Möglicher-
weise gehörten die hier Genannten dem Kreise der bei diesen Arbeiten beschäftigten
Meister an.
Archivalisches zur fränkisch-schwäbischen Kunstgeschichte.
451
fol. 55 b. Computavi cum maierin in Ottingen et obligor sibi Om-
nibus [comjputatis 6 th in domo pictoris presente domino Johanne
capellano s. Georii et Balsar8) lapicida anno etc. 79 post Scolastice
virginis.
Item computavi cum pictore et obligor sibi Omnibus computatis
30 <U>. 24 dn. presente domino Sebaldo et domino Johanne et aliis anno
etc. 79 post purificacionis.
Item direxi sibi an diser schuld 2 <tl>. cum quodam nuncio de
Otingen.
Item dedi pictori an seiner schuld ut supra 22 <tt>. in die Mathie
apostoli anno etc. 79 presente domino Wilhelmo et aliis in domo superiori
infirmarie.
fol. 56a. Item emi 20 tt. wachs und wachs von der maierin
zu Ottingen, ein tt. für 38 dn.
Item hat daran ein gülden in domo sua ante festum Galli presente
suo viro et capellano s. Georii 78.
Item dedi sibi 60 dn. in domo sua in vigilia Katherine anno
ut supra.
Item dedi sibi 6 tt. 1 2 dn. in 6 a feria post festum epiphanie domini
79 presente domino Georio capellano s. Georii.
Item obligor adhuc 8 <ü>. 6 dn. an disem wachs.
Item obligor der maierin 6 <tt>. Omnibus computatis. act. Letare 79.
fol. 56 b. Nota anno d. etc. 78.
Item ich hab verlihen ein hungertuch zu malen dem alten Hansen,
mäler zu Ottingen, umb hab im kauft, für 2 gülden neus tuch und
das hungertuch wird haben 30 quarten und ich gib im von einer iglichen
quarten 60 dn. zu malen.
Item er hat von mir 1 gülden eingenomen am ersten presente
domino plebano in Wechingen post nundinas Nordlingenses 78.
Item ich hab im zu andermal geben 1 gülden in foro s. Viti 78
presente fratre Johanne ... in monasterio.
Item ich hab auch in die illo s. Viti dem maler geben 3 <&., das
er tuch kauf zum hungertuch.
Item ich hab geben dem Hansen, maler, auch zu Ottingen,
1 gülden invencionis s. Stephani 78 in domo Schmid Parbelen presente
plebano in Westhaim.
Item ich hab dem maler aber geben 4 zu Heidenheim, da
er mit her Niclas gen Mariabrunn ging von Ottingen ante nativitatem
Marie virginis.
8) Soll wohl heißen Balthasar.
452
Alb. Gümbel:
Item ich hab im auch geben 4 tt. in stuba sua ante festum Galli
presente domino Johanne capellano s. Georii in Otting, qui sibi nume-
ravit 78.
Item dedi sibi 3 tt. in vigilia Katherine in domo filii sui anno ut
supra. summa summarum 3911. 6 dn. comput[atum] in festo Katherine 78.
Item dedi dem Hans maler zu Ottingen 1 gülden in domo sua
presente domino Johanne capellano s. Georii et aliis presentibus 6a feria
post epiphanias domini 79.
Item obligor dem maler ex toto adhuc 1 2 16 dn.
Item ich han verlihen ein tefelen zu machen gen sand Anna dem
jungen Lienhart, maler zu Ottingen, und das gemeld soll sein
assumpcio beate virginis und gib im für das gemeld 1 gülden.
Item er hat ein kes (!) daran, constat 3 grfoschen].
Item ich hab im geben 60 dn. in seinem haus darauf 78 post nun-
dinas Nordlingenses.
Item ich hab im 3 «tt. geschickt bei her Methäusen post Viti 78.
fol. 57 b. Item comparavi unam tabulam ad sanctum Benedictum,
constat 4 gülden, ab antiquo Johanne pictore de Ottingen.
Item dedi primo 3 <tt. dem schreiner.
Item dedi pretacto pictori primo 6 ‘tt..
Item dedi sibi secundo 1 florenum. direxi sibi cum scolari meo Petro.
Item dedi sibi tertio unum aureum per me in domo plebani in
Ottingen infra octavas epifanie domini.
Item dedi sibi 2 metzen habern.
Item dedi sibi 2 caseos, constabant 50 dn. act. anno 77.
Item dedi sibi ein fuder holz.
Item comparavi unum asinum cum salvatore ad diem palmarum
pro florenis 7.
Item dedi primo sculptori Ludwico in Ottingen 6 <ö>,.
Item dedi secundo 4 uxori sue in domo sua ante nativitatem domini.
Item Nycolas dedit sibi unum aureum in infirmaria presente con-
ventu 77.
Item der pildschnitzer ist bezalt bis an 2*/2 gülden, computatum
[est] coram conventu in stuba superiori post fipifaniam domini 78 pre-
sente conventu.
fist pagatus ex toto ante Invocavit 78 in stuba parva a Nicolao.
Item den salvator cum asino hab ich verlihen maister Hansen dem
alten moler zu Ottingen zu fassen und zu malen.
Item datur sibi in summa 3 flor. et cum hoc . . . plus.
Item habet darauf primo V2 gülden ante nativitatem domini; dedi
sibi in domo sua anno 77.
Archivalisches zur fränkisch-schwäbischen Kunstgeschichte.
453
Item post hoc dedit sibi Nicolaus i florenum in refectorio octava
post Epiphaniam domini, cum fuit hic nobiscum in claustro 78.
Est pagatus ex toto.
fol. 58 a. Item obligor dem pildschnitzer 57 dn; dedi sibi 15 dn.
in domo sua.
Item obligor maister Ludwig pildschnitzer 21 dn. an einer arbeit.
fol. 58 b. Item obligor Pauls Hetzler de Nuremberga 1 gülden für
ein debich.
Ausgaberegister der Abtei Heidenheim 15 00 — 1529. (Ebenda
Nr. 703.)
fol. 182 a (c. 1500). Den Malern.
Item her (!)9) Mathes 6 gülden für tafel in capella beate virginis.
II.
In meinem Aufsatz: Peter Strauß (alias Trünklein) von Nördlingen,
der Schnitzer des Peter- und Paulsaltares in Kloster Heilsbronn,9 10) habe
ich zum Schlüsse die Vermutung geäußert, daß eine weitere Umschau
unter den Altären der Klosterkirche uns noch andere Belege für die
Tätigkeit dieses Meisters daselbst liefern könnte. Ich glaube nun in der
Tat auf solche Schnitzereien von seiner Hand an einem zweiten Altäre
der Kirche hinweisen zu können. Im südlichen Seitenschiffe des Chores
befindet sich ein Marienaltar, dessen künstlerische Ausstattung Muck auf
den Abt Johann Wenk (reg. 1518 — 1529) zurückführen will. In der
Mitte des Schreines treten uns in Rundbildern die Gestalten Marias mit
dem Kinde und links und rechts davon die hl. Ottilia und die hl. Brigitta
entgegen. Die Innenseiten der beiden Flügel sind bemalt und führen
Szenen aus dem Leben Marias (Tempelgang, Mariä Barmherzigkeit, Ge-
burt Jesu und Vermählung) vor. Öffnet man nun die beiden Predella-
türchen, so zeigen sich in erhöhter Schnitzerei rechts die Flucht nach
Ägypten, links die Anbetung der Könige.11) Ich glaube, es dürfte wohl
kaum einem Zweifel unterliegen, daß diese Reliefs gleichfalls von der
Hand Peter Strauß’ herrühren. Hier wie beim Peter- und Paulsaltär die
gleiche künstlerische und technische Unbeholfenheit, ja oft Roheit. Wesent-
lich günstiger müßte aber auch hier, wie bei dem anderen Altäre, das
Urteil über den Künstler lauten, wenn die drei Rundfiguren der Maria
und der beiden Heiligen gleichfalls von ihm herrühren. Wie dort die
9) Der Ausdruck »herr« deutet auf einen Geistlichen. Personallisten des Heiden-
heimer Klosters sind uns für die Zeit um 1500 leider nicht erhalten, so daß es nicht
möglich ist zu entscheiden, ob dieser geistliche Maler dem Kloster selbst angehörte.
1°) Rep. f. K. W. Bd. XXVIII.
'*) Der Predellaschrein selbst ist leer.
454
Alb. Gtimbel:
Gestalten der beiden Apostelfürsten, stehen hier die drei Frauengestalten
bezw. Predellaflügel.
Kunstgeschichtlich freilich wichtiger als die Frage nach dem Ur-
heber der Schnitzereien scheint bei dem Heilsbronner Marienaltare die
nach dem Maler jener reizvollen Bilder aus dem Marienleben zu sein.
Glücklicherweise können wir nun diese Frage befriedigend lösen. Wir
besitzen in diesen Bildern Jugendwerke des Sebastian Dayg von
Nördlingen. Der Maler selbst ist es, der uns dies mitteilt, indem er
sich in einer auf dem Altäre hinter der Marienstatue befindlichen
Inschrift nennt. Da die kunstgeschichtliche Forschung, soviel ich sehe,
von dieser Inschrift12) noch keine Notiz genommen hat, so möge sie
nachstehend — die Jahrzahl stark verkleinert — nach einer vom Verfasser
gefertigten Pause wiedergegeben sein:
Sebastian Dayg, für dessen Beurteilung bisher vor allem die auf
dem Rathaus seiner Vaterstadt hängenden großen Darstellungen aus dem
Marienleben (Verkündigung, Heimsuchung, Darstellung im Tempel und
Tod) in Betracht kamen,* *3) wird in den Nördlinger Steuerlisten 1508 bis
1554 als Maler und Glaser aufgeführt. Bis 1510 und dann wieder von
1540 an erscheint ausschließlich die letztere Bezeichnung, die Steuerliste
von 1510 nennt ihn »glasser oder maller«, in den weiteren Jahrzehnten
bis 1540 wird er dann ausschließlich »Maler« genannt. Die Schreibart
wechselt zwischen Tayg, Taig, Dayg und Daig. Auch in den Nördlinger
Stadtrechnungen erscheint er von 1512 — 1546 fast Jahr um Jahr unter
II) Von ihr gab mir Herr Vikar Schmidt in Heilsbronn erstmals freundliche Kunde.
*3) Im Katalog der Gemäldesammlung des Germanischen Museums (1893) sind fünf
Bilder als der Art des Sebastian Daig in Nördlingen zugehörig bezeichnet. Schon im
Jahre 1904 hatte Herr Dr. Fr. Dörnhöffer, Leiter des Kupferstichkabinetts in Wien, die
Freundlichkeit, mich darauf aufmerksam zu machen, daß die Nummern 241 und 242 dieses
Katalogs, Szenen aus dem Leben des hl. Sebaldus darstellend, zu den von mir im 16. Heft
der Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg beschriebenen Schwä-
biscli-Gmündener Schreyeraltar gehören.
in bemerkenswertem Gegensatz zu den unbeholfenen Reliefs der Seiten-
nwet
Archivalisches zur fränkisch-schwäbischen Kunstgeschichte. 455
den zu städtischen Arbeiten herangezogenen Handwerkern, bald unter
den Glasern, bald den Malern, doch überwiegt bis 1540 seine Tätigkeit
als Maler; 1541 — 1546 finden wir ihn nur noch als Lieferanten für aller-
lei Glassachen, insbesondere Trinkgläser. Bei seiner Verwendung als
Stadtmaler handelt es sich freilich, wo näheres erwähnt wird, um ganz
handwerkliche Tätigkeit. 1512, wo er erstmalig genannt wird, erhält er
eine kleine Summe (V4 fl.) für das Anstreichen der Uhr in der Recht-
stube, 1513 3 fl. 10 <ü>. und einige Pfennige für das Anstreichen der
Decke im Rechnungsstüblein und Verzieren mit goldenen Sternen, 1516
werden ihm 14 Gulden ausbezahlt »von dem neuen danzhaus zu malen
und den kaiser1**) zu vergulden«, 1521 malt er »der richter tafel« für
2 tt. 3 dn., 1530 vergoldete er die Ofengitter im Bundstüblein usw. 1554
dürfte er verstorben sein, da 1555 »Bastian Daygs, glaser, wittib« ge-
nannt wird.
In den Heilbronner Rechnungsbüchern und insbesondere beim Jahre
15 11 erscheint der Name Daygs nicht; es ist schließlich, da die Jahres-
zahl keinen Zweifel über die Entstehungszeit des Heilbronner Marienaltares
läßt, auch von geringerer Bedeutung, wann derselbe wirklich in der Kirche
zur Aufstellung gelangte. Muck gibt an, daß im Jahre 1519 vom Abte
Wenk 24 fl. für eine »Misericordia und U. L. Fr. Bild mit 7 Schwertern
zu schneiden und zu malen«, verausgabt wurden und bezieht diesen
Rechnungsposten auf unseren Altar.
Inwieweit auch bei anderen Heilsbronner Altären ein Zusammen-
arbeiten Daygs und Strauß’ stattfand, wage ich nicht zu entscheiden,
doch glaube ich, daß eine weitere Verfolgung der Sache wohl zu neuen,
fruchtbaren Ergebnissen führen würde.
Zum Schlüsse möchte ich noch auf ein heute leider nicht mehr
an Ort und Stelle befindliches Kunstwerk aufmerksam machen, das wohl
zweifellos aus der Werkstatt Peter Strauß’ hervorgegangen ist. Im Jahre
1503 bestellten die Heiligenpfleger der Heilsbronner Patronatspfarrei
Weißenbronn (ein halbes Stündchen von Heilsbronn entfernt) für den
Chor ihrer dem hl. Michael geweihten Kirche einen Altar in NördlingenI5)
und brachten die »tafel« am 18. August dieses Jahres auf dem Choraltar
zur Aufstellung. Der Altar wurde erst um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts (!) aus der Kirche entfernt. Die Vermutung liegt nahe, daß
die Darstellungen dem Leben des Kirchenpatrons, des hl. Erzengels, ent-
nommen waren und vielleicht führen diese Zeilen erneut auf eine Spur.
14) Vgl. Anm. 13 meines Aufsatzes über Peter Strauß.
•5) Schon Muck gibt diese Nachricht ohne weitere Quellenangabe. Die Notiz
über das Schicksal des Altares verdanke ich Herrn Vikar Schmidt in Heilsbronn.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
31
Alb. Gümbel: Archivalisches zur fränkisch-schwäbischen Kunstgeschichte.
Der im »Registrum parrochialis ecclesie in Weißenprunn«16) be-
findliche Eintrag lautet:
fol. 6**7). Was die tafel kost auf dem koeraltar des heiligen sant
Michaelis, in gezeucht und gemacht im 15° und trei jar; am freitag vor
Bartholomei wurd si aufgesetzt zum ersten:
Item ausgeben einem boten, der zwhe (zog) gen Nordlingen, der
wurd mit in eins aller ding des leikaufs und geltz halber von der tafel,
verzert 3 <ö>..
Item den weibern zu leikauf 3 <tfc. und 23 dn.
Item den knechten zu leikauf 2
Item dem furman, der die tafeln herfurt von Nordlingen hieher 1 1 tt..
Item für den bildschnitzer und den schreiner und für den furman
haben sie herre verzert, do sie die tafeln aufsetzten, verzert 8 20 dn.
Item dem bildschnitzer und dem schreiner haben wir geben für
tafel 18 fl.
Item dem schlosser für band und zu henken die tafeln 3
Item als mir die tafeln am ersten angedingt haben, hab* *en sie ver-
zert 77 dn.
Summa in toto, was die tafel gesteet 18 fl. 3 3 <ö>. l8) 17 dn.18)
,6) K. Kr. Arch. Nürnberg, Acta des Klosterverwaltungsamtes Heilsbronn, S. XVI V3
Nr. 179.
*7) Schon auf fol. 2a findet sich eine hierhergehörige Notiz: Item postea anno
15 c und trew jar haben wir kauft die tafel, die do steet auf dem körealtar, umb
18 fl. reinisch.
l8) Wieder gestrichen.
Die Flügel des Landauer-Altars
in der Münchener Pinakothek und der Augsburger Galerie.
Von Dr. I. Beth.
Einleitung.
Der Flügel eines verschollenen Mittelbildes der Landauer-Stiftung,
der, jetzt in zwei Teile zersägt, auf der Vorderseite die Vermählung der
heiligen Katharina mit dem Christuskinde, auf der Rückseite eine Geburt
Christi darstellt, wird mit dem anderen Flügel der Augsburger Galerie,
welcher die Auferstehung und Kreuzigung zeigt, offiziell in den Kata-
logen dem Hans Pleydenwurff zugeschrieben, mit dem Vermerk, daß diese
»von Thode stammende Zuteilung nicht völlig gesichert« erscheint. In
der Tat ist diese Zuteilung auf Thodes »Malerschule von Nürnberg«
zurückzuführen. Seine Präzisierung der Gestalt von Hans Pleydenwurff
hatte auch die Taufe dieser beiden Flügel zur Folge, und wenn sich
auch mit der Zeit Zweifel ob der Richtigkeit der Benennung geregt
haben, hätte man es nur sehr ungern darauf ankommen lassen, nach dem
Namen Wolgemut, unter dem sie seit ihrer Übertragung von der Nürn-
berger Burg geführt wurden und nach Hans Pleydenwurff jetzt etwa eine
neue Taufe vorzunehmen.
Obschon durch das erschütterte Vertrauen zu so vielen als unzweifel-
hafte »Wolgemuts« geltenden Werken allerdings zu größter Vorsicht ge-
mahnt worden ist, und das Werk des Meisters wohl auf lange Zeit hinaus
auf einen usuellen Kollektivbegriff gesunken ist, so muß trotzdem —
und vielleicht eben deshalb — nicht genug vor einem starren Festhalten
an hergebrachten Namen gewarnt werden. Ein derartiges Vorgehen bean-
sprucht fast nur einen methodischen Vorteil und will vor weiteren Unter-
suchungen nicht abschrecken. Man bleibt ja übrigens in den meisten
Fragen und Benennungen der vordürerischen Nürnberger Malerei — nach
wie vor Thode — auf den glücklichen Zufall angewiesen, der hie
und da in das dunkle Gewimmel von Namen und Werken einen Licht-
strahl wirft.
Jetzige Zuteilung.
Die Landauer-Altarflügel wurden als Arbeiten Wolgemuts in den
aufeinanderfolgenden Auflagen der Galeriekataloge von Männlich, dann
3i
458
Dr. I. Beth.
Dillis, Markgraf und bis auf die neueste Zeit von Reber bezeichnet und
zu verschiedenen Zeiten von Fachleuten anerkannt. So haben Waagen
und Janitschek an der hergebrachten Zuteilung nichts geändert und sie
bleibt aufrecht in der Soldanschen Folge von Bildern Wolgemuts und
Dürers, mit Text von Riehl. Robert Vischer hat schon die Vermutung
ausgesprochen, sie könnten von einem »Wolgemut verwandten Maler
herrühren, der eine Zeitlang sein Gehilfe war, aber auch Fühlung mit
dem Meister des Würzburger Kreuzigungsbildes zeigt«;1) endlich hat
Thode, trotzdem er seine Einschüchterung infolge der allgemeinen
Meinungsverschiedenheit gesteht, sie rückhaltlos dem Hans Pleydenwurff
zugeschrieben. Zwar haben sich später Bedenken darüber ergeben; so
hat beispielsweise v. Seidlitz im Repertorium f. K. einen starken Zweifel
über diese Zuteilung geäußert, doch sie bleibt — wie gesagt — bis heute
bestehen.
Ohne auf die Möglichkeit einer anderen Zuteilung vorerst einzu-
gehen, wollen wir versuchen, die auffallendsten Merkmale der Bilder
zusammenzufassen und sie auf die Richtigkeit der ersten und dann der
zweiten Benennung prüfen.
Erwägung der Pleydenwurf fschen Urheberschaft.
Im allgemeinen weisen sie die für jene Zeit charakteristische
Formenbehandlung und Farbengebung auf und reihen sich den Werken
der genannten zwei Meister an, jedoch bei näherem Eingehen auf die
Einzelformen wird ein bestimmtes stilkritisches Urteil durch gewisse Merk-
male erschwert, deren wichtigstes wohl ein gewisser Zug von Innigkeit und
Beschaulichkeit ist, welcher am stärksten in der Vermählung der hl. Ka-
tharina, am wenigsten dagegen in der Augsburger Kreuzigung zutage tritt.
Nach Thode sind »großer, wenn auch etwas nüchterner Ernst, Kraft
und Energie die hervorstechendsten Eigenschaften von Pleydenwurffs Ge-
stalten, in denen manches von der Großartigkeit und Leidenschaftlichkeit
der älteren Nürnberger Schöpfungen fortlebt, wenn auch in gehaltenen,
beschwichtigten Formen.«2) Mit dem besten Willen muß man gerade
die zitierten Eigenschaften, die übrigens ganz treffend zusammengefaßt
scheinen, bei diesen Bildern vermissen. Außerdem wendet Thode (welcher
der Morellischen Methode gelegentlich einer Besprechung seiner »Studien«
volles Lob zuteil werden läßt) auch sehr sorgfältig ein Verfahren an, das
seinen Morellischen Ursprung nicht verleugnet, und stellt für die Lippen
bei Pleydenwurffs Gestalten fest, daß sie dicker und röter sind als bei
>) Vischer, Studien zur Kunstgeschichte.
2) Thode, Malerschule v. N. S. 105.
Die Flügel des Landauer-Altars.
459
Wolgemut und leise geöffnet, wogegen man hier zierlicheren und feineren
Lippen begegnet, auf welche zurückzukommen auch noch Gelegenheit
sein wird.
Bezeichnend ist ein Merkmal, so zufällig es auch erscheinen mag.
Es kommt nämlich auf flandrischen Bildern, die für Pleydenwurff und
seine Nachfolger gewiß vorbildlich waren, wiederholt eine Gestalt vor,
die von Wolgemut auf vielen Bildern aufgenommen wird, auf keinem
aber von Pleydenwurff. Es ist dies der gewisse Alte mit der roten Haut-
farbe, mit einer Glatze und weißem Knebel- oder Spitzbart, der z. B. in
der Rogerschen Anbetung der Könige viermal wiederkehrt und sonst
für den hl. Joseph gerne gebraucht wird. Bei der großen Zahl der
männlichen Gestalten, die bei Pleydenwurffs drei Kreuzigungsszenen ver-
sammelt sind, ist das Fehlen dieses Alten zu auffallend, als daß sein
Vorkommen bei der Geburt des Landauer-Flügels nicht gegen die Ur-
heberschaft dieses Meisters sprechen sollte, namentlich, da er bei Wol-
gemut zum Überdruß oft variiert sich vorfindet.
Hervorzuheben wäre ferner die Zusammenstellung der beiden Stifter-
figuren: des Kanonikus Schönborn auf der Kreuzigung des Germanischen
Museums mit dem alten Landauer der Geburt Christi. Der geistliche
Herr bei Pleydenwurff hat ein nervös erregtes Gesicht, wogegen der Kauf-
mann Landauer eine unbeschreibliche Milde zur Schau trägt. Man sollte
meinen, es hätte hier ein Rollenaustausch stattgefunden.
Nun aber ist die Zahl der authentischen Bilder von Pleydenwurff
so gering, daß das eben Gesagte nur unter der Voraussetzung zu Recht
besteht, wenn man beispielsweise die Kreuzigung der Pinakothek diesem
Meister der beglaubigten Breslauer Kreuzabnahme zuteilt. Solange aber
für seine Unterschrift mit den Anfangsbuchstaben J. und P. (Johannes
Pleydenwurff?) die sonderbaren Schnörkel am Turban eines Soldaten auf
jenem Bilde gelten sollen, was doch wohl nicht überzeugend genug ist,
darf das Fragezeichen bei dieser, methodisch wohl zweckmäßigen Benen-
nung nicht außer acht gelassen werden. 3)
Erwägung der Wolgemutschen Urheberschaft.
Wenn man nun die Flügel für Wolgemut beanspruchen wollte, so
ließe sich ja mancher Grund dafür anführen. Um einige nur zu nennen,
verraten die Frauentypen ihre allgemeine Verwandtschaft mit den Wol-
gemutschen, was Schädelbau, Augen- und Mundform anbelangt, nament-
3) Solche buchstabenähnliche Schnörkel kommen nämlich auf diesem Bild und
dann bei der Kreuzigung des Germanischen Museums vor, ohne daß man darin etwas
anderes als eine orientalisch sein wollende Randleiste zu sehen genötigt wäre.
460
Dr. I. Beth:
lieh aber die Frauenhände, welche bei ihm meistens einen starken Hand-
teller mit zu langen, stabartigen Fingern aufweisen. Andererseits ist die
Landschaft der Landauer-Flügel mit der Wolgemut eigentümlichen über-
einstimmend. Auch verleugnet die Gruppierung der Gestalten bei der Auf-
erstehung oder der Kreuzigung ihren Wolgemutschen Ursprung nicht,
wobei allerdings das strenge Festhalten an der schulmäßigen Überlieferung
berücksichtigt werden muß.
Wenn man endlich die Übereinstimmung des technischen Verfahrens
berücksichtigt, beispielsweise des streng zeichnerischen — mittels kleiner
Pinselstriche — Bemalens der Hautpartien, auch die kühle Lichtgebung,
dann wird es klar, warum die Bilder fast ein Jahrhundert lang unter
seinem Namen geführt wurden und auch später man die neue Bezeich-
nung nur ungern gelten ließ. 4)
Man muß nicht gerade mit Thode dem alten Wolgemut »die heim-
tückische Boshaftigkeit des Philisters« oder ein Wirken »nur auf den
Effekt und oberflächlichen Schein« zuschreiben, um einzusehen, daß eine
von der seinen verschiedene Hand bei diesen Bildern tätig war und dies
sowohl in manchen Einzelheiten, wie auch im allgemeinen Eindruck. Was
die ersteren betrifft, so kommen sowohl die Kopftypen, wie auch Land-
schaftsmotive und anderes in Betracht. Ohne hier genauer auf die für
Wolgemut charakteristische Frauenkopf bildung einzugehen, muß doch
bemerkt werden, daß sowohl der Marienkopf, wie der der hl. Katharina
eine längliche Nase und einen Mund haben, wie er sonst bei Wolgemut
nicht zu finden ist.
In jener Zeit der sich verbreitenden Holzschneidekunst mußten
besonders solche arg beschäftigten Meister sich eine gewisse Routine
aneignen, mit der sie sozusagen mechanisch einzelne Partien ausführen
konnten; zu diesen Partien gehörten jedenfalls die Lippen, die auch bei
Wolgemut eine schematische Form annehmen, wobei der Teilungsstrich
eine bestimmte gewölbte Linie bildet, die mit einer dunkleren Farbe
bezeichnet wird. Dies läßt sich bei ihm durchweg verfolgen. Nun
haben die Lippen hier, abgesehen davon, daß sie — wie vorher erwähnt
wurde — zierlicher sind, nicht den dunklen Strich, sondern sind erst in
den Mundwinkeln dunkler gehalten, was allerdings der Wirklichkeit mehr
entspricht und den Maler als einen kennzeichnet, der sich den Fesseln der
Manier entziehen will.
4) Zu bemerken wären auch solche äußerliche Momente wie das Wiederholen
des Namens Mariae am Kleidsaum in der Vermählung und der Hofer Kreuzigung, oder
der Aufschrift: »Sancta Virgo intemerata« auf der Landauer Geburt Christi und wieder
bei der rückseitigen Verkündigung des Hofer Altars.
Die Flügel des Landauer-Altars.
461
Was den Männertypus Wolgemuts anbelangt, so ist er zur Genüge
bekannt, diese griesgrämigen, bärtigen Gesichter, von denen auf allen
diesen drei Bildern kein einziges vorkommt! Sie scheinen ins Milde
und Geklärte, wohl auch manchmal ins Unbeholfene und Weichliche
übersetzt worden zu sein, sogar in der mehrfach erwähnten Kreuzigung.
Am deutlichsten tritt der Umstand in der Behandlung des Christuskopfes
hervor, der bei Wolgemut meist nicht ohne herben Ernst und Strenge
ist, hier aber in der Auferstehung vor Anmut und Milde strahlt. Der
Vergleich mit der Hofer Auferstehung oder noch mehr mit der von der
Hellerschen Heiligenkreuzkapelle in Nürnberg läßt dies zur Genüge er-
kennen.
Im Anschluß an die oben festgestellte naturalistische Tendenz wäre
hier die Auffassung und Behandlung der Bäume zu erwähnen, deren
Stilisierung mittels horizontaler Striche einen höheren Entwicklungsgrad
in der Beobachtung bedeutet, da ja auch Dürer und dann der treffliche
Baummaler Altdorfer in dieser Richtung fortschreiten. Dem gegenüber
wäre eine rundliche, schnörkelartige Baumbehandlung bei Wolgemut eine
ältere, routinenmäßige.
Zuletzt muß noch die äußerst sorgfältige und liebevolle Art der
Behandlung vom Raum hervorgehoben werden, ein miniaturartiges
Eingehen auf die feinsten Details der verschiedenen Holzarten der Ge-
räte auf dem Katharinenbilde, wozu schwerlich ein Gegenstück in der
Kunst Wolgemuts zu finden wäre.
Schnaase, dem doch wohl jede polemische Absicht fernlag, äußert
sich über Wolgemut5):
»Es fehlt bei ihm der belebende Hauch der Poesie, der
rechte Brustton tiefer Empfindung. Die Würde streift an spießbürger-
liche Steifheit, die Schönheit an Leere, die Gleichförmigkeit heiligen
Ernstes ist ermüdend, und es ruht auf den meisten seiner Tafeln eine
Schwere, die uns keine volle Freude empfinden läßt.«
Nun, könnten diese Worte auf den Landauer -Altar, was man auch
von ihm sagen würde, schwerlich angewendet werden.
Verwandtschaft mit dem Peringsdörffer Altar.
Bekanntlich hat Thode den Peringsdörffischen Altar des Germani-
schen Museums, obwohl er als im Jahre 1487 aus der Werkstätte Wol-
gemuts hevorgegangen beglaubigt ist, diesem abgesprochen und dem
Sohne Hans Pleydenwurffs, Wilhelm, seinem Stiefsohne also, zugeteilt.
Diese Benennung setzt allerdings eine sonderbar rückschreitende Ent-
5) Geschichte d. bild. Künste, VIII, 383.
4Ö2
Dr. I. Beth:
Wicklung von Wolgemuts Schaffen voraus, auch dürfte die sonst so
seltene urkundliche Beglaubigung seiner Hand an dem Altäre nicht über-
zeugend genug wegargumentiert sein. Solange sie aber keine end-
gültige Widerlegung erfährt, ist man gezwungen, den Anteil des 53 jähri-
gen Meisters an dieser »großartigsten Schöpfung der Nürnberger Maler-
schule in der zweiten Hälfte des XV. Jhs.« (Thode) zum mindesten
stark anzuzweifeln, ohne zu der Wilhelm Pleydenwurff-Frage besonders
Stellung nehmen zu müssen.
Nun treten aber derartig nahe Beziehungen zwischen den Landauer-
Flügeln und dem Peringsdörffischen Altar auf, daß sich die Vermutung
derselben Malerhand bei beiden einfach aufdrängt.
So hat die Hauptfigur der Vermählung, die hl. Katharina, nicht
nur dasselbe Gesicht wie die hl. Katharina des Flügels des Peringsdörffi-
schen Altars, denselben gesenkten Blick, die wellenförmige Lidspalte
der Augen, aber auch die vorgeschobene Oberlippe und auch denselben
Handtypus. Diese Ähnlichkeit wird noch auffälliger bei der Zusammen-
stellung ihres Kopfes mit denen der Frauen auf dem äußeren Flügel, der
Versuchung des hl. Vitus, und zwar deshalb, weil diese den gleichen
Kopfputz tragen, ein turbanartig um das Haupt gewickeltes Tuch, das
mit feinen Fäden und Perlen reich geziert ist. Zur Gegenprobe stelle
man etwa den Kopf der Heiligen, mit anderen köpfen Hans Pleyden-
wurffs oder aber Wolgemuts mit dem nämlichen Kopfputz zusammen;
die Verschiedenheit der Auffassung der zu vergleichenden Gesichter tritt
dann klar zutage.
Ebenso läßt sich bei den männlichen Gestalten eine auffallende
Ähnlichkeit der beiden Altäre aufweisen.
Die beiden Wärter am Christusgrabe im Auferstehungsbilde finden
ihre Gegenstücke in den Heiligengestalten des Nürnberger Altars und
zwar entspricht dem jüngern genau der hl. Georg und dem ältern,
der die Armbrust spannt, der hl. Sebald; nebenbei bemerkt, findet
sich auf einem Bilde der St. Vitus-Legende genau dieselbe Armbrust,
die ein Atelierbestandteil zu sein scheint. Überhaupt läßt sich fest-
stellen, wie der kräftige, energievolle Typus des Hans Pleydenwurff hier
von seiner Intensität nachläßt, wie die stark gebogene Nase hier nur
mehr gedankenlos wiederholt wird, ebenso die kräftigen Lippen, die ihre
Spannung eingebüßt haben. Wie darunter eine Kreuzigungsszene leiden
mußte, läßt sich leicht denken. Das Hauptaugenmerk des Malers war
eben auf ganz andere Momente gerichtet.
Das reizende Kämmerlein mit allerlei Geräten, mit den blanken
Schüsseln und den säubern Schränken, das hat es dem Künstler angetan,
und diese feine Interieuerstimmung findet man auf dem St. Lukasbilde
Die Flügel des Landauer-Altars.
463
des Nürnberger Altars wieder, ja, die Aussicht ins Freie ist hier ganz
ähnlich behandelt, wie denn überhaupt die stark entwickelte Vorliebe für
das Landschaftliche, die wohl noch auf Wolgemut zurückzuführen ist,
für beide kennzeichnend ist. Die hohe Burg, die die Augsburger Auf-
erstehung überragt, bedeutet eben eine Entwicklung im Betonen der
Landschaft, welche im Peringsdörffischen Altar bereits eine bedeutende
Rolle spielt.
Alle die Einzelheiten, deren wichtigste nur hier angeführt wurden,
und außerdem ein undefinierbarer Eindruck vom Ganzen lassen auf
einen Künstler schließen, der unter starkem Einfluß Wol-
gemuts und des altern Pleydenwurff, es zwar nicht wagt, die
hergebrachten Schultradi tionen und Schranken zu sprengen,
jedoch schon mächtig genug seine — sozusagen — lyrische
Empfindungsweise ihrer dramatisch bewegten oder breit er-
zählenden Art gegenüber zu behaupten anfängt und sich keine
Gelegenheit entgehen läßt, diese zum Ausdruck zu bringen. Es wäre
nicht schwer, sich den Künstler als einen jungen Gesellen in Wolgemuts
Werkstatt vorzustellen, der noch auch das Schaffen Hans Pleydenwurffs
vor Augen hat, aber schon selbst schüchtern seine eigenen Wege sucht.
Urkundliche Indizien.
Thode sieht Wilhelm Pleydenwurff als den Schöpfer des Perings-
dörffischen Altars an. Er sucht diese Taufe aufrecht zu halten, indem
er ihn als den beglaubigten Mitarbeiter Wolgemuts an der Weltchronik
Schedels im Jahre 1492 anführt und den Schluß zieht, der Holzschneider
könnte diesem auch beim Bildermalen behilflich gewesen sein. Ohne
auf die sehr umständliche Beweisführung Thodes in der Ausschaltung
von Holzschnitten Wilhelms in der Weltchronik einzugehen, da sie ja
für viele nicht überzeugend genug erscheint, soll hier die Wahrscheinlich-
keit dieser Hypothese um noch eine Fährte bereichert werden.
Die vor drei Jahren im Repertorium f. K. von Gümbel veröffent-
lichten Aufsätze über das Schreyersche Denkmal von Adam Krafft, haben
ein neues Licht auf das Verhältnis des Sebald Schreyer und Mathias
Landauer zu Wolgemut und Pleydenwurff geworfen. Es erhellt nämlich
aus eigenhändigen Aufzeichnungen Schreyers, daß seine und des Mathias
Landauer geschäftliche Beziehungen zu dem Künstlerpaar sehr rege waren.
Einerseits kommt zwischen beiden, als Stiftern des Denkmals, und Krafft
ein Vertrag zustande, dann aber tritt Schreyer und sein Schwager
Kammermeister mit den beiden Malern in Verbindung, behufs geschäft-
lichen Betriebes der Schedelschen Weltchronik. Die Landauer-Familie,
die auf dem Grabdenkmal mit ihrem Hauptvertretern, mit dem alten
464
Dr. I. Beth:
Marx, dessen beiden Frauen und Kindern abgebildet ist, wird wohl schon
vor dem Jahre 1492 mit der »Firma« Wolgemut in Beziehungen gewesen
sein, ja, sie hat diese wohl den nächsten Verwandten, den Schreyern,
die auf derselben Platte mit der ganzen Sippschaft getreulich konterfeit
sind, als solide Malerwerkstatt bestens empfohlen, da ja der sonst zu
vorsichtige alte Sebald sich in demselben Jahre in ein — sozusagen —
sehr riskantes Unternehmen der Weltchronik-Ausgabe eingelassen hat.
Verlockend ist nun die Versuchung, den Altar der Landauer - Stif-
tung als ein Hauptbild der Werkstätte anzunehmen, welches
ihren Ruf in diesem Familienkreise gefestigt hat.
Und zwar hat es allen Anschein, daß der alte Herr mit Rosen-
kranz, der auf der Münchener Geburt Christi, als Stifter knieend er-
scheint, niemand anders ist als der alte Marx Landauer, der sich
auf seine alten Jahre in das Schottenkloster bei St. Egidien zurückzog
und dem wohltätigen Wirken widmete, und daß die Nonne auf der
Augsburger Auferstehung seine Tochter Elsbeth ist, die als Kloster-
frau im Katharinenkloster lebte.6 *) Die letztere scheint eben den Altar
für die Klosterkirche gestiftet zu haben, zwar nach dem Ableben des
Vaters (der noch in den sechziger Jahren des 15. Jahrh. starb), doch
wohl nicht ohne dessen Auftrag, wie das aus seinem Testamente zu
schließen wäre. 7) Würfel8 *) führt sie in seinen -Namenverzeichnissen
nicht an, doch scheint sie in ihren letzten Jahren in das reformierte
Kloster Engel thal übersiedelt worden zu sein, da dieses 1513 »wegen
lüderlichen Lebenswandels« mit S. Katharina-Nonnen neu besetzt wurde.9)
Würfel nennt einen Katharinen-Altar in der Kirche und Thode bezeich-
net den Landauer- Altar als unzweifelhaft denselben, den auch Murr in
seiner »Beschreibung« ausführlich beschreibt, wonach zwei andere Flügel
mit vier Scenen verschollen wären. Es soll auch nicht unbemerkt bleiben,
daß Hans Behaim für Mathias Landauer viele Bauten ausgeführt hatte
(unter anderen das bekannte Zwölfbrüderhaus) und ein Fritz Behaim (sein
Sohn?) eine Pfründe für jenen Katharinenaltar gestiftet hat.10) Die Ver-
mutung liegt nahe, daß er es aus Erkenntlichkeit für die Landauer
getan hatte, da er sah, daß der Altar in der Klosterkirche, die bald
6) W. Vogt, Geschichte des Landauer-Zwölfbrllderhauses.
7) Nürnberger Städtisches Archiv, L. I, 2.
8) A, Würfel, Diptychorum ecclesiarum Norimbergiensium succincta enucleatio
etc. 1766. (»Ausführliche Beschreibung aller und jeder Kirchen in und vor
Nürnberg.«)
9) E. Reick e, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg.
10) Vogt, Geschichte des Landauer Zwölf brüderhauses. E. Reike, Geschichte
der Reichsstadt Nürnberg.
Die Flügel des Landauer- Altars. 465
von den Nonnen verlassen werden sollte,11) in immer verwahrlosteren
Zustand geriet.
Die Zeit des Entstehens des Altars, etwa 1470 — 1840, die sich
aus vorher Angeführtem ergibt, stimmt mit der stilkritischen sowohl, wie
mit der kostümlichen Betrachtung überein. Die Rüstungen beispiel-
weise, die bei dem alten Hans noch die Merkmale der Mitte des Jahr-
hunderts haben, sind veraltet gegen diejenigen des Landauers- Altars, der
schon Armets (Visierhelme) und mehrfach »geschobene« Panzerteile
aufweist.
Schl ußfolgerung.
Um diese Zeit steht wohl der alte Pleydenwurff auf der höchsten
Stufe seines Könnens, jedoch sein Ruhm läßt ihn nicht ruhig in der
Heimat seinen künstlerischen Problemen nachgehen. In den sechziger
Jahren d. 15. Jhs. wird ihm der ehrenvolle Antrag des Breslauer Rates
zuteil : im fernen Schlesien für die Elisabethkirche einen Altar zu malen.
WernerWeisbach hat in der »Zeitschrift für bildende Kunst« im Jahre
1898 die höchst wahrscheinliche Vermutung zu begründen versucht, daß
der Künstler in den ersten siebziger Jahren im benachbarten Polen, nament-
lich in Krakau, das ja in dieser Zeit den regsten Verkehr mit Nürnberg
unterhält (Veit Stoß kommt 1477 nach Krakau) viel beschäftigt wird.
Somit ergibt sich noch ein Grund mehr, dem vielbegehr,ten alten Meister
einen Altar abzusprechen, der eher ein schüchternes Betreten, als ein
selbstbewußtes Beenden einer künstlerischen Laufbahn bedeutet.
Wolgemut wird wohl in dieser Zeit noch rüstig und voll Energie
gewesen sein, wie das sein Porträt, des achtzigjährigen, in der Pinako-
thek lehrt, doch es ist kaum anzunehmen, daß er plötzlich einer An-
wandlung von Milde und Sanftmut, wie sie über das Werk ausgebreitet
sind, erlegen wäre, um dann wieder auf seinen mürrischen und strengen
Gesichtstypus zurückzukommen. Es ist in den Bildern zu viel von ent-
wicklungsfrohem Anlauf, als daß er ohne Folgen geblieben wäre.
Nicht ausgeschlossen aber ist die von Seidlitz ausgesprochene
Vermutung, daß Wolgemuts Schüler „die Ausführung der einzelnen
Bilder im Wesentlichen besorgt haben, er selbst aber an alle die vollen-
dende Hand gelegt und dadurch jenen gleichmäßigen Charakter verliehen
habe, welcher uns im ersten Augenblick entgegentritt«.
Ob dieser Schüler Wilhelm Pleydenwurff war, — wer könnte es
heute bestimmt sagen?
“) Sie wurde 1525 »versperrt« und es ward verboten, mehr Nonnen aufzunehmen.
Die letzte war 1596 gestorben. Würfel, a. a. O. Fr. Truckenbrot, Nachrichten
zur Geschichte der Stadt Nürnberg, 1785.
Das Gothaer Liebespaar.
Von Carl Gebhardt.
Seit wenigen Jahren erst in die kunstwissenschaftliche Literatur
eingeführt, ist das herrliche Doppelbildnis des Jünglings mit dem Mäd-
chen im herzoglichen Museum zu Gotha doch schon Gegenstand einer
lebhaften Kontroverse geworden, die ebenso seinen Meister wie den In-
halt seiner Darstellung betraf. Auch auf der Düsseldorfer Ausstellung,
durch die es zuerst weiteren Kreisen im Original bekannt wurde, hat
es die entgegengesetztesten Beurteilungen erfahren, ein Zeugnis dafür,
daß es dem Beschauer, indem es ihn durch seinen unbeschreiblichen Lieb-
reiz bezaubert, zugleich eine Frage in die Seele senkt, die ihn nicht
wieder losläßt. Es sei nur auf die zwei neuesten Deutungsversuche
verwiesen, die Schubring in den Preußischen Jahrbüchern (1904 III,
S. 50/51) und Scheibler im Repertorium (XXVII, S. 569h) aufgestellt
haben. Schubring erklärt das Bild schlechtweg für eine Courtisanen-
szene: das Mädchen hat dem Jüngling ein Schnürlein geschenkt und jetzt
überwindet er ihren letzten Widerstand durch ein goldenes Armband.
Man wird aber Mühe haben, sich die Liebe einer Dirne vorzustellen,
die dem Galan als Zeichen ihrer Zuneigung ein Schnurwerk gearbeitet
hat und deren Widerstand danach noch durch einen Wertgegenstand
überwunden werden muß. Auch möchte man dem Jüngling die Ge-
schmacklosigkeit nicht gerne Zutrauen, daß er sein Familienwappen auf
die Darstellung einer lockeren Szene habe setzen lassen. Scheibler
findet dagegen in dem Gemälde etwas zu einfach ein Familien- und Ver-
lobungsbild, bei dem die gegenseitigen Verlobungsgeschenke zur Schau
getragen werden sollen. Es fällt ihm wie auch den anderen Beurteilern
nicht auf, daß neben dem einen Wappen das andere, das Allianzwappen
der Braut, fehlt. Wenn aber wirklich das Bild etwas anderes als einen
flüchtigen Rausch der Sinne festhält — und es ist eine der wunder-
vollsten Verherrlichungen, die je der Pinsel eines Malers der reinsten
Liebe geweiht — jedenfalls kann die Verbindung der beiden Menschen
nur eine im Sinne der Konvention unebenbürtige gewesen sein, mag sie
nun die in der damaligen Zeit noch mehr fluktuierenden Formen der
Carl Gebhardt : Das Gothaer Liebespaar.
467
morganatischen Ehe oder des Konkubinats angenommen haben. Daher
kann man nicht schlechthin von einem Verlobungsbilde sprechen. Der
Lösung des Rätsels käme man jedenfalls näher, wenn es gelänge, die
Persönlichkeit der Dargestellten festzustellen, wozu bisher, soviel ich sehe,
noch nirgends ein Versuch unternommen wurde. Dazu bieten sich uns
zwei Wege, die sich vielleicht zu einem Ziele vereinigen. Da das Bild
etwa in dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts entstanden sein dürfte
und der Jüngling ein Alter von ungefähr 20 Jahren hat, so mag er gegen
1480 bis 1490 geboren sein. Außerdem ist uns sein Familienwappen
bekannt. Es fragt sich nun, ob aus diesen beiden Indizien eine zweifel-
lose Bestimmung seiner Persönlichkeit möglich ist.
Das über den Spruchbändern angebrachte, in Rot und Gold ge-
sparrte Wappen ist das der Grafen von Hanau (vgl. das Weigelische
Wappenbuch sowie Hefner, Handbuch der Heraldik Abb. 186). Wohl
gibt es eine Reihe ähnlicher Wappen wie die der Häuser Eppstein (Sieb-
machers Wappenbuch VI. 7, Taf. 5), Rollingen (ebenda II. ii, Taf. 9)
und Dorth (ebenda III. 4, Taf. 6); aber kleine Abweichungen in Form
oder Farbe lassen sie als ausgeschlossen erscheinen. Zweierlei kommt
unseren Nachforschungen zu gute. Einmal haben wir eine genaue und
zuverlässige Genealogie des hanauischen Geschlechtes, die selbst die illegi-
timen Sprossen nicht unberücksichtigt läßt, in den Arbeiten von Dr. Kamill
von Behr »Genealogie des Hanauer Grafenhauses« (in den Mitteilungen
des Hanauer Bezirksvereins für hessische Geschichte und Landeskunde
Nr. 6, 1880) und von Dr. Reinhard Suchier (mit gleichem Titel, in der
Festschrift des Hanauer Geschichtsvereins, 1894). Ein günstiger Umstand
liegt sodann darin, daß das hanauische Grafengeschlecht nicht weit zer-
splittert und zahlreich an Mitgliedern war. Die hanauische Hausverfas-
sung, wie sie von Ulrich II. 1339 und l343 und von Ulrich IV.. 1375
dem früher geübten Herkommen gemäß festgesetzt wurde, verordnete die
Primogenitur-Erbfolge und erlaubte nachgeborenen Söhnen nur dann, sich
zu vermählen, wenn der Erstgeborene keine successionsfähigen Nach-
kommen hatte (Wegener, Kurzgefaßte Geschichte der Herren und Grafen
zu Hanau, 1782, S. 11, 14, 23). Trotzdem spaltete sich das Haus im
Jahre 1458, da man ein Aussterben befürchtet und vorschnell auch dem
zweiten Sohne die Ehe erlaubt hatte. Seitdem bestanden zwei Linien:
die von Hanau-Münzenberg, die als die ältere den größten Teil der Be-
sitzungen am Main behielt, und die von Hanau-Lichtenberg, der die
Gebiete am Oberrhein zufielen und die durch Erbschaft den Besitz des
ausgestorbenen Dynastengeschlechts derer von Lichtenberg im Elsaß an
sich brachte. Unter den Mitgliedern dieser beiden Häuser werden wir
also den Jüngling des Gothaer Bildes zu suchen haben.
468
Carl Gebhardt:
Die sämtlichen männlichen Mitglieder der Münzenberger Linie, die
in dem Jahrhundert von 1450 bis 1550 gelebt haben, sind diese:
Philipp I. 1449 — 1500;
sein Sohn Reinhard IV. 1473 — 1512;
dessen Söhne Berthold 1499 — 1504; Philipp II. 1501 — 1529; Bal-
thasar 1508 — 1534;
Philipps II. Söhne Reinhard 1524 — 1525, Philipp III. 1526 — 1561,
Reinhard 1528 — 1554» (Behr, a. a. O. S. 44 — 46; Suchier, a. a. O. S. 13/14).
Von allen diesen könnte der Zeit nach einzig Reinhard IV. in Frage
kommen, wenn man sich entschließen könnte, das Bild schon in die
neunziger Jahre des 1 5. Jahrhunderts zu setzen. Reinhard hat sich 1496
mit Katharina, der Tochter Günthers XXXVIII. von Schwarzburg ver-
mählt. Wir würden, wollten wir das Gemälde als sein Verlobungsbild
deuten, das schwarzburgische Wappen neben dem hanauischen ver-
missen. Noch mehr spricht gegen diese Deutung, daß wir ein Konterfei
des Grafen Reinhard und seiner Gemahlin besitzen in zwei sehr gut und
sorgfältig aus Holz geschnitzten Chorstühlen in der reformierten Kirche
zu Hanau (vgl. Suchier, Die Grabmäler und Särge der in Hanau bestatte-
ten gräflichen und fürstlichen Personen aus den Häusern Hanau und
Hessen, 1879, S. 9/ 1 ° ; Abb. in der Festschrift des Hanauer Geschichts-
vereins 16 und 17 a). Diese zeigen aber von dem Gothaer Bild voll-
kommen abweichende Züge: der Graf hat mit seinen breiten Backen-
knochen und den flachliegenden Augen nichts mit dem Jüngling gemein,
so wenig wie die Gräfin mit ihrem herben, unschönen Gesicht uns an
das Mädchen erinnern kann. Philipp II. oder Balthasar, die Söhne Rein-
hards IV., können der Zeit nach nicht mehr in Betracht kommen; auch
ihr Porträt, das uns in ihren Grabsteinen in jener Kirche erhalten ist
(Abb. in der Festschrift 18 und 20), ließe eine solche Deutung nicht zu.
Wir dürfen also als unzweifelhaftes negatives Ergebnis dieser Durch-
musterung feststellen, daß der Jüngling des Gothaer Gemäldes dem in
Hanau residierenden Hause von Hanau-Münzenberg nicht angehören kann.
Die hanau-lichtenbergische Linie ist in demselben Zeitraum 1450
bis 1550 durch folgende männliche Glieder vertreten:
Philipp I. 1417 — 1480;
seine Söhne Johann 1460 — 1473, Philipp II. 1462 — 1504, Lud-
wig 1464 — 1484, Diether etwa 1468 — 1473, Albrecht I474 — 1491;
Philipps II. Söhne Philipp III. 1482 — 1538, Ludwig 1487 bis
1553; Reinhard 1494—1537;
Philipps III. Sohn Philipp IV. 1514 — 1590. (Behr, a. a. O. S.
50 — 52; Suchier, a. a. O. S. 18 — 20; Lehmann, Urkundliche Geschichte
der Grafschaft Hanau - Lichtenberg, 1863, 2. Bd. Stammtafel Nr. 4.)
Das Gothaer Liebespaar.
469
Von diesen können wiederum der Zeit nach nur die drei Söhne
Philipps II. in Betracht kommen: Philipp III., Ludwig und Reinhard.
Philipp III. hat sich 1505 mit Sibylle, der Tochter Christophs I.
von Baden, vermählt. Als sein Verlobungsbild dürfen wir aber das
Liebespaar keinesfalls deuten. Dagegen spricht das Fehlen des badischen
Wappens ebenso sehr wie ein erhaltenes, beglaubigtes Bild der Sibylle
(Abb. in der Festschrift 35), das eine völlig andere Gestalt zeigt. Auch
von Philipps zweitem Bruder Reinhard, der allenfalls noch in Frage
kommen könnte, haben wir ein Abbild in einer guten Medaille aus der
Zeit des Bauernkrieges (1525) (vgl. Suchier, Die Münzen der Grafen von
Hanau, 1897, S. 45; Abb. ebend. Taf. VI, 176), deren harte Züge mit
dem energischen, zusammengepreßten Mund sehr mit der Zartheit und
Milde unseres Jünglings kontrastieren. Nun bleibt allein noch der zweite
Sohn Philipps II., Ludwig, übrig, und von ihm glaube ich in der Tat,
daß wir ihn mit dem Jüngling des Gothaer Bildes identifizieren dürfen.
Dieses auf dem Wege der Exklusion gewonnene Resultat findet
eine bedeutsame Unterstützung in dem, was wir über das Leben des
Grafen Ludwig von Hanau-Lichtenberg wissen. In der an menschlich
Anziehendem nicht eben reichen Geschichte seines Hauses tritt er als eine
ziemlich klar umrissene Gestalt hervor. Er »scheint viele Eigenheiten
besessen zu haben und in seinen Entschließungen etwas rasch gewesen
zu sein«, so urteilt über ihn Lehmann, welcher auf Grund der im Darm-
städter Haus- und Kabinettsarchive aufbewahrten Urkunden eine fleißige
Geschichte der Elsässer Grafschaft geschrieben hat. Ludwig ist am
5. Oktober 1487 geboren (Wegener, a. a. O. S. 78; Suchier, a. a. O. S. 19;
Lehmann, a. a. O. 2. Bd. Stammtafel Nr. 4 und Behr, a. a. O. S. 51
geben den 4. Oktober an). Danach müßte sein Bild gegen 1507 gemalt
sein, wogegen sich wohl nichts einwenden . läßt. Um eine Teilung der
Grafschaft oder Unfrieden in der Familie zu verhüten, ließ Philipp II. in
seiner letzten Krankheit 1503 von seinen Söhnen Philipp und Ludwig
sich feierlich versprechen, »wesse der berurte Ire hre vatter zwuschen Ine
den gebrudern der Herschafft Hanawe vnd Lichtenbergs halben, thu
setzen ordenn vnd machen, vnd Besunder vmb gemeynes Nutzs willen,
domidde bede Herschafften nit zertrent oder In eynchen verdurplichen
schaden, Auch zwuschen Ine den gebrudern solicher Herschafft halber
nit eynicher zwytracht oder widderwille erwüchse«, solchem allem woll-
ten sie, mit Verzicht auf ihre Rechte u. s. w., treu und gewissenhaft nach-
kommen (Lehmann, a. a. O. 2. Bd. S. 433). Nach dem 1504 erfolgten
Tode ihres Vaters einigten sich die Söhne durch Abkommen vom
22. November 1505 dahin, daß Philipp (III.) als einziger regierender
Herr die Grafschaft erhalten solle, wogegen er seine Brüder, die von allen
470
Carl Gebhardt:
Ansprüchen an väterliches und mütterliches Erbe abstanden und Dom-
herrnstellen in Straßburg erhalten sollten, durch eine angemessene Apa-
nage entschädigte. — Sodann wissen wir aus dem Leben des Grafen
Ludwig, daß er in Beziehungen zu einer Frau getreten ist. Wer sie
gewesen, wann er in Beziehungen zu ihr trat, ist unbekannt; da Ludwig
nach den Quellen in ehelosem Stande starb, kann jene Verbindung auch
nicht die Form einer morganatischen Ehe angenommen haben. Dem
Liebesbunde ist ein Sohn entsprossen, Gaspar von Hanau (Behr, a. a. O.
S. 51; Suchier, a. a. O, S. 19). Diese beglaubigte Tatsache kann uns
berechtigen, in dem Gothaer Liebespaar ein Bild des Grafen Ludwig
und seiner Geliebten zu sehen. Man darf sich nicht darüber wundern,
daß der Jüngling in ausgesprochen weltlicher Tracht dargestellt ist, die
ihm als Domherrn doch schlecht anstünde. Wir wissen ja nicht be-
stimmt, wann er in den geistlichen Stand eintrat. 1505 war er noch Laie,
und das päpstliche Dekret, das seinem Bruder Reinhard den Dispens er-
teilt, trotz seiner Jugend Domherr zu werden, ist erst von 1507 datiert.
So könnte das Bild ganz gut entstanden sein, ehe Ludwig mit der geist-
lichen Würde bekleidet wurde. Aber selbst als Domherr kann er sich
auch wohl im weltlichen Gewand haben malen lassen; bedeutete ihm
doch seine Würde nur eine Pfründe, kein Amt. Er muß großen Sinn
für kostbare, mondäne Kleidung gehabt haben, denn in dem Erbteilungs-
vertrag von 1505 bedingt er sich ausdrücklich von seinem Bruder aus
dem Nachlasse des Vaters einen »Perlinhut«, 10 Lot Perlen und die
schwarze sammtne, mit Gold verbrämte »Schauben« (Lehmann, a. a. O.
2. Bd. S. 437). — Ludwig ist dem geistlichen Stande nicht treu geblieben.
I5I3 gab er seine Präbende auf, um Land und Leute zu regieren. Viel-
leicht hat ihn der Gedanke an seinen Sohn zu diesem Schritt bewogen.
Philipp III. räumte ihm, »wiewol ers nit schuldig gewest«, gegen sein
Leibgeding im April 1513 einen beträchtlichen Teil der hanau-lichten-
bergischen Besitzungen ein. Aber Ludwig regierte nur anderthalb Jahre
lang, dann tauschte er den Landbesitz wieder gegen sein früheres Leib-
geding um, »dieweyll wir in zeyt der anderthalb Jhar .befunden, das die
berurten graff- vnnd herschafften nutzbarlicher vnnd fruchtbarlicher
durch ein person geregirt werden mögen, dan das sie getheylt seyen«.
Er muß ein schlechter Wirtschafter gewesen sein, denn die Hauptbedin-
gung dieses Vertrags war: »das vnnser bruder Graue Philipps one allen
vnsem costen vnd schaden ausrichten vnnd bezalen soll alle versessen
zinss, dienstlon vnnd schulden, so wir die zeytt der anderthalb Jar
schuldig worden vnnd gemacht« (Lehmann, a. a. O. 2. Bd. S. 442 — 444).
Er ist am 3. Dezember 1553 zu Willstatt gestorben und wurde in der
Kirche zu Neuweiler beigesetzt (Wegener, a. a. O. S. 78; Behr, a. a. O.
Das Gothaer Liebespaar.
471
S. 51; Suchier, a. a. O. S. 19; Lehmann, a. a. O. 2. Bd. Stammtafel
Nr. 4 gibt wohl irrtümlich 1543 als Todesjahr). Das Geschlecht seines
Sohnes Gaspar ist 1602 erloschen (Behr, a. a. O. S. 51; Suchier, a. a.
O. S. i9).
Die ausführliche Inschrift der Spruchbänder, die wohl zu einer
richtigen Erklärung des Inhalts der Darstellung hatte führen können,
scheint im Gegenteil eine Quelle der Verwirrung geworden zu sein. Ihr
bekannter Wortlaut ist dieser:
Sie spricht:
Sye • hat • uch • nyt • gantz • veracht •
Dye • üch • dasz • schnürlin • hat • gemacht .
Er spricht:
Un • byllich • het • Sye • esz • gedan •
want • Ich • han • esz • sye • genissen lan •
Lehmann in seinem Buche über das Bildnis bei den altdeutschen
Meistern (S. 86) übersetzt sie so:
Sie: Sie hielt Euch doch ein wenig wert,
Die Euch das Schnürlein hat verehrt.
Er: Und billig hat sie es getan,
Hat sie doch selbst die Freude dran.
Bock sieht darin ein schalkhaftes Liebesgeflüster (Die Werke des
Mathias Grünewald, 1904, S. 72). Schubring hat sich wohl durch eine
falsche Deutung der Worte zu seiner Auffassung einer Courtisanenszene
verleiten lassen. Scheibler weist mit vollem Recht die häßliche Miß-
deutung des genießen lassens in obszönem Sinn zurück, aber auch seine
Deutung, nach der der Jüngling dem Mädchen sagt, mit Recht habe sie
ihm das Schnürlein gearbeitet, denn er habe ihr ja schon vorher ein
Geschenk, das Armband nämlich, gegeben; auch diese Deutung kann ich
nicht sehr sinnig finden. Das ganze Rätsel löst sich, sobald man genau
auf den Wortlaut achtet. »Sie hat Euch nicht ganz verachtet, die Euch
das Schnürlein hat gemacht« sagt sie, und er antwortet ihr: »Und billig
hätte sie es getan, denn ich habe es sie genießen lassen.« Was hätte sie
billig getan? Ihm das Schnürlein gemacht? Nein! Denn das hat sie
ihm ja wirklich gemacht. Das »es« kann sich zweifellos nur auf den
Vordersatz ihrer Rede beziehen und der Sinn kann nur sein: sie hätte
das Recht dazu gehabt, ihn zu verachten. Weil er es sie hat genießen
lassen. Wiederum kann das. »es« nichts anderes bedeuten: er hat sie
früher seine Verachtung genießen lassen. Mit dieser Deutung, die nicht
ein Produkt der Phantasie, sondern der strengen Worterklärung ist, scheint
mir der Sinn des Bildes vollkommen klargestellt. Welcher konkrete
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVlII.
32
472
Carl Gebhardt:
Vorgang zugrunde liegt, das vermag und braucht man auch gar nicht in
Erfahrung zu bringen; doch erinnern wir uns immerhin daran, daß der
Jüngling aus gräflichem Hause und das Mädchen eine Wappenlose,
Bürgerliche ist. Jedenfalls aber spricht aus den schlichten Reimen des
Zwiegesprächs, die der Liebende auf sein Bild setzen ließ, nicht die zwei-
deutige Sprache eines Lüstlings, auch nicht ein schalkhaftes Scherzwort,
sondern ernst genug die Sprache der Reue und der Versöhnung in der
Liebe. Das hätte schon der Ausdruck der Gesichter lehren können, in
denen nichts Leichtes, Tändelndes, sondern ein stiller, fast schwermütiger
Ernst uns erscheint. Es liegt ein Menschenschicksal in diesem Bilde.
Noch weniger wo möglich als über den Gegenstand des Bildes hat
man sich über seinen Meister einigen können. Sch ei bl er gab seiner
Zeit der Vermutung Raum, daß es von der Hand Schtichlins stamme,
und wenn er auch heute das nicht mehr aufrecht erhält, so scheint es
ihm doch dem Kolorit nach am meisten an jenen erinnernd. Flechsig
hat in seinem Aufsatz über den Meister des Hausbuchs als Maler (Zeit-
schrift für bildende Kunst, N. F. 8. Jahrg. S. 9 und 15 — 17) das Bild
in Gotha geradezu zum Ausgangspunkt seiner Forschungen über die
Werke dieses Meisters gemacht, ohne durch anderes als ziemlich ober-
flächliche sachliche Übereinstimmungen dazu berechtigt zu sein. Wie
sehr man sich aber hüten muß, dem Hausbuchmeister lediglich auf in-
haltliche Übereinstimmung hin Gemälde zuzuschreibep, zeigt das Beispiel
der Nürnberger Allegorie des Lebens und des Todes, die ihm ja auch
gelegentlich einmal zugesprochen worden ist. Die Ansicht Flöchsigs
wurde dann auch von Lehrs zurückgewiesen (Jahrbuch der kgl. preuß.
Kunstsammlungen, 20. Bd. S. 174). Thode, der die Urheberschaft des
Hausbuchmeisters ebenfalls für ausgeschlossen hält, sieht darin das Werk
eines mittelrheinischen Meisters, von dem ein Altar in Aschaffenburg mit
der Geburt Christi als Mittelbild herrühre und der der unmittelbare Vor-
gänger und Lehrer Grünewalds gewesen sei (Jahrbuch der kgl. preuß.
Kunstsamml. 21. Bd. S. i33f.). Eine Bestätigung dieser Ansicht findet er
darin, daß es für die Grafen von Hanau, also für die Nachbarstadt von
Aschaffenburg ausgeführt sei. Aber gerade dieses Argument scheint mir
nicht mehr aufrecht zu erhalten, denn wen auch immer das Bild darstellen
möge, für Hanau kann es doch wohl nicht gemalt worden sein. Schließ-
lich hat Bock in seinem interessanten Versuche, einen beträchtlichen Teil
der erhaltenen altdeutschen Gemälde und Zeichnungen dem Oeuvre Grüne-
walds einzureihen, sich auch das Gothaer Liebespaar nicht entgehen
lassen (Die Werke des Mathias Grünewald, 1904, S. 71 — 73). »Grüne-
wald und kein anderer hat das Bild gemalt«. Vielleicht kann ihm
hierin nicht jeder folgen, wenn er sich dann auch von ihm »den
Das Gothaer Liebespaar.
473
Vorwurf gefallen lassen muß, auf einem veralteten Standpunkt zu stehen«
(a. a. O. S. 3).
Ich muß bekennen, daß mir von allen angeführten Ansichten die-
jenige Scheiblers am meisten zusagt. Allerdings glaube ich nicht an die
Urheberschaft Schiichlins, ja nicht einmal an einen direkten Schul-
zusammenhang mit ihm. Aber ich glaube, daß das Gothaer Bild auf
demselben Boden erwachsen ist wie die Außenseiten des Tiefenbronner
Hochaltars: auf dem Boden der oberrheinischen Kunst. Bei unserer noch
sehr unvollkommenen Kenntnis vom Entwicklungsgang der oberrheinischen
Malerei läßt sich diese Ansicht einstweilen stilkritisch noch kaum be-
gründen. Aber wenn meine Deutung des Dargestellten richtig ist, dann
ist das Bild jedenfalls am Oberrhein entstanden. Durch den erwähnten
Erbteilungsvertrag vom 22. November 1505 erhielt Graf Ludwig den
Gebrauch des den Grafen von Hanau-Lichtenberg gehörigen Hofes in
Straßburg zugestanden, damit er daselbst als Domherr residiere (Lehmann,
a. a. O. 2. Bd. S. 437). Auch in der kurzen Zeit seiner selbständigen
Regierung, die für die Entstehung unseres Bildes kaum mehr in Betracht
kommt, kann seine Residenz nur im Elsaß selbst gelegen haben, denn
seine Besitzungen erstreckten sich nicht darüber hinaus; wahrscheinlich
war es die Stadt Neuweiler, der bedeutendste ihm gehörende Ort, wo
er auch begraben wurde. Ist aber das Bild, wie ich vermute, in Straß-
burg gemalt worden, warum sollten wir da Bedenken tragen, es einem
uns noch unbekannten Straßburger Künstler aus dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts zuzuschreiben? Wohl könnte der Hausbuchmeister ebensogut
wie Grünewald um jene Zeit in Straßburg gewesen sein, aber die Über-
einstimmungen mit ihnen müßten doch wohl schlagender sein, um uns
zu veranlassen, diesen nächstliegenden Gedanken aufzugeben. Darin darf
uns auch der Umstand nicht beirren, daß wir bisher noch kein anderes
Werk dieses zarten und poetischen deutschen Meisters aufweisen können.
Wissen wir doch aus Bühelers Chronik auf das Jahr 1529: es haben die
Herren von Straßburg erkannt, »daß man alle Altär, taufstein, bi 1 der
und crucifix solle in allen Kirchen hinwegbrechen, wie daß auch solches
geschehen« (Janitschek, Geschichte der Deutschen Malerei S. 244). Auch
als der Meister eines Werkes wird der Maler des Gothaer Liebespaares
unter den Größten seiner Zeit seine Stelle einnehmen.
32
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
Von Paul Kalkoff.
3. Albrecht Dürer, Sebastian Brant und Konrad Peutinger
in Antwerpen im Sommer 1520.1)
Nachdem der neugewählte Kaiser Karl V. am 1. Juni 1520 in
Vlissingen gelandet war, um im Herbst zu seiner Krönung und Abhaltung
des ersten Reichstags auf deutschem Boden zu erscheinen, vergingen
noch mehrere Wochen, ehe die deutschen Fürsten oder ihre Vertreter,
sowie die Botschaften der Reichsstädte, die ihn zu seiner Wahl beglück-
wünschen und Bestätigungen ihrer Freiheiten erbitten wollten, an seinem
Hoflager eintreffen konnten. Erst als er von einer Begegnung mit Hein-
rich VIII. am 11. — 14. Juli aus Calais zurückkehrte, wurden zunächst in
Brügge, wo er vom 24. — 29. Juli weilte, und sodann in Gent, wohin
der Monarch den 30. übersiedelte, um am 7. August nach Brüssel auf-
1) Vgl. Bd. XX, 443 ff. und XXVII, 346 fr. dieser Zeitschr. — Zu der folgenden
Untersuchung wurde ich angeregt durch Herrn Museumsdirektor Dr. J. Janitsch, der in
einer im Kupferstichkabinett zu Berlin aufbewahrten Zeichnung des Skizzenbuchs der
niederländischen Reise (Lippmann Nr. 63) das Porträt Seb. Brants erkannt hatte und den
ihm zufallenden Teil des Beweises unter Wiedergabe der übrigen Bildnisse im Jahrbuch
der Kgl. Pr. Kunstsammlungen veröffentlicht.
Nebenbei sei bemerkt, daß ich den Grund nachweisen zu können glaube, warum
der Erzbischof Albrecht von Mainz das zweite ihm von Dürer 1523 übersandte Porträt
so kühl aufgenommen hat, daß er, wie Dürer in seinem Schreiben vom 4. September
(Lange-Fuhse S. 69) klagte, dessen in seiner Antwort nicht einmal Erwähnung getan
hatte, so daß der Künstler fürchtete, das »Conterfet« möchte ihm »vielleicht nit gefällig
sein«. Nun hatte sich aber der Kurfürst schon Ende 1520 um eine Änderung seines
zuvor von einem schmählich abgesetzten Kardinal geführten Titels bemüht und den
Papst gebeten, die Titelkirche S. Petri ad vincula als »apud Germanos celebratior et
potioris nominis« eintauschen zu dürfen, die ihm denn auch am 3. Januar 1521 feierlich
verliehen wurde (vgl. die Akten zu meiner Arbeit über »die Beziehungen der Hohen-
zollern zur Kurie« usw. in »Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und
Bibliotheken«, Rom 1906). Nun aber hatte Dürer unter seinem »großen Kardinal« —
gewiß zum schweren Ärger des eitlen Herrn — einfach die Legende des Kupferstichs
von 1519 mit dem fatalen Titel von S. Chrysogonus wiederholt und auch gleich 500 Ab-
züge gemacht und eingesandt, so daß das Übel auch nicht durch eine Korrektur der
Platte wieder gutzumachen war.
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
475
zubrechen, die feierlichen Empfänge abgehalten.2) Die Gesandten von
Augsburg wurden schon in Brügge gehört; auch Nürnberg und Metz
wurden von dem englischen Gesandten als hier vertreten erwähnt, und
am 6. August meldet er:
»Gesandte von Worms, Speier und Straßburg sind auch hier-
her gekommen, um alle ihre Macht zur Erhaltung der kaiserlichen Würde
anzubieten.«
Die Stadt Straßburg hatte diese Botschaft gründlich vorbereitet.
Schon im Januar hatte ein Ausschuß des Rates unter Anleitung des in
den Geschäften der Stadt ergrauten Stadtschreibers und bewährten Rechts-
gelehrten Dr. Sebastian Brant die Privilegien nachgeprüft und die
Wünsche der Stadt in betreff einer Erweiterung derselben festgestellt. Da
der weltkundige Dichter am Hofe des verstorbenen Kaisers in hohem
Ansehen gestanden hatte, auch von ihm mit der einträglichen Würde
eines Pfalzgrafen des heiligen Reichs (comes sacri palatii) ausgezeichnet
worden war, so war es selbstverständlich, daß er auch dem Enkel
Maximilians I. gegenüber die Stadt vertreten und das Wort führen
mußte.
Einige Angaben über die Dauer dieser Reise glaubte man bisher
einem 1870 beim Brande der Stadtbibliothek Straßburgs vernichteten
Geschichtswerke des Dichters und Stadtschreibers, seinen sogenannten
»Annalen« zu verdanken, die A. W. Strobel in einer seiner Ausgabe des
Narrenschiffs vorausgeschickten Lebensbeschreibung verwertet hatte. 3)
Neuerdings hat nun L. Dacheux gezeigt, daß es sich hier vielmehr um
das großartig angelegte Werk einer Straßburger Chronik handelt, das in
den uns interessierenden Teilen auf einem von Jakob Wencker hergestellten
Auszug aus den Ratsprotokollen und einigen Notizen aus den »Gedenk-
a) Die von Chr. Fr. Stalin (Aufenthaltsorte Karls V.) in den Forschungen zur
Deutschen Gesch. V, S. 567 ff. gegebene Zusammenstellung beruht auf älteren Werken
und ist unzureichend; sie wird schon wesentlich vervollständigt durch das Journal des
voyages de Charles-Quint von J. de Vandenesse bei Gachard, Collection des voyages
des Souverains des Pays-Bas, Brüssel 1874, II, p. 27. Die genauesten Daten aber finden
sich in den Depeschen der englischen oder der venetianischen Botschafter, im vorliegen-
den Falle in denen des englischen Gesandten Spinelli vom 27. Juli und 6. August.
J. S. Brewer, Letters and Papers, foreign and domestic, of the reign of Henry VIII.
(London 1867) vol. III, Nr. 925 p. 339 — 341 und Appendix Nr. 8 p. 156359. Deutsche
Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Band II (Gotha 1896); Einleitung von J. Bernays, S. 72.
3) Bibliothek der gesamten deutschen Nationalliteratur XVII. Das Narrenschiff.
Quedlinburg und Leipzig 1839, S. 32 h Hier auch die Grabschrift Brants mit Angabe
seiner Titel und Würden. Auf Strobel gehen die Mitteilungen aller andern Forscher
zurück, so Charles Schmidt, Histoire litteraire de l’Alsace, Paris 1879, I, p. 235, 250 s<|.
mit der Feststellung des Untergangs der »Annalen«, K. Gödeke u. a.
476
Paul Kalkoff:
büchlein« Brants beruht. 4) Da hier die bisher bekannten Daten noch
einige Ergänzung erfahren, so ist es bei Heranziehung einer zweiten von
Brant selbst herrührenden Quelle möglich, seine Gesandtschaftsreise dem
zeitlichen Verlauf nach genau festzulegen und auch über seine in den
Niederlanden angeknüpften Beziehungen manches zu gewinnen.
Das von Karl V. am 12. April von Santjago aus erlassene Rund-
schreiben an alle Stände des Reichs, in dem er sie ersuchte, für eine
glückliche Überfahrt nach Deutschland Bittgänge abhalten zu lassen, 5)
wurde in Straßburg am 7. Mai verlesen und gewissenhaft befolgt.4 5 6)
Zwei Monate später konnte man den Dankgottesdienst für die Er-
hörung dieser Gebete abhalten, und an demselben Tage war es auch
schon beschlossene Sache, daß nunmehr die von Dr. Brant anzuführende
Botschaft sich auf den Weg machen müsse.
Denn schon hatte der betriebsame Geschäftsmann Mittel und Wege
ins Auge gefaßt, um auch für sich einen erwünschten Vorteil bei dieser
Hofreise zu erlangen. Ähnlich wie Dürer bei der neuen Regierung die
Anerkennung seines durch umfangreiche Arbeiten für den verstorbenen
Kaiser redlich erworbenen Leibgedinges zu erwirken hoffte, wollte auch
Brant unter Berufung auf seine im Verlauf von »dreißig Jahren« dem
Ahnherrn Karls V. erwiesenen Dienste einen ihm vor Jahren verliehenen
»Bestallbrief« über jährlich 50 Gulden rhein. Dienstgelds, den ihm Maxi-
milian bei einer Abschiedsaudienz in Innsbruck [1505] verliehen, aber
höchstwahrscheinlich nie [jedenfalls bis 1517 nicht] honoriert hatte,
geltend machen. Maximilian hatte ihn damals beauftragt, »das löblich
herkommen und Wesen« der römischen Kaiser Titus und Trajanus zu
beschreiben und ihm dann durch einen Brief mit eigener Unterschrift
und mit Instruktion seines »allergeheimsten Sekretärs«, des Reichsvize-
kanzlers Nikolaus Ziegler, befohlen, für den mit Vergünstigung Papst
Julius’ II. aufgestellten Heiligenkatalog und Kalendarium von etwa
130 Mannen, Frauen und Jungfrauen aus dem »Ursprung und Zugewandt-
schaft des Hauses Österreich« nun noch Antiphonien (»Antiphen«) unter
Benutzung der Legenden über das Leben dieser Heiligen, auch dazu
4) L. Dacheux, La Chronique strasbourgeoise de J. Trausch et de Jean Wencker. VI.
Annales de Sebastien Brant: Jac. Wencker, Extractus ex protocollis Dom. XXI vulgo
Sebastian Brants Annalen. In den Mitteilungen der Gesellschaft für Erhaltung der ge-
schichtlichen Denkmäler im Elsaß (Bulletin de la societe etc.) II. Folge, XV. Bd. (Straß-
burg 1892), S. 209 ff. und XIX. Bd. (1899), S. 33 ft'. (Auszüge des Bibliothekars Jung
aus den Protokollen der XXI für die Jahre 1517 — 36); hier S. 44 die Mitteilung, daß
Ende Januar schon ein »Auszug der Freiheiten der Stadt« geprüft wurde, um bei dem
neuen König deren Konfirmation zu erlangen.
5) Reichstagsakten II, S. 65 h
6) Dacheux, a. a. O. XIX, S. 44, Nr. 4400.
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
477
passende »Versikel und Kollekten« in »neufränkischer Form und Ver-
griff« zu verfassen. Brant hatte sich dieser Aufgabe unterzogen und dem
Kaiser durch dessen gelehrten Berater und Mitarbeiter am Heiligen-
kalender, den Freiburger Historiker Dr. Jakob Mennlin (Mennel, Man-
Hus) eine Probe zugehen lassen. 7) Noch ehe das Werk ganz vollbracht
war, hatte ihn der Kaiser aufgefordert, die Abstammung des Geschlechtes
der Habsburger von Noah her mit Fleiß zu untersuchen ; und auch
dieser »schweren und bürdlichen Arbeit« hatte sich Brant schon unter-
zogen, aber »bald darauf« starb der Kaiser.
Diese ganze Erzählung zeigt ja nun klärlich, zu welchem Zweck
der greise Literat jetzt sein Manuskript mit den Historien der beiden
römischen Kaiser hervorsuchte; auch war es recht geschickt angelegt,
wenn er die geplante Huldigungsgabe durch ein Widmungsschreiben
seines Sohnes Onufrius, der den alten und wohl schon etwas gebrech-
lichen Herrn Stadtschreiber auf der beschwerlichen Fahrt begleiten
sollte, 9) einleitete: so ließ sich die Erinnerung an jene finanziellen An-
sprüche ungezwungener Vorbringen, und zugleich wurde der Sohn in an-
gemessener Weise dem Herrscher vorgestellt. Diese »Vorred Onophrii
Brandt, Burgers zu Straßburg in die Beschreybung der Tugenden beyder
römischen Kaiser Tyti und Trajani« an »Herrn Carolen, . . . namens den
ftinfften, erwölten Römischen Kiinig und baldkünftigen Kaiser« klingt
dann aus in die übliche überschwengliche Beglückwünschung und schließt
mit der feierlichen Datierung:
»Datum auf den zehenden Tag Junii, als die fröhliche und von
Gott . . . fürgesehene Meerüberfahrt und Ankunft des Kaisers gon Gändt
in Flandern mit hoher Freude in die Stadt Straßburg verkündet und
7) Nach Obigem dürfte denn doch der die Heiligen betr. Brief v. 17. Dez. 1517
an Villinger mit der Beziehung auf den 1505 verliehenen »Bestellbrief« über »järlich
I. guldin«, von Brant und nicht von Manlius herrühren. Ergänzung zu Laschitzer, die
Heiligen ... im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des . . . Kaiserhauses IV,
S. 71, 77—79, 86 u. V, S. 2 2of. H. Ulmann, Kaiser Maximilian I., II. Bd. (Stuttgart
1891) S. 727, 751 f. Wenn hier S. 752 gesagt wird, daß für die Heiligenbilder Manlius
die erzählende Grundlage beschaffte, während andere Gelehrte, »nicht aber S. Brant«
Zensur übten, so dürfte es nicht überflüssig sein, die dem Straßburger Dichter zugeteilte
Aufgabe nach seinen eigenen Mitteilungen festzustellen. — Das »new Hämische form«
im Drucke ist nach dem mhd. vrenkisch, vrensch zu deuten.
*) Vgl. dazu Ulmann, a. a. O. S. 75 1 * * * S. * * * * 10 -
9) Brant starb am 10. Mai 152t im vierundsechzigsten Lebensjahre. — Am
14. Juli wurde über die Vertretung seines Sohnes in der Verwaltung des Pfennigturms
Beschluß gefaßt (als der doctor sin sun mit ime zum künig genomen) Dacheux, a. a. O.
XV, Nr. 3453. Ob der Besitz des Hauses zum Nesselbach als kaiserlichen Lehens (vgl.
Nr. 3456 zum 27. April 1521), das dann auf Onufrius Brant überging (ebenda zum
10. Juni) mit jenem Bestallbrief Zusammenhängen mag:
478
Paul Kalkofif:
gehört, auch mit zierlicher und andechtiger Procession und Lobsagung . . .
celebriert und begangen worden ist. Anno 1520.«
Die von Strobel a. a. O. aufbewahrte Stelle aus Brants Notizen
gestattete nun noch keinen genauen Schluß auf die Zeit des Beginns der
Reise; es heißt da:
»Ab isto tempore usque Simphoriani (also bis zum Feste der
Märtyrer Timotheus und Symphorianus am 22. August) absens fui, missus
Gandavum ad Caes. Maiestatem. Redii sanus et incolumis, gratiam
Caesaris adeptus ex congratulatione« . . .
Im Auszuge Wenckers lautet der Satz vollständiger: quae in chro-
nica nostra habetur. Laus deo optimo maximo. 5a post Johannis vigilia
Petri et Pauli 152010). Letzteres Datum, der 28. Juni, dürfte nun von
dem Bearbeiter zur Erläuterung des im Eingang enthaltenen Hinweises
nachgetragen worden sein und also die Abreise der Botschaft zeitlich
bestimmen.11)
Zweifellos sind nun die Herren, wohl schon in Gesellschaft derer
von Worms und Speier, zum mindesten von Mainz abwärts bis Köln
bequem und schnell zu Schiffe gereist,12) und so kamen sie wohl spätestens
nach vierzehn Tagen auf der großen Handelsstraße von Köln her nach
Antwerpen und also zu einer Zeit, als eben der Kaiser mit dem gesamten
Hofe zu feierlicher Begegnung mit König Heinrich VIII. und Wolsey in
Calais weilte.
Auffällig ist es nun, was weiterhin seine Erklärung finden wird,
daß die Straßburger Gesandten sich nicht zugleich mit den Augs-
burgern und Nürnbergern schon in Brügge ihres Auftrags entledigten,
zumal ihnen so die großartigen Festlichkeiten entgingen, mit denen der
junge Kaiser hier empfangen wurde. Zur Kennzeichnung des geselligen
Kreises, der sich hier schon gebildet hatte und in dessen Mitte dann in
Antwerpen zu einer Begegnung Brants mit Albrecht Dürer sich
reichliche Gelegenheit finden- mußte, empfiehlt es sich aber, zunächst
10) L. Dacheux in den Mitteil, der Ges. usw. Bd. XV, S. 242, Nr. 3453.
") Auch abgesehen von der Nachricht des englischen Gesandten kann also der
erste Aufenthalt Karls V. in Gent vom 6. bis 10. Juni hier nicht in Betracht kommen.
“) Die Augsburger Gesandtschaft, bestehend aus neun Personen mit neun Pferden
unter dem Altbürgermeister Georg Langenmantel und dem berühmten Stadtschreiber
Dr. Konrad Peutinger verrechnete außer der Zehrung für Mann und Pferd und Fuhr-
lohn für einen sie begleitenden Fuhrmann »auch für schefflon von Mentz gen
Köln und herrader«. Die beiden Repräsentanten wurden zugleich mit »burgermeister
Hansen Imhof von Nürmberg« am 1. September in Augsburg mit dem üblichen
Geschenk an Rheinfall und Malvasier empfangen. (Stadtarchiv von Augsburg, Bau-
meisterrechnung von 1520 S. 36a, 44a.)
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
479
einige bisher noch nicht kombinierte Quellen über die Tage von Brügge
heranzuziehen.
Da erzählt denn der bekannte Straßburger Prediger und Geschicht-
schreiber Kaspar Hedio in seiner lateinisch wie deutsch vielfach gedruckten
»Chronik des Abtes von Ursberg« und zwar in der als Paralipomena
bezeichneten Fortsetzung,1 3) deren auf die Niederlande bezügliche, sehr
wertvolle Angaben er von dem später als Glaubensflüchtling in Straß-
burg weilenden Gerhard Geldenhauer (Noviomagus, von Nym-
wegen) erhalten hat, der .damals als Sekretär des Bischofs von Utrecht,
Philipp von Burgund, schon seit dem 27. Juni sich am Hofe1* *) aufhielt:
»Durch eine vom Pfalzgrafen Friedrich geführte Gesandtschaft
berufen, landete Karl V. im Jahre 1520 in Flandern; im Gefolge des
Königs befanden sich die gelehrtesten Männer, Erasmus, Hutten, der
geheime Rat des Kaisers Aloisius Marliano,^) Joh. Ludovico
Vi v e s [ein spanischer Humanist und vertrauter Korrespondent des
Erasmus] und Georg Haloinus. Der Kaiser kam bei tiefer Nacht16)
nach Brügge unter großem Jubel der Zuschauer. Sein Bruder Ferdinand
und der Kardinal [Wilhelm] von Croy, [Erzbischof von Toledo, ein dem
Erzherzog gleichaltriger junger Herr] ritten ihm voraus, die Kaisertochter
Margareta folgte ihm. Am nächsten Tage wurde das Fest des heiligen
Jakob [25. Juli], des Schutzpatrons der spanischen Reiche, mit großer
Feierlichkeit begangen, wobei der Bischof von Cordova [Alonso Manrique]
die Messe las. Der hochgelehrte Doktor Thomas Morus hatte eine
Botschaft an die deutschen Kaufleute auszurichten; auch waren in Brügge
Gesandte von Venedig, Köln, Nürnberg und Lübeck, Herzog Heinrich
von Braunschweig und Gesandte des Herzogs von Lüneburg und des
'3) Casp. Hedio, Chronicon abbatis Urspergensis . . . Paralipomena rerum memo-
rabilium. Straßburg 1537 fol., p. 476. In den Arbeiten von J. Prinsen, Gerardus Gelden-
liauer Noviömagus, ’sGravenhage 1898, und Collectanea van Ger. Geld. N. (Werken uitg.
door het hist. Genootschap te Utrecht III. Ser. Nr. 16) Amsterdam 1901 sind die ersten
aus den Coli. G.s in die Paralip. übergegangenen und uns so erhaltenen Stücke nicht
nachgewiesen worden. — G. de Halewyn (Halluin) auf Schloß Comines in Flandern
(1536-}-), gelehrter Freund des Erasmus. Biogr. nationale ... de Belgique VIII, 628.
J4) Brewer a. a. O. III, p. 317.
*5) Mit dem Sekretär dieses aus Mailand stammenden Bischofs von Tuy, dem
auch mit Erasmus befreundeten Augustin Scarpinello, dem »Meister Augustin
Lumbarth« des niederländischen Tagebuchs, wurde Dürer in Antwerpen bekannt.
Vgl. meinen Nachweis in Repert. f. Kunstwissensch. XXVII, S. 347, Anm. 3.
l6) Der englische Gesandte Spinelli suchte den Kaiser schon einige Tage vorher
in der Nähe der Stadt auf (Collect, des voy. II, p. 28) und berichtet dann: »Der Kaiser
will heute Abend mit großem Pomp und großem Gefolge von deutschen und nieder-
ländischen Edelleuten und Gesandten einziehen« ; der Anfang der Depesche wurde also
am 24. niedergeschrieben. Brewer a. a. O. S. 339.
480
Paul Kalkoff:
Landgrafen von Hessen, endlich Konrad Peutinger anwesend. Am
Montag nach Jakobi [30. Juli] brach der Kaiser nach Gent auf.« (Es
folgt noch ein abfälliger Bericht über eine vom Beichtvater des Kaisers,
dem französischen Franziskaner Jean Glapion, in Brügge gehaltene Predigt).
»Später [am 23. September] wurde der Kaiser von den Antwerpenern
mit höchster Pracht (summo cum triumpho) empfangen, wie es ja Petrus
Ägidius beschrieben hat. Auch von den Bürgern und dem Bischof von
Lüttich, Eberhard von der Mark, wurde er [am 11. Oktober] ehrenvoll
aufgenommen«. I7)
Der berühmte Augsburger Gelehrte wurde nun hier in Brügge
schon am 26. Juli vom Kaiser empfangen und durfte ihn mit einer
sauber ausgearbeiteten Rede begrüßen, in der er in gedrängter Übersicht
die Ahnen Karls V. aus den Häusern von Österreich, Spanien und Bur-
gund vorführte, den Tod Maximilians beklagte und den Hoffnungen
Deutschlands auf die Tugenden des jugendlichen Nachfolgers Ausdruck
gab; am Schlüsse ließ er in der Aufforderung, dem Reiche die Ruhe
wiederzugeben und die Friedensstörer zur Ordnung zu bringen *(a tumul-
tuosis sedet ac cuncta ... ad tranquillitatem redigat) die besonderen
Wünsche der Städte durchklingen, die er deutlich genug erläuterte, wenn
er von Rudolf von Habsburg rühmte, wie er durch Vernichtung der
Räuber und Wegelagerer in Deutschland friedliche Zustände geschaffen
habe. l8)
J7) Der nächste Abschnitt der Chronik, der Bericht über die Krönung in Aachen,
findet sich dann wörtlich in den ihrem Eingänge nach nicht vollständig erhaltenen
Collectanea Geldenhauers. Prinsen, Coli. S. X. — Gesandtschaften von Köln, Lübeck
und Hessen werden in den Reichstagsakten II, S. 72 h nicht nachgewiesen.
l8) Celeberrimi viri, D. Chonrajdi Peutingeri, Augustani, Juris utriusque j Doctoris
et Oratoris Disertissimi Oratio | pro sacrosancti Romani imperii Civi tate Augusta Vinde-
licorum, Imp. j Caes. Charolo semper |Aug. Brugis in Comitatu j Flandrensi pronunciata.j —
Eiusdem Epistola olim scripta ad Reue | rendissimum in Christo Patrem et | Dominum,
D. Bernhardinum | Caruasalum [sic!] Episcopum Tusjculanum, SS. Ro. Ecclejsiae Car-
dinalem | S. Crucis, j Patriarcham hierosolvmitanum. Randeinfassung mit Arabesken, in
deren oberer Leiste zwei Bocksköpfe sich hervorheben. 8 Bl. 8°. Am Ende die
Angabe des Druckorts Antwerpen in folgender Fassung: Simon Cocus et Gerhardus
Nicolaus Ciues Anduerpienses commorantes in vico vulgariter nuncupato die Boxstege
excudebant, Kalendis Maii, Anno supra Millesimum Quingentesimum, XXI0. (Nach
dem Exemplar der Augsburger Stadtbibliothek; ausführlich erwähnt und danach die
Gesandtschaft Peutingers in der Historia vitae ac meritorum Conradi Peutingeri Aug.
von Jo. Georg Lotter, Lipsiae X729, p. 18 sq. 50 sq. und kurz auch bei Fr. Roth,
Augsburgs Reformationsgeschichte, 2. Aufl. S. 109 Anm. 30. — Simon Cock als
Drucker von Erbauungsschriften in Antwerpen bei Hoop Scheffer, Gesch. der Reform,
in den Niederlanden, Leipzig 1886, S. 39. — Das Datum der Audienz in der Über-
schrift Bl. 2 a : Oratio Chuonradi Peutinger . . . apud Caesarem . . , A, Sal. MDXX, VII.
Kalendas Augusti Brugis . . . habita.
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
481
Kein anderer als Peutinger war also der »weise Mann«, mit dem
sich Spinelli in Brügge über die mutmaßliche Haltung des Reiches gegen-
über den Forderungen und Plänen des Kaisers, der Romfahrt und der
Reichssteuer unterhielt, wobei er auch zu hören bekam, daß man eine
großartige Rüstung bewilligen werde, wenn der Kaiser gut Gericht im
Reiche vollziehe; worauf der Engländer treffend erwiderte, * * daß in einer
strengeren Handhabung der Justiz die deutschen Fürsten, die ja doch die
Beschützer und Nährväter des Raubrittertums (the keppers and fydders
[= feeders] of all robbers) seien, eine Beeinträchtigung ihrer schranken-
losen Freiheiten (excessive liberties) sehen würden. Der Doktor aber,
der die Stimmung im Schwäbischen Bunde kannte, meinte, es seien ihrer
mehr, die Justiz wünschten, als solche, die sie nicht wünschten. Auch
die Kaufleute von Nürnberg versicherten, die Reichsstädte würden dem
Kaiser gern eine ganz bedeutende Subsidie zahlen, wenn die Rechtspflege
reformiert und die Räuber bestraft würden.1!*)
Diese Rede Peutingers wurde nun einige Monate später von dem
Sekretär des Antwerpener Schöffenrates, dem gelehrten Juristen und fein-
sinnigen Poeten, Magister Petrus Ägidius20), dem intimen Freunde des
Erasmus, mit einer empfehlenden Vorrede als Muster einer von den
niederländischen Gelehrten lange vernachlässigten rednerischen Gattung
herausgegeben, und dabei der besonderen Verdienste des süddeutschen
Kollegen um die Erforschung des Altertums (omnis antiqitatis indaga-
toris) gedacht.21) Außerdem aber hatte dieser seinem Antorfer Gast
freunde noch ein anderes Prunkstück seiner politischen Rhetorik als
Xenion übersandt, ein Schreiben, in dem sich Peutinger, unzweifelhaft
im Aufträge Kaiser Maximilians, am 18. Dezember 1507 22) an den im
August aus Rom an den kaiserlichen Hof entsandten Legaten Bern-
hardin Carvajal23) wandte, um ihn und den Papst durch den mit
großartigem Aufwand historischer Gelehrsamkeit geführten Nachweis der
zahlreichen Verdienste der römischen Kaiser deutscher Nation um den
heiligen Stuhl, den sie stets eifrig beschützt und gefördert hätten, zur
*9) Brewer a. a. O. (Bericht vom 27. Juli).
20) Vgl. über »Meister Gielis« und seine Beziehungen zu Erasmus meine
Untersuchungen »Zur Lebensgeschichte A. Dürers« im Repert. f. Kunstwisschaft XX
C1 897), S. 453, Anm. 38. XXVII (1904), S. 347, Anm. 3. S. 349, Anm. 6 und meine
»Anfänge der Gegenreformation in den Niederlanden« (Sehr. d. Vereins f. Ref.-G.).
Halle 1903 und 1904. I, S. 56.
**) Bl. ib: Petrus Aegidius ab actis curiae Andverpiensis lectoribus . . . S.
*2) Ex Augusta Vind. XV. Kal. Januarii A. hum. Sal. M.Dc.VII. (Bl. Biiijb).
*3) Zu seiner Sendung L. Pastor, Gesch. d. Päpste, III. Bd. (3. und 4. Aufl.)
Freiburg 1899, S. 626 f.
482
Paul Kalkoff:
Vornahme der damals von Max emsig betriebenen Kaiserkrönung zu
bestimmen. 24)
Da beide Schriften erst am 1. Mai 1521 erschienen, so wird wohl
Peutinger das zweite Stück, das sich so trefflich zur Veröffentlichung
aus Anlaß der bevorstehenden Krönung eignete, im Sommer 1520 nicht
bei sich gehabt haben; er ist aber offenbar an diese seine alten Beziehungen
zu dem spanischen Kardinal, einem der merkwürdigsten Staatsmänner
am Hofe Leos X., erinnert worden durch Erasmus, der damals ganz
besondere Hoffnungen auf die von Carvajal bei den Beratungen über
die Verdammungsbulle im Schoße des Kardinalskollegiums betätigte
Opposition setzte und diese allzu optimistische Auffassung auch • dem
Wittenberger Reformator und seinem fürstlichen Beschützer suggeriert
hatte. 25)
Wir sehen also, daß auch Peutinger, an den sich Erasmus bald
darauf (am 9. November) von Köln aus mit einer bedeutsamen Auf-
forderung zur Unterstützung seiner kirchlichen Vermittlungspolitik
wandte,26) zu diesem selbst und seinem Antwerpener Freundeskreise auf
jener niederländischen Gesandtschaftsreise in nahe Beziehungen getreten
ist; es liegt denn auch nahe, an ihn als die Mittelsperson zu denken, die
den Straßburger Amtsgenossen im Hause des Ägidius in Antwerpen
einführte, sofern nicht die alten Beziehungen des Elsässer Humanisten zu
Erasmus schon dazu genügt haben sollten.
Der Straßburger Gesandte ist aber nun offenbar deswegen nicht
schon in Brügge zugleich mit den Augsburgern vor dem Kaiser er-
schienen, weil seine mit einem so wichtigen persönlichen Anliegen ver-
quickte literarische Huldigung 27) noch nicht im Druck vollendet war.
h) Es sei als eine besondere Gunst der Caesares Germani zu betrachten, daß sie
nur von den Päpsten, ab ipsis solis diademate et corona Augustali hactenus insigniri
voluerunt . . . und der Zweck des Schreibens wird deutlich damit bezeichnet: Julius
ut Augustum propriis suis manibus Caesarem inungat, coronaqu e Augustali
et insigni decoret (Bl. Biij). Zur damaligen politischen Lage Ulmann, Maximilian I,
II, S. 333.
*5) Vgl. dazu meine Untersuchung »Zu Luthers römischem Prozeß«, Zeitschr. f.
Kirchengeschichte, herausgegeben von Th. Brieger und B. Beß, Bd. XXV, Gotha 1904,
S. 1 20 ff., 512fr.
l6) Zeitschr. f. K. G. XXV, S. 582 Anm.und meine »Vermittlungspolitik des Erasmus«
in W. Friedensburgs Archiv f. Ref.-Gesch. I, S. 12. 17 (Berlin 1903). Es ist dies merk-
würdigerweise der einzige Brief des Erasmus an Peutinger geblieben; vgl. P. Joachimsen,
Peutingeriana, in der Festgabe an K. Th. v. Heigel, München 1903, S. 279.
*7) An den alerdurchleuch|tigsten Großm echtigisten Fürsten vn |
herren, Herrn Carolum den fünfften Römischen Keiser vnd Hy-|
spanischen. Auch der gantzen Welt Imperatoren, Künigen | vnd Regierer.
In das leben, vnd tugendtliche geschich|ten Keyser Tyti Vespasiani des milten. Durch
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
483
Denn am Schluß des für damalige Verhältnisse prächtig ausgestatteten
Heftchens, das die Lebensbeschreibungen jener beiden Kaiser, jede mit
besonderem stattlichen Titelblatte enthält, findet sich der Vermerk:28)
»Labor Sebastiani Brant. Ex Argentoraco Anno. XX’. supra MD.
Kalendis Augusti.«
Schon die typographisch vollendete Ausführung des Druckes deutet
nun darauf hin, daß ihn der Verfasser gleich nach seiner Ankunft durch
eine der leistungsfähigen Antwerpener Offizinen besorgen ließ; auch
kann er schon deshalb die Arbeit nicht etwa in Gent haben vornehmen
lassen, weil er ja damals noch gar nicht wußte, wo er den Hof zu er-
warten haben würde. Nun aber konnte er von den aus Brügge nach
Antwerpen zurtickkehrenden Landsleuten erfahren, daß er sich nunmehr
nach Gent zu begeben habe, und dahin wird er sich also nach Abschluß
des Druckes ohne Säumen gewandt haben.
Hier hat er sich nun bis zum 6. August seines Auftrags in einer
lateinischen Rede entledigt, die er seiner »Chronik« einverleibte, die uns
jedoch nicht erhalten ist. Aus seinen weiteren von Strobel leider nicht
wörtlich aufbewahrten Mitteilungen entnehmen wir noch, daß der Kaiser
den Straßburgern bei Beginn und beim Schlüsse der Audienz die Hand
reichte und sie durch den »Statthalter von Burgund«, oder richtiger durch
Gattinara, den Großkanzler von Burgund seiner Huld und seines Schutzes
versichern ließ.
Sebastianum Brandt verteutschet. Exemplar der Straßburger Univ.-Bibl.; 20 Bl. fol.,
das letzte leer. Unter dem Titel ein Holzschnitt, in dessen oberer Hälfte das Brustbild
des jungen Königs mit Szepter und Kette des Vließordens, im Hintergründe Landschaft
mit Stadt und Burg; in der unteren Hälfte der Reichsadler mit derselben Kette in einem
von zwei Löwen gehaltenen Schilde; im Rande die Wappen aller Länder des Kaisers
und darüber die Worte »Carolus — R. Künig«. Auf jeder inneren Blattseite eine prächtige
Randleiste. Bl. 9a: ein zweites Titelblatt mit zwei Randleisten, am obern Rande eine
Szene aus einem römischen Triumphzuge, ein Kaiser von Soldaten getragen; unten das-
selbe Brustbild Karls, dazwischen: Ad Carolum Quintum Imperatorem destinatum etc.
In laudem Traiani Caesaris Tetrastichon Sebastiani Brant. Aus dem nun folgenden
Leben Trajans ist auf der vorletzten Seite der am Rande durch Handzeichen hervor-
gehobene Satz bemerkenswert: »Wie ein keiser sich gegen den Unterthan halten soll«:
Trajan habe gesagt: »ein Keiser soll sich also gegen den gemeinen Mann halten und
erzeigen, als ein keyser begert, das sich der gemein man gegen ime beweisen sol.«
l8) Die Mitteilung des Titels bei Ch. Schmidt, Hist, litteraire de l’Alsace II,
Index bibliogr. p. 354, Nr. 125, nach welcher auf die Inhaltsangabe des Titelblatts
unmittelbar zu folgen scheint die noch dazu unvollständige Angabe: Ex Argentoraco
A. XX supra MD. ist irreführend: man mußte danach annehmen, daß die Schrift in
Straßburg gedruckt wurde, was indessen schon durch das genauere Datum ausgeschlossen
ist. Auch die Anbringung des burgundischen Hausordens als Schmuck des Reichsadlers
deutet auf die Niederlande.
484
Paul Kalkoff:
Von Gent aus mußten die Gesandten nun wieder über Antwerpen
zurückreisen, und da sie gut beritten waren, wie es sich bei so statt-
licher Sendung geziemte, so brauchten sie, um am 22. August wieder in
der Heimatstadt einzutreffen, erst nach einigen Rasttagen aus der prächti-
gen und gerade damals durch das Zusammenströmen so vieler bedeuten-
der Personen fesselnden Scheldestadt aufzubrechen. Jedenfalls hat Brant
jetzt noch in aller Muße mit dem Drucker abrechnen, von den gelehrten
Freunden Abschied nehmen und bei dieser Gelegenheit auch noch die
Bekanntschaft Albrecht Dürers machen können.
Denn schon am 2. August war der große Nürnberger Künstler in
Antwerpen eingetroffen und alsbald von den verschiedensten Seiten, von
den Kunstgenossen wie vom Stadtregiment, von dem Vertreter der Fugger
und reicher Nürnberger Handelshäuser wie von Männern der Wissenschaft
begrüßt und gefeiert worden, bis er am 26. August einen Abstecher nach
Brüssel machte, wo wir ihn sogleich im Verkehr mit den Gesandten
seiner Vaterstadt am kaiserlichen Hoflager antreffen. 29)
Als Anlaß zu einer Begegnnng zwischen dem Straßburger Dichter
und dem Nürnberger Maler ließe sich nun sehr wohl der Verkehr der
Städteboten unter einander denken, die sich am Hofe in Gent begegnet
waren und nun gemeinschaftlich über Antwerpen zurückkehrten; aber noch
sicherer mußte eine Berührung herbeigeführt werden durch die Beziehungen
beider zu dem größten Sohne der Niederlande, dem gefeierten Gelehrten
und Publizisten Erasmus von Rotterdam.
Schon um die Mitte des Monats ist Dürer mit diesem in näherem
und gewiß auch häufigem Verkehr und wird von ihm durch Verehrung
eines spanischen Mäntelchens und einiger Bildnisse ausgezeichnet. Mit
der Straßburger gelehrten Gesellschaft wiederum und ihrem Mitgliede,
dem Dichter des dem Lob der Narrheit so nahe verwandten Narrenschiffs
stand Erasmus ja schon seit Jahren in freundschaftlichen Beziehungen. 3°)
Auch läßt sich noch eine andere Spur von eigenen Beziehungen
Brants zu dem Antwerpener Kreise von Erasmianern nachweisen. Schon
1519 hatte der kaiserliche Sekretär Jakob Spiegel, Mitglied der huma-
nistischen Gesellschaft von Schlettstadt, die dem Straßburger Kreise sehr
nahe stand, ein Trauergedicht auf den Tod Maximilians I., verfaßt von
Petrus Ägidius, jenem intimsten Freunde des Erasmus, neu heraus-
29) Lange-Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlaß. Halle 1893, S. in — 122.
3°) Lange-Fuhse, S. 116, 3f. Strobel a. a. O. S. 8of.: Das Schreiben des Erasmus
an die sodalitas literaria von Straßburg. Schon 1514 war Erasmus in Straßburg höchst
ehrenvoll aufgenommen und gefeiert worden. Ch. Schmidt 1. c. I, 86. M. Reich in der
Westdeutschen Ztschr. Ergänzungsheft IX, S. 155 ff.
Zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers.
485
gegeben und in Straßburg drucken lassen. 31) Dieser Berufsgenosse Brants
und Peutingers, in dessen Hause Erasmus abzusteigen pflegte, 32) ist nun
von dem Straßburger in einem kurzen lateinischen Gedicht wegen seiner
dem verstorbenen Kaiser bewährten Pietät belobt worden : Brant sagt da
mit leichtem Spott, daß Maximilian bei seinen Lebzeiten Unzähligen
die Ehre der Dichterkrönung erwiesen habe; von diesen verdiene Ägidius
vor allen andern Lob, weil er sich durch die Verherrlichung des Dahin-
geschiedenen dankbar gezeigt habe. 33)
Nun hat sich weiter nachweisen lassen, daß Dürer, der noch im
Februar 1521 verzeichnet, wie er mit Erasmus bei ihrem gemeinschaft-
lichen Freunde Petrus Ägidius speiste, diesen schon im August kennen
gelernt hat, denn ihm, dem »Meister Gilgen«, verehrte er damals »den
Eustachius und die Nemesis«. 34)
Wenn es also geradezu selbstverständlich ist, daß Sebastian Brant
bei seinem Aufenthalt in Antwerpen nicht versäumte, sich mit Erasmus
und Ägidius in Verbindung zu setzen, so ist es nach den aus den ge-
schichtlichen Quellen erwiesenen Umständen nicht nur möglich, sondern
auch höchst wahrscheinlich, daß er in diesem Kreise den Nürnberger
Maler kennen lernte; und wenn nun in dem künstlerischen Nachlaß
Dürers sich Spuren einer solchen Berührung ebenfalls als zum mindesten
wahrscheinlich nachweisen lassen, so dürfte sich aus der Vereinigung
beider Beweisgruppen die Gewißheit einer von Dürer mit dem Stifte fest-
gehaltenen Begegnung mit dem Verfasser des Narrenschiffs ergeben.
31) J. A. Riegger, Amoenitates litterariae Friburgenses, Ulmae 1775, p. 474= Lamen-
tatio Petri Aegidii in obitum Caes. Maximiliani. Die parallele Schrift Sebastian
Brants von 1520: In laudem divi Maximiliani Caesaris etc. bei Ch. Schmidt 1. c. II,
P- 354.
32) Das Haus des Ägidius als Sammelpunkt deutscher Humanisten in Antwerpen
auch in einem Brief des J. A. Brassikanus; s. meine Anfänge der Gegenreformation II,
S. 108, Nachträge, und zu der bedeutsamen Rolle der oberdeutschen Kaufleute in Ant-
werpen Repert. f. Kunstwissenschaft XX, S. 457h XXVII, S. 355 f.
33) Unter Brants Varia Carmina abgedruckt und neuerdings wiedergegeben von
Fr. Zarncke in seiner Ausgabe des Narrenschiffs, Leipzig 1854, S. 199: E quibus, Aegidi,
tua laus, tua gloria prima est, . . . Daß auch Seb. Brant gerade im Jahre 1520 der in
den Kreisen des Erasmus herrschenden kritischen Stimmung gegenüber den kirchlichen
Zuständen nicht fern stand, zeigt ein frommer Spruch über die gefahrdrohende Lage
Deutschlands, »Anno 1520«, in dem er klagt:
Gott helff der heiligen Christenheit 1
O Pfaffheit, lass dirs sein gekleit,
das du nit werdst vertilkt, zwstreit.
(Zarnckes Ausg. des Narrenschiffs, S. 1 6 1 f.)
34) Lange-Fuhse, S. 121, 18. 151,4; und dazu Repert. f. Kunstwissensch. XXVII,
S. 349 Anm. 6.
Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom.
Von K. Lange.
Kürzlich habe ich einen vorübergehenden Aufenthalt in Ulm zur
Besichtigung des Dreifaltigkeitsbildes in der Sakristei des dortigen
Münsters benutzt, das neuerdings wiederholt von Kunsthistorikern besprochen
worden ist. Es gilt jetzt allgemein als ein Werk des Ulmer Malers Hans
Multscher. Der verstorbene Bayersdorfer hatte diese Bestimmung aufge-
bracht, und Fr. von Reber sowohl wie August Schmarsow haben sich
seiner Ansicht angeschlossen.1) Schon Reber freilich meinte, der vollen
Sicherheit der Zuteilung stehe nur im Wege, daß dieses Werk eine weit-
gehende Restauration erfahren habe, welcher gerade die wichtigsten Teile,
wie namentlich die Köpfe (?), zum Opfer gefallen seien. Die wünschens-
werte Abnahme der Übermalungen würde voraussichtlich die Identität
des Meisters des schönen Werkes mit jenem des t neuerdings bekannt
gewordenen Altarwerkes in Sterzing von 1457/58 sichern,2) doch lasse
die Behandlung des Körpers Christi wie der Engelgestalten auch jetzt
schon kaum einen Zweifel übrig. Auch Schmarsow sagt, das Bild stelle
sich dem Kennerauge gewiß als eng mit den Sterzinger Tafeln zusammen-
gehörige Leistung dar, und benutzt die Eigentümlichkeiten seiner Kom-
position — Anordnung der Figuren in einer nischenartigen Architektur,
Imitation von architektonischer Steinmetzenarbeit, plastisch charakterisierte
Erdkugel zu den Füßen Christi — , um damit seine Theorie von dem
plastischen Stil der Multscherschen Malerei zu stützen. Nach seiner
Meinung wären die neuerdings dem Multscher zugeschriebenen Bilder zwar
nicht von ihm selbst, der nur als Bildhauer beglaubigt sei, aber doch
von einem jüngeren Künstler seiner Werkstatt, vielleicht einem Familien-
mitgliede, das den Einfluß der niederländischen realistischen Malerei
J) F. v. Reber, Hans Multscher von Ulm. Sitzungsberichte der philos.-philol. und
der histor. Klasse der k. bayr. Akad. d. Wiss. 1898 Bd. II Heft 1 S. 60 und A. Schmarsow,
Die oberrheinische Malerei und ihre Nachbarn um die Mitte des 15. Jahrhunderts,
Bd. XXII. der Abhandl. d. philol.-hist. Klasse d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wiss. in
Leipzig 1903 S. 44 und 58.
*) Dieses ist abgebildet im Jahrgang 1903 der kunsthistorischen Gesellschaft für
photograph. Publikationen nach Aufnahmen, die während der von Prof. Hauser besorgten
Restauration der Bilder in München gemacht' sind.
K. Lange: Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom.
487
erfahren, sich aber dann in Ulm in der Werkstatt des älteren Meisters
dessen plastischen Tendenzen und der ganzen Tradition der Ulmer
Münsterbauhütte angeschlossen habe.
Diese ganze Argumentation wird, soweit sie sich auf dieses Bild
stützt, schon dadurch hinfällig, daß das Werk, wie mich die neue Unter-
suchung überzeugt hat, sicher nicht von dem Meister der Sterzinger Altar-
tafeln herrührt. Und da ich mich nun gleichzeitig davon überzeugt habe,
daß kein anderer als Zeitblom dieses ursprünglich gewiß sehr hervor-
ragende Bild gemalt hat, so erhält es hierdurch eine ganz andere, aber
ebenfalls unverächtliche kunsthistorische Bedeutung. Denn es bestätigt
in schlagender Weise die schon früher von mir ausgesprochene Vermutung,
daß Zeitblom, dessen Kunst man bisher immer mit der seines Schwieger-
vaters Schüchlin in Zusammenhang gebracht hat, vielmehr ein Schüler oder
Ateliergenosse Multschers gewesen ist. 3)
Die Dreieinigkeit ist etwas abweichend von der typischen Weise
(die bekanntlich den von Gott Vater gehaltenen Crucifixus verlangt) so
dargestellt, daß der sitzende Gott Vater mit beiden Händen den vom
Kreuz abgenommenen, auf seinem Schoß ruhenden Leichnam Christi hält.
Zwischen den Köpfen beider schwebt die Taube des heiligen Geistes.
Gott Vater sitzt auf hohem Thron in einer gotischen Steinnische; diese
wird nach oben und vorn durch einen mit kleinen Kleeblattbögen
verzierten Rundbogen abgeschlossen, der auf Porphyrsäulen mit ver-
goldeten Kapitalen ruht. Ihre Rückwand ist ganz nach Art einer Kapelle
von einem dreigeteilten Fenster durchbrochen. Gott Vater trägt eine
Krone, die halb Kaiserkrone, halb päpstliche Tiara ist, eine Form, die
auch in der damaligen niederländischen Malerei, z. ' B. bei dem Meister
von Flemalle vorkommt, woraus man aber noch nicht auf einen Anschluß
des Malers an dessen Kunstweise schließen darf. Ein roter Mantel bedeckt
den Körper und bildet den Hintergrund für den schlanken feingliedrigen
Leichnam Christi, dessen einer Fuß eine plastisch mit Schlagschatten usw.
herausgearbeitete Erdkugel berührt, ein Mittel, durch das der Künstler
die Illusion des frei vor der Bildfläche vortretenden Beines steigern
wollte. Der Leichnam ist nackt bis auf das weiße Lendentuch. Die
Gestalt Gott Vaters setzt sich auf dem Hintergründe eines Brokatteppichs
ab, der von vier im Brustbilde sichtbaren Engeln gehalten wird, während
zwei in weiße Gewänder gekleidete, die von rechts und links herbei-
fliegen, als Symbole des Opfertodes die Leidenswerkzeuge des Heilands
herbeibringen, derjenige links das Kreuz, derjenige rechts die Lanze und
3) Vgl. K. Lange im Verzeichnis der Gemäldesammlung im kgl. Museum d. bild.
Künste zu Stuttgart (W. Spemann) 1903 S. 15.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIU.
33
488
K. Lange:
die Säule. Vorn kniet zu Füßen der Gruppe in kleinem Maßstab die
Familie des Stifters, links der Vater mit sieben Söhnen, rechts die Mutter
mit vier Töchern. Leider sind die beiden Wappen — bei dem Manne ein
gespaltener Schild mit (heraldisch) rechts einem gelben Hecht in Blau,
links einem blauen in Gelb, bei der Frau ein gespaltener Schild mit
einem vierblumigen Rosenstock, links zwei rote Rosen in Gelb, rechts
zwei' gelbe in Rot — noch nicht gedeutet, trotz der Mühe, die sich Herr
Stadtarchivar Dr. Müller und Herr Stadtpfarrer Dr. Pfleiderer damit
gegeben haben und noch immer geben. Nur soviel geht aus der
Form der Wappenschilde und des Laubes unwiderleglich
hervor, daß das Bild night vor der Wende des Jahrhunderts
gemalt ist, also auf keinen Fall von dem 1427 in Ulm als
Bürger aufgenommenen und 1467 gestorbenen Bildhauer Hans
Multscher resp. demjenigen seiner Ateliergenossen, der die Sterzinger
Bilder gemalt hat, herrühren kann. Und das wird durch die stilistische
Analyse des Bildes vollkommen bestätigt.
Was Bayersdorfer zu der Bestimmung Multscher verführt hat, ist
wohl die inhaltliche Verwandtschaft mit dem Schleißheimer Ecce homo,
dessen richtige Zurückführung auf Multscher wir Wilhelm Schmidt ver-
danken. Aber schon Schmarsow muß die Verschiedenheit im Stil empfun-
den haben. Denn obwohl er an der Bestimmung festhält und das Bild
mit dem Schleißheimer Ecce homo zusammenstellt, meint er doch, es weiche
von diesem und den Sterzinger Bildern so weit ab, daß kaum gleichzeitige
Entstehung angenommen werden könne, es sei denn unter dem Vor-
walten ganz anderer Hilfskräfte. Nach ihm hätten wir also, da er
trotzdem an der Urheberschaft Multschers festhält, ein Werk aus der
spätesten Zeit des »Malers des Multscherschen Altars« zu erkennen, nach
Schmarsow übrigens ein Hauptwerk des Meisters. Ich möchte nun noch
einen Schritt weitergehen und behaupten, daß das Bild von einem
jüngeren Nachfolger Multschers herrührt und daß, wenn dieser ein Atelier-
genosse Multschers gewesen sein sollte, dieser Ateliergenosse nur
Bartholomaeus Zeitblom geheißen haben kann. Denn das Bild
trägt in allen Zügen den Stempel seiner Kunst. Man braucht nur den
Kopf Gott Vaters, den eigentümlichen Blick seiner etwas unbehilflich
gezeichneten Augen, die schlanken Formen des Christuskörpers, die
Zeichnung der Mantel- und Tuchfalten zu vergleichen, um sich davon
zu überzeugen. Und gerade die Köpfe sollen leidlich gut erhalten sein.
Ich konnte das allerdings nicht selbst feststellen, da keine Leiter zur
Hand war und das Licht in der Sakristei zu einer genauen Untersuchung
nicht ausreichte. Aber der Ingenieurhauptmann a. D. Geiger aus Neu-
Ulm, in desen Begleitung ich das Bild untersuchte, und der mit seiner
Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom.
489
Geschichte genau vertraut ist, versicherte mich dessen ausdrücklich. Das,
was ich von dem Bilde genau untersuchen konnte, die unteren Partien
mit den Stifterfigürchen, erweist sich als so stark retouchiert, daß man
schon fast von Übermalung reden kann. Und das ist auch sehr
begreiflich. Denn das Bild wurde in den fünfziger Jahren vom Major
Cammerer in Bruchstücken erworben, von denen das eine als Teil einer
Backmulde verwendet war. Bei der Zusammensetzung ist es, wahrscheinlich
von Aigner in Augsburg, restauriert worden, was für den Kenner der
altdeutschen Malerei schon genug sagt. Der Sohn des Besitzers hat es
dann längere Zeit in Stuttgart gehabt, und von hier aus wurde es zu
Anfang der achtziger Jahre durch Geigers Vermittlung dem Ulmer
Altertumsvereine zum Kauf angeboten. Anfangs wurde der Ankauf ab-
gelehnt. Endlich, nachdem das Bild durch mehrere Ausstellungen
bekannt geworden war, wurde es erworben und dem Münster überlassen.
Diese Geschichte beweist schon, daß wir den Erhaltungszustand des
Bildes mit großem Mißtrauen betrachten müssen. Schadhafte Bilder,
die nicht zur rechten Zeit in den Besitz von staatlichen Museen über-
gehen, werden meistens mehr oder weniger übermalt. In Württemberg
wenigstens, wo die Stuttgarter Galerie erst seit einigen Jahren syste-
matisch alte schwäbische Bilder sammelt, kann man es als Regel an-
sehen, daß Altarbilder, die in den Kirchen verblieben, oder in die Hände
von Nichtkennern geraten sind, nicht etwa nur retouchiert, sondern sogar
völlig neu angestrichen werden. Man betrachtet das hierzulande als das
selbstverständliche Recht jedes Bilderbesitzers und ist sehr erstaunt, wenn
man erfährt, daß das so zugerichtete Bild damit völlig wertlos geworden
ist. So ist es z. B. auch mit der Sammlung des Kirchenrats Dursch in
Rottweil gegangen, die später in das bischöfliche Palais nach Rottenburg
gelangte. An den zu ihr gehörigen Bildern ist, wie ich mich vor
einigen Jahren überzeugen konnte, kaum ein Pinselstrich alt. Ein Maler
wie Jakob Acker, von dem sich ein bezeichneter, 1483 datierter Altar
in Ristissen bei Ulm und vielleicht ein zweiter, nicht datierter, in dem
benachbarten Ersingen befindet, ist für die Kunstgeschichte so gut wie
verloren oder kann wenigstens nur durch umständliche Kombinationen
gerettet werden, da niemand mehr genau sagen kann, wie seine noch
erhaltenen Bilder einst ausgesehen haben. Nimmt man dann noch dazu,
daß solche übermalten oder stark retouchierten Bilder, wie unser Beispiel
zeigt, statt in helle Museen in dunkle Kirchen oder Sakristeien gehängt
werden, so darf man sich nicht darüber wundern, daß die Forschung in
bezug auf sie so lange Zeit in der Irre tappt.
Das eine Gute hatte aber doch die falsche Bestimmung Bayers-
dorfers, daß sie wieder einmal den Zusammenhang der Zeitblomschen mit
33
49°
K. Lange:
der Multscherschen Kunst ad oculus demonstriert hat. Bekanntlich wissen
wir von Zeitbloms Jugendentwicklung gar nichts Genaueres. Weder sein
Geburtsjahr noch ein datiertes Werk aus seiner Jugend ist bekannt. Und
daß die Verwandtschaft mit Schüchlin, als dessen Tochtermann er im
Jahre 1499 (nicht 1483) genannt wird, indem er damals mit ihm für
einen Kirchenstuhl im Münster Miete zahlte, kein Beweis für Schülerschaft
ist, würde auch dann einleuchten, wenn der Stil beider Meister nicht so
grundverschieden wäre, wie er tatsächlich ist. Dürfte man in dem Drei-
einigkeitsbilde der Ulmer Sakristei ein Jugendwerk Zeitbloms erkennen,
so wäre die persönliche Schülerschaft Zeitbloms bei Multscher gewiß
sehr wahrscheinlich. Aber da das Bild beiläufig 30 — 40 Jahre nach
Multschers Tode entstanden ist, kann es vielmehr als Beweis dafür be-
nutzt werden, daß die Traditionen des alten Meisters in der Kunst des
jüngeren auch noch später lebendig geblieben sind. Und das wird sich
schwerlich ohne die Annahme persönlicher Schülerschaft erklären. In
der Tat geht die Vorliebe Zeitbloms für schlanke Körperverhältnisse,
für große gerade Faltenzüge, die an den Enden scharf und ‘flach ge-
knittert sind, der feine aber etwas leere Typus seiner Gesichter, die
ruhige monumentale Würde seiner Komposition, auf Multscher, und zwar
den Multscher der Sterzinger, Stuttgarter und Karlsruher Bilder zurück. 4)
Ob sich dieser Stil in Schwaben autochthon entwickelt hat oder
von irgendeinem wandernden schwäbischen Maler aus den Niederlanden
mitgebracht worden ist, ob vielleicht der Meister von Flemalle, etwa
durch seine Tätigkeit in Basel während des Konzils einen gewissen Ein-
fluß auf die schwäbische Malerei ausgeübt hat, was man neuerdings an-
zunehmen geneigt ist, will ich dahingestellt sein lassen. Doch möchte
ich wenigstens nebenbei andeuten, daß die Frage nach dem Einfluß
des niederländischen Realismus auf die schwäbische Malerei des 15. Jahr-
hunderts durch ein neuerdings von der Stuttgarter Gemäldegalerie erwor-
benes Altarbild aus der Pfarrkirche von Ehningen bei Böblingen 5) in ein
neues Stadium getreten ist. Dieses Bild, das ich erst dann eingehender
besprechen möchte, wenn ich etwas Genaueres über seinen Meister mit-
teilen kann, stellt auf dem Mittelstück die Auferstehung Christi, auf den
Flügeln innen den Unglauben des Apostels Thomas und den Abschied
Christi von seiner Mutter, außen die Verkündigung dar. Es ist, wie das
noch erhaltene Wappen zeigt, von der Erzherzogin Mechthild von Öster-
reich, verwitweten Gräfin von Württemberg und Mutter Herzog Eberhards
4) Die Ansicht Schmarsows über die chronologische Entwicklung von Multschers
Stil basiert auf Annahmen, die ich nach der Publikation der frühen Berliner Bilder für
erledigt halte.
5) Noch nicht in dem Verzeichnis von 1903 aufgeführt.
Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom.
491
im Barte bestellt, die 1482 in Rottenburg a. Neckar starb, nachdem sie
dort jahrelang der Mittelpunkt eines geistig sehr angeregten Hoflebens
gewesen war. Höchstwahrscheinlich war der Maler des Bildes in Rotten-
burg selbst ansässig, was ich daraus schließe, daß ein aus der benach-
barten Wurmlinger Kapelle stammendes Bild, die Herabkunft des Heiligen
Geistes, das sich jetzt in der Stuttgarter Galerie befindet (Nr. 107 des
Katalogs), ein allerdings nicht besonders gut erhaltenes Werk seiner Hand
oder seines Ateliers ist. Sonst kenne ich bis jetzt nichts von diesem
merkwürdigen und sehr bedeutenden Anonymus, für dessen Stil nicht der
Meister von Flemalle, sondern Dirck Bouts in Löwen die Quelle darstellt.
So malte ums jahr 1480 ein Schwabe, der sicher persönlich in den Nieder-
landen war und längere Zeit in einer niederländischen Werkstatt gearbeitet
hatte. Man wird zugeben, daß der niederländische Einfluß bei den älteren
Schwaben, Konrad Witz und Multscher, viel geringer ist und sich mög-
licherweise auch ohne persönlichen Austausch der Meister erklären läßt.
Ein zweites bisher unbekanntes Bild von Zeitblom habe ich kürz-
lich im Ulmer Gewerbemuseum entdeckt. Es ist ein Christuskopf, en face,
40 cm hoch und 33,6 cm breit auf Tannenholz gemalt, rechts und links
beschnitten, oben und unten nicht, etwas verrieben und hier und da
retouchiert. Daß das Bild unvollständig ist, ergibt sich aus dem Zustand
der Rückseite und aus den Falten des Tuches, die den Hintergrund des
Kopfes bilden und auf die ursprüngliche Existenz zweier Engel zu beiden
Seiten hinweisen, die das Tuch hielten. Die Komposition war also wahr-
scheinlich ähnlich dem Schweißtuch der Veronica auf den Predellen-
rückseiten des Eschacher und Heerberger Altars in Berlin und Stuttgart.
Zu einer Vergleichung hatte ich die Photographien nicht zur Hand, doch
glaube ich, daß das Bild nicht viel Neues für Zeitblom lehrt.
Sehr wichtig würde dagegen eine dritte Entdeckung eines Zeit-
blomschen Bildes in der fürstlich Fürstenbergischen Gemäldegalerie in
Donaueschingen sein, die ich vor etwas über zwei Jahren gemacht habe,
wenn meine damalige Vermutung, daß es sich dabei um ein Selbstporträt
Zeitbloms handelte, sich bewährt hätte. Doch muß ich leider — und nur
dies veranlaßt mich hier noch einmal auf dieses Bild zurückzukommen, —
das Geständnis ablegen, daß ich mit dieser »Entdeckung« glänzend her-
eingefallen bin. Möchten wenigstens die beiden jüngeren Fachgenossen,
die erfreulicherweise gegenwärtig über Zeitblom arbeiten, nicht unter
meiner Führung ebenso in der Irre gehen. Immerhin handelt es sich um
ein echtes bisher unbekanntes Bild von Zeitblom, und das wird ein näheres
6) K. Lange, Ein neuentdecktes Selbstbildnis Zeitbloms. Schwäbische Chronik,
10. Juni 1903, Nr. 263.
492
K. Lange :
Eingehen darauf auch an dieser Stelle rechtfertigen. Es ist ein Breit-
bild auf Tannenholz, 43 cm hoch und 5 4I/a cm breit, in Öl, wahrschein-
lich auf Temperauntermalung ausgeführt: zwei Brustbilder nebeneinander,
rechts in Vorderansicht Petrus, der ein — eben noch sichtbares Buch
in der Linken und einen großen Schlüssel in der Rechten hält, schräg
gegen ihn gewendet ein betender Mann mit langem, weißem, zweigeteiltem
Spitzbart, hoch gewölbtem, kahlem Schädel und langen, weißen Haaren,
die in breiter Masse über die Ohren herabfallen. Petrus, dessen lebhaftes
sprechendes Gesicht — eine Seltenheit bei Zeitblom — den bekannten
Typus mit rundem Vollbart und kahlem, nur von einer Haarlocke unter-
brochenem Schädel zeigt, ist mit rotem Untergewand und blauem Mantel
bekleidet. Seine linke Hand, die das Buch hält, ist nicht sichtbar (viel-
leicht ist das Bild unten etwas beschnitten), die Rechte, die den Schlüssel
hält, legt er gleichzeitig dem alten Manne wohlwollend auf die Schulter.
Dieser, dessen ruhige und ernste Züge keinerlei Gemütsbewegung zeigen,
faltet die Hände vor der Brust und schaut voll ruhigen Gottvertrauens auf
den Heiligen. Er trägt eine schwarze Schaube mit braunem Pelz und da-
runter ein goldbrokat.enes Wams, über dem eine goldene Kette sichtbar wird.
Der Anhänger der letzteren sowie ihre einzelnen Glieder bestehen aus
einem Falken, der einem auf dem Schwanz stehenden Fisch gegenübersitzt.
Zwischen beiden Tieren erscheint ein mit einem Schwert gekreuzter Streit-
kolben (Turnierkolben?).
Was mich bei der Entdeckung verführte, in diesem Manne ein Selbst-
bildnis Zeitbloms zu erkennen, war die Inschrift auf dem Spruchbande,
das über seinem Kopf erscheint: O scte (sancte) petre ora pro me indigno
pictori. Ich mußte zwar zugeben, daß die Ähnlichkeit mit dem flüchtig ge-
malten Selbstporträt Zeitbloms auf der Rückseite des Heerberger Altars
in der Stuttgarter Gemäldegalerie (Verzeichnis Nr. 69) nicht über die
ungefähre Form des zweigeteilten Spitzbarts hinausgeht, und daß der
Mann in Donaueschingen eine ausrasierte Oberlippe hat, während Zeit-
blom auf dem genannten Selbstporträt auch einen Schnurrbart trägt.
Aber ich glaubte mir dies aus der Zeitdifferenz erklären zu können, in-
dem das Donaueschinger Bild dem Stil nach in die letzten Jahre Zeit-
bloms zu gehören scheint, während der Heerberger Altar von 1497
stammt. Vor allen Dingen aber glaubte ich die Inschrift nicht anders
lesen zu können, und darin wurde doch Petrus ganz offenbar zugunsten
des »unwürdigen Malers« angefleht, und dieser Maler konnte nach dem
Stil des Bildes nur Zeitblom sein.
Leider hatte diese Beweisführung zwei Löcher, die ich jüngeren
entdeckungslustigen Fachgenossen nicht vorenthalten will. Erstens war
die Inschrift sehr schlecht erhalten und zum großen Teil übermalt und
Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom.
493
diese Übermalung betraf besonders ihren zweiten Teil. Wäre ich etwas
vorsichtiger gewesen, so hätte ich erkennen müssen, daß das Wort pctori,
welches ich = pictori las, auch = peccatori gelesen werden konnte, und
daß in diesem Stoßgebet der »unwürdige Sünder« mindestens ebenso
gut am Platze war, wie der »unwürdige Maler«.
Auf das zweite Loch hat mich Herr Baron von Gaisberg-Schöckingen,
Mitglied der Wiirttembergischen Abgeordnetenkammer, aufmerksam gemacht.
Die Kette mit dem Fisch und Falken nämlich ist das Abzeichen der
Turniergesellschaft im Fisch und Falken, die sich vorwiegend
aus dem oberschwäbischen und Schwarzwälder Adel und dem des Hegaus
rekrutierte. Zeitblom hat diesen Orden ohne Zweifel niemals tragen können.
Wahrscheinlich ist der Mann also ein Adeliger, der dieses Bild seinem
Namensheiligen, dem Petrus, geweiht hat.
Damit fällt meine ganze schöne Entdeckung zusammen. Man wird
nunmehr nach einem oberschwäbischen Adeligen mit dem Vornamen Peter
suchen müssen, der der Turniergesellschaft im Fisch und Falken angehört
hat. Bisher ist es nicht gelungen, einen solchen zu finden, doch bringt
uns vielleicht die Erforschung der Turnier- und Adelsgesellschaften, die den
Heraldikern am Herzen liegt, mit der Zeit Licht. Köpfe, die unserem
Porträt ähnlich sind, kommen zuweilen in Zeitbloms Bildern vor, z. B. der
Joseph in der Darbringung des Heerberger Altars. Doch müßte die rasierte
Oberlippe und die Zweiteilung des Bartes der Hauptanhalt sein.
Eine Bezeichnung Zeitbloms ist nicht vorhanden. Die Inschrift aut
dem Hemdsaume des Petrus ist sinnlos aus lateinischen Majuskeln zu-
sammengestellt. Das Bild ist, wie mir Herr Galerieinspektor Wagner seiner
Zeit mitteilte, im Jahre 1876 durch den Fürsten Karl Egon III. von Fürsten-
berg von dem Hofrat Rehmann in Donaueschingen erworben worden, der
es aus dem Nachlaß des Dekans Engesser hatte. Dieser lebte von 1814 bis
zu seinem Tode 1867 (mit einer siebenjährigen Unterbrechung) in Mundel-
fingen in Baden, zwei Stunden südlich von Donaueschingen. Aus dieser
Herkunft läßt sich freilich kein Beweis für die Ulmer Herkunft des Bildes
entnehmen. Denn der Dekan Engesser scheint niemals aus Baden heraus-
gekommen zu sein und die noch lebenden Töchter des Hofrats Rehmann
haben erklärt, das Bild solle aus dem bekannten Kloster St. Blasien im
Schwarzwald stammen. Wäre das richtig, so könnte man aus ihm vielleicht
eine Tätigkeit Zeitbloms für einen ziemlich fern von seiner Heimat Ulm
ansässigen Besteller erschließen. Bisher hat sich kein Werk von ihm nach-
weisen lassen, dessen Lokalisierung über Ulm und Oberschwaben hinaus-
ginge. Doch ist die Tradition zu unsicher, um darauf weitere Vermutungen
zu bauen. Jedenfalls gehört das Bild dem Stil nach in seine spätere
Zeit, in die Zeit um 1510 — 1515, aus der die Bilder in Adelberg stammen.
494
K. Lange: Einige Bilder von Bartholomäus Zeitblom.
Von diesen ist, nebenbei gesagt, die Predella mit den Brustbildern Christi
und der Apostel, wie sich neuerdings herausgestellt hat, das Original der
schwachen Kopie in der Stuttgarter Gemäldegalerie Nr. 70.
Endlich will ich noch erwähnen, daß der plastische Mittelschrein
des Kilchberger Altars Nr. 49 — 52 der Stuttgarter Gemäldegalerie, der in
der Schloßkapelle zu Kilchberg (bei Tübingen) zurückgeblieben war, im
Jahre 1903 ebenfalls in den Besitz der Stuttgarter Gemäldegalerie über-
gegangen ist. Dieser Mittelschrein ist insofern wichtig, als er auf der
Staffel links die Namensbezeichnung Zeitbloms enthält und seine Zusammen-
fügung mit den Flügeln jetzt jedermann überzeugen kann, daß diese, die
bekanntlich auf der Vorderseite die Figuren der Heiligen Georg und
Johannes des Täufers vor einem goldenen Vorhang, auf der Rückseite
die Heiligen Florian und Margaretha vor einem roten Vorhang enthalten,
tatsächlich zu diesem plastischen Mittelschrein, der die Krönung der
Maria enthält, gehören. Bekanntlich wurde das früher einmal bestritten
und man glaubte vielmehr, die vier (durch Auseinandersägen gewonnenen)
Flügel, die mit der Abelschen Sammlung nach Stuttgart gekommen
waren, mit einer noch jetzt in der Pfarrkirche zu Kilchberg vorhandenen
Predella vom Jahre 1478 in Zusammenhang bringen zu können, woran
gar nicht zu denken ist. Zu den durch das Entgegenkommen des jetzigen
Schloßherrn von Kilchberg, des Freiherrn von Tessin, für Stuttgart
geretteten Teilen des Altars gehört auch das sdhr zerstörte und deshalb
in Stuttgart nicht mit ausgestellte Stifterporträt des knienden Ritters
Georg von Ehingen, das sich noch in der Kapelle befand. Das Gegen-
stück dazu, das Porträt seiner Gemahlin, hat sich nicht erhalten. Georg
von Ehingen, der 1428 geboren war, erscheint hier als unbärtiger Mann
im Alter von etwas über 60 Jahren, was auf eine Entstehung des Bildes
um 1490 weisen würde. Leider ist die Inschrift auf der Predella nur
noch in ganz geringen Resten vorhanden und trotz aller Anstrengung
nicht zu entziffern. Der Anfang dürfte gelautet haben: »Im jar 1490
ward«. Genaueres über den Altar und seine Geschichte, sowie über die
sich än ihn anknüpfenden Kontroversen enthält der Katalog der Stutt-
garter Galerie. Zur Ergänzung will ich nur hervorheben, daß die Figuren
der Flügel durch den Restaurator Dürr in Ulm, der viele Bilderrestau-
rationen in Württemberg auf dem Gewissen hat, nicht nur einen neuen
gelblichen Firnis erhalten haben, sondern auch an vielen Teilen über
malt sind. So erschienen Dürr z. B. die Beine des Johannes zu dürr,
was ihn veranlaßte, sie dicker zu malen. Man kann die alten Konturen
noch deutlich unter der Übermalung erkennen. Für die Beurteilung des
Stils und die chronologische Einreihung des Altars in die Reihe der
Zeitblomschen Werke ist dies nicht ohne Bedeutung.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
Von Dr. Christian Geyer in Nürnberg.
(Schluß.)
III.
Die ominöse Jahreszahl 1490.
Lochner bemerkt in seiner Neudörferausgabe (S. 13) zu der die Stationen
betreifenden Notiz: »Es bleibt das Jahr 1490 als das erste, aus welchem
mit völliger Sicherheit eine Arbeit Meister Adams nachgewiesen werden
kann. Es sind das die durch Martin Ketzel (Kötzel) veranlaßten sieben
Stationen, die vom Pilatus-Haus ausgehend sich auf dem Weg nach
St. Johannis hinziehen, wo damals wohl schon eine zum Siechkobel ge-
hörige Kirche mit einem kleinen Begräbnisplatze war, aber noch keines-
wegs ein allgemeiner Kirchhof, an den damals noch niemand dachte.«
Auf diese Worte Lochners spielt Daun an, wenn er in der eingangs
angeführten Stelle davon redet, daß die Stationen vermutlich Ende der
achtziger Jahre aufgestellt worden seien, »wie auch eine alte, leider nicht
mehr auffindbare Notiz verbürgt haben soll.« Diese alte Notiz ist durch-
aus nicht unauffindbar, wie Daun annimmt. Es verhält sich damit also.
Zwischen Stein 15 und 16 der 7. Zeile des Johannisfriedhofes von
Norden gegen Süden herunter stand nach TrechseD7) ein angeblich von
Adam Krafft gefertigtes Kreuzbild »nach der richtigen Größe und Länge,
wie solche von dem .... Herrn Stiffter, dem Herrn Martin Ketzel, unter
andern besonderen Merkwürdigkeiten aus Jerusalem mit hieher gebracht
worden.« Dieses Kreuz ist in der Tat 1490 errichtet worden und trug
auf einer Metallplatte folgende Inschrift:
»Hie seh ein yder crist~an
Die recht war leng cristi persan
Die hoch des creutz, die weyt de’ stat
Die her vom newen tho’ schrit hat
So vil vnd von pilati haus
Do crist’ mit dem kreutz ging auß
*7) Trechsel, Verneuertes Gedächtnis des Nürnbergischen Johannis-Kirch-Hofs.
1736. S. 159 f.
496
Christian Geyer :
Sint an die stat caluarie
Dar vm welch crist alhie für ge
Wiß sulch sein fuß drit so zu ern
Sein angst vn als sein plut vrern
Sein an naglung vn den sper stich
Das er dar durch vnß gnediklich
Im dod am kreutz erschein allnsame
Vnsz ewig zu befriden amen.
1490«.
Auch Gugel18) führt Jahreszahl und Verse an, jedoch ohne auf Ketzel
Bezug zu nehmen. Wenn wir im folgenden dieses von den Stationen
und der zu ihnen gehörigen Kreuzigungsgruppe durchaus verschiedene
Kreuz kurzweg als »Ketzelkreuz« bezeichnen, so wollen wir damit keines-
wegs sagen, daß das Kreuz in der Tat irgend etwas mit der Familie
Ketzel zu tun gehabt habe. Aber vielleicht war der an diesem Kreuze
wie an den Stationen haften gebliebene Name der Grund, daß man
dieses Ketzelkreuz mit den Stationen in Verbindung brachte. Wir
können diesen Vorgang noch beobachten. Melchior Adam Pastorius1^
berichtet nämlich 1702 über das hohe steinerne Kreuz, dessen Inschrift
er abdruckt, und fährt fort: »Sölch Crucifix samt noch 7 steinernen
Statuis oder Monumentis hat einer des wohladeligen Geschlechts derer
Kötzel durch den guten Steinmetzen Adam Krafften verfertigen lassen.«
Die Nürnberger protestantische Kirchenverwaltung war noch am 11. Fe-
bruar 1861 der Ansicht, daß das »Ketzel-Kreuz«, das Sommer 1860 ein-
gelegt worden war, der eigentliche Schlußpunkt der Stationen sei. Fast
scheint es, als ob es auch heute noch Leute gebe, die an diesen durch
nichts gerechtfertigten Zusammenhang glauben, denn sonst hätte bei
der Wiederherstellung der Krafftschen Kreuzigungsgruppe nicht vor einigen
Wochen die alte Metallplatte mit der Jahreszahl 1490 und den oben
mitgeteilten Versen am Kreuz des Krafftschen Calvarienberges angebracht
werden können. Glücklicherweise hat der Stadtmagistrat die Inschrift
alsbald wieder entfernen lassen, ehe sie neue Verwirrung anrichten konnte.
Offenbar hat auch Lochner an die vermeintliche Zugehörigkeit des Ketzel-
kreuzes zu den Stationen geglaubt und darum behauptet, daß das Jahr 1490
»mit völliger Sicherheit« als das Geburtsjahr der Stationen bezeichnet
werden könne. Hoffentlich ist es mir gelungen, die Fabel vom Jahre 1490
hiermit endgültig aus der Welt zu schaffen!
Daun hat, offenbar beeinflußt durch die von Lochner so sicher
l8) Gugel, Norischer Christen Freydhöfe Gedächtnis. 1682, S. 176.
*9) Pastorius, Franconia rediviva S. 258 f.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
497
hingesetzte ominöse Jahreszahl, versucht, die Stationen ,aus stilistischen
Gründen in Kraffts frühere Zeit zu verlegen. Zu den plastisch ge-
dachten Stationen trete das Schreyersche Grabmal, das malerisch ge-
schaut sei, in Kontrast und die späteren Arbeiten zeigten alsdann den
versöhnenden Ausgleich des plastischen und malerischen Moments.20)
Dagegen ist nur einzuwenden, daß ein in der Tat sicher datierbares
Krafftsches Werk späterer Zeit, die Kreuztragung in der Sebalduskirche,
die nach dem Harsdörferschen Bericht21) aus dem Jahre 1506 stammt,
den Charakter der Stationsbilder zeigt. Die alte Tradition nennt uns
das Jahr 1508 für die Sieben Fälle und an der Nische, in der die nach
der nämlichen alten Tradition zu den Stationen gehörige Grablegung in
der sog. Holzschuherkapelle ihre Aufstellung gefunden hat, steht diese
Jahreszahl jetzt noch deutlich zu lesen. Wir haben bis jezt keinen Grund
gefunden, Ketzelsage und Ketzelkreuz-Fabel dieser Überlieferung vorzu-
ziehen. Wollen wir Zuverlässiges über die Stationen in Erfahrung bringen,
so müssen wir dem Fingerzeige der geschichtlichen Tradition folgen und
nach dem Erbauer der sog. Holzschuherkapelle forschen. Es ist von
vornherein nicht unwahrscheinlich, daß dieser uns vorerst ganz unbe-
kannte Mann irgend etwas mit den Stationen werde zu tun haben.
IV.
Die sogenannte Holzschuherkapelle.
Im Jahre 1788 veröffentlichte Joh. Carl Sigmund Holzschuher . ein
Schriftchen unter dem Titel: »Sammlung einiger Nachrichten von der
Capelle auf dem Gottesacker zu St. Johannis bey Nürnberg, als dem
Familienbegräbnisse des Geschlechts der Holzschuher aus Familien-Auf-
zeichnungen und andern historischen Schriften zusammengetragen und
berichtigt.« Hierin ist zu lesen, daß der am 7. Januar 15 n gestorbene
Friedrich Holzschuher und seine am 13. September 1521 gestorbene Ge-
mahlin, eine geborne Kreß, noch nicht in der Kapelle, sondern auf dem
Friedhof selbst im Grabe Nr. 1109 bestattet worden seien; erst Lazarus
Holzschuher (f 6. Mai 1523) habe in der Kapelle seine Ruhestätte ge-
funden. Das sieht fast so aus, als ob die Holzschuher nicht von Anfang
an im Besitz der Kapelle gestanden seien. In der Schrift findet sich
ferner der Hinweis auf einen 1593 bis 1604 zwischen den Imhoff und
den Holzschuhem geführten Prozeß. Wenn auch Joh. Carl Sigmund
Holzschuher nachdrücklich darauf hinweist, daß dieser Prozeß zugunsten
seines Geschlechtes ausgegangen sei und die damals von den Imhoffs
*°) Daun in Repert. f. Kunstw. XX, 5. 1897.
ll) Daun, Ad. Krafft, S. 79.
498
Christian Geyer :
erhobenen Ansprüche als ganz unbegründet erscheinen lassen möchte,
man spürt doch alsbald, daß man es mit einer sehr starken Retouche
zu tun hat; und so lag mir daran, die Prozeßakten zu Gesicht zu be-
kommen. Ich war so glücklich, sie im hiesigen Kreisarchiv zu finden
(S. I. L. 201 Nr. 39). Nach diesen alten Dokumenten nahm die Sache
folgenden Verlauf.
Am 4. Dezember 1593 bitten »Sebastian Imhoffs seeliger nachge-
lassene Erben« den Rat um Nachforschungen, »wann, welcher gestalt
vnd weiß, durch wenn vor zeitten vnnd anfänglich solche Capellen zu
bawen Zweifels ohne von einem Erbarn Raht vergönntt vnnd zuegelaßen
worden.« Der Rat beschließt (27. Dezember 1593) dieser Bitte Folge
zu leisten, und ordnet zugleich an, daß den Holzschuhern von der Sache
Mitteilung gemacht werde. Am 14. Januar 1594 liegt eine Beschwerde
der Holzschuher gegen Alexander Imhoff vor, der ein Schloß an die
Kapelle hat legen lassen. Der Rat beschließt, daß Imhoff das Schloß
abtue; zugleich aber macht er den Holzschuhern die Auflage, »daß si
es im alten stand richten, zwen Schlüssel wider dozu machen, einen für
sich behalten, vnnd den andern den höfischen, biß zu außtrag der Sachen
zustellen.« Man sieht hieraus und aus einem undatierten Schriftstück,
daß sich auch die Imhoff beschwert hatten, weil die Holzschuher ein
Schloß angelegt hatten. Nun tut auch die vom Rat beschlossene Mit-
teilung der Imhoffschen Anfrage an die Holzschuher ihre Wirkung: die
Holzschuher bitten nämlich ebenfalls um Mitteilung des dem Rate zu-
gänglichen Materials. Einen tieferen Einblick in die Streitsache, die dem
Rate von Anfang an recht mißlich war, gewährt eine Supplikation der
Imhoff an die Herrn »Elttern« vom 14. Oktober 1594. Wir erfahren
hier nämlich nicht nur, daß die Holzschuher trotz obrigkeitlicher An-
ordnung den Imhoffs den Schlüssel nicht ausgehändigt hatten, sondern
auch, was den Anlaß zu der ganzen Dissidie bildete. Hieronymus Holz-
schuher hatte seine Stellung als Mitglied des Baumeisteramts dazu be-
nutzt, sich einen Schlüssel zur Kapelle »eigens gewalts« zu verschaffen,
hatte die Kapelle erneut, dabei die Imhoffschen Wappen aus den Fenstern
getan, sowie die Imhoffschen Schilde und Epitaphien entfernt; bei dieser
Gelegenheit hatte er auch Veit Holzschuhers Erben, die also vorher
offenbar nicht anteilberechtigt waren, einen Grabstein überlassen. Wir
lesen in diesem Aktenstücke nun folgende merkwürdige Worte: »Als
haben wir in Betrachtung, daß unser Uhranherr, Peter im Hof seliger,
als deme weiland Heinrich Marschalckh zu Raueneckh, so solche
Capellen zu bauen angefangen, hernach aber vor gänzlicher Er-
bauung derselben, auf zwischen ihnen erfolgte Vergleichung solche Ca-
pellen übergeben und also wegen vollführter Erbauung Stifter solcher
Zur Geschichte der Adam Krafiftschen Stationen.
499
Capellen ist, wie solches der Schild, Altar und Grabstein mit seinem
Wappen, dem auch Sebastian Imhof seliger Memorial so mit seiner eigenen
Hand geschrieben, und Schlüssel, so seither gehabt, bezeugen, dasselbe
auch zweifelsohne in Ew. Herrn Registratur also zu finden sein wird,
dann gemelter unser Gegenteil Fundament nur ist, weil gemelter unser
Uhrahnherr ein Holtzschuherin gehabt, und aus Vergünstigung dessen
Schweer seligen hineinkommen, dadurch andere abzutreiben, da doch
unsere liebe Eltern und Geschwistericht den Unkosten zu bäulicher Er-
haltung solcher Capellen ausgelegt, welches sie zweifelsohne nit wurden
getan haben, wo sie dessen nit befugt, dann auch dieselben darinnen
begraben liegen, derwegen nicht umgehen können« usw. usw.
Vielleicht hat das Eintreffen dieser neuerlichen Imhoffschen Zu-
schrift den Rat veranlaßt an eben diesem 14. Oktober 1594 die noch nicht
erledigte Bitte der Holzschuher zu beantworten. Es soll weiter nach-
gesucht werden »in der Schreinertruhen so in der Kirchen bei St. Sebald
stehet« und anderwärts; zugleich wird darauf bestanden, daß die Holz-
schuher den alten Stand hersteilen, was sie bis jetzt noch nicht getan
hatten. Auch hält man es für geraten, die Sache etlichen hochgelehrten
Herren vorzulegen.
Die Holzschuher konnten auf die von den Imhoff geltend ge-
machten Ansprüche wenig antworten; sie beschränkten sich in einer
Supplikation an die Herrn Eltern darauf, ihren rechtmäßigen Besitz der
Kapelle zu behaupten ohne auf die Frage, wer dieselbe gebaut und wie
sie in ihre Hände gekommen sei, einzugehen.
Dem Rat wäre es wohl das liebste gewesen, wenn er eine Sache,
in der es für ihn peinlich sein mußte, so oder so eine Entscheidung
zu treffen, hätte einschlafen lassen können. Ein ganzes Jahr ruhte der
Streit, wenigstens in den Akten, da griffen die Augsburger Imhoffs ein
um eine Verschleppung der Angelegenheit zu hindern und nun verfügte
der Rat am 8. Januar 1596 die »Versperr« der Kapelle bis zum Aus-
trag des Streits. Jetzt scheint man auch erst recht in der Schreiner-
truhe bei St. Sebald und wo sonst etwas zu finden war, gesucht zu
haben. Bei den Akten liegt ein vom 4. März 1596 datierter »Extrakt
aus in blab (blau) gebundenen Pietanzbuch« mit Nr. F 1 bezeichnet,
fol. 15:
»Ao 1513. Wer die Capellen zu St. Steffan genannt auf dem
Gottesacker bei St. Johannes gebauet hat. Item Heinrich Marschalck zu
Raueneck aus der Schney hat von neuem (d. h. neu) gebaut diese Ca-
pellen im Jahr wie ob.« Auf Grund dieser für die Imhoff nicht un-
günstigen Notiz, der eine »Copia aus Sebastian Im Hoffs Memorial-
büchlein«; beigegeben ist (»1570. Item der Stifter der Capellen bei St.
500
Christian Geyer:
Johannes, S. Stefifan genannt, soll sein Heinrich Marschalck zu Raueneck
aus der Schney, der soll solche Capellen gebaut, doch ehe die ausge-
macht gestorben und dem Peter Im Hoff meinem lieben Ahnherrn,
der sich mit ihrne verglichen, übergeben haben, nachmals folgends
ausgebaut«), ferner auf Grund der notariellen Beurkundung einer Loch-
nerin, daß nach ihrem Wissen Peter Imhoff in der Ledergassen die
Kapelle gebaut, das Jerusalem conterfeyisch darin malen und daß die
Erben dieses anno 1521 haben erneuern lassen, und endlich unter
Beibringung des Nachweises, daß die Imhoff 1564 und 1571 Kosten
auf die Reparatur der Kapelle verwendet hatten, machte der Vertreter
dieser Familie am 5. Mai 1596 von neuem unter Widerlegung der Holz-
schuherschen Ansprüche sein Recht geltend.
Die Rechtsgelehrten D. Straßburger und D. Held, denen die Akten
zugestellt wurden, empfahlen die Verweisung der Parteien an das Stadt-
gericht (22. Februar 1597) und im nämlichen Sinne sprachen sich zwei
weiterhin von Frörer und Hinderhofen noch erholte juristische Gutachten
aüs. So konnte sich der Rat, obgleich die Sache für die Imhoffs sehr
günstig lag, der summarischen Entscheidung entziehen und die Parteien
am 1. August 1597 an das Gericht verweisen, wobei er ihnen anheim-
stellte, welche von ihnen mit der Klage den Anfang machen wolle.
Allein hierzu konnten sich weder die Imhoff noch die Holzschuher ent-
schließen. Daß sich die ersteren wenigstens mit dem Gedanken trugen,
zeigt eine Bitte an den Rat vom 12. Juli 1598, weitere Recherchen im
Salbuch, in den Forstbüchern usw. vornehmen zu lassen. In der Tat
wurde nun noch einiges über die Stephanskapelle gefunden, und so hat der
alte Streit zwischen den beiden Geschlechtern wenigstens das Gute gehabt,
daß die damals noch zugänglichen Notizen aus Büchern und Akten, die
inzwischen verloren gegangen sind, auf uns kamen. Es sind folgende.
»Extract aus einem In grün Pergamen eingebundenen, vnd mit
lit. F. 1. signirtem Buch. fol. : 15. 1513. F. 1.
10. Die Pfleg vnnd Handlung der Cappellen zu Sanct Steffan auf
dem Gottesacker.
Wer Pfleger daselbst sein soll.
Item ein Erbar Rath wählt allweg den Pfleger, das ist gewöhnlich
ein Jeder Pfleger der sondersiechen zu Sanct Johannes.
Der Pfleger hat zu gewaldt alle Zugehörung der Cappellen, vnd
was die Cappelen von Meßgewandt, Zugehörung der Meß hat, das ist
eingeschrieben Im Buch auff dem Rathauß, mit Nr. 1. verzeichnet, am
180 Plat.
Der Pfleger versihet auch die Cappellen mit aller notturfft, von dem
Almosen, das dahin gefeilt.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen. 50 1
Wer die Cappellen gepawt hat.
Item Heinrich Marschalck zu Rawheneck aus der Schney hat ge-
pawt von newen diese Cappellen Im Jahr.«
»Extract, aus dem Stifftbucli lit: A: Fol. 215.
»In Sanct Steffans Cappellen auf dem Gottsacker. Item zu Sanct
Steffan auf dem Gottsacker, Ist kein gestiffte Pfründe, Jedoch ist dahin
gestifft, das man alle wochen soll daselbst lesen zwo Meß, das soll be-
zahlen von der Handt ein Jeder Pfleger der Sondersiechen zu Sanct
Johannes von den Zinsen, die darzu erkaufft sein, die derselb Pfleger
einnimbt, wie denn die sein eingeschrieben im Zinß vnd Gült buch
mit Nr. 1. bezeichnet am 180 Plat.« Der Pfleger kann die Messen lesen
lassen, von wem er will. Der Priester hat nach der Messe unter die Kirchen-
thtire zu treten, oder dabei zu stehen, De profundis und Pater noster zu
sprechen und die Kollekte für die Almosenspender zur Messe, für die
»do begraben liegen, vnd für alle Christgläubig seel, vnd den Weich-
prunnen (zu) werffen auf den Gottesacker.«
Nach diesen Feststellungen kam es begreiflicherweise zu keiner
Klage mehr. Dies bedauerte schließlich der Rat noch; denn da nun
eruiert war, daß die Kapelle »von einem Fremden vom Adel erbauet«
und von den Pflegern des Siechkobels bei St. Johannes jederzeit ver-
waltet worden, wobei weder der Holzschuerischen *noch Höfischen
gedacht werde (Ratsverl. v. 15. Febr. 1603), hätte er Lust gehabt, dem
Pfleger zu befehlen, sich dabei pro Interesse einzulassen, damit an Tag
kommen möcht, wer die beste Gerechtigkeit zu dieser Capellen hab.
Die Imhoffs ließen jedoch die Sache ruhn; da sie zugleich die schöne
Kapelle auf dem Rochusfriedhof besaßen, mochte ihnen nicht allzuviel
an der Stephanskapelle gelegen sein; so kam dieselbe an die Holzschuher
und blieb bis heute in deren Besitze. Wir könnten heute den damals
unerledigt gebliebenen Streit zugunsten der Imhoff entscheiden; denn es
existiert ein vom 18. Mai 1515 datierter damals unbekannt und unge-
nutzt gebliebener Ablaßbrief,22) der einem Franz Imhoff für die Stephans-
kapelle ausgestellt ist und deren Besuchern an drei Tagen des Jahres
je 100 Tage Ablaß gewährt. Darnach waren die Imhoff im Jahre 1515
unzweifelhaft Besitzer der Kapelle und die Aufzeichnung Sebastian
Imhoffs in seinem Memorialbuch von 1570, die wir vorhin mitteilten,
wird wohl als zutreffend angesehen werden können. Ein Heintz Mar-
schalck von Rauheneck aus der Schney erbaute über der Adam Krafft-
schen Grablegung, die vorher unter einem einfacheren Schutzdache ge-
standen haben wird, die Kapelle, starb jedoch vor deren Vollendung.
“) Theophilus Sincerus, Notitia Historico-Critica 1748 S. 28 f.
502
Christian Geyer:
Da übernahm Peter Imhoff den weiteren Ausbau und Franz Imhoff erwarb
dazu, sowie zur würdigen Ausstattung derselben mit den zum Kultus
notwendigen Gegenständen (ut ... in suis structuris et edificiis debite
reparetur conservetur et manuteneatur nec non libris calicibus luminaribus
ornamentis ecclesiasticis ac rebus aliis divino cultui inibi necessariis
decenter muniatur) den iootägigen Ablaß.
Dauns Meinung, 23) als ob der 1529 gestorbene Georg Holzschuher
die Stephanskapelle gebaut habe, hat sich als irrig erwiesen. Der Er-
bauer des unter dem Namen Holzschuherkapelle bekannten Grabkirchleins,
das auch, wegen des in ihm geborgenen künstlerischen Schatzes »zum h.
Grab« ferner »zur Mutter -Angst« und »zu St. Rochus« hieß (Holz-
schuher a. a. O. S. 1 1), anfänglich aber als Stephanskapelle benannt wurde,
ist Heintz Marschalck v. Rauheneck aus der Schney. O
V.
Heintz Marschalck von Rauheneck.
Die Marscnaick von Ebnet, Rauheneck und Schney waren ein
kürzlich erst ausgestorbenes, ehemals aber weitverzweigtes Geschlecht,
dessen Gliedern wir häufig in der Umgebung und in den Diensten der
Bamberger Kirchen fürsten begegnen. Nach dem »Stammbuch des Adels
in Deutschland« (III, i8f.) nannten sich die Marschalck von Ebenat
(Ebneth liegt x/a Stunde von Burgkundstadt in Oberfranken) zum Teil
auch von Raveneck (Rauheneck 1 Stunde von Ebern in Unterfranken),
führten mit den Redwitz das gleiche Wappen und verwalteten statt Kur-
sachsen das Erbmarschallamt im Stift Bamberg. Von 1503 bis 1505
war ein Marschalck von Ebnet als Georg II. Bischof von Bamberg. Ein
»Heintz Marschalck zu Rawhenecke« verkaufte 1478 seine Güter zu
Echerbach um 1100 fl. rh. an die Abtei Michelsberg. 24) Da dieser Heintz
Marschalck nach der Schney benannt wird, ist er wohl jener Sohn Heintz
des Wilhelm Marschalck, von dem bekannt ist, daß er zusammen mit
seinem Bruder Contz Marschalck die Veste zu der Schney an Wilwolt
von Schaumburg verkauft hatte, 1503. (Loshorn IV, 452). Da sich ein
»Geschlechtslehensbrief des Kuntz Marschalk von Ebnet nach dem Tode
seines Bruders Heintz Marschalk von Ebnet sei« vom Jahr 1514 erhalten
hat, in welchem u. a. auch ein »Pochendorf« erwähnt wird, können wir
als wahrscheinlich annehmen, daß dieser Heintz Marschalck in eben
diesem Jahr gestorben sei. Wir erinnern uns, daß nach den Erhebungen
*3) Daun, Ad. Krafft S. 82.
*4) Loshorn, Gesch. des Bist. Bamberg IV, 344 f.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
5°3
des Rats Heinrich Marschalck von Rauheneck aus der Schney 1513 die
Grabkapelle gebaut hat, und daß diese 1515 bereits in den Besitz
des Franz Imhoff übergangen war. Die verschiedenen Angaben und Daten
stimmen so aufs beste überein und erlauben wenigstens eine magere
Chronologie des Lebensganges unseres Heintz Marschalck zu entwerfen.
Große Güterverkäufe, wie sie uns von ihm wiederholt urkundlich bezeugt
sind, deuten auf außerordentliche Ausgaben hin, und man mag sich wenn
man will, vorstellen, daß die 1478 frei gemachte Summe zu einer Pilgerfahrt
ins heilige Land, die um 1503 flüssig gewordenen Gelder zur Bezahlung
einer außergewöhnlichen Schuld verwendet worden seien, nur darf man
nicht vergessen, daß das Möglichkeiten, keineswegs aber historisch nach-
gewiesene Tatsachen sind. Vorsicht ist hier um so mehr geboten, als
der Name Heintz bei verschiedenen Linien der Marschalck begegnet.
Im Bamberger Archiv liegt z. B. ein Aufsendbrief des Heintz Marschalck
von Rauheneck gegen Bischof Georg von Bamberg (auch der Nachfolger
Georgs II. hieß Georg) für Heintz Marschalk von Ebnet seinen Vetter.
Nach Biedermann, Geschlechtsregister der Reichs-Frey-unmittel-
baren Ritterschaft Landes zu Francken Löblichen Orts-Gebürg (Bam-
berg 1847) Tab. 329fr. wäre ein Heimich Marschalk von Ebneth zu
Schney und Raueneck, der 1505 alle seine Güter in Rodhausen, Thein-
feld und Poppenlauer verkauft, ein Sohn des Wolfram iun. des Stifters
der Linie Schney. Die genealogischen Fragen, von denen die genauere
Feststellung der Persönlichkeit unseres Heintz Marschalck abhängt, werden
wohl erst entschieden werden können, wenn einmal der kürzlich an das
Bamberger Archiv gekommene Nachlaß des f Freiherrn von Marschall
geordnet sein wird.
In Nürnberg haben die Marschalk keine solche Rolle gespielt, daß
sich etwa ihr Andenken hätte lebendig erhalten müssen. Allein Doku-
mente aus der Wende des 15* und 16. Jahrhunderts beweisen immerhin,
daß Beziehungen der Bambergischen Adelsfamilie zu Nürnberg nicht
ganz fehlten, auch abgesehen von jenem übelberüchtigten Raubritter Erhärt
Marschalk, 25) dem Schwestersohn des Bischofs von Bamberg, derhier in
Nürnberg im September 1472 mit dem Schwerte hingerichtet wurde. Das
Bamberger Archiv verwahrt von ihnen eine ganze Reihe von Geschlechts-
lehenbüchern (Rep. 187. S. 237). Unter den dortselbst namhaft gemachten
Orten findet sich wiederholt auch Nürnberg, so in denen der Jahre 1429
und 1465. Der Eintrag in dem letzterwähnten Lehenbuch lautet:
»Norenberg.
Item Heintz kammermeister hat entpfangen von sein vnd seiner
*5) Reicke, Gesch. der Reichsstadt Nürnberg S. 452 f.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVTII.
34
504
Christian Geyer:
brtider wegen siben gutlein vnd siben ecker besonder die da ligen zu
clwckav mit allen iren zugehören vnd gerechtikeyt vnd waß sie zu
ciwckav haben darvber haben sie ein lehnbrif«; und ebendort etwas
später:
»Norenberg.
Item iorg zölner hat entpfangen von sein vnd seiner brtider wegen
ein gutlein mit sampt dem zehent darüber gehören mit aller seiner ge-
rechtikeyt das da leyt zu bochendorf.« Dieses Buchendorf wird auch
in dem Lehenbuch von 1514 genannt. Es ist mir nicht über allen
Zweifel erhaben, ob das Norenberg der Lehenbücher mit unserer alten
Reichsstadt identisch ist. Ich verzichte darum darauf die »siben gutlein
und siben ecker« mit den sieben Stationen in Zusammenhang zu bringen.
Ganz unzweifelhafte Beziehungen aber zu unserem Nürnberg sind durch
Urkunden des hiesigen Kreisarchivs verbürgt, nach denen im Jahr 1508
und 15 11 ein Hartung Marschalck Ritter Landrichter des kaiserlichen
Landgerichts des Burggrafentums zu Nürnberg war, und — was für
unsere Untersuchung von weit größerer Bedeutung ist, durch die Vertrags-
urkunde26) unseres Adam Krafft mit Peter Imhoff vom 25. August 1505,
in der er verspricht von seiner 310 fl. betragenden Schuld »in einem
jar, oder alsbald des Marschalks arbayt ausgemacht (= vollendet) wirt«
100 fl. abzuzahlen. Es ist mir unverständlich, weshalb Daun diesem
für die Krafift-Forschung doch sicherlich nicht gleichgiltigen Fingerzeig
nicht folgte. Doch was er versäumte, hat ein andrer getan, nämlich
Philipp M. Halm27) in dem Aufsatz: »Die Kreuzwegstationen zu Bam-
berg und Adam Krafft«. Ich kann diese vielfach sehr dankenswerte und
hochinteressante Arbeit nicht anführen ohne auszurufen: Ach wenn doch
unsere Kunsthistoriker ein klein wenig mehr Nachdruck auf die drei
Silben »Historiker« legen und sie nicht gar zu sehr durch die erste
Silbe »Kunst« zudecken lassen wollten! Alle Achtung vor den inter-
essanten stilistischen Ausführungen, wie sie Halm gibt, wenn sie zu
Worte kommen, nachdem die historischen Fragen gelöst sind. Allein
gerade daran fehlt es bei ihm. Ohne einen anderen Beleg beizubringen
als die Berufung auf Jäcks Taschenbuch von Bamberg 1813, und Hellers
Taschenbuch von Bamberg 1831, rechnet er von Anfang an mit der
völlig unerwiesenen Angabe, daß die von Heinrich Marschalk von Ebnet
und Raueneck gestifteten Bamberger Stationen 1507 errichtet worden
seien. Und indem er ein ganz künstliches und scheinbar sehr befrie-
l6) Daun, a. a. O. S. 79 f.
*7) Zeitschrift für bildende Kunst, herausgegeben von Graul u. Thieme, io. Jahrg.
Leipzig, Seemann 1898 — 99. S. 57 — 65.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
505
digendes Gebäude aufführt, ohne das Fundament gelegt zu haben, hat
er es in der Tat nur zur Errichtung eines Kartenhauses gebracht, das
von der ernsthaften geschichtlichen Kritik zunächst zusammengeblasen
werden muß.
In Bamberg finden sich Stationsbilder, die mit unsern Nürnberger
Stationen eine frappante Ähnlichkeit haben. Wie die unsrigen finden
sie in einer Kreuzigungsgruppe, Beweinung und Grablegung ihren Ab-
schluß. Sie beginnen in der Sandstraße an der St. Elisabeth-Kapelle, da
wo ehemals das Sandthor stand, gehen durch die Aufseesgasse (Hader-
gasse), wo sich 4 befinden, die sechste ist am Irrenhause bei St. Getreu
in die Mauer eingelassen, die Kreuzigüngsgruppe und die siebente Station
sind nachmals an die vom Chor aus gesehen rechte Schiffswand der
Kirche St. Getreu verlegt worden. Die zweite, dritte, vierte und fünfte
Bamberger Station entsprechen der ersten, zweiten, dritten und vierten
Nürnberger. Die erste Bamberger fehlt in Nürnberg; dafür vermißt man
die fünfte Nürnberger in Bamberg. Die sechsten und siebenten Stationen
entsprechen sich wieder. Daß auch in Bamberg eine große Grablegung
den Abschluß bildet, wurde bereits erwähnt. Das Grab selbst zeigt an
der Vorderwand drei Grabeswächter in Relief ausgeführt; der mittlere,
mit einem Spieß ausgerüstete Kriegsmann wacht eben aus seinem Schlafe
auf, die beiden anderen schlummern noch. Am Grab steht oben und
unten ein bärtiger Mann, diese beiden halten das Tuch, auf dem Jesu
Leichnam ausgestreckt mit übereinander gelegten Händen eben in das
Grab gelassen werden soll. Die Fußwunden Jesu sind stark aufgeschwollen.
Hinter dem Grabe stehen vier große weibliche Figuren; in der Mitte
Johannes die Mutter Jesu haltend. Den Hintergrund bildet dort ein er-
neuertes Glasgemälde Jerusalem darstellend. An dem über dem Grab
sich wölbenden Mauerbogen erblicken wir Gott Vater mit der Weltkugel,
zu seinen Seiten je 6 Engel mit den Emblemen des Leidens Christi und
den sie deutenden Inschriften (von links unten an): Triginta argenteis
venditus — Spinis coronatus — Flagellis caesus — Clavis confixus- —
Felle aceto potatus — Lancea transfixus — Osculo traditus (Judaskopf,
Jesus küssend) — Fustibus ligatus (Seil) — Blesphematus et illusus
(Säule) — Percussus et attritus (Hammer) — Morte crucis condemnatus
(INRI) — Propitiatio nobis factus (Kreuz).
Daß die Bamberger Stationen in der Komposition, die aber roher
und figurenärmer ist als die Nürnberger, mit den Krafftschen überein-
stimmen, sieht man auf den ersten Blick. Die Unterschriften der Stationen
sind in Bamberg bis auf den Wortlaut denen in Nürnberg gleich. Wir
teilen sie vollständig mit, damit ein Vergleich mit den oben bereits
wiedergegebenen Nürnbergischen angestellt werden könne.
34
Christian Geyer:
506
»1. Hir wirt Cristus außgefurt von Pilatus Haws sein kreutz tragend.
[Laßt uns hinausgehen auser dem Thore und seine Schmach tragen.]
2. Hir begegnet Cristus seiner wirdigen lieben muter die vor
großem hertzenleyd amechtig ward. 11° schrit von pilatus haus.
3. Hie ward Symon gezwungen Cristo sein kreutz helfen tragen
IICLXXXXV (295) schrit von Pilatus haws.
4. He sprach Cristus jr Tochter von Jherusalem nit weinet über
mich sondern über euch und eur kinder IIICLXXX (380) schrit v. p. haus.
5. Hir hat Cristus sein heiliges angesicht der Frawen Feronica
jn iren slayr gedruckt vor jrem Haws. vc (500) schrit von Pilatus haws.
6. Hie velt Cristus vor großer amacht vnter dem kreutz ernider
vff die erde bey Eylfhundjet schriten vö pilatus haus.«
Bei dieser Gelegenheit sei auch die merkwürdige Tatsache erwähnt,
daß die angeblich aus Tilmann Riemenschneiders Werkstatt stammenden
Stationen des Wallfahrtsortes Kirchberg bei Volkach in Unterfranken,
die aus den Jahren 1520, 1521 und 153X stammen, gleichfalls Inschriften
enthielten, die mit den Bambergischen und Nümbergischen nicht nur
dem Inhalt, sondern teilweise auch dem Wortlaute nach übereinstimmten.
Verschwunden sind im Laufe der Zeit die sowohl in Bamberg als
Nürnberg dem Kreuze gegenüber aufgestellten figurenreichen Frauen-
gruppen (mit Johannes). In Nürnberg stand unter dem Kreuze bekannt-
lich der römische Hauptmann zu Pferde mit seinen Kriegsknechten; als
diese Gruppe verwittert war, setzte man die aus der gegenüberstehenden
Gruppe stammenden, in den Proportionen gar nicht dazu passenden
Figuren des Johannes und der Maria unter das Kreuz, die, man jetzt
auch wieder mit erneuert hat.
Auf die Frage, wann wohl der mit den Nürnberger Stationen so
merkwürdig übereinstimmende Bamberger Kreuzweg angelegt worden ist,
gibt uns — was Halm nicht beachtet hat — das Werk selbst eine Ant-
wort. Am mittleren Kreuz sind zwei Jahreszahlen eipgegraben 1500 und
1613, offenbar ist die erstere die Zahl der Stiftung, letztere die der
Restauration der Kreuzigungsgruppe. Aber wir haben auch urkundliche
Belege, die ich der Reihe nach anführe:
i„ Am 27. Juli 1500 ist im ElisabethspitaL eine Messe zum Ge-
dächtnis der Ausführung aus Pilati Haus gestiftet worden.*8) Die be-
treffende Urkunde findet sich im städtischen Archiv Bamberg und bestimmt:
»Ich Martein Ganns und Ich Heintz Kemptnater, Pfleger Sannd
Elsbetenn Spitals im Sand, wir bekennen, das uns der erber und veste
*8) Haas, St. Martin S. 449 f. Bericht des histor. Vereins in Bamberg 1860.
S. 143.
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
507
Heinrich Marschalck zu Rawheneck29) am baren Golde behenndigt hat
60 fl., davon wir zum Nutz des gen. Spitals 3 fl. jerlicher Zins erkauft.
Daraus sollen wir bestellen, daß alle Freitag im gen. Spitall ein Messe
von unserm libenn Herrn Jhesu Cristi Leydenn und sunderlich zu Be-
trachtung Seiner ausfurunge aus Pilatus Hawse zu Seiner Crewtzunge mit
andacht gelesen werde. Bei solchem Ampt soll ein Collecten für des
gen. Heinrichen Marschalk, auch Vaters und Mutter etc. Seelen Seligkeit
eingelecht werden und Solichs in das Messpuch des Spitals zu ewiger
gedechtnus eingeschrieben werden. — Sig. des Spitals. — Geben am
Montag nach Sand Jacobstag 1500.«
2. Im Bamberger Archiv ist eine mit 3 Siegeln versehene Original-
urkunde (Kiste 25, Lade 8, Ziffer 3), ein Revers des Abts Wolffgang,
des Priors Jacob und des Convents des Klosters auf dem Michelsberg
wegen einer für Heinrich Marschalk zu Raweneck wöchentlich am Freytag
zu lesenden Meß in der Probstey St. Getreu auf dem neuen Altar bey
dem Grabe Jhesu Cristi inwendig des eisernen Gitters, durch genannten
Marschalck aufgerichtet. Gegeben am Samstag nach der heyligen drey
konigtag 1503. (7. Jan. i503.)3°)
3. Montag nach St. Gertraudentag 1509 (8. Oktober 1509) bekennen
die Pfleger Michel Paul und Bartholomäus Holt, daß derselbe Heinrich
Marschalk im Elsbetenspital mit 60 fl. eine Messe durch das ganze Jahr
auf den Samstag gestiftet habe.31)
4. Am Donnerstag nach St. Bärtholomäustag 1519 hat wieder ein
(anderer?) Heinrich Marschalk zu Raueneck 5 fl. jährlichen Zins ver-
macht »die Figuren vor dem Sandthor aus bis St. Getreuen zu erhalten,
Gott zu lob und ehren des bittem Leiden Christi.« 32)
*9) Heinrich Marschalk war (Haas, a. a. O. S. 450) auch sonst ein großer Wohl-
täter des Hospitals der heil. Elisabeth. In den Rechnungen figuriert unter seinem Na-
men (z. B. 1547 und 1568) eine Stiftung, da werden z. B. 5 fl. verausgabt für 42 Ellen
Tuch zu der Armen-Rockstiftung Heinrich Marschalks. An den 4 Quartalen werden
verausgabt an 18 oder 19 Pfründner sowie an 4 bis 6 Priester, die zu Vigil und Seelen-
messe amtierten, Präsente in Geld, Weißbrot, Karpfen, Heringen, grün Kraut, Äpfeln
und Birnen; an St. Johannis-Nacht: Erbsen, Kirschen, Amarellen usw., am Elisabethen-
Tag Karpfen usw. Im Jahr 1574 — 75 begegnet hiebei auch ein Posten von 25 Pf. für
»Quetzchka« (Zwetschgen).
3°) Weber, Die ehern. Benediktiner-Probstei St. Getreu in Bamberg. Sep.-Abdr.
a. d. Kal. f. kathol. Christen. 1885. Sulzbach i. d. Oberpf. S. 12: »also vnd mit
der Bescheidenheit, das solche wöchentliche meß von vnsers lieben herrn vnd Seelig-
machers Jesu Cristi leyden, demselben zu lobe vnd Eren vndt sonderlich in Betrachtung
undt gedächtnus seiner ausfuhrung aus pillatus hawß zu seiner Crewtzigung vff den Bergk
Calvarie, seines Bittern Todts vndt Begräbnus« gefeiert werde.
3') Haas, Gesch. der Pfarrei St. Martin in Bamberg 1845. S. 449 f.
3l) Bamberger Ratsregistratur. Weber a. a. O. S. 12.
Christian Geyer:
508
Daraus geht mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit hervor,
daß die Bamberger Stationen im Jahre 1500 bereits aufgestellt waren,
oder eben aufgestellt wurden. Jedenfalls war zu Anfang' des Jahres 1503
das ganze Stationenwerk einschließlich der Grablegung fix und fertig, denn
die Meßstiftung zum Gedächtnis der Ausführung aus Pilatus Haus, seines
Todes und Begräbnisses vom 7. Januar dieses Jahres in der Probstei
St. Getreu als dem Endpunkt des Kreuzweges setzt die Vollendung vor-
aus. Mit dieser schlichten historischen Konstatierung aber fällt Halms
ganze Beweisführung, daß die in der Vertragsurkunde zwischen KrafFt
und Imhofif vom 25. August 1505 erwähnte Arbeit für den Marschalk
die Bamberger Stationen seien, in sich selbst zusammen. Ein Werk, das
die Inschrift 1500 trägt und von 1500 an urkundlich durch mit ihm
verbundene Meßstiftungen usw. bezeugt ist, kann nicht 1505 in Arbeit'
gewesen sein.
Wenn aber des »Marschalk Arbeit« nicht die Bamberger Stationen
waren, diese vielmehr bereits 1500 die Werkstatt ihres unbekannten
Schöpfers verlassen hatten, was ist dann darunter zu verstehen? Jeden-
falls eine große Arbeit; dafür spricht die hohe Summe, die Krafft nach
ihrer Vollendung und damit nach Ausbezahlung keineswegs des ganzen
Arbeitslohnes sondern von dessen letzten Rate zurückzubezahlen ver-
spricht. Aber ich füge hinzu: auch eine bekannte Arbeit. Die Art, wie
zwischen Krafft und Imhofif von des Marschalks Arbeit gesprochen wird,
ohne daß man es für nötig hält, sie zu benennen, deutet darauf hin, daß
es sich um eine allgemein bekannte Sache handelt. Wenn ein auswärts
gearbeitetes Werk, wie die Bamberger Stationen gemeint wäre, so müßte
uns der Ausdruck befremden; handelt es sich -aber um ein hier in
Arbeit gegebenes und die Allgemeinheit interessierendes Werk, dann ist
er verständlich.
Wir hielten es von Anfang an für sehr wahrscheinlich, daß der
Stifter der Grabkapelle augh der Stifter der Stationen sei. Der Erbauer
der Kapelle ist Heinrich Marschalk von Rauheneck. Indem wir diesen
Heinrich Marschalk im Jahr 1505 als Auftraggeber für ein großes aber
bisher unbekanntes Werk Kraffts sehen — den Versuch, als das gesuchte'
für den Marschalk bestimmte Werk die Bamberger Stationen in Anspruch
zu nehmen, haben wir in seiner Haltlosigkeit erkannt — schließt sich
der Ring unserer Beweisführung: Im Jahre 1505 arbeitete Adam
Krafft hier in Nürnberg mit der Aussicht in einem Jahre etwa
damit zu Ende zu kommen im Aufträge des Heinrich Marschalk
von Bamberg an den zu einem Wahrzeichen Nürnbergs gewor-
denen Stationen.
Dieses Ergebnis .stimmt vortrefflich zu der einzigen bisher schon
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen.
509
bekannten auf das Stationenwerk bezüglichen Angabe, nämlich der in
der Nischenmalerei der Grabkapelle angebrachten Jahreszahl 1508. fraß
diese Malerei nach Fertigstellung der Grablegung efitstanden, ist ebenso
selbstverständlich, als es wahrscheinlich ist, daß sie nicht allzu lange
nach dieser gemacht wurde. Wenn der Zusammenhang zwischen
Grablegung und Stationen früher bereits unter Berufung auf die ältesten
Nachrichten, insonderheit auf Neudörfers »Nachrichten von Künstlern und
Werkleuten« (1547) behauptet wurde, so dürften jetzt alle etwa noch ge-
hegten Zweifel durch die Tatsache verscheucht werden, daß die Bamberger
Stationen, die nichts anderes als etwas ungelenke Vorläufer der künst-
lerisch vollkommeneren Nürnberger Bildwerke sind, ebenfalls in einer
groß angelegten Grablegung ihren Abschluß gefunden haben. Eben des-
halb braucht darüber kaum mehr ein Wort verloren zu werden, daß die
über die Grabkapelle, Heinrich Marschalk und sein Verhältnis zu Krafft
eruierten Tatsachen etwa nur auf die Grablegung, nicht aber auf die
Stationen überhaupt ein neues Licht zu werfen geeignet seien. — Daß
die Kreuztragung in der Sebalduskirche, die ganz den Charakter der
Stationsbilder zeigt, im Jahre 1506 entstanden ist, sei dabei noch ein-
mal in Erinnerung gebracht.
Eine Schwierigkeit bleibt allerdings bestehen, von der wir bisher
noch nicht gesprochen haben. Wenn man die Bamberger und die Nürn-
berger Stationen miteinander vergleicht, so sieht man alsbald, daß diese
künstlerisch hoch über jenen stehen. Halm macht in dem angeführten
Aufsatz darauf aufmerksam, daß in Bamberg die Körper schlanker, die
Bewegungen unruhiger sind, das Mienenspiel ist vielfach geradezu fratzen-
haft und die Gewandung entbehrt des großen Zuges. Die Ebene, auf
der die1 Figuren stehen, steigt viel schräger an als hier und daß überall
viel mehr unverdeckte Rückwand zu sehen ist, stört den lebensvollen
Eindruck der Komposition. Ob Halm wohl Recht haben wird, wenn er
in den Bamberger Stationen eine Arbeit aus der Werkstatt Kraffts sieht, an
der der Meister selbst freilich keinen Hammerschlag tat? In diesem Falle
scheint sich allerdings das zusammenfassende Urteil aufzudrängen, daß
die Bamberger Stationen eine Werkstattwiederholung des Nürnberger
Kreuzwegs seien. Allein diesem ästhetisch geschöpften Endspruch ent-
sprechen nun eben einmal die urkundlichen Daten, mit denen der
Historiker zu rechnen hat, keineswegs. Das Ergebnis der geschichtlichen
Nachforschung geht dahin, daß die Bamberger Stationen den Nürnberger
vorausgehen. Es ist meine Aufgabe nicht, in die ästhetische Würdigung
der beiden Arbeiten einzutreten. Die Beobachtung, die Ich bei Daun
Und bei Halm machte, daß ästhetische Gründe zur Entscheidung ange-
rufen werden, bevor der historische Sachverhalt festgestellt ist, hat mich
Christian Geyer :
5 10
in dieser Beziehung sehr vorsichtig gemacht. Ist es eine geschichtlich
eruierte Tatsache, daß die Bamberger Stationen um 1500, die Nürnberger
um 1506 entstanden sind, dann haben eben die ästhetischen Betrach-
tungen damit zu rechnen und ich zweifle nicht, daß man in der Kunst-
geschichte Parallel-Erscheinungen finden wird. Wenn wir den beiden
aus der Werkstatt Peruginos hervorgegangenen Sposaliziobildern gegenüber-
gestellt würden und wir sollten — ohne alle Kenntnis der geschicht-
lichen Tatsachen — einfach aus ästhetischen Gründen urteilen, wie die
beiden wohl zusammenhingen, würde vielleicht mancher Raffaels Arbeit
als das Original und die Peruginos als die weniger geschickte Werkstatt-
wiederholung bezeichnen, und doch verhält es sich damit bekanntlich
umgekehrt. Es kann wohl sein, daß Krafft auf Wunsch seines Auftrag-
gebers ein vorher auswärts, sei es durch seine Gesellen sei es durch
sonst jemand, ausgeführtes Werk in der Wiederholung zur Höhe künst-
lerischen Vollendung hinanführte. Jedenfalls hat er die Nürnberger
Arbeit selbst geleitet und ihr mit eigener Hand die letzte Weihe ge-
geben. Keinesfalls dürfen etwaige ästhetische Schwierigkeiten der ge-
schichtlichen Erforschung der Dokumente von vornherein den Weg ver-
legen.
VI.
Ergebnisse.
Was wir geschichtlich mit Sicherheit von den Nürnberger Stationen
wissen, ist folgendes:
1. Die Sage, daß Martin Ketzel sie gestiftet habe, ent-
behrt jeglichen geschichtlichen Kerns;
2. Die Stationen und die Grablegung in der sog.. Holz-
schuherkapelle gehören zusammen;
3. Ihr Stifter ist Heinrich Marschalk von Rauheneck, der
früher bereits in Bamberg ein ähnliches Werk hatte er-
richten lassen;
4. Die Vollendungszeit ist annähernd das Jahr 1506.
Wenn sich zum Schluß die Frage aufdrängt, wie es denn nur ge-
schehen konnte, daß ein jetzt noch so klar erkennbarer Sachverhalt von
der Sage verdunkelt werden konnte, so dürfte die Antwort hierauf nicht
schwierig sein. Der Name des in Nürnberg nur vorübergehend auf-
tauchenden Stifters konnte um so schneller vergessen werden, als die
Grabkapelle bald nach Fertigstellung der Stationen in einen anderen Be-
sitz überging. Da lag es nahe, später das große Werk mit einem be-
kannteren und geläufigeren Namen in Beziehung zu bringen, und so trat
Martin Ketzel an die Stelle des vergessenen Heintz Marschalk. Von
Zur Geschichte der Adam Krafftschen Stationen. 5 1 1
diesem Heintz Marschalk geht — worüber wir uns nicht wundern
können — die nämliche Sage, die sich später an Martin Ketzels Namen
geknüpft hat. Bei Haas33) lesen wir unter Anftihrungsstrichen, ohne
daß uns indes die Quelle angegeben würde, also: »Im Munde des Volkes
herrscht noch die Überlieferung, daß ein frommer Mann, welcher in
Jerusalem war, die Schritte gemessen habe, welche vom Hause des Pilatus
bis zur Richtstätte auf dem Kalvarienberge sind, und daß er zu Bamberg
von der Elisabethen-Kapelle bis nach St. Getreu gleiche Entfernungen
entdeckt, zum Andenken daran Abbildungen aus der Leidensgeschichte
Jesu, anfangend mit der ersten an gedachter Kapelle, längs der Hader-
Dotter-) Gasse und den Michelsberg hinan bis an die St. Getreu-Kirche
habe errichten lassen. Mehrere sind noch vorhanden. Dieser Stifter war
Heinrich Marschalk.«
33) Haas, Geschichte der Pfarrei St. Martin zu Baihberg, 1845, S. 448 h
Ein wiederentdeckter Landschaftsmaler.
Eine Anregung von Ernst Sigismund-Dresden.
Bei meinen Nachforschungen über Leben und Werke des Dresdner
Hofmalers Chilian Fabritius, deren Resultate unterdessen im »Dresdner
Jahrbuch 1905« gedruckt vorliegen, mußte ich mich auch mit der Frage
nach dem Urheber einiger landschaftlicher Darstellungen beschäftigen, die
dem genannten kursächsischen Meister fälschlich zugeschrieben worden
sind. Die Frage erscheint mir doch wichtig genug, daß ich hier zu ihrer
Nachprüfung auffordern möchte. Die in Betracht kommenden Bilder
sind, nach der Zeitfolge ihrer Erwähnung angeordnet, folgende:
x. Christian von Männlich nennt in der »Beschreibung der Chur-
pfalzbaierischen Gemälde-Sammlungen zu München und zu Schleißheim«
Band 2 (Münch. 1805) S. 6 als in München befindlich:
Nr. 22. Fabritius (Kilian). »Eine Landschaft mit Ruinen. Auf
Leinwand. Höhe 1 Sch. 3 L. Breite 1 Sch. 3 Z.«
Über den angeblichen Urheber macht der Verfasser im 1. Bande
(S. 150) die üblichen falschen Angaben, die ich schon in meinem oben
zitierten Aufsatze widerlegt habe. Das Gemälde scheint mit der gleich
zu nennenden Schleißheimer Nr. 332 identisch zu sein, wie Sujet und
Größenverhältnis vermuten lassen.
2. In der kgl. bayrischen Galerie zu Schleißheim befanden sich
nach dem Verzeichnis von 1831 (S. 60 und 131):
im Zimmer X: Nr. 332. Fabritius, Kilian. »Eine Landschaft
mit einem zerfallenen Gebäude. Auf Leinwand. H. 1 Fuß; Br. 1 Fuß
3 Zoll 3 Linien«;
im Zimmer XVIII: Nr. 790. Ders., »Eine waldige Gebirgsgegend
mit Figuren geziert. Auf Leinwand. Höhe 2 F. 6 Z. 6 L.; Breite 3 F.
4 Z. 3 L«.
Das Schicksal dieser beiden Gemälde, die 1775 in der »Beschrei-
bung der Churfürstlichen Bildergallerie in Schleisheim« noch nicht erwähnt
werden, ist mir unbekannt. Die Nachlässigkeit der Zuweisung ergibt
sich schon aus der S. 282 beigefügten biographischen Notiz, in welcher
der Delfter Carel Fabritius (f 1654) mit dem angeblich »um 1660 zu
Dresden arbeitenden« Chilian Fabritius identifiziert wird.
Ernst Sigismund: Ein wiederentdeckter Landschaftsmaler.
513
Während ich die bisher genannten Landschaften nicht mehr nach-
zuweisen vermag, möchte ich die Aufmerksamkeit auf zwei erhaltene land-
schaftliche Darstellungen lenken, die noch heute auf den Namen des
Chilian Fabritius (f 1633) getauft sind.
3. Der vom Galeriedirektor Erasmus Engert verfaßte »Catalog der
k. k. Gemälde-Gallerie im Belvedere zu Wien« (1. Aufl. Wien 1858;
zweite verb. Aufl. 1864) verzeichnet S. 62 unter den »Niederländischen
Schulen« :
Nr. 26. Kilian Fabritius. »Gebirgslandschaft mit einer Ruine.
Lw. 1 Elle 8 Zoll hoch, 2 E. 6 Z. breit.«
Diese Darstellung befindet sich in der Wiener Gemäldegalerie
(Nr. 1773). Im »Schatzkammer-Inventar« von 1773 (Nr. 102) wird sie
kurz »Mittere Landschaft von Fabricio« genannt. ' Chr. v. Mechel (»Ver-
zeichniß der Gemählde — « Wien 1783» S. 225 Nr. 100) dachte schon
1783 an Karl Fabritius. Erst Er. Engert hat die falsche Zuweisung an
Kilian Fabritius aufgebracht, die sich bis heute erhalten hat.1) Das
Bild stellt ein von Höhenzügen umschlossenes Gebirgstal Italiens dar.
Rechts und fern im Hintergrund erblickt man steil abfallende Felsen, zur
Linken eine sanft ansteigende bewaldete Bodenerhebung, an der entlang
die nach dem Vordergründe links abbiegende Straße führt. Ein Maul-
tiertreiber kommt mit seinen beiden bepackten Tieren des Weges daher.
Er zieht gerade bei einem hohen steinernen Bauwerke vorüber, das wahr-
scheinlich eine antike Zisterne vorstellt. Der vorderste Teil der Straße
ist durch eine Baumgruppe verdeckt, die den Vordergrund schmückt:
eine breitästige Eiche und drei Birken. Rechts neben der Birkengruppe
rauscht zwischen felsigem Gestein ein breiter Bach daher. Von ihm aus
reicht ein Wiesengrund, mit Baumzügen durchsetzt, bis zu den Felsen
zur Rechten. Das Ganze ist, obwohl etwas konventionell komponiert, ein
Naturbild von packender Stimmung, das in seinem Meister einen routi-
nierten Landschafter erkennen läßt.
4. Endlich weist die Gemäldesanimlung des Großherzoglichen
Museums zu Darm Stadt (vgl. Rud. Hofmanns Verzeichnis 1872 S. 3)
ein hierher gehöriges Bild auf:
Nr. 7. Kilian Fabritius. »Landschaft in der Abendstimmung.
Auf Leinwand, hoch 12 cm, breit 164 mm.«
Den ganzen linken Mittelgrund nimmt ein dichter Wald von hohen
Bäumen ein. Vor ihm streckt sich ein Kornfeld hin, an dem ein Schnitter
0 Der Direktor der Wiener K. K. Gemäldegalerie, Herr K. und K. Regierungsrat
Aug. Schaffer, selbst als trefflicher Landschaftsmaler bekannt, stellte mir in liebens-
würdigster Weise eine sehr gute Photographie des Bildes zur Verfügung und unterstützte
mich .auch sonst durch wertvolle Mitteilungen.
Ernst Sigismund:
514
und ein Weib tätig sind, während ein zweiter Schnitter sich auf der
Wiese zur Seite des Feldes gelagert hat. Zu seinen Füßen dehnt sich
nach rechts der glatte Spiegel eines Sees, dessen hinteres Ufer von
Gebüsch und einem in Ruinen liegenden Gebäude umrahmt wird. Dar-
über hinaus schaut man in das weite Land: nur ganz in der Ferne
hemmen niedere Hügel den Ausblick.2) — Eine zweite Landschaft unter
dem gleichen Künstlernamen besaß die Sammlung zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts; schon im Jahre 1843 at>er fehlte diese.
Die Tatsache, daß der Dresdner Meister Chilian Fabritius nach
Ausweis der Archivalien nur als Historien- und Porträtmaler, nicht als
Landschafter zu betrachten ist, regte in mir die Frage an: Wer ist der
Urheber der oben verzeichneten Darstellungen? Eine kurze Notiz Hage-
dorns in den »Eclaircissemens historiques« (Dresd. 1755 p. 197 Anm.)3)
führte mich auf einen von Hagedorn zuerst genannten, jetzt aber gänz-
lich vergessenen Wiener Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts, C.Fabricius,
von dem der kundige Verfasser schreibt: »Les beaux Paisages de
C. Fabricius m^ritent encore l’attention des Amateurs.« Durch freund-
liche Vermittelung des Herrn Regierungsrates SchäfFer hatte Herr K. und
K. Majorauditor A. Haidecki in Wien die Güte, mir seine den genannten
Maler betreffenden Aushebungen aus den Wiener Kirchenbüchern mitzu-
teilen. Nach diesen Einträgen erhalten wir folgendes Lebensbild des von
Hagedorn angeführten Künstlers.
Carl Ferdinand Fabritius ist ein Pole. Er wurde 1637 zu
Warschau geboren. In Wien studierte er — wie wir mit größter Wahr-
scheinlichkeit annehmen können — bei dem jetzt ebenfalls unbekannten
»bürgerlichen«, d. h. zünftigen Maler Johann Ludwig Kegl. [Letzteren
erwähnt, allerdings unter zu später zeitlicher Ansetzung, zuerst Hagedorn
(a. a. O. S. 137) der auch (nach S. 14) ein Gemälde von ihm besaß; der
ältere Füßli hat sodann 1779 diese Angaben in seinem »Allgemeinen
Künstlerlexikon« S. 339 verwendet. Nach Hagedorn ist Kegl oder Kegel
ein flandrischer Maler, der einige Zeit in Wien lebte, vielleicht auch dort
starb. Ein Zeitgenosse Joseph Orients (f Wien 1747), ahmte er die Manier
des Holländers Jan Griffier (geb. 1656 in Amsterdam) besonders in dessen
Rheinansichten nach, indem er Landschaften aus der Vogelschau schuf.]
Am 29. Juli 1659 vermählte sich Fabritius, erst 22 Jahre alt, in der
St. Stefanskirche mit der Witwe seines vermutlichen Lehrmeisters, Frau
Regina Köglin, wobei ihm die bürgerlichen Maler Johann Miller und
a) Auch dieses Bild wurde mir durch die Güte des Galeriedirektors, Herrn Prof.
Dr. Back, in Photographie zugänglich gemacht.
3) Bezug genommen ist auf diese Notiz in der »Bibliothek der schönen Wissen-
schaften und der freyen Künste. Zweyten Bandes 2. Stück« (Leipz. 1758) S. 279.
Ein wiederentdeckter Landschaftsmaler.
515
Johann Modisee als Zeugen dienten. Bemerkenswert ist, daß Fabritius
nicht als zünftiger Maler bezeichnet wird: er fühlte sich offenbar auf
einer höheren Kunststufe stehend. Dies wurde später auch offiziell an-
erkannt, indem er vom Kaiser Leopold I. die »Hoffreiheit« erhielt, also
den Titel »Hofmaler« führen durfte. In den siebziger Jahren wohnte er
in der Leopoldstadt »in Matthias Scholzen Haus«. Hier ereilte ihn, der
noch in jugendlichen Jahren stand, ein tragisches Ende, indem er sich
am 21. Januar 1673 »selbst unversehens erschoß«. Er hatte nur ein Alter
von 36 Jahren erreicht.
Aus den vorstehenden Mitteilungen ist für uns besonders die von
Wert, daß der jugendliche Meister durch seinen Lehrer Kegl unter nieder-
ländischem Einflüsse stand. Wenden wir diese Angaben auf die noch
erhaltenen beiden Gemälde in Wien und Darmstadt an!
Das Wiener Bild gehört offenbar der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts an. Es weist, wie ich mich mehr und mehr überzeugt habe, etwa
auf die Schule des Jacques d’Arthois (1613 bis 1686) hin. Diese stilisti-
schen Gründe, unterstützt durch Mechels Annahme von 1783, lassen uns
das Bild der Wiener Galerie mit Recht dem Carl Ferdinand Fabritius
zuschreiben. Es wäre dann in diesem Werke auch ein Maßstab für die
künstlerische Fähigkeit des Malers gegeben.
Anders, als bei dieser Darstellung, liegen die Verhältnisse bei der
Landschaft in Darmstadt. Sie ist offenbar von anderer Hand. Als ihren
Urheber möchte ich lieber einen rein deutschen Meister bezeichnen; oder
sollte gar an einen frühen englischen Landschaftsmaler zu denken sein?
Eine außerordentliche Zartheit der Auffassung und Ausführung zeichnet
diese Darstellung aus. Der herniedersinkende Abend breitet eine fast
schwermütige Stimmung über die stille Landschaft. Die Frage nach dem
Urheber des Bildes muß vorderhand offen bleiben. Doch möchte ich
ausdrücklich hierdurch zu einer genaueren Prüfung dieser Frage anregen.
Fassen wir die Ergebnisse unserer Untersuchung kurz zusammen!
Der jetzt ganz vergessene Wiener Maler Carl Ferdinand Fabritius (1637
bis 1673) muß ein seinerzeit hochgeschätzter Künstler von guten Qualitäten
gewesen sein — war er doch in jungen Jahren schon kaiserlicher
Hofmaler. Jetzt können wir allerdings nur noch ein Gemälde, die Land-
schaft in Wien, mit ziemlichem Rechte ihm zuweisen. Vielleicht entreißt
aber eine tiefergehende Forschung auch andere Werke des Meisters der
unverdienten Vergessenheit.
Zur Geschichte der Nürnberger Malerfamilie
Praun-Löblich.
Ein Nachtrag.
Ich habe in meinen, im laufenden Jahrgang des Repertoriums ver-
öffentlichten »Archivalischen Beiträgen zur älteren Nürnberger Malerei-
geschichte« alles urkundliche Material zu sammeln versucht, das uns über
die, dem 15. Jahrhundert angehörige Malerfamilie Praun-Löblich über-
liefert ist. Ein Zufall führte mir noch den unten wiedergegebenen Nach-
trag in die Hände.
Für den Montag nach St. Veitstag (19. Juni) 1458 hatte der Nürn-
berger Rat ein großes Armbrustschießen ausgeschrieben und wertvolle
Preise, darunter 4 Pferde und 3 Ochsen, diese mit vergoldeten bzw. ver-
silberten Hörnern, aüsgesetzt. In der offiziellen Rechnungsablage über die
Ausgaben des Festes (Register vnd ordenung vff dem Schießen, hie zu
Nürnberg gehalten, anno etc. 1458 r) findet sich nun der folgende Eintrag:
Item 70 tb. alt 21 dn. dem Prawn, maler, für 25 panier, für 14
schilt auf die deck,* 2) von dem kalterlein zu malen, darin das orlein gewest
ist, und von dem kleinen zeltlein zu malen, darunter man die bolz trüg,
und von dem panier daruf, auch von den drew par horner an die ochsen,
der warn zwei vergült und das ein par mit silber überzogen; facit 17
novi 13 sh. 6 hl.
Item 17 sh. 6 hl. dem Prawn, maler, von dem panier zu malen
den buchsenschützen.
Welches der zahlreichen Glieder dieser Familie gemeint ist, läßt
sich leider nicht feststellen; zeitlich wäre wohl am ehesten an den älteren
Fritz Löblich, vermutlich Sohn des 1441 verstorbenen und bei St. Lorenz
begrabenen Praun-Löblich zu denken. Gümbel.
’) Kgl. Kreisarchiv Nürnberg Saal 1, Lade 180, No. 11.
2) D. h. die bis auf die Erde herabwallenden, rot und weißen Decken, mit welchen
die Preistiere überhangen waren.
Neues für Jan Mostaert.
Der Meister des Oultremontschen Altares scheint mit Jan Mostaert
identisch zu sein. Gustav Glück ist nicht müde geworden, die von
ihm1) und von Camille Benoit aufgestellte Hypothese zu stützen und
au^zubauen, zuletzt mit seinem Beitrage zu der Franz Wickhoff gewid-
meten Festschrift.2) Nicht mit Unrecht ist er zu dem Schlüsse gekommen,
die Vermutung wäre reif, in den Bezirk der anerkannten Wahrheiten ein-
zutreten. Unter den Bildern, die Glück mit einem Versuche, die Folge
der Entstehung festzustellen, aufreiht, scheint mir nichts Fremdes zu
sein, abgesehen von den an letzter Stelle genannten »zwei Gegenstücke(n),
Bildnisse eines Ehepaares, im Germanischen Museum zu Nürnberg (Nr. 63
und 64)«. Dieses Paar, das unrichtig unter dem Namen des Meisters
vom Tode Mariae katalogisiert ist, stammt, wie ich glaube, nicht von
Jan Mostaert, sondern von Jan Joest van Haarlem, dessen Kunst neben
der des Hofmalers menschlich, bürgerlich und lebensprühend erscheint.
Einige Bilder, die ich gelegentlich dem Meister zugeschrieben hatte,
sind von Glück freundlich aufgenommen worden. Heute möchte ich die
schon recht stattliche Liste vergrößern, auch manches früher allzu flüchtig
Notierte, das keine Beachtung finden konnte, deutlicher machen, alles
in der Hoffnung, die Identifizierung sicherer erscheinen zu lassen.
1. Vor etwa 15 Jahren wurde im Londoner Kunsthandel als »Schon-
gauer« eine Kreuzigung Christi3) angeboten, die aus dem Besitze
Lord Northwicks kam und die Waagen (Art Treasures III p. 205) sehr
kurz notiert hat (»early netherlandish school. — the crucifixion; an interesting
picture, of great artistic value.«) Diese Tafel gehört zu den bedeutendsten
Werken Mostaerts, ist vielleicht die Mitteltafel eines Flügelaltars, noch etwas
größer als das mittlere Stück des Oultremontschen Triptychons, nämlich
143 cm hoch und 106 cm breit. Ursprünglich oben geschweift ähn-
lich wie jener Altar, ist sie zum Rechteck ergänzt worden. Dargestellt
ist der Gekreuzigte und das dichte Getümmel unter dem Kreuze.
Rechts vom Stamme, den Magdalena umfaßt, die Gruppe der Feinde
*) Zeitschrift für bildende Kunst, 1896.
*) Beiträge zur Kunstgeschichte, Wien 1903, Anton Schroll & Co.
3) Eine alte Kopie dieser Komposition im Besitze der Familie v. Barfuß auf
Batzlow bei Wriezen a. O. — Hier sind unten Stifterportraits hinzugefügt.
Friedländer:
518
Christi, vorne zwei Kinder. Links die Gruppe der Trauernden, die ohn-
mächtige Mutter mit Johannes und einer reich gekleideten Frau. Links
am Rande eine stehende klagende Frau. Auf dieser Seite weiter hinten der
Befehlshaber zu Pferde mit hermelingefüttertem Hut und weißen Hand-
schuhen. Zwei stürmisch bewegte Engel fliegen um das Kreuz. Oben aus
den Wolken erscheint die Halbfigur Gottvaters. Gebirgslandschaft unter
schwer bewölktem Himmel. — Die Anordnung ist wesentlich lockerer, minder
streng als etwa im Oultremontschen Altäre. Das Bild sieht jünger aus-
In der Zeichnung ist alles für Mostaert charakteristisch: die Köpfe etwas
zu groß, die Hände ein wenig zu klein, die mit strenger Vermeidung eckiger
Zusammenstöße geschwungenen Faltenlinien. Die Auffassung ist kühl
und allzusehr durch Äußerlichkeiten, wie das Kostüm, in Anspruch ge-
nommen, die Landschaft kleingliedrig. Hoffentlich taucht das Bild, das
vermutlich im englischen oder amerikanischen Privatbesitze versteckt ist,
auf und erobert sich den Platz, den meine Andeutungen ihm kaum ver-
schaffen werden.
In dem Werke über die Berliner Renaissance-Ausstellung 4) sprach
ich von mehreren Ecce homo-Darstellungen im Stile Mostaerts. Eines
der Stücke, an die ich dabei dachte, erschien auf der Brügger Leihaus-
stellung 1902 und wurde von allen Sachverständigen zu dem Oultremont-
schen Altäre gestellt. 5) Vier ähnliche Stücke, deren ich mich nicht genau
genug entsinne, um sie mit Bestimmtheit als Originale von der Hand
Mostaerts bezeichnen zu können, notiere ich:
2. Verona (Nr. 382): Christus als Schmerzensmann, Halbfigur auf
rotem Grund, oben Engel mit Marterwerkzeugen.
3. Moskau, Sammlung des Herrn Dimitri Stschoukine: Christus als
Schmerzensmann in Halbfigur.
4. London, 1897 bei dem Kunsthändler Martin Colnaghi: Christus
in Halbfigur mit der Dornenkrone, in annähernd natürlicher Größe, mit
vielen kleinen Engeln, auf zinnoberrotem Grunde, in blaßviolettem
Gewände.
5. Köln a. Rh., Versteigerung Lanfranconi bei Lempertz 1895, als
»Gerard David« Nr. 46 (Lichtdruck im Auktionskataloge): Der domen-
gekrönte Christus in Halbfigur. 49 — 28,5 cm.
6. Weit wichtiger als diese Tafeln, die ich bisher nicht miteinander
vergleichen konnte, da nur von dem Exemplar aus der Sammlung Lan-
franconi eine Abbildung existiert, ist der Altar aus Helsingor, den ich,
4) Berlin, G. Grote, 1898, S. 23.
5) Nr. 338 der Brügger Ausstellung, aus H. Willetts Besitz. (Pigmentdruck.
Bruckmann.)
Neues für Jan Mostaert.
5X9
ohne das Original zu kennen, in diesen Zusammenhang zu bringen wage.
Ich bin in bezug auf dieses jetzt im Nationalmuseum zu Kopenhagen
bewahrte Bild auf die Lichtdrucke in der schönen Publikation6) von
Francis Beckett angewiesen.
Falls die Prüfung des Originals meine Vermutung bestätigt, daß
unser Meister den von Christian II. von Dänemark gestifteten Altar ge-
schaffen habe, ist viel gewonnen. Der dänische König hatte eine Schwester
Karls V. zur Frau, stand dadurch in Verbindung mit dem Hofe der
niederländischen Statthalterin, deren Maler Jan Mostaert war. Nach den
überzeugenden Ausführungen Becketts ist der Altar zwischen 1517 und
1520 entstanden.
Dargestellt ist das Jüngste Gericht und unten die königlichen
Donatoren. Der Zustand der Malerei ist leider schlecht, der Stil des-
halb zum Teil unklar. Einige Partien wie namentlich die Landschaft
sprechen sehr bestimmt für unseren Meister, und die Komposition im
ganzen erinnert entschieden an das Triptychon in der Wesendonckschen
Sammlung.
Die schon beträchtliche Zahl der Bildnisse, die dem Meister mit
Recht zugeschrieben worden sind, glaube ich mit folgenden Stücken ver-
größern zu können.
7. 8. Ein Bildnispaar aus Wiesbadener Privatbesitz, das im vorigen
Jahre in die Sammlung des Herrn R. v. Kaufmann übergegangen ist.
Mann und Frau, auf Bildtafeln von absonderlicher Form (oben in Klee-
blatYbogen geschlossen) mit den Originalrahmen. Je 49x31 cm mit den
Rahmen. Charakteristisch in der zarten, sauberen Malerei, die leicht zu
verreiben, hier wie öfters etwas verrieben ist. Dunkelgrüner Grund. Der
Ausdruck würdevoll, steif und etwas blöde, die Formen ziemlich leer, die
Augen flach liegend. Im Kostüm gewässerte Seidenstoffe. Nach der
Tracht wohl nicht vor 1520 gemalt.
9. Würzburg, Sammlungen der Universität, Porträt einer vor-
nehmen Dame, als »Mabuse« katalogisiert. Die Dame ist in etwa halber
Größe des Lebens, in Halbfigur dargestellt, etwas nach links gewandt.
Die Arme liegen auf einem Kissen, das den Abschluß unten bietet, ähn-
lich wie in den Männerporträts Mostaerts zu Brüssel und Liverpool. Die
Frau steht zu der sehr reichen Hintergrundslandschaft in ähnlichem Ver-
hältnis wie der Herr in Liverpool, nur daß der Grund hier nicht mit
Figuren belebt ist. Ein einsamer storchartiger Vogel ist sichtbar. Die
Tafel ist gut erhalten, wenn auch vernachlässigt und trübe geworden.
6) Altertavler i Danmark . . . Kjobenhavn, 1895. Trykt hos J. Jorgensen & Co.
(M. A. Hannover) Taf. 68, 69.
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII.
35
520
Friedländer:
Der reiche Schmuck und die Kopftracht lassen wohl ein Mitglied der
Hofgesellschaft erkennen.
10. Am 12. Dezember 1888 wurde bei Lepke in Berlin als »Hol-
bein« das 'Porträt eines jungen Mannes versteigert (Holz, 52X26 cm,
oben rund), das ich, soweit die Abbildung im Auktionskatalog ein Urteil
gestattet, unserem Meister zuschreiben möchte. Brustbild auf dunklem
Grunde. Mit der Linken hält der von vorn gesehene bartlose Herr
einen Ring empor, die mit weißem Handschuh bekleidete Rechte hält
den zweiten Handschuh. Er trägt den großen flachen Hut, der in der
kaiserlichen Familie um 1520 beliebt war Der Handschuh ist über dem
Fingerring geschlitzt wie in den Männerporträts Mostaerts in der Berliner
Galerie und in Liverpool. Ist etwa Ferdinand I. oder Karl V. dargestellt?
11. Das Rijksmuseum zu Amsterdam besitzt außer der kleinen
Anbetung der Könige (Nr. 1694), die schon vor dem Oultremontschen Altäre
dem Meister zugeschrieben wurde, ohne daß sich ein Widerspruch er-
hoben hat, und dem kleinen 1903 auf der Versteigerung Fievez erworbenen
Triptychon mit der nach Geertgen kopierten Beweinung Christi (Nr. 1675)7)
noch ein Männerporträt (Nr. 145), dessen Aufnahme unter die Werke
Jan Mostaerts ich befürworte. Die unter den Namenlosen der holländi-
schen Schule katalogisierte Halbfigur, annähernd in natürlicher Größe,
auf dem höchst charakteristischen zinnoberroten Fond, ist wohl nur des-
halb noch nicht als Arbeit Mostaerts erkannt worden, weil die Malerei
arg gelitten hat. Mit Hülfe des Wappens im Grunde wird sich hoffent-
lich die dargestellte Persönlichkeit ermitteln lassen. Der neue Katalog
des Rijksmuseums datiert das Porträt 1535 nach einer, mir nicht ganz
verständlichen Inschrift auf den Originalrahmen der Bildtafel. Soweit ich
sehe, ist die dritte Stelle der Zahl nicht mehr lesbar, und schließlich ist
es auch nicht sicher, daß die Zahl sich auf die Entstehung des Porträts
bezieht.
12. In dem unvergleichlichen Museum zu Antwerpen, das als
Denkmal für den früh dahingeschiedenen leidenschaftlichen Sammler
Chev. Mayer v. d. Bergh errichtet ist, findet man eine Tafel von behag-
licher Breite mit dem hl. Christoph in reich gestalteter Landschaft, unter
dem Namen Pateniers. Dieses auffallende Werk, das leider nicht tadellos
erhalten ist, erscheint mir als eine charakteristische Schöpfung des
Holländers, den wir Jan Mostaert zu nennen uns gewöhnen. Die schöne
7) Die Mitteltafel ist von anderer, schwächerer Hand als die Flügel. Die Flügel
mit den Donatoren scheinen in der Hauptsache von Jan Mostaert der unbedeutenden
Kopie nach Geertgen hinzugefügt zu sein. Charakteristisch für unseren Meister, wenn
auch etwas grob, sind die biguren auf den Flügeln und die Landschaft rechts, während
die Landschaft links sich mehr an den Hintergrund der Mitteltafel anschließt.
Neues für Jan Mostaert.
521
Flußlandschaft enthält viele Einzelheiten, die aus anderen Werken des
Meisters bekannt sind, ist aber in der Gesamterscheinung nicht gerade
charakteristisch für ihn. Dabei ist zu berücksichtigen, daß wir sonst nur
Landschaften des Meisters kennen, die er mit einiger Mühe in das Hoch-
format gezwängt hat, zum ersten Male ihn bei der mehr natürlichen Auf-
gabe beobachten, die Landschaft im Breitformate zu entwickeln. Die
Figur des Heiligen mit dem schlecht verkürzten dicken Kopfe, der
plumpen, etwas aufgestülpten Nase, dem offenen Munde mit wulstigen
Lippen, dem leeren Ausdrucke, dann der Faltenwurf, den der Meister mit
keinem anderen gemein hat: alles ist so bezeichnend, daß ich Wider-
spruch nicht befürchte. Der Baumstamm und das Laub kehren sehr
ähnlich in dem Liverpooler Porträt wieder. Nun lesen wir bei van Mander
in der Biographie Jan Mostaerts: tot Jan Claesz. Schilder j en Discipel
van Cornelis Cornelisz. is onder ander oock eenen S. Christoffei met een
Landtschap | en is een groot stuck.. — Landschaften mit dem hl. Christoph
sind häufig, solche in größerem Format aber sehr selten. Das Bild in
der Sammlung Mayer v. d. Bergh ist 106 cm hoch, 140 cm breit! Sollten
wir damit nicht etwa das von v. Mander erwähnte Bild Mostaerts besitzen?
Friedländer.
35
Zu Nicolaus von Neufchatel.
In Zahns Jahrbüchern für Kunstwissenschaft, V, p. 143 f., habe
ich über den vlämischen Maler Neufchatel gesprochen. Ich wüßte nicht,
daß sich bisher andere Daten als die in dem Aufsatze angegebenen
herausgestellt hätten. Neufchatels Sterbejahr ist nicht bekannt geworden,
und als frühestes Gemäldedatum mußte immer noch 1561 gelten, in
welchem Jahre er zufolge Doppelmayer nach Nürnberg gekommen ist.
Jedenfalls hat er 1561 in der Pegnitzstadt den Mathematiker Neudörfer
(Münchener Pinakothek No. 663) gemalt, und zwar als »Hospes«, was
tatsächlich anzudeuten scheint, daß er in Nürnberg noch nicht seßhaft
und erst damals dorthin gekommen war. Daß er jedoch schon im Jahre
1556 sich im oberdeutschen Sprachgebiet aufgehalten hat, geht aus dem
nachstehenden Bildnisse hervor, falls meine Ansicht, daß es sich um ein
Werk des Neufchatel handle, richtig ist. Im Besitze der Erben des Herrn
Henny Ammann auf Schloß Seeburg bei Kreuzlingen (Thurgau) befindet
sich das Bildnis einer Frau. Sie ist lebensgroß; dreiviertel nach links-;
die Hände sind auf einer roten Brüstung zusammengelegt; sie trägt eine
weiße Haube, eine weiße kleine Hemdkrause, schwarzes Gewand mit
grauem Pelze besetzt. Oben links eine Inschrift in Rot auf dunkel-
grauem Grund: VERONICA • DIE ERST WEINETIN IRS ALTERS IM • XXV •
IAR • M • D • LVI. Die beiden letzten Zahlen (VI) waren übermalt und
kamen erst bei der Restauration durch Herrn Mathes heraus. Das Bild
sollte eben einmal als Holbein gelten, und da man früher als dessen
Todesjahr 1554 betrachtete, waren die störenden letzten Zahlen über-
strichen worden. Leider ist die Erhaltung keine gute. Vielleicht läßt
es sich nach dem Namen Weinet herausbringen, wo das Bild entstanden
ist. Ob nun der Maler schon ständig in Oberdeutschland ansäßig war,
oder ob es. sich damals nur um einen vorübergehenden Aufenthalt handelte,
steht gleichfalls noch dahin. Wilh. Schmidt.
Literaturbericht.
Skulptur.
Fritz Burger. Geschichte des florentini sehe n Grabmals von den
ältesten Zeiten bis Michelangelo. XIV und 421 S.S. in gr. Quart
mit 2 Heliogravüren, 37 Lichtdrucktafeln und 239 Abbildungen im Text.
Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1904.
Wie fast in sämtlichen Zweigen und Offenbarungen der bildenden
Künste, so weist Florenz auch in der Sepulkralskulptur eine stetige Ent-
wicklung aus eigener Kraft auf, von den frühsten, aus dem antiken Sar-
kophag und der Grabstätte der Katakomben hergeleiteten Anfängen bis
zum Höchsten, Vollkommensten, was menschlicher Hand bisher zu schaffen
vergönnt war — den Mediceergräbern Michelangelos. An keiner andern
Kunststätte Italiens wurde das Problem so selbständig, so unabhängig
von fremden Einflüssen oder gar Vorbildern gelöst, auf so mannigfachen
Stufen der Evolution durchgebildet, wie eben in Florenz. In der Lom-
bardei, in Rom, in Neapel werden die Typen fast ausnahmslos anders-
woher — nicht zuletzt aus Toskana — übernommen; im besten Falle
empfangen sie durch Hinzufügung einzelner unabhängig erfundener Kom-
positionsmotive selbständige Bedeutung. Venedig allein kann sich einer
annähernd gleich reichen Entfaltung der Gräberskulptur berühmen wie
Florenz; allein auch dort hat diese der Herübernahme mancher Typen
und Motive von den Ufern des Arno her nicht entraten können. Über-
dies vollzieht sich die Evolution hier viel organischer und durchaus
selbständig — ist doch nur ausnahmsweise einmal der Ursprung eines
in der Kunst von Florenz heimisch gewordenen Typus in Pisa bezw.
Siena naejizuweisen — , also doch auch hier immerhin innerhalb der
Grenzen des alten Etruriens.
Es war somit gewiß ein glücklicher Gedanke des Verfassers vor-
liegenden Buches, das florentinische Grabmal zum Gegenstand seiner
ersten größeren Arbeit zu wählen und dessen Geschichte und Ausbildung
in eindringenderer Weise nachzugehen, als es seither geschehen war. Ist
doch — allerdings neben einer Anzahl wertvoller Einzelabhandlungen —
bisher noch immer dasjenige, was Burckhardt im Cicerone , und in der
524
Literaturbericht.
Geschichte der Renaissancebaukunst ausgeführt hat, das einzige gewesen,
was darüber im Zusammenhänge geboten worden war.
Unser Verfasser hat seine Aufgabe in keiner Weise und nach keiner
Richtung leicht genommen. Mit ebenso großem Fleiße als tüchtiger
Literaturkenntnis ist er der historischen Seite seines Gegenstandes nach-
gegangen; mit ernstem Bemühen und eindringendem Verständnis hat er
getrachtet, die Fäden der Entwicklung überall klarzulegen, die künstle-
rische Bedeutung der einzelnen Stadien, die sie durchläuft, zu fixieren.
Vielleicht ist er in den beiden letzteren Beziehungen zuweilen zu weit
gegangen — uns zum mindesten wollte bei einzelnen Fällen seiner scharf-
sinnigen Erörterungen das Goethesche »Legt ihr’s nicht aus, so legt was
unter« in den Sinn kommen. Doch dies nur nebenbei und keineswegs
in der Absicht, den Wert seiner gewissenhaften Arbeit im mindesten zu
schmälern. — Raummangel verbietet uns, den Inhalt des umfänglichen
Buches Burgers ausführlich darzulegen. Wir müssen uns im folgenden
auf die Hervorhebung seiner wichtigsten Forschungsergebnisse, wie auf
einige Bemerkungen, betreffend abweichende Ansichten, richtigzüstellende
Daten u. dgl., beschränken.
Wichtig ist die aus dem Candelabrum eloquentiae des in Bologna
lehrenden Florentiners Buoncampagni zuerst festgestellte Tatsache, daß
die Darstellung des liegenden Toten auf Grabmälern frühestens in die zweite
Hälfte des zwölften, spätestens in das erste Jahrzehnt des dreizehnten Jahr-
hunderts fällt — also mindestens ein halbes, wo nicht ein ganzes Säkulum
vor den ältesten erhaltenen Monumenten dieser Art (Arnolfos di Cambio
Brayedenkmal in Orvieto v. J. 1282, das seine Herkunft von vorher-
gehenden Schöpfungen unstreitig Pisaner Ursprungs herleitet, wovon
sich indes nichts erhalten hat). In Florenz unterscheidet der Verfasser
für das Trecento zwei Formen des Grabmals, beide in Anlehnung an die
»arche«1) oder »avelli« an den Außenmauern der Kirchen (z. B. an
S. Maria Novella) entstanden: das Wandnischengrabmal und das Konsolen-
grabmal. Ersteres ist vertreten durch drei Bardi- und das Baroncelli-
monument von 1326 in S. Croce — dieses der früheste Vorläufer des
Nischengrabmals der Frührenaissance; der zweite Typus kommt am
frühesten vor im Grabmal Gast, della Torre von 1317 im Chiostro von
S. Croce, sodann im Falconierimonument von 1341 im Klosterhof der
Annunziata, ferner in den Denkmälern der Bischöfe Orso von 1321
(nicht 1336!) und Tedice Aliotti (f 1336) im Dom bezw. S. Maria Novella,
endlich im Acciaiuoligrab der Certosa (1336) und dem des Tomaso
*) Die Deutung, die der Verfasser S. 45 dem Worte als »Bogen« gibt, ist irrtüm-
lich: es bedeutet selbstverständlich die »Todtenlade«, den Sarkophag.
Literaturbericht.
525
Corsini in der Familienkapelle des zweiten Chiostro von S. Spirito
(136 7) — ' diese beiden letzten die klassisch- originale Vollendung des
Typus des Konsolengrabmals repräsentierend (eine zehn Jahre jüngere
Nachbildung des zweiten von viel schwächerer Hand ist das Monument
Neri Corsinis ebendaselbst). Von der durch die Lokaltradition behaupteten
Autorschaft Orcagnas für beide Denkmäler kann nicht die Rede sein;
Burger möchte das Acciaiuoligrabmal auf einen Entwurf Siinone Talentis,
dasjenige Tom. Corsinis auf einen sienesischen Meister (Cellino di Nese?)
zurückführen.
Das Grabdenkmal des Quattrocento wird vom Verfasser treffend als
»Apotheose des Menschen als geistiger Persönlichkeit« charakterisiert,
und es werden die neuen Momente, die infolge davon für dessen Aus-
gestaltung — gegenüber dem kirchlich-religiösen Charakter des Trecento-
grabes — maßgebend werden, präzisiert. Donatellos Cosciamonument
erfährt eine seiner Bedeutung entsprechende Analyse, als »Wiege der
beiden wichtigsten Grabmalstypen des Quattrocento: des monumentalen
Nischengrabmals und des Arcosoliengrabmals«. Sein Einfluß auf die
Komposition anderer Monumente in Venedig, Bologna, Perugia, Lucca,
Padua,1 2 3) ja selbst Messina (Grabmal Bellorado im Dom v. J. 1513) wird
nachgewiesen. Was das Brancaccimonument betrifft, so stimmen wir mit
dem Verfasser darin überein, daß dessen Entwurf Donatello selbst an-
gehört, können ihm aber, was seine Beteiligung an der Ausführung an-
betrifft, nur zum Teil folgen, da wir — außer dem Sarkophagrelief und
dem Kopf des Toten — bestenfalls nur noch in den zwei Posaunen-
bläsern des Giebels des Meisters Hand erkennen, sie dagegen in den
beiden Vorhangengeln ebensowenig, wie in der linken Sarkophagträgerin
zu sehen vermögen. Auch die Zuteilung der Lunettenmadonna an Pagno-
di Lapo findet in den beglaubigten Arbeiten des Künstlers keine Stütze 3)
Viel näher der Wahrheit kommt u. E. die zuerst von Schmarsow vor-
geschlagene Attribution an Isaia da Pisa, mit dessen fragmentierten Reliefs
in den vatikanischen Grotten das in Rede stehende Werk unleugbar Stil-
analogien zeigt. Daß Donatello während der Arbeit am Brancaccimonu-
1) Das Grabmal Fulgoso wird als Werk der »Donatello wesensverwandten Schule
Giovanni Pisanos« bezeichnet. Der Verfasser wollte gewiß sagen »Giovannis da Pisa«
— obgleich er auch damit im Unrecht ist. Noch mehr ist dies der Fall, wenn er
wiederholt (S. 75 u. 98) Giovanni Pisano als Schöpfer des Grabmals Kaiser Heinrichs VII.
bezeichnet. Ebensowenig kann für Bologna von dem S. 105 behaupteten Schülerver-
hältnis Sperandios zu dem — sehr wahrscheinlich sogar jüngeren — Niccolb dell’ Area
die Rede sein.
3) Unter diese gehört — wie wir unlängst nachgewiesen haben — keinesfalls
das Monument Chellini in S, Miniato al Tedesco, wie der Verfasser S. 130 behauptet.
52<5
Literaturbericht.
ment in Pisa (Juli 1426 — August 1428) mit Isaias Vater Pippo di Gante
in Berührung kam, ist durch Tanfanis urkundliche Mitteilungen erwiesen.
Liegt es da gar so fern, eine Beteiligung seines jungen Sohnes an dem
für Neapel in Arbeit befindlichen Werke anzunehmen, dessen Besteller
(es war der Kardinal selbst, nicht — wie Burger schreibt — seine Erben)
wohl im Vorgefühl seines baldigen Todes (1427) auf möglichst rasche
Vollendung des Werkes gedrängt haben wird? Vom Aragazzigrabmal gibt
der Verfasser eine Rekomposition, die der Wirklichkeit u. E. näher kommt,
als irgendeiner der seitherigen ähnlichen Versuche. Auf alle Fälle kam
in diesem Werke zum erstenmal die »Nische« klar und deutlich zur Er-
scheinung, und es teilen sich von da an die Wege der florentinischen
Sepulkralplastik nach zwei Richtungen: die eine sucht ihre Aufgaben durch
die architektonische Form, unter beschränkter Teilnahme der Skulptur,
zu lösen (die Arbeiten Desiderios und seiner Schule, Minos spätere Werke
und — als Endpunkt der Entwicklung — Michelangelos Mediceergräber);
während die andere, unter Zurücktretenlassen der Architektur, der Plastik
die erste Stimme gibt (Grabmal des Kardinals von Portugal, 4) des Nicc.
Forteguerri und die ursprüngliche Konzeption des Juliusdenkmals). Neben
diesen beiden Typen (deren Repräsentanten natürlich sämtlich eingehend
behandelt werden) macht sich in dem »Arcosoliengrabmal« ein Rück-
greifen auf eine ursprünglich frühchristliche Form, bei der der schlichte
Sarkophag das Hauptmotiv der Komposition abgibt, geltend. Vorgebildet
im Lanfranigrab in S. Domenico zu Bologna 1347, tritt sie in Florenz
am frühsten im Grabmal Onofrio Strozzis in S. Trinita auf, sodann in
seiner definitiven, oft nachgeahmten Gestaltung durch B. Rossellino im
Denkmal Orlando Medici (f 1455) in der SS. Annunziata und in klassi-
scher Durchbildung ein Jahr darauf in demjenigen des Gian. Pandolfini,
das wir zuerst als eine Arbeit Desiderios erkannt haben — der Verfasser
schließt sich hierin unserer Ansicht an. Wie sodann auch hier die An-
tike mit Macht eindringt und zum Cinquecento hinüberleitet, wird an den
Sassettigräbern in S. Trinita aufgezeigt. Außer dem schon von Warburg
für die Hauptdarstellung als vorbildlich erkannten Sarkophag im Pal.
Montauto, werden — Dank der unvergleichlichen Denkmalkenntnis
Professor Roberts — auch für sämtliche übrigen plastischen Details die
direkten antiken Vorbilder beigebracht. Bei der Besprechung von Ver-
rocchios Medicigrabmal in der alten Sakristei von S. Lorenzo befremdet
die unvollständige und durch Fehler entstellte Wiedergabe der Inschrift
4) Interessant ist hierfür der von Burger gelieferte Nachweis, daß die nackten
Putten an der Bahre ihr Vorbild an einem römischen Sarkophog des Museo Torlonia
finden, ebenso die Füllhörner tragenden Genien des Sockels das ihrige in der Gestalt
einer Tellus an einem ähnlichen antiken Werke.
Literaturbericht.
527
(selbst das Datum 1472 ist weggeblieben). Schon hier übrigens und
noch früher am Martellisarkophag in der Gruftkirche von S. Lorenzo
kommt die Übernahme des H. M. H. N. S. aus dem römischen Recht vor,
nicht, wie der Verfasser S. 220 angibt, erst bei Minos 1481 vollendetem
Monument des Grafen Hugo. Des ebengenannten Künstlers Würdigung
in seiner Bedeutung als Denkmalbildner ist eine der Glanzpartien unseres
Buches. Hier bietet sich dem Verfasser zugleich Gelegenheit zu einem
Exkurs über die Entwicklung des römischen Quattrocentograbmals. Sehr
richtig ist die Beobachtung, wie unter dem Einfluß des römischen Triumph-
bogens als Vorbildes schon bei einem der frühesten Specimina des letzteren
— Isaias da Pisa Denkmal für Eugen IV. (1447)» das für die folgende
Entwicklung von durchgreifender Bedeutung wird — die Architektur an
erste Stelle, der figürliche Teil aber in strenge Gebundenheit zu ihr tritt.
Damit wird die Hochrenaissance in ihrem Streben nach streng monu-
mentalem Ausdruck vorbereitet. Später ist dafür Minos Grabmal Pauls II.
von Wichtigkeit und' von grundlegender Bedeutung für das Cinquecento
geworden. In seiner rhythmischen Teilung in einen stark betonten
Mittelbau, der von schmäleren Seitenteilen flankiert wird, erscheint es als
unmittelbare Vorstufe zu Sansovinos Schöpfungen 5), ebenso wie Polla-
iuolos Innozenzgrabmal zuerst einen vom Barock weitergebildeten Gedanken
aufweist: nämlich die thronende Figur des Lebenden, umgeben von den
seine Tugenden personifizierenden allegorischen Gestalten. In den San-
sovinograbmälern findet die traditionelle Form des Nischengrabmals ihre
dem Geist der Hochrenaissance angepaßte klassische Vollendung: statt
des Rhythmus der Linien im Grabmal der Frührenaissance tritt der Rhyth-
mus der Massen in Wirkung. Lehrreich ist hier der Vergleich mit dem
wenige Jahre vorher entstandenen Grabmal Vendramin in S. Giov. e Paolo
zu Venedig, bei dem von einem Rhythmus der Massen noch keine Rede
ist, das sich im Gegenteil noch ziemlich sklavisch an das Vorbild des
Triumphbogens hält. Nichts was die Hochrenaissance in Florenz gezeitigt
hat, kann sich auch nur entfernt mit Sansovinos Meisterschöpfungen im
Chor von S. Maria del popolo zu Rom messen; die Arbeiten Rovezzanos
oder gar Andrea Ferruccis und seiner Schüler tragen den Stempel trockenster
Routine zur Schau, in der die Sepulkralskulptur des Cinquecento in Florenz
erstickt.
Das letzte, umfangreichste Kapitel (S. 313 — 375) widmet der Ver-
fasser den Grabmälern Michelangelos, in denen er, wie schon oben an-
5) Für die Lage der nicht tot sondern schlafend Dargestellten mit auf den Arm
gestütztem Haupt und angezogenen Beinen nahm Sansovino römische Grabreliefs zum
Muster, wie deren eines der Verfasser im Vatican nachweist. Das Motiv wurde für
die ganze Folgezeit, bis tief ins 17. Jahrhundert von großer Bedeutung.
528
Literaturbericht.
gedeutet, die End- und Zielpunkte der zwei auseinanderlaufenden Rich-
tungen der florentinischen Denkmalplastik aufweist. Die Geschichte beider
Monumente, die Entwicklung ihrer Komposition nach den erhaltenen
Entwürfen, die Idee der letzteren und ihr Verhältnis wie auch das der
dekorativen Architektur der Mediceergräber zum Quattrocento, alles
dies wird eingehend behandelt. Wir müssen den Leser indes hierfür auf
das Buch selbst verweisen, da wir den uns zugerftessenen Raum schon
weit überschritten haben.
Im Anhang sind sechzehn wertvolle Exkurse zu einigen der hervor-
ragendsten behandelten Kunstwerke nach urkundlichen und literarischen
Quellen vereinigt. Was die illustrative Ausstattung unseres Werkes betrifft,
so können wir den Verleger nicht unbedingt loben. Die Lichtdrucktafeln
zwar entsprechen im großen ganzen billigen Anforderungen, dagegen steht
die Qualität der Netzdrucke im Texte durchaus nicht im Einklang mit
der sonstigen vornehmen Erscheinung unseres Buches.
C. v. Fabriczy.
Malerei.
Der illustrierte lateinische Äsop in der Handschrift des
Ademar Codex Vossianus Lat. Oct. 15, Fol. 195 — 205; Einlei-
tung und Beschreibung von Dr. Georg Thiele. In photographischer
Reproduktion. Leiden, A. W. Sijthoff 1905.
Der Titel läßt nicht vermuten, daß im Buch eine sehr wichtige
kunsthistorische Arbeit verborgen ist. Die behandelte Handschrift der
Leydener Bibliothek ist ein Fabelbuch, dessen Inhalt aus Phädrus und
Romulus (der lateinischen Bearbeitung des Äsop) kompiliert ist. Der
Anonymus Ad, wie Thiele den Kompilator der Leydener Handschrift
nennt, hat aber die beiden antiken Fabelsammlungen in Fassungen be-
nutzt, die umfangreicher waren als die uns überlieferten Texte des
Phädrus und Romulus. Für viele Fabeln soll der Anonymus Ad ein-
zige Quelle sein. Die sehr gründliche philologische und literarische
Lntersuchung über den Inhalt des Leydener Kodex interessiert den
Kunsthistoriker nicht, er wird ihr auch schwer folgen können. Das
sichere Resultat ist, daß der Anonymus Ad nach einer älteren Vorlage
gearbeitet hat.
Das Fabelbuch ist aber mit Federzeichnungen geschmückt und diese
Illustrationen geben, um die Worte des Herausgebers zu zitieren, »zum
erstenmal eine Vorstellung von der antiken Äsopillustration«.
Der Codex Vossianus latinus oct. 15 der Universitätsbibliothek zu
Leyden ist ein Sammelband, der im Anfang des n. Jahrhunderts im
Literaturbericht.
529
Kloster St. Martial bei Limoges entstanden ist. Ein aufgenommenes
Verzeichnis der Bischöfe von Tours schließt mit dem Jahr 1023. Eine
etwa gleichzeitige Notiz nennt als Verfasser des Buches den Presbyter
Ademar von Chabanais, vielleicht hat er die Sammlung selbst ge-
schrieben.
Wie der Text in seinem wesentlichen Teil von einem sehr vollstän-
digen Romulus abgeleitet ist mit nur gelegentlichen Interpolationen aus
einem Prosa-Phädrus, so sind auch die Illustrationen aus einer Romulus-
handschrift kopiert worden. Auch da, wo der Text die Fassung des
Phaedrus gibt, folgt die Illustration der abweichenden Erzählung des
Romulus. Das zeigt Thiele an mehreren Beispielen. Die Federzeich-
nungen sind von einer unbeholfenen Hand ausgeführt, die auch für das elfte
Jahrhundert dilettantisch erscheint. Auf jeder Seise sind die Illustrationen
zu mehreren Fabeln zusammengestellt, ziemlich willkürlich über den
Raum verteilt. Den Figuren sind Buchstaben eingeschrieben zur Be-
zeichnung der Farben. Der Text, der später geschrieben ist, füllt den
freien Platz neben und zwischen den Zeichnungen aus und ist in kleinen
Zeilen oft zwischen die Füße der Tiere verteilt. Daß diese Illustrationen
nicht im 11. Jahrhundert im Limousiner Kloster erfunden sind, ist ohne
weiteres klar. Vieles weist auf karolingische Kunstübung hin. Die ge-
nauere Untersuchung ergibt aber, daß sehr viel ältere Zeichnungen zu-
grunde liegen müssen, die nach Thieles im wesentlichen gelungener
Beweisführung bis ins 5. Jahrhundert zurückzu führen sind, die jedenfalls
entstanden sind, als die heidnisch-römische Kultur wenigstens auf künst-
lerischem Gebiet noch nicht überwunden war. Die Formen der spät-
klassischen Kunst der angenommenen Vorlage werden keineswegs in
exakter Kopie wiedergegeben, sie sind vom Zeichner (ganz abgesehen
von seiner künstlerischen Unzulänglichkeit, die- Originale einigermaßen in
seinen Nachzeichnungen zu treffen) in der Auffassung seiner Zeit moderni-
siert worden. Daneben finden sich aber bedeutende Zutaten im charak-
teristischen Stil der karolingischen Kunst. Architektur, Möbel, Geräte,
haben antikes Gepräge, oft aber mit karolingischer Beigabe oder in
karolingischer Umformung. Die Tracht ist provinziell-römisch oder
karolingisch.
Daneben muten wieder einzelne Figuren in Haltung und Gesten
ganz antik an: in der Fabel vom zärtlichen Esel auf Tafel V der Mann
links, der Säemann der Fabel von den Vögeln und dem Flachs Tafel VI,
der Dieb in der Fabel vom treuen Hund und vom Dieb Tafel VII, der
Kahlkopf in der Fabel vom Kahlkopf und der Fliege Tafel XVIII. Wer
sehr vorsichtig konstruiert, wird aus dieser Zusammensetzung der Bilder
vielleicht auf ein Zwischenglied schließen und annehmen, daß dem
530
Literaturbericht.
Zeichner des n. Jahrhunderts das Fabelbuch des 5. Jahrhunderts in einer
karolingischen Kopie Vorgelegen hat
Über die Art der antiken Buchillustration unterrichten uns einige
frühmittelalterliche Handschriften (die mailändische Ilias, die wiener
Genesis, die beiden Virgilcodices in der Vaticana) und ferner byzantinische
Handschriften, die wenigstens in der äußeren Anordnung den antiken
Typus bis ins 1 1. Jahrhundert festhalten. In allen diesen Büchern ist
die Illustration von der Schrift getrennt bildartig in den Text eingefügt
worden. Eine solche Vermengung von Bild und Text, wie sie der
Leydener Äsop zeigt, kennt wohl erst das 11. Jahrhundert. Dem Zeichner
lag ein farbig illuminiertes Manuskript vor, das beweisen die Farbenan-
weisung durch Anfangsbuchstaben. Er kopierte die Illustrationen in den
wichtigsten Bestandteilen, so gut es seine ungelenke Hand vermochte,
und fügte dann in der ihm geläufigen Weise den Text hinzu. Also auch
in der äußeren Form, in der Verteilung von Bild und Text auf der
Seite, dürfte die Vorlage modernisiert worden sein. Ich vermute, daß
der Verfertiger der Handschrift keinen Äsop herstellen wollte, sondern
ein ikonographisches Handbuch für Fabelillustration. Aber ob das oder
jenes, ob ein Kodex des 5. Jahrhunderts im Original oder in
einer späteren Kopie benutzt wurde, jedenfalls besitzen wir in den Feder-
zeichnungen der Leydener Handschrift Äsopillustrationen, die trotz aller
Änderungen und trotz der unkünstlerischen und abgekürzten Wiedergabe
einen Rückschluß darauf gestatten, wie antike Maler Fabeln im Bilde
zeigten. Es ist das große Verdienst von Georg Thiele, diese Zeich-
nungen bekanntgegeben und in so gründlicher Weise erforscht zu haben.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf einen noch ganz unbe
kannten Band mit Zeichnungen hinweisen, in denen meiner Meinung
nach Kopien frühmittelalterlicher Malereien erhalten sind. Das Buch
trägt die Aufschrift: Historiae Titi Livi, es wurde 1892 für das Berliner
Kupferstichkabinett von Friedrich Lippmann im Londoner Kunsthandel
erworben. Der Band umfaßt 35 Blatt Papier mit weißgehöhten Pinsel-
zeichnungen in Tusche auf grünlichem Grund auf beiden Seiten der
Blätter. Die Zeichnungen mit Darstellungen aus der römischen Ge-
schichte gehören der 2. Häfte des 16. Jahrhunderts an, sie sind wahr-
scheinlich italienischen Ursprungs und künstlerisch von geringem Wert.
Die Architekturen und landschaftlichen Gründe sfhd Zugaben des sech-
zehnteh Jahrhunderts, die Figuren aber halte ich, für freie Kopien nach
altchristlichen Miniaturen. Jaro Springer .
Literaturbericht.
531
Selected drawings from old masters in the University Galleries
and in the library at Christ Church Oxford . . . chosen and
described by Sidney Colvin M. A. . . . Oxford: at the Clarendon
Press — London: Henry Frowde — Part I. II. III (1903. 1904. 1905).
Unter allen Publikationen alter Zeichnungen darf die Oxforder
den ersten Preis in Anspruch nehmen, falls das Ganze auf der Höhe der
drei ersten — vorliegenden — Mappen bleibt. Die Durchschnittsqualität
der abgebildeten Zeichnungen ist höher als in irgend einer anderen er-
schienenen oder im Erscheinen begriffenen Veröffentlichung dieser Art,
dank dem Umstande, daß in den beiden Sammlungen der britischen
Universitätsstatt fast alle großen Zeichner glänzend vertreten sind, und
dank der Auswahl, die von ebensoviel Geschmack wie universellem
kunsthistorischem Interesse zeugt. Die wissenschaftliche Verarbei-
tung des unvergleichlichen Materials folgt überall den letzten Resul-
taten der Spezialforschung und bietet schon damit keine kleine Leistung,
da ja Schöpfungen vieler Länder und vieler Perioden in dem kritischen
Texte beurteilt werden, der auf dem Schutzblatt jeder abgebildeten Zeich-
nung beigefügt ist. Sidney Colvin begnügt sich aber nicht, mit muster-
hafter Klarheit zu beschreiben und über Streitfragen zu berichten, er
geht in vielen Fällen mit besonnener selbständiger Kritik vor.
Wie reich der Oxforder Schatz an Zeichnungen der drei italienischen
Hochrenaissance-Meister ist, weiß man allgemein. Über diesem Reichtum
ist verhältnismäßig unbeachtet geblieben, was an Blättern der Quattrocento-
Meister, an deutschen Zeichnungen und an Arbeiten der besten nieder-
ländischen Maler des 17. Jahrhunderts dort bewahrt wird. Die neue
Publikation schöpft aus der Fülle des Berühmten, fügt aber relativ Un-
bekanntes hinzu, jede Mappe bietet Vollkommenes und Interessantes, An-
erkanntes und Umstrittenes in anregender Mannigfaltigkeit.
Die Serie der Raphael- und Michelangelo-Zeichnungen entstammt
der Lawrence-Sammlung. Die weniger berühmten Quellen der Douce-
und Chambers Hall -Schenkungen führten wichtige und merkwürdige
Blätter dem Bestände der University Galleries hinzu, dabei eine ganze
Anzahl, die in der Publikation Sidney Colvins zum ersten Male abge-
bildet sind. Die große Sammlung in der Bibliothek von Christ Church,
eine Stiftung des Generals Guise von 1765, ist minder gewählt als die
Sammlung in den University Galleries, doch hat die kluge Wahl des
Herausgebers auch aus diesen Mappen eine stattliche Reihe von Meister-
werken herausgesucht.
Die von der rühmlich bekannten Clarendon Press hergestellten
Faksimile-Lichtdrucke (»chromocollotypes«), die mit erstaunlichem Auf-
wande die Mehrfarbigkeit der Originale wiedergeben, stehen hinter keiner
532
Literaturbericht.
ähnlichen Leistung zurück. Fast allzu luxuriös und für die wissenschaft-
liche Benutzung kaum nötig erscheint die Verwendung mehrerer Druck-
platten, wo es sich nur darum handelt, die abweichende Färbung etwa
eines Sammlerstempels in der Nachbildung hervortreten zu lassen. Doch
zeigt solche Bemühung jedenfalls, wie ernst die Herausgeber ihre Auf-
gabe nahmen, und gewinnt das Vertrauen derer, die nicht in der Lage
sind, die Abbildungen mit den Originalen zu vergleichen.
Fürs nächste sind vier Mappen mit je 20 Blättern geplant. Der
Preis von 63 M. (3 Gs.) für die Lieferung erscheint bei Berücksich-
tigung der Kosten, die aus der komplizierten Druckleistung erwachsen,
nicht hoch.
Den Inhalt der drei vorliegenden Mappen hier vollständig zu no-
tieren, scheint mir nicht nötig zu sein, doch möchte ich auf einige für
die kunstgeschichtliche Forschung besonders wichtige Gaben hinweisen,
um dem Werke Freunde zu gewinnen.
Unter den Zeichnungen aus dem Florentiner Quattrocento tritt der
erst seit zwei Jahren bekannte lebensgroße Kopf einer Frau zu jener
kleinen Gruppe von Zeichnungen, die ernstlich Anspruch erheben, für
Arbeiten Verrocchios gehalten zu werden. Das in der Christ Church
Library bewahrte, in den Umrissen durchstochene, also als Vorzeichnung
zu einem Gemälde entstandene oder doch verwendete Blatt, wird von
Colvin gegen Berenson, der hier die Hand eines bestimmten Verrocchio-
Schülers erkennen will, wie ich glaube, mit Recht,- dem Meister selbst
gegeben oder gelassen. Übrigens drückt sich der Herausgeber, nament-
lich mit Rücksicht auf den Zustand der Zeichnung, sehr vorsichtig aus.
Das emporflatternde Kopftuch läßt erkennen, daß die Figur in Bewegung
dargestellt ist. Also wohl keine Vorzeichnung zu einem Gemälde der
Maria mit dem Kinde.
Aus. derselben Sammlung wie die Verrocchio-Zeichnung stammen
zwei malerisch und skizzenhaft mit der Feder entworfene Kompositionen,
die unter Filippino Lippis Namen publiziert sind. Hier wird niemand
widersprechen. Beide Blätter gehörten einstmals, wie aus der bekannten
Umrahmung geschlossen wird, zu Vasaris Sammlung; auf dem einen ist
die Madonna mit Heiligen dargestellt, auf dem andern in zwei Gruppen
Hiob in seinen Leiden.
Von den oberitalienischen Zeichnungen aus der Übergangszeit vom
15. zum 16. Jahrhundert fesselt durch seine edelen Formen und seine ruhige
Monumentalität der Madonnenkopf aus der Christ Church Library, der
als »Bartolommeo Montagna« publiziert ist. Diese Zuschreibung
überzeugt mich durchaus, obwohl ich weiß, daß auch andere Meister-
namen vor diesem Blatte ausgesprochen worden sind. Die Ausführung
Literaturbericht.
533
in schwarzer Kreide gibt dem Kopfe eine Weichheit, die Montagna in
seinen Malwerken nicht erreichte und nicht erstrebte.
Vittore Carpaccio ist mit zwei Schöpfungen vertreten, die sehr
verschieden voneinander erscheinen, einem sorgfältig durchgeführten porträt-
artigen Studienkopf in blaugrau mit geraden kurzen Strichen und weißer
Höhung — von dieser Art gibt es eine ganze Reihe schöner Blätter —
und einer sehr flüchtig mit der Feder entworfenen Kompositionsskizze
der Kreuzaufrichtung. Weit interessanter als die Landschaft von Do-
menico Campagnola und eine beachtenswerte Kuriosität ist die Studie
in Giorgiones Geschmack, die der Herausgeber, wie schon der frühere
Besitzer Douce dem Giulio • Campagnola zuschreibt und die ent-
schieden in der Formbehandlung und in der Technik an jene seltenen,
wesentlich punktierten Kupferstiche erinnert, die als gesicherte Arbeiten
Giulios bekannt sind.
Die Reihe der venezianischen Blätter wird abgeschlossen durch den
mächtigen, frei und breit mit Kreide und Weißhöhung gezeichneten Kopf
von Michelangelos »Giuliano dei Medici«, einer Übersetzung in die Maler-
sprache der Venezianer. Der Herausgeber schreibt diese Zeichnung
Tintoretto zu und erinnert an die Überlieferung, Tintoretto habe bei
Lampenlicht viel nach Abgüssen antiker Bildwerke und der Schöpfungen
Michelangelos gezeichnet. In München und bei Herrn v. Beckerath in
Berlin sind ähnliche Zeichnungen zu finden.
Zwei Rötelskizzen Correggios für die Dekoration der Kathedrale
von Parma stehen über jedem Zweifel und sind belehrende Spezimina
jener spielend geübten Kunst, Menschenleiber in den kühnsten Ver-
kürzungen dem Dekorationszusammenhang einzufügen.
Die in Rötel ausgeführte Studie einer Grablegung Christi gehört
zu jener Gruppe im Stile Michelangelos ausgeführter Zeichnungen, die
nach einer von Wickhoff und Berenson vertretenen Ansicht von Se-
bastiano del Piombo herrühren. Der Herausgeber hält sich an diese
neuere Zuschreibung.
Von Leonardo da Vinci bringen die drei Mappen eine Reihe
bedeutender, allerdings bekannter Zeichnungen, den sorgfältig durch-
modellierten Profilkopf eines Hofzwergs von abnormer Häßlichkeit, der
durch nachträgliche Konturierung gelitten zu haben scheint, und sechs
mehr oder minder flüchtige Kompositionsskizzen, zumeist schwer zu
deutende Allegorien, kalt und spitzfindig erdacht, geistreich und leiden-
schaftlich gezeichnet. Der Herausgeber verfügt über alle Mittel, die
geheimnisreichen Dokumente zu deuten und der Leonardo-Forschung
nutzbar zu machen.
Das prachtvolle, im Sinne Leonardos durchgebildete, an die Mona
534
Literaturbericht.
Lisa erinnernde Brustbild eines jungen Mannes (das mit einem Frage-
zeichen unter Sodomas Namen erscheint), ist geeignet, Gegenstand kriti-
schen Streites zu werden, sowohl in Hinsicht auf den Autor wie auf den
Dargestellten. Frizzoni hat hier Raphaels Porträt erkennen wollen.
Bei der Auswahl der Michelangelo-Zeichnungen bewährt Sidney
Colvin eine sehr berechtigte Skepsis und publiziert mehrere Zeichnungen
von ausgeprägt Michelangeloschem Charakter als Arbeiten von Nach-
ahmern. Unter den Blättern, die der strengsten Kritik standhalten, inter-
essiert am meisten der Entwurf zu einer Gruppe der Anna selbdritt.
Der Herausgeber betont die merkwürdige Beziehung zu Leonardos be-
rühmtem Gemälde, dem im Louvre. Interessant ist zu beobachten, wie
Michelangelo den Kompositionsgedanken im Sinne plastischer Gestaltung
gewandelt hat.
Einige der berühmten Raphael-Blätter in Oxford, dabei die viel
besprochenen Kämpfe nackter Männer sind mit ausführlichem kritischen
Text publiziert. Die Wiederholung der einen dieser Darstellungen aus
der Sammlung des Rev. W. H. Wayne, die zur Vergleichung reproduziert
ist, scheint mir eine Kopie nach der Oxforder Zeichnung zu sein, wäh-
rend Colvin zu der entgegengesetzten Ansicht neigt.
Mehr Überraschungen als die von der Kunsthistorie seit lange be-
achteten Schöpfungen der italienischen Hochrenaissance-Meister bieten
die deutschen und niederländischen Blätter, die der Herausgeber
aus den Oxforder Mappen gewählt hat.
Von Dürer drei Zeichnungen. Bei Lippmann ist nur die in den
University Galleries bewahrte Ansicht von Welsberg, und sie ohne Farben
reproduziert. In der Literatur erwähnt, aber durchaus nicht nach Gebühr
geschätzt, ist der Entwurf der ehelichen Grabplatte, dessen Wiederholun-
gen in Florenz und in Berlin weit bekannter sind. In der Beurteilung
der drei Exemplare teile ich ganz und gar die Ansicht Sidney Colvins,
nämlich daß die Berliner Zeichnung eine schlechte und das Blatt in den
Uffizien eine gute Kopie nach dem Original in Oxford sind. Das Ori-
ginal ist ohne Datum, während die beiden Repliken die Jahreszahl 1517
tragen. Ich denke, das Original ist früher als 1517 entstanden. Das
Eigentümliche der Zeichnung im Verhältnis zu den beiden Grabreliefs
Vischers — über dieses Verhältnis wurde viel gestritten — ist das Fehlen
alles Spezifischen, was den Grafen von Henneberg und dem von Hohen-
zollern eigentümlich ist, im besonderen das Fehlen der Ordensabzeichen.
Deshalb ist es unwahrscheinlich, daß Dürer im Aufträge dieses oder
jenes Herrn den Entwurf geschaffen habe. Andererseits ist das Fort-
lassen der Ordensabzeichen, wie auch alle übrigen Abweichungen der
Zeichnung von diesem und jenem Bildwerke schwer zu erklären mit der
Lileraturbericht.
535
neuerdings öfters ausgesprochenen Annahme, Dürer habe das Werk
Vischers (welches?) abgezeichnet oder nach einem Besuche in der Werk-
statt des Gießers rasch hingeworfen (L. Justi, Repert. XXIV S. 49). In
der jüngeren Literatur war man bestrebt, die Schöpfung Vischers von der
Zeichnung unabhängig zu machen, und wurde in diesem Bestreben ge-
neigt, Dürers Autorschaft in Frage zu stellen. Solche Anzweiflung halte
ich im Angesichte des Oxforder Blattes für unberechtigt. Die Zeichnung
ist von Dürer, rein in seinem Stil und sieht aus wie ein freier Entwurf,
nicht wie die Zeichnung nach einem Vischerschen Bildwerke, wie der
Entwurf zu dem Grabmal eines ritterlichen Ehepaares ganz allgemein,
nicht dieses oder jenes Ehepaares. Das Wahrscheinlichste ist, daß
Vischer sich bei Gestaltung seiner beiden Grabplatten mehr oder weniger
eng an den Entwurf Dürers gehalten hat.
Ganz unbekannt ist die reiche, sehr flüchtig gezeichnete Kompo-
sition, die der Herausgeber treffend »the pleasures of the world« (»die
Freuden der Welt«) betitelt, eine Arbeit aus der Jugendzeit Dürers.
Der Herausgeber datiert vorsichtig: zwischen 1496 und 1500. Ich würde
eher »um 1496« sagen. Das aus dem Kopfe, mit viel Lust, Feuer und
quellender Erfindung gezeichnete Blatt wird hoffentlich dazu beitragen,
die noch immer höchst dunkelen Vorstellungen vieler Kunstschriftsteller
über Dürers Jugend zu klären. Das Blatt hat eine Signatur von unge-
wöhnlicher Form (das D überschneidet den unteren Querbalken des A),
die wahrscheinlich echt ist.
Der kostbare, wenig umfangreiche Besitz an Zeichnungen Grüne-
walds wird von Oxford her um ein Hauptstück vergrößert, die ebenso
großzügig wie sorgfältig in schwarzer Kreide ausgeführte Halbfigur einer
betenden Frau. Die außerordentliche Bedeutung dieses Blattes wird er-
höht durch die Beischriften, den wahrscheinlich von dem Meister selbst
geschriebenen Namen »(m)athis« und die wenig spätere Notiz »Dies hatt
Mathis von Ossenburg des Churfürst zu Mentz Moler gemacht und wo
du Mathis geschrieben findest dass hat Er mit eigner handt gemacht«.
Stilistisch ist die Zeichnung nahe verwandt dem irrtümlich als »Dürer«
publizierten Frauenkopf im Louvre (Lippmann Nr. 306), einem Blatt, das
in Ausdruck, Beleuchtung und Vortrag wohl das Zarteste ist, was wir
von Grünewald besitzen.
Willkommene, wenn auch weniger aufregende Gaben sind die mit
Recht unter den Namen Schongauers, Holbeins (des Vaters) und
Altdorfers abgebildeten Zeichnungen.
Die besten Zeichner des 17. Jahrhunderts sind mit einigen Schöpfun-
gen sehr glücklich vertreten, Rubens namentlich mit der herrlichen
Aktstudie zu dem Schergen in der Antwerpener Kreuzaufrichtung, dem
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIil. 3^
536
Literaturbuericht.
Manne, der mit gewaltiger Kraft das Kreuz empordrückt. Die Zeichnung
ist ungemein charakteristisch für jene Periode, da das Heroische das Ziel
des Meisters war. Ebenso fest datiert und ebensowohl beglaubigt ist
van Dycks Studie zu dem verspotteten Heiland in der 1621 entstan-
denen Komposition, die in zwei Ausführungen, in Madrid und Berlin
bekannt ist.
R ein b ran dt ist mit mehreren Landschaftsstudien und mit der
Skizze einer knieenden Frau, repräsentiert, Paul P Otter mit einer der
wenigen unzweifelhaften Blätter, einer bildmäßigen, leider nicht tadellos
erhaltenen Gruppe von Kühen.
Von Franzosen sind Claude und Watteau aufgenommen, letzterer
mit einer Studie, in der die Figuren etwas hölzern geraten sind und nur
die wundervollen Hände des großen Meisters würdig erscheinen.
Friedländer.
Ferdinand Laban. Heinrich Friedrich Füger der Porträtminia-
turist. Berlin 1905, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung. 73 SS.
Die französische und die englische Kunst des 18. Jahrhunderts sind
Gegenstand eifriger Forschung. .Das deutsche Schaffen in diesem Zeit-
alter wurde noch nicht im Zusammenhang und in den Beziehungen
zur französischen und englischen Kunst dargestelTt, und selbst einzelne
Themata sind selten gründlich und von einigermaßen erhöhtem Stand-
punkte bearbeitet worden. Persönlichkeiten ziehen das Interesse zuerst
an. Das deutsche 18. Jahrhundert ist nicht gerade reich an Persönlich-
keiten, die sich in Schöpfungen der bildenden Kunst ausgedrückt haben.
Heinrich Friedrich Füger, der Wiener Akademiedirektor, ist auf
einem Lieblingsfelde des galanten Zeitalters, in der Porträtminiatur,
fruchtbar und erfolgreich gewesen und gilt mit Recht unter den Deutschen
als der Einzige, der mit den englischen Meistern der Gattung rivalisiert.
Er gehört nicht eigentlich zu den Verkannten oder Vergessenen. Eine
große Zahl seiner besten Arbeiten ist in Wien leicht zugänglich. Die öster-
reichische Aristokratie hat dem Porträtisten ihrer Ahnherren und Ahn-
frauen ein dankbares Gedächtnis bewahrt. Die Literatur aber ist sehr
schweigsam und bietet auffallend wenig Auskunft oder Belehrung.
Ferdinand Laban hat im Jahrbuch der königl. preußischen Kunst-
sammlungen, im 1. Hefte des 26. Bandes, einen Aufsatz über Füger
veröffentlicht, der im Text und in .den Abbildungen wesentlich bereichert,
als Sonderdruck vorliegt. Er kam zu dem höchst lohnenden Thema durch
den zufälligen Umstand, daß in der kleinen und keineswegs hervorragenden
Sammlung von Porträtminiaturen in der Berliner Gemäldegalerie, ein
Literaturbericht.
537
Hauptwerk Fügers bewahrt wird, die reizende Gruppe dreier junger Damen.
Bei der erfolgreichen Bemühung die dargestellten Persönlichkeiten zu
ermitteln — es sind drei Gräfinnen Thun — fand er die Literatur leer
und stumm, die Monumente mehr und mehr fesselnd und beredt. Das
Werk des Meisters zusammenzustellen, erschien ihm als eine nützliche
Arbeit. Die Wiener Ausstellung von Porträtminiaturen, die zu Anfang
dieses Jahres stattfand, gab die Möglichkeit, der Liste einen gewissen
Abschluß zu geben.
Labans Arbeit enthält Biographisches, eine Charakteristik der Füger-
schen Kunst, ein Verzeichnis der Miniaturen unter 12 1 Nummern, Ab-
bildungen von 78 der Bildchen in Ätzung, Lichtdruck und auf zwei höchst
gelungenen Tafeln in Dreifarbendruck. Damit ist sehr viel geboten, mehr
und Besseres als wir über irgend einen Meister der Porträtminiatur besitzen.
Alle Angaben sind anscheinend von höchster Genauigkeit und aus den
besten Quellen geschöpft Das Urteil ist besonnen, aber keineswegs
nüchtern, vielmehr von frischer Entdeckerfreude belebt. Die Charakteristik
der Technik ist anschaulich. Die Kritik über Echt und Unecht vorsichtig
und streng zugleich.
Ein kunsthistorisches Problem, das dem Verfasser schon bei anderer
Gelegenheit erschienen war, erhebt sich in schroffer Gestalt. Die Zwie-
spältigkeit in der deutschen Kunst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, die
Zwiespältigkeit zwischen gesunder Begabung und falscher Tendenz. Füger
war Akademiker und Klassizist und suchte mit anspruchsvollen Kompo-
sitionen die Unsterblichkeit. Heute geht sein Ruhm ausschließlich von den
Porträtbildchen aus, die er selbst relativ niedrig einschätzte, die er auf
der Höhe seines Lebens nur noch malte, »um nicht eigensinnig oder un-
dankbar gegen den Beifall des Publikums zu scheinen«. In diesem Falle
war der Beifall des Publikums eher auf dem rechten Weg als der Ehr-
geiz des Malers. Friedländer.
Mitteilungen über neue Forschungen.
Neue Daten zur Biographie Benozzo Gozzolis bringt Dr. Alberto
Chiappelli auf Grund von Funden im Pistojeser Archiv bei (In quäle
anno e in quäle luogo mori Gozzoli, e dove ebbe la sua sepoltura?
Archivio stör, italiano 1904 t. II). Die letzte urkundliche Nachricht
über den Meister stammt vom Beginn des Jahres 1497, wo er mit
anderen Fachgenossen die Fresken Baldovinettis in S. Trinita zu Florenz
abschätzte. In dem Steuereinbekenntnis seiner Tochter vom darauf-
folgenden Jahre wird er aber schon als verstorben aufgeführt. Diese
Angabe nun wird durch den folgenden Vermerk, den Chiappelli in
einem Sterberegister des Klosters S. Domenico in Pistoja aus den
Jahren 1459 — 1498 auffand, bestätigt und näher bestimmt: 1497.
Richordo chome adi 4 d’ octobre 1497 mori maestro benotio da firentie
el quäle dipinse campo sancto di pisa, el quäle fue meso in diposito
nelo inchiostro (sic) alato ala capela di sancto sebastiano. Der Meister
starb also nicht in Pisa, und wurde nicht in der ihm schon 1478 verliehenen
Grabstätte im Camposanto, die heut noch durch eine dies bezeugende
Inschrift bezeichnet ist, beigesetzt, sondern im Kreuzgang von S. Domenico
zu Pistoja (wo indes sein Grab nicht näher ausgewiesen ist). Pisa hatte
er schon 1495 verlassen, denn in diesem Jahre geht das Haqs, das er
dort besaß, in andere Hände über. Ob er gleich damals Pistoja zum
Wohnsitz wählte, oder nach Florenz zurückkehrte, wo er Haus und Ver-
wandte besaß, läßt sich nicht feststellen; wahrscheinlicher ist das letztere.
Für seine Übersiedlung nach Pistoja im Laufe des Jahres 1497 aber, läßt
sich ein sehr plausibler Grund darin nachweisen, daß gerade im Mai und
Juni dieses Jahres die schon seit 1495 in Florenz sporadisch herrschende
Pest mit großer Heftigkeit wütete (Landucci, Diario p. 150 — 154), und
die Einwohner zur Flucht aus der Stadt veranlaßte. Unsern Meister hat
die letztere nichts genützt, denn wahrscheinlich erlag er dieser Krank-
heit, die sich auch nach Pistoja verbreitet hatte, — trägt doch ein
Gemeindebeschluß, womit schärfere Bestimmungen gegen ihr Umsichgreifen
dekretiert werden, gerade das Datum des Todestages Gozzolis.
C. v . F
Mitteilungen Uber n6ue Forschungen.
539
Boltraffios h. Barbara im Berliner Museum. Durch eine jüngst
veröffentlichte Notiz (Rassegna d’ Arte I, 103) war festgestellt worden,
daß dies Gemälde für den Altar der Heiligen in S. Satiro zu Mailand
gemalt worden war, und daß es sich noch 1787 in der Sakristei der
genannten Kirche befand. Zur Zeit der französischen Herrschaft kam es
dorther weg, und auf dem Umweg durch die Sammlung Solly an seinen
jetzigen Aufbewahrungsort. In jener Notiz — einem späteren Auszug
des ursprünglichen Vertrags — war die Angabe des Jahres nicht enthalten;
aus stilistischen Gründen hatte der Verfasser der neuesten Arbeit über
Boltraffio (G. Carotti in Bd. IV der Gallerie nazionale italiane) das Bild
der letzten Zeit des Meisters zuweisen zu können geglaubt. Ein glück-
licher Fund Fr. Malaguzzis im Archiv zu Mailand hebt die Ungewißheit
auf (s. La Perseveranza vom 27. Sept. 1904). In einem Merkbuch, das
für die Zeit von 1502 — 1560 die Ausgaben und sonstige bemerkenswerte
Daten der Kongregation die in S. Satiro ihren Sitz hatte, verzeichnet, findet
sich gleich als erster Eintrag der folgende auf das fragliche Gemälde
bezügliche:
1502. Nota che a di 27 de Octobre de 1’ anno suprascripto fu
concluso nel Capilolo et ne la Congregatione del Priore et scolari de
Domiha Sancta Maria de Sancto Satiro de Milano che se dovesse fare
dipingere per maestro Johanne Antonio Boltraffio dipintore de Milano
suso una tavola una figura de sancta Barbara per essere posta lo altare
de suprascripta sancta. Also nicht der letzten, sondern vielmehr der
mittleren Periode des Meisters gehört das Werk an. Malaguzzi macht
denn auch auf manche Details des Bildes aufmerksam, die an die ältere
lombardische Schule, namentlich an Borgognone gemahnen (langgezogenes
Gesicht, hart modellierte Augenhöhlen, scharf geschnittener Mund) und
weist nach dem Vergleich des Barbarabildes mit den beiden Boltraffios
der Breragalerie (dem Portrait Casios und den beiden knienden Donatoren-
gestalten) auch den letzteren annähernd die gleiche Entstehungszeit zu.
C. v. F.
Aus dem Gedenkbuch Francesco Baldovinettis. Unter den 286
Bänden des »Fondo Baldovinetti«, die im Jahre 1852 von den Erben der
Familie für die Palatina erworben und seither den Beständen der Biblioteca
Nazionale zu Florenz einverleibt wurden, befindet sich — mit Nr. 244
bezeichnet — ein Foliant in Schweinsleder mit Messingbeschlag gebunden.
Auf dem ersten der 254 Blätter des Bandes, die zumeist alle beschrieben
sind, nennt dessen Verfasser den Titel seiner Aufzeichnungen, seinen Namen
und die Zeit der Verfassung jener ersteren mit folgenden Worten:
540
Mitteilungen über neue Forschungen.
El Memoriale di Francjescho dj Giovannj dj Guido dj Franc.0 dj
Messer Niccholö d’ Alesso dj Borghjno del Biecho dj messer Baldovinetto
di Borghongnone Baldovinettj .... edo [ed ho] chomincjato djtto ljbro
addj ventjcinque dj febrajo 1513 in firenze in chasa mia in borgho
santto appostolo deta dannj trentta sej e mesi . . . . e finillo quasi tutto
in mesi quattro coe [cio£] de chasj della chasa nostra.
Aus den fol. 16 und 21 v aufgezeichneten autobiographischen Daten
erhellt, daß der Verfasser des Merkbuches am 11. August 1477 geboren
war und am 2. September 1545 starb.
Seine Aufzeichnungen enthalten bis fol. 93 und von fol. 201 bis
243 Familiennotizen, als da sind: Stammbaum und Genealogie, die von
den Mitgliedern bekleideten Ämter und geistlichen Würden, Verwandt-
schaften, Cose antiche (Reliquien, Gewänder u. dgl.), Patronatsrechte,
Wahlen für Benefizien, Grabstätten, Häuser- und Grundbesitz, Verträge —
darunter von fol. 64 an die eigenen Besitzveränderungs- und sonstige
Kontrakte des Verfassers selbst — , wobei die Aufzeichnungen des letz-
teren von späteren Familiengliedern bis aufs 17. Jahrhundert ergänzt, ja
einzelne Notizen noch im 18. hinzugefügt worden sind.
Fol. 95 — 192 umfaßt vom Verfasser geschriebene »Memorie della
cittä di Firenze e del mondo«, vom Jahr 70 n. Chr. bis zum Assedio,
darunter auf fol. 1 7 3 v Notizen über Florentiner Palastbauten (s. weiter
unten).
Fol. 194 — 201 enthält eine »Descrizione dell’ Assedio diFirenze 1529«.
Von fol. 201 — 243 folgt die Fortsetzung der Contratti (s. oben).
Fol. 244 — 246 enthält Kopien zweier Familienurkunden aus den
Jahren 1162 und 1204.
Fol. 248 — 254 umfaßt eine »Chronaca delle proprietä di Roma«,
sowohl antiker als christlicher Epoche, ein Kardinalstitel- und Stationen-
verzeichnis usw.
Wir reproduzieren im folgenden die beiden in den Stoff kreis des
Repertoriums fallendenden Stellen aus unserm Merkbuche.
Die eine, fol. 37, gibt folgende Notizen über den Maler Alesso
Baldovinetti:
Alesso dj Baldovinetto d’ Alesso di Borghino del Biecho dj m [esser]
Baldovinetto dj Borghongnone Baldovinettj morj nel 1496 [rect. 1499;
s. Vasari II, 597 n. 3 und weiter unten] vel circha deta dannj 80 ellascjo
sua rede lospedate dj sanpagholo dj firenze e djredo [disereditö] lachasa
sua de Baldovinettj e sotterrato sotto le volte dj sanlorenzo elluj fe djtto
avello benche daque dichasa era tenuto bastardo menttre djmancho [non
di meno] assuo tenpo fu debuonj djpintorj djtalja. Hierzu auf dem
Rande von der Hand des Giovanni di Poggio Baldovinetti — eines (wie
Mitteilungen über neue Forschungen.
541
andere, datierte Glossen des Memoriale von seiner Hand dartun) um die
Mitte des 18. Jahrhunderts lebenden Mitgliedes der Familie1) — die
Bemerkung: La sepoltura £ posta a mano destra a canto quella di
Cosimo Pat. Pat. e di Piero Medici suo figlio, et ä chiusino di pietra
con 1’ arma del Leone a bassorilievo nel marmo bianco assai ben fatto,
e visi legge la seg.te Inscrizione: S[epulcrum] Alexis Baldovinettj de Baldo-
vinettis et Suor. Descend. 1480.
Ristjaro [sic] tutto il musaicho delcjelo djsangiovannj lanno 1490
incircha [rect. 1482; Vasari II, pag. 596 n. 2] chenebbe granpremjo dachon-
solj demerchantj eprovisione menttre che visse.
Dipinse a m[esser] bongannj Ganfiglazzj la chappella maggore dj
santa trinita che ghrande edjfizio ove e ritrasse molti nobilj cjpttadjnj
e ritrassevj guido Baldovinettj esse medesimo a drieto atuttj chonun
cjoppone [giubbone, Joppe] rose secche indosso e uno fazoletto in mano
ebbene gran premio. Als Fortsetzung von späterer; Hand: A di 15 decem-
bre 1760 lunedi queste pitture furono levate affatto, per esser quasi con-
sumate dal tempo. Am rechten Rand von der Hand Giov. di Poggio
Baldovinettis: II ritratto d’ Alesso pittore lo feci copiare sopra una tela
grande al naturale e si tiene in casa nostra.
Djpinse laltare maggore djsanta maria nuova e chappella [vgl.
Vasari II, 592 und 685] dove e sirittrasse chonuno saeppolo o vero uno
dardo in mano e una gornnea [giornea] indosso.
Djpinse echjostrj djsanbenedetto fuorj dj firenze. Als Fortsetzung
folgt von der obigen späten Hand: era monast. de Frati Camald, che
fu rovinato 1’ anno 1529 [vgl. Vasari II, 19. Band II, 669 schreibt er
diese Fresken dem Andrea Castagno zu].
Djpinse quella nunziata e nella chortte deservj cioe nativita che
drieto a laltare della nunziata, e una vergine Maria insulchantto decharn-
nesechj [der letzte Satz von der gleichen Hand später hinzugefügt. Das
hier erwähnte Werk ist das Fresko Domenico Venezianos, das sich seit
1886 in der National Gallery zu London befindet; vgl. Repertorium
X, 306].
Djpinse una tavoletta daltare alentrare in santa maria novella
amanritta de tre magj chedjchono essi [si &] bella chosa, e dipinse una
vergine Maria in sulchantto decharnnesechj [der letzte Satz von derselben
Hand später hinzugefügt]. Hierzu am Rand von der Hand Giov. di
Poggio Baldovinettis die Bemerkung: La ditta tavoletta fu coloritta da
Sandro Botticello che visse nel tempo dj Alesso e fu miglior maestro dj luj.
J) Er wird erwähnt in [Zan. Bicchierai] Alcuni documenti artistici non mai stanr
pati, Firenze 1855 Pa£- 19 •
542
Mitteilungen über neue Forschungen.
Djpinse latavola delaltare disanpiero in chalcharzä nostro [eine der
Patronatskirchen der Familie »presso a fonte buona«]. Hieran schließt
sich von der Hand Giov. di Poggio Baldovinettis die Notiz: Questa non
vü piü ne si sä come fosse levata.
Djpinse nechiostrj dj santa chrocje un christo chebatuto alla
cholonna [Vasari II, 672 gibt ihn dem Castagno]. Hierzu die Randglosse
von Giov. di Poggio Baldovinetti: Di Alesso pittore parlano il Vasari
il Borghino et il Baldinucci nelle Vite de Pittori stamp.
Djpinse mestato djtto cjertte nativita choncjpttadjnj quando si
scjende leschale delpalagio della singnoria chesono dua tavole sopra alla
chateratta e ia piu su [zu cateratta vgl. Vasari II, 437. Von diesen
Bildern spricht kein andrer Biograph Baldovinettis].
Djpinse indjmoltj altrj luoghj ealsuo tenpo nonnera ilmeglo maestro
e dj musaicho non cjera altrj chelluj chello sapessi fare e fecje assaj
djscjepolj e quello delghrillandaia peruno [?] cheffu siperfetto maestro
fusuo discjepolo.
Es folgen von der Hand Giov. di Poggio Baldovinettis die zwei
Zusätze:
Alesso fece il musaico che si vede nel mezzo della facciata di
fuori con diverse figure della chiesa di S. Miniato al monte, si come li
mosaicj de coretti sopra Ie porte laterali nella cliiesa di S. Giovanni del
Battesimo [vgl. Vasari II, 5.96 und 599 n. 2].
1744. Queste pitture oggi apena piü si distinguono, per essere
logore dal tempo, et altre sono state tolte via.
Am Fuß der Seite endlich finden sich von einer spätem Hand
[aber nicht derjenigen Giov. di Poggio Baldovinettis] noch die folgenden
Aufzeichnungen :
Pittore. Nella filza di portate perla Xma [decima] dell’ anno 1430,
Quart. S. Maria Novella, Gonf. Vipera, che esiste nel monte comune e
nell’ Ufizio delle Xme, 1’ una 108, l’altra 226 si legge:
M. Baldovinetto, dj Alesso Baldovinettj [der Vater des Malers] dj
anni 30 — Agnola sua Donna anni 28 — Bernardo suo fratello —
Alesso suo figliolo di anni 5 Questo ä il pittore — [hiernach wäre er
1425 geboren, nicht 1427, wie das Libro d’ Etä im Florentiner Archiv
angibt; vgl. Vasari II, 591 n. 1 f] — Giovacchino altro suo figliolo
anni 3.
Nel Libro de Mortj all’ Ufitio dellj Spezialj si trova: A dj
29 Agosto 1499. Alesso Baldovinettj fu sepolto in San Lorenzo. Questo
ü il Pittore, il quäle morj dj annj 74, come sj vede.
In dem Verzeichnis der Familiengräber auf fol. 43v wird dasjenige
des Malers wie folgt beschrieben:
Mitteilungen über neue Forschungen.
543
Abianne [abbiamone] un altra [sepoltura] sotto le volte dj san-
lorenzo, fella alesso dj baldovinetto baldovinettj edevvj sotterrato lascjo
sua rede lospedale dj sanpagholo dj firenze. Hierzu am r. Rand von
der Hand Giov. di Poggio Baldovinettis: L’ iscrizione dice S. Baldovi-
netti Alesij de Baldovinettjs et Suor. 1480. — A di 16 settembre 1739
la bocca di questa sepoltura fu murata in occasione dj rifarsj il pavi-
mento di nuovo, e ciö fu fatto di nostra volontä, ma vj restö 1’ arme,
elinsefgna]. Und am linken Rande von der gleichen Hand: Ci si vede
un Leone di bassorilievo di marmo biancho bellissimo. —
Die Nachrichten auf fol. i73v und i74r über die florentinischen
Palastbauten lauten folgendermaßen:
Fabriche in Firenze e di fuori.
Nel 1490 incjrcha sichomjncio molto adefichare muraglje djnuovo
in firenze effuorj djquella pelchontrado edjnora innora appiu seghuitato
e seguita djmodo chella ciptta elchontado sirifa quasi djnuovo e beliis-
sima ma ellarovina decjpttadjnj perlla spesa dj dittj edjfitj e djpoj a
ffornirlle djmaseritje edj fuorj e in firenze etanto rieche e sontuose etante
quanto oggj sifa ilpalazzo degli strozzj cjrcha allanno 1487 lochomincjo
a fondare filippo strozzj. elpalagjo deghondi da sanfirenze in djtti tenpi
lofe fondare guljano ghondj. djpoj insino aquesto anno 1520 invja mag-
gio semurato molte chase bellissime ellevato via piu dj sesanta botteghe
dartte djlana ghrosse vi si faejeva e franc.0 girolamj edificho lungharnno
edifichovj govannj berttj edificho niccholo e simone del nero’ nella via
debardj [einer der heutigen Palazzi Torrigiani] e chonsolj dellartte della
lana e demerchatantj e piero dantonjo dj taddeo allato luno alaltro
nella via deservj. edificho gloperaj deservj insulla piazza de servj dirin-
petto anoejentj logge e chase edificho salvj borgherinj inborgho Santo
apostolo [jetzt Pal. del Turco-Rosselli]. rinierj dej insulla piazza djsanto
spirito [der heutige Pal. Guadagni]. andrea sartinj da sanmichele [hierzu
am Rande in der Handschrift Giov. di Poggio Baldovinettis: Sertini da
S. Michel Berteldi. Es ist der Palazzo Corsi, Ecke der Via Pescioni
und de’ Corsi] e Carllo e bartolommeo ginorj dirieto achasa imedicj [Pal.
Ginori in Via de’ Ginori]. i figluolj dibartolommeo bartolinj asanto trinita
einportta rossa einterma [Pal. Bartolini-Salimbeni auf Piazza S. Trinita],
e djrieto asanto antonjo delveschovo femirabile muraglja chonchondottj
daqqua e assaj poderj cherieschono nella via dellaschala bernardo ruej-
ellaj [heute Pal. Strozzi-Ridolfi-Orloff in Via della Scala, einst samt den
daranschließenden Orti Oricellaj Sitz der platonischen Akademie], edificho
efife bello orto djrinpetto allospedate della schalla franc.0 eljonardo man-
neglj. edjfichorno in borgho saniachopo lucha djmaso deglalbizzi. edjficho
inelborgho deglalbizj. lorenzo demedjcj lanno 1490 fe ffare dua vie
Repertorium für Kunstwissenschaft, XXVIII. 37
544
Mitteilungen über neue Forschungen.
dalfiancho denocjentj [vgl. hierüber unsern Prospekt zum Leben und
Werke Giul.s da Majano im Beiheft zum Jahrbuch der K. preuß. Kunst-
sammlungen Bd. XXIV (1903) S. 169]. ellartte de merchatantj edel-
chanbjo vimurornno piu chase [vgl. hierzu Arte e Storia 1900 pag. 110].
Rubertto nasi edificho insullarnno alla piazza demozzj [heute Pal. Torri-
giani; s. Vasari V, 352]. messere lorenzo Serristorj edificho djrieto
asanghjrighoro [S. Gregorio, an der Stelle des heutigen Pal. Bardini] in
sulla ghora delle muljna [am ehemaligen Mühlgraben, dessen Stelle heute
der Lungarno Serristori einnimmt]. Rafifaello djtommaso antjnorj edificho
nella via debardj djrinpetto asanta maria soprarnno, era dj bernardo
delnero djtto sito. e nella via djsangovannj vangelista [das Stück der
heutigen Via del Campuccio zwischen Via de’ Serragli und Via romana]
sife moltissime chase. enelchanpaccjo [Via del Campuccio] edjrinpetto
acjestello [S. Frediano]. e messer bat° [Bartolomeo] schala alla portta
appintj [Pal. Gherardesca in Via di Pinti] e ghuardj presso alla portta
alla chrocje [an der Stelle des heutigen Carcere S. Teresa im Borgo la
Croce]. e moltj altrj vedifichornno echosj indjttj tenpi sirinovo quasi
lacjptta djfirenze djnfinite ebelljssimj palagj vie ecchase. eseghuitasi piu
cche maj edjfuorj vie piu chinon o [che io non ho] notjtja. emassimo
papa ljone fornjscje lamuragla delpoggjo acchajano [bezieht sich auf die
Ausschmückung des Innern mit den Fresken del Sartos und Pontormos]
e Jachopo Salviatj ilpalazzo ■ suo dj mon tughj [die bekannte zinnen-
bekrönte Villa gegenüber der Badia von Fiesoie].
C. v. Fabriczy.
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
Bauer, Adolf und Josef Strzygowski. Eine Alexandrinische Weltchronik,
Text und Miniaturen eines griechischen Papyrus der Sammlung
W. Goleniscew. Mit 8 Doppeltafeln und 36 Abb. im Texte. Wien.
C. Gerolds Sohn.
Buschmann Ir., P. Jacques Jordaens et so 11 oeuvre. Traduite du
Neerlandais par Georges Eekhoud. Avec 45 reproductions hors
Texte. Bruxelles. G. van Oest & Co.
Dehio, Georg. Handbuch der deutschen Kunsttjenkmäler. Im
Aufträge des Tages für Denkmalspflege. Band I: Mitteldeutschland.
Berlin. Ernst Wasmuth A.-G. M. 4.
Dehio, Dr. Georg, und Dr. Gust. v. Bezold. Die Denkmäler der
deutschen Bildhauerkunst. 4 Serien zu 20 Lieferungen von je
20 Tafeln. 1. Lieferung. Berlin. Ernst Wasmuth A.-G. Preis
jeder Serie M. 100.
Denkmalspflege. Sechster Tag. Bamberg 22. und 23. September 1905.
Stenographischer Bericht. Berlin. Wilhelm Ernst & Sohn.
Deutinger, Martin von. Beiträge zur Geschichte, Topographie und Statistik
des Erzbistums München und Freising. 9. Band. München. J. Landauer-
sche Buchhandlung, M. 4.
Fierens-Gevaert. La Renaissance septentrionale et les premiers
maitres des Flandres. Bruxelles. G. van Oest & Co.
Ganz, Paul. Handzeichnungen Schweizerischer Meister des
XV. — XVIII. Jahrhunderts. Im Aufträge der Kunstkommission
unter Mitwirkung von Prof. Dr. Burckhardt und Prof. H. A. Schmid.
Basel. Helbing & Lichtenhahn.
Groote, Maximilian von. Die Entstehung des ionischen Kapitells
und seine Bedeutung für die griechische Baukunst. Straßburg.
J. H. Ed. Heitz. M. 3.
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Hochaltars. Mit 4 Lichtdrucktafeln. Straßburg. J. H. Ed. Heitz.
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24 Tafeln, II. Denkmäler mit architektonischem oder vor-
546
Bei der Redaktion eingegangene Werke.
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im Text und 4 Tafeln. Stuttgart: Alfred Kröner. M. 15 u. M. 24.
Holl, M. Ein Biologe aus der Wende des XV. Jahrhunderts. Leonardo
da Vinci. Inaugurationsrede. Graz. Leuschner & Lubensky. M. 0.60.
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Innsbruck. Wagnersche Universitätsbuchhandlung.
Krücke, Adolf. Der Nimbus und verwandte Attribute in der
frühchristlichen Kunst. Mit 7 Lichtdrucktafeln. Straßburg.
J. H. Ed. Heitz. M. 8.
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Plastik des XVI. Jahrhunderts. Mit 70 Abbildungen. München.
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Mayer, Eduard von. Die Seele Tizians. (Führer zur Kunst. 2.) Eß-
lingen. Mit 3 Photogravüren, 3 Vollbildern und einer Abb. im
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Meier-Graefe, Julius. Corot und Courbet. Ein Beitrag zur Entwick-
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gegeben vom Heidelberger Schloßverein. Band V. Heft 1/2.
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Munoz, Antonio. I codici greci miniati delle rhinori Biblioteche
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547
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Strunz, Käthe. Schematischer Leitfaden der Kunstgeschichte
bis zum Beginn des XIX. Jahrhunderts. Leipzig und Wien.
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Volbehr, Theodor. Gibt es Kunstgesetze? (Führer zur Kunst. 1.)
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Watzinger, Carl. Griechische Holzsarkophage aus der Zeit
Alexanders des Großen. Mit 3 Chromotafeln, 1 farbigen Plan
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Wölfflin, Heinrich. Die Kunst Albrecht Dürers. München. Verlags-
anstalt F. Bruckmann A.-G. M. 12.
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