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Full text of "Geschichte der renaissance in Deutschland"

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LÜBKE- HAUPT 
GESCHICHTE  DER 
RENAISSANCE  IN 
DEUTSCHLAND  ^ 


Renaissance  in  Deutschland 


GESCHICHTE  DER 
NEUEREN  BAUKUNST 


I.  GESCHICHTE  DER  RENAISSANCE  IN 
ITALIEN  von  Jacob  BiircJchardt.  5.  Auflage. 
Bearbeitet  von  Professor  Dr.  II.  Holtzinger. 
Geheftet  M.  12.—.  Gebunden  M.  15.—. 
II.  GESCHICHTE  DER  RENAISSANCE  IN 
DEUTSCHLAND  von  Wilhelm  Lübke. 
I.Band.  S.Auflage.  Bearbeitet  von  Professor 
Dr.  A.  Haupt,  Kgl.  Baurat  zu  Hannover. 
Geheftet  M.  20.  —  .   Gebunden  M.  23.—. 

III-  —  IL  Band.  3.  Auflage.  Bearbeitet  von  Pro- 
fessor Dr.  A.  Haupt,  Kgl.  Baurat  zu  Hannover. 
Geheftet  M.  24.—.   Gebunden  M.  27.—. 

IV.  GESCHICHTE  DER  RENAISSANCE  IN 
FRANKREICEE  von  Wilhelm  Lübke.  Neue 
Auflage  in  Vorbereitung. 
V.  GESCHICHTE  DES  BAROCKSTILES, 
DES  ROKOKO  UND  DES  KLASSIZISMUS 
von  Cornelius  Gurlitt.  I.  Teil :  ITALIEN. 
Neue  Auflage  in  Vorbereitung. 

VI.  —  II.  Teil :  BELGIEN,  HOLLAND,  FRANK- 
REICH, ENGLAND.  Neue  Auflage  in  Vor- 
bereitung. 

VIL  —  III.  Teil:  DEUTSCHLAND,  ÖSTER- 
REICH-UNGARN, SCHWEIZ  und  andere 
Länder.  Neue  Auflage  in  Vorbereitung. 
VIII.  GESCHICHTE  D.  BAROCK  IN  SPANIEN 
von  Otto  Schubert.  Geheftet  M.  25. — .  Ge- 
bunden M.  28.—. 

IX.  VON  PALLADIO  BIS  SCHINKEL.  Eine 
Charakteristik  der  Baukunst  des  Klassizis- 
mus von  Paul  lüopfer.  Geheftet  M.  15. — . 
Gebunden  M.  18. — . 

I  


Alle  Rechte,  besonders  das  der  Übersetzung,  vorbehalten. 


GESCHICHTE 

DER 

NEUEREN  BAUKUNST 

VON 

JACOB  BURCKHARDT,  WILHELM  LÜBKE, 
ALBRECHT  HAUPT,  CORNELIUS  GURLITT, 
OTTO  SCHUBERT  UND  PAUL  KLOPEER 


DRITTER  BAND: 
GESCHICHTE  DER  RENAISSANCE  IN  DEUTSCHLAND 

ZWEITER  BAND 
VON 

WILHELM  LÜBKE 

DRITTE  AUFLAGE 


ESZLINGEN  a.  N. 
PAUL  NEEF  VERLAG  (MAX  SCHREIBER) 
1914 


GESCHICHTE 

DER 

RENAISSANCE  IN  DEUTSCHLAND 

VON 

WILHELM  LÜBKE 

ZWEITER  BAND 
DRITTE  AUFLAGE 

NEU  BEARBEITET  VON 

PROFESSOR  DR.  ALBRECHT  HAUPT 

KÖNIGL.  BAURAT  ZU  HANNOVER 
MIT  349  ABBILDUNGEN  IM  TEXT 


ESZLINGEN  a.  N. 
PAUL  NEFF  VERLAG  (MAX  SCHREIBER) 
1914 


Greiner  &  Pfeiffer,  Kgl.  Hofbuchdrucker,  Stuttgart 


Inhaltsverzeiclinis 


Zweites  Buch 


Die  Bauwerke  (Fortsetzung) 

XI.  Kapitel.   Bayern   ^^^^^ 

Freisinn-  

  4: 

Landsliut   ^ 

Trausnitz  

München  

XII.  Kapitel.    Die  österreichischen  Länder   gg 

Erzherzogtum  Österreich  

Steiermark  und  Kärnten   qc, 

Tirol  und  Salzburg  

Böhmen  und  Mähren   ' 

Prao' 

 100 

Süd-  und  Westböhmen  

Das  nordwestliche  und  nördliche  Böhmen   -1^21 

Das  östliche  Böhmen  und  Mähren   -1^27 

Skulptur,  Malerei  und  Kunstgewerbe   -|^29 

XIII.  Kapitel.    Die  nordöstlichen  Binnenländer   ^^35 

Breslau  

Liegnitz  und  Umgebung   .^^g 

Brieo" 

Z:  ° 159 
 168 

 171 

Die  Oberlausitz  

XIV.  Kapitel.    Die  norddeutschen  Küstengebiete  202 

Danzig  '  .  .  203 

Königsberg  '  "  221 

Pommern  

Mecklenburg  

Lübeck  

Schleswig-Holstein   289 

Lüneburg  

Bremen  

XV.  Kapitel.  Obersachsen  

Toi-gau  SU 

Dresden   o=« 

-r  .    .   ooü 

^''^^'S    •  •  •  ••  380 


YJJJ  Inhaltsverzeichnis 

Seite- 
Halle   385 

Mersehurg   394; 

Thüringen   iOl 

Anhalt   412 

XVI.  Kapitel.    Niedersachsen   417 

Celle   418 

Schloßbauten   424 

Fürstliche  Bauten   429 

Die  Städte  .437 

XVII.  Kapitel.    Die  nordwestlichen  Binnenländer   468 

Westfalen   469 

Rheinland   492 

XVIII.  Kapitel.    Die  nordhessischen  Gebiete   515 

Xiederhessen    516 

Oberhessen   521 

Alphabetisches  Register   528 


Holzgeschnitzter  Knauf  aus  dem  Eathause  zu  Danzig 


ZWEITES  BUCH 


Die  Bauwerke  (Fortsetzung) 


Elftes  Kapitel 
Bayern 

Im  schärfsten  Gegensatze  zum  fränkischen  und  schwäbischen  steht  das 
bayrische  Gebiet.  Von  den  Firnen  und  Gletschern  der  Alpen  bis  gegen  die  Donau- 
niederung sich  erstreckend,  war  es  von  jeher  von  einem  kräftigen,  tüchtigen 
Menschenschlag  bewohnt,  der  indes  mehr  für  ruhiges  Beharren  in  altgewohnten 
Zuständen  und  für  unbekümmertes  Behagen,  als  für  rastloses  geistiges  Arbeiten 
und  Fortschreiten  angelegt  zu  sein  scheint.  Bis  in  die  neuere  Zeit  hinein  hat  hier 
deutsches  Geistesleben  wenig  tiefere  Förderung  erfahren.  Vergebens  auch  schauen 
wir  uns  nach  jenen  mächtigen  freien  Städten  um,  die  in  Schwaben  und  Franken 
wie  im  ganzen  übrigen  Deutschland,  schon  früh  der  Sitz  eines  mannhaften  selb- 
ständigen Bürgertums,  der  Hort  einer  kräftigen  Kulturentfaltung  waren.  Hier  ist 
von  jeher  die  Kirche,  geschützt  durch  die  mit  ihr  verbundene  Fürstenmacht,  die 
Lenkerin  des  Lebens  gewesen.  Aber  auch  diese  hat  sich  in  ihren  glanzvollsten 
Zeiten  lange  nicht  so  schöpferisch  erwiesen,  als  in  den  meisten  übrigen  Gauen 
Deutschlands.  Wenn  auch  nicht  verkannt  werden  darf,  was  Tegernsee,  Freising 
und  andere  geistUche  Sitze  für  die  Kultur  des  Mittelalters  geleistet  haben,  so 
weist  doch  das  ganze  Land  weder  in  der  romanischen,  noch  in  der  gotischen 
Epoche  Monumente  ersten  Ranges  auf,  und  erst  im  Ausgang  des  Mittelalters 
gelmgt  es  den  Bürgerschaften  von  Landshut,  München,  Ingolstadt,  in  gewaltigen 
wenn  auch  nicht  immer  edel  durchgebildeten  Bauwerken  Zeugnisse  eines  ener- 
gischen Strebens  hinzustellen. 

Diese  Verhältnisse  ändern  sich  wenig  mit  dem  Eintritt  in  die  neue  Zeit 
Wohl  erfaßt  auch  hier  der  gewaltige  Drang  nach  Umgestaltung  des  geistigen 
Lebens,  nach  Vertiefung  der  religiösen  Anschauungen  die  Massen;  Arsazius  See- 
hofer, ein  Schüler  Luthers,  weiß  selbst  in  München  der  neuen  Lehre  zahlreiche 
Anhänger  zu  gewinnen.  Aber  eine  Reihe  strenggläubiger  Fürsten  unterdrückt 
mit  Gewalt  diese  Regungen.  Herzog  Wilhelm  IV.,  bis  1534  mit  seinem  Bruder 
Ludwig,  dann  bis  1550  allein  regierend,  erHeß  die  strengsten  Religionsmandate  ') 
Ein  System  von  Überwachung  und  Aufpasserei  riß  beim  geringsten  Verdacht  ruhige 
Bürger  aus  den  Armen  ihrer  Famihe  und  heferte  sie  ins  Gefängnis.  Selbst  die 
Bischöfe  waren  dem  Herzog  zu  mild;  sogar  auf  dem  Scheiterhaufen  mußten 
manche  Protestanten  büßen,  und  durch  Einführung  der  Jesuiten  legte  Wilhelm  den 

i)H.Zschokke,  Bayrische  Geschichten  m,  49  if.  Büchner,  Gesch.  von  Bayern  Vn,  46. 
L üb ke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  1 


2 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Grund  zu  jener  Richtung  der  Geister,  welche  bis  heute  noch  ihre  Wirkungen 
ausübt.  Die  Universität  Ingolstadt  wurde  der  Hauptsitz  des  Ordens,  und  das 
bayrische  Land  blieb  fortan,  die  Hauptstadt  München  an  der  Spitze,  der  Mittelpunkt 
des  weithin  gesponnenen  Netzes.  Wilhelms  Nachfolger,  Albrecht  V. 
steigerte  noch  die  Bestrebungen  seines  Vorgängers  und  gründete  den  Jesuiten 
jenes  gewaltige  Kollegium  mit  der  Kirche  des  hl.  Michael  in  seiner  Residenzstadt, 
das  zum  Bollwerk  der  Gegenreformation  werden  sollte.  In  kluger  Berechnung 
wußte  der  Orden  durch  prunkvolle  Schauspiele  den  Sinn  der  Menge  zu  beherrschen, 
mit  nie  gesehener  Pracht  wurde  die  Einweihung  seiner  Kirche  gefeiert,  und  in 
einem  barock  phantastischen  Singspiel  unter  freiem  Himmel  sah  die  staunende 
Bevölkerung  den  Erzengel  Michael  seinen  siegreichen  Kampf  gegen  dreihundert 
Teufel  ausfechten.  Nicht  minder  pomphaft  wurde  die  Fronleichnamsprozession 
in  Szene  gesetzt;  glanzvolle  Bühnendarstellungen  aus  der  Heiligen  Geschichte 
des  Alten  und  Neuen  Testamentes  taten  mit  ihrer  verwirrenden  Pracht  das  übrige. 
Da  zeigten  sich  in  den  Festzügen  alle  Heiligen  des  Alten  und  Neuen  Bundes; 
Adam  und  Eva  scheinbar  nackt;  sechzehn  Marien,  deren  letzte  und  schönste  im 
Gewölk  einherfuhr;  Gott- Vater  selbst,  „soll  eine  lange,  gerade,  starke,  wohl- 
formierte Person  sein",  wie  es  in  der  Vorschrift  heißt;  „die  unter  dem  Angesicht 
schöne  reslete  Färb  hat  und  nit  gelb,  kupferfarb  oder  finnig  aussieht;  soll  auch 
fein  einen  steten  Gang  an  sich  nemen,  wenig  umbsehen  und  nit  sauer  auch  nit 
lächerlich,  sondern  fein  sittsam  aussehen."  Während  dessen  mußte  der  Bauer 
sich's  gefallen  lassen,  daß  die  härtesten  Wildgesetze  ihn  schutzlos  gegen  die  Ver- 
wüstungen seiner  Saaten  machten;  gegen  die  Feldmäuse  freilich  wurden  auf 
herzoglichen  Befehl  —  Kirchengebete  angeordnet.  Die  höchste  Regierungssorge 
jedoch  blieb  immer,  das  Land  vor  der  Berührung  mit  Luthers  Lehre  zu  wahren. i) 
Die  Vollendung  dieser  Bestrebungen  vollzog  sich  unter  der  Regierung  Wilhelms  V. 
(1579_98)  und  mehr  noch  durch  seinen  Sohn  Maximilian  I.,  das  Haupt  der  katho- 
lischen Liga,  der  für  seine  Verfechtung  der  kirchhchen  Interessen  den  Besitz  der 
Oberpfalz  samt  dem  Kurhute  davontrug. 

Daß  unter  solchen  Verhältnissen  von  einem  selbständigen  Geistesleben  wenig 
die  Rede  sein  konnte,  leuchtet  ein.  Nicht  daß  es  den  bayrischen  Herzögen  an 
Sinn  für  Höheres  gefehlt  hätte ;  in  ihrer  Weise  haben  sie  nach  Kräften  die  Wissen- 
schaft gepflegt,  nach  Reform  der  Geistlichkeit  und  der  Schulen  gestrebt.  Aber 
weil  sie  alles  unter  die  Vormundschaft  der  Kirche  stellten,  blieb  freie  Entwicklung 
fern;  die  Wissenschaft  trocknete  zu  einer  neuen  jesuitischen  Scholastik  ein,  die 
Volksseele  blieb  im  Aberglauben  befangen.  Von  jener  Kraft  bürgerUchen  Lebens, 
wie  es  sich  im  übrigen  Deutschland  allerorten  in  großartigen  Monumenten  ver- 
körpert hat,  finden  wir  keine  Spur.  Die  ganze  Bewegung  der  Renaissance  liegt 
in  den  Händen  der  Fürsten,  die  in  glänzenden  Schlössern  und  opulenten  kirch- 
lichen Bauten  ihrer  Prachtliebe  wie  ihrer  Frömmigkeit  ansehnliche  Denkmäler 
errichtet  haben.  Schon  Herzog  Wilhelm  IV.  war  einer  der  eifrigsten  Förderer 
der  Künste,  sein  Hof  ein  Sammelplatz  von  Künstlern  jeder  Art.  Er  und  sein 
Bruder  Ludwig  haben  fast  zuerst  die  itahenische  Renaissance  beim  Bau  der 
prachtvollen  Residenz  in  Landshut  nach  Deutschland  eingeführt.  Aber  indem  sie 
eine  ganze  Kolonie  italienischer  Künstler  zur  Errichtung  und  Ausschmückung 
des  Baues  beriefen,  wurde  die  selbständige  Entwicklung  einer  deutschen  Renais- 
sance kaum  gefördert ;  man  verpflanzte  die  Wunderblüte  einer  fremden  Kunst 
auf  nordischen  Boden,  die  hier  vereinzelt  und  einflußlos  bleiben  mußte.  Noch 
höher  steigert  sich  die  Prachtliebe  bei  Albrecht  V.  Überall  entstanden  neue  Bau- 
ten oder  Verschönerungen  der  schon  bestehenden ;  in  den  Schlössern  zu  Lands- 


1)  Vgl.  die  lebendigen  Schilderungen  im  III.  Bd.  von  Zschokke. 


Überblick 


3 


hut,  Dachau,  Isareck,  Starnberg  wurde  unablässig  gebaut.  Auf  dem  Starnberger 
See  schwamm  eine  Lustflotte  mit  einer  prächtigen  Gondel  für  den  Herzog ;  seine 
Kapelle  hatte  ausgezeichnete  Sänger  und  Musiker,  vor  allem  Orlando  di  Lasso, 
dessen  Büßpsalmen  in  einem  kostbaren  Manuskript,  geschmückt  mit  den  Minia- 
turen Hans  Müelichs,  man  noch  auf  der  Bibliothek  in  München  bewahrt.  Kunst- 
werke aller  Art,  Statuen  in  Marmor  und  Erz,  geschnittene  Steine  und  Münzen, 
Zeichnungen  und  Gemälde  wurden  erworben,  kostbare  Bücher  und  Handschriften 
angekauft,  darunter  die  Sammlungen  Hartmann  Schedels  und  Hans  Jakob  Fuggers. 
Diese  Bestrebungen  setzte  Herzog  Wilhelm  V.  fort ;  die  Hofkapelle  wurde  noch 
vermehrt;  für  die  Gemäldesammlung  wurden  jährhch  feste  Summen  ausgesetzt, 
junge  Künstler  ins  Ausland  geschickt,  berühmte  Maler  aus  der  Fremde  berufen. 
Einen  neuen  Palast,  die  spätere  Maxburg,  erbaute  sich  der  Herzog  in  München; 
noch  weit  prachtvoller  war  die  Kirche  und  das  Kollegium,  die  er  daselbst  den 
Jesuiten  errichtete.  Üppige  Lebenslust  brach  vom  Hofe  aus  sich  in  alle  Stände 
Bahn,  und  es  ist  bezeichnend,  wie  der  Rat  zu  München  jedes  Jahr  am  Sonntag 
nach  Drei  Königen  eine  Schlittenfahrt  veranstalten  mußte,  zu  welcher  der  ganze 
Hof  geladen  wurde,  ein  Gebrauch,  auf  dessen  Einhaltung  der  Herzog  streng  be- 
stand, selbst  wenn  der  Magistrat  untertänigst  erinnerte,  es  seien  die  meisten  Haus- 
frauen schwanger  und  die  Gassen  ohne  Schnee;  worauf  der  Herzog  befahl,  „herum- 
zufahren, es  schneie  oder  nit". 

Man  sieht  aus  allem,  daß  so  verschwenderische  Kunstpflege  doch  den  Volks- 
geist nicht  gleich  zu  eigenen  Schöpfungen  zu  befruchten  vermochte.  Wie  man 
die  Jesuiten  zur  Befestigung  der  römischen  Priesterherrschaft  ins  Land  rief,  so 
ließ  man  auch  die  Kunst  durch  fremde  Meister  einführen.  Bei  der  Residenz  in 
Landshut  (1536)  beginnt  diese  Richtung,  die  völlig  mit  den  nordischen  Gewohn- 
heiten und  den  Reminiszenzen  des  Mittelalters  bricht ;  dort  wie  in  den  folgenden 
Bauten  Bayerns  kommt  vorwiegend  nur  itahenische  Kunst  zu  Worte.  Weil  aber 
die  Bewegung  eine  ausschließlich  von  oben  geförderte  war,  nicht  aus  dem  Volks- 
leben selbst  mit  Notwendigkeit  hervordrang,  so  gewinnt  sie  auch  keinen  inner- 
lich übereinstimmenden  Charakter.  Es  sind  und  bleiben  vielmehr  großenteils  aus- 
wärtige Meister,  die  man  für  die  Leitung  der  künstlerischen  Unternehmungen  be- 
ruft ;  zuerst  Italiener,  später  italienisch  gebildete  Niederländer.  Was  sich  von  hei- 
mischen Kräften  daneben  hervortut,  gehört  meistens  dem  Gebiete  der  Kleinkünste 
und  des  Kunstgewerbes  an ;  doch  was  hierin  gerade  in  Bayern  von  Einheimischen 
geleistet  worden,  beweist,  daß  es  im  Lande  nicht  an  Talenten  fehlte.  Schon  die 
ersten  Versuche,  in  der  Architektur  sich  den  neuen  Stil  anzueignen,  der  auf  den 
alten  Handelsstraßen  unmerklich  über  die  Alpen  gedrungen  sein  mochte,  jene 
ersten  Versuche  im  Hofe  der  Residenz  zu  Freising,  im  Vorderbau  des  Palastes 
zu  Landshut,  in  gewissen  Grabmälern  zu  Freising  und  anderwärts  bezeugen,  daß 
die  wackeren  einheimischen  Meister  bereit  genug  waren,  das  Neue  sich  anzueig- 
nen. Bedeutende  Meister  haben  sich  da  in  aller  Stille  entwickelt  und  betätigt; 
wir  erinnern  da  nur  an  den  trefflichen  Loij  Hering,  dessen  zahlreiche  reizvolle 
Grabdenkmäler  die  Kirchen  bis  ins  Fränkische  füllen;  auch  sonst  ist  an  geschickten, 
ja  hervorragenden,  wenn  auch  namenlosen  Künstlern  kein  Mangel,  wie  z.  B.  das 
wundervoll  gedachte  feine  Denkmal  des  Wolfgang  Peisser^)  d.  Ä.,  f  1526  in  der 
Garnisonkirche  zu  Ingolstadt,  oder  der  prächtige  geschnitzte  Altar  zu  Haimperts- 
hofen^)  beweisen,  letzterer  ein  reicher  durchbrochener  Aufbau  in  vielfach  ge- 
gliederter Frührenaissance,  dessen  Pilaster-  und  Friesflächen  in  vortrefflicher 
Ornamentik  geradezu  blühen;  auch  mehrere  seiner  geschnitzten  Figuren  zeigen 
eine  Meisterhand;  das  Ganze  erinnert  stark  an  Peter  Flettners  Richtung. 

1)  Bau-  und  Kiinstdenkmäler  des  Königreichs  Bayern,  I.,  Taf.  12. 

2)  Daselbst  Taf.  18. 


4 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Aber  statt  solchen  Künstlern  Gelegenheit  zu  bedeutenderen  Schöpfungen 
zu  geben,  aus  denen  sich  wie  in  Schwaben,  Franken,  der  Pfalz  und  im  übrigen 
Deutschland  eine  nationale  Renaissance  entwickelt  hätte,  zog  man  es  vor.  Fremde 
herbeizurufen  und  den  Stil  Italiens  nach  dem  Norden  zu  verpflanzen.  So  ist  eine 
Reihe  glänzender  Bauten  von  hohem,  künstlerischem  Wert,  doch  ohne  wahren 
inneren  Zusammenhang  mit  dem  Leben  des  Volkes  entstanden,  die  wir  nun  ein- 
zeln zu  betrachten  haben.  Es  ist  seltener  deutsche  Renaissance,  als  vielmehr 
Renaissance  in  Deutschland,  was  wir  in  Bayern  finden. 

Hierbei  ist  eines  bezeichnenden  Umstandes  noch  zu  erwähnen,  der  auf  die 
Art  der  Renaissance  in  Baj^ern  ganz  besonders  bestimmend  eingewirkt  hat.  Es 
ist  die  Sonderart  des  Baumaterials  im  Lande.  Eines  allgemein  verwendbaren 
Hausteines  entbehrend,  ist  es  vorwiegend  auf  die  Verwendung  künstlicher  Bau- 
stoffe angewiesen.  Die  Alpen  und  ihre  Vorberge  bestehen  aus  Kalk,  der  in  manchen 
Gegenden,  insbesondere  nach  dem  Salzburgischen  hin,  sich  zu  rötlichen  Marmor- 
arten verdichtet,  sonst  aber  selten  als  Haustein  verwendbar  ist,  so  daß  seit  alters 
die  wichtigeren  Bauten  in  Backstein  hergestellt  und  später  meist  verputzt  wurden. 
Seitdem  spielt  der  Kalkputz  eine  besondere  Rolle,  insbesondere  im  Innern  der 
Gebäude  in  der  kultivierten  Form  des  Stucks,  der  denn  seit  dem  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  das  führende  künstlerische  Material  wird;  ausgezeichnete  Bau- 
teile, Portale  u.  dgl.,  werden  gern  in  Marmor  eingefügt.  — 

Dieser  Umstand  hat  der  bayrischen  Renaissance,  die  dazu  ihre  Vorbilder 
ganz  naturgemäß  aus  dem  nahen  Itahen  entnahm,  da  die  Stuckarchitektur  dort 
seit  einem  Jahrhundert  schon  reiche  Pflege  gefunden  hatte,  einen  Charakter  auf- 
geprägt, den  die  meisten  Schriftsteller  als  einen  völlig  itahenischen  bezeichnen 
und  der  scheinbar  wenig  Selbständiges  besitzt.  Das  erweist  sich  jedoch  auf 
die  Dauer  als  irrtümlich.  Vielmehr  gewinnt  die  seit  dem  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Bayern  erblühende  Stuck-Renaissance  doch  bald  Eigenart  genug,  daß 
man  sie  zuletzt  als  eine  spezifisch  bayrische  Richtung  bezeichnen  darf. 

Das  äußert  sich  besonders  bei  den  neuen  Kirchenbauten  wie  den  Kirchen- 
ausstattungen jener  Zeit.  St.  Michael  zu  München  mit  seinen  herrlichen  Raum- 
verhältnissen und  seiner  vornehmen  Stuckdekoration  besitzt,  obwohl  seine  Formen- 
welt zunächst  sich  an  die  itahenische  Art  anlehnt,  doch  keineswegs  ein  erkenn- 
bares itahenisches  Vorbild.  Und  die  nun  folgende  Reihe  prachtvoller  Kirchen, 
wie  die  Jesuitenkirche  zu  Landshut,  die  Kirchen  zu  Weilheim,  Polling,  Beuerberg, 
zu  Maria  Birnbaum,  Ilgen,  der  sich  so  viele  weitere  ähnliche  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert anschließen,  —  die  glänzende  Ausstattung  gotischer  Bauwerke  in  gleicher 
Art  (ich  erinnere  nur  an  die  Augustinerkirche  zu  München)  geben  ein  glänzendes 
Gesamtbild.  Ergänzt  wird  das  Innere  durch  eine  reine  Stuckrenaissance  des 
Äußeren,  wofür  ich  nur  die  Fassade  der  Michaeliskirche  und  das  Jesuitenkollegium 
in  München,  das  Rathaus  zu  Friedberg  anführe. 

Preising 

Auf  dem  sonnigen  Hügel,  der  die  Stadt  Freising  überragt,  hat  schon  in 
ältester  Zeit  die  geistliche  Macht  einen  festen  Sitz  aufgeschlagen.  Die  ansehn- 
liche romanische  Domkirche  und  die  benachbarte  ehemahge  fürstliche  Residenz 
bilden  mit  den  dazu  gehörigen  Bauten  gleichsam  eine  Stadt  für  sich.  Wir  haben 
es  hier  zunächst  mit  dem  Residenzschloß  zu  tun,  das  in  seinen  älteren 
Teilen,  namentlich  dem  nördhchen  Flügel,  zu  den  frühesten,  noch  unklar 
schwankenden  Renaissancewerken  in  Deutschland  gehört.  Bischof  Philipp  ließ 
im  Jahre  1520  den  Bau  ausführen.   Von  außen  ist  das  Schloß  völlig  einfach, 


1)  Auch  Lühke  hatte  diese  Auffassung  hier  von  jeher  vertreten. 


Freising 


5 


nur  gegen  die  Johanneskirche  ragt  ein  Turm  empor,  der  oben  achteckig  und 
mit  einem  Kuppeldach  geschlossen  ist.  Gegen  die  Stadt  hin  an  der  Nordseite 
ist  ein  einfach  rechtwinkliger  Erker  ausgebaut.  An  der  ostwärts  schauenden 
Hauptfassade  sah  man  Spuren  einer  leider  seit  einiger  Zeit  übertünchten  kräftigen 
Bemalung,  imitiertes  Quaderwerk  in  grauen  Tönen,  unter  den  Fenstern  barock 
gestaltete  Schilde,  über  denselben  mannigfach  variierte  Krönungen  von  Blattwerk 
und  Masken,  Voluten  und  Muscheln  in  großer  Abwechslung.  Dies  alles  übrigens 
vom  Ende  der  Epoche.    Auch  das  Portal,  das  sich  im  gedrückten  Rundbogen 


Abb.  1   Hallen  des  Ecsidenzschlo,s.ses  zu  Freising 
(Nach  Baudenkmale  Bayerns) 


Öffnet,  war  mit  gemalten  Bändern  und  Rosetten  geschmückt.  An  der  Südseite 
zieht  sich  eine  geschlossene  Terrasse  hin,  die  in  ihrer  hohen  Lage  am  südlichen 
Kamm  des  Hügels  einen  herrlichen  Blick  über  die  grünen,  von  der  Isar  durch- 
zogenen Wiesengründe  gewährt.  Am  Horizont  gewahrt  man  die  Türme  Münchens 
und  dahinter  die  großartige  Linie  der  Alpenkette,  die  das  schöne  Bild  abschließt. 

Das  Hauptportal  führt  durch  einen  Torweg  in  einen  ungefähr  quadratischen 
Hof  von  mäßiger  Ausdehnung.  Den  beiden  vorderen  Flügeln  des  Baus  an  der 
Eingangsseite  und  zur  Rechten,  also  dem  östhchen  und  nördhchen,  sind  Arkaden 
auf  schweren  Pfeilern  vorgelegt,  mit  weit  gespannten  Bögen,  in  denen  Mittelalter 
und  Renaissance  wunderlich  sich  mischen.  Drei  Treppen  in  rechtwinldig  ge- 
brochener Anlage  mit  Podesten  führen  aus  der  unteren  Halle  hinauf,  die  erste 
gleich  beim  Eingange  und  die  dritte  in  der  Mitte  des  Nordflügels  in  das  Haupt- 
geschoß, die  zweite  in  der  einspringenden  Ecke  der  beiden  Flügel  zu  einem 
hohen  Erdgeschoß.  Das  Merkwürdigste  ist  indes  nicht  sowohl  diese  Anordnung, 
als  vielmehr  der  seltsame  Stil  der  den  oberen  Stock  begleitenden  Galerie  (Abb.  1). 
Hier  bilden  sich  nämlich  abwechselnd  auf  kurzen  Säulchen  oder  Pfeilern  am 


6 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XL  Kapitel  Bayern 


östlichen  wie  am  nördlichen  Flügel  je  fünf  Arkaden  mit  Stichbögen,  deren  Profil 
in  mittelalterlicher  Weise  aus  Kehle  und  Rundstab  besteht.  Sämtliche  Pfeiler 
und  Säulen,  mit  einer  gewissen  Opulenz  aus  rotem  Marmor  gebildet,  zeigen  ver- 
schiedene Behandlung,  die  zwischen  Gotik  und  Renaissance  schwankt  und  den 
letzteren  Stil  offenbar  nur  aus  dunklen  Quellen  kennt.  Man  sieht  die  wunder- 
lichsten Spielereien,  in  denen  mißverstandene  antike  Formen  mit  mittelalterlichen 
Formen  und  Gewohnheiten  um  die  Herrschaft  ringen.  Die  Pilaster  oder  Pfeiler 
haben  an  den  Schäften  hübsche  Flachornamente  im  frühesten  Stil  der  Renaissance. 
Das  alles  zeugt  von  einem  provinzialen  Meister,  dessen  Stilkenntnis  etwa  auf  der 
Höhe  von  Urs  Graf  und  ähnlichen  auf  der  Grenze  des  neuen  Stiles  stehenden 
Künstlern  sich  bewegt.  Sein  Steinmetzzeichen  und  das  Monogramm  Ä  P  hat  er 
an  einem  Pfeiler  eingegraben.  Eingefaßt  wird  die  obere  Galerie  durch  eine  derbe 
Balustrade,  ebenfalls  von  rotem  Marmor.  Im  nördlichen  Flügel  haben  die  oberen 
Arkaden  gotisch  profilierte  Rippengewölbe. ^) 

Im  Innern  sind  aus  späterer  Zeit  zwei  schöne  Säle  im  Erdgeschoß  des  Süd- 
flügels bemerkenswert,  wegen  der  trefflichen  Ausbildung  ihrer  Gewölbe,  die  ganz  in 
Stuck  in  jenen  späteren  Renaissanceformen  dekoriert  sind,  von  denen  ich  oben 
bereits  sprach.  Ein  reiches  Stuckgesimse  umzieht  in  der  Kämpferhöhe  den  ganzen 
Raum  mit  Einschluß  der  tiefen  Fensternischen.  Mit  Engelköpfchen  geschmückte 
Konsolen  bilden  sodann  die  Ausgangspunkte  der  Gewölbrippen  oder  vielmehr 
flacher  Rahmen,  die  sehr  elegant  profiliert  und  mit  Perlschnur,  Eierstab  und 
ähnlichen  Formen  geschmückt  sind.  Die  Grundform  der  Decke  bildet  das  Kreuz- 
gewölbe, in  der  Mitte  ein  vollständiges,  an  beiden  Seiten  ein  halbiertes.  Die 
einzelnen  Kappen  sind  durch  schön  eingerahmte  Felder  in  verschiedenartigen 
Formen  geschmückt,  die  kleineren  mit  geflügelten  Engelköpfchen  ausgefüllt. 
Trotz  dicker  Übertünchung,  welche  die  Feinheit  der  Glieder  nur  noch  erraten 
läßt,  ist  der  Eindruck  des  Raumes  bei  6  m  Breite  und  doppelter  Länge  ein 
höchst  vornehmer.'^)  Ein  zweiter  ebenso  großer  Saal  hat  ein  Gewölbe  von  ähn- 
licher Behandlung,  aber  anderer  Einteilung,  etwas  weniger  reich,  aber  nicht  minder 
ansprechend. 

Im  Hauptgeschoß  liegt  auf  der  nordöstlichen  Ecke,  von  dem  bereits  er- 
wähnten Turm  überragt,  die  Kapelle.  Ein  quadratischer  Raum  mit  einer  Art 
kurzer  Kreuzarme,  durch  kannelierte  Pilaster  gegliedert,  dazwischen  Bogennischen 
und  Muschelfüllung.  Darüber  eine  Kuppel  mit  den  Stuckreliefbildern  der  Evan- 
gelisten in  den  Zwickeln,  in  der  Mitte  dem  des  Salvators.  Die  architektonischen 
Details  sind  in  trefflicher  Durchbildung  in  Stuck  kräftig  durchgeführt,  die  Gurt- 
bögen und  die  übrigen  Gewölbflächen  haben  elegant  komponierte  Ranken  und 
Kartusch-Ornamente.  Der  prachtvolle  Altar,  offenbar  gleichzeitig  mit  der  übrigen 
Dekoration,  trägt  die  Jahreszahl  1621.^) 

Einige  Ausbeute  gewährt  außerdem  der  Dom.  Schon  die  ursprüngUche  Anlage 
ist  von  einer  bis  jetzt  wenig  gewürdigten  Bedeutung.  Die  stattliche  romanische 
Basilika  mit  ihrer  großartigen  Krypta  steht  nämlich  westlich  mit  der  alten  Tauf- 
kirche St.  Johannes  durch  spätere  Arkaden  in  Verbindung  —  wie  es  in  verwandter, 
aber  altertümlicherer  Weise  die  Stiftskirche  zu  Essen  zeigt ;  anderseits  sind  von 
der  Johanneskirche  auch  Arkaden  nach  der  noch  weiter  westlich  liegenden  Resi- 
denz hingeführt.  An  der  Ostseite  wird  der  Dom  ähnlich  wie  der  Hildesheimer 
durch  einen  Kreuzgang  umfaßt,  der  freilich  modernisiert  ist,  doch  durch  zahlreiche 
Grabdenkmäler  Interesse  gewährt.  Das  östliche  Ende  dieses  Kreuzganges  wieder 
bildet  der  sogenannte  alte  Dom,  eine  kleine,  in  gotischen  Formen  umgebaute 
Basilika  mit  polygonem  Ghorschluß.    Der  Eingang  der  Kapelle  wird  durch  ein 

1)  Abgeb.  in  Bau-  und  Kunstdenkmäler  Bayerns,  I.,  Taf.  45,  46. 

2)  Abgeb.  das.  Taf.  45.  3)  Abgeb.  das.  Taf.  46. 


Freising  Landshut 


7 


Eisengitter  aus  der  Renaissancezeit  geschlossen.  Mehrere  Grabsteine  sind  nicht 
eben  durch  künsterische  Bedeutung,  wohl  aber  durch  frühes  Auftreten  der  Renais- 
sance von  Interesse.  Die  ersten  noch  schüchternen  Spuren  des  neuen  Stiles  zeigen 
sich  am  Grabstein  des  Kanonikus  Kaspar  Marolt  (f  1513).  Die  Nischen  rund- 
bogig,  die  Pilaster  im  Charakter  der  Renaissance,  während  die  Bekrönung  noch 
gotisches  Laubwerk  enthält.  Plumpe  Renaissancerahmen  mit  geschweiften 
Kandelabersäulchen  findet  man  daneben  an  dem  kleinen  Grabstein  des  Petrus 
Kalbsohr  vom  Jahr  1521.  Das  Monogramm  A  P  deutet  auf  den  Meister  der  Ar- 
kaden des  Residenzhofes.i)  Aus  demselben  Jahre  der  Grabstein  des  Paulus  Lang 
mit  Putten  und  Delphinen  ganz  in  Renaissancegeschmack,  aber  ebenso  schwer, 
wohl  von  der  Hand  desselben  Meisters. 

Im  Dome  selbst  haben  sämtUche  Seitenkapellen  Eisengitter  der  Hoch- 
renaissance von  einer  Schönheit  und  Phantasiefülle,  wie  sie  nicht  leicht  ander- 
wärts gefunden  wird.  Der  Hochaltar  ist  ein  Prachtstück  des  beginnenden  barocken 
Geschmackes.  Ebenso  die  Kanzel,  reich  geschnitzt  und  vergoldet,  mit  hohem 
phantasievoll  komponierten  Schalldeckel.  Beide  Werke  sind  1620—24  unter  Bischof 
Veit  Adam  ausgeführt,  ebenso  die  Gitter  der  Kapellen  und  Seitenschiffe. 

Landshut 

Die  Stadt  Landshut  hat  schon  früh  durch  die  Residenz  der  bayrischen  Her- 
zöge eine  gewisse  Bedeutung  gewonnen.  Bereits  im  13.  Jahrhundert  wird  die 
Trausnitz  auf  dem  steil  die  Stadt  überragenden  Hügel  zu  einer  mächtigen  Burg- 
anlage ausgebildet,  von  deren  künstlerischer  Entwicklung  später  die  Rede  sein 
wird.  Unten  in  der  Stadt  erbauten  sich  aber  zur  Zeit  der  aufblühenden  Renais- 
sance seit  1536  die  Herzöge  Wilhelm  IV.,  Ludwig  und  Ernst  eine  prachtvolle 
Residenz,  die  schon  1543  vollendet  war.')  Es  ist  eins  der  merkwürdigsten, 
frühesten  und  vollkommensten  Monumente  der  Renaissance  in  Deutschland,  von 
deutschen  Meistern  in  einem  noch  schwankenden  Stil  begonnen,  dann  aber  von 
Italienern  im  ausgebildeten  Stil  ihrer  Heimat  vollendet.  Wenn  man  in  der  Haupt- 
straße der  malerischen  alten  Stadt  an  der  nüchternen,  aus  späterer  Zeit  her- 
rührenden Fassade  vorbeigeht,  känn  man  nicht  ahnen,  welche  Pracht  dahinter 
sich  birgt.  Aber  ein  alter  Stich 3)  zeigt  uns  die  ursprünghche  äußere  Erscheinung 
des  Bauwerks,  über  einem  hohen,  mit  kleinen  Fenstern  und  drei  Portalen  durch- 
brochenen Erdgeschoß  einen  dreistöckigen  Bau,  in  der  Mitte  noch  durch  einen 
höheren  Aufbau  turmartig  überragt.  Die  Fenster  mit  ihren  verschiedenen  Be- 
krönungen,  der  reiche  Fries  des  Kranzgesimses,  die  Rahmenpilaster  an  den  Ecken, 
endlich  seltsame,  mehrfach  gegürtete  Rundsäulen  und  der  Flachbogen  des  Haupt- 
portals geben  den  Eindruck  einer  noch  unsicheren  Frührenaissance.  Tritt  man 
durch  das  jetzige  Portal  ein,  so  befindet  man  sich  in  einem  Vestibül  (A  in  Abb.  2), 
aus  dem  zu  beiden  Seiten  ziemlich  steil  aufsteigende  schmale  Treppen  ins  obere 
Geschoß  führen,  und  das  sich  dann  zu  einer  stattlichen  Halle  B  erweitert,  deren 
Kreuzgewölbe  auf  roten  Marmorsäulen  ruhen.  Dieser  ganze  Vorderbau  muß  das 
Werk  "eines  deutschen  Meisters  sein,  der  hier  seine  unitalienischen  Vorstellungen 
von  Renaissance  ausgedrückt  hat.  In  der  Tat  erfahren  wir*),  daß  diese  Teile  von 
den  Meistern  Mklas  Überreiter  und  Bernhard  Zwitzel,  einem  Schüler  des  B.  Engel- 
berger  von  Augsburg,  herrühren.  Die  Säulen  zeigen  eine  freie  Art  von  Kom- 
posita-Kapitell und  wenig  regelrichtige  runde  Sockel,  wozu  dann  noch  die  profi- 

1)  Abgeb.  in  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Königreichs  Bayern,  I.,  Taf.  43. 

2)  Aufn.  von  C.  Graef  in  Ortweins  Gesch.  d.  Ren.  XXI.  Abteil.  Heft  2—6. 

3)  In  Mich.  Wening  historico-topogr.  descript.  etc.  MDCCXXIII.  — 

4)  Sighart,  Bayr.  Kunstgesch.  S.  682. 


8  2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 

Herten  Gewölbrippen  kommen.  Die  künstlerische  Gestaltung  und  Durchbildung 
dieses  Teils  ist  dabei  doch  sehr  anziehend. 

Tritt  man  dann  aber  in  den  großen  ungefähr  quadratischen  Hof  G.  so 
ändert  sich  plötzlich  der  Eindruck,  und  man  glaubt  sich  in  einen  großartigen 
Palasthof  Itahens  versetzt  (Abb.  3).    Auf  drei  Seiten  fassen  gewaltige  Hallen 

DFG  von  dorischen 
Marmorsäulen  den 
Hof  ein,  rechts  und 
links  mit  Kreuz- 
gewölben gedeckt, 
an  der  Rückseite  mit 
korbförmigem  Ton- 
nengewölbe, in  wel- 
ches Stichkappen 
einschneiden.  Diese 
letztere  Halle  ist  von 
besonders  stattlicher 
Anlage,  an  beiden 
Enden  mit  Halbkreis- 
nischen geschlossen, 
die  Gewölbe  mit  fei- 
nen Profilen  in  Stuck 
gegliedert  und  durch 
größere  und  kleinere 
Gemälde  mythologi- 
schen Inhalts  ge- 
schmückt, die  Halb- 
kuppeln der  Nischen 
in  Rautenform  ge- 
teilt, in  den  Feldern 
feine  Relief  figürchen 
antiker  Götter,  ton- 
farbig hell  auf  brau- 
nem Grunde,  das 
Ganze  von  heiterster 
Wirkung.  Die  Ober- 
wände der  Hoffassaden  sind  durch  schlanke  korinthische  Pilaster  von  großem 
Maßstabe  eingeteilt,  welche  das  Hauptgeschoß  mit  seinen  hohen  Fenstern 
und  ein  kleines  Halbgeschoß  darüber  zusammenfassen.  Die  Fenster  haben 
strenge  Bildung  in  italienischer  Hochrenaissance  mit  abwechselnd  geraden 
und  gebogenen  Giebeln.  Das  Ganze  zeugt  von  der  Hand  eines  italienischen 
Architekten  der  schon  strengen  Richtung,  welcher  die  SanmicheH,  Vignola, 
Palladio  angehören.  Der  Kontrast  mit  dem  Vorderhaus  könnte  nicht  größer 
sein.  Wirklich  wurden  während  des  Baues  neue  Meister,  Sigmund  Walch  und 
Antonelli,  zur  Fortführung  des  Angefangenen  herbeigezogen,  und  diese  be- 
riefen noch  andere  Meister  aus  Mantua,  aus  der  Schule  des  Giuho  Romano: 
Bartolommeo,  Francesco  und  Benedetto  mit  27  Maurern,  während  bereits  die 
Steinmetzen  Nicola  Beora,  Bernardin,  Caesar,  Samarina,  Victor  und  Zemin, 
sämthch  aus  Itahen,  verwendet  waren.  Es  ist  also  eine  ganze  Kolonie  von 
Itahenern,  von  denen  hier  die  Renaissance  ausgeht.  In  welchem  Verhältnis 
die  Fremden  zu  den  Einheimischen  standen,  erkennt  man  daraus,  daß  der 
deutsche  Steinmetz  wöchentHch  einen,  der  Italiener  monatHch  zehn  Gulden  er- 


Abb.  2   Grundriß  der  Neuen  Eesidenz  zu  Landshut 


Landshut  Eesidenz 


9 


hielt.  Trotz  der  Niedrigkeit  der  Löhne  kam  der  Bau  doch  auf  52635  Gulden 
zu  stehen.^) 

Das  ganze  Innere  des  Baues,  der  völlig  im  Charakter  italienischer  Stadt- 
paläste durchgeführt  ist,  zeigt  dieselbe  Behandlung,  und  zwar  die  Hand  durchweg 
sehr  tüchtiger  Künstler.  In  der  Hauptachse  liegt  eine  Durchfahrt  E,  die  auf  eine 
der  Hauptstraße  parallel  laufende  Gasse  führt.  Sie  ist  mit  Tonnengewölbe  be- 
deckt, das  durch  achteckige  Kassetten  gegliedert  wird.  Das  Erdgeschoß  hat  eine 
Anzahl  ansehnlicher  Zimmer,  sämtlich  gewölbt  und  mit  Malerei  und  Stukkatur 
verziert.  Weit  größer  ist  die  Pracht  und  der  künstlerische  Aufwand  in  den  Räumen 


Abb.  3   HoJ  der  Xoucn  Residenz  zu  Landshut 
(Nach  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance) 


des  oberen  Hauptgeschosses.  Man  gelangt  dahin  entweder  über  die  beiden  Treppen 
des  Vorderhauses  oder  auf  einer  breiten  in  Backstein  mit  sehr  niedrigen  Stufen 
aufgemauerten  Treppe,  die  aus  der  hinteren  Halle  rechts  emporführt.  Ich  kann 
nicht  in  alle  Einzelheiten  eingehen;  nur  so  viel  sei  bemerkt,  daß  es  sich  hier 
um  eine  Schöpfung  handelt,  die,  jenseits  der  Alpen  gelegen,  sich  längst  hohen 
Ruhms  erfreuen  würde,  während  sie  in  Deutschland  immer  noch  gar  wenig  be- 
kannt ist.  Nur  dies  noch:  alle  oberen  Gemächer  sind  gewölbt,  die  Decken  in 
niannigfacher  Weise  geteilt,  mit  den  elegantesten  Ornamenten  in  Stuck  gegliedert, 
die  Felder  in  Fresko  ausgemalt,  das  Ganze  im  vornehmsten  Stil  der  italienischen 
Hochrenaissance,  eine  künstliche  Südfrucht  auf  nordischem  Boden.  Die  kleine 
quadratische  Kapelle  im  linken  Flügel  sei  vor  allem  erwähnt,  mit  kuppelartigem 
Gewölbe,  die  Wände  mit  einer  Komposita-Ordnung  von  Säulen  und  Pilastern 


1)  Geschichte  Landshuts  von  Mehreren,  Landshut  1835,  S.  166  Note. 


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2.  Buch    Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayeru 


elegant  gegliedert,  die  Friese  und  Deckenflächen  mit  trefflicher  Stuckdekoration. 
Besonders  der  Hauptfries  mit  Akanthusranken,  in  denen  Engel  spielen,  ist  von 
schöner  Erfindung  und  Ausführung.  Das  Prachtstück  ist  aber  der  große  Saal 
an  der  Rückseite  des  Hofes,  von  vornehmsten  Verhältnissen,  etwa  81/2  Meter  breit 
und  doppelt  so  lang  (Abb.  4).  Die  Wände  sind  mit  ionischen  Pilastern,  deren 
Kapitelle  sparsame  Vergoldung  zeigen,  gegliedert.  Zwischen  ihnen  sind  Medaillons 
mit  feinen  mythologischen  Reliefs  angeordnet,  Taten  des  Herakles  und  anderes  dar- 
stellend. Die  Wände  sind  jetzt  wieder  im  ursprünglichen  Marmorton  hergestellt, 
die  Malereien  aber  offenbar  früher  einmal  erneuert,  nur  der  große  Fries  sowie 
das  Gewölbe  zeigen  die  ursprüngliche  Ausstattung.  Und  von  welcher  Schönheit ! 

Namentlich  der  Fries  gehört  ohne  Frage  zu  den  köstlichsten  Schöpfungen 
der  Renaissance.  Man  liest  an  ihm  in  großen  goldenen  Buchstaben  den  bekannten 
Satz:  „Goncordia  parvae  res  crescunt,  discordia  maximae  dilabuntur."  Diese 
Buchstaben  werden  in  entzückendem  Spiel  von  mutwilligen  gemalten  Putten 
gehalten,  das  Ganze  blüht  in  einem  Reichtum  der  Erfindung,  einer  Fülle  des 
Humors,  daß  wohl  nie  ein  anmutigerer  Kinderfries  gemalt  worden  ist.  Darüber 
spannt  sich  im  Korbbogen  das  Gewölbe  mit  edler  Kassetten-Einteilung.  In  den 
großen  achteckigen  Hauptfeldern  sieht  man  in  Fresko  die  berühmtesten  Männer 
des  klassischen  Altertums  von  Homer  an;  an  den  beiden  Schildwänden  des 
Saales  sind  die  Künstler  Zeuxis,  Phidias  und  Praxiteles  dargestellt,  zu  denen 
sich  noch  Archimedes  gesellt.  In  den  kleineren  Feldern  der  Decke  sind  grau 
in  grau  friesartige  Szenen  aus  dem  klassischen  Altertum  gemalt,  als  Einrahmung 
dient  ein  blauer  Grund  mit  goldenen  Bändern  und  Schleifen  durchzogen,  darin 
auf  kleinen  Medaillons  Kameen  nachgeahmt  sind.  Die  innere  Umrahmung  der 
Hauptfelder  endüch  besteht  aus  vergoldeten  Ornamenten  und  Gliederungen.  Das 
Ganze  ist  ohnegleichen  in  Deutschland.  An  der  einen  Tür  des  Saales  liest  man 
die  Künstlermonogramme  PVS,  darunter  das  F  (wohl  „fecit");  sodann  LH. 

Bezweckt  die  Dekoration,  dieses  Saales  eine  Verherrlichung  des  klassischen 
Altertums,  so  klingt  der  hier  angeschlagene  Grundakkord  in  der  Ausstattung 
der  übrigen  Räume  nach.  So  sieht  man  ein  kleines  quadratisches  Badezimmer, 
dessen  Gewölbmalerei  der  Aphrodite  und  den  ihr  verwandten  Gestalten  gewidmet 
ist ;  in  den  Lünetten  sind  kleine  antike  Szenen  auf  landschaftlichem  Grunde  gemalt, 
in  den  Stichkappen  schwebende  Liebesgötter,  mit  Benutzung  der  raffaelischen 
Fresken  in  der  Farnesina,  alles  im  heitersten  Stile;  die  Wände  endhch  mit 
prächtigen  Blumenteppichen  bedeckt.  Die  Gemälde  zeugen  hier  von  etwas  ge- 
ringerer Hand,  alle  aber  tragen  gleich  denen  des  Saales  das  Gepräge  der  Nach- 
folger Raffaels. 

Dieser  reichen  Ausstattung,  die  sich  durch  eine  Reihe  größerer  Zimmer 
fortsetzt,  entspricht  alles  übrige.  Die  Kamine  der  Zimmer  und  die  Türgewände 
sind  aus  rotem  Marmor  in  klassischen  Formen  gebildet.  Auffallend  ist  die  Klein- 
heit sämtlicher  Türen,  auch  derjenigen  des  Saales.  Von  hoher  Schönheit  sind 
die  Türflügel  selbst,  sämtlich  mit  Intarsien  geschmückt,  deren  Ranken  zum  Feinsten 
dieser  Gattung  gehören. 

Etwas  abweichenden  Charakter  zeigt  die  Dekoration  der  oberen  Halle,  die 
im  linken  Flügel  den  Zugang  zur  Kapelle  und  die  Verbindung  zwischen  Vorder- 
und  Hinterhaus  vermittelt.  Ihre  gemalte  Dekoration  entspricht  zwar  dem  übrigen, 
aber  die  ebenfalls  gemalten  Fürstenbilder  an  den  Wänden,  wie  das  Ganze  flott 
und  keck  hingesetzt,  zeugen  von  der  Hand  eines  in  der  venezianischen  Schule 
gebildeten  Künstlers.  Das  Datum  ist  hier  1536,  während  man  im  großen  Saal 
1542  best.  Wir  wissen,  daß  Hans  Boxherger  aus  Salzburg  von  1542—55  in  der 
Residenz  gearbeitet,  namentlich  den  Gang  samt  der  Kapelle,  ferner  zwei  Säle, 
die  Kanzlei  und  den  Turm  ausgemalt  hat.  Den  Hauptsaal  dagegen  malten  zwei 


Landshut  Residenz 


11 


Abb.  4   Saal  der  Neuen  Residenz  zu  Landshut 
(Nach  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance) 


Künstler  aus  Mantua,  darunter  jener  oben  erwähnte  Antonelli.  Auch  Ludivig 
Rospinger  aus  München  wird  unter  den  Malern  genannt. 


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2.  Buch   Die  Bauwerke   XL  Kapitel  Bayern 


Abweichend  von  allen  diesen  Arbeiten  ist  endlich  der  im  zweiten  Geschoß 
des  Vorderhauses  liegende  geräumige  Saal,  denn  er  ist  niedrig  nach  nordischer 
Weise  und  mit  einer  Holzdecke  versehen,  die  für  sich  allein  ein  Kunstwerk  hohen 
Ranges  bildet.  Abwechselnd  auf  größeren  und  kleineren  Konsolen  ruhend,  die 
als  prächtiges  Gesims  den  Saal  umziehen,  ist  die  Decke  in  sehr  feinem  flachen 
Profil  gehalten,  um  nicht  zu  schwer  auf  dem  niedrigen  Räume  zu  lasten.  In 
vierzig  große  quadratische  Felder  geteilt,  acht  der  Länge,  fünf  der  Breite  nach, 
die  durch  schmale  längliche  Füllungen  getrennt  werden,  hat  sie  in  sämtlichen 
Flächen  herrliche  Intarsien,  helle  Zeichnung  auf  dunklem  Grunde,  jedes  Feld  in  ab- 
weichender Komposition,  voll  Phantasie  und  unerschöpflicher  Erfindung.  Muschel- 
und  Rollwerk  mischt  sich  mit  Rosetten,  Rankengewinden  und  anderem  Blatt- 
ornament. Der  Charakter  deutet  auf  den  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts.  Am 
schönsten  sind  die  Pflanzenornamente  der  schmalen  länglichen  Felder. 

Endlich  ist  noch  der  Fassade  zu  gedenken,  welche  die  Rückseite  des  Palastes 
bildet  (Abb.  5).  Sie  macht  mit  der  schlichten  Rustika  des  Erdgeschosses  und  den 

hohen,  zum  Teil  gekuppelten 
dorischen  Pflastern,  weichein 
ihre  große  Ordnung  die  bei- 
den oberen  Stockwerke  ein- 
schließen, den  Eindruck  der- 
selben schon  stark  zum  Nüch- 
ternen neigenden  Behand- 
lung, die  auch  in  den  Hof- 
fassaden vertreten  ist.  Der 
ganze  Bau  ist  in  Stuck  aus- 
geführt. 

Im  übrigen  hat  die  Stadt 
außer  der  sehr  ansehnlichen 
Jesuitenkirche,  die  sich 
aber  als  eine  fast  getreue 
Nachbildung  der  Münchener 
Michaeliskirche  erweist,  nicht 
viel  Bemerkenswertes  aus 
dieser  Epoche.  Das  Bezirks- 
amt neben  der  Martinskirche 
ist  mit  seinen  schweren  Ar- 
kaden auf  stämmigen  selb- 
ander  durch  Architrave  ver- 
bundenen Pfeilern,  seinen  mit 
Giebeln  bekrönten  Fenstern, 
seinem  großen  gewölbten 
Vestibül  und  Treppenhaus 
ein  Bau  von  ähnlicher  streng 
klassischer  Richtung.  Da- 
gegen vertritt  das  gegenüber- 
liegende ehemalige  Land- 
schaftshaus, jetzige  Post- 
gebäude, mit  seinen  pracht- 
vollen Fassaden-Fresken  den  heiteren  Charakter  jener  oberdeutschen  Fassaden, 
welche  ihren  Schmuck  ausschließlich  durch  die  Malerei  erhielten.  Die  architek- 
tonischen Glieder  in  den  derben  Formen  der  späten  Renaissance  sind  hell  gehalten; 
in  drei  Reihen  zwischen  den  Fenstern  vollfarbig  gemalte  Statuen  bayrischer  Fürsten 


Abb.  5  Rückfassade  der  Neuen  Residenz  zu  Landshut 


Landshut  Trausnitz 


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in  dunkelbraunen  Nischen;  unter  den  Fenstern  bronzefarbige  Medaillons  mit  rö- 
mischen Kaiserbüsten;  über  den  Fenstern  Gestalten  von  Tugenden:  das  Ganze 
reich  und  harmonisch.  Als  „Visierer"  des  Landschaftsgebäudes  wird  1597  H.  Pach- 
mat/r  genannt;  die  Herzogsbilder  der  Fassade  malte  1599  H.  G.  Khnanft. 

Sonst  ist  auch  der  anziehenden  Putzfassaden  vieler  Häuser  zu  gedenken, 
deren  Giebelfronten  durch  eigenartige  gequaderte  Musterungen  in  Stuck  belebt  sind. 

Dies  alles  aber  überragt  weit  an  Wichtigkeit  die 

Trausnitz 

Die  alte  Veste  erhebt  sich  auf  einem  steil  an  der  Südseite  der  Stadt  Landshut 
aufsteigenden  Hügel,  Zu  ihren  Füßen  breitet  sich  nordwärts  die  Stadt,  deren 
riesiger  St.  Martins- Kirchturm  mit  der  Höhe  der  Burg  wetteifern  zu  wollen  scheint, 
während  südwärts  der  Blick  über  das  lachende  grüne  Isartal  bis  zu  den  Firnen 
der  bayrischen  Alpenkette  schweift.  Die  Anlage  der  Trausnitz  reicht  bis  in  das 
frühe  Mittelalter  zurück.  Spuren  des  spätromanischen  Stils  erkennt  man  außen 
an  den  sich  durchschneidenden  Bogenfriesen  der  beiden  Rundtürme,  die  den  Ein- 
gang flankieren,  sowie  drinnen  an  der  Kapelle  mit  ihren  trefflichen  Skulpturen 
aus  dem  Anfange  des  13.  Jahrhunderts.  Der  ganze  Bau  mit  seiner  unregelmäßigen 
Form  datiert  aus  den  verschiedensten  Zeiten.  Alle  Epochen  des  Mittelalters  wie 
der  Renaissance  haben  an  ihm  gearbeitet. 


Abb.  6   Erdgeschoßgrundriß  der  Burg  Trausnitz  bei  Laiidshut 


Kommt  man  von  der  Stadt  auf  steil  ansteigendem  gewundenen  Fußpfade 
zur  Burg  hinauf,  so  bietet  sich  in  A  (Abb.  6)  der  von  zwei  vorspringenden  halb- 
runden Türmen  flankierte  Haupteingang.^)  Dies  sind  wahrscheinlich  Teile  des 
Baues  von  1204,  da  man  die  einfache  Warte  Trausnitz  in  eine  eigentliche  Burg 

1)  Vgl.  die  Aufnahme  von  C.  Graef  a.  a.  0.  Heft  1  und  6. 

2)  Beide  Grundrisse  verdanke  ich  gütiger  Mitteilung  des  Herrn  Baurats  Schmidtner 
in  Landshut. 


PiinilHIlRiHlHl 


14 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


umwandelte,  in  der  in  demselben  Jahre  Herzog  Ludwig  seine  Vermählung  feierte. 
Die  Burg  folgt  in  ihrer  unregelmäßigen  Anlage  dem  Kamme  der  steil  gegen  die 
Stadt  abfallenden  Hügelkuppe.  Die  vordere  Ecke  bildet  der  mächtige  Wittels- 
bacher Turm  G,  den  Aufgang  zur  Burg  beherrschend.  Tritt  man  durch  die 
mit  gotischen  Sterngewölben  bedeckte  Eingangshalle  in  den  großen  unregel- 
mäßigen Hof  B,  so  hat  man  vor  sich  die  beiden  Hauptflügel  des  Schlosses,  die 
zuerst  die  Wohn-  und  Festräume  enthielten.  Hier  finden  sich  vor  allem  die  jetzt 
als  Archiv  dienenden  Räume  H  und  I,  ursprünglich  wahrscheinlich  ein  einziger 


Abb.  7   Hof  der  Burg  Trausnitz  bei  Landshut 


Saal,  die  sogenannte  Türnitz,  deren  Decke  auf  achteckigen  Pfeilern  mit  gotischen 
Spitzbögen  ruht.  Nach  der  Südseite  gewähren  zahlreiche  Fenster  und  zwei  vor- 
gebaute Erker  einen  prächtigen  Blick  weit  über  das  Land.  Davor  legt  sich  der 
später  hinzugefügte  sogenannte  italienische  Bau  K  mit  der  Narrentreppe  L.  Nach 
dem  Hofe  dagegen  sind  mehrere  Nebenräume,  auf  der  Ecke  die  Wendeltreppe  Q 
angelegt;  ein  direkter  Zugang  zum  Saale  wird  durch  eine  Vorhalle  vermittelt. 
Eine  ähnliche  Vorhalle  N  führt  zu  der  alten  Schloßkapelle  0  mit  prächtigem 
Altar  und  Lettnerbau  und  der  Empore  für  die  Herrschaft,  die  durch  eine  kleine 
Wendeltreppe  zugänglich  ist.  In  P  liegt  die  alte  Sakristei.  An  die  Kapelle  stößt 
sodann  der  mächtige  Saal  M  mit  gewaltigen  spitzbogigen  Kreuzgewölben;  die 
breiten  Gurten  und  Rippen  ruhen  auf  achteckigen  Pfeilern.  Die  übrigen  Räume 
sind  für  Dienstzwecke  errichtet ;  in  E  ist  die  Küche,  durch  den  Gang  G  mit  dem 
Hauptbau  verbunden.  In  D  sind  Wohnungen  für  Bedienstete,  in  F  ist  das  Brunnen- 
haus mit  dem  bis  auf  die  Talsohle  reichenden  Ziehbrunnen.  Die  beiden  oberen 
Geschosse  des  Hauptbaus  sind  in  beiden  Flügeln  mit  offenen  Arkaden  umzogen, 
deren  gedrückte  Bögen  auf  Pfeilern  mit  dorischen  Pila^tern  ruhen  (Abb.  7).  Dieser 
Vorbau  samt  dem  Treppenhaus,  mit  R  auf  unserm  Grundriß  angedeutet,  wurde 
seit  1578  hinzugefügt.  Obwohl  formal  von  geringem  Wert  und  nur  in  Stuck  aus- 
geführt, macht  das  Ganze  mit  dem  offenen  Stiegenhaus  und  den  weitgespannten 
Bögen  der  Galerien  doch  einen  malerischen  und  stattlichen  Eindruck. 


Landshut  Trausnitz 


15 


Das  obere  Hauptgeschoß  (Grundriß  Abb.  8)  hat  über  der  Türnitz  die  Haupt- 
räume; in  E  und  F  die  Zimmer  der  Herzogin,  besonders  das  erstere  durch  den 
Erker  einen  herrlichen  Blick  auf  die  Landschaft  bis  zu  den  fernen  Alpen  ge- 
während, in  D  den  großen  Speisesaal,  dessen  Decke  durch  zwei  hölzerne  Stützen 
getragen  wird.  Von  da  gelangt  man  durch  den  Verbindungsraum  G  in  den  Thron- 
saal H  und  das  Nebenzimmer  I,  das  wieder  direkt  und  durch  das  Vorzimmer  M 
mit  dem  italienischen  Anbau  K  und  der  Narrentreppe  L  zusammenhängt.  Durch 
den  Gang  N  stehen  diese  herrschaftlichen  Wohnräume  mit  der  Fürstenempore  in 
der  Kapelle  0  in  Verbindung.  Die  offene  Galerie  A  führt  sodann  in  den  Speise- 
saal P,  von  da  in  Wohnräume,  der  mittlere  mit  einem  Erker  nach  außen.  Von 
der  Galerie  B  ist  erst  in  späterer  Zeit  der  Raum  C  abgetrennt  worden.  Ein  be- 
sonderer Aufgang  zu  den  Zimmern  der  Herzogin  war  aber  durch  die  Wendel- 
treppe Q  hergestellt.  Alle  übrigen  Räume  von  R  bis  Z  waren  für  Wirtschafts- 
zwecke vorbehalten.  Der  zweite  minder  reich  geschmückte  Stock  wiederholt  im 
wesentlichen  die  Einteilung  des  ersten. 


Abb.  8   Grundriß  des  ersten  Stockes  der  Burg  Trausnitz  bei  Landshut 


Daß  die  künstlerische  Ausstattung  der  Burg  verschiedenen  Zeiten  angehört, 
erkennt  man  nicht  bloß  aus  dem  Charakter  ihrer  Kunstwerke,  sondern  auch 
aus  einer  Reihe  von  Inschriften.  Die  Jahreszahl  1529  mit  dem  Namenszug  Herzog 
Ludwigs  trägt  der  kolossale  eiserne  Ofen  in  der  Türnitz,  der  in  den  Ornamenten 
noch  zwischen  Mittelalter  und  Renaissance  schwankt.  Die  volle  Frührenaissance 
mit  ihren  zierlichen  Formen  tritt  an  dem  Kamin  des  Turniersaales  im  oberen 
Stockwerk  mit  der  Jahreszahl  1535  hervor.  Dann  folgt  in  der  Reihe  ein  höchst 
zierliches  Werk  des  Erzgusses,  der  Eimer  mit  eleganten  Ornamenten,  Masken 
und  Rankenwerk  in  dem  Ziehbrunnen  des  Hofes.  Man  liest  auf  ihm :  Lienhardt 
Peringer  goß  mich  zu  Landshut  als  man  zalt  1558  Jar.  A,  H.  J.  P.  (Albrecht 
Herzog  in  Paiern).  Der  Hauptteil  der  dekorativen  Ausstattung  gehört  aber 
den  Jahren  1576  bis  1580  an,  denn  diese  Zahl  liest  man  wiederholt  in  den 
Sälen  des  Hauptgeschosses.    Es  sind  also  die  Regierungen  Albrechts  V.  und 


16 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XI.  Kapitel  Bayern 


Wilhelms  V.,  die  hier  vorzugsweise  tätig  waren.  Die  Galerie  mit  dem  Treppen- 
haus ist  um  dieselbe  Zeit,  1578,  entstanden.  Einiges,  durchweg  gröber  und 
kunstloser  ausgeführt,  datiert  erst  von  1675,  aus  den  Zeiten  des  Kurfürsten 
Ferdinand  Maria. 


Abb.  9   Arbeitszimmer  der  Her/.ogiu  in  der  Burg  Trausnitz  bei  Landshut 


Ich  gehe  hier  nur  auf  die  Arbeiten  aus  den  siebziger  Jahren  des  16.  Jahr- 
hunderts ein,  die  den  Kern  der  künstlerischen  Ausstattung  bilden.  Diese  beschränkt 
sich  auf  die  Zimmer  des  Hauptgeschosses,  zu  jener  Zeit  offenbar  die  Wohn-  und 
Empfangsräume  der  Herzöge.  Während  die  Gemächer  des  darüber  Hegenden  Stock- 
werks ganz  mit  Holz  verkleidet  sind,  sowohl  getäfelte  Wände,  als  auch  hölzerne 
Decken  zeigen,  letztere  mit  trefflicher  Einteilung  und  markiger  Profiherung,  sind 
die  Säle  des  Hauptgeschosses  vollständig  auf  Malerei  angelegt,  so  daß  nicht  bloß 
die  Wände  ganz  mit  Gemälden  überzogen  sind,  sondern  auch  die  flach  gehalte- 
nen Decken  farbige  Dekoration  tragen.  Die  Gemälde  sind  auf  Holz  gemalt  oder 
auf  Leinwand  ausgeführt,  welche  teppichartig  die  Wände  bekleidet,  leider  jetzt 
großenteils  im  Zustande  grausamer  Zerstörung.  Wir  haben  hier  also  ein  drittes 
System  von  Ausstattung  der  Räume:  in  der  Residenz  zu  Landshut  gewölbte 
Decken  mit  Stukkatur  und  Fresken,  die  Wände  ebenfalls  zwischen  plastischer 
und  gemalter  Ausstattung  geteilt;  in  der  Münchener  Residenz  (um  dies  hier  vor- 
auszunehmen) die  Wände  auf  Teppiche  berechnet,  die  Decken  mit  Ölgemälden 
in  vergoldeten  Rahmen,  dazu  plastische  Dekoration  an  den  verbindenden  Friesen 
und  Wölbungen;  endHch  in  der  Trausnitz,  abgesehen  von  den  vollständig  auf 
Holztäfelung  berechneten  Räumen,  eine  Ausstattung  der  Hauptgemächer,  bei 
welcher  alles  in  die  Hände  der  Malerei  gelegt  ist.  Sie  trägt  im  ganzen  das  Ge- 
präge der  gleichzeitigen  italienischen  Dekorationsmalerei,  wie  denn  die  ausführen- 


Landshut  Trausnitz 


17 


den  Künstler  offenbar  in  Italien  ihre  Studien  gemacht  haben.  So  weit  geht  die 
Alleinherrschaft  der  Malerei,  daß  sogar  die  Türen  und  ihr  Rahmenwerk,  mit 
Ausschluß  jeder  plastischen  Gliederung,  nur  mit  gemaltem  Schmucke  versehen 
sind;  höchstens  hier  und  da  an  den  Decken  die  kleinen  Rosetten  (wo  nicht  etwa 
auch  die  Decken  Bildschmuck  zeigen)  bieten  mit  ihrer  Vergoldung  einen  Ruhepunkt. 
Dies  ist  aber  des  Guten  gar  viel,  und  das  Auge  sucht  häufig  vergeblich  nach 
kräftigeren  Formen  rhythmischer  Teilungen.  Von  dem  Charakter  der  Dekoration 
wird  am  besten  die  beigefügte  Abbildung  (Abb.  9)  eine  Anschauung  geben.  Im 
allgemeinen  bewegt  sich  die  Malerei  in  hellen  heiteren  Tönen,  die  großen  Haupt- 
bilder werden  durch  gemalte  Streifen  und  Friese  eingefaßt,  welche  meistens  auf 
hellem  Grunde  leichte  Ornamente  im  Stil  antiker  Wanddekoration  zeigen.  Zum 
Besten  gehört  das  Audienzzimmer,  dessen  Decke  auf  zwei  Holzsäulen  ruht.  Zwar 
sind  die  großen  geschichtlichen  Bilder  an  den  Wänden,  abgesehen  von  ihrer 
starken  Zerstörung,  nicht  gerade  vorzüglich;  aber  die  Wandstreifen  enthalten  auf 
weißem  Grunde  geistreich  ausgeführte  Ornamente,  und  noch  glänzender  sind  die 
einfassenden  Glieder  der  Decke,  welche  zwischen  den  neun  großen  Bildern  ab- 
wechselnd auf  leuchtend  rotem  und  weißem  Grunde  köstliche  Ornamente  zeigen. 
Da  aber  die  Malerei  sich  unaufhaltsam  vom  Fußboden  bis  zur  Decke  und  selbst 
über  die  letztere  hin  erstreckt,  so  fehlt  auch  hier  jene  planvolle  Abstufung  und 
Gliederung,  welche  in  sämtlichen  antiken  Wanddekorationen,  namentlich  den  pom- 
pejanischen,  das  Ganze  bei  allem  Reichtum  so  maßvoll  und  ruhig  erscheinen  läßt. 
Im  einzelnen  wird  man  indes  auch  auf  der  Trausnitz  vieles  Anziehende,  ja  Vor- 
treffhche  finden.  Wie  übrigens  die  italienischen  Anschauungen  eingewirkt  haben, 
erkennt  man  an  manchen  Stellen,  so  besonders  in  jenem  Zimmer,  an  dessen  Decke 
man  die  vier  Jahreszeiten  in  gut  ausgeführten  großen  Bildern  sieht.  Die  obere 
Einfassung  besteht  hier  aus  einem  kleinen  Fries,  winzige  Figürchen  auf  weißem 
Grund  enthaltend,  Phantastisches,  sowie  allerlei  Karnevalsszenen  und  Masken- 
scherze in  geistreichster  Leichtigkeit  der  Darstellung.  Man  sieht,  es  war  die  Zeit, 
da  die  vornehme  Welt  Europas  nach  Venedig  und  Rom  pilgerte,  um  den  Karneval 
in  seiner  ausschweifendsten  Blüte  mitzugenießen. 

In  ähnlicher  Weise  bietet  die  sogenannte  Narrentreppe  in  ihren  meister- 
haft ausgeführten,  leider  unbarmherzig  beschädigten  Fresken  die  weltbekannten 
Szenen  der  italienischen  Komödie  in  fast  lebensgroßen  Gestalten  voll  Laune  und 
Übermut.  Diese  Treppe,  die  vom  Erdgeschoß  bis  ins  oberste  Stockwerk  hinauf- 
führt und  von  unten  bis  oben  mit  Fresken  bedeckt  ist,  gehört  zu  einem  be- 
sonderen Teile  der  Burg,  der  als  italienischer  Anbau  bezeichnet  wird.  (L  K  in 
unserem  Grundriß.)  Er  enthält  nur  wenige  kleine  Zimmer,  deren  künstlerische 
Behandlung  sich  völlig  von  der  in  den  übrigen  Räumlichkeiten  herrschenden 
unterscheidet.  Hier  ist  nämlich  die  Malerei  ausgeschlossen,  mit  Ausnahme  der 
eben  erwähnten  Treppe,  alles  dagegen  in  plastischer  Gliederung  mit  wenigen 
Farbentönen  auf  weißem  Grunde  durchgeführt.  Damit  hängt  zusammen,  daß 
die  Räume  sämtlich  mit  Gewölben  von  mannigfaltiger  Form  und  Einteilung 
versehen  sind.  In  einem  Vorzimmer  mit  einfachem  Tonnengewölbe  beschränkt 
sich  die  Farbe  in  den  GHederungen  auf  ein  kräftiges  Blau,  das  mit  Weiß 
wechselt.  In  dem  Hauptgemach,  einem  Kabinett  von  rechtwinkliger  Form,  das 
Spiegelgewölbe  mit  Stichkappen  hat,  ist  nicht  bloß  die  Einteilung,  sondern 
auch  die  Ghederung  und  die  Ornamentik  überaus  fein  und  schön,  dabei  mit 
großem  Geschick  ausgeführt,  wie  denn  zierliche  Fruchtschnüre  frei  schwebend 
die  Hauptlinien  markieren.  Die  Ornamente  sind  hier  in  tiefem  Blau  und  Gold 
auf  weißem  Grund.  Es  liegt  hier  offenbar  ein  gewollter  Anklang  an  das  Appar- 
tement der  Hofzwerge  im  prachtvollen  Stadtpalast  der  Gonzaga  (der  Reggia)  zu 
Mantua  vor. 

L üb ke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  2 


18 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XI.  Kapitel  Bayern 


Schließlich  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  im  Hauptgeschoß  des  ganzen 
Baues  große  grünglasierte  Kachelöfen  mit  Einsatzstücken  von  blauen  Ornamenten 
auf  weißem  Grunde  aufgestellt  sind;  wahre  Prachtstücke  der  süddeutschen 
Tonplastik. 

Als  Urheber  der  prächtigen  Dekoration  wird  uns  zunächst  der  Niederländer 
Friedrich  Sustris  genannt,  der  1579  und  1580  in  der  Trausnitz  malte;  sodann 
Alexander  Siebenbürger,  der  schon  1564 — 78  an  der  Schneckenstiege  und  der 
Ratsstube  beschäftigt  war,  also  jedenfalls  die  flotten  Komödienszenen  an  der  so- 
genannten Narrentreppe  ausführte.  Auch  der  uns  aus  Augsburg  bekannte  Änt. 
Ponzano  hat  hier  gemalt.  Leider  sind  sämtliche  Teile  dieser  kostbaren  Dekoration 
durch  die  frühere  fast  beispiellose  Vernachlässigung  —  König  Ludwig  I.  haßte 
bekanntlich  als  Kind  seiner  Zeit  die  ganze  „Zopf-Kunst  — ,  mehr  noch  durch 
einen  für  Ludwig  II.  begonnenen  neuen  Ausbau  im  Stil  der  Gründerjahre  traurig 
verwüstet  worden.  Erst  neuerdings  ist  für  die  Erhaltung  der  noch  vorhandenen 
Reste  besser  gesorgt. 

München 

Daß  eine  so  lebensvolle,  von  Kraft  und  Frische  strotzende  Stadt,  wie 
München,  in  der  Renaissancezeit  keine  bürgerliche  Baukunst  gehabt  hat,  die  sich 
mit  den  Denkmälern  auch  nur  der  Reichsstädte  zweiten  Ranges  messen  könnte, 
liegt  in  den  bereits  geschilderten  Verhältnissen  begründet.  In  der  Tat  waren  es 
hier  ausschließlich  die  Fürsten,  welche  die  Kunst  gepflegt  und  ansehnhche  Bauten 
errichtet  haben.  Eines  der  charaktervollsten  Werke  ist  der  alte  Münzhof,  von 
dessen  energisch  behandelten  Arkaden  Abb.  10  eine  Anschauung  gibt.i)  Es  sind 
in  der  Länge  neun,  in  der  Breite  drei  Arkaden  in  derber  Rustika,  weit  gespannte 
gedrückte  Bögen,  in  zwei  Geschossen  auf  kurzen  stämmigen  Säulen  ruhend, 
während  das  oberste,  schlankere  Stockwerk  dürftige  dorische  Säulen  zeigt.  Im 
Erdgeschoß  haben  die  Säulen  ionische  Kapitelle  mit  kanneliertem  Halse,  im  ersten 
Stock  korinthisierende.  Mit  Ausnahme  des  zweiten  Stockes  ist  die  Behandlung 
eine  ungemein  kraftvolle  und  originelle  in  gediegenem  Quaderbau.  Die  Säulen 
des  obersten  Stocks  bestehen  aus  rotem  Marmor. 

Zu  den  großartigsten  Schöpfungen  der  ganzen  Zeit  aber  gehört  die  durch 
Wilhelm  V.  für  die  Jesuiten  von  1582 — 97  erbaute  St.  Michaelskirche,  ohne 
Frage  die  vornehmste  kirchliche  Schöpfung  der  deutschen  Renaissance.  Der  Bau 
kostete  nur  in  den  letzten  zehn  Jahren  seit  1587  die  beträchtliche  Summe  von 
131 344  Gulden.  Ob  ein  Mitglied  des  Jesuitenordens  bei  Herstellung  des  Plans 
mitgewirkt,  wie  man  wohl  gemeint  hat,  muß  mehr  als  fraglich  erscheinen.  Schon 
die  technische  und  konstruktive  Leistung  ist  hervorragend;  aber  auch  die  künst- 
lerische Behandlung  ist  von  einer  solchen  Feinheit  der  formalen  Durchbildung, 
daß  nur  ein  praktisch  wie  künstlerisch  auf  höchster  Stufe  stehender  Architekt 
den  Bau  entworfen  und  geleitet  haben  kann.  Als  Meister  wird  zuerst  der  Steinmetz 
Wolf  gang  Müller  genannt,  geboren  1537.  Das  Gewölbe  vollendete  er  1589  und 
erhielt  dafür  eine  Belohnung  von  50  Gulden,  was  aber  nicht  hinderte,  daß  er 
wegen  Einsturz  des  Turmes  acht  Tage  bei  Wasser  und  Brot  in  den  Falkenturm 
mußte.  Mehr  als  dieser  aber  kommt  wahrscheinlich  Friedrich  Sustris  in  Betracht, 
der  nach  dem  Einsturz  des  Turmes  den  Chor  verlängerte  und  ausbaute.  Sodann 
Wilhelm  Eggl,  1585  entlassen,  Wendel  Dietrich  von  Augsburg,  der  in  demselben 
Jahre  vorkommt  und  dem  Gmelin  die  eigentliche  Autorschaft  zuschreibt ;  sodann 
der  Italiener  Antonio  Valiente.  Bei  der  Ausschmückung  des  Baues  werden  unter 


1)  Vgl.  die  photogr.  Aufnahme  von  Bolhoevener  in  dem  Prachtwerk  :  Münchener  Eenais- 
sance  von  Lor.  Bauer,  München  1878,  Tafel  1. 


München 


19 


andern  die  berühmten  Bildhauer  Hubert  Gerhard  und  Peter  Candid,  der  Maler 
Hans  Weinher  und  der  Bildgießer  und  Architekt  Hans  Krimper  genannt. 

Das  Innere  (Abb.  11)  ist  von  so  außerordentlicher  Schönheit  und  Groß- 
artigkeit der  Verhältnisse,  dabei  von  einer  so  maßvollen  Klarheit  der  Dekoration, 


Abb.  10   Münzhof  zu  München 


welche  die  Raumschönheit  noch  erhöht,  daß  selbst  kein  gleichzeitiger  Bau  in 
Italien  sich  damit  messen  kann.^)  Es  ist  ein  einschiffiges  Langhaus,  mit  einem 
kolossalen  Tonnengewölbe  überdeckt,  von  Seitenkapellen  begleitet,  die  zwischen 
den  stark  vorspringenden  Pfeilern  eingebaut  sind  und  über  sich  Emporen  haben. 
Ein  Querschiflf  in  der  Tiefe  der  Kapellen  legt  sich  vor  den  Chor.  Dieser  wieder  ver- 
engt sich  gegen  die  Kirche,  ist  um  mehrere  Stufen  erhöht  und  schließt  als  halbes 
Zwölfeck.  Mit  großer  Meisterschaft  ist  die  Beleuchtung  so  verteilt,  daß  das 
hauptsächlich  aus  den  Emporen  und  dem  Querschiff  einfallende  Licht  reiche  Ab- 
wechslung ergibt.  Was  aber  dem  Innern  vor  allen  andern  gleichzeitigen  Kirchen- 
bauten Italiens  und  der  übrigen  Welt  einen  hohen  künstlerischen  Vorzug  ver- 
schafft, ist  die  ungewöhnliche  Feinheit  der  Dekoration.  Statt  des  beliebten  For- 
tissimos,  aus  welchem  die  damalige  Architektur  mit  den  stärksten  Mitteln,  den 
schärfsten  Gegensätzen,  den  überladensten  Formen  ihre  rauschende  Musik  zu- 

1)  Treff  1.  photogr.  Aufnahmen  bei  Bauer  a.  a.  0.  Taf.  6 — 16.  —  Bau-  und  Kunstdenkm.  d. 
Königr.  Bayern  I  Taf.  157  ff.  Vor  allem  die  Arbeit  L.  Gmelins  in  Seemanns  Deutscher  Renaiss., 
Abb.  18  Heft  2  —  3.  Sodann  Gmelin,  Die  Michaelskirche  zu  München  (Bayrische  Bibl.  Band  16). 


20 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Abb.  11   Inneres  der  Michaeliskirche  zu  München 


sammensetzt,  sind  hier  selbst  für  die  Hauptglieder  nur  die  bescheidensten  Aus- 
drucksmittel gewählt,  gedoppelte  Pilaster  zwischen  den  Kapellen  und  den  Em- 
poren, die  Flächen  mit  Statuennischen  angemessen  belebt,  die  Gesimse  be- 
scheiden profiUert,  die  ganze  Dekoration  in  weißem  Stuck  bei  sparsamer  An- 
wendung von  Gold.  Vor  allem  aber  hat  das  gewaltige  Tonnengewölbe  eine  un- 
vergleichliche Leichtigkeit  freien  Schwebens,  denn  statt  der  schweren  Kassetten, 
die  man  den  Gewölben  damals  zu  geben  liebte,  ist  es  durch  leichtes  Rahmen- 
werk in  verschiedene  größere  und  kleinere  Felder  geteilt  und  durch  die  von 
den  Pilastern  aufsteigenden  Gurten  rhythmisch  gegliedert.  Die  Mitte  der  größe- 
ren Felder  wird  durch  schöne  Rosetten  bezeichnet,  dazu  kommen  an  passenden 
Stellen  zarte  Fruchtschnüre,  endlich  in  dem  ganzen  Räume  eine  figürliche  Deko- 


München 


21 


ration,  die  in  allen  Abstufungen  das  Motiv  von  geflügelten  Engelköpfen  und 
schwebenden  Engelgestalten  variiert.  Den  Glanzpunkt  des  Gewölbes  bildet  in 
der  Achse  des  Querschiffes  der  herrliche  Kranz  anbetender  Engel,  die  hier  gleich- 
sam die  Schwelle  des  Heiligtums  bewachen.  Endlich  ist  zu  bemerken,  daß  alle 
Glieder  in  feinster  Charakteristik  durch  Perlschnur,  Eierstab,  Herzblatt,  Welle 
und  ähnliche  antike  Formen  aufs  edelste  belebt  sind.  Alle  Hauptpilaster  haben 
Basen  von  rotem  Marmor  auf  Untersätzen  eines  schönen  grauen  Marmors  und 
Bronzekapitelle.  Die  Gitter  vor  den  Kapellen  sind  sämtlich  in  Schmiedearbeit 
mannigfaltig  und  schön  durchgeführt.  Zwei  elegante  Bronzekandelaber  stehen  am 
Eingang  des  Chores.  Der  Hochaltar  ist  ein  in  drei  Stockwerken  mit  gekuppelten 
Säulen  pomphaft  aufgebautes  Werk  des  oben  genannten  Wendel  Dietrich^  Kunst- 
schreiners von  Augsburg.  Die  herkömmliche  Kunstgeschichte  erklärt  diese  ganze 
wunderbar  feine  Innenarchitektur  in  weißem  Stuck  kurzweg  für  italienisch.  Es 
muß  aber  wiederholt  werden,  daß  sich  in  Italien  bis  jetzt  kein  unmittelbares 
Vorbild  dafür  finden  läßt,  wie  überhaupt  dieser  in  ganz  Bayern  um  1600  sich 
verbreitenden  Richtung  doch  eine  gewisse  Selbständigkeit  zugebilhgt  werden 
muß.  Die  Eigentümlichkeit,  vor  allem  die  Gewölbe  aller  Art  durch  feine  Ein- 
teilung in  Feldern  verschiedener  Zeichnung  zu  überziehen,  die  Rippen  und  Kanten 
durch  verzierte  Profile  und  Rahmen  zu  betonen,  doch  alles  im  zartesten  Relief 
zu  halten,  ist  allerdings  in  der  italienischen  Frührenaissance  wohl  im  Kern  vor- 
handen, wird  aber  doch  vorwiegend  durch  Malerei  bewirkt;  die  Felder  sind  über- 
all dazu  bestimmt,  durch  Gemälde  oder  farbige  Ornamentik  gefüllt  zu  werden,  — 
und  für  großartigere  Wirkungen  strebt  man  im  Falle  der  Anwendung  wirklich 
plastischer  Gliederung  nach  starker  Wirkung  durch  tiefe  Kassettierung  und 
Architektur-Gliederung.  Bis  zum  Nachweise  wirklicher  Vorbilder  in  Italien  muß 
dieser  bayrischen  Dekorationskunst  doch  wirkliche  Selbständigkeit  zugesprochen 
werden.  Von  maßvoller  Pracht  sind  die  Chorstühle,  bis  auf  die  spätere  Rokoko- 
bekrönung.  Die  vasenartigen  Armlehnen  mit  Masken,  die  feinen  korinthischen 
Pilaster,  am  Unterteil  der  Schäfte  reich  ornamentiert,  mit  Engelköpfen,  Laub-  und 
Blumengewinden,  daneben  die  innere  Umrahmung  der  Felder  mit  Flechtbändern, 
die  Flächen  selbst  mit  Engelköpfen  und  Fruchtgehängen,  darunter  die  Predellen 
gleich  den  oberen  Friesen  mit  Engelköpfen  und  Kartuscheschilden,  endlich  als 
Abschluß  die  Muschelnischen,  das  ist  ein  Ganzes,  wie  man  es  von  solcher  Schön- 
heit in  dieser  Spätzeit  nur  selten  findet.^) 

Die  Fassade  (Abb.  12)  entspricht  in  ihrer  kolossalen  Massenhaftigkeit  dem 
einfach  großartigen  Charakter  des  Innern,  jedoch  ohne  dessen  Feinheit  und  An- 
mut zu  erreichen.  Es  ist  ein  Hochbau  mit  riesenhaftem  Giebel,  ebenso  originell 
und  selbständig  in  der  Anordnung  wie  das  Innere.  Auf  die  herkömmliche  Gliederung 
durch  die  in  Italien  gebräuchlichen  Elemente  der  antiken  Architektur  hat  der 
Meister  verzichtet  bis  auf  mehrgeschossige  feine  Pilasterordnungen,  die  den  unteren 
Baukörper  beleben;  dazwischen  Nischen  mit  Statuen  von  bayrischen  Fürsten  und 
deutschen  Kaisern.  Zwei  mächtige  Portale  von  rotem  Marmor  in  vortrefflichen, 
leicht  barocken  Formen  bilden  den  Eingang.  Zwischen  ihnen  in  einer  Nische 
die  kolossale  Bronzefigur  des  hl.  Michael  mit  dem  Drachen  von  Hubert  Gerhard, 
eines  der  Meisterwerke  der  Münchener  Plastik  jener  Tage.^) 

Das  anstoßende  Jesuitenkollegium,  jetzt  Akademie  der  Künste,  ist 
eine  ausgedehnte,  aber  schlicht  behandelte  Anlage  mit  mehreren  Höfen ;  der  erste 
Hof  mit  dorischen  Halbsäulen  und  Bögen,  welche  die  Fenster  im  Erdgeschoß 
einrahmen;  die  Fassade  nach  der  Straße  einfach  in  Stuck  ausgeführt,  im  Erd- 
geschoß Rustika  und  Portale  mit  dorischen  Pilastern,  die  Fenster  in  den  drei 

1)  Eine  schöne  photogr.  Ansicht  bei  Bauer  a.  a.  0.  Taf.  9.  —  Bau-  und  Kunstdenkmale  T.  3. 

2)  Ansicht  der  Fassade,  der  Nische  und  zweier  Portale  bei  Bauer  a.  a.  0.  Taf.  2 — 5. 


22 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


oberen  Stockwerken  ebenfalls  schlicht  umrahmt,  nur  im  obersten  Geschoß  mit 
durchbrochenen  und  geschweiften  Bekrönungen.  Eine  vielleicht  etwas  trockene, 
jedenfalls  aber  imposante  Kaserne  für  die  Mitglieder  der  soldatisch  organisierten 
Gesellschaft  Jesu. 

Ein  in  seiner  Einfachheit  höchst  origineller  und  vortrefflicher  Bau  ist  so- 
dann die  ebenfalls  unter  Wilhelm  V.  seit  1578  ausgeführte  Wilhelmsburg,  jetzt 

unter  dem  Namen 
Maxburg  bekannt, 
die  Herzog  WilhelriiV. 
seit  1590  bewohnt  hat. 
Hier  sind  die  Formen 
auf  das  äußerste  von 
Schmucklosigkeit  zu- 
rückgeführt; die  ganze 
Dekoration  der  Fas- 
sade beschränkt  sich 
auf  eine  Abwechslung 
von  drei  verschiedenen 
Tönen  in  flachstem 
Relief,  die  trotzdem 
eine  gute  und  leben- 
dige Wirkung  machen. 
Die  beigegebene  Abb. 
13  mag  dies  näher  ver- 
anschaulichen. Nur  die 
Einfassungen  der  Fen- 
ster sind  von  Stein, 
alles  übrige  von  Stuck. 
Auch  hier  ist  dies  Ma- 
terial also  in  einer 
eigentümlichen  und 
selbständigen  Art  be- 
handelt. 

Das  großartigste 
Fürstenschloß  der  Re- 
naissance in  Deutsch- 
land schuf  erst  Maxi- 
milian I.,  indem  er  eine 
frühere  Burg  der  Her- 
zöge in  München,  die 
schon  seine  Vorgänger 
in  großem  Maßstabe 
auszubauen  begonnen 
hatten,  zu  dem  glän- 
zendsten noch  jetzt  in 
seinen  wichligstenTei- 

len  erhaltenen  Residenzbau  ausgestaltete.^)  Das  älteste  der  fürstlichen  Schlösser 
in  München  ist  die  Ludwigsburg  oder  der  Alte  Hof,  von  Ludwig  dem  Strengen 
1253  erbaut  und  von  Kaiser  Ludwig  nach  dem  großen  Brande  der  Stadt  1327 

1)  J.  Stockbauer  und  H.  Otto  in  Ortweins  D.  Ren.  XVIII.  Abt.  Dazu  die  schönen  photogr. 
Aufnahmen  bei  Bauer  a.  a.  0.  Taf.  17 — 32.  Vor  allem  aber  das  mustergültige  Prachtwerk  von 
Seidel,  Die  Residenz  zu  München.  Imp.  Fol.  Leipzig. 


Abb.  12  Fassade  der  Michaeliskirche  zu  München 


München 


23 


Abb.  13   Maxburg  zu  München 


wieder  hergestellt.  Ein  Teil  der  Hoffassade  mit  dem  malerischen  Erker  reicht 
noch  in  jene  Zeit  zurück;  im  Innern  sind  die  trefflichen  Balkendecken  des  Flurs 
im  oberen  Stock  und  die  auf  die  Wand  gemalten  Fürstenbildnisse  noch  Reste  der 
gotischen  Epoche.  Im  Gegensatz  zu  dieser  ältesten  Burg  errichtete  Albrecht  IV. 


24 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


seit  1460  die  sogenannte  Neue  Veste,  die  er  mit  Wällen,  Gräben  und  Türmchen 
versah.  Zum  Zeichen  seines  Kunstsinnes  legte  er  in  ihr  eine  Gemäldesammlung 
an.  In  der  folgenden  Zeit  erbaute  Wilhelm  V.  die  vorhin  besprochene  Wilhelms- 
burg. Nach  den  Plänen  und  unter  Oberleitung  von  Peter  Gandid  wurde  dann  der 
neue  Residenzbau  durch  die  Werkmeister  Heinrich  Schön  und  Hans  Reifenstiiel 
von  1600 — 16  errichtet.  Die  Erzarbeiten  goß  wohl  größtenteils  nach  Gandids 
Entwürfen  Hans  Krumper;  für  die  malerische  Ausschmückung  wurden  Christoph 
Schivarz,  Virich  Loth  und  andere  Künstler  herangezogen.^)  Abb.  14  gibt  den 
Grundriß  des  Erdgeschosses,  zu  dessen  Erklärung  für  die  Hauptpunkte  der  An- 
lage einige  Andeutungen  genügen  mögen. 

Bereits  Albrecht  V.  hatte  südwestlich  der  Veste  ein  Ballhaus,  ein  Gebäude 
für  seine  Antiquitäten  und  eine  Bibliothek  erbaut.  Der  heutige  schräg  stehende 
Brunnenhof  (N  unseres  Planes),  dessen  Südwestseite  das  jetzt  noch  vorhandene 
Antiquarium  M  bildete,  bestand  also  damals  bereits;  auf  der  gegenüberhegenden 
Seite  war  das  Ballhaus  mit  einem  Bogengang  davor.  Das  Antiquarium  war  wohl 
schon  1569  fertig.  Seine  herrhche  dekorative  Ausstattung  datiert  aus  den  Jahren 
seit  1585.  Bereits  der  Venezianer  Ant.  Ponzano,  den  wir  aus  Augsburg  (Fugger- 
haus) kennen,  malte  die  Grotesken  darin,  dann  seit  1588  Hans  Thonauer  An- 
sichten aus  Bayern.  Seit  1578  hatten  die  Herzöge  auch  Häuser  an  der  Schwa- 
bingergasse gekauft,  und  Wilhelm  V.  erbaute  an  deren  Stelle  ein  fürstliches  Wohn- 
gebäude, legte  dann  einen  schönen  Garten  L  (hinter  dem  heutigen  Königsbau) 
an,  dazu  ein  Gebäude  nach  Plänen  von  Friedrich  Sustris.  In  diesem  haben  wir 
die  Gebäude  um  den  heutigen  Grottenhof  J  zu  sehen. 

Der  bedeutendste  Fürst  dieser  Reihe,  Kurfürst  Maximilian,  faßte  den  Be- 
schluß, diese  bestehenden  Bauteile  zu  einem  großartigen  planmäßigen  Ganzen 
zu  vereinigen,  indem  er  den  gewaltigen  Kaiserhof  D  hinzufügte  und  durch  den 
Küchenhof  Q  auch  die  neue  Veste  anschloß,  zugleich  dem  Ganzen  längs  der 
Schwabinger  Gasse  (Residenzstraße)  eine  einheitliche  Front  gab  (A  B).  Auch  der 
Hofgarten  mit  seinen  Arkaden  entstand  damals. 

Ganz  offenbar  folgte  hier  der  kunstsinnige  Maximihan  dem  Beispiel  italie- 
nischer Fürsten.  Ganz  besonders  mag  hier  das  Vorbild  Mantuas  und  der  Gonzaga 
eingewirkt  haben,  deren  herrliche  Stadtresidenz,  die  Reggia,  noch  heute  einen 
ganzen  Stadtteil  bildet.  Deren  fast  unübersehbare  Folge  prachtvollster  RäumHch- 
keiten  um  zahlreiche  Höfe  fand  damals,  außer  im  Vatikan,  kaum  ihresgleichen 
und  genoß  gerade  bei  deutschen  Fürsten  besondere  Bewunderung.  Auch  Herzog 
Friedrich  I.  von  Württemberg  verfehlte  bei  seiner  Itahenfahrt  1599  nicht,  Mantua 
zu  besuchen  und  gebührend  zu  bewundern.  —  Die  Münchener  Residenz  aber  war 
in  ihren  Glanzzeiten  der  mantuanischen  in  gewissem  Sinne  als  ebenbürtig  zu 
betrachten,  die  ja  auch  das  alte  Kastell  aus  dem  Mittelalter  in  ihren  neuen 
Komplex  einbezogen  hatte. 

Die  neue  Hauptfassade,  nach  Westen  gekehrt,  wird  durch  die  beiden  Pracht- 
portale bei  A  und  B  hinreichend  als  solche  bezeichnet.  Ein  drittes  Hauptportal 
liegt  an  der  Nordseite  bei  G,  im  Äußeren  einfach  behandelt  und  bei  weitem  nicht 
so  prachtvoll  ausgestattet  wie  jene,  aber  auf  das  großartige  Kaiservestibül  und 
die  Kaisertreppe  E  führend,  wodurch  die  unmittelbare  Verbindung  mit  den  Wohn- 
und  Prachträumen  bewirkt  ist.  Die  Art,  wie  der  Architekt  mit  Rücksicht  auf 
die  damals  noch  vorhandenen  Teile  der  älteren  Burg  (bei  R  im  nordösthchen 
Flügel)  den  Bau  angelegt  und  durchgeführt  hat,  verdient  Bewunderung.  Gerade 
diese  Teile  sind  leider  durch  die  Neubauten  unter  König  Ludwig  durch  Klenze 
umgestaltet  worden,  und  es  ist  jene  kolossale  aber  nüchterne  Nordfassade  gegen 
den  Hofgarten  entstanden,  welche  dem  Hofe  Q  einen  rechtwinkeligen  Abschluß 

1)  München  von  R.  und  G.  Margraff  S.  273  ff. 


München  Residenz 


25 


gebracht  hat.  Ebenso  ist  der  südliche  Teil,  welcher  an  die  alten  Höfe  L  und  T 
stößt,  durch  den  Bau  des  Königsbaus  am  Max-Josephplatz  umgestaltet  worden. 
Diese  neueren  Veränderungen  sind  in  unserem  Grundriß  unbeachtet  geblieben, 
während  dagegen  in  S  das  schöne  aus  der  Rokokozeit  stammende  Residenz- 
Theater  Aufnahme  gefunden  hat. 


Abb.  14   Grundriß  der  Residenz  zu  München 


Die  Kardinalpunkte  der  alten  Anlage  sind  die  sechs  größeren  und  reicher 
ausgestatteten  Höfe,  in  deren  Form,  künstlerischer  Ausschmückung  und  wechsel- 
seitiger Verbindung  der  Architekt  eine  Leistung  ersten  Ranges  geschaffen  hat. 
Alle  Feinheiten  durchgebildeter  Plankonzeption  sind  in  diesem  meisterhaften 
Grundriß  zur  Geltung  gekommen.  Ich  hebe  nur  einen  der  wichtigsten  Punkte 
hervor.  Der  große  quadratische  Kaiserhof  D  steht  mit  dem  Kaiservestibül  G  und 
der  Nordfassade  einerseits,  mit  der  Westfassade  und  dem  Hauptportal  B  und 
seiner  dreischiffigen  Eingangshalle  andererseits  in  unmittelbarer  Verbindung. 


26 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Weiter  ist  ein  Durchgang  zu  dem  großen  östlichen  Küchen-Hofe  Q  gegeben,  in 
F  aber  eine  Verbindung  mit  dem  schmalen  langgestreckten  Kapellen-Hofe  G. 
Dieser  ist  seiner  ganzen  Anlage  nach  nur  ein  verlängertes  Vestibül  und  setzt  das 
Hauptportal  A  und  seine  dreischiffige  Eingangshalle  mit  der  ähnlichen  Halle  H  und 
durch  diese  mit  dem  schönen  Brunnenhofe  N  in  Beziehung.  Einer  der  genialsten 
Gedanken  war,  diesem  vorhandenen  diagonal  gestellten  Hof  durch  polygonen  Ab- 
schluß seiner  beiden  Enden  nicht  bloß  eine  reichere  Form,  sondern  auch  die  un- 
gezwungensten Übergänge  zu  den  Hauptteilen  des  Baues  zu  gewinnen.  Denn 

der  Halle  H  mit 
ihren  drei  Portalen, 
neben  welcher  sich 
ein  Glockenturm 
erhebt,  entspricht 
die  ähnlich  aus- 
gebildete Halle  P, 
welche  die  Verbin- 
dung mit  dem  gro- 
ßen nordöstlichen 
Hofe  herstellt.  Zwi- 
schen beiden  hegt 
aber  das  Vestibül  0 , 
das  in  seiner  po- 
lygonen Form  die 
Gestalt  des  Brun- 
nenhofes im  klei- 
nen wiederholt  und 
den  Aufgang  zu 
einer  der  Haupt- 
treppen des  Baues 
gewährt.  An  der 
entgegengesetzten 
Seite  des  Brunnen- 

Abb.  15   Grotteiihof  der  Residenz  zu  München  hofes     ist  ebenSO 

originell  ein  drei- 
eckiges Vestibül  ausgebildet,  das  zu  den  dort  anstoßenden  Räumen  führt. 

Nicht  minder  geistvoll  ist  sodann  die  Einfügung  des  älteren  Antiquariums  M 
bewirkt,  das  den  Brunnenhof  in  seiner  ganzen  Länge  einfaßt  und  am  südösthchen 
Ende  in  einen  achteckigen  Kuppelsaal  ausläuft;  dieser  vermittelt  wieder  mit 
großem  Geschick  den  Übergang  in  die  anstoßenden  Räumhchkeiten.  Am  nord- 
westlichen Ende  springt  die  Ecke  des  Antiquariums  notgedrungen  in  den  dort 
angelegten  Grottenhof  J  vor.  Der  Architekt  hat  dies  benutzt  und  daraus  einen 
polygonen  regelmäßigen  Vorsprung  gebildet,  in  der  Mitte  eine  Brunnennische 
angebracht  und  so  den  schönen  Abschluß  jenes  lauschig  poetischen  Grottenhofs 
geschaffen,  der  jedem  Besucher  der  Residenz  einen  künstlerisch  hohen  Genuß 
bietet.  (Abb.  15.)  Dieser  köstliche  kleine  Hof,  sowie  die  benachbarte  Kapelle  K 
gehören  gleichsam  zu  den  mehr  privaten  Teilen  der  Anlage  und  sind  durch  kleine 
Seitenpforten  zugänghch.  Ich  will  hinzufügen,  daß  im  Erdgeschoß  wie  im  oberen 
Stockwerk  lange,  gewölbte  Korridore  von  prachtvoller  Ausstattung  sich  an  den 
Haupträumen  hinziehen.  Soviel  wird  schon  aus  dieser  Betrachtung  erhellen,  daß 
die  letzten  Reminiszenzen  des  Mittelalters  hier  verklungen  sind,  daß  Wendel- 
treppen, Erker,  Türme  und  andere  Vorsprünge  zugunsten  zeitgemäßerer  Bauweise 
nach  italienischem  Vorbilde  beseitigt  wurden,  diese  aber  sich  mehr  in  der  Mannig- 


28 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XI.  Kapitel  Bayern 


faltigkeit  und  Schönheit  der  innern  Raumgestaltung  als  in  der  malerischen 
Gruppierung  des  Äußeren  geltend  machte. 

Die  künstlerische  Ausstattung  des  ungeheuren  Ganzen  beschränkte  sich  je- 
doch ursprünglich  auch  im  Äußern  nicht  bloß  auf  die  beiden  Prachtportale  und 
die  Nische  mit  dem  Madonnenbilde  an  der  Fassade,  sondern  fand  ihre  Ergänzung 
in  einem  System  grau  in  grau  ausgeführter  Fresken.  Das  fast  vollständige  Ver- 
schwinden dieser  aus  bloßen  Malereien  bestehenden  Dekoration  sowohl  der  Außen- 
fassaden als  auch  der  Höfe  ließ  lange  Zeit  den  künstlerischen  Zusammenbau  des 
Ganzen  und  seine  Großartigkeit  weder  erkennen  noch  würdigen.  (Abb.  16.)  Daher 
hat  man  neuerdings  die  Bemalung  des  ganzen  Riesenbaus  nicht  nur  in  den  Höfen, 
sondern  auch  an  der  Straße  wieder  hergestellt,  was  auf  Grund  alter  Stiche  und 
der  überall  vorhandenen  Spuren  keine  Schwierigkeiten  gemacht  hat,  und  hat  so 
die  künstlerische  Einheit  des  riesigen  Werkes  neu  geschaffen.  Freilich  verbleicht 
in  der  schlimmen  modernen  Stadtluft  die  Wirkung  auch  der  neuen  Bemalung 
mit  beklagenswerter  Raschheit. 

Die  gesamte  Münchener  Architektur  jener  Zeit  war  bei  dem  Mangel  von 
Hausteinen  zur  Anwendung  des  Backsteines  gezwungen,  den  sie  aber  nicht  nach 
dem  Beispiel  des  Mittelalters  oder  der  oberitalienischen  Renaissance  künstlerisch 
durchbildete,  sondern  durch  einen  Putzüberzug  verhüllte.  Diesen  Stuck  charak- 
terisierte sie  als  bloßes  Bekleidungsmaterial  durch  aufgemalte  Dekoration.  Von 
den  stolzen  Fassaden  Augsburgs  mit  den  reichen  farbigen  Gemälden,  Resten 
jener  heiteren  Pracht,  welche  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  noch  einen  weit- 
gereisten Mann  wie  Michel  de  Montaigne  zur  Bewunderung  hinriß,  ist  oben  an 
seiner  Stelle  geredet  worden.  In  München  scheint  überwiegend  eine  einfachere 
Dekoration,  grau  in  grau,  beliebt  gewesen  zu  sein,  und  von  dieser  Art  war  auch 
die  Fassadenmalerei  der  Residenz.  Im  Kaiserhofe  (Abb.  16)  ist  es  ein  System 
gekuppelter  dorischer  Pilaster  für  das  Erdgeschoß  und  darüber  korinthischer  für 
das  obere  Stockwerk.  Zwischen  den  Pilastern  sind  die  Wandfelder  durch  Nischen 
mit  figürlichem  Schmuck  belebt,  in  den  größeren  Wandflächen  dagegen  die  paar- 
weise angeordneten  Fenster  von  einem  großen  Rundbogen  umrahmt,  alle  Glie- 
derungen und  Felder  mit  Masken,  Fruchtschnüren,  Voluten  und  anderen  deko- 
rativen Formen  geschmückt.  An  der  Straßenseite  war  eine  ähnliche  Architektur 
angeordnet,  doch  zeigte  sie  nur  einfache  Pilaster,  zwischen  die  die  Fensterpartien 
gefaßt  waren.  Die  großen  Verhältnisse,  die  glückliche  und  klare  Einteilung,  die 
reiche  und  doch  nicht  überladene  Dekoration  verleihen  dem  Ganzen  den  Eindruck 
vornehmer  Würde  bei  einfachsten  Mitteln.  Erst  im  Zusammenhange  mit  solcher 
Dekoration  erhalten  die  Prachtportale  der  Außenseite  ihre  volle  Wirkung, 

Diese  beiden  Portale  (Abb.  17)  sind  in  einem  gemäßigten  Barockstil  in 
jener  strengen  dorischen  Rustika  erbaut,  die  damals  als  Ausdruck  fürstUcher 
Hoheit  und  Gravität  beliebt  war.  In  rotem  Marmor  ausgeführt,  überraschen  sie 
durch  die  Feinheit  ihrer  Gliederungen  und  eine  gewisse  Zurückhaltung,  offenbar 
mit  Rücksicht  auf  die  gemalten  Dekorationen  der  anstoßenden  Wandflächen.  Über 
den  Seitenpforten  halten  Löwen  das  bayrische,  Greifen  das  lothringische  Wappen, 
letzteres  mit  Bezug  auf  MaximiUans  erste  Gemahlin  Elisabeth  von  Lothringen. 
Die  verschlungenen  Namenszüge  beider  in  einem  gekrönten  Wappenschilde  bilden 
die  Spitze  des  ganzen  Aufbaues.  Mit  großem  Geschick  ist  nun  ein  Fenster  des 
oberen  Geschosses  in  die  Komposition  des  Portales  hineingezogen,  so  daß  es 
mit  seiner  reichen,  etwas  barocken  Umrahmung  sich  zwischen  den  beiden  ab- 
geschnittenen Giebelstücken  des  Oberbaues  erhebt.  Letztere  sind  mit  den  liegenden 
Statuen  der  Regenten-Tugenden,  zwei  an  jedem  Portale,  geschmückt.  Alles 
Figürliche  ist  von  Bronze,  auch  die  beiden  prachtvollen  Löwen,  die  vor  jedem 
Portale  Wacht  halten  und  ein  Wappen  mit  allegorischer  Devise  neben  sich  haben. 


München  Residenz 


29 


Die  Bronzearbeiten  hier  und  an  der  Mittelnische  sind  von  Georg  Mair  und  Barth. 
Wenglein  modelliert  und  gegossen ;  nur  die  Löwen  von  Carlo  Pellago  nach  Hubert 
Gerhards  Modell  sind  von  dem  geschickten  Hans  Krumper  meisterlich  gegossen. 

Der  ernsten  Pracht  dieser  Portale  entspricht  die  großartige  Marmornische, 
die  inmitten  der  Fassade  die  Erzfigur  der  Madonna  als  der  Schutzpatronin  Bayerns 
enthält  (Abb.  18).  Hier 
ist  besonders  das  Deko- 
rative von  hoher  Fein- 
heit, namentlich  die  köst- 
liche Bronzelaterne  am 
Unterbau  und  die  aus 
Engelköpfchen  mit  Laub- 
gewinden originell  und 
geistvoll  komponierten 
Kapitelle  der  Pilaster. 
Man  fühlt  sich  überrascht, 
in  dieser  Epoche  noch  so 
viel  Sinn  für  liebevolle 
Durchbildung  des  einzel- 
nen unzutreffen.  Sicher 
stammt  der  Entwurf  die- 
ser Teile  von  Peter  Gan- 
did  im  ganzen  wie  im 
einzelnen.  Und  unver- 
kennbar ist  dabei  überall 
trotz  der  italienischen 
Bildung  ein  gewisser 
akademischer  Zug,  eine 
leichte  trockene  Flach- 
heit, die  im  Grundwesen 
doch  an  die  damalige 
und  folgende  holländische 
Art  erinnert ;  insbesondere 
an  Jakob  van  Campens 
Rathaus  in  Amsterdam. 
Und  man  wird  sich  inne, 
daß  Pietro  Candido  immer 

der  italienisierte  Peter  de  Wit  bleibt.  In  noch  größerem  Umfang  tritt  die  Plastik 
bei  dem  glänzenden  Springbrunnen  des  Brunnenhofes  auf,  der  eines  der  präch- 
tigsten Werke  der  Zeit  ist.  Allerdings  ist  dieser  „Wittelsbacher  Brunnen",  wie 
er  heute  erscheint,  durch  die  Hinzufügung  von  vier  bronzenen  Götterfiguren  aus 
dem  Garten  Wilhelms  V.  bereichert ;  ursprünglich  zeigte  er  nur  die  Mittelfigur 
Ottos  V.  Wittelsbach,  umgeben  von  vier  Flußgöttern  und  kleineren  Gruppen  von 
Meerungeheuern,  Putten  u.  dgl.  Alle  drei  Künste  endlich  wirkten  bei  dem  kleinen 
Grottenhofe  zusammen,  der  mit  seiner  kühlen  Grotte,  mit  den  Muschel- 
Inkrustationen  der  Wände  und  den  Gemälden  der  gewölbten  Decke,  mit  der  offenen 
;  Säulenhalle,  welche  die  Hauptseite  einschließt,  mit  dem  von  Statuen  belebten 
Rasen  und  Gebüsch,  endlich  der  wohl  abgewogenen,  feinabgestuften  Architektur 
.seiner  Um fassungs wände  ein  wahres  Juwel  künstlerischer  Erfindung  und  poetischer 
Wirkung  ist,  allerdings  völlig  südlichen  Wesens. 

Die  Absicht  des  Architekten  bei  dem  großartigen  Bau  aber  ist  offenbar 
.dahin  gegangen,  die  Hauptwirkungen  sich  für  das  Innere  zu  versparen.  Zunächst 


Abb.  17   Hauptportal  der  Eesidenz  zu  München 


30 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Abb.  18  Nische  an  der  Residenz  zu  München 


namentlich  auch  die  großen  Gänge 


ist  schon  das  Kaiservestibül,  in  das 
man  vom  Hofgarten  aus  freien  Zutritt  hat, 
ebenso  vornehm  in  der  Anlage,  wie  schön 
in  der  Ausschmückung.  Der  imposante 
Raum  von  etwa  16  Meter  Breite  bei  un- 
gefähr 21  Meter  Tiefe  wird  von  neun  Kreuz- 
gewölben bedeckt,  die  auf  vier  gewaltigen 
dorischen  Säulen  von  rotem  Marmor  ruhen. 
Die  hohen  Gewölbe  zeigen  geistreich  ge- 
malte Ornamente  auf  weißem  Grunde  im 
Charakter  der  bekannten  antiken  Wand- 
malerei. Das  leichte  Phantasiegerüst  der 
Architektur  ist  in  der  Mitte  durchbrochen, 
so  daß  sich  ein  Blick  in  den  blauen  Äther 
zu  öffnen  scheint.  Das  mittlere  Gewölbe 
hat  eine  reichere,  perspektivisch  gemalte 
Architektur,  die  in  den  Ecken  von  bronze- 
farbenen  Hermen  aufsteigt.  Wendet  man 
sich  von  diesem  im  Geiste  des  klassischen 
Altertums  köstlich  behandelten  Räume 
zur  Linken,  so  gelangt  man  zur  Kaiser- 
treppe, die  in  einfachem,  durch  mehrere 
Absätze  gebrochenem  Lauf,  aber  in  groß- 
artigen Verhältnissen  zum  Hauptgeschoß 
emporführt.  Das  aufsteigende  Gewölbe 
der  Treppe  ist  aufs  prächtigste  mit  Stuck- 
ornamenten geghedert,  die  Felder  aber 
mit  Freskobildern  belebt,  leicht  und  reich 
zugleich.  Auf  den  Absätzen  der  Treppe 
enthält  die  Hauptwand  eine  prächtige 
Nische  in  weißem  Stuck  mit  überlebens- 
großen Bildsäulen  bayrischer  Fürsten, 
das  Ganze  von  wahrhaft  majestätischer 
Wirkung.  Alle  anderen  Treppen  des  Pa- 
lastes, obwohl  im  Maßstabe  bescheidener, 
sind  in  ähnlicher  Weise  mit  Stuck  und 
zum  Teil  mit  Fresken  geschmückt.  Vor 
allem  prachtvoll  ist  der  Vorsaal,  in  den 
der  obere  Lauf  der  Treppe  mündet.  Er 
ruht  auf  roten  Marmorsäulen;  die  sechs 
Gewölbe,  die  ihn  überdecken,  gehören  zu 
den  üppigsten,  die  je  in  reicher  Stuck- 
verzierung mit  Malerei  geschaffen  sind. 
Der  Eindruck  der  Treppe,  wie  vor  allem 
des  obersten  Vorsaales,  ist  ein  außerordent- 
hcher.  Alles  in  Form  wie  Raumwirkung 
vom  Allervortreff  liebsten.    (Abb.  19.) 

Die  Treppe  am  Gharlottengang  hat 
ähnlich  prachtvolle  Gewölbe.  In  gleicher 
Art  sind  nicht  bloß  die  verschiedenen 
Treppenhäuser    und  Vorhallen,  sondern 
■eschmückt,  welche  in  bedeutender  Länge 


München  Residenz 


31 


die  ganze  Flucht  der  einzelnen  Schloßflügel  begleiten,  indem  sie  sich  als  Ver- 
bindung vor  den  Wohnräumen  hinziehen ;  von  ihnen  seien  die  Ahnengalerie,  der 
Wappengang,  der  Gharlottengang  besonders  genannt.  Überall  bei  ihrer  Aus- 
schmückung sind  die  architektonischen  Haupthnien  als  Grundmotiv  betont,  bei 
den  Galerien  sind  es  die  Kanten  der  Stichkappen,  welche  in  die  Tonnengewölbe 
einschneiden.  Dadurch  ergibt  sich  ein  klarer,  übersichtlicher  Rhythmus,  der  bei 
allem  Reichtum  der  Verzierung  beruhigend  wirkt.  In  der  Dekoration  selbst  herrscht 
ein  fein  gezeichnetes  Rankenwerk  vor,  mit  mancherlei  phantastischen  Masken 


Abb.  19   Hallo  an  der  Kaisci'trcppe  der  Residenz  zu  München 
(Nach:  Kunstdenkmale  Bayerns) 


wechselnd,  in  schöne  Rosetten  auslaufend.  Dazwischen  Engel  mit  allerlei  Sinn- 
bildern in  kräftig  eingerahmten  Feldern,  die  Rahmen  mit  Perlschnur  und  Herz- 
laub gegliedert.  Die  größeren  Flächen  sind  in  der  Regel  Freskobildern  vorbehalten, 
die  sich  meist  in  Allegorie  bewegen.  Ihre  klare  lichte  Färbung  kontrastiert  wirk- 
sam gegen  den  weiß  gehaltenen  Stuck,  dessen  Behandlung  sich  durch  Feinheit 
und  Schärfe  auszeichnet.  Wenn  man  den  außerordentlichen  Umfang  der  noch  jetzt 
vorhandenen  Ausstattung  betrachtet,  so  muß  man  über  den  Reichtum  und  die  strö- 
mende Leichtigkeit  der  Erfindung  erstaunen.  Aber  auch  selbst  die  Reinheit  des  Stils 
erregt  in  der  Zeit  des  beginnenden  Barock  mit  Recht  Bewunderung,  denn  wenn 
sich  wirklich  manchmal  barocke  Elemente  einmischen,  so  wirken  diese  Arbeiten  im 
Vergleich  mit  den  gleichzeitigen  italienischen  und  mit  dem  überladenen  Schwulst 
der  zum  Teil  noch  früheren  in  Fontainebleau  fast  klassisch  rein.  Gerade  sie  nun 
sind  mit  Sicherheit  im  Entwürfe  Peter  Candicl  zuzuschreiben,  der  sich  hier  von 
seiner  all  erglänzendsten  Seite  zeigt.    Die  Kaisertreppe  ist  oben  1616  datiert. 


32 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Die  Wohnräume,  die  sich  noch  aus  der  Zeit  Kurfürst  Maximilians  I.  erhalten 
haben,  gruppieren  sich  zum  Teil  um  den  Kaiserhof.  Der  große  Saal,  16  Meter 
breit,  36  Meter  lang,  ist  zwar  leider  im  18.  Jahrhundert  mit  einem  Nebensaal  in 
Zimmer  verwandelt,  und  wir  sind  damit  wohl  des  Hauptstückes  dieser  herrlichen 
Innenarchitektur  beraubt,  aber  eine  Anzahl  von  Zimmern  ist  noch  im  wesent- 
lichen unberührt  geblieben.  Von  diesen  kommen  vor  allem  die  wundervollen  Trierer 
und  die  Steinzimmer,  die  den  Hof  östlich  und  westlich  einfassen,  in  Betracht. 
Die  Wände  darin  waren  meist  auf  Teppiche  berechnet,  deren  man  in  München 
noch  immer  eine  große  Anzahl  besitzt.  Die  Decken  werden  durch  Holzgetäfel 
gebildet,  dessen  Gliederung  mit  bescheidenem  Relief  und  sparsamer  Vergoldung 
den  eingelassenen  Ölgemälden  als  Rahmen  dient.  Hier  herrscht  also  eine  an 
Venedig  erinnernde  Behandlungsweise,  und  auf  Meister  der  venezianischen  Schule 
deutet  auch  das  Kolorit  vieler  Bilder.  Die  Vermittlung  zwischen  Wand  und  Decke 
gewährt  ein  breiter  Fries  von  trefflichen  Stuckornamenten.  Die  Einfassung  der 
Türen  ist  in  kräftigen  Formen  meist  aus  Stuckmarraor  gebildet.  Ebenso  sind 
die  Kamine  behandelt,  doch  kommen  auch  prächtigere  von  weißem  Marmor  mit 
köstlichen  Skulpturen  vor.  Der  ganzen  edlen  Pracht  entspricht  endlich,  was  die 
Kunstschreinerei  der  Zeit  hinzugefügt  hat,  seien  es  geschnitzte  Möbel  oder  die 
nicht  minder  stilvoll  behandelten  Flügeltüren  mit  schön  profilierten  Rahmen  und 
Intarsien.  Selbst  die  Eisenarbeiten  an  Schlössern,  Hespen  und  Angeln  bekunden 
den  hohen  Stand  des  damaligen  Kunsthandwerks  durch  die  schönen,  in  Gold 
eingelegten  Ornamente  ihrer  Tauschier- Arbeit.*) 

Man  liest  in  den  Zimmern  meistens  die  Jahreszahlen  1612  und  1617. 
Wahrlich,  wenn  man  die  harmonische,  bis  in  die  kleinsten  Nebendinge  in  ihrer 
Feinheit  sich  gleichbleibende  Durchführung  dieser  Räume  mit  der  Öde  der 
modernen  Teile  vergleicht,  wo  vor  allem  der  Mangel  des  feineren  Kunsthandwerks 
empfindlich  berührt,  so  muß  man  gestehen,  daß  wir  von  jener  Zeit  immer  noch 
sehr  viel  lernen  können. 

Von  den  derselben  Epoche  angehörenden  Räumen  erwähne  ich  noch  den 
riesigen  „Schwarzen  Saal"  für  die  Wachen  und  die  alte  Schloßkapelle  mit  ihren 
prächtigen  Stukkaturen,  besonders  aber  das  Antiquarium  mit  seinen  trefflichen 
Fresken  im  Stil  antiker  Wanddekoraiion,  ein  wahres  Muster  für  einen  derartigen 
Sammlungsraum. 

Der  schwarze  Saal,  von  dem  Brunnenhof  direkt  durch  eine  stattliche  Treppe 
zugänglich,  hat  ganz  mächtige  Verhältnisse,  an  der  gewölbten  Decke  in  größtem 
Maßstab  perpektivisch  gemalte  Hallen  auf  Säulen.  Die  Türen  und  Kamine  von 
schwarzem  Stuckmarmor,  der  Fußboden  von  weißen  und  roten  Marmorplatten. 
Die  Kapelle  ist  ein  reich  mit  Stuckreliefs  geschmückter  Hochbau,  in  drei  Ge- 
schossen von  Emporen  umgeben,  welche  für  die  Herrschaft  und  die  verschiedenen 
Abstufungen  der  Hofleute  bestimmt  waren.  Von  ganz  besonderer  Schönheit  des 
Raumes  und  der  Dekoration  ist  nun  das  Antiquarium,  am  oberen  Ende  in  eine 
erhöhte  Estrade  auslaufend,  während  am  anderen  der  achteckige  Saal  den  Ab- 
schluß bildet.  Das  lange  Tonnengewölbe  mit  seinen  Stichkappen  ist  mit  einer 
wundervollen,  rein  italienischen  Grotesken-Malerei  von  der  Hand  des  uns  aus 
Augsburg  bekannten  Ponzano  geschmückt  (Abb.  20).  Geschnitzte  Kasten,  zur 
Aufnahme  der  kleineren  Kunstwerke  bestimmt,  umziehen  die  Wände  und  in  den 
Fensternischen  sind  Marmorbüsten  aufgestellt.  Dieser  Bau  stammt  noch,  wie 
oben  angeführt,  aus  der  Zeit  Wilhelms  V.,  auch  seine  Ausgestaltung  ist  noch  seit 
1588  erfolgt. 

1)  Eine  ganze  Beschreibung  alles  Einzelnen  in  I  trionfi  dell'  architettura  nella  sontuosa 
residenza  di  Monaco,  dal  marchese  Ranuccio  Pallavicino.  In  Augusta  1680.  4".  Dabei  auch 
ein  Stich,  welcher  das  Äußere  des  Baues  mit  seinen  Wandmalereien  veranschaulicht. 


Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl. 


3 


34 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


Eine  jüngere  Reihe  von  Zimmern,  aus  der  Zeit  des  Kurfürsten  Ferdinand 
Maria,  zeigt  schon  mehr  barocke  Dekoration  und  weit  größere  Pracht,  namentlich 
starke  Überladung  mit  Gold.  Besonders  die  sogenannten  päpstlichen  Zimmer 
zeichnen  sich  durch  ihren  Glanz  und  ihre  Üppigkeit  aus.  Zuletzt  findet  das  Rokoko 
seine  Vertretung  in  den  sogenannten  reichen  Zimmern  aus  der  Zeit  Karls  VII. 
Wer  das  köstliche,  kleine  Residenztheater  kennt,  kann  sich  von  dem  graziösen 
Reiz  dieser  Räume  eine  Vorstellung  machen. 

Einer  der  allerprächtigsten  Räume  ist  zuletzt  die  kleine  reiche  Kapelle,  gleich 
bei  den  päpstlichen  Zimmern.  Sie  war  1607  vollendet.  Die  Wandflächen  und  Fenster- 
nischen haben  eine  Bekleidung  in  Kunstmarmor  (Scagliola)  mit  prächtigen  Orna- 
menten und  Darstellungen  aus  dem  Leben  Maria.  Das  Klostergewölbe  ist  mit  Relief- 
stuck und  Bemalung  geschmückt  und  trägt  mitten  eine  Art  kleiner  Kuppel  mit 
Tambur.  Selbst  der  Fußboden  ist  eingelegt;  das  Ganze  mit  seiner  Ausstattung  an 
Altar,  Orgel  und  Rehquienschränken  ein  Wunderwerk  höchster  Pracht,  vielleicht 
fast  zu  prächtig  und  etwas  unruhig;  doch  in  Deutschland  in  ihrer  Art  einzig. 

Und  diese  Schränke  bergen  nun  einen  Schatz  an  Werken  des  Kunstgewerbes  m 
Edelmetall  ohnegleichen.  Außer  zahlreichen  Kostbarkeiten  des  frühen  Mittelalters 
vor  allem  die  Reliquien,  Prachtaltärchen,  Schreine  und  sonstige  HerrHchkeiten,  die  die 
Frömmigkeit  der  bayrischen  Herrscher  seit  Albrecht  V.  der  Kapelle  ihrer  Residenz  ge- 
schenkt —  eine  Geschichte  der  Goldschmiedekunst  in  allen  ihren  Zweigen  in  Bayern.^) 

Auch  die  Silberkammer  im  unteren  Geschoß  birgt  zahlreiche  Werke  von 
hoher  Bedeutung. 

Von  dem  trotz  aller  Zerstörungen  noch  immer  prachtvollen  Ganzen  habe  ich 
hier  nur  das  Wesentlichste  kurz  berührt.  Sucht  man  in  der  Phantasie  das  Ursprüng- 
hche  wieder  herzustellen,  fügt  man  den  Schmuck  der  durchweg  gemalten  Fassaden 
hinzu,  erwägt  man  die  Pracht  der  Ausstattung,  die  Fülle  an  Kostbarkeiten  und  Kunst- 
schätzen jeder  Art,  welche  der  stolze  Bau  umschloß,  so  begreift  man  die  Bewunde- 
rung der  Zeitgenossen  und  der  nachfolgenden  Geschlechter,  welche  den  Bau  das  achte 
Wunder  der  Welt  nannten  {Pallavicim  z.B.  p.  1);  begreift  auch,  daß  Gustav  Adolf 
bedauert  haben  soll,  den  Palast  nicht  auf  Walzen  nach  Stockholm  führen  zu  können. 
Aber  nicht  minder  bezeichnend  ist  jener  andere  Ausspruch  des  großen  Schweden- 
königs, in  welchem  er  München  einen  goldenen  Sattel  auf  magerem  Gaule  nennt.  — 

Mit  einem  Werke  der  Devotion  beschließt  Kurfürst  Maximilian  seine  Mün- 
chener Bautätigkeit  und  damit  zugleich  die  Schöpfungen  dieser  Epoche.  Es  ist  die 
Mariensäule,  im  Jahre  1638  zufolge  eines  Gelöbnisses  für  die  siegreiche  Schlacht 
am  Weißen  Berge  bei  Prag  auf  dem  Schrannenplatz  zu  Ehren  der  Schutzpatronin 
Bayerns  errichtet  (Abb.  21).  Ein  Werk  von  trefflichen  Verhältnissen,  kraftvoll  in 
den  Formen  und  glücklich  im  Aufbau.')  Auf  den  Ecken  der  marmornen  Balustrade 
vier  schöne  Bronzelaternen;  auf  den  Ecken  des  Sockels  himmhsche  Kriegerknaben 
im  lebhaften  Kampf  mit  Drachen,  Schlangen  und  ähnlichen  Ungetümen.  Auf  der 
Krönung  des  Postaments  als  Vermittlung  mit  der  Basis  der  Säule  geflügelte  Engel- 
köpfchen aus  Bronze  von  lebendiger  Bewegung  und  schönem  Umriß.  Auch  die  Statue 
der  Madonna  gehört  zu  den  besten  der  Zeit.  Sie  ist  von  Hans  KrumiMv  gegossen; 
das  Monument  selbst  nach  einer  Zeichnung  Gandids  durch  Peter  König  ausgeführt. 

Das  herrliche  MonumentLudwigs  des  Bayern  in  der  Frauenkirche  (Abb.22) 
ließ  der  kunstsinnige  Kurfürst  Max  1622  als  Umbau  um  die  gotische  marmorne 
Grabplatte  des  Kaisers  nach  P.  Candids  Entwurf  errichten.  Das  schwarzmarmorne 
Gehäuse  trägt  mitten  ein  Bronzekissen  mit  der  Kaiserkrone,  flankiert  von  den  Ge- 

1)  Wer  sich  darüber  unterrichten  will,  findet  die  Hauptgegenstände  dieses  vornehmsten 
kirchlichen  Schatzes  in  Deutschland  in  dem  farbigen  Prachtwerke  von  Zettler-Stockbauer:  Aus- 
gewählte Kunstwerke  aus  dem  Schatze  der  reichen  Kapelle  der  Eesidenz  .  .  .  München  1877. 

2)  Vgl.  bei  Bauer  a.  a.  0.  die  Taf.  33  und  34. 


München 


35 


stalten  derWeisheit 
und  Tapferkeit.  An 
den  Ecken  knien 
vier  geharnischte 
Fahnenträger,  an 
den  Langseiten  ste- 
hen die  Erzbilder 
der  Herzöge  Al- 
brecht V.  und  Wil- 
helm IV.  Der  Erz- 
guß ist  von  Dionys 
Frey.  An  vorneh- 
mer Schönheit  des 
Aufbaus  und  der 
Durchführung  fin- 
det das  wundervolle 
Denkmal  nur  einen 
Nebenbuhler  in 
Deutschland,  das 
des  Fürsten  Ernst 
von  Schaumburg 
zu  Stadthagen. 

Von  der  einst  so 
reichen  Farbenlust 
der  Epoche  an  den 
Fassaden  scheint 
nichts  erhalten  ge- 
blieben zu  sein. 

Bedeutende  oder 
gar  hervorragende 
Leistungen  hat  das 
oberbayrische  Ge- 
biet kaum  aufzu- 
weisen, obwohl  im 
17.  Jahrhundert  und 
bis  zu  Ende  der 
Renaissance  nicht 
wenig  gebaut  und 
auch  an  Ausstat- 
tung geleistet  wur- 
de. Indessen  ist  die 
Bauweise  gerade 
damals  verhältnis- 
mäßig einfach  ge- 
blieben. Das  be- 
scheidene Material 
für  das  Äußere, 
meist  Ziegelmauer- 
werk, verputzt  und 
geweißt,  ließ  nicht 
allzuviel  Gliede- 
rung zu,  und  für 


Abb.  21   Die  Mariensäule  zu  München 
(Aufnahme  der  Neuen  Photogr.  Gesellschaft,  Steglitz) 


36 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XI.  Kapitel  Bayern 


das  Innere,  sowohl  der  Kirchen  wie  der  Schlösser  und  besseren  Privathäuser,  kam, 
soweit  die  Räume  gewölbt  waren  (Kirchen  u.  dgl.)  vorwiegend  die  Dekoration  in 
Stuck,  meist  weiß,  in  Anwendung,  die  wir  schon  berührt  haben;  für  die  Aus- 
stattung der  besseren  Innenräume  blieb  man  bei  meist  einfacher  Täfelung  der 
Wände  und  Decken,  dazu  ausgebildeter  Türumrahmungen  in  Holz. 


Abb.  22   Grabdenkmal  Ludwigs  des  Bayern  iu  der  Frauenkirche  zu  München 
(Nach:  Kunstdenkmale  Bayerns) 


Dabei  trat  nicht  allzuviel  Bedeutsames  hervor.  Doch  sei  erwähnt,  daß  die 
Türme  aller  Art,  meist  achteckig,  in  jener  Zeit  gewöhnlich  mit  zwiebeiförmigen 
Kuppeln  abgeschlossen  wurden,  wie  wir  sie  schon  in  Augsburg  und  Umgegend 
trafen.  Zahlreichen  mittelalterlichen  Türmen  —  wie  den  bekannten  Frauentürmen 
in  München  —  wurde  so  ein  anderer  höchst  eigentümhcher  Charakter  verliehen, 
und  auch  die  Schloßtürme  hatten  meist  ähnliche  Gestalt. 

Von  den  Kirchen  sei  noch  die  äußerlich  einfache,  aus  einer  gotischen 
1627 — 30  fast  neugebaute  zu  Tüntenhausen^)  erwähnt,  deren  weiter,  freier, 
lichter  Raum  mit  einem  prächtig  stuckierten  Gewölbe  auf  acht  Eckpfeilern  geziert 
ist;  von  einer  Reihe  anderer  war  schon  oben  die  Rede. 

Schloßbauten  mit  vier  Türmen  an  den  Ecken  und  Binnenhof,  deren  weiße 
Masse  sich  aus  der  Landschaft  prächtig  malerisch  hervorhebt,  gibt  es  auf 
Bergen  und  im  Tal  zahlreiche.  Als  ein  Beispiel  für  alle  sei  Schwind  egg") 
(Bezirksamt  Mühldorf),  die  prächtige  Wasserburg,  genannt,  die  aus  ihrer  um- 

1)  Bau-  u.  Kunstdenkm.  d.  Königr.  Bayern  Taf.  227. 

2)  Daselbst  Taf.  257  und  S.  2281. 


Schwindegg  Berchtesgaden 


37 


gebenden  Wasserfläche  mit  ihren  vier  Kuppeltürmen  und  dem  Torturm  inmitten 
gar  malerisch  ragt  (Abb.  23);  umher  ähnliche  Stallgebäude,  mitten  ein  Hof 
mit  Arkaden  auf  zwei  Seiten.  Alles  weiß  getüncht,  derb  anspruchslos  in  den 
Formen  —  doch  von  unvergeßlicher  Wirkung  und  hoher  Eigenart.  —  Nahe  ver- 
wandt ist  Schloß 
Tüßling(AmtAlt- 
ötting), 

InBerchtesga- 
den ist  eine  kleine 
bemalte  Hausfas- 
sade bemerkens- 
wert, nicht  eben 
künstlerisch  bedeu- 
tend, aber  bezeich- 
nend für  dasKultur- 
leben  der  Epoche. 
Gemalte  korinthi- 
sche Säulen  fassen 
die  Ecken  ein;  die 
Fenster  sind  in  bei- 
den Geschossen  mit 
grau  in  grau  aus- 
geführtem Roll- 
werk eingefaßt ;  da- 
zwischen ziehen 
sichFruchtgehänge 
hin,  die  auch  von 
einem  Fenster  zum 
andern  ausgespannt 
sind.  An  dem  un- 
teren Fenster  sind 

Trophäen  von 
Schinken,  Würsten, 
Enten,  Fischen  und 
dergleichen  zierlich 
aufgehängt.  Inden 
Fensterbekrönun- 
gen  sieht  man  hu- 
moristische Sze-. 
nen,  worin  Affen 
das  menschliche 

Treiben  parodieren,  z.  B.  ein  Tanz,  wobei  die  Tanzenden  wie  die  Musikanten 
Affen  in  Menschenkostüm,  ein  großes  Orchester,  in  welchem  der  Kapellmeister 
an  der  Orgel,  der  Baß,  die  Klarinette  und  die  übrigen  Instrumente  sämtlich 
Affen  sind;  dann  ein  Bacchuszug,  wo  der  Gott  des  Weins  auf  seinem  Wagen 
von  Affen  gezogen  wird;  weiter  unten  der  Affe  als  Geldwechsler;  zwei  Affen 
beim  Schachspiel;  endlich  in  der  Mitte  Affen  in  der  Tracht  eleganter  Kavaliere 
auf  der  Jagd,  im  Vordergrund  der  Hase  von  einem  weißen  Hühnerhund  gestellt, 
im  Hintergrund  Hirsche  und  auf  den  Bergspitzen  Gemsen,  dabei  der  Vers:  „Duck 
dich  Hasl  laß  übergahn,  denn  Gwalt  will  Recht  han".  Solche  heiteren  und  ori- 
ginellen Werke  lassen  den  Untergang  so  vieler  ähnlicher  Schöpfungen  doppelt 
bedauern. 


Abb.  23  Schloß  Schwindegg 
(Nach:  Kunstdenkmale  Bayerns) 


38  2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Die  österreichischen  Länder 

In  Mittenwald  an  der  Hauptstraße  eine  reich  gemalte  Fassade  im  tollsten 
Barock  mit  gewundenen  Gesimsen  u.  dgl.;  über  den  Fenstern  recht  ungefüge 
Brustbilder  der  Apostel,  in  der  Mitte  die  Verkündigung:  alles  sehr  farbenfroh.  — 
Garmisch  besitzt  noch  manche  gemalte  Fassade;  die  des  Husarenwirtshauses 
zeigt,  wenngleich  erneuert,  Renaissance-Motive  in  den  Ecksäulen,  den  Einfassun- 
gen der  Fenster,  ihren  Bekrönungen  mit  antiken  Kaisermedaillons  auf  blauem 
Grunde,  den  Blumengewinden  und  Akanthusranken.  Aus  einem  Scheinfenster 
schaut  ein  Husar  und  ein  anderer  Offizier  heraus;  auch  diese  Illusionsscherze 
im  Geiste  der  Renaissance.  Alles  sehr  heiter  und  lustig.  Zeigt  ein  anderes 
Haus  eine  gemalte  Fassade  aus  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  ganz  mit  den 
entsprechenden  Rokokoschnörkeln,  endlich  die  Fassade  der  Apotheke  Formen 
des  beginnenden  Empire,  ehrbar  grau  in  grau,  mit  klassischen  Mäandern,  Vasen, 
Tränentüchlein  u.  dgl.,  so  sieht  man,  wie  lange  dort  die  Freude  an  gemaltem 
Häuserschmuck  sich  erhalten  hat. 

Die  bürgerliche  Baukunst  der  eigentlichen  Renaissance  hat  trotz  einer 
starken  Bautätigkeit  nicht  allzuviel  für  uns  bedeutsame  Spuren  hinterlassen.  Das 
Baumaterial  mag  hiervon  die  hauptsächlichste  Ursache  sein,  und  man  mag  sich 
vor  allem  im  Äußeren  auf  die  Anwendung  vergänglicher  Malerei  beschränkt  haben. 

Doch  ist  einer  aus  dem  späteren  Mittelalter  stammenden  Eigentümlich- 
keit nicht  zu  vergessen,  die  insbesondere  in  den  Städten  an  der  Salzach,  also 
nach  Österreich  zu,  verbreitet  ist:  der  Anordnung  der  Häuser  mit  „Graben- 
dächern". In  diesen  Städten,  wie  Rosenheim,  Tittmoning,  Mühldorf,  Burghausen  u.a. 
zeigen  nämlich  die  Häuser  nach  der  Straße  zu  eine  hohe,  mit  einer  Art  Zinnen 
oder  ähnlich  abgeschlossene  Frontmauer,  hinter  der  sich  das  niedrige,  in  mehreren 
Sätteln  mit  Kehle  dazwischen  senkrecht  zur  Vorderfront  laufende  Dach  verbirgt. 
Insbesondere  in  Mühldorf  finden  wir  davon  eigenartige,  reizvolle  Beispiele  aus 
der  Renaissancezeit.  So  in  der  Weißgerbergasse,  und  besonders  schön  am  Pfarr- 
hofe, wo  die  reizvolle  Bogengalerie  als  Brüstung  mit  dem  malerischen  Ecktürmchen 
geradezu  an  spanische  Bauweise  gemahnt,  i)  Hier  endigt  die  Frontmauer  meist 
in  einer  horizontal  abschließenden,  starkgegliederlen  Brüstung,  und  der  Eindruck 
dieser  Straßen  ist  ein  höchst  fremdartiger  gegenüber  den  sonst  in  Deutschland 
üblichen  Giebelreihen.  Es  ist  übrigens  nicht  zu  verschweigen,  daß  diese  Eigenart 
stark  an  die  böhmisch-slawische  erinnert,  die  wir  bis  nach  Krakau  verfolgen 
können,  die  auch  in  Schlesien  öfters  auftritt  und  den  Gedanken  anregt,  wir 
möchten  es  hier  mit  einem  Einbruch  slawischer  Bauweise  in  deutsche  Gebiete 
zu  tun  haben. 


Zwölftes  Kapitel 

Die  österreichischen  Länder 

Die  bisherige  Betrachtung  der  süddeutschen  Gebiete  hat  uns  gezeigt,  daß 
die  selbständige  Ausbildung  der  Renaissance  Hand  in  Hand  geht  mit  der  allge- 
meinen Erneuerung  des  geistigen  Lebens,  und  daß  sie  gerade  da  in  Deutschland 
zu  einem  eigenartigen  Gepräge  durchdringt,  wo  jene  Erneuerung  sich  wirklich  voll- 
zieht, wo  ein  freier  Aufschwung  des  religiösen,  wissenschaftlichen  und  literarischen 
Wesens  zum  Durchbruch  kommt.  Die  protestantischen  Reichsstädte  und  im  Wett- 
eifer mit  ihnen  die  der  Reformation  ergebenen  Fürstenhöfe  von  Baden,  Württem- 
berg, der  Pfalz,  Sachsen,  Brandenburg,  Mecklenburg  und  andere  sind  eifrige 

1)  Bau-  u.  Kunstdenkm.  d.  Königr.  Bayern,  I,  2,  S.  2211.  Vgl.  auch  Amt  Altötting,  Wasser- 
burg, Rosenheim  usw. 


Übersicht 


39 


Pfleger  und  Förderer  dessen,  was  wir  deutsche  Renaissance  nennen.  Der  katholische 
Hof  der  Wittelsbacher  dagegen  steht  zwar  an  Eifer  der  Kunstpflege  keinem  andern 
nach,  aber  er  betätigt  sie  in  den  monumentalen  Schöpfungen  weniger  durch 
Förderung  einer  nationalen,  als  durch  Begünstigung  einer  fremden  Kunst,  der 
italienischen,  die  mit  dem  deutschen  Leben  nicht  mehr  zu  tun  hat,  als  der 
von  denselben  Fürsten  eingeführte  Jesuitenorden.  Bei  denjenigen,  die  mit  allen 
Mitteln  der  Gewalt  die  Herrschaft  des  Papstes  in  Deutschland  wiederherzustellen 
suchten,  scheint  gleichsam  instinktmäßig  auch  das  Anlehnen  an  römische  Kunst 
Gesetz  gewesen  zu  sein.  Nur  Bischof  Julius  von  Würzburg  macht  eine  Aus- 
nahme, in  dessen  zahlreichen  Bauten  mit  Entschiedenheit  die  zu  reifer  Entwick- 
lung gelangte  deutsche  Renaissance  zur  Geltung  kommt.  Aber  er  ist  ein  weißer 
Rabe,  der  die  allgemeine  Tatsache  nicht  umstoßen  kann,  daß  die  eigentliche 
deutsche  Renaissance  mit  dem  übrigen  Kulturleben,  namenthch  mit  der  Ent- 
wicklung der  Reformation  innig  zusammenhängt.  In  Norddeutschland  werden 
wir  dasselbe  Verhältnis  erkennen. 

In  den  österreichischen  Ländern,  von  denen  wir  nur  die  zisleilhanischen  in 
unsere  Betrachtung  aufnehmen,  auch  die  italienischen  Gebiete  ausschUeßen,  treten 
uns  wieder  andere  eigentümliche  Kulturbedingungen  entgegen,  die  eine  ganz 
besondere  Stellung  zur  Renaissance  im  Gefolge  haben.  Die  Länder  der  deutschen 
Ostmark,  mit  allen  Reizen  und  Reichtümern  der  Natur  gesegnet,  zeigen  sich  m 
jeder  Hinsicht  als  Grenzländer,  als  Vorposten  deutscher  Kultur  gegen  den 
slawisch-madjarischen  Osten,  als  Vermittler  der  hoch  entwickelten  Zivilisation 
Italiens  im  Süden.  Die  deutschen  Stämme  Österreichs,  in  körperlichen  und  gei- 
stigen Anlagen  keinem  der  übrigen  Stämme  nachstehend,  gewinnen  durch  die 
eigentümlichen  Bedingungen  ihrer  geographischen  Lage  eine  Steigerung  ihrer 
natürlichen  Begabung,  die  sich  besonders  als  rege  Phantasie  und  elastischer 
Lebenssinn  zu  erkennen  gibt.  Wie  diese  Naturanlage  sich  auf  künstlerischem 
Gebiet  später  vornehmlich  ins  Reich  der  Musik  ergossen  und  von  Haydn  und 
Mozart  bis  Schubert  eine  Welt  der  köstlichsten  Tongebilde  geschaffen  hat,  weiß 
jedermann.  Aber  auch  eine  freudige  Lust  an  der  Welt  bewegter  Erscheinungen, 
am  Reiz  anmutiger  Formen  ist  unmittelbare  Folge  jener  Verhältnisse.  In  fort- 
währender Berührung  mit  mannigfach  verschiedenen  Stämmen,  mit  slawischen, 
madjarischen  und  romanischen,  erfuhr  das  germanische  Volkstum  hier  mancherlei 
Mischung  mit  fremdem  Blute,  nicht  stark  genug,  um  die  eigene  Art  auszulöschen, 
aber  hinreichend,  um  einen  rascheren  Pulsschlag  zu  erzeugen  und  bis  in  unsere 
Tage  den  Deutsch-Österreichern  den  Hauch  einer  jugendlichen  Frische  zu  ver- 
leihen. Zugleich  ergab  sich  aus  der  geographischen  Lage  die  doppelte  Tätigkeit 
des  Gebens  und  Empfangens,  des  Zurückweisens  und  Entgegenkommens.  Von 
Süden  her  die  alte  Kultur  Italiens  sich  zu  eigen  machend,  wurden  die  Deutschen 
Österreichs  gegenüber  jenen  Bevölkerungen  niedrigerer  Kulturstufe  Träger  und  Ver- 
breiter deutscher  Gesittung  und  Bildung,  die  sie  oft  genug  in  heißen  Kämpfen 
gegen  die  Horden  des  Orients  zu  verteidigen  hatten. 

Diese  Verhältnisse  erkennt  man  schon  in  den  mittelalterlichen  Monumenten 
des  Landes.  Mit  großer  Kraft  wird  gegen  Ausgang  der  romanischen  Epoche  die 
Baukunst  im  wesentHchen  so,  wie  sie  im  mittleren  und  südlichen  Deutschland 
sich  ausgebildet  hatte,  herübergenommen  und  bis  nach  Ungarn  und  Siebenbürgen 
hinein  in  glänzenden  Denkmalen  verbreitet.  Allerdings  wird  weder  in  den  räum- 
lichen Kombinationen,  noch  in  der  Gliederung  und  Gruppierung  des  Aufbaues, 
noch  endlich  in  den  konstruktiven  Grundzügen  Neues  hervorgebracht.  In  all  diesen 
Punkten  empfängt  Österreich  einfach  das  fertig  Ausgeprägte,  um  es  weiteren 
Kreisen  zu  überliefern.  Wohl  aber  schafft  jene  hier  im  Voltssgeist  hegende  Freude 
am  heiter  Schönen  eine  Reihe  von  dekorativen  Werken  ersten  Ranges,  wie  die 


40  2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel   Die  österreichischen  Länder 

Portale  zu  St.  Jak,  Trebitsch  und  Tischnowitz,  die  Riesenpforte  von  St.  Stephan 
zu  Wien,  die  lierrlichen  Kreuzgänge  von  Zwetl,  Lilienfeld,  Heiligenkreuz.  Da- 
neben dringt  von  Süden  schon  damals  vielfach  die  lombardische  Kunst  ein,  wie 
die  Löwenportale  von  Bozen,  Graz,  Salzburg,  die  hundertsäuhge  Krypta  von 
Gurk  u.  a.  beweisen.  So  reiches  Kunstleben  hätte  in  der  gotischen  Epoche  seine 
höchste  Blüte  erreichen  müssen,  wenn  die  Entwicklung  des  Bürgertums,  der 
mächtigste  Träger  der  Gotik,  mit  derjenigen  im  übrigen  Deutschland  gleichen 
Schritt  gehalten  hätte.  Aber  ähnhch  wie  in  Bayern,  bleibt  auch  in  Österreich 
die  Entfaltung  des  Städtewesens  seit  dem  14.  Jahrhundert  merklich  zurück.  Nur 
in  Böhmen  erlebt  die  Gotik  unter  dem  kunstliebenden  Karl  IV.  eine  bedeutende 
Blüte,  und  nur  der  Stephansdom  in  Wien,  dieser  freilich  mit  seinem  unver- 
gleichlichen Turm  ein  Monument  allerersten  Ranges,  zeugt  auch  hier  von  der 
großartigen  Lebenskraft  deutschen  Bürgertums.  Aber  dies  sind  Ausnahmen  ge- 
blieben. 

Außer  in  der  immerhin  glanzvollen  Zeit  des  Mittelalters  hat  die  Monumental- 
kunst in  Österreich  sich  nur  noch  in  einer  Periode  machtvoll  offenbart:  in  der 
Zeit  des  späten  Barockstils,  vom  Ausgang  des  17.  bis  in  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts. Nachdem  die  Reformation  niedergeworfen,  ja  mit  Stumpf  und  Stiel 
ausgerottet  war,  gab  der  Klerus  in  Österreich  sich  jener  üppigen  Weltlust  hin,  die 
sich  noch  jetzt  in  gewaltigen  Anlagen  prunkvoller  Abteien  herausfordernd  aus- 
spricht; mit  dem  Prälatenhochmut  wetteiferte  der  Stolz  der  Aristokratie  in  Aus- 
führung jener  Paläste,  die  vor  allem  die  architektonische  Eigenart  von  Wien 
und  Prag  bilden.  Man  darf  sagen,  daß  in  den  pompösen,  oft  majestätisch  an- 
gelegten und  mit  allen  Mitteln  ausgelassener  Dekoration  schwelgenden  Bauten 
jener  Epoche  der  Sieg  über  den  Protestantismus  sich  mit  übermütigem  Selbst- 
gefühl breit  macht. 

Was  dagegen  zwischen  jenen  beiden  Epochen,  zwischen  Mittelalter  und 
Barockzeit  hegt,  die  eigentliche  Periode  unserer  Renaissance,  ist  trotz  mancher 
vorzüglicher  Schöpfungen,  ja  einzelner  Hauptwerke,  gegenüber  den  Leistungen 
anderer  deutscher  Länder  nicht  erheblich  in  Anschlag  zu  bringen.  Erwägt  man 
vollends  den  Umfang  und  den  Reichtum  des  Ostens,  die  künstlerische  Be- 
gabung seiner  Volksstämme,  den  dort  von  alters  her  regen  Sinn  für  heitere  Pracht 
des  Daseins,  so  wird  man  mit  Erstaunen  und  Widerstreben  die  Tatsache  auf- 
nehmen, die  mit  alledem  so  scharf  kontrastiert  und  doch  auf  Schritt  und  Tritt 
dem  Forscher  sich  aufdrängt,  daß  trotz  so  mancher  glänzender  Einzelschöpfung 
die  Renaissance  auf  diesem  Boden  als  eine  durch  die  Gunst  der  Mächtigen  hierher 
verpflanzte,  nicht  aber  als  eine  vom  ganzen  Volke  gehegte  und  gepflegte,  mit 
dem  eigenen  Herzblut  genährte  Volkskunst  sich  zu  erkennen  gibt. 

Dies  ist  um  so  merkwürdiger,  als  beinahe  in  keiner  deutschen  Provinz  die 
Formen  der  Renaissance  so  früh  zu  monumentaler  Verwendung  gelangen,  wie 
gerade  in  Österreich.  Wir  treffen  sie  hier  vereinzelt,  was  sonst  kaum  irgend  in 
Deutschland  vorkommt,  schon  im  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts.  Vom  Jahre  1497 
datiert  ein  kleines  Portal  mit  dem  Wappen  der  Familie  Edelsperger  im  Tirnaschen 
Haus,  auch  Federlhof  genannt,  zu  Wien.i)  Das  prächtige  Portal  der  Artillerie- 
kaserne in  Wienerneustadt  datiert  von  1524,  die  Jagelionische  Kapelle  im  Dom 
zu  Krakau  von  1520 -),  ein  Renaissanceportal  in  der  Kirche  zu  Klausenburg  hat 
die  Jahreszahl  1528.=')  Alle  diese  Denkmale,  selbst  den  frühesten  im  übrigen 
Deutschland  in  der  Zeit  vorausgehend,  beweisen,  daß  die  Renaissance  Italiens  in 

1)  Abb.  in  den  Mitt.  d.  Zentr.-Komm.  1868  p.  CXI.  Fig.  7  nach  dem  Jahrb.  des  Wiener 
Altert.-Ver. 

2)  Essenwein,  Krakau,  Taf.  XXI. 

3)  Mitt.  d.  Zentr.-Komm.  1865. 


Reformation  und  Renaissance 


41 


den  verschiedensten  Gegenden  Österreichs  schon  früh  zur  Anwendung  gekommen 
war.  Wie  ist  es  nun  zu  erklären,  daß  diese  lebensfrohe  Kunst  dennoch  gerade 
hier  in  ihren  Schöpfungen  so  sehr  zurückbleibt,  statt  wie  anderwärts  das  Leben 
ganz  zu  durchdringen  und  ihm  zu  vollendetem  Ausdruck  zu  werden? 

Diese  Frage  läßt  sich  nur  mit  Berücksichtigung  der  allgemeinen  geschicht- 
lichen und  Kulturverhältnisse  beantworten.')  Obwohl  vom  Zentrum  der  deutschen 
Geistesströmung  weit  abseits  gelegen,  nimmt  Österreich  dennoch  die  geistige  Be- 
wegung der  Zeit,  deren  Gipfelpunkt  in  Deutschland  die  Reformation  bildet,  gleich 
anfangs  mit  allem  Eifer  auf.  Die  Sache  Luthers  fand  beim  Adel  und  in  den  Städten, 
bald  aber  auch  unter  dem  Landvolk  überall  im  Erzherzogtum  Österreich  lebendigen 
Anklang,  und  schon  um  1512  konnte  Paul  Speratus,  der  Dichter  des  Liedes: 
„Es  ist  das  Heil  uns  kommen  her",  die  neue  Lehre  im  Stephansdom  zu  Wien  ver- 
kündigen. Gleichzeitig  predigten  Philipp  Turriano,  sowie  die  beiden  Zisterzienser- 
mönche Jakob  und  Theobald  wider  Ablaßverkauf  und  Bilderdienst.  Der  in  Spanien 
erzogene  Ferdinand  1.  eiferte  zwar  anfangs  heftig  wider  die  neue  Lehre;  der 
Stadtrat  Kaspar  Tauber  stirbt  1523  auf  dem  Scheiterhaufen;  andere  Opfer  folgen; 
Balthasar  Hubmayer  wird  1528  verbrannt  und  seine  nicht  minder  standhafte  Ehe- 
frau in  der  Donau  ersäuft.^)  Aber  seit  seiner  Erhebung  zum  deutschen  Kaiser 
zieht  Ferdinand  gelindere  Saiten  auf;  die  beständige  Türkengefahr  zwingt  ihn,  bei 
den  Landständen  um  Beisteuern  zur  Verteidigung  nachzusuchen,  für  deren  Gewäh- 
rung er  dann  freie  Religionsübung  gestatten  muß.^)  Unter  seinem  Nachfolger 
Maximilian  IL,  dessen  Gleichmut  den  Protestanten  noch  mehr  Freiheit  ließ,  voll- 
zieht sich  das  Werk  der  Reformation  in  Österreich  so  vollständig,  daß  fast  das 
ganze  Land  bis  nach  Steiermark  und  Kärnten  hinein,  bis  ins  Salzkammergut  und 
Tirol  der  neuen  Lehre  ergeben  war.  Erst  mit  Rudolph  II.  um  1578  erhob  sich 
gewaltig  die  Gegenreformation;  durch  die  Regierung  Ferdinands  IL,  der  bei  den 
Jesuiten  in  Ingolstadt  mit  seinem  Vetter  Maximiüan  von  Bayern  erzogen  worden 
war,  kam  sie  zum  Abschluß.  Damals  begann  jene  Ära,  durch  welche  selbstän- 
diges deutsches  Geistesleben  in  Österreich  auf  Jahrhunderte  erstickt  und  das 
hochbegabte  Volk  für  viele  Jahrhunderte  römischer  Geistesherrschaft  überhefert 
wurde.  In  dem  Glauben,  nur  durch  innigste  Verbindung  mit  der  Kirche  ihre 
Hausmacht  stärken  und  die  Herrschaft  über  das  lose  verbundene  Völkeraggregat 
befestigen  zu  können,  opferten  die  Habsburger  rehgiöse  Entwicklung  und  materielle 

..Blüte  ih  res  Volkes.  An  der  Spitze  von  Dragonerabteilungen  rückten  die  bischöf- 
lichen Kommissare  in  die  einzelnen  Ortschaften  ein,  die  Bevölkerung  gewaltsam 
in  den  Schoß  der  Kirche  zurückzuführen.  Mit  Kärnten,  Steiermark  und  Krain 
wurde  der  Anfang  gemacht;  Böhmen  und  Österreich  folgten.  Die  protestantischen 
Prediger  wurden  vertrieben,  die  ketzerischen  Bücher  verbrannt,  die  lutherischen 
Kirchen  und  Pfarrhäuser  niedergerissen,  selbst  die  Friedhöfe  verwüstet.  Ver- 
bannung und  Vermögenseinziehung  traf  die,  welche  sich  nicht  fügten.  So  kam 
die  katholische  Kirche  wieder  zur  Alleinherrschaft,  aber  blühende  Länder  waren 
verödet.    Aus  Böhmen  allein  wanderten  an  36000  Familien,  darunter  1088  aus 

'dem  Herren-  und  Ritterstande  aus  und  ließen  sich  in  Sachsen,  Brandenburg  und 

landeren  protestantischen  Ländern  nieder. 

Die  Heftigkeit  dieser  Verfolgungen  bezeugt  vor  allem  den  gewaltigen 

ireformatorischen  Aufschwung,  welchen  damals  ganz  Österreich  genommen  hatte. 

1)  Über  das  Geschieht!,  vgl.  Wiens  Geschichte  v.  F.  Frhr.  v.  H  o  r  m  ay  r ;  Gesch.  d.  Stadt 
"Wien  von  Fr.  Tschischka;  Gesch.  des  Landes  ob  der  Enns  von  Fr.  Xav.  Pritz;  Gesch.  der 
Regier.  Ferdinand  I.  von  F.  B.  v.  B  u  ch  h  o  1 1 z ;  Rudolf  II.  und  seine  Zeit  von  A.  G in  d  e  1  y ; 
Handb.  der  Gesch.  des  Herzogt.  Kärnten  von  H.  Hermann;  Gesch.  von  Böhmen  von  Fr. 
P  al  a  cky  ,  u.  a.  m. 

2)  Tschischka  a.  a.  0.  p.  285  fg. 

3)  F.  B.  V.  Buchholtz  a.  a.  0.  VIII,  123  ff. 


42 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Die  österreichischen  Länder 


Wenn  man  den  heutigen  Zustand  dieser  Länder  betrachtet,  so  kann  man  sich  nicht 
genug  verwundern,  wie  allgemein  damals  der  Protestantismus  dort  verbreitet  war. 
Wurde  1543  noch  ein  Edikt  veröffentlicht,  welches  alle  Buchdrucker  und  Buch- 
händler, die  ketzerische  Bücher  verbreiteten,  zu  ersäufen,  die  Bücher  aber  zu 
verbrennen  befahl;^)  ernannte  man  schon  vorher  ein  Ketzergericht  aus  zwölf 
Mitgliedern  der  Hochschule,  an  deren  Spitze  der  Bischof  Johann  von  RevelHs  sland, 
so  hatte  doch  bald  darauf  in  Wien  und  dem  übrigen  Österreich  die  Sache  der 
Reformation  solche  Kraft  erlangt,  daß  man  den  Lutheranern  die  Minoritenkirche 
und  die  Landhauskapelle  in  der  Hauptstadt  einräumen  mußte.^)  Ja,  als  in  Kärnten 
1596  die  seit  dreißig  Jahren  unterbUebene  Fronleichnamsprozession  zuerst  in 
St.  Veit  wieder  abgehalten  wurde,  entstand  in  dem  protestantisch  gewordenen 
Volke  ein  Auflauf,  vor  welchem  der  Priester  mit  dem  Venerabile  sich  nur  mit 
Mühe  retten  konnte.'')  Ebenso  erging  es  in  Villach  1594  dem  Patriarchen  von 
Aquileja,  als  er  den  Katholizismus  wiederherzustellen  versuchte.*)  Hier  war  die 
Stadtpfarrkirche  in  den  Händen  der  Protestanten,  in  Klagenfurt  hatten  sie  sogar 
zwei  Kirchen  inne.  Die  Reformation  hatte  also  mindestens  ein  Menschenalter  lang 
sich  ungehemmt  in  den  österreichischen  Landen  ausgebreitet,  und  es  war  gewiß 
nicht  Mangel  geistiger  Regsamkeit,  wenn  ihr  keine  ebenbürtige  künstlerische  Ent- 
wickelung  folgte;  es  müssen  eben  die  inneren  Erschütterungen,  die  das  gewalt- 
same Eingreifen  in  das  religiöse  Leben  mit  sich  brachte,  und  die  auf  lange  Zeit 
selbst  den  Ruin  des  Wohlstandes  herbeiführten,  Ruhe,  Mittel  und  Stimmung  zu 
architektonischen  Schöpfungen  hinweg  genommen  haben.  Vergessen  wir  nicht, 
daß,  abgesehen  von  einzelnen  früheren  Versuchen,  die  Renaissance  in  den  deutschen 
Gebieten  ihre  Blütezeit  erst  seit  den  sechziger,  siebziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts 
beginnt.  Gerade  in  diese  Zeit  fällt  aber  der  Wendepunkt,  wo  in  Österreich  Kirche 
und  Staatsgewalt  den  Vertilgungskrieg  gegen  den  Protestantismus  ins  Werk 
setzten.  So  mußten  wohl  alle  Keime  friedlicher  Volkskultur  auf  lange  hinaus 
zertreten  werden. 

Aber  in  kaum  geringerem  Grade  scheinen  auch  die  äußeren  politischen 
Verhältnisse  ein  reicheres  Kulturleben  verhindert  zu  haben,  so  daß  trotz  der 
Kunstliebe  von  Kaisern  wie  Maximihan  L,  Ferdinand  1.  und  Rudolf  II.  sich  keine 
stetige  Blüte  entfalten  wollte.  Vergegenwärtigen  wir  uns,  daß  mit  Kaiser  Friedrichs 
Tode  eine  traurige  Epoche  für  Österreich  kaum  ihr  Ende  erreicht  hatte.'')  Eine 
lange  Reihe  von  Kämpfen  gegen  auswärtige  Feinde  und  aufständische  Untertanen, 
Fehden  zwischen  raubsüchtigen  Rittern,  Dezennien  des  wildesten  Faustrechtes 
hatten  das  Land  weithin  verwüstet  und  ausgeplündert.  Die  Kultur  des  Bodens 
war  zerstört,  Handel  und  Verkehr  zerrüttet,  die  Städte  ohne  Kraft  und  Blüte, 
Hunderte  von  Höfen  lagen  in  Trümmern,  viele  Kirchen  waren  in  Flammen  auf- 
gegangen, die  Bewohner  des  Landes  verwildert.  Mit  Maximilians  I.  Regierungs- 
antritt erholten  sich  die  Länder  allmählich  von  den  ausgestandenen  Drangsalen, 
aber  die  Kraft  des  Bürgertums  hatte  nicht  vermocht,  sich  während  der  ganzen 
Epoche  zu  so  machtvollen  städtischen  Gemeinwesen  zusammenzuschHeßen,  wie 
sie  das  südliche,  mittlere  und  nördliche  Deutschland  in  zahlreichen  freien  Reichs- 
städten aufweisen.  Die  Städte  sind  aber  seit  der  gotischen  Epoche  in  Deutsch- 
land der  Hauptherd  des  Kunstlebens  gewesen.  Sie  bleiben  es,  wie  wir  gesehen 
haben,  auch  in  der  Epoche  der  Renaissance,  jedoch  so,  daß  neben  ihnen  die 
neuen  Fürstensitze  eine  selbständige  Blüte  entfalten.  Diese  zieht  indes  ihren 
künstlerischen  Nahrungsstoff  wieder  aus  den  Kreisen  der  Städte.  Die  kunst- 
liebenden Herrscher  aus  dem  Habsburgischen  Stamme  rufen  frühzeitig  Meister 


1)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  311. 

2)  Ebenda  S.  312. 

3)  H.  Hermann  a.  a.  0.  II,  209. 


4)  Ebenda  II,  210. 

5)  Fr.  X.  Pritz  a.  a.  0.  II,  181. 


Kunstsinn  der  Habsburger 


43 


der  Renaissance  aus  Nürnberg  und  Augsburg  in  ihre  Dienste.  Maximilian  1.  be- 
darf zu  seinen  literarischen  und  künstlerischen  Unternehmungen^)  der  Tätigkeit 
eines  Dürer,  Burgkmair  u.  a.  An  seinem  Grabmal  in  Innsbruck,  dessen  Grund- 
gedanke durchaus  auf  den  Ideen  der  Renaissance  beruht,  wirken  nicht  bloß  Meister 
wie  Peter  Vischer,  sondern  auch  Augsburger  und  Innsbrucker  Künstler.  Wo  aber 
in  dieser  frühen  Zeit  Bauwerke  in  dem  neuen  Stile  zu  errichten  waren,  mußte 
man  sich  vorwiegend  an  Italiener  halten.  Die  Portale,  mit  denen  Ferdinand  1. 
1524  sein  Arsenal  in  Wienerneustadt  schmückte,  verraten  die  Hand  italienischer 
Steinmetzen.  Gleiches  ist  der  Fall  mit  der  um  1515  errichteten  Prachtpforte  der 
Salvatorkapelle  in  Wien.  In  Krakau  wird  schon  1512  ein  Meister  FranzisJms  aus 
Italien  erwähnt,  der  beim  Neubau  des  Schlosses  verwendet  wird,  1520  ist  es  aber- 
mals ein  Italiener,  Bartholomeus  von  Florenz,  der  die  Jagelionische  Kapelle  am 
Dom  daselbst  erbaut  und  1536  das  abgebrannte  Schloß  wiederherstellt.  Eine 
ganze  Architektenfamilie  aus  Italien  lernen  wir  unter  Ferdinand  I.  in  Wien  und 
Prag  kennen^):  1532  Jacopo  de  Spazio,  1542  Anthoni  de  Sjmzio,  der  an  dem  Neu- 
bau der  Burg  in  der  Neustadt  beschäftigt,  und  Hans  de  Spazio,  der  nebst  Zoan 
Maria  (also  dem  Namen  nach  wohl  ein  Venezianer)  unter  Paul  della  Stella  seit 
1536  am  Belvedere  auf  dem  Hradschin  zu  Prag  beteihgt  war.'')  Noch  1568  wird 
ein  Italiener  Continelli  als  Hof  baumeister  Maximilians  II.  aufgeführt.*) 

Eine  solche  Kette  italienischer  Architekten  läßt  sich  damals  in  Deutschland 
höchstens  bei  den  bayrischen  Herzögen  nachweisen.  Wie  dort  begründet  sie 
auch  hier  das  Überwiegen  fremden  Einflusses,  der  die  Entwicklung  einer  selb- 
ständigen deutschen  Renaissance  zurückdrängen  mußte.  Daß  es  Ferdinand  I. 
nicht  an  Liebe  und  Verständnis  für  Kunst  fehlte,  würde  allein  schon  der  unver- 
gleichliche Bau  des  Belvedere  in  Prag  bezeugen.  Von  seinem  Verständnis  der 
Architektur  legte  er  eine  Probe  ab,  als  er  1563  auf  der  Reise  nach  Frankfurt 
die  neue  Befestigung  der  Plassenburg  besichtigte  und  dem  Markgrafen  Georg 
Friedrich  in  den  angefangenen  Werken  etUche  Fehler  nachwies,  welche  dem  Bau- 
meister selbst  entgangen  waren. ^)  Besonders  aber  teilte  er  die  damals  herrschende 
Vorliebe  für  antike  Münzen,  deren  er  eine  bedeutende  Sammlung  angelegt  hatte.^) 
Von  der  Kunstliebe  seines  gleichnamigen  Sohnes,  der  1557  Phihppine  Welser 
zu  seiner  Gemahlin  machte,  legen  die  Überreste  im  Schloß  Ambras  und  mehr 
noch  die  Schätze  der  Ambraser  Sammlung  in  Wien  Zeugnis  ab.  Am  meisten 
äußerte  sich  jedoch  der  Kunstsinn  der  habsburgischen  Fürsten  in  Bewährung 
eines  regen  Sammeltriebes,  und  diesem  vor  allem  sind  die  kostbaren  Schätze  alter 
und  neuer  Kunst  zu  verdanken,  welche  noch  jetzt  Wien  zu  einer  der  reichsten 
Fundgruben  für  künstlerische  Studien  machen.  Aber  diese  ästhetische  Gesinnung, 
so  hoch  immer  sie  angeschlagen  werden  muß,  war  nicht  durchgreifend  genug, 
um  monumentale  Werke  von  höherer  Bedeutung  in  größerer  Anzahl  zu  schaffen. 
Die  Aufgaben,  welche  die  unruhigen  Zeiten  gerade  diesen  Herrschern  stellten, 
waren  zu  verwickelter  Natur,  um  Muße  und  Stimmung  für  künstlerische  Schöp- 
fungen aufkommen  zu  lassen.  Das  Streben,  ihre  Hausmacht  zu  befestigen  und 
zu  vergrößern,  die  Erwerbung  und  Sicherung  Ungarns,  die  stete  Gefahr  der 
türkischen  Einfälle,  die  Schwierigkeiten,  welche  die  Behandlung  der  deutschen 
Reichszustände  boten,  alles  das  noch  verstärkt  durch  die  politisch  so  folgen- 

1)  Über  Maximilian  vgl.  Herberger,  K.  Peutinger  etc.  und  den  Aufsatz  von  Hora- 
witz  in  der  Österr.  Wochenschr.  1872,  I.  Bd.  18.  Heft.  Dazu  Hormayrs  Taschenbucli  1821 
u.  ff.  passim. 

2)  Jos.  Peil  in  den  Ber.  des  Wiener  Altert.-Ver.  UI,  229. 

3)  Försters  AUg.  Bauztg.  1838  S.  345  ff. 

4)  Jos.  Peil  a.  a.  0. 

5)  V.  Buchholtz  a.  a.  0.  VIII,  770. 

6)  V.  Buchholtz  a.  a.  0.  VIII,  694. 


44  2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Die  österreichischen  Länder 

schwere  Feindseligkeit  gegen  die  Sache  der  Reformation,  all  dieses  zusammen 
mußte  auf  das  österreichische  Kulturleben  beeinträchtigend  wirken.  Der  letzte 
Habsburger  dieser  Epoche,  der  durch  Gemütsanlage  und  Erziehung  gleich  un- 
glückliche Rudolph  II.,  suchte  durch  Vernachlässigung  seiner  Herrscherpflichten 
sich  die  Freiheit  für  allerlei  private  Liebhabereien  zu  verschaffen,  und  der  Glanz- 
punkt in  seinem  sonst  so  verdüsterten  Leben  ist  ohne  Frage  seine  Liebe  zu 
den  Künsten.  Aber  auch  bei  ihm  äußerte  sie  sich  weniger  durch  Hervorrufen 
monumentaler  Schöpfungen,  als  durch  Ansammlung  kostbarer  Gemälde,  Statuen, 
Juwelen,  Schmucksachen,  Mosaikarbeiten  und  Kuriositäten,  i)  Erst  neuerdings 
haben  wir  durch  urkundliche  Mitteilungen  ein  Bild  von  der  Lebendigkeit  und 
dem  Umfange  dieser  Liebhaberei  empfangen.^)  Rudolph  hatte  die  für  jene  Zeit 
bedeutende  Anzahl  von  413  wertvollen  Gemälden  zusammengebracht,  darunter 
einen  großen  Teil  jener  Meisterwerke,  die  jetzt  noch  den  Grundstock  der  Bel- 
vederegalerie  bilden.  In  Italien  und  Spanien  hatte  er  Unterhändler,  welche  für 
ihn  den  Ankauf  von  Kunstwerken  betreiben  mußten.  Nicht  oberflächlich  muß 
die  Art  seiner  Kunstliebe  gewesen  sein,  sonst  hätte  er  nicht  mit  solchem 
Eifer  überall  den  Werken  Dürers  nachgestrebt,  von  denen  er  eine  Anzahl  der 
bedeutendsten  sich  zu  verschaffen  wußte.  Daneben  sammelte  er  Skulpturen  in 
Marmor  und  Bronze,  antike  wie  Nachbildungen,  rohe  und  verarbeitete  Edel- 
steine, eingelegte  Tischplatten  von  Pietra  dura  und  überseeische  Kuriositäten 
aller  Art.  Einen  Kreis  von  bildenden  Künstlern  schuf  er  um  sich,  in  dem  da- 
mals berühmte  Namen  glänzten,  zu  dem  der  Bildhauer  Adriaen  de  Vries,  die 
Maler  Jan  van  Aken,  Barth.  Spranger,  Joseph  Heinz,  auch  viele  der  trefflichsten 
damaligen  Kupferstecher,  insbesondere  aus  der  Familie  der  Sadeler,  zählten. 
Der  in  der  Einleitung  genannte  Architektur-Theoretiker,  der  Kunsttischler  Gabriel 
Krammer  aus  Köln,  war  hier  als  Sr.  Majestät  Guardi-Pfeiifer  angestellt,  ver- 
mutlich als  Pfründe  zu  seinem  Unterhalt.  Trotz  alledem  kam  es  auch  unter 
Rudolf  nicht  zur  Entwicklung  einer  monumentalen  Kunst,  einer  nationaldeutschen 
Renaissance. 

Überblicken  wir  die  Bauwerke,  welche  die  Renaissance  während  der  langen 
Dauer  dieser  Epoche  in  dem  weiten  Umfange  der  österreichischen  Länder  hervor- 
gebracht hat,  so  finden  wir  fast  nur  fürstliche  Bauten  und  Schlösser  des  hohen 
Adels ;  aber  auch  diese  in  solcher  Vereinzelung  über  das  Land  verstreut,  daß  sie 
nicht  den  Eindruck  einer  starken  einheimischen  Schule,  sondern  vielmehr  der 
zufälligen  Tätigkeit  fremder  Künstler  ergeben.  Italienische  Formen  sowohl  in 
der  Komposition  des  Ganzen,  als  in  der  Behandlung  des  Einzelnen  herrschen 
während  der  ganzen  Epoche  vor.  Das  Unregelmäßige  in  der  Anlage  nordischer 
Bauten  tritt  zurück;  die  Türme  mit  Wendeltreppen  werden  gern  zugunsten  ein- 
facherer, klarerer  Grundrißbildung  beseitigt.  Auch  die  hohen  Dächer  mit  ihren 
schmuckreichen  Giebeln,  der  Stolz  der  deutschen  Renaissance,  spielen  hier  keine 
hervorragende  Rolle.  Begreiflich  ist  es  daher  auch,  daß  in  den  architektonischen 
Werken  jene  reizvolle  Mischung  gotischer  Elemente  mit  Motiven  der  Renaissance, 
mit  welcher  der  neue  Stil  fast  überall  in  Deutschland  auftritt,  hier  so  selten 
vorkommt. 

Dies  gilt  übrigens  für  die  Alpengegenden,  Tirol,  Steiermark,  Kärnten  nur 
zum  Teil,  wo  sich  daneben  eine  höchst  malerische  Bauweise  der  Burgen  und 
Schlösser  im  nordischen  Sinne,  der  der  Schweiz  verwandt,  erhalten  hat.  Da  sind 
noch  Türme  und  Türmchen,  Erker  und  malerische  Treppen  und  Gänge,  Zinnen 
und  ähnliche  mittelalterliche  Motive  an  der  Tagesordnung;  und  vor  allem  im 
Innern  bleibt  eine  rein  deutsche  und  nordische  Ausstattung,  insbesondere  Holz- 

1)  Gindely  a.  a.  0. 1,  29. 

2)  Urlichs  in  der  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  V,  47  iF. 


Charakter  der  österreichischen  Renaissance 


45 


täfelung  an  Wänden  und  Decken,  Tonöfen  und  dazugehöriges  maßgebend.  Doch 
wirkt  auch  hier  Italien  insoweit  ein,  daß  namenthch  die  Höfe  mit  VorHebe  nach 
südlicher  Weise  durch  Arkadengänge,  sei  es  auf  Pfeilern,  sei  es  auf  Säulen,  aus- 
gestattet, auch  Stukkatur  und  Freskomalerei  für  die  Innenräume  nicht  selten  an- 
gewandt werden.  Damit  hängt  zusammen,  daß  der  in  Deutschland  sonst  überall 
beliebte  Holzbau  fast  durchgängig  dem  italienischen  Steinbau  weicht,  mit  Aus- 


Abb.  24  Terrakotten  aus  Schloß  Schallaburg 


nähme  der  Gebirgsgegenden,  die  an  ihrem  lokal  ausgebildeten  Holzbau  kräftig 
festhalten.  Charakteristisch  ist  ferner,  daß  jene  geometrische  Ornamentik,  welche 
die  Motive  der  Lederarbeit  und  des  Schlosserstiles  in  Stein  überträgt,  eine  der 
ausgebildeten  deutschen  Renaissance  anhaftende  Form,  mit  Ausnahme  in  den 
dekorativen  Holzarbeiten,  in  Österreich  selten  angetroffen  wird.  Dagegen  erhält 
sich  kraft  des  italienischen  Einflusses  lange  eine  überaus  edle  Behandlung  des 
vegetabilischen  Ornamentes,  von  der  wir  in  Abb.  24  einige  Proben  geben.') 

Unter  den  städtischen  Bauten  sind  zunächst  die  sogenannten  Landhäuser, 
d.  h.  die  für  ständische  Versammlungen  errichteten  Gebäude,  auszuscheiden,  denn 
sie  verdanken  ebenfalls  den  privilegierten  Ständen  ihre  Entstehung  und  tragen 


1)  Wiener  Bauhütte. 


46  2.  Buch    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Die  österreichischen  Länder 

dasselbe  italienische  Gepräge.  Was  sonst  in  den  Städten  Österreichs  etwa  an 
bürgerlichen  Bauten  vorkommt,  ist  an  Zahl  und  Bedeutung  gering.  Die  spätere 
Übersicht  wird  zeigen,  wie  unbedeutend  die  Reihe  der  bürgerlichen  Wohnhäuser 
aus  dieser  Epoche  ist.  An  Rathäusern  oder  sonstigen  Werken  der  städtischen 
Profanbaukunst  scheint  selbst  in  den  mächtigsten  und  reichsten  Städten  des 
Kaiserstaates  nichts  vorhanden  zu  sein.  Wohl  mag  die  äußere  künstlerische  Deko- 
ration sich  mehr  in  Freskenschmuck  der  Fassaden  oder  wenigstens  in  Sgraffito 
bewegt  haben.    Aber  auch  davon  sind  nur  geringe  Spuren  erhalten. 

Dagegen  findet  man  im  ganzen  Lande,  namentlich  im  Erzherzogtum  Öster- 
reich, in  Tirol  und  dem  Salzburgischen  wie  in  Kärnten  und  Steiermark  noch  zahl- 
reiche Schöpfungen  der  Schlosser-  und  Schmiedekunst,  die  kaum  irgendwo  herr- 
lichere Werke  hervorgebracht  hat  als  gerade  hier.  Wir  geben  vorgreifend  einige 
Beispiele,  denen  später  andere  folgen  werden :  Abb.  25  ein  Gitter  aus  dem  Stifte 
Schlägl,  Abb.  26  einige  Wasserspeier  aus  Kloster  Kremsmünster,  zum  Beweis, 
wie  damals  das  Streben  nach  künstlerischer  Verklärung  der  Formen  sich  über 
alle  Gebiete  des  Bauwesens,  ja  selbst  des  alltäglichen  Bedürfnisses  erstreckte. 
Auch  in  größeren  Werken  betätigt  sich  die  Schmiedekunst  gern,  so  an  pracht- 
vollen Aufbauten  über  Ziehbrunnen.  Davon  dürfte  das  üppigste  Beispiel  das 
später  zu  erwähnende  in  Bruck  an  der  Mur  sein.  Nicht  weniger  schön  ist  der 
Brunnenaufbau  im  Hofe  des  Schlosses  zu  Grafenegg  (Bd.  I,  Abb.  65). 

Außerdem  aber  muß  die  wunderbar  fein  ausgebildete  Kunsttischlerei  ins- 
besondere der  Alpenländer  noch  ausdrücklich  gerühmt  werden.  Ihre  Werke  ge- 
hören mit  zu  den  prächtigsten,  vor  allem  aber  elegantesten  und  vollkommensten 
in  der  Fülle  deutscher  Tischlerarbeiten.  Hatte  schon  die  Gotik,  wie  in  der 
Schweiz,  so  vor  allem  in  Tirol  die  Wände  und  Decken  nicht  nur  der  Säle  und 
Zimmer  in  den  Schlössern,  sondern  auch  der  Edel-  und  Bauernhöfe  mit  wirklich 
hervorragend  durchgebildeten,  oft  glänzenden  Arbeiten  bekleidet,  war  auch  nicht 
minder  das  Mobiliar  an  Belt  und  Tisch,  Schrank  und  Stuhl  und  allem  anderen 

zu  hoher  Vollkommen- 
heit durchgebildet,  so 
steigerte  sich  der  Glanz 
dieser  Kunst  bis  ins 
17.  Jahrhundert  dau- 
ernd zu  den  höch- 
sten Prachtleistungen. 
Wenn  gerade  die  Bild- 
hauerarbeit an  ihnen 
mehr  zurücktritt  als 
wohl  sonst,  so  wird  da- 
für von  einem  sonst  un- 
gewohnten Reichtum 
der  verschiedensten 
Holzarten,  insbeson- 
dere in  Ein-  und  Auf- 
lagen, ein  ganz  außer- 
ordentlicher und  doch 
stets  dezenter  Ge- 
brauch gemacht. 

Täfelungen,  Türen 
und  Holzdecken,  wie 
sie  in  den  Schlössern 

Abb.  25   Türgitter  aus  Stift  Schlägl  ZU     Gandegg,  Enn, 


Kunstgewerbe  47 

Thun-Vigo,  des,  Mez- 
zotedesco,  Ambras, 
Tratzberg  vorkom- 
men, vor  allem  aber 
die  köstliche  Ausstat- 
tung des  Schlosses 
Velthurns  bei  Brixen, 
sind  in  solcher  Fülle 
und  zugleich  Vollkom- 
menheit im  übrigen 
Deutschland  nicht  zu 
finden;  auch  in  Ober- 
österreich fehlt  es  an 
ähnlichem  nicht.  Und 
mögen  die  Bauwerke 
selber  auch  äußerlich 
schon  stark  italienisch 
sein,  wie  die  Reihe 
der  Schloßbauten  im 
Val  di  Non  und  sonst 
in  der  Nähe  des  Tren- 
tino,  —  im  Innern, 
in  der  Ausstattung 
herrscht  bis  weit  in 
die  Südzone  hinein  der  deutsche  Kunsthandwerker. 

Und  wo  der  Tischler  tätig  war,  da  folgt  ihm  auch  der  deutsche  Kunst- 
schlosser und  Hafner. 

Etwas  günstiger  als  im  übrigen  Österreich  stellt  es  sich  in  Böhmen  und 
Mähren.  Hier  war  schon  unter  der  Herrschaft  Karls  IV.  in  der  zweiten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  eine  hohe  Kulturblüte  hervorgerufen  worden.  Durch  die  Hussiten- 
kriege wurde  zwar  vieles  zerstört,  aber  der  protestantische  Geist  hatte  sich  so 
mächtig  überall  in  dem  Lande  ausgebreitet,  daß  er  eine  hohe  geistige  Kultur  her- 
vorrief. Diesem  Umstand  wird  es  zuzuschreiben  sein,  daß  das  Land  eine  größere 
Fülle  von  Monumenten  bürgerlicher  Baukunst  auch  aus  dieser  Epoche  aufweist, 
und  daß  ihr  künstlerischer  Charakter,  abgesehen  von  einzelnen  italienischen 
Werken  der  Frühzeit,  weit  mehr  Selbständigkeit  und  mancherlei  Übereinstimmung 
mit  der  deutschen  Architektur  verrät.  Alles  dies  haben  wir  nur  durch  gesonderte 
Betrachtung  der  verschiedenen  Länder  näher  zu  erörtern. 

Erzherzogtum  Osterreich 

Die  Dürftigkeit  einer  so  mächtigen  Stadt  wie  Wien  an  Denkmälern  der 
Renaissance  wird  immer  von  neuem  die  Verwunderung  des  Forschers  erregen. 
Haben  wir  es  doch  mit  einer  Stadt  zu  tun,  die  schon  im  Mittelalter  sich  einer 
glänzenden  Blüte  rühmen  konnte.  Freihch  lag  der  Grund  zum  Gedeihen  Wiens 
weit  weniger  in  selbständiger  Pflege  von  Kunst  und  Gewerbe  als  vielmehr  in  dem 
lebhaften  Durchzugs-  und  Zwischenhandel,  den  die  günstige  Lage  der  Stadt  mit 
sich  brachte.  An  den  Grenzen  deutschen  Landes  gelegen,  wurde  Wien  der  wich- 
tigste Platz  des  Austausches  zwischen  dem  Westen  und  dem  Osten,  und  zugleich 
durch  seine  Verbindungen  mit  Italien  ein  Stapelplatz  für  den  Handel  mit  dem 
Süden  und  der  Levante.  Welchen  Reichtum  die  Stadt  im  15.  Jahrhundert  er- 
langt hatte,  erkennen  wir  noch  aus  den  lebendigen  Schilderungen  des  Äneas 


Abb.  26   W^asserspeier  aus  Kremsmünster 


48 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Erzherzogtum  Österreich 


Sylvius.i)  Er  rühmt  nicht  bloß  die  glänzenden  Kirchen,  sondern  auch  die  statt- 
lichen Bürgerhäuser  mit  ihren  reich  gemalten  Fassaden,  den  weiten  Höfen,  dem 
prächtigen  Hausrat.  Besonders  fallen  ihm  als  Zeichen  des  Luxus  die  Glas- 
scheiben der  Fenster  und  die  schönen  Eisenbeschläge  der  Türen  auf.  Von  alledem 
ist  kaum  noch  eine  Spur  vorhanden.  Und  doch  hat  schon  im  früheren  Mittel- 
alter die  Stadt  eine  selbständige  künstlerische  Entwicklung  erlebt.  Die  ältesten 
Teile  von  St.  Stephan  und  der  Kern  der  Michaelskirche  zeugen,  wenn  auch  nicht 
von  großartiger,  so  doch  von  feiner  Ausbildung  des  romanischen  Stiles.  In  der 
gotischen  Epoche  kamen  dazu  reichlichere  Werke  des  Kirchenbaus,  aber  erst  mit 
dem  Stephansdom  erhob  sich  die  Baukunst  hier  zu  einer  der  großen  Meister- 
schöpfungen der  Zeit. 

Um  so  auffallender  sticht  davon  die  Ärmlichkeit  der  Renaissance-Denk- 
mäler ab.  Wohl  waren  es  Zeiten,  die  auch  für  Wien  mancherlei  Unruhe  und 
Gefahr  im  Schöße  trugen.    Nach  Maximilians  I.  Tode  beteiligte  sich  die  Stadt 

lebhaft  an  der  Empörung 
gegen  die  Regierung  seines 
Nachfolgers ;  doch  wurde  der 
Aufstand  schon  1522  durch 
Gefangennahme  und  Hinrich- 
tung der  Rädelsführer  nieder- 
geschlagen.^) Gleich  darauf 
führte  aber  die  Hinneigung 
zur  Reformation  zu  jenen  Ver- 
folgungen und  Ketzerverbren- 
nungen, von  denen  oben  die 
Rede  war.  Andererseits  droh- 
ten wiederholt  die  Einfälle  der 
Türken,  die  1529  durch  Za- 
polyas  Verrat  nach  Ungarn  ge- 
lockt, Österreich  und  Steier- 
mark überzogen,  aber  durch 
den  Heldenmut  der  kleinen 
Besatzung  von  Wien  zurück- 
getrieben wurden.  Die  tapfe- 
ren Bewohner  hatten  damals 
ihre  Vorstädte  selbst  zerstört 
und  mit  deren  Holzwerk  die 
Basteien  befestigt.  Die  neue 
Türken  gefahr  1532  wurde 
zwar  durch  Pfalzgraf  Fried- 
rich rasch  zurückgeschlagen; 
•aber  1541  raffte  die  Pest  den 
dritten  Teil  der  Einwohner 
hin.'^)  Zugleich  steigerte  sich 
der  Kampf  gegen  die  Anhänger 
der  Reformation,  ja  1551  wur- 
den die  ersten  Jesuiten  nach 
Wien  berufen,  um  der  all- 


Abb.  27   Portal  der  Salvatorkapelle  zu  Wien 


1)  Aen.  Sylv.  opera(Basil.  1571) 
Epist.  CLXV  p.  718  sq. 

2)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  284. 

3)  Ebenda  S.  299. 


Wien 


49 


gemeinen  Bewegung  nachdrücklicher  entgegenzutreten.  Zur  selben  Zeit  ward  die 
menschenfreundliche  Verordnung  erlassen,  daß  alle  Juden  zur  Unterscheidung  einen 
gelben  Tuchlappen  am  Oberkleid  auf  der  linken  Brust  tragen  sollten.^)  Wenige 
Jahre  später  suchte  man  sie  gänzlich  zu  vertreiben,  ohne  jedoch  damit  völlig 
durchzudringen.  Mildere  Zeiten  kamen  erst  seit  1556;  aber  bald  darauf  drohte 
durch  Suleiman  gewaltiger  als  je  zuvor  ein  neuer  Einfall  der  Türken,  nur  durch 
Zrinys  Heldentod  aufgehalten  und  durch  des  Großherrn  Fall  vor  Szigeth  vereitelt. 
Endlich  ist  1570  das  abermahge  Auftreten  der  Pest,  1596  wiederum  ein  drohender 
Türkeneinfall  zu  verzeichnen.  Aber  alle  diese  Gefahren  und  Unruhen  sind  doch 
nicht  ausreichend,  um  den  Mangel  an  Denkmälern  dieser  Epoche  zu  erklären. 
Wohl  mag  die  letzte  Türkenbelagerung  vom  Jahre  1683  in  den  Vorstädten  Wert- 
volles zerstört  haben ;  namentlich  werden  die  Häuser  und  Gärten  des  Adels,  von 
denen  noch  Merlan  uns  Abbildungen  überliefert  hat damals  zugrunde  gegangen 
sein;  daß  aber  in  der  inneren  Stadt  so  weniges  erhalten  ist,  kann  man  nur  aus 
der  gewaltigen  Bautätigkeit  erklären,  welche  seit  dem  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts 
ganz  Wien  umzugestalten  begann. 

Das  erste  Auftreten  der  Renaissance  hat  man  wahrscheinlich  in  dem  ele- 
ganten Portal  derSalvatorkapelle  zu  erkennen.  Seine  Entstehung  wird 
mit  dem  Breve  Papst  Leos  X.^)  vom  10.  Juni  1515  zusammenhängen,  das  ver- 
ordnete, daß  die  Kapelle  des  Rathauses  künftig  den  Namen  Sti.  Salvatoris  führen 
solle.  Dies  gab  dem  Stadtrat  Veranlassung,  die  ersten  Salvatormedaillen  aus- 
prägen zu  lassen,  wahrscheinlich  auch  das  Portal  zu  errichten,  das  nicht  bloß  in 
seinem  Aufbau,  sondern  auch  in  der  Ausführung  auf  die  Hand  oberitaUenischer 
Künstler  hinweist  (Abb.  27).  Es  wird  von  reich  dekorierten  Pilastern  eingerahmt, 
vor  die  Säulen  mit  frei  behandelten  Kompositakapitellen  und  am  Fuß  übertrieben 
stark  eingezogenen  Schäften  treten,  zum  Teil  kanneliert,  zum  Teil  mit  kriege- 
rischen Emblemen  bedeckt,  ganz  im  Stil  der  Frührenaissance  Oberitaliens.  Sehr 
fein  sind  die  von  Sphinxgestalten  auslaufenden  Akanthusranken  des  Frieses,  die 
Zahnschnitte,  Perlschnüre,  Blattkymatien  des  Hauptgesimses  und  der  anderen 
Glieder.  Die  Bekrönung  bildet  ein  Halbkreis  mit  kassettierter  Leibung,  darin 
die  Halbfiguren  Christi  und  der  Madonna  in  Hochrelief,  während  auf  den  Ecken 
zwei  kleinere  Kriegergestalten  offenbar  an  die  Stifter  der  Kapelle,  die  ritterlichen 
Brüder  Otto  und  Haymo,  erinnern  sollen. 

Weiter  sind  hier  mehrere  Grabdenkmäler  anzureihen.  Zunächst  in  Sankt 
Stephan  am  westhchen  Ende  des  nördlichen  Seitenschiffes  das  Epitaphium  des 
1529  verstorbenen  Doktor  Johannes  Guspinianus  und  seiner  beiden  Frauen,  aus  rotem 
Marmor  gearbeitet,  in  sehr  schlichter,  derber  Renaissanceform,  die  Nische  mit  den 
Brustbildern  von  Pilastern  eingefaßt,  der  Bogen  mit  einer  Muschelfüllung,  im  unteren 
Felde  die  Angehörigen  in  einer  durch  dorisierende  Säulchen  geteilten  Halle 
kniend.  Reicher  und  größer  im  nördUchen  Kreuzarm  das  Epitaph  des  Domherrn 
und  ehemaligen  Kaplans  Kaiser  Max  I.,  Nikolaus  Engelhardt  (f  1559),  auch  dies 
noch  im  Stil  zierlicher  Frührenaissance.  Ein  Hauptdenkmal  ist  das  große  Bild- 
werk von  1540,  welches,  am  Äußeren  der  südlichen  Ghorseiten  angebracht,  in  der 
Mitte  Maria  und  Christus,  umgeben  von  Reliefdarstellungen  der  sieben  Schmerzen 
Mariä  enthält.  Eingefaßt  von  sehr  eleganten  Pilastern  mit  korinthisierenden 
Kapitellen,  die  Flächen  zwischen  den  Bildfeldern  mit  schönem  Blattwerk  von 
leichtestem  Flusse,  mit  spielenden  Genien,  phantastischen  Drachen  u.dgl.  ausgefüllt, 
alles  noch  entschieden  im  Charakter  der  Frührenaissance,  fein  und  elegant.  Er- 
kennt man  hier  die  Hand  eines  vorzüghchen  Meisters,  so  sind  dagegen  die  ein- 
fassenden Pilaster,  welche  die  zehn  Passionsbilder  an  der  südöstHchen  Ecke  des 


1)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  31  ] .      2)  Topogr.  Germ.  Tom.  X.      3)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  221. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  4 


50 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel   Erzherzogtum  Osterreich 


kleinen  Ghoranbaues  umfassen,  von  sehr  geringem  Verständnis  der  neuen  Formen, 
wunderlich  und  primitiv  behandelt,  in  seltsamem  Kontrast  zu  der  großen  Frei- 
heit und  Lebendigkeit  der  figürhchen  Szenen,  die  einen  dem  Adam  Krafft  eben- 
bürtigen Meister  verraten.  —  In  St.  Maria  am  Gestade  ein  trefflicher  Altar  des 

Johannes  Berg  von 
1520,  in  frühesten 
deutschen  Renais- 
sanceformen, zum 
Teil  noch  schwer- 
fällig, aber  im  Auf- 
bau und  Bildhaue- 
rischen sehr  tüch- 
tig; und  ohne  An- 
klang an  Italien, 
außer  im  Umriß 
und  der  halbrunden 
Krönung.  Derbe 
Ornamentpilaster 
fassen  das  Mittel- 
stück ein,  freie  Gir- 
landen hängen  über 
seinen  drei  fast 
vollrunden  Figu- 
ren; an  der  Predella 
ein  Veronikatuch 
von  zwei  echten 
Renaissanceengeln 
gehalten  (Abb.  28). 
Ein  Renaissance- 
grab von  1524  sieht 
man  sodann  in  der 
Deutschordens- 
kirche, ein  sehr  ele- 
gantes vom  Jahre 
1548  in  der  Mi- 
chaelskirche. Es 
ist  das  große,  am 
südwestlichen  Pfei- 
ler des  Kreuzschif- 
fes angebrachte  rot- 
marmorne Epitaph 
des  Georg  von 
Liechtenstein,  mit 

fein  dekorierten,  korinthisierenden  Pilastern  eingefaßt,  ebenfalls  noch  im  Geiste 
der  Frührenaissance.  Wie  dasselbe  Motiv  kurze  Zeit  darauf  schon  trocken  und 
nüchtern  umgestaltet  wird,  erkennt  man  in  derselben  Kirche  an  dem  Grabmal  im 
nördlichen  Seitenchor  vom  Jahre  1561. 

Die  Bürgerhäuser  aus  jener  Zeit  haben  wahrscheinlich  ihren  künstlerischen 
Schmuck  hauptsächlich  durch  Fresken  empfangen,  nach  deren  vollständigem  Ver- 
schwinden —  denn  es  scheint  keine  Spur  davon  mehr  vorhanden  zu  sein  —  die 
Fassaden  ohne  alles  Interesse  sind.  Wohl  tritt  hie  und  da  noch  ein  Erker  auf, 
aber  ebenfalls  ohne  charakteristische  Ausbildung.  Bedeutender  ist  wahrscheinlich 


Abb.  28  Altar  in  St.  Maria  am  Gestade  zu  Wien 


Wien 


51 


die  Architektur  der  Höfe 
gewesen,  deren  Stattlich- 
keit undWeite  schon  Äneas 
Sylvius  auffiel.  Diese  gro- 
ßen Höfe,  oft  von  Säulen- 
hallen umgeben,  gar  zu 
mehreren  aneinander  ge- 
reiht, so  daß  daraus  Durch- 
gänge von  der  einen  Straße 
in  die  andere  entstehen, 
gehören  zu  den  Eigen- 
tümlichkeiten der  inneren 
Stadt.  Aber  von  bedeu- 
tenderem künstlerischen 
Gepräge  war  bis  vor  dreißig 
Jahren  nur  noch  ein  ein- 
ziger aus  jener  Zeit  er- 
halten, in  dem  Hause  am 
Graben  Nr.  14  (Abb.  29) ; 
in  stattlicher  Anlage  wurde 
er  auf  drei  Seiten  von  vier- 
geschossigen Arkaden  um- 
zogen. Die  Arbeit  war 
auch  hier  nicht  gerade  von 
besonderer  Feinheit,  doch 
kräftig  und  charaktervoll 
in  den  ausgebildeten  For- 
men der  Renaissance,  wie 
sie  etwa  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  zur  Ver- 
wendung kamen.  Im  Erd- 
geschoß ruhten  die  Bögen 
auf  toskanischen  Säulen, 
darüber  folgten  hermenar- 
tig verjüngte  Pfeiler,  dann 
ionische  Säulen  mit  dem 
hohen  Hals  der  Renais- 
sancezeit und  mit  ver- 
schiedenartig gewundenen 
Schäften;  endlich  im  ober- 
sten Stockwerk  korinthi- 
sierende  Säulen,  abwech- 
selnd mit  gegürteten  und 
unten  kannelierten  Schäf- 
ten ;  sämtliche  Stützen  im 
Anschluß  an  die  niedrigen 
Stockwerke  von  sehr  kur-  , 
zen  Verhältnissen.  Die  Quergurte  der  Kreuzgewölbe  der  Hallen  ruhten  an  den 
Wänden  auf  Konsolen;  die  Brüstungen  der  einzelnen  Arkadenreihen  waren  ge- 
schlossen und  mit  einem  Rahmenprofil  versehen.  Zwei  Wendeltreppen,  eine  unter- 
geordnete links,  die  Haupttreppe  dagegen  rechts,  in  den  vorderen  Ecken  des 
Hofes;  die  Haupttreppe,  auf  unserer  Abbildung  sichtbar,  empfing  durch  Pilaster, 


Abb.  29   Hof  eines  Hauses  am  Graben  zu  Wien 


52  2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Erzherzogtum  Österreich 

die  in  eigentümlicher  Weise  mit  Konsolen  verbunden  sind,  sodann  durch 
zierliche  gotische  Maßwerkbrüstungen  eine  angemessene  Gliederung.  Die  Anlage 
dieser  Treppe  war  weit  und  stattlich,  die  Spindel  zeigte  in  ihren  Profilen  mittel- 
alterliche Formen ;  besonders  schöne  Wirkung  aber  in  dem  Netzwerk  verschlungener 
Stäbe,  welches,  mit  Rosetten  und  kleinen  Köpfen  geschmückt,  die  ganze  Unterseite 
der  Wendeltreppe  bedeckte,  ganz  in  derselben  Behandlung,  wie  an  der  schönen 
Treppe  im  alten  Schloß  zu  Stuttgart.  Den  oberen  Abschluß  fand  das  Treppen- 
haus hier  wie  dort  in  einem  eleganten  gotischen  Sterngewölbe.  Wie  einfach 
aber  diese  Häuser  ihre  Straßenfassade  bildeten,  und  wie  sehr  sie  auf  farbige 
Dekoration  rechneten,  sah  man  auch  hier,  da  selbst  das  Portal  die  größte 
Schlichtheit  zeigte. 

Wie  diese  Hofanlagen  später  ins  Nüchterne  übersetzt  wurden,  erkennt  man 
u.  a.  an  dem  Hause  No.  6  am  Fleischmarkt,  wo  die  gedrückten  Arkaden  des 
Hofes  in  allen  Geschossen  auf  trockenen  toskanischen  Säulen  ruhen.  Das  Haus 
trägt  freilich  die  späte  Jahreszahl  1662. 

Fast  noch  unbedeutender  ist,  was  die  Renaissance  an  der  Kaiserlichen 
Burg  hinterlassen  hat.  Die  umfangreichen  Gebäude  bilden  ein  Gewirr  aus  sehr 
verschiedenen  Zeiten.  UrsprüngUch  von  Leopold  dem  Glorreichen  erbaut,  waren 
sie  1275  durch  einen  Brand  verheert,  aber  unter  Albrecht  I.  von  einem  Meister 
Martin  Buschperger  von  Osnabrück  wieder  hergestellt  worden.*)  Eine  Kapelle 
wurde  1298  erbaut,  die  jetzt  vorhandene  reizvolle  aber  ließ  Friedrich  III.  1449  er- 
richten. Umfassendere  Umgestaltungen  scheinen  unter  Ferdinand  I.  stattgefunden 
zu  haben.  Der  aus  seiner  Zeit  herrührende  Kern  des  Baues  besteht  aus  drei 
Flügeln,  die  den  ungefähr  quadratischen  Schweizerhof  einfassen.  Den  alten 
Zustand  erkennt  man  auf  dem  1547  von  Bonif actus  Wolmuet  entworfenen  Plan  der 
Stadt  und  auf  der  von  1552  datierenden  Abbildung  von  Hans  Sebald  Lautensacl-,  auf 
der  man  das  in  demselben  Jahr  errichtete  Portal  mit  dem  Namen  und  den  Titeln 
Ferdinands  sieht  (Abb.  30).  Es  besteht  noch,  ist  mit  dorischen,  gebänderlen  Halb- 
säulen eingefaßt  und  trägt  in  den  Metopen  reichen  Schmuck  von  kriegerischen 
und  Ordensemblemen;  darüber  in  Rollwerkeinfassung  die  bezeichnete  Inschrift- 
tafel. Die  Fenster  dieses  Teils  mit  Verdachungen  und  konsolengetragenen  Fenster- 
bänken sind  völlig  italienisch  gestaltet,  doch  gut  behandelt.  Das  Gewölbe  hinter 
dem  Portal  enthält  einen  weiteren  Rest  künstlerischer  Ausschmückung  aus  jener 
Zeit;  sein  flaches  Spiegelgewölbe  ist  in  trefflicher  Einteilung  mit  hübschen 
Fresken  bedeckt.  Die  blauen  Hauptfelder  enthalten  Wappen  zwischen  Gold- 
ornamenten ;  mit  ihnen  wechseln  weiße  Felder  mit  vielfarbigen  Arabesken  im  phan- 
tastischen Stil  üppig  entwickelter  Renaissance,  nicht  gerade  von  besonderer  Fein- 
heit, aber  lebensvoll  und  von  harmonischer  Wirkung.  Die  Spiegelfläche  schmückt 
das  österreichische  Wappen  auf  blauem  Grund.  Gemalte  Bronzehermen,  in  grauen 
Feldern  in  den  vier  Ecken  angebracht,  scheinen  das  Mittelfeld  zu  halten.  Der 
Name  des  Malers,  der  sich  dabei  selbst  konterfeit  hat,  heißt  Battista  Porti.  Das 
ist  alles,  was  hier  von  Renaissance  vorhanden.  Die  1559  für  MaximiUan  II.  er- 
baute^) sogenannte  St  all  bürg  zeigt  nichts  Bemerkenswertes. 

Ebenso  ist  im  Landhaus  nicht  vieles  aus  dieser  Zeit  erhalten.  Die  Deko- 
ration des  großen  Saales  stammt  aus  späterer  Zeit.  Doch  sieht  man  in  dem 
jetzt  als  Sakristei  der  Kapelle  dienenden  Räume  ein  in  rotem  Marmor  mit  An- 
wendung von  Vergoldung  ausgeführtes  einfaches  Portal,  das  in  seinem  Fries  die 
Jahreszahl  1571  trägt.  Toskanische  Säulen  fassen  es  ein;  merkwürdig  ist  in  der 
Attika  die  Reliefdarstellung  zweier  Ritter,  die  einander  entgegenreiten,  um  sich 
die  Hand  zu  reichen ;  daneben  in  den  als  Viertelskreise  gestalteten  Seitenfeldern 

1)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  211. 

2)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  313. 


Wien  Wienerneustadt 


53 


ein  in  Drachenköpfe  auslaufendes  Rankenornament.  ^)  Reicher  ist  das  leider  neuer- 
dings mit  Ölfarbe  überstrichene  große,  aus  Eichenholz  mit  eingelegter  Arbeit  trefif- 
hch  durchgeführte  Portal  aus  demselben  Jahre,  das  sich  in  dem  Bibliotheksaale 
beifindet.  Zwei  Hermen,  mit  zwei  Karyatiden  wechselnd,  gliedern  die  untere  Ab- 
teilung, der  ein  oberer,  nicht  minder  üppig  behandelter  Aufsatz  entspricht.')  Wie 
sehr  es  übrigens  während 
der  ganzen  Epoche  in 
Wien  gebräuchlich  blieb, 
italienische  Künstler  her- 
anzuziehen, sieht  man 
daraus,  daß,  als  1542  bis 
1561  die  Stadt  neu  be- 
festigt und  mit  Basteien 
umgeben  wurde,  neben 
den  deutschen  Architek- 
ten Hermes  Schallantzer , 
Oberbaumeister  der  Stadt, 
Äugustin  Hirschvogel  und 
Bonifacius  Wolmuet  auch 
die  Italiener  Francesco 
de  Poco  von  Mailand  und 
Domenico  Illalio  aus 
Kärnten  zur  Betätigung 
kamen.^) 

Ein  Prachtstück  ita- 
lienischer Renaissance 
besitzt  Wien  er- Neu- 
stadt in  dem  Haupt- 
portal der  jetzigen  Arlil- 
lerlekaserne  ■*),  laut  der 
schönen  lateinischen  In- 
schrift 1524  durch  Fer- 
dinand I.  als  Zeughaus 
gebaut.  Das  Portal  nimmt 
die  Mitte  des  östHchen 
Flügels  an  dem  sonst 
unscheinbaren  Bau  ein, 

gegenüber     dem      alten  Portal  der  Hofburg  zu  Wien     '  0  4 

Schloß,   dessen  Kapelle 

ein  reiches  Werk  spätgotischer  Zeit.  Die  Renaissance  hat  hier  dem  Mittelalter 
gegenüber  ihr  Bestes  versucht  und  ein  kleines  Meisterstück  geschaffen.  Elegante 
Rahmenpilaster  mit  antikisierenden  Kaiserköpfen  in  Medaillons  bilden  die  Ein- 
fassung. Die  Kapitelle,  frei  korinthisierend  mit  Akanthus,  Greifen  und  Genien, 
gehören  zum  Besten  der  Renaissance.  Die  Bogenleibung  zeigt  Engelköpfchen 
in  flachen  Kassetten.  In  den  Bogenzwickeln  zeigen  die  Füllung  schöne  Brust- 
biLder,  ein  männhches  und  ein  weibliches,  eingefaßt  in  Kränze  mit  flatternden 
Bändern.  Darüber  ein  krönendes  Giebelfeld  mit  dem  großen  reichbemalten  Wappen, 

1)  Mitt.  der  k.  k.  Zentr.-Kommiss.  1876  p.  LH. 

2)  Ebenda  1879  p.  CLXIX. 

3)  Tschischka  a.  a.  0.  S.  301  ff. 

4)  Trefflich  abgebildet  und  besproclien  durch  K.  Lind  in  den  Mitt.  der  k.  k.  Zentr.-Komm. 
1873  p.  276. 


54 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Erzherzogtum  Österreich 


das  von  zwei  Greifen  bewacht  wird.  Die  Komposition  des  Ganzen,  die  Feinheit 
der  Ausführung,  die  Eleganz  der  architektonischen  GHeder,  das  alles  deutet  auf 
einen  florentinischen  Meister.  An  der  Rückseite  der  Kaserne  ein  kleineres  Portal 
aus  derselben  Zeit  mit  gleichlautender  Inschrift,  in  Anlage  und  Ausstattung  ein- 
facher. Am  Gebälk  halten  zwei  etwas  steife  Genien  das  ebenfalls  bemalte  Wappen. 
—  Auch  hier  sind  zahlreiche  hübsche  Hallenhöfe  der  Renaissance  im  Stile  der 
Wiener  vorhanden,  so  am  Hauptplatze;  in  verwandter  Behandlung  höchst  ma- 
lerisch die  Stiegenlreppe  im  Probsteihof  mit  ansteigenden  Bögen. 


Abb.  31   Hof  des  Schlosses  Sehallabuvg 


In  den  übrigen  Teilen  des  Erzherzogtums  sind  allem  Anscheine  nach  ver- 
schiedene Schloßbauten  das  Wertvollere  aus  dieser  Epoche.  Zunächst  das  Schloß 
Schallaburg  bei  Melk,  zwischen  1530  und  1601  hauptsächlich  unter  Johann 
Wilhelm  Ritter  von  Losenstein  errichtet.  Die  ältesten  Teile  scheinen  bis  ins  13. 
oder  gar  ins  12.  Jahrhundert  hinaufzureichen.  Den  künstlerischen  Kern  der  Anlage 
bildet  jedoch  der  Hof  mit  seinen  prächtigen  Arkaden,  von  denen  Abb.  31  und  32 
Anschauung  geben.  Auf  drei  Seiten  umzieht  den  Hof  ein  Bogengang  auf  Säulen, 
darüber  eine  Galerie  auf  Pfeilern  im  ersten  Stock,  zu  der  zwei  mit  zierlichen 
Eisengittern  eingefaßte  Treppen  hinaufführen.  Hier  herrscht  die  höchste  Opulenz 
der  Ausstattung:  die  Säulen  bestehen  aus  rotem  Marmor;  die  Stylobate  der  oberen 
Pfeiler  sind  mit  Reliefdarstellungen  der  Taten  des  Herakles  in  zierhchen  Nischen 
geschmückt;  dazu  kommen  phantastisch  behandelte,  hermenartige  Figuren  als 
Bekleidung  der  Pilasterflächen;  ferner  an  den  Bogenzwickeln  die  Wappen  der 
Familie  Losenstein  und  ihrer  Verwandten,  und  endlich  zahlreiche  Porträtbüsten 


Schallaburg 


55 


am  oberen  Fries.  Die  Innenwand  der  Galerie  ist  mit  großen  Medaillons  römischer 
Kaiser  geschmückt.  Wunderhch,  fast  im  Charakter  mittelalterlich-romanischer 
Bauten  sind  die  ionischen  Halbsäulchen  vor  den  Pilastern  des  oberen  Bogenfeldes, 


Abb.  32   Schloßhof  zu  Schallaburg 


wie  denn  überhaupt  sich  die  Komposition  nichts  weniger  als  korrekt,  vielmehr  als 
sehr  willkürlich  ausweist.  Muß  man  darin  wohl  das  Walten  einheimischer  Künstler 
erkennen,  so  zeugen  dagegen  die  herrlichen  ornamentalen  Reliefs,  welche  die 
Seitenflächen  der  oberen  Pfeiler  bedecken,  bei  reichster  Erfindungsgabe  von  ita- 


56 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Erzherzogtum  Österreich 


lienischer  Anmut.  Noch  merkwürdiger,  daß  diese  köstlichen  Reliefs  sämtlich  aus 
gebranntem  Ton  bestehen.  Die  Proben,  welche  ich  nach  den  Aufnahmen  der 
Wiener  Bauhütte  unter  Abb.  24  gab,  zeigen  eine  Behandlung  des  Ornaments,  die 
italienische  Kunst  verrät,  ja  es  scheint  möglich,  daß  man  die  Formen  zu  diesen 
im  ganzen  südlichen  Deutschland  unbekannten  Dekorationen  aus  Oberitalien  be- 
zogen hat.  Es  herrscht  in  ihnen  jene  stilvolle  Behandlung  des  Laubornaments, 
die  in  Deutschland  sehr  bald  durch  lineare  Formspiele  verdrängt  wurde.  Außer- 
dem kommen  im  Innern  an  den  Türen  holzgeschnitzte  Flächendekorationen  vor, 
die  aus  einer  ausgesparten  Zeichnung  auf  leise  vertieftem  Grunde  bestehen.  Von 
ihnen  fügen  wir  in  Abb.  33  eine  Probe  bei.  Die  Aufnahmen,  denen  wir  sie 
verdanken,  geben  eine  hohe  Vorstellung  von  dem  geschmackvollen  Reichtum  des 
Ganzen. 


Höchst  großartig  scheint  sodann  die  unfern  von  Eggenburg  gelegene 
Rosenburg,  1593  durch  Sebastian  Grabner  zu  Rosenberg  und  Pottenbrunn 
errichtet.  Es  ist  nach  den  Schilderungen  ^)  eine  bedeutende,  im  wesentlichen  noch 
mittelalterliche  Anlage,  auf  steiler  Felskuppe  malerisch  entwickelt,  aber  mit  einem 
Renaissancehofe  und  italienischen  Loggien  geschmückt.  Außer  der  eigentlichen 
Burg  umfassen  die  mächtigen  Ringmauern  einen  sanft  ansteigenden  Hofraum  von 
123  Schritt  Länge  bei  60  Schritt  Breite,  noch  heute  in  seinem  Namen  „Turnier- 
platz" die  ehemalige  Bestimmung  andeutend.  Ihn  umgeben  rings  Arkaden. 
Wände  und  Pfeiler  waren  bemalt.  An  der  Burgseite  schließt  den  Platz  eine 
etwas  niedrige  Mauer  mit  14  Nischen,  in  denen  Statuen  von  Helden  der  römischen 
Geschichte  aufgestellt  waren.  Ein  Triumphbogen,  mit  Pyramiden  und  Löwen 
geziert,  führt  zur  Brücke  über  den  inneren  Burggraben  und  zur  Burg,  die  man 

1)  Nach  gef .  Mitteilungen  des  Herrn  Dr.  K.  Lind. 


Niederösterreichische  Schlösser 


57 


durch  einen  massiven  Torturm  mit  zwei  zierlichen  Galerien  beiritt.  Man  kommt 
nun  in  den  ersten  Burghof;  links  der  große  Saalbau,  rückwärts  zur  Rechten  ein 
mächtiger  Turm.  Zwischen  diesem  und  einem  dahinter  liegenden,  ebenfalls  ein 
Viereck  bildenden  Bau  zieht  sich  ein  Graben  hin.  Über  eine  Zugbrücke  gelangt  man 
in  den  Teil  des  Schlosses,  der  1614  durch  den  damahgen  Schloßherrn  Vincenz 
Muthinger  von  Gumpendorf  erbaut  worden  ist.  Hier  fällt  vor  allem  eine  schöne 
Freitreppe  von  breiten  Quadern  auf;  um  den  ganzen  Hof  herum  waren  unter 
dem  Gesimse  Standbilder  von  gebranntem  Ton  angebracht,  von  denen  jetzt  etliche 
fehlen.  Was  die  zahlreichen  Gemächer  selbst  betrifft,  so  sind  sie  meistens  sehr 
einfach  ausgestattet.  Bemerkenswert  ist  indes  das  Holzgetäfel  an  der  Decke  des 
Prunksaales,  der  farbig  glasierte  Estrich  einiger  Gemächer,  sowie  die  reichen 
Stuckdecken  und  zierhchen  Öfen.  Die  Kapelle  aus  der  Grabnerschen  Zeit  hat 
noch  gotische  Reminiszenzen.  Diese  großartige  Burg,  durch  mehr  als  ein  halbes 
Jahrhundert  unbewohnt  und  dem  Verfalle  anheimgegeben,  ward  neuerdings  durch 
die  Sorgfalt  des  letzten  Besitzers  stilgemäß  hergestellt. 

Unweit  von  dort  liegt  das  Schloß  Göllersdorf,  von  Wassergräben  um- 
geben, erbaut  um  1545—96,  leider  stark  verwahrlost  und  teilweise  modernisiert. 
Das  Haupttor  mit  dem  gräflich  Suchheimschen  Wappen  und  der  Jahreszahl  1551, 
ist  eine  ebenso  nüchterne  als  lahme  Komposition.  In  der  Kapelle,  einem  Bau  aus 
dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  herrhche  Holzverkleidung  der  Stühle  (1611). 
Im  ersten  Stockwerk  gegen  den  Hof  eine  offene  Galerie,  zwar  in  gedrückten 
Spitzbogen  errichtet,  sonst  aber  völlig  im  Charakter  der  Renaissance.  Im  Turm- 
gemache ein  sehr  schöner  Kamin  mit  vielen  Figuren  und  der  Jahreszahl  1615. 
Die  Schneckenstiege,  höchst  merkwürdig,  bis  auf  den  Dachboden  führend,  hat 
sicher  nicht  ihresgleichen  im  ganzen  Lande.  An  der  Unterseite  sind  Reliefornamente 
aller  Art  angebracht,  Tiere,  Jagdszenen,  Büsten  etc.  und  die  Jahreszahl  1555.  — 
Ein  sehr  schöner  Renaissancebau  von  1650  ist  die  Burg  Schleinitz  bei  Eggen- 
burg, leider  bereits  sehr  verfallen.  Der  mit  Marmorplatten  belegte  große  Saal  im 
zweiten  Stockwerk  hat  eine  vorzügliche  Stuckdecke.  Sodann  das  nordöstlich  von 
Wiener-Neustadt  gelegene  Schloß  von  Ebreichsdorf ,  eine  ehemalige  Wasser- 
veste,  im  Viereck  erbaut  mit  mächtigem  Turm  an  einer  Ecke,  leider  stark  restauriert; 
sehr  interessant  die  Wappenreihe  über  den  Bogen  des  Erdgeschosses  der  Hofseite, 
um  1560.  Auf  dem  Friedhofe  daselbst  steht  eine  Tumba,  als  Bekrönung  des 
Grufthügels,  in  dessen  Gewölbe  sich  das  Erbgrabmal  der  Familie  Beck  v.  Leopolds- 
dorf befindet.  Die  Tumba,  im  Stile  der  reinsten  Renaissance  gebildet  und  mit 
vielen  Wappen  geziert,  gehört  in  die  letzten  Jahre  des  16.  Jahrhunderts.  In 
Gaming  zählen  von  den  noch  bestehenden  Gebäudeteilen  der  ehemahgen  Kartause 
die  Prälatur  mit  dem  prachtvollen  Bibliotheksaal,  ferner  der  zweite  Klosterhof 
mit  den  offenen  Galerien,  endlich  und  zwar  insbesondere  das  herrliche  Kirchen- 
portal noch  zur  guten  Renaissance.  Sie  entstanden  1609  unter  Peter  Hilarion. 
—  In  Klosterneuburg  ist  das  ältere  Konventgebäude,  ein  Bau  aus  dem  Ende 
des  16.  Jahrhunderts,  namentlich  aber  der  Priestergang  als  Werk  der  Renaissance 
sehr  beachtenswert. 

Ein  anderer  ebenfalls  als  bedeutend  geschilderter  Bau  ist  endlich  das  Schloß 
von  Michelstätten.  Es  stammt  aus  der  Zeit  um  1600  und  gehört  seinen 
Formen  nach  den  letzten  Jahren  der  schönen  Renaissance  an.  Vor  allem'  wird 
es  dadurch  merkwürdig,  daß,  während  damals  die  feudalen  Großgrundbesitzer 
auf  den  neu  entstandenen  Landsitzen  die  Wehranlagen  auf  ein  Minimum  beschränkten, 
um  eine  reiche  Entfaltung  des  Bauwerks  nach  außen  möglich  zu  machen,  bei 
diesem  Gebäude  das  Gegenteil  befolgt  wurde.  Nach  außen  wehrhaft,  düster, 
schmucklos  angelegt,  erhielt  das  Schloß  im  Innern  eine  Doppelreihe  rundbogiger, 
auf  Säulen  ruhender  Arkaden,  im  Anschluß  an  die  sich  offene  Hallen,  Galerien, 


58 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Erzherzogtum  Österreich 


geräumige  Vorplätze  und  Gänge  ergaben.  Im  Grundrisse  bildet  das  Gebäude 
ein  Sechzehneck,  das  nach  außen  nur  die  mit  kleinen  Fenstern  versehenen  Feuer- 
mauern und  an  den  Ecken  Strebepfeiler  zeigt;  das  Dach  hat  nach  slawischer  Art 
nur  e i n  e  Abschrägung,  gegen  innen,  ist  somit  an  der  Außenseite  nicht  sichtbar. 
In  Mitte  des  Hofes  ein  mächtiger,  prachtvoller  Renaissancebrunnen,  die  untere 
Schale  mit  Wappen  ein  Sechseck,  die  obere  muschelförmige  Schale  rund.  Das 
Ganze  mit  wasserspeienden  Genien,  Larven,  Trophäen  und  Blumenfestons  ge- 
schmückt. —  Ob  von  den  bei  Merian  dargestellten  Schlössern  Windhag,  das  in 
mehreren  Prospekten  ausführhch  vorgeführt  ist,  Pragtal  und  Zeilern  in  Unter- 
österreich noch  etwas  vorhanden  ist,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 

In  Niederösterreich  ist  ferner  das  höchst  malerisch  gruppierte  Bergschloß 
Seebenstein  mit  seinen  schönen  getäfelten  Innenräumen  zu  rühmen,  die  in 
mancher  Beziehung  an  die  tirolischen  erinnern.  Auch  des  Schlosses  Schwarzenau 
bei  Gmund  sei  gedacht,  einer  riesigen  Anlage  mit  starken  Achteckkuppeltürmen 
oder  Pavillons  an  den  Ecken;  seine  schöne  klare  Außenarchitektur  in  Putz  zeigt 
reiche  Gesims-  und  Feldergliederung,  über  dem  Eingangstor  zu  dreien  gruppierte 
Fenster  von  Figurennischen  flankiert  und  fein  gerahmte  und  bekrönte  Fenster- 
architektur; in  der  Erscheinung  an  Kraft  dem  Aschaffenburger  Schlosse  verwandt. 

Ein  stattl'ches,  reich  ausgeführtes  Renaissancegrab  findet  sich  in  der  Kirche 
zu  Pyhra  in  Niederösterreich.  Es  stellt  in  einem  mehr  breiten  als  hohen  Wand- 
epitaph aus  rotem  Marmor  den  1576  verstorbenen  Ritter  Christoph  von  Greiß  mit 
seiner  Gemahlin  und  zahlreichen  Kindern  vor  dem  Kruzifixe  knieend  dar.  Ein 
Bogen  auf  toskanischen  Säulen  rahmt  diese  Hauptszene  ein,  während  man  in  drei 
kleineren  Bogenfeldern  die  Brüder  des  Verstorbenen  einzeln  knien  sieht.  Ein 
unteres  Feld  enthält  die  zierlich  behandelten  Wappen,  ein  oberes,  attikenartiges 
die  hübsch  mit  Kartuschenwerk  eingefaßten  Inschrifttafeln.  Die  das  Ganze  um- 
schheßenden  Rahmenpilaster  sind  im  Sinne  der  Frührenaissance  elegant  mit 
Laubornamenten  geschmückt.^) 

Die  meisten  Spuren  der  Renaissance  scheinen  die  niederösterreichischen 
Gegenden  nördhch  der  Donau,  die  an  Böhmen  und  Mähren  grenzen,  namentlich 
das  Viertel  unter  dem  Manhardsberg,  wohin  auch  die  Rosenburg  und  Schloß 
Göllersdorf  gehören,  zu  enthalten.  Hier  ist  auch  am  ersten  von  einer  eigenthch 
deutschen  Renaissance  zu  reden.  In  Znaim  soll  das  Rathaus  Renaissanceformen 
zeigen,  in  Krems  wird  ein  Privathaus  mit  zierlichem  polygonem  Erker,  daran 
Reliefs  von  Landsknechtszenen,  höchlich  gerühmt.  Besonders  anziehend  aber 
ist  Eggenburg,  ein  kleines,  sehr  interessantes  Städtchen  mit  einer  Kirche, 
teils  romanisch,  teils  gotisch,  —  und  mit  einer  vollständig  erhaltenen  Stadt- 
befestigung aus  dem  16.  Jahrhundert.  Bemerkenswert  vor  allem  das  sogenannte 
gemalte  Haus,  mit  braunen  Sgraffitozeichnungen  an  der  ganzen  Außenseite 
überzogen.^)  Wir  finden  Szenen  der  biblischen  Geschichte  mit  riesigen  Figuren, 
etliche  mythologische  Darstellungen  und  statt  der  Gesimsleisten  Spruchbänder 
mit  Inschriften  teils  religiösen,  teils  heiteren  Inhalts.  Als  Anfertigungszeit  ist 
der  Mai  des  Jahres  MDXLVII  auf  einem  Schriftbande  angegeben.  Das  Haus 
selbst  zeigt  in  den  Torbögen,  Fensterrahmen  und  Türen  den  Charakter  der  Re- 
naissance, die  unteren  Räume  sind  stumpf  spitzbogig  überwölbt,  gegen  den  Hof- 
raum teilweise  eine  rundbogige  Arkatur.  Der  Erker  hat  noch  den  Charakter  der 
Spätgotik. 

An  bürgerlichen  Bauten  ist  überall,  auch  in  den  anderen  Städten  des  Erz- 
herzogtums, großer  Mangel.  Bezeichnend  ist,  daß  z.  B.  Orte  wie  Linz,  die  herrlich 
gelegene  Hauptstadt  von  Oberösterreich,  so  gut  als  keine  Spur  von  Renaissance- 

1)  Mitt.  der  Zentr.-Komm.  1877  p.  14.  Bericht  von  Freiherrn  v.  Sacken. 

2)  Aufn.  d.  Wiener  Bauhütte  XVIII.  Taf.  10—12. 


Oberösterreich 


59 


bauten  zeigen.  Ein  schönes  Portal  am  Landhause  nach  einer  Nebenstraße  zu 
aus  rotem  Marmor,  dessen  unteren  Bogen  dorische  Halbsäulen  mit  schönem  Ge- 
bälk umfassen,  und  über  dem  eine  dreibogige  Loggia  auf  ionischen  Säulen  sich 
über  einer  Brüstung  mit  drei  Wappen  öffnet,  das  Ganze  bekrönt  durch  einen 
Tafelaufsatz  mit  zwei  Delphinen,  ist  der  einzige  Rest  guter  Renaissancearchitektur 
in  der  Stadt/)  Von  der  Blüte  des  Kunsthandwerks  dieser  Epoche,  die  auch  hier 
vorhanden  gewesen,  geben  mehrere  Reste  von  gemalten  Fayenceöfen  im  Museum 


Abb.  34  Inntor  zu  Braunau 


dieser  Stadt  Zeugnis.  Mehrere  interessante  Kacheln  mit  Reliefs  biblischer  Ge- 
schichten in  reicher  Polychromie  zeigen  noch  die  Formen  der  Frührenaissance, 
dürften  also  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  angehören.  Ein  großer,  prächtig 
gemalter  und  völlig  erhaltener  Ofen,  von  Wildshut  stammend,  gehört  dem  Schlüsse 
dieser  Epoche  aXi.  Blau,  weiß  und  gelb  sind  die  vorherrschenden  Töne;  gelbe 
und  weiße  Fruchtgewinde  fassen  die  Felder  mit  den  Reiterbildern  der  sieben 
Kurfürsten,  des  Kaisers  Leopold  und  des  Grafen  von  Stahremberg  ein.  Auf  den 
Ecken  bilden  römische  Krieger  als  Hermen  den  Abschluß. 

Höchst  merkwürdig  ist  die  Pfarrkirche  in  Waldhausen,  einem  am  Sarming 
gelegenen  Dorfe  in  Oberösterreich.  Hier  erbaute  im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts 
ein  Meister  Hiob  Eder,  der  sich  mit  der  Jahreszahl  1612  am  Monumente  selbst 
verewigt  hat,  eine  dreischiffige  Kirche  noch  ganz  im  Stile  der  Spätgotik,  fügte 
aber  die  Sängerempore  mit  ihrer  Brüstung,  das  Sakramentshäuschen,  sowie  das 
Hauptportal  (mit  1610  bezeichnet)  in  eleganten  Renaissanceformen  hinzu,  die  noch 
mäßig  in  der  Anwendung  von  Barockelementen  sind  und  besonders  durch  eine 
reiche  lineare  Flächendekoration  sich  auszeichnen.^)  Wie  es  öfter  in  der  deutschen 

1)  Ortwein,  Renaissance  in  Österreich. 

2)  Mitt.  der  Zentr.-Komm.  1876  p.  91  if.  mit  Abbildungen. 


60 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Erzherzogtum  Österreich 


Renaissance  vorkommt,  gehen  auch  hier  —  und  zwar  in  sehr  später  Zeit  noch  — 
die  Konstruktionen  der  Gotik  neben  den  Motiven  der  Renaissance  friedlich  her. 

Die  Grenzstadt  Braunau  zeichnet  sich  durch  stattHche  Renaissance- 
Befestigungen  aus,  unter  denen  das  Inntor  (Abb.  34)  im  Stile  Wendel  Dietterleins 
als  besonders  bemerkenswert  hervortritt. 


Abb.  35   Grüßer  Saal  aus  Schloß  Orth 


Das  übrige  Oberösterreich  scheint  auch  an  Schloßbauten  weniger  zu  bieten 
als  Niederösterreich.  Zu  nennen  ist  da  Schloß  Würthing  aus  dem  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  mit  stattlichen  Rundtürmen  an  den  Ecken  des  einfachen  Bau- 
körpers, der  im  Innern  im  zweiten  Geschoß  aber  noch  schöne  Kassettendecken 
und  Türen  in  Holz  aufweist.^)  Auch  Aistersheim  ist  da  zu  erwähnen,  ein 
einfach  stattliches  Wasserschloß  mit  runden  Ecktürmen;  ferner  die  stolzen  Schloß- 
bauten von  Puchheim  und  Hartheim,  beide  hohe  Türme  mit  geschweiften 
Hauben,  letzteres  schöne  Achtecktürme  an  den  Ecken  besitzend.  Schloß  Vorch- 
dorf  ist  prachtvoll  durch  einen  auf  weit  vortretenden  Konsolen  mit  Bögen 
ruhenden  Umgang  ringsum  bekrönt.  Es  seien  noch  genannt  Schloß  Wildberg, 
Viechtenstein,  Riedegg,  Ottersheim,  Schwertberg,  Waldenfels, 
wohl  alles  mittelalterliche  hochmalerische  Anlagen,  die  in  der  Renaissancezeit 
weiteren  Ausbau  und  Ausstattung  erfuhren.  An  schöner  Innenausstattung  reich 
ist  das  Land-  und  Seeschloß  Orth.  Ein  Saal  mit  Marmorkamin  und  Portal,  wie 
mit  prächtiger  gemalter  Decke  ist  in  Abb.  35  dargestellt. 

Zu  den  altertümlichsten  und  anziehendsten  Städten  des  Landes  gehört 
Steyr.    Aber  obwohl  eine  charaktervolle  Gotik  hier  nicht  bloß  in  kirchlichen, 

1)  Ortwein,  Eenaissance  in  Österreich,  IL,  Blatt  30  —  41. 


62  2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Steiermark  und  Kärnten 

sondern  selbst  in  Profanbauten  vertreten  ist,  geht  die  Renaissance  wieder  fast 
leer  aus.  Nur  das  Korn  haus  mit  seiner  Sgraffitofassade  ist  ein  origineller  Bau 
vom  Ende  der  Epoche  (1612).  Wir  geben  in  Abb.  36  nach  den  Aufnahmen  der 
Wiener  Bauhütte  die  einfach  und  doch  reizvoll  behandelte  Front,  die  auch  durch 
den  doppelten  Giebel  eine  ganz  besondere  Physiognomie  erhält.  Der  Charakter 
der  Sgraffiten,  die  sich  in  richtiger  Auffassung  der  Aufgabe  auf  bloßes  Umrahmen 
der  Öffnungen  beschränken,  wird  durch  Abb.  37  deutlicher  veranschaulicht. 

Steiermark  und  Kärnten 

Auch  in  Steiermark  wurde  die  Renaissance  durch  die  KunstUebe  der  Fürsten 
und  des  Adels  eingeführt;  nicht  minder  blieb  sie  auch  hier  wesentlich  das  Er- 
zeugnis fremder  Künstler.  Die  bedeutenderen  Bauten  des  Landes  scheinen  in 
der  Tat  italienischen  Ursprunges.  Der  künstlerischen  Entwickelung  gereichte  es 
zu  besonderer  Förderung,  daß  die  Landeshauptstadt  eine  Zeitlang  Sitz  einer  selb- 
ständigen fürstlichen  Seitenlinie  war.  Unter  Erzherzog  Karl  II.  begann  die  Renais- 
sance sich  zu  entfalten;  auch  Erzherzog  Ernst  und  im  Ausgang  der  Epoche  Erz- 
herzog Ferdinand,  als  Ferdinand  II.  nachmals  deutscher  Kaiser,  wandten  dem 
künstlerischen  Schaffen  ihre  Teilnahme  zu. 

Das  Selbständigste  und  Bedeutendste  indes,  was  das  Land  in  dieser  Epoche 
hervorbrachte,  waren  die  Schöpfungen  der  Kleinkünste  und  Kunstgewerbe.  Zu- 
nächst sind  die  Arbeiten  der  Töpfer  hervorzuheben,  von  denen  mehrfach  in  den 
prächtigen  Öfen  der  Schlösser  ansehnliche  Proben  vorliegen.  So  in  der  Burg 
zu  Graz,  in  den  Schlössern  Murau,  Riegersburg,  HoUenegg  und 
Schrattenberg.  Vor  allem  aber  zeichnet  sich  die  Steiermark  seit  alten  Zeiten 
durch  ihre  Eisenindustrie  aus,  die  im  Mittelalter  und  mehr  noch  in  der  Epoche 
der  Renaissance  zu  einer  wahrhaft  künstlerischen  Durchbildung  der  Schlosser- 
und  Schmiedearbeit  geführt  hat.  Noch  jetzt  trifft  man  im  ganzen  Lande,  nicht 
bloß  in  den  Städten,  sondern  auch  an  schlichten  Bauernhäusern,  zahlreiche  Reste 
dieser  charaktervollen  Werke.  Auch  über  die  benachbarten  Gebiete  von  Salzburg, 
Tirol  und  Österreich  erstrecken  sich  diese  schönen  Arbeiten.  Ein  treffliches  Bei- 
spiel bietet  der  in  Abb.  38  abgebildete  Brunnen  in  Bruck  an  der  Mur.  Trotz 
des  späten  Datums  1626  ist  er  in  technischer  Ausführung  und  stilvoller  Behand- 
lung den  Werken  der  besten  Zeit  ebenbürtig.    Man  liest  an  ihm  den  Spruch: 

Ich  Hans  Prasser 

Trink  lieber  Wein  als  Wasser. 

Tränk  icli  das  Wasser  so  gern  als  Wein, 

So  könnt  ich  ein  reicher  Prasser  sein. 

Mit  diesem  humoristischen  Spruch  hat  wahrscheinlich  der  kunstreiche  Meister 
seinen  Namen  verewigen  wollen. 

Mit  dieser  Blüte  des  Kunsthandwerks  kontrastiert  auch  hier  in  auffallender 
Weise  die  Dürftigkeit  der  architektonischen  Produktion.  Nur  die  Landeshaupt- 
stadt Graz  zeichnet  sich  durch  ansehnlichere  Werke  der  Renaissance  aus.  Der 
wichtigste  und  an  sich  sehr  bedeutende  Bau  ist  das  Landhaus^),  mit  welchem 
Namen  man  in  Österreich  die  für  die  ständische  Vertretung  errichteten  Gebäude 
bezeichnet.  Aber  auch  dieses  Monument  trägt  so  entschieden  das  Gepräge 
itahenischer  Kunst,  daß  man  es  sofort  als  Werk  fremder,  und  zwar  oberitaUe- 
nischer  Meister  erkennt.  Die  sehr  ausgedehnte  Fassade,  die  über  dem  Dache 
von  einem  unbedeutenden  Glockenturme  überragt  wird,  ist  im  Erdgeschoß  von 


1)  Daselbst  VIII. 

2)  Jos.  Wastler,  Das  Landhaus  in  Graz.  Wien  1890. 


Graz 


63 


einer  Reihe  torartiger  Öffnungen  durchbrochen,  die  wohl  für  Kaufläden  bestimmt 
waren.    Die  beiden  Hauptgeschosse  haben  gekuppelte  Bogenfenster,  paarweise 
durch  antikisierendes  Gebälk  und  Gesimse  abgeschlossen.    Dies  ist  völlig  im 
Charakter  der  Paläste  von  Venedig  und  Verona.  Über  dem  Hauptportal  bildet  sich 
eine  selbdritt  zusammengeschlossene  Gruppe,  die  im  zweiten  Stock,  wieder  in 
venezianischer  Weise,  mit  einem  auf  mächtigen  Konsolen  ruhenden  Balkon  ver- 
bunden ist.    Das  oberste  Geschoß  hat  kleine  Mezzaninfenster.    Im  übrigen  ist 
die  Fassade  ohne  Gliederung, 
die  Flächen  verputzt,  aber 
wohl  ursprünglich  bemalt.  Das 
Hauptportal,  von  stark  ver- 
jüngten, kannelierten  toska- 
nischen   Pilastern  eingefaßt 
und  von  kräftigem  Konsolen- 
sims bekrönt,  zeigt  in  den 
Bogenzwickeln  das  Wappen- 
tier Steiermarks,  den  feuer- 
speienden Panther.  Die  Fas- 
sade sowie  der  ganze  Kern 
des  Baues  ist  im  Charakter 
italienischer  Hochrenaissance 
durchgeführt,  edel  und  klar; 
das  Werk  des  Meisters  Do- 
menico   de    LaliOy    der  es 
1556—66,  in  welchem  Jahre 
er    starb,     in  trefflichster 
Durchbildung  erstehen  ließ. 
Der  Meister  stammt  aus  Lu- 
gano. Der  direkt  an  das  Land- 
haus anschließende  stattliche 
Giebel    des  Zeughauses 
(Abb.  39),  erst  von  1644  datie- 
rend, enthält  ein  prächtiges 
Portal  in  kräftig  entwickelten 
Formen,  flankiert  von  Nischen 
mit  etwas  manieriert  bewegten 
Statuen  des  Mars  und  der 
Bellona.     Prachtvolle  Tür- 
beschläge und  Klopfer,  sowie 
schön  komponierte  Gitter  an 
den  Fenstern  zeugen  von  der 
Tüchtigkeit  der  kunstreichen 

Schlosser  und  Schmiede.  Am  Fries  über  dem  Portal  sind  die  Wappen  von  fünf 
steirischen  Adelsfamilien  angebracht. 

Das  Hauptstück  des  Meisters  de  Lalio  aber  ist  der  große  Hof  mit  seinen  edel 
durchgebildeten  Pfeilerhallen,  von  denen  Abb.  40  eine  Anschauung  gibt.  Durch 
einen  großen  Flur  mit  Tonnengewölbe  und  Stichkappen  auf  dorischen  Pilastern 
gelangt  man  in  diesen  Hof,  ein  mächtiges  Rechteck,  an  der  östlichen  Front- 
seite von  zehn  Arkaden,  an  der  nördlichen  von  fünfen  eingefaßt.  In  der  nord- 
westlichen Ecke  ist  die  Freitreppe  angelegt,  die  in  steigenden  Arkaden  zum 
Hauptgeschoß  aufwärts  führt.  Der  westUche  Flügel  ist  ein  brillanter  Rokokobau, 
den  Ständesaal  enthaltend.    In  der  einspringenden  Ecke  an  der  Treppe  hegt  die 


Abb. 38   Brunnen  zu  Bruck 


64 


2.  Buch   Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Steiermark  und  Kärnten 


Kapelle,  ebenfalls  ein  späterer  Kuppelbau.  Der  südliche  Flügel  endlich  ist  ein 
charakterloser  moderner  Zusatz.  Der  Hof  erhält  durch  die  in  einfach  edlem 
Dorismus  italienischer  Hochrenaissance  durchgeführten  Arkaden  den  Eindruck  vor- 
nehmer Gediegenheit, 
die  durch  die  Ausfüh- 
rung in  treflfHchem 
Quaderbau  gesteigert 
wird.  Die  Wasser- 
speier mit  ihren  Trag- 
stangen sind  kunst- 
reich durchgeführt. 
Auch  die  Wetterfahne 
des  Uhrturms  mit  dem 
feuerspeienden  Pan- 
ther zeigt  charakter- 
volle Behandlung.  Die 
Haupttreppe  zum  Vor- 
derbau führt  im  öst- 
lichen Flügel  mit  ge- 
rade gebrochenen  Läu- 
fen ins  obere  Geschoß, 
wo  sie  auf  kraftvoll 
behandelte  Bogenpor- 
tale  mündet.  Alles  dies 
ist  im  Geiste  italie- 
nischer Kunst  durch- 
geführt. 

Der  sogenannte 
Rittersaal,  der  sich  im 
westlichen  Flügel  ne- 
ben dem  Ständesaal 
hinzieht,  ist  ohne  ar- 
chitektonische Bedeu- 
tung. Aus  dem  vor- 
deren Hofe  führt  ein  gewölbter  Durchgang  an  der  Westseite  in  einen  einfacheren 
Nebenhof,  dessen  viereckige  Fenster  jedoch  eine  feine  Einfassung  in  den  Formen 
edler  Hochrenaissance  zeigen.  Von  hier  gelangt  man  zur  Rückseite  des  Ge- 
bäudes durch  ein  einfacheres,  aber  ebenfalls  charaktervoll  entwickeltes  Bogen- 
portal.  Einen  besonderen  Schmuck  erhält  der  Haupthof  durch  den  prächtigen 
Ziehbrunnen,  eine  der  reichsten  und  originellsten  Metallarbeiten  der  Renais- 
sance, ganz  aus  Bronze,  mit  fünf  prächtig  dekorierten  Säulchen,  die  in  einen 
prächtig  ornamentierten  Oberbau  übergehen.  Ranken  und  Blumen  verbinden 
sich  darin  mit  Figürlichem  zu  reizvoller  Wirkung  (Abb.  41).  1589 — 90  haben 
ihn  die  beiden  Erzgießer  Marx  Wening  und  Thomas  Auer  ausgeführt. 

Erwähnt  man  noch  die  jetzt  zerstörte  einstige  Prachttreppe  der  Burg^), 
ebenfalls  ein  Werk  des  Lalio,  und  das  kaum  noch  dieser  Epoche  angehörende 
Mausoleum  Kaiser  Ferdinands  IL,  einen  italienischen  Kuppelbau  in  Barock- 
formen, so  hat  man  das  Bemerkenswerteste  der  Renaissance  in  Graz  erschöpft. 
Das  Grabmal  ist  seit  1619  durch  Pietro  de  Pomis  aus  Lodi  erbaut,  das  Gruftgewölbe 
mit  trefflichem  verziertem,  flachem  Kuppelgewölbe;  der  Kapellenbau  daneben  in 
Kreuzform  mit  Kuppel  ist  aber  erst  seit  1687  mit  seiner  schönen  inneren  Dekora- 
1)  Abgeb.  beiWastler  a.  a.  0.  S.  9. 


Ahl).  39   Tor  des  landschaftlichen  Zeughauses  zu  Graz 


Graz 


65 


tion  durch  Fischer  von  Erlach  fertiggestellt,  nachdem  der  im  Äußeren  vollendete 
Bau  innen  seither  als  halbe  Ruine  gestanden/)  Sonst  trifft  man  hier  dieselben 
architektonischen  Züge,  welche  so  vielen  Städten  Österreichs  gemeinsam  sind: 
eine  auffallende  Ärmhchkeit,  soweit  das  Mittelalter  oder  die  Renaissance  in 
Frage  kommen;  erst  in  der  späteren  Barock-  und  Rokokozeit  eine  reichere  Ent- 
faltung. So  fehlt  es  auch  hier  nicht  an  stattlichen  palastartigen  Gebäuden  im 
italienischen  Barockstil.  In  der  älteren  Epoche  wird  man  wohl  sich  meist  mit 
Bemalung  der  Fassaden  beholfen  haben.  Eine  flott  behandelte  Fassade,  freilich 
erst  aus  dem  18.  Jahrhundert,  sieht  man  noch  in  der  Herrengasse,  dem  Land- 
hause schräg  gegenüber.    Mehrfach  kommen  polygone  Erker  an  den  Ecken  vor. 


Abb.  40   Hof  des  Landhauses  zu  Graz 


aber  ohne  architektonische  Ausbildung.  Neben  dem  Landhause  zeigt  ein  Wohnhaus 
ein  schlichtes,  aber  charaktervolles  Renaissanceportal.  Der  Hof  dieses  Hauses, 
zu  dem  man  durch  einen  gewölbten  Flur  gelangt,  hat  in  drei  Geschossen  Arkaden 
von  gedrückten  Verhältnissen  auf  einfachen  toskanischen  Säulen.  Mehrfach  findet 
man  namentlich  in  der  Bürgergasse  ähnlich  behandelte  Höfe;  aber  alles  das  ist 
von  geringer  Bedeutung. 

Das  Mausoleum  des  General-Feldzeugmeisters  Ruprecht  von  Eggenburg  zu 
Ehrenhausen  (1546—1611)  gehört  ebenfalls  zu  den  italienisch  gefärbten  Bau- 
werken, doch  ohne  des  malerisch-nordischen  Elementes  zu  entbehren.  Die  pompöse 
Eingangsfront  mit  halbrundem  Abschluß  und  gebrochenem  Giebel  darin  besitzt  ein 
prächtiges  Portal,  von  kriegerisch  gestalteten  wilden  Männerhermen  eingefaßt,  dar- 
über üppigste  Bekrönung  mit  Wappen  von  Engeln  gehalten.  Zu  den  Seiten  frei- 
stehend zwei  kolossale  Kriegerstatuen  als  Wächter.  Der  Grundriß  zeigt  einen  ein- 

1)  Abgebildet  in  Interieurs  von  Kircben  Taf.  69,  70.  Das  Äußere  und  der  Grundriß  in 
Grurlitt,  Barockstil  in  Deutschland,  Fig.  3,  4. 

Lübke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II   3.  Aufl.  5 


66 


2.  Blich    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Steiermark  und  Kärnten 


fachen  Langbau,  in  die  Tiefe  sich  erstreckend,  über  dessen  Mitte  und  über  vier  frei- 
stehenden Säulen  eine  achteckige  Kuppel  sich  erhebt  —  eine  recht  primitive  Anord- 
nung —  als  Mittelteil  stolz  ausgebildet,  mit  Pilastern  an  den  Außenwänden,  zwischen 
denen  die  Bilder  des  Gründers  und  seines  Neffen  Wolff  angebracht  sind.  Der 
Architekt  des  Bauwerks  war  Johann  Walder  oder  Walter  aus  Graz,  der  1606—14 

die    Ausführung    leitete.  Das 

TSF^  ÄÄT-i     Ganze,  so  italienisch  beeinflußt 

sein  Ausputz  auch  sein  mag, 
ist  in  Charakter  und  Wesen  doch 
völlig  nordisch.^) 

Weiter  südhch  werden  die 
Städte  nur  noch  charakterloser 
und  armseliger.  So  z.  B.  Mar- 
burg, dessen  Profanbau  ohne 
alle  Bedeutung  ist.  Das  Rat- 
haus hat  zwar  über  dem  Ein- 
gang einen  Balkon  mit  Loggia 
vom  Jahre  1565;  aber  die  dünnen 
ionischen  Säulchen  sind,  wie  das 
Ganze,  schwächUch  und  gering- 
fügig. Der  Hof  hat  ebenfalls  un- 
bedeutende Arkaden  auf  toska- 
nischen  Säulen.  Dies  alles,  so- 
wie die  Gliederung  der  in  Stuck 
ausgeführten  Fassade,  besonders 
auch  die  Einfassung  der  Fenster 
verrät  den  Einfluß  von  Graz, 
namentlich  vom  Landhause,  aber 
auf  einer  provinziell  verküm- 
merten, degradierten  Stufe.  Es 
scheint,  daß  in  diesen  Gegenden, 
wo  man  nicht  imstande  war,  ita- 
lienische Künstlerherbeizuziehen, 
die  eigene  Schöpferkraft  nicht 
ausreichte,  bedeutendere  Werke 
zu  schaffen.  Ein  Portal  an  einem 
Hause  der  Postgasse,  vom  Jahre 
1609,  trägt  denselben  dürftigen 
Charakter,  mag  aber  wegen  sei- 
ner Inschrift  hier  eine  Stelle  fin- 
den, da  der  Bauherr  sich  darin 
verewigt  hat:  „Urban  Munnich 
bin  ich  genant,  in  hohen  teut- 
schen  Landen  wol  bekannt,  in 
der  Schlesie  bin  ich  geboren,  zu  Marburk  hab'  ich  mein  Bhausung  erkoren,  daselbs 
zu  bleiben  bis  in  mein  tot,  dazu  helf  mir  der  ewige  Gott." 

Höhere  künstlerische  Ausbildung  scheinen  auch  hier  nur  die  Schloßbauten 
aufzuweisen.  Auf  Schloß  Limberg,  Hohenegg,  Purgstaü  allerlei  Schönes  an 
Ausstattung,  so  in  ersterem  gute  Stukkaturen  des  17.  Jahrhunderts,  in  Hohen- 
egg trefifhche  Holztüren  und  Öfen,  in  letzterem  eine  schöne  bemalte  Balken- 

1)  Ich  verweise  auf  die  ganz  vortrefflichen  Aufnahmen  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Heft  III, 
Blatt  1  —  9. 


Abb.  41   Brunnen  im  Hofe  des  Landhauses  zu  Graz 


Steirische  Schlösser 


67 


decke.^)  So  namentlich  die  umfangreiche  Riegersburg-,  welche  die  Ritter  von 
Stade  seit  1571,  dann  im  17.  Jahrhundert  Elisabeth  von  Galler,  die  „schlimme 
Liesel"  (f  1672),  nicht  bloß  als  befestigte  Burg,  sondern  auch  als  einen  mit  aller 
Pracht  ausgestatteten  Herrensitz  durchführten.  Insbesondere  ist  die  Reihe  der 
prächtigen  Räume  im  ersten  und  zweiten  Stock  bemerkenswert,  zunächst  der  ge- 
wölbte und  schön  stuckierte  und  gemalte  Speisesaal ;  daran  anstoßend  der  Ritter- 
saal mit  prachtvoller  Holzdecke  und  drei  Holzportalen,  die  zu  den  allerschönsten 
der  ganzen  deutschen  Renaissance  gehören.^)  Sie  stammen  noch  von  1600,  wie 
auch  die  sehr  feine  Ausstattung  des  Türken-,  Römer-  und  Bilderzimmers  noch  ins 
16.  Jahrhundert  gehört.  In  den  beiden  letzten  Räumen  sind  vor  allem  die  wunder- 
vollen Decken  die  Freude  des  Kunstfreundes,  mit  kraftvollen  Leisten  reich  ein- 
geteilt, deren  Felder  mit  schönen  allegorischen  und  ornamentalen  Malereien  gefüllt 
sind,  mit  Wasserfarben  auf  Leinwand  ausgeführt,  sehr  licht  in  den  Tönen.  Im 
Hof  ein  tiefer  Brunnen  mit  prächtigem  schmiedeisernem  Korbdach  darüber.  In 
der  Kirche  zeugt  ein  mächtiges  Denkmal  auf  der  Nordseite  von  dem  Kunstsinn 
der  Familie  Stade,  deren  erster,  Erasmus,  hier  begraben  ist  (f  1578).  In  ähn- 
licher Weise  erbauten  die  Fürsten  von  Eggenburg  ihr  gleichnamiges  Schloß 
bei  Graz.  Einzelne  Teile  aus  dieser  Zeit  sollen  noch  an  andern  Herrensitzen  des 
Landes  erhalten  sein;  so  in  Schrattenberg  (Fresken  und  Öfen),  Murau, 
Trautenfels,  Negau  und  an  der  zum  Abbrach  bestimmten  Burg  Thalberg. 
Hier  stammt  ein  Gebäudeflügel  mit  prächtigem  Saal  und  Treppenhaus  angeblich 
aus  der  Zeit  des  berühmten  Siegmund  von  Dietrichstein,  eines  Freundes  von 
Kaiser  Max  L  Dagegen  scheint  das  kleine  Schloß  Felsenberg  in  der  Nähe 
des  Lavanter  Tobel  bei  Graz  schon  stark  mit  Barockformen  gemischt  zu  sein. 
Schloß  Strechau  bei  Admont  besitzt  einen  langgezogenen  Hof  mit  präch- 
tigen zweigeschossigen  Arkaden  auf  zwei  Seiten  auf  stark  verjüngten  dorischen 
Marmorsäulen ;  an  den  oberen  Wandflächen  zierliche  Sgraffitofriese.  Im  Innern 
eine  Kapelle  mit  schön  eingeteiltem  Muldengewölbe  aus  Stuck,  dessen  verschieden- 
gestaltige  Felder  mit  Grotesken  bedeckt  sind;  dazwischen  zahlreiche  Medaillons 
mit  figürUchen  Fresken  und  Inschriften.  In  einem  Zimmer  ein  höchst  origineller 
eiserner  Ofen,  auch  sonst  schöne  Holzdecken.  Tüchtige  Täfelungen,  Holzdecken 
und  Türen  bewahrt  das  in  derselben  Gegend  gelegene  Schloß  Röthelstein, 
das  namentlich  auch  einen  merkwürdig  polychromierten  Ofen  von  Schmiedeisen 
aufweist,  der  trotz  seiner  gotischen  Formen  dem  16.  Jahrhundert  anzugehören 
scheint.^) 

Im  Norden  Steiermarks  sei  noch  die  ausgezeichnete  reiche  Stuckfassade  eines 
Hauses  in  Leoben  (Abb.  42)  erwähnt,  die  mehr  auf  böhmische  oder  bayerische 
Beziehungen  zu  deuten  scheint.  Die  fünffenstrige  dreigeschossige  Fläche  ist 
durch  Rahmen-  und  Schnörkelwerk  schön  eingeteilt;  auf  den  Flächen  zwischen 
den  Fenstern  sind  zwölf  Figuren  von  Tugenden  u.  dgl.  in  hohem  Relief  auf- 
modelliert, der  Fries  markiert  ein  weiteres  Geschoß  mit  fünf  ovalen  Fenstern. 
Die  Mitte  der  Fassade  über  dem  Doppelfenster  enthält  das  prächtig  modellierte 
Wappen  des  Erbauers,  über  dem  Torbogen  darunter  halten  flotte  Engel  eine 
Kartuschetafel.    Entstehungszeit  um  1610. 

Was  von  kirchlichen  Bauten  dieser  Zeit  angehört,  trägt  meist,  wie  das 
schon  erwähnte  Mausoleum  in  Graz,  den  Stempel  italienischer  Kunst.  So  die 
Kuppelkirchen  des  ehemaligen  Ghorherrenstiftes  Pöllau  und  des  Benediktiner- 
stiftes Oberburg,  letztere  auf  den  Substruktionen  der  alten  romanischen  Basilika 

1)  Ortwein  a.  a.  0.  Heft  I. 

2)  Stuckdecke,  Türen  und  die  beiden  gemalten  Plafonds,  Ziehbrunnen  im  Hof  und  Ofen 
sind  in  Ortwein,  Een.  in  Österreich,  BI.  11—20  ausführlich  dargestellt. 

3)  Aufnahmen  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Heft  4,  5. 


68 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Steiermark  und  Kärnten 


erbaut.  Weniger  das  Mausoleum  Erzherzog  Karls  II.  und  seiner  Gattin  Maria  in 
Seckau,  ein  verschwenderisch  ausgestattetes  Werk  vom  Jahre  1588,  als  dessen 
Künstler  inschriftlich  Theodorus  Gysius  und  Alexander  de  Verdetz  sich  nennen. 
Ersterer  allerdings  wohl  ein  Italiener,  letzterer  aber  vielleicht  aus  den  Nieder- 
landen gekommen,  obwohl  sein  Name  auch  Älessandro  de  Verda  geschrieben  wird. 
Auch  ein  Bildhauer  Sebastian  Carlone,  der  den  bunten  Marmorsarkophag  1589 — 95 
meißelte  und  an  den  Ausstattungsarbeiten  bis  1612  tätig  war,  wird  genannt,  sowie 


Abb.  42   K.  K.  Postkasse  zu  Leoben 


ein  Maler  namens  Balthasar  Grineo  oder  Griener.  Es  scheint,  als  ob  man  ab- 
sichtlich alle  Namen  italienisiert  hätte.  Der  Tatbestand  widerspricht  aber  der 
Berechtigung  dazu. 

Ins  linke  Seitenschiff  des  romanischen  Doms  nämlich  ist  gegen  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  eine  Kapelle  von  zwei  Jochen  mit  kleinem  Chor  eingefügt,  die 
unter  ihrem  Gewölbe  an  der  Innenseite  den  üppigen  Doppelsarkophag  des  erz- 
herzoglichen Paares  mit  dessen  darauf  ausgestreckten  Gestalten  trägt.  Die  Gurt- 
bögen gegen  die  Kirche  und  der  Eingangsbogen  sind  durch  je  eine  prächtige, 
durchbrochene  Marmorwand  abgeschlossen.  Der  Sockel  enthält  offene  Flach- 
ornamentfüllungen, der  obere  Teil  messingene  Balustersäulen,  die  Bögen  sind 
durch  entsprechende,  im  Entwürfe  echt  nordische,  durchbrochene  Ornamentaufsätze 
gefüllt.  Wände  und  Pfeiler,  wie  Gewölbe  sind,  soweit  sie  nicht  größeren  oder 


Seckau  Villach 


69 


kleineren  Fresken  Raum  boten,  in  üppigster  Weise  mit  bemaltem  Renaissance- 
stuck späteren  Charakters  und  italienischen  Geschmackes  bedeckt. 

Dem  Ganzen  liegt  aber  offenbar  ein  nordischer,  ja  sicher  niederländischer 
oder  niederdeutscher  Entwurf  zugrunde,  der  indessen  mit  Ausnahme  der  Schranken 
von  Italienern  ausgeführt  worden  zu  sein  scheint,  wodurch  die  zierlichen  Urformen 
in  einer  nicht  glücklichen  Weise  vergröbert  und  umgestaltet  erscheinen.  Die 
schöne  schmiedeiserne  Tür  ist  aber  noch  echt  deutsch,  ebenso  die  feinen  Fries- 
gitterfüllungen der  Schranken.  Trotz  dieses  Zwiespaltes  ist  der  Gesamteindruck 
ein  wahrhaft  glänzender.^) 

Das  anstoßende  Stift  Seckau  enthält  außer  einem  schönen  Speisesaal 
mit  Stuckdekoration  eine  Reihe  schön  getäfelter  Räume,  insbesondere  prächtige 
Kassettendecken  und  eine  prachtvolle  Tür  in  Holz.^) 

Noch  mehr  vereinzelt  als  in  den  übrigen  Provinzen  scheinen  die  Spuren 
der  Renaissance  in  Kärnten.  Doch  hat  die  Kunstliebe  der  Adelsgeschlechter, 
namentlich  der  Dietrichstein,  Khevenhiller,  Ortenburg-Salamanca  sich  in  manchen 
noch  vorhandenen  Denkmälern  verewigt.  Namentlich  in  den  prächtigen  Grab- 
denkmälern der  Stadtpfarrkirche  zu  Vi  11  ach:  besonders  beachtenswert  das  des 
schon  oben  genannten  Siegmund  von  Dietrichstein  und  das  prächtige  Denkmal 
Georgs  von  Khevenhiller,  der  mit  seinen  beiden  Frauen,  zwei  Söhnen  und  fünf 
Töchtern  vor  einem  Kruzifiz  kniet,  1580  von  Ulrich  Vogelsang  aus  rotem  Marmor 
gearbeitet.  Auch  die  marmorne  Kanzel  in  derselben  Kirche,  1555  von  Vizedom 
Georg  Ulrich  von  Kynsberg  gestiftet,  und  der  ebenfalls  aus  weißem  Marmor  ge- 
arbeitete Taufstein,  nicht  minder  die  Grabdenkmäler  in  den  Kirchen  zu  Wolfs- 
berg, St.  Leonhard,  Eberndorf,  Millstadt  und  Friesach  zeugen  von 
einem  lebhaften  Betrieb  der  Bildhauerei.  NamentUch  die  obenerwähnte  Kanzel 
ist  eines  der  reichsten  Prachtwerke  dieser  Art;  nicht  bloß  sieht  man  an  ihrer 
Brüstung  biblische  Szenen  in  Rehefs  dargestellt,  sondern  in  höchst  origineller  Weise 
bildet  die  Säule,  auf  welcher  der  Bau  sich  erhebt,  eine  Darstellung  des  Stamm- 
baumes Christi  oder  der  „Wurzel  Jesse",  wobei  merkwürdig  genug  die  Figur  des 
Patriarchen  auf  einem  Steine  zu  Füßen  der  Kanzel  liegend  dargestellt  ist.  Auch 
das  durchbrochene  Treppengeländer  zeigt  einen  ebenso  edlen  als  reichen  Schmuck 
im  besten  Renaissancestil.^)  Eins  der  merkwürdigsten  Werke  der  plastischen  Kunst 
vom  Ende  dieser  Epoche  ist  der  große  Brunnen  auf  dem  Hauptplatz  zu  Klagen- 
furt, ein  Herkules  mit  der  Keule,  in  einem  großen  länglichen  Becken  stehend  und 
die  Keule  gegen  einen  riesigen,  wohl  7 — 8  Meter  langen  Lindwurm  schwingend, 
der  mit  großer  Mühe  aus  einem  einzigen  Granitblock  gehauen  ist.  Als  das  Werk 
vollendet  war,  wurde  es  von  dreihundert  Knaben,  wie  die  Chroniken  erzählen*), 
wie  ein  Palladium  über  die  Villachertorbrücke  festlich  geschmückt  auf  Walzen  in 
die  Stadt  gezogen  (1634).  Von  dem  prächtigen  Eisengitter,  das  die  riesige 
Brunnenschale  einfaßt,  geben  wir  in  Abb.  43  eine  Probe. 

Neben  der  Blüte  der  Kleinkünste  und  des  Kunstgewerbes  tritt  die  Archi- 
tektur nur  in  vereinzelten  Leistungen  auf.  Gleich  zu  Anfang  der  Epoche  beginnt 
sie  freilich  mit  einer  der  edelsten  Schöpfungen,  welche  die  Renaissance  auf  deutschem 
Boden  aufzuweisen  hat;  aber  es  ist  durchaus  in  Anlage  und  Durchführung  das 
Werk  italienischer  Künstler  und  scheint  im  ganzen  Lande  vereinzelt  geblieben  zu 
sein.    Ich  meine  das  prachtvolle  Schloß  des  Fürsten  Porzia  in  Spital  an  der 


1)  Interieurs  von  Kirchen  und  Kapellen  in  Österreich,  Wien  1895,  Taf.  18,  19.  Ortwein, 
Deutsche  Renaissance  in  Österreich  I,  Taf.  51 — 65. 

2)  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  66—70. 

3)  Bericht  über  diese  Denkmäler  von  Dr.  K.  Lind  in  den  Mitt.  der  Zentr.-Komm.  1874 
p.  138  if.,  mit  Abbildungeii. 

4)  Vgl.  H.  Hermann  a.  a.  0.  II,  321. 


70 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Steiermark  und  Kärnten 


Drau,  nach  dem  Zeugnis  des  Wappens  am  Portal  ursprünglich  von  einem  Grafen 
Ortenburg  erbaut.  Es  gehört  zu  den  größten  Überraschungen,  am  Ausgang  des 
unscheinbaren  bedeutungslosen  Fleckens  ein  solches  Prachtwerk  edelster  freilich 
südlicher  Frührenaissance  zu  finden.  Das  Schloß,  im  Charakter  itahenischer 
Stadtpaläste  angelegt,  richtet  seine  nördliche  Hauptfront  gegen  die  Straße  und 
ist  nach  Westen  und  Süden  von  einem  großen  parkartigen  Garten  umschlossen, 

der  den  Blick  in  die 
herrlichste  Alpenland- 
schaft mit  ihren  weit- 
hingedehnten, grünen 
Matten  und  den  gewal- 
tigen Gebirgslinien  frei- 
gibt. Inmitten  dieser 
echt  deutschen  Hoch- 
gebirgslandschaft, Inder 
man  eher  eine  malerische 
mittelalterliche  Burg  er- 
warten sollte,  wird  man 
doppelt  überrascht,  ei- 
nen völlig  regelmäßigen 
italienischen  Palast  zu 
finden.  Nur  an  seiner 
nordwestlichen  Ecke  der 
runde  Turm,  sowie  ein 
ähnlicher  an  der  süd- 
östlichen Ecke  gegen 
den  Garten  hin,  der  je- 
doch ein  späterer  Zu- 
satz zu  sein  scheint,  ver- 
treten nordische  Über- 
lieferung. Die  Behand- 
lung des  Äußeren  ist  üb- 
rigens ziemlich  einfach 
und  prunklos,  selbst  an 
der  Hauptfassade  sind 
Gliederungen  und  deko- 
rative Formen  sparsam 

angewendet,  die  Flächen  durchweg  verputzt,  nur  die  architektonischen  Glieder, 
die  Pilaster,  sowie  die  Einfassungen  der  Fenster  und  Türen  aus  dem  feinen  mar- 
morartigen Kalkstein  der  Gegend  gebildet.  Die  Komposition  der  Fassade  ist  nach 
italienischer  Weise  vöUig  symmetrisch,  nur  mit  Ausnahme  jenes  an  der  nordwest- 
lichen Ecke  vorspringenden  Turmes ;  die  Fenster  im  Erdgeschoß  wie  in  den  beiden 
oberen  Stockwerken  in  so  weiten  Abständen  verteilt,  daß  die  großen  Mauerflächen 
sie  ungewöhnlich  klein  erscheinen  lassen.  Nur  über  dem  in  der  Mitte  angebrachten 
Hauptportal  schließen  sich  die  Fenster  selbdritt  loggienartig  mit  Balkon  zu  einer 
Gruppe  zusammen.  Diese  Anordnung,  welche  wir  schon  am  Landhaus  zu  Graz 
fanden,  weist  vielleicht  auf  venezianische  Vorbilder,  doch  kommt  sie  sehr  ähnlich 
bereits  an  mehreren  Palästen  im  nicht  allzufernen  Trient  vor.  Insbesondere  er- 
innert die  ganze  Fassadenanordnung  stark  an  den  Palazzo  Rohr  daselbst.  Kurze 
Rahmenpilaster  mit  feinen  Kapitellen  geben  den  einzelnen  Stockwerken  eine  Glie- 
derung und  an  den  Ecken  eine  kräftige  Umrahmung.  Reicheren  Schmuck  hat 
nur  das  Portal  erhalten,  das  von  köstlichen  Ornamenten  im  Stile  der  feinsten  ober- 


fffff 


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Abb.  43  Von  einem  Brunnengitter  in  Klagenfurt 


Schloß  Spital 


71 


italienischen  Frührenaissance  förmUch  bedeckt  ist.  Die  einfassenden  vortretenden 
Säulen  sind  in  spielender  Weise  nach  unten  korbartig  ausgebaucht  und  mit  Flecht- 
werk umwunden.  Das  Wappen  des  Erbauers,  von  üppiger  Ornamentik  umgeben, 
krönt  diesen  prächtigen  Portalbau. 

Die  übrigen  Teile  des  Äußeren  sind  ganz  schlicht  behandelt.  An  der  west- 
lichen Seite  tritt  nur  ein  kleiner  halbrunder  Turm  vor ;  die  Südseite  hat  dagegen 
in  der  Mitte  ein  zierliches  Portal,  das  in  den  Garten  führt.  Elegante  korinthische 
Pilaster  fassen  es  ein,  an  den  Postamenten  mit  Flachreliefs  der  Taten  des  Herkules 
geschmückt.  Auch  diese  Arbeiten,  sowie  in  den  Bogenzwickeln  die  schwebenden 
Figuren  mit  Füllhörnern  verraten  die  Hand  von  Künstlern  der  lombardischen 
Schule. 

Ein  späterer  Anbau  ist  das  große  Portal,  das  in  derber  dorischer  Rustika 
neben  der  Ostseite  des  Palastes  von  außen  den  Zugang  zum  Garten  vermittelt, 
von  einem  schmalen  Pförtchen  begleitet.  Eine  prunkvolle  Inschrift  nennt  Graf 
Johann  von  Ortenburg  als  seinen  Erbauer. 

Tritt  man  durch  das  Hauptportal  ins  Innere  des  Schlosses,  so  enthüllt  sich 
erst  die  ganze  Bedeutsamkeit  der  Anlage.  Man  befindet  sich  in  einem  großen 
von  Arkaden  umschlossenen  Hofe,  der  den  reichsten  Palasthöfen  Italiens  wenig 
nachgibt,  in  der  Anlage  der  Treppe  und  ihrer  Verbindung  mit  den  Bogenhallen 
dem  strengen  südlichen  Eindruck  ein  höchst  malerisches  Motiv  einfügt,  so  einen 
bescheidenen  Tribut  an  nordischen  Geschmack  abstattend.  Unsere  Abb.  44,  nach 
einer  Photographie  ausgeführt,  gibt  die  nordwesthche  Ecke  dieses  schönen  Hofes. 
Frei  behandelte  ionische  Säulen  nehmen  im  Erdgeschoß  die  Arkaden  auf,  während 
korinthisierende  kurzstämmige  Stützen  das  Treppenhaus  und  die  oberen  Arkaden 
tragen.  Elegante  Balustraden,  durch  reiche  Pfeiler  rhythmisch  geteilt,  dienen 
der  Treppe  wie  den  oberen  Arkadengängen  als  Geländer.  Überall  in  den  Bogen- 
zwickeln, den  Pilasterflächen,  den  Postamenten  und  Brüstungsfeldern  ist  zierlicher 
Schmuck  in  Ranken  und  Laubwerk,  aber 
auch  in  figürlichen  Reliefs,  besonders  in 
Medaillons  mit  Brustbildern,  reichlich  an- 
gebracht. Zum  höchsten  Wert  steigert 
sich  die  Schmuckbehandlung  an  den  zahl- 
reichen Türgewänden,  die  bei  den  Haupt- 
räumen durchgängig  aus  weißem  Marmor 
gearbeitet  sind.  Hier  ist  solcher  Reich- 
tum der  Erfindung,  solche  Schönheit  der 
Ausführung,  solche  Anmut  in  der  Zeich- 
nung der  Blätter,  Blumen  und  Ranken 
wie  der  reichlich  eingestreuten  figürlichen 
Gebilde,  daß  man  an  die  besten  vene- 
zianischen Arbeiten  erinnert  wird. 

Die  Anordnung  der  Räume  im  Haupt- 
geschoß (vgl.  die  Grundrisse  Abb.  45)  folgt 
ebenfalls  italienischer  Tradition.  Den 
Hauptraum  bildet  der  große  längliche 
Saal  über  der  Eingangshalle  des  Erd- 
geschosses, zu  beiden  Seiten  stoßen  an- 
dere stattliche  Räume  an,  während  die 
privaten  Wohn-  und  Schlafgemächer  den 
westlichen  und  südlichen  Flügel,  also  die 
Gartenseite  mit  den  herrlichen  Ausblicken 
ins  Gebirge  einnehmen.  Alles  ist  klar  und 


Abb.  44  Hof  des  Schlosses  Porzia  zu  Spital 


72 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Steiermark  und  Kärnten 


übersichtlich  im  Sinne  italienischer  Palastanlagen.  Von  der  ursprünglichen  Aus- 
stattung der  Räume  scheint  nichts  mehr  vorhanden  zu  sein. 

Die  Entstehung  des  edlen  Baues  darf  in  das  vierte  Jahrzehnt  des  16.  Jahr- 
hunderts gesetzt  werden.  Zwar  fehlt  jede  Jahreszahl,  doch  deutet  alles  auf  diese 
Zeit  hin.  Eine  Bestätigung  finden  wir  in  einem  der  Hauptfront  des  Schlosses  in 
einiger  Entfernung  gegenüberliegenden  Gebäude,  jetzt  Bezirksamt,  offenbar 
von  derselben  Herrschaft  erbaut.  Es  ist  im  ganzen  ein  geringes  Werk,  nur  an 
der  einen  Ecke  durch  einen  polygonen  Erkerturm  ausgezeichnet,  im  Innern  ohne 
Bedeutung,  merkwürdigerweise  aber  durch  ein  köstliches  Portal  von  weißem 


Halle  im  Erdgeschoß  Erster  Stock 

Abb.  45   Grundrisse  des  Schlosses  Porzia  in  Spital 


Marmor  geschmückt,  von  dem  man  glauben  möchte,  es  habe  sich  beim  Schloß- 
bau als  überflüssig  herausgestellt  und  hier  Verwendung  gefunden.  Über  dem 
Portal  sieht  man  das  Wappen  das  Erbauers  und  die  Jahreszahl  MDXXXVII.  Dies 
Nebengebäude  dürfte  erst  nach  dem  Hauptbau  ausgeführt  worden  sein.  Die  ar- 
chitektonische Komposition  des  letzteren  klingt  darin  an,  daß  in  beiden  oberen 
Geschossen  die  Hauptachse  über  dem  Portal  durch  paarweise  gekuppelte  Fenster 
markiert  wird. 

Daß  jener  vornehme  Prachtbau  auf  seine  Umgebung  einen  gewissen  Einfluß 
ausüben  mußte,  erkennt  man  deutlich  an  mehreren  Arkadenhöfen,  freilich  von 
sehr  geringer  Beschaffenheit,  die  sich  in  den  besseren  Häusern  des  Ortes  befinden. 

Mit  diesem  einzelnen  Meisterstück  scheint  die  Frührenaissance  in  Kärnten 
zu  verstummen.  Es  kamen  auch  hier  die  Zeiten  tiefer  Erregung  des  religiösen 
Lebens.  Das  ganze  Land,  den  Adel  an  der  Spitze,  warf  sich  der  Reformation  in 
die  Arme.  Wir  haben  oben  Beispiele  davon  gegeben,  wie  überall  auch  hier  in 
den  Städten  der  Protestantismus  zur  Macht,  ja  fast  zur  Alleinherrschaft  gelangt 
war.  Ohne  Zweifel  hätte  diese  geistige  Erneuerung  umgestaltend  auf  das  ganze 
Leben  gewirkt  und  auch  die  Kunst  verjüngt.  Aber  nachdem  noch  der  Statthalter 
Johann  Friedrich  Hofmann,  Freiherr  auf  Grünbüchel  und  Strechau,  seit  1578  die 
neue  Lehre  aufs  kräftigste  gefördert  hatte,  kam  mit  dem  Regierungsantritt  des 
Fürstbischofs  Ernst  von  Mangersdorf  1583  die  Reaktion  zur  Herrschaft,  und  in 


Klagenfurt 


73 


kurzer  Frist  wurde  auch  in  Kärnten  der  Katholizismus  mit  Gewalt  der  Waffen 
wiederhergestellt.^)  Wenn  man  auch  zuerst  gegen  die  Stände  schonend  verfuhr,  so 
wurden  doch  auch  diese  endlich  gezwungen,  katholisch  zu  werden,  oder  auszuwan- 
dern und  ihre  Güter  in  Beschlag  nehmen  zu  lassen.  Manche  zogen,  um  ihrer  Über- 
zeugung treu  zu  bleiben,  letzteres  vor,  wie  denn  zwei  Khevenhiller  ihr  Heimatland 
verließen  und  in  schwedische  Dienste  traten.  Unter  diesen  Verhältnissen  konnte 
keine  Kunst  gedeihen,  und  wir  wundern  uns  nicht,  daß  selbst  die  Landeshaupt- 
stadt Klagenfurt  in  architektonischer  Hinsicht  einen  nichtssagenden  Eindruck 
macht.  Kein  einziges  Gebäude  zeugt  hier  von  höherer  künstlerischer  Bedeutung. 
Auch  das  Landhaus  ist  ein  später  Bau  mit  charakterloser  Fassade.  Nur  der 
Hof  zeigt  eine  gewisse  StattHchkeit  der  Anlage.  Er  ist  hufeisenförmig  mit  zwei 
den  Vorderbau  flankierenden,  nach  rückwärts  vorspringenden  Flügeln  angelegt. 
Jeder  von  ihnen  endet  in  einem  hohen  Turm  mit  oberer  Galerie  und  Zopfhaube. 
Offene  Arkaden  auf  toskanischen  Säulen  von  rotem  Marmor  bilden  in  dem  oberen 
Stockwerk  eine  Galerie,  zu  welcher  in  beiden  Flügeln  Freitreppen  unter  ähnhchen 
Arkaden  hinaufführen.  Der  Zugang  zu  den  Treppen  liegt  in  den  Türmen,  deren 
Erdgeschoß  deshalb  eine  offene  Halle  auf  Pfeilern  bildet.  So  originell  und  malerisch 
diese  Anlage  ist,  so  unbedeutend  und  gering  erscheint  die  Formensprache,  in 
welcher  sie  sich  ausdrückt.  Die  Balustrade  an  der  Treppe  und  der  oberen  Galerie 
zeigt  freilich  dieselbe  italienische  Form,  wie  im  Schloß  zu  Spital,  doch  ohne  feinere 
Durchbildung.  Der  Hauptraum  im  oberen  Stock  ist  ein  großer  Prachtsaal  mit 
marmornem  Fußboden  und  Kamin,  an  den  Wänden  sämtliche  Wappen  des  kärn- 
tischen Adels  gemalt.  An  der  Decke  aber  das  Freskobild  und  die  gemalte  Aus- 
stattung des  „Kleinen  Wappensaales",  dessen  Decke  tüchtige  allegorische  Fresken 
zeigt,  hat  laut  inschriftlichem  Zeugnis  Joseph  Ferdinand  Fromiler  1740  ausge- 
führt. Von  den  Gemälden,  mit  welchen  ein  Meister  Flumthal  1580  das  Landhaus 
schmückte^),  ist  nichts  erhalten. 

Schwache  Versuche,  die  Sprache  der  Renaissance  zu  reden,  findet  man  so- 
dann am  Rathause.  Die  Fassade  indes  ist  auch  hier  dürftig,  nur  das  Portal 
zeigt  die  Motive  der  gleichzeitigen  Bauten  von  Graz.  Es  ist  sogar  mit  Halbsäulen 
eingefaßt,  die  gern  korinthisieren  möchten,  aber  es  nicht  ganz  dazu  bringen.  Doch 
sind  die  Löwenköpfe  an  den  Postamenten,  das  Blattwerk  in  den  Bogenzwickeln, 
das  Rahmenprofil  der  Pilaster  und  der  Archivolte  mit  den  runden  Schilden  bei 
aller  Dürftigkeit  charakteristische  Zeugnisse  der  Epoche.  Im  Innern  führt  ein 
gewölbter  Flur  zu  einem  quadratischen  Hofe,  der  mit  seinen  Arkaden  einen  ganz 
italienischen  Eindruck  macht.  Im  Erdgeschoß  ruhen  die  Bögen  auf  weit  gestellten 
toskanischen  Säulen;  in  den  oberen  beiden  Stockwerken  ist  eine  doppelte  Anzahl 
von  Arkaden  durch  Anordnung  von  Säulen  in  den  Interkolumnien  erreicht.  Aber 
die  Formen  sind  auch  hier  ganz  kunstlos,  ja  roh.  Man  sieht,  wie  gering  in  diesen 
Gegenden,  sobald  man  auf  italienische  Künstler  verzichten  mußte,  die  selbständigen 
Leistungen  ausfallen.  Die  mehrfach  an  Privathäusern,  z.  B.  in  der  Burgstraße,  vor- 
kommenden Arkadenhöfe  verraten  dieselbe  Kunstlosigkeit. 

Auffallend  ist  ein  vereinzeltes  Bruchstück  in  einem  Privatgarten  der  St.  Veiter 
Vorstadt.  Es  zeigt  auf  den  vier  Seiten  Taten  des  Herakles  in  flachem  Relief  auf 
gekörntem  Grunde,  in  einer  Behandlung,  die  sich  deutlich  als  Werk  oberitalienischer 
Bildhauer  der  Frührenaissance  verrät.  Auch  die  Gesimse  gehören  der  Renaissance; 
noch  mehr  aber  die  Reliefnachahmung  einer  Geländerdocke  an  der  einen  Seite, 
wo  Herkules  seinen  Arm  um  sie  legt ;  ein  Beweis,  daß  wir  es  hier  mit  dem  Teil 
des  Geländers  einer  Treppe  oder  Galerie  zu  tun  haben,  wie  sie  genau  in  derselben 
Form  im  Schlosse  zu  Spital  vorkommen.  Da  nun  dort  am  Portal  der  Gartenseite  die 

1)  Genaueres  bei  H.  Hermann  a.  a.  0.  II,  208  ff. 

2)  Vgl.  Hermann  a.  a.  0. 


74 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Tirol  uud  Salzburg 


Postamente  der  Pilaster  gleichfalls  mit  Herkulesdarstellungen  in  demselben  Stile 
geschmückt  sind,  so  dürfte  wohl  das  Fragment  in  Klagenfurt  ursprünglich  zur 
Ausstattung  jenes  Schlosses  bestimmt  gewesen  sein. 

Erinnern  wir  nun  noch  an  den  oben  bereits  erwähnten  Brunnen  auf  dem 
Hauptplatz,  so  ist  die  spärliche  Auslese  erschöpft.  Eines  stattUchen,  reich  durch- 
geführten Brunnens  in  Friesach  aber  hätten  wir  noch  Erwähnung  zu  tun.  Ein 
achteckiges  Becken  bildet  den  Wasserbehälter,  an  den  Flächen  mit  mythologischen 
Reliefs,  an  den  einfassenden  Pilastern  mit  Renaissance-Ornamenten  geschmückt. 
Aus  der  Mitte  des  Beckens  erhebt  sich  ein  mit  bärtigen  Atlanten  dekorierter 
Pfeiler,  der  eine  schön  profilierte  Schale  trägt;  dann  folgt  eine  zweite,  mit  spielenden 
Putten  dekorierte  Stütze,  auf  der  die  obere  Schale  ruht.  Diese  endhch  wird  von 
einer  zierlichen  Bronzegruppe  bekrönt.  Das  Ganze  eine  opulente  Arbeit,  die  indes 
kaum  ohne  italienischen  Beistand  hergestellt  worden  sein  wird. 

Tirol  und  Salzburg 

Tirol  ist  von  allen  deutschen  Ländern  vielleicht  dasjenige,  das  von  jeher  in 
nächster  und  lebendigster  Verbindung  mit  Italien  gestanden  hat.  Hier  ist  das 
deutsche  Volkstum  über  den  höchsten  Kamm  der  Gebirge  wie  ein  Keil  weit 
südwärts  ins  Welsche  vorgedrungen.  Einer  der  lebhaftesten  Handelszüge  ging 
seit  alten  Zeiten  über  die  tirolischen  Gebirgspässe,  namentlich  den  Brenner,  nach 
dem  Süden,  um  dem  deutschen  Binnenlande  die  Verbindung  mit  Venedig  und  da- 
durch den  ganzen  Handelsverkehr  mit  der  Levante  zu  vermitteln.  Im  künstlerischen 
Leben  hat  sich  durch  diese  Verhältnisse  ein  Hin-  und  Herwogen  des  deutschen 
und  des  italienischen  Einflusses  herausgebildet.  Jenseits  des  Brenners  kann  man 
diesem  interessanten  Prozesse  auf  Schritt  und  Tritt  nachgehen.  Wie  mannigfach 
sind  in  Brixen  und  Bozen  die  italienischen  Motive  mit  den  deutschen  gekreuzt! 
Genau  so,  wie  in  der  Natur  deutsche  Bergformen  und  deutsche  Pflanzenwelt  sich 
mit  südlichen  zu  hohem  Reize  mischen.  Erst  in  Trient  hat  dann  Italien  völlig 
den  Sieg  davongetragen,  und  Land  und  Leute,  Sprache  und  Gesittung,  Kunst  und 
Kultur  gestalten  sich  völlig  im  Sinne  des  Südens. 

Der  Ort,  wo  jene  Kreuzung  und  Mischung  der  beiden  Kulturen  am  leb- 
haftesten zutage  tritt,  ist  Bozen.  Unverkennbar  spricht  sich  dies  in  dem  monu- 
mentalen Hauptbau  der  Stadt  noch  am  Ende  des  Mittelalters  aus.  Die  Pfarr- 
kirche zeigt  schon  in  dem  großen  lastenden  Dach,  das  die  drei  gleich  hohen 
Schiffe,  offenbar  nach  dem  Vorbilde  von  Sankt  Stephan  in  Wien,  bedeckt,  noch 
mehr  aber  in  der  durchbrochenen  Spitze  ihres  Glockenturmes  die  deutsche 
Art;  ebenso  ist  der  polygone  Chor  mit  dem  Umgang  ein  nordischer  Gedanke. 
Aber  die  isolierte  Stellung  des  Turmes,  die  breite  Form  jenes  Umganges,  dem- 
jenigen am  Dome  zu  Mailand  nicht  unähnlich,  noch  mehr  das  Hauptportal  mit 
dem  Vorbau  auf  marmornen  Löwen,  im  Innern  ferner  die  weite  quadratische 
Stellung  der  Pfeiler  und  die  dem  Romanischen  verwandte  Bildung  der  Stützen 
sowie  der  Gewölbgurte,  das  alles  sind  Umgestaltungen  in  italienischem  Sinn. 
Kein  Wunder,  daß  hier  die  ausgebildete  Renaissance  sehr  zeitig,  und  zwar  in 
der  Richtung  venezianischer  Kunst  auftritt.  Dies  geschieht  an  dem  schönen 
Marmorepitaph  des  Ambrosius  Wirsung  vom  Jahre  1513,  welches  man  außen  an 
der  Nordseite  der  Kirche  sieht.  Der  knieende  Verstorbene,  der  durch  die  Madonna 
dem  mit  Dornenkrone  und  Rute  dastehenden  Erlöser  empfohlen  wird,  darüber 
im  Bogenfelde  der  segnende  Gottvater,  ist  nach  Komposition  und  Formgebung 
ein  in  Stein  übersetzter  Giovanni  Bellini.  Ist  hier  ohne  Zweifel  die  Hand  eines 
italienischen  Meisters  zu  erkennen,  so  zeigen  dagegen  die  Flachreliefs  der  Tür- 
flügel des  Hauptportals  vom  Jahre  1521  in  ihren  schweren  Formen  wahr- 


Bozen  Brixen 


75 


scheinlich  die  Hand  eines  deutschen  Bildschnitzers,  der  in  Italien  die  Renaissance 
kennen  gelernt  hatte. 

Der  Privatbau  der  Stadt  bietet  nichts  Hervorragendes;  aber  die  Anlage 
der  Häuser  ist  im  allgemeinen  beachtenswert,  weil  man  derselben  Zwischenstufe 
zwischen  nordischer  und  südlicher  Sitte  begegnet.  Die  häufig  angebrachten 
vieleckigen  Erker,  einfach  oder  doppelt  die  Fassade  belebend  oder  an  den  Ecken 
hervortretend,  sind  deutsch,  die  überhängenden  Dächer  gehören  den  Alpen;  wie 
aber  das  Klima  in  dem  eng  umschlossenen  Bergkessel  schon  südlich  ist,  so  reden 
die  schmalen  Straßen,  die  Arkadenreihen,  von  italienischem  Brauche.  VorzügHch 
charakteristisch  sind  die  engen,  völlig  gewölbten  Flure  und  die  schmalen  Licht- 
höfe, in  welchen  die  steinerne  Treppe  angelegt  ist.  In  den  stattlicheren  Häusern 
bilden  sich  diese  Lichthöfe  zu  großen,  reich  erleuchteten  Hallen  aus,  an  deren 
Umfassungswänden  die  steinernen  Treppen  freitragend  emporgeführt  sind.  Nach 
außen  markieren  sich  diese  Mittelpunkte  der  Hausanlage  durch  hohe  Dachhauben, 
die  das  unmittelbare  Aufprallen  der  Sonne  aufhalten  und  doch  durch  große  Seiten- 
fenster Licht  und  Luft  zur  Genüge  einlassen.  Eines  der  stattlichsten  Beispiele 
bietet  der  Gasthof  zur  Kaiserkrone.  Die  Anlage  ist  in  der  Tat  aus  den  örtlichen 
klimatischen  Verhältnissen  mit  Notwendigkeit  hervorgegangen. 

Zeigt  Bozen  in  seinen  belebten  engen  Gassen  und  dicht  gedrängten  Häusern 
die  Handelsstadt,  so  prägt  sich  die  geistliche  Residenz  in  dem  stillen,  von  Klöstern 
und  Kirchen  erfüllten  Brixen  aus.  Der  Privatbau  ist  im  ganzen  ohne  feinere 
Durchbildung.  An  der  hohen  Fassade  vertreten  die  häufig  vorkommenden  poly- 
gonen  Erker  deutsche  Sitte;  aber  die  überhängenden  Dächer,  die  Balkone  vor 
den  Fenstern  und  mehr  noch  die  vielfach  angewendeten  steil  aufsteigenden  Zinnen- 
krönungen —  an  die  kastellartigen  Adelspaläste  Bolognas  und  anderer  italienischer 
Städte  erinnernd  —  gehören  dem  Süden.  Vielfach  müssen  auch  Malereien,  eben- 
falls nach  dem  Vorbilde  der  benachbarten  Städte  Oberitaliens,  ursprünglich  die 
Fassaden  belebt  haben.  Ein  hübsches  Beispiel  vom  Jahre  1642,  graue  dekorative 
Fresken,  Putti  mit  Girlanden,  musizierende  Kinder,  Fesions  mit  lustig  flatternden 
Bändern,  sieht  man  an  einem  Hause  auf  dem  linken  Flußufer  bei  der  Brücke. 
Auch  die  Schmiedekunst  hat  sich  in  den  Eisengittern  der  Balkone  mannigfach 
erprobt.  Künstlerisch  durchgebildet  findet  man  den  Typus  dieses  Privalbaues  an 
einem  stattlichen,  der  Nordseite  der  Pfarrkirche  gegenüberliegenden  Privathaus 
(Abb.  46).  Die  verputzten  Flächen  zeigen  mehrfach  Spuren  grauer  dekorativer 
Malereien,  Fruchtschnüre  mit  flatternden  Bändern.  Mit  ihnen  muß  der  rote  Stein 
der  Pfeiler,  Gesimse  und  Fenstereinfassungen  treff'lich  kontrastiert  haben.  Im 
Innern  bildet  sich  ein  großer  Flur,  dessen  Kreuzgewölbe  auf  mittelalterlichen 
Säulen  mit  schlanken  Blattkapitellen  ruhen.  Von  hier  steigt  die  ebenfalls  gewölbte 
steinerne  Treppe  mit  kräftiger  Balustrade  empor.  Neben  ihr  bleibt  ein  schmaler 
Gang  frei,  der  zu  dem  überaus  engen  Hofe  führt,  dieser  auf  der  einen  Seite 
durch  eine  vorgekragte  Galerie,  die  oben  von  rohen  Säulen  aufgenommen  wird, 
noch  mehr  eingeengt.    Es  ist  die  Anlage,  welche  fast  überall  hier  wiederkehrt. 

Der  geistliche  Charakter  der  bischöflichen  Residenz  spricht  sich  vor  allem 
in  den  zahlreichen  Kirchen  aus.  Der  Dom  mit  seinem  Zubehör  bildet  ein  ganzes 
Konglomerat  kirchlicher  Gebäude,  künstlerisch  nicht  eben  erheblich,  für  unsere 
Betrachtung  ohne  Wert.  Doch  mag  daran  erinnert  werden,  daß  der  überaus  reiche 
Freskenschmuck  der  romanischen  Kreuzgänge  wieder  auf  südliche  Einflüsse  deutet. 
Die  Architektur  dagegen  scheint  hier  in  keiner  Epoche  höhere  künstlerische  Durch- 
bildung erfahren  zu  haben.  Dies  gilt  auch  von  dem  stattlichsten  Gebäude,  dem 
südwestlich  vom  Dom  liegenden  Bischöflichen  Palast.  Es  ist  ein  großes 
Viereck,  von  einem  tiefen  breiten  Graben  umzogen,  an  der  südöstlichen  und  süd- 
westlichen Ecke  turmartig  erhöht.    Im  Innern  gruppiert  sich  das  Ganze  um  einen 


76 


2.  Bach    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Tirol  und  Salzburg 


mächtigen  Arkadenhof, 
dessen  Pfeiler  und  Bögen 
ohne  feinere  Ausbildung 
doch  durch  die  stattlichen 
Verhältnisse  imponierend 
wirken.  Dazu  kommt 
noch  in  den  Nischen 
der  breiten  Pfeiler  der 
Schmuck  zahlreicher  Sta- 
tuen von  Kaisern,  Rittern 
und  Bischöfen  in  beweg- 
ter Haltung,  stark  an  die 
Standbilder  der  Innsbruk- 
ker  Hofkirche  erinnernd, 
aber  nicht  in  Metall,  son- 
dern in  trefflicher  Terra- 
kotta ausgeführt.  Die 
Zeit  der  Entstehung  wird 
durch  die  Jahreszahl  1 645, 
die  man  in  einer  Platte 
des  Fußbodens  liest,  be- 
zeichnet. Die  Stuck- 
dekoration des  hinteren 
Flügels  aber  und  der  dort 
aufgesetzte  kleine  Turm, 
sowie  das  Portal  daselbst 
wird  durch  die  Jahres- 
zahl 1707  einer  späteren 
Zeit  zugewiesen, 

Der  Typus  der  Stadt- 
häuser erscheint  in  ma- 
lerischer Umbildung  und 
ländlicher  Vereinfachung 
in  den  Dörfern  und  auf 
dem  Lande ;  sicher  waren 
diese  reizvollen  Land- 
häuser auch  einst  reich 
mit  Maierei  geschmückt, 
wie  sie  noch  gar  häufig 
prächtige  Eisengitter  be- 
sitzen; das  wunderhüb- 
sche Haus  zuBrixlegg 
(Abb.  47)  besaß  gewiß 
früher    eine  Bemalung, 

wie  sie  —  leider  gar  vereinzelt  —  noch  das  prächtige  Gasthaus  zu  Ötz  bewahrt 
hat  (Abb.  48),  in  seiner  Art  ein  Musterbeispiel  ländlicher  Kunsthebe.  Auch  das 
Amthaus  zu  Wenns  prangt  noch  mit  solchem  Schmuck,  wie  er  einst  die  ganzen 
Städte  und  Dörfer  Tirols  zu  farbigen  Prachtbildern  gestaltet  haben  muß. 

Diesseits  des  Brenners  ist  Innsbruck  schon  früh  der  Sitz  eines  regen 
künstlerischen  Lebens  und  ein  Ausgangspunkt  der  Renaissance  gewesen.  Wie 
Kaiser  Maximilian  L  durch  seine  künstlerischen  Unternehmungen,  vor  allem  durch 
sein  Grabmal  und  die  damit  zusammenhängenden  Werke  die  Kunst  gefördert  hat, 


Abb.  46  Wohnhaus  zu  Brixen 


Innsbruck 


77 


Abb.  47  Wohnhaus  zu  Brixlcs 


ist  anderwärts  er- 
örtert. Seine  Gie- 
ßerei in  Mühlau  hat 
Werke  von  hoher 
technischer  Voll- 
endung gescliaffen  ; 

seine  Harnisch- 
macher waren  weit- 
hin berühmt,  so 
daß  sie  selbst  an 
den  prachtlieben- 
den französischen 
Hof  berufen  wur- 
den. Wie  früh  hier 
die  Renaissance  zur 
Aufnahme  kam,  er- 
kennt man  auch 
an  der  Altartafel 
Meister  Sebastian 
Scheels,  die  aus 
der  Schloßkapelle 
von  Annaberg  im 
Vintschgau  in  das 

Museum  von  Innsbruck  gelangt  ist.i) 

Die  Architektur  der  Epoche  hat  zunächst  in  der  Franziskaner-  oder 
Hofkirche  ein  würdiges  Gehäuse  für  das  Grabdenkmal  des  kunstliebenden 
Kaisers  geschaffen.  Laut  der  Bauinschrift  von  Maximilian  gegründet,  wurde  sie 
von  Ferdinand  I.  errichtet  und  von  Leopold  L  weiter  ausgeschmückt  (Abb.  49). 
Schlanke  Säulen  einer  reich  verzierten  ionischen  Ordnung  mit  ornamentiertem 
Hals  tragen  kühn  und  leicht  die  hohen  Gewölbe  der  drei  Schiffe.  Die  Struktur 
deutet  auf  die  Zeit  Ferdinands  I.,  nur  die  barocken  Stuckornamente  der  Gewölbe 

samt  anderen  ähn- 
lichen Dekoratio- 
nen gehören  der 
späteren  Zeit.  Eine 
treffüche  Arbeit 
aus  der  Zeit  um 
1580sinddie  Gh  er- 
st ü  h  1  e ,  die  mit 
ihren  kannelierten 
korinthischen  Pi- 
lastern,  den  elegant 
geformten  Konso- 
len, auf  welchen  die 
Baldachine  ruhen, 
und   der  übrigen 


Abb.  48  Altes  Gasthaus  zu  ütz 


1)  Über  alles  dies 
haben  die  archivali- 
sohenForschungenDr. 
Schön  herrs  um- 
fassende Aufschlüsse 
gebracht. 


78 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Tirol  und  Salzburg 


Gliederung  die  Formen  einer  edlen  Hochrenaissance  mit  strengem  Ausschluß  aller 
barocken  Elemente  zeigen.  Aus  derselben  Zeit,  datiert  1577,  stammt  die  Uhr, 
ebenfalls  eine  gute  Schnitzarbeit  in  reiner  und  schlichter  Formgebung,  sowie  die 
Fürstenloggia  links  im  Chor,  ebenfalls  eine  tüchtige  Holzarbeit,  doch  schon 
mit  etwas  mehr  barocken  Elementen  in  den  Gliederungen  und  Füllungen.  Ein- 
facher dagegen  ist  die  in  die  Loggia  führende  Tür  vom  Jahre  1568,  mit  dori- 
schen Pilastern  eingefaßt,  aber  mit  etwas  barocker  Krönung.  Das  Innere  der 
Tür,  sowie  die  sämtlichen  Wände  der  Fürstenempore  sind  mit  Intarsien  des  edel- 
sten Stiles  bedeckt,  die  mit  ihren  herrlichen  Blumenranken  meisterhaft  in  far- 
bigen Hölzern  ausgeführt  sind.  Diese  prachtvolle  Dekoration  setzt  sich  sogar 
an  den  verborgensten  Feldern  unter  den  Kniebänken,  ja  selbst  im  Fußboden  fort, 
wie  auch  der  Plafond  mit  ihr  bedeckt  ist.^)  In  der  Mitte  der  großen  Wandfelder 
sind  ovale  Ölbilder  aus  der  Geschichte  Christi,  im  Stil  der  raffaelischen  Schule 
fein  ausgeführt,  eingelassen.  Die  schönen  Tischlerarbeiten  stammen  in  der 
Hauptsache  von  Konrad  Gottlieh  in  Innsbruck.  Das  kleine  Oratorium,  welches 
hier  im  Obergeschoß  anstößt,  zeigt  eine  spätere,  aber  immer  noch  würdevolle 
Dekoration  im  Barockstil.  Kehrt  man  in  den  Chor  der  Kirche  zurück,  so  ist 
dort  die  Orgel  noch  als  ein  Werk  edler  und  strenger  Renaissance  anzuführen. 
Auch  die  beiden  schön  aufgebauten,  auf  Delphinen  ruhenden  und  mit  Akan- 
thuslaub  geschmückten  Bronzekandelaber  sind  als  gediegene  Werke  der  besten 
Zeit  zu  nennen.  Zum  Schönsten  seiner  Art  muß  man  das  prachtvolle,  reich 
vergoldete,  in  Blumen  und  Figuren  auslaufende  Eisengitter  rechnen,  welches 
das  berühmte  Denkmal  des  Kaisers  umgibt.  Nicht  minder  wertvoll  ist  das  ähn- 
lich behandelte  Gitter  an  der  zur  silbernen  Kapelle  führenden  Treppe.  Am  Denk- 
mal selbst  fallen  die  schwarzen  Marmorpilaster  mit  eleganten  frei  im  Stil  der 
Frührenaissance  gebildeten  Volutenkapitellen  und  Rahmenschäften  auf.  Die  In- 
schriftschilde zeigen  Einfassungen  von  aufgerollten  Voluten  und  anderen  Formen 
der  flandrischen  Renaissance  der  Schule  des  Cornelius  Floris.  Das  schöne  Portal 
der  Kirche  mit  seiner  auf  Säulen  ruhenden  Vorhalle  trägt  das  Gepräge  der  ita- 
lienischen Frührenaissance. ^)  Der  links  anstoßende  Kreuz  gang  mit  seinen 
schlichten  dorisierenden  Pfeilern  von  rotem  Marmor,  den  Wandpilastern  und  meh- 
reren einfach  behandelten  Portalen  gehört  der  ausgebildeten  Renaissance  an. 

Erhebliche  Schöpfungen  der  Renaissance  besitzt  im  übrigen  die  Stadt  nicht. 
Ein  origineller,  doch  anspruchsloser  Bau  ist  indes  das  Schulhaus  in  der  Ball- 
gasse, besonders  wegen  seines  kleinen  quadratischen  Hofes,  der  nach  italienischer 
Weise  in  vier  Stockwerken  mit  Arkaden  auf  dorischen,  toskanischen,  ionischen 
und  korinthischen  Säulen,  alles  sehr  einfach  in  Holz  ausgeführt,  geschmückt  ist, 
wobei  die  originell  ausgeschnittenen  Geländer  durch  ein  Flechtwerk  von  eisernen 
Bändern  verbunden  sind.  Ein  kleiner  Brunnen  und  der  offene  Treppenaufgang  er- 
höhen noch  das  Malerische  der  hübschen  Anlage.  Ein  anziehendes  Beispiel  des  Uber- 
ganges von  Gotik  zur  Renaissance  bietet  ein  Hausportal  in  der  Inngasse,  das 
zwar  eine  in  gotischer  Weise  aus  durchschneidenden  Stäben  geformte  Einfassung 
hat,  aber  von  schmächtigen  Renaissancesäulchen  mit  hübschen  Kapitellen  ein- 
gerahmt wird,  darüber  ein  Fries  mit  zwei  abenteuerlichen  Delphinen,  die  in 
Weinranken  endigen.  An  einem  anderen  Hause  Nr.  2  in  der  Inngasse,  vom 
Jahre  1572,  sieht  man  trotz  dieses  späten  Datums  neben  Renaissancepilastern 
gotische  Maßwerke;  dazu  einen  polygonen  und  einen  breiteren  geraden  Erker,  deren 
Innsbruck  noch  manche  aufweist.  Zwei  polygone  Erker  besitzt  auch  das  statt- 
liche Haus  am  oberen  Stadtplatz,  welches  ehemals  ein  fürstlich  Auerspergisches 
Palais  war.   Es  hat  spitzbogige  Arkaden  mit  spätgotischen  Maßwerken,  auch  däe 

1)  Aufnahmen  dieser  Arbeiten  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Abt.  IV,  Bl.  32 — 47. 

2)  Abgeb.  bei  v.  Bezold,  Die  Bank,  der  Renaiss.  in  Deutschland,  Fig.  14. 


Abb.  49   Inneres  der  Franziskaner-Hofkirche  zu  Innsbruck 
(Nach:  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Eenaissance) 


80 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel    Tirol  und  Salzburg 


Füllungen  unter  den  Fenstern  sind  ebensolche.  Aber  die  kleinen,  aus  rotem 
Marmor  gearbeiteten,  jedoch  mit  Tünche  überschmierten  Wappen  an  der  untersten 
Fensterbank  sind  von  hübschen  Renaissancerahmen  mit  Pilastern  eingefaßt. 
Reicher  und  in  ähnhcher  Stilmischung  ebendort  das  Katzungsche  Haus,  ebenfalls 
mit  polygonem  turmartigen  Erker  geschmückt,  in  den  Fensterfüllungen  mit  pracht- 
vollen, den  besten  Stil  der  Renaissance  atmenden  Reliefs  von  Turnierszenen  leben- 
digster Art  dekoriert,  während  in  den  oberen  Feldern  wieder  spätgotisches  Maß- 
werk auftritt. 

Alle  diese  dem  Übergang  angehörenden  Bauten  werden  etwa  den  vierziger 
Jahren  des  16.  Jahrhunderts  angehören;  es  findet  sich  das  Datum  1541  an  dem 
Hause  der  Pfarrgasse  Nr.  4  mit  dem  kleinen  polygonen  Erker  auf  gotisch  pro- 
fihertem  Kragstein  und  den  hübschen  Wappen  im  reizendsten  Stil  der  Renaissance 
an  den  Fenster brüstungen.  Dabei  die  Inschrift:  „Sapienter  illi  cogitant  qui  tem- 
poribus  secundis  casus  adversos  reformidant."  In  diesem  Hause  findet  sich  ein 
eiserner  Ofen  aus  derselben  Zeit,  an  beiden  Seiten  mit  einer  weibhchen  Figur 
in  reich  ornamentierter  Nische  geschmückt,  das  Ganze  lebendig  gegliedert  und 
mit  fein  gezeichnetem  Laubwerk  ausgestattet,  eine  tüchtige  Arbeit.  —  Von  kunst- 
vollen Schlosser-  und  Schmiedewerken  sieht  man  in  der  Stadt  noch  manches  an- 
ziehende Beispiel.  Am  Goldnen  Adler  ein  schönes  Schild  mit  Blumen  und  Ranken 
vom  Jahre  1632;  ähnliche  treffliche  Gasthausschilder  am  Bären  und  am  Wilden 
Mann  in  der  Innstraße,  am  Roten  Adler  in  der  Seilergasse,  noch  schöner  und 
vielleicht  etwas  früher  am  Goldnen  Löwen  ebenda,  auch  am  Weißen  Roß  in  der 
Ballgasse,  hier  jedoch  später  und  weniger  organisch  entwickelt.  —  Zu  erwähnen 
ist  endhch  auch  als  tüchtiges  Renaissancewerk  das  Epitaph  des  trefflichen  Erz- 
gießers  Gregor  Löffler  (f  1565)  in  der  Kirche  zuHötting,  der  jenseits  des  Inn 
gelegenen  Vorstadt  Innsbrucks,  zierUch  und  fein.  Mancherlei  hübsche  Turm- 
gestaltungen erhöhen  den  Reiz  des  städtischen  Bildes.  So  der  Feuerturm  an  der 
Hauptstraße  (Abb.  50). 

An  diese  Zeit  knüpft  sich  eine  weitere  höchst  tätige  Periode  des  Übergangs 
zum  Barock.  Das  Postgebäude  mit  seinen  ungemein  grotesken,  hochorigi- 
nellen Masken  im  Hauptgesims  ist  ein  reich  ausgeprägter  Bau  der  Art.  Dasselbe 
gilt  von  dem  Landschaftshaus,  das  mit  den  gewaltigen  elefantenmäßigen 
verjüngten  Pilastern  am  Portal,  über  den  sich  der  Balkon  aufbaut,  eine  imposante 
Wirkung  macht.  Prachtvoll  ist  auch  der  Hof  mit  der  großartig  angelegten  Treppe, 
eine  echt  italienische  Anlage.  Endlich  weist  das  am  Inn  gelegene  Landes- 
gericht im  Hauptgesims  eine  Reihe  von  Masken,  die  an  grotesker  Phantastik 
diejenigen  des  Postgebäudes  noch  übertreffen. 

Reichere  Spuren  der  Kunstpflege  dieser  Zeit  bewahrt  die  berühmte  Burg 
Ambras,  die  so  herrlich  von  ihrer  Felsenhöhe  auf  das  großartige  Gebirgstal 
niederschaut.  Als  Kaiser  Ferdinand  L  1563  längere  Zeit  in  Innsbruck  verweilte, 
schenkte  er  wahrscheinhch  damals  seinem  gleichnamigen  Sohne  Schloß  und  Herr- 
schaft Ambras,  welche  dieser  dann  im  folgenden  Jahre  seiner  gehebten  Gattin 
Phihppine  Welser  übertrug,  i)  Das  waren  die  goldenen  Tage  der  Burg.  Damals 
wurde  sie  aus  einer  mittelalterlichen  Veste  zu  einem  glänzenden  Fürstensitze  um- 
geschaflfen  und  sah  jene  herrlichen  Sammlungen  in  ihren  Räumen  entstehen  und 
sich  mehren,  von  denen  jetzt  nach  ihrer  Übertragung  in  die  Hauptstadt  des 
Reiches  nur  noch  geringe  Überbleibsel  an  ursprünghcher  Stelle  zeugen.  Der 
architektonische  Charakter  der  vorhandenen  Gebäude  beweist,  daß  damals  eine 
durchgreifende  Umgestaltung  vorgenommen  wurde.  Schon  im  Unterschloß  zeigt 
der  Hof  Arkaden  auf  toskanischen  Säulen,  welche  dieser  Zeit  angehören.  Im 


1)  Buchholtz,  Ferdin.  I.  Bd.  VIII.  S.  725. 


Schloß 

Burghofe  (Abb.  51)  wird,  statt  einer  rei- 
cheren architektonischen  Ausbildung, 
durch  grau  in  grau  gemalte  Fresken  ein 
heiteres  Bild  entfaltet.  Unten  sieht  man 
fassettierte  Quadern,  oben  gemalte  Ni- 
schen mit  Figuren  von  Tugenden,  dann 
den  Triumph  des  Reichtums,  Judiths  Sieg 
über  Holofernes,  sowie  die  Szene  aus  den 
Gesta  Romanorum,  wo  die  Söhne  nach 
der  Leiche  des  Vaters  schießen.  Die  Ar- 
beiten sind  von  mittlerem  Wert,  aber  von 
guter  Gesamtwirkung.  Von  den  inneren 
Räumen  ist  die  Kapelle  noch  gotisch  mit 
Sterngewölbe,  die  Empore  für  die  Herr- 
schaft auf  stämmiger  Mittelsäule  ruhend, 
die  Apsis  achteckig;  das  Ganze  ist  re- 
noviert. Die  alte  Orgel  zeigt  prächtig 
eingelegte  Arbeit  und  Malereien.  Gegen- 
über der  Kapelle  hegt  das  Bad  mit  einem 
hübschen  Vorzimmer,  dessen  reich  profi- 
lierte Decke  gleich  dem  untern  Teil  der 
Wände  aus  Holzgetäfel  besteht.  Die 
oberen  Wandflächen  waren  mit  arg  zer- 
störten Fresken  geschmückt,  welche  hei- 
tere Badeszenen  enthielten.  Über  der  Tür 
die  Jahreszahl  1567,  die  wohl  für  die 
ganze  Ausstattung  maßgebend  ist. 

Im  Hochschloß  sind  sowohl  im  ersten 
wie  im  zweiten  Stock  die  Zimmer  großen- 
teils noch  mit  ihrem  Täfelwerk  an  den 
Decken  und  mehrfach  an  den  Wänden 
versehen.  Diese  Arbeiten  sind  in  jeder 
Hinsicht  vortreffhch  gezeichnet  und  aus- 
geführt, doch  meist  von  einer  gewissen 
zurückhaltenden  Noblesse  (Abb,  52).  Ein 
Schlafzimmer  zeigt  eine  ungemein  reich- 
geschnitzte und  eingelegte  Decke.  Auch 
der  Speisesaal  hat  eine  durch  ihre  per- 
spektivische Einteilung  interessante  Ver- 
täfelung.  Von  der  Ausstattung  sind 
manche  tüchtig  gearbeitete  Schränke, 
Schreibtische,  Kunstschreine,  Schmuck- 
kästen u.  dgl.  erhalten;  manches  aber  ist 
auch  erst  neuerdings  dazugefügt  worden. 
Wichtig  ist  eine  ganze  Reihe  alter  gla- 
sierter Öfen,  zum  Teil  mit  plastischem 
Schmuck,  von  großem  Reichtum,  durch- 
weg indes  schon  in  den  derben  Formen 
des  17.  Jahrhunderts  ausgeführt.  Auch 
ein  gußeiserner  Ofen  derselben  Zeit  mit 
bibhschen  Rehefdarstellungen  ist  erhal- 
ten. Diese  Arbeiten,  die  wohl  sicher  im 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland 


Ambras  g| 


Abb.  50  Stadt-  oder  Feuerturm  zu  Innsbruck 
3.  Aufl.  6 


82 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Tirol  und  Salzburg 


Lande  entstanden  sind,  zeugen  von  der  langandauernden  Blüte  des  hiesigen 
Kunsthandwerks . 

Berühmt  ist  vor  allem  aber  der  riesige  1571  fertiggestellte  „spanische  Saal" 
(Abb.  53),  der  zu  ebener  Erde  unten  an  das  Schloß  vorgebaut  ist,  ein  Raum  von 
fast  45  auf  10  Meter  Länge  und  Breite;  ihn  bedeckt  der  gewaltigste  Holzplafond 
mit  reichen  Kassettenfeldern,  schön  eingelegt,  eine  Glanzarbeit  der  deutschen 
Renaissance.  Die  weißen  Wände  mit  ihrer  langen  Fensterreihe  sind  prächtig  mit 


Abb.  51   Schloß  Ambras   Äußeres  mit  spanischem  Saal 


Grotesken  bemalt  und  enthalten  in  langen  Reihen  Porträts  aus  dem  Herrscher- 
hause, sind  dazu  mit  Jagdemblemen,  insbesondere  Geweihen,  geschmückt.  Dieser 
Festraum  darf  als  einer  der  maßgebenden  in  den  deutschen  Landen  bezeichnet 
werden;  ein  Prachtwerk  und  eine  glänzende  Leistung  deutscher  Kunst  nahe  an 
den  Grenzen  deutschen  Wesens.  Holzdecke  und  Türen  von  Konrad  Gottfried, 
Hoftischler  in  Innsbruck. 

Von  den  zahlreichen  Schlössern  des  Landes^)  ist  manches  zerstört,  das 
meiste  übrigens  in  Anlage  und  Ausführung  mittelalterlich.  Charakteristisch  ist 
bei  diesen  Werken  von  jeher  die  hohe  Vorliebe  für  Freskodekoration.  So  in  um- 
fassendster Weise  die  berühmten  Wandgemälde  auf  Schloß  Runkelstein  bei 


1)  Manche  wertvolle  Notizen  in  zwei  Aufsätzen  der  Beil.  zur  AUg.  Ztg.  1868,  Nr.  305  u.  3S1. 


Tiroler  Schlösser 


83 


Bozen,  ferner  im  Schlosse  Reifenstein  bei  Sterzing,  im  Schlosse  Bruck  bei 
Lienz,  im  Rentamtsgebäude  zu  Meran  usw.  Aus  der  Zeit  der  Renaissance  ent- 


Abb.  52   Täfelung  aus  Schloß  Ambras 


hielten  Schloß  Mayenburg  bei  Völlau,  die  Ghurburg  (Vintschgau),  Schloß  Cles, 
Valerio  u.  a.  mythologische,  allegorische  und  historische  Darstellungen.  Reich 
ausgestattet  und  mit  wertvollen  Schätzen  des  Altertums  geschmückt  ist  Schloß 
Tratzberg,  durch  seinen  kunstsinnigen  Besitzer  würdig  hergestellt  (Abb.  54). 


Abb.  54  Zimmer  aus  Schloß  Tratzberg 


Abb.  56   Fürstensaal  aus  Schloß  Velthurns 


86 


2.  Buch   Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Tirol  und  Salzburg 


Ein  völlig  erhaltenes  reizvolles  Werk  der  Renaissance  ist  Schloß  Velthurns  bei 
Brixen,  das  von  1580 — 87  vom  Fürstbischof  Freiherrn  von  Spaur  als  Sommer- 
residenz erbaut  wurde.  Wir  sind  über  die  Verfertiger  der  köstlichen  Ausstattung 
(Abb.  55  und  56)  außerordentlich  gut  unterrichtet:  der  kunstreiche  Meister  der 
meisten  Holzarbeiten  war  Hans  Spineider  aus  Meran ;  der  wunderbar  schöne  Ofen 
des  Fürstensaales  stammt  von  Paul  Pietschdorfer  in  Bozen  (1583),  die  grünen 

Ofen  von  Paul  Brug- 
ger in  Brixen.  Die 
Schnitzarbeiten  fer- 
tigte Thomas  Barth 
aus  Bruneck.  Auch 
die  Schlosser,  die  die 
feinen  Beschläge  der 
Türen  lieferten,  wer- 
den genannt ;  nicht 
nur  drei  in  Brixen, 
sondern  selbst  einer 
in  Augsburg  wurden 
damit  betraut. 

Das  einfache  Äu- 
ßere des  Haupt-  wie 
Nebenhauses  hat  eine 
bescheidene  Gliede- 
rung durch  dreiseitige 
Erker;  die  Putzflächen 
um  die  Fenster  und 
an  den  Ecken  aber 
waren  mit  reizvoller 
buntfarbiger  Kartu- 
schemalerei gefüllt, 
deren  Spuren  noch 
überall  zu  sehen  sind, 
und  die  von  der  Kunst 
der  trefflichen  Meister 
Hans  Vogler  nndDaniel 
Solbach  in  Brixen  eine 
sehr  vorteilhafte  Vor- 
stellung geben.  1)  Die 
prächtigenTäfelungen 
des  Fürstensaales  gehören  zu  den  allerschönsten  in  Deutschland,  wie  kaum  minder 
die  der  kleinen  Säle  und  Zimmer,  die  sich  in  den  beiden  oberen  Stockwerken 
über  dem  einfachen  gewölbten  Erdgeschoß  verteilen.  Oberhalb  der  Täfelungen 
sind  überall  zierliche  Freskobilder  statt  Tapeten  angebracht,  so  im  Fürstensaal 
die  der  sieben  bauhchen  Weltwunder.  Prachtvolle  Portale  mit  Säuleneinfassungen 
und  reichen  Aufsätzen  führen  in  die  Nebenräume;  reiche  Kassettendecken  mit 
vergoldeten  Profilen  bedecken  die  Räume;  herrliche  Öfen  schmücken,  ein  drei- 
seitiger reizender  Erker  in  zwei  Stockwerken  erweitert  sie.  So  einfach  und  länd- 
hch  bescheiden  das  Äußere  erscheint,  so  delikat  und  anmutig  ist  das  Innere,  das 
auch  einer  schön  eingelegten  Täfelung  in  der  Kapelle  nicht  entbehrt.^) 

1)  Ortwein,  Ren.  in  Österreich,  Abt.  IV,  Taf.  1  —  30. 

2)  Malerische  Innenräume  in  Österreich,  Wien  1891,  Taf.  8—10,  15 — 18.  Schloß  Velthurns 
und  seine  Schätze,  Berlin,  16  Taf. 


Abb.  57   Hof  von  Schloß  Kampann  bei  Kaltem 


Tiroler  Schlösser 


87 


Fresken  und  Sgraffiten  außen  und  innen  sind  überall  im  Lande  noch  in 
zahlreichen  Resten  vorhanden.  Unter  vielen  anderen  ist  Schloß  Ehrenburg 
unterhalb  Brunecken  ein  Beispiel  reicher  Sgraffitodekoration.  Endhch  hat  das 
kleine  Sophienschlößchen  zu  Aufhofen  bei  Bruneck  im  Innern  wohlerhaltene 
Täfelungen  und  Decken,  sowie  einen  prachtvoll  dekorierten,  bunt  glasierten  Ofen 
vom  Jahre  1613.  An  einer  der  reich  durchgebildeten  Türen  des  Hauptzimmers 
liest  man  die  Jahreszahl  1609.i) 


Abb.  58   Paal  aus  Schloß  Kampann  bei  Kaltem 


Noch  zu  nennen  sind  außer  vielen  Schloß  Swanburg  bei  Nals,  mit 
reizenden  Bogenhallen  und  Treppen  seiner  Höfe,  Schloß  Kampann  bei  Kaltem 
(Abb.  57  und  58),  eine  geschlossene  Masse  mit  schräg  gestellten  Erkern  an  der 
Ecke  und  feinem  Arkaden-  und  Säulenhof;  Schloß  des,  hochragende  Burg  im 
Val  di  Non,  mit  prachtvollen  Innenräumen;  Schloß  Enn,  ein  außen  wie  innen 
hochraalerischer  Bau,  und  so  viele  andere  noch;  Ghurburg  (Abb.  59  und  60) 
im  Vintschgau  usw.  Zu  erwähnen  bleibt  die  offenbar  einst  allgemein  verbreitete 
Bemalung  des  Äußeren,  meist  in  Fensterumrahmungen  und  Eckquaderungen 
bestehend;  aber  auch  ornamentale  Friese,  figürUche  Malereien  zwischen  den 
Fenstern  und  anderes  ist  häufig.  Hierfür  seien  genannt:  Schloß  Finster- 
berg (Vintschgau),  die  Fischburg  (Grödner  Tal),  des  im  Val  di  Non,  Zin- 
nenburg in  Eppan  usw.  —  Auch  Hallen,  Korridore,  Gewölbe  und  alle  irgend 
dafür  nutzbaren  Flächen  nehmen  an  der  Bemalung  teil,  so  in  Schloß  Anger, 
Dornsberg. 


1)  Vgl.  den  Aufsatz  Ton  K.  Freiherrn  v.  Czoernig  in  den  Mitteil,  der  k.  k.  Zentr.-Komm. 
1878  S.  43  ff.,  mit  guten  Abbildungen  zweier  Türen,  des  Plafonds  und  des  Ofens. 


88 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel    Tirol  und  Salzburg 


Schloß  Trost  bürg  bei  Weidbruck  enthält  einen  der  allerreichst  ge- 
schmückten Säle  der  Renaissance,  der  im  Charakter  seiner  schönen  Dekoration 
etwas  an  das  Mausoleum  zu  Seckau  gemahnt.  Ein  prächtiger  Holzplafond  deckt 
ihn.i)  Die  Wände  sind  mit  weißer  Stuckarchitektur,  mit  schlanken  Säulchen  und 
Nischen  auf  das  üppigste  bekleidet,  die  Türen  auf  das  stärkste  betont.  Lebens- 
große Rittergestalten  füllen  die  Nischen,  allegorische  und  mythologische  Figuren 
beleben  die  oberen  Teile.  Der  Gesamtcharakter  der  Architektur  wie  das  Einzelne 


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Abb.  59  Kapellenzimmer  aus  Schloß  Churburs 


deuten  auf  deutsche  Künstler,  klingen  öfters  selbst  etwas  ans  Niederländische  an. 
—  Der  malerische  trotzige  Burgbau,  da  wo  sich  Eisack-  und  Grödener  Tal  ver- 
einigen, stolz  und  hoch  gelegen,  ist  im  16.  Jahrhundert  durch  die  Grafen  Wolken- 
stein erheblich  verschönert  und  bereichert  worden. 

An  Innenräumen  mit  schöner  innerer  Holzausstattung,  insbesondere  der 
Frührenaissance  ist  überhaupt  im  Lande  kein  Mangel.  Es  sei  da  z.  B.  auf  eine 
solche  in  St.  Michael  (Eppan)  hingewiesen-),  das  auch  im  malerischen  Privat- 
bau des  16.  Jahrhunderts  höchst  reizvolle  Werke  aufzuweisen  hat  (Abb.  61). 

Kaum  eine  andere  Stadt  diesseits  der  Alpen  gibt  sich  so  bestimmt  und 
machtvoll  als  geistliche  Residenz  zu  erkennen,  wie  Salzburg.  Zugleichmachen 
die  hohen  Häuser  mit  ihren  kahlen  Fassaden,  den  flachen  oder  wenig  geneigten 

1)  Malerische  Innenräume  Taf.  20. 

2)  Daselbst  Tal'.  19. 


Salzburg 


89 


Dächern,  die  engen  Straßen,  die  weiten  Plätze  mit  ihren  pomphaften  Brunnen 
und  Monumenten  einen  so  völHg  südUchen  Eindruck,  als  sei  ein  Stück  Itahen  in 
Deutschland  zur  Erde  gefallen.  Alle  Kunstübung  ist  hier  von  jeher  eine  geisthche 
gewesen.  Von  der  Tätigkeit  im  frühen  Mittelalter  zeugen  noch  trotz  mancher 
Zerstörungen  die  Kreuzgänge  auf  dem  Nonnberge  mit  ihren  Wandgemälden,  die 
Kirchen  zu  St.  Peter  und  zu  den  Franziskanern.  Die  Gotik  dagegen  hat  außer  dem 
prächtigen  Schlosse  Hohen- 
s  alz  bürg  hier  keine  erheb- 
Uche  Blüte  getrieben;  doch 
gehört  dieses  zu  den  ein- 
drucksvollsten Bauwerken  sei- 
ner Art.  Der  gewaltige  Bau, 
mit  riesigen  horizontalen 
Massen  auf  seinem  Felsklotz 
Stadt  und  Landschaft  in  gran- 
diosester Weise  weithin  be- 
herrschend, gehört  sicher  zu 
den  stolzesten  Residenzen 
jener  Zeit,  und  Fürstbischof 
Leonhard,  der  sie  von  1496 
bis  1515  in  ihrer  heutigen 
Gastalt  errichtete,  erscheint 
uns  als  ein  echter  Renaissance- 
fürst, obzwar  die  gesamte 
künstlerische  Gestaltung  und 
Ausstattung  des  Schlosses 
noch  in  üppigster  Spätgotik 
gehalten  ist.  Aber  die  weiten 
Hallen  und  riesigen  Treppen, 
die  breiten  und  hohen  Säle 
mit  ihrer  prachtvollen  ge- 
schnitzten Ausstattung  an 
Wänden  und  Decken  atmen 
trotz  ihrer  gotischen  Formen- 
fülle wahren  Renaissance- 
geist, zeigen  eine  Raumkunst 
und  Schönheit,  die  dem  Mittel- 
alter fremd  war. 

Ein  großartiges  Unter- 
nehmen der  wirklichen  Re- 
naissancezeit bleibt  vor  allem  Abb.  60  Tür  des  Kapellenzimmers  aus  Schloß  Churburg 
dem  aber  der  Bau  des  Doms 

und  seiner  Umgebung,  der  Residenz  nebst  dem  Platze,  der  dem  Dom  als  Vor- 
hof dient.  Die  nach  dem  Brande  von  1598  zuerst  nach  den  Angaben  Scamozzis, 
dann  nach  dem  Plane  des  Santino  Solari  erstandene  wuchtige  Kathedrale  gehört 
in  Aufbau  und  Ausstattung  zu  den  kraftvollsten  Leistungen  des  italienischen 
Kirchenbaus,  wenn  auch  in  der  Anlage  die  mittelalterliche  Gestaltung  ihres  Vor- 
gängers noch  durchleuchtet.  Der  mächtige  Ernst  des  geschlossenen  Äußeren, 
die  wirkungsvoll  durchgeführte  Ausgestaltung  des  Inneren  in  reicher  farbiger 
Stukkatur  sprechen  noch  von  echter  Renaissancegesinnung;  man  kann  das  Ganze 
kaum  irgendwie  bereits  barock  nennen.  Mit  dem  Bau  der  nördlich  gelegenen 
Residenz  und  den  südlich  gelegenen  Vorbauten  des  Petersklosters  zusammen  ist 


90 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Tirol  und  Salzburg 


die  zweitürmige  Westfront  des  Doms  zu  einer  Platzanlage  zusammengeschmolzen, 
in  den  Zwischenräumen  und  an  der  Westseite  durch  Säulenhallen  ausgefüllt,  die 
diesseits  der  Alpen  ihresgleichen  nicht  findet.  Allerdings  durchaus  im  Geiste 
Italiens,  dem  auch  der  Palast  der  Residenz  und  die  sonstigen  Neubauten  des  Erz- 
bischofs  Wolf  Dieterich  und  seines  Nachfolgers,  der  Neubau  (1588),  die  schönen 

Tore  der  Stadt  und 
vieles  andere  ent- 
sprossen. 

Von  besonde- 
rem Reize  aber  ist 
die  köstliche  Villen- 
anlage des  genann- 
ten Kirchenfürsten 
zu  Hellbrunn 
(1613)  mit  ihren 
reizvollen  Garten- 
anlagen, Grotten, 
Wasserwerken.  Ist 
auch  die  Gesamt- 
anlage ebenfalls 
eine  echt  südliche, 
so  bleibt  doch  das 
eigentliche  Schlöß- 
chen mit  seinem 
hohen  Dache  und 
seiner  malerischen 
Erscheinung  noch 

ein  nordisches 
Werk.  Der  prunk- 
volle Saal  darin  mit 
Freskenschmuck 
ist  nach  Cornelius 
Gurlitt  durchaus 
noch  als  ein  Re- 
naissancewerk zu 
bezeichnen. 

Malerisch  zeigt 
sich  die  Anlage  des 
Kirchhofs  bei  St. 


Abb. 61    Zinnenberg  zu  Eppan 


Peter,  eines  der  wenigen  in  Deutschland  vorhandenen  Beispiele  eines  von  Arkaden 
umschlossenen  Friedhofes,  wie  ItaUen  sie  liebt.  Die  Bögen  ruhen  auf  toskanischen 
Säulen,  zwischen  denen  Rustikapfeiler  eingeschoben  sind;  die  einzelnen  Arkaden 
sind  durch  mannigfaltige  eiserne  Gilter  zu  besonderen  Kapellen  abgeschlossen, 
die  architektonischen  Formen  indes  ziemUch  ländlich  und  ohne  Feinheit.  Ähnlich 
der  Kirchhof  von  St.  Sebastian. 

Von  gut  deutschem  Wesen  zeugen  die  zahlreichen  trefflichen  Eisenarbeiten, 
namenthch  das  schöne  Gitter  im  Hauptportal  der  Residenz;  mehrere  treffliche 
Eisengitter  in  der  Franziskanerkirche,  das  schönste  rechts  vom  Eingang  an  der 
Kapelle  des  hl.  Antonius  von  Padua.  Auch  die  Einfassung  des  Ruperts-Brunnens 
auf  dem  Marktplatze  ist  beachtenswert^),  merkwürdigerweise  erst  von  1687. 


1)  Ortwein  a.  a.  0.  Bd.  II  Bl.  70. 


Salzburg 


91 


Macht  sich  hier  wie  im  südöstlichen  alten  Deutschen  Reiche,  also  in  Öster- 
reich und  dem  eigentlichen  Bayern,  die  Nähe  Italiens  durch  die  außerordentliche 
Verbreitung  des  Stucks,  insbesondere  im  Innern  der  Bauwerke  —  am  meisten  der 
Kirchen  —  überall  geltend,  so  findet  sich  darunter  doch  hie  und  da  ein  Werk 
mehr  nordischen  Charakters,  bei  dem  weiträumige  und  großförmige  Klarheit  und 
wuchtige  Pracht 
des  Südens  zu- 
gunsten zierlich- 
malerischer Wir- 
kung zurücktritt. 
Davon  sei  hier  vor 
allem  der  reizvolle 
Ausbau  der  Chor- 
kapelle der  Fran- 
ziskanerkirche ^) 
genannt,  der  von 
Wolf  Dieterich  und 
seinen  Nachfolgern 
geschaffen  wurde. 
Insbesondere  die 

frühesten  nörd- 
lichen Kapellen  mit 
der  prächtigen  Ein- 
rahmung in  Halb- 
säulenarchitektur 
und  der  eigent- 
lichen farbigen  in- 
neren Ausstattung 
zeigen,  daß  aus  der 
Mischung  südlicher 
feiner  Formen  und 
nordischer  mittel- 
alterlich anklingen- 
der malerisch-zier- 
licher Art  ganz 
eigenartige  neue 
Gestaltungen  er- 
wachsen können 
(Abb.  62). 


Abb.  62   Chor  der  Franziskanerkirche  zu  Salzburg 


Böhmen  und  Mähren 

Von  allen  übrigen  österreichischen  Ländern  unterscheidet  sich  im  Verlauf 
der  künstlerischen  Entwicklung  das  Königreich  Böhmen.  Schon  früh  nimmt  es 
auch  politisch  eine  gesonderte  Stellung  ein  und  weiß  seine  Selbständigkeit  am 
längsten  zu  behaupten.  Durch  vielfache  Beziehungen  zu  den  benachbarten  deutschen 
Gebieten  gewinnt  seine  Kultur  bereits  im  Mittelalter  manch  kräftigen  Impuls,  am 
wirksamsten  unter  Karl  IV.  (1346—78)  durch  die  Verbindung  mit  der  Lausitz,  der 
Oberpfalz  und  den  Brandenburgischen  Marken.  Wenn  auch  nicht  gerade  durch  be- 
sondere Feinheit  und  harmonische  Durchbildung,  zeichnen  sich  doch  die  Werke 
der  böhmischen  Gotik  durch  manchen  originellen  Zug  und  kühne  Konstruktionen, 
wie  an  der  Karlskirche  zu  Prag,  durch  üppige  Dekorationslust,  wie  an  den  Chören 

1)  Interieurs  von  Kirchen  in  Österreich,  "Wien  1902,  Taf.  7,  85. 


92 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Böhmen  und  Mähren 


des  Domes  zu  Prag  und  der  Barbarakirche  zu  Kuttenberg,  endlich  durch  eire 
gewisse  malerische  Phantastik  aus,  wie  sie  an  den  Kirchen  zu  Laun,  Brüx  urd 
Pilsen,  vor  allem  aber  an  den  zahlreichen  Türmen  mit  ihren  wunderlichen  Spitzen 
und  Galerien  zu  finden  ist. 

Die  Einführung  des  Renaissancestils  fand  hier  unter  wesenthch  anderen  Ver- 
hältnissen statt,  als  in  den  übrigen  Ländern  des  deutschen  Reiches.  Durch  d  e 
Hussitenstürme  war  nicht  allein  die  gesamte  Kunsttätigkeit  auf  nahezu  ein  halbes 
Jahrhundert  unterbrochen  worden,  sondern  es  waren  auch  die  Künstler  und  ge- 
schickten Handwerker  teils  ausgewandert,  teils  im  Laufe  der  Bürgerkriege  ohne 
Nachwuchs  untergegangen.  In  dem  langen  Zeitraum,  der  zwischen  dem  Abzug  der 
Deutschen  aus  Prag  (1409)  und  der  Thronbesteigung  des  Königs  Georg  von  Podie- 
brad  (1458)  liegt,  wurde  im  ganzen  Lande  nicht  ein  einziger  kunstgerechter 
Bau  ausgeführt,  wohl  aber  hunderte  von  Städten,  Klöstern  und  Ortschaften  zer- 
stört, wie  denn  die  hussitische  Revolution  nichts  anderes  im  Gefolge  hatte,  als 
die  entsetzlichste  Verwüstung.  Auch  die  Regierungsperiode  Podiebrads  kam 
noch  nicht  als  eine  friedliche  und  der  Kultur  günstige  bezeichnet  werden,  ob- 
wohl es  diesem  hochbegabten  und  rastlos  tätigen  Regenten  gelang,  einigermaßen 
geordnete  Zustände  herbeizuführen  und  das  jeder  regelmäßigen  Arbeit  ent- 
wöhnte Landvolk  wieder  zur  Bebauung  der  Felder  anzuhalten.  Der  Wohlstaid 
war  mit  den  Städten  vernichtet  worden,  die  Gewerbe  lagen  darnieder,  und  an 
brauchbaren  Arbeitern  fehlte  es  so  sehr,  daß  man  schon  im  Jahre  1437  die  ver- 
triebenen deutschen  Bergleute  zurückberufen  mußte,  denen  bald  andere  Handwerks- 
meister folgten.  Es  kann  daher  nicht  wundernehmen,  daß  der  Fortbau  des  Prager 
Domes  unter  Podiebrad  völlig  ruhte  und  die  Bautätigkeit  sich  zunächst  auf  Her- 
stellung einiger  Festungen  beschränkte,  von  denen  das  Schloß  Stern  bei  Prag 
und  die  Burg  Lititz  an  der  Wilden  Adler  die  bedeutendsten  sind.  Das  nach  der 
Grundform  eines  sechseckigen  Sternes  angelegte  Sternschloß  war  ursprünglich  ein 
eilfertig  und  roh  aufgemauertes  Fort,  bestimmt  die  Hauptstadt  von  der  Westseite 
her  zu  decken  und  nötigenfalls  auch  im  Zaum  zu  halten.  Die  Außenseiten  zeigen 
nicht  die  mindeste  Gliederung  oder  künstlerische  Ausstattung,  verraten  daher 
keinen  bestimmten  Baustil ;  das  Innere  aber,  das  in  der  Folge  näher  beschrieben 
werden  soll,  wurde  durch  die  Kaiser  Ferdinand  I.  und  Rudolf  II.  total  umgestaltet 
und  zu  einem  Lusthause  eingerichtet.  Die  Burg  Lititz,  wo  Podiebrad  die  Reichs- 
kleinodien während  des  Kriegs  mit  Matthias  Gorvinus  aufbewahrte,  und  wo  auch 
seine  Familie  einige  Zeit  gewohnt  haben  soll,  liegt  auf  einem  steilen,  an  drei 
Seiten  fast  senkrecht  gegen  den  Adler-Fluß  abfallenden  Felskegel  und  wurde  laut 
einer  noch  vorhandenen  Inschrift  im  Jahre  1468  vollendet.  Gegenwärtig  liegt  das 
Schloß  in  Ruinen,  Tannen  und  wüstes  Gebüsch  wuchern  in  den  ehemals  könig- 
lichen Räumen,  doch  haben  sich  interessante  Einzelheiten  erhalten,  und  die  Ein- 
teilung der  Hochburg  kann  ziemlich  genau  ermittelt  werden.  Das  Gebäude  trägt 
mehr  den  Charakter  eines  bequemen  Herrenhauses  als  einer  Veste;  es  ist  um 
einen  rechteckigen  Hof  von  16  Meter  Länge  und  13  Meter  Breite  angelegt,  in  dem 
sich  zwei  Hauptflügel  gegenüberstehen.  Diese  sind  durch  Korridore  verbunden, 
enthalten  regelmäßige  Reihen  von  Zimmern,  welche  in  zwei  Stockwerken  überein- 
ander hinziehen  und  mit  großen,  meist  geradlinig  überdeckten  Fenstern  versehen 
sind.  Der  einzige  in  diesem  Teile  bestehende  Turm  diente  als  Treppenhaus,  und 
das  niedrige  Erdgeschoß  scheint  nur  Vorratskammern  u.  dgl.  enthalten  zu  haben. 
Die  Räumlichkeiten  sind  zwar  beschränkt,  aber  streng  symmetrisch  angeordnet; 
der  Baumeister  war  zweifelsohne  ein  Italiener,  denn  nur  diese  verstanden  damals, 
ein  so  wohnliches  Gebäude  durchzuführen.  Geben  sich  an  der  Hochburg  neben 
der  allgemeinen  Einteilung  und  den  geraden  Tür-  und  Fensterstürzen  allerlei  An- 
klänge an  die  Renaissance  kund,  so  sind  die  übrigen  noch  bestehenden  Teile,  die 


Eegierung-  Wladislaws  II. 


93 


Tore  und  Dienstmannenwohnungen,  in  altertümlicher  Gotik  gehalten.  Sehr  merk- 
würdig ist  das  große  Tor,  von  unten  herauf  das  dritte,  oberhalb  dessen  das  zwei 
Meter  hohe  Standbild  des  Königs  in  hocherhabener  Arbeit  thront.  Darunter  steht 
auf  einer  kleinen  Marmortafel  die  wohlerhaltene  Inschrift:  Anno  Domini  MGGGG 
sexagesimo  octavo  Regi  Podiebradio. 

Lititz  wurde  in  allen  seinen  Teilen  durch  Podiebrad  neu  hergestellt  und 
ist  in  kunstgeschichtlicher  Hinsicht,  sowohl  wegen  der  noch  vorhandenen  Skulp- 
turen, wie  besonders  deshalb  wichtig,  weil  das  mittelalterliche  Burgensystem  voll- 
ständig aufgegeben  und  eine  nach  italienischer  Art  geordnete  Einteilung  angestrebt 
worden  ist.  Die  beiden  Brückentürme  in  Prag,  deren  Entstehung  fälschlich  in 
das  Zeitalter  Podiebrads  verlegt  wird,  waren  urkundlich  schon  unter  König 
Wenzel  IV.  um  1400  vollendet,  und  zwar  nach  den  Plänen  des  Meisters  Peter 
von  (jrmünd. 

Dem  prachtliebenden  König  Wladislaw  II.,  dem  Jagelionen,  welcher  1471  nach 
dem  Tode  Podiebrads  von  den  Ständen  erwählt  wurde,  gebührt  das  Verdienst,  in 
Böhmen  eine  neue  Kunstblüte  hervorgerufen  zu  haben.  Waren  die  ersten  Jahre 
seiner  Regierung  noch  mit  Krieg  und  inneren  Unruhen  erfüllt,  so  stand  ihm  doch 
das  Glück  zur  Seite ;  er  wurde  von  Kaiser  Friedrich  III.  in  herkömmhcher  Weise 
mit  Böhmen  und  seinen  Nebenländern  belehnt,  schloß  mit  Matthias  Gorvinus,  der 
noch  immer  Rechte  auf  den  böhmischen  Thron  geltend  machte,  einen  leid- 
lichen Frieden  und  versöhnte  zuletzt  die  ihm  feindliche  Utraquistenpartei,  worauf 
er  sich  ganz  seinen  Lieblingsbeschäftigungen  hingab.  Wenn  auch  die  allgemeine 
Baulust,  welche  während  der  Regierung  Wladislaws  sich  über  das  Land  ver- 
breitete, als  naturgemäße  Folge  der  vorhergegangenen  Zerstörung  erscheint,  so 
läßt  sich  doch  nicht  verkennen,  daß  der  König  das  meiste  dazu  beigetragen  hat,  die 
erwachende  Kunsttätigkeit  zu  fördern.  Er  ließ  zwischen  1480  bis  1502  auf  dem 
Hradschin  eine  neue  Residenz  durch  den  Baumeister  Benedikt,  gewöhnlich  Benesch 
von  Zaun  genannt  i),  errichten,  von  welchem  Bau  sich  noch  ein  Flügel  mit  dem 
berühmten  Wladislawschen  Saal  erhalten  hat.  Diesem  Werke  folgten  der  Umbau 
des  Welschen  Hofes  zu  Kuttenberg  und  die  Erneuerung  des  Schlosses 
Bürglitz,  das  zu  einer  Sommerresidenz  eingerichtet  wurde.  Über  dem  Ein- 
gang in  das  Hauptgebäude  zu  Bürglitz  ist  eine  Marmortafel  angebracht;  darauf 
die  Inschrift :  Anno  Domini  Millesimo  Quatricentesimo  nonagesimo  tertio  Serenissi- 
mus Rex  Ladislaus  est  fundator  hujus  domus. 

Es  liegt  keine  urkundliche  Nachricht  vor,  daß  Meister  Benedikt  die  Bauten 
zu  Bürglitz  geleitet  habe,  doch  sprechen  Zeit  und  stilistische  Eigentümlichkeiten 
dafür.  Der  durch  Wladislaw  hergestellte  Teil  des  Welschen  Hofes  ist  zwar  sehr 
roh  durchgeführt  und  läßt  erkennen,  daß  die  geschickteren  Werkleute  in  Prag 
und  Bürglitz  beschäftigt  waren,  doch  treten  hier  die  Renaissanceformen  am  ent- 
schiedensten hervor. 

Wie  sehr  es  damals  an  Bauleuten  und  besonders  an  tüchtigen  Meistern 
fehlte,  geht  aus  einem  Schreiben  des  Königs  hervor,  das  er  am  Sonntag  Judika 
1476  dem  Rate  der  Stadt  Eger  zukommen  ließ.  In  diesem  Schreiben  verlangt  er, 
daß  die  Egerer  ihm  einen  dort  wohnenden  „Stainmetzen",  dessen  Namen  er  nicht 
wisse,  welchen  aber  der  edle  Jan  Lobkowitz  von  Hassenstein  verkünden  werde, 
ohne  Verziehen  zuschicken  sollen,  weil  er  denselben  zu  seiner  Notdurft  gebrauche. 
„Wenn  ihr  ihn  wieder  haben  wollt",  schließt  der  königliche  Brief,  „wollen  wir 
ihn  euch  wieder  zustehen  lassen."  —  Johann  von  Lobkowitz  übermittelte  das 
Schreiben  an  den  Rat  und  fügte  bei,  daß  er  nicht  zweifle,  man  werde  sogleich 
dem  gegebenen  Auftrage  willfahren.  Der  Rat  von  Eger  jedoch  fertigte  eine  Depu- 

1)  Inzwischen  durch  Görlitzer  Urkunden  als  Meister  BenediktEied  aus  Piesting  in 
Niederösterreich  erkannt;  s.  Allg.  Künstlerlexikon. 


94  2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel   Böhmen  und  Mähren 

tation  an  den  König  ab  und  entschuldigle  sich,  daß  er  den  Meister  wegen  eigener 
Notdurft  nicht  entlassen  könne.  Dieser  Meister  war  Erha7-d,  genannt  der  Bau<r 
(Baumeister),  der  das  Schiff  der  Stadtpfarrkirche  zu  Eger  von  Grund  aus  neu 
aufführte  und  sowohl  im  Egergau  wie  im  angrenzenden  Voigtlande  und  der  Ober- 
pfalz eine  ausgebreitete  Tätigkeit  entfaltete.  Er  wirkte  von  etwa  1466 — 1500  als 
bestallter  Stadtbaumeister,  führte  nebenbei  für  den  Grafen  Heinrich  von  Plauen 
eine  Kirche,  für  die  Stadt  Elbogen  ein  Sakramentshäuschen,  dann  den  Markt- 
brunnen zu  Eger  und  mehrere  Schlösser  in  der  Umgegend  aus,  wobei  sehr  be- 
merkenswert ist,  daß  er  bei  Kirchenbauten  am  gotischen  Stil  festhielt,  an  den 
Profanbauten  aber  die  Renaissanceformen  mit  leidhchem  Geschick  anzuwenden 
verstand.  Eine  ähnliche  Richtung  hielt  Meister  Peter,  Erhards  Sohn,  der  in  Eger 
und  im  westlichen  Böhmen  arbeitete,  sich  aber  1515  nach  der  Oberpfalz  zurück- 
gezogen haben  soll.^) 

Auch  Matthias  von  Prostiejow,  erst  Lehrer  an  der  Teynschule  in  Prag  ur.d 
wegen  seiner  Fertigkeit  im  Zeichnen  Reiseck  genannt,  welcher  in  schon  vorge- 
rückten Jahren  zum  Steinmetzfach  überging  und  den  Chor  der  St.  Barbarakirche 
in  Kuttenberg  vollendete,  gehört  in  die  Reihe  jener  Spätgotiker,  welche  bereits 
Renaissanceformen  in  ihre  Werke  einflocht.  Alle  diese  Meister  bleiben  jedoch 
bei  oberflächlichen  Versuchen  stehen.  Man  trifft  in  ihren  Bauten  hier  ein  korin- 
thisches Kapitell,  dort  eine  Mäanderverzierung  oder  eine  kannelierte  Säule  inmitten 
einer  sonst  regelrecht  durchgeführten  gotischen  Baupartie :  keiner  jedoch  hat  ver- 
standen, eine  ganze  Säulenstellung,  ein  Portal  oder  nur  ein  vollständiges  Gebälke 
im  Renaissancestil  anzuordnen.  Dabei  fällt  auf,  daß  einige  von  diesen  Meistern, 
wie  Reiseck  und  Peter  Bauer  in  ihrem  Alter  ganz  zur  Gotik  zurückkehrten.-) 

Andere  gleichzeitige  Steinmetzen,  wie  die  Familie  Stanko,  Johann  und 
Kreschitz  aus  Krumau,  Kunz  in  Graupen,  nahmen  von  der  hereinbrechenden  neuen 
oder  wie  man  sich  ausdrückte  „welschen"  Kunstrichtung  keine  Notiz  und  hielten 
bis  an  ihr  Ende  an  der  Gotik  fest. 

Ihren  siegreichen  Einzug  in  Böhmen  feierte  die  Renaissance  erst  im  Jahre  1534 
unter  Ferdinand  I.,  der  im  Schloßgarten  auf  dem  Hradschin  ein  großartiges 
Lusthaus,  heute  Belvedere  geheißen,  aufführen  ließ.  Erzherzog  Ferdinand  von 
Österreich  war  1526  von  den  böhmischen  Ständen  auf  den  durch  König  Ludwigs 
plötzlichen  Tod  erledigten  Thron  berufen  worden;  er  verband  mit  bedeutenden 
Regentengaben  große  Energie  und  gedachte  sich  die  Zuneigung  seiner  neuen 
Untertanen  durch  umfassende  Bauunternehmungen  zu  erwerben.  Sogleich  nach 
seiner  Krönung  ließ  er  an  dem  von  Wladislaw  II.  begonnenen  Residenzbau  fort- 
arbeiten und  die  jenseits  des  Schloßgrabens  nördlich  vom  Hradschin  liegende  An- 
höhe zu  einem  Hofgarten  umwandeln,  gründete  hier  das  mit  einer  prachtvollen 
Säulenhalle  umgebene  Lusthaus  (Belvedere),  legte  dann  neben  dem  von  Podiebrad 
erbauten  Sternschloß  einen  Tiergarten  an  und  ließ  wahrscheinlich  bei  dieser  Ge- 
legenheit durch  seine  Architekten  das  schon  früher  erwähnte  Schloß  im  Innern 
fürstlich  einrichten.  Bei  seinen  künstlerischen  Unternehmungen  bediente  er  sich 
italienischer  Meister,  vielleicht  aus  dem  Grunde,  weil  es  in  Böhmen  noch  immer 
an  tauglichen  Arbeitern  gebrach.  Als  am  2.  Juni  1541  ein  ungeheurer  Brand  die 
ganze,  auf  dem  linken  Moldauufer  gelegene  Hälfte  Prags  samt  dem  Hradschin 
und  der  Domkirche  verheerte,  sorgte  Ferdinand  mit  unermüdlichem  Eifer  für  die 
Wiederinstandsetzung  der  abgebrannten  Stadtteile.  Der  Bau  des  Belvedere  wurde 
interimistisch  eingestellt,  und  die  dabei  beschäftigten  Meister  und  Gesellen  mußten 

1)  über  die  beiden  Steinmetzmeister  Erhard  und  Peter  Bauer  gibt  v.  Urbanstadt  in  seiner 
Gesobichte  der  Stadt  Komotau  ausführlichen  Bericht,  II.  138  ff. 

2)  Dasselbe  Verfahren  hielt  auch  der  berühmte  Dombaumeister  Wolfgang  Roritzer,  1495 
bis  1514  in  Regensburg  wirkend,  ein. 


Einführung  der  Eenaissance 


95 


bei  dem  Aufbau  der  Residenz  mithelfen.  Hierbei  ergab  sich  das  seltsame  Schau- 
spiel, daß  zwei  große  nur  etwa  zehn  Schritte  voneinander  entfernte  Bauwerke 
in  verschiedenen  Stilen  aufgeführt  wurden:  einerseits  der  Dom  im  gotischen, 
gegenüber  die  Residenz  im  Renaissancestil.  Mit  dem  Dombau  beauftragte  der 
König  den  Architekten  Wohlmuth  (Wolgemuth)  aus  Wien,  welcher  in  Anbetracht 
der  Zeit  seine  Aufgabe  nicht  ohne  Geschick  löste  und  das  Gewölbe  des  Mittel- 
schiffes neu  in  Netzform  aufstellte.  Minder  gelangen  ihm  die  Reparaturen;  der 
neue  Oberbau  des  sehr  beschädigten  Turmes  ist  von  phantastischem,  übrigens 
höchst  reizvollem  Umriß.  Die  ItaHener  Spaccio,  Giovanni  Mari  und  wahrscheinUch 
auch  Stella  überarbeiteten  den  abgebrannten  Residenzflügel  mit  dem  Wladislaw- 
schen  Saale  gründHch,  jedoch  wurde  dieser  Bau  wegen  Mangel  an  Geld  sehr 
langsam  fortgeführt  und  erst  nach  1640  durch  Dionys  Miseroni  vollendet.  Einen 
weit  verzweigten  Aufstand,  welchen  die  stets  zu  Meutereien  geneigte  Adelspartei 
im  Verein  mit  den  Prager  Städten  1547  unternahm,  warf  König  Ferdinand  mit 
rascher  Entschlossenheit  nieder  und  zeigte,  daß  er  nicht  willens  sei,  mit  sich  und 
den  Kronrechten  spielen  zu  lassen,  wie  dies  unter  dem  trägen  Wladislaw  ge- 
schehen war.  Er  bestrafte  die  Rädelsführer  der  Empörung  nach  Verdienst,  worauf 
Böhmen  bis  zu  seinem  Tode  ruhig  blieb  und  wieder  zu  großem  Wohlstand 
gelangte. 

Maximilian  IL,  Ferdinands  ältester  Sohn,  welcher  seinem  Vater  in  Osterreich, 
Böhmen  und  Ungarn,  wie  auch  in  der  Kaiserwürde  folgte,  war  mit  glänzenden 
Anlagen  ausgerüstet  und  in  jeder  Hinsicht  ein  vortrefflicher  Regent.  Während 
seiner  zwölfjährigen,  glücklichen  Regierung  (1564—76)  wurden  der  schöne  Spring- 
brunnen im  Kaisergarten  in  Erz  gegossen  und  die  Schloßbauten  eifrig  gefördert, 
obwohl  die  Kriege  mit  den  Türken  unermeßhche  Summen  verschlangen.  Um 
diese  Zeit  breitete  sich  der  Renaissancestil  über  ganz  Böhmen  aus  und  wurde 
namentUch  in  den  Städten  Pilsen,  Prachatitz  und  Budweis  mit  Vorliebe  angewandt, 
wie  auch  Iglau,  Brünn  und  Olmütz  manches  gleichzeitige  Denkmal  aufzuweisen 
haben.  Höchst  bemerkenswert  ist,  daß  es  gerade  die  katholischen  und  dem  Kaiser 
treuen  Städte  waren,  welche  im  Kunstfache  sich  auszeichneten,  während  die 
utraquistischen  Orte  und  der  Adel  ziemlich  teilnahmslos  verharrten,  sich  sogar 
wie  in  hussitischer  Zeit  kunstfeindlich  benahmen.  Eine  rühmliche  Ausnahme 
macht  das  Haus  Rosenberg,  das  bis  zu  seinem  Erlöschen  ununterbrochen  zahl- 
reiche Künstler  beschäftigte.  Das  Wirken  des  berühmten  Humanisten  Bohuslaw 
Lobkowitz  auf  Hassenstein  und  seine  künstlerischen  Bestrebungen  gehören  noch 
der  gotischen  Zeit  an.  Seine  kunstreich  ausgestattete  Burg  Hassenstein  liegt  in 
Ruinen,  von  den  reichen  dort  angesammelten  Kunstschätzen  hat  sich  nichts  er- 
halten. Bei  weitem  die  Mehrzahl  der  in  den  Landstädten  entstehenden  Bauten 
wurde  durch  Italiener  geleitet,  doch  beteiligten  sich  auch  Franzosen,  Niederländer 
und  Deutsche  an  den  Bauführungen;  so  erbaute  Anton  Salnellyn  aus  Amsterdam 
1555  den  trefflich  stilisierten  Rathausturm  in  Klattau,  Pesnitzer  aus  Burghausen 
in  Bayern  vollendete  einen  großen  Teil  des  Schlosses  in  Krumau,  und  der  Italiener 
Gonvale  war  in  Budweis  tätig. 

Unter  Kaiser  Rudolf  IL,  dem  ältesten  Sohne  Maximihans  (1576—1612),  schien 
ein  goldenes  Zeitalter  für  die  Künste  anbrechen  zu  wollen,  welches  sich  für  Böhmen 
um  so  vielversprechender  gestaltete,  als  der  Kaiser  bald  nach  seinem  Regierungs- 
antritte die  Hauptstadt  Prag  zu  seiner  beständigen  Residenz  erwählte.  Rudolf 
liebte  trotz  seiner  großen  geistigen  Fähigkeiten  die  Ruhe  und  war  von  Natur  aus 
etwas  menschenscheu;  zu  Regierungsgeschäften  besaß  er  nicht  die  mindeste 
Neigung,  ließ  jedoch  seine  Hände  nie  ganz  aus  dem  Spiele  und  verursachte  hier- 
durch schon  in  den  ersten  Jahren  vielfache  Störungen.  Dagegen  widmete  er  den 
Künsten  und  Wissenschaften  den  größten  Teil  seiner  Zeit;  sein  Hof  war  ein 


96 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Böhmen  und  Mähren 


Sammelplatz  der  hervorragendsten  Gelehrten  und  Künstler,  denen  sich  auch 
Gharlatane  aller  Art,  Astrologen,  Goldmacher  und  Wunderdoktoren  beigesellten. 
Von  einer  ausgeprägten  böhmischen  Kunst  kann  jedoch  in  dieser  Zeit  ebenso- 
wenig gesprochen  werden,  wie  in  der  vorhergehenden:  unter  zwanzig  Malern, 
welche  der  Kaiser  beschäftigte,  finden  sich  die  Namen:  Breughel,  Rottenhamer,' 
Heinz,  Spranger,  Hufnagel,  Wouters,  Bassano,  Piazza,  Gontarini  u.  a.,  aber  nicht 
der  eines  einzigen  Böhmen.  Auch  die  damals  wirkenden  Bildhauer,  Architekten, 
Kupferstecher,  Edelsteinschneider  und  Münzgraveure  waren  meist  Ausländer;  be- 
sonders werden  viele  Nürnberger,  darunter  auch  der  Goldschmied  Chr.  Jamnitzer, 
genannt,  welche  sich  im  Fache  des  Kunstgewerbes  auszeichneten.  Gerne  besuchte 
Rudolf  die  Werkstätten  der  um  ihn  versammelten  Künstler;  dort  fühlte  er  sich 
heimisch  und  nahm  an  den  Fortschritten  der  Arbeiten  lebhaften  Anteil,  ja  er 
versuchte  sich  selbst  in  den  Fächern  der  Malerei  und  Schnitzarbeit  und  zeigte  eine 
bemerkenswerte  Geschicklichkeit.  Die  vom  Kaiser  angelegten  Kunstsammlungen 
waren  großartig:  er  ließ  in  Italien,  Spanien  und  den  Niederlanden  Gemälde,  Statuen, 
Bronzen,  geschnittene  Steine,  Mosaiken  und  Juwelen  ankaufen,  beauftragte  mehrere 
Künstler,  unter  anderen  den  Schweizer  Josef  Heinz,  im  Interesse  seiner  Samm- 
lungen Reisen  zu  machen  und  scheute  selbst  bei  großer  Geldnot  kein  Opfer,  um 
seine  Liebhaberei  zu  befriedigen.  Daß  er  die  vorhandenen  einheimischen  Kräfte 
wenig  heranzog,  mag  wohl  seinen  Grund  in  den  religiösen  Verhältnissen  gehabt 
haben;  der  in  Spanien  erzogene  Rudolf  war  ein  viel  strengerer  Katholik  als  sein 
toleranter  Vater,  und  der  böhmischen  Konfession,  um  deren  Anerkennung  er  tag- 
täglich bestürmt  wurde,  durchaus  abgeneigt. 

Das  menschenscheue  Wesen  des  Kaisers  nahm  nach  und  nach  einen  immer 
bedenklicheren  Charakter  an  und  ging  endlich  in  förmliche  Geisteskrankheit  über, 
so  daß  die  besorgten  Familienglieder  den  Erzherzog  Mathias,  Bruder  des  Kaisers^ 
zum  Mitregenten  einzusetzen  suchten.  Allein  der  argwöhnische  Rudolf  wies  jede 
Mitregentschaft  zurück,  verfiel  manchmal  in  Tobsucht  und  verfuhr  gegen  Freund 
und  Feind  so  tyrannisch,  daß  nach  grenzenlosen  Verwirrungen  die  Stände  sich 
mit  Mathias  verbanden,  den  unfähigen  Kaiser  zu  entthronen.  Dies  geschah  im 
Jahre  1611 :  Erzherzog  Mathias  wurde  am  22.  Mai  feierhch  zum  König  von  Böhmen 
und  bald  darauf  auch  zum  deutschen  Kaiser  gekrönt;  Rudolf  aber  sollte  die  ihm 
von  seinem  Bruder  zugefügten  Kränkungen  nicht  lange  überleben;  er  starb  am 
20.  Januar  1612,  noch  nicht  sechzig  Jahre  alt. 

Für  die  Pflege  der  Wissenschaften  und  Künste  ist  Böhmen  diesem  Regenten 
zu  großem  Danke  verpflichtet;  er  hat  dem  Lande  durch  die  Berufung  so  vieler 
ausgezeichneter  Männer  in  nicht  genug  anzuerkennender  Weise  genützt  und  viele 
Kunstzweige,  wie  das  Edelsteinschleifen,  Marmorieren,  Metalldrehen  u.  a.  sind  durch 
ihn  eingeführt  worden.  Seine  unschätzbaren  Sammlungen  wurden  leider  in  alle 
Wmde  zerstreut  und  das  Wenigste  ist  in  Prag  gebheben;  ein  Teil  gelangte  nach 
Wien  und  hat  sich  erhalten,  vieles  jedoch  ging  in  den  folgenden  stürmischen 
Jahren  zugrunde  oder  wurde  unterschlagen  oder  geraubt. 

Der  hereinbrechende  Dreißigjährige  Krieg,  der  in  Prag  seinen  Ausgangs- 
punkt fand,  zerbrach  alle  diese  Bestrebungen  und  ihre  Wirkungen  für  lange 
Zeiträume  und  bereitete  der  Renaissance  in  Böhmen  ein  jähes  Ende.  Auch  die 
pfälzische  fand  dieses  hier,  nachdem  der  Kurfürst  Friedrich  V.  als  König  von 
Böhmen  das  Erbe  der  Habsburger  anzutreten  versucht  hatte  und  nach  kurzem 
„Wmterkönigtum"  jenen  unterlegen  war.  Hier  verknüpft  sich  also,  wie  dort,  das 
Schicksal  der  Kunst  mit  dem  der  Protestantisierung. 

Die  kurze,  aber  mit  Unruhen  und  Aufruhr  erfüllte  Regierungszeit  des  Kaisers 
Mathias  konnte  der  Kunstpflege  nicht  günstig  sein,  doch  wurden  die  Residenz- 
bauten auf  dem  Hradschin  fortgesetzt  und  die  südliche,  gegen  den  Platz  gerichtete 


Miniaturisten  Holzbau 


97 


Hauptfront  nach  den  Plänen  des  durch  Kaiser  Rudolf  berufenen  Architekten  Vin- 
cenzo  Scamozzi  im  Jahre  1614  angelegt.  Der  Name  Scamozzi  wird  noch  mit 
mehreren  Bauten  in  Verbindung  gebracht,  so  mit  der  Kirche  Maria  Viktoria  auf 
der  Kleinseite  und  dem  Lobkowitzschen  Palaste,  doch  fehlen  zuverlässige  Nach- 
richten. Um  dieselbe  Zeit  erhielten  der  schöne,  mit  Laubengängen  umzogene 
Marktplatz  in  Budweis  und  der  prachtvolle  Ring  zu  Pilsen  ihre  gegenwärtige  Ge- 
stalt. Einheimische  Künstler  leisteten  in  dem  Zeitraum  1526—1620  nur  in  einigen 
Nebenfächern  Erwähnenswertes.  Die  von  je  mit  Vorliebe  gepflegte  Miniatur- 
malerei, welche  in  Deutschland  und  Frankreich  bereits  durch  die  Buchdrucker- 
und Kupferstecherkunst  verdrängt  worden  war,  blühte  zwischen  1550—1600  durch 
Taborsky,  Fabian  Polivarcz,  Ornys  von  Lindperk  und  Matthäus  Radaus  neu  auf; 
Johann  Sedlczansky,  ein  Prager  Bürger,  schrieb  und  illustrierte  1620—23  die 
Psalmen  Davids:  sein  großes  Pergamentwerk  befindet  sich  noch  wohlerhalten  in 
der  Bibhothek  des  Klosters  Strahow.  Auch  wurde  der  Glockenguß  mit  großer 
Kunstfertigkeit  geübt;  in  Prag,  Klattau,  Kuttenberg  und  Königgrätz  befanden  sich 
berühmte  Gußwerkstätten.  Neben  dem  Glockengusse  her  ging  von  je  der  Zinn- 
guß, ein  speziell  böhmischer  Kunstzweig,  in  dem  namentlich  viele  Taufbecken 
hergestellt  wurden.  Die  Stadt  Leitmeritz  besitzt  zwei  solche  vorzüglich  schön 
ornamentierte  Taufbecken  aus  dem  Jahre  1521,  in  einer  eigentümlichen  Mischung 
von  Gotik  und  Renaissance  gehalten.  Auch  die  Holzschnitzerei  wurde  geübt,  aber 
nur  an  einzelnen  Orten.  In  Ghrudim  blühte  von  etwa  1500—1620  eine  weit- 
verzweigte Maler-  und  Bildhauerschule,  welche  sich  jedoch  nicht  über  hand- 
werkliche Tüchtigkeit  erhob.  Feinere  Durchbildung  zeigen  die  in  den  deutschen 
Städten  Nordböhmens  vorkommenden  Schnitzarbeiten,  z.  B.  die  Ghorstühle  zu 
Brüx,  einige  Altäre  in  Graupen  und  die  Täfelungen  des  Rathaussaales  in  Leit- 
meritz. Auch  Mähren,  das  sich  jedoch  in  seinen  künstlerischen  Bestrebungen 
mehr  an  Österreich  als  an  Böhmen  anschloß,  besitzt  in  den  Rathäusern  zu  Brünn 
und  Olmütz,  dann  in  den  Gewerkestuben  zu  Iglau  bemerkenswerte  Schnitz-  und 
Täfelwerke. 

Besondere  Beachtung  verdienen  die  Holzbauten,  die  das  böhmische  Tafel- 
land in  weitem  Kreise  umziehen  und  auch  nach  Schlesien  und  Mähren  übergreifen. 
Durch  die  Lichtung  der  Wälder  war  der  noch  im  16.  Jahrhundert  allgemein  üb- 
liche Blockbau  mehr  und  mehr  aus  dem  Innern  des  Landes  verdrängt  worden, 
wurde  aber  in  den  Gebirgsländern  desto  eifriger  gepflegt  und  gewann  in  der 
Renaissancezeit  einen  hohen  Grad  von  Durchbildung.  Man  unterscheidet  ohne 
Mühe  drei  verschiedene  Richtungen,  und  zwar  die  Alpenbauart  mit  flachen,  weit- 
vorstehenden Dächern,  den  deutschen  Fachwerkbau  mit  oberhalb  vorspringenden 
Geschossen  und  steilen  Dächern  und  einen  gemischten  Block-  und  Verkleidungsbau 
mit  offenen  Laubengängen  und  mittelsteilen  Dachungen.  Die  Alpenbauart  greift 
vom  Passauerlande  in  den  Böhmerwald  und  bis  in  die  Nähe  von  Budweis  hinüber, 
hat  aber  keine  große  Verbreitung  gewonnen,  auch  zeigen  die  Gebäude  bei  mancher 
Originalität  nicht  jene  feine  Durchführung,  welche  man  in  der  Schweiz  und  in 
Tirol  bewundert.  Ein  ungleich  größeres  Gebiet  wird  vom  Fachwerkbau  ein- 
genommen; diese  urdeutsche  Bauweise  verbreitet  sich  vom  Rhein  aus  durch  Hessen, 
Thüringen,  Franken  und  einen  großen  Teil  Sachsens,  setzt  sich  entlang  des  Erz- 
gebirges über  das  nordwestliche  Deutschböhmen  fort  und  greift  ostwärts  über  die 
Elbe  vor.  Man  trifft  in  der  Gegend  von  Eger  und  Plan,  dann  wieder  in  der  Linie 
Joachimstal-Görkau-Klostergrab,  besonders  in  der  Bergstadt  Graupen  unweit  Tep- 
litz  sehr  zierhch  geformte  Wohnhäuser,  an  denen  nicht  selten  durch  eigentümhche 
Versetzungen  der  Säulen  und  Riegel  ein  wunderbares  Linienspiel  hervorgebracht 
ist.  Die  Bauzeit  ist  gewöhnlich  am  Architravbalken  oder  Torsturze  angebracht; 
man  sieht  meist  Jahreszahlen  von  1550—1650  hinabreichend. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  7 


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2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Böhmen  und  Mähren 


Die  dritte  Richtung,  der  gemischte  Blockbau,  gehört  ausschließlich  Böhmen 
mit  seinen  östlichen  Nebenländern  Schlesien  und  Mähren  an  und  ist  slawischen 
Ursprungs,  kommt  also  für  uns  weniger  in  Betracht.  Die  ungemein  malerischen 
Häuser  sind  regelmäßig  an  den  Fronten,  manchmal  auch  an  den  Nebenseiten  mit 
Lauben  umzogen,  über  welche  die  Wohngelasse  vortreten.  Diese  Bauart  ist  in 
der  ganzen  Linie  der  Sudeten  vorherrschend,  so  zwar,  daß  nicht  allein  die  Häuser 
der  Dörfer,  sondern  auch  der  Landstädte  den  gleichen  Charakter  tragen.  Trotz 
zahlreicher  Brände  bestehen  heute  noch  viele  Städte,  darunter  Braunau,  Nachod, 
Solnitz,  Reichenau,  größtenteils  aus  solchen  Holzhäusern,  die  schönsten  jedoch 
besitzt  Hohenelbe  am  Fuß  der  Schneekoppe,  wo  schUchte  Zimmerleute  es  ver- 
standen, die  Formen  des  Steinbaus  mit  anerkennenswertem  Kunstsinn  auf  das 
Holzmaterial  zu  übertragen. 

Durch  den  Kriegsbrand  des  Jahres  1618  erhielt  die  böhmische  Frührenaissance 
ihren  plötzUchen  Abschluß.  Zwar  war  die  Revolution  schnell  darniedergeworfen 
worden  und  Ferdinand  II.  hatte,  nachdem  er  die  Urheber  mit  unerhörter  Grau- 
samkeit bestraft,  eine  Kirchhofsruhe  hergestellt,  doch  konnte  die  nächstfolgende 
Zeit  keine  für  Kunst  und  Künstler  glückbringende  sein.  Nach  dem  entsetzlichen 
Blutgerichte  vom  21,  Juni  1621  wanderten  Hunderte  der  edelsten  und  reichsten 
Familien  aus  dem  Lande  oder  wurden  durch  Konfiskation  ihrer  Güter  an  den 
Bettelstab  gebracht.  Als  in  den  nächstfolgenden  Jahren  die  Gegenreformation 
mit  den  raffiniertesten  Mitteln  und,  wo  diese  nicht  halfen,  mit  brutalster  Gewalt 
durchgeführt  wurde,  verließen  über  36000  protestantische  Familien,  von  denen 
viele  zwanzig  bis  fünfzig  männliche  Angehörige  zählten,  für  immer  die  Heimat. 
Güter  und  Häuser  verloren  allen  Wert,  um  Spottpreise  konnte  man  große  Herrschaften 
erwerben,  und  nur  einige  Spekulanten,  hauptsächlich  aber  die  Jesuiten,  wußten 
aus  dem  allgemeinen  Unglück  reichen  Nutzen  zu  ziehen.  Das  rücksichtslose  Vor- 
gehen des  Kaisers,  welcher,  nachdem  er  den  Protestantismus  in  seinen  Erblanden 
ausgerottet,  sich  mit  dem  Plane  trug,  den  katholischen  Glauben  in  ganz  Deutsch- 
land wieder  zum  allein  geltenden  zu  machen,  rief  1625  den  norddeutschen 
Fürstenbund  hervor,  und  der  Krieg  entbrannte  auf  allen  Seiten  des  deutschen 
Reiches.  Der  Kaiser,  dessen  Angelegenheiten  bis  dahin  glänzend  standen,  geriet 
durch  den  Bund  in  große  Bedrängnis;  es  fehlte  ihm  Geld  und  vor  allem  ein 
eigenes  Heer,  um  mit  Nachdruck  auftreten  zu  können.  Diesen  Übelständen  wollte 
Wallenstein  abhelfen,  welcher  ein  Heer  von  20000  Mann  auf  eigene  Kosten  aus- 
zurüsten und  zu  erhalten  versprach. 

Die  Geschichte  Wallensteins,  seine  Kriegstaten  und  sein  ewig  beklagens- 
wertes Ende  sind  allbekannt,  weniger  seine  künstlerischen  Unternehmungen,  welche 
um  so  beachtenswerter  erscheinen,  als  sie  zwischen  der  ältern  und  spätem  Renais- 
sance (dem  Barockstil)  die  Mitte  halten  und  den  Beweis  hefern,  daß  der  berühmte 
Feldherr  einen  feinen,  in  Italien  geläuterten  Geschmack  besaß.  Der  1621  aus 
Mailand  berufene  Giovanni  Marini  erbaute  den  noch  vollständig  erhaltenen  Wald- 
steinschen  Palast  mit  der  großartigen  Loggia  in  Prag,  dann  ein  zweites  Schloß 
in  Gitschin,  welches  jedoch  teils  umgebaut,  teils  zerstört  wurde.  Auch  veir- 
schiedene  seiner  im  nördlichen  Böhmen  liegenden  Schlösser  ließ  Wallenstein  er- 
neuern und  im  Innern  mit  Skulpturen  und  andern  Kunstwerken  ausstatten,  sso 
Friedland,  Nachod,  Opotschno  und  Groß-Skal,  wo  überall  bedeutende  Spuren  der 
Kunsthebe  des  gewaltigen  Feldherrn  zu  finden  sind. 

Wie  aus  der  Berufung  Marinis  und  seiner  Gehilfen  zu  ersehen  ist,  beherrschten 
die  Italiener  noch  immer  das  Gebiet  der  Architektur  und  Plastik,  während  auc;h 
einzelne  nationalböhmische  Maler,  wie  Hutsky  aus  Bürglitz,  Maschan  aus  Praig 
und  Kubata  von  Chrudim  sich  Anerkennung  zu  verschaffen  wußten.  Der  160)4 
in  Prag  geborene  Karl  Skreta  gehörte  gleich  seinem  Landsmanne,  dem  Kupfeir- 


Böhmische  Sonderart 


99 


Stecher  Hollar,  einem  adeligen  Geschlechte  an  und  wurde  wie  dieser  durch  die 
strengen  Verordnungen  Ferdinands  II.  zur  Auswanderung  gezwungen.  Wie  Skreta, 
der  sich  in  Italien  ausbildete  und  mit  Glück  die  damals  tonangebenden  Meister 
Garavaggio  und  Guido  Reni  nachahmte,  so  bewegten  sich  alle  noch  später  auf- 
tretenden Künstler  Böhmens,  Architekten,  Bildhauer  und  Maler,  in  der  durch  die 
Italiener  vorgeschriebenen  Richtung.  Als  Baumeister  zeichneten  sich  aus  die 
beiden  Dientzenhofer,  Fischer  von  Erlach,  Kanka,  der  Abt  Tyttl  von  Plaß  und 
der  in  Prag  eingebürgerte  Luragho,  die  aber  alle  erst  nach  dem  Dreißigjährigen 
Krieg  auftraten.  Da  somit  diese  Künstler  gleich  zahlreichen  Bildhauern  und 
Malern  einer  Epoche  angehören,  die  außerhalb  des  Rahmens  unserer  Darstellung 
fällt,  so  haben  wir  sie  hier  nicht  weiter  zu  verfolgen.  Dagegen  mag  als  charak- 
teristisch, wenngleich  der  Spätzeit  angehörig,  die  Aufstellung  der  Marien-  und 
Dreifaltigkeitssäulen  verzeichnet  werden;  nicht  allein  in  jeder  Stadt  und  jedem 
Flecken,  sondern  auch  in  vielen  Dörfern  sieht  man  solche  meist  mit  größter  Hand- 
fertigkeit ausgeführte  Denkmale,  die  mit  geringer  Abwechslung  nach  gleichem 
Plane  angeordnet  sind.  In  der  Mitte  eines  quadratischen,  etwa  5 — 6  Meter  im 
Durchmesser  haltenden  Raumes,  der  von  einem  Steingeländer  umzogen  ist,  er- 
hebt sich  eine  korinthische  Säule  mit  der  Heiligenstatue,  ringsum  auf  dem  Ge- 
länder sind  Engelsgestalten  oder  untergeordnete  Heihgenfiguren  angebracht.  Der 
Bildhauer  Ghladek  aus  Turnau  allein  soll  gegen  hundert  solcher  Säulen  gefertigt 
haben.  Die  Sage  meldet,  die  auf  dem  Altstädter  Ringplatze  in  Prag  befindliche 
Mariensäule  habe  dem  Kurfürsten  Maximilian  von  Bayern  so  sehr  gefallen,  daß 
er  den  Entschluß  faßte,  nach  diesem  Vorbild  jene  bekannte  Triumphsäule  auf  dem 
Hauptplatz  Münchens  errichten  zu  lassen,  die  ja  freilich  auch  dem  Siege  des 
Kurfürsten  über  die  böhmischen  Protestanten  am  Weißen  Berge  galt. 

Ein  originelles  oder  gar  nationaldeutsches  Gepräge,  wie  es  uns  am  Schlosse 
zu  Heidelberg,  an  den  Rathäusern  zu  Bremen,  Köln,  Mülhausen  im  Elsaß,  am 
Pellerhaus  in  Nürnberg  und  auch  an  vielen  Gebäuden  des  Erzherzogtums  Öster- 
reich, z.  B.  am  Schlosse  zu  Schallaburg  entgegentritt,  werden  wir  in  Böhmen 
vergebens  suchen;  die  Werke  der  Frührenaissance  wurden  ausschließlich  von 
Italienern  hergestellt  und  sind  in  dem  von  Bramante  und  Baldassare  Peruzzi  aus- 
gebildeten Stil  gehalten ;  späterhin  fand  die  Manier  der  Bernini  und  Borromini  Ein- 
gang, und  einheimische  wie  von  auswärts  berufene  Künstler  überboten  sich  in 
barocken  Formen  italienischer  Richtung.  Dagegen  mischt  sich  in  diese  Richtungen 
verschiedenes,  was  uns  höchst  eigentümlich  anmutet  und  als  slawisch  bezeichnet 
werden  muß.  So  eine  derbe  Urwüchsigkeit,  die  sich  auch  auf  die  Werke  der 
eingewanderten  Meister  überträgt.  Die  abgeschlossene  Lage  des  Landes,  die  ge- 
mischte Bevölkerung  und  verschiedenartige  äußere  Einflüsse  konnten  nicht  ver- 
fehlen, Eigentümlichkeiten  hervorzurufen,  oder  vorhandene  zu  begünstigen,  die 
anderwärts  nicht  getroffen  werden.  Von  solchen  ist  städtebaulich  zuerst  auf  die 
hier  weit  verbreitete  Anlage  der  sogenannten  „Ringe"  inmitten  der  Städte  hinzu- 
weisen, ringförmig  in  sich  kehrende  Straßen,  an  denen  vor  allem  das  Rathaus  zu 
liegen  pflegt.  Diese  Eigentümlichkeit  tritt  in  den  tschechischen,  aber  auch  schle- 
sischen  und  polnischen  Städten  Österreichs  und  Preußens  überall  auf  und  charak- 
terisiert diese  als  im  Kern  slawische  Ansiedelungen. 

Nicht  minder  charakteristisch  ist  die  schon  seit  der  Spätgotik  überall  be- 
merkbare Häufung  in  Reihen  wiederkehrender  Ziermotive  über  dem  Haupt- 
gesimse, z.  B.  von  Zierzinnen  oder  zahlreichen  kleinen  Giebeln  nebeneinander. 
Ich  erinnere  da  an  die  mächtige  Tuchhalle  zu  Krakau,  an  der  dies  Motiv  das 
Bestimmende  des  Äußern  ausmacht;  dichtgedrängte  Doppel-  und  dreifache  Giebel, 
auch  halbierte,  finden  wir  in  diesen  Gegenden,  insbesondere  aber  auch  in  Schle- 
sien, häufig. 


100 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel  Böhmen 


Ferner  sei  hier  noch  auf  die  in  denselben  slawischen  Gegenden  ganz  außer- 
ordentlich verbreitete  Sgraffito-Dekoration  des  Äußeren  der  Gebäude  hingewiesen, 
während  die  farbige  Bemalung  in  Fresko  hier  viel  seltener  ist,  als  z.  B.  in  Tirol. 

Zur  Schilderung  der  einzelnen  Kunstwerke  übergehend,  beginnen  wir  mit 
der  Hauptstadt  Prag  und  halten  von  hier  aus  eine  Rundschau  über  das  Land. 

Prag 

Die  alte,  stolze  Hauptstadt  Böhmens  in  ihrer  herrlichen  Lage  mit  ihrer  Fülle 
von  Monumenten  bietet  eines  der  großartigsten  Städtebilder  der  Welt.  Auf  Schritt 
und  Tritt  bedeutende  historische  Erinnerungen  weckend,  prägte  sie  ihre  wechselnden 
Geschicke  in  Monumenten  aus.  Die  erste  künstlerische  Gestalt  wurde  ihr  von 
Karl  IV.  gegeben.  Er  begann  den  Dom  auf  der  Höhe  des  Hradschin,  erbaute  die 
Moldaubrücke,  die  Karlshoferkirche  mit  ihrem  kühnen  Gewölbe,  die  Emmauskirche, 
die  Hungermauer,  die  mit  ihren  großen  Linien  noch  jetzt  so  wirksam  hervortritt. 
Er  gründete  endlich  die  Neustadt  mit  dem  großen  Viehmarkte,  als  erstes  Beispiel 
einer  planvoll  regelmäßigen  Stadtanlage  des  Mittelalters.  Dem  wissenschaftlichen 
Leben  wurde  durch  die  Stiftung  der  Universität  ein  bedeutender  Mittelpunkt  ge- 
geben. Die  mittelalterlichen  Monumente  der  Stadt  geben  in  ihrer  Mannigfaltig- 
keit ein  lebendiges  Bild  von  dem  reichen  künstlerischen  Leben,  das  hier  geblüht 
und  in  Architektur,  Skulptur  und  Malerei  wetteifernd  eine  solche  Fülle  von  kirch- 
lichen und  Profanwerken  hervorgebracht  hat,  wie  sie  keine  andere  Stadt  in  den 
österreichischen  Landen  aufzuweisen  vermag. 

Die  Einführung  der  Renaissance  vollzieht  sich  unter  W^ladislaw.  Zwar  sind 
auch  seine  Bauten  im  wesentlichen  noch  mittelalterlich,  in  Anlage,  Konstruktion 
und  Detailbildung  noch  überwiegend  gotisch;  ja  in  kirchhchen  Bauten,  und  selbst 
in  Profanwerken,  wie  dem  alten  Schlosse  im  Baumgarten,  das  um  1484  errichtet 
wurde,  läßt  sich  keinerlei  Abweichung  von  der  gotischen  Tradition  bemerken. 
Wohl  aber  treten  Elemente  der  Renaissance,  freilich  vereinzelt  in  den  Bauten  auf, 
welche  ziemlich  gleichzeitig  durch  die  Meister  Mathias  Reisek  und  Benedikt  von 
Laim  *)  zur  Ausführung  kamen.  Das  älteste  Gebäude  Prags,  an  welchem  einige 
Renaissanceformen  getroffen  werden,  ist  der  sogenannte  Pulverturm,  ursprünghcli 
ein  Torturm  des  Altstädter  Königshofes,  welchen  der  Magistrat  zu  Ehren  des 
Königs  Wladislaw  erbauen  ließ.  Meister  Wenzel  aus  Prag  gründete  den  Bau  im 
Jahre  1475  und  führte  das  Erdgeschoß  bis  zu  dem  Gesims  über  dem  Torbogen 
auf,  doch  scheint  seine  Arbeit  nicht  befriedigt  zu  haben,  denn  drei  Jahre  später 
wurde  die  Bauleitung  dem  Reisek  übertragen.  Dieser  wirkte  bisher  als  Lehrer 
und  Rektor  an  der  Teynschule  und  war  im  Zeichnen  und  Modellieren  sehr  er- 
fahren. Reiseks  genau  nachweisbare  Arbeiten  an  diesem  Turme  gehören  fast 
mehr  dem  Barockstil  als  der  Gotik  an;  man  sieht  eine  Überfülle  zopfiger  Laub- 
werke, welche  zwischen  antikisierenden,  mitunter  auch  gotischen  Gesimsen  ein- 
gepaßt sind.  Der  Meister  scheint  diese  Formengebung  ganz  aus  sich  selbst  ge- 
schöpft zu  haben;  ob  er  Italien  gesehen,  ist  zu  bezweifeln. 

Weniger  barock,  aber  handwerklicher  sind  die  Versuche  des  Benedikt  von 
Laun,  der  Renaissance  Eingang  zu  verschaffen.  Dieser  Künstler  führte  zwischen 
1482—1502  das  königliche  Schloß  auf  dem  Hradschin  aus,  dessen  wichtigster 
Teil,  der  Krönungssaal,  ein  Raum  von  61,25  Meter  Länge  und  16  Meter  Breite, 
sich  in  der  Hauptsache  erhalten  hat  (Abb.  63).  Schon  in  den  Reisebeschreibungen 
des  16.  Jahrhunderts  wird  diese  herrhche  gewölbte  Halle  bewundert  und  gepriesen. 
In  der  Tat  ist  sie  von  großartiger  Wirkung,  namentlich  das  in  ganzer  Breite  ohne 


1)  Richtiger:  Benedikt  von  Ried. 


Prag  Residenz 


101 


stützen  ausgespannte  Netzgewölbe  mit  seinen  verschlungenen  Rippen,  in  fünf 
Jochen  den  Raum  bedeckend,  reich  und  kühn.  Man  sieht  daran  die  Vorliebe  des 
Architekten  für  kunstvolle  Kombinationen,  in  denen  die  spätgotischen  Meister  zu 
wetteifern  suchten.  Eine  gewisse  Schwerfälligkeit  der  Detailbildung  hält  man 
gern  zugute,  und  die  beschränkte  Höhenentwicklung  läßt  man  als  gemeinsamen 
Zug  der  damahgen  Baukunst  des  Nordens  sich  gefallen.  Am  Äußern  treten  an 
der  Nordseite  ungemein  elegante  gotische  Strebepfeiler,  an  der  Südseite  aber  tos- 
kanische  Säulen  hervor. 


Abb.  63   Wladi Slawsaal  in  der  Burg  zu  Prag 


Diese  Säulenstellung  gehört  jedoch  nicht  dem  ursprünglichen  Bau  an,  son- 
dern ist  erst  nach  dem  großen  Brande  von  1541,  als  die  königUche  Residenz  mit 
der  anstoßenden  Allerheiügenkirche  größtenteils  zerstört  wurde,  und  nur  die  Um- 
fassungsmauern nebst  einigen  besonders  festen  Gewölben  dem  Feuer  widerstanden, 
an  Stelle  der  frühern  Strebepfeiler  aufgeführt  worden.  Die  aufeinanderfolgenden 
Kaiser  Ferdinand  I.,  Maximilian  II.  und  Rudolf  II.  gaben  sich  zwar  alle  Mühe,  die 
Residenzbauten  wieder  in  Stand  zu  setzen,  allein  da  auch  der  Dom  unermeßlichen 
Schaden  gelitten  hatte  und  die  Türkenkriege  außerordentliche  Geldmittel  erheischten, 
machten  die  Restaurationsarbeiten  so  langsame  Fortschritte,  daß  der  von  König 
Wladislaw  erbaute  Schloßflügel  erst  unter  Rudolf  II.  etwa  54  Jahre  nach  dem 
Brande  gänzlich  hergestellt  war.  Wahrscheinlich  ist,  daß  während  der  Regierung 
dieses  Kaisers  der  Saalbau  mit  den  merkwürdigen  Fenstern  ausgestattet  wurde, 
die  paarweise  mit  Pilastern  einer  korinthisierenden  Ordnung  umrahmt  und  mit 
entsprechenden  Gebälken  bekrönt,  jedem  Kunstfreund  schon  beim  ersten  AnbKck 
auffallen.  Zu  ihnen  gehört  auch  das  schöne  Portal  von  dorischer  Pilasterordnung 
mit  Aufsatz,  das  in  die  daneben  liegende  Allerheiligenkirche  führte.^)  Jene  Fenster 

1)  Abgeb.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  II.  Abt.  Heft  2  Bl.  5. 


102 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel  Böhmen 


mit  ihren  Gliederwerken  sind  in  vollständig  durchgebildeter  Renaissance  gehalten 
und  zeigen  nicht  die  mindeste  Verwandtschaft  mit  den  verschlungenen  Netz- 
gewölben und  sonstigen  Ausstattungen  des  Saales,  noch  mit  den  anderweitigen 
urkundlich  von  Meister  Benedikt  ausgeführten  Werken.  Oberhalb  eines  solchen 
Fensters  (welches  übrigens  in  einen  Winkel  gerückt  und  zum  Teil  durch  einen 
neueren  Anbau  verdeckt  ist)  sind  die  Worte:  Wladislaw  Rex  Hungerie-Bohemie 
MGGGGXGIII  mit  schwarzer  Farbe  auf  den  Mörtelputz  hingeschrieben.  Diese  In- 
schrift veranlaßte  einst  den  Kunslforscher  Mertens,  den  ganzen  Ban  für  gleich- 
zeilig  zu  halten  und  als  das  älteste  Denkmal  der  Renaissance  in  Deutschland  zu 
erklären.^) 

Indessen  ergeben  die  örtlichen  Verhältnisse,  die  Inschrift  selbst  und  der 
Baustil  des  Meisters  Benedikt,  sowie  die  Beschreibung  des  großen  Brandes  von 
1541,  die  Hajek  von  Liboczan  als  Augenzeuge  verfaßte  und  im  selben  Jahre 
drucken  ließ,  daß  der  Originalbau  Wladislaws  verwüstet  worden  sei,  und  daß  die 
Wiederinstandsetzung  sich  über  viele  Jahre  hinzog.  —  Was  endlich  den  Stil  des 
Benedikt  betrifft,  so  ist  derselbe  so  scharf  charakterisiert,  wie  kaum  der  eines 
zweiten  Meisters.  Er  hat  allerdings  Renaissanceformen  häufig  angewandt,  aber 
nur  als  Verzierungen;  seine  Konstruktionsweise  ist  immer  die  gotische.  Maß- 
gebend für  die  Beurteilung  seiner  Werke  sind  die  Pfarrkirche  in  Laun  und  das 
Schiff  von  St.  Barbara  in  Kuttenberg.  In  Kuttenberg  sieht  man  genau  dasselbe 
durch  sechseckige  Sterne  gebildete  Netzgewölbe,  wie  im  Wladislawschen  Saale; 
die  Spannweite  der  Hallen  ist  nahezu  die  gleiche,  und  am  Äußern  sind  an  beiden 
Bauten  gleich  schablonenhafte  gotische  Strebepfeiler  aufgestellt.  Einzelne  Renais- 
sanceteile sind  zwar  eingestreut,  aber  nur  ausnahmsweise.  Die  Kirche  zu  Laun 
ist  vollkommen  intakt  geblieben,  besteht  heute  noch,  wie  sie  der  Meister  geschaffen. 
Schon  am  Hauptportal,  welches  nach  gotischen  Regeln  angeordnet  ist,  fallen  zahl- 
reiche antike  und  antikisierende  Dekorationen  auf,  z.  B.  Mäander  in  den  Hohl- 
kehlen, fortlaufende  Kreisverschlingungen  (laufender  Hund),  Palmetten  u.  dgl. ;  im 
Innern  bemerkt  man  kleine  ionische  und  korinthische  Kapitelle  auf  Rundstäben, 
welche  spitzbogige  Türen  überspannen  u.  dgl.  mehr,  aber  nirgends  eine  im  Geiste 
der  Renaissance  durchgebildete  Gliederung.  Ähnlich  verhält  es  sich  mit  mehreren 
in  Laun  befindhchen  Profanbauten.  Die  Manier  des  Meisters  Benedikt  zeigt  nicht 
die  entfernteste  Verwandtschaft  mit  den  fraglichen  Fenstern  des  Wladislawschen 
Saales,  beide  Bauweisen  verhalten  sich  wie  etwa  ein  Bild  von  Lukas  Granach  zu 
einem  von  Rembrandt.  Daher  ist  mit  Bestimmtheit  die  Mertenssche  Vermutung 
zu  verwerfen,  daß  die  Fenster  und  Türen  des  Saales  noch  aus  der  ersten  Er- 
bauungszeit herrühren  könnten. 

Die  volle  italienische  Renaissance  tritt  in  dem  Belvedere  Ferdinands  I., 
und  zwar  mit  einem  Werke  ersten  Ranges  auf.  Ferdinand  I.  begann  1534  mit 
dem  Bau  einer  Brücke  über  den  Hirschgraben  ^)  und  der  Anlage  eines  Lust- 
gartens auf  der  weithinschauenden  Höhe,  die  sich  nördlich  vom  Hradschin  er- 
streckt. Unvergleichlich  herrlich  ist  von  hier  aus  der  Blick  auf  den  tiefen  von 
der  Moldau  durchströmten  Talkessel,  welcher  bis  auf  die  umgebenden  Höhen 
von  der  gewaltigen  Stadt  mit  ihren  Palästen,  Kirchen,  Kuppeln  und  Türmen 
erfüllt  wird.  Seit  1536  wurde  hier  oben  nun  das  Belvedere  erbaut,  nach  den 
Plänen  des  aus  Italien  herbeigerufenen  Paulo  della  Stella,  der  beim  Kaiser  in  hoher 
Gunst  stand  und  die  Leitung  des  Ganzen  hatte.  Unter  seinen  Mitarbeitern  finden 
wir  die  Italiener  Hans  de  Spatio  und  Zoan  Maria,  sowie  einen  Deutschen  Hans 
Trost,  der  ohne  Zweifel  in  Italien  sich  mit  der  Renaissance  vertraut  gemacht 

1)  Siehe  die  geistreich  geschriebene  Abhandlung,  die  Mertens  in  der  Wiener  Allg.  Bau- 
zeitung, Jahrg.  1845,  p.  15  ff.  über  die  Baudenkmale  Prags  veröffentlic]it  hat. 

2)  Vgl.  den  zitierten  Aufsatz  in  der  Wiener  Allg.  Bauzeitung. 


Prag  Belvedere 


103 


hatte.  1)  Wöchentlich  wurden  250  Rheinische  Gulden  auf  den  Bau  verwendet, 
der  namentlich  im  Jahre  1538  energisch  geführt  und  bis  zur  Einweihung  des 
Erdgeschosses  gebracht  wurde.  Dann  trat  eine  Ebbe  in  der  Kasse  ein;  die  ita- 
lienischen Arbeiter  wurden  widerspenstig,  und  Hans  de  Spatio  drohte  sogar  nach 
Italien  zurückzukehren.  Mit  Mühe  wurden  sie  zufriedengestellt,  so  daß  der  Bau 
fortgeführt  werden  konnte  und  wahrscheinhch  1539  die  Einweihung  beendigt  war. 
Als  1541  der  riesige  Brand  die  Stadt  verheerte,  mußte  man  die  Meister  zur  Her- 
stellung der  Burg  und  der  Schloßkirche  verwenden.  Nur  Stella  führte  mit  zwei 
Gehilfen  die  Arbeit  an  den  Reliefs  fort,  für  deren  jedes  er  zehn  Kronen  begehrte, 
was  dem  Kaiser  zu  viel  erschien,  so  daß  ein  Urteil  von  Sachverständigen  er- 
fordert wurde.  Stella  setzte  sodann  den  Bau  allein  fort,  der  indes  1546  wegen 
Geldmangels  und  dringender  anderer  Arbeiten  eingestellt  werden  mußte.  1556 
wird  die  Arbeit  wieder  aufgenommen,  wobei  auch  die  Kupferbedachung  zur  Aus- 
führung kommt;  aber  erst  1558  wird  die  Eindeckung  des  bis  dahin  offen  geblie- 
benen Gebäudes  vollendet.  Hans  Haidler  aus  Iglau  führte  das  Dach  aus.  1560 
arbeitet  man  an  der  Pflasterung  des  Korridors,  doch  erst  unter  Rudolf  II.  wird 
die  innere  Ausstattung  vollendet,  1589  z.  B.  der  Fußboden  der  Säle  mit  Regens- 
burger Marmor  belegt. 

Das  Gebäude  (Abb.  64)  war  nur  als  ein  Lusthaus,  als  Garten-Saalbau  an- 
gelegt, die  Morgenseite  gegen  die  Stadt,  die  Abendseite  gegen  den  Garten  ge- 
richtet, um  die  herrlichen  Blicke  auf  die  Stadt  zu  genießen  und  in  reiner  Luft, 
von  Gartenanlagen  mit  Springbrunnen  umgeben,  sich  an  schönen  sommerlichen 
Abenden  der  Kühle  zu  erfreuen.  Deshalb  umziehen  Arkaden  auf  luftigen  Säulen 
das  Erdgeschoß,  das  im  Innern  kühle  Räume  mit  Spiegelgewölben  und  die  Treppe 
zum  oberen  Stock  enthält  (Abb.  65).  Von  der  ursprünghchen  Ausstattung  des 
Innern  ist  keine  Spur  erhalten,  die  Treppenanlage  durch  modernen  Umbau  ver- 
ändert. Das  obere  Stockwerk,  welches  zwar  erst  ziemlich  spät  ausgeführt,  aber 
im  ursprünglichen  Plane  begründet  ist,  besteht  aus  einem  Festsaal,  rings  von 
einem  freien  Umgang,  der  über  den  Arkaden  des  Erdgeschosses  sich  hinzieht, 
umgeben.  Der  Bau  hat  in  der  Bestimmung  und  der  Anlage  Verwandtschaft  mit 
dem  um  einige  Dezennien  jüngeren  ehemaligen  Lusthause  in  Stuttgart,  nur  daß 
dort  der  untere  Raum  als  Brunnenhalle  ausgebildet  war.  Im  übrigen  ist  es  von 
Interesse,  zu  vergleichen,  wie  weit  in  der  künstlerischen  Auffassung  die  Renais- 
sance geschulter  Italiener  von  derjenigen  eines  deutschen  Meisters  jener  Zeit  ab- 
weicht. Statt  der  malerischen  Mannigfaltigkeit  in  der  Anlage  des  Stuttgarter 
Lusthauses  mit  seinen  Freitreppen  und  Erkern,  seinen  Türmen  und  hohen  schmuck- 
reichen Giebeln,  die  den  Arkaden  bei  kleinerem  Maßstab  nur  eine  untergeordnete 
Bedeutung  lassen,  beherrscht  bei  dem  Prager  Belvedere  die  großartige  Säulen- 
halle mit  ihren  vornehmen  Verhältnissen  den  Eindruck  des  Ganzen  und  verleiht 
ihm  das  Gepräge  klassischer  Ruhe.  Auch  darin  zeigt  sich  ein  durchgreifender 
Unterschied,  daß  in  Stuttgart  die  Aufgänge  zum  oberen  Geschoß  als  Freitreppen 
außen  angebracht  waren,  wodurch  der  ganze  obere  Raum  als  großartiger  Saal 
sich  gestaltete,  während  beim  Belvedere  die  Treppe  (die  übrigens  in  neuerer  Zeit 
umgestaltet  ist)  im  Innern  angeordnet  war,  und  zwar  so,  daß  auf  der  einen 
Seite  ein  gesondertes  Gemach,  auf  der  andern  der  größere  Saal  seinen  Platz 
fand.  Dadurch  mußte  letzterer  in  seiner  Längenausdehnung  beträchtlich  ein- 
geschränkt werden. 

Die  Formen  sind  am  ganzen  Bau  von  einer  Durchbildung,  die  Verhältnisse 
von  einer  Anmut,  wie  sie  nur  die  italienische  Renaissance  in  ihren  vohendetsten 
Schöpfungen  erreicht.    Die  umgebende  Halle  bildet  eine  Art  Peripteros  von  6  zu 

1)  Als  Baumeister  wird  auch  Ferrabosco  dl  Lagno  genannt,  s.  Dlabatsch  Künstler-Lex. 
p.  390,  doch  findet  sich  über  diesen  Künstler  keine  urkundliche  Nachricht  vor. 


104  2.  Buch    Die  Bauwerke   XII.  Kapitel  Böhmen 


Abb.  64  Belvedere  zu  Prag 


Abb.  65   Grundriß  des  Belvedere  zu  Prag 

14  schlanken  Säulen  einer  reichen  ionischen  Ordnung,  an  deren  Kapitellen 
die  Sinnbilder  des  goldenen  Vließes  zu  geistvoller  Verwendung  gekommen  sind. 
Auch  die  Untersätze  der  Säulen  haben  Reliefs,  welche  mit  einer  ferneren  An- 
spielung auf  jenes  Ordenszeichen  ihre  Gegenstände  der  Argonautensage  entlehnen. 
Eine  geschlossene  Brüstungsmauer,  nur  vor  den  Eingängen  durchbrochen,  ver- 


Prag  Belvedere 


105 


bindet  die  Säulen,  in  der  Mitte  jedes  Zwischenraums  durch  einen  mit  Putten 
geschmückten  Pfeiler  geteilt.  Auch  in  den  Bogenzwickeln  sind  antike  Relief- 
szenen dargestellt,  im  Fries  endUch  laufen  die  herrlichsten  Akanthusranken.  Dies 
alles  ist  in  feinkörnigem  Sandstein  mit  einer  Zartheit  und  Vollendung  aus- 
gearbeitet, wie  man  sie  sonst  nur  in  den  Marmorbauten  Italiens  findet.  Dazu 
kommt,  daß  alle  architektonischen  Gheder  im  Geist  der  edelsten  italienischen 
Hochrenaissance  wie  von  Bramante  oder  Peruzzi  durchgebildet  sind.  Das  gilt 
namentlich  auch  von  den  eleganten  Konsolen,  auf  denen  die  Gesimse  der  Fenster 
und  T  üren  ruhen,  sowie  von  dem  durchbrochenen  Gitter  der  oberen  Terrasse 
einem  Virtuosenstück  des  Meißels.  Im  übrigen  ist  das  obere  Geschoß,  welches 
den  Hauptsaal  enthält,  viel  einfacher  behandelt  als  das  untere,  was  wohl  dem 
in  der  kaiserhchen  Kasse  vorherrschenden  Geldmangel  zugeschrieben  werden  muß. 
Im  Widerspruch  mit  den  von  allen  italienischen  Meistern  festgehaltenen  Regeln 
steht,  daß  der  Oberbau  im  dorischen  Stil  gehalten  ist.  Die  Anordnung  dieses 
Stockwerks  verrät  vielleicht  einen  anderen  Meister;  flüchtigere  Ausführung  macht 
sich  bemerkbar,  ja  es  kommt  vor,  daß  die  Achsen  der  obern  Fenster  von  den 
untern  um  nahezu  Meter  abweichen;  die  Triglyphen  des  Dachgesimses,  die 
Pilasterstellungen  und  die  zwischen  den  Fenstern  angebrachten  Nischen  lassen  in 
bezug  auf  sorgfältige  Durchbildung  sehr  viel  zu  wünschen  übrig,  und  von  der 
Pracht  der  unteren  Säulenhalle  trifft  man  oben,  mit  Ausnahme  des  zum  Unterbau 
gehörenden  Umfassungsgeländers,  keine  Spur. 

Von  der  ursprünglichen  Ausstattung  des  Innern  hat  sich  nichts  erhalten: 
die  untern  Gemächer  sind  mit  flachen  Spiegelgewölben  ausgestattet,  deren  Zwickel 
auf  zierlichen  Konsolen  ruhen,  während  der  nordwestliche  Teil  des  Gebäudes  vom 
Eingang  und  Treppenhaus  eingenommen  wird.  Dieses  erhielt  1842,  der  Haupt- 
saal erst  zehn  Jahre  später  die  gegenwärtige  Gestalt,  Der  Saal  hat  ein  neues 
aus  Holz  konstruiertes  Tonnengewölbe  mit  flachen  Rippen,  die  Wände  aber  sind 
noch  durch  Pflaster  eingeteilt,  deren  zart  gebüdete  korinthisierende  LaubkapiteUe 
den  Dekorationen  der  untern  Säulenhalle  entsprechen.  Zwischen  den  Pflastern 
sind  1852 — 66  moderne  Fresken  aus  der  Geschichte  Böhmens  ausgeführt  worden, 
die  bei  aller  Virtuosität  die  abhanden  gekommene  ursprüngliche  Ausstattung  nicht 
zu  ersetzen  vermögen.  Auch  das  Dach  besitzt  kaum  mehr  die  alte  Form;  die 
gegenwärtige  birnförmig  geschweifte  Bedachung  stammt  aus  der  Zeit  des  Kaisers 
Karl  VI.  und  wurde  seitdem  mehrmals  erneuert.  Interessant  als  Werke  einhei- 
mischer Kunst  sind  die  schönen  Eisenarbeiten,  die  an  den  Wasserspeiern  der 
Galerie  angebracht  sind,  ferner  die  verdeckten  kupfernen  Leitungen  zum  Abfluß 
des  Regenwassers.  Der  Name  des  Gründers  „Ferdinandus  I."  prangt  auf  einer  nicht 
fern  vom  Haupteingang  eingefügten  Tafel. 

Von  ebenbürtigem  Adel  der  Formen  ist  der  Springbrunnen,  welcher 
der  Gartenfront  dieses  Lusthauses  gegenüber  errichtet  wurde.  Dies  geschah 
freilich  erst  1565^),  ein  Jahr  nach  Ferdinands  Tode,  und  zwar  wird  als  Verfertiger 
ein  einheimischer  Künstler,  der  kaiserliche  Büchsenmeister  Thomas  Jarosch  genannt; 
die  Figuren  goß  der  von  den  Arbeiten  in  Innsbruck  her  bekannte  Gi-egor  Löffler.^) 
Es  wird  wohl  einer  der  edelsten  Renaissancebrunnen  diesseits  der  Alpen  sein 
(Abb.  66).  Auf  prächtig  phantastischen  Figuren  ruht  die  schön  geriefte  Schale, 
mit  einem  Relieffries  von  Masken  und  Palmetten  gerändert.  Aus  ihr  erhebt  sich 
ein  kraftvoller  Ständer,  nach  der  Sitte  der  Zeit  mit  Figuren  umkleidet,  deren  Be- 
wegung stark  ins  Malerische  fällt.  Der  obere  Teil  des  Ständers,  durch  edle 
Gliederung  und  anmutige  Ornamente  ausgezeichnet,  trägt  die  zweite  Schale,  die 

1)  Die  histor.  Daten  in  Försters  Bauzeit,  a.  a.  0.  und  dazu  eine  Abb.  Eine  neuere  treffliche 
Aufnahme  in  den  Blättern  der  Wiener  Bauschule. 

2)  So  wird  wohl  zu  lesen  sein  und  nicht  Georg,  wie  unsere  Quelle  angibt. 


106 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel  Böhmen 


wieder  mit  überaus  elegantem  Reliefschmuck  bedeckt  ist.  Die  Krönung  des 
Ganzen  bildet  ein  Patto,  auf  einem  Jagdhorn  blasend.  Reichtum  der  Ausstattung 
verbindet  sich  mit  rhythmisch  bewegtem  Aufbau  und  edler  GHederung  zu  treff- 
Uchster  Wirkung.  Der  Urheber  des  Entwurfs  ist  nicht  bekannt,  er  dürfte  ein 
Italiener  gewesen  sein.  Thomas  Jarosch,  der  Gußmeister,  stammte  aus  Brünn, 
Löffler  aus  Augsburg.  Nach  Mikowec^)  sollen  zwei  kaiserliche  Büchsenmacher, 
Kritschka  und  Wolf,  gemeinsam  den  Brunnen  modelliert  haben. 

Um  dieselbe  Zeit  ließ  Erzherzog  Ferdinand,  der  Sohn  Kaiser  Ferdinands  I., 
das  Jagdschloß  zum  Stern  durch  italienische  Steinmetzen  ausführen.  Nach  einer 
früher  erwähnten  Nachricht  hätte  Georg  Podiebrad  1459  das  Schloß  im  Tiergarten 
bei  Prag,  etwa  eine  Stunde  westlich  von  der  Stadt,  am  nordwestlichen  Abhänge 
des  Weißen  Berges,  erbauen  lassen,  wobei  er  ihm,  zur  Erinnerung  an  seine  erste 
GemahUn  Kunigunde  von  Sternberg,  die  auffallende  Form  eines  sechsstrahligen 
Sternes  gegeben  hätte.  Wir  glauben  aber  jetzt  nach  Dr.  Schönherrs  Forschungen, 
daß  es  vielmehr  der  kunstverständige  Erzherzog  Ferdinand  von  Tirol,  der  Stifter 
der  Ambraser  Sammlung,  war,  der  dies  eigentümliche  Werk  nicht  bloß  gründete, 
sondern  selbst  die  Pläne  dazu  entwarf.  Er  legte  den  Grundstein  dazu  am  27.  Juni 
des  Jahres  1555,  wie  der  noch  bekannte  Wortlaut  einer  Urkunde  ergibt,  die  ver- 
mutlich in  den  Grundstein  mit  vermauert  ist.  Im  Innern  des  Schlosses  ließ  der 
Erbauer  reiche  Stuckdekorationen  ausführen,  zu  denen  er  die  uns  schon  bekannten 
Italiener  Paulo  della  Stella,  Hans  de  Spatio  und  dazu  angeblich  einen  Meister 
Ferrabosco  di  Lagno  verwandte.  Zugleich  wurden  mehrere  einheimische  Meister 
beauftragt,  die  Säle  mit  Gemälden  zu  schmücken.  Das  obere  Stockwerk  erhielt 
damals  Fußböden  von  glasierten  Backsteinen,  und  das  Gebäude  wurde  mit  einem 
Kupferdach  gedeckt,  an  dem  man  noch  1565  zu  arbeiten  hatte.  Rudolf  II.  sorgte 
für  weitere  Vervollständigung  des  künstlerischen  Schmuckes.  Wiederholt  wurden 
in  dem  glänzend  hergerichteten  Lustschloß  Festlichkeiten  veranstaltet,  nament- 
lich Bankette  bei  Anwesenheit  fremder  fürstlicher  Gäste  abgehalten.  In  Stern 
war  es  auch,  wo  der  unglückliche  Winterkönig  am  31.  Oktober  1619  feierlich  von 
den  Vornehmen  des  Landes  empfangen  wurde,  und  von  wo  aus  er  seinen  Einzug 
in  die  Königsstadt  hielt.  Während  des  Dreißigjährigen  Krieges  hatte  das  Schloß 
viel  zu  leiden,  und  büßte  u.  a.  sein  Kupferdach  ein;  aber  unter  Ferdinand  III, 
wurde  eine  abermalige  Erneuerung  vorgenommen,  und  Leopold  I.  ließ  das  Innere 
neuerdings  mit  Gemälden  schmücken.  —  Unter  Joseph  II.  wurde  der  Prachtbau 
zum  Pulvermagazine  herabgewürdigt,  und  erst  1874  gelang  es  den  unermüdlichen 
Vorstellungen  der  k.  k.  Zentral-Kommission,  das  merkwürdige  Denkmal  von  dieser 
Verunglimpfung  zu  befreien. 

Die  Anlage  des  Baus  ist  aus  dem  beigefügten  Grundrisse  (Abb.  67)  ersicht- 
lich. Hier  nur  einige  notwendige  Erläuterungen.  Der  äußere  Eindruck  ist  gegen- 
wärtig nach  allen  ßeraubungen  und  Verunstaltungen  ein  wüster,  abstoßender, 
höchstens  durch  die  bizarre  Form  die  Aufmerksamkeit  erregend.  Die  kahlen, 
hohen  Mauern,  die  in  sechs  scharfen  Kanten  zusammenstoßen,  lassen  jede  Ver- 
zierung und  Gliederung,  ja  sogar  die  Gesimse  vermissen.  Dies  war  freihch  die 
ursprüngliche  Absicht  des  Baumeisters;  aber  die  ehemaligen  Fenster,  die  jetzt 
bis  auf  schmale,  doppelt  vergitterte  Öffnungen  vermauert  sind,  müssen  doch  einen 
freundlicheren  Anblick  gewährt  haben.  Auch  war  ohne  Frage  das  ursprüngliche 
Kupferdach  ansprechender,  als  das  jetzige  schwere  Ziegeldach  mit  einer  Unzahl 
von  Blitzableitern.  Indes  lag  von  Anbeginn  der  Nachdruck  auf  der  künstlerischen 
Ausstattung  des  Innern.    Höchst  originell  ist,  wie  man  sieht,  die  Anordnung  des 

1)  S.  Mikoweo:  Altertümer  und  Denkwürdigkeiten  Böhmens,  mit  Illustrationen  von  Hellich 
und  Kandier.  Unsere  Abbildung  ist  nach  der  von  der  "Wiener  Bauschule  veröffentlichten  schönen 
Aufnahme  angefertigt. 


Prag   Schloß  Stern 


107 


Abb.  66   Brunnen  im  Belvedero  zu  Prag 

Grundrisses.  Über  einem  Kellergeschoß  erheben  sich  drei  obere  Stockwerke,  von 
denen  das  erste  als  Hauptgeschoß  behandelt  und  dekoriert  ist.  Man  kann  sich 
die  Grundform  des  Gebäudes  aus  zwei  gleichseitigen  einander  durchdringenden 
Dreiecken  entstanden  denken.  Der  Durchmesser  beträgt  von  Spitze  zu  Spitze 
etwa  40  Meter,  und  die  Entfernung  je  zwei  benachbarter  Spitzen  voneinander 


108 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel  Böhmen 


entspricht  dem  halben  Durchmesser.  Im  Untergeschoß  bildet  den  Mittelpunkt  ein 
kreisförmiger  Raum  mit  niedrigem  Kuppelgewölbe,  die  Wandflächen  von  sechs 
einfachen  kleineren  Nischen  und  sechs  radialen  Durchgängen  belebt,  welche  die 
Verbindung  mit  dem  ringförmigen  Umgang  vermitteln.  In  den  Spitzen  des  Sternes 
sind  kleinere  Räume  angebracht,  die  durch  Abschneiden  der  Dreieckspitzen  die 
Form  eines  ungleichseitigen  Sechsecks  erhalten  haben.    Diese  Räume  stehen 


ebenfalls  mit  dem  ringförmigen  Gange  in  Verbindung.  Sie  empfingen  ehemals 
durch  je  zwei  Fenster  genügende  Helle;  dagegen  erhielt  der  zentrale  Kuppel- 
raum durch  die  vier  Fenster  des  äußeren  Ganges,  und  zwar  mittels  der  in  die 
Achse  desselben  gestellten  Eingänge  nur  sekundäres  Licht.  In  einer  der  sechs 
Sternspitzen  ist  das  sehr  primitive  Treppenhaus  angelegt.  Die  Höhe  der  durch- 
gängig gewölbten  Räume  beträgt  31/2  Meter.  In  höchst  bemerkenswerter  Weise 
unterscheidet  sich  davon  das  obere  Geschoß  (Abb.  67).  Sein  Treppenhaus  um- 
schließt in  dem  inneren  Kern  eine  kleinere  Wendelstiege  und  ist  überhaupt  ge- 
räumiger und  statthcher  angelegt.  Der  Unterschied  des  Grundplans  von  dem  des 
unteren  Geschosses  beruht  aber  darauf,  daß  ein  mittlerer  hochgewölbter  zwölf- 
eckiger Kuppelraum  von  7  Meter  Durchmesser  und  51/2  Meter  Scheitelhöhe  strahlen- 
förmig sechs  breite  Korridore  von  sich  ausgehen  läßt,  die  in  der  Umfassungs- 
mauer auf  Fenster  münden  und  dadurch  dem  Zentralraume  ein  freilich  gedämpftes 
sekundäres  Licht  zuführen.  Zwischen  diesen  Korridoren  bilden  sich  in  den  Stern- 
spitzen rautenförmige  Säle,  welche  durch  Abschneiden  der  beiden  spitzen  Winkel 
ein  ungleichseitiges  Sechseck  werden.  Sie  stehen  durch  weitere  Türöffnungen 
mittels  der  Korridore  untereinander  und  mit  dem  Hauptsaale  in  Verbindung.  In 


Abb.  67   Grundriß  des  Schlosses  Stern  bei  Prag   Erster  Stock 


Prag 


109 


den  abgestumpften  Ecken  sind  diese  Säle,  mit  dem  Längendurchmesser  von  10  Meter 
bei  7  Meter  Breite,  mit  kleinen  Wandnischen  ausgestattet,  die  mit  polierten 
Marmorplatten  bekleidet  sind  und  ohne  Zweifel  für  Büsten  oder  Statuen  bestimmt 
waren.  Von  den  Marmorplatten  des  Fußbodens  sind  nur  geringe  Reste  erhalten; 
völlig  verschwunden  ist  die  künstlerische  Bekleidung  der  Wände;  dagegen  sind 
sämtliche  Stuckdekorationen  der  gewölbten  Decken  im  Mittelraum,  den  Korridoren 
und  den  fünf  Ecksälen  noch  vollständig  erhalten.  Durch  die  wahrhaft  geniale 
Einteilung,  die  in  jedem  Räume  neue  Motive  anwendet,  sich  nirgends  wiederholt, 
mit  dem  feinsten  Zug  architektonischer  Linien  unerschöpflichen  Reichtum  der 
Phantasie  und  meisterhafte  technische  Ausführung  verbindet,  gehören  diese  Werke 
unbedingt  zu  den  größten  Schätzen  der  Renaissancedekoration  diesseits  der  Alpen. 
Nur  bei  den  Korridoren  herrscht  in  der  Einteilung  der  Felder  das  Gesetz  ryth- 
mischer  Wiederkehr,  so  daß  der  zweite  dem  vierten  und  sechsten  entspricht,  der 
dritte  dem  fünften  und  nur  der  erste  als  Eingang  eine  gesonderte  Behandlung 
zeigt.  In  die  zart  umrahmten  und  gegliederten  Felder  sind  Rosetten,  Laubwerk 
und  Masken  geschickt  verteilt;  den  Mittelpunkt  der  Dekoration  jedes  Raumes 
bildet  eine  mythologische  Figur,  die  jedesmal  in  einem  organischen  Zusammen- 
hange mit  der  übrigen  Dekoration  steht  und  sie  in  sinnvoller  Weise  beherrscht. 
In  der  Ausführung  dieser  Werke  waltet  jene  geniale  Leichtigkeit  des  Skizzierens 
aus  freier  Hand,  wie  wir  sie  in  antiken  Dekorationen  und  dann  wieder  in  den 
besten  Werken  der  italienischen  Renaissance  finden.  Es  kann  keinem  Zweifel 
unterliegen,  daß  alle  diese  Arbeiten  auf  Italiener  zurückzuführen  sind,  und  daß 
sie  in  der  Hauptsache  auch  in  der  Zeit  nach  der  Grundsteinlegung  seit  1555  in 
ziemlich  rascher  Folge  entstanden  sein  müssen,  wofür  die  fast  völhge  künst- 
lerische Einheit  des  Ganzen  spricht.  Doch  mag  einiges  in  der  Zeit  Rudolfs  II. 
hinzugefügt  sein;  jedenfalls  wurde  zu  dessen  Zeiten  noch  verschiedentlich  daran 
gearbeitet. 

Daß  neben  diesen  kaiserlichen  Bauten  bald  auch  der  hohe  Adel  zu  künst- 
lerischen Unternehmungen  schritt,  erkennt  man  an  dem  stattlichen  Palaste 
Schwarzenberg  auf  dem  Hradschin,  einem  Bau  vom  Jahre  1545.^)  Zwei  im 
rechten  Winkel  zusammenstoßende  Flügel  bilden  den  Hauptbau.  Die  hohen  Giebel 
sind  derb  und  breit  geschweift,  die  Gesimslinie  des  Daches  wird  durch  eine  Reihe 
kleinerer  vorgesetzter  Stuck-Giebel  bekrönt.  Dies  ist  jenes  den  slawischen  Gegen- 
den eigentümliche  Motiv,  das  sich  z.  B.  am  Rathause  zu  Brüx  und  der  Tuchhalle 
zu  Krakau  wiederfindet.  Die  großen  Flächen  des  Palastes  sind  übrigens  verputzt 
und  mit  Sgraffiten,  meist  Diamant-Quadern,  aber  auch  freiem  Ornament  dekoriert. 
Schon  hier  also  ist  keine  Einwirkung  der  italienischen  Arbeiten  vom  Belvedere 
zu  spüren. 

Aber  auch  an  städtischen  Bauten  kommt  die  Renaissance  bald  zur  Ver- 
wendung. So  sieht  man  am  Alt  st  ädtis  chen  Rathaus ,  einem  im  wesenthchen 
gotischen  Bau,  über  dem  rundbogigen  Doppelportal  eine  Fenstergruppe  selbdritt 
mit  höherem  und  breiterem  Mittelfenster,  in  zierlicher  Frührenaissance  geschmückt. 
Kannelierte  Pilaster  mit  Füllhörnern  in  den  frei  korinthisierenden  Kapitellen  bilden 
die  Einfassung,  dies  alles  in  etwas  scharfer  und  trockner  Behandlung,  aber  mit 
einem  schönen  Bandfries  verbunden.  Darüber  in  der  Mitte  ein  Rundbogenfeld  mit 
elegant  antikisierender  Ghederung,  das  Wappen  umschließend.  Im  Fries  liest  man: 
Praga  caput  regni.  Über  den  Seitenfenstern  sind  wunderlich  gotisierende  Auf- 
sätze fialenartig  angebracht.  So  wächst  also  hier,  wie  in  den  meisten  Gegenden 
Deutschlands,  die  Renaissance  noch  mit  der  Gotik  zusammen.  Das  Eisengitter 
ist  aus  späterer  Zeit,  dagegen  sieht  man  ein  schönes  Gitter  von  1560  an  dem 
Ziehbrunnen  auf  dem  Kleinen  Ring.    Aus  den  trefflich  gearbeiteten  Schnörkeln 

1)  Abgeb.  bei  Fritsch  a.  a.  0. 


110 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel  Böhmen 


entwickeln  sich 
Eichblätter  und  Ei- 
cheln, sowie  ver- 
goldete Figürchen. 
Auch  an  der  Türe 
eines  Privathauses 
an  demselbenPlatze 
ein  schönes  Eisen- 
gitter. Zu  dem 
Herrlichsten  gehört 
aber  das  Gitter, 
welches  im  Dom 
das  von  Alexander 
Colins  gemeißelte 
Grabmal  Karls  IV. 
umgibt.  1) 

Bedeutend  höhe- 
ren Wert  besaß  der 
große  Marmorbrun- 
nen, der  vor  dem 

Altstädter  Rat- 
hause aufgestellt, 
dessen  Wasserwerk 
jedoch  schon  seit 
einem  Jahrhundert 
eingegangen  war. 
Dieser  Brunnen  be- 
stand aus  einem 
zwölf seitigen,  mit 
Stufen  umgebenen 
Bassin  oder  Wasser- 
kasten von  8  Meter 
Durchmesser  und 
nahezu  i^ji  Meter 
Höhe ;  in  seiner 
Mitte  erhob  sich 
eine  aufs  reichste 
mit  Figuren,  Mas- 
ken und  Laubwerk  geschmückte  Standsäule.  An  den  Seiten  des  Beckens  waren 
die  zwölf  Monate  durch  charakteristische  Relief  bilder  dargestellt  und  durch  allerlei 
passende  Attribute  erläutert,  alle  in  Beziehung  zur  Mittelsäule,  welche  den  Sonnen- 
gott darstellte.  Das  prachtvolle  Denkmal  wurde  1590 — 93  auf  Veranlassung  des 
Primators  Wenzel  Krocin  von  Drahobejl  mit  großem  Aufwand  aus  fleischfarbigem 
Sliwenetzer  Marmor  errichtet  und  zeigte  in  allen  Teilen  eine  Vollendung  und 
Feinheit  der  Durchbildung,  wie  sie  nur  am  Belvedere  und  den  Stukkaturen  des 
Sternschlosses  gesehen  wird.  Eine  nahe  Verwandtschaft  zwischen  den  späteren 
Dekorationen  dieses  Schlosses  und  den  Reliefs  des  Brunnens  ließ  sich  nicht  ver- 
kennen und  legte  die  Vermutung  nahe,  daß  beide  Werke  von  dem  gleichen  Meister 
gefertigt  worden  sein  könnten.  Der  Meister  ist  hier  wie  dort  unbekannt.  Das 
hervorragende  Werk  wurde  leider  1864  durch  rohen  Vandalismus  unter  dem  Pa- 


Abb.  68  Saal  im  Wallensteinpalast  zu  Prag 


1)  Mitteilungen  der  Zentr.-Komm.  XV.  1870  p.  60. 


Prag 


III 


tronat  der  Stadt- 
verwaltung nächt- 
lich zerstört,  um  der 
Stadt  die  Kosten 
der  Instandsetzung 
zu  ersparen. 

Noch  einen 
Brunnen  haben  wir 
zu  erwähnen,  einen 
Erzguß,  welcher 
ebenfalls  spurlos 
verschwunden  ist. 
Um  1590  fertigte 
der  Kunstgießer  Be- 
nedikt Wurzelbauej' 
aus  Nürnberg  im 
Auftrage  des  Lan- 
desoberhofmeisters 
Christoph  Poppet 
von  Lobkowitz  ei- 
nenSpringbrunnen, 
soweit  die  noch  vor- 
handene Original- 
zeichnung erken- 
nen läßt,  ein  wür- 
diges Gegenstück 
zu  dem  im  Kaiser- 
garten befindlichen 
Brunnen  des  Büch- 
senmeisters Ja- 
rosch. Wurzelbauer, 
ein    Schüler  des 
Labenwolf,  stellte 
seine    Arbeit  im 
Jahre  1600  in  Prag 
auf  und  erntete  rei- 
chen Beifall.  Auf 
einem  geschmack- 
vollen aus  dem  Metallbecken  aufsteigenden  Postamente  erblickte  man  die  lebens- 
große Figur  der  Venus  in  anmutiger  Stellung,  zu  ihren  Füßen  spielte  Amor  mit 
Delphinen  und  anderen  Meertieren,  welche  Wasser  ausspien.    Da  auch  aus  den 
Brüsten  der  Göttin  Wasserstrahlen  hervorsprangen,  ist  wahrscheinlich  das  Kunst- 
werk den  tonangebenden  Galvinisten  von  1620  anstößig  gewesen  und  in  der  da- 
maligen Bilderstürmerei  vernichtet  worden.   Im  Germanischen  Museum  zu  Nürn- 
berg befindet  sich  der  von  Wurzelbauer  gefertigte  Entwurf,  dem  von  des  Meisters 
Hand  die  Notiz  beigefügt  ist :  daß  das  Werk  für  Herrn  Christophen  von  Lobkowitz 
gemacht  wurde  und  50  Zentner  Metall  wog. 

Von  kirchlichen  Bauten  der  Renaissance  hat  Prag  nur  die  Kirche  Maria 
Viktoria  aufzuweisen,  welche  nach  Plänen  des  Scamozzi  ausgeführt  sein  soll; 
die  Kirche  ist  einschiffig,  das  Innere  schlicht  und  wenig  entwickelt:  die  gegen 
Ost  gerichtete  Fassade  aber  mit  ihrem  kräftig  vortretenden  Portal  und  den  mit 
Rustikawerk  ausgestatteten  Pilastern  macht  einen  guten  Eindruck  und  ist  frei 


Abli.  69  Vorsaal  im  Wallensteinpalast  zu  Prag 


112 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel  Böhmen 


von  barocken  Überladungen,  welche  an  den  Werken  dieses  Meisters  manchmal 
vorkommen.  Wahrhaft  großartig  ist  das  von  Scamozzi  angelegte  Treppenhaus 
in  der  Residenz,  ein  Prachtraum  von  vollendeter  Meisterschaft,  harmonisch  in 
allen  Teilen,  höchst  opulent  und  dabei  sehr  bequem.  Anderweitige  Bauwerke 
der  Renaissance  besitzt  Prag  nicht  viele;  bemerkenswert  ist  das  alte  Rathaus 
der  Kleinseite,  zwar  ruinös  und  entstellt  im  Erdgeschoß,  aber  in  den  oberen  Teilen 
schön  gegliedert;  es  ruht  auf  Arkaden  mit  Rustikapilastern,  die  beiden  oberen 
Stockwerke  zeigen  gebrochene  malerische  Giebelverdachungen  über  den  sechs 
Doppelfenstern,  dazwischen  barocke  hermenartige  Pilaster.  Das  feine  Hauptgesims 
wird  von  Konsolen  getragen.  Die  sechs  einst  krönenden  Dacherker  sind  abgebrochen. 
Das  Ganze  trägt  etwas  von  niederländischer  Art  des  17.  Jahrhunderts,  etwa  der 
Rubensschen  Richtung  anklingendem  Charakter.  Ferner  einige  originelle  Häuser 
am  Altstädter  Ring  und  der  angrenzenden  Zeltnergasse,  wie  auch  ein  fein  durch- 
gebildeter Wohnturm  an  einem  Privatgebäude  des  Roßmarktes,  der  im  obersten 
Geschoß  Pilaster  mit  Rundbogenöffnungen  dazwischen,  als  Krönung  nach  den 
vier  Seiten  malerische  Giebel  besitzt.  Diese  Giebelreihung  ist  wohl  als  slawischer 
Anklang  zu  bezeichnen.  Mehrere  hübsche  Giebel  und  Dacherker  dürfen  wir  um 
so  eher  übergehen,  als  die  Formengebung  sich  durchaus  im  hergebrachten  Ge- 
leise bewegt. 

Dagegen  steht  am  Ausgange  der  Epoche  der  Palast  Waldstein,  1629 
von  dem  großen  Wallenstein  erbaut.  Die  Fassade  zeigt  den  etwas  trocknen 
italienischen  Palaststil  der  Zeit,  mit  einigen  barocken  Elementen,  besonders  ge- 
schweiften Voluten,  versetzt.  Der  ungefähr  quadratische  Hof  ist  ähnlich  massig 
behandelt;  an  der  Eingangsseite  und  dem  gegenüberhegenden  Flügel  mit  drei 
Reihen  von  Halbsäulen  dekoriert,  und  zwar  in  dorischer,  toskanischer  und  ionischer 
Ordnung.  An  den  beiden  anderen  Seiten  fehlen  diese  Ordnungen  in  wohlberech- 
neter Absicht,  um  eine  Steigerung  für  die  Hauptfassaden  zu  ermöghchen.  Sämt- 
liche Fenster  sind  im  Rundbogen  geschlossen,  die  Bögen  von  Gesimsen  begleitet, 
die  an  den  Seiten  mit  verkröpften  Rahmen  verbunden  sind.  Nur  im  Erdgeschoß 
zeigen  die  Fenster  geraden  Sturz  und  schöne  Eisengitter.  Im  Innern  ist  der  große 
Saal  bemerkenswert,  der  im  Vorderhause  zwei  Geschosse  einnimmt,  von  einem 
Spiegelgewölbe  mit  Stichkappen  bedeckt  (Abb.  68).  Die  Stuckdekoration,  aus 
welcher  ein  großer  Kamin  hervorragt,  ist  hier,  wie  in  den  übrigen  Räumen,  selbst 
auf  den  Korridoren  (Abb.  69),  in  flottem  Barockstil  gehalten.  Neben  der  sehr  be- 
quem ansteigenden  Treppe  fehlt  nicht  die  Palastkapelle,  sehr  klein,  aber  ungemein 
hoch,  mit  einer  Empore  und  reicher  Dekoration  in  Stuck  und  Malerei. 

Alles  dies  ist  kraftvoll  und  wirksam,  künstlerisch  aber  nicht  geradezu  her- 
vorragend. Dagegen  gehört  die  gigantische  Halle  (Abb.  70),  die  an  der  Rück- 
seite des  Palastes  sich  gegen  den  Garten  mit  seinen  herrlichen  Laubmassen  und 
Baumgruppen  öffnet,  zu  den  gewaltigsten  Schöpfungen  der  Zeit;  ja,  ich  wüßte 
weder  diesseits  noch  jenseits  der  Alpen,  wenn  man  etwa  die  in  ganz  anderem 
Sinn  und  in  anderer  Zeit  errichtete  Loggia  de'  Lanzi  ausnimmt,  eine  andere  Halle, 
die  an  vornehmer  Majestät  sich  mit  diesem  Werke  messen  könnte.  Der  Bau 
kommt  an  Höhe  dem  ganzen  Palaste  gleich,  ist  an  den  Seiten  mit  Mauern  und 
kräftigen  Stirnpfeilern  eingeschlossen  und  öffnet  sich  nach  vorn  auf  gekuppelten 
Säulen  mit  Bögen  von  gewaltiger  Höhe  und  Weite.  Die  Dekoration  ist  allerdings 
schon  etwas  barock,  aber  durch  Verbindung  von  Malerei  und  Rehefs  von  reicher 
Wirkung.  Inmitten  der  heißen  lärmenden  Stadt  ist  hier  in  freier  Gartenumgebung 
ein  Raum  geschaffen,  der  den  Genuß  kösthcher  Stille  und  Zurückgezogenheit 
bietet.  An  die  eine  Seite  stößt  ein  Badekabinett,  als  Tropfsteingrotte  charak- 
terisiert, an  die  andere  ein  kleines  Zimmer  mit  Tonnengewölbe,  reicher  Barock- 
dekoration und  gemalten  Szenen  der  antiken  Heldensage.    Die  Fenster  sind  mit 


Prag 


113 


schönen  Eisengittern  verwahrt.  An  diesen  Flügel  schließt  sich  eine  Tropfstein- 
grotte, die  als  Vogelhaus  angelegt  ist.  Mit  diesem  mächtigen  Bau  ist  die  Grenze 
der  Renaissance  in  Prag  erreicht.  —  Meister  des  Baues  war  der  schon  genannte 
Giovanni  Marini  aus  Mailand,  der  ausschließlich  für  Wallenstein  arbeitete. 


Abb.  70  Halle  des  Wallensteinpalastes  zu  Prag 
(Nach  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Eenaissance) 


Eine  Fügung  des  Schicksals  wollte,  daß  die  bedeutenden  einheimischen 
Künstler,  sowohl  Baumeister,  wie  Maler  und  Bildhauer,  erst  während  des  Dreißig- 
jährigen Krieges  oder  nach  dessen  Beendigung  auftraten.  Ihre  Werke,  die  so 
wesentUch  beitragen,  der  Stadt  Prag  das  herrliche,  von  allen  Reisenden  bewunderte 
Rehef  zu  verleihen,  folgen  sich  im  Laufe  des  17.  und  18.  Jahrhunderts.  Da  in 
rascher  Folge  vor  allem  die  ganze  Reihe  der  berühmten  barocken  Palastbauten 
Prags,  vor  allem  des  Fische)-  von  Erlach,  und  einiger  Kirchen,  insbesondere  der 
zwei  Dientzenhofer. 

Süd-  und  West-Böhmen 

In  den  übrigen  Teilen  des  Landes  werden  zahlreiche  Werke  der  Renaissance 
getroffen,  bei  denen  häufig  der  italienische  Stil  mit  den  Traditionen  der  Gotik,  nach 
Art  des  Benedikt  von  Laun,  verschmolzen  worden  ist.  Es  entstand  ein  Misch-  und 
Übergangsstil,  der  von  annähernd  1520—70  in  Übung  verblieb  und  manches  originelle 
Werk  hervorgerufen  hat.  Bemerkenswert  ist,  daß  auch  die  allenthalben  wirkenden 
Italiener  sich  dieser  Richtung  anbequemten,  und  daß  neben  einzelnen  hohen  Herren 
vorzugsweise  die  deutschen  Städte  an  der  künstlerischen  Bewegung  teilnahmen. 

Im  südlichen  Böhmen  herrschten,  soweit  sichere  Nachrichten  reichen,  mit 
beinahe  königlicher  Macht  die  Herren  von  Rosenberg,  welche  mehr  als  den  achten 

Lübke-Haupt,  Eenaissance  in  Deutschland-  II  3.  Aufl.  8 


114  2.  Buch   Die  Bauwerke   XIL  Kapitel   Süd-  und  West-Böhmen 

Teil  des  Landes  innehatten  und  außerdem  in  Oberösterreich,  Steiermark,  Mähren 
und  Schlesien  reich  begütert  waren.  Verwandt  mit  den  meisten  Regentenfamilien, 
hielten  sie  glänzend  Hof,  beschäftigten  zahlreiche,  aus  allen  Ländern  zusammen- 
berufene Künstler  und  verdunkelten  nicht  selten  durch  ihre  großartigen  Unter- 
nehmunt^en  das  königliche  Haus:  ja  mehrmals  sah  man  Angehörige  dieses  Ge- 
schlechtes die  Hand  nach  der  Krone  ausstrecken.  Unter  ihren  fast  unzähligen 
Burgen  und  Schlössern  zeichneten  sich  Rosenberg,  Krumau,  Wittingau,  Frauen- 
berg und  das  einer  Seitenlinie  angehörende  Neuhaus  durch  Größe  und  prachtvolle 
Einrichtuno-  aus;  alle  wurden  schon  im  13.  Jahrhundert  gegründet  oder  ausgebaut, 
und  sind  noch  bewohnt,  haben  aber  im  Laufe  der  Zeiten  viele  Umänderungen 
erfahren  Rosenberg,  dermal  im  Besitze  der  Grafen  Bouquoi,  und  Frauenberg, 
dem  Fürsten  Schwarzenberg  gehörig,  sind  in  neuerer  Zeit  gänzlich  renoviert 
worden-  in  Wittingau,  Neuhaus  und  Krumau  hingegen  sieht  man  zwischen  den 
altertümlich  gotischen  Anlagen  verschiedene  von  den  letzten  Herren  von  Rosen- 
berg herrührende,  im  Renaissancestil  gehaltene  Partien.  Gleich  dem  Hause  der 
Medizeer  haben  auch  die  Rosenberger  von  ihrem  ersten  Auftreten  an  bis  zu  ihrem 
Erlöschen  eine  lange  Reihe  hochbegabter  Feldherren  und  Staatsmänner  aufzu- 
weisen, auch  teilten  fast  alle  die  gleiche  Kunstliebe,  welche  sich  von  Wokko  I., 
der  1259  das  Stift  Hohenfurt  gründete,  auf  seine  Nachkommen  vererbte.  Unter 
Peter  IV  von  Rosenberg  wurde  der  Baumeister  Pesnitzer  aus  Burghausen  in 
Bayern  berufen,  um  das  Schloß  Krumau  zu  restaurieren  und  zu  vergrößern, 
welche  Arbeit  zwischen  1508-20  durchgeführt  wurde.  Krumau  ist  em  Kon- 
glomerat von  Gebäuden,  welche  aus  den  verschiedensten  Zeiten  herriihren  und 
übertrifft  an  Umfang  manche  Stadt:  die  Burg  enthält  fünf  Höfe  und  mehr  als 
dreihundert  Gemächer,  abgesehen  von  Beamtenwohnungen,  Okonomieraumen  und 
Stallungen  Der  erste  oder  Vorhof  heißt  Tummelplatz,  weil  darm  ehemals  Tur- 
niere abgehalten  wurden;  von  hier  führt  eine  Brücke  in  den  zweiten  Hof,  der 
um  obige  Zeit  seine  gegenwärtige  Gestalt  erhalten  hat.  Die  diesen  Hof  um- 
gebenden Baulichkeiten  gehören  der  gotisierenden  Frührenaissance  an,  die  Wände 
sind  mit  Sgraffiten  und  grau  in  grau  gemalten  Arabesken  verziert,  die  Ge- 
simse schwer,  aber  nach  italienischer  Weise  gegliedert,  und  die  Uberwölbungen 
rundbogig.  An  der  Südostseite  dieses  Hofes  steht  auf  einem  steil  gegen  den 
Moldaufluß  abfallenden  Felsen  der  runde  Bergfried,  dessen  Unterbau  noch  der 
romanischen  Zeit  angehört.  In  der  Höhe  von  12  Meter  beginnt  der  Neubau, 
kenntlich  durch  eine  Reihe  gekuppelter  Fenster  mit  balusterförmigen  Saulchen 
und  antiken  Gesimsen.  Weiter  oberhalb,  26  Meter  über  dem  Niveau  des  Platzes 
umzieht  ein  weitausladendes  Gesims  aus  Terrakotta  den  Bau,  darüber  erhebt  sich 
eine  meisterhaft  angeordnete  Säulengalerie  mit  durchbrochenen  Geländern  an 
den  kolossale  Löwenköpfe  und  Masken  angebracht  sind.  Innerhalb  der  Galerie 
befindet  sich  die  Türmerwohnung  und  eine  Glockenstube.  Das  mit  emer  hoch- 
aufstrebenden Laterne  versehene  Kupferdach  ruht  auf  der  Säulenstellung,  deren 
reiche  Kapitelle  und  Gebälke  wesentlich  beitragen,  den  ganzen  Bau  als  em  Werk 
deutscher  Renaissance  erscheinen  zu  lassen.  Dazu  kommt,  daß  das  schon  m 
seinen  Formen  überraschende  Bauwerk,  welches  bei  13  Meter  unterm  Durchmesser 
eine  Gesamthöhe  von  mehr  als  60  Meter  erreicht,  auch  durch  em  wunderbares 
Farbenspiel  gehoben  wird;  das  warme  Grau  der  Granitquadern  am  Unterbau  die 
rote  Farbe  der  Terrakotten  im  Vereine  mit  der  grünschimmernden  Kupferdachung 
gewähren  einen  überaus  reichen  Anblick.  Der  dritte  in  der  eigenthchen  Hoch- 
burg gelegene  Hof  bietet  geringeres  Interesse,  nur  die  dort  befindliche  bchloß- 
kapelle  ist  in  eleganter  Renaissance  ausgestattet.  Alle  übrigen  Bauhchkeiten 
sind  total  erneuert  worden.') 

1)  Aufnahme  der  Wiener  Bauhütte  XYI. 


Krumau  Wittingau 


115 


Auch  die  Stadt  Krumau  besitzt  mehrere  schöne,  im  altertümHchen  Stil 
ausgeführte  Häuser,  an  denen  neben  wohlerhaltenen  Stukkaturen  noch  manche 
Reste  von  Malereien  getroffen  werden.  Rundbogige  Arkaden  an  den  der  Straße 
zugekehrten  Fassaden  und  abgetreppte  Giebel  sind  charakteristische  Merkmale 
dieser  Bauten,  zu  deren  Herstellung  die  Bürger  offenbar  durch  ihre  Fürsten  an- 
geeifert wurden. 


Abb.  71   Haus  zu  Wittingau 


Ähnliche  Verhältnisse  finden  sich  in  Wittingau  und  N e u h a u s ,  und  zwar 
sowohl  in  den  dortigen  Schlössern  wie  städtischen  Gebäuden.  Die  fortwährend 
bewohnten  Schlösser  bestehen  aus  den  mannigfaltigsten  romanischen,  gotischen 
und  neueren  Bauteilen,  ziemlich  bunt  aneinander  gereiht;  im  Schlosse  Neuhaus 
erbhckt  man  ein  schönes  Portal  mit  Vorhalle  und  Treppenhaus,  in  Wittingau  einen 
stattlichen  Säulengang  und  eine  Schloßkapelle,  von  Wilhelm  Rosenberg  um  1550 
erbaut.  An  den  im  Renaissancestil  ausgeführten  Häusern  kommen  geschweifte, 
auch  halbkreisförmige  Giebel  und  Laubengänge  vor,  über  den  Eingängen  Jahres- 
zahlen, die  von  1540—1600  fortlaufen.    Überaus  charakteristisch  ist  namenthch 


116  2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel    Süd-  und  West-Böhmen 

in  Wittingau  ein  ansehnliches,  jetzt  als  Gasthaus  dienendes  Wohnhaus  (Abb.  71), 
das  die  Jahreszahl  1544  und  das  Rosenbergsche  Wappen  trägt.  Die  weiten,  auf 
abgefasten  Pfeilern  ruhenden  Arkaden  des  Erdgeschosses,  vor  allem  a,ber  der 
breite  Giebel  mit  seinen  abgetreppten  Zinnenkränzen  und  den  festungsartigen 
runden  Ecktürmen  gehören  zu  den  Besonderheiten  dieser  böhmisch-slawischen 
Architektur.  Es  ist  hier  wieder  die  Häufung  gleichartiger  krönender  Motive  über 
dem  horizontalen  Hauptgesims,  die  in  allen  slawischen  Gegenden  wiederkehrt. 
Von  der  hübschen  Anordnung  des  Inneren  gibt  der  Grundriß  des  Erdgeschosses 
(Abb.  72)  eine  Anschauung. 

Rings  von  den  Besitzungen  der  Rosenberger  eingeschlossen  liegt  in  einer 
fruchtbaren  Ebene  die  könighche  Stadt  Budweis,  deren  Anlage  mit  vieler  Wahr- 
scheinlichkeit den  genannten  Dynasten  zugeschrieben  wird.    Mit  Ausnahme  der 
im  13.  Jahrhundert  durch  Ottokar  IL  erbauten  Dominikanerkirche  und  des  gründ- 
lich verzopften  gotischen  Do- 
mes gehört  die  ganze  Stadt 
in  allen  Plätzen  und  Straßen 
der  Renaissance  an.  Schöne, 
sorgfältig  durchgeführte  Ge- 
bäude werden  nicht  getroffen; 
im  einzelnen  betrachtet  trägt 
sogar  der  Stil  einen  nüch- 
ternen,   etwas   derben  Cha- 
rakter^), das  Gesamtbild  der 
Stadt  aber  ist  ein  ungemein 
Abb.  72  Erdgeschoßgrundriß  eines  Hauses  zu  Wittingau         freundliches  und  wohnliches. 

Besonders  hübsch  präsentiert 
sich  der  genau  orientierte  Marktplatz,  der  nahezu  ein  regelmäßiges  Quadrat  bildet 
und  an  allen  Seiten  mit  offenen  Arkaden  (Laubengängen)  umgeben  ist.  Inmitten 
des  Platzes  steht  ein  trefflich  komponierter,  mit  Statuen  geschmückter  Brunnen, 
von  dem  aus  die  Anordnung  der  inneren  Stadt  am  besten  übersehen  werden 
kann.  Im  Gegensatze  zu  anderen  Städten  Böhmens  erblickt  man  weder  einen 
Giebel  noch  ein  Dach:  alle  Dachungen  sind  auf  slawische  Art  nach  rückwärts 
geneigt  und  die  Fassaden  entweder  mit  horizontalen  Galerien  oder  Altiken  ge- 
krönt, so  daß  der  Beschauer  sich  fast  nach  Italien  versetzt  glaubt.  Obwohl 
die  Häuser  sehr  einfach  ausgestattet  sind,  waltet  doch  keine  Monotonie  vor;  die 
verschieden  gestalteten  Bogenstellungen,  durchbrochenen  Galerien  und  Pilaster 
bewirken  ein  sehr  belebtes  Bild.  Ein  bezeichnendes  Beispiel,  das  die  Arkaden  des 
Erdgeschosses  und  die  eigentümliche  festungsartige  Behandlung  der  oberen  Ab- 
schlüsse mit  Zinnenkranz  und  Ecktürmchen  veranschauKcht,  fügen  wir  in  Abb.  73 
bei.  Die  national-böhmische  Bauweise  tritt  hier  ganz  besonders  stark  in  die  Er- 
scheinung. Neben  dem  schon  genannten  Gonvale  (1610—47)  waren  übrigens  noch 
mehrere  itahenische  Meister  in  Budweis  tätig ;  das  geräumige  Rathaus,  der  Markt- 
brunnen und  Stadtturm  geben  Zeugnis  von  ihrem  Wirken. 

Vier  Stunden  südlich  von  Budweis  Hegt  das  zierliche  Schlößchen  Komar- 
schitz,  im  Jahre  1565  von  dem  Ritter  Korczensky  erbaut  und  besonders  des- 
halb wichtig,  weil  es  das  einzige  nach  einheitlichem  Plane  durchgeführte  Bau- 
werk Südböhmens  ist.  Sowohl  im  Erdgeschoß,  wie  in  den  beiden  oberen  Stock- 
werken ziehen  toskanische  Bogenstellungen  sich  vor  den  Zimmerreihen  hin  und 
verbinden  die  entgegengesetzten  Flügel  des  Schlosses.  Von  Budweis  gegen  Westen 

1)  Vgl.  Mitteilungen  der  k.  k.  Zentr.-Komm.  1868,  p.  XCVI,  wo  einige  Abbildungen  von 
Häusern  enthalten  sind,  denen  unsere  Abb.  71 — 73  durch  zuvorkommende  Güte  des  Herrn 
Präsidenten  der  Zentr.-Komm.  entlehnt  sind. 


Prachatitz 


117 


uns  wendend  gelangen  wir  in  den  Böhmerwald,  wo  nach  zehnstündiger  Wanderung 
das  Städtchen  Prachatitz  gar  einladend  zwischen  hohen  Bergen  und  Fichten- 
wäldern hervorblickt.  Von  den  Hussiten  1520  gründUch  zerstört,  erholte  sich  die 
ehemals  sehr  blühende  Stadt  durch  die  Vorsorge  der  Herren  von  Rosenberg  all- 
mählich wieder  und  wurde  zwischen  1500—60  neu  in  einem  eigentümlichen 
Gebirgsstil  aufgebaut.  Alle  Häuser  zeigen  Spuren  von  Bemalung  und  Stukkatur, 
überall  sieht  man  Inschriften,  Wappen,  Sgraffiten  und  ornamentierte  Steinmetz- 
arbeiten. Am  besten  hat  sich  das  Rathaus  mit  seinen  Gemälden  und  unzähhgen 
auf  Spruchbänder  geschriebenen  Sinnsprüchen  erhalten :  es  ist,  gleich  den  meisten 
Häusern,  in  zwar  etwas  schwerer,  aber  vollständig  entwickelter  Renaissance  ge- 
halten, mit  einem  stattlichen  Erker  verziert  und  hat  ein  schönes  Portal,  über 
dem  die  Jahreszahl  1571  als  Erbauungszeit  steht.') 


Abb.  73  Haus  zu  Budweis 


Die  Malereien  überdecken  das  ganze  Gebäude  vom  Sockel  bis  zum  Dach- 
gesims ;  man  sieht  die  allegorischen  Gestalten  der  Gerechtigkeit,  Tapferkeit,  Weis- 
heit, dann  Glaube,  Hoffnung  und  Liebe,  Schlachten,  biblische  Szenen  usw.  — 
Auch  das  Rosenbergsche  Wappen  mit  der  Überschrift:  Wilhelmus  a  Rosenberg, 
ist  angebracht,  ein  Zeichen,  daß  dieser  feingebildete  und  kunstsinnige  Fürst, 
welcher  1559—98  Besitzer  der  Stadt  war,  das  Haus  hat  erbauen  lassen. 

Erinnert  Prachatitz  mit  seiner  malerischen  Ausstattung  an  die  Landstädte 
Tirols  und  Oberbayerns,  so  betreten  wir  nun,  in  das  Waldgebirge  vordringend, 
das  Gebiet  der  Alpenbauart.  Mittelpunkt  ist  der  Marktflecken  Wallern,  ein 
ansehnhcher  Ort  mit  2000  Einwohnern  und  etwa  250  Häusern,  welche  größten- 
teils mit  flachen,  steinbeschwerten  Schindeldächern  bedeckt  und  im  Blockwandbau 
ausgeführt  sind.  Hat  auch  vor  einigen  Jahren  hier  ein  großer  Brand  gewütet  und 


1)  In  Aufn.  d.  Wiener  Bauhütte  XVI. 


11g  2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Süd-  und  West-Böhmen 

viele  Gebäude  zerstört,  so  blieb  doch  genug  erhalten,  um  den  alten  Bestand  er- 
kennen zu  lassen.  Peter  Wok  von  Rosenberg  begünstigte  die  gewerbsamen  Ein- 
wohner von  Wallern  besonders;  unter  ihm  dürften  gegen  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts die  meisten  Häuser  errichtet  worden  sein.  Einen  ähnlichen  malerischen 
Gebirgscharakter  wie  Prachatitz  zeigt  auch  die  Stadt  Winterberg,  wo  die  Rosen- 
berge ebenfalls  ein  großes  Schloß  besaßen. 

Ostwärts  der  Moldau  liegen  an  der  alten  Prager  Straße  (jetzt  Eisenbahn) 
die  Stadt  Wesely  mit  einem  geschmackvollen,  aber  sehr  kleinen  Rathause, 
dann  Sobieslau  mit  mehreren  Bauten  der  letzten  Rosenberge.  Tabor,  als 
Hussitenlager  entstanden,  besaß  bis  vor  kurzem  zwei  interessante  Tore  im  ge- 
mischten gotisch-welschen  Stil  erbaut,  die  aber  der  Eisenbahn  weichen  mußten. 
Erhalten  haben  sich  einige  mit  geschweiften  Giebeln  versehene  Häuser,  unter 
denen  das  alte  hussitische  Predigerhaus  sich  durch  seltsame  Phantastik  aus- 
zeichnet. Vor  diesem  Hause  besteht  noch  ein  großer,  aus  Granit  errichteter  Tisch, 
an  welchem  das  Abendmahl  den  böhmischen  Konfessionisten  unter  beiderlei  Ge- 
stalt erteilt  wurde. 

Der  Budweis-Pilsener  Eisenbahn  folgend,  erblickt  man  nach  Zurücklegung 
des  halben  Weges  das  gewaltige  Schloß  Strakonitz,  wo  der  Landgraf  Bavarus 
von  Strakonitz  im  Jahre  1243  einen  Konvent  des  Johanniterordens  gründete. 
Diesem  Orden  gehört  heute  noch  das  Schloß,  das  begreiflicherweise  oft  um- 
geändert und  überbaut  worden  ist.  Johann  von  Rosenberg,  1517 — 32  General- 
prior, erbaute  einen  Flügel  in  sehr  altertümUcher  Renaissance,  zu  Wohnungen 
für  die  anwesenden  Ritter  bestimmt.  Jedes  Gemach  hat  einen  besonderen,  auf 
Kragsteinen  vorgelegten  Erker  mit  großen  dreifeldrigen  Fenstern,  und  ist  mit 
Vertäfelungen  ausgestattet,  doch  wird  gegenwärtig  das  Gebäude  wenig  benützt. 
Nahe  bei  der  Stadt  Strakonitz  befindet  sich  die  von  einem  Friedhofe  umgebene 
St.  Wenzels-Kirche,  woselbst  ein  in  edelster  Renaissance  errichtetes  Prachtporta], 
ganz  aus  Tafeln  von  gebranntem  Ton  gefügt,  sich  erhalten  hat.  Dieselbe  An- 
ordnung, wie  sie  am  geschilderten  Schloßteil  von  Strakonitz  vorkommt,  gewahrt 
man  auch  an  dem  um  1530  von  Leo  von  Rosmital  neu  aufgebauten  Schlosse 
Blatna:  spitzwinkelig  vortretende  Erker,  reiche  Vertäfelungen  und  in  einer  der 
beiden  Schloßkapellen  auch  bemerkenswerte  Wandgemälde. 

Die  ehemalige  Kreisstadt  Klattau,  unfern  der  bayrischen  Grenze,  besitzt 
ein  schönes,  1559  erbautes  Rathaus  mit  einem  kunstreichen  Turme,  der  in  der 
Höhe  von  45  Meter  mit  einer  Galerie  umzogen  und  mit  trefflicher  Steinmetzarbeit 
ausgestattet  ist.  Erbauer  war  ein  Amsterdamer  namens  Salnellyn,  welcher  durch 
unbekannte  Schicksale  hierher  verschlagen  wurde.  Aus  diesem  Beispiele  erhellt, 
daß  neben  den  Italienern  fortwährend  Künstler  aus  allen  Weltgegenden  nach 
Böhmen  berufen  wurden  und  Beschäftigung  fanden.  Noch  ein  in  dieser  Gegend 
befindliches  Schloß  darf  nicht  unerwähnt  bleiben:  Bischofteinitz,  ehemals 
Besitztum  der  Prager  Bischöfe,  woher  der  Name  rührt.  Im  Verlauf  der  Hussiten- 
stürme,  als  der  gewalttätige  Adel  sich  die  geistlichen  Güter  aneignete,  gelangte 
die  Herrschaft  durch  Verpfändung  an  die  Herren  Dobrohast  von  Ronsberg,  dann 
1539  an  die  Lobkowitz,  die  das  Schloß  erweitern  oder  ganz  neu  aufbauen  ließen. 
Es  ist  um  einen  rechteckigen  Hof  angeordnet,  an  den  Ecken  mit  Türmen  flankiert 
und  genau  in  derselben  Manier  ausgeführt,  welche  wir  am  Schwarzenbergschen 
(ursprünglich  Rosenbergschen)  Palast  auf  dem  Hradschin  zu  Prag  kennen  gelernt 
haben.  Johann  von  Lobkowitz,  Oberstlandeskämmerer  in  Böhmen  (1554 — 70), 
war  der  Bauherr.  Der  Meister  ist  unbekannt,  er  scheint  derselbe  gewesen  zu 
sein,  der  den  Schwarzenbergschen  Palast  erbaute:  man  sieht  hier  wie  dort  die 
gleichen,  mit  Zwickeln  vorgelegten  Dachgesimse,  Sgraffiten  und  Fensterumrah- 
mungen, überhaupt  die  gleiche  Behandlung  des  Details. 


Pilsen 


119 


Nächst  Prat'  besitzt  Pilsen  die  meisten  und  bedeutungsvollsten  Denkmale 
der  Renaissance,  die  hier  keine  oder  nur  geringe  itahenische  Einflüsse  erkennen 
läßt    Zuerst  fällt  der  geräumige  Marktplatz  von  190  Meter  Länge  und  140  Meter 
Breite  auf,  in  dessen  Mitte  (jedoch  stark  gegen  Norden  gerückt)  die  gotische, 
von  den  deutschen  Ordensrittern  gegründete  Erzdechaneikirche  hegt.  Reich- 
geschmückte Häuser,  alle  mit  Jahreszahlen  und  Inschriften  versehen,  umgeben 
den  Platz,  der  ein  würdiges  Gegenstück,  doch 
zugleich  den  entschiedensten  Gegensatz  zu 
dem  Budweiser  Ringe  bildet,  da  in  Pilsen 
weder  Lauben gänge  noch  Balustraden  gesehen 
werden.  Mit  Ausnahme  des  öden  neuen  Kreis- 
amtsgebäudes gehören  alle  am  Platze  stehen- 
den Gebäude  der  Frührenaissance  an,  sind 
zwischen  1535-90  entstanden  und  zeichnen 
sich  durch  hohe  Giebel,  mitunter  auch  durch 
prachtvolle  Portale  aus.    Als  ältestes  Bau- 
werk Pilsens   wird   das  Deutsche  Haus 
(Abb.  74)  genannt,  das  schon  unter  dem  König 
Ottokar  L  1217—20  durch  die  deutschen  Ritter 
angelegt  worden  sein  soll.    Dieses  Gebäude, 
ein  Eckhaus   an  der  Westseite  des  Markt- 
platzes, besteht  eigentlich  aus  zwei  fast  ganz 
gleichen  Häusern,  von  denen  jedes  mit  einer 
besonderen  Giebelkrönung  versehen  ist.  Von 
dem  hohen  Alter  und  ursprünglichen  Bestände 
hat  sich  keine  äußere  Spur  erhalten,  auch  ist 
fraglich,  ob  die  Kernmauern  noch  der  Grün- 
dungszeit entstammen:  die  gegen  den  Platz 
gerichtete  Seite  ist  ein  schöner  Renaissance- 
bau und  unter  einem  Fenster  mit  der  Jahres- 
zahl 1536  bezeichnet.    Die  beiden,  mit  kräf- 
tigen Gesimsen  und  Pilastern  ausgestatteten 
Giebel  verleihen  dem  Hause  ein  stolzes  An- 
sehen, das  durch  gekuppelte  Fenster  und  Ru- 
stika noch  gehoben  wird.  Im  Innern  bestehen 
einige  Wölbungen  mit  spätgotischen  Rippen, 
auch  spitzbogige  Fenster,  die  jedoch  gleich- 
zeitig mit  den  übrigen  Bauteilen  hergestellt 
worden  sein  können.  Interessant  ist  eine  höl- 
zerne Treppe  mit  geschnitztem  Geländer  und 

einige  Holzdecken,  auch  hat  sich  im  oberen  Stockwerk  ein  großes, 
maiereien  verziertes  Gemach  erhalten. 

Nordwärts  von  der  Kirche  erhebt  sich  das  Rathaus,  ein  mächtiges  aus 
Quadern  errichtetes  Bauwerk,  reich  an  geschichtlichen  Erinnerungen  aus  der  Zeit 
des  Dreißigjährigen  Krieges.  Das  Haus  ist  22  Meter  lang  und  enthält  außer  dem 
Erdgeschosse  noch  vier  Stockwerke ;  deren  oberstes  umfaßt  jedoch  nur  eine  Uhr- 
kammer und  zwei  benutzbare  Nebenräume.  Oberhalb  des  Hauptgesimses  steigen 
die  in  Böhmen  beliebten  Dacherker  auf,  dazwischen  stehen  große  Steinvasen  und 
auf  dem  Dachfirst  ein  Türmchen  als  Dachreiter.  Die  Formengebung  ist  schlicht, 
im  Obergeschoß  toskanische  Pilaster,  die  Fenster  ebenfalls  mit  solchen  Gesimsen 
umrahmt  und  im  Parterre  kräftige  Rustika.  Über  dem  rundbogigen  Portal  tritt 
ein  offener  Balkon  vor,  wohl  spätere  Zutat.    Im  ersten  Stockwerk  befindet  sich 


Abb.  74  Deutsches  Haus  zu  Pilsen 


mit  Wand- 


120  2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Süd-  und  West-Böhmen 

ein  groISer  Saal,  in  dem  noch  ein  Teil  der  alten  Rüstkammer  aufbewahrt  wird: 
man  sieht  aus  der  Hussitenzeit  herrührende  Wafifenstücke,  die  meisten  aber 
gehören  der  Zeit  des  Dreißigjährigen  Krieges  an.  Trotz  seiner  fast  übertriebenen 
Einfachheit  und  massigen  GHederung  zeigt  der  Bau  eine  wohldurchdachte  künst- 
lerische Anordnung  und  eine  seiner  Bestimmung  angemessene  Großheit.  Als  Bau- 
zeit ist  das  Jahr  1558  festgestellt. 

Nur  wenige  Jahre  nach  dem  Rathause  entstanden  das  gegenwärtige  Erz- 
dechaneigebäude  und  das  anstoßende  Haus,  beide  der  Westfronte  der  Kirche 
gegenüberstehend.  Letzteres  scheint  seiner  Ausstattung  gemäß  ursprünglich  zu 
einem  Pfarrhof  bestimmt  gewesen  zu  sein  und  zeichnet  sich  durch  großen  Reichtum 
an  Ornamenten  und  Figuren  aus.  Ein  sehr  schlanker,  mit  Schnecken  und  Vasen 
ausgestatteter  Giebel  ist  durch  wagerechte  Gesimse  in  drei  Stockwerke  abgeteilt, 
das  obere  enthält  eine,  das  mittlere  drei  und  das  unterste  fünf  Nischen  mit 
Heiligengestalten  in  hocherhabener,  zum  Teil  ganz  runder  Arbeit,  aus  Sandstein 
hergestellt:  die  Nischen  selbst  sind  zwischen  toskanische  Halbsäulen  eingepaßt. 
In  der  obersten  Nische  thront  Gott -Vater  auf  Wolken,  unter  diesem  Bilde  er- 
blickt man  im  Mittelfelde  die  Dreieinigkeit,  rechts  Petrus  mit  den  Schlüsseln,  links 
Paulus  mit  einem  Buche,  als  Brustbilder.  Die  unterste  Nischenreihe  enthält  in 
der  Mitte  ein  Fenster,  neben  welchem  die  überlebensgroßen  Standbilder  der  Evan- 
geHsten  eingereiht  sind.  Das  mit  Sparrenköpfen  ausgestattete  Hauptgesims  wird 
von  Gnomen  unterstützt,  zwischen  denen  kleine,  nur  1/2  Meter  hohe  Fenster  ein 
Zwischengeschoß  andeuten.  Sonst  besitzt  das  Haus  neben  dem  Erdgeschoß  nur 
ein  einziges  Stockwerk  mit  drei  fabelhaft  reich  dekorierten  Fenstern,  von  denen  das 
mittlere  einteilig,  die  beiden  äußeren  aber  zweifeldrig  sind.  Da  die  Fassade  nur 
etwa  91/2  Meter  breit  und  mit  einem  Tor  versehen  ist,  konnte  dieses  nur  an  der 
Seite  angebracht  werden;  dem  Gharakier  des  Ganzen  entsprechend,  prangt  es  im 
vollsten  Ornamentenschmuck.  Neben  der  rundbogigen  Öffnung  stehen  Karyatiden 
mit  ionischen  Kapitellen  auf  den  Häuptern  und  unterstützen  ein  mit  Perlstäben 
und  Kragsteinen  versehenes  Gebälke,  dessen  Fries  durch  verschlungene  Untiere 
ausgefüllt  wird.  Damit  ist  die  Fülle  der  Ornamentierung  noch  nicht  erschöpft; 
das  Feld  oberhalb  des  neben  dem  Portal  befindlichen  Fensters  wird  ausgefüllt 
durch  ein  großes  in  Stuckmasse  ausgeführtes  Relief,  die  Ermordung  des  hl.  Wenzel 
darstellend.  Der  Heilige  hält  sich  im  Niedersinken  an  dem  Ring  der  Kirchentüre 
fest,  sein  Bruder  stößt  ihm  von  rückwärts  das  Schwert  in  den  Leib,  während  ein 
Mordgeselle  die  Fackel  schwingt  und  ein  treuer  Diener  dem  Gefallenen  beizu- 
stehen sucht.  Auf'  einem  kleinen  am  Torbogen  angebrachten  Schilde  befindet 
sich  der  Name  des  Bauherrn:  W.  STANEK,  darin  die  Jahreszahl  1572. 

Ein  zweites  ähnhch  angeordnetes,  offenbar  vom  selben  Baumeister  aus- 
geführtes Haus  findet  sich  in  einer  Nebenstraße,  die  gegenwärtig  Fleischbank- 
straße genannt  wird.  Die  Dekoration  ist  womöglich  noch  reicher,  doch  bemerkt 
man  hier  anstatt  der  Heiligenfiguren  kriegerische  Trophäen,  Helme,  Fahnen,  Schanz- 
körbe, dazwischen  auch  musikalische  Instrumente,  Geigen,  Notenblätter  usw.  Das 
Baujahr  1575  ist  am  Schlußstein  des  Torbogens  eingemeißelt.  —  Einige  zwanzig 
auf  dem  Marktplatz  und  dessen  Nähe  befindhche  Häuser  sind  in  ähnlicher  Weise 
ausgeführt,  wobei  erwähnt  zu  werden  verdient,  daß  fast  alle  gleiche  Breite  ein- 
halten, daß  ferner  die  Portale  immer  auf  der  Seite  stehen,  und  im  Stockwerk 
darüber  nicht  mehr  als  drei  Fenster,  manchmal  doppelte,  getroffen  werden. 

Wir  haben  den  Pilsener  Bauten  mit  Absicht  eine  etwas  eingehende  Be- 
schreibung gewidmet,  weil  eine  solche  Anzahl  reichornamentierter  Werke  weder 
in  Böhmen  noch  in  den  Nachbarländern  vorkommt.  Die  Formengebung  neigt 
schon  zum  Barocken  hin,  die  Ausführung  aber  verdient  um  so  höhere  Anerken- 
nung, als  die  Stadt  unter  ihren  Einwohnern  nie  einen  Fürsten  oder  sonstigen 


Pilsen 


121 


hohen  Herrn  zählte  und  alle  Unternehmungen  vom  Bürgerstande  ausgingen. 
Pilsen  ist  zugleich  der  einzige  Ort,  wo  der  Hussitismus  nie,  auch  nicht  vorüber- 
gehend, Fuß  fassen  konnte:  Zischka  gewährte  1421  den  Pilsenern  einen  Waffen- 
stillstand und  Heß  sie  dann  unbehelligt.  Vor  den  Mauern  Pilsens  brach  sich  1433 
die  Macht  der  Hussiten,  Prokop  der  Große  mußte  nach  beinahe  zehnmonatHcher 
Belagerung  mit  Hinterlassung  seines  Heergerätes  und  der  Kranken  unverrichteter 
Dinge  abziehen,  um  bei  Lipan  nebst  13000  Taboriten  den  Tod  zu  finden.  Auch 
an  den  Adelserhebungen  von  1546—47  und  1618—20  hat  Pilsen  ebensowenig 
wie  Budweis  teilgenommen,  weshalb  diese  Städte  von  Kaiser  Ferdinand  II.  den 
Ehrentitel  „stets  getreue"  erhielten. 

Zuverlässige  Nachrichten  über  die  in  Pilsen  wirkenden  Künstler  fehlen  bei- 
nahe gänzlich;  Italiener  werden  zwar  genannt,  doch  scheint  vorzugsweise  ein 
einheimischer  Meister  tätig  gewesen  zu  sein. 

Das  nordwestliche  und  nördliche  Böhmen 

Von  Bischofteinitz  dem  Grenzgebirge  entlang,  gegen  Nordwest  hinwandernd, 
betreten  wir  das  kompakte  Deutschböhmen  mit  einer  großen  Anzahl  von  Städten, 
darunter  die  ehemalige  Reichsstadt  Eger,  die  Weltbäder  Karlsbad  und  Teplitz, 
dann  Saaz,  Komotau,  Brüx,  Aussig  und  Leitmeritz.  Der  Fachwerkbau  war  in 
diesen  Gegenden  bis  zur  Zeit  des  Kaisers  Joseph  II.  allgemein  übhch,  dann  wurde 
diese  Bauweise  wegen  FeuergefährHchkeit  strengstens  verboten.  In  Gzernoschim, 
Plan,  Sandau  bis  hin  gegen  Asch,  ferner  in  Joachimstal,  Klösterle,  Görkau  und 
Graupen  werden  noch  viele  Fach-  oder  Riegelwerkbauten  getroffen,  die  je  nach 
ihrem  Alter  sich  bald  mehr  der  Gotik,  bald  der  Renaissance  nähern.  Größere 
künstlerisch  wichtige  Bauwerke  werden  in  diesem  Bezirke  nicht  viele  gefunden, 
die  ununterbrochenen  Kriege  und  Grenzstreitigkeiten  des  15.  und  16.  Jahrhunderts 
haben  hier  so  schwer  gelastet,  daß  im  Verhältnis  zu  den  Zerstörungen  wenig 
geschaffen  werden  konnte.  Die  am  Schlüsse  des  12.  Jahrhunderts  erbaute  roma- 
nische Klosterkirche  zu  Tepl  besitzt  ein  schönes  Renaissance-Portal  und  die  an- 
grenzende Stadt  ein  paar  hübsche  Häuser:  Eger  hingegen  hat  nicht  ein  einziges 
Denkmal  der  Frühzeit  aufzuweisen.  Das  Rathaus  wurde  1723—28  vom  dortigen 
Baumeister  Pföffer  mit  Beibehaltung  einiger  aus  den  Jahren  1550—72  herrüh- 
render Teile  in  verständiger  Spätrenaissance  aufgeführt  und  gewährt  immerhin 
einen  erfreuhchen  Anbhck.  Einen  Besuch  verdient  das  zwei  Stunden  von  Eger 
entfernte  Schloß  Seeberg  mit  einem  interessanten  vertäfelten  Saale  und  mehreren 
altertümlichen  Einrichtungsstücken.  Die  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderls  entstam- 
menden Schlösser  Falkenau  und  Heinrichsgrün  sind  quadratische,  an  den 
Ecken  mit  Rundtürmen  flankierte  Bauwerke  und  nur  deshalb  bemerkenswert, 
weil  dergleichen  in  Süddeutschland  sehr  häufige  Anlagen  hierlands  sonst  nicht 
gesehen  werden.  Das  stattliche  Rathaus  zu  Kaaden  wurde  in  der  Neuzeit  durch 
Brand  schwer  beschädigt  und  dann  überaus  nüchtern  von  Grund  aus  erneuert. 
Erhalten  hat  sich  nur  der  gotische  Stadtturm  und  ein  anstehendes,  in  eleganter 
deutscher  Renaissance  gehaltenes  Tor.  Komotau,  Commenda,  die  berühmte 
Komturei  des  deutschen  Ritterordens,  besitzt  noch  interessante  Überreste  des  von 
den  Hussiten  zerstörten  Schlosses,  das  um  1560  durch  die  Herren  von  Lobkowitz 
wieder  aufgebaut  wurde. 

Beinahe  alle  Rathäuser  Deutschböhmens  zeigen  die  schon  beschriebene  ge- 
mischte Bauweise:  spitzbogige,  gegen  die  Marktplätze  gerichtete  Arkaden,  schwere 
toskanische  Gliederungen  und  reich  ausgestattete  Dacherker,  in  denen  sich  nicht 
selten  die  architektonische  Bedeutung  konzentriert.  So  stellt  sich  das  um  1560 
erbaute  Rathaus  zu  Brüx  dar,  ein  Bau  von  beschränktem  künstlerischen  Werte, 


122    2.  Buch  Die  Bauwerke  XII.  Kapitel  Das  nordwestliche  und  nördliche  Böhmen 

doch  ein  Ganzes  von  originellem  Ausdruck.  (Abb.  75.)  Die  langgestreckte  Fas- 
sade, welche  die  Westseite  des  Marktplatzes  begrenzt,  öffnet  sich  mit  teils  rund- 
bogigen,  teils  spitzbogigen  Hallen;  an  der  südlichen  Ecke  springt  ein  viereckiger 
Turm  vor  (auf  unserer  Abbildung  links  angedeutet),  im  Erdgeschoß  ebenfalls  eine 
Spitzbogenhalle  bildend.  Sämtlichen  Arkadenstützen  sind  derbe  Strebepfeiler  vor- 
gelegt, auf  deren  geschweiften  Deckplatten  kolossale  Figuren  aus  Sandstein  ruhen. 
Dies  alles,  sowie  der  reiche  Freskenschmuck  der  Fassade,  die  freilich  wiederholte 
Erneuerungen  verrät,  gibt  dem  Ganzen  eine  lebhafte  Wirkung  trotz  des  geringen 

Materials  und  der  flüch- 
tigen, fast  rohen  Aus- 
führung. Auch  hier  die 
oft  erwähnte  Reihung 
kleiner  Giebel  über  dem 
Hauptgesims  nach  sla- 
wischer Art.  Die  Ein- 
wirkung der  Krakauer 
Tuchhalle  ist  unverkenn- 
bar. Der  rundbogige 
Eingang  ist  rechts  und 
links  mit  Sitznischen 
versehen,  hat  in  der  Ar- 
chivolte  hübsches  Orna- 
ment und  in  der  Mitte 
das  Brustbild  des  Bau- 
meisters, der  einen  ge- 
öffneten Zirkel  hält.  Eine 
geradläufige  Treppe,  de- 
ren Geländer  gotisches 
Maßwerk  mit  eleganten 
Renaissance-Rosetten 
zeigt,  führt  zu  einem 
stattHchen  Vorsaal  mit 
Kreuzgewölben,  auf  ei- 
ner Reihe  toskanischer 
Säulen  ruhend.  An  den 
Gewölben  sind  in  Stuck 
allerlei  Ornamente,  Rauten,  Sterne  u.  dgl.  aufgebracht.  Womöglich  noch  urwüch- 
siger tritt  diese  gemischte  Richtung  an  dem  gleichzeitig  (1554—59)  von  Georg 
Wesseteczka  errichteten  Rathaus  in  Saaz  auf,  wo  ebenfalls  spitzbogige  Hallen 
an  der  Frontseite  sich  hinziehen.  Bei  minderer  Höhe  der  Bogenöfifnungen  sind 
die  Pfeiler  massiver,  doch  fehlen  hier  die  Strebepfeiler  und  figürhchen  Ausstat- 
tungen. Der  Oberbau  zeigt  ähnliche  Anordnung  wie  in  Brüx,  man  erkennt  den 
Nachfolger  des  Meisters  Benedikt  von  Laun  an  den  schweren  Umrahmungen  der 
Fenster  und  toskanischen  Gesimsen. 

Ein  trotz  vieler  Verstümmelungen  und  Umbauten  höchst  imposantes  Gebäude 
ist  das  Rathaus  zu  Leitmeritz,  bereits  unter  Karl  IV.  um  1350  errichtet.  Im 
Jahre  1539  war  das  Haus  infolge  eines  Brandes  so  schadhaft,  daß  eine  gründ- 
liche Erneuerung  vorgenommen  werden  mußte,  worauf  zur  Zeit  des  Kaisers 
Rudolf  IL  ein  abermaliger  Umbau  stattfand,  so  daß  nun  drei  Bauperioden  genau 
unterschieden  werden  können.  Das  aus  Sandsteinquadern  errichtete  Erdgeschoß 
mit  seinen  Hallen  gehört  der  Gründungszeit  an  und  zeigt  in  seinen  Gewölben, 
Simswerken  und  Schlußsteinen  die  Gotik  des  14.  Jahrhunderts ;  die  angebauten 


Abb.  75   Rathaus  zu  Brüx 


Leitmeritz  Laun 


123 


Strebepfeiler  sind  spätere  Zutaten,  wie  durch  die  zweimal  angebrachte  Jahres- 
zahl 1539  zur  Genüge  bestätigt  wird.  Auf  dem  der  Oslseite  zugekehrten  Strebe- 
pfeiler ist  das  Standbild  eines  geharnischten  Ritters  (ein  Rolandsbild?)  aufgestellt, 
unterhalb  waren  die  gesetzmäßigen  Längen-  und  Hohlmaße  angegeben.  Das  erste 
und  zweite  Stockwerk  sind  im  gemischten  Stil  gehalten:  im  ersten  sieht  man 
dreifeldrige  mit  Steinkreuzen  eingeteilte  sehr  hohe  Fenster,  im  zweiten  wechseln 
zwei-  und  dreifache  niedrigere  Fenster  ab.  Darüber  zieht  sich  ein  mächtiges 
Hauptgesims  um  den  ganzen  freistehenden  Bau,  dessen  gegen  den  Platz  gerichtete 
Front  durch  zwei  hohe,  mit  Lisenen,  Quergurten  und  Schnecken  dekorierte  Giebel 
gekrönt  wird.  Zwischen  den  Giebeln  steigt  ein  zierliches  Glockentürmchen  empor; 
darunter  eine  Uhr.  Die  Seitenfassaden,  an  denen  sich  die  unteren  Hallen  fort- 
setzen, sind  mit  Dacherkern  von  ähnlicher  Form  wie  die  Hauptgiebel  versehen, 
was  dem  Ganzen  ein  vornehmes  schloßartiges  Ansehen  verleiht.  Das  Innere  ent- 
hält im  ersten  Stock  einen  vertäfelten  Saal  mit  kassettierter  Holzdecke,  vielen 
Schnitzereien  und  Sinnsprüchen,  alles  in  elegantester  Renaissance  durchgeführt. 
Ebenso  geschmackvoll  ist  eine  steinerne  Prachttreppe,  die  vom  ersten  Stockwerk 
in  das  zweite  führt ;  ihre  Entstehung  fällt  in  den  Anfang  der  Regierung  Rudolfs  II. 
Leitmeritz  besaß  bis  zum  Jahre  1872  mehrere  schöne  Privathäuser;  sie  fielen  aber 
der  bald  darauf  erbauten  östlichen  Elbebahn  zum  Opfer. 

In  dem  weiten  Zwischengebiete,  das  sich  westwärts  von  Prag  ausbreitet, 
zeichnet  sich  besonders  das  Schloß  Smetschna  aus,  das  Graf  Jaroslaw  Borezita 
von  Martinitz,  derselbe,  der  1618  den  berühmten  Fenstersturz  mitmachte,  größten- 
teils neu  hat  erbauen  lassen.  Das  Gebäude  ist  mit  einem  tiefen  Graben  umgeben, 
viereckig,  mit  polygonen  Türmen  versehen,  bei  sonst  einfacher  Gestaltung  der 
Außenseiten.  Der  trefflich  angeordnete  Hof  ist  mit  Säulengängen  toskanischer 
Ordnung  umgeben;  an  ihren  Rückwänden  erblickt  man  die  Wappen  zahlloser 
Fürstenhäuser,  mit  denen  die  Familie  Martinitz  verwandt  war  oder  sein  wollte. 
Ein  vertäfelter,  stark  modernisierter  Saal,  ferner  die  vom  alten  Bau  herrührende 
gotische  Schloßkapelle  mit  schönen  Schnitzwerken  und  Malereien  sind  sehenswert. 

Ein  kunstgeschichtlich  merkwürdiger  Punkt  ist  Laun,  früher  als  die 
Geburtsstätte  des  vielbesprochenen  Meisters  Benedikt  (böhmisiert  Benesch)  an- 
gesehen, der  hier  etwa  von  1516  bis  zu  seinem  Tode,  1537,  tätig  war  und  neben 
der  mit  Recht  gepriesenen  Kirche  mehrere  noch  vorhandene  Werke  ausgeführt 
hat.  Das  Rathaus,  ein  Stadttor,  ein  mit  äußerster  Sorgfalt  durchgebildeter  origi- 
neller Erker  und  noch  ein  Privathaus  bieten  Gelegenheit,  die  Manier  des  Meisters 
in  den  verschiedensten  Richtungen  kennen  zu  lernen.  Er  ist  hauptsächlich  Kon- 
strukteur, mehr  Verstandesmensch  als  Künstler,  daher  auch  seine  letzten  Arbeiten 
geschmackvoller  und  feiner  gehalten  sind,  als  seine  früheren.  Gleichzeitig  mit 
Lionardo  da  Vinci,  Bramante,  Peruzzi  und  anderen  Meistern  der  Renaissance 
wirkend,  war  er  mit  ihrer  Richtung  bekannt  geworden  und  hatte  sich  manche 
Einzelheiten  angeeignet,  ohne  ein  wirkliches  Verständnis  des  Stiles  zu  gewinnen. 
Sein  Streben  war  offenbar  dahin  gerichtet,  ein  neues,  den  veränderten  religiösen 
Anschauungen  entsprechendes  Kirchenbausystem  zu  schaffen  und  eine  Verschmel- 
zung der  mittelalterhchen  und  neuen  Elemente  herbeizuführen,  was  ihm  trotz 
seiner  angestrengten  Bemühung  nicht  gelungen  ist  und  naturgemäß  nicht  ge- 
lingen konnte.  Die  rings  mit  Emporen  umzogenen  Kirchenhallen  zu  Laun  und  Brüx, 
vor  allem  aber  der  bewunderungswürdig  konstruierte  Oberbau  der  St.  Barbara- 
kirche in  Kuttenberg  geben  Zeugnis  von  diesem  Streben  und  dem  Haschen  nach 
neuen  Formen.  Mit  größerem  Geschicke,  als  im  Kirchenbau,  versteht  Meister 
Benedikt  die  Renaissanceformen  bei  seinen  Profanbauten  zu  behandeln.  Das  1519 
gegründete  und  um  1530  vollendete  Rathaus  zu  Laun  zeigt  manche  Verwandt- 
schaft mit  dem  zu  Brüx,  doch  ist  die  Behandlung  der  Einzelformen  bereits  ein- 


124    2.  Buch  Die  Bauwerke  XII.  Kapitel  Das  nordwestliche  und  nördliche  Böhmen 

heitlicher.  Die  Stadt  Laun  besaß  auch  einen  sehr  merkwürdigen,  von  einem 
dortigen  Bürger  und  Steinmetzmeister  Namens  Vinzenz  Straczryba  ausgeführten 
Stadtbrunnen,  der  1770  mutwilligerweise  zerstört  wurde.  Es  hat  sich  aber  eine 
genaue  Beschreibung  dieses  Denkmales  erhalten,  der  wir  folgendes  entnehmen: 
„Im  Jahre  1572  am  Mittwoch  nach  Rogate  ist  ein  neuer  Röhrkasten  unweit  des 
Rathauses  angelegt  und  mit  vielem  Aufwand  den  13.  August  desselben  Jahres 
aufgestellt  worden.  Die  Form  bestand  aus  12  Quadratwinkeln,  war  12  Ellen  weit 
und  6  Ellen  tief.  —  In  dem  Umfang  des  Röhrkastens  waren  12  Historien  aus  der 
Heihgen  Schrift,  die  sich  auf  das  Wasser  bezogen  haben,  meisterhaft  angebracht. 
Über  diesen  sah  man  auf  einer  künstlichen  Umfassung  Löwen  und  Hunde,  die 
Wappen  und  Trophäen  hielten,  dazwischen  Köpfe,  aus  deren  Mund  durch  messin- 
gene Röhren  das  Wasser  floß.  Außerdem  waren  Faune,  Satyrn,  Najaden  und 
andere  dergleichen  Figuren  zu  sehen.  Auf  dem  obersten  Teile  (der  Mittelsäule) 
war  Christus  mit  dem  samaritischen  Weibe  sichtbar."  —  Die  Nebeneinanderreihung 
biblischer  und  mythologischer  Darstellungen,  das  Hereinziehen  von  Wappen,  Tro- 
phäen u.  dgl.,  dann  die  bedeutende  Größe  und  Tiefe  des  Wasserkastens  erzählen 
von  einem  in  seiner  Art  einzigen  Denkmal. 

Das  dem  Fürsten  von  Lobkowitz  gehörige  prächtige  Schloß  Raudnitz  an 
der  Elbe  ist  eines  von  den  wenigen,  welche  durchaus  nach  einheitlichem  Plane 
angelegt  worden  sind.  Es  wurde  1572—90  von  dem  ItaUener  Antonio  de  Porta 
erbaut,  ist  viereckig  und  gleicht  durch  seine  einförmige  Architektur  von  außen 
etwas  einer  Kaserne.  Der  geräumige  quadratische  Hof  dagegen  zeigt  künst- 
lerische Anordnung,  ist  mit  einer  korinthisierenden  Pilasterstellung  umgeben, 
worüber  Stukkaturen  auf  farbigem  Grund  angebracht  sind.  Die  Detailbildung  ist 
zwar  etwas  schwer,  doch  ist  die  ansehnliche  und  stattliche  Architektur  von  er- 
freulicher Wirkung,  die  noch  dadurch  verstärkt  wird,  daß  die  vierte  Seite  des 
Hofs  durch  einen  niedrigeren  Flügel  mit  Eingangsturm  eingenommen  wird.  Der 
italienische  Meister  hat  sich  trotz  südlicher  Art  im  einzelnen  doch  den  nordischen 
Anforderungen  in  Umriß  und  landschaftlicher  Wirkung  sehr  wohl  gefügt.  Zwei 
Meilen  oberhalb  Raudnitz  ragt  auf  hohem,  weinumranktem  Berge,  dessen  Fuß 
die  Elbe  bespült,  das  altertümliche  Schloß  Melnik  empor.  Es  gehört  verschie- 
denen Zeiten  an,  trägt  jedoch  vorwaltend  den  Charakter  der  böhmischen  Früh- 
renaissance und  enthält  einige  dieser  Richtung  angehörende  Gemächer,  dann  einen 
offenen  Gang  mit  geschweiften  Säulen.  Sowohl  im  Schlosse  wie  in  der  angrenzen- 
den Stadtpfarrkirche  haben  sich  mehrere,  in  edelster  Renaissance  ausgeführte 
Dekorationsmalereien  erhalten,  welche  den  besten  derartigen  Arbeiten  des  16.  Jahr- 
hunderts beigezählt  werden  dürfen.  Als  besonders  meisterhaft  verdienen  die 
Arabesken,  Blumen  und  Fruchtgehänge  hervorgehoben  zu  werden,  die  in  den 
Feldern  des  gotischen  Kirchengewölbes  auf  dunkelm  Grund  gemalt  sind. 

Nicht  ferne  von  Aussig  liegt  auf  dem  rechten  Elbeufer  das  nur  aus  einigen 
Häusern  bestehende  Dörflein  Wa Hirsch  mit  einer  kleinen,  fast  unbekannten 
Kirche,  die  laut  Inschrift  in  den  Jahren  1573—74  durch  die  Brüder  Friedrich  und 
Abrah  am  Heinrich  von  Salhausen  „angefangen  und  vollbracht  worden."  Der 
Außenbau  ist  in  schlicht  altertümlicher  Renaissance  gehalten  und  unterscheidet 
sich  nicht  von  einer  gewöhnlichen  einschiffigen  Landkirche;  das  Innere  jedoch 
zeigt  feine  Gliederung:  Pilaster  mit  ionischen  Kapitellen  unterstützen  das  halb- 
kreisförmige Muldengewölbe  des  11  Meter  langen,  7  Meter  breiten  Schiffes,  und 
der  572  Meter  breite  und  gleich  tiefe  Chor  enthält  zierliche  Stuckornamente.  Es 
ist  jedoch  nicht  die  Architektur,  sondern  die  bildnerische  Ausstattung,  welche 
diesem  Kirchlein  ungewöhnlichen  Wert  verleiht.  Eintretend  in  das  Schiff  werden 
wir  durch  eine  Reihe  von  Grabdenkmalen  überrascht,  deren  treffliche  Komposition 
ebensosehr,  wie  ihre  Ausführung  in  feinkörnigem  Sandstein  Bewunderung  verdient. 


Waltirsch    Herzogtum  Friedland 


125 


Diese  Denkmale  sind  dem  Andenken  der  Herren  von  Salhausen  gewidmet  und 
teils  tafel-,  teils  altarförmig  rings  an  den  Wänden  aufgestellt;  sie  enthalten  die 
lebensgroßen  Figuren  der  hier  ruhenden  Familienglieder,  stattliche  Männer-  und 
Frauengestalten,  oft  nach  Art  der  Votivbilder  von  Schutzpatron  und  Heiligen 
umgeben.  Die  Standbilder  sind  nobel  angeordnet,  meist  hoch  erhaben,  einige 
ganz  rund  ausgearbeitet  und  mit  prachtvollen  Rahmenwerken  umfaßt;  die  an- 
gebrachten Jahreszahlen  geben  kund,  daß  diese  sämtlichen  Skulpturen  im  Laufe 
von  34  Jahren,  nämlich  zwischen  1582—1616  ausgeführt  wurden.  Der  Künstler 
hat  sich  nicht  genannt,  war  aber  offenbar  ein  Deutscher. 

Nordöstlich  von  Leitmeritz  erhebt  sich  im  Polzental  das  größtenteils  er- 
haltene Schlößchen  Bensen  (etwa  1580  erbaut)  mit  einem  sehr  schönen  vier- 
eckigen Turm,  welcher  ansteigend  sich  verjüngt,  oben  jedoch  mittels  eines  auf 
Kragstemen  ruhenden  Gesimses  zu  einer  geräumigen  Turmkammer  auslädt  und  so 
m  den  Umrissen  dem  vielbewunderten  Turme  der  Nürnberger  Burg  ähnlich  wird 
Die  verständig  angeordnete  und  sorgfältig  ausgeführte  Kirche  im  nahen  Zwickau 
ist  das  Werk  eines  Italieners,  des  Benedikt  Fervi,  der  den  Bau  1558  vollendete 

Wir  haben  nun  das  große  Gebiet  betreten,  das  ehedem  das  Herzogtum 
Friedland  bildete,  wo  Wallenstein  als  unumschränkter  Herr  gebot  und  viele  Bau- 
werke ausführen  ließ.  Das  Schloß  Friedland,  mit  Ausnahme  des  uralten  runden 
Bergfrieds  von  Wallenstein  neu  erbaut  und  eingerichtet,  besitzt  im  Innern  nur 
noch  einige  vertäfelte  Gemächer,  die  sich  intakt  erhalten  haben,  und  ist  sonst  in 
ähnhcher  Weise  wie  der  Waldsteinsche  Palast  zu  Prag  ausgestattet.  Die  Außen- 
seiten wurden  in  den  letzten  Jahren  total  umgeändert.  Ebenso  verhält  es  sich 
mit  dem  älteren  Schlosse  zu  Reichenberg,  das  nach  einem  Brande  gänzlich 
erneuert  wurde.  Doch  besteht  noch  unverändert  die  damit  verbundene  schöne 
Kapelle,  die  1604—06  von  Katharine  von  Rädern  gebaut  wurde:  ein  einfach  ge- 
tünchter Raum,  von  gotischen  Fenstern  erhellt  und  im  Achteck  geschlossen  wird 
von  emer  schönen,  vollständig  bemalten  Kassettendecke  in  Holz  überdeckt  von 
deren  Kreuzungspunkten  schöne  Rosetten  herabhängen.  Der  prächtige  Hauptaltar 
hat  zwei  Geschosse  mit  Aufsatz,  durch  vortretende  Doppelsäulen  und  reich  ge- 
schnitzte Reheffiguren  geschmückt.  Auf  der  Nordseite  steht  auf  drei  Säulen  der 
aufwendige  Betstuhl  der  Herrschaften,  mit  vier  Fenstern  sich  zur  Kapelle  öffnend- 
dazwischen  lomsche  Säulen  und  Hermen,  darüber  üppiger  Aufsatz  mit  Wappen' 
Alles  ist  auf  das  reichste  umrahmt,  geschnitzt  und  bemalt,  nicht  minder  das  Innere 
des  Stuhls,  das  sich  vor  allem  durch  eine  wundervolle  Kassettendecke  mit  vor- 
trefflicher Malerei  auszeichnet.  Die  Bühne  läuft  dann  auf  Säulen  weiter  an  die 
Westseite,  wo  sie  eine  kleine  Orgel  trägt.  In  der  Südostecke  die  ganz  ähnhche 
prachtige  Kanzel,  daneben  noch  ein  kleiner  Altar.  Alles  zusammen  ein  Schatz- 
kästlein feiner  deutscher  Renaissance.') 

Da  die  früherhin  unbedeutende  Ortschaft  Reichenberg  erst  1577  zur  Stadt 
erhoben  wurde,  ergibt  sich  von  selbst,  daß  das  um  1600  erbaute  Rathaus  nur 
für  die  Bedürfmsse  einer  kleinen  Stadt  bestimmt  ist.  Dennoch  spricht  sich  in 
dem  klemen  Bau  der  aufstrebende  deutsche  Bürgersinn  aus,  die  Formen  sind 
kraftig  und  bei  aller  Einfachheit  nicht  ohne  malerischen  Reiz;  der  kühn  empor- 
ragende Turm  scheint  prophetisch  das  rasche  Erblühen  des  damals  4000  Ein- 
wohner zählenden  Städtchens  angedeutet  zu  haben,  das  gegenwärtig  über  70000 
besitzt.  In  den  meisten  der  zum  ehemaligen  Herzogtum  Friedland  gehörigen 
Schlossern  trifft  man  noch  hübsche  Einzelheiten,  besonders  Säulengänge  von 
denen  Wallenstein  ein  besonderer  Freund  gewesen  zu  sein  scheint:  ein  zusammen- 
hangender Renaissancebau  hat  sich  jedoch  weder  hier  noch  überhaupt  im  nord- 
osthchen  Böhmen  erhalten.    Die  Städte  Jungbunzlau,  Gitschin,  König- 

1)  Ortwein,  Renaiss.  in  Österreich,  2.  Abt.,  1.  Heft. 


126    2.  Buch  Die  Bauwerke  XII.  Kapitel  Das  nordwestliche  und  nördliche  Böhmen 

grätz  und  Neustadt  an  der  Mettau  besitzen  einige  sehenswerte  Privathäuser, 
jedoch  im  Vergleich  mit  den  in  Budweis,  Pilsen  und  Leitmeritz  befindlichen  von 
untergeordneter  Bedeutung. 

Desto  größeres  Interesse  verdienen  die  kunstreichen  Holzbauten,  welche 
sich  durch  das  Riesengebirge  hinziehen  und  von  hier  aus  nach  Oberschlesien  und 
Mähren  verzweigen.  Die  noch  um  den  Beginn  des  vorigen  Jahrhunderts  üblichen 
Formen  dieser  Holzbaukunst  entstammen  größtenteils  dem  Zeitalter  der  Renais- 
sance. Sie  ist  slawischen  Ursprungs,  hat  aber  in  jenen  Bezirken,  wo  Deutsche 
und  Slawen  von  je  nebeneinander  wohnten,  ihre  vollständigste  Ausbildung  erreicht. 
Die  Häuser,  und  zwar  sowohl  die  bäuerlichen  wie  die  städtischen,  sind  schmal 
und  langgezogen,  an  den  Stirnseiten  mit  zwei  bis  drei  Fenstern  versehen  und 
im  Erdgeschosse  stets,  manchmal  auch  bis  unter  Dach,  aus  geschroteten  Balken 
konstruiert.  Der  Frontseite  des  Parterre  ist  regelmäßig  ein  etwa  2V2  Meter  weiter, 
von  geschnitzten  Holzsäulen  unterstützter  Laubengang  vorgelegt,  manchmal  auch 
den  Nebenseiten.  Die  Umfassungswände  des  ersten  Stockwerks  ruhen  auf  den 
Säulen  der  Laube,  so  daß  die  obern  Gemächer  bedeutend  größere  Räume  ent- 
halten, als  die  im  Erdgeschoß.  Die  Dächer  sind  im  Winkel  von  45  °  geneigt  und 
mit  vorspringenden  Halbwalmen  versehen;  Deckungsmaterial  ist  meist  Schiefer, 
welcher  in  den  Sudeten  häufig  vorkommt.  Die  Schmal-  oder  Giebelseite  ist  regel- 
mäßig der  Straße  zugekehrt  und  mit  Säulengang  versehen,  der  Eingang  aber 
befindet  sich  an  der  Langseite  des  Hauses.  Da  an  der  Frontseite  entweder  zv/ei 
oder  drei  Fenster  angebracht  sind,  wechselt  die  Anzahl  der  vorgestellten  Säulen 
zwischen  drei  und  vier:  umgibt  jedoch  der  Laubengang  das  Haus  auch  an  den 
Langseiten,  so  stehen,  wie  beim  griechischen  Tempel,  sechs  Säulen  vor  der  Front. 
Allerlei  Anbauten,  Balkone,  Freitreppen  u.  dgl.  verstärken  das  malerische  Ansehen, 
welches  oft  durch  einfachen  Farbenschmuck  erhöht  wird. 

Bauwerke  mit  gotischen  Detailformen  gehören  zu  den  größten  Seltenheiten, 
doch  haben  sich  einige  sehr  alte  Holzkirchen  und  Kirchtürme  erhalten:  unter 
den  Profanbauten  mag  das  Rathaus  in  dem  Städtchen  Semil  wohl  der  be- 
merkenswerteste sein.  Bei  weitem  die  Mehrzahl  der  Wohngebäude  ist  in  einer 
sehr  entwickelten  Renaissance  durchgeführt,  wobei  die  Formen  des  Steinbaues 
mit  Geschick  auf  das  Holzmaterial  übertragen  wurden.  Die  Säulen  sind  dagegen 
frei  behandelt,  der  Höhe  nach  mehrmals  abgegliedert,  indem  Quadrat,  Achteck 
und  Rundung  ineinander  übergehen.  Das  aufliegende  Gebälke  zeigt  die  bekannte 
Dreiteilung  in  Architrav,  Fries  und  Kranz,  immer  mit  Perlstäben,  Kymatien,  Zahn- 
schnitten oder  Mäandern  ausgestattet,  und  ist  gewöhnhch  das  Reichste  am  Ge- 
bäude. Die  Fenster  sind  mit  aufgesetzten  Gewänden  umzogen,  darüber  bauen 
sich  spitze,  halbrunde  oder  gebrochene  Giebelchen  auf,  die  kräftig  vortretend  das 
Blockwandgefüge  als  Rustikawerk  erscheinen  lassen.  An  den  Stirnseiten  sind 
die  obern  Stockwerke  häufig,  die  Giebel  immer  mit  Brettern  verkleidet,  deren 
Durchbrechungen  und  wechselnde  Lagen,  bald  senkrecht,  bald  von  der  Rechten 
zur  Linken  oder  umgekehrt  stehend,  oft  ein  reizendes  Formenspiel  entwickeln. 
Wie  die  Schweizer  und  Tiroler  Bauart  ist  auch  diese  aus  dem  Bedürfnisse  hervor- 
gegangen und  hat  ohne  Zutun  privilegierter  Sachverständiger  und  wohlweiser 
Baubehörden  einen  hohen  Grad  künstlerischer  Durchbildung  und  echt  örtlichen 
Gepräges  erreicht.  Dabei  blieb  der  Stil,  wie  dies  auch  anderwärts  vorkommt,  auf 
das  Gebirgsland  beschränkt  und  verlor  den  volkstümlichen  Charakter  bei  Ver- 
pflanzung in  das  flache  Land. 

Die  schönsten  Bauten  trifft  man  in  der  Linie  Eisenbrod,  Braunau,  Reinerz  bis 
hin  gegen  Glatz  und  südwärts  gegen  Landskron  und  Mährisch  Trübau;  Nach  od, 
Arnau,  Öls,  Schatzlar  und  besonders  Hohenelbe  besitzen  mustergültige 
Häuser  dieser  Richtung. 


Ostböhmische  Schlösser 


127 


Das  östliche  Böhmen  und  Mähren 

Im  Osten  herrschen  die  Schloßbauten  vor,  doch  besitzen  nur  wenige  künst- 
lerischen Wert.  Wir  nennen  das  zwei  Meilen  von  Prag  am  linken  Elbeufer  ge- 
legene Schloß  Brand  eis,  das  Rudglf  II.  um  1580  erneuern  und  zur  Sommer- 
residenz einrichten  ließ.  Das  Gebäude  hat  zwar  im  Laufe  des  Dreißigjährigen 
Krieges  mehrere  Umänderungen  erlitten,  doch  ist  die  dem  Flusse  zugekehrte 
Hauptfassade  mit  einem  prachtvollen  Erker  von  entstellenden  Zusätzen  verschont 
geblieben  und  gewährt  noch  immer  den  Eindruck  eines  großen  Fürstensitzes. 
Wie  an  allen  von  Kaiser  Rudolf  errichteten  Bauten,  ist  der  italienische  Stil  ein- 
gehalten, doch  hat  der  Baumeister  unter  Benützung  älterer  Bauteile  dem  Ganzen 
einen  burgartigen  Charakter  zu  verleihen  gewußt.  Im  Innern  haben  das  Treppen- 
haus und  einige  Gemächer  die  ursprünghchen  Verkleidungen  mit  eleganten  Stukka- 
turen bewahrt.  Dem  Städtchen  Brandeis  gegenüber,  rechts  der  Elbe,  liegt  der 
in  Böhmens  Geschichte  merkwürdige  Flecken  AI tb unzlau,  wo  der  hl.  Wenzel 
ermordet  wurde  und  Herzog  Brczetislaw  um  1040  ein  Kollegial stift  gründete. 
Nahe  bei  diesem  Gebäude  ließ  Anna,  die  Gemahlin  des  Kaisers  Mathias,  im  Jahre 
1617  eine  der  hl.  Jungfrau  gewidmete  Kirche  erbauen,  ein  großartiges,  in  der 
Manier  des  Scamozzi  ausgeführtes  Denkmal:  am  Äußeren  zwar  nicht  frei  von 
barocken  Anklängen,  im  Inneren  jedoch  edel  durchgebildet  und  von  vollendeter 
Harmonie.  Wenn  von  Scamozzi  entworfen  (er  hielt  sich  1614  noch  in  Prag  auf) 
würde  diese  Kirche  zu  seinen  vorzüglichsten  Werken  gehören.  Das  hier  verehrte 
Marienbild,  eine  aus  weißlichem  Metall  gegossene  Statuette,  verrät  italienischen 
Ursprung  und  erinnert  an  Donatello. 

Burgartig  und  altertümlich,  jedoch  gleich  entfernt  von  gotischen  wie 
italienischen  Elementen,  präsentiert  sich  das  Schloß  Schwarz-Kosteletz  bei 
Böhmisch-Brod,  erbaut  1561  von  Jaroslaw  Smirschitzky  und  seiner  Gemahlin 
Katharina  von  Hasenburg  in  jenem  schwerfälhgen  Renaissancestil,  dessen  bei  Be- 
schreibung von  Blatna  gedacht  wurde.  Alle  Glieder  dieser  mächtigen  und  sehr 
reichen  Familie  zeichneten  sich  als  eifrige  Förderer  des  Utraquismus  aus,  wie 
als  entschiedene  Gegner  des  Hauses  Habsburg,  woher  es  wohl  kommen  mochte, 
daß  sie  keinen  der  von  Ferdinand  I.  ins  Land  berufenen  italienischen  Baumeister 
in  ihre  Dienste  nahmen,  sondern  einen  einheimischen  mit  dem  Schloßbau  beauf- 
tragten. Schwarz-Kosteletz  gehört  zu  den  nach  einheithchem  Plane  und  in  kurzer 
Zeit  durchgeführten  Anlagen,  ist  weitläufig  um  einen  unregelmäßigen  Hof  gruppiert 
und  zeigt  auch  im  Innern  schHchte,  doch  keineswegs  monotone  Formgebung. 
Obgleich  fortwährend  bewohnt,  haben  die  meisten  Gemächer  ihre  ursprüngliche, 
etwas  derbe  Ausstattung  behalten.  Von  den  vielen  in  diesem  Bezirke  vorkommenden 
Schloßbauten  verdienen  noch  erwähnt  zu  werden:  Podiebrad  mit  einem  von 
Kaiser  Rudolf  erbauten  Wohnflügel,  Kost  mit  einem  schönen  Wartturm,  einer 
Umbildung  des  beschriebenen  großen  Turmes  zu  Krumau;  ferner  Ghlumetz, 
Wlaschim,  Stirczim,  Neuhof  u.  a.,  welche  hübsche  Einzelheiten  besitzen, 
jedoch  keinen  einheitlichen  Gesamtplan  erkennen  lassen.  Das  schon  der  Spätzeit 
angehörende  Ghraustowitz  zeichnet  sich  durch  eine  vorzüglich  schöne  doppelte 
Freitreppe  aus,  welche  zu  einem  aufs  reichste  mit  Skulpturen  und  weißem  Stuck- 
marmor ausgestatteten  Prachtsaal  hinanführt.  Französische  Einwirkungen  im 
Stil  Mansards  treten  hier  augenscheinhch  zutage. 

In  bezug  auf  Regelmäßigkeit  und  konsequente  Durchbildung  übertrifft  das 
Schloß  Leitomischl  bei  weitem  alle  im  Osten  des  Landes  befindlichen  Bau- 
werke. Wratislaw  von  Pernstein  begann  im  Jahre  1568  diesen  Bau  und  brachte 
ihn,  wie  aus  einer  über  dem  Portal  befindlichen  Inschrift  zu  ersehen,  1573  glück- 
lich zur  Vollendung.    Der  Grundriß  bildet  ein  Rechteck,  in  dessen  Mitte  ein  ge- 


128       2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Das  östliche  Böhmen  und  Mähren 

räumiger,  vollkommen  regelmäßiger  Hof  liegt ;  die  Außenseiten  sind  ohne  Prunk, 
die  Details  aber  elegant  geformt  und  sorgfältig  bearbeitet.  Wie  in  vielen  italie- 
nischen Palästen  bildet  auch  hier  der  Hof  die  glänzendste  Partie :  dieser  ist  rings 
mit  doppelten  Säulengängen  umzogen,  dorische  und  ionische  Stellungen  überein- 
ander, eingerahmt  mit  zierlichen  Brüstungen  und  dekorierten  Gesimsen.  Die 
reiche  Fresken-  und  Sgraffitodekoration  der  Flächen,  vor  allem  aber  die  Reihung 
kleiner  Giebel  über  dem  Hauptgesimse  betont  hier  wieder  den  slawischen  Ge- 
schmack. Auch  die  meisten  Gemächer  und  die  1577  eingeweihte  Schloßkapelle 
sind  noch  wohlerhalten,  doch  leider  etwas  verwahrlost,  da  das  Schloß  seit  länger 
als  hundert  Jahren  nicht  mehr  bewohnt  wird.^) 

In  den  Städten  Kolin,  Pardubitz  und  Ghrudim  findet  man  gut  an- 
geordnete Privatgebäude;  eine  Perle  seltenster  Art  ist  aber  das  gegenwärtige 
Amthaus  in  Kutte nberg  mit  einem  von  korinthischen  Säulen  und  entsprechenden 
Gliederungen  umgebenen  Portal,  das  hinsichtlich  seiner  gediegenen  Ausführung 
dem  Belvedere  zu  Prag  nahekommt.  Eine  eigentümliche  Stellung  unter  den 
böhmischen  Städten  behauptet  Deutsch-Brod,  die  von  den  mächtigen  Herren 
von  Lichtenburg  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  angelegte,  von  den  Hussiten 
1422  zerstörte  Bergstadt,  die  sich  erst  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  wieder 
einigermaßen  erholte.  Sie  besteht,  von  wenigen  Ausnahmen  abgesehen,  aus 
schmalen,  7—8  Meter  breiten,  aber  hohen  und  mit  steilen  Giebeln  gekrönten 
Häusern,  welche  in  ihrer  Massenhaftigkeit  einen  ganz  eigenen  Eindruck  ausüben. 
Die  meist  von  Bergleuten  gegründeten  Häuser  scheinen  absichthch  nach  gleichem 
Muster  gehalten  zu  sein  und  zeigen  keine  andere  Abwechslung,  als  daß  hier  der 
Eingang  rechts,  dort  links  angebracht  und  der  Giebel  bald  mit  einem  Halbkreise, 
bald  mit  Schnecken  abgeschlossen  ist.  Im  Erdgeschoß  besteht  neben  dem  Eingang 
ein  mäßig  großes  Fenster,  gerade  hinreichend,  um  die  dort  befindhche  Werkstatt 
zu  beleuchten,  in  den  beiden  oberen  Stockwerken  je  Stube  und  Kämmerchen  mit 
gekuppelten  Fenstern,  darüber  der  mit  Lisenen  ausgestattete  Giebel.  Deutsch- 
Brod  war,  wie  schon  der  Name  besagt,  nach  deutschem  Rechte  gegründet  und 
durch  deutsche  Ansiedler  bevölkert  worden;  die  dortigen  Silberbergwerke  bewährten 
sich  als  so  ergiebig,  daß  die  Stadt  neben  Kuttenberg  als  eine  der  reichsten  im 
Lande  glänzte.  Obwohl  sie  von  den  plünderungsgierigen  Hussiten  so  verwüstet 
war,  daß  sie  mehrere  Jahre  öde  stand,  scheint  man  doch  bei  dem  Wiederauf- 
bau der  ehemaligen  Herrlichkeit  eingedenk  gewesen  zu  sein.  Wenn  auch  klein, 
zeigen  die  Häuser  doch  künstlerischen  Sinn  und  eine  bemerkenswerte  Eleganz, 
wobei  neben  gotischen  Reminiszenzen  die  Frührenaissance  vorwaltet.  Häufig 
vorkommende  Jahreszahlen  geben  kund,  daß  die  meisten  Gebäude  zwischen 
1550 — 90  errichtet  wurden. 

Von  Deutsch-Brod  aus  nach  Mähren  übertretend,  gelangen  wir  abermals  in 
eine  deutsche  Bergstadt,  Iglau,  berühmt  wegen  des  ältesten  Bergrechtes,  das 
König  Wenzel  I.  zwischen  1249—51  der  Stadt  verliehen  und  zum  Muster  hat  auf- 
stellen lassen.  Die  schöne  und  reiche  Stadt  besitzt  neben  drei  merkwürdigen 
frühgotischen  Kirchen  mehrere  in  gefälliger  Renaissance  durchgeführte  Privat- 
bauten, ein  altertümliches  Tor  und  verschiedene  innere  Ausstattungen,  die  all- 
gemeines Interesse  bieten.  Slawische  Einflüsse  sind  vorherrschend  und  machen 
sich  schon  beim  ersten  ÜberbHck  bemerkbar,  indem  viele  Fassaden  mit  Attiken 
abschUeßen  und  die  Dächer  gegen  rückwärts  geneigt  sind.  Man  sieht  manchen 
zierlichen  Erker,  so  an  einem  um  1600  erbauten,  am  Ringplatze  stehenden  Hause, 
wie  allerlei  kleine  zur  Dekoration  dienende  Ecktürmchen,  mit  welchen  auch  der 
originelle  Torturm  nächst  der  Minoritenkirche  (das  Marientor)  eingefaßt  ist.  Dieser 
fast  30  Meter  hohe  Torturm  ist  mit  einwärts  geneigter  Dachung  versehen,  über 

1)  In  Aufn.  d.  Wiener  Bauhütte  XVIII. 


Mähren  Brünn 


129 


welche  ein  mit  Lisenen  und  Voluten  geschmückter  Aufbau  emporragt.  Die  Tor- 
öffnung ist  noch  spitzbogig  überwölbt,  die  Gliederungen  aber  gehören  der  Früh- 
renaissance an,  wie  durch  die  Jahreszahl  1564  bestätigt  wird.  Im  Minoriten-, 
jetzt  Franziskanerkloster  schöne  Vertäfelungen,  ebenso  in  der  noch  erhaltenen 
Gewerkenstube. 

Die  in  der  alten  und  neueren  Geschichte  Mährens  hochwichtige  Stadt 
Znaim  hat  im  Innern  ihren  altertümlichen  Charakter  gewahrt  und  besitzt  im 
Rathause  ein  nennenswertes  Denkmal  jenes  schwerfälligen  gemischten  Stiles, 
dessen  schon  zu  wiederholten  Malen  gedacht  worden  ist.  An  dem  mit  toskanischer 
Pilasterstellung  umrahmten  Tore  sind  die  lebensgroßen  Standbilder  von  Adam  und 
Eva  angebracht.  Mit  den  zahlreichen  Schlössern  Mährens  verhält  es  sich  gerade  so, 
wie  mit  den  böhmischen:  sie  bestehen,  wie  Meseritsch  und  das  merkwürdige 
Pernstein  aus  den  verschiedenartigsten  Bruchstücken;  eine  Ausnahme  macht 
Nikolsburg,  berühmt  durch  die  Friedensverhandlungen  von  1866,  ein  großartiges, 
mit  Türmen  flankiertes  Schloß  von  spätester  Anlage.  In  Teltsch  die  prächtige 
Kapelle  mit  dem  Marmorgrabmal  des  Zacharias  von  Neuhaus,  1565^ — 88  erbaut. 

Brünn,  als  weltbekannte  Fabrikstadt,  gehört  größtenteils  der  Neuzeit  an 
und  hat  nur  einige  Privatgebäude  von  künstlerischer  Bedeutung  aufzuweisen. 
Der  Barockstil  ist  vorwaltend,  verschnörkelte  Giebel  und  mit  Stukkaturen  über- 
ladene Portale  werden  oft  gesehen,  dagegen  fehlen  die  schwerfälligen  böhmischen 
Formen  gänzlich.  Das  spätgotische  Rathaus  enthält  eine  hübsche  Treppe  und 
einen  sehenswerten  Saal  von  1570,  wogegen  die  etwas  jüngere  bischöfliche  Resi- 
denz sich  als  höchst  nüchternes  Bauwerk  darstellt.  Interessanter  erscheint 
Olmütz,  wiewohl  auch  hier  der  Schwerpunkt  mehr  im  Gesamtbilde,  als  in  den 
Einzelheiten  hegt.  Die  ungemein  malerisch  gruppierte  Stadt  besitzt  eine  Menge 
von  Bauwerken  jenes  gemischten  Stils,  der  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
herrschend  war.  Von  dem  Rathause,  einem  weitläufigen  und  interessanten  Bau- 
werke, gehört  die  eine  Hälfte  dem  gotischen  Stil,  die  andere  der  Renaissance  an, 
die  beiderseitigen  Formen  sind  mit  Virtuosität  behandelt  und  es  kommt  vor,  daß  sich 
unterhalb  eines  eleganten  gotischen  Erkers  ein  korinthisch  gegliederter  Eingang 
befindet.  Ähnlichen  Zusammenstellungen  begegnet  man  auch  im  Treppenhause, 
weshalb  sie  wohl  einem  und  demselben  Meister  zugeschrieben  werden  dürfen. 

Baudenkmale  von  so  hervorragender  Bedeutung,  wie  sie  Mähren  unter  den 
Ottokaren  und  Karl  IV.  geschaffen  hat,  sind  im  Zeitalter  der  Renaissance  nicht 
errichtet  worden,  obschon  es  an  bemerkenswerten  Einzelheiten  nicht  fehlt.  Brünn 
mit  der  größern  Hälfte  des  Landes  folgt  mehr  der  von  Wien  ausgehenden  Kunst- 
richtung; nur  der  Olmützer  Kreis  wird  von  Böhmen  beeinflußt.  Der  öster- 
reichische Anteil  von  Schlesien,  obwohl  politisch  seit  dem  16.  Jahrhundert  mit 
Böhmen  verbunden,  hat  in  künstlerischer  Hinsicht  volle  Unabhängigkeit  gewahrt 
und  schließt  sich  in  seinen  Bestrebungen  zunächst  an  Breslau  und  das  jetzt 
preußische  Mutterland  an. 

Skulptur,  Malerei  und  Kunstgewerbe 

Die  Bildhauerei  hat  von  je  in  Böhmen  geringe  Pflege  gefunden  und  wurde 
Jahrhunderte  hindurch  nur  in  einigen  Klöstern  geübt.  Unter  dem  Schutze  des 
kunstfreundlichen  und  rastlos  tätigen  Kaisers  Karl  IV.  erblühte  allerdings  in  Prag 
eine  Bildhauerschule,  an  deren  Spitze  der  Dombaumeister  Peter  von  Gmünd  und  die 
beiden  Erzgießer  Glussenberg  standen,  eingewanderte  deutsche  Künstler,  von  denen 
sich  treffhche  Werke  erhalten  haben.  Das  jugendliche  Kunstleben  wurde  aber 
durch  die  Hussitenkriege  geknickt,  ehe  es  gehörig  Wurzel  gefaßt  hatte,  und  dem 
König  Wladislaw  II.  wollte  es  nicht  gelingen,  die  verlorene  Blüte  zurückzuführen. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  9 


]^30  2.  Buch   Die  BauAverke    XII.  Kapitel   Böhmen  \mä  Mähren 

Erst  unter  Rudolf  II.  lebte  die  seit  nahezu  zwei  Jahrhunderten  darniederliegende 
Plastik  wieder  auf,  nachdem  italienische  und  niederländische  Künstler  die  Bahn 
gebrochen  hatten.  Als  unabhängige  Kunst  tritt  die  Bildnerei  verhältnismäßig 
selten  auf,  häufiger  in  Verbindung  mit  der  Architektur  oder  in  dekorativer  Form, 
wie  an  Altären,  Kanzeln  und  Gerätschaften. 

Das  seltene  Vorkommen  von  Grabmälern  mit  statuarischen  Bildwerken  ist 
gelegentlich  des  Kirchleins  zu  Waltirsch  besprochen  worden:  das  ausgezeichnetste 
Werk  dieser  Gattung  ist  das  in  künstlerischer  wie  geschichtlicher  Hinsicht  gleich 
merkwürdige  Kaisergrab  im  Prager  Dome,  von  Alexander  Colitis  aus  Mecheln, 
dessen  Name  an  der  Rückseite  eingegraben  ist,  im  Jahre  1589  vollendet.  Das 
Denkmal,  ein  sogenanntes  Hochgrab,  auf  Anordnung  des  Kaisers  Rudolf  II.  aus 
weißem  karrarischen  Marmor  mit  einem  Aufwände  von  32000  Dukaten  errichtet, 
besteht  aus  einem  würfelförmigen,  mit  Pilastern  dekorierten  Unterbau  von  272  Meter 
seitlicher  Ausdehnung  und  I1/2  Meter  Höhe  und  der  Deckplatte,  auf  welcher  die 
lebensgroßen  Gestalten  des  Kaisers  Ferdinand  I.  und  seiner  Gemahlin  Anna, 
dann  des  Kaisers  MaximiHan  IL,  gleich  Schlafenden  nebeneinander  ausgestreckt 
ruhen.  Ringsherum  am  Rande  der  Deckplatte  sitzen  Engel  (Putten),  Schilde  und 
allerlei  Attribute  in  den  Händen  tragend;  vorne  steht  die  Figur  des  auferstandenen 
Heilandes.  Am  Unterbau  sind  in  zarter  Rehefarbeit  viele  Brustbilder,  Wappen 
und  Embleme  angebracht,  alles  im  edelsten  Renaissancestil  ausgearbeitet.  Cohns, 
der  1566  die  Reliefs  am  Grabmonument  des  Kaisers  Maximilian  I.  zu  Innsbruck 
ausführte,  hat  in  Prag  sein  vorzügHchstes  Werk  geschaffen;  die  Figuren,  wie  die 
Masken  und  Ornamente  zeigen  gleiche  Meisterschaft  und  sichern  diesem  Denkmal 
den  ersten  Rang  unter  den  in  Böhmen  vorhandenen  Skulpturen. 

Erwähnung  verdient  noch  das  in  der  Pfarrkirche  zu  Pardubitz  befindliche 
Grabmal  des  Adalbert  von  Pernstein,  eine  aus  weißem  Marmor  errichtete  und 
1536  aufgestellte  Tumba,  mit  der  kolossalen  Figur  des  Verblichenen  auf  der 
Deckplatte.  Der  Aufbau  erscheint  zwar  etwas  mittelalterlich,  doch  sind  sowohl 
die  Gestalt  wie  die  umgebenden  Wappen  und  Randverzierungen  im  italienischen 
Stil  gehalten.  Ähnliche  Ausführung  zeigt  auch  ein  dem  Freiherrn  Hieronymus 
Bieberstein  gewidmetes,  im  Jahre  1549  errichtetes  Denkmal  in  der  Kirche  zu 
Friedland. 

Die  als  böhmische  Eigentümhchkeit  schon  angeführten  Bildsäulen,  deren 
das  Land  mindestens  fünfhundert  aufzuweisen  hat,  gehören  größtenteils  der  Spät- 
zeit an,  und  es  scheint  keine  über  das  Jahr  1600  hinaufzureichen.  Das  Marien- 
standbild auf  dem  Altstädter  Ring  in  Prag,  angebhch  eine  Arbeit  des  dortigen 
Bildhauers  Georg  Bendell,  ist  nicht  ohne  Großheit  entworfen  und  beurkundet  ein 
klares  Verständnis  der  Formen,  was  in  einer  Zeit,  da  affektierter  Ausdruck  und 
gespreizte  Stellungen  förmlich  zum  Gesetz  erhoben  waren,  volle  Anerkennung 
verdient.  Viele  der  in  den  kleinen  Städten  vorkommenden  Bildsäulen  sind  von 
überraschender  Wirkung  und  mit  großer  technischer  Meisterschaft  behandelt,  wie 
denn  virtuoser  Vortrag  und  Handfertigkeit  als  Hauptbedingungen  galten,  welche 
sich  die  einheimischen  Bildhauer  anzueignen  suchten. 

Größere  Reliefarbeiten,  Friese  mit  geschichtlichen  Darstellungen  kommen 
in  den  Palästen  nicht  vor;  wir  haben  überhaupt  ein  einziges  Werk  dieser  Art  zu 
verzeichnen,  das  bei  vielen  mittelalterlichen  Anklängen  vorwaltend  der  Renais- 
sance angehört  und  schwerlich  vor  dem  Jahre  1580  gefertigt  wurde.  Die  spät- 
gotische, 1517—40  erbaute  Pfarrkirche  in  Brüx,  welche  im  Innern  rings  mit 
Emporen  umzogen  ist,  enthält  an  den  Brüstungen  einen  Zyklus  biblischer  Relief- 
bilder aus  gebrannter  Erde,  und  zwar  fünfundzwanzig  große  0,60  Meter  hohe, 
3  bis  5  Meter  lange  Kompositionen,  die  meisten  mit  Hunderten  von  Figuren 
ausgestattet.    Da  die  Kirche  im  Jahre  1578  so  vollständig  ausbrannte,  daß  sie 


Plastische  Werke  Gußarbeiten 


131 


erst  1595  eingeweiht  werden  konnte,  ergibt  sich  obige  Anfertigungszeit  von  selbst. 
Der  Meister  scheint  ein  Sachse,  vielleicht  ein  Nachfolger  des  Theophil  Ehrenfried, 
der  die  Kirche  zu  Annaberg  ausstattete,  gewesen  zu  sein :  die  Vorstellungen  halten 
keine  bestimmte  Reihenfolge  ein,  man  sieht  nebeneinander:  das  Paradies  —  die 
Arche  Noah  —  Herodias  mit  dem  Haupte  des  Johannes  —  die  hl.  drei  Könige  — 
die  Bergpredigt  usw.  Eine  lebendige  Auffassung  und  großes  Figurengepränge 
durchzieht  das  Ganze,  die  Ausführung  aber  ist  sehr  verschieden;  einzelne 
Gruppen  dürfen  schön  genannt  werden,  andere  kaum  mittelmäßig;  tigurenreiche 
Kompositionen  sind  ungleich  glücklicher  erfunden  und  modelliert,  als  jene,  die 
nur  einzelne  Figuren  enthalten.  Augenscheinhch  haben  viele  Hände  bei  der 
Arbeit  mitgeholfen. 

Die  Brüxer  Kirche  besitzt  auch  einige  mit  den  Reliefs  gleichzeitige  Betstühle, 
an  denen  vorzüglich  schöne  in  Holz  geschnitzte  Ornamente,  Tier-  und  Pflanzen- 
verschlingungen  angebracht  sind;  ferner  ein  interessantes  Taufbecken  aus  Bronze. 

Unter  den  zahllosen  Altären,  Kanzeln,  Ghorstühlen  und  Orgeln  Böhmens  gibt 
es  äußerst  wenige,  die  nicht  geradezu  als  geschmacklos  bezeichnet  werden  müssen. 
Der  Frühzeit  angehörende  Altäre,  bei  denen  die  Umrahmung  noch  untergeordnet 
ist  und  nur  den  Zweck  hat,  das  geschnitzte  Mittelbild  hervorzuheben,  finden  sich 
hie  und  da,  z.  B.  in  der  Teinkirche  zu  Prag,  dann  in  Pilsen  und  Graupen. 
Ein  ganz  aus  Granit  gemeißeltes  Altarwerk  mit  der  Kreuzigung  Christi  im  Mittel- 
felde besitzt  die  St.  Jodokuskirche  bei  Eger,  angeblich  1687,  wahrscheinlich 
aber  schon  im  Anfang  des  Jahrhunderts  gefertigt.  Zwischen  1670—90  stellte  der 
Kunsttischler  Nonnenniacher  in  Prag  und  Umgebung  viele,  fast  überreiche,  aber 
trefflich  stilisierte  Altäre  auf,  darunter  den  22  Meter  hohen  Hauptaltar  in  der 
Kirche  Maria-Schnee,  der  in  mehreren  Stockwerken  sich  erhebt  und  mit  korinthischen 
Säulen,  zahlreichen  Statuen  und  zwei  übereinander  angebrachten  Gemälden  aus- 
gestattet ist.  Den  schönsten  Altar  dieser  Richtung  besitzt  die  Zisterzienserkirche 
Hohenfurt,  allerdings  schon  etwas  barock,  aber  glänzend  durchgeführt  und 
von  märchenhafter  Wirkung.  Das  Eisengitter,  welches  den  Chor  dieser  Kirche 
vom  Schiffe  abschließt,  ist  nicht  minder  bewunderungswürdig  als  der  Altar,  und 
eines  der  ausgezeichnetsten  Werke,  welche  die  deutsche  Schmiedekunst  hervor- 
gebracht hat. 

Die  reichste  der  in  Renaissance  ausgeführten  Kanzeln  im  Lande  befindet 
sich  in  der  St.  Barbarakirche  zu  Kuttenberg,  infolge  einer  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  gemachten  Stiftung  der  FamiHe  Dobrczensky  von  einem  nicht 
gekannten  Künstler  gefertigt,  mit  einem  dreigeschossigen  säulenreichen  Deckel- 
aufbau. Die  Detailformen  sind  zwar  schwer,  das  Ganze  aber  ist  originell  er- 
funden und  mit  Sorgfalt  durchgebildet.  Material  feinkörniger  Sandstein;  Figuren, 
Laubwerke  und  sonst  vortretende  Teile  vergoldet  und  stellenweise  mit  Farben 
hinterlegt.  Kunstreiche  Chorstühle  werden  nur  in  einigen  Klosterkirchen,  zu 
Strahow,  Hohenfurt,  Doxan  und  Ossek  getroffen,  besonderer  Reichtum  an  Schnitz- 
werken, figürlichen  Ausstattungen  oder  Vergoldungen  ist  nirgends  entfaltet. 

Der  Glocken-  und  Zinnguß,  schon  in  der  gotischen  Zeit  von  einheimischen 
Meistern  mit  Vorliebe  und  Geschick  betrieben,  wurde  um  1550  durch  Jarosch, 
Brikcius  und  Ptaczek  zu  einem  hohen  Grade  von  Vollendung  geführt.  Die  meisten 
und  größten  Glocken,  darunter  viele  mit  zierlichen  Ornamenten  und  Heiligen- 
bildern versehen,  entstammen  dieser  Zeit,  wie  auch  die  Mehrzahl  der  in  Pfarr- 
kirchen vorkommenden  zinnernen  Taufbecken  und  die  2  bis  27«  Meter  hohen,  oft 
mehrere  Zentner  schweren  Leuchter.  Wie  verbreitet  und  beliebt  mythologische 
Darstellungen  in  jener  Zeit  waren,  ersieht  man  daraus,  daß  man  keinen  Anstoß 
nahm,  auf  einer  Kirchenglocke  tanzende  Faune  und  Bacchantinnen  anzubringen, 
wie  das  u.  a.  in  Mukarczow  unweit  Schwarz-Kosteletz  vorkommt.    Der  Zinnguß 


]^32  2.  Buch    Die  Bauwerke    XII.  Kapitel    Böhmen  und  Mähren 

im  großen  tritt  seit  1600  zurück  und  verliert  sich  bald  ganz;  Taufbrunnen  werden 
nach  1620  nicht  mehr  gegossen.  Fast  unbegreiflich  erscheint,  daß  der  eigent- 
liche Kunstguß,  in  welchem  der  Brünner  Jarosch  bereits  so  Vorzügliches  geleistet 
hatte,  fernerhin  keine  Pflege  fand:  um  1600  wurde  Benedikt  Wurzelbauer  aus 
Nürnberg  berufen,  in  Prag  einen  Brunnen  zu  gießen,  etwas  später  führte  Herold^ 
ebenfalls  ein  Nürnberger,  die  für  die  Prager  Brücke  bestimmte  Erzstatue  des 
Johann  Nepomuk  aus.  Diese  Arbeiten  wären  ohne  Zweifel  einheimischen  Künstlern 
übertragen  worden,  wenn  solche  vorhanden  gewesen  wären. 

Auf  dem  Gebiete  der  Malerei  gelangte  die  Renaissance  erst  durch  die  Be- 
strebungen des  Kaisers  Rudolf  zu  entscheidender  Geltung,  doch  waren  es  aus- 
schließlich fremde,  teils  aus  den  Niederlanden  oder  Italien,  teils  aus  Deutschland  be- 
rufene Künstler,  die  den  neuen  Stil  im  Lande  einführten.  Die  böhmischen  Maler 
hielten  mit  größter  Zähigkeit  an  der  mittelalterlichen  Weise  fest,  und  erst  im  Ver- 
laufe der  großen  Änderungen,  welche  der  Schlacht  auf  dem  Weißen  Berge  folgten, 
erkannten  sie  die  Notwendigkeit,  sich  der  neuen  Richtung  anzuschließen.  Nur  in 
der  Miniaturmalerei  haben  die  Einheimischen  Erwähnenswertes  geleistet.  Die 
Bibliotheken  der  Prager  Universität,  des  Domkapitels,  des  Strahower  Stiftes  und 
des  National-Museums,  ferner  die  Klöster  Hohenfurt,  Ossek,  Tepl,  die  Schlösser 
und  Städte  Raudnitz,  Wittingau,  Dux,  Chrudim,  Königgrätz,  Deutschbrod,  Jung- 
bunzlau,  Leitmeritz,  Melnik,  Teplitz,  Trebnitz,  Laun,  Saaz,  Luditz  und  Seitschan 
besitzen  zusammen  etwa  achtzig  illustrierte,  teils  in  lateinischer,  teils  böhmischer 
Sprache  verfaßte  Pergamentwerke,  die  im  16.  und  17.  Jahrhundert  angefertigt 
wurden.  Daß  die  Skriptoren  und  Illuminatoren  trotz  ihrer  Absperrungssucht 
allmählich  verschiedene  Elemente  der  welschen  Kunst  sich  aneigneten,  ist  eben 
so  natürlich,  wie  daß  sie  der  Buchdruckerei  und  dem  Holzschnitt  die  Verbreitung 
im  Lande  nicht  verwehren  konnten.  Der  industrielle  Johann  Taborsky,  Kunst- 
schreiber, Illuminator,  Mechaniker,  Astronom,  Schriftsteller  und  Gelegenheits- 
dichter, der  1545 — 80  tätig  war  und  eine  förmliche  Fabrik  von  Miniaturwerken 
eingerichtet  hatte,  nähert  sich  in  den  vorhandenen  aus  seiner  Werkstätte  her- 
rührenden Malereien  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  der  Renaissance,  während  Mathias 
Radauß  aus  Chrudim,  der  1594 — 1604  für  die  Stadt  Königgrätz  zwei  große  Ge- 
sangbücher ausarbeitete,  in  den  Detailformen  ganz  auf  dem  Boden  der  Renaissance 
steht.  Mit  Johann  Jakoh  Sedlczansky,  der  1623  die  Psalmen  Davids  geschrieben 
und  illustriert  hat,  schließt  die  Reihe  der  böhmischen  Miniaturmaler  ab,  nach- 
dem Bartholomäus  Spranger,  Johann  von  Aachen,  die  beiden  Brueghel,  Savery, 
Hofmann,  Hufnagel,  Bassano,  Gontarini  und  andere  durch  Ferdinand  I.  und  Rudolf  II. 
berufene  Meister  längst  ihre  Werke  in  Prag  gezeigt  hatten.  Die  Randzeich- 
nungen der  späteren  Miniaturen  sind  stets  nach  gotischer,  die  Figuren  und 
Architekturteile  nach  italienischer  Weise  angeordnet ;  landschaftliche  Hintergründe 
aber,  wenn  dergleichen  vorkommen,  lassen  den  Einfluß  Brueghels  erkennen.  Es 
wiederholte  sich  bei  dieser  Gelegenheit  eine  Erscheinung,  welche  schon  bei  Be- 
schreibung der  Baudenkmale  angedeutet  wurde:  die  barocken  und  schon  etwas 
entarteten  Formen  fanden  in  Böhmen  rascheren  Eingang  und  erfreuten  sich  größerer 
Beliebtheit,  als  die  stilgerechten. 

Eigentliche  Dekorationsmalereien  aus  guter  Zeit  haben  sich  sehr  wenige 
erhalten ;  bei  weitem  das  Beste  dieser  Art  besitzt  die  schon  genannte  spätgotische 
Kirche  zu  Melnik,  deren  Gewölbe  mit  Blumen-  und  Fruchtgewinden,  Genien, 
Arabesken  ausgestattet  sind,  alles  meisterhaft  mit  Kalkfarben  auf  dunkelbraunem 
Grund  gemalt.  Ähnlich  in  Teils ch.  Sgraffiten  werden  nicht  selten  getroffen,  doch 
meist  untergeordneter  Art,  so  in  den  Schlössern  zu  Kr  um  au  und  Wittingau, 
an  der  Stadtkirche  zu  Brüx  und  noch  einigen  Kirchen  in  Nordböhmen.  Ganz  mit 
elegant  gezeichneten  Ornamenten  von  Sgraffitoarbeit  überdeckt  ist  die  Außenseite 


Sgraffito    Goldschmiedarb  eiten 


133 


der  Kirche  zu  Öls  bei  Arnau,  kurz  vor  1600  ausgeführt.  Im  älteren  Teile  des 
Schlosses  Groß-Skal  bestehen  noch  zwei  Gemächer,  deren  überwölbte  Decken 
kassettierfc  und  mit  Sgraffiten  verziert  sind.  Die  in  den  Kassetten  angebrachten 
Darstellungen  mögen  wohl  einer  wunderlichen  Laune  des  Schloßherrn  ihre  Ent- 
stehung verdanken.  Man  sieht  nebeneinander:  Amor  und  Psyche  in  Umarmung, 
die  heilige  Margaretha  mit  dem  Drachen,  einen  Türken  auf  einem  Elefanten,  ein 
Storchennest,  Diana  auf  der  Jagd,  eine  weidende  Herde,  dann  Larven,  Ungeheuer, 
Blumenvasen  und  das  Wappen  der  Herren  Smirschitzky  von  Smirschitz,  welche 
Groß-Skal  von  etwa  1540 — 1623  inne  hatten,  bis  die  Güter  der  Smirschitzky 
konfisziert  und  an  Albrecht  Wallenstein  verkauft  wurden.  Das  angebrachte  Wappen 
läßt  keinen  Zweifel,  daß  Jaroslaw  Smirschitzky,  der  Erbauer  von  Schwarz- 
Kosteletz,  diesen  Teil  des  Schlosses  habe  ausführen  lassen.  Nach  dem  Dreißig- 
jährigen Kriege  kommen  Sgraffiten  nicht  mehr  vor. 

Die  Goldschmiedekunst  erhob  sich,  obwohl  Jamnitzer  für  die  Kaiser  Ferdi- 
nand L,  Maximilian  und  Rudolf  II.  verschiedene  Werke  gearbeitet  und  sich  längere 
Zeit  in  Prag  aufgehalten  hat,  nicht  wieder  zu  jener  Höhe,  die  sie  unter  Karl  IV. 
erreicht  hatte.  Von  der  eleganten  Formgebung  und  zarten  Durchbildung,  welche 
die  Arbeiten  des  Jamnitzer  so  sehr  auszeichnen,  finden  sich  an  den  erwiesener- 
maßen im  Lande  gefertigten  kirchlichen  Gefäßen  und  Schmuckgegenständen  des 
Prager  Domschatzes  kaum  Spuren :  neben  Überladung  machen  sich  harte  Formen 
und  leeres  Schnörkelwerk  allzusehr  bemerkbar.  Die  mit  vielen  Buckeln  ver- 
sehenen Schauhumpen,  welche  wegen  ihrer  Zieraten  gar  nicht  zum  Munde  ge- 
führt werden  können,  haben  auch  in  Böhmen  reichliche  Nachahmung  gefunden, 
ebenso  jene  Reliquienbehälter  in  Form  von  Köpfen,  Armen,  Händen  usw.,  welche 
keineswegs  als  Zeichen  eines  guten  Geschmackes  angesehen  werden  können. 
Daß  zwischen  der  Mehrzahl  gewöhnlicher,  nur  durch  das  Material  ausgezeichneter 
Arbeiten  auch  manche  sehr  erfreuliche  vorkommen,  wird  durch  einige  unter  Kaiser 
Rudolf  aus  Kristall  geschnittene  Schalen  und  Schmuckkästchen  dargetan.  Be- 
achtung verdient  ein  zwar  einfacher,  aber  schön  geschwungener  Kelch  aus  dem 
Jahre  1565,  den  die  Pfarrkirche  zu  Melnik  besitzt.  Er  ist  laut  Unterschrift  für 
die  Kommunikanten  in  beiderlei  Gestalt  bestimmt  und  scheint  eine  Arbeit  des 
Goldschmiedes  Polak  zu  sein,  der  1540 — 70  in  Prag  wirkte  und  für  mehrere 
Kirchen  Kelche  und  Monstranzen  fertigte.  Unzweifelhaft  von  einheimischen 
Meistern  in  altertümlicher  Renaissance  gefertigte  Kirchengefäße  sieht  man  in 
Friedland,  Altbunzlau,  Deutschbrod  und  einigen  Klosterkirchen ;  schlichte  Formen 
und  etwas  harte  Ausführung  sind  bei  diesen  Arbeiten  vorherrschend.  Ein  aus 
Kupfer  getriebenes,  stark  versilbertes  Antependium  in  der  Hauptkirche  zu  Eger 
darf  als  seltenes  Prachtstück  nicht  übergangen  werden.  Die  1,50  Meter  lange, 
0,60  Meter  hohe  Tafel  ist  ganz  mit  Arabesken,  Blumen  und  Fruchtschnüren  be- 
deckt, welche  bei  geschmackvoller  Anordnung  in  hoch  erhabener  Arbeit  so  zart 
ausgeführt  sind,  daß  man  die  Adern  und  Poren  der  Blätter  deuthch  erkennt. 
Wo  dieses  Prachtstück  angefertigt  wurde,  ist  nicht  bekannt ;  in  den  Kriegsjahren 
1800—13  diente  die  Kirche  zu  wiederholten  Malen  als  Magazin  und  Aufbewahrungs- 
ort für  Kirchenschätze  der  Umgegend,  bei  welchen  Gelegenheiten  nicht  einmal 
genaue  Verzeichnisse  hergestellt  wurden  und  es  geschehen  konnte,  daß  einzelne 
Paramente  nicht  wieder  an  die  ursprünglichen  Besitzer  zurückgelangten. 

Kunstreiche  Töpferarbeiten  und  Terrakotten  wurden  an  mehreren  Orten, 
besonders  in  Leipa,  Prag  und  im  südhchen  Böhmen  gefertigt,  doch  haben 
sich  wenige  erhalten.  Der  alte  gotische  Rathaussaal  in  Prag  besitzt  einen 
großen,  überaus  reich  ornamentierten  und  mit  Figuren  ausgestatteten  Ofen, 
der  mit  den  im  Augsburger  Rathause  befindlichen  große  Ähnlichkeit  hat.  Einen 
minder  umfangreichen  sieht  man  im  Rathause  zu  Leitmeritz,  das  schönste 


134  2.  Buch   Die  Bauwerke   XII.  Kapitel   Böhmen  und  Mähren 

Exemplar  jedoch  im  Schlosse  Groß-Skal.  Auf  einem  mit  Laubwerken  und 
Perlstäben  dekorierten  Unterbau  erhebt  sich  der  quadratische  Feuerkasten,  an 
den  Ecken  mit  gewundenen  Säulen  eingefaßt  und  aus  zwei  Reihen  von  Kacheln 
aufgerichtet.  Die  Kacheln  sind  aus  freier  Hand  geformt,  grünlich  oder  lichtbraun 
glasiert,  und  enthalten  Bildnisse  geschichtlich  merkwürdiger  Personen,  deren  Namen 
auf  beigefügten  Spruchbändern  stehen.  Der  obere  Aufsatz  ist  rund,  zu  dem  der 
Übergang  aus  dem  Quadrate  durch  Voluten  und  Masken  eingeleitet  wird.  In  der 
nahen  Burgruine  Trosky  wurden  vor  einigen  Jahren  mehrere  trefflich  modellierte, 
unglasierte  Ofenkacheln  gefunden,  auf  denen  Ritter  und  Damen  in  spanischer 
Tracht  aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  dargestellt  waren.  Eines 
von  diesen  Stücken  gelangte  an  das  Museum  in  Prag,  die  übrigen  wurden  von 
Händlern  erworben  und  zerstreut.  Der  Terrakotten  in  Krumau  und  Strakoniiz  ist 
bereits  gedacht  worden,  andere  finden  sich  zu  B  e  r  a  u  n ,  im  fürstlich  Schwarzen- 
bergschen  Schlosse  Worlik  und  in  der  Ruine  Klingenberg,  letztere  von 
großer  Schönheit. 

Mehrere  kunstgewerbliche  Zweige,  welche  durch  die  Bemühungen  des  Kaisers 
Karl  IV.  ins  Leben  gerufen  worden  waren,  wie  die  Teppich-  und  Tapetenwirkerei, 
Kunststickerei,  Email-  und  Glasmalerei,  das  Holzpressen  u.  a.,  sind  durch  die 
Hussitenstürme  gänzlich  unterdrückt  worden,  ohne  wieder  aufzublühen.  Die  durch 
König  Wladislaw  II.  erweckte  Kunsttätigkeit  war  keine  allgemeine  und  nach- 
haltige :  indem  der  König  in  dem  Streite  zwischen  den  Städten  und  dem  Adel  zu- 
gunsten des  letzteren  entschied,  schwächte  er  den  Handwerkerstand  und  versetzte 
der  Industrie  des  Landes  einen  schweren  Stoß.  Die  Verlegung  der  Residenz  von 
Prag  nach  Ofen  (1509)  wirkte  ebenfalls  sehr  ungünstig  und  störte  das  im  Auf- 
blühen befindliche  Kunstleben  in  empfindlichster  Weise.  Die  Habsburger  Ferdi- 
nand L,  Maximilian  und  Rudolf  II.  erkannten  den  Notstand  Böhmens  und  suchten 
abzuhelfen,  indem  sie  durch  aus  der  Fremde  herbeigezogene  Kräfte  Wissenschaft, 
Kunst  und  Industrie  neu  zu  beleben  suchten.  In  der  Tat  wäre  es  auch  dem 
wohlwollenden  Rudolf,  mehr  durch  seine  Liebhabereien,  als  seine  staatsmännischen 
Eigenschaften  gelungen,  ein  goldenes  Zeitalter  herbeizuführen,  hätte  nicht  der 
tiefeingefressene  Religionshader  und  der  daraus  sich  entspinnende  Dreißigjährige 
Krieg  jeden  ferneren  Aufschwung  verhindert.  Indes  sollte  der  Same,  den  der 
kunstsinnige  Fürst  ausgestreut,  nicht  auf  unfruchtbares  Erdreich  gefallen  sein, 
wenn  auch  die  Saat  erst  in  späterer  Zeit  emporkeimte. 

Unter  Verhältnissen  der  schwierigsten  Art,  als  die  fortwährend  im  Aufruhr 
begriffene  Hauptstadt  Prag  im  Verein  mit  dem  Adel  den  rechtmäßigen  Fürsten 
bekriegte,  die  vollständigste  Leibeigenschaft  auf  der  ländlichen  Bevölkerung  lastete, 
die  Landstädte  allen  Einflusses  beraubt  waren,  der  Handwerkerstand  darniederlag 
und  der  in  der  Wladislawschen  Landesordnung  aufgestellte  Grundsatz  galt,  daß 
„wer  nicht  selbst  Herr  wäre,  einen  Erbherrn  haben  müsse",  mußten  sich  die  ein- 
heimischen Talente  hindurchringen  und  durften  Gott  danken,  wenn  sie  nicht  durch 
die  Gegenreformation  (1621 — 27)  zur  Auswanderung  gezwungen  wurden.  Be- 
zeichnend für  die  Sachlage  ist,  daß  die  drei  größten  Künstler  dieser  Zeit,  Hollar, 
Kupetzky  und  Screta,  sich  unter  den  Auswandernden  befinden. 

Auf  solche  Weise  konnte  die  Renaissance  trotz  frühzeitiger  Einführung  und 
bewunderungswürdiger  Erstlingswerke  sich  nur  allmählich  über  das  Land  aus- 
breiten und  von  einer  anhaftenden  Schwerfälligkeit  losmachen,  welche  allein  von 
dem  Mangel  an  geschulten  Arbeitern  herrührte :  so  geschah  es  auch,  daß  die  um 
den  Schluß  des  17.  und  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  entstandenen  Werke  des 
Tyttl  und  Kanka  in  reinerem  Stil  durchgeführt  sind,  als  viele  der  früheren,  von 
Italienern  geleiteten.  Diese  gewiß  triftigen  Gründe  veranlaßten  uns,  auch  der 
Spätrenaissance  eine  gedrängte  Übersicht  zu  widmen. 


Schlesien    Früheste  Denkmäler 


135 


Dreizehntes  Kapitel 

Die  nordöstlichen  Binnenländer 

Schlesien  hat  früher  als  irgend  eine  andere  Provinz  Deutschlands  die  Re- 
naissance aufgenommen  und  in  monumentalen  Werken  angewendet,  i)    Das  erste 
Auftauchen  der  neuen  Formen  hemerken  wir  hier  an  einem  Grabmal  der  Elisabeth- 
kirche zu  Breslau,  das  bald  nach  1488  entstanden  sein  muß.   Es  ist,  soweit  wir 
wissen,  das  früheste  Renaissancewerk  im  ganzen  Norden.    Als  sodann  Bischof 
Johannes  Thurso  die  alte  Burg  Kallenstein,  zwischen  Neiße  und  Glatz,  abtragen 
und  das  neue  Schloß  Johannisberg  errichten  ließ'),  brachte  er  1509  bei  Voll- 
endung des  Baues  sein  Wappen  an,  das  mit  den  begleitenden  Sirenen,  den  aus 
gotischem  Laubwerk  und  ionischen  Kapitellen  seltsam  gemischten  Säulen,  den 
als  Bögen  verwendeten  Delphinen  eine  deuthche,  wenn  auch  noch  phantastisch 
konfuse  Renaissance  zeigt.^*)    (Abb.  76.)  Dagegen 
tritt  der  neue  Stil  mit  großer  Sicherheit  und  Opulenz 
schon  1517  am  Portal  zur  Sakristei  im  Dom  zu 
Breslau  auf.    Gemischt  mit  gotischen  Elementen 
findet  man  ihn  1527  am  Kapitelhause  daselbst.  Um 
diese  Zeit  scheint  hier  der  Sieg  der  neuen  Kunst- 
weise entschieden.  Nicht  bloß  von  geistlichen  Bau- 
herren, auch  in  bürgerlichen  Kreisen,  die  anderwärts 
so  lange  widerstanden  und  so  zähe  am  Überlieferten 
festhielten,  wird,  wenn  auch  bisweilen  noch  mit  Re- 
miniszenzen an  die  heimische  Kunst  des  Mittelalters, 
die  Renaissance  energisch  aufgenommen.   Wir  be- 
gegnen ihr  1521,  mit  spätgotischen  Elementen  ver- 
setzt, am  Stadthause  zu  Breslau;  1528  an  dem  präch- 
tigen Portal  im  Erdgeschoß  des  Rathauses ;  endlich        Abb.  76  Wappen  am  schloß 
in  demselben  Jahre  bereits  an  einem  mächtigen  Bür-  Johannisberg 
gerhause  „zur  Krone"  auf  dem  Ringe.  Noch  früher, 

1522,  ist  das  Renaissanceportal  im  Schloß  Gröditzberg  bei  Liegnitz  datiert,  das 
als  Werk  eines  der  bekanntesten  Architekten  der  Provinz,  des  später  zu  be- 
sprechenden Meisters  Wendel  Roßkopf,  beglaubigt  ist.  Solch  frühes,  einmütiges 
Hingeben  an  den  neuen  Stil  finden  wir  kaum  sonstwo  in  Deutschland.  Suchen 
wir  den  Grund  dieser  Erscheinung  zu  erkennen. 

Wir  haben  es  mit  einem  Grenzlande  zu  tun,  wo  seit  dem  12.  Jahrhundert 
durch  deutsche  Ansiedler  inmitten  slawischer  Bevölkerungen  deutsche  Sitte  und 
Bildung  verbreitet  worden  war.')  Zwischen  den  beiden  mächtigen  Königreichen 
Polen  und  Böhmen  gelegen,  wurde  Schlesien,  das  mit  dem  deutschen  Reiche  nicht 
in  poUtischer  Verbindung  stand,  lange  Zeit  zum  Spielball  und  Zankapfel  seiner 
Nachbarn,  bis  es  sich  unter  die  Oberhoheit  der  Krone  Böhmens  stellte  und  durch 
Karl  IV.  dauernd  mit  diesem  Lande  vereinigt  wurde.   Das  15.  Jahrhundert  brach 

1)  Schätzbare  Notizen  in  der  fleißigen  Arbeit  von  A.  S  ob ultz ,  Schlesiens  Kunstleben 
im  15.  bis  18.  Jahrh.  Breslau  1872.  4.  Mit  Abbild.  Tüchtige  archivalische  Forschungen  ver- 
danken wir  namentlich  Dr.  E.  W  e  r  n  i  c  k  e. 

2)  Nie.  Pol,  Jahrb.  der  Stadt  Breslau,  herausgeg.  v.  Büsching  (Breslau  1813.  4.)  II,  185. 

3)  Die  Inschrift  ist  nicht  minder  bezeichnend  :  „Johannes  V  episcopus  Vratisl.  hanc  arcem 
divo  Johanni  Bapt.  sacravit  et  erexit." 

4)  Über  das  Geschichtl.  vgl.  bes.  Sommersberg,  Scriptt.rer.  Silesiac.  und  Stenzeis  Samml. 
unter  dems.  Titel;  Stenzeis  und  Tschoppes  Urkunden-Sammlung;  Menzel,  Gesch.  Schlesiens; 
Stenzel,  Gesch.  von  Schlesien  u.  a.  m. 


136       2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel   Die  nordöstlichen  Binnenländer 

unheilvoll  über  Schlesien  herein;  durch  die  verheerenden  Hussitenscharen,  durch 
die  Kämpfe  gegen  Georg  Podiebrad  wurde  das  Land  zerrüttet  und  verwüstet. 
Erst  durch  den  Schutz  des  mächtigen  Matthias  Gorvinus  (1469)  kehrte  Ruhe  und 
Frieden  zurück.  Handel  und  Verkehr  hob  sich  und  dehnte  sich  nach  allen  Seiten 
aus;  mit  dem  Anbruch  des  16.  Jahrhunderts  gehörte  Schlesien  zu  den  blühendsten 
und  wohlhabendsten  Provinzen  Deutschlands. 

Besonders  w^ar  es  die  glückliche  Lage  Breslaus,  welche  die  ausgedehntesten 
kaufmännischen  Unternehmungen  begünstigte.  Weniger  durch  eigenen  Gewerbe- 
fleiß, als  durch  den  lebhaft  und  mit  umsichtiger  Kühnheit  betriebenen  Handel  tat 
die  schon  damals  mächtige  Stadt  sich  hervor.  Zwischen  Süd-  und  Norddeutsch- 
land gelegen,  zugleich  gegen  den  slawischen  Osten  als  äußerster  Punkt  germanischer 
Kultur  vorgeschoben,  wurde  sie  ein  wichtiges  Emporium  für  den  Verkehr  zwischen 
Osten  und  Westen,  Süden  und  Norden.  Nicht  bloß  Augsburger  und  Nürnberger, 
auch  Venezianer  Häuser  hatten  ihre  Niederlassungen  in  Breslau;  umgekehrt 
gründeten  die  Breslauer  ihre  Fihalen  in  den  Städten  Süddeutschlands,  Flanderns 
und  ItaUens.  Der  Verkehr  erstreckte  sich  bis  Venedig  im  Süden,  bis  Brabant  und 
England  im  Nordwesten,  ostwärts  bis  Preußen  und  Rußland,  Ungarn  und  die 
Walachei.  Ja  über  Polen  suchten  die  mutigen  Kaufleute  den  Weg  bis  in  den 
fernsten  Osten,  ohne  sich  durch  barbarische  Gesetze  abschrecken  zu  lassen,  wie 
jenes  in  der  polnischen  Stadt  Plotzko,  das  den  Breslauer  Bürger  Hans  Rindfleisch, 
da  er  in  der  Herberge  dort  von  seinem  Wirte  bestohlen  worden  war,  zwang,  den 
Dieb  selbst  an  den  Galgen  zu  hängen,  wenn  er  nicht  von  ihm  aufgeknüpft  werden 
wollte.')  Eingeführt  wurden  namentUch  niederländische  und  englische  Tuche, 
Gewürze,  Salz  und  Wein,  Heringe,  Aale  und  Lachse ;  die  Ausfuhr  erstreckte  sich 
auf  Wolle,  Eisen,  Steine,  Getreide,  Wein  und  Bier.  Obwohl  1506  schon  geklagt 
ward,  der  Handel  mit  Polen  und  Rußland  habe  sich  nach  Posen  hingezogen,  kann 
man  im  Gedeihen  der  Stadt  keine  Abnahme  bemerken.  Vielmehr  steht  die  Macht 
der  schlesischen  Städte  auf  ihrem  Höhepunkt,  und  wo  etwa  adelige  Schnapphähne 
den  Verkehr  zu  stören  wagen,  macht  man  mit  ihnen  kurzen  Prozeß,  wie  mit  dem 
berüchtigten  Schwarzen  Christoph  von  Reisewitz,  der  1513  zu  Liegnitz  an  den 
Galgen  gehenkt  wurde. 

Aber  es  bleibt  nicht  bloß  bei  solchem  kräftigen  Verfolgen  materieller  Inter- 
essen. Der  schlesische  Volksstamm,  als  äußerster  Vorposten  gegen  den  kultur- 
losen, slawischen  Osten  gestellt,  wahrt  mit  hoher  geistiger  Regsamkeit  sein  Vor- 
recht, an  den  Grenzmarken  deutsche  Sitte  und  Bildung  auszubreiten.  Breslau 
versucht  1505  wiederholt,  jedoch  vergebens,  vom  päpstHchen  Stuhl  die  Erlaubnis 
zur  Gründung  einer  Universität  zu  erlangen.  Dasselbe  ist  bei  Liegnitz  der  Fall. 
Luthers  Lehre  wird  im  ganzen  Lande  schnell  und  freudig  aufgenommen,  die 
Reformation  gelangt  ohne  Kampf,  fast  ohne  Widerspruch  zur  Durchführung.  Nicht 
bloß  die  Fürstengeschlechter  des  Landes  neigen  sich  ihr  zu,  auch  die  Städte 
wetteifern  in  ihrer  Förderung.  In  Breslau  führt  Johannes  Heß  aus  Nürnberg, 
1522  als  Pfarrer  an  die  Magdalenenkirche  berufen,  schon  1525  die  neue  Lehre 
vollständig  durch.  Zwar  bleiben  Bischof  samt  Domkapitel,  Stiftern  und  Klöstern 
der  alten  Kirche  treu;  aber  fast  das  ganze  Land  wendet  sich  von  ihr  ab.  Damit 
geht  ein  Aufblühen  der  Wissenschaften  Hand  in  Hand.  Gelehrte  Schulen  werden 
in  Breslau,  Brieg  und  Goldberg  gestiftet;  namenthch  die  letztere  erlangt  unter 
Valentin  von  Trotzendorf  so  weitverbreiteten  Ruf,  daß  nicht  bloß  aus  Deutsch- 
land, Böhmen  und  Polen,  sondern  selbst  aus  Ungarn,  Litauen  und  Siebenbürgen 
Scharen  von  Lernbegierigen,  namentlich  aus  dem  Adel,  ihr  zuströmen.  Thomas 
von  Rhediger  bringt  auf  langjährigen  Reisen  einen  Schatz  von  Handschriften, 
Büchern  und  Kunstsachen  zusammen,  die  er  1575  seiner  Vaterstadt  Breslau  ver- 
1)  Klose,  Breslau  in  Stenzel,  scriptt.  III,  59. 


Schlesien   Eindringen  der  Renaissance 


137 


macht,  damit  den  Grund  zur  Elisabethbibliothek  legend.  Erst  mit  Kaiser  Rudolf  II. 
beginnt,  wie  in  den  übrigen  österreichischen  Provinzen,  in  Schlesien  die  Ver- 
folgung und  Unterdrückung  des  Protestantismus.  Die  Jesuiten  vollführen  auch 
hier  ihr  Werk  der  Gegenreformation,  und  für  Schlesien  hebt  jene  dunkle  Epoche 
an,  die  erst  mit  der  preußischen  Besitzergreifung  ein  Ende  nimmt.  Dennoch 
läßt  sich  der  elastische  Geist  dieses  begabten  Volksstammes  nicht  ganz  unter- 
drücken, und  die  Erneuerung  der  deutschen  Poesie  findet  hier  ihren  Ausgangspunkt. 

Kein  Wunder,  daß  unter  solchen  Verhältnissen  die  Kunst  der  Renaissance 
rasche  Aufnahme  fand.  Wieder  bestätigt  sich  die  Wahrnehmung,  daß  die  der 
geistigen  Bewegung  der  Reformation  zugetanen  Volksstämme  Deutschlands  auch 
für  die  Erneuerung  der  Kunst  das  meiste  gewirkt  haben.  Noch  ein  Umstand 
—  und  zwar  ein  negativer  —  kam  diesem  Streben  zustatten.  In  Städten,  wo 
wie  in  Nürnberg  eine  mächtig  ausgebreitete  und  tief  gewurzelte  Kunst  seit  Jahr- 
hunderten blühte,  haftete  die  Mehrzahl  der  Meister  so  fest  an  den  Überheferungen 
des  Mittelalters,  daß  sie  nur  schwer  und  langsam  (mit  Ausnahme  etwa  eines 
Holbein,  Vischer  und  Flettner)  sich  völlig  der  neuen  Kunst  zuwandten.  Anders 
in  Schlesien.  Hier  hat  zwar  das  ganze  Mittelalter  zahlreiche  Werke  der  Kirchen- 
baukunst hervorgebracht  und  mit  bildnerischem  Schmuck  aller  Art  ausgestattet; 
aber  kein  Werk  ersten  Ranges  und  höchster  künstlerischer  Bedeutung,  keine 
Leistung  ganz  ersten  Ranges  ist  darunter  anzutreffen.  Die  einzige  wahrhaft  groß- 
artige Schöpfung  jener  Zeit  ist  hier  —  bedeutsam  genug  —  ein  Profanbau :  das 
mächtige  Breslauer  Rathaus.  Wir  finden  sogar,  daß,  wo  man  etwas  Ausgezeich- 
netes verlangte,  auswärtige  Künstler  herbeigezogen  wurden.  So  fertigte  Peter 
Vischer  1496  das  Grabmal  Bischof  Johanns  IV.,  das  man  noch  jetzt  im  Dome 
sieht.  Ein  anderer  Nürnberger,  Hans  Pleydenwiirff,  muß  eine  Tafel  für  den  Hoch- 
altar der  Elisabethkirche  malen,  i)  Man  beruft  einen  Meister  ^ewed«/.^,  Maurer  zu 
Krakau,  weil  es  „große  Notbaue"  zu  Breslau  gebe.^)  Dieser  Benedikt  kommt  in 
der  Tat  1518  als  Stadtbauraeister  vor.^)  Dagegen  wird  wieder  ein  Breslauer 
Künstler  Jost  Tauchen  vom  Erzbischof  Johann  von  Gnesen  beauftragt,  ihm  sein 
Grabdenkmal  mit  ehernem  Bildnis  auszuführen.*)  Genug:  wenn  auch  Schlesien 
sich  lebhaft  am  künstlerischen  Schaffen  der  Zeit  beteiligte,  so  befinden  wir  uns 
hier  doch  nicht  in  einem  der  Mittelpunkte,  sondern  an  der  Grenzlinie  deutscher 
Kunst;  und  deshalb  mochte  um  so  leichter  ein  neuer  Stil  sich  Eingang  verschaffen, 
zumal  der  Sinn  des  Volkes  hier  durch  angeborne  geistige  Regsamkeit  und  durch 
den  freien  Weltbhck,  welchen  der  Handel  gewährte,  allem  Neuen  offen  stand. 
Dazu  kam  die  Verbindung  mit  Österreich,  wo  wir  ebenfalls  eine  frühzeitige  Auf- 
nahme der  Renaissance  fanden. 

Aber  mehr  als  in  den  übrigen  österreichischen  Ländern  bemächtigte  man 
sich  hier  mit  eigener  schöpferischer  Kraft  der  neuen  Formen.  Schlesien  gehört 
zu  den  wichtigsten  Gebieten  deutscher  Renaissance.  Die  hohe  Geistlichkeit  und 
das  Bürgertum  der  Städte,  die  zahlreichen  Fürstengeschlechter  und  der  begüterte 
Adel  wetteifern  in  glänzenden  Werken  des  neuen  Stiles.  Da  dieser  so  früh  auf- 
genommen wird,  so  hat  er  ein  Jahrhundert  hindurch  Zeit  sich  zu  entfalten.  Wir 
finden  ihn  denn  auch  in  allen  Schattierungen  von  einzelnen  völlig  italienischen, 
ersten  noch  unklaren  Versuchen,  nachfolgenden  selbständigen  bis  zu  späten  schon 
stark  barocken  Arbeiten.  Wir  finden  eine  Anzahl  von  Prachtwerken  in  Portalen 
und  Epitaphien  von  ausgesuchter  Schönheit,  welche  die  volle  Anmut  der  Früh- 
renaissance besitzen.    Dann  haben  wir  Schlösser,  die  nicht  bloß  durch  einzelne 

1)  Stenzel,  Scriptt.  III,  133. 

2)  Ebenda  III,  185. 

3)  A.  Schultz  a.  a.  0.  S.  19,  Anm. 
Ebenda  III,  183. 


138 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Prunkslücke  (Liegnitz),  sondern  durch  großartige  Anordnung  und  edle  Ausbildung, 
sei  es  im  Geist  südlicher  Kunst  (Brieg),  sei  es  in  charaktervoller  nordischer  Um- 
gestaltung (Öls)  hervorragen.  Daneben  feiert  das  Bürgertum  nicht  und  bietet  in 
der  Entfaltung  einer  echt  deutschen  Renaissance  an  zahlreichen  Privathäusern  in 
Breslau,  Brieg,  Liegnitz,  Neiße  Musterwerke  dieses  Stiles.  Die  allmählich  zu 
immer  größerer  Sicherheit  fortschreitende  Gestaltung  der  Giebelfassade  läßt  sich 
durch  eine  Reihe  von  Beispielen  darlegen.  Nur  der  Erker  hat  in  Schlesien  wenig 
Verwendung  im  Privatbau  gefunden.  EndUch  fehlt  es  nicht  an  Rathäusern,  die 
durch  wirksame  Gruppierung  und  kräftige  GUederung  den  mittelalterlichen  an 
malerischem  Reiz  kaum  nachstehen.  Als  Material  wird  meist  der  Haustein  ver- 
wendet, und  dem  gotischen  Backsteinbau,  der  in  Schlesien  fast  ausnahmslos  über 
eine  ziemlich  derbe  und  selbst  rohe  Form  nicht  hinausgekommen  war,  erwachsen 
nur  wenige  Nachfolger  in  Renaissanceformen.  Wo  die  Flächen,  wie  dies  hier 
häufig  geschieht,  verputzt  werden,  da  hat  man  gern  vollfarbige  Fresken  oder 
wenigstens  Sgraffito  zu  Hilfe  genommen.  Inwiefern  italienische  Künstler  direkt 
bei  Einführung  der  Renaissance  beteiligt  sind,  wird  später  zu  erörtern  sein. 

Jedoch  fehlen  auch  Anklänge  an  slawische  Art,  insbesondere  an  die  in 
Böhmen  und  Gahzien  auftretenden  Sondereigentümlichkeiten,  hier  im  Lande 
nicht.  Gerade  die  große  Verbreitung  der  Sgraffitomalerei,  sowie  die  Anordnung 
von  kleinen  Giebelreihen  über  dem  Hauptgesimse  sind  hierher  zu  rechnen.  Da 
Schlesien  zu  Böhmen  gehörte,  so  versteht  sich  das  leicht. 

Breslau 

Die  Hauptstadt  Schlesiens  nimmt  unter  den  monumentalen  Vororten  Deutsch- 
lands eine  weit  wichtigere  Stelle  ein,  als  man  gemeinhin  weiß.  Schon  die  Ge- 
samtanlage der  Stadt  hat  einen  so  großartigen  Zug,  wie  er  wenigen  von  unsern 
mittelalterlichen  Städten  eigen  ist.  Die  imposante  Gestalt  des  „Ringes"  mit  dem 
herrlichen  Rathause,  die  klare,  übersichtliche  Anordnung  der  wichtigsten  Straßen 
findet  in  Deutschland  nur  etwa  in  Danzig,  Augsburg,  Nürnberg  ihresgleichen. 
Dies  wahrhaft  großstädtische  Gepräge  verdankt  Breslau,  das  schon  um  das  Jahr 
1000  als  ansehnUche  Stadt  erwähnt  wird,  Kaiser  Karl  IV.,  der  nach  den  ver- 
heerenden Feuersbrünsten  von  1342  und  1344  sie  neu  aufführte.  Wie  in  der 
Folge  die  Stadt  sich  durch  rege  Handelstätigkeit  zu  Macht  und  Blüte  aufschwang, 
ist  oben  schon  erwähnt  worden.  Mit  zunehmendem  Reichtum  stieg  den  Bürgern 
die  Lust,  durch  künstlerische  Werke  ihre  Stadt  zu  schmücken.  Nicht  wenig  trug 
zur  Förderung  dieses  Strebens  der  Wetteifer  mit  der  Geistlichkeit  bei,  die  auf  der 
Dominsel  sowie  in  mehreren  Stiften  und  Klöstern  ihren  Sitz  hatte.  Außer  Köln 
hat  wohl  keine  Stadt  in  Deutschland  noch  jetzt  solche  Zahl  mittelalterhcher 
Kirchen  und  Kunstwerke  aufzuweisen,  wie  Breslau.  Nur  daß  hier  das  meiste  den 
späteren  Epochen  des  Mittelalters  angehört  und  fast  ausschheßlich  die  jüngeren 
Entwicklungen  des  gotischen  Stiles  und  der  begleitenden  bildenden  Künste  ver- 
tritt, und  daß  es  dabei  an  Werken  höchsten  künstlerischen  Ranges  hier  ganz  fehlt. 

In  die  neue  Zeit  tritt  die  auf  dem  Gipfel  ihrer  Macht  stehende  Stadt  mit 
dem  vollen  Bewußtsein  und  dem  regsten  Anteil  an  der  geistigen  Wiedergeburt 
des  Lebens.  Wie  sie  die  Reformation  schnell  aufnahm  und  entschieden  durch- 
führte, wie  sie  selbst  eine  Universität  zu  gründen  bemüht  war,  haben  wir  schon 
erzählt.  Melanchthon  selber  gibt  ihr  das  ehrendste  Zeugnis.  „Keine  deutsche 
Nation,"  sagt  er  in  einem  Briefe  an  Herzog  Heinrich  von  Liegnitz,  „hat  mehr  ge- 
lehrte Männer  in  der  gesamten  Philosophie;  die  Stadt  Breslau  hat  nicht  nur 
fleißige  Künstler  und  geistreiche  Bürger,  sondern  auch  einen  Senat,  der  Künste 
und  Wissenschaften  freigebig  unterstützt.    In  keinem  Teile  Deutschlands  be- 


Breslau 


139 


schäftigen  sich  so  viele  aus  dem  gemeinen  Volke  mit  den  Wissenschaften."'  Da- 
gegen will  es  nicht  schwer  wiegen,  wenn  Joseph  Scaliger  in  einer  etwas  wunder- 
lichen Äußerung  sagt:  „Die  Schlesier  sind  Barbaren;  sie  wohnen  am  Ende  der 
Christenheit.  Welcher  von  ihnen  nicht  Barbar  ist,  der  ist  gemeiniglich  ein  sehr 
guter  Kopf.  Sie  sind  nahe  an  Slavonien  und  haben  beinahe  dieselbe  Sprache."^) 

Der  Bestand  der  literarischen  und  künstlerischen  Denkmäler  bestätigt 
Melanchthons  Auffassung.  Reger  Wetteifer  macht  sich  mit  dem  Beginn  des 
16.  Jahrhunderts  im  monumentalen  Schaffen  geltend.  Bischof  Johann  IV.  (f  1506) 
erbaut  an  Stelle  des  früher  aus  Lehm  errichteten  Bischofshofes  einen  steinernen 
Palast  „mit  zwei  weiten  Sälen,  einer  großen  Stube,  mit  feinem  Malwerk,  geziert 
mit  den  Bildnissen  der  Könige  von  Böhmen  und  der  Bischöfe  von  Breslau,  dazu 
eine  herrliche  Bibliothek."  ^)  In  der  Bürgerschaft  erblickt  man  zunächst  steigende 
Fürsorge  für  Reinlichkeit  der  Straßen  und  Plätze;  1513  befiehlt  eine  Verordnung^), 
daß  jeder  den  Dünger  vor  seiner  Türe  wegführen,  daß  niemand  fortan  Kehricht 
oder  andern  Unrat  auf  den  Ring,  den  Salzmarkt,  den  Neumarkt  und  die  Gassen 
schütten,  daß  keiner  die  Schweine  auf  dem  Ring  oder  den  Straßen  herumlaufen 
lasse,  „vornehmlich  an  den  Tagen,  da  man  mit  dem  heil.  Leichnam  umgehet 
oder  die  Kreuze  herumträgt."  Eine  gleichzeitige  Aufzeichnung  zählt  auf  dem 
Ring  sechzig  Häuser,  einige  bemalt,  sämtlich  drei,  vier,  auch  fünf  Gaden  (Stock- 
werke) hoch.  Auch  die  Vorderseite  des  Rathauses  hat  Gemälde ;  die  Stadt  besitzt 
im  ganzen  vierzig  Kirchen  und  elf  Klöster,  die  Stadtmauer  ist  mit  fünfzig  Türmen 
besetzt.*)  Breslau  hat  damals  am  Ring  und  in  den  alten  Hauptstraßen  sicher 
einen  viel  imposanteren  Eindruck  gemacht  als  jetzt. 

Von  dem  lebendigen  Kunstsinn  und  der  EmpfängUchkeit,  welche  die  Bres- 
lauer auszeichneten,  gibt  noch  jetzt  die  merkwürdige  frühe  Aufnahme  der  Renais- 
sance unverkennbares  Zeugnis.  Während  in  dem  hoch  entwickelten  Nürnberg  ein 
Meister  wie  Peter  Vischer  noch  1496  (an  dem  Grabmal  im  Dom)  den  Formen  der 
Gotik  treu  bleibt,  hat  ein  allem  Anscheine  nach  in  Breslau  heimischer  Künstler 
nicht  viel  später  als  1488^)  ein  Werk  im  Renaissancestil,  so  gut  er  ihn  verstand, 
ausgeführt.  Es  ist  das  schon  erwähnte  Grabmal  des  1488  verstorbenen  Peter 
Jenkwitz  und  seiner  1483  ihm  vorausgegangenen  Ehefrau,  außen  an  der  Nordost- 
ecke der  Elisabethkirche.'')  Die  anspruchslose,  aus  Sandstein  gearbeitete 
Tafel  enthält  die  Reliefdarstellung  des  Gekreuzigten  mit  Maria  und  Johannes,  darunter 
vier  Wappen,  das  Ganze  eingefaßt  von  Renaissancepilastern,  deren  monoton  wieder- 
holtes Laubwerk  in  der  Füllung  des  Schaftes  allerdings  noch  das  schlaffe  Lappen- 
blatt gotischer  Form  zeigt.  Dasselbe  Laub  bekleidet  die  Kapitelle,  die  offenbar 
korinthisch  sein  sollen.  Es  ist  sichtlich  das  Werk  eines  heimischen  Bildhauers, 
der  den  neuen  Stil  nur  von  ungefähr  aus  Zeichnungen  oder  Holzschnitten  kennen 
mochte.")  Ebenso  vereinzelt  tritt  ein  Renaissancemotiv,  aber  mehr  ein  bildnerisches 
als  architektonisches,  an  einem  anderen  Denkmal  derselben  Kirche  auf:  dem  an 
der  Südseite  befindUchen  Epitaph  des  Hans  Scholtz,  f  1505.*)    Das  recht  gute 

1)  Beide  Stellen  zitiert  in  Menzels  Gesch.  Schlesiens  S.  337. 

2)  Nie.  Pol,  Jahrbücher  der  Stadt  Breslau  II,  186. 

3)  Klose  bei  Stenzel,  scriptt.  III,  214. 

4)  Ebenda  III,  248. 

5)  So  auffallend  dies  frühe  Datum  ist,  so  liegt  doch  kein  Grund  vor,  es  anzuzweifeln. 
Wenn,  "wie  es  doch  wahrscheinlich,  der  Sohn  des  Verstorbenen  das  Grabmal  errichten  ließ,  so 
darf  man  wohl  daran  erinnern,  daß  er  von  1499  bis  1503  das  kanonische  Recht  in  Rom  studieret 
(Klose,  Breslau,  pag.  386),  wo  er  wohl  die  Renaissance  kennen  lernen  konnte.  Selbst  wenn  er 
erst  nach  seiner  Heimkehr  das  Denkmal  hätte  ausführen  lassen,  wäre  es  immer  noch  das  früheste 
im  Norden.  Doch  ist  dies  anzunehmen  nicht  einmal  nötig. 

6)  Vgl.  Dr.  Luchs,  Die  Denkmäler  der  St.  Elisabethkirche  zu  Breslau,  Nr.  370. 
'')  H.  Lutsch,  Bilderwerk  schlesischer  Kunstdenkmale,  Taf.  74. 

8)  Dr.  L  u  c  h  s  a.  a.  0.  Nr.  339. 


140 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel  Schlesien 


Relief  der  Verkündigung,  sowie  die  gotische  Einfassung  verraten  einen  Künstler, 
der  in  den  Gleisen  der  heimischen  Tradition  wandelt:  aber  die  beiden  Engelknaben 
in  dem  Schweifbogen  schmecken  nach  Einflüssen  der  Renaissance.  Das  nächste 
Datum,  das  uns  begegnet,  ist  das  oben  mitgeteilte  Wappen  aus  Johannisberg 
von  1509:  auch  hier  noch  ein  Gemisch  beider  Stile,  aber  bereits  ein  Vorherrschen 
der  neuen  Kunstweise. 

Aus  dem  folgenden  Jahr  1510  datiert  ein  großes  treffliches  Epitaph  an  der 
Südseite  der  Magdalenenkirche:  Christus  am  Kreuz  mit  Maria  und  Johannes, 
St.  Andreas  und  Barbara,  darunter  eine  zahlreiche  Familie  kniend.  Die  Einfassung 
wird  durch  kandelaberartige  Säulchen  gebildet,  die  bereits,  wenn  auch  unsicher, 
die  Sprache  der  Renaissance  reden.  Auch  die  beiden  Engelputti  in  den  Bogen- 
zwickeln gehören  der  neuen  Auffassung  an.  Ebenso  spielend  sind  die  italienischen 
Formen  mit  gotischem  Laubwerk  gemischt  an  dem  kolossalen  Zinnkrug  von  1511 
im  Altertums-Museum,  der  zu  den  größten  Prachtstücken  dieser  Art  zählt. 
Dies  interessante  Werk  beweist,  daß  auch  das  Kunstgewerbe,  gegen  seine  sonstige 
Gewohnheit  des  zähen  Haftens  am  Überlieferten,  merkwürdig  früh  hier  die  neue 
Richtung  einzuschlagen  versuchte. 

Alle  diese  Werke  sind  sichtlich  Schöpfungen  deutscher,  wohl  meist  in  Breslau 
ansässiger  Künstler.  Die  Einführung  der  Renaissance  in  Schlesien  ist  also  ein- 
heimischen Meistern  zu  verdanken.  Aber  unklar  tastend,  schwankend  und  ge- 
mischt, wie  der  Stil  hier  auftrat,  vermochte  er  unmÖgUch  die  Herrschaft  zu  er- 
obern. Dazu  gehörten  vollendetere,  aus  tieferer  Kenntnis  der  neuen  Bauweise 
hervorgegangene  Leistungen.  Eine  solche  tritt  uns  hier  zuerst  in  dem  Portal 
entgegen,  das  aus  dem  südlichen  Ghorumgang  des  Domes  in  die  Sakristei  führt 
und  die  Jahreszahl  1517  trägt.  Nach  dem  Muster  oberitalienischer  Portale  der 
Frührenaissance  bilden  ornamentierte  Pilaster,  die  ein  reichgeschmücktes  Gebälk 
tragen,  die  Einfassung,  während  ein  Halbkreisfeld  mit  der  Reliefdarstellung  der 
Enthauptung  Johannes  des  Täufers  das  Ganze  abschließt.  Die  volle  dekorative 
Pracht  der  Frührenaissance,  ursprünglich  durch  Bemalung  noch  gesteigert,  ist  hier 
aufgeboten ;  das  Relief  des  Bogenfeldes  in  seiner  freien  lebensvollen  Behandlung, 
in  der  kühn  bewegten  Stellung  des  Henkers,  der  Verkürzung  des  Leichnams  läßt 
vielleicht  auf  einen  fremden  Künstler  schließen,  hat  manche  Züge  von  der  gleich- 
zeitigen Augsburger  Bildhauerei,  etwa  wie  sie  die  Dauher  übten.  Die  Architektur 
und  das  Ornament  steht  aber  noch  ganz  in  den  Anfängen,  ist  wenigstens  auf 
das  Ungeschickteste  gehandhabt,  doch  ohne  dabei  reizlos  zu  sein.^)  Auch  der 
seltsam  geformte  Eierstab  des  Frieses,  die  wenig  verstandene  Behandlung  des 
korinthischen  Kapitells,  selbst  das  Laubwerk  der  Pilasterfüllungen,  alles  läßt 
vermuten,  daß  wir  es  mit  einem  heimischen  Künstler  zu  tun  haben,  der  die  ober- 
italienische Renaissance  höchstens  flüchtig,  vermutlich  aber  nur  aus  zweiter  Hand 
kennen  gelernt  hatte. 

Gleich  vom  folgenden  Jahre  1518  datiert  das  schöne  Bronze-Epitaph  der 
Margarete  Irmisch  an  der  Nordseite  der  Magdalenenkirche:  Christi  Begeg- 
nung mit  Maria  im  Beisein  der  Apostel,  unten  die  Familie  der  Verstorbenen,  eine 
lebensvolle  meisterliche  Arbeit,  von  schlichtem  Renaissancebogen  umrahmt,  der 
durch  Kymatienblätter  und  Zahnschnitte  elegant  gegliedert  ist;  die  schöne  Blumen- 
girlande gehört  ebenso  zu  den  echten  Merkmalen  der  Renaissance.  Auch  diese 
Arbeit  weist  auf  deutsche  Hand.^) 

Eine  rein  italienische  Architektur  tritt  dagegen  an  den  Arbeiten  auf,  die 
1521  (?)  am  Leinwandhaus  (jetzt  Stadthaus)  ausgeführt  wurden.  Den  wich- 
tigsten Rest  sieht  man  in  der  EHsabethstraße  an  dem  Portal,  das  mit  dem 

1)  Abgeb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk  schlesisclier  Altertümer,  Taf.  74. 

2)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  74,  4. 


Breslau 


141 


darüber  angeordneten  Fenster  eine  ebenso  originelle  als  reizvolle  Komposition 
ausmacht,  und  den  giebelgekrönten  Nachbarfenstern.  Die  feinen  Rahmenpilaster 
mit  eingelassenen  Schilden,  die  Säulchen  mit  den  frei  korinthisierenden  Kapitellen, 
die  Gesimse  und  die  Konsolen  erinnern  an  venezianische  Muster;  nur  das  Eichen- 
geäst, das  über  den  Konsolen  sich  zum  Bogen  verschlingt,  ist  ein  Rückfall  in 
spätgotischen  Naturalismus,  der  zu  der  sicheren  Formenbehandlung  der  Fenster- 
umrahmungen in  hellstem  Gegensatze  steht.  Die  ganze  Fensterarchitektur  ist  von 
einer  in  Deutschland  so  seltenen  Vollendung,  daß  die  Hand  italienischer  Architekten 
und  Steinmetzen  hier  unverkennbar  scheint.  Sie  lehnt  sich  im  Wesen  zugleich 
so  stark  an  die  ausgezeichnete  Fensterarchitektur  im  Hofe  des  Brieger  Schlosses 
an,  die  aber  erst  von  1552  stammt,  daß  ihre  Entstehung  schon  1521  höchst  zweifel- 
haft erscheint,  vielmehr  dies  Datum  kaum  zu  ihr  gehören  wird.*)  Die  übrigen 
Reste  des  Baues  verstecken  sich  im  Kaflfgesimse  der  Fenster  an  der  südlichen 
und  westlichen  Seite  des  in  moderner  Berliner  Gotik  ausgeführten  Neubaues. 
Es  sind  Relieffriese  voll  köstlichen  Humors,  überwiegend  noch  den  burlesken 
Spaßen  des  Mittelalters  angehörend,  dazu  Genreszenen  in  frischem  Naturalismus; 
auf  Anschauungen  der  Renaissance  deutet  aber  auch  hier  der  allerliebste  Fries 
mit  tanzenden  Kindern. 

Das  nächste  Werk  fällt  volle  sechs  Jahre  später:  es  ist  das  Kapitelhaus 
beim  Dom,  an  dem  man  das  Datum  1527  Hest.  In  die  Backsteinfassade  wurde 
damals  ein  Sandsteinportal  in  Renaissanceformen ^)  eingesetzt;  rechtwinklig  ge- 
schlossen, der  Rahmen  mit  Eierstab,  das  deckende  Gesims  in  reicher  Weise  mit 
Zahnschnitt,  Eierstab  und  Kymation  belebt,  dies  alles  von  derber,  doch  tüchtiger 
Behandlung.  Darüber  in  rundbogiger  Umrahmung  ein  Lilienwappen  mit  der 
Jahreszahl.  Mittelalterlich  ist  nur  noch  die  Art,  wie  der  innerste  Stab  des  Portal- 
rahmens sich  an  den  Ecken  durchschneidet;  ein  Motiv,  das  sich  an  den  übrigen 
Öffnungen,  namentlich  den  schrägen  Fenstern  des  Treppenhauses  wiederholt. 
Das  kleine  innere  Portal  ist  ganz  ähnlich ;  die  Spindel  der  Wendeltreppe  aber 
hat  einen  schräg  gerieften  gotischen  Fuß.  So  mischen  sich  auch  hier  die  neuen 
Formen  mit  mittelalterhchen.  Von  allen  diesen  bis  jetzt  erwähnten  Schöpfungen 
kann  also  nur  die  Fensterarchitektur  des  Stadthauses  als  Leistung  eines  Itaheners 
angenommen  werden ;  sie  ist  das  einzige  Werk,  an  welchem  keine  Spur  gotischer 
Kunstweise  sich  findet. 

Nun  folgt  das  mächtige  Eckhaus  am  Ring  Nr.  29  „zur  Krone";  auf  einem 
Täfelchen  am  Pilaster  des  Portals  ist  das  Datum  1528  angebracht.  Beide  Fassaden 
sind  schlicht  ohne  Gliederung,  mit  Putz  überzogen,  auf  dem  gewiß  ursprünglich 
Malereien  waren.  Die  Fenster  einzeln,  zu  zweien  oder  zu  dreien  gruppiert,  haben 
antikisierende  Rahmen  und  Deckgesimse.  Am  auffallendsten  sind  die  bogen- 
förmig gezackten  Zinnen,  die  bekannte  slawische  Gesimskrönung,  die  das  flache 
Terrassendach  einfassen  und  der  Fassade  ein  italienisches  Gepräge  verleihen.  In 
der  Ohlauerstraße  hat  später  eine  Verlängerung  des  Hauses  stattgefunden,  die 
sich  schon  durch  verminderte  Höhe  und  Wechsel  in  Behandlung  der  Fenster 
kundgibt.  Die  prachtvolle  große  Marmorinschrift  nennt  hier  das  Jahr  1544  und 
fügt  den  Spruch  hinzu :  QVAEVIS  TERRA  PATRIA,  was  eher  auf  einen  fremden 
Besitzer  als  auf  einen  auswärtigen  Baumeister  deuten  dürfte.  Damit  stimmt  das 
einzige  Prunkstück  der  Fassade,  jenes  reich  mit  Ornamenten  bedeckte  Portal, 
das  mit  seinen  Ornamentpilastern,  den  Delphinen  in  den  Bogenz  wickeln,  dem 
Eierstab  und  Zahnschnittfries,  kurz  mit  seiner  ganzen  Anordnung  und  Aus- 
schmückung der  Renaissance  angehört^);  aber  die  schwerfällig  ausgebauchten 
korinthischen  Kapitelle  zeugen  nicht  von  italienischer  Herkunft,  ebenso  deutet 

1)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  77,  1.  23.  2)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.-  79,  5. 

3)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  74,  3. 


142 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


die  Inschrift :  „Das  Haus  steht  in  Gottes  Handt,  zur  gülden  Krone  ist  es  genant" 
auf  deutsche  Arbeit ;  auch  scheint  das  Steinmetzzeichen  ^)  einen  deutschen  Meister 
zu  verraten.  Dies  findet  weitere  Bekräftigung  im  Innern.  Zwar  zeigt  der  Flur, 
jetzt  flach  gedeckt,  in  seiner  Dekoration  spätere  Umgestaltung;  aber  der  auf  den 
Hof  mündende  Torbogen  ist  mit  seiner  einfachen  Behandlung  dem  vorderen  Portal 
gleichzeitig.  Der  Hof  selbst,  lang  und  schmal,  ist  an  der  einen  Langseite  in  drei 
Geschossen  mit  Galerien  eingefaßt,  die  auf  stark  vorgekragten  Konsolen  mittels 
Flachbögen  aufsetzen.  An  der  Kellerlür  zeigt  sich  nun  wieder  der  deutsche 
Meister,  der  von  den  Traditionen  des  Mittelalters  noch  nicht  ablassen  kann;  die 
Einfassung  wird  durch  gekreuzte  Stäbe  in  spätgotischer  Art  gebildet,  obwohl  das 
Deckgesims  die  Formen  der  Renaissance  zeigt.  Völlig  gotisch  mit  reich  sich  durch- 
schneidendem Stabwerk  ist  aber  die  Umrahmung  des  Pförtchens,  das  im  ersten 
Stock  auf  die  Galerie  mündet.  Daß  italienische  Künstler  noch  1528  an  mittel- 
alterlichen Formen  festgehalten  hätten,  ist  undenkbar;  daher  werden  wir  auch 
für  diesen  Bau  einen  deutschen  Meister  annehmen  müssen.  Da  nun  durch 
Dr.  E.  Wernickes  archivalische  Forschungen^)  festgestellt  ist,  daß  etwa  von 
1525—30  der  Görlitzer  Meister  Wendel  Roßkopf  nach  Breslau  als  Stadt-  und 
Brückenbaumeister  berufen  wurde,  so  wäre  möglich,  daß  von  ihm  der  Bau  dieses 
stattlichen  Hauses,  oder  zum  wenigsten  doch  des  Portales,  herrührte. 

Gleichzeitig  mit  dem  Hause  zur  Krone  entstand  das  mit  1528  bezeichnete 
Portal,  das  im  Erdgeschoß  des  Rathauses  zum  großen  Saal  führt.  Das  Ge- 
bäude selbst^),  im  14.  Jahrhundert  begonnen,  war  erst  seit  1471  eifriger  gefördert 
worden  und  erhielt  in  dieser  Schlußepoche  der  Gotik  den  großartigen  Ausbau 
mit  drei  Ecktürmen  und  im  Innern  den  imposanten  Flur  und  den  Fürstensaal, 
welche  zusammen  es  zu  einem  der  ansehnlichsten  und  reichsten  Rathäuser  Deutsch- 
lands machen,  einem  würdigen  Zeugnis  der  Macht  und  des  Kunstsinns  der  da- 
maligen Stadt.  Sollte  die  Estrade  im  mittleren  Erker*)  wirklich  von  1480  datieren, 
so  hätten  wir  hier  das  früheste  Auftreten  von  Renaissanceformen  im  Lande,  wenn 
auch  noch  stark  versetzt,  ja  überwuchert  von  spätgotischen  Elementen,  denn  die 
Kassettendecke  ist  schon  völlig  im  Stil  der  Renaissance,  obgleich  die  metallenen 
Rosetten  noch  krauses  gotisches  Laubwerk  zeigen.  Auch  die  Einfassung  der  mit 
gotischem  Maßwerk  durchbrochenen  Balustrade  trägt  die  Formen  des  neuen  Stils. 
Ich  glaube  aber  diese  Teile  zu  den  späteren  Ausstattungen  rechnen  zu  müssen, 
die  seit  Vollendung  des  westlichen  Erkers  (1504)  hinzugekommen  sind.  Die  voll 
ausgebildete  Renaissance  finden  wir  1528  an  dem  schon  erwähnten  Portale  des 
Ratssaales.  Die  reiche  Behandlung,  welche  die  Pilaster  und  alle  übrigen  Flächen 
mit  Laubwerk  und  Früchten,  mit  spielenden  Putten,  mit  Sirenen  in  üppigen 
Ranken,  mit  Trophäen  und  Emblemen  verschiedener  Art  dekoriert  hat  (leider  jetzt 
mit  Ölfarbe  dick  verschmiert,  ursprünglich  aber  gewiß  farbig),  erinnert  in 
manchen  Einzelheiten  an  den  Stil  des  Portales  an  der  Krone.  Selbst  die  bauchige 
Kapitellbildung  finden  wir  wieder,  obwohl  der  Steinmetz  ein  anderer  ist,  als  dort. 
Da,  wie  wir  oben  gesehen,  Wendel  Boßkopf  damals  als  Stadtbaumeister  in  Breslau 
wirkte,  so  ist  einige  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  daß  er  der  Erbauer  auch 
dieses  Portales  war.^)  An  einen  Italiener  werden  wir  um  so  weniger  zu  denken 
haben,  als  archivalische  Untersuchungen  ergeben  haben,  daß  damals  die  Stadt- 


1)  Abgeb.  bei  Luchs,  Bildende  Künstler  in  Schlesien  (Abdr.  aus  der  Zeitschr.  f.  G.  u. 
Altert.)  Seite  13. 

2)  Im  Nachtrag  zu  des  Verf.  Schrift  über  Gröditzberg,  Dünzlau  1880. 

3)  Lüdecke  und  Schultz,  Das  Rathaus  zu  Breslau,  Br.  1868. 

4)  Bei  Schultz  a.  a.  0.  Taf.  1  nach  einer  trefflichen  Zeichnung  von  Lüdecke. 

5)  Den  Namenszug  des  Steinmetz-Meisters  H.  R.  gibt  Luchs  in  s.  bild.  Künstl.  in 
Schlesien  S.  13. 


Breslau 


143 


baumeister  in  Breslau  stets  Einheimische  waren/)  Die  innere  Seite  des  Eingangs 
wird  durch  ein  ähnliches  nicht  minder  reiches  Portal  geschmückt.  Im  Jahre  1548 
wurde  sodann  der  Erker  im  Hofe  auf  wuchtigen,  mit  elegantem  Akanthuslaub 
geschmückten  Konsolen  ausgeführt.  Seine  Rundbogenfenster  werden  von  kanne- 
lierten Pilastern,  der  mittlere  mit  ionischen,  die  beiden  anderen  mit  toskanischen 
Kapitellen  eingefaßt. 
Dieser   Bau    ist  im 
Geiste  strenger  Hoch- 
renaissance durchge- 
führt, aber  auch  hier 
braucht  nicht  an  einen 
Italiener  gedacht  zu 
werden.  Von  der  wei- 
teren Ausstattung  des 
Innern  kommt  sodann 
besonders    die  herr- 
liche Holzbekleidung 
der  Wände  des  Rat- 
haussaales inBetracht. 
Die  mit  Vorliebe  an- 
gewandte Intarsia,  die 
im  Architektonischen 
und  Ornamentalen  die 
höchste  Feinheit  zeigt, 
dürfte  wohl  italienisch 
sein.  Merkwürdig,  daß 
die  in  demselben  Stil 
behandelteTür,welche 
in  das  anstoßende  Ge- 
mach führt,  ein  volles 
Jahrhundert  später, 
1664,  entstanden  ist, 
wenn  hier  nicht  ein 
Schreibfehler  vorliegt. 
Auch    der  kolossale 

schwarz  glasierte 
Kachelofen  aus  dem 
17.  Jahrhundert,  präch- 
tig mit  Muschelorna- 
menten geschmückt, 
an  den  Ecken  mit 
gelbglasierten  Löwen- 
köpfen, verdient  Er- 
wähnung. Ein  tüchtig 
behandeltes  Eisengit- 
ter aus  derselben  Zeit 

faßt  als  Bogen  den  Aufgang  zur  Treppe  ein.  Der  seit  1558  aufgeführte  Rathaus- 
turm von  Andreas  Stellauf  ist  von  etwas  nüchterner  Erfindung. 

Zu  den  wichtigsten  Arbeiten  in  Breslau  gehören  aber  zwei  Grabmäler,  die 
einen  Höhepunkt  der  frühen  echt  schlesischen  Renaissance  bezeichnen.  Das 
größere  und  prachtvollere  sieht  man  im  südlichen  Seitenchor  der  E  Iis  ab  et  h- 

1)  Schultz,  Schles.  Kunstleben  S.  18. 


Abb.  77   Grabdenkmal  Rybisch  in  der  Elisabethkirche  zu  Breslau 
(Nach  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance)  , 


144 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


kl r che.  Der  kaiserliche  Rat  und  Rentmeister  von  Schlesien,  Heinrich  Rybisch 
(f  1544),  ließ  es  sich  bei  Lebzeiten  1534,  so  liest  man,  errichten.^)  Die  Vollendung 
scheint  erst  1539  erfolgt  zu  sein,  denn  dieses  Datum  trägt  einer  der  Pilaster. 
Es  ist  ein  Wandgrab  von  großartigem  Maßstab,  aus  Tiroler  Marmor  errichtet, 
von  drei  stark  vortretenden  Säulen  mit  reichem  Gebälk  eingefaßt  (Abb.  77).^) 
Die  Schäfte  sind  von  buntem,  die  elegant  gezeichneten  Kapitelle  von  rotem  Salz- 
burger Marmor.  Über  den  Arkaden  bildet  sich  ein  feines  Zahnschnitt gesims,  als 
Krönung  darüber  dient  eine  Akanthusranke  mit  Delphinen,  in  der  Mitte  das 
Wappen  des  Verstorbenen,  Hinter  den  übrigens  nicht  in  einer  Flucht  stehenden 
Säulen,  deren  mittlere  etwas  vortritt,  so  daß  sich  eine  flache  Knickung  ergibt, 
gliedern  elegante  Pilaster  die  Wandfläche.  Die  schöne  Laubfüllung  ist  an  beiden 
Schäften  dieselbe,  ein  in  dieser  Zeit  auffallendes  Verfahren.  Man  bemerkt  jedoch, 
daß  die  Behandlung  des  rechts  (westlich)  befindlichen  Pilasters  von  geringerer 
Feinheit  ist,  so  daß  hier  die  kopierende  Hand  eines  Gehilfen  vermutet  werden 
muß.  Über  einer  kleineren,  durch  Kandelabersäulen  gebildeten  Wandarkade,  die 
zwei  Wappen  und  im  Mittelfelde  das  trefflich  gearbeitete  Brustbild  des  Ent- 
schlafenen enthält,  ist  dieser  selbst  in  ganzer  Gestalt  liegend  dargestellt,  wie  in 
Nachsinnen  versunken,  auf  einen  Globus  gestützt,  in  der  Hand  ein  Buch  haltend. 
Die  Schönheit  der  Anordnung,  die  Feinheit  der  Ausführung,  der  Adel  der  Orna- 
mente, die  überall  in  passender  Weise  ausgeteilt  sind,  die  zierlichen  Laub- 
gewinde namentlich,  welche  jedes  Feld  schmücken,  die  köstlichen  kleinen  Brust- 
bilder in  den  Zwickeln  der  Bögen,  das  alles  läßt  uns  einen  ausgezeichneten 
einheimischen,  aber  in  der  Fremde  gebildeten  Meister  vermuten.^)  Auf  seinen 
Schultern  steht  die  ganze  folgende  eigenartige,  doch  so  liebenswürdige  schle- 
sische  junge  Renaissance.  Die  Frage  nach  der  Herkunft  des  Künstlers  oder 
dem  Ort,  wo  er  seine  Schule  genossen,  ist  schwer  zu  bestimmen,  doch  weisen 
manche  EigentümHchkeiten  am  ehesten  nach  Frankreich,  vielleicht  auf  dem  Wege 
über  Torgau. 

Als  auffallend  haben  wir  noch  die  seltsam  hohe,  mit  Blattwerk  dekorierte 
Basis  der  Säulen  zu  bezeichnen ;  charakteristisch  sind  die  breiten  Kannelierungen 
mit  Stäben  (Pfeifen)  im  unteren  Teil,  die  von  da  an  in  der  schlesischen  frühen 
Renaissance  eine  geradezu  unvermeidliche  und  bezeichnende  Schmuckform  bilden. 

Dieselbe  Hand  erkennt  man  in  dem  kleineren  Grabmal,  das  Stanislaus  Sauer 
sich  schon  1533  im  südlichen  Querflügel  der  hl.  Kreuzkirche  errichten  ließ. 
Es  erscheint  wie  der  bescheidene  Vorläufer  jenes  prachtvolleren  Denkmals.  Gleich 
jenem  als  Wandgrab  angelegt,  zeigt  es  eine  in  den  Maßen  und  der  Ausstattung 
reduzierte  Form.  Von  zwei  kannelierten  Säulen,  aus  denen  ein  Löwenkopf 
herauswächst,  wird  es  umrahmt.  Wie  dort  überschneiden  auch  hier  die  Säulen 
die  mit  Medaillons  geschmückten  Pilaster  der  Wandfläche.  Die  Rückwand  wird 
in  völlig  verwandter  Weise  durch  Arkaden  mit  Kandelabersäulchen  gegliedert,  aus 
denen  Lorbeergirlanden  mit  Inschrifttafeln  herabhängen.^)  Das  Mittelfeld  zeigt 
ein  etwas  härter  gearbeitetes  Brustbild  des  Verstorbenen.  Darüber,  in  den  Bogen- 
zwickeln, zwei  treffUche  antike  Köpfe.  In  den  Ecken  des  Frieses,  der  die 
lateinische  Inschrift  enthält,  Köpfe,  die  als  Alexander  Magnus  und  Augustus  Cäsar 
bezeichnet  werden;  im  krönenden  Giebelfeld,  von  geschweiften  Kannelüren  um- 
geben, ein  höchst  großartig  aufgefaßter  Kopf  des  Königs  Matthias  von  Ungarn, 
gleich  den  übrigen  mit  Lorbeer  bekränzt.    In  verschiedenfarbigem  Marmor  aus- 

1)  Vgl.  H.  Luchs,  Die  Denkmäler  der  Elisabethkirche  Nr.  25. 

2)  Abb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  80,  4.  171,  1. 

3)  Nach  den  neuesten  archivalischen  Ermittlungen  erhebt  sich  diese  Vermutung  fast  zur 
Gewißheit.    Den  Namenszug  des  Verfertigers  M.  F.  gibt  Luchs  in  seinen  Bild.  Künstlern  p.  15. 

4)  Abb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  79,  1. 


Breslau  j^^g 

geführt,  durch  fein  abgewogene  Vergoldung  noch  gehoben,  gehört  auch  dieses 
Monument  zu  den  wirklich  guten  Schöpfungen  der  Renaissance  auf  deutschem 
Boden.  Obwohl  das  Ornament  nicht  die  volle  Feinheit  hat,  vielmehr  einfacher, 
breiter  und  derber  gezeichnet  ist  als  bei  jenem,  muß  man  doch  auf  denselben 
Meister  schheßen.   Auch  die  eigentümliche  Form  der  Säulenbasis  ist  Zeugnis  dafür. 


Abb.  78   Vom  Haus  Junkeriistraße  in  Breslau 


Ein  nicht  ganz  auf  derselben  Höhe  der  Durchbildung,  doch  jenen  beiden  an 
Frische  und  Können  nahe  stehendes  drittes  Denkmal  ist  die  Fassade  des  Privat- 
hauses Junkernstraße  2,  von  jenem  Heinrich  Rybisch  1540  erbaut.  Nur  ihr  unterer 
Teil  ist  unversehrt  erhalten,  freilich  durch  Reichtum  und  Schönheit  unter  den 
gleichzeitigen  bürgerlichen  Privatbauten  Deutschlands  eine  Seltenheit  (Abb.  78). 
Die  beiden  die  Tür  umfassenden  Pilaster  zeigen  in  ihrem  Ornament  eine  etwas 
gehäufte  Komposition,  aber  sprudelnd  von  Geist  und  Leben.  Merkwürdig  ist 
darin  die  miniaturhaft  ausgeführte  Darstellung  einer  geburtshilflichen  Szene; 
noch  merkwürdiger  aber,  daß  diese  mit  der  ganzen  übrigen  Ornamentik  in  beiden 
Pilastern  gleichlautend  sich  wiederholt.  Aber  die  Ausführung  des  einen,  und 
zwar  des  links  befindlichen,  ist  ähnlich,  wie  an  dem  Grabmal  des  Hausherrn, 
von  geringerer  Gehilfenhand.  Die  Pilasterstellung  ist  nun  an  der  Fassade  fortgesetzt, 
die  Schäfte  jedoch  sind  kürzer  gehalten,  in  der  oben  beschriebenen  Art  mit  nur 
zwei  Kannelüren  geschmückt  und  auf  hohe  Sockel  gestellt.  Zwischen  Fenster  und 
Tür  enthält  eine  Nische  mit  schöner  Muschelwölbung  einen  Löwen  mit  dem 
Wappen  des  Hausherrn.  Die  sichere  Meisterschaft  der  Komposition,  die  gut  ver- 
teilten und  fein  ausgeführten  Ornamente,  die  reich  variierten  Kapitelle,  nament- 
lich das  mit  den  Sirenen,  die  Akanthusranke  im  Fries,  das  alles  würde  man  fast 
für  itahenische  Arbeit  halten  können,  wenn  nicht  die  später  zu  betrachtenden 
dieser  Richtung  so  nahestehenden  Görlitzer  Bauten  uns  eines  Besseren  belehrten. 

Lübke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  10 


146 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Übrigens  kann  nicht  das  reiche  Doppelportal  im  Rathaus,  noch  weniger  dasjenige 
der  Krone  sich  mit  diesem  messen. 

Von  Bürgerhäusern  ist  hier  der  Zeit  nach  das  1532  erbaute  zum 
Goldenen  Baum,  in  der  Oderstraße  17,  anzuschließen,  doch  hat  sich  von  der  alten 
Ausstattung  nur  ein  zierliches  Bogenrehef  im  Hofe  erhalten,  in  dem  eine  hübsche 
Frauengestalt  zwei  Wappen  hält.  Den  Hintergrund  schmückt  eine  elegante 
Blumengirlande;  die  Einfassung  wird  durch  Zahnschnitt  und  Eierstab  gebildet. 
Wie  damals  die  Giebelfassaden  behandelt  wurden,  sieht  man  in  einem  besonders 
interessanten  Beispiel  an  dem  Hause  Nr.  23  am  Ring,  Goldne  Becherseite,  mit 
der  Jahreszahl  1541  und  dem  bekannten  evangelischen  Spruch:  V.  D.  M.  I.  E. 
(verbum  domini  manet  in  eternum).^)  Die  Behandlung  ist  einfach,  aber  stilvoll; 
das  Portal,  durch  späteren  Zopfaufsatz  verändert,  hatte  urprünglich,  wie  an  den 
Fenstern  der  drei  oberen  Geschosse,  ein  schlichtes  Rahmenprofil,  das  gleich  den 
Gesimsen  und  den  übrigen  einrahmenden  Gliedern  durch  eingekerbte  Kannelüren 
wirksam  belebt  wird.  Die  Flächen  sind  durch  Pilaster  geghedert,  die  Staffeln 
des  Giebels  eigentümhcherweise  durch  liegende  Voluten  bekrönt.  Eine  etwas 
andere  Behandlung  sieht  man  an  der  kleinen  Fassade  Schweidnitzer  Straße  Nr.  48. 
Auch  hier  gliedern  Pilaster  die  Flächen,  haben  die  Fenster  antikisierende  Rahmen ; 
die  Absätze  des  Giebels  dagegen  sind  mit  Halbkreisen,  wie  die  Frührenaissance 
sie  liebt,  abgeschlossen. 

Unübersehbar  reich  ist  Breslau  an  Epitaphien  aus  dieser  mittleren  Zeit. 
In  keiner  deutschen  Stadt  ist  nur  annähernd  eine  solche  Fülle  von  Monumenten 
des  kunstliebenden  Bürgertums  dieser  Epoche  zu  finden.  Ich  deute  nur  auf 
einige  der  früheren  Werke  hin.  An  der  Südseite  derMagdalenenkirche  fällt 
das  Epitaph  des  Doktor  Hirsch  von  1535  durch  die  dürftige  Behandlung  der 
Renaissanceformen  auf,  während  ebendort  an  der  Nordseite  fast  gleichzeitig  (1534) 
die  ganz  besonders  elegante  kleine  Bronzetafel  entstand,  welche  nur  eine  Inschrift 
enthält,  aber  eingefaßt  von  einer  Umrahmung,  die  zu  den  schönsten  dekorativen 
Arbeiten  der  Zeit  gehört.  Ebenso  verzichtet  Niklas  Schebitz  in  seiner  Denktafel 
von  1549  an  der  Ostseite  der  Kirche  auf  jeden  bildnerischen  Schmuck,  aber  die 
Inschrift,  die  beiden  Wappen  und  die  fein  ornamentierten  Pilaster  des  Rahmens 
machen  ein  Ganzes  von  hohem  künstlerischen  Wert.  Sehr  zierlich  ist  auch  eben- 
dort die  kleine  Tafel  Abraham  Hornigks  vom  Jahre  1551:  der  Gekreuzigte,  von 
dem  Verstorbenen  und  seiner  Gattin  verehrt.  Noch  manche  andere  aus  der  Mitte 
des  Jahrhunderts  bis  zum  Anfang  des  folgenden  geben  wertvolle  Aufschlüsse  über 
die  Entwicklung  der  Formen.  Nur  beispielsweise  will  ich  auf  das  Epitaph  des 
Valentin  Nitius  von  1557  hinweisen,  wo  das  Ornament  mit  einer  für  die  späte 
Zeit  auffallenden  Dürftigkeit  und  Steifheit  behandelt  ist.  Sehr  elegant  dagegen 
ebendort  das  große  reiche  Epitaph  mit  der  Auferstehung  Christi,  von  vierfachen 
zierlichen  Pilastern  eingefaßt.  Prächtig,  aber  schon  stark  barock,  das  Epitaph 
von  Christoph  Sachs  (1595)  mit  der  Darstellung  Christi  am  Ölberg.  Eine  un- 
gewöhnlich elegante  Arbeit  ist  auch  das  südliche  Seitenportal  der  Kirche  vom 
Jahre  1578;  trefflich  sind  die  prachtvollen  Intarsien  an  den  der  Blütezeit  unserer 
Renaissance  entstammenden  Chorstühlen  dieser  Kirche  (1576  bezeichnet). 

An  der  Elisabethkirche  erscheint  zunächst  von  Bedeutung  die  Bronze- 
tafel von  1534,  dem  Landeshauptmann  Sebastian  Monau  errichtet,  vielleicht  von 
dem  Meister  des  gleichzeitigen  Denkmals  an  derMagdalenenkirche:  Christus  am 
Kreuz,  von  dem  Verstorbenen,  seiner  Frau  und  Tochter  verehrt,  in  landschaft- 
lichem Hintergrund,  eingerahmt  von  zierlichen  Pilastern.  Aus  dem  folgenden 
Jahre  1535  datiert  das  Denkmal  des  Peter  Rindfleisch  an  der  Nordseite  der  Kirche, 
ebenfalls  ein  tüchtiges  Werk  der  Frührenaissance.  Weit  unbehilfhcher  in  Kom- 

1)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  174. 


Breslau 


147 


Position  und  Ausführung  ist  ebendort  das  Epitaph  des  1557  verstorbenen  Stenzel 
Monau,  wahrscheinlich  erst  nach  dem  1572  erfolgten  Tode  seiner  Gattin  aus- 
geführt. Denn  stilistisch  entspricht  es  dem  an  der  Südseite  befindlichen  Grabmal 
des  Hans  Hertwig  vom  Jahre  1575.  Auch  hier  fällt  die  primitive  und  trockene 
Behandlung  durch  einen  offenbar  zurückgebliebenen  Meister  auf.  Zum  Opulen- 
testen in  seiner  Art  gehört  dagegen  das  im  nördlichen  Seitenschiff  befindhche 
große  Wandgrab  des  1561  gestorbenen  Ulrich  von  Schatfgotsch.  ^  Es  beweist 
neben  vielen  anderen  Monumenten,  wie  lange  hier  die  heitere  Dekoration  der 
Frührenaissance  sich  im  Gebrauch  erhalten  hat. 

Die  letzten  Zeiten  der  Renaissance  haben  in  Breslau  hauptsächlich  eine 
Anzahl  von  Fassaden  hervorgebracht,  welchen  trotz  großer  Mannigfaltigkeit  im 
Aufbau  und  der  Dekoration  gewisse  Grundzüge  eigen  sind.  Meistens  schmal  auf 
eingeengtem  Grundplan  angelegt,  suchen  sie  in  bedeutender  Höhenentwicklung 
sich  Raum  zu  schaffen.  Daher  die  vielen  hohen  Giebel,  welche  dem  Ring  und 
den  Hauptstraßen  noch  jetzt  ein  so  imposantes  Gepräge  geben.  Eine  feinere 
Ausbildung  des  einzelnen  tritt  dagegen  zurück;  selbst  auf  reichere  Gliederung 
oder  Ausstattung  wird  in  der  Regel  verzichtet.  Nur  an  den  Portalen  stellt  sich 
zuweilen  eine  derbe,  oft  schon  barocke  Ausschmückung  ein.  Auffallend  ist  es, 
wie  wenig  diese  Fassaden  von  plastischer  Gliederung  der  Flächen  Gebrauch 
machen.  Die  sonst  in  der  Renaissance  beliebte  vertikale  Teilung  durch  Pilaster 
verschwindet  seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts  fast  gänzhch;  nur  die  Horizontalgesimse 
zwischen  den  Stockwerken  werden  beibehalten.  Ja  die  Abneigung  gegen  plastische 
Ausbildung  geht  so  weit,  daß  selbst  der  Erker,  sonst  im  Norden  so  beliebt,  im 
Privatbau  gar  nicht  vorkommt.  Dagegen  war  man  ohne  Zweifel  darauf  bedacht, 
die  Fassaden  durch  farbigen  Schmuck  oder  wenigstens  durch  Sgraffilen  zu  be- 
leben. Ein  ausgezeichnetes,  wenn  auch  aus  späterer  Zeit  stammendes  Beispiel 
solcher  gemalten  Fassaden  bietet  das  Haus  am  Ring  Nr.  8,  das  bei  seiner  un- 
gewöhnlichen Breite  dem  Maler  um  so  willkommener  sein  mußte.  Das  Haupt- 
motiv bilden,  noch  im  Sinn  der  Renaissance,  gemalte  Säulen  von  rotem  Marmor 
mit  goldenen  Kapitellen;  dazwischen  Nischen  mit  Kaiserbildnissen;  an  den  Fenster- 
brüstungen figürliche  Reliefs.  Das  Ganze  von  vorzüglicher  Wirkung,  neuerdings 
durch  die  anerkennenswerte  Sorgfalt  des  Besitzers  trefflich  wiederhergestellt. 
Daneben  werden  dann  die  hohen  Giebel  durch  die  mannigfaltigste  Silhouette 
charakteristisch  unterschieden.  In  diesem  bewegten  Umriß  der  kühn  aufragenden 
Hochbauten,  welchen  die  Gotik  bereits  anstrebte,  hat  die  Renaissance  eine  eigen- 
tümHche  und  selbständige  Schönheit  erreicht.  —  Die  Hausflure  sind  ursprünglich 
überall  gewölbt  gewesen,  teils  mit  Kreuzgewölben,  teils  mit  Tonnengewölben  und 
Stichkappen.  Sie  enthalten  den  oft  stattlich  gehaltenen  Aufgang  zur  Treppe.  In 
den  Höfen  kommen  bisweilen  Galerien  auf  Kragsteinen  vor,  wie  an  der  „Krone", 
bisweilen  aber  auch  Holzgalerien,  wie  z.  B.  in  dem  Haus  Tannengasse  3.  Doch 
ist  bei  der  Schmalheit  des  Grundrisses  gewöhnhch  diese  Anordnung  nur  an  einer 
Seite  durchgeführt. 

Zu  den  reicher  durchgebildeten  Fassaden  gehört  die  in  der  Kleinen  Groschen- 
gasse 15.  Bei  mäßigen  Verhältnissen  zeichnet  sie  sich  vor  den  meisten  andern 
durch  edle  plastische  Gliederung  aus,  die  im  Erdgeschoß  kanneherte  Pilaster,  im 
ersten  Stock  reich  ornamentierte  ionische  Halbsäulen  auf  stark  herausgebogenen 
Konsolen,  im  zweiten  stelenartige  Pfeiler  zeigt.  Alle  Glieder  sind  im  Stil  des 
Friedrichsbaus  zu  Heidelberg  mit  Flachornamenten  bedeckt,  das  Ganze  wirkt 
reich  und  elegant.  Eine  Anzahl  interessanter  Häuser  findet  man  am  Ring.  Nr.  39 
hat  ein  kleines  Portal  mit  prächtigen  Fruchtschnüren  an  der  Archivolte,  mit 
Metallornamenten  an  der  Leibung,  Schilde  mit  aufgerollten  Rahmen  in  den  Zwickeln. 

1)  Lutsch  a.  a.  0.  Taf.  65,  2. 


148 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel  Schlesien 


Der  Flur  ist  mit  einem  herrlichen  gotischen  Sterngewölbe  bedeckt,  die  Türen 
zeigen  mittelalterliche  Rahmen  mit  gekreuzten  Stäben,  alles  dies  offenbar  vom 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts.  Dieselbe  Behandlung  haben  die  Fenster  und  Türen 
des  Hofes,  der  gegen  Ausgang  der  Epoche  an  einer  Seite  eine  kräftige  Holz- 
galerie erhalten  hat.  Ein  prächtiges  Portal  in  derber  Rustika,  mit  dorischen 
Pilastern  eingefaßt,  in  den  Metopen  des  Frieses  Stierschädel  und  Löwenköpfe, 
sieht  man  an  Nr.  52.  Im  übrigen  ist  diese  Fassade  im  18.  Jahrhundert  flau 
überarbeitet  worden,  aber  drei  kleine  Volutengiebel  geben  ihr  einen  heiteren  Ab- 
schluß. Im  Hof  vermittelt  eine  Arkade  auf  dorischer  Säule  den  Aufgang  zur 
Treppe.  Eine  imposante  Front  aus  derselben  Zeit  bietet  Nr.  2,  das  Portal  etwas 
zahmer,  aber  reich  und  lebendig,  die  ganze  Tiefe  der  Leibung  mit  Metallorna- 
menten bedeckt,  alles  von  feiner  Ausführung.  Die  Fassade  hat  durch  Moderni- 
sierung gelitten,  aber  der  gewaltige  Giebel  ohne  alle  Pilastergliederung  wirkt 
originell  durch  den  phantastischen  Umriß,  der  zum  Teil  in  die  Figuren  eines  auf- 
recht schreitenden  Löwen  und  eines  geflügelten  Greifen,  der  Wappentiere  Breslaus, 
ausläuft.  Im  Hof  dieselbe  Treppenanlage  wie  in  Nr.  52,  dabei  aus  früherer  Zeit 
zwei  hübsche  Wappen  in  einer  zierlichen  ionischen  Pilasterstellung.  Das  Neben- 
haus Nr.  3  hat  einen  minder  großartigen  Giebel,  der  aber  durch  Pflaster  und 
Gesimse  wirksam  gegüedert  und  mit  maßvoll  behandelten  Voluten  bekrönt  ist. 
Im  Flur  sieht  man  ein  Tonnengewölbe  mit  Stichkappen,  elegant  mit  flachen 
Stuckornamenten  dekoriert.  Am  Treppenaufgang  erhebt  sich  eine  prächtige 
dorische  Säule.  Einen  der  kolossalsten  Giebel  bietet  Nr.  27:  die  mächtigen 
Flächen  nur  durch  Gesimse  abgeteüt,  die  Giebellinie  durch  die  seltsamsten 
Voluten,  Schweife  und  Schnörkel  phantastisch  belebt.  Von  demselben  Baumeister 
rührt  Nr.  28  mit  etwas  kleinerem,  aber  ganz  ähnUchem  Giebel.  Originell  ist  auch 
Nr.  21,  eine  schmale  hohe  Fassade,  der  Giebel  durch  einfache  Pflaster  geteilt, 
von  wirksamem  Umriß,  außerdem  durch  einige  Masken  geschmückt.  Einen  hohen, 
geschweiften  Giebel  zeigt  sodann  Nr.  9,  bloß  durch  Gesimse  gegliedert,  die  Fenster 
mit  eingekerbten  Rahmen,  wie  sie  hier  öfter  vorkommen. 

Eine  etwas  abweichende,  vereinzelt  stehende  Behandlung  hat  der  sehr  derb 
geschweifte  Giebel  Junkernstraße  4.  Die  Formen  des  Metallstfls  sind  hier  im  großen 
zur  Anwendung  gekommen,  wie  man  sie  sonst  vorzugsv/eise  an  der  Ostseeküste  unter 
dem  Einfluß  niederländischer  Meister  antrifft.  In  der  Tat  kommt  ein  hofländischer 
Meister  im  Dienste  der  Stadt  vor,  Heinrich  Muntig  von  Gröningen,  der  1583  das 
Neue  Tor  bei  dem  Fischerp förtlein  baute.')  Auch  andere  niederländische  Maurer 
und  Bfldhauer  finden  sich  ein.  Ebenso  trat  1591  der  Danziger  Meister  Hans 
Schneider  von  Lindau  in  den  Dienst  der  Stadt  und  errichtete  in  der  Art  des  von 
ihm  dort  erbauten  Hohen  Tores  das  Sandtor,  das  leider  1816  abgetragen  wurde. ^) 
Er  brachte  eine  starke  Vorliebe  für  Rustika  mit  und  liebte  es,  die  Quadern  mit 
sternförmigen  Mustern  zu  schmücken.  Das  Haus  an  der  Sandkirche  Nr.  2  besitzt 
ein  Portal  dieser  Art,  in  kräftigster  Rustika  durchgeführt,  die  Quaderflächen  ab- 
wechselnd glatt  oder  mit  jenem  Sternmuster  belebt.  Ein  ähnliches  Portal,  un- 
bedeutender, Schuhbrücke  32;  ein  anderes  Goldene  Radegasse  15,  ein  viertes, 
vom  Jahre  1592,  am  Ring  58.  Ganz  abweichend  ist  das  Haus  Hintermarkt  5, 
in  strenger  Hochrenaissance  durchgeführt,  in  der  Auffassung  der  Form  und  der 
Komposition  nicht  unähnlich  dem  sogenannten  Hause  Ducerceaus  in  Orleans.  Ein 
einfaches,  frühes  Portal  vom  Jahre  1559  sieht  man  am  Neumarkt  Nr.  45;  dagegen 
finden  sich  in  der  Domstraße  mehrere  efi'ektvoll  durchgeführte  Portale  der  Schluß- 
epoche, welche  sämtlich  eine  derbe  Rustika  zeigen,  die  indes  mannigfach  modi- 

1)  Nie.  Pol,  Jahrb.  IV,  113,  vgl.  Luchs,  Bildende  Künstler  33  und  A.  Schultz,  Schles. 
Kunstleben  19. 

2)  Schultz  a.  a.  0.  19. 


Breslau  Liegnitz 


149 


fiziert  wird.  An  Nr.  3,  vom  Jahre  1599,  tritt  sie  in  Verbindung  mit  römischen 
Pilastern  und  energischen  Masken  auf;  an  Nr.  19,  von  1606,  sind  die  Quadern  ab- 
wechselnd glatt  gelassen  und  mit  flachen  Metallornamenten  dekoriert ;  Nr.  5  zeigt 
ganz  ähnliche  Behandlung,  wahrscheinlich  von  demselben  Meister. 

Von  Kirchtürmen  der  Epoche  ist  zunächst  der  elegant  mit  doppelter  Laterne 
entwickelte  der  Elisabethkirche  als  ein  tüchtiges  Werk  von  schönen  Verhält- 
nissen zu  erwähnen.  Seine  Spitze  wurde  an  Stelle  des  1529  eingestürzten 
schlanken  gotischen  Helmes  1535  errichtet.  Minder  günstig  wirken  die  Turm- 
helme der  Magdalenenkirche  von  1565,  deren  Profil  freier  geschwungen  sein 
könnte.  Ein  tüchtiges  Werk  in  derselben  Kirche  ist  die  Kanzel,  1579  in  den 
Formen  einer  durchgebildeten  klassizistischen  Renaissance  von  Friedrich  Groß 
begonnen^);  von  ihm  rührt  in  der  Elisab ethkir che  auch  das  Epitaph  des  1577 
verstorbenen  Alexander  von  Eck  und  seiner  Gemahlin  her.  Vom  Rathausturme 
war  schon  die  Rede. 

Schließlich  sei  noch  auf  einige  im  Mus e  um  vorhandene  Werke  der  dekora- 
tiven Kunst  hingewiesen.  Außer  manchen  trefflichen,  im  besten  Renaissancestil 
durchgeführten  Waffen,  nennen  wir  den  prächtigen  großen  kupfernen  Krug  von 
Bartholomäus  von  Rosenberg  (1595),  mit  köstlichen  Flachornamenten  bedeckt,  an 
dem  nur  das  Figürliche  etwas  schwächer  ist.  Sodann  einen  reich  mit  Silber- 
fihgran,  mit  getriebenen  und  gravierten  Verzierungen  geschmückten  Pokal ;  keine 
einheimische,  sondern  eine  Augsburger  Arbeit  vom  Ende  des  16.  Jahrhunderts. 
Endlich  aus  derselben  Zeit  einen  Tisch  mit  eingelegter  Arbeit  von  größter  Schön- 
heit, namentlich  herrlichen  Blumenstücken  von  guter  architektonischer  Anordnung, 
auch  der  Tischfuß  ist  von  klarem  Aufbau.  — 

Liegnitz  und  Umgebung 

In  den  übrigen  Städten  Schlesiens  wird  die  Rennaissance  durch  die  Fürsten 
eingeführt.  Zuerst  geschieht  dies  in  Liegnitz.  Wenn  man  von  der  Nordseite 
die  Stadt  betritt,  hat  man  sogleich  zur  Rechten  das  prachtvolle  Werk,  mit  welchem 
der  neue  Stil  hier  beginnt.  Es  ist  das  in  Abb.  79  abgebildete  mit  der  Jahres- 
zahl 1533  bezeichnete  Hauptportal  des  Schlosses.^)  Nach  der  besonders  in 
Frankreich  verbreiteten  Sitte  der  Zeit  aus  einem  großen  Torweg  für  Fuhrwerke 
und  einem  kleineren  Pförtchen  für  Fußgänger  bestehend,  tritt  es  in  einer  Form- 
behandlung auf,  die  weder  deutsch  noch  italienisch  ist.  Wir  werden  derselben 
stark  französisch  anklingenden  Richtung  später  in  Görlitz  und  Umgegend  wieder 
begegnen.  Es  wird  denn  auch  ein  brabantischer  Meister  Georg  von  Arnberg  nam- 
haft gemacht.  Die  mehrfach  gegürteten  Säulen  mit  dem  ausgebauchten  unteren 
Teil  der  Schäfte,  den  runden  Fußgestellen,  der  seltsamen  Ornamentik,  die  ge- 
waltigen Konsolen  des  Frieses,  die  energische  Behandlung  der  Kapitelle,  endlich 
die  rosettenförmigen  Ornamente  der  Attika  zeigen  eine  Behandlung,  die  an  bur- 
gundisch-brabantische  Werke  erinnert  und  eine  Analogie  etwa  in  dem  Hofe  des 
Bischofspalastes  zu  Lüttich  (jetzt  Justizpalast)  findet.  Die  reiche  Ornamentik  ist 
ohne  besondere  Feinheit,  die  Formen  weich  und  breit  gedrückt,  besonders  das 
Blattwerk  an  den  ausgebauchten  Teilen  der  Säulenschäfte  und  die  Blumengewinde 
an  den  oberen  Partien  der  Säulen,  die  an  Ketten  aufgehängt  erscheinen; 
besser  und  elastischer  erscheinen  die  Akanthusblätter  an  den  freikomponierten 
Kapitellen  und  den  Konsolen.  Ein  bezeichnendes  schlesisch-sächsisches  Motiv 
sind  wieder  die  mehrfach  verwendeten  Hohlkehlen  mit  Pfeifen,  die  nicht  bloß 
am  Stylobat  und  dem  mittleren  Teile  des  Säulenschaftes  vorkommen,  sondern 

1)  Vgl.  Alw.  Schultz  in  Dr.  Luchs'  Schlesiens  Vorzeit  1868,  p.  120  if.  mit  Abbild. 

2)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  75,  4.  S.  171  f. 


150 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


auch  den  hohen  Fries  zwischen  den  Kapitellen  schmücken.  Wie  der  Architekt  mit 
der  Unregelmäßigkeit  der  Portalanlage  gekämpft  hat  und  durch  ein  Kapitell  über 
dem  Schlußstein  des  großen  Torbogens  sich  sinnreich  genug  zu  helfen  suchte,  er- 
kennt man  aus  der  Abbildung.  In  der  Attika  aber  kommt  das  Unsymmetrische 
der  Anlage  in  der  Anordnung  des  Wappens  und  der  beiden  Brustbilder  empfind- 
licher zutage.  Diese  Teile  sind  übrigens  vortrefflich  ausgeführt,  namentlich  die 
Brustbilder  des  Erbauers  Friedrichs  II.  (1488 — 1547)  und  seiner  zweiten  Gemahlin 
Sophia  von  Brandenburg     trotz  starker  Zerstörung  von  anziehender  Lebensfrische. 


Abb.  79   Schloßportal  zu  Liegnitz    |  j 


Wir  haben  hier  also  eine  Schöpfung  jenes  ausgezeichneten  Fürsten,  der  zu 
den  edelsten  Förderern  der  Geisteskultur  in  Schlesien  gehört.  Noch  ehe  er  zur 
Regierung  kam,  bezeugte  er  durch  die  in  seinem  zwanzigsten  Lebensjahr  an- 
getretene, aus  „sonderbarer  Innigkeit"  unternommene  Pilgerfahrt  nach  dem  heiligen 
Lande  einen  regen  Sinn  für  ideale  Interessen.  Später  an  der  Spitze  eines 
schlesischen  Städtebundes  wußte  er  das  Land  von  den  Raubrittern  zu  säubern, 
und  sodann  während  seiner  Regierungszeit  sein  Gebiet  nicht  bloß  zu  vergrößern 
und  durch  einsichtsvolle  Verwaltung  zu  hoher  Blüte  zu  bringen,  sondern  auch 
das  geistige  Leben  kräftig  zu  fördern.  Er  war  es,  der  als  der  erste  evangelische 
Fürst  Schlesiens  die  Reformation  einführte,  die  kirchlichen  Verhältnisse  in  milder, 
weitherziger  Weise  ordnete  und  für  die  Hebung  des  Schulwesens  ansehnliche 
Opfer  brachte.  Zwar  scheiterte  die  von  ihm  energisch  aufgenommene  Idee  der 
Gründung  einer  Universität,  aber  die  unter  Trotzendorf  blühende  Schule  zu  Gold- 
berg förderte  er  in  nachdrücklicher  Weise.  Ein  Werk  dieses  edlen  Fürsten  war 
der  Neubau  und  die  Befestigung  seines  Schlosses,  zunächst  unter  dem  Eindruck  der 
Türkengefahr,  vielleicht  schon  1527,  jedenfalls  1529^)  begonnen.  Da  wir  durch 
Dr.  Wernickes  Forschungen^)  wissen,  daß  im  Jahre  1527  Wendel  Roßkopf  nach 
Liegnitz  zum  Herzog  entboten  wurde,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  gegeben,  daß 
der  Meister  in  Sachen  des  Schloßbaues  befragt  werden  sollte.  Inwiefern  er  aber 
bei  der  Ausführung  beteiligt  war,  muß  dahingestellt  bleiben.  Das  Schloßtor  steht, 

1)  Abgeb.  in  Luchs  Schles.  Fürstenbilder,  Taf.  19  a  und  b. 

2)  VgL  J.  P.  Wahrens dor ff,  Liegnitzische  Merkwürdigkeiten  S.  88. 
2)  Im  Nachtrag  zu  seiner  Schrift  über  Gröditzberg. 


Liegnitz 


151 


wie  bemerkt,  der  Richtung  nahe,  die  man  bisher  als  die  seinige  ansieht.  Der 
Bau  war  übrigens  so  bedeutend,  daß  er  erst  nach  dem  Tode  des  Herzogs  zum 
Abschluß  kam. 

Daß  schon  im  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  hier  ein  Schloß  vorhanden  war, 
geht  aus  mehreren  urkundlichen  Aufzeichnungen  hervor.  Eine  bedeutendere  Bau- 
tätigkeit wird  von  Ludwig  II.  bezeugt,  der  1415  den  großen  Hedwigsturm  erbaute. 
Es  war  wohl  derselbe,  dessen  Gesimse  mit  dem  Zinnenkranz  durch  einen  fran- 
zösischen Meister  errichtet  wurde,  den  der  Herzog  auf  einer  Reise  in  Frankreich 
in  St.  Denis  kennen  gelernt  und  nach  Liegnitz  geschickt  hatte;  er  ist  noch  jetzt 
ein  wohlerhaltener  Teil  der  mittelalterhchen  Anlage,  rund,  von  Backsteinen  auf- 
geführt, mit  schönem,  auf  Konsolen  ruhendem  Umgang,  der  die  Geschicklichkeit 
des  französischen  Meisters  bezeugt.  Ein  achteckiger  Spitzhelm  bildet  den  Ab- 
schluß. Weitere  Bautätigkeit  beginnt  dann  seit  1470  unter  Herzog  Friedrich  I.; 
ihr  gehört  wahrscheinlich  der  südhche  Flügel,  an  dem  man  mehrere  Türen  und 
Fenster  aus  spätgotischer  Zeit  mit  fein  profilierten,  an  den  Ecken  durchschneidenden 
Stäben  bemerkt.  Die  Renaissance  führte  dann,  wie  wir  sahen,  Friedrich  II.  schon 
zeitig  im  Schlosse  ein. 

Betrachten  wir  den  Bau  nun  im  Zusammenhang,  so  bietet  er  mit  Ausnahme 
des  schon  erwähnten  Hauptportales  für  uns  wenig  Interesse.  Das  Portal  selbst, 
in  gelblichem  Sandstein  ausgeführt,  während  die  übrigen  Teile  den  Backstein 
zeigen,  steht  für  sich  vereinzelt  da.  Ob  die  im  Eingangsbogen  zu  lesenden  Buch- 
staben I.  V.  E.  F.  und  S.  P.  G.  T.  sich  auf  die  Baumeister  beziehen,  muß  dahin- 
gestellt bleiben.  Überraschend  bleibt  jene  alte  Nachricht^),  nach  der  der  Herzog 
die  Baumeister  zum  Schlosse  aus  Brabant  berufen  hätte,  zugleich  eine  Bestätigung 
dafür,  daß  diese  ganze  Richtung  im  welschen  Westen  ihren  Ursprung  findet. 
Die  mit  einem  Tonnengewölbe  bedeckte  langgestreckte  Durchfahrt  öffnet  sich 
mit  schwerem,  später  ausgeführtem  Rustikaportal  auf  den  gewaltig  großen  Haupt- 
hof, der  auf  drei  Seiten  von  zweistöckigen  Gebäuden  in  Backstein  umschlossen 
wird.  Hinter  dem  Hauptportal  erhebt  sich  ein  achteckiger  gotischer  Turm,  der 
im  15.  Jahrhundert  aufgeführte  Petersturm.  Alle  diese  Gebäude  sind  nach  dem 
Brande  des  Schlosses  erst  in  neuerer  Zeit  hergestellt  und  nichts  weniger  als 
glücklich  modernisiert  worden.  Die  Fenster  im  vorderen  Hofe,  meist  zu  zweien 
gruppiert,  haben  größtenteils  spätere  Umrahmung;  nur  einige  im  Südflügel,  mit 
ionischen  Pilastern  eingefaßt,  dürften  mit  dem  Portal  gleichzeitig  sein.  Von 
den  spätgotischen  Formen  dieses  Teiles  war  die  Rede.  Die  westlichen  Partien 
der  Seitenflügel  haben  an  den  Fensterrahmen  Flachornamente  im  Metallstil  der 
Barockzeit.  Diese  Teile  gehören  ohne  Zweifel  zu  den  Umbauten,  mit  denen 
Herzog  Georg  Rudolf,  angeblich  durch  italienische  Baumeister,  um  1614  das 
Schloß  schmückte,  nachdem  er  seine  „aus  heroischem  Gemüte"  angetretene  Reise 
durch  Deutschland,  Italien,  die  Schweiz,  Frankreich  und  die  Niederlande  beendet 
und  die  Regierung  angetreten  hatte. ^)  Einer  noch  späteren  Zeit  gehört  das  reich 
dekorierte  Bogenportal  der  Kapelle,  inschriftlich  1658  durch  Herzog  Ludwig  er- 
richtet. Noch  aus  der  früheren  Epoche  stammt  der  poIygone  Treppenturm  in  der 
südöstlichen  Ecke  des  Hofes.  Dagegen  ist  von  der  steinernen  Galerie,  welche 
sich  im  Erdgeschoß  an  der  Südseite  hinzog,  ebensowenig  erhalten,  wie  von  der 
prächtigen  Ausstattung  des  Inneren,  besonders  des  Speisesaales  und  des  großen 
Festsaales,  welche  noch  im  vorigen  Jahrhundert  gepriesen  wurden.^)  Die  West- 
seite schließt  ein  moderner  einstöckiger  Bau,  mit  einer  ungeschickten,  auf  Konsolen 
gestellten  Säulenreihe  dekoriert.  Ein  viereckiger  Turm  erhebt  sich  daraus.  Hier 
findet  die  Verbindung  mit  dem  zweiten  Hofe  statt,  der  unregelmäßig  und  von 
untergeordneten  Gebäuden  umgeben  ist.  Interesse  bietet  nur  der  schon  erwähnte 

1)  Lucaes'  Chronik  S.  1295.  2)  Ebenda  S.  1306.  3)  Ebenda  S.  1211. 


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2.  Buch    Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


an  der  Südwestecke  stehende  Hedwigsturm.  Wenn  wir  schließlich  noch  ein  phan- 
tastisch barockes  Portal  an  der  Außenseite  des  Nordflügels  erwähnen,  welches 
mit  den  unter  Georg  Rudolf  erbauten  Teilen  des  inneren  Hofes  gleichzeitig  ist. 
so  haben  wir  das  Wesentlichste  berührt. 

Eine  gesteigerte  Bautätigkeit  finden  wir  nun  auch  in  bürgerlichen  Kreisen 
als  unmittelbare  Einwirkung  der  umfangreichen  Schioßbauten ;  aber  die  späteren 
Zeiten  haben  gerade  hier  die  ursprüngliche  Kunstform  der  Fassaden  meistens 
verwischt,  so  daß  fast  nur  die  Portale  ihren  alten  Charakter  bewahren.  Die 
durch  eine  klare  und  stattliche  Anlage  ihres  Ringes  und  der  Hauptstraßen  im- 
ponierende Stadt  hat  dadurch  viel  von  ihrem  früheren  Gepräge  eingebüßt.  Auch 
die  Sgraffiten,  welche  hier  vielfach  vorhanden  waren,  sind  fast  spurlos  ver- 
schwunden. Ganz  besonders  auffallend  ist  aber,  daß,  vielleicht  mit  Ausnahme 
eines  einzigen,  schon  stark  barocken  Beispiels,  in  Liegnitz  die  Giebelfassaden 
völlig  fehlen.  Die  Hausflure  sind  wie  in  Breslau  durchgängig  gewölbt,  und  zwar 
mit  Kreuzgewölben.  Eine  Ausbildung  des  Holzbaues  scheint  hier  noch  weniger 
als  dort  versucht  worden  zu  sein. 

Von  Werken  der  Frührenaissance  ist  das  bedeutendste  die  Fassade  am  Ring 
Nr.  16;  im  Erdgeschoß  völlig  mit  Pflastern  dekoriert,  alle  Flächen  mit  Ornamenten 
überzogen,  der  Portalbogen  mit  Zahnschnitt  und  Eierstab  gegliedert,  die  Zwickel 
mit  Brustbildern  belebt,  der  Fries  mit  reichen  Laubornamenten  geschmückt,  das 
rein  Ornamentale  von  großer  Mannigfaltigkeit  der  Erfindung  und  Frische  der 
Ausführung,  das  Figürliche  von  kindlicher  Unbehilflichkeit.  Das  Werk  wird  um 
1550  entstanden  sein.  Von  1556  datiert  das  Portal  am  Ring  Nr.  13,  ebenfalls 
Frührenaissance,  mit  korinthisierenden  Pflastern  eingefaßt,  der  Bogen  mit  männ- 
lichen und  weiblichen  antikisierenden  Brustbildern  geschmückt,  die  Pflaster  selbst 
mit  hübschen  Reliefmedaillons  und  gutem  Laubornament.  Um  so  ungeschickter 
in  den  Bogenzwickeln  Adam  und  Eva;  vollends  unglaublich  schlecht  die 
wilden  Männer,  welche  über  dem  Portal  das  Wappen  halten.  Sehr  dürftig  und 
kümmerlich  tritt  die  Renaissance  noch  1544  an  dem  kleinen  Portal  Frauenstraße 
Nr.  9  auf. 

Die  zweite  Hälfte  des  Jahrhunderts  war  für  Liegnitz  wenig  erfreulich.  Nach 
dem  Tode  des  trefflichen  Herzogs  Friedrichs  II.  wurde  schon  durch  seinen  Sohn 
und  Nachfolger,  Friedrich  III.,  das  Land  in  Zerrüttung  gestürzt,  die  dann  unter 
Herzog  Heinrich  XI.,  wie  wir  schon  durch  Schweinichen  wissen,  nur  noch  zunahm. 
Erst  gegen  Ausgang  der  Epoche  finden  wir  in  Liegnitz  wieder  Spuren  einer  zu- 
nehmenden Kunstblüte.  Zunächst  ist  von  1581  das  Gymnasium  zu  erwähnen, 
das  wenigstens  durch  einfach  kräftiges  Portal  und  wirksam  umrahmte  Fenster 
einen  gewissen  monumentalen  Charakter  zeigt.  Mit  dem  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts beginnt  eine  Nachblüte  der  Architektur,  welche  mehrere  Werke  von  un- 
gewöhnlicher Feinheit  hervorbringt.  So  das  kleine,  aber  sehr  elegante  Portal 
Schloßstraße  15,  mit  trefflich  behandeltem  Laubwerk  vom  Jahre  1613.  Das 
Meisterstück  und  überhaupt  eine  der  schönsten  Schöpfungen  dieser  Zeit  ist  aber 
das  einstige  Portal  am  Eckhause  der  Frauenstraße  gegen  den  Ring  (Abb.  80). 
Jetzt  ist  dies  schöne  Werk  nach  Schloß  Rohnstock  übertragen  und  neu  auf- 
gestellt.^) Schon  seiner  Komposition  nach  gehört  es  zu  den  besten  Arbeiten 
unserer  Renaissance;  aber  die  geniale  Leichtigkeit  und  Feinheit  der  Ausführung, 
die  wundervoll  frei  geschwungenen  Akanthusranken,  die  geistreich  behandelten 
Köpfe  und  Masken,  die  geflügelten  Karyatiden  der  Einfassung,  das  alles  ist  von 
einer  in  ganz  Deutschland  wohl  wenig  wieder  vorkommenden  Schönheit.  Auch 
das  sehr  feine  Flachornament  im  Charakter  gepreßten  Leders  an  den  inneren 
Flächen  zeugt  von  einem  sehr  geschickten  Meister.  Eine  Anzahl  kleinerer  Werke 

1)  Abb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  108,  2. 


Liegnitz  Gröditzberg 


153 


derselben  Zeit  und  ähnlicher  Richtung,  wenn  auch  von  minderer  Bedeutung, 
findet  sich  überall  in  den  Straßen  zerstreut.  So  Schloßstraße  25  ein  derberes 
Bogenportal  mit  stärkerer  Anwendung  von  Flachornamenten  im  Metallstil  jener 
Epoche.  Von  ähnlicher  Behandlung  Frauenstraße  35  ein  kleines  Portal  von  1610, 
im  Schlußstein  ein  hübsches  weibliches  Köpfchen.  In  derselben  Straße  Nr.  21 
ein  zierliches  Portal  mit  reich  gegliederten  Bogen,  im  Schlußstein  eine  groteske 
Maske.  Am  Ring  27 
ein  ähnliches  mit 
prächtigem  Löwen- 
kopf als  Schluß- 
stein, welches  fast 
ebenso,  offenbar 

von  derselben 
Hand,  Burgstraße  8 
wiederkehrt.  In  der- 
selben Straße  13 
und  26,  hier  vom 
Jahre  1608,  die- 
selbe Komposition. 
Endlich  ein  etwas 
stattlicheres  Werk 
Schloßstraße  5,  wo 
zugleich  die  treff- 
lich geschnitzte 
Haustür  mit  ihren 

Eisenbeschlägen 
und  dem  Klopfer 
ein  charakteristi- 
sches Ganzes  aus- 
macht. — 

Welch  nach- 
haltige Bautätig- 
keit in  der  Früh- 
zeit unserer  Re- 
naissance diese  Ge- 
genden ausgezeich- 
net hat,  läßt  sich 
noch  jetzt  durch 
eine  Anzahl  künst- 
lerisch wertvoller 

Denkmale  nachweisen.  Das  früheste,  und  zugleich  eines  der  frühesten  der  deut- 
schen Renaissance  überhaupt,  sind  die  in  diese  Epoche  fallenden  Teile  der  Burg 
Gröditzberg  bei  Haynau,  an  der  um  diese  Zeit  der  treffliche  Herzog  Fried- 
rich II.  von  Liegnitz  ansehnliche  Bauten  ausführen  ließ.^)  Schon  im  frühen  Mittel- 
alter war  die  aus  der  Ebene  steil  aufragende  Porphyrkuppe  befestigt  worden; 
aber  erst  seit  der  Platz  durch  Kauf  in  die  Hände  Herzog  Friedrichs  I.  überging, 
begann  dort  eine  umfassendere  Bautätigkeit.  Zunächst  ließ  der  tatkräftige  und 
umsichtige  Fürst  laut  Kontrakt  von  1473,  durch  die  Meister  Blasius  Rose  aus 
Breslau,  Bertusch  Blöschuh  aus  Liegnitz  und  Hans  Trauernicht  aus  Görlitz  den 
viereckigen  Bergfried  aufführen,  dessen  mächtige  Ruine  noch  jetzt  die  übrigen 

1)  S.  Dr.  E.  Wernicke,  Geschichte  und  Beschreibung  der  Burg,  Ortsnachrichten  aus 
der  Umgegend.  Bunzlau  1880. 


Abb.  80   Rohnstock   Portal  aus  Lieenitz 


154 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Baulichkeiten  überragt.  In  jenem  Vertrage  wird  genau  Form,  Konstruktion  und 
Einrichtung  dieser  „Herrenwehre"  angegeben,  die  nach  dem  Muster  des  Turmes 
im  Liegnitzer  Schlosse  ausgeführt  werden  solle.  Ein  zweiter  stark  verfallener 
Turm,  der  sich  zwischen  dem  nördlichen  und  östlichen  Flügel  an  der  Ecke  des 
Schloßhofes  erhebt,  gehört  wahrscheinlich  derselben  Zeit  an.  Nachdem  man  in 
solcher  Weise  zunächst  für  die  Befestigung  der  Burg  gesorgt  hatte,  begann  unter 
Herzog  Friedrich  II.  nun  der  eigenthche  Schloßbau,  nach  mittelalterlicher  Aus- 
drucksweise der  „Palas".  Dieser  besteht  aus  einem  Hauptflügel  von  ansehnlicher 
Länge  und  Breite,  an  welchen  in  stumpfem  Winkel  ein  kürzerer  Arm  von  der- 
selben Breite  stößt.  In  der  Ecke,  wo  beide  Teile  ineinander  übergehen,  befindet 
sich  das  hohe  und  breite  spitzbogige  Portal,  das  den  Hauptzugang  enthält.  Auf 
einer  Treppe  von  13  Stufen  in  der  sehr  dicken  Mauer  gelangt  man  zu  dem  hoch 
liegenden  Erdgeschoß,  und  zwar  zunächst  in  eine  geräumige,  mit  reich  ver- 
schlungenem spätgotischen  Sterngewölbe  überdeckte  Vorhalle.  Aus  dieser  führt 
eine  steinerne  Wendelstiege  in  das  obere  Stockwerk,  rechts  eine  Türe  in  die  Küche 
und  dazu  gehörige  Räume,  links  dagegen  eine  andere  Pforte  in  den  großen  Saal, 
der,  ungefähr  doppelt  so  breit  wie  lang,  fast  den  ganzen  Hauptflügel  einnimmt. 
Dieser  prächtige  an  den  Wladislawsaal  zu  Prag  erinnernde  Raum  ist  durch  ein 
imposantes  gotisches  Netzgewölbe  mit  kräftigen  Rippen  überwölbt;  eigentüm- 
liche, aus  kristallinisch  vertieften  Zellen  bestehende  Gewölbe,  wie  sie  in  West- 
preußen öfters  vorkommen,  bedecken  die  drei  Fensternischen,  die  in  den  überaus 
dicken  Mauern  südlich  gegen  den  Schloßhof  liegend  wie  kleine  lauschige  Neben- 
gemächer dem  ganzen  Raum  ein  besonders  anheimelndes  Gepräge  verleihen.  An 
den  Saal  stößt  westlich  ein  kleineres  Gemach  mit  einem  überaus  reichen  Netz- 
gewölbe, einem  Kamin  und  tiefer  Fensternische.  Eine  steinerne  Wendeltreppe 
führte  ehemals  von  hier  aus  in  das  Obergeschoß.  Wir  dürfen  wohl  annehmen, 
daß  dieser  kleinere  Raum  in  der  kälteren  Jahreszeit  den  Mittelpunkt  der  Ge- 
selligkeit bildete. 

Das  wichtigste  für  unsere  Betrachtung  ist  das  mit  der  Jahreszahl  1522  be- 
zeichnete Portal  dieses  Raumes,  denn  während  die  ganze  bauliche  Anlage,  vor 
allem  die  Konstruktion,  sich  noch  durchaus  mittelalterlich  darstellt  und  das  Ge- 
präge des  spätgotischen  Stiles  trägt,  hat  der  Baumeister  an  diesem  Teile  auch 
seine  Bekanntschaft  mit  den  Formen  der  neuen  Bauweise  bezeugt ;  es  ist  durch- 
aus im  Charakter  der  Renaissance  durchgeführt.  Ein  breites  Rahmenwerk  von 
sehr  gedrungenen  kannelierten  Halbsäulen  auf  kurzem,  rosettengeschmücktem 
Sockel  dient  der  Tür  als  Einfassung.  Die  ziemlich  zerstörten  Kapitelle  scheinen 
eine  ziemlich  rohe  Nachbildung  des  korinthischen  gewesen  zu  sein.  Den  Tür- 
sturz bildet  ein  mit  einer  Platte  abgeschlossenes  Gesims;  darüber  erhebt  sich, 
merklich  schmaler  als  das  Portal,  attikenartig  eine  Flachnische,  von  zwei  ein- 
fachen kannelierten  Pilastern  eingefaßt  und  mit  doppeltem  Friese  bekrönt.  Die 
Nische  enthält  einen  männlichen  Kopf  mit  kurzem  lockigen  Haupthaar,  Bart  und 
Schnurrbart,  in  dem  Dr.  Wernicke  um  so  gewisser  das  Bildnis  des  Erbauers  ver- 
mutet, als  über  der  Nische  sein  Name,  Wendel  Roßkopf,  gelesen  wird.  Es  kann 
demnach  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  wir  in  diesem  angesehenen  Görlitzer 
Meister  den  Erbauer  der  eben  besprochenen  Schloßteile  zu  erkennen  haben.  Gleich 
den  übrigen  deutschen  Architekten  jener  Übergangszeit  huldigt  er  in  den  Kon- 
struktionen noch  dem  mittelalterlichen  Herkommen  und  der  gotischen  Formgebung, 
während  er  in  besonders  hervorragenden  Einzelheiten  bereits  der  Renaissance 
sich  zuwendet.  Tritt  aber  hier  noch  eine  starke  Unreife  und  Schüchternheit  in 
der  Auffassung  der  neuen  Formen  hervor,  ist  namentlich  die  Meißelführung  noch 
eine  rauhe,  wenig  geschmeidige,  die  Kenntnis  der  neuen  Formen  eine  sehr  ober- 
flächliche, ja  spricht  sich  selbst  in  der  Namensinschrift  des  Meisters  und  den 


Löwenberg  Plagwitz 


155 


arabischen  Ziffern  der  Jahreszahl  noch  ein  starkes  Schwanken  und  kein  klares 
Bewußtsein  von  der  schönen  Antiquaschrift  der  Renaissance  aus,  so  müssen  wir 
doch  annehmen,  daß  derselbe  Meister  Wendel  in  der  Folge  den  fremden  Stil  weiter 
zu  entwickeln  gewußt  hat.  Jedenfalls  gehört  er  zu  den  Bahnbrechern  der  Renais- 
sance in  Deutschland,  allerdings  völlig  in  der  Art  des  bei  der  böhmischen  Früh- 
renaissance genannten  Benedikt  von  Laun. 

Um  dieselbe  Zeit  wurden  umfassende  Bauten  am  Rathaus  zu  Löwenberg 
ausgeführt,  bei  denen  der  Übergang  zum  neuen  Stil  sich  deutlicher  ausspricht. 
Der  Bau  ist  in  seinem  Kern  samt  dem  stattlichen,  viereckigen,  von  einer  barocken 
Kuppel  bedeckten  Turme  ein  Werk  des  früheren  Mittelalters.  Die  östhche  Haupt- 
fassade, nach  Dr.  Wernickes  Angabe  mit  1523  bezeichnet,  zeigt  einen  Stufengiebel 
in  gotischer  Weise  und  eine  mit  einem  Dach  versehene  Freitreppe,  die  zum  Portal 
hinaufführt,  wie  es  so  oft  an  unseren  alten  Rathäusern  vorkommt.  Die  Archi- 
tektur der  Ost-  und  Südseite  ist  eine  in  auffälliger  Weise  an  frühe  französische 
Art  erinnernde:  im  Erdgeschoß  sind  große,  zu  zweien  verbundene,  durch  Kreuz- 
pfosten geteilte  Doppelfenster  angebracht;  sie  sind  von  etwas  schwerfällig  be- 
handelten gerieften  Pilastern  mit  ornamentierten  Friesen  eingefaßt;  darüber  liegt 
ein  unsicheres  Gesims.  Die  noch  ganz  unverstandene  Ornamentik  der  Kapitelle 
und  Friese  wie  die  ganze  Erscheinung,  verbunden  mit  den  Jahreszahlen  1522  und 
1523  erregen  ohne  weiteres  die  Erinnerung  an  die  Tür  und  Bekrönung  W.  Roß- 
kopfs in  Gröditzberg  und  mögen  ihm  wohl  zugeschrieben  werden  können ;  auch 
die  scharfkantig  vorspringenden  Strebepfeiler  zwischen  den  Fenstern  rufen  dessen 
mittelalterliche,  hier  freilich  französische  Art  ins  Gedächtnis.  —  Das  Obergeschoß 
der  Südseite  aber  hat  in  der  Mitte  1546  eine  rein  italienische  Zugabe  erhalten:  vier 
Fenster  mit  Segmentgiebel  auf  Konsolen,  dabei  einen  flachen  Erker  mit  Pilastern 
an  den  Ecken.  Alle  Sohlbänke  ruhen  auf  Konsolen.  Diese  wie  alle  Details  sind 
von  allergrößter  Feinheit,  auch  die  ProfiUerungen.  Die  Pilasterkapitelle  von 
raffinierter  Eleganz  in  Blattwerk  und  Linie.  Es  mögen  wohl  die  italienischen 
Künstler  vom  Brieger  Schloß  hier  eine  kleine  Extratour  gemacht  haben.  So  wenig 
auffallend  dieser  Architekturteil  sein  mag,  so  überraschend  ist  er  bei  näherer 
Betrachtung.!)  Außerdem  ist  in  Löwenberg  nur  noch  in  einem  Patrizierhause 
ein  Arkadenhof  mit  Säulen  vom  Jahre  1541  und  an  einem  Vorstadthause  ein 
Überrest  eines  reich  gemalten  Sgraffitofrieses  hervorzuheben.  Das  in  der  Nähe 
gelegene  Schloß  Matzdorf  ist  ebenfalls  ein  schlichter  Bau,  dessen  Formen  auf 
ziemlich  frühe  Zeit  schließen  lassen. 

Wichtig  ist  das  in  der  Nähe  liegende  Schloß  zu  Plagwitz,  seit  1826 
Provinzial-Irrenanstalt,  ein  im  wesentlichen  wohlerhaltenes  Werk  der  Renaissance- 
zeit, seit  1550  durch  Rambold  von  Falkenberg,  Herrn  auf  Plagwitz,  errichtet. 
Nach  außen  bietet  der  um  einen  rechteckigen  Hof  angelegte  dreistöckige,  mit 
einigen  Giebeln  und  einfachen  Fenstern  ausgestattete  Bau  nichts  Bemerkenswertes; 
nur  das  Hauptportal  zeigt  eine  reiche  und  zugleich  originelle  Komposition.  Doppelte 
Rahmenpilaster,  die  inneren  kräftiger  vortretend,  fassen  das  breite,  leider  durch 
Restauration  etwas  entstellte  Rundbogenportal  ein.  Die  Flächen  der  Pilaster  sowie 
der  Sockel,  auf  dem  sie  ruhen,  sind  mit  feinen  Frührenaissance-Ornamenten  be- 
deckt; die  Kapitelle  zeigen  die  Kompositaform.  Auch  der  Bogen  wird  von  einem 
gurtartigen  Rahmen  umfaßt,  der  mit  zierlichen  Rosetten  dekoriert  ist.  Zwei 
Porträtmedaillons  füllen  die  Zwickelflächen.  Den  Oberbau  bilden  zunächst  zwei 
Friese,  durch  kräftig  gegliederte  Gesimse  getrennt  und  bekrönt,  jeder  mit  je  zwei, 
also  im  ganzen  mit  acht  reich  behandelten  Wappen  prächtig  geschmückt.  Über 
diesem  Ganzen  erhebt  sich  in  der  Mitte  ein  beträchtlich  schmalerer  Teil  in  Form 


1)  Abb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  74,  75. 


156 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


einer  ein  Fenster  des  oberen  Stockwerkes  in  sich  schließenden  Attika.  Reich 
ornamentierte  Pilaster  rahmen  auch  diesen  Teil  ein,  der  zu  beiden  Seiten  durch 
etwas  schlaffe  Voluten  zu  dem  breiten  Unterbau  übergeleitet  wird.  Reich  ver- 
schlungenes Rankenwerk  krönt  in  der  Mitte  das  Ganze.  Die  Komposition  ist 
indes  bei  allem  Reichtum  der  Ausführung  etwas  lahm,  der  Behandlung  des 
Einzelnen  fehlt  es  an  Energie  und  Schärfe. 


Abb.  81  Hof  des  Schlosses  Plagwitz 


Der  interessanteste  Teil  des  Schlosses  ist  der  Hof,  den  Abb.  81  darstellt. 
In  dem  Rosettenschmucke  in  den  Archivolten  und  sogar  den  Wandpilastern  klingt 
er  an  das  Portal  an.  Die  weitgespannten  Arkaden  mit  den  kraftvoll  stämmigen 
ionischen  Säulen,  die  obere  Galerie,  deren  Dach  direkt  auf  kleineren  Säulen- 
stellungen ruht,  vor  allem  die  malerische  Anlage  der  Treppe  innerhalb  der  Arkade 
links  vom  Eingange,  verleihen  dem  Ganzen  ein  Gepräge  von  starker  Eigenart. 
Der  Architekt  des  Baues  war  vermutlich  Franziskus  Bahr  (Parr,  Bahr),  auf  den 
wir  beim  Schlosse  in  Brieg  noch  näher  einzugehen  haben.  Charakteristisch  für 
ihn  (oder  auch  für  die  Familie  Pahr)  sind  die  Hofhallen,  wie  wir  sie  hier,  dann 
in  Brieg  und  Güstrow  finden ;  derbe  ionische  Säulen  mit  Vertikalstreifen  darüber, 
zwischen  die  die  Rund-  oder  Stichbogen  der  Arkaden  gespannt  sind.  Darüber 
eine  Dockengalerie  mit  Postamenten,  auf  denen  die  kurzen  Säulen  der  oberen 
Halle  stehen.  Letztere  ist  horizontal  überdeckt.  Hierauf  kommen  wir  in  Brieg 
zurück. 

Eine  völlig  verschiedene  Behandlungsweise  zeigt  das  Portal  des  Schlosses 
zu  Hayn  au,  nach  Vermutung  des  Dr.  Wernicke  vielleicht  ein  Werk  des  Bres- 


Haynau  Bunzlau 


157 


lauer  Stadtbaumeisters  Jakoh  Groß^)  der  um  1550  dort  tätig  war.  Der  im  Rund- 
bogen sich  öffnende  Eingang  (Abb.  82)  ist  mit  reich  ornamentierten  Rahmen- 
pilastern  eingefaßt,  die  benachbarten  beiden  Fenster  aber  sind  durch  ähnliche, 
jedoch  beträchtlich  kürzere  Pilaster  mit  dem  Portal  zu  einer  Gruppe  zusammen- 
gefaßt: eine  Komposition,  die  an  die  oben  besprochene  reizvolle  des  Erdgeschoßes 
am  Rybisch-Hause  Junkerngasse  2  in  Breslau  stark  anklingt,  obwohl  ihre  Aus- 
führung schwächere  Hände  zeigt.  Ein  ziemlich  hoher  Fries  zieht  sich  über 
dem  Ganzen  hin,  im  Mittelfelde  mit  den  Brustbildern  des  Erbauers  Friedrichs  II. 
und  seiner  Gemah- 
lin, sowie  den  bei- 
den Wappen  ge- 
schmückt, während 
die  Seitenfelder 
eine  in  Figuren  aus- 
lauf ende  Akanthus- 
ranke  füllt.  Über 
demMittelfeldeend- 
lich  eine  Inschrift- 
tafel von  1546  und 
47,  durch  ein  an 
den  Enden  in  Volu- 
ten aufgerolltes  Ge- 
sims in  Halbkreis- 
form eingerahmt. 
Das  ganze  Werk 
zeugt  von  Opu- 
lenz, entbehrt  da- 
bei keineswegs  der 
Anmut. 

Von  erstaun- 
licher Frische  und 
Freiheit  unter  den  Abb.  82   Portal  vom  Schloß  Haynau 

Schöpfungen  jener 

Epoche  zeugt  das  prächtige  Portal  eines  Wohnhauses  am  Ring  zu  Bunzlau, 
welches  Abb.  83  darstellt.  Die  einfassenden  abgeschrägten  Pilaster  sind  flach  aus- 
gehöhlt, mit  feinem  Flachornament  überzogen ;  am  unteren  Ende  sind  zwei  Sitz- 
steine vorgezogen,  wie  sie  die  Portale  der  Bürgerhäuser  jener  Zeit  in  Hessen, 
Thüringen  und  Sachsen  gerne  zeigen.  Zwei  Engelsköpfchen  am  oberen  Gesims 
breiten  gleichsam  schützend  ihre  Flügel  über  die  Sitzenden  aus.  Das  Prachtstück 
dieses  Portals  ist  aber  das  üppige  Laubgewinde,  das  mit  virtuoser  Meisterführung 
fast  frei  aus  dem  Grunde  herausgearbeitet,  die  breite  Archivolte  bekleidet.  Auch 
der  abschließende  Fries  zeigt  eine  ähnliche  Dekoration.  Gering  dagegen  sind 
die  Atlanten,  welche,  in  aufgerollte  Kartuschen  eingewickelt,  den  Seitenabschluß 
bilden,  wunderlich  vollends  die  Quaderbehandlung  der  Bogenzwickel  mit  ihren 
zwei  Kriegerköpfen  im  stärksten  Hochrelief  in  der  Mitte.  Der  Baumeister  be- 
durfte allerdings  eines  solchen  Fortissimos,  um  mit  der  übrigen  Dekoration  Schritt 
zu  halten.  Die  Behandlung  erinnert  so  sehr  an  die  in  Abb.  103  mitgeteilte  Gör- 
litzer Fassade,  daß  man  auch  hier  wohl  die  Arbeit  eines  dortigen  Architekten 
oder  doch  den  Einfluß  der  Görlitzer  Schule  annehmen  muß.    Vielleicht  ist  es  ein 

1)  Hahr  allerdings  vermutet  in  Franciscus  Pahr  den  Baumeister,  weil  dieser  1574  in 
Haynau  seinen  Wohnsitz  gehabt  habe.  Doch  widerspricht  schon  die  Art  der  Architektur  dieser 
Annahme.    (Aug.  Hahr,  die  Arehitektenfamilie  Pahr,  Straßburg,  1908,  p.  287.) 


158 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Werk  des  jüngeren  Wendel  Roßkopf ^  der  nach  Dr.  Wernickes  Angabe  in  Dünzlau 
tätig  gewesen  ist,  während  er  in  seiner  Heimat  als  Nachfolger  seines  gleich- 
namigen Vaters  das  Amt  des  Stadtbaumeisters  bekleidete. 

Ein  Prachtstück  der  Spätrenaissance  ist  das  Portal  des  Schlosses  zu 
Gießmannsdorf  im  Kreise  Bunzlau.  Es  verwendet  alle  Formen  der  Renais- 
sance in  einer  starken  Steigerung  des  Ausdrucks,  doch  ohne  eigentliche  Barock- 
elemente, so  daß  die  Wirkung  in  hohem  Grade  plastisch-schwungvoll  und  doch 

zugleich  edel  ist.  Der 
große  Portalbogen  ist 
an  seiner  breiten  Ein- 
fassung, sowie  an  den 
tragenden  Pilastern, 
mit  geflügelten  Engel- 
köpfen und  weiblichen 
Masken  gänzlich  be- 
deckt ;  schwebende  Ge- 
nien, von  etwas  un- 
geschickter Haltung, 
füllen  die  Bogenzwik- 
kel,  zahlreiche  Wap- 
pen in  zwei  Reihen 
übereinander  die  hohe 
Attika.  Ein  üppiger 
Aufsatz  mit  Allianz- 
wappen, dessen  Rah- 
men von  aufrechtste- 
henden Greifen  gehal- 
ten werden,  schließt 
das  Ganze  ab.  Um 
diese  Fülle  plastischen 
Lebens  in  festem  Rah- 
men zusammenzuhal- 
ten, bilden  zwei  auf 
geschmückten  Stylo- 
baten stehende  Säulen 
mit  Kompositakapitel- 
len eine  kräftige,  sich 
in  den  mit  Figuren 

von  Tugenden  geschmückten  Verkröpfungen  des  Frieses  fortsetzende  Einfas- 
sung. Auch  die  Mitte  des  Frieses  springt  über  einer  kräftigen  Maskenkonsole 
vor  und  ist  mit  einer  dritten  weiblichen  Gestalt  dekoriert.  Ähnliche  Figuren, 
sämtlich  in  äußerst  bewegten  fliegenden  Gewändern,  sind  am  obersten  Aufsatz 
angeordnet. 

Das  Schloß  selber  ist  einfach,  doch  merkwürdig  durch  seine  drei  schiefen 
Giebel  über  der  Eingangsseite,  die  den  drei  Satteldächern  dahinter  entsprechen; 
sie  sind  durch  krönendes  Querfeld  und  an  den  Absätzen  mit  allerlei  Getier,  Sirenen, 
Delphinen  u.  dgl.  geziert,  schwächlich  im  Umriß,  doch  nicht  ohne  malerischen 
Reiz.i)    (Abb.  84.) 

Einen  stärkeren  Grad  von  barockem  Gepräge  zeigt  das  ebenfalls  prächtig 
wirkende  Portal  des  Schlosses  zu  Siebeneichen  bei  Löwenberg;  der  Aufbau 
ist  etwas  lockerer  als  dort,  namentlich  fehlt  eine  Attika,  die  den  unteren  Teilen 

1)  Abt.  bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  89. 


Abb.  83   Portal  eines  Wohnhausos  (jetzt  am  Ratskeller)  zu  Bunzlau 


Siebeneichen  Brieg 


159 


das  Gegengewicht  hielte;  dagegen  ist  die  Anordnung  des  Bogens  mit  breitem, 
plastisch  geschmücktem  Rahmen,  eingefaßt  von  zwei  vortretenden  Säulen  korinthi- 
scher Ordnung,  die  gleiche.  Graziös  wirkt  die  in  freiem  Relief  den  Säulenschaft 
in  Spiralen  umwindende  Weinranke.  Üppige  Sirenen  in  kräftigem  Relief  sind 
neben  dem  Portal  unter  den  Fenstern  zur  Seite  angebracht;  prächtig  barock  be- 
handelte Wappenschilde  sieht  man  über  dem  oberen  Gesimse  zu  beiden  Seiten, 
während  die  Mitte  nur  ein  gemaltes  Wappen  zeigt. 


Abb.  84   Schloß  Gießmannsdorf  Giebelfront 


Brieg 

Das  Hauptwerk  der  Renaissance  in  Schlesien  ist  ohne  Frage  dasBrieger 
Piastenschloß,  selbst  in  seiner  verstümmelten  und  mißhandelten  Gestalt 
zugleich  noch  immer  eine  der  edelsten  und  großartigsten  Schöpfungen  dieser 
Epoche  in  Deutschland.  Wiederum  das  Werk  eines  der  besten  Fürsten  des 
Landes.  Georg  IL,  der  Sohn  eines  ebenso  trefflichen  Vaters,  Friedrichs  IL  von 
Liegnitz,  welchem  Brieg  als  Erbteil  zufiel,  hat  in  seiner  segensreichen,  fast  vierzig- 
jährigen Regierung  (1547—86)  sein  Herzogtum  Brieg  in  einen  Stand  gesetzt, 
daß  man,  wie  ein  Zeitgenosse  sagt,  das  alte  Land  nicht  mehr  erkannte  und  das 
neue  nicht  ohne  Bewunderung  ansehen  konnte.  Als  Zeugnis  seines  hohen  Kunst- 
sinns steht  noch  jetzt  das  von  ihm  erbaute  Schloß  da.  Noch  unter  Friedrich  IL, 
1547,  begann  der  Bau,  der  sich  an  der  Stelle  eines  früheren  vom  Jahre  1369, 
ebenfalls  schon  in  Stein  ausgeführten,  in  der  ganzen  Pracht  des  Renaissancestils 
erheben  sollte.  Wie  aber  sein  Vater  für  das  Liegnitzer  Schloß  niederländische 
Meister  berufen  hatte,  so  zog  Georg  für  seinen  Bau  welsche  Künstler  ins  Land. 
Wir  sind  durch  urkundliche  Überlieferungen  genauer  über  dieselben  unter- 


160 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


richtet.^)  Am  frühesten  tritt  Meister  Jacob  Fahr  oder  Bahr  (Bawor,  Baar,  Boer  etc.) 
aus  Mailand  als  Schloß baumeister  in  Brieg  auf.  Mit  einem  Meister  Antonius  von 
Theodor'^)  erbaut  er  die  Stadtschule.  Dieser  Antonius  wird  nur  1547 — 48  genannt. 
Als  sich  gegen  ihn  und  seine  welschen  Maurer  der  Neid  der  einheimischen  regte, 
nahm  der  Herzog  ihn  durch  einen  Erlaß  vom  26.  Oktober  1564,  in  dem  er 
ihm  das  beste  Lob  erteilt,  in  Schutz.  Ein  Welscher  war  auch  Hans  VorraJt, 
der  1562  am  Schloßbau  tätig  ist.  Ferner  wirkt  1556—88  Martin  vom  Turme 
(Deila  Torre),  Hans  Lugann  (also  wohl  Giovanni  von  Lugano,  -}-  1591),  Franz  Feinet 
(f  1567)  und  in  den  fünfziger  Jahren  Antonio  Marosi.  Außerdem  der  Bruder 
Meister  Jakobs,  Johann  Baptista  Fahr;  der  andere  Bruder  Franciscus  war  ver- 
mutlich hier  zuerst  ebenfalls  ansässig.  Dagegen  wurde  Meister  Kaspar,  der  1568 
erwähnt  wird,  unter  dem  Namen  Kaspar  Kulme  als  Deutscher  nachgewiesen.^) 
Er  muß  ein  angesehener  Meister  gewesen  sein,  da  er  1568  berufen  wird,  für  den 
Kanzler  von  Pernstein  zu  Prosznitz  in  Mähren  ein  Haus  zu  bauen  und  1572 
auf  Ersuchen  Joachim  Emsts  von  Anhalt  sogar  nach  Dessau  geschickt  wird. 
Später  nach  1565  ist  Meister  Bernhard  Niuron  (Moiiron),  also  wieder  ein  Welscher, 
der  Schwieger^ert^  Jakob  Pahrs,  beim  Schloßbau  in  Brieg  beschäftigt  und  auch 
nach  Breslau  1576  zur  Erbauung  des  Ohlauer  Tores  berufen.  Meister  Lugann 
ist  1585  mit  Erbauung  des  Schlosses  zu  Nimptsch  betraut.  Interessant  ist  bei 
Gelegenheit  dieses  Baues  ein  aus  Prag  aus  jenem  Jahre  datierter  Brief  des  Her- 
zogs, der  die  dort  vielfach  vorkommenden,  unter  dem  Dach  hinlaufenden  Balkone"*) 
an  seinem  Schloß  nachzuahmen  empfiehlt. 

Das  Brieger  Schloß,  welches  wir  nunmehr  betrachten  '^),  ist  also  ein  Werk 
welscher,  in  diesem  Falle  zum  Teil  itahenischer,  wohl  zum  Teil  französischer 
Meister.  Vergleichen  wir  es  aber  mit  der  um  dieselbe  Zeit  von  Italienern  er- 
bauten Residenz  in  Landshut,  die  dem  strengsten  römischen  Palaststil  der  Hoch- 
renaissance folgt,  so  erkennen  wir,  daß  in  Brieg  die  fremden  Meister  durchaus 
anderer  Richtung  angehörten.  Das  zeigt  schon  die  Fassade  mit  dem  Prachtbau  des 
Portals,  I.  Bd.  unter  Abb.  118  abgebildet.")  Es  ist  ein  durchaus  in  Sandstein  mit 
größter  Sorgfalt  ausgeführter  Bau,  an  allen  Flächen  und  architektonischen  Gliedern 
mit  einer  Fülle  von  Ornamenten  bedeckt,  welche  in  diesem  Reichtum  nur  in  der 
Frührenaissance  Oberitaliens,  Südfrankreichs  oder  Spaniens  vorkommt.  Um  so 
wirksamer  hebt  sich  der  Reiz  dieser  Dekoration  hervor,  als  der  Hintergrund  aus 
einer  Quadermauer  mit  stark  betonten  Fugen  besteht.  Die  Komposition  des 
Portales  beruht  auf  der  in  Deutschland,  noch  mehr  aber  in  Frankreich  verbreite- 
ten Sitte,  einen  großen  Torweg  und  daneben  das  kleinere  Pförtchen  für  die  Fuß- 
gänger anzuordnen.  Die  Symmetrie  wird  dadurch  aufgehoben,  aber  die  hiesigen 
Künstler  haben  diese  Schwierigkeiten  auf  gleichem  Wege,  doch  im  Erfolg  glück- 
licher überwunden,  als  die  am  Portal  zu  Liegnitz.  Auch  hier  blieb  für  die  Attika 
nichts  übrig,  als  zu  einer  rein  symmetrischen  Anordnung  überzugehen.  Sie  ist 
demnach  mit  drei  prachtvoll  ausgeführten  Wappen  geschmückt,  von  denen  die 
beiden  seitlichen  von  Gewappneten  gehalten  werden.  Zwischen  ihnen  auf  den 
Vorsprüngen  des  Gesimses  sieht  man  die  trefflich  gearbeiteten  fast  lebensgroßen 
Gestalten  des  Erbauers  und  seiner  Gemahlin  Barbara  von  Brandenburg.  Dann 

1)  H.  Luchs  hat  das  Verdienst,  in  seinen  Bild.  Künstl.  aus  Schlesien  S.  15  if.  dieselben 
veröffentlicht  zu  haben. 

2)  Vielleicht  Antonio  di  Teodoro,  d.  h.  des  Theodor  Sohn. 
8)  Dr.  Wernicke  im  Anzeiger  des  Germ.  Mus.  1878  Sp.  204. 

4)  Jetzt  z.  B.  noch  am  Palast  Schwarzenberg  erhalten,  vgl.  oben  S.  118. 

5)  Eine  Beschreibung,  mit  Bezug  auf  eine  ältere  Abbild.,  gibt  H.  Luchs  in  Schles.  Vor- 
zeit in  Bild  und  Schrift  II,  S.  32  ff. 

ö)  Photolithogr.  Abb.  bei  A.  Schultz  a.  a.  0.  Vgl.  Engel  u.  Poetsch  in  Ortweins  D.  Ren. 
Abt.  XI. 


Brieg  Piastenschloß 


161 


folgt  das  Hauptgeschoß  mit  drei  großen  Fenstern  von  schönen  Verhältnissen  und 
endlich  ein  niedrigeres  zweites  Stockwerk,  heide  durch  eine  Doppelreihe  von 
Brustbildern  fürstlicher  Ahnen  getrennt.  Die  Portale  und  sämtliche  Fenster 
werden  durch  ein  Doppelsystem  von  Pilastern  der  feinsten  korinthischen  Ordnung 
umrahmt,  von  denen  die  größeren  die  vertikale  Gliederung  der  Fassade  bewirken. 
Die  Fülle  des  Ornaments,  das  alle  Flächen,  die  Pilaster,  Friese,  Bogenfelder, 


Abb.  85  Innoro  Ansicht  vom  Tore  des  Piasteiischlosses  zu  Brieg 


Postamente  bedeckt,  ist  unerschöpflich;  seine  Ausführung  zeugt  von  verschiede- 
nen Händen.  Bei  geistreicher  Erfindung  und  großer  Mannigfaltigkeit  der  Phan- 
tasie ist  die  technische  Behandlung  öfters  etwas  stumpf.  Von  hoher  Schönheit 
und  rein  italienischer  Durchbildung  sind  die  Akanthusgewinde  der  beiden  Posta- 
mente an  den  Ecken  der  Attika;  von  deutschen  Händen  dagegen  das  etwas  trockne 
Rankenwerk  über  dem  kleinen  Portal.  Die  Kapitelle  zeigen  sämthch  durchge- 
bildete korinthische  Form.  Die  Archivolten  sind  unten  mit  eleganten  Kassetten 
und  Rosen  darin  geschmückt.  Trefflich  sind  die  vielen  Porträtbilder  ausgeführt, 
sehr  lebensvoll  die  beiden  Hauptgestalten,  nur  die  Dame  durch  gar  zu  ängstliche 
Ausführung  des  Zeitkostüms  etwas  beeinträchtigt.  Am  obersten  Fries  best  man 
die  Sinnsprüche:  „Verbum  domini  manet  in  aeternum.  —  Si  deus  pro  nobis 
quis  contra  nos.  —  Justitia  stabit  thronus."  Auch  sonst  bei  den  zahlreichen 
Bildnissen  eine  Menge  von  Beischriften,  so  daß  auch  nach  dieser  Seite  der  Bau 
zu  den  reichsten  seiner  Art  gehört. 

Es  ist  dabei  noch  zu  bemerken,  daß  einst  über  dem  Hauptgesimse  eine 
durchbrochene,  reiche  Ornamentgalerie  das  Ganze  bekrönte;  ein  fremdartiges 
Motiv.  —  Dazu  war  der  Torbau  durch  einen  doppelt  durchsichtigen,  turmartigen 
Aufbau  abgeschlossen.  Da  oben  über  dem  Hauptgesimse  hatte  die  Musik  bei 
Einzügen  u.  dgl.  ihren  Platz.^) 


1)  Versuch  einer  Wiederherstellung  des  einstigen  Zustandes  bei  H.  Kurz,  Das  Schloß  der 
Piarsten  zum  Briege,  Brieg  1883.  Taf.  I.  II. 

Lübkc-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  11 


162 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Eine  weite,  mit  Tonnengewölbe  bedeckte  Einfahrtshalle  (A  in  Abb.  86)  führt 
nach  dem  großen  Hofe  B,  wo  sie  sich  in  einem  gewaltigen,  etwas  zugespitzten 
Bogen  von  fast  9  Metern  Spannung  öffaet.  (Abb.  85.)  Auch  dieser  Bogen  ist 
wieder  ein  Prachtstück  der  Dekoration,  an  den  einfassenden  Pfeilern  mit  korinthi- 
schen Pilastern  dekoriert,  die  mit  Trophäen  und  Emblemen  aller  Art  in  etwas 
zu  großem  Maßstabe  geschmückt  sind.    Die  Archivolte  selbst  ist  in  origineller 


Abb.  83   Grundriß  und  Durchschnitt  des  Schlosses  zu  Brieg 


Weise  als  mächtiger,  von  Bändern  umwundener  Eichenkranz  charakterisiert,  so 
daß  man  den  Eindruck  einer  Triumphpforte  bekommt.  In  den  Zwickeln  sind 
die  Wappen  des  Herzogs,  sowie  des  ihm  verschwägerten  Joachim  von  Branden- 
burg angebracht,  dabei  die  Jahreszahl  MDLI,  während  am  äußeren  Portal  1552 
steht.  An  einer  kleinen  Nebenpforte  liest  man:  „Vortruen  darff  aufschauen". 
Die  Eingänge  in  den  Keller  sind  in  derber  Grottenrustika  gehalten,  am  glatten 
Kämpfer  aber  ein  schöner  Meereswellenfries. 

Der  Hof  muß  in  seiner  ursprünglichen  Vollendung  einen  unvergleichlichen 
Eindruck  gemacht  haben. ^)  Nicht  bloß  der  Reichtum  der  durch  zwei  Geschosse 
führenden  ionischen  Bogenhallen  (Abb.  87),  über  denen  noch  eine  auf  unserer  Zeich- 
nung fehlende  Säulenhalle  mit  geradem  Gebälke  herlief  —  die  Zahl  ihrer  Säulen 
war  die  doppelte  — ,  die  prachtvoll  umrahmten  zahlreichen  Fenster  und  Portale  der 


1)  Bei  Kurz  a.  a.  0.  Taf.  III  leider  nicht  zutreffend  und  in  Durchbildung  wenig  befriedi- 
gend dargestellt. 


164 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII,  Kapitel  Schlesien 


oberen  Stockwerke,  die  originellen  frei  und  phantastisch  antikisierenden  Porträt- 
medaillons in  den  Bogenzwickeln,  sondern  mehr  noch  die  ungemeine  Größe  der 
Verhältnisse  stempelten  ihn  zu  einem  Bauwerke  ersten  Ranges.  Die  mächtigen 
Achsen  der  unteren  Säulenstellungen  von  5  Metern  finden  an  deutschen  Bauten  der 
Zeit  kaum  irgendwo  ihresgleichen;  dazu  kommt  eine  Stockwerkhöhe  von  gegen 
6  Metern,  die  ebenfalls  für  nordische  Verhältnisse  höchst  beträchtlich  ist.  Das 
alles  ist  jetzt  im  Zustande  grauenhafter  Zerstörung.  Nur  wenige  Säulen  stehen 
noch  aufrecht;  am  östlichen  Hauptbau  und  in  dem  lang  hingestreckten  nördlichen 
Flügel  lassen  sich  die  ehemaligen  Säulenstellungen  in  Spuren  verfolgen.  Hier 
ist  auch  in  der  Ecke  die  diagonale  Stellung  der  Säulen  und  die  damit  verbun- 
dene Treppenanlage  bemerkenswert.  Der  Haupteingang  lag,  wie  man  sieht,  nicht 
in  der  Mitte  des  östlichen  Flügels,  sondern  weit  nach  Süden  vorgerückt,  wo  eine 
zweite  Treppe  (vgl.  Abb.  86)  in  der  Ecke  gegen  den  fast  ganz  zerstörten  südlichen 
Flügel  sich  findet.  Beide  Treppen  sind  in  einfachem,  rechtwinklig  gebrochenem 
Lauf  mit  Podesten  angelegt.  Auf  die  sonst  in  der  deutschen  Renaissance  so  be- 
liebten Wendelstiegen  hat  man  verzichtet.  Nördhch  wird  der  Hof  durch  dürftige 
spätere  Nebenbauten  abgeschlossen.  Ein  Rest  der  mittelalterlichen  Anlage  da- 
gegen ist  noch  jetzt  in  der  Schloßkirche  erhalten,  deren  Chorschluß  südlich  neben 
dem  Hauptportal  nach  außen  vorspringt.  Von  der  überreichen  Ausstattung  des 
Innern,  von  der  berichtet  wird,  ist  aber  keine  Spur  mehr  vorhanden.  Der  Pracht- 
bau ist  seit  der  gewaltsamen  Zerstörung  im  Jahre  1741  durch  Friedrich  den  Großen 
im  Siebenjährigen  Kriege  eine  mehr  und  mehr  verfallende  Ruine. 

Die  Bedeutung  des  einst  so  glänzenden  Bauwerks  liegt  darin,  daß  wir 
hier  einen  Mittelpunkt  der  Renaissancebaukunst  für  Deutschland  vor  uns  haben, 
dessen  Ausläufer  sich  nach  allen  Seiten  erstrecken;  insbesondere  finden  wir  Be- 
ziehungen der  hiesigen  Meister  zu  Plagwitz,  Güstrow,  Dargun  und  nach  Schweden 
hin,  —  anderseits  zu  Dresden,  Dessau,  Berlin.  Außerdem  aber  haben  wir  hier 
frühzeitig  eine  Kolonie  italienischer  und  französischer  Künstler,  die  ihre  Formen- 
welt hierhin  überpflanzten  und  die  nordische  junge  Renaissance  mit  ihr  be- 
reicherten und  befruchteten. 

Die  Familie  Fahr,  wenn  sie  auch  aus  Mailand  hierher  übersiedelte,  dürfte 
doch  ursprünglich  aus  Frankreich  stammen,  wie  gewisse  Eigentümlichkeiten  ihrer 
Bauwerke  beweisen:  die  Einfassung  der  Fenster  mit  Ornamentpilastern  ist  in 
Frankreich,  aber  nicht  in  Italien  zu  Hause;  noch  mehr  aber  die  eigentümliche 
Arkadenform  im  Hofe,  kurze  Säulen  mit  vertikalen  Pilasterslücken  darüber, 
zwischen  die  sich  die  Bögen  —  oft  als  Segmentbögen  —  einpassen.  Ich  habe 
schon  bei  Plagwitz  auf  diese  eigenartige  Form  aufmerksam  gemacht.  Sie  kehrt 
also  hier  in  Brieg,  dann  in  Güstrow  wieder,  zuletzt  in  Schweden  in  Upsala; 
außerdem  in  Brieg  am  Rathaus.  Alle  diese  Bauwerke  sind  von  den  Mitgliedern 
der  Familie  Pahr  erbaut.  Das  Vorbild  dieser  Bogenform  ist  aber  nirgends  in 
Italien,  wohl  aber  häufig  in  Frankreich  zu  finden.  Zuletzt  ist  der  dreistöckige 
Portalbau  (Ecouen,  Gaillon  etc.)  mit  der  Statue  des  Bauherrn,  meist  zu  Pferde, 
dort  zu  Hause;  auch  die  Reihen  von  Halbfiguren  über  dem  Eingang  und  so 
manches  andere.  Das  Schloß  zu  Güstrow  aber,  das  Werk  des  Franciscus  Pahr, 
ist  schon  lange  als  höchst  französisch  empfunden  worden,  insbesondere  wegen 
seiner  Eckpavillons  und  ähnlicher  Eigenheiten. 

Die  Ornamentierung  und  Detaillierung  dagegen  ist  dies  nur  zum  Teil; 
die  Mitwirkung  der  Italiener  ist  an  dem  Vorbau  des  Portals,  wie  an  den 
noch  die  sonst  traurig-kahlen  Wände  im  Schloßhof  zierenden  Fenster-  und  Tür- 
einfassungen,  die  einst  auf  die  Bogenhallen  gingen,  deutlich  zu  erkennen. 
Eines  dieser  Portale  kann  sogar  als  eine  getreue  Kopie  des  Hauptportals  von 
S.  Lorenzo  zu  Lugano  bezeichnet  werden.    Und  gerade  aus  Lugano  kamen  ja 


Brieg 


165 


mehrere  der  Helfer  des  Jakob  Pahr  —  vielleicht  auch  sein  Schwiegersohn  Bern- 
hard Niuron. 

Die  vollendete  Schönheit  und  Klarheit  der  Verhältnisse  dieser  Teile  im 
südlichen  Sinne,  wie  des  größten  Teiles  ihrer  Ausführung,  findet  denn  in  Deutsch- 
land wohl  nicht  mehr  ihresgleichen. 


Abb.  88   Eathaus  zu  Brieg 


Von  den  öffentlichen  Gebäuden  der  Stadt  ist  zunächst  das  Gymnasium 
zu  nennen,  das  Herzog  Georg  durch  denselben  Meister  Jal-oh  Fahr  bis  1564  er- 
richten ließ.  Ein  schlichter  Bau,  der  von  seiner  ursprünglichen  reichen  Ausstat- 
tung wenig  aufweist.  Augenscheinlich  war  die  Ausführung  hier  in  geringere 
Hände,  vielleicht  von  deutschen  Steinmetzen,  gelegt;  wenigstens  ist  das  Portal 
mit  dem  kleinen  Pförtchen  daneben  eine  ungeschickte  Arbeit,  von  mißverstande- 
nen ionischen  Halbsäulen  umfaßt,  in  den  Zwickeln  schlecht  gezeichnete  Figuren 
der  Religion  und  der  Gerechtigkeit.  Ueber  dem  Portal  zwei  reich  gemalte  Wap- 
pen, von  plumpen  Engelknaben  gehalten.  Bei  dem  kleinen  Pförtchen  ist  es  auf- 
fallend, daß  kein  Schlußstein,  sondern  eine  Fuge  in  den  Scheitel  des  Bogens  trifft. 

Weit  ansehnlicher  ist  das  Rathaus,  zwar  gering  und  flüchtig  in  der  Be- 
handlung der  Formen,  aber  durch  malerische  Gruppierung  anziehend  (Abb.  88). 
Die  beiden  Türme,  welche  die  Fassade  flankieren,  schließen  eine  auf  drei  toska- 
nischen  Säulen  ruhende  Vorhalle  ein,  über  welche  eine  auf  Holzsäulen  ruhende 


166 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


leider  modernisierte  obere  Halle  die  Verbindung  im  Hauptgeschoß  bildet.  Das  System 
dieser  Halle  war  wieder  das  Pahrsche  aus  dem  Schloßhofe  in  Brieg,  Plagwitz  und 
Güstrow.  Die  Haupttreppe,  rechtwinklig  mit  vier  Podesten  um  den  mittleren  qua- 
dratischen Mauerkern  emporsteigend,  liegt  in  dem  links  befindlichen  Turm,  eine 
untergeordnete  hölzerne  in  dem  andern.  Die  obere  Vorhalle  mündet  auf  ein  schlicht, 
aber  elegant  behandeltes  Portal,  mit  schönen  Fruchtschnüren  und  Löwenköpfen 
dekoriert;  in  den  Bogenzwickeln  zwei  weibliche  Figuren.  Im  Innern  haben  die 
Türen  einfache,  doch  schön  komponierte  Renaissancerahmen.    Die  Ausführung 

könnte  wohl  von  Italienern  herrühren.  ^) 
Seine  Bedeutung  hat  indes  der  Bau, 
wie  gesagt,  weniger  durch  die  Einzel- 
formen, als  durch  die  treff  hebe  Grup- 
pierung des  Äußeren.  Die  Treppen- 
türme mit  der  Vorhalle,  das  hohe 
Dach  mit  seinen  Giebeln,  das  alles 
überragt  von  dem  mächtigen  Haupt- 
turm, macht  dies  Rathaus  zu  einem 
der  malerischsten  in  Deutschland. 

Der  bürgerliche  Privatbau 
in  Brieg  gehört  meist  der  Schluß- 
epoche an.  Von  Werken  der  Früh- 
renaissance habe  ich  nur  die  kösthche 
kleine  Fassade  Burgstraße  Nr.  6  zu 
verzeichnen.  Zwar  das  Bogenportal 
mit  seiner  Rustika,  auf  jedem  Quader 
ein  Kopf  oder  eine  Rosette,  ist  von 
geringerer  Hand;  aber  die  ionischen 
Pilaster,  die  das  Erdgeschoß  gliedern, 
mit  ihren  prächtigen  Arabesken,  na- 
mentlich aber  der  Fries  mit  seinen 
Patten,  die  ein  Wappenschild  halten, 
mit  Seepferden  spielen  und  andern 
Mutwillen  treiben,  gehören  in  der 
geistreichen  Erfindung,  dem  freien  Schwung  der  aus  dem  Grund  sich  fast  völlig 
lösenden  Arbeit  zum  Trefflichsten,  das  wir  in  dieser  Art  besitzen.  Im  oberen 
Geschoß  gliedern  vier  kleinere  ionische  Pilaster,  ebenfalls  reich  ornamentiert,  die 
Flächen.  Den  Abschluß  bilden  spätere  zopfige  Vasen.  Auch  über  der  Tür  ist 
eine  ähnliche  Verballhornung  eingetreten.  Die  oberen  Teile  der  Fassade,  die  jeden- 
falls ursprünglich  gleichmäßig  durchgeführt  waren,  sind  jetzt  ganz  nüchtern  mo- 
dernisiert. Leider  sind  auch  die  schönen  Ornamente  durch  dicke  Tünche  entstellt. 
Ob  das  G.  M.  über  dem  Portal  auf  den  Baumeister  zu  deuten  ist,  muß  dahin- 
gestellt bleiben. 

Die  übrigen  Privatbauten  der  Stadt  gehören  der  letzten  Epoche  der  Re- 
naissance. Sie  zeigen  fast  sämtlich  den  Giebelbau  in  mannigfaltigster  Weise 
entwickelt,  und  zwar  sehr  verschieden  von  der  in  Breslau  herrschenden  Aus- 
prägung. War  dort  die  plastische  Gliederung  zugunsten  eines  mehr  malerischen 
Prinzips  vernachlässigt,  so  tritt  hier  die  erstere  in  ihr  volles  Recht.  Nicht  bloß 
daß  kräftige  Pilaster  und  Säulenstellungen  mit  reich  durchgeführten  Gesimsen  die 

1)  Diese  Vermutung  -wird  dadurch  bestätigt,  daß  nach  Dr.  Werniokes  Bericht  ira  Anzeiger 
des  Germ.  Mus.  1878  Sp.  202  der  welsche  Meister  Elias  Massara  1570  aus  Breslau  für  den 
Rathausbau  nach  Brieg  berufen  wurde,  um  zwei  schöne  Türen  zu  24  rth.,  Tier  andere  Türen  zu 
8  rth.  und  noch  zwei  Türen  und  sechs  Fenster  zu  machen. 


Brieg 


167 


Flächen  rhythmisch  beleben,  auch  ein  reiche- 
rer Ornamentalschmuck  in  FlachreHef,  meist 
in  Stuck  ausgeführt,  tritt  hinzu.    Aber  noch 
interessanter  werden  diese  Fassaden  dadurch, 
daß  sie  häufig  in  zwei  Giebel  zerlegt  sind, 
oder  gar  in  der  Mitte  einen  vollständigen 
Giebel  zeigen,  der  von  zwei  halbierten  be- 
gleitet wird.    Diese  Häufung  kleiner  Giebel, 
die  bei  anderen  Gelegenheiten  sich  noch  er- 
hebUch  steigert,  weist  wieder  auf  Böhmen 
und  polnische  oder  slawische  Gewohnheiten. 
Die  erstere  Form  kommt  in  sehr  eleganter 
Weise  an  einer  kleinen  Fassade  der  Wagner- 
straße Nr.  4  zur  Erscheinung  (Abb.  89).  Hier 
ghedern  eingeblendete  ionische  Säulen  in  wirk- 
samer Weise  die  Flächen,  auf  kräftige  Voluten 
gestellt,  die  einen  vollständigen  Fries  bilden. 
Die  Fenster  sind  mit  geränderten  und  fasset- 
tierten  Quadern  eingefaßt,  die  größeren  Flächen 
durch  Metallornamente  belebt,  die  Silhouette 
außerdem  durch  kraftvolle  Voluten  bereichert. 
Die  unteren  Teile  der  Fassade  sind  mit  Ein- 
schluß des  Portals  ganz  einfach.  Ähnlichen 
Doppelgiebel  zeigt  das  Haus  Burgstraße  Nr.  2, 
mit  derben  Pilastern  und  einfachen  Voluten  aus- 
gestattet; das  Portal  in  reicherer  Weise  mit 
hübschem  Laubornament,  welches  die  korinthi- 
sierenden  Pilaster  und  die  Archivolte  bedeckt, 
während  der  Fries  Metallornamente  zeigt.  Die 
andere,  für  Brieg  besonders  charakteristische 
Auffassung  mit  einem  ganzen  und  zwei  hal- 
bierten Giebeln  sieht  man  in  zierlicher  Weise 
durchgeführt  an  dem  Hause  Burgstraße  Nr.  22 
vom  Jahre  1614.  Auch  hier  kommen  die  ein- 
geblendeten Säulchen  vor,  zwischen  welchen 
eine  Muschelnische  einen  hockenden  wappen- 
haltenden Löwen  aufnimmt.  Besonders  elegant 
sind  die  aus  Eisenblech  geschnittenen  Wind- 
fahnen. Zur  höchsten  Pracht  ist  dies  Fassaden- 
motiv am  Ring  Nr.  29  entwickelt  (Abb.  90). 
Oben  am  Fries  best  man:  Fidus  in  perpetuum 
benedicitur.   1621.   Auch  hier  treffen  wir  die 
eingeblendeten  Säulchen;  aber  alle  Flächen 
sind  mit  Metallornamenten  übersponnen,  wie 
ich  kein  zweites  Beispiel  kenne,  alles  in  kräf- 
tigem Relief,  als  wäre  die  ganze  Fassade  mit 
kunstvollen  Eisenbeschlägen  bedeckt.^)  Rein 


Abb.  90   Hausgiebel  aus  Brie^ 


malerische  Behandlung  zeigt  endhch  das  Eckhaus  der  Wagnerstraße  und  des  Ringes, 
nach  dem  Platze  mit  Doppelgiebel  vortretend,  in  allen  Flächen  mit  hellen  Blumen- 
ranken auf  dunklem  Grunde  geschmückt,  allerdings  erst  aus  dem  18.  Jahrhundert, 
aber  in  guter  Tradition  einer  früheren  Zeit,  dabei  von  prachtvollster  Wirkung. 
1)  Abgeb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  91. 


168 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Neiße 

Hier  hatten  die  Bischöfe  von  Breslau  seit  früherer  Zeit  ein  Schloß,  das 
Jakob  von  Salza  nach  einem  Brande  1523  wieder  aufbaute.  Von  diesem  Werke 
ist  aber  nichts  mehr  erhalten,  da  an  seiner  Stelle  im  vorigen  Jahrhundert  der 
noch  jetzt  vorhandene  nüchterne  Bau  aufgeführt  wurde.  Wohl  aber  bewahrt  die 
Pfarrkirche,  eine  mächtig  hohe  gotische  Hallenanlage,  im  nördlichen  Teile 
des  Ghorumgangs  das  Grabmal  dieses  1539  verstorbenen  Bischofs.  Es  ist  ein 
Freigrab  in  Form  einer  Tumba,  auf  welcher  die  Gestalt  des  Verstorbenen  aus- 
gestreckt liegt.  Feines  Laubwerk  im  Stil  der  Renaissance  bildet  die  Einfassung, 
und  in  den  einzelnen  Feldern  sind  als  Ausdruck  der  humanistischen  Strömung 
jener  Zeit,  welche  die  christlichen  Anschauungen  völlig  zurückgedrängt  hatte, 
vier  antike  Heldenköpfe  in  schönen  Lorbeerkränzen  angebracht.  An  der  einen 
Schmalseite  das  treffhche  Brustbild  des  Verstorbenen,  auf  der  andern  ein  possier- 
licher kleiner  Knabe  mit  Weihbecken  und  Weihrauchfaß,  während  zwei  nackte 
Genien  die  Inschrifttafel  halten.  Es  ist  ein  feines  Werk  der  Frührenaissance, 
offenbar  aber  von  der  Hand  eines  französischen  Bildhauers,  und  trägt  den  Stem- 
pel des  Stils  Franz  L  in  allen  Einzelheiten.  Wirkungsvoller  in  einer  Kapelle 
der  Südseite  das  Grabmal  des  Bischofs  Promnitz  (f  1562),  ein  großartiger,  auf 
drei  stämmigen  Säulen  und  eben  so  vielen  Halbsäulen  an  der  Wand  ruhender 
Baldachin,  darunter  auf  einem  Sarkophag  ausgestreckt  die  Gestalt  des  Entschla- 
fenen, der  den  Kopf  auf  den  Arm  stützt.  Die  Einwirkung  des  Breslauer  Rybisch- 
denkmals  ist  unverkennbar;  das  feine  Laubwerk,  der  Bogen,  Zwickel  und  Wand- 
felder gut  behandelt,  die  Figur  selbst  jedoch,  abgesehen  von  dem  tüchtig  auf- 
gefaßten Kopfe,  von  mäßiger  Arbeit.^) 

Unter  den  zahlreichen  bürgerlichen  Bauten  der  malerischen  Stadt  nimmt 
das  Rathaus  den  ersten  Rang  ein.  Es  ist  eine  im  Kern  noch  aus  dem  Mittel- 
alter herrührende  Anlage,  durch  einen  hohen  gotischen  Turm  mit  schlanker  Pyra- 
mide und  geschweiften  Bogenfenstern  ausgezeichnet.  In  der  Spätzeit  der  Renais- 
sance erfuhr  der  Bau  bedeutende  Umgestaltungen,  kräftige  Rustikaportale  ent- 
standen, vor  allem  der  bis  in  die  Mitte  des  Platzes  vorspringende  Flügel  der 
Stadtwage  vom  Jahre  1604,  den  unsere  Abb.  91  veranschaulicht.  Es  ist  eine 
der  best  komponierten  Fassaden  dieser  Epoche,  durch  die  imposante  Vorhalle  auf 
Rustikapfeilern,  die  gruppierten  Fenster,  das  mächtige  Kranzgesimse,  vor  allem 
aber  den  großartig  aufgebauten  Giebel  prachtvoll  wirkend.  Bemerkenswert  ist 
namentlich  der  reiche  bildhauerische  Schmuck,  der  mit  einer  Justitia  in  der  Nische 
des  Hauptgeschosses  beginnt  und  auf  der  Spitze  des  Giebels  mit  einer  Figur 
der  Rehgion  endet. 

Die  Wohnhausfassaden  von  Neiße  haben  einen  Gesamt charakter,  der 
sich  ebensowohl  von  dem  Breslauer  wie  von  dem  Brieger  unterscheidet  und  den 
erfreulichen  Beweis  liefert,  daß  wir  es  in  allen  diesen  Städten  mit  selbständigen 
Bauschulen  zu  tun  haben  (Abb.  92).  Die  Neißer  Giebelfassaden  sind  weit  kräf- 
tiger durchgebildet  als  die  Breslauer  und  selbst  als  die  Brieger.  Sie  gehen  in  der 
plastischen  Durchbildung  noch  einen  Schritt  über  die  letzteren  hinaus;  wo  jene 
eingeblendete  Säulchen  anzuwenden  lieben,  findet  man  hier  markige  Pilaster,  oft 
wie  am  Rathause  hermenartig  nach  unten  verjüngt.  Dazu  kommen  in  der  Regel 
energisch  ausgebildete  Schnecken  am  Giebelrand.  Mehrfach  findet  man  aber  ein 
Giebelmotiv,  das  von  dieser  reicheren  Silhouette  Abstand  nimmt  und  die  steile 
Dachhnie  nur  durch  kleine,  mit  einem  Giebeldach  herausspringende  Baldachine 
für  die  einzelnen  Stockwerke  unterbricht.   Diese  ruhen  dann  auf  Pilastern,  welche 


1)  Bei  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  III,  1  u.  2. 


170 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Abb.  92  Häusergiebcl  aus  Neiße 


an  der  Giebelwand  fortgeführt  werden.  So  zeigt  es  ein  einfaches  Haus  in  der 
Bischofstraße  Nr.  72,  woran  sich  aber  der  Architelit  durch  ein  prächtiges  Portal 
schadlos  gehalten  hat.  Die  dorischen  Pilaster  und  der  abschließende  Giebel,  der 
in  der  Mitte  das  bischöfliche  Wappen  trägt,  sind  mit  Metallornamenten  und  fas- 
settierten  Quadern  dekoriert,  die  Bogenzwickel  mit  hübsch  gearbeiteten  Wappen 
gefüllt,  die  Seitenwände  nach  einem  in  der  deutschen  Renaissance  beliebten 
Motiv  als  Nischen  ausgebildet.  Man  liest  1592  und  den  Spruch:  „Benedic  domine 
domum  istam  et  omnes  habitantes  in  ea."  Dieselbe  Giebelform  findet  sich,  aber 
ohne  reichere  Zutaten,  am  Ring  Nr.  27  und  noch  an  vier  andern  Häusern  des 
Hauptplatzes.  Mit  gekuppelten  Pilastern  und  schwerbauchigen  Voluten  ist  das 
Haus  am  Ring  Nr.  6  dekoriert,  i)  Besonders  reich  gegliedert,  mit  derben  Gesimsen 
und  scharf  markierten  Voluten  sowie  energischen  Pilastern,  ist  die  Fassade  am 
Ring  Nr.  36.  Ein  schlichtes  Bogenportal  mit  fassettierten  Quadern  zeigt  Nr.  42 
daselbst.  Ein  ähnliches  Breslauerstraße  Nr.  3  im  derbsten  Stil  mit  Metallorna- 
menten und  Rustikaquadern.  Dieselbe  Behandlung,  zum  höchsten  Reichtum  ge- 
steigert, finden  wir  an  dem  hohen  Giebel  Breslauerstraße  Nr.  16,  mit  ganz  barock 
geschwungenem  Profil  und  stelenartigen  Pilastern,  alle  GUeder  mit  den  beliebten 
Metallornamenten  wirksam  überzogen.  Eine  der  größten,  derbsten  und  effekt- 
vollsten Fassaden,  in  derselben  Straße  Nr.  23,  wendet  an  sämtUchen  Pilastern 
die  Rustika  an  und  fügt  zwei  große  Lilien  als  Akroterien  hinzu.  Auch  der 
kleinere  Giebel  Nr.  18,  ebenda,  ist  in  ähnhch  ausdrucksvoller  Weise  behandelt. 
Eine  Breitfassade  sieht  man  dagegen  am  Ring  Nr.  32,  mit  zwei  einfachen  Rustika- 
portalen, der  große  Flur  mit  Gewölben  auf  Rustikapfeilern,  die  Rippen  und  die 
Gewölbeflächen  sehr  schön  eingeteilt  und  mit  Stuckornamenten  geschmückt.  Es 


1)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  100. 


Neiße  Öls 


171 


ist  aber  ein  später  Nachzügler,  denn  am  Portal  liest  man  1675.  Beiläufig  mache 
ich  noch  auf  das  gotische  Portal  Ring  Nr.  35  aufmerksam,  das  zu  einem  Haus- 
flur mit  feinen  gotischen  Rippengewölben  führt.  An  der  Wand  im  Flur  die  inter- 
essante Darstellung  eines  Jüngsten  Gerichts. 

Von  der  lebhaften  Bautätigkeit,  welche  gegen  Ausgang  unserer  Epoche 
hier  geherrscht,  zeugt  auch  das  Breslauer  Tor,  dessen  viereckiger,  gotischer 
Turm  durch  phantastisch  barocke  Giebel  auf  allen  Seiten,  und  dazwischen  durch 
halbrunde  Aufsätze  mit  Zinnen  in  höchst  malerischer  Weise  geschmückt  ist. 
Ein  Prachtstück  kunstvoller  Eisenarbeit  endlich  ist  der  völlig  mit  schmiedeeiser- 
nem Gehäuse  auf  rundem,  steinernem  Unterbau  umschlossene  Ziehbrunnen 
der  Breslauer  Straße.  Man  liest  daran:  Aus  Beheben  eines  loblichen  Magistrats 
machte  mich  Wilhelm  Helleweg,  Zeugwarter,  anno  1686.^)  Trotz  dieses  späten 
Datums  herrscht  hier  noch  eine  meisterliche  Technik,  die  sich  mit  Reichtum  der 
Phantasie  in  dem  trefflichen  Rankengeflecht  und  phantastisch-figürhchen  Ele- 
menten verbindet.  Das  Werk  wird  durch  Vergoldung  noch  gehoben.  Ein  recht 
tüchtiges  Gitter  vom  Jahre  1627,  freilich  bei  weitem  nicht  von  diesem  Reichtum, 
umgibt  in  der  Pfarrkirche  den  Taufstein.  Auch  mehrere  Kapeflen  sind  mit 
guten  Eisengittern  dieser  Zeit  geschlossen. 

Öls 

Während  von  den  bedeutendsten  Bauwerken  der  Frührenaissance  in  Schle- 
sien, den  Schlössern  zu  Liegnitz  und  Brieg,  nur  Bruchstücke  auf  uns  gekommen 
sind,  hat  sich  das  ansehnliche  Schloß  in  Öls,  gewisse  Umgestaltungen  abge- 
rechnet, als  das  hervorragendste  Denkmal  der  folgenden  Epoche  unberührt  er- 
halten. Im  wesentlichen  verdankt  es  seine  Entstehung  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts.  Das  innere  Haupttor  wurde  laut  Inschrift  durch  Herzog  Johann 
von  Münsterberg -Öls  (f  1565)  im  Jahre  1559  begonnen  und  1562  fertiggestellt; 
der  weitere  Ausbau  des  Schlosses  rührt  vom  Herzog  Karl  IL,  der  bis  1616  es 
vollendete  ^)  (Abb.  93). 

Nähert  man  sich  von  der  südöstlichen  Seite,  so  gelangt  man  über  den 
alten  breiten  Schloßgraben  zu  dem  äußeren  Prachtportaie,  das  mit  1603  be- 
zeichnet ist,  also  zu  den  durch  Karl  IL  hinzugefügten  Teilen  gehört.  Es  ist 
ein  kraftvoll  und  reich  ausgeführtes  Rustikawerk,  dessen  Quaderstreifen  mit 
Kristall  schnitten  und  Mustern  bedeckt  sind,  wie  sie  in  Nieder  deutschland,  insbe- 
sondere an  der  Unterweser  zu  Hause  sind.  Prunkvoll  barock  ist  der  krönende 
Aufsatz,  in  welchem  zwei  schreitende  Löwen  drei  elegant  behandelte  Wappen 
halten.  Dazwischen  schlingen  sich  Fruchtschnüre,  wechselnd  mit  Masken,  Löwen- 
köpfen, Schnörkelwerk  und  begleitet  von  aufgesetzten  Pyramiden.  Das  Ganze 
eine  flotte  Komposition  im  Sinne  jener  Zeit  von  treff'licher  Ausführung,  offenbar 
von  einem  niederdeutschen  Meister,  etwa  aus  der  Bremer  Gegend.  Im  Friese  der 
Spruch:  „Wo  Got  nicht  selbst  behut  das  haus,  so  ists  mit  unsrem  Wachen  aus." 
Der  hinter  diesem  Vorbau  aufragende  Teil  des  Schlosses  wird  an  der  Ecke  zur 
Rechten  von  einem  runden  Erkerturm,  der  durch  alle  Geschosse  reicht  und  mit 
Bogenfenstern  durchbrochen  ist,  abgeschlossen.  Zur  Linken  springt  ein  recht- 
winkliger Erker  vor.  Durch  den  Torweg  eintretend,  wo  man  1563  und  die  Buch- 
staben A.  G.  D.  E.  liest,  gelangt  man  zu  einem  zweiten  Portalbau,  der  aus  einem 
Torbogen  und  einem  rechteckigen  Seitenpförtchen  besteht.  Dies  ist  das  frühere, 
unter  Herzog  Johann  samt  Wall  und  Graben  von  1559 — 62  ausgeführte  Werk, 
der  „Wittumstock".    Als  seinen  Erbauer  darf  man  wohl  Meister  Kaspar  Khun 

^)  Abb.  in  II.  Luchs,  Schlesiens  Vorzeit  II,  Tafel  1,  und  bei  Fritsch. 
2)  Abb.  bei  Lutsch,  Bilderwerk. 


172 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


bezeichnen,  den  wir  schon  in  Brieg  und  an  anderen  Orten  tätig  fanden,  und  von 
dem  wir  erfahren,  daß  er  sich  1561  in  Öls  aufhielt.')  Der  Torbogen  besteht  aus 
Quadern,  aber  die  Zwickel  sind  mit  schön  geschwungenem  Laubwerk  ausgefüllt 
(Abb.  94).  Auf  dem  Gesimse  steht  eine  Ritterfigur  zwischen  zwei  prächtigen 
Wappen,  darüber  eine  Inschrifttafel,    Ein  Durchgang,  mit  Tonnengewölbe  und 


T 


Abb.  93  Schloß  zu  Öls 


Slichkappen  bedeckt  (auf  unserer  Abb.  96  unter  dem  bei  A  gezeichneten  Gemach), 
führt  sodann  in  den  äußeren  Schloßhof,  wo  man  gleich  zur  Rechten  bei  B  einen 
turmartig  vorspringenden  Bau  mit  geschweiftem  Hochgiebel  und  kleinem  Bogen- 
portal  sieht.  Man  liest  da,  daß  Herzog  Karl  1616  am  23.  April  „diese  neu  erbaute 
Stiege  sammt  den  Gängen"  vollendete.  Es  ist  ein  kleines,  aber  in  ausgesuchter 
Eleganz  durchgeführtes  Werk.  Im  Innern  zieht  sich  um  einen  quadratischen  Kern 
die  Treppe  mit  rechtwinklig  gebrochenem  Lauf  empor.  Die  Verbindung  mit  dem 
Hauptgebäude  vermittelt  ein  gewölbter  Gang.  Sämtliche  Gebäude  zeigen  reiche 
Spuren  von  Sgraffiten  in  Quadrierungen  und  bunten  Linienspielen.  Von  hier  führt 
zur  Linken  ein  gewölbter  Torweg  bis  in  den  großen  Haupthof,  der  ein  fast  qua- 
dratisches Viereck  von  imposanter  Ausdehnung  bildet,  an  der  schmälsten  Stelle 
noch  über  30  Meter  breit.  Zur  Linken  tritt  ein  gewaltiger  runder  Hauptturm  D, 
an  dessen  Galerie  die  Jahreszahl  1608,  in  den  Schloßhof  vor. 


1)  Dr.  Wernicke  im  Anz.  des  Germ.  Mus.  1878  Sp.  204. 


Öls 


173 


Das  Interessanteste  der  durch  Größe  und  malerische  Abwechslung  ungemein 
anziehenden  Baugruppe  sind  die  Verbindungsgänge,  die  als  offene  Galerien  den 
Bau  begleiten  (Abb.  95).  Zur  Linken  laufen  auf  mächtigen  Steinkonsolen  in 
beiden  oberen  Geschossen  solche  Gänge  hin,  der  obere  durch  ein  auf  Holzsäulen 
ruhendes  Dach  geschützt.  Beide  setzen  sich  um  den  runden  Turm  fort,  und  der 
des  ersten  Stockes  zieht  sich  dann  am  vorderen  Flügel  H  als  Holzgalerie  hin, 
die  auf  dem  vortretenden  Mauerwerk  des  Erdgeschosses  ruht.  Eine  Freitreppe 
führt  bei  E  zum  Hauptportal 
des  hohen  Erdgeschosses  und 
zugleich  auf  einen  offenen  ter- 
rassenförmigen Gang,  der  sich 
an  dem  Flügel  F  hinzieht  und 
auch  hier  durch  eine  Treppe 
zugänghch  ist.  Am  Ende  die- 
ses Flügels  tritt  ein  viereckiger 
turmartiger  Vorbau  in  den  Hof 
vor.  Von  diesem  zieht  sich  wie- 
der eine  gemauerte  Terrasse  im 
Erdgeschoß  längs  des  Flügels 
G  hin,  die  dann  in  der  Ecke 
durch  eine  offene  Treppe  mit 
der  Galerie  des  ersten  Stockes 
zusammenhängt.  So  sind  in 
wohlberechneter  Weise  die  ein- 
zelnen Teile  der  ausgedehnten 
Anlage  miteinander  in  Verbin- 
dung gesetzt. 

Der  ganze  Bau,  in  Back- 
stein mit  Verputz  ausgeführt, 
ist  durch  schön  hergestellte 
Sgraffiten  überall  belebt  (Abb. 
93).  Die  architektonischen  For- 
men sind  durchweg  schhcht, 
aber  mit  sicherer  Meisterhand 
ausgeführt,  die  Rahmen  der 
Fenster  und  Portale  derb  qua- 
driert, auch  das  Hauptportal 
nur  in  einfacher  Rustika  mit 
dorischen  Pilastern  und  Tri- 
glyphenfries  behandelt.  Das 
Metallornament  der  Zeit  ist 
sparsam  verwendet.  Eine  kleine  Pforte  am  Turm  mit  gotischem  Stabwerk  zeugt 
für  das  höhere  Alter  dieses  Teiles.  Oberhalb  entwickelt  sich  der  Turm  acht- 
eckig mit  kräftiger  Galerie,  über  welcher  die  Spitze  mit  ihrer  doppelten  Aus- 
bauchung und  Laterne  aufsteigt.  Stattlich  wirken  die  hohen  Dachgiebel  an  den 
beiden  Hauptflügeln,  und  noch  reicher  muß  ursprünglich  der  AnbUck  gewesen 
sein,  als  auch  der  Flügel  F  seine  beiden  oberen  Galerien  noch  besaß.  Die  vor- 
gesetzten Dachgiebel  ziehen  sich  auch  am  Äußeren  des  linken  Flügels  hin.  Im 
Innern  ist  nichts  von  der  alten  Ausstattung  erhalten,  und  nur  der  große  Biblio- 
theksaal bemerkenswert.  Die  breiten  Gräben,  welche  das  ganze  Schloß  um- 
ziehen, sind  ausgefüllt,  und  ein  wohlgepflegter  Park  umgibt  den  malerischen 
Bau.   Die  Verbindung  mit  der  Schloß-  und  Pfarrkirche  wird  durch  einen  Bogen- 


Abb.  94  Hauptportal  dos  Schlosses  zu  Öls 


174  2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


Abb. 95   Schloßhof  zu  Öls 


Abb.  96   Grundriß  vom  zweiten  Stockwerk  des  Schlosses  zu  Öls 


gang  hergestellt.  Als  Meister  des  Baues  ist  durch  A.  Schultz  Hans  Lucas  er- 
mittelt worden.  1) 

1)  Abb.  bei  Luchs,  Scliles.  Fürsteiib.,  Taf.  226. 


01s 


175 


Abb.  97   Schloß  Grafenort 


In  der  Pfarrkirche  sind  einige  Grabdenkmäler  der  Zeit  bemerkenswert. 
Das  einfachere,  aus  einer  bloßen  Reliefplatte  bestehend,  ließ  1554  Herzog  Johann 
seinem  ein  Jahr  vorher  verstorbenen  Bruder  Georg  errichten.  Es  ist  eine  fleißige, 
aber  besonders  im  Figürlichen  handwerksmäßige  Arbeit;  der  Rahmen  der  Platte, 
welche  die  etwas  gespreizte  Reliefgestalt  des  Verstorbenen  trägt,  wird  durch 
reiche  Renaissance-Pilaster  mit  frei  komponierten  ionischen  Kapitellen  gebildet.^) 
Prächtiger  ist  das  Doppelgrab  des  baulustigen  Herzogs  Johann  (f  1565)  und 
seiner  1556  ihm  vorangegangenen  Gemahlin  Ghristina,  welches  der  Fürst  selbst 
wahrscheinlich  noch  bei  seinen  Lebzeiten  hat  errichten  lassen.^)  Er  berief  dazu 
einen  fremden  Künstler,  Johannes  Oslew  von  Würzburg,  der  sich  durch  eine  aus- 
führliche Inschrift  am  Monument  verewigt  hat.^)  Die  Figuren  sind  steif  und 
geistlos,  aber  die  Pilaster,  die  den  Sarkophag  auf  allen  Seiten  einfassen,  haben 

1)  Anzeiger  des  German.  Mus.  1882  Kr.  1. 

2)  Abbild.  Lutsch,  Bildwerk,  Taf.  228. 

3)  Luchs  a,  a.  0.  Bog.  22  a.  S.  4  gibt  die  Inschrift  nicht  ganz  fehlerfrei.  Sie  lautet :  Hec 

dvo  Monimienta  ducä  elaboravif  Joaes  Oslew  Wirczhurgeii  Franco. 


176  2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel  Schlesien 


zierlich  behandelte  Ornamente,  darin  phantastisch  Figürliches  mit  Rankenwerk 
sich  mischend. 


Abb.  98  Inneres  der  Schloßkirche  Carolath 


Von  hohem  Reiz,  der  Schloßanlage  zu  Öls  nahestehend,  doch  kleiner  an 
Umfang,  ist  die  zu  Grafen  ort  (Abb.  97).  Hier  aber  sind  die  Beziehungen  zu 
Böhmen  unverkennbar;  das  in  beträchtlicher  Hohlkehle  mit  Stichkappen  vor- 
tretende Hauptgesims,  die  langen  Reihen  von  kleinen  Giebeln,  die  durchgehende 
Sgraffitodekoraiion  des  Äußeren  rufen  ohne  weiteres  die  Erinnerung  an  das 
Schwarzenbergsche  Palais  zu  Prag  wach.  —  Nahe  dabei  das  anmutige  Schlößlein 
Ratschin,  ein  Bau  im  rechten  Winkel,  dessen  breiterer  Teil  mit  Zwillingsgiebel 


Sgraflitoschmuck  Türme 


177 


von  elegantem  Umriß  abschließt,  auch  einer  auffallenden  slawischen  Form.  Alle 
Flächen  wieder  mit  feiner  Sgraffitoverzierung  bedeckt;  vorwiegend  Quaderwerk. 
Schloß  Garolath^)  ist  wichtig  wegen  seiner  schönen  Kapelle,  die  auf  drei  Seiten 
mit  Bogengalerien  auf  dorischen  Steinsäulen  umzogen  ist  (Abb.  98).  Die  Brü- 
stungen zeigen  noch  gotisches  Mauerwerk;  die  ganze  Art  der  Behandlung  ist 
im  Lande  fremd,  erinnert  an  schwäbische  Art,  ebenso  das  an  Dietterleinsche 
Formen  anklingende  schöne  Portal.  Ein  giebelgeschmückter  Torbau  mit  Rustika- 
portal in  der  Art  dessen  zu  Öls  führt  zum  Schlosse.  —  InSächsisch-Haugs- 
d  o  r  f  ein  malerischer  Säulenhof  mit  zwei  Arkadengeschossen ;  reiche  Wappen- 
brüstung.^) 

Das  interessante  Portal  des  1580  erbauten  Schlosses  zu  Guhlau  bei 
Nimptsch')  ist  besonders  durch  seine  vollständige  Bemalung  wertvoll.  In  Kom- 
position und  plastischer  Ausstattung  allem  Anscheine  nach  von  geringerer  Be- 
deutung, wird  es.  wohl  ein  Werk  provinzieller  deutscher  Steinmetzen  sein.  Das 
Schloß  mit  Hof  und  einigen  Quergiebeln  steht  in  der  Erscheinung  den  genannten 
nah,  ist  aber  bescheidener.  Der  Schlösser  zu  Lindenau,  Hennersdorf, 
Kynsburg,  Schweinhaus,  Borganie  sei  wenigstens  mit  Namen  gedacht! 

Dem  hier  verbreiteten  Sgraffitoschmucke  der  Wände,  besonders  bei 
Schloßbauten,  ist  noch  ein  Wort  zu  widmen.  Auch  er  weist  nach  den  slawischen 
Nachbarländern,  insbesondere  nach  Böhmen  hin,  wo  wir  Gleiches  fanden.  Vor- 
wiegend handelt  es  sich  um  feine  und  sehr  wirkungsvolle  Nachbildung  von 
Quaderungen,  so  in  Öls  und  Graf  enort,  sodann  Einfügung  ornamentaler  Friese, 
horizontal  und  vertikal,  um  die  Fenster  und  an  anderen  passenden  Stellen ;  öfters 
werden  aber  auch  die  Wände  als  reine  Bilderwände  mit  figürlicher  Darstellung 
von  mancherlei  Inhalt  geschmückt;  dies  besonders  gerne  an  Giebeln,  wie  am 
Schlosse  zu  Pohlwitz,  zu  Grafenort;  an  Scheunenwänden  hat  sich  vielerlei  der 
Art  erhalten,  besonders  Prächtiges  zuTschocha,  auch  zu  Sächsisch-Haugsdorf 
ein  statthcher,  reich  gezierter  Scheunengiebel.'') 

Nicht  zu  vergessen  sind  die  vielen  prächtigen  Renaissance  türme  Schlesiens 
auf  Kirchen,  Rathäusern  und  Schlössern.  Lutschs  Bilderwerk  gibt  auf  seinen 
Tafeln  184—191  von  ihnen  eine  wahrhaft  prächtige  Übersicht.  Die  Städte  ge- 
winnen durch  diese  stolzen  und  malerischen  Bauwerke  erst  ihr  eigenartiges  Ant- 
litz, besonders  da  diese  keineswegs  den  im  übrigen  Deutschland  verbreiteten 
Typen  folgen.  Das  Ostland  und  die  slawische  Nachbarschaft  haben  da  ändernd 
emgewirkt.  Von  dem  flotten  spätgotischen  Rathausturm  zu  Neiße  an  bis  zu 
dem  eigenartigen  Backsteinbau  am  Rathause  zu  Patsch  kau,  den  mit  reich 
durchbrochenen  geschweiften  Spitzen  versehenen  zu  Jauer,  Ohlau,  Leobschütz, 
Glogau,  und  den  malerischen  Kirchtürmen  zu  Kosel,  Leobschütz,  den  Doppel- 
türmen zu  Stolz,  dem  kraftvoll  abgestutzten  zu  Patschkau  haben  sie  alle  eine 
ganz  besondere  Art,  die  häufig  verstärkt  wird  durch  Zinnen-  oder  Giebelreihen 
klemen  Maßstabes  nach  böhmischer  Manier.  — 


Die  Oberlausitz 

Aufs  nächste  zugehörig  zu  Schlesien  in  politischen  Schicksalen  und  Kultur- 
entfaltung ist  die  Lausitz.  Namentlich  in  der  hier  zu  betrachtenden  Epoche 
finden  wir  auch  sie  (seit  dem  14.  Jahrhundert)  bei  der  Krone  Böhmen,  der  sie 
während  der  Hussitenkriege  treu  bheb,  obwohl  sie  dafür  die  Verheerungen  durch 

1)  Lutsch,  Bilderwerk,  Taf.  87,  1,  Taf.  82,  86,  106. 

2)  Daselbst  Taf.  96. 

3)  Bei  Luchs,  Schles.  Vorzeit  II,  Taf.  29. 

4)  Lutsch  a.  a.  0.  Taf.  96.  Man  vergleiche  da  die  Tafeln  103,  104. 
Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  12 


j^YS  2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel   Die  Oberlausitz 

die  wilden  hussitischen  Scharen  auf  sich  zog.  Später,  1467,  ergab  sie  sich  frei- 
willig dem  mächtigen  Schutze  des  Königs  Matthias  von  Ungarn,  erneuerte  aber 
zugleich  den  alten  Bund  der  Sechsstädte,  die  durch  festes  ZusaramenschHeßen 
mächtig  und  blühend  dastanden  und  sich  große  Freiheiten  zu  erringen  wußten. 
Nach  Matthias  Tode,  1490,  bUeben  die  beiden  Markgrafschaften  der  Ober-  und 
Niederlausitz  bei  Böhmen  und  teilten  während  der  schicksalsschweren  Zeiten  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts  das  Los  der  übrigen  deutschen  Gebiete  Österreichs. 
Die  hohe  Blüte  des  materiellen  Lebens,  welche  die  durch  Handel  und  Gewerbe 
mächtigen  Städte  erreicht  hatten,  wirkte  zugleich  günstig  auf  die  geistigen  Be- 
strebungen ein.  Die  Städte  der  Lausitz  treten  früh  und  entschieden  der  Refor- 
mation bei  und  haben  dafür  von  den  Habsburgern  schwere  Drangsale  zu  be- 
stehen. Nicht  minder  früh  nehmen  sie  die  neue  Kunstweise  der  Renaissance  auf 
und  prägen  sie  in  einer  Anzahl  von  Denkmalen  aus.  Namentlich  gilt  dies  von 
Görlitz,  dessen  Denkmäler  für  die  Geschichte  der  Renaissance  in  Deutschland 
hervorragenden  Wert  haben.  Schon  früher  wußte  die  Stadt  in  charaktervollen 
Monumenten  Zeugnisse  einer  gewissen  Großartigkeit  ihrer  monumentalen  Gesinnung 
hinzustellen.  In  dem  gewaltigen  Kaisertrutzturm,  der  fünfschiffigen  Peterskirche 
mit  ihrer  herrlichen  Raumwirkung  und  so  manchem  anderen  Denkmal  des  Mittel- 
alters spricht  sich  die  frühe  Bedeutung  der  mächtigen  Stadt  aus.  Erst  durch 
den  unglückhchen  Ausgang  des  schmalkaldischen  Krieges,  an  dem  sie  sich  mann- 
haft beteiligte,  wurde  ihre  Kraft  gebrochen.  Sie  verlor  25  Dorfschaften,  mußte 
ihr  ganzes  Kriegsmaterial  ausHefern  und  eine  bedeutende  Summe  zahlen. 

Zu  den  erfreulichsten  Werken  der  Renaissance  in  Deutschland  gehören  die- 
jenigen Teile,  welche  die  Stadt  in  dieser  Epoche  ihrem  mittelalterlichen  Rat- 
haus hinzufügen  ließ.  Noch  1512-19  hatte  man  den  Turm  errichtet,  als  dessen 
Erbauer  der  Steinmetzmeister  Albrecht  und  Stadtzimmermeister  Jobsten  genannt 
werden.  Nach  1519  werden  wieder  Arbeiten  am  Turm  und  den  anstoßenden 
Teilen  vorgenommen,  wobei  Wendel  lioßkopf  als  Maurer-  und  Steinmetzmeister 
beschäftigt  ist.  Beim  Umbau  der  Nikolaikirche,  den  er  ebenfalls  leitete,  wird  von 
ihm  gesagt,  er  habe  den  Bau  nach  dem  Rate  des  Meisters  Benedix  zu  Böhmen, 
obersten  Werkmeisters  des  Schloßbaues  zu  Prag,  seines  Lehrmeisters,  ausgeführt. 
Ohne  Fracke  ist  dies  Benedikt  von  Ried,  von  dessen  Wirken  S.  93  und  100  die 
Rede  war°  ein  Zeugnis  für  den  Einfluß,  den  die  böhmische  Bauschule  damals 
auf  die  benachbarten  Gebiete  ausgeübt  hat.  In  der  einspringenden  Ecke  zwischen 
dem  Turm  und  dem  anstoßenden  Seitenflügel  wurde  nun  beinahe  zwanzig  Jahre 
später  (1537)  eine  Freitreppe  angelegt,  die  mit  geschickter  Ausnutzung  des  engen 
Raumes  in  gewundenem  Laufe  zum  Hauptportal  emporlührt.  Vor  dem  Eingänge 
mündet  sie  zur  Linken  auf  einen  Balkon,  der  zur  Verkündigung  von  Sentenzen 
und  Verordnungen  bestimmt  war.  Die  Bedeutung  des  Gebäudes  aber  spricht  auf 
schlanker  Säule  am  Aufgange  der  Treppe  eine  Juslitia  mit  Wage  und  Schwert 
aus  (Abb  99).  Die  ganze  Komposition,  zu  der  noch  als  Abschluß  das  Fenster 
über  dem  Portal  gehört,  findet  an  Reiz  malerischer  Gestaltung  und  Schönheit  der 
Ausführung  unter  den  gleichzeitigen  Denkmalen  Deutschlands  kaum  ihresgleichen. 
An  der  Brüstung  des  Balkons,  der  auf  einer  originellen  Stütze  ruht,  smd  Sirenen 
gemeißelt.  Nicht  minder  anmutig  ist  die  Säule  der  Justitia  mit  emer  Harpyie 
und  einer  nach  Dürer  ausgeführten  Fortuna,  sowie  mit  Fruchtschnüren  geschmückt, 
während  das  Kapitell  köstliche  Masken  zeigt.  Überall  ist  das  Ornament  smd  die 
feinen  GHederungen  ebenso  schicklich  verteilt  wie  vollendet  ausgeführt.  Da 
Wendel  Boßkopf  von  1518-55  Werkmeister  der  Stadt  war,  so  hat  man  meist  an- 
genommen, daß  er  diesen  vornehmsten  städtischen  Bau  ausgeführt  hat,  doch 
geben  die  herzUch  ungeschickten,  mit  seinem  Namen  bezeichneten  Arbeiten  auf 
dem  Gröditzberg  zu  den  stärksten  Zweifeln  daran  Anlaß.  Es  muß  da  abgewartet 


Görlitz  279 


Abb.  99   Eathaustreppe  zu  Görlitz 


werden,  ob  die  archivalische  Forschung  nicht  noch  den  Namen  des  richtigen 
großen  Künstlers  zutage  fördert,  der  auch  der  Schöpfer  des  Rybisch-  und 
Saurschen  Grabmals,  wie  des  Hauses  in  der  Junkergasse  zu  Breslau  sein  dürfte. 
An  der  Brüstung  liest  man  die  Jahreszahl  1537.  —  Es  ist  ein  Ganzes  von  un- 
übertroffener Pracht,  stärkster  Originalität  und  erstaunlicher  Frische.    An  ober- 


180 


2.  Buch   Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel   Die  Oberlausitz 


italienische  Weise,  die  man  hier  stets  zu  finden  glaubte,  erinnern  höchstens 
die  runden,  in  die  Pilaster  eingelegten  Marmorscheiben,  Art  und  Charakter  des 
übrigen  aber  weit  eher  an  französische  Werke  jener  Zeit.  Das  einzelne,  so  die 
Konsolen  über  dem  Türbogen,  stimmt,  trotz  ganz  erheblicher  Fortschritte,  hin- 
reichend mit  dem  Portal  am  Liegnitzer  Schlosse  überein,  daß  wir  an  den  gleichen 
Meister  denken  dürfen.  Und  dorthin  soll  ein  Meister  aus  Brabant  berufen  worden 
sein;  die  vier  Jahre  seit  1533  könnten  diesen  wohl  so  weit  gefördert  haben,  daß 
er  zu  einer  Leistung  wie  in  Görlitz  fähig  geworden  wäre.  Aus  derselben  Zeit 
datiert  der  kleine  Hof  im  Innern  des  Rathauses,  auf  einer  Seite  mit  einer  Bogen- 
galerie  auf  Pfeilern,  darüber  eine  Teilung  durch  Pilaster  mit  Trophäen,  Ornament- 
bändern, Blumen  und  dergleichen,  bezeichnet  1534;  auch  hier  sind  die  Ähnlich- 
keiten mit  Werken  der  vorhergehenden  Zeit  in.  Frankreich  sehr  stark. 

Dagegen  gehört  der  ebendort  befindliche  Erker  auf  zwei  kolossalen,  kurzen 
achteckigen  Pfeilern  mit  seltsam  gebildetem  ionischem  Kapitell  einer  späteren 
und  derberen  Behandlungsweise  an,  die  sich  auch  in  dem  übertrieben  kräftigen 
Eierstab  zu  erkennen  gibt.  Kannelierte  koriiithisierende  Pilaster  säumen  die 
Ecken,  kleinere  ionische  Pilasterstellungen  rahmen  die  Fenster  ein.  Man  liest 
denn  auch  die  Jahreszahl  1564.  Wahrscheinlich  ein  Werk  des  jüngeren  Wendel 
Roßkopf,  der  als  Nachfolger  seines  Vaters  bis  1576  als  Stadtbaumeister  vorkommt. 
Im  Innern  hat  der  Erker  ein  spätgotisches  Rippengewölbe.  Hier  saß  ehemals  das 
Blutgericht  und  verkündete  dem  Verurteilten,  der  rechts  die  enge  Treppe  hinab- 
geführt wurde,  seinen  Spruch,  der  dann  im  Hofe  selbst  vollstreckt  wurde.  Es  ist 
ein  unheimliches  Lokal,  durch  die  vergitterten  Kerkerfenster  ringsum  noch  düsterer. 
Derselben  Zeit  gehören  noch  andere  Teile  der  inneren  Ausstattung:  zunächst  in 
einem  Zimmer  eine  Holzdecke  von  1568,  von  der  schönsten  Teilung  und  GUederung, 
das  Schnitzwerk  von  geringerem  Wert,  aber  die  eingelegten  Ornamente  köstlich. 
Dies  Prachtstück,  durch  den  Tischler  Franz  Marqitirt  und  den  Maler  Paul  Riese 
ausgeführt,  wurde  erst  1872  wieder  entdeckt.  Von  1566  datiert  sodann  der 
Magistratssaal,  ebenfalls  mit  trefflicher,  obwohl  einfacherer  Holzdecke,  reicher 
Wandbekleidung  und  prächtigem  Portal  von  demselben  Meister  Marquirt.  Auch 
dieser  dürfte  seine  Schulung  im  Südwesten  erhalten  haben;  die  reiche  Komposition 
der  Tür,  die  auf  beiden  Seiten  von  je  drei  dorischen  Säulen  gefaßt  ist,  um  die 
prächtig  geschnitzte  Wappen-Lünette  zu  tragen,  darüber  kräftiges  dorisches  Ge- 
bälk, erinnert  wohl  an  fränkische  Arbeiten  der  Art.  Das  Ganze  ist  mit  drei 
Säulen  bekrönt,  einen  Flachgiebel  tragend,  zwischen  sich  Bögen  mit  Hausmarken 
fassend.  Die  Einteilung  der  Täfelung  mit  freistehenden  korinthischen  Säulen  ist 
freilich  fremdartig,  um  so  mehr,  als  darauf  je  ein  geschnitztes  Figürchen  steht; 
auch  hat  die  architektonische  Komposition  dieser  Teile  etwas  Unsicheres.  Doch 
ist  das  Ganze  prächtig  und  fein  von  Wirkung.  Die  zweite  Tür  zeigt  eine  steinerne 
Einfassung  aus  spätgotischer  Zeit,  mit  einem  Ghristuskopf  und  kleinen  Engeln. 
Erwähnen  wir  noch  ein  kleines  Steinportal  im  Innern,  das  im  Charakter  des 
äußeren  Hauptportals,  aber  einfacher  durchgeführt  ist,  so  haben  wir  das  Wesent- 
lichste berührt. 

Viel  früher  noch  als  am  Rathause  tritt  die  Renaissance  hier  an  Privat- 
y  bauten  auf.  Das  erste  Beispiel  bietet  das  Haus  Brüderstraße  Nr.  8,  das  mit  einer 

fh'^U^L^  vorspringenden  Ecke  sich  gegen  den  Untermarkt  fortsetzt.    Wie  mit  Nachdruck 

hat  der  Meister,  als  wäre  er  sich  der  Bedeutung  dieses  frühen  Datums  bewußt, 
zweimal  daran  die  Jahreszahl  1526  angebracht.  Die  ganz  oben  hinzugefügte 
Zahl  1617  kann  sich  nur  auf  einzelne  spätere  Zusätze  im  Obergeschoß  beziehen. 
Dieses  Haus  sowie  die  ganze  damit  zusammenhängende  Gruppe,  welche  den 
Markt  und  die  anstoßenden  Straßen  umzieht,  verdankt  die  Entstehung  einem  ver- 
heerenden Brande,  der  1525  diese  Stadtteile  einäscherte.  Auffallend  ist  und  bleibt 


Görlitz 


181 


aber,  daß  dabei  so  früh  und  in  solchem  Umfange  die  Renaissanceformen  zur  Ver- 
wendung kommen.  Denn  allem  Anscheine  nach  tritt  an  der  Fassade  dieses  Hauses 
zum  ersten  Male  die  Behandlung  ein,  die  dann  an  einer  großen  Anzahl  anderer  Häuser 
im  wesentHchen  übereinstimmend  wiederholt  wurde.  Die  in  Höhe  und  Breite  un- 
regelmäßigen Fenster,  zu  zweien  und  dreien  gruppiert,  erhalten  nämhch  die  charak- 
teristischen rechtwinklig  verkröpften  Rahmen  der  Renaissance;  zugleich  aber  wer- 
den sie  in  ein  System  von  Pilas^tern  eingefügt,  das  dann  die  ganzen  Fassaden  in 
ebenso  klarer  als  lebensvoller  Weise  gliedert.  Es  tritt  also  hier  eine  ungewöhnlich 
starke  Aneignung  von  Re- 
naissanceformen frühzeitig 
ein  und  führt  zu  einer  an- 
tikisierenden Behandlungs- 
weise,  die  indes  nichts  von 
der  schulmäßigen  Nüchtern- 
heit der  späteren  Zeit  hat. 
Damit  hängt  zusammen, 
daß  die  Reminiszenzen  an 
die  Gotik  schon  früh  fast 
völlig  beseitigt  sind.  —  Das 
rundbogige  Portal  bildet 
seine  abgeschrägten  Seiten- 
pfeiler zu  Ecknischen  mit 
Muschelwölbung  aus  und  ist 
in  allen  Teilen  reich  und  zier- 
lich ornamentiert.  Das  Da- 
tum 1617  ist  mit  seinem  klei- 
nen Schilde  ein  späterer  Zu- 
satz. DiePilaster  der  Fassade 
haben  kannelierte  Schäfte 
und  teils  ionische,  teils  eine 
Art  Kompositakapitelle.  An 
der  Ecke  gegen  den  Markt 
springt  ein  diagonal  gestell- 
ter Erker  vor,  dessen  Krag- 
stein mit  Zahnschnitten  und 
schlecht  verstandenen  Eier- 
stäben dekoriert  ist. 

Derselben  Zeit  wird  das  Haus  Brüderstraße  Nr.  11  angehören, 
eines  der  vortrefflichsten  Portale,  an  welchem  der  flache  Stichbogen 


Abb.  100   Portal  des  Hauses  Brüderstraße  11  in  Görlitz 


Es  zeigt  / 
als  Ent- 

lastungsbogen  über  dem  Halbkreis  des  Eingangs  hübsch  motiviert  ist.  Die  reiche 
Ornamentik,  Rosetten,  Akanthus  und  anderes  Laub  gehören  dem  besten  und 
kräftigsten  Stil  der  Frührenaissance.  Von  besonderem  Interesse  sind  die  per-  ' 
spektivisch  schräg  gestellten  einfassenden  Pilaster,  ganz  ähnlich  wie  am  Rathaus- 
fenster (Abb.  100).  Die  Fenster  im  Erdgeschoß  und  den  beiden  oberen  Stock- 
werken sind  in  ein  System  kanneherter  ionischer  Pilaster  eingefügt.  Im  Rahmen- 
werk der  Fenster  erkennt  man  nur  noch  schwache  Spuren  mittelalterlicher  Pro- 
filierung. Ganz  dieselbe  Behandlungsweise  zeigt  am  Untermarkt  der  Gasthof  zum 
goldenen  Baum  vom  Jahre  1538:  die  zu  zweien  gruppierten  Fenster  mit  demselben  .^W/vv, 
Rahmenprofil  und  den  gleichen  ionischen  Pilastern.  Da  das  Haus  gleich  der 
ganzen  Häuserreihe  am  Markt  Arkaden  besaß,  so  hat  der  Architekt  den  Spitz- 
bogen derselben  sich  dadurch  schmackhaft  gemacht,  daß  er  ihn  in  gewissen  Ab- 
ständen mit  kleinen  Voluten,  die  als  Krönung  ein  ionisches  Kapitell  haben,  unter- 


182 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel    Die  Oberlausitz 


brach.  Mit  der  stark  antikisierenden  Richtung  hängt  es  vielleicht  zusammen,  daß 
die  Görlitzer  Häuser,  ähnlich  den  Liegnitzern,  fast  niemals  den  Giebel  nach  der 
Straße  kehren.  Eine  der  seltenen  Ausnahmen  sieht  man  am  Untermarkt  Nr.  23, 
wo  die  Fenster  der  beiden  Hauptgeschosse  wieder  jene  streng  ionisierenden  Pilaster 
als  Umrahmung  haben,  während  schwache  Voluten  den  Giebel  beleben. 

Alle  diese  Fassaden  wiederholen  mit  geringen  Varianten  dieselben  Grund- 
züge. Man  erkennt 
eine  architektonische 
Tätigkeit,  die  inner- 
halb weniger  Jahr- 
zehnte, beherrscht  von 
einem  tonangebenden 
Meister,  den  alten  Tei- 
len der  Stadt  ihr  ge- 
meinsames Gepräge 
gegeben  hat.  Der  in- 
dividuellen Entfaltung 
ist  dabei  wenig  Spiel- 
raum gelassen.  Auch 
die  innere  Anordnung 
der  Häuser  wiederholt 
dasselbe  Motiv :  einen 
großen  Flur  mit  mäch- 
tigen Kreuzgewölben, 
der  offenbar  der  ge- 
meinsame Sitz  des 
Lebens  und  Verkehrs 
im  Hause  war.  Bis- 
weilen zieht  sich  eine 
Holzgalerie  vor  dem 
oberen  Geschoß  hin, 
zu  welcher  im  Flur 
dieTreppe  emporführt. 
Dagegen  sind  die  Höfe 
meist  eng  und  ohne 
Bedeutung.  An  den 
Eckhäusern  wird  mit 
Vorliebe  ein  diagonal 
gestellter  Erker  ange- 
bracht,   der  an  der 

Gliederung  der  Fassade  teilnimmt,  ein  Motiv,  welches  wir  in  Schlesien  nirgend 
fanden,  das  aber  im  mittleren  und  südlichen  Deutschland  sehr  beliebt  ist. 

Eine  etwas  abweichende  Behandlung  zeigt  das  Haus  am  Untermarkt  Nr.  24. 
Es  ist  ein  Eckhaus  mit  schräg  gestelltem  Erker;  die  ehemalige  Haustür  hat  un- 
gemein reich  dekorierte  korinthische  Pilaster  und  hübschen  Akanthusfries.  Die 
Gliederung  der  Fassade  bietet  die  Variante,  daß  nicht  die  Fenster,  sondern  die 
Wandfelder  mit  ionischen  Halbsäulen  (statt  der  sonst  herrschenden  Pilaster)  ge- 
gliedert sind.  Allein  die  gar  zu  lang  gestreckten  schmächtigen  Schäfte  geben  dem 
an  sich  wertvollen  Motiv  eine  verkümmerte  Erscheinung.  Am  Erker,  wo  toskanische 
Halbsäulen  auf  Untersätzen  angebracht  sind,  ist  das  Verhältnis  zusagender.  Solche 
Halbsäulen  kommen  dann  noch  einmal  Petersstraße  Nr.  17  vor,  jedoch  in  günsti- 
gerer Anordnung  als  Einfassung  der  Fensterreihen  in  den  drei  oberen  Geschossen. 


Abb.  101    Haus  Petersstraße  8  in  Görlitz 


Görlitz 


183 


Mehrfach  finden  sich  recht  zierUch  gearbeitete  Portale,  die  das  sächsisch- 
thüringische Motiv  der  Seitennischen  in  mannigfacher  Weise  aufgefaßt  und  ver- 
arbeitet zeigen.    Ein  sehr  elegantes  Petersstraße  Nr.  10  mit  reicher  Ornamentik: 
Blattranken,  Rosetten,  Köpfen  und  anderem  Figürhchen.  Im  Flur  dieses  Hauses 
ruhen  die  Kreuzgewölbe  auf  eleganter  korinthischer  Säule.    In  derselben  Straße 
Nr.  9  ein  kleines  Portal  von  schhchter,  aber  kraftvoller  Behandlung,   Ein  überaus 
elegantes,  reich  dekoriertes  ebenda  Nr.  8  vom  Jahre  1528,  also  wieder  zu  den 
frühesten  Werken  gehörend  (Abb.  101).    Es  wird  von  einem  Architrav  bekrönt, 
der  die  hier  an  allen  Portalleibungen  mit  Vorliebe  verwendeten  Rosetten  an  der 
Unterseite  hat  und  außer- 
dem    durch  Zahnschnitt, 
Eierstab  und  Herzblattfries 
fein  gegliedert  wird.  Dar- 
über erhebt  sich  ein  flaches 
Bogenfeld  mit  Muschelkan- 
nelierung;   in  den  Bogen- 
zwickeln Laubornament, 
nicht    gerade    fein,  aber 
lebendig.  Die  Fenster  haben 
hier  nicht  bloß  eine  Um- 
rahmung von  korinthischen 
Pilastern,  sondern  eine  kleine 
ionische  Säulen-  oder  Pi- 
lasterstellung  dient  den  paar- 
weise verbundenen  zu  einer 
weiteren  Teilung.  Die  Ecke 
des  Hauses  ist  merkwürdi- 
gerweise mit  drei  überein- 
ander schräg  gestellten  Pi- 
lastern,in  eigentümlicher  per- 
spektivischer Berechnung, 
dekoriert.  Auch  diese  Eigen- 
tümlichkeit, mehrere  Pilaster 
ohne  Gebälkunterbrechung 
einfach  aufeinander  zu  stel- 
len, weist  auf  Frankreich. 
In  derselben  Straße  Nr.  7  ist 
das  Portalmotiv  noch  ein- 
mal variiert  und  mit  einem 
Giebel  in  Verbindung  ge- 
bracht, alle  Flächen  reich  mit  Laubwerk  geschmückt.    Die  Jahreszahl  scheint 
hier  1534  zu  lauten.   Vom  Jahre  1556  datiert  eine  schöne  Fassade  am  Unter- 
markt Nr.  8,  jetzt  zum  Rathause  gehörig.    Sie  ist  weit  reicher  behandelt  als 
die  übrigen,  deren  Motiv  sie  ins  Zierhchere  zu  übersetzen  sucht.    Das  Portal 
(Abb.  102)  mit  seinen  elegant  dekorierten  Pfeilern  wird  von  frei  vortretenden, 
aber  etwas  mühsamen  korinthischen  Säulen  eingerahmt.    Sie  stehen  auf  hohen 
laubgeschmückten  Sockeln  und  tragen  ein  stark  vorspringendes  Gebälk,  das  an 
der  Unterseite  mit  Akanthuskonsolen  und  Rosetten  prächtig  dekoriert  ist,  am 
Fries  zierliche,  aber  etwas  dünne  Ranken  mit  Masken  hat,  in  der  Mitte  mit 
einem  weit  vortretenden  Kriegerkopf  prunkt.    Ein  kleines  Konsolengesims  bildet 
den  Abschluß;  in  den  Zwickeln  schweben  komisch  genug  Adam  und  Eva  ein- 
ander entgegen.    Die  ganze  Fassade  ist  außerdem  im  Erdgeschoß  und  den 


Abb.  102   Portal  des  Hauses  Untermarkt  8  in  Görlitz 


184 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel   Die  Oberlausitz 


beiden  oberen  Stockwerken  mit  Pilastern  gegliedert  und  die  Fenster  haben  aber- 
mals Pilaster  als  Einfassung. 

Alles  andere  überragt  aber  weit  die  prachtvolle  Fassade  der  Neißstraße 
Nr.  29.  Hier  sind  alle  drei  Geschosse  gegUedert  mit  korinthischen  Pilastern  der 
feinsten  Durchbildung,  ganz  mit  Ornamenten  bedeckt;  dazu  kommen  an  samt- 


Görlitz 


185 


liehen  Fensterbrüstungen  Reliefszenen  aus  dem  Alten  und  Neuen  Testament  in 
malerischer  Auffassung  auf  landschaftlichen  Gründen,  so  daß  keine  Fläche  un- 
verziert  geblieben  ist  (Abb.  103).  Die  ursprünghche  Haustür  öffnet  sich  mit  einem 
großen  Bogen,  der  von  eleganten  korinthischen  Säulen  mit  reich  ornamentiertem 
Schaft  eingefaßt  wird.  Selbst  die  Sockel  sind  reich  geschmückt,  am  Fries  aber 
zieht  sich  die  herrhchste  Akanthusranke  hin.  Die  ganze  Front  gehört  zu  den 
höchsten  Prachtstücken  unserer  Renaissance,  um  so  wertvoller,  da  sie  sich  von 
allen  barocken  Elementen  fernhält.  Im  Fries  ist  scheinbar  1571  zu  lesen;  man 
sollte  das  Werk  aber  für  früher  halten. 

Gerade  hier  tritt  nun  die  Anlehnung  an  französische  Vorbilder  besonders 
stark  hervor.  Eine  derartig  durchkomponierte  Fassade,  insbesondere  auch  so 
völlig  mit  skulpierter  Architektur  und  Relief  bedeckt  —  hierfür  ist  hervorragend 
charakteristisch  der  Skulpturenschmuck  der  Brüstungen  —  ist  nirgends  sonst  zu 
finden,  als  gerade  in  Frankreich.  Ich  erinnere  da  vor  allem  an  den  Hof  des 
Hotels  Bourgtheroulde  in  Ronen.  Auch  das  Architravprofil  um  die  Fenster  mit 
der  charakteristischen  Wiederkehr  und  die  Ornamentpilaster  weisen  dorthin. 

Wie  sehr  die  Pilasterarchitektur  hier  beliebt  war,  sieht  man  auch  an  dem 
großen  Bogen,  der  hinter  der  Klosterkirche  die  Straße  überwölbt.  An  der  Nord- 
seite ist  sein  Oberbau  mit  fein  dekorierten,  frei  korinthisierenden  Pilasterstellungen 
geschmückt. 

Von  ausgebildeten  Hofanlagen  habe  ich  nur  ein  Beispiel  gefunden.  Es  ist 
in  dem  Hause  Petersstraße  Nr.  4,  hinter  dessen  modernisierter  Fassade  man 
nichts  Interessantes  vermutet.  Der  schmale,  lange  Hof  ist  auf  drei  Seiten  mit 
Galerien  in  zwei  Stockwerken  (an  der  linken  nur  im  Hauptgeschoß)  umzogen, 
die  mittels  flacher  Stichbögen  auf  kolossalen  Graniikonsolen  ruhen.  Der  Anblick 
ist  höchst  malerisch  und  erinnert  an  den  Hof  des  Hauses  zur  Krone  in  Breslau. 

Auch  die  beiden  seitlichen  Vorhallen  der  Petrikirche  sind  hier  zu  erwähnen, 
die  in  äußerst  geschickter  Art  zwischen  die  Strebepfeiler  eingebaut  sind,  mit 
tragender  Mittelsäule  und  Pflaster  darüber;  die  Bögen  sind  in  echt  französischer 
Art  gegen  diese  und  die  Strebepfeiler  gespannt.  Die  Gewölbe  sind  mit  mannig- 
fach geschweiften  spätgotischen  Rippen,  zum  Teil  offen,  höchst  malerisch  durch- 
geführt, was  dem  Einblick  ganz  besonderen  Reiz  verleiht.  Die  nördliche  Halle 
trägt  das  Datum  1543.i) 

Was  nun  den  Renaissancebauten  in  Görlitz  ihre  besondere  Bedeutung  ver- 
leiht, ist,  daß  sie  ohne  Ausnahme  den  Charakter  der  Frühzeit  tragen  und  fast 
keine  Spur  der  späteren  barocken  Formen  zeigen.  Keine  Stadt  Deutschlands 
kann  sich  darin  mit  Görlitz  messen,  keine  vermag  eine  solche  Reihe  einfach  edel 
behandelter  Fassaden  der  Frührenaissance  aufzuweisen,  die  sich  gelegentlich  auch 
zu  reichster  Pracht  entfalten.  Wenn  wir  oben  gesehen,  daß  die  Blüte  der  Stadt 
durch  den  Schmalkaldischen  Krieg  geknickt  wurde,  so  wird  uns  dies  durch  die 
Monumente  bestätigt.  Sie  gehören  fast  sämtlich  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts an.  ■ — 

Noch  müssen  wir  kurz  der  Herkunft  dieser  Kunst  und  ihrer  anderweitigen 
Beziehungen  gedenken,  sowie  der  Frage  nach  dem  führenden  Meister  nähertreten, 
die  bisher  stets  mit  dem  mehr  zufälhg  gefundenen  Namen  Wendel  Roßkopf  be- 
antwortet zu  werden  pflegte. 

Ganz  offenbar,  wie  die  Stilvergleichung  ergibt,  fußt  diese  Görlitzer  Archi- 
tekturrichtung, zu  der  wir  noch  das  Rathaus  in  Löwenberg,  einige  Werke  in 
Breslau  (Grabmal  und  Haus  Rybisch,  Grabmal  Saur,  Gasthaus  zur  Krone),  das 


1)  Abgeb.  bei  Lutsch  a.  a.  0.  Taf.  80,  1.  Die  Südvorhalle  in  Deutsche  Renaissance,  Heft 
Görlitz,  Bl.  69. 


186 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIII.  Kapitel   Die  Oberlausitz 


Rathaus  in  Lauban,  das  Schloßtor  in  Liegnitz  zu  rechnen  haben,  auf  einer  aus 
dem  französischen  Westen  stammenden  Grundlage.  Jene  Überlieferung  von  einem 
Brabanter  Meister  bestätigt  diese  Beobachtung. 

Zu  diesen  Merkmalen  gehören  vor  allem  die  Fenster,  die,  mit  Ornament- 
pilastern  eingefaßt,  bei  ihrem  frühesten  Beispiel,  am  Rathaus  zu  Löwenberg  auch 
durch  Kreuzpfosten  geteilt  sind.  Solche  Fenster  kommen  in  der  französischen 
Renaissance  des  zweiten  bis  vierten  Jahrzehnts  des  16.  Jahrhunderts  zahllos  an 
Schlössern  wie  an  Rat-  und  Privathäusern,  vor.  Die  eigentümlichen  Bogensysteme, 
wie  sie  in  Görlitz  so  häufig  sind,  mit  auf  die  tragenden  Pfeiler  oder  Säulen  gestellten 
Pilastern,  zwischen  die  sich  die  Bögen  spannen  —  diese  öfters  mit  Konsolen- 
reihen durchschnitten  — ,  sind  ebenfalls  in  Frankreich  am  Äußeren  von  Gebäuden 
wie  in  Kirchen  zu  Hause.  Die  Kandelaber  als  Stützform  ebenfalls;  die  breiten 
Konsolen,  wie  sie  hier  zum  Tragen  von  Bögen,  Architraven  (vgl.  Liegnitzer 
Schloßtor)  verwandt  werden,  sind  in  Frankreich  in  ganz  ähnlicher  Verwendung, 
besonders  unter  stark  vortretenden  Hauptgesimsen,  häufig.  Das  Übereinander- 
stellen  von  Pilastern,  so  an  Gebäudeecken,  ebenso.  Zuletzt  gibt  es  eine  völlige 
Durcharbeitung  von  Pilasterfassaden,  wie  die  in  der  Neißstraße  zu  Görlitz,  die 
durchgeführten  figürlichen  Reliefs  der  Brüstungen  u.  dgl.  nur  in  Frankreich. 

Da  sich  diese  Einwirkung  nun  aber  über  einen  Zeitraum  von  etwa  fünfzig 
Jahren  erstreckt,  so  darf  man  offenbar  von  einer  Künstlerpersönlichkeit  nicht 
reden;  es  handelt  sich  vielmehr  sicher  um  mehrere,  eine  Art  Schule,  in  der  ein 
bestimmter  Meister  allerdings  tonangebend  gewesen  sein  muß,  dem  das  Liegnitzer 
Schloßtor,  das  Görlitzer  Rathaus,  die  Arbeiten  für  Rybisch,  sowie  eine  Reihe  der 
besten  Görlitzer  Fassaden  oder  Portale  zuzuschreiben  sind,  etwa  in  der  Zeit 
1533—39.  Doch  kommen  Spätlinge  dieser  Hand  noch  1557  vor.  Ihm  erwuchsen 
Nachfolger  derselben  Richtung,  die  sich  in  Frankreich  wohl  verschiedentlich  neue 
Anregung  geholt  haben  müssen,  deren  bedeutendster  der  Architekt  des  Hauses 
der  Neißstraße  war. 

Daß  W.  Roßkopf  jener  führende  Meister  war,  dafür  sind  bis  heute  keine 
Anhaltspunkte  gefunden;  er  wird  vielmehr  als  Schüler  des  der  Renaissance  ganz 
fernstehenden  Prager  Meisters  Benedikt  bezeichnet,  und  keines  jener  Hauptwerke 
ist  als  seine  Arbeit  beglaubigt,  seine  sicheren  Werke  aber  besitzen  nichts  von 
jener  Vollendung.  Obendrein  ist  das  letzte  der  uns  hier  beschäftigenden  Werke, 
das  Portal  Langestraße  3,  mit  der  Jahreszahl  1557  bezeichnet,  da  Roßkopf 
doch  schon  155G  verstorben  war.  —  Also  wird  Roßkopfs  maßgebende  Stellung  in 
dieser  Schule  doch  mindestens  zweifelhaft  bleiben,  solange  nichts  Zuverlässiges 
hierüber  bekannt  wird. 

Doch  ist  hier  zu  betonen,  daß  es  sich  bei  jenen  besten  Werken  der  Gör- 
litzer Richtung  nirgends  um  einfache  Übertragung  der  welschen  Architektur 
handelt,  sondern  daß  insbesondere  der  führende  Meister  jene  Anregungen  zu  immer 
selbständiger  werdenden  Werken  echt  deutschen  Charakters,  die  man  als  Holbein 
künstlerisch  nahestehend  bezeichnen  dürfte,  durchgearbeitet  hat.  Auch  das  Orna- 
ment bleibt  völlig  frei  vom  fremden  Vorbilde,  entwickelt  sich  vielmehr  zu  einem 
echt  deutschen,  sogar  häufig  überderben  malerischen  lappigen  Laubwerk,  dem 
nichts  mehr  von  französischer  Grazie  und  eleganter  Zartheit  eigen  bleibt. 

Vielmehr  sei  es  nochmals  betont:  Gerade  diese  Arbeiten,  obwohl  auf  fremder 
Grundlage  erwachsen,  werden  zu  völlig  und  echt  deutschen  und  gewinnen  gerade 
in  hervorragendem  Maße  den  Stempel  jener  liebenswürdig  malerischen  deutschen 
frühen  Renaissance,  jene  intimen  Reize,  die  uns  an  den  besten  deutschen  Arbeiten 
des  ersten  Drittels  des  16.  Jahrhunderts  so  sehr  entzücken;  und  gerade  sie  sind 
deshalb,  wie  sie  sich  auf  ihrer  Entwicklungsbahn  gestaltet  haben,  ein  besonderer 
Stolz  unserer  nationalen  Baukunst. 


Görlitz  Zittau 


187 


Noch  sei  eines  besonderen  Merkmales  aller  dieser  Architekturen  gedacht, 
das  sie  ganz  besonders  kenntlich  macht.  Es  ist  die  Anwendung  ganz  weniger 
Kannelüren,  deren  unterer  Teil  mit  sogenannten  Pfeifen  ausgefüllt  ist;  an  jeder 
beliebigen  Stelle.  Insbesondere  an  Sockeln,  geraden  und  runden,  sodann  an 
Pilasterschäften.  Daß  in  letzteren  meistens  nur  zwei  solcher  Riefen  auftreten, 
ist  weniger  schön,  als  höchst  charakteristisch,  aber  doch  zu  dem  einmal  ange- 
schlagenen Tone  recht  wohl  passend.  Diese  Hohlkehlen  mit  Pfeifen  spielen  denn 
auch  nicht  selten  ins  Sächsische  hinüber,  in  der  Zeit  der  dreißiger  und  vierziger 
Jahre;  ich  mache  da  das  Georgentor  zu  Dresden  und  den  berühmten  Erker  zu 
Torgau  namhaft.  Solche  und  ähnliche  Übertragungen  lassen  Beziehungen  zwischen 
der  schlesischen  und  sächsischen  Frührenaissance  vermuten,  wie  denn  auch  die 
schöne  Pilasterarchitektur  am  Schlosse  zu  Dippoldiswalde  der  Görlitzer  Richtung 
verwandt  erscheint.  Diese  Beziehungen  aufzuklären  muß  späterer  Forschung  vor- 
behalten sein. 

Nicht  unterlassen  darf  hier  werden,  nochmals  auf  die  Beziehungen  zur 
französischen  Frührenaissance  hinzuweisen,  die  sich  später  in  der  Architektur 
des  Schlosses  zu  Brieg  offenbaren,  und  die  vermutlich  mit  den  oben  berührten 
Görlitz-Breslauer  Eigentümlichkeiten  auf  eine  stärkere  Beziehung  dieser  Gegenden 
—  vermutlich  eher  ihrer  Fürstenhöfe  —  zu  Frankreich  schließen  lassen,  als  man 
dies  bisher  annahm.  Unter  der  Brieger  Künstlerschar  ist  der  Name  Peinet  sicher 
ein  französischer;  der  Name  Pahr  oder  Parr  möchte  ursprünglich  als  Parre  ge- 
lesen werden  dürfen;  und  der  Schwiegersohn  J.  Pahrs,  Bernh.  Niouron,  wenn  auch 
angeblich  aus  Lugano,  erinnert  in  seinem  Namen  doch  auffälhg  an  das  Nivernais; 
ich  bin  daher  geneigt,  nach  den  höchst  französischen  architektonischen  Formen 
der  Familie  Pahr,  anzunehmen,  daß  diese,  wenn  auch  aus  Mailand  und  Lugano 
gekommen,  doch  französischen  Ursprungs  sein  dürfte. 

Zuletzt  sei  einiger  unverkennbarer  Anklänge  an  die  Architektur  dieser 
Familie  im  Dresdener  Schloßhofe  gedacht,  die  später  zu  berühren  sind.  Zu- 
sammen mit  der  unbestrittenen  Tatsache,  daß  die  schönen  Treppenhäuser  daselbst 
deutliche  Nachbildungen  der  Ecktreppenhäuser  im  Schlosse  zu  Ghambord  sind, 
müssen  wir  auch  für  den  Dresdener  Hof  künstlerische  Beziehungen  zu  Frankreich 
annehmen,  wie  ja  politische  schon  zu  Zeiten  des  Herzogs  Moritz  bestanden.  In 
Berlin  stehen  die  Schloßbauten  seit  1538  in  unverkennbarem  Zusammenhang  zu 
Torgau,  tragen  aber  auch  einige  Spuren,  die  nach  Schlesien  weisen.  So  würde 
vielleicht  eine  künftige  architekturgeschichtliche  Forschung  in  diesen  Gebieten 
überall  die  erste  Einwanderung  der  Renaissance  als  aus  dem  Westen  kommend 
festzustellen  haben,  während  die  direkte  Einwirkung  Italiens  in  der  Hauptsache 
völlig  zurücktritt.*)  Daher  denn  auch  der  ganz  besondere  Charakter  der  Renais- 
sance in  diesem  Bereiche,  der  so  völlig  abweicht  z.  B.  von  dem  der  bayerischen 
und  österreichischen. 

Von  den  übrigen  Städten  der  Oberlausitz  ist  nicht  viel  zu  melden,  da 
diese  durch  vielfache  Unglücksfälle,  Brände  und  Belagerungen  größtenteils  ihre 
alten  Denkmäler  eingebüßt  haben.  Das  gewerbfleißige,  blühende,  heute  sächsische 
Zittau,  nebst  Görlitz,  Bautzen,  Camenz,  Löbau  und  Lauban  den  ehemahgen 
Sechsstädtebund  ausmachend,  der  sich  134G  zu  Schutz  und  Trutz  namentlich 
gegen  die  Raubritter  gebildet  hatte,  brannte  1757  infolge  eines  Bombardements 
durch  die  Österreicher  fast  ganz  nieder.  Hierdurch  wurde  die  Mehrzahl  der 
gewiß  sehr  reichen  Bauten  der  mächtigen  Stadt  zerstört,  namentlich  sind  die 
Werke  der  Renaissance  selten  geworden,  während  die  Gotik  noch  eine  stattUche 


1)  Man  beachte  die  vielfachen  kleinen  Anzeichen  französischer  Einwirkung,  so  die  hier 
verbreiteten  französischen  Devisen,  wie  sie  z.  B.  weiter  unten  bei  Althörnitz  erwähnt  werden. 


188 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIIL  Kapitel   Die  Oberlausitz 


Anzahl  tüchtiger  Arbeiten  aufzuweisen  hat.  Der  Renaissanceperiode  gehört  der 
graziöse,  fast  minarettartig  schlanke  Turm  der  Peter-Paulskirche  mit  „böh- 
mischer Haube",  1560  von  Zimmermeister  Michael  Francl-e  erbaut.  Einen 'voll- 
ständigen Umbau  erfuhr  Kirche  und  Kloster  im  17.  Jahrhundert  durch  den  Zittauer 
Zimmermeister  Valentin  (f  1668),  einen  auf  dem  Boden  der  Renaissance  stehenden, 
wenn  auch  den  barocken  Formen  seiner  Zeit  anhängenden,  überaus  genialen 
Künstler.  Derselbe  restaurierte  1659—61  die  Kirche,  indem  er  ihre  Pfeiler  mit 
antikisierenden  Kapitellen  und  Basen  versah,  ihren  Querschnitt  reich,  wenn  auch 
etwas  unklar  gliederte,  Gewölbe-Schlußsteine,  namentlich  aber  den  Triumphbogen 
mit  höchst  wirkungsvollem,  derbem  Stuckornament  überzog.  Ganz  in  seinem 
Geist  ist  auch  die  1668  vom  Tischler  Georg  Balms  und  dem  Bildhauer  Ha7is 
Buhenik  errichtete  malerische  Kanzel  gehalten.')  Von  hervorragender  Schön- 
heit ist  die  Fassade  des  schon  im  15.  Jahrhundert  errichteten  Bibliothek- 
gebäudes, des  einstigen  Refektoriums,  mit  grandiosem,  aus  drei  Systemen 
ionischer  Säulenstellungen  gebildeten  Giebel  von  vollen  und  reichen,  doch  durch- 
aus noch  nicht  schwülstigen  Formen.  An  den  Fenstergewänden  der  unteren 
Stockwerke  treten  die  barocken  Formen  der  Zeit  schon  hervor.  Die  prachtvollen 
Schmiedewerke  der  Erbbegräbnisse  des  alten  Klosterhofes  stammen  aus  der  Zeit 
von  1690—1710,  obgleich  sie  noch  durchaus  Renaissancemotive  zeigen.  In 
schlichten  Formen  ist  das  1580  erbaute  Gymnasium  gehalten;  bemerkenswert 
ist  nur  das  derb  rustizierte  Portal  mit  rauhem  Schlußstein  und  ein  an  den  Bau 
sich  anlehnendes,  namenthch  durch  den  Reichtum  der  Motive  ausgezeichnetes 
Grabmonument  mit  schönen  Rehefs.  Leider  ist  es  zurzeit  gänzlich  verwahr- 
lost und  geht  dem  Ruin  entgegen. 

An  kleineren  Werken  ist  der  1585  errichtete,  1667  und  1685  restaurierte 
Marktbrunnen  zu  nennen;  auf  seiner  derben,  von  Putten  umspielten  Säule 
steht  ein  Roland,  eine  handwerklich  tüchtige  Arbeit  von  malerischer  Wirkung. 
Ferner  die  prächtige  1620  errichtete  Kanzel  der  Frauenkirche,  ein  zierliches, 
reich  mit  Intarsien  geschmücktes  Werk  hochentwickelter  Tischlerkunst. 

Unter  den  Privathäusern  haben  sich  noch  einige  Beispiele  der  Renais- 
sance erhalten,  meist  durch  kräftig  profilierte  Bossage  gegliederte  schlichte  Bauten. 
Der  schwere  Erker  des  1553  erbauten,  stattlichen  Hauses  am  Johannesplatz 
dürfte  jüngeren  Datums  sein,  als  dieses  selbst.  Bemerkenswert  ist  ferner  das 
Haus  Weberstraße  Nr.  1. 

Ganz  im  Stil  der  Valentinschen  Bauwerke  ist  das  unweit  Zittau  gelegene 
höchst  interessante  Schloß  Althörnitz  gehalten.')  Anlage,  Grundriß,  das  De- 
tail des  Portales  und  der  Giebel  erinnern  vollständig  an  die  sächsischen  Bauten 
des  16.  Jahrhunderts,  abgesehen  von  der  breiteren,  krauseren,  lockereren  Be- 
handlung des  Details.  Die  Wirkung  ist  eine  durchaus  malerische.  Der  Bau 
wurde,  wie  zahlreiche  Inschriften  beweisen,  1651  für  den  Ritter  des  St.  Moritz- 
ordens, Christian  von  Hartig,  erbaut,  dessen  Devisen  „Paix  et  peu"  und  „Raison 
fait  maison"  an  Schlußsteinen  angebracht  sind. 

Geringe  Ausbeute  gewährt  Gamenz.  Doch  hat  sich  auf  d  em  Markt  ein 
Ziehbrunnen  erhalten,  mit  drei  toskanischen  Säulen,  Gebälk,  Wappen  und  der 
Justilia  darüber  in  etwas  trockenen  Formen  vom  Jahr  1570.  Ferner  enthält  der 
aus  verschiedenen  gotischen  Perioden  stammende  Dom  eine  wahre  Mustersamm- 
lung von  Formen  für  Gestühl  und  Emporeneinbau,  darunter  namentlich  herrliche 
Dekorationen  von  1560  in  Flettnerschen  Motiven  von  Intarsia-Imitation  durch 
Aufkleben  bedruckter  Papiere.  Die  Gesamtwirkung  die  denkbar  malerischeste  und 
von  hohem  Reiz. 


1)  Abb.  des  Kircheninneren.  Bau-  und  Kunstdenkni.  d.  Königr.  Sachsen,  Heft  30,  Beil.  V. 

2)  Abb.  b.Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Eenaissance. 


Laub  an  Bautzeu 


189 


Auch  Laub  an  bietet  nicht  viel,  da  die  Stadt  1659  durch  einen  verheeren- 
den Brand  eingeäschert  wurde.  Erhalten  hat  sich  jedoch  das  1539  erbaute  Rat- 
haus. Das  Erdgeschoß  enthält  eine  schöne  Halle  mit  reichem  Netzgewölbe  auf 
kräftigen  Rundpfeilern.  Im  Sitzungssaale  sind  die  Rippen  nach  Art  der  böhmi- 
schen spätgotischen  Denkmale,  z.  B,  des  Wladislawsaales  zu  Prag,  aus  Kurven 
im  Grundriß  zusammengesetzt.  Auf  einem  Pfeiler  am  Eingang  die  Inschrift:  „Im 
Jahr  1539  ist  der  pau  angevang".  Die  Türen  im  Innern  sind  in  zierhcher  Früh- 
renaissance mit  Blumen  und  Blattgewinden,  Reliefköpfen  u.  dgl.  geschmückt. 
Sie  sowohl  wie  die  reich  skulpierte  Fassade,  namentlich  das  zierUche  Tor  zum 
heutigen  Standesamt und  dasjenige  zum  Treppenturm,  sind  mehrfach  mit  Jahres- 
zahlen, welche  bis  1543  reichen,  versehen.  Der  Meister  gehört  entschieden  zur 
Görlitzer  Schule,  ist  sogar  vermutlich  der  vielbesprochene  unbekannte  Görlitzer 
Meister  selber.  Die  gleiche  spielende  Anmut,  die  Fülle  der  Motive  und  die 
weiche,  saftige  Behandlung  der  Blattformen  im  Ornament.  Im  Figürlichen  ist  er 
gleich  jenem  nicht  sehr  gewandt,  seine  Gestalten  sind  gedrungen,  oft  ungeschickt. 

Noch  weniger  findet  sich  in  Löh  au.  Nur  die  Nikolaikirche  besitzt 
Gestühl  aus  verschiedenen  Perioden,  zum  Teil  sehr  reizvoll  in  bunten  Farben 
gemaltes  Ornament.    Ferner  einige  nicht  gerade  wertvolle  Epitaphien. 

Auch  Bautzen  (obwohl  sächsisch,  doch  hierher  gehörig)  hat  durch  das 
Bombardement  im  Dreißigjährigen  Krieg  und  einen  großen  Brand  im  Jahre  1709 
fast  alle  alten  Denkmäler  eingebüßt.  Bemerkenswert  ist  das  noch  spätgotische 
Torhaus  des  Stadtschlosses  Ortenburg,  der  reiche  und  zierliche  Schornstein- 
aufbau des  Hofrichterhauses,  vor  allem  aber  die  prächtige  Reihe  der  Schloß- 
giebel an  der  Westfront,  um  die  Ecke  herumgeführt,  deren  Fläche  zwischen  den 
Fenstern  mit  drei  Halbsäulenordnungen  geghedert  und  mit  zackigem  Schnörkel- 
werk eingefaßt  ist.  Sie  stammen,  wie  einige  zum  Teil  figürlich-historische  Stuck- 
verzierungen im  Innern,  insbesondere  im  kurfürsthchen  Kammergemach,  aus  der 
Zeit  nach  1635,  wo  Kurfürst  Johann  Georg  I.  von  der  Lausitz  Besitz  ergriff. 
Einige  Grabsteinplatten  von  1594  und  1598  am  Dom  sind  zu  erwähnen.  Be- 
deutend der  Reichenturm,  ein  starker  kreisrunder  Befestigungsbau  mit  origi- 
nellem mehrseitigen  Aufsatz  aus  dem  18,  Jahrhundert.  An  dem  Turme  befindet 
sich  ein  mächtiges  Relief,  welches  Kaiser  Rudolf  II.  thronend  darstellt.  Zwei 
Engel  halten  die  Krone,  zwei  Krieger  stehen  zu  seilen  des  mit  dem  goldenen 
Vlies  und  reich  ornamentiertem  Krönungsmantel  geschmückten  Fürsten.  Das 
anscheinend  nach  einem  Siegel  gearbeitete  Bildwerk  zeigt  noch  gotisierende 
Motive  und  tüchtige,  wenn  auch  handwerklich  ausgeführte  Arbeit. 

Hier  in  Bautzen  tritt  wendisch-slawische  Art  verschiedenthch  in  die  Er- 
scheinung, insbesondere  an  den  reichen,  mit  Rundbögen  abgeschlossenen  zinnen- 
artigen Bekrönungen  der  Türme,  so  des  prächtigen  Rundturmes  der  höchst  male- 
rischen Wasserkunst,  und  auch  am  viereckigen  Eckturm  des  Schlosses.  Diese 
charakteristische  Bauweise,  die  einen  Hauptschmuck  der  Bauwerke  durch  reiche 
Architekturen  erzielt,  die  in  Reihen  über  dem  Hauptgesimse  sich  erstrecken,  tritt 
in  Schlesien  wie  in  Böhmen  sehr  häufig  auf. 

Der  prächtige,  mit  geschweifter  Kuppel  und  hoher  Spitze  bekrönte,  von  acht 
Dacherkern  umreihte  achteckige  Turm  der  Petrikirche  gehört  zu  den  eleganten 
Schöpfungen  der  späteren  Renaissance. 

Weiter  östlich  sei  noch  das  Rathaus  zu  Posen  genannt,  von  dem  Abb.  104 
nach  einer  Photographie  eine  Ansicht  gibt.  Die  prächtige  Doppelhalle  wurde 
1550  durch  einen  Italiener,  Gio.  Batt.  de  Quadt^o  aus  Lugano,  erbaut.  Der  Turm 
ist  mit  Ausnahme  der  phantastischen  hohen  Spitze  aus  dem  18.  Jahrhundert 
ebenfalls  italienisch,  jedenfalls  ein  von  nordischen  Turmanlagen  völlig  abweichen- 
1)  Abb.  bei  Lutsch,  a.  a.  0.  Taf.  94,  1. 


Abb.  104   Ratliaus  zu  Posen 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Posen    Schwedt  a.  0. 


191 


der  Bau.  Man  beachte  bei  diesem  nun  tatsächlich  verbürgten  bedeutenden  Werk 
eines  Oberitalieners  die  starke  Abweichung  von  der  Art  der  „italienisch"  sein 
sollenden  schlesischen  Bauwerke.  Gerade  diese  Vergleichung  mag  darüber  auf- 
klären, daß  ein  paar  italienische  Künstlernamen  unter  den  Mitwirkenden  bei  einem 
Bauwerk  keineswegs  dieses  zu  einem  rein  itahenischen  stempeln,  daß  sein  rein 
künstlerischer  Charakter  vielmehr  von  ganz  anderen  Einflüssen  abhängt. 


Abb.  105   Altar  der  Kathariuenkinlio  zu  Schwedt  a.  0. 


In  Schwedt  a.  0.  ist  die  prächtige  Ausstattung,  Kanzel,  Denkmäler,  vor 
allem  der  Altar,  der  Katharinen-Pfarrkirche  zu  rühmen  (Abb.  105),  alles  von  1580. 


192  2.  Buch    Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel   Die  Mark  Brandenburg 

In  die  Brandenburg  Ischen  Marken  scheint  die  Renaissance  nur  spär- 
hch  eingedrungen  zu  sein,  ohne  festen  Fuß  zu  fassen.  Eine  höhere  Kultur  hatte 
gerade  in  diesen  Landen  an  dem  rohen,  raublustigen  Adel  ein  unübersteigliches 
Hindernis,  und  noch  bis  in  den  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  fanden  die  Kur- 
fürsten genug  mit  Niederwerfung  des  übermütigen  Junkertums  und  Zerstörung 
der  Raubnester  zu  tun.  Erst  seit  Johann  Cicero,  der  zuerst  seinen  bleibenden 
Wohnsitz  in  den  Marken  aufschlug  und  sich  mit  den  Städten  zur  Ausrottung 
des  Raubadels  verband,  kehrte  dauernde  Ordnung  im  Lande  ein,  die  durch  den 
energischen  Joachim  I.  (1499—1535)  eine  festere  Begründung  erhielt.  Die  Stif- 
tung der  Universität  Frankfurt,  die  Einsetzung  des  Kammergerichts  zu  Berlin 
zeugen  von  der  umsichtigen  Fürsorge  des  Fürsten,  die  jedoch  in  seiner  Feind- 
sehgkeit  gegen  die  Reformation  eine  Schranke  fand.  Dagegen  gebührt  seinem 
Sohn  und  Nachfolger,  Joachim  II.  (1535—71),  der  Ruhm,  in  verständigem  Ein- 
gehen auf  die  Bedürfnisse  der  Zeit  und  des  Volkes  die  Reformation  zur  Durch- 
führung gebracht  zu  haben.  Auch  hier  geht  die  kirchliche  Erneuerung  des  Le- 
bens mit  dem  Umschwung  der  Kunst  Hand  in  Hand:  Joachim  ist  es,  der  an 
seinen  Bauten  die  Renaissance  einführt  und  darin  seiner  Prachtliebe  einen  Aus- 
druck schafft.  Sein  Sohn  Johann  Georg  I.  (1571—98)  hat  zu  viel  zu  tun,  die 
durch  seinen  verschwenderischen  Vater  zerrütteten  Finanzen  wiederherzustellen, 
als  daß  man  von  ihm  eine  nachdrückliche  Förderung  der  Kunsttätigkeit  erwarten 
dürfte;  aber  indem  er  den  wegen  ihres  Glaubens  verfolgten  Niederländern  ein 
Asyl  in  seinem  Lande  eröffnet,  bricht  er  dem  Einfluß  jener  in  aller  Kultur tätig- 
keit  vorgeschrittenen  Nation  Bahn,  so  daß  von  da  ab  auch  in  der  Architektur 
und  den  bildenden  Künsten  diese  Einwirkung  zu  spüren  ist.  Jedoch  war  ein 
kräftigeres  Aufblühen  dieser  Länder,  eine  selbständige  Beteiligung  am  deutschen 
Kulturleben  erst  nach  den  für  die  Marken  so  tief  verheerenden  Stürmen  des 
Dreißigjährigen  Krieges,  der  Zeit  des  Großen  Kurfürsten,  vorbehalten. 

Die  ersten  Spuren  der  Renaissance  finden  wir  am  Königlichen  Schlosse 
zu  Berlin,  freilich  sind  sie  später  durch  den  großartigen  Neubau  Schlüters  auf 
ein  Minimum  reduziert  worden.^)  Die  Residenz  der  Hohenzollern  befand  sich  zuerst  seit 
1357  in  der  Klosterstraße,  an  der  Stelle  des  jetzigen  Lagerhauses.  Hier  Heß  sich  der 
Kurfürst  Friedrich  I.  im  Jahre  1451  huldigen.  Friedrich  II.  erhielt  1442  von  den 
Bürgern  den  Platz  auf  der  kölnischen  Seite  der  Spree  hinter  dem  Predigerkloster 
geschenkt.  Der  neue  Schloßbau  an  dieser  Stelle  war  1415  so  weit  vorgerückt, 
daß  der  Kurfürst  darin  seine  Wohnung  aufschlagen  konnte.  Von  dieser  ersten 
Burg  stammt  noch  die  alte  Kapelle  und  der  runde,  sich  ihr  nördhch  anschheßende 
Turm,  der  nach  seiner  Bedachung  den  Namen  des  grünen  Hutes  erhalten  hat. 
Joachim  II.  ließ  seit  1538  die  alte  Burg,  die  seiner  Prachthebe  und  den  gesteigerten  An- 
forderungen der  Zeit  nicht  mehr  genügte,  abreißen  und  durch  seinen  Baumeister 
Kaspar  Theiß  ein  neues  Schloß  errichten.  Die  Fassade  dieses  Baues  ist  auf  einem 
seltenen,  1592  bei  Gelegenheit  eines  Feuerwerks  gestochenen  Blatte  zu  sehen. 
Die  Durchzeichnung  eines  alten,  ebenfalls  den  ursprünghchen  Zustand  darstellen- 
den Gemäldes  befindet  sich  im  Hofbaubureau,  Man  sieht  die  südliche  Haupt- 
fassade gegen  den  Schloßplatz  (Abb.  106),  auf  beiden  Seiten  von  runden  Erkern 
abgeschlossen,  von  denen  der  östHche  gegen  den  Fluß  hin  in  dem  späteren  Um- 
bau erhalten  ist,  während  der  westliche  der  Verlängerung  des  Flügels  weichen 
mußte.  Die  Mitte  der  Front  schmückte  ein  Balkon  auf  stark  geschwellten  Säu- 
len, an  der  Brüstung  mit  Wappen  geziert.  Auch  die  Erker  waren  mit  offenen 
Galerien  bekrönt,  deren  Kuppeldach  auf  ähnlichen  Säulen  ruhte.  Sämtliche  Fenster 

1)  Das  Geschichtliche  in  Nicolai,  Beschreib,  von  Berlin  und  Potsdam  1786  I.  81  i¥. 

Dazu  das  Prachtwerk  über  das  Berliner  Schloß  mit  Text  von  Dr.  R.  D  ohm  e  (Leipzig  1876).  

Ferner  E.  Borr  mann,  Die  Bau-  und  Kunstdenkmale  Berlins.  Das.  1893. 


Berlin 


193 


zeigen  den  spätgotischen  Vorhangbogen,  an  welchem  die  sächsisch-thüringische 
Frührenaissance  festhält.  Große  Giebel,  mit  kleineren  wechselnd,  durch  Pilaster, 
Nischen,  Medaillons  und  reiche  Friese  in  der  Fläche,  durch  Schnecken  und  freie 
Figuren  im  Umriß  belebt,  krönten  den  prächtigen  Bau.  i)  Die  gesamte  Anord- 
nung und  Behandlung  stimmt  mit  der  an  sächsischen  Bauten,  namentlich  dem 
Schloß  Hartenstein  zu  Torgau,  überein;  nicht  nur  stand  Kaspar  Theiß  unter  dem 
Einfluß  der  dortigen  Schule,  in  welcher  er  wohl  seine  Ausbildung  erlangt  hatte, 
sondern  es  liegt  tatsächlich  sogar  ein  Plan  des  Torgauer  Meisters  Konrad  Krebs 
dem  Berliner  Bau  zugrunde.^)  Die  Hofseite  muß  erst  recht  eine  Prachtleistung 
gewesen  sein  und  besaß  ein  Treppenhaus  mit  seitlichen  Terrassen,  ganz  wie 
Torgau,  inmitten  einer  ringsum  laufenden  durchgebildeten  Hallenarchitektur. 


Abb.  106   Das  Kurfürstliche  Schloß  zu  Berlin 


Nur  geringe,  schwer  aufzufindende  Reste  haben  sich  von  dem  Bau  Joachims 
erhalten.  Zunächst  gehören  dahin  die  oberen  Teile  des  runden  Turmes  (a  in 
unserer  Abb.  108),  der  einerseits  von  der  Kapelle,  andererseits  von  einem  später 
vorgelegten  Bau  mit  polygonen  Ecktürmen  (b)  eingeschlossen  und  fast  völhg 
verdeckt  wird.  An  dem  kleinen,  frei  hegenden  Teile  bemerkt  man  von  einem 
Fenster  des  angrenzenden  Eckturmes  aus  fein  gezeichnetes  Blattwerk  an  den 
Fenstereinfassungen,  Balustersäulen  und  reiche  Brüstungen  im  Stile  treffhchster 
Frührenaissance  (Abb.  107).  Eine  zweite  Säule  sieht  man  im  Innern  des  an- 
stoßenden Zimmers  und  zwei  ähnliche  in  dem  benachbarten  Kapellenhofe,  so  daß 

1)  Die  Abb.  106  imd  107  nebst  anderem  wertvollen  Material  verdanke  ich  dem  liebens- 
würdigen Entgegenkommen  der  königlichen  Schloßbau-Kommission  und  des  Herrn  Ober-Hof- 
baurats Geyer  zu  Berlin. 

2)  Das  Nähere  zur  Begründung  s.  in  der  trefflichen  Monographie  von  M.  Lewy,  Schloß 
Hartenfels  bei  Torgau,  Berlin  1908,  S.  94  f. 

Lübke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  13 


194 


2.  Buch   Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel   Die  Mark  Brandenburg 


man  daraus  das  ursprüngliche  dekorative  System  dieses  interessanten  Teiles  her- 
zustellen vermag.  Gleichzeitig  ist  an  der  turmartig  hohen  Ostwand  der  Kapelle 
ein  prächtiger  Balkon  ausgeführt  worden.  EndUch  gehört  derselben  Zeit  die 
innere  Architektur  des  im  Äußeren  umgestalteten  Erkers  der  südöstlichen  Ecke 
gegen  die  Kurfürstenbrücke.  Das  Eckzimmer  öffnet  sich  gegen  den  Erker  mit 
einem  großen  Rundbogen,  kassettiert  und  mit  Rosetten  geschmückt,  die  Zwickel 

und  Pilaster  mit  hübschen 
Pflanzenornamenten  und  mit 
Brustbildern,  darunter  Joa- 
chim II.  und  seine  Gemahlin; 
alles  ursprünglich  prächtig 
vergoldet   auf  azurblauem 
Grunde.  1)  Das  sind  die  we- 
nigen Überreste  jenes  be- 
deutenden Baues,  der  einst 
die  Verzierungslust  der  Zeit 
und  die  Prachtliebe  seines 
Besitzers  zu  glänzendemAus- 
druck  brachte.    Der  große 
Prachtsaal  (e  im  Grundriß 
Abb.  108)  nahm  die  ganze 
Länge  der  südlichen  Vorder- 
seite ein  und  hat  in  seiner 
Ausstattung   bei  ungefähr 
gleicher  Größe  auch  mit  dem 
gleichzeitigen  von  Torgau 
gewetteifert    (L.  Granach). 
Vor  ihm  auf  dem  erwähnten 
Gange  innerhalb  des  Schloß- 
hofes waren  die  bemalten 
steinernen  Brustbilder  der 
Kurfürsten  aufgestellt.  Der 
ganze  mächtige  Bau  in  An- 
lage und  künstlerischer  Aus- 
stattung war  ein  Gegenstück 
zu  den  sächsischen  Schlös- 
sern von  Dresden  und  Tor- 
gau.   Als  Joachim  II.  starb 
(1572),  war  er  noch  nicht 
ganz  abgeschlossen. 
Sein  Nachfolger  Johann  Georg  ließ  das  Nötigste  durch  Hans  Bäspell  vollen- 
den, namentlich  die  Giebel  nach  der  Wasserseite  ausführen,  den  Turm  über  der 
Kapelle  ausbessern  und  ausbauen,  ferner  den  nachmals  berühmt  gewordenen 
„Münzturm"  (h)  für  das  Wasserwerk  errichten.    Seit  1578  ließ  er  dann  durch 
den  berühmten  italienischen  Festungs-Baumeister,  Grafen  Rochus  von  Linar, 
weitere  Bauten  ausführen.    Ein  vierter  Stock  wurde  nach  der  Wasserseite  auf- 
gesetzt, sodann  ebendort  der  vorspringende,  später  durch  Nehrmg  ausgebaute 
Flügel  (1)  errichtet,  besonders  aber  seit  1579  ein  neuer  Flügel  begonnen,  der 
den  Schloßhof  nach  der  Westseite  gegen  die  Schloßfreiheit  hin  abgrenzen  sollte. 
Von  Pirna  wurden  bedeutende  Sandsteinsendungen  verschrieben  und  zugleich  30 
sächsische  Maurer  berufen,  die  wöchentlich  26  bis  30  Silbergroschen  erhielten. 
1)  Ein  Bericht  über  die  Auffindung  dieses  Bogens  in  v.  Ledeburs  Archiv  VIII,  58  ff. 


Abb.  107   Außenarchitektur  des  „grünen  Hutes"  am  Schloß 
zu  Berlin 


Berlin 


195 


Abb.  108  Grundriß  des  Berliner  Schlosses  nach  1681 

1585  schickt  August  von  Sachsen  seinen  Maurermeister  Peter  Kummer.  Dieser 
bringt  eine  Visierung  mit,  welche  dann,  durch  den  Grafen  Linar  verbessert,  der 
Ausführung  zugrunde  gelegt  wird.  Später  tritt  Peter  Niuron  (wohl  ein  Sohn  des 
Bernhard  Niuron  in  Brieg,  also  ein  Enkel  Jakob  Pahrs)  in  die  Bauführung  ein, 
und  der  neue  Flügel  wird  1594  vollendet.  In  den  oberen  Zimmern  führte 
Meister  Hieronymus  Malereien  aus.  Dieser  Flügel  ist  jetzt  noch  vorhanden  und 
trennt  die  beiden  großen  Schloßhöfe  voneinander.    Im  Gegensatze  zu  den  reich 


196  2.  Buch    Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel    Die  Mark  Brandenburg 

dekorierten  Bauten  Joachims  sind  diese  Teile  schlicht  und  sparsam,  aber  in 
kraftvollen  Formen  ausgeführt.  Namentlich  gilt  dies  von  der  Galerie  im  dritten 
Stock,  die  mit  Stichbögen  auf  schön  profilierten  Steinkonsolen  eines  ausgebilde- 
ten Renaissancestils  ruht.  Der  vierte  Stock  ist  später  aufgesetzt.  Die  Fenster, 
meist  zu  zweien  gruppiert,  haben  eine  Umrahmung  von  Rundstäben  und  Hohl- 
kehlen. Der  nördliche  Teil  dieses  Flügels  hat  über  dem  Erdgeschoß,  das  den 
Durchgang  enthält,  nur  ein  einziges,  aber  sehr  hohes  Obergeschoß  mit  mäch- 
tigen gekuppelten  Fenstern.  Er  enthält  einen  ehemals  zu  Theatervorstellungen 
bestimmten  Saal  (f  auf  unserm  Grundriß),  den  durch  Schmidt  und  Nehring  neu 
eingerichteten  Alabastersaal. 

Zu  derselben  Zeit  wurde  im  Schloßhof  an  dem  östlichen  Flügel  Joachims  II. 
eine  große  Doppeltreppe  angelegt,  die  eine  als  Rampe  zum  Hinaufreiten,  die 
andere  mit  Stufen.  Dies  großartige  Treppenhaus  war  in  einem  offenen,  auf  Pfei- 
lern ruhenden  achteckigen  Turm  angebracht.  Ebenso  erbaute  man  seit  1590  den 
nach  Norden  vorspringenden  Flügel,  die  jetzige  Schloßapotheke,  welche,  nachdem 
1596  Linar  gestorben  war,  unter  Niuron  vollendet  wurde.  Wieder  wurden  im 
Jahre  1604  aus  Meißen  Maurer  verschrieben.  Das  obere  Geschoß,  mit  glasierten 
Steinen  belegt,  diente  wahrscheinlich  als  Sommersaal.  Gegen  Ende  der  Regie- 
rung Johann  Georgs  wurde  dann  auch  an  der  Wasserseite  der  Flügel  mit  den 
beiden  polygonen  Ecktürmen  (b)  gebaut,  damals  das  Haus  der  Herzogin  genannt,  also 
vielleicht  für  die  Herzogin  Hedwig  errichtet.  Balthasar  Benzelt  aus  Dresden 
scheint  diesen  Bau  geleitet  zu  haben.  Eine  alte  Abbildung  ^)  gibt  eine  bei  Dohme 
aufgenommene  perspektivische  Darstellung  des  Schlosses,  die  den  Hof  mit  seinen 
beiden  polygonen  Treppentürmen,  der  großen  Doppeltreppe  und  den  ehemaligen 
offenen  Arkaden  des  Erdgeschosses  anschaulich  macht. 

Einiges  von  der  ursprünglichen  Gestalt  zeigt  noch  der  Apothekenflügel: 
ein  schlichter  Bau  mit  verputzten  Flächen,  gruppierten  Fenstern,  deren  Rahmen 
aus  zierlichen  Stäbchen  und  Hohlkehlen  zusammengesetzt  sind,  und  mit  drei 
stattlichen  Giebeln  von  mäßig  barocker  Behandlung.  Dieselben  Giebel  finden 
sich  dann  auch  an  der  Wasserseite.  Die  Gesimse  und  Einfassungen  sind  solid 
aus  Sandstein  hergestellt.  Ein  hübscher  Erker  an  der  Giebelseite.  Doch  ist 
auch  dieser  Flügel  der  Kaiser -Wilhelm-Straße  zuliebe  vor  einem  Jahrzehnt  stark 
verkürzt  worden.  Die  Verbindung  des  Apothekenflügels  mit  dem  Schlosse  bewirkt 
ein  hoher  turmartiger  Bau  mit  einfacher  Wendeltreppe  und  mittelalterlich  profi- 
lierten Fenstern. 

In  der  zwanzigjährigen  unglücklichen  Regierung  Georg  Wilhelms  schien 
der  Bau  mit  dem  ganzen  Staate  der  Hohenzollern  unaufhaltsam  seinem  Ruin 
entgegenzugehen.  Alles  wurde  baufäUig  und  mußte  gestützt  werden,  so  daß  die 
Zeitgenossen  klagten,  „man  müsse  sich  vor  den  Fremden  schämen,  die  dieses 
kurfürstliche  Residenzschloß  sähen".  Erst  der  Große  Kurfürst  wandte  dem  Bau 
durch  Memhardt  wieder  seine  Sorgfalt  zu,  der  u.  a.  das  auf  dem  Grundriß  mit  g 
bezeichnete  Portal  baute,  und  der  erste  König  Preußens  ließ  durch  Schlüters 
Genius  hier  das  großartigste  Fürstenschloß  Deutschlands  erstehen.  Von  dem 
alten  Schloßbau  besteht  nur  noch  ein  Teil  der  dem  Fluß  zugekehrten  östlichen  Seite. 

Ein  Bau  aus  der  Schlußepoche  der  Renaissance  ist  in  dem  Königlichen 
Mar  st  all  in  der  Breiten  Straße  erhalten.^)  Er  besteht  aus  zwei  ursprünglich 
getrennten  Teilen,  dem  1624  von  Hans  Georg  von  Ribbeck  erbauten  Hause,  und 
dem  nach  1593  vom  Oberkämmerer  Hieronymus  von  Schlick  errichteten  Bau, 
welcher  später  in  kurfürstlichen  Besitz  überging.^)    Der  südliche,  Ribbecksche 

1)  In  Joh.  Chr.  Müller  und  G.  Gottfr.  Küster,  Altes  und  neues  Berlin  1737,  I.  T. 

2)  P.  Engel  in  Ortweins  D.  Renaiss.  XIX.  Abt. 

3)  Nicolai  a.  a.  0.  I,  117. 


Kurfürstliche  Schlösser 


197 


Teil,  ist  durch  vier  malerische  Barockgiebel  und  ein  kleines  reiches  Portal  aus- 
gezeichnet. Der  nördliche  hat  neuerdings  drei  ähnliche  Giebel  erhalten  und  ist 
durch  ein  barockes  Portal  geschmückt.  Den  mittleren  Teil  der  Fassade  aber 
krönt  ein  mit  großem  ReHef  ausgefüllter  Tempelgiebel,  von  dem  nach  dem  Brande 
von  1665  durch  Smids  ausgeführten  Neubau  herrührend.  Diese  Häuser  wurden 
nach  1659  mit  dem  Marstall  vereinigt  und  ein  völliger  Neubau  dafür  errichtet 
unter  Beibehaltung  der  alten  Giebel  und  der  alten  Portale,  Von  diesen  ist 
das  eine  freilich  stark  knorpelige  von  hervorragender  Tüchtigkeit  (Abb.  109). 

Andere  Bauten  dieser  Epoche 
hat  Berlin  nicht  aufzuweisen.  Von 
den  zahlreichen  Schloßbauten  des 
Kaspar  Theiß  in  den  Marken  ist 
nur  wenig  erhalten,  und  das  wenige 
stark  umgestaltet.  Das  Jagdschloß 
Grunewald  bei  Berlin  ist  nach 
Anlage  und  Ausführung  höchst 
einfach.  Mehrere  dieser  Schlösser 
wiederholen  denselben  aus  Venedig 
stammenden  Grundriß:  ein  großer 
Mittelsaal,  durch  die  ganze  Tiefe 
des  Gebäudes  gehend,  ist  zu  bei- 
den Seiten  mit  zwei  kleineren  Sälen 
verbunden.  Es  ist  die  auch  am 
Rathause  zu  Augsburg  vorkom- 
mende Anlage.  An  der  Fassade 
ist  dann  nach  nordischer  Sitte  ein 
runder  Treppenturm  vorgebaut. 
Dicke  Mauern,  Gewölbe,  meist  in 
drei  Geschossen,  aber  ohne  jeg- 
hche  Kunstform.  So  die  Schlösser 
von  Königswusterhausen  und 
L  i  c  h  t  e  r  f  e  1  d  e  bei  Neustadt- 
Eberswalde,  beide  angeblich  von 
einem  Venezianer  Ckiaramella  er- 
baut. Ähnlich  Schloß  Gran  gen 
bei  Schlawe  in  Hinterpommern, 
das  noch  mit  runden  Ecktürmen 

versehen  ist.   Von  verwandter  An-  ^^'^   Portal  am  Obermarstall-Amt  zu  Berlin 

läge  Schloß  Letzlingen,  rings 

von  einem  Wassergraben  umgeben;  an  den  vier  Ecken  sind  Rundtürme  mit  be- 
gleitenden Treppentürmchen  angebracht.  Auch  sonst  ist  in  der  Altmark,  der 
Priegnitz  und  der  Neumark  noch  manches  kleinere  Werk  der  Renaissance  vor- 
handen. Es  sei  hier  das  reizende  kleine  Schlößchen  Fr ey enstein  in  der  Prieg- 
nitz erwähnt,  das  freihch  seiner  Architektur  nach  zu  der  Mecklenburger  Gruppe 
der  Terrakottenbauten  gehören  wird  (Abb.  HO  u.  III).  Wenn  auch  mit  dem  Unter- 
schiede, daß  hier  die  Flächen  nicht  nur,  sondern  auch  die  Gesimse  aus  verputzten 
Ziegeln  bestehen,  während  nur  die  Friese  und  Pilaster  aus  prächtig  modellierten 
gebrannten  Tonplatten  hergestellt  sind;  an  einzelnen  Stellen  sind  auch  schön- 
geformte Kandelaber  als  Stützen  eingefügt.  —  Es  handelt  sich  übrigens  nicht  um 
das  größere  Schloß  der  Familie  v.  Rohr,  einen  einfachen  Renaissancebau,  sondern 
um  die  sogenannte  alte  Burg,  die  tief  im  Park  an  einer  sumpfigen  Stelle  in  Bäumen 
und  im  Grün  fast  versteckt,  wie  eine  Art  Rückzugsturm  in  drei  Stockwerken  mit 


zwei  flachrunden  Erkern  zur  Seite  eines  Giebels  hoch  emporragt.  An  der  linken 
Ecke  nach  hinten  ein  runder  Treppenturm.   Die  prächtige  Terrakottenarchitektur 


Märkische  Schloßbauten 


199 


beschränkt  sich  übrigens  nur  auf  das  Dachgeschoß,  die  Giebel  und  die  beiden 
Erker.  Die  Ornamentik  der  Pilaster  und  Friese  besteht  in  malerisch-kräftigem 
Laubwerk  früheren  Charakters,  mit  Figuren  vermischt.  Das  Nähere  geht  aus  der 
Abbildung  hervor.  Das  Ganze  ist  aber  vom  allerhöchsten  Reize,  ein  Dornröschen 
der  Baukunst.  —  Das  Innere  enthält  immer  nur  einen  Raum  in  jedem  Geschosse, 


Abb.  III    Schloß  Freycnstein 
(Nach:  Haupt,  Backsteinbauten  der  Renaissance) 


mit  Kamin  zwischen  den  beiden  Erkern.  —  Am  alten  Schlosse  zu  Küstrin,  jetzt 
Kaserne,  sind  einzelne  ähnliche  Teile.  Wir  hätten  hier  also  eine  Verbreitung  der 
später  zu  besprechenden  höchst  merkwürdigen  Backstein-Renaissance  Mecklen- 
burgs nach  Osten  zu.  —  Auch  das  Schloß  der  Münchhausen  zu  L eitzkau  ist  von 
Bedeutung.  Es  ist  zwischen  1506  und  95  unter  Benützung  der  Bauten  des  ein- 
stigen Klosters  erbaut,  daher  von  ziemlich  regelloser  Anlage.  Drei  giebelreiche 
Flügel  umgeben  einen  länghchen  Hof,  dessen  offene  Seite  durch  zwei  Treppen- 
türme abgeschlossen  ist.  An  die  Eingangseite  schließt  sich  ein  niedrigeres  Tor- 
haus mit  gequadertem  Tor,  an  der  anderen  Seite  ein  weiterer  kurzer  geknickter 
Flügel,  den  eine  vierstöckige  hübsche  Loggia  schmückt.  Deren  Formen  sind  reich 
in  niederdeutscher  Art,  mit  gemusterten  Quadern  und  Kartuschornaraenten;  unten 


200  2.  Buch   Die  Bauwerke    XIII.  Kapitel    Die  Mark  Brandenburg 


in  drei  Geschossen  Bogenhallen,  oben  ionische  Säulen  mit  geradem  Gebälk.  Auch 
das  Treppenhausportal,  von  ionischen  Säulen  eingefaßt,  darüber  das  schöne 


Abb.  112   Schloß  LcLtzkau 
(Nach:  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance) 


Allianzwappen  in  feiner  Säulenarchitektur,  zeigt  interessant  gebildete,  doch  etwas 
kapriziöse  Formen,  i)    (Abb.  112.) 

An  der  Ecke  des  Schlosses  steht  der  alte  Kirchturm,  später  mit  einer 
welschen  Haube  bekrönt. 

1)  Fassade  und  Hofansicht  wie  Portal  bei  Fritscli  a.  a.  0.  auf  drei  Tafeln  dargestellt. 


Kunstgewerbe 


201 


Die  Architektur  des  Bauwerks  ist  sonst  einfach  mit  gut  gebildeter  ProfiHe- 
rung  der  meist  gekuppelten  Fenster;  Gesimse  und  Giebel  in  Stein,  die  Flächen 
geputzt. 


Abb.  113   Pommerscher  Kunstschrank  in  Berlin 


Von  der  Kunstliebe  der  Hohenzollern  in  der  Renaissancezeit  zeugt  noch 
manch  schönes  Stück  in  den  königlichen  Schlössern  und  Sammlungen  Berlins. 
Vor  allem  jener  prachtvolle,  große  vergoldete  Silberpokal  im  Könighchen  Schlosse, 
ein  Meisterstück  deutscher,  und  zwar  Nürnberger  Goldschmiedearbeit,  etwa  um 
1560  ausgeführt,  als  dessen  Verfertiger  R.  Bergau  den  Nürnberger  Meister  Hans 
Petzold  nachgewiesen  hat.  Deutsche  Arbeit,  wenngleich  von  geringerer  Art, 
ist  auch  das  Kurschwert  des  Hauses  Brandenburg,  dessen  vergoldete  Silberscheide 
ein  breites,  schweres,  durchbrochen  gearbeitetes  Renaissancelaub  zeigt.  Ferner 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengehiete 


weist  das  Reichsschwert  des  Hau- 
ses Hohenzollern  mit  seinen  zier- 
lichen gravierten  Darstellungen  auf 
einen  süddeutschen  Meister  hin. 
Des  pommerschen  Kunstschrankes 
(Abb.  113)  ist  schon  in  Band  I, 
S.  87,  gedacht. 

Die  an  der  Elbe  gelegenen 
Städte  dieser  Gegend  neigen  in 
der  Renaissancezeit  stark  nach 
Sachsen,  wie  ein  hübsches  Portal 
aus  Tangermünde  (Abb.  114) 
ergeben  mag,  während  die  mittel- 
alterliche Ziegelarchitektur  der 
Stadt  durchaus  märkisch  ist.  Die 
kirchliche  Ausstattung  freilich  ist 
der  der  Ostseeländer  nahestehend, 
wie  denn  die  schöne  Orgel  der 
Stephanskirche  z.  B.,  die  wir  in 
Abb.  32  des  I.  Bandes  gaben,  sich 
an  die  mecklenburgische  Art  an- 
lehnt. Gleiches  muß  man  auch 
von  den  verwandten  Kirchen  zu 
Stendal,  Salzwedel,  Garde- 
legen und  der  großen  Zahl  märki- 
scher Kirchen  sagen,  deren  gotische 
Backsteingebäude  ja  auch  jenen  der 


Abb.  114  Portal  eines  Hauses  zu  Tangermünde  Nordostländer  nahe  verwandt  sind. 


Vierzehntes  Kapitel 

Die  norddeutschen  Küstengebiete 

Schon  im  Mittelalter  haben  die  Länder  der  norddeutschen  Tiefebene  ein 
gemeinsames  Kulturgebiet  dargestellt.  Es  sind  die  Gegenden  jenes  energischen, 
nüchternen,  verständigen  und  willensstarken  Geschlechtes,  das  schon  im  13.  Jahr- 
hundert den  bald  so  gewaltigen  Bund  der  Hansa  stiftete,  der  mit  den  Königreichen 
des  Nordens  Krieg  führte  und  die  Macht  der  großen  Handelsstädte  zu  einer  überall 
gefürchteten  Weltstellung  erhob.  Die  Kunst  dieser  Gegenden  erreicht,  im  Einklang 
mit  den  politischen  Verhältnissen,  in  der  Zeit  der  Gotik  ihren  Höhepunkt.  Ihre 
gewaltigen  Backsteinkirchen,  die  noch  jetzt  wie  dunkle  Felswände  über  die  hohen 
Giebelhäuser  emporragen,  sind  in  ihrer  derben  trotzigen  Kraft,  in  ihrem  nüch- 
ternen Ernst  ein  treues  Bild  des  Bürgertums,  das  sie  aufgetürmt  hat.  Schmuck- 
los nach  außen,  nur  etwa  in  riesigen  Turmmassen  ihre  Macht  verratend,  sind  sie 
im  Innern  noch  heute  angefüllt  mit  den  reichen  Kunstschätzen,  welche  die  Vorzeit 
zu  ihrer  Ausstattung  geliefert  hat:  mit  Schnitzaltären,  Ghorstühlen,  Kanzeln, 
Lettnern  und  Orgeln,  mit  Gemälden  und  Skulpturen,  mit  kunstvoll  gegossenen 
Bronzewerken,  Kronleuchtern,  Taufbecken,  Grabplatten,  so  daß  Gotteshäuser, 
wie  die  großen  Marienkirchen  von  Danzig  und  Lübeck,  an  Reichtum  und  male- 
rischer Pracht  des  Innern  weithin  ihresgleichen  suchen.  Da  alle  diese  Städte 
früh  den  Protestantismus  annahmen,  aber  sich  meist  von  der  wüsten  Bilder- 


Die  Hansastädte  Danzig 


203 


stürmerei  frei  hielten,  so  hat  eine  schöne  Pietät  jene  alten  Schätze  überall  sorg- 
lich bewahrt.  Auch  jene  Barockschöpfungen,  durch  welche  in  anderen  Gegenden 
der  Altweibersommer  des  jesuitisch  wiederhergestellten  Katholizismus  aus  so 
mancher  alten  Kirche  ihre  früheren  Kunstwerke  verdrängt  hat,  konnten  sich  hier 
nur  mäßig  einnisten,  so  daß  der  Eindruck  bei  allem  Reichtum  und  großer  Mannig- 
faltigkeit ein  harmonischer  blieb. 

Die  Renaissance  kommt  in  diesen  Gebieten  merkwürdigerweise  erst  sehr 
spät  zum  Durchbruch.  Lagen  sie  Italien  zu  fern?  war  der  nordisch  ernsten  Weise 
die  anmutig  heitere  Kunst  verschlossen?  blieb  man  lieber  in  treuem  Festhalten 
bei  der  gotischen  Kunst  der  Väter  stehen  ?  oder  wirkten  alle  diese  Umstände  zu- 
sammen? Genug,  es  wird  sich  hier  vor  1550  kaum  ein  bedeutsames  Werk  der 
Renaissancekunst  aufweisen  lassen.  Um  diese  Zeit  aber  beginnt  auch  hier  die 
neue  Kunst  einzudringen.  Es  sind  allem  Anscheine  nach  hauptsächlich  die  durch 
regen  Handelsverkehr  verbundenen  Niederlande,  die  die  Renaissance  hierher 
bringen.  Plastische  Werke,  namentlich  Bronzearbeiten,  werden  um  diese  Zeit 
mehrfach  von  dort  bezogen  oder  von  niederländischen  Künstlern  ausgeführt.  Die 
Architektur  folgte  und  ahmte  den  Niederlanden  jenen  schon  stark  geschweiften 
und  dabei  trocken  ernsthaften  Stil  nach,  der  sich  alsbald  über  das  ganze  Küsten- 
gebiet bis  nach  den  fernsten  Punkten  der  Ostseeprovinzen  verbreitete.  Der  Back- 
stein wird  für  die  Flächen  festgehalten,  aber  für  alle  konstruktiven  Teile,  Fenster- 
und  Türeinfassungen,  für  Gesimse,  Pilaster,  Giebel  und  Krönungen  wird  Haustein 
genommen.  So  entsteht  jene  mehr  malerisch  wirkende  Bauweise,  die  wir  schon 
oben  (I,  S.  180  ff'.)  kurz  charakterisierten,  und  deren  Einwirkung  sich  in  manchen 
Gegenden  ziemlich  tief  landeinwärts  verfolgen  läßt. 

Der  Mehrzahl  nach  handelt  es  sich  in  diesem  Gebiet  um  städtische  Bauten, 
Rathäuser,  Gildehallen,  Zeug-  und  Kaufhäuser,  Stadttore  und  Befestigungen,  um 
bürgerliche  Wohnhäuser  sodann,  die  besonders  im  Inneren  den  ganzen  Reichtum 
damaliger  Ausstattung  empfangen.  Ein  gewisser  Einfluß  niederländischer  Sitte  gibt 
sich  in  den  oft  bedeutenden  Stockwerkshöhen  zu  erkennen,  welche  namentlich  den 
Ratssälen,  aber  auch  im  bürgerlichen  Wohnhause  den  Haupträumen  und  dem  großen 
Flur  gegeben  werden;  dieser  gewinnt  den  Charakter  einer  hohen  luftigen  Halle. 

Die  fürstliche  Macht  spielt  in  diesen  Gegenden  nur  eine  zweite  Rolle.  Doch 
kommt  sie  im  Gebiete  der  Herzöge  von  Pommern,  mehr  noch  in  den  Mecklen- 
burgischen Landen,  in  einigen  großartigen  und  reich  ausgeführten  Bauten  zum 
Ausdruck.  In  den  letzteren  bildet  sich  sogar  eine  besondere  Behandlung  der 
Renaissance  aus,  die  auf  künstlerischer  Durchbildung  des  Backsteinbaus  beruht 
und  durch  prächtige  Terrakottareliefs  an  Gesimsen,  Einfassungen,  Friesen,  Por- 
talen und  Fenstern  den  Fassaden  ein  vornehm  reiches  Gepräge  verleiht. 

Wir  wenden  uns  nun  zur  Betrachtung  des  Einzelnen. 

Danzig 

Mit  dem  äußersten  Nordosten  beginnen  wir,  zuerst  mit  dem  einst  mäch- 
tigen Freistaat  Danzig,  der  seine  Unabhängigkeit  durch  die  mannigfachsten 
Geschicke  zu  behaupten  wußte  und  als  eine  der  vier  Quartierstädte  der  Hansa 
hohes  Ansehen  genoß.  Durfte  doch  ein  Danziger  Bürgermeister  einst  wagen,  dem 
König  von  Dänemark  den  Krieg  zu  erklären! 

Die  ältesten  Zeugen  künstlerischen  Schaffens  in  Danzig  sind  die  kirchlichen 
Gebäude.  Doch  reicht  keines  davon  über  das  14.  Jahrhundert  hinauf,  ja  die 
hauptsächlichste  Tätigkeit  auf  diesem  Gebiete  fällt  bereits  in  die  letzten  Zeiten 
mittelalterlicher  Kunstrichtung.  Dies  waren  auch  diejenigen,  in  welchen  die  Stadt 
voll  kräftigen  Selbstgefühls  mächtig  aufblühte.    Ihre  Anfänge  sind  in  Dunkel 


204      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

gehüllt.  1)  Zwar  wird  der  Name  schon  im  9.  Jahrhundert  durch  den  Biographen 
des  heiligen  Adalbert,  des  Apostels  der  heidnischen  Preußen,  erwähnt,  allein  von 
einer  festen  Stadt  konnte  damals  in  diesen  Gegenden  noch  nicht  die  Rede  sein. 
Im  11.  Jahrhundert  kam  sie  unter  die  Herrschaft  der  Polen  und  wurde  die  Resi- 
denz eines  Fürsten  von  Pomereilen,  der  als  Vasall  der  polnischen  Krone  die  Burg 
von  Danzig  inne  hatte.  Diese  lag  in  dem  Winkel,  den  die  Radaune  bei  ihrem 
Einfluß  in  die  Mottlau  bildet,  wo  bis  heute  in  dem  Namen  der  Burgstraße  und 
der  Rittergasse  ihr  Andenken  fortlebt.  An  diesen  festen  Punkt  lehnte  sich 
westwärts  der  älteste  Teil  der  Stadt,  die  Altstadt.  Hier  finden  sich  noch  jetzt 
die  Katharinen-  und  Brigittenkirche,  weiterhin  die  Bartholomäus-  und  die  Jakobi- 
kirche,  das  altstädtische  Rathaus,  jetzt  in  ein  Kreisgerichtsgebäude  umgewandelt, 
und  endlich  in  dessen  Nähe  die  Elisabeth-  und  Karmeliterkirche.  Als  darauf  im 
Anfange  des  14.  Jahrhunderts  die  Ritter  des  Deutschen  Ordens  die  Stadt  erobert 
und  sich  auf  der  Burg  festgesetzt  hatten,  veranlaßten  die  neuen  Herrscher  im 
Jahre  1311  die  Gründung  einer  neuen  Stadt,  der  sogenannten  Rechtstadt,  neben 
der  jedoch  die  Altstadt  zunächst  ihre  Selbständigkeit  in  eigener  Verwaltung  und 
Gerichtsbarkeit  behielt.  Allmählich  jedoch  schwang  sich  die  Neustadt  zu  größerer 
Bedeutung  empor,  wie  sie  denn  auch  noch  jetzt  den  glänzenden  Mittelpunkt 
bildet.  Hier  erhebt  sich  der  kolossale  Bau  der  Hauptpfarrkirche  zu  Sankt  Marien, 
einer  der  größeren  Kirchen  Europas,  hier  liegen  die  Johannes-,  die  Dominikaner-, 
die  hl.  Geistkirche;  hier  sind  die  schönsten  Straßen  mit  den  prachtvollsten  Häusern, 
hier  ist  vor  allem  der  Lange  Markt  mit  dem  Artushof  und  dem  imposanten 
Rechtstädtischen  Rathaus  (Abb.  118).  Unter  der  klugen  Herrschaft  der  Ritter  ent- 
wickelte sich  in  anderthalb  Jahrhunderten  hohe  Blüte  der  Stadt,  die  durch  ihre 
Lage  in  fruchtreicher  üppiger  Gegend  und  besonders  in  der  Nähe  der  Weichsel, 
mit  der  sie  durch  die  selbst  für  größere  Schiffe  fahrbare  Mottlau  in  unmittelbarer 
Verbindung  steht,  sich  bald  zum  wichtigen  Handelsemporium,  zu  einem  der  vier 
Vororte  der  Hansa  und  zur  Kornkammer  des  Nordens  aufschwang.  Nachdem 
sie  im  Jahre  1554,  zu  gesteigertem  Selbstgefühl  erstarkt,  die  drückende  Herrschaft 
des  Ordens  abgeschüttelt  hatte,  kehrte  sie  unter  die  Oberhoheit  der  polnischen 
Krone  zurück,  jedoch  mit  so  bedeutenden  Sonderrechten,  daß  sie  tatsächlich 
einen  kleinen  mächtigen  Freistaat  bildete.  In  die  Zeit  vorher  fallen  wiederum 
bedeutende  Bauunternehmungen,  namentlich  der  Umbau  und  die  Erweiterung  der 
Marienkirche  zu  ihren  jetzigen  grandiosen  Dimensionen.  Daß  auch  in  den  folgenden 
Jahrhunderten  diese  Blüte  noch  im  Zunehmen  begriffen  gewesen,  erkennt  man 
an  der  prachtvollen  Ausschmückung  und  Vollendung  der  öffentlichen  städtischen 
Gebäude  und  der  Kirchen.  Im  17.  Jahrhundert  scheint  die  Bevölkerung  der  Stadt 
bis  auf  80000  Einwohner  gestiegen  zu  sein,  eine  Höhe,  welche  sie  erst  seit  kurzem 
wieder  erreicht  und  überschritten  hat. 

Diesem  Entwickelungsgange  entsprechend  hat  sich  auch  die  Erscheinung 
ihrer  Denkmäler  gestaltet.^)  Mit  der  Anlage  der  Rechtstadt  im  14.  Jahrhundert 
begann  wohl  erst  eine  bedeutendere  Entfaltung  des  Kirchenbaus;  mit  zunehmender 
Bevölkerung  mußte  durch  Neubau  und  Vergrößerung  der  Körper  der  kirchlichen 
Gebäude  verändert  werden,  bis  endlich  den  nachfolgenden  Geschlechtern  nur  noch 
übrig  blieb,  durch  kostbare  Ausrüstung  und  Verzierung  auch  ihrem  frommen  Eifer 

1)  Vgl.  über  das  Geschichtliche  G.  Löschin,  Gesch.  Danzigs,  2  Bde. 

2)  Über  keine  deutsclie  Stadt  besitzen  wir  ein  auch  nur  annähernd  so  schönes  und  be- 
deutendes Werk  wie  über  Danzig  in  den  Radierungen  von  Prof.  Schultz.  Dazu  kommen  neuer- 
dings zahlreiche  photographische  Aufnahmen  der  Herren  Ballerstädt  und  Radtke  in  Danzig. 
Endlieh  ist  die  XXXVIIl.  Abt.  von  Ortweins  D.  Renaiss.,  bearbeitet  von  E.  Klingenberg,  Danzig 
gewidmet.  Von  älteren  Werken  steht  R.  Curicke,  Der  Stadt  Dantzigk  historische  Beschreibung, 
1686,  in  erster  Reihe.  Neuerdings  ist  ein  treffliches  Werk  von  G.  Cuny,  Danzigs  Kunst  und 
Kultur  im  16.  und  17.  Jahrh.,  Prankfurt  1910,  hinzugekommen. 


Danzig 


205 


zu  genügen.  Es  ist  nun  bezeichnend,  wie  die  Kirchen  in  ihrer  Gesamthaltung 
merkwürdig  von  dem  künstlerischen  Charakter  der  Profan-  und  Privatarchitektur 
abweichen.  Während  diese  überwiegend  eine  üppige  Renaissance  zeigt,  erheben 
sich  jene  in  ernsten  schweren  Massen  ihres  gotischen  Backsteinbaus,  und  selbst 
das  Material  bildet  einen  Unterschied,  da  die  Privathäuser  größtenteils  oder  ganz 
aus  Hausteinen,  und  nur  einige  größere  öffenthche  Gebäude  aus  einer  Mischung 
dieses  Materials  mit  dem  Backstein  aufgeführt  sind.  Dagegen  hat  spätere  Ge- 
schmacksrichtung sich  nicht  bloß  an  den  mannigfaltigen  Gegenständen  der  inneren 
Ausrüstung  schadlos  gehalten,  sondern  konsequenterweise  fast  jeden  der  zahl- 
reichen Kirchtürme  der  Stadt  mit  einer  malerisch  phantastischen  Haube  bekrönt. 


Abb.  115   Beischlag-Geländer  aus  Danzig 


Betritt  man  zum  erstenmal  die  Straßen  Danzigs,  so  ist  man  überrascht  von 
der  hohen  malerischen  Schönheit  der  Stadtanlage,  der  seltenen  Großartigkeit,  der 
üppigen  Pracht,  die  sich  überall  kundgibt.  Vor  allem  bestimmend  für  den  Ein- 
druck der  Stadt  sind  immer  noch  die  sogenannten  „Beischläge",  obwohl  sie  seit 
einiger  Zeit  dem  modernen  Verkehrsbedürfnis  leider  immer  mehr  zum  Opfer  fallen. 
Nur  wer  diese  noch  in  ganzer  Vollständigkeit  gesehen,  weiß,  was  das  alte  Danzig 
gewesen.  Diese  „Beischläge"  sind  für  die  Straßen  Danzigs  das  eigentlich  Charak- 
teristische. Auch  in  andern  alten  Städten  finden  sie  sich,  aber  nirgends  so  groß- 
artig angelegt,  nirgends  so  stattlich  architektonisch  ausgeprägt,  nirgends  (wenigstens 
bis  vor  kurzem)  in  so  großer  Zahl  erhalten  wie  hier.  Sie  wurden  in  den  meisten 
mittelalterlichen  Städten  durch  die  Beschaffenheit  der  Häuser  und  die  Sitte  der 
Bürger  hervorgerufen.  In  jener  Zeit  waren  die  Wohnungen  selbst  des  reicheren 
Privatmannes  eng,  niedrig,  beschränkt.  Es  galt,  auf  möghchst  kleinem,  fest  um- 
gürtetem  Bezirk  eine  möghchst  große  Menge  zu  Schutz  und  Trutz  Verbundener 
zusammenzudrängen.  Der  enge  Hausraum  wurde  daher  fast  gänzhch  von  den 
für  die  geschäftliche  Tätigkeit  des  Besitzers  notwendigen  Lokalitäten  in  Anspruch 


206      2.  Buch    Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

genommen.  Aber  am  Abend,  nach  vollbrachtem  Tagewerke,  wollte  man  gern 
einen  freieren  Platz  zur  Verfügung  haben,  auf  dem  die  Familie  in  traulichem  Bei- 
sammensein sich  von  der  Arbeit  erholen  konnte.  Aus  diesem  Bedürfnis  entstanden 
breite,  mit  Stufen  über  die  Straße  sich  erhebende,  die  ganze  Front  des  Hauses 
begleitende  Vorplätze,  die  man  mit  steinernen  Balustraden  und  eisernen  messing- 
verzierten Geländern  (Abb.  115)  umgrenzte  und  mit  Bänken  ausstattete.  Diese 
Vorbauten  nennt  man  „Beischläge".  Seit  geraumer  Zeit  hat  allerdings  das 
Famihenleben  sich  von  den  Beischlägen  ins  Innere  der  Häuser  zurückgezogen. 
Der  Bürger  des  neunzehnten  Jahrhunderts  schon  war  nicht  mehr  so  in  den 
Festungsgürtel  seiner  Stadt  geschlossen,  wie  seine  Vorfahren  bis  ins  achtzehnte 
es  waren,  konnte  hinaus  vor  die  Tore,  um  freie  Luft  zu  genießen.  Er  lernte 
daher  die  Beischläge  entbehren,  zumal  da  heutzutage  das  öffentlich  gemeinsame 
Leben,  das  ehedem  die  Bürger  einer  Stadt  sozusagen  zu  einer  einzigen  Familie 
verband,  sich  so  ganz  geändert  hat. 

Was  in  Danzig  vorzugsweise  fesselt,  sind  nicht  sowohl  die  kirchlichen 
Denkmäler,  obschon  auch  deren  einige  beachtenswerte  sich  finden,  als  die  bau- 
liche Gesamtanlage  der  Stadt  und  die  Art,  wie  städtische  Macht  und  bürgerhcher 
Reichtum  sich  hier  architektonisch  verkörpert  haben.  Leicht  erkennt  man  in  der 
Mitte  der  verschiedenen  jüngeren  Zusätze  die  Bestandteile  der  eigentUchen  alten 
Stadt  heraus.  Sie  schließt  sich  an  die  Mottlau,  welche  die  natürliche  Grenze 
nach  Osten  bildete,  während  nördlich  die  in  jene  sich  ergießende  Radaune  den 
Abschluß  gab.  Hier  liegt  die  Altstadt,  hier  die  alte  Rechtstadt  mit  ihrem  Rat- 
hause, dem  Artushof  und  den  meisten  Kirchen.  Noch  ist  etwas  von  der  Stadt- 
mauer mit  malerischen  mittelalterlichen  Toren  und  Türmen  der  Mottlau  entlang 
erhalten,  eine  Stadt  in  der  Stadt  umzirkend;  dem  zunächst  schließt  sich  die  durch 
einen  andern  Arm  des  Flusses  begrenzte  Speicherinsel  an,  mit  ihren  langen  Reihen 
hoher  backsteinerner  Lagerhäuser  einen  nicht  minder  eigentümhchen  Charakter 
aufweisend.  Dann  erst  folgen  die  neuen,  für  uns  nicht  in  Frage  kommenden 
Stadtteile,  Langgarten  und  Niederstadt. 

In  der  Altstadt  laufen  alle  Hauptstraßen  so  ziemUch  von  Osten  nach  Westen 
bis  zum  Fluß  hinab.  Unter  ihnen  dominiert  durch  statthche  breite  Anlage  und 
hervorragende  Bauwerke  die  Lange  Gasse,  die  sich  am  Rathause  plötzhch  zum 
Langen  Markt  erweitert.  Sie  beginnt  landwärts  mit  dem  Hohen  Tor  und  öffnet  sich 
gegen  das  Wasser  mit  dem  Grünen  Tor.  Der  Blick  von  letzterem  gegen  das  Rat- 
haus hin,  das  mit  seinen  gewaltigen  Mauermassen  wie  eine  trotzige  Wehr  vorspringt 
und  den  Markt  abschließt,  gehört  zu  den  schönsten  und  stolzesten  Architektur- 
bildern (Abb.  118).  Die  hohen  reich  verzierten  Giebelhäuser,  die  bei  den  sanft 
geschlängelten  Windungen  der  Straße  dem  Auge  das  Bild  mannigfacher  Ver- 
schiebungen darbieten,  geben  dem  Straßenantlitz  seine  kraftvolle  Eigenart.  Merk- 
würdig ist,  daß  manche  Hauptstraßen  noch  eine  parallel  mit  ihnen  laufende  Hinter- 
gasse haben,  für  die  Wagen  zum  Anfahren  bestimmt.  Diese  Einrichtung  wurde 
durch  die  örtHche  so  höchst  eigentümhche  Anlage  der  Häuser  herbeigeführt.  Da 
ja  die  ganze  Vorderseite  des  Hauses  durch  den  Beischlag  eingenommen  wird,  so 
bleibt  dort  kein  Platz  für  eine  Anfahrt  übrig.  Von  diesem  aus  (A  in  Abb.  116) 
betritt  man  sofort  durch  die  Haustür  den  Flur  B,  der  hoch  und  breit  angelegt 
ist  und  nur  bisweilen  an  der  einen  Seite  ein  niedriges  Zimmer,  Kontorstube  des 
Besitzers,  hat.  Diesen  hellen  geräumigen  Flur  hat  man  sich  als  den  Mittelpunkt 
zu  denken,  in  dem  ehemals  die  Fäden  des  ganzen  vielfältigen  Lebens  des  Hauses 
zusammenliefen.  Hier  war  das  Zentrum  der  gemeinsamen  Tätigkeit.  Von  hier 
führte  eine  mächtige  Treppe  von  Eichenholz  in  die  oberen  Stockwerke ;  von  hier 
erstreckte  sich  häufig  ein  Korridor  nach  den  Hintergebäuden  und  Hofräumen;  von 
hier  gelangte  man  auch  in  das  saalartige,  nach  dem  Hofe  D  gelegene  Zimmer  G, 


Danzig 


207 


3: 


welches  überall  mit  Vorliebe  ausgeschmückt  erscheint  und  offenbar  die  Familie 
an  Sonntagen  und  sonst  wohl  bei  festlichen  Gelegenheiten  zu  abgeschlossener 
Gemeinsamkeit  beim  frohen  Mahle  vereinigte.  Diese  Hauptanordnung  findet  sich 
in  den  meisten  Häusern,  soweit  sie  den  altertümlichen  Zuschnitt  noch  bewahren, 
durchweg  festgehalten.  Dabei  haben  sie  nach  mittelalterhcher  Art  in  der  Regel 
nur  eine  Breite  von  drei  Fenstern,  während  sie  eine  enorme  Tiefe  besitzen.  In- 
folge dieser  Anlage  sind  allerdings  Licht  und  Luft,  wo  man  nicht  neuerdings 
Abhilfe  getroffen  hat,  ein  wenig  karg  zugemessen.  Ein  geräumiges  Hinterhaus  E, 
das  die  Verbindung  mit  jener  hinteren,  der  Hauptstraße  parallel  laufenden  Gasse 
vermittelt,  bildet  den  Abschluß  des  Ganzen. 

Mit  Ausnahme  einiger  unbedeutender  gotischer  Giebelhäuser 
von  Backsteinen,  die  sich  in  den  engen  Gassen  bei  der  Marien- 
kirche und  an  der  alten  Stadtmauer  noch  erhalten  haben,  gehören 
die  Danziger  Häuser  einer  späteren  Epoche  an,  wo  Reichtum  und 
Wohlleben  sich  auch  in  der  inneren  Ausstattung  der  Räume  gel- 
tend machte  und  dem  prunkvollen  Äußeren  ein  nicht  minder 
schmuckes  Inneres  entsprach.  Die  Renaissance  hat  ihre  ganze 
Formenfülle  hergeben  müssen,  um  Fassaden  wie  Innenräumen 
mögüchst  großen  Glanz  zu  verleihen.  Dabei  ist  beachtenswert, 
daß  die  Danziger  Häuser,  eine  Folge  niederländischer  Einflüsse  und 
Vorbilder,  erstaunliche  Stockwerkhöhen  haben,  wie  sie  selten  in 
Deutschland  vorkommen,  was  offenbar  mit  dem  Steinbau  zu- 
sammenhängt, recht  im  Gegensatze  zu  den  niedrigen  Geschossen 
im  südhchen  und  mittleren  Deutschland,  die  bis  auf  den  heutigen 
Tag  die  Einwirkung  des  Fachwerkbaues  bezeugen.  Aber  aus  der 
seltsamen  Verbindung,  welche  die  Formen  der  antiken  Kunst  mit 
den  mittelalterlichen  Verhältnissen  des  Grundrisses  und  Aufbaues 
schließen  mußten,  ist  auch  hier  ein  merkwürdiger  Mischstil  her- 
vorgegangen. Doch  wirken  die  Fassaden,  schon  malerisch  betrach- 
tet, höchst  bedeutend,  wozu  die  reiche  Fülle  des  Ornaments  und 
die  Gediegenheit  des  Materials  —  trefflicher  Haustein  überwiegt 
weitaus,  ja  selbst  Marmor  scheint  vorzukommen^)  —  das  ihrige 
beitragen.  So  finden  sich  an  einem  Hause  der  Langgasse  Nr.  38, 
das  mit  1567  bezeichnet  ist,  Triglyphenfriese  mit  Schilden  und 
Tierköpfen,  darunter  Maskenkonsolen  und  reizende  Arabesken; 
oben  geschweifter  Giebel  mit  großen  Rehefmedaillons.  Meistens 
werden  die  Ordnungen  der  antiken  Baukunst  in  kräftigen  Pilaster- 
stellungen  den  schmalen,  aber  hohen  Fronten  vorgesetzt;  oft  auch 
erhält  dann  das  Ganze  als  Abschluß  ein  Dockengeländer  mit  Statuen  zur  Ver- 
deckung  des  abgewalmten  Giebels.  So  in  dem  reichbehandelten  Steff ensschen 
Hause  der  Langgasse,  das  wir  unter  Abb.  117  beifügen,  und  das  ohne  Zweifel 
das  Werk  eines  späten  holländischen  Architekten  von  der  Richtung  J.  van  Gampens 
ist,  vielleicht  des  Ähraham  van  den  Block;  die  Bildhauerarbeiten  stammen  von 
Hans  Voigts  1616—18,  und  erinnern  stark  an  die  Art  der  Quellinus.  Es  genügt 
hier,  auf  die  genannten  PubHkationen  zu  verweisen,  die  zahlreiche  schöne  Bei- 
spiele dieser  prächtigen  Häuser  in  Abbildung  bringen. 

Gelegentlich  führte  die  Verbindung  der  antiken  Formen  mit  den  mittel- 
alterhchen  selbst  in  der  Konstruktion  zu  seltsamem  Formenspiel.  So  ist  in  einem 
andern  Hause  der  Langgasse,  einer  Buchhandlung  gehörig,  der  vordere  Raum 

1)  Die  im  I.  Band  gelegentlich  der  Danziger  Bauten  mitgeteilte  Überlieferung,  daß  selbst 
aus  Venedig  Marmorfassaden  bezogen  worden  seien,  ist  wohl  dahin  auszulegen,  daß  der  Import 
niederländischer  Arbeiten  aus  belgischem  Marmor  gemeint  sein  wird. 


Abb.  116 
Grundriß  eines 
Privathauses  zu 
Danzig 


208       2.  Buch   Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


eine  große  Halle,  deren 
reiche  Sterngewölbe 
auf  toskanischen  Säu- 
len ruhen.  Diese  Ge- 
wölbe sind  aber  ohne 
Rippen  aufgeführt  und 
dürften  in  konstruk- 
tiver Hinsicht  nur  die 
Bedeutung  von  Ton- 
nengewölben haben. 
Der  nach  dem  Hofe 
liegende  Saal  ist  da- 
gegen flach  gedeckt, 
die  Decke  prächtig  in 
Holz  geschnitzt,  mit 
zierlich  ausgebildeten 
Zapfen  und  farbig  ein- 
gelegten Figürchen. 
In  einem  schönen 
Hause  derselben  Ge- 
gend sieht  man  einen 
Saal  mit  nicht  minder 
trefflich  geschnitzter 
Holzdecke;  ihre  Ein- 
teilung steht  in  glück- 
lichem Verhältnis  zur 
Größe  des  Raumes ; 
ihre  Felder  sind  mit 
gemalten  Darstellun- 
gen geschmückt.^)  Zu 
bemerken  ist  noch,  daß 
das  Innere  in  Flur- 
und  Treppenhäusern 
nach  niederdeutscher 
Art  oft  ganz  mit  farbi- 
gen, glasierten  Fliesen 
bekleidet  war.  Ein 
schönes  Beispiel  dieser 
Art  bietet  das  Haus 
Langgasse  Nr.  18. 

Fragen  wir  nun, 
wann  und  auf  welchen 
Wegen  die  Renais- 
sance nach  Danzig  ge- 
kommen, so  kann  kein 
Zweifel  sein,  daß  hier- 
her, wie  in  alle  nord- 
deutschen Küstenlän- 
der, der  neue  Stil  zu- 
meist durch  Vermittlung  niederländischer  Baumeister  übertragen  wurde.  Und  zwar 

1)  Die  Darstellungen  von  Prof.  Schultz,  a.  a.  0. 1,  8.  II,  12  und  a.  ergeben  vorzügliche  Bilder 
dieser  prachtvollen  Innenräume. 


UOi-X-t  STUnSätl. 

Abb.  117  Stefienssches  Haus  zu  Danzig 


Danzig 


209 


vollzieht  sich  diese  Einbürgerung,  soweit  die  Denkmäler  ein  Urteil  zulassen,  erst 
nach  1550;  woher  es  denn  kommt,  daß  die  graziösen  Formen  der  Frührenaissance 
meistens  vermißt  werden,  und  an  ihre  Stelle  die  teils  schon  zum  Barocken  nei- 
genden, teils  streng  klassizistischen  Formen  im  Sinne  Palladios  treten.  Eines  der 
frühesten  Monumentalwerke,  von  1555  datiert,  ist  das  südliche  Portal,  welches 
den  Zugang  zur  Marienkirche  von  der  Straße  bildet.  Der  gotische  Bogen  wird 
außen  und  innen  von  Halbsäulen  eingerahmt,  welche  noch  den  Charakter  einer 
spielenden  Frührenaissance  tragen.  Ein  ungeghedertes  Gebälk  bildet  den  Ab- 
schluß; darüber  erhebt  sich  ein  durchbrochener  Aufsatz  im  Spitzbogen,  von  fünf 
verkrüppelten  kannelierten  Pfeilerchen  gestützt.  Das  Ganze  in  seiner  seltsamen 
Komposition  dürfte  eher  die  Arbeit  eines  einheimischen,  auf  eigene  Faust  sich 
in  Renaissance  versuchenden  Werkmeisters,  als  eines  in  dieser  Formenwelt  schon 
sattelfesten  Niederländers  sein. 

Bald  darauf  beginnt  nun  auch  der  neue  Stil  sich  an  den  Wohnhäusern 
auszubreiten.  Das  älteste  Beispiel,  das  mir  aufgefallen,  ist  ein  Giebel  vom  Jahre 
1557  in  der  Jopengasse  Nr.  46.  Einfache  Rahmenpilaster  ghedern  die  Flächen,^ 
gekerbte  Voluten  mit  zierlichen  Laubornamenten,  noch  im  Charakter  der  Früh- 
renaissance, bilden  die  Abschlüsse.  Im  obersten  Felde  sieht  man  ein  Wappen, 
in  einem  von  kannelierten  ionischen  Pilastern  eingefaßten  Felde.  Das  Ganze  noch 
sparsam  und  bescheiden. 

Vor  allem  andern  sei  hier  aber  das  schon  oben  genannte  englische  Hausi), 
eines  der  stolzesten  Bauwerke  des  alten  Danzig,  kurz  besprochen,  das  Werk  des 
Meisters  Hans  Kramer,  früheren  Stadtbaumeisters  in  Dresden,  der  hier  die  ober- 
deutsche Renaissance  einbürgerte  und  seit  1565  bis  zu  seinem  Tode  1577  eine  Reihe 
höchst  stattlicher  Privatbauten  ausführte.  Das  genannte  fünfstöckige  mächtige 
Gebäude,  mit  riesigen  Giebeln  nach  allen  Seiten  und  Turm  auf  der  Kreuzung, 
zeigt  eine  durch  Doppelpilaster  eingeteilte  Front  mit  je  zwei  Fenstern  in  jedem 
der  drei  Felder  und  starken  durchlaufenden  Gebälken  bis  in  den  Giebel  hinein; 
dieser  hat  dann  Hermen  statt  der  Pilaster  und  reichen  Schnecken-  und  Ornament- 
schmuck an  der  Kante,  zuletzt  einen  antiken  Dreieckgiebel  als  Abschluß.  In 
der  Mitte  des  Erdgeschosses  treten  noch  freie  Säulen  vor  die  Pilaster,  die  Portal- 
bogen einrahmend.  Die  Plastik  des  Bauwerks  ist  sehr  stark,  der  Detailausdruck 
voll  und  wohldurchgebildet;  hier  noch  kaum  ein  Einfluß  der  Niederlande  spür- 
bar. —  Vom  selben  Meister  dann  aber  ferner,  noch  einfach,  der  Giebel  von 
Nr.  79  der  hl.  Geistgasse  vom  Jahre  1568,  doch  schon  auf  plastische  Belebung  aus- 
gehend, mit  derber  behandelten  Schnecken  und  prächtigen  Löwenköpfen.  Edel 
durchgebildet  sodann  Nr.  35  der  Langgasse  vom  Jahre  1569^),  das  „Löwenschloß", 
wo  vier  kannelierte  sehr  schlanke  Pilasterordnungen  die  enorm  hohen  Stock- 
werke gliedern,  und  prächtige  Friese  mit  Masken  u.  dgl.  die  Teilung  bilden.  Der 
abschUeßende  antikisierende  Giebel  schon  barock  ausgefüllt,  aber  charaktervoll. 
Von  einem  Nachfolger  Kramers  Langgasse  Nr.  28,  mit  elegant  kanneherten  Pila- 
stern, die  Friese  jedoch  reich,  fast  überladen.  Ein  großer  Aufwand  von  Plastik 
ist  dann  an  Nr.  37  der  Langgasse  vom  Jahre  1563  gemacht  wo  ziemlich 
schwache  Pilaster  mit  reichen,  aber  flauen  Ornamenten  die  Gliederung  bewirken, 
unter  den  Fenstern  sodann  Rehefs  mit  liegenden  Gestalten  von  Wissenschaften^ 
Tugenden  u.  dgl.  von  ziemlich  geringer  Ausführung,  im  obersten  Felde  ein  Brust- 
bild Gottvaters.  Hier  ist  bereits  niederländischer  Einfluß  unverkennbar.  Noch 
entschiedener  tritt  dieser  an  der  mit  1572  bezeichneten  Fassade  der  Brotbänken- 
gasse  Nr.  1^)  hervor,  welche  ziemlich  trocken,  mit  facettierten  Quadern  und 
Bändern  geschmückt  ist.    Alle  späteren  Fassaden  zeigen  dann  den  durch  die 

1)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  8,  9,  10.  3)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  14.  ;  ■ 

2)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  14.  4)  Cuny,  Abb.  16.  '.'     .  ■ 
Lübke-Haupt,  Eenaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  14 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


großen  öffentlichen  Bauten  hier  herrschend  gewordenen  Stil  der  holländischen 
Renaissance. 

Es  kommt  die  Zeit,  da  eine  große  Zahl  niederländischer  Baukünstler  sich 
hier  niederläßt  und  eine  große  Zahl  von  Meisterwerken,  vor  allem  öffentlichen 
Zweckes,  schafft.  Aber  nicht  minder  groß  ist  dann  der  Einfluß  dieser  auf  den 
Privatbau.  Gerard  und  Frederik  Hendrikszon,  Vroom  (From),  Wilh.  und  Abr. 
van  den  Block,  die  beiden  Wilh.  Barth,  der  große  Antoni  van  Obbergen,  ja  selbst 
eine  Berühmtheit  wie  Hans  Vredeman  de  Vries  und  so  manche  andere  widmen 
der  stolzen  Stadt  ihre  Kräfte  und  bestimmen  von  da  an  natürlich  auch  die  Rich- 
tung ihrer  Kunst.  Dem  Meister  Antoni  insbesondere  sind  zahlreiche  Häuser  zu- 
zuschreiben, von  denen  ich  außer  Pfefiferstadt  47 die  Predigerhäuser  von  Sankt 
Katharinen  mit  ihrem  dreifachen  GiebeP),  vor  allem  das  unerhört  malerische  riesig 
hohe  Gebäude  der  naturforschenden  Gesellschaft  am  Hafen,  sechsstöckig  mit 
Giebeln,  Erkern,  Turm  und  geschweiftem  Kupferdach,  prachtvoll  am  Hafen  ge- 
legen und  diesen  beherrschend,  nennen  muß.'^)  (1597—99.)  So  zieht  sich  die 
unübersehbare  Schar  dieser  Bauten  bis  ins  17.  Jahrhundert,  langsam  mehr  und 
mehr  den  strengeren  Nachwirkungen  der  Schule  des  van  Campen  und  des  Amster- 
damer Rathauses  Platz  machend.  Der  letzte  dieser  Meister,  Andreas  Schlüter 
d.  A.*),  leitet  uns  dann  langsam  in  die  neuere  Zeit  und  die  Richtung  seines  be- 
rühmten gleichnamigen  Sohnes.  —  Beachtenswerte  Denkmäler  besitzt  die  Marien- 
kirche. Zunächst  in  den  Gemälden  des  Hochaltars  die  frühesten  Spuren  der 
Renaissance,  1516  von  dem  Augsburger  Meister  Michael  (Schivarz?)  ausgeführt. 
Merkwürdig  genug,  sind  die  inneren  Kanten  der  Flügel  mit  grau  in  grau  gemalten 
Heiligenfiguren  geschmückt,  welche  in  flotter  Lebendigkeit  Holbeinschen  Stil 
so  weit  nach  Norden  verpflanzen.  Noch  deutlicher  erkennt  man  diese  neue 
Kunstweise  an  den  farbig  gemalten  Szenen  der  Innenseite  der  Flügel,  durch 
Renaissance-Kandelaber  mit  reizend  erfundenen,  doch  schlecht  gezeichneten, 
spielenden  Putten  dekoriert.  Daß  man  sich  lange  noch  für  wichtigere  Kunst- 
leistungen an  fremde  Künstler  wenden  mußte,  beweist  das  prächtige  bronzene 
Taufgitter,  welches  1551—55  in  Utrecht  gegossen  wurde.  Elegante  korinthische 
Säulen  mit  gegürtetem  Schaft  und  mannigfachen  Ornamenten  am  unteren  Teil 
tragen  ein  Gebälk  mit  einem  Meereswellenfries,  dessen  große,  etwas  schwere  Form 
fast  an  die  Strenge  des  Empire  gemahnt.  Die  eiserne  Gittertür  und  ebenso  das 
bronzene  Taufbecken,  dieses  gleichfalls  in  Utrecht  gefertigt,  sind  tüchtige  Arbei- 
ten. Nicht  viel  später  kann  der  untere  Teil  des  Orgelgehäuses  entstanden  sein, 
dessen  prächtig  geschnitzte  Zapfen  denen  im  Rathause  vorangehen.  Eines  der 
schönsten  Eisengitter  der  Zeit  ist  das  die  Jakobskapelle  abschUeßende,  reich  und 
stilvoll  in  seinen  Rankenverschlingungen  und  den  trefflich  gezeichneten  Blumen. 
Von  Epitaphien  fällt  das  eines  Michael  Lois  vom  Jahre  1561  als  eine  gute  Arbeit 
in  feinen  Goldornamenten  auf  dunklem  Grunde  auf,  an  den  Seiten  zeigen  die 
Dekorationen  das  später  so  beliebte  Lederornament. 

Von  1620  ist  das  bedeutende  Freigrab  von  Simon  und  Juditha  Bahr,  wohl 
von  Abraham  van  den  Bloch,  dem  Sohn  des  Schöpfers  des  Hohen  Tors,  eine  Art 
Tumba,  an  den  vier  Ecken  durch  toskanische  Säulen  getragen;  die  Gestalten  der 
Bestatteten  knien  oben  zwischen  Obelisken  an  den  Ecken,  ihr  Wappen  steht  in 
der  Mitte;  von  Engeln  gehaltene  große  Inschrifttafeln  an  den  Langseiten,  ringsum 
ein  prächtiges  Gitter.*) 

Von  dem  prachtvollen,  freilich  schon  sehr  barocken  Chorgestühl  der  Franzis- 
kanerkirche gab  Abb.  31  bereits  eine  Anschauung;  eine  überüppige  Ausstattung 

1)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  24.  4)  Näheres  bei  Cuny,  S.  93  ff. 

2)  Cuny,  Abb.  23.  ^)  Bei  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  42. 

3)  Cuny,  Abb.  21.  . 


Danzig 


211 


mit  Gestühl,  Orgel  und  zugehöriger  Empore  derselben  Art  aus  der  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  besitzt  auch  die  Johanniskirche. 

In  der  Katharinenkirche  ist  das  Taufbecken  von  einem  etwa  um  1580 
ausgeführten  reichen  und  schon  etwas  barocken  Holzbau  umgeben,  der  mit 
bunten  Intarsien  von  Blumen  und  Figuren  geschmückt  ist.  Außen  sind  die  Felder 
durch  Hermen  geteilt;  deren  oberen  Abschluß  bildet  eine  durchbrochene  Galerie 
mit  kanneherten  dorischen  Säulchen;  das  Ganze  eine  gediegene  Arbeit.  Man 
liest  daran:  Baptisterium  hic  exstructum  est  a  Gregorio  Schmolian.  Als  Meister 
nennt  sich  mit  Hinzufügung  seines  Monogrammes  Matheus  Gletger.  Stärker  barock 
sind  die  beiden  Orgeln  und  die  Brüstungen  der  Emporen,  sämthch  flott  und  reich 
gearbeitet  und  bemalt. 

Zu  den  frühesten  Denkmalen  der  Renaissance  in  Danzig  gehört  vor  allem 
die  prachtvolle  Ausstattung  des  Artushofes.  Auch  hierzu  mußte  man  zum 
Teil  auswärtige  Künstler  kommen  lassen.  Dieser  großartige  Bau,  der  Versamm- 
lungsort der  Kaufleute  („Junkerhof")  zu  geschäfthchen  und  festlichen  Vereinigungen, 
ist  ein  mächtiges  gotisches  Werk,  dessen  Saal  mit  den  herrlichen  Sterngewölben 
auf  vier  schlanken  Granitsäulen  wohl  der  schönste  derartige  Raum  ist,  welchen 
das  Mittelalter  in  Deutschland  hervorgebracht  hat.  Seit  1531  schuf  Meister 
Heinrich  Holzapfel  aus  Köln  das  prachtvolle  Gestühl  samt  der  Holzbekleidung 
der  Wände.  Diese  wird  durch  feine  gegürtete  Säulchen  geghedert,  deren  Kapitelle 
aufs  mannigfachste  mit  Figürlichem  aller  Art,  Masken  u.  dgl.  belebt  sind.  Noch 
geistreicher  sind  die  Umfassungen  der  die  Täfelung  nach  oben  abschließenden 
Bogenfelder  behandelt:  durchbrochen  gearbeitete  Friese  von  Ranken,  mit  Emble- 
men und  kleinen  Figürchen  reich  geschmückt,  von  größter  Frische,  Lebendigkeit 
und  Feinheit,  zum  Köstlichsten  gehörend,  was  unsere  Renaissance  in  dieser  Art 
aufzuweisen  hat.  Ebenso  vorzüglich  sind  die  reizenden  Bronzeköpfchen,  die  man 
an  dem  Friese  verteilt  sieht.  Aus  derselben  Zeit  stammt  die  hölzerne  Einfassung 
der  Reinholdstatue,  1531  von  Laurentius  Adrian  geschnitzt.  Es  ist  bezeichnend 
für  die  weitverzweigten  Verbindungen  der  mächtigen  Handelsstadt,  daß  sie  überall- 
her, aus  Köln,  Augsburg,  den  Niederlanden  die  Künstler  für  ihre  Arbeiten  zu 
gewinnen  wußte.  Endlich  gehört  zu  dieser  Prachtausstattung,  welche  den  herr- 
lichen Raum  zu  einem  der  malerisch  reizvollsten  macht,  der  kolossale  nicht 
weniger  als  38  Fuß  hohe  Ofen  von  gebranntem  Ton,  mit  Brustbildern  und  andern 
farbigen  Rehefs  geschmückt,  durchaus  noch  im  Stil  der  besten  Renaissancezeit. 

In  diesem  Saale  hat  die  Ausstattung  um  1595  durch  den  berühmten  Joh. 
Vredeman  de  Vries  aus  Leeuwarden  noch  einige  Ergänzungen  erfahren;  vor 
allem  aber  hat  dieser  über  der  Ratsbank  das  große  Gemälde,  Orpheus  und  die 
Macht  seiner  Musik  darstellend,  geschaffen;  sein  bestes  gemaltes  Werk,  auch 
architektonisch  höchst  bedeutsam,  da  die  Handlung  in  einer  großen  und  präch- 
tigen Säulenhalle  mit  Kuppel  vor  sich  geht.  1602  schuf  dazu  der  treffliche 
Antonius  Möller  das  Gegenstück:  Triumph  der  sittlichen  Weltordnung.  Als  letzte 
Einwirkung  der  Renaissance  auf  das  berühmte  Haus  haben  wir  dann  die  Umge- 
staltung der  Fassade  nach  dem  Langenmarkt  anzusehen,  deren  Giebel  Abraham 
van  den  Block  1616—17  abwalmte  und  mit  einer  prächtigen  Architektur  schmückte, 
mit  vorgesetzten  starken  Pilastern,  Fenstern  und  Figurennischen,  als  Krönung  eine 
Balustrade  tragend.  Die  großen  Spitzbogenfenster  der  Halle  ließ  er  bestehen, 
doch  bekleidete  er  die  Flächen  mit  Quadern,  setzte  zwischen  die  Fenster  Figuren 
auf  Konsolen  und  vor  die  Mitte  das  bekannte  prächtige  Portal  im  Kleeblattbogen 
zwischen  Nischen. 

Unter  den  städtischen  Profanbauten  tritt  das  Rechtstädtische  Rat- 
haus  vor  allem  bedeutsam  hervor  (Abb.  118).^)  Seinem  Hauptkörper  nach  stammt 
1)  Vgl.  Hohurg,  Gesch.  des  Eath.  der  Eechtstadt  D.  1857. 


212      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

es  noch  aus  gotischer  Zeit,  aus  der  Epoche,  wo  die  junge  Rechtstadt  in  mächtigem 
Emporblühen  des  Handels  und  Wohlstandes  ihrem  höchsten  Glänze  entgegen- 
ging.^) Charakteristisch  ist  nun  an  diesem  Bau,  daß  er  zum  Teil  aus  Quadern 
aufgeführt  ist,  da  doch  sämtliche  Kirchen  und  Privathäuser  der  mittelalterlichen 
Epoche  Backsteinbauten  sind.  Späterhin  scheint  sogar  der  gebrannte  Stein  fast 
das  ausschließliche  Material  für  kirchliche  Bauten  zu  werden,  während  an  den 
Bürgerhäusern  und  den  stattlichen  Profangebäuden  der  Renaissancezeit  man  sich 
überwiegend  dem  Hausteine  zuwandte,  oder  aus  ihm  wenigstens  die  wichtigsten 
architektonischen  Teile,  Gesimse,  Einfassungen  und  Ornamente  bildete.  Das  Rat- 
haus hat  durch  die  altergeschwärzten  Quadern,  durch  das  trotzige  Vorspringen 
in  die  Straßenlinie,  durch  den  horizontalen  Abschluß  der  kompakten  Massen  etwas 
Imponierendes,  einen  stolzen  Ausdruck  von  Macht  und  Herrschaft  erhalten.  Große 
viereckige  Fenster,  durch  steinerne  Stäbe  geteilt,  durchbrechen  die  Flächen,  dar- 
über gliedern  sie  nach  der  Marktseite  vier  hohe  spitzbogige  Blenden,  die  die 
kleinen  Doppelfenster  einschließen.  An  den  Ecken  achteckige  Treppentürmchen. 
Diese  Teile  sind  in  Backsteinbau  ausgeführt.  Auch  der  Turm  ist  in  seinen 
massiven  Teilen  noch  gotisch,  1465  aufgeführt,  Ziegelbau,  mit  Achtecktürmchen 
an  den  Ecken  und  spitzbogigen  Blenden.  Nur  die  schlanke,  zierliche  Spitze  gilt 
als  eine  Arbeit  aus  den  Jahren  1559 — 61.^)  Diese  Spitze  ist  die  feinste  Blüte 
jener  üppigen,  schnörkelhaften,  schon  ins  Barocke  auslaufenden  Spätrenaissance, 
ein  Wunder  in  ihrer  Art.  Der  Barockstil  scheint  hier  einen  Wettkampf  mit  der 
luftig  aufstrebenden  Gotik  versucht  zu  haben,  so  leicht,  elegant  und  zierlich  in 
der  Verjüngung,  so  mannigfaltig  und  reich  in  ihrem  Umriß  steigt  diese  Spitze 
in  die  Luft.  Allerdings  von  dem  strengen  geometrischen  Formalismus,  dem 
organischen  Aufwachsen  einer  gotischen  Turmpyramide  ist  nicht  die  Rede;  aber 
um  so  bemerkenswerter,  ja  in  malerischer  Hinsicht  den  gotischen  Turmaufbauten 
weit  überlegen,  aber  auch  als  künstlerische  Komposition  und  an  Erfindungskraft 
viel  höher  stehend,  ist  dies  wundervolle  Spiel  im  schönsten  Wechsel  gerader, 
runder  und  geschweifter  Formen,  die  an  sich  lustigem  Aufstreben  fremd,  in 
genialer  Weise  gerade  zu  solcher  Wirkung  benutzt  sind.  Die  ganze  Spitze  ist 
vergoldet  und  mit  einer  ebenfalls  vergoldeten  geharnischten  Figur  bekrönt,  so 
daß  im  hellen  Sonnenschein  der  Eindruck  noch  glänzender,  ja  geradezu  ätherisch 
wird,  da  alle  festen  Formen  und  Linien  verschwimmen,  und  nur  ein  durchsichtig 
zartes,  phantasievolles,  ja  märchenhaft  duftiges  Gebilde  ohne  festen  Körper  übrig- 
zubleiben scheint.  Die  vier  Ecktürmchen  und  die  zahlreichen  Strebebögen  und 
Pfeiler,  Spitzen  und  Kugeln  verstärken  diesen  Eindruck  auf  das  schönste  durch 
völliges  Auflösen  des  Körperumrisses.  In  dieser  Wirkung  dürfte  kein  gleich 
vollendetes  Bauwerk  in  Deutschland,  ja  Europa  zu  finden  sein.  Die  Krönung 
der  obersten  Plattform  des  Rathauses  mit  einer  reichdurchbrochenen,  steinernen 
Ornamentgalerie,  sowie  der  Abschluß  der  vorderen  Treppentürmchen  durch  an- 
mutige, offene  Achtecktempel  mit  zierlichen  Spitzen  vollendet  den  wundervollen 
Eindruck,  der  erst  dadurch  zur  höchsten  Wirkung  gelangt,  daß  das  Rathaus  am 
Ende  des  Langenmarktes  quer  vorspringend  die  Straßenecke  prachtvoll  flankiert, 
vor  allem  aber  den  ganzen  Langenmarkt  beherrscht.  Ein  Städtebild  in  Deutsch- 
land fast  ohnegleichen.  Nicht  zu  vergessen  ist  dabei  der  nur  durch  zwei  Häuser 
getrennte  Artushof  mit  seiner  machtvoll-prächtigen  Front  und  vor  ihm  der  schöne 
Neptunbrunnen  (Abb.  119),  der  ebenfalls  Ahraham  van  den  Block  zum  Schöpfer 
haben  wird.  Ein  prächtiges  Werk  aus  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  ganz 
im  Stil  der  Augsburger  Brunnen,  mit  einer  Bronzestatue  des  dreizackschwingen- 

1)  Vgl.  den  Grundriß  bei  Klingenberg  a.  a.  0.  Taf.  3,  die  vordere  Ansicht  ebenda  Taf.  1  u.  2. 

2)  Nach  Cuny  dürfte  der  heutige  reizvolle  Aufbau  aber  noch  jünger  und  um  1630  durch 
den  Stadtzimmermeister  Jahoi  van  den  Bloch  ausgeführt  sein. 


Danzig- 


213 


Abb.  118   Rechtstadtisclics  Rathaus  zu  Danzig 


den  Neptun  bekrönt,  über  reicher  Säule  mit  Becken  aus  vielfach  geschweiftem 
Steinbassin  mit  Sphinxen  aufsteigend  und  von  einem  schönen  Eisengitter  mit 
prachtvollen  Türen  umgeben.  —  Zu  der  glanzvollen  Wirkung  des  Rathauses  trägt 
auch  das  sehr  schöne  Eckhaus  noch  bei,  das  ihm  gegenüber  den  Eingang  zur 
Langenstraße  flankiert,  nicht  viel  nach  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  entstanden. 
Ein  höchst  vornehmer  Bau,  offenbar  eines  französischen  Architekten,  im  echte- 


214      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

sten  Stil  Henri  IL,  den  in  drei  Geschossen  strenge  dorische  Pilasterordnungen 
mit  Triglyphengebälk  gliedern,  auf  dem  Dache  einfach  klare  Zwerchgiebel,  deren 
System  sich  an  dem  Hauptgiebel  gegenüber  dem  Rathause  in  der  Mehrzahl 
wiederholt.  Dies  sehr  feine  Bauwerk  hat  bisher  kaum  Beachtung  gefunden,  wohl 
weil  seine  strenge  und  bescheidene  Architektur  gegenüber  der  sonstigen  höchst 
malerisch-nordischen  der  Stadt  zurücktritt.  Aber  bei  der  Seltenheit  gerade  fran- 
zösischer Bauwerke  der  Renaissance  auf  deutschem  Boden  ist  das  treffliche 
Bauwerk  um  so  wichtiger.  Die  Steinkreuze,  die  einst  die  Fenster  teilten,  sind 
leider  beseitigt. 


Abb.  119   Xeptunbruniien  vor  dem  Artushof  zu  Danzig 


Von  einem  mit  Holzgalerie  und  einer  prächtigen,  bequemen,  aus  Eichen- 
holz geschnitzten  Wendeltreppe^)  geschmückten  Vorplatz  des  Hauptgeschosses 
gelangt  man  im  Inneren  des  Rathauses  nun  zunächst  in  die  Sommerrats- 
stube. In  reichster  Pracht  der  Renaissancezeit  mit  ihrer  brillant  vergoldeten  und 
gemalten  Decke  (vgl.  Abb.  148  im  I.  Bd.),  von  der  durchbrochene,  äußerst  reich 
und  zierUch  gearbeitete  Knäufe  niederhängen,  ist  sie  ein  Bild  stolzesten  üppigen 
Wohlstandes.^)  Ihre  Ausstattung  wurde  bis  1596  durch  den  berühmten  Hans 
Vredeman  de  Vries  aus  Leeuwarden  geleitet.  Die  Schnitzwerke  arbeitete  Simon 
Herle  (Hoerl),  wahrscheinlich  ein  einheimischer  Künstler,  und  der  Kamin  (bez. 
1593)  wurde  durch  Wilhelm  Barth  in  Stein  gehauen,  aber  durch  Vredeman  be- 
malt und  vergoldet.")  Bloß  für  die  Decke  zahlte  die  Stadt  in  zwei  Jahren 
2645  Taler.  Die  Ausmalung  der  Wände  und  Decke  wurde  ebenfalls  durch  Vrede- 
man bis  1595  hergestellt;  die  Gemälde  der  Decke  scheinen  aber  1608 — 11  durch 
andere  von  der  Hand  Isaaks  van  den  Block  ersetzt  zu  sein.  —  Die  Wände  sind 
unten  mit  prachtvoll  gemustertem  roten  Samt  bekleidet;  daher  auch  der  Name 

1)  Abb.  bei  Schultz  Nr.  11. 

2)  Vgl.  Schultz  Nr.  12.  Cuny,  Abb.  25.  Aufnahmen  bei  Klingenberg  a.  a.  0.  Taf.  4  if. 

3)  Abb.  bei  Klingenberg  Taf.  17,  18.  Cuny  a.  a.  0.  Abb.  48. 


Danzig 


215 


Roter  Saal.  Besonders  graziös  und  durch  feine  polychrome  Behandlung  aus- 
gezeichnet ist  die  Winterratsstube,  die  wiederum  die  Vermischung  gotischer  Ge- 
wölbe mit  antikisierenden  Formen  an  Konsolen  und  dergleichen  zeigt,  i)  Ein 
anderes  Gemach,  der  Weiße  Saal,  ist  erst  in  jüngster  Zeit  mit  Sterngewölben  auf 
schlanker  Granitsäule  versehen  worden.    Dagegen  gewährt  die  Kämmereikasse  ^) 


Abb.  120   Hohes  Tor  zu  Danzig 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbilclanstalt,  Berlin) 


mit  ihrer  feinen,  einfachen  Holzdecke,  dem  schönen  Wandgetäfel,  der  reich  ge- 
schnitzten derben  Türe  von  1607  und  dem  bemalten  und  vergoldeten  Kamin  von 
1594  ein  harmonisches  und  prächtiges  Bild.  Auch  die  gleichzeitig  erbaute  De- 
positalkasse ^),  ein  kleines  gewölbtes  Gemach,  erhält  durch  reiche  Wandbekleidung 
einen  ansprechenden  Schmuck.*) 

Um  dieselbe  Zeit  erbaute  die  Stadt  1586—88  das  Hohe  Tor^),  angeblich 
nach  den  Plänen  und  unter  Leitung  des  Bildhauers  Wilhelm  van  den  Block  aus 
Mecheln,  der  damals  in  Danzig  ansässig  geworden  war,  nachdem  er  in  Königö- 

1)  Abb.  bei  Schultz,  Nr.  6.        2)  Ebenda  II,  16.  Ciiny,  Abb.  49.        3)  Schultz,  II,  17. 
■i)  Das  Rathaus  ist  neuerdings  unter  dem  kunstsinnigen  Oberbürgermeister  v.  Winter 
durch  Hugo  Licht  in  verständnisvoller  Weise  wiederhergestellt  worden. 
5)  Schultz,  Dedikationsblatt. 


216      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

berg  und  Siebenbürgen  bereits  mit  Erfolg  tätig  gewesen  (Abb.  120).  Es  ist  ein 
machtvoller  aus  Sandsteinen  aufgeführter  Bau  in  strenger  Rustika  mit  dorischen 
Pilastern,  sämtliche  Steine  mit  gemeißeltem  Laubwerk  bedeckt.  Die  Anlage  folgt 
den  dreitorigen  römischen  Triumphpforten;  kräftige  Konsolen  tragen  das  Gebälk, 
über  dem  eine  hohe  Attika  mit  den  Wappen  des  Königreichs  Polen,  der  Stadt 
Danzig  und  der  Provinz  Westpreußen,  ersteres  von  Engeln,  das  zweite  von  Löwen, 
das  dritte  von  Einhörnern  gehalten.    Es  gehört  aber  ohne  Frage  doch  zu  den 


Abb.  121    Stockturm  mit  Peinkammer  zu  Danzig 


großartigsten  Toren,  welche  die  Renaissance  hervorgebracht  hat.  Sein  Vorbild 
war  übrigens  das  einstige  Georgentor  in  Antwerpen,  dem  die  Front  bis  zu  den 
wappenhaltenden  Löwen  der  Attika  ziemlich  getreu  nachgebildet  ist.  Nur  in 
besonderen  Einzelheiten,  die  man  zum  Teil  als  eigenwillig  bezeichnen  muß,  weicht 
es  vom  Vorbilde  ab,  so  in  den  merkwürdigen  triglyphenartigen  Konsolen,  die  den 
Architrav  tragen,  vor  allem  aber  in  der  Verzierung  sämtlichen  Quaderwerks,  in 
das  überall  kristallschnittartig  Lorbeerzweige  eingeschnitten  sind. 

Die  Wirkung  des  Ganzen  ist  freilich  traurig  verändert,  seitdem  das  einst 
von  riesigen  Wällen  eingefaßte  Torgebäude  freigelegt  und  von  höchst  modernen 
Straßen  umgeben  ist.i) 


1)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  38. 


Danzig 


217 


Zu  ihm  gehört  aber  noch  das  dahinterliegende  eigenthche  Hohe  Tor,  jetzt 
„Stocktürm",  ein  gotischer  Backsteinbau,  der  aber  um  1590  durch  Anton  von 
Obhergen  mit  einem  neuen  gotisierenden  Obergeschoß  und  Schneidedach,  darauf 
einem  flotten  Dachreiter,  versehen  ist,  und  die  zwischen  beiden  liegende  einstige 
Peinkammer  mit  prächtigen  Giebeln  nach  vier  Seiten  im  Stile  des  Zeughauses, 
ebenfalls  von  demselben  Architekten,  von  1593  (Abb.  121). 

Auch  andere  Tore  zeigen  bemerkenswerte  Architektur,  so  das  Legetor,  mit 
toskanischer  kraftvoller  Pilasterordnung  nach  außen,  1626  von  Hans  Strakowsky 
errichtet,  an  der  Rückseite  einen  viergiebligen  höheren  Aufbau  niederländischen 
Charakters  bildend,^)  Mehr  aber  das  Langgassertor,  von  1612 — 14  durch  den 


Abb.  Vl'l    Zeiigliaus-Küclcsoitc  zu  Danzig 


mehrfach  genannten  Sohn  Wilhelms,  Abraham  van  den  Block  errichtet.  Hier 
handelt  es  sich  eher  um  einen  Prunk-  oder  Zierbau,  einen  gewölbten  Triumph- 
bogen von  drei  Öffnungen,  darüber  ein  hohes  Obergeschoß  mit  Fenstern,  beide 
Stockwerke  mit  freivortretenden  verkröpften  Säulenstellungen,  unten  ionisch, 
oben  korinthisch,  geschmückt,  auf  der  obersten  Dockengalerie  je  vier  Statuen 
des  Bildhauers  Peter  lUngering.  Zum  Obergeschoß  führt  eine  seillich  an- 
gelegte Treppe  mit  steigenden  Bögen.  Das  Bauwerk  ist,  trotz  aufwendiger  Ge- 
staltung und  schöner  Ausführung  in  Kalkstein,  etwas  trocken  und  flau  in  der 
Wirkung,  bildet  aber  zusammen  mit  dem  nach  außen  vorspringenden,  daneben 
liegenden  hübschen  Backsteingebäude  der  Hauptwache,  das  sehr  stark  vläraisch 
gestaltet  ist  in  einer  Art  Übergangstil  aus  der  Gotik,  eine  wirksame  und  präch- 
tige Gruppe.^) 

Durch  Meister  Äntoni  von  Obbergen  hatte  die  Stadt  im  Jahre  1587  das 
Altstädtische  Rathaus,  ein  ganz  hervorragend  tüchtiges  Werk,  erbauen 
lassen.    Wir  haben  unter  Abb.  145  im  I.  Band  ein  Bild  davon  gegeben,  das 


1)  Cuny,  Abb.  28,  28  a. 


2)  Cuny,  Abb.  43— 45. 


218       2.  Buch    Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


den  einfachen  Ziegelbau  mit  seinen  kräftigen  Hausteineinfassungen,  den  großen 
Verhältnissen,  den  malerischen,  durch  eine  Balustrade  verbundenen  Ecktürmchen 
und  dem  reizvoll  umrissenen  Hauptturme  als  ein  Werk  von  hervorstechender 
niederländischer  Art,  doch  von  ungewöhnlich  starkem  Ausdruck,  innerer  Kraft 
und  Gediegenheit  erkennen  läßt,^)  Endlich  errichtete  die  Stadt  in  derselben 
Epoche  (1602—05)  ihr  großes  Zeughaus,  das  denselben  Stil,  aber  in  ungleich 

reicherer  Ausbildung  zeigt,  das  Haupt- 
werk desselben  Antoni  von  Ohhergen. 
Von  den  vier  derben  Schweifgiebeln  und 
den  kraftvollen  Portalen,  mit  denen  selbst 
die  hintere  Fassade  am  Kohlenmarkt  aus- 
gestattet ist,  gibt  unsere  Abbildung  122 
Anschauung.  Weit  ausdrucksvoller  ge- 
staltet sich  mit  zwei  vorspringenden 
Treppentürmen  und  einem  vor  der  Mitte 
der  Fassade  sich  erhebenden  Brunnen 
(Abb.  123)  die  Hauptfront,  die  gegenüber 
der  flachen  Hinterfront  durch  eine  Art 
Vorhof  und  die  schönen  Achtecktürme 
mit  geschweiften  Helmen  eine  erfreuliche 
Plastik  aufweist.  (Bd.  I,  Abb.  135.)  Die 
tiefe  Farbe  der  Backsteine,  durch  die  hel- 
len Sandsteine  der  Architektur  gehoben, 
ergibt  mit  einer  reichen  Bemalung  und 
der  Vergoldung  der  plastischen  Teile 
ein  ganz  prächtig  farbiges  Bild,  wie  es 
auch  sonst  in  der  Stadt  häufig  ist.  Die 
beiden  Treppen  in  den  Ecktürmen  sind 
in  kunstreicher  Weise  als  Wendelstiegen, 
die  eine  mit  einer  Spindel  ausgeführt. 
Das  Innere  des  Baus  bildet  eine  gewal- 
tige vierschiffige  Halle  mit  24  Kreuz- 
gewölben auf  15  freistehenden  Pfeilern. 
Gerade  dies  Gebäude  ist  ein  Höhepunkt 
der  niederländischen  Renaissance  in 
deutscher  Ausprägung  auf  deutschem 
Boden;  nordischer  Charakter  in  Formen 
und  Material,  malerische  Gruppierung, 
derbe  Plastik  im  Einzelnen  vereinigen 
sich  zu  einer  meisterhaft  abgewogenen 
Gesamtleistung,  die  so  wie  sie  ist,  auch 
in  den  Niederlanden  keine  nahen  Ver- 
wandten hat,  hierzuland  an  Tüchtigkeit  wohl  nur  von  dem  Altstädter  Rathaus 
desselben  Meisters  erreicht  wird.^) 

Weiter  auf  Einzelnes  einzugehen  führte  uns  allzusehr  vom  Wege  ab.  Nur 
des  glänzenden  Oberteils  auf  dem  Turm  der  Katharinenkirche  (Abb.  124) 
sei  noch  gedacht,  eines  der  malerischesten  Turmaufbauten,  der  den  mächtigen 
viereckigen  Klotz  in  einer  erstaunlich  geistvoll  prächtigen  Art  auflöst;  ein  Gegen- 
stück zum  Rathausturm  von  ganz  ähnlichen  Qualitäten,  ein  Meisterwerk  des 
Stadtzimmermeisters  Jakobs  van  den  Block,  1634  errichtet. 


Abb.  123  Brunnen  vor  dem  Zeughause 
zu  Danzig 


1)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  20. 


2)  Cuny,  a.  a.  0.  Abb.  26. 


Danzig 


219 


Geben  alle  diese  "Werke  von  der  damaligen  Macht  und  dem  hohen  Monu- 
mentalsinne der  Stadt  ein  bedeutsames  Zeugnis,  so  mag  als  letzter  Nachklang 
einer  malerischen  und  eigenartigen  ländlichen  Architektur  das  Müllergewerk- 
haus (Abb.  125)  hier  seine  Stelle  finden.  Es  ist  ein  charakteristisches  Spätbei- 
spiel des  auch  diese 
Gegenden  einst 

beherrschenden 
deutschen  Fach- 
werkbaus, durch 
die  hölzerne  Frei- 
treppe und  die 
zierlich  gedeckte 
Laube  des  oberen 
Geschosses  von 
anheimelnderWir- 
kung.  Der  Dach- 
giebel mit  dem  an 
kräftigem  Quer- 
balken herausge- 
hängten hübsch 
geschnitzten  Ge- 
werkschild erhöht 
die  Wirkung  des 
anmutigen  Baus. 

Das  nahe 
Kloster  Oliva  be- 
sitzt neben  einer 
überreichen  barok- 
ken  Ausstattung 
noch  einen  schö- 
nen Ghorstuhl  von 
1599  und  Reste 
anderer  im  Frie- 
densaal. Auch  in 
Pelplin  Ghorge- 
stühl,  Täfelungen 
und  Epitaphien  des 
17.  Jahrhunderts 
in  reichster  Aus- 
führung. 

Von  Bauwer- 
ken, die  von  Dan- 
zigs  Kunst  abhän- 
gig sind,  sei  noch 

das  Rathaus  in  Thorn  genannt,  das  1602—03  durch  Änton  von  Ohhergen  umgebaut 
und  glänzend  ausgestattet  wurde.  Der  alte  riesige  gotische  Bau  des  Deutsch- 
ordens wurde  damals  mit  Giebeln  auf  der  Mitte  seiner  vier  Seiten  und  schönen 
Ecktürmchen  geschmückt;  die  Ratstube  und  andere  Räume  reich  ausgestattet, 
auch  mit  Gemälden  von  der  Hand  des  vortreffÜchen  Änton  Möller.  Leider  ist  das 
meiste  davon  bei  dem  großen  Brande  1703  halb  oder  ganz  zerstört.  Eine  alte 
Zeichnung  von  1700  (abgeb.inKunstdenkm.Westpr.il,  S.  233)  gibt  den  einstigen 
Zustand  wieder. 


Abb.  124   Katharineiikirclie  zu  Danzig 


220      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengehiete 

Das  Rathaus  in  Kulm  ist  dagegen  noch  wohl  erhalten,  doch  in  seiner 
äußeren  Erscheinung  durchaus  slawisch  oder  polnisch:  ein  geschlossener,  fast 
v/ürfelförmiger  Bau  mit  hohem  Turm  inmitten,  auf  dem  Hauptgesimse  Reihen  von 
kleinen  Giebeln  ringsum  ziehend,  das  Dach  nach  polnischer  Sitte  sehr  flach  und 


Abb.  125   Müllergewerkhaus  zu  Daiizig 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


nach  der  Mitte  zu  abfallend.  Das  Obergeschoß  mit  ganz  eigentümlicher  ionischer 
Säulenarchitektur  vor  Nischen  deckte  diese  nach  innen  abfallenden  Dächer  nach 
außen  (jetzt  durch  ein  Holzzementdach  ersetzt).  „Die  künstlerische  Gestaltung 
des  Äußeren  folgt  mit  der  phantastischen  Häufung  der  Formen,  der  Verwendung 
lebhafter  Diamantquaderungen  und  der  spielenden  Auflösung  des  Dachrandes 
durchaus  der  in  polnischen  Landen  herrschenden  Architekturauffassung."  (Stiehl.)  ^) 
Es  ist  1568  begonnen. 

In  dem  nahen  Kulmsee  im  Dom  einige  schöne  Denkmäler;  insbesondere 
ist  das  des  Bischofs  Petr.  Kostka  (f  1595)  hervorragend  durch  eine  stark  italie- 

1)  stiehl,  Das  deutsche  Rathaiis  im  Mittelalter,  Leipzig  1905,  Abb.  115. 


Pomeranien  Königsberg 


221 


nische,  prachtvolle  triumphbogenartige  Anordnung  mit  dem  Verstorbenen  auf  dem 
Sarkophag  in  der  Mittelnische  und  dem  Medaillon  der  hl.  Jungfrau  im  Bogen 
darüber.  Die  Ausführung  in  verschiedenem  Marmor  eine  ausgezeichnete  und  in 
ihren  edlen  Formen  noch  der  besten  Zeit  der  Jahrhundertmitte  angehörend; 
wohl  zu  Lebzeiten  errichtet.^) 

Das  westlich  gelegene  Kloster  Karthaus  besitzt  ein  üppiges  ChorgestühP) 
aus  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  merkwürdigerweise  völhg  identisch  mit  dem 
der  Franziskanerkirche  zu  Danzig,  das  in  Abb.  31  dargestellt  ist.  Der  Hochaltar 
in  ähnlichem  Stil  und  Reichtum.    In  Zuckau  ein  Altar  gleicher  Art.'') 

In  Pomeranien  hat  die  Kunstliebe  einiger  adeliger  Geschlechter  insbeson- 
dere die  kleinen  Kirchen  auf  dem  Lande  zu  geschlossenen,  nicht  unwürdigen 
Kunstschöpfungen  zu  gestalten  gewußt;  fern  vom  deutschen  Kernlande  sind  doch 
hier  manche  erfreuliche  Leistungen  gut  deutscher  Renaissance  erwachsen. 

Als  bezeichnendes  Beispiel  führe  ich  das  reizende  Kirchlein  zu  Langenau 
an,  1600 — 04  durch  Alex,  von  Polenz  erbaut  und  ausgeschmückt.  Es  ist  ein  ein- 
facher Saal,  etwa  12  x  30  Meter  groß,  mit  dreiseitigem  Ghorschluß,  einer  hübsch 
eingeteilten  Felder-  oder  Kassettendecke,  die  auf  reichem  Gesims  ruht;  Fenster 
und  Türen  mit  Rustika  und  Schnörkelwerk  zierlich  umrahmt.  Darin  ist  ein  schöner 
Altar,  eine  Kanzel,  ein  Gestühl  für  die  Herrschaft,  eine  Orgelbühne  aufgestellt, 
die  alle  in  einer  prächtig  reichen  Renaissance  durchgeführt  sind;  nichts  Un- 
gewöhnliches, doch  alles  von  bester  Durchbildung,  ein  ganz  außerordentlich 
harmonisches,  lebhaft  malerisch  wirkendes  Gesamtbild  gewährend.  Nur  die  Orgel 
ist  etwas  jünger.*)  Insbesondere  ist  die  von  ionischen  Säulen  getragene  Orgel- 
empore reich  und  fein  gestaltet;  die  Brüstung  enthält  Gemälde  aus  der  Passion, 
mit  Hermen  dazwischen. 

Daß  der  ganze  Raum  in  reicher  Farbe  mit  Vergoldung  prangt,  braucht  als 
selbstverständlich  kaum  erwähnt  zu  werden. 

Ganz  ähnlich  ist  die  Kirche  in  Rosenberg  ausgestattet  mit  Stuhl,  Orgel 
und  Altar,  alles  1607  entstanden  und  reichfarbig. 

Königsberg 

Von  geringerer  Bedeutung  für  die  Geschichte  der  Renaissance  als  Danzig 
ist  die  alte  Haupt-  und  Krönungsstadt  Preußens.  Namentlich  hat  hier  das 
Bürgertum  nie  solche  Macht  erlangt  wie  dort.  In  der  Tat  wird  denn  auch  nicht 
diesem,  sondern  dem  Fürstentum  hier  die  Einführung  der  Renaissance  ver- 
dankt. Es  ist  einer  der  vielen  trefflichen  Fürsten,  an  denen  Deutschland  im 
16.  Jahrhundert  ebenso  reich  war,  wie  in  den  beiden  folgenden  an  schlimmen: 
Albrecht  von  Brandenburg,  der  letzte  Hochmeister  des  deutschen  Ordens  und  der 
Stifter  des  weltlichen  Herzogtums  Preußen.  In  seiner  mehr  als  fünfzigjährigen 
Regierung  (1512—68)  wußte  er  das  Land  in  seiner  politischen  Stellung  trotz 
schwieriger  Verhältnisse  zu  befestigen  und  seinen  Wohlstand  in  jeder  Weise  zu 
fördern.  Er  legte  den  Grund  zu  einer  geordneten  Verwaltung,  sorgte  einsichtsvoll 
für  das  Kirchen-  und  Schulwesen,  legte  vor  allem  Nachdruck  auf  Hebung  und 
Verbreitung  der  Wissenschaft,  indem  er  das  Gymnasium  und  bald  darauf  (1544) 
die  Universität  stiftete,  die  nach  ihm  noch  jetzt  den  Namen  (Albertina)  trägt. 
Auch  berief  er  viele  Gelehrte  und  sorgte  für  den  Druck  ihrer  Werke.   Nicht  minder 


1)  Bau-  und  Kunstdenkm.  der  Prov.  Westpreußen,  Danzig  1884,  II.,  Beil.  1,  S,  153. 

2)  Bau-  und  Kunstdenkm.  Westpr.  I.  Beil.  3. 

3)  Daselbst  I.  Beil.  4. 

4)  Bau-  und  Kunstdenkm.  Westpr.,  III.,  S.  103  ff.,  Beil.  8,  9. 


222       2.  Buch   Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

begünstigte  er  die  Künste  als  ihr  überzeugter  freigebiger  Förderer,  indem  er  tüch- 
tige fremde  Meister  ins  Land  zog.  So  berief  er  von  Nürnberg  Georg  Pencz  und 
gab  ihm  1550  eine  Bestallung  als  Hofmaler  i),  und  als  dieser,  wie  es  scheint, 
bald  nach  seiner  Ankunft  in  Königsberg  starb,  wußte  der  Herzog  den  nicht  minder 
geschickten,  freilich,  wie  es  scheint,  etwas  windigen  Jakob  Binck  zu  gewinnen, 
der  bis  zu  seinem  Tode  in  herzoglichen  Diensten  blieb  und  nicht  bloß  als  Maler 
und  Medailleur  für  den  Hof  arbeitete,  sondern  auch  mit  Entwürfen  zu  Grab- 
denkmälern beauftragt,  ausdrücklich  aber  „zu  gemeiner  Malerei  und  grober  Arbeit" 
nicht  verpflichtet  war.^)  Auch  sonst  finden  wir  Nürnberger  Künstler,  z.  B.  einen 
Meister  Crispin  Herranth  für  Albrecht  tätig,  wie  er  auch  mit  Paul  Vischer,  einem 
Sohne  des  berühmten  Erzgießers,  in  Unterhandlung  trat.^)  Die  berühmte  Silber- 
bibliothek, von  des  Herzogs  zweiter  Gemahlin  stammend,  ist  heute  noch  in  der 
Hauptsache  vorhanden  und  dort  aufbewahrt*),  zwanzig  Bände  in  den  prachtvollsten 
Silberdeckeln,  bis  auf  zwei  damals  in  Königsberg  selbst  angefertigt;  geradezu 
herrliche  Arbeiten  der  Gieß-,  Treib-  und  Gravierkunst,  mit  figürlichen  und  orna- 
mentalen Reliefs  und  Wappen  auf  das  schönste  geschmückt. 

Die  neue  Formenwelt  der  Renaissance  sollte  zuerst  bei  dem  durch  Albrecht 
zum  größten  Teil  umgebauten  Schloß  in  Anwendung  kommen. 

Schon  früh  hatte  sich  die  Bedeutung  des  Platzes  als  eines  festen  Punktes 
und  Bollwerks  der  deutschen  Kultur  in  der  Anlage  einer  befestigten  Burg  aus- 
gesprochen, aus  der  sich  im  Laufe  der  Zeiten  das  allerdings  mehr  durch  seine 
gewaltige  Ausdehnung,  als  durch  reiche  künstlerische  Gestaltung  bemerkens- 
werte königliche  Schloß  entwickelte.  Der  imposante  Bau,  der  sich  in  einer  Länge 
von  hundert  und  einer  Breite  von  sechzig  Metern  um  einen  langgestreckten  vier- 
eckigen Hof  gruppiert,  stammt  aus  sehr  verschiedenen  Zeiten  und  bietet  der 
kunstgeschichtlichen  Betrachtung  ein  höheres  Interesse,  als  dem  rein  künstlerischen 
Genuß.  Zuerst  wurde  hier  im  Jahre  1255  auf  dem  höchsten  Punkte  der  flachen 
Pregellandschaft  durch  den  deutschen  Orden  eine  Burg  errichtet,  um  die  stets 
zu  Aufständen  geneigten  Samländer  im  Zaum  zu  halten.*)  Es  war  jedenfalls  nur 
ein  Notbau,  bei  dem  ein  tiefer  Wassergraben,  mit  Pfählen  und  Planken  umzäunt, 
die  Hauptsache  ausmachte.  Aber  schon  zwei  Jahre  darauf  beschloß  der  Orden, 
ein  festeres  Kastell  zu  erbauen,  das  außer  dem  Graben  durch  doppelte  Mauern 
mit  nicht  weniger  als  neun  Türmen  verteidigt  wurde.  Schon  damals  muß  das 
Schloß  eine  bedeutende  Ausdehnung  gehabt  und  im  wesentlichen  der  Größe  des 
jetzigen  entsprochen  haben,  denn  es  umfaßte,  außer  den  Räumen  für  die  Be- 
satzung, die  für  den  Landmeister  und  Ordensmarschall,  den  Hauskomtur  und 
einige  andere  Offizianten,  den  Konvent  der  Ordensritter  und  Priesterbrüder,  seit 
dem  Verluste  der  Marienburg  1457  sogar  den  Hochmeister  und  seinen  ganzen 
Hofstaat.  Daß  von  Anfang  an  auch  eine  Kirche  dazu  gehörte,  ist  selbstverständ- 
lich. Seit  1525,  unter  Albrecht  L,  wurde  es  dann  Residenz  der  preußischen 
Herzöge.  Später  erfuhr  es  manche  Veränderungen  und  durchgreifende  bauliche 
Umgestaltungen,  wozu  namentlich  die  Zuschüttung  des  Grabens  und  die  Besei- 
tigung der  Zugbrücken  gehört ;  aber  immer  noch  ist  es  ein  Bau  von  machtvoller 
Erscheinung  bei  hervorragender  geschichtlicher  Bedeutsamkeit. 

^)  Das  Nähere  darüber  s.  bei  A.  Hagen,  Beschreib,  der  Domkirohe  zu  Königsberg.  Königs- 
berg 1833,  S.  167. 

2)  Vgl.  Hagen,  a.  a.  0.  S.  157  ff. 

3)  Ebenda  S.  155  ff. 

Schwenke  und  Lange,  „Die  Silberbibliothek  Herzog  Albrechts  und  seiner  Gemahlin 
Anna  Maria",  Leipzig  1894.  Abb.  auch  in  Bötticher,  Bau-  u.  Kunstdenkm.  d.Prov.  Ostpr.  S.  150 ff. 

5j  Vgl.  Dr.K.  Paber,  Die  Haupt-  und  Eesidenzstadt  Königsberg  in  Preußen  (Königsb.  1840) 
S.  3.  Dazu  Lilientlial,  Erläutertes  Preußen  (Königsb.  1724)  S.  281 — 311,  die  Gesch.  des  Schlosses. 
—  Bötticher,  a.  a.  0.  S.  18—96. 


Königsberg  Schloß 


223 


Gleich  allen  von  den  deutschen  Rittern  aufgeführten  Werken  ragt  es  durch 
die  sämtlichen  Bauten  dieses  Ordens  eigene  Großartigkeit  der  Anlage  hervor. 
Fassen  wir  es  zunächst  von  außen  ins  Auge,  so  haben  wir  es  heute  allerdings 
nur  mit  einem  ziemlich  unscheinbaren  Putzbau  zu  tun,  der  durch  keinerlei  Gliede- 
rung oder  künstlerische  Durchbildung  das  Auge  besticht;  nur  die  von  mächtigen 
Strebepfeilern  gestützte  Westseite  wird  von  zwei  gewaltigen  runden  Türmen 
flankiert,  die  offenbar  dem  16.  Jahrhundert  angehören.  Sie  erinnern  in  der  Form 
stark  an  die  runden  Nürnberger  Befestigungstürme,  deren  gediegene  Quader- 
konstruktion ihnen  freilich  fehlt,  i)  Weithin  wird  aber  die  Gesamtwirkung  des 
Schlosses  aufs  günstigste  gehoben  durch  den  leider  neuerdings  in  gotischem 
Backsteinbau  „hergestellten"  Hauptturm  des  inneren  Hofes,  der  hoch  über  die 
übrigen  Teile  emporragend  von  altersher  dem  Schlosse  eine  dominierende  Be- 
deutung verleiht,  anstatt  seiner  alten  malerischen,  vierfach  abgetreppten  Spitze^) 
bedauerlicherweise  jetzt  freilich  eine  schematische  Kirchturmspitze  tragend. 

Der  Haupteingang  liegt  an  der  Ostseite  und  bildet  einen  turmartig  vor- 
springenden Vorbau,  der  von  zwei  übereckgestellten  Erkern  eingefaßt  wird  und 
in  der  Mitte  das  Hauptportal  enthält.  Auch  hier  atmet  alles  eine  gewisse  nüchterne 
Schmucklosigkeit,  die  durch  das  charakterlose  neuere  Dach  und  die  veränderte 
Einfassung  der  Fenster  noch  gesteigert  wird  (Abb.  126).  Auch  der  auf  unserer 
Abbildung  sichtbare  Turm  an  der  Nordostecke  des  Schlosses,  vor  dem  sich  bis- 
her noch  ein  inzwischen  beseitigter  Schuppen  hinzog,  ist  von  ebenso  kunstloser 
Form  und  wie  alles  übrige  im  Putzbau  aufgeführt.  Das  Wichtigste  für  unsere 
Betrachtung  ist  das  übrigens  ebenfalls  sehr  einfach  behandelte  Hauptportal,  das 
mit  mageren  dorischen  Rahmenpilastern  eingefaßt,  in  der  Attika  die  Jahreszahl 
1532  und  den  Spruch:  „turris  fortissima  nomen  domini"  trägt,  dazu  den  die  Ge- 
sinnung des  fürstlichen  Bauherrn  schön  charakterisierenden  Vers 

Parcere  subjectis  et  debellare  superbos 

Principis  officium  est,  musa  Maronis  ait. 

Sic  regere  huno  populum  princeps  Alberte  memento, 

Sed  cum  divina  cuncta  regentis  ope. 

Die  südöstliche  Partie  des  Schlosses  ist  später  durch  Andreas  Schlüter  in 
den  ihm  eigenen  mächtigen  Formen  und  Verhältnissen  umgebaut  worden. 

Treten  wir  in  das  Hauptportal,  das  durch  die  Jahreszahl  als  Werk  der 
Frührenaissance  und  als  Schöpfung  Albrechts  I.  bezeugt  ist,  so  führt  es  uns 
durch  eine  tonnengewölbte  Halle  in  den  inneren  Hof.  Gleich  zur  Rechten  fällt 
uns  ein  kleines,  wirkungsvoll  behandeltes  Portal  auf,  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts.  Dagegen  gehört  der  zur  Linken  die  vorspringende  Ecke 
des  östlichen  Schloßflügels  flankierende,  übereck  gestellte  Erker  der  Albrechti- 
nischen Bauzeit.  Auf  derben  Konsolen  vorgekragt,  nimmt  er  übrigens  teil  an 
der  allgemeinen  Schmucklosigkeit  und  Schlichtheit,  nur  trägt  er  das  reich  be- 
malte preußische  Wappen.  Der  ganze  östliche,  sowie  der  langgestreckte  südliche 
Flügel  gehört  off'enbar,  mit  Ausnahme  der  durch  Schlüter  umgebauten  Teile,  der 
Zeit  Albrechts  I.  Das  wird  auch  durch  die  Inschrift  und  die  Jahreszahl  1551 
an  dem  kleinen  Portal  bestätigt,  das  ungefähr  in  der  Mitte  des  Südflügels  die 
sonst  schmucklosen  Flächen  durchbricht.  Die  Arbeit  ist  nicht  sehr  fein,  zeigt 
jedoch  gutes  Verständnis  der  entwickelten  Renaissanceformen.  Eine  männliche 
und  eine  weibliche  Herme  umrahmen  die  im  Flachbogen  geschlossene  Pforte,  die 
nur  von  einem  Rundstab  eingefaßt  ist.  In  der  Attika  sieht  man  das  Relief- 
Brustbild  des  Fürsten,  der  das  Kurschwert  emporhält.   Die  reiche  Einrahmung 


1)  Abgeb.  bei  Bötticher,  a.  a.  0.  S.  44. 

2)  Daselbst  S.  41. 


224      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

des  Feldes  besteht  aus  Löwenköpfen,  verzierten  weiblichen  Masken  und  Rollwerk : 
lauter  Formen  einer  sich  schon  neigenden  Architektur  und  sicherlich  das  Werk 
eines  aus  den  Niederlanden  berufenen  Künstlers. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  ebenso  langgestreckten  nördlichen  Flügel. 
Dieser  ist  offenbar  mit  Ausnahme  seines  östlichen  unter  Friedrich  Wilhelm  III. 
in  nüchternster  Weise  umgebauten  Teiles  die  älteste  Partie  des  Schlosses,  und 
zwar  im  wesentlichen  noch  der  aus  den  Zeiten  des  deutschen  Ordens  herrührende 
Bau.  Dies  geht  schon  aus  den  Spitzenbogenfenstern  hervor,  welche  sich  durch- 
weg hier  im  Erdgeschoß  finden.  Nur  die  auf  schlanken  Holzpfeilern  sich 
davor  hinziehenden  Arkaden  sind  ein  Zusatz  aus  der  Zeit  der  Spätrenaissance, 
wie  man  an  den  schneckenförmig  ausgebildeten  Trägern  erkennt.  Auf  ihnen 
ruht  ein  kleines  Obergeschoß,  von  kurzen  dorischen  Holzpfeilern  gestützt.  Im 
Inneren  ist  hier  eine  Reihe  von  Räumen,  zum  Teil  jetzt  dem  Archiv  dienend, 
mit  eleganten  gotischen  Sterngewölben,  deren  Rippen  zum  Teil  sehr  schön 
profiliert  sind.  Einzelne  derselben  mögen  noch  aus  dem  14.  Jahrhundert  stam- 
men, während  andere  minder  gut  ausgeführte  dem  15.  und  16.  Jahrhundert  an- 
gehören. Einige  dieser  Räume  haben  bis  zu  6  Meter  Scheitelhöhe  bei  10  Meter 
Tiefe  und  der  gewaltigen  Mauerstärke  von  2  Meter.  Darunter  befinden  sich 
mächtige  Keller  in  zwei  Geschossen.  Andere  Gemächer  sind  mit  einfachen 
Kreuzgewölben  bedeckt. 

Der  ganze  westliche  Flügel  endlich  enthält  im  Erdgeschoß  die  sehr  ge- 
räumige Schloßkapelle  und  darüber  den  ganz  grundlos  so  genannten  Moskowiter- 
saal. Vielmehr  ist  dieser  Flügel  in  der  Spätzeit  des  16.  Jahrhunderts  (seit  1584) 
unter  dem  Markgrafen  Georg  Friedrich  ausgeführt  worden,  während  freilich  der 
innere  Bau  der  Kapelle  noch  aus  früherer  Zeit  datieren  mag.  An  den  beiden 
eleganten  Vorbauten,  welche  sich  auf  korinthischen  Säulen  öffnen  und  die  Treppen- 
aufgänge zur  Kapelle  enthalten,  liest  man  die  Jahreszahl  1588.  Derselben  Zeit 
gehört  auch  das  kleine  Portal  an  dem  in  der  nordwesthchen  Ecke  des  Schloß- 
hofes angelegten  Treppenturm.  Es  trägt  in  einem  kräftigen  Renaissancerahme;n 
über  dem  Eingange  den  trefflich  gezeichneten  preußischen  Adler.  Ganz  dieselbe 
Formgebung  erkennt  man  an  einem  reicher  durchgeführten  Portal,  das  im  oberem 
Geschoß  aus  dem  Moskowitersaal  auf  einen  vorgebauten  Altan  führt.  Alle  diesie 
Formen  deuten  auf  fremde  Hände,  und  in  der  Tat  erfahren  wir,  daß  Blasiw.s 
Benvart  und  der  Zimmermann  Hans  Wismar  zur  Ausführung  dieses  Baus  be;- 
rufen  wurden.^)  Es  ist  nun  von  großem  Interesse,  daß  wir  den  erstgenanntem 
Meister  unter  Herzog  Christoph  beim  Schloßbau  in  Stuttgart  kennen  gelernt  habem 
(I,  S.  331  f.),  daß  dann  aber  derselbe  Architekt  um  1563  durch  den  Markgrafem 
Georg  Friedrich  für  den  Bau  der  Plassenburg  berufen  wurde  (I,  S.  485).  EiS 
begreift  sich  leicht,  daß  der  auf  diese  Weise  mit  den  fränkischen  Brandeni- 
burgern  in  Beziehung  getretene  Künstler  dann  auch  weiter  zum  Bau  des  Preußem- 
schlosses  in  Königsberg  herangezogen  wurde.  So  war  es  ihm  denn  beschiedem, 
die  entwickelten  Formen  der  süddeutschen  Renaissance  nach  dem  Norden  ziu 
verpflanzen. 

Das  Innere  der  Kapelle  mit  den  eleganten  gotisch  profilierten  Sterngewölbem 
auf  achteckigen  Granitpfeilern  haben  wir  dagegen  wohl  einheimischen  Meisterm 
zuzuschreiben.  Eine  reiche  Wirkung  macht  die  Bemalung  der  Gewölbe :  gram 
in  grau  ausgeführte  Figuren  auf  blauem  Grunde.  Diese  gehören  indes  eineir 
späteren  Erneuerung,  denn  wir  wissen,  daß  ein  seinerzeit  sehr  geschätzterer 
Meister,  Hans  Windrah,  die  Kirche  und  andere  Gemächer  des  Schlosses  158^8 
durch  selten  schöne  und  zierliche  Stukkatur,  indem  er  verschiedene  Figuren  im 

1)  Abb.  bei  Böttioher,  a.  a.  0.  S.  39. 
2j  Lilienthal,  a.  a.  0.  S.  288. 


Königsberg  Schloß 


225 


Stuck  bildete  und  plastisch  ausführte,  geschmückt  hatte,  Die  Galerien  an  der 
südlichen  Schlußwand  und  der  westlichen  Langseite,  die  königliche  Loge  in  der 
Mitte  der  Westseite  sowie  gegenüber  der  Altar  und  die  in  üppigem  Barockstil 
ausgeführte  Orgel  sind  ebenfalls  spätere  Zusätze.  Der  Moskowitersaal  ist  ein 
Raum  von  ungeheurer  Größe  (fast  neunzig  Meter  lang  und  neunzehn  Meter  breit), 
der  aber  durch  die  ungewöhnlich  geringe  Höhe  von  nur  sechs  Metern  sehr  un- 
günstig wirkt.  Er  besitzt  außer  jenem  Portal  einen  Kamin  in  derben  Formen  der 
Spätrenaissance,  das  Gesims  auf  zwei  Atlanten  ruhend,  die  Ornamentik  durchweg 


Abb.  126   Schloß  zu  Königsborg  i.  Pr. 
(Aufnahme  dar  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


kräftig,  doch  nicht  fein.^)  Der  jetzt  völlig  schmucklose  öde  Saal  hatte  ursprüng- 
lich durch  den  fürsthchen  Hofmaler  Hans  Hennenberger  (1594)  „an  der  Decke 
schöne  Figuren  und  ringsumher  das  alte  und  löbliche  Geschlecht  der  Marggrafen, 
wie  auch  an  den  Wänden  ansehnhche  Tapezereien,  zierlichen  gemalet"  erhalten, 
von  denen  aber  keine  Spur  mehr  vorhanden  ist.^)  Von  anderen  hier  zu  erwähnen- 
den Räumen  mögen  diejenigen  am  südlichen  Ende  des  Westflügels  erwähnt  werden. 
Ihren  sehr  flach  gespannten  Sterngewölben  nach  mit  durchschneidenden  Rippen 
und  Stuckornamenten  scheinen  sie  dem  Bau  des  Blasius  Berwart  anzugehören. 
Ursprünglich  bildeten  sie  offenbar  einen  großen  Saal,  der  mit  der  Kapelle  in  Ver- 

1)  A.  Hagen,  Über  Stukkaturdecken  (Königsb.  1873)  S.  6. 

2)  Abgeb.  bei  Bötticher  a.  a.  0.  S.  87.  Das  schöne  Portal  desselben  Saales  S.  48. 

3)  Vgl.  Philipps  Aufs,  in  den  N.  Preuß.  Prov.-Blätt.  III.  Folge  Bd.  IX  1864  S.  325  fF.  cf. 
Casp.  Hennenbergers  Erklärung  S.  198. 

L üb ke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  15 


226      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengehiete 

bindung  stand.  Aus  derselben  Zeit  stammen  ohne  Zweifel  die  ausgedehnten  Räume 
in  der  nordwestlichen  Ecke  des  Erdgeschosses;  ihre  flachen  Decken  sind  m.t 
Stuckornamenten  im  Schlosserstil  dekoriert,  wohl  noch  Überreste  der  Dekorationea 
von  Hans  Windrah. 

Ein  einziger  Raum  hat  sich  aber  in  ursprünglicher  Schönheit  erhalten,  ge- 
wöhnlich das  Geburtszimmer  Friedrichs  I.  genannt;  ein  „Juwel  der  Frührenais- 
sance". Es  besitzt  eine  vollständige  Täfelung  aus  ungarischem  Eschenholz  und 
eichenen  Rahmen,  das  Fenster  mit  Kassettenbogen  überspannt  und  mit  zierlicher 
Holzsäule  geteilt;  die  Tür  mit  Flachbogen  darüber,  in  der  Ecke  ein  hübscher 
Kamin;  das  Ganze  aber  ganz  winzig.^) 

Der  gewaltige  viereckige,  neuerdings  veränderte  Hauptturra  in  der  süc- 
westlichen  Ecke  des  Hofes  ist  in  seinen  unteren  Teilen  alt.  Ein  ursprünglici 
neben  ihm  angelegter  runder  Treppenturm  ist  später  zerstört  worden.  Ein  etwas 
belebteres  Gepräge  erhielt  ehemals  der  Bau  durch  eine  Anzahl  von  Dacherkerri 
mit  geschweiften  Barockgiebeln,  welche  man  auf  einer  Beringschen  Radierung 
vom  Jahre  1613  sieht.  Selbst  im  Besserschen  Krönungswerk  von  1712  sind  sie 
noch  enthalten.  Endlich  muß  bemerkt  werden,  daß  unter  der  Kapelle  eine  Durch- 
fahrt angeordnet  ist,  im  Südflügel  aber  das  kleine,  oben  besprochene  Portal  zi 
einem  schmalen  Durchgange  nach  der  unteren  Stadt  hin  führt. 

Außer  dem  Schloß  bietet  Königsberg  nicht  viel  für  unsere  Betrachtung. 
Der  Privatbau  ist  unerheblich,  und  das  Wenige  von  Renaissancefassaden  ge- 
hört der  Spätzeit  an.  Das  Beste  ist  ein  reich  im  beginnenden  Barockstil  behan- 
deltes Portal  in  der  Kneiphöfischen  Langgasse  Nr.  27,  das  schon  an  der  Grenze 
unserer  Epoche  steht.  Eigentümlicherweise  ist  anstatt  des  Bogens  eine  halbe 
Achtecklinie  zur  Überdeckung  angewandt;  die  abgeschrägten  Felder  sind  mit 
trefflich  gearbeiteten  liegenden  allegorischen  Figuren  geschmückt,  die  Einfassung 
bilden  elegante  Hermen;  ihr  Schaft  ist  durch  reich  dekorierte  Masken  belebt. 
Auf  dem  geteilten  und  geschweiften  Giebel  sieht  man  zwei  stehende  Figuren,  in 
der  Mitte  auf  einer  Schnecke  die  Justitia.  Man  darf  hier  wohl  einen  nieder- 
ländischen oder  gar  französischen  Künstler  vermuten.  Zu  beiden  Seiten  des 
Portals  treten  die  Kellertüren  vor,  reich  und  trefflich  geschnitzt.  Der  Hausflur 
drinnen  führt  auf  einen  Saal,  dessen  Portal  in  demselben  Stil  mit  großer  Virtuosität 
gearbeitet  ist.^) 

Eine  völlig  erhaltene  kleine  Fassade  aus  derselben  Epoche  sieht  man  in  der 
Fleischbänkengasse.  Das  Portal,  ebenfalls  mit  tiefer  Leibung,  wird  von  korinthi- 
schen Säulen  eingefaßt,  die  oberen  Teile  der  Hausfront  werden  durch  einzelne 
Masken,  sparsam  verteilte  Diamantquadern  und  gut  stilisierte  eiserne  Anker  an- 
sprechend belebt,  ganz  im  Charakter  niederländischer  Architektur.  Ein  dürftiges 
Barockportal  sah  man  an  dem  kleinen  abgebrochenen  Hause  zum  Bienenkorb  in 
der  Altstädtischen  Langgasse.  Wertvoller  war  der  dazugehörige  polygone  in  Fach- 
werk ausgeführte  Erker,  der  auf  einer  gut  geschnitzten  Maskenkonsole  ruht.  Am 
Giebel  schien  die  Jahreszahl  1621  zu  stehen. 

Einige  vorzügliche  Werke  besitzt  endlich  der  Dom.  Vor  allem  das  große  in 
einer  Höhe  von  fast  14  Meter  die  ganze  Ostwand  des  Chores  ausfüllende  Denkmal 
des  Herzogs  Albrecht  (Bd.  I,  Abb.  27).  Es  ist  noch  bei  Lebzeiten  des  Fürsten 
begonnen  und  wahrscheinhch  zwei  Jahre  nach  seinem  Tode  vollendet,  denn  man 
liest  die  Jahreszahl  1570  im  Giebelfelde.  Der  Aufbau  ist  der  seit  Andrea  Sanso- 
vinos  berühmten  Grabmälern  verbreitete  eines  großen  Triumphbogens,  beiderseits 
von  zwei  korinthischen  Säulen  eingefaßt,  über  denen  hier  noch  zwei  andere  sich 
erheben.    In  den  dazwischen  angebrachten  Nischen  sieht  man  vier  königliche 

1)  Abg.  bei  Bötticher  S.  71. 

2)  Abgeb.  bei  Bötticher  a.  a.  0.  S.  371,  372. 


Königsberg  Dom 


227 


Gestalten,  etwa  Ezechias,  Josias,  Konstantin  und  Theodosius^),  denn  in  Leichen- 
predigten wurde  dem  verstorbenen  Fürsten  nachgerühmt,  daß  er  nach  dem  Vor- 
bilde dieser  frommen  Herrscher  „die  gotteslästerliche  antichristliche  Gräuel  ab- 
gethan".  In  dem  mittleren  großen  Bogenfelde  kniet  die  edle  Gestalt  Albrechts 
vor  seinem  Betpult,  hinter  ihm  sieht  man  ein  Medaillon  mit  der  Pietä.  Der  Fürst 
kniet  auf  dem  Deckel  des  Sarkophags,  der  von  den  Gestalten  der  drei  christlichen 
Tugenden  und  zwei  Genien  mit  gesenkten  Fackeln  getragen  wird.  In  dem  oberen 
Aufsatz  zeigt  sich  ein  etwas  stark  bewegtes  Relief  des  Jüngsten  Gerichts,  Das 
prachtvolle  Denkmal,  das  aus  weißem,  schwarzem  und  buntfarbigem  Marmor  und 
Alabaster  besteht  und  in  allen  Teilen  aufs  reichste  und  eleganteste  geschmückt 
ist,  wurde  in  den  Niederlanden  von  dortigen  Künstlern  gearbeitet^);  es  stammt 
sicher  aus  der  Werkstatt  des  Cornelms  Floris  zu  Antwerpen.  Daß  Jakob  Binck 
aber  den  Entwurf  dazu  gefertigt  hätte,  wie  A.  Hagen  vermutet,  ist  eine  schon 
wegen  der  späten  Zeit  der  Entstehung  ganz  unglaubwürdige  Annahme;  eher 
wäre  es  noch  möglich^),  daß  dieser  Künstler  das  an  der  Nordwand  befindliche 
Epitaph  von  Albrechts  erster  Gemahlin,  der  Markgräfin  Dorothea,  im  Jahre  1547 
entworfen  hat,  wie  er  behauptet.  Am  13.  Juli  desselben  Jahres  schreibt  Al- 
brecht an  König  Christian  III.  von  Dänemark  einen  Entschuldigungsbrief,  daß  er 
dessen  Hofmaler  Jakob  Binck  noch  nicht  habe  zurücksenden  können,  weil  er 
das  Denkmal  der  verstorbenen  Markgräfin  anfertigen  solle.  Binck  blieb  bis  zum 
1.  März  1548  in  Königsberg  und  hielt  sich  dann  bis  zum  Herbst  in  Kopenhagen  auf, 
von  wo  er  sich  bis  1550  nach  Antwerpen  begab,  wahrscheinlich  um  dort  die  Aus- 
führung des  Denkmals  zu  überwachen.  Die  Vollendung  des  Werkes  erfolgte,  wie 
die  Inschrift  beweist,  schon  1549,  die  Aufstellung  jedoch  nicht  vor  1552.  Auch 
dieses  Epitaphium  ist  in  Marmor  ausgeführt  und  aufs  reichste  mit  Karyatiden, 
Reliefs  und  anderen  Ornamenten  geschmückt.*)  Doch  ist  nach  den  sonstigen  Um- 
ständen auch  hier  wahrscheinlich,  daß  das  Denkmal  eines  der  unzähligen  ist,  die 
in  Antwerpen  von  Cornelius  Floris  entworfen  und  in  seiner  Werkstatt  angefertigt 
wurden;  und  daß  Jakob  Binck  sich  dies  bequeme  Verhältnis  nur  zunutze  machte, 
um  wohlfeilen  Künstlerruhm  und  guten  Verdienst  ohne  viel  Arbeit  einzuernten. 
Der  Stil  der  eigenhändigen  sehr  sparsamen  Arbeiten  Bincks  hat  in  der  Tat  nichts 
mit  der  Floris-Richtung  gemein,  deren  klarster  Repräsentant  jenes  Denkmal  dort 
ist.  —  Dem  Denkmal  gegenüber  hängt  eine  fast  genaue  Kopie  davon,  das  Epitaph 
der  zweiten  Gemahlin  Albrechts,  Annemariens  von  Braunschweig.  Ein  drittes, 
ebenfalls  prächtig,  aber  in  Sandstein  gearbeitetes  Denkmal  ist  das  der  1578  ge- 
storbenen Gemahlin  Georg  Friedrichs,  der  Markgräfin  Ehsabeth  (Abb.  127).  Es 
wurde  in  Königsberg  vom  Bildhauer  Willem  vom  Bloche  gefertigt.^)  In  der  An- 
ordnung dem  des  Markgrafen  Albrecht  verwandt,  reich  vergoldet  und  zum  Teil 
bemalt,  ist  es  ebenfalls  großartig  aufgebaut  und  sehr  tüchtig,  wenngleich  etwas 
manieriert  im  Figürlichen  behandelt.  In  dem  mittleren  Bogenfelde  knien  hier  beide 
Gatten  einander  gegenüber  vor  dem  Betpulte.  Diesen  Willem  van  den  Block 
haben  wir  schon  in  Danzig  als  den  Schöpfer  des  gewaltigen  Hohen  Tores 
kennen  gelernt. 

Von  besonderer  Schönheit  sind  mehrere  in  der  Fürstengruft  vorhandene 
Bleisärge,  namentlich  der  des  Kurfürsten  Georg  Wilhelm  und  Johann  Sigismund. 
Die  Ornamentik  ist  von  einer  an  solcher  Stelle  ganz  ungewöhnlichen  Feinheit. 

1)  Doch  deutet  vielleicht  die  Harfe  des  einen  auf  David. 

2)  Wie  sehr  man  damals  im  Norden  auf  niederländische  Arbeiten  bedacht  war,  geht  daraus 
hervor,  daß  die  Kauf  leute  solche  Werke  in  den  Niederlanden  erhandelten,  um  sie  „in  Polen  oder 
Moskau  zu  verkaufen".  A.  Hagen,  Dom  in  Königsberg,  S.  170. 

3)  Hagen  a,  a.  0.  S.  160,  173. 

4)  Bötticher  a.  a.  0.  Abb.  207. 

5)  Hagen  a.  a.  0.  S.  189. 


228      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Die  zahlreichen  übrigen  Epitaphien  sind  zum  Teil  vortrefflich,  in  der  Haupt- 
sache aber  jünger  und  schHeßen  sich  in  fast  ununterbrochener  Reihenfolge  bis 
ins  18.  Jahrhundert  an. 


Königsberg  Stettin 


229 


In  der  Kirche  ist  das  prächtige  schmiedeiserne  Gitter  an  der  Kanzel  vom 
Jahre  1589,  sowie  die  aus  derselben  Zeit  herrührende  kraftvoll  gebildete  steinerne 
Kanzel  und  der  reichgeschnitzte  Kanzeldeckel  mit  hohem  Aufbau  beachtenswert,^) 
Auch  die  eiserne  Gittertür  zur  Taufkapelle  ist  eine  tüchtige  Arbeit.  Die  Tauf- 
kapelle selbst  ist  durch  eine  ionische  Säulengalerie  von  1595  von  der  Kirche  ab- 
getrennt.^) Besonders  schön  der  Ratsherrensitz,  eine  Arbeit  des  17.  Jahrhunderts, 
edel  und  einfach  kräftig  mit  Intarsien,  oder  wie  man  damals  sagte  „Welsch- 
täfelwerk"  ^) ;  die  prächtige  Bekrönung,  leider  verloren,  war  reich  durchbrochen. 

Pommern 

Der  Boden  von  Pommern  scheint  für  die  Renaissance  wenig  aufnahmefähig 
gewesen  zu  sein.  Die  mächtigen  Städte  Stralsund,  Greifswald,  Stargard  u.  a.  hatten 
ihre  entscheidende  Rolle  ausgespielt  und  zeigen  nur  in  ihren  mittelalterlichen 
Monumenten  Zeugnisse  einstiger  Blüte.  Mit  der  neuen  Zeit  beginnt  auch  hier  das 
Fürstentum  sich  zu  erheben.  Schon  Herzog  Bogislaw  X.  (f  1523)  sucht  die  fürst- 
liche Macht  fester  zu  begründen.  Er  beruft  Doktoren  des  römischen  Rechtes  ins 
Land,  um  die  neue  Ordnung  durchzuführen.*)  Unter  seinen  Söhnen  Georg  und 
Barnim  X.  setzt  sich  in  den  Städten  die  Reformation  gegen  den  Willen  der  Fürsten 
durch.  Nach  Georgs  Tode  (1531)  teilt  Phihpp  I.  mit  Barnim  die  Regierung,  bis 
ersterer  1560  stirbt  und  letzterer  1569  entsagt.  Barnim,  eine  friedhche,  den 
Künsten  ergebene  Natur  (der  übermütige  Adel  verspottete  ihn  oft  wegen  seiner 
„Spillendreherei",  d.  h.  Liebe  zum  Drechseln  und  Bildschnitzen),  ist  uns  besonders 
durch  bauliche  Unternehmungen  bedeutsam.  Sodann  aber  tritt  der  hochsinnige, 
prachtliebende  und  gebildete  Johann  Friedrich  (1570 — 1600)  als  Förderer  der 
Künste  auf.  Maler,  Formschneider  und  Kupferstecher  finden  Beschäftigung: 
Johann  Baptista,  „fürstlich  pommerischer  Gontrefaitmaler",  gewiß  ein  Itahener, 
galt  als  der  beste  Künstler  in  Norddeutschland.  An  Stelle  des  durch  Brand 
zerstörten  Schlosses  zu  Stettin  ließ  Johann  Friedrich  durch  einen  welschen„ 
Meister  seit  1575  einen  ansehnlichen  Neubau  aufführen,  der  zwar  im  Oktober  des 
folgenden  Jahres  wieder  durch  Feuer  beschädigt  wurde,  aber  1577  schon  seine 
Vollendung  erhielt.  Auch  das  Jagdschloß  Friedrichswalde,  tief  im  Forste  unweit 
der  Ihna,  erbaute  er,  und  die  verfallenen  Schlösser  in  Stolp,  Lauenburg  u.  a. 
stellte  er  wieder  her.  Noch  eifrigere  Förderung  von  Kunst  und  Wissenschaft 
finden  wir  sodann  bei  dem  edlen,  sinnigen  Phihpp  II.  (f  1618),  den  seine  religiösen 
Grübeleien  nicht  abhielten,  mit  warmem  Anteil  den  Schöpfungen  der  Kunst  zu 
folgen,  Münzen,  Gemälde,  Miniaturen  und  andere  Kostbarkeiten  zu  sammeln  und 
für  sein  reiches  Kunstkabinett  einen  besonderen  Flügel  dem  Schloß  in  Stettin 
anzubauen.  Von  der  feinen  Sitte,  von  der  echt  humanen  Gesinnung  und  der  für 
jene  Zeit  selten  hohen  Bildung  an  seinem  Hofe  gibt  uns  Philipp  Hainhofers  Reise- 
tagebuch®) anziehenden  Bericht.  Noch  ist  (im  Kunstgewerbemuseum  zu  Berlin) 
der  berühmte  pommersche  Kunstschrank  erhalten  (Abb.  112),  den  ein  Augsburger 
Patrizier  im  Auftrage  des  Fürsten  hatte  arbeiten  lassen,  und  den  er,  zugleich  mit 
einem  zweiten  ähnlichen  Prachtwerk,  dem  jetzt  verschollenen  sogenannten  Meier- 
hof, selbst  nach  Stettin  überbrachte. 

Der  ansehnlichste  Rest  von  den  architektonischen  Schöpfungen  der  pom- 
merschen  Herzöge,  wenn  auch  in  seiner  jetzigen  Gestalt  künstlerisch  nicht  eben 


1)  Bötticher  a.  a.  0.  Abb.  207,  208. 

2)  Bötticher  Abb.  209,  210. 

3)  Hagen  a.  a.  0.  S.  156. 

Barthold,  Geschichte  von  Rügen  und  Pommern  IV.  2  S.  4  if. 
^)  Herausgegeben  in  den  Baltischen  Studien,  II.  Bd.,  Stettin  1836. 


230      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


bedeutend,  ist  das  Schloß  zu  Stettin^)  (Abb.  128).  Seine  Front  mit  dem  Haupt- 
portal, das  übrigens  einer  späteren  Zeit  angehört,  liegt  gegen  Süden.  Neben  dem 
Portal,  zur  Rechten  des  Eintretenden,  erhebt  sich,  aus  dem  Mauerkörper  vor- 
springend, ein  viereckiger  Turm,  der  oben  ins  Achteck  übergeht.  Dieser  Flügel 
ist  neuerdings  ganz  umgebaut,  wobei  eine  schöne  alte  Holzdecke  wieder  in  dem 
großen  Saal  des  Obergeschosses  Verwendung  fand ;  in  diesem  ist  heute  die  Samm- 
lung der  Gesellschaft 
für  Pommersche  Ge- 
schichte und  Alter- 
tumskunde aufgestellt. 
Tritt  man  durch  das 
Hauptportal  ein,  so 
befindet  man  sich  in 
einem  großen  vierecki- 
gen Schloßhofe  von 
ziemlich  regelmäßiger 
Anlage,  der  wieder 
durch  zwei  viereckige 
Türme  ein  stattliches 
Gepräge  erhält.  Der 
eine,  am  westlichen 
Flügel  vorspringend, 
enthält  den  Aufgang 
zu  den  dortigen  Räu- 
men; der  andere,  oben 
ins  Achteck  überge- 
hend, dient  als  Uhr- 
turm. Im  übrigen  ist 
der  ganze  Bau  von 
größter  Einfachheit, 
die  Flächen  verputzt, 
die  architektonischen 
Glieder  aber  von  Stein. 
Die  Form  durchweg 
die  einer  schlichten 
klassizistischen  Re- 
naissance, die  Fenster 
mit  antikem  Rahmen- 
profil undDeckgesims, 
im  östlichen  und  dem 
anstoßenden  Teil  des 

nördlichen  Flügels,  die  eine  besondere  Bauführung  zeigen,  zu  zweien  gruppiert. 
Die  Abwesenheit  alles  Mittelalterlichen,  noch  mehr  aber  die  Bekrönung  des 
Ganzen  mit  einer  hohen  Attika,  deren  Gesimse  durch  liegende  Voluten  abgeschlossen 
wird  und  bloß  dazu  dient,  das  Dach  zu  maskieren,  deutet  auf  polnisch-slawischen 
Einfluß  unter  italienischer  Leitung.  Ein  schlichter  Erker  ist  am  nördlichen  Ende 
des  Westflügels,  ein  ebenfalls  einfach  behandeltes  Doppelportal,  darüber  eine 
kleine  Halle  mit  kannelierten  dorischen  Pflastern,  im  nördlichen  Hauptflügel  an- 
geordnet. Die  Treppe,  die  hier  in  geradem  Laufe  aufsteigt,  zeigt  italienische 
Anlage.    An  diesen  beiden  Flügeln  liest  man  zweimal  die  Jahreszahl  1577.  Es 

1)  Nähere  Nachrichten  über  dessen  Geschichte  und  einstige  Gestalt  in  W.  H.  Meyer, 
Stettin  in  alter  und  neuer  Zeit.  Daselbst  1887,  p.  115  flf. 


Abb.  128  Schloß  zu  Stettin  von  Norden 
(Nach  einem  Kupferstich  des  17.  Jhdts.) 


Stettin 


231 


sind  also  die  Teile,  welche  seit  1575  unter  Herzog  Johann  Friedrich  ,. durch  einen 
welschen  Maurer,  Antonius  Wilhelm'',  aufgeführt  wurden.  Andeutungen  einer 
einstigen  reicheren  Gliederung  sind  in  einigen  Pilasterordnungen  am  "Westflügel 
erhalten.  Ebenso  bemerkt  man  am  östlichen  Ende  des  Hauptbaues  Spuren  der 
ehemaligen  Bogenhallen,  die  nach  alten  Abbildungen,  eine  Terrasse  tragend, 
fast  den  ganzen  Hof  umzogen.  Im  Innern  ist  die  gleichzeitig  erbaute  Schloß- 
kirche der  wichtigste  Raum:  ein  Rechteck  mit  Spiegelgewölbe,  in  drei  Geschossen 
von  Arkaden  mit  Emporen  umzogen.  Im  untern  standen  nach  Hainhofers  Be- 
richt „die  Diener  und  Stadtleute,  im  mittleren  die  Fürsten,  Räte,  Junker  und 
Pagen,  im  oberen  die  Fürstinnen,  Frauenzimmer  und  Mägde".  Von  einem  früheren 
Baue  an  der  gleichen  Stelle  stammt  das  am  östlichen  Flügel  befindliche  Wappen 
mit  dem  Namen  Herzog  Barnims  X.  vom  Jahre  1538.  Es  ist  in  primitiven,  wenig 
verstandenen  Renaissanceformen  ausgeführt.  Ob  die  Bauteile,  an  welchen  es  sich 
befindet,  noch  jenem  früheren  Bau  angehören,  ist  weder  mit  Bestimmtheit  zu 
bejahen  noch  zu  verneinen.  Gewisse  Umgestaltungen  und  Zusätze  abgerechnet 
(namentlich  die  Attika)  wäre  es  wohl  möglich,  daß  der  östliche  Flügel  im  wesent- 
lichen aus  Barnims  Zeiten  herrührt. 

Wenn  man  im  westlichen  Flügel  einen  offenen  Durchgang  passiert,  so  ge- 
langt man  in  einen  zweiten,  kleineren  Hof,  der  sich  in  derselben  Tiefe,  aber  in 
geringerer  Breite  parallel  mit  jenem  ersten  erstreckt.  Ein  vierter  stattlicher  Turm 
schließt  ihn  an  der  Nordostecke  ab  und  beherrscht  hier  die  Verbindung  nach 
außen,  während  an  der  Südseite  ein  zweites  Tor  auf  die  Straße  mündet.  Auch 
hier  herrscht  große  Einfachheit,  aber  eine  hübsche  Tafel  mit  den  Brustbildern 
Philipps  II.  und  Franz'  I.  meldet,  daß  diese  Fürsten  den  Bau  1619  als  „musarum 
et  artium  conditorium"  ausgeführt  haben.  Es  war  also  der  für  die  Bibliothek 
und  die  Kunstsammlungen  des  Herzogs  bestimmte  Bau,  von  welchem  auch  Hain- 
hofer  berichtet.    Damit  schließt  hier  die  Bautätigkeit  unserer  Epoche  ab. 

Wenn  der  heutige  Zustand  des  Schlosses  nun  nur  noch  bescheidene  Reste 
einer  künstlerisch  bedeutsamen  Anlage  zeigt,  so  geben  die  alten  Abbildungen^)  doch 
den  Beweis,  daß  diese  im  16.  Jahrhundert  tatsächlich  vorhanden  war.  Insbesondere 
bot  der  leider  ganz  umgebaute  südliche  Flügel,  wo  sich  noch  heute  der  Haupt- 
gang befindet,  einst  ein  reiches  Bild  durch  seine  fünf  Querdächer  mit  Renaissance- 
giebeln, seine  aufwendige  spätgotische  GUederung,  insbesondere  der  Obergeschosse, 
den  malerischen  Turm  an  der  Südwestecke,  da,  wo  sich  die  Schloßkirche  befindet 
und  eine  über  diese  Teile  ausgebreitete  üppige,  vielleicht  in  Sgraffito  hergestellte 
schmückende  Malerei;  dieser  Teil  war  schon  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
durch  Bogislaw  X.  in  prächtiger  Weise  aufgebaut  und  enthielt  die  eigentlichen 
Fest-  und  Repräsentationsräume.  Die  schöne  geschnitzte  Holzdecke,  noch  in 
spätmittelalterlicher  Art,  deren  wir  oben  Erwähnung  taten,  ist  der  letzte  Zeuge 
einer  einst  glänzenden  Ausstattung  im  Innern,  die  dem  einst  auch  in  der  äußeren 
Architektur  teilweise  prächtig  durchgeführten  Schlosse  unzweifelhaft  einen  Platz 
unter  den  künstlerisch  bedeutungsvollen  Residenzen  deutscher  Fürsten  sicherte. 
Freilich  mit  einem  stark  polnisch-slawischen  Einschlag. 

Die  Stadt  selbst  zeigt  kaum  Spuren  mehr  von  irgendwelcher  Kunstblüte 
während  der  Renaissancezeit ;  nur  ein  stattliches  Hausportal  in  der  Großen  Oder- 
straße Nr.  72  ist  zu  erwähnen. 

Die  übrigen  Renaissancebauten  Pommerns  gehören  überwiegend  der  späteren 
Zeit  an.^)  So  das  Schloß  Paus  in  bei  Stargard,  das  Schloß  Pudagla  auf 
der  Insel  Usedom  vom  Jahre  1574,  das  Schloß  Mellenthin  vom  Jahre  1575, 


1)  Bei  Meyer  a.  a.  0.  Taf.  1—3. 

2)  Die  Notizen  bei  Kugler  a.  a.  0.  S.  776  if. 


232      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


mit  schönen  Gewölben  im 
Innern,  das  Schloß  von 
Plathe  in  den  wenigen 
noch  erhaltenen  Teilen; 
endlich  noch  das  statt- 
liche Schloß  zu  Bütow, 
1623  durch  Bogislaw  XIV. 
erbaut.  Alle  diese  Werke 
sind,  bei  oft  stattlicher 
Anlage,  doch  von  gerin- 
ger künstlerischer  Be- 
deutung. Höheren  Wert 
mag  ihnen  die  nicht  mehr 
vorhandene  innere  Aus- 
stattung gegeben  haben. 

Von  bürgerlicher  Ar- 
chitektur dieser  Zeit  ist 
in  Pommern  nicht  viel 
zu  melden.  Die  mäch- 
tigen Städte  hatten  hier 
mit  dem  15.  Jahrhundert 
ihren  Glanzpunkt  über- 
schritten. 

In  Stargard  ist, 
wie  in  den  übrigen  Städ- 
ten Pommerns,  das  Mit- 
telalter die  eigentliche 
Blütezeit  des  städtischen 

Gemeinwesens.  Nicht 
bloß  die  gewaltige  Ma- 
rienkirche und  die  eben- 
falls stattliche  Johannis- 
kirche,  sondern  die  zum 
Teil  noch  wohlerhaltenen 
Befestigungswerke  der 

Stadt  mit  ihren  Tortürmen,  namentlich  dem  Johannistore  und  dem  sogenannten 
Roten  Meer,  zeugen  von  der  Blüte  der  Stadt  im  15.  Jahrhundert.  Alle  diese 
Bauten,  sowie  einzelne  noch  wohlerhaltene  Bürgerhäuser  aus  jener  Epoche,  zeigen 
die  charaktervolle  Backsteintechnik  der  norddeutschen  Küstengebiete.  Im  16.  Jahr- 
hundert muß  jedoch  der  Wohlstand  Stargards  einen  empfindHchen  Stoß  erlitten 
haben,  denn  die  Renaissance  ist  hier  unbedeutend  vertreten;  man  besaß  offenbar 
nicht  die  Mittel,  um  wie  in  Danzig  fremde  Künstler  zu  berufen,  um  den  neuen 
Stil  hier  einzubürgern.  Dennoch  hat  er  sich  an  einigen  Stellen  gleichsam  heim- 
lich eingeschhchen,  und  es  sind  wahrscheinhch  heimische  Meister  gewesen,  welche 
das  Wenige,  was  sie  von  der  welschen  Bauweise  aufgeschnappt  hatten,  nun  zu 
verwerten  suchten;  doch  waren  das  nur  vereinzelte  Formen,  und  es  ist  merk- 
würdig zu  beobachten,  wie  sie  sonst  und  im  wesentlichen  mittelalterliche  Anlage 
und  Konstruktion  festhalten  und  nur  einzelne  Renaissance-Elemente  einfügen. 
So  sieht  man  es  bei  dem  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  aufgeführten  präch- 
tigen Giebel  des  Rathauses  (Abb.  129);  er  ist  ganz  mit  einem  in  seiner  Art  reiz- 
vollen Netze  gotischer  Maßwerke  bedeckt,  die  aber  durch  antik  gebildete  Gesimse, 
an  denen  sogar  der  Zahnschnitt  vorkommt,  abgeteilt  werden.  Auch  die  ebenfalls 


1  ^y-v 


Abb.  129   Vom  Rathausgiebel  zu  Stargard 


Greifswald 


233 


mit  Maßwerken  geschmückten  bogenförmigen  Einfassungen  des  Giebels,  sowie  die 
oberen  Schnecken  reden  die  Sprache  der  Renaissance.  Was  vielleicht  noch  mehr 
den  Durchbruch  einer  neuen  Anschauung  verrät,  ist  der  Umstand,  daß  alles  in 
Stuck  ausgeführt  ist.  Man  fing  an,  sich  der  alten,  ehrlichen  Backsteinkonstruk- 
tion zu  schämen  und  die  Formen  des  Werksteinbaues  nachzuahmen.  Daß  auch 
sonst  Mittelalter  und  Renaissance  hier  einander  friedlich  durchdringen,  beweisen 
die  gewundenen  Riefungen  der  vier  kräftigen  Rundsäulen,  die  im  Flur  des  Rat- 
hauses die  Decke  tragen,  sowie  die  Kehlenprofile  der  Unterzugsbalken;  ebenso 
der  große  Kamin  im  Erdgeschoß ;  auch  an  ihm  sind  antik  profilierte  Gesimse  mit 
gotischen  Maßwerken  vereinigt.  Die  Rückseite  des  Rathauses  hat  einen  Giebel 
vom  Jahre  1654  mit  schweren  Voluten  in  einem  häßlichen  Barockstil. 

Offenbar  von  demselben  Künstler  rühren  noch  zwei  andere,  kaum  minder 
stattliche  Giebel  her;  der  eine  gehört  einem  die  Ecke  des  Marktes  und  der  Post- 
straße bildenden  Privathause,  der  andere  einem  Wohnhause  an  der  Ecke  der 
Radestraße  und  des  Marktes.  Hier  sieht  man  deutlich,  daß  die  Giebelabsätze 
ursprünghch  durchweg  ein  einfaches  Kreissegment  zeigten,  welches  man  später 
und  zwar  sehr  rücksichtslos  in  Schnecken  umwandelte. 

Derselben  Zeit  gehören  sodann  das  Pyritzer  Tor  und  das  Walltor,  beides 
Stuckbauten,  letzteres  in  guten  einfachen  Renaissanceformen,  hübsch  aufge- 
baut, mit  toskanischen  Pilastern  belebt  und  mit  Bogengliedern  abgeschlossen. 
Was  sonst  in  Stargard  an  Wohnhäusern  dieser  Epoche  sich  befindet,  bewegt 
sich  in  schwerfälligen  und  öden  Barockformen.  So  in  der  Jägerstraße  eine 
ziemlich  große  Fassade;  eine  kleinere  am  Markt,  mit  figürlichem  Schmuck  in 
Stuckreliefs  von  geringem  Gehalt:  dürftige  Provinzialkunst,  die  keinen  Reiz 
noch  Wert  hat. 

Etwas  anders,  aber  nicht  viel  glücklicher,  fand  man  sich  in  Greifswald 
mit  der  Renaissance  ab.  Während  die  drei  Kirchen  der  Stadt  noch  jetzt  ein 
Zeugnis  ihrer  Bedeutung  während  des  späten  Mittelalters  sind,  spielt  die  Renais- 
sance hier  eine  bescheidene  Rolle.  Zuerst  spricht  sie  sich  —  und  diesmal  aller- 
dings mit  einigem  Erfolg  —  in  dem  prächtigen  Oberteil  des  Westturmes  der 
Marienkirche  aus,  einem  höchst  vortrefflich  gruppierten  Aufbau  auf  dem  ge- 
waltig dicken  mittelalterlichen  Klotz  des  Turmunterteils,  der  bis  in  Höhe  des 
Mittelschiffes  reicht.  Darauf  ist  dreimal  zurückspringend  ein  reichgegliederter 
viereckiger  Zwischenteil  mit  runden  Türmchen  an  den  Ecken  gelagert,  aus 
dessen  Mitte  der  achteckige  zweigeschossige  Turmkörper  hervorwächst.  Alle 
diese  Teile  sind  in  Anlehnung  an  die  untere  Gotik  in  Ziegelbau  mit  Maßwerk 
und  geputzten  Blenden  durchgeführt,  am  einzelnen  weniger,  als  am  Umriß  als 
Renaissance  zu  erkennen.  Der  Turm  trägt  dann  noch  einen  mannigfach  ge- 
schweiften, zweimal  durchsichtigen,  schönen  Kupferhelm  über  einer  Docken- 
galerie. Das  Gesamte  sichtbar  ein  Werk  des  16.  Jahrhunderts  und  ein  höchst 
verdienstlicher  Versuch,  die  Ergebnisse  des  mittelalterhchen  Backsteinbaues  für 
die  Renaissance  nutzbar  zu  machen  (Abb.  130).  Man  sieht  sonst  nur  ein  paar 
Wohnhäuser  mit  einfachen  Schneckengiebeln  ohne  feinere  Gliederung.  Ahnlich 
auch  das  Rathaus  und  ein  wenigstens  stattlich  angelegter  Privatbau  am  Markt. 
Eine  Renaissance  von  beträchtlich  grober  und  plumper  Art  an  einem  kolossal 
hohen  und  breiten  Giebel  der  Langenstraße,  gleich  jenen  Giebeln  in  Stargard 
von  einer  reichen  Stuckdekoration,  die  ihre  Motive  jedoch  nicht  mehr  dem  goti- 
schen Maßwerk  entnimmt,  sondern  aus  allerlei  wenig  verstandenen  Voluten  und 
anderen  Schnörkeln  der  Renaissance  zusammensetzt.  Der  Eindruck  ist  reich, 
doch  wenig  erfreulich.  Ein  anderes  großes  Haus  in  der  Knopfstraße  zeigt  ähn- 
liche dekorative  Absichten,  aber  mit  besserem  Verständnis  der  Formen,  ohne  in 
jene  Probiererei  zu  verfallen. 


234      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Einige  Schätze  edler  Renais- 
sance bewahrt  jedoch  die  Univer- 
sität. Zunächst  den  schönen  sil- 
bernen Lutherbecher  vom  Jahre  1525, 
ein  Buckelkelch  mit  trefflich  kom- 
poniertem Deckel  in  edlen  Renais- 
sanceformen, unter  den  deutschen 
Geräten  dieses  Stils  eines  der  frühe- 
sten, sowohl  historisch  als  künstle- 
risch bemerkenswert. 

Höchst  bemerkenswert  sind  be- 
kanntlich schon  die  beiden  elegan- 
ten silbernen  Universitätsszepter 
vom  Jahre  1456,  die  hier  als  zum 
Universitätsschatz  gehörig  erwähnt 
werden  mögen,  freilich  noch  gotisch; 
neben  den  ähnlichen  der  Universi- 
täten Heidelberg  und  Freiburg  wohl 
die  einzigen  aus  jener  Epoche  bei 
uns  noch  erhaltenen. 

Sodann  ein  Prachtstück  fland- 
rischer Teppichweberei,  der  be- 
rühmte Teppich  von  Groi  vom  Jahre 
1554.  Er  stellt  in  einer  bedeuten- 
den historischen  Komposition  die 
Vermählung  Georg  Philipps  von 
Pommern  mit  Maria,  der  Tochter 
Johann  Friedrichs  von  Sachsen,  dar. 
An  der  unteren  Seite  liest  man  ein 
aus  den  Buchstaben  P  und  H  ver- 
schlungenes Monogramm.  Ein  klei- 
nerer Teppich  mit  der  Geschichte 
der  Esther,  minder  fein,  minder  gut 
gezeichnet,  aber  lebendig  in  den 
Farben,  von  deutscher,  vielleicht 
rheinischer  Arbeit.  Auch  ein  Pracht- 
werk alter  Stickerei  besitzt  die  Uni- 
versität an  dem  Rektor-Pallium, 
welches  1619  von  Herzog  Philipp 
Julius  geschenkt  wurde.  Der  herr- 
liche Stoff  von  purpurrotem  Sammet 
erhält  durch  trefflich  stilisierte,  in 
Gold  und  Silber  gestickte  ornamen- 
tale Säume  erhöhten  Glanz.  Ein  paar 
Grabsteine  aus  guter  Renaissance- 
zeit sieht  man  ferner:  vom  Jahre  1551  das  Epitaphium  Herzog  Philipps  L,  dessen 
reich  ausgeführtes  Wappen  mit  schönem  Akanthuslaub  eingefaßt  ist;  das  Grabmal 
des  Herzogs  Ernst  Ludwig,  mit  der  Gestalt  des  ritterlichen  Herrn  in  kräftigem 
Relief  und  freier  Haltung  eingerahmt  von  kannelierten  ionischen  Säulen.  Auch 
hier  gehören  die  architektonischen  Formen  noch  einer  guten  Frührenaissance  an. 

Etwas  mehr  Ausbeute  gewährt  Stralsund,  obwohl  auch  hier  die  politische 
Macht  und  der  Schwerpunkt  der  monumentalen  Entwicklung  ins  Mittelalter  fällt. 


Abb.  130  Marienkirchturm  zu  Greifswald 


Stralsund 


235- 


Wenn  man  von  der  gegenüberliegenden  Küste  Rügens  aus  die  Stadt  mit  ihren 
drei  gewaltigen  gotischen  Kirchen  und  dem  alle  Privatbauten  hoch  überragenden 
Rathause  sich  im  klaren  Wasser  des  Strelasunds  spiegeln  sieht,  so  empfindet 
man  den  stolzen  Trotz  dieser  schon  früh  mächtigen  und  zu  den  bedeutendsten 
Mitgliedern  des  Hansabundes  gehörenden  Stadt;  überblickt  man  aber  von  einem 
ihrer  hohen  Kirchtürme  aus  ihre  Lage  mitten  im  Wasser,  einem  nordischen  Venedig 
nicht  unähnlich,  so  begreift  man  ihre  ehemalige  Wichtigkeit  als  des  nördlichen 
Tores  von  Pommern,  weiterhin  von  Deutschland.  Schwerlich  hat  irgendeine 
andere  Stadt  eine  solche  Zahl  schwerer  Belagerungen  und  Zerstörungen  erfahren, 
kaum  eine  andere  mit  größerem  Heldenmut  ihren  zahlreichen  Feinden  von  den 
Lübeckern  und  den  Fürsten  von  Rügen  bis  zu  den  Dänen,  Schweden  und  der 
kaiserlichen  Armee  Wallensteins  widerstanden.  Immer  erhob  sie  sich  kräftiger 
und  blühender  als  zuvor,  und  erst  die  inneren  Parteiungen  und  die  unablässigen 
Kriege  brachen  im  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  ihre  Macht,  so  daß  sie  mit 
dem  Beginne  der  Renaissancezeit  keine  entscheidende  Rolle  mehr  spielte.^)  Das 
verraten  denn  auch  ihre  Denkmäler  (Abb.  131). 

Was  den  Privatbau  betrifft,  so  gehört  er  ähnlich  wie  in  Greifswald  im 
wesentlichen  dem  Mittelalter  an;  es  fehlt  nicht  an  einzelnen  guten  gotischen 
Backsteingiebeln,  ob- 
wohl keiner  so  reich 
durchgebildet,  wie  der 
am  Markt  in  jener 
Stadt.  Die  wenigen 
Wohnhäuser  der  Re- 
naissancezeit sind  un- 
bedeutend und  ohne 
Feinheit  der  Formen- 
sprache*  Es  ist,  als  ob 
in  allen  diesen  pom- 
merschen  Städten  für 
eine  Entwicklung  in 
diesem  Formkreise 
kein  Boden  vorhanden 
gewesen  wäre.  Eine 
große  Giebelfassade  in 
der  Ossenreyerstraße 
ist  ähnlich  den  oben 
geschilderten  Greifs- 
walder  Giebeln,  nur 
etwas  dürftiger  in 
den  Profilen  und  ein- 
facher in  der  Gestal- 
tung der  Voluten.  An- 
dere Wohnhäuser  der- 


^)  Vgl.  über  das 
Geschichtliche  haupt- 
sächlich Mohnicke  und 
Zober,  Stralsundische 
Chroniken.  2  Bde.  Strals. 
1833.  Kruse,  Bruch- 
stücke aus  der  Gesch.  der 
Stadt  Stralsund.  2  Bde. 
Stralsund  1846. 


Abb.  131   Marienkirche  zu  Stralsund 


236      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

selben  Epoche,  z.  B.  in  der  Semlowerstraße,  der  Badenstraße  usw.  sind  ohne  höhere 
Bedeutung  oder  feinere  Entwicklung.  Nur  die  gut  gebildeten  eisernen  Anker, 
welche  überall  hervortreten,  sind  allenfalls  beachtenswert. 

Etwas  erheblicher  zeigt  sich  das  Rathaus.  Es  ist  in  seinem  Kern  ein  Bau 
aus  frühgotischer  Epoche,  wahrscheinlich  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  errichtet. 
Die  sechs  riesigen,  gleich  hohen  Giebel,  welche  zwischen  ihren  kecken  Fialen 
an  der  Fassade  emporsteigen,  erinnern  stark  an  die  alten  Teile  des  Lübecker 
und  Rostocker  Rathauses.  In  langgestreckter  Anlage  bildet  der  Bau  einen  mäch- 
tigen inneren  Hof,  der  als  olfener  Durchgang  angelegt  ist.  Dieser  wurde  in  der 
Epoche  der  Spätrenaissance,  d.  h.  im  17.  Jahrhundert,  mit  stattlichen  Säulenhallen 
aus  Sandstein  in  zwei  Stockwerken  eingefaßt,  unten  ionisch,  oben  korinthisch, 
mit  kräftig  behandelter  Balustrade.  Das  Ganze  wohl  malerisch  wirkend,  aber 
ohne  feinere  Form  und  höhere  Entwicklung,  mit  den  prächtigen  Hallen  der  Rat- 
häuser zu  Bremen  und  Lübeck  nicht  entfernt  zu  vergleichen. 

Das  im  ziemlich  dunklen  Obergeschoß  des  Baues  nicht  sehr  glücklich  unter- 
gebrachte Museum  besitzt  eine  Anzahl  wertvoller  Kunstwerke  und  kunstgewerb- 
licher Arbeiten,  welche  wenigstens  bezeugen,  daß  auch  hier  reiche  Ausstattung 
damaliger  Bürgerhäuser  gepflegt  wurde.  Zunächst  eine  Anzahl  schöner  Ofen- 
kacheln aus  der  besten  Zeit  der  Renaissance,  einige  1540;  teils  polychrom  be- 
handelt, teils  grün  glasiert.  Dann  einen  ganzen  grünen  Ofen  von  reicher  plastischer 
Arbeit,  mit  vielen  porträtartigen  Köpfen  auf  den  einzelnen  Kacheln,  manche  aus 
der  Frühzeit,  andere  aus  der  späteren  Epoche  des  16.  Jahrhunderts.  Ein  anderer 
vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts  stammt  aus  dem  Nonnenkloster  zu  Barth  mit 
weißem  Grund  und  Malereien  in  blauer  und  grüner  Farbe,  hauptsächlich  sitzende 
weibliche  Gestalten,  die  nicht  bloß  oben  stark  dekolletiert  sind.  Sodann  sieht 
man  eine  ausgezeichnete  Sammlung  zinnerner  Krüge  und  Pokale,  Zunftkannen 
und  Willkommbecher,  großenteils  aus  dem  17.  Jahrhundert  (man  liest  1652  und 
ähnliche  Daten)  treff  hch  gegliedert  und  aufgebaut  in  gut  verstandener  lebendiger 
Profilierung.  EndHch  einen  Schatz  von  sieben  prachtvollen  silbernen,  größten- 
teils vergoldeten  Pokalen  und  Bechern  von  mannigfaltigster  Form  und  meister- 
licher Arbeit,  einen  der  wenigen  noch  im  Besitz  einer  Stadt  befindlichen  Silber- 
schätze; bisher  noch  kaum  gewürdigt. 

Endhch  ist  noch  der  vielen  prächtigen  Kronen  und  Lichtarme  aus  Messing 
in  Stralsunds  Kirchen,  besonders  eines  ungewöhnlich  reich  und  schön  ausgeführ- 
ten, messingenen  Kronleuchters  in  der  Marienkirche  vom  Jahre  1649  zu  gedenken. 
Seine  Arme  sind  mit  feingegliederten  Knäufen  und  edelgezeichneten  Akanthus- 
ranken  aufs  herrlichste  geschmückt.  Ein  anderer  kleinerer  ebenda  ist  von  ähn- 
licher Behandlung. 

Mecklenburg 

Ahnliche  Verhältnisse  wie  in  Pommern  begegnen  uns  in  Mecklenburg.  Auch 
hier  hatte  im  Mittelalter  die  geistliche  Macht  und  mehr  noch  die  Kraft  des 
Bürgertums  in  den  gewaltigen  Backsteinkirchen  von  Doberan  und  Schwerin,  von 
Rostock  und  Wismar  sich  bedeutende  Monumente  gesetzt.  In  der  Renaissance- 
zeit tritt  das  Bürgertum  hier  ganz  vom  Schauplatz  zurück;  die  lebensfrohen  und 
baulustigen  Fürsten  des  Landes  errichten  dafür  eine  Reihe  von  Schlössern,  die 
zu  den  reichsten  Denkmälern  der  deutschen  Renaissance  zu  rechnen  sind  und 
namentlich  durch  die  Ausbildung  eines  edel  gegliederten  Terrakottenbaues  hohe 
und  selbständige  Bedeutung  erhalten. 

VornehmUch  ist  es  der  treffliche  Herzog  Johann  Albrecht  L,  neben  ihm 
sein  Bruder  und  Mitregent  Herzog  Ulrich,  welche  als  eifrige  Förderer  der  Kunst 
auftreten  und  die  Renaissance  durch  eine  Reihe  glänzender  Schöpfungen  in 


Wismar 


237 


Mecklenburg  einführen.  Auch  hier  treffen  diese  Bestrebungen  mit  einer  allge- 
meinen Steigerung  des  geistigen  Lebens,  namentlich  mit  der  reformatorischen 
Tätigkeit  zusammen.  Besonders  tritt  uns  in  Johann  Albrecht  I.  (f  1576)  die 
anziehende  Gestalt  eines  durch  hochherzige  Gesinnung,  wahre  Rehgiosität,  edle 
Geistesbildung  und  schöpferische  Tatkraft  hervorragenden  fürstlichen  Mannes  ent- 
gegen.i)  Nicht  bloß  führte  er  in  seiner  fast  dreißigjährigen  Regierung  die  Re- 
formation in  seinem  Lande  durch,  sorgte  für  eine  neue  Kirchen  Verfassung,  er- 
neuerte und  verjüngte  die  Hochschule  des  Landes  zu  Rostock,  wies  das  Vermögen 
der  aufgehobenen  Klöster  milden  Stiftungen  und  vor  allem  den  neu  begründeten 
Schulen  zu,  sondern  schuf  in  Rechtspflege,  Verwaltung  und  Polizei,  im  Münz- 
wesen, in  Einrichtungen  für  Handel  und  Verkehr  die  Grundzüge  eines  neuen,  auf 
die  allgemeine  Wohlfahrt  abzielenden  Staatslebens.  Nach  dem  Tode  des  treff- 
lichen Fürsten  trat  Herzog  Ulrich  als  Gebieter  des  gesamten  Landes  mit  Kraft 
und  Ernst  in  die  Fußstapfen  seines  Bruders  und  brachte  das  von  diesem  Ange- 
bahnte zur  vollen  Durchführung.  Diesen  beiden  Fürsten  verdankt  Mecklenburg 
nun  eine  tätige  Aufnahme  der  Renaissance,  die  sich  noch  jetzt  in  glänzenden 
Zeugnissen  nachweisen  läßt. 

Das  Hauptwerk  im  Lande  ist  der  Für  st enhof  zu  Wismar.  Die  Ge- 
schichte dieser  Residenz  der  Mecklenburgischen  Fürsten  wirft  grelle  Schlaglichter 
auf  das  Verhalten  der  mittelalterlichen  Städte,  auf  ihren  Trotz  und  ihren  stolzen 
Unabhängigkeitssinn.')  Seit  1256  hatten  die  Herzöge  von  Mecklenburg  in  der 
Stadt  eine  von  Johann  I.  erbaute  Burg,  die  jedoch,  als  die  übermütigen  Bürger 
1276  ihre  Stadt  mit  einer  Mauer  umzogen,  aus  dem  städtischen  Mauerring  aus- 
geschlossen wurde.  Nach  einem  Brande  des  Jahres  1283  wurde  die  Burg  zwar 
wiederhergestellt,  aber  schon  1300  sah  sich  der  alternde  Fürst  Heinrich  der  Pilger 
veranlaßt,  um  den  Hauptgrund  der  fortwährenden  Zwistigkeiten  mit  den  Bürgern 
zu  beseitigen,  die  Burg  abzubrechen  und  in  der  Stadt  auf  einem  ihm  dafür  ein- 
geräumten Platze  einen  Hof  zu  errichten.  Dieser  wurde  1310  in  einer  neuen 
Fehde  mit  der  Stadt  zerstört,  allein  Heinrich  IL  der  Löwe,  des  Pilgers  Sohn, 
setzte  gegen  den  Willen  der  hartnäckig  widerstrebenden  Bürgerschaft  den  Bau 
einer  befestigten  Burg  innerhalb  der  Ringmauern  an  anderer  Stelle  durch.  Gleich 
nach  dem  Tode  des  kräftigen  Fürsten  wußten  jedoch  die  Bürger  es  dahin  zu 
bringen,  daß  die  Vormünder  seines  noch  minderjährigen  Nachfolgers  ihnen  die 
Burg  samt  ihren  Festungswerken  verkauften,  wogegen  indes  den  Herzögen  ge- 
stattet wurde,  einen  andern  Hof  in  der  Nähe  der  Georgenkirche  ferner  zu  be- 
wohnen. Dies  ist  der  noch  jetzt  vorhandene  Fürstenhof.  Von  den  um  1430 
darin  aufgeführten  Gebäuden  ist  schwerlich  noch  etwas  erhalten,  es  sei  denn, 
daß  in  dem  schräg  hinter  den  Hauptgebäuden  sich  hinziehenden  Stall  noch  ein 
Rest  der  alten  Anlage  stecke.  Der  Hauptbau  besteht  aus  zwei  Flügeln,  welche 
rechtwinklig  zusammenstoßen  und  mit  dem  Stall  einen  dreieckigen  Hof  um- 
schließen. Der  von  Süd  nach  Nord  laufende  „alte  Hof"  wurde  1512—13  zur 
Feier  der  Vermählung  Herzog  Heinrichs  des  Friedfertigen  mit  der  Prinzessin 
Helene  von  der  Pfalz  errichtet.  Der  neue  Baumeister  hieß  Georg,  der  Maurer- 
meister Ertmar  oder  Ertman  Both.  Das  Gebäude  wird  im  Jahre  1576  als  zwei 
Stockwerke  hoch  geschildert.  Im  Hauptgeschoß  war  links  die  große  Hofstube 
(Hofdornitz)  ^),  rechts  die  Küche,  beide  Räume  wie  noch  heut  gewölbt  und  mit 
rundbogigen  Portalen  versehen.  Die  Gewölbe  ruhen  auf  derben  kurzen  Säulen 
von  schmuckloser  Art.  Gegen  den  Schloßhof  hatte  das  Haus  drei  Erker  und 
an  der  Fassade  nach  der  Kirche  fünf  in  Holz  errichtete  Giebel.    Auf  dem  Hofe 

1)  C.  von  Lützow,  Versuch  einer  pragmat.  Gesch.  von  Mecklenburg,  III,  S.  119. 

2)  Vgl.  die  verdienstliche  Arbeit  von  Dr.  Lisch  in  dessen  Jahrbuch  V,  S.  5  ff. 

3)  In  den  süddeutschen  Schlössern  als  „Türnitz"  bekannt. 


238      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV,  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

war  eine  Wendeltreppe  angebracht.  Ein  im  Jahre  1516  erbauter  Gang  stellte 
eine  unmittelbare  Verbindung  mit  der  benachbarten  Kirche  her. 

An  diesen  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  stark  verfallenen  und  nachmals 
in  der  schwedischen  Zeit  durch  einen  Brand  zum  Teil  verwüsteten  Teil  fügte 
Herzog  Johann  Albrecht  I.  1553—54  für  seine  bevorstehende  Vermählung  den 
stattlichen  Bau  des  neuen  Hofes,  indem  er  denselben  im  rechten  Winkel  an  den 
alten  Flügel  seines  Oheims  Heinrich  anschloß.  Dieser  „lange  neue  Bau"  trat 
an  die  Stelle  eines  da  vorher  vorhandenen  zweistöckigen  gotischen  Saalbaus  von 
1506.  Der  Bau  wurde  durch  Meister  Gabriel  van  Aken  im  Sommer  1553  be- 
gonnen, neben  ihm  war  Valentin  von  L^jra^  Maurermeister  des  Rats  von  Lübeck, 
dabei  beschäftigt,  und  als  Gabriel  van  Aken  schon  Ende  November  desselben 
Jahres  wegen  Mißhelligkeiten  mit  seinem  Kollegen  plötzlich  den  fürstlichen  Dienst 
verließ  und  nach  Lübeck  zog,  von  wo  er  dem  Herzoge  einen  Absagebrief  schrieb, 
wurde  Valentin  von  Lyra  mit  der  Fortsetzung  des  Baues  beauftragt.^)  Allein 
der  Herzog  muß  der  Geschicklichkeit  dieses  Mannes  nicht  unbedingt  vertraut 
haben,  denn  sogleich  nach  dem  Abgange  Gabriels  van  Aken  wandte  er  sich  an 
den  Kurfürsten  August  von  Sachsen  mit  der  Bitte,  ihm  seinen  Oberzeug-  und 
Baumeister  Caspar  Vogt  (von  Wierandt,  den  wir  am  Dresdener  Schloß  kennen 
lernen  werden)  zu  senden,  um  ihm  „zu  seinen  vorhabenden  Gebäuden  rätlich  zu 
sein".  Da  dieser  aber  mit  dem  Festungsbau  von  Dresden  beschäftigt  war  und 
den  Auftrag  erhalten  hatte,  das  Fundament  zum  neuen  Schlosse  zu  Leipzig,  der 
Pleißenburg,  abzustecken,  um  den  Beginn  des  Baues  vorzubereiten,  so  verweigerte 
der  Kurfürst  die  Erfüllung  der  wiederholt  ausgesprochenen  Bitte.  Noch  um  Weih- 
nachten 1554  schickte  der  Herzog  sodann  seinen  Maurer  nach  Weimar  an  Johann 
Friedrich  den  Älteren,  um  dessen  Schloß  Grimmenstein  bei  Gotha,  namentlich 
die  Schließung  der  Gewölbe  unter  dem  Walle  zu  besichtigen.  Von  dort  nahm 
der  Meister  einen  Polier  mit  nach  Mecklenburg  zur  Vollendung  der  angefangenen 
Bauten,  und  am  24.  Februar  1555  konnte  Johann  Albrecht  seine  Vermählungs- 
feier mit  der  Prinzessin  Anna  Sophie  von  Preußen  in  dem  neuen  Fürstenhof  feiern. 

Der  Bau  gehört  durch  Großartigkeit  der  Verhältnisse  und  edle  Pracht  der 
Ausstattung  zu  den  hervorragendsten  Werken  der  Renaissance  in  Deutschland. 
Um  von  seiner  Anordnung  eine  Anschauung  zu  geben,  fügen  wir  zu  der  Außen- 
ansicht (Abb.  135)  noch  eine  Darstellung  der  Hofseite  unter  Abb.  134  bei.  Das 
Ganze  besteht,  wie  man  sieht,  aus  einem  Erdgeschoß  und  zwei  oberen  Stock- 
werken. Die  Verhältnisse  sind  großartig,  das  Erdgeschoß  hat  gegen  7  Meter 
Höhe,  das  erste  Stockwerk  etwa  6  und  das  zweite  gegen  vier  Meter.  Dazu  kommen 
die  ungemein  weiten  Achsen,  die  über  fünf  Meter  messen.  Die  äußere  Fassade 
hat  sieben  Fenster  Front,  aber  die  sämtlich  dreiteiligen  Fenster  sind  von  solcher 
Breite,  daß  die  Länge  gegen  vierzig  Meter  betragen  mag.  Das  ganze  Mauer- 
werk besteht  mit  Ausnahme  der  aus  Dänemark  herbeigeholten  Quadern  für  die 
Fundamente  aus  Backsteinen.  Nur  die  Hauptportale  und  der  prachtvolle  Relief- 
fries, der  das  Erdgeschoß  an  beiden  Fassaden  abschließt,  sind  in  Stein  aus- 
geführt. Die  Flächen  des  Mauerwerks  jedoch  hatten  ursprünglich,  wie  es  scheint 
durchgängig,  einen  Überzug  in  Putz,  der  an  der  Außenseite  im  Erdgeschoß 
durch  horizontale  breite  Fugen  gegliedert  war.  Mit  feiner  Berechnung  hat  der 
Künstler  der  Architektur  des  Äußeren  und  der  des  Hofes  einen  wesentlich  ver- 
schiedenen Charakter  verliehen,  indem  er  nach  außen  den  Portalen  und  Fenstern 


1)  Sämtliche  Nachrichten  über  die  Künstler  verdanken  wir  den  wertvollen  Mitteilungen 
von  Lisch  im  Jahrb.  V.  S.  20  ff.  Vgl.  ferner:  F.  Sarre,  Der  Pürstenhof  in  Wismar  und  die  nord- 
deutsche Terrakotten-Architektur  der  Renaissance,  Berlin  1890.  Vor  allem  F.  Schlie,  Die  Kunst- 
und  Geschichtsdenkmäler  des  Großherzogtums  Mecklenburg -Schwerin,  Schwerin  1897.  II. 
S.  186  ff.  m.  Abb. 


Wismar  Fürstenhof  239 


Abb.  132   Vom  Fürstenliof  zu  Wismar 
(Nach:  Haupt,  Backsteinbauten  der  Renaissance) 

reichere  Einfassungen  durch  Hermen,  den  Fenstern  im  Erdgeschoß  und  im  ersten 
Stock  zierlich  dekorierte  Giebel  gegeben  hat.  Dafür  aber  stattete  er  die  Hofseite 
in  den  beiden  oberen  Geschossen  mit  fein  geschmückten  Pilastern  aus,  die  am 


240      2.  Bach   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Abb.  133   Vom  Pürstenhof  zu  Wismar 
(Nach:  Haupt,  Backsteüibauten  der  Eenaissance) 


Treppenhause  sogar  bis  ins  Erdgeschoß  durchgeführt  sind.  Für  die  Fenster 
selbst  wählte  er  konsequent  die  Dreiteilung,  und  zwar  im  Erdgeschoß  mit  Bogen- 
abschlüssen, in  den  oberen  Stockwerken  dagegen  mit  gradlinigem  Sturz.  Das 
ganze  Rahmen-  und  Pfeilerwerk  der  Fenster  ist  mit  Ornamenten  von  Laub-  und 
Fruchtschnüren  bedeckt.  Den  Abschluß  dieser  reichen  Ornamentik,  die  durch- 
gängig in  gebrannten  Steinen  ausgeführt  ist,  bilden  die  beiden  prachtvollen 


Wismar  Fürstenhof 


241 


Friese,  die  am  Äußern  und  Innern  die  Stockwerke  Irennen,  der  obere  wieder  aus 
Terrakotten  und  zwar  einer  Reihenfolge  von  Porträtmedaillons  zusammengesetzt, 
der  untere  in  Kalkstein  ausgeführt.  Die  unteren  Friese  stellen  an  der  Straßen- 
seite Kämpfe  und  Szenen  aus  dem  trojanischen  Kriege,  an  der  Hofseite  aber  die 
Geschichte  des  verlorenen  Sohnes  dar,  die  ersteren  lebhaft  bewegt  und  offenbar 
von  antiken  Reliefs  stark  beeinflußt.  Man  möchte  sogar  an  eine  Reminiszenz 
an  sehr  bekannte  athenische  Friese  denken;  jedenfalls  ist  hier  ein  stark  huma- 
nistischer Zug  durchbrechend. 


Abb.  134   Fürstcnliof  zu  Wismar   Hofseite  vor  der  Wiederherstellung 


Größter  Reichtum  von  Zierat  schmückt  auch  die  zahlreichen,  vor  der  Her- 
stellung verschieden  gestalteten  Portale,  von  denen  die  kleineren  im  Hofe  mit 
ihren  halbkreisförmigen  Abschlüssen,  den  eleganten  Laubornamenten,  den  feinen 
Kapitellen  und  den  in  den  Zwickeln  und  Friesen  angebrachten  Porträtmedaillons 
wahre  Meisterwerke  anmutigster  Frührenaissance  sind  oder  waren  (Abb.  132 
bis  134).  Dagegen  erkannte  man  an  den  Hermen  und  Karyatiden  der  äußeren 
Fenster  und  den  etwas  wilden  Skulpturen  der  beiden  Hauptportale  eine  weit 
derbere  Hand  und  eine  offenbare  Abhängigkeit  von  der  Richtung  des  Antwer- 
pener Floris-Stiles.  Trotzdem  gehört  der  Bau,  eben  wegen  dieser  durchgebil- 
deten Tonplastik,  zu  den  merkwürdigsten  Denkmalen  unserer  Renaissance,  und 
es  ist  für  uns  von  hohem  Wert  zu  erfahren,  daß  seit  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahres  1552  der  Steinbrenner  Statins  von  Düren  diese  Ornamente  aus  gebranntem 
Ton  gefertigt  hat.  Noch  1557  stand  er  in  herzogUchen  Diensten  und  lieferte  auch 
für  Herzog  Ulrich  verschiedene  tönerne  Werkstücke,  wobei  ihm  für  ein  „grotes 
Stück  Biltwerk"  fünf,  für  ein  kleines  zwei  Schillinge  bezahlt  wurden.  Später 
ließ  er  sich  in  Lübeck  nieder,  wo  wir  ähnliche  Arbeiten  finden  werden.  Neben 
ihm  war  zu  Schwerin  noch  ein  alter  Ziegelbrenner  tätig,  zu  Dömitz  aber  wurden 
holländische  Ziegelbrenner  beschäftigt.  Statius'  Herkunft  von  Düren,  wie  die  des 
Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II   3.  Aufl.  16 


242      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

Baumeisters  Gabriel  von  Aachen,  weist  nun  freilich  auch  auf  die  an  die  Nieder- 
lande grenzende  Gegend  der  Rheinlande,  und  es  liegt  also  nahe,  ihren  Stil  von 
dort  herzuleiten.  Doch  kann  es  sich  da  nur  um  den  der  Ornamentik  handeln; 
eine  Terrakottenarchitektur  dieser  Art  kennen  wir  in  den  Niederlanden  nicht,  und 
so  haben  wir  diese  als  eine  ausgezeichnete  Errungenschaft  der  mecklenburgischen 
und  benachbarten  Gebiete  zu  betrachten.  Daß  die  oberitalienische  Terrakotten- 
architektur, insbesondere  die  ferraresische  (Palazzo  Roverella),  dabei  das  Vorbild 
gewesen  sei,  scheint  gewiß. 


Abb.  135   Fürstenhof  zu  Wismar   Straliciiseitc  vor  der  Wieilerhörstellung 


Von  der  alten  Einrichtung  ist  nichts  mehr  erhalten.  Links  von  dem  ge- 
wölbten Eingange,  der  als  Durchfahrt  zum  Hof  diente,  war  die  Hofstube,  rechts 
die  Wohnung  des  Pförtners  und  anderer  Diener.  Im  ersten  Stock  war  der  große 
Tanzsaal,  der  die  ganze  Länge  des  Flügels  umfaßte;  im  zweiten  Stock,  der  eine 
anmutige  Aussicht  gewährt,  befand  sich  der  Speisesaal,  daneben  der  Herzogin 
Gemach  und  die  Ratsstube.  Den  Zugang  zu  den  oberen  Stockwerken  vermittelt 
die  am  östlichen  Ende  in  einem  viereckigen  Treppenbaus  angebaute  Wendelstiege. 


Wismar 


243 


Das  Dach  hatte  urprünghch  Giebelerker  mit  Gemächern,  die  aber  1574  abgetragen 
wurden,  weil  von  ihrer  Last  das  Gebäude  gesunken  war.  Die  Deckenverzierungen 
für  die  Säle  des  Fürstenhofes  sowie  des  Schlosses  zu  Schwerin  malte  1554  Meister 
Jahoh  Strauß  zu  Berlin.  Sie  bestanden  aus  vergoldeten  Rosetten,  welche  in  Berlin 
auf  Leinwand  gemalt  und  dann  an  Ort  und  Stelle  befestigt  wurden. 

Im  Fürstenhof,  wenn  wir  die  dem  Norden  eigentümlichen  Hinzufügungen, 
wie  die  einstigen  Zwerchgiebel  des  Daches,  vorspringenden  Treppentürme  und 
ähnliches  als  einen  dem  Norden  gebrachten  Tribut  zur  Seite  lassen,  haben  wir 
ganz  offenbar  eine  bewußte  Übertragung  itaHenischer  Kunst  nach  dem  Norden  zu 
sehen.  Herzog  Johann  Albrecht  stand  zu  Ercole  Este  in  Ferrara  in  vertrauten 
Beziehungen,  und  so  erklärt  sich  wohl  sein  Wunsch,  die  dort  gesehene  schöne 
und  modische  Kunst  eines  reinen  Backsteingebietes  in  dem  ebenfalls  haustein- 
armen Mecklenburg  nachzuahmen.  Auch  Bologna  kommt  da  stark  in  Betracht. 
Die  Pilasterarchitektur  der  Hofseite  mit  ihren  weiten  Achsen  spricht  diese  Be- 
ziehungen sehr  deutlich  aus. 

Für  die  Verwirklichung  solcher  Absicht  mußten  natürlich  die  Meister  ge- 
sucht werden,  die  dazu  fähig  waren.  Solche  gab  es  aber  bereits  einige  damals 
im  Norden;  in  Lüneburg,  Emden,  Lübeck  und  der  Mark  finden  sich  dekorative 
Arbeiten  in  früher  Rennaissance  in  Ton  ausgeführt,  die  offenbar  durch  das  dort 
vorhandene  Bedürfnis  schon  seit  gotischer  Zeit  hervorgelockt  waren.  In  Lüne- 
burg, wie  vor  allem  in  Lübeck,  sind  gotische  Terrakottenfriese  und  ähnliches 
geraume  Zeit  vorher  festzustellen.  Die  Stein-  und  Ziegelbrenner  (wie  Statius 
von  Düren)  daselbst  müssen  aber  damals  durch  die  Wanderschaft  mit  südhcher 
Formenwelt  vertraut  geworden  sein,  und  so  mag  der  Herzog  solche  für  seine 
Zwecke  aus  verschiedenen  Gegenden  zusammengezogen  haben.  Es  finden  sich 
denn  hier  Arbeiten  in  reiner  Frührenaissance  stark  italienischen  Charakters,  wie 
an  den  zarten  Portalen  der  Hofseite  und  den  Pilastern,  andere  Teile,  insbesondere 
die  Fensterumrahmungen  beider  Fronten  waren  aber  in  klarstem,  vlämischem 
Stil  der  fünfziger  Jahre  gebildet,  so  insbesondere  die  Hermen  und  Giebelfelder 
der  Straßenfenster.  Es  mag  dabei  nicht  unmöghch  sein,  daß  nur  ein  ganz  ein- 
facher Gesamtentwurf  nach  itahenischem  Vorbilde  vorlag,  und  es  nun  den  ver- 
schiedenen Bildhauern  in  Stein  und  Terrakotta  oblag,  die  Portale,  Pilaster  und 
Fenster  möglichst  schön  nach  ihrem  Vermögen  zu  liefern ;  und  so  wird  sich  denn 
auch  der  stilistische  Unterschied  dieser  Teile  von  selbst  erklären. 

Eine  der  beklagenswertesten  Restaurierungen  durch  einen  Puristen  hat  leider 
1877  das  Ganze  unter  Beseitigung  alles  irgendwie  barock  Erscheinenden,  ins- 
besondere der  Teile  im  Florisstile,  erneuert  und  dabei  unter  Zufügung  griechischer 
Atheneköpfe  und  Palmetten  nur  die  itaHenisch  erscheinenden  Teile  als  Vorbild 
bestehen  lassen.  Das  Originalwerk  ist  auf  diesem  Wege  völlig  vernichtet.  Nur 
die  ins  Schweriner  Museum  geretteten  Originalstücke  geben  hier  noch  Anschauung 
von  dem  unersetzlichen  Verlorenen. 

Die  Stadt  Wismar,  die  kraftvolle  Hafen-  und  Hansestadt,  hat  aber  selber 
an  den  Taten  der  Renaissance  lebhaften  Anteil  genommen.  Da  ist  vor  allem  die 
zum  Teil  prächtige  Ausstattung  der  drei  riesigen  gotischen  Kirchen  der  Stadt, 
der  Marien-,  Jürgen-  und  Nikolaikirche,  von  denen  die  letztgenannte  an  Höhe  dem 
Kölner  Dom  fast  gleichkommt,  die  in  der  Renaissancezeit  höchsten  Glanz  ge- 
winnen, wie  ja  in  Mecklenburg  überhaupt  die  zahlreichen  und  großen  mittelalter- 
lichen Kirchen  gerade  in  protestantischer  Zeit  besonders  üppig  ausgeschmückt 
wurden.  Ein  Heer  von  ungemein  prächtigen  Kanzeln,  Grab-  und  Denkmälern, 
Epitaphien,  Taufsteinen,  auch  wohl  Altären  füllte  seit  dem  16.  Jahrhundert  die 
weiten  strenggeformten  Hallen,  sie  zu  frischestem  Leben  erweckend.  Außer  in 
Lübeck  und  in  manchen  Teilen  von  Schleswig-Holstein  findet  sich  in  Deutsch- 


244      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

land  wohl  nirgends  mehr  eine  solche  Fülle  derartiger  dekorativer  Kunst  in  Stein, 
Holz  und  Metall/) 

Die  Marienkirche  enthält  eine  größere  Reihe  von  Epitaphien;  von  ihnen 
sei  genannt  das  schöne  des  Nikolaus  Karow,  aus  Holz  mit  mittlerer  Alabastertafel, 
die  Kreuzigung  in  Alabaster,  von  1614,  vom  Bildhauer  Görries  Quade.  In  der 
Mitte  eine  doppelte  korinthische  Säulenordnung;  unterer  Abschluß  reichstes  Roll- 
werk um  die  Inschrifttafel,  oben  ein  Aufsatz  mit  Hermen,  darüber  gebrochener 
Giebel  mit  Obelisken,  Alabasterstatuetten  Christi  und  zweier  Propheten  als 
Krönung  und  zwischen  den  Säulen.  Die  Formen  stark  holländisch,  doch  von 
Noblesse.  Die  meisten  übrigen  Epitaphien  sind  barocke  Holzschnitzerei  aus 
dem  17.  Jahrhundert,  darunter  wahrhaft  üppige  Arbeiten;  so  das  Schnohrsche 
von  1657,  das  dem  späten  Amsterdamer  Stil  angehörige  von  David  Mevius.  Von 
größerer  Bedeutung  ist  das  hölzerne  Grabmal  des  schwedischen  Generals 
Grafen  Wrangel  (f  1647)  in  der  Wrangelkapelle.  Unten  ein  mannshoher 
Unterbau,  mit  Kupferplatten  für  Inschriften  bekleidet,  darauf  eine  mit  Balustrade 
und  Obelisken  umgebene  Plattform,  die  den  Sarkophag  in  der  Mitte  trägt.  Auf 
ihm  ausgestreckt  die  Gestalten  Wrangeis  und  seiner  Gattin,  an  den  Ecken  kreuz- 
tragende Engel,  an  den  Langseiten  freigeschnitzte  Apostelgestalten,  an  den  kurzen 
die  Auferstehung  und  die  Wappen.  Das  Ganze  höchst  charaktervoll  geschnitten 
und  eigenartig.    Der  Bildhauer  war  vermutlich  Christian  Möller. 

In  St.  Jürgen  ist  die  Ausstattung  aus  der  Renaissancezeit  eine  bedeut- 
samere. Während  leider  die  Epitaphien  meist  verschwanden,  ist  vor  allem  die  Orgel 
mit  ihrer  Bühne,  die  Kanzel,  die  Taufe  und  noch  einiges  erhalten  geblieben.  Die 
erstere,  ein  Werk  des  Görries  Quade,  1611,  gehört  im  Aufbau  zu  den  erfreulichsten 
in  Deutschland;  sie  erhebt  sich  über  der  schönen  Bogengliederung  der  Bühne  mit 
drei  vieleckigen  Türmen,  deren  durch  drei  starke  Konsolengesimse  unterbrochener 
Aufbau  sich  in  Spitzen  und  Tempelchen  auflöst.  Die  Wirkung  ist  eine  prächtige. 
ÄhnUch  wertvoll  ist  die  reichgeschnitzte  Kanzel,  1608  von  Hans  Böhle  und 
Görries  Quade,  Tischlern,  hergestellt;  ihr  Körper,  achteckig  mit  erkerartigen 
Ausbauten,  hat  schöne  Gliederung  von  überreichen  Hermen  an  den  Ecken  und 
Nischen  mit  Aposteln  dazwischen,  ähnUch  der  Aufgang,  der  reiche  Hängezapfen 
mit  Konsolen  und  Kartuschen  hat;  der  Kanzeldeckel  ebenso  reich;  die  Kanzeltür 
mit  Säulen  und  Schnörkelaufsatz.  Die  prächtige  Tür  zum  früheren  Sängerchor  mit 
freien  Säulen,  Hermen  und  üppigem  Aufsatz,  schön  eingelegt.  Die  „Fünte"  (Tauf- 
kessel) von  Bronze  auf  Löwen  als  Füßen;  der  hohe  Deckelaufsatz  ist  achteckig 
mit  Säulen  und  durchbrochener  Schnörkelkrönung.  Geschnitztes  Gestühl  überall; 
Epitaphien  und  Totenschilde  in  reicher  Bildhauerei;  alles  schön  bemalt  und  ver- 
goldet oder  auch  eingelegt.    An  Bronzekronen  mangelt  es  auch  nicht. 

Auch  die  Nikolaikirche  besitzt  noch  ähnliche  Ausstattungsteile;  den 
Mittelteil  der  Orgel,  einige  gute  Epitaphien,  darunter  besonders  das  des  Bürger- 
meisters Schabbelius  von  1605,  von  übhcher  Form  mit  Säulen,  hängendem  Drei- 
eck und  Aufsatz;  schöne  Kronen  aus  Bronze. 

Unter  den  Privatbauten  ragt  nur  ein  Renaissancebau  über  das  Mittelmaß 
der  einfachen  Backsteingiebel  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  hervor,  die  hinter  den 
freilich  meist  verstümmelten,  noch  immer  zahlreichen  und  öfters  prächtigen  gotischen 
Giebelhäusern  völlig  zurücktreten.  Es  ist  der  stattliche  Hochbau  der  Kochschen 
Bierbrauerei  an  der  Schweinsbrücke,  1569—71  durch  Philipp  Brandin  aus  Utrecht, 
den  wir  in  Güstrow  noch  näher  kennen  lernen  werden,  als  Wohnhaus  für  den 
Bürgermeister  Hinr.  Schabbelt  (sein  Epitaph  in  St.  Nikolai)  errichtet.  Es  steht  mit 
der  Langseite,  die  zwei  reiche  Rustikatore  mit  Halbsäulen  zeigt,  längs  der  Straße 


1)  Genaueres  nebst  Abbildungen  bei  Schlie,  Kunstdenkmale  etc.  II,  p.  45  if. 


Wismar  Schwerin 


245 


und  wendet  seinen  stolzen  Giebel  dem  Kanal  zu.^)  Dieser  (Abb.  136)  hat  in  den 
zwei  Untergeschossen  Eckquadern  und  Rustikapilaster,  oben  einen  reichen  Wechsel 
von  Fensteröffnungen,  die  durch  Schweiflinien,  Gesimse  und  Bekrönung  zu  einer 
feinen  Gesamtkomposition  zusammengefaßt  sind;  freilich  ist  diese  ausVredeman 
de  Vrieses  Werk  über  die  Dorica  und  lonica  entlehnt.  Der  Wohnflügel  erstreckt 
sich  längs  des  Kanals  weiter.  Der  Herausgeber  sah  noch  1875  im  Innern  die 
schön  mit  Pilastern  grau  in  grau  bemalte  große  Diele,  von  der  in  der  Ecke  ein 
feines  Holzportal  in  den 
Wohnflügel,  daneben  eine 
hölzerne  Wendeltreppe  in 
das  Obergeschoß  führte. 
Die  Ausstattung  war  frei- 
lich meist  verschwunden, 
bis  auf  eine  hübsche,  in 
Kassettenmustern  be- 
malte Decke. 

Von  demselben  PJii- 
Upp  Brandin  rührt  die 
1580  auf  dem  Markt  er- 
richtete Wasserkunst  her ; 
ein  zwölfseitiger  Tempel 
mit  Hermen  an  den  Ecken, 
glockenförmigem  Kupfer- 
dach und  achtseitiger  La- 
terne mit  Helm.  Reiche 
Gitter  gestatten  den 
Blick  ins  Innere,  wo  einst 
zwei  kleine  Bronzefiguren 
„Adam  und  Eva"  das 
Wasser  in  das  Haupt- 
becken durch  Hähne  hin- 
einleiteten. Ein  reizvoll 
malerisches  Bauwerk.^) 

Der  Fürstenhof  war 
nicht  der   einzige  Bau, 
den  Johann  Albrecht  ent- 
stehen ließ.    Als  er  den  Abb.  136  Brauerei  Koch  zu  Wismar 
Thron  bestieg,  fand  er 

sämtliche  fürstliche  Schlösser  klein,  unwohnlich  und  durch  lange  Verwahrlosung 
verfallen.  Schon  1550  stellte  er  seinem  alternden  Oheim  Herzog  Heinrich  die 
Notwendigkeit  von  Neubauten  vor,  „damit  es  nicht  so  gar  schimpflich  stehe  und 
ihnen  zum  Spott  gereiche".  Der  alte  Herzog  meinte  aber,  er  habe  sich  bei  seinem 
Beilager  mit  den  vorhandenen  Gebäuden  beholfen  und  könne,  namentlich  bei  be- 
vorstehender Ernte,  sich  auf  nichts  weiter  einlassen.  Kaum  hatte  daher  Johann 
Albrecht  den  Fürstenhof  in  Wismar  prachtvoll  erneuert,  so  begann  er  mit  seinem 
Bruder  Ulrich  weitere  Neubauten  der  Schlösser  von  Schwerin,  Dömitz  und  Güstrow, 
mit  denen  zugleich  umfassende  Befestigungswerke  verbunden  waren.  Zu  den 
umfangreichsten  Werken  gehörte  vor  seiner  neueren  Umgestaltung  das  Schloß 
von  Schwerin,  schon  durch  die  unvergleichliche  Lage  auf  einer  Halbinsel  des 
anmutigen,  von  Laubwald  eingefaßten  Schweriner  Sees  von  herrlicher  Wirkung. 
Das  alte  Schloß,  in  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  durch  einen  von  Demmler 
1)  Schlie,  Kunstdenkm.  etc.  S.  202.  2)  Schlie  a.  a.  0.  S.  203. 


246      2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

im  Stil  Franz  I.  begonnenen,  durch  Stüler  und  Strack  im  modernen  Berliner  Ge- 
schmack vollendeten  Neubau  verdrängt,  bestand,  als  unregelmäßiges  Fünfeck  einen 
Hof  umgebend,  seinen  wichtigsten  Teilen  nach  aus  Bauten  des  16.  Jahrhunderts, 
unter  denen  die  von  Johann  Albrecht  I.  hinzugefügten  künstlerisch  die  größte 
Bedeutung  hatten.^)  Es  waren  das  „große  neue  Haus",  das  wenigstens  damals 
völlig  neu  ausgestattet  wurde,  wenn  es  auch  vielleicht  schon  durch  Herzog  Mag- 
nus I.  (f  1503)  errichtet  war,  die  davor  sich  erhebende  „Obotritentreppe",  das 
danebenstehende  Bischofshaus,  das  Zeughaus  am  Ende  des  Gebäudezuges,  und 
am  anderen  Ende  die  Schloßkirche.  Der  kunstliebende  Herzog  ließ  hier  dieselben 
Ornamente  von  gebranntem  Ton  anwenden,  welche  sich  schon  am  Fürstenhof  zu 
Wismar  bewährt  hatten.  Seit  1555  wurde  das  Hauptportal  mit  der  doppelten 
Treppe  errichtet,  und  von  1560  die  Schloßkirche  ausgeführt,  die  nach  Anlage 
und  Durchbildung  von  hervorragender  Bedeutung  im  Schiffe  heute  noch  die  alte 
Anordnung  zeigt.  Als  einer  seiner  Baumeister  wird  Johann  Baptista  Parr  ge- 
nannt, der  Bruder  des  Franziscus  Parr,  welcher  für  Herzog  Ulrich  gleichzeitig 
das  Schloß  zu  Güstrow  baute  und  öfter  auch  beim  Schloßbau  in  Schwerin  zu 
Rate  gezogen  wurde.  Ein  dritter  Bruder,  Christoph  Parr,  war  ebenfalls  an  beiden 
Schloßbauten  beschäftigt  und  errichtete  1572  außerdem  den  Fürstenstuhl  im 
Schlosse  zu  Schwerin.  Diese  Gebrüder  kamen  vom  Schloßbau  zu  Brieg,  wo  wir 
sie  unter  dem  Namen  Pahr  bereits  kennen  gelernt  haben.  Daß  Johann  Albrecht 
gleichzeitig  auch  italienische  Künstler  berief,  ist  mehrfach  bezeugt.  Schon  1557 
empfahl  Herkules  von  Ferrara  dem  Herzoge  einen  Baumeister  Francesco  a  Borna 
von  Brescia*),  der  alsbald  in  Dienst  genommen  wurde  und  mit  einer  Anzahl 
welscher  Maurergesellen  aus  Trient  und  einem  italienischen  Ziegler  nach  Mecklen- 
burg kam.  Damals  hatte  jedoch  schon  ein  anderer  welscher  Baumeister,  Paul, 
dort  Vorarbeiten  begonnen.  Selbst  des  Kurfürsten  von  Brandenburg  italienischen 
Baumeister  Francisco  Chiamarella  von  Venedig  entbot  der  Herzog  zu  sich,  um 
von  ihm  Rat  und  Pläne  zu  erhalten.  Bei  diesen  Italienern  handelte  es  sich  aller- 
dings hauptsächlich  um  die  Befestigungen  zu  Dömitz  und  Schwerin,  denn  die 
Italiener  standen  damals,  wie  bald  darauf  die  Niederländer,  im  Festungsbau  in 
hohem  Ansehen.  Einen  weiteren  und  ebenso  durchgreifenden  Anbau  erfuhr  das 
Schloß  aber  seit  1617  durch  Herzog  Adolf  Friedrich.  Dieser  ließ  durch  den 
Emdener  Baumeister  Gerhard  Evert  Piloot  damals  die  prächtigen  Gebäudeteile 
über  der  Schloßkirche  und  über  der  Schloßküche  neu  aufführen  und  plante  dazu 
noch  einen  vollständigen  Ausbau  der  damals  ganz  niedrig  bebauten  Nordwestecke. 
Der  Stil  seiner  Neubauten  ist  ein  völlig  nordischer  mit  hohen  Giebeln,  Spitzen, 
Türmen  und  reicher  Quader-  und  Diamantspitzenarchitektur  in  Putz.  Diese  Ge- 
bäudeteile stehen  noch  zum  Teil  heute  aufrecht.  Von  der  ehemaligen  Pracht  der 
sonstigen  Ausstattung  des  Schlosses  geben  die  zahlreichen  Terrakotten,  die  man 
zur  Ausstattung  der  gegen  den  Garten  gelegenen  großartigen  Grotte  verwendet 
hat,  Zeugnis.  Es  sind  meistenteils  männliche  und  weibliche  Porträts  fürstlicher 
Persönlichkeiten,  wozu  jedoch  noch  Medaillons  mit  antiken  Bildnissen  kommen, 
die  in  Wismar  fehlen.  Auch  Löwen,  Doppeladler  und  andere  Tiere,  trefflich  sti- 
lisiert und  gleich  den  Medaillons  in  Lorbeerkränze  gefaßt,  sind  eingestreut. 

Außerdem  bietet  die  Schloßkapelle  noch  erkennbar  die  Grundzüge  des  alten, 
1563  von  Herzog  Johann  Albrecht  mit  Hilfe  des  genannten  Architekten  Johann 
Baptista  Parr  (Pahr)  vollendeten  Baus,  der  leider  durch  Zwirner  eine  Umstili- 
sierung  ins  Gotische  erlitt  und  einen  neuen  gotischen  Choranbau  erhielt.  Es 

1)  Das  Geschichtliche  bei  Lisch,  Jahrb.  V,  S.  32  ff.  mit  Abbildungen  des  Grundrisses. 
Vgl.  das  Prachtwerk  über  das  neue  Schloß.  Bei  Schlie  a.  a.  0.  II,  S.  601  ff.,  Die  Pläne  des 
alten  Schlosses  mit  Aufriß  der  Passaden  im  Hofe  und  außen. 

2)  Über  alle  diese  Künstler  vgl.  L  i  s  ch  a.  a.  0.  S.  22  ff. 


Schwerin 


247 


ist  nach  dem  Muster  der  sächsischen  Schloßkapellen  ein  mit  reichen  Stern- 
gewölben überdeckter  dreischiffiger  Raum  von  drei  Jochen,  getragen  von  Rund- 
säulen, zwischen  die  sich  ringsum  hohe  Stichbogen,  als  Träger  eingeschobener 
Emporen,  spannen.  Die  Gewölberippen  wie  die  Säulen  bestanden  ursprünglich 
aus  gebranntem  Ton;  diese  Teile,  wie  alle  Renaissanceprofile,  sind  durch  den 
neuen  Stucküberzug  gründlich  entstellt.  Trotzdem  ist  auch  der  heutige  Ein- 
druck des  reichgewölbten  galerieumzogenen  Schiffes  noch  höchst  eigenartig  und 
offenbar  sich  stark  an  südfranzösische  Frührenaissance  anlehnend.')  Von  der 
alten  Ausstattung  steht  wenigstens  noch  die  sehr  schöne  runde  Kanzel^),  weiß 
marmorn  mit  Vergoldung,  an  ihrer  alten  Stelle,  ein  W^erk  des  Simon  Schröder  aus 
Torgau,  auf  einer  Auskragung  von  drei  prächtigen  Patten  getragen  und  oben  drei 
vortrefflich  gemeißelte,  rehgiös  symbolische  Reliefs  zeigend,  der  Torgauer  ähnlich; 
auch  hier  architektonische  Hintergründe,  perspektivisch  mit  reicher  Kassettenunter- 
sicht.  Noch  feiner  und  reicher  ist  der  marmorne  Altar  des  Georg  Schröder  aus 
Torgau,  von  1561,  jetzt  im  Museum  zu  Schwerin''),  ein  Altartisch  mit  Pilastern  zwi- 
schen denen  die  Evangelisten  schreibend  sitzen,  der  Aufsatz  die  mit  Doppelsäulen 
eingefaßte  Kreuzigung  in  der  Mitte,  auf  seithch  vorspringenden  Tafeln  die  eherne 
Schlange  und  die  Auferstehung  in  Relief  enthaltend,  darüber  ein  Aufsatz  mit 
dem  segnenden  Gottvater.  Die  Ausführung  beider  Werke  ist  ganz  ausgezeichnet, 
doch  kaum  als  deutsch  zu  bezeichnen.  Vielmehr  finden  wir  auch  hier  stark  fran- 
zösische Anklänge.  Einige  Alabastertafeln  auf  der  Empore,  mit  Säulen  eingerahmt, 
und  andere  Stücke  im  Museum  sprechen  ebenfalls  von  ausländischen  Einflüssen. 

Die  prächtige  Eingangspforte  ist  noch  ziemUch  an  Ort  und  Stelle  erhalten ; 
diese  in  der  reichen  Ornamentumrahmung,  den  vorgesetzten  Säulen,  dem  reichen 
Fries  und  den  feinen  Details  stark  italienisierend.  Der  mit  Ornamentzwickeln 
und  Pilastern  eingefaßte,  mit  Halbrund  bekrönte  Aufsatz  ist  dagegen  schwächer; 
er  enthält  die  Kreuztragung  und  darüber  die  Marterwerkzeuge  in  Relief.  Das 
Portal  ist  als  das  Werk  von  Georg  Walther  in  Dresden  bezeugt,  dem  wir  dort 
noch  an  dem  ähnhch  italienisch  anklingenden  Portal  der  Schloßkirche  begegnen 
werden. 

Von  der  einstigen  glänzenden  Ausstattung  des  Doms,  die  zum  Teil  aus  der 
Zeit  Johann  Albrechts  stammte,  ist  fast  nichts  erhalten.  Vorher  ist  noch  das 
prächtige  Bronze-Epitaph  der  Herzogin  Helena  von  1524  zu  nennen,  das  Peter 
Fischer  schuf.  Nur  Wappen  und  Inschrift  zieren  es,  doch  alles  dies  von  voll- 
endeter Modellierung,  insbesondere  das  Hauptwappen  in  der  Mitte  unter  Laubbogen; 
wundervoll  die  füllenden  Ornamente  zwischen  den  acht  Randwappen  und  in  den 
Zwickeln;  alles  noch  im  letzten  Detail  gotisch,  doch  im  Gefühl  und  in  Zeichnung 
echteste  Renaissance;  die  Putten  und  füllenden  heiter-phantastischen  Eckfiguren 
denen  am  Sebaldusgrab  in  Nürnberg  nahe  verwandt.  Ein  wenig  bekanntes  Meister- 
werk des  Künstlers.*) 

Von  der  einstigen  Orgel,  nebst  der  Kanzel  und  dem  fürstHchen  Gestühl 
ausgezeichnete  Arbeiten  des  Johann  Baptista  und  des  Christoph  Parr,  ist  nichts 
mehr  vorhanden,  als  eine  steinerne  Wappentafel  von  der  KanzeP),  die  Namen 
und  Wappen  der  Stifter  in  Kartusche  enthaltend.  Auch  dieses  Werk  erscheint 
etwas  fremdländisch  in  den  Formen.  Von  der  Hand  des  erstgenannten  Künst- 
lers mögen  auch  die  vier  hölzernen  und  bemalten  Epitaphien  der  Herzöge 
Albrecht  VII.,   Georg,   Heinrich  und  des  Bischofs  Magnus   sein,   die  Herzog 

1)  Die  Ansicht  des  ursprünglichen  und  jetzigen  Zustandes  bei  Schlie  a.  a.  0.  II,  S.  587. 

2)  Schlie  S.  590. 

3)  Schlie  p.  588. 

4)  Abgeb.  bei  Schlie  a.  a.  0.  S.  556. 

5)  Dortselbst  p.  554. 


248      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  uorddeutschen  Küstengebiete 

Johann  Albrecht  an  den  Pfeilern  des  hohen  Chors  aufhängen  ließ.  Alle  in  der 
Hauptsache  das  mecklenburgische  Wappen  mit  einer  Inschrifttafel  darunter  ent- 
haltend; von  ausgezeichneter  Behandlung  und  außerordentUcher  Originalität, 
doch  freilich  wieder  stark  französisch. 


Abb.  137   Schloß  zu  Güstrow  von  Südwesten 


Ebenfalls  fremdländisch  ist  das  feine  Denkmal  des  Herzogs  Christoph  und 
seiner  Gemahlin'),  1596  durch  IMert  Coj)pens  aus  Antwerpen  errichtet;  wieder  ein 
Spätwerk  der  öfters  gekennzeichneten  Antwerpener  Bildhauerschule  des  C.  Floris. 
Von  vier  weißmarmornen  Karyatiden  getragen,  bekrönt  den  zurückspringenden 
mit  sechs  Reliefs  gezierten  Körper  eine  starke  schwarze  Platte  mit  weißen  Ahnen- 
wappen ringsum.  Oben  knien  die  schönen  Gestalten  der  Bestatteten  vor  einem 
schwarzen  Altar;  an  den  Ecken  vier  Putten  mit  Todessymbolen.  Das  Ganze  über 
drei  Marmorstufen.  Die  Wirkung  der  ausgezeichneten  Arbeit  wie  des  stark  ab- 
wechselnden schwarzen  und  weißen  Marmors  ist  sehr  stark;  das  Werk  gehört 
zu  den  vorzüglicheren  der  importierten  aus  Antwerpen. 

Ein  schönes  Säulenepitaph  von  1625  in  Marmor  hängt  an  einem  der  Nord- 
pfeiler des  hohen  Chores. 

Das  dritte  dieser  großartigen  Schlösser,  das  zu  Güstrow,  ist,  obwohl  jetzt 
zur  Strafanstalt  degradiert,  im  wesentlichen  wohl  erhalten.  Es  wurde  nach  einem 
Brande  1558  von  Herzog  Ulrich  durch  den  Baumeister  i^ra»c/s«^s  Parr  neu  auf- 


1)  Schlie,  Kunstdenkmäler  S.  557,  558. 


Güstrow  Schloß 


249 


geführt  und  bis  1565  vollendet.  Der  nördliche  Flügel  brannte  1586  ab,  worauf 
bis  zum  Jahre  1594  eine  durchgreifende  Wiederherstellung  erfolgte.  Am  südlichen 
Ende  der  sauberen,  freundlichen  Stadt  erhebt  sich  mit  imposanten  Massen,  auf 
den  Ecken  und  in  der  Mitte  durch  hohe  Pavillons  mit  flankierenden  Türmen 


malerisch  gruppiert,  der  sehr  ansehnliche  Bau  (Abb.  137).  Seine  Architektur, 
vollständig  in  Stuck  durchgeführt,  mit  Nachahmung  mannigfaltigen  Quaderwerks, 
weicht  von  dem  Terrakottastil  der  meisten  übrigen  mecklenburgischen  Schlösser 
in  auffallender  Weise  ab,  und  erinnert  durch  ihre  Formen  und  besonders  durch 
die  Pavillons  mit  ihren  steilen  Dächern  und  die  zahlreichen  Schornsteine  an  fran- 
zösische Renaissance,  während  der  deutschen  Sitte  wieder  durch  hohe,  kräftig 
gegliederte  Giebel  Rechnung  getragen  wird.    Man  nähert  sich  dem  Schlosse  von 


250      2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

der  Westseite,  wo  der  tiefe  Graben  überbrückt  ist  und  durch  einen  späteren  von 
Herzog  Gustav  Adolf  ausgeführten  Vorbau  beherrscht  wird.  Der  große  Torweg 
liegt  nicht  in  der  Mitte,  sondern  etwas  seitwärts  geschoben  im  westhchen  Haupt- 
flügel, der  sich  in  einer  Länge  von  60  Meter  bei  25  Meter  Höhe  erstreckt.  (A]3b.  139.) 
Er  enthält  auf  jeder  Seite  des  Torweges  zwei  große  beinahe  quadratische  Zimmer 
von  8  Meter  Tiefe ;  zu  diesen  kommt  an  der  längeren  Südseite  noch  ein  Ecksaal 
von  9  zu  10  Meter  hinzu.  Beide  Eckräume  erhalten  eine  Erweiterung  durch  viel- 
eckige Erkertürme,  deren  Fenster  köstliche  Ausblicke  auf  die  umgebende  liebliche 
Landschaft  mit  ihren  saftigen  Wiesengründen,  Baumgruppen  und  klaren  Seespiegeln 
gewähren.  Vom  Hauptbau  zieht  sich  ein  südhcher,  breiterer,  und  ein  nördlicher, 
minder  tiefer  Flügel  im  Rechteck  ostwärts  hin.  Auch  die  Stockwerkhöhe  weicht  im 
jüngeren  nördlichen  Flügel  von  der  im  westlichen  und  südlichen  Bau  ab;  denn 
während  das  Erdgeschoß  hier  6,  der  erste  Stock  57^,  der  zweite  5  Meter  mißt, 
betragen  die  Höhen  im  Nordflügel  nur  S^/s  Meter  im  ersten,  4  Meter  im  zweiten 
Stock.  Der  südliche  ist  außerdem  durch  eine  mächiige  Säulenhalle  im  Erdgeschoß 
und  den  oberen  Stockwerken  zur  Verbindung  der  Räume  ausgezeichnet  (Abb.  138). 
Sie  schließt  östlich  mit  einem  großen  ovalen  Treppenturm,  der  die  breite,  sanft 
ansteigende  Hauptstiege  enthält.  Am  nördlichen  Flügel  aber  ist  nur  im  Haupt- 
geschoß eine  kleinere  Galerie  von  geringerer  Tiefe  angebracht,  die  aus  der  Zeit 
nach  dem  Brande  stammt,  vielleicht  überhaupt  nicht  so  bleiben  sollte.  Dagegen 
erkennt  man,  daß  am  Vorderbau  ehemals  auf  mächtigen  Kragsteinen  eine  Galerie 
das  Hauptgeschoß  gleichfalls  begleitete  oder  wahrscheinlicher  nur  beabsichtigt 
war,  denn  von  ihrem  einstigen  Vorhandensein  zeugt  außer  den  Konsolen  nichts. 
Solche  Galerien  bildeten  häutig  bei  den  Bauten  jener  Zeit  die  einzige  durchlaufende 
Verbindung,  da  die  Zimmer  stets  die  ganze  Tiefe  der  Flügel  einehmen.  In  wie 
großartigem  Sinn  auch  die  Einteilung  der  oberen  Geschosse  sich  auf  eine  Anzahl 
durchweg  sehr  geräumiger  Zimmer  und  Säle  beschränkt,  zeigt  unser  Grundriß  des 
Hauptgeschosses  (Abb.  139).^)  Die  beiden  Säle  des  südlichen  Flügels  haben  bei 
einer  Tiefe  von  11  eine  Länge  von  17,  resp.  I8Y2  Meter.  Zugleich  erkennt  man 
aus  derselben  Abbildung  die  zahlreichen,  meist  in  den  Mauern  versteckt  liegenden 
Wendeltreppen,  die  fast  für  jeden  Raum  eine  selbständige  Verbindung  nach  außen 
ermöglichen.  Es  ist  das  eine  besonders  in  den  französischen  Schlössern  der  Zeit 
mit  feiner  Berechnung  durchgeführte  Anlage. 

Daß  der  Bau  nicht  vollständig  erhalten  oder  durchgeführt  ist,  erkennt  man 
am  östlichen  Ende  des  Südflügels,  wo  der  Treppenturm  in  seiner  Anlage  auf  eine 
ehemalige  Fortsetzung  des  Baues  hinweist.  Es  blieb  hier  eine  Lücke,  deren  voll- 
ständige Ausfüllung  offenbar  beabsichtigt  war,  denn  die  Mauern  bis  zur  Dachhöhe 
zeigen  die  dazu  notwendige  Abtreppung  oder  Verzahnung.  In  der  Tat  ist  eine 
Ausfüllung  sogar  auf  alten  Abbildungen  vorhanden,  doch  so,  daß  der  erste  Stock 
mit  einer  von  Balustraden  umgebenen  Plattform  abschloß.  Da  diese  Teile  durch 
Wallenstein  während  seiner  kurzen  Herrschaft  vollendet  worden  waren,  ließ  Herzog 
Gustav  Adolf  sie  abbrechen,  „ne  indigna  W.  memoria  exstaret".  Diesem  fehlenden 
Teil  entsprach  im  nördlichen  Flügel,  der  jetzt  mit  einem  viereckigen  Turm  schließt, 
eine  dreistöckige  Verlängerung,  die  an  ihrem  östlichen  Ende  die  Kapelle  enthielt 
und  dort  zugleich  durch  einen  hohen  runden  Turm  ausgezeichnet  war.  Den  Ab- 
schluß bildete  der  östliche  Flügel  auf  der  vierten  Seite,  der  leider  1794  für  bau- 
fällig erklärt  und  abgerissen  wurde. ^)  Er  war  vermutlich  nach  dem  Wiederaufbau 
des  abgebrannten  Nordflügel  1588  errichtet,  da  er  das  Wappen  des  Herzogs  Ulrich 
mit  seiner  zweiten  Gemahlin  Anna  trug;  die  Hochzeit  fand  1588  statt.    So  war 

1)  Bei  Schlie  a.  a.  0.  Bd.  IV,  S.  193,  194. 

2)  Das  Geschichtliche  in  Besser,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Vorderstadt  Güstrow, 
S.  363  tf. 


Güstrow    Schloß  251 

der  Hof  auf  vier  Seiten  von  hohen  Gebäuden  eingeschlossen  mit  Ausnahme  jener 
kurzen  Lücke  zwischen  dem  Treppenturm  des  Südflügels  und  dem  Ostflügel. 
Die  noch  immer  bedeutende  Wirkung  des  Hofes  muß  ursprünglich  eine  wahrhaft 
großartige  gewesen  sein.  Ein  wichtiges  Element  in  diesem  Eindruck  bildet  die 
herrliche  Säulenhalle  des  Südflügels  (Abb.  138).  Im  Erdgeschoß  sind  es  vier  Bogen 


Abb.  139   Grundrisse  des  Schlosses  zu  Güstrow 


auf  ionischen  Säulen  von  Granit,  kraftvoll  und  mächtig  in  Achsen  von  fast  5  Meter 
Weite,  die  Halle  selbst  gegen  3  Meter  tief,  alles  freilich  durch  eiserne  Anker,  die 
Säulenschäfte  selbst  durch  eiserne  Bänder  gehalten.  Im  oberen  Geschoß  eine 
ähnliche  Halle  auf  korinthischen  Säulen,  und  darüber  im  zweiten  Stock  eine  Loggia 
mit  der  doppelten  Anzahl  von  Säulen,  welche  ein  gerades  Gebälk  mit  Fries  tragen. 
Das  Motiv  und  das  Einzelne  dieser  Halle  ist  nun  genau  dasselbe,  das  wir  bereits 


252      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

an  der  Halle  des  Hofes  im  Piastenschloß  zu  Brieg  und  im  Schloß  zu  Plagwitz 
fanden;  offenbar  ein  Erbteil  der  Familie  Pahr. 

Die  Architektur  des  ganzen  Baus  ist,  wie  schon  bemerkt,  in  Stuck  durch- 
geführt und  mit  großer  Sorgfalt  behandelt.  Das  Erdgeschoß  hat  eine  kraftvolle 
Rustika,  die  in  mancherlei  Variationen  der  Quaderbildung  sich  gefällt.  Im  ersten 
Stock  stuft  sich  die  Rustika  feiner  ab  und  ist  gleichmäßiger  durchgeführt,  im 
oberen  Geschoß  endhch  ist  bei  glatt  verputzten  Flächen  durch  Blendnischen  und 
Säulenstellungen  eine  reichere  Gliederung  bewirkt,  an  den  hohen  Giebeln  des 
Äußeren  durch  Häufung  der  Säulenstellungen  etwas  phantastisch  Unruhiges  er- 
zielt. Das  Hauptgesims  mit  frei  gruppierten  Konsolen  gibt  einen  wirksamen 
Abschluß,  sämtliche  Fenster  sind  im  Stichbogen  gewölbt  und  erhöhen  bei  großen 
Verhältnissen  und  bedeutenden  Achsweiten  die  Vornehmheit  des  Baues.  Mit  Recht 
aber  hat  der  Architekt  an  der  Südseite  die  zahlreicheren  Fenster  dicht  zusammen- 
gedrängt, um  mögHchst  großen  Genuß  der  entzückenden  Aussicht  in  die  Land- 
schaft zu  ermöglichen.  Die  dort  liegenden  großen  Säle  gehören  durch  Statthch- 
keit  des  Raums,  Fülle  des  Lichts,  Freiheit  der  Lage  zu  den  schönsten  ihrer  Art. 
Was  den  Haupträumen  des  Schlosses  noch  besonderen  Reiz  verleiht,  sind  die 
zahlreichen  tiefen  Nischen  und  Erker  mit  ihren  freien  Ausblicken,  die  auch  das 
Äußere  mannigfach  beleben.  Die  Lust  an  der  Dekoration  ist  bis  zu  den  bunten 
Gestaltungen  der  Schornsteine  auf  dem  Dache  gedrungen ;  sie  sind  mit  Voluten, 
Spitzen  und  andern  Ornamenten  reich  geschmückt.  Auch  die  zahlreichen  Wetter- 
fahnen auf  den  Dächern  zeigen  lustigen  figürlichen  Schmuck.  An  dem  östlichen 
turmartigen  Vorsprung  des  Nordflügels  ist  im  zweiten  Stock  ein  Balkon  heraus- 
gebaut, mit  hübschen  Wappen  und  einer  Inschrift  geschmückt,  besagend,  daß 
Herzog  Ulrich,  nachdem  1586  das  alte  Haus  abgebrannt,  es  in  den  beiden  folgenden 
Jahren  wieder  erbaut  habe.  Die  Jahreszahl  1598  liest  man  an  dem  Giebel  des- 
selben Flügels.  Die  Einzelheiten  dieses  Herstellungsbaues  zeichnen  sich  durch 
eine  strengere  Behandlung  mittelst  antikisierender  Pilasterstellungen  aus. 

Was  endlich  diesem  majestätischen  Bau  seine  besondere  Bedeutung  ver- 
leiht, ist,  daß  er  die  umfangreichste,  schönste  und  merkwürdigste  Stuckdekora- 
tion besitzt,  die  irgendwo  in  Deutschland  aus  jener  Epoche  anzutreffen  ist.  Vor 
allem  die  reiche  Oberflächengestaltung  am  Äußeren,  mit  eigens  geformten  oder 
zugehauenen  Backsteinen  vorgemauert  und  dann  verputzt,  zeigt  in  der  wohl- 
berechneten mannigfaltigen  Gliederung  und  Abstufung  eine  wahre  Künstlerhand. 
Am  Unterbau  befindet  sich  in  jeder  der  sehr  großen  Quaderflächen  ein  wagerecht 
liegender  starker,  dunkel  gefärbter  Rundstab;  in  dem  darüber  liegenden  fries- 
artigen Quaderband  in  jeder  eine  vorspringende  Kugel.  Die  Fensterpartie  ist 
sodann  durch  gewaltige  Profile  in  Füllungen  geteilt,  die  Fenster  selbst  wieder 
sind  durch  stark  gewölbte  Quadern  eingefaßt.  Darauf  folgt  ein  Brüstungsfries 
mit  Mäandermuster;  das  zweite  Fenstergeschoß  hat  dann  eine  sehr  kleine  kräftige 
Quaderung.  Das  Obergeschoß  ist  glatt,  da  es  durch  Rahmen,  Rundstäbe,  Nischen 
und  ähnliches  eine  ausgeprägte  Vertikalgliederung  erhalten  hat.  Alle  Gesimse, 
deren  der  Bau  sehr  viele  hat,  sind  höchst  kräftig  gebildet.  Das  Ganze  hat  über- 
haupt, schon  von  dem  schräg  aus  dem  tiefen  Graben  ansteigenden  Sockel  an,  eine 
außerordentlich  kraftvolle  Erscheinung  und  ist  als  ein  Meisterwerk  von  höchstem 
Ausdruck,  vielleicht  als  die  tüchtigste  und  selbständigste  Leistung  auf  dem  Ge- 
biete der  äußeren  Putzarchitektur  überhaupt  zu  bezeichnen,  die  irgendwo  existieren 
mag.  Wo  der  Meister  Franz  seine  Anregungen  hierzu  geschöpft  haben  mag,  ist 
nicht  festzustellen.  In  Italien  ganz  gewiß  nicht,  wo  eine  Rustika  als  Selbstzweck 
in  derart  dekorativer  Behandlung  auch  nicht  einmal  andeutungsweise  zu  finden 
ist.  Eher  noch  in  Frankreich.  Dort  geben  gewisse  Rustikafassaden  der  gleichen 
Zeit  (Oiron)  auch  wohl  einige  Stücke  Du  Cerceaus  einen  Anklang.    Es  scheint 


Güstrow  Schloß 


253 


nichtsdestoweniger,  als  ob  hier  eine  neue  Architektur  ohne  eigenthche  Vorgänger 
vor  uns  stehe. 

Fast  ohnegleichen  ist  auch  die  Ausstattung  des  Innern.  Die  Decken  und 
Gewölbe  sämtlicher  Säle  und  Gemächer,  zum  Teil  auf  Säulen  ruhend,  haben 
eine  Stuckdekoration,  welche  ebensowohl  durch  die  Mannigfaltigkeit  der  Ein- 
teilungen, wie  durch  die  Schönheit  des  Einzelnen,  bewundernswürdig  ist.  In 
dem  reichen  Wechsel  der  Decken,  Kreuzgewölbe,  Flachdecken  und  Spiegelgewölbe 
bot  sich  willkommenste  Gelegenheit,  stets  neue  Einteilung  und  Gliederung  anzu- 
wenden. Die  Rippen  sind  z.  B.  als  Blattkränze  charakterisiert,  durchweg  aber 
ist  bei  allem  Reichtum  das  edelste  Maßhalten  zu  erkennen  und  dabei  ein  muster- 
hafter Takt  in  der  Abstufung  vom  Einfachsten  zum  Prachtvollsten  gewahrt.  Be- 
sonders schön  sind  die  Decken  der  Erker  ausgeführt,  aber  auch  das  südwestliche 
Eckgemach  im  Erdgeschoß  ist  überaus  prächtig.  Sind  in  den  Hallen  und  Bogen- 
gängen und  der  Einfahrt  mehr  feine  lineare  Rahmen  und  Füllungen  von  oft 
großer  Schönheit  angewandt,  so  entfaltet  sich  an  Wänden  und  Decken  der  eigent- 
lichen Wohn-  und  Prachträume  ein  feines  oder  üppigeres  Rahmenwerk  mit  Orna- 
ment und  Figürlichem,  mit  Darstellungen  des  Landlebens  und  der  Jagd,  wo  Tiere 
aller  Art,  selbst  der  Tropen,  nicht  fehlen,  auch  Seestücke  nicht,  noch  die  sieben 
Weltwunder  bis  zum  Koloß  von  Rhodos.^) 

Außer  den  Stuckwerken  sind  auch  noch  einige  wuchtige  und  prachtvoll 
behandelte,  geschnitzte  Kassettendecken  in  Holz  vorhanden. 

Man  kann  nicht  genug  beklagen,  daß  solche  Schätze  bis  jetzt  in  Deutsch- 
land so  gut  wie  unbekannt  blieben,  während  sie  in  vollem  Maße  erschöpfende 
Veröffentlichung  verdienten. 

Das  Güstrower  Schloß  steht  in  seiner  Anlage  und  Ausschmückung  unter 
den  mecklenburgischen  Bauten  jener  Zeit  vereinzelt  da,  Zeuge  eines  fremden 
Einflusses,  der  auf  die  Persönlichkeit  seines  Baumeisters  zurückzuführen  ist. 
Dieser,  offenbar  der  bedeutendste  Sohn  der  Familie  Pahr,  hat  hier  sein  Meister- 
werk und  eines  der  stärksten  Renaissancewerke  auf  deutschem  Boden  für  einen 
deutschen  Fürsten  geschaffen.  Unterstützt  wurde  er  durch  seinen  meist  in  Schwerin 
tätigen  Bruder  Johann  Baptista,  besonders  aber  Christoph  den  Bildschnitzer  und 
Stukkateur.    Auch  ein  Bruder  Dominikus  wird  in  jener  Zeit  noch  genannt. 

Die  beiden  erstgenannten  wanderten  dann  1572  nach  Schweden,  wohin 
ihnen  auch  Dominikus  folgte.  Dort  entfalteten  sie  eine  fernere  großartige  Tätig- 
keit als  Baumeister;  die  Schlösser  zu  Upsala,  Kolmar,  Borgholm  und  andere  bis 
nach  Finnland  hin  wurden  Zeugnisse  ihrer  Kunst.   Christoph  bheb  in  Schwerin.^) 

Franziskus  vollendete  den  Schloßbau  zu  Güstrow  nicht;  von  ihm  stammten 
nur  die  heute  noch  stehenden  Teile,  deren  Nordflügel,  wie  schon  bemerkt,  1586 
abbrannte.  Der  Meister  Philixjp  Brandin  aus  Utrecht,  den  wir  schon  in  Wismar 
kennen  lernten,  folgte  Pahr  und  baute  den  abgebrannten  Teil  in  seiner  Art  in 
wenig  vollkommener  Anlehnung  an  die  älteren  Teile  wieder  auf;  daher  die  wesent- 
lich schwächere  Wirkung  gegenüber  der  Urkraft  jener.  Er  führte  dann  an  der 
Nord-  und  Ostseite  die  Gebäude  weiter,  doch  ohne  zum  vollständigen  Abschluß 
des  Hofes  zu  gelangen.  Diese  letzten  Gebäude  verschwanden,  wie  oben  bemerkt  1794. 
Weitere  Spuren  der  Kunstrichtung  Brandins  finden  wir  aber  im  Dom  zu  Güst- 
row in  den  Prachtgräbern  der  mecklenburgischen  Fürsten  an  der  Nordwand  des 
Chores  (Abb.  140).  Sie  wurden  im  Auftrage  des  Herzogs  Ulrich  durch  jenen 
Meister  PJdliiJX)  Brandin  von  1576—86  ausgeführt.  Derselbe  Meister  hatte  schon 
früher,  zugleich  mit  einem  anderen  Steinhauer  Conrad  Floris,  also  ebenfalls 

1)  Abb.  bei  Schlie,  a.  a.  0.  S.  256,  257. 

2)  Das  Nähere  bei  Aug.  Hahr,  Die  Architektenfamilie  Pahr,  Straßbg.,  1908,  wo  auch 
Abbildungen  der  Stuckdecken  und  Einzelheiten  von  Güstrow  in  Fig.  10  bis  19  gegeben  sind. 


254      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

einem  Niederländer,  auch  mehreres  für  Herzog  Johann  Albrecht  in  Schwerin  ge- 
arbeitet. Es  handelt  sich  in  Güstrow  zunächst  um  ein  prachtvolles  marmornes 
Epitaphium  des  damals  noch  lebenden  Herzogs  Ulrich  und  seiner  Gemahlinnen 
Elisabeth  und  Anna.  Die  Gestalten,  aus  weißem  Marmor  gearbeitet,  knieen  hinter- 
einander an  reichen  Betpulten,  in  vergoldeten  Prachtkostümen,  in  einer  gewissen 
Strenge  der  Haltung,  doch  nicht  ohne  Lebensfrische  aufgefaßt.  Wahrheit  und 
Glaube  als  Karyatiden  bilden  die  architektonische  Einfassung  und  tragen  das 
phantastisch  gekrönte  Gesimse,  an  dem  weitere  Figuren  von  Tugenden  angebracht 


Abb.  140   Denkmäler  im  Dom  zu  Güstrow 


sind.  Dazu  prächtige  Wappen  und  ein  ganzer  Stammbaum,  dies  alles  auf  schwar- 
zem Marmorgrund  mit  zahlreichen  goldnen  Inschriften  und  Emblemen.  Am  Fries 
obendrein  Reliefs,  das  Ganze  von  höchster  Opulenz  ^)  (Abb.  141).  Von  derselben 
Hand  ist  das  kleinere  Marmor-Epitaph  der  Herzogin  Dorothea  (f  1575).  Sie 
liegt  betend  auf  einem  Sarkophag,  toskanische  Säulen  bilden  die  Einfassung  und 
tragen  ein  reiches  Gebälke,  in  dessen  Krönung  Christus  als  Salvator  erscheint.^) 
Daneben  reiht  sich  östlich  das  dritte  große  Werk  an,  mit  1574  bezeichnet,  das 
Epitaph  des  Herzogs  Borwin  IL,  zugleich  der  riesige  Stammbaum  der  mecklen- 
burgischen Fürsten,  freilich  nur  aus  Sandstein,  aber  reich  vergoldet.  Prachtvolle 
korinthische  Säulen  fassen  das  Ganze  ein  und  tragen  das  Gebälk.  Auch  diese 
bedeutende  Arbeit^)  zeigt  die  eleganten  Formen  der  damahgen  niederländischen 
Kunst  und  stammt  von  der  Hand  Brandins.  Sämtliche  drei  Epitaphien  werden 
von  einem  trefflichen  schmiedeeisernen  Gitter  umschlossen.  Minder  bedeutend, 
aber  aus  derselben  Epoche  und  Richtung  ist  die  in  Sandstein  ausgeführte  Kanzel 

1)  ScMie,  a.  a.  0.  S.  216.  2)  Schlie,  S.  213.  3)  Schlie,  S.  212. 


256      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

und  der  reizvolle  Taufstein,  von  vier  Hermen  getragen  und  von  prachtvollem 
Eisengitter  umfaßt.  Eine  Reihe  schöner  Epitaphien,  Bronzekronen,  Totenschilde 
u.  dgl.  vollenden  den  Schmuck  der  Kirche,  die  einst  auch  noch  eine  prachtvolle 
Renaissanceorgel  besaß.  Reste  davon  im  Schweriner  Museum.  —  In  der  Pfarr- 
kirche stammt  die  Kanzel,  die  Empore  und  das  Stuhlwerk  aus  derselben 
Zeit,  wenn  auch  von  geringeren  Händen.  Eine  Anzahl  prächtiger  Epitaphien 
schmücken  auch  sie. 

Der  Privatbau  Güstrows  weist  ebenso  tüchtige  Leistungen  aus  der  Renais- 
sancezeit auf.    In  der  Mühlenstraße,  am  Dom-  und  Marktplatz  und  auch  sonst 

stehen  zahlreiche  male- 
rische Giebelhäuser;  in 
reinem  Ziegelbau,  in  Her- 
stellung der  Architektur- 
teile in  Sandstein  und 
auch  in  Fachwerk.^)  Von 
der  erstgenannten  Art  sei 
der  prachtvolle  Giebelbau 
des  Brauers  Hansen  in 
der  Mühlenstraße  genannt 
(Abb.  142),  der,  aus  der 
Renaissancezeit  stam- 
mend, an  der  Straßen- 
wie  Hofseite  eine  starke 
Gliederung  in  noch  spät- 
gotischer Auffassung  mit 
Pfeilern,  Gesimsen,  Gie- 
bel- und  Maßwerkreihen 
besitzt  und  an  der  Kante, 
ähnlich  wie  das  Ulmer 
Rathaus  mit  ansteigen- 
den offnen  Bögen  ein- 
gefaßt ist.  Doch  im  Geist 
durchaus  der  Renaissance 
angehörig,  etwa  in  dem 
Sinne  des  Stargarder  Rat- 
hauses. 

Abb.  142   Eücicseite  der  Brauerei  Hansen  zu  Güstrow  Der   feine  Schaum- 

burgsche  Giebel  am  Dom- 
platz mit  seiner  eleganten  Steineinfassung  und  Teilung  im  Schweifstil  trägt  den 
Stempel  der  Kunst  Phili23p  Brandins  unverkennbar,  weniger  die  ganz  nahe  stehende 
Bürgerschule,  die  ihm  zugeschrieben  wird,  die  übrigens  ein  gutes  Rustikaportal 
mit  Krönung  besitzt,  nach  niederländischer  Art  neben  dem  Giebel  angebaut.  Reiz- 
voll ist  die  mehrfach  auftretende  hübsche  Gruppierung,  die  erreicht  wird  durch 
das  Vorsetzen  eines  kleinen  erkerartigen  Giebels  seitlich  vor  dem  großen  Giebel. 
Besonders  hübsch  Mühlenstraße  17;  da  auch  ein  malerisches  epitaphähnliches 
Wappen  über  dem  Eingang.  Ähnlich,  doch  in  der  Rokokozeit  mit  Stuckverzie- 
rungen verschönert,  das  Haus  Mühlenstraße  13.  Ein  gutes  Fachwerkhaus  am 
Markt  19;  es  läßt  auch  die  einstige  innere  Einteilung  mit  sehr  großer  Diele  und 
wenigen  massiv  dahinein  gebauten  Wirtschafts-  und  Wohnräumen,  im  Hintergrund 
die  nach  oben  führende  Wendeltreppe,  noch  wohl  erkennen. 


1)  Abgeb.  bei  Schlie  a.  a.  0.  S.  259—265. 


Gadebusch 


257 


Gegen  Ausgang  der  Epoche  begegnet  uns  hier  noch  einmal  ein  Werk  der 
älteren  zierHchen  Backstein-  oder  vielmehr  Terrakottenbaukunst  im  Schloß  zu 
Gadebusch  bei  Schwerin i)  (Abb.  143).  Es  ist  die  Schöpfung  Herzog  Christophs, 
der  im  Jahre  1569  nach  vielen  Leiden  dem  erzbischöf liehen  Stuhle  Lievlands 
entsagt  hatte  und  in  sein  Bistum  Ratzeburg  zurückgekehrt  war.  Mit  gebildetem 
Geiste  und  mildem  Sinne  wandte  er  sich  wissenschaftlichen  und  künstlerischen 
Bestrebungen  zu.  Diesen  verdankt  man  den  Bau  des  Schlosses,  1570  begonnen 
und  im  folgenden  Jahre  vollendet.  Als  Baumeister  wird  Christoph  Haubitz  ge- 
nannt, der  seit  1549  bei  den  Schweriner  Bauten  des  Herzogs  Johann  Albrecht 


J 

MM 

11^ 

Abb. 143   Schloß  zu  Gadebusch 


zuerst  als  Maurermeister  gedient  hatte  und  nach  dem  Abgange  der  Brüder  Parr 
(1572)  zum  herzoglichen  Baumeister  ernannt  wurde.  Dieser  alte  einheimische 
Meister  griff  hier  zu  dem  früheren  Stile  zurück  und  führte  ein  Werk  auf,  das  in 
seinem  Hauptteil  noch  einigermaßen  erhalten  dasteht  und  für  uns  heute  das 
allerletzte  zurzeit  noch  nicht  künstlich  „verschönerte"  und  hergerichtete  originale 
Beispiel  jener  so  eigenartigen  Schloßbauten  Mecklenburgs  bildet,  denen  ja  selbst 
Italien  in  ihrer  Art  nichts  Ähnliches  entgegenzusetzen  hat,  wenn  auch  sich  diese 
Kunst  offenbar  von  dort  herleitet.  (Das  Schloß  Bützow  besitzt  noch  einige  Reste 
eines  ähnlichen  Terrakottenschmuckes.)  Auf  einem  durch  künstliche  Unter- 
mauerung gestützten  Hügel  erhebt  sich  das  Schloß  als  einflügliger  Bau  in  einem 
langgestreckten  Rechteck  von  ansehnlichen  Verhältnissen.  Ein  vortretendes  qua- 
dratisches Treppenhaus  enthält  das  Portal  wie  den  Aufgang  zu  den  beiden  oberen 
Stockwerken  und  ist  mit  einem  leider  verstümmelten  Giebel  abgeschlossen.  Das 
Äußere  ist  in  seinen  Mauerflächen  verputzt,  aber  mit  Friesen,  Gesimsen  und 
Pilastern  ganz  aus  Terrakotten  eingeteilt;  die  Friese  enthalten,  wie  an  den 
Schlössern  von  Wismar  und  Schwerin,  hauptsächhch  Medaillons  mit  männlichen 


1)  Das  Historische  bei  Lisch,  Jahrb.  V,  S.  61  flf. 
Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl. 


17 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


und  weiblichen  Brustbildern  fürstlicher  Persönhchkeiten,  auch  römische  Impera- 
toren in  Lorbeerkränzen,  wie  zu  Schwerin,  alles  gut  durchgebildet,  wenn  auch 
im  Figürlichen  nicht  besonders  fein.  Die  Gesamtwirkung  ist  wieder  eine  prächtige. 
An  beiden  Portalen,  von  denen  das  eine  zum  Treppenaufgang  „Windelstein" 
führt,  sind,  wohl  mit  Bezug  auf  den  geistlichen  Charakter  des  Erbauers,  in  Ton- 
reliefs der  Sündenfall  und  die  Erlösung  durch  Christi  Kreuzestod  und  Auferstehung 
dargestellt.^) 

Im  Innern  sind  zunächst  die  mächtigen  Tonnengewölbe  des  Kellers  beach- 
tenswert ;  zu  ihm  weist  ein  Terrakottenportal  gleich  neben  dem  Hauptportal  hinab. 
Die  Treppe  zum  oberen  Geschoß  hat  hübsche  Kreuzgewölbe  mit  elegant  profiher- 
ten  Terrakottarippen  aus  Ton.  Sie  mündet  oben  auf  einen  großen  Vorplatz;  von 
da  führen  zwei  zierliche,  mit  Terrakotten  dekorierte  Portale  in  die  Gemächer. 
Große  gebrannte  Platten  mit  Delphinen  und  anderen  Tieren  bilden  die  Pilaster, 
die  auf  frei  behandelten  Kapitellen  einen  Rankenfries  mit  tanzenden  Putten  tragen. 
Im  Erdgeschoß  hat  noch  die  Tür  zur  Küche  am  Ende  des  Baus  einen  reichen 

  .     Schmuck  von  Ter- 


rakottapilastern 
und  Medaillonköp- 
fen im  Fries.  In 
den  Gemächern  ne- 
ben der  Küche  sieht 
man  schön  profi- 
lierte Unterzugbal- 
ken   der  Decken 

auf  abgefasten 
Ständern.  Auch 
ein  schlichter  alter 

Kachelofen  mit 
schwarzer  Glasur 
auf  eisernem  Unter- 
bau ist  noch  vor- 
handen. 

Noch  verdient 
das  Rathaus  als 
kräftiger  Bau  von 
1618  Erwähnung, 
mit  seiner  Halle 
auf  Pfeilern  und 
mit  Rustika  in  der 

Einfassung  und 
dem  Entlastungs- 
bogen  seiner  Fen- 
ster. Er  ist  ein  wei- 
terer Beweis,  wie 
bald  hier  überall 
der  Terrakottenstil 
verlassen  wurde. 

Noch  sind  hier 
die  Renaissance- 

1)  Abb.beiScWie, 
Kunstdenkmäler  II, 


Abi).  144  Kamill  im  Schloß  zu  Dargun  Seite  482—85. 


Darguii  Rostock 


259 


teile  an  dem  alten  Schloß  zu  Dargun  zu  erwähnen.  Mit  Benutzung  von  Teilen 
des  ehemaligen  Zisterzienserklosters  i)  wurde  durch  Herzog  Ulrich,  den  Erbauer 
des  Güstrower  Schlosses,  schon  seit  1560  ein  fürstliches  Jagdschloß  aufgeführt, 
und  1590  war  das  „lange  Haus",  namenthch  der  westliche  Flügel  des  Schlosses, 
vollständig  eingerichtet.  Die  Jahreszahl  1586  liest  man  an  einem  der  Gebäude, 
aber  das  Ganze  wurde,  wie  es  jetzt  ist,  erst  später  im  17.  Jahrhundert  vollendet. 
Es  bildet  ein  großes  Viereck  mit  einem  Hofe  von  etwa  vierzig  Metern  im  Quadrat, 
dem  einstigen  Kreuzgange,  der  im  Hauptgeschoß  von  Galerien  umzogen  ist.  Der 
ansehnliche  Bau  lehnt  sich  mit  seinem  östlichen  Flügel  an  das  nördhche  Quer- 
schifip  der  gotischen  Kirche  und  drängt  sich  mit  dem  erst  nach  1668  erbauten 
südhchen  Flügel  in  ihr  ehemaliges  Langhaus  hinein,  da  die  Stelle  des  einstigen 
Seitenschiffes  einnehmend.  Der  Hauptzugang  in  der  Mitte  des  westlichen  Flügels 
führt  als  Durchfahrt  im  Ostflügel  wieder  hinaus.  Drei  runde  Türme  flankieren 
das  Schloß  auf  den  freiliegenden  Ecken;  nur  wo  das  Querschifif  der  Kirche  an- 
stößt, hat  man  auf  den  Turm  verzichtet  und  sich  mit  einem  Treppentürmchen 
begnügt.  Der  alte  Hauptaufgang  zu  den  oberen  Gemächern  befindet  sich  als 
Wendeltreppe  in  einem  Treppenturm,  der  die  nordöstliche  Ecke  des  Hofes  einnimmt. 

Im  späteren  17.  Jahrhundert,  als  man  jenen  schmalen  Flügel  an  Stelle  des 
nördlichen  Seitenschiffs  der  Kirche  erbaute,  entstand  darin  auch  ein  neues  großes 
Treppenhaus  im  schwerfälligen  Stil  jener  Zeit.  Die  plumpen  Arkaden  dieses 
Bauteils  wiederholen  sich  dann  auch  auf  der  Nordseite  des  Hofes. 

Der  östHche  Flügel  mag  der  älteste  noch  von  Herzog  Ulrich  erbaute  Teil 
sein.  Er  zeigt  nämhch  im  Erdgeschoß  und  dem  ersten  Stock  Bogenhallen  auf 
weit  gestellten  Säulen,  im  zweiten  dagegen  eine  Galerie  mit  doppelter  Säulenzahl, 
die  das  Dachgesims  aufnehmen,  genau  in  der  am  Südflügel  zu  Güstrow  vorkom- 
menden Form.  Auch  die  in  Ziegeln  nach  Art  der  Güstrower  vorgemauerte  und 
verputzte  schwere  Quaderung  des  Mitteltors  spricht  dafür,  daß  Christoph  Parr 
hier  gewirkt  hat.  Doch  ist  der  flotte  Giebelaufbau  darüber  nach  dem  daran  an- 
gebrachten Wappen  erst  unter  Herzog  Johann  Albrecht  II.  mit  einigen  Verzierungen 
dieses  Bauteiles  zugleich  entstanden.  Dieser  Herzog  hat  überhaupt  hier  eine  starke 
Bautätigkeit  in  den  Jahren  1617—23  entfaltet;  ihm  ist  vor  allem  die  einst  glänzende 
Ausstattung  der  Haupträume  in  Stuck  zuzuschreiben,  als  deren  Verfertiger  ein 
Kalkschneider  Daniel  Anckermann  genannt  wird.  Furchtbare  spätere  Verwüstungen 
im  Innern  des  Schlosses  haben  davon  wenig  übrig  gelassen,  doch  sieht  man  vor 
allem  im  Nordflügel  noch  den  riesigen,  46  Meter  langen,  11  Meter  breiten  und 
9  Meter  hohen  Jagdsaal,  dessen  Stuckdecke  mit  Kassetten,  Rollwerk  und  hängen- 
den Zapfen  wohl  zu  erkennen  ist,  auch  an  den  Wänden  zahlreiche  Jagdtiere  in 
starkem  Relief,  erinnernd  an  die  ähnliche  prachtvolle  Ausstattung  des  Saales 
zu  Weikersheim.  Im  Turmzimmer  dabei  der  Rest  eines  Kamins  mit  einem 
stehenden  Hirsch.  In  einem  andern  Raum  ein  hübscher  Kamin,  ganz  aus  Stuck 
gebildet,  unten  von  Sirenen  getragen.  Der  Mantel  ist  auf  das  reichste  mit  etwas 
barocker  Architektur  und  Ornamentik,  mit  Reliefs  und  Wappen  geschmückt 
(Abb.  144).  Der  Dreißigjährige  Krieg  schon  hat  hier  aber  furchtbar  gewütet; 
schlimmer  noch  die  Einrichtung  des  Schlosses,  insbesondere  seines  Prachtsaales, 
1806,  zu  einem  Lazarett. 

Die  größte  und  wichtigste  Stadt  des  Landes,  die  auch  in  der  Hansa  eine 
hervorragende  Stellung  einnahm,  Rostock,  zugleich  eine  der  ältesten  Universi- 
tätsstädte  Deutschlands  (1419),  spielt  naturgemäß  in  der  Pflege  der  neuen  Kunst 
eine  ansehnliche  Rolle.  Ihre  mächtigen  Kirchen  werden  im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert  erfüllt  mit  üppiger  Ausstattung  aller  Art;  ihre  Häuser  erhalten  stolze 

1)  Das  Geschichtliche  bei  Lis  ch,  Jahrb.  III,  169 

2)  Grundriß  des  Schlosses  bei  Schlie  a.  a.  0.  I.  Bd.,  S.  529;  weitere  S.  556—59. 


260      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Renaissancegiebel  oder  wenigstens  stattliche  Portale,  ihre  Kirchtürme  und  Tore 
malerisch  geschweifte  Spitzen,  ihre  Wohnräume  schönes  Mobiliar,  Kirchen  und 
Innungen  reiches  und  edles  Geräte. 

Vor  allem  müssen  wir  die  vier  großen  Kirchen  durchwandern,  von  denen 
die  gewaltige  Marienkirche  sich  durch  herrliche  Ausstattungsstücke  auszeichnet. 
Ihre  Kanzel  von  1574  (Abb.  145)  ist  sicher  das  feinste  und  glänzendste  Stück 
dieser  Art  nicht  nur  in  Mecklenburg;  ihr  Körper  in  einen  Hängezapfen  mit  Laub- 
konsolen endigend,  mannigfach  im  Grundriß  gestaltet,  hat  zunächst  einen  Fries 
mit  Relieffüllungen  von  Tugenden,  darüber  eine  ganz  hervorragend  schön  ge- 
bildete Doppelsäulenordnung  an  den  Ecken,  dazwischen  tiefe  perspektivisch  sich 


Abb.  145   Kanzel  in  der  Marienkirche  zu  Rostock 


verengende  Tonnengewölbe,  in  denen  Passionsszenen  vor  sich  gehen.  Die  Treppen- 
brüstung hat  einfache  Säulen,  dazwischen  Reliefs  aus  der  Apostelgeschichte  in 
Bögen.  Die  Tür  wieder  korinthische  Doppelsäulen,  die  Tür  mit  wundervoller 
Ornamentfüllung  und  Lünetie  darüber  mit  dem  barmherzigen  Samariter.  Im 
Aufsatz  zwischen  Säulen  ein  religiös  symbolisches  Relief;  Figuren  und  Gruppen 
krönen  die  Aufsätze, 

Die  Durchführung  und  Einzelbehandlung  ist  von  geradezu  hervorragender 
Schönheit  und  Vollendung,  überall  ist  das  reizvollste  Ornament,  mit  Rollwerk 
untermischt,  ausgestreut,  wie  an  den  Säulenschäften  unten  und  ihren  Postamenten; 
das  Figürliche,  die  zahlreichen  Köpfe  und  Köpfchen  auch  von  Chimären  u.  dgl. 
gleichmäßig  auf  der  Höhe.  Das  Ganze  gehoben  durch  reiche  Bemalung  und 
Vergoldung. 

Der  Meister  dürfte  ein  Vlame  gewesen  sein,  wie  sich  ein  solcher  auch  an 
einer  andern  Kanzel  Rostocks  als  Künstler  nennt,  so  stark  lehnt  sich  die  Stili- 
sierung und  das  Einzelne  an  flandrische  Art  an.  Mindestens  müßte  er  in  jenem 
Lande  seine  künstlerische  Bildung  genossen  haben. 


1)  Schlie  a.  a.  Ö.  I,  S.  21,  22,  24. 


Bostock 


261 


Abb.  146  Backsteingiebel  aus  Rostock 
(Nach :  Haupt,  Backsteinbauten  der  Renaissance) 


Die  Taufe  ist  jetzt  durch  ein  Gitter  abgetrennt,  das  einst  vor  dem  Chore 
der  Kirche  stand:  Bronzekandelaber  mit  einer  Art  Maßwerk  verbunden,  noch 
gotisierend,  durch  Hermenpfeiler  getrennt,  auf  dem  Gesims  reiche  Aufsätze  von 

Schweifwerk  mit 


Figuren.  An  der 
Westwand  dahinter 
eine  prächtige  Tä- 
felung, mit  Doppel- 
hermen eingeteilt, 
mit  Aufsätzen  und 
Figuren  gekrönt ; 
von  hervorragender 
Qualität.^) 

Ein  ferneres  rei- 
ches Werk  im  Ge- 
schmack der  Zeit 
ist  die  astronomi- 
sche Uhr  im  Chor 


1)  Abgeb.  Ortwein, 
Deutsche  Renais- 


sance, Rostock,  Taf. 
Abb.  147   Terrakotta  aus  der  Wasserstraße  zu  Rostock  12,  13. 


262      2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


hinter  dem  Hochaltar^),  zwei  riesige  Zifferblätter  mit  astronomischen  Figuren 
bedecitt,  das  untere  von  Doppelsäulen,  das  obere  von  Hermen  eingefaßt;  oben 
Bogenfries  mit  Hermen  und  Aufsätze  auf  dem  Gesims.  1643  von  dem  Uhr- 
macher Lorenz  Burchard  mit  dem  Tischler  Wilh.  Grote,  dem  Bildschnitzer  Ändr. 
Brandenburg  und  dem  Maler  Karl  Wübrandt  verfertigt;  im  Stil  noch  der  vorher- 
gehenden Zeit  angehörig.    Eine  Reihe  schöner  und  reicher  Epitaphien  meist 

des  17.  Jahrhunderts  vervollständigten  das  Bild 
(Band  I,  Abb.  33). 

Ähnliche  Kunstwerke  der  Renaissancezeit 
füllen  die  Jakobikir che.  Eine  äußerst  ele- 
gante SteinkanzeP)  mit  weißen  Marmorrehefs 
von  1581,  auch  stark  niederländisch;  feines 
Portal,  die  Tür  reich  eingelegt.  Ein  schön 
durchgebildetes  polygones  Gitter  von  1561  um- 
gibt die  Taufe:  kräftige  korinthische  Säulen 
an  den  Ecken,  dazwischen  Bronzekandelaber, 
über  dem  Gesimse  durchbrochene,  üppige  Orna- 
mentaufsätze, an  der  Wand  eine  Architektur 
mit  Giebelkrönung.  Alles  reich  geschnitzt.  Da- 
hinter wieder  eine  Uhr,  deren  dekorative  Ein- 
rahmung bis  ins  Gewölbe  sich  erstreckt.  Auch 
hier  zahlreiche  Epitaphien. 

In  der  Petrikirche  interessiert  wieder 
die  schöne  Steinkanzel,  der  vorigen  ähnlich, 
doch  einfacher  mit  ionischen  Pilastern  auf  den 
Ecken.  Sie  ruht  auf  einer  Karyatide,  als  St.  Peter 
gestaltet.  Der  Meister  nennt  sich  hier:  Rudolf 
.SYoc/iwm  van  Hantwerpen  fecit;  1588.  Er  dürfte 
auch  der  Künstler  der  Kanzel  in  Sankt  Jakob 
sein.  —  Der  Deckel  ist  deutsch,  von  Holz  sehr 
reich  geschnitzt,  aus  dem  gleichen  Jahre.  — 
Hier  hängt  eines  der  besten  Epitaphien,  das 
von  Hans  Bröcker  von  1571,  das  früher  in  der 
Marienkirche  war.  (Band  I,  Abb.  33.)  Ein  gut 
deutsches  treffliches  Werk,  leider  schwach  im 
Figürlichen;  sehr  groß,  über  7  Meter  hoch.  Aus 
Eichenholz  geschnitzt,  hat  es  unten  eine  ovale 
Schrifttafel  in  Schweif  werk;  auf  zwei  Postamen- 
ten stehen  dann  die  Freifiguren  von  Glaube  und 
Hoffnung,  dazwischen  ein  Relief  der  Kreuzi- 
gung. Das  Triglyphengesims,  von  Konsolen 
getragen,  hat  in  der  Mitte  eine  prächtige  Kar- 
tusche mit  Inschrift;  darüber  krönt  das  Ganze 
ein  Wappenaufsatz  mit  Säulen  und  Giebel,  in 
Rollwerk  gefaßt.  Durchführung  des  Ganzen 
architektonisch  und  ornamental  meisterhaft;  die 
Wirkung  ist  sehr  bedeutend.^) 

In  St.  Nikolai  ist  noch  der  Rest  einer 
sehr  aufwendigen  Umgitterung  der  Taufe  vor- 
handen, mit  großen  und  kleineren  Säulen  und 

Abb.  148   Terrakotta  aus  der  Wasser-  ^)  Schlie,  I,  S.  30.  3)  Schlie  S.  79. 

Straße  zu  Rostock  ^)  Schlie,  I,  S.  77.  4)  Schlie  a.a.  O.I,  S.  113. 


Rostock 


263 


Gittern  dazwischen,  1589,  doch  verstümmelt  zusammengesetzt;  hübsch  geschnitztes 
Gestühl  des  17.  Jahrhunderts;  ein  kräftiges  Epitaph  von  1597  aus  Stein  des 
Studenten  Georg  Jacobi. 

In  der  Kirche  zum  heil.  Kreuz  eine  Kanzel  von  1616,  vielleicht  von  dem 
Lübecker  Anton  Evers  geschnitzt. 

Auch  in  der  Stadt  hat  die  Renaissance  zahlreiche  Spuren  hinterlassen. 
Am  interessantesten  sind  einige  Backsteingiebel,  noch  scheinbar  gotisch  mit  spitz- 
bogigen  Maßwerkblenden  ihrer  Treppengiebel  (Abb.  146).  Das  wichtigste  Ecke 
der  Wasserstraße  hinter  dem  Rathause.  Da  sind  die  Giebeltreppen  mit  Friesen 
von  farbig  glasierten  Terrakotten  umfaßt  und  die  Runde  über  den  Maßwerken 
mit  ebensolchen  Medaillonköpfen  ausgefüllt,  was  dem  Ganzen  hohe  farbige  Pracht 
verleiht.  Die  aufsteigenden  Friese  sind  meist  ornamental,  doch  auch  mit  Figuren 
unterbrochen,  meisterhaft  modelhert.  Das  Gebäude  selbst  entspricht  der  Gotik  und 
ist  an  Eingang  und  Fenstern  mit  profilierten  und  gerippten  Stäben  eingefaßt.  Ein 
Prachtstück  einziger  Art  in  Deutschland.  Auf  einer  Kachel  hat  sich  der  Künstler 
der  Friese  genannt :  Meister  J.  G.  oder  G.  J. 
Man  denkt  unwillkürlich  an  jenen  nieder- 
deutschen Ornamentmeister,  der  sich  gleicher 
Signatur  bediente,  der  eine  der  vornehmsten 
Stellen  unter  unseren  Kleinmeistern  einnimmt. 
Trifft  diese  Vermutung  zu,  so  würde  damit 
die  Heimat  jener  wunderfeinen  Ornament- 
stiche, die  man  in  Westfalen  oder  am  Nieder- 
rhein vermutete,  nach  Mecklenburg  rücken 
(Abb.  147—149). 

Ein  einfacherer  Giebel  ähnlichen  Stiles 
steht  am  Hopfenmarkt  28,  doch  mit  Rosetten, 
Löwenköpfen,  Medaillons  u.  dgl.  reich  besetzt, 
meist  noch  gotisch  stihsiert,  doch  dem  Geiste 
nach  derselben  Richtung  angehörig,  wie  der 
vorige.  Im  übrigen  ist  das  Mauerwerk  aus 
abwechselnd  roten  und  schwarzglasierten 
Schichten  gefügt.  Man  sieht  an  den  Ziegel- 
giebeln überhaupt  langsam  das  Mittelalter 
in  die  Renaissance  übergehen,  den  Rund- 
bogen den  Spitz-  und  Stichbogen  ablösen, 
den  Vertikalismus  langsam  horizontaler  Rich- 
tung weichen. 

Auch  eine  Reihe  von  Giebelbauten  in 
Haustein  —  die  Flächen  Ziegel  oder  ver- 
putzt —  sind  vorhanden;  am  Markt,  in  der 
Kistenmacherstraße  und  sonst,  Sie  sind  von 
Scheffers  bei  Ortwein  alle  dargestellt  und 
zeichnen  sich  durch  ihre  durchlaufenden  zahl- 
reichen Gesimse  und  das  zierliche  Schnörkel- 
werk des  Giebelrandes  aus.^)  Viele  davon 
besitzen  auch  hübsche  Portale,  die  noch  mehr 
in  Betracht  kommen,  als  die  Giebel;  so  Nr.  3 
am  Ziegenmarkt,  Nr.  16  am  Neuen  Markt  und 
andere.    Das  feinste  steht  an  der  Ecke  des 


1)  Ortwein,  Ren.  VIII.  Rostock,  1 — 5. 


Abb.  149    Terrakotta  aus  der  Wasser- 
straße zu  Rostock 


264      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Neuen  Markts  und  der  Großen  Wasserstraße;  merkwürdig  eingeklemmt  in  der 
Mauer,  ohne  Einfassung  von  Pilastern  oder  dergleichen,  nur  ein  Bogen  mit  Ge- 
sims und  Wappenaufsatz.  Aber  das  Ganze  bedeckt  mit  einem  flüssigen,  reichen 
Ornament,  Schweifwerk,  Quaderbändern  u.  dgl.  von  außerordentlich  tüchtiger  Hand 
zeugend  (Abb.  150j.  Alle  diese  dem  Hausteinbau  angehörigen  Bauwerke  ent- 
stammen aber  dem  17.  Jahrhundert  und  sind  spätformig. 

Zu  nennen  bleibt  noch  das  stattliche  Steintor  (Abb.  151),  das,  ein  alter, 
starker,  mittelalterlicher  Ziegelbau,  wie  die  übrigen  höchst  ansehnlichen  Tore  und 
Türme  der  Stadt,  1575  in  Putz  eine  Neugestaltung  insbesondere  auf  der  Stadt- 
seite erfuhr,  die  ihre  Quelle  im  Güstrower  Schlosse  hat.  Die  Umrahmungen  der 
Fenster,  die  drei  kleinen  Giebel  über  dem  Hauptgesims  und  auch  die  etwas  schwer- 
fällige, geschweifte  Haube  erinnern  stark  an  Fr.  Pahrs  Art.  Über  dem  Tor  Wappen 
und  Querleisten  zwischen  Pilastern  und  Schnörkeln,  in  merkwürdiger  Weise  von 
zwei  Kröpfen  auf  Rundbögen  getragen;  ein  Dreiecksgiebel  darüber.^) 

Eine  Fundgrube  für  reiche,  zum 
Teil  sehr  bedeutsame  Werke  der  Re- 
naissance bilden  aber,  wie  schon  mehr- 
fach bemerkt,  die  Kirchen  des  Landes, 
die  gerade  in  und  nach  der  Zeit  der 
Reformation  ihre  größte  Pracht  ent- 
falteten. Darunter  spielen  Orgeln,  Kan- 
zeln und  Denkmäler  die  Hauptrolle. 
Vor  allem  die  letzteren.  In  der  Klo- 
sterkirche zu  Kl  ein- Ribnitz  finden 
wir  noch  ein  Denkmal  des  Philipp 
Brandin  für  die  Herzogin  Ursula,  Äb- 
tissin des  Klosters,  1590  errichtet.  Die 
Gestalt  der  Verbhchenen,  im  Kloster- 
gewande  ausgestreckt  auf  dem  Sarko- 
phag, wird  überragt  von  einem  hohen, 
baldachinartigen  reichen  Gebälk,  das 
zwei  Klosterschwestern  als  Karyatiden 
tragen.  Hinter  der  Toten  ist  die  Fläche 
mit  einer  Ahnentafel  ausgefüllt,  wie 
am  Borwinepitaph  zu  Güstrow.  In  der 
Mitte  reicher  Wappenaufsatz,  an  den 
Ecken  die  Statuen  von  Glauben  und 
Hoffnung.^)  Ein  Werk,  jenen  zu  Güst- 
row gleichwertig. 

Vor  allem  aber  kommt  eine  der 
mächtigsten  Klosterkirchen  des  Landes 
hier  in  Betracht,  die  zu  Doberan; 
geradezu  eine  Nekropole  der  Fürsten 
und  des  mecklenburgischen  Adels  von 
alters  her.  Darin  sind  außer  einigen 
schönen  Wappen  und  Tafeln  flandri- 
schen Stils  zwei  vom  allerersten  Range. 
Zuerst  die  Grabkapelle  Herzog 
Adolf  Friedrichs  (f  1659),  ein  in 
seiner  Art  einziges  glänzendes  Werk 

1)  Schlie,  a.  a.  0.  S.  267. 
Abb.  150  Portal  am  Neuen  Markt  zu  Rostock  2)  Schlie,  a.  a.  0.  I,  S.  353. 


Doberan 


265 


des  beginnenden  17.  Jahrhunderts 
(Abb.  152).  Es  ist  in  die  letzte  Chor- 
kapelle eingebaut,  hat  demgemäß 
trapezförmigen  Grundriß.  Über  der 
Backsteingruft  erhebt  sich,  durch 
ein  reiches  Säulenportal  mit  Treppe 
zugänglich,  die  von  Säulen  getra- 
gene steinerne  Halle,  bedeckt  durch 
einen  baldachinartigen  Holzüberbau 
mit  Attika  und  einem  oben  abge- 
stutzten Dache.  Oben  in  der  Halle 
links  stehen  die  beiden  kostümlichen 
Prachtgestalten  des  Fürsten  und 
seiner  ersten  Gemahlin  Anna  Maria, 
aus  Holz  geschnitzt,  doch  mit  ala- 
basternen Köpfen  vor  Nischen  auf 
Postamenten.^) 

Die  Pracht  der  Durchführung 
ist  unvergleichlich.  Solche  Vor- 
nehmheit der  architektonischen  Er- 
findung ist  gerade  in  Deutschland 
nicht  häufig,  der  überreiche  Orna- 
mentschmuck doch  unter  weiser 
Schonung  der  Hauptlinien  ausge- 
zeichnet gestimmt  und  wenig  barock 
gehalten.  Ich  verweise  auf  die  Ab- 
bildung, die  einen  guten  Begriff  der 
Wirkung  gewährt. 

Der  Herzog  übertrug  1637 
dem  Leipziger  Bildschnitzer  Franz 
Julius  Döteber  und  seinem  Gehilfen 
Daniel  Werner  die  Herstellung  des 
Prachtwerks,  das  infolge  der  Kriegs- 
unruhen aber  bald  dem  Letztge- 
nannten ganz  anheimfiel.  Er  war 
nicht  nur  der  Architekt  und  Stein- 
metz des  Ganzen,  sondern  auch  der 

Schnitzer  der  beiden  lebensgroßen  Statuen  des  Herzogspaares,  zu  denen  sich  noch 
die  der  zweiten  Gemahlin  des  Herzogs  gesellen  sollte,  die  aber  nicht  ausgeführt  wurde. 

Von  kaum  geringerer  Wirkung,  obwohl  nicht  entfernt  so  aufwendig  ist  das 
Prachtgrab  in  der  nördlichen  Umgangkapelle  für  den  Geheimen  Rat  Samuel  von 
Behr,  f  1621  (Abb.  153);  ein  Baldachin  auf  sechs  freistehenden  Säulen,  darunter 
der  Sarkophag,  das  ausgezeichnet  geschnitzte  Reiterbild  des  Verstorbenen  tragend.^) 
Am  Sarkophag  die  Relief bildnisse  der  Eltern.  Am  29.  Januar  1622  schloß  Herzog 
Adolf  Friedrich  mit  Franz  Julius  Döteber  (Töteber)  und  seinem  Gehilfen  Daniel 
Werner  den  Vertrag  zur  Errichtung  dieses  wundervollen  Grabmals  für  seinen 
von  ihm  hochverehrten  Erzieher.  Der  Reiter  ist  im  Harnisch,  das  Pferd  voll 
geschirrt  mit  Originalgeschirr;  die  W^irkung  in  der  stimmungsvollen,  durch  Gitter 
abgetrennten  Kapelle  außerordentlich. 

Von  hoher  Bedeutung  sind  im  Lande  dann  noch  mehrere  kirchliche  Werke 
der  gräflichen  Familie  Hahn-Basedow.    Vor  allem  der  Kirchenbau  zu  Bristow, 

1)  Schlie,  III,  S.  654  ff.  2)  Schlie,  III,  S.  659. 


Abb.  151   Steintor  zu  Eostock 


266      2-  Buch   Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengehiete 


mit  seiner  prächtigen 
Ausstattung.  1597  er- 
baute Werner  Hahn 
den  einfachen  vier- 
eckigen ernsten  Bau 
mit  seinem  Turm  aus 
behauenen  Granitqua- 
dern. Die  von  seinem 
Sohne  Hans  vollendete 
innere  Ausstattung  des 
mit  geputztem  Holz- 
gewölbe gedeckten 
Gotteshauses  ist  ganz 
außergewöhnlich  und 
höchst  einheitlich,  in 
Stein,  Marmor  und 
Holz  und  reichster  Ma- 
lerei. Das  Prachtstück 
ist  die  Altarwand,  hnks 
und  rechts  durch  zwei 
Portale  unterbrochen, 
die  von  dorischen  Säu- 
len eingefaßt  sind 
(Abb.  154).  Über  dem 
Altar  prächtige  Reliefs 
der  Anbetung,  des 
Abendmahls  und  Geth- 
semanes. Auf  dem 
verkröpften  Gebälk 
Prachtaufsätze  über 
den  Türen  und  dem 
Altar;  letzterer  mit 
vorstehenden  Säulen 
das  Kreuzigungsrelief 
enthaltend,  darüber  die 
Auferstehung,  links 

und  rechts  Himmelfahrt  und  Ausgießung  des  hl.  Geistes,  dazu  eine  Menge  Verse. 
Die  Architektur  ausklingend  in  durchbrochenes  Spitzen-  und  Schweifwerk.*)  Links 
damit  verbunden  die  reiche  Kanzel  in  ähnlichem  Stil  auf  ionischer  Herme,  im 
Westen  die  Orgel  von  1601,  auf  üppiger  Empore,  die  sich  auf  dorische  Pfeiler 
stützt.  An  der  Brüstung  fünf  Statuen  von  freien  Künsten  in  Nischen  zwischen 
ionischen  Säulen.  Die  Orgel  besaß  früher  noch  Flügel  mit  biblischen  Malereien. 
Auch  die  Taufe  in  gleichem  Stil;  einiges  Stuhlwerk  —  zuletzt  schöne  Glas- 
malereien, vor  allem  an  Wappen  in  den  Fenstern;  und  ein  Doppelgrabstein  des 
hier  bestatteten  Ehepaars  Hans  Hahn,  des  unglücklichen  Besitzers  von  Bristow, 
das  bereits  1616  an  seine  Gläubiger  fiel.  Rührend  wirkt  da  auf  uns,  so  ganz  im 
Sinne  jener  frommen  Zeit,  das  Testament  des  Vaters  Werner  Hahn  an  seinen 
Sohn  Hans,  das  in  Stein  gehauen  hinterm  Altar  steht.  Die  treue  Nachfolge  der 
Lehren  des  Vaters,  vor  allem  der  glanzvolle  Ausbau  des  im  Lande  einzig  da- 
stehenden Baudenkmals  hat  freihch  den  Sohn  zuletzt  ins  finanzielle  Verderben 


Abb.  152   Grabdenkmal  des  Herzogs  Adolf  Friedrich  in  der 
Klosterkirche  zu  Doberan 
(Nach  Phot.  Dr.  F.  Stoedtner,  Berlin) 


1)  Abbildungen  bei  Sclilie,  V,  S.  71  ff. 


Bristow  Basedow 


267 


gestürzt,  so  daß  ihm  hier  nach  1616  bis  zu  seinem  Tode  nichts  blieb,  als  ein 
kleiner  Hof  und  eine  Mühle. 

Werner  Hahn  aber,  der  Vater  (f  1594),  war  einer  der  kraftvollsten  Männer 
des  Hahnschen  Hauses,  ein  leidenschaftUcher  Freund  von  Kunst  und  Wissenschaft, 
ein  mächtiger  Förderer  der  Renaissance  im  Lande;  weit  gereist,  einst  Student 
in  Tübingen,  dann  zu  Bologna,  wo  sein  Wappen  noch  in  der  Universitätshalle  zu 
finden  ist,  und  ein  echt  frommer  Protestant. 

Ganz  ähnliche  Spuren  dieser  baulichen  Gesinnung  der  Famihe  finden  sich 
in  dem  alten  gotischen  Kirchlein  des  Stammguts  Basedow,  das  den  Grafen  heute 
noch  gehört.  1)  Dort  hat  Werner  eine  Altarwand  aus  Stein  mit  vielen  Marmor- 
einlagen errichten  lassen,  auf  dorischen  Säulen  stehend,  die  so  kaum  irgendwo 
wieder  vorkommen  dürfte  (Band  I,  Abb.  28).  Die  vier  Evangelisten  als  Karyatiden 
tragen  das  Gebälk  des  Hauptteils,  der  mitten  im  Bogen  das  Relief  des  Abendmahls, 
links  der  Kreuzigung,  rechts  der  Auferstehung  enthält.  Oben  mitten  ein  Säulen- 
aufsatz mit  Relief  der  Himmelfahrt  zwischen  Nischen  mit  Engeln.  Links  und 
rechts  Aufsätze  mit  Tafeln  in  Schweifwerk,  auf  den  Ecken  Figuren.  Überall 
Wappen,  Ornamente,  Rollwerk,  Sprüche  und  auf  dem  Altar  das  Relief  von 
Gethsemane.  —  Der  Stil  des  Ganzen  stark  flandrisch. 

Links  davon  nimmt  die  Wand  das  gleich  große  Grabmal  Werner  Hahns  in 
ähnlichem  Stile  ein,  das 
1594  Hans  seinen  Eltern 
errichtete.  Der  Stil  des 
Ganzen  und  das  Material 
ist  dem  des  Altaraufsatzes 
ähnlich  genug,  daß  wir  den 
gleichen  Meister  annehmen 
dürfen.  —  In  der  Mitte 
kniet  Werner  mit  langem 
Bart,  gegenüber  seine  Gat- 
tin, hinter  dem  Vater  der 
Sohn  Hans.  Ionische  Säu- 
len gliedern  den  Haupt- 
körper, Hermen  mit  Bögen 
den  Sockel;  der  gebogene 
Aufsatz  enthält  in  Nischen 
und  an  den  Ecken  lagernd 
Figuren  christlicher  Tugen- 
den, Überreicher  Schmuck 
von  Schweif-  und  Roll- 
werk, Gehängen,  Wappen 
überall;  durchgehende  Be- 
malung und  Vergoldung 
vollenden  den  Eindruck. 

Auch  die  Orgel- 
empore auf  dorischen  Säu- 
len gehört  zum  Altare,  die 
Orgel  ist  jünger.  Andere 
stattliche  Epitaphien,  das 
für  Kuno  Hahn  mit  seinen 
beiden  Frauen  und  seine 

1)  Abbild,  bei  Sclilie, 

V,  S.  119  — 130.  Abb.  153   Grabdenkmal  von  Bohr  in  der  Klosterkirche  zu  Doberan 


Abb.  154   Altaraufsatz  in  der  Kirche  zu  Bristow 


Abb.  155   Kanzel  in  der  Stadtkirche  zu  Bützow 


Basedow  Bützow 


269 


zweiundzwanzig  Kinder,  das  von  Anna  Hahn  und  ihren  Gemahl  Berndt  von  der 
Schulenburg,  das  von  Paris  Hahn  und  seinem  gleichnamigen  Sohne,  eine  Reihe 
reicher  Grabplatten,  die  Kanzel,  der  hölzerne  geschnitzte  Taufstein,  alle  aus  der 
gleichen  Epoche  —  die  Orgel  ist  etwas  jünger  — ,  drängen  sich  in  dem  kleinen 
Kirchenraum  in  gewaltiger  Fülle;  einst  war  sogar  noch  die  ganze  Südseite  der 
Kirche  innen  mit  zwanzig  in  zwei  Reihen  übereinanderstehenden  Gemälden  be- 
deckt, die  jetzt  im  Turm 
aufgestellt  sind. 

Das  Schloß  Base- 
dow selbst  bewahrt  in 
einem  Flügel  mit  Doppel- 
giebeln nach  vorn  und 
hinten  und  Treppenturm 
noch  einen  Hauptteil  des 
alten  Schlosses  i);  an  den 
Ecken  runde  erkerartige 
Türmchen.  Die  Architek- 
tur besteht  aus  Back- 
steinlisenen  und  Gesim- 
sen, darüber  halbrunde 
Giebelaufsätze,  an  den 
Ecken  doppelte  Viertel- 
runde ;  einfach,  doch  wert- 
voll als  das  wohl  letzte 
Bauwerk  dieses  Stils  im 
Lande;  etwa  1550  erbaut 
(Abb.  156). 

Noch  gar  viele  Kir- 
chen Mecklenljurgs  ber- 
gen Schätze.  Auf  einige 
sei  weiter  aufmerksam 
gemacht.  Vor  allem  auf 
die  Prachtkanzel  der 
Kirche  zu  Bützow  (Abb. 
155),  1617  von  dem  dä- 
nischen Prinzen  Ulrich, 
Administrator  des  Bis- 
tums, geschenkt.  Ein  rei- 
cheres Werk  dürfte  nicht 
zu  finden  sein.  Das  Ganze 
ruht  auf  der  Statue  Mosis, 
die  Brüstung  der  Treppe 

wie  der  Kanzel  enthalten  von  Figuren  wimmelnde  biblische  Reliefs,  dazwischen 
Hermen  oder  Säulen.  Diese  wie  die  Friese,  Gesimse,  Hängeschilder  usw.  mit 
Ornament-  und  Schweifwerk  bedeckt,  oder  mit  Schriften  in  Relief.  Herrlich  derb 
die  von  Pilastern  eingefaßte  Tür  mit  Aufsatz.  Das  Ganze,  mit  dem  Kanzel- 
deckel das  einheitlichste  Bild  bietend,  ist  bei  aller  Pracht  doch  von  imponieren- 
der Energie  und  Klarheit.  Es  erinnert  in  Art  und  Einzelheiten  stark  an  Bremer 
Arbeiten  gleicher  Zeit  und  dürfte  mit  dem  großen  Meister  Lüder  von  Bentheim 
irgendwie  zusammenhängen.^) 


Abb.  156  Schloß  Basedow  Rückseite 


1)  Schlie,  V,  S.  131  —  132. 


2)  Schlie,  IV,  S.  62,  63. 


270      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Der  Altar  und  die  Kanzel  der  Familie  Bülow  zu  Dassow  von  1632  sei  als 
hierhergehörig  genannt. 

Im  Kloster  Rühn  außer  dem  hübschen  gemalten  Altar  Herzog  Ulrichs  mit 
den  Bildern  des  Fürsten  und  seiner  Gemahlin  Elisabeth  auf  den  Flügeln  ist  die 
schöne  fürstliche  Empore  bemerkenswert,  auf  Karyatiden  stehend  mit  geschnitzter 
Brüstung  und  Wappenaufsatz,  zierlich  durchbrochen,  verbleite  Fenster.^) 

Ungewöhnlich 
aber  ist  in  Par- 
chim  der  großar- 
tige Einbau  der 
Westempore  in  der 
Marienkirche  mit 
der  Orgel  darauf 
(Abb.  157).  Vier 
große  verzierte  Ka- 
ryatiden stützen 
ihn  mit  ausgebrei- 
teten Armen.  Die 
Empore  nimmt  die 
ganze  Breite  der 
Kirche  ein  und  ist 
von  außerordent- 
licher Pracht,  das 
Prunkstück  des 
Landes.  Ihre  frei- 
stehende Säulen- 
architektur schließt 
abwechselnd  Fi- 
gurennischen und 
kleine  Architektu- 
ren mit  vielfältigen 
Verkröpf ungen  ein; 
das  überreiche  Ge- 
simse des  unteren 
Randes  mit  Kon- 
solen, Hängezapfen 
und  Ornamenten, 
wie  das  krönende 
sind  von  reichster 

Bildhauerarbeit, 
die  glatten  Flächen 
noch  dazu  einge- 
legt. Diese  Eigen- 
tümlichkeiten bezeugen  sicher,  daß  wir  hier  ein  Werk  des  Antonius  Evers  vor  uns 
haben,  wie  er  ein  ebenbürtiges  in  der  Kriegstube  zu  Lübeck  geschaffen.^)  Das 
Mittelstück  der  Empore  mit  dem  Rückpositiv  der  Orgel  ist  noch  reicher,  aber 
weniger  fein  und  dürfte  von  anderer  Hand  sein.  Ähnlich  überüppig  ist  die 
eigentliche  Orgel  mit  fünf  turmartigen  Vor-  und  Aufbauten,  Durchbrechungen, 
Spitzen,  der  von  S.Jürgen  in  Wismar  verwandt;  in  ihrer  Art  das  prächtigste 
Werk  im  Lande. 


Abb.  157   Orgelempore  der  Marienkirche  zu  Parchim 


1)  Schlie,  a.  a.  0.,  IV,  S.  89. 


2)  ScUie,  IV,  S.  447,  454  ff. 


Parchim  Lübeck 


271 


Dazu  gehört  die  hübsche 
Kanzel  von  1601,  wohl  auch  ein 
Werk  des  Tönnies  Evers,  der  zu  Neu- 
stadt, die  als  solches  beglaubigt 
ist,  nahe  verwandt,  mit  besonders 
hübschem  Deckel.  Nahe  steht  auch 
die  ältere  Kanzel  in  St.  Georgen, 
die  1580  der  Lübecker  Georg  Grant- 
zin  stiftete.  Der  Ratstuhl,  1608 
bis  1623  hergestellt,  mit  Säulen 
und  Figurennischen  an  der  Vorder- 
brüstung, Karyatiden  mit  Bogen- 
architektur  und  Baldachin  an  der 
Rückwand,  ist  ebenfalls  stark  Lü- 
beckisch. Hübscher  Taufstein  aus 
Stein. 

Auch  Goldschmiede  der  Re- 
naissance hat  es  treffliche  im  Lande 
gegeben.  Zahlreiche  Werke  ihrer 
Hand  bewahren  die  Kirchen  und 
Sammlungen.  So  den  prächtigen 
Kelch,  gestiftet  1555  von  Herzog 
Ulrich,  in  Bützo w  (Abb.  158),  ge- 
trieben mit  Reliefs  auf  Fuß  und 
Guppa  ^),  von  Meister  Hans  Krüger 
zu  Güstrow;  der  herrliche  Pokal 
der  Kramer  zu  Wismar^)  ist  eines 
der  größten  und  reichsten  Stücke 
der  Art;  ihn  fertigte  Jakob  Eggeier 
daselbst  anno  1600. 


1)  Schlie,  IV,  S.  66,  67. 

2)  Ortwein,  D.  Renaiss.,  "Wismar, 
Taf.  27.  Schlie,  a.  a.  0.  II,  S.  69. 


Abb.  158  Kelcli  aus  der  Stadtkirche  zu  Biitzow 


Lübeck 

Im  Gegensatz  zu  den  mecklenburgischen  Landen,  wo  die  ganze  Bautätig- 
keit auf  den  Fürsten  beruhte,  zeigt  uns  der  alte  mächtige  Vorort  der  Hansa, 
Lübeck,  die  Kunst  eines  bürgerlichen  Gemeinwesens.  Aber  man  erkennt  bald, 
schon  beim  Herannahen  an  die  vieltürmige  Stadt,  mehr  noch  beim  Durchwandern 
ihrer  Straßen,  daß  ihre  größten  Tage  doch  in  die  Zeiten  des  Mittelalters  fallen. 
So  großartige  mittelalterliche  Denkmale,  wie  die  Marienkirche  und  der  Dom  mit 
ihren  gewaltigen  Turmpaaren,  wie  die  übrigen  noch  zahlreich  erhaltenen  gotischen 
Kirchen,  hat  keine  Stadt  des  Norddeutschen  Küstenlandes,  mit  alleiniger  Ausnahme 
von  Danzig,  aufzuweisen.  Dazu  kommt,  daß  Lübecks  Kirchen  einen  höheren 
Grad  von  künstlerischer  Durchbildung  zeigen  als  die  Danziger,  und  daß  sie  mit 
einem  noch  reicheren  Schmuck  von  kirchlichen  Denkmälern  aller  Art  ausgestattet 
sind.  Wer,  von  weitem  herannahend,  die  Stadt,  umgeben  von  Wiesengründen, 
Laubgruppen  und  Wasserspiegeln,  mit  ihren  sieben  gewaltigen  Kirchtürmen  und 
zahlreichen  kleineren  Spitzen  sieht,  der  ahnt  etwas  von  der  ehemahgen  Macht 
dieses  Freistaates,  der  an  der  Spitze  der  Hansa  mit  seinen  Flotten  die  Ostsee 


272      2.  Buch   Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

beherrschte,  Dänemark  bezwang  und  in  den  nordischen  Angelegenheiten  den 
Ausschlag  gab.  Die  Anlage  der  Stadt,  wenige  Meilen  von  der  Ostsee,  an  der 
selbst  für  Seeschiffe  zugänglichen  Trave,  bot  die  günstigsten  Verhältnisse.  Der 
Platz  ist  mit  besonderer  Umsicht  gewählt,  denn  er  hat  die  Gestalt  einer  Halb- 
insel, die  nur  nach  Norden  durch  eine  schmale  Zunge  mit  dem  Lande  zusammen- 
hängt, östlich  von  der  Wakenitz,  westlich  von  der  Trave  umschlossen,  auf  einem 
hügelartig  ansteigenden  Gelände,  das  eine  natürliche  Stärke  schon  durch  das 
Wasser  erhielt.  An  dem  einzigen  zugänglichen  Punkte,  der  Nordspitze  dieses 
ovalen  Stadtgebietes,  schloß  eine  feste  Burg  mit  dem  noch  vorhandenen  Burgtor 
die  Stadt  ab.  Von  dort  ziehen  die  Hauptstraßen  in  zwei  parallelen  Zügen,  der 
Breiten-  und  der  Königstraße,  in  leichter  westUcher  Abweichung  bis  nach  dem 
Südende,  wo  sie  an  dem  Dom  und  der  dazugehörigen  Baugruppe  ihren  Abschluß 
finden.  Zahlreiche  Querstraßen,  Gruben  genannt,  schneiden  diese  Hauptadern  im 
rechten  Winkel,  sämtlich  von  kurzer  Entwicklung,  da  die  größte  Breite  der  Stadt 
ungefähr  die  Hälfte  ihrer  Längenausdehnung  beträgt.  Das  gewaltige,  noch  wohl- 
erhaltene Holstentor  mit  seinen  beiden  Rundtürmen  bezeichnet  die  Haupt-Quer- 
straße, die  nach  Westen  auf  das  angrenzende  holsteinische  Gebiet  und  gen 
Hamburg  führt.  Wo  diese  sich  mit  der  großen  Längenpulsader  der  Breiten- 
straße schneidet,  breitet  sich  das  weite  Rechteck  des  Marktes  aus,  auf  zwei 
Seiten,  der  nördlichen  und  der  östlichen,  von  den  ausgedehnten  Gebäuden  des 
Rathauses  eingefaßt.  Hier  ist  das  Herz  der  Stadt,  hier  ragt  auch  die  Haupt- 
kirche zu  St.  Marien  mit  ihren  dunklen  Backsteinmassen  und  den  beiden  riesi- 
gen Turmhelmen  hoch  über  die  mittelalterlichen  Giebel  des  Rathauses  empor. 
An  der  andern  Seite  des  Marktes  erhebt  sich  die  Petrikirche,  etwas  weiter  öst- 
lich St.  Ägidien  und  im  nördlichen  Teile  der  Stadt  die  wiederum  sehr  ansehn- 
liche Jakobikirche,  nahe  dabei  das  Spital  zum  Heihgen  Geist.  Mit  dem  am 
Südende  der  Stadt  gelegenen  Dom  sind  so  die  Hauptpunkte  in  der  Plananlage 
der  Stadt  gezeichnet.  Ein  großartiger  Zug  von  Freiheit  und  Klarheit  spricht  sich 
in  ihr  aus. 

Das  Gepräge  der  wichtigsten  Denkmäler  gehört  überwiegend  dem  13.  und 
14.  Jahrhundert,  die  den  Höhepunkt  in  der  Machtentwicklung  Lübecks  bezeichnen. 
Schon  das  15.  steht  darin  zurück;  man  spürt  ein  Nachlassen  in  der  monumentalen 
Entwicklung,  zugleich  eine  Wendung  vom  kirchlichen  zum  Profanbau;  denn 
Holsten-  und  Burgtor,  sowie  ausgedehnte  Teile  des  Rathauses  gehören  dieser 
Zeit  an.  Mit  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  finden  wir  Lübeck  von  einem 
engherzigen  Patriziat  beherrscht das  der  Strömung  der  Zeit  sich  feindlich  ent- 
gegenstellt. Die  Reformation,  die  in  der  Bürgerschaft  allgemein  Anklang  gefunden, 
wird  vom  Rate  mit  eiserner  Hand  unterdrückt.  Bürger,  welche  nach  Oldesloe 
gehen,  um  den  dort  eingesetzten  evangelischen  Prediger  zu  hören,  werden  mit 
Landesverweisung,  Gefängnis  oder  Geldbuße  gestraft.  Der  Prediger  Johann  Ossen- 
brügge,  heimlich  in  die  Stadt  gekommen,  um  in  einem  Privathause  lutherischen 
Gottesdienst  zu  halten,  wird  ins  Gefängnis  geworfen,  und  als  er  endlich  auf  An- 
dringen der  Bürgerschaft  befreit  wird,  muß  er  froh  sein,  zu  Schiffe  nach  Reval 
zu  entkommen,  wodurch  er  den  Mönchen  die  Freude  macht,  aussprengen  zu 
können,  der  Teufel  habe  ihn  geholt.  Ein  blinder  Bettler  wird  aus  der  Stadt  ge- 
wiesen, weil  er  auf  der  Straße  ein  lutherisches  Lied  gesungen;  ein  Buchbinder, 
der  des  Reformators  Schriften  verkauft,  in  den  Turm  geworfen;  ja  noch  1528 
werden  Luthers  Bücher  durch  den  Büttel  auf  offenem  Markte  verbrannt.  In  der 
Bürgerschaft  war  aber  der  Drang  zum  Evangelium  so  stark  geworden,  daß  einst 
beim  Gottesdienst  in  der  Jakobikirche,  während  der  katholische  Geistliche  predigte, 


1)  Vgl.  J.  R.  Becker,  Gesch.  der  freyen  Stadt  Lübeck  II,  S.  3  ff. 


Lübeck 


273 


und  zwei  Knaben  den  Choral  Luthers  „Ach  Gott  vom  Himmel  sieh  darein"  anstimm- 
ten, die  ganze  Gemeinde  mit  einfiel  und  den  Prediger  zwang,  die  Kanzel  zu  ver- 
lassen. Erst  als  der  Rat  von  der  Bürgerschaft  eine  autierordenthche  Steuer  ver- 
langte, erzwang  diese  durch  nachdrückliche  Auflehnung,  daß  die  evangelische 
Lehre  endlich  freigegeben  und  bald  darauf  die  Reformation  völlig  durchgeführt 
wurde.   Aber  die  Starrheit  der  Aristokratie  ist  damit  nicht  bezwungen.  Der  kühne 


Abb.  159  Eathaushalle  zu  Lübeck  IS}-o 


Versuch  Wullenwebers,  eine  Volksherrschaft  aufzurichten  und  Lübecks  Macht  noch 
einmal  aufs  höchste  zu  steigern,  mißlingt,  und  fortan  ist  wohl  noch  eine  Zeitlang 
von  materiellem  Gedeihen,  aber  nicht  mehr  von  politischer  Machtstellung  zu  reden. 
In  jenen  Kämpfen  haben  wir  wohl  den  Grund  zu  suchen,  warum  noch  1518  die 
Marienkirche  in  einem  durch  die  Gegensätze  geschärften  Eifer  mit  reichster  Aus- 
stattung in  gotischen  Formen  geschmückt  wurde.  Zugleich  aber  hängt  damit 
zusammen,  daß  die  Renaissance  hier  erst  spät  auftritt.  Doch  sind  einige  prächtige 
Werke  aus  ihrer  späteren  Entwicklung  erhalten. 

L übk c-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  18 


274      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Der  wichtigste  Bau  ist  das  Rathaus,  Sein  ältester  Teil  ist  das  große 
Rechteck,  45  Meter  breit  und  35  Meter  tief,  das  den  Markt  an  der  Nordseite 
begrenzt  und  nördlich  an  den  Marienkirchhof  stößt.  Hier  ist  der  Ratskeller  mit 
seinen  gewaltigen  Gewölben;  der  Bau  selbst  wird  durch  drei  kolossale  Sattel- 


Lübeck  Eathaus 


275 


dächer  bedeckt,  die  mit  ihrer  riesig  hohen,  durch  offene  Runde,  Maßwerk  und 
Türmchen  gegliederten  Stirnwand  über  alle  späteren  Bauten  hinausragen.  Vor 
diese  Wand,  die  nach  Süden  schaut,  wurde  seit  1570  die  schöne  Renaissancehalle 
gesetzt,  von  der  wir  noch  zu  sprechen  haben.  In  dem  gegen  die  Breitestraße 
liegenden  östlichen  Teil  des  alten  Baus  befand  sich  ehemals  der  große  Hansasaal, 
seine  ganze  Tiefe  von  35  bei  einer  Breite  von  9  Metern  einnehmend.  An  diesen 
Hauptbau  wurde  noch  im  Mittelalter  ein  die  Ostseite  des  Marktes  abschließender 
Flügel  gesetzt,  im  Erdgeschoß  eine  langgestreckte  zweischiffige  Halle  auf 
Granitpfeilern  bildend ;  diese  Halle  stellt  die  Verbindung  mit  der  Breitenstraße 
her.  Der  südliche  Teil  enthielt  ehemals  die  Ratswage,  und  an  ihn  wurde 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  nach  der  Straßenseite  die  prächtige  Frei- 
treppe gebaut,  ein  Hauptstück  der  hiesigen  Renaissance.  Im  oberen  Stock  be- 
fand sich  ehemals  der  Löwensaal,  ein  Raum  von  11  auf  15  Meter  Größe,  da- 
neben ein  Vorplatz,  und  die  sogenannte  Kriegsstube. 


Abb.  161   Täfelung  der  Kriegsstubo  im  Rathaus  zu  Lübeck 


Für  unsere  Betrachtung  ist  zunächst  von  Wichtigkeit  der  prächtige  Vorbau, 
welcher  1570  der  Südseite  vorgelegt  wurde  (Abb.  159).  Die  zierlichen  Hallen, 
auf  zwölf  Pfeilern  mit  kräftigen  Korbbögen  sich  öffnend,  werden  nach  oben  durch 
drei  Giebel  abgeschlossen,  von  denen  der  mittlere  höher  emporragt.  Die  Kom- 
position ist  vortrefflich,  die  Gliederung  reich  und  doch  klar;  das  Figürliche  zeugt 
allerdings  von  schwachen  Händen,  aber  das  ganze  Werk  gehört  zwar  nicht  zu 
den  ganz  hervorragenden,  doch  zu  den  guten  Schöpfungen  der  Zeit,  wenn  es 
auch  etwa  dem  Bremer  Rathaus  nicht  ebenbürtig  ist.  Die  stark  niederländische 
Färbung  der  Formen  wie  des  Ganzen  ist  unverkennbar.  Vom  Jahre  1594  datiert 
sodann  die  genannte  prächtige  Freitreppe  (Abb.  160)  an  der  Breitenstraße  auf  vier 


276      2.  Buch   Die  Bauwerke   X[V.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Abb.  162   Tür  der  Kriegsstube  im  Eathaus  zu  Lübeck 


Pfeilern  frei  ansteigend,  eine  der  malerischsten  Gestaltungen,  in  kräftigen  und 
reichen  Formen  durchgeführt,  namentlich  die  einzelnen  Quadern  mit  jenen  in 
dieser  Zeit  allgemein  beliebten  Sternmustern  oder  Masken  geschmückt.  Weiter 
nordwärts  an  der  Straße,  etwa  von  1580,  ein  prächtiger  hölzerner  Erker  in  ähn- 
lichen Formen.  — •  Das  Innere  des  Rathauses  enthält  eine  Reihe  der  vornehm- 
sten Ausstattungsteile;  zuerst  in  der  Kriegsstube  wohl  die  prachtvollste  Täfelung 
unserer  Renaissance.  Anton  (Tönnies)  Evers  d.  J.  schuf  sie  1594—1608.  Was  der 


Lübeck  Rathaus 


277 


Apparat  der  damaligen  Kunsttischlerei  und  Holzbildhauerei  aufzubringen  vermochte, 
ist  hier  angewandt.  Rings  um  die  Wände  zieht  eine  Sitzbank,  eingelegt,  hinter  der 
sich  die  mit  Säulenstellungen,  kleinen  und  großen  Architekturen  dazwischen.  Bögen, 
Nischen,  Hermen  und  Stützen  aller  Art,  unzähligen  Verkröpfungen  der  Gesimse 
geschmückte  Täfelung  bis  zu  dreiviertel  der  Höhe  erhebt;  alle  Flächen  sind  ent- 
weder geschnitzt  oder  eingelegt  (Abb.  161).   Auch  die  Fensterleibungen  sind  mit 


Abb.  1Ö3   Kamill  der  Kviegsstubo  im  Eathaus  zu  Lübeck 


Pilastern  bekleidet;  vor  allem  a])er  ist  die  Tür,  mit  Doppelsäulen  eingefaßt,  ein 
Prachtstück  ersten  Ranges  (Abb.  162).  Zwei  überlebensgroße  geschnitzte  antike 
Krieger  stehen  vor  den  Säulen;  der  Flügel  ist  prächtig  mit  Rahmen  und  Intarsien 
geschmückt,  darüber  erhebt  sich  ein  Aufsatz  mit  dem  Alabasterrelief  des  Urteils 
Salomos,  giebelgekrönt,  mit  Hermen  und  Schnitzerei  gefaßt.  Die  Mitte  der  anderen 
Seite  nimmt  ein  mächtiger  Sandsteinkamin  ein  (Abb.  163),  dessen  Mantel,  auf 
Hermen  ruhend,  in  der  Mitte  ein  Relief  des  salomonischen  Urteils,  darüber  eine 
Nische  mit  Ghristusstatue  zeigt,  umgeben  mit  schön  gezeichneten  Schweif- 
ornamenten und  Gehängen,  gekrönt  mit  kraftvollem  Konsolgesims.     Auch  die 


278      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Außenseite  der  Tür  ist  mit  Hermen  prachtvoll  eingerahmt  und  eingelegt.  Das 
Ganze  findet  in  Deutschland  wohl  nicht  seinesgleichen. 

Die  schöne  große  Tür  im  unteren  Ratssaale  von  Anton  (Tönnies)  Erers  d.  .1. 
von  1575  ist  in  ihrer  Art  einzig;  sie  ist  mit  Halbsäulen  eingefaßt  und  einem 
Giebel  mit  Muschel  bekrönt.  Ihre  Flügel  haben  Füllungen,  die  in  Muscheln 
endigen;  eine  kleine  Tür  ist  in  die  große  eingeschnitten.    Ornament  und  Detail 


sehr  gut  im  besten  Stil  mittlerer  Zeit  (Abb.  164).  In  den  Flügeln  am  Marienkirchhof 
sind  noch  weitere  hübsche  Täfelungen,  Holzdecken  und  Türen  in  gediegener 
Durchbildung  vorhanden;  insbesondere  zu  nennen  die  Räume  des  Polizeiamis. 

Von  den  städtischen  Bauten  ist  auch  das  ehemalige  Zeughaus  beim  Dom 
vom  Jahre  1594  zu  erwähnen;  ein  mächtiger,  aber  einfacher  Backsteinbau  mit 
Sandsteingliederungen  in  dem  aus  den  Niederlanden  stammenden  Mischstil. 

Der  Privatbau  der  Stadt  steht  an  Reichtum  der  Durchbildung  dem  von 
Danzig  nach;  in  der  Anlage  der  Häuser  erkennt  man  aber  ähnhche  Grundzüge. 


Lübeck 


279 


Doch  sind  die  Grundstücke  durchschnittlich  viel  breiter  als  dort.  Das  Erdgeschoß 
bildet  auch  hier  eine  weite  und  hohe  Halle,  die  ihr  Licht  aus  mächtigen  Fen- 
stern vom  Hofe  her  erhält  und  ihren  Zugang  von  der  Straße  in  einem  riesig 
hohen  Portale  besitzt.  Über  der  Haustür  ist  oft  eine  kleine  Kammer  angebracht, 
die  aus  dem  mit  dem  Portal  verbundenen  Oberfensler  ihr  Licht  erhält.  Eine 
kleine  Kontorstube  ist  vom  Flur  abgetrennt.  Im  Hintergrund  führt  die  öfters 
geschnitzte  Treppe  zu  einer  nach  vorn  laufenden  Galerie,  dem  Zugang  zu  den 
niederen  Schlaf kammern,  und  dann  weiter  zu  den  oberen  Geschossen.  Die  Fas- 
saden der  Häuser  zeigen  fast  ohne  Ausnahme  schlichten  Backsteinbau,  leider 
meist  mit  Farbe  überstrichen.  Einfache  Staffelgiebel,  durch  Lisenen  und  Mauer- 
blenden gegliedert,  bilden  den  Ab- 
schluß. Von  der  reichen  Ausstattung 
mit  den  Formen  der  Renaissance 
bei  überwiegender  Anwendung  von 
Sandstein,  wie  wir  es  in  Danzig 
fanden,  ist  hier  nirgends  die  Rede. 
Den  Erker  hat  man  hier,  wie  in  Dan- 
zig und  den  andern  niederdeutschen 
Seestädten,  vermieden.  Nur  indem 
man  zahlreichen  Häusern  Pracht- 
portale vorsetzte,  suchte  man  der 
allgemeinen  Zeitrichtung  Rechnung 
zu  tragen.  Karyatiden  und  Hermen, 
Statuen  von  Tugenden,  Masken  und 
Fruchtschnüre  spielen  dabei  eine 
große  Rolle.  Ein  Hauptstück  dieser 
Art  vom  Jahre  1587  sah  man  am 
abgebrochenen  Krämeramthause 
Schüsselbuden  Nr,  190,  mit  zwei  ge- 
waltigen Hermen,  darüber  in  einer 
Nische  eine  weibliche  Figur,  von 
zwei  liegenden  Gestalten  einge- 
schlossen, sämtlich  langbeinig  und 
manieriert  im  Antwerpener  Floris- 
Stil.^)  Ein  feineres  Portal  Meng- 
straße 36,  gleichfalls  mit  Figuren 
geschmückt  und  sämtliche  Flächen 
mit  Metallornamenten  dekoriert 
(Abb.  165).  Ein  prächtiger  Türbogen 
Schüsselbuden  Nr.  195,  mit  Krieger- 
figuren und  allegorischen  Darstel- 
lungen, auch  hier  das  Figürliche 
stark  manieriert.  Auf  solchen 
Schmuck  verzichtet  das  Portal  an 
Nr.  194,  erholt  sich  dagegen  an  rei- 
chen Fruchtgehängen  und  Masken. 
Mehreres  von  ähnlichem  Charakter 
in  der  Fischstraße.  Eins  der  üppig- 
sten, schon  stark  überladenen  und 


1)  Siehe  Struck,  Das  alte  bürgerliche 
Wohnhaus  in  Lübeck,  Lübeck  1906,  I, 
Abb.  58.  II,  Abb.  18  —  37. 


Abb.  165   Portal  in  der  Mengstraße  zu  Lübeck 


280      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


geschweiften  an  Nr.  22;  ein  ganz  kleines,  bloß  mit  Rosetten  und  Köpfen 
dekoriert  an  Nr.  96;  Kerbschnitt-Quadern  mit  Sternmustern  an  Nr.  104,  wo  aus- 
nahmsweise auch  der  Hausgiebel  mit  Voluten  geziert  ist.  Die  sehr  langen 
Figuren  findet  man  wieder  an  Nr.  106.  Überaus  reich  mit  Festons  und  Hermen 
ist  Nr.  107  dekoriert,  wo  auch  die  oberen  Teile  der  Fassade  ähnlichen  Schmuck 
erhalten  haben,  und  in  der  Mitte  eine  Abundantia  in  einer  Nische  aufgestellt 
ist.  Einfacher  in  Anlage  und  Behandlung  Nr.  105.  Mehreres  auch  in  der 
Breitenstraße.  Phantastisch  reich  mit  Masken  geschmückt  Nr.  785.  Noch  statt- 
licher mit  zwei  kannelierten  ionischen  Säulen,  deren  unterer  Teil  reich  deko- 
riert, dazu  über  dem  Gebälk  zwei  liegende  Figuren  an  Nr.  819.  Dagegen 
Nr.  793  zierliche  Metallornamente  an  den  Flächen,  fein  kannelierte  korinthische 
Pilaster,  von  Quaderbändern  durchbrochen,  als  Einfassung. 

  Hier  ist  hinzuzu- 
fügen, daß  seit  Lüb- 
ke  dieses  schrieb, 
die  Zahl  dieser  Por- 
tale sich  —  leider! 
—  wieder  stark  ver- 
mindert hat.  Der 
Herausgeber  hat 
die  Aufstellung 
stehen  lassen,  da 
sie  ja  historischen 
Wert  besitzt;  es  ist 
aber  dabei  zu  be- 
merken, daß  heute 
von  solchen  Pracht- 
portalen nur  noch 
einige  in  der  Fisch- 
straße (Nr.  22,  25, 
27),  in  der  Meng- 
straße Nr.  36,  das 
prächtigste  dieser 
Art,  und  das  ori- 
ginelle von  Nr.  44 
in  der  Königstraße 
existieren.  Letz- 
teres hat  unten 
dorische  Halbsäu- 
len mit  Diaman- 
ten besetzt,  dar- 
über ruht  der  Bo- 
gen mit  Hermen 
und  Zwickelfigu- 
ren, der  geschweif- 
te Giebel  ist  ge- 
brochen ;  auf  ihm 
steht,  in  drei  Teile 
getrennt,  mitten 
und  auf  den  Ek- 
ken,  die  Gruppe 
des  Laokoon.  Die 


Abb.  166   Haus  am  Kohlmarkt  zu  Lübeck 


Lübeck 


281 


Einwirkung-  der  flandrischen  Renaissance  auf  fast  alle  diese  Arbeiten  ist  un- 
verkennbar.') 

Ein  Flügelgebäude  echt  niederländischen  Stils  bestand  im  Hofe  des  Hauses 
Schüsselbuden  12;  eine  Architektur  von  Gesimsen  und  zum  Teil  Pilastern  und 
Bändern  in  Rustika  von  mit  Kristallschnitten  verzierten  Quadern  auf  Back- 
steingrund; ein  hübsches  rundes  Treppentürmchen,  von  solchen  Quadern  durch- 
zogen, mitten  am  Flügel.^)  Etwas  ÄhnUches  sah  ich  noch  im  Hofe  eines  Hauses 
der  Mengstraße. 

Ganz  abweichend  ist  die  große  Fassade  am  Kohlmarkt  Nr.  13  (Abb.  166). 
Das  Portal  gehört  zwar  der  Gattung  der  Portale  im  Florisstil  an,  doch  ist  es 
früher  und  feiner  in  der  Behandlung,  als  die  meisten  anderen;  es  wird  durch 
kriegerische  Atlanten  eingefaßt  und  von  den  Figuren  des  Glaubens  und  der  Liebe 
bekrönt.  Dabei  der  Spruch:  Sperantem  in  domino  misericordia  circumdabit.  Dies 
alles  in  Sandstein.  Der  Giebelbau  selbst  aber  ist  ein  Prachtstück  der  Renais- 
sancedekoration in  ge- 
branntem Ton,  viel- 
leicht das  Werk  des 
Gabriel  v.  Aken  und 
Statius  V.  Düren,  die, 
wie  wir  wissen,  in 
Lübeck  wohnten.  Vor- 
gesetzte Säulchen 
ohne  Kapitell  und 
Fuß,  nur  aus  schräg 
gerippten  Rundstäben 
bestehend,  auf  Mas- 
kenkonsolen ruhend, 
teilen  den  hohen  Gie- 
bel ;  gerippte  Rund- 
profile fassen  auch 
sämtliche  Fenster  ein. 
Die  einzelnen  Stock- 
werke aber  werden  bis 
oben  hinauf  durch  Me- 
daillonfriese in  Terra- 
kotta gegliedert,  die 
mit  den  Arbeiten  in 
Wismar,  Schwerin  und 
Gadebusch  aufs  näch- 
ste verwandt  sind. 
Leider  hat  ein  späte- 
rer Zopfumbau  den 
ursprünglichen  Umriß 
oder  die  äußere  Form 
des  Giebels  gestört; 
jedenfalls  aber  ist  die 
Fassade  äußerst  be- 
deutsam  wegen  der 


1)  Diese  Portale 
bei  Struck  a.  a.  0. 1,  Abb. 
58—64. 

2)  Struck  Abb.  63. 


Abb.  167   Haus  in  der  Mengrstraße  zu  Lübeck 


282      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Anwendung  eines  durchgebildeten  Backstein-  und  Terrakottenstils  in  Verbindung 
mit  reinem  Ziegelbau. Ein  zum  Teil  noch  besser  erhaltenes  Giebelhaus  gleicher 
Art  finden  wir  in  Mengstraße  Nr.  44.  Auch  da  vorgesetzte  Säulchen,  aber  zum 
Teil  mit  Kapitellen.  Selbst  das  Portal  ist  in  diesem  Stil  mit  Doppelsäulchen  und 


Abb.  163  Abgebrochenes  Haus  Braunstraße  zu  Lübeck 


reichem  Fries  durchgebildet.  Die  ganze  Fassade  goldbraun  glasiert,  was  in  der 
Sonne  eine  prachtvolle  Wirkung  macht. ^)    (Abb.  167.) 

1)  Bei  Struck  Abb.  75. 

2)  Bei  Struck  Abb.  76.  —  Es  hat  der  Herausgeber  von  diesen  beiden  Häusern  in  seinen 
Backsteinbauten  der  Renaissance  in  Norddeutschland,  Frankfurt  a.  M.  1893,  Taf.  XIII,  XIV 
genauere  Aufnahmen  und  Versuche  einer  AViederherstellung  der  ursprünglichen  Form  gegeben. 
Auf  Taf.  X  eines  der  einfachsten,  doch  gediegenen  Beispiele. 


Lübeck 


283 


Bedauerlicherweise  sind  die  beiden  Hauptwerke  des  Statius  von  Düren  in 
Lübeck  verschwunden ;  von  einem  haben  sich  noch  Reste  am  Hause  Musterbahn  2 
erhalten.  Dieses  stand  einst  in  der  Braunstraße  und  war  neben  dem  Fürstenhofe  zu 
Wismar  wohl  das  wichtigste  Werk  unserer  Terrakottenkunst.  Während  die  beiden 
unteren  Stockwerke  einfach  in  Ziegeln  errichtet,  nur  das  Portal  mit  geripptem 
Profilstein  eingefaßt  war,  besaßen  die  drei  oberen  Stockwerke  um  ihre  je  vier 
rechteckigen  Fenster  die  prächtigste  Architektur  von  durchlaufenden  Medaillon- 
friesen, dazwischen  je  fünf  stark  hervortretende  Hermen,  alles  aus  Ton  gebrannt, 
von  echt  flandrischer  Behandlung  und  doch  durch  Material  und  Fortbildung  zu 
einem  neuen  selbständigen  Element  gestaltet.  Die  vornehm  festliche  Wirkung 
dieser  Front  war  einzig  (Abb.  168). 

Eine  ähnliche  Front  bestand  bis  in  die  siebziger  Jahre  Schüsselbuden  Nr.  32, 
doch  waren  nur  die  zwei  oberen  Stockwerke  mit  Friesen  und  diesmal  Pilastern 
in  Terrakotta  geteilt.  Dafür  bildeten  darüber  noch  drei  solche  Geschosse,  ab- 
gestuft, den  Giebel;  die  oberste  Stufe  mit  Rundfeld  und  Zwickelornament  ge- 
schmückt, das  den  unteren  abhanden  gekommen  war.  Offenbar  ebenfalls  ein 
Prachtwerk,  jenem  fast  ebenbürtig.    Leider  nur  in  einer  Zeichnung  erhalten.') 

Hier  ist  aber  noch  zu  betonen,  daß  Lübeck  im  16.  und  17.  Jahrhundert 
noch  eine  erhebliche  Reihe  von  Renaissancegiebelhäusern  im  besten  Backsteinstil 
errichtete,  die,  unter  der  großen  Zahl  der  mittelalterlichen  wenig  hervortretend, 
doch  ihre  eigene  Art  bei  näherer  Betrachtung  offenbaren.  Es  sind  mit  Blenden 
gegliederte  Treppengiebel,  die  Blenden  rund-  oder  stichbogig  geschlossen,  öfters 
mit  schönen  Terrakottenfriesen  oder  Medaillons  geschmückt,  trotz  schlanker  Höhen- 
entwicklung die  Horizontale  stark  betonend.  Die  schönsten  davon  sind  ja  jetzt 
leider  auch  verschwunden,  doch  ist  noch  hie  und  da  ein  Muster  gebheben.  Ihre 
feste  trotzige  und  derbe  Art,  gesteigert  durch  farbig  glasierte  Schichtung,  war 
höchst  beachtenswert  und  auch  künstlerisch  recht  bedeutsam.  Es  ist  bedauerlich, 
daß  diese  bescheiden-tüchtige  Kunst  fast  ganz  untergegangen  ist.  Ein  gutes 
Beispiel  bei  Struck  a.  a.  0.  Abb.  70.  Einfachere  sind  zahlreich;  so  die  hübsche 
Front  des  S chif f er h au s e s.  ■ — Von  den  gebräuchlichen  Terrakotten  gewährt 
Abb.  169  Anschauung. 

Von  dem  Reichtum  der  Ausstattung,  welcher  ehemals  die  Patrizierhäuser 
auszeichnete,  geben  noch  einzelne  Überreste  Zeugnis;  am  prachtvollsten  der  Saal 
im  Hause  der  Kaufleute  (Fredenhagensches  Zimmer),  dessen  Getäfel  in 
Eichen-,  Linden-,  Nußbaum-  und  Ulmenholz  zu  den  edelsten  der  Zeit  gehört 
(Abb.  39,  Bd.  I).  Es  wurde  1573 — 85  vom  Lübecker  Schnittkermeister  Hans  Drege 
angefertigt.  Gekuppelte  korinthische  Säulen  mit  reich  geschnitzten  Schäften 
tragen  ein  Gebälk  mit  edlem  Rankenwerk  am  Gesimse,  und  darüber  eine  Doppel- 
stellung  von  Atlanten  und  Karyatiden,  die  mit  einem  zweiten  nicht  minder  reich 
dekorierten  Gesimse  abschließen.  Die  Wandfelder  zeigen  unten  eine  Nachbildung 
kräftiger  Steinarkaden  und  darin  tabernakelartige  Aufsätze,  darüber  eingelassene 
Alabasterreliefs,  sicherlich  niederländische  Arbeiten,  alles  aufs  reichste  plastisch 
geschmückt.  Den  oberen  Teil  der  Wände  schmücken  Gemälde  in  Goldrahmen. 
Die  Decke  zeigt  ein  reich  kassettiertes  Balkenwerk,  kraftvoll  geghedert  und  elegant 
geschnitzt.") 

Wertvolle  Werke  finden  sich  in  den  verschiedenen  Kirchen  der  Stadt.  Be- 
merkenswert zunächst  in  der  Marienkirche  die  großartige  Ausstattung  mit 
Messinggittern,  welche  den  ganzen  Chor  und  die  zahlreichen  Kapellen,  ebenso 
auch  das  Taufbecken  umgeben.    Sie  datieren  sämtlich  von  1518  und  zeigen  im 

1)  Bei  Struck  a.  a.  0.  Abb.  74. 

-)  Vgl.  die  Notiz  von  A.  Meier  im  Dresdener  Korr.-BI.  1853,  Dez.  Nr.  3.  Struck  a.  a.  0. 
Abb.  35.  Aufnahme  bei  Ortwein,  D.  Rcii.,  Abt.  Lübeck. 


284      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Abb.  169  Lübecker  Terrakotten 


wesentlichen  zwar  noch 
die  Elemente  des  goti- 
schen Stiles,  aber  doch 
in  einer  Umbildung,  wel- 
che nicht  ohne  Einwir- 
kung der  Renaissance  zu 
denken  ist.  Diese  selbst 
mit  ihren  zierlichen  For- 
men findet  man  sodann, 
freilich  ganz  vereinzelt, 
an  der  schönen  Grab- 
platte des  in  demselben 
Jahre  1518  verstorbenen 
GodhardWigerinck,  eben- 
falls einem  Bronzewerk, 
und  zwar  aus  der  Peter 
VischerBchen  Gießhütte. 
Weit  geringer  ist  die 
Steinarbeit  dieser  Zeit, 
z.  B.  an  dem  Grabstein 
des  Christoph  und  Jo- 
hann Tidemann  im  Ghor- 
umgang  des  Doms, 
starre  Gestalten  in  zier- 
licher Einfassung  von  ko- 
rinthischen Halbsäulen, 
die  Schäfte  oben  kanne- 
liert, unten  mit  Ornamen- 
ten geschmückt,  sicher 
erst  nach  der  Mitte  des 
Jahrhunderts  gearbeitet. 
Hübsch  das  Epitaph  mit 
Alabasterrehef,das7?oöeri^ 
Coppens  1574  für  Alb. 
Schilhng arbeitete.  Feiner 
die  Renaissancekanzel, 
1568  von  Hans  Fr  ex  ge- 
macht. Der  obere  Teil, 
der  auf  einer  Mosesstatue 
ruht,  von  Marmor,  mit 
sieben  Reliefs  der  Heils- 
geschichte aus  Alabaster; 
stark  niederländisch;  der 
Deckel  ist  von  1570  aus 
Holz  reich  geschnitzt  mit 
krönendemChristus. Holz- 
schnitzerei und  Metallguß 
sind  die  hier  bevorzugten 
Künste. 

Die  großen  Lübecker 
Meister  der  Holzschnitze- 
rei (Schnittekermeister) 


Lübecker  Kirchen 


285 


und  Tischlerei  Anton  (Tönnjes)  Evers  d.  Ä.  und  sein  gleichnamiger  Sohn,  Henrich 
Mathes,  Jochim  Wernke  d.  Ä.  haben  hier  Außerordenthches  geschaffen  und  ver- 
einigen die  besten  Eigenschaften  des  Architekten,  Bildhauers,  Intarsiators  und 
Kunsthandwerkers  in  erstaunlicher  Weise. 

Von  Henrich  Mathes  (Mats)  stammt  die  wundervolle  Umrahmung  der  astro- 
nomischen Uhr  der  Marienkirche  des  Rektors  Matthias  van  Oß;  ein  frühes 
Renaissancewerk,  an  dem  man  1559 — 78  arbeitete.^)  Um  die  untere  Scheibe 
kraftvolle  ionische  Pilasterarchitektur;  die  Füllungen  sind  mit  ausgezeichneter 
Ornamentik  aufsprießenden  Blattwerks  gefüllt;  die  Blättchen  und  Knospen  von 
einer  geradezu  vollendeten  Plastik,  an  frühe  vlämische  oder  holländische  Art 
wohl  anklingend,  doch  von  trefflichster  selbständiger  Kraft.  Es  ist  erstaunUch, 
daß  dieses  Meisterwerk  nicht  in  ähnlicher  Weise  studiert  und  vervielfältigt  wird, 
wie  z.  B.  die  sicher  nicht  bedeutenderen,  freilich  ausgezeichneten  Arbeiten  am 
Windfang  des  Rathauses  zu  Oudenaarde.  Das  obere  Blatt  wird  von  frei  vorstehenden, 
wundervoll  geschnitzten  Säulchen  flankiert;  das  Gebälk  darüber  ist  verkröpft, 
auch  in  der  Mitte  tritt  es  vieleckig  vor,  um  den  obersten  Aufbau,  eine  kleine  Welt 
von  Türmchen,  Tabernakeln  und  Portalen  zu  tragen,  aus  deren  mittelstem  um 
12  Uhr  der  Heiland  hervorschreitet,  während  aus  den  seitlichen  in  feierlichem  Zuge 
der  Kaiser  und  die  sieben  Kurfürsten  sich  verneigend  vorbeiwallen.  An  Sinnig- 
keit, wie  an  vollendeter  künstlerischer  Gestaltung  dürfte  keine  derartige  Uhr  dies 
echte .  Renaissancewerk  auch  dem  Geiste  nach  übertreffen.  Einer  der  Engel,  die 
in  der  Mitte  der  unteren  Pilaster  tafelhaltend  sich  vorneigen,  hält  die  Jahreszahl 
1562,  wohl  das  Hauptjahr  der  Herstellung  und  in  Deutschland  noch  fast  zur  Früh- 
renaissance gehörig. 

Fortgeschrittener  im  Charakter  ist  der  berühmte  Senatstuhl  Jochim  Wern- 
kes  d.  Ä.,  den  dieser  1574—75  für  fünf  Sitze  (heute  ist  er  für  zehn  eingerichtet) 
der  Regenten  des  Staates  Lübeck  wahrhaft  repräsentativ  für  Lübecks  Haupt- 
kirche schuf.  Die  prächtige  säulengeteilte  freistehende  Rückwand,  mit  üppigem 
Baldachin  überdeckt,  enthält  in  der  Mitte  drei  lübische  Wappen ;  daneben  ist  sie 
durchbrochen  und  die  Durchbrechung  mit  Bronzekandelabern  und  einer  Art  Maß- 
werk gefüllt.  Die  Neben-  und  Vorderwand  mit  Hermen  und  reicher  Schnitzerei, 
auf  dem  Baldachin  durchbrochene  Ornamentaufsätze. 

Auch  sonst  sind  in  der  Renaissancezeit  vornehme  Ausstattungsstücke  ge- 
schaffen, die  man  in  anderen  deutschen  Städten  nicht  findet.  Vor  allem  in  der 
Marienkirche  die  Seitenteile  des  gotischen  Lettners.  Jochim  Wernke  verfertigte 
diese  Prachtstücke  1588 — 95.  Auf  der  Nordseite  ist  ein  Portal  der  wundervoll 
sich  herumschwingenden  Wendeltreppe ;  diese  ansteigend  mit  Hermen,  die  Nord- 
und  Südseite  des  Lettners  mit  Säulen  gegliedert,  dazwischen  die  schönen  Gemälde 
des  Joh.  Willinger,  der  auch  die  herrliche  färben-  und  goldstrotzende  Bemalung 
des  kunstvollen  Bauwerkes  herstellte.^)   (Abb.  170.) 

Das  prächtigste  Werk  der  späteren  Zeit  ist  unzweifelhaft  aber  die  herrliche 
Orgel  der  Petrikirche,  ein  Meisterwerk  von  Tönnjes  Evers  d.  J.,  1587—90 
gearbeitet.  Von  der  Prachtausstattung,  mit  der  dieser  die  Kirche  schmückte,  der 
Kanzel,  dem  Lettner  und  Gestühl,  ist  leider  nur  die  Orgel  übriggebheben.  Sie 
steht  auf  einer  ganz  hervorragend  schön  gegliederten  Empore ;  ihre  Brüstung  hat 
als  Hauptschmuck  acht  Tugenden-Karyatiden  vor  freien  Doppelsäulen,  dazwischen 
Wappenschilde;  links  ist  sie  von  einer  Konsolenarchitektur  getragen,  die  das  Blatt 
der  Uhr  in  sich  schließt.  Die  Orgel  selber  stützt  sich  auf  schlanke  freistehende 
Hermen  auf  der  Empore  und  ist  lebhaft  gegliedert  durch  die  Vorsprünge  dreier 
Pfeifentürme  mit  durchbrochenen  Krönungen.  Was  hier  an  reichem  Gesamtaufbau 

1)  Bau-  u.  Kunstdenkm.  Lübecks  II,  S.  248,  Abb.  S.  252. 

2)  Abb.  daselbst  S.  193,  195. 


286      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


wie  an  Durchführung  im  einzelnen,  an  modellierten,  geschnitzten,  eingelegten 
Arbeiten  geleistet  ist,  ist  erstaunlich. 

Fehlt  hier  der  Singchor  des  Künstlers,  so  ist  ein  solcher  zum  Glück  in 
der  Ägidienkirche  noch  vorhanden  (ßd.  I,  Abb.  34);  von  ebenbürtiger  Schön- 
heit; die  Wendeltreppe  wird  hier  von  Hermen  getragen;  er  ist  bereits  1587  ent- 
standen, gehört  also  zu  den  ältesten  Arbeiten  unseres  Meisters.  Die  Orgel  ist 
aber  erst  1625  von  einem  nicht  lübischen  Künstler,  Michael  Sommer  aus  Langen- 
salza, doch  nicht  minder  prächtig,  geschaffen. 

Von  zahllosen  an- 
deren kirchlichen  Aus- 
stattungsgegenstän- 
den dürfen  wir  schwei- 
gen, indem  wir  hin- 
zufügen, daß  sie  eine 
kleine  Kunstwelt  für 
sich  bilden.  Es  sei 
nur  noch  erwähnt,  daß 
auch  an  Epitaphien  der 
Renaissance  überall 
eine  Unzahl  vorhan- 
denist. Mit  Recht  wird 
gesagt,  daß  wohl  nir- 
gends diese  Seite  der 
patrizischen  Reprä- 
sentation mit  solchem 
Pflichteifer  durchge- 
führt sei,  als  in  Lü- 
beck, und  da  besonders 
in  der  Marienkirche.^) 
Was  an  Bronze- 
werken in  Lübecks  Kir- 
chen vorhanden,  ist  er- 
staunlich. Von  der  un- 
vergleichlichen Pracht 
der  zahlreichen  Gitter 
in  der  Marienkirche, 
die  freilich  überwie- 
gend noch  der  Gotik 
angehören,  war  die 
Rede.  VonandernWer- 
ken  der  früheren,  go- 
tischen Epoche  habe 
ich  hier  nicht  zu  be- 
richten; wohl  aber  von 
dem  herrlichen  Bronze- 
gitter der  Bremer- 
kapelle (Abb.  171)  vom 
Jahr  1636,  mit  Säu- 
len, Hermen  und  Ka- 


Al,)b.  170  Leltnertrcpi)c  der  Marienkirche  zu  Lübeck 


1)  Man  vergl.  dazu  die 
Bau-  und  Kunstdenkm. 
Lübecks,  II,  S.  343  ff. 


Lübeck 


287 


ryatiden  gegliedert,  schon  sehr  barock,  aber  höchst  geistreich  und  elegant,  dabei 
von  meisterhafter  Technik/)  Prachtvolle  Kronleuchter  finden  sich  in  der  Jakobi- 
kirche,  noch  glänzender  aber  sind  die  Kronen,  Wandleuchter  und  Gitter  in 
St.  Peter,  datiert  von  1621,  1639,  164-4,  voll  Phantasie  und  Anmut,  mit  klettern- 
den und  spielenden  Putten  dekoriert.  Auch  fast  alle  übrigen  Kirchen  sind  mit 
ähnlichen,  oft  hervorragend  wertvollen  Lichtträgern  ausgestattet. 

So  manches, 
was  die  ehrwür- 
dige Stadt  birgt, 
kann  nur  angedeu- 
tet werden.  Es  mag 
hingewiesen  sein 
auf  den  reizvollen 
kupfernen  Dach- 
reiter der  Jakobi- 
kirche  mit  einer 
Art  von  Strebepfei- 
lern, geschweiften 
Giebelchen,  reich 

durchbrochenem 
Umriß,  gewiß  eine 
der  schönsten  Er- 
findungen seiner 
Art;  auf  die  zahl- 
reichen Stiftungs- 
gebäude, von  denen 
so  manches  von  be- 
sonderer Eigenart 
ist,  mit  den  tiefen 
Höfen  und  den  klei- 
nen Wohnungen  in 
den  vieltürigen  Flü- 
geln, wo  die  alten 
Mütterchen  oder  die 
Greise  die  Gheder 
sonnen ; nach  außen 
würdig  ausgespro- 
chen, wie  z.  B.  am 
Füchtingshof 
(Abb.  172);  eine  Art 
Triumphbogen  mit 

Säulen  und  großer  Inschrifttafel  zieht  da  die  BKcke  auf  sich.  Das  bürgerlich 
treuherzige  Sitzungszimmer  haben  wir  bereits  in  Bd.  I,  Abb.  84  mitgeteilt.  — 
Auch  für  die  Behaglichkeit  in  anderem  Sinne  trug  die  Renaissancezeit  Sorge: 
der  ehrfurchterweckende  Ratskeller  besitzt  noch  immer  in  seinem  Brautgemach 
den  berühmten  schönen  Renaissancekamin  von  1575  mit  der  bekannten  bos- 
haften Inschrift  gegen  die  Bräute.  Aber  besonders  im  Gedächtnis  haftet  dem 
Besucher  das  einzig  schöne  Schiff  er  haus  und  seine  riesige  Halle  mit  ge- 
schnitzten Ständern,  tiefen,  chorstuhlartigen  Bänken,  hübscher  Täfelung,  mit 
seinen  unzähhgen  Merkwürdigkeiten,  Fischen,  Kajaks,  Schiffsmodellen  usw.,  die 


Abb.  171    Bremerkapelle  in  der  Marienkirche  zu  Lübeck 


1)  A.  a.  0.  S.  265. 


288      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Abb.  172   Füclitiiigs  Hof  zu  Lübeck 


die  alten  Bergenfahrer  und  Seebären  da  zur  Erinnerung  und  zum  Staate  auf- 
gehängt. Ein  Unikum  in  Deutschland  (Abb.  173).  —  Die  wunderschöne  alte 
Wirtstube  an  der  Trave  mit  Kassettendecke  und  Täfelung  aus  dem  Beginn 
des  17.  Jahrhunderts  hat  leider  der  unersättliche  Museenschlund  verschlungen. 
(Jetzt  in  Kiel.) 


Schleswig-Holstein 


289 


Abb.  173   Inneres  des  Schifferhauses  zu  Lübeck 


Schleswig-Holstein 

Auch  Schleswig-Holstein  ist  keineswegs  arm  an  Werken  der  Renaissance, 
denn  wenn  es  wohl  kaum  mehr  erhebliche  Schöpfungen  der  größeren  Architektur 
aufzuweisen  hat,  so  wimmelt  das  Land  immer  noch  im  Innern  seiner  zahlreichen 
Kirchen  von  Holzschnitzerei  und  dekorativer  Ausgestaltung,  worin  es  unter  den 
deutschen  Ländern  den  ersten  Platz  neben  Lübeck  und  Mecklenburg  einnimmt. 
Massenhaft  war  auch  die  Ausstattung  der  Bürger-  und  sogar  der  Bauernhäuser 
mit  allerlei  schmuckvollem  Hausrat,  mit  geschnitzten  Schränken  und  Truhen, 
schönen  Kaminen,  glasierten  Bodenfliesen,  farbenreichen  Glasgemälden,  kunst- 
Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  19 


290      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

reichen  Gefäßen  und  Geschirren  in  Silber,  Bronze  und  Zinn.  Da  dem  Lande 
natürlicher  Stein  zum  Bauen  verwehrt  ist,  und  da  der  Sinn  der  Bevölkerung  einen 
reich  entwickelten  Backsteinbau  in  der  Art  des  mecklenburgischen  verschmähte, 
so  warf  sich  das  künstlerische  Bedürfnis  vorwiegend  auf  die  innere  Schmückung 
der  Kirchen  und  Wohnhäuser,  hierin  recht  eigentlich  dem  Zuge  des  germanischen 
Nordens  folgend,  der  sich  vor  der  Rauheit  des  Klimas  gern  in  ein  geschütztes, 
behaglich  eingerichtetes  Heim  zurückzieht.  Die  geschichtlichen  Verhältnisse  des 
Landes  begünstigten  gerade  zur  Zeit  der  Renaissance  eine  ungestörte  Blüte  der 
Kunst.  Vor  der  unseligen  Teilnahme  am  Dreißigjährigen  Kriege  hatte  das  Land 
seit  der  Grafenfehde  (1533—36)  fast  ein  Jahrhundert  lang  keinerlei  feindlichen 
Angriff  erlitten.  In  dieser  langen  Zeit  ununterbrochener  Ruhe  hatte  es  eine  hohe 
Stufe  des  Wohlstandes  erreicht.  Die  Herzöge  des  Hauses  Schleswig-Holstein- 
Gottorp  waren  meistens  eifrige  Förderer  der  Wissenschaften  und  Künste,  nament- 
lich zeichneten  sich  Adolf  (1544—86),  Johann  Adolf  (1590—1616)  und  Friedrich  IIL 
(1619 — 59)  durch  Baulust  aus.  Unter  den  Edlen  des  Landes  ragte  besonders 
Heinrich  von  Ranzau  (1526—98)  durch  seine  hohen  Verdienste  um  die  Pflege  der 
Kunst  hervor.  Er  hatte  in  Wittenberg  studiert,  am  Hofe  Karls  V.  die  Welthändel 
kennen  gelernt  und  wurde  dann  zum  Amtmann  von  Segeberg  und  Statthalter  im 
dänischen  Teil  von  Schleswig-Holstein  ernannt.  Als  Mann  von  hoher  gelehrter  Bil- 
dung förderte  er  Wissenschaft  und  Kunst,  als  Staatsmann  von  Umsicht  und  Erfah- 
rung wirkte  er  für  die  materielle  und  geistige  Blüte  des  Landes.  Er  selbst  verfaßte 

eine  Beschreibung  der  cim- 
brischen  Halbinsel  und  gab 
eine  Schilderung  des  Dith- 
marschenkrieges  heraus.  Be- 
sonderen Eifer  entfaltete  er 
im  Bau  und  der  Ausschmük- 
kung  seiner  Schlösser,  na- 
mentlich Ranzaus,  wie  er 
denn  überhaupt  auf  Monu- 
mentalbauten große  Mittel 
verwandte,  in  der  ausgespro- 
chenen Absicht,  seinem  Na- 
men die  Unsterblichkeit  zu 
sichern.  Auch  auf  Anregung 
des  König- Herzogs  Chri- 
stian IV.  (1588—1648)  wur- 
den zahlreiche  hervorragende 
Bauwerke  im  Lande  ausge- 
führt. Zugleich  aber  begann 
mit  der  Teilnahme  dieses 
Fürsten  am  Dreißigjährigen 
Kriege  das  Unglück  des  Lan- 
des, das  furchtbare  Verwü- 
stungen sowohl  durch  die 
Kaiserlichen,  als  mehr  noch 
durch  die  Schweden  zu  er- 
dulden hatte,  so  daß  kurze 
Zeit  genügte,  um  alles,  was 
an  Denkmälern  der  Bau- 
kunst in  der  Friedensepoche 
Abb.  174  Kamin  aus  Schloß  Husum  entstanden  war,  bis  auf  un- 


Die  Baukunst  in  Schleswig-Holstein 


291 


scheinbare  Reste  verschwinden  zu  lassen.  Ein  enghscher  Oberst  Monro,  der  1627 
mit  einer  schottischen  Truppenabteilung  dem  König  zu  Hilfe  gesandt  wurde,  sagt 
von  Schleswig-Holstein^):  „Das  Land  war  voller  Segen  und  schwamm  in  Über- 
fluß; die  Adligen  lebten  wie  der  hohe  Adel  in  England,  die  Bürgerhchen  wie 
unser  niederer  Adel ;  aber  binnen  sechs  Monaten  kam  Verderben  über  das  Land, 
und  aller  Wohlstand  war  dahin."  —  Was  der  Dreißigjährige  Krieg  verschont  hatte, 
ging  später  im  Kriege  zwischen  Schweden  und  Dänemark  und  in  den  Fehden 
der  holsteinischen  Herzöge  mit  letzterer  Macht  zugrunde. 

So  ist  es  gekommen,  daß  kein  einziges  ganz  erhaltenes  größeres  Bauwerk 
aus  der  Zeit  von  1550  bis  1650  in  den  Herzogtümern  mehr  gefunden  wird.  Die 
wenigen  Architekturreste,  die  sich  verstreut  noch  an  Schlössern  wie  Gottorp  und 
Husum,  am  Rathause  zu  Glückstadt,  an  der  Hofapotheke  zu  Kiel  u.  a.  erhalten 
haben,  geben  nur  eine  dürftige  Ahnung  des  früheren  Zustandes.  Nach  den  Ab- 
bildungen in  L.  de  Thurahs  Danske  Vitruvius  trugen  alle  jene  Bauten  den  Charakter 
derselben  holländischen  Architektur,  wie  sie  sich  an  den  gleichzeitigen  Monumen- 
ten Kopenhagens,  z.  B.  der  Börse  und  dem  Rosenborgschloß  finden,  und  wie 
sie  uns  von  Danziger  Bauten,  namentlich  vom  Zeughaus  bekannt  ist.  Besonders 
stattlich  war  das  von  Herzog  Adolf  1574  begonnene  Schloß  zu  Husum ^) 
mit  seinen  hohen,  geschweiften  Giebeln,  seinen  polygonen  Treppentürmen  und 
dem  mächtigen  viereckigen  Hauptturm,  in  der  Gruppe  dem  schönen  dänischen 
Schlosse    Fredericksborg  ähn- 


lich, einst  von  prachtvollster 
Innenausstattung  (Abb.  174  und 
175).  Auch  die  späteren  von  ihm 
und  den  folgenden  Herzögen  auf- 
geführten Schlösser  tragen  den- 
selben Charakter,  so  das  von 
Herzog  Adolf  errichtete  Schloß 
Reinbeck'^),  das  von  allen  diesen 
Bauwerken  holländischen  Stils 
wohl  noch  am  besten  erhalten 
scheint.  Das  Schloß  zu  Son- 
derburg ist  ein  völlig  schlich- 
ter Bau,  ohne  Detailformen,  nur 
durch  sehr  starke  Ecktürme  aus- 
gezeichnet. Auch  der  bürgerliche 
Privatbau  jener  Zeit  hat  kaum 
Spuren  hinterlassen;  doch  geht 
aus  zahlreichen  Überresten,  wie 
z.  B.  den  kräftigen  holzgeschnitz- 
ten Konsolen  an  einem  Hause 
gegenüber  der  Nikolaikirche  zu 
Kiel  hervor,  daß  ein  charakter- 
voller Fachwerkbau  vielfach  an 
den  Wohnhäusern  zur  Ersch'ei- 

1)  Der  Bericht  1637  in  London 
erschienen,  mitgeteilt  in  Bremers  Ge- 
schichte Schleswig-Holsteins. 

2)  Danske  Vitruvius  II,  Taf.  151 
bis  153.  R.  Haupt,  Bau-  und  Kunst- 
denkmäler Schleswig-Holsteins,  Kiel 
1887,  I,  S.  453  ff. 


3)  R.  Haupt  a.  a.  0.  II,  538  ff.  Abb.  175  Kamin  aus  Schloß  Husum 


292      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


nung  kam.  Den  schlichlen  holländischen  Backsteinbau  sieht  man  in  kunstvoller 
und  charakteristischer  Behandlung  an  den  Wohnhäusern  zu  Friedrichstadt, 
einer  um  1624  von  niederländischen  Remonstranten  gegründeten  Stadt,  die  mit 

ihrer  regelmäßigen  Anlage 
an  die  gleichzeitigen  Städte- 
gründungen von  Freuden- 
stadt und  Hanau  erinnert. 
Von  den  vier  regelmäßig  ver- 
teilten Kirchen  hat  das  Bom- 
bardement von  1850  nur  eine 
übrig  gelassen.  Die  Münze 
ist  ein  reizvoller  Ziegelbau 
reinsten  leydener  Stils  mit 
Sandsteingesimsen  und  ein- 
gelegten Holzrahmen  für 
Fenster  und  Türen,  Ziegel- 
mustern in  den  Entlastungs- 
bögen;  in  seiner  Art  wohl 
das  Beste  in  Deutschland 
(Abb.  176).  Ähnlich  Schloß 
Ahrensburg,  doch  mit  drei 
durchlaufendenGiebeldächern 
und  geschweiften  Ecktürmen. 
Das  zu  Hoyersworth  ist 
noch  ziemlich  erhalten,  mit 
Haupt-  und  kurzem  Quer- 
flügel, achteckigem  Treppen- 
turm, stattlichem  Pilaster- 
portal  und  Giebeln,  i) 

Andere  hübsche  Back- 
steinbauten originaler  Art 
finden  wir  —  früher  viel  zahl- 
reicher —  in  Husum  und 
Flensburg;  meist  Trep- 
pengiebel mit  profiHerten 
Blenden  und  Bogenfriesen 
auf  Konsolen;  öfters  auch  auf 
Absätzen  durchbrochene  Mu- 
scheln und  ähnhches,  doch 
meist  verloren.  Ein  solcher 
ohne  Zweifel  prächtiger  Gie- 
bel war  einst  am  Rathause  zu 
Krempe,  mit  Ornamenten 
und  Figuren  auf  den  Ab- 
sätzen, die  leider  im  18.  Jahr- 
hundert abgenommen  und 
Rathaus  —  die  Reste  eines 


Abb.  17Ü   Münze  zu  Friedrichstadt 
(Nach:  Haupt,  Backsteinbauten  der  Renaissance) 


durch  schräges  Giebelgesims 
ähnlichen  in  Rendsburg  — 
von  1578.2) 


ersetzt  sind.  Dieses 
ist  im  übrigen  aber  ein  charaktervoller  Ziegelbau 


1)  R.  Haupt  a.  a.  0.  I,  Abb.  302. 

2)  Betr.  dieser  Bauwerke  verweise  ich  wiederholt  auf  A.  Haupt,  Backsteinbauten  der  Ke- 
naissance  in  Norddeutschland,  Frankfurt  a.  M.  1899. 


Schleswig-Holsteinische  Kleinkunst 


293 


Klingt  dies  alles  wenig  erfreulich,  so  darf  die  Schilderung  ganz  andere 
Saiten  anschlagen,  wenn  sie  sich  zur  Betrachtung  der  inneren  Ausstattung 
wendet.  Hier  ist  der  Schwerpunkt  dessen,  was  Schleswig-Holstein  in  unserer 
Epoche  geleistet  hat;  mit  seinen  kunstgewerblichen  Schöpfungen  nimmt  es  einen 
Ehrenplatz  in  der  deutschen  Kunstgeschichte  ein.  Vor  allem  gilt  dies  von  der 
Holzarbeit.  Man  erkennt  so  recht,  wie  die  Steinbaukunst  als  eine  von  den 
Römern  stammende  Kunst  hier  bei  der  Materialarmut  des  Landes  stets  fremd 
gebheben  ist,  und  so  hauptsächlich  von  Fremden,  d.  h.  Niederländern  importiert 
wurde,  während  die  echt  germanische  Holzarbeit  ausschließlicher,  als  anderswo, 
das  Feld  beherrschte.  Und  das  gilt  immer  noch,  trotz  unzähliger  Beraubungen 
und  Zerstörungen.  Vor  allem  ist  es  in  den  Kirchen  der  Bau  und  die  reiche 
Ausschmückung  der  Kanzeln,  Emporbühnen,  Orgelgehäuse,  Altäre  und  Stuhlwerke, 
aber  auch  der  Denktafeln,  an  denen  sich  die  Holzarbeit  in  Konstruktion,  Ghede- 
rung  und  reichem  Schmuck  zu  entfalten  vermochte.  Neben  der  heimischen 
uralten  Schnitzerei  stellt  sich  das  eingelegte  Werk,  die  Intarsia,  ein,  ursprüng- 
lich aus  Italien  stammend,  bei  uns  damals  überhaupt  als  „welsches  Getäfel" 
bezeichnet.  Galt  es  in  einzelnen  Fällen  kostbare  Marmordenkmale,  so  wandte 
man  sich  an  das  Ausland,  wie  denn  das  Epitaphium  König  Friedrichs  I.  im  Dom 
zu  Schleswig,  angeblich  nach  Entwürfen  Jakoh  Bincks,  in  Antwerpen  gearbeitet 
wurde.^)  Aber  für  die  Holzarbeit  brauchte  man  keine  fremden  Künstler;  die 
steckte  allen  deutschen  Ländern  tief  im  Blute;  und  wo  die  Natur  selbst,  wie  in 
Schleswig-Holstein,  ganz  besonders  auf  sie  hinwies,  da  mußte  die  mit  Vorliebe 
gepflegte  Kunst  bald  sich  zu  tüchtigster  Meisterschaft  und  zu  allgemeinster  Ver- 
breitung aufschwingen.  Nur  durch  die  Tätigkeit  zahlreicher  einheimischer  Meister, 
die  freilich  in  einzelnen  Fällen  auch  die  Mitwirkung  fremder  Kräfte  nicht  aus- 
schloß, konnte  diese  glanzvolle  Blüte  sich  erschließen. 

Es  haben  sich  inzwischen  eine  Menge  Namen  schleswig-holsteinischer  Künst- 
ler feststellen  lassen,  deren  Werke  noch  zum  Teil  erhalten  sind,  unter  denen 
naturgemäß  die  Bildhauer  —  Schnitker  —  und  Kunsttischler  für  uns  am  meisten 
in  Frage  kommen.^)  Von  bedeutenden  Namen  seien  genannt  —  nach  dem  be- 
rühmtesten aus  der  Zeit  der  spätesten  Gotik  Hans  Brüggemann  —  der  Bildhauer 
Hinr.  Ringeling  (Ringering)  in  Flensburg,  an  dortigen  Kirchenausstattungen  her- 
vorragend tätig,  Hans  Peper,  von  dem  die  vortreffliche  Kanzel  in  St.  Marien  zu 
Rendsburg  und  das  Ghorgitter  zu  Meldorf  herrühren ;  Andreas  Saigon  und  Jürgen 
Goiver  scheinen  die  Hauptkünstler  des  Glanzstückes  der  schleswigschen  Kunst, 
des  herzoglichen  Stuhles  zu  Gottorp,  gewesen  zu  sein.  Die  Reihe  schheßt  der 
bedeutende  Ha^ts  Gudewerth  in  Eckernförde,  der  die  geradezu  glänzenden  Altäre 
zu  Eckernförde,  Kappeln,  Schönkirchen,  Preetz  in  stark  barocken,  aber  in  Deutsch- 
land wohl  einzigartigen  flüssigen  Formen  von  unvergleichHchem  Schwünge  schuf. 
—  Von  Malern  der  Renaissance  hat  Melchior  Lorch  von  Flensburg  noch  im  16.  Jahr- 
hundert, auch  als  Kupferstecher,  großen  deutschen  Ruhm  erlangt,  Jürgen  Ovens 
aus  Tönning,  der  Schüler  Rembrandts,  im  17.  herrhche  Werke  geschaffen.  Als 
Niederländer  sind  vielleicht  zu  betrachten  der  Bildhauer  Johann  von  Groningen, 
und  der  Maler  Johan  de  Kempene. 

Allerdings  sind  die  meisten  der  bildhauerischen  Werke  in  der  Zeit  eines 
falschen  Klassizismus  schonungslos  mit  Ölfarbe  überstrichen  worden,  so  daß  die 
Feinheit  der  plastischen  Form  abgestumpft  und  der  Reiz  der  Farben  verloren  ist; 

1)  Vgl.  A.  Hagen,  Der  Dom  zu  Königsberg,  S.  164. 

2)  In  R.  Haupt,  Bau-  und  Kunstdenkm.  d.  Prov.  Schlesw.-Holsteln,  Kiel  1887,  88,  Band  II, 
sind  die  Namen  der  Baumeister,  Bildhauer,  Maler,  Gießer  und  anderer  Kunsthandwerker,  soweit 
sie  festzustellen  sind,  im  Register  auf  50  S.  aufgeführt.  Dort  das  Genauere,  auch  über  ihr  Leben 
und  ihre  beglaubigten  Arbeiten, 


294      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

dennoch  läßt  sich  die  künstlerische  Bedeutung  einer  großen  Anzahl  von  ihnen  nicht 
verkennen,  und  selbst  in  den  zahlreichen  geringeren  Arbeiten  offenbart  sich  eine 
feste  künstlerische  Überlieferung  und  gediegenes  handwerkUches  Können.  Die 
Formen  sind  meist  die  einer  völlig  ausgebildeten  Hochrenaissance,  später  nicht 
ohne  Hinneigung  zum  beginnenden  Rollwerk-  und  Schweifstil,  zuletzt  auch  zum 
Knorpelwerk.  Das  alles  aber  tritt  häufig  übergössen  von  einer  Fülle  von  Geist 
und  Leben  auf.  Daneben  sind  die  Arbeiten  der  Gelb-  und  Rotgießer  überaus 
beachtenswert ;  nicht  bloß  die  Stand-  und  Wandleuchter  und  die  oft  sehr  statt- 
lichen Taufbecken,  sondern  namenthch  die  unzähligen,  größtenteils  prachtvollen 
messingenen  Kronleuchter,  die  sich  fast  in  jeder  älteren  Kirche  des  Landes  fin- 
den, zeugen  von  edlem  Formgefühl  und  von  einer  damals  allgemein  verbreiteten 
Freude  an  künstlerischer  Bildung.  Nicht  zu  vergessen  die  zahllosen  schön  ge- 
bildeten Glocken.  Ebenso  fehlt  es  nicht  an  Bronzeplatten  mit  farbigem  Tief- 
schnitt, sowie  an  vortrefflichen  Schmiedearbeiten.  Auch  mancherlei  Goldschmiede- 
werke finden  sich,  besonders  durch  zierliches  Filigran  ausgezeichnet;  namentlich 
sind  die  Kirchenschätze  im  ganzen  Lande  reich  an  prächtigen  silbernen  Gefäßen 
für  Abendmahl  und  Taufe,  die  durch  edle  Form  und  feine  künstlerische  Aus- 
führung, Schmuck  von  ReUefs  und  eingeschnittenen  Ornamenten  hervorleuchten. 
Endlich  hat  sich  die  spätere  Zeit  durch  eigenartige  Töpfereien  hervorgetan.  Das 
Thaulowmuseum  in  Kiel,  sowie  die  Museen  in  Flensburg  und  Altona  bieten  ein 
reiches  Bild  der  kunstgewerblichen  Leistungen  des  Landes. 

Um  nun  zu  den  einzelnen  erhaltenen  Werken  überzugehen,  so  gehört  zu  den 
vorzüglichsten  der  sogenannte  Markus  Swynsche  Päsel  von  Lunden  in  Norder- 
dithmarschen, d.  h.  das  Staatszimmer  des  ersten  Statthalters  von  Dithmarschen 
nach  der  Bezwingung  des  ehemals  freien  Landes  (1559).  (Jetzt  im  Dithmarschen- 
Museum  zu  Meldorf;  das  Haus  ist  abgebrannt.)  Päsel  heißt  in  den  alten  frie- 
sischen und  angelsächsischen  Bauernhäusern  die  „beste  Stube".  In  den  älteren 
Päsein  befinden  sich  oft  in  die  Wände  eingebaute  Bettstätten,  eine  Art  Alkoven 
bildend,  durch  vertäfelte  Holzwände  vom  Zimmer  abgetrennt  und  während  des 
Tages  durch  Schiebetüren  abgeschlossen. 

Es  war  ein  echt  niederdeutsches  Bauernhaus,  das  Haus  des  Markus  Swyn, 
aus  dem  sich  dieser  Päsel  erhalten  hat;  es  erhob  sich  im  Dorf  Lehe  dicht  bei 
Lunden,  von  mächtigen  Linden  beschattet.  In  der  Nähe  liegt  ein  gewaltiger 
Findlingsblock,  der  die  Stätte  bezeichnet,  wo  der  genannte  bedeutende  Land- 
pfleger von  den  empörten  Dithmarschen  erschlagen  ward.  Das  Haus,  ein  schwerer 
Backsteinbau  des  16.  Jahrhunderts,  hatte  den  Grundriß  aller  niederdeutschen 
Bauernhäuser:  ein  langgestrecktes  Rechteck,  an  dessen  vorderer  Schmalseite  der 
Haupteingang  liegt.  Dieser  führte  in  die  sogenannte  „Diele",  einen  breiten  Flur, 
zu  dessen  beiden  Seiten  kleine  Zimmer,  Küche  und  Nebenräume  angeordnet  waren. 
(Im  eigentlichen  Bauernhause  ist  dies  die  Tenne  zum  Dreschen,  an  deren  Seiten 
die  Ställe  für  das  Vieh  sich  hinziehen.)  Die  Diele  erweiterte  sich  am  Ende  kreuz- 
förmig und  mündete  in  der  Mitte  auf  ein  geräumiges  Wohn-  und  Staatszimmer, 
das  nach  hinten  ins  Freie  schaute  (Abb.  177).  Dies  ist  nun,  was  man  im  friesischen 
Hause  Päsel  nennt.  Auch  hier  wird  dieser  stattHche  Raum  durch  den  Einbau 
einer  großen  und  einer  kleineren  Bettstatt  zugleich  als  Schlafzimmer  bezeichnet. 
Diese  selbst,  sowie  ein  überaus  reich  dekorierter  großer  und  ein  prachtvoller 
schmaler  Schrank,  dazu  ein  ebenfalls  elegant  ausgeführter  Kamin,  bilden  mit  dem 
reichen  Täfelwerk  der  Wände  und  einer  edel  geghederten  Kassettendecke  ein 
Ganzes,  das  unbedingt  zum  Schönsten  seiner  Art  gehört.  Dazu  kommt  noch  der 
mit  glasierten  Fhesen  bedeckte  Fußboden.  Besonders  prächtig  ist  die  Tür,  die 
von  reich  geschnitzten  korinthischen  Rahmenpilastern  eingefaßt  und  über  dem 
Gesimse  mit  einem  Bogenfelde  abgeschlossen  wird.    Dieses  zeigt  in  einem  von 


Der  Pasel  zu  Lunden 


295 


phantastischen  Halbfiguren  gehaltenen  Medaillon  das  Brustbild  des  Markus  Swyn. 
Noch  reicher  ist  die  Tür  selbst  behandelt :  in  ihrem  oberen  Felde  enthält  sie  die 
schön  bewegten  Relieffiguren  von  Adam  und  Eva  in  einer  Bogenstellung,  die 
mitten  auf  einer  balusterförmigen  Säule  ruht.  Das  untere  Feld  hat  in  einem 
Medaillon,  eingefaßt  von  zierlichen  Ranken,  ein  männliches  Reliefbrustbild.  Auch 


Abb.  177   Pasel  Markus  Swyns  aus  Lunden  (jetzt  im  Museum  zu  Meldorf) 
(Nach:  Sauermami,  Alt-Schleswig-Holstein) 


das  schmale  friesartige  Zwischenfeld  schmückt  ein  Rankenwerk  von  ähnlicher 
Zeichnung,  überall  in  Tier-  oder  Menschenköpfe  auslaufend,  geistreich  erfunden 
und  ausgeführt,  alles  im  Charakter  unserer  besten  Frührenaissance.  Von  ähnlicher 
Behandlung  ist  der  Kamin,  durch  eine  Attika  mit  reich  geschmücktem  Doppel- 
wappen ausgezeichnet.  Zum  Prachtvollsten  gehört  der  große  Schrank,  der,  aufs 
glänzendste  mit  historischen  Reliefszenen,  Friesen,  Wappen  und  Ornament  aller 
Art  geschmückt,  durch  Hermen  und  Karyatiden,  in  den  oberen  Teilen  durch 
kannelierte  Säulchen  geghedert  wird.  Die  Arbeit  ist  ungemein  flott  und  keck, 
doch  nicht  so  fein,  wie  an  der  Tür,  namentlich  das  Figürliche  nicht  so  elegant 
behandelt,  wenngleich  voll  Leben.  Prächtig  namentlich  der  Jagdfries,  welcher 
die  obere  Bekrönung  bildet.  Das  Werk  trägt  die  Jahreszahl  1568,  den  Namen 
des  Erbauers,  sowie  sein  und  seiner  Frau  Wappen. 

Etwas  jünger  ist  der  nicht  minder  prachtvolle  schmälere  Schrank,  der  mit 
phantastischen  Hermen  in  den  beiden  unteren  Abteilungen,  in  der  oberen  mit 
gegürteten  und  kanneherten  korinthischen  Säulen  gegliedert  ist.  Der  untere  Teil 
des  Schaftes  ist  mit  dem  bekannten  Metallornament  dekoriert,  das  im  übrigen  hier 
spärlich  vorkommt.  Die  Flächen  sind  durch  Reliefdarstellungen  der  antiken 
Götter,  die  auf  ihren  Wagen  durch  die  Lüfte  fahren,  ausgefüllt.  Einfacher  wieder 


296      2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

ist  die  größere  Bettstatt  behandelt;  ihr  Baldachin  ruht  mittelst  eines  reicheren 
Konsolengesimses  auf  schlanken  gegürteten  korinthischen  Säulen,  dies  wohl  noch 
ein  mit  der  gesamten  Täfelung  gleichzeitig  entstandenes  Werk.  Die  Vorderseite 
reich  mit  Reliefdarstellungen  von  Tugenden,  Helden  und  Heldinnen  geschmückt; 
innen  am  Kopfende  Kreuzigung  Christi,  Auferstehung  und  Fahrt  in  die  Unterwelt 
lebendig  geschnitzt.  An  der  vierten  (verdeckten)  Seite  der  Bettlade  allerlei 
Nuditäten.  Ähnlich  das  kleinere  Bett:  innen  am  Kopfende  die  Geschichte  Simsons, 
an  der  kurzen  Fußseite  eine  reizende  Bogengalerie ;  alles  mit  Rollwerk  und  anderem 
Ornament  reich  bedeckt.  Der  ganze  Raum  war  aufs  heiterste  bemalt,  so  daß 
die  Gesamtwirkung  seltene  Pracht  und  Harmonie  erreichte.  Die  Malerei  ist  leider 
bei  der  Herstellung  des  etwas  angebrannten  Raumes  ganz  beseitigt.  Da  diese 
Arbeiten  in  der  Behandlung  von  den  übrigen  Schöpfungen  des  Landes  stark  ab- 
weichen, so  wird  man  hier  wohl  die  Tätigkeit  fremder  Künstler  annehmen  müssen, 
und  zwar  vielleicht  niederländischer. 

Noch  viel  prächtiger  ist  die  Ausstattung  der  Kapelle  im  Schlosse  Gottorp 
zu  Schleswig.  Das  Schloß  selbst  i)  ist  in  seiner  gegenwärtigen  Erscheinung 
völlig  nüchtern  und  ohne  jede  architektonische  Form,  außer  einigen  Bruchstücken 
der  großen  mehrstöckigen  Zwerchgiebel  im  Hof  und  den  Portalen  an  den  Treppen- 
türmen, war  aber  vor  dem  großen  Umbau  im  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  und, 
ehe  die  unaufhörlichen  Verwüstungen  daran  begannen,  das  prächtigste  Bauwerk 
der  Art  im  Lande,  ja  eines  der  stattlicheren  in  ganz  Deutschland.  Der  älteste 
Teil  ist  der  Weslflügel,  der  samt  dem  Treppenturm  in  der  Ecke  des  Hofes  noch 
spätgotische  Anklänge  zeigt.  Die  alte  Außenarchitektur,  die  auf  einem  Stich  von 
Fritzsch  von  1743  noch  wohl  erhalten  ist,  war  offenbar  sehr  aufwendig.  Die 
Vorderfront  des  einen  viereckigen  Hof  von  beträchtlicher  Größe  umziehenden 
Schlosses  zeigte  hohe  Giebel  an  den  Enden  und  reiche  Fensterarchitektur  mit 
Rustika,  an  der  rechten  Ecke  ein  starkes  Rustikaportal;  an  den  anderen  Flügeln 
im  Hof  achteckige  Treppentürme,  Erker,  sechs  Zwerchgiebel  auf  dem  rückwär- 
tigen Flügel,  auch  an  der  Rückseite.  Ein  ebenfalls  prächtiger  Torbau  schützte 
eine  überdeckte  Brücke,  die  über  das  breite  Wasser  vor  dem  Schlosse  führte. 
Das  meiste  davon  ist  im  18.  Jahrhundert  beseitigt,  als  man  den  Vorderflügel 
durch  einen  riesigen  barocken  Neubau  ersetzte.  Die  drei  anderen  Hofflügel 
blieben,  verloren  aber  ihre  schöne  Architektur  langsam  fast  ganz.  Auch  die 
kleinen  Giebel  sind  alle  verstümmelt,  und  so  ist  von  der  prächtigen  Architektur, 
die  Herzog  Adolf  (1544—86)  durch  Italiener  am  Äußeren  und  wohl  auch  Innern 
zum  glänzenden  Ausbau  des  alten  Schlosses  nach  dem  Brande  von  1565  aus- 
führen ließ,  gar  wenig  mehr  geblieben. 

Auch  von  der  ehemaligen  überschwenglichen  Pracht  des  Innern  ist,  seitdem 
die  Dänen  alles  ausgeraubt  und  verschleudert  haben,  außer  der  Kapelle  nur  noch 
weniges  in  Bruchstücken  vorhanden.  So  hat  der  mächtige  runde  Turm  an  der 
äußeren  Nordwestecke  im  ersten  Stock  einen  stattlichen  Raum  mit  schön  ge- 
gliedertem, aus  acht  Stichkappen  zusammengesetzten  Gewölbe  mit  hängendem 
Schlußstein.  Daran  stößt  ein  Gang  mit  einem  reichstuckierten  Tonnengewölbe 
von  großen  Abmessungen.  Hieran  schließen  sich  drei  gewaltige  Kreuzgewölbe 
mit  der  reichsten  Stuckdekoration,  die  sich  irgendwo  in  Deutschland  finden  mag: 
Flachornamente  von  üppigster  Zeichnung  mit  Muscheln,  Masken,  Rosetten  u.  dgl., 
bei  den  bedeutenden  Dimensionen  von  großer  Wirkung.  Noch  reicher  und  präch- 
tiger, aber  auch  barocker  der  Nachbarsaal,  der  zwischen  den  Flachornamenten 
mit  Städteprospekten,  Medaillons,  Fruchtgehängen  u.  dgl.  aufs  glänzendste  ge- 
schmückt ist.    Der  Schlußstein  hat  hier  prächtige,  frei  hängende  Füllhörner  und 


1)  Vgl.  Danske  Vitruvius  II,  Taf.  139  —  147.  E.  Haupt  a.  a.  0.  II,  S.  332  &.  mit  Abb. 


Schloß  Gottorp 


297 


eine  Rosette.  Außerdem  ist  noch  ein  üppig  barocl^er  Kamin  mit  Hermen  vor- 
handen. Der  dritte,  größte  Saal,  nach  der  Gartenseite  gelegen,  ohne  weitere 
Dekoration,  als  reich  profilierte  Kreuzgewölbrippen  und  Gurten,  imponiert  durch 
die  herrlichen  großartigen  Verhältnisse. 

Was  die  ehemals  weltberühmte  Ausstattung  dieses  Schlosses  gewesen  sein 
muß,  erkennt  man  jetzt  nur  noch  aus  der  in  demselben  Flügel  gelegenen  Kapelle. 
Von  etwa  1560  bis  1620  unter  den  Herzögen  Adolf,  Johann  Adolf  und  Friedrich  III. 
ausgeführt,  muß  sie  als  eins  der  besten  Werke  dieser  Art  in  unserer  Renaissance 
bezeichnet  werden.  Zu  ihr  führte  im  Schloßhof  ein  schönes  Portal  in  noch  früher 
Renaissance;  von  gedrungenen  Säulen  mit  reichem  Gebälk  eingefaßt,  trägt  es 
einen  Wappenaufsatz  mit  reichlichen  Schnecken  und  Dreiecksgiebel  darüber.  In 
diesem  ein  Kopf  unter  einem  Baldachin  mit  Ghristusstatue. 

Die  Kapelle  selbst  bildet  ein  einfaches  Rechteck,  das  durch  zwei  spitzbogige 
Kreuzgewölbe,  deren  Rippenprofil  nicht  mehr  der  Gotik  angehört,  überdeckt  wird. 
Die  Malerei  an  den  Gewölben  ist  neueren  Ursprungs,  ebenso  die  bunte  Bemalung 
der  Holzarchitektur.  Im  übrigen  rührt  die  ganze  Ausstattung  der  Kirche,  sämt- 
liche Emporen,  der  Altar  und  die  Kanzel,  das  charaktervoll  behandelte  Stuhl- 
werk und  die  Bänke,  ja  sogar  die  Tafeln  für  die  Gesangnummern  aus  der  Ent- 
stehungszeit der  Kapelle.  (An  der  ersten  Säule  des  Schiffes  liest  man  die  Jahres- 
zahl 1590,  weiterhin  1596,  an  einem  Stuhl  1598.)  Die  Einrichtung  ist  folgende: 
an  der  einen  Schmalseite  zwischen  den  beiden,  im  Flachbogen  geschlossenen 
Fenstern  ist  der  Altar  aufgestellt;  an  der  gegenüberliegenden  Schmalseite  erhebt 
sich  auf  einer  mittleren  Säule  die  Orgelempore.  An  beiden  Langseiten  zieht  sich 
eine  Ordnung  von  sieben  ionischen  Säulen  hin,  auf  denen  die  den  ganzen  Raum 
umziehenden  Galerien  ruhen.  Dies  alles  ist  vortrefflich  in  Holz  ausgeführt.  Über 
dem  Altar  erhebt  sich,  die  ganze  Breite  der  Kapelle  einnehmend,  die  mit  Fenstern 
geschlossene  herzogliche  Loge  oder  Betstube.  Die  Kanzel  endlich  ist  an  der 
rechten  Seite  angebracht. 

Dies  Ganze  ist  nun  mit  den  reichsten  Kunstmitteln  einer  ausgebildeten 
Hochrenaissance  durchgeführt,  wobei  das  Schweifwerk  nur  etwa  in  der  durch- 
brochenen Bekrönung  der  herzoglichen  Loge,  in  einzelnen  Giebeln  und  geschweiften 
Konsolen  zur  Geltung  kommt.  Überall  herrschen  Feinheit  und  Adel  der  Form- 
bildung, in  den  Säulen  und  ihren  Gebälken,  den  Pilastern,  Hermen  und  anderen 
Teilungen.  Prächtig  ist  der  später  hierher  gestiftete  Altar  mit  seinem  Aufsatz 
von  Ebenholz,  der  durch  Silberornamente  und  drei  ebenfalls  in  Silber  getriebene 
Reliefs  glänzenden  Schmuck  erhält.  Reizvoll  durch  seine  GUederung  und  an- 
mutige Ornamente  ist  das  Orgelgehäuse,  das  die  Jahreszahl  1567  trägt. 
In  den  folgenden  Jahrzehnten  entstand  die  übrige  Ausstattung.  Eins  der  üppigsten 
Werke  ist  die  Kanzel,  die  auf  einem  Hermenpfeiler  mittelst  einer  prachtvollen 
Ausladung  reich  verschlungener,  mit  Masken  und  Fruchtschnüren  dekorierter 
Voluten  ruht.  Ihre  Brüstung  wird  über  einem  mit  weiblichen  Masken  geschmückten 
Sockel  durch  toskanische  Säulen  geteilt,  zwischen  denen  in  Nischen  die  Statuen 
der  Evangelisten  stehen.  Das  Schönste  aber  ist  der  gesamte  Bau  der  fürstlichen 
Empore,  die  in  ihrer  Anlage  und  Einteilung,  sowie  in  ihrer  künstlerischen 
Durchbildung  eine  Meisterhand  verrät.  Die  Plastik  ist  hier  auf  die  Hauptformen 
beschränkt,  auf  die  eleganten  Gesimse  und  die  Hermen,  die  Konsolen,  Kapitelle, 
die  reichen  Zapfen  der  inneren  Decken  und  die  prächtigen  äußeren  Krönungen ;  im 
ganzen  inneren  Flächenschmuck  ist  der  Einlegearbeit  die  erste  Stelle  eingeräumt, 
und  auf  diese  Weise  die  Fürstenloge  wahrhaft  bewundernswert  ausgebildet 
(Abb.  178).  Die  prächtig  kassettierte  Decke,  die  schön  eingefaßten  tiefen  Fenster- 
nischen, die  gesamte  Bekleidung  der  Wände  geben  dem  Raum  ein  wundersam 
harmonisches  anheimelndes  Gepräge.    In  der  Wandtäfelung  zieht  ringsum  ein 


298      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

Sockel,  zum  Teil  als  Sitzbank  ausgebildet,  über  ihm  abwechselnd  breite  und 
schmale  Felder,  dann  die  Hermenpilaster  selbst,  und  zwischen  ihnen  große  Wand- 
felder, die  wie  Bogenportale  mit  reichen  Füllungen  und  geschweiften  Giebeln 
behandelt  sind  (Abb.  179).  Darüber  folgt  das  von  prächtigen  Konsolen  durch- 
brochene Gebälk;  auf  diesem  ruht  ein  hoher  Fries  mit  quadratischen,  durch 
pilasterartige  Streifen  unterbrochenen  Feldern,  darüber  wieder  das  eigentliche 


Abb.  178   Fürsteiilogo  der  Kapelle  des  Schlosses  Gottorp 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Hauptgesims  mit  Konsolen.  Alle  diese  unendlich  reich  abgestuften  kleineren  und 
größeren,  schmäleren  und  breiteren  Flächen  sind  nun  mit  eingelegten  Ornamenten 
geschmückt,  die  in  der  Zeichnung  die  größte  Mannigfaltigkeit  und  die  feinste 
Grazie  zeigen.  Es  sind  vielfach  geschwungene  und  verschlungene,  frei  stihsierte 
Bänder  in  phantastische  Köpfe  auslaufend,  oder  von  einer  mittleren  Figur  aus- 
gehend; dazwischen  oft  herrliche  Ranken,  Lorbeerzweige,  auch  Vasen  mit  Blumen, 
kurz  die  größte  Vielseitigkeit  einer  edlen  Ornamentik,  in  welcher  das  bloß  geo- 
metrische Element  und  das  Rollwerk  nur  sparsam  eingestreut  sind.  Die  fein 
berechnete  Abstufung  und  der  wohldurchdachte  Wechsel  in  der  Aufeinanderfolge 
und  Nebeneinanderstellung  von  alle  diesem  zeugt  von  der  genialen  Erfindungsgabe 


Schloß  Gottorp 


299 


eines  hochbedeutenden  Künstlers,  der  uns  vielleicht  durch  archivaUsche  Forschungen 
enthüllt  wird.  An  Italiener  ist  nicht  zu  denken,  obwohl  Herzog  Adolf  italienische 
Künstler  herbeigezogen  haben  soll.  Vielmehr  wird  für  die  Ausführung  wenigstens 
eine  große  Zahl  einheimischer  Bildhauer  (Schnitker)  und  Tischler  genannt,  die 
an  dem  Werke  arbeiteten.  Von  diesen  kommen  als  leitende  Meister  wohl  Andreas 
Salgen  (f  1612)  und  nach  ihm  Jürgen  Gower  in  Betracht.  Von  letzterem  ist  be- 
stimmt das  Pracht- 
stück der  Loge,  die 
reichgeschnitzte  Tür 
nach  der  Kirche  zu. 

Der  Glanz  der 
Kirche  wird  dadurch 
erhöht,  daß  in  die 
äußeren  Felder  der 
Emporenbrüstung  Öl- 
gemälde eingeschlos- 
sen sind,  die  als  vor- 
trefflich bezeichnet 
werden  dürfen.  Dies 
erinnert  an  die  Schloß- 
kapelle in  Gelle,  wel- 
che neben  der  von  Got- 
torp unter  den  Wer- 
ken unserer  Renais- 
sance dieser  Art  den 
Ehrenplatz  einnimmt, 
jedoch  ohne  sie  an 
edler  Pracht  stilvoller 
Holzarbeit  zu  errei- 
chen. Wie  dort,  sind 
auch  hier  die  Schei- 
ben in  den  Fenstern 
der  herzoglichen  Em- 
pore in  vergoldetes 
Blei  gefaßt.  Am  Ein- 
gang liest  man  die 
Jahreszahl  1613,  an 
der  gegenüberliegen- 
den Wand  1614. 

Das  Schloß  Got- 
torp war  zu  der  Zeit 
seines  Glanzes  in  jeder 
Richtung  im  Lande 
das  Hauptwerk  der 
Renaissance;  präch- 
tige Außenarchitektur,  noch  größere  Pracht  im  Innern,  das  dabei  eine  Fülle  von 
Kunstschätzen  und  Sammlungen  barg,  fand  ihre  schönste  Ergänzung  in  einer  herr- 
lichen landschaftlichen  Lage,  die  im  Laufe  des  17.  Jahrhunderts  aus  kleineren  An- 
fängen zu  den  prachtvollsten  Gartenanlagen  des  deutschen  Nordens  ausgestaltet 
wurde.  Der  berühmte  Gartenbaukünstler  Joli.  Clodius  schuf  hier  ein  Meisterwerk^), 


Abb.  179  Aus  der  Kapelle  des  Schlosses  Gottorp 


1)  Abb.  in  Thura,  Dan.  Vitruv.  II,  139. 


300      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

das  mit  Teichen,  Wasserwerken,  Lusthäusern,  Galerien,  einem  russischen,  einem 
Pomeranzengarten,  Vogel-  und  Ringelhaus  und  der  die  Anlage  krönenden  Ama- 
iienburg  alles  im  größten  Maßstabe  bot,  was  die  damalige  Gartenkunst  zu  geben 
hatte.  Nur  dürftige  Trümmer  und  Spuren  zeugen  von  dem  einst  unvergleichlichen 
„neuen  Werk". 

In  der  Stadt  Schleswig  selbst  bietet  der  Dom  einiges  Bemerkenswerte. 
Im  Chor  dieser  mächtigen  romanisch-gotischen  Hallenkirche  erhebt  sich  das  weiß 
und  schwarze  Marmordenkmal  König  Friedrichs  I.,  angeblich  nach  Entwürfen  von 
Jakoh  Binck  1555  in  Antwerpen  ausgeführt,  sicher  aber  nur  von  ihm  dort  bestellt. 
Es  ist  fast  amüsant,  wie  dieser  etwas  leichte  Künstler  seinen  Fürsten  die  Ant- 
werpener Denkmäler  als  seine  Arbeit  aufredete.  Hier  die  beliebte  Gestalt  eines 
Sarkophages,  der  von  sechs  Karyatiden  getragen  wird.  Auf  ihm  liegt  in  voller 
Rüstung  die  Gestalt  des  Verstorbenen  ausgestreckt  (Abb.  180).  Es  handelt  sich 
hier  wieder  einmal  um  ein  Werk  des  Kornelius  Floris,  der  einen  schwunghaften 
Handel  mit  solchen  Denkmälern  bis  nach  Rußland  hin  trieb.  Von  Interesse  aber 
ist  es  besonders,  daß  der  genannte  Künstler  dies  Denkmal  unter  seinen  Ent- 
würfen veröffentlichte.  Es  gibt  sogar  ein  zweites  Denkmal  nach  dem  gleichen 
Entwurf  in  Deutschland,  und  zwar  das  in  Jever  für  den  Fürsten  Edo  Wiemken. 
Doch  ist  dieses  in  der  Ausführung  erheblich  schwächer,  steht  dafür  unter  einem 
prachtvollen  Baldachin.  Freilich  soll  das  zu  Schleswig  einst  ebenfalls  einen 
solchen  Baldachin  besessen  und  im  Westen  des  Domes  gestanden  haben.  Wie 
dem  auch  sei:  es  ist  eines  der  vollendetsten  und  schönsten  Werke  des  Floris 
überhaupt,  von  wundervoller  Wirkung  und  edelster  Form.  Die  weißmarmornen 
sechs  Tugenden,  die  den  schwarzen  Sarkophag  stützen,  finden  an  Adel  der  Er- 
scheinung in  den  Werken  jener  Zeit  in  Deutschland  nicht  wieder  ihresgleichen.  — 
Von  den  zahlreichen  übrigen  Epitaphien  des  Domes,  welche  durchweg  die 
Formen  einer  kräftigen,  teilweise  schon  barocken  Spätrenaissance  zeigen,  sei  zu- 
nächst das  des  Ratsmannes  Broders  aus  Eiderstedt  vom  Jahre  1605  hervorgehoben. 
Aus  rotem  und  weißem  Marmor  gearbeitet,  hat  es  eine  fein  ornamentierte  Ein- 
fassung, deren  Gebälk  von  zwei  Karyatiden,  Glaube  und  Hoffnung,  getragen  wird. 
Erwähnung  verdient  sodann  noch  das  späte  Epitaph  des  Grafen  Kielmannsegge, 
Kanzlers  Herzog  Christian  Albrechts,  vom  Jahre  1673.  Nach  der  Sitte  dieser 
späteren  Monumente  knien  an  seinem  Fuße  der  Graf  und  seine  Gemahlin  als 
lebensgroße  Figuren  von  weißem  Marmor;  über  ihnen  sieht  man  die  Grablegung 
und  Himmelfahrt  Christi  in  flachen  Marmorreliefs.  Ein  Prachtwerk  der  Metallarbeit 
ist  in  der  Kapelle  des  Grafen  Reventlow  ein  auf  vier  vergoldeten  Löwen  ruhender 
Sarkophag,  geschmückt  mit  dem  reichsten  Ornament  von  vergoldetem  Silber. 
Oben  darauf  liegt  in  getriebenem  Silber  und  teilweise  emaiUiert  eine  weibliche 
Statue.  Endlich  sei  noch  der  Kanzel  vom  Jahre  1560  gedacht,  einer  tüchtigen 
Arbeit  aus  Eichenholz  mit  fünf  flachgeschnitzten  biblischen  Reliefs. 

Eine  prachtvolle  vollständige  Ausstattung  in  Renaissance  besitzt  sodann  die 
romanische  Kirche  in  Tondern^);  sie  ist  in  ihrem  alten  Reichtum  fast  noch  un- 
beeinträchtigt und  so  vielleicht  das  Musterbeispiel  im  Nordlande.  Vor  allem  ist 
die  Kanzel  samt  dem  SchaUdeckel  eine  der  reichsten  dieses  Stils,  die  Brüstung 
durch  schlanke  Säulchen  gegliedert  und  mit  biblischen  Rehefs  aufs  eleganteste 
geschmückt.  Sodann  fehlt  es  nicht  an  Epitaphien  derselben  Art,  sowie  an  einem 
stattlich  aufgebauten,  schon  stark  barocken  Hochaltar  und  kraftvoll  geschnitztem 
Stuhlwerk.  Bemerkenswert  sodann  ein  reichgeschnitzter  Lettner,  der  den  Chor 
vom  Schiffe  trennt,  an  der  Brüstung  durch  Hermen  gegliedert  und  mit  bibhschen 
Gemälden  geschmückt,  von  Peter  Petersen,  Schnitker,  vor  1624.    Ein  Taufstein 


1)  R.  Haupt  a.  a.  O.II,  S.  618  if.  m.  Abb. 


Tondern   Meldorf  Flensburg 


301 


mit  üppigem,  mehrstöckigem  Deckel,  früher  von  einem  Gitter  von  gedrehten 
Säulchen  und  geschnitzten  Aufsätzen  umfaßt.  Zahlreiche  Epitaphien,  darunter 
ganz  prächtige  Werke.  Den  Abschluß  dieser  reichen  Ausstattung  bilden  drei 
große  messingene  Kronleuchter,  die  zu  den  prachtvollsten  und  schönsten  gehören. 
—  Kaum  minder  reich  ist  die  Kirche  zu  Meldorf,  wo  die  Kanzel  zwar  un- 
bedeutender ist,  aber  ein  stattlicher  Lettner  besonders  wertvoll  erscheint.  Auf 
gegürteten  korinthischen  Säulen  ruhend,  ist  der  Oberbau  durch  Statuen  der 
Apostel  zwischen  Säulenstellungen  geschmückt  und  durch  üppige,  breit  entwickelte 
architektonische  Aufsätze  mit  freien  Figuren  abgeschlossen.   Die  untere  Brüstung 


Abb.  180   Denkmal  Friedrichs  I.  im  Dom  zu  Schleswig 


ist  durch  Reliefs  belebt,  über  welchen  ein  Gitterwerk  von  hölzernen  Docken  den 
Durchblick  gestattet.  Leider  hat  eine  puristische  Restauration  der  Kirche  dies 
schöne  Werk  in  die  Ecke  geklemmt.  —  Von  dem  einstigen  statthchen  Schlosse 
im  Stil  des  Husumer  steht  nur  noch  ein  verstümmeltes  Torhaus. 

Reiche  Ausbeute  bietet  Flensburg.  Hier  kommt  vor  allem  die  Marien- 
kirche in  Betracht,  ein  mächtiger  gotischer  Hallenbau  von  einfacher  Formgebung. 
Der  stolze  Hochaltar  ist  ein  in  drei  Stockwerken  emporgetürmter,  reich  geschnitzter 
Bau  vom  Jahre  1598,  dessen  mittlere  Abteilung  zwischen  vier  Säulen  drei  Ölgemälde 
einnehmen^);  im  Aufsatze  noch  weitere  zwei  Gemälde  übereinander.  Das  pracht- 
volle Hauptwerk  Hinrkli  Ringerincks.  Das  Einzelne  der  Schnitzerei  ist  von  leb- 
haftestem Schwung  und  kraftvoller  Gestaltung  (Abb.  181).  Auch  das  den  Altar 
umgebende  Gitter,  wohl  einst  ein  Lettner,  mit  Karyatiden,  Engelsköpfen  u.  dgl. 
geschmückt,  zeigt  tüchtiges  Schnitzwerk.    Von  etwas  geringerer  Ausführung  ist 


1)  R.  Haupt  a.  a.  0.  I,  Abb.  S.  263. 


302      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

die  Kanzel  vom  Jahre  1579,  mit  geschnitzten  biblischen  Reliefs  ausgestattet. 
Alle  diese  Werke  waren  in  späterer  Zeit  leider  mit  Ölfarbe  überstrichen  worden. 
Unter  den  zahlreichen,  ebenfalls  holzgeschnitzten  Epitaphien  werden  zwei  in  der 
nördlichen  Kapelle  hängende,  vom  Jahre  1591  und  1597,  und  eines  auf  der  Empore 
von  1601  hervorgehoben.  Der  ebenfalls  tüchtig  geschnitzte  Deckel  zum  Taufstein 
befindet  sich  jetzt  im  Gewerbemuseum.  Das  kunstvoll  gearbeitete  bronzene  Tauf- 
becken entspricht  genau  dem  später  zu  beschreibenden  in  der  Kirche  zu  Eckern- 
förde und  ist  von  dem  Hauptmeister  der  Gießerei  im  Lande,  Michel  Dihler,  1591  ge- 
gossen, mit  acht  Reliefs,  hier  auf  den  vier  Evangelisten  ruhend.  Schöne  Epitaphien 
zieren  Pfeiler  und  Wände.  Ebenfalls  ein  gotischer  Hallenbau  ist  die  Nikolai- 
kirche, in  der  namentlich  die  Orgelbühne  und  das  prachtvolle  Orgelgehäuse 
hervorragt,  wieder  ein  Werk  Hinrich  Eingefincls.  Karyatiden  teilen  die  Brüstung, 
deren  Felder  eigentümlich  genug  durch  die  Standbilder  König  Davids  und  der 
neun  Musen  geschmückt  sind.  Zwei  Rückpositive  mit  je  vier  Säulen  teilen  die 
Brüstung;  die  Hauptorgel,  ebenfalls  mit  Säulen  geziert  und  in  drei  Teilen  vorsprin- 
gend, ruht,  nach  dem  Muster  der  in  St.  Peter  in  Lübeck,  auf  sechs  hohen  Hermen. 
Gut  ist  die  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  stammende  Kanzel;  die  drei  mes- 
singenen Kronleuchter  von  besonderer  Größe  und  Pracht.  Endlich  bewahrt  das 
schöne  Kunstgewerbemuseum  eine  Fülle  wertvoller  Arbeiten,  namentlich  geschnitzte 
Schränke  und  Truhen,  aber  auch  ganze  Raumausstattungen  aus  dem  Lande. 

Zu  nennen  ist  als  Spätwerk  die  Kanzel  in  der  Kirche  zuBredstedt,  vom 
Jahre  1647,  allerdings  in  ihrem  gerollten  Kartuschenwerk  und  der  gesamten 
Ornamentik  schon  stark  barock,  aber  im  figürlichen  Schmuck  wertvoll.  Statuen 
des  Moses  und  der  vier  Evangelisten  beleben  zwischen  vier  Reliefs  aus  der  Leidens- 
geschichte die  Brüstung;  den  Schalldeckel  krönt,  von  Engeln  mit  den  Marter- 
werkzeugen umgeben,  die  Gestalt  des  Auferstandenen.  Abweichend  von  den 
meisten  übrigen  Kanzeln  des  Landes  ist  diejenige  in  der  Kirche  zu  Gettorf^), 
einem  in  Südschleswig  an  der  Straße  zwischen  Eckernförde  und  Kiel  gelegenen 
Orte.  Während  die  Kanzeln  sonst  durch  eine  einzige  Säulenstellung  geteilt  zu 
werden  pflegen,  baut  sich  die  Brüstung  hier  in  zwei  Stockwerken  auf,  jedes  durch 
niedrige  Bogenfelder  auf  kurzen  kannelierten  Pilastern  gegliedert.  Die  einzelnen 
Felder  enthalten  lebendig  komponierte  biblische  Reliefs.  Dazwischen  treten  kräftige 
Pilaster  mit  den  Statuetten  der  Apostel  und  mit  vorgekröpften  Gesimsen  zur 
Markierung  der  Ecken  vor,  dies  alles  samt  den  die  übrigen  Flächen  bedeckenden 
Ornamenten  von  prächtiger  Wirkung.  Nicht  minder  reich  ist  der  Schalldeckel 
gestaltet,  durch  figürlichen  Schmuck  und  schlanke  baldachinartige  Aufsätze  aufs 
glänzendste  dekoriert.    Das  prächtige  Werk  trägt  die  Jahreszahl  1598. 

Wertvolles  findet  sich  sodann  in  Eckernförde,  wo  zunächst  in  der  Kirche 
ein  schlichtes  Epitaph  von  1567  zu  verzeichnen  ist,  seiner  Anlage  und  Aus- 
führung nach  noch  einer  strengen  und  edlen  Renaissance  angehörend.  Es  bildet 
eine  einfache  Tafel  mit  zwei  durch  kannelierte  Rahmenpilaster  eingefaßten  Bogen- 
feldern,  darin  hübsch  ornamentierte  Wappen.  Elegante  kannelierte  korinthische 
Säulen  treten  beiderseits  vor  und  tragen  ein  verkröpftes  Gebälk,  darüber  bildet  ein 
streng  gezeichneter  Giebel  den  Abschluß.  Im  Tympanon  ein  stark  vorspringender 
Kopf.  Die  Säulen  sind  gegürtet  und  am  unteren  Teil  ornamentiert;  an  ihrem 
Postament  wie  am  Friese  sieht  man  prächtige  Löwenköpfe.  Die  Kanzel  ist  ein 
zierliches  Werk  aus  etwas  späterer  Zeit,  etwa  vom  Ende  des  16.  Jahrhunderts, 
besonders  am  Treppengeländer  mit  Statuetten  und  biblischen  Reliefszenen  reich 
geschmückt,  die  sich  an  der  Kanzelbrüstung  fortsetzen.  Stärker  barock  sind  die 
beiden  prächtigen  Epitaphien  von  der  Wisch  (1614)  und  von  Ahlefeld  (1617), 

1)  R.  Haupt  a.  a.  0.  I,  S.  272. 

2)  Daselbst  I,  S.  175,  Abb.  251,  262. 


Abb.  181   Altar  in  der  Marienkirche  zu  Flensburg 


304      2.  Buch   Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel   Die  norddeutsehen  Küstengebiete 

offenbar  von  demselben  Künstler  entworfen  und  ausgeführt.  Am  Altar,  der  von 
1640  datiert  und  als  Werk  des  Meisters  Hans  Gudewerth  von  Eckernförde  be- 
zeichnet wird,  hält  das  Knorpelwerk  in  wunderbar  flotter  und  glänzender  Behand- 
lung seinen  Einzug;  es  ist  eine  gewaltige  künstlerische  Kraft  in  diesem  Formen- 
rausch. Mit  Hans  Gudewerth  in  seiner  Meisterschaft  kann  sich  aus  jener  Zeit 
kaum  ein  Künstler  in  Deutschland  vergleichen,  am  wenigsten  darin,  wie  er  die 
wildesten  und  ausgelassensten  Formen  zu  künstlerischer  Einheit  bändigt.^)  Ein 
gediegenes  Bronzewerk  der  besten  Zeit,  1588  von  dem  Flensburger  Michel  Dibler 
gegossen,  ist  das  Taufbecken,  ein  eleganter  Kessel  von  Mörserform,  der  hier  auf 
drei  aufrecht  hockenden  Löwen  ruht.  Biblische  Rehefszenen  in  eingerahmten 
Feldern,  durch  zierUche  Blumen  geteilt,  bedecken  seine  Fläche,  oben  durch  eine 
dreifache  Inschrift,  unten  durch  elegantes  Blattornament  begrenzt.  Fast  dasselbe 
Werk  fanden  wir  in  der  Marienkirche  zu  Flensburg.  Eine  andere  elegant  stili- 
sierte Metallarbeit  ist  die  Taufschüssel,  in  der  Mitte  durch  ein  hübsches  Rehef, 
ringsum  durch  eine  fein  stilisierte  Weinranke  geschmückt. 

Weiterhin  ist  noch  mancherlei  in  Holstein  und  Lauenburg  nachzutragen. 
So  in  der  Kirche  zu  Westensee  die  Überreste  des  offenbar  höchst  imposanten, 
leider  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zerstörten  Denkmals  Daniels  von  Ranzau, 
(f  1569).  Es  ist  nur  noch  das  Epitaph  vorhanden,  eine  Steinarbeit  von  mächti- 
gem Stil,  wahrscheinlich  von  einem  niederländischen  Meister  gearbeitet.  Auf 
schuppenförmig  dekorierten  Konsolen  erheben  sich  über  löwenkopfgeschmückten 
Postamenten  streng  behandelte,  reiches  Gebälk  tragende  Hermen,  auf  dem  Ge- 
sims stehen  Statuen  von  Heiligen.  Aus  der  Beschreibung  Heinrich  Ranzaus,  der 
das  Denkmal  „vere  regium"  nennt,  geht  hervor,  daß  das  eigentliche  Denkmal 
ein  Sarkophag  war,  auf  dem  der  Ritter  lag,  von  einem  Baldachin  überdacht, 
also  ein  Werk  in  der  Art  des  Denkmals  zu  Jever.  Von  ihm  sind  nur  noch  ein 
paar  Trümmer  übrig.  Auch  die  Kanzel  der  Kirche  ist  ein  gutes  Werk  aus  der 
letzten  Zeit  des  16.  Jahrhunderts,  fein  gegliedert  und  geschmückt.  —  Eine  reiche 
Ausstattung  in  Renaissance  besitzt  die  Marienkirche  in  Rendsburg.  Zunächst 
eine  stattliche  Anzahl  von  Epitaphien,  in  denen  die  lokale  Entwickelung  dieser 
Denkmalform  sich  anschaulich  darlegt.  Sie  sind  sämthch  in  Holz  ausgeführt  und 
ziehen,  mit  1549  anfangend,  in  langer  Folge  bis  in  die  allerspäteste  Zeit  der 
Renaissance;  ihre  Bemalung  meist  weißgrauer  Grund,  auch  für  das  FigürUche, 
mit  Rot,  Blau,  Schwarz  und  spärlichem  Gold,  ein  Farbenakkord  von  großer  Fein- 
heit. Die  Grundform  dieser  Epitaphien  ist  wesenthch  die,  daß  sie  auf  kräftigen 
Konsolen  aufgebaut  sind,  zwischen  denen  ein  rundes  Sockelschild  als  Abschluß 
des  Ganzen  hängt.  Das  Hauptfeld  wird  von  Säulen  eingerahmt,  die  bei  den 
späteren  Werken  immer  kräftiger  vorspringen,  oft  von  anderen  Säulen  oder 
Pilastern  begleitet  und  durch  vorgekröpfte  Gebälke  abgeschlossen.  Neben  ihnen 
treten  die  Seitenteile  anfangs  nur  sehr  wenig  hervor,  sind  auch  bescheiden  pro- 
filiert; bald  aber  werden  sie  lebhaft,  selbst  phantastisch,  mit  Flachornamenten 
geschmückt,  mit  Fruchtschnüren  und  Reliefs  in  Medaillons  ausgestattet,  und 
die  Flanken  springen  in  der  an  den  Bekrönungen  sich  wiederholenden  reichen 
Abwechslung  vor  und  zurück,  sich  aus-  und  vorbiegend,  oft  noch  mit  Obelisken 
und  Statuetten  beladen.  Kurz,  es  kommt  die  ganze  Üppigkeit  der  späteren 
deutschen  Renaissance  daran  zum  Ausdruck.  Bei  reicheren  Werken  folgt  dann 
über  dem  bisweilen  stark  verkröpften  Gesims  ein  zweiter  etwas  schmalerer  und 
kleinerer  Aufbau,  ornamental  ähnhch  behandelt,  wie  das  untere  Feld,  abgeschlos- 
sen mit  einem  reich  dekorierten  Giebel,  der  das  Ganze  krönt.  Die  Felder  haben 
meistens  ReUefs,  häufig  den  Gekreuzigten  oder  die  Auferstehung  mit  den  knieen- 


1)  Abb.  R.  Haupt  a.  a.  0. 1,  S.  164. 


Kendsburg 


305 


den  Figuren  der  Stifter;  erst  im  späteren  17.  Jahrhundert  treten  Gemälde  dafür 
ein.  Noch  ganz  bescheiden  ist  ein  kleines  Epitaph  (v.  Brockdorff)  von  1549:  es 
enthält  nur  das  Wappen  der  FamiUe.  Entwickelter  ein  anderes  von  1560,  mit 
einer  Darstellung  des  von  den  Stiftern  verehrten  Kruzifixes.  Ähnlich  ein  Epitaph 
von  1583,  wo  Hermen  die  Einfassung  bilden;  dies  ausnahmsweise  von  Stein. 
Ein  prachtvolles  reich  entwickeltes,  außerdem  durch  wohlerhaltene  Bemalung 
ausgezeichnetes  von  1602  hängt  am  ersten  südlichen  Schiffpfeiler.  Ganz  ähnlich 
das  ganz  prächtige  Glausensche  von  1604');  ein  anderes  an  der  Nordseite  von  1598. 
Verwandter  Art  zwei  andere  von  1604  und  1608.  Ein  sehr  üppiges  von  1620 
ist  von  ähnlicher  Anlage,  aber  in  den  Formen  schon  stark  übertrieben.  Das 
größte  Glanzstück  ist  das  südlich  am  Turm  angebrachte  für  Marquard  Ranzau 
vom  Jahre  1649^),  wo  Säulen  und  Reliefs  aus  Alabaster  gearbeitet  sind,  das 
übrige  in  schwarzem  Holze  mit  Vergoldung,  vom  edelsten  Aufbau  und  schwung- 
vollster Durchführung,  geistvoll  und  flüssig,  ein  Meisterwerk  von  hohem  Rang, 
der  Kunst  Hans  Gudewerths  verwandt,  doch  weit  weniger  wild  und  noch  wirk- 
samer, eher  der  Art  des  Adavt  Stehnelt  aus  Osnabrück  sich  nähernd.  Derselben 
Hand  unzweifelhaft  gehört  der  schöne  Altar  von  1640  an;  sein  reicher  Aufbau 
in  zwei  Stockwerken  über  einer  Predella  mit  drei  ReHefs  ist  sehr  glücklich  in 
den  vorhandenen  Raum  eingepaßt;  doch  erreicht  das  Werk  nicht  die  Meisterschaft 
des  Ranzauschen  Denkmals.  Reich  geschnitzt  mit  guten  Reliefs,  die  aber  durch 
dicke  Überstreichung  mit  Ölfarbe  in  ihrer  Wirkung  und  Form  beeinträchtigt 
werden,  ist  die  Kanzel  von  1597,  besonders  elegant  mit  ornamentierten  Säulen 
und  Hermen  gegliedert;  ihr  hoch  aufgebauter  und  durchbrochener  Deckel  vor- 
züglich schön.  Sie  steht  der  mecklenburgischen  Prachtkanzel  zu  Bützow  nahe. 
Auch  der  Taufsteindeckel  von  1624  ist  ein  tüchtiges  Werk  der  Schnitzkunst, 
stattlich  in  drei  Stockwerken  aufgebaut.  In  der  B  e  g  r  ä  b  n  i  s  k  a  p  e  1 1  e  der  Familie 
G  u  d  e ,  zu  der  vom  Chor  eine  hübsche  Renaissancetür  führt,  sieht  man  noch  eine 
Anzahl  Bruchstücke  von  Holzarbeiten,  teils  biblische  Reliefszenen,  teils  Wappen, 
mehrfach  von  trefflicher  Ausführung.  Geringeren  Wertes  sind  die  drei  messingenen 
Kronleuchter,  schwache  späte  Werke,  dagegen  sind  die  beiden  Wandleuchter  im 
Chor  gute  Arbeiten  vom  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Im  Ganzen  aber  gehört 
die  Rendsburger  Kirche  noch  zu  den  am  wenigsten  beraubten  Gotteshäusern  des 
Landes  neben  der  von  Tondern  und  gibt  noch  einigermaßen  einen  Begriff  dessen, 
was  einst  so  gut  als  alle  besseren  Kirchen  hier  waren.  —  Das  Rendsburger  Rat- 
haus, ein  Fachwerkbau,  hat  noch  den  Rest  eines  einst  hübschen  Backsteingiebels 
des  16.  Jahrhunderts;  in  der  Stadt  einige  gut  geschnitzte  Fachwerkhäuser.  —  In 
der  Kirche  von  Segeberg  eine  treffliche  Kanzel  von  1612^)  und  zwei  prächtige 
messingene  Kronleuchter  aus  dem  18.  Jahrhundert,  die  noch  an  der  alten  guten 
Form  festhalten.  Das  benachbarte  Warder  besitzt  in  seiner  Kirche  eine  ähn- 
liche Kanzel,  vortrefflich  geghedert  durch  doppelte  korinthische  Säulchen  und 
ein  fein  entwickeltes  Zahnschnittgesims,  dabei  in  den  Bogenfeldern  Schnitzreliefs 
aus  der  bibUschen  Geschichte.  Auch  der  Deckel,  der  ähnliche  Formbehandlung 
zeigt,  stammt  aus  derselben  Zeit.  Wiederum  von  einem  großartigen,  leider 
schlecht  erhaltenen  Monument  zeugt  die  Kirche  zu  Lütj  enburg.*)  Es  ist  das  in 
einer  Grabkapelle  befindhche  Reventlow-Denkmal.  Trotz  seiner  starken  Zer- 
störung immer  noch  ein  Werk  von  hoher  künstlerischer  Bedeutung,  mit  reichem, 


1)  R.  Haupt  a.  a.  0.  II,  S.  212,  Abb.  1107. 

2)  Das.  II,  S.  211,  Abb.  1106. 

3)  Das.  II,  S.  379—80. 

4)  Vgl.  die  ausfuhr].  Beschreibung  bei  Eich.  Haupt,  Abgerissene  Blätter  zur  Kunde  Vater- 
land. Altertümer  in  Wagrien.  Ploen  1880.  Derselbe,  Bau-  und  Kunstdenkmäler  etc.  I,  S.  141, 
Abb.  1007—14. 


Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland   II   3.  Aufl. 


20 


306      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


figürlichem  Schmuck.  Die  Formen  sind  niederländisch,  das  Datum  1608.  Es 
ist  das  Ganze  ein  künstlerischer  Gedanke,  der  in  einer  glänzenden  Weise  durch- 
geführt war.  Eine  gotische  quadratische  Kapelle  mit  Kreuzgewölbe  öffnet  sich 
mit  einer  Gittertür  gegen  die  Kirche.  Die  Rippen  stützen  sich  auf  mit  Stuck 
verzierte  Konsolen  in  den  Ecken;  an  ihnen  hängen  reich  gestaltete  Engel  aus 
Stuck,  leider  alles  verstümmelt;  überall  aber  die  Spuren  einstiger  Stuckaus- 
schmückung. An  der  Nordseite  ein  erregtes  Rehef  des  Jüngsten  Gerichts,  zum 
Teil  bemalt.  Mitten  darin  steht  nun  das  großartige  Denkmal,  ein  sarkophag- 
ähnhcher  Unterbau,  mit  je  drei  Doppelsäulen  auf  den  Langseiten  geschmückt,  da- 
zwischen Figuren  und  Wappen,  an  den  Ecken  Postamente  mit  Statuen  von  Figuren. 
Auf  dem  Denkmal  selber  knieen  links  Otto  von  Reventlow  mit  zwei  Söhnen, 
rechts  seine  Gattin  Dorothea,  geb.  von  Ahlefeld,  mit  zwei  Töchtern,  dazwischen 
steht  ein  Kruzifix.  Der  Unterbau  ist  aus  Sandstein  mit  Marmor,  die  Figuren  von 
Alabaster,  alles  wenig  bemalt,  doch  an  vielen  Stellen  vergoldet.  Ein  prächtiges 
Werk  derselben  Zeit  (1608)  ist  die  Kanzel,  mit  korinthischen  Säulen  und  da- 
zwischen mit  biblischen  Reliefs  aufs  reichste  geschmückt.  Ebendort  eine  elegante 
silberne  Deckelkanne,  1631  von  Frau  Margarete  Ratio w  geschenkt,  aber  wohl 
von  etwas  früherer  Entstehung. 

Hier  ist  noch  der  Ort,  des  verschwundenen  prächtigen  Ranzau-Begräbnisses 
zu  Itzehoe  zu  gedenken;  die  schön  ausgestattete  Gruft  von  1590  ist  aber  ab- 
gerissen, die  Denkmäler  auf  der  Nordseite  der  Kirche,  des  Johann  d.  A.  und  d.  J., 
Moritz,  Paul  und  vieler  anderer,  vor  allem  Heinrich  Ranzaus  selber,  sind  schmach- 
voll zerstört.     Nur  eine  Reihe  von  Abbildungen  gibt  uns  einen  Begriff  des 

Verlorenen.^)  t 

In  der  Kirche  zu  Bar  kau,  südlich  von  Kiel  gelegen,  ist  die  Kanzel  vom 
Jahre  1606  von  ähnlicher  Form,  der  Deckel  aber  durch  prächtige  tabernakel- 
artige Aufsätze  ungewöhnhch  reich  entwickelt.  Neben  der  Kanzel  ein  messingener 
Wandleuchter  mit  sehr  schön  stilisierten  Blumenranken.  Unter  der  Kanzel  ein 
Stuhlwerk  aus  etwas  früherer  Zeit,  um  1586  entstanden,  einfach  gegliedert  bei 
maßvoller  Profilierung,  auf  drei  Feldern  Flachreliefs  der  Kreuzigung,  Himmel- 
fahrt und  des  Jüngsten  Gerichts,  auf  den  übrigen  schlicht  behandelte  Wappen, 
von  Rollwerk  und  Ranken  umgeben.  Ein  tüchtig  gearbeitetes  Taufbecken  von 
Bronze,  1589  von  Melchior  Lukas  zu  Husum  gegossen,  sieht  man  in  der  Kirche 
zu  Nortorf.  Es  ruht  auf  drei  schlicht  behandelten  Heiligenfiguren  und  ist 
durch  konzentrische  Kreise  mit  Laubornamenten  geschmückt.  Der  Deckel  zeigt 
eine  besonders  charaktervolle  GUederung.  Ein  anderes  bedeutendes  Bronzewerk 
ist  die  große  Grabplatte  des  Ritters  Iven  Reventlow  vom  Jahre  1569  in  der  Kirche  zu 
Lebrade,  nördlich  von  Plön.  Es  stellt  den  Ritter  stehend  in  voller  Rüstung  dar, 
die  Partisane  in  der  Rechten,  die  Linke  am  Schwertgriff,  neben  ihm  seine  beiden 
Gemahlinnen  und  sein  Sohn  Gabriel.  In  den  Zwickelfeldern  des  Bogens,  der 
die  Gestalten  umrahmt,  sind  zwei  weibliche  Gestalten  mit  Lorbeerkränzen  und 
Palmzweigen  angebracht.  Das  ganze  Werk  ist  in  eingeschnittener  Zeichnung  durch- 
geführt, die  reichen  Ornamentstreifen  der  Rüstung  und  des  zu  Füßen  des  Ritters 
liegenden  Helms  und  der  Stahlhandschuh  durch  Niellen  lebendig  hervorgehoben.-) 
—"Eine  trefflich  behandelte  Kanzel  von  1591  sieht  man  in  der  Kirche  zu  Gikau, 
bei  Lütjenburg  am  Seientersee  gelegen.  Sie  gehört  zu  den  besten  ihrer  Art  und 
zeigt  eine  besonders  schön  gegliederte  Brüstung;  doppelte  korinthische  Säulchen 
auf  reich  geschmückten  Stylobaten  trennen  die  einzelnen  Felder  mit  biblischen 
Reliefszenen.  Besonders  elegant  ist  auch  der  Deckel  mit  seinen  fein  geschnitzten 
Friesen,  reich  verzierten  vorgekröpften  Ecken  und  den  ähnhch  behandelten  taber- 

1)  Abb.  bei  R.  Haupt,  Bau-  xmd  Kunstdenkmäler,  II,  S.  134,  Fig.  1407—10,  1415. 

2)  Abb.  bei  R.  Haupt,  Bau-  und  Kunstdenkm.  II,  S.  134. 


Kiel  Museum 


307 


nakelartigen  Aufsätzen.  Eine  fast  identische  Kanzel  besitzt  die  Kirche  in  dem 
an  der  anderen  Seite  des  Sees  gelegenen  S el ent.  Wie  kunstreich  und  schwung- 
voll damals  in  diesen  Gegenden  die  Holzarbeit  betrieben  wurde,  geht  am  klar- 
sten aus  dem  Umstände  hervor,  daß  selbst  die  kleinsten  dieser  Orte  in  ihren 
Kirchen  wenigstens  eine  schöne  Kanzel  besitzen.  Dem  Protestantismus  war  die 
Stätte  der  Predigt  selbstverständHch  im  Gotteshause  das  wichtigste  und  übertraf 
an  Bedeutung  sogar  noch  den  Altar.  Ein  reich  mit  Atlanten  und  Rehefszenen, 
sowie  mit  üppigem  Ornament  im  Metallstil  geschmücktes  Stuhlwerk  aus  dem 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts  ist,  freilich  nur  in  Überresten,  in  der  Kirche  zu 
Sarau  bei  Plön  zu  sehen. 

Ansehnlichere  Schätze  besitzt  Kiel,  das  zugleich  im  T hau! ow-Museum 
treffliche  Beispiele  der  alten  Holzschnitzerei  des  Landes  bewahrt.  Besonders  eine 
Anzahl  großer  Schränke  läßt  die  charakteristische  Behandlung  dieser  wichtigen 
Möbelgattung  erkennen.  Die  einfacheren  sind  auf  den  Ecken  mit  vortretenden 
Säulen  eingefaßt  und  in  den  Flächen  manchmal  nur  durch  eingerahmte  Felder 
belebt.  So  ein  meisterhaft  behandelter  Schrank  vom  Jahre  1604,  wo  die  Ein- 
fassung durch  elegante,  gegürtete  und  kannelierte  korinthische  Säulen  gebildet 
wird.  Die  abgeschrägte  Pilasterfläche  dahinter  ist  durch  ein  verschlungenes  Band- 
werk reich  belebt;  das  Schönste  aber  ist  der  mit  einer  herrhchen  Akanthusranke 
dekorierte  Fries,  der  unter  einem  korinthischen  Konsolengesims  das  Ganze  ab- 
schließt. Die  Ranke  beginnt  in  der  Mitte  mit  Engelfigürchen,  welche  ein  Kar- 
tuschenschild mit  der  Jahreszahl  halten.  Ein  anderer  einfacherer,  auf  hohen  ge- 
wundenen Füßen  ruhender  Schrank  ist  zweiteilig  und  durch  feine  ionische  Säulen 
aufs  edelste  gegliedert.  Den  unteren  Teil  bildet  eine  Schieblade,  deren  Ringe 
durch  prächtige  Löwenköpfe  gehalten  werden. 

Andere  Werke  sind  von  staunenswerter  Üppigkeit  der  Behandlung  und  legen 
Zeugnis  ab  von  der  hohen  Blüte  der  dortigen  Holzarbeit  und  zugleich  von  der 
großen  Mannigfaltigkeit,  welche  in  Gliederung,  Einteilung  und  plastischer  Dekora- 
tion dabei  waltet.  Auch  die  innere  Einteilung  ist  sehr  verschieden,  da  größere 
und  kleinere  Kasten  mit  Schiebladen  mannigfach  wechseln,  wie  denn  gewöhnlich 
der  Sockel  und  der  Fries  als  Schubfächer  dienen.  Am  stilgerechtesten  sind  ohne 
Frage  solche  Schränke,  die,  wie  der  im  III.  Bande  des  Kunsthandwerks ab- 
gebildete, ihre  einzelnen  Felder  nur  durch  ein  fein  gegliedertes  Rahmenwerk  ein- 
fassen, welches  dann  eine  Relief  darstell  ung  umschließt.  An  dem  genannten  Bei- 
spiel sieht  man  in  dem  Hauptfeld  eine  biblische  Darstellung.  Der  obere  Auf- 
satz ist  mit  Karyatiden  dekoriert,  der  Fries  durch  Ranken  von  sehr  eleganter 
Zeichnung  geschmückt.  Bei  anderen  Werken  tritt  die  Nachahmung  der  Stein- 
architektur stärker  hervor.  So  bei  einem  prachtvollen  zweiteihgen  Schrank,  der 
auf  den  Ecken  gegürtete  korinthische  Säulen  mit  reich  ornamentiertem  Schaft, 
in  der  Mitte  die  Figur  eines  Atlanten  zeigt.  Den  oberen  Aufsatz  schmücken  die 
drei  Kardinal  lügenden  als  Karyatiden,  von  denen  besonders  die  Caritas  lebendig 
komponiert  ist.  Den  oberen  Fries  dekorieren  trefflich  ausgeführte  Jagdszenen, 
darüber  zieht  sich  ein  reicher  Akanthusfries  hin.  Alle  übrigen  Teile  sind  aufs 
prächtigste  durch  Laubornament,  Fruchtschnüre,  Masken  und  Löwenköpfe,  letz- 
tere an  den  Untersätzen,  belebt.  Endlich  kommen  dazu  in  den  Hauptfeldern 
sechs  Reliefszenen  aus  dem  Alten  Testament.  Es  ist  überhaupt  bezeichnend  für 
den  religiösen  Sinn  der  Zeit,  daß  auch  bei  diesen  Möbeln  biblische  Themata  die 
Hauptrolle  spielen. 

Während  sämtHche  bisher  betrachtete  Werke  sich  durch  völliges  Fernbleiben 
von  Rollwerk  auszeichnen,  tritt  dieses  an  anderen  gleichzeitigen  Schöpfungen 

1)  Nach  einer  Zeichnung  von  Moldenschardt,  von  welchem  mir  mehrere  treif  liehe  weitere 
Aufnahmen  vorliegen. 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


mit  großer  Vorliebe  auf.  So  an  einem  prachtvollen,  vielfach  gegliederten  Schrank, 
der  in  drei  Abteilungen  übereinander  durch  männliche  und  weibliche  Hermen  in 
dem  üppigsten  Kartuschestil  der  Zeit  geteilt  wird.  Gleiche  Zierart  tritt  nicht 
minder  reich  in  dem  mittleren  und  dem  oberen  Fries  auf,  mit  Löwenköpfen, 
allerlei  Masken,  Fruehtgewinden  und  geflügelten  Engelköpfen  belebt.  Es  ist  eine 
durchaus  an  niederländische  Kunst  erinnernde  Behandlungsweise.  Dazu  kommen 
in  Nischen  die  drei  Kardinaltugenden  und  in  den  größeren  Hauptfeldern  fünf 
Szenen  aus  der  Passion.  Bei  allen  diesen  Werken  ist  es  bemerkenswert,  daß 
ausschließlich  die  Schnitzerei  ihr  künstlerisches  Gepräge  beherrscht,  während  wir 
in  Gottorp  fast  ebenso  ausschließUch  die  Intarsia  verwendet  fanden. 

Einiges  Erwähnenswerte  besitzt  die  Nikolaikirche.  So  eins  der  reich- 
sten Epitaphien  vom  Jahre  1603,  der  Familie  Claussen  gewidmet,  altarartig  auf- 
gebaut, mit  jenen  phantastischen  durchbrochenen  Bekrönungen,  die  nach  der  Sitte 
der  Zeit  sich  dann  zu  beiden  Seiten  als  beschwingte  Auswüchse  gestalten.  Das 
Werk  ist  in  allen  Teilen  mit  allen  Mitteln  des  Schweifstils  ausgestattet,  nament- 
lich mit  ornamentierten  weiblichen  Masken,  Löwenköpfen,  Engeln  u.  dgl.,  hängen- 
den Tüchern  und  Fruchtschnüren,  am  meisten  aber  mit  dem  Rollwerk,  das  die 
Grundlage  damaliger  Ornamentik  bildet.  Auf  dieser  Grundlage  spricht  sich  un- 
leugbar die  feste  Hand  eines  Meisters  in  dem  Ganzen  aus,  das  offenbar  von  der- 
selben Hand  stammt,  wie  das  Glaussensche  zu  Rendsburg.  EndHch  ist  der 
messingene  Kronleuchter  zu  erwähnen,  einer  der  größten  und  schönsten  dieser 
Art  (Abb.  182):  die  Arme  in  doppelter  Anordnung  mit  eleganten  Knäufen  und 
Ranken  geschmückt,  die  oberen  in  originelle  phantastische  Masken  auslaufend. 
Er  trägt  die  Jahreszahl  1661.  Auch  eine  Grabplatte  eines  Grafen  von  Ranzau 
an  der°nördlichen  Wand  ist  bemerkenswert  wegen  ihrer  schön  gravierten,  in  den 
Stein  eingelassenen  Bronzeteile:  Ranzauwappen  und  Umschrift,  die  wieder  durch 
kleinere  Wappen  unterbrochen  ist. 

Noch  allerlei  Gestühlteile  sind  vorhanden;  das  große  Gestühl  von  1600  und 
die  Emporen  sind  leider  weggerissen,  aber  der  schöne  Ranzaustuhl  unter  der 
Orgel  mit  Baldachin,  hoher,  geschnitzter  Vorderwand  und  ebensolcher  Wange 
(Ornament  und  Wappen  mit  Adam  und  Eva,  Isaaks  Opfer,  Kreuzigung,  Tugenden) 
ist  sehr  vorzüghch,  1543  datiert,  vielleicht  aber  doch  etwas  später;  gewiß  aber 
etwa  das  früheste  wirklich  vortreffliche  Renaissancewerk  des  Landes.') 

Das  Schloß,  einst  ein  höchst  stattHcher  Bau,  den  Herzog  Adolf  1580  neu 
errichtet,  —  ein  zweites  prächtiges  Haus  dabei  war  von  H.  Ranzau  aufgeführt  — 
ist  heute  ein  im  18.  Jahrhundert  wenig  erfreulich  zurechtgebautes  Konglomerat. 
Nur  eine  Reihe  Säle  im  ersten  Stock  mit  schönen  Netzgewölben  auf  toskanischen 
Säulen  und  eine  Bogenhalle  im  Hof  auf  11  Säulen,  sowie  das  schwerbarocke 
Portal  mit  Doppelsäulen  erzählen  noch  von  einstiger  künstlerischer  Gestaltung. 

Von  Privathäusern  sind  eine  Reihe  von  Fachwerkhäusern  mit  profilierten 
Überkragungen  auf  geschnitzten  Kopfbändern  oder  Konsolen,  auch  mit  Halb- 
muscheln oder  Fächern  und  figürlicher  Bildhauerarbeit  vorhanden,  so  am  Nikolai- 
kirchhofe, in  der  Haßstraße  von  1576,  Faulstraße,  Dänischen,  Schloßstraße  usw. 
Auch  noch  einige  Portale  sieht  man,  so  in  der  Holstenstraße  Nr.  31,  nach 
Lübecker  Art;  ein  anderes  in  Terrakotta,  von  Pilastern  und  Friesen  mit  Ornament 
eingefaßt,  früh. 

Eine  originelle  Kanzel  findet  sich  in  der  Kirche  zu  Büchen,  einem  charak- 
tervollen Gewölbebau  der  romanischen  Übergangszeit  mit  sehr  beachtenswerten 
gleichzeitigen  Gewölbmalereien.  Die  Kanzel,  deren  Brüstung  durch  Hermen  mit 
geschweifter  Volutenform  gegliedert  wird,  zeigt  einen  interessanten  Versuch,  den 


1)  Abb.  b.  R.  Haupt,  a.  a.  0.  I,  S.  554. 


Blichen  Mölln 


309 


Schalldeckel  in  architektonische  Verbindung  mit  der  Kanzel  zu  setzen.  Feine 
korinthische  Säulen,  kanneliert  und  gegürtet,  erheben  sich  auf  der  Brüstung  und 
tragen  den  hübsch  kassettierten  Baldachin,  über  dem  als  Abschluß  über  einer 
teilweise  zerstörten  ornamentalen  Bekrönung  ein  kleinerer  Baldachin  mit  Heihgen- 


Abb.  182   Kronleuchter  in  der  Nikolaikirche  zu  Kiel 


figuren  emporsteigt. i)  In  der  Kirche  zu  Mölln  ist  ein  wirkungsvoll  geschnitzter 
Ratstuhl  von  mäßig  barocker  Form,  datiert  1603,  sowie  der  Bürgermeister- 
stuhl von  1613  mit  Baldachin  und  Hermenbrüstung  bemerkenswert.  Noch  im 
Charakter  der  Frührenaissance  der  originelle  Stecknitzfahrer-Stuhl,  vom  Jahre 
1576,  der  mitten  unter  dem  anderen  Gestühl  stehend  sich  stattlich  daraus  her- 


1)  R.  Haupt,  Bau-  u.  Kunstdenkm.  im  Kr.  Lauenburg  Abb.  24. 


310      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

vorhebt.^)  In  der  Kirche  zu  Lauenburg  ist  das  Orgelgehäuse  ein  kraftvoll  be- 
handeltes Werk  aus  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  und  von  prächtiger 
Wirkung.  Noch  wichtiger  die  Überreste  des  ursprünglich  den  ganzen  Chor  der 
Kirche  einnehmenden  Herzogsdenkmals,  das  schmachvollerweise  vor  etwa  achtzig 


Abb.  183   Herzogsdenkmal  in  der  Stadtkirche  zu  Lauenburg 


Jahren  zerstört  wurde.  Wir  geben  das  Denkmal  nach  einer  alten  Handzeich- 
nung im  einstigen  Zustande  (Abb.  183).  Jetzt  sind  nur  noch  die  lebensgroßen 
Figuren  des  Herzogs  und  der  Herzogin,  im  Gebet  kniend,  ethche  Hermen,  die 
vier  Evangelisten,  außerdem  Statuen  von  Rittern  und  Kaisern  als  disjecta  membra 
vorhanden.  Die  Behandlung  dieser  in  Sandstein  ausgeführten  Figuren  voll  freier 
edler  Bewegung  und  gediegener  Durchbildung  der  Köpfe  und  Hände  zeugt  von 
großer  Meisterschaft,  aber  wahrscheinUch  von  fremden  Künstlern.  Das  groß- 
artige Grabdenkmal  war  von  Franz  II.  von  Sachsen-Lauenburg  1590  bis  1600 
errichtet.  Unter  dem  Ghorbogen  ein  steinerner  Lettner  mit  vieler  Bildhauerarbeit, 

1)  Abgeb.  in  R.  Haupt,  Bau-  u.  Kunstdenkm.  im  Kr.  Lauenburg,  Eatzeburg.  1890.  S.  121 
bis  123,  Abb.  100—102. 


Lauenburg  Lüneburg 


311 


mit  Hermen  eingeteilt,  mit  drei  Gittertoren  sich  öffnend,  vor  der  Mitte  die  Kanzel ; 
im  Chor  der  Altar,  ein  Prachtwerk  zwischen  Durch gangstüren.  An  der  Südwand 
des  Chors  ein  steinerner  Stammbaum  mit  64  Wappen,  bis  ans  Gewölbe.  Vor 
ihm  fünf  Statuen  von  Kaisern  und  Fürsten.  Gegenüber  Franz'  II.  Denkmal,  ganz 
ähnlich  dem  Lütjenburger  Reventlowdenkmal ;  sarkophagähnlicher  Unterbau,  sehr 
reich  mit  Reliefs,  dazwischen  Figurennischen.  Oben  kniend  die  beiden  Statuen 
zu  Seiten  eines  Kruzifixes.  An  den  vier  Ecken  des  Stufenunterbaus  vier  Statuen 
von  Tugenden.')  Rechts  und  links  vom  Altar  reiches  Gestühl;  Rüstung  und 
Fahne.  Der  Taufstein  mit  Deckel  vollendete  die  reiche  Ausstattung  des  auch 
schön  bemalten  und  vergoldeten  Mausoleums.  —  In  der  Kirche  zu  Eutin  ist  die 
Kanzel,  sowie  ein  Epitaph  bemerkenswert. 

Diese  Angaben  genügen,  um  den  eigentümlichen  Kunstbesitz  Schleswig- 
Holsteins  ins  Licht  zu  setzen.  Es  liegt  aber  für  die  Empfindung  eine  eigentümliche 
Übereinstimmung  in  der  Lage  des  Landes,  sozusagen  im  Winkel,  in  seiner  Ge- 
schichte, in  der  Art  seiner  in  sich  zurückgezogenen  Bewohner  und  in  seiner  Kunst. 

Die  flachen  Gegenden  der  Marschen  wie  des  öderen  Geestlandes,  die  nied- 
rigen Bauwerke  mit  großen  Dächern,  die  stattlichen  Ziegelkirchen,  die  sich  doch 
vor  dem  Winde  unter  kolossalen  Dächern  an  die  Erde  zu  drücken  scheinen,  alles 
drängt  den  Menschen  nach  der  Seite  eines  gesteigerten  Innendaseins  auch  in 
Hinsicht  auf  seine  Baulichkeiten. 

Lüneburg 

Lüneburg  ist  fast  ein  Lübeck  im  kleineren  Maßstabe;  zugleich  bezeichnet 
die  Stadt  die  südliche  Grenze  des  niederdeutschen  Backsteinbaus.  Schon  in  Gelle 
hat  dieser  aufgehört  und  dem  mitteldeutschen  Fachwerkbau  der  Harzgegenden 
Platz  gemacht.  Im  Mittelalter  und  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
beherrscht  der  derbe  niederdeutsche  Backsteinbau  hier  die  ganze  Profanarchitektur. 
Die  Bürgerhäuser  stehen  in  der  Regel  mit  den  einfachen  Stafi'elgiebeln  nach  der 
Straße  zu.  Der  Erker  kommt  hier  so  selten  vor,  wie  in  Lübeck  oder  Danzig, 
nur  ein  paarmal  finden  sich  ganz  bedeutungslose  Fachwerkerker  aus  später  Zeit 
dem  Erdgeschoß  und  ersten  Stock  vorgesetzt:  ein  von  den  hannoverschen  Städten 
ausgehender  Einfluß.  Mit  dem  16.  Jahrhundert  bürgert  sich  die  Renaissance  ein, 
doch  in  etwas  anderer  Art  als  zu  Lübeck.^)  Wie  dort  nämUch  werden  zwar  die 
Fensternischen  und  Lisenen  durch  jene  schräg  gerippten  Rundstäbe  gegliedert 
oder  eingefaßt,  ebenso  die  Friese  und  die  Medaillons,  welche  die  Stockwerke 
trennen,  damit  eingerahmt.  Die  Friese  waren  vielleicht  als  mit  Terrakottareliefs 
geschmückt  gedacht,  die  indes  in  den  meisten  Fällen  nicht  ausgeführt  sind.  Da- 
gegen trifft  man  häufig  farbig  glasierte  Tonplatten  mit  den  Medaillons  zeitgenös- 
sischer Bildnisse,  Wappen  u.  dgl.  Denkt  man  sich  die  Fassaden  in  dieser  Weise 
geziert,  so  müssen  sie,  die  jetzt  durch  den  dunklen  Ton  des  Backsteins  etwas 
Düsteres  haben,  von  prächtiger  Wirkung  gewesen  sein.  Das  Hauptbeispiel  dieser 
Art  ist  der  große  Giebel,  der  die  lange  Perspektive  des  Hauptplatzes  Am  Sand 
dominierend  abschheßt,  bezeichnet  1548.  Die  einfassenden  Rundstäbe  mit  ihrem 
schrägen  Rippenwerk  machen  geradezu  den  Eindruck  von  Laubkränzen,  welche 
die  Bilder  umrahmen.  Die  dekorierenden  Medaillonköpfe,  Wappen  imd  figürlichen 
Darstellungen,  Knaben  auf  Delphinen,  Simson  mit  dem  Löwen,  mit  den  Toren 
von  Gaza  u.  dgl.  sind  lebensvoll  behandelt.^)  Auch  dem  kleinen  danebenstehenden 

1)  Daselbst,  S.  92,  Abb.  72,  Nachtrag,  Tafel  VI,  VII. 

2)  Einige  Abbildungen  in  den  Publ.  des  Lüneb.  Altert.-Ver.  Dazu  Ortweins  D.  Renaiss. 
Abt.  40  von  G.  Heuser. 

3)  Taf.  2  bei  Heuser  (Ortwein,  D.  Eenaiss.  Abt.  40).  A.  Haupt,  Backsteinbauten  d.  Ren.  in 
Norddeutschi.  Taf.  II — IV,  wo  die  wichtigsten  Typen  dieser  Entwicklung  dargestellt  sind.  Noch 
ausführlicher  in  Kunstdenkm.  der  Prov.  Hannover,  Fig.  129, 130,  137 — 139,  145,  148,  152—155. 


312      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Ivüstengehiete 


Abb.  184  Haus  an  der  Lünertorstraße  zu  Lüneburg 


Giebel  hat  man  denselben  Schmuck  gegeben.  Von  besonderer  Wucht  und  male- 
rischer Kraft  der  wundervolle  Giebel  in  der  Lünertorstraße  (Abb.  184).  Ein  anderes 
noch  etwas  früheres  Beispiel  vom  Jahre  1543  bietet  die  Fassade  An  der  Münze 
Nr.  9.  Die  farbig  leuchtenden  Reliefmedaillons  mit  den  zeitgenössischen  Porträt- 
köpfen sind  derb  und  lebendig  ausgeführt. 

Etwas  später  tritt  eine  Veränderung  im  Stil  jener  Terrakotten  auf.  Statt 
des  farbig  geschmückten  Flachreliefs  stellen  sich  im  kräftigsten  Hochrelief  weit 
vorspringende  Köpfe  ein,  die  nun  keine  Glasur  mehr  erhalten.  Der  malerische 
Stil  macht  einem  plastischen  Platz.    Ein  charakteristisches  Beispiel  dieser  Art 


Lüneburg 


313 


Abb.  185   Haus  "Witzendorff  zu  Lüneburg 


gewährt  das  Haus  Witzendorff  von  1559  in  der  Bardowiker  Straße  Nr.  30  (Abb.  185), 
mit  sehr  gut  behandelten  Relief  köpfen  ^)  und  vom  Jahre  1560  das  Haus  am  Markte 
Nr.  1,  wo  diese  Köpfe  und  die  Wappen  in  Sandstein  eingesetzt  sind.  In  der  Mitte 
ein  hübsches  Barockschild,  von  Engeln  gehalten.  Um  diese  Zeit  dringt  also  der 
Hausteinbau  ein  und  findet  namentlich  an  einzelnen  Prachtportalen,  offenbar  nach 


1)  Abb.  bei  Heuser,  Taf.  3. 


314      2.  Buch   Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


dem  Vorgange  von  Lübeck,  seine  Verwendung.  So  an  dem  Hause  Neue  Sülze 
Nr.  27.  Ein  anderes  in  der  Großen  Bäckerstraße  Nr.  30,  mit  korinthischen,  am 
untern  Teil  mit  Metallornamenten  bedeckten  Säulen  eingefaßt.  Das  Prachtstück 
aber  in  derselben  Straße  Nr.  9  ist  die  Ratsapotheke;  hier  hat  das  Portal  seithch 
Hermen,  die  medizinische  Gefäße  halten  und  an  den  Schäften  reich  dekoriert 
sind  (Abb.  186);  darüber  ist  ein  Bogen  mit  Masken  und  Festons,  in  den  Zwickeln 
zwei  sitzende  weibliche  Figuren.  Das  Portal  ist,  nach  Lübecker  Vorbild,  von  un- 
gewöhnlicher Höhe. 

Ein  besonders  merkwürdiger  Rest  einer  Terrakottenarchiiektur  im  Stil  der 
Wismarer  und  Gadebuscher  Arbeiten  ist  übrigens  auch  hier  vorhanden,  in  der 
Straße  Neue  Sülze:  der  obere  Teil  eines  feinen  Portals  im  Stichbogen  zwischen 
Ornamentpilastern,  mit  halbrundem  Aufsatz,  darin  ein  glasiertes  Reliefporträt 
Karls  V.,  alles  mit  geradezu  ausgezeichneten  Ornamenten  der  Frührenaissance 
bideckt;  ein  Vorläufer  jener  Arbeiten.  An  der  Hausfront  noch  Spuren  einer  schön 
ornamentierten  Pilasterordnung.')    (Abb.  187.) 

In  charaktervoller  Weise  haben  die  verschiedenen  Kunstepochen  sich  am 

Rathause  ausge- 
sprochen. Es  ist  gleich 
dem  von  Lübeck  ein 
Zusammenbau  aus 
mehreren  Perioden, 
und  dann  immer  noch 
durch  neue  Ansätze 
vergrößert.  Im  wesent- 
lichen ein  schöner 
Backsteinbau  mit  Gie- 
beln, Taustäben,  Gla- 
suren, langgestreckt 
mit  mehreren  Quer- 
flügeln aus  verschie- 
denen Zeiten  des  Mit- 
telalters stammend,  ist 
es  äußerlich  ohne  groß- 
artigere Gesamtwir- 
kung, die  Hauptfront 
am  Markt  vor  allem, 
weil  sie  mit  ihren  Bo- 
genhallen und  den  mit 
Figurennischen  ge- 
schmückten Pfeilern 
infolge  starker  Bau- 
fälHgkeit  später  mehr- 
fach zurech  tgebaut 
und  zuletzt  überputzt 
ist.  Einst  war  hier  eine 
prächtige  achttürmige 
Backsteinarchitektur 
auf  der  Grenze  zwi- 
schen Gotik  und  Re- 


Abb.  186   Portal  der  Eatsapotheke  zu  Lüneburg 


1)  Abgeb.  b.  A.  Haupt, 
Backsteiiibauten  etc.,Taf. 
XXI. 


Lüneburg  Rathaus 


315 


naissance.  Man  liest:  Exstructum  1520,  renovatum  1763.  Von  höchstem  Interesse 
aber  ist  das  Innere,  das  in  verschiedenen  Epochen  eine  zum  Teil  prachtvolle 
Ausstattung  erhalten  hat.  Noch  gotisch  ist  die  Anlage  der  mit  hölzernem  Tonnen- 
gewölbe überdeckten  Ratslaube,  des  alten  Ratsaals,  der  durch  seine  Glasgemälde, 
seine  schönen  Bodenfliesen,  darin  vor  den  Sitzen  der  Ratsherren  noch  die  Öff- 
nungen der  Luftheizungsröhren  mit  ihren  Metallverschlüssen,  mit  einer  herr- 
lichen Decken-  und  Wandmalerei  und  der  völlig  erhaltenen  Wandvertäfelung,  mit 
ihren  Schranken  und  dem  Ratstuhl  einen  unvergleichlich  harmonischen  Eindruck 
macht  (Abb.  188);  dieser  gehört  der  Renaissance  an,  die  Stühle  sind  mit  ihren  ein- 
gelegten Holzmosaiken  1594  ausgeführt.  Die  Gemälde  der  Decke,  die  ganze  Aus- 
stattung mit  Ausnahme  der  Deckenrippen,  der  schönen  Wandtäfelung  und  Schränke, 
der  Fenster  und  des  Fußbodens  sind  in  ihrer  Art  das  beste  und  umfänglichste 
Werk  der  frühen  Renaissance  in  Deutschland;  zugleich  in  der  Wirkung  wohl  das 
feinste;  im  ganzen  auch  das  besterhaltene.  Die  durch  gotische  Leisten  in  fünf 
Felder  quergeteilte  Decke  hat  in  der  Mitte  fünf  Runde  mit  Wappen,  nach  beiden 
Seiten  sind  Bogenarchitekturen  mit  Pilastern  darum  gemalt,  historische  Szenen 
enthaltend.  An  der  geschlossenen  Längswand  erscheinen  dann  zwischen  Kamin 
und  Fensterwand  fünf  Felder  mit  je  zwei  männlichen  Gestalten,  auf  den  Rahmen 
dazwischen  aufsteigende  Ornamente ;  zwischen  Kamin  und  der  Eingangsseite  eine 
reizvolle  Kande- 
laber- und  Bogen- 
architektur  mit  ei- 
nem turnierenden 
Ritter  darin,  das 
beste  Stück  der  De- 
koration. Der  Stil 
der  Bilder  weist  auf 

Süddeutschland 
hin  und  ruft  die  Er- 
innerung an  Hans 
Schäufelein  wach. 
Sie  sind  mit  Tem- 
perafarbe gemalt. 
Der  Rest  der  Flä- 
chen ist  mit  frü- 
hen Ornamenten  be- 
deckt ;  fast  alles 
steht  auf  gelb- 
lichem Grunde.  Der 
Eindruck  des  Rau- 
mes ist  unver- 
gleichlich.^) 

Am  Eingang 
des  Saales  bilden 
zwei  ungleiche 
Flachbögen  auf 
kräftigerRundsäule 
eine  Art  Vorhalle. 


mm 


1)  Kunstdenkm. 
der  Provinz  Hannover 
III,  Hannover  1906, 
Fig.  62,  67. 


Abb.  187   Haus  an  der  Neuen  Sülze  zu  Lüncburs 


316      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

Im  Flur  ist  ein  prachtvolles  Eisengitter  von  Hans  Rüge  1576  ausgeführt,  ohne 
alles  phantastische  Element,  nur  mit  schön  stilisierten  Blumen  geschmückt,  i) 
Das  Vorzimmer  der  Ratstube  rechts  vom  Eingange  im  Erdgeschoß  zeigt  eine  gute 
Holztäfelung  vom  Jahre  1604.  Neuerdings  hat  man  darunter  an  der  Wand  reiz- 
volle Malereien  gefunden,  grau  in  grau  gemalte  trefifhche  Ornamente  auf  rotem 
Grunde,  mit  figürlichen  Darstellungen  untermischt;  der  Maler  hat  sie  mit  der 
Jahreszahl  1567  bezeichnet;  er  selbst  ist  inzwischen  ermittelt  und  Peter  up 
dem  Borne;  er  „vermalte"  in  diesem  Jahre  das  Vorgemach  „daer  de  huesdiener 
Sitten".  Offenbar  ist  es  dieselbe  Hand,  die  nach  1570  das  Innere  des  Rathauses 
zu  Krempe  in  Holstein  in  ganz  ähnlicher  Weise  ausmalte. 


Abb.  ISS    K;itslaul)e  zu  Lüneburg 


Den  Stolz  des  Rathauses  bildet  aber  die  Ratstube,  1566 — 78  durch  Gerd 
Suttmeier  und  Albert  von  Soest  mit  einer  künstlerischen  Ausstattung  versehen,  die 
an  Reichtum  des  Einzelnen  alles  überbietet,  was  deutsche  Schnitzkunst  hervor- 
gebracht. Man  liest  daran:  Albertus  Suzatiensis  fecit.  Zunächst  sind  die  Schranken 
mit  den  Sitzen  für  die  Ratsherren  an  den  Wangen  aufs  reichste  mit  zierlich  aus- 
geführten Reliefs  der  biblischen  Geschichte  dekoriert  (Abb.  189).  Man  sieht  das 
Urteil  Salomonis,  das  Jüngste  Gericht,  Moses  das  Volk  strafend,  dazu  die  Statuetten 
von  Moses,  Aron  und  Josua,  alles  in  kleinstem  Maßstabe  mit  hoher  technischer 
Meisterschaft  durchgeführt.  Einfacher  ist  die  Bekleidung  der  Wände,  sowie  die 
kassettierte  Decke  mit  ihren  vergoldeten  Rosetten.  Der  Künstler  hat  sich  die 
Hauptwirkung  für  die  architektonisch  hervorragenden  Teile  aufgespart.  Schon  die 
Friese  mit  den  herrlichen  kleinen  Köpfchen,  die  aus  den  Ranken  hervorragen,  ge- 

1)  Daselbst,  Fig.  81. 


Lüneburg   Rathaus  317 


hören  zum  Köstlichsten  ihrer  Art.  Alles 
dies  hat  Suttmeier  hergestellt,  nur  an 
den  Wangen  des  Ratsstuhles  hat  Albert 
mitgearbeitet.  Aber  die  größte  Pracht 
entfaltet  sich  an  den  vier  Türen  des 
Albert  von  Soest,  die  er  nach  des  älteren 
Meisters  Tode  (f  1568)  allein  herstellte. 
Die  beiden  ersten  einfacheren  in  den 
Ecken  sind  mit  weiblichen,  zum  Teil 
wundervollen  Gestalten  eingefaßt  und 
mit  figurenreichen  Reliefszenen  bekrönt 
(Abb.  190).  Eine  dritte  Tür  hat  eben- 
falls Karyatiden  und  im  Aufsatz  das 
figurenreiche  Relief  des  Jüngsten  Ge- 
richts. Die  Karyatiden  stecken  mitten 
in  einer  Art  Korb,  aus  dem  ihre  Füße 
wieder  hervortreten  (Abb.  191).  Alles 
wird  aber  überboten  durch  die  Eingangs- 
tür, vor  die  als  Stützen  des  Gebälks  völlig 
durchbrochen  gearbeitete  Säulen  treten 
(Abb.  192),  in  unglaublichem  Reichtum 
mit  Voluten,  Masken  und  Hermen  sich 
aufbauend,  in  der  Mitte  Nischen  mit 
Kriegerstatuetten  enthaltend.  Diese  sind 
eingerahmt  von  Pfeilern,  die  wiederum 
auf  Postamenten  mit  spielenden  Putten 
kleinere  Statuetten  der  Tugenden  zeigen 
unter  von  Genien  gehaltenen  Baldachinen. 
Darüber  türmt  sich  nach  Art  mittelalter- 
licher Bekrönungen  und  mit  reichlicher 
Anwendung  von  durchbrochenen  goti- 
schen Fenstern,  Strebepfeilern  und  Fialen 
ein  Oberbau  auf,  der  mit  den  winzigsten 
Figürchen  und  allen  erdenklichen  Ele- 
menten der  Renaissanceornamentik  aus- 
gestattet ist.  Das  Ganze  bietet  den  Ein- 
druck höchster  Üppigkeit,  von  jener  be- 
wundernswürdigen Phantastik,  die  aucli 
am  Sebaldusgrabe  Peter  Vischers  waltet, 
freilich  ist  alles  hier  überladener  und  von 
einem  minder  reinen  Formgefühl  be- 
herrscht, jedenfalls  aber  in  staunens- 
werter Technik  mit  miniaturartiger  Fein- 
heit durchgebildet.  Dazu  kommen  über 
den  zwei  großen  Portalen  prachtvolles 
Gebälk  mit  Ornamentfries  und  Konsolen- 
gesims, darüber  gleich  üppig  geschnitzte 
Aufsätze.  Der  über  der  Eingangstür  hat 
in  der  Mitte  zwischen  Hermen  die  Frei- 
gabe einer  karthagischen  Jungfrau,  links 
und  rechts  niedriger  der  Ritter  Gurtius, 
rechts  der  Tod  des  Regulus.  Der  Mittel- 


318      2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


teil  hat  über  dorischem 
Gebälk  einen  Giebel  mit 
Ornamenten,  reichlich 
mit  Wappen  gekrönt ; 
links  und  rechts  vom 
unteren  Teil  sind  ge- 
schnörkelte  Zwickel  und 
freistehende  Posaunen- 
engel. Das  Ganze  von 
überwältigender  Pracht, 
zu  der  freilich  der  ein- 
fache Türflügel  Gerd 
Suttmeiers  in  einigem 
Kontrast  steht.  —  Der 
Stil  der  Schnitzereien 
deutet  aber  unverkenn- 
bar daraufhin,  insbeson- 
dere die  Bildung  jener 
wunderbaren  Säulen  und 
der  gegenüberstehenden 
Karyatiden  im  Korb,  daß 
Albert  von  Soest  in 
Frankreich  gewesen  sein 
muß  und  dort  einen 
Teil  seiner  Schulung 
empfing. 

Die  Ratstube  schmück- 
te als  dritter  Daniel  Frese 
mit  einer  Reihe  deko- 
rativer allegorischer  Ge- 
mälde, die  den  Eindruck 
des  Ganzen  erst  vervoll- 
ständigen. 

Noch  ist  der  mächtige 
Fürstensaal  zu  nen- 
nen; an  den  Wänden  über 
der  schönen  gotischenTä- 
felung  sind  gemalte  Bild- 
nisse von  Fürsten  und 
Fürstinnen  im  Charakter 
des  15.  Jahrhunderts; 
auch  an  der  Balkendecke 
Gemälde,  Brustbilder  der 
Kaiser  und  Könige  in 
Medaillons  und  Orna- 
mente aus  der  Spätzeit 
der  Renaissance.  Die 
Decke  ist  um  1607  von 
Daniel  Frese  gemalt 
(Abb.  193).  Fünf  mittel- 
alterliche Kronleuchter 
mit  figürlichem  Schmuck 


und  ein  sechster  in  streng 
gotischem  Stil  beleuchten 
den  Saal. 

Von  den  anderen  Räu- 
men bewahren  noch  meh- 
rere ihre  gute  alte  Re- 
naissanceausstattung ;  zu- 
erst die  Bürgermeister- 
kammer hinter  der  Rat- 
stube ihre  hübsche  Täfe- 
lung mit  ionischen  Pila- 
stern  und  vertäfelte  Bal- 
kendecke ;  die  große  Kom- 
missionsstube besitzt  eine 
Täfelung  mit  Hermen- 
gliederung und  Bänken 
davor ;  zwischen  den  Her- 
men Bogenfüllungen  mit 
korinthischen  Pilastern ; 
alles  reich  geziert,  auch 
die  Flächen  vielfach  ein- 
gelegt. Darüber  bis  zur 
Decke  Täfelung  mit  io- 
nischen Pilastern ;  die 
reiche  Tür  mit  Aufsatz 
hat  vortretende  Säulen, 
Rollwerkfries,  Aufsatz 
und  Intarsien,  die  Decke 
verkleidete  Balken.  Das 
Zimmer  ist  von  dem  Lü- 
neburger Warnecke  Bur- 
mester  1584  fertiggestellt. 
—  Ähnlich  mit  ionischer 
Pilastertäfelung  und  Holz- 
decke das  Standesamt. 
Die  Sülfmeister-Körkam- 
mer  hat  stattlichen  Stein- 
kamin auf  Figurenhermen 
und  zweifachem  Schnör- 
kelaufsatz ;  die  Balken- 
decke ist  mit  zierlicher 
Ornamentik  bemalt. 

Zu  den  größten  Schät- 
zen gehörte  sodann  die 
Silberkammer  des  Rat- 
hauses, eine  vielleicht 
unvergleichliche  Samm- 
lung von  Prachtgeräten 
aus  den  verschiedenen 
Epochen  der  Gotik  und 
der  Renaissance,  jetzt  im 
Kunstgewerbemuseum  zu 


Lüneburg   Rathaus  319 


Abb.  liU    Tür  vom  llatsaal  zu  Lüneburg 


320      2.  Buch    Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Berlin.')  Für  unsere  Betrachtung  sind  von 
besonderer  Bedeutung  die  herrlichen  Pokale, 
welche  die  ganze  Mannigfaltigkeit  der  Re- 
naissance im  Aufbau,  den  dekorativen  For- 
men und  dem  figürlichen  Schmuck  verraten 
(Bd.  I,  Abb.  48).  Der  Münzpokal  vom  Jahre 
1536,  der  eine  Elle  hohe  vergoldete  Pokal 
von  1538,  ein  anderer  von  1562,  wieder  ein 
anderer,  über  0,60  Meter  hoch,  von  1560,  ein 
kleinerer  von  1586  und  ein  ganz  großer  von 
1600  mögen  hier  als  die  wichtigsten  kurz 
erwähnt  werden.  Zu  den  edelsten  Werken 
zählen  aber  die  beiden  silbernen  Schüsseln 
mit  dem  Stadtwappen,  in  der  Mitte  und  am 
Rande  mit  Laubfriesen  und  kleinen  Porträt- 
medaillons geschmückt,  endlich  die  große 
Waschschüssel  von  0,60  Meter  im  Durch- 
messer vom  Jahre  1536. 

Einiges  ist  noch  aus  der  Johannis- 
kirche nachzutragen.  Besonders  frisch  das 
bemalte  Steinepitaph  eines  Ludolf  v.  Dassel 
(f  1537),  mit  reichem,  gut  behandeltem 
Pflanzenornament,  das  Ganze  in  den  Formen 
bezeichnend  für  das  erste  Auftreten  der  Re- 
naissance in  diesen  Gegenden.  Von  1575  das 
Denkmal  des  Fabian  Ludich  (f  1571)  von 
Albert  von  Soest,  Kreuzigungsrelief  in  reich 
ornamentiertem  Bogen,  darüber  flacher  Giebel. 
Um  zwei  Kirchenpfeiler  gebogen  die  präch- 
tigen großen  Denkmäler  des  Hartwig  (f  1539) 
und  Nikolaus  Stöterogge  (f  1561);  große  Re- 
liefs in  architektonischen  Rahmen.^)  Von  ele- 
gant ausgebildeter  Renaissance  ist  die  Täfe- 
lung hinter  den  Ghorstühlen,  deren  Laub- 
friese mit  den  Relief  köpfchen  an  die  Arbeiten 
im  Rathaus  erinnern,  wenn  sie  auch  nicht 
von  derselben  Vollendung  sind.  Doch  erscheint 
die  Arbeit  voll  Geist;  nur  die  Karyatiden  und 
Atlanten  zeigen  den  Stil  der  späten  Zeit.  Die 
Täfelung  ist  1593  von  Warneclx  Burmester 
ausgeführt.  Auch  die  Brüstung  einer  Empore 
ist  in  ähnlichem  Schnitzwerk  um  dieselbe 
Zeit  hergestellt. 

Zahlreiche  Fachwerkbauten  in  der  Stadt 
weisen  auf  die  Nähe  der  niedersächsischen 
Berge  hin;  es  sind  vorwiegend  vorgekragte 
Obergeschosse  oder  Giebel  über  massivem 
Erdgeschoß;  auf  geschnitzten  Konsolen  über 
eigentümlich  tief  geschnitzten  Füllhölzern 
die  langen  verzierten  Schwellen,  unter  den 

1)  Abb.  bei  Heuser,  Taf.  11  —  20. 

2)  Abb.  in  Kunstdenkm.  a.  a.  0.  S.  106,  108,  109. 


Lüneburg 


321 


Fenstern  die  Halbkreise,  Fächer  oder  Ornamentdreiecke  Niedersachsens  in  präch- 
tigster Schnitzerei.  Die  Flächen  sonst  einfach;  die  Fächer  mit  Mustern  aus- 
gemauert, Türen,  auch  wohl  Fenster  in  mannigfachen  Bogen  und  Vorhanglinien. 
In  Einzelheit  und  Behandlung  herrscht  eine  örthch-eigenartige  Behandlung,  i) 

An  Holzdecken,  auch  Stuckdecken,  Kaminen  und  ähnlichem  sind  die  alten 
Patrizierhäuser  der  Stadt  noch  immer  nicht  arm,  trotz  starker  Abwanderung. 


Abb.  Iü:-)   Fürstcnsaal  im  liatiiaiis  zu  Lüneburg 


Ein  Fremdling,  wohl  niederländischer  Herkunft,  steht  das  Eckhaus  Lüner- 
straße  21  (jetzt  Hauptsleueramt)  hier  ganz  wunderUch  und  allein.  An  der  Haupt- 
front hat  das  dreigeschossige  Haus  zwei  Säulenordnungen  übereinander,  die  untere 
dorische  mit  Rustikabändern  faßt  zwei  Fensterreihen,  die  ionische  eine  viel  höhere 
zwischen  sich;  die  längere  Seite  hat  nur  Pilaster.  Diese  Sandsteinarchitektur 
ist  ganz  eigentümlich  behandelt;  die  unteren  Säulen  stehen  auf  hohen,  stark  ver- 
zierten Sockeln,  der  Architrav  des  Hauptgesimses  ruht  auf  Konsolen  zwischen 
den  Säulen.  Die  Fenster  haben  ihre  Architektur  verloren.  Trotzdem  bleibt  ein 
eigenartig  starker  Eindruck  des  von  Peter  Böige  vor  1584  erbauten  Hauses. 
Alles  Steinwerk  dazu  ließ  er  in  Hamburg  „fertigen  und  hawen  und  hir  anbringen". 
Vielleicht  kam  es  aber  nur  über  Hamburg.") 

Noch  ist  der  Springbrunnen  auf  dem  Markt  vor  dem  Rathaus,  ein 
Metallbecken  mit  kleinen  figürlichen  Darstellungen,  hier  zu  nennen  als  ein  Werk 
der  Frührenaissance.  Nur  das  untere  gußeiserne  Becken  verdankt  man  moderner 
Herstellung.    Auf  der  Säule  eine  winzig  kleine  etwas  droUige  Diana  mit  Bogen 


1)  Näheres  in:  Kimstdenkmäler  der  Prov.  Hannover,  Stadt  Lüneburg,  S.  379  ff.,  wo  eine 
Fülle  schöner  Abbildungen  dies  erläutert. 
'■^)  Abb.  das.  Fig.  151. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland   II   3.  Aufl.  21 


322      2.  Bach    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


und  Pfeil  in  einer  an  Dürer  erinnernden,  stark  gespreizten  Stellung 
zahl  1530  hat  nichts  Unwahrscheinliches. 

Von  Hamburg  hat  der  verheerende  Brand  des 


Die  Jahres- 


Jahres  1842  nicht  viel 
Altertümliches  übrig- 
gelassen, so  malerisch 
auch  die  inneren  Teile 
der  Stadt  mit  ihren 
an  Holland  erinnern- 
den hochgiebligen 
Häusern  sind.i)  Als 
eines  der  wenigen  bis 
vor  kurzem  noch  vor- 
handenenBeispiele  des 
energisch  ausgebilde- 
ten Profanbaues  der 
Renaissance  geben  wir 
unter  Abb.  194  ein 
Giebelhaus  der  Gr. 
Reichenstraße,  eine  je- 
ner Fassaden,  die  in 
ihren  Flächen,  wie  in 
sämtlichen  Gliederun- 
gen an  Fenstern  und 
Portalen,  Gesimsen 
und  Pilasterstellungen 
aus  Sandsteinen  be- 
stand. Die  niedrigen 
Verhältnisse  derStock- 
werke  gaben  den  Pi- 
lasterstellungen etwas 
Verkrüppeltes,  aber 
die  derben  Formen,  die 
klare  Einteilung  und 
Gliederung  und  die  le- 
bensvolle Ausbildung 
des  Giebels  mit  seinen 
kräftig  wirkenden  Ni- 
schen, seinen  barocken 
Schweifvoluten  und 
aufgesetzten  Pyrami- 
den machten  einen 
tüchtigen  Eindruck. 
Ein  statthcher  Giebel- 
bau von  ähnlicher  An- 
lage ist  der  sogenannte 
Kaiserhof  vom  Jahre 
1619,  jetzt  im  Hofe 
des  Kunstgewerbe- 
museums, ebenfalls  mit  energischen  antikisierenden  Säulenstellungen,  dazu  in 
Bogenzwickeln  und  andern  Flächen  mit  flott  behandeltem  Bildwerk  dekoriert.^) 


Abb.  194   Kranzhaus  zu  Hamburs 


1)  D.  Renaiss.  Abt.  41  von  Georg  Heuser. 

2)  Abbildungen  in  der  Schrift:  Hamburg,  histor. 


n.  baugeschichtl.  Mitteil.  1869. 


Hamburg  Bremen 


323 


Eine  andere  nicht  mehr  vorhandene  Fassade  von  reicher  Durchbildung  ist  eben- 
falls in  Abbildung  erhalten. i)  Von  den  eleganten  steinernen  Waschbecken,  welche 
auf  den  Fluren  ansehnlicher  Häuser  nicht  zu  fehlen  pflegten,  sind  noch  zwei  zu 
sehen. ^)  Endhch  muß  der  Turm  der  Katharinenkirche  wegen  der  Schön- 
heit der  Verhältnisse  und  der  Anmut  seiner  feingeschwungenen  Umrisse  erwähnt 
werden. 

Bremen 

Ganz  anderes  bietet  uns  die  dritte  Hansestadt  Bremen.  Ihre  Entwicklung 
besitzt  manche  Verwandtschaft  mit  der  Lübecks.  Wie  dort  finden  wir  hier, 
und  zwar  schon  seit  Karls  des  Großen  Zeiten,  einen  Bischofssitz,  unter  dessen 
Obhut  die  Stadt  im  frühen  Mittelalter  sich  immer  kräftiger  entwickelte,  bis  sie 
im  Kampf  mit  ihren  Bischöfen  sich  allmählich  zur  Unabhängigkeit  aufschwang 
und  als  Mitglied  der  Hansa  machtvoll  erblühte.  Aber  während  im  Anfang  der 
neuen  Zeit  der  Rat  von  Lübeck  sich  lange  und  hartnäckig  gegen  die  Refor- 
mation wehrte,  gebührt  Bremen  der  Ruhm,  unter  den  niederdeutschen  See- 
städten zuerst  Luthers  Lehre  mit  Hingebung  erfaßt  und  durch  seinen  Eifer  im 
Schmalkaldischen  Bunde,  durch  hochherziges  Standhalten  nach  der  Schlacht  von 
Mühlberg  zur  Rettung  des  Protestantismus  vor  dem  Untergange  wesentlich  bei- 
getragen zu  haben.  In  der  architektonischen  Anlage  der  Stadt  spricht  sich,  ähn- 
lich wie  in  Lübeck,  ihr  doppeltes  Wesen  aus ;  aber  während  dort  der  Mittel- 
punkt der  geistlichen  Gewalt  des  Mittelalters  an  dem  einen  Ende  der  Stadt  eine 
abgesonderte  Lage  einnimmt,  steht  hier  der  mächtige  Bau  des  Domes  im  Herzen 
Bremens,  gegenüber  dem  stolzen  Bau  seines  Rathauses,  und  der  Domhof  samt 
dem  Marktplatz  ergeben  in  ihrer  Verbindung  eine  Platzgruppe  von  großartiger 
Wirkung.  Langgestreckt,  ähnlich  wieder  wie  Lübeck,  zieht  sich  die  alte  Stadt 
am  rechten  Ufer  der  Weser  hin;  erst  später  wurde  das  linke  Ufer  mit  der  neuen 
Stadt  besetzt. 

Die  Renaissance  tritt  auch  hier  nicht  früh  auf,  aber  sie  treibt  in  dem  groß- 
artigen Bau  des  Rathauses^)  eine  ihrer  prachtvollsten  Blüten  (Abb.  195).  Der 
Bau  ist  seinem  Kerne  nach  eine  Schöpfung  des  Mittelalters,  1405  bis  1410  er- 
richtet: ein  mächtiges  Rechteck,  an  den  Schmalseiten  durch  Portal  und  hohe 
Spitzbogenfenster  darüber  belebt.  An  diesen  einfachen  gotischen  Bau  fügte  man 
1612  die  prächtige  Front  nach  Süden  mit  Bogenhalle,  breit  vorspringenden 
Erker-  und  Giebelbau  in  der  Mitte  und  riesig  hohen  Fenstern  des  oberen  Stock- 
werks. Auf  zwölf  dorischen  Säulen  ruht  die  in  der  ganzen  Länge  den  Bau  be- 
gleitende Halle,  deren  Rippengewölbe  in  der  Wand  auf  reichen  Konsolen  aufsitzen. 
Im  ersten  Stock  bildet  sich  über  der  Säulenhalle  ein  von  durchbrochenem  Stein- 
geländer abgeschlossener  Altan,  in  der  Mitte  durch  den  vorgebauten  Erker  unter- 
brochen, aber  durch  Türen  darin  wieder  verbunden.  Die  ehemaligen  vielleicht 
spitzbogigen  Fenster  des  Obergeschosses  wurden  in  sehr  hohe  rechteckige  ver- 
wandelt und  abwechselnd  mit  gebogenen  und  dreieckigen  Giebeln  gekrönt.  Den 
Abschluß  des  Ganzen  bildet  ein  elegant  verzierter  Fries  mit  kraftvollen  Kon- 
solen und  darüber  einer  durchbrochenen  Balustrade,  die  mit  kleinen  Pyramiden 
und  an  den  Ecken  mit  Statuen  besetzt  ist.  Darüber  ragt  dann  in  der  Mitte  der 
hohe  Giebel  des  Erkers  und  auf  beiden  Seiten  je  ein  kleinerer  Dachgiebel  auf. 
Alle  diese  Zusätze  sind  dem  Backsteinkern  des  Baues  in  durchgebildetem 
Quaderbau  angefügt. 

1)  Samml.  des  Vereins  für  Hamburgische  Geschichte. 

2)  Abbildungen  ebenda. 

3)  Vgl.  die  Monogr.  von  Müller,  Das  Rathaus  zu  Bremen.  Dazu  Ortweins  D.  Renaiss.  Abt.  34 
von  J.  Mittelsdorf,  Taf.  1—33. 


324      2-  Blich    Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 

Muß  schon  das  Bauwerk  in  seiner  Erfindung  als  ein  Meisterwerk  ersten 
Ranges  bezeichnet  werden,  so  gehört  vollends  seine  Durchbildung  zu  dem 
Vollendetsten,  was  wir  in  diesem  charakteristisch  durchgebildeten  Renaissancestil 
in  Deutschland  besitzen.  An  Schönheit  der  Verhältnisse,  an  meisterhafter  Be- 
handlung der  architektonischen  Glieder,  an  Feinheit  in  ihrer  Ausbildung  über- 
trifft es  z.  B.  weit  die  ja  im  Verhältnis  unbedeutende  Marktfront  des  Lübecker 


Abb.  195   Ratliaus  zu  Bromun  Ostscito 
(Aufiialime  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Rathauses,  erreicht  an  schwungvoller  wie  geschickter  Anwendung  bildnerischen 
Schmuckes  selbst  den  Friedrichsbau  in  Heidelberg.  Alle  Flächen  sind  mit  Skulp- 
turen bedeckt,  in  den  Zwickeln  der  Arkadenbögen  sind  es  Figuren  antiker  Gott- 
heiten und  anderer  sinnbildlicher  Gestalten;  meisterhaft  aber  vor  allem  sind  die 
großen  Friese  prachtvoll  bewegter  phantastischer  Meeresgeschöpfe  oberhalb  der 
Bogenhalle,  Nachklänge  jener  berühmten  antiken  Gestalten,  deren  Erfindung  ge- 
wissermaßen bis  auf  Skopas  zurückgeht.  Ein  stürmisch  bewegtes  Leben  spricht 
sich  hier  mit  Kraft  und  Kühnheit  aus,  als  trefflicher  Ausdruck  für  die  Beziehungen 
der  Seestadt  zu  dem  nahen  Meere.  Dieser  reiche  Schmuck  gewinnt  an  dem 
Erker  und  den  Dachgiebeln  erhöhten  Glanz  und  verbindet  sich  dort  mit  Säulen- 
stellungen, Hermen  und  all  den  phantastisch  malerischen  Formen  dieser  üppigen 
Zeit.  Dazu  kommt,  daß  das  Figürliche,  das  hier  in  solchem  Umfang  zur  An- 
wendung gebracht  ist,  größtenteils  von  sehr  geschickten  Händen  herrührt,  so  daß 
die  Ausführung  hinter  der  Absicht  kaum  zurückbleibt.    Nach  alledem  muß  man 


Bremer  Rathans 


325 


Abb.  196   Wendeltreppe  über  der  Peinkammer  im  Rathaus  zu  Bremen 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


den  sonst  unbekannten  Meister  dieses  Baues,  Lüder  von  Bentheim,  zu  den  liervor- 
ragendsten  Künstlern  unserer  Spätrenaissance  zählen.  Sind  dagegen  die  zwischen 
den  Fenstern  beibehaltenen,  aus  dem  Mittelalter  herrührenden  Statuen  ohne  höheren 
Kunstwert,  so  erhöhen  sie  doch  in  ihrer  strengen  Erscheinung  die  feierliche  Pracht 
des  Gebäudes. 


326      2-  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Im  Innern  besteht  das  Erdgesclioß  aus  einer  Halle,  deren  Decke  auf  ein- 
fachen Holzpfeilern  ruht.  Nur  ein  Portal  in  kräftig  reicher  Schnitzarbeit  ist  hier 
zu  erwähnen.  Auf  einer  derb  aus  Holz  hergestellten  Wendeltreppe  gelangt  man 
in  den  oberen  Saal,  der  die  ganze  Ausdehnung  des  Gebäudes,  45  Meter  Länge 
bei  13  Meter  Breite  und  etwa  Ü  Meter  Höhe  umfaßt.    Er  hat  eine  prächtig  mit 

Renaissanceornamenten  be- 
malte Balkendecke,  rings  an 
den  Wänden  Täfelwerk,  zum 
Teil  neuerdings  durch  Poppe 
in  prächtigsler  Weise  ver- 
vollständigt, an  der  Fenster- 
seite Bänke  um  die  17-'  Meter 
tiefen  Fensternischen,  mit 
hübsch  geschnitzten  Wangen 
und  Seitenlehnen  geziert. 
An  der  Innern  Langseite 
des  Saales  sieht  man  eine 
Tür  zu  einem  angebauten 
Sitzungszimmer,  mit  Putten 
und  Akanthusranken  in  ein- 
facher Frührenaissance,  in- 
schriftlich 1550  ausgeführt. 
Daneben  ein  zweites,  1577 
von  Herzog  Julius  von  Braun- 
schweig gestiftet,  aus  Mar- 
mor und  Alabaster  mit  Ju- 
stitia  im  Giebel.  Die  größte 
Pracht  entfaltet  sich  aber  an 
der  hölzernen  Wendeltreppe, 
die  zu  dem  im  Erkerbau  an- 
gebrachten oberen  Sitzungs- 
zimmer führt,  mit  1G16  be- 
zeichnet (Abb.  196).  Die 
Spindel  der  Treppe  trägt  eine 
hüchmalerische,  geschnitzle 
Minerva.  Das  Äußere  des 
Einbaus  selbst  ist  ebenso  mit 
der  prachtvollsten  Schnitze- 
rei bedeckt.  Hier  ist  gerade- 
zu alles  in  Ornamente  und 
in  Figuren  aufgelöst,  nament- 
lich das  Portal  außen  und 
innen  von  der  erdenklichsten  Üppigkeit,  davor  auf  einer  Säule  die  Figur  eines 
Herkules.  Es  ist  die  rauschendste  Musik  des  Schweifstils  in  einem  fast  betäu- 
benden Fortissimo.  Auch  das  untere  Sitzungszimmer,  die  Güldenkammer,  zeigt 
eine  prachtvoll  geschnitzte  Tür  (Abb.  197).  Neben  den  Holzskulpturen  im  Rathaus 
zu  Lüneburg  sind  diese  Arbeiten  die  glanzvollsten  Schöpfungen  der  deutschen 
Schnitzkunst  der  Renaissancezeit.  — 

Von  den  übrigen  Gebäuden  der  Renaissance  ist  zunächst  der  Schütting 
zu  nennen,  1537 — 38  von  Johann  dem  Buschneer  aus  Antwerpen  erbaut.  Ein  ganz 
mit  Quadern  verkleideter  Bau,  der  eine  Giebel  einfach  abgetreppt,  mit  übereck 
gestellten  gotischen  Fialen,  der  andere  in  guter  Renaissance  durchgeführt,  mit 


Abb.  197   Güldenkaiiimcrportal  im  Rathaus  zu  Bremen 


Bremen    Schütting  Wage 


327 


Pilaslern  und  Bögen,  darin  Medaillons  mit  Köpfen  in  Hochrelief;  als  Krönung 
Voluten,  von  denen  die  eine  in  Löwenklauen  endet,  auf  dem  Giebel  eine  Statue. 
Diese  Teile  wird  man  aber  schon  um  1560  setzen  müssen.  Die  Fassade  dagegen 
mit  ihren  beiden  riesig  hohen  Fensterreihen,  dreiteilig  in  der  Höhe  und  zweiteiüg 
in  der  Breite  mit  gedrückten,  spätgotischen  Schweifbögen  gehörte  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  an.  Eine  Balustrade  in  eleganter  Renaissanceform 
von  1594  bildet  den  Abschluß;  darüber  in  der  Mitte  ein  Dacherker  mit  der 
Reliefdarstellung  eines  Schiffes.  Das  Gebäude  hat  starke  moderne  Umgestaltungen 
erfahren,  die  die  letzten  Spuren  der  einfachen  halb  spätgotischen  Originalarchi- 
tektur fast  ganz  durch  künstliche  Renaissance  ersetzen. 

Ein  stattlicher  Bau  von  1587  ist  die  Stadt  wage,  ein  hoher  Backstein- 
giebel, mit  gekuppelten  Rustikapilastern,  Voluten  und  Pyramiden  in  Sandstein 
gegliedert.  Auch  die  beiden  Portale  in  kräftiger  Rustika,  die  Quadern  mit 
Sternornamenten  sind  von  Sandstein.  Die  gekuppelten  Fenster  haben  eine  hübsche 
Muschelbekrönung  unter  Entlastungsbogen.  Das  Ganze  ist  einfach  und  tüchtig, 
zugleich  hübsch  bemalt 
und  vergoldet.  Der  Mei- 
ster war  hier  ebenfalls 
Lüder  von  Bentheim  (Abb. 
198).  Etwas  reicher  wie- 
derholt sich  derselbe  Stil 
an  dem  Kornhaus  von 
1591,  von  demselben  Ar- 
chitekten. Auch  hier  ist 
Backstein  und  Haustein 
verbunden;  die  Fenster 
zeigen  dieselbe  Behand- 
lung, die  Quadern  sind 
sämtlich  reich  gemustert, 
der  enorm  hohe  Giebel 
mit  Schnecken  und  Pyra- 
miden geschmückt. 

Denselben  Stil  fin- 
det man  an  einem  Hause 
der  Langen  Straße  Nr.  14 ; 
der  Giebel  ebenfalls  ba- 
rock geschweift.  Leider 
sind  diese  Häuser  meist 
mit  Ölfarbe  überstrichen, 
wodurch  die  farbige  Wir- 
kung, die  der  Gegensatz 
des  Backsteins  zu  dem 
Sandstein  bietet,  aufge- 
hoben wird.  So  zeigt  es 
z.  B.  auch  das  Haus  am 
Markt  Nr.  9,  besonders 
zierlich  in  den  Verhält- 
nissen, die  Quadern  mit 
den  beliebten  Kerborna- 
menten, die  krönenden 
Pyramiden  auf  grotesken 

Masken.       Ganz     intakt  Abb.  198   stadtwage  zu  Bremen 


328       2.  Bucli    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küsteugebiete 

dagegen  ist  ebendort  Nr.  16,  wo  trotz  der  späten  Jahreszahl  1651  dieselben 
Elemente  in  Komposition  und  Ausschmückung  festgehalten  sind.  Dazu  kommt 
ein  Erker,  der  freilich  später  in  Rokoko  umgestaltet  worden  ist.  Die  oberste  Be- 
krönung  des  Giebels  bildet  eine  schöne  Blume  von  Schmiedeeisen.  Ähnliche 
findet  man  noch  mehrfach  in  gleicher  Weise  verwendet.  Eine  stattliche  Back- 
steinfassade, nur  mit  Sandsteinurarahmung  der  Fenster  und  mit  einem  ebenfalls 
in  Quadern  vorgebauten  Erker,  der  jedoch  bloß  das  Erdgeschoß  und  den  ersten 
Stock  begleitet,  sieht  man  in  der  Langen  Straße  Nr.  127.  Von  derselben  ein- 
fachen Art  sind  ebendort  Nr.  124  und  126.  Ein  mächtiges  Giebelhaus  von  Back- 
stein, aber  mit  Quadergliederungen,  die  durchweg  reiche  plastische  Dekoration 
zeigen,  in  derselben  Straße  Nr.  112.  Dasselbe  gemischte  System,  wenn  auch 
nicht  mit  dem  vollen  plastischen  Reichtum,  ebendort  an  Nr.  16.  Vereinzelt 
kommen  auch  Fassaden  vor,  welche,  ähnlich  den  Danziger  Häusern,  ganz  aus 
Quadern  errichtet  sind.  So  das  schmale  hohe  Giebelhaus  der  Langen  Straße  Nr.  12 
mit  zwei  symmetrisch  angebrachten  Erkern,  alles  in  üppigen  Barockformen  un- 
gemein energisch  mit  Säulen,  Hermen  und  Muschelwerk  und  stark  geschweiften 
Voluten  geschmückt,  das  sogenannte  Essighaus.  Es  trägt  die  Jahreszahl  1618 
und  enthält  auch  im  Innern  noch  die  alte  Anordnung  der  riesigen  zweigeschossigen 
Diele,  der  Vorderzimmer  und  des  Flügels,  wie  wir  sie  schon  in  Lübeck  fanden. 

Ziehen  wir  eine  Parallele  der  drei  großen  norddeutschen  Seestädte,  deren 
Privatbau  der  Spätrenaissance  angehört,  so  zeigt  Danzig  die  reichste  Blüte  und 
die  vollständigste  Aufnahme  des  durch  die  Renaissance  eindringenden  Haustein- 
baues. Lübeck  dagegen  beharrt  bei  seinen  überheferten  Ziegelfassaden  und  be- 
gnügt sich  damit,  ihnen  durch  prachtvolle  Portale  in  Sandstein  einen  zeitgemäßen 
Schmuck  zu  geben.  Bremen  endhch  nimmt  eine  mittlere  Stellung  ein,  indem  es 
drei  verschiedene  Systeme  in  Anwendung  bringt:  die  Backsteinfassade  mit  spar- 
samer Benutzung  von  Haustein  an  den  Gesimsen  und  Einfassungen  der  Fenster; 
Backsteinflächen  mit  vollständiger  und  zwar  sehr  reicher  Ausbildung  sämlHcher 
Glieder  und  der  Ornamentik  in  Quaderbau;  endlich  an  einzelnen  Beispielen  reiner 
Haustein.  Außerdem  ist  Bremen  die  einzige  von  diesen  Städten,  die  an  den 
Privatbauten  öfters  den  Erker  anwendet.  Er  kam  ihr  wahrscheinlich  ebendaher, 
wo  sie  auch  den  Sandstein  zu  ihren  Bauten  holte:  aus  der  mittleren  Wesergegend. 

Daß  man  an  den  städtischen  Bauten  vorwiegend  die  Quaderkonstruktion 
wählte,  haben  wir  schon  gesehen.  Das  glänzendste  Beispiel  dieser  Art  ist  das 
ehemalige  Krameramthaus,  jetzt  Gewerbehaus  bei  der  Ansgarikirche. i) 
(Abb.  199.)  Ein  großartiger  Prachtbau,  1619—20  durch  Joh  ann  Nacke  erbaut; 
zwei  kolossale  Giebel,  durch  eine  Balustrade  verbunden,  bauen  sich  an  der  breiten 
Fassade  auf.  In  der  Mitte  des  hohen,  mit  gewaltigen  dreiteiligen  Fenstern  fast 
völlig  durchbrochenen  Erdgeschosses  ein  Portal  mit  korinthischen  Säulen,  reich 
mit  Figuren  geschmückt,  alles  bemalt  und  vergoldet,  ein  Urbild  malerischer  Kraft, 
mit  konsolendurchschossenem  Bogen  und  prachtvollem  Figurenaufsatz  (Bd.  I, 
Abb.  119).  Das  obere  Geschoß  hat  fast  ebenso  hohe  Fenster  von  ähnhcher  An- 
ordnung, wie  sie  überall  in  unseren  nordischen  Städten  aus  den  Niederlanden 
eingeführt  wurden.  Zwei  breite  Friese,  ganz  mit  Masken,  Voluten  und  figürlichem 
Bildwerk  bedeckt,  ebenfalls  bemalt  und  vergoldet,  schließen  die  beiden  Stock- 
werke ab.  Die  Giebel  endhch  erschöpfen  mit  ihren  Nischen,  Statuen,  Schnecken, 
ObeUsken  alle  Formen  dieses  prächtigen  Stils.  Die  den  einzelnen  Geschossen 
aufgesetzten  schlanken  Pyramiden  sind  sämtlich  mit  vergoldeten  schmiedeeisernen 
Blumen  gekrönt.  Die  phantastische  Pracht  solcher  Silhouetten  überbietet  selbst 
die  reichsten  Giebelbildungen  der  gotischen  Epoche,  wurzelt  aber  trotz  der  Ver- 
schiedenheit der  Formen  in  demselben  ästhetischen  Bedürfnis.    Auch  der  Giebel 

1)  Photogr.  Aufn.  in  Pritscli,  Denkm.  deutscher  Renaiss.  (Berlin  1882)  Lief.  1. 


Bremen.  Emden 


329 


der  Seilenfassade  ist  ähnlich  behandelt.  Der  großartige  Bau  hat  im  Äußern  eine 
sorgfältige  neuere  Herstellung  erfahren;  das  Innere  ist  leider  grausam  entstellt, 
insbesondere  durch  gotische  Einbauten  in  Backstein  (!) ;  auch  ein  kleineres  Portal 
der  Vorderfront  wurde  dabei  entfernt. 

In  Ostfriesland  ist  es  namentlich  Emden,  das  für  uns  von  Bedeutung  ist. 
Die  saubere  Stadt  mit  ihren  geraden  Straßen,  den  Backsteinhäusern,  den  zahl- 
reichenKanälen,Brük- 
ken  und  Schleusen 
macht  oder  machte 
bis  vor  kurzem  völlig 
den  Eindruck  einer 
holländischen  Stadt. 
Leider  schreitet  auch 
hier  die  Modernisie- 
rung, das  Zuwerfen 
der  Grachten  und  ähn- 
liche Verflachung  un- 
aufhaltsam fort.  Durch 
ihre  günstige  Lage 
schon  früh  reich  und 
blühend;  errichtete  sie 
1574-76  ihr  stattliches 
Rathaus,  das  durch- 
aus der  Ausdruck  der 
früheren  nahen  Be- 
ziehungenEmdensund 
des  ganzen  Ostfries- 
lands zu  den  nahen 
Niederlanden  bildet. 
War  doch  zwischen 
Ost-  und  Westfriesland 
kaum  ein  Unterschied. 
Der  Baumeister  kam 
denn  auch  aus  Ant- 
werpen, Laurens  ran 
Steenicinkel.  An  der 
Hauptfront  (Abb.  200), 
ganz  in  Haustein  aus- 
geführt, hat  der  Bau 
im  Erdgeschoß  und  im 
oberen  Stockwerk  jene 

dichte  Reihe  hoher,  durch  steinerne  Stäbe  geteilter  Fenster,  die  wir  aus  den 
Niederlanden  kennen.  Dazwischen  ein  Halbgeschoß,  darüber  eine  auf  Konsolen 
den  ganzen  Bau  umziehende  Galerie,  wie  wir  sie  genau  so  am  Stadthaus  zu  Ant- 
werpen finden.  Mitten  durch  den  Bau  führt  die  Hauptstraße,  die  deshalb  sich 
mit  einem  mächtigen,  etwas  vortretenden  Bogenportal  als  Durchgang  charak- 
terisiert; dieser  wird  wirksam  durch  einen  mit  dem  Hauptgeschoß  in  Verbindung 
stehenden  Balkon  abgeschlossen.  Ein  reich  mit  Wappen  und  Figuren  geschmückter 
Prunkgiebel  betont  auch  nach  oben  diese  Hauptachse  der  Fassade,  die  übrigens 
nicht  genau  in  der  Mitte,  sondern  etwas  mehr  nach  links  zu  liegt;  darüber  ragt 
aus  dem  rings  abgewalmten  hohen  Dach  ein  in  Holz  konstruierter  viereckiger 
Turm  auf,  nach  oben  mit  achteckigem  Aufsatz  und  darüber  wieder  mit  einem 


Abb.  199   Gewerbehaus  zu  Bremen 


330      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV.  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Glockenstuhl  und  schlanker  Laterne  bekrönt.  Von  den  Galerien  des  Turmes 
genießt  man  einen  prächtigen  Blick  über  die  weitgestreckten  Marschlande  und 
die  Meeresbucht  des  Dollart.  Der  ganze  ansehnliche  Bau  ist  an  der  Fassade 
in  Rustikaquadern,  an  der  Rückseite  in  Backstein  aufgeführt;  nur  die  obere 
Galerie,  sowie  der  Uhr-  und  Glockenturm  sind  aus  Holz.  Die  feinen  Orna- 
mente ['und  Skulpturen  am  mittleren  Dachgiebel  zeugen  von  geschickten  Händen. 
Auch  hier  spielen  die  schmiedeeisernen  Blumen  als  Krönungen,  wie  die  Eisen- 
anker, eine  Rolle. 


Abb.  200  Rathaus  zu  Emden 


Der  Eingang  zum  oberen  Geschoß  liegt  in  dem  kleinen  zierlichen  Portal 
an  der  rechten  Seite;  er  hat  eine  kräftig  geschnitzte  Tür  mit  einem  Löwenkopf 
als  Halter  des  Türklopfers.  Die  Treppe  zeigt  Netz-  oder  Zellengewölbe  ohne 
Rippen,  aber  geteilt  durch  Querbögen,  die  auf  reizvollen,  zapfenartigen  Renais- 
sancekonsolen ruhen.  Diese,  sowie  Gurte  und  Geländer  schimmern  von  Gold  und 
Farben.  In  den  Ecken  des  Treppenhauses  ist  zweimal  auf  einer  elegant  durch- 
gebildeten Konsole  ein  Schränkchen  mit  Glastür  als  Lichtständer  angebracht. 
Der  obere  Vorsaal,  der  „Rummel",  hat  noch  einige  alte  Gemälde  mit  kräftig  ge- 
schnitzten Rahmen  und  einen  zierlichen  Messingleuchter  als  Ausschmückung,  die 
alte  hübsche  Sitzbank  an  der  vortrefflichen  architektonischen  Verkleidung  der 
Treppen  in  Eichenholz;  unten  ionische  Halbsäulen,  darüber  kleiner  durchbrochener 


Emden    Rathaus  Kirchen 


331 


Aufsatz  mit  Hermen  und  Docken.  Nach  oben  führt  eine  offene  Holztreppe  mit 
Dockengalerie  auf  Holzsäule.  Die  Balken  der  rohen  Bretterdecke  ruhen  auf 
gut  dekorierten  Steinkonsolen.  In  dem  anstoßenden  Vorzimmer  sieht  man  einen 
fein  geschnitzten  Schrank  aus  jener  Zeit.  Der  Sitzungssaal  ist  modernisiert,  das 
Innere  des  Hauptgeschosses  nicht  mehr  von  Bedeutung.  Sehenswert  sind  aber 
des  Rates  ausgezeichnete  silberne  Renaissancegefäße:  eine  Fruchtschale,  Wasch- 
schüssel und  Kanne,  drei  prachtvolle  Pokale  und  ein  als  Schiff  gestalteter  Becher, 
zum  Glücke  noch  an  alter  Stelle  geblieben.  Eine  zuerst  steinerne,  dann  hölzerne 
Wendeltreppe  führt  von  der  Durchfahrt  aus  bis  in  das  Dachgeschoß,  dessen 
ganzer  Raum  durch  die  große  städtische  Sammlung  alter,  zum  Teil  künstlerisch 
wertvoller  Waffen,  vielmehr  die  alte  Rüstkammer  der  Stadt,  ausgefüllt  wird.  Die 
Wirkung  dieses  Dachraumes  ist  wahrhaft  imposant.  Seine  Fenster  enthalten  dazu 
die  Reste  der  schönsten  Glasmalereien  Norddeutschlands,  wohl  niederländischer 
Herkunft,  vielleicht  früher  im  Hauptgeschosse.  —  Vor  der  Waffenkammer  läuft 
nun  die  schöne  offene  Galerie  her,  die  wir  bereits  besprochen  haben. 

Der  Meister,  der  das  prachtvolle  Zimmerwerk  des  Rathauses  und  seinen 
prächtigen  Turm  auf  dem  Dache  erfand  und  ausführte,  war  Marten  Arians  (Ahrens) 
von  Delft.^) 

Den  Eindruck  des  Rathauses  erhöhte  die  Brücke,  die  in  der  Axe  des 
Rathauses  über  den  seitdem  zugeworfenen  Rathausdelft  führte,  mit  fünf  Bögen 
in  Backstein  errichtet,  aber  mit  reichem  Sandsteinschmuck  von  Wappen,  Frucht- 
schnüren und  Masken.  Mit  ihrem  Verschwinden  ist  dem  ersten  Eindruck  ein  ge- 
wichtiges Moment  genommen.  Die  Neue  Kirche  ist  ein  ganz  holländischer 
Bau,  1648  vollendet,  ebenfalls  aus  Backstein,  die  Gliederungen  in  Sandstein, 
namenthch  die  hohen  Rundbogenfenster,  welche  gotisierendes  Maßwerk  zeigen. 
Der  Bau  ist  in  Halbrundform  mit  kurzen  Armen  angelegt,  mit  hohen  einfachen 
Giebeln,  alles  etwas  trocken. 

Ein  merkwürdiges  Renaissancewerk  besitzt  die  echt  holländische  Große 
Kirche  St.  Gosmas  und  Damianus.^)  Es  ist  das  Denkmal  des  1540  gestorbenen 
Grafen  Enno  II.  von  Ostfriesland,  1548  — jedenfalls  von  niederländischen  Künstlern 
—  ausgeführt.  Die  Marmorfigur  des  Verstorbenen,  auf  dem  Sarkophag  liegend, 
ist  durch  starkes  Restaurieren  ganz  verdorben;  aber  überaus  originell  zeigt  sich 
die  Einfassung  der  Kapelle.  Elegante  dorische  Säulen  wechseln  mit  phantastischen 
Hermen,  die  Löwenköpfe  haben,  und  deren  Füße  wie  aus  Futteralen  hervorragen: 
Formen,  die  in  der  französischen  und  niederländischen  Renaissance  öfter  vor- 
kommen. Dazwischen  sind  kleinere  Teilungen  durch  Hermen  und  Karyatiden, 
abwechselnd  mit  den  elegantesten  ionischen  Säulchen  hergestellt.  Die  Postamente 
der  großen  Säulen  und  Hermen  sind  mit  Trauergestalten  geschmückt.  Endhch 
sieht  man  oben  in  den  fünf  Bogenfeldern  und  den  Friesen  die  ganze  Bestattung, 
die  Züge  der  Trauernden  mit  der  Bahre,  den  Leichenwagen  und  das  Gefolge  der 
Leidtragenden  in  trefflich  ausgeführten  Reliefs.  Es  ist  als  ob  man  eines  jener 
prunkvollen  fürstlichen  Begräbnisse  der  Zeit  lebendig  werden  sähe.  In  der  Mitte 
baut  sich  sodann  auf  Pilastern  ein  Baldachin  mit  Tempelgiebeln  auf.  Nach  innen 
sind  statt  der  Karyatiden  nur  ionische  Säulenreihen  in  eleganter  Kannelierung 
dem  Bau  vorgesetzt.  Der  obere  Baldachin  stützt  sich  hier  auf  zwei  wachthaltende 
Krieger.  Das  Ganze  trägt  durchaus  das  Gepräge  holländischer  Kunst  mit  ein- 
zelnen französischen  Anklängen. 

1)  Über  die  beiden  Meister  Genaueres  bei  Ritter,  Zur  Gesch.  d.  Emdener  Rathaus-Baues. 
(Im  Jahrb.  d.  Ges.  f.  b.  K.  u.  vaterld.  Altertümer,  Emden  XVII.) 

2)  Außerdem  eine  Messingplatte  des  Priesters  Hermann  Wessel  aus  Rostock  (f  1500),  ein 
edles  spätgotisches  Werk,  mit  feinen  gravierten  Darstellungen,  in  der  Mitte  die  große  Gestalt 
Christi,  rings  von  kleinen  Heiligenfiguren  umgeben. 


332      2..  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Aljb.  1201   Haus  am  Alten  Markt  zu  Emden 


Zahlreiche  Backsteinhäu- 
ser mit  Hausteindetails  in  hol- 
ländischem Charakter,  meh- 
rere höchst  interessante  Gie- 
belhäuser am  Alten  Markt  sind 
erwähnenswert,  insbesondere 
zwei  auf  der  Westseite  (eines 
gibt  Abb.  201),  dreistöckig  und 
dreifenstrig,  mit  Halbsäulen 
zwischen  den  Fenstern  in  allen 
Geschossen,  reich  verzierten, 
verkröpften  Gebälken  und 
zweigeschossigen  Giebeln,  de- 
ren Umriß  zwar  einfach  der 
Dachschräge  folgt,  an  dessen 
Fuße  aber  —  und  bei  dem  rei- 
cheren auch  an  dessen  Spitze  — 
vierseitige  Tempelchen  oder 
Baldachine  die  Giebelwand 
durchdringen.  Auch  die  Ge- 
simse schießen  durch,  auf  den 
Schrägen  ruhen  durchbrochene 
Ornamente  und  Delphine.  Die 
Giebel  selber  haben  feine  Pi- 
laster  zwischen  den  Kreuzen 
der  Fenster.  Iq  den  Zwickeln 
Medaillons  und  Köpfe.  Ähn- 
liche Säulenfassaden,  doch 
ohne  solche  Giebel,  gegen- 
über (Abb.  202). 

Die  ganze  Erscheinung 
dieser  Häuser  hat  in  ihrer 
Durchbildung  etwas  ausge- 
prägt Französisches  und  trägt 
den  Stil  Henri  II. 

Etwas  weniger  ausgiebig 
ist  Oldenburg;  doch  bieten 
die  älteren  Teile  des  groß- 
herzoglichen Schlosses,  am 
nordöstlichen  Sockel  mit  1607 
bezeichnet,  einen  wenn  auch 
nicht  bedeutenden  Rest  dieser 
Zeit,  der  sich  indes  immerhin 
charaktervoll  von  den  späte- 
ren kasernenartigen  Zubauten 
unterscheidet  (Abb.  203).  Es 
sind  zwei  Stockwerke,  denen 
in  der  Mitte  ein  drittes  Ge- 
schoß aufgesetzt  ist.  Die  brei- 
ten dreiteiligen  Fenster,  mit 
gebrochenen  Giebeln  geschlos- 
sen, haben  eine  Einfassung  von 


Oldenburg  Schloß 


333 


Hermen  und  barockgeschweiften  Rahmen.  Die  Ecken  des  Gebäudes  zeigen  reich 
ornamentierte  Quadern,  den  oberen  Abschluß  bildet  eine  Balustrade,  darüber  ein 
späteres  Mansardendach,  endlich  ein  Turm  mit  kuppelartiger  Spitze.  Das  Ganze 
nicht  rein  und  nicht  ausgezeichnet,  aber  doch  wirksam  (bis  auf  die  späte  nüch- 
terne große  Pilasterstellung  in  der  Mitte).  Die  älteren  Teile  haben  etwas  indi- 
viduell Lebensvolles,  daher  der  frische  anziehende  Eindruck.  Der  Bau  wurde 
durch  Graf  Anton  Günther,  der  1603  im  Alter  von  23  Jahren  zur  Regierung  kam, 
neu  aufgeführt,  als  er  1606  von  einer  Reise  nach  dem  kaiserlichen  Hof  zu  Prag, 
von  dort  durch  Österreich  und  Oberitalien  zurückkehrte  und  das  alte  Schloß  zu 
schlecht  fand.  Architekten  waren  ein  Italiener  Andrea  Speza  de  Eonio,  der  aljer 
während  des  Baues 
davonlief,  und /ein 
herzoglich  meck- 
lenburgischer Bau- 
meister Georg  Rein- 
hardt.  Vollendet 
wurde  der  Bau  1616 
und  erhielt  wegen 
der  „vielen  beque- 
men mit  künst- 
lichen Gemälden 
verzierten  Gemä- 
cher" den  Beifall 
der  Zeitgenosser]. 
Im  Archiv  zu  Olden- 
burg befindet  sich 
eine  Erklärung  der 
„sinnreichen  Em- 
bleme und  allego- 
rischen Figuren  im 
großen  Saale".  Von 
denTugenden  heißt 
es  z.  B.:  „die  Jung- 
fer auf  der  rechten 
Seite  gießt  aus  einer 
Gießkanne  in  ein 
Becken:  also  soll 
auch  ein  Fürst,  dem 
Gott  der  Herr  die 
Mittel  gegeben, 
Geld  und  Gut  nicht 
schonen,  sondern 

freiwillig  dahingehen  ....  Die  geharnischte  Jungfer  mit  dem  bloßen  Schwerdt 
und  einer  brennenden  Laterne,  hinter  sich  eine  Gans  und  auf  dem  Kopfe  einen 
Kranich,  zeigt  an,  wenn  gleich  Hannibal  ante  porlas  und  itzt  auf  dem  Gapitolio 
in  Ihro  hochgräfl.  Gnaden  Saal  Mahlzeit  halten  wollte,  so  sollen  doch  I.  Gn.  stets 
munter  und  in  Bereitschaft  gefunden  werden."  Von  diesem  Saale  ist  keine  Spur 
mehr  vorhanden,  und  selbst  in  den  Grundrissen  bei  Thura  -)  läßt  er  sich  nicht 
mehr  nachweisen. 


Abb.  202   Häuser  am  Alten  Markt  zu  Emden 


1)  Das  Geschichtl.  in  Winkelmanns  Oldenb.  Chronik.   Bau-  und  Kunstdenkin.  d.  Großh. 
Oldenburg,  4. 

2)  Danske  Vitruvius  II,  Taf  158  —  160. 


334      2.  Buch    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 

Derselben  Zeit  gehöite  das  leider  ganz  überflüssigerweise  abgebrochene 
Rathaus  an,  das  die  Jahreszahl  1635  trug;  ein  bescheidener  Bau,  der  jedoch 
in  den  drei  hohen  Schweifgiebeln  nach  dem  Marktplätze  zu  und  den  Seitengiebeln 
sowie  dem  etwas  kleinlich  behandelten  Portal,  das  mit  Figuren  und  einem  ver- 
goldeten und  bemalten  Wappen  verziert  war,  sich  anziehend  und  wirksam  dar- 
stellte.  Prächtig  waren  die  phantastischen  Wasserspeier  mit  ihren  Drachenleibern. 


Abb.  203   Großherzogliches  Schloß  zu;01(leiiburg  i.  Gr. 


Das  Hauptwerk  im  Lande  ist  eins  der  merkwürdigsten  Denkmäler,  welche 
die  deutsche  Renaissance  hervorgebracht  hat,  das  Grabmal  des  1511  gestorbenen 
Edo  Wiemken  (Wimmeken),  von  seiner  Tochter,  Gräfin  Maria,  1561  bis  1564  im 
Chor  der  Kirche  zu  Jever  errichtet  (Abb.  204  und  205).  Es  war  der  letzte 
Häuptling  der  drei  friesischen  Landschaften,  die  den  ersten  gleichnamigen  Herrn 
dieses  Geschlechts  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  frei  zu  ihrem  Herrscher  ge- 
wählt hatten.  Das  Denkmal,  lange  Zeit  verwahrlost,  sodann  1825  mit  Sorgfalt 
durch  0.  Lasius  wiederhergestellt,  besteht  in  seinem  Kern  aus  einem  mit  feinen  Ara- 
besken geschmückten  marmornen  Sarkophag,  auf  dem  der  Verstorbene  in  voller 


336      2.  Blich    Die  Bauwerke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Al)b.  '206   Portal  des  Ratliauscs  zu  Jever 


Rüstung  mit  gefalteten  Händen  liegend  dargestellt  ist,  eine  etwas  schwächere 
Nachbildung  des  Denkmals  König  Friedrichs  im  Schleswiger  Dom  mit  einigen 
Varianten,  die  nicht  gerade  Verbesserungen  sind.  Zu  Häupten  und  zu  Füßen 
stehen  weibliche  Figuren  mit  Schildern,  deren  eines  das  Jeversche  Wappen,  das 
andere  die  Inschrift  trägt.    Das  Ganze  erhebt  sich  auf  einem  sarkophagartigen 


Jever  Denkmal 


337 


hohen  Unterbau  von  Mar- 
mor, dessen  schwarzmar- 
morne Deckplatte  von 
sechs  Statuen  christlicher 
Tugenden  gestützt  wird, 
vier  davon  neuerdings  er- 
gänzt. Sechs  weinende 
Kindergestalten  mit  um- 
gekehrten Fackeln  sind 
zwischen  ihnen  etwas  wei- 
ter rückwärts  aufgestellt. 
Den  unteren  Sarkophag 
schmückt  ein  Alabaster- 
fries mit  Darstellungen 
aus  dem  Leben  Christi, 
weiter  unterhalb  ein  zwei- 
ter Fries  mit  Szenen  aus 
dem  Alten  Testamente. 
Endlich  sind  auf  den  un- 
teren Marmorstufen  sechs 
liegende  kleine  Löwen 
angebracht.  Dies  pracht- 
volle Denkmal  wird  nun 
von  einem  in  Eichenholz 
mit  eingelassenen  Kalk- 
steinreliefs luftig  aufge- 
führten achteckigen  Kup- 
pelbau eingeschlossen, 
der  im  Chore  der  Kirche 
eine  selbständige  Grab- 
kapelle bildet.  Das  un- 
tere Geschoß  umgeben 
acht  tiefe  Bögen  in  Form 
von  kassettierten  Tonnen- 
gewölben; sie  ruhen  au- 
ßen auf  kurzen  gegürte- 
ten korinthischen  Säulen, 
innen  auf  Pfeilern  mit 
angelehnten  Atlanten. 
Durchbrochene  Balustra- 
den, die  äußeren  von  zier- 
lichen Docken,  die  inne- 
ren von  Karyatiden  gebil- 
det, schließen  den  Raum 
ab.  Durch  die  weiten 
Bögen  ist  der  Blick  auf 
das  Denkmal  von  allen 

Seiten  frei  gegeben.  Über  den  inneren  Pfeilern  steigen  acht  weitere  Stützen  als 
oberes  Geschoß  auf,  das  wieder  mit  acht  weiten  Bögen  sich  öffnet  und  als  Decke 
ein  prachtvolles  Sterngewölbe  hat,  mit  Laubwerk  in  Schnitzarbeit  geschmückt. 
Wie  ein  luftiger  Baldachin,  an  den  Ecken  von  Atlanten  und  Karyatiden  eingefaßt 
und  mit  reichem  Konsolengesims  abgeschlossen,  krönt  es  den  ganzen  Bau.  An 
Lübke-Haupt,  Eenaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  22 


Abb.  207   Altar  der  Kirche  zu  Hohenkirchen 


338       2.  Buch   Die  Bamverke    XIV.  Kapitel    Die  norddeutschen  Küstengebiete 


Abb.  2U8   Mittelfeld  des  Altares  der  Kirche  zu  Hulieukirclien 


den  vier  Hauptseiten  trägt  es  Giebelaufsätze  mit  Rollwerkeinfassung,  am  vorderen 
das  Bild  des  Gekreuzigten,  darüber  Gottvater  und  die  Taube  des  hl.  Geistes,  an 
den  drei  andern  Moses,  Petrus  und  Paulus.    Ist  dies  alles  aus  christlicher  An- 


Jever  Denkmal 


339 


schauung  geschöpft,  so  sind  dagegen  die  Eckfiguren  am  Baldachin  als  Merkurius, 
Venus,  Jupiter,  Minerva,  Saturnus,  Fortitudo,  Mars  und  Luna  bezeichnet.  Nicht 
minder  wunderlich  werden  die  Eckfiguren  des  unteren  Geschosses  —  ebenfalls 
abwechselnd  männliche  und  weibliche  —  als  Rhetorika,  David,  Dialektika,  Salomon, 
Musika,  Josias  (?),  Memoria  und  Saul  bezeichnet.   SämtUche  Figuren  und  Säulen 


340      2.  Buch   Die  Bauwerke   XIV".  Kapitel   Die  norddeutschen  Küstengebiete 


sind  in  weißer  Farbe  gehalten.  Die  Architrave  über  diesen  Figuren  zeigen  Friese 
mit  Reliefs  von  höchst  merkwürdigem  Inhalt.  Sie  beginnen  wie  an  dem  Grabmal 
zu  Emden  mit  der  Darstellung  des  Leichenzuges,  wobei  unter  dem  Sarge  der 
treue  Hund  als  Leidtragender  mitgeht;  dann  liommen  phantastische  Züge  von  Krie- 
gern, Faunen  und  Satyrn,  Kämpfe  von  Rittern,  endlich  allerlei  Phantastisches,  Un- 
geheuer, Frat- 
zen und  der- 
gleichen. Außer- 
dem sind  sämt- 
licheDeckenfel- 
der  der  Wölbun- 
gen in  ihren 
Kassetten  mit 
Schnitzwerken 
geschmückt,  die 
einen  uner- 
schöpflichen 
Reichtum  von 
Erfindung  zei- 
gen (Abb.  204, 
205).  Das  ganze 
Werk  ist  eins  der 
prachtvollsten 
und  originell- 
sten seiner  Zeit. 
Der  Meister  des 
Grabmals  war 
Heinrich  Ha  gart, 
ein  Schüler  des 
Kornelius  Floris 
zu  Antwerpen ; 
am  Baldachin 
steht  noch  die 

Bezeichnung 
P.  H.  Der  Stil 
dieses  Umbaus 
steht  dem  des 
Enno-Denkmals 
zu  Emden  ganz 
nahe. 

Von  gleichem 
Stil  und  Reich- 
tum ist  die  ge- 
schnitzte Holzdecke,  die  den  Saal  des  Schlosses  zu  Jever  schmückt:  ein 
weiterer  Beweis,  wie  sehr  auch  an  diesen  fernen  Gestaden  die  Prachtliebe  jener 
Zeit  nach  künstlerischem  Ausdruck  verlangte.  Es  sind  quadratische  Kassetten, 
die  wie  die  trennenden  Balken  völlig  mit  niederländischem  Flachornament  über- 
zogen sind  und  reiche  Hängezapfen  haben.  Der  Meister  ist  der  P.  H.  des  Edo 
Wiemken-Grabmals. 

Die  Stadt  Jever  besitzt  auch  ein  hübsches  Rathaus  (Abb.  206)  mit  zwei 
Erkern  zu  den  Seiten  des  reichen  Bogenportals,  von  1608;  im  Ratsaal  eine 
derbe  Täfelung. 


Abb.  210   Kanzel  der  Kirche  zu  Holienki rohen 


Ludwig  Munstermann 


341 


Im  übrigen  bildet  das  Oldenburger  Land  mit  seinen  Weideflächen  und  seiner 
vorwiegend  ländlichen  Bevölkerung  ein  Gegenstück  zu  Schleswig-Holstein,  nur 
daß  es  der  zahlreichen  Schloßbauten  jenes  Landes  noch  entbehrte.  Außer  Jever, 
Oldenburg  und  Delmenhorst  kommen  kaum  solche  geschichtlich  in  Be- 
tracht. Was  an  Renaissancekunst  geschaffen  wurde,  bergen  vorwiegend  die 
Kirchen,  und  zwar  sind  es  meist  nur  noch  Kanzeln  und  Altäre,  die  von  ihr  reden; 
ähnlich  wie  dort,  doch  meist  geringer  an  Aufwand  und  Kunst. 

Doch  tritt  hier  wenigstens  wieder  einmal  ein  einzelner  Künstler  von  wirk- 
licher, ja  großer  Bedeutung  hervor:  Ludwig  Munstermann  van  Hamborch,  wie  er 
sich  nennt.  Dieser  hat  zwischen  1614  und  1638  eine  größere  Zahl  vor  allem 
von  prachtvollen  Altären,  besonders  in  der  Gegend  des  Jeverlandes,  geschaffen,  die 
in  wahrhaft  blendender  Pracht  von  erstaunlicher  Technik  und  kühnster  Erfindung 
zeugen.  Vor  allem  seien  die  beiden  in  Hohenkirchen  (Abb.  207,  208)  und 
Rodenkirchen  genannt,  sowie  der  zu  Varel  (Abb.  209).  Die  ersteren  haben 
beide  als  Hauptstück  ein  durchbrochenes,  perspektivisch  sich  vertiefendes  Abend- 
mahl in  Relief  in  der  Mitte,  von  Säulen  flankiert,  links  und  rechts  als  Flügel  die 
Bilder  von  Luther  und  Melanchthon  gemalt  oder  als  Rehef,  prachtvolle  Unter- 
bauten und  Aufsätze,  der  letztere  zeigt  sogar  vier  Säulengeschosse  übereinander. 
Das  Einzelne  ist  von"  einer  Kraft,  einem  Überschwang  und  einer  Fülle,  die  sich 
an  Wendel  Dietterleins  Art  anlehnt  und  den  Gedanken  nahe  legt,  daß  der  Ham- 
burger Bildhauer  vorher  mit  zu  der  Künstlerkolonie  des  Fürsten  Ernst  in  Bückeburg 
gehört  haben  möchte.  Die  Kanzeln  zu  Hohenkirchen  von  1628  (Abb.  210), 
zu  Schwei,  zu  Rodenkirchen  bis  zu  der  in  Holle  von  1638,  der  Taufst  ein 
zu  Abbehausen,  ein  Epitaph  zu  Eckwarden  und  vieles  andere  zeugen  eben- 
falls von  seiner  großen  und  blendenden  Kunst. ^) 

Fünfzehntes  Kapitel 
Obersachsen 

In  den  obersächsischen  Landen  tritt  uns  die  Renaissance  frühzeitig  mit  be- 
deutenden Schöpfungen  entgegen.  Und  zwar  ist  es  hier  fast  ausschHeßlich  das 
Fürstentum,  das  sie  einführt  und  fördert,  während,  was  die  größeren  Städte  wie 
Leipzig,  Dresden,  Altenburg,  Halle,  Erfurt  an  bürgerlichen  Bauten  aufzuweisen 
haben,  daneben  von  geringerem  Belang  ist.  Das  sächsische  Kurhaus,  an  der 
Spitze  der  reformatorischen  Bewegung  stehend,  war  auch  für  die  Entfaltung  des 
gesamten  Kulturlebens,  namentlich  der  Bau-  und  Bildhauerkunst,  von  eingreifender 
Bedeutung.  Was  die  Höfe  von  Stuttgart  und  Heidelberg  für  Süddeutschland  waren, 
das  wurde  in  noch  höherem  Maße  der  sächsische  Hof  für  Norddeutschland.  Zwar 
waren  bis  in  die  Mitte  des  Jahrhunderts  die  Kurfürsten  in  erster  Linie  durch  die 
Reformation  in  Anspruch  genommen,  aber  ein  reger  Eifer  für  Erneuerung  des 
religiösen  Lebens  und  Pflege  der  Wissenschaft  ging  bei  diesem  Fürstenhause  mit 
einem  höheren  Kunstsinn  Hand  in  Hand.  Wie  die  sächsischen  Fürsten  seit  Friedrich 
dem  Weisen  die  namhaftesten  Meister  Deutschlands  mit  Aufträgen  betrauten, 
wie  ein  Dürer,  Granach,  Peter  Vischer  und  sein  Sohn  Hermann  u.  a.  für  sie  be- 
schäftigt waren,  ist  bekannt.  Die  Denkmäler  der  Schloßkirche  in  Wittenberg,  Dürers 
Marter  der  Zehntausend,  zahlreiche  Gemälde  Granachs  geben  davon  Zeugnis. 
Weniger  hat  man  bisher  die  Bauten  der  sächsischen  Kurfürsten  ins  Auge  gefaßt. 
Ich  kann  hier  nur  das  Wichtigste  berühren.  Ein  so  gewaltiges  Fürstenschloß,  wie 
die  Albrechtsburg  in  Meißen,  von  dem  Stifter  der  Albertinischen  Linie  1471—83 

1)  Bau-undKunstdenkmaledesHerzogtumsOldenburg,  V,  Abb.96— 105,  210,  271,272  usw. 


342 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachseii 


durch  Meister  Arnold  Westveling  (d.  h.  von  "Westfalen)  noch  ganz  in  gotischen 
Formen,  aber  in  mächtigster  Raumentwicklung  erbaut,  hat  das  Mittelalter  sonst  in 
Deutschland  nirgends  (die  Marienburg  ist  ja  nur  eine  riesige  Kaserne  und  Festung) 
hervorgebracht.  In  der  Zeit  der  Frührenaissance  stellt  Johann  Friedrich  der  Groß-  ■ 
mütige  das  Schloß  zu  Torgau  seit  1532  als  ein  ebenbürtiges  Werk  von  nicht 
minder  großartiger  Anlage  hin.  Moritz,  der  die  Kurwürde  von  der  Wittenberger 
Linie  übernommen,  bewirkt  dann  seit  1547  den  ehemals  prachtvollen  Neubau  des 
Schlosses  zu  Dresden,  nachdem  schon  Herzog  Georg  der  Bärtige  1530  das  elegante 
Zierstück  des  Georgenbaus  errichtet  hatte.  Aber  schon  vorher  war  die  Renaissance 
hier  eingeführt  worden,  und  zwar  durch  einen  Augsburger  Meister  Adolph  Danher, 
der  1519  den  Hauptaltar  der  Stadtkirche  zu  Annaberg  aus  Solnhofer  Kalk- 
stein und  rotem  Salzburger  Marmor  arbeitete. i)  (Abb.  234,  235.)  Es  ist  das 
Meisterwerk  des  Augsburger  Künstlers,  an  dem  sich  vielleicht  schon  P.  FleUners 
Mitarbeit  merklich  macht.  Aus  derselben  Frühzeit  (1522)  datiert  ebendort  die 
Tür  der  Sakristei,  wahrscheinlich  das  Werk  eines  einheimischen  Meisters,  in  einem 
Gemisch  von  gotischen  und  Renaissanceformen  ausgeführt.^)  Die  herrlichen,  bereits 
echten  Renaissancegeist  atmenden  Rehefs  der  Emporenbrüstungen,  insbesondere 
die  Folge  der  menschhchen  Lebensalter,  mit  zarten  Renaissancekandelaberchen 
eingefaßt,  ebenso  die  wundervolle  schöne  Tür  und  der  Taufstein  seien  hier,  die 
glänzenden  Vorboten  der  neuen  Zeit,  nicht  vergessen.  Es  ist  erstaunlich,  wie 
wenig  diese  wundervollen  Werke  der  Bildhauerei,  die  sich  ihrem  Wesen  nach  so 
völHg  aus  der  Stilenge  lösen,  in  Deutschland  bekannt  sind.  Den  neuen  Stil  zeigt 
auch  der  Rest  des  kleinen  Portals  an  der  Burg  Stolpen  vom  Jahre  1520.')  — 
Die  höchste  Steigerung  gewinnt  aber  auch  hier  das  künstlerische  Leben,  nachdem 
die  Kämpfe  um  die  Religionsfreiheit  zum  Abschluß  gebracht  sind  und  Moritzens 
Nachfolger,  der  kraftvolle,  kluge,  bei  allem  lutherischen  Starrsinn  kunstliebende 
und  kulturfördernde  Kurfürst  August,  in  langer  friedlicher  Regierung  (1553 — 86) 
über  dem  Lande  waltet.  Unter  ihm  wird  das  Schloß  zu  Dresden  vollendet  und 
prachtvoll  ausgestattet. 

Die  sächsischen  Baumeister  pflegten  seit  1530  die  neue  Richtung  und  er- 
langten bald  weithin  in  Norddeutschland  einen  solchen  Ruf,  daß  sie  von  Fürsten 
und  Städten  in  schwierigen  Fällen  um  Rat  gefragt  wurden.  So  in  Görlitz  beim 
Bau  des  Rathauses,  wo  man  im  Jahr  1519  den  herzoglich  sächsischen  Baumeister 
Peter  von  Pirna  aus  Dresden  wegen  einer  angeblichen  Fahrlässigkeit  des  aus- 
führenden Meisters  berief.  Von  Berlin  wurden  ebenfalls  sächsische  Meister  wieder- 
holt berufen,  und  die  Arbeiten  des  Kaspar  Theiß  am  Schlosse  dort  ergeben,  daß 
dieser  in  Torgau  seine  Ausbildung  erhalten  hat.  Wenigstens  sind  die  runden, 
an  den  Ecken  ausgekragten  Erker,  die  offenen  Galerien,  vor  allem  aber  das  einst 
berühmte  Treppenhaus,  selbst  die  Ornamente  in  ihrer  Zeichnung  und  Ausfüh- 
rung offenbar  auf  jenes  sächsische  Vorbild  zurückzuführen.  Es  scheint  sogar 
sicher,  daß  der  Torgauer  Meister,  Konrad  Krebs,  den  Berliner  Schloßbau  entwarf. 
Später  (1585)  schickt  Kurfürst  August  seinen  Maurermeister  Peter  Kummer  behufs 
des  Schloßbaues  dorthin  (oben  S.  195);  1G04  werden  Maurer  aus  Meißen  ver- 
schrieben, und  um  dieselbe  Zeit  baut  Balthasar  Benzelt  aus  Dresden  das  Haus 
der  Herzogin  im  Schlosse  (vgl.  S.  196).  Ebenso  haben  wir  erfahren  (S.  238),  daß 
Johann  Albrecht  I.  von  Mecklenburg  1554  vergeblich  vom  Kurfürsten  August  seinen 
Festungsbaumeister  Kaspar  Voiijt  erbat.    Simon  und  Georg  Schröder  aus  Torgau, 

1)  Vgl.  Waagen,  Kunstw.  und  Künstl.  in  Dentschl.  I,  38  ff.  Abgeb.  Bau-  u.  Kunstdenkm. 
im  Königr.  Sachsen  IV,  Beil.  VIII,  IX. 

-)  Waagen  a.  a.  0.  S.  36  f.  Bau-  und  Kunstdenkm.  Beil.  III. 

3)  Dr.  Julius  Schmidt  im  Archiv  f.  Sachs.  Gesch.  XI,  S.  167.  Bau-  und  Kunstdenkm.  im 
Königr.  Sachsen  I,  Beil.  XI. 


Fremde  und  sächsische  Meister 


343 


Georg  Walther  aus  Dresden  meißelten  in  Schwerin  für  die  Schloßkirche  (S.  247). 
In  Danzig  kennen  wir  den  trefflichen  Meister  Hans  Kramer  aus  Dresden,  der 
dort  hervorragende  Bauwerke,  das  englische  Haus,  das  Löwenschloß,  ausführte. 

Auch  italienische  Künstler  wurden  schon  unter  Kurfürst  Moritz  ins  Land 
gerufen;  aber  es  ist  doch  bezeichnend,  daß  ein  Deutscher,  Hans  Dehn  der  Eothf eiser, 
allerdings  nicht  sowohl  als  Baumeister,  sondern  als  Intendant  die  Oberleitung  des 
Schloßbaues  zu  Dresden  in  Händen  hat,  während  unter  ihm  neben  einheimischen 
Arbeitern  welsche  Estrichschläger,  Steinmetzen,  Maurer  und  Maler  tätig  sind. 
Am  wichtigsten  ist  aber,  daß  nach  neueren  Ermittlungen  ein  deutscher  Meister 
als  der  eigentliche  künstlerische  Schöpfer  des  bedeutenden  Baues  dasteht:  der 
oben  genannte  Heinrich  Kaspar  Voigt  von  Wierandt,  wie  der  volle  Name  lautet. 
Dieser  angesehene  Architekt  muß  als  einer  der  epochemachenden  Bahnbrecher 
des  neuen  Stiles  in  Deutschland  bezeichnet  werden.^)  In  der  späteren  Zeit  zog 
dagegen  Kurfürst  August  fremde  Künstler  ins  Land,  darunter  namentlich  Giov. 
Maria  Nosseni  aus  Lugano  (geb.  1544),  der  1575  als  kurfürstlicher  Bildhauer  und 
Maler  angestellt  wird  und  bis  zu  seinem  Tode  1620  große  Arbeiten  ausführt.^) 
Schon  vorher  (1563)  hatte  der  Kurfürst  nach  Rissen  der  „welschen  Musici  und 
Maler"  Gabriel  und  Benedikt  de  Tola  aus  Brescia,  die  bei  Ausschmückung  des 
Schlosses  in  Dresden  beschäftigt  waren,  das  prachtvolle  Denkmal  seines  Bruders 
Moritz  für  den  Dom  in  Freiberg  ausführen  lassen.  Ein  niederländischer  Meister 
Anton  von  Zerroen  hatte  es  in  Antwerpen  gearbeitet.  Die  zehn  Greifen,  welche 
die  obere  Platte  mit  der  Statue  des  knienden  Fürsten  tragen,  mußten  in  Lübeck 
gegossen  werden,  da  die  marmornen  Greifen  nicht  genügend  waren,  die  Last  zu 
tragen.  Wolf  Hilger  in  Freiberg  goß  das  Kruzifix,  vor  welchem  der  Betende 
kniet.  Eine  „feine,  kurze,  tapfere  Grabschrift"  zu  bekommen,  hielt  besonders 
schwer,  da  Melanchthon,  von  dem  der  Kurfürst  eine  solche  wünschte,  darüber  ge- 
storben war.  Zuletzt  beschloß  der  Kurfürst,  den  Chor  des  Domes  zu  einer  Grab- 
kapelle der  Fürsten  seines  Hauses  glänzend  umzugestalten.  Nosseni  entwirft 
1585  den  ersten  Plan  zu  diesem  großartigen  Werke,  das  die  Formen  italienischer 
Hochrenaissance  hier  zum  erstenmal  zur  Geltung  bringt.  Um  edles  Material  für 
die  Bauten  zu  gewinnen,  muß  der  Künstler  überall  im  Lande  nach  Steinbrüchen 
von  Marmor,  Alabaster,  Gips  und  Kalk  suchen;  schon  früher  hatte  Kurfürst 
August,  stets  eifrig  bemüht,  neue  Erwerbsquellen  seinem  Lande  zu  erschließen, 
unter  Zusicherung  einer  besonderen  „Ergötzlichkeit",  zum  Auffinden  solcher  Stein- 
lager seine  Baumeister  angefeuert.  Zur  Ausschmückung  seiner  Schlösser  berief 
er  den  Maler  und  Bildschnitzer  Hans  Schröer  aus  Lüttich  (dem  Namen  nach  eher 
ein  Niederdeutscher  als  ein  Niederländer),  den  er  beim  Landgrafen  Wilhelm  von 
Hessen  in  Kassel  kennen  gelernt  hatte.  Dieser  malte  u.  a.  für  das  Schloß  Freuden- 
stein bei  Freiberg  achtzehn  Bilder  aus  der  Geschichte  des  Amadis  von  Gallien. 
Auch  im  Schloß  zu  Dresden  war  er  1575  beschäftigt.  Er  wird  als  ein  Künstler 
bezeichnet,  der  im  Malen,  Gießen  und  „in  der  weißen  Arbeit,  so  man  Stuck 
nennt"  erfahren  sei.  Den  im  Festungsbau  gepriesenen  Grafen  liochiis  von  Linar, 
einen  Italiener,  der  später  in  brandenburgische  Dienste  trat  (siehe  oben  S.  194) 
berief  August  schon  1570,  um  durch  ihn  Dresden  befestigen  und  die  von  Hiero- 
nymus Lotter  begonnene  Augustusburg  oben  im  Erzgebirge  weiterbauen  zu  lassen. 
Die  Kunstkammer  in  Dresden  war  schon  damals  wegen  ihres  Reichtums  an 
Meisterwerken  aller  Art  die  Bewunderung  der  Zeitgenossen. 


1)  Vgl.  über  ihn  Corn.  Gurlitt,  Das  kgl.  Schloß  zu  Dresden  in  den  Mitt.  des  Sächs. 
Altert.-Vereins,  Heft  28  S.  35  ff. 

2)  Vgl.  über  dieses  und  das  folgende  den  -wertvollen  Aiifsatz  von  Dr.  Julius  Schmidt  im 
Archiv  f.  Sächs.  Gesch.  XI,  Heft  1  u.  2.  W.  Mackowsky,  Giovanni  Maria  Nosseni  und  die  Renais- 
sance in  Sachsen,  Berlin  1904. 


344 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


Der  baulustige  Christian  I.  (1586 — 91)  setzt  die  von  seinem  Vater  ange- 
fangenen Unternehmungen  nicht  minder  eifrig  fort.  Nosseni  reist  1588  nach  Italien, 
gewinnt  dort,  durch  Vermittlung  des  Giovanni  da  Bologna,  für  die  Bronzewerke 
des  Freiberger  Grabdenkmals  den  Florentiner  Erzgießer  Cat-lo  de  Cesare  und  be- 
ruft noch  andere  welsche  Künstler,  versäumt  auch  nicht,  in  Murano  600  venezia- 
nische Kristallgläser  für  den  Kurfürsten  zu  kaufen.  Während  in  Freiberg  an  der 
Grabkapelle  fortgebaut  wird,  beginnt  man  in  Dresden  auf  der  großen  Jungfern- 
bastei an  der  Elbe  ein  Lusthaus  zu  errichten,  wie  es  damals  an  allen  Höfen 
als  Schauplatz  für  die  prunkvollen  Feste  beliebt  war.  Der  Bau,  an  der  herrlichen 
Stelle  des  jetzigen  Belvedere  gelegen,  wo  die  Aussicht  über  den  Strom  und  die 
mit  Wein  bekränzten  und  mit  Villen  übersäten  Hügelzüge  sich  in  voller  Lieblich- 
keit öffnet,  wurde  nach  langer  Unterbrechung  erst  1617  von  Nosseni  wieder  auf- 
genommen und  durch  seinen  Nachfolger  Sebastian  WaltJier  vollendet.  Mit  seinen 
vier  ionischen  Marmorportalen  und  den  in  Alabaster,  Marmor  und  Serpentin  ge- 
täfelten Wänden,  den  zahlreichen  Büsten,  den  von  vergoldeten  Blumengewinden 
eingerahmten  Freskogemälden  der  Decke  war  er  ein  Wunderwerk  der  Zeit.  Der 
Blitz,  der  1747  in  das  unbegreiflicherweise  unter  ihm  angebrachte  Feuerwerk- 
laboratorium schlug,  zerstörte  den  reichen  Bau.  Die  Grabkapelle  in  Freiberg  wird 
1593  vollendet  und  dem  ehrgeizigen  Italiener  gestattet,  sein  Verdienst  um  diese 
in  einer  Marmorinschrift  zu  rühmen.  Der  Aufwand  für  den  ganzen  Bau  hatte  sich  auf 
51  000  Meißner  Gulden  belaufen.  Neben  alledem  wird  Nosseni  vielfach  nicht  bloß 
vom  Kurfürsten,  sondern  auch  von  den  befreundeten  Höfen  veranlaßt,  für  die 
glänzenden  Festlichkeiten  die  Dekorationen  zu  entwerfen  und  die  künstlerischen 
Ideen  anzugeben.  Auch  entwirft  er  für  den  Fürsten  Ernst  von  Schaumburg  den 
siebeneckigen  Kuppelbau  für  dessen  Mausoleum  zu  Stadthagen.  So  trägt 
auch  seine  Wirksamkeit  zur  Einbürgerung  der  Renaissance  nach  allen  Seiten  bei. 

Torgau 

Die  Stadt  Torgau,  berühmt  durch  das  1526  hier  geschlossene  Bündnis 
und  die  1530  hier  abgefaßten  Torgau  er  Artikel,  die  Grundlage  der  Augsburgischen 
Konfession,  war  im  14.  Jahrhundert  die  Residenz  der  Markgrafen  von  Meißen. 
Seit  1481  erbaute  Herzog  Albrecht  das  steil  über  der  Elbe  aufragende  Schloß 
Hartenfels,  dessen  älteste  Teile  noch  aus  dieser  Zeit  stammen.  Der  eigentliche 
Ausbau  des  ansehnlichen  Werkes  erfolgte  dann  unter  Johann  Friedrich  dem  Groß- 
mütigen, mit  dessen  Regierungsantritt  (1532)  wir  inschriftlich  dort  neue  Bautätig- 
keit nachweisen  können.  Nächst  der  Plassenburg  ist  das  Schloß  zu  Torgau  das 
umfänghchste  Denkmal  der  Frührenaissance  in  Deutschland,  i)  Auf  einem  erhöhten, 
steil  abfallenden  Hügel  an  der  Elbe  erhebt  es  sich  und  kehrt  seinen  südöstlichen 
Hauptbau  (H  in  Abb.  211)  mit  weit  vorspringendem  turmartigen  Erker  F  dem  Flusse 
zu.  Der  Bau,  leider  als  Kaserne  benutzt  und  dadurch  beträchtlicher  Entstellung 
anheimgefallen,  hat  eine  unregelmäßige  Anlage,  die  noch  dem  Ausgang  des  Mittel- 
alters angehört.  Johann  Friedrich  der  Großmütige,  der  hier  1503  geboren  wurde, 
hat  das  Schloß  in  großartigem  Sinne  vollendet  und  daraus  eins  der  reichsten 
Werke  unserer  Frührenaissance  geschaffen.  Der  Zugang  liegt  an  der  Westseite 
in  der  rechten  Ecke  des  Flügels  A.  Nach  außen  zeigt  der  Bau  hier  kräftige 
Giebel  vom  Schluß  der  Renaissancezeit;  ihr  gehört  ebenso  das  in  derber  Rustika 
durchgeführte  Hauptportal,  über  dem  zwei  Löwen  das  prachtvoll  ausgeführte  kur- 
sächsische Wappen  halten.    Auch  der  Hauptturm  hat  seine  Bekrönung  in  der 

1)  Eine  vortreffliche  eingehende  Darstellung  der  Baugesohichte  und  der  künstlerischen 
Bestandteile  des  Schlosses  bei  M.  Lewy,  Schloß  Hartenfels  bei  Torgau,  Berlin  1908. 
Dort  auch  zahlreiche  Abbildungen. 


Torgau  Schloß 


345 


Spätzeit  empfangen.  Tritt  man  ein,  so  befindet  man  sich  in  einem  unregelmäßigen 

Hofe,  dessen  größte  Länge  gegen  75  Meter  beträgt.    Die  ältesten  Teile  liegen  in 

dem  südwestlichen  Flügel  zur  Rechten  des  Eintretenden  bei  K,  während  an  der  ^' 

anderen  Seite  der  übereck  gestellte  Turm  B,  der  ungeschickt  in  die  späteren 

Bauten  hineingreift,  den  Abschluß  dieser  ältesten  Teile  bezeichnet.   Der  von  zwei    ,^  ^ 

Treppentürmen  flankierte  südliche  Teil  L  scheint  auch  zeitlich  die  Fortsetzung  der  ' 


Abb.  211    Grundriß  vom  ersten  Stock  des  Schlosses  Hartenfels  bei  Torgau 

früheren  Anlage  zu  sein.  An  ihn  stößt  in  der  südöstlichen  Ecke  der  Hauptturm 
des  Schlosses,  an  diesen  aber  legt  sich  der  große  östliche  Flügel  H  mit  seinem 
gewaltigen  Treppenhause  G,  dem  prachtvollsten,  das  die  Renaissance  in  Deutsch- 
land hervorgebracht  hat.  (Freilich  muß  die  verschwundene  Wendelstiege  im 
Berliner  Schlosse  sehr  ähnlich  gewesen  sein  und  sich  dem  gemeinsamen  Vorbilde 
zu  Blois  noch  viel  stärker  genähert  haben.)  Zwei  überdeckte  Freitreppen  führen 
zum  Hauptgeschoß  empor  und  münden  dort  auf  einen  freien  Altan,  der  sich  über 
dem  viereckigen  Unterbau  um  das  halbrunde  Treppenhaus  herumzieht  (vgl.  Abb.  212). 


346 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


Diese  Treppe  selbst  ist  in  den  größten  Abmessungen  als  Wendelstiege  um  eine 
Spindel  emporgeführt.  Das  ganze  Innere  des  Flügels  scheint  im  Hauptgeschoß 
II  nur  einen  einzigen  Saal  von  etwa  70  Meter  Länge  bei  14  Meter  Breite  gebildet 
'  zu  haben.  Auf  beiden  äußeren  Ecken  sind  halbrunde  Erker  mit  freiem  Blick  über 
den  Fluß  und  die  weite  Flachlandschaft  angeordnet.  In  der  Mitte  springt  turm- 
artig bei  F  ein  großer  Pavillon  nach  außen  vor.  Im  zweiten  Stockwerk  zieht  sich 
auf  gewölbter  Auskragung  eine  Galerie  im  Innern  des  Hofes  vor  diesem  Haupt- 
flügel hin,  die  Verbindung  mit  den  anstoßenden  Bauten  vermittelnd.  Am  Haupt- 
turm dagegen  ist  in  beiden  Obergeschossen  die  Verbindung  durch  eine  auf  Kande- 
labersäulen ruhende  frei  umlaufende  Galerie  bewerkstelligt,  die  im  zweiten  Stock 
ihre  Fortsetzung  am  Flügel  L  bis  zum  benachbarten  Treppenhause  in  einer  offenen 
Galerie  findet.  Fast  im  rechten  Winkel  stößt  sodann  der  nördliche  Flügel  an, 
mit  dem  Hauptbau  durch  eine  im  Viertelkreis  geführte  kleine  Galerie  verbunden. 
Nach  außen  wird  dieser  Flügel  durch  die  beiden  großen  Rundtürme  E  und  D,  nach 
innen  gegen  den  Hof  durch  den  prachtvollen  Bd.  I,  Abb.  108  abgebildeten  Erker  J 
charakterisiert.  Der  östhche  Teil  dieses  Flügels  ist  zurzeit  völlig  bedeutungslos, 
der  westliche  aber  enthält  die  Schloßkapelle  C,  die  vom  Hofe  aus  durch  ein 
An_  schönes  rundbogiges  Portal  zugänglich  ist.  Die  früheste  Jahreszahl  1532,  die  ich 
am  Schlosse  bemerkt  habe,  findet  sich  an  dem  östlichen  Hauptflügel  H,  und  zwar 
südlich  am  zweiten  Fenster  des  Erdgeschosses.  Der  Schlußstein  der  großen 
Treppe  enthält  neben  den  großen  Brustbildern  des  fürstlichen  Erbauers  und  seiner 
Gemahlin  die  Jahreszahl  1536.  An  dem  prächtigen  Erker  des  Nordflügels  liest 
man  1544,  und  dieselbe  Jahreszahl  trägt  die  Tür  der  Kapelle.  Demnach  sind 
diese  Teile  des  Schlosses  etwa  1532 — 44  ausgeführt  worden.  Zwei  Jahre  vor  der 
unseHgen  Schlacht  bei  Mühlberg  vollendete  der  edle  Fürst  sein  Werk  durch  die 
schöne  Einweihungstafel  in  der  Kapelle. 

Der  Erbauer  des  Hauptflügels  gegen  die  Elbe  und  des  großen  Treppenhauses 
1^  war  Konrad  Krebs  aus  Büdingen  (?);  der  Flügelbau  nahm  die  Jahre  1532 — 35  in 

^iK'd  J 'S^o  Anspruch.  Dieser  bedeutende  Künstler  starb  1540  und  liegt  in  der  Stadtkirche 
begraben,  gleich  bei  Luthers  Ehefrau.  Von  ihm  sind  in  Annaberg  schon  vor  1520 
die  berühmten  Kirchengewölbe  geschaffen;  nachher  baute  er  in  Koburg  das  Haupt- 
schiff der  Moritzkirche;  wir  haben  in  ihm  also  einen  letzten  Sprossen  der  alten 
Bauhütten  zu  sehen,  der  zwischen  1520  und  1530  zur  Renaissance  überging  und 
offenbar  in  Frankreich  starke  Anregung  und  Schulung  empfing.  Aber  sein  echt 
deutsches  Wesen  vermochte  diese  nicht  zurückzudrängen;  er  bleibt  überall  vater- 
ländischer Art  getreu.  In  ihm  sehen  wir  —  die  Torgauer  Arbeiten  sagen  das 
deutlich  aus  —  einen  bisher  in  tiefem  Schatten  gebliebenen  großen  Künstler,  den 
wir  getrost  neben  die  gleichzeitigen  besten  Meister  der  Franzosen  und  Spanier 
stellen  können.  Seine  Werke  sind  die  reichsten  Blüten  unserer  frühen  Renaissance. 

In  der  Erbauung  der  Schloßkirche  folgte  dem  Heimgegangenen  1543 — 44 
ein  nicht  Unwürdiger,  Nllvlans  Grohmann,  der  zwanzig  Jahre  später  in  Altenburg 
im  Rathause  sein  Meisterwerk  schuf,  auf  der  Heldburg  dann  den  „französischen" 
Bau  anfügte. 

Da  auch  das  Schloß  zu  Dessau  in  seinem  schönsten  Teil,  dem  Treppen- 
turm mit  Aufgang,  direkt  vom  Torgauer  abhängt,  so  haben  wir  hier  den  Aus- 
gangspunkt einer  Reihe  der  besten  Meister  und  Werke:  Berlin  —  Dessau  —  Alten- 
burg —  Heldburg. 

Und  was  wichtig  ist:  die  französische  Frührenaissance  hat  hier  nicht  un- 
erheblich hereingespielt,  was  sich  schon  in  den  prächtigen  Kandelabersäulen  des 
Schloßerkers  vor  Ornamentpilastern  unverkennbar  ausspricht.  Und  wenn  Groh- 
mann als  sein  letztes  bekanntes  Werk  uns  einen  „französischen  Bau"  hinterläßt, 
da  wir  ihn  als  Nachfolger  und  wohl  auch  Schüler  von  Krebs  ansehen  müssen,  so 


Torgau  Schloß 


347 


dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  der  Schüler  die  alten  Beziehungen  des  Meisters 
zum  Westlande  weiter  gepflegt  habe.  Beziehungen  unserer  frühen  Renaissance 
zu  Frankreich  sind  bis  jetzt  nie  angenommen  noch  nachgewiesen.  Bei  dem  freien 
internationalen  Verkehr  der  Höfe  untereinander  aber  mußten  solche  einfach  unver- 
meidlich sein  und  treten  heute  langsam,  doch  immer  klarer  in  unser  Gesichtsfeld. 
Auch  in  Brieg  am  Schloßbau  scheinen  solche  stark  gewaltet  zu  haben. 


Abb.  212   Schloß  Hartenfels  bei  Torgau 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Wir  kehren  zum  Schlosse  Hartenfels  zurück. 

Der  Großartigkeit  des  Baus  entspricht  der  Reichtum  des  bildhauerischen 
Schmucks.  Auch  darin  ist  er  nur  mit  der  Plassenburg  zu  vergleichen,  die  er 
jedoch  an  Feinheit  der  Durchbildung  vor  allem  aber  an  künstlerischem  Können 
wie  Wissen  weit  übertriöt.  Am  einfachsten  sind  die  älteren  südwestlichen  Teile. 
Sie  haben  gekuppelte  Fenster  mit  spätgotischen  Vorhangbögen,  die  auch  in  ihrer 
Gliederung  noch  mittelalterlich  sind.  An  den  beiden  Hauptflügeln,  dem  östlichen 


348  2.  Buch   Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 

und  nördlichen,  haben  die  Fenster  zwar  dieselbe  Form,  aber  weit  größere  Ver- 
hältnisse, und  sind  in  den  Vorhangbogenzwickeln  mit  feinen  Renaissanceornamenten, 
Laubwerk,  Festons,  Delphinen  und  Putten  geschmückt.  Von  größter  Zierlichkeit  sind 
die  Säulengalerien  am  Eckturm,  mit  Fürstenbildnissen  und  anderem  Ornament  über- 
deckt. Noch  größer  aber  ist  die  Pracht  an  dem  östlichen  Hauptflügel  (Abb.  212), 
wo  die  Freitreppen,  die  Altane  und  das  turmartig  vorragende,  mit  gebogenem 
Giebel  abgeschlossene  Treppenhaus  an  ihren  Balustraden,  Pilastern  und  Gesimsen 
mit  einer  Ornamentik  von  unübertroffenem  Reichtum  prangen,  die  auch  an  der 
langen  Galerie  des  zweiten  Geschosses  durchgeführt  ist.  Mit  dieser  außerordent- 
lichen Pracht  verbindet  sich  ein  seltener  Geschmack  in  Feinheit  der  Abstufung 
bei  einer  durchweg  im  Flachrelief  ausgeführten  Modellierung,  die  Vegetatives  und 
Figürliches  zu  trefflicher  Wirkung  verbindet.  Prächtig  sind  die  Wappen  behandelt, 
lebensvoll  die  Medaillons  mit  fürstlichen  Brustbildern.  Das  Gewölbe  der  großen 
Wendeltreppe  zeigt  verschlungene  gotische  Netzrippen  und  mündet  mit  dem  ersten 
Podest  auf  einen  eleganten  schmuckreichen  Bogen,  sodann  auf  ein  Portal  mit 
Säulen  und  Ornamenten  in  demselben  aber  überreichen  Frührenaissancestil,  i)  Reiche, 
etwas  wulstige  Kandelaber  rahmen  es  ein,  Ornament  und  Relief  bedeckt  seine 
Flächen  wie  die  seines  Aufsatzes.  Nahe  Verwandtschaft  zum  Georgenportal  zu 
Dresden  ist  unverkennbar;  doch  ist  letzteres  künstlerisch  reifer.  Dies  war  der 
Eingang  in  den  großen  verschwundenen  Festsaal.  An  der  Treppe  ist  nicht  bloß 
die  Spindel,  sondern  jede  Stufe  an  der  Unterseite  mit  Hohlkehlen  und  Rundstäben 
in  mittelalterlicher  Weise  kraftvoll  gegliedert.  Die  Spindel  endet  mit  einem  Rund- 
pfeiler; er  trägt  das  abschließende  Netzgewölbe  mit  teilweise  offenen  Rippen, 
dessen  Schlußstein  die  Brustbilder  Johann  Friedrichs  und  seiner  Gemahlin  zeigt. 

Auf  die  innere  Anlage  dieser  prächtigen  Treppe 
mag  das  Vorbild  des  „Wendelsteins"  im  Schloß 
zu  Meißen  eingewirkt  haben;  ihre  Gesamt- 
erscheinung ist  aber  ohne  Blois  kaum  denk- 
bar, wie  ja  auch  das  Meißener  Treppenhaus 
auf  Frankreich  hinweist. 

Kehren  wir  zum  Äußeren  zurück,  so 
finden  wir  selbst  die  Unterseite  der  langen 
Galerie  mit  schräg  gekreuzten  Kassettierungen 
und  mannigfaltigen  Rosetten  geschmückt.  Die 
höchste  Pracht  und  Feinheit  erreicht  die  De- 
koration an  dem  öfters  erwähnten  Erker  des 
Nordflügels  (vgl.  Bd.  I,  Abb.  108).  Die  tragende 
Säule,  die  die  Jahreszahl  1544  zeigt,  hat  am 
Kapitell  Sirenen  von  köstlicher  Bewegung; 
außerdem  sieht  man  Darstellungen  der  Judith, 
der  Lukretia,  Friese  mit  Kampfszenen,  so  daß 
jede  Fläche  mit  Schmuck  übersponnen  ist. 
Manches  ist  hier  als  ganz  französisch  zu  be- 
zeichnen, anderes  gemahnt  wieder  an  den 
schlesischen  Prachtbau  des  Brieger  Portals. 
Dagegen  sind  an  diesem  Flügel  die  orna- 
mentalen Füllungen  der  Fenster  bei  weitem 
nicht  so  fein  und  mannigfaltig,  offenbar  auch 
älter,  daher  noch  unbeholfener  als  am  östlichen 
Hauptbau.  Von  besonderem  Schwung  ist  da- 
gegen wieder  Nikolaus  Grohmanns  einfach- 

1)  Lewy,  a.  a,  0.  Abb.  21.  22. 


Abb.  213  Portal  der  Schloßkirche  zu  Torgau 


Torgau  Schloß 


349 


rundbogiges  Portal  zur  Schloßkapelle  (Abb.  213),  dessen  Bogen  mit  Rankenwerk 
ausgefüllt,  darin  Putten  in  kühner,  fast  theatralischer  Bewegung  die  Marterwerk- 
zeuge halten.  Darüber  als  besondere  Tafel,  von  geschweiften  Säulchen  eingefaßt, 
ein  Relief  der  Grablegung  und  Beweinung  Christi.  Dabei  Inschrift:  Im  1544  Jar 
angefangen  und  vorbracht.  Der  Bildhauer  des  Portals  war  Simon  Schröther,  der 
des  Reliefs  hieß  Stephan. 

Die  Kirche  zeigt  sich  als  das  aus  Schwerin  bekannte  Rechteck  mit  Netz- 
gewölben und  eingefügten  schlichten  Emporen,  hier  in  zwei  Obergeschossen.  Der 
reich  aufgebaute  Altar  hat  in  einem  hübschen  Rahmen  von  korinthischen  Säulen 
ein  Alabasterrelief  und  stammt  aus  der  Schloßkirche  zu  Dresden,  elegant  aus- 
geführt und  reich  vergoldet.^)  Links  neben  dem  Altar  ist  eine  große  Bronzetafel 
mit  der  Widmung  in  die  Wand  eingelassen.  Sie  berichtet,  daß  Johann  Friedrich 
1544  diesen  Tempel  erbaut  habe.  Der  Rand  zeigt  prachtvolles  Ornament  auf 
Goldgrund,  das  oben  in  eine  Akanthusranke  ausläuft  und  ein  Medaillon  mit  dem 
Brustbild  des  Kurfürsten  umschließt.  Diesem  entspricht  unten  das  Porträt  Luthers, 
zu  beiden  Seiten  der  jungen  Prinzen  Johann  Wilhelm  und  des  später  so  unglück- 
lichen Johann  Friedrich.  Unten  und  oben  sind  außerdem  zwei  Engel  als  Wappen- 
halter angebracht;  die  Brustbilder  und  Figuren  sämtlich  bemalt,  die  Ornamente 
auf  Goldgrund,  das  Ganze  von  hohem  dekorativen  Wert,  inschriftlich  1545  durch 
Wolf  und  Oswald  Hilger  ^)  zu  Freiberg  gegossen. 

Die  runde  Kanzel,  von  drei  reichen  Rehefs  umgeben,  auf  einer  prächtigen 
Rollwerkauskragung,  stammt  von  Simon  Schröther,  der  für  Schwerin  (S.  247)  die 
ganz  ähnliche  Kanzel  der  Schloßkapelle  meißelte.^) 

Das  Äußere  des  Schlosses  ist  schlicht  durchgeführt,  nur  von  den  beiden 
runden  Erkern  des  Saalbaues  hat  der 
nordöstliche  edle  Gliederung  und  reichen 
Schmuck  von  Brustbildern,  figürlichen 
Friesen  und  anderem  Ornament  in  deli- 
katester Behandlung.'*)  Die  innere  Aus- 
stattung scheint  ganz  verloren  gegangen 
zu  sein.  Daß  es  aufs  reichste  geschmückt 
war  und  namentlich  durch  die  Hand 
Lukas  Cranachs  und  seiner  Gehilfen  präch- 
tige Malereien  erhalten  hatte,  erfahren  wir 
aus  den  noch  vorhandenen  Rechnungen.®) 
Im  Saal  waren  Bildnisse  von  Fürsten  und 
Kaisern,  dann  Christi  Himmelfahrt  und 
des  Papstes  Höllenfahrt  gemalt.  Wie  der 
Untergang  der  Bilder  bei  der  Verwüstung 
des  Schlosses  durch  die  Spanier  selbst  von 

1)  Lewy,  Abb.  44. 

2)  Lewy,  Abb.  45.  Von  Wolf  Hilger  in 
der  Petrikirche  zu  Wolgast  das  Denkmal  Herzog 
Philipps  I.  von  Pommern ;  vgl.  Lübkes  Gesch.  der 
Plast,  m.  Aufl.  S.  870. 

3)  Abgeb.  bei  Lewy,  a.  a.  0.  Abb.  42. 

4)  Lewy,  Abb.  15.  Die  Eückseite  des 
Schlosses  hat  L.  Cranach  auf  einer  von  Schuchardt 
publizierten  Darstellung  des  Heilandes,  der  die 
Kinder  zu  sich  kommen  heißt,  als  Hintergrund 
angebracht.  Lewy,  Abb.  2. 

5)  Aus  dem  Gesamtarchiv  zu  Weimar  mit- 
geteilt in  Schuchardts  Leben  Lukas  Cranachs  I, 
93  if.,  m,  265  if. 


350 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersaclisen 


katholischen  Zeitgenossen  hetrauert  wurde,  haben  wir  aus  der  Zimmerischen 
Chronik  erfahren.  Andrer  Art  war  freiUch  die  Ausschmückung  der  „Spiegel- 
stube", wo  man  „zwo  Tafeln,  daruff  Bulschaften  gemalt"  sah.  Später  (seit  1576) 
arbeitete  Giovanni  Maria  Nosseni^)  für  das  Schloß  Kredenztische  mit  allerlei 
Prachtgefäßen  aus  Alabaster,  geschnitzte  Sessel,  mit  geschliffenen  Steinen  besetzt, 
Büsten  römischer  Kaiser  u.  dgl.  mehr.  Von  alledem  ist  nichts  mehr  vorhanden; 
dagegen  geben  am  Treppenhaus  einige  prächtig  behandelte  Eisengitter  Zeugnis 
von  gediegener  Schmiedekunst. 

Ganz  dieselbe  Behandlungsweise,  wie  das  überreiche  Saalportal  im  Treppen- 
hause des  Schlosses,  doch  weit  höhere  Vollendung,  zeigte  ein  leider  verkauftes 
und  abgebrochenes  kleines  Portal  an  dem  Hause  der  Schloßstraße  Nr.  453,  von 
größter  Feinheit  einer  entzückenden  Ornamentik  wie  Skulptur,  oben  im  Bogen- 
felde  mit  Adam  und  Eva,  unter  dem  Baume  sitzend  (Abb.  214).  Daneben  ehe- 
mals ein  Fenster,  in  derselben  Weise  behandelt,  nur  statt  der  Säulen  mit  reich 
dekorierten  Pilastern  eingefaßt,  darüber  in  einem  Dreiecks- Giebelfelde  Kains 
Brudermord;  1537  bezeichnet.^)  In  derselben  Straße  Nr.  469  ein  kleines  Portal 
mit  hübschem  Doppelwappen.  Ähnliche  reizvolle  Portale  sieht  man  noch  an 
mehreren  Stellen  in  der  Ritterstraße,  der  Schloßstraße,  der  Fischerstraße,  hier 
z.  B.  von  1571,  ja  sogar  eins  von  1624.  Das  Portal  bildet  gewöhnlich  einen 
kleinen  Bogen,  mit  Zahnschnitten,  Eierstab  und  Perlschnur  wirksam  gegliedert, 
an  den  Seiten  mit  Nischen,  die  Sitzbänke  haben  und  mit  feiner  Muschelwölbung 
geschlossen  sind.  Auch  einige  kleine  spätgotische  Portale  kommen  vor;  wie 
sehr  sind  ihnen  aber  die  Renaissanceportale  an  Reiz  überlegen! 

Endlich  besitzt  Torgau  auch  ein  Rathaus  von  stattlicher  Anlage  mit  drei 
hohen  Giebeln,  leider  stark  modernisiert.  An  der  südwestlichen  Ecke  baut  sich 
ein  runder  Erker  aus,  nach  dem  Vorbilde  der  beiden  am  Saalbau  des  Schlosses 
angelegt  und  aufs  reichste  bildhauerisch  geschmückt.  Er  ruht  auf  zwei  Pilastern, 
über  welchen  bärtige  Männergestalten  konsolartig  angebracht  sind.  Verzierte 
Pilaster  und  Friese  gliedern  die  Flächen,  und  an  den  Fensterbrüstungen  sieht 
man  ganz  oben  Kaiserbilder,  dann  Figuren  von  Tugenden,  endlich  die  Brustbilder 
eines  Fürsten  mit  seiner  Gemahlin,  vielleicht  Johann  Friedrichs  des  Mittleren, 
denn  das  Werk  scheint  erst  um  1560  entstanden  zu  sein. 

Dresden 

Dresden  ist  recht  eigentlich  in  Norddeutschland  als  die  Stadt  der  Renais- 
sance zu  bezeichnen.  Denkmäler  des  Mittelalters  kommen  gegenüber  den  späteren 
gar  nicht  in  Betracht.  Noch  im  Ausgang  des  Mittelalters  steht  Meißen  bedeutend 
voran,  durch  seinen  Dom  und  die  gewaltige  Albrechtsburg  ausgezeichnet.  Erst 
mit  dem  16.  Jahrhundert  erhält  Dresden  als  Hauptresidenz  des  kurfürstlichen 
Hofes  höhere  Bedeutung  und  bleibt  dann  jahrhundertelang  der  Sitz  einer 
glänzenden  Kunsttätigkeit.  Das  Hauptwerk  der  Frührenaissance  ist  das  König- 
liche Schloß.^*) 

Schon  im  Mittelalter  hatte  weiter  südlich  von  dem  jetzigen  Schloß  eine 
Burg  der  Markgrafen  von  Meißen  bestanden,  die  indes  baufällig  geworden  war, 

1)  Vgl.  Dr.  Julius  Schmidt  im  Archiv  für  Sachs.  Gesch.  XI.  S.  128. 

2)  Die  Abbild,  nach  einer  Photographie  von  Palmie.  Das  zierliche  Werk  gehörte  der  gleichen 
Hand  an,  wie  das  Portal  am  Georgenbau  zu  Dresden.  S.  d. 

3)  Vgl.  Com.  Gurlitt,  Das  kgl.  Schloß  zu  Dresden  in  den  Mitt.  des  Sachs.  Altert.-Ver, 
Heft  28,  eine  quellenmäßige,  aus  den  Urkunden  geschöpfte  Darstellung,  voll  wichtiger  Auf- 
schlüsse über  die  damalige  Art  architektonischen  Schaffens,  Vor  allem:  Bau-  und  Kuustdenkm. 
d.  Königr.  Sachsen,  Heft  21  — 23,  S.  336— 422.  Dazu  die  Aufn.  in  Ortsweins  D.  Ren.  Abt.  XV 
von  Naumann,  Dreher  u.  Möckel. 


Dresden  Georgenbau 


351 


so  daß  1494  der  zu  ihr  gehörige  Turm  vom  Sturmwinde  niedergeworfen  werden 
konnte.^)  Inzwischen  war  bereits  der  Grund  zu  einem  neuen  Bau  gelegt  worden, 
weiter  abwärts  an  der  nordwestlichen  Ecke  der  Altstadt  gegen  den  Strom  zu. 
Die  nordwestlichen  Teile  des  vorhandenen  Schlosses  enthalten  die  Reste  jener 
Anlage.  An  sie  fügte  seit  1530  Herzog  Georg  der  Bärtige  den  aus  der  Gesamt- 
masse nach  Norden  gegen  die  Elbe  vorspringenden  Georgenflügel.  Zwanzig  Jahre 
später  vollzog  Kurfürst  Moritz  den  durchgreifenden  Umbau,  welcher  dem  Schlosse 
seine  neue  Gestalt  geben  sollte. 

Zu  den  jetzt  ältesten  Teilen  des  Schlosses  gehört  also  der  an  der  nordöst- 
lichen Ecke  gegen  den  Fluß  hinausgeschobene  Georgenbau,  durch  den  noch 
immer  der  ganze  Verkehr  aus  der  Schloßstraße  nach  der  Elbbrücke  seinen  Weg 
nimmt.  Er  hat  in  der  Mitte  eine  mit  Kreuzgewölben  versehene  Durchfahrt,  an 
beiden  Seiten  Durchgänge  für  Fußgänger;  an  der  inneren  Stadtseite  bei  N  des 
Grundrisses  Abb.  216  im  Erdgeschoß  war  eine  gewölbte  Vorhalle  auf  Pfeilern,  ein 
späterer  Zusatz,  da  sie  die  reichen  Portale  bis  auf  das  zur  Linken  und  einen  Teil 
des  mittleren  verdeckte.  Der  ganze  Bau  ist  neuerdings  leider  völlig  neu  gebaut, 
nur  eben  eine  schwerfällige  Imitation  des  alten,  von  dem  allein  das  schöne  Außen- 
tor beibehalten  ist,  aber  an  die  Nebenseite  des  Vorbaus  versetzt.  Damit  ist  bis 
auf  diesen  Rest  ein  Hauptwerk  der  sächsischen  Frührenaissance  ganz  beseitigt. 
An  dem  inneren  Portal  las  man  zweimal  die  Jahreszahl  1530;  dabei  die  lebendig 
ausgeführten  Medaillonbilder  der  Herzöge  Georg  des  Bärtigen  und  seines  Sohnes 
Johann.  Die  Ornamente  waren  hier  noch  sehr  spielend  und  etwas  flach  gezeichnet, 
aber  reich  und  zierlich,  die  Profile  der  Glieder  in  mittelalterlicher  Weise  aus 
Kehlen  und  Rundstäben  zusammengesetzt.  Die  ganze  Fassade,  damals  von  der 
größten  Pracht^),  war  mit  figürlichen  Friesen,  Pilastern  und  Gesimsen  glänzend 
geschmückt  und  mit  einem  hohen  Giebel  abgeschlossen,  auf  dessen  Stufen  Drachen 
und  Ornamente  lagerten,  während  die  Eckstreifen  von  Statuen  bekrönt  wurden. 
In  der  Mitte  der  Fassade  rankte  sich  ein  doppelter  verschlungener  Baumast 
empor,  in  den  beiden  Hauptgeschossen  die  mittleren  Fenster  umrahmend,  am 
Giebel  dann  sich  vereinigend  und  bis  zum  obersten  Schlußfelde  aufsteigend,  wo 
Maria  mit  dem  Kinde  thronte,  von  Engeln  umringt.  Diese  sowie  sämtliche  übrige 
Bildwerke  samt  zahlreichen  Sprüchen  entwickelten  den  Gedanken  der  Erlösung, 
bewegten  sich  also,  den  klassischen  Gewohnheiten  der  Zeit  entgegen,  in  aus- 
schHeßlich  christlichem  Ideenkreise.  Bemalung  und  Vergoldung  steigerte  die 
Pracht  des  Ganzen.  Diese  Innenfront  ist  in  der  architektonischen  Anordnung 
durchaus  symmetrisch,  bis  auf  die  etwas  verschobenen  Tore  des  Erdgeschosses. 
Pflaster  ziehen  an  den  Ecken  von  unten  bis  zum  Giebelanfang,  das  1.  und  2.  Ge- 
schoß hat  je  5  Fenster  mit  Doppelpflastern  dazwischen,  das  folgende  nur  einen 
Streifen  in  der  Mitte. 

An  der  Außenseite  bei  M  ist  das  einstige  Mittel-,  jetzt  Seitenportal  in 
derselben  spielenden  Frührenaissance  gebfldet,  mit  kandelaberartigen  Säulen 
eingefaßt,  die  in  ihren  rundhchen  Formen  fast  wie  von  Bronze  erscheinen^) 
(Abb.  215).  Alle  Flächen,  die  Sockel,  Pflaster,  sind  mit  Ornamenten  völlig 
bedeckt.  Am  Schlußstein  ist  ein  Totenkopf  ausgemeißelt,  über  dem  die  halb 
zerstörte  Inschrift:  Per  invidiam  diaboli  mors  intravit  in  orbem.  Darüber  die 
Jahreszahl  1534.  Hierüber  befand  sich  einst  noch  ein  Aufsatz  mit  dem  von 
Säulen  eingefaßten  Relief  des  Brudermords,  von  Schnörkeln  flankiert;  mitten 
darüber  ein  halbrunder  Muschelgiebel,  an  dessen  Seiten  Adam  und  Eva  frei- 

1)  Vgl.  Weck,  Beschreib-  und  Vorstellung  von  Dresden  (1680)  S.  24. 

2)  Abb.  bei  Weck,  Taf.  9. 

3)  Abb.  bei  Ortwein,  a.  a.  0.  Taf.  22—27.  —  v.  Bezold,  D.  Bank.  d.  Een.  in  Deutschland, 
Leipzig  1908,  Fig.  17. 


352 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


stehend.  An  der  Mitte  auch  der  Apfelbaum  mit  der  Schlange,  der  geistvoll 
sich  zur  Stütze  des  Erkers  aus  wuchs.  Links  und  rechts  ein  Ornamentfries, 
darüber  die  Brüstung  des  zweiten  Geschosses  als  Bogengalerie  mit  Wappen 
darin.    Der  Erker  bildete  oben  einen  offenen  Altan. 


Abb.  215  Greorgentor  des  Schlosses  zu  Dresden 
(Nach  Phot.  F.  &  0.  Brockmaim  Nachf.) 


Das  Portal  erweist  sich  als  ganz  unzweifelhaft  denselben  Händen  angehörig, 
wie  jenes  kleine  —  leider  verschwundene  —  von  Schloßstraße  453  zu  Torgau,  und 
wohl  auch  das  große  Saalportal  daselbst.  Auch  jenes  war  mit  Adam  und  Eva 
bekrönt,  das  Fenster  daneben  hatte  im  Giebelfeld  den  Brudermord.  Das  Einzelne 
stimmt  überraschend;  selbst  die  auf  dem  Boden  ruhenden  runden  Kandelaber. 
Das  Torgauer  Portal  ist  um  zwei  Jahre  jünger  gewesen.  1535  wird  also  das  Voll- 
endungsjahr sein,  was  durch  eine  neuerdings  an  der  Südseite  entdeckte  Jahres- 


Dresden   Schloß  353 

zahl  1535  bestätigt  wird.^)  Über  dem  zweiten  Stocke  zog  sich  das  große  Relief 
eines  Totentanzes  an  der  Fassade  hin,  das  später,  durch  den  vorgebauten  Balkon 
verdrängt,  in  die  Mauer  des  Neustädter  Kirchhofs  eingesetzt  wurde.  Eine  treffliche 
Arbeit  voll  Ausdruck  und  Leben,  etwa  90  cm  hoch  und  gegen  12  Meter  lang.  Als 
Meister  dieser  ganzen  reichen  plastischen  Dekoration  gilt  der  in  den  Urkunden 
genannte  Hans  Schiel- entanz.'^)  Doch  dürfte  er  nur  der  Baumeister  gewesen  sein, 
nicht  auch  der  Bildhauer. 


Abb.  216  Erdgeschoßgrundriß  des  Schlosses  zu  Dresden 


Die  genannten  bildlichen  Darstellungen  im  Zusammenhange  mit  dem 
Totentanz  veranschaulichen  also  den  Gedanken,  daß  durch  den  Sündenfall  der 
Tod  in  die  Welt  gekommen  sei,  während  die  andere  Seite  mit  Beziehung  darauf 
die  Versöhnung  durch  Christi  Menschwerdung  und  Leiden  aussprach.  Wer  er- 
kennt nicht  in  der  Wahl  dieser  Gegenstände  die  Geistesart  des  edlen,  aber  un- 
glücklichen Erbauers,  der,  obwohl  von  dem  Bedürfnis  einer  inneren  Reform  der 
Kirche  tief  durchdrungen,  doch,  durch  die  stürmischen  Bewegungen  der  Zeit 
erschreckt,  sich  von  der  Reformation  abwandte,  und  im  Zwiespalt  mit  seinem 
lutherisch  gesinnten  Volke  1539  starb! 

Dieser  leider  zuerst  traurig  verstümmelte,  jezt  sogar  ganz  beseitigte  Georgs- 
bau ging  also  dem  von  Moritz  ausgeführten  Hof  bau  um  fast  zwanzig  Jahre  voran, 

1)  Vgl.  Fr.  R.  Steche,  Hans  von  Dehn-Rothfelser  (Dresden  1877)  S.  12. 

2)  Vgl.  Gurlitt  a.  a.  0.  S.  6  S. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  23 


354 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


und  da  er  selbst  noch  früher  als  der  Schloßbau  zu  Torgau  ist,  so  haben  wir  ihn 
als  das  früheste  umfängliche  Bauwerk  der  Renaissance  in  Norddeutschland  zu 
betrachten. 

Der  Kern  des  jüngeren  Moritzschlosses  gruppiert  sich  um  einen  großen 
Hof  (B  in  Abb.  216).  Man  gelangt  dahin  durch  den  übrigens  neueren  Eingang  A, 
der  an  der  nördlichen  Seite  unter  dem  großen  alten  Turme  sich  befindet.  Diese 
Fassade,  gegen  den  Fluß  gewendet,  machte  ursprünglich  einen  anderen  Ein- 
druck, als  sie  noch  mit  Malereien  bedeckt  war  und  nicht  durch  die  später 
vorgebaute  katholische  Kirche  verdeckt  wurde.  Doch  ist  als  die  eigenthche 
Hauptfront  die  innere  (Hof-)  Seite  dieses  Flügels  anzusehen.  In  dem  Nordflügel 
bei  E  lag  die  ehemalige  Schloßkapelle,  deren  prachtvolles  Portal  im  Hofe  später 
an  die  Sophienkirche  versetzt,  dann  abgetragen  und  später  am  Judenhofe  wieder 
aufgerichtet  wurde.  Der  westliche  Flügel,  an  dem  in  der  Nordwestecke  ein 
kräftiger  Erker  vorspringt,  umschließt  die  Schätze  des  sogenannten  Grünen  Ge- 
wölbes. Das  ganze  Erdgeschoß  ist  mit  Kreuzgewölben  auf  Pfeilern  versehen; 
nur  die  Kapelle  (E)  machte  eine  Ausnahme,  denn  es  war  ein  in  ungeteilter  An- 
lage einschiffig  überdeckter  Raum  mit  in  die  nach  innen  gezogenen  Strebepfeiler 
eingebauten  Umgängen  und  Emporen.  Die  Gewölbe  waren  aufs  reichste  bemalte  Netz- 
gewölbe. Der  einstige  Zustand  ist  auf  einem  alten  Kupferstich  von  D.  Conrad 
(1G76)  ersichtlich,  der  ein  Bild  des  überprächtig  gestalteten  Kirchenraumes  gibt.^) 
Das  Vorbild  ihrer  Anlage  finden  wir  am  Schloß  zu  Torgau  (Abb.  211),  nur  daß 
dort  gotische  Netzgewölbe  den  Raum  überdecken.  Fortan  wurde  diese  Planform: 
einfaches  gestrecktes  Rechteck,  ohne  Teilungsstützen  und  ohne  Chorapsis,  aber 
mit  Umgängen  und  Emporen,  zur  Regel  für  die  protestantischen  Schloßkapellen, 
z.  B.  Schwerin,  Schmalkalden,  Bevern,  Heidelberg  u.  a.  Man  sieht  also  auch  hier- 
aus den  bestimmenden  Einfluß  der  sächsischen  Bauschule. 

Der  große  Schloßhof,  ehemals  ganz  mit  Sgraffiten  auf  den  Flächen  bedeckt, 
enthält  jetzt  nur  in  den  vier  Treppentürmen  und  der  mittleren  Halle  vor  dem 
alten  Hausmannsturm  Zeugnisse  der  alten  Pracht.')  Die  Anordnung  ist  die,  daß 
bei  F  und  G  in  den  vorderen  Ecken  die  beiden  Haupttreppen  Hegen,  sechseckig, 
vorgebaut,  mit  kraftvollen  ionischen  Pilastern  gegliedert,  die  Portale  mit  Hermen 
und  Karyatiden  eingerahmt,  die  Pilasterflächen  mit  eleganten  Ornamenten  bedeckt 
(vgl.  Abb.  217).  Über  dem  sehr  gedrückten  Erdgeschoß  hat  die  Treppe  einen 
Austritt  auf  einen  von  eleganten  Eisengittern  umschlossenen  Altan.  Darüber 
steigt  das  Treppenhaus  mit  schlanken  frei  korinthisierenden  Pilastern  weiter  empor 
und  schließt  dann  in  der  Höhe  des  Hauptgesimses  mit  einem  zweiten  Altan,  über 
den  sich  der  obere  Aufsatz  als  Rundbau  mit  Kuppeldach  erhebt.  Die  Dekoration 
der  unteren  Teile  ist  nicht  bloß  von  größter  Pracht,  sondern  auch  in  der  Zeich- 
nung und  Ausführung  der  Arabesken,  Ranken,  Putten  und  anderer  Figuren  voll 
Freiheit  und  Leben,  die  Kapitelle  mit  Füllhörnern  und  eleganten  Sphinxgestalten, 
der  obere  Fries  endlich  mit  Reiterkämpfen  voll  Geist  und  Schönheit.  Am  nord- 
östlichen Treppenhause  liest  man  1549,  am  nordwestlichen  1550.  Es  sind  also 
Teile  des  von  Kurfürst  Moritz  ausgeführten  Baues,  als  deren  Intendant  Hans 
Dehn  der  Rothfelser  tätig  war.'')  Als  den  eigentlichen  Baumeister  haben  wir  den 
uns  auch  sonst  schon  bekannten  Kaspar  Voigt  von  Wierandt  anzuerkennen,  von 
dem  Kurfürst  Moritz  selbst  sagt,  er  wisse  um  „Muster  auf  Antorf  er  und  Genter 
Art  nach  dem  neuen  Strich"  guten  Bescheid.*)    Ihm  stand  als  Obersteinmetz  bei 


1)  Abgeb.Bau-u.  Kunstdenkm. d. Königr. Sachsen  Heft  21,  S.146.  Daselbstauch  die  Grund- 
risse der  ursprünglichen  Anlage.  Auf  unserem  Plan,  Abb.  216,  ist  der  heutige  Zustand  angegeben. 

2)  Abb.  bei  Ortwein  Taf.  28—32,  34—38. 

3)  Steche  a.  a.  0.  S.  33. 
4  Steche  ebenda  S.  46. 


Dresden  Schloß 


355 


allen  Arbeiten  Melchior  Trost  zur  Seite.  —  Die  beiden  andern  Treppen  bei  H  und 
J  sind  minder  stattlich  angelegt  und  minder  reich  geschmückt,  haben  aber  eben- 
falls an  den  Ecken  Pilaster  mit  eleganter  Dekoration  aus  derselben  Zeit.  Daß 
die  Ausführung  dieser  Werke  zum  Teil  von  welschen  Steinmetzen  herrührt,  haben 
wir  bereits  erfahren.  Endlich  gehört  dahin  die  Bogenhalle,  die  sich  an  der  Mitte 
des  nördlichen  Flügels  vor  dem  großen  Turm  erhebt,  in  den  Untergeschossen 
ehemals  gleichfalls  geöffnet,  die  Bogen  unten  auf  toskanischen  Säulen  ruhend, 
in  den  oberen  Geschossen  auf  ionischen  und  korinthischen,  während  im  dritten 
Stock  feine  korinthische  Säulen  das  Dachgesims  aufnehmen.    Die  eigentümliche 


Abb.  217   Schloßhof  zu  Dresden 


Einschiebung  der  Bögen  zwischen  rechteckigen  Aufsätzen  über  den  Säulen,  wie 
die  Anordnung  des  obersten  Geschosses  als  Säulenhalle  ist  auffallend  übereinstim- 
mend mit  der  Gestaltung  der  Hallen  in  Brieg,  Plagwitz,  Güstrow.  Eine  Beziehung 
zu  dort  muß  vorhanden  sein;  sie  aufzudecken  muß  künftiger  Forschung  vorbe- 
halten bleiben.  In  den  oberen  Hallen  sieht  man  noch  jetzt  Reste  farbiger  Wand- 
gemälde. An  der  Balustrade  des  ersten  Stockes  ist  die  Geschichte  Josuas  in 
wirksamen  Reliefs  dargestellt,  in  den  Bogenzwickeln  Medaillonköpfe. 

Das  eigentliche  Hauptportal  ist  bei  C;  es  war,  wie  auf  einem  alten  Modell 
des  Schlosses  und  bei  Weck  (Abb.  220)  zu  sehen,  besonders  stattlich  als  eine  Art 
Nische  ausgebildet  und  trug  einen  kleinen,  offenen  Rundtempel.  Später  ist  dies 
geändert  und  ein  zweiter  kleinerer  Hof  K  vorgebaut  worden.  Von  hier  gelangt  man 
durch  die  große  Einfahrt  L  auf  die  Schloßstraße,  die  den  östlichen  Flügel  des  Baues 
begrenzt.  Alle  diese  Teile  sowie  die  weiter  südwestlich  hinzugefügten  Bauten  sind 
späteren  Ursprungs  und  scheinen  unter  Christian  I.  entstanden  zu  sein.  Die  älteste 


356 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Markgrafenburg  war,  wie  aus  einem  alten  1622  angefertigten  Modell  hervorgeht, 
ein  weit  kleinerer  Bau,  der  den  großen  Turm  A  auf  der  nordwestlichen  Ecke  hatte. 
Von  hier  zog  sich  ein  Flügel  südwärts  in  der  Richtung  von  B  nach  dem  Flügel  G 
hin,  so  daß  das  damalige  Schloß  ungefähr  die  Hälfte  des  jetzigen  großen  Hofes 
einnahm.^)  Kurfürst  Moritz  verfuhr,  als  er  1547  zur  Regierung  kam,  mit  diesem 
Bau  gerade  so,  wie  Franz  I.  um  dieselbe  Zeit  mit  dem  Louvre:  er  ließ  den  west- 
lichen Flügel  abbrechen,  führte  den  nördlichen  und  den  südlichen  in  westhcher 
Richtung  weiter  fort  und  schloß  diese  dort  rechtwinklig  durch  den  heutigen  West- 
flügel. Der  große  alte  Hausmannsturm  an  der  Ecke  kam  so  in  die  Mitte  des 
Nordflügels  zu  stehen.  In  die  Schloßstraße  sprang  aber  am  östlichen  Flügel  in 
der  Gegend  des  Treppenhauses  D  ein  alter  runder  Turm  vor.  Er  bildete  damals 
die  südöstliche  Ecke  des  Schlosses  und  findet  sich  noch  auf  jenem  Modell  von 
1622,  das  den  zweiten  kleineren  Hof  noch  nicht  enthält. 

Das  Portal  der  ehemaligen  Schloßkapelle  (Abb.  218),  einst  im  Hofe  zwi- 
schen den  Türmen  G  und  A  stehend,  jetzt,  wie  gesagt,  an  anderem  Orte  wieder 
aufgestellt,  mit  der  Jahreszahl  1555,  bezeichnet  den  unter  Kurfürst  August  be- 
wirkten Abschluß  des  von  Moritz  begonnenen  glänzenden  Werkes.^)  Es  ist  eine 
der  edelsten  Portalschöpfungen  der  Renaissance  in  Deutschland,  in  Schönheit 
und  Klarheit  des  Aufbaus,  Anmut  der  Ornamente  und  Feinheit  der  Gliederung 
den  Geist  durchgebildeter  Hochrenaissance  verkündend.  Vier  kannelierte  korin- 
thische Säulen  von  klassischer  Form  bilden  die  Einfassung  und  tragen  das  stark 
vortretende  Gebälk,  an  dessen  Fries  eine  herrliche  Akanthusranke,  wie  nach  den 
besten  römischen  Mustern  gearbeitet,  sich  hinzieht.  Ein  Gesims  mit  Zahn- 
schnitt, Eierstab  und  Konsolen  bildet  den  Abschluß.  Darüber  eine  Attika  mit 
vier  Pflastern,  reich  ornamentiert,  in  den  Seitenfeldern  zwei  Apostelfiguren,  in 
dem  breiteren  Mittelfeld  die  Auferstehung  Christi  in  treff'lichen  Reliefs.  Dazu 
kommen  vier  andere  Heilige  in  eleganten  Nischen,  die  zwischen  den  Säulen  die 
Seitenfelder  schmücken.  Nur  haben  die  Säulen  ein  etwas  gedrungenes  Verhältnis 
und  der  unterste  Sockel  ist  allzu  schwer  und  hoch.  Im  übrigen  hat  auch  das 
gleichzeitige  Italien  wohl  nichts  Besseres  hervorgebracht.  Von  demselben  Reich- 
tum und  gleicher  Schönheit  ist  das  Schnitzwerk  der  Tür,  sowohl  im  Ornamen- 
talen als  auch  im  Figürlichen  von  unübertroffenem  Adel.  Da  dies  prächtige  Werk 
bisher  als  italienische  Arbeit  galt,  so  hielt  man  den  in  den  Baurechnungen  öfter 
erwähnten  Johann  Maria  für  den  Meister.  Über  diesen  Künstler  teilt  Gurlitt^) 
mit,  daß  er  sich  Juan  Maria  de  Padova  oder  Padovano  nannte  und  als  Schüler 
und  Gehflfe  des  Jacopo  Sansovino  gemeinsam  mit  Paolo  della  Stella  an  den  Re- 
liefs in  der  Antoniuskapelle  des  Santo  zu  Padua  beteihgt  war.  Seit  1536  er- 
scheinen beide  in  Prag  mit  Arbeiten  am  Belvedere  in  Prag  beschäftigt,  zugleich 
mit  Hans  de  Spatio  und  Hans  Trost.  Es  wird  darauf  hingewiesen,  daß  der  herr- 
liche Akanthusfries  am  Belvedere  nächste  Verwandtschaft  mit  dem  am  Kapellen- 
portal in  Dresden  zeige.  Neuerdings  jedoch  betrachtet  man  Christoph  Walter, 
den  tüchtigsten  Bildhauer  Sachsens  aus  dieser  Zeit,  den  Künstler  des  vorzüg- 
lichen Grabmals  Hugos  von  Waldenburg  ^)  in  der  Wal  den  bürg  er  Kirche  und 
des  ausgezeichneten  Altarwerks  zu  Penig auch  als  denjenigen  unseres  Kapellen- 
portals. Gearbeitet  hat  er  daran  unzweifelhaft,  und  es  ist  für  ihn  sprechend, 
daß  gleichschöne  Ornamentfriese,  wie  wir  sie  hier  finden,  auch  an  jenen  beiden 
Meisterwerken  vorhanden  sind.  Der  Künstler  war  in  Breslau  geboren,  aber  schon 


1)  Abbild,  desselben  bei  Weck  Taf.  8. 

2)  Aufn.bei  Ortwein  Taf.  41—47. 

3)  Durch  C.  Giirlitt  a.  a.  0.  S.  46  tf. 

^)  Bau-  und  Kunstdenkm.  d.  Königr.  Sachsen,  Heft  13,  Beil.  II — IV. 
5)  Daselbst,  Heft  14,  Beil.  III. 


Dresden  Schloß 


357 


Abb.  218   SchlüßkapcUoiiportcal  zu  Dresden 
(Nach  Phot.  F.  &  0.  Brockmanns  Nachf.  [R.  Tamme],  Dresden) 


frühzeitig  in  Dresden  tätig.  Ob  er  vielleicht  eine  Lehrzeit  in  Prag  zugebracht 
hat,  muß  dahingestellt  bleiben. 

Die  Schloßkapelle  ist  im  17.  Jahrhundert  beseitigt  worden.  Ihr  schöner 
Altar  befindet  sich  jetzt  in  Torgau. 

Zusätze  und  Umgestaltungen  von  durchgreifender  Art  erfuhr  das  Schloß 
am  Ende  unserer  Epoche.  Zu  den  letzten  Arbeiten  gehört  das  in  derber  Rustika 


358 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


ausgeführte  Hauptportal  der  Nordseite  bei  A,  mit  vier  toskanischen  Rustikasäulen 
dekoriert  und  mit  Trophäen  und  Wappen  reich  geschmückt,  das  ähnlich  behandelte 
Portal,  welches  bei  G  in  den  zweiten  Hof  führt,  ferner  die  ganz  einfach  derbe 
Architektur  des  Hofes  K  (Abb.  219),  mit  den  kräftigen  Arkadengängen  an  der  öst- 
lichen und  südHchen  Seite,  endHch  das  stattliche  Hauptportal,  welches  den  Ein- 
gang L  nach  der  Schloßstraße  einfaßt  und  in  einem  mit  Plattform  abgeschlossenen 
Vorbau  hegt.  Es  ist  ein  ungemein  grandioses  Werk,  unter  Christian  1.  seit  1592 
durch  Paul  Buchner  erbaut,  der  die  ganze  vortrefflich  durchgeführte  Anlage  des 
kleinen  Hofes  geschaffen  hat.  Gekuppelte  toskanische  Rustikasäulen  fassen 
den  Bogen  ein,  in  dessen  Schlußstein  eine  trefflich  gearbeitete  Gruppe  des 
Pelikan,  der  für  seine  Jungen  sich  die  Brust  öffnet,  „wodurch  dann  die  Affek- 
tion eines  guten  Regenten  gegen  seine  getreue  Untertanen  angedeutet  sein  soll". 
In  den  Metopen  des  Frieses  sind  prächtige  Löwenköpfe  gemeißelt.^) 


Abb.  219  Stallhof  des  Schlosses  zu  Dresden 
(Nach:  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance) 


Alle  diese  späteren  Teile  sind  in  einem  großartigen,  aber  etwas  freudlos 
schweren  Stile  behandelt.  Ferner  gehören  dieser  Spätzeit  die  hohen  Dachgiebel 
an,  welche  an  einzelnen  Teilen  des  Baues,  im  großen  Haupthofe  und  an  der  Außen- 
seite des  Westflügels  sich  finden.^)  Ursprünghch  war  das  Schloß,  wie  das  Modell 
im  Historischen  Museum  und  ein  ebendort  befindliches  altes  Gemälde  von  Andreas 
Vogel  beweisen,  überall  mit  solchen  Giebeln  geschmückt.  Dazu  kam  eine  voll- 
ständige Dekoration  mit  Sgraffiten  an  den  Außenwänden,  wie  in  den  Höfen  meistens 
grau  in  grau,  an  einzelnen  Punkten,  z.  B.  der  oberen  Halle  am  Turm,  in  farben- 
prächtiger Malerei.  Das  Erdgeschoß  zeigte  in  der  Abbildung  Diamantquaderungen, 

1)  Abbildung  des  Portalbaues  mit  der  eleganten,  das  Ganze  wirksam  krönenden  Kuppel- 
rotunde bei  Weck,  Taf.  11.  Dazu  Ortwein  Taf,  33. 

2)  Abb.  bei  Ortwein  Taf.  12. 


Dresden  Schloß 


359 


darüber  einen  hohen  Triglyphenfries.  Die  übrigen  Stockwerke  wurden  durch  breite 
Laubfriese  getrennt,  die  Flächen  zwischen  den  Fenstern  waren  figürlichen  Dar- 
stellungen vorbehalten.  Bis  zur  Spitze  der  zahlreichen  hohen  Giebel  erstreckte 
sich  diese  Bemalung,  die  dem  weitläufigen  Bau  einen  Ausdruck  üppigen  Reich- 
tums verUeh.^)    (Abb.  220.) 


Abb.  220   Schloß  zu  Dresden   (Nach  Weck) 


Die  Fenster  der  späteren  Teile  sind  zu  zweien  gruppiert  und  mit  Giebeln 
abgeschlossen,  die  älteren  vom  Bau  des  Kurfürsten  Moritz  haben  breite  schräge 
Leibungen  mit  Rahmenprofil  und  runden  Schilden,  bisweilen  auch  mit  Kannelüren. 

Von  der  ehemaligen  Pracht  des  Innern  ist  fast  nichts  erhalten.  Nur  im 
oberen  Stock  sieht  man  zwei  Zimmer  mit  trefflichen  Holzdecken,  schön  gegliedert 


1)  Vgl.  bei  Weck  die  Taf.  12  u.  13. 


360 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


und  gut  eingeteilt,  Arbeiten  des  Tischlermeisters  David  Fleischer  vom  Jahre  1591/) 
Das  „Porzellanzimmer"  im  Hausmannsturm  hat  flaches  Klostergewölbe  mit  Stich- 
kappen und  eine  außerordentlich  zarte  Malerei  von  Grotesken  im  Stil  der  RafFael- 
schüler  und  der  Loggien,  Der  Reichtum  der  Ausstattung,  an  der  welsche  Künstler 
aller  Art  beteiligt  waren,  muß  außerordentlich  gewesen  sein.  Die  Kapelle  war  mit 
kostbaren  flandrischen  Teppichen,  die  Passion  darstellend,  geschmückt,  welche 
man  jetzt  im  Kuppelsaale  der  Gemäldegalerie  sieht.  Außerdem  hatten  Dresdener 
„Teppichmacher"  nach  Entwürfen  Lukas  Cranachs  einen  „Türkenzug"  ausgeführt.^) 
Der  im  obersten  Stockwerk  den  ganzen  Westflügel  einnehmende  Riesensaal  war 
mit  gemalten  Riesenfiguren,  welche  die  Decke  zu  stützen  schienen,  dekoriert. 
Als  Maler  finden  wir  da  ebenfaUs  mehrere  Italiener:  Francesco  Eicchino  und  die 
Brüder  Benedikt  und  Gabriel  de  Thola.  Der  erstere  kehrte  indes  schon  1555  in 
seine  Heimat  zurück  und  mochte  nicht  ferner  in  einem  Lande  bleiben,  wo  er  sich 
das  Podagra  geholt  hatte.  Von  den  Arbeiten  dieser  Künstler  ist  nichts  erhalten.'^) 
Das  von  Kurfürst  Moritz  Begonnene  wurde  von  seinen  Nachfolgern  mit  noch 
größerer  Pracht  fortgeführt,  so  daß  Nosseni  in  drei  Jahren  allein  für  Marmor- 
arbeiten im  Schloß  3881  Gulden  ausgab,  für  solche  im  Lusthaus  während  der- 
selben Epoche  6540  fl.  Die  Gesamtkosten  des  Schloßbaues  wurden  bloß  von 
1548-54  auf  100941  Meißner  Gulden  berechnet.*) 

Weiterhin  ließ  Kurfürst  August  von  1559 — 63  durch  Paul  Büchner  den 
großartigen  Bau  eines  Zeughauses  ausführen,  von  welchemi  wenigstens  die 
höchst  bedeutend  wirkende  Anordnung  noch  vorhanden  ist.  Um  einen  lang- 
gestreckten Hof  zieht  sich  das  Gebäude  nach  allen  Seiten  mit  einer  gewaltigen 
zweischiffigen  Halle  hin,  deren  Kreuzgewölbe  auf  kräftigen  toskanischen  Säulen 
ruhen.  Es  ist  die  Behandlungsweise,  welche  dann  bei  allen  folgenden  dortigen 
Bauten  maßgebend  blieb.  Die  Perspektive  dieser  herrlichen  gewölbten  Säulenhalle 
ist  eine  ungemein  grandiose,  bei  aller  Einfachheit  durch  die  schönen  Verhältnisse 
von  mächtiger  Wirkung.  Das  Äußere  erhielt  ursprünglich  durch  kunstvoll  ge- 
schweifte Giebelaufsätze,  die  sich  auch  an  den  Hofseiten  zeigten,  sowie  durch 
fünf  energisch  behandelte  Portale  eine  belebtere  Gestalt,  die  freilich  später  durch 
Beseitigung  der  Giebel  sich  in  öde  Nüchternheit  verwandelt  hat.^) 

In  Verbindung  mit  dem  Schloß,  an  den  östlich  vorspringenden  Georgsbau 
anstoßend,  ließ  Christian  I.  seit  1586  den  Stallhof  erbauen,  dessen  Anfang  auf 
unserer  Abb.  216  bei  0  verzeichnet  ist.  Hans  Irmisch  wurde  unter  dem  ausge- 
zeichneten Architekten  Paul  Buchner  mit  der  Bauführung  betraut.  Von  außen 
wird  das  Gebäude  durch  eine  hohe  Mauer  abgeschlossen,  die  durch  mächtige 
Portale  im  derben  Spätrenaissancestil,  denen  des  Schlosses  entsprechend,  durch- 
brochen ist.  Das  obere  Geschoß  hat  gekuppelte  Fenster  mit  Giebelkrönungen. 
Diese  einfachen  Formen  erhielten  durch  vollständige  Bemalung  der  Fassaden,  die 
man  teilweise  in  wirksamer  Weise  erneuert  hat,  ihre  Belebung;  im  Erdgeschoß 
Diamantquaderung,  dazwischen  Felder  mit  einzelnen  Kriegerfiguren;  darüber  ein 
mächtiger  Fries  mit  Reiter-  und  Wagenzügen  in  der  ganzen  Länge  des  Gebäudes; 
endlich  oben  zwischen  den  Fenstern  wieder  einzelne  Gestalten.  Wie  beim  Schloß 
war  also  auch  hier  alles  auf  eine  prachtvolle  gemalte  Ausstattung  angelegt.®) 

An  dem  vorderen  Portal  meldet  eine  Inschrift,  Herzog  Christian  habe  den 
Bau  „equorum  stationi  et  militarium  exercitationi"  errichtet.    Im  Innern  besitzt 

1)  Abb.  bei  Ortwein  Taf.  13. 

2)  S.  Gurlitt  a.  a.  0.  S.  22—29. 

3)  Ebenda  S.  50  if. 

4)  Vgl.  den  oben  zitierten  Aufsatz  von  Schmidt  a.  a.  0.  S.  167. 

B)  Genaueres  über  den  Bau  bei  C.  Gurlitt,  Das  Zeughaus,  der  Zeughof  und  die  Brühische 
Terrasse.  Dresden  1877.  Vgl.  auch  die  Abb.  bei  Weck. 

6)  Abb.  bei  Weck  Taf.  14.  Danach  bei  Ortwein  Taf.  21. 


362 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


das  Gebäude  einen  schmalen,  langgestreckten  Hof,  an  der  nordöstlichen  Langseite 
durch  zwanzig  Arkaden  auf  mächtigen  toskanischen  Säulen  eingefaßt,  ehemals 
offen,  jetzt  bis  auf  den  Torweg  vermauert  (Abb.  219).  Das  Obergeschoß,  welches  die 
Gewehrkammer  enthält,  zeigt  die  gekuppelten  Fenster  mit  Giebeln  wie  am  Äußern. 
Bei  0  ist  eine  Halle  mit  gotischen  Rippengewölben  auf  kurzen  Rundpfeilern,  die 
ehemals  die  Verbindung  mit  dem  Schloß  vermittelte.  In  diesem  schönen  Hofe,  der 
ehemals  nach  dem  Zeugnis  alter  Abbildungen^)  aufs  reichste  bemalt  war,  nament- 
lich zwischen  den  Fenstern  die  Taten  des  Herkules  enthielt,  fanden  die  Ringel- 
rennen statt;  davon  zeugen  noch  jetzt  die  beiden  prachtvollen  Bronzesäulen, 
zwischen  denen  die  Bahnen  für  die  Renner  abgeteilt  waren.  An  den  Postamenten 
mit  Trophäen,  am  unteren  Teil  des  Schaftes  mit  Arabesken,  Waffen  und  Emblemen 
geschmückt,  tragen  sie  auf  den  eleganten  korinthischen  Kapitellen  ein  verkröpftes 
Gebälk  und  auf  diesem  kleine  Obelisken.  Diese  trefflich  ausgeführten  Arbeiten 
sind  von  Martin  Hilger  gegossen.^)  An  der  andern  Seite  schließt  sich  dem  Hofe 
eine  geräumige  Remise  an,  dreischiffig  mit  schlichten  Kreuzgewölben  auf  18  in 
zwei  Reihen  gestellten  dorischen  Säulen,  eine  überaus  großartige  Anlage.  Dieser 
Teil  des  Gebäudes,  der,  später  umgebaut,  im  oberen  Geschoß  lange  Zeit  die  Ge- 
mäldegalerie beherbergte,  zeigt  an  der  Fassade  noch  jetzt  zwei  großartige  Portale, 
den  beiden  anderen,  sowie  denen  des  Schlosses  entsprechend.  Der  ganze  Bau  in 
seiner  ursprünglichen  Erscheinung  mit  zahlreichen  marmorgeschmückten  Sälen 
und  Zimmern  war  ein  Prachtwerk,  zu  dessen  Herstellung  in  fast  sechs  Jahren 
nicht  weniger  als  200000  Gulden  aufgewendet  worden  waren.^)  Man  hatte  nichts 
gespart,  ihn  von  außen  wie  von  innen  aufs  reichste  auszustatten  (Abb.  221). 
Nosseni  bestellte  dafür  in  Modena  180  bemalte  und  vergoldete  runde  Schilder, 
Carlo  de  Cesare  goß  46  fürstliche  Bildnisse  mit  Postamenten  und  Wappenschilden 
„für  die  Galerie  hinter  dem  Stall"  und  23  Bilder  aus  gebranntem  und  glasiertem 
Ton.*)  An  kostbaren  Geräten,  geschnitzten  Sesseln  mit  eingelegten  Steinen,  mar- 
mornen Kredenzen,  Kunstsachen  aller  Art  fehlte  es  ebenfalls  nicht,  so  daß  das 
Ganze  ein  Museum  genannt  werden  konnte."^)  Von  der  alten  Ausstattung  zeugt 
noch  die  Gewehrgalerie,  das  Obergeschoß  jener  Arkaden,  ein  langer  Gang  mit 
reichbemalter  Kassettendecke  und  auf  den  Pfeilern  zwischen  den  Fenstern  und 
der  gegenüberliegenden  Nische  mit  den  Bildnissen  von  52  sächsischen  Fürsten  in 
prächtigen  Rahmen.*')  Leider  hat  der  ursprünglich  so  glänzende  Bau  später  die- 
selbe Verwahrlosung  und  Verunstaltung  über  sich  ergehen  lassen  müssen,  die  das 
Schloß  jetzt  so  unscheinbar  gemacht  hat.  Auch  die  jüngste  Herstellung  hat 
beiden  Bauwerken  die  alte  Pracht  nicht  wiederzugeben  vermocht. 

Der  bürgerliche  Privat  bau  in  Dresden  bietet  gerade  nicht  Bedeutendes 
für  unsere  Epoche,  aber  immerhin  doch  einige  anziehende  Werke.  Es  scheint, 
daß  in  die  bürgerlichen  Kreise  der  neue  Stil  durch  den  uns  schon  bekannten 
Melchior  Trost  eingeführt  wurde,  der  als  junger  Mann  mit  dem  Bau  des  Neustädter 
Rathauses  betraut  war  (1527).  Das  im  Jahre  1755  abgerissene  Gebäude  war,  wie 
alte  Abbildungen  bezeugen,  mit  hohen  bogenförmig  abgeschlossenen  Giebeln  be- 
krönt. Das  erste  Stadium  der  Frührenaissance  wird  sodann  namentlich  durch 
einen  reichen  Erker  am  Eckhaus  von  Neumarkt  und  Frauengasse  vertreten.')  Die 
runde  Grundform,  die  Art  des  Auskragens  erinnert  an  die  Erker  am  Saalbau  zu 

1)  Bei  Weck  Taf.  15. 

2)  Dr.  J.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  162.  Abb.  bei  Ortwein  Taf.  8—10. 

3)  Weck  S.  55. 

4)  Dr.  J.  Schmidt  a.  a.  0.  S.  137  u.  139. 

5)  Die  Abb.  und  Beschreib,  bei  Weck  S.  53  if.  geben  eine  lebendige  Anschauung  des  vor- 
maligen Zustandes. 

6)  Bau-  u.  Kunstdenkm.  d.  Königr.  Sachsen  a.  a.  0.  Beil.  XX. 
Abb.  bei  Ortwein  Taf.  39.  Bau-  u.  Kunstdenkm.  a.  a.  0.  S.  640. 


Dresden 


363 


Torgau,  der  Fries  mit  spielenden  Putten  zeigt  Verwandtschaft  mit  dem  Georgen- 
bau und  mag  von  derselben  Hand  wie  jener  ausgeführt  sein.  Ein  ähnlicher  Erker, 
aber  in  den  kräftigeren  Formen  der  Spätzeit  mit  derben  Quadern  und  einer 
Schlange  als  Konsole,  ist  an  einem  Hause  weiter  abwärts  in  der  Frauengasse.^) 
An  mehreren  Häusern  der  Schloßgasse  und  anderer  Straßen  sieht  man  hübsche 
kleine  Bogenportale  (Abb.  222),  zu  beiden  Seiten  Muschelnischen  mit  Sitzen,  die 
Archivolte  kräftig  und  zierlich  mit  Zahnschnitt,  Eierstab,  Konsolen  und  ähnhchen 
Formen  gegliedert.^)  Bezeichnend  für  die  meist  schmalen, 
aber  sehr  hohen  Häuser  ist  die  häufige  Anwendung  vier- 
eckiger Erker,  über  dem  Erdgeschoß  auf  Konsolen  heraus- 
gebaut, mit  Pilastern  gegliedert,  oben  mit  geschweiftem  Dach 
abschließend,  statt  dessen  man  später  oft  einen  offenen 
Balkon  angebracht  hat.  Diese  Erker,  nicht  selten  paarweise 
angeordnet,  geben  viel  Reiz  und  Leben.  Ein  Haus  in  der 
Wilsdruffer  Gasse  hat  einen  solchen  mit  nachgeahmter  Holz- 
architektur; ebenso  sind  sämtliche  Fenster  desselben  mit 
einem  barocken  Rahmenwerk  eingefaßt,  das  die  Formen  des 
Holzbaues  nachbildend,  schon  dem  17.  Jahrhundert  angehört.^) 
Aus  dem  Anfange  desselben  Jahrhunderts  stammt  das  Haus 
Schloßgasse  Nr.  19;  am  Erker  die  ungeschickt  gemachten 
Brustbilder  Kurfürst  Christians  II.  und  seiner  Gemahlin  Hed- 
wig von  Dänemark,  dabei  das  sächsische  Herzogswappen, 
das  kurfürstliche  und  das  dänische  Wappen.  Im  Hausflur 
eine  hübsch  ornamentierte  Tür,  die  zur  Treppe  führt.  In 
derselben  Straße  Nr.  22  sah  Lübke  noch  ein  Haus,  dessen 
tiefer  schmaler  Flur  auf  einen  kleinen  Hof  mündete ;  rechts 
war  die  steinerne  Treppe  auf  Pfeilern  angelegt,  an  der  Rück- 
seite des  Hofes  Arkaden  in  drei  Geschossen,  je  zwei  weitgespannte  Rundbögen  auf 
dorischer  Mittelsäule.  Ein  zierhches  Portal  der  oben  beschriebenen  Art  vom  Jahre 
1579  in  der  Kleinen  Kirchgasse,  fein  gegliedert  und  mit  der  stolzen  Inschrift: 

„Einer  Säule  gleich  bin  ich, 
Alle  Leute  hassen  mich, 
Und  alle,  die  mich  hassen, 
Die  müssen  mich  bleiben  lassen; 
Allen  die  mich  kennen 
Wünsche  ich  was  sie  mir  gönnen ; 
All  mein  Anfang  und  Ende 
Stehet  in  Gottes  Händen." 

Ähnliche  Portale  in  der  Weißen  Gasse,  wo  noch  ein  anderes  in  mehr  mittelalter- 
licher Weise  mit  Hohlkehlen  und  Rundstäben  gegliedert  ist.  Ein  ähnliches  in  der 
Neustadt,  an  der  Meißener  Straße.  Wieder  ein  anderes,  mit  Diamantquadern, 
Zahnschnitten,  Eierstab  und  Konsolensims  gegliedert,  in  der  Pfarrgasse,  mit  hübsch 
geschnitzter  Tür  und  eisernem  Klopfer. 

Unter  den  Schloßbauten  im  Lande  ist  nichts  mehr  im  ursprünglichen  Zu- 
stande vorhanden.  Von  originellem  Reiz  muß  die  von  Kurfürst  Moritz  im  Frieden- 
walde nördlich  von  Dresden  bis  1546  erbaute  Moritzburg  gewesen  sein*),  die 
1584  einen  Umbau  erfuhr,  dessen  Gestalt  ein  Modell  im  historischen  Museum 


1)  Abb.  bei  Ortwein  Taf.  40. 

2)  Vgl.  Ortwein  Taf.  I,  6,  16. 

3)  Abb.  in  Puttrichs  Sachsen. 

4)  Vgl.  das  ausgezeichnete  Werk:  Sächsische  Herrensitze  und  Schlösser,  herausgeg.  von 
Haenel,  Adam  und  C.  Gurlitt.  Dresden  1880  fg.  fol.,  welchem  unsere  Abb.  223  entnommen  ist. 


Abb.  222  Von  einem  Portal 
zu  Dresden 


364 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


veranschaulicht  (Abb.  223).  Es  war  ein  schlichtes  Jagdschloß,  das  mit  hohen 
Giebeln  und  Treppenturm  aus  einem  weiten  Hofraum  aufragte,  rings  von  niedri- 
gen, zur  Verteidigung  eingerichteten  Mauern  umgeben.  Runde  Türme,  deren  einer 
den  Eingang  enthielt,  auf  den  Ecken.  In  dem  durch  Pöppelmann  später  aus- 
geführten Umbau  sind  von  der  früheren  Anlage  nur  diese  Türme  beibehalten 
worden.  Außerdem  wäre  etwa  die  seit  1567  durch  Hieronymus  Lotter  im  Erz- 
gebirge drei  Stunden  östlich  von  Chemnitz  errichtete  Augustusburg  zu  nennen, 
ein  durchaus  nüchterner,  in  strenger  Regelmäßigkeit  ausgeführter  Schloßbau  mit 
vier  großen  Pavillons  auf  den  Ecken  und  einem  kreuzförmig  angelegten  Hofe. 


Abb.  223   Moritzburg  bei  Dresden 


Die  Vernachlässigung  und  Verwüstung  hat  die  schönen  krönenden  Galerien  ge- 
raubt, die  um  das  Ganze  herumliefen,  die  giebelartigen  Aufsätze  der  Eckpavillons 
entfernt  und  noch  vieles  andere,  zugleich  die  prächtige  innere  Ausstattung.  Der 
mächtige  Rustikatriumphbogen  des  Eingangstores  und  Spuren  seines  einstigen 
reichen  Aufsatzes,  sowie  das  schöne  innere  Portal  sind  die  letzten  Spuren  seiner 
einstigen  Außenarchitektur.  Das  einzige  sonst  noch  Wertvolle  an  diesem  Bau  ist 
die  von  Gerhard  van  der  Meer,  also  einem  Niederländer,  herrührende  Kapelle. 
Sie  befolgt  die  beim  Torgauer  und  Dresdener  Schloß  zuerst  gegebene  Grundform 
eines  gestreckten  Rechtecks  mit  dreiseitig  umlaufenden  Emporen.  Die  inneren 
tiefen  Arkaden,  unten  mit  toskanischen,  oben  mit  ionischen  Halbsäulen  besetzt, 
das  Tonnengewölbe  mit  Feldern  und  Rahmenwerk  ergeben  eine  sehr  schwere 
Wirkung;  diese  Erscheinung  der  Kirche  hat  übrigens  eine  starke  Verwandt- 
schaft mit  der  der  Universitätskirche  zu  Würzburg,  allerdings  hauptsächlich 
wegen  der  Anlehnung  an  die  römische  Antike,  insbesondere  das  Kolosseumsystem. 
Der  Altar  mit  Granachschem  Gemälde  ist  von  sehr  mageren  Säulen  eingefaßt, 
besitzt  aber  glänzenden  Aufsatz  mit  Wappen  und  ist  reichfarbig  und  vergoldet; 


Kursächaische  Schlösser 


365 


schön  die  Kanzel  durch  ihren  prächtigen  Engelfries  und  ihre  Gränachschen  Ge- 
mälde zwischen  Hermen. 

Der  wackere  Lotter  hatte  das  Mißgeschick,  im  Laufe  dieses  Baues  beim 
Kurfürsten  in  Ungnade  zu  fallen,  was  dann,  wie  es  scheint,  eine  völlige  Zerrüttung 
seiner  Verhältnisse  mit  sich  führte.^) 

An  manchem  anderen  Edelsitze  des  Landes  sieht  man  noch  einzelne  Reste 
aus  der  Renaissancezeit,  doch  wenig  von  wirklicher  hervorragender  Bedeutung. 
Es  mag  das  Schloß  zu  Golditz  an  der  Zwickauer  Mulde  erwähnt  werden  wegen 
des  prachtvollen  Portals  im  Hofe,  das  zu  den  elegantesten  Werken  unserer  durch- 
gebildeten Hochrenaissance  gehört.^) 

Auch  eine  kleinere  Merkwürdigkeit  finden  wir  hier,  wie  sie  in  Deutschland 
sonst  selten  ist:  das  kleine  Schlößchen  in  Oberlößnitz  mit  einer  inneren  Aus- 
stattung hauptsächhch  in  Malerei,  wie  solche  aus  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts 
kaum  mehr  vorkommt.  Es  ist  das  Fachwerkobergeschoß  über  dem  gewölbten 
Erdgeschoß  mit  einem  etwa  7  m  im  Geviert  großen  Mittelsaal  und  je  zwei  kleineren 
Räumen  zu  den  Seiten.  Der  Saal  hat  Plattenfußboden  und  ringsum  eine  schöne 
Täfelung  mit  toskanischen  Pilastern,  deren  Felder  mit  ganzen  Figuren  und 
kleineren  Bildern  allegorischen  Inhalts  bemalt  sind;  die  Balkendecke  enthält  in 
ihren  80  Zwischenfeldern  gemalte  Vögel;  die  Nebenräume  sind  in  ganz  ähnlicher 
Weise  geschmückt,  alle  mit  bemalten  Balkendecken  und  Täfelungen;  auch  stehen 
schöne  Öfen  in  den  Ecken.  —  Das  Ganze  ist  etwa  1650  für  Kurfürst  Johann 
Georg  IL  erbaut,  wie  es  scheint,  als  eine  Art  Sommersitz  in  den  Weinbergen.^') 

Von  größerer  Wichtigkeit  ist  das  stattliche  Schloß  Schönfeld,  stolz  und 
hoch  sich  mit  seinen  zwei  Vordergiebeln  und  Treppenturm  dazwischen  aus  seinem 
Teich  erhebend.  Ein  hübsches  rundbogiges  Portal  gibt  Zutritt  zu  dem  sechseckigen 
Turm,  das  Erdgeschoß  ist  fast  ganz  gewölbt,  die  oberen  Räume  besitzen  aber 
noch  fast  alle  ihre  schönen,  alten,  bemalten  Balkendecken.  Zwischen  den  Balken 
sind  durch  Leisten  Felder  gebildet,  die  nun  in  mannigfachster  Dekoration  prangen, 
Ornamente  naturalistischer  oder  mehr  geometrischer  Art,  im  Stil  von  Intarsien 
oder  Zweigen  mit  Blättern  und  Blüten,  lange  oder  quadratische  Felder,  kurz  eine 
ganze  Musterkarte  solcher  Erfindungen.  Auch  schöne  Kamine  sind  noch  vor- 
handen; das  Ganze  ist  wenig  gestört  und  heute  in  guten  treuen  Händen.  Es 
entstand,  wie  es  heute  ist,  seit  1573, 

Seitdem  in  Dresden  die  Renaissance  zur  Herrschaft  gekommen  war,  und 
durch  den  glänzenden  Hofhalt  der  Fürsten  die  Stadt  sich  mit  Prachtbauten 
schmückte,  begann  ein  durchgreifender  Einfluß  sich  auf  die  benachbarten  Städte 
geltend  zu  machen.  In  Meißen,  dem  alten  Sitz  der  Markgrafen,  erdrückt  der 
gewaltige  spätgotische  Bau  der  Albrechtsburg*)  alles,  was  die  späteren  Zeiten 
aufgeführt  haben.  Das  Werk  des  westfälischen  Meisters  Arnold,  das  großartigste 
deutsche  Fürstenschloß  des  späteren  Mittelalters,  gehört  in  seiner  ganzen  Form- 
gebung noch  der  Gotik;  aber  der  Geist,  der  diese  unvergleichlich  imposanten 
Gewölbe  geordnet  und  durchgebildet  hat,  läßt  das  Wesen  einer  neuen  Zeit  er- 
kennen. Denn  das  Streben  nach  geschlossener  und  planvoller  Anordnung  eines 
vielfach  zusammengesetzten  Ganzen,  die  geistreiche  Verbindung  und  Gruppierung 
der  Räume,  die  einheithche  Gestaltung  des  Äußeren,  das  alles,  wenngleich  noch 
mit  den  Formen  des  Mittelalters  bewirkt,  ist  dem  Palastbau  der  Renaissance  in 

1)  Die  Geschichte  dieses  Baues  s.  bei  Wustmann,  Der  Leipziger  Baumeister  H,  Lotter. 
Leipzig  1875. 

2)  Abb.  bei  Ilaenel  u.  Gurlitt,  Sächsische  Herrensitze  etc.  Taf.  34. 

3)  Näheres  Bau-  und  Kunstdenkm.  d.  Königr.  Sachsen,  Heft  26  S.  136  ff.  Beil.  V,  VI, 
Abb.  148  —  152. 

4)  Vgl.  die  gediegene  Schrift  von  Corn.  Gurlitt,  Das  Schloß  zu  Meißen.  Dresden  1881  und 
die  Aufnahmen  in  den  Sächsischen  Herrensitzen  und  Schlössern,  Taf.  38—44, 


366 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


seinem  Grund  innig  verwandt.  Die  ungewöhnliche  Weite  und  Höhe  der  Räume, 
die  reich  verschlungenen  Stern-  und  Netzgewölbe,  die  geschickten  Zusammen- 
hänge, die  klar  und  harmonisch  angeordneten  Fenstersysteme  in  ihren  tiefen 
Mauernischen,  endlich  die  stolze  Wendeltreppe  im  Hofe,  das  alles  sind  Vorzüge, 
die  diesen  wundervollen  Bau  vor  allen  ähnlichen  auszeichnen,  aber  auch  auf 
Vorbilder  außer  Deutschlands  —  im  welschen  Westen  —  hinweisen. 

Nur  bescheiden  ist  dagegen,  was  die  Renaissance  hier  bietet.  Zunächst 
gewährt  der  Dom  in  mehreren  Denkmalen  sehr  frühe  Beispiele  des  neuen  Stiles. 
Unter  den  zahlreichen  ehernen  Grabplatten  in  der  Begräbniskapelle  der  Fürsten 
gehören  die  aus  der  Gießhütte  Peter  Vischers  stammenden  Albrechts  des  Beherz- 
ten (t  1500),  Amahens  von  Bayern  (f  1502),  Sidoniens  (f  1510)  und  Friedrichs 
(f  1510)  zu  dem  Schönsten,  was  auf  diesem  Gebiete  in  Deutschland  je  geleistet 
worden  ist;  die  wundervollen  Friese  in  Ornamenten  und  Figuren  um  die  Fürsten- 
gestalten sind  offenbar  unter  der  Einwirkung  und  wohl  nach  Entwurf  von  Peter 
Flettner  entstanden.  Auch  die  Tumba  des  Stifters  dürfte  ein  Werk  der  Nürn- 
berger Gießhütte,  vielleicht  Hermann  Vischers  sein.  Es  ist  sicher  eine  Nürnberger 
Arbeit.  In  der  Georgenkapelle  ist  die  Rehefplatte  des  Herzogs  Georg  (f  1539) 
und  seiner  Gemahlin  mit  hübschen  Ornamenten  einer  noch  frühen  Renaissance 
geschmückt,  denen  am  Georgenbau  in  Dresden  verwandt. 

Weiter  sieht  man  an  zahlreichen  Bürgerhäusern  der  Stadt  den  Einfluß  des 

kunstliebenden  Hofes.  Der  Früh- 
zeit gehört  das  Haus  an  der 
Ecke  der  Elbgasse,  mit  hohem 
Giebel,  der  fast  noch  in  mittel- 
alterlicher Weise  durch  Lisenen 
gegliedert  und  in  seinen  Staffeln 
durch  Halbkreise  bekrönt  ist. 
Ein  großer  rechtwinkliger  Erker, 
auf  der  Ecke  diagonal  angeord- 
net, hat  Wappen  und  Brustbil- 
der sächsischer  Fürsten  in  zwei 
Stockwerken,  an  den  Pilastern 
flache  Ornamente  im  Stile  des 
Georgenportals  zu  Dresden,  aber 
minder  fein,  bezeichnet  1533.^) 
Aflerlei  Portale  von  den  dreißiger 
Jahren  des  16.  Jahrhunderts  an, 
oft  höchst  malerisch,  zeigen  das 
Streben,  die  neuen  Kunstformen 
an  die  Stelle  der  überlieferten 
zu  setzen  (Abb.  224).  Mit  eini- 
gem Aufwand  ist  ein  ansehn- 
liches Giebelhaus  hinter  der 
Stadtkirche  behandelt,  am  Por- 
tal 1571  bezeichnet,  mit  einem 
ungeschickten  Relief,  Simson 
mit  dem  Löwen  kämpfend.  Es 
ist  die  Arbeit  eines  wohlmeinen- 
den, aber  schlecht  geschulten 

1)  Nach  einer  Vermutung  C. 
Gurlitts    das    Werk  Christoph 
Abb.  224  Portal  vora  Jahnaschen  Freihof  zu  Meißen  Walters. 


Meißen  Pirna 


367 


Steinmetzen.  Der  hohe  Giebel  ist  mit  Pilastern,  Voluten,  aufgesetzten  Henkel- 
vasen effektvoll  gegliedert. 

Seit  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  findet  man  kleine  Portale  mit  zier- 
licher BogengHederung  nach  Dresdner  Muster.  So  in  der  Burgstraße  Nr.  108  vom 
Jahre  1605,  ein  sehr  hübsches  am  Görnischen  Platz  vom  Jahre  1603,  mit  Konsolen, 
Eierstab,  Zahnschnitt  und  facettierten  Quadern.  Ein  ganz  vortreffHches  reich 
geghedertes  von  1603  am  Kleinen  Markt,  und  ebenda  ein  anderes  von  1601,  ähn- 
Hch  behandelt  und  mit  dem  Spruch :  Herr  nach  deinem  Willen.  Allerlei  Varianten 
kehren  wieder,  namentlich  am  Hahnemannsplatz  und  in  der  Baugasse.  Ein 
phantastisch  derbes,  aber  wirkungsvolles  Barockportal  mit  Rustikapilastern,  Voluten 
und  Obelisken  vom  Jahre  1614  bildet  den  Aufgang  zum  Kirchhofe.  Derb  und 
flott  das  Portal  am  Gasthof  zum  Hirsch,  mit  einer  naiven  Darstellung  von  Diana 
und  Aktäon.  Hohe  malerische  Dachgiebel  auf  beiden  Seiten  hat  das  Eckhaus 
am  Markt,  jetzt  Apotheke,  in  der  Mitte  mit  einem  Erker  auf  Konsolen  und 
eleganter  toskanischer  Säule. 

Beachtenswertes  ist  in  Pirna  zu  verzeichnen.  Die  Frührenaissance  tritt  an 
dem  alten  Giebel  des  neuerdings  umgebauten  Rathauses  zuerst  in  ziemlich  un- 
sicherer Behandlung  auf.  Die  Portale  sind  noch  spitzbogig  mit  durchschneiden- 
dem Rahmenwerk,  das  Hauptportal  wird  von  einer  lisenenartigen  Pilasterordnung 
umfaßt  und  von  zwei  großen  abenteuerhch  gestalteten  Delphinen  bekrönt.  Das 
dabei  angebrachte  F.  H.  ist  vielleicht  das  Zeichen  des  ausführenden  Architekten. 
Das  Ganze  dürftig,  die  neuen  Formen  nur  wie  vom  Hörensagen  angewandt.  Der 
Giebel  hat  eingekerbte 
Voluten  und  magere  Li- 
senen,  die  Fenster  sind 
mit  ebenfalls  gekerbten 
Rahmen  von  flacher  Pro- 
filierung umfaßt,  die  Keh- 
len von  geringer  Tiefe. 
Das  barocke  Glocken- 
türmchen auf  dem  Giebel 
ist  ein  späterer  Zusatz. 
Ungleich  reicher  ist  das 
hübsche,  ebenfalls  der 
Frührenaissance  angehö- 
rende Portal  des  Hauses 
Nr.  1  in  der  Niederen 
Burgstraße  (Abb.  225). 
Der  etwas  gedrückte  Bo- 
gen, mit  wunderlich  be- 
handeltem Eierstab  und 
Ranken  geschmückt,  ruht 
auf  zwei  schräg  gestellten 
Rundscheiben  mit  deko- 
rativen Relief  köpfen  nach 
Mantegna.  Unten  sind 
zwei  runde  Sitzsteine  an- 
gebracht, wie  sie  bei  den 
mitteldeutschen  Hauspor- 
talen jener  Zeit  allgemein 
beliebt  waren.  Die  Ein- 
rahmung bilden  Rahmen- 


Abb.  225   Portal  aus  Pirna 
(Nach:  Bau-  und  Kunstdenbmäler  des  Königreichs  Sachsen) 


368 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


pilaster  mit  reichem  Ornament,  Masken 
und  Laubwerk  im  Stil  Aldegrevers,  alles 
in  derbem  Relief,  aber  lebendig  ausge- 
führt. In  den  korinthischen  Kapitellen 
sind  Engelsköpfchen  angebracht,  in  den 
Bogenzwickeln  die  beliebten  Figuren  von 
Adam  und  Eva,  ziemlich  seltsam  bewegt. 
Das  Dekorative  ist  durchweg  prächtig, 
die  Komposition  unsicher,  wie  denn  z.  B. 
über  den  Kapitellen  gleich  das  Gesims 
liegt.  Der  Baumeister  hat  sein  Steinmetz- 
zeichen samt  den  Buchstaben  W.  B.  bei- 
gefügt; daß  er  das  stattliche  Haus  für 
sich  selbst  errichtet  hat,  geht  aus  dem  im 
Aufsatz  angebrachten  Brustbilde  hervor, 
das  eine  charaktervolle  Gestalt  in  langem 
Bart,  Zirkel  und  Winkelmaß  in  den  Hän- 
den, darstellt.  Zu  den  Seiten  eine  männ- 
liche und  eine  weibliche  Figur,  die  in  eine 
lebendig  bewegte  Ranke  auslaufen.  Be- 
zeichnend für  den  Charakter  der  Früh- 
renaissance ist  auch  die  Behandlung  der 
Fenster  in  den  beiden  Obergeschossen, 
deren  schräge  flache  Rahmen  mit  Medail- 
lons geschmückt  sind.  Das  Ganze  steht 
stark  unter  dem  Einflüsse  des  Georgen- 
baues zu  Dresden.  Der  Baumeister  W.  B. 
soll  nach  der  Überlieferung  der  der  groß- 
artigen Hauptkirche  sein. 

Was  sich  sonst  an  Privathäusern 
findet,  ist  minder  erheblich.  Eine  beach- 
tenswerte Eigentümlichkeit  sind  die  zahl- 
reichen Erker.  Der  Nordseite  der  Kirche 
gegenüber  sieht  man  ein  kleines  Portal  in 
der  üblichen  sächsischen  Art  mit  reich 
gegliedertem  Bogen  und  zwei  Sitzen  an 
den  Seiten;  ein  ähnliches,  ebendort  am 
Kirchplatz  befindliches,  ist  etwas  einfacher 


behandelt.  Was  sich  sonst  noch  bemerk- 
bar macht,  gehört  dem  beginnenden  Schweifstil  an,  der  hier  in  seinen  derben 
Formen  und  seinen  Metallornamenten  an  mehreren  resolut  gearbeiteten  Werken 
vorkommt.  So  ein  Eckhaus  der  Dohnaischen  Straße  und  der  Barbiergasse  mit  dia- 
gonal gestelltem  Erker  von  1624  auf  kräftigen  Konsolen,  geschmückt  mit  Masken, 
anderem  Figürlichen  und  dem  üblichen  Metallornament  (Abb.  226).  An  demselben 
Hause  ein  Bogenportal  in  übertrieben  derben  Formen.  Ein  ähnliches  Portal,  über 
welchem  ein  viereckiger  Erker  vorspringt,  an  dem  Hause  Schloßstraße  13.  Aus 
derselben  Zeit  und  in  gleichartiger  Formbehandlung  ein  diagonal  gestellter  Erker 
an  einem  Eckhaus  der  Oberen  Burgstraße,  der  an  den  Seiten  sogar  noch  spät- 
gotisches Maßwerk  zeigt,  während  die  Front  durch  verschlungene  barocke  Bänder 
und  die  mittlere  Konsole  durch  eine  fratzenhafte  Faungestalt  dekoriert  ist. 

Ungleich  wertvoller  sind  die  Arbeiten,  die  noch  in  der  besten  Renaissance- 
zeit zum  Schmuck  der  städtischen  Pfarrkirche  ausgeführt  wurden.  Zunächst 


Pirna 


369 


gehört  die  Bemalung  der  Gewölbe  dieser  stattlichen  spätgotischen  Hallenkirche 
im  Charakter  unserer  Frührenaissance  zum  Reichsten,  was  wir  in  dieser  Art  in 
Deutschland  besitzen.    Sie  besteht  hauptsächlich  aus  buntfarbigen  Ranken  im 
besten  Stil  der  Frührenaissance,  aus  mancherlei  Blättern  und  Blumen,  nament- 
hch  aus  den  Blüten  der  Kaiserkrone,  die  mit  langen  blättergeschmückten  Stielen 
aus  Vasen  hervorgehen  (Abb.  227).  Alle  diese  reich  gezackten  Ornamente  strahlen 
in  üppiger  Farbenpracht,  indem  sie  die  Hunderte  von  kleineren  und  größeren 
Feldern  des  Netzgewölbes  schmücken  und  dabei  stets  von  den  Durchschneidungs- 
punkten  ausgehen.    In  den  Sterngewölben  der  Seitenschiffe  bilden   sich  da- 
durch große  prachtvolle  Blumensterne.    In  den  größeren  länghchen  Feldern  un- 
mittelbar über  den  Pfeilern  sind  Einzelfiguren  und  biblische  Geschichten  ange- 
bracht, z.  B.  Christus  am  Kreuz,  die  Apostel  und  Heilige,  auch  alttestamenthche 
Szenen,  wie  Elias  zum  Himmel  auffahrend,  oder  Jonas  vom  Walfisch  verschlungen, 
wobei  eine  mit  vollen  Segeln  fahrende  Galeere  des  16.  Jahrhunderts  dargestellt 
ist.  Die  Gemäldereihe  um- 
faßt die  Hauptmomente 
der  Heilsgeschichte  von 
der  Schöpfung  bis  zum 
Jüngsten  Gericht.  Dazu 
kommen  Einzelgestalten 
der  Tugenden,  der  Weis- 
heit,  Gerechtigkeit  und 
Stärke,    der  Hoffnung, 
Liebe  usw.  im  Charakter 
antiker  Kunst,  meistens 
mit  geschlitzten  und  flat- 
ternden Kleidern,  die  ein 
Bein  nackt  lassen;  auch 
die  in  den  Ranken  spie- 
lenden  Putten  verraten 
den  Geist  der  Frührenais- 
sance.  Wir  haben  es  in 
der    ganzen  ungemein 
prachtvollen  Malerei  wohl 
mit    der  Arbeit  irgend 
eines  von  Lukas  Cranach 
inspirierten  Lokalkünst- 
lers zu  tun.  Der  Stil  ist 
wild,  das  Formenverständ- 
nis oberflächlich,  die  Wir- 
kung   im  ganzen  aber 
groß.  Da  die  Kirche  1502 
unter  Herzog  Georg  dem 
Bärtigen  begonnen  und 
1546  vollendet  wurde,  so 
haben  wir  hier  eins  der 
namhaftesten  Beispiele 
der  späten  Nachblüte  der 
Gotik,  mit  der  sich  gleich- 
zeitig Renaissanceformen 
in  der  Ausstattung  ver- 
binden •    dpr    Tnlnalt    ripr  ^'^^   Gewölbemalcvci  vom  Chor  der  Stadtlärche  zu  Pirna 
mnuen,    uer   innail    aer            (Nach:  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Königreichs  Sachsen) 
Lübke- Haupt,  Eenaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  24 


370 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Malerei  ist  sichtlich  daraufhin  ausgewählt,  daß  im  Sinn  des  evangelischen  Kultus 
„das  reine  Gotteswort"  darin  dargestellt  werde.  Da  1539  in  der  Stadt  die  Re- 
formation eingeführt  wurde,  so  sind  die  Gemälde  offenbar  unter  diesem  Eindruck 
geschaffen,  und  wir  haben  daher  diesen  bedeutenden  Gemäldekreis  als  eins  der 
seltenen  Monumentalwerke  des  Protestantismus  zu  bezeichnen. 

Etwas  später,  inschrifthch  1570—71,  entstand  ein  anderes  bemerkenswertes 
Werk:  die  steinerne  Empore  auf  elegant  kannelierten  toskanischen  Säulen  mit 
flach  gespannten  Bögen  auf  der  Nordseite  der  Kirche.  Das  Gewölbe  trägt  den 
Charakter  eines  gotischen  Netzwerks,  aber  die  Brüstungen  und  die  Bogenzwickel 
sind  mit  einem  überaus  reichen  Ornament  im  Stil  der  Frührenaissance  geschmückt. 
Die  Verwandtschaft  mit  den  Emporen  der  Marienkirche  in  Halle  ist  unverkennbar. 
Weinranken,  aus  Vasen  hervorwachsend,  mit  etwas  schlaff  behandelten  Blättern, 
überziehen  alle  Flächen  prächtig;  dabei  herrscht  ein  phantasiereicher  Humor  in 
den  Beiwerken:  Häschen  naschen,  Vögel  picken  an  den  Trauben,  pausbackige 
Kinder  ruhen  oder  klettern  darin,  der  Fuchs  blickt  schmachtend  hinauf,  Affen 
treiben  ihre  Possen,  der  Kater  beschleicht  einen  Vogel.  In  jedem  Felde  ist  ein 
von  Putten  gehaltenes  Wappen  in  Rollwerk  dargestellt,  wahrscheinlich  dem  Bürger- 
meister und  den  Ratsherren  angehörig.  An  der  Westseite  des  Mittelschiffs,  über 
die  sich  die  Empore  fortsetzt,  sieht  man  einerseits  eine  weibliche  Figur  vor  der 
Schlange  des  Moses,  andererseits  Adam  angstvoll  durch  die  Ranken  klettern,  um 
einem  Drachen  zu  entfliehen.  Ob  die  Inschriften  L.  D.  und  H.  F.  sich  auf  die  aus- 
führenden Künstler  beziehen,  muß  ich  dahingestellt  sein  lassen. 

Von  der  übrigen  Ausstattung  der  Kirche  ist  der  steinerne  mächtige  Altar, 
10  m  hoch  und  5,1  m  breit,  als  eine  äußerst  tüchtige  und  originelle  Komposi- 
tion, jetzt  leider  mit  grauer  Ölfarbe  überschmiert,  hervorzuheben.  Er  wurde  1611 
unter  Leitung  des  Baumeisters  David  ScJnoenke  durch  den  Bildhauer  Antonms 
von  Saalhausen  ausgeführt.^)  Eine  tüchtige  Holzarbeit  ist  sodann  das  Hauptportal 
vom  Jahre  1595;  außerdem  sind  die  vier  prächtigen  messingenen  Kronleuchter 
aus  der  Spätzeit  des  17.  Jahrhunderts  beachtenswert. 

Ein  wichtiges  und  zum  Teil  glänzendes  Werk  hat  Günther  von  Bünau  in 
der  Kirche  von  Lauenstein  hinterlassen,  die  er  nach  einem  Brand  1594  wieder 
aufbaute  und  zu  einem  Denkmal  seiner  FamiHe  gestaltete.  Mit  Benutzung  alter 
Teile  wurde  ein  neues  Schiff  aufgebaut,  dessen  kunstreiches  Netzgewölbe  vier 
achteckige  toskanische  Pfeiler  tragen.  ÄhnUche  kleinere  vier  Säulen  stützen  die 
Orgelbühne,  zwei  das  Gewölbe  im  Turm.  Der  ältere  Turm  erhielt  damals  Renais- 
sancegiebel  mit  Schnecken  und  Satteldach  —  leider  wieder  abgebrannt  —  und 
ein  Portal  mit  Wappen.  Den  Glanz  des  Innern  bildet  der  Altar  und  die  Bünau- 
kapelle  links  dahinter.  Quer  durch  das  achteckige  Ghorhaupt  zieht  eine  steinerne 
Prachtwand,  mitten  den  Altar,  links  und  rechts  Portale  mit  den  Statuen  des 
Stifters  und  seiner  Gemahlin  tragend  (Abb.  228).  Der  Altaraufbau  enthält  zwischen 
vielen  Säulen  acht  Reliefs  mit  zahlreichen  Statuen  in  drei  sich  absetzenden  Stock- 
werken über  der  Predella.  Das  Werk  im  Stil  des  Schlusses  des  16.  Jahrhunderts 
ein  Meisterwerk.  Links  sieht  man  über  die  Schranke  hinein  in  die  dort  liegende 
Bünaukapelle;  ihr  Gewölbe  bedecken  große  Flachornamente  in  Stuck  im  Schweif- 
stil; an  ihrer  Rückwand  erhebt  sich  das  Glanzstück,  das  überreiche  Denkmal  des 
Genannten  und  seiner  Familie.  Er  kniet  da  mit  seinen  zwei  Frauen,  sechs  Söhnen 
und  fünf  Töchtern,  in  größter  Pracht  der  Zeittracht;  darüber  die  Statuen  Salomos, 
von  vier  Aposteln  und  vier  Propheten;  mitten  das  Relief  des  Weltgerichts  zwischen 
vier  Aposteln,  oben  Gottvater  und  Christus  mit  den  letzten  vier  Aposteln.  Das 
Denkmal  füllt  die  ganze  Wand  bis  zum  Gewölbe  und  bildet  mit  dem  Altar  und 


1)  Abendroth,  Die  Stadtkirche  zu  Pirna  S.  23. 


Abb.  228  Altar  werk  der  Kirche  zu  Lauenstein 
(Nach:  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Königreichs  Sachsen) 


372 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


dem  prächtigen  Portal  der  Kapelle  (Abb.  229)  —  darin  ein  schönes  Gitter  — , 
ein  wahrhaft  glänzendes  Monument  des  Erbauers,  das  durch  die  reiche  Kanzel 
und  einige  weitere  Familien-Epitaphien  vervollständigt  wird. 

Auch  das  stolze  Schloß, 
leider  teilweise  sehr  verstüm- 
melt, redet  von  dem  Kunst- 
sinn des  Kirchenerbauers,  der 
es  in  gleich  glänzender  Weise 
ausstattete  und  ausbaute. 
Den  Hauptteil  bildete  der 
1849  gewaltsam  zerstörte 
Trompetersaal,  ein  schöner, 
mit  Kreuzgewölben  bedeckter 
Raum,  auf  dessen  Nordseite 
sich  der  glänzend  gestaltete 
steinerne  Trompeterstuhl  er- 
hob. Reiche  Bildhauerarbei- 
ten davon  sind  noch  vorhan- 
den; Arabeskenmalerei  und 
andere  Gemälde,  ein  großes 
Wappen  der  Familie,  eine 
reich  geschnitzte  Brüstung 
des  Trompeterstuhls  und  die 
riesigen  Querbögen  des  weiß 
gehaltenen  Saales  waren  1869 
noch  zu  sehen.  Auch  sonst 
zeugen  verschiedene  ausge- 
malte und  mit  Stuck  ge- 
schmückte Innenräume  von 
der  einstigen  Pracht.  Äußer- 
lich ist  wenigstens  die  Haupt- 
eingangseite der  eigentlichen 
Burg,  mit  mehreren  gegie- 
belten  Türmen  und  toska- 
nischem  Hauptportal  aus 
dem  einstigen  Hirschgraben 
stolz  aufragend,  wohl  er- 
halten. 

Im  Schlosse  von  Dip- 
poldiswalde finden  wir 
aber  aus  der  ersten  Zeit  der 
sächsisch  enRenaissance  noch 
einen  Rest  von  hoher  Bedeu- 
tung (Abb.  230).  Offenbar 
vom  Erbauer  des  Georgenbaues  in  Dresden  geschaffen,  ist  der  nur  zweifenstrige 
und  zweistöckige  Bau  in  den  Geschossen  durch  drei  sehr  stark  vorspringende 
Pilaster  gegliedert,  dazwischen  einfache,  in  der  Schräge  profilierte  Fenster.  Diese 
völlig  ornamentierten,  vierkantigen  Pfeiler,  muß  man  sie  nennen,  haben  reichstes, 
starkgeschweiftes  Blätterkapitell  und  verkröpftes  Gebälk  mit  stark  gefülltem  fein- 
stem Friese;  das  Erdgeschoß  zwei  rundbogige,  einfache  Türen  zwischen  derben 
Eckpilastern ;  sein  Fries  zeigt  breit  gestellte  Pfeifen.^) 

1)  Abb.  in  Bau-  und  Kunstdenkm.  d.  Königr.  Sachsen,  II,  Beil.  IV. 


Abb.  229   Portal  der  Bünaukapelle  in  der  Kirclie  zu  Lauenstcin 
(Nach :  Bau-  und  Kunstdenkmälcr  des  Königreichs  Sachsen) 


Dippoldiswalde  Freiberg 


373 


Der  Schmuck  des  Bauwerks,  das  offenbar  durch  den  Brand  von  1632  seine 
Giebel  und  oberen  Gebälkkröpfe  verlor,  ist  ausgezeichnet  und  stimmt  genau  mit 
dem  des  Tors  am  Georgenbau,  zeigt  aber  auch  in  der  Architektur  genau  dieselbe 
Pilasterarchitektur,  wie  einst  die  Innenseite  des  Georgentors  in  den  Stockwerken; 
sie  mag  uns  daher 
einen  Ersatz  bieten 
für  das  dort  Verlorene. 

Nicht  unerwähnt 
darf  es  bleiben,  daß 
die  Übereinstimmung 
mit  Görlitzer  undBres- 
lauerFrührenaissance- 
häusern,  die  freilich 
weniger  reich  und  fein 
sind,  verhältnismäßig 
groß  ist  und  eine  Ein- 
wirkung dorthin  oder 
dorther  vermuten  läßt. 
Auch  G.  von  Bezold 
spricht  von  einer  säch- 
sisch-schlesischen  Re- 
naissance. 

Einiges  findet 
sich  sodann  in  Frei- 
berg. Zum  Frühe- 
sten gehört  das  Haus 
Nr.  266  am  Marktplatz. 
Es  hat  ein  sehr  reiches 
Portal  der  üppigsten 
Frührenaissance,  mit 
dem  weichen,lappigen , 
krautartigen  Laub- 
werk dieser  Epoche 
ganz  überzogen.  Die 
Pilaster,  Archivollen 
und  Zwickelfelder, 
welche  ein  männliches 
und  weibliches  Medail- 
lonbildnis zeigen,  völ- 
lig bemalt,  das  Ganze 
eingefaßt  von  jenen 
pflanzenartigen  Säu- 
len mit  wulstiger  Ba- 
sis, wie  wir  sie  vom  Georgenbau  zu  Dresden  her  kennen,  der  Schaft  mit  Laub- 
werk bedeckt,  die  breitgedrückten  Kapitelle  mit  Tier-  und  Pflanzenornament,  auf 
den  Ecken  vasenartige  Aufsätze,  dazwischen  ein  großer  Giebel  als  Bekrönung, 
welcher  in  einem  anziehenden  Relief  die  Arbeiten  des  Bergmanns  enthält;  wohl 
um  1540  entstanden. 2)  Daneben  in  Nr.  267,  dem  ehemaligen  Kaufhaus,  1545  be- 
zeichnet, ein  Portal  von  einfacherer  Anordnung,  aber  nicht  minder  reich  und 

1)  Die  Baukunst  d.  Renaissance  in  Deutschland  S.  33. 

2)  Nach  C.  Gurlitts  Vermutung  von  dem  Meister  d.es  Dresdener  Georgenbaues,  Hans  Schicken- 
tanz, auf  dessen  Namen  das  S.  auf  der  ßelieftafel  vieU^icht  gedeutet  werden  darf. 


Abb.  230  Südlicher  Wittelbau  des  Schlosses  Dippoldiswalde 
(Nach:  Bau-  und  Kunstdenkmälcr  des  Königreichs  Sachsen) 


374 


2.  Bach   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


schwungvoll  verziert;  die  breiten  Flächen  der  Bögen  mit  Akanthusranken,  in  den 
Zwickeln  Rundbilder,  oben  als  Krönung  frei  verschlungenes  Laubwerk  von  schöner 
Zeichnung,  dazwischen  das  Wappen  der  Stadt.    Im  Innern  bewahrt  das  Haupt- 


Abb.  231   Fürstengräber  im  Dom  zu  Freibera 


geschoß  ein  Zimmer  mit  guter  Holzbalkendecke,  die  Balken  tief  ausgekehlt,  in 
mittelalterlicher  Behandlung,  in  der  Mitte  eine  phantastisch  geschnitzte  Renais- 
sancesäule, über  deren  Blätterkapitell  die  mächtigen  Kopfbänder  elegant  in  Ro- 


Freiberg 


375 


setten  auslaufen,  an  den  Seiten  mit  Laubwerk  und  Drachen  geziert.  Rings  um 
die  Wände  zieht  sich  auf  halber  Höhe  ein  Gesims  auf  Konsolen.  Der  Rahmen 
der  Tür  ist  mit  Blattranken  im  Stil  der  Frührenaissance  geschmückt. 

Zahlreiche  kleine  Portale  verraten  den  Einfluß  von  Dresden,  sowohl  in  der 
Anlage,  wie  in  der  zierlichen  Ausbildung.  Das  schönste  dieser  Art  ist  Rittergasse 
Nr.  519,  mit  geistvollen  Arabesken  geschmückt,  offenbar  vom  Meister  des  Kauf- 
hauses. Mehrere  den  Dresdner  Portalen  verwandte,  mit  Sitznischen  an  den  Seiten, 
die  Archivolten  reich  gegliedert,  sieht  man  Kirchgasse  Nr.  357;  ganz  ähnHch 
Rittergasse  Nr.  515;  etwas  reicher  Kleine  Rittergasse  Nr.  689;  wieder  abweichend, 
die  Archivolten  mit  Laub  und  Früchten  dekoriert,  Burgstraße  Nr.  628;  mit  feinen 
Arabesken,  ähnlich  wie  519,  nur  einfacher  und  mit  kräftig  geschnitzter  Haustür 
am  Marktplatz  Nr.  286.  Un- 
zählige Häuser  zeigen  noch 
die  für  das  Auge  so  erfreu- 
liche,, die  Fassade  wirksam 
belebende  Profilierung  der 
Fenster  mit  Hohlkehlen  und 
Rundstäben,  wie  sie  das 
Mittelalter  ausgebildet  hat. 
Giebel  kommen  nur  aus- 
nahmsweise vor;  ein  riesig 
hoher  in  derben  Barockfor- 
men Ecke  der  Burgstraße 
und  Weingasse  mit  diagonal 
gestelltem  Erker,  sehr  ener- 
gisch mit  Pilastern  und  Me- 
tallornamenten gegliedert; 
die  Fenster  der  Hauptfassade 
sind  reich  und  originell  in 
diesem  Stil  umrahmt.  Gleich 
daneben  in  der  Burgstraße 
zwei  einfachere  Erker,  recht- 
winklig in  der  Mitte  der  Fas- 
sade ausgebaut,  den  Dres- 
dener Erkern  verwandt. 

Das  Rathaus  ist  ein  schhchter  mittelalterlicher  Bau  von  1510  mit  gotisch 
profilierten  Fenstern.  Ein  viereckiger  Turm  tritt  ungefähr  in  der  Mitte  der  dem 
Markte  zugekehrten  Langseite  vor.  Ein  Erker  von  1578  in  derben  Formen  der 
Spätrenaissance  ist  auf  zwei  klotzigen  Kragsteinen  vorgebaut,  die  von  Löwen- 
köpfen getragen  werden.  Im  Giebel  ein  stark  herausragender  Kopf.  Um  dieselbe 
Zeit  hat  wahrscheinlich  das  Rathaus  seine  hohen,  kräftig  geschweiften  Giebel  mit 
aufgesetzten  Pyramiden  erhalten. 

Von  den  prachtvollen  Fürstengräbern  im  Chor  des  Doms  ist  schon  im 
ersten  Bande  die  Rede  gewesen.  Doch  fügen  wir  hier  den  Grundriß  des  durch 
G.  M.  Nosseni  zum  Mausoleum  umgebauten  Chors  nebst  einem  Blick  in  die  herr- 
liche Chorhalle  mit  ihrer  freilich  völlig  italienischen  Architektur  ein  (Abb.  231 
und  232).  Die  architektonischen  Teile  sind  aus  sächsischem  Marmor,  die  Gestalten 
der  hier  beigesetzten  Fürsten  wie  der  Propheten  und  Tugenden  darüber  aus  Bronze, 
von  Carlo  de  Cesare  aus  Florenz  gegossen.  Am  Gewölbe  die  prachtvolle  farbige 
Darstellung  des  Jüngsten  Gerichtes  in  freischwebenden  Stuckfiguren.  Unter  der 
Vierung  nun  noch  das  schöne  Grabmal  Moritzens,  als  Mittelpunkt  des  Ganzen, 
das  Kurfürst  August  seinem  großen  Bruder  nach  1552  durch  Anton  van  Zerroen 


Abb.  232   Chorgrundriß  des  Domes  zu  Freiberg 


376 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


aus  Antwerpen  und  Hans  Wessel,  Goldschmied  aus  Lübeck,  errichtete  (Abb.  233). 
Wieder  ein  Werk  ganz  niederländischer  Art.  Ein  kraftvoll  durchgeführtes,  reich 
vergoldetes  Eisengitter  schließt  den  Chor  ab;  eine  der  schönsten  Arbeiten  dieser 
Art  voll  Schwung  der  Phantasie  und  von  größter  Mannigfaltigkeit  ist  das  innere 
Gitter  des  Chores ;  beide  von  Hans  Weher  und  Hans  Klencke,  Schlossermeister  in 


Abb.  233   Grabdenkmal  des  Kurfürsten  Moritz  von  Sachsen  im  Dom  zu  Freiberg 


Dresden,  für  325  Gulden  gefertigt  und  1525  aufgestellt.^)  Im  Schiff  der  Kirche 
ist  neben  der  phantastischen,  als  prachtvolle  Blume  durchgeführten  früheren 
Kanzel  eine  zweite  in  flüssigen  Renaissanceformen  mit  tüchtigen  Reliefs  zu  er- 
wähnen. Der  elegante  mit  trefflichen  ReHefs  und  Ornamenten  der  besten  Früh- 
renaissance dekorierte  Taufstein  wird  durch  die  Buchstaben  H.  W.  als  Werk  des 
tüchtigen  Meisters  Hans  Walter  bezeichnet.  Das  ehemalige,  unter  Kurfürst  August 
seit  1566  umgebaute  Schloß  Freudenstein  ist  jetzt  ein  kunst-  und  stilloses 


1)  Dr.  J,  Schmidt  a.  a.  0.  S.  149  if. 


Annaberg  Zwickau 


377 


Magazingebäude ;  über  seine  Baugeschichte  und  ehemahge  Form  verweise  ich  auf 
die  schon  angeführte  Schrift  C.  Gurlitts.^) 

Die  Kirche  zu  Annaberg,  ein  bekanntes  Prachtwerk  auf  der  Grenze  der 
Gotik  und  Renaissance,  darf  hier  nicht  übergangen  werden.  1512—25  von  Herzog 
Georg  errichtet,  ist  sie  in  ihrer  Weiträumigkeit  bereits  ein  Werk  neuen  Geistes. 
Aber  ihre  Ausstattung  selber  atmet  diesen  in  höherem  Maße.  Ist  die  schöne  Tür 
auch  noch  in  allem  Einzelnen  rein  spätgotisch,  so  ist  die  jauchzende  Lebenslust 
und  Schönheitsfreude,  die  sich  in  diesem  Meisterwerke  ausspricht,  wie  in  dem 
wundervollen  Taufstein,  bereits  eine  Absage  an  das  Mittelalter.  Derselbe  große 
Meister  schuf  dann  die  wundervolle  Emporenbrüstung  um  die  Kirche ;  hier  drängen 
sich  bereits  außer  den  echten  Renaissancegestalten,  die  sie  beleben,  auch  junge 
Renaissancekandelaber  und  dergleichen  ein.  Überall  lebt  hier  eine  neusprossende 
Jugend,  und  das  letzte  dieser  Ausstattung,  der  herrliche  Altar,  spricht  dann  dies 
alles  zusammenfassend  in  der  Meisterschöpfung  Adolf  Dauhers  von  Augsburg  von 
1522  in  klarster  Frührenaissance  aus.  Der  Aufbau  ist  klar  und  einfach;  über 
einer  Predella  erheben  sich  zwei  Säulen  mit  reizvollem  Laubkapitell,  ihnen  zur 
Seite  über  Konsolen  ausgekragt  breite  Pilaster  mit  Rahmen  (Abb.  234);  die  Attika 
des  Aufsatzes  ist  von  delphinreitenden  Engeln  begleitet  und  von  spielenden  Putten 
bekrönt,  vor  ihm  zwei  geharnischte  Knaben  mit  den  Wappenschilden  des  Herzogs 
und  seiner  Gemahlin  (Abb.  235).  Alles  aus  buntem  Marmor  und  Solnhofer  Stein. 
Die  drei  Hauptfelder  des  Altars  enthalten,  von  der  Predella  aus  Abrahams  Brust 
aufsteigend,  den  Stammbaum  Christi  in  Brustbildern,  darüber  Christi  Geburt  in 
ganzen  Gestalten. 

Der  Liebreiz  des  ganzen  Werkes  sowohl  in  Gestaltung  und  Durchbildung 
des  Einzelnen,  wie  im  flüssigen  Umriß,  in  der  architektonischen  wie  bildhauerischen 
Ausgestaltung,  alles  verstärkt  durch  das  edle  Material,  machen  aus  dem  ganzen 
zugleich  höchst  stattlichen  Werke  eines  der  wertvollsten  der  ganzen  deutschen 
Frührenaissance.  Vermutlich  hat  Peter  FleUner,  der  damals  bis  etwa  1519  in 
Augsburg  tätig  war,  bei  dem  Entwürfe  des  adeligen  Frühwerks  unserer  Renais- 
sance mitgewirkt. 

Zwickau  gehört  zu  den  Städten,  welche  den  neuen  Stil  am  frühsten  auf- 
genommen haben.  So  zählt  in  der  stattlichen  spätgotischen  Marienkirche  die 
Kanzel  vom  Jahre  1538  zu  den  zierlichsten  Werken  der  Frührenaissance.  Der 
Pfeiler,  auf  dem  sie  ruht,  zeigt  noch  gotische  Behandlung,  aber  die  Tür  mit 
den  hübschen  Pilastern,  die  Brüstung  mit  den  geschweiften  Säulchen,  die  reiche 
Ornamentik,  noch  dazu  bemalt  und  vergoldet,  gehört  dem  neuen  StiL^*)  Außer 
zwei  kleinen  trefflichen  Kronleuchtern  ^)  und  den  sehr  eleganten  einarmigen  Wand- 
leuchtern von  Bronze  sind  die  Ratsherrnstühle  unter  der  Orgel,  1617  von  Paul 
Corhian  gearbeitet,  mit  ihren  eleganten  Figuren  und  Intarsien  bemerkenswert.^) 
Ein  blühendes  Werk  der  Frührenaissance,  gleichzeitig  mit  der  schönen  Kanzel 
entstanden,  ist  der  Taufstein  von  1536.  Derselben  Zeit  und  Richtung  gehört  die 
etwas  einfachere  Kanzel  der  Katharinen kir che  an,  ebenfalls  bei  Ortwein  ab- 
gebildet. Ist  sie,  wie  versichert  wird,  ein  Werk  des  Steinmetzen  Hans  Speck,  so 
darf  man  diesen  wohl  auch  für  den  Urheber  der  Kanzel  in  der  Marienkirche  halten. 

Für  das  Auftreten  der  Renaissance  in  der  Stadt  ist  die  Notiz  von  Dr.  Herzog 
in  der  Chronik  der  Stadt  Zwickau  bezeichnend,  daß  der  Stadtschreiber  Stephan 
Roth  um  1534  sich  ein  Haus  zuerst  in  welscher  Manier  habe  erbauen  lassen.  Den 
Eindruck  eines  solchen  Bürgerhauses  jener  Zeit  gewährt  noch  jetzt  das  wohl- 

1)  In  den  Mitteil,  des  Freiberger  Altert.-Ver.  Heft  15  S.  1398  ff. 

2)  Treflfl.  Aufn.  bei  Ortwein,  D.  Eenaiss.  Abt.  XXXIII  von  Möckel  u.  Dreher,  Taf.  1—4. 

3)  Ebenda  Taf.  Iß— 18. 

4)  Ebenda  Taf.  6  u.  7. 


378 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


erhaltene  Haus  Nr.  56  der  Schneebergerstraße.^)  Seine  Fenster  und  das  Neben- 
portal haben  noch  Vorhangbögen;  auch  der  Erker  befolgt  im  wesentlichen  mittel- 
alterliche Tradition.  Aber  die  drei  hohen,  mit  Lisenen  gliederten  und  mit  flachen 


Abb.  234  Predella  und  Mittelstiick  des  Hauptaltars  der  St.  Annakirche  zu  Annaberg 
(Nach:  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Königreichs  Sachsen) 

Kreissegmenten  abgeschlossenen  Giebel  und  mehr  noch  das  prachtvolle  Haupt- 
portal mit  seinen  reich  und  doch  edel  ornamentierten  Rundbogen  und  den  ein- 

1)  Aiifn.  bei  Ortwein  Taf.  10—13. 


Zwickau  Chemnitz 


379 


fassenden  Kandelabersäulchen  ist  ein  treffliches  Werk  der  Frührenaissance,  um 
1535  entstanden.  Der  Stil  entspricht  dem  der  beiden  Kanzeln,  doch  die  Aus- 
führung ist  feiner.  Auch  der  gewölbte  Hausflur  und  der  mit  ihm  verbundene 
im  Hofe  angebrachte  Treppenturm  gehört  der  gleichen  Bauperiode.  Einige  ein- 
fachere Portale  derselben  Zeit  haben  sich  in  der  Leipzigerstraße  (1538)  und  der 
Burggasse  (1549)  erhalten.  Überall  sind  hier  die  in  Sachsen  beliebten  Sitzsteine 
an  den  Seiten  angebracht.  Das  von  Kurfürst  August  (1587—90)  erbaute  Schloß 
Osterstein  ist  in  arg  verstümmelter  Gestalt  jetzt  zur  Strafanstalt  herab- 
gewürdigt. 


Abb.  235   Bekrüiiung  des  Hauptaltars  der  St.  Annakircho  zu  Annaberg 
(Nach:  Bau-  und  Kunstdenkraäler  des  Königreichs  Sachsen) 


Von  den  einst  reichen  Werken  der  Renaissance  in  Ghem  nitz  ist  gar  wenig 
noch  übrig.  Das  berühmte  Portal  der  Schloßkirche,  eine  aus  naturalistischem 
Baum-  und  Astwerk  aufgebaute  Architektur  zwischen  zwei  Strebepfeilern  mit 
seinem  prachtvollen  figürlichen  Schmuck,  wie  die  ausgezeichnete  Geißelung  im 
Innern  der  Kirche,  stehen  erst  auf  der  Schwelle  des  neuen  Stiles.  Dagegen  hat 
der  Profanbau  mancherlei  Reste  aufzuweisen,  die  auf  einst  bemerkenswerte 
Leistungen  schließen  läßt;  so  im  Innern  des  Rathauses  die  schöne  sterngewölbte 
Ratstube,  die  prächtige  innere  Fensterarchitektur  mit  vorgesetzten  Komposita- 
säulen; und  am  Markte  Nr.  15  ein  PrachtportaF)  mit  freistehenden  Säulen, 
Triglyphenfries  und  Flachgiebel,  darin  ein  reichgeschmückter  Bogen  mit  Sitz- 
nischen, von  1559;  in  der  inneren  Klosterstraße  ein  noch  viel  reicheres  von  1542, 
mit  dicken  Pilastern  eingefaßt,  deren  einst  vier  diesen  Gebäudeteil  gliederten,  von 
reichem  Bogen  und  Fries,  alles  mit  Figuren  und  Ornamenten  bedeckt,  in  einer 
weichen  doch  üppigen  Frührenaissance.^) 

1)  Abb.  Bau-  u.  Kunstdenkm.  des  Königr.  Sachsen,  Heft  7,  Beil.  VIII. 

2)  Daselbst,  Beil.  VI— VII. 


380 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Leipzig 

Gegenüber  den  Städten,  welche  nur  als  Residenzen  durch  fürstliche  Macht 
ihre  Bedeutung  erlangt  haben,  tritt  Leipzig  uns  von  Anfang  als  eine  Stadt  ent- 
gegen, die  ihre  Blüte  dem  Bürgertum  verdankt.  Durch  ihre  zentrale  Lage  schon 
früh  für  den  Handelsverkehr  zwischen  dem  Norden  und  Süden,  dem  Westen  und 
Osten  von  großer  Bedeutung,  hatte  die  Stadt  bereits  seit  dem  12.  Jahrhundert 
in  ihren  von  allen  Seiten  besuchten  Messen  wichtige  Mittelpunkte  für  den  Welt- 
handel gewonnen.  Auf  den  Höhepunkt  ihres  Ansehens  gelangte  sie,  als  während 
der  Schrecknisse  der  alles  ringsum  verwüstenden  Hussitenkriege  sie  sich  hinter 
starken  Festungswerken  als  sicheren  Schutz  für  Menschen  und  Güter  erwies.^) 
Der  unablässige  Eifer  ihrer  Bürger  wußte  die  Vorteile  der  Lage  und  der  Ver- 
hältnisse nach  Kräften  auszubeuten  und  durch  kaiserliche  und  fürstliche  Privilegien 
ihre  Stellung  immer  mehr  zu  befestigen  und  weithin  zur  herrschenden  zu  machen. 
Zugleich  aber  war  die  seit  1409  bestehende  Universität  eine  tüchtige  Pflegerin 
der  wissenschaftlichen  Bestrebungen,  obwohl  sie  sich  der  Reformation  anfangs 
hartnäckig  widersetzte.  Minder  fruchtbar  war  die  Tätigkeit  der  immer  kräftiger 
aufblühenden  Stadt  auf  künstlerischem  Gebiete.  Es  ist  auffallend,  wie  wenig  das 
ganze  Mittelalter  hier  in  architektonischen  und  plastischen  Arbeiten  geleistet  hat. 
In  der  Malerei  waren  wenigstens  die  neuerdings  mit  Sorgfalt  wiederhergestellten 
Wandbilder  des  Pauliner  Kreuzganges  ein  umfangreiches  Werk ;  allein  an  künst- 
lerisch hervorragenden  Schöpfungen  jener  Epoche  fehlt  es  durchaus. 

Unter  den  öffenthchen  Bauten  der  Stadt  nehmen  die  Werke  des  Mittelalters 
in  der  Tat  nur  geringe  Bedeutung  in  Anspruch.  Dagegen  verleiht  die  Renaissance 
den  älteren  Teilen  ein  charaktervolles  Gepräge.  Der  Zug  der  Straßen  mit  den 
dichtgedrängten  hochragenden  Bürgerhäusern  verrät  die  Wichtigkeit,  die  damals 
schon  Leipzig  als  Handelsstadt  besaß.  Für  die  Anlage  der  Häuser  ist  die  Rück- 
sicht auf  die  Messen  und  den  Handelsverkehr  maßgebend  gewesen.  Das  Erd- 
geschoß besteht  gewöhnlich  aus  großen  Gewölben  mit  weiten  Bogenstellungen 
gegen  die  Straße  zu.  Die  leider  überall  umgestaltete  äußere  Anordnung  wird  der 
in  Frankfurt  a.  M.  üblichen  ungefähr  entsprechend  gewesen  sein.  Charakteristisch 
sind  die  weiten  Höfe,  manchmal  zwei  hintereinander,  durch  Hintergebäude  ge- 
trennt, so  daß  die  Anlage  bis  an  die  benachbarte  Parallelstraße  reicht,  und  wie 
in  Wien,  Hausflur  und  Höfe  sich  zu  öffentlichen  Durchgängen  gestalten.  In  der 
Entwicklung  der  Fassaden  ist  ein  Einfluß  von  Dresden  zu  bemerken,  doch  herrscht 
hier  durchweg  größere  Einfachheit.  Bemerkenswert  z.  B.  die  beiden  Portale  in 
der  Kleinen  Fleischergasse  Nr.  8  und  19,  den  bekannten  Dresdener  Portalen  ent- 
sprechend, aber  hinter  ihnen  an  Feinheit  der  Ausbildung  zurückstehend.  Der 
Sandstein  ist  überhaupt  hier  sparsamer  verwendet,  die  zierlicheren  Formen, 
Gliederungen,  Ornamente  fehlen  fast  durchweg.  Dagegen  ist  der  Aufbau  im 
ganzen  kräftig  und  gediegen,  namentlich  werden  die  Erker  in  ähnlicher  Weise  wie 
in  Dresden  angebracht  und  geben  den  Straßen  das  lebensvolle  und  zugleich  wohn- 
liche Gepräge.  Die  reicheren  unter  diesen  Erkern  gehören  freilich  erst  der  späteren 
Zeit  an  und  werden  dann  mit  Vorliebe  in  Holz  und  zwar  in  reichem  Schnitzwerk 
ausgeführt. 

Das  interessanteste  und  früheste  Privathaus  war  der  sogenannte  B arth eis 
Hof,  Hainstraße  Nr.  33,  welches  wir  in  Abb.  236  mitteilen.  Das  Haus  wurde 
1523  von  dem  Ratsherrn  Hieron.  Walther  erbaut,  und  aus  dieser  Zeit  stammte  im 
wesentlichen  die  Fassade  mit  den  tief  eingekehlten  Fensterrahmen  und  dem 
hübschen  Erker,  dessen  Auskragung  ein  gotisches  Rippengewölbe  zeigt,  während 


1)  K.  Grosse,  Gesch.  der  Stadt  Leipzig  I.  372  ff. 


Leipzig 


381 


in  der  Brüstung  des  Fensters  der  neue 
Stil  sich  mit  zierlichen  Balustersäul- 
chen  und  Laubgewinden  versucht. 
Auch  die  Säulchen,  welche  oben  die 
kleine  Loggia  bilden  und  das  ge- 
schweifte Dach  aufnehmen,  gehören 
dieser  Zeit  an.  Dagegen  sind  die  derben 
Voluten  des  Giebels,  dessen  Absätze 
ursprünglich  ohne  Zweifel  Pyramiden 
oder  andere  Aufsätze  trugen,  einer 
Restauration  des  1 7.  Jahrhunderts  zu- 
zuschreiben, während  das  pikant  aus- 
gebaute polygone  Türmchen,  welches 
den  Giebel  abschließt,  wieder  der  ur- 
sprünglichen Anlage  gehört.  Zahl- 
reiche Inschriften  sind  in  den  Hohl- 
kehlen der  Gesimse  und  Fensterrah- 
men, sowie  an  der  oberen  Brüstung 
des  Erkers  angebracht.  Das  Haus  ist 
neuerdings  abgebrochen  und  der  Erker 
mit  Giebel  in  den  Hintergrund  des 
Hofes  des  Neubaus  versetzt. 

Wie  die  ausgebildete  Renais- 
sance sich  hier  gestaltet,  erkennt  man 
an  dem  im  Jahre  1556  unter  Leitung 
des  Hieronymus  Lotter  von  Sittich 
Pfretschner  und  Paul  Wiedemann  er- 
bauten Rathau  se.i)  Es  ist  ein  aus- 
gedehntes Rechteck,  die  östliche  Lang- 
seite des  Marktes  begrenzend,  über- 
aus einfach  in  verputzten  Backsteinen 
aufgeführt  (Abb.  237).  An  der  süd- 
lichen Schmalseite  ist  ein  kleiner 
Erker  ausgebaut,  ebenso  an  der  Nord- 
seite. Die  nach  Westen  gewendete 
Hauptfront  ist  mit  sieben  unregel- 
mäßig angeordneten  Giebeln  bekrönt, 
die  über  dem  mit  Zahnschnitten  aus- 
gestatteten Hauptgesimse  aufsteigen. 
Derb  und  tüchtig  behandelt,  zeigen 
die  Einfassungen  der  Voluten  ein  Ru- 
stikaquaderwerk (Abb.  237).  Ein  acht- 
eckiger, nicht  genau  in  der  Mitte  der 
Fassade  ausgebauter  Turm  enthält 
das  Hauptportal  und  die  Wendeltreppe. 
Das  Ganze  ist  von  malerischer  Wir- 
kung, aber  ohne  höheren  Kunstwert.  Eine  im  Jahre  1672  notwendig  gewordene 
Erneuerung  hat  sich  mit  Verständnis  dem  Charakter  des  Ganzen  angeschlossen.') 
Neuerdings  ist  das  ganze  Gebäude  erneuert,  doch  mit  Pietät  und  unter  mög- 
lichster Wahrung  des  alten  Charakters. 

1)  Vogels  Leipz.  Ännalen  S.  202. 

2)  Ebenda  S.  745. 


Bartheis  Hof  zu  Leipzig 


332  2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 

Die  Fenster  am  ganzen  Bau  sind  paarweise  gruppiert,  mit  sich  durchschneiden- 
den Stäben  in  spätgotischer  Form  eingefaßt;  jedes  schmückende  Ornament  ist  ver- 
mieden, nur  eine  große  Inschrift  in  römischen  Majuskeln  umzieht  als  Fries  den 
ganzen  Bau.  Das  Hauptportal,  mit  gekuppelten  kannelierten  ionischen  Säulchen 
eingefaßt,  von  Paul  Wiedemann,  hat  über  sich  auf  kräftigen  Konsolen  einen  offenen 
Altan  als  Abschluß  des  viereckigen  Turmgeschosses.  Über  diesem  geht  der  Turm 

ins  Achteck  über  und 
ist  mit  einem  ge- 
schweiften Dach  ge- 
schlossen. Die  öst- 
liche gegen  den  Nasch- 
markt gerichtete  Front 
entspricht  in  ihrer  Be- 
handlung der  west- 
lichen, nur  daß  der 
Turm  fehlt.  Im  Innern 
enthält  das  Hauptge- 
schoß zunächst  einen 
großen  Vorsaal  mit 
acht  gut  und  kräftig 
behandelten  Holzpfei- 
lern. Drei  stattliche 
Kamine  aus  Sandstein 
mit  Atlanten  und  Ka- 
ryatiden schmücken 
die  innere  Wand.  Da- 
neben ein  kleines  Ver- 
bindungszimmer mit 
Kreuzgewölbe  und  ei- 
nem ähnlichen  Ka- 
mine. Der  Ratssaal, 
ein  quadratischer,  ge- 
gen die  Grimmaische 

Straße  gerichteter 
Raum,  hat  eine  flache 
Felderdecke  mit  ver- 
Abb.  237   Mittelteil  des  alten  Rathauses  zu  Leipzig  goldeten  Rosetten  und 

einen   eisernen  Ofen 

von  ziemlich  roher  Form,  dagegen  einen  prächtigen  Schrank  mit  schönen  Intarsien 
von  Blumen  und  flachem  Lederornament. ^) 

Etwas  früher  (1555)  hatte  Lotter  als  seinen  ersten  öffentlichen  Bau  die  „Alte 
Wage"  aufgeführt,  ein  ebenfalls  einfaches,  aber  in  kräftigen  charaktervollen  Formen 
entwickeltes  Werk.^)  Wenn  der  Meister  in  allen  seinen  Schöpfungen  eine  gewisse 
nüchterne  Strenge  der  Behandlung  zeigt,  so  ist  diese  nicht  bloß  der  Ausfluß 
seines  eigenen  Wesens,  sondern  auch  wohl  das  Ergebnis  jener  trockenen,  der 
Kunst  von  jeher  wenig  zugetanen  Gesinnung,  die  Leipzig  bis  auf  den  heutigen 
Tag  charakterisiert. 

In  ähnlich  schlichter  Behandlung  ist  das  ehemalige  Polizeiamt  aus- 
geführt, bei  aller  Einfachheit  eines  kräftig  gegliederten  Stuckbaues  doch  von 


1)  Über  diesen  Bau  und  die  gesamte  Tätigkeit  des  Baumeisters  vgl.  die  schöne  oben  zitierte 
Schrift  von  G.AVustmann,  welche  uns  ein  treues  Lebensbild  des  wackeren  Mannes  entrollt. 

2)  Abb.  bei  Wustmann  a.  a.  0.  S.  29. 


Leipzig 


383 


tüchtiger  und  ansprechender  Wirkung,  besonders  in  dem  hohen  geschweiften  Giebel 
an  der  Reichsstraße.  Die  vordere  Fassade  am  Naschmarkt  ist  stark  verändert. 
An  einem  Fenster  im  Hofe  liest  man  die  Jahreszahl  1578.  Malerisch  ist  im  Erd- 
geschoß der  Ratskeller,  dessen  große  Kreuzgewölbe  auf  zwei  mittleren  Säulen 
mit  originellen  dorisierenden  Kapitellen  ruhen. 

Derselben  Zeit  gehörte  auch  das  Wenige  an,  was  an  der  Pleißenburg, 
der  alten  Leipziger  Festung,  sich  von  künstlerischen  Formen  fand.  Doch  bot  der 
Bau  in  seiner  schlichten,  festungsartigen  Behandlung  einiges  Interesse,  ehe  er 
dem  neuen  Rathause  Platz  machen  mußte.  Daß  im  Jahre  1554  der  kurfürst- 
liche Baumeister  Kaspar  Voigt  beauftragt  wurde,  die  Fundamente  des  Baues  zu 
graben,  haben  wir  schon  anderwärts  erfahren;  nach  anderer  Nachricht^)  wäre  das 
Werk  schon  um  1550  begonnen  worden.  Es  besaß  außer  einigen  mit  groben 
Wülsten  eingefaßten  Portalen  nur  einen  mehrstöckigen  Erker  dem  Eingang  gegen- 
über und  ein  etwas  zierlicheres  Portal  an  einem  Treppenturm;  sonst  wirkte  es 
nur  durch  seine  starken  Festungsmassen.  Als  ausführender  Baumeister  wird 
Hieronymus  Lotter  genannt,  der  das  Werk  dann  auch  trotz  stockender  Geldmittel 
mit  Energie  zu  Ende  führte.  Der  wackere  Meister,  der  in  Leipzig  solches  Ansehen 
genoß,  daß  er  wiederholt  zum  Bürgermeister  erwählt  wurde,  trat  dadurch  in  eine 
langjährige  Verbindung  mit  dem  Kurfürsten,  die  solche  Intimität  gewann,  daß 
Kurfürst  August,  wenn  er  nach  Leipzig  kam,  bei  Lotter  sein  Absteigequartier 
nahm.  Erst  beim  Bau  der  Augustusburg  löste  sich  dieses  Verhältnis  und 
schlug  in  völlige  Ungnade  um,  die  dann  das  Verderben  des  braven  Mannes 
herbeiführte.^) 

Im  Gegensatze  zu  all  diesen  äußerst  schlicht  behandelten  Werken  stellt 
sich  das  Fürstenhaus  in  der  Grimmaischen  Straße  als  das  einzige  Gebäude 
von  feinerer  Durchbildung  dar.  Seit  1558  für  Doktor  Georg  Rothe  erbaut^),  erhebt 
es  sich  mit  langer  Front  in  zwei  Stockwerken  und  einem  durch  eine  Giebelreihe 
charakterisierten  Dachgeschoß  mit  seiner  Langseite  an  dieser  Hauptstraße  der 
Stadt,  an  beiden  Enden  mit  runden  ausgekragten  Erkern  geschmückt  (Abb.  238), 
die  nicht  bloß  die  reichste  architektonische  Gliederung  zeigen,  sondern  auch  mit 
Brustbildern,  Laubwerk,  Wappen  und  Inschrifttafeln  geziert  sind.  Die  Zier-Quade- 
rungen,  die  Anwendung  von  dorischen  Pilastern  und  Triglyphenfriesen,  sowie  das 
häufig  vorkommende  aufgerollte  Bandwerk  entsprechen  dem  Charakter  der  Zeit, 
während  der  Reichtum  der  Behandlung  und  die  Zierlichkeit  des  Einzelnen  fast 
den  Eindruck  von  Frührenaissance  machen.  Die  Anordnung  dieser  Erker  und 
ihre  Art  der  Ausschmückung  ist  als  besonderes  Merkmal  der  obersächsischen 
Schule  aufzufassen;  in  Torgau  und  Dresden  haben  wir  Ähnliches  gefunden. 
Während  jene  Teile  aus  Sandstein  bestehen,  sind  die  Flächen  geputzt  und  werden 
nur  durch  die  paarweise  gruppierten  Fenster  mit  kräftigen,  im  Charakter  des 
Mittelalters  gearbeiteten  Rahmen  belebt.*)  Ein  zierliches  Konsolengesims  bildet 
den  Abschluß;  die  Dachgiebel  sind  maßvoll  und  fein  mit  Pilastern  eingefaßt  und 
durch  Zahnschnittgesimse  gegliedert.  Ein  schlichtes  Bogenportal,  darüber  das 
bemalte  sächsische  Wappen  und  eine  Inschrifttafel,  führt  in  den  gewölbten  Flur; 
von  dort  gelangt  man  zu  einer  rechts  in  einem  runden  Turm  gegen  den  Hof  vor- 
gebauten Wendeltreppe.  Den  oberen  Teil  dieses  Treppenturmes  erblickt  man  auf 
unserer  Abbildung.  Am  westHchen  Erker  bezeichnet  ein  Steinmetzzeichen  nebst 
den  Buchstaben  P.  W.  den  Namen  des  ausführenden  Steinmetzen  Paul  Wiedemann, 

1)  Vogel  a.  a.  0.  S.  190.  Vgl.  Wustmann  a.  a.  0.  S.  18  ff. 

2)  Alles  dies  ausführlicli  bei  Wustmann  a.  a.  0. 

3)  Vogel  a.  a.  0.  S.  235. 

4)  Im  Erdgeschoß  sind  jetzt  Kaufgewölbe  statt  der  in  iinserer  Abb.  noch  angegebenen 
Fenster  angebracht. 


384 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


der  in  gleicher  Stellung  schon  unter  dem  älteren  Lotter  am  Rathaus  und  der 
Augustusburg  tätig  gewesen  war.^)  Als  ausführender  Baumeister  wird  der  jüngere 
Hieronymus  Lotter  genannt;  doch  nimmt  man  an,  daß  dem  ersteren  die  künst- 
lerische Gestalt  des  Bauwerks  angehört. 


Abb.  238   Fürstenhaus  zu  Leipzig 


Reichere  Entfaltung  gewinnt  die  Architektur  in  Leipzig  erst  gegen  Aus- 
gang der  Epoche  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  Eine  größere  Üppigkeit  in 
der  Dekoration  macht  sich  an  den  Fassaden  geltend.  Ein  Prachtstück  dieser  Art 


1)  Wustmann,  a.  a.  0.  S.  88. 


Leipzig  Halle 


385 


ist  das  Haus  in  der  Nikolaistraße  Nr.  47,  ein  hoher  Giebelbau,  im  Erdgeschoß 
Rustika,  die  oberen  Stockwerke  mit  schlanken  dorischen  und  ionischen  Halb- 
säulen, darüber  der  Giebel  mit  ionischer  und  korinthischer  Ordnung,  an  den 
Seiten  barock  geschweift  mit  Voluten  und  Schnörkeln.  Die  derben  und  schweren 
Ornamente  an  den  Fensterbrüstungen,  die  schwülstigen  Rankenfriese  und  Frucht- 
schnüre deuten  schon  auf  sehr  späte  Zeit.  Über  der  Haustür  ein  noch  gut  stili- 
siertes Eisengitter.  Wie  man  ein  einfacheres  Portal  bloß  durch  facettierte 
Quaderungen  an  Pfeilern  und  Archivolten  wirksam  ausbildete,  zeigt  die  übrigens 
modernisierte  Fassade  Reichsstraße  Nr.  44.  In  derselben  Straße  Nr.  5  eins  der 
wenigen  Häuser  mit  eleganter  ausgebildeten  Gliedern,  die  Fassade  zwar  einfach, 
aber  das  breite  rundbogige  Portal  mit  hübschen  Muschelnischen  und  reich  ge- 
gliedertem Bogen ;  darüber  ein  rechtwinkliger  Erker,  dessen  Auskragung  prächtig 
gebildet  ist,  endlich  als  Abschluß  ein  hoher  Giebel  mit  zwei  Ordnungen  schlanker 
korinthischer  Halbsäulen,  außerdem  mit  barocken  Voluten  eingefaßt.  Nicht  minder 
prächtig  ein  diagonal  gestellter  Erker  in  derselben  Straße  an  dem  Eckhaus  Nr.  3 
(Specks  Hof), 

Halle 

Unter  den  Städten  dieses  Gebiets,  die  eine  selbständige  Rolle  spielen,  ist  in 
erster  Reihe  Halle  zu  nennen.  Schon  seit  dem  13.  Jahrhundert  hatte  die  Stadt 
durch  ihre  Salzwerke  solche  Bedeutung  erlangt,  daß  sie  mit  den  Erzbischöfen 
von  Magdeburg  hartnäckige  Fehden  durchfechten  und  sich  1435  gegen  ein  starkes 
Heer  des  Erzbischofs  Günther  und  des  Kurfürsten  von  Sachsen  behaupten  konnte. 
Ihr  Wohlstand  nahm  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts  durch  den  immer  steigen- 
den Handel  stetig  zu;  aber  die  wachsende,  durch  die  sächsischen  Fürsten  ge- 
förderte Blüte  Leipzigs,  mehr  noch  innere  Streitigkeiten  zwischen  Patriziat  und 
Volkspartei  zerrütteten  bald  Halles  Machtstellung,  so  daß  Erzbischof  Ernst,  im 
Bunde  mit  den  Demokraten,  sich  1478  der  Stadt  bemächtigen  und  durch  An- 
legung der  gewaltigen  Moritzburg  (1484—1503)  festen  Fuß  darin  fassen  konnte,^) 
Noch  entscheidender  griff  Erzbischof  Albrecht  von  Brandenburg  (1513— 45)  in  die 
Geschicke  der  Stadt  ein.  Dieser  weltlich  gesinnte,  aber  nach  allen  Seiten  unter- 
nehmende und  rücksichtslos  vorgehende  Kirchenfürst  ^),  der  seit  1514  die  beiden 
mächtigen  Erzbistümer  von  Mainz  und  Magdeburg  besaß,  1518  dazu  die  Kardi- 
nalswürde erhielt,  säumte  nicht,  in  umfassender  Weise  die  inneren  und  äußeren 
Verhältnisse  der  Stadt  umzugestalten.  Ohne  Rücksicht  auf  das  Althergebrachte, 
von  Liebe  zu  Pracht  und  zu  glänzenden  künstlerischen  Unternehmungen  getrieben, 
riß  er  alte  Kirchen  fort,  veränderte  die  Pfarrsprengel,  gründete  neue  Stiftungen, 
fügte  ansehnUche  Bauten  hinzu  und  bürgerte  den  Stil  der  Renaissance  in  Halle  ein, 
wie  er  ihn  bei  dem  schönen  Brunnen  auf  dem  Marktplatz  und  dem  Urieldenkmal 
im  Dom  zu  Mainz  (Bd.  I,  S.  436)  ebenfalls  zur  Geltung  gebracht  hatte.  Seine  erste 
bedeutende  Unternehmung  in  Halle  ist  die  Domkirche,  die  er  mit  Beibehaltung  der 
mittelalterlichen  Anlage  seit  1520  zum  Kollegiatstift  umwandelte  und  glänzend  aus- 
stattete. Damit  verband  er  einen  neuen  Palast  zwischen  den  Gebäuden  am  Dom 
und  dem  Klaustor,  die  noch  jetzt  vorhandene  Residenz  (1529).  Noch  gewaltsamer 
riß  er  die  beiden  alten  Kirchen  am  Markte  nieder  und  erbaute  seit  1529  die 
großartige  Marienkirche,  noch  ganz  in  gotischem  Stil,  aber  mit  reicher  Renais- 


1)  Vgl.  Dr  eyhaupt,  Beschreib,  des  Saal-Creyses.  1755.  2  Bde.  Pol.,  sowie  C.  H.  von 
Hagen,  Die  Stadt  Halle.  1.  Bd.  1867.  Bau-  und  Knnstdenkm.  d.  Prov.  Sachsen,  N.  F.  I.  Halle 
von  G.  Schönermark.  Ferner  die  dankenswerte  Folge  von  Heften  des  Kunstgewerbe- Vereins : 
Ältere  Denkmäler  der  Baukunst  und  des  Kunstgewerbes  in  Halle.  1896  ff.  I — X. 

2)  C.  H.  vom  Hagen,  I,  52  ff.  Dazu  J.  H.  Hennes,  Albrecht  von  Brandenburg.  Mainz  1858 
und  J.  May,  Albrecht  I.  von  Mainz  und  Magdeburg.  I.  Bd.  1865. 

Lübke-Haupt,  Renaissanc3  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  25 


386 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


sancedekoration  des  Innern,  zwischen  die  beiden  Turmpaare  der  alten  Gottes- 
häuser. Schon  vorher  hatte  er  seinem  Günstling  Hans  von  Schönitz  mehrere 
Kapellen  am  Markte  geschenkt,  um  aus  deren  Steinen  eine  Reihe  stattlicher 
Gebäude  zu  errichten.  Die  grandiose  Anlage  des  Marktplatzes,  der  kaum  einem 
anderen  in  Deutschland  zu  weichen  hat,  und  den  die  zum  Teil  noch  mittelalter- 
lichen Türme  samt  den  imposanten  Massen  der  Marienkirche  mit  dem  riesigen 
roten  Turm  überragen,  ist  Albrechts  Werk.  Verdienstlich  war  es,  daß  er  den  Rat 
bewog,  die  verderbliche  alte  Sitte  des  Beerdigens  in  der  Stadt  aufzugeben  und 
vor  den  Toren  jenen  Friedhof  anzulegen,  dessen  künstlerisch  bedeutsame  Anlage 
und  Ausstattung  in  Deutschland  einzig  dasteht.  Endlich  wurde  Albrecht  gegen 
seine  eigene  Absicht  mittelbar  Anlaß  zur  Einführung  der  Reformation  in  den 
Diözesen  Magdeburg  und  Halberstadt,  da  er  1539  den  versammelten  Ständen 
gegen  Bezahlung  seiner  ansehnlichen  Schuldenlast  freie  Religionsübung  be- 
willigte. 

In  der  Geschichte  der  deutschen  Renaissance  gebührt  diesem  glänzenden 
Kirchenfürsten  eine  hervorragende  Stelle.  Auf  der  Universität  zu  Frankfurt  an  der 
Oder,  wo  er  auch  Ulrich  von  Hutten  kennen  lernte,  war  er  durch  humanistische 
Studien  in  den  Geist  der  neuen  Zeit  eingeführt  worden.  Auf  religiösem  Gebiete 
zwar  hielt  er,  wie  das  durch  seine  hohe  kirchliche  Stellung  gegeben  war,  am  Alt- 
hergebrachten; aber  um  so  rückhaltloser  gab  er  sich  der  Pflege  des  künstlerischen 
Lebens  hin.  Unter  allen  gleichzeitigen  Fürsten  Deutschlands  hat  keiner  in  so 
nachdrücklicher  Weise  die  Künste  gepflegt  wie  er.  Was  auf  seine  Bestellungen 
Meister  wie  Dürer,  Grünewald,  Hans  Sebald  Bekam,  Lukas  Cranach  geschaffen 
haben,  ist  bekannt.  Die  Pinakothek  in  München,  die  Galerien  zu  Aschaffenburg, 
Berlin,  Darmstadt  und  Mainz,  die  Gemäldesammlung  des  Louvre,  die  Kirchen  zu 
Halle  und  Aschaffenburg  weisen  eine  reiche  Zahl  von  Kunstwerken  auf,  die  durch 
ihn  in  Auftrag  gegeben  sind.  In  der  Bibliothek  zu  Aschaffenburg  sieht  man 
mehrere  Meß-  und  Gebetbücher,  die  durch  Niklas  Glockendon  und  Hans  Sebald 
Bekam  mit  prachtvollen  Miniaturen  herrlich  geschmückt  sind.  Zweimal  stach 
Dürer  sein  Bildnis  in  Kupfer  (den  berühmten  „großen"  und  „kleinen  Kardinal"); 
durch  die  vorzüglichsten  Meister  ließ  er  seine  Siegel  stechen,  die  zum  künst- 
lerisch Wertvollsten  dieser  Gattung  gehören.  Peter  Viscker  mußte  ihm  das  aus- 
gezeichnete Denkmal  für  die  Stiftskirche  zu  Aschaffenburg  arbeiten;  von  Johann 
Viscker  ließ  er  dann  ebendort  das  schöne  Reliefbild  der  Madonna  setzen,  und 
auch  das  in  edlen  Renaissanceformen  durchgeführte,  jedenfalls  aus  der  Vischer- 
schen  Werkstatt  herrührende  Mal  der  hl.  Margaretha  in  derselben  Kirche  ist  durch 
ihn  hervorgerufen.  Die  von  ihm  neu  gegründeten  kirchlichen  Stiftungen,  nament- 
lich den  Dom  zu  Halle,  stattete  er  mit  prachtvollen  Paramenten,  Reliquien  und 
künstlerisch  geschmückten,  heiligen  Gefäßen  aus.  Die  „Heiligtümer"  dieser  Kirche 
mußte  dann  Granach  in  einem  eigenen  Werke  in  Holz  schneiden  lassen.  Von  den 
architektonischen  Schöpfungen  des  kunstliebenden  Fürsten  besitzt  Halle  noch  eine 
ansehnliche  Zahl.  Wie  an  jenem  Brunnen  zu  Mainz,  sogar  noch  einige  Jahre 
früher,  tritt  hier  die  Renaissance  in  dem  vollen  Zauber  ihrer  frühesten  Jugend- 
lichkeit auf,  so  daß  diese  Arbeiten  zu  den  ersten  und  wichtigsten  gehören,  die 
die  neue  Kunst  in  Deutschland  geschaffen  hat. 

In  seinem  Eifer  für  den  katholischen  Glauben  wandte  Albrecht  hauptsäch- 
lich der  Ausstattung  von  Kirchen  seine  Aufmerksamkeit  zu.  Der  Dom  vor  allem, 
die  größte  oder  wenigstens  längste  hallische  Kirche,  ist  von  ihm  1520 — 23  fast 
oder  ganz  neuerbaut  worden;  höchstens  könnte  der  Ghorschluß  der  alten  hier 
gelegenen  Predigerkirche  beibehalten  sein.  Doch  ist  der  jetzige  Chor  so  unge- 
mein kurz,  das  achtjochige  Hallenschiff  demgegenüber  so  überwiegend,  daß  von 
dem  einstigen  Chor  der  Klosterkirche  höchstens  die  Hälfte  beibehalten  sein  kann; 


Halle  Dom 


387 


da  finden  sich  denn  auch  ziemlich  frühgotische  Einzelheiten;  allerdings  auch  hie 
und  da  im  Schiff,  offenbar  von  anderen  abgebrochenen  Kirchen  herrührend. 
Jedenfalls  ist  das  Gebäude  in  der  Hauptsache  Albrechts  Bau;  die  kommende 
Renaissance  spricht  sich  in  einem  fühlbaren  Vernachlässigen  der  alten  strengen 
gotischen  Art  und  auch  in  allerlei  Neuem  aus.  So  ist  im  Äußeren  auf  jedes 
Feld  zwischen  den  Strebepfeilern  ein  rechteckiges  Mauerstück  mit  zwei  Rund- 
bogenfenstern aufgebaut,  das  durch  einen  Rundgiebel  mit  dreifacher  Nische  be- 
krönt ist;  alles  in  Backstein.  Ursprünglich  waren  diese  Aufbauten  reich  deko- 
riert, etwa  in  Maßwerk,  in  Ziegeln  oder  Stuck;  zwischen  ihnen  sitzen  noch  allerlei 
Reste  steinerner  Ornamente.  Zwei  Türme  im  Westen  sollen  schon  1541  wegen 
schlechter  Bauart  abgebrochen  sein,  wie  ja  das  ganze  in  Bruchstein  aufgeführte 
Gebäude  große  Hast  der  Ausführung  zeigt.  —  Albrecht  schmückte  den  fertigen  Bau 
mit  einer  Anzahl  bedeutender  Werke.  Er  wußte  dafür  Künstler  heranzuziehen, 
welche  den  neuen  Stil  in  selbständiger,  zum  Teil  meisterhafter  Weise  zu  behan- 
deln verstanden.  Dieser  Zeit  gehören  im  nördhchen  Seitenschiff  die  zwei  präch- 
tigen, in  Frührenaissanceformen  behandelten  Widmungstafeln  vom  Jahre  1523  an. 
Ferner  die  Kanzel  vom  Jahre  1526,  eins  der  reichsten  bildhauerischen  Werke 
unserer  frühesten  Renaissance  (Abb.  239).  VöUig  mit  Laubwerk,  spielenden  Putten, 
reichen  Gliederungen  und  plastischen  Darstellungen  geschmückt,  alles  in  Sand- 
stein mit  großem  Ge- 
schick ausgeführt,  be- 
malt und  vergoldet, 
hat  das  Werk  den  Aus- 
druck üppigster  Le- 
bensfrische, Über  dem 
Aufgang  ist  ein  Ecce- 
homo,  an  der  Treppen- 
brüstung sind  die  Kir- 
chenväter, an  der  obe- 
ren Einfassung  die 
Apostel  und  die  Evan- 
gelisten dargestellt.^) 
Von  derselben  Pracht 
ist  die  Tür  zur  Sakri- 
stei, fabelhaft  reich  de- 
koriert, mit  zwei  ganz 
in  Bildwerk  aufgelö- 
sten Säulen  eingefaßt. 
Auch  das  kleine  süd- 
liche Portal  der  Kirche 
von  1525  zeigt  dieselbe 
freudig  erblühende  Ju- 
gendkunst, wenn  auch 
der  Theoretiker  hier 
hundertmal  von  unver- 
standenen Formen  re- 
den wollte-)  (Abb. 240). 
Endlich  gehören  in  die- 

1)  Abb.  bei  Ortwein, 
Abt.  VIII.  Tafel  38. 

2)  Ältere  Denkm.  d. 
Bauk.  usw.  II,  Taf.  7.  Abb.  239   Domkanzel  zu  Halle 


388 


2.  Bucli   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


selbe  Zeit  die  Apostelstatuen  an  den  Pfeilern  des  Schiffes,  höchst  bedeutende  Ge- 
stalten im  großartigsten,  an  Dürer  gemahnenden  Stil,  machtvoll  in  der  Ausprä- 
gung der  Charaktere,  die  Gewänder  in  dem  malerisch-knittrigen  Wurf,  der  da- 
mals namentlich  in  Nürnberg  herrschte,  i)  Die  reichen  Baldachine,  unter  denen 
sie  stehen,  sind  im  wesentlichen  noch  gotisch  und  nehmen  kleine  Konsolen  auf, 
die  Statuetten  von  Propheten  tragen.  Hier  mischen  sich  Formen  der  Renaissance 
ein,  namentlich  aber  sind  die  großen  Konsolen  der  Hauptfiguren  in  elegantester 
Weise  mit  Voluten  und  Ornamenten  des  neuen  Stils  dekoriert.^) 

Diese  Werke  eines  bis  jetzt  namenlosen,  ganz  großen  Künstlers,  ganz  un- 
zweifelhaft desselben,  der  für  den  Mainzer  Dom  im  Auftrage  Albrechts  das  herr- 
liche Denkmal  Ulrichs  von  Gemmingen  (f  1519)  meißelte,  sind  bis  heute  noch 

allzu  wenig  gewürdigt;  und  doch 
muß  es  ein  Meister  von  hohem 
Rufe  und  gewaltigem  Können  ge- 
wesen sein.  Es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, daß  seine  Wirksamkeit 
auf  Annaberg  zurückführt,  wo  die 
herrlichen  Skulpturen  der  Em- 
poren, die  menschlichen  Lebens- 
alter, die  etwa  1518—20  entstan- 
den, gewisse  charakteristische  Re- 
naissancemotive aufweisen,  die  an 
der  hallischen  Domkanzel  noch 
durchgebildeter  auftreten;  der 
schwungvolle  Stil  des  Figürlichen 
hier  und  in  Mainz  vor  allem  findet 
in  Annaberg  sogar  wohl  schon 
in  der  wundervollen  schönen  Tür 
von  1512  seine  Quelle.  Vielleicht 
gibt  der  Umstand,  daß  jene  Ar- 
beiten an  den  Emporen  von  Mei- 
ster Franz  von  Magdeburg  geleitet 
wurden,  einen  Wink;  denn  Alb- 
recht war  auch  Erzbischof  von 
Magdeburg. 

Auf  diesen  hallischen  frühen 
Abb.  240  Südiicbes  Domportal  zu  Hallo  Arbeiten  dürften  wieder  die  am 

Portal  des  Georgenbaus  zu  Dresden 
beruhen;  wenigstens  stehen  sie  ihnen  in  der  Richtung  sehr  nahe. 

Bald  darauf  (1529)  führte  der  baulustige  Fürst  die  Alte  Residenz  neben 
dem  Dome  auf,  die  freilich,  jetzt  arg  verbaut  und  entstellt,  wenig  von  ihrem 
ursprüngHchen  Glänze  bewahrt  hat.  Man  sieht  zwei  große  Bogenportale,  jedes 
mit  einem  kleineren  Pförtchen  zur  Seite,  in  einfachen  Frührenaissanceformen. 
Die  Rahmen  der  Pilaster  und.  Bögen  haben  eingelassene  Schilde,  die  an  dem 
einen  Portal  ungeschickterweise  sogar  über  die  Umfassung  hinausgreifen.  Der 
weite,  unregelmäßige  Schloßhof  muß  ehemals  einen  ])edeutenden  Eindruck  ge- 


1)  Ältere  Denkm.  VI,  Taf.  6—9,  IX,  Taf.  3.  Der  Eindruck  dieser  herrlichen  Werke  leidet 
empfindlich  durch  die  abscheuliche  Zopfdekoration  von  Palmzweigen  und  Draperien  über  den 
Arkaden,  welche  die  ganze  Kirche  verunstaltet. 

2)  Von  der  ursprünglichen  Pracht  der  Ausstattung  dieser  Kirche,  die  Albrecht  mit  Reli- 
quien, Prachtgefäßen,  flandrischen  Teppichen  und  Kostbarkeiten  jeder  Art  verschwenderisch 
begabte,  gibt  das  Gedicht  des  Sabinus  (abgedr.  bei  May,  a.a.  O.Beil.  XL  VI)  lebendige  Anschauung. 


Halle  Kirchenausstattung 


389 


macht  haben.  Im  Erdgeschoß  sind  noch  Teile  des  Säulenganges  erhalten,  welcher 
mit  weitgespannten  gedrückten  Bögen  von  5  Meter  Axe  das  Erdgeschoß  umzog. 
Die  stark  geschwellten  Säulen  haben  schlichte  Frührenaissanceform. 

Völlig  mittelalterlich  dagegen  ist  die  gewaltige  Ruine  der  von  Erzbischof 
Ernst  (s.  o.)  erbauten  Moritzburg,  die  am  völhg  gotisch  behandelten  Wappen^) 
des  Einganges  die  Jahreszahl  1517  zeigt.  In  der  Ulrichskirche  ist  neben 
dem  Altar  ein  Tabernakel,  das  sich  aus  spätgotischem  Astwerk  aufbaut,  dann 
mit  Konsolen  und  Säulchen  in  die  zierhchste  Frührenaissance  übergeht,  um  zu- 
letzt wieder  mit  naturalistisch 


verschlungenem  Astwerk  zu 
enden.  Es  ist  das  seltsamste 
Gemisch,  das  von  der  künst- 
lerischen Gärung  jener  Epoche 
lebendige  Anschauung  gibt. 
Vermutlich  vom  Meister  der 
Domskulpturen.  In  derselben 
Kirche  eine  reich  geschnitzte 
Kanzel  von  1588  mit  biblischen 
Geschichten,  in  den  Formen 
schon  stark  geschweift.  Eine 
ganz  ähnliche  Kanzel,  nicht 
minder  reich,  in  der  Moritz- 
kirche*), 1 592  von  Zacharias 
Bogenkrantz  gefertigt,  mit  stark 
niederländischen  Anklängen. 
Daselbst  waren  einst  hölzerne 
Emporen,  deren  Säulen  von 
1566,  reichgeschnitzt,  im  Pri- 
vatbesitz noch  erhalten  sind 
(Abb.  241). 

Ein  höchst  bedeutendes 
Werk  ist  aber  die  prächtige 
Ausschmückung,  welche  die 
Marienkirche  (Marktkirche) 
in  allen  Teilen  aufzuweisen  hat. 


Der  großartige  Bau  des  Lang-  Abb.  241   Holzpfeiler  aus  der  Moritzkirche  zu  Halle 

hauses,  eine  hohe  Hallenkirche 

von  herrlicher  Raumwirkung,  ist  eins  der  spätesten  Werke  der  Gotik  in  Deutsch- 
land, von  1530—54  zuletzt  durch  Meister  Nikolaus  Hof  mann  ausgeführt.  An  der 
südlichen  Empore  steht:  „Durch  Gottes  Hülf  hab'  ich  Nickel  Hofmann  diesen 
Bau  in  1554  vollendet."  Das  merkwürdigste  ist  aber,  daß  derselbe  Meister  den 
ganz  gotisch  konstruierten  Bau  in  Renaissanceformen  verziert  hat.  In  den  Seiten- 
schiffen sind  nämlich  Emporen  auf  gotischen  Pfeilern  und  gerippten  Kreuz- 
gewölben angeordnet,  aber  die  ganzen  Zwickelflächen  in  Sandstein  mit  Renais- 
sance-Ornamenten, Laub-  und  Rankenwerk  mit  Figürlichem  gemischt,  bedeckt.^) 
Die  Brüstung  der  Emporen  ist  mit  Kandelabersäulchen  im  Stil  der  Frührenaissance 
eingeteilt,  doch  mit  gotischem  Maßwerk  gegliedert.  Ebenso  zeigt  die  obere  Empore 
im  nördlichen  Seitenschiff  dieselben  Formen  in  Holzschnitzerei.  Hier  sind  auch 
an  den  Pfeilern  der  oberen  Empore  zwei  prächtige  Palmbäume  ausgeführt. 

1)  Nicht  in  Renaissanceformen,  wie  man  wohl  behauptet  hat. 

2)  Beide  abgeb.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  36—40.  Ältere  Denkmale  usw.  IV,  Taf.  9,  10. 

3)  Ebenda,  Taf.  24—26. 


390 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Dazu  kommt  nun,  daß  die  ganze  Kirche  in  den  Seitenschiffen  unter  den 
Emporen  mit  einem  Stuhlwerk  der  besten  Renaissance  versehen  ist,  die  Rück- 
wände mit  feinen  Pilastern  dekoriert,  alles  reich  und  mannigfaltig,  sämthche  freie 
Flächen  mit  edlem  Laubwerk  bedeckt.  Ein  dorischer  Triglyphenfries  mit  einer 
trefflich  stilisierten  Bekrönung  bildet  den  Abschluß.')  Man  liest  wiederholt  die 
Jahreszahlen  1562  bis  1566  und  kann  das  Fortschreiten  der  Arbeit  bis  ins  einzelne 
verfolgen  (Abb.  242).    Das  Gestühl  ist  inschriftlich  durch  Antonius  Pauwart:  aus 

Ypern  in  Flandern 
hergestellt.  Dazu 

kommen  Chor- 
stühle vom_  Jahre 
1575,  endlich  hin- 
ter dem  Hochaltar 
die  prachtvollsten 
Sitze,  die  „Bräu- 
tigamstühle", in 
Schnitzarbeit  von 
etwas  üppigeren 
Formen  vom  Jahre 
1595.  Der  Früh- 
renaissance gehört 
dagegen  die  Kan- 
zel an,  bei  welcher 
sogar  in  den  Details 
noch  überwiegend 
die  Gotik  herrscht; 
diePilaster  des  Ein- 
gangs aber  zeigen 
die  Renaissance- 
form en.^) 

Die  Profanbau- 
ten stehen  hier 
hinter  den  Kirchen 
auffallend  zurück. 
Das  Rathaus  ist 
ein  geringerer  Bau 
spätgotischer  Zeit. 
Die  durch  moderne 
Herstellung  ent- 
stellte Loggia  des 
Mittelbaues  errich- 
tete 1558  der  uns 
schon  bekannte  iW- 

kolaus  Hofmann.  Im  Innern  zeigt  der  innere  Vorsaal  tüchtig  gegliederte  Balkendecken 
mit  Kassettierungen,  die  Balken  in  mittelalterhcher  Weise  ausgekehlt;  außerdem 
ein  steinernes  Portal  und  Kamin  in  Frührenaissanceform,  einfach,  mit  Pilastern  und 
muschelgefülltem  Bogengiebel.  Sodann  befindet  sich  dort  ein  schöner  Schrank  mit 
eingelegter  Arbeit,  architektonische  Prospekte  darstellend.  Wichtiger  ist  die  neben 
dem  Rathaus  liegende  Stadtwage,  jetzt  als  Schule  dienend,  ein  stattlicher  Steinbau 
mit  sehr  reichem  Portal  aus  guter  Renaissancezeit,  1573 — 81  entstanden. '')  (Abb.  243.) 

1)  Ältere  Denkmale  usw.  III,  Taf.  8.  2)  Ältere  Denkmale  IV,  Taf.  7. 

3)  Dreyhaupt,  I,  359.  Abb.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  27. 


Abb.  242   Gestühl  der  MaTiciikirche  zu  Halle 


Halle  Wage  Privatbau 


391 


In  der  Dekoration  des  Portals,  an  den  Schäften  der  dorischen  Pilaster,  an  Bogen- 
zwickeln, dem  Fries  und  Aufsatze  herrscht  ein  schön  gezeichnetes  Laubwerk  vor, 
namentlich  im  Fries  vortreffliche  Akanthusranken  mit  spielenden  Putten,  an  den 
Zwickeln  zwei  kräftige  Köpfe  in  Hochrelief  weit  herausschauend,  die  Archivolte 
selbst  mit  Diamanten  besetzt,  endlich  an  den  Postamenten  Löwenköpfe.  Ein 
kleines  Pförtchen  für  Fußgänger  daneben  hat  Seitennischen  mit  Muschelwölbung. 
Ursprünglich  erhielt  die  Fassade  ein  reicheres  Gepräge  durch  zwei  im  ersten 
Stock  vorgekragte  Erker,  die  man  auf  der  Abbildung  bei  Dreyhaupt  noch  sieht. 
Im  Innern  führt  ein  mächtiger  flachgedeckter  Flur  zu  einer  schönen  Wendeltreppe . 
mit  gekehlter  Spindel,  sodann  zu  einem  weiten  Hofe,  dessen  rechter  Flügel  in 
charaktervollem  Fachwerk  gebaut,  mit  tief  gekehlten  Balken  und  elegant  ge- 
schnitzten Konsolen  aufgeführt  ist.  Die  nicht  bedeutenden  Reste  des  „Kühlen 
Brunnens"  in  einer  engen  Straße  beim  Markte  sind  noch  zu  nennen:  im  Hof 
die  Reste  einer  Halle  im  Erdgeschoß  auf  Rundpfeilern,  darüber  eine  Reihe  stich- 
bogiger  schön  profilierter  Fenster;  außen  ein  vorgekragter  gotischer  Erker.  Das 
Treppenhausportal  von  1532  aber  in  den  ausgeprägten  Formen  der  Renaissance 
aus  Rahmenpilastern  und 
Runden  darin,  geschweifter 
Aufsatz  und  feines  Renais- 
sancewappen des  H.  V.  Schö- 
nitz  über  der  Tür,  eine  ge- 
brannte Tonplatte.^) 

Ein  vereinzeltes  Bei- 
spiel der  Frührenaissance  ist 
das  Eckhaus  am  Markt  und 
der  Kleinschmiedenstraße, 
auf  beiden  Seiten  mit  hohem 
Giebel,  dessen  Voluten  samt 
den  Friesen  bloß  durch  Ein- 
kerbungen wirksam  belebt 
sind.  Der  Bau  mag  zu  jener 
Gruppe  von  Häusern  ge- 
hören, welche  Hans  von 
Schönitz  am  Markt  aufführen 
ließ,  doch  sind  die  Giebel 
sicher  nicht  vor  der  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  entstan- 
den. Früher  wohl  die  hüb- 
schen Giebel  und  Zwerch- 
häuser  Ulrichstraße  8  und 
Große  Märkerstraße  10;  diese 
sind  in  Backsteinen  gemauert 
und  verputzt;  das  Motiv  sind 
gewöhnlich  Arkadennischen 
am  Giebelfuß,  auch  manch- 
mal weiter  hinauf,  pilaster- 
artige  Streifen  mit  starken  Gesimsverkröpfungen  und  einfache  gebogene  Giebel- 
einfassungen.') Die  älteren  Giebel  hatten,  wie  der  Rathausgiebel,  eine  Art  Maßwerk 
in  vorgemauerten  Backsteinstreifen.  Im  Innern  aber  sind  noch  treffliche  Aus- 
stattungsteile  aus  der  Zeit  der  Erbauung,  von  denen  wir  eine  ganz  vortreffliche 

1)  Ältere  Denkm.  usw.  IV,  Taf.  6,  7. 

2)  Ältere  Denkm.  V,  Taf.  5. 


392 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Türumrahmung  in  Holz  geben  (Abb.  244).  Aus  der  mittleren  Zeit  stammt  das 
Haus  an  der  Ecke  der  Großen  und  Kleinen  Holzstraße,  mit  einem  ausgekragten 
runden  Erker,  der  freilich  jetzt  halb  verbaut  ist,  aber  an  der  Brüstung  noch  ele- 
gantes Rankenwerk  zeigt.  Die  übrigen  Privatbauten  gehören  hier  erst  der  Schluß- 
zeit an  und  sind  weder  an  Zahl  noch  an  künstlerischer  Bedeutung  hervorragend. 

Zahlreiche  Portale,  vor  allem  der  Übergangszeit  der  späten  Gotik  zur  Renais- 
sance in  der  Stadt,  in  der  Ulrichstraße,  Scheuerstraße,  mit  geknickten  Bögen  und 
reichem,  sich  kreuzendem  Stab  werk;  andere  in  der  Ulrichstraße,  Großen  Märker- 
-  Straße,  Rannischerstraße  usw.  in  klarer  Renaissance,  alle  mit  Sitznischen  und 

Muscheln  darüber;  von  gro- 
ßer Schönheit  Brüderstraße  8, 
mit  dorischen  Pilastern,  Sitz- 
nischen,  vorspringenden  Köp- 
fen in  den  Zwickeln  und  einem 
wundervollen  Fries  von  Laub- 
werk mit  fünf  Stierschädeln 
darin,  flacher  Dreiecksgiebel 
darüber,  schönes  Lauborna- 
ment in  den  Sockeln  der  Pi- 
laster;  von  Nickel  Hofmann 
selbst  gearbeitet,  eines  seiner 
bestgeformten  Werke  (Abb. 
245).  Eine  Ausnahme  macht 
das  große  Prachtportal  in  der 
Leipziger  Straße  Nr.  6,  datiert 
vom  Jahre  1600  (Abb.  246). 
Es  hat  auf  beiden  Seiten 
Sitznischen  mit  Muschelwöl- 
bungen und  öffnet  sich  mit 
einem  großen  reich  und  derb 
ornamentierten  Bogen ;  dar- 
über Hermen,  die  das  Ge- 
simse tragen,  in  den  Zwickeln 
die  liegenden  Gestalten  von 
Sonne  und  Mond;  auf  dem 
Gesimse  Justitia,  Temperantia 
und  Simson  mit  dem  Löwen, 
dazwischen  Inschriftschilder, 
von  Fruchtschnüren  eingefaßt. 
Das  Ganze  von  großer  deko- 
rativer Wirkung,  die  aber  im  Mißverhältnis  steht  mit  der  zu  kleinen  Fassade. ^ 
Der  mit  Kreuzgewölben  bedeckte  Flur  mündet  auf  einen  Hof,  der  von  kräftigen 
Fachwerkbauten  eingefaßt  ist. 

In  Halle  haben  wir  außerdem  aus  dem  einstigen  Talamt  zwei  der  prächtigsten 
Innenräume  der  deutschen  Renaissance ;  das  Haus  selbst,  westlich  von  der  Markt- 
kirche gelegen,  diente  zur  Abhaltung  der  Gerichte  für  das  Tal  —  im  Gegensatz  zu 
den  „Berggerichten"  — ,  dann  zu  den  Festlichkeiten  der  Pfänner  und  Halloren.  Leider 
ist  das  Haus  vor  dreißig  Jahren  überflüssigerweise  abgebrochen  worden;  eine  Art 
Kopie  aber  ist  in  der  Moritzburg  (Städtisches  Museum)  errichtet  und  hat  die 
alten  prachtvollen  Räume  des  Talamts  aufgenommen,  von  denen  vor  allem  das 


I  r  T  "  1"  "  '  "T  T  I  T  I  — I 

Abb.  244   Tür  aus  dem  Hause  des  H.  v.  Schönitz  zu  Halle 


1)  Ältere  Denkm.  der  Bauk.  usw.  IV,  Taf.  8. 


Halle  Talamt 


393 


für  die  Gerichte  von  1594  von  be- 
sonderer Schönheit  ist.  Ein  reiches 
Gesims  umläuft  den  Raum  in  etwa 
zwei  Meter  Höhe,  darunter  grüner 
Stoff;  ringsum  waren  Bänke.  Dar- 
über Ölbilder,  durch  Pilaster  ge- 
trennt; zwei  prächtige  Türen,  neben 
der  einen  ein  Waschschrank.  Wand- 
schränke, Täfelungsteile,  Umrah- 
mung der  Fenster,  vor  allem  aber 
das  wunderhübsche  achteckige  Ghör- 
lein  (Abb.  247)  und  die  schöne  Kas- 
settendecke sind  in  feinster  Weise 
gegliedert  und  eingelegt,  geschnitzt 
oder  auch  durchbrochen;  im  Ghör- 
lein  links  und  rechts  Klappsitze, 
darüber  geschnitzte  dorische  Pilaster 
mit  Bogen  und  eingelegten  Feldern 
dazwischen. 

Das  Festzimmer  daneben  ist 
offenbar  jünger  und  hat  ähnliche 
Disposition,  nur  daß  alles  bemalt 
und  vergoldet  ist;  in  der  Decke 
Gemälde  eingelassen.  Die  Verbin- 
dungstür beiderseits   mit  Doppel- 


Abb.  245    Portal  in  der  Brüderstraße  zu  Halle 


Säulen  und  Ölbild  darüber  aus- 
gezeichnet. 

Der  große  Korridor  davor 
enthält  einen  stattlichen  Kamin, 

Ein  Werk  von  besonderer 
Großartigkeit,  in  Deutschland  in 
dieser  Art  einzig  dastehend,  ist 
der  alte  Friedhof,^)  Wenn 
man  an  der  Ostseite  der  Stadt 
bei  den  neuen  Anlagen  sich  rechts 
wendet,  so  führt  zwischen  hohen 
Mauern  der  sanft  ansteigende 
Weg  in  einigen  Minuten  nach 
diesem  Gottesacker,  der  mit  sei- 
nen herrlichen  Baumgruppen  die 
Höhe  beherrscht  und  einen  wun- 
dervollen Blick  auf  die  Stadt  mit 
ihren  Türmen  bis  in  das  Saale- 
tal gewährt.  Ein  Torweg,  über 
dem  sich  ein  Kuppelturm  auf- 
baut, führt  in  ein  ungeheures^ 
rings  von  Arkaden,  und  zwar 


Abb.  246   Portal  in  der  Leipziger  Straße  zu  Halle 


1)  Näheres  bei  Schönermark 
a.  a.  0.  S.  405—417. 

2)  Aufn.  bei  Ortwein  a.  a.  0. 
Taf.  11  —  23.  Ältere  Denkm.  der  Bank, 
usw.  VI,  Taf.  3. 


394 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


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von  94  Bögen  von  etwa  fünf  Meter  Spannung  eingefaßtes  Viereck.  Es  sind  Flach- 
bögen, auf  Rahmenpilastern  ruhend,  jeder  ein  besonderes  Familienbegräbnis  ein- 
schließend, an  den  Bögen  mit  Inschriften  bedeckt,  an  sämtlichen  Pilastern  und 

Zwickelflächen  mit  Or- 
namenten der  besten  Re- 
naissance geschmückt. 
Über  dem  Eingangspor- 
tal das  kräftig  behan- 
delte Brustbild  des  Bau- 
meisters NichelHofmann. 
Aber  auch  ohne  dies 
monumentale  Zeugnis 
würde  man  aus  der  Ähn- 
lichkeit mit  den  Em- 
porenbögen  der  Markt- 
kirche auf  denselben  Ar- 
chitekten schließen.  Ja 
sogar  in  denselben  Jah- 
ren, als  das  umfangreiche 
Stuhlwerk  jener  Kirche 
geschnitzt  wurde,  ge- 
schah die  Ausführung 
des  Friedhofs.  Man  liest 
wiederholt  die  Jahres- 
zahlen 1563  bis  1565, 
dazu  mehrmals  die  Na- 
menszüge des  Meisters, 
außerdem  noch  die  Buch- 
staben T.  R.,  und  an  der 
Ostseite  nennt  sich  ein- 
mal Hans  Eeicscher.  An 
der  Südseite  sind  eine 
Anzahl  von  Bögen  in 
einem  besonderen  Stil 
dekoriert,  so  daß  die 
Ranken  des  Laubwerks 
sich  wie  Weinranken  in 
wunderbar  reichem  Spiel 
in-  und  umeinander  ver- 
schlingen. Im  übrigen  herrscht  große  Einheit  der  Ornamentik,  und  es  ist  er- 
staunlich, wie  an  einem  so  ausgedehnten  Werk  das  dekorative  Talent  und  die 
Erfindungsgabe  nimmer  erlahmt.  Daß  man  die  Ausführung  auf  verschiedene 
Hände  verteilen  mußte,  ist  begreif  heb;  manches  ist  von  vorzüglicher  Feinheit, 
nur  das  Figürliche  zum  Teil  von  geringerem  Wert.  Daß  aber  die  Stadt  neben 
den  großartigen  Arbeiten  in  der  Marktkirche  zu  gleicher  Zeit  noch  ein  solches 
Werk  fördern  konnte,  ist  ein  schöner  Beweis  für  ihren  Monumentalsinn  und  wohl 
auch  für  ein  besonders  religiöses  Leben. 


Abb.  247   Erker  im  Talamt  zu  Halle 


Merseburg 

Dieser  uralte  Bischofssitz  bewahrt  in  dem  mächtigen  Schloß  ein  groß- 
artiges Zeugnis  der  Fürsten,  die  hier  residierten.    Mit  seinen  drei  Flügeln  um- 


Merseburg  Schloß 


395 


faßt  es  einen  weiten  viereckigen  Hofraum;  die  vierte  nach  Süden  gelegene  Seite 
begrenzt  der  Dom,  und  zwar  derart,  daß  die  westlichen  Fassaden  des  Schlosses 
und  des  Domes  in  derselben  Flucht  liegen/) 

Die  nordwestliche  Ecke  des  Schlosses  ist  von  einem  mit  Bäumen  bepflanzten 
Hof  umgeben,  um  den  sich  kleinere  Wirtschaftsgebäude  gruppieren.  Man  betritt 
diesen  Hof  vom  Domplatz  aus  durch  ein  stattliches  Portal  in  kräftiger  Quader- 
architektur mit  etwas  barockem  Aufsatz  (das  Merseburger  Wappen  von  Löwen 
gehalten).  Durch  einen  verhältnismäßig  kleinen  Durchgang  gelangt  man  von  da 
in  den  imposanten  Innern  Schloßhof.  Hier  steht  auch  der  alte  schwarze  Käfig, 
in  welchem  der  historische  Merseburger  Rabe  gefüttert  wird. 

Vor  den  letzten  Giebel  des  Westflügels  legt  sich  ein  schlanker  hoher 
Treppenturm,  desgleichen  einer  vor  den  mittleren  Giebel  des  nördlichen.  Der 
letztere  ist  gegen  den  Schloßgarten  gerichtet,  in  dessen  Achse  ein  stattlicher 
Kolonnadenbau  aus  späterer  Zeit  steht.  Eine  bepflanzte  Terrasse  mit  prächtiger 
Aussicht  liegt  vor  der  nach  dem  anmutigen  Saaletal  blickenden  Ostfassade,  die 
im  Verein  mit  den  schlanken  Türmen  des  Schlosses  und  der  ehrwürdigen  vier- 
türmigen  Domkirche  vom  jenseitigen  Flußufer  aus  ein  ungemein  malerisches 
Bild  gewährt. 

Die  Architektur  des  Äußeren  wie  auch  des  Innern  Schloßhofes  ist  wesent- 
lich bedingt  durch  die  hohen  Giebel  (am  Nordflügel  in  weiteren,  am  Ost-  und 
Westflügel  in  engeren  Zwischenräumen)  über  dem  durchlaufenden  Hauptgesimse, 
in  drei  Stockwerke  geteilt,  deren  Verjüngung  durch  Schnecken  und  Obelisken 
vermittelt  sind,  oben  mit  geradlinigem  Giebel  geschlossen. 

Die  Hauptstockwerke  zeigen  große  rechteckige  Fenster,  durch  Steinkreuze 
geteilt,  oder,  wie  hauptsächlich  im  Hof,  Fenster  mit  vorhangartigem,  aus  drei  ein- 
wärts gekrümmten  Bögen  gebildetem  Abschluß.  Diese  in  den  sächsischen  Gegenden 
beliebte  Form  haben  wir  bereits  in  Torgau  und  Berlin  angetroffen.  Das  Schloß 
ist  größtenteils  durch  den  Bischof  Thilo  von  Trotha  (f  1514)  errichtet  und  seit 
1605  von  Herzog  Georg  von  Sachsen  ausgebaut  worden. 

Im  übrigen  sind  die  äußern  Fronten  völlig  schmucklos.  Um  so  reicher  ge- 
staltet sich  der  innere  Schloßhof.  Zu  den  in  die  südwestliche  und  südöstliche 
Ecke  sich  legenden  mittelalterlichen  Türmen  der  Domkirche  gesellt  sich  in  der 
nordöstlichen  Ecke  ein  imposanter  Treppenturm  mit  kräftigem  Konsolengesimse 
und  stattlichem  Helm,  die  Fassade  fast  um  die  doppelte  Höhe  überragend.  Ein 
reizend  malerisch  behandeltes  Portal  mit  einer  Umrahmung  dorischer  Ordnung 
(Abb.  248),  in  dem  prächtigen,  mit  Rollwerk  geschmückten  Aufsatz  das  erste  schiefe 
Treppenfenster,  führt  in  das  Innere  des  Turmes.  An  ihn  lehnt  sich  längs  des 
östlichen  Flügels  ein  von  üppigem  Grün  überwachsener  terrassenartiger  Vorbau; 
in  der  Mittelachse  des  folgenden  Giebels  springt  ein  durch  die  zwei  Hauptstock- 
werke und  das  erste  Giebelstockwerk  reichender  Erker  vor,  auf  freihängenden 
gotischen  Rippen  ruhend,  oben  durch  eine  Attika  mit  Rundfenstern  und  Schnecken 
abgeschlossen.  In  der  südöstlichen  Ecke  baut  sich  aus  dem  zweiten  Haupt- 
stock ein  langer  bedeckter  hölzerner  Balkon  auf  Steinkonsolen  heraus.  Die  zum 
Teil  sehr  großen  Fenster  dieses  ganzen  Ostflügels  zeigen  fast  alle  stichbogigen 
Abschluß. 

Ein  Portal  von  der  allergrößten  Schönheit  (Abb.  249)  bezeichnet  die  Mitte 
des  nördlichen  Flügels,  dessen  unterster  Stock  an  zwei  andern  Portalen  noch 
mittelalterliche  Entstehung  verrät.  Die  umrahmenden  dorischen  Säulen  auf  Sockeln 
tragen  über  ihrem  Gebälk  die  Statuen  des  hl.  Laurentius  mit  dem  Rost  und  des 
Evangelisten  Johannes,  zwischen  beiden  als  krönenden  Abschluß  das  bischöfliche 


1)  Aufn.  in  Ortweins  D.  Ren.  Abt.  VIII,  Taf.  1—10. 


396- 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Wappen,  kräftig  umrahmt 
und  von  Löwen  gehalten;  alle 
scheinbar  glatten  Flächen 
sind  mit  zartem  Flachorna- 
ment überzogen.  Der  obere 
Teil  des  Säulen  Schaftes  ist 
kanneliert,  das  Ganze  hat 
ausgezeichnete  Verhältnisse 
und  ist  von  hinreißendem 
Ausdruck.  Im  Friese  des 
dorischen  Gebälkes  Stier- 
schädel mit  Fruchtgehängen, 
an  den  vorspringenden  Teilen 
überall  heitere  und  ernste 
Masken.  Das  Ornament  über- 
all schlechthin  in  seiner  Art 
vollkommen,  das  Figürliche 
dessen  würdig,  das  Ganze 
unbedingt  das  in  sich  ab- 
gerundetste und  ausdrucks- 
voll vollendetste  Werk  dieser 
Art  der  deutschen  Renais- 
sance in  ihrer  charakteri- 
stischsten Ausprägung.  Als 
Meister  dieses  Portals  wird 
Simo7i  Hofmann  genannt, 
wohl  ein  Sohn  Nickel  Hof- 
manns in  Halle,  den  wir  also 
unter  die  besten  Meister  un- 
serer Renaissance  aus  dem 
Schlüsse  des  16.  Jahrhunderts 
zu  zählen  haben.  Das  Por- 
tal ist  auch  als  eine  stark 
bereicherte  Fortbildung  des- 
jenigen in  der  Brüderstraße  8 
zu  Halle  anzusehen,  das  Nickels  Zeichen  trägt.  Von  gleicher  Hand  und  Art  ist 
der  prächtige  Erker  dieses  Flügels  auf  reichgeschmückter  Auskragung,  im  ersten 
Stock  gequadert  mit  dorischer  Ordnung,  im  zweiten  mit  ionischen  Pilastern  auf 
stehenden  Konsolen.  Das  Ganze  durch  eine  Attika  mit  Rundfenster  und  Schweif- 
ornament gekrönt. 

In  ähnlicher  Weise  ist  auch  der  westliche  Flügel  geschmückt,  namentlich 
ziehen  hier  viele  steinerne  Wappen  das  Auge  auf  sich. 

Die  Südseite  des  Schloßhofes  wird  nun  von  der  Domkirche  mit  ihren  steilen 
Giebeln  und  Türmen  eingenommen,  und  so  bildet  dieser  Hof  ein  Ganzes  von 
grandiosen  Dimensionen  und  höchster  malerischer  Wirkung.  Denkt  man  sich 
dazu  die  ehemalige  Bemalung  (von  welcher  noch  vor  wenigen  Jahren  zahlreiche 
Spuren  namentlich  an  Nordflügel  über  den  Fenstern  etc.  zeugten,  die  leider  eine 
unverständige  Herstellung  samt  dem  Putze  bis  auf  das  rauhe  Bruchsteingemäuer 
beseitigte),  so  muß  der  Hof  ehedem  einen  in  seiner  Art  ganz  außerordentlichen 
Eindruck  gemacht  haben. 

Gegenwärtig  ist  die  einstige  Einheit  der  Wirkung  durch  die  Beseitigung 
der  Malerei  natürlich  zerstört ;  nur  noch  an  Portalen  und  Erkern  gibt  sich  die 


Abb.  248  Portal  vom  Treppenhause  des  Schlosses  zu  Merseburg 


Merseburg  Erfurt 


397 


reiche  Kunst  der  ausgeprägten  deutschen  Renaissance  zu  erkennen.  Als  Architekt 
wird  Melchior  Brunner  namhaft  gemacht.  Im  Innern  ist  das  Hauptstück  der 
Dekoration  die  prachtvolle,  in  einem  polygonen  Treppenhaus  angelegte  Wendel- 
stiege, ähnlich  der  schönen  Treppe  in  Göppingen  an  der  Unterseite  völlig  mit 
Ranken,  Wappen  und  allerlei  Figürlichem  in  fein  behandelten  Reliefs  bedeckt. 
Das  Treppenhaus  schließt  mit  elegantem  Sterngewölbe  in  spätgotischen  Formen, 
daran  die  Inschrift:  Herr  Johann  von  Kostitz  Domprobst  und  die  Anfangsbuch- 
staben des  Namens  Meister  Brunners.  Eine  zweite  Treppe,  kaum  minder  reich 
geschmückt,  ist  an  der  Unterseite  völlig  mit  Ornamenten  in  dem  bekannten 
Charakter  von  Metallbeschlägen  überzogen. 

Zu  erwähnen  ist  noch  der  originelle  dreiseitige  Ziehbrunnen  im  Hofe. 
Auf  kräftiger  Brüstung  öffnet  sich  nach  drei  Seiten  je  ein  Bogen,  von  dorischen 
Säulen  mit  reich  geschmücktem  verkröpften  Gebälk  umrahmt;  drei  Bügel,  feurig 
bewegte  Seepferde  tragend,  wölben  sich  darüber  zusammen;  den  gemeinschaft- 
lichen Schlußstein  krönt  ein  Neptun  mit  dem  Dreizack.  Zwischen  den  See- 
pferden über  den  Bogenachsen  ist  je  ein  Wappen  mit  reicher  Umrahmung.  Bei 
barockem  Detail  hat  das  Ganze  eine  ungemein  lebendige  Silhouette  und  trägt 
den  Stempel  einer  üppigen  phantasievollen  Epoche,  i) 

Im  Dom  bezeichnet  die  Kanzel  (etwa  1526),  ein  im  wesentlichen  spät- 
gotisches Werk,  reich 
mit  Reliefs  in  Holz 
geschmückt,  in  einzel- 
nen Renaissance-Ele- 
menten den  Eintritt 
des  neuen  Stils.  Aus- 
serdem ein  schönes 
Bronzeepitaph  des  Si- 
gismund V.  Lindenau, 
von  Hans  Vischer  aus 
Nürnberg,  in  der  Vor- 
halle an  einem  Pfeiler. 

Erfurt,  im  Mit- 
telalter eine  der  größ- 
ten Städte  Deutsch- 
lands, bewahrt  noch 
jetzt  in  seinen  Denk- 
malen bedeutende 
Zeugnisse  ehemaliger 
Macht.  Der  Dom  mit 
der  gewaltigen  Frei- 
treppe, die  auf  die 
Höhe  führt,  rechts  da- 
von die  hohen  Hallen 
der  Severikirche,  bil- 
den den  monumentalen 
Mittelpunkt,  eine  Art 
Akropolis  der  Stadt. 
Das  Bürgertum,  durch 

1)  Abgeb.  in  den  Stn- 
dienbl.  d.  Archit.-Ver.  am 
Polytechnikum  zu  Stutt- 
gart undb.Fritsch,  a.a.O. 


Abb.  249  Portal  der  Schloßkirche  zu  Merseburg 
(Nach:  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance) 


398 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Handel  und  regen  Austausch  zwischen  Süden  und  Norden,  sowie  durch  frühe 
Verbindung  mit  der  Hansa  mächtig  geworden,  hat  auch  an  der  Bewegung  der 
Renaissance  sich  kräftig  beteihgt. 

Schon  zeitig  tritt  der  neue  Stil  an  einzelnen  Profanbauten  auf.  In  der 
Allerheiligenstraße  ist  der  ansehnliche  Bau  des  Collegium  Saxonicum,  in- 
schriftHch  1521  gegründet,  mit  einem  Renaissancewappen  von  1542  geschmückt. 

Im  obersten  Ge- 
schoß sind  reiz- 
volle Fenster  an- 
gebracht, in  sehr 
origineller  Früh- 
renaissance von 
übereck  gestellten 
Pilastern  einge- 
faßt, mit  kräfti- 
gem Gesims  ab- 
geschlossen ;  dar- 
über sind  Flach- 
bögen mitMuschel- 
füllung,  an  den 
Ecken  aufgesetzte 
Kugeln,  im  Ge- 
schoß darunter 
aber  treffliche 
schwungvolle  Or- 
namente, dazwi- 
schen runde  Schei- 
ben. Ähnliche  Fen- 
ster, offenbar  von 
dem  gleichen  Mei- 
ster,imErdgeschoß 
des  Hauses  Nr.  6 
ebenda,  die  oberen 
Fenster  dagegen 
einfach  mit  mit- 
telalterlichem Pro- 
fil. Dagegen  ist 
die  prächtig  ge- 
schnitzte Haustür 
mit  korinthischen 
Säulen  und  orna- 
mentalen Flach- 
reliefs von  schö- 
nem Schwung  der  Zeichnung  ein  Werk  des  vollendeten  Stiles.  Von  1549  ein 
kleines  Renaissanceportal  der  Michaelisstraße  Nr.  48  mit  eigentümlich  entwickelten 
Ecknischen. 

Eine  höchst  stattliche  Komposition  ist  das  Giebelhaus  Nr.  7  am  Fischmarkt 
zum  roten  Ochsen  vom  Jahre  1562.  Das  Portal  ist  mit  Diamantquadern  ein- 
gefaßt und  hat  Seitennischen,  welche  statt  der  anderwärts  üblichen  Muschel- 
wölbung oben  durch  Voluten  abgeschlossen  sind :  eine  in  Erfurt  häufig  wieder- 
kehrende Form.  Über  dem  Erdgeschoß  läuft  ein  Fries  mit  spielenden  Kindern  hin. 
Der  erste  Stock  wird  durch  kannelierte  ionische  Pilaster  angemessen  gegliedert,  die 


Abb.  250   Haus  „zum  breiten  Herd"  zu  Erfurt 


Erfurt 


399 


Fenster  haben  Giebel  mit  plastischen  Köpfen.  Der  zweite  Stock  ist  einfacher 
behandelt,  ohne  Gliederung,  die  Fenster  mittelalterlich  profiliert.  Feine  Zahn- 
schnittfriese trennen  die  Geschosse.  Am  originellsten  ist  der  das  Satteldach  ver- 
deckende Giebel  mit  Pilasterstellungen  und  kräftigen  Fensterrahmen,  namentlich 
aber  den  phantastischen  Figurengruppen,  welche  die  Absätze  an  den  Ecken  ver- 
binden.   Doch  ist  das  Ganze  hart  und  ohne  rechten  Fluß. 

Ähnlich  ist,  aber  in  reicherer  Ausführung  mit  stärkerer  Anwendung  von 
plastischem  Schmuck  und  entschiedenerer  Hinneigung  zum  Rollwerk  an  demselben 
Platze  das  prächtige  Haus  „zum  breiten  Herd"  vom  Jahre  1584  (Abb.  250). 
Über  dem  Erdgeschoß  ziehen  sich  malerisch  behandelte  Flachreliefs  hin,  durch 
reiche  Konsolen  getrennt.  Phantastische  Hermen  gliedern  das  Hauptgeschoß, 
korinthische  Pilaster  auf  kräftigen  Konsolen  den  zweiten  Stock.  Fein  ornamen- 
tierte Friese  bilden  den  Abschluß  der  Stockwerke,  und  ein  elegantes  Zahnschnitt- 
gesims trennt  das  obere  Geschoß  von  dem  Giebelaufsatz.  Die  Fenster  des  ersten 
Stockes  haben  reiche  barock  verschlungene  Krönungen,  alle  übrigen,  auch  am 
Dacherker,  Giebelaufsätze  mit  stark  vortretenden  Köpfen. 
Der  Umriß  des  abgetreppten  Oberbaues  wird  wieder  durch 
figürliche  Gruppen  belebt.  Es  ist  eine  der  durchgebilde- 
teren Fassaden  unserer  Renaissance,  durch  gute  Verhält- 
nisse ausgezeichnet,  doch  in  Plastik  und  Linien  überall 
etwas  hart  und  nicht  flüssig.  Im  Innern  ein  Flur  mit 
schönen  Netzgewölben,  der  zu  einer  stattlichen  Wendel- 
treppe führt.  Die  Spindel  ruht  auf  schlanken  Säulen,  und 
die  untere  Seite  der  Stufen  ist  mit  ornamentalen  Reliefs 
bedeckt.  Als  Architekt  wird  Hans  Friedemann  d.  Ä. 
vermutet. 

Beträchtlich  früher,  feiner  und  schlichter  ist  das  Haus 
am  Anger  Nr.  37  vom  Jahre  1557.  Das  Portal  (Abb.  251) 
vertritt  in  anziehender  Weise  die  hier  übliche  Form  der 
Seitennischen,  deren  Ausbildung  beachtenswert  ist.  Die 
Pilaster,  welche  das  Portal  einfassen,  sind  wie  der  Fries 
mit  hübschen  Ranken  geschmückt;  die  Zwickelfelder  enthalten  die  Köpfe  von 
Christus  und  Paulus  in  Medaillons.  Die  übrigens  einfache  Fassade  erhält  durch 
einen  polygonen,  im  ersten  Stock  ausgebauten  Erker  einige  Belebung.  Ein  schönes 
Eisengitter  füllt  das  Oberlicht  über  der  Tür.  Im  Flur  sieht  man  zwei  prachtvoll 
gearbeitete  Säulen  aus  späterer  Zeit. 

Ein  zierliches  Werk  ist  der  am  Äußern  der  Michaelis kirche  ange- 
brachte Grabstein  des  Melchior  Sachse  und  seiner  Frau,  durch  den  Sohn  wahr- 
scheinlich nach  dem  Tode  der  letztern  (1553)  errichtet.  Die  Gestalten  der  Ver- 
storbenen werden  von  einem  eleganten  Renaissancerahmen  auf  kannelierten 
toskanischen  Pilastern  umschlossen.  Die  Arbeit  ist  in  sicherer  Meisterschaft 
durchgeführt.  Ganz  in  der  Nähe,  Michaelisstraße  Nr.  38,  das  ansehnliche  Haus 
dieser  Familie,  vom  Jahre  1565.  Ein  Portal  mit  Ecknischen,  von  ionischen  Halb- 
säulen eingefaßt,  die  Archivolte  mit  facettierten  Quadern  gegliedert,  in  den 
Zwickelfeldern  zwei  Medaillonköpfe,  ähnlich  wie  bei  dem  Haus  am  Anger,  im  Fries 
der  Spruch:  „Was  Gott  bescheert  bleibt  unerwert."  Darüber  ein  Aufsatz  in  Form 
einer  Aedicula,  von  korinthischen  Säulchen  eingefaßt  und  mit  Giebel  geschlossen, 
darin  die  Wappen  von  Melchior  Sachse  und  Elisabeth  Langen.  Zwei  riesige  ge- 
flügelte Delphine  bilden  auf  beiden  Seiten  eine  barocke  Einrahmung.  Die  Ecke 
des  Hauses  ist  originell  als  kräftige  Rustikasäule  mit  toskanischem  Kapitell  be- 
handelt. Die  Fenster  haben  noch  durchweg  das  mittelalterliche  Kehlenprofil.  Ein 
kleines  Haus  neben  der  Michaeliskirche  besitzt  ein  stattliches  Portal  von  1561, 


400 


2.  Bucli    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersaciisen 


gleich  den  übrigen  mit  Seitennischen  und  fein  gegliedertem  Bogen,  eingefaßt 
von  korinthischen  Säulen,  Am  Fries  die  Inschrift:  „Gott  spricht  es,  so  geschieht 
es.  —  Ilgen  Milwicz,  Anna  Schwanflogelin."  Dabei  in  den  Zwickelfeldern  treff- 
lich behandelte  Wappen.  Die  Fenster  des  Erdgeschosses  haben  ebenfalls  korin- 
thische Säulchen  als  Einfassung,  derb  facettierte  Quader  am  Fries  und  kleine 
Giebel  als  Krönung. 


Abb. 252  Haus  „zum  Stockfisch"  zu  Erfurt 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Ihr  Bestes  leistete  die  Erfurter  Privatbaukunst  in  dem  Hause  zum  Stock- 
fisch in  der  Johannisstraße,  vom  Jahre  1607  (Abb.  252).  Zwei  stattliche  Portale 
in  kräftig  barocken  Formen  und  ein  kraftvoller  Erker  schmücken  die  ziemlich 
breite  Straßenseite.  Man  beachte  die  durchaus  unregelmäßige  Stellung  der  Fenster 
und  die  nur  nach  Gefühl  erfolgte  Anordnung  der  Portale  und  des  Erkers,  die 
dabei  das  Gefühl  vollster  Harmonie  hervorruft;  wie  die  Fenster  zu  den  Seiten  der 
Erkerauskragung  kleiner,  doch  mit  Giebeln  bekrönt,  geradezu  meisterhaft  an- 
geordnet sind;  wie  die  Flächen  den  prächtig  durchgebildeten  plastischen  Teilen 


Erfurt  Altenburg 


401 


als  hebender  Hintergrund  dienen.  Die  Haustür  zeigt  treffliches  Schnitzwerk,  die 
Einfassung  zu  beiden  Seiten  wieder  die  beliebten  Nischen.  Ganz  prächtig  ist 
die  Belebung  der  Flächen  durch  eine  Rustika,  deren  Quader  abwechselnd  glatt 
und  mit  feinen  flachbehandelten  Randornamenten  geschmückt  sind.  Ebenso  die 
Fensterrahmen.  Im  Hausflur  ein  kräftiges,  von  ionischen  Säulen  eingefaßtes  Portal. 
Alles  Detail  von  ausgezeichnetster  Abwägung. 

Einiges  auch  in  den  Kirchen.  Im  Dom  ein  großes  Wandepitaph  vom  Jahre 
1576  im  südlichen  Seitenschiff,  altarartig  aufgebaut,  im  Stü  schon  sehr  barock, 
dabei  reich  polychromiert  das  Monogramm  des  Meisters  E.  G.  Aus  derselben  Zeit 
ein  Doppelgrab,  ebendort,  bezeichnet  H.  F.  Sodann  noch  ein  Epitaph  am  östhchen 
Ende  desselben  Seitenschiffs,  von  ähnhcher  Komposition  und  Ausführung.  Weiter 
gehört  hieher  der  Tauf  st  ein  von  1587  des  Hans  Friedemann,  mit  Figuren 
von  Tugenden  zwischen  phantastischen  Hermen  und  Karyatiden,  außerdem  reich 
mit  Metaflornamenten  geschmückt.  Um  den  Taufstein  erhebt  sich  auf  sechs 
ionischen  Säulen  mit  Goldornamenten  auf  blauem  Grund  ein  großer  phantastischer 
Baldachin,  über  dem  Gebälk  mit  hoher  Kuppel  aus  durchbrochenen  Rippen 
bekrönt,  auf  den  Ecken  schlanke  Pyramiden,  in  der  Mitte  oben  ein  riesiger  Obelisk, 
der  bis  ans  Gewölbe  reicht,  alles  dies  reich  dekoriert  und  bemalt,  neuerdings 
hergestellt,  von  phantastischer  Wirkung.  An  der  Wand  des  südhchen  Querschiffes 
ein  Sakramentshäuschen  desselben  Meisters,  trefflich  im  Aufbau. 

Feiner  und  zierlicher  ist  die  hölzerne  Kanzel  in  der  Severikirche,  ein 
elegantes  Werk  von  1576,  ebenfalls  von  H.  Friedemann. 

In  Wittenberg  dürfen  die  schönen  Bronzegrabtafeln  in  der  Schloß- 
kirche nicht  unerwähnt  bleiben;  vor  allem  die  des  Peter  Vischer  für  Friedrich 
den  Weisen  mit  dem  Bilde  des  Kurfürsten,  und  die  fast  genaue  Kopie  davon 
für  Johann  den  Beständigen,  von  Hans  Vischer.  Auch  eine  Bronzetafel  Peter 
Vischers  für  Henning  Goeden  ist  zu  nennen.  —  In  der  Stadtkirche  außer  L. 
Cranachs  Gemälden  ein  bronzenes  Taufbecken  von  Hermann  Vischer  und  an  des 
jüngeren  Granach  Grabmal  ein  ausgezeichnetes  Alabasterrelief  der  Grablegung 
von  Sebastian  Walther.  Aus  späterer  Zeit  das  umfangreiche  Epitaph  des  Math. 
V.  Schulenburg,  1569  von  G.  Schröter  angefertigt. 

Thüring-en 

In  den  thüringischen  Landen  tritt  kein  städtisches  Gemeinwesen  in  dieser 
Epoche  selbsttätig  hervor.  Wohl  aber  ist  manches  von  fürstlichen  Bauten  zu 
melden,  mit  welchen  die  sächsischen  Herzöge  und  Kurfürsten  ihre  zahlreichen 
Residenzen  geschmückt  haben,  doch  finden  wir  auch  darunter  kaum  eine  Schöpfung 
ersten  Ranges.   Das  für  unsere  Betrachtung  Erhebliche  mag  kurz  erwähnt  werden. 

Seit  1445  den  Kurfürsten  von  Sachsen  zugeteilt,  die  eine  Zeitlang  dort 
residierten,  entwickelte  die  Stadt  Altenburg  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  eine 
rege  Bautätigkeit,  welche  schon  früh  zur  Aufnahme  der  Renaissance  führte.  Zu- 
erst treten  die  Formen  des  neuen  Stils  an  dem  großen  Hause  der  Sporengasse 
Nr.  1  uns  entgegen.  Es  hat  ein  Portal  vom  Jahre  1531  in  schhchten  frühen 
Renaissanceformen,  die  einrahmenden  Pilaster  mit  flachen  Kugeln  geschmückt, 
ähnlich  den  älteren  Fenstern  am  Schloß  zu  Dresden,  als  Bekrönung  ein  Bogenfeld 
mit  muschelartiger  Dekoration,  ebenfalls  mit  Kugeln  besetzt.  An  den  Fenstern 
und  dem  breiteren  Torwege  zeigen  sich  noch  die  durchschneidenden  Stäbe  der 
Gotik.  Ein  anderes  ebenfalls  unbedeutendes  Portal  vom  Jahre  1537  findet  sich 
in  derselben  Straße  Nr.  18.  Es  trägt  die  bekannte  Inschrift:  Verbum  domini 
manet  in  aeternum.    Dazu:  Amen  dico  vobis  ego  sum  ostium  ovium.    In  der- 

1)  Pritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance. 
Lübke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II   3.  Aufl.  26 


402 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


selben  Straße  Nr.  2  ein  Portal  des  späteren  Stiles  mit  Seitennnischen,  1569  er- 
baut, 1605  im  Fries  umgestaltet. 

Das  Hauptwerk  in  Thüringen  ist  das  hiesige  Rathaus.  Es  wurde  1562 
begonnen,  im  Frühling  des  folgenden  Jahres  unter  Dach  gebracht  und  am 
10.  November  1564  äußerlich  durch  Aufsetzen  des  Turmknopfes  vollendet.  Die  Haupt- 
leitung des  Baues  hatte  der  als  Erbauer  des  Jagdschlosses  „zur  fröhlichen  Wieder- 
kunft" bekannte  fürstliche  Baumeister  Nikolaus  Grohmann  zu  Weimar,  von  dem 
auch  der  Entwurf  herrührte.  Wir  kennen  den  Namen  des  Meisters  schon  aus  der 
Baugeschichte  des  Schlosses  zu  Torgau.  Die  Bildhauerarbeiten  wurden  durch 
Hans  Werner  und  Kaspar  Böschel  aus  Chemnitz  ausgeführt.^)  Es  ist  ein  stattlicher 
reich  behandelter  Bau  von  edlen  Renaissanceformen  (Abb.  253),  mit  gewaltigem, 
rings  abgewalmtem  Dach  bedeckt,  an  der  Vorderseite  mit  einem  polygonen  Treppen- 
turm ausgestattet,  auf  beiden  Ecken  gegen  den  Markt  mit  den  ausgekragten  halb- 
runden Erkern  geschmückt,  welche  in  ähnlicher  Anlage  und  Dekoration  zuerst  in 
Torgau  vorkommen  und  in  ähnlicher  Weise  am  Fürstenhaus  zu  Leipzig  auftreten. 
Das  gequaderte  und  mit  Säulen  an  den  Ecken  versehene  Untergeschoß  des  Treppen- 
turmes ist  in  der  damals  beliebten  Weise  rechtwinklig  angelegt  und  mit  einem 
Altan  geschlossen.  Das  Hauptportal  sowie  zwei  andere  Portale  sind  mit  ionischen 
Säulen  eingefaßt  und  mit  zahlreichen  Inschriften  geschmückt.  Auch  der  Unter- 
bau hat  eine  Umrahmung  von  sehr  lang  gezogenen  kannelierten  Säulen  derselben 
Ordnung.  Die  Fenster  mit  den  eingekerbten  Rahmen  und  einem  Giebel  mit  ein- 
gelassener Kugel,  die  Gesimse  mit  ihren  kräftigen  Konsolen,  die  Erker  mit  ihren 
Pilastern  und  Rehefs,  rechts  Fürstenköpfe,  links  die  Geschichte  des  Sünden- 
falles, endlich  die  maßvoll  behandelten  Giebel,  welche  dem  Dache  vorgesetzt  sind 
und  gemalte  Ornamente  zeigen,  das  alles  zeugt  von  einer  überwiegend  klassi- 
zistischen Behandlung,  doch  ohne  Trockenheit.  An  Feinheit  der  Ausführung  ist 
die  Dekoration  der  Erker  der  am  Fürstenhause  zu  Leipzig  kaum  nachstehend. 

Im  Innern  führt  die  Wendeltreppe  zu  einer  herrlichen  großen  Halle  mit 
reich  gegliederter  Balkendecke  auf  kannelierten  ionischen  Holzsäulen.  Auch 
die  Kopfbänder  sind  als  antikisierende  Konsolen  behandelt.  Mehrere  prächtige 
Türen,  Kamine  und  eine  Bühne  für  Musiker  schmücken  diese  ansehnliche  Halle. 
Über  der  Türe  zum  Ratssaal  Hest  man  das  bedeutsame  Motto:  Blandis  verbis 
et  atrocibus  poenis.  Das  Ratszimmer  selbst  hat  ähnlich  reiche  Decke  wie  der 
Vorsaal,  die  Fensterrahmen  sind  auf  kraftvolle  ionische  Säulen  gestützt,  die 
Portale  ungemein  reich  geschnitzt,  mit  Hermen  und  Karyatiden  eingefaßt,  über 
dem  einen  der  thronende  Weltrichter.  Ein  anstoßendes  Gemach,  das  auf  den 
Erker  hinausgeht,  zeigt  einfachere  Behandlung  an  Decke  und  Fenstern,  aber 
ähnliche  Portale. 

Das  Schloß,  eine  ausgedehnte  Anlage,  deren  Entstehung  ins  Mittelalter 
hinaufreicht,  ist  mit  Ausnahme  der  reichen  spätgotischen  Kapelle  ohne  künstlerisches 
Interesse.  Nur  im  Innern  Schloßhof  sieht  man  den  Ansatz  einer  dreistöckigen 
Arkade,  von  der  jedoch  nur  zwei  Systeme  ausgeführt  sind:  im  Erdgeschoß  Rustika 
mit  übertrieben  geschwellten  dorischen  Säulen,  die  beiden  oberen  Stockwerke  mit 
flachgedrückten  Bögen,  im  ersten  Stock  auf  toskanischen  Säulen,  im  zweiten  auf 
Pfeilern,  die  mit  ähnlichen  Halbsäulen  bekleidet  sind,  eine  Arbeit  der  Zeit  um 
1600,  ohne  besondere  Feinheit.  Auch  der  damit  verbundene  Treppenturm  und 
das  Portal  desselben  ist  nur  Mittelgut. 

Das  Rathaus  zu  Gera,  seit  1573  entstanden  (Abb.  254,  255),  scheinbar  eben- 
falls nach  Grohmanns  Plan  erbaut,  doch  einfacher  und  nur  als  eingebautes  Haus  ge- 
dacht; leider  später  mit  einem  Mansardendach  an  Stelle  der  ursprünglichen  Quer- 


1)  E.  T.  Braun,  Gescliiclite  des  Rathauses  zu  Altenburg  (1864)  S.  121. 


Gera 


403 


Abb.  253   Eathaus  zu  Altenbur« 


giebel  versehen.  Die  Fenster  sind  einfach,  mit  Dreiecksgiebel  darüber;  auffallend 
an  die  Heldburg  erinnernd ;  das  Haus  entbehrt  aber  der  Gesimse.  Im  Erdgeschoß 
drei  große  Portale  mit  Pilastern  ohne  Gebälk,  genau  wie  an  den  Altanecken  zu 
Altenburg.  Der  achteckige  hohe  Treppenturm  hat  wie  dort  einen  gequaderten 
rechteckigen  vorspringenden  Unterbau;  in  dessen  Mitte  das  reiche  Hauptportal, 
Rundbogen  mit  schräger  stark  verzierter  Leibung,  eingefaßt  von  Hermen,  trägt 
doppelten  Aufsatz  von  Tafeln,  Wappen  und  Porträts,  darüber  Flachgiebel.  Eine 


404 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


ganz  prächtige  Kompo- 
sition. Freilich  ist  alles 
roh  ausgeführt;  wohl 
kaum  unter  Grohmanns 
Leitung. 

Von  dem  alten  Schloß 
zu  We i  m  a r  ist  zunächst 
der  runde  Turm,  freilich 
mit  späterem  Aufbau  er- 
halten. Mit  ihm  verbun- 
den einige  ältere  Teile, 
unregelmäßig  und  unbe- 
deutend, mit  Ausnahme 
eines  ziemlich  ansehn- 
lichen Bogenportales,  des- 
sen schräge  Leibung  mit 
Ornamenten  der  Früh- 
renaissance umfaßt  wird 
(etwa  1530  entstanden). 
Ebenso  der  krönende  Auf- 
satz mit  dem  Wappen 
und  Delphinen  an  den 
Seiten.  Die  gewölbte  Ein- 
gangshalle führt  zu  einer 
ganz  schlichten  Wendel- 
treppe. Auch  die  Giebel 
dieses  Baues,  mit  ein- 
fachen Bogenabschlüssen 
und  dürftigen  Lisenen  ge- 
gliedert, gehören  dahin. 
Ein  Modell  auf  der  groß- 
herzoglichen Bibliothek 
gibt  eine  Anschauung  des 
alten  Baues  vor  dem 
Brande  von  1618.  Her- 
zog Johann  Ernst  begann 
1619  den  Neubau,  der 
dann  1790—1803  durch 
den  Goetheschen  Umbau 
größtenteils  beseitigt 
wurde.  Aus  diesen  Zeiten 
stammt  auch  das  Rote 
Schloß,  mit  seinen  Por- 
talen und  Giebeln  dem 
beginnenden  Schweifstil 
angehörend,  aber  ebenfalls  ohne  höheren  künstlerischen  Wert. 

Auch  sonst  bietet  die  Stadt  für  Renaissance  nichts  Bedeutendes.  Von 
Interesse  ist  natürlich  das  Granachhaus  am  Markte,  um  1526  entstanden  und  mit 
dem  Wappen  des  Meisters  geschmückt.  Es  hat  im  Erdgeschoß  der  unregelmäßigen 
Marktseite  große  Bogenöffnungen  im  Charakter  der  Frührenaissance,  mit  dünnen 
kandelaberartigen  Säulchen,  üppigem,  breit  gezeichnetem  Laub  und  mancherlei 
figürlichen  Elementen.   Die  schrägen  Seitenwände  der  Bogenöffnungen  zeigen  die 


Abb.  254  Kathans  zu  Gera 


Weimar 


405 


beliebten  Muschelnischen  mit  Sitzsteinen.  Die  ebenfalls  abgeschrägten  Archivolten, 
die  Zwickelflächen  und  die  horizontal  abgestumpften  krönenden  Giebel  haben 
reiches  Laubwerk.  Bei  der  modernen  Ladeneinrichtung  hat  eine  Umgestaltung 
und  Wiederholung  dieser  Teile  stattgefunden.  Die  Fenster  der  Fassade  zeigen 
mittelalterliche  Kehlenprofile;  oben  zwei  aufgesetzte  Giebel,  in  nüchterner  Weise 
mit  dürftigen  Lisenen  gegliedert  und  mit  Bogenlinien  abgeschlossen. 


Alili.  i!:.:)    Ha.uijteiiiijaiig-  des  ]iai  liaiiscs  zu  Gera 


Die  ausgebildete  Renaissance  zeigt  sich  an  dem  einfach  derben  Bau  des 
städtischen  Brauhauses  von  1566.  Die  Fenster  sind  mit  schweren  Giebeln  be- 
krönt, haben  aber  trotzdem  gotische  Kehlenprofile.  Das  Portal  schließt  ein  ähn- 
licher Giebel  ab,  der  auf  kannelierten  toskanischen  Säulen  ruht.  An  den  Seiten 
sieht  man  wieder  die  Muschelnischen.  Der  ungemein  hohe  abgetreppte  Giebel 
wird  durch  Voluten  gefaßt,  die  in  üppiges  Laubwerk,  am  obersten  Absatz  in 
kolossale  Delphine  auslaufen,  und  die  Bekrönung  bildet  die  Figur  eines  Gewatf- 
neten.  Vom  Jahre  1568  datiert  am  jetzigen  Kriminalgebäude  ein  elegant  ge- 
arbeitetes Doppelwappen  in  einem  Rahmen  aufgerollter  und  zerschnittener  Bänder. 
Mehrere  kleine  Renaissanceportale  sieht  man  an  verschiedenen  Häusern,  z.  B.  in 
der  Breiten  Straße. 

In  der  Stadt kirche  hat  das  herrliche  große  Altarbild  von  Cranach  vom 
Jahre  1555  eine  frei  geschnitzte  Bekrönung  von  Wappen,  Reiterfiguren  und  pracht- 
vollem Laubwerk,  das  teils  der  Renaissance,  teils  dem  spätgotischen  Naturalismus 
angehört.  Das  Ganze  ist  völhg  bemalt  und  vergoldet,  von  hohem  künstlerischen 
Werte.  Außerdem  ist  das  Epitaph  Herzog  Johann  Wilhelms  von  1576  eine  brillante 
Marmorarbeit  von  virtuosenhafter  Ausführung,  wahrscheinlich  das  Werk  eines 
Niederländers. 


406 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


In  Jena  finden  sich  zwei  vollständige  Renaissancehäuser  von  auffallend 
strenger  Architektur.  Der  sogenannte  Bur  gk  eil  er,  dicht  neben  der  Stadtkirche 
gelegen,  ist  ein  Giebelbau  von  bescheidenen  Ausmessungen.  Etwas  seltsam  wirkt 
der  zwiebeiförmige  Abschluß  des  Hauptgiebels  wie  auch  des  Dacherkers  über  dem 
Pultdach  der  Nebenseite. 

Vor  die  etwas  in  die  Ecke  gedrückte  Hauptpforte  legt  sich  eine  kleine  Frei- 
treppe. Die  Architektur  zeigt  die  in  Jena  wie  in  ganz  Thüringen  häufige  Form: 
rundbogiges  Portal  mit  abgeschrägter  Leibung,  in  deren  vertikaler  Fläche  meist 
mit  Muschelwölbung  geschmückte  Nischen  mit  runden  Steinsitzen  angebracht 
sind;  die  gebogene  Fläche  der  Leibung  ist  durch  reiche  Profilierung  mit  Eier- 
stab, Zahnschnitt,  kleinen  Konsolen  gegUedert  (vgl.  oben  Abb.  251).  Die  Fenster- 
öffnungen zeigen  hübsche  Detailbildung,  sämtlich  mit  geradlinigem  Giebelabschluß. 
In  wohlberechneter  Steigerung  lichten  sich,  bei  stets  reicherer  Umrahmung  der 
Fenster,  die  Mauermassen.  Die  weiten  Öffnungen  des  obersten  Hauptstocks  werden 
durch  schlanke  ionische  Säulchen  geteilt,  desgleichen  die  Öff'nung  des  Dacherkers 
auf  der  Nebenseite  durch  eine  dorische  Zwergsäule. 

Das  zweite  Haus,  wenige  Häuser  in  der  nächsten  Gasse  entfernt,  zeigt  eine 
fast  italienische  Fassadengliederung.  Im  unteren  Stockwerk  zwei  stattliche  Bögen, 
von  einer  toskanischen  Pilasterordnung  umrahmt;  dabei  ist  merkwürdigerweise 
mittelst  Durchführung  des  Kämpfergesimses  die  Bogenöffnung  eines  Mezzanin- 
stockes benützt.  Der  Fries  der  Hauptordnung  trägt  als  Inschrift:  Gloria  in  ex- 
celsis  etc.  Im  Stockwerk  darüber  feine  Pilasterarchitektur  mit  verdoppelter 
Achsenzahl.  Die  Fenster  sind  einfach  umrahmt.  Die  weiteren  Stockwerke  scheinen 
später  hinzugefügt  worden  zu  sein.    Das  Innere  unbedeutend. 

Außerdem  findet  man  häufig  das  oben  beschriebene  Portal.  Auch  der 
Giebelabschluß  des  Jenaer  Rathauses  mit  kunstreicher  Uhr  gehört  in  die  Renais- 
sancezeit. 

Das  Wenige,  was  Gotha  an  Renaissancebauten  besitzt,  zeugt  nicht  gerade 
von  einer  bedeutenden  künstlerischen  Tätigkeit,  reiht  sich  indes  den  Arbeiten  der 
benachbarten  Orte  an  und  dient  zur  Vervollständigung  des  Bildes.  Das  Rathaus 
ist  ein  langgestrecktes  Rechteck  mit  hohem  Giebel  an  der  schmalen  Nordseite 
gegen  den  Markt  und  viereckigem  Treppenturm  an  der  Südseite.  Die  Fassade 
von  1574  hat  später  eingreifende  Umgestaltungen  durch  vorgesetzte  Stuckpilaster 
erfahren.  Das  Portal  aber  mit  seinen  Seitennischen,  darüber  ein  Aufsatz  mit  dem 
Wappen,  zu  beiden  Seiten  unförmliche  Delphine,  entspricht  der  Behandlung,  wie 
wir  sie  in  Erfurt  und  Weimar  fanden.  Auch  der  hohe  Giebel  mit  seinen  Schnecken 
und  ihrem  phantastischen  figürlichen  Schmuck  ähnelt  den  gleichzeitigen  Erfurter 
Bauten.  Den  Abschluß  bildet  ein  durchbrochener  Bogen  mit  der  Uhrglocke, 
darauf  als  Krönung  eine  kleine  Ritterfigur.  Schön  ist  an  der  oberen  Galerie  des 
Turmes  das  zierliche  schmiedeeiserne  Gitter;  außerdem  über  einem  modernisierten 
Portal  der  westlichen  Langseite  ein  fein  gearbeitetes  Wappen,  von  zwei  Löwen 
gehalten.  Eine  schlichte  Wendeltreppe  führt  um  einen  achteckigen  Pfeiler  im 
Turm  zum  oberen  Geschoß,  das  eine  große  lange  Vorhalle  enthält. 

Ein  etwas  einfacheres  Portal  im  Charakter  des  Rathauses,  ebenfalls  mit 
Nischen  und  Sitzsteinen,  hat  das  Gebäude  der  Post  am  Markt.  Mehrfach  finden 
sich  noch  ähnliche  Pforten.  Etwas  abweichend  ist  die  Behandlung  des  Portals 
am  Eckhaus  der  kleinen  Erfurter  Gasse  und  des  Marktes,  vom  Jahre  1563. 

Über  der  Stadt  erhebt  sich  an  der  Südseite  auf  weit  hinschauendem  Hügel 
die  kolossale  aber  ziemlich  nüchterne  Anlage  des  Schlosses  Friedenstein,  im 
wesentlichen  dem  1646  durch  Ernst  den  Frommen  ausgeführten  Neubau  angehörig. 
Bei  der  Exekution  gegen  Johann  Friedrich  den  Mittleren  (1567)  wurde  das  durch 
ihn  erbaute  Schloß  Grimmenstein  eingenommen  und  geschleift  und  an  seiner 


Grotha 


407 


Stelle  später  das  jetzt  vorhandene  mit  dem  Namen  Friedenstein  erbaut.  Es  ist 
ein  gewaltiges  Viereck,  vorn  und  auf  beiden  Seiten  von  den  Hauptgebäuden  ein- 
geschlossen, der  Hof  von  derben  Pfeilerarkaden  auf  allen  vier  Seiten  umzogen, 
die  an  der  Rückseite  mit  einer  Plattform  abgeschlossen  und  in  der  Mitte  mit 
einem  Portal  durchbrochen  sind,  den  Blick  und  den  Austritt  in  den  Park  frei- 
lassend. Vom  alten  Grimmenstein  stammt  nur  das  Portal  der  Kapelle  unter  den 
Arkaden  hnks  vom  Eingang,  datiert  von  1553.  Es  hat  die  größte  Verwandtschaft 
mit  dem  Portal  der  Schloßkapelle  zu  Torgau,  ähnliches  Laubwerk  im  frischen 
Stil  der  Frührenaissance  und  in  den  Ranken  ebensolche  Engelfiguren.  Die  Ein- 
fassung mit  Schweifwerk  gehört  dem  Umbau  des  17.  Jahrhunderts  an. 


Abb.  256   Grundriß  der  Heldburg 


In  der  Kunst  kämm  er,  bisher  im  Schloß  aufbewahrt,  ist  manches  an 
wertvollen  Werken  der  deutschen  Kleinkunst:  zierliche  Trinkgefäße,  Becher  und 
Pokale,  ein  Globus  mit  herrlichem  Untersatz,  astronomische  Instrumente,  schöne 
Uhren,  Glasgefäße  und  Schmelzarbeiten,  vor  allem  aber  das  kleine  angebliche 
Brevier,  in  Wirklichkeit  ein  fürstliches  Stammbuch  des  16.  Jahrhunderts,  eines 
der  köstlichsten  Juwele  deutscher  Goldschmiedekunst,  dort  natürlich  dem  Ben- 
venuto  Cellini  zugeschrieben,  jedoch,  wie  aus  der  Art  der  Technik  und  den  künst- 
lerischen Formen  hervorgeht,  das  Werk  eines  ausgezeichneten  deutschen  Meisters. 
Aus  massivem  Golde  ist  der  Deckel  gearbeitet,  mit  Diamanten,  Rubinen,  Sma- 
ragden und  Schmelzwerk  geschmückt,  dazu  in  fein  getriebener  Arbeit  auf  der 
Vorderseite  die  Anbetung  der  Hirten  und  die  vier  Evangelisten,  auf  der  Rückseite 
die  Auferstehung  und  die  vier  evangelischen  Frauen,  auf  dem  Rücken  die  Er- 
schaffung der  ersten  Menschen  und  der  Sündenfall.  Das  köstliche  kleine  Buch, 
etwa  5V2  cm  breit  und  7V2  cm  hoch,  ist  aus  dem  Besitze  der  Großherzöge 
von  Mecklenburg-Schwerin  durch  Schenkung  nach  Gotha  gekommen  und  für 
das  Kunstkabinett  erworben  worden. 


408 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


Weiter  nordwärts  bis  gegen  den  Rand  des  Harzes  sind  nur  unbedeutende 
Arbeiten  der  Renaissance  zu  verzeichnen.  In  Nordhausen  ist  das  Rathaus  ein 
äußerst  schlichter,  doch  malerischer  Bau  von  1610,  die  Giebel  in  Fachwerk  ohne 
künstlerischen  Schmuck.  Die  Fenster  und  die  große  Bogenhalle,  mit  welcher  sich 
das  Erdgeschoß  gegen  den  Markt  öffnet,  zeigen  das  mittelalterliche  Kehlenprofil. 

Vor  die  Mitte  der  Fas- 
sade legt  sich  ein  Turm 
mit  stattlich  breiter 
Spindeltreppe,  die  auf 
die  Bogenhalle  mün- 
det. Der  Vorsaal  im 
Innern  ist  nicht  groß, 
quadratisch;  auf  der- 
ber Mittelsäule,  wel- 
cher in  den  Wänden 
Halbsäulen  entspre- 
chen, ruhen  die  Bal- 
ken der  Holzdecke. 
Die  Kapitelle  sind  fast 
romanisch,  auch  das 
Gebälk  zeigt  mittel- 
alterliche Gliederung. 
An  seinen  Kopfbän- 
dern liest  man :  Hans 
Hacke  1609.  Ein  klei- 
nes Portal  in  Sand- 
stein hat  dürftige 
trockene  Formen  der 
späten  Renaissance. 
Im  Vorsaal  des  zweiten 
Stockes  bietet  die  Mit- 
telsäule das  auffal- 
lendste Beispiel  von 
mangelndemVerständ- 
nis  der  Renaissance- 
formen in  so  später 
Zeit. 

In  Eisleben  fällt 
in  der  Andreaskirche 
ein  messingener  Kron- 
leuchter auf,  der  zu 
den  schönsten  seiner 
Art  gehört,  mit  Weinranken,  Trauben  und  kleinen  Figürchen  geschmückt. 

Ungleich  günstiger  und  reicher  gestaltet  sich  die  Renaissance  in  den  süd- 
lichen Auslaufern  unseres  Gebietes.  Zu  den  interessantesten  Werken  der  Zeit 
zählt  zunächst  die  Heldburg,  ein  auf  mittelalterlicher  Grundlage  durch  den 
unglücklichen  Johann  Friedrich  den  Mittleren  seit  1558  ausgeführter  Prachtbau. 
Die  Burg  erhebt  sich  auf  einem  vier  Wegstunden  südlich  von  Hildburghausen 
aufragenden  kegelförmigen  Basaltfelsen,  der  durch  seine  malerische  Form  und 
reiche  Bewaldung  schon  von  fern  das  Auge  fesselt.  Die  alte  Veste  ist  ein  ziem- 
lich unregelmäßiger  Gebäudekomplex  ebensowohl  infolge  beengender  Geländever- 
hältnisse als  ungleichzeitiger  Erbauung  (vgl.  Abb.  256). 


Abb.  257   Französischer  Bau  der  Heldburs 


Heldburg 


409 


An  dem  terrassenförmig  vortretenden,  auf  dem  Niveau  des  innern  Schloß- 
hofes gelegenen  Ziergarten  Q  vorbei  gelangt  man  bei  A  über  die  Zugbrücke  durch 
ein  stattliches  Tor  in  den  zwingerartigen  äußern  Hof,  und  von  da,  immer  steigend, 
einerseits  an  der  Pferdeschwemme  N,  andererseits  an  dem  Brunnenhaus  0  mit 
dem  bis  zur  Talsohle  reichenden,  in  den  Basaltfelsen  eingehauenen  Ziehbrunnen 
vorüber,  durch  die  Einfahrt  B  in  den  inneren  Schloßhof  G.  Auch  von  der  entgegen- 
gesetzten Seite  führt  eine  Einfahrt  F  bei  der  ehemaligen  geräumigen  Stallung  G  ^)  in 
den  Hof.  Von  welcher  Seite  man  auch  eintritt,  stets  zieht  der  sogenannte  fran- 
zösische Bau  an  der  Süd- 
seite des  Hofes  mit  den 
reichgeschmücktenErkern 
D,  E  und  dem  runden 
Treppenturm  den  Blick 
auf  sich.  Die  Umrah- 
mungen der  Fenster  und 
des  hübschen  Pförtchens 
zeigen  überfeine,  fast  ma- 
gere Profile.  Um  so  kräf- 
tigeres Relief  hat  die  Ar- 
chitektur der  Erker  (Abb. 
257)  und  des  schönen  Por- 
tals am  Treppenturme. 
Die  originelle  Galerie  des 
letztern  (die  untere  Ba- 
lusterreihe ist  Stein,  die 
obere  Holz)  gewährte 
wahrscheinlich  über  die 
niedrigem  Teile  Aussicht 
ins  Tal  hinab;  der  obere 
erkerartige  Ausl^au  soll 
früher  als  Uhrgehäuse  ge- 
dient haben. 

Ungeachtet  der  Volks- 
mund die  Teile  F  G  H  als 
„alten  Heidenbau"  be- 
zeichnet, scheinen  von 
den  jetzt  stehenden  Ge- 
bäuden die  ältesten  in 
dem  am  Haupteingang  B 
liegenden  Gebäude  zu 
stecken.  Hier  ist  nämlich  schon  am  Äußern  durch  rundbogige  Fenster  eine  früh- 
mittelalterliche Kapelle  angedeutet;  man  findet  aber  auch  im  Innern  (freilich  nur 
schwer  zugänglich  und  spärlich  beleuchtet)  deutliche  Spuren  kirchlicher  Wand- 
malereien (Christus  am  Kreuz,  von  Maria  und  Johannes  beweint).  Spitzbogige 
Portale  kommen  allerdings  am  sogenannten  „Heidenbau",  aber  auch  am  Kom- 
mandantenbau L  M  vor,  obgleich  letzterer  sonst,  namentlich  an  den  Rundtürraen, 
(von  denen  der  eine  über  der  Einfahrt  B)  Einflüsse  der  Renaissance  zeigt.  Der 
Teil  J  K,  welcher  ehedem  die  großartigen  Küchenräume  enthielt,  ist  abgerissen ; 
seine  Grundmauern  dienen  jetzt  als  Terrasse,  von  der  sich  eine  anmutige  Aus- 
sicht bietet. 


Abb.  258   Gymnasium  Casimirianum  zu  Koburg 
(Phot.  Homann,  Darmstadt) 


1)  Dieselbe  wurde  in  letzter  Zeit  als  Kapelle  benutzt. 


410 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Der  interessanteste,  künstlerisch  bedeutendste  Teil  ist  jener  französische 
Bau,  der  durch  seine  strenge  Fensterarchitektur  mit  den  einfach  gegliederten 
Giebeln  auch  dem  Äußern  des  Schlosses  ein  vornehmes  Ansehen  verleiht. 

Über  die  Ausstattung  der  Erker,  die  von  sehr  verschiedenem  Wert,  ist  noch 
folgendes  zu  bemerken:  der  Erker  D  zeigt  außer  einem  schönen  Friesornament 
mit  Vögeln  in  der  ionischen  Ordnung  des  ersten  Stocks  meist  Embleme  des 
Kriegs,  der  Erker  E  aber  Embleme  der  Jagd,  des  Fischfangs  etc.,  wie  auch  bei  D 
trotzige  Kriegergestalten,  bei  E  Nixen  und  andere  weibliche  Figuren  in  den  Orna- 
mentflächen eine  Haupt- 
rolle spielen.  An  dem 
einen  Erker  liest  man  die 
Jahreszahl  1562. 

In  der  Tat  ist  der  Name 
„französischer"  Bau  zu- 
treffend. Die  strenge  Ge- 
stalt der  beiden  Erker  und 
ihre  Einzelheiten  zeigen 
starke  Anlehnung  an  die 
gleichzeitige  Kunst  Frank- 
reichs. Schon  die  hier  in 
Menge  angebrachten  Tro- 
phäen sind  in  Deutschland 
recht  selten,  in  Frankreich 
aber  ungemein  verbreitet. 
Ich  erinnere  nur  an  Rene 
Boyvins  schöne  Kupfer- 
stiche, an  den  Louvrehof 
und  ähnliches.  Aber  auch 
die  großen  platten  Kar- 
tuschen der  Brüstungen 
oben,  insbesondere  am 
Erker  E,  sind  direkt  auf 
französische  Vorbilder  wei- 
send. Die  Architektur 
selbst,  vom  Bogen  des  Erd- 
geschosses an  mit  seinem 
Fries  und  Konsolengesims, 
die  ionische  korinthische 
Pilasterordnung  oben  — 
die  Pflaster  sind  nicht  ver- 
jüngt, was  in  Deutschland 

kaum  vorkommt,  dagegen  in  Frankreich  die  Regel  ist  — ■,  die  Dreiecksgiebel,  alles 
hat  etwas  von  der  fast  pedantischen  Schärfe  der  französischen  Behandlungsweise.  Ins- 
besondere ist  hier  an  die  Schule  Jean  Bullants  (Ecouen)  zu  denken.  Als  Architekt  ist 
inzwischen  Nikolaus  Grohmann,  der  Erbauer  des  Altenburger  Rathauses,  festgestellt. 

Die  Innern  Räume  enthalten  wenig  von  künstlerischer  Bedeutung:  die  Türen 
haben  derbe,  nüchterne  Einfassungen;  in  den  Zwickeln  sind  einige  gute  Medaillon- 
porträtköpfe. Die  noch  vorhandenen  zwei  Kamine  haben  reiche,  doch  wenig  feine 
Meißelarbeit;  das  Deckgesimse  wird  von  plumpen  Konsolen  oder  Hermen  getragen. 
Im  übrigen  sind  die  Räume  verputzt  und  schmucklos. 

Eine  großartige  Anlage  ist  die  Veste  zu  Koburg,  gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts begonnen,  großenteils  noch  mit  reichen  gotischen  Dekorationen,  im  Hof 


Abb.  259  Haus  in  der  Herrengasse  zu  Kobur' 
(Phot.  Homann,  Darmstadt) 


Koburg 


411 


ein  malerisches  offenes  Treppenhaus  mit  drei  Stockwerken,  sehr  gut  in  Holz  ge- 
schnitzt. Ein  Prachtstück  der  späteren  Renaissance  ist  das  sogenannte  Horn- 
zimmer, früher  in  der  Ehrenburg,  ein  ganz  mit  Täfelwerk,  und  zwar  in  farbig 
eingelegter  Arbeit,  geschmückter  Saal.  Zwischen  barocken  Pilastern  sieht  man 
reiche  figürliche  Darstellungen  an  den  Wänden.  Am  schönsten  aber  ist  die  Decke 
mit  ihren  kraftvoll  gegliederten  Balken  und  Kassetten,  sämtliche  Felder  mit  feinen 
Ornamenten  dekoriert.  Dies  Prachtzimmer  gehört  zu  den  unter  Johann  Kasimir 
(seit  1596)  ausgeführten  Werken  und  ist  in  Dresden  hergestellt.')  Derselbe  Fürst 
hat  auch  die  Stadt  mit  mehreren  ansehnlichen  Bauten  geschmückt  und  die  an 
Stelle  des  früheren  Barfüßerklosters  errichtete  Ehrenburg  1612  durch  den  ita- 
lienischen Baumeister  Bonallino  um- 
gestalten lassen  (seit  1816  gotisch 
modernisiert).  Von  ihm  stammt 
noch  der  früher  offene  Altan  auf 
der  Ostseite. 

Von  den  Bauten  Johann  Kasi- 
mirs nenne  ich  zunächst  das  Re- 
gierungsgebäude, ein  statt- 
liches Werk  von  1597—1601,  durch 
zwei  hübsche  Erker  mit  Fürsten- 
bildnissen und  Konsolenfriesen  so- 
wie kräftige  Giebel  ausgezeichnet. 
Vom  gleichen  Erbauer,  Peter  Senge- 
laub, sind  das  Gymnasium  (Abb. 
258),  1603  gestiftet,  und  das  Zeug- 
haus, tüchtige  Bauten  der  Schluß- 
epoche, in  Sandstein  ausgeführt, 
allerdings  nichts  Ungewöhnliches. 
Aber  alle  drei  Bauwerke  waren  ur- 
sprünglich auf  das  reichste  bemalt. 

Eine  größere  Zahl  von  Wohn- 
häusern aus  derselben  Zeit  sind  in 
der  Stadt  zu  finden;  insbesondere 
mit  malerisch  derb  gestalteten  Er- 
kern und  hübschen  Haustüren  mit 
Sitznischen.')    (Abb.  259,  260.)  -d  .  ,         t.  t? 

T  1  •      1     '  Abb.  260   Portal  in  der  Rosengasse  zu  Koburg 

In  der  Moritzkirche,  an  (Phot.  Homann,  Darmstadt) 

deren  Bau  Konrad  Krebs  (vgl.  Tor- 
gau, S.  346)  1520  tätig  war,  sind  einige  Grabdenkmäler  zu  nennen.  Zunächst 
mehrere  Bronzeplatten,  darunter  die  sehr  gediegen  ausgeführten  Johann  Friedrichs 
des  Mittleren,  der  1595  in  der  Gefangenschaft  zu  Steier  starb,  und  seiner  Gemahlin 
Elisabeth,  die  ihm  um  ein  Jahr  vorausging  und,  wie  die  Grabschrift  sagt,  in  ihres 
Herrn  Gustodia  zu  Neustadt  in  Österreich  verschied.  Ähnlich,  aber  viel  roher 
die  Denkplatte  Johann  Casimirs  (f  1633).  Das  große  Epitaphium  Friedrichs  des 
Mittleren,  in  Alabaster  ausgeführt  und  völlig  bemalt,  ist  ein  hoher,  fast  über- 
ladener, altarartiger  Bau^)  von  Nikolaus  Bergner. 


1)  Abbildungen  bei  Puttrich,  II.  Abt.,  1.  Eand. 

2)  Abb.  bei  Pritsch. 

3)  Abb.  bei  Fritscli  a.  a.  0. 


412 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersaclisen 


Anhalt 

Die  Anhaltischen  Länder  gehören  durch  den  Charakter  ihrer  Renaissance- 
werke zur  obersächsischen  Gruppe,  obwohl  sie  zugleich  gewisse  Einflüsse  aus  dem 
benachbarten  niedersächsischen  Gebiete  empfangen.  Letztere  bestehen  namentlich 
in  einzelnen  Beispielen  jenes  künstlerisch  ausgebildeten  Holzbaues,  die  wir  in  den 
Harzgegenden  antreffen  werden. 

Den  wertvollsten  Rest  aus  unserer  Epoche  besitzt  Dessau  an  dem  west- 
lichen Flügel  des  herzoghchen  Schlosses.  Das  Gebäude  umfaßt  an  drei  Seiten 
einen  rechtwinkligen  Hof,  hat  aber  im  östlichen  und  südlichen  Flügel  eine  cha- 
rakterlose Umgestaltung  im  nüchternsten  Zopfstil  erfahren.  Neuerdings  wurde 
dem  Mittelbau  ein  anspruchsvolles  Treppenhaus  in  Formen  des  Friedrichsbaus 
von  Heidelberg  (!)  vorgesetzt.  Dagegen  ist  der  ganze  westliche  Flügel  ein  wertvolles 
Werk  der  beginnenden  Renaissance,  zu  den  frühesten  in  Deutschland  gehörend; 
denn  an  der  Giebelseite,  die  mit  schweren  Frührenaissancebögen  abgestuft  ist, 
enthält  ein  Wappen  den  Doppeladler  und  die  Inschrift :  Garolus  V.  Romanorum 
imperator  1530.  Pilaster  gliedern  hier  und  an  der  Hofseite  das  obere  Stockwerk. 
In  der  Mitte  dieses  Flügels  baut  sich  im  Hof  die  LIauptstiege  vor  (Abb.  261),  in 


Abb.  261    Schloßhof  zu  Dessau 


einem  polygonen  Turme  mit  Freitreppen  an  beiden  Seiten  angelegt,  deren  Podest 
sich  als  rechtwinkliger  Altan  um  das  Stiegenhaus  herumzieht.  Die  Eckpfeiler  der 
Brüstung,  sehr  hübsch  mit  Wappen  haltenden  Bären  bekrönt,  gehören  gleich  den 
Balustersäulchen  des  Geländers  der  Frührenaissance  an ;  die  Maßwerke  der  einzelnen 
Felder  und  die  Portale  der  Treppe,  sowie  des  unteren  zum  Keller  führenden  Ein- 
ganges mit  ihren  durchschneidenden  gotischen  Stäben,  sind  noch  gotisch.  Ebenso 
überall  die  Umrahmungen  der  Fenster.  Die  Wirkung  dieser  reichen  und  ori- 
ginellen Arbeit  wird  durch  völlige  Bemalung  oder  Vergoldung  noch  gesteigert. 
Die  Renaissance  tritt  sodann  in  einzelnen  Ornamenten  der  Balustrade,  in  den 
reichen  Bekrönungen  der  Portale  anziehend  auf.  Die  Komposition  des  Treppen- 
hauses ist  dieselbe  wie  in  Torgau,  aber  etwas  früher  und  von  einem  Meister, 


Dessau  Schloß 


413 


der  zum  Teil  noch  der  Gotik  angehört.  Am  Hauptportal  des  Turmes  liest  man, 
daß  die  Fürsten  Johann,  Georg  und  Joachim  gemeinsam  den  Bau  1533  errich- 
teten. Die  Jahreszahl  1531  glaubte  ich  an  einem  kleinen  Täfelchen  zu  erkennen. 
Dem  entsprechen  die  historischen  Nachrichten,  welche  melden,  daß  Fürst  Johann  II. 
im  Verein  mit  seinen  Brüdern  Georg  und  Joachim  den  Neubau  des  in  seinen 
älteren  Teilen  von  den  Brüdern  Albert  und  Woldemar  1341  errichteten  Schlosses 
durchgeführt  habe.^)  Wahrscheinlich  gab,  wie  so  oft,  die  bevorstehende  Ver- 
mählung des  Fürsten  (1533  mit  Margaretha,  der  Tochter  Johann  I.  von  Branden- 
burg, Witwe  des  Herzogs  Georg  von  Pommern)  den  äußern  Anlaß  zum  Neubau. 
Johann  war  ein  baulustiger  Herr,  munterte  auch  seine  Untertanen  zum  Bauen  auf 
und  schenkte  ihnen  das  dazu  nötige  Holz  ^),  indem  er  sagte,  „ersehe  lieber,  daß 
ein  Mensch  neben  und  bei  ihm  wohne,  als  daß  das  Holz  im  Walde  stehe  und 
darunter  Hirsche  und  andere  wilde  Tiere  sich  aufhalten  sollten".  Sein  Bruder 
Joachim,  der  bis  1531  am  Hofe  Herzog  Georgs  von  Sachsen  lebte  und  zur  großen 
Bekümmernis  dieses  dem  alten  Glauben  treuergebenen  Fürsten  sich  der  Refor- 
mation anschloß,  setzte  seit  seines  Bruders  Tode  (1551)  die  begonnenen  Bauten 
fort.  In  der  Tat  sieht  man  an  demselben  westlichen  Flügel  weiter  einwärts  eine 
ziemlich  primitive  Renaissancetafel,  welche  den  Namen  Joachim  und  die  Jahres- 
zahl 1549  enthält. 

Im  Innern  des  Stiegenhauses  ist  die  Treppenspindel  am  Fuß  mit  eleganten 
Renaissanceornamenten  geschmückt,  während  die  kleinen  Fenster  des  Treppen- 
hauses gotische  Motive  zeigen.  Am  oberen  Podest  der  Treppe  findet  sich  ein 
Portal,  dessen  gebrochener  Spitzbogen  noch  dem  Mittelalter  angehört,  während 
die  einfassenden  Pilaster,  die  Füllungen  und  namentlich  die  wunderlichen,  un- 
symmetrisch am  Fries  angebrachten  Delphine  eine  ungewandte  Renaissance  ver- 
raten. Das  Portal  unter  der  Treppe  führt  zu  einem  Raum,  dessen  schönes 
gotisches  Sterngewölbe  auf  einer  Mittelsäule  ruht.  (Leider  jetzt  durch  eine  Wand 
geteilt  und  in  seiner  Wirkung  beeinträchtigt.) 

Einer  späteren  Epoche  gehören  die  beiden  in  entwickeltem  Renaissancestil 
durchgeführten  Portale  an,  die  in  den  Ecken  des  Hofes  angebracht  sind,  das  west- 
liche zu  einer  Treppe  mit  rechtwinklig  gebrochenem  Lauf,  das  östliche  zu  der  in 
einem  polygonen  Turme  angelegten  zweiten  Wendelstiege  führend.  Dies  sind  Teile 
des  großartigen  Erweiterungsbaues,  welcher,  die  jetzt  fast  ganz  erneuerten  öst- 
lichen und  südlichen  Flügel  umfassend,  von  Joachim  Ernst  seit  1577  unternommen 
wurde.")  Es  wäre  nicht  unmöglich,  daß  der  Meister  Caspar,  welcher  1572  von 
Brieg  nach  Dessau  geht,  um  diesem  Fürsten  seinen  Rat  zu  erteilen*),  mit  diesen 
Arbeiten  irgendwie  in  Verbindung  stände.  Aber  auch  Peter  Niuron  aus  Lugano, 
den  wir  beim  Schloßbau  in  Berlin  kennen  lernten,  wurde,  wie  es  scheint,  in  Dessau 
beim  Schloßbau  verwendet.  Kraftvolle  Nischen  mit  Sitzsteinen  bilden  die  Ein- 
fassung beider  Portale ;  energisch  vorspringendes  Gebälk  mit  Triglyphenfries  ruht 
auf  Akanthuskonsolen ;  der  Schlußstein  des  Bogens  ist  mit  weit  vorragendem 
Kopfe  geschmückt,  und  der  elegante  attikenartige  Aufsatz,  von  einem  Giebel  be- 
krönt, enthält  die  fürstlichen  Wappen.  Es  sind  Arbeiten  einer  freien  vollendeten 
Meisterschaft.  Durch  den  nüchternen  Umbau,  der  gerade  diese  Teile  fast  voll- 
ständig getroffen  hat,  ist  alles  beseitigt  worden,  was  ehemals  diesem  Baue  sein 
Gepräge  gab ;  namentlich  die  Bogengänge  und  Altane,  welche  zur  Verbindung  der 
einzelnen  Gemächer  angeordnet  waren  und  dem  Hofe  ehemals  einen  ungemein 
malerischen  Charakter  verliehen.  Auch  die  prächtige  Ausstattung  des  Innern,  von 

1)  J.  Chr.  Beckmann,  Historia  des  Fürstent.  Anhalt,  Zerbst  1690,  Fol.  III,  349  ff.  V,  175. 

2)  Ebenda  V,  172. 

3)  Beckmann,  III,  350. 

4)  Luchs,  Schles.  Künstler  S.  19. 


414  2.  Buch   Die  Bauwerke   XV.  Kapitel  Obersachsen 


Abb. 262   Schloßhof  zu  Bernburg 


welcher  berichtet  wird  ist  fast  völlig  verschwunden.  Bemerkenswert  scheint  nur 
ein  großes  gewölbtes  Zimmer  im  Erdgeschoß  mit  kräftig  barocker  Stuckdekoration. 
In  den  Ecken  ruhen  die  Gewölbrippen  auf  Konsolen  in  Gestalt  fratzenhafter 
hockender  Teufel  von  burlesker  Phantastik. 

Die  Stadt  enthält  nicht  viel  Bemerkenswertes  an  älteren  Privatbauten.  In 
der  Schloßstraße  Nr.  1  sieht  man  ein  zierliches  Portal  mit  Seitennischen  und 
reichgegliederter  Archivolte,  nach  Art  der  Dresdener  Portale.  Ähnliche  noch  an 
mehreren  Häusern,  z.  B.  in  der  Schloßstraße  und  der  Zerbsterstraße  Nr.  34.  Mehrere 
Giebelhäuser  der  beginnenden  Barockzeit  in  letztgenannter  Straße  Nr.  41  und  42, 
auch  einige  Fachwerkbauten,  z.  B.  ebenda  Nr.  40,  aber  ohne  Bedeutung.  Ein 
reicheres  Holzhaus  in  der  Schloßstraße  Nr.  12,  vom  Jahre  1671,  doch  auch  dies 
nicht  von  hervorragendem  Wert. 

In  Z  erb  st  ist  das  feinste  Werk  der  Renaissance,  das  früher  an  dem  „neuen 
Hause"  (Bürgerschule)  sich  befand,  an  das  Rathaus  versetzt:  ein  kleines  Portal 
von  der  anmutigsten  Form  und  dem  geschicktesten  Aufbau,  dabei  ein  ganz  frühes 
Werk,  schon  1537  gearbeitet  (Abb.  I,  116).  Die  einfassenden  Säulchen  haben  noch 
die  Kandelaberform,  das  Pflanzenwerk  zeigt  die  weichen  und  bewegten  Blätter  der 
Frühzeit.  Die  beiden  Wappen  des  Fürstentums  und  der  Stadt  schmücken  die 
Attika,  darüber  ein  zweiter  Aufsatz  mit  dem  Reichsadler  und  der  Kaiserkrone, 
abgeschlossen  durch  einen  Giebel,  in  dessen  Feld  ein  Imperatorenkopf.  Die  sich 
mehrfach  versetzenden  und  durchdringenden  horizontalen  Profilierungen  ergeben 
mit  den  sich  ineinanderschiebenden  senkrechten  Gliedern  ein  höchst  malerisches 
und  reizvolles  Gesamtbild. 

Das  Rathaus  selber  hatte  1610  und  1611  an  der  langen,  dem  Markt  zu- 
gekehrten Fassade  vier  stattliche  Giebel  mit  Pilastern  und  derben  Voluten  erhalten, 
zugleich  ein  Portal  in  kräftigen  Barockformen,  ist  aber  leider  durch  einen  auf- 
dringlichen Neubau  verdrängt ;  alt  sind  außer  dem  Portal  die  beiden  hohen  Back- 
steingiebel der  Schmalseiten  in  reichen  gotischen  Formen  von  Jahre  1481.  Im 
Innern  enthält  der  große  Vorsaal  des  oberen  Stockwerks,  zu  welchem  auch  hier 
eine  Wendeltreppe  führt,  an  der  einen  Schmalseite  eine  spätgotische  Holzver- 
täfelung, darin  ein  mittelmäßiges  Portal  vom  Jahre  1611. 

1)  Beckmann  III,  350  ff. 


Zerbst   Kothen  Bernburg 


415 


In  der  Nikolaikirche  ist  das  Epitaphium  Johanns  II.  (f  1551)  eine  geringe 
Steinmetz  arbeit  in  unreifen  Frührenaissanceformen,  ursprünglich  völlig  bemalt. 
Das  Taufbecken,  ein  Bronzewerk  der  Spätrenaissance,  etwas  stumpf  im  Guß,  aber 
von  ansprechender  Erfindung,  namentlich  der  Deckel  reich  an  Engelfigürchen,  Engel- 
köpfen, Masken  und  Volutenwerk  geschmückt. 

Unbedeutend  ist  der  Privatbau;  man  bemerkt  hier  freilich,  wie  in  Dessau, 
an  dem  Fachwerkbau  die  Nähe  des  Harzes  mit  seiner  reichen  Holzarchitektur. 
Die  Anhaltische  Gruppe  bildet  einen  Übergang  zu  Niedersachsen.  Zwei  Häuser 
am  Markt  zeigen  den  Holzbau  in  einfachen  Renaissanceformen.  Ein  kleines  Stein- 
portal der  üblichen  Anordnung  mit  Seitennischen,  am  Markt  Nr.  25,  beweist  in 
seiner  Jahreszahl  1687  das  lange  Andauern  älterer  Gewohnheiten.  Zwei  prächtige 
Wasserspeier  mit  schönen  schmiedeeisernen  Stangen,  ebenda  Nr.  24,  zeugen  von 
der  Tüchtigkeit  des  Kunstgewerbes. 

Ganz  dürftig  ist  die  Ausbeute  in  Kothen.  Das  Schloß,  von  weitem  durch 
seine  Kuppeltürme  verlockend,  zeigt  sich  in  der  Nähe  als  ein  geringer  Putzbau, 
der  in  drei  Flügeln  einen  großen  Hof  umgibt.  Der  Eingang  liegt  in  dem  west- 
lichen Hauptgebäude, 
von  welchem  nördlich 
und  südlich  die  Seiten- 
flügel rückwärts  aus- 
laufen, jeder  mit  einem 
polygonen  Treppen- 
turm ausgestattet.  Al- 
les aber,  sowie  die 
stark  zerstörten  Por- 
tale ohne  erhebliche 
Bedeutung.  Die  schö- 
nen Baumgruppen, 
welche  den  Bau  um- 
geben, sind  das  beste. 
Der  Bau  ist  um  1600 
von  Peter  und  Franz 
Niuron  (wohl  Söhnen 
des  Bernhard  Niuron 
in  Brieg)  aufgeführt. 
Dem  Namen  des  erste- 
ren  sind  wir  in  Berlin 
und  Dessau  begegnet. 
Außerdem  ist  nur  am 
Holzmarkt  Nr.  6  ein 
hübsches  Fachwerk- 
haus mit  zierlichem 
Steinportal  zu  nennen. 

Eine  umfang- 
reiche, aber  künstle- 
risch bescheidene  An- 
lage ist  das  Schloß 
zu  Bernburg.  Auf 
einer  ziemlich  steil 
gegen  die  Saale  ab- 
fallenden   Höhe    ge-  „„„  „  ,,        ,  ,,  , 

^  Abb.  263   Rathansvurhallc  zu  Wittenberg 

legen,   macht   es  von  (Nach  Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance) 


416 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XV.  Kapitel  Obersachsen 


unten  gesehen  mit  seinen  großen  Massen,  den  zahlreichen  Giebeln  und  Türmen 
einen  imposanten  und  malerischen  Eindruck.  Der  Bau  reicht  zum  Teil  ins  Mittel- 
alter hinauf  und  ist  dann  im  16.  und  17.  Jahrhundert  stark  verändert  und  er- 
weitert worden.  Wenn  man  in  den  Schloßhof  tritt,  so  hat  man  zur  Seite  rechts 
einen  vorgeschobenen  Bau  mit  mächtigem,  viereckigem  Turm,  der  im  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  aufgesetzte  Giebel  erhalten  hat.  Zur  Linken  liegt  die  alte 
Schloßkapelle  mit  einem  Portal  von  1565,  welches  trotz  dieses  späten  Datums 


Abb.  264  Eathaus  zu  Wittenberg 


noch  halb  gotisch  mit  durchschneidenden  Stäben  und  dabei  mit  dürftigen  Renais- 
sanceformen ausgestattet  ist.  Der  Hauptbau  zieht  sich  in  beträchtlicher  Ent- 
fernung nordwärts  hin,  in  zwei  Stockwerken  mit  schlicht  behandelten  Fenstern 
und  bekrönt  mit  Giebeln,  welche  die  Form  der  Frührenaissance  in  ziemlich  kunst- 
loser Weise  und  in  geringem  Stuckmaterial  zeigen  (Abb.  262).  Links  springt  ein 
Seitenflügel  vor,  im  17.  Jahrhundert  (1682)  mit  einer  Freitreppe,  die  am  Haupt- 
bau angelegt  ist,  und  einer  oberen,  ehemals  offenen  Loggia  auf  toskanischen 
Säulen  ausgestattet.  Dieser  Flügel  endet  in  einem  breiten  pavillonartigen  Bau 
mit  aufgesetzten  Giebeln  im  Charakter  des  Hauptbaus.  Die  lange  Front  des 
letzteren  wird  durch  zwei  Erker,  der  eine  auf  Säulen,  der  andere  auf  Konsolen 
ruhend,  etwas  belebt.  Ungefähr  in  der  Mitte  führt  ein  Portal  zu  einer  Wendel- 
treppe, die  indes  nach  außen  nicht  hervortritt.  Alle  diese  Teile  gehören,  wie 
die  oben  erwähnte  Kapelle,  zu  den  um  1567  durch  Fürst  Joachim  Ernst  aus- 
geführten Bauten.  Während  der  ganze  Bau  kunstlos  in  Backsteinüljerzug  errichtet 
ist,  sind  die  Erker  in  rotem  Sandstein  mit  Laubornament,  Figuren  von  Tugenden 
und  kräftig  vorspringenden  Köpfen  in  guter,  wenn  auch  keineswegs  hervorragender 
Arbeit  geschmückt. 


Bernburg  Wittenberg- 


417 


Zur  Rechten  schließt  sich  an  den  Hauptbau  eine  hölzerne  Verbindungsbrücke 
nach  dem  sogenannten  „Eulenspiegel",  dem  ursprünglichen  Donjon  des  Schlosses. 
Er  ist  rund,  in  primitiver  Art  aus  Feldsteinen  aufgemauert,  mit  späteren  Giebel- 
aufsätzen versehen.  An  diesen  schließt  sich  rechts  eine  bis  zum  vorderen  Ein- 
gang laufende  Mauer,  die  den  äußeren  Vorhof  vom  Innern  Schloßhof  abgrenzt. 
Sie  trägt  die  Jahreszahl  1682,  gehört  also  samt  der  oben  erwähnten  Freitreppe 
und  Loggia  zu  den  unter  Fürst  Viktor  Amadeus  hinzugefügten  Teilen.^)  Die 
Krönung  der  Mauer  bilden  zinnenartig  angeordnete,  paarweis  gruppierte  liegende 
Voluten.  Dies  eigentümliche  slawische  Motiv,  das  auch  am  Schlosse  zu  Stettin 
vorkommt,  findet  sich  in  einfacherer  Weise,  noch  im  Charakter  des  16.  Jahr- 
hunderts, an  dem  vorderen  Teil  der  Mauer,  welche  rechts  vom  Eingang  in  halb- 
runder Biegung  den  Innern  Hof  abschheßt.  So  gering  hier  im  ganzen  die  künst- 
lerische Ausbeute  ist,  so  reichlich  lohnt  von  oben  der  weite  Blick  auf  die  tief 
unten  vorüberfließende  Saale  mit  den  herrhchen  Baumgruppen  ihres  Ufers  und 
auf  die  in  Duft  getauchten  Berglinien  des  Harzes. 

In  der  Stadt  sind  nur  noch  einige  bescheidene  Fachwerkhäuser  und  einige 
Haustüren  in  Stein  von  dem  bekannten  Typus  zu  nennen. 

Für  das  nahe  Wittenberg  ist  außer  den  früher  (S.  401)  erwähnten  Denk- 
mälern der  Schloßkirche  noch  folgendes  nachzutragen :  Das  Rathaus  ist  ein  statt- 
hcher  Hochbau  mit  zehn  Giebeln  und  Dachreiter,  sowie  Erkern  an  der  Schmalseite 
von  echt  sächsischer  Art;  der  Kernbau  1523—40  erbaut,  mit  den  üblichen  Vor- 
hangbogenfenstern (Abb.  263  und  264).  1573  sind  die  Giebel  entstanden,  und  dazu 
die  prächtige  Vorhalle  des  Eingangs  der  Südseite,  zweistöckig,  mit  dorischen  Frei- 
säulen, Balustrade  und  drei  Giebeln,  darüber  eine  Menge  krönender  Figuren,  wahr- 
haft triumphierend  (Abb.  263).  Die  Gruppe  des  Gebäudes  mit  den  Säulenbrunnen 
und  der  stattlichen  Kirchenfront  zusammen  ist  höchst  eindrucksvoll. 

Sechzehntes  Kapitel 
Niedersachsen 

Die  niedersächsischen  Lande,  von  denen  ich  nur  die  mittleren  Gebiete  zu 
gemeinsamer  Betrachtung  zusammenfasse,  da  die  dazu  gehörigen  Küstenstriche 
schon  oben  dargestellt  worden  sind,  bieten  mancherlei  Übereinstimmendes  in  ihrer 
Aufnahme  und  Verarbeitung  der  Renaissance.  Es  handelt  sich  um  jene  urdeutschen 
Provinzen,  deren  zentraler  Gebirgsstock  der  waldreiche  Harz  mit  seinen  nörd- 
lichen und  westUchen  Ausläufern  ist.  Nördlich  breiten  sich  die  fruchtbaren,  von 
sanften  Hügelzügen  durchsetzten  Niederungen  aus,  in  denen  eine  Anzahl  kräftiger 
Städte  schon  seit  dem  frühen  Mittelalter  zu  selbständiger  Bedeutung  empor- 
blühten. Westhch  setzt  der  Lauf  der  Weser  mit  ihren  anmutigen,  von  Wald  und 
Wiesengründen  belebten  Ufern  unserer  Betrachtung  ihre  Grenze. 

Auf  diesem  Gebiete,  das  wir  im  engern  Sinne  als  Niedersachsen  bezeichnen, 
tritt  die  fürstliche  Macht  zur  Zeit  der  Renaissance  keineswegs  so  bestimmend 
hervor  wie  in  Thüringen  und  Obersachsen.  Nur  die  herzoghchen  Linien  von 
Braunschweig-Lüneburg  machen  sich  durch  künstlerische  Unternehmungen  be- 
merkUch;  allein  ihre  wichtigeren  Werke  (Gelle,  Wolfenbüttel,  Helmstedt,  Münden) 
gehören  meistens  erst  in  die  spätere  Zeit  der  Renaissance.  Etwas  erheblicher 
kommt  die  geisthche  Fürstengewalt  hier  zur  Betätigung;  die  Bischofssitze  Halber- 
stadt und  Hildesheim  bezeugen  regen  Eifer  in  Aufnahme  der  Renaissance.  Durch- 
greifender und  entscheidender  ist  das,  was  die  bürgerliche  Baukunst  der  Städte 


1)  Die  histor.  Notizen  bei  Beckmann  a.  a.  0.  III,  123  ff. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl. 


27 


418 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


hervorbringt;  ja  durch  kraftvolle  Ausbildung  und  lebensvolle  Umgestaltung  des 
altheimischen  Holzbaues  im  Sinn  der  neuen  Zeit  prägen  sie  ein  echt  nationales, 
volkstümhches  Element  der  Konstruktion  zu  Schöpfungen  von  hohem  künstlerischen 
Werte  aus.  Unvergleichlich  ist  noch  jetzt  die  Wirkung  dieser  Städte  mit  ihren 
in  ganzen  Reihen  erhaltenen  Fachwerkhäusern,  deren  Fassaden  durch  die  vor- 
gekragten  Geschosse  mit  den  reichen  Schnitzereien  und  den  kraftvollen  Profilie- 
rungen einen  so  lebensvollen  Eindruck  gewähren.  Wir  können  gerade  hier  die 
Geschichte  dieser  echt  deutschen  Bauweise  verfolgen;  wir  werden  sie  aus  den 
mittelalterhchen  Formgebungen  sich  stufenweise  zu  den  reizvollen  Bildungen  so- 
genannter Renaissance,  vielmehr  aber  eines  fast  ganz  selbständigen  neuen  Holz- 
stiles entfalten  sehen.  Braunschweig  mit  seinen  großartigen,  kraftvoll  entwickelten, 
meist  noch  mittelalterlichen  Formen  bezeichnet  die  erste  Stufe.  Auf  die  Höhe 
einer  in  ihrer  Art  klassischen  Vollendung  hebt  sich  diese  Kunst  in  den  Bauten  von 
Halberstadt.  Zu  höchster  Blüte  in  verschwenderisch  angelegter  Bildschnitzerei, 
nicht  ohne  deutliche  Spuren  eines  Einflusses  von  selten  des  Steinbaues,  bringt  es 
zuletzt  Hildesheim, ^)  In  zweiter  Linie  schheßen  sich  Städte,  wie  Goslar,  Qued- 
linburg, W^ernigerode,  Stolberg,  Gelle  und  viele  andere  an. 

Gegenüber  diesem  charaktervollen  Holzbau  findet  die  Steinarchitektur 
hauptsächlich  in  den  Bauten  der  Fürsten,  des  Adels  und  der  Geisthchkeit  ihre 
Anwendung,  von  da  aus  dann  auch  mancherlei  Aufnahme  in  bürgerlichen  Kreisen, 
wie  denn  in  Braunschweig  dieses  Material  sich  neben  dem  des  Holzes  eindrängt, 
und  in  Hannover  sogar  die  Oberhand  gewinnt.  Dieser  Stein  bau  aber  gehört  fast 
ausnahmslos  der  letzten  Epoche  der  Entwicklung  und  zeigt  in  seinen  üppigen, 
aber  derben  Formen  zum  Teil  den  Einfluß  der  Niederlande  und  des  norddeutschen 
Küstengebietes.  Nur  daß  es  meist  reiner  Hausteinbau  ist,  den  die  überall  vor- 
handenen Sandsteinbrüche  des  Landes  begünstigen.  So  scheidet  sich  denn  unser 
Gebiet  gegen  die  nördhche  Gruppe  der  Backsteinbauten  scharf  ab.  Schon  oben 
wurde  bemerkt,  daß  die  Grenze  zwischen  Lüneburg  und  Gelle  hinläuft. 

Celle 

Beginnen  wir  mit  den  fürsthchen  Bauten,  so  hat  Gelle  den  Anspruch,  an 
der  Spitze  der  Betrachtung  zu  stehen.  Das  Schloß  gilt  gewöhnlich  für  einen 
spätgotischen,  von  der  Herzogin  Anna  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  errichteten 
Bau,  mit  angeblich  gleichzeitigen  Renaissanceformen.  Der  Tatbestand  wider- 
spricht dieser  Vermutung,  da  nur  die  noch  völlig  gotische  Schloßkapelle  (1485 
von  Herzog  Heinrich  dem  Mittleren  von  Braunschweig-Lüneburg  gestiftet)  jener 
Zeit  entstammt,  die  vorkommenden  Renaissanceformen  aber  den  von  Ernst  dem 
Bekenner  (seit  1533)  begonnenen  und  nach  seinem  Tode  (1546)  durch  seinen 
Sohn  Franz  Otto  fortgeführten,  durch  Wilhelm  den  Jüngeren  bis  1570  vollendeten 
Neubauten  angehören.  Der  größere  Teil  des  Baues  ist  dann  unter  Georg  Wil- 
helm von  1665—70  durch  den  italienischen  Architekten  Loren zo  Bedogni  aus 
Venedig  und  seinen  Nachfolger  Giuseppe  Arrighini  aus  Brescia  erneuert  worden. 

Am  südwestlichen  Saume  der  Stadt  erhebt  sich  mit  seinen  stattlichen  Massen 
(Abb.  265)  der  ansehnliche  Bau  als  ein  von  Süden  nach  Norden  längeres 
Rechteck,  das  mit  vier  Flügeln  den  geräumigen  Hofraum  umzieht,^)  Die  östliche 
Langseite  wendet  sich  als  Hauptfassade  der  Stadt  zu.  Ehemals  war  das  Ganze 
von  einem  tiefen  Wassergraben  umzogen,  der,  jetzt  ausgefüllt,  mit  dem  präch- 

1)  Womit  nicht  gesagt  sein  soll,  daß  nicht  in  jeder  dieser  Städte  auch  einzelne  Beispiele 
der  anderen  Entwicklungsstadien  sich  fänden.  Ich  zeichne  hier  zunächst  nur  den  bis  jetzt  noch 
nirgends  betonten  Gesamtcharakter  der  Architektur  jener  Hauptorte, 

2)  Aufn.  bei  Ortwein,  Abt.  XXV,  Taf.  1—5. 


Celle  Schloß 


419 


tigen  Park  unmittelbar  verbunden  ist.  Bevor  man  zu  dem  Graben  gelangte,  hatte 
man  auf  beiden  Ecken  zwei  kleine  pavillonartige  vorgeschobene  Bauten  zu  passieren, 
von  denen  der  zur  Rechten  (südlich)  befindliche  bis  vor  kurzem  noch  erhalten 
war.  Das  kleine  einstöckige  Gebäude  mit  den  beiden  originellen  polygonen  Erker- 
ausbauten, die  Fenster  mit  dem  schrägen  Rahmenprofil  und  den  eingelassenen 
Medaillons  in  Renaissance  bezeugten,  daß  wir  es  hier  mit  einem  jener  Bauten  zu 
tun  hatten,  welche  durch  Herzog  Ernst  den  Bekenner  errichtet  wurden. 


Abb.  :!(;.■)   Schloß  in  Celle  Ostseite 


Das  Schloß  selbst  enthält  in  seinem  östlichen  Flügel  die  ältesten  Teile. 
Über  einem  unbedeutenden  Erdgeschoß  erheben  sich  zwei  hohe  Stockwerke  mit 
unregelmäßig  verteilten  Fenstern,  überragt  von  einem  Dachgeschoß  mit  sieben 
Erkern,  deren  originell  behandelte,  halbrunde  abgestufte  Giebel  den  Eindruck  der 
langgestreckten  Fassade  malerisch  beleben.  Die  ganze  Architektur  ist  einfach 
und  trägt  in  den  Rahmenprofilen  der  Fenster  das  Gepräge  der  Frührenaissance. 
Ungefähr  in  der  Mitte  der  Fassade  ist  ein  runder,  oben  ins  Polygon  übergehender 
und  mit  haibranden  Giebeln  abgeschlossener  Turm  vorgebaut.  Hinter  ihm  erhebt 
sich,  wiederum  unregelmäßig  angebracht,  ein  bedeutend  höherer  Dacherker,  gleich 
den  übrigen  abgetreppt  und  mit  halbrunden  Abschlüssen  versehen.  Auf  beiden 
Enden  wird  dieser  Hauptflügel  durch  mächtige  vieleckige  höhere  Pavillons  ein- 
gefaßt, von  denen  der  rechts  befindliche  nördliche  in  der  Barockzeit  umgestaltet 
und  mit  einem  Walmdach  versehen  ist,  der  südliche  aber,  der  den  Chor  der 
Kapelle  enthält,  noch  die  ursprüngliche,  den  übrigen  Teilen  der  Fassade  ent- 
sprechende Architektur  besitzt;  an  den  halbrunden  Giebeln  des  ihn  bekrönenden 
Kuppeldaches  mit  hübsch  gearbeiteten  fürstlichen  Bildnissen  in  Medaillons  ge- 
schmückt. Zwei  stattliche  Bogenportale  dicht  neben  diesen  Türmen,  von  denen 
eines  modern  ist,  führen  ins  Innere;  auch  das  ältere  gehört  trotz  der  Imitation 
früher  Renaissanceformen  in  jetziger  Gestalt  den  später  hinzugefügten  Teilen 
an.  Gleich  den  Einfassungen  der  Fenster  sind  sie  in  Sandstein  ausgeführt, 
während  alles  übrige  einfacher  Puizbau  ist. 


420 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Der  große  Schloßhof  zeigt  nur  im  östlichen  Flügel  Spuren  der  ursprüng- 
lichen Architektur,  namentlich  an  den  beiden  Seitenportalen,  obwohl  man  auch 
hier  spätere  Umgestaltungen  erkennt.  Ein  moderner  Vorbau,  an  dessen  Stelle 
ursprünglich  im  ersten  Stock  ein  offener  Säulengang  lief,  zieht  sich  vor  ihm  hin. 
Reiche  Reste  von  Skulpturen  im  Provinzialmuseum,  insbesondere  prächtige  Relief- 
platten mit  den  Brustbildern  weifischer  Fürsten,  allegorischen  Figuren,  bibhschen 
Helden  und  mit  Wappen  gefüllt,  reden  von  der  einstigen  Pracht  dieser  Hoffront, 
die  man  im  19.  Jahrhundert  traurig  „verschönerte".  In  der  Mitte  tritt  ein  moderner 
großer  polygoner  Treppenturm  vor.  Die  drei  anderen  Flügel  sind  unter  Georg 
Wilhelm  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  in  einfach  derben  Barock- 
formen erneuert  worden.  In  jedem  Flügel  befindet  sich  ein  Doppelportal,  eben- 
falls von  schlichter  Anlage,  nur  das  im  Westflügel  feiner  ausgebildet.  Auf  den 
beiden  äußeren  Ecken  dieses  Flügels  wurden  in  Übereinstimmung  mit  denen  an 
der  östlichen  Fassade  zwei  hohe  polygone  Pavillons  mit  turmartigem  Kuppel- 
dach ausgebaut. 

Im  Inneren,  das  seit  1837  zu  einer  Residenz  der  Könige  von  Hannover  ein- 
gerichtet wurde^  ist  die  Kapelle  eins  der  glanzvollsten  Prachtstücke  unserer 
Renaissance.^)  Sie  erfuhr  bis  1866  eine  sorgfältige  Herstellung  (Abb.  266).  Der 
einschiffige  Bau  mit  seinen  gotischen  Kreuzgewölben  und  polygonem  Chorschluß 
gehört  noch  dem  Mittelalter  an,  aber  die  unvergleichlich  reiche  Ausstattung  und 
Dekoration  wurde  seit  1565  durch  Herzog  Wilhelm  den  Jüngern,  den  Sohn  Emsts 
des  Bekenners,  hinzugefügt.  Auf  kräftigen  Steinkonsolen  über  flachen  Stich- 
bögen erhebt  sich  die  fürstliche  Empore,  mit  Fenstern  vergittert,  deren  runde 
Scheiben  in  vergoldetes  Blei  gefaßt  sind.  An  der  Brüstung'  der  Emporen  sieht 
man  die  Halbfig'uren  der  Apostel  in  bemalten  Steinreliefs,  zwischen  ihnen  an  den 
Pflastern  Engel  mit  Musikinstrumenten.  An  der  Südseite  ist  in  zierlichen  frühen 
Renaissanceformen  die  Kanzel  angebracht,  mit  bemalten  Reliefs  aus  der  biblischen 
Geschichte  und  mit  einer  von  Gold  und  Farben  glänzenden  Ornamentik  bedeckt. 
Der  zierliche  Baldachin  mit  seinem  Netzgewölbe,  von  kleinen  muschelgeschmückten 
Rundgiebeln  bekrönt,  ruht  auf  schlanken  Kandelabersäulchen.  Am  Eingang  die 
Jahreszahl  1565.  An  der  westlichen  Seite  der  Kapelle  sind  zwei  Emporen  auf 
Rundsäulen  eingebaut,  gleich  dem  übrigen  reich  geschmückt.  Sämtliche  Konsolen 
an  den  Brüstungen  der  Emporen  sind  mit  herrlich  gearbeiteten  Köpfen  von  Engeln, 
Frauen  und  Männern  dekoriert.  Sämtliche  Betstühle  endlich  unter  den  Emporen 
und  im  Schiff  der  Kapelle  erhalten  durch  goldene  Ornamente  auf  blauem  Grund 
eine  Teilung,  deren  größere  Felder  mit  Ölgemälden  aus  der  heiligen  Geschichte 
gefüllt  sind.  Denselben  Schmuck  zeigt  der  Altar,  dessen  Hauptbild  eine  große 
Darstellung  der  Kreuzigung  enthält,  während  auf  den  Flügeln  Herzog  Wilhelm 
und  seine  Gemahlin  im  Gebet  kniend  dargestellt  sind.  Inschriftlich  wurde  dies 
Werk  1569  durch  Marten  de  Vos  aus  Antwerpen  ausgeführt.  Die  übrigen  Bilder, 
in  ganzer  Farbenfrische  wohlerhalten,  sind  tüchtige  Arbeiten  desselben  Meisters 
oder  seiner  Werkstatt.  Die  Mitwirkung  der  Niederländer  erstreckt  sich  offenbar  auch 
auf  die  gesamte  Ausstattung  in  Holz,  den  ganzen  Altar,  das  Gestühl,  und  die  reich- 
geschmückte und  mit  innen  wie  außen  bemalten  Flügeln  versehene  Orgel.  Dazu 
kommt  endlich  an  allen  Flächen,  den  Einrahmungen  der  Fenster  und  der  Wendel- 
treppe eine  Bemalung  von  Goldornamenten  auf  blauem  Grunde,  so  daß  eine  un- 
vergleichliche Gesamtwirkung  dies  Meisterstück  der  Polychromie  auszeichnet. 
Die  Gewölbe  haben  seit  der  HersteUung  leider  goldene  Sterne  auf  himmelblauem 
Grunde  erhalten,  während  vorher  reiche  Rankenornamente  ihre  Fläche  bedeckten. 
Von  den  elegant  dekorierten  Schlußsteinen  mit  ihren  goldenen  Kronen  und 


1)  Vgl.  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  3—5. 


Celle   Schloß  421 


Rosetten  hängen  vergoldete  Kugeln,  Täfelchen  und  Schilde  herab,  die  den  höchst 
malerischen  Eindruck  noch  steigern.  Auf  einem  dieser  Täfelchen  die  Jahres- 
zahl 1570. 


Abb.  266   Schloßkapclle  zu  Celle 


Auch  italienische  Künstler  dürften  hier  mitgearbeitet  haben;  insbesondere 
zeigen  verschiedene  plastische  Arbeiten,  so  die  zarten  Ornamente  der  Kassetten- 
decken über  den  oberen  Emporen,  feinste  Ornamente  südlicher  Art. 

In  den  neueren  Flügeln  des  Schlosses  sind  sämtliche  Zimmer  und  Säle  mit 
den  prachtvollsten  Decken  in  meisterhaft  behandelten  Stuckornamenten  geschmückt. 
Es  ist  ein  fabelhafter  Reichtum,  in  den  üppigsten  Formen  des  Barock,  von  Itialie- 
nern  ausgeführt,  von  denen  ein  TornielU  uns  namhaft  gemacht  wird.  Eigenj|,rtig 
sind  die  zahlreich  vorhandenen  eingebauten  Alkoven  mit  reicher  Stuckdekoration, 


422 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


ein  offenbar  französisches  Motiv,  das  auf  den  Kupferstichen  des  J.  Lepautre  so 
häufig  auftritt  und  im  Paris  Ludwigs  XIV.  verbreitet  ist.^) 

Aus  derselben  Zeit  stammt  der  glänzende  innere  Umbau  der  Stadtkirche, 
einer  einfachen  gotischen  Anlage  mit  einem  Chor  aus  dem  Zwölfeck,  die  aber 
im  17.  Jahrhundert  ein  Tonnengewölbe  und  eine  prachtvolle  Stuckdekoration  in 
glänzendster  Spätrenaissance  erhalten  hat. 

Der  Chor  gestaltet  sich  durch  seine  fürstlichen  Prachtgräber  zu  einem 
vollständigen  Mausoleum.  Im  Ghorschluß  zunächst  das  überaus  elegante  Epitaph 
Emsts  des  Bekenners,  nach  seinem  Tode  (1546)  durch  seinen  Sohn  Herzog 
Wilhelm  1576  errichtet.^)  Der  Verstorbene  ist  mit  seiner  Gemahlin  Sophia  (f  1541) 
knieend  in  etwas  steifer  Haltung  vor  einem  Kruzifix  dargestellt,  in  drei  mit 
schwarzem  Marmor  bekleideten  Nischen,  Die  Einfassung  derselben  wird  durch 
korinthische  Säulen  gebildet,  welche  gleich  dem  übrigen  Aufbau  in  weißem 
Marmor  ausgeführt  sind.  Das  Ganze  ist  vom  feinsten  ornamentalen  Reiz,  nament- 
Hch  die  herrlichen  Akanthusfriese.  Die  Bekrönung  wird  in  der  Mitte  durch  ein 
Giebelfeld  mit  Gottvater,  zu  beiden  Seiten  durch  die  Wappen  der  Verstorbenen 
gebildet.  Feine  Vergoldung  hebt  die  Ornamentik  noch  mehr  hervor.  Das  Werk 
gehört  zu  den  elegantesten  Arbeiten,  die  aus  der  Werkstatt  des  Kornelius  Floris 
in  Antwerpen  oder  eines  seiner  Nachfolger  hervorgegangen  sind. 

Noch  weit  prachtvoller,  doch  weniger  fein,  ist  ein  zweites,  reich  vergoldetes 
Marmorepitaph,  das  in  die  nördliche  Chorecke  eingebaut  ist.  Es  enthält  wieder  in 
drei  Nischen  zwischen  korinthischen  farbigen  Marmorsäulen  die  knienden  Figuren 
des  Herzogs  Ernst  (f  1611),  Wilhelm  (f  1592),  sowie  seiner  Gemahlin  Dorothea 
(t  1617)  und  ihres  Sohnes  Christian,  Bischofs  von  Minden.  Auf  den  Ecken  sind 
Tugenden  als  Karyatiden  angebracht,  oben  drei  tabernakelartige  Aufsätze  mit 
biblischen  Reliefs,  bekrönt  von  den  theologischen  Tugenden.  Auch  dieses  präch- 
tige Werk  gehört  einem  niederländischen  Meister  an,  vermutlich  ebenfalls  einem 
Antwerpener.  Die  übrigen  Epitaphien,  namentlich  das  ganz  pompöse  von  schwarzem 
Marmor  an  der  Südseite,  entsprechen  im  Charakter  der  fortschreitenden,  barocker 
Auffassung  sich  nähernden  Renaissance.  Das  größte,  das  des  Herzogs  Christian 
Ludwig,  1649/50  durch  den  Celler  Bildhauer  Jörg  Tribh  gefertigt,  lehnt  sich  in 
seinem  aufwendigen  und  malerischen  Aufbau  noch  an  das  vorher  genannte  eng 
an,  während  die  kleineren  der  Herzöge  Friedrich,  Georg  und  Georg  Wilhelm  dem 
sich  langsam  ändernden  Geschmacke  Rechnung  tragen.  KöstUche  Schnitz- 
arbeiten zeigt  das  Gestühl  im  Chor  ^) ;  der  Hochaltar  endlich  mit  seinen  Gemälden 
und  Schnitzwerken,  die  Orgel  und  die  Kanzel,  sowie  der  zierlich  aus  Marmor 
gearbeitete  Taufstein  vervollständigen  die  Ausstattung  der  Kirche. 

Von  den  städtischen  Bauten  verdient  das  Rathaus  Erwähnung  (Abb.  267). 
Es  ist  ein  einfacher  Langbau,  in  der  Mitte  der  Fassade  durch  eine  originelle,  auf 
zwei  stämmigen  ionischen  Säulen  und  zwei  Halbsäulen  ruhende  Bogenreihe  durch- 
brochen, welche  die  Eingänge  enthält.  Links  im  Erdgeschoß  ein  vorgebauter 
Erker,  rechts  ein  ähnlicher  im  oberen  Stock,  auf  kraftvollen  Konsolen  ruhend 
und  in  einen  Dacherker  auslaufend,  welcher  mit  zwei  andern  den  Bau  malerisch 
belebt.  Die  Seitenfassade  erhält  durch  ihren  hohen,  mit  Pilastern  in  vier  Ord- 
nungen und  mit  geschweiften  Schnecken  und  Obelisken  geschmückten  Giebel 
charaktervolle  Ausbildung.  Es  ist  ein  trefflich  erdachtes  und  meisterlich  durch- 
geführtes Werk  von  prächtiger  Wirkung,  bezeichnet  1579.*) 

1)  Näheres  über  das  Schloß  in:  H.  Siebern,  Das  Königl.  Schloß  in  Celle.  Hannover  1907. — 
E.  Schuster,  Kunst  und  Künstler  in  den  Fürstentümern  Calenberg  und  Lüneburg  1636 — 1727. 
Hannover  1905. 

2)  Aufn.  bei  Ortwein,  a.  a.  0.  Taf.  9. 

3)  Ortwein,  Taf.  8.  4)  Ortwein,  Taf.  6. 


Celle 


423 


Die  Privathäuser  machen  uns  hier  zuerst  mit  dem  aus  den  benachbarten 
Harzgegenden  herübergreifenden  Holzbau  bekannt.  Eine  stattliche  Anzahl  von 
reich  und  mannigfach  entwickelten  Beispielen  bietet  sich  dar.^)  Eines  der 
frühesten  und  zugleich  prächtigsten  Werke,  zweimal  mit  der  Jahreszahl  1532  be- 
zeichnet, sieht  man  in  der  Poststraße,  Ecke  der  Rundstraße.  Die  Schwellen  sind 
noch  in  mittelalterlicher  Weise  mit  einem  spätgotischen,  um  einen  Stab  gewun- 
denen Laubwerk  von  zackiger  Zeichnung  dekoriert.  Dazwischen  aber  flicht  sich 
allerlei  Figürliches, 
burleske  Sittenbil- 
der, Köpfe,  Del- 
phine und  andres, 
zum  Teil  in  ent- 
schiedenen Renais- 
sancemotiven, ein. 
Daneben  in  der 
Poststraße  einHaus 
vom  Jahre  1549  mit 
flachem  Erker,  ein- 
facher behandelt, 
die  Gebälke  rein 
antikisierend,  und 
zwar  mit  eleganten 
Zahnschnitten  und 
Flechtbändern  über 
hübsch  geschnitz- 
tem Konsolenfriese 
geschmückt.  Die 
Inschrift  lautet : 
Daß  dieses  Haus 
aus  Not  und  nicht 
aus  Lust  gebauet, 
weiß  der  so  vori- 
ges hat  jemals  an- 
geschauet.  Dazu 
fügte  man  1701: 
„Non  tentatus  non 
christianus". 

Die  Mehrzahl 

der  Häuser  fällt  bereits  ins  17.  Jahrhundert.  So  ein  kleines  Haus  von  1617  in 
der  Rundstraße  mit  hübschem,  giebelgeschlossenem  Erker,  einem  Muster  zier- 
licher Behandlung.  Die  Ornamentik  durchweg  flaches  Schweifwerk.  In  der- 
selben Straße  an  der  andern  Seite  ein  besonders  elegantes  Häuschen  der  gleichen 
Zeit,  in  strengerem  Geschmack  mit  Zahnschnittfriesen  samt  Eierstab,  Konsolen 
und  Perlschnur  gegliedert.  In  der  Mitte  ein  Dacherker.  Ein  ähnliches  von  gleich 
schöner  Wirkung  vom  Jahre  1640,  mit  zahlreichen  Sprüchen  bedeckt,  sieht  man 
in  der  Straße  hinter  dem  Brauhause.  Wieder  ganz  anders,  sehr  energisch  be- 
handelt, zwei  Häuser  gegenüber  dem  Rathause,  das  eine  von  1617.  Endlich 
ein  hübsch  mit  Konsolenfriesen,  Sprüchen  und  Flachornamenten  geschmücktes 
an  der  Stechbahn. 


Abb.  267  Rathaus  zu  Celle  J5. 


1)  Aufii.  bei  Ortwein,  a.  a.  0.  Taf.  10. 


424 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Schloßbauten 

Zunächst  sind  hier  einige  benachbarte  Schlösser  anzureihen.  Eines  der 
frühesten,  wie  es  scheint,  das  Schloß  zu  Gifhorn,  das  der  dritte  Sohn  Heinrichs 
des  Mittleren  und  Bruder  Ernst  des  Bekenners,  Herzog  Franz  seit  1525  erbaut 
hatte.  Nachdem  er  1539  mit  dem  Amte  Gifhorn  abgefunden  war,  bezog  er  das 
Schloß,  wo  er  1549  starb  und  in  der  Kapelle  beigesetzt  wurde.  Der  unregel- 
mäßig angelegte  Bau  ist  ziemlich  einfach,  in  den  Formen  noch  stark  mittelalter- 
lich. Die  einfachen  Giebel  überall  mit  halbrunden  Endigungen  der  Absätze.  Die 
Kapelle  ist  derjenigen  im  Schloß  zu  Gelle  verwandt^),  hat  Netzgewölbe  und  zwei 
Emporen  von  Stein  übereinander  am  Westende. 

Sodann  das  Graf  Schulenburgsche  Schloß  Wolfs b  urg^),  zwischen  Fallers- 
leben und  Vorsfelde  gelegen,  etwas  späteren  Datums  als  jenes,  auch  durchweg 
einfacher  gehalten,  dem  letzten  Viertel  des  16.  Jahrhunderts  zuzuschreiben.  Von 
einem  herrlichen  Park  umgeben  und  von  einem  Graben  umschlossen,  imponiert 
der  Bau  durch  seine  Größe.  Er  besteht  aus  vier  Flügeln  von  ungleicher  Höhe 
(zwei  gleich  hoch,  die  beiden  andern  niedriger),  die  einen  rechteckigen  Hof  ein- 
fassen. An  der  Hauptfassade  ein  gequadertes  stattliches  Portal  mit  zwei  Krieger- 
figuren, darüber  ein  Wappen.  Die  nicht  hohen  Fenster  an  den  beiden  Hauptflügeln 
in  vier  Geschossen  meist  zu  zweien  gekuppelt;  die  Dächer  von  Giebeln  mit 
malerisch  kräftigem  Umriß  belebt. 

Der  Hof  malerisch,  in  den  Ecken  mit  drei  Treppentürmen  versehen,  die 
hoch  über  das  Dach  emporsteigen;  zwei  davon  rechtwinklig,  der  dritte  polygon. 
Der  letztere  samt  dem  damit  zusammenhängenden  Teil  des  Baues  älter  als  das 
übrige,  da  neben  diesem  Turm  ein  Ausbau  mit  spätgotischen  Fenstern  sich  zeigt, 
während  im  übrigen  nur  Renaissanceformen,  und  zwar  in  schlichter  Behandlung, 
vorkommen.  Einzig  schön  ist  der  uralte  Efeu,  mit  welchem  innen  und  außen  fast 
alle  Wände  des  Schlosses  bewachsen  sind. 

Ungemein  reich  entfaltet  sich  in  der  letzten  Epoche  der  Renaissance  der 
Schloßbau  am  mittleren  Laufe  der  Weser.  Der  Adel  wetteiferte  mit  den  Fürsten 
in  Errichtung  stattlicher  Wohnhäuser,  die  sich  öfters  auf  ebenem  Gelände,  von 
tiefen  Gräben  umzogen,  als  Wasserburgen  darstellen.  Vielleicht  hat  kein  Gebiet 
Deutschlands  eine  solche  Zahl  im  ganzen  noch  wohlerhaltener  Renaissance-Schlösser 
aufzuweisen,  als  dies  anmutige  Flußtal.  Die  Bauten  sind  durchweg  regelmäßig 
angelegt,  entweder  mit  vier  Flügeln  einen  rechteckigen  Hof  umgebend,  oder  huf- 
eisenförmig einen  solchen  einfassend.  Treppentürme  mit  Wendelstiegen  erheben 
sich  mit  ihren  Kuppeldächern  in  den  Ecken  des  Hofes;  Erker  sind  vielfach  aus- 
gebaut und  verleihen  mit  den  zahlreichen  Dachgiebeln  den  Bauten  ein  höchst 
malerisches  Antlitz.  Die  Formen  sind  überall  schon  die  der  Spätzeit,  stark 
geschweift,  mit  vielerlei  geometrischen  Flachornamenten,  wie  jene  Zeit  es  Hebte. 
Das  alles  ist  aber  mit  einer  Sicherheit  gehandhabt,  mit  einer  Virtuosität  des 
Meißels  in  dem  schönen  Sandstein  der  Gegend  vorgetragen,  daß  man  die  ruhig 
sich  entfaltende  und  folgerichtig  fortentwickelnde  Tätigkeit  einer  starken  Provinzial- 
schule  erkennt. 

Ich  beginne  mit  dem  Prachtstück  dieser  Gruppe,  der  großartigen  Hämel- 
scheburg,  eine  Meile  südlich  von  Hameln  an  einem  sanft  ansteigenden  schön 
bewaldeten  Bergzuge  gelegen.^)    Der  stattliche,  ganz  in  Sandstein  aufgeführte 

1)  Vgl.  den  Aufsatz  von  Mithoff  in  der  Zeitschr.  des  Hannov.  Arch.-Ver.  Bd.  X.  S.  68  ff. 
mit  Abbildungen  von  Celle  und  Gifhorn. 

2)  Nach  gef.  Notizen  des  Herrn  Oberbaurat  Mithoff  zu  Hannover. 

3)  Eine  Beschreib,  in  Mithoffs  Kunstdenkm.  im  Hannov.  I  S.  39  ff.  Umfassendere  Aufn. 
in  den  Eelseskizzen  der  polyt.  Schule  zu  Hannover.  1870  fol.  Nach  diesen  ist  unsre  Abb.  ent- 
worfen. Vgl.  auch  Ortwein,  XXVH.  Abt. 


426 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Bau  wurde  von  1588—1612  von  Georg  von  Klencke  errichtet,  dessen  Familie  bis  auf 
den  heutigen  Tag  im  Besitz  des  wohlerhaltenen  Herrensitzes  geblieben  ist.  Das 
Schloß  (Abb.  268)  gruppiert  sich  in  Hufeisenform,  zum  Teil  noch  von  dem  alten 
Burggraben  umgeben,  um  einen  Hof  von  über  40  Metern  Länge  und  33  Metern 
Breite.  Der  Zugang  liegt  an  der  östHchen  offenen  Seite  des  Hofes,  wo  eine  feste 
Steinbrücke,  vorn  mit  einem  prachtvollen  Bogen  geschlossen,  über  den  Graben 
führt.  Ein  zur  Rechten  sich  ausbreitender  Teich  gibt  im  Verein  mit  reichen  Baum- 
gruppen dem  Ganzen  eine  erhöhte  malerische  Wirkung.  An  der  offenen  östlichen 
Seite  schließt  eine  mächtige  Futtermauer  mit  Strebepfeilern  den  Hof  ein.  Links 
von  der  Brücke  ist  das  erhöhte  Gelände  zu  einer  Gartenterrasse  verwendet.  Hat 


Abb.  269  Erdgeschoßgrundriß  des  Schlosses  Bevern 

man  die  Brücke  passiert,  so  breitet  sich  dem  Eintretenden  gegenüber  der  lang- 
gestreckte westliche  Flügel  mit  drei  hohen  Giebeln  aus,  von  dessen  Enden  südlich 
und  nördlich  im  rechten  Winkel  zwei  kürzere  Flügel  vorspringen.  In  die  Ecken 
sind  zwei  polygone  Treppentürme  gelegt,  beide  durch  reiche  Portale  ausgezeichnet, 
der  südliche  etwas  größer  und  stattlicher.  Der  nördliche  Flügel  ist  der  ältere, 
seine  Architektur  die  feinere  und  elegantere,  seine  Stockwerkhöhe  bedeutender, 
die  Verhältnisse  deshalb  schlanker  und  ansprechender.  Bezeichnend  ist  namentlich 
die  Architektur  der  Fenster,  welche  durchweg  gekuppelt  sind,  mit  vortretenden 
Säulchen  eingefaßt,  im  hohen  Erdgeschoß  schlanke  ionische,  im  oberen  Stockwerk 
und  den  Dacherkern  kürzere  korinthische.  Es  ist  die  an  den  meisten  gleichzeitigen 
Bauten  jener  Gegend,  insbesondere  in  Hameln,  herrschende  Behandlung,  und 
wahrscheinlich  hat  man  von  dort  den  hier  tätigen  Meister  berufen. 


Hämelscheburg 


427 


Die  übrigen  Teile  des  Schlosses  verraten  eine  andere  Behandlung,  kürzere 
Verhältnisse,  derbere  Formen,  aber  ungemein  prachtvolle  Durchführung.  Alles 
wird  von  energischen  Pilastern  eingefaßt;  diese  sowie  das  ganze  Mauerwerk  bis 
zur  Spitze  der  zahlreichen  hohen  Giebel  und  Dacherker  mit  den  breiten  hori- 
zontalen Bändern  geschmückt,  welche  durch  die  beliebten  Sternmuster  und  andere 
kristallinische  Ornamente  zu  glanzvoller  Wirkung  gebracht  sind.  Dadurch  be- 
kommt die  Architektur  den  Charakter  einer  massigen  malerischen  Derbheit,  der 
sich  besonders  an  der  Außenwand  des  westlichen  Flügels  und  noch  mehr  an  der 
des  südlichen  ausspricht,  die  sich  über  einer  gewaltigen  Futtermauer  erhebt. 
Diese  Behandlungsweise,  die  wir  in  Öls,  Danzig,  Lübeck,  insbesondere  aber  in 


Abb.  270   Schloß  Bevern 
(Phot.  Müller,  Holzminden) 

Bremen  in  ganz  verwandter  Weise  fanden,  bildet  einen  gemeinsamen  Zug  in  der 
Spätrenaissance  des  nördlichen  Deutschlands.  Dazu  kommen  zahlreiche  ähnlich 
durchgeführte  Portale,  verschiedene  Erker  an  den  äußern  und  Innern  Fassaden,  die 
aber  überall  nur  dem  hohen  Erdgeschoß  angehören  und  auch  dadurch  diesem 
seine  hervorragende  Bedeutung  sichern.  Die  zahlreichen  hohen  Dachgiebel,  die 
aufgesetzten  Kamine,  das  alles  in  kräftigen  Schweifformen  dekoriert,  sodann  die 
originellen  Wasserspeier  vollenden  den  malerischen  Eindruck  des  mächtigen  Baus. 

Einer  besonderen  Anlage  ist  noch  zu  gedenken,  die  nicht  bloß  künstlerisch 
anziehend  wirkt,  sondern  auch  einen  wertvollen  Beitrag  zur  Kulturgeschichte 
jener  Tage  gewährt.  Links  in  der  südwestlichen  Hofecke  neben  dem  Treppen- 
turm, zugleich  in  Verbindung  mit  den  Eingängen  zur  Küche  und  zum  Schloß- 
keller, ist  die  sogenannte  Pilgerlaube  angebracht:  eine  offene  reichgeschmückte 
Halle,  in  welcher  die  Pilger  und  Armen  aus  einer  direkt  auf  die  Küche  mündenden 
Ausgabeöffnung  allzeit  Speise  und  Trank  erhielten.  Unter  der  Öffnung  zieht  sich 
auf  Konsolen  tischartig  eine  Steinplatte  hin,  Bänke  zum  Ausruhen  sind  an  den 
Seitenwänden  angebracht.  Noch  bis  in  unsere  Zeit  wurde  von  der  Schloßherr- 
schaft diese  alte  schöne  Sitte  geübt. 

Das  Innere  des  Baues  hat  in  der  Einteilung  und  Ausstattung  vielfach  Ver- 
änderungen erfahren;  nur  eine  Anzahl  von  Kaminen  in  demselben  reichen  Schweif- 
stil gehören  der  ursprünglichen  Bauzeit  an. 


428 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Die  nach  dem  Flusse  zu  liefer  liegenden  Stallungen  sind  in  einfacher,  doch 
sehr  wirkungsvoller  Weise  dem  Schloßbau  entsprechend  durchgebildet.  Ihre  der 
Dachlinie  folgenden  Steingiebel  sind  von  Gesimsen  durchschnitten  und  an  den 
Rändern  mehrfach  mit  Kugeln  und  hornartigen  Auswüchsen  besetzt;  den  Abschluß 
bildet  ein  kleiner  Dreiecksgiebel. 

Eine  ähnliche  Anlage,  nur  in  kleineren  Maßen  und  minder  prächtig  aus- 
geführt, ist  das  Schloß  Schwöbber,  1574  von  Hilmar  von  Münchhausen  be- 
gonnen, i)  Auch  hier  ein  hufeisenförmiger  Grundriß  mit  zwei  polygonen  Treppen- 
türmen in  den  Ecken.  Der  älteste  ist  der  westliche  Flügel,  an  den  sich  dann 
der  1588  vollendete  Südflügel  anschloß,  während  der  nördliche  erst  1602  auf- 
geführt wurde.  Auch  hier  die  hohen  Giebel ,  die  auf  Konsolen  ausgebauten 
Erker,  die  zahlreichen  Dacherker,  in  den  Formen  besonders  am  jüngsten  Flügel 
den  Arbeiten  von  Hämelscheburg  verwandt.  Der  ehemalige  Wassergraben  ist 
zum  Teil  erhalten  und  breitet  sich  an  der  Nordseiie  zu  einem  Teich  aus,  der  in 
Verbindung  mit  den  prächtigen  alten  Linden,  aus  welchen  die  zahlreichen  Giebel 
hervorschauen,  den  malerischen  Reiz  des  Ganzen  erhöht.  Auch  hier  finden  sich 
im  Innern  zahlreiche,  tüchtig  gearbeitete  Kamine.  Leider  ist  der  stattliche  Nordbau 
vor  einigen  Jahren  abgebrannt  und  wohl  jetzt  beseitigt. 

Weiter  ist  das  ebenfalls  als  Wasserburg  erbaute  Schlößchen  Hülsede  bei 
Lauenau  zu  nennen     das  indes  seinen  Hauptteilen  nach  älter  ist,  da  es  1529 — 48 

er  baut  wurde.  Wäh- 
rend diese  Teile 
noch  mittelalter- 
liche Formen  zei- 
gen, ist  der  in  der 
südöstlichen  Ecke 
angelegte  Treppen- 
turm samt  der  rei- 
chen sich  an  ihn 
schließenden  offnen 
Galerie  1589  von 
Hermann  von  Men- 
gersen in  ausgebil- 
deten Renaissance- 
formen hinzuge- 
fügt worden.  Das 
Schloß  weicht  von 
den  oben  genann- 
ten darin  ab,  daß  es 
sich  mit  vier  Flü- 
geln um  einen  ge- 
schlossenen Hof- 
raum gruppiert.  Im 
Innern  auch  hier 
noch  mehrere  alte 
Kamine. 

An  der  Weser 
ist     sodann  als 

1)  Aufn.  bei  Ort- 
wein, Abt.  XII,  Heft  3. 

Abb.  271   Schloß  Bovern   Hofseite  Mithoff,  a.  a.  0.  S.  167. 

(Phot.  Müller,  Ilolzininden)  ^)  Ebenda  S.  105. 


Schlösser  an  der  Weser 


429 


einfaches  quadratisches 
Wasserschloß,  oline  Gie- 
bel, doch  mit  mehreren 
Treppentürraen,  Schloß 
Hehlen  zu  nennen. 
Wichtiger,  und  durch  eine 
neuerdings  erschienene 
Aufnahme^)  allgemein  be- 
kannt, Schloß  Bevern, 
eine  Stunde  von  Holz- 
minden in  einem  schön 
belaubten  Waldtal  ge- 
legen. Es  wurde  durch 
Statius  von  Münchhausen 
seit  1603  in  neun  Jahren 
mit  großem  Aufwand  aus- 
geführt und  ist  als  eins 
der  durchgebildetsten 
Werke  dieser  Spätzeit  zu 
bezeichnen.  Rings  von 
tiefem  Graben  umzogen, 
gruppiert  es  sich  mit  vier 
Flügeln  um  einen  fast 
quadratischen  Hof  von 
etwa  30  Metern  Ausdeh- 
nung. In  der  Ecke  links 
vom  Eingang  erhebt  sich 
ein  polygoner  Treppen- 
turm,   in    der  diagonal 

gegenüberliegenden  Ecke  ein  zweiter.  Die  innere  Einteilung  (Abb.  269)  ist  durch 
die  Umwandlung  in  eine  Korrektionsanstalt  wesenthch  gestört;  doch  zeigt  die 
Kapelle  die  in  den  Schloßbauten  der  evangehschen  Fürsten  seit  Torgau  und  Dresden 
eingebürgerte  Form  des  einfachen  Rechtecks.  Die  Architektur  (Abb.  270—272) 
hat  Verwandtschaft  mit  der  von  Hämelscheburg,  besonders  in  der  Ausschmückung 
der  zahlreichen  Portale  und  den  barockgeschweiften  Giebeln  der  Dächer  und  der 
Dacherker.  So  wenig  diese  Werke  im  Stil  auf  Reinheit  Anspruch  machen  können, 
so  bedeutend  wirken  sie  doch  durch  die  malerische  Anlage,  den  Reichtum  und 
die  naturwüchsige  Frische  der  Ausführung.  Auch  hier  spielen  die  mit  Kristall- 
schnitten verzierten  Quaderbänder  eine  Hauptrolle. 


Abb.  272   Portale  von  Schloß  Bevern 
(Phot.  Müller,  Holzminden) 


Fürstliche  Bauten 

Bedeutende  Werke  der  Renaissance  sind  nun  auch  von  den  Herzögen  von 
Braunschweig- Wolfenbüttel  zu  verzeichnen.  Der  wilde  Heinrich,  der  geschworene 
Feind  der  Reformation,  war  freilich  kein  Mann  der  friedlichen  Bestrebungen,  der 
Förderung  von  Kunst  und  Wissenschaft.  Aber  als  er  1568,  zuletzt  noch  zum 
Luthertum  übergetreten,  im  hohen  Alter  starb,  folgte  ihm  sein  Sohn,  der  treff- 
liche, friedfertige  und  gelehrte  Herzog  Julius,  einer  der  besten  Fürsten  der  Zeit, 
gleich  dem  Herzog  Christoph  von  Württemberg  in  der  Schule  des  Leidens  auf- 
gewachsen. In  jeder  Weise  bemüht,  den  Wohlstand  seines  Landes  zu  fördern, 
Handel  und  Industrie  zu  heben,  zog  er  fremde  Handwerker  ins  Land,  begabte  sie 

1)  Ortweins  deutsche  Eenaiss.  IV.  Abt.  von  B.  Liebold. 


430 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersaclisen 


mit  besonderen  Freiheiten,  vergrößerte  Wolfenbüttel  durch  die  Anlage  einer  Julius- 
stadt, baute  und  verbesserte  die  Landstraßen,  machte  die  Flüsse  schiffbar  und 
war  ein  so  guter  Haushalter,  daß  er  bei  seinem  Tode  (1589)  vier  Millionen  im 
Staatsschatz  hinterließ.  Die  Wissenschaften  förderte  er  durch  Gründung  der  Uni- 
versität Helmstedt  1576.  Sein  Sohn  Heinrich  Julius  (1589—1613)  trat  in  die 
Fußtapfen  seines  Vaters,  den  er  in  gelehrter  Bildung  noch  übertraf.  Schon  im 
zwölften  Lebensjahre  übernahm  er  das  Rektorat  der  Universität,  wobei  er  durch 
lateinische  Reden  aus  dem  Stegreif  seine  Zeitgenossen  in  Erstaunen  setzte.  Das 
römische  Recht  führte  er  im  Lande  ein,  die  Wissenschaften  pflegte  er  eifrig,  be- 
sondere Gunst  schenkte  er  der  Entwicklung  des  Schauspiels,  wie  er  denn  be- 
kanntlich selbst  eine  Anzahl  von  Tragödien  und  Komödien  geschrieben  hat.i) 
Prachtliebend  und  baulustig  wandte  er  auch  den  bildenden  Künsten  seine  Teil- 
nahme zu,  ja  zu  mehreren  von  ihm  aufgeführten  Schlössern  soll  er  selbst  die 
Zeichnungen  entworfen  haben. 

Unter  seiner  Regierung  (von  1593—1612)  ist  der  großartige  Bau  entstanden, 
welcher  ehemals  in  Helmstedt  die  Universität  aufnahm  und  noch  jetzt  als 
Juleum  bezeichnet  wird.  Als  Baumeister  ist  in  den  Akten  des  Landesarchivs 
zu  Wolfenbüttel  Paul  Francke  genannt,  der  schon  unter  Herzog  Julius  als  solcher 
tätig  war,  nachmals  die  ansehnliche  Marienkirche  zu  Wolfenbüttel  entwarf  und 
großenteils  vollendete.  Er  starb  1615  im  Alter  von  77  Jahren  als  herzoglicher 
Baudirektor.  Daß  er  zu  den  hervorragendsten  Meistern  unserer  Renaissance  ge- 
hört, wird  die  Betrachtung  seiner  beiden  großartigen  Schöpfungen  dartun. 

Das  Juleum  ist  ein  mächtiger  Bau,  etwa  40  Meter  lang  bei  12  Meter  Tiefe, 
durch  die  bedeutenden  Verhältnisse,  die  enormen  Stockwerkhöhen,  die  reiche 
Pracht  der  Ausführung  in  einem  noch  mäßig  barocken  Renaissancestil  imposant 
wirkend.^)  Gewaltig  hohe,  mit  Säulenstellungen  und  Statuen  geschmückte  Giebel 
zieren  den  Bau  von  allen  Seiten  nach  außen  gegen  die  Straße  (Abb.  273),  an 
beiden  schmalen  Enden,  sowie  an  der  Innern  Hofseite.  Bei  letzterer  wird  auf- 
fallenderweise der  mittlere  Giebel  durch  den  gleichzeitig  vorgelegten  polygonen 
Treppenturm  größtenteils  verdeckt.  Dem  ungewöhnlich  hohen  Erdgeschoß  ent- 
spricht ein  nicht  minder  bedeutendes  oberes  Stockwerk,  beide  durch  riesige  Fenster 
mit  steinernen  Stäben,  unten  vierteihg,  oben  dreiteilig,  erhellt.  Die  Einteilung 
dieser  Fenster,  unten  mit  hineingezeichneten  Kreisen,  oben  mit  andern  willkür- 
licheren Formen  erscheint  als  eine  neuzeitliche  Übersetzung  gotischen  Maßwerkes. 
Dagegen  ist  die  Komposition  der  Portale  und  die  reiche  Gliederung  der  Flächen 
in  den  acht  hohen  Giebeln  des  Gebäudes  eine  völlig  durchgebildete  Renaissance, 
etwa  dem  Stil  des  Friedrichsbaues  zu  Heidelberg  entsprechend;  jedenfalls  mit 
süddeutschen  Anklängen,  insbesondere  Anlehnungen  an  Wendel  Dietterleins  Werk. 
Auf  den  Absätzen  der  Giebel  stehen  kühn  bewegte  Figuren  von  Kriegern  und 
beleben  mit  ihren  Hellebarden  den  Umriß  prächtig.  Auf  dem  Gipfel  jedes  Giebels 
sieht  man  Statuen  von  Tugenden.  Sämtliche  architektonischen  Glieder  und  Orna- 
mente, Gesimse,  Ecken  und  Einfassungen  sind  in  Sandstein  ausgeführt,  die 
Flächen  dagegen  verputzt. 

In  das  untere  Geschoß,  das  zu  vier  Fünfteln  einen  einzigen  großen  Saal, 
die  Aula,  ausmacht,  mündet  rechts  neben  dem  Turm  ein  überreiches  triumph- 
bogenartiges Portal,  mit  vier  ionischen  Säulen  eingefaßt  und  von  einer  hohen 
Attika  bekrönt,  mit  Statuen  und  Rehefs  geschmückt.  Ein  kleineres,  aber  nicht 
minder  elegantes  führt  in  das  Stiegenhaus.^)  (Bd.  1,  Abb.  117.)  Der  Turm  erhält 

1)  Vgl.  Bd.  I,  s.  9. 

2)  Die  historischen  Notizen  verdanke  ich  Herrn  Lehrer  Th.  Voges  in  Wolfenbüttel.  Vgl. 
die  Aufn.  bei  Ortwein.  XXXII.  Abt.  von  C.  Krämer. 

3)  Ortwein  Taf.  2,  6. 


Helmstedt 


431 


Abb.  273  Universität  zu  Helmstedt 


durch  eine  auf  mächtigen  Konsolen  ruhende  Galerie  eine  wirksame  Bekrönung. 
Darüber  steigt  das  geschweifte  Kuppeldach  auf,  und  eine  schlanke  Spitze  über 
einer  Laterne  bildet  den  Abschluß. 

Im  Innern  wird  der  große  Saal  der  Aula  in  der  Mitte  durch  Bogenstellungen 
auf  drei  kräftigen  Pfeilern  geteilt,  die  höchst  originell  in  einer  derben  Rustika 
mit  Rosetten  und  Quadern  behandelt  sind  (Abb.  274).  Diese  Pfeiler  ruhen  auf 
großen  Löwenkrallen  über  kraftvoll  behandelten  Stylobaten.  Zwei  Riesenfenster 
an  der  westlichen  Schmalseite,  zwei  an  der  südlichen  und  vier  an  der  nördlichen 


432 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel   Nie  der  Sachsen 


Langseite  geben  dem  Raum  ein  reiches  Licht.  An  der  östlichen  Schmalseite  führt 
eine  Tür  in  einen  kleineren  Nebenraum.  Die  Schlußsteine  der  etwas  gedrückten 
Korbbögen,  auf  denen  die  Balkendecke  ruht,  sind  in  meisterhafter  Weise  durch 
herabhängende  Zapfen  mit  Köpfchen,  Früchten  und  anderem  Ornament  dekoriert. 
An  der  Westseite  des  Saales  auf  einer  Estrade  von  drei  Stufen  erhebt  sich  das 
Katheder,  freihch  nicht  mehr  in  ursprünglicher  Form.  Die  Abmessungen  des  Saales 
sind  fast  30  Meter  Länge  bei  12  Meter  Breite  und  etwa  71/2  Meter  Höhe. 


Abb.  274   Aula  der  Universität  zu  Helmstedt 


Die  außen  angebrachte  Wendeltreppe  führt  za  dem  oberen  Geschoß  in  den 
großen  Bibliotheksaal,  welcher,  fast  40  Meter  lang,  die  ganze  Fläche  des  Gebäudes 
einnimmt.   Seine  innere  Einrichtung  bewahrt  nichts  mehr  von  der  früheren  Anlage. 

Drei  selbständige  Flügel,  in  einiger  Entfernung  von  dem  Hauptbau  recht- 
winklig vorspringend,  schließen  den  südwärts  sich  ausdehnenden  Hof  hufeisen- 
förmig ein.  Sie  sind  ganz  kunstlos,  im  obern  Geschoß  nur  aus  Fachwerk  errichtet, 
jeder  mit  einem  polygonen  Treppenturm,  der  östliche  mit  einem  Barockportal, 
von  Greif  und  Löwen  bewacht.  Der  östliche  Flügelbau  hat  von  der  Straße  aus 
seinen  Zugang  durch  ein  kräftig  behandeltes  Hauptportal,  von  Hermen  eingefaßt, 
die  Polster  statt  der  Kapitelle  auf  dem  Kopfe  tragen.  Die  ganze  Anlage  ist  eine 
Schöpfung  von  hohem  Werte,  das  einzelne  am  Hauptgebäude  mit  voller  Meister- 
schaft durchgebildet,  fein  und  scharf  zu  energischer  Wirkung  gebracht. 

Von  demselben  Meister  rührt  ein  zweiter  großartiger  Bau,  die  Marien- 
kirche in  Wolfenbüttel,  1604  unter  Herzog  Heinrich  Julius  vorbereitet  und 
seit  1608  begonnen,  sodann  unter  seinem  Sohn  und  Nachfolger  Friedrich  Ulrich 
seit  1613  weitergeführt.  Im  Jahre  1615  starb  Paul  Francke,  „dreier  Herzöge  zu 
Braunschweig  gewesener  Baudirektor,  so  diese  Kirche  durch  seine  Invention  er- 
bauet".^) Nach  seinem  Tode  führten  Joh.  Meyer  und  Joh.  Langentuddeke  den  Bau 

1)  Inschrift  auf  dem  Grabstein  ina  südl.  Seitenschiff  der  Kirche. 


Wolfenbüttel 


433 


fort.  Bis  1613  war  der  Chor  vollendet,  bis  1616  die  Sakristei  aufgeführt,  bis  1623 
arbeitete  man  am  Kirchendach,  nachdem  seit  1619  die  ersten  Giebel  an  der  Nord- 
seite aufgerichtet  worden  waren.  Zugleich  wurde  die  große  Orgel  erbaut  und  1621 
die  Kanzel  aufgestellt,  ein  Werk  des  Bildhauers  Geoyg  Steyger  aus  Quedlinburg. 
Der  Hauptaltar  ward  1623  durch  den  Bildschnitzer  Burckhard  Diedrich  aus  Frei- 
berg vollendet.  Während  der  Wirren  des  Dreißigjährigen  Krieges  erlitt  der  Bau 
eine  Unterbrechung,  so  daß  erst  unter  Herzog  August  dem  Jüngeren  von  1656—60 
die  letzten  Giebel  an  der  Südseite  aufgerichtet  wurden.  Die  jetzige  Turmspitze, 
ein  häßliches  Werk  von  schwachen  Verhältnissen  und  Formen,  datiert  von  1716 
und  später. 


Abb.  275   Marienkirche  zu  Wolfenbüttcl 
(Aus:  Roß,  Malerische  Monumentalarchitektur  aus  Hannover  und  Braunschweig) 


Der  Bau  ist  ein  vollständiges  Kompromiß  zwischen  Mittelalter  und  Re- 
naissance: gotisch  in  Grundriß,  Aufbau  und  Konstruktion,  in  Anlage  der  Pfeiler, 
Gewölbe  und  Fenster,  während  die  künstlerische  Ausbildung  des  Einzelnen  mit 
der  gesamten  Ornamentik  dem  neuen  Stil  angehört.  Und  zwar  tritt  dieser  in 
der  üppigen  Art  der  Spätzeit  auf,  ist,  wie  bemerkt,  bei  Paul  Francke  stark  von 
W.  Dietterlein  beeinflußt,  dagegen  durchaus  frei  von  niederländischem  Einfluß. 
Lübke-Haupt,  Renaissanc3  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  28 


434 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Die  Planform  zeigt  eine  dreischiffige  Hallenkirche  von  breiter  Anlage,  das  11  Meter 
weite  Mittelschiff  durch  sechs  achteckige  Pfeiler  von  den  6V2  Meter  breiten  Seiten- 
schiffen getrennt,  östlich  ein  Querschiff  von  36,5  Meter  Länge,  dann  ein  kurz 
vorgelegter,  aus  dem  Achteck  geschlossener  Chor,  am  Westende  ein  viereckiger 
Turm  ins  Mittelschiff  eingebaut,  die  gesamte  innere  Länge  70  Meter. 

Am  frappantesten 
wirkt  das  Äußere  (Abb. 
275).  Der  seltsame 
Mischstil  erreicht  hier 
eine  Pracht  der  Aus- 
führung, eine  Energie 
der  Behandlung,  wel- 
che dem  Werke  den 
Stempel  der  Meister- 
schaftaufprägt. In  das 
hohe  Dach  des  Mittel- 
schiffs stoßen  im  rech- 
ten Winkel  die  fünf 
Querdächer  jedes  Sei- 
tenschiffs und  das 
höhere  und  breitere 
Dach  der  Kreuzarme, 
diese  alle  mit  hohen, 
reich  gezierten  Gie- 
beln, die  sich  über  dem 
kräftigen,  durchlau- 
fenden Hauptgesimse 
erheben,  den  Bau  zu 
malerischer  Wirkung 
abschließend.  Die 
bunte  Phantastik  die- 
ser Giebel,  ihre  Be- 
lebung durch  ionische 
und  korinthische  Säu- 
lenstellungen mit  Ge- 
bälken  und  eingerahm- 
ten Nischen,  der  le- 
bendige Umriß  mit 
seinen  phantastisch 
geschweiften  Hörnern 
und  Schnecken,  die 
völlige  Belebung  der 
Flächen  durch  Frucht- 
schnüre, Blumenge- 
winde,   Masken  und 

andern  figürHchen  Schmuck  stehen  in  ihrer  zum  Teil  barocken  Pracht  unüber- 
troffen da.  Kraftvoll  ist  auch  die  Architektur  der  unteren  Teile.  Die  Wandflächen 
sind  an  allen  Ecken  mit  derben  Quadern  eingefaßt,  die  durch  ornamentale  Linien- 
spiele, Drachen-  und  andere  Tierfiguren  völlig  bedeckt  sind. 

In  derselben  Weise  hat  man  die  Einfassungen  der  Fenster  ausgebildet.  Im 
übrigen  zeigen  die  Fenster  die  gotische  Konstruktion  und  ziehen  sich,  durch  zwei 
Stäbe  geteilt,  in  der  bedeutenden  Höhe  von  etwa  12  Metern  bis  unter  das  Dach- 


Abb.  27()  Westportal  der  Marienkirche  zu  Wolfcnbüttel 


Wolfenbüttel  Marienkirche 


435 


gesimse  hinauf,  wo  sie  im  Spitzbogen 
schließen.  Am  merkwürdigsten  ist  aber 
das  Maßwerk  behandelt :  aus  den  korin- 
thischen Kapitellen  der  Teilungsstäbe 
schwingt  es  sich  in  freier  Bewegung, 
nach  Art  der  Renaissance  aus  Laub- 
büscheln zusammengesetzt  und  mit  man- 
cherlei figürlichem  Schmuck  versehen, 
in  bizarrer  Phantastik  empor,  eine  ge- 
niale Travestie  des  gotischen  Maßwerks. 
Am  Querschiff  sind  kürzere  und  schma- 
lere Fenster,  je  zwei  neben-  und  über- 
einander angebracht.  Auch  die  Strebe- 
pfeiler sind  der  Gotik  entnommen,  aber 
in  der  Absicht,  sie  ebenfalls  zu  antiki- 
sieren, hat  der  Künstler  sie  zu  verjüng- 
ten Pfeilern  mit  dorischem  Kapitell  um- 
gestaltet, die  unorganisch  genug  Statuen 
der  Apostel  tragen  und  dem  Baue  an- 
gelehnt erscheinen.  Verknüpft  werden 
sie  diesem  nur  durch  das  kraftvolle 
Sockelgesims  und  ein  in  halber  Höhe 
umlaufendes  prächtiges  Friesband,  das 
Engelköpfe,  Früchte,  Blumen  und  Blätter 
schmücken  und  füllen. 

Die  beiden  Portale  an  der  Nord- 
und  Südseite  sind  in  Rustika  ausgeführt, 
an  den  Seiten  mit  Sitznischen  ausge- 
stattet und  mit  glatten  ionischen  Säulen 
eingefaßt,  die  das  Gebälk  samt  dem  Gie- 
bel tragen.  Zur  höchsten  Pracht  entfal- 
tet sich  das  Hauptportal  an  der  West- 
front (Abb.  276),  triumphbogenartig  mit 
dreifach  gruppierten  korinthischen  Säu- 
len eingefaßt,  Ijeiderseits  Nischen  mit  Sta- 
tuen. Über  dem  mittleren  Bogen  erhebt 
sich  eine  hohe  Attika,  nach  Art  gotischer 
Wimperge  das  dahinter  liegende  Fenster 
halb  verdeckend.  Die  Komposition  des 
Ganzen  ist  energisch,  flüssig  und  von 
hohem  Reiz ;  die  Einzelformen,  nament- 
lich die  zusammengedrückten  Schnecken, 
deuten  schon  auf  ziemlich  späte  Zeit  der 
Ausführung.  Wie  lange  hier  noch  gebaut 
wurde,  beweisen  die  Jahreszahlen  1657 
und  1658  an  den  Giebeln  der  Südseite. 
Anstatt  des  vorhandenen  unerfreulichen 
Turmaufbaues  war  ein  viel  höherer  acht- 
eckiger geplant.  Ich  gebe  den  ursprünglichen  Plan  des  Baumeisters  ^),  der  uns  eine  der 
glücklichsten  Turmkompositionen  der  Renaissancezeit  vorführt,  in  Abb.  277  wieder. 

1)  Aus  M.  Grosky,  Arbustum  Augustaeum,  wo  auch  das  Innere  der  Kirche  in  ausgeführtem 
Stich  dargestellt  ist. 


Abb.  277  Marienkirche  zu  Wolfenbüttel 
Ursprünglicher  Plan 


436 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Im  Inneren  (Bd.  I,  Abi).  153)  zeigt  sich  ein  Hallenbau  von  lichter  Weite  und 
schönen  Verhältnissen,  durch  die  hohen  Fenster  reich  beleuchtet.  Aber  auch  hier 
sind  die  gotischen  Konstruktionen  in  Renaissanceformen  übersetzt.  Namenthch 
gilt  das  von  den  achteckigen  Pfeilern.  Sie  sind  auf  hohe  Sockel  gestellt  und 
mit  zwei  Friesen  von  Engelköpfen  und  Blumen  gegürtet.  Auf  originelle  Weise 
(Abb.  278)  wird  am  oberen  Ende  durch  vortretende  Konsolen  der  Übergang  ins 

Viereck  und  in  die  breiten  Gurtbögen  der 
Gewölbe  vermittelt.')    Die  Bekronungen 
oder  Kapitelle,  die  sich  hier  bilden,  er- 
halten in  großer  Mannigfaltigkeit  reichen 
Schmuck  durch  Blattwerk,  durch  aus- 
gebogene Schilder  im  bekannten  Leder- 
und  Metallstil,  durch  Früchte,  Engelköpfe 
und  anderes  figürliche  Beiwerk,  doch  alles 
zusammen  von  ganz  ausgezeichneter  und 
höchst    selbständiger  Erscheinung  und 
Wirkung.  Auch  die  Gewölberippen  sind, 
wie  man  aus  unserer  Abbildung  sieht, 
durch  antike  Eierstäbe   eingefaßt  und 
haben  in  der  Mitte  eine  vorgesetzte  Perl- 
schnur. In  den  Wänden  der  Seitenschiffe 
entsprechen  den  Pfeilern  große  Kragsteine 
von  ähnlich  reicher  Behandlung.  In  der 
Turmhalle  sieht  man  ein  gotisches  Netz- 
gewölbe mit  reich  ausgebildetem  herab- 
hängenden  Schlußstein    von  ähnlichen 
Formen.  Noch  ist  zu  bemerken,  daß  die 
Seitenflügel  des  Ouerschiffes  rechts  als 
fürsthche  Gruft,  links  als  Sakristei  vom 
Hauptraum  abgetrennt  sind.  Die  Wirkung 
des  Inneren  wird  durch  die  geschickt  er- 
neuerte Bemalung  in  glücklicher  Weise 
gesteigert.     Die  Empore  im  südUchen 
Schiff  mit  gemalter  Brüstung  auf  korin- 
thischen Holzsäulen  gehört  zur  ursprüng- 
lichen Einrichtung. 

Ein  statthches  Werk  ist  der  holz- 
geschnitzte Hochaltar,  freilich  schon 
stark  barock  und  ins  Hochmalerische  getrieben.  In  der  Predella  das  Abendmahl, 
an  den  Seiten  Christus  in  Gethsemane  und  durch  Pilatus  dem  Volke  vorgeführt, 
darüber  die  Kreuzabnahme  und  endlich  ein  großer  Kruzifixus,  letzterer  von  edlen 
Formen  bei  maßvollem  Ausdruck,  wenn  auch  etwas  zu  gestreckt.  Zu  den  Seiten 
des  Altars  über  den  beiden  offenen  Durchgängen  zwei  manierierte  Engel  mit  den 
Leidenswerkzeugen.  Aus  früherer  Zeit  stammt  das  Taufbecken,  em  treff- 
licher Messingguß,  inschrifthch  1571  auf  Befehl  des  Herzogs  Julius  von  Kurt 
Menten  dem  Älteren  gegossen,  die  schöne  Gesamtform  noch  in  gotischer  Weise 
profiliert,  fein  gegliedert  und  mit  figürlichem  Ornament  und  Reliefs  bedeckt. 
Das  prächtic^e  Eisengitter  mit  ornamentierten  messingenen  Einsatzfeldern  und 
wappenhaltenden  Engeln  ist  von  1622.  Ein  herrliches  Gitter  mit  vergoldeten 
Rosetten  und  frei  behandelten  Blumen  findet  sich  auch  an  der  Treppe  zur  Fürsten- 


Abb.  278   Pfeilerkapitcll  von  der  Marienkirche 
zu  VVolfenbüttel 


1)  Die  Abb.  nach  einer  Zeichnung  des  Herrn  Voges. 


Wolfenbüttel  Braunschweig 


437 


gruft.  Reich  und  prächtig  ist  die  sehr  stattliche  Orgel  geschnitzt,  ein  Werk  des 
Tischlers  G.  Hübscher  und  des  Bildhauers  G.  Gretjss.  Ebenso  die  Orgelempore, 
die  auf  Bögen  mit  skulptierten  Quadern  ruht.  Das  Ghorgestühl  ist  verhältnis- 
mäßig zurückhaltend  in  der  Gestaltung,  mit  scharfen  und  eleganten  Profilen  und 
einigen  eingelegten  Feldern  geschmückt. 

Im  Gegensatz  zu  der  reichen  Pracht  dieser  Kirche  ist  es  auffallend,  wie 
unbedeutend  jetzt  das  herzogliche  Schloß  erscheint.  Nur  noch  der  stattliche 
Hausmanns-Turm  mit  hübschen  auf- 
gesetzten Giebeln  um  den  geschweif- 
ten Helm  und  prächtigem  Eisen- 
geländer an  der  Galerie  (Abb.  279) 
ist  vom  alten  Bau  erhalten,  alles  üb- 
rige zeigt  den  recht  langweiligen 
Umbau  durch  //.  Korb  seit  1691, 
der  dem  alten  Schlosse  überall  eine 
verputzte  hölzerne  Fassade  in  fla- 
chen Barockformen  vorgeklebt  hat. 
Wichtige  Teile  des  alten  Schlosses 
des  Herzogs  Julius,  wie  der  hoch 
emporragende  Kapellenbau  sind 
vorher  einfach  ganz  abgerissen.  — 
Gleich  daneben  das  Zeughaus, 
jetzt  Kaserne,  vom  Jahre  1619,  ein 
stattlicher  Bau,  63  Meter  lang  bei 
20  Met  er  Breite,  mit  reich  geschmück- 
ten Giebeln  und  einem  tüchtig  be- 
handelten Portal  im  Stil  der  Marien- 
kirche, jedenfalls  ebenfalls  von  Paul 
Francke  entworfen. 

Ein  gutes  Portal  derselben 
Spätzeit  besitzt  die  alte  Apotheke 
am  Markt;  eine  Reihe  von  Fach- 
werkbauten späterer  Zeit  in  der 

Abb.  279   Schloßturm  zu  Wolfenbüttel 


Die  Städte 

Unter  den  Städten  dieses  Gebietes  nimmt  an  Bedeutung  und  Macht  Braun- 
schweig die  erste  Stelle  ein.  Aus  einem  Fürstensitze  des  frühen  Mittelalters 
hervorgegangen,  schon  durch  Heinrich  den  Löwen  zu  ansehnhcher  Stellung  er- 
hoben, schwang  die  Stadt  sich  früh  durch  Tätigkeit  und  Umsicht  ihrer  Bürger 
zu  einem  Gemeinwesen  von  selbständiger  Kraft  empor.  In  regem  Handelsverkehr 
nach  allen  Seiten  gewann  sie  durch  den  Beitritt  zur  Hansa  zunehmende  Blüte 
und  erwarb  den  Ehrenplatz  einer  Quartierstadt  des  Bundes.  In  ihren  wieder- 
holten Kämpfen  um  völlige  Unabhängigkeit  mit  den  Landesfürsten,  in  dem 
frühen  Übertritt  zur  Reformation  (1528),  in  ihrem  mannhaften  Festhalten  am 
Schmalkaldischen  Bunde  bekundete  sie  ihren  tüchtigen  Sinn.  Als  Zeugnisse 
einer  durch  Jahrhunderle  andauernden,  stets  gesteigerten  Blüte  weist  sie  eine 
Anzahl  hervorragender  Denkmäler  aus  allen  Epochen  des  Mittelalters  auf,  groß- 
artige kirchliche  Bauten  der  romanischen  und  gotischen  Epoche,  und  eines  der 
schönsten  Rathäuser  des  Mittelalters.  Schon  im  15.  Jahrhundert  fällt  die  monu- 
mentale Pracht  und  Großartigkeit  der  Stadt  einem  Kenner  wie  Äneas  Sylvins 


438 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XYI.  Kapitel  Niedersachsen 


auf.^)  In  unverkümmerter  Frische  nimmt  sie  nun  auch  an  der  Entwicklung  der 
Renaissance  teil  und  bringt  eine  Reihe  von  stattlichen  Profanwerken  des  Stils 
hervor,  die  bis  hart  an  den  Beginn  des  Dreißigjährigen  Krieges  reichen,  der  auf 
lange  Zeit  die  Blüte  der  Stadt  vernichten  sollte. 

Gleichwohl  können  wir  hier  nicht  von  besonders  frühzeitiger  Aufnahme  des 
neuen  Stils  sprechen;  seine  Formen  bürgern  sich  nur  langsam  und  fast  unver- 
merkt ein,  und  erst  spät  kommt  es  zu  bedeutenderen  Schöpfungen.  Dies  hängt 
wohl  damit  zusammen,  daß  hier  fast  ausschließlich  der  Holzbau  die  Profanarchi- 
tektur beherrschte,  also  die  mittelalterliche  Überlieferung  sich  lange  in  Kraft  er- 
hielt.') Man  kann  schrittweise  die  Entwicklung  der  Formen  verfolgen:  wie  bis 
ins  16.  Jahrhundert  die  gotische  Behandlung  sich  ungetrübt  fortsetzt,  dann  zuerst 
einzelne  Motive  der  Renaissance  sich  bemerkbar  machen,  bis  endlich,  durch  die 
Richtung  des  neuen  Stiles  begünstigt,  der  Steinbau  sich  einmischt,  anfangs  in 
Verbindung  mit  dem  Holzbau  der  Obergeschosse  etwa  an  den  Portalen  oder  dem 
Erdgeschoß  und  dem  ersten  Stock  Platz  greift,  endUch  aber  auch  in  vollständigen 
Fassaden  sich  ausspricht. 

Um  diesen  Vorgang  im  einzelnen  darzulegen,  beginnen  wir  mit  der  Be- 
trachtung der  früheren  noch  völlig  in  mittelalterlichem  Sinn  behandelten  Bauten.^) 
Sie  zeigen  durchweg  noch  ein  strenges  AnschUeßen  der  Verzierung  an  das  kon- 
struktive Gerüst.  Die  Schwell-  und  Füllhölzer  erhalten  kräftige  Auskehlung  und 
Abfasung,  wodurch  die  horizontalen  Linien  der  übereinander  vorkragenden  Stock- 
werke wirksam  betont  werden.  Beliebt  ist  der  Schmuck  der  Schwellen  in  recht- 
winkUg  gebrochenen  Linien,  die  man  als  mäanderartig  bezeichnen  kann.  Damit 
wechselt  ein  anderes  Ornament,  dem  Pflanzengebiet  entlehnt,  eine  Laubranke, 
die  sich  um  einen  horizontalen  Stab  windet  und  die  charakteristischen  Formen 
des  bekannten  spätgotischen  Blattwerks  zeigt.  Nicht  minder  reich  werden  die 
Balkenköpfe,  welche  konsolenartig  die  vorkragenden  Stockwerke  stützen,  be- 
handelt. Sie  erhalten  nicht  bloß  kräftig  ausgekehlte  Profile,  sondern  bisweilen 
in  HochreUef  durchgeführte  figürliche  Darstellungen,  Apostel  und  andere  Heilige, 
aber  auch  Sittenbildhches  und  Possenhaftes. 

Was  die  Gesamterscheinung  der  Häuser  betrifft,  so  kommt  in  Braunschweig 
der  schmale  hochgetürmte  Giebel,  der  in  Städten  wie  Lübeck,  Bremen,  Danzig 
so  gut  wie  ausschheßlich  herrscht,  seltener  vor.  Meistenteils  sind  die  Langseiten 
gegen  die  Straße  gekehrt,  erhalten  aber  durch  einen  oder  mehrere  Dacherker  mit 
ihren  Giebeln  eine  nicht  minder  reiche  malerische  Belebung.  Dagegen  fehlt  der 
Erker  hier  fast  durchaus.  . 

Noch  immer  sehr  groß  ist  die  Anzahl  der  oben  gekennzeichneten  Bauten 
der  ersten  Epoche.  Sie  sind  meistens  datiert  und  umfassen  die  letzten  Dezennien 
des  15.  und  die  ersten  des  16.  Jahrhunderts. 

Noch  ganz  mittelalterlich  ist  das  kolossale  Eckhaus  vom  Jahre  1524  am 
Wollmarkt  Nr.  1,  derb  in  den  Formen,  fast  roh  geschnitten,  mit  wenig  Detail, 
aber  mit  kräftig  ausgekehlten  Schwellen  und  von  imposanter  Wirkung.  Nicht 
minder  machtvoll  das  große  Haus  Nr.  14  hinter  der  alten  Wage  vom  Jahre  1526, 
mit  dem  Mäandermotiv  und  reich  geschnitzten  Kopfbändern,  durch  zwei  stattliche 
Dacherker  malerisch  belebt.  Die  Alte  Wage  selbst  sodann,  1534  errichtet,  ist 
ein  Bau  von  riesiger  Anlage,  noch  ganz  mittelalterlich  mit  gotischen  Laubfriesen, 


1)  Aen.  Sylv.  Piccol.  opp.  Basil.  1571.  p.  424:  oppidum  tota  Germania  memorabile  magnum 
et  populosum  ....  magnificae  domus,  perpolitae  plateae,  ampla  et  ornatissima  templa.  Quinque 
hie  fora  

2)  über  den  Holzbau  in  Braunscbweig  vgl.  C.  Uhde,  Der  Holzbau,  Berlin  1903,  wo  zahl- 
reiche treffliche  Abbildungen,  besonders  aus  den  niedersächsischen  Städten,  gegeben  sind. 

3)  Vgl.  die  Aufn.  bei  Ortwein,  D.  Een.  XXIX.  Abt.  von  B.  Liebold. 


Braunschweig 


Drachen  und  anderem  Figürlichen  an  den  Balkenköpfen  und  Schwellhölzern  ge- 
schmückt ;  neuerdings  trefflich  restauriert  (Abb.  280).  Doch  im  Wesen  schon  der 
Bauen  Zeit  angehörend  und  trotz  des  Fachwerks  von  wirkhcher  Monumentalität. 


Abb.  280  Alte  Wage  zu  Braunschweig 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Die  eindringende  Renaissance  bringt  in  diese  Behandlung  zunächst  nur 
einige  Bereicherung  des  Ornamentalen.  Eines  der  frühesten  Beispiele  für  das  Auf- 
treten der  neuen  Formen  sind  die  trefflichen  Reste  von  einem  abgebrochenen 
Ratsküchengebäude  von  1538,  welche  man  in  der  Altertümersammlung  des  Vater- 
ländischen Museums  sieht.^)  Kandelaber  und  andere  Ornamente,  auch  Figür- 
liches im  Stil  der  Renaissance  verbindet  sich  noch  mit  allerlei  mittelalterlichen 
Späßen,  dem  Luderziehen  u.  a.    Noch  etwas  früher  (1537)  ist  das  kleine  Haus 

1)  Diese  interessante  Sammlung  verdankt  ihre  Entstehung  dem  unermüdlichen  Wirken  des 
-|-  Dr.  C.  S  chilier,  der  mich  durch  manche  wertvolle  Notizen  und  Nachweise  unterstützt  hat. 


440 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


am  Papenstieg  Nr.  5,  ziemlich  schlicht  behandelt,  aber  interessant,  weil  es  an 
den  Fensterbrüstungen  ein  charakteristisches  Motiv  des  neuen  Stils,  die  muschel- 
artige oder  fächerförmige  Dekoration,  in  breiter  Entfaltung,  wenn  auch  noch  in 
ziemlich  steifer  und  harter  Behandlung  zeigt.   Noch  etwas  früher  (1536)  dasselbe 

Ornament   an  einem 
kleinen  Hause  Wen- 
denstraße Nr.  14.  Aus 
demselben  Jahre  rührt 
das    stattliche  Haus 
Langeslraße  Nr.  9,  das 
sehr  reich  geschnitzt 
ist  und  noch  starke 
Anklänge  ans  Mittel- 
alter, z.  B.  in  den  Vor- 
hangbogen der  Fen- 
ster zeigt.    Aber  das 
Fächerornament,  die 
Kandelabersäulchen 
am  Portal    und  die 
Delphine  gehören  der 
Renaissance  an.  Im  In- 
nern ist  die  hohe  wohl- 
erhaltene Flurhalle  be- 
merkenswert. Das- 
selbe beliebte  Fächer- 
motiv, aber  reicher  aus- 
gebildet und  mit  den 
tief  ausgekehlten  und 
abgefasten  Schwell- 
hölzern wirksam  ver- 
bunden, sieht  man  am 
Sack  Nr.  9.  Ebendort 
Nr.  5  war  dann  das 
Demmersche   Haus  i) 
das  Prachtstück  dieser 
Dekoration,  die  sich  an 
allen  Flächen,  unter 
den  Fenstern,  an  den 
Kopfbändern  undFüll- 
hölzern,  den  Schwel- 
len, den  Fensterrah- 
men und  sämtlichen 
Pfosten      in  über- 
schwenglichem Reich- 
Abi).  28]    Haus  früher  am  Sack  Xr.  5  zu  ßraunscliwcig  ^Um   ausbreitet.  Die 

Elemente  der  Renais- 
sance in  Delphinen,  Kandelabern,  Putten,  Gottheiten  und  Helden  des  Altertums 
sind  noch  unbefangen  mit  allerlei  Mittelalterhchem,  mit  Genreszenen,  Possen- 
haftem und  Unflätigem  gemischt  (Abb.  281).  Es  ist  ein  wahrer  Fasching  der 
Phantasie.    (Ich  glaubte  die  Jahreszahl  1536  zu  lesen.)  ^) 

1)  Leider  abgebrochen,  aber  am  Burgplatz  wieder  aufgebaut. 

2)  Siehe  Uhde,  a.  a.  0.  Fig.  207—09. 


Braunschweig 


441 


Um  diese  Zeit  taucht  ein  neues  Motiv  für  die  Dekoration  der  Schwellhölzer 
auf :  eine  Verschlingung  von  Zweigen,  die  fast  wie  Bänder  aussehen  und  fries- 
artig sich  ausbreiten.  So  zeigt  es  in  der  Wendenstraße  Nr.  49  ein  Haus  vom 
Jahre  1545,  wo  zugleich  die  Fensterpfoslen  hübsch  mit  Ranken  geschmückt  sind. 
An  der  Alten  Wage  (Abb.  280)  kommt  dies  Motiv  im  obersten  Stockwerk  vor. 
Ähnlich,  nur  einfacher,  die  kleinen  Häuser  am  Werder  Nr.  34  und  35.  Dasselbe 
Motiv  am  Burgplatz  Nr.  2  vom  Jahre  1573,  ferner  am  Papenstieg  Nr.  2  vom  Jahre 
1581,  endlich  in  besonders  schöner  Ausbildung  am  Wilhelmsplatz  Nr.  8  vom  Jahre 
1590,  mit  der  Inschrift:  „Was  menschlich  Vernunft  für  unmöglich  acht,  das  hat 
Gott  in  seiner  Macht." 

Um  diese  Zeit  erfährt  der  Holzbau  seine  letzte  Umwandlung.  Der  Stein- 
bau der  durchgebildeten  Renaissance  beginnt  auf  ihn  so  stark  einzuwirken,  daß 
seine  Formen  fortan  einfach  in  Holz  nachgeahmt  werden.  Bisher  waren  die 
Glieder  durch  Abfasen  und  Einkerben,  durch  Auskehlen  und  Unterschneiden  recht 
im  Sinne  der  Holzkonstruktion  durchgebildet  worden.  Diese  Behandlungsweise  tritt 
jetzt  zurück  und  macht  der  Nachahmung  antiker  Bauglieder  Platz.  Die  Balken- 
köpfe werden  mit  Vorliebe  als  Konsolen  mit  elegant  geschwungener  Schnecke  dar- 
gestellt, die  Schwellbalken  durch  Zahnschnitt,  Eierstab  und  Perlschnur  nach  Art 
der  Antike  ausgebildet,  das  Ganze  freilich  nicht  mehr  im  Sinn  einer  nach  mittel- 
alterlichem Grundsatz  aus  der  Konstruktion  hervorgegangenen  Schmückung, 
sondern  einer  freien  Ornamentik,  die  den  Mangel  innerer  Notwendigkeit  durch  den 
Reiz  einer  edlen  Formenwelt  zu  ersetzen  sucht.  Dazu  gesellt  sich  oft  eine  weiter- 
gehende Flächendekoration,  die  ebenfalls  ihre  Motive  aus  der  Ornamentik  des 
Steinbaus  der  Spätrenaissance  schöpft. 

Die  üppigste  Blüte  dieser  letzten  Entwicklungsreihe  werden  wir  in  Hildes- 
heim antreffen.  Braunschweig  besitzt  auch  davon  charakteristische  Beispiele.  So 
am  Bohlweg  Nr.  47  ein  Haus  von  1608,  reich  mit  Flachornamenten  geschmückt, 
selbst  die  Unterseite  der  Schwellhölzer  damit  bedeckt,  auch  die  Pfosten  mit 
linearen  und  figürlichen  Ornamenten  geziert.  In  verwandter  Weise  ist  das  Haus 
Küchenstraße  Nr.  11  vom  Jahre  1623  behandelt.  Am  Südkhnt  Nr.  21  ein  schönes 
Beispiel  dieser  späteren  Behandlungsweise  mit  Bogenstellungen  an  den  Pfosten 
und  hübschem  Rankenwerk  an  den  Fensterbrüstungen.  Ähnlich  das  kleine  Haus 
am  Bäckerklint  vom  Jahre  1630.  Eins  der  spätesten  von  1642  ist  das  große 
Haus  Schützenstraße  Nr.  34,  an  allen  Flächen  mit  hübschen  Ranken  dekoriert,  die 
in  Masken  auslaufen. 

Der  reine  Holzbau  nimmt  aber  in  dieser  Zeit  überhaupt  auffallend  ab  und 
übergibt  einen  Teil  der  Herrschaft  an  den  Steinbau  und  zwar  in  der  Weise,  daß 
die  Erdgeschosse  mit  ihren  Portalen  und  meist  auch  der  erste  Stock  diesem  an- 
heimfallen, während  die  oberen  Stockwerke  den  Holzbau  beibehalten.  Solche 
prächtige  Steinportale  aus  der  Renaissancezeit  finden  wir  mehrfach  an  gotischen 
Fachwerkgebäuden,  so  Wendenstraße  Nr.  2,  Schützenstraße  Nr.  2.  Andere  Beispiele 
des  gemischten  Stiles  haben  sich  noch  mehrfach  erhalten.  Eines  der  prachtvollsten 
ist  das  große  Eckhaus  am  Hagenmarkt  20,  Erdgeschoß  und  erster  Stock  in  Stein 
ausgeführt  mit  stattlichem  Barockportal,  das  an  den  Seiten  Sitznischen  und  ein- 
fassende Hermen  hat,  die  Fenster  noch  mit  mittelalterlichen  Rahmen,  aber  zugleich 
durch  Perlschnüre  geschmückt,  der  obere  Stock  in  reichem  Holzbau  durchgeführt. 
Ein  stattliches  Beispiel  derselben  Art  vom  Jahre  1591  am  Südklint  Nr.  15,  wiederum 
beide  Untergeschosse  in  Stein,  mit  zwei  Bogenportalen,  davon  das  eine  Diamant- 
quaderumfassung mit  Perlschnur  und  Herzblatt,  das  andere  die  reiche  Form  mit 
Seitennischen,  Hermen  und  Masken,  dabei  die  Inschrift:  „Nisi  deus  frustra". 
Ähnliche  Inschrift:  „Nisi  dominus  frustra"  kehrt  an  einem  eleganten  Portal  vom 
Jahre  1584  in  der  Gördelingerstraße  Nr.  43  wieder,  wo  ebenfalls  noch  ein  zweites 


442 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


einfacher  behandeltes  Portal  für  die  Einfahrt  vorkommt ;  wahrscheinlich  von  dem- 
selben Meister.  Besonders  malerisch  ist  das  Haus  in  der  Reichenstraße,  das 
wir  in  Abb.  282  geben,  mit  prächtigem  Portal  und  Erker  in  reichstem  Knorpel- 
werk.   Die  Fenster  mit  gebrochenem  Giebel  bekrönt. 


Abb.  282   Haus  in  der  Keicheiistraße  zu  Braiuiscliweig 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Eins  der  größten  Prachtstücke  ist  das  mächtige  Haus  am  Bäckerklint  Nr.  4, 
wiederum  in  beiden  unteren  Geschossen  aus  Stein  mit  einem  prächtigen  Renais- 
sanceportal, mit  Masken,  Hermen,  Schweif-  und  Rollwerk,  in  den  Zwickeln  un- 
geschickte Viktorien,  der  obere  Aufsatz  durch  einen  herausspringenden  Löwen 
wunderlich  abgeschlossen.*)  Es  ist  reichlich  überladen  und  unklar.  Die  oberen 
Holzgeschosse  üppig  dekoriert,  die  Ranken  an  den  Schwellbalken  und  den  Fenster- 
brüstungen in  barocke  Masken  auslaufend.    Ein  derbes  Werk  derselben  Zeit  ist 

1)  Abb.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  8. 


Braunschweig 


443 


am  Kohlmarkt  Nr.  2,  Portal  und  Fenster  mit  Quadern  eingefaßt,  die  abwechselnd 
das  Sternornament  zeigen.  Auch  das  kleine  Haus  an  der  nordöstlichen  Ecke  des 
Burgplatzes,  dessen  Fenster  den  Eierstab  als  Einfassung  haben,  gehört  hieher. 

Hieran  schUeßt  sich  eine  Gruppe  von  Häusern,  die  ausschließlich  dem  Stein- 
bau angehören.  Das  feinste  unter  ihnen  ist  das  ehemalige  Gymnasium  am  Bank- 
platz vom  Jahre  1592  (Abb.  283).  Ein  stattlicher  Bau  aus  Bruchstein  mit  Sand- 
steinarchitektur, 
mit  üppig  barok- 
kem  Portal,  durch 
allerlei  Figuren  der 
Tugenden,  Reliefs, 
Masken,  Blumen- 
und  Fruchtgewinde 
geschmückt.  Die 

beiden  oberen 
Stockwerke  haben 
gekuppelte  Fen- 
ster, die  bei  mittel- 
alterlichem Rah- 
menprofil wieder 
von  kräftigem  Eier- 
stab umfaßt  wer- 
den. Diese  Fenster- 
form wiederholt 
sich  in  Braun- 
schweig häutig. 
Was  aber  dieser 
Fassade  besonde- 
ren Reiz  gibt,  sind 
die  hübschen  Ni- 
schen zwischen  den 
Fenstern,  welche 
mit  freilich  sehr 
manierierten  Figu- 
ren von  Tugenden 
ausgefüllt  sind.  Die 
Flächen,  welche 
jetzt  das  rohe 
Bruchsteingemäuer 
zeigen,  waren  ur- 
sprünglich ohne 
Zweifel  verputzt 
und  wohl  auch  be- 
malt. Das  Bauwerk 
stammt  vom  Er- 
bauer des  Gewand- 
hauses, B.  Kirclier, 

und  besaß  früher  drei  Zwerchgiebel  über  dem  Hauptgesims.  Die  Fenster  im 
Erdgeschoß  sind  etwas  verändert. 

Stattlich  ist  auch  das  Steinhaus  an  der  Martinikirche  Nr.  5,  im  ganzen  zwar 
einfacher  behandelt,  aber  mit  einem  der  üppigsten  Barockportale,  eingefaßt  von 

1)  Abb.  bei  Pritsch. 


Abb.  283  Altes  Gymnasium  zu  Braunschweig 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


444 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


vier  Hermen  und  Karyatiden,  in  der  Bekrönung  wieder  aufrechtstehende  Löwen, 
die  ihren  Vorderleib  durch  einen  Ausschnitt  der  Kartusche  stecken,  ähnhch  wie 
am  Bäckerklint  Nr.  4.  Zu  beiden  Seiten  zwei  Krieger.  Ein  stark  barockes  Portal 
ist  an  einem  großen  Hause  in  der  Wilhelmstraße  vom  Jahre  1619.  Ebenso  ein 
Portal  an  dem  prächtigen  Hause  Poststraße  Nr.  5,  dessen  Fenster  wieder  die 
elegante  Einfassung  mit  Eierstäben  zeigen. 

Eine  andere  Behandlung  sieht  man  an  dem  stattlichen  Eckhaus  des  Alt- 
städter Marktes,  dessen  Fenster  breite  flache  Rahmen  haben,  die  oben  in  einen 
rosettengeschmückten  Giebel  auslaufen.  Das  Portal  gehört  schon  der  spätesten 
Art  an.  Als  vereinzeltes  Beispiel  einer  hohen  Giebelfassade  steht  das  Haus  am 
Kohlmarkt  Nr.  1  da.  Die  Fenster  sind  noch  mit  durchschneidenden  gotischen 
Stäben  eingefaßt,  der  Giebel  aber  mit  Schnecken,  geschweiften  Hörnern  und 
Pyramiden  dekoriert,  doch  ohne  alle  plastische  Gliederung  der  Flächen. 

Während  alle  diese  Werke  nicht  von  hervorragendem  Wert  in  Komposition 
und  Ausführung  sind,  gehört  der  östliche  Giebel  des  Gewandhauses,  1590 
durch  Meister  Balzer  Kircher  vom  Oberrhein  ausgeführt,  zu  den  vollendetsten 
Meisterwerken  der  Zeit  (Abb.  284).  In  der  Anordnung  der  Geschosse  sah  man 
sich  durch  die  alte  Anlage  des  vorhandenen  Baus  gebunden,  der  noch  in  früh- 
gotische Zeit  hinaufreicht.  Daher  die  niedrigen  Stockwerke,  die  mit  der  ge- 
waltigen Höhe  des  Baues  kontrastieren.  Es  ist  ein  riesiger  Giebelbau,  der  seine 
hohen  Stirnseiten  westhch  gegen  den  Altstädtischen  Markt,  östhch  gegen  die 
Poststraße  kehrt.  Die  Ostfassade  ist  bei  der  niedrigen  Stockwerkhöhe  durch  ge- 
kuppelte Fenster  und  sparsam  ausgeteilte  Säulenstellungen  mit  feinem  künst- 
lerischen Takt  rhythmisch  belebt.  Im  Erdgeschoß  ist  auf  Pfeilern  mit  gedrückten 
Korbbögen  eine  Halle  vorgelegt,  die  mit  gotischen  Kreuzgewölben  auf  zierHchen 
Renaissancekonsolen  überdeckt  ist.  Dieselbe  Bogenform  kehrt  an  der  kleinen 
Loggia  des  ersten  Stocks  und  an  den  mittleren  Fensteröffnungen  der  übrigen 
Stockwerke  wieder.  Gotische  Reminiszenzen  an  der  Maßwerkbrüstung  der  Loggia 
und  den  Einfassungen  der  Fenster,  zu  welchen  in  den  oberen  Geschossen  jedoch 
noch  die  hier  beliebten  Eierstäbe  kommen.  Das  Ganze  ist  trefflich  in  Sandstein 
ausgeführt  und  durch  reiche  Vergoldung  ausgezeichnet.  Die  klare  Einteilung, 
die  volle  Meisterschaft  in  Anwendung  der  antiken  Formen,  die  maßvolle  Bei- 
mischung barocker  Elemente,  endlich  die  hohe  Sicherheit  in  der  Behandlung  des 
Ornamentalen  und  Figürlichen  geben  diesem  Bauwerk  einen  hervorragenden  Wert.*) 
An  der  westlichen  Fassade  hat  sich  der  Meisler  Wolter  aus  Hildesheim  damit 
begnügt,  den  Giebel  mit  Voluten  zu  schmücken  und  die  Rahmen  der  Fenster 
und  der  Giebelkanten  mit  Quaderwerk  in  Sternmustern  einfach  und  wirksam  zu 
gestalten. 

Ein  schönes  Stück  innerer  Dekoration  ist  sodann  noch  in  dem  Sitzungs- 
saal des  Neustädtischen  Rathauses  erhalten.  Ein  reich  dekorierter  und 
bemalter  Kamin  vom  Jahre  1571,  von  kannelierten  ionischen  Säulen  eingefaßt, 
dazu  eine  prächtige  Balkendecke,  rings  an  den  Wänden  trefifhches  Getäfel,  an 
allen  Flächen  der  Pilaster,  Friese  und  Bogenzwickel  mit  eingelegten  Ornamenten 
auf  dunklem  Grunde  bedeckt.^)  Das  Hauptstück  eines  der  prächtigsten  Portale 
mit  vortretenden  korinthischen  Doppelsäulen  flankiert,  darüber  viersäuliger  Giebel 
mit  Wappen.  Etwas  bescheidener,  doch  noch  feiner  und  ähnlich  das  zweisäulige 
Portal  im  Altstadtrathause  von  1583.  Ein  durch  seine  reichen  Intarsien  aus- 
gezeichnetes mit  prächtiger  Säulenarchitektur  jetzt  in  der  Martinikirche. ^)  Alle 
drei  glänzende  Zeugnisse  einer  hochstehenden  Tischlerkunst  jener  Zeit. 

1)  Vollst.  Aufn.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  11—18. 

2)  Aufn.  bei  Ortwein,  ebenda  Taf.  19  —  30.  Uhde  a.  a.  0.  Abb.  341. 

3)  Letztere  bei  Uhde  Abb.  392,  340. 


Abb.  284  Gewandhaus  zu  Braunschweig  '^'^ 
(Aufnahme  der  Neuen  Photogr.  Gesellschaft  Steglitz 


446 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Der  alte  Bischofsitz  Halber  Stadt,  in  anmutiger  Landschaft  an  den  nörd- 
lichen Ausläufern  des  Harzes  gelegen,  zeigt  nicht  bloß  in  bedeutenden  kirchlichen 
Bauten,  unter  denen  der  gotische  Dom  zu  den  Monumenten  ersten  Ranges  gehört, 
die  Macht  eines  geistlichen  Fürstentums  des  Mittelalters,  sondern  bietet  daneben 
auch  in  zahlreichen  Profanwerken  das  Bild  eines  rüstig  bewegten  kunsthebenden 
Bürgertums.  In  dem  breiten  Zug  der  Straßen,  den  zahlreichen  freien  Plätzen, 
die  sich  teils  um  den  Mittelpunkt  bürgerlicher  Macht,  teils  um  die  großen  kirch- 
lichen Monumente  ausdehnen,  spricht  sich  der  Doppelcharakter  der  Stadt  un- 
verkennbar aus. 

Wir  haben  es  bei  unserer  Betrachtung  nur  mit  Werken  der  Profanarchitektur 
zu  tun,  und  zwar  steht  der  Holzbau  unbedingt  in  erster  Linie.  Ausschließlicher, 
als  in  Braunschweig,  beherrscht  er  die  bürgerlichen  Wohnhäuser,  ohne  dem  Stein- 
bau Eingang  zu  gestatten.  Deshalb  hat  er  sich  auch  reiner  entwickelt  und  gerade 
in  der  Epoche  der  besten  Renaissance  seine  feinste  Blüte  entfaltet.  Aus  der 
letzten  Epoche  des  Mittelalters  zählt  er  auch  hier  eine  Anzahl  charaktervoller 
Werke,  die  sich  durch  besonderen  Reichtum  an  figürlicher  Plastik  auszeichnen. 
Der  späte  Nachsommer  der  Renaissance  kommt  hier  nicht  mehr  zur  Erscheinung; 
dagegen  sind  die  mittleren  Zeiten  des  Stils  durch  eine  große  Zahl  von  Bauten 
vertreten,  die  das  Gepräge  einer  geradezu  klassischen  Anmut  tragen.  Die 
Formen  behalten  überwiegend  den  Charakter  einer  aus  der  Konstruktion  hervor- 
gegangenen Ornamentik  bei;  die  Balkenköpfe  sind  durch  Auskehlen  und  Unter- 
schneiden mannigfach  gegliedert,  auf  den  Oberflächen  oft  elegant  geriefelt  in 
diagonaler  oder  vertikaler  Linienführung,  an  den  Seiten  manchmal  durch  Sterne, 
Rosetten  und  andere  Muster  belebt.  Die  Schwellhölzer  und  Füllbalken  sind  aus- 
gekehlt und  abgefast,  meist  mit  ähnhchen  diagonalen  Riefelungen  plastisch  de- 
koriert. Unter  den  Fenstern  findet  sich  entweder  das  Fächer-(Muschel-) Ornament, 
oder  es  ist  in  Nachahmung  des  Steinbaues  eine  Blendarkade  auf  kleinen  Pilastern 
durchgeführt.  Auf  dieser  Stufe  edler  Ausbildung  verharrt  der  Halberstadter  Fach- 
werkbau, nur  im  einzelnen  eine  Fülle  anmutiger  Flächendekoration  hinzufügend. 

Was  die  Gesamtanlage  der  Häuser  anbetrifft,  so  sind  sie  größtenteils  wie 
in  Braunschweig  nicht  schmale  Hochbauten  mit  der  Giebelwand  nach  der  Straße, 
sondern  breite  Langbauten,  über  denen  in  der  Mitte  stets  ein  Dacherker  aufragt, 
die  monotone  Fläche  des  Satteldaches  wirksam  durchbrechend.  Doch  kommen 
hier  seltener  jene  riesigen  Häuserkolosse  vor,  die  Braunschweigs  bürgerlichen 
Bauten  einen  so  machtvollen  Charakter  verleihen.  Hier  ist  vielmehr  alles  vor- 
nehmer, feiner,  zierlicher,  anmutiger  auch  in  den  Verhältnissen.  Sodann  aber 
wird  der  an  der  Fassade  ausgebaute  Erker,  den  man  in  Braunschweig  vergeblich 
sucht,  öfter  angewandt.  Auch  dadurch  ist  der  malerische  Reiz  dieser  Bauten 
gesteigert. 

Zu  den  bedeutendsten  mittelalterlichen  Werken  gehört  der  stattUche  Bau 
des  Ratskellers  am  Holzmarkt  vom  Jahre  1461.  Von  ähnlicher  Behandlung  das 
großartige  Eckhaus  am  Fischmarkt  Nr.  1,  in  vier  Geschossen  mit  herrlichen  Friesen 
geschmückt ;  die  Schwellen  mit  dem  Mäandermotiv,  das  wir  schon  in  Braunschweig 
fanden;  die  Balkenköpfe  stark  unterschnitten  und  gekehlt,  zugleich  mit  Maß- 
werken dekoriert;  die  Ecke  bis  oben  hinauf  durch  zahlreiche  Figuren  kraftvoll 
geschmückt.  Überhaupt  herrscht  hier  an  den  mittelalterlichen  Bauten  das  figür- 
liche Element  in  reicher  Ausbildung. 

Den  Übergang  zur  Renaissance  bezeichnet  ein  Haus  vom  Jahre  1532  am 
Holzmarkt  Nr.  4;  die  Schwellen  doppelt  gekehlt,  die  Balkenköpfe  kräftig  mit 
Rundstab  und  Hohlkehle  geghedert.  Ebendort  Nr.  5  dasselbe  Motiv,  aber  alles 
zierlicher,  feiner,  schon  mehr  im  Sinne  des  neuen  Stiles  durchgebildet,  mit  flachen 
Rosetten  u.  dgl. ;  an  den  Fensterbrüstungen  das  Fächerornament.  Es  ist  eins  der 


Halberstadt 


447 


seltenen  Giebelhäuser,  datiert  1552.  Ähnliche  Häuser  Breiteweg  Nr.  39  vom  Jahre 
1558  und  ebenda  Nr.  38  von  1559.  Das  Motiv  der  Blendarkaden  unter  den  Fenstern 
tritt  sodann  an  dem  stattlichen  Haus  Ecke  der  Schmiedestraße  und  des  Holz- 
marktes vom  Jahre  1576')  auf;  feine  Zahnschnittfriese  begleiten  die  Gesimse. 
Ein  auf  einer  Holzsäule  ruhender  Erker,  das  Dach  durchbrechend  und  bis  zu 


Abb.  285   Eathaus  zu  Halberstadt 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


dessen  Firsthöhe  emporgeführt,  belebt  malerisch  die  Fassade.  Dasselbe  Motiv 
findet  seine  glanzvollste  Ausbildung  an  dem  Prachtbau  des  Schuhhofes,  jetzt  die 
drei  Häuser  am  Breiten  Weg,  Ecke  der  Schuhstaße  bildend,  vom  Jahre  1579.  Die 
vielfach  gekerbten,  gerieften  und  gemusterten  Schwellbalken,  die  mit  Figürchen 
und  Ornamenten  geschmückten  Balkenköpfe  samt  ihren  konsolenartigen  Stützen, 
die  mit  geschnitzten  Wappen  ausgefüllten  ßlendarkaden  (im  oberen  Geschoß  ein- 
1)  Uhde,  Fig.  263. 


448 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


facher  behandelt),  endlich  die  feine  Ornamentik,  welche  die  Pilaster,  die  Fenster- 
rahmen, die  Eckpfosten,  kurz  alle  Flächen  belebt,  geben  diesem  Bau  einen  un- 
übertroffenen Ausdruck  von  Eleganz  (Bd.  I,  Abb.  137).  i)  Nur  die  gewöhnlichen 
Ziegelüächen,  ursprünglich  zum  Teil  allerdings  durch  drei  vorgebaute  Erker  etwas 
unterbrochen,  sicher  früher  gemustert,  wirken  störend. 

Ein  ähnliches,  wenn  auch  nicht  ganz  so  reiches  Beispiel  bietet  ein  Haus 
in  der  Göddenstraße  von  1586  mit  einem  hübschen  Erker.  Ferner  eins  der 
schöneren  und  reicheren  das  südlich  neben  dem  Dom  gelegene  Haus,  dessen 
Blendarkaden  teils  mit  Wappen,  teils  mit  schön  stilisierten  Banken  geschmückt 
sind.  Mit  einfacherer  Behandlung  der  Arkaden,  aber  trefflich  gegliederten  Schwellen 
ein  Haus  von  1584  in  der  Schmiedestraße  Nr.  17,  durch  die  folgerichtige,  zwar 
einfache  aber  feine  Behandlung  bis  hoch  in  den  aufgesetzten  Dachgiebel  anziehend. 
Es  trägt  die  Inschrift:  „Mannicher  sorget  vor  mich;  wäre  besser  er  sorget  vor 
sich."  Ein  kleineres  von  derselben  Art  Harsleberstraße  Nr.  9,  vom  Jahre  1G04, 
ebenfalls  mit  hübschem  Dacherker  und  der  Inschrift:  „Wie  es  Gott  fügt,  also 
mir  genügt."  Etwas  früher  (1589)  das  große  Haus  in  derselben  Straße  Nr.  6, 
kräftiger  dekoriert,  mit  mancherlei  geometrischen  Mustern  und  einem  Erker  auf 
hübsch  behandelter  Holzstütze.    Ähnlich  ebenda  Nr.  10  vom  Jahre  1618. 

Neben  dem  hier  so  sehr  beliebten  Motiv  der  Blendarkaden  kommen  auch 
immer  noch  Beispiele  des  Fächerornaments  an  den  Fensterbrüstungen  vor.  So 
Hoheweg  Nr.  16  in  besonders  zierlicher  Ausbildung,  alles  mit  linearen  Ornamenten 
durchsetzt,  die  Fächer  z.  B.  gefiedert.  Ähnlich  in  derselben  Straße  Nr.  13  an  den 
Schwellen  mit  dem  in  Braunschweig  beliebten  Ornament  der  Flechtbänder.  Ein 
sehr  hübsches  Beispiel  Göddenstraße  Nr.  13  mit  feinen  Fächern  und  reich  ge- 
gliederten Schwellen.  Ebenso  Harsleberstraße  Nr.  15,  wo  wieder  geometrische 
Linienspiele  zu  reicher  Verwendung  gekommen  sind. 

Der  Steinbau  ist  nur  an  einigen  öffentlichen  Monumenten,  und  an  keinem 
in  ganz  hervorragender  Weise  zur  Entwicklung  gekommen.  Das  früheste  Denkmal 
der  Renaissance  scheint  der  hübsche  Erker  an  der  Südseite  des  Rathauses  zu 
sein,  bezeichnet  1545  (Abb.  285).  Er  ist  dem  noch  strenggotischen  Bau  in  einem 
malerischen  Mischstil  vorgesetzt,  wie  er  denn  auf  einem  reich  durchschneidenden 
mittelalterlichen  Rippengewölbe  ruht,  aber  mit  Kandelabersäulchen  der  Früh- 
renaissance und  hübsch  gearbeiteten  Wappen  geziert  ist.  Auch  das  breite,  drei- 
teilige Fenster,  das  neben  ihm  die  Wand  im  Hauptgeschoß  durchbricht,  hat 
die  Rahmenpilaster  der  Frühzeit  mit  den  eingelassenen  Medaillonschildern  als  Um- 
rahmung. An  der  Rückseite  des  Baues  (gegen  Osten)  sieht  man  einen  Erker  in 
ähnhchem  Mischstil  der  frühen  Renaissance.  Dagegen  wurde  an  der  Hauptfront 
gegen  Süden  (Abb.  285)  in  der  Spätzeit  eine  doppelte  Freitreppe  mit  offener 
Bogenhalle  auf  Pfeilern  vorgebaut,  die  im  ersten  Geschoß  als  selbständiger  Erker 
oder  Laube  sich  fortsetzt  und  mit  einem  reich  behandelten  Giebel  schließt.^)  Die 
reiche  ornamentale  Belebung  aller  Flächen  an  Brüstungen,  Pfeilern,  Stylobaten, 
Bogenzwickeln  und  Fensterrahmen  macht  von  fern  den  Eindruck  der  Frührenais- 
sance, aber  bei  näherer  Betrachtung  erkennt  man  den  üppigen  Schwulst  der 
Formen  und  die  stumpfe  Behandlung  der  Zeit,  die  durch  das  Datum  1663  be- 
zeichnet wird.  Trotz  der  geringen  Ausführung  ist  aber  das  Ganze  von  hohem 
malerischen  Reiz.  Dazu  gehört  wahrscheinlich  im  Innern  der  große  Vorsaal, 
dessen  schlichte  Holzdecke  auf  geschnitzten  Säulen  von  spielender  spätbarocker 
Form  ruht.    Zwei  hübsche  messingene  Kronleuchter  schmücken  den  Raum. 

Ein  origineller,  bei  aller  Einfachheit  malerisch  wirkender  Bau  der  Früh- 
renaissance ist  der  Petershof,  nördlich  von  der  Liebfrauenkirche  gelegen. 

1)  Uhde,  Fig.  262.  Fritsch. 

2)  Abb.  bei  Fritsch,  a.  a.  0. 


Halberstadt 


449 


Ungefähr  in  der  Mitte  des  langen  Flügels  ein  viereckig  vorspringendes  Treppen- 
haus mit  einem  Portal  von  1552,  erbaut  von  Sigismund,  Erzbischof  von  Magde- 
burg, Administrator  von  Halberstadt,  Markgraf  von  Brandenburg  usw.,  wie  die 
Inschrift  meldet.  Die  Behandlung  der  Formen  schwankt  noch  zwischen  Gotik 
und  Frührenaissance.  Ähnlich  der  links  daneben  von  unten  herausgebaute  Erker. 
Auch  die  Wendeltreppe  ist  mit  gotischen  Kehlen  und  Stäben  gegliedert.  Aus 
derselben  Zeit  im  Innern  des  Erdgeschosses,  das  durch  stattliche  Gewölbe  aus- 
gezeichnet ist,  im  Zimmer  zur  Linken  ein  Steinportal  derselben  Frühzeit  von 
reicherer  ornamentaler  Ausbildung.  Auch  die  beiden  prachtvollen  Türschlösser 
sind  beachtenswert. 

Dagegen  gehört  der  entwickelten  Renaissance  das  jetzige  Steueramt, 
gegenüber  dem  Rathaus,  inschriftlich  von  Herzog  Julius  zu  Braunschweig, 
postuHertem  Bischof  von  Halberstadt,  1596  als  Absteigequartier  für  vornehme 
Fremde  erbaut.  Derb  und  schlicht,  mit  zwei  hohen  Stockwerken  über  dem 
Erdgeschoß,  auf  beiden  Seiten  mit  kräftig  vorspringenden  hohen  Giebelbauten 
eingefaßt,  dazwischen  auf  dem  Dache  des  Mittelbaus  zwei  Erker,  sämtHche 
Giebel  mit  derben  Quaderpilastern  und  geschweiften  Aufsätzen  eingefaßt,  dazu 
endlich  ein  ähnlich  behandeltes  Portal  mit  Freitreppe,  von  zwei  Statuen  in 
Nischen  flankiert,  so  wirkt  der  ganze  hohe  und  stattliche  Bau  als  ein  Ausdruck 
männhcher  Tüchtigkeit. 

Endhch  ist  die  langgestreckte  einstöckige  Dompropstei  (der  „Zwicken")  am 
Domplatz,  1592—1611  erbaut,  hier  zu  erwähnen.  Im  Erdgeschoß  eine  kraftvoll 
behandelte  Bogenhalle  auf  Pfeilern,  an  den  Bogenzwickeln  prächtige,  zum  Teil 
überladene  Wappen,  das  obere  Geschoß  in  einfach,  aber  zierlich  behandeltem 
Holzbau.') 

Im  Dom  und  Kreuzgang,  auch  in  den  zahlreichen  Kirchen  sind  Epitaphien 
und  andere  Ausstattungsgegenstände  (Gestühl  in  St.  Moritz,  Kanzel  in  St.  Martin 
und  St.  Katharinen)  wie  in  allen  älteren  Städten  vorhanden. 

Von  den  alten  prächtigen  Pflegstätten  des  Holzbaus,  Goslar,  Quedlin- 
burg, Helmstedt,  Königslutter,  Osterwieck  und  anderen  wollen  wir  im 
einzelnen  nicht  sprechen,  weil  der  Kern  ihrer  Leistung  auf  dem  Gebiete  des  Fach- 
werkbaus im  Mittelalter  liegt.  Was  sie  in  der  Renaissancezeit  entstehen  lassen, 
fügt  sich  mehr  als  letztes  Glied  der  mittelalterlichen  Entwicklung  an  oder  ist 
in  den  wichtigen  Renaissancestädten  Halberstadt,  Hildesheim,  Braunschweig  in 
stärkerer  Ausprägung  vertreten. 

Wenn  wir  vom  Harze  den  Weg  ins  Hannoversche")  nehmen,  so  lie^t  als 
wichtigste  Stadt  Hildes  heim  auf  dem  Wege,  wie  Halberstadt  durch  doppelte 
Bedeutung  als  uralter  Bischofssitz  und  als  Mittelpunkt  eines  regsamen,  energisch 
emporstrebenden  bürgerhchen  Gemeinwesens  ausgezeichnet.  Ja  noch  weit  UHch- 
drücklicher  als  dort  hat  sich  hier  schon  im  frülien  Mittelalter  die  kirchliche  Macht 
in  großartigen  Denkmälern  ausgesprochen.  Der  Dom,  die  Kirchen  von  St.  Michael 
und  Godehard,  zu  denen  noch  die  kleinere  auf  dem  Zierenberge  vor  der  Stadt  ge- 
legene Moritzkirche  sich  gesellt,  gehören  zu  den  anselmlichsten  Bauten  des 
romanischen  Stils.  Aber  im  Schatten  der  bischöflichen  Gewalt  blühte  ein  kraft- 
volles Bürgertum  empor,  bald  in  Kämpfen  mit  den  geistlichen  Oberherren  seinen 
Freiheitsdrang  betätigend,  durch  Handel  und  Gewerbe  immer  unabhän girier,  als 
Mitglied  der  flansa  geachtet  und  gefürchtet,  endhch  beim  Eintritt  in  die  neue 
Zeit  durch  rasches  Hinneigen  zur  Reformation  sich  auch  zu  kirchlicher  Freiheit 
erhebend. 

1)  Uhde  a.  a.  0.  Fig.  273,  Fritsch  a.  a.  0. 

2)  Für  Hannover  verweisen  wir  bezüglich  des  Einzelnen  auf  die  bis  jetzt  erschienenen 
Bände  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Hannover. 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  29 


450 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Von  diesem  Bürgertum  zeugen  in  erster  Linie  die  Denkmäler,  welche  unsre 
Betrachtung  aufzusuchen  hat.i)  Es  ist  vor  allem  der  altsächsische  Holzbau,  der 
auch  hier  fast  ausschließlich  den  Privatbau  beherrscht.    Aber  er  entwickelt  sich 

in  ganz  selbständiger 
Weise.  Die  mittelalter- 
liche Form  kommt  nur 
vereinzelt  vor;  häufiger 
sind  schon  die  Werke,  in 
welchen  die  Renaissance 
ihren  Einfluß  betätigt; 
allein  die  große  Mehrzahl 
der  Monumente  gehört 
doch  erst  der  letzten  Zeit 
des  Stils,  zeigt  eine  Um- 
bildung des  Holzbaus  im 
Sinn  der  Steinarchitektur 
und  verbindet  damit  eine 
Pracht  und  Fülle  freier 
figürlicher  Ausstattung, 
die  den  Hildesheimer 
Bauten  ihr  hocheigen- 
tümliches Gepräge  gibt. 

Um  mit  den  nicht 
eben  zahlreichen  Bauten 
aus  der  Schlußepoche  des 
Mittelalters  zu  beginnen, 
so  lassen  auch  sie  die 
anderswo  beobachteten 
Grundzüge  ziemlich  über- 
einstimmend erkennen : 
kräftiges  Betonen  des 
konstruktiven  Gerüstes, 
energisches  Handhaben 
einer  plastischen  Glieder- 
bildung, gelegentliches 
Herbeiziehen  figürlichen 
Schmuckes. 

Schon  1529  tritt  in 
den  Formenkreis  des  Mit- 
telalters die  Renaissance 
an  demjenigen  Gebäude, 
das  unter  allen  Holzhäu- 
sern Deutschlands  wohl 
unbestritten  als  das  groß- 

Abb.  286  Knocbenhaueramthaus  zu  Hildeslieim  artigste     dasteht,  dem 

Knochenhaueramthaus, 

an  der  nordwestlichen  Ecke  des  Marktes.^)  (Abb.  286.)  Es  ist  ein  riesig  auf- 
getürmter Giebelbau,  im  Erdgeschoß  mit  zwei  kleinen  Erkern  ausgestattet,  dar- 


1)  Vgl.Bühlers,  Über  die  Entwicklung  des  Hildesheimer  Profanbaues.  Hildesheim  1882. 
C.  Lachner,  Die  Holzbauten  Hildesheims.  Leipzig  1896.  Uhde,  Der  Holzbau,  Fig.  204,  248  —  55. 
Bau-  und  Kunstdenkm.  d.  Prov.  Hannover. 

2)  Aufn.  bei  Ortwein,  D.  Ren.  XXXV.  Abt.  Taf.  1  —  3. 


Hildesheim 


451 


über  die  Fenster  eines  Halbgeschosses,  in  der  Mitte  ein  weites  Bogenportal,  das  in 
seiner  Einfassung  mit  geschnitzten  Kandelabersäulchen,  Putten  und  Gehängen  den 
frühen  Eintritt  der  Renaissance  erkennen  läßt.  Darüber  erheben  sich,  mit  weit 
vorgestreckten  Balkenköpfen  herausgebaut,  vier  obere  Stockwerke,  von  denen  zwei 
dem  Giebel  angehören.  So  ergeben  fünf  Reihen  mächtiger  Konsolen  mit  ihrem 
reichen  Schnitzwerk,  verbunden  mit  den  ebenso  verschwenderisch  geschmückten 
Schwellbalken,  eine  unvergleichlich  malerische  Wirkung.  Die  Behandlung  der 
Formen  weicht  aber  von  dem  in  Braunschweig  und  Halberstadt  Üblichen  erheblich 
ab  und  begründet  die  später  an  allen  Hildesheimer  Bauten  wiederkehrende  Auf- 
fassung. Diese  besteht  darin,  daß  die  feine,  durch  Auskehlen,  Einkerben  und 
Unterschneiden  gewonnene  plastische  Gliederung  fortfällt,  und  an  ihrer  Statt  die 
Schwellbauten  in  rechteckigem  Durchschnitt  einen  ununterbrochenen  Friesstreifen 
darstellen,  der  mit  flachgeschnitzten  Ornamenten  ausgefüllt  wird.  Ferner  wird  an 
der  Unterseite  der  Hölzer  zwischen  den  Balkenköpfen  zur  Ausfüllung  ein  schräg- 
gestelltes Brett  angebracht,  auf  dem  ornamentale  Muster  aufgemalt  werden.  Einer- 
seits erkennt  man  in  dieser  Vereinfachung  der  Grundformen  die  Einwirkung  des 
Steinstils,  andrerseits  in  dem  Zurückdrängen  plastischer  Gliederung  das  Streben 
nach  gemaltem  Zierat.  Auch  die  Fensterbrüstungen  werden  durch  aufgemalte 
Fächermuster  belebt.  (Das  Haus  ist  in  neuerer  Zeit  treffUch  restauriert  worden.) 

Unerschöpflich  reich  ist  der  plastische  Schmuck  an  diesem  großartigen 
Giebel.  An  den  Konsolen  herrschen  mittelalterliche  Elemente  vor,  in  derber 
humoristischer  Auffassung;  in  den  Friesen  dagegen  sind  die  Friese  der  Früh- 
renaissance in  musizierenden  und  spielenden  Kindern,  in  Blumen-  und  Frucht- 
schnüren, in  Kandelabersäulchen  u.  dgl.  überwiegend.  An  der  Seitenfassade  sind 
wiederum  die  mittelalterlichen  Formen,  die  gotischen  Blattranken  u.  dgl.  noch  in 
Kraft.  Die  Behandlung  des  Einzelnen  ist  von  verschiedenem  Werte,  die  Friese 
der  Hauptfront  von  großer  Tüchtigkeit. 

Außer  diesem  monumentalen  Prachtstück  gibt  es  wenige  Holzbauten  hier, 
welche  den  Charakter  der  Frühzeit  tragen  und  damit  noch  Elemente  der  Spät- 
gotik verbinden.  Ein  Haus  der  Schelenstraße  vom  Jahr  1540  zeigt  eine  große 
Einfahrt,  geschmückt  mit  Renaissancesäulchen  und  phantastisch  verschlungenen 
Drachen;  letztere  noch  vöüig  im  Charakter  des  Mittelalters.  Auch  die  Fenster 
haben  gotische  Details,  die  Konsolen  kräftige  Köpfe,  die  Schwellen  gemalte  Orna- 
mente. Überwiegend  mittelalterlich  mit  spärlichen  Elementen  der  Renaissance  ist 
auch  das  Haus  zum  Goldenen  Engel  in  der  Kreuzstraße,  vom  Jahre  1548,  aus- 
gezeichnet durch  doppelte  Erker,  zwischen  welchen  der  mittlere  Giebel  dominierend 
emporsteigt.  Dieser  Mischstil  erhält  sich  hier  ungewöhnlich  lange,  so  an  einem 
Hause  von  1557  in  der  Almstraße  Nr.  32,  wo  die  Schwellbalken  den  gotischen 
Vorhangbogen  zeigen  und  an  den  Brüstungen  ein  feines  Fächerornament  auftritt. 
Dasselbe  wiederholt  sich,  wahrscheinlich  von  gleicher  Hand  ausgeführt,  Schelen- 
straße Nr.  286.  Ebenso  daselbst  Nr.  280  vom  Jahre  1560,  wo  jedoch  im  oberen 
Stock  der  bekannte,  um  einen  Stab  gewundene  gotische  Laubfries  vorkommt. 
Überwiegend  mittelalterhch  ist  sogar  noch  ein  Haus  im  Kurzen  Hagen  vom  Jahre 
1564.  Hier  findet  sich  auch  an  den  Konsolen  ein  oft  vorkommendes,  sehr  ein- 
faches Ornament,  aus  mehrfach  wiederholten  eingekerbten  Dreiecken  bestehend. 
Dasselbe  auch  an  einem  großen  Hause  der  Jakobistraße.  Überwiegend  gotisch 
ist  selbst  noch  ein  kleines  Haus  der  Eckemäkerstraße  vom  Jahre  1566.  Dagegen 
kommt  in  der  Schelenstraße  Nr.  312  die  völlig  ausgebildete  Renaissance  mit  dem 
Datum  1563  in  den  kräftigen  Schnecken  der  Konsolen,  den  Pilastersystemen  der 
Wände,  den  figürlichen  Reliefs  des  Erkers  zur  Herrschaft. 

Mit  den  achtziger  Jahren,  vielleicht  auch  schon  etwas  früher,  tritt  nun 
im  Holzbau  der  ausgebildete  Stil  der  Renaissance  auf,  der  dann  bis  tief  ins 


452 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


17.  Jahrhundert  hinein  die  bürgerliche  Baukunst  beherrscht.  Die  Fassaden  dieser 
Art  sind  noch  jetzt  so  zahlreich  vorhanden,  daß  sie  im  wesentlichen  den  archi- 
tektonischen Eindruck  der  Stadt  bestimmen.')  Was  zunächst  ihre  Anlage  be- 
trifft, so  kommt  dafür  die  äußerst  häufige  Verwendung  des  Erkers  wesentlich 
in  Betracht.    Fast  jedes  Haus  hat  wenigstens  einen  derartigen  Ausbau,  der  oft 

schon  vom  Erdgeschoß, 
bisweilen  mit  dem  ersten 
Stock  beginnt,  die  ganze 
Höhe  der  Fassade  ein- 
nimmt und  mit  selb- 
ständigem Giebel  ab- 
schließt. Am  schönsten 
ist  aber  die  Gruppierung 
da,  wo  zwei  Erker  in 
symmetrischer  Anlage 
die  Fassade  einfassen. 
Durch  ihre  Giebelab- 
schlüsse, zwischen  wel- 
chen dann  der  Haupt- 
giebel höher  empor- 
steigt, wird  eine  rhyth- 
mische Bewegung  und 
eine  pyramidale  Gipfe- 
lung  erreicht,  welche 
diesen  Fassaden  (Abb. 
287)  hohe  architekto- 
nischeWirkung  verleiht. 

In  der  Gliederung 
und  Ausschmückung 
herrscht  völlig  das  Ge- 
setz der  Renaissance 
und  zwar  die  Nachbil- 
dung des  Steinbaus. 
Die  ganze  Fassade  wird 
in  Holz  durchgebildet, 
so  daß  alle  Teile  der 
Konstruktion  als  Teile 
eines  antikisierenden 

Abb.  287  Wedekindsches  Haus  zu  Hildesheim    ^'JS  BausystemS  erscheinen. 

(Aufnahme  der  Neuen  Photogr.  Gesellschaft,  Steglitz)  Die   vortretenden  Bal- 

kenköpfe  werden  von 

kräftigen  Konsolen  getragen.  Die  Schwellbalken  bilden  einen  durchlaufenden  Fries, 
der  mit  Ornamenten  bedeckt  ist.  Eine  nachdrückhche  vertikale  Teilung  wird 
durch  flachgeschnitzte,  in  die  Ständer  eingetiefte  Säulen,  Pilaster  oder  Hermen 
bewirkt.  Ihre  Fortsetzung  und  Verbindung  erhalten  diese  einzelnen  Systeme  durch 
die  pilasterartige  Einteilung  der  breiten  Fensterbrüstungen.  An  diesen  entfaltet 
sich  in  figürHchen  Reliefs  der  unerschöpfliche  Reichtum  dieser  Schule.  Antike 
Mythologie  und  Geschichte,  Altes  und  Neues  Testament,  Allegorie  und  Parabel 
schütten  hier  einen  reichen  Inhalt  aus.  Verbindet  man  damit  die  zahlreichen, 
meist  belehrenden  Inschriften,  so  erhält  man  einen  BUck  in  die  Anschauungen 
jener  Zeit,  der  wohl  einmal  vom  Stan^lpunkt  der  Kulturgeschichte  ausführlichere 
1)  Zahlreiche  Aufn.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  12—23. 


Hildesheim 


453 


Darstellung  verdiente.  Um  die  zierliche  Anmut  des  Ganzen  zu  vollenden,  sind  alle 
Hauptlinien  durch  die  feinen  Glieder  antiker  Kunst,  durch  Zahnschnitte,  Konsolen, 
Perlschnur  und  Eierstab  belebt.  Eine  vornehme  Schönheit  ist  über  die  besten 
dieser  Werke  ausgegossen,  die  den  Mangel  einer  ganz  strengen  konstruktiven  Ent- 
wicklung der  Ornamentik  übersehen  läßt  und  selbst  mit  dem  häufig  hervortretenden 
Ungeschick  im  Figürlichen  aussöhnt.  Allerdings  liegt  das  Schwergewicht  dieser 
unermeßlich  reichen  Schnitzkunst,  die  in  der  ganzen  Bevölkerung  eine  allgemein 
verbreitete  Lust  an  heiterem  Schmuck  des  Lebens  voraussetzen  läßt,  durchaus 
nach  der  Seite  einer  mehr  malerischen  Richtung,  zu  der  die  nordische  Baukunst 
ja  überhaupt  im  Gegensatz  zu  der  südlichen  vorwiegend  neigt. 

Ich  beginne  mit  dem  Musterbeispiel  dieses  Stiles,  dem  Wedekindschen  Hause 
vom  Jahre  1598  am  Markt,  das  neuerdings  durch  sorgfältige  Restauration  seinen 
ursprünglichen  Glanz  wiedergewonnen  hat.  Der  großartige  Aufbau  mit  zwei 
Erkern,  deren  Giebel  mit  dem  Mittelgiebel  einen  imposanten  Abschluß  bilden,  die 
reiche  Verzierung,  welche  sich  über  alle  Teile  ausbreitet,  ist  aus  unserer  Abb.  287 
genügend  zu  entnehmen.  Einfacher  und  schlichter  ist  ein  Haus  von  1585  in  der 
Almstraße  28.  Ebendort  Nr.  20  ein  kleiner  Erker  von  1598,  ohne  figürlichen  Schmuck, 
aber  durch  ionische  Säulchen,  Voluten  und  Barockrahmen  lebendig  gegliedert; 
Nr.  25  ein  ähnlicher  Erker,  nur  flacher  behandelt.  In  ähnlicher  Weise  zeigt  ein 
Haus  im  Langen  Hagen  vom  Jahre  1591  bei  ganz  schlichter  Ausführung  einen 
durch  kannelierte  Pilaster  und  Rankenfriese  geschmückten  Erker.  Eins  der 
reichsten  und  prächtigsten  Häuser  mit  der  Jahreszahl  1608  sieht  man  im  Hohen- 
weg Nr.  391,  mit  zwei  symmetrisch  angebrachten  Erkern  in  beiden  Hauptgeschossen. 
Die  Konsolen  energisch  in  antiker  Form;  die  Ecken  mit  Säulen  eingefaßt,  alle 
Flächen  mit  Ornament  und  Figürlichem,  den  Elementen,  Jahreszeiten,  Planeten, 
Tugenden  usw.  bedeckt.  Ebenda  394  ein  kleineres  Haus  mit  einem  durch  korin- 
thische Säulen  und  Schweifwerk  dekorierten  Erker.  Dasselbe  Motiv,  ohne  Erker, 
an  dem  Hause  393.  Eine  ganz  große  prachtvoll  ausgeführte  Fassade  in  der- 
selben Straße  Ecke  der  Stobengasse  mit  kräftigen  Konsolen,  Säulen  und  barocken 
Atlanten,  an  den  Brüstungen  die  Taten  des  Herkules,  die  Beschäftigungen  der 
Monate  usw.  von  einer  geringeren  Hand  geschnitzt.  Ebendort,  Ecke  der  Markt- 
straße, ein  ähnliches  Haus,  vielleicht  von  demselben  Meister. 

Ein  Haus  in  der  Marktstraße  Nr.  318  mit  zwei  Erkern,  datiert  1611,  ist 
ebenfalls  bis  in  die  Giebel  hinauf  mit  Ornamenten  und  Figuren  bedeckt,  unter 
denen  man  Chiron,  Apollo,  Äskulap  usw.  erkennt.  Zwei  reiche  Erker  hat  auch 
ebendort  Nr.  59  vom  Jahre  1601,  doch  fehlt  hier  der  figürliche  Schmuck.  Da- 
gegen bietet  Nr.  60  einen  mit  Reliefs  reich  dekorierten  kleinen  Erker.  Ein 
ebenfalls  reicher  Erker  ist  an  einem  Hause  der  Eckenmäkerstraße  vom  Jahre 
1608.  Ebenda  am  Ausgang  der  Straße  gegen  die  Andreaskirche  ein  überaus 
reiches  Haus  mit  Erker.  Gleich  daneben  ein  anderes  von  1615,  zu  den  zierhchsten 
dieser  Art  gehörend,  außerdem  reizvoll  und  geschickt  um  die  stumpfe  Straßen- 
ecke gebaut,  mit  zwei  in  den  Obergeschossen  vortretenden  Erkern.  Auch  in  der 
Altpetristraße  sieht  man  ein  ähnhches  unregelmäßig  angelegtes  Haus  mit  derb 
geschnittenen  Reliefs  aus  dem  Alten  Testament,  mit  barocken  Friesen  und  Laub- 
gewinden. Ein  sehr  stattliches  Beispiel  ist  in  der  Eckemäkerstraße  das  Rolands- 
hospital vom  Jahre  1611,  mit  einem  die  Hälfte  der  Fassade  einnehmenden  Erker 
und  Reliefs  aus  dem  Alten  Testament  und  den  Beschäftigungen  der  Jahreszeiten. 
Ungemein  großartig  ein  Eckhaus  an  der  Osterstraße  vom  Jahre  1604  mit  Einzel- 
figuren von  Herrschern  und  Tugenden  und  mit  riesig  hohen  Giebeln  am  Erker 
und  der  Fassade.  Eine  der  besten  Arbeiten  endlich  ist  ein  Haus  vom  Jahre  1623 
an  der  Andreaskirche,  im  Erdgeschoß  mit  einem  auf  steinernen  Pfeilern  ruhenden 
Durchgang,  das  Figürliche  und  Ornamentale  sehy.gut  behandelt. 


454 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Der  Steinbau  ist  hier  nur  in  vereinzelten  Fällen  zur  Anwendung  ge- 
kommen, hat  aber  wenigstens  ein  Prachtstück  ersten  Ranges  hervorgebracht:  das 
sogenannte  Kaiserhaus  im  Langen  Hagen  vom  Jahre  1587,  erbaut  vom 
Dr.  jur.  Borkolt,  der  in  Bologna  studiert  hatte  und  erst  aus  Italien  die  Vorliebe  für 
den  Steinbau  mitbrachte.  Unsere  Abb.  288  gibt  von  dem  Reichtum  der  langen  Front 


Abb.  288  Vom  Kaiserhaus  zu  Hildesheim 


an  der  Straße  eine  Andeutung/)  Schon  am  Sockel  beginnt  die  Ornamentik,  mit 
Kaisermedaillons  und  Metallornamenten  alle  Flächen  zu  überspinnen ;  die  höchste 
Steigerung  erreicht  sie  im  Hauptgeschoß,  dessen  Fenster  mit  vortretenden  ionischen 
Säulen  und  prächtigen  Friesen  eingefaßt  sind,  während  Statuen  römischer  Kaiser 
die  Zwischenräume  ausfüllen.  Noch  üppiger  wird  der  Erker  durch  kraftvolle 
figürlich  belebte  Konsolen,  Hermen,  ReUefs  und  Figurenfriese  charakterisiert.  Der 
obere  Stock  hat  sich  dafür  mit  absoluter  Dürftigkeit  begnügen  müssen;  die  Mittel 
haben  offenbar  zu  weiterer  Durchführung  nicht  ausgereicht.  Dagegen  ist  die 
lange  Hofseite,  welche  auch  den  Eingang  enthält,  in  ähnlichem  Reichtum,  wenn 
auch  in  minder  energischen  Formen,  mit  Metallornamenten  bedeckt  und  durch 
ein  kleineres  System  ionischer  Pilaster  samt  phantastisch  barocken  Hermen  ge- 
gliedert.  Die  Figuren  zeugen  von  großer  Anstrengung,  aber  unbedeutender  Hand. 

Ein  vereinzeltes  Werk  derselben  Spätzeit  ist  der  stattliche  und  reich  aus- 
geführte Erker,  welcher  1591  der  Fassade  des  sogenannten  Templerhauses  am 
Markt,  einem  strengen  frühgotischen  Bau,  angefügt  wurde.  Leider  inzwischen 
verstümmelt.  Er  zeigt  ähnliche  Pracht  der  Dekoration,  die  im  Figürlichen  indes 
nur  mittelmäßigen  Wert  behauptet. 

Dagegen  gehört  der  frühen  Renaissancezeit  der  Brunnen  auf  dem  Markt, 
dessen  ackteckiges  Becken  von  Kandelabersäulchen  eingefaßt  und  an  den  Flächen 

1)  Vgl.  die  Aufn.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  24  u.  25. 


Hildesheim  455 


Abb.  289  Lettner  im  Dom  zu  Hildesheim 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


mit  je  zwei  antikisierenden  Brustbildern  geschmückt  ist.  In  der  Mitte  eine  ele- 
gante Säule,  von  einer  Ritterfigur  bekrönt.    Man  liest  die  Jahreszahl  1540.^) 

Ein  wahres  Meisterstück  der  besten  frühen  Renaissance  ist  endlich  der 
steinerne  Lettner  (Abb.  289),  der  den  Chor  im  Dom  vom  Schiffe  trennt,  mit 
der  Jahreszahl  von  1546  auf  beiden  Seiten  bezeichnet,  eine  Stiftung  des  Dom- 
herrn Arnold  Freitag ;  ein  Werk  nicht  bloß  höchster  dekorativer  Pracht,  sondern 
auch  edelster  künstlerischer  Anlage  und  Ausführung.    In  westfälischem  weißen 

1)  Ebenda  Taf.  32—39. 


m 


456 


2.  Buch    Die  Bauwerke    XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Kalkstein  mit  größter  Delikatesse  gearbeitet,  schließt  er  den  Chor  in  ganzer  Breite 
ab,  nur  von  zwei  Türöffnungen  durchbrochen,  die  ein  prächtig  stilisiertes  Gitter 
von  Schmiedeisen  ausfüllt.  Dazwischen  baut  sich  vieleckig  eine  Kanzel  vor, 
neuerdings  als  Altar  benützt.  Ornamentierte  Pilaster  und  Friese  gliedern  den 
Aufhau  und  rahmen  kleinere  Felder,  mit  Reliefbildern  aus  der  Passion  und  aus 

dem  Leben  der  Madonna 
geschmückt,  ein.  Über 
dem  Hauptgesimse,  das 
durch  einen  herrlichen  Ran- 
kenfries vorbereitet  wird, 
erhebt  sich  ein  attiken- 
artiger  Aufsatz,  von  fünf 
nach  der  Mitte  aufsteigen- 
den, in  der  Höhe  abge- 
stuften Halbkreisfeldern 
abgeschlossen.  Auf  dem 
mittleren  und  höchsten  ein 
großartiges  Kruzifix  mit 
edel  in  Holz  geschnitztem 
Christus;  auf  den  beiden 
benachbarten  Bogengie- 
beln  Maria  und  Johannes. 
Die  Konsolen,  auf  welchen 
die  Figuren  ruhen,  werden 
von  Kandelabersäulchen 
unterstützt.  Der  edle  Stil 
der  die  innere  wie  äußere 
Seite  des  einzig  schönen 
Werkes  bedeckenden  Bild- 
hauereien erinnert  etwa 
an  Holbeinsche  Art,  und 
auch  die  im  Charakter 
zierlicher  Frührenaissance 
durchgeführteArchitektur, 
die  im  Aufbau  und  den 
Einzelheiten  noch  manche 
iiültelalterliche  Reminis- 
zenz zeigt,  steht  in  An- 
mut und  freiem  Schwung 
den  Schöpfungen  dieses 
Meislers  nahe.  Offenbar  haben  zu  dem  Aufbau  gewisse  Radierungen  der  Ge- 
brüder Hopfer  die  Anregung  gegeben.  Man  darf  nach  alledem  nur  an  einen 
deutschen  Künstler  denken,  der  hier  in  Stein  ein  Werk  geschaffen  hat,  das  hinter 
dem  Meisterwerk  deutschen  Erzgusses,  dem  Sebaldusgrabe  Peter  Vischers,  kaum 
zurücksteht. 

Dieser  Meister  ist  ohne  Zweifel  der  Bildhauer  der  wundervollen  beiden 
Bischofsdenkmäler  im  Trierer  Dom,  des  ähnlichen  Denkmals  des  Dechanten  Mel- 
linghaus  in  der  Johanniskirche  zu  Osnabrück,  des  Erkers  am  Schlosse  in  Burg- 
steinfurt und  zahlreicher  kleinerer  westfälischer  Werke :  der  jüngere  Johann  Bel- 
densneder  (der  eigentliche  Name  ist  noch  nicht  gefunden)  zu  Münster. 

Wir  freuen  uns,  in  Hildesheim  ein  solches  Weik  noch  zu  besitzen,  und 
zwar  an  ursprünglicher  Stelle,  wo  das  zweite  gleichartige,  doch  etwas  ältere  Werk 


Abb.  2iK3   Kreuzkirclie  zu  Hannover 
(Aus:  Eoß,  Malerische  Monumentalarchitektur) 


Hannover 


457 


desselben  Künstlers,  der  wundervolle  Lettner  im  Dom  zu  Münster,  unbegreif- 
licher Freilegerwut  hat  weichen  müssen. 

Eine  besondere  Bedeutung  nimmt  nun  auch  die  Stadt  Hannover  in  An- 
spruch. Im  15.  Jahrhundert  der  Hansa  beigetreten,  zeigt  die  Stadt  seit  jener 
Zeit  in  ihren  Monumenten  deutliche  Spuren  wachsender  Macht  und  künstlerischen 
Sinnes.  Nicht  bloß  in  kirchlichen  Werken,  sondern  auch  in  städtischen  Profan- 
bauten, wie  der  feinen  Gotik  des  Rathauses,  tritt  dies  schon  im  Ausgang  des 
Mittelalters  in  die  Erscheinung.^)  Bezeichnend  sind  die  schönen  kupfergedeckten 
Kirchtürme.  Der  der  Kreuzkirche  ist  von  flüssigstem  Umriß,  1630  neu  auf- 
gesetzt, mit  einer  Durchsicht,  wenig  geschweift,  die  schlanke  Hauptspitze  mit 
kleinen  Spitzerkern  besetzt  (Abb.  290).  Die  Johanneskirche,  1670  erst  vollendet, 
hat  einen  ähnlichen  Turm  und  ist  eine  rechteckige  Saalkirche  mit  hölzernem 
Tonnengewölbe  und  Emporen,  von  denen  eine  jetzt  entfernt  ist.  Die  äußere 
Architektur,  am  Chor  erhalten,  stark  holländisch  mit  Strebepfeilern  und  zwei 
rechteckigen  Fenstergeschossen.  Dazwischen  dicke  Girlanden.  Ein  bürgerlich 
wackerer  Bau.  Aber  auch  der  Wohnhausbau  bleibt  nicht  zurück,  erhebt  sich  viel- 
mehr besonders  in  der  Epoche  der  Renaissance  zu  edler  Blüte.  Drei  verschiedene 
Systeme  begegnen  sich  hier :  der  norddeutsche  Backsteinbau,  der  weniger  an  den 
Kirchen,  als  in  den  älteren  Teilen  des  Rathauses  (1455  vollendet)  und  an  Wohn- 
hausbauten eine  glänzende  Anwendung  erfahren  hat ;  der  norddeutsche  Fachwerk- 
bau, der  u.  a.  in  dem  1844  abgebrochenen  Apothekenflügel  des  Rathauses  vom 
Jahre  1566  sich  glänzend  aussprach;  und  endlich  der  durch  die  Renaissance  ein- 
gebürgerte Quaderbau,  der  durch  die  Sandsteinbrüche  des  benachbarten  Deister- 
gebirges gefördert  wurde. 

Wir  beginnen  mit  den  Steinbauten,  die  eine  besondere  Feinheit  in  der  Aus- 
bildung des  Renaissancestiles  bekunden.  Das  Charakteristische  ist  hier,  daß  fast 
ohne  Ausnahme  die  Häuser  ihre  Giebelseite  nach  der  Straße  kehren  und  diese 
nach  Höhe  und  Breite  ungemein  imposant  entwickeln.  Die  Portale  sind  im  Rund- 
bogen geschlossen  und  einfach,  doch  kräftig  ausgebildet.  Zahlreiche  feine  Ge- 
simse teilen  die  Stockwerke  und  verbinden  die  Fensterbrüstungen.  Ebenso  sind  die 
hohen  Giebel  gegliedert  und  an  den  Kanten  meist  durch  Voluten  und  pyramidale 
Aufsätze  belebt.  Dagegen  fehlt  diesen  Fassaden  die  vertikale  Teilung  durch 
Pilastersysteme.  Ihren  Hauptreiz  haben  sie  in  der  eleganten  Architektur  der 
Fenster,  die  fast  stets  eine  Einfassung  und  Teilung  durch  feine  Säulenstellungen 
erhalten.  Um  den  malerischen  Eindruck  zu  verstärken,  wird  in  der  Regel  ein 
stattlicher  Erker,  rechteckig,  vom  Erdgeschoß  anfangend,  vorgelegt,  der  durch 
gesteigerten  Reichtum  in  Gliederung  und  Ausschmückung  den  Charakter  eines 
besonderen  Prachtstückes  gewinnt. 

Das  Hauptwerk  dieser  Architektur  ist  das  Leibniz haus  in  der  Schmiede- 
straße, das  dem  großen  Philosophen  als  Wohnung  gedient  hat.  Es  trägt  das 
Datum  1652^);  der  König  Ernst  August,  der  es  für  den  Staat  erwerben  ließ,  setzte 
über  sein  Portal  das  schöne  Wort:  „Posteritati".  In  dem  machtvollen  Aufbau,  der 
klaren  Gliederung,  dem  reichen  figürlichen  Schmuck,  am  Erker  aus  Szenen  des  Alten 
und  Neuen  Testaments  bestehend,  und  der  prächtigen,  überall  sich  ausbreiten- 
den barocken  Ornamentik  gestaltet  sich  die  Fassade  zu  einer  hervorragenden 
Schöpfung  der  Zeit  (Abb.  291),  Im  Inneren  zeigt  das  mächtige  Haus,  vom  Her- 
ausgeber hergestellt,  die  riesige  durch  zwei  Geschosse  reichende  Diele  mit  Galerie, 

1)  Reichhaltiges  Material  in  Aufnahmen  und  histor.  Darstellung  inMithoffs  Archiv 
für  Medersächs.  Kunstgesch.  und  in  dess.  Verf.  Kunstdenkm.  im  Hannoverschen.  1.  Abt.  Dazu 
Ortwein,  XXIV.  Abt.  von  W.  Bubeck. 

2)  Die  Angabe  1552  in  Mithoffs  Kunstdenkm.  I,  88  beruht  auf  einem  Druckfehler.  Vgl. 
die  Aufn.  bei  Ortwein  a.  a.  0.  Taf.  1 — 3. 


458 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel 


Niedersachsen 


Abb.  291   Leibnizhaus  zu  Hannover 


von  kolossalen  Eichensäulen 
getragen.  Gleich  daneben 
zur  Rechten  ein  Haus  von 
ähnlicher  Anlage,  ebenfalls 
mit  einem  Erker  geschmückt, 
die  Fenster  von  Säulen  ein- 
gefaßt, der  Giebel  schlicht 
geradelinig,  das  Ganze  aber 
in  den  Formen  von  j  ener  Zart- 
heit und  Delikatesse,  welche 
ein  spezifisch  hannoverscher 
Zug  ist.  Am  untern  Teil 
der  Säulen  z.  B.  ganz  feine 
lineare  Ornamente,  in  den 
einzelnen  Stockwerken  die 
verschiedenen  Säulenord- 
nungen verwendet.  In  dem 
Hause  befindet  sich  noch 
rechts  der  alte  Laden  aus  der 
späten  Renaissancezeit,  ihm 
gegenüber  das  fliesengetä- 
felte Kontor.  Etwas  jünger, 
in  den  Formen  trockner,  die 
Säulen  ausschließlich  im 
dorischen  Stil,  der  stolze, 
schräg  gegenüberliegende 
Giebelbau  des  „Römischen 
Kaisers",  ebenfalls  miteinem 
Erker  versehen.  Die  Fahne 
auf  dem  Giebel  trägt  die 
Jahreszahl  1658.  Die  Lang- 
seite Fachwerk.  Genau  die- 
sem Bau  entsprechend,  wahr- 
scheinlich von  demselben 
Meister  ausgeführt,  das  Eck- 
haus am  Markt  Nr.  16.  In 
der  Schmiedestraße  Nr.  5  ein 
ähnliches,  aber  ohne  Erker, 
in  den  Friesen  reiche  Metall- 
ornamente. 

Ein  üppiger,  schon  stark 
barocker  Giebel  mit  Masken 
und  andern  Ornamenten 
Leinstraße  Nr.  3  (der  untere 
Teil  der  Fassade  nüchtern 
modernisiert).  Ebenda  Nr.  32 
ein  stattliches  etwas  trocken 
behandeltes  Haus  mit  einem 
eleganten  Erker  vom  Jahre 
1583.  Am  Markte  gleich  bei 
dem  Kircheneingang  stand 
früher  eine  imposante  Fas- 


Hannover 


459 


sade  von  1663,  dem  Leibniz- 
haus  an  Reichtum  nahe- 
stehend, doch  ohne  Erker 
und  Giebel,  die  jetzt  in  der 
Lavesstraße  neu  aufgebaut 
ist  (Abb.  292). 

Ausnahmsweise  hat 
dies  Haus  sehr  stattliche 
Verhältnisse  und  hohe  Stock- 
werke, die  durch  ihre  Pfei- 
lerstellungen ein  noch  vor- 
nehmeres Gepräge  gewinnen. 
Vergleicht  man  sie  mit  den 
sonst  durchweg  üblichen 
niedrigen  Geschossen,  so  er- 
kennt man  auch  darin  leicht 
die  Einwirkung  fremdlän- 
discher Sitte. 

Eins  der  früher  schön- 
sten Werke  vom  Jahre  1621, 
Lange  Laube  Nr.  2,  das  so- 
genannte „Haus  der  Väter", 
ist  1852  abgebrochen,  aber 
durch  Mithoff  für  Professor 
Oesterley  mit  Beibehaltung 
aller  alten  Teile  in  einer  den 
modernen  Anforderungen 
entsprechenden  Gestalt  wie- 
der aufgebaut  worden,  leider 
unter  Aufgabe  des  einstigen 
riesigen  Giebels.^) 

Mehrmals  verbindet 
sich  an  den  Fassaden,  ähn- 
lich wie  in  dem  benachbarten 
Braunschweig,  der  Steinbau 
mit  dem  Holzbau,  so  daß 
Erdgeschoß  und  erster  Stock 
dem  ersteren  gehören,  die 
oberen  Teile  in  Fachwerk 
ausgeführt  sind.  So  in  un- 
gemeinreizvollerVerbindung 
an  einem  Hause  Roßmühle 
Nr.  8,  wo  besonders  der  Stein- 
bau zu  hoher  Eleganz  durch- 
gebildet ist.  Ähnlich  Köb- 
lingerstraße  Nr.  9,  wo  auch 
der  Fachwerkbau  zierlich 
entwickelt  ist,  und  die  un- 
teren Teile  die  hier  so  be- 
liebte Säulenarchitektur  der 

1)  Aufn.  bei  Ortwein  a.  a. 
0.  Taf.  11—18. 


Abb.  292  Haus  früher  an  der  Marktkirche  m  Hannover 


■HÜHIIIi 


460 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Fenster  in  edelster  Behandlung  zeigen.  In  derselben  Weise  die  einstige  „Hof- 
schule" Burgstraße  Nr.  23  vom  Jahre  1620,  durch  prächtigen  Erker  ausgezeichnet, 
jetzt  abgebrochen.^)  Ein  kleines  Haus  desselben  Mischstils  Knochenhauerstraße 
Nr.  61,  das  Erdgeschoß  zum  Teil  modernisiert,  das  übrige  fein  und  elegant.  In 
derselben  Straße  Nr.  7  zeigt  ein  Haus  von  1594  einfache  Steinarchitektur,  aber 
reich  und  kraftvoll  entwickelten  Holzbau. 


Abb.  293   Griebel  an  dor  Osterstraße  zu  Hameln  ISlf^ 


Endlich  gibt  es  einige  reine  Fachwerkbaulen  im  Renaissancestil.  Schmiede- 
straße Nr.  11  ein  Haus  von  1554,  nicht  eben  bedeutend,  aber  die  Balkenköpfe 
elegant  als  antikisierende  Konsolen  gestaltet.  Das  heute  stattlichste,  Nr.  15  am 
Markt,  hat  an  den  Fensterbrüstungen  das  Muschel-  oder  Fächerornament  in  be- 
sonders schöner  Ausbildung.  Besonders  reich  ist  das  ältere  Haus  Burgstraße 
Nr.  28,  an  den  Schwellen  mit  kräftig  gerippten  Rundstäben,  an  den  Fenster- 
brüstungen das  Fächerornament,  dazu  reicher  Blumen-  und  Laubschmuck.  Ein 
ähnliches  kleines  in  der  Röselerstraße.  Ein  inzwischen  abgebrochenes  Haus  in 
der  Knochenhauerstraße  war  in  der  Mitte  durch  aufgesetzten  Dacherker,  an  den 
Seiten  durch  zwei  symmetrisch  angebrachte  Elker  belebt. 


1)  Abb.  bei  Fritsch  a.  a.  0. 


Gandersheim  Hameln 


461 


In  Gandersheim  sind  mehrere  Bauwerke,  die  an  Hannoversche  Stein- 
architektur anklingen.  Das  uralte  hochberühmte  Damenstift,  dessen  Abteikirche 
zu  den  wichtigsten  Denkmälern  der  romanischen  Epoche  gehört,  erlitt  im  Jahre 
1597  unter  der  Äbtissin  Anna  Erika  von  Waldeck  einen  Brand,  der  die  Residenz 
zerstörte  und  den  Neubau  des  südlichen  Teils  der  Abtei  veranlaßte.  Dieses  in  den 
Jahren  1599  und  1600  ausgeführte  Werk,  als  dessen  Meister  Henrich  von  Oevekate 
genannt  wird,  zeigt  eine  kräftige  Steinarchitektur  mit  einem  stattlichen,  durch 
zwei  Erker  bereicherten  Giebel.  Die  Behandlung  ist  kraftvoll  in  einem  schlichten 
Stil,  der  nur  mäßige  Anwendung  barocker  Elemente  zeigt.  Besonders  sind  die 
Schneckenabschlüsse  am  Giebel  und  den  beiden  Erkern  frei  von  den  bunten  Will- 
kürlichkeiten dieser  Spätzeit.  Doch  kommt  in  den  Brüstungen,  an  den  Fenster- 
wänden und  Gesimsen  der  Erker  das  Kartuschenwerk  und  das  lineare  Flächen- 
ornament der  Epoche  zu  wirksamer  Verwendung.  Der  kleinere  Erker  ist  mit 
kannelierten  und  gegürteten,  am  unteren  Teil  des  Schaftes  reich  geschmückten 
ionischen  Pilastern  gegliedert.  Verwandten  Charakter  zeigt  das  1581  neu  erbaute 
Rathaus,  welches  1588 
noch  eine  Erweiterung  er- 
hielt. Es  ist  ein  stattlicher 
malerischer  Bau  mit  tüch- 
tig behandelten  Portalen 
in  dem  kräftigen  Stil  der 
Zeit,  durch  reiches  Kar- 
tuschenwerk belebt.  Der 
Hauptsaal  wird  nach  drei 
Seiten  durch  Erker  erleuch- 
tet, die  auf  kraftvoll  be- 
handelten Konsolen  vorge- 
kragt und  durch  schlanke 
korinthische  Säulen  ge- 
teilt sind.*) 

In  den  mittleren  We- 
sergegenden, deren  reiche 
Schloßbauten  wir  schon 
kennen  lernten,  gehört  zu- 
nächst Hameln  zu  den 
wichtigeren  Orten  der  nord- 
deutschen Renaissance.^) 
Der  bürgerliche  Privatbau 
hat  hier  aus  der  entwickel- 
ten Renaissance  eine  Reihe 
großartiger  Monumente 
hinterlassen,  die  von  dem 
Reichtum  und  der  Kunst- 
liebe des  damaligen  Bürger- 
tumes  glänzendes  Zeugnis 
geben.  Es  sind  fast  durch- 

1)  Aufnahmen  bei  Ort- 
wein XXX.  Abt.  von  Bohnsack. 

2)  Vgl.  Mithoff,  Kunst- 
denkm.  I,  58  ff.  und  die  Aufn. 
der  Architekturschule  zu  Han- 

nover.  Dazu  Ortwein,  XII.  Abt.  ^bb.  294   Eattcnfängerhaus  zu  Hameln  '6^i 

von  Dreher  und  Grrisebach.  (Aufnahme  der  Neuen  Photogr.  Gesellschaft,  Steglitz) 


462 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


weg  Steinbauten,  nicht  von  der  Feinheit  der  Hannoverschen,  sondern  in  dem 
kraftvoll  malerischen  Charakter  der  Hämelschenburg.  Meistens  Giebelfassaden, 
in  den  energischen  Formen  der  entwickelten  Zeit  gestaltet  und  mit  einem  oder 
auch  zwei  Erkern  ausgestattet.  So  die  beiden  Häuser  der  Osterstraße  Nr.  9  mit 
einem,  Nr.  12  mit  zwei  Erkern.  Von  dem  ersteren,  welches  die  Jahreszahl  1589 
trägt,  geben  wir  nach  Ortwein  unter  Abb.  293  den  Giebel,  der  trotz  seiner  phan- 


Abb.  295   Hochzeitshaus  zu  Hameln 
(Aufnahme  der  Neuen  Photogr.  Gesellschaft,  Steglitz) 

tastisch  geschweiften  Bekrönungen  durch  die  klare  Einteilung  und  lebensvolle 
plastische  Gliederung  einen  vornehmen  Eindruck  macht.  Das  früheste  dieser 
Steinhäuser  ist  aber  die  inschriftlich  1569  vollendete  Fassade  des  Hauses  Bäcker- 
straße Nr.  16,  das  der  Patrizier  Johann  Rieke  errichten  ließ.^)  Hier  ist  die  ganze 
Behandlung  von  strenger  Einfachheit,  das  Portal  sogar  noch  spitzbogig,  die  Fenster 
mit  mittelalterlicher  Umrahmung,  der  Giebel  nur  durch  kräftige  Gesimse  und 
einfache  Lisenen  gegliedert.  Bezeichnend  ist  besonders,  daß  die  Absätze  des 
Giebels  durch  schön  geschwungene  eingekerbte  Voluten  bekrönt  werden,  die  noch 
nichts  von  den  späteren  krausen  Schnörkeln  und  barocken  Schweifen,  von  Obe- 
lisken u.  dgl.  kennen  und  der  Fassade  ein  ungemein  edles  Gepräge  verleihen. 
Hier  findet  sich  nun  das  früheste  Beispiel  der  auch  in  diesen  Gegenden  be- 
liebten ungemein  stattlichen  Erkerbauten,  die  vom  Erdgeschoß  in  breiter  recht- 
winkliger Anlage  bis  zum  oberen  Stockwerk  aufsteigen  und  mit  einem  reich- 
geschmückten Giebel  abschließen.  Sie  verleihen  den  Zimmern  in  beiden  Ge- 
schossen eine  willkommene  Erweiterung  und  durch  die  Seitenfenster  nach  beiden 

1)  S.  Ortwein  a.  a.  0.  3.  Heft  Taf.  1  u.  2. 


Hameln 


463 


Richtungen  einen  freien  Blick  auf  den  Straßenverkehr.  Einen  besonderen  Schmuck 
empfängt  diese  edle  und  strenge  Fassade  durch  zwei  auf  Konsolen  neben  dem 
Portal  hervorspringende  elegante  Baldachin-Nischen  mit  dem  Wappen  des  Be- 
sitzers nach  Art  der  Danziger  Beischläge.  Eine  weitere  Entwicklung  dieses  Fas- 
sadentypus zeigt  ein  Haus  in  der  Osterstraße  vom  Jahre  1576.^)  Hier  ist  das 
Spitzbogenportal  mit  Rustika-Quaderwerk  dekoriert,  der  Giebel  aber  bereits  mit 
reicheren  verschnörkelten  Voluten  abgeschlossen.  Die  Fassade  erhält  außerdem 
als  die  einzige  in  der  Stadt  durch  zwei  symmetrisch  angebrachte  Erker  ein  be- 
sonders stattliches  Gepräge.  Eine  noch  weitere,  noch  krausere  und  reichere  Aus- 
bildung desselben  Typus  bringt  dann  die  oben  besprochene  Fassade  von  1589. 
Es  ist  wertvoll,  an  diesen  drei  Beispielen  innerhalb  derselben  Stadt  die  Formen- 
entwicklung durch  zwanzig  Jahre  verfolgen  zu  können.  Um  1600  dringt  dann 
jedenfalls  aus  Niederdeutschland  eine  neue  Behandlung  ein,  welche  durch  mit 
Kristallschnitten  auf  das  reichste  geschmückte  Quaderbänder  eine  noch  derbere 
Ausdrucksweise  erstrebt  und  auch  an  den  Giebeln  noch  mehr  eigenwiüiges 
Volutenwerk  häuft.  Das  prachtvollste  Werk  dieser  Gattung  ist  das  sogenannte 
Rattenfängerhaus  vom  Jahre  1602.^)  (Abb.  294.)  In  seiner  derben  Ausstattung 
von  verzierten  Quaderbändern  und  energischer,  durch  alle  Geschosse  reichenden 
Pilasterarchitektur,  den  kolossalen  Giebel  mit  phantastischen  Schweifen  eingefaßt, 
im  Erdgeschoß  und  ersten  Stock  ein  reicher  Erker,  erinnert  dieser  imposante  Bau 
durchaus  an  die  späteren  Teile  der  Hämelschenburg  und  muß  wohl  als  Werk 
des  gleichen  Meisters  betrachtet  werden.  Von  demselben  Stil,  nur  in  etwas  ein- 
facherer Behandlung,  welche  auf  die  reichen  Pilasterstellungen  verzichtet,  auch  der 
gleichen  Hand  zuzuschreiben,  ist  das  grandiose  Hochzeitshaus^'),  das  die  Stadt 

mit    ungewöhnlichem  Auf-  

wände  1610  errichten  ließ 


(Abb.  295).  An  den  beiden 
Schmalseiten  erheben  sich 
stattlich-reiche  Giebel,  und 
an  der  langen  Straßenfront 
sind  drei  Dacherker  in  ähn- 
lichen Formen  ausgebaut. 
Das  Haus  war  nicht  bloß  für 
die  Hochzeitsfeste  der  Bür- 
ger, sondern  auch  für  andere 
öffentliche  Zwecke  und  Ver- 
sammlungen bestimmt.  End- 
lich darf  man  vielleicht  dem- 
selben Meister  das  Haus  Nr.  7 
am  Pferdemarkte  zuschrei- 
ben, das  der  Bürgermeister 
der  Stadt  Tobias  v.  Dempter 
1607  für  sich  erbauen  ließ.*) 
(Abb.  296.)  Die  unteren  Teile 
sind  in  ähnhchem  Stil  in 
Sandstein  ausgeführt,  die  obe- 
ren aber  in  reichgeschnitztem 

1)  S.  Ortwein  a.  a.  0.  Heft  3, 
Taf.  3. 

2)  Ebenda,  Heft  3,  Taf.  5—8. 

3)  Ebenda,  Heft  2,  Taf.  1—4. 


4)  Ebenda,  Heft  1,  Taf.  1 — 6.  Abb.  296  Demptersches  Hans  zu  Hameln  I^O' 


464 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


Fachwerkbau.  Außerdem  kommen  auch  reine  Holzbauten  vor ;  so  das  schön  ge- 
schnitzte Haus  Nr.  8  an  der  Osterstraße,  andere  an  der  Bäckerstraße,  der  Groß- 
hofstraße, ein  besonders  frühes  und  schönes  an  der  Wendenstraße  vom  Jahre  1560, 
ein  ähnlich  reich  und  elegant  ausgeführtes  von  1561  an  der  Fischpfortenstraße; 
eins  der  prachtvollsten  sodann,  mit  ungemein  reich  und  energisch  behandelter 
figürlicher  Ausstattung  der  Knaggen  ist  das  Stiftsherrenhaus  vom  Jahre  1588  in 
der  Osterstraße.  Alle  diese  Beispiele  zeigen  eine  besonders  edle  plastische  Be- 
lebung der  Schwellhölzer  und  Kopfbänder,  sowie  der  Fensterbrüstungen,  die  durch 
ein  muschel-  oder  fächerförmiges  Ornament  (ähnlich,  aber  noch  mannigfaltiger 
als  unsre  Abb.  297)  geschmückt  werden.^)  Wir  haben  wenige  Städte  in  Deutsch- 


Abb.  297   Vum  Hiitteselicii  Haus  zu  Höxter 


land,  in  welchen  Steinbau  und  Fachwerkbau  in  so  reicher  künstlerischer  Entwick- 
lung neben-  und  miteinander  wetteifern.  Endlich  sei  auch  der  charaktervollen 
zahlreichen  Wetterfahnen  gedacht,  von  denen  unsere  Abb.  298  nach  Ortwein 
Proben  gibt. 

Weiter  südwärts  in  den  Städten  dieses  Gebietes  herrscht  der  Holzbau  vor. 
So  in  besonders  eleganter  Weise  in  Höxter,  über  dessen  Bauten  ich  mich  hier 
kurz  fassen  kann.^)  Die  Bauten  zeigen  hier  teils  die  Giebelform,  teils  die  breitere 
Anlage,  welche  dann  durch  Dacherker  malerisch  belebt  wird.  In  der  eleganten 
und  kraftvollen  Durchbildung  der  Schwellhölzer,  der  Kopfbänder  und  Konsolen 
sowie  der  Fensterbrüstungen  mit  ihren  vielfach  variierten  Muschel-  oder  Fächer- 
formen (Abb.  299)  gehören  sie  unbedingt  zu  den  schönsten  Schöpfungen  dieses 
Stils.  Musterhaft  ist  dieser  an  der  Dechanei  vom  Jahre  1561  entwickelt,  durch 
stattUchen  polygonen  Erker  ausgezeichnet  (Abb.  299);  noch  durchgebildeter  an 
dem  Hütteschen  Hause  vom  Jahre  1565,  wo  namentlich  das  Rundhogenportal  eine 
herrliche  Einfassung  im  besten  Schnitzstil  zeigt.  Einfacher,  mehr  durch  phan- 
tastisches Rankenornament  belebt,  der  Erker  am  Frieseschen  Hause  von  1569. 


1)  Von  allen  diesen  gibt  Ortwein  a.  a.  0.  Heft  2  und  3  Beispiele. 

2)  Ortweins  Deutsche  Renaiss.  Abt.  V,  von  B.  Liebold. 


Höxter  Münden 


465 


An  den  späteren  Häusern 
geht  der  Holzbau  zu  einer 
Nachahmung-  der  Steinfor- 
men der  Renaissance  über. 
So  an  dem  reich  behandelten 
Vorbau  des  Wilkeschen  Hau- 
ses von  1642  und  an  dem 
ungefähr  gleichzeitigen  Er- 
ker und  Torweg  des  soge- 
nannten Tillischen  Hauses. 

Manches  Interessante 
bietet  die  malerisch  am  Zu- 
sammenfluß der  Werra  und 
Fulda  gelegene  Stadt  Mün- 
den. Zunächst  das  ehe- 
maUge  herzogliche  Schloß 
der  Calenberger  Linie;  ein 
gewaltiger,  leider  stark  ent- 
stellter Bau.  Die  gegen  den 
Fluß  gerichtete  Nordfassade 
von  kolossaler  Höhe  und 
mächtiger  Ausdehnung  läßt 
nur  noch  die  vermauerten 
Fenster  der  drei  Hauptge- 
schosse mit  ihren  steinernen 
Kreuzstäben  erkennen.  Sechs 
Dacherker  erheben  sich  über 
dem  Gesimse.  Den  west- 
lichen Abschluß  dieses  Flü- 
gels bildet  ein  hoher  Giebel 
mit  Voluten  und  Figuren.^) 


Abb.  298   Schmiedeiserne  Wetterfahnen  aus  Hameln 


Am  östlichen  Ende  dagegen 


Abb.  299   Dechanci  zu  Höxter 
Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  11  3.  Aufl. 


sieht  man  drei  hohe 
Spitzbogenfenster 
der  Kapelle,  gleich 
dem  daneben  aus- 
gebauten Polygo- 
nen Erker  von  ei- 
nem früheren  Bau 
aus  dem  Ende  des 
Mittelalters  stam- 
mend. Im  Hofe  ge- 
hört zu  diesem  äl- 
teren Teil  der  acht- 
eckige Treppen- 
turm in  der  Ecke 
des  nördlichen  und 
östlichen  Flügels, 
inschriftlich  durch 
Herzog  Erich  den 
Älteren  von  Braun- 
schweig -  Lüneburg 

1)  Aufn.  bei  Ort- 
weiii,  XIII.  Abt. 

30 


466 


2.  Buch    Die  Bauwerke   XVI.  Kapitel  Niedersachsen 


1501  begonnen.  Am  entgegengesetzten  Ende  bemerkt  man  den  Ansatz  zu  einem 
westlichen  Flügel  mit  zwei  Arkaden  in  beiden  Hauptgeschossen,  dekoriert  mit 
toskanischen  und  ionischen  Pilastern,  bekrönt  mit  Schweifgiebeln,  dies  alles  gleich 
dem  nördlichen  Flügel  von  einem  nach  dem  Brande  von  1561  durch  Herzog  Erich  II. 
vorgenommenen  großartigen  Neubau  herrührend.  Dieser  ganze  Neubau  trägt  die 
Züge  rein  vlämischer  Renaissance.  Die  glatten  Quaderflächen  mit  scharfen  Ge- 
simsen, die  steinernen  Fensterkreuze,  die  flächige  Behandlung  der  Giebel,  vor 
allem  aber  auch  die  Reste  der  innern  Ausstattung  bestätigen  dies  deutlich.  Es 
sind  darin  strenge  Marmorportale,  Holzbalkendecken  uud  anderes,  alles  in  einer 
Gestalt,  wie  wenn  es  direkt  aus  einem  Antwerpener  Bau  hierher  übertragen 
wäre.  Köstlich  ist  von  der  nördlichen  Fassade  der  Blick  auf  den  Fluß  und  die 
gegenüberliegenden  mit  Buchenwäldern  belaubten  Höhen. 


Abb.  300   Eathaus  zu  Münden  \i(/y^ 


In  der  Stadt  ist  das  Rathaus  ein  ansehnlicher  Bau  von  1605.^)  (Abb.  300.) 
In  stattlichen  Verhältnissen  erhebt  sich  die  Fassade,  von  drei  kräftigen  Giebeln 
nebeneinander  bekrönt,  im  Erdgeschoß  und  den  beiden  oberen  Stockwerken  mit 
gekuppelten  Fenstern  von  mittelalterlichem  Rahmenprofil  durchbrochen.  An  der 
rechten  Seite  baut  sich,  vom  Erdgeschoß  beginnend,  ein  rechtwinkliger  Erker 
heraus,  mit  Hermen,  Fenstersäulen,  eleganten  Friesen  und  Brüstungen  geschmückt 
und  mit  einem  Schweifgiebel  abgeschlossen.  Noch  prächtiger  ist  in  der  Mitte 
das  große  Hauptportal.  Von  beiden  Seiten  führt  eine  doppelte  Freitreppe  hinauf 
und  mündet  auf  einen  mit  reichem  Steingeländer  eingefaßten  Vorplatz,  der  durch 
zwei  untergestellte  Säulen  sich  nach  vorn  altanartig  erweitert.  Das  Portal  selbst^), 
im  Rundbogen  geschlossen,  von  gekuppelten  ionischen  Säulen  eingefaßt  und  von 

1)  Vgl.  die  Aufn.  ebenda,  XIII.  Abt.  von  B.  Liebold.  Taf.  1—10,  15—18,  21,  22,  30. 

2)  Abb.  bei  Fritsch. 


Münden 


467 


einem  reichen  Aufsatz  mit  dem  Wappen  der  Stadt  bekrönt,  hat  gleich  dem  Erker 
durch  Vergoldung  noch  mehr  Glanz  erhalten.  Durch  die  prächtig  geschnitzle 
und  mit  schönen  Eisenbeschlägen  ausgestattete  Tür  gelangt  man  im  Innern  auf 
einen  großen  Vorsaal,  dessen  Balken  auf  kräftigen  Holzsäulen  mit  reich  gebildeten 
Kopfbändern  ruhen.    Die  durchweg  groß  angelegten,  wieder  gut  hergestellten 


Abb.  301   Junkernhaus  zu  Göttingen 


Räume  besitzen  in  Portalen  und  mächtigen  Kaminen  noch  fast  ganz  die  ur- 
sprüngliche reiche  Ausstattung.  Im  oberen  Geschoß  ruhen  die  Balken  der  Vor- 
saaldecke  auf  toskanischen  Säulen,  über  denen  die  Kopf  bänder  in  Schneckenform 
vorspringen.  Als  Meister  des  Baues  werden  Georg  Großmann  von  Lemgo  und 
Friedrich  Weitmann  von  Münden  genannt. 

Die  Bürgerhäuser  beherrscht  hier  ausschließlich  der  Fachwerkbau,  der  aber 
in  ebenso  mannigfaltiger  als  zierlicher  Weise  durchgebildet,  den  Straßen  der 
freundHchen  Stadt  ein  anheimelndes  Gepräge  gibt.^)  Die  Häuser  sind  in  der 
Regel  mit  ihrer  Langseite  der  Straße  zugewendet  und  in  der  Mitte  durch  einen 
hohen  Dacherker  abgeschlossen.  Dieser  setzt  in  seinem  Giebelbau  die  Behand- 
lung der  Fassade  fort,  die  in  stark  herausgekragten  Stockwerken  angelegt  ist. 
In  der  künstlerischen  Ausbildung  zeigen  diese  Häuser  jede  Abstufung  vom  Ein- 
fachsten bis  zum  Reichsten. 

Die  älteste  noch  gotische  Form  ist  roh  konstruktiv  behandelt,  aber  mit 
Ornament  versehen.   Dann  kommen  die  tief  ausgekehlten  und  abgefasten  Schwell- 

1)  Aufn.  bei  Ortweiii,  D.  Ren. 


468      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 

hölzer,  wie  an  dem  schönen  Hause  der  Langen  Straße  mit  der  Inschrift:  Aedes 
Jodolphus  Piscator  condidit  istas  1548.  Ebenso  das  mächtige  Eckhaus  der  Markt- 
und  Langen  Straße  vom  Jahre  1554,  an  der  einen  Seite  mit  einem  Dacherker, 
an  der  andern  mit  zwei  sonst  hier  nicht  vorkommenden  Erkern  belebt. 

Bald  darauf  treten  die  reicheren  Formen  der  diagonal  gekerbten  und  ge- 
rippten Rundstäbe  an  den  Schwellhölzern  in  den  schönsten  Mustern  auf,  ähnlich 
den  Häusern  in  Hameln  und  Höxter.  Endlich  geht  alles  in  antikisierende  Formen 
über,  die  Balkenköpfe  werden  als  Konsolen  mit  geschwungenem  Profil  und  hübscher 
Perlschnur  behandelt,  die  Schwellen  und  ihre  Füllbalken  mit  feinen  klassischen 
Gliederungen  und  zierlichen  Konsolen-  oder  Zahnschnittfriesen  in  mehrfachen 
Reihen  dekoriert.  So  an  einem  der  größten  und  schönsten  Häuser,  der  Südseite 
der  Kirche  gegenüber ;  noch  zierlicher  antikisierend  gleich  daneben  am  Pfarrhaus. 
Genau  dieselbe  Behandlung  an  einem  Hause  der  Marktstraße  mit  der  Inschrift: 
Psalm  68.  Tu  recreas  bonitate  tua  afflictum  deus.  Wilhelm  Spangenberg  anno 
dni  MDLXXX.  X.  Juni.  In  beiden  Fällen  die  Haustür  durch  antikisierende 
Pilaster  oder  Säulen  im  Charakter  des  Steinbaues  eingefaßt.  Ungemein  kraftvoll 
behandelt,  aber  nicht  mehr  so  fein  gegliedert  eines  der  spätesten  Häuser  vom 
Jahre  1648  in  der  Rathausstraße. 

Ein  vereinzeltes  Werk  edler  Frührenaissance  besitzt  die  Blasiuskirche  in 
dem  Epitaph  Herzog  Erichs  I.  (f  1540)  und  seiner  Gemahlinnen  Katharina  von 
Sachsen  (f  1524)  und  Elisabeth  von  Brandenburg,  wohl  noch  zu  Lebzeiten  des 
Fürsten  angefertigt.  Es  ist  eine  ganz  vorzügliche  Arbeit,  in  der  Architektur 
noch  schlicht,  im  Figürlichen  voll  Lebensgefühl  und  Adel,  in  Solnhofer  Kalkstein 
\on  Loyen  Hering  ausgeführt:  die  knieenden  Gestalten  der  Verstorbenen  vor  dem 
Kruzifixus  in  Relief,  umgeben  von  einer  schönen,  von  Kandelabersäulen  getragenen 
Architektur. 

Die  Orgel  in  derselben  Kirche  hat  ein  Gehäuse  von  1645,  in  reichen,  schon 
ziemlich  barocken  Formen  geschnitzt,  in  Gold  und  Weiß  dekoriert. 

Göttingen  besitzt  in  einigen  einfachen  Häusern  manche  Anklänge  an 
stadthannoversche  Steinarchitektur,  sonst  nicht  viel  mehr,  was  uns  hier  beschäf- 
tigen kann.  Nur  das  sehr  tüchtige  Junkernhaus,  leider  teilweise  entstellt, 
ist  ein  Bau  von  reicher  Durchführung,  insbesondere  in  der  eigenartigen  über- 
hängenden Partie  an  der  Ecke  (Abb.  301).  Die  mächtige  Auskragung,  auf  Runde 
mit  Medaillons  sich  stützend;  die  Ständer  als  Pilaster  reich  geschnitzt,  ebenso 
die  Schwellen.  Die  Brüstung  ist  mit  einer  Art  Flechtwerk  aus  Balken  gefüllt; 
das  Ganze  ein  Werk  echt  germanischer  Art. 


Siebzehntes  Kapitel 

Die  nordwestlichen  Binnenländer 

In  diese  Gruppe  fasse  ich  die  Lippeschen  Länder,  Westfalen  und  den  Nieder- 
rhein zusammen.  Es  sind  Gebiete,  die  für  die  Entwicklung  der  Renaissance  keine 
hervortretende  Bedeutung  besitzen,  wenngleich  sie,  zumeist  aus  der  Spätzeit, 
manches  wertvolle  Werk  des  Stiles  aufzuweisen  haben.  Wieder  spiegeln  sich  auch 
hier  in  den  Denkmalen  die  allgemeinen  Kulturverhällnisse.  Das  welthche  Fürslen- 
tum,  ein  Hauptträger  der  Renaissancekunst,  kommt  hier  weniger  in  Betracht. 
Weitaus  dagegen  herrscht  das  geistliche  Element  vor;  die  mächtigen  Diözesen 
von  Köln  und  Trier,  die  kleineren  von  Münster,  Osnabrück,  Minden  und  Paderborn, 
deren  Gebiete  noch  jetzt  größtenteils  dem  KathoHzismus  angehören,  sind  keine 
hervorragenden  Förderer  der  Renaissancekultur.    In  kirchlichen  Ausstattungs- 


Stadthagen  Schloß 


469 


werken,  Grabmälern,  Lettnern,  Altären  u.  dgl,  erschöpft  sich  vorwiegend  hier  die 
neue  Kunst.  Erst  im  Ausgang  der  Epoche  stellen  die  Jesuiten  mehrere  große 
kirchliche  Bauten  (Köln,  Koblenz)  als  Denkzeichen  der  Gegenreformation  hin. 
Dagegen  tritt  die  Kraft  des  Bürgertums  stark  zurück.  Abgesehen  von  einzelnen 
Prachtwerken  (Rathaushalle  zu  Köln)  treibt  sie  hier  bei  weitem  nicht  jene  un- 
erschöpf  hebe  Menge  von  Monumenten  hervor,  die  in  anderen  Gegenden  die  Städte 
erstehen  lassen.  Selbst  eine  Stadt  wie  Köln  ist  arm  daran.  Nur  das  Weser- 
gebiet, soweit  es  in  diese  Gruppe  gehört,  nimmt  teil  an  jener  üppigen  Nach- 
blüte der  Schlußepoche,  deren  Spuren  wir  schon  im  vorigen  Kapitel  begegneten. 
Neben  den  Steinbauten  prägt  sich  auch  hier  der  Holzstil  mannigfach  und  an- 
ziehend aus.  Und  zwar  in  zwei  gesonderten  Gruppen.  Die  östliche,  dem  an  die 
hessischen  Lande  grenzenden  Teile  Westfalens')  angehörend,  schließt  sich  im 
Charakter  der  Bauten  der  in  Niedersachsen  herrschenden  Art  an.  Die  westliche, 
an  Rhein  und  Mosel  auftretend,  zeigt  ein  wesenthch  abweichendes  Gepräge,  das 
mit  Mittel-  und  Südwestdeutschland,  aber  auch  den  Niederlanden  zusammen- 
hängt, diese  Einflüsse  zur  edelsten  und  feinsten  Entwicklung  führt. 

Westfalen 

In  dem  weitgestreckten  westfälischen  Gebiet  zeigen  nur  die  Wesergegenden 
eine  lebhaftere  Aufnahme  der  Renaissance,  die  dort  und  in  den  dazu  gehörigen 
zwei  Lippeschen  Ländern  gegen  Ausgang  der  Epoche  eine  Anzahl  glänzender 
Bauten,  sowohl  in  Stein  wie  in  Holz,  hervorgebracht  hat.  Zunächst  sind  hier 
mehrere  Schloßbauten  zu  nennen:  Thienhausen  bei  Steinheim,  Schloß  Varen- 
holz im  Lippeschen  (1595),  ein  umfangreicher  Bau,  aus  vier  Flügeln  bestehend, 
an  zwei  Ecken  mit  mächtigen  quadratischen,  oben  ins  Polygone  übergehenden 
Türmen  flankiert;  die  Fenster  noch  mittelalterlich  mit  dem  Vorhangbogen;  im 
Hof  ein  hübscher  Renaissance-Erker.^) 

Weiter  gehört  hierher  im  Schaumburgischen  Stadthagen ^)  mit  ansehn- 
lichem Schlosse,  das  seit  1535  vom  Grafen  Otto  zu  Holstein-Schaumburg  er- 
richtet wurde.  Weithin  durch  seine  ansehnlichen  Massen  und  seine  hohen  Giebel 
hervorragend,  gruppiert  sich  der  Bau  in  fast  quadratischer  Anlage  um  einen 
großen  Hof,  der  in  seinem  runden  Treppenturm  und  den  einzelnen  Türen  und 
Fenstern  noch  gotische  Formen  zeigt.  Die  Giebel  haben  eine  auch  anderwärts 
häufig  vorkommende  schhchte  und  doch  charakteristische  Form,  indem  sie,  drei- 
oder  fünfteilig,  ihre  Abstufungen  durch  kugelbesetzte  Halbkreise  krönen.  Merk- 
würdig ist  der  Brunnen  im  Hofe,  den  man  in  seinen  unteren  Teilen  fast  für  eine 
romanische  Arbeit  halten  könnte,  wenn  er  nicht  den  Namen  des  gräfhchen  Er- 
bauers und  die  Jahreszahl  1552  trüge.  Jedenfalls  hat  der  Künstler  romanische 
Denkmale  im  Auge  gehabt,  als  er  die  untere  sechsteilige  Schale  mit  ihren  sechs 
stämmigen  Säulen  auf  merkwürdig  rohe  ruhende  Löwen  stellte.  Aus  der  Schale 
steigt  sodann  in  der  Mitte  ein  reich  gegliederter  hoher  Aufsatz  empor,  in  zwei 
Abteilungen  mit  Figuren  und  Wappen  reich  geschmückt  und  von  einer  Justitia 
bekrönt.  Alles  Figürliche  ist  ungeschlacht,  die  Erfindung  des  Ganzen  aber  vor- 
trefflich. Derselben  Zeit  gehören  im  Innern  des  Schlosses  zwei  prachtvolle  Kamine 
an,  welche  man  wegen  ihrer  üppigen  Formen  für  später  halten  würde,  wenn  sie 
nicht  Namen  und  Wappen  des  Grafen  Adolf  und  seiner  Gemahlin,  Herzogin 

1)  Über  Westfalen  verweise  ich  auf  die  zwölf  schönen  Bände  der  Bau-  und  Kunstdenk- 
mäler, herausgegeben  von  Ludorff,  wo  sich  eine  ganze  Anzahl  der  beschriebenen  Kunstwerke 
dargestellt  findet. 

2)  Aufnahme  bei  Fritsch  a.  a.  0. 

3)  Aufn.  bei  Ortwein,  XXXI.  Abt. 


470     2,  Buch   Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Abb.  302   Schloß  zu  Bückeburg  Rückseite 


ELisabeth  von  Braunschweig-Lüneburg,  trügen.  Besonders  die  bocksbeinigen,  zum 
Teil  in  barocken  Umhüllungen  steckenden  hermenartigen  Atlanten  und  Karyatiden 
sind  dafür  bezeichnend.  Aus  derselben  Zeit  stammt  offenbar  das  Rathaus,  mit 


Abb.  303  Schloßkapelle  zu  Bückeburg 


Bückeburg 


471 


ähnlichen  Giebeln  wie  das  Schloß  und  mit  mehreren  Erkern  ausgestattet,  deren 
barocke  Bekrönungen  indes  offenbar  einer  späteren  Epoche  angehören,  während 
die  Fenster  durch  feine  Säulchen  in  frühen  Formen  getrennt  sind. 

Dem  Schloß  zu  Stadthagen  verwandt  ist,  soweit  nicht  umgebaut,  das  Schloß 
zu  Bückeburg,  äußerlich  ebenfalls  völhg  schlicht  und  mit  ähnlich  behandelten 
Giebeln,  die  noch  den  Charakter  der  Frührenaissance  tragen  (Abb.  302).  Dagegen 
enthält  das  Innere 
des  Schlosses,  na- 


mentlich im  „gol- 
denen Saal"  eine 
Prachtdekoration 
aus  dem  17.  Jahr- 
hundert, die  zum 
üppigsten  und  groß- 
artigsten gehört, 
was  jene  Epoche 
hervorgebracht  hat. 
Die  Decke  besteht 

nach  veneziani- 
schen Mustern  aus 
einem  herrlich  ge- 
schnitzten undreich 
vergoldeten  Rah- 
menwerk, welches 

Ölgemälde  um- 
schließt, mit  hän- 
genden, reich  ge- 
schnitzten Zapfen 
an  den  Balkenkreu- 
zungen. Das  glän- 
zendste Pracht- 
stück überhaupt 
dieser  ganzen  Zeit 
aber  ist  die  Türe 
des  Zimmers  (Abb. 
304),  zu  beiden  Sei- 
ten und  in  den  obe- 
ren Feldern  mit  frei 
gearbeiteten  nack- 
ten Figuren  und 
Hochreliefs  förm- 


ran-  \  . 


Abb.  304   Goldner  Saal  im  Schloß  zu  Bückeburg 


lieh  überladen,  welche  alle  Manieren  der  damaligen  Kunst,  aber  mit  glänzender  Vir- 
tuosität durchgebildet,  zur  Schau  tragen.  Dazu  kommt  eine  überschwengliche 
Ornamentik,  aus  allen  Elementen  der  Spätzeit  zusammengesetzt,  aber  wiederum 
mit  größter  Meisterschaft  gehandhabt.  Man  sieht  bald,  daß  hier  Wendel  Dietterlein 
Pate  gestanden  hat,  und  daß  die  Künstler  des  Fürsten  sich  zum  Ziel  gesetzt  hatten, 
dessen  radierte  überschwengliche  Phantasien  in  plastische  Wirklichkeit  zu  über- 
setzen. Noch  stärker,  doch  im  einzelnen  manchmal  übergroß  und  gewaltsam,  äußert 
sich  dies  in  dem  Wunderwerk  der  Schloßkapellen- Ausstattung,  deren  Gestühl,  Altar 
und  Fürstenempore  das  Äußerste  leisten,  was  auf  diesem  Gebiete  wohl  geschaffen 
werden  kann.  Doch  ist  vor  allem  der  fürstliche  Stuhl  von  höchstem  phantastischen 
Reiz  (Abb.  303);  die  herrlichen  Wappen,  die  Schnitzereien  und  Reliefs  der  Brüstung, 


472      2.  Bucli   Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel    Die  nordwestliclien  Binnenländer 


darunter  das  glänzende  et- 
was manierierte  Gemälde  des 
Jüngsten  Gerichts  von  Josef 
Heinz  geben  ein  wunderbar 
malerisches  Bild.  Das  noch  go- 
tische Gewölbe  mit  reichster 
Groteskenmalerei  bedeckt. 

Gleichen  Stiles  war  das 
nahegelegene  Jagdschloß 
Baum,  von  dem  leider  nur 
noch  die  Ruine  des  Schnek- 
kenbergs  mit  den  breiten 
Portalen  dazu  und  den  Spu- 
ren einer  riesigen  Nischen- 
und  Wasseranlage  mit  bild- 
hauerischen Resten  vorhan- 
den sind.  Diese  beiden  Por- 
iale  in  Stein  sind,  obwohl 
baufällig,  doch  noch  immer 
die  glänzendsten  Meißelwerke 
dieser  Zeit,  geradezu  wie  aus 
Dietterleins  Werk  entnommen 
(Abb.  305).  Wer  die  Künstler 
waren,  die  den  Fürsten  hier 
unterstützten,  ist  unbekannt. 
Doch  findet  man  auf  dem  ra- 
dierten Titelblatt  der  Schaum- 
burger Chronik,  gleichzeitig 
und  gleichen  Stiles,  das  Monogramm  NB.  Die  Bildhauer  haben  aber  offenbar 
schon  vorher  in  der  Gegend,  besonders  in  Herford  und  Minden,  gearbeitet. 

Nicht  minder  prachtvoll  ist  die  aus  derselben  Zeit  stammende,  1613  voll- 
endete lutherische  Stadtkirche.  Ihre  ganz  in  Sandstein  ausgeführte  Fassade 
ist  vielleicht  die  schwungvollste  und  originellste  der  Zeit,  von  wahrhaft  imposanter 
Wirkung  und  überströmender  Gewalt  der  Formen  (Abb.  306).  Im  Hauptfries  liest 
man  die  Inschrift:  „Exeraplum  Religionis  Non  STructurae",  worin  als  Akrostichon 
der  Name  des  Erbauers,  ERNST,  enthalten  ist.  Das  Innere  (Abb.  307),  ein  drei- 
schiffiger  Hallenbau  von  ansehnhchen  Verhältnissen,  wird  durch  zwei  Reihen  statt- 
licher korinthischer  Säulen  geteilt,  von  welchen,  durch  einen  architravierten  Auf- 
satz vermittelt,  die  trocken  gotisch  profiherten  spitzbogigen  Kreuzgewölbe  der 
drei  gleich  hohen  Schiffe  aufsteigen.  Wieder  ein  Beweis,  wie  lange  sich  bei  uns 
mittelalterliche  Konstruktion  neben  Renaissanceformen  erhalten  hat.  Prächtig  so- 
dann die  in  Holz  geschnitzte  Kanzel  und  die  am  Ghorende  errichtete  Orgel,  treffhch 
komponiert,  von  schwungvoll  behandelter  Ornamentik,  entsprechend  die  ringsum 
laufende  Empore  und  am  Westende  der  prachtvoll  geschnitzte  fürstliche  Stuhl,  mit 
Fenstern  und  Aufsatz  und  einer  unglaubhch  üppigen  Brüstung.  Alles  aufs  reichste 
bemalt  und  vorwiegend  vergoldet.  Endlich  ist  das  bronzene  Taufbecken  vom 
Jahre  1615,  inschriftlich  das  Werk  eines  Niederländers,  Adriaen  de  Vriese  aus 
dem  Haag,  als  ein  Meisterwerk  zu  bezeichnen  (Bd.  I,  Abb.  30).  Der  Stifter  dieser 
Prachtwerke  war  Graf  Ernst  zu  Schaumburg-Lippe,  geb.  1569,  der  als  Nachfolger 
seines  Bruders  Adolf  Xll.  1619  zum  Reichsfürsten  erhoben  wurde.  Er  hatte  in 
Helmstedt  studiert,  dann  1589-92  auf  Reisen  in  Italien  seinen  Kunstsinn  aus- 
gebildet und  am  Hofe  des  trefflichen  Landgrafen  Moritz  von  Hessen  gelebt.  Vor 


Abb.  305  Vom  Jagdschloß  Baum  bei  Bückebur^ 
(Nach  P.  Eichholz) 


Stadthagen  Mausoleum 


473 


allem  aber  verkehrte  er  am  Hofe  des  Kaisers  Rudolph  II.  zu  Prag  und  knüpfte 
offenbar  dort  Beziehungen  zu  den  Künstlern  des  Hofes,  insbesondere  zu  A.  de 
Vriese,  Joh.  Rottenhamer,  Jos.  Heinz,  Barth.  Spranger  an;  nachher  auch  zu  Nosseni 
in  Dresden. 

So  ließ  er  seit  1609  als  Abschluß  eines  an  vortrefflichem  Wirken  reichen 
Lebens  sich  ein  Grabmal  errichten,  das,  in  Deutschland  in  dieser  Form  einzig, 
als  Skulpturwerk  nur  in  dem  herrlichen  Denkmal  Ludwigs  des  Bayern  in  der 
Liebfrauenkirche  in  München  einen  Mitbewerber  besitzt.^)  Nosseni  entwarf  für 
den  Raum  hinter  dem  Ghorhaupte  der  Kirche  zu  Stadthagen,  in  dem  mehrere 
treffliche  Denkmäler  von  den  dort  bestatteten  Vorfahren  Emsts  zeugen,  einen 
siebeneckigen  Kuppelbau  mit  Laterne  rein  palladianischen  Stils,  außen  und  innen 
mit  großer  Pilasterstellung,  dazwischen  auf  Marmorsäulen  mit  weißen  Kapitellen 
Dreieckgiebel  mit  Wappen  und  Namen  der  Eltern  des  Erbauers,  darauf  Engel- 
gestalten. 

Für  sich  selbst  ließ  er  in  der  Mitte  das  prachtvollste  und  größte  Bronze- 
werk Norddeutschlands  erstehen:  einen  Marmorsarkophag,  um  den  die  vier  über- 
lebensgroßen Gestalten  schlafender  Krieger  sitzen,  und  über  dem  der  riesige  auf- 
erstehende Christus 
zwischen  kleinen  En- 
geln gen  Himmel  weist . 
Die  Flächen  sind  mit 
Bronzereliefs  besetzt; 
nach  vorn  das  ausge- 
zeichnete Relief  bild- 
nis  des  Fürsten.  Das 
Ganze  vom  gewaltig- 
sten Eindruck ;  der 
Christus  vielleicht  et- 
was weichlich  gebo- 
gen in  der  Manier  Gio- 
vanni Bolognas,  die 
Krieger  um  das  Dank- 
mal aber  wohl  das 
Meisterlichste  der  Pla- 
stik jener  Zeit  vor 
Schlüter.  Ädriaen  de 
Vriese  hat  in  ihnen 
das  Höchste  geleistet, 
dessen  er  fähig  war 
(Abb.  308). 

Der  Fürst  Ernst, 
der  1522  starb,  und 
dessen  Gattin  Hedwig 
das  Mausoleum  voll- 
endete, hatte  offenbar 
in  seinen  letzten  Le- 
bensjahren in  Bücke- 


1)  S.  A.  Haupt,  Das 
Mausoleum  des  Fürsten 
Ernst  von  Scliaumburg  zu 
Stadthagen.  In  Ztsohr.  f. 
bild.  Kunst,  N.  F.  VII. 


Abb.  306   Stadtkirchc  zu  Bückeburg 


IMIilllliiifllii 


474      2.  Buch   Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel    Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Abb.  307  Inneres  der  Stadtkirche  zu  Bückeburg  gen  Westen 


bürg  eine  Künstlerkolonie  um  sich  versammelt,  die  in  ihrer  Art  einen  Musenhof 
bildete,  nicht  unähnlich  den  italienischen  der  Renaissance;  zugleich  die  letzte  und 
prächtigste  Blüte  der  deutschen  Renaissance  vor  dem  ungeheuren  Schrecken  des 
Dreißigjährigen  Krieges. 

Von  seiner  Liebe  zur  Wissenschaft  zeugt  die  Gründung  der  Universität  Rinteln, 
von  seinem  Prachtsinn  und  seiner  Kunstliebe  eine  Fülle  von  großen  Kunstwerken. 


Lemgo 


475 


Unter  den  Lippeschen  Städten  nimmt  Lemgo  eine  hervorragende  Be- 
deutung in  Anspruch,  Das  stattliche,  in  seinem  Kern  aus  gotischer  Zeit  datierende 
Rathaus  erhielt  1589  eine  an  die  Nordseite  angebaute  Vorhalle  (Laube)  mit 
Freitreppe,  darüber  ein  erkerartiges  Obergeschoß  (Abb.  309).  Es  ist  eine  Anlage 
ähnlich  der  am  Rathaus  zu  Halberstadt,  aber  in  früheren  Formen  durchgebildet. 
Im  Erdgeschoß  gliedern  breite  ionische  Pilaster  mit  offnen  Arkaden  den  Bau;  im 
oberen  ist  er  ganz  von  Fenstern  durchbrochen,  die  abwechselnd  durch  ionische 
Säulen  und  feine  Pilaster  geschieden  werden.  Reicher  figürhcher  Schmuck  an 
Stylobaten  und  Fensterbrüstungen  erhöht  die  Eleganz  des  zierlichen  Baues,  Noch 
üppiger,  mit  stärkerer  Anwendung  von  Rollwerk,  ist  der  zweistöckige,  ebenfalls 
ganz  mit  Fenstern 
durchbrochene  erker- 
artige Vorbau  an  der 
nördlichen  Ecke,  Die 
Fenster  sind  hier  im 
Erdgeschoß  und  im 
obern  Stock  mit  ioni- 
schen und  korinthi- 
schen Säulen  und  da- 
zwischen mit  fein  or- 
namentierten Pfeilern 
gegliedert,  die  Brü- 
stung im  oberen  Stock 
mit  kräftigen  Bild- 
nissen ausgestattet, 
der  Giebel  mit  krau- 
sem Bandwerk  des 
Barockstils  völlig  be- 
deckt. An  dem  ent- 
gegengesetzten süd- 
lichen Ende  der  langen 
Westfassade  ist  wie- 
derum ein  Erker  im 
Hauptgeschoß  vorge- 
baut, auf  zwei  breit  ge- 
spannten Flachbögen 
mit  dorischen  Säulen 
ruhend,  ähnlich  be- 
handelt, wenn  auch  im 
Ganzen  etwas  nüch- 
terner, die  Quadern 
an  den  Bögen  und 
den  Fensterpfosten 
mit  Sternmustern  ge- 
schmückt, dazwischen 
einzelne   Steine  mit 

prächtigen  Löwenköpfen  und  Masken,  am  untern  Teil  der  schlanken  Säulen  Relief- 
figürchen  von  Tugenden,  die  Giebel  etwas  trocken  mit  aufgerollten  Bändern  eingefaßt. 

Außerdem  ist  eine  große  Anzahl  von  Giebelhäusern,  teils  in  Stein-,  teils  in 
Holzbau,  meistens  der  Renaissance,  in  den  Hauptstraßen  noch  vorhanden,  die  der 
Stadt  ein  ungemein  malerisches,  altertümUches  Gepräge  verleihen,  wie  es  nicht 
allzu  viele  deutsche  Städte  noch  besitzen.    Unter  den  Steinbauten  ragt  durch 


Abb.  308   Mausoleum  in  der  Kirche  zu  Stadthaeen 


476      2.  Buch    Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel    Die  nordwestlichen  Binnenländer 

Großartigkeit  der  Anlage  und  gediegene  Pracht  der  Ausführung  ein  Haus  der 
Breiten  Straße  vom  Jahre  1571  hervor,  mit  fein  behandeltem  Bogenportal  und  zwei 
prächtigen  Erkern;  von  ihnen  ist  der  eine  im  Hauptgeschoß  auf  Konsolen  vorgebaut, 
während  der  andere  gleich  von  unten  emporsteigt  (Abb.  310).  Der  mächtige 
Giebel  und  der  obere  Teil  der  Fassade  erhält  durch  kanneUerte  Halbsäulen  ionischer 
und  korinthischer  Ordnung  und  reich  gegliederte  Gesimse  eine  wirksame  Ein- 


Alib.  309   Rathaus  zu  Lemgo 


teilung.  Auch  die  kraftvollen  Voluten  mit  ihren  Muschelfüllungen  entsprechen  dem 
Charakter  des  übrigen.  Im  ersten  Geschoß  erheben  sich  über  dem  Portal  Adam 
und  Eva,  und  zwischen  ihnen  der  Baum  der  Erkenntnis.  An  den  Brüstungen  der 
Erker  sieht  man  links  zwei  wappenhaltende  Engel  und  die  Figuren  von  Glaube 
und  Hoffnung,  an  dem  kleineren  Erker  rechts  Liebe,  Tapferkeit  und  Gerechtigkeit. 
Über  der  Tür  die  Inschrift :  In  Gades  Namen  unde  Christus  Frede  heft  dyt  Hues 
Herman  Kruwel  buet  an  dise  Stede.  —  Weiter  besitzt  das  jetzige  Hauptsteueramt 
einen  vielleicht  von  demselben  Meister  errichteten  Erker,  mit  reichen  Wappen  in 
den  Fensterbrüstungen  mit  drei  halbrund  geschlossenen  Giebeln. 


Lemgo  Brake 


477 


Besonders  schön  ist  der  Fachwerkbau  entwickelt,  und  zwar  in  jener  ele- 
ganten Form,  die  wir  in  dem  benachbarten  Höxter  kennen  lernten.  Kraftvoll  und 
mannigfaltig  ist  die  Dekoration  der  Schwellbalken  und  Füllhölzer  mit  Flechtwerk, 
gewundenen  Bändern,  eingekerbten  Rippen  u.  dgl.  An  den  Fensterbrüstungen 
spielt  das  Fächermotiv  in  großer  Mannigfaltigkeit  die  Hauptrolle.  Daneben  kommen 
menschliche  Figuren,  Genreszenen,  phantastische  Drachen  und  Tiere  vor,  und 
endlich  sind  auch  derb  geschnitzte  Ranken  an  Pfosten  und  Friesen  hinzugefügt. 
Eine  der  prächtigsten  dieser  Fassaden  in  der  Breiten  Straße,  bezeichnet  1598, 
zeigt  unter  anderem 
die  mehrfach  wieder- 
kehrende Darstellung 
eines  Mannes  mit  dem 
Splitter  und  eines  an- 
dern mit  dem  Balken 
im  Auge. 

Nahe  bei  Lemgo 
liegt  das  heute  zer- 
fallende Schloß 
Brake,  mit  schöner 
Brücke  über  einen 
kleinen  Fluß,  hinter 
der  sich  der  stattliche 
viereckige  Turm  und 
der  Giebel  des  Haupt- 
baus erhebt.  Im  Hofe 
(Abb.  311)  eine  vor- 
springende Galerie  auf 
reichen  Konsolen  an 
dem  Hauptflügel;  die- 
ser hat  unten  dori- 
sche, oben  ionische 
kraftvolle  Pilaster  und 
feine  Doppelfenster 
dazwischen.  In  den 
Turm  führt  ein  statt- 
lich reiches  Portal 
mit  dorischen  Säulen 
und  Wappenaufsatz; 
oben  hat  er  wieder 
eine  Galerie  mit  Dok- 
kengeländer.  Trotz 
starken  Verfalls  ist 
das  Ganze  höchst 
eindrucksvoll ;  von 
tüchtiger  Durchbil- 
dung in  niederlän- 
discher Art. 

Auch  das  kleine 
benachbarte  Salz- 
uflen bewahrt  eine 
Anzahl  von  Stein-  und 

Holzbauten  desselben  Abb.  310   Haus  in  der  Breiten  Straße  zu  Lemgo 


478      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 

prächtigen  Stiles,  Besonders  fein  und  wiederum  von  den  Bauten  zu  Lemgo 
abweichend  ist  der  Giebel  eines  steinernen  Wohnhauses,  der  in  fünf  Stockwerken 
durch  kleine  Rundbogenfenster,  eingerahmt  von  kannelierten  Pilastern,  lebendig 
gegliedert  wird.  Gleich  daneben  ein  anderer  Giebel  von  schwereren  Formen  in 
stark  ausgeprägtem  Schweifstil.  Von  größtem  Wert  sind  die  Holzbauten,  aufs 
reichste  mit  Schnitzwerken  im  Charakter  der  Bauten  von  Lemgo  geschmückt,  ja 
mit  Ornamenten  aller  Art  förmlich  überladen. 


Abb.  .311   Schloßhof  zu  Brake 


Zu  dieser  Gruppe  gehört  nun  auch  Herford,  das  nicht  bloß  durch  seine 
allgemein  bekannten  großartigen  kirchlichen  Denkmale  des  Mittelalters,  sondern 
auch  durch  ansehnliche  Monumente  der  Renaissance  Beachtung  verdient.  An  das 
Rathaus,  einen  geringen  mittelalterlichen  Bau,  legte  man  im  Ausgang  der  Renais- 
sancezeit eine  jener  beliebten  Lauben,  im  Erdgeschoß  als  offene  Halle  abwechselnd 

1)  Vgl.  über  diese  und  andere  Bauten:  Preuß,  Bauliche  Altertümer  im  Lippeschen. 
Lemgo  1873. 


Herford  Bielefeld 


479 


auf  Pfeilern  und  kraftvollen  Säulen  ruhend,  mit  Kreuzgewölben  überdeckt,  darüber 
ein  erkerartiger  Ausbau,  von  zwei  Schweifgiebeln  bekrönt.  Vortretende  schlanke 
Säulchen  gliedern  in  beiden  Stockwerken  die  Wände.  Den  Fenstern  des  Haupt- 
baues gab  man  zugleich  eine  Dekoration  von  Giebeln,  und  dem  Portal,  zu  dem 
eine  doppelte  Freitreppe  emporführt,  eine  Umrahmung  in  demselben  Stil.  Leider 
ist  der  Bau  im  Zustand  äußerster  Verwitterung  und  Vernachlässigung. 

Eine  hübsche  Anlage  derselben  Zeit,  datiert  1616,  ist  der  Ziehbrunnen 
am  Markte.  Über  der  ovalen  Einfassung  steigen  zwei  Pfeiler  mit  einem  Quer- 
balken für  den  Zieheimer  auf,  von  einer  hübschen  Krönung  in  barocken  Voluten- 
formen abgeschlossen.  Etwas  früher  (1600)  datiert  die  großartige  Fassade  des 
Neustädter  Kellers,  einer  der  imposantesten  Giebelbauten  der  Zeit.  Über  zwei 
hohen  unteren  Stockwerken,  durch  dreiteilige  Fenster  belebt  und  mit  Rustika- 
pilastern eingefaßt,  steigt  der  Giebel,  durch  eine  kleinere  Etage  vorbereitet,  in 
vier  Geschossen  empor,  durch  kannelierte  korinthische  Säulen  auf  Stylobaten  und 
durch  reich  dekorierte  Gesimse  abgeteilt,  an  den  Seiten  mit  phantastisch  barocken 
Voluten  eingefaßt.  Dazu  gesellt  sich  ein  alle  Flächen  überspinnendes  Ornament 
im  Metallstil  der  Zeit,  wie  es  selten  so  reich  vorkommt. 

Etwas  maßvoller  tritt  derselbe  Stil  an  der  Fassade  des  Löffelmannschen 
Hauses  am  Neustädter  Markt  vom  Jahre  1580  auf.  Statt  der  Pilaster-  oder 
Säulenstellungen  sind  verschränkte  Stab-  und  Bandwerke  für  die  Dekoration  des 
Giebels  verwendet,  die  Fenster  aber  wie  im  Rathaus  mit  dekorierten  Giebeln  be- 
krönt. Ein  kleineres  Haus  daneben  zeigt  noch  zierlichere  Behandlung.  Schwer- 
fällig und  offenbar  aus  früherer  Zeit  ist  die  ungemein  breite  Fassade  am  Markt 
Nr.  640,  der  Giebel  durch  einfache  Voluten  mit  Muschelornament  eingefaßt. 

Auch  der  Holzbau  kommt  mehrfach  vor.  An  zwei  Häusern  in  der  Brüder- 
straße von  1521  und  1522  noch  ganz  mittelalterlich  mit  rohen  Figürchen  an  den 
Konsolen.  Die  feiner  durchgebildete  Form  mit  der  Fächerdekoration  und  den 
kraftvoll  gerieften  Schwellen  an  einem  Hause  dicht  am  Markt  vom  Jahre  1587. 
Reich  geschmückt  mit  den  Metallornamenten  der  Spätzeit  ein  Haus  von  1638, 
gegenüber  der  Radegundiskirche. 

In  der  Jakobikirche  Kanzel  von  1590,  Taufständer  von  1617:  Werke  der 
später  in  Bückeburg  auftretenden  Künstler. 

Alle  diese  Orte  unterscheiden  sich  von  den  niedersächsischen  hauptsächlich 
dadurch,  daß  fast  ohne  Ausnahme  die  Häuser  ihre  Giebelfront  gegen  die  Straße 
kehren,  während  dort  (in  Münden,  Braunschweig,  Gelle,  Halberstadt,  Hildesheim) 
meistens  die  Breitseite,  durch  einen  oder  mehrere  Dacherker  bekrönt,  die  Straßen- 
front bildet. 

Bielefeld  zeigt  in  den  nicht  gerade  bedeutenden  Bürgerhäusern  dieser 
Epoche  dieselbe  Anlage  und  verwandte  Ausbildung.  Eine  Steinfassade  von  ziem- 
lich früher  Zeit,  in  den  Formen  noch  gotisierend,  in  den  Bogenschlüssen  des 
Giebels  mit  Muschelornament,  sieht  man  in  der  Niedernstraße  Nr.  251.  Im  obersten 
Giebelfeld  die  Reliefdarstellung  eines  Schiffes.  Von  ähnhch  einfacher  Behandlung 
das  große  Giebelhaus  Nr.  273,  während  ebendort  Nr.  252  noch  gotisches  Maßwerk 
zeigt.  Der  stattliche  Giebel  Nr.  265,  mit  verjüngten  Pilastern  und  barock 
geschweiften  Voluten,  datiert  dagegen  vom  Ausgang  der  Epoche.  Eine  ähnliche 
Fassade  vom  Jahre  1593  in  der  Obernstraße.  Ebendort  noch  ein  anderes  Beispiel 
derselben  Gattung  und  ebenso  die  Fassade  am  Markt  Nr.  61.  Von  Holzbauten  ist 
namentlich  die  am  Gehrenberg  Nr.  127,  sowie  das  Haus  an  der  Ecke  der  Niedern- 
und  Obernstraße  mit  steinernem  Unterbau  zu  betrachten.  Ein  reicher  und  origi- 
neller Steinbau  der  Spätrenaissance  war  der  ehemalige  Waisenhof,  von  welchem 
interessante  Teile  bei  dem  neuen  Gymnasium  durch  Raschdorffs  geschickte  Hand 
zur  Verwendung  gekommen  sind. 


480      2.  Buch    Die  Bauwerke    XVIL  Kapitel    Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Abb.  312   Hausgicbel  in  der  Hohestraßc  zu  Minden 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Etwas  reicher  ist  die 
Ausbeute  in  Minden.  Die 
prächtige  Fassade  der  Hohe- 
straße,  welche  in  der  Achse 
der  Bäckerstraße  steht,  ge- 
hört zu  den  reichsten  der 
Zeit  (Abb.  312).  Bis  zur 
Spitze  des  Giebels  in  sieben 
Geschossen  mit  kannelierten, 
am  untern  Teil  frei  deko- 
rierten korinthischen  Säulen 
gegliedert,  die  Voluten  des 
Giebels  von  Männerfiguren 
durchbrochen,  zeigt  sie  ein 
reiches  plastisches  Leben. 
Die  Formen  deuten  auf  die 
Zeit  von  zirka  1570.  Die 
unteren  Fenster  leider  ge- 
ändert. Am  Nebenhause  führt 
ein  Bogenportal  in  den  Hof, 
wo  man  zwei  vermauerte 
Säulenordnungen  in  der  Ne- 
benfront bemerkt.  Über  dem 
Portal  sieht  man  in  reich 
dekorierten  Nischen  sieben 
Statuetten,  bezeichnet  als 
Alexander  Magnus,  Julius 
Cäsar,  Augustus  Cäsar,  Har- 
minius  dux  Saxonum,  Ca- 
rolus  Magnus,  Widekindus 
rex  Saxonum,  Hector  dux 
Trojanorum. 

Von  ähnlicher  Art,  aber 
etwas  später,  ist  die  statt- 
liche, breite  und  hohe  Fas- 
sade in  der  Bäckerstraße 
Nr.  45,  auch  hier  der  mäch- 
tige Giebel  mit  Halbsäulen 
und  drei  Geschossen  ge- 
gliedert, dazwischen  Flach- 
nischen, alles  mit  Bändern 
geschmückt,  die  ein  stern- 
förmiges Ornament  zeigen. 
Die  Voluten  des  Giebels  mit 
durchbrochenen  Gliedern 
entwickelt,  darin  klettern 
männliche  Figuren.  Die  bei- 
den Erker  des  Erdgeschosses 
und  ersten  Stocks  in  rei- 
chen Rokokoformen  umgear- 
beitet. In  derselben  Straße 
Nr.  56  eine  schlichtere  Fas- 


Minden 


481 


Abb.  313  Rathaus  zu  Paderborn  'tj'2-/6 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßhildanstalt,  Berlin) 


sade  ohne  Vertikalgliederung,  aber  mit  seltsamen  Voluten  am  Giebel.  Erker 
kommen  öfter  vor  und  erinnern  in  Anlage  und  Form  an  die  hannoverschen.  Eine 
der  späteren  Fassaden,  am  Markt  Nr.  172,  vom  Jahre  1621  ist  an  Pfeilern  und 
Friesen  mit  Metallornament  reich  bedeckt;  ebenso  an  dem  Bogenportal,  dessen 
Quadern  mit  Sternmustern  geschmückt  sind ;  ein  durch  drei  Geschosse  reichender 
Erker  hat  als  Einfassung  elegante  Säulen.  Einen  ähnlicli  hübsch  gestalteten 
L üb ke- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  31 


482      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Erker  hat  auch  das  gotische  Rathaus  an  der  Rückseite,  während  die  Vorderseite 
ihre  trefflich  wirkenden  frühgotischen  Arkaden  bewahrt  hat.  Ein  höchst  elegantes 
Barockportal  vom  Jahre  1639  zeigt  die  übrigens  modernisierte  Fassade  am  Poos 

Nr.  90.  Außerdem  kommen 
noch  einige  unbedeutende  Holz- 
bauten vor. 

Auch  hier  haben,  wie  be- 
reits erwähnt,  mehrere  Kirchen 
äußerst  lebendige  Arbeiten  der 
später  in  Bückeburg  erschei- 
nenden Bildhauer,  so  die  Mar- 
tinikirche eine  prächtige  Kan- 
zel, die  Marienkirche  Kanzel  und 
Taufstein  im  Dietterleinstile. 

In  Paderborn  ist  das 
Rathaus  ein  großartiges  und 
ganz  eigentümlich  gestaltetes 
Werk.  Vor  einen  aus  dem 
13.  Jahrhundert  herrührenden 
Bau  legte  man  von  1612 — 16 
nach  Westen  einen  Neubau,  der 
mit  seinem  gewaltigen  Schweif- 
giebel und  zwei  symmetrisch 
angeordneten  auf  kräftigen  do- 
rischen Säulen  ruhenden  und 
mit  ähnlichen  Giebeln  geschlos- 
senen Vorbauten  einen  ebenso 
imposanten  als  malerischen  Ein- 
druck macht  (Abb.  313).  Die 
gruppierten,  durch  ionische 
Säulenstellungen  eingerahmte« 
Fenster  beleben  den  Bau  in 
wirksamer  Weise ;  die  Behand- 
lung trägt  durchweg  das  Ge- 
präge einer  sicheren  Meister- 
schaft. 

Das  Jesuitenkollegium,  ein 
ernster  hochwirksamer  Bau  von 
Hufeisenform  um  einen  Hof,  hat 
geschickt  behandelte  Zwerch- 
giebel und  Tafeln. 

Einiges  haben  wir  in  0  s  n  a- 
brück  zu  verzeichnen.  Ein 
Steinhaus  am  Markt  Nr.  18  mit 
hohem,  auch  ziemlich  einfach 
gehaltenem  Giebel  gehört  der 
mittleren  Epoche  an.  Kräftig 
und  eigenartig  der  stattliche 
Steingiebel  Johannisstraße  70, 
mit  vier  durchlaufenden  Ge- 
simsen, die  das  Randgesims 
Abb.  314  Holzhaus  zu  Osnabrück  durchschneiden  und  in  ihrer 


Osnabrück 


483 


Vorragung  auf  Konsolen  sitzen;  diese 
tragen  freistehende  Obelisken,  Der 
oberste  Giebelabschluß  ist  hier  wie  an 
anderen  Giebeln  von  reicherem  Umriß 
mit  Schnecken,  während  der  Giebel 
selber  glatt  der  Dachlinie  folgt.  Ein 
rechteckiger  Erker  mit  drei  Säulen  und 
Flachgiebel  sitzt  an  der  Ecke.  Das 
charaktervolle  Haus  ist  gegen  1600 
vom  Kanzler  Fürstenberg  erbaut.^)  Ein 
eigenartiger  Treppengiebel  mit  gotisch 
aussehenden  Fialen  an  den  Kanten  der 
Treppen,  dazwischen  aber  freie  S-för- 
mige Schnecken,  Seminarstraße.  Zahl- 
reiche gut  geschnitzte  Holzhäuser  bewe- 
gen sich  in  den  mehrfach  erwähnten 
Formen :  Fächer  und  Rosetten  an  den 
Brüstungen,  gewundene  und  gerippte 
Rundstäbe  an  den  Schwellen  (Abb.  314). 
So  auch  der  prächtig  durchgeführte  Gie- 
bel Krahnstraße  Nr.  7  (Abb.  315)  vom 
Jahre  1586  von  einer  Erscheinung,  die 
geradezu  altertümhch  anmutet.^)  Von 
derselben  Hand  die  Fassade  Nr.  43  in  der 
DieHnger  Straße.  An  beiden  in  der 
Mitte  Adam  und  Eva  dargestellt.  Die  Os- 
nabrücker Holzgebäude  zeichnen  sich 
überhaupt  durch  eine  Stilisierung  aus, 
die  zum  Teil  absolut  nicht  nach  Re- 
naissance, noch  nach  Gotik  schmeckt, 
vielmehr  auf  ein  Fortleben  einer  viel 
älteren  Überheferung  deutet.  Das  über- 
prächtige Haus  Bierstraße  19  dagegen 
zeigt  alle  Flächen  mit  reinem  Flach-  und 
Schweifornament  überzogen.  Neuer- 
dings glänzend  hergestellt.-^) 

Das  wunderbar  feine  Epitaph 
des  Dechanten  Job.  Meilinghaus  in 
der  Johanniskirche  (Abb.  316)  von 
Joh.  Beldensnyder  haben  wir  schon 
erwähnt;  ein  Relief  des  Jüngsten  Ge- 
richts, mit  Ornamentpilastern  um- 
rahmt, darüber  ein  Rundgiebel  mit 
durchbrochener  Ornamentkante.  Vom 
gleichen  Meister  der  reizvolle  Tauf- 
stein in  St.  Marien  auf  vielfach 
verschränktem  Fuß,  der  Körper  mit 
Kandelabern  und  Pilastern  abwech- 


1)  Abb.  in  Bau-  und  Kunstdenkm.  der 
Prov.  Hannover  IV,  1,  2,  Abb.  260,  261. 

2)  Abb.  das.  Fig.  282—285. 
8)  Abb.  a.  a.  0.  Fig.  300,  301. 


Abb.  315   Holzhaus  Krahnstraße  zu  Osnabrück  /{-<>  / 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin)  ^ 


484      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


selnd  umgeben,  dazwischen 
Reliefs.  1) 

Weit  ansehnlicher  kommt 
die  Renaissance  in  Münster 
zur  Geltung.    Die  altertüm- 
liche Stadt  ist  nicht  bloß  we- 
gen ihrer  großartigen  kirch- 
lichen Denkmäler  des  Mittel- 
alters von  Bedeutung,  son- 
dern sie  steht  auch  in  erster 
Linie  unter  denjenigen  deut- 
schen Städten,  die  einen  reich 
durchgebildetenProfanbau  aus 
den  verschiedensten  Epochen 
aufzuweisen  haben.  Das  edle 
gotische  Rathaus  wird  von 
ganzen  Reihen  hochragender 
Privatbauten  begleitet,  wel- 
che, wie  sonst  nirgendwo  in 
Deutschland,  die  Hauptstraße, 
besonders  den  Prinzipalmarkt 
mit  ihren  stattlichen  steiner- 
nen Arkaden  einfassen  und 
ihm   einen  ungemein  groß- 
artigen monumentalen  Aus- 
druck etwa  im  Charakter  der 
Straßen  von  Bologna,  Padua 
und    anderen  itahenischen 
Städten  verleihen.  Die  Mehr- 
zahl dieser  Häuser  stammt 
noch  aus  dem  Mittelalter,  die 
Arkaden  ruhen  mit  schlanken 
Spitzbögen  auf  einfach  kräf- 
tigen   viereckigen  Pfeilern, 
oder  auch  auf  Rundsäulen, 
die  Giebel  sind  abgestuft  und 
auf  den  einzelnen  Absätzen 
mit  geschweiften  gotischen 
Maßwerkfüllungen  versehen. 
Alle  diese  Profanbauten  geben 
ein  deutliches  Zeugnis  von 
der  frühen  Entwicklung  der  Stadt,  welche,  oft  im  Gegensatz  zu  der  bischöflichen 
Gewalt,  sich  zu  selbständiger  Bedeutung  erhob  und  durch  ihre  Verbindung  mit 
der  Hansa  zu  hoher  Blüte  gelangte.    Beim  Eintritt  in  die  neue  Zeit  schien  es 
sogar  einen  Augenbhck,  als  ob  sie  sich  dem  Protestantismus  zuwenden  würde, 
und  selbst  der  Bischof  Friedrich  III.  (1532)  war,  im  Gegensatz  zu  dem  heftigen 
Widerstreben  des  Domkapitels,  der  Einführung  der  Reformation  nicht  abgeneigt. 
Aber  durch  den  Wahnwitz  der  Wiedertäuferei  wurde  die  ruhige  Bahn  der  Reform 
gekreuzt,  und  als  diese  wilde  Orgie  1536  blutig  erstickt  war,  erhob  sich  als 
natürliche  Folge  kirchliche   und  staatliche  Reaktion.     Dennoch  erstarkte  der 


Abb.  316  Epitaph  jh  der  Joliannisliirche  zu  Osnabrück 


1)  Abb.  a.  a.  0.  Fig.  169. 


Münster 


485 


trotzige  Unabhängigkeitssinn  der  Bürger  bald  zu  neuer  Opposition,  und  erst  dem 
gewaltigen  Bischof  Christoph  Bernhard  von  Galen  (1661)  gelang  es,  dauernd  den 
stolzen  Mut  der  Bürgerschaft  zu  brechen. 

Das  Auftreten  der  Renaissance  beginnt  schon  in  den  dreißiger  Jahren  des 
16.  Jahrhunderls  mit  dem  prachtvollen  Täfelwerk  des  Kapitels  aal  es  beim 
Dom/)  (Abb.  38,  120  im  I.  Band.)  Meister  Johann  Klipper  führte  dies  herrliche 
Schnitzwerk,  an  dem  man  die  Jahreszahlen  1544  und  1552  liest,  in  jenem  an- 
mutigen Stil  der  Frührenaissance  durch,  der  uns  aus  den  Ornamentslichen  der 
Kleinmeister,  namentUch  Aldegrevers,  bekannt  ist.  Der  ungefähr  quadratische, 
zirka  9  zu  10  Meter  messende  Raum  ist  ganz  mit  einem  Getäfel  bekleidet,  das 
noch  nichts  von  der  später  üblichen  Nachahmung  der  Steinarchitektur  kennt, 
sondern  im  echten  Holzstil  durchgeführt  ist.  Reich  profilierte  und  mit  zarten 
Kandelabern  eingerahmte  Felder  enthalten  die  prächtig  geschnitzten  Wappen  der 
Domherren  und  ihrer  Vorfahren ;  den  oberen  Abschluß  bilden  flache  Giebel  mit 
Muschelfüllung,  bekrönt  von  phantastischen  Gebilden  und  durchbrochenen  Blatt- 
ranken. Unsere  Abb.  317  gibt  eine  Probe  des  Einzelnen.  Das  Ganze  ist  wohl  die 
vorzüglichste  Arbeit  dieser  Art, 
die  unsere  frühe  Renaissance 
hervorgebracht.  Ähnlichen  Cha- 
rakter zeigt  das  Chorgestühl  der 
Ludgerikirche^),  etwa  von 
1580,  ebenfalls  durch  die  geist- 
reiche Lebendigkeit  und  Mannig- 
faltigkeit der  Erfindung  und 
durch  frisch  resolute  Behandlung 
ausgezeichnet.  Ein  noch  pracht- 
volleres und  üppigeres  Werk  der 
Holzschnitzerei  ist  die  im  Frie- 
denssaale des  Rathauses  in 
Resten  aufbewahrte  Bettlade  des 
Johann  von  Leyden,  ebenfalls  ein 
Meisterwerk  der  Frührenaissance, 
wohl  auch  von  Küpper.^)  Die  um 
1587  ausgeführte  Täfelung  des 
Friedenssaales*)  (Abb.  318)  hat 
wohl  nicht  mehr  die  originelle 
Fülle  und  die  geistvolle  Leben- 
digkeit der  Arbeiten  im  Kapitel- 
saale, bringt  aber  in  manchen 
Einzelheiten,  namentlich  den  be- 
krönenden Giebeln  mit  ihrem 
freien  Rankenwerk  Anklänge  da- 
ran. Ein  Prachtkamin  in  weißem 
Stein  und  ein  herrlicher  Rad- 
leuchter in  Schmiedeisen  vervoll- 
ständigen mit  der  stark  nieder- 
ländisch    anklingenden  Holz- 

1)  Aufn.  bei  Ortwein,  XXVIII. 
Abt.  von  Rincklake  Taf.  21—27. 

2)  Aufn.  bei  Ortwein  Taf.  6—10. 

3)  Ebenda  Taf.  57—58. 

4)  Ebenda  Taf.  55 — 56.  -^^b.  317  Aus  dem  Kapitelsaal  des  Domes  zu  Münster 


486      2.  Buch   Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 

balkendecke  den  großartigen  Raum,  den  dann  über  der  Täfelung  die  Bilder  der 
vielen  Gesandten  höchst  lebendig  gestalten,  —  die  hier  die  Friedensbedingungen 
nach  dem  fürchterlichsten  aller  Kriege  feststellten.  Den  Übergang  zu  einer  auf 
Holz  übertragenen  Steinarchitektur  macht  dann  die  schöne  Täfelung  im  Kram er- 
amthausi),  das  von  1610—20  erbaut  ist.  Hier  ist  nicht  bloß  die  elegant 
durchgeführte  Balkendecke,  sondern  namentlich  die  mit  reich  geschmückten 
kannelierten  und  gegürteten  ionischen  Pilastern  gegliederte  Wandbekleidung  be- 
merkenswert.   Zwischen  diesen  Pilastern  sind  die  einzelnen  Wandfelder  durch 


Abb.  3J8   Friedcussaal  im  liatliaus  zu  Münster 
(Aufnahme  der  Neuen  Photogr.  Gesellschaft,  Steglitz) 


hübsche  flache  Bogennischen  auf  ornamentierten  Pilastern  angemessen  belebt. 
Alle  diese  Werke  legen  Zeugnis  davon  ab,  welch  reiche  Blüte  die  Holzarbeit  hier 
erlebt  hat. 

Das  Krameramthaus  selber,  ein  höchst  malerischer  Giebelbau  (Abb.  319) 
stark  niederländischer  Richtung,  hat  einen  fünffach  abgetreppten  Giebel  mit 
Muschelendigungen  und  Halbsäulen  zwischen  Ziegelflächen. 

Eine  ansehnliche  Zahl  von  Profanbauten  der  Spätrenaissance  gibt  von  der 
letzten  Blüte  bürgerlicher  Selbständigkeit  Zeugnis.^)  Eins  der  prachtvollsten 
Werke  ist  der  neben  dem  Rathaus  sich  erhebende  hohe  Giebelbau  des  Stadt- 
weinhauses, in  den  Formen  der  Spätzeit  kräftig  durchgeführt,  mit  besonders 
reichem,  auf  Säulen  ruhendem  Balkon  und  reich  geschweiftem  und  bekröntem 
Giebel  (Abb.  320).    Namentlich  der  Balkon  ist  ein  ausgezeichnetes  Werk  von 


1)  Ebenda  Taf.  41—46. 

2)  Vgl.  die  Aufnahmen  von  Rincklake  a.  a.  0. 


Münster 


487 


großer  Delikatesse  der  Ausführung.  Der  Kern  des  Baues,  der  früher  als  Stadt- 
weinhaus, im  unteren  Geschoß  als  Stadtwage  diente,  stammt  aus  dem  Mittel- 
alter und  wurde  erst  um  1615  mit  der  prächtigen  Fassade  geschmückt,  die  als 
eins  der  glänzendsten  Werke  der  Spätrenaissance  zu  betrachten  ist.  Der  als 
„Sentenzbogen"  bezeichnete  Vorbau  war  zur  Verkündigung  der  gerichtlichen  Ur- 
teilssprüche bestimmt.  Ergötzlich  klingt  eine  Urkunde  des  städtischen  Archivs, 
laut  welcher  zwei  Mitglieder  des  Steinhauer- Amtes,  weil  sie  die  Architektur  des 
Baues  nicht  als  „opus  doricum"  gelten  lassen  wollten,  vom  Magistrat  wegen 
solcher  Mißachtung  des  Baumeisters  JoJi.  von  Bocholt  zu  20  Talern  Injurienstrafe 
verurteilt  wurden.^)  Man  hatte  also  damals  schon  verschiedene  Ansichten  über 
dorischen  Stil.  —  Starker  Anklang  an  das  Bremer  Krameramthaus  unverkennbar. 

Zu  den  frühen  Bauten  dagegen  gehört  das  Haus  am  Prinzipalmarkt  Nr.  1 7 
und  18  mit  einem  Doppelgiebel  vom  Jahre  1571.  In  strenger  klassizistischer  Be- 
handlung wird  das  Erdgeschoß  von  dorischen,  der  erste  Stock  von  toskanischen, 
der  zweite  von  ionischen  Halbsäulen  gegliedert.  Ein  hübscher  Erker,  auf  eleganten 
Konsolen  herausgebaut,  hat  einen  antiken  Giebel  als  Abschluß.  Die  ganze  Be- 
handlung ist  einfach,  aber  edel. 
Die  Fassade  in  der  Seitengasse  ist 
schlicht  in  Backstein  ausgeführt, 
nur  die  Einrahmungen  der  Fenster 
und  die  Gesimse  in  Sandstein.  An 
einem  polygonen  Treppenturm  liest 
man  die  Jahreszahl  1569.  Von  ähn- 
licher Einfachheit  ist  die  große  Fas- 
sade Rothenburg  Nr.  167,  nur  noch 
sparsamer  gegliedert,  mit  Fortlas- 
sung der  vertikalen  Teilung.  Auch 
hier  ein  hübscher  Erker  auf  Kon- 
solen im  Hauptgeschoß,  mit  Lisenen 
der  Frührenaissance  eingefaßt.  Dies 
Motiv  des  Erkers  kommt  in  späterer 
Zeit  an  einem  Hause  der  Bogen- 
straße  Nr.  34  zu  einer  ebenso  rei- 
chen als  eleganten  Durchbildung 
im  kraftvollsten  Stil  der  Spätzeit. 
Der  obere  Teil  der  Fassade  leider 
nüchtern  verzopft. 

Die  Mehrzahl  der  Münster- 
schen  Fassaden  gehört  sonst  dieser 
Spätzeit,  meist  schon  dem  17.  Jahr- 
hundert an.  Es  sind  hohe  Gie- 
belbauten, größtenteils  im  Erd- 
geschoß mit  Arkaden,  welche  auf 
kräftige  dorische  Säulen  gestellt 
sind  und  bisweilen  in  zierlichen  Re- 
naissanceformen mit  Zahnschnitt- 
friesen u.  dgl.  durchgebildet  werden. 
Recht  im  Gegensatz  zu  den  goti- 
schen Fassaden  verzichten  sie  auf 
jede  vertikale  Gliederung  durch  Pi- 

1)  Fr.  Tophoff,  Aufn.  in  der  Wiener 
Allg.  Bauzeitung  1872.  Abb.  319  Krameramthaus  zu  Münster 


488      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


lasier  oder  Lisenen,  da- 
gegen wetteifern  sie  er- 
folgreich mit  jenen  im  Reiz 
der  durchbrochenen,  frei 
aufgelösten  Silhouette.  Vo^ 
luten  und  Schnörkel  jeder 
Art  bäumen  sich  in  krau- 
sem Spiel  gegeneinander, 
und  mit  den  gotischen 
Fialen  wetteifern  die  mit 
Quadern  gebänderten  Py- 
ramiden samt  den  Kugeln 
und  den  krönenden  Eisen- 
blumen. Man  erkennt  hier 
so  recht,  wie  der  spätere 
Giebel  durch  die  verschie- 
denen Stadien  einer  noch 
einfacheren  Frührenais- 
sance sich  aus  der  goti- 
schen Form  entwickelt  hat. 
An  Mannigfaltigkeit  und 
Feinheit  in  der  Silhouette 
sind  diese  späten  Bauten 
den  viel  gleichartigeren 
des  Mittelalters  entschieden 
überlegen. 

Die  Hauptbeispiele  fin- 
den sich  am  Prinzipalmarkt 
Nr.  32,  33,  34,  35  (von 
1612),  36  (von  1653),  37 
(von  1657).  Ähnlich  eben- 
dort  Nr.  43,  44,  48  (von 
1627),  die  Arkadenhögen 
mit  hübschen  Zahnschnit- 
ten gesäumt,  ferner  Bogen- 
straße  Nr.  31  und  36  (vom 
Jahr  1617),  letztere  ohne 
Arkaden.  Bei  allen  diesen 
Fassaden  ist  es  auffallend, 
wie  sehr  jede  plastische 
Gliederung  der  Fläche  bis 
auf  die  durchlaufenden  Ge- 
simse vermieden  ist,  viel- 
mehr die  ganze  Kraft  der 
Phantasie  sich  auf  die  Aus- 
bildung der  Silhouette  des 
Giebels  konzentriert. 

Am  Rathaus  ist  die  Rückseite  in  Renaissanceformen  durchgeführt. 

Im  Dom  ist  außer  einer  Anzahl  guter  Etaphien  und  Altäre  nichts  Be- 
merkenswertes aus  dieser  Zeit. 

Das  Wichtigste  sind  die  Arbeiten  des  Joh.  Beldensnyder  d.  J.  Zwei  noch 
gotische,  doch  Renaissancemotive  zeigende  Sakramentshäuschen,  und  der  herr- 


Abb.  320  Stadtweinhaus  zu  Münster  'fS" 
(Aufnahme  der  Kgl.  Meßbildanstalt,  Berlin) 


Wolbeck   Bocholt  Dortmund 


489 


liehe,  leider  entfernte  gleichartige  Lettner  (jetzt  im  Provinzialmuseum  aufgestellt). 
Das  Epitaph  des  Domherrn  G.  v.  Schade  von  1545  zeugt  von  der  Kunst  dieses 
einzigen  Meisters.  Schöne  Epitaphien  von  Wüh.  Gerh.  Gröninger  aus  dem  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts  von  höchst  malerischer  Wirkung.  Auch  der  Plettenbergaltar 
von  ihm.  —  In  der  Marienkapelle  dabei  wieder  ein  Epitaph  von  Joh.  Beldensnyder^ 
Anbetung  der  Könige,  eine  seiner  besten  Arbeiten.  In  der  Ludgerikirche  treff- 
liches Ghorgestühl,  geschnitzt,  um  1580. 

In  der  Nähe  von  Münster  ist  das  Schloß  Wo Ib e ck ,  um  1546  von  einem 
Grafen  Merveld  erbaut,  eins  der  frühesten  dortigen  Denkmäler  der  Renaissance, 
die  sich  hier  noch  mit  gotischen  Elementen  mischt.  An  der  im  übrigen  schUchten 
Außenfront  ist  auf  kräftigen,  mit  Bildwerk  geschmückten  Konsolen  ein  eleganter 
Erker  im  oberen  Geschoß  aus- 
gekragt, der  die  Jahreszahl  1546 
trägt.  Er  ist  ganz  mit  schlanken 
Fenstern  zwischen  schmalen  Pfo- 
sten durchbrochen,  welche  unten 
als  geschmückte  Rahmenpilaster, 
oben  als  feine  Kandelabersäulchen 
behandelt  sind.  Die  Fensterbrü- 
stungen zeigen  an  den  einfassen- 
den Gliedern  reiches  Laubwerk, 
in  den  Flächen  Reliefmedaillons 
und  zierlich  behandelte  Allianz- 
wappen. Offenbar  haben  wir  hier 
wieder  eine  Arbeit  des  trefflichen 
Joh.  Beldensnyder,  ganz  ähnlich 
dem  Erker  zu  Burgsteinfurt.  Der 
in  Ziegelrohbau  mit  Quaderein- 
fassungen ausgeführte  Hauptbau 
(Abb.  321)  ist  durch  hübsch  be- 
handelte Giebel  ausgezeichnet. 
Einfache  Rahmenpilaster  bilden 
die  Einteilung,  und  die  einzelnen  Abb.  321  ScWüß  Wolbeck 

Absätze  sind  mit  Halbkreisen  be- 
krönt, die  Muschelfüllungen  haben  und  mit  Kugeln  besetzt  sind,  eine  Behand- 
lung, die  sich  auch  an  Münsterschen  Fassaden  (Abb.  319)  findet.    Die  Ziegel- 
flächen mit  hübschen  farbigen  Rautenmustern.    Elegant  ist  der  runde  Treppen- 
turm, dessen  Wendelstiege  sich  um  eine  schlanke  Kandelabersäule  windet.') 

Der  aus  den  Niederlanden  eingedrungene  Mischstil  von  Haustein  und  Ziegel- 
bau ist  an  dem  ausgezeichneten  Rathaus  zu  Bocholt  in  anziehender  Weise  ver- 
treten. Im  Erdgeschoß  eine  offene  Halle,  deren  Pfeiler  ionische  Halbsäulen  haben ; 
die  Bogenzwickel  und  Schlußsteine  schön  verziert;  die  achtfenstrigen  Ober- 
geschosse durch  Halbsäulen  und  Pilaster  geteilt;  über  dem  Gesims  hohes  Ge- 
länder, in  der  Mitte  ein  Giebel. 

Wie  weit  dieser  Stil  landeinwärts  gedrungen  ist,  beweisen  zwei  Privat- 
häuser in  Dortmund.  Das  eine  am  Ostenhellweg  Nr.  5,  ein  Eckhaus  mit  hohem 
Seitengiebel  vom  Jahre  1607,  mit  der  Inschrift:  Gandori  cedit  invidia.  Die  Fenster 
haben  Entlastungsbögen  in  Rustika,  die  einzelnen  Steine  Köpfe  als  Schmuck.  Die 
Flächen,  jetzt  getüncht,  sind  in  Backstein  ausgeführt.  Ein  ähnliches  Haus  in 
derselben  Straße  Nr.  T/a,  vom  Jahre  1619,  hat  noch  unverputzte  Flächen. 


1)  Aufn.  von  Rincklake  a.  a.  0.  Taf.  51  —  54. 


490      2.  Buch    Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


In  der  Marienkirche  ist  die  reichgeschnitzte  Orgelempore  ein  noch  gotisches 
Werk;  die  geschuppten  ionischen  und  die  kannelierten  dorischen  Pilaster  des 
rechten  Flügels  der  Brüstung  gehören  offenbar  einer  späteren  Erneuerung  an. 

Bei  der  R einoldikir  ch e  ist  der  imposante  viereckige  Westturm  als  ein 
vortreff  Uches  Werk  unsrer  Renaissance  zu  bezeichnen.  Die  lisenenartigen  Ver- 
stärkungen der  Ecken,  die  Profile  der  Fenster-  und  Bogennischen  mit  ihren  Ein- 
kehlungen  erinnern  noch  ans  Mittelalter.  Die  Galerie,  die  den  hohen  viereckigen 
Bau  abschheßt,  hat  ein  schönes  Gitter  von  Schmiedeeisen  mit  prächtigen  Blumen 
auf  den  Ecken,  der  achteckige  Aufsatz  mit  seinen  beiden  Kuppeln,  Laternen  und 
der  schlanken  Spitze  bei  trefflichen  Verhältnissen  edlen  Umriß.  Die  Gesamthöhe 
beträgt  etwa  80  Meter.  Die  Aufführung  des  Werkes  geschah,  nachdem  der  go- 
tische Spitzturm  infolge  des  Erdbebens  von  1640  im  Jahre  1659  eingestürzt  war, 
erst  seit  1662  durch  die  Baumeister  Pistor  von  Elberfeld  und  Johannes  Feld- 
mann von  Dortmund. 


Abb.  32-2   Scliloli  Neuhaus 


Ganz  besonders  bodenständig  aber  sind  im  westfälischen  Lande  die  vielen 
Schlösser  des  alten  Adels,  von  denen  wir  einige  bereits  erwähnten.  Die  meisten 
sind  Wasserburgen,  rund  oder  rechteckig,  oft  mit  Türmen  an  den  Ecken,  von 
breiten  Wassergräben  umgeben,  in  denen  sie  wie  Inseln  zu  schwimmen  scheinen. 
Torhäuser  bewachten  die  Zugbrücken,  die  öfters  noch  vorhanden  sind.  Fast  alle 
von  hohem  malerischen  Reiz,  oft  alt  und  wenig  anspruchsvoll,  oft  auch  wahre 
Prachtbauten.  Das  altertümhche  runde  Schloß  Vischering  ist  darunter  eines 
der  merkwürdigsten,  noch  halb  gotisch,  mit  Giebeln,  Türmen,  Zugbrücke  und 
Tor,  in  Ziegel-  und  Hausteinbau  gemischt,  mit  steinernen  Fensterkreuzen;  doch 
vorwiegend  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  gebaut,  jetzt  wieder  einmal  abgebrannt. 

Großartig  Schloß  Neuhaus,  jetzt  Kaserne  (Abb.  322). 

Prächtig  der  Torbau  des  umgebauten  Schlosses  Drensteinfurt;  hell  ge- 
musterte Backsteinflächen,  Muscheln  auf  den  drei  Absätzen  des  geradlinigen 


Westfälische  Schlösser 


491 


Giebels,  steinerne  Fensterkreuze  (Abb.  323).  Im  Schloß  ein  sehr  feiner  Kamin 
der  Frührenaissance,  sich  auf  eleganten  Stützen  vorbauend,  mit  Medaillons,  Köpfen, 
Ornamenten  reich  geschmückt,  oben  drei  reiche  Aufsätze  auf  Kandelaberchen. 
Stil  Joh.  Beldensnyders. 

Das  Amthaus  in  Lüdinghausen,  ein  Schloßrest,  hat  einen  Flügel  mit 
Wappenportal,  Fensterverdachungen  und  schönen  frühen  Renaissanceteilen. 

Schloß  Burgsteinfurt,  ein  nicht  ganz  geschlossenes  Rund  im  Wasser,  ein 
bereits  aus  romanischer  Zeit  erhebliche  Teile,  selbst  eine  Doppelkapelle,  beher- 
bergender Bau,  ist 
durch  ein  maleri- 
sches Torhaus  in 
Fachwerk  mitTrep- 
penturm  zugäng- 
lich ;  im  Hof  ein 
starker  viereckiger 
Treppenturm  ohne 
Dach,  —  dabei  ein 
Glanzstück  west- 
fälischer Architek- 
tur: der  zwei  Ge- 
schosse hohe  recht- 
eckige Erker  von 
Joh.  Beldensnyder ; 
dreiachsig  mit  star- 
ken Rahmen-Pila- 
stern;  die  mittlere 
Achse  oben  ent- 
hält eine  Tafel  mit 

Muschelkrönung 
und  Relieffiguren; 
reicher  Wappen- 
schmuck   an  der 

Brüstung,     feinste  323   schloß  Drensteinfurt  Torbau 

Ornamentik  in  den 

Pilastern  und  Friesen,  die  Gesimse  stark  verkröpft.  Es  ist  merkwürdig,  daß 
Beldensnyders  außerordentliche,  klassisch  zu  nennende  Werke  unserer  Früh- 
renaissance bisher  so  unbekannt  geblieben  sind. 

Kleinere  Schlösser  sind  zahlreich,  unter  ihnen  nennen  wir  Haddenhausen, 
zwei  Flügel  im  Winkel,  dort  achteckiger  Treppenturm ;  hübscher  Erker  mit  Säule 
und  flottem  Aufsatz;  Tor  mit  Rustikabändern;  innen  ein  schöner  Kamin  von 
1622.  —  Schloß  Bodelschwing,  viereckig,  im  Wasser,  mit  Ecktürmen  und 
einfach  schönen  Giebeln. 

Bedeutend  und  ganz  eigenartig  Schloß  Assen,  auch  im  Wasser  gelegen. 
Schon  der  Torbau  in  drei  Geschossen,  mit  Giebel  bekrönt,  mit  Säulen  zwischen 
den  Fenstern,  in  der  Brüstung  oben  reiche  Wappen ;  überall  die  Flächen  und  der 
Körper  aus  Backstein  mit  merkwürdigen  reichen  Mustern.  Der  Baukörper  da- 
neben, besonders  im  Hofe,  hat  Blendbögen,  darin  die  Fenster  mit  Steinkreuzen; 
alle  Flächen  der  Fensterkreuze,  Pilaster  usw.  sind  mit  eigentümlichem  Flach- 
ornament gemustert.  Alles  in  allem  eine  der  merkwürdigsten  Architekturen, 
1564  datiert. 

Ganz  ähnlich,  nur  noch  reicher,  die  betrübten  Reste  des  Schlosses  Horst 
bei  Altenessen,  —  und  Schloß  Hovestadt  bei  Soest,  dieses  offenbar  jünger, 


492      2-  Buch    Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


mit  einem  gewaltigen  Pavillon  an  der  Ecke,  mit  rundem  Dach.  Bei  diesen  tritt 
französischer  Einfluß,  dem  die  Eigenart  der  Anlage  dieser  Werke  großenteils  ent- 
stammt, klar  zutage. 

Schloß  Rheda  bei  Wildenbruch  ist  ein  jüngeres  Werk,  höchst  malerisch, 
mit  vorgebauter  Galerie  im  Obergeschoß,  Erker  mit  Wappen,  Rustikaportal,  im 
Winkel  und  gebogen  gebaut.  Wildenbruch  ist  reich  an  schöner  altertümlicher 
Holzarchitektur. 

Rheinland 

Am  Niederrhein  sind  nur  vereinzelte  Werke  der  Renaissance  zu  verzeichnen.') 
In  Emmerich  bewahrt  die  Kirche  einen  messingenen  Tauf kessel  in  den  Formen 
der  Frührenaissance.  Wesel  besitzt  am  Markt  ein  Giebelhaus  ganz  von  Hau- 
steinen in  edlen  Renaissanceformen  durchgebildet.  In  Xanten  zeigt  der  Kreuz- 
gang am  Münster  Gewölbe  mit  Renaissancekonsolen,  und  das  Münster  selbst 
schöne  Epitaphien.  In  Kalkar  in  der  Pfarrkirche  finden  sich  mehrere  Holz- 
schnitzaltäre, teils  in  gotischen,  teils  in  Frührenaissanceformen.  Namentlich  der 
Johannesaltar  von  Honold  van  Tricht  aus  Utrecht  und  der  ihm  sehr  ähnliche, 
nur  noch  reichere  und  üppigere  Dreifaltigkeitsaltar  von  Heinr.  Douvermann  sind 
in  ihren  Umrahmungen,  besonders  in  den  zierUch  durchbrochenen  Bekrönungen, 
von  reizvoller  Erfindung  und  elegantester  Ausführung.  Zumal  in  letzterem  Werke 
gehören  die  Putten,  welche  in  den  Ranken  klettern,  zu  den  anmutigsten  Er- 
findungen. Die  Entstehungszeit  dürfte  um  1540  fallen.  Noch  etwas  durch- 
gebildeter und  entwickelter,  ebenfalls  von  geistreichster  Erfindung  ebendort  das 
Epitaphium  der  Famihe  Brouwer  mit  Kreuzigungsgruppe  von  1592,  das  zu  den 
feinsten  Werken  unsrer  Renaissance  zählt.  In  Joch  mehrere  Steinbauten  mit 
Erkern  und  ein  Stadttor  mit  runden  Türmen.  In  der  Kirche  zu  Kempen  ein 
Orgelgehäuse  von  1541,  mit  vortrefflichen  Ornamentfüllungen  noch  aus  früher 
Renaissancezeit.  In  Düsseldorf  bewahrt  die  Stadtkirche  das  prächtige  Marrnor- 
grab  Herzog  Wilhelms  von  Jülich- Cleve-Berg  (f  1592),  wahrscheinlich  eine  nieder- 
ländische Arbeit,  ein  mächtiges  Wandgrab  aus  fünffach  verschiedenfarbigem  Marmor; 
im  Aufbau  der  übliche  Triumphbogen,  vor  dem  aber  der  Sarkophag  mit  der  Ge- 
stalt des  ruhenden  Fürsten  steht.  Im  Bogenfeld  Relief  des  Jüngsten  Gerichts,  seit- 
lich und  in  dem  von  Hermen  getragenen  Aufsatze  Statuen  von  Tugenden.  —  Die 
Andreas-(Jesuiten-)Kirche,  1G22— 29  erbaut,  — eine  dreischiffige,  kreuzgewölbte 
Hallenkirche,  an  den  Seiten  Emporen  auf  Rundbögen.  Die  starken  Pfeiler  be- 
stehen aus  kreuzförmig  gestellten  Pflastern  mit  korinthischen  Kapiteflen  und 
Gebälkkröpfer.  Der  Chor  im  halben  Achteck  geschlossen.  Der  innere  Raum, 
besonders  am  Gewölbe,  zeigt  schöne  Stukkatur  in  der  Art  der  bayrischen  (München, 
Landshut),  die  1G32  durch  Joh.  Kuhn  aus  Straßburg  ausgeführt  ist;  kassettierte 
Gurte,  mit  feinen  verzierten  Profilen  an  den  Gewölbkanten;  in  jeder  Kappe  ein 
Medafllon  mit  Relief,  Kartuschen  an  den  Schlußsteinen.  Ein  pompöser  HochaUar 
schließt  den  schönen  Raum  ab.  Die  Fassade  ist  im  Charakter  der  römischen 
Kirchen  gehalten :  mitten  ein  Giebel,  Voluten  vor  den  Seitenschiffen.  Zwei  Türme 
über  den  Enden  der  Seitenschiffe,  —  Das  kleine  Rathaus,  malerisch  gruppiert,  ist 
1570 — 73  von  Heinr.  Tussmann  erbaut;  hat  Treppenturm  und  Giebel.  —  Ein 
originell  in  streng  klassizistischer  Weise  durchgeführtes  Werk  war  der  als  Archiv 
dienende  Anbau  mit  dem  alten  Rathaus  in  Jülich,  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts von  Aless.  Pasqualini  errichtet.  Unsere  Abbfldung  324  gibt  über  das 
Einzelne  Aufschluß.  Beides  leider  abgebrochen.  Vom  alten  Schlosse  des  gleichen 
Architekten  (1549),  das  in  vier  Flügeln  einen  Hof  umfaßte,  steht  noch  die  ziemlich 

1)  Wertvolle  Notizen,  unterstützt  von  trefflichen  Zeichnungen,  hat  Herr  Baurat  E  a  s  c  h- 
dorff  mir  mitgeteilt,  dem  ich  für  seine  eifrige  Förderung  meiner  Studien  dankbar  bin. 


Köln 


493 


erhaltene  schöne  Kapelle,  Rustikaordnung  im  Erdgeschoß,  ionische  im  Obergeschoß, 
Flächen  in  Backstein. 

Erst  in  K  ö  1  n  ^)  finden  wir  etwas  reichere  Ausbeute,  aber  auch  hier  weitaus 
nicht  im  Verhältnis  zur  Macht  und  Größe  der  Stadt.  Nach  Anlage  und  Umfang, 
sowie  nach  der  Fülle  ehrwürdiger  Denkmäler  von  der  Röraerzeit  bis  zum  Aus- 
gang des  Mittelalters,  gehört  die  Metropole  des  Rheinlandes  zu  den  großartigsten 
Städten  Deutschlands.  Die  imposanten,  durch  Mannigfaltigkeit  der  Formen  und 
Reichtum  der  Ausbildung  unübertroffenen  Kirchenbauten  der  romanischen  Epoche 
finden  ihre  Krönung  in  dem  weltberühmten  gotischen  Dome,  dem  wieder  eine 


Abb.  324  Vom  Rathaus  zu  Jülich 


Anzahl  andrer  Kirchen  folgte.  Spricht  sich  in  diesen  Monumenten  der  stolze  erz- 
bischöfliche Sitz  aus,  so  erkennt  man  in  den  Profanbauten  die  seit  dem  13.  Jahr- 
hundert unaufhaltsam  steigende  Macht  des  Bürgertumes.  Die  günstige  Lage  am 
Rhein,  verbunden  mit  dem  früh  errungenen  Stapelrechte,  die  Verbindung  mit  der 
Hansa,  machten  Köln  zum  Hauptstapelplatz  des  Handels  zwischen  Nieder-  und 
Oberrhein,  zwischen  Norddeutschland  und  Holland  und  den  süddeutschen  Gebieten. 
Noch  jetzt  erkennt  man  in  dem  gotischen  Rathaus  mit  seinem  prächtigen  Hanse- 
saal, in  dem  Gürzenich  und  den  grandiosen  Befestigungen  mit  Mauern,  Toren 
und  Türmen  die  Macht  des  damaligen  Bürgertums,  die  im  Kampfe  mit  der  geist- 
lichen Gewalt  endlich  so  weit  erstarkte,  daß  die  Erzbischöfe  gezwungen  wurden, 
ihre  Residenz  nach  Bonn  zu  verlegen. 

Die  Renaissance  freilich  nimmt  in  der  Stadt,  deren  monumentale  Bedeutung 
im  Mittelalter  wurzelt,  eine  nur  untergeordnete  Stellung  ein.  Der  bürgerliche 
Privatbau  dieser  Zeit  ist  wenig  hervortretend,  selbst  am  Schluß  der  Epoche  noch 
unscheinbar;  die  Rathaushalle  ist  das  einzige  aufwendige  profane  Bauwerk.  Etwas 
günstiger  dagegen  stellt  es  sich  in  Werken  kirchlicher  Art.    Doch  auch  hierbei 


1)  Ortwein,  XXII.  Abt.  von  G.  Heuser. 


494      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


handelt  es  sich  fast  ausschUeßlich  um  einzelne  dekorative  Arbeiten,  nur  aus- 
nahmsweise um  größere  bauHche  Anlagen ;  die  Jesuitenkirche  am  Ausgang  der 
Epoche  macht  diese  Ausnahme. 

Bezeichnend  für  das  Verhalten  Kölns  zu  dem  neuen  Stile  ist  der  Umstand, 
daß  das  früheste  Werk,  mit  welchem  er  hier  auftritt,  sich  auf  den  ersten  BUck 
als  eine  flandrische  Arbeit  zu  erkennen  gibt.  Ich  meine  den  prächtigen,  jetzt  als 
Orgelempore  aufgestellten  Lettner  in  der  Kapitolskirche,  der  im  Auftrage  des 
kaiserhchen  Rats  und  Hofmeisters  Georg  Hackenay  von  einem  Künstler  in  Mecheln 
gearbeitet  und  1524  nach  Köln  gebracht  wurde.  ^)  Die  reichgegliederte  Architektur 
dieses  prachtvollen,  aus  weißem  und  schwarzem  Marmor  errichteten  V\^erkes, 
namentlich  die  gebündelten  Pfeiler  mit  ihren  Laubkapitellen,  Gurten  und  Basen, 
auch  die  Nischen  der  Brüstung  mit  ihren  überschwänghch  üppigen  Baldachinen 
zeigen  ein  reizvolles  Gemisch  von  spätmittelalterlichen  und  Frührenaissance- 
Formen;  dies  alles,  sowie  der  Stil  der  zahlreichen  figürlichen  Reliefs  und  Statuetten 
in  einer  natürlich  völlig  flandrischen  Behandlungsweise,  auch  das  weiße  Marmor- 
material der  Statuetten  der  Brüstung  und  das  schwarze  der  Pflaster  entspricht 
dem  flandrischen  Gebrauche, 

Es  dauert  nun  noch  eine  Wefle,  ehe  bei  einheimischen  Meistern  die  Re- 
naissance sich  einbürgert.  Die  ersten  Spuren  an  einem  Wandepitaph  des  1539 
verstorbenen  Anton  Keyfeld  im  nördlichen  Ghorumgang  des  Domes.  Das  kleine 
Denkmal,  von  Kandelabersäulchen  mit  hübschen  Widderkopf  kapiteUen  eingerahmt 
und  von  einem  Giebel  bekrönt,  enthält  ein  gutes  Relief  der  Auferstehung  Christi; 
dabei  der  Verstorbene  im  Geleit  seines  Schutzpatrons,  des  hl.  Antonius.  Gleich 
daneben  ein  andres  kleines  Grabdenkmal  ähnlicher  Art,  reich  mit  Pflanzenorna- 
ment in  den  Pflastern,  welche  die  Tafel  einfassen.  Als  Abschluß  ein  Giebel  mit 
Muschelfüllung,  krönendes  Laubwerk  und  Engel  mit  den  Marterwerkzeugen,  im 
Hauptfelde  Christus  am  Ölberg  betend.  Die  Ornamente  vergoldet.  Dabei  Namens- 
zug und  Steinmetzzeichen  des  Meisters.^)  Dieselbe  Hand,  obendrein  beglaubigt 
durch  das  nämliche  Monogramm,  findet  sich  am  südlichen  Ende  des  Umgangs 
an  dem  Denkmal  des  Hans  Scherrerbritzem.  Die  Behandlung  der  Pflaster  ist 
dieselbe,  nur  die  Kapitelle  zeigen  eine  Variation,  auch  tragen  sie  hier  einen 
Bogen  als  Abschluß,  der  mit  freiem  Ornament  bekrönt  ist.  Auf  der  Tafel  das 
edel  behandelte  Relief  des  Gekreuzigten,  der  von  den  hefligen  Frauen  und 
Johannes  betrauert  wird.  Die  Formen  deuten  auf  die  Zeit  um  1540;  Stil  des 
Joh.  Beldensnyder. 

Von  Bedeutung  die  beiden  schönen  Grabmäler  der  Erzbischöfe  Adolf  und 
Anton  von  Schauenburg,  von  1561.  Es  sind  marmorne  Sarkophage  auf  Konsolen 
mit  den  liegenden  Figuren  der  Verstorbenen  im  Bogen,  darüber  reiche  Reliefs, 
alles  in  Marmor ;  vermutlich  aus  der  Werkstatt  des  C.  Floris  zu  Antwerpen. 

Interessant  ist,  daß  man  dem  oben  bezeichneten  Meister  mit  dem  gleichen 
Monogramm^)  an  dem  hübschen  kleinen  Epitaphium  begegnet,  welches  an  der 
Südwand  in  der  Vorhalle  von  S.  Gereon  dem  1547  gestorbenen  Grafen  Thomas 
von  Rieneck  errichtet  wurde.  Statt  des  figürUchen  Reliefs  enthält  die  Tafel  nur 
eine  Inschrift,  aber  eingerahmt  rings  von  zierhch  behandelten  Wappen ;  darüber 
ein  Aufsatz  mit  einem  größeren  Wappen,  wiederum  bekrönt  von  einem  Giebel  mit 
Muschelfüllung,  auf  welchem,  von  Laubwerk  eingefaßt,  ein  jetzt  zerstörter  Putte 
zwei  kleinere  Wappen  hält.    Das  Ganze  polychromiert  und  von  hohem  dekora- 


1)  Vgl.  L.  Ennen  in  der  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  VII,  139  fg.  Aufn.  bei  Heuser.  Taf.  81.  — 


2)  Dieser  tüchtige  Künstler  bezeichnet  sich 


Köln 


495 


tivem  Reiz.  (Gegenüber,  an  der  Nordwand,  Reste  eines  ähnlich  behandelten  Epi- 
taphs, durch  eine  spätere  Inschrifttafel  verdrängt.) 

Aus  gleicher  Epoche  rührt  im  Kreuzgang  des  Städt.  Museums  das  herr- 
liche kleine  Grabmal  des  1551  verstorbenen  Dr.  juris  Petrus  Glapis,  alias  Breit- 
stein, wie  die  Inschrift  ihn  nennt:  ein  Werk  von  delikatester  Ausführung,  mit 
feinem  Ranken-  und  Laubornament  und  zwei  trefflich  gearbeiteten  Wappen  ge- 
schmückt. Daneben  ein  andres  von  minder  zarter  Behandlung,  aber  unten  mit 
einem  Fries  von  Putten  dekoriert,  die  in  schwellend  weichem  ReHef  ausgeführt 
sind,  Einige  prachtvolle  Kamine  ebendort  gehören  bereits  der  vorgeschrittenen 
Epoche  an. 

In  S.  Peter  sind  die  trefflichen,  der  Frührenaissance  angehörenden,  noch 
wohlerhaltenen  Glasgemälde  von  1528  und  30  von  hervorragender  Bedeutung, 
Wir  haben  dieselben  im  I.  Bd.  eingehend  gewürdigt  i)  und  unter  Abb.  87  eine  Probe 
beigefügt.  Auch  das  prachtvolle  Eisengitter  derselben  Kirche,  welches  die  Tauf- 
kapelle abschheßt,  verdient  Beachtung.^) 

Noch  einiges  aus  der  Frühzeit  in  S.  Georg.  Die  Vorhalle  der  Südseile 
originell  komponiert,  mit  Anschluß  an  romanische  Grundformen  (1536),  Besonders 
aber  im  Chor  das  Sakramentsgehäuse  vom  Jahre  1556,  in  schlankem  Aufbau 
mit  dekorierten  Pilastern,  Kandelabersäulchen,  in  Friesen  und  allen  übrigen  Flächen 
mit  zierhchem  Laubornament  bedeckt.  Dazu  reiche  figürliche  Reliefs:  Abraham 
und  Melchisedech,  die  Mannalese,  der  Baum  des  Lebens,  oben  das  Abendmahl, 
dies  alles  freilich  nur  Mittelgut. 

In  S.  Gereon  besitzt  die  Krypta  einen  trefflichen  Altar,  der  um  1550  ent- 
standen sein  mag.^)  Vier  reich  dekorierte  Pfeiler,  dazwischen  und  daneben  vier 
Heiligenstatuen,  und  in  der  Mitte  ein  Kruzifixus;  darüber  ein  ziemlich  kraus 
komponierter  Aufsatz,  ebenfalls  mit  feinen  Ornamenten  der  Frührenaissance  be- 
deckt. Das  reich  polychromierte  Werk  ist  aus  einem  feinen  Tuffstein,  der  in  der 
Eifel  bricht,  gearbeitet.  Ein  treffhches  Schnitzwerk,  ungefähr  derselben  Epoche, 
1548 — 51  ausgeführt,  ist  in  der  Oberkirche  das  schöne  Orgelgehäuse,  durch 
feine  lisenenartige  Pilaster  gegliedert  und  mit  elegant  gezeichnetem  Laubwerk 
geschmückt,  dabei  maßvoll  vergoldet.*)  (Die  allerliebsten  musizierenden  Engel 
wohl  ein  späterer  Zusatz.)  Das  Ganze  gipfelt  hoch  oben  in  drei  luftig  durch- 
brochenen kuppelartigen  Tabernakeln.  Ein  ungemein  brillantes,  reich  mit  figür- 
lichen Darstellungen  ausgestattetes  Werk  der  Schlußepoche  dagegen  ist  das  Sakra- 
mentsgehäuse.   Es  trägt  das  Monogramm  EH.  und  die  Jahreszahl  1608.^) 

Aus  derselben  Spätzeit  besitzt  Maria  Lyskirchen  eine  prächtig  barocke 
Orgel  und  im  Hauptportal  eine  tüchtig  geschnitzte  Holztür  von  1614. 

Ein  Haupt-Bauwerk  ist  aber  die  großartige  Jesuitenkirche,  von  1621 
bis  29  durch  Christoph  Wamser  erbaut,  in  der  Ausstattung  zum  Teil  noch  später 
(1689).  Trotz  des  späten  Datums  zeigt  sie  die  so  oft  vorkommende  Verschmelzung 
von  Gotik  und  Renaissance,  aber  in  ganz  andrem  Sinn  als  die  Kirche  zu  Wolfen- 
büttel. Vielmehr  ist  die  Kirche  im  ganzen  nur  eine  erweiterte,  viel  prächtigere 
Fortbildung  der  Jesuitenkirche  zu  Molsheim  desselben  Architekten,  die  wir  schon 
früher  erwähnten.  Hier  in  unmittelbarer  Nähe  des  Meisterwerkes  mittelalterlicher 
Baukunst  versteht  man  die  gotischen  Formen  noch  recht  gut  und  baut  eine  drei- 
schiffige  Kirche  mit  hohem  Mittelschiff  von  ansehnlichen  Abmessungen.  Da  man 
der  Predigt  wegen  viel  Raum  bedarf,  so  gibt  man  den  Seitenschiffen  ein  voll- 
ständiges Obergeschoß,  unten  und  oben  mit  klar  entwickelten  Sterngewölben. 
Diese  ruhen  auf  schlanken  Rundpfeilern  mit  toskanischen  Kapitellen,  von  denen 

1)  Heuser  a.  a.  0.  Taf.  65  u.  66.  4)  Ebenda  Taf.  85—87. 

2)  Ebenda  Taf.  64.  5)  Ebenda  Taf.  95  u.  96. 

3)  Ebenda  Taf.  82. 


496      2.  Buch    Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel    Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Abb.  S'i')   Inneres  der  Jcsuitenkirclie  zu  Köln 


sich  aber  in  halber  Schafthöhe  die  unteren  spitzbogigen  Arkaden  ohne  alle  Ver- 
mittlung abzweigen.  Auch  das  Mittelschiff  hat  Netzgewölbe  von  einfach  klarer 
Zeichnung.  Die  Fenster  sind  durchweg  spitzbogig  mit  Maßwerken,  die,  freilich 
nicht  mehr  streng  gotisch,  doch  immer  noch  gutes  Verständnis  im  Sinne  der 
Spätgotik  bekunden.  Dies  alles  mit  dem  polygon  geschlossenen  Chor  und  den 
ebenfalls  polygonen  Seitenchören  macht  einen  ganz  mittelalterlichen  Eindruck 
(Abb.  325). 


Freising 


497 


So  hat  auch  die  Fassade  ein  hohes  Spitzbogenfenster,  an  den  Seiten  kleinere, 
sämtlich  mit  dem  herkömmlichen  Maßwerke.  Aber  die  Fenster  sind  in  antiki- 
sierende Rahmen  gefaßt,  die  Strebepfeiler  als  mächtige  dorische  Pilaster  ent- 
wickelt, die  Portale  vollends,  namenthch  das  mittlere,  in  üppigen  Formen  der 
späteren  Renaissance  gebildet.  Endlich  hat  man  den  Giebel  der  Kirche  mit  einem 
Turmpaar  eingeschlossen,  dessen  Lichtöffnungen  denen  der  romanischen  Turm- 
bauten nachgeahmt  sind,  nur  daß  die  kleinen  Teilungssäulen  wieder  dorische 
Kapitelle  zeigen. 

Im  Innern  darf  die  Ausstattung  mit  Ornament  und  Stuck,  wie  mit  Schnitz- 
arbeiten als  ein  hochbedeutsames  Werk  bezeichnet  werden.^)  Die  Beichtstühle 
in  den  Seitenschiffen  bilden  in  Verbindung  mit  der  zwischen  ihnen  fortgeführten 
Wandvertäfelung  eine  unvergleichhch  wirkungsvolle,  elegante  Bekleidung.  Der 
glanzvolle  Hochaltar  und  die  vier  Seitenaltäre  geben  den  prächtigsten  Abschluß; 
natürhch  ist  alles  entsprechend  bemalt  und  vergoldet.  Die  Formen  sind  schon 
stark  harock,  aber  mit  Frische  und  Feinheit  gehandhabt,  die  Erfindung  in  ihrer 
Art  von  hoher  Bedeutung,  die  Ausführung  ebenso  gediegen  wie  prachtvoll.  Die 
Altäre  sind  süddeutsche  Arbeit.  Die  Kanzel  von  1634  hat  Valentin  Boltz  in  ge- 
diegener Pracht  geschnitzt. 

Der  Kölner  Profanbau  dieser  Epoche  gipfelt  in  der  herrhchen  Halle,  welche 
man  1569  dem  mittelalterlichen  Rathaus  vorzubauen  beschloß.^)  Die  älteren 
Teile  des  Gebäudes,  im  Innern  besonders  durch  den  Hansasaal  mit  seinen  Male- 
reien und  Skulpturen,  im  Äußeren  durch  den  selbständig  hinzugefügten  wunder- 
vollen Turm  ausgezeichnet,  sind  im  übrigen  nicht  von  einer  der  hervorragenden 
Stellung  der  Stadt  entsprechenden  Bedeutung.  Der  schöne  Erweiterungsbau  von 
1549 — 51  nach  dem  Altenmarkte  zu  besaß  allerdings  eine  dreiachsige  feine  Pi- 
lasterarchitektur  mit  Muschelbekrönungen,  ist  aber  durch  einen  Neubau  Rasch- 
dorfifs  ersetzt.  Zwischen  diesem  und  dem  Turme  befindet  sich  der  reizvolle 
Löwenhof,  doppelte  Bogengänge,  deren  Obergeschoß  1540  Meister  Lorenz  erbaute. 
Die  reichen  Brüstungen  zeigen  tüchtige  Renaissanceskulpturen,  darunter  den 
Löwenkampf  des  Bürgermeisters  Grin ;  der  kleine  Hallenhof  ist  von  überraschend 
malerischer  Wirkung  und  erinnert  an  spanische  Höfe. 

Im  Sinne  der  neueren  prunkhebenden  Zeit  sollte  nun  dem  Rathause  eine 
jener  malerischen  „Lauben"  hinzugefügt  werden,  durch  die  man  damals  selbst 
den  einfacheren  älteren  Rathäusern  erhöhten  Glanz  zu  geben  wußte.  Von  allen 
derartigen  Rathauslauben  der  Renaissancezeit  ist  ohne  Frage  die  Kölner  die  pracht- 
vollste. Ähnliches  findet  sich  an  den  Rathäusern  zu  Halberstadt,  Lemgo,  Herford, 
während  man  in  Lübeck  und  Bremen  weitergehend  sich  zu  ganz  neuen  Fassaden 
mit  Bogenhallen  entschloß.  Diese  Lauben  bilden  im  Erdgeschoß  stets  eine  offene 
Halle,  die  in  Köln  bis  zu  ihrer  vorletzten  Umgestaltung  zugleich  als  Stiegenhaus 
die  in  doppelten  Läufen  aufsteigende  Treppe  zum  Ratsaal  enthielt.  Das  obere 
Geschoß  besteht  abermals  aus  einer  offenen  Halle  von  vornehmen  Verhältnissen, 
gleich  dem  ganzen  Bau  stattlich  angelegt  und  reich  geschmückt  (Abb.  326). 
In  Komposition,  Gliederung  und  Ornamentik  spricht  sich  ein  klassizistischer  Sinn 
aus,  aber  keineswegs  in  trockener,  schulmäßiger  Weise,  sondern  noch  mit  dem 
anziehenden  dekorativen  Spiel,  der  liebenswürdigen  Freiheit,  welche  sonst  nur  die 
Frührenaissance  kennt.  Dahin  gehört  auch  der  an  der  oberen  Halle  zur  Verwen- 
dung gekommene  Spitzbogen,  der  gleichwohl  in  antiker  Form  geghedert  und 
eingerahmt  ist.  Durch  ihn  ist  eine  gewisse  Übereinstimmung  mit  den  großen 
Spitzbogenfenstern  des  anstoßenden  älteren  Baus  bewirkt  worden.  Die  auf  reiche 
Säulenstühle  gestellten  korinthischen  Säulen  beider  Geschosse  mit  den  stark  vor- 

1)  Heuser,  Taf.  99. 

2)  Ebenda,  a.  a.  0.  Heft  2,  Taf.  1  —  8.  ' 

Lübke-Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  II  3.  Aufl.  32 


498      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 

springenden  verkröpften  Gebälken  und  dem  starken  Konsolengesims,  die  präch- 
tigen, stark  auskragenden  Schlußsteine  unter  den  vortretenden  Teilen  des  Gebälks, 
die  Medaillonköpfe  in  den  unteren  Friesen  und  Zwickeln,  die  Viktorien  in  den 
oberen  Bogenfeldern,  endlich  die  abschheßende,  an  den  vorspringenden  Teilen 
geschlossene,  an  den  untergeordneten  Zwischenfeldern  durchbrochene  Balustrade, 
das  alles  sind  Elemente  jener  durchgebildeten  Renaissance,  wie  sie  seit  Sanso- 
vinos  Bibliothek  als  Ausdruck  höchster  Pracht  sich  eingebürgert  hatte.  Dagegen 
gheört  das  steile  Dach  mit  seinen  hübschen  Luken  und  dem  in  der  Mitte  vor- 
gesetzten reichen  Dacherker,  der  in  seiner  Nische  die  Statue  der  Justitia  trägt, 
zu  den  Elementen  nordischer  Kunst.  Auch  die  Gewölbe  der  Halle,  deren  Rippen 
aufs  eleganteste  mit  Perlschnüren,  deren  Schlußsteine  mit  Rosetten  und  Masken 
dekoriert  sind,  zeigen  noch  gotische  Konstruktion. 

Die  Anmut,  die  leichte  Schlankheit  der  Verhältnisse  in  diesem  schönen 
Bau  wird  durch  die  feinste  ornamentale  Ausbildung  bis  ins  Einzelne  noch  erhöht. 
Selbst  die  Unterseite  der  Archivolten,  welche  über  den  vortretenden  Säulen  aus- 
gespannt sind,  zeigt  köstliche  Füllungen  mit  graziösen  Rosetten.  Die  Säulen- 
stühle haben  elegante  Masken,  die  in  ein  Rahmenwerk  von  aufgerollten  und  zer- 
teilten Bändern  eingelassen  sind.  Auch  die  Steigerung  vom  Einfacheren  zum 
Reicheren  ist  fein  beachtet:  so  haben  die  unteren  Säulen  glatte,  die  oberen 
weit  schlankeren  gegürtete  Schäfte,  am  unteren  Teil  ornamentiert,  am  oberen 
mit  Kannelüren  versehen.  Am  Dacherker  bilden  endlich  hermenartige  Karyatiden 
die  Einfassung,  diese  freilich  nicht  eben  sehr  organisch  verwendet.  Zu  den  zahl- 
reichen Inschriften,  die  den  ganzen  Bau  verschwenderisch  schmücken,  kommen 
an  den  Brüstungen  der  oberen  Halle  noch  figürliche  Reliefs,  die  indes  gleich  dem 
übrigen  plastischen  Schmuck  keinen  hervorragenden  Wert  haben.  Die  elegante 
Wirkung  ist  nicht  wenig  durch  das  Material  bedingt,  das  im  Erdgeschoß  aus 
dem  schönen  schwärzlichen  marmorartigen  Stein  von  Namur,  im  oberen  Stock 
aus  einem  feinkörnigen  gelben  Sandstein  besteht.  Fassen  wir  alles  zusammen, 
so  haben  wir  es  mit  einem  der  feinsten  Werke  der  Renaissance  in  Deutschland 
zu  tun.  Leider  haben  die  starke  Verwitterung  des  Steins  und  die  neuen  An- 
schauungen 1881  zu  einer  vollständigen  Erneuerung  des  schönen  Bauwerks  ge- 
führt, wodurch  es  keineswegs  gewonnen  hat.  Die  Beseitigung  der  Treppenläufe 
hatte  schon  früher  dem  Ganzen  seinen  eigentlichen  Sinn  geraubt. 

Das  Obergeschoß  besaß  übrigens  bis  1617  eine  schöne,  reich  geschnitzte 
Holzdecke,  die  erst  damals  durch  das  Rippengewölbe  ersetzt  wurde. 

Als  Urheber  des  Baues  betrachten  wir  jenen  Meister,  der  laut  Rathaus- 
protokoll am  30.  März  1569  beauftragt  wurde,  für  das  neue  Portal  „einen  Patron 
anzufertigen",  nachdem  man  am  23.  Juli  1567  beschlossen  hatte,  das  alte  bau- 
fällige Portal  zu  beseitigen  und  durch  ein  neues  zu  ersetzen.  Der  untere  Teil 
sollte  von  Namurer  Stein  gemacht  werden,  für  das  übrige  bezog  man  die  Steine 
von  Notteln  im  Münsterlande  und  von  Weibern;  die  Treppenstufen  kamen  von 
Andernach.  Jener  Meister,  der  dann  auch  die  Ausführung  des  Baues  erhielt,  war 
Wilhelm  Vemickel  (Wernniken).  Weitere  Nachrichten  über  diesen  trefflichen  Künstler 
fehlen,  doch  taucht  er  als  W.  Vernucken  nochmals  1590  in  Schmalkalden  auf,  wo 
er  die  Schloßkapelle  baut.  Dort  wird  er  als  Niederländer  bezeichnet.  Im  Jahre 
1573  stellt  der  Rat  unterm  4.  Mai  dem  Meister  das  Zeugnis  aus,  daß  er  das 
Portal  zur  Zufriedenheit  vollendet  habe.  Daß  Vernickel  gänzlich  unter  dem  Ein- 
fluß der  eleganten  Renaissance  des  benachbarten  Flandern  stand,  erkennt  man 
aus  seinem  Werke  deutlich.  Bezeichnend  ist,  daß  er  gegen  lauter  niederländische 
Künstler  siegreich  auftrat,  die  olfenbar  zu  einem  Wettbewerbe  veranlaßt  worden 
waren.  Schon  1562  hatte  ein  Heinrich  van  Hasselt  einen  Plan  eingereicht,  der 
noch  vorhanden  ist.    Im  städtischen  Archiv  nämlich  bewahrt  man  mehrere  alte 


Köln 


499 


Abb.  326  Rathausvorballe  zu  Köln  vor  der  Wiederherstellung 


Pläne,  die  auf  den  Bau  dieser  Halle  bezug  haben.  Sie  rühren  nur  von  Nieder- 
ländern her,  beweisen  also  aufs  neue  (wie  schon  der  Lettner  der  Kapitolskirche), 
daß  man  hier  bei  hervorragenden  Werken  sich  nicht  auf  einheimische  Meister 
verlassen  zu  dürfen  glaubte.  Als  Zeugnis  der  verschiedenen  damals  sich  kreu- 
zenden künstlerischen  Richtungen  haben  diese  Blätter  ein  hervorragendes  Interesse. 
Einige  Bemerkungen  über  sie  sind  also  wohl  am  Platze. 

Der  erste  Plan,  gemalte  Federzeichnung,  ist  bezeichnet:  „Lambertus  Suter- 
mann  alias  Suavius  fecit  anno  1562."    Lambert  Su(s)terman,  auch  Lombard  und 


500      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 

Suavius  genannt,  der  Erbauer  der  Vorhalle  von  S.  Jacques  zu  Lüttich,  wurde  also 
zu  ähnlicher  Aufgabe  hier  herangezogen.  Der  Entwurf  zeigt  einen  klassischen 
Bau  im  Sinne  des  Lütticher;  unten  geschlossene  Wandflächen  mit  eingelegter 
Marmorfüllung,  darüber  in  den  Brüstungen  Reliefs  von  weißem  Marmor.  Die 
obere  offene  Halle  auf  gekuppelten  dorischen  Säulen,  Schäfte  von  Marmor,  Kapi- 
telle und  Basen  von  Bronze.  Als  Abschluß  eine  Attika  mit  ionischen  Pilastern, 
die  aber  durch  Marmortafeln  mit  Emblemen  und  Ornamenten  fast  ganz  verdeckt 
sind.  Die  Bogenfüllungen  haben  Reliefs,  darüber  noch  liegende  Zwickelfiguren. 
Auf  die  Mitte  baut  sich  ein  Aufsatz  mit  korinthischen  Säulen  und  einem  Giebel, 
den  ein  Adler  krönt.  Auf  den  Seiten  sind  Statuen  aufgestellt;  zwei  lehnen  sich 
wenig  günstig  an  die  Ädikula.  Das  Figürliche  in  dem  allegorisch-sentenziösen 
Geschmack  der  Zeit  erfunden  und  mit  reichlichen  Inschriften  erläutert.  Dieser 
Entwurf  ist  zeichnerisch  und  als  Erfindung  entschieden  ganz  hervorragend. 

Der  zweite  Plan  rührt  inschriftlich  von  jenem  oben  erwähnten  Hinrick  van 
Hasselt  her.  Doppelhalle,  unten  wie  oben  mit  flachgedrückten  Burgunderbögen 
sich  öff'nend.  Unten  Rustika  mit  Diamant-Quadern,  die  Pfeiler  mit  vorgelegten 
dorischen  Pilastern.  Oben  in  der  Mitte  ein  breiter  Bogen  auf  ionischen  Pfeilern, 
an  beiden  Seiten  die  Öffnungen,  durch  Pfeiler  mit  schwarz  gezeichneten  Flächen- 
ornamenten geteilt.  Die  obere  Ordnung  bekleidet  mit  ionischen  Pilastern,  die  in 
wunderlich  verzierte  Hermen  und  Karyatiden  auslaufen.  Dann  als  Abschluß  ein 
breiter  Fries,  attikenartig,  in  der  Mitte  als  durchbrochenes  Geländer  behandelt, 
auf  den  Eckpostamenten  eine  weibliche  Figur  und  ein  Krieger  als  Wappenhalter. 
Alle  Friese  mit  Blumenranken,  dazwischen  Affen,  Vögel  und  andere  Tiere.  Die 
Schlußsteine  der  Bögen  phantastische  Köpfe,  Masken  u.  dgl.  Über  den  Seiten- 
bögen  Schilder  mit  Rollwerkrahmen.  Das  Ganze  eine  etwas  planlose  Mischung 
heimischer  und  antiker  Formen,  von  einem  mittelmäßigen  Künstler  nicht  eben 
geschickt  mit  der  Feder  gezeichnet. 

Der  dritte,  nicht  mit  Namen  versehene  ist  ein  Palladianer  der  strengen 
Richtung.  Große  Zeichnung,  mit  Tusche  laviert,  geometrischer  Aufriß,  aber  mit 
perspektivischer  Andeutung  der  Halle,  unten  nach  dem  Beispiel  mancher  palla- 
dianischer  Bauten  zu  Vicenza  eine  dorische  Säulenhalle  ohne  Stylobate,  aber  mit 
Triglyphenfries.  Dahinter  ein  Tonnengewölbe  mit  Gurten  auf  dorischen  Wand- 
pfeilern. Oben  eine  streng  ionische  weitgestellte  Säulenhalle  und  geradem  Gebälk. 
Die  Halle  flach  gedeckt,  das  Gebälk  auf  ionischen  Pilastern  ruhend.  Eine  durch- 
brochene Balustrade  bildet  den  Abschluß,  in  der  Mitte  durch  ein  kümmerlich  er- 
fundenes großes  Kreisfeld  mit  dem  Wappen  bekrönt,  beiderseits  von  einer  Sphinx 
gehalten.  Der  Eindruck  des  Ganzen  am  meisten  dem  Palazzo  Ghierecati  ver- 
wandt, doch  nüchtern  und  von  geringer  Erfindungskraft. 

Der  vierte  Plan  zeigt  eine  Variante  von  derselben  Hand,  die  hier  auf 
reichere  Prachtentfaltung  abzielt.  Die  untere  Bogenhalle  ist  auf  Pfeiler  gestellt, 
vor  die  korinthische  Säulen  auf  Stylobaten  treten.  Die  obere  Halle  hat  Komposita- 
säulen, am  Mittelbau  zu  dreien  gruppiert.  Die  Bogenzwickel  haben  hier  Viktorien, 
im  übrigen  mancherlei  Ornament.  Den  Abschluß  bildet  eine  Balustrade,  in  der 
Mitte  mit  hübscher  Akanthusranke  gefüllt;  darüber  derselbe  Aufsatz  wie  am 
vorigen  Projekt. 

Der  fünfte  Entwurf,  in  zwei  Ausführungen  vorhanden,  ist  der  verwirklichte. 
Die  eine  zeigt  genau  die  Anordnung  des  gegenwärtigen  Baus,  die  andere  wahr- 
scheinlich ein  Abänderungsvorschlag,  1571  bezeichnet  i),  bietet  interessante  Ab- 
weichungen. Erstlich  hat  der  Entwurf  drei  Dacherker,  die  seitlichen  rund,  der 
mittlere  mit  Giebel  geschlossen.  Bei  der  Ausführung  hat  man  doch  die  seitlichen 


1^)  Dies  späte  Datum  ist,  da  damals  der  Bau  schon  in.  voller  Ausführung  war,  auffallend. 


Köln 


501 


Aufsätze  fortgelassen,  die  Balustraden  und  ebenso  das  Konsolengesims  kräftiger 
ausgebildet,  die  oberen  Säulen  gegürtet  und  den  oberen  Schaftteil  kanneliert, 
die  Bögen  oben  und  unten  abwechselnd  mit  eleganten  Schlußsteinen  ausgestattet, 
während  der  zweite  Entwurf  diese  unten  gar  nicht,  oben  dagegen  aber  überall 
zeigt.  Auch  die  Anordnung  der  Karyatiden  am  Dachgiebel  ist  abweichend,  und 
jener  neue  Vorschlag  organischer. 

Im  ganzen  wird  man  zugestehen  müssen,  daß  die  Kölner  Stadtbehörde  in 
der  Auswahl  doch  richtiges  Verständnis  und  glücklichen  Griff  bekundet  hat,  was 
von  modernen  städtischen  Kollegien  in  ähnlichen  Fällen  nicht  immer  behauptet 
werden  kann,  wenn  auch  der  Entwurf  Lambert  Sutermans  der  hervorragendere 
bleibt.  Aber  die  wundervolle  Vorhalle  desselben  Künstlers  an  S.  Jacques  in  Lüttich 
ist  in  der  Wirkung  verhältnismäßig  zurückhaltend  und  streng  in  der  Behandlung, 
so  daß  man  die  hier  zur  Ausführung  gebrachte  Halle  doch  als  entschieden  wirk- 
samer bezeichnen  muß. 

Der  große  Saal  des  Rathauses  besitzt  herrliche  Holzarbeiten  mit  schönen 
Intarsien,  1603  von  Melchior  Reidt  hergestellt.  Besonders  die  Tür  ist  ein  Pracht- 
werk in  Zeichnung  und  Ausführung,  selbst  die  tiefe  Leibung  der  Nische  ganz 
mit  köstlich  eingelegter  Arbeit  geschmückt.  Auch  die  Decke  zeigt  treffliche 
Gliederung  in  Stuck,  mit  eingesetzten  Kaisermedaillons,  zum  Teil  vergoldet  und 
bemalt.  Ebenso  ist  die  Tür  des  Konferenzzimmers,  aus  dem  Zeughause  hierher 
versetzt,  eins  der  elegantesten  eingelegten  Werke,  aus  derselben  Zeit  herrührend, 
die  Ornamente  im  Schweifstil  ausgeführt. 

Der  Schlußepoche  gehörte  auch  der  sogenannte  „Spanische  Bau".  Er 
liegt  dem  Hauptbau  des  Rathauses  mit  der  nach  Westen  schauenden  Halle  gegen- 
über und  schließt  mit  ihm  den  kleinen  Platz  ein,  welcher  sich  als  Mittelpunkt  der 
ganzen  Anlage  darstellt  und  früher  nach  drei  Seiten  durch  kräftige  Barockportale 
mit  den  benachbarten  Straßen  in  Verbindung  stand.  Leider  ist  dieser  Bau  durch 
einen  nur  kümmerlich  und  grob  daran  anklingenden  Neubau  ersetzt.  Die  nieder- 
ländische Spätrenaissance  mit  ihren  Backsteinmassen  und  den  hohen  in  Sand- 
stein ausgeführten  Fenstern  herrschte  hier.  Das  Erdgeschoß  war  in  kraftvoller 
Rustika  aus  Quadern  mit  horizontalen  Bändern  errichtet.  In  der  Mitte  öffnete 
sich  die  Fassade  mit  fünf  offenen  Bögen,  die  in  eine  Halle  mit  gotischen  Kreuz- 
gewölben führen.  Ein  Portal  an  der  Seite  zeigte  ein  prächtiges  Gitter  von 
Schmiedeisen;  auch  die  kraftvollen  Eisengitter  der  Fenster  an  der  Südseite  des 
Baues  waren  beachtenswert.  Die  Mitte  der  Fassade  krönte  ein  hoher  und  breiter 
Barockgiebel  mit  Schweifen  und  Voluten.    Alles  derb,  einfach,  kraftvoll.^) 

Im  Innern  enthielt  dieser  Bau  im  Erdgeschoß  ein  Zimmer  (jetzt  im  Kunst- 
gewerbemuseum) mit  elegant  geschnitztem  Wandgetäfel,  durch  kannelierte  ionische 
Pilaster  gegliedert  und  mit  reich  dekorierten  Friesen  abgeschlossen.  Die  Decken 
waren  überall  durch  gotische  Kreuzgewölbe  mit  schönen  Schlußsteinen  gebildet. 
An  der  westlichen  Rückseite  des  ausgedehnten  Baues  führte  ein  besondrer  Eingang 
zu  einer  der  prachtvollsten,  ganz  in  Holz  geschnitzten  Wendeltreppen ;  vielleicht 
die  eleganteste  von  allen  hiesigen;  jetzt  ist  sie  ins  Severintor  übertragen. 

Von  städtischen  Monumenten  ist  außerdem  das  Zeughaus  zu  nennen,  ein 
schlichter  Backsteinbau  derselben  Epoche,  durch  zwei  einfache  Staffelgiebel  und 
ein  reich  bekröntes  Portal  in  Sandstein  von  Peter  Cronenborch  1592  bemerkenswert. 
An  der  Seitenfassade  ein  achteckiger  Treppenturm,  oben  mit  hübschem  Wappen 
dekoriert.    Innen  eine  mächtige  zweischiffige  Halle  auf  Säulen. 

Die  Wohnhäuser  unsrer  Epoche  stehen  in  Köln  nicht  ganz  im  Verhältnis 
zur  Bedeutung  des  Bürgertums  der  mächtigen  Stadt.   Das  wenige  Erhaltene  von 


1)  Vgl.  Heuser,  Heft  2,  Taf.  9  u.  10. 


502      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


früherem  Datum  ist  ohne 
besonderen  Schmuck,  je- 
doch von  künstlerischer 
Eigentümlichkeit ;  die 
spärlichen  reicheren  Bau- 
ten gehören  der  Spätzeit 
an.  Zuerst  behalten  die 
hohen  Giebelfassaden  mit 
ihren  von  Fenstern  ganz 
durchbrochenen  Geschos- 
sen noch  den  Charakter 
des  Mittelalters,  nament- 
lich durch  die  Fenster  mit 
den  steinernen  Kreuz- 
pfosten, die  Oberfenster 
im  Bogen  geschlossen, 
und  die  schlichten  Staffel- 
giebel, deren  Absätze 
höchstens  durch  leichte 
Voluten-  oder  Bogen- 
schlüsse  bekrönt  werden. 
So  das  hohe  Eckhaus  am 
Heumarkt  und  dem  Seid- 
machergäßchen.  Ein  statt- 
licher Giebel  mit  kräftig 

ausgebildeten  Voluten 
Heumarkt  Nr.  24.  Reich 
geschnitzt  der  Balken 
zum  Aufwinden  der  La- 
sten in  der  oberen  Dach- 
luke ;  solche  fanden  sich 
an  vielen  Häusern. 

Das  feinste  Haus  der 
frühen  Renaissance  ist 
am  Heumarkt  Nr.  20; 
offenbar  etwa  1540  ent- 
standen, schließt  es  vor 
dem  steilen  Walmdach 
mit  einem  kräftigen  Zin- 
nenkranze ab;  in  den 
Zinnen  Runde  mit  Relief- 
köpfen. Die  Flächen  sind 
ganz  durch  Fensterreihen 
mit  Kreuzpfosten  —  die 
Oberfenster  im  Flachbogen  —  durchbrochen;  unter  den  Fenstern  laufen  in  drei 
Geschossen  wunderfeine  edelst  gebildete  Ornamentfriese  mit  Sirenen,  Medail- 
lons usw.  etwa  im  Stil  der  berühmten  Holzschnitzereien  von  Oudenaarde.  Das 
Erdgeschoß  leider  umgebaut.  Diese  Giebelfront  zeigt  aber  im  höchsten  Maße, 
wie  fein,  elegant  und  flüssig  gerade  diese  Zeit  in  Köln  ihre  Fassaden  zu  bilden 
wußte,  in  hoher  rein  örtlicher  Eigenart.  Freilich  stark  zurückhaltend.  Von  ein- 
facheren Fronten  dieser  Zeit  und  Art  sind  noch  zahlreiche  vorhanden;  früher 
bestimmten  sie  geradezu  den  Charakter  des  Straßenbildes. 


Abb.  327  Vom  Wandgrab  des  Joh.  Eitz  in  der  Karmeliterkirche 
zu  Boppard 


Köln 


503 


Eine  zierliche  kleine  Fassade  an  demselben  Platz  Nr.  11  hat  ein  klassi- 
zistisches Gepräge,  besonders  durch  die  Bogenfenster.  Am  Alten  Markt  Nr.  20 
und  22  sodann  das  einfach  behandelte  Haus  zur  goldenen  Bretzel  mit  Doppel- 
giebel, die  Voluten  mit  runden  Scheiben  geschmückt;  datiert  1580.  Ein  schlichtes 
Giebelhaus  mit  Schnecken  ohne  feinere  Entwickelung  Große  Witschgasse  Nr.  36 
vom  Jahre  1590.  Auch  hier  ein  prächtig  geschnitzter  Balken  in  der  Dachluke. 
An  einer  sonst  wertlosen  Fassade  ebenda  Nr.  58  ein  hübsch  behandeltes  figür- 
liches Relief,  von  zwei  Putten  gehalten.  Eine 
der  prachtvollsten  Wendeltreppen  fand  sich 
in  dem  Hause  Nr.  25  am  Minoritenplatz,  in 
edlem  Stil  mit  reichen  Ornamenten  und  ele- 
ganten Gliederungen  durchgeführt  (Schnütgen- 
museum).  Diese  holzgeschnitzten  Treppen, 
die  nicht  bloß  an  den  Geländern  und  Brü- 
stungen, sondern  oft  auch  an  den  Unterseiten 
der  Stufen  dekoriert  sind,  bilden  eine  be- 
sondere Eigentümlichkeit  der  Kölner  Bürger- 
häuser. 

Schließlich  sind  noch  einige  späte,  aber 
um  so  prächtigere  Nachzügler  zu  erwähnen. 
Eine  stattliche  Fassade  am  Filzengraben  Nr.  24, 
mit  zwei  besonders  hohen  Stockwerken  über 
dem  Erdgeschoß;  die  Fenster  mit  steinernen 
Kreuzpfosten,  aber  im  Halbkreis  geschlossen ; 
der  Giebel  mit  reich  verschlungenen  und  durch- 
brochenen Schweifbögen,  auf  den  unteren 
Ecken  zwei  Bewaffnete  mit  Lanzen.  Die  Hof- 
seite des  ansehnlichen  Baues  ist  durch  drei 
hohe  Volutengiebel  ausgezeichnet.  Noch  viel 
später,  schon  aus  voller  Barockzeit,  das 
Haus  zur  Glocke,  am  Hof  Nr.  14  ge- 
legen. Die  Fassade  mit  ihrem  einfachen 
Staffelgiebel  mag  früherer  Epoche  ange- 
hören; aber  das  mit  derben  Fruchtschnüren, 
Masken  u.  dgl.  geschmückte  Portal  und  die 
innere  Ausstattung  lassen  das  spätere  17.  Jahr- 
hundert erkennen.  Der  breite  und  hohe 
Flur  mit  seinen  stuckierten  Balken  ist  ein 
schönes  Beispiel  der  alten  Kölner  Hausein- 
richtung. Nach  der  Rückseite  schließt  sich 
ein  großer,  hoher,  reichlich  erleuchteter  Saal 
an,  dessen  Decke  ungemein  reiche  Stuck- 
dekoration zeigt,  in  der  Mitte  ein  kraftvolles 
ReHef  des  Mutius  Scaevola,  der  die  Hand 

über  das  Feuerbecken  ausstreckt,  datiert  1693.  Eine  gut  geschnitzte  Wendel- 
treppe führt  zum  oberen  Geschoß,  wo  ein  ähnlicher  Saal,  nur  minder  üppig  ge- 
schmückt, sich  findet.  Ähnhche  und  noch  reichere  Häuser  dieser  späten  Zeit 
gibt  es  noch  mehr. 

Insbesondere  bezeichnend  für  das  Köln  des  17.  Jahrhunderts  ist  der  reiche 
Stuckschmuck  der  Balkendecken,  deren  Zwischenräume  mit  Bögen  abgeschlossen 
sind.  Von  dieser  Decke  finden  sich  noch  zahlreiche  in  den  alten  Häusern- bis 
in  die  obersten  Geschosse  hin. 


Abb.  328  Vom  Grabmal  der  Pfalzgräfin 
Johanna  zu  Simmern 


504      2.  Buch    Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


In  der  Umgegend  von  Köln  besitzt  Brauweiler  in  seiner  Abteikirche 
zwei  Seitenaltäre;  der  eine  minder  interessante  vom  Jahre  1562,  der  andere 
von  1552  ein  wertvolles  Werk,  ungefähr  im  Charakter  jenes  in  der  Krypta  von 
St.  Gereon,  ebenfalls  in  Tuffstein  ausgeführt  und  ursprünglich  reich  bemalt.  Der 
Aufbau  über  der  Mensa  beginnt  mit  einer  Predella,  welche  in  Nischen  die  Brust- 
bilder von  vier  Heiligen  zeigt.  Darüber  erheben  sich  vier  korinthische  Ornament- 
Pilaster,  die  in  der  Mitte  eine  große  Nische  mit  der  gegen  "ji  Meter  hohen  Gestalt 

des  Antonius  Eremita,  an  den  Seiten 
je  zwei  kleinere  Nischen  übereinan- 
der mit  halb  so  großen  Figuren  weib- 
licher Heiligen  einschließen.  Über 
dem  Gesims  ist  die  Widmungstafel 
als  reich  eingefaßter  Aufsatz  ange- 
bracht; die  obere  Krönung  des  Gan- 
zen bildet  ein  Kruzifixus.  Alle  Glie- 
derungen sind  mit  eleganten  Laub- 
ornamenten im  zierlichen  Stil  der 
Frührenaissance  bedeckt.  In  die  obe- 
ren Teile  spielt  eine  Reminiszenz  go- 
tischer, mit  Krabben  besetzter  Bögen 
hinein.  Die  Ausführung  durchweg 
von  großer  Feinheit.  Die  Pilaster 
haben  zart  gezeichnetes  Laubwerk, 
Gold  auf  blauem  Grunde.  Die  korin- 
thischen Kapitelle  sind  ganz  ver- 
goldet; ebenso  die  Seitenverzierungen 
des  Aufsatzes.  Die  Figuren  in  den 
Nischen  haben  durchweg  Bemalung 
und  Vergoldung;  die  Nischen  sind 
auf  blauem  Grund  mit  silbernen  Or- 
namenten bedeckt. 

Rheinaufwärts  ist  zunächst  in 
Andernach  der  Leyensche  Hof  als 
ein  Steinbau  der  Spätrenaissance  mit 
prächtigem  Barockportal  bemerkens- 
wert. In  Koblenz  sind  mehrere 
Erker,  so  die  an  der  Ecke  der  Kreuz- 
straße, zu  nennen.  Wichtiger  ist  aber 
die  Jesuitenkirche,  ein  stattlicher  Bau 
der  Spätzeit,  etwas  früher  als  die 
Kölner,  von  1609 — 17  aufgeführt,  und 
wieder  in  anderer  Weise  Mittelalter 
und  Antike  mischend.  Die  drei  Schiffe 
werden  durch  dorische  Säulen  mit 
Rundbogen- Arkaden  geteilt;  auch  die 
Emporen  über  den  Seitenschiffen 
öffnen  sich  in  ähnlicher  Bogenform 
gegen  das  Mittelschiff.  Dagegen  zei- 
gen sämtliche  Räume  spätgotische 
Netzgewölbe;  ebenso  sind  die  Fenster 
Abb.  329  Epitaph  der  Pfaizgräfln  Aiberta         spitzbogig  mit  Fischblasen-Maßwerk ; 

zu  Simmern  auch  eine  stattliche  Rose  an  der  Fas- 


Koblenz  Boppard 


505 


sade  ist  noch  in  spätgotischer  Weise 
gegliedert.  Doch  spielen  bei  der  Be- 
handlung der  Details  Eierstab  und 
Perlschnur  eine  große  Rolle.  Die  Fas- 
sade erhält  nicht  bloß  durch  das  Rosen- 
fenster, sondern  auch  durch  ein  heiter 
geschmücktes  Portal  mit  vier  einfas- 
senden Säulen  und  nischenartigem 
Aufsatz  in  reichen  Frühbarockformen 
lebendige  Wirkung.^)  Auch  das  an- 
stoßende Jesuitenkollegium  zeigt  eine 
tüchtige  Behandlung  im  beginnenden 
Barock,  der  südliche  Flügel  1588,  der 
westHche  1592,  der  nördhche  ein  Jahr- 
hundert später  erbaut. 

Nördlich  im  Kreis  Altenkirchen 
finden  wir  die  Überreste  des  Schlosses 
Friedewald;  meist  Ruine,  doch  steht 
noch  der  sehr  schöne  Hauptbau  zwei- 
stöckig, mit  dorischer  und  ionischer 
Pilasterordnung  und  Steinkreuzen  in 
den  Fenstern,  Nischen  dazwischen, 
von  strengster  Behandlung  dieser  Ord- 
nungen und  vollendetstem  ernstem  De- 
tail; ganz  offenbar  von  französischem 
Architekten  gebildet.'^)  Innen  einige 
vortretfhche  Türen  und  Kamine,  mit 
der  Jahreszahl  1582. 

Von  den  Grabdenkmälern  in  der 
Karmeliterkirche  St.  Severin  zu  Bop- 
pard, die  schon  in  Bd.  1  kurze  Erwäh- 


nung fanden,  teile  ich  in  Abb.  327  das  330   Aus  st.  Matheis  zu  Trier 

prächtige  Wandgrab  des  Johann  von 

Eitz  und  seiner  Gemahlin  vom  Jahre  1548  mit.  Originell  ist  der  Aufbau  des  aus 
drei  Flachnischen  bestehenden  Monumentes;  reizvoll  die  feine  Dekoration  der 
Pilaster,  der  Bogenfüllungen  und  der  wie  aus  Goldschmiedewerk  gearbeiteten 
Umsäumungen  der  Nischen.  Im  mittleren  Felde  sieht  man  die  Taufe  Christi  dar- 
gestellt, zu  beiden  Seiten  die  knienden  Gestalten  der  Verstorbenen,  bei  denen 
selbst  die  Kostüme  aufs  zierhchste  durchgebildet  sind.  Es  ist  eine  Schöpfung 
von  hohem  Reiz  und  steht  der  Richtung  Joh.  Beldensnyders  nahe.  Leider  fehlen 
die  Aufsätze.  Nördlich  das  sehr  feine  der  Margarethe  von  Eitz  in  Solnhofener 
Stein,  von  dem  Bayern  Loyen  lieiing  1519  ausgeführt. 

Andere  elegante  Epitaphien  sieht  man  in  der  Kirche  zu  Meisenheim; 
doch  haben  dieselben  bei  Gelegenheit  der  französischen  Invasionen  stark  gelitten. 
Dagegen  ist  südlich  die  Grabkapelle  der  Herzöge  von  Pfalz-Zweibrücken  im 
16.  Jahrhundert  angebaut,  mit  schönen  Gewölben,  deren  Rippen  und  Schlußsteine 
zum  Teil  freihängen;  anmutig  ornamental  bemalt;  ringsum  prächtige  Monumente 
und  Gedenktafeln;  insbesondere  das  von  1571  für  Wolfgang  und  seine  Gemahlin 
Anna  von  Hessen;  die  beiden  knien  lebensgroß  zu  selten  des  Kruzifixes.  Alles 
Dekorative  von  großer  Schönheit.  Der  Stil  des  Werkes  dem  Johanns  von  Trar- 
bach nahestehend. 


1)  Abb.  b.  Pritsch. 


2)  Abb.  b.  Fritsch. 


506      2.  Buch   Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Besser  ist  es  den  anmutigen  Grabmälern  in  der  Pfarrkirche  zu  Simmern 
ergangen.  Eine  Seitenkapelle  bildet  dort  ein  Mausoleum  des  ehemaligen  Pfalz- 
gräflichen Hauses.    Zu  den  zierlichsten  Denkmälern  der  Frührenaissance  gehört 

das  Epitaph  der  Pfalzgräfin  Johanna, 
gebornen  Gräfin  von  Nassau  und  Saar- 
brücken, von  dem  ich  einen  der  ele- 
ganten Pilaster  unter  Abb.  328  mitteile. 
Das  Denkmal  wurde  wohl  bald  nach 
dem  Tode  der  Dame  (f  1513)  durch 
ihren  Sohn  Johann  II.  errichtet.  Die 
Figur  selbst  nicht  von  hervorragendem 
Werte.  Eine  tüchtige  dekorative  Arbeit 
ist  sodann  das  Doppelmonument  des 
eben  genannten  Pfalzgrafen  Johann  II. 
(f  1557)  und  seiner  ersten  Gemahlin 
Beatrix  von  Baden,  wahrscheinHch  bald 
nach  ihrem  1535  erfolgten  Tode  aus- 
geführt.   Für  seine  zweite  Gemahlin 
Marie  von  Öttingen  hat  der  Pfalzgraf 
dann  1555  ein  selbständiges  kleineres 
Denkmal  errichten  lassen,  das  wiederum 
die  Relief  gestalt  der  Verstorbenen  in  einer 
höchst  eleganten  Renaissancenische  ent- 
hält.   Johann  II.  zeigt  sich  in  diesen 
Denkmälern  als  einer  der  kunstlieben- 
den Fürsten  seiner  Zeit,  wie  er  auch 
zu  den  gelehrtesten  gehörte.  In  seinem 
Schlosse,  das  später  1689  durch  die 
Mordbrennerbanden  Ludwigs  XIV.  ein- 
geäschert   wurde,    errichtete    er  eine 
Druckerei,  aus  der  unter  Leitung  sei- 
nes Sekretärs  Hieronymus  Rodler  eine 
Reihe  künstlerisch  ausgestatteter  Werke 
hervorging  (vgl.  über  dessen  Perspektive 
Bd.  I,  S.  132).  Rodlers  Grabmal  (f  1539) 
befindet  sich  ebenfalls  in  der  Kirche  zu 
Simmern,  und  ebendort  ein  sehr  zier- 
liches Epitaph  des  Johann  Stephan  Rod- 
ler (f  1574),  wahrscheinlich  seines  Soh- 
nes.   Noch  ein  fein  behandeltes  Denk- 
mal von  1554  an  einem  Pfeiler  dersel- 
ben Kirche  verdient  wegen  seiner  edlen 
Einfachheit  Erwähnung.  Von  dem  Cha- 
rakter der  dortigen  Arbeiten  gibt  wei- 
teres Zeugnis  unsere  Abb.  329,  welche 
das  bloß  durch  Wappen  und  Inschrift- 
tafel geschmückte  Epitaph  der  Pfalzgräfin  Alberta  vom  Jahr  1553  darstellt.  Dies 
Werk  bewegt  sich  in  den  Formen  einer  anmutigen  französischen  Frührenaissance. 
Das  imposanteste  aller  dieser  Denkmäler  ist  das  Doppelmonument,  das  der  letzte 
Pfalzgraf  von  Simmern,  Richard,  sich  und  seiner  Gemahlin  Juliane  von  Wied 
bald  nach  deren  Tode  (f  1575)  errichten  ließ.  Es  enthält  die  beiden  lebensgroßen 
Statuen  des  fürstlichen  Ehepaares  in  einer  prächtig  mit  vortretenden  Säulen  und 


Abb.  331   Greifenklaudenkmal  im  Dom  zu  Trier 


Simmern  Trier 


507 


biblischen  Reliefs  geschmückten  nischenartigen  Halle  und  trägt  die  üppigen,  schon 
vielfach  barock  umgebildeten  Formen  der  Spätrenaissance.  Als  Verfertiger  darf 
man  vielleicht  den  Meister  Johann  von  Trarbach  ansehen,  der  als  Schultheiß  und 
Bildhauer  zu  Simmern  lebte,  das  oben  Bd.  I  erwähnte  prächtige  Epitaph  des 
Grafen  Michael  in  der 
Kirche  zu  Wertheim 
schuf  und  1568  laut  noch 
vorhandenem  Kontrakt 
das  ähnlich  behandelte 
Grabmal  des  Grafen  Lud- 
wig Kasimir  von  Hohen- 
lohe für  die  Kirche  von 
Öhringen  arbeitete.^) 

Nur  dürftig  ist  es 
um  die  Renaissance  in 
dem  durch  seine  gewal- 
tigen Römerwerke  wie 
durch  die  großartigen 
Denkmale  des  Mittelalters 
hervorragenden  Trier 
bestellt.  Die  Stadt  selbst 
trägt  weder  in  öffent- 
lichen noch  in  bürger- 
lichen Privatbauten  ir- 
gendwie ein  bemerkens- 
wertes Ergreifen  des 
neuen  Stiles  zur  Schau. 
Am  meisten  kommt  die- 
ser auch  hier,  dem  geist- 
lichen Charakter  des  Bi- 
schofsitzes entsprechend, 
in  einigen  kirchlichen 
Werken  zur  Erscheinung. 

InderLiebfrauen- 
kirche  sind  im  Südflügel 
die  Reste  des  hl.  Grabes 
aufgestellt,  errichtet  1531 
vom  Dechanten  Christoph 
V.  Reineck.  Die  zum  Teil 
fehlenden  Figuren  stan- 
den in  einem  hohen 
triumphbogenartigen  Ge- 
häuse ;  alles  in  einer  vor- 
nehmen italienischen, 
französisch  anklingenden 
Hochrenaissance.  Den 

Aufbau  krönt  eine  Auferstehung.  In  der  Sakristei  ein  geradezu  vollendet  schönes 
Epitaph  des  Domkantors  Job.  Sigensis,  f  1564. 

Im  Innern  von  St.  Mattheis  an  der  Nordseite  sind  einige  Reste  stark  zer- 
störter Epitaphien  durch  die  außerordentUche  Feinheit  ihrer  Arbeit  bemerkenswert 


Abb.  332   Metzcnhausendcnkmal  im  Dom  zu  Trier 


1)  Becker  im  Kunstbl.  1838  Nr.  89 :  vgl.  1833  Nr.  29. 


Ii 


wmmmm 


508      2.  Buch    Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


(Abb.  330).  Vielleicht  die  letzten  Werke  Joh.  Beldensnyders,  in  denen  auch  er 
dem  fortgeschrittenen  Zeitgeschmacke  sein  Opfer  zollte. 

Das  Bedeutendste  besitzt  der  Dom  in  zwei  bischöflichen  Grabmonumenten, 
welche  allerdings  zu  den  herrlichsten  derartigen  Werken  unserer  Renaissance 
gehören.  Beides  sind  Wandgräber  von  stattlicher,  ja  großartiger  Anordnung  und 
reichstem  Schmucke.  Das  frühere  hat  Erzbischof  Richard  von  Greifenklau  (f  1531) 

sich  noch  bei  Lebzeiten  1524 
errichten  lassen  ^)  (Abb.  331). 
Zwei  langgestreckte  Pilaster 
umrahmen  eine  Nische,  in 
der  eine  Relief darstellung 
des  Gekreuzigten,  von  der 
hl.  Helena  und  Magdalena, 
sowie  der  herrlich  aus- 
drucksvollen, eines  Holbein 
würdigen  Gestalt  des  Ver- 
storbenen verehrt,  welcher 
von  S.  Petrus  empfohlen 
wird.  Vor  die  Pfeiler  sind 
in  etwas  lockerer  Kompo- 
sition unten  und  oben  klei- 
nere Pilaster  mit  Heiligen- 
figuren gestellt.  Über  dem 
eleganten  Gesims  bildet  das 
prachtvoll  ausgeführte  Wap- 
pen des  Erzbischofs,  von 
zwei  Greifen  gehalten,  den 
Abschluß.  Alle  Flächen  sind 
mit  köstlichen  miniaturartig 
gearbeiteten  Ornamenten  der 
ersten  Frührenaissance  be- 
deckt. Besonders  reizvoll 
der  untere  Fries  mit  Ran- 
kenwerk und  Figürlichem 
von  geistreicher  Erfindung 
und  Lebendigkeit.  Das  Werk 
steht  sichtbar  unter  dem  Ein- 
flüsse Loyen  Herings,  aber 
mehr  noch  unter  dem  des 
MainzerMeisters  des  dortigen 
Urieldenkmals,  könnte  so- 
gar sehr  wohl  ein  Spätwerk 
dieses  Künstlers  sein. 
Das  zweite  Monument  ist  dem  1540  gestorbenen  Erzbischof  Johann  von 
Metzenhausen  gewidmet  (Abb.  332).  In  der  großen  Mittelnische  die  lebensvolle, 
meisterlich  behandelte  Gestalt  des  Verstorbenen ;  in  den  kleineren  Seitennischen 
Petrus  und  Paulus.  In  der  oberen  Krönung  Delphine,  welche  in  Ranken  auslaufen, 
auf  denen  übermütig  spielende  Putten  reiten.  Auf  den  Ecken  zwei  ritterliche 
Heilige,  ganz  oben  Christus  am  Kreuz  mit  Maria  und  Johannes.  Auch  hier  das 
architektonische  Gerüst  aufs  üppigste  mit  Ornamenten  bekleidet,  die  von  voll- 


Abb.  333   Portal  der  erzbiscliöflichen  Residenz  za  Trier 


1)  Aufn.  bei  Ortwein,  42.  Abt.  Taf.  14  u.  15. 


Trier 


509 


Abb.  334   Hof  der  erzbischöfliehen  Eesidenz  zu  Trier 


endeter  Reife,  nicht  mehr  der  minutiösen  Feinheit  wie  am  ersten  Monumente 
sind.  Die  Nischen  sind  in  ähnlicher  Weise  goldschmiedartig  gesäumt,  wie  an 
jenem  Denkmal  in  Boppard;  aber 
das  Figürliche  hier  ist  dem  dortigen 
weit  überlegen.  Es  ist  ein  Meister- 
werk des  oft  genannten  ausgezeich- 
neten Johann  Beldensnyder  aus  Mün- 
ster, neben  dem  Hildesheimer  Lett- 
ner sein  schönstes  Werk.  Diese  bei- 
den herrlichen  Arbeiten  sind  sonst 
in  der  deutschen  Frührenaissance 
nicht  übertroffen.  Selbst  Frankreich 
und  Spanien  dürften  aus  ihrer  ersten 
blühendsten  Renaissance  wohl  Rei- 
cheres, doch  nichts  Besseres  zu  bie- 
ten haben.  Das  kleine  Osnabrücker 
Denkmal  und  der  Hildesheimer  Lett- 
ner schließen  sich  würdig  an.  — 
Wir  erkennen  in  diesen  wunder- 
vollen Leistungen  die  wahre  Nach- 
folge des  deutschesten  und  doch 
klassischsten  unserer  Bildhauer,  Pe- 
ter Vischers.  Wer  vor  dem  Metzen- 
hausendenkmal steht,  den  weht  aus 
den  so  unendhch  natürlich  und  wahr 
empfundenen  Gestalten  des  Erz- 
bischofs     und    der    beiden    großen      Abb.  335  G-iebel  der  erzbischöflichen  Residenz  zu  Trier 


510      2.  Buch    Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Apostel  ein  überzeugen- 
der Hauch  wahren  bild- 
hauerischen Geistes  an, 
zugleich  einer  künstle- 
rischen Unbefangenheit 
und  einer  köstlichen  De- 
likatesse, wie  wir  ihn  in 
solcher  Stärke  nur  noch 
vor  dem  Sebaldusgrab 
empfinden. 

Wiederum  später,  da- 
bei eins  der  prächtigsten 
und  reichsten  Werke  ihrer 
Art,  ist  die  Kanzel  (Abb. 
29  Bd.  I),  an  welcher  die 
überschwengliche  Deko- 
rationslust der  reif  aus- 
gebildeten, schon  zum 
Schweifstil  neigenden  Re- 
naissance zur  Entfaltung 
kommt.^)  Sie  ist  laut  in- 
schriftlichem Zeugnis  von 
Hans  Ruprecht  Hoffmann 
1572  ausgeführt  worden. 
Den  Namen  desselben 
Künstlers  findet  man  in 
der  Lieb frauenkirche 
an  dem  ebenfalls  präch- 
tig behandelten  Altar  mit 
dem  Epitaphium  der  Dom- 
pröpste Hugo  Kratz  von 
Schar  ff  enstein  und  von  der  Leyen,  wahrscheinlich  noch  bei  Lebzeiten  der  Stifter 
ausgeführt. 

Der  Erzbischü fliehe  Palast,  der  sich  an  die  gewaltige  antike  Basilika 
lehnt,  heute  Kaserne,  zeigt  derbe  Barockportale  ^)  (Abb.  333)  im  lebhaftesten  Stil 
Wendel  Dietterleins  oder  DiUchs,  und  im  zweiten  Hofe  eine  einfach,  aber  stattUch 
angelegte  Wendeltreppe  auf  dreifacher  Säulenstellung;  leider  ist  die  Wirkung  heute 
stark  gestört.  Das  Ganze,  ein  um  zwei  Höfe  sich  erstreckendes  Schloßgebäude, 
das  Kurfürst  Lothar  von  Metternich  1599  —  1623  mit  Benutzung  der  Basilika  er- 
baute. Die  Hoffassade  hat  drei  Geschosse  mit  Fensterkreuzen  und  gebrochenen 
Giebeln  in  der  Art  des  Aschafifenburger  Schlosses  oder  überhaupt  der  Straßburger 
Schule;  wir  dürfen  sogar  vielleicht  wieder  an  G.  Ridinger  als  Entwerfer  denken 
(Abb.  334),  dem  entsprechen  auch  die  Giebel  des  Bauwerks  mit  ihrer  phantastischen 
Umrißlinie  (Abb.  335). 

Die  Bürgerhäuser  am  Markt  können  mit  ihren  Barockgiebeln  kaum  An- 
spruch auf  Bedeutung  machen.  Dagegen  ist  der  1595  von  dem  schon  erwähnten 
Bildhauer  Hoffmann  ausgeführte  Petrusbrunnen  auf  dem  Markt  eine  zwar 
im  Figürhchen  sehr  derbe,  mehr  dekorative,  aber  im  Aufbau  ansprechende 
Arbeit'*)  (Abb.  336). 

1)  Aufn.  bei  Ortwein,  a.  a.  0.  Taf.  7—12. 

2)  Aufn.  ebenda  Taf.  5  n.  6. 

3_)  Aufn.  ebenda  Taf.  17  u.  18. 


Abb.  336   Petrusbrunncn  zu  Trier 


Bauten  an  der  Mosel  Luxemburg 


511 


In  Zell  an  der  Mosel  sieht  man  ein  kleines  malerisches  Jagdschlößchen, 
1542  von  Ludwig  von  Hagen,  Erzbischof  von  Trier,  erbaut,  das  durch  seine 
runden  Erkertürme  und  ein  naives  Gemisch  von  gotischen  und  Renaissanceformen 
anziehend  wirkt.  Auch  im  Innern  zeigen  die  Wölbungen  noch  ein  Zurückgreifen 
zu  mittelalterlichen  Elementen.  Zu  Bittburg  ist  der  Kobenhof  ein  zierlicher 
Bau  späterer  Renaissance  von  1576,  doch  nur  teilweis  erhalten.  Sobernheim 
besitzt  ein  stattliches  schloßartiges  Gebäude  des  ausgebildeten  Stiles,  durch  kräftig 
fassettierte  Quader  und  malerischen  Erkerturm  bemerkenswert. 

Gar  vieles  noch  ist  in  den  Gegenden  der  Mosel  und  des  benachbarten  Rhein- 
gebietes an  kleinen  Schlössern,  Rathäusern  und  bürgerlicher  Architektur;  Städtchen 
wie  Bernkastel,  Kochem,  Karden  und  so  viele  andere  sind  wahre  Fundgruben  einer 
fröhlichen  maleri- 
schen Baukunst 
insbesondere  aus 
der  Renaissance- 
zeit. Der  Maler  wie 
der  Architekt  wird 
da  die  reizvollsten 
Studien  machen 
können,  freilich 
ohne  auf  große  und 
aufwendige  Werke 
der  eigentlichen  Ar- 
chitektur zu  stoßen. 
Aber  gerade  diese 
zierlich  heiteren 
Bauwerke  in  Stein, 
Holz,  vorwiegend 
mit  dem  örtlich  be- 
stimmenden Schie- 
fer gedeckt  und  gar 
oft  auch  an  den 
Wänden  bekleidet, 
sind  in  ihrer  Art 
die  liebenswürdi- 
gen Repräsentan- 
ten echt  deutscher 
malerischer  bürger- 
licher Baukunst. 
Im  übrigen  sind 
auch  in  der  Trierer 
Diözese,  ähnlich 
wie  im  Kölnischen 

Sprengel,  die  kirchlichen  Werke,  die  Grabmäler,  Kanzeln  u.  dgl,  welche  mehr 
der  Plastik  und  dekorativen  Kunst  als  der  eigentlichen  Architektur  angehören, 
weitaus  das  formal  Wertvollste. 

An  dieser  Stelle  dürfen  wir  doch  nicht  unterlassen,  das  dem  Moselgebiet 
durchaus  auf  das  nächste  verwandte  Luxemburg  noch  kurz  zu  berühren.  Die 
früher  durch  ihre  gewaltigen  Festungswerke  berühmte  Stadt,  über  eine  Menge  von 
Hügeln  hinüberfassend,  ist  doch  trotz  der  Entfestigung  von  hohem  malerischem 
Reiz  auch  in  den  Resten  ihrer  Befestigungen.  Das  großherzogliche  Schloß,  einst  das 
Rathaus,  entstammt  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  malerisch,  mit  zwei  reich  ver- 


Abb.  337   Inneres  der  Kathedrale  zu  Luxemburf 


512      2.  Buch    Die  Bauwerke   XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


zierten  Erkern,  doch  in  der  Stadt  kaum  mehr  bedeutend,  als  ein  besonders  reicher 
Patrizierpalast.  Dagegen  darf  die  Kathedrale  als  eine  dritte  echt  deutsche 
Gestaltung  im  Sinne  der  Wolfenbütteler  und  der  Bückeburger  Kirche  bezeichnet 
werden.  Ebenfalls  aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  —  eine  Hallenkirche 
mit  spitzbogigen  Gewölben  auf  dorischen,  reichen  Säulen,  mit  prachtvoller  West- 
empore (Abb.  337)  und  reichem  viersäuhgem  Portal  auf  der  Südseite,  steht  sie 
ganz  wie  jene  letztgenannte  Kirche  auf  das  stärkste  unter  dem  Einflüsse  der 
Dietterleinschen  Kupferstiche,  die  zum  Teil  sogar  (Westempore)  direkt  nachgebildet 
sind.  Die  Kirche  wird  1621  erbaut  sein;  das  Portal  (Abb.  338)  trägt  diese  Jahres- 
zahl. —  Sie  hat,  als  katholische  Kirche  drei  Chöre  nebeneinander;  sonst  schließt 
sie  sich  der  Bückeburger  Kirche  am  nächsten  an.  Sie  gilt  meist  als  ältere  gotische 
Kirche  mit  Renaissanceausstattung;  ein  Blick  aber  schon  auf  die  schönen  dori- 
schen Säulen  des  Schiffs  mit  ihrem  reichen  Flachornament  über  den  ganzen 
Schaft  belehrt  uns,  daß  wir  ein  reines  Renaissancewerk  vor  uns  haben. 

Besonders  anziehend  ist,  wie  bemerkt,  der  Holzbau  der  Rheingegend, 
dem  wir  noch  eine  zusammenfassende  Betrachtung  widmen  müssen,  um  so  mehr 

als  er  sich  von  der  nieder- 
sächsischen Gruppe  wesent- 
lich unterscheidet.  Während 
dort  die  einzelnen  Stockwerke 
so  weit  wie  möglich  überein- 
ander vorgekragt  werden  und 
dadurch  j  enes  reiche  plastische 
Leben,  jene  energische  Glie- 
derung erhalten,  von  der 
unsre  Abb.  281 — 88  mannig- 
fache Anschauung  gewähren, 
sind  die  rheinischen  Holzbau- 
ten bei  möglichst  geringem 
Vorsprung  der  Stockwerke 
minder  kräftig  entwickelt, 
minder  plastisch  durchgebil- 
det, und  suchen,  was  ihnen 
darin  an  Lebendigkeit  abgeht, 
durch  eine  mehr  malerische 
Verzierung  der  Flächen  zu 
ersetzen.  Es  ist  an  Stelle  je- 
nes kraftvollen  Lebens  der 
niedersächsischen  Bauten  ein 
feinerer  malerischer  Reiz 
ihnen  eigen.  In  schlichter  fast 
kunstloser  Weise  trat  uns 
dieser  Stil  schon  an  dem  Gie- 
belhaus zu  Eppingen  (I.  Bd. 
Abb.  136)  entgegen.  Dort  sind 
alle  Elemente  der  Konstruk- 
tion ohne  Verhüllung  und  fast 
ohne  ornamentale  Ausbildung 
einfach  zum  Ausdruck  ge- 
bracht. Etwas  zierlicher  und 
reicher  stellte  sich  das  Rathaus 
Abb.  338  Portal  der  Kathedrale  zu  Luxemburg  ZU  Derrenbach  (I,  Abb.  141) 


Rheinischer  Holzbau 


513 


dar;  doch  zeigt  es  bereits  künst- 
lerisch ausgebildete  Eckpfosten 
und  hübsche  Muster  in  den  Rie- 
geln der  Fensterbrüstungen,  In 
noch  zierlicherer  Weise  ist  die- 
selbe Art  der  Dekoration  an  dem 
Deutschen  Hause  aus  Schwä- 
bisch-Hall  durchgeführt.  Man 
sieht  zugleich  aus  unsern  Bei- 
spielen, daß  diese  Behandlung 
des  Holzbaues  sich  nicht  bloss 
über  den  Oberrhein,  sondern 
auch  über  die  angrenzenden 
Gebiete  Schwabens  und  Fran- 
kens erstreckt. 

Überall  beruht  hier  die 
künstlerische  Behandlung  auf 
dem  Grundsatz,  die  konstruk- 
tiven Bestandteile  möglichst 
unverhüllt  darzulegen  und  zum 
Ausgangspunkt  für  die  Deko- 
ration zu  machen.  Daher  wer- 
den die  Pfosten  besonders  kräf- 
tig betont  und  nicht  bloß  durch 
geschnitztes  Flachornament  be- 
lebt, wie  es  unsre  (Abb.  339 
rechts)  zeigt,  sondern  nament- 
lich die  Eckpfosten  werden 
kräftiger  in  Säulenform  aus- 
gebildet, wobei  Kanneluren, 
Gürlungen,  Blattwerk  und  an- 
deres Ornament  im  Sinne  der 
Renaissance  zur  Verwendung  kommt,  wie  dieselbe  Figur  an  zwei  Beispielen  weist. 
Während  diese  Glieder  die  Vertikale  betonen,  wird  die  Horizontale  durch  das 
mäßige  Vortreten  der  Schwellbalken  nur  bescheiden  angedeutet,  so  daß  einige 
ausgekehlte  und  abgefaste  Gheder,  bisweilen  wohl  als  gewundenes  Tau  charak- 
terisiert, genügen.  Namentüch  aber  fallen  die  vortretenden  Balkenköpfe  des 
niedersächsischen  Holzbaues  völlig  fort. 

Im  Übrigen  wird  die  Dekoration  der  Fassaden  dadurch  bewirkt,  daß  die 
Riegel  in  mannigfachen  Linien  geführt  werden,  indem  man  sie  in  verschie- 
denen Biegungen  schweift  und  kreuzt.  Diese  dem  Holzstil  durchaus  ent- 
sprechende Technik  bringt  dann  häufig  Gestaltungen  hervor,  die  an  die  Gotik 
erinnern.  Besonders  reich  werden  durch  derartige  Verschhngungen  die  Fenster- 
brüstungen geschmückt  (Abb.  340).  Die  Öffnungen  selbst  sind  nach  der  Sitte 
des  Mittelalters  in  Gruppen  angeordnet  und  oft  mit  vorspringendem  Rahmen 
eingefaßt,  der,  wie  dieselbe  Figur  zeigt,  meistens  von  hübschen  Konsolen  ge- 
tragen wird.  Pfosten  und  Rahmen  werden  abgefast  und  mit  verzierten  Rund- 
stäben gegliedert,  auch  sonst  durch  Schmuck  von  verschlungenen  Bändern, 
Schuppen,  Blättern  u.  dgl.  reich  hervorgehoben.  Eine  selbständige  Verdachung, 
auf  einem  Zahnschnittgesims  ruhend,  schließt  dann  oben  solche  Fenstergruppe 
ab.  So  in  Abb.  341  an  einem  hübschen  Giebelhause  vom  Jahre  1606  zu  Traben 
an  der  Mosel. 


Abb.  339   Pfosten  von  Holzhäusern  za  Boppard 


Lübkc- Haupt,  Renaissance  in  Deutschland  H  3.  Aufl. 


33 


514      2.  Buch    Die  Bauwerke    XVII.  Kapitel   Die  nordwestlichen  Binnenländer 


Abb.  340   Fensterbrüstungeii  aus  Boppard 


Es  ist  aber  stets  eine  feine  Anmut,  die  der  Dekoration  ihr  festes  Maß  an- 
weist. Mit  Vorliebe  fügt  man  den  Fassaden  kräftig  vorspringende  Erker  hinzu, 
sei  es  daß  dieselben  auf  den  Ecken  polygon  ausgekragt  sind,  wie  ein  besonders 
originelles  Beispiel  an  einem  Hause  von  1572  in  Rhense  vorkommt,  oder  daß 


Abb.  341  Von  einem  Holzhaus  zu  Traben 


Eheinischer  Holzbau 


515 


die  Mitte  der  Fassade  durch  Vorbauten  ausgezeichnet  wird.  Der  Einfluß  der  Re- 
naissance spricht  sich  überall  hauptsächlich  durch  die  Gliederung  der  Schwellen, 
Pfosten  und  Rahmen,  sowie  durch  die  Ausbildung  der  Gesimse  aus;  hierbei 
kommen  die  antiken  Ghederungen,  die  Karniese  und  andere  wellenförmige 
Glieder,  die  Zahnschnitte,  Perlschnüre,  Flechtbänder,  Konsolen  u.  dgl.  zu  viel- 
facher Verwendung. 

Ohne  hier  auf  Einzelnes  zu  weit  überzugehen,  mögen  noch  Boppard  und 
Bacharach,  sowie  an  der  Mosel  Traben,  Bruttig,  Ediger,  Klotten  be- 
sonders genannt  werden.  Es  bedarf  kaum  der  Bemerkung,  daß  manches  künst- 
lerisch Wertvolle  dieser  Art  sich  auch  sonst  vielfach  in  andern  Orten  dieses  Ge- 
bietes befindet. 

Achtzehntes  Kapitel 

Die  nordhessischen  Gebiete 

In  den  weitgestreckten  vom  Main  bis  zur  Weser  reichenden  hessischen  Län- 
dern, die  wir  zum  Schluß  unsrer  Betrachtung  zusammenfassen,  tritt  weder  das 
Bürgertum  noch  die  geistliche  Macht  in  bedeutenderen  Kunstschöpfungen  hervor; 
dagegen  ist  es  das  Fürstentum,  dem  die  Renaissance  auch  hier  eine  charaktervolle 
Blüte  verdankt.  Als  Philipp  der  Großmütige  1509  von  seinem  Vater,  Landgraf 
Wilhelm  II.,  den  alleinigen  Besitz  der  gesamten  hessischen  Lande  erbte  und  schon 
in  seinem  vierzehnten  Jahre  durch  Kaiser  Maximilian  als  großjährig  erklärt  wurde, 
trat  der  junge  hochgemute  Fürst  mitten  in  eine  Zeit  der  Kämpfe  und  Ver- 
wirrungen. Seine  rasche,  kühne  und  offne  Natur  machte  ihn  bekanntlich  zu 
einem  Vorkämpfer  der  protestantischen  Partei  und  nach  der  unglücklichen  Schlacht 
von  Mühlberg  durch  die  Arglist  spanischer  Politik  zum  Gefangenen  Karls  V.  Als 
er  1552  seinem  Schwiegersohn  Moritz  von  Sachsen  die  endUche  Befreiung  aus 
schnödem  Gewahrsam  verdankte,  blieben  ihm  bis  zu  seinem  Tode  1567  noch  eine 
Reihe  ruhiger  Regierungsjahre,  die  er  dem  Besten  seines  Landes  widmete.  Philipp 
war  tief  von  dem  religiösen  Pathos  seiner  Zeit  ergriffen  und  wandte  vor  allem 
der  Durchführung  der  Reformation,  dem  Kirchen-  und  Schulwesen  und  der  Ord- 
nung der  Verwaltung  seine  ganze  Sorgfalt  zu.  Er  war  es,  der  schon  1526  die 
Universität  in  Marburg,  die  erste  evangelische  Hochschule  Deutschlands,  stiftete, 
aus  den  eingezogenen  Klostergütern  dotierte  und  zunächst  hauptsächlich  zur 
theologischen  Lehranstalt  bestimmte.  Er  war  es  auch,  der  auf  dem  von  ihm  be- 
rufenen und  persönlich  geleiteten  Religionsgespräch  zu  Marburg  die  Zwistigkeiten 
zwischen  den  Wittenberger  und  Züricher  Reformatoren  beizulegen  suchte. 

Begreiflich,  daß  diese  Bestrebungen  ebenso  wie  die  kriegerischen  Verwick- 
lungen seines  Lebens  ihn  nicht  zu  einer  Pflege  der  Künste  gelangen  ließen.  Erst 
seine  Söhne,  unter  die  er  das  Land  teilte,  vermochten  sich  ruhigerer  Zeiten  zu 
erfreuen  und  in  glänzenden  Monumenten  auch  ihre  Kunstliebe  zu  betätigen.  Am 
wichtigsten  für  unsre  Betrachtung  sind  darunter  Wilhelm  IV.,  dem  die  Hälfte  des 
hessischen  Gebietes  mit  der  Residenz  Kassel  zufiel,  und  Georg  I.,  welcher  den 
schon  im  I.  Bande  betrachteten  südlichsten  Teil  mit  Darmstadt  erhielt  und  Stifter 
dieser  Linie  wurde.  Weniger  kommt  für  uns  Philipp  II.  in  Betracht,  wogegen 
Ludwig  IV.,  welcher  Oberhessen  mit  der  Residenz  Marburg  erhielt  und  1604  ohne 
Erben  starb,  für  die  Entwicklung  der  Renaissance  in  diesen  Gegenden  nicht  uner- 
heblich ist. 

Während  somit  der  neue  Stil  in  den  eigentlichen  hessischen  Gebieten  erst 
ziemlich  spät  zur  Geltung  kommt,  haben  wir  ihn  in  den  südlichen  Teilen,  den 
heutigen  Provinzen  Starkenburg  und  Rheinhessen,  in  einigen  frühen  Denkmalen 


51ß         2.  Buch   Die  Bauwerke   XVIII.  Kapitel   Die  nordhessischen  Gebiete 

angetroffen,  die  hauptsächlich  durch  die  alten  Dynastenfamilien  des  Landes  ge- 
schaffen wurden.  Dort  war  es  ohne  Zweifel  die  nahe  Berührung  mit  den  mittel- 
rheinischen, pfälzischen  und  fränkischen  Bauschulen,  die  zur  Aufnahme  der  Re- 
naissance den  ersten  Anstoß  gab  und  den  Charakter  jener  Bauwerke  bestimmte. 

Wir  haben  daher  jene  rheinfränkischen  Gegenden  mit  den  großen  rheinischen 
Städten  Mainz  und  Frankfurt,  wie  es  in  der  Natur  dieser  Beziehungen  zur  frän- 
kischen Kunst  liegt,  bereits  im  Anschluß  an  diese  behandelt. 

Niederhessen 

Hier  ist  zunächst  der  von  den  Landgrafen  ausgeführten  Bauten  zu  gedenken. 
Die  vielbewegte,  durch  die  Stürme  der  Reformationszeit  erfüllte  Regierung  Philipps 
des  Großmütigen  war,  wie  wir  sahen,  einer  stetigen  Kunstpflege  nicht  günstig. 
Dagegen  tritt  sein  Sohn  und  Nachfolger,  Wilhelm  IV.,  der  Weise  (1567—92),  als 
Freund  der  Wissenschaften  und  Förderer  der  Künste  auf.  Edlen  Sinnes,  auch 
in  religiösen  Angelegenheiten  sich  einer  milden  Auffassung  zuneigend,  vielseitig 
gebildet,  dabei  ein  ebenso  kraftvoller  als  erleuchteter  Regent,  nimmt  er  unter  den 
Fürsten  jener  Zeit  einen  Ehrenplatz  ein.  Seine  Lieblingsbeschäftigungen  richteten 
sich  auf  Astronomie  und  Mechanik;  besonders  aber  war  er  ein  Freund  der  bilden- 
den Künste  und  begann  schon  1557  noch  unter  seines  Vaters  Regierung  den  Grund- 
stein zu  einem  neuen  Residenzschloß  in  Kassel  zu  legen,  das  mit  seinem  goldnen 
Saal,  nach  der  Sitte  der  Zeit  mit  fürstUchen  Bildnissen  geschmückt,  erst  1811 
durch  einen  Brand  zerstört  wurde.  Mit  dem  Schloß  war  auch  hier  ein  Lustgarten 
verbunden,  auf  der  Höhe  in  der  Gegend  der  jetzigen  Schönen  Aussicht  mit  seinen 
seltenen  Pflanzen  aus  fernen  Ländern,  mit  türkischen  Tulpen,  orientalischen 
Hyazinthen  u.  dgl  sich  ausdehnend.  Für  die  Myrthen  und  Zypressen,  Granaten, 
Lorbeer-,  Zitronen-  und  Feigenbäume  erbaute  er  ein  eigenes  Pomeranzenhaus,  in 
dessen  offnem  Saale  ein  „Spritzbrunnen"  seinen  Wasserstrahl  bis  zur  Decke  warf, 
und  von  dessen  Galerien  und  Altanen  der  Blick  die  Gartenanlage  „Au"  beherrschte. 
In  seinem  daranstoßenden  Obstgarten  pflegte  der  Fürst  trotz  seiner  Dicke  das 
Geschäft  des  Pfropfens  und  Okulierens  als  guter  Hausvater  und  Landwirt  selbst 
zu  besorgen.  Seine  geliebte  Gemahlin,  die  sanfte  Sabine  von  Württemberg,  unter- 
stützte ihn  in  solchen  friedlichen  Bestrebungen. 

Von  jenen  Prachtbauten  ist  infolge  des  1811  unter  Jerome  vielleicht  absicht- 
lich angelegten  ungeheuren  Schloßbrandes  keine  Spur  mehr  vorhanden;  nur  die 
untergeordneten  Bauten  des  Renthofes  und  des  Marstalls  sind  davon  noch  übrig 
geblieben.  Aber  in  der  ehemals  kurhessischen,  jetzt  preußischen  Enklave  Schmal- 
kalden zeugt  das  stattUche  Schloß,  trotz  arger  Verwahrlosung  doch  in  seiner 
ganzen  Anlage  noch  vollständig  erhalten,  von  der  regen  Bautätigkeit  des  edlen 
Fürsten.^)  Als  Schmalkalden  1583  nach  dem  Aussterben  der  hennebergischen 
Grafen  an  Hessen  fiel,  ließ  Wilhelm  IV.  sofort  1584  die  alte  Burg  Walrab  nieder- 
reißen und  an  ihrer  Stelle  das  jetzige  Schloß,  die  Wilhelmsburg,  errichten.  Von 
der  mittelalterlichen  Burg  steht  nur  noch  an  der  Ostseile  ein  unregelmäßig  sechs- 
eckiger Turm  mit  angelehntem  runden  Treppenturm.  Im  Übrigen  ist  das  Schloß 
in  einem  Zug  entstanden;  1586  liest  man  im  Hofe;  1590  wurde  die  Kapelle  ge- 
weiht und  1610  in  der  Ausstattung  vollendet.  Als  Baumeister  wirkten  Christoph 
und  Hans  Müller,  Hofschreiner. 

Das  Schloß  (Abb.  342  u.  343)  bietet  sich  von  außen,  auf  sanft  ansteigender 
Höhe  über  der  Stadt  gelegen,  als  ein  schmuckloses,  massenhaft  behandeltes  Viereck, 
an  der  westlichen,  der  Stadt  zugekehrten  Seite  mit  einem  Haupteingang  und  auf 
dem  südlich  vorspringenden  Flügel  mit  einem  viereckigen  Turm  versehen,  der 

1)  Laske,  Scjiloß  Wilhelmsburg  bei  Schmalkalden.  Berlin  1895. 


Abb.  343  Wilhelmsburg  zu  Schmalkaldeix  I.  Stock 


518         2.  Buch   Die  Bauwerke   XVIII.  Kapitel   Die  nordhessischen  Gebiete 

mit  achteckigem  Aufsatz  über  dem  Dache  emporragt.  Im  Innern  entfaltet  sich  in 
dem  großen  viereckigen  Hof  ein  reicheres  architektonisches  Leben.  In  der  Haupt- 
achse liegen  die  beiden  dominierenden  Eingänge  A  und  B  mitten  im  westhchen 
und  östlichen  Flügel,  der  letztere  mit  dem  Brustbilde  des  fürsthchen  Erbauers 
geschmückt.  In  den  Ecken  sind  vier  achteckige  Treppentürme  angeordnet,  mit 
reich  behandelten  Portalen.  Noch  drei  andere  Eingänge  liegen  im  Hofe,  so  daß 
dieser  im  Ganzen  mit  neun  Portalen  versehen  ist,  alle  verschieden  behandelt, 
sämtlich  in  üppigem  schon  stark  entwickeltem  Stil,  mit  reicher  Anwendung  von 
Metallornamenten  opulent  und  gediegen  in  Sandstein  durchgeführt.  In  E  ist  ein 
Saal  von  bedeutender  Ausdehnung,  wie  ihn  die  meisten  Schlösser  jener  Zeit  be- 
saßen; in  D  befindet  sich  die  große  und  gut  beleuchtete  Küche. 

Im  südlichen  Flügel  führt  ein  Portal  in  die  Kapelle  G,  Es  ist  ein  ein- 
faches Rechteck,  etwa  16  Meter  lang  und  13  Meter  breit,  durch  zwei  Reihen  von 
Pfeilern  in  drei  Schiffe  geteilt,  mit  flachbogigen  Kreuzgewölben  bedeckt.  An  der 
Westseite  erhebt  sich  der  Altar,  über  ihm  an  der  Schlußwand  die  Kanzel  und 
darüber  die  Orgel.  An  den  drei  andern  Seiten  ziehen  sich  niedrige  Umgänge, 
darüber  zwei  Emporen  um  das  Mittelschiff.  Der  Zugang  zu  diesen  liegt  am 
Ostende  des  südlichen  Seitenschiffs  in  einer  Wendeltreppe,  der  Zugang  zur  Kanzel 
und  Orgel  in  dem  der  Westseite  vorgebauten  Turm.  Der  Raum  empfängt  in 
allen  Teilen  ein  reichliches  Licht  durch  gekuppelte  Fenster  mit  gotischem  Kehlen- 
profil. Die  Gewölbe  des  Mittelschiffs  werden  durch  dreifache  Zuganker  zusammen- 
gehalten. Die  obere  Reihe  derselben,  die  ursprünghche,  ist  in  der  Mitte  mit 
hübsch  gemalten  Fruchtschnüren  geschmückt.  Die  ganze  Anordnung  und  Ein- 
richtung des  Raumes  zeigt  die  endgültige  Ausbildung  jenes  Typus  evangelischer 
Schloßkapellen,  welcher  zuerst  im  Schloß  zu  Torgau  eine  klare,  zielbewußte 
Form  gewonnen  hat. 

Einen  hervorragenden  Wert  darf  der  kleine  Raum  beanspruchen  durch  die 
ebenso  maßvolle  als  wirksame  Dekoration,  die  in  solcher  Vollständigkeit  und 
Erhaltung  kaum  anderswo  sich  findet  (Abb.  344).  Alle  Flächen  sind  aufs  Ele- 
ganteste mit  Stuck  bekleidet,  an  den  Gewölbrippen  sieht  man  feine  Perlschnüre, 
an  den  Gewölben  der  Emporen  und  des  Mittelschiffes  entfallet  sich  die  reiche 
Ornamentik  der  Zeit  mit  Masken,  Frucht-  und  Blumengewinden,  Rollwerk  und 
mannigfach  erfundenen  Metallornamenten.  Die  letzteren  bekleiden  außerdem 
sämtHche  Flächen  der  Pfeiler,  Bogenfenster  und  Friese.  Das  alles  ist  auf  weißem 
Grunde,  in  den  Seitenschiffen  farblos,  im  Mittelraum  aber  mit  sparsamer  An- 
wendung von  Gold  und  Farbe  zu  einer  bewundernswürdig  eleganten  Wirkung 
gebracht.  Die  Ornamente  sind  in  einem  braunen  Ton  umrissen,  mit  kräftigen 
Schattenlinien  und  maßvoller  Anwendung  von  Gold ;  die  überall  als  Ausläufer  der 
Form  sich  entwickelnden  Masken  u.  dgl.  sind  farbig  gehalten,  das  Gold  für  die 
Hauptlinien  aufgespart,  so  daß  die  Wirkung  höchst  delikat  und  elegant  ist.  Die 
Brüstungen  der  Emporen,  durch  geschweifte  Kragsteine  geteilt,  haben  die  für  sie 
bestimmten  Reliefs,  welche  durch  fortlaufende  Nummern  angedeutet  werden,  wohl 
niemals  erhalten  und  fallen  deshalb  aus  der  Gesamtwirkung  heraus.  Dagegen 
sind  von  trefflichem  Effekt  die  zahlreichen  goldenen  Schilder  an  den  Friesen, 
welche  mit  Bibelsprüchen  in  dunkler  Schrift  bedeckt  sind.  An  den  obersten 
Schildbögen  sind  liegende  Apostelgestalten  in  Stuck  ausgeführt.  Der  Altar  von 
weißem  Kalkstein  ruht  auf  den  Emblemen  der  Evangelisten.  Sehr  hübsch  ist 
über  ihm  auf  einer  Konsole  die  Kanzel  vorgebaut.  In  der  Deutschen  Renaissance 
gibt  es  wenig  Innenräume  von  ähnlicher  Vorzüglichkeit  der  Dekoration.  Der 
Meister  des  1590  geweihten  Baus  war  der  Niederländer  Wilhelm  Vernucken,  Nieder- 
länder, offenbar  der  früher  genannte  Erbauer  der  Rathaus-Vorhalle  zu  Köln,  der 
bereits  dort  den  glänzendsten  Beweis  seiner  Kunst  gegeben. 


520         2.  Buch    Die  Bauwerke    XVIII.  Kapitel    Die  nordhessischen  Gebiete 

Die  übrigen  Teile  des  Schlosses  befinden  sich  in  einem  Zustande  trauriger 
Verwahrlosung.  Da  nämlich  1813  das  Schloß  als  Lazarett  verwendet  wurde,  litt 
die  innere  Ausstattung  desselben  erheblich,  erfuhr  dann  aber  vollständige  Ver- 
wüstung, weil  infolge  des  ausgebrochenen  Lazarettfiebers  alle  Gegenstände,  und 
zwar  nicht  bloß  die  vergoldeten  Ledertapeten,  sondern  auch  Fenster,  Türen  und 
Fußböden  herausgerissen  wurden.  Im  östlichen  Flügel  enthält  das  obere  Stock- 
werk den  Riesensaal  (G  in  Abb.  343),  der  bei  27  Meter  Länge  und  14  Meter 
Breite  die  geringe  Höhe  von  etwa  41/2  Meter  mißt.  Seine  langen  Deckbalken 
sind  in  der  Mitte  durch  drei  Holzsäulen,  an  den  Wänden  durch  entsprechende 
Steinpfeiler  gestützt,  die  sehr  originell  als  barocke  Konsolen  ausgebildet  sind. 
Die  Decke  zeigt  noch  Reste  von  Malereien,  ebenso  die  Wände.  Ein  Kamin  erhebt 
sich  an  dem  einen  Ende,  an  dem  andern  ein  großer  üfen,  der  untere  Teil  von 
Eisen,  1584  bezeichnet,  der  obere  Teil  von  schwarzglasiertem  Ton  mit  Hermen 
und  Karyatiden  verziert,  an  den  Feldern  Christus  am  Kreuze  und  andere  bib- 
lische Darstellungen  in  etwas  stumpfem  Relief ;  der  Abschluß  gegen  die  Wand 
wird  in  phantastischer  Weise  durch  eine  große  gewundene  Hermenfigur  gebildet. 
Noch  mehrere  anstoßende  Zimmer  haben  reich  gemalte  Türeinfassungen  im 
Schweifstil,  Reste  von  Wandgemälden,  gutgegliederte  Holzdecken,  namentlich 
bei  F,  und  alte  Öfen.  Alles  aber  liegt  in  einem  klägUchen  Zustande  von  Verödung. 

In  der  Stadtkirehe  ist  einer  der  prachtvollsten  messingenen  Kronleuchter 
der  Renaissance,  zum  Teil  noch  mit  gotisierenden  Blumen,  die  einzelnen  Arme 
in  Männerköpfe  auslaufend. 

Der  Hennebergerhof,  südlich  unter  dem  Schloßberg  gelegen,  hat  zwei 
Portale  in  später  Renaissance  und  an  der  langgestreckten  nordöstlichen  Fassade 
im  oberen  Stock  eine  Galerie  auf  toskanischen  Säulen.  —  Das  Gasthaus  zur  Krone, 
in  dem  1531  der  schmalkaldische  Bund  geschlossen  wurde,  ist  ein  schlichter 
Fachwerkbau,  dessen  altes  Täfelwerk  im  Innern  durch  Tapeten  verkleidet  ist. 

Wenig,  auch  dies  Wenige  ohne  sonderliche  Bedeutung,  enthält,  wie  oben 
bemerkt,  Kassel.  Von  den  fürstlichen  Bauten  ist  der  Marstall  zu  erwähnen, 
ein  ausgedehntes  Werk,  einfach  und  tüchtig  mit  einer  Anzahl  schwerer  Barock- 
giebel geziert,  deren  Form  auf  die  Regierungszeit  des  baulustigen  Wilhelm  IV. 
deutet.  Von  demselben  Landgrafen  wurde  seit  1581  der  Renthof  begonnen,  der 
dann  1618  vollendet  wurde.  Ebenfalls  ein  ziemlich  einfacher  Bau  mit  Barock- 
giebeln und  ein  Brunnen  aus  derselben  Zeit.  Ähnlich  das  Zeughaus  von  1587.  Ein 
Prachtstück  dagegen  ist  das  großartige  Grabmal  Philipps  des  Großmütigen  (-f-  1567) 
im  Chor  der  Martinskir che.^)  Es  wurde  von  einem  offenbar  in  den  Niederlanden 
gebildeten  Künstler,  Elias  Godfro  aus  Emmerich,  begonnen,  der  aber  noch  vor 
völliger  Beendigung  seiner  Arbeit  1568  starb,  worauf  Adam  Beaumont,  ebenfalls 
ein  Niederländer,  es  1570  vollendete.  Nach  Art  eines  kolossalen  Altars  aufgebaut, 
aus  Marmor  und  Alabaster,  reich  mit  Bildhauereien  geschmückt,  zeigt  es  prunk- 
volle und  dabei  ungewohnt  kräftige  Formen.  Fein,  einfach  und  anspruchslos  sind 
aber  in  den  beiden  untern  Nischen  die  Porträtfiguren  des  Landgrafen  und  seiner 
Gemahlin  Margaretha;  auf  dem  Giebel  sieht  man,  nach  Michelangelos  Vorbild, 
zwei  ruhende  Gestalten,  oben  als  Bekrönung  den  Tod  mit  der  Sense. 

Die  Martinskirche  selber  besaß  in  ihrem  Südturm  (Abb.  345)  ein  hübsches 
Beispiel  eines  in  Renaissanceformen  gegliederten  viereckigen  Turmbaues  mit 
einem  achteckigen  Aufbau  und  Kuppeldach.  Eine  törichte  Restauration  hat  diesem 
und  dem  Nordturm  eine  „echt  gotische"  Spitze  gegeben. 

In  den  Bürgerhäusern  herrscht  abwechselnd  Steinbau  und  Fachwerk,  bis- 
weilen beides  verbunden;  darunter  freilich  nichts  ungewöhnliches  oder  von  her- 


1)  Abgeb.  bei  Pritscli. 


Kassel 


521 


vorragendem  Wert. 
Mehrfach  kommen 
stattliche  Doppelpor- 
tale vor,  aus  zwei 
Völlig-  gleich  behan- 
delten Bogen,  meist  in 
kräftiger  Rustika  be- 
stehend. Das  schön- 
ste Beispiel  am  Markt 
in  dem  Eckhaus  gegen 
den  Renthof,  die  Pfei- 
ler mit  Nischen  durch- 
brochen, die  Fassade 
außerdem  durch  zwei 
polygone  Erker  an  den 
Ecken  belebt.  Ein  ähn- 
liches Portal  an  einem 
Hause  des  Altstädter 
Marktes;  die  Fassade 
ist  mit  hohem  und 
breitem  Schweifgiebel 
abgeschlossen.  Die 
Erdgeschoße  sind  bei 
diesen  Häusern  stets 
in  kräftiger  Rustika 
mit  fassettierten  Qua- 
dern durchgeführt,  al- 
les jedoch  weder  be- 
sonders reich  noch 
fein.  Mehrere  Häuser 
mit  kräftigen  Giebeln 
und  Portalen  in  der 

Obersten  Gasse;  ein  Eckhaus  daselbst  mit  Fachwerk  in  den  oberen  Geschossen, 
die  Formen  antikisierend,  die  Schwellen  mit  Zahnschnittfriesen,  bezeichnet  1651. 
Mehrere  hübsche  Holzhäuser  in  der  Oberen  Marktgasse,  der  Kettengasse,  der 
Oberen  Fuldagasse  und  hinter  dem  Judenbrunnen. 


Abb.  345   Martinskirche  zu  Kassel 


Oberhessen 

In  den  oberhessischen  Gebieten  kommt  zunächst  die  alte  Residenz  der  Land- 
grafen, Marburg,  in  Betracht.  Allerdings  steht  hier  das  Mittelalter  weitaus  in 
erster  Linie,  nicht  bloß  durch  das  Juwel  unsrer  frühgotischen  Architektur,  die 
edle  Elisabethkirche,  sondern  auch  durch  den  imposanten  Bau  des  alten  Land- 
grafenschlosses. Auf  steiler  Höhe  über  der  altertümlichen  Stadt  aufragend  und 
weithin  ins  liebliche  Lahntal  schauend,  enthält  das  schon  durch  seine  Lage  an- 
ziehende Schloß  in  dem  herrlichen  Saal  und  der  damit  verbundenen  Kapelle 
vorzügliche  Beispiele  reinster  frühgotischer  Bauweise.  Die  Renaissance  ist  hier 
weniger  zu  Wort  gekommen,  doch  fehlt  es  nicht  an  einzelnen  Werken,  die  offenbar 
einem  unter  Philipps  des  Großmütigen  Nachfolger  ausgeführten  Bau  angehören, 
in  dem  äußerst  schmalen  Schloßhof  liest  man  an  dem  einfachen  Portal  der  noch 
mittelalterlich  behandelten  Wendelstiege  die  Jahreszahl  1567,  an  einem  Baldachin 
über  dem  Innern  Torweg  1570.  Um  dieselbe  Zeit  erhielt  der  große  Saal  das  pracht- 


522 


2.  Buch   Die  Bauwerke   XVIII.  Kapitel   Die  nordhessischen  Gehiete 


volle  Portal,  ein  Meisterstück  der  Kunsttischlerei  und  namentlich  durch  herrliche 
eingelegte  Arbeiten  in  farbigen  Hölzern  sich  auszeichnend.  Es  trägt  den  Wahl- 
spruch Philipps  des  Großmütigen:  „Ich  getraue  Gott  in  aller  Not."  Außerdem 
die  Inschrift:  Nicolaus  Hagenmiller  von  Franckenhausen,  Hofschreiner  zu  Mar- 
purg  1573.  Der  Aufbau  des  Ganzen  ist  triumphbogenartig;  toskanische  und  ionische 
Säulen  bilden  unten  und  oben  die  Einfassung ;  das  Türfeld  wird  durch  eine  meister- 
lich in  eingelegter  Arbeit  ausgeführte  architektonische  Perspektive  belebt,  die 
Außenflächen  zeigen  die  damals  beliebten  maurischen  Ornamente.  Kredenztisch 
und  Musiktribüne  samt  dem  zu  dieser  hinaufführenden  Treppchen  gehören  der- 
selben Zeit  an.  Ebenso  ein  zweites  etwas  kleineres  Portal,  ebenfalls  mit  Säulen 
eingefaßt  und  von  eleganten  Schmuckformen. 

Aus  derselben  Epoche  stammt  eine  der  Südseite  des  Schlosses  vorgebaute 
Halle,  aus  zwei  Arkaden  bestehend,  die  sich  auf  derben,  stark  ausgebauchten 
toskanischen  Pilastern  öffnen.  Darüber  ist  ein  kleines  Obergeschoß  angeordnet, 
mit  einfach  geschweiftem  Giebel  abschheßend.  Das  Ganze  ist  bei  aller  Einfach- 
heit von  lebendiger  Wirkung.    Man  liest  die  Jahreszahl  1572. 

In  der  am  Abhänge  des  Schloßberges  liegenden  Marienkirche,  einem 
einfachen  Hallenbau  von  niedrigen  Verhältnissen,  bewahrt  der  Chor  mehrere  präch- 
tige Epitaphien  von  der  in  jener  Zeit  üblichen  Anordnung:  elegante  Marmorwerke, 
nicht  ohne  Überladung  durchgeführt.  Das  eine  ließ  Landgraf  Ludwig  (f  1604) 
bei  Lebzeiten  sich  und  seiner  1594  gestorbenen  Gemahlin  inschriflhch  im  Jahre 
1590  errichten.  Das  zweite  ähnhche  Epitaphium  vom  Jahre  1629,  ebenfalls  schon 
etwas  barock,  ist  in  eine  der  schrägen  Fensternischen  eingebaut.  Prächtig  stilisiert 
sind  die  reich  verschlungenen  eisernen  Einfassungsgitter  der  Grabmäler,  das  eine 
mit  dem  Monogramm  des  Meisters  und  der  Jahreszahl  1592,  das  andere  1631 
datiert.  Außerdem  sind  noch  drei  sehr  schöne  Gitter  von  der  Einfassung  des 
ehemaligen  Altars  erhalten.  Endlich  ist  ein  ausgezeichnetes  messingenes  Tauf- 
becken zu  erwähnen,  laut  inschriftlichem  Zeugnis  von  Jakoh  Rottenherger  ge- 
gossen, und  zwar  allem  Anschein  nach  in  der  Spätzeit  des  16.  Jahrhunderts. 
Als  Stifter  nennt  sich  Philipp  Ghelius,  am  untern  Teil  sieht  man  die  Taufe  Christi; 
außerdem  ist  das  Becken  mit  schön  stilisierten  gravierten  Ranken  dekoriert,  und 
den  Abschluß  bildet  ein  Relieffries  mit  Engelköpfchen  in  eleganten  Blumenranken. 
Der  Deckel  ist  fein  gerippt  und  trägt  als  Krönung  die  Halbfigur  Gottvaters  mit 
der  Weltkugel. 

In  der  Stadt  ist  die  ehemalige  fürstliche  Kanzlei,  jetzt  Regierungsgebäude, 
eine  schlichte  vierstöckige  Anlage  vom  Jahr  1575  mit  Schweifgiebeln,  in  der  Mitte 
der  Fassade  ein  viereckig  vorspringendes  Treppenhaus  mit  steinerner  Wendel- 
stiege und  Renaissanceportal.  An  dem  gotischen  Rathaus,  einem  ansehnlichen 
Steinbau  mit  dreigeteilten  Fenstern  und  einem  hölzernen  Treppenturm,  mit  einem 
hübschen  Wappen  und  der  Jahreszahl  1524,  ist  der  Giebel  mit  der  Uhr  in  ähnhchen 
späten  Renaissanceformen  1581  dem  Treppenturm  aufgesetzt.  Der  Turm  selbst 
geht  oben  mit  starken  Konsolen  aus  achteckiger  in  quadratische  Grundform  über. 
Die  stattliche  Herrenmühle,  1582  von  Meister  Eberhard  Baldewein  erbaut,  hat 
ebenfalls  am  Mittelbau  einen  kräftig  geschweiften  Giebel. 

Den  Renaissancestil  zeigt  auch  das  Eckhaus  am  Marktplatz  Nr.  73,  in  den 
oberen  Geschoßen  Fachwerk  über  steinernem  Unterbau,  durch  polygonen  turm- 
artigen Erker  auf  steinerner  Auskragung  ausgezeichnet.  Ein  stattlicher  Bau  der 
Spätepoche  ist  das  Eckhaus  an  der  Markt-  und  Wettergasse,  ebenfalls  aus  Stein- 
und  Holzbau  gemischt  und  durch  zwei  rechteckige  Erker  belebt.  Ein  reiches 
Portal  mit  Muschelnischen  und  von  Doppelsäulen  eingefaßt,  ungefähr  aus  der- 
selben Zeit,  hat  das  Haus  Nr.  408  am  Steinwege.  Die  Anordnung  ist  noch  gar 
nicht  schulmäßig,  reizvoll  spielend.    Auch  hier  sieht  man  über  zwei  massiven 


Marburg  Gießen 


52a 


Geschossen  in  den  oberen  Teilen  Fachwerk.  Ebenso  das  große  Eckhaus  Nr.  207 
an  der  Hofstatt,  mit  zierUch  ausgebildetem  Holzbau.  Zu  den  reichsten  Fachwerk- 
häusern gehört  Nr.  76  am  Marktplatz,  an  der  Ecke  mit  dem  hier  sehr  beliebten 
achteckigen  Erker  versehen. 

Eine  gute  Stunde  östlich  von  der  Stadt  mitten  im  Bergwalde  dringt  aus 
einem  von  hohen  Buchen  beschatteten  Felsabsturz  eine  Quelle  hervor,  die  wegen 
ihres  vorzüglichen  Wassers  von  jeher  geschätzt  und  als  Elisabethbrunnen 
bezeichnet  wird.  Hier  hat  man  im  Jahre  1596  die  Felsgrotte  samt  dem  Quell 
mit  einem  eleganten  tempelartigen  Bau  eingefaßt,  der  durch  die  Inschrift  selbst  als 
„dorico  et  ionico  ordine  elaboratum"  bezeichnet  wird.  In  der  Tat  erhebt  sich  über 
einem  gequaderten  Unterbau,  der  in  der  Mitte  mit  einem  Bogen  sich  gegen  die 
tonnengewölbte  Brunnenhalle  öffnet,  eine  doppelte  Säulenstellung:  unten  vier 
dorische  Säulen  auf  Postamenten,  die  Grotte  und  zwei  kleine  Seitennischen  um- 
rahmend, oben  über  einem  dorischen  Fries  sechs  schlanke  paarweis  angeordnete 
ionische.  Die  ganz  verschiedene  einander  gar  nicht  entsprechende  Anordnung  der 
Säulenzwischenräume  hat  den  unbefangenen  Sinn  der  damaligen  Menschen  nicht 
gekümmert.  Ein  Giebel  mit  dem  hessischen  und  württembergischen  AlUanz- 
wappen  schließt  das  Ganze  ab,  das  durch  reichen  Schmuck  von  Farben  und  Ver- 
goldung noch  glänzender  sich  darstellt-  Zwei  große  Inschrifttafeln  in  der  oberen 
Abteilung  enthalten  die  Namen  der  Stifter,  deren  Wappen  in  beiden  Friesen  an- 
geordnet sind.  Unter  den  Stiftern  begegnet  man  auch  dem  Magister  Philipp 
Ghelius,  der  uns  von  jenem  Taufbecken  her  bekannt  geworden  ist.  Vor  dem 
Denkmal  auf  dem  sanft  abgedachten  Rasenhange  sind  im  Halbkreis  steinerne 
Tische  mit  Bänken  angebracht,  und  es  gewährt  besondern  Reiz,  wenn  man  an 
schönen  Tagen  die  Landleute  in  ihrer  malerischen  Tracht  hier  ausruhen  und  am 
Quell  sich  laben  sieht. 

Einiges  Bemerkenswerte  hat  Gießen  aufzuweisen,  vor  allen  Dingen  das  ge- 
waltige Zeughaus  vom  Jahre  1615,  jetzt  Kaserne.  Ein  Bau  von  sehr  ausgedehnter 
Anlage,  in  derben  wuchtigen  Formen  zu  großartiger  Wirkung  gebracht,  an  den 
beiden  Langseiten  drei  mächtige  Giebel,  an  den  Schmalseiten  mit  je  einem  einzigen, 
aber  riesig  hohen  Giebel  ausgestattet.  SämtHche  Giebel  haben  kräftige,  originell  ge- 
wundene, zum  Teil  aufwärts  gebogene  Schnecken  und  Schweife,  die  für  die  damalige 
Zeit  so  charakteristisch  sind.  An  der  westUchen  Langseite  springt  ein  breiter 
Mittelbau  vor,  der  zwei  Portale  enthält,  ein  sehr  breites  und  daneben  ein  schmaleres, 
beide  von  stark  ausgebauchten  dorischen  Pilastern  eingefaßt,  darüber  das  hessische 
Wappen,  und  in  den  Ecken  des  abschließenden  Giebelfeldes  drei  flott  behandelte 
Kriegerköpfe.  Außerdem  ist  die  Schräge  des  Bogens  durch  Kanonenkugeln  deko- 
riert. Die  östliche  Hoffassade  hat  in  der  Mitte  ein  ähnUch  behandeltes,  ebenfalls 
mit  drei  Kriegerköpfen  geschmücktes  Portal.  Die  Verhältnisse  des  ganzen  Baues 
sind  wuchtig,  breit  und  gespreizt,  so  daß  man  unwillkürlich  an  die  breitaus- 
schreitenden Landsknechtfiguren  jener  wilden  Zeiten  erinnert  wird;  das  Erdgeschoß 
hat  besonders  hohe  Fenster  mit  kräftigen  Kreuzpfosten. 

Gleich  daneben  das  sogenannte  alte  Schloß,  ein  Flügelbau  mit  Wendel- 
treppenturm und  malerischem  Fachwerkobergeschoß ;  etwas  älter  als  das  Zeughaus. 

Außerdem  bietet  die  fast  völlig  moderne  Stadt  für  unsre  Zwecke  nicht  viel. 
Doch  sieht  man  am  Marktplatz  ein  schönes,  ganz  in  Fachwerk  errichtetes  Eckhaus, 
sehr  hoch  aufgebaut  und  mit  geschweiftem  Giebel  abgeschlossen,  an  der  Ecke  mit 
einem  diagonal  gestellten  Erker  auf  kraftvoll  geschnitzten  Streben  geschmückt. 
Nicht  bloß  der  Erker  ist  in  seinen  drei  Geschossen  mit  reich  geschnitzten  säulen- 
artigen Pfosten  eingefaßt,  sondern  alle  Gesimse,  und  namentlich  auch  die  Fenster- 
brüstungen haben  ein  nicht  minder  charaktervoll  durchgeführtes  Schnitzwerk,  in 
dem  Drachen  und  andere  phantastische  Gebilde  eine  große  Rolle  spielen.  Man 


524         2.  Buch    Die  Bauwerke   XVIII.  Kapitel   Die  nordhessischen  Gebiete 

liest  über  der  Haustür  das  Monogramm  des  Meisters,  aus  M.  H.  M.  zusammen- 
gesetzt und  die  Jahreszahl  1619,  dazu  einen  Spruch  in  lateinischen  Distichen,  der 
in  bezeichnender  Weise  um  Schutz  gegen  Feuer  und  böse  Zungen  bittet : 

„Christe,  domum  serva,  natosque  ipsosque  parentes, 

Ne  noceant  ignes,  ne  mala  lingiia  hominuin, 
Da  pacem  cunctis,  qui  vivent  intus  et  extra, 

Nulla  Salus  bello  est,  pacis  amata  quies." 

Gleich  dabei  das  reizende  alte  Rathaus,  unten  in  Bogenhalle  sich  öffnend,  darüber 
Fachwerk  und  schmaler  geschief erter  Giebel.  Einst  waren  die  Gefache  mit  hübschem 
Kartuschewerk  grau  in  grau  bemalt.  Die  „Herstellung"  hat  diesen  Schmuck 
natürlich  beseitigt. 

In  Hersfeld  ist  ein  stattliches  Rathaus  zu  verzeichnen,  das  bescheidnere 
und  kleinere  Vorbild  des  Rathauses  zu  Münden,  mit  zwei  kraftvoll  barocken  Gie- 
beln an  der  Front  und  je  einem  ähnlichen  Giebel  an  den  beiden  Seitenfassaden, 
in  der  Mitte  des  Daches  ein  hölzernes  Glockentürmchen  in  hübschen  zimmermanns- 
mäßigen Formen,  die  Fenster  auch  hier  durchweg  paarweise  gruppiert,  mit  tief 
profilierter  Umrahmung,  das  Portal  mit  der  Freitreppe  ebenfalls  ein  kleineres  Vor- 
bild des  Mündener  Portals.  Im  Innern  hat  der  Sitzungssaal  eingelegtes  Täfelwerk, 
jetzt  leider  mit  weißer  Ölfarbe  angestrichen.  Über  der  Eingangstür  die  Jahres- 
zahl 1597,  über  einem  Portal  im  Hofe  1612. 

Allendorf  an  der  Werra  ist  durch  einige  reich  ausgebildete  Fachwerk- 
bauten bemerkenswert,  welche  durchweg  den  entwickelten  Renaissancestil  zeigen 

(Abb.  346).  Namentlich  werden  die  Bal- 
kenköpfe als  elegante  Konsolen  behandelt, 
die  Schwellen  samt  den  Füllbalken  mit 
Zahnschnitten,  derben  Eierstäben  und  Perl- 
schnur geschmückt  (Abb.  347).  Der  ma- 
lerische geschweifte  Aufbau  des  Kirch- 
turms, mit  umlaufender  Laube  ganz  ge- 
schiefert, von  bürgerlicher  Derbheit. 

In  Fritzlar  ist  das  seit  1580  er- 
baute Hochzeitshaus,  jetzt  Kaserne,  ein 
Fachwerkbau  über  steinernem  Erdgeschoß, 
durch  ein  reiches  Portal  und  einen  Erker, 
sowie  im  Innern  durch  eine  steinerne 
Wendeltreppe  ausgezeichnet. 

In  den  südlichsten  Teilen  Oberhessens 
sind  einige  Denkmale  zu  verzeichnen,  die 
hauptsächhch  dem  Kunstsinne  der  Isen- 
burger Grafen  ihre  Entstehung  verdanken. 
Graf  Anton  (1526—60),  der  in  hoher  Gunst 
bei  Karl  V.  stand  und  lebhafte  Beziehungen 
zu  dem  künstlerisch  regsamen  Franken- 
lande unterhielt  —  sein  Sohn  Georg  ver- 
mählte sich  mit  einer  Tochter  aus  dem 
alten  Grafengeschlechte  von  Wertheim, 
wo  er  in  der  Kirche  sein  Grabmal  gefun- 
den hat  (vgl.  Bd.  I)  —  führte  ansehnliche 
Neubauten  am  Schloß  Ronneburg  in 
der  Wetterau  aus.  Der  gewaltige  noch 
aus  dem  Mittelalter  stammende  Rundturm 
Abb.  346  Haus  in  der  Kirchstraße  zu  Allendorf     erhielt  1533   den  Originellen  steinernen 


Büdingen  Weilburg- 


525 


Kuppelaufsatz  mit  vier  ausgekragten  Giebeln 
und  einer  durchbrochenen  in  Renaissancefor- 
men behandelten  Galerie.  Auch  am  Schloß  zu 
Wächtersbach,  das  Anton  später  häufig  be- 
wohnte, scheint  er  gebaut  zu  haben,  denn  der 
Hauptturm  zeigt  eine  dem  Turm  der  Ronne- 
burg verwandte  Behandlung.  Sein  Sohn  Georg 
baute  als  Witwensitz  für  seine  Gemahlin  Bar- 
bara von  Wertheim  1569  den  Oberhof  zu  Bü- 
dingen, der  im  wesentlichen  noch  wohl  er- 
halten ist.  Der  einfach,  aber  tüchtig  behandelte 
und  malerisch  gruppierte  Bau  besteht  aus  einem 
Wohnhause  und  verschiedenen  Wirtschaftsge- 
bäuden, welche  einen  nach  der  Straße  von  einer 
Mauer  umschlossenen,  nach  Osten  sich  an  die  Stadtmauer  lehnenden  Hof  umgeben. 
Die  Ostseite  als  die  Hauptfront  hat  das  hübsch  behandelte  Hauptportal,  neben 
welchem  links  ein  viereckiger  Treppenturm,  rechts  ein  rechtwinkliger  von  unten 
auf  durch  alle  drei  Geschosse  reichender  Erker  aufsteigt.  Die  meist  dreifach 
gruppierten  Fenster  zeigen  noch  mittelalterliche  Umrahmung,  die  Brüstungen 
am  Erker  spätgotisches  Maßwerk.  Der  Giebel  nach  der  Straße  ist  in  seinen  ein- 
zelnen Absätzen  einfach  mit  Kreissegmenten  abgeschlossen  und  durch  Pilaster 
gegliedert.  Überall,  besonders  an  der  Südseite,  wo  ebenfalls  ein  Erker  vorgebaut 
ist,  aber  erst  über  dem  Erdgeschoß  ausgekragt,  sind  interessante  Spuren  einer 
grau  in  grau  ausgeführten  Bemalung  erhalten:  im  Erdgeschoß  Diamantquadern, 
in  den  oberen  Stockwerken  Ornamentales  und  zum  Teil  auch  Figürliches.  Der 
ganze  Bau  lehnt  sich  in  der  Gruppe  stark  an  die  alte  Residenz  zu  Bamberg  an 
und  dürfte  ein  älterer  Bau  des  gleichen  Meisters  sein,  der  sich  hier  in  einer  In- 
schrift Kunrat  Leonhart  nennt. 

Auch  sonst  bietet  die  altertümliche  malerische  Stadt,  die  ihren  Charakter 
noch  fast  unberührt  bewahrt  hat,  einzelne  Renaissancewerke  neben  manchem 
Mittelalterlichen.  In  der  Stadtkirche  ist  das  Denkmal  des  Grafen  Anton,  1563 
von  seinen  Söhnen  errichtet,  ein  ansehnliches  Werk  mit  fein  und  reich  behan- 
delter Ornamentik,  dem  des  Erzbischofs  v.  Heusenstamm  im  Mainzer  Dom  nahe 
verwandt.    Es  trägt  die  Anfangsbuchstaben  C.  W.  Ii. 

Am  runden  großartigen  Wasserschloß  mehrere  Schweifgiebel,  ein  Säulen- 
portal nebst  gradläufiger  Treppe,  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  errichtet,  doch 
noch  in  echtem  Renaissancecharakter.  Büdingen  ist  überhaupt  eines  der  präch- 
tigsten alten  Städtchen,  vorwiegend  aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
im  Charakter  dieser  Übergangszeit,  auch  von  prachtvollen  Stadtmauern  des 
16.  Jahrhunderts  umgeben. 

Hier  mögen  nun,  obwohl  nicht  zu  Hessen  gehörig,  die  nahen  nassauischen 
Orte  des  Lahngebietes  angeschlossen  werden.  Das  lieblich  gelegene  Wetzlar 
hat  außer  seinem  imposanten  mittelalterlichen  Dom  und  den  unvergeßlichen 
Goetheschen  Erinnerungen  nicht  viel  Bemerkenswertes.  Mir  ist  nur  ein  hübsches 
Fachwerkhaus  vom  Jahre  1607  mit  kräftig  geschnitzten  Pfosten  und  ein  charakter- 
voll behandeltes,  mit  zwei  Allianzwappen  geschmücktes  Steinportal  von  1607 
aufgefallen.  Dagegen  hat  Weilburg  außer  seiner  prachtvollen  Lage  auf  steilem 
von  der  Lahn  in  großem  Bogen  umzogenen  Hügel  in  seinem  fürstlichen  Schloß 
einen  ungemein  ausgedehnten,  malerisch  gruppierten  Bau,  der  durch  ziemlich  frühe 
Renaissanceteile  unsre  Aufmerksamkeit  fesselt.  Schon  von  ferne  wirkt  der  massen- 
hafte Baukörper,  auf  schroffem  Felsen  hoch  emporgetürmt,  überaus  bedeutend,  ohne 
jedoch  nach  außen  anders  als  durch  einige  mittelalterliche  Erker  architektonisch 


Abb.  347  Von  einem  Holzhaus 
aus  Allendorf 


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526         2.  Buch   Die  Bauwerke   XVIII.  Kapitel   Die  nordhessischen  Gebiete 

ausgezeichnet  zu  sein  (Abb.  348).  Es  ist  ein  Werk  verschiedenster  Bauepochen 
von  der  Gotik  bis  zum  Barock,  doch  in  der  Hauptsache  1545 — 60  entstanden. 
Hat  man,  stets  ansteigend,  das  ungeheure  Gebäude  umschritten,  so  gelangt  man 
in  den  innern  Hof,  ein  großes  Viereck,  an  der  dem  Eintretenden  gegenüber  liegen- 
den östlichen  Seite  die  volle  Unregelmäßigkeit  mittelalterlicher  Anlage  darbietend. 
Hier  tritt  in  der  Mitte  ein  stattlicher  Turm  als  Stiegenhaus  hervor,  zu  dessen 


Abb.  348   Seliloß  Weilburg 


Eingang  von  beiden  Seiten  eine  doppelte  Freitreppe  führt.  Das  Portal  vom  Jahre 
1548  ist  eine  höchst  originelle  malerische  Arbeit  der  Frührenaissance,  in  dem 
schmalen  attikenartigen  Aufbau  mit  zwei  zierlich  behandelten  Allianzwappen  ge- 
schmückt; unten  hat  es  vortretende  Säulen  vor  Pilastern,  Kielbogen  und  zwei  Eck- 
medaillons über  der  Tür.  1)  Die  Wendeltreppe  selbst  ist  noch  völlig  mittelalterlich. 
Der  neben  dem  Portal  angebrachte  polygone  Erker  ruht  auf  einem  Rippengewölbe. 
Die  einzeln  oder  gekuppelt  angeordneten  Fenster  zeigen  ebenfalls  ein  mittelalter- 
liches Rahmenprofil.  Die  Dacherker,  größtenteils  mit  Schiefer  verkleidet,  haben 
wohl  einen  geschwungenen  Umriß,  aber  keine  architektonische  Ausbildung.  Dem 
besten  16.  Jahrhundert  gehört  die  weitgespannte  Bogenhalle  des  nördlichen  Flügels, 
sechs  große  Rundbögen  auf  gekuppelten  ionischen  Säulen  von  eleganter  Form, 
die  Bogenzwickel  mit  Masken  und  Rollwerk  ausgefüllt,  darüber  Doppelsäulen 
mit  geradem  Gebälk.  Zwei  Portale,  das  eine  von  ähnhcher  Behandlung,  das 
andere  noch  aus  der  Frührenaissance,  führen  hier  ins  Innere.  Aus  derselben  Zeit 
stammt  das  kleine  ebenfalls  mit  ionischen  Säulchen  eingefaßte  Portal,  das  in  den 
am  westlichen  Flügel  vorspringenden  älteren  Rundturm  führt. ^)  Dieser  trägt 
Spuren  von  Wandgemälden.  Dagegen  zeigt  außen  die  Westfassade  des  Schlosses 
einen  geschwungenen  Giebel,  von  sich  durchschneidenden  gotischen  Stäben  ein- 
gefaßt, als  oberen  Abschluß  das  sehr  primitiv  behandelte  Muschelmotiv.  Die 
Jahreszahl  1545  bestätigt,  daß  wir  es  hier  mit  einer  noch  etwas  zurückgebliebenen 
Lokalkunst  zu  tun  haben.   Damit  ist  alles  hier  irgend  Bemerkenswerte  erschöpft.  * 

Die  beiden  Grafen  Philipp  und  Albrecht  haben  das  heutige  Schloß  in  der 
Hauptsache  errichtet. 

In  überreichem  Zuge  haben  wir  die  heute  noch  vorhandenen  Denkmäler  der 
deutschen  Renaissance  an  uns  vorüberziehen  sehen.    Trotz  starker  Lücken,  die 

1)  Abgeb.  bei  Luthmer,  Bau-  u.  Kuustdenkm.  d.  Lahngebiets,  Fraiikf.  1907,  Fig.  10. 

2)  Luthmer  a.  a.  0.  Fig.  11. 


Schluß 


527 


Krieg,  Brand  und  andere  Ereignisse,  mehr  noch  der  Unverstand  in  diese  Reihe 
gerissen,  und  obwohl  gerade  die  bedeutendsten  Werke,  zu  Heidelberg  und  Brieg 
nur  in  Trümmern,  andere  wie  das  Lusthaus  zu  Stuttgart,  überhaupt  nicht  auf 
unsere  Zeit  gekommen  sind,  bleibt  des  Wertvollen  und  Schönen  noch  eine  un- 
übersehbare Menge  übrig,  durchaus  bedeutsam  genug,  um  mit  den  Renaissance- 
denkmälern der  andern  europäischen  Völker  wohl  wetteifern  zu  können.  Freilich 
nur,  soweit  es  eben  die  Eigenart  von  Volk,  Klima  und  Hilfsmitteln  zuließ. 

Und  wir  sahen,  daß  sich  in  den  Grenzen  des  deutschen  Sprachgebiets  in 
jenen  zwei  Jahrhunderten  eine  durchaus  selbständige  völlig  nationale  Baukunst 
und  Dekoration  gestaltet  hat,  so  stark  auch  die  Einwirkungen  der  welschen  Kunst 
dauernd  blieben. 

Ganz  selbstverständlich  sind  im  Süden  die  von  Italien  ausgehenden  Ein- 
flüsse, besonders  im  Anfang,  ganz  außerordentlich  bedeutsam  und  richtunggebend; 
von  Westen  her  bis  tief  nach  Sachsen  hinein  sind  solche  von  Frankreich  heute 
klarer  hervortretend,  als  früher,  offenbar  auch  viel  bedeutsamer,  als  bisher  an- 
genommen. Und  im  eigentlichen  Norden  längs  der  Wasserkante  wie  in  den  Rhein- 
gegenden ist  die  anfängliche  wie  dauernde  Einwirkung  der  niederländischen,  ins- 
besondere der  flandrischen  Kunst  überall  zu  verfolgen.  Freilich  geht  diese,  als 
eines  stammverwandten  Volkes,  an  den  Grenzen  in  die  unsrige  geradezu  über. 

Im  Osten  und  Südosten  ist  außerdem  noch  der  Einfluß  gewisser  slawischer 
Eigentümlichkeiten,  die  sich  sowohl  in  Böhmen,  Mähren  und  GaUzien,  wie  in  Polen 
herausgebildet,  auf  die  Dauer  unausbleibhch  gewesen  und  auch  unverkennbar. 
Das  läßt  sich  bis  nach  Pommern  und  Westpreußen  verfolgen. 

Aber  diese  unvermeidlichen  Einwirkungen  —  wie  denn  auch  unsre  Nachbar- 
länder naturgemäß  wechselseitig  solchen  unterworfen  waren  —  haben  nicht  ver- 
mocht, die  Entwicklung  einer  echt  deutschen  Renaissance  zu  hindern,  sind  viel- 
mehr überall  langsamer  oder  rascher  aufgenommen  und  verarbeitet  worden.  Das 
Gesamtergebnis  ist  zuletzt  doch  das  unverkennbare  Sichgestalten  einer  völhg 
nationalen  deutschen  Baukunst  mit  durchaus  selbständigen  Eigentümlichkeiten 
und  Kennzeichen,  vor  allem  von  hervorragenden  malerischen  Qualitäten.  Das 
hohe  Dach  mit  Giebeln,  die  durchbrochenen  Türme,  die  Erker,  die  selbständigen 
Portalbildungen  —  dazu  die  Herausbildung  eines  echt  deutschen  Ornaments  in 
allen  Materialien  von  kernig  gesunder  Art  —  die  einzigartigen  Innenausstattungen, 
alles  zusammen  ergibt  ein  unendlich  reiches  Bild  von  im  letzten  Grunde  doch 
völlig  einheitlicher  Richtung  des  Wollens.  Ja  es  läßt  sich  sagen,  daß  eine  durch- 
aus nationale  deutsche  Prägung  der  Kunst  in  keiner  Zeit  der  Vergangenheit  in 
einem  so  hohen  Maße  stattgefunden  hat,  als  in  jener  Zeit,  und  daß  wahrhaft 
deutsches  Wesen  sich  künstlerisch  niemals  deutlicher  abgespiegelt  hat,  als  hier. 


Alphabetisches  Eegister 


Die  einfachen  Zahlen  bezeichnen  die  Seitennummern  im  ersten  Bande;  die  im  zweiten  Bande 
sind  durch  ein  vorgesetztes  II  unterschieden 
Ein  *  bedeutet  das  Vorhandensein  von  Abbildungen  zu  dem  betreffenden  Artikel 


Aachen  (Aken),  Jan  van  Ii  44 
Aarau,  Rathaus  220 
Abbehausen,  Taufstein  II  341 
Adrian,  Laurentius  II  211 
Ahrensburg,  Schloß  II  292 
Aistersheim,  Schloß  II  60 
Aken,  Gabriel  van  II  238, 242, 281 
Albrecht  (Meister)  II  178 
Aldegrever,  Heinrich  61* 
Allendorf  II  524 
Altbunzlau  II  127 
Altdorfer,  Albrecht  61,  62,  65, 

281,  376 
Altenburg,  Privatbau  II  401 ,  Rat- 
haus II  402*,  Schloß  II  402 
Altorf  (Pranken),  Brunnen  69 
—  (Schweiz),  Häuser  232 
Arnberg,    Bezirksgericht  279, 
Rathaus  279,  Schloß  278  f., 
Stadttore  202 
— ,  Georg  von  II  149 
Ambras,    Schloß:    II  80—82*, 
Holzdecke  80,    116*,   II  84, 
Spanischer  Saal  II  82*,  Täfe- 
lung II  83* 
Anckermann,  Daniel  II  259 
Andernaoh,LeyenscherHof  II  504 
Anger,  Schloß  II  87 
Angermaier,  Christoph  86 
Annaberg,  Kirche:  Altar  154,  II 
342,  377*,  Emporen  II  377, 
388,  Schöne  Tür  II  377,  388 
— ,  Hans  von  454 
Ansbach,  Gumbertikirche  453*, 
Gymnasium  452*,Hofapotheke 
452 

Antonelli  II  8 

Antwerpen,  Georgentor  II  26 
Arians  (Ahrens),  Marten  II  331 
Arnau,  Holzbauten  II  126 
Arrighini,  Joseph  II  418 
Aschaffenburg,  Schloß  157,  161, 
193,  422  —  425*,  Bibliothek  II 
386,  Stiftskirche,  Denkmäler 
68,  72,  425,  II  386 
Assen,  Schloß  II  491 
Attenstätter,  David  86 


Auer,  Thomas  II  64 

Aufliofen,  Schloß  II  87 

Augsburg  28,  39,  86,  188,  368— 
389,  Bäckenhaus  381,  Bar- 
füßerbrücke 382,  Barfüßer- 
kirche 379,  Brunnen  201,  369, 
389*,  Dom,  Gitter  104,  379, 
Puggerhaus:  17,  18,  20,  189, 
368—74,  Badezimmer  373*, 
Fuggerkapelle  in  S.  Anna  68, 
79,  175,  369*,  Galerie  39,  Gär- 
ten 203,  Gemalte  Fassaden 
376  f.,  Geschützrohre  III, 
Gitter  105,  Maximiliansmu- 
seum 177,  375*,  Maximilian- 
straße 368,  389,  Perlachturm 
383,  Rathaus:  383-387*,  Saal- 
decke das.  80,  386,  Öfen  das. 
115*,Treppe  das. 195,  Schlacht- 
haus 382,  Siegelhaus  382,  Spi- 
tal 387,  Stadttore  202,  388*, 
Turm  der  Annakirche  382, 
Ulrichskirche,  Ausstattung 
378  f.*,  Weberhaus  189*,  377, 
Weiserhaus  376 

Augustusburg,  Schloß  II  364, 383 

Aulendorf,  Gitter  104 

Avenches,  Schloß  222* 

Babenhausen,  Schloß  413  f. 

Bacharach,  Holzhäuser  II  515 

Bacher,  Gideon  453 

Baden  (Baden)  Kirche,  Denk- 
mäler 73,  266,  Schloß  193, 
260-266*,  Dagobertsturm  das. 
265 

—  (Schweiz)  241 

Bahns,  Georg  II  188 

Bahr  (Pahr,  Parr),  Christoph  H 

246,  247,  253,  259 
— ,  Dominikus  II  253 
— ,  Familie  II  164,  187 
— ,  Franziskus  II  156,  248,  253 
— ,  Jakob  II  160,  165—167 
— ,  Johann  Baptista  II  160,  246 

f.,  253 

Baldewein,  Eberhard  II  522 


Bailesen,  Philipp  413 
Balthasar  von  Darmstadt  309 
Bamberg  37,  402,  Alte  Residenz 

157, 482  &.*,  Dom,  Denkmal  70, 

Domherrenhöfe  484 
Baptista,  Johann  II  229 
Barkau,  Kirche,  Ausstattung  II 

306 

Barth,  Thomas  II  86 

—  Wilhelm  II  214 

Bartholomäus  Ton  Florenz  II  43 

Bartolommeo  II  8 

Basedow,  Kirche,  Denkmäler  74*, 
267  f.,  Schloß  II  269* 

Basel  214—220,  Bärenfelser  Hof 
220*,  Brunnen  65,  162,  201, 
217*,  Geltenzunfthaus  169, 
218*,  Grabdenkmäler  220, 
Großratsaal  49,  122,  Museum 
47,  52,  53,  59, 85, Privathäuser 
220,  Rathaus  216*,  Spießhof 
218*,  Haus  zum  Tanz  45,  46*, 
47*,  186* 

Bassano  II  96 

Bauhof  er,  Klaus  361,  365 

Baum,  Jagdschloß  belBückeburg 
II  472* 

Baußendorf,  Valerius  398 

Bautzen,  Reichenturm  II  189, 
Stadtschloß  Ortenburg  II  189, 
Türme  11  189 

Bayreuth,  Schloß  490 

Beaumont,  Adam  II  520 

Bebenhausen,  Schloß  308 

Beck,  Sebaldus  480 

Bedogni,  Lorenzo  II  418 

Behaim,  Hans  d.  Ä.  477 

Beham,  Barthel  61,  66 

— -,  Hans  Sebaldus  61,  63*,  143, 
II  386 

Behr  (Beer),  Georg  157,  312,  337, 

347,  353 
Beldensnyder,  Johann,  d.  J.  II 

456,  483,  488,  489,  491,  494, 

505,  508,  509 
Bendell,  Georg  II  130 
Benedetto  II  8 


Alphabetisches  Register 


529 


Benedikt  (Meister)  aus  Breslau 
II  137 

—  (Benesch)  von  Laun  (Ried)  II 

93,  100,  123,  178 
Bensen,  Schloß  II  125 
Bentheim,   Lüder  von  II  269, 

325, 327 
Benzelt,  Balthasar  II  196,  342 
Beora,  Nicola  II  8 
Beraun,  Schloß,  Terrakotten  II 

134 

Berchtesgaden,  bemalte  Häuser 
II  37 

Bergner,  Nikolaus  II  411 

Bergzabern,  Haus  304* 

Beringer,  W.  433 

Berlin,  Marstall  II  196,  Portal 
das.  II  197*,  Museum  49,  53, 
68,87,244,  Pokal  II  201,  Pom- 
merscher Kunstschrank  87,  II 
202*,  Schloß  II  155, 189—196* 

Bern,  Brunnen  223*,  Münster, 
Gestühl  79,  224  f.*,  Stadttore 
224 

Bernardin  (Bleister)  II  8 
Bernburg,  Bibliothek  53,  Schloß 
II  415* 

Berwart,  Blasius  331, 485,  II  224 
Beuerberg,  Kirche  II  4 
Bevern,  Schloß  II  429* 
Biberach,  Portal  166*,  358,  Stadt- 
tor 358 
Biel  221 

Bielefeld,  Privatbau  II  479 
Binck,  Jakob  II  227,  293,  300 
Birkenwald,  Schloß  258 
Bischofteinitz,  Schloß  II  118 
Bittburg,  Kobenhof  II  511 
St.  Blasien,  Glasmalerei  120* 
Blatna,  Schloß  II  118 
Block,  Abraham  van  den  II  207, 

210,  211,  212,  217 
— ,  Isaak  van  den  II  214 
— ,  Jakob  van  den  II  218 
— ,  Wilhelm  van  den  II  210,  215, 

227 

Blöschuh,  Bertusch  II  153 
Blum,  Hans  140',  141 
Bocholt,  Eathaus  II  489 
— ,  Joh.  von  II  487 
Bocksberger,  Hans  285 
Bodelschwing,  Schloß  II  491 
Bohle,  Hans  II  244 
Böringer,  Hans  268 
Böschel,  Kaspar  II  402 
Bogenkrantz,  Zacharias  II  389 
Bolkoburg  189,  190 
Boltz,  Valentin  II  497 
Bonallino  II  411 
Boppard,    Holzhäuser  II  515*; 

Kirche,    Denkmäler    70,  71, 

II  505 

Borganie,  Schloß  II  177 
Borno,  Francesco  a  II  246 
Boxberger,  Hans  II  10 

Lübke-Haupt,  Renaissance 


Bozen,  Kirche,  Epitaph  II  74, 

Privatbau  II  75 
Brake,  Schloß  II  477* 
Brandeis,  Schloß  II  127 
Brandenburg,  Andreas  II  262 
Brandin,  Philipp  II  244,  245,  253, 

254,  256,  265 
Braunau,  Stadttore  98,  II  60* 
Braunschweig  16,  II  437 — 445, 
Gewandhaus   II   444*,  altes 
Gymnasium  II  443*,  Holzbau 
II438if.*,  Neustädter  Rathaus- 
saal II  444,  alte  Wage  II  438* 
Braunweiler,  Altäre  II  504 
Bredstedt,  Kanzel  II  302 
Bremen  IL  323—329,  Gewerbe- 
haus 157,  168*,  II  328*,  Korn- 
liaus  II  327,  Privatbauten  II 
327  f.,  Rathaus  81,  176,  II  323 
bis  326*,  Schütting  II  326, 
Stadtwago  II  327* 
Breslau  II  138—149,  Dom:  154, 
II  137,  Sakristeiportal  das.  II 
135,  140,  Kapitelhaus  das.  II 
135,  141,  Elisabethkirche:  II 

139,  146,  149,  Denkmal  Ey- 
bischll  144,Kanzeldas.ni49, 
Turm  II  149,  Häuser  II  146  fP.*, 
Haus  Junkernstraße  II  145*, 
Haus  zur  Krone  II  141,  Kreuz- 
kirche, Denkmal  Sauer  II  144, 
Magdalenenkirche:  Denkmäler 
II  140,  146,  Kanzel  II  149, 
Türme  II  147,  Museum,  Krug 

140,  149,  Rathaus  II  137,  142, 
Stadthaus  154, 170,  II  135, 140 

Breu,  Jörg  285,  286 

Breuberg,  Schloß  153, 198, 415  ff., 

Saal  41f)*,  Zeughaus  417 
Breughel  II  96 

Brieg  II  159-167,  Piastenschloß : 
155,  157,  161,  167*,  168,  170, 
176,  190,  II  159—165,  Portal 
II  160*,  Hof  II  162*,  Privatbau 
II  166  f.*,  Rathaus  II  165 

Briot,  Prancois  108 

Bristow,  Kirche  u.  Altar  II  266  f.* 

Brixen,  Bischofpalast  II  75,  Pri- 
vatbau II  75* 

Brixlegg,  bemaltes  Haus  II  76* 

Bruchsal,  Portal  267 

Bruck  a.  d.  Lienz,  Schloß,  Male- 
reien II  83 

Bruck  a.  d.  Mur,  Brunnen  105, 
201,  II  62* 

Brüggemann,  Hans  II  293 

Brünn,  Rathaus  II  129 

Brüx,  Pfarrkirche  II  130,  132, 
Rathaus  JI  121* 

Brugger,  Paul  II  86 

Brunner,  Melchior  II  397 

Bruttig,  Holzhäuser  II  515 

Bubenik,  Hans  II  188 

Buchmüller,  Georg  362 

— ,  Martin  362 

in  Deutschland   II   3.  Aufl. 


I  Buchner,  Paul  II  358,  360 
1  Budweis  II  97,  116* 
^  Büchen,  Kanzel  II  308 

Bückeburg  84,  147,  Kirche:  205, 
II  472*,  Taufe  75*,  II  472, 
Schloß:  II  471,  Goldner  Saal 
II  471*,  Schloßkapelle  II  471*, 
Jagdschloß  Baum  II  472* 

Büdingen,  Kirche,  Denkmal  II 
525,  Oberhof  II  525,  Schloß 
II  525 

Bülaoh  243 

Bürglitz,  Schloß  II  93 

Bütow,  Schloß  II  232 

Bützow,  Kanzel  II  269*,  Kelch 
II  271*,  Schloß  II  257 

Bunzlau,  Portal  II  157* 

Burchard,  Lorenz  II  262 

Burckh,  Jörg  337 

Burghausen,  Grabendächer  II  38 

Burgkmair,  Hans  39 — 42*,  368, 
370,  376 

Burgsteinfurt,  Schloß  II  491 

Burmester,  Warnecke  II  319,  320 

Busch,  Peter  331 

Buschberger,  Martin  II  52 

Buuz,  Joh.  Vitus  104,  363 

Buxheim,  Altar  und  Chorgestühl 
317 

Caesar  II  8 

Calcar  (Kalkar),  Altar  207,  II  492 
Camenz,  Brunnen  II  188,  Dom, 

Ausstattung  II  188 
Candid,  Peter  II  19,  24,  29,  34 
Cannstatt,  Haus  1 74, 847  *,  Kirche 

206,  Kirchturm  847* 
Carlone,  Sebastiane  II  68 
Carmis,  Jakob  van  336 
— ,  Moritz  van  335 
Carolath,  Schloß  II  177* 
Caspar  (Meister)  II  413 
Caus,  Salomen  de  301,  343 
Celle  II  418—423,  Privatbau  II 
423,  Rathaus  II  422*,  Schloß  II 
418  ff.*,  Schloßkapelle  II  420*, 
Stadtkirche,  Denkmäler  II  422 
Cesare,  Carlo  de  II  344,  362,  875 
Cesariano  133 
C.  F.  (Meister)  398 
Chemnitz,    Privatbau,  Schloß- 
kirche II  379 
Chiaramello  II  197,  246 
Chlumetz,  Schloß  II  127 
Chraustowitz,  Schloß  II  127 
Christoph  von  Urach  72,  266 
Chrudim,  Häuser  II  128 
Chur,  Wohnhäuser  244 
Churburg,  die  II  83,  87* 
Cles,  Schloß  II  47,  87,  Ausma- 
lung II  83 
Clodius,  Joh.  II  299 
Colditz,  Schloß  II  365 
Colins,  Alexander  296  f.,  II  110, 
130 

34 


530 


Alphabetisches  Eegister 


CoUaert,  Hans  96* 
Colman,  Desiderius  99 
Colmar  s.  Kolmar 
Colombier  222 
Colonia,  Peter  de  411 
Contariiii  II  96 
Continellill  43 
Convale  II  95,  116 
Coppens,  Robert  II  248,  284 
Corbian,  Paul  II  377 
Cranach,  Lukas  62,  II  194,  349, 
386 

Orangen,  Schloß  II  197 
Cronenborob,  Peter  II  501 
C.W.  R.  (Meister)  II  525 

Dachau,  Schloß  II  3 
Dachsolder,  Schloß  278 
Danzig  II  203-220,  Artushof- 
Ausstattung  II  2 11,  Beischläge 
II  205*,  Englisches  Haus  160, 
II   209,  Franziskanerkirche, 
Gestühl  78*,  II  210,  Häuser 
II  206  f.*,  209,  213,  Katha- 
rinenkirche:  Taufe   II  211, 
Turm  das.  II  218*,  Löwen- 
schloß II  209,  Marienkirche: 
II  204,  Denkmal  II  210,  Por- 
tal das.  II  209,  Taufgitter  II 
210,  MüUergewerkenhaus  II 
219*,  Neptunbrunnen  II  212*, 
Altstädter  Rathaus  196*,  II 
217,    Rechtstädtisches  Rat- 
baus 197*,  II  204,  211  —  215*, 
217*,  Turm  II  212,  Stadttore: 
HohesTor  II  215*,217*,  Lang- 
gasser  Tor  II  217,  Legetor  II 
217,  Stelfensches  Haus  II 207*, 
Zeughaus  169,  180*,  II  218* 
Dargun,  Schloß  II  259* 
Darmstadt  408--413,  Pädago- 
gium 159,  412,  Rathaus  412*, 
Schloß  409  ff.*,  Stadtkirche: 
Denkmäler  412,  Turm  413 
— ,  Balthasar  von  309 
Dauher,  Adolf  154,  285,  370,  II 

842,  377 
— ,  Hans  278,  370 
Degeler,  Johann  379 
Deinschwang,  Schloß  278 
Dessau,  Privatbau  II  414,  Schloß 

154,  II  412  f.* 
Dettelbach,  Kirche  433,  437 
Deutsch-Brod,  Häuser  II  128 
Dibler,  Michel  II  302,  304 
Diedrich,  Burkhard  II  433 
Diera,  Jakob  355 
Dietrich,  Wendel  II  18 
Dietterlein,  W^endel  148—152*, 
162*,  253,  254,  338,  339,  345, 
354,  II  471,  472,  510 
Dilich,  Wilhelm  152,  II  510 
Dippoldiswalde,  Schloß  II  372* 
Doberan,  Klosterkirche,  Denk- 
mäler II  264  f.* 


Dobraw,  Ihan  von  370 
Dörrenbach,  Rathaus  189* 
Döteber,  Julius  II  265 
Donaueschingen,  Museum  66 
Donauwörth,  Schloß,  Zimmer  82 
Dornsberg,  Schloß  II  87 
Dortm\ind,Marienkirche,Empore 
II  490,  Privatbau  II  489,  Rei- 
noldikirchturm  II  490 
Dovermann,  Heinrich  II  492 
Drensteinfurt,  Schloß  II  490*  f. 
Dresden  29,  II  350—363,  Biblio- 
thek   60,    Lusthaus  II  344, 
Schloß:  Georgenbau  154,  155, 
159,  II  187,  351  f.*,  372,  Mo- 
ritzbau 155,  192,  II  187,  354 
bis  360*,  Holzdecke  das.  II  359, 
Kapelle  II  354,  356*,  Stallhof 
II  360  f.*,  Zeughaus  II  360 
Düren,  Statius  von  II  241,  243, 

281,  283 
Dürer,  Albrecht  9  f.,  55—60*, 

129,  131,  370,  480,  II  386 
Dürner,  Hans  277 
D  üsseldorf,  Jesuitenkirche  II  492, 
Rathaus  II  492,  Stadtkirclie, 
Epitaph  II  492 

Ebelmann,  Johann  Jakob  145* 
Eberndorf,  Grabdenkmäler  II  69 
Ebner,  Wolfgang  379 
Ebreichsdorf,  Schloß  II  57 
Eck,  Veit  144 

Eckernförde,  Kirchenausstat- 
tung II  302,  304 

Eckwarden,  Epitaph  II  341 

Edenkoben,  Portal  305 

Eder,  Hiob  II  59 

Ediger,  Holzhäuser  II  515 

E.  G.  (Meister)  II  401 

Eger,  St.  Jodokuskirohe  II  131, 
Stadtkirche  II  94,  Antepen- 
dium  II  133 

Eggeier,  Jakob  II  271 

Eggenberg,  Mausoleum  II  65 

Eggenburg,  gemaltes  Haus  II  58, 
Schloß  II  67 

Ehrenburg  (Tirol),  Schloß  II  87 

Eichstätt,  Heil.  Grabkirche  387, 
Schloß  387 

Eisenhoidt,  Anton  92* 

Eisleben,  Andreaskirche,  Kron- 
leuchter II  406 

Elgg,  Schloß  242,  Ofen  118 

Ellwangen,  Schloß  317 

Eltville,  Denkmal71, Schlößchen 
397 

Emden,  Brücke  II  331,  Große 
Kirche,  Ennodenkmal  II  331, 
Neue  Kirche  II  331,  Privat- 
häuser II  332*,  Rathaus  123, 
II  329—331* 

Emmerich,  Taufe  II  492 

Enderlein,  Kaspar  108* 

Enn,  Schloß  II  46,  87 


Ensishcim,  Haus  zur  Krone  175*, 
177,  247,  Rathaus  155,  246* 

Eppan  (S.  Michael),  Zinnenberg 
II  88* 

Eppingen,  Fachwerkhaus  183* 
Saxonicum  II  398,  Dom:  Epi- 
taphien II  401,Taufstein  II  401 , 
Haus  zum  breiten  Herd  II  399*, 
Haus  zum  roten  Ochsen  II  398, 
Haus  zum  Stockfisch  II  400*, 
Michaeliskirche,  Epitaph  II 
399,  Severikirche,  Kanzel  II 
401 

Erfurt  37,  11397-401,  Collegium 
Erhard  der  Bauer  II  94 
Erhart,  Alban  116,  231 
Eßlingen,  Rathaus  354*,  Speirer 

Zehnthof  353 
Ettlingen,  Brunnen  266* 
Eutin,  Kanzel  II  311 
Evers,  Anton  (Tönnies),  d.  Ä.  II 

278, 285 
— ,  Anton  (Tönnies),  d.  J.  II  263, 

270,  271,  276,  285 

Falkenau,  Schloß  II  121 

Feldmann,  Johannes  II  490 

Felsenburg,  Schloß  II  67 

Fervi,  Benedikt  II  125 

Peselen,  Melchior  II  285 

Finsterberg,  Schloß  II  87 

Fischburg,  Schloß  II  87 

Fischer  (Vischer)  Kaspar  296, 485 

Fleischer,  David  II  360 

Flensburg,  Backsteinbauten  II 
292,  Marienkirche:  Altar  II 
301*,  Taufe  II  302,  Nikolai- 
kirche, Orgel  II  302 

Plettner,  Peter  63,  65,  68,  69,  79, 
83,85,  88, 133, 141*,  142*,  217, 
222,  272,  278,  285,  291,  297, 
370,  392,  393,  467  ff.,  480, 
II  342,  377 

Elims,  Herrenhäuser  244 

Floris,  Konrad  II  253 

— ,  Kornelius  II  227,  248,  300, 
494 

Flügel,  Valerius  398 

Focquiers  301 

Forster,  Jörgen  228 

Francke,  Michael  II  188 

— ,  Paul  157, 206,  II  430,  432, 437 

Franz  von  Magdeburg  II  388 

Franziskus  II  43 

Frankfurt  a.  M.  399—402,  Brun- 
nen 402*,  Fürsteneck  198, 
GlesernHof  400,  GoldneWage 
401*,  Haus  Limburg  399*,  Rö- 
mer 399,  Haus  Wedel  183, 
400* 

Frechen,  Töpferei  112 

Freiberg  (Sachsen)  Dom:  Grab- 
mäler  29,  74,  II  343,  375*, 
Gitter  II  376,  Kanzel  II  376, 
Privatbau  II  373  ff.,  Rathaus 


Alphabetisches  Register 


531 


II  375,  Schloß  Freudenstein 
II  376 

Fr  ei  bürg  i.  Breisgau,  Basler  Hof 
268,  Münstervorhalle  268,  Rat- 
haus 268,  Universität  268 

—  (Schweiz)  223* 

Freising  II  4 — 7,  Dom:  Denk- 
mäler II  6,  Gitter  104,  II  7, 
Residenz  II  3  f.*,  Kapelle  II  6 

Frese,  Daniel  II  318 

Freudenstadt  318—322,  Kirche 
168,  205,  206,  319  f.* 

Frex,  Hans  II  284 

Frey,  Dionys  II  35 

Freyenstein,  Schloß  193,  II  197* 

Friedberg  (Bayern)  Rathaus 
II  4 

Friedemann,  Hans,  d.  Ä.  II  399, 
401 

Friederich,  Lorenz  280 
Friedewald,  Schloß  II  505 
Friedland,GrabmalII  130,  Schloß 

II  98,  125 
Friedrichstadt,  Münze  II  292* 
Friesach,  Brunneu  II  74,  Grab- 
denkmäler II  69 
Fritzlar,  Hochzeitshaus  II  524 

F.  S.  (Meister)  482 
Fürst,  Helena  143 
Fürstenau  i.  Odenwald,  Schloß 

193,  418  i¥.* 
Fürstenfelder,  Benedikt  110* 
Fuhrmann,  Valentin  141 
Furttenbach,  Joseph,  d.  Ä.  31  f., 

147 

— ,  Joseph,  d.  J.  148 

Oadebusch,  Rathaus  II  258, 
Schloß  II  257* 

St.  Gallen,  Abtei  243,  Erker  243*, 
Glasmalereien  122 

Gaming,  Klosterbauten  II  57 

Gandegg,  Schloß  II  46 

Gandersheim,  Abtei  II  461,  Rat- 
haus II  461 

Garmisch,  bemalte  Häuser  II  38 

Geisenheim,  Denkmäler  71 

Gera,  Rathaus  II  402* 

Gerhard,Hubert388,II19,21,29 

Gernsbach,  Rathaus  177,  267* 

Gettorf,  Kanzel  II  302 

Giehelstadt,  Schloß  430 

G.  J.  (Meister)  62,  II  263* 
Gieng,  Hans  223 

Gießen,  Holzhaus  II  523,  Rat- 
haus II  524,  Altes  Schloß  II 
523,  Zeughaus  II  523 

Gießmannsdorf,  Schloß  II  158* 

Gifhorn,  Schloß  II  424 

Giger,  Mathias  216 

Gikau,  Kanzel  II  306 

Gitschin,  Häuser  II  125 

Gletger,  Mathäus  II  211 

Glockendcn,  Niklas  II  386  ! 

Glöckner,  Ulrich  277  j 


Gmünd    (Schwaben),  Brunnen 
162*,  201,  354,  Kornhaus  354, 
Schmalzgrube  354,  Spital  354 
Gockel,  Kilian  440 
Godfro,  Elias  II  520 
Göllersdorf,  Schloß  II  57 
Göppingen,  Schloß  193,  307 
Görlitz  II  178  — 187,  Petrikirche, 
Vorhallen  II  1 85,  Rathaus  154, 
155,  157,  159,  170,  II  178  ff.*, 
Wohnhäuser  II  180  ff.* 
Götz,  Sebastian  300 
Gotha,  Rathaus  II  404,  Schloß 
Friedenstein:  II  404  f.,  Kapelle 
II  405,  Kunstkammer  II  405 
Gottesau,  Schloß  157,  169,  258 

bis  260* 
Gottfried,  Konrad  II  78,  82 
Gottorp,  Schloß  (bei  Schleswig) 
II  296—299,  Fürstenloge  II 
297—299*,  Garten  II  299,  Ka- 
pelle II  297 
Gower,  Jürgen  II  293,  299 
Graf,  Hans  Heinrich  118 
— ,  Urs  213 

Grafenegg,  Brunnen  105*,  201 

Grafenort,  Schloß  II  176*,  177 

Graupen,  Holzhau  II  97 

Graz  II  62—66,  Burg :  Ofen  II  62, 
Treppe  II  64,  Eggenherg-Mau- 
soleum  II  65,  Landhaus :  Brun- 
nen II  64*,  Hof  II  63*,  Mauso- 
leum Ferdinands  II  64,  Privat- 
bau II  65 

Greifenstein  189 

Greifswald,  Häuser  II  236,  Ma- 
rienkirchturm II  233,  Univer- 
sität: Becher,  Zepter,  Teppich 
II  234 

Grenzliausen,  Töpfereien  112 
Greuter,  Elias  379 
Greyß  II  437 

Grineo  (Griener),  Balthasar  II  68 
Gröditzberg,  Schloß  II  135,  153 
Gröninger,  Wilhelm  Gerhard  II 
489 

Grohmann,  Nikolaus  II  346,  402, 
410 

Groningen,  Johann  von  II  293 

Groß,  Friedrich  II  149 

— ,  Jakob  II  157 

Groß-Skal,  Schloß,  Malereien  II 

133,  Ofen  II  134 
Groß-Steinheim,  Denkmäler  71, 

398,  Schloß  398 
Grote,  Wilhelm  II  262 
Grünau,  Schloß  285,  286 
Grünewald,  Matthäus  II  386 
Grünsfeld,  Rathaus  452 
Grunewald,  Schloß  II  197 
Guckeysen,  Jakob  144 
Gudewerth,  Hans  II  293,  304 
Güstrow  II  248-256,  Dom:  Denk- 
mäler II  253  f.*,  Kanzel  II  255, 
Taufe  II  256,  Pfarrkirche,  Aus- 


stattung II  256,  Schloß  193, 
II  248-253*,  Wohnhäuser  II 
256 

Guhlau,  Schloß  II  177 
Gysius,  Theodor  II  68 

Haas,  Georg  144 
Habrecht,  Isaak  360 
Hacke,  Hans  II  406 
Haddenhausen,  Schloß  II  491 
Hämelscheburg  II  424  ff.* 
Hagenau,  Nikolaus  von  454 
Hagenmüller,  Nikolaus  II  522 
Haidern,  Jakob  291 
Haidler,  Hans  II  101 
Haimpertshofen,  Altar  II  3 
Halberstadt    446  —  449,  Holz- 
häuser 184*,  II  446  ff.,  Peters- 
hof II  448,  Rathaus  II  448*, 
Steueramt  II  449,  Zwicken  II 
449 

Haldenstein,Schloß,Täfelung244 

Hall  s.  Schwäbisch  Hall 

Halle  II  385—394,  Dom  154,  II 

385,  386-388*,  Friedhof  II 

386,  393,  Marienkirche  II  385, 
389*,  Moritzkirche  II  389*,  Pri- 
vatbauten II  391  f.*,  Rathaus 
II  390,  Residenz  II  385,  388, 
Stadtwage  II  390*,  Talamt  II 
392,  Ulrichskirche,  Ausstat- 
tung II  389 

Hamburg,  Kirchturm  II  323,  Pri- 
vatbauten II  322 

Hameln  461 — 464,  Hochzeits- 
haus 200,  II  463*,  Haus  Demp- 
terII463*,PrivatbauII461ff.*, 
Rattenfängerhaus  II463*,Wet- 
terf ahnen  106,  II  464* 

Hanau  405—408,  Brunnen  201% 
405,  französisch-holländische 
Kirche  406*,  Marienkirche, 
Denkmäler  405,  Stadtanlage 
405 

Hannover  II  457—460,  Holzbau 
II  459  f.,  Haus  an  der  Markt- 
kirche II  459*,  Johanniskirche 
II  45  7,  Kreuzkirch  türm  II  45  7* , 
Leibnizhaus  157,  II  457*,  Rö- 
mischer Kaiser  II  458 

Hartheim,  Schloß  II  60 

Hasselt,  Hinrich  van  II  498,  500 

Haubitz,  Christoph  II  257 

Haugsdorf,  Schloß  II  177 

Haynau,  Schloß  II  156* 

Hehlen,  Schloß  II  429 

Heidelberg  286—303,  Hl.  Geist- 
kirche, Denkmäler  74,  Privat- 
bau 303,  Haus  zum  Ritter  175, 
302*,  Schloß :  33,  64, 155,  278, 
286—302*,  Englischer  Bau 
300,  Friedrichsbau  105,  157, 
161,  163,  169,  172,  176,  205, 
298—300*,  Garten  202,  301, 
Gläserner  Saalbau  290,  Otto- 


532 


Alphabetisches  Register 


Heinrichsbavi  157,  162,  169, 
291 — 298*,  Ruprechtsbau,  Ka- 
min 291*,  Terrasse  300,  Tor- 
bau 288 

Heidenreich,  Erhard  280 

— ,  Ulrich  280 

Heilbronn  347—352,  Deutsch- 
ordenshaus 352,  Fleischhalle 
350,  Giebel  175,  Katharineu- 
spital  350*.  Kilianskirche: 
Kanzel  75,  Turm  154,  347*, 
Oberamt  350,E,athaus  195,348* 

Heiligenberg,  Schloß  83,  205, 
272,  274  ff.*,  Kapelle  276,  Saal 
275* 

Heinz,  Joseph  II  44,  96,  472 

Heinrichsgrün,  Schloß  II  120 

Heldburg,  Schloß  II  408  ff.* 

Hellbrunn,  Garten  203 

Helleweg,  Wilhelm  II  171 

Helmstedt,  Universität  157, 167*, 
170,  199,  II  430  f.* 

Hendrikszon,  Gerard  II  210 

— ,  Frederik  II  210 

Hennenberger,  Hans  II  225 

Hennersdorf,  Schloß  II  177 

Herdringen,  Silberarbeiten  93* 

Herford,  Brunnen  II  479,  Häuser 
II  479,  Neustädter  Keller  II  479 

Herle  (Hoerl),  Simon  II  214 

Hersfeld,  Eathaus  II  524 

H.  F.  (Meister)  54 

Hildesheim  II  449 — 457,  Brun- 
nen II  454,  Dom,  Lettner  75, 
170,  II  455  ff.*,  Holzhäuser 
185*,  II  450  ff.*,  Kaiserhaus 
II  454*,  Knochenhaueramt- 
haus II  450*,  Wedekindsches 
Haus  453* 

Hilger,  Martin  II  362 
Oswald  II  349 

— ,  Wolf  II  343,  349 

Hirsau,  Schloß  308* 

Hirschhorn.  Schloß  421 

Hirschvogel  (Hirsvogel),  Augu- 
stin 112,  141,  142,  II  53 

Hoerl  s.  Herle 

Hötting,  Epitaph  II  80 

Höxter,  Dechanei  II  464*,  Holz- 
bauten II  464* 

Hoffmann,  Hans  Ruprecht  II  510 

— ,  Nikolaus  438 

Hofmann,  Nikolaus  II  389,  390, 
392*,  394,  396 

Hohenelbe,  Holzbauten  II  98 

Hohenfurt,  Altar  II  131 

Hohenkirchen,  Altar  II  341*, 
Kanzel  II  341* 

Holbein,  Hans,  d.  Ä.  42,  43,  44, 
368 

— ,  Hans,  d.  J.  44—55*,  120, 

186*,  213,  370 
Holl,  Elias  377,  379—383 
— ,  Hans  377,  380 
Hollande,  Johann  d'  408 


Hollar,  Wenzel  II  99 
Holle,  Kanzel  II  341 
Hollenegg,  Schloß,  Ofen  II  62,  66 
Holzapfel,  Heinrich  II  211 
Hopfer,  C.  B.  55 
— ,  Daniel  55,  370 
— ,  Hieronymus  55 
— •,  Lambert  55 
Horst,  Schloß  II  491 
Hovestadt,  Schloß  II  491 
Hoyersworth,  Schloß  II  292 
Hueber,  Hans  205,  280 
Hübscher,  G.  II  437 
Hülsede,  Schloß  II  428 
Hufnagel  II  96 

Husum,  Backsteinhäuser  II  292, 
Schloß  II  291* 

Iglau,  Häuser  II  128 

Ilgen,  Kirche  II  4 

lUalio,  Domenico  II  53 

Ingolstadt,  obere  Pfarrkirche: 
Altar  207,  Denkmal  II  3,  Glas- 
malereien 123 

Inningen,  Schloß  380 

Innsbruck  77  —  80,  Schloß  Am- 
bras s.  d.,  Peuerturm  II  80*, 
Hofkirche  II  77*,  Landhaus 
II  80,  Maximilian-Denkmal  75, 
II  77*,  Privatbau  II  78,  Schul- 
haus II  78 

Irmisch,  Hans  II  360 

Isarek,  Schloß  II  3 

Itzehoe,  Kirche,  Ranzaugräber 
II  306 

Jamnitzer(Jamitzer),  Albrccht  92 

— ,  Christoph  92 

—,  Wenzel  91*,  II  133 

Jarosch,  Thomas  II  105 

Jelin,  Christoph  310 

Jena,  Häuser  II  404 

Jever,  Wiemkendenkmal  74,  II 
334—340*,  Rathaus  II  340*, 
Schloß,  Holzdeoke  II  340 

Jobsten  (Meister)  II  178 

Joch,  Orgel  II  497 

Johannisberg,  Schloß  II  135 

Johann  Maria  von  Padua  II  356 

Jülich,  Rathaus  II  492*,  Schloß 
II  492 

Jungbunzlau  II  125 

Kaaden,  Rathaus  II  121 
Kager,  Mathias  376,  377,  386 
Kaisersberg,  Holzhäuser  247 
Kai,  A.  433 

Kalkar,  Altäre  207,  II  492 
Kampann,  Schloß  II  87* 
Kapfenburg,  Schloß  317 
Karl,  Peter  280,  481 
Karthaus,  Kloster,   Gestühl  II 
221 

Kasemann  (Kassmann),  Rüdiger 
145, 209 


Kassel,  Martinskirche:  Denkmal 

74,  II  520,  Turm  II  520*,  Mu- 
seum 95,  Privatbau  II  520, 
Schloß  II  516,  520 

Kauffmann,  Jakob  357 

Keller,  Georg  425 

Kellerthaler,  Daniel  87 

Kempen,  Orgel  II  492 

Kempene,  Johann  de  II  293 

Kern,  Hans  480 

— ,  Michael  437 

Kesselhut,  Jakob  411 

Kiedrich,  Rathaus  398 

Kiel,  Fachwerkhaus  II  291,  308, 
Museum  II  307,  Nikolaikirche, 
Ausstattung  II  308*,  Schloß 
II  308 

Kircher,  Balzer  II  443,  444 

Kirchheim,  Schloß  398 

Klagenfurt,  Brunnen  II  69*, 
Landhaus  II  73,  Rathaus  II  73 

Klattau,  Rathausturm  II  95,  118 

Klausenburg,  Portal  154 

Klein-Ribnitz,  Klosterkirche, 
Denkmal  II  264 

Klencke,  Hans  II  376 

Klingenburg,  Schloß,  Terrakot- 
ten II  134 

Klosterneuburg  II  57 

Klotten  II  515 

Koblenz,  Jesuitenkirche  Ii  504 
Koburg,  Elisabethkirche,  Altar 

75,  Gymnasium  II  411,  Moritz- 
kirche, Denkmäler  II  411,  Re- 
gierungsgebäude II  41 1, Schloß 
Ehrenburg  II  411,  Veste  Ko- 
burg, Täfelung  81,  II  411 

Köln  38,  493  —  503,  Dom,  Denk- 
mäler II  494,  S.  Georg,  Vor- 
halle und  Sakramentshäuschen 
II  495,  S.  Gereon,  Ausstattung 
II  495,  Epitaph  II  494,  Jesu- 
itenkirche II  495*,  S.  Maria 
auf  dem  Kapitol,  Lettner  II 
494,  Museum,  Denkmal  II  495, 
S.  Petei*,  Glasmalereien  124*, 
II  495,  PrivatbauII  501  ff.,Rat- 
haiis :  Halle  157, 163,  II  497  ff.*, 
Löwenhof  II  497,  Spanischer 
Bau  II  501,  Zeughaus  II  501 
König,  Peter  II  34 
Königgrätz,  Häuser  II  126 
Königsberg  i.  Pr.  II  221—229, 
Dom:  Ausstattung  II  229, 
Denkmäler  74*,  II  226  f.*, 
Schloß  II  222—226*,  Schloß- 
kapelle II  224 
Königswusterhausen,  Schloß  II 
197 

Körner,  Stoffel  459 

Kothen,  Schloß  II  415 

Kolin,  Häuser  II  128 

Kolmar,  Erker  251*,  Häuser  155, 

166,  177,  188,  Kopfhaus  250*^ 

Pfisterhaus  250* 


Alphabetisches  Register 


533 


Komarschitz,  Schloß  II  116 
Komotau,  Schloß  II  121 
Konstanz,  Münster:  Gitter  104, 

272,  Orgel  79,  270* 
Korb,  Hans  337,  II  437 
Kost,  Schloß  II  127 
Kratft,  Adam  70 
Krakau  190 

Kramer,  Hans  II  209,  343 
Krammer,  Gabriel  145,  II  44 
Krebs,  Konrad  II  193,  342,  346, 
411 

Krempe,  Rathaus  II  292 
Krems,  Erker  II  58 
Kremsmünster,  Gitter  II  46* 
Krüg-er,  Hans  II  271 
Krumau,  Schloß  II  95,  114,  132, 

Stadt  II  115 
Krumbach,  Kirche,  Denkmäler 

421 

Krumper,  Hans  II  19,  24,  29,  34 

Küneg,  Hans  226 

Küstrin,  Schloß  II  199 

Kuhn,  Johann  II  492 

Kühne,  Kaspar  II  160 

Kulm,  Rathaus  II  220 

Kulmbach,  Bezirksamt  488, 
Kirche  489 

Kulmsee,  Denkmal  II  220 

Kummer,  Peter  II  195,  342 

Kupper,  Johann  82,  II  485 

Kusel,  Jakob  229 

Kuttenberg,  Amthausj^ortal  II 
128,  Barbarakirche,  Kanzel  II 
131,  Welscher  Hof  II  93 

Kynsburg,  Schloß  II  177 

LabenwolfF,  Pankraz  69,  285, 
478*,  481 

Lagno,  Ferrabosco  di  II  106 

Lalio,  Domenico  de  II  63,  64 

Landolph,  Melchior  228 

Landshut  II  7 — 13,  Bezirk-samt 
II  12,  Jesuitenkirche  II  4,  12, 
Landschafthaus  II  12,  Privat- 
bau II  13,  Residenz  8 1, 165,  II  2, 
7  — 12*,  Trausnitz  s.  d. 

Langenau,  Kirche  II  221 

Langenburg,  Schloß  357,  Stadt- 
kirche, Denkmäler  357 

Langentuddeke,  Johann  II  432 

Latz,  Hieronymus  309 

Lauban,  Rathaus  II  189 

Lauenburg,  Kirche,  Herzogdenk- 
mal II  310* 

Lauenstein  i.  S.,  Grabkapelle  75,  i 
II  370*,  Schloß  II  372 

Laun,  Benedikt  von,  s.  Benedikt 

— ,  Brunnen  II  124,  Kirche  II  \ 
100,  123 

Lautensack,  Hans  Sebaldus  141,  ', 
II  52 

Lebrade,  Grabplatte  II  306 
Lehe  s.  Lunden 

Leipzig  II  380-385,  Fürstenhaus  | 


177,  II  383  f.*,  Pleißenburg  II 
383,  Polizeiamt  II  382,  Privat- 
bau II  380  f.,  384  f.,  Rathaus  II 
381  f.,  Schützenkleinod  95* 
Leitmeritz,  Rathaus  II  122,  Ofen 
II  133,  Täfelung  II  97,  Tauf- 
becken II  97 
Leitomischl,  Scliloß  II  127 
Leitzkau,  Schloß  II  199* 
Lemgo,    Privatbau    II  476  f.*, 

Rathaus  II  475* 
Lencker,  Hans  141 
Leoben,  Stuckfassade  II  67* 
St.  Leonhard,  Denkmäler  II  69 
Letzlingen,  Schloß  II  197 
Leu,  Hans,'d.  J.  226 
Leyder,  Jakob  29 G 
Lichtenberg,  Schloß  413 
Lichtenthai,  Brunnen  266 
Liohterfelde,  Schloß  II  197 
Licinio,  Giulio  376,  377 
Liebenstein,  Schloßkapelle  163, 

168,  205,  206,  352* 
Liegnitz  28,  189,  II  149—153, 
Portale  II  152*,  Schloß  154, 
167,  II  149  tf.* 
Linar,  Rochus  von  II  194,  196, 
343 

Lindau,  Rathaus  317 
Lindenau,  Schloß  II  177 
Linz,  Landhaus  II  59,  Öfen  II  59 
Lititz,  Burg  II  92 
Löbau,  Kirche,  Gestühl  II  189 
Löflfler,  Georg  II  80,  105 
Lövi^enberg,  Rathaus  189,  II  155 
Lohr,  Rathaus  195,  198,  427*, 

Schloß  428 
Lombard,  Lamberts.  Sustermann 
Lorch,  Denkmäler  71,  Hilchen- 

haus  396* 
— ,  Melchior  II  293 
Lorenz  (Meister)  II  497 
Loscher,  Sebastian  370 
Loskant,  Reitz  411 
Loth,  Ulrich  II  24 
Lotter.  Hieronymus,  d.  A.  II  364, 

381  ff. 

— ,  Hieronymus,  d.  J.  II  384 
Lucas,  Hans  II  174 
Lübeck  II  271—288,  Ägidien- 
kirche:  Lettner  79*,  Orgel  II 
286,  Dom,  Denkmäler  u.  Kanzel 
II  284,  Fredenhagenzimmer 
82*,  II  283,  Füchtingshof  119*, 
II  287*,MarienkircheII  283  ff.*, 
Denkmäler  II  284,  Gitter  105, 
Kronleuchter  110*,  II  287,Lett- 
ner  285*,  Senatstuhl  II  285, 
Nikolaikirche,  Turm  II  287, 
Petrikirche,  Orgel  II  285,  Pri- 
vatbau II  278  ff.*,  Rathaus  II 
275—278*,  Freitreppe  II  274, 
Kriegsstube  82,  II  276  ff.*,  Rat- 
saaltür II  278*,  Vorbau  II  275*, 
Schiff'erhaus  II  283,  287*,  Ter- 


rakotten II  284*,  Terrakotten- 
bau II  281—283* 

Lüder  von  Bentheim  81,  II  269, 
325,  327 

Lüdinghausen,  Schloß  II  491 

Lüneburg  179,  II  311-322, 
Brunnen  II  321,  Johannis- 
kirche, Ausstattung  II  320. 
Öfen  119,  Privatbau  II  311  bis 
314*,  321,  Rathaus:  Fürsten- 
saal II  318*,  Gitter  105,  II  314, 
Ratslaube  II  315*,  Ratsaal 
81*,  II  316  ff.*,  Silberschatz 
91*,  II  319 

Lütjenburg,  Reventlowkapelle 
II  305 

Lugann,  Hans  II  160 

Lukas,  Melchior  II  306 

Lunden  bei  Lehe,  Markus  Swyns 
Pasel  II  294* 

Lutter,  Heinz  von  309 

Luxemburg,  Kathedrale  II  512, 
Schloß  II  511 

Luzern  226 — 230,  Franziskaner- 
kirche 230,  Friedhof  229,  Häu- 
ser: Corragioni  226,  Herten- 
stein 45,  51,  von  Moos  229, 
Ritterpalast  226,  Hofkirche 
105,  229,  Rathaus  228* 

Lynzo,  Giovanni  227 

Lyra,  Valentin  von  II  238 

Magdeburg,  Dom,  Denkmäler  66, 
Kanzel  75 

— ,  Franz  von  II  388 

Mainz,  390  —  396,  Brunnen  64, 
154,  200,  265*,  Dom,  Denk- 
mäler 393,  Albrechts  von  Bran- 
denburg 65,  72,  366*,  von 
Gablentz  393,  von  Heusen- 
stamm 393,  Ulrichs  von  Gem- 
mingen 71*,  153,  391,  II  388, 
Gestühl  78,  394,  Gymnasium 

395,  Häuser  395  f.,  Knebelhof 

396,  König  von  England  395, 
Römischer  Kaiser  396,  Schloß 
157,  394*,  S.  Stephanskirche, 
Altar  153,  391,  Sakraments- 
häuschen 391,  Universität  395 

Mair,  Georg  II  29 
Manuel,  Nikolaus  213,  224 
Marburg  (Steiermark),  Rathaus 
II  66 

—  (Hessen),  Elisabethbrunnen 
II  523,  Marienkirche:  Denk- 
mäler II  522,  Taufbecken  II 
522,  Privatbau  II  522,  Rat- 
haus II  522,  Schloß  II  521 

Maria  Birnbaum,  Kirche  II  4 

Marian,  Hans  411 

Marini,  Giovanni  II  98,  118 

Marktbreit,  Häuser  430*,  Rat- 
haus 429*,  Stadtkirche  430 

Marquirt,  Franz  II  180 

Mathes,  Hinrich  II  285 


534 


Alphabetisches  Register 


Matthias  von  Prostiejow  II  94 
Matzdorf,  Schloß 
Matzer,  Michael  426 
Maurer,  Paul  254,  258 
Mayeuburg,  Schloß  II  83 
Meer,  Gerhard  van  der  II  364 
Meisenlieim,  Denkmäler  II  505 
Meißen,  Albrechtsburg  II  365, 
Dom,  Denkmäler  II  366,  Pri- 
vatbau II  366  f. 
Meldorf,  Kirche,  Ausstattung  II 

301,  Kelch  II  133 
Mellenthin,  Schloß  II  231 
Melnik,  Kirche,  Malereien  II  132, 

Schloß  II  124 
Memhardt  II  190 
Menten,  Kurt  II  436 
Mergentheim,  Schloß  193, 449  ff.* 
Merseburg,  Dom :  Kanzel,  Epi- 
taph II  397,  Schloß  II  394-397, 
Portale  II  395*,  Ziehbrunnen 
II  397 

Mespelbrunn,  Schloß  437 

Meurer,  Peter  437 

Meyer,  Joachim  331 

— ,  Johann  II  432 

^ — ,  Johann  Jakob  236 

Mezzotedesco,  Schloß  II  47 

S.  Michael  (Eppan),  Häuser  II  88* 

Michelstadt,  Kellerei  42 1, Kirche, 
Denkmäler  420 

Michelstätten,  Schloß  II  57 

Miler  (Miller),  Georg  75,  314 

Millstadt,  Grabdenkmäler  II  69 

Minden,  Privatbau  II  480  f.* 

Miniaturisten,  böhmische  II  132 

Miseroni,  Dionys  II  95 

Mittenwald,  bemaltes  Haus  II  38 

Möller,  Antonius  II  211,  219 

• — ,  Christian  II  244 

Mölln,  Kirche,  Gestühl  II  309 

Mömpelgard,  Hallen  254,  322, 
Kirche  322*,  Schloß  322* 

Mörsburg,  Ofen  1 16,  243 

Möskireh,  Denkmal  69 

Molsheim,  Jesuitenkirche  256*, 
Eathaus  195,  256* 

Moritzburg,  Schloß  II  363* 

Morstein,  Schloß  356 

Motschone  s.  Lynzo 

Mühldorf,  Grabendächer  II  38 

Muelich,  Hans  95,  99*,  II  3 

Mülhausen  i.  E.,  Rathaus  166, 
169,  188,  195,  247* 

Müller,  Christoph  II  516 

— ,  Hans  II  516 

— ,  Koster  485 

— ,  Kunz  437 

— ,  Wolfgang  II  18 

Müllner,  Bernhard  125 

München  II  3,  18  —  36,  Frauen- 
kirche: Denkmal  75,  II  34*, 
Gitter  104,  Alter  Hof  II  22, 
Jesuitenkolleg  199,  II  4,  21, 
Mariensäule  162,  II  34*,  Max- 


burg 189,  II  3,  22*,  Michaels- 
hofkirche 78,  110*,  II  4,  18  bis 
21*,  Münzhof  161,  II  18*,  Mu- 
seum 44,  65,  66,  82,  86,  88,  94, 
96,  99, 107*,  108, 109, 124, 126, 
Residenz:  34,  124*,  168,  173, 
189,  197,  198,  II  22—34*,  An- 
tiquarium  II  33*,  Grottenhof 
203,II26*,KaisertreppeII30*, 
Kapelle  206,  II  34,  Portale  II 
28*,  Schatzkammer  94,  Wohn- 
räume II  32,  34 

Münden,  Denkmal  70,  II  468, 
Holzbau  II  467  f.,  Rathaus  II 
466*,  Schloß  II  465 

Münster  i. W.II  484—489,  Dom: 
Epitaphien  II  488,  Kapitelsaal 
82*,  170*,  II  485*,  Krameramt- 
haus  II  486*,  Ludgerikirche, 
Gestühl  II  485,  Privatbau  II 
487  f.,  Rathaus  II  488,  Rat- 
haussaal II  485*,  Stadtwein- 
haus II  486* 

Murau,  Schloß,  Ausstattung  II 
62,  67 

Murten  223 

Nabburg,  Eathaus  279 
Nachod,  Holzbauten  II  98,  12G 
Näfels,   Gemeindehaus  81,  118, 
241 

N.  B.  (Meister)  II  472 
Neckarsteinach,  Grabmal  421 
Negau,  Schloß  II  67 
Neidhard,  Wolfgang  382 
Neiße  168  —  171,  Brunnen  201, 
II  171,  Kirche,  Denkmal  II  168, 
171,  Rathaus  II  169*,  Torbau 
II  171,  Wohnhäuser  II  169  ff.* 
Neuburg  (Pfalz),  Schloß  155,  281 

bis  285 
Neuenburg  (Schweiz)  222* 
Neuenstein,  Schloß  441 — 444* 
Neuhaus,  Schloß  II  115,  490* 
Neuhof,  Schloß  II  127 
Neumarkt,  Schloß  64,  278 
Neustadt  a.  d.  II.  195,  199,  Gym- 
nasium 305,  Privathaus  305 

—  a.  d.  Mettau  II  126 

—  i.  Mecklenburg,  Kanzel  II  271 
Niklas,  Michael  449 
Nikolaus  von  Hagenau  II  522 
Nikolsburg,  Schloß  II  129 
Nimpsch,  Schloß  II  160 
Niuron,  Bernhard  II  160,  165 
— ,  Franz  II  415 

— ,  Peter  II  195,  196,  413,  415 
Nördlingen,  Rathaus  195,  355*, 

Tore  202,  355* 
Nonnenmacher  II  131 
Nordhausen,  Rathaus  II  406 
Nortorf,  Taufe  II  306 
Nosseni,  Giovanni  Maria  75,  II 

343,  344,  350,  360,  362,  875, 

II  473 


Nürnberg  37.  109,  195,  463-481, 
Brunnen  69,  201,  478*,  Brun- 
nengitter 105,  Einband  94, 
128*,  Fleischbrücke  481,  Gie- 
bel 175*,  Gitter  1 04, 476*,Gold- 
schmiedearbeit  91*,  Museum 
40,  59,  85,  Öfen  1 14, 1 15*,  Rat- 
haus 195, 196, 477  ff.*,  Bronze- 
gitter im  Saal  67, 68*,  480,  Rat- 
haushof 163,  Rochuskapelle, 
Altar  207,  Schrank  83,  Stadt- 
mauern 202,481*,Töpferei  112, 
Wohnhäuser:  Bayr.  Hof  471, 
Egidienplatz  473,  Fembohaus 
476*,  Funksches  Haus  472*, 
Hirschvogelhaus  62,  468  ff.*, 
Karlstraße  475,  Krafftsches 
Haus  471,  Pellerhaus  80*,  82, 
100, 165, 193, 474*,  Schoppers- 
hof  477,  Tetzeigasse  473,  Top- 
lerhaus 472*,  Tuoherhaus  155, 
177,  466*,  Zeughaus  481 

Nürtingen,  Lettner  356 

Obbergen,  Antoni  van  II  2 10, 2 1 7, 

218,  219 
Oberburg,  Stiftskirche  II  67 
Oberehnheim,  Brunnen  200*,  256, 

Metzig  255 
Oberlößnitz,  Schloß  II  365 
Obersontheim,  Schloß  356 
Oberwesel,  Denkmäler  71 
Ochsenfurt,  Rathaus  428 
Öhringen,    Kiiche,  Denkmäler 

448,  II  507,  Schloß  448 
Öls  i.  Böhmen,  Holzbau  II  126 
—  i.Schlesien,Kirche, Denkmäler 

II  175, Schloß  189,11171-174*, 

177 

Ötz,  bemaltes  Haus  II  76* 

Offenbach,  Schloß  157,  402  f.* 

Oldenburg,  Rathaus  II  334, 
Schloß  II  332* 

Oliva,  Klosterkirche,  Ausstat- 
tung II  219 

Olmütz,  Privatbauten  II  129 

Orley,  Nikolaus  von  335 

Oslew,  Johannes  II  175 

Osnabrück,  Giebelhaus  II  482, 
Holzhäuser  185*,  II  483*,  Jo- 
hanniskirche, Epitaph  II  483*, 
Marienkirche,  Taufstein  II 
483 

Osten,  Peter  412 
Osterstein,  Schloß  II  379 
Ottersheim,  Schloß  II  60 
Ovens,  Jürgen  (Jurian)  II  293 

Paderborn,  Jesuitenkollegium  II 

482,  Rathaus  II  482* 
Padua,  Johann  Maria  von  (Pado- 

vano)  II  356 
Pahr  (Parr)  s.  Bahr 
Pansin,  Schloß  II  231 


Alphabetisches  Eegister 


535 


Parchim,  Georgenkirche,  Kanzel 
und  Eatstuhl  II  271,  Marien- 
kirche, Empore  II  270* 
Pardubitz,  Häuser  II  128,  Kirche, 

Denkmal  II  130 
Partenheim,  Kirche,  Malerei  422 
Pasqualini,  Alessandro  II  492 
Patschkau,  Rathausturm  II  177 
Paumgartner,  Ulrich  87 
Pauwart,  Antonius  II  390 
Pelplin,  Kirche,  Ausstattung  II 
219 

Pencz,  Georg  61,  125 
Penig,  Altar  II  366 
Peper,  Hans  II  293 
Peringer,  Lienhard  II  15 
Pernstein,  Schloß  II  129 
Perolles,  Schloß  228 
Pesnitzer  II  95,  114 
Peter  227,  II  94 
Petersen,  Peter  II  300 
Petzolt,  Hans  92,  II  201 
Pfau,  David  116,  118 
Pfedelbach,  Schloß  448 
Pforzheim,  Denkmäler  73 
Pfreimdt,  Franziskanerkirehe 

279,  Schloß  279,  Stadtkirche 

279 

Pfretzschner,  Sittich  II  881 
Philippi,  Gerhard  343 
Piazza  II  96 

Pietschdorfer,  Paul  II  86 
Piloot,  Gerhard  Evert  II  246 
Pilsen  II  97,  Deutsches  Haus  II 

119,  Häuser  II  120,  Rathaus 

II  119 

Pirna  II  367-370,  Kirche,  Malerei 
II  368  f.*,  Privatbau  II  367* 

— ,  Peter  von  II  342 

Pistor  II  490 

Plagwitz,  Schloß  II  155* 

Plassenburg  33,  157,  165,  166, 
192,  484-488,  Schloühof  487*, 
Schloßportal  487*,  Zeughaus 
168,  486* 

Plathe,  Schloß  II  231 

Pleydenwurff,  Hans  II  137 

Plumthal  II  73 

Poco,  Francesco  de  II  53 

Podiehrad,  Schloß  II  127 

Pöllau,  Stiftskirche  II  67 

Polak  II  133 

Polling,  Kirche  II  4 

Pomis,  Pietro  de  II  64 

Ponzano,  Antonio  370,  II  18,  24, 
33 

Pordenone  376 
Porta,  Antonio  de  II  124 
Porti,  Battista  II  52 
Posen,  Rathaus  155,  II  189* 
Prachatitz,  Häuser,  Rathaus  II 
117 

Prag  34,  II  95,  100—113,  Belve- 
dere  155,  200,  II  94,  100  tF.*, 
Brunnen;  Altstadt  II  110,  Brun- 


nen, Belvedere  II  95,  105*, 
Dom:  Denkmal  II  130.  Gitter 
104,  II  110,  Domschatz  II  133, 
Kirche  Maria  Yiktoria  II  III, 
Krönungssaal  II  100,  Marien- 
säule II  99,  130,  Pulverturm 
II  100,  Altes  Rathaus  II  100, 
Ofen  das.  II  133,  Residenz  II 
94,  96,  112,  Schwarzenberg- 
palast 190,  II  109,  Schloß  Stern 
II  94, 106  f.*,  Teinkirche,  Altar 
II  131,  Waldsteinpalast  II  98, 
112* 

Pragthal,  Schloß  II  58 
Puchheim,  Schloß  II  60 
Pudagla,  Schloß  II  231 
Pyhra,  Schloß  II  58 

Quade,  Görries  II  244 
Quadro,  Giovanni  Baptista  de  II 
189 

Quentell,  Peter  143 

Radausz,  Mathias  II  132 

Eaeren,  Töpfereien  112* 

Räspell,  Hans  II  194 

Rappoltsweiler,  Brunnen  247 

Ratschin,  Schloß  II  176 

Raudnitz,  Schloß  II  124 

Regensburg,  Dom:  Grabmal  67, 
Kreuzgang  154,  280,  Dreifal- 
tigkeitskirche 206,  280,  Neu- 
])farrkirche  154,  205,  280*, 
Obermünster,  Altar  281.  Pri- 
vatbau 193,  281,  Rathaus  280 

Reichel,  Johann  282 

Reichenberg,  Rathaus  II  125, 
Schloßkapelle  II  125 

Reife]],  Johann  229 

Reifenstein,  Scliloß  II  83 

Reifenstuel,  Hans  II  24 

Reinbeck,  Schloß  II  291 

Reinhardt,  Georg  II  338 

Reinsbronn,  Schloß  449 

Reisek  s.  Matliias 

Rendsbiirg,  Kirche,  Ausstattung 
II  304  f.,  Rathaus  II  292 

Reumann,  Kaspar  487 

Reuscher,  Hans  394 

Rheda,  Schloß  II  492 

Rhense,  Holzhaus  II  514 

Ricchino,  Francesco  II  360 

Ridinger,  Georg  157,  283,  395, 
423,  425,  II  510 

Ried,  Benedikt  von  s.  Benedikt 

Riedegg,  Schloß  II  60 

Riegersburg,  Schloß,  Ausbau  II 
67,  Öfen  II  62 

Riemenschneider,  Tilman  70 

Riese,  Paul  II  180 

Rimpar,  Schloß  437 

Ringering  (Ringeling),  Heinrich 
II  293,  301,  302 

— ,  Peter  II  217 

Rivius,  Gualtherus  132—139 


Rodenkirchen,  Altar  II  34 1,  Kan- 
zel II  341 
Rodler,  Hieronymus  132 
Röthelstein,  Schloß,  Ausstattung 
II  67 

Ronneburg,  Schloß  II  524 
Rorschach  243 
Rose,  Blasius  II  153 
Rosenberg,  Kirclie  II  221 
Rosenburg,  Schloß,  II  56 
Rösenlieim,  Grabendächer  II  88 
Rosheim,  Brunnen  200 
Rospinger.  Liidwig  II  11 
Roßkopf,  Wendel,  d.  Ä.  II  185, 

142,  150,  178,  186 
— ,  Wendel,  d.  J.,  II  158,  180 
Rostock  II  259— 264,  Backstein- 
giebel II  268*,  Jakobikirche, 
Ausstattung  II  262,  Kreiiz- 
kirche,  Kanzel  II  263,  Marien- 
kirche: Epitaph  79*,  Kanzel 
260*,  Taufe  II  261,  Uhr  II  261, 
Nikolaikirche,  Ausstattung  II 
262,  Portale  II  264*,  Steintor 
II  264* 
Roth  am  Sand,  Schloß  452 
Rothenburg  ob  der  Tauber  453 
bis463,Brunnenl62,172.201, 
458,  Gymnasiuml99,457,  Häu- 
ser:  Geiselbrechtsches  459*, 
Haffnersches  81*,  458,  Hopf- 
sches  460,  Stuckdecken  461  f.*, 
Rathaus    454 — 457*,  Spital 
200,  457,  Spitaltor  458,  Stadt- 
mauern 202 
Rothenburg  er,  Jakob  II  522 
Rottenhamer,  Johannes  376, 377, 
II  473 

Rottweil,    Brunnen  201*,  387, 

Rathaussaal  357 
Rühn,  Altar  II  270 
Rueß,  Jakob  224 
Rufach,  Brunnen  247 
Rüge,  Hans  II  316 
Runkelstein,  Schloß  282 
Rylf,  Walter  s.  Rivius 

Saalliausen,    Antonius    von  II 
370 

Saaz,  Rathaus  II  122 
Sadeler  II  44 

Sächsisch  Haugsdorf,  Scliloß  II 
177 

Salgen,  Andreas  II  293,  299 
Salnellyn,  Anton  II  95,  118 
Salzburg,  Dom  II  89,  Eisenarbei- 
ten II  90,  Franziskanerkirche 
II  91*,  Hohensalzburg  II  89, 
Kirchhof  S.  Peter  II  90,  Resi- 
denz II  89 
Salzmann,  Jakob  337 
Salzuflen,  Häuser  II  477 
Salzwedel  II  202 
Samarina  II  8 
Sarau,  Gestühl  II  307 


536 


Alphabetisches  Register 


Scamozzi,  Vincenz  II  89,  97,  III, 
112 

Schäffels,  Schloß,  Speisezimmer 
244* 

Schäuffelein,  Hans  63*,  355 
Schaffhausen  235  f.,  Brunnen 
236,  Häuser:  Zum  Käfig  236, 
Zum  Eitter  188,  235*,  Johan- 
niskirche 235,  Munoth  236 
Schallaburg,  Schloß  II  45*,  54* 
Schallantzer,  Hermes  II  53 
Schartzemberger  143 
Schatzlar,  Holzbauten  II  126 
Scheclel,  Hartmann  36 
Scheel,  Sebastian  II  77 
Scheinsberger,  Hans  459 
Schickhardt,  Heinrich  30  f.,  209, 
318,  323—330,  335,  340,  345 
bis  347,  354,  357,  444 
Schieferstein,  Hans  87 
Schlägl,  Stiftgitter  II  46* 
Schleinitz,  Burg  II  57 
Schleswig,  Dom:  Denkmal  74, 
II  300*,  Epitaphien  II  300, 
Schloß  s.  Gottorp 
Schlettstadt,  Haus  247 
Schmalkalden,  Privatbau  II  520, 
Schloß  205,  II  516,  Kapelle  II 
518*,  Stadtkirche,  Leuchter  II 
520 

Schmid,  Kaspar  362 

— ,  Peter  361,  365 

Schmitt,  Jörg  254 

Schoch,  Hans  157,  253,  254,  258, 

267,  299—301,  357 
Schöffer,  Anthoni  398 
Schön,  Erhard  62,  141 
— ,  Heinrich  II  24 
Schönfeld  i.  Er.,  Schloß  387 

—  i.  S.,  Schloß  II  365 
Schrattenberg,  Schloß  II  62,  67 
Schröder  (Schröther),  Georg  II 

247 

— ,  Simon  H  247,  349 
Schröer,  Hans  II  343 
Schroh,  Dietrich  393 
Schütterlein,  Jakob  398 
Schuster,  Paul  110 
Schwäbisch  Gmünd  s.  Gmünd 

—  Hall,  Brunnen  449,  Einband 
128*,  Gestühl  449,  Haus  419 

Schwalenberg,  Rathaus  190* 
Schwarz,  Christoph  II  24 
— ,  Michael  II  210 
Schwarzenau,  Schloß  II  58 
Schwarz-Kosteletz,     Schloß  II 
127 

Schwedt,  Katharinenkirche,  Aus- 
stattung II  191* 

Schwei,  Kanzel  II  341 

Schweiner,  Hans  347* 

Schweinfurt,  Gymnasium  199, 
440,  Mühltor  202, 440,  Rathaus 
79,  195,  196,  438* 

Schweinhaus,  Schloß  II  177 


Schwenke,  David  II  370 
Schwerin,  Dom:  Denkmäler  II 
247  f.,  Orgel  und  Gestühl  II 
247,  Schloß  179,  II  245,  Schloß- 
kapelle II  245 
Schwertberg,  Schloß  II  60 
Schwindegg,  Schloß  II  36* 
Schwöbber,  Schloß  II  428 
Schwyz  226 

Seckau,  Mausoleum  II  68 
Sedlczansky,  Jakob  II  132 
Seebenstein,  Schloß  II  58 
Seeberg,  Schloß  II  121 
Seewagen,  Heinz  222 
Segeberg,  Kirche,  Ausstattung 

II  305 
Selent,  Kanzel  II  307 
Semil,  Holzhäuser  II  126 
Sengelaub,  Peter  II  411 
Seusenhofer,  Jörg  99 
Seutter  110 
Sibmacher,  Hans  143 
Siebenbürger,  Alexander  II  18 
Siebeneichen,  Schloß  II  158 
Siegburg,  Töpfereien  112* 
Sigmann,  Georg  99 
Sigmaringen,  Tafel  316 
Simmern  25,  Grabmäler  506  f.* 
Skreta  II  99 

Smetschna,  Schloß  II  123 
Smids  II  197 

Sobernheim,  Schloß  II  511 
Sobieslau,  Häuser  II  1 18 
Soest,  Albert  von  II  316,  320 
Solari,  Santino  II  89 
Solbach,  Daniel  II  86 
Solls,  Virgil  89*,  96,  142 
Solothurn,  Brunnen  202*,  221, 

Rathaus  221,  Stadttore  221* 
Sommer,  Johann  Georg  458 
— ,  Michael  II  286 
Sonderburg,  Schloß  II  291 
Soriau,  Daniel  406,  408 
Spazio,  Antonio  de  II  43 
— ,  Hans  de  II  43,  100,  106 
— ,  Jacopo  de  II  43 
Speck,  Hans  II  377 
Specklin  (Speckle),  Daniel  141, 

253,  254 
Speza  de  Ronio,  Andrea  II  333 
Spital,  Bezirksamt  II  72,  Schloß 

155,  II  69—72* 
Spranger,  Barthel  II  45,  96 
Stadthagen,  Mausoleum  75,  II 

473  f.*,  Rathaus  II  470,  Schloß 

n  469 
Stainmiller,  Hanns  418 
Stans  231* 

Stargard,  Rathaus  II  232*,  Tore 

II  232,  Wohnhäuser  II  232 
Starnberg,  Schloß  II  3 
Steenwinkel,  Laurens  van  II  329 
Steenwyck,  Hendrick,  d.  Ä.  259 
Stein  (Schweiz)  45,  122,  188, 
232 — 235*,  Häuser:  am  Markt 


235*,  Roter  Ochse  235,  Weißer 
Adler  234*,  Kloster  232 
Steinheim  s.  Groß-Steinheim 
Stella,  Paul  della  II  43,  100,  106, 
356 

Stellauf,  Andreas  II  143 
Stendal  II  202 
Stephan  II  349 
Stettin,  Schloß  II  230* 
Steyger,  Georg  II  433 
Steyner,  Heinrich  143 
Steyr,  Kornhaus  II  62* 
Stimmer,  Tobias  188,  236*,  265 
Stirczim,  Schloß  II  127 
Stixenstein,  Brunnen  105 
Stöer,  Wilhelm  141 
Stolpen,  Burg,  Portal  II  342 
Stoß,  Veit  70 
Strakonitz,  Schloß  II  118 
Strakowsky,  Hans  II  217 
Stralsund,  Marienkirche  II  234*, 

Rathaus  II  236,  Wohnhäuser 

II  235 

Straßburg  i.  E.  38,  252—255, 
Frauenhaus  II  193,  253*,  Kam- 
merzellsches  Haus  255*,  Neuer 
Bau  176,  254*,  Privatbau  255 

Strauß,  Jakob  II  243 

Strechau,  Schloß  II  67 

Stromer,  Wolfgang  Jakob  209, 
481 

Stuttgart  331—347,  Grotte  341, 
Alte  Kanzlei  344,  Säule  das. 
162*,  345,  Landschaftshaus 
200,  Lustgarten  204,  336, 
Neuer  Bau  340*,  Neues  Lust- 
haus 157,  165, 200*,  337-340*, 
Prinzenbau  345,  Privathäuser 
184,  345  f.*.  Altes  Schloß  105, 
157, 161*,  165,167, 192, 331  bis 
336*,  Schloßkapelle  205,  335, 
Stiftskirche,  Denkmäler  74*, 
127*,  Terrasse  172* 

Suavius,  Lambert  s.  Sustermann 

Srirsee,  Hans  230* 

Sustermann  (Sutermann),  Lam- 
bert (Lambert  Lombard)  II 
499  ff'. 

Sustris,  Friedrich  II  18,  24 
Suttmeiei*,  Gerd  II  316 
Swanburg,  Schloß  II  87 
Syrlin,  Jörg  70,  358 

Tabor,  Tore  II  118 
Taborsky,  Johann  II  132 
Tangermünde,  Portaiii  202*,  Ste- 
phanskirche, Orgel  79*,  II  202 
Tauchen,  Jost  II  137 
Thalburg,  Schloß  II  67 
Theiß,  Kaspar  II  192 
Theodor,  Antonius  von  II  160 
Thola  s.  Tola 
Thorn,  Rathaus  II  219 
Thun-Vigo,  Schloß  II  47 
Thurnau,  Schloß  490 


Alphabetisches  Register 


537 


Tittmoning,  Grabendächer  II  38 
Tola,  Benedikt  de  II  343,  360 
— ,  Gabriel  de  II  343,  360 
Tondern,  Kirche,  Ausstattung  II 
300 

Torgait,  Hausportale  II  350*,  352, 
Rathaus  350,  Schloß  Harten- 
fels 33,  159*,  168,  171,  177, 
II  344—350*,  Schloßkirche  II 
349* 
Tornielli  II  421 
Traben,  Holzhaiis  II  513* 
Trarbach,  Johann  von  73,  405, 

II  505,  507 
Tratzberg,  Schloß  II  47,  83* 
Trauernicht,  Hans  II  153 
Trausnitz  b.  Landshut  115,  163, 

197,  II  13—18* 
Trautenfels,  Schloß  II  67 
Tretsch,  Aberlin  308,  331,  337, 
485 

Tribb,  Jörg  II  422 
Triebt,  Konrad  van  II  492 
Trier  26,  II  507—510,  Brunnen 
II  510,  Dom :  Denkmal  Greifen- 
klau 72,  154,  II  508*,  Denkmal 
Metzenhausen  72,11 508*,  Kan- 
zel 75*,  II  510,  Liebfrauen- 
kirche, Hl.  Grab  und  Epitaph 
II  507,  510,  S.  Mattheis,  Epi- 
taphien II  507*,  Schloß  II 
510* 

Trost,  Hans  II  100 
— ,  Melchior  II  355,  362 
Trostburg,  Schloß  II  88 
Tschocha,  Burg  II  177 
Tübingen     309—314,  Kirche, 
Denkmäler  74,  Konvikt  199, 
312,  Neptunbrunnen  314*,  Rat- 
haus 313,  Schloß  155, 160, 167, 
170,  309  —  312* 
Tuntenhausen,  Kirche  II  36 
Turm,  Martin  vom  II  160 
Tußmann,  Heinrich  II  492 

Uberlingen,  Kanzleiportal  160*, 
167,  272,  Münster,  Altar  172, 
208,  272* 

Überreiter,  Niklas  II  7 

Uhlberger,  Hans  254 

Ulm  36,  356—367,  Brunnen  201, 
Dreifaltigkeitskirche  362,  Ge- 
stühl 363*,  Kornhaus  362,  Mün- 
ster: Gitter  363,  Türen  363, 
Neuer  Bau  361,  Privathäuser: 
Baidingerhaus  367,  Dietrich- 
haus 364,  Ehingerhof  81,  366*, 
Frauenstraße  366,  Schadisches 
Haus  365*,  Schelerei  365, 
Schlößle  364,  Seutterhaus  367, 
Rathaus  359*,Spitalkirche,Ge- 
stühl  78,  206,  Wage  360 

Umstadt,  Rathaus  421 

ünger,  Georg  481 

Unteutsch,  Friedrich  147* 


Urach,  Goldner  Saal  85,  315*, 

Denkmal  71,  316 
— ,  Christoph  von  72,  266 

Yacksterffer,  Christian  248,  250 
Valentin  II  188 
Valerio,  Schloß  II  83 
Valiente,  Antonio  II  18 
Varel,  Altar  II  341* 
Velthurns,  Schloß  7,  118*,  II  47, 
86* 

Verda  s.  Verdetz 
Verdetz,  Alexander  de  68 
Vernick el   (Vernucken,  Vernui- 
ken),  Wilhelm  II  498,  500,  518 
Vesst,  Georg  114 
Victor  II  8 

Viechtenstein,  Schloß  II  60 
j  Villach,  Kii'chenausstattung, 

Grab  mal  er  II  69 
Vischer,  Hermann  67,  68 
— ,  Johann  II  386,  397,  401 
— ,  Kaspar  s.  Fischer 
— ,  Peter  66  f.,  370,  480,  II  137, 

247,  284,  386,  401 
Vischering,  Schloß  II  490 
Vlyndt,  Paul  89,  94* 
Vogel,  Mathes  426 
Vogelsang,  Ulrich  II  69 
Vogler,  Hans  II  86 
Vogt,  Adam  386 
— ,  Kaspar  (vonWierandt)  II  238, 

342,  343,  354,  383 
Vogtherr,  Heinrich  143 
Voidel,  David  304 
Voigt,  Hans  II  207 
Volrhat,  Johann  247 
Vorchdorf,  Schloß  II  60 
Vorrah,  Hans  II  160 
Vos,  Marten  de  II  420 
Vries,  Adriaen  de  75,  388,  II  44, 

472,  473 
Vries,  Vredeman  de  II  210,  211, 

214 

Vroom,  Friedrich  II  210 

Wachbach,  Schloß  449 
Wächtersbach,  Schloß  II  525 
Wagsdörffer  s.  Vacksterffer 
Waldberger,  Wolf  355 
Waldenburg,  Kirche,  Grabmal 
n  364 

Waidenfels,  Schloß  II  60 
Walder,  Johann  II  66 
Waldhausen,  Kirche  II  59 
Wallern,  Häuser  II  117 
Walther,  Christoph  II  364,  366 
— ,  Georg  II  247 
— ,  Hans  II  376 
— ,  Sebastian  II  344 
Waltirsch,  Kirche  u.  Denkmäler 
II  124 

Wamser,  Christoph  257,  II  495 
Wangen,  Tor  358* 
Warder,  Kanzel  II  305 


Warta,  Schloß  189 
Weber,  Hans  II  376 
Wechter,  Georg  89,  94 
Weikersheim,  Schloß  125,  205, 

444  ff.*,  Schloßgarten  203,  445 
Weilburg,  Schloß  II  525* 
Weilderstadt,  Tabernakel  75, 208 
Weilheim,  Kirche  II  4 
Weimar,Privatbau  II  404  f.  ,Rotes 

Schloß  II  404,  Schloß  II  404, 

Stadtkirche,  Epitaph  und  Altar 

II  405 

Weinhart,  Kaspar  260,  265 

Weinher,  Hans  II  19 

Weißenburg  (Elsaß),  Häuser  257 

Weitmann,  Friedrich  II  467 

Wenglein,  Bartholomäus  II  29 

Wenig,  Marx  II  64 

Werner,  Daniel  II  265 

— ,  Hans  II  402 

Wernke,  Jochim  II  285 

Wertheim,  Brunnen  201,  426*, 
Kirche,  Denkmäler  72,  73,  425 

Wesel,  Haus  II  492 

Wesely,  Rathaus  II  118 

Wessel,  Hans  II  376 

Westensee,  Kirche,  Ranzaudenk- 
mal n  304 

Westveling,  Arnold  II  342 

Wettingen,  Kloster,  Gestühl  79, 
221*,  Glasgemälde  122,  220 

Wetzlar  II  525 

Wiedemann,  Paul  II  381,  383 

Wien  16,  38,  II  47—54,  Alber- 
tina 58,  60,  Ambraser  Samm- 
lung 99,  Burg  II  52*,  Pederl- 
hof.  Portal  II  40,  Gärten  203, 
Landhaus  II  52,  S.  Maria  am 
Gestade,  Altar  II  50*,  S.  Mi- 
chael, Grabmal  II  50,  Museum 
96,  Portal  153,  Privathäuser 
II  50  ff.*,  Salvatorkapelle  154, 
II  49*,  S.  Stephan,  Denkmäler 
II  49 

Wiener-Neustadt,  Zeughaus  154, 

II  40,  51 
Wiesbaden,  Rathaus  398 
Wiesensteig,  Brunnen  358 
Wilbrandt,  Karl  II  262 
Wildberg,  Schloß  II  60 
Wilhelm,  Antonius  II  231 
— ,  Johann  147 
Willinger,  Joh.  II  285 
Wimpfen  a.  B.,  Kirche,  Gestüh 

79 

Windberger,  Hans  286 

Windhag,  Schloß  II  58 

Windrah,  Hans  II  224 

Winterthur,  Öfen  114*,  118,  242 

Wismar,  Brauerei  Koch,  II  244*, 
Fürstenhof  170,  179*,  II  237 
bis  243*,  Georgenkirche,  Aus- 
stattung II  244,  Kelch  der 
Kram  er  II  271,  Marienkirche, 
Denkmäler  II  244,  Nikolai- 


538 


Alphabetisches  Register 


kirche,   Ausstattung  II  244, 

Wasserkunst  II  245 
Wismar,  Hans  II  224 
Wit,  Peter  de  s.  Candid 
Wittenberg,   Rathaus  II  417*, 

Schloßkirche,  Denkmäler  68, 

II  401 ,  Stadtkirche,Epitaphien 

und  Altar  II  401 
Wittingen,  Schloß  II  115,  132, 

Häuser  II  115* 
Wlaschim,  Schloß  11  127 
Wolbeck,  Schloß,  b.  Münster  II 

489* 

Wolfenbüttel,  Kirche  157,  169, 
205*,  206,  II  432  ff.*,  Privat- 
bau II  437,   Schloß  II  437, 
Schloßturm  II  437*,  Zeughaus 
163,  II  437 
Woltr,  Balthasar  443 
— ,  Jakob  478 
— ,  Liidwig  453,  454,  457 
Wolfsberg,  Grabdenkmäler  II  69 
Wolfsburg,  Schloß  II  424 
S.  Wolfgang,  Gitter  104 
Wolmuet,  Bonifazius  II  52,  53 
Wolter  II  444 

Worlik,  Scliloß,  Terrakotten  II 
134 


Wouters  II  96 

Wülfflingen,  Herrenhaus  242, 
Ofen  114 

Würthing,  Schloß  II  60 

Würzburg  37,  431  —  438,  Dom, 
Denkmäler  70,  Juliusspital 
199,  433,  437,  Marienberg  202, 
437,  Privatbau  43 1  f . ,  Rathaus : 
Giebel  431*,  Gitter  105*,  431, 
Hof  193,  Universität  199,  433, 
Universitätskirche  205,  206, 
434  ff* 

Wurzelbauer,  Benedikt  201,  481, 

II  III 
Wyden,  Schloß  213 
Wyl,  Abtshof  243 

Xanten,  Kreuzgang  II  492 

Ysenmann,  Antony  228 

Zabern,  Haus  258,  Altes  Schloß 
258 

Zan,  Bernhard  89 
Zeilern,  Schloß  II  58 
Zell  a.  d.  Mosel  II  511 
Zemin  II  8 


Zerbst,  Nikolaikirche:  Epitaph 
II  415,  Portal  166*,  11  414, 
Rathaus  II  414,  Wohnhäuser 
II  415 

Zerroen,  Anton  van  II  343, 
375 

Ziegler,  Stephan  247 

Zinnenberg  (Eppan)  II  87* 

Zittau,  Bibliothek  II  188,  Brun- 
nen II  188,  Frauenkirche,  Kan- 
zel II  188,  Gymnasium  II  188, 
Häuser  II  188 

Znaim,  Rathaus  11  58,  129 

Zoan,  Maria  II  43,  102 

Zuberlein,  Jakob  322 

Zündt,  Mathias  89 

Zürich  236  —  241,  Brunnen  238, 
241*,  Rathaus  239*,  Seidenhof 
81,  238*,  Ofen  das.  118,  240, 
Zunfthäuser  240* 

Zweibrücken,  Haus  303,  Kirche, 
Denkmäler  304 

Zwickau  i.  Böhmen  II  125 

—  i.  Sachsen,  Katharinenkirche, 
Kanzel  II  377,  Marienkirche, 
Ausstattung  II  377,  Privatbau 
II  378  f. 

Zwitzel,  Bernhard  II  7 


o  

Kunstgeschichtliche  Sammelwerke  und  Einzelschriften 


Von  Apelles  zu  BÖcklin  und  weiter  Von  Karl  Woermann. 

Gesammelte  kunstgeschichtl.  Aufsätze,  Vorträge  und  Besprechungen.  Zwei  Bände  mit  Abbildungen 
im  Text  und  mehreren  Kunstbeilagen.  Geheftet  M.  36. — 

in  Halbfranz  gebunden  M.  40. — 

Der  bekannte  Dresdener  Kunstgelehrte  veröffentlicht  hier  eine  Sammlung  seiner  bemerkens- 
wertesten wissenschaftlichen  Untersuchungen,  Vorträge  u.  dgl.,  die  nicht  nur  für  Fachgenossen 
bestimmt,  sondern  vielmehr  für  einen  größeren  Kreis  von  Kunstliebhabern  und  Gebildeten 
berechnet  sind.  Wenn  auch  jeder  Aufsatz  in  sich  abgeschlossen  ist,  so  hat  der  Verfasser  doch 
das  Ganze  nach  kunstgeschichtlichen  Gesichtspunkten  geordnet  und  in  den  beiden  Bänden  ein 
Werk  von  unschätzbarem  Wert  geschaffen,  wofür  ihm  die  Mit-  und  Nachwelt  dankbar  sein  wird. 

 Wer  im  allg-emeinen  nach  Orientierung-  und  zuverlässiger  Führung-  auf  dem  Gebiete  der  Kunstgeschichte  ver- 
langt, vifer  sich  einer  starken,  echt  künstlerischen  Persönlichkeit  anvertrauen  will,  um  in  vergangene  Zeiten  geistig  hinab- 
zutauchen, dem  wüßte  ich  in  der  Tat  keinen  besseren  und  vollwertigeren  Cicerone  wie  Woermann  mit  seinen  beiden  Bänden 
,Von  Apelles  zu  BÖcklin'."  Dr.  Georg  Biermann  in  den  Leipziger  Neuesten  Nachrichten. 


Michael  und  Friedrich  Fächer  ceschSe  "der  Mabr^ftnd^skuip^uJ 

des  15.  und  16.  Jahrhunderts  in  Tirol.    Von  Hans  Semper.    Mit  186  Abbildungen  im  Text. 

Geheftet  M.  24.—  ;  gebunden  M.  26.— 

Die  alttirolisdie  Kunst  nimmt  eine  ganz  ausgesprochene  und  wichtige  Stellung  in  der  Gesamt- 
geschichte der  deutschen  Kunst  ein ;  als  Frucht  jahrzehntelanger  Studien  gibt  nun  der  Verfasser 
in  diesem  Werke  ein  treffliches  Bild  von  der  Glanzperiode  der  Malerei  und  der  Blütezeit  des 
deutschen  Flügelaltars.  Wir  lernen  hier  die  innige  und  kraftvolle  Auffassung  echt  deutschen, 
urwüchsig-tirolischen  Stiles  kennen' 

„.  .  .  Zu  den  besten  Kennern  und  unermüdlichen  Erforschern  der  alttirolischen  Kunst  zählt  der  Innsbrucker  Kunst- 
historiker Hans  Semper,  der  seit  mehr  als  30  Jahren  die  Schöpfungen  der  Malerei  und  Plastik  seines  Landes  zum  Gegen - 
stände  ungemein  eingehender  Spezialstudien  gemacht  hat.  Diese  Studien  erscheinen  nun  in  vorliegendem  Bande  an  einer 
Stelle  vereinigt,  was  ihre  Benutzung  wesentlich  erleichtern  wird.  Von  dem  reichen  wissenschaftlichen  Ertrage  des  Buches, 
das  mit  Recht  den  großen  Brunecker  Meister  als  Gruppierungsmittelpunkt  betrachtet,  wird  die  Geschichte  der  Malerei  und 
Plastik  an  der  Wende  von  der  Gotik  zur  Renaissance  gar  manchen  Nutzen  ziehen." 

Joseph  Neuwirth,  Wien,  im  AUg-.  Literaturblatt. 


Geschichte  der  bildenden  Künste  Von  Carl  Schnaase. 

2.  Auflage.    8  Bände  mit  ungefähr  1000  Abbildungen.    Gr.  8«.  Geheftet  M.  105.— 

in  Halbfranz  gebunden  M.  120. — 

I.  Band:  Die  Völker  des  Orients  —  mitbearbeitet  von  Dr.  Carl  v.  Lützow.  1866. 
XIV  und  492  Seiten. 

II.  Band:  Griechen  und  Römer  —  mitbearbeitet  von  Dr.  ^arZ  F/zW/zcAs.  1866.  XII  und 

428  Seiten.  Band  I/II  zusammen  geheftet  M.  13. — • 

III.  Band :  Altchristlidie,  byzantinische,  muhammedanische,  karolingische  Kunst  — 

mitbearbeitet  von  Dr.  J.  Rud.  Rahn.    1869.  XXI  u.  688  Seiten.    Geh.  M.  12.— 

IV.  Band :  Die  romanische  Kunst  —  mitbearbeitet  von  Dr.  Alwin  Schultz  und  Dr.  Wil- 

helm Lübke.    1871.    XIX  und  752  Seiten.  Geheftet  M.  13.— 

V.  Band :  Entstehung  und  Ausbildung  des  gotischen  Stils   —  mitbearbeitet  von 
Dr.  Alfred  Woltmann.     1872.    XIX  und  644  Seiten.  Geheftet  M.  13.— 

VI.  Band:  Die  Spätzeit  des  Mittelalters  —  1874.    XVI  und  586  Seiten. 

Geheftet  M.  14.— 

VII.  Band:  Das  Mittelalter  Italiens  —  mitbearbeitet  von  Dr.  Ed.  Dobbert.   1876.  XV  und 

688  Seiten.  Geheftet  M.  20.— 

VIII.  Band:  Das  15.  Jahrhundert  —  von  Wilhelm  Lübke  und  Dr.  O.  Eisenmann.  1879. 

LXXXIV  und  596  Seiten.  Geheftet  M.  21.— 

Von  diesem  altberühmten  Werke  sind  nur  noch  ganz  wenige  vollständige  Exemplare 
vorhanden;  die  Bände  werden,  soweit  der  Vorrat  reicht,  einzeln  abgegeben,  Band  III  ist  jedoch 

einzeln  nicht  mehr  erhältlich. 


Paul  Neff  Verlag  (Max  Schreiber)  in  Eßlingen  a.N.  ****  Zu  beziehen  durch  alle  Buchhandlungen 


o  ^ 

Kunstgeschichtliche  Sammelwerke  und  Einzelschriften 


Geschichte  der  Baukunst  von  Franz  Kugler. 

I.  Band:  Die  Baukunst  des  Altertums.    1856.    X  und  601  Seiten. 

II.  Band:  Die  romanische  Baukunst.    1858.    VII  und  635  Seiten. 

III.  Band:  Die  gotische  Baukunst.    1859.    VIII  und  634  Seiten. 

Preis  für  alle  drei  Bände  zusammen:   Geheftet  M.  15. — ,  in  Halbfranz  gebunden  M.  18.60 

Von  diesem  bekannten  und  grundlegenden  Werke  sind  nur  noch  geringe  Vorräte  vorhanden,  die 
zu  obigem  ermäßigten  Preise  abgegeben  werden. 


"  —  J    Qrf^ViQrlrfclA/    Aufsätze  und  Briefe  nebst  einem  Verzeichnis  seiner  Werke. 
1*^*^  OCIlcltlUW    2ur  hundertjährigen  Feier  seiner  Geburt  herausgegeben  von 
Julius  Friedländer.    2.  Aufl.  1890.    VII  und  172  Seiten  gr.  8  0.  Geheftet  M.  4.— 


Paul,  Charles  und  Simon  Louis  Du  Ry  freSzl" 

Otto  Gerland.   1895.  XII  und  184  Seiten  mit  48  Abbildungen,  gr.  S".        Geheftet  M.  6.— 


Die  Jesuitenkirche  zu  Dillingen  tt\°:ÄeÄiX-^°S 

Meisters  ihrer  Fresken,  Christoph  Thom.  Scheffler  (1700 — 56).  Ein  Beitrag  zur  Kunstgeschichte 
des  17.  und  18.  Jahrhunderts  von  Dr.  Oscar  Freiherrn  Lochner  v.  Hüttenbadi,  Professor 
am  bischöfl.  Lyzeum  zu  Eichstätt.   1895.   VIII  u.  76  S.  mit  19  Abb.,  gr.  8  0.     Geheftet  M.  3.60 


C__  J        AMrkiftoonr^A    Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen 

OpaigOllK   Una   IVenaiSSanCe    Architektur  vornehmlich  im  15.  Jahrhundert 
von  Eridi  Hänel.    1899.    VIII  und  116  Seiten  mit  60  Abbildungen  im  Text,  gr.  S^. 

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Die  romanische  Steinplastik  in  Schwaben  m  82'' ASunge^^ 

im  Text.   1907.  VIII  und  91  Seiten  gr.  8».  Geheftet  M.  4.— 


Grundzüge  der  Bauentwicklung  der  Haustypen  im 

Abendland    Von  Franz  Precht.  1910.  IV  u.  131  Seiten  8«.       Geheftet  M.  3.— 


DieWiederherstellung  von  Bauten  im  19.  Jahrhundert 

insbesondere  die  Wiederherstellung  der  Alexanderkirche  zu  Wildeshausen  in  Oldenburg  im 
Jahre  1908 — 09.  Von  Dr.  ing.  Alex.  Former,  Reg.-Baumeister,  Braunschweig.  Mit  39  Abbildungen 
und  6  Tafeln.   1912.  VIII  und  78  S.  Lex.  8  0.  Geheftet  M.  3.— 


Geistliches  Schauspiel  und  kirchliche  Kunst  veri 


ihrem 
Verhältnis 

erläutert  an  einer  Ikonographie  der  Kirche  und  Synagoge.  Eine  kunsthistorische  Studie  von 
Dr.  Paul  Weber.   1894.  VIII  u.  152  S.  mit  10  Abb.  in  Lichtdruck  u.  18  Textbildern.        M.  4.- 


1^1  C^Uvif-l-Ä»*   von  Gustav  Friedrich  Waagen.  Mit  einer  biograph.  Skizze  und 

JVieme  OCnrilten   dem  Bildnis  des  Verf.  1875.  VII  u.  381  S.  gr.  80.     Geh.  M.  8.40 


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